Stefan Marx Die Legende vom Spin Doctor
Stefan Marx
Die Legende vom Spin Doctor Regierungskommunikation unter Schröd...
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Stefan Marx Die Legende vom Spin Doctor
Stefan Marx
Die Legende vom Spin Doctor Regierungskommunikation unter Schröder und Blair
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Dissertation an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 2008
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Katrin Emmerich / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-15974-4
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Tabellen .....................................................................................................8 Verzeichnis der Abbildungen ............................................................................................10 Vorwort ...............................................................................................................................11 1
Einleitung ..................................................................................................................13
1.1
Die Ziele der Arbeit .............................................................................................14
1.2
Der vorhandene Forschungsstand und die Quellen der Arbeit .......................17
1.3
Die Forschungsfragen für die Untersuchung ....................................................20
1.4
Der Aufbau der Arbeit ........................................................................................21
2 2.1
Regierungskommunikation – Theorien, Bedingungen, Traditionen....................24 Zu den verwendeten Begriffen............................................................................24
2.2 Symbiose oder Dominanz – das Verhältnis von Politik und Medien...............31 2.2.1 Das mediale und das politische System ............................................................31 2.2.2 Basistheorien zu den Medien ............................................................................35 2.3 Die politischen Kommunikationskulturen in beiden Ländern.........................37 2.3.1 Die politischen Systeme ....................................................................................37 2.3.2 Die beiden Mediensysteme ...............................................................................42 2.3.3 Die traditionelle Rolle von Sprechern und Beratern der Regierung..................45 3
Das neue Umfeld für politische Kommunikation...................................................53
3.1
Die Gesellschaft: postmodern und individualisiert ...........................................53
3.2
Die Medien: 24 Stunden Nachrichten ................................................................61
6 3.3 4
Die Wahlkämpfe: War Room, Excalibur und Kampa........................................72 Die Kommunikationsstile der Regierungen Blair und Schröder..........................79
4.1 Großbritannien: Tony Blairs spin machine .......................................................79 4.1.1 Ursprünge und Vorbilder ..................................................................................79 4.1.2 Techniken des Medienmanagements.................................................................82 4.1.3 New Labour an der Macht.................................................................................85 4.1.4 Spin – ein Wort wird zum politischen Kampfbegriff ........................................91 4.1.5 Die Kontroverse um die Irak-Dossiers..............................................................98 4.1.6 „No spin is the new spin“: Die Reaktion auf das Medieninteresse .................101 4.2 Deutschland: Medienkanzler mit Vermittlungsproblem................................106 4.2.1 Suche nach einer Überschrift – die erste Regierung Schröder ........................106 4.2.2 Agenda 2010 – die Grenzen der Reformkommunikation................................116 4.2.3 Der Einfluss von Medienberatern auf Bundesminister ...................................123 5
Untersuchungsdesign und Methoden....................................................................130
5.1 Die empirische Untersuchung ...........................................................................131 5.1.1 Zum Untersuchungsgegenstand ......................................................................131 5.1.2 Zur Begründung des Forschungsdesigns.........................................................132 5.2 Planung und Ablauf der Experteninterviews ..................................................134 5.2.1 Die Auswahl der Experten ..............................................................................134 5.2.2 Die Befragung der Experten............................................................................137 5.3
Zur Auswertung und Darstellung der Erkenntnisse ......................................139
5.4
Gütekriterien zur qualitativen Forschung.......................................................142
6
Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse..............................................145
6.1 Das wahrgenommene Umfeld für politische Kommunikation.......................145 6.1.1 Mehr, schneller, härter – der Medienwandel...................................................145 6.1.2 Gut beraten? Die Reaktion der offiziellen Politikvermittlung.........................155 6.2 Hintergrund und Stellung der Politikvermittlungsexperten..........................167 6.2.1 Aufstieg einer Medienelite in die Regierung?.................................................167 6.2.2 Anforderungen an einen postmodernen PR-Experten .....................................176 6.3 Die Macht der PR-Akteure ...............................................................................180 6.3.1 Der Einfluss auf die Entscheidungspolitik ......................................................180 6.3.2 Der Einfluss auf die Darstellungspolitik .........................................................186
7 6.4 Der Begriff Spin Doctor.....................................................................................187 6.4.1 Definitionen und Wertungen des Begriffes.....................................................187 6.4.2 Spin Doctoring als neues Phänomen? .............................................................196 6.5 Die Folgen professioneller PR – der „postmoderne Tanz“.............................200 6.5.1 Gesellschaftliche Wirkungen der Regierungskommunikation ........................200 6.5.2 Zunahme der Metaberichterstattung?..............................................................207 7
Bilanz – Spin ist tot, lang lebe Spin .......................................................................213
7.1
Der Spin Doctor – ein Medien-Mythos.............................................................213
7.2
Koch oder Kellner? Zur Bedeutung der Darstellungspolitik.........................223
7.3
Postmoderne Beziehungen – Politik und Medien in London und Berlin ......229
7.4
Regieren in der Mediengesellschaft..................................................................236
8
Zusammenfassung ..................................................................................................246
Literaturverzeichnis.........................................................................................................256 Artikel aus wissenschaftlichen Zeitschriften und Serien ..............................................270 Artikel aus Zeitungen, Zeitschriften und Internet ........................................................272 Offizielle Berichte, Schriftstücke und Anhörungen ......................................................276 Mitschriften aus Veranstaltungen ..................................................................................277 Abkürzungsverzeichnis....................................................................................................279 Anhang I............................................................................................................................281 Interviews in Deutschland ...............................................................................................281 Interviews in Großbritannien .........................................................................................283 Leitfäden für die Experteninterviews – deutsche Fragebögen .....................................285 Leitfäden für die Experteninterviews – englische Fragebögen ....................................289
Verzeichnis der Tabellen
Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17: Tabelle 18: Tabelle 19: Tabelle 20: Tabelle 21: Tabelle 22:
Dimensionen des Politikbegriffs ..................................................................24 Paradigmen des Verhältnisses von Medien und Politik nach Sarcinelli.......32 Zahl und Besoldung der Sonderberater 1994/95 bis 2005/06.......................96 Befragtenstatistik nach Ländern und Gruppenzugehörigkeit .....................136 Verschlüsselung der Namen der Befragten in dieser Arbeit.......................141 Aussagen der deutschen Befragten zur Veränderung des Umfelds für politische Kommunikation .........................................................................146 Aussagen der britischen Befragten zur Veränderung des Umfelds für politische Kommunikation .........................................................................152 Aussagen der deutschen Befragten zur Qualität der Regierungskommunikation Schröders........................................................156 Aussagen der britischen Befragten zur Qualität der Regierungskommunikation Blairs ..............................................................162 Aussagen der deutschen Experten zum typischen biografischen Hintergrund von Spin Doctors ........................................................................................168 Aussagen der britischen Experten zum typischen biografischen Hintergrund von Spin Doctors ........................................................................................168 Aussagen der deutschen Befragten zu einem möglichen Machtzuwachs für politische PR-Akteure.................................................................................171 Aussagen der britischen Befragten zu einem möglichen Machtzuwachs für politische PR-Akteure.................................................................................171 Aussagen der deutschen Experten zur Loyalität von PR-Experten im Konfliktfall .................................................................................................174 Aussagen der britischen Experten zur Loyalität von PR-Experten im Konfliktfall .................................................................................................174 Anforderungen der deutschen Befragten an einen idealen Politikvermittlungsexperten........................................................................176 Anforderungen der britischen Befragten an einen idealen Politikvermittlungsexperten........................................................................177 Aussagen der deutschen Befragten zum Einfluss von PR-Experten auf politische Konzepte ....................................................................................180 Aussagen der britischen Befragten zum Einfluss von PR-Experten auf politische Konzepte ....................................................................................181 Aussagen der deutschen Befragten zu ihrer Definition und Einstellung zum Begriff des Spin Doctors ............................................................................188 Antwort der deutschen Befragten auf Frage, ob sie als Spin Doctor tätig seien............................................................................................................190 Aussagen der deutschen Befragten zur Menge der Spin Doctors in der Bundespolitik und der damit assoziierten Tätigkeiten................................190
9 Tabelle 23: Tabelle 24: Tabelle 25: Tabelle 26:
Tabelle 27:
Tabelle 28:
Tabelle 29: Tabelle 30:
Tabelle 31:
Aussagen der britischen Befragten zu ihrer Definition und Einstellung zum Begriff des Spin Doctors ............................................................................192 Antwort der britischen Befragten auf Frage, ob sie als Spin Doctor tätig seien............................................................................................................193 Aussagen der britischen Befragten zur Menge der Spin Doctors in der Bundespolitik und der damit assoziierten Tätigkeiten................................194 Antworten der deutschen Befragten auf Frage, inwiefern und ob Spin Doctoring ein neues Phänomen der politischen Öffentlichkeitsarbeit darstellt .......................................................................................................196 Antworten der britischen Befragten auf Frage, inwiefern und ob Spin Doctoring ein neues Phänomen der politischen Öffentlichkeitsarbeit darstellt .......................................................................................................198 Aussagen der deutschen Befragten zu positiven und negativen Folgen der Arbeit von professionalisierten Politikvermittlungsexperten auf das politische System........................................................................................200 Aussagen der britischen Befragten zu positiven und negativen Folgen der Arbeit von Politikvermittlungsexperten auf das politische System ............203 Aussagen der deutschen Befragten zu einer möglichen Zunahme der Metaberichterstattung zu politischer Kommunikation in deutschen Massenmedien ............................................................................................208 Aussagen der britischen Befragten zu einer möglichen Zunahme der Metaberichterstattung zu politischer Kommunikation in britischen Massenmedien ............................................................................................211
Verzeichnis der Abbildungen
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7:
Modell der politisch-medialen Produktionsgemeinschaft........................34 Phasenmodell des politischen Prozesses nach Jarren/Donges .................35 Die Entwicklung des Downing Street Press Office vom 19. Jahrhundert bis heute...................................................................................................51 Organisation des Prime Minister's Office unter Blair (Stand: Februar 2000)........................................................................................................90 Organisation des Prime Minister's Office unter Blair (Stand: April 2004)......................................................................................................102 Organisation des Bundeskanzleramtes unter Kohl (Stand: 3. März 1997)......................................................................................................108 Organisation des Bundeskanzleramtes unter Schröder (Stand: 19. November 2002) ....................................................................................116
Vorwort
Wer würde das manchmal nicht gern: Einmal Mäuschen spielen, wenn die Mächtigen ihre Kontakte knüpfen und pflegen – wenn politische Akteure ihre nächste Initiative und deren Präsentation planen, wenn Journalisten in der Redaktionskonferenz die Linie der Berichterstattung vorzeichnen. Nichts anderes ist die Grundmotivation dieses Buches: Der Autor wollte das Beziehungsnetz zwischen den Akteuren der Regierungs-PR und der Hauptstadtmedien in London und Berlin sichtbar machen und verstehen, wie sich politische Kommunikation unter den Bedingungen von 24 Stunden am Tag verfügbaren Nachrichtenmedien verändert. Die Regierungen Gerhard Schröders und Tony Blairs erscheinen dafür als nahezu perfekte Vergleichsobjekte: Beide schickten sich am Ende der 90er-Jahre an, die Sozialdemokratie auf die gewandelten Lebenswelten nach Ende des Kalten Kriegs einzustellen und ihr Erscheinungsbild entsprechend anzupassen. Der Verfasser war zu dieser Zeit in Berlin und London beruflich – journalistisch wie politisch – tätig und kennt daher das erforschte Feld aus eigener Anschauung. Besonders interessant schien dabei immer die oft genannte Spezies der Spin Doctors, die als mit allen Wassern gewaschene PR-Virtuosen erschienen. Dass dieser Begriff viel differenzierter zu sehen ist, stellte sich bei der Recherche sehr schnell heraus. Doch eine Frage blieb und zieht sich nun durch das ganze Buch: Wie gehen demokratische Institutionen, die auf oft diskrete und langwierige Abstimmungsprozesse angewiesen sind, mit dem Druck um, die fast jede Viertelstunde aktualisierten Nachrichtenmedien zu füllen? Ein eindeutiges Rezept dafür kann und wird es nicht geben – doch an dieser Frage hängt die Funktionsfähigkeit von politischen und medialen Institutionen in der Demokratie, nicht nur in Deutschland und Großbritannien. Bei diesem Buch handelt es sich um die leicht korrigierte Fassung meiner Doktorarbeit, die ich im Sommer 2007 an der Philosophischen Fakultät der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität in Bonn eingereicht habe. Die vorliegende Arbeit entstand am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie. Da die politische Kommunikation ihr Hauptthema ist, wird sie ebenso all jene interessieren, die sich beruflich oder privat mit Kommunikation, Medien und PR beschäftigen. Schließlich bietet sie auch einen Vergleich der politischen Kulturen in Deutschland und Großbritannien. Dieses Promotionsprojekt wäre ohne die Hilfe vieler Menschen nicht möglich gewesen. Deshalb muss der Autor hier Danke sagen. Der erste Dank geht natürlich an den Initiator und Betreuer der Dissertation, Prof. Dr. Tilman Mayer, für sein jederzeit offenes Ohr, seinen prompten Einsatz bei fachlichen und bürokratischen Schwierigkeiten sowie so manche Ermutigung zur rechten Zeit. Prof. Dr. Michael Schneider fungierte als Zweitgutachter und als derjenige, der den Zugang zur Friedrich-Ebert-Stiftung ermöglichte. Prof. Dr. Peter J. Opitz von der Ludwig-Maximilians-Universität in München ist dafür zu danken, dass er in den ersten Monaten die Erstbetreuung übernahm – viele seiner Anregungen finden sich im Folgenden wieder. Zu erwähnen sind auch die beiden weiteren Mitglieder der Prüfungskommission in Bonn, Prof. Dr. Gerd Langguth und PD Dr. Volker Kronenberg. Der Fried-
12 rich-Ebert-Stiftung (FES) und im Besonderen Marianne Braun von der Abteilung Studienförderung bin ich durch die Förderung des Forschungsprojekts sehr verbunden. Allen 50 Interviewpartnern in Deutschland und Großbritannien gebührt großer Dank für die Zeit, die sie sich trotz immer voller Terminkalender nahmen – oft verbunden mit überraschender Offenheit, viel Aufmerksamkeit und hilfreichen Anregungen. Daneben ist zu erwähnen, dass mir die Berliner Politik- und PR-Experten Michael Geffken und Dr. Marco Althaus sowie der damalige Londoner FES-Büroleiter Dr. Gero Maaß durch Ratschläge und Kontakte viele Interviews erst ermöglichten. Es sind noch all jene zu nennen, die mich in der Zeit des Schreibens der Arbeit ertrugen, die ganze Arbeit oder einzelne Abschnitte zur Korrektur lasen und mit Tipps zur Stelle waren. Ich danke daher Uta Henßge, die die Arbeit und ihren Schreiber in allen Stadien und in allen Fragen auch abseits der Dissertation sehr vorangebracht hat. Andreas Krieger, Arne Thiermann, Florian Neuhann, Kilian Kirchgeßner und Martin Welz ist für kritische Anmerkungen und konstruktive Ideen zu danken. Alle Fehler und Unzulänglichkeiten im Text stehen selbstverständlich in meiner alleinigen Verantwortung. Die letzte Danksagung ist zugleich die wichtigste: Ohne meine Eltern wäre nicht nur diese Arbeit, sondern auch nichts davor möglich gewesen. Ich danke ihnen von ganzem Herzen für ihre bedingungslose Unterstützung und Hilfe in allen Fragen. Ihnen sei daher diese Arbeit gewidmet. London, im März 2008 Stefan Marx
1 Einleitung “[…] we communicated on an unparalleled degree with the public about Iraq, about weapons of mass destruction […], why action may have been justified. At the same time, by putting that information into the public domain, it is obviously possible for it to be scrutinised and interrogated and analysed, to the point at which it becomes distrusted. […] the central strategic dilemma of how to handle that in the context of the new communications and political environment, it seems to me as very great one, and it’s not one that we’ve resolved and I don’t think it will be resolved for some years to come.” Downing-Street-Mitarbeiter unter Tony Blair1
Im Londoner West End standen im Sommer 2001 zwei Theaterstücke ganz oben in der Publikumsgunst. Noises Off, auf den ersten Blick eine harmlose Klamotte über tapsige Ehebrecher in einem Landhaus, überrascht im zweiten Akt: Dann dreht sich die Bühne, und es stellt sich heraus, dass das Geschehen hinter den Kulissen noch viel komischer ist. Schließlich verschmelzen Hinter- und Vorderbühne zu einem völligen Chaos. Einem ähnlichen Prinzip folgte der zweite Theater-Erfolg von 2001, Feelgood. Dieses Stück zeigt einen zynischen, adrenalingeladenen Pressesprecher, der für seinen medienbewussten Premierminister die große Parteitagsrede vorbereitet. Nebenbei hat er alle Hände voll zu tun, die Journalisten von allerlei PR-Desastern abzulenken. Ein Schelm, wer da nicht an Tony Blair und seine Medienberater denkt. Als der Premierminister auf der Bühne seine professionell vorbereitete, messianische Rede hält, wirkt sie nur oberflächlich noch überzeugend – und in Kenntnis des vorher Gesehenen lächerlich. Beide Stücke zeigen: Der Blick hinter die Kulissen, das Zeigen der Inszenierung ist nicht nur im Theater, sondern auch in der Politik von großem Interesse. Diese Arbeit möchte das Geschehen auf der Hinterbühne der Regierungszentralen in Berlin und London untersuchen. Sie vergleicht den Stil der Informationspolitik von Premierminister Tony Blair (1997-2007) und Bundeskanzler Gerhard Schröder (1998-2005). Die Untersuchung nimmt einen oft vernachlässigten Teil der politischen Kommunikation ins Visier: die Medienarbeit im Regierungsalltag, abseits der Wahlkämpfe. In den letzten Jahren war viel von Spin Doctors die Rede – scheinbar allmächtigen Politikberatern, denen es gelingt, die Medien im Sinne ihrer Dienstherren zu manipulieren.2 Das Bedeutung heischende Etikett des Spin steht nur für ein weiteres Phänomen: Jede Regierung in einer westlichen Demokratie steht heute einer temporeichen Mediengesellschaft gegenüber. Eine Regierung, die sich nicht täglich intensive Gedanken über ihre öffentliche Kommunikation macht, wird sich kaum halten können. Die sich wandelnden Umstände verlangen von den amtlichen Kommunikatoren kreatives Agieren und schnelles Reagieren. Die Techniken offizieller Informationspolitik gilt es in diesem Licht zu beschreiben. Aus Sorge über die Lebensfähigkeit der Demokratie wird da von vielen die Frage gestellt, wie viel Macht den Medienexperten in der politischen Arbeit inzwischen zukommt und ob die luftige Inszenierung die mühsame
1
P/G/4-Q15. Zur Verschlüsselung der Zitate aus den Interviews s. Abschnitt 5.3. Siehe z.B. Jürgen Falter: Alle Macht dem Spin Doctor. Die Amerikanisierung der Wahlkämpfe ist auch in Deutschland fortgeschritten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. April 1998, S. 11-12. Im Folgenden zitiert als: Falter, Macht. Siehe auch Jenny Simon: Und ewig lockt der Spin Doctor ... Zur Genealogie eines neuen Berufszweigs. In: Vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik 2/2002, S. 48-54. 2
14
1 Einleitung
Sachpolitik verdrängt. Daher wird die Frage nach dem politischen Einfluss der Experten für Public Relations (PR) zu stellen sein. Die Regierungen Blairs und Schröders sind ideale Vergleichsobjekte, um die Veränderungsprozesse der Regierungskommunikation zu beschreiben. Die beiden Staaten weisen systemische Parallelen auf: In Deutschland und Großbritannien bestehen parlamentarischrepräsentative Demokratien mit einem machtvollen Regierungschef. Die Mediensysteme beider Länder sind geprägt von starken öffentlich-rechtlichen Rundfunksystemen. Mögliche Störfaktoren wie unterschiedliche politische oder mediale Systeme – was z.B. Vergleiche zwischen Deutschland und den USA oft erschwert – sind somit ausgeblendet. Beide Regierungschefs kamen etwa zur selben Zeit (1997 bzw. 1998) an die Macht. In den 90er-Jahren galt Blair, gestärkt durch sein dynamisches Image und stabil hohe Umfragewerte, als Vorbild vieler sozialdemokratischen Parteien in Europa. Schröder beobachtete die Wahlkampftechniken New Labours, mühte sich um das Image eines deutschen Blair, suchte die Freundschaft des Briten. Inwiefern dies auf den Stil der Regierungs-PR abfärbte, wird die Untersuchung zeigen. Der Verfasser dieser Arbeit hat die Geschehnisse bei den deutschen und britischen Sozialdemokraten seit Jahren von außen und zuweilen von innen aufmerksam beobachtet. Dabei stellten sich insbesondere die Figuren der Spin Doctors als faszinierende Objekte heraus – wie schafften sie es, ihren Auftraggebern eine gute Presse und sich selbst ein geheimnisvolles Image zu verschaffen? Die Idee, sich mit der Informationspolitik in Berlin und London zu beschäftigen, war daher die wissenschaftliche Fortsetzung eines privaten Interesses. Der Autor ist ausgebildeter Redakteur und hat in München und Berlin als freier Journalist gearbeitet. Später kam die Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter in London bei zwei Labour-Abgeordneten, einer davon parlamentarischer Staatssekretär, hinzu. Diese Erfahrungen fließen reichlich in diese Arbeit ein, sie ermöglichen auch einen praktischen Blick auf politikwissenschaftliche Fragestellungen.
1.1 Die Ziele der Arbeit Diese Arbeit bietet einen Vergleich zwischen den politischen Nachrichtenmärkten London und Berlin, beschreibt den Einfluss von Politikvermittlungsexperten über die pure Kommunikation hinaus und bietet eine kritische Sicht auf das Phänomen des Spin Doctoring. Wie bereits beschrieben, ging der erste Impuls für die Arbeit von diesem Begriff aus. Es wurde verstanden als eine neue Qualität politischer Öffentlichkeitsarbeit, als ein wesentlicher Teil einer ganz neuen Ära politischer Kommunikation.3 In den britischen Zeitungen stieg die Zahl der Vorkommnisse des Begriffes Spin Doctor von acht im Jahr 1989 auf 529 nur zehn Jahre später. PR-Akteure wie Blairs Berater Peter Mandelson und Alastair Campbell wurden zu Prominenten. Das Wort trat in Großbritannien wie in Deutschland in die politische Alltagssprache ein.4 Zunächst ging es dem Autor in seinen Recherchen darum, 3 Siehe Frank Esser/Carsten Reinemann/David Fan: Spin Doctoring in British and German Election Campaigns. How the Press is Being Confronted with a New Quality of Political PR. In: European Jounal of Communication 2/2000, S. 209-239. Im Folgenden zitiert als: Esser, Campaigns. Siehe auch Jay G. Blumler/Dennis Kavanagh: The Third Age of Political Communication: Influences and Features. In: Political Communication, 3/1999, S. 209230. Im Folgenden zitiert als: Blumler, Age. 4 Vgl. Margaret Scammell: The Media and Media Management. In: Anthony Seldon (Hrsg.): The Blair Effect. The Blair Government 1997-2001. London 2001, S. 509-533, hier S. 515. Im Folgenden zitiert als: Scammell, Media.
1.1 Die Ziele der Arbeit
15
das Phänomen definitorisch fassbar und einer weiteren wissenschaftlichen Untersuchung zugänglich zu machen. Doch je länger die Beschäftigung mit der schillernden Wortschöpfung dauerte, desto klarer schälte sich heraus, dass sie den Charakter der Regierungskommunikation eher verschleiert als demaskiert. Deswegen wandte sich der Autor dem genauen Studium der Phänomene postmoderner PR zu, die häufig unter dem Begriff des Spin zusammengefasst werden. Der mögliche Wandel der politischen Kommunikation ist eine Folge der wechselnden Umweltbedingungen in der Gesellschaft, dem Journalismus und der politischen Kultur. Die gesellschaftlichen Trends hin zur Mediengesellschaft gilt es in dieser Arbeit zu beschreiben. Vor allem ist zu fragen, welche Veränderungen die tägliche Arbeit von PR-Akteuren und Journalisten prägen. Die Arbeit beleuchtet die Regierungskommunikation unter den beiden Regierungschefs, die veränderten Rahmenbedingungen für politische Sprecher, Berater und Journalisten. Sie ermöglicht einen Vergleich der politischen Kommunikationskulturen5 in beiden Staaten unter den Bedingungen der Mediengesellschaft. Das einfachste und klarste Modell der politischen Kommunikation ist ein Dreieck, an dessen Enden Politik, Medien und die Bürger stehen.6 Die vorliegende Arbeit richtet ihren Blick auf die Beziehung zwischen den beiden erstgenannten Spielern in der jeweiligen Hauptstadt. Die Wirkung beim Bürger wird nicht spezifisch untersucht, da es sich nicht um eine Medienrezeptionsstudie handelt. Dennoch werden aus dem Verhältnis von Politikvermittlern und Journalisten Vermutungen über die Wahrnehmung bei den Bürgern angestellt, kann nach positiven wie negativen Folgen postmoderner Beziehungskonflikte zwischen Politik und Medien gefragt werden. Insgesamt führte der Autor dafür 50 Experteninterviews, 30 in Deutschland und 20 in Großbritannien. Es wurden auch gut platzierte Medienberater befragt, die nicht nach medialer Prominenz streben und deshalb nicht so häufig Besuch von wissensdurstigen Magistranden und Doktoranden bekommen. In Deutschland und Großbritannien wurden je drei Gruppen von Experten befragt: Politikvermittlungsexperten aus Regierung und Parteien, Journalisten und auch einzelne Wissenschaftler zur Vertiefung der Erkenntnisse. Für die Befragung konnten in Deutschland hochkarätige Interviewpartner wie der damalige Regierungssprecher Béla Anda, der Medienberater Klaus-Peter Schmidt-Deguelle und der ehemalige Kohl-Mitarbeiter Andreas Fritzenkötter gewonnen werden. In London gaben u.a. die damaligen Blair-Ratgeber Patrick Diamond, Roger Liddle und der frühere ThatcherVertraute Lord Bell Auskunft. Diese Auswahl erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität, da es sich gerade bei der Medienberatung in der Politik um ein Phänomen handelt, das kaum quantitativ ,einfangbar’ ist. Die Interviews erlauben aber die Konstruktion typologischer Theorien, die Stil, Bedingungen und Zusammenhänge der jeweiligen Regierungskommunikationen umfassend beschreiben können.7 Die gewonnenen Einblicke in die Regierungsstuben und Redaktionen in London und Berlin und das dadurch möglich gewordene kritische Hinterfragen einiger populärer Mythen lohnen den betriebenen Forschungsaufwand allemal.8 5
Zum Begriff s. Abschnitt 2.1. Siehe u.a. Abb. 1.1 in Brian McNair: An Introduction to Political Communication. 3., überarb. Aufl. London, New York 2003, S. 6. Im Folgenden zitiert als McNair, Introduction. 7 Zur Konstitution typologischer Theorien s. Abschnitt 5.3 dieser Arbeit und Alexander L. George/Andrew Bennett: Case Studies and Theory Development in the Social Sciences. Cambridge, London 2005, S. 233-262. Im Folgenden zitiert als: George, Case. 8 Siehe die volle Liste der Interviewten im Anhang I und Kapitel 5 zur Methodik der Befragung. 6
16
1 Einleitung
Das Ziel von Politikern und ihren Politikvermittlungsexperten war es schon immer, die Medien- und Öffentlichkeitsagenda zu beeinflussen und vielleicht sogar zu steuern. Unter den Bedingungen von 24 Stunden wachen Medien haben sich neue Erfordernisse, Routinen und Tricks für die Öffentlichkeitsarbeiter entwickelt, die hier gezeigt und kritisch bewertet werden. Damit kann diese Arbeit ihre Antwort zu der ewig jungen Diskussion in der Sozialwissenschaft beisteuern, wer im Verhältnis von Politik und Medien dominiert: Haben die Medien die Politik kolonisiert? Oder folgen Journalisten den Vorgaben politischer Inszenierung? Oder ist gar ein politisch-medialer Komplex entstanden, dessen Bestandteile nicht mehr trennbar sind? Diese Studie will einen Beitrag dazu leisten, verschiedene Forschungslücken der Politikwissenschaft zu füllen. Die Kommunikationswissenschaftler Otfried Jarren und Patrick Donges konstatierten 2002 in ihrem Lehrbuch zur politischen Kommunikation einen Mangel an empirischen Analysen über die PR-Praxis bei politischen Akteuren. Das Wissen über die Organisationen von PR, ihrer Ressourcen, ihres Personals, ihrer Instrumente und Strategien sei gering.9 Die Politikwissenschaftler Kay Müller und Franz Walter nannten es erstaunlich, dass sich die Politikwissenschaft kaum mit den Beratern der Bundeskanzler beschäftige.10 Der Politikwissenschaftler Ulrich Sarcinelli sprach 2005 von einem Mangel an Untersuchungen, inwiefern politische Kommunikation die politische Sacharbeit beeinflusst. Es werde zwar behauptet, dass die Darstellungspolitik wichtiger werde, aber Rückwirkungen auf die Entscheidungspolitik seien kaum erforscht. Außerdem herrschten in der politischen Kommunikationsforschung in Deutschland zahlreiche Defizite: Zu schnell würden USVerhältnisse auf europäische Demokratien übertragen. Es bestehe ein Überhang kommunikationswissenschaftlicher Mikroansätze auf Kosten des Wissens der strukturellen Wirkung von Massenmedien auf die Demokratie. Die Folge sei eine kurzsichtige Weitsichtigkeit, oft gekrönt von allgemeinen Verfallsprognosen für die Demokratie in der Mediengesellschaft. Zudem beschäftigten sich zu viele Forscher mit Wahlkämpfen. Das führe zu einer amputierten Sicht der politisch-kommunikativen Realität. Wahlkämpfe seien Hochämter der politischen Alltagsliturgie, aber wer sich nur mit ihnen beschäftige, ziehe ähnliche Schlüsse wie jemand, der sich von der Kirche ein Bild machen wolle, indem er sich nur auf Weihnachtsgottesdienste kapriziere.11 All die benannten wissenschaftlichen Kurzschlüsse versucht diese Arbeit zu vermeiden. Ganz bewusst wird der Blick auf den Regierungsalltag jenseits der Wahlkämpfe gerichtet. Populäre Spekulationen über Omnipotenz der Medien oder Allmacht der Spin Doctors in Wissenschaft und Presse werden aus Sicht der Praktiker beleuchtet und daraus Schlüsse für das schwierige Makroverhältnis von Politik und Medien in der Demokratie gezogen. Ob in Politik, Wissenschaft oder Medien, häufig ist die Diskussion über politische Kommunikation von Übertreibungen und dem oberflächlichen Reiz des Neuen geprägt. 9 Vgl. Otfried Jarren/Patrick Donges: Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Eine Einführung. Bd. 2. Akteure, Prozesse und Inhalte. Wiesbaden 2002, S. 79. Im Folgenden zitiert als: Jarren, Mediengesellschaft 2. 10 Vgl. Kay Müller/Franz Walter: Graue Eminenzen der Macht. Küchenkabinette in der deutschen Kanzlerdemokratie. Von Adenauer bis Schröder. Wiesbaden 2004, S. 10. Im Folgenden zitiert als: Müller, Küchenkabinette. 11 Vgl. Ulrich Sarcinelli: Politische Kommunikation in Deutschland. Zur Politikvermittlung im demokratischen System. Wiesbaden 2005, S. 28, 115-121 und 197. Im Folgenden zitiert als: Sarcinelli, Kommunikation. Auch Jarren/Donges sehen in der Kommunikationswissenschaft einen zu starken Fokus auf Wahlkampfzeiten (vgl. Otfried Jarren/Patrick Donges: Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Eine Einführung. Bd. 1. Verständnis, Rahmen und Strukturen. Wiesbaden 2002, S. 37-42. Im Folgenden zitiert als: Jarren, Mediengesellschaft 1.)
1.2 Der vorhandene Forschungsstand und die Quellen der Arbeit
17
Davor will sich diese Arbeit mit wohldosierten Blicken in die Geschichte schützen – so verfügten schon Bundeskanzler Willy Brandt und Premierminister Harold Wilson über telegenen Appeal und eine muntere Schar journalistischer Berater, und so begann der Kampf der politischen Akteure um die politische Mitte bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert. Auch die vergleichende Perspektive sorgt für einen geschärften Blick: Ist ein in einem Land beobachtbares Phänomen wirklich neu und originär, oder ist es nur transferiert? Professionelle politische PR-Beratung ist in beiden Staaten nichts völlig Neues, doch hat sie wohl in den letzten Jahren zugenommen. Schon jetzt kommt ihr ein eher zweifelhaftes öffentliches Image zu. Wie konnte es den Politikvermittlungsexperten passieren, in ein schlechtes Licht zu geraten, obwohl sie doch selbst dafür angestellt sind, ein ehrliches, vertrauenswürdiges Image herzustellen? Auch dies gilt es näher zu untersuchen.
1.2 Der vorhandene Forschungsstand und die Quellen der Arbeit Der Bereich der politischen Kommunikation war in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum ein äußerst fruchtbares Forschungsfeld für Sozialwissenschaftler. Wie im vorherigen Abschnitt erläutert, waren gerade Wahlkämpfe Anlass für vielerlei Forschungsaktivitäten – Neuheiten wie war rooms, die Kampa der SPD und die TV-Duelle der Kanzlerkandidaten faszinierten nicht nur die Medien. Hier dominiert die Perspektive der Wirkungsforschung mit Arbeiten v.a. aus dem kommunikationswissenschaftlichen Bereich. Dazu zählen auch die Aufsätze über Spin Doctoring in Wahlkämpfen von Esser und Koautoren in mehreren Zeitschriften und Büchern.12 Die Frage des Verhältnisses von Politik und Medien hat allerlei thesenartige und empirische Werke mit Schlagwörtern wie Mediokratie, Talkshow statt Ortsverein oder Politainment hervorgebracht.13 Die Rolle politischer Beratung jenseits der offiziellen Organigramme und Institutionen ist wenig erforscht, was nicht verwundern kann, da es sich um einen sensiblen Bereich für alle Mächtigen handelt. In der Politikwissenschaft dominieren Beschreibungen zur wissenschaftlichen Beratung oder in neuerer Literatur zum Feld Public Affairs.14 Noch 2003 ergab die Suche nach wissenschaftlicher Literatur, dass nur wenig Material zur Regierungskommunikation existiert. Dies hat sich etwas geändert, während diese Dissertation entstand. In Deutschland war zunächst Burkard Weths 1991 veröffentlichte Befragung von Regierungssprechern bis zum Ende der Regierung Schmidt die letzte dieser Art. Seine Erhebung kam bereits zu dem Ergebnis, dass wachsende Staatstätigkeit und eine sich wan12
Vgl. Esser, Campaigns und Frank Esser: Spin doctoring. Rüstungsspirale zwischen politischer PR und politischem Journalismus. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen 3/2000, S. 17-24. Im Folgenden zitiert als: Esser, Rüstungsspirale. Vgl. auch Frank Esser/Carsten Reinemann/David Fan: Spin Doctoring in the United States, Great Britain and Germany. In: The Harvard International Journal of Press/Politics 1/2001, S. 16-45. Für einen Überblick siehe ebenso Frank Esser/Barbara Pfetsch (Hrsg.): Politische Kommunikation im internationalen Vergleich. Grundlagen, Anwendungen, Perspektiven. Wiesbaden 2003. 13 Siehe Andreas Dörner: Politainment. Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft. Frankfurt am Main 2001 und Thomas Meyer: Mediokratie. Die Kolonisierung der Politik durch das Mediensystem. Frankfurt am Main 2001. Im Folgenden zitiert als: Meyer, Mediokratie. Eine kurze, wenn auch nicht erschöpfende Zusammenfassung dazu bietet Sarcinelli, Kommunikation, S. 122f. 14 Vgl. Christian H. Schuster: Politikberatungsagenturen in Deutschland. Berlin, München 2005, S. 36-46. Im Folgenden zitiert als: Schuster, Politikberatungsagenturen. Siehe auch Marco Althaus/Dominik Meier (Hrsg.): Politikberatung: Praxis und Grenzen. Münster 2004 und Marco Althaus/Michael Geffken/Sven Rawe (Hrsg.): Handlexikon Public Affairs. Münster 2005.
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1 Einleitung
delnde Gesellschaft die Effizienz der staatlichen Informationspolitik beeinträchtigen könnte. Eine defensive Deutung seiner Rolle sei für den Regierungssprecher nicht mehr möglich. Die Erwartungen der Politiker an die Leistungen der Öffentlichkeitsarbeit seien sprunghaft gestiegen. Für Misserfolge dienten die Vermittlungsexperten häufig als Prügelknaben. Der Regierungssprecher müsse deshalb in Entscheidungsprozesse gebührend eingebunden werden. Dies treffe jedoch auf den Widerstand der Ministerialbürokratien.15 Danach lieferte erst Jens Tenschers 2003 veröffentlichte Befragung von 60 deutschen Politikvermittlungsexperten (aktiv und pensioniert) in Regierung, Parlament und Parteien eine Fülle aktuellen, interessanten Materials über ihre Arbeit und Berufsrolle. Tenscher schloss aus seinen Interviews, dass die Sphäre der Politikherstellung weiterhin kaum von der Politikvermittlung tangiert werde. In seiner Umfrage wurde auch der Begriff des Spin Doctors erörtert und gezeigt, dass sich kaum einer dieses Etikett zu eigen machen wollte.16 Der Kommunikationswissenschaftler Christian Mihr veröffentlichte zur selben Zeit seine Diplomarbeit zur Externalisierung politischer PR, die ebenso auf Expertenbefragungen basierte. Er stützte seine Argumentation vornehmlich auf das Einzelbeispiel Klaus-Peter Schmidt-Deguelles, des Beraters von Hans Eichel, Bundesfinanzminister von 1999 bis 2005.17 Auch Barbara Pfetschs Befragung politischer Sprecher in Deutschland und in den USA liefert wichtige Erkenntnisse zum politisch-medialen Beziehungsgeflecht, seinen strukturellen Rahmenbedingungen und den Folgen gesellschaftlichen Wandels. Sie zeigte, dass das Verhältnis der politischen Sprecher in den USA distanziert und ambivalent ist. Die Interaktion beider wird von den Regeln des Mediensystems bestimmt. In Deutschland machte sie ein hohes Harmoniebedürfnis auf beiden Seiten und gemeinsame soziale Normen in persönlichen Netzwerken aus. Die politischen Sprecher in Deutschland nutzten in erster Linie das Handlungsrepertoire konventioneller Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ihre US-Kollegen wiesen eine stärkere PR-Orientierung, eine Internalisierung professioneller Medienregeln auf.18 2006 und damit nach Ende der Feldforschung für diese Arbeit erschien erstmals ein von den Medienwissenschaftlern Miriam Melanie Köhler und Christian H. Schuster herausgegebenes, umfassendes Handbuch zur deutschen Regierungs-PR mit Aufsätzen von Wissenschaftlern, Journalisten und Praktikern zur kommunikativen Arbeit der Bundesregierung. Dessen Inhalt konnte für diese Arbeit noch berücksichtigt werden.19 Die Fruchtbarkeit des Forschungsfelds der politischen Kommunikation und Darstellungs- und Entscheidungspolitik zeigt sich auch an der Zahl der hierzu in den letzten Jahren veröffentlich-
15
Vgl. Burkard Weth: Der Regierungssprecher als Mediator zwischen Regierung und Öffentlichkeit. Rollen- und Funktionsanalyse von Regierungssprechern im Regierungs- und Massenkommunikationssystem der Bundesrepublik Deutschland (1949 - 1982). Würzburg 1991, S. 227-233. Im Folgenden zitiert als: Weth, Mediator. 16 Vgl. Jens Tenscher: Professionalisierung der Politikvermittlung? Politikvermittlungsexperten im Spannungsfeld von Politik und Massenmedien. Wiesbaden 2003, S. 288-293. Im Folgenden zitiert als: Tenscher, Professionalisierung. 17 Siehe Christian Mihr: Wer spinnt denn da? Spin Doctoring in den USA und in Deutschland: Eine vergleichende Studie zur Auslagerung politischer PR. Münster, Hamburg, London 2003. Im Folgenden zitiert als: Mihr, Auslagerung. 18 Siehe Barbara Pfetsch: Politische Kommunikationskultur. Politische Sprecher und Journalisten in der Bundesrepublik und den USA im Vergleich. Wiesbaden 2003, S. 148-151 und 251f. Im Folgenden zitiert als: Pfetsch, Kommunikationskultur. 19 Siehe Miriam Melanie Köhler/Christian H. Schuster (Hrsg.): Handbuch Regierungs-PR. Über die Öffentlichkeitsarbeit von Bundesregierungen und deren Berater. Wiesbaden 2006.
1.2 Der vorhandene Forschungsstand und die Quellen der Arbeit
19
ten Übersichtswerke.20 Sie alle weisen medial vermittelter Politik in einer individualisierten Gesellschaft eine steigende Bedeutung zu. Der Vergleich zwischen Deutschland und Großbritannien, wenn auch in der Politikwissenschaft und darüber hinaus gern angestrengt21, ist im Bereich der politischen Kommunikation seltener anzutreffen. Der deutsche Politikwissenschaftler Bernd Becker, der Ende der 90er-Jahre in Bundeskanzleramt und Downing Street arbeitete, hat einige Beiträge über seine Erfahrungen und Empfehlungen an die deutsche Politik veröffentlicht.22 Der Politikwissenschaftler Uwe Jun publizierte 2004 seine Habilitationsschrift, die SPD und Labour Party miteinander vergleicht und auf Interviews mit führenden Vertretern beider Parteien basiert. Neben Darstellungen zu interner Organisation und Programmatik beschäftigt er sich darin auch mit dem politischen Marketing und der Außendarstellung beider Parteien.23 Diese Schilderungen erlauben sehr gute Rückschlüsse auf die Regierungskommunikation unter Blair und Schröder. Mit Blick auf die Literaturlage über die politische Kommunikation in Großbritannien muss besonders die Untersuchung der Journalismusforscher Steven Barnett und Ivor Gaber hervorgehoben werden, die über einen Zeitraum von vier Jahren alle wichtigen Politikjournalisten in London sprachen und die als Fazit eine Krise der Politikberichterstattung in britischen Medien ausmachten.24 Die Überblicksdarstellung des Kommunikationswissenschaftlers Colin Seymour-Ure von 2003 beleuchtete hingegen die andere Seite des Zauns: die Arbeit der Pressestellen in den Westminster-Demokratien.25 Die beamteten Pressestellen und die Informationspolitik der Blair-Regierung insgesamt wurden aber wesentlich von den parteipolitisch eingefärbten Sonderberatern (special advisers) geprägt. Ihr Aufstieg wurde 2004 erstmals durch den Politikwissenschaftler Andrew Blick26 näher wissenschaftlich untersucht. Außerdem ist der Zeithistoriker Anthony Seldon zu erwähnen, der jahre-
20
Siehe McNair, Introduction; Jarren, Mediengesellschaft 1; Jarren, Mediengesellschaft 2; Winfried Schulz: Politische Kommunikation. Theoretische Ansätze und Ergebnisse empirischer Forschung zur Rolle der Massenmedien in der Politik. Opladen, Wiesbaden 1997. Im Folgenden zitiert als: Schulz, Rolle; Ulrich Sarcinelli/Jens Tenscher (Hrsg.): Machtdarstellung und Darstellungsmacht. Beiträge zu Theorie und Praxis moderner Politikvermittlung. Baden-Baden 2003; Gerhard Hirscher/Karl-Rudolf Korte (Hrsg.): Information und Entscheidung. Kommunikationsmanagement der politischen Führung. Wiesbaden 2003; Jörg-Uwe Nieland/Klaus Kamps (Hrsg.): Politikdarstellung und Unterhaltungskultur. Zum Wandel der politischen Kommunikation. Köln 2004; Michael Jäckel/Peter Winterhoff-Spurk (Hrsg.): Politik und Medien. Analysen zur Entwicklung der politischen Kommunikation. Berlin 1994. 21 Man denke nur an die immer mal wiederkehrende Diskussion über das Mehrheitswahlrecht nach britischem Modell, den gern angestellten Vergleich zwischen Bundeskanzler und Premierminister oder die Rufe nach einer deutschen Maggie Thatcher. 22 Siehe Bernd Becker: Tony Blair in No 10 Downing Street und die Probleme, Politik als Produkt zu verkaufen. In: Zeitschrift für Parlamentsfragen 4/2000, S. 871-885. Im Folgenden zitiert als: Becker, Produkt. Siehe auch Bernd Becker: Politik in Großbritannien. Einführung in das politische System und Bilanz der ersten Regierungsjahre Tony Blairs. Paderborn u.a. 2002. Im Folgenden zitiert als: Becker, Großbritannien 23 Siehe Uwe Jun: Der Wandel von Parteien in der Mediendemokratie. SPD und Labour Party im Vergleich. Frankfurt am Main 2004. Im Folgenden zitiert als: Jun, Wandel. 24 Siehe Steven Barnett/Ivor Gaber: Westminster Tales. The Twenty-first-century Crisis in British Political Journalism. London, New York 2001. Im Folgenden zitiert als: Barnett, Tales. 25 Siehe Colin Seymore-Ure: Prime Ministers and the Media. Issues of Powers and Control. Malden, Oxford, Carlton 2003. Im Folgenden zitiert als: Seymour-Ure, Issues. 26 Siehe Andrew Blick: People who live in the dark. The history of the special adviser in British politics. London 2004. Im Folgenden zitiert als: Blick, Dark.
20
1 Einleitung
lang Blairs politische Arbeit publizistisch begleitete und auf Basis seiner Forschungen eine umfangreiche Biografie und Untersuchungen seines Regierungsstils herausgegeben hat. 27 Im englischsprachigen Bereich existieren viele Publikationen zur Politikvermittlung, die meist von Journalisten verfasst wurden. So schrieb der inzwischen pensionierte BBCJournalist Nicholas Jones allein drei Bücher zur Pressemaschinerie der Blair-Regierung und weitere zwei zu Labours Medienarbeit in Wahlkämpfen. Sein Ex-BBC-Kollege Lance Price, der 1998 bis 2000 in der Downing Street als Pressesprecher arbeitete, veröffentlichte 2005 sein Tagebuch aus dieser Zeit.28 Diese persönlichen Berichte bilden eine weitere wichtige Quelle für diese Arbeit, da sie Stimmen aus der Praxis darstellen.29 Als weitere wichtige Grundlagen für diese Arbeit sind parlamentarische Protokolle und offizielle Untersuchungsberichte zu nennen. In Deutschland haben die Öffentlichkeitsarbeit des BPA und die Beschäftigung eines Medienberaters durch das Bundesfinanzministerium während der rot-grünen Regierungszeit zu einigen parlamentarischen Anfragen geführt. In Großbritannien geht das öffentlich verfügbare Material weit über Anfragen hinaus: Immer wieder wurden Blairs Sprecher und Sonderberater zu Anhörungen vor Unterhaus-Ausschüsse geladen. Die Protokolle dieser Sitzungen sind ebenso öffentlich verfügbar wie der Untersuchungsbericht zum Selbstmord des Waffenexperten David Kelly (Hutton Report). Auch die Beweisstücke dieser Untersuchung, einschließlich der Vernehmungsprotokolle, interner Dokumente und einzelner Tagebuchseiten Alastair Campbells, sind im Internet abrufbar. Ähnliches gilt für die Arbeit einer Kommission, die 2003/04 Vorschläge zur Reform der Regierungskommunikation erstellte (Phillis Review). In dieser Arbeit wird diese Fülle an publiziertem Material systematisch ausgewertet.
1.3 Die Forschungsfragen für die Untersuchung Um einen schnellen Einstieg ins Thema zu gewährleisten, sollen hier die Forschungsfragen dieser Arbeit vorgestellt werden. Zuvor sind einige skizzenhafte Bemerkungen zu ihrem Zustandekommen angebracht.30 Politische Akteure müssen sich auf einen temporeichen Medienmarkt einstellen. Die Berichterstattung wird unberechenbarer. Damit brauchen Politiker mehr denn je journalistische Expertise. Sollten die oben benannten bürokratischen Erschwernisse für mediale Beratung weiter bestehen, wäre eine teilweise oder vollkommene Auslagerung dieser Funktionen an nicht institutionalisierte Experten zu erwarten – dies wäre ein Trend weg von den althergebrachten ministeriellen Pressestellen hin zu informelleren Formen der PR. Blumler/Kavanagh sprachen von einem dritten Zeitalter der politischen Kommunikation, geprägt von einer Allgegenwart der Medien. Dies bringe bringt eine neue Elite von Politikvermittlungsexperten hervor, die als Spin Doctors bezeichnet werden 27
Siehe u.a. Anthony Seldon u.a.: Blair. Aktualis. Taschenbuchausg. London, Sydney 2005. Im Folgenden zitiert als: Seldon, Blair. 28 Siehe die Auflistung von Jones’ Büchern im Literaturverzeichnis und Lance Price: The Spin Doctor’s Diary. Inside Number 10 with New Labour. London 2005. Im Folgenden zitiert als: Price, Diary 29 Der frühere Sprecher im Verkehrsministerium Martin Sixsmith, auch ein Ex-BBC-Korrespondent, verarbeitete seine negativen Erfahrungen (siehe Abschnitt 4.4) sogar zu einem Roman mit dem Titel Spin. In Deutschland lädt Lothar Späths früherer Regierungssprecher zu einem wenig verschlüsselten Blick in die baden-württembergische Staatskanzlei – s. Manfred Zach: Monrepos oder Die Kälte der Macht. Tübingen 82001. So verlockend es auch wäre, selbstverständlich kommen diese Romane nicht als Quellen in Betracht. 30 Für eine detaillierte Herleitung der Fragen sei der Leser auf die Schilderungen in Kapitel 3 und 4 und die vorläufigen Schlussfolgerungen daraus am Anfang des fünften Kapitels verwiesen.
1.4 Der Aufbau der Arbeit
21
könnten.31 Demnach müsste der Beruf des Spin Doctors klar von dem des althergebrachten Pressesprechers und PR-Beraters abgrenzbar sein. Die von ihnen angewandten Techniken der Informationspolitik stellten folglich Innovationen und eine klare Weiterentwicklung bisheriger Instrumente dar. Wie oben beschrieben, kam der Begriff des Spin Doctors in Deutschland später auf als in Großbritannien. Das Vereinigte Königreich könnte damit ein Vorreiter im neuen Kommunikations-Zeitalter sein. Aus diesen Überlegungen ergeben sich die folgenden Forschungsfragen (FF), die sich jeweils (ausgenommen die Nummer 7) auf beide Staaten beziehen: 1.
Ist eine vermehrte Externalisierung der Informationspolitik mit zunehmender Informationsgebung an Journalisten auf Hintergrundbasis zu beobachten? 2. Wie lässt sich der Terminus Spin Doctor klar definieren und als wissenschaftliche Kategorie nutzbar machen? 3. Rekrutieren sich die Politikvermittlungsexperten mehr als früher aus dem journalistischen Bereich? 4. Stellt Spin Doctoring wirklich eine neue Qualität der politischen Kommunikation im Regierungsalltag dar? 5. Nehmen die Kommunikationsexperten auch Einfluss auf politische Konzeptionen? 6. Welche organisatorischen Reformen (oder Reformversuche) gab es ab 1997/98 in den öffentlichkeitswirksamen Abteilungen der politischen Spitzen? Sind die Politikvermittlungsexperten in den Hierarchien der Regierungen aufgestiegen, oder zählen sie informell mehr als früher zum engsten Machtkreis rund um die jeweilige politische Spitze? 7. Hat die deutsche Bundesregierung Ideen von den Prinzipien der Informationspolitik der Blair-Regierung übernommen? Hatte Blairs Organisation der Downing Street für sie Vorbildcharakter? 8. Welche Veränderungen in der Gesellschaft und im Mediensystem sehen Politikvermittlungsexperten und Journalisten als für sich selbst handlungsrelevant an? 9. Wie ist der Einfluss der Politikvermittlungsexperten auf das politische System zu bewerten? Wird die Gesellschaft besser informiert oder eher desinformiert? 10. Wie reagieren die Medien auf eine Professionalisierung der Regierungskommunikation?
1.4 Der Aufbau der Arbeit Nachdem nun Erkenntnisinteresse, Ziele, Quellen und Forschungsfragen dieser Arbeit erklärt worden sind, gibt das nun folgende Kapitel weitere grundlegende Informationen zur theoretischen, systemischen und historischen Einbettung der Untersuchung. Nach der Erläuterung des Verständnisses zentraler Begriffe rückt das Verhältnis von Politik und Medien in den Mittelpunkt: Grundlegende Theorien und Modelle dazu werden erläutert. Um die Regierungskommunikationen in London und Berlin analysieren zu können, ist es des Weiteren nötig, den Rahmen der Verfassungspraxis und der Mediensysteme zu kennen. Die traditionellen Institutionen der Regierungskommunikation und ihre Rollen werden deshalb 31
Siehe Blumler, Age.
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1 Einleitung
vorgestellt – nur aus ihrer Geschichte heraus ist die Bedeutung aktueller Entwicklungen richtig einschätzbar. Mit den beschriebenen formalen und theoretischen Rahmenbedingungen als Rüstzeug werden im Kapitel 3 drei Faktoren vorgestellt, die eine veränderte Kommunikationsumwelt für Regierungen schaffen. Die gesellschaftlichen Individualisierungsprozesse machen Stimmungen in der Bevölkerung unberechenbarer und damit die Organisation dauerhafter Unterstützung schwieriger. Daneben müssen sich die Akteure der staatlichen Informationspolitik angesichts medialer Vielfalt und Konkurrenz mit der Frage beschäftigen, wie sie die Bevölkerung effektiv mit ihren Botschaften erreichen können. Die Wahlkämpfe der letzten Jahre heben die Ansprüche der Journalisten an die Professionalität politischer Öffentlichkeitsarbeit weiter. Das vierte Kapitel nimmt die Informationspolitiken als Teil der Politikstile der Regierungen Tony Blairs und Gerhard Schröders unter die Lupe. Darin enthalten sind eine Darstellung der Ursprünge der Medienstrategie New Labours und eine Beschreibung der angewandten Taktiken, Techniken und Organisationsprinzipien. Es wird beschrieben, wie es dazu kam, dass Spin in der Presse beinahe zum Synonym für den Stil der Blair-Regierung wurde, der Kommunikationschef Alastair Campbell zeitweise hinter Blair zum zweitwichtigsten Mann in der Politikberichterstattung aufstieg. Die Kontroverse über die von der Regierung veröffentlichten Dossiers vor dem zweiten Irak-Krieg 2003 findet besondere Beachtung. Daran schließt sich die Erläuterung der erneuten Reformen der PR-Struktur nach Campbells Rücktritt und eine Betrachtung der letzten Jahre der Blair-Regierung an. Die Wiedergabe der rot-grünen Jahre beginnt mit dem Politikstil Schröders, der mit dem Ruf eines Medienkanzlers ins Amt kam. Doch Koordinations- und Kommunikationsprobleme plagten seine Regierung von Anfang an. Die zweite Wahlperiode von Rot-Grün stand ganz im Zeichen des Reformprogramms Agenda 2010. Der Bundesregierung gelang es angesichts einer Serie von Niederlagen bei Landtagswahlen und öffentlicher Proteste nicht, aus der Defensive zu kommen. Das von Bundeskanzler Schröder als Grund identifizierte Vermittlungsproblem wird hier analysiert. Eingegangen wird zudem auf die PR-Arbeit der Bundesministerien, und hier im Besonderen auf die Arbeit des Medienberaters im Bundesfinanzministerium, Klaus-Peter Schmidt-Deguelle. Kapitel 5 stellt das Design für die empirische Untersuchung vor, die diese Arbeit ausmacht. Die gewählte Forschungsmethode des Experteninterviews mithilfe von FrageLeitfäden wird begründet und erläutert. Danach wird gezeigt, wie die überindividuelle Verdichtung der Aussagen der Befragten in typologische Theorien mündete, die die Regierungs-PR von Schröder und Blair wissenschaftlich klassifizieren. Im sechsten Kapitel werden die Ergebnisse der Befragung ausführlich vorgestellt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Antworten der Experten auf die Leitfaden-Fragen sichtbar gemacht. Das von den Befragten wahrgenommene Umfeld für politische Kommunikation in der jeweiligen Hauptstadt steht am Anfang, gefolgt von der Stellung und Rollenwahrnehmung der Politikvermittlungsexperten und ihrem Einfluss auf politische Entscheidungen und mediale Berichterstattung. Die Gedanken der Experten zum Begriff des Spin Doctors schließen sich an, abgerundet von Betrachtungen zu den praktischen Folgen von politischer Kommunikation in der Mediengesellschaft. Kapitel 7 nutzt die vorgestellten Erkenntnisse, um die Forschungsfragen zu beantworten und ein Fazit der Entwicklungen der letzten Jahre und der in den Interviews gesammelten Ansichten zu ziehen. Hierin wird Spin Doctoring als ein reiner Medienmythos porträ-
1.4 Der Aufbau der Arbeit
23
tiert. Es wird erläutert, welche Parallelen und Ungleichheiten die Kommunikationsstile der Blair- und der Schröder-Regierung aufwiesen. Die Herausforderungen, denen sich die Akteure der Regierungs-PR in Berlin und London gegenübersahen, werden thematisiert. Egal welches begriffliche Etikett man findet, die Mediengesellschaft stellt an jede politische Institution neue Anforderungen, die der Autor als persönliches Fazit der Befassung mit dem Thema aufzeigt. Der erste Anhang bietet eine Liste der Interviewpartner und der LeitfadenFragen. Anhang II, der wegen der Anonymisierung der Gespräche nicht öffentlich zugänglich ist, ermöglichte den wissenschaftlichen Gutachtern dieser Arbeit ein Nachvollziehen der Auswertung der Interviews: Hier sind Transkriptionen aller Interviews und die Auswertungstabellen abgedruckt. Alle Verweise auf Anhang II im vorliegenden Text beziehen sich auf diesen Band. Ein stilistischer Hinweis ist noch angezeigt: Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit werden in dieser Arbeit meist nur die männlichen Formen von Titeln (z.B. Regierungssprecher, Journalist) verwendet. Wird der Begriff in einem allgemeinen Sinne benutzt, kann er selbstverständlich für Männer und Frauen stehen. Bei der Darstellung der Ergebnisse wird absichtlich nur die männliche Form auf sämtliche Interviewpartner angewendet, um die komplette Anonymisierung der Aussagen sicherzustellen.
2 Regierungskommunikation – Theorien, Bedingungen, Traditionen „Heute ist es so, dass das Rezeptionsverhalten […] des Transmissionsriemen eins […] von der Politik in die Korrespondentenschaft, dann kommt der Transmissionsriemen zwei von der Korrespondentenschaft in die jeweiligen Medien, ganz anders geworden ist, die stehen unter einen ernormen wirtschaftlichen Erfolgsdruck. Der wird natürlich auch definiert durch die schnellen elektronischen Medien […]. Ich hab drei oder vier Generationen Journalistenschüler damit geplagt […]: ,Es ist nicht wichtig, wer als erster mit der Nachricht raus ist, sondern es ist wichtig, wer als erster mit der richtigen Nachricht raus ist.’ Das gerät unter diesem Druck in den Hintergrund.“ Berliner PR-Experte und Ministerberater1
In diesem Kapitel soll der Gegenstandsbereich dieser Arbeit umrissen und gezeigt werden, welches systemische Fundament die Interaktionsräume von Politik und Medien in Deutschland und Großbritannien besitzen. Am Anfang steht die Klärung des Verständnisses zentraler Begriffe. Dann wird erläutert, in welchem theoretischen Rahmen sich diese Arbeit bewegt. Die Voraussetzungen für Regierungskommunikation in Großbritannien und Deutschland weisen zahlreiche Gemeinsamkeiten, aber auch einige Unterschiede auf, etwa in den politischen und medialen Systemen. Nachdem die wesentlichen Merkmale dessen skizziert sind, geht es schließlich noch um den status quo ante der Regierungskommunikation, die traditionellen Rollen und organisatorischen Bedingungen für Regierungssprecher und politische Berater vor 1997/98.
2.1 Zu den verwendeten Begriffen Politik und Kommunikation sind Totalphänomene. Daher sind einige Erläuterungen zu beiden Begriffen nötig, um den genauen Gegenstandsbereich der Untersuchung zu umreißen. Politik kann nach der Tradition der angelsächsischen Sozialwissenschaft in drei Ebenen erfasst werden: Polity, Politics und Policy. Tabelle 1: Dimensionen des Politikbegriffs2 Dimension Polity
Politik als Rahmen
Politics
Prozess
Policy
Inhalt
1
Untersuchungsgegenstände Verfassungsrecht, Staats- und Herrschaftsformen, Regimetypen, Regierungssysteme, formale und informelle Institutionen Parteien, Interessengruppen, Verbände, Wahlen, politische Kultur, politische Prozesse Politikfelder (z.B. Wirtschafts-, Bildungs-, Umwelt-, Einwanderungspolitik); Staatstätigkeit
P/D/1-Q12. Zur Verschlüsselung der Zitate aus den Interviews s. Abschnitt 5.3. Tabelle zusammengestellt nach Jarren, Mediengesellschaft 1, S. 25 und Karl-Rudolf Korte/Manuel Fröhlich: Politik und Regieren in Deutschland. Strukturen, Prozesse, Entscheidungen. Paderborn u.a. 2004, S. 13. Im Folgenden zitiert als: Korte, Strukturen. 2
2.1 Zu den verwendeten Begriffen
25
Sarcinelli zufolge ist die offizielle Informationspolitik und Öffentlichkeitsarbeit als Mittel zur Legitimationsbeschaffung der policy-Dimension, der Ebene der Politikinhalte, zuzuordnen. Die Prozessebene (politics) sei das Feld für die Untersuchung der Wechselbeziehungen zwischen politischen Entscheidungsvorgängen und öffentlichen Kommunikationsprozessen, z.B. könne hier betrachtet werden, inwiefern moderne Massenmedien den politischen Prozess verändern.3 Aus dieser Auflistung wird deutlich, dass sich diese Arbeit mit politics und mit policies beschäftigen wird. Im Fokus steht der Prozess der Regierungskommunikation mit seinen Interessen, Konflikten und Akteuren. Die Ebene des politischen Konzepts ist insofern von Interesse, als dass der Einfluss der PR-Akteure untersucht wird. Ein weiteres analytisches Werkzeug ist die Unterscheidung von Entscheidungs- und Darstellungspolitik. Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte stellt diese gegeneinander, um den Unterschied zwischen medienvermittelter und routinemäßiger Politik zu verdeutlichen: „Darstellungspolitik ist medienvermittelte Politik, die sich dem Gesamtkomplex der symbolischen und öffentlich inszenierten Politik zuordnen lässt. In diesem Ausschnitt politischer Wirklichkeit gelten die Wettbewerbsregeln der medialen Öffentlichkeit. Entscheidungspolitik zielt hingegen auf die Verfahrensmerkmale der Politik, auf den konkreten Prozess der Gesetzgebung. Weitgehend unbeeinflusst von den Aufmerksamkeitsregeln der Medien erfolgt Entscheidungspolitik zumeist im Rahmen der Routine-Gesetzgebung […].“4
Nach Ansicht der Kommunikationswissenschaftlerin Barbara Pfetsch hat sich diese Differenzierung zur Grundlage der sozialwissenschaftlichen Analyse von Politik entwickelt.5 Allerdings ist sie in der Realität nicht völlig unproblematisch. Dass Politik sehr viele Elemente der Kommunikation in sich trägt, in einigen Fällen pure Kommunikation ist, kann als Binsenweisheit gelten. Entscheidungs- und Darstellungspolitik sind auf Vermittlung, meist durch die Medien, angewiesen.6 Sarcinelli merkt an, Politik beinhalte immer einen gewissen Grad an Ritual und Inszenierung. Es sei naiv zu glauben, es gebe eine Art pure Politik, die entkleidet vom schönen Schein quasi zum Nennwert zu haben sei.7 Dennoch kann man annehmen, dass zahlreiche Elemente der politischen Arbeit, wie etwa wenig öffentlichkeitswirksame Gesetzgebung oder ein Großteil ständig hinter verschlossenen Türen ablaufender interner Entscheidungsprozesse, kaum von den wichtigen Medien vermittelt werden. Die analytische Trennung von Entscheidung und Darstellung ist daher die Basis der Forschungsfrage, inwiefern die Letztere auf die Erstere abfärbt (FF5). Diese Arbeit bewegt sich im aufgezeigten Spannungsfeld von Politik und Kommunikation. Sie will einen Beitrag leisten zur Forschung über die politische Kommunikationskultur. Pfetsch versteht diese „als die empirisch vorfindbaren Orientierungen der Akteure im System der Produktion politischer Botschaften gegenüber spezifischen Objekten der politischen Kommunikation, die die Art und Weise bestimmen, in der politische Akteure und Medienakteure in Bezug auf das gemeinsame politische Publikum kommunizieren.“8 3
Vgl. Sarcinelli, Kommunikation, S. 80f. Korte, Strukturen, S. 15. 5 Vgl. Pfetsch, Kommunikationskultur, S. 16. 6 Vgl. Korte, Strukturen, S. 266. 7 Vgl. Sarcinelli, Kommunikation, S. 87f. 8 Pfetsch, Kommunikationskultur, S. 36. Kursivschreibung im Original nicht übernommen. 4
26
2 Regierungskommunikation – Theorien, Bedingungen, Traditionen
Sie stelle ein empirisches System dar, ein Interpenetrationsprodukt von politischer Machtlogik und Öffentlichkeit. Sie stelle eine Subkultur der politischen Kultur eines Landes dar, deren Träger die politischen Akteure und die Journalisten seien. Die politische Kulturforschung strebe makrotheoretische Aussagen über das politische System an, ohne auf Individualdaten verzichten zu müssen. In der Tradition der politischen Kulturforschung empfehle sich ein vergleichender Ansatz mit mindestens zwei Staaten. Gegenüber Gesamtanalysen hätten Teiluntersuchungen den Vorteil größerer Wirklichkeitsnähe.9 Diese Untersuchung folgt den genannten Empfehlungen, indem sie aus Individualdaten im Vergleich zweier europäischer Länder zu generellen Aussagen zur postmodernen politischen Kommunikationskultur kommt. Der hier implizit enthaltene Terminus der politischen Kommunikation lässt sich sehr weit fassen, was feinere Unterscheidungen nötig macht. Allgemein lassen sich nach dem Politikwissenschaftler Wolfgang Bergsdorf alle sprachlichen Äußerungen und Handlungen mit politischer Relevanz, von wem auch immer, darunter subsumieren.10 Auch der Medienwissenschaftler Brian McNair geht von einem weiten Verständnis aus, wenn er politische Kommunikation als „purposeful communication about politics“11 definiert. Entscheidend sei nicht die Quelle, sondern die Absicht des Absenders, die politische Umwelt zu beeinflussen. Interessant in McNairs Verständnis ist das Einbeziehen nonverbaler Kommunikation wie Kleidung oder Logos, kurz all dessen, was das Außenbild eines politischen Akteurs oder einer Organisation mitprägt. Diese Image-Elemente sollen auch in der vorliegenden Arbeit beachtet werden. McNair schließt auch die interpersonelle Kommunikation ein, z.B. geheime Treffen von Journalisten und ihren Quellen, hält jedoch ihre Darstellung für schwierig: „By their nature […] they are hidden from the analyst, requiring methodologically difficult and costly empirical research to uncover their secrets. […] however, we should bear in mind the potential gap between the public and the private in political rhetoric.” 12
In dieser Untersuchung sind Hintergrundgespräche und verdeckte Absprachen zwischen politischen Akteuren und Journalisten einbezogen, denn sie stellen wichtige Teile der täglichen Arbeitsrealität zwischen politischen und medialen Akteuren in den Hauptstädten dar. Diese Arbeit nimmt unter die Lupe, was Korte/Fröhlich als den wesentlichen Gegenstandsbereich politischer Kommunikationsforschung begreifen: die informellen und medialen Komponenten des Regierens. Die Forschung decke die Spielregeln abseits formaler Normen auf, besichtige die Organisation, ihre Instrumente und ihr Personal, sei den Netzwerken der politischen Kommunikation, die aus keinem Organisationsschema hervorgehen, auf der Spur.13
9
Vgl. ebd., S. 20f., 26 und 35-39. Vgl. Wolfgang Bergsdorf: Politische Kommunikation: Definitionen – Probleme – Methoden. In: Klaus Dörrbecker/Thomas Rommerskirchen (Hrsg.): Blick in die Zukunft: Kommunikations-Management. Perspektiven und Chancen der Public Relations. Remagen-Rolandseck, Zürich 1990, S. 30-41, hier S. 30. Im Folgenden zitiert als: Bergsdorf, Definitionen. 11 McNair, Introduction, S. 4. Kursivschreibung im Original nicht übernommen. 12 Ebd. 13 Vgl. Korte, Strukturen, S. 19f. Für einen theoretischen Überblick zu formellen und informellen Interaktionen s. den nächsten Abschnitt. 10
2.1 Zu den verwendeten Begriffen
27
Politische Kommunikation im Sinne dieser Arbeit stellt also ein Mittel dar, das Akteure des politischen Systems nutzen, um ihre Entscheidungen, Prozesse und ImageKonstrukte an Journalisten und Bürger zu vermitteln, verbal und nonverbal, offiziell und informell. Es geht hier im engeren Sinne um Politikvermittlung, die sich nach dem Verständnis Sarcinellis weitestgehend mit politischer PR überschneidet. Letztere erfülle die folgenden Funktionen: Information über etwas anderes (diese zerfällt in Themengenerierung, Interpretation, Bewertung, Aktualisierung), die Selbstdarstellung bzw. Information über sich selbst und die Persuasion.14 So verstanden, hat politische Kommunikation nach Meinung Jarrens eine zentrale Bedeutung für die Politik: „Politische Kommunikation ist der zentrale Mechanismus bei der Herstellung, Durchsetzung und Begründung von Politik. Insofern ist politische Kommunikation nicht nur Mittel der Politik. Sie ist selbst auch Politik.“15
Diese Arbeit bietet Einblicke in die politische Kommunikation von Regierungen mit dem Ziel der Entscheidungsrechtfertigung nach außen. Diese wird als Regierungskommunikation oder Regierungs-PR bezeichnet16: „Der Begriff der Regierungskommunikation bezeichnet die Techniken und Inhalte vermittelter Information, die von einer politischen Entscheidungsinstitution (Exekutive) sowohl im Innenals auch im Außenverhältnis eingesetzt werden. R. teilt sich in Informationspolitik (Unterrichtung der Öffentlichkeit über politische Projekte) und Öffentlichkeitsarbeit auf.“ 17
Diese Definition enthält die von Bergsdorf eingeführte Unterscheidung zwischen Informationspolitik und Öffentlichkeitsarbeit: „Unter Informationspolitik versteht man die aktuelle Unterrichtung der Öffentlichkeit über einzelne politische Sachfragen, Entscheidungen, Absichten, Verhandlungen.“18 Öffentlichkeitsarbeit sei die nicht an den Tag gebundene Gesamtdarstellung, die Bilanzierung der Informationspolitik über einen längeren Zeitraum. Informationspolitik sei das Detail, Öffentlichkeitsarbeit der politische Zusammenhang.19 Dem Kommunikationswissenschaftler Winfried Schulz zufolge will Informationspolitik (die er auch als Pressearbeit bezeichnet) den Inhalt der aktuellen Berichterstattung in Medien bestimmen. Sie werde von professionellen Vermittlern dominiert. Ihre Mittel seien z.B. Pressemitteilungen, -konferenzen, Statements und Interviews. Die strategische Öffentlichkeitsarbeit sei hingegen längerfristig angelegt und richte sich an ein größeres Publi14
Vgl. Sarcinelli, Kommunikation, S. 131-134, 136 und 141f. Otfried Jarren: Kann man mit Öffentlichkeitsarbeit die Politik „retten“? Überlegungen zum Öffentlichkeits-, Medien- und Politikwandel in der modernen Gesellschaft. In: Zeitschrift für Parlamentsfragen 4/1994, S. 653-673, hier S. 663f. 16 Vgl. Miriam Melanie Köhler/Christian H. Schuster: Regierungs-PR im Feld der politischen Kommunikation. In: Dies. (Hrsg.): Handbuch Regierungs-PR. Über die Öffentlichkeitsarbeit von Bundesregierungen und deren Berater. Wiesbaden 2006, S. 13-31, hier S. 15-18. Im Folgenden zitiert als: Köhler, Feld. Vgl. auch Klaus-Eckart Gebauer: Regierungskommunikation. In: Otfried Jarren/Ulrich Sarcinelli/Ulrich Saxer (Hrsg.): Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch mit Lexikonteil. Wiesbaden 1998, S. 464-472, hier S. 464. 17 Heiko Kretschmer: Regierungskommunikation. In: Marco Althaus/Michael Geffken/Sven Rawe (Hrsg.): Handlexikon Public Affairs. Münster 2005, S. 154-157, hier S. 154. Im Folgenden zitiert als Kretschmer, Regierungskommunikation. 18 Bergsdorf, Definitionen, S. 30. 19 Vgl. ebd., S. 30f. 15
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2 Regierungskommunikation – Theorien, Bedingungen, Traditionen
kum.20 Die vorliegende Arbeit fokussiert auf die Informationspolitik, das Zusammenwirken von politischen PR-Experten und Hauptstadt-Journalisten. Die Öffentlichkeitsarbeit ist nicht völlig ausgeblendet. Die Einbettung politischer Arbeit in einen Gesamtzusammenhang interessiert auch Journalisten, denn diese sind darauf angewiesen, in ihrer Berichterstattung auf kognitive begriffliche Rahmen zurückgreifen zu können.21 Im Mittelpunkt steht die Informationspolitik der Regierungsspitzen in Berlin und London. Selbstverständlich betreiben auch den Ministerien nachgeordnete Behörden wie das Umweltbundesamt oder die Environment Agency Pressearbeit und PR. Diese werden jedoch in dieser Arbeit nicht betrachtet. Der Blick richtet sich zudem auf den Regierungsalltag. Wahlkämpfe sind eindeutig ausgeblendet. Die Grenzen zwischen beiden sind zwar fließend – häufig gilt politisches Handeln Wahlkampfzwecken, manchmal führen Kampagnen zu Entscheidungen. Dennoch sind Abgrenzungen möglich. Populär ist die Definition der öffentlich deutlich sichtbaren Schlussphase der letzten sechs bis acht Wochen vor einer Bundestagswahl als Wahlkampf. In Großbritannien wird de jure die Phase ab der Auflösung des Parlaments als Wahlkampf verstanden, d.h. die drei bis sechs Wochen vor dem Urnengang. 22 Weitere juristische Regeln erleichtern die Konzentration auf Nicht-Kampagnenzeiten: In Großbritannien wie Deutschland gelten Regierungen in Wahlkämpfen als neutral. Sie dürfen keine Werbung für politische Parteien machen.23 Damit lässt sich das Regierungshandeln analytisch weitgehend vom Wahlkampf-Geschehen trennen. Inwiefern dies durch eine mögliche permanente Kampagne heutiger Regenten unterwandert wird, wird später noch Beachtung finden.24 Damit ist schon das Verhalten der Akteure der Regierungskommunikation angesprochen. Diese Arbeit trägt den Begriff des Spin Doctors im Titel und nimmt eine Bewertung dieser Wortschöpfung vor. Dies ist unmöglich ohne ein gewisses Vorverständnis. Das Wort spin stammt aus der Welt des Sports und steht für den Effet, die Drehung eines fliegenden Balls. Der zweite Teil der Wortverbindung ist absichtlich zweideutig gemeint: to doctor heißt manipulieren, herumdoktern. Von der Wortart des Verbs abgehoben, lässt es sich natürlich auch als Doktor, als Professioneller verstehen. Der Begriff wurde in den USA geprägt. Offenbar tauchte er in den 70er- oder 80er-Jahren im Zusammenhang mit einer TV-Debatte von Präsidentschaftskandidaten auf. Nach der Debatte fanden sich die Berater der Kandidaten im Presseraum ein und versuchten, die Journalisten mit positiven Einschätzungen und Analysen für ihren jeweiligen Meister einzunehmen, der Berichterstattung einen Dreh (spin) in ihrem Sinne zu geben.25 Das Chambers 21st Century Dictionary definiert ihn als „someone, especially in politics, who tries to influence public opinion by putting a favourable bias on information presented to the public and the media“26. Diese neutrale Auslegung wird aber noch nicht dem Kontroversen des Spin Doctorings gerecht. Der Kommunikationswissenschaftler Werner 20
Vgl. Schulz, Rolle, S. 217-219. Zu den Schemata journalistischer Berichterstattung s. Abschnitt 2.2.2. 22 Vgl. Stefan Hönemann/Markus Moors: Wer die Wahl hat ... Bundestagswahlkämpfe seit 1957. Muster der politischen Auseinandersetzung. Marburg 1994, S. 12 und 14 und House of Commons Information Office (Hrsg.): [Broschüre] Parliamentary Elections. House of Commons Library Factsheet M7. Revised November 2000. London 2000. 23 Siehe dazu Abschnitt 2.3.2. 24 Siehe dazu die Kapitel 3 und 7. 25 Vgl. Esser, Campaigns, S. 235. 26 Zit. nach ebd., S. 213. 21
2.1 Zu den verwendeten Begriffen
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Holzer vermutete nicht weniger als schwarze Kunst: „Es hat etwas von grauer Eminenz, von Manipulator, von Fachmann im Spinnen von politischen Netzen. Vielleicht ist ,Hexenmeister‘ die treffende Übersetzung.“27 Dies macht deutlich, dass Spin Doctoring als Manipulieren, als das interessengeleitete Zurechtbiegen der Wahrheit verstanden werden kann.28 Bis zur abschließenden Bewertung29 soll hier mit Marco Althaus’ Definition des Spin Doctors gearbeitet werden, die den Begriff bestimmt als „nicht ganz ernst gemeinte[n] Bezeichnung für Politikvermittlungsexperten, angestellte Pressesprecher ebenso wie freie oder Agenturberater, die sich auf die Kommunikation von Ministerien, von Parteien und von Kampagnen spezialisieren“30.
Um die genannten negativen (Vor-)Urteile zu vermeiden, die über Spin Doctors herrschen, muss ein neutralerer Begriff gewählt werden. Der Politikwissenschaftler Jens Tenscher konstatiert eine Vielzahl möglicher Namen und Tätigkeiten für politische PR-Akteure, darunter auch das Wort Spin Doctor. Er führt deswegen den Politikvermittlungsexperten als einen Terminus technicus ein, der als Oberbegriff auch in dieser Arbeit verwendet wird: „Als professionalisierte Politikvermittlungsexperten werden demnach all diejenigen bezeichnet, die in einer, d.h. heißt institutionalisiert, oder für eine politische Organisation bzw. für einen politischen Akteur – also assoziiert tätig sind, ohne selbst ein vom Volk gewähltes oder delegiertes politisches Mandat hauptberuflich auszuüben. Deren zentrale Aufgabe liegt im Management politischer Informations- und Kommunikationsprozesse, in der Beratung und/oder Übernahme einzelner Politikvermittlungstätigkeiten und/oder in der Vermittlung von Politik zwischen ihrem politischen Auftraggeber einerseits und politischen (Teil-)Öffentlichkeiten andererseits […]“31
Alternativ gebrauchte Worte sind politischer PR-Akteur oder politischer PR-Experte. Andere Tätigkeitszeichnungen in der folgenden Darstellung sind klarer zuzuordnen: So lässt sich unter einem Sprecher ein fest angestellter Mitarbeiter einer offiziellen Pressestelle verstehen. Das Wort Medien- oder Kommunikationsberater weist dagegen auf einen Politikvermittlungsexperten hin, der ein Beamter außerhalb der offiziellen Sprecherrollen oder ein externer Akteur ist.32 Zu klären ist noch der erste Teil der tenscherschen Definition: Häufig ist im Kontext der politischen Kommunikation von Professionalisierung die Rede, ohne dass die soziologische Unterscheidung zwischen Verberuflichung und Professionalisierung beachtet wird. Professionalisierung ist hier meist als Prozess einer Verselbstständigung, technischen Spezialisierung und Kommerzialisierung von Dienstleistungen für politische Berufe gemeint, 27
Werner Holzer: Von Hexenmeistern und Media-Handwerkern. Politische Öffentlichkeitsarbeit in den USA – ein (un-)heimliches Wesen. In: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Politik überzeugend vermitteln. Wahlkampfstrategien in Deutschland und den USA. Gütersloh 1996, S. 117-148, hier S. 120. Im Folgenden zitiert als: Holzer, Hexenmeister. 28 Vgl. Esser, Rüstungsspirale, S. 17. 29 Siehe Abschnitt 7.1. 30 Marco Althaus: Spin. In: Ders./Michael Geffken/Sven Rawe (Hrsg.): Handlexikon Public Affairs. Münster 2005, S. 165-166, hier S. 166. Im Folgenden zitiert als: Althaus, Spin. 31 Tenscher, Professionalisierung, S. 111. Kursivschreibung im Original nicht übernommen. 32 Vgl. Barbara Pfetsch: Regierung als Markenprodukt. Moderne Regierungskommunikation auf dem Prüfstand. In: Ulrich Sarcinelli/Jens Tenscher (Hrsg.): Machtdarstellung und Darstellungsmacht. Beiträge zu Theorie und Praxis moderner Politikvermittlung. Baden-Baden 2003, S. 23-32, hier S. 23 und 27. Im Folgenden zitiert als: Pfetsch, Markenprodukt.
30
2 Regierungskommunikation – Theorien, Bedingungen, Traditionen
die die hauptberufliche Ausübung dieses Tätigkeitsfeldes ermöglicht. Nicht eingeschlossen ist der Abschluss des Professionalisierungsprozesses, der einen Beruf zur Profession macht, die über eine eigene wissenschaftliche und wirtschaftliche Basis verfügt und gegenüber dem Staat eine gewisse Autonomie hat.33 Daher sieht Althaus das Etikett Professionalisierung für die politische Kommunikation als nicht völlig korrekt an. Er plädiert für ein weiteres Verständnis des Begriffs, dem in dieser Arbeit gefolgt wird: „Prototyp ist nicht mehr nur der Arzt oder Anwalt, sondern der freiberufliche Berater ohne staatliches Privileg, ohne Kammer- und Gebührenordnung; ein hochqualifizierter, autonom, in kleinen Teams arbeitender Spezialist, der in flexiblen Vertragsverhältnissen komplexe Probleme mit Expertise, Kreativität und dezentral verfügbarer Technologie löst.“34
Zu guter Letzt ist ein Wort zu diskutieren, das später relevant wird: Die Postmoderne ist vornehmlich aus der Welt der Kunst bekannt. Die Beschreibung von Politik als postmodern ist nicht unumstritten. Der Autor dieser Studie ist aber wie der Politikwissenschaftler Klaus von Beyme der Ansicht, dass dieses Etikett eine legitime Parallele zu den Begriffen der postindustriellen Gesellschaft oder der postmateriellen Milieus markiert. Eine rein postmoderne Gesellschaft per se mag zwar nicht existieren, doch ist die in dieser Untersuchung beschriebene Zeitspanne geprägt von der weiteren Ausbreitung einer postmodernen Massenkultur.35 Die Prozesse von Globalisierung und Mediatisierung machen gesellschaftliche Prozesse in der westlichen Welt immer komplexer, desorganisierter und schwerer vorhersehbar. Für den Einzelnen ergeben sich zahlreiche, bisher nicht gekannte Zugänge zu unterschiedlichen Lebensstilen und Netzwerken. Daraus ergibt sich vielleicht noch kein vollständiger Bruch mit der Moderne – doch die neuen Möglichkeiten und Probleme, die sich daraus ergeben, stellen die Sozialwissenschaft vor die Herausforderung, von alten Denkschemata und Begriffen Abschied zu nehmen.36 Die Verwendung des Worts in dieser Arbeit unterstreicht bewusst den Wandel der politischen Kommunikation in der Mediengesellschaft. Entscheidend ist das sich ändernde Umfeld für politische Kommunikation, der gesellschaftliche und mediale Wandel, für den die Medien als Spiegel und Beschleuniger wirken. Die Zunahme der Optionen und die Abnahme der Verbindlichkeiten für den Einzelnen gelten als Ausdruck einer postmodernen Gesellschaft.37 Damit folgt der Begriff hier dem Schema der US-Sozialwissenschaftlerin Pippa Norris, die für ihr Land drei idealtypische Wahlkampf-Stile unterscheidet: prämodern, modern und postmodern. Letzterer reagiere auf die Fragmentierung des Medienpublikums und die zunehmende Konkurrenz der Medienanbieter. Die vertrauten Autoritäten wie Nachrichten-anchormen und Qualitätsblätter seien von multiplen Realitäten – je nach indi-
33
Vgl. Marco Althaus: Professionalisierung. In: Ders./Michael Geffken/Sven Rawe (Hrsg.): Handlexikon Public Affairs. Münster 2005, S. 258-262. Im Folgenden zitiert als: Althaus, Professionalisierung. Siehe auch Marco Althaus: Wahlkampf als Beruf. Die Professionalisierung der political consultants in den USA. Frankfurt am Main u.a. 1998. 34 Althaus, Professionalisierung, S. 261. 35 Vgl. Klaus von Beyme: Theorie der Politik im 20. Jahrhundert. Von der Moderne zur Postmoderne. Frankfurt am Main 1991, insbesondere S. 147-161. 36 Vgl. John R Gibbins/Bo Reimer: The Politics of Postmodernity. An Introduction to Contemporary Politics and Culture. London, Thousand Oaks, New Delhi 1999, S. 3-5 und 22-36. 37 Vgl. Sarcinelli, Kommunikation, S. 145. Zum Begriff der Mediengesellschaft s. Abschnitt 3.2.
2.2 Symbiose oder Dominanz – das Verhältnis von Politik und Medien
31
vidueller Mediennutzung – abgelöst worden.38 Diese Analyse trifft auch auf die beiden untersuchten Länder zu, wie später gezeigt wird. Diese gesellschaftlichen Veränderungen haben zwangsläufig vielfältige Auswirkungen auf politische Institutionen und Verfahren. Eine zeitgemäße, eine postmoderne Regierungskommunikation muss all dies reflektieren, wenn sie Wirkung entfalten will.
2.2 Symbiose oder Dominanz – das Verhältnis von Politik und Medien 2.2.1 Das mediale und das politische System Der politische Chefredakteur der BBC, Nick Robinson, verglich das Verhältnis von Politik und Medien bei einem Vortrag in Oxford 2006 mit einer unglücklichen Zwangsehe: Die Politiker bräuchten die Journalisten, um mit den Wählern zu kommunizieren. Die Medien seien abhängig von Neuigkeiten aus der Politik, um etwas vermitteln zu können. Wie jedes freudlose Ehepaar seien beide Partner gefangen in ständigem Streit, in Gefahr, den Respekt füreinander zu verlieren und die Dabeistehenden, die Bürger, mit ihrem Kleinkrieg zu vergraulen.39 Die Interaktion des politischen und des medialen Systems fasziniert schon lange die Sozialwissenschaftler. Auch diese Arbeit dreht sich um einen Teilaspekt dessen. Wie bei jeder anderen Beziehung interessiert die Frage, wer der dominantere Partner ist – und wie die Mesalliance einmal enden könnte. Beide Systeme sind abhängig von ihrer Umwelt. In einem demokratischen Gemeinwesen sind sie vielerlei Einflüssen ausgesetzt. Sie können daher nur als teilautonome Systeme verstanden werden, zwar mit eigenen Regeln und Rollenmustern, aber hochgradig abhängig von Außeneinflüssen, gerade vom jeweils anderen System. Sarcinelli klassifiziert drei Paradigmen des Verhältnisses von Politik und Massenkommunikation. Sie zeigen die Bandbreite möglicher Beziehungsmuster. Das Gewaltenteilungsparadigma postuliert die Medien als vierte Gewalt. Sie treten auf als neutrale Vermittler und Kontrolleure staatlichen Handelns. Das Instrumentalisierungsparadigma unterstellt die Übermacht eines Partners. Hat das politische System die Oberhand, so verkommen die Medien zum puren Verlautbarer. Der Determinations- oder Instrumentalisierungsthese zufolge bestimmt PR in hohem Maße die Themen, oft auch das Timing der Berichterstattung. Umgekehrt steht die Dependenzthese für eine Übermacht der Medien, die dem politischen System ihre Logik und ihre Darstellungsroutinen aufzwängen. Dies spiegelt sich in Thesen von einer Kolonisierung der Politik durch das Mediensystem wider. Das SymbioseParadigma schließlich beschreibt Politik und Medien als einen Interaktionszusammenhang, in dem politische Akteure und Redakteure beständig Information gegen Publizität tauschen.40
38
Vgl. Pippa Norris: Introduction: The Rise of Postmodern Political Communications? In: Dies. (Hrsg.): Politics and the Press. The News Media and Their Influences. Boulder, London 1997, S. 1-20, hier S. 3-11. 39 Vgl. Nick Robinson [Internet, 2006]: Television and Democracy: A Troubled Marriage. Phillip Geddes Memorial Lecture. Online im Internet: AVL: URL: http://blogs.bbc.co.uk/nickrobinson/ (31.01.2006). Im Folgenden zitiert als: Robinson, Marriage. 40 Vgl. Sarcinelli, Kommunikation, S. 110-113; Jarren, Mediengesellschaft 2, S. 127-131 und Schulz, Rolle, S. 24f. und 225-230. Siehe auch Meyer, Mediokratie und Thomas Meyer: Mediokratie – Auf dem Weg in eine andere Demokratie? In: Aus Politik und Zeitgeschichte 15-16/2002, S. 7-14.
32
2 Regierungskommunikation – Theorien, Bedingungen, Traditionen
Tabelle 2: Paradigmen des Verhältnisses von Medien und Politik nach Sarcinelli41 Paradigmen Gewaltenteilung
Dominanter Beziehungsmodus Autonomie
Instrumentalisierung
Steuerung
Symbiose/ Interdependenz
Interaktion
Medien im politischen Prozess Neutralität; Kritik und Kontrolle; Gegenmacht a) Politik als Steuerungsobjekt der Medien b) Medien als Steuerungsobjekt der Politik Tauschbeziehung
Analyseebenen Vorwiegend makroanalytisch Makro- und mikroanalytisch
Vorwiegend mikroanalytisch
Die Paradigmen beleuchten die Makroperspektive des Verhältnisses von Politik und Medien. Für den in dieser Arbeit verfolgten Ansatz der Befragung einzelner Akteure sind jedoch die Mikro- und die Mesoperspektive bedeutsamer. Aus den Interviews heraus werden allgemeine Aussagen zum Verhältnis zwischen PR-Akteuren und Journalisten getroffen. Die genannten Paradigmen ziehen sich durch die gesamte Arbeit und spiegeln sich in den Forschungsfragen wider. Haben sich Spitzenpolitiker durch den Einsatz von sogenannten Spin Doctors neue Manipulationsmöglichkeiten geschaffen, die trickreich die Bedingungen auf dem Medienmarkt für sich ausnutzen, wie es FF4 andeutet? Oder dringen Politikvermittlungsexperten mit ihrer journalistischen Prägung in das Feld der Sachpolitik ein und projizieren die Medienlogik in vormals genuin politische Prozesse (FF3 und 5)? Die These der Interdependenz oder Interpenetration ist empirisch am besten untermauert.42 Sie ist daher der Ausgangspunkt für die vorliegende mikro- und mesoanalytische Untersuchung. Gefolgt wird dem Ansatz von Jarren/Donges, der system- und handlungstheoretische Überlegungen verknüpft: Er begreift politische Kommunikation auf Basis eines Interpenetrationsmodells und entwickelt sie als ein Handlungssystem. Im Mittelpunkt der Analyse stehen die Akteure und der Produktionsprozess der Politik. Politische Medieninhalte seien das Ergebnis der Medienstrukturen und fortlaufend stattfindender, vielfältiger Interaktionsprozesse zwischen Politikern, ihren PR-Stäben und Journalisten. Redakteure nähmen Informationen, Themen und Deutungen der politischen PR auf und verarbeiteten diese weiter. Medien stellten aus Sicht der Politiker einen Handlungsrahmen (constraints) bei der Erreichung ihrer Ziele dar, den sie zu überwinden zu trachten. Politiker handelten gegenüber Journalisten strategisch. Politische PR sei dabei das Hauptmittel. Ein Konstrukt 41
Sarcinelli, Kommunikation, S. 112. Vgl. ebd., S. 71-73; Jarren, Mediengesellschaft 2, S. 157f. und 167-174; Schulz, Rolle, S. 235-237 und Christian Schicha/Carsten Brosda: Interaktion von Politik, Public Relations und Journalismus. In: Heribert Schatz/Patrick Rössler/Jörg-Uwe Nieland (Hrsg.): Politische Akteure in der Mediendemokratie. Politiker in den Fesseln der Medien? Wiesbaden 2002, S. 41-64, hier S. 42-49. Aktive und ehemalige Journalisten beschreiben ihre Beziehung zu politischen Akteuren häufig als Tauschgeschäft, als gegenseitiges Benutzen: „Erzählst du mir, was im Parteipräsidium beredet worden ist, zitiere ich dich in meinem nächsten Artikel; bekommt mein Fernsehsender das erste Exklusiv-Interview, bringe ich einen O-Ton in der Tagesschau – so ungefähr lauten Verabredungen zwischen Politikern und Journalisten, die meistens nicht einmal ausgesprochen werden müssen.“ (Elisabeth Niejahr/Rainer Pörtner: Joschka Fischers Pollenflug und andere Spiele der Macht. Wie Politik wirklich funktioniert. Frankfurt am Main 2004, S. 79. Im Folgenden zitiert als: Niejahr, Pollenflug.)
42
2.2 Symbiose oder Dominanz – das Verhältnis von Politik und Medien
33
namens ,die Medien’ existiere allerdings nicht, vielmehr ein differenziertes, spezialisiertes Netzwerk unterschiedlicher Medien, die sich aufeinander bezögen. Politische Akteure wüssten um diese Strukturen des Mediensystems. Zwischen beiden sozialen Systemen bestünden vielfältige Interdependenzen, die Systeminterpenetrationen darstellten. PR könne als Interpenetrationszone verstanden werden, als ein von seinen Akteuren geprägtes Handlungssystem, mit dessen Hilfe Austauschprozesse zwischen den Systemen organisiert werden.43 Um die tägliche Flut an Informationen rational zu verarbeiten, seien Journalisten, Politikvermittlungsexperten und Politiker an der Bildung langfristig stabiler Interaktionsgemeinschaften interessiert, ohne ihre jeweiligen Interessen und Rollen aufzugeben. Diese werden nach Jarren/Donges als Produktionsgemeinschaften verstanden. Das Ziel der Politiker darin sei der Erhalt oder Erwerb von Macht. Journalisten strebten nach exklusiven Informationen, die sie möglichst ressourcenschonend erlangen möchten. Die Politikvermittlungsexperten stellten ein teilautonomes Subsystem des politischen Systems dar. Sie seien der Logik dieses Systems verpflichtet, hätten selbst aber nur insofern Interesse am Machterhalt, als dass sie mit dem Amtsinhaber und seiner Karriere eng verbunden sind. Ihnen obliege das Management der Interaktionen zwischen Politikern und Öffentlichkeit. In der Produktionsgemeinschaft, die sich aus interdependenten Prozessen konstituiert, werde die Medienberichterstattung quasi ausgehandelt. Es fänden formalisierte (z.B. Pressekonferenzen, Interviews) wie informelle Interaktionen (z.B. Weitergabe vertraulicher Informationen, Einladungen zu Ereignissen) statt.44 Je länger ein Journalist vor Ort ist, desto vielfältiger und enger wird sein politisches Beziehungsnetz. Einige Journalisten erlangen eine herausgehobene Stellung: Im englischen Sprachraum werden sie als pundits (aus dem Indischen für Weiser oder Ältester) bezeichnet. Sie sind in hohen Positionen zu finden, ihre Einschätzungen sind auch bei Politikern und bei Redakteuren in niedrigeren Rängen gefragt. Sie können Meinungen formen, oft mittels regelmäßig erscheinender Kolumnen. Ihre Rolle ist nach Ansicht McNairs in der britischen Medienszene ab den 90er-Jahren wichtiger geworden.45 Das auf der nächsten Seite dargestellte Modell greift die skizzierten Überlegungen von Jarren/Donges auf. Es stellt das politische und mediale System als Teil einer Produktionsgemeinschaft dar. Eine Vielzahl von Interaktionen zwischen Politikern und Journalisten, teils vermittelt durch PR-Akteure, teils in direktem Zusammenwirken, bestimmt die Politikdarstellung. Analog zur Sonderstellung der pundits (oder journalistischen Elite) hat der Autor eine von Jarren/Donges nicht vorgesehene politische Elite eingefügt. Dies sind jene politischen Akteure, die über hohe Bekanntheitswerte in der Bevölkerung verfügen. In der vorliegenden Untersuchung sind damit die Spitzen der Regierung – Regierungschef und Mitglieder des Kabinetts – gemeint. Das Kontaktnetz zwischen leitenden Journalisten und Politikern ist eng. Zuweilen verlaufen die Gesprächsfäden direkt, an den PR-Stäben der Politiker vorbei. Die meisten Redakteure sind allerdings auf Politikvermittlungsexperten angewiesen. Auf den niedrigeren Hierarchie-Ebenen (die unteren Interaktionspfeile im Modell) existieren wenige Öffentlichkeitsarbeitsstellen, sodass z.B. Journalisten lokaler Medien direkt mit Hinterbänklern interagieren.
43
Vgl. Jarren, Mediengesellschaft 1, S. 33-43. Vgl. Jarren, Mediengesellschaft 2, S. 153, 157f. und 163-174. 45 Vgl. ebd., S. 159-162 und McNair, Introduction, S. 79-81. 44
34
2 Regierungskommunikation – Theorien, Bedingungen, Traditionen
Abbildung 1:
Modell der politisch-medialen Produktionsgemeinschaft46
Ziel: Macht
Politische Elite
Ziel: Exklusivgeschichten
Formelle und informelle Interaktionen PR-Akteure
Journalistische Elite / „pundits“
Journalisten
Politische Akteure POLITISCHES SYSTEM
MEDIENSYSTEM
P R O D U K T I O N S G E M E I N S C H A F T P O L I T I K D A R S T E L L U N G
Das Modell lässt sich alternativ als eine Bühne lesen. Auf der Vorderbühne (unten im Modell) wird dem Publikum die Politikdarstellung vorgeführt. Je weiter man nach oben geht, desto weiter entfernt man sich vom Alltag der nicht in politischer Arbeit oder Journalismus involvierten Bürger. So ist die Hinterbühne, die informellen Hintergrundgespräche zwischen Journalisten, PR-Akteuren und Politikern, oft nicht einmal für die meisten ihrer jeweiligen Kollegen voll einsehbar. Ganz oben sind die kognitiven Motivationen der Akteure (Macht oder Exklusivgeschichten) abgebildet, die sich objektiver Nachweisbarkeit völlig entziehen. Das Bühnenmodell der politischen Kommunikation geht davon aus, dass Akteure des politischen und medialen Systems auf Vorder- und Hinterbühne unterschiedlich agieren – in einem genau festgelegten Rollenspiel aus Publizität und Diskretion. Öffentlich werden die theoretisch erwartbaren Rollenmuster gezeigt (etwa Journalisten als Kritiker und Kontrolleure), auf der Hinterbühne herrscht hingegen Interdependenz: Die politischen Eliten sind in der Regel die agenda setters, die Journalisten stellen ihre Agenda zur Verfügung. Letztere haben einen Vorsprung in der Rahmung der Themen, dem Wie der Realitätsdarstellung.47 In den verschiedenen Stadien politischer Entscheidungen haben die unterschiedlichen Mitwirkenden nicht immer den gleichen Einfluss. Zur Frage des Gewichts verschiedener Akteure haben Jarren/Donges ein policy-cycle-Modell entworfen, das den politischen Prozess analytisch in sechs Phasen gliedert:
46
Modell des Autors nach Jarren, Mediengesellschaft 2, S. 153-174. Vgl. Sarcinelli, Kommunikation, S. 71-73 und Tenscher, Professionalisierung, S. 131f. Siehe auch die Erläuterungen zu agenda setting und framing im Abschnitt 2.2.2.
47
2.2 Symbiose oder Dominanz – das Verhältnis von Politik und Medien Abbildung 2:
Phasenmodell des politischen Prozesses nach Jarren/Donges48
Akteure der Interessenartikulation (Verbände, NSB)
Problemartikulation
sehr großer Einfluss
35
Akteure der Interessen-Aggregation (Parteien)
Problemdefinition
großer Einfluss in Abhängigkeit von Reaktionen
Politikdefinition
Programmentwicklg.
großer Einfluss abhängig von sozialen Akteuren und paSAkteuren
Implementation
geringer Einfluss von korporativen und paS-Akteuren abhängig
Evaluation
sehr geringer Einfluss, von den Adressaten abhängig
Prestigemedien
beeinflusst Publikumsmedien
In der ersten Phase der Problemartikulation kann journalistische Berichterstattung einem Thema Aufmerksamkeit verschaffen. Medien wirken hier als Filter oder Verstärker. Bei der Problemdefinition steht die Frage nach der Begründetheit von Interessen und Themen im Vordergrund. Der Einfluss der Medien ist noch relativ groß. Nun beginnt die Politikdefinition: Das Thema verlässt mehr oder weniger die öffentliche Bühne und beschäftigt die Fachöffentlichkeit; politische Gremien beraten das Problem. Die Programmentwicklung ist Sache der politischen Institutionen. Der Einfluss der Medien wird als eher gering eingeschätzt. Die Politikimplementation fällt der Verwaltung zu, die Medien sind hier kaum beteiligt. Die Politikevaluation, die aufzeigt, ob eine administrative Maßnahme zu neuen Schwierigkeiten führt, kann zu einer erneuten Problemartikulation führen.49 In der Untersuchung der Regierungskommunikation unter Schröder und Blair wurde aufgrund der Einfluss-Vermutungen in dem Modell gefragt, ob die Rolle der Medien oder medialer Logiken in den einzelnen analytischen Phasen zunimmt. Dies schlägt sich v.a. in den Forschungsfragen zu Rekrutierung und Stellung der PR-Experten nieder (FF3-6).
2.2.2 Basistheorien zu den Medien Die Frage, wie aus Vorkommnissen medial vermittelte Nachrichten werden, beschäftigt die Kommunikationswissenschaft seit Jahrzehnten. Ausgehend von der gatekeeper-Theorie, die die Nachrichtenproduktion als eine Kette hintereinander gekoppelter Schleusen beschreibt, 48 49
Jarren, Mediengesellschaft 2, S. 47. „paS“ bezeichnet das politisch-administrative System. Vgl. ebd., S. 41-48. Für ein ähnliches Modell eines policy-Zyklus s. Korte, Strukturen, S. 29-32.
36
2 Regierungskommunikation – Theorien, Bedingungen, Traditionen
an denen verschiedene Akteure jeweils entscheiden, ob und in welcher Form eine Nachricht weitergegeben wird und in das journalistische Endprodukt kommt, entwickelte sich in den 70er-Jahren die Idee der Nachrichtenfaktoren. Schulz erarbeitete den umfassendsten Katalog von 18 Faktoren in sechs Dimensionen. In dieser Darstellung sind die Nachrichtenfaktoren nicht Eigenschaften, die einem Ereignis per se anhaften, sondern sie sind als journalistische Hypothesen über die Realität angelegt. Je mehr eine Begebenheit dem entspreche, was Journalisten für eine berichtenswerte Eigenschaft der Wirklichkeit hielten, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass sie zu einer Nachricht werde. Über diese Nachrichtenwerte gebe es innerhalb des journalistischen Berufs einen weitgehenden Konsens. Schulz definierte z.B. Konflikt (offene Aggression) und Personalisierung (Person als handelndes Subjekt) als Nachrichtenfaktoren. Er sah die politische Exekutive im Vorteil, da sie handeln oder Handeln ankündigen könne. Später verwies er darauf, dass sich die Journalisten nicht nur an den Nachrichtenfaktoren, sondern auch am Zeitgeist und aneinander orientierten. Von Journalisten häufig genutzte Medien fungieren als Leitmedien, die die Berichterstattung ihrer Kollegen beeinflussen.50 Daraus lässt sich schließen, dass die Mehrzahl politischer Themen soziale Konstrukte sind, bei deren Zustandekommen die Medien großen Einfluss haben. Themen und Probleme (issues) strukturieren den Prozess der politischen Willensbildung. Über die Thematisierung werden politische Entscheidungen präjudiziert und die politische Macht verteilt. Kurz: Wer die Agenda bestimmt, hat schon viel gewonnen. Da die Medien für den Bürger oft die einzige Informationsquelle über politisches Geschehen sind, besagt die agenda-settingHypothese, dass Medieninhalte bestimmen, welche Themen öffentliche Aufmerksamkeit erhalten (awareness model) und welchen politische Wichtigkeit zugeschrieben wird (priorities model). Schulz sieht es als bewiesen an, dass die Häufigkeit der Medienberichterstattung der wichtigste Grund für die Nennung eines Themas durch die Bevölkerung ist.51 Diese Theorien zur Nachrichtenforschung und medialen Agenda verdeutlichen auch die Imperative der Arbeit politischer PR-Akteure: Sie müssen journalistische Nachrichtenfaktoren beachten, um ihr Thema in der Berichterstattung platzieren zu können. Da es entscheidend darauf ankommt, welche Realitätswahrnehmung die Journalisten haben, muss PR-Arbeit auch darin bestehen, ihre gewünschte Interpretation der Ereignisse bei den politischen Korrespondenten durchzusetzen. Eine wichtige Aufgabe aller politischen PRAkteure ist von jeher, ihnen vorteilhaft erscheinende Themen in der Berichterstattung aufzubauen (agenda building) und zu versuchen, unvorteilhafte issues aus den aktuellen Medien zu verdrängen (agenda cutting). Politische PR versucht nicht nur, Einfluss auf Themenkarrieren zu nehmen – auch die Interpretation des politischen Geschehens durch Journalisten ist entscheidend. Politikvermittlungsexperten müssen den medialen Kontext von Themen, Personen und Institutionen beachten, denn den Journalisten bleibt es überlassen, das Wie der Berichterstattung zu bestimmen. Das kann neben der Themenwahl an sich ebenso bedeutende Wirkungen auf die Rezipienten haben. McNair sieht Journalisten als diejenigen an, die Ereignisse in BerichterstattungsSchemata (narrative frameworks) packen. Diese entwickelten sich im Laufe der Zeit in der 50
Vgl. Roland Burkart: Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder. Umrisse einer interdisziplinären Sozialwissenschaft. 3., überarb. und aktualis. Aufl. Wien, Köln, Weimar 1998, S. 275-282 und Schulz, Rolle, S. 66f. Für eine volle Liste der Nachrichtenfaktoren s. Schulz Rolle, S. 70-72. Zu den aktuell relevanten Leitmedien s. Abschnitt 3.2. 51 Vgl. Schulz, Rolle, S. 150-158.
2.3 Die politischen Kommunikationskulturen in beiden Ländern
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Interaktion und im Wettbewerb verschiedener Medien und im Wechselspiel mit den politischen Akteuren.52 Norris sieht diese news frames als interpretative Strukturen an, die Ereignisse in einen breiteren Kontext einordnen: „News frames bundle key concepts, stock phrases, and stereotyped images to reinforce certain common ways of interpreting developments.”53 Dies ermögliche es Journalisten, ihre Berichte kurz zu halten. Sie könnten zur Erklärung von Ereignissen auf bekannte Symbole und Muster zurückgreifen. Selbstverständlich seien frames in einer pluralen Medienwelt Anfechtungen ausgesetzt, sie könnten schließlich auch zusammenbrechen und anderen Interpretationen Platz machen, bevor sich ein neues dominantes Schema herausbilde.54 Laut McNair geben die frames, einmal verfestigt, die Struktur vor, in der kommende Ereignisse Nachrichtenwert erhalten, berichtet und bewertet werden. Diese Schemen könnten die gesamte politische Landschaft dominieren: So seien ab 1992 in Großbritannien die Konservativen durch das Prisma einer ständigen Führungskrise betrachtet worden, Labour hingegen im frame der Erneuerung und Modernisierung.55 In all diesen Erkenntnissen zum Zusammenspiel von politischem und medialem System ist eine wesentliche Frage offen geblieben: Haben die Medien wirklich große Macht über das Politikbild der Bürger und damit schließlich auf ihre Wahlentscheidungen? Müssen sich politische Entscheidungsträger tatsächlich daran ausrichten? Empirische Studien haben immer wieder gezeigt, dass politische Akteure in Großbritannien und Deutschland viel Zeit auf Medienkonsum verwenden und den Einfluss der Medien als hoch ansehen. Sie können sich meist nur über die Medien ein Bild über Geschehnisse und öffentliche Stimmung machen.56 Daher schließt sich der Autor dieser Studie Schulz’ pragmatischer Antwort auf die Frage zur echten politischen Macht der Medien an, nach der davon auszugehen ist, dass die Macht der Medien in Großbritannien und Deutschland hoch ist: „Entscheidend ist weniger, ob die Medien tatsächliche Macht haben; entscheidend ist vielmehr, ob allgemein angenommen wird, dass die Medien Macht haben. Wenn das der Fall ist, verhalten sich alle so, als hätten die Medien politische Macht. Und das ist mit seinen Folgen gleichbedeutend mit tatsächlicher Macht der Massenmedien.“57
2.3 Die politischen Kommunikationskulturen in beiden Ländern 2.3.1 Die politischen Systeme Die grundlegenden Merkmale der politischen Systeme Deutschlands und Großbritanniens werden als bekannt vorausgesetzt, daher sollen hier nur einige für diese Studie relevante Charakteristika vorgestellt werden. Der Vergleich von Kanzlerdemokratie und prime ministerial government ist in der politischen Systemforschung eine beliebte Spielwiese. Diese Begriffe sind nicht unumstritten, eignen sich aber gerade für die Betrachtung der Kommu52
Vgl. McNair, Introduction, S. 74f. Pippa Norris: News of the World. In: Dies. (Hrsg.): Politics and the Press. The News Media and Their Influences. Boulder, London 1997, S. 275-290, hier S. 275. 54 Vgl. ebd., S. 276. 55 Vgl. McNair, Introduction, S. 75. 56 Vgl. ebd., S. xvii f. und 44 sowie Schulz, Rolle, S. 22 und 235-237. 57 Schulz, Rolle, S. 263. 53
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nikationsarbeit der politischen Spitzen als ideale Projektionsfläche.58 Beide Staaten verfügen über parlamentarische Regierungssysteme. Der Regierungschef hängt von der Mehrheit in der ersten Kammer des Parlaments ab. Bundeskanzler und Premierminister wählen ihre Minister aus. Der Kanzler bestimmt die Richtlinien der Politik (Kanzlerprinzip). Das Äquivalent dazu in der ungeschriebenen britischen Verfassung ist die Konvention der Dominanz des Premiers. Die Minister leiten ihre Ressorts selbstständig und zeichnen für deren Arbeit verantwortlich, was als Ressortprinzip oder ministerial responsibility bezeichnet wird.59 Trotz aller Gemeinsamkeiten erweist sich die Machtstellung des Premiers als herausgehobener als die des Bundeskanzlers. Die Konvention der collective responsibility der britischen Regierung verlangt von sämtlichen Regierungsmitgliedern, dass sie alle Entscheidungen des Kabinetts mitverantworten. Dieses Prinzip macht es dem Premierminister möglich, die Einheitlichkeit der Regierung zu wahren. Er verfügt außerdem über ein entscheidendes Disziplinierungsinstrument: Er kann die Königin jederzeit nachsuchen, das Parlament aufzulösen. Der Bundeskanzler kann nur in einem komplizierten Verfahren im Bundestag die Vertrauensfrage stellen, um seine Mehrheit zu disziplinieren oder die Wahlperiode zu beenden. Dieser 1972, 1982 und 2005 gewählte Weg zur Auflösung des Bundestages war aber nur gangbar, da sich jeweils Abgeordnete der Regierungsfraktionen entgegen ihrer wirklichen Einstellung enthielten, der Bundespräsident der Auflösung zustimmte und das Bundesverfassungsgericht dies trotz Bedenken sanktionierte.60 Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Machtstellungen der Regierungschefs liegt in den Wahlsystemen begründet. Das britische Mehrheitswahlrecht mit Einerwahlkreisen sorgt meist dafür, dass sich ein Premierminister auf eine Mehrheit seiner Partei im Unterhaus stützen kann. Labour und Konservative stehen sich als Regierung und alternative Regierung von morgen gegenüber. Das System der personalisierten Verhältniswahl für den Bundestag überträgt hingegen die Stimmanteile proportional auf die Sitzverteilung, auch wenn die Fünf-Prozent-Klausel eine Parteienzersplitterung verhindert. Keine Partei konnte nach 1957 eine absolute Mehrheit erringen. CDU/CSU und SPD sind meist auf einen Koalitionspartner angewiesen.61 Das hat politische und kommunikative Wirkungen: Eine Partei wird in der Bundespolitik kaum ohne Abstriche ihr Wahlprogramm verwirklichen können, sie ist immer auf 58
Siehe ausführlich Karlheinz Niclauß: Kanzlerdemokratie. Regierungsführung von Konrad Adenauer bis Gerhard Schröder. Paderborn u.a. 2004, S. 67-100. Im Folgenden zitiert als: Niclauß, Kanzlerdemokratie. Zur näheren Definition des parlamentarischen Regierungssystems und des prime ministerial government siehe Emil Hübner: Parlament und Regierung in der Bundesrepublik Deutschland. 2., überarb. und aktualis. Aufl. München 2000, S. 13-20 und 162-166. Im Folgenden zitiert als: Hübner, Parlament. Siehe ebenso Korte, Strukturen, S. 79-91 und Peter März: An der Spitze der Macht. Kanzlerschaften und Wettbewerber in Deutschland. München 2002, S. 6992; im Folgenden zitiert als: März, Spitze. 59 Vgl. Hübner, Parlament, S. 164 und Dennis Kavanagh: British Politics. Continuities and Change. 4. Aufl. Oxford u.a. 2000, S. 50-53 und 64. Im Folgenden zitiert als: Kavanagh, Politics. Vgl. ebenso Emil Hübner/Ursula Münch: Das politische System Großbritanniens. Eine Einführung. München 1998, S. 30-33 und 124-126. Im Folgenden zitiert als: Hübner, System. 60 Vgl. Kavanagh, Politics, S. 52, 111f., 252-255 und 259f. Vgl. zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1983 Korte, Strukturen, S. 54 und Jürgen Schwabe (Hrsg.): Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Studienauswahl (Band 1-100). 7. Aufl. Hamburg 2000, S. 529-531. Im Folgenden zitiert als: Schwabe, Entscheidungen. Zuletzt erweiterte das Gericht 2005 den Spielraum des Bundeskanzlers, von einem Auflösungsrecht kann aber weiter keine Rede sein. 61 Vgl. Kavanagh, Politics, S. 116f. und 142-152; Hübner, System, S. 79-108 sowie Wolfgang Rudzio: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. 6., überarb. Aufl. Opladen 2003, S. 197-203. Im Folgenden zitiert als Rudzio, Bundesrepublik.
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Kompromisse mit einem Koalitionspartner angewiesen. Der Bundeskanzler kann sich nicht als derjenige profilieren, der sein Wahlprogramm buchstabengetreu umsetzt. Die theoretisch freie Auswahl der Bundesminister durch den Kanzler und seine Richtlinienkompetenz finden ihre Grenzen im Koalitionsvertrag. Regierungspolitik und -kommunikation ,aus einem Guss’ – in Berlin nicht mehr als eine Wunschvorstellung. Die Politikwissenschaftler Franz Walter und Tobias Dürr sehen die Bundesregierung als Opfer von Idealbildern: Die Kommentarseiten der deutschen Zeitungen seien immer wieder voll mit Klagen über Stückwerk und Kompromisse in Berlin. Für viele Sozialkundelehrer und politische Kommentatoren sei England das Idealmodell. Der Premierminister könne in kürzester Zeit durchsetzen, wozu der Bundeskanzler Trippelschritte brauche. Ein wesentlicher Grund dafür seien neben den Koalitionen die anderen Vetospieler im deutschen System.62 Diese lassen sich unterteilen in institutionelle (wie Bundesrat, Ministerpräsidenten, Bundesverfassungsgericht) und sonstige Vetospieler (Verbände, Gewerkschaften, Europäische Zentralbank).63 Über den Bundesrat wirken die Landesregierungen an der Gesetzgebung des Bundes mit. Das ist besonders dann bedeutend, wenn dieser eine andere Mehrheit aufweist als der Bundestag, so von 1999 bis 2005, als ein CDU/CSU-beherrschter Bundesrat der rot-grünen Bundestagsmehrheit gegenüberstand. Das Instrument des Vermittlungsausschusses zwischen Bundestag und Bundesrat sorgt dafür, dass die Interessen beider Seiten in die Gesetzgebung einfließen. Jede Bundesregierung ist gut beraten, die Interessen der Länder, auch der ihr parteipolitisch verbundenen, im Blick zu behalten. Der Bundesrat bietet zudem den Länderministerpräsidenten eine bundespolitische Bühne. Sie können sich zu Rivalen des Bundeskanzlers um Macht und Aufmerksamkeit entwickeln – fünf der acht bisherigen Kanzler haben sich in der Landespolitik profiliert, bevor sie auf Führungspositionen auf der Bundesebene kamen.64 Der Föderalismus deutscher Prägung ist hingegen in Großbritannien unbekannt. Das Oberhaus des Parlaments enthält kein föderales Element und hat für die Gesetzgebung nur aufschiebende Wirkung. Die Abgabe einzelner Hoheitsrechte an Körperschaften der Landesteile (devolution) ist durch ein einfaches Gesetz änderbar, während in Deutschland die Aufhebung des Föderalismus unmöglich ist.65 Die First Ministers von Schottland und Wales sind bisher nicht durch Ambitionen auf zentralstaatliche Ämter aufgefallen. Ein weiterer wichtiger Vetospieler in Deutschland ist das Bundesverfassungsgericht. Zuweilen machen die Richter den anderen Gewalten sehr konkrete Gestaltungsvorgaben und nehmen so eine aktive politische Funktion ein. Dies kontrastiert mit der britischen Doktrin der Parlamentssouveränität, die theoretisch durch nichts eingeschränkt ist. Die dem Premierminister zugerechnete Mehrheit im Unterhaus hat eine äußerst dominante, wenig eingeschränkte Stellung. Dies bezeichnete der Rechtsgelehrte Lord Hailsham in den 70er62
Vgl. Franz Walter/Tobias Dürr: Die Heimatlosigkeit der Macht. Wie die Politik in Deutschland ihren Boden verlor. Berlin 2000, S. 12f. Im Folgenden zitiert als: Walter, Heimatlosigkeit. Die Autoren lassen in dieser idealtypischen Betrachtung freilich aus, dass der Premierminister nicht nach Lust und Laune schalten und walten kann. Die Konzentration des Parteiensystems macht Labour und die Torys zu breiten ideologischen Koalitionen. Der Premier muss die Vorstellungen der Flügel seiner Partei ausbalancieren. Außerdem sorgt das zentralstaatliche System für ganz eigene Hemmnisse: Nicht in jedem Winkel des Landes lässt sich alles so umsetzen, wie es am Reißbrett in Whitehall entsteht. 63 Vgl. Korte, Strukturen, S. 37f. 64 Vgl. ebd., S. 63-65; Rudzio, Bundesrepublik, S. 319-332 und März, Spitze, S. 252f. 65 Vgl. Rudzio, Bundesrepublik, S. 48 und Becker, Großbritannien, S. 62-80
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Jahren als elective dictatorship.66 Allerdings ist der Beamtenapparat in der zentralen Staatsverwaltung politischem Zugriff entzogen. Seit dem Northcote-Trevelyan Report von 1854 ist der civil service als politisch neutral und unparteiisch definiert. Die permanent secretaries (als oberste Verwaltungschefs vergleichbar mit den deutschen Staatssekretären) und ihre Untergebenen (einschließlich aller Pressereferenten) bleiben auch bei einem Regierungswechsel im Amt. Um vom Beamtenapparat unabhängige Beratung zu bekommen, hat sich im britischen System die Institution des special adviser (Sonderberaters) etabliert. Er soll den Ministern als enger Vertrauter zur Seite stehen. Traditionell sollen sie dem Minister fachlichen Rat unabhängig von dem manchmal übermächtig scheinenden Beamtenapparat geben. Im Gegensatz zu den Beamten können sie auch parteipolitische Aspekte einbeziehen. Daneben haben diese Sonderberater vor 1997 in vereinzelten Fällen auch informelle Medienarbeit betrieben. In Deutschland existieren dagegen die Institutionen des politischen Beamten und des Regierungsangestellten, was bei Regierungswechseln auf Bundesebene für einiges Stühlerücken an den Verwaltungsspitzen sorgt.67 Die Europäische Union stellt in beiden Staaten eine wichtige Nebenregierung dar. Kaum ein Politikfeld kann noch autonom in Berlin oder London entschieden werden, was auch kommunikative Herausforderungen beinhaltet. Doch Unterschiede verbleiben: Die Betonung der nationalen Souveränität bildet eine Konstante der britischen Europa-Politik. Sonderregelungen für das Vereinigte Königreich in einzelnen europäischen Verträgen sichern London etwas mehr Unabhängigkeit als Berlin. 68 Die Großverbände organisierter Interessen spielen in Deutschland eine weitere wichtige Rolle. Zusammen mit den bereits genannten Vetospielern machen sie die Bundesrepublik zu einer Mischform aus Wettbewerbs- und Verhandlungsdemokratie. Die Verbände nehmen Einfluss v.a. in der Phase (vor)parlamentarischer Gesetzesformulierung und in institutionalisierten Kommunikationsforen wie Kommissionen. In Großbritannien stellt sich die Verbändemacht dagegen als zerklüftet dar. Korporatistische Ansätze zur Wirtschaftspolitik sind meist gescheitert – Margaret Thatcher erklärte der Verbändemacht gar den Krieg und schränkte v.a. die Wirkungsmöglichkeiten der Gewerkschaften ein.69 Die Aufstellung der Vetospieler zeigt, dass die britische zentralstaatliche Regierung mehr Handlungs- und Profilierungsmöglichkeiten besitzt als die deutsche Bundesregierung. Dass die Macht der Londoner Regierung nicht unbeschränkt ist, liegt in der politischen Tradition und Kultur des Vereinigten Königreiches begründet. Die Gründungsväter der politischen Kulturforschung, Gabriel A. Almond und Sidney Verba, machten im Großbritannien der 1960er-Jahre eine hohe aktive Partizipation der Bürger aus, aber es herrsche auch starker Respekt (deference) für die Autorität der Regierung. Für die Bundesrepublik diagnostizierten sie gutes politisches Wissen, aber Zurückhaltung: Die Westdeutschen sähen die Beteiligung an Wahlen als Pflicht an. Die politische Aktivität entspräche aber mehr 66
Vgl. Rudzio, Bundesrepublik, S. 333-346; Korte, Strukturen, S. 60-63; Kavanagh, Politics, S. 44 und Hübner, System, S. 33-35 und 140f. 67 Vgl. Budge, Politics, S. 229f. und Becker, Großbritannien, S. 147-153. Siehe auch Blick, Dark, S. 30-250. Das treffendste Porträt, das je vom civil service gezeichnet wurde, stellen die BBC-Serien „Yes Minister“ und „Yes Prime Minister“ dar, die in satirischer Manier zeigen, wie ein politisches Leichtgewicht als Minister und Premierminister von seinen Beamten manipuliert wird. Die Satireserie The Thick of It aus dem Jahr 2005 führt dies mit Spin Doctors statt Beamten fort. 68 Vgl. Korte, Strukturen, S. 77 und Becker, Großbritannien, S. 285-301. Siehe auch Abschnitt 3.1 dieser Arbeit. 69 Vgl. Korte, Strukturen, S. 32-35 und 75; Jarren, Mediengesellschaft 1, S. 93-95; Rudzio, Bundesrepublik, S. 103-110 und Becker, Großbritannien, S. 200-215.
2.3 Die politischen Kommunikationskulturen in beiden Ländern
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der Haltung des Untertanen als der des aktiv partizipierenden Bürgers.70 Seitdem haben sich einige Veränderungen ergeben. So wurden die Aussagen 1980 relativiert: Die Bundesrepublik erschien in einem positiveren Licht, in Großbritannien stellten sie eine gesunkene Zufriedenheit mit politischen Institutionen fest.71 Einige Grundstrukturen politischen Denkens scheinen aber fest verwurzelt zu bleiben. Der Bereich der Öffentlichkeit wurde in Deutschland lange als Domäne des Staates verstanden, nicht – wie in angelsächsischen Ländern – als Kontrollinstanz zur Obrigkeit. Beim Begriff der Freiheit liegt die deutsche Betonung tendenziell nicht auf der Freiheit des Individuums vom Staat, sondern vor der Willkür von Partikularinteressen. Der deutsche Rechtsstaat übernimmt als Institution jenseits der Interessenkämpfe die Rolle des Schlichters.72 In angelsächsischen Ländern hat die Presse- und Meinungsfreiheit einen sehr hohen Stellenwert, gerade als Abwehrrecht gegen den Staat.73 Im Vereinigten Königreich herrscht ein demokratisches Selbstbewusstsein, das auf der Basis einer historisch gewachsenen, unabhängigen Medienlandschaft die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung als legitim ansieht. Der Exekutive steht die öffentliche Meinung als Kontrollinstanz gegenüber, die Machtmissbräuche eindämmen kann. In der politischen Kultur Deutschlands herrscht eine Reserve vor der öffentlichen Meinung und vor populären Stimmungen.74 Die Vermittlungsarbeit der Politik in Deutschland steht laut Bergsdorf unter einem permanenten Rechtfertigungszwang: „Die Pervertierung staatlicher Öffentlichkeitsarbeit unter Goebbels und Kurt Hager wirkt bis heute nach in der Scheu staatlicher Institutionen, auch nur in den Geruch propagandistischer Aktivitäten zu geraten, und sie wirkt nach in der Übersensibilität der Medien und der Öffentlichkeit gegenüber regierungsamtlichen Erfolgsbilanzen und Lobeshymnen.“75
Das Unbehagen an politischer Inszenierung und das Ideal von Politik als einem pur rationalen Handwerk scheint eine Grundkonstante der politischen Kommunikationskultur in Deutschland zu sein. Laut Sarcinelli liegt auch dies in der deutschen Geschichte begründet: „Lange Zeit waren es Reste obrigkeitsstaatlichen und technokratischen Denkens, die in der politischen Kultur Deutschlands diese Fehleinschätzung von Politik als reiner ,Sache’ kultivierten.“76
Dies erkläre auch die Aufregung, die der saarländische Ministerpräsident Peter Müller 2002 mit einer Rede über Politik als Theater auslöste, obwohl er nur unverblümt die offensichtliche Tatsache zum Besten gab, dass Politik auch Inszenierung sei und dass in der Mediengesellschaft kalkulierter Konflikt zu den politischen Instrumenten gehöre.77
70
Gabriel A. Almond/Sidney Verba: The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations. Princeton 1963, S. 428f. und 455f. 71 Vgl. Hübner, System, S. 151f. Für aktuellere Forschungen s. Abschnitt 3.1. 72 Vgl. Andrea Jansen/Rosaia Ruberto: Mediale Konstruktion politischer Realität. Politikvermittlung im Zeitalter der Fernsehdemokratie. Wiesbaden 1997, S. 44-46. 73 Vgl. John Keane: The Media and Democracy. Cambridge, Cambridge 1991, S. 1-50. 74 Vgl. Sarcinelli, Kommunikation, S. 54f. 75 Bergsdorf, Definitionen, S. 31. 76 Sarcinelli, Kommunikation., S. 16. 77 Vgl. ebd., S. 264.
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2 Regierungskommunikation – Theorien, Bedingungen, Traditionen
2.3.2 Die beiden Mediensysteme Ebenso wie die politischen Institutionen sind die wichtigen Medien Großbritanniens in London konzentriert. Hier sitzen neben den nationalen TV- und Radiosendern alle zehn überregionalen Tageszeitungen. Die regionalen Blätter haben insgesamt weit weniger Auflage als die national verbreiteten Zeitungen. Die Auflagen und Leserzahlen der britischen Zeitungen sind unter den höchsten der Welt. Werktags werden um die 13 Millionen Exemplare verkauft. Auch die Sonntagszeitungen spielen mit einer durchschnittlichen verkauften Gesamtauflage von 15 Millionen eine sehr bedeutende Rolle. Der britische Pressemarkt ist schon immer von einem harten Wettbewerb geprägt. Abonnements von Zeitungen über ein zentrales Vertriebssystem wie in Deutschland gibt es nicht. Nur ein Drittel der Zeitungen wird ins Haus geliefert. Die Mehrheit der Leser entscheidet nach den Schlagzeilen am Kiosk, welche Zeitung sie kaufen – das macht die Schlagzeilen der ersten Seite zum alles entscheidenden Schaufenster. Dies gilt für quality und popular newspapers gleichermaßen. Qualitätszeitungen wie The Daily Telegraph oder The Guardian zeichnen sich traditionell durch einen hohen Anteil politischer Nachrichten aus.78 Bei Boulevardblättern wie The Daily Mail oder The Sun dominieren „crime, sex, sport, television, showbusiness, and sensational human interest stories“79. Britische Zeitungen haben fast ausnahmslos eine klare politische Ausrichtung: So gelten The Guardian und The Mirror als Labour-nah, Zeitungen wie The Daily Mail und The Daily Telegraph unterstützen konservative Positionen. Am deutlichsten wird dies an einem Wahltag, wenn die Redaktionen ihren Lesern in einem endorsement eine bestimmte Partei empfehlen. Traditionell sind die meisten Blätter eher auf der rechten Seite des politischen Spektrums zu finden.80 Der britische Pressemarkt stellt sich als ein abgeschottetes Oligopol dar. Die vier größten Verlage halten zusammen rund 85 Prozent der Auflage. News International, der Konzern unter Leitung des US-Medienunternehmers Rupert Murdoch, ist Marktführer mit einem Marktanteil von rund 35 Prozent. Er besitzt The Sun, News of the World, The Times und The Sunday Times. Über den Pay-TV-Sender BSkyB hat Murdoch zudem eine wichtige Stellung im privaten TV-Markt.81 Analog zu den Länderfürsten der Politik dominieren in Deutschland regional verankerte Medien. Rundfunk ist Ländersache. Es haben sich mehrere Medienzentren herausgebildet. Bergsdorf sieht diese dezentrale Struktur als Erschwernis der Regierungskommunikation: Die Interessen der Journalisten seien regional zersplittert.82 In den Großstädten der Bundesländer haben sich 60 Zeitungen mit einer Auflage von mindestens je 100 000 Exemplaren etabliert. Auch die bundespolitisch bedeutsamen Printmedien haben ihre Hauptsitze meist in regionalen Zentren, so Der Spiegel in Hamburg und die Süddeutsche Zeitung 78
Vgl. Hübner, System, S. 109f. und Frank Esser: Die Kräfte hinter den Schlagzeilen. Englischer und deutscher Journalismus im Vergleich. Freiburg, München 1998, S. 135 und 139. Im Folgenden zitiert als: Esser, Kräfte. Vgl. auch John Lloyd: What the Media Are Doing Our Politics. London 2004, S. 101. Im Folgenden zitiert als: Lloyd, Media. 79 Jeremy Tunstall: Newspaper Power. The New National Press in Britain. Oxford 1996, S.11. 80 Vgl. Esser, Kräfte, S. 162f. und Becker, Großbritannien, S. 251-253. Die Financial Times Deutschland hat die Praxis des endorsement vom britischen Mutterblatt übernommen, steht aber damit bisher in der deutschen Medienszene allein. 81 Vgl. Esser, Kräfte, S. 146-152 und Hübner, System, S. 110. 82 Wolfgang Bergsdorf: Probleme der Regierungskommunikation. In: Hans-Herrmann Hartwich/Göttrik Wewer (Hrsg.): Regieren in der Bundesrepublik III. Systemsteuerung und „Staatskunst“. Theoretische Konzepte und empirische Befunde. Opladen 1991, S. 60f. Im Folgenden zitiert als: Bergsdorf, Probleme.
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in München. Die Deutschen entnehmen ihre Zeitung überwiegend dem Briefkasten: Weit mehr als die Hälfte aller Blätter werden im Abonnement bezogen. Damit verläuft in Deutschland die Qualitätsunterscheidung zwischen Abonnements- und Straßenverkaufszeitungen. Unter den Straßenverkaufszeitungen nimmt die Bild-Zeitung eine Sonderstellung ein. Mit täglich rund vier Millionen Exemplaren zählt sie zu den auflagenstärksten Zeitungen weltweit. Ihr Herausgeber, der Axel-Springer-Verlag, ist mit rund 25 Prozent Marktanteil der größte Tageszeitungs-Verleger Deutschlands. Wie Großbritannien stellt sich Deutschland als ein Land mit hoher Zeitungsdichte dar. 2000 lag die Gesamtauflage aller Tageszeitungen bei knapp 24 Millionen. Auch wöchentlich erscheinende Medien sind von Bedeutung. In Deutschland erreichen die wöchentlichen Nachrichtenmagazine Der Spiegel und Focus eine Auflage von über einer Million bzw. 800 000. Hinzu kommen die Wochenzeitungen, deren größter Vertreter Die Zeit knapp 500 000 Stück verkauft. In Großbritannien spielen politische Wochenmagazine eine untergeordnete Rolle.83 Die Rechtsrahmen des Rundfunks ist in beiden Staaten ähnlich. Die BBC wird als öffentlich-rechtliche Anstalt von Gebühren finanziert, die jeder Haushalt zu entrichten hat, der einen Fernseher besitzt. Die Stellung der BBC fußt auf dem in den 1920er-Jahren begründeten politischen Konsens, dass Radio und Fernsehen dem Einfluss von Marktkräften und Regierung weitestgehend entzogen sein sollten. Der politische Einfluss ist dennoch vorhanden: Die Charta der BBC steht alle zehn Jahre zur Erneuerung an. Die Höhe der Rundfunkgebühr wird vom Parlament bestimmt. Die Regierung ernennt in Konsultation mit der Opposition die Mitglieder des BBC-Gouverneursrats, der als eine Art Aufsichtsrat fungiert.84 Dieses System stand bei der Neuordnung der deutschen Rundfunkordnung nach 1945 Pate. Mit den ARD-Landesrundfunkanstalten und dem ZDF existieren zwei gebührenfinanzierte, öffentlich-rechtliche Systeme. Auch sie werden durch Aufsichtsgremien kontrolliert, die oft parteipolitisch dominiert werden.85 Der Gedanke des Rundfunks als einem public service hielt sich in beiden Ländern zunächst auch mit dem Aufkommen erster kommerzieller Sender. In Großbritannien wurde schon 1954 landesweit das Privatfernsehen ITV zugelassen. Es wurde in ein strenges Regelwerk eingebunden, das viele Programmmerkmale der BBC auf das private Rundfunkwesen übertrug. So wurde die Produktion der Nachrichteninhalte an einen speziellen Dienst (ITN) ausgegliedert, der BBC-Standards übernahm. Eine spezielle Aufsichtsbehörde überwachte die Einhaltung der Regeln. Der zweite kommerzielle TV-Sender Channel 4 wurde 1982 mit dem Auftrag versehen, Qualitätsprogramme für Minderheiten zu produzieren. Er ist zwar in staatlichem Besitz, aber durch Werbung finanziert.86 In Deutschland wurden 1984 private Rundfunksender zugelassen. Auch hier blieben Mindeststandards einer ausgewogenen Berichterstattung und eines Grundanteils von Information erhalten. Die Landesmedienanstalten kontrollieren die Umsetzung der Regularien in den Programmen. Die Aufgaben des Rundfunks in Deutschland definierte wesentlich das Bundesverfassungsgericht. Es erklärte, Rundfunk-Freiheit sei eine dienende Freiheit zur freien Meinungsbildung. 83
Vgl. Heinz Pürer/Johannes Raabe: Medien in Deutschland. Band 1: Presse. 2., korr. Aufl. Konstanz 1996, S. 158-180 und 209 sowie Hermann Meyn: Massenmedien in Deutschland. Neuaufl. 2001. Konstanz 2001, S. 84-117 und 141. 84 Vgl. Becker, Großbritannien, S. 257f. und Hübner, System, S. 112-114. Vgl. auch Brian McNair: News and Journalism in the UK. 4., überarb. Aufl. London, New York 2003, S. 81f. Im Folgenden zitiert als: McNair, Journalism. 2007 wurden die Gouverneure durch einen Stiftungsrat mit ähnlichen Aufgaben ersetzt. 85 Vgl. Rudzio, Bundesrepublik, S. 501-504. 86 Vgl. Becker, Großbritannien, S. 258f.; McNair, Journalism, S. 82f. und Hübner, System, S. 114f.
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Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk sprach es den Auftrag der Grundversorgung zu. Diese Urteile – wie auch die Idee des Rundfunks als public service – gingen von hohen Kosten der Technik und Frequenzknappheit aus, die es nötig machten, den wenigen Anbietern inhaltliche Regeln aufzuerlegen.87 Zum systemischen Rahmen der politischen Kommunikation gehören auch die Journalismus-Kulturen. Typisch angelsächsische Merkmale des Journalismus sind dem Medienwissenschaftler Frank Esser zufolge „die detailgenaue, hartnäckige Recherche und die Respektlosigkeit gegenüber Autoritäten”88. Gern zitiert wird in diesem Zusammenhang die Studie der Kommunikationswissenschaftlerin Renate Köcher, die britische Journalisten als Spürhunde und deutsche Journalisten als Missionare idealtypisch gegenüberstellt. Britische Journalisten, so Köcher, seien von einer investigativen, geradezu skrupellosen Recherchebegeisterung geprägt, die deutsche Reporter nicht zeigten. Die britischen berufsethischen Kodizes verurteilten die Unterdrückung einer Nachricht, die deutschen nicht. Die Unterscheidung von Fakten und Meinung zähle zu den ehernen Berufsregeln des britischen Journalismus. Dies fehle im deutschen Pressekodex.89 Auch die Kommunikationswissenschaftler Miriam Meckel und Armin Scholl kritisieren, in Deutschland herrsche ein Mangel an Recherche-Journalismus. Dies sei auch in den Redaktionsstrukturen erkennbar. In britischen Redaktionen herrscht eine Trennung zwischen Nachrichtenbeschaffern und -verarbeitern. Correspondents und reporters recherchieren und tragen die Fakten zusammen, die editors korrigieren den Artikel, indem sie ihn auf die Kernaussage zuspitzen. In deutschen Redaktionen ist dagegen eine höhere Rollenüberlappung und geringere Arbeitsteilung zu finden. Für ihre Artikel verwenden große britische Zeitungen kaum Nachrichtenagenturen, sondern recherchieren selbst – im Gegensatz zur deutschen Tagespresse, wo viel Zeit der Journalisten auf das Bearbeiten der Agentur-Texte verwendet wird.90 Eine britische Politikredaktion setzt sich zusammen aus dem political editor, der direkt unter dem Chefredakteur des jeweiligen Mediums steht und als politischer Chefredakteur bezeichnet werden kann. Er hat meist beste Kontakte zu führenden Politikern. Dahinter kommen die political correspondents und reporters.91 Eine starke Nähe der politischen und medialen Eliten zeigt sich aber auch in Großbritannien bei den Hauptstadt-Korrespondenten. So bildete sich schon im 19. Jahrhundert die Lobby heraus, die Vereinigung der politischen Korrespondenten mit Zugang zum Parlament. Diese Journalisten bekommen zweimal pro Werktag den Sprecher des Premierministers bei einer Pressekonferenz zu Gesicht. Traditionell waren diese lobby briefings nicht zitierbar, sie tauchten nur mit anonymer Quelle in den Medien auf. Das eröffnete dem Re87
Vgl. Rudzio, Bundesrepublik, S. 501-504; Meyn, Massenmedien, S. 193-195 und Ralf Müller-Terpitz: BVerfGE 83, 238 – 6. Rundfunkurteil. Der Erste Senat stärkt die Stellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. In: Jörg Menzel (Hrsg.): Verfassungsrechtssprechung. Hundert Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in Retrospektive. Tübingen 2000, S. 456-461. Siehe auch Schwabe, Entscheidungen, S. 171-183. Mit dem Aufkommen digitaler Technik in Programm-Produktion und -Verbreitung erodieren in beiden Staaten diese Schranken, wie in Abschnitt 3.2 beschrieben wird. 88 Esser, Kräfte, S. 102. 89 Vgl. ebd., S. 116-119 und Renate Köcher: Spürhund und Missionar. Eine vergleichende Untersuchung über Berufsethik und Selbstverständnis britischer und deutscher Journalisten. Allensbach 1985, S. 107-109 und 209. 90 Vgl. Miriam Meckel/Armin Scholl: „Amerika, du hast es besser“. Politik und Journalismus in den USA und in Deutschland. In: Klaus Kamps (Hrsg.): Trans-Atlantik – Trans-Portabel? Die Amerikanisierungsthese in der politischen Kommunikation. Wiesbaden 2000, S. 111-128, hier S. 114-120. Vgl. auch Esser, Kräfte, S. 117, 362364 und 480. 91 Vgl. Barnett, Tales, S. 32-36.
2.3 Die politischen Kommunikationskulturen in beiden Ländern
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gierungssprecher beste Möglichkeiten für news management: Er konnte relativ frei sprechen – es war der Regierung immer möglich, die Aussagen später zu dementieren. Premierministerin Margaret Thatchers Sprecher Bernard Ingham soll in den 80ern sogar Minister attackiert haben.92 In Deutschland sind die Journalisten der Hauptstadt in der Bundespressekonferenz zusammengeschlossen. Diese ist nicht so exklusiv wie die Londoner Lobby, sie bindet alle deutschen Berichterstatter über die Bundespolitik ein. Jeder journalistische Berufsneuling lernt schnell die professionellen Codes für die Verwertbarkeit von Gesprächen: Erhält er eine Information „unter Eins“, dann kann die Aussage mit voller Angabe der Quelle veröffentlicht werden. Ein Zitat „unter Zwei“ darf erscheinen, aber nur mit anonymisierter Quelle, z.B. ,Regierungskreise’. Eine Information „unter Drei“ soll nicht veröffentlicht werden.93 In der Praxis behelfen sich Redakteure häufig damit, diese geheimen Hinweise als eigene Wertung in einen Kommentar einfließen zu lassen. Prägend für den Informationsaustausch in der bundespolitischen Szene waren schon seit den Zeiten der sogenannten Kanzlertees bei Konrad Adenauer die verschiedenen Hintergrundkreise. Sie werden von Journalisten oder Politikern organisiert. Es existieren einige feste Gruppen von Journalisten, die sich teilweise parteipolitisch zuordnen lassen. Diese Kreise liefern den Korrespondenten nicht nur vertrauliche Informationen, sondern bringen sie auch in die Position von Ratgebern, Informationsgebern und Testpersonen für die Politiker.94
2.3.3 Die traditionelle Rolle von Sprechern und Beratern der Regierung Die Frage, wie sich Politik und ihre führenden Persönlichkeiten am geschicktesten dem Volk vermitteln lassen, ist wohl schon von dem Tag an aufgetreten, an dem sich erstmals ein Mensch an die Spitze einer Gruppe stellte. Bereits die Klassiker der Antike wie Platon und Aristoteles beschäftigen sich mit der Frage der äußeren Erscheinung und Rhetorik des Herrschers. Machiavelli verwendet einige Seiten seiner Hauptwerke darauf, dem Fürsten Ratschläge zu erteilen, wie er gegenüber dem Volk erscheinen sollte. So riet er Herrschern, sich eine Reputation der Größe, des Muts und der Stärke aufzubauen und diese rastlos zu verteidigen.95 Seine Werke treffen noch immer auf Interesse, und es ist kein Zufall, dass die heutigen Politikvermittlungsexperten gern zu Medien-Machiavellis überhöht werden.96 Moderne Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist untrennbar mit der Herausbildung von Pressefreiheit und Massenpresse verbunden. Die Kampagne zum Ausbau der deutschen Kriegsflotte unter Kaiser Wilhelm II. ab 1894 kann als Vorläufer strategischer PR gesehen 92
Vgl. ebd., S. 32-39; McNair, Introduction, S. 159-162 sowie Tony Wright (Hrsg.): The British Political Process. An Introduction. London, New York 2000, S. 180-182. 93 Vgl. Uwe-Karsten Heye: Alles ist anders, alles bleibt gleich – Journalisten und Politiker im Bonn-BerlinVergleich. In: Heribert Schatz/Patrick Rössler/Jörg-Uwe Nieland (Hrsg.): Politische Akteure in der Mediendemokratie. Politiker in den Fesseln der Medien? Wiesbaden 2002, S. 285-290, hier S. 287. Im Folgenden zitiert als: Heye, Vergleich. 94 Vgl. Weth, Mediator, S. 88 und Niejahr, Pollenflug, S. 86-89. 95 Siehe Niccolò Machiavelli: Discorsi. Gedanken über Politik und Staatsführung. Deutsche Gesamtausgabe. Übersetzt, eingeleitet und erläutert von Dr. Rudolf Zorn. 2., verbesserte Aufl. Stuttgart 1977 und Niccolò Machiavelli: Il Principe. Der Fürst. Italienisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Philipp Rippel. Stuttgart 1986. 96 Der US-amerikanische Politikberater Dick Morris eiferte dem Renaissance-Philosophen nach, s. Dick Morris: The New Prince. Machiavelli Updated for the Twenty-first Century. Los Angeles 1999. Im Folgenden zitiert als: Morris, Prince.
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2 Regierungskommunikation – Theorien, Bedingungen, Traditionen
werden. Offenbar war eine ähnlich aufgebaute Kampagne in Großbritannien das Vorbild für diese öffentliche und mediale Mobilmachung. In der Weimarer Republik hatten erstmals alle wichtigen Reichsbehörden eigene Pressestellen.97 In Großbritannien geht der Beginn regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit in denselben Zeitraum zurück. Während des Ersten Weltkriegs wurde das Official Press Bureau eingerichtet, das durch Zensurmaßnahmen für staatstreue Berichterstattung der Presse im Krieg sorgen sollte. Schließlich entwickelte sich mit der Weltwirtschaftskrise erstmals eine embryonale Pressestelle im Amtssitz des Premierministers. Diese erhielt 1945 eine fester umrissene Bedeutung. 98 In beiden Ländern gelten die Grundfunktionen der Informationspolitik, wie sie Jarren/Donges beschreiben: Sie umfassen Konzeption (analysieren, planen, beraten), Redaktion (informieren, gestalten), Kommunikation und Motivation (Kontakt nach innen und außen), Organisation (organisieren und abwickeln) und Controlling (aufzeigen, steuern, anpassen). Damit ergeben sich die folgenden Aufgabenfelder, die zwar analytisch trennbar sind, in der praktischen Arbeit aber ineinander fließen: internal relations (Binnenkommunikation), media relations (Kommunikation mit Journalisten), community relations (Kommunikation mit Organisationen im Umfeld), agenda setting oder issues management (Analyse der Medien und Strategien zur Thematisierung/De-Thematisierung), personality PR (Pflege des Images der Führungspersonen), lobbying (Beeinflussung von Willensbildungsprozessen, v.a. im Parlament); crisis management. Außerhalb von Wahlzeiten sind besonders media relations und issues management von Bedeutung. Das news management sehen die Autoren als besondere Form der Thematisierung, die v.a. Regierungen offen stünde, da sie als Entscheider mit ihren Initiativen grundsätzlich Nachrichtenwert besäßen. Durch die Vorgabe von als relevant anzusehenden Themen würden politische Entscheidungen vorbereitet. Dies sei besonders starken Zentralakteuren möglich, z.B. dem britischen Premierminister. In Deutschland werde auch news management betrieben, es stoße aber wegen koalitionärer Rücksichtnahmen und des Föderalismus an enge Grenzen.99 Die Befunde des Politikwissenschaftlers Burkard Weth zum deutschen Regierungssprecher sind ebenso auf den Prime Minister’s Official Spokesman im britischen System beziehbar. Der Regierungssprecher ist der Hauptakteur der regierungsamtlichen Außenund Binnenkommunikation. Der Regierungssprecher ist Mediator zwischen Regierung, Medien und Volk, ein Kommunikator, ein Interpret und Transformator, ein Berater des Bundeskanzlers und der Koordinator der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Er ist außerdem Leiter einer obersten Bundesbehörde, des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung (Bundespresseamt, BPA).100 Mit Blick auf die britische Regierung muss angemerkt werden, dass der Sprecher in der Downing Street keine eigene Oberbehörde leitet, also weniger Verwaltungskompetenz braucht. Nach diesen allgemeinen Überlegungen zur Rolle der Institutionen und Spitzenakteure der Regierungskommunikation sollen nun die einzelnen Organe der Informationspolitik in beiden Staaten vorgestellt werden. Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Bundespresseamt, BPA), 1952 als eigenständige Bundesbehörde aus dem Bundeskanzleramt ausgegliedert, ist das wichtigste Instrument der deutschen Regierungskommunikation. Es informiert die Staatsführung über die Nachrichtenlage, erforscht die öffentliche Meinung 97
Vgl. Schuster, Politikberatungsagenturen, S. 48-50. Vgl. McNair, Introduction, S. 157 und Seymour-Ure, Issues, S. 124f. 99 Vgl. ebd., S. 98f. und 111-114. 100 Vgl. Weth, Mediator, S. 54-56 und 224-227. 98
2.3 Die politischen Kommunikationskulturen in beiden Ländern
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und stellt den Bundesbürgern Informationen über die Politik der Bundesregierung bereit. Die für diese Arbeit relevanten Aufgaben sind die Unterrichtung der Medien und die Koordinierung der ressortübergreifenden Öffentlichkeitsarbeit der Bundesministerien bei bedeutenden politischen Fragen. Dafür stehen dem BPA knapp 600 Mitarbeiter zu Verfügung. An seiner Spitze steht als beamteter Staatssekretär der Regierungssprecher. Er nimmt an den Sitzungen des Bundeskabinetts teil, hat aber kein Stimmrecht. Er hat zwei bis drei Stellvertreter, meist einen oder zwei Vize-Regierungssprecher und einen Verwaltungsfachmann für administrative Fragen.101 Daneben hat jedes Bundesministerium eine eigene Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. In jedem Ressort stehen den Journalisten derzeit mindestens drei Pressereferenten für Auskünfte zur Verfügung.102 Der offiziell wichtigste Termin für Regierungs- und Ministeriumssprecher sind die Auftritte vor der Bundespressekonferenz an jedem Montag, Mittwoch und Freitag. Der Sprecher von Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (1982-98), Ludger Reuber, schätzte v.a. den informellen Part der Veranstaltung: „Die dreimal wöchentlich stattfindenden Regierungs-Pressekonferenzen sind selten Umschlagplätze wirklicher Neuigkeiten. […] Aber der Vorraum des Saales ist fast noch wichtiger.“103 Vor und nach der Veranstaltung lasse sich vieles unter vier Augen mit den Korrespondenten besprechen. Daher sei das Ritual der Pressekonferenzen ein wichtiger Teil der Beziehungspflege von Journalisten und den Sprechern der Regierung. 104 Normative Schranken regeln die PR-Arbeit der Regierung: So urteilte das Bundesverfassungsgericht 1977, Öffentlichkeitsarbeit von Staatsorganen sei zwar notwendig, um den Bürger mit den politischen Maßnahmen der Exekutive vertraut zu machen, aber das Werben für eine Partei sei unzulässig. Schon der Eindruck einer werbenden Einflussnahme sei zu vermeiden.105 Diese Entscheidung betraf v.a. die Öffentlichkeitsarbeit in Wahlkampfzeiten, schränkt aber auch die Pressearbeit ein. Die wichtigste normative Regel die Außendarstellung der Minister ist §12 der Geschäftsordnung der Bundesregierung. Er schreibt ein einheitliches Bild des Kabinetts in den Aussagen seiner Mitglieder fest.106 Diese offiziellen Vorschriften bringen alle wesentlichen Regeln auf den Punkt – doch wie so oft ist die Realität komplexer als die Theorie. Bis in die späten 60er-Jahre hinein definierten sich die Regierungssprecher zuallererst als Beamte. Regierungssprecher wie Conrad Ahlers unter Willy Brandt und Klaus Bölling unter Helmut Schmidt zeichneten sich durch ein journalistisches Berufsverständnis aus. Diese Auffassung dominiert seit Ende der 60er-Jahre bei den meisten Regierungssprechern: Seit 40 Jahren gab es keinen von ihnen, der nicht vorher zumindest kurzzeitig als Journalist gearbeitet hat. Sprecher wie Ahlers oder 101 Vgl. Stefan Marx: Das Heer der Sprecher und Berater. Eine Bestandsaufnahme von Akteursgruppen in der Regierungskommunikation. In: Miriam Melanie Köhler/Christian H. Schuster (Hrsg.): Handbuch Regierungs-PR. Über die Öffentlichkeitsarbeit von Bundesregierungen und deren Berater. Wiesbaden 2006, S. 85-98, hier S. 8890. Im Folgenden zitiert als: Marx, Heer. Vgl. auch Volker Busse: Bundeskanzleramt und Bundesregierung. Aufgaben, Organisation, Arbeitsweise. 4., neu bearb. Aufl. Heidelberg 2005, S. 116. Im Folgenden zitiert als: Busse, Bundeskanzleramt. Vgl. ebenso Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Auslandsabteilung: Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Seine Aufgaben und seine Organisation. Bonn 1997, S. 3. 102 Vgl. Marx, Heer, S. 88-90. 103 Ludger Reuber: Politik im Medienzirkus. Frankfurt am Main 2000, S. 26. 104 Vgl. ebd. 105 Vgl. Weth, Mediator, S. 51-53. 106 Die Bestimmung lautet wörtlich: „Äußerungen eines Bundesministers, die in der Öffentlichkeit erfolgen oder für die Öffentlichkeit bestimmt sind, müssen mit den vom Bundeskanzler gegebenen Richtlinien der Politik in Einklang stehen.“ (zit. nach Busse, Bundeskanzleramt, S. 164)
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Bölling gelten bis heute wegen ihres Zugangs zum Kanzler als vorbildhaft, als strategische Berater und Architekten der Regierungskommunikation. Zwar haben alle Regierungssprecher schon bei der Morgenbesprechung einen Termin beim Kanzler, aber es kommt darauf an, dass dieser sie in seine Gedankenwelt einweiht und als Berater akzeptiert. Die Autorität des Regierungssprechers steht und fällt damit. Helmut Kohl vertraute v.a. seinen Medienberatern im Kanzleramt, sodass seine offiziellen Sprecher oft keine effektive kommunikative Brücke zwischen Journalisten und Regierungszentrale darstellten.107 Zudem ist der Regierungssprecher als Leiter des BPA nicht direkt beim Bundeskanzler ansässig und so auf räumlicher Distanz zu seinem unmittelbaren Vorgesetzten, dem er zuarbeiten soll. Dies galt in der Vergangenheit zuweilen als reformbedürftig. Der stellvertretende BPA-Chef Werner G. Krueger schlug 1961 eine Ämter-Trennung vor: Der Regierungssprecher sollte für aktuelle Informationspolitik zuständig sein, der Chef eines verkleinerten Informationsamtes für mittel- und längerfristige Öffentlichkeitsarbeit.108 Diese Idee tauchte im Laufe der Jahre immer wieder auf und verschwand, zuletzt 1999.109 Die Behörde BPA überlebte alle Anwürfe. Diese Stabilität kann auch als Ausdruck der geringen Bedeutung interpretiert werden, die traditionell Kommunikation in der deutschen Ministerialbürokratie beigemessen wurde. Dem BPA haftet der Ruf an, Abstellgleis für unliebsam gewordene Beamte anderer Ministerien zu sein: „Einer der Vorgänger [Regierungssprecher] Andas, Johnny Klein, lästerte einmal: ,Die Hälfte der Belegschaft kann man rausschmeißen, dabei ist egal, welche.’ […] In der Bonner Außenstelle sind rund 180 Beamte kaltgestellt, wohin sie – entweder unfähig oder Inhaber des ,falschen’ Parteibuchs – abgeschoben wurden. Kanzleramtschef Frank Walter Steinmeier nennt das Presseamt gern ,Abraumhalde’.“110
Allerdings ist zu betonen, dass für die Führungsebene des BPA in den letzten Jahrzehnten ausschließlich Experten der journalistischen Arbeit ausgewählt wurden – die harsche Kritik scheint also eher die Konstruktion des Apparates zu beschreiben. Auf der Ebene der Bundesministerien waren die Pressestellen traditionell ganz in der Hand der bürokratischen Apparate, es dominieren Referenten ohne journalistische Erfahrung. 111
107 Vgl. Weth, Mediator, S. 223; Marx, Heer, S. 88; Tenscher, Professionalisierung, S. 220-225 und Frank Hornig: Sprachloses Sprachrohr. In: Der Spiegel 47/2002, S. 94-97, hier S. 95. Im Folgenden zitiert als: Hornig, Sprachrohr. Vgl. auch Nicole Diekmann: Beruf ohne Wiederkehr. In: Der Tagesspiegel vom 24. November 2005, S. 31. Im Folgenden zitiert als: Diekmann, Wiederkehr. 108 Vgl. Weth, Mediator, S. 131-133. Diese Abgrenzung erinnert an die Organisation im Weißen Haus, wo sich seit 1969 das Office of Communications in Abgrenzung zur Pressestelle um langfristigere, strategische Kommunikation kümmert (s. John Anthony Maltese: Spin control. The White House Office of Communications and the management of presidential news. 2., überarb. Aufl. Chapel Hill, London 1994). 109 Siehe Abschnitt 4.2.1. In abgeschwächter Form kam sie 2005 wieder auf, als Angela Merkels Regierungssprecher Ulrich Wilhelm einen eigenen Schreibtisch im Kanzleramt erhielt (vgl. Marx, Heer, S. 88). 110 Hans Peter Schütz [Internet, 2004]: Béla Anda. Der Sagenichts. Online im Internet: AVL: URL: http://www.stern.de/politik/deutschland/index.htm?id=520482 (19.02.2004) Im Folgenden zitiert als: Schütz, Sagenichts. 111 Vgl. Mihr, Auslagerung, S. 87 und Marx, Heer, S. 88-90. Siehe auch Martin Morcinek: Von der Pressestelle zum Informationsdienstleister. Das Bundespresseamt zwischen Politik, Medien und Öffentlichkeit. In: Miriam Melanie Köhler/Christian H. Schuster (Hrsg.): Handbuch Regierungs-PR. Über die Öffentlichkeitsarbeit von Bundesregierungen und deren Berater. Wiesbaden 2006, S. 49-71. Im Folgenden zitiert als: Morcinek, Informationsdienstleister.
2.3 Die politischen Kommunikationskulturen in beiden Ländern
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Die Koordination der Ressorts fällt dem Regierungssprecher zu, was sich in häufigen Konferenzen von BPA und Ressortpressechefs niederschlägt – eine sehr schwierige Aufgabe: De facto herrscht ein Widerspruch zwischen Richtlinienkompetenz des Kanzlers und Ressortprinzip. Die Ministeriumssprecher sind Untergebene ihrer Ressortchefs und müssen sich an deren Autorität halten. Der Regierungssprecher kann nur verhandeln, aber nichts anordnen. Mehr noch: Der Regierungssprecher ist Sprachrohr der gesamten Bundesregierung und kann sich bei Meinungsverschiedenheiten im Kabinett nicht völlig kanzlerkonform verhalten. Das Profilierungsbedürfnis der einzelnen Ministerien, zumal wenn es sich um vom Koalitionspartner oder von innerparteilichen Rivalen geführte handelt, sollte nicht unterschätzt werden. Schon ohne Berücksichtigung der Rivalitäten der politischen Spitzen lassen sich Ministerialbürokratien ungern in ein kommunikatives Korsett zwängen. Damit ist die Einheitlichkeit der Regierungskommunikation in Deutschland begrenzt durch die Führungsfähigkeit des Bundeskanzlers, die Kräftekonstellation im Kabinett, die Profilierungsbedürfnisse einzelner Bundesminister, das Koalitionsklima und den innerparteilicher Zustand der Koalitionsparteien. Hinzu kommen interne Steuerungsprobleme in den Apparaten der Bundesministerien. Nicht immer kann als sicher gelten, dass jedes Referat eines Ressorts stringent die vom Minister verordnete strategische Linie verfolgt.112 All dies gilt auch für die Londoner Szene, auch wenn hier die Koalitionsproblematik wegfällt. In der deutschen Bundesregierung sind knapp 900 Stellen der Regierungskommunikation gewidmet: 600 BPA-Mitarbeiter und etwas weniger als 300 Politikvermittlungsexperten in den Ministerien.113 Die Bundeskanzler haben in der Vergangenheit immer wieder Berater von außen und innen hinzugezogen, um sich über politische Linien und deren Kommunikation anleiten zu lassen. Unter Willy Brandt sammelte sich eine Schar von ehemaligen Journalisten in verschiedenen Funktionen im Kanzleramt. So amtierte Egon Bahr als Chef des Kanzleramts, Günther Gaus als Staatssekretär, und Klaus Harpprecht war als Redenschreiber direkt an den Kanzler gebunden, seine Bezahlung erfolgte aber über einen Honorarvertrag mit dem BPA. Das demonstriert die schon immer schwierige Einordnung der politischen Kommunikationsberater in den Apparat. Brandts Nachfolger Helmut Schmidt ließ sich auch von aktiven Journalisten Ratschläge erteilen.114 Helmut Kohl stärkte die Rolle des Kanzleramts bei der informellen Regierungskommunikation deutlich. Er nahm 1982 seinen Berater Eduard Ackermann aus der Fraktionsführung der CDU/CSU im Bundestag mit ins Bundeskanzleramt. Er wurde zum wichtigsten Mitglied von Kohls Küchenkabinett und zum informellen Kanzler- Interpreten. Ackermann unterstand nicht direkt der Hierarchie des Kanzleramts, sondern war unmittelbar ans Kanzlerbüro angeschlossen. Ab 1991 übernahm der jüngere Ex-Journalist Andreas Fritzenkötter Ackermanns Zuständigkeiten.115 Morcinek stellt für die Zeit ab den 70er-Jahren eine zunehmende Überlappung der Aufgaben von Bundeskanzler- und Bundespresseamt fest. 112 Vgl. Weth, Mediator, S. 73-75; Morcinek, Informationsdienstleister, S. 62 und Michael Marten: Kommunikation als Organisation – Beratungsresistent? Denkste! Die strukturierende Wirkung von Beratern in Ministerien. In: Miriam Melanie Köhler/Christian H. Schuster (Hrsg.): Handbuch Regierungs-PR. Über die Öffentlichkeitsarbeit von Bundesregierungen und deren Berater. Wiesbaden 2006, S. 135- 152, S. 136. Im Folgenden zitiert als: Marten, Denkste. 113 Vgl. Schuster, Politikberatungsagenturen, S. 55. 114 Vgl. Peter Merseburger: Willy Brandt. 1913-1992. Visionär und Realist. Stuttgart, München 42002, S. 664-666 und Helmut Schmidt: Weggefährten. Erinnerungen und Reflexionen. Taschenbuchausg. Berlin 1998, S. 219f. 115 Vgl. Klaus Dreher: Helmut Kohl. Leben mit Macht. Stuttgart 1998, S. 317-324 und 615. Im Folgenden zitiert als: Dreher, Kohl. Vgl. auch Gerd Langguth: Das Innenleben der Macht. Krise und Zukunft der CDU. München 2001, S. 81-99. Im Folgenden zitiert als Langguth, Innenleben.
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Funktionen, die eigentlich als Regierungskommunikation dem BPA zufielen, seien ins Kanzleramt abgewandert. Dies zeige den Bedarf nach einer kanzleramtsspezifischen Medienarbeit.116 Der Politikwissenschaftler und CDU-Kenner Gerd Langguth warnte jedoch, Ackermanns und Fritzenkötters politischen Einfluss jenseits der PR zu überschätzen: Beide hätten im Wesentlichen Informationen an den Kanzler weitergegeben und seine Politik gegenüber den Journalisten interpretiert.117 Die Trennung von Entscheidungs- und Darstellungspolitik hat auch in London Tradition. Seit der Zensur der Kriegszeit verstehe die Verwaltungselite in den Ministerien Regierungskunst als geheimes Geschäft, so McNair. Regierungskommunikation stelle sich damit dar als das Management von Informationen, um die staatliche Macht von den kritischen Blicken der Öffentlichkeit fernzuhalten und nicht, um die Bürger einzubeziehen. Die öffentliche Meinung werde gern als ein Konstrukt betrachtet, das manipuliert werden muss, anstatt den Regierungskurs daran auszurichten.118 Ein zweites Merkmal der britischen Regierungs-PR ist die Improvisation. Jeder Premier und Sprecher kann die Arbeitsgrundlagen neu festlegen. Das wichtigste Mittel der Informationspolitik des britischen Regierungschefs ist seit 1931 das Downing Street Press Office. Der erste Pressesekretär der Nachkriegszeit unter Premierminister Clement Attlee, Francis Williams, leitete dies noch mit dem Titel eines Adviser on Public Relations. Ab 1964 setzte sich die Bezeichnung (Chief) Press Secretary durch. Schon Williams war Teil des civil service, ab 1951 war der Status des Regierungssprechers als Beamter eingeführt.119 Der Sozialwissenschaftler Colin Seymour-Ure stellt die geschichtliche Entwicklung des Regierungssprechers von einer informellen Funktion zum festen Beruf in einem quasiorganischen Schema dar. Jeder Schritt repräsentiert eine Weiterentwicklung der Ressourcen und Funktionen. Er beginnt mit dem Premierminister, der bis ins 19. Jahrhundert hinein sein eigener Sprecher sein konnte. Danach wurde die Kommunikation von Mitarbeitern nebenbei betreut. Anfang des 20. Jahrhunderts bildete sich die spezialisierte Rolle eines Sprechers heraus, der im nächsten Schritt selbst Mitarbeiter bekam. Schließlich zog diese Abteilung dank der Medienexpansion weitere Funktionen an sich, Aufgaben und Personaldecke wuchs. Seymour-Ure sieht dies jedoch nicht als eine lineare Entwicklung an. Letztendlich gehe der Zyklus zum Premier als der wichtigsten Figur in der Außendarstellung zurück. Außerdem sei dies keine unumkehrbare Bewegung: Premierminister, die PR eine geringe Bedeutung einräumten, seien einen oder mehrere Entwicklungsschritte zurückgegangen.120
116
Vgl. Morcinek, Informationsdienstleister, S. 61f. Vgl. Langguth, Innenleben, S. 81f. und 87f. 118 Vgl. McNair, Introduction, S. 157. 119 Vgl. Seymour-Ure, Issues, S. 128-131 und Dennis Kavanagh/Anthony Seldon: The Powers Behind the Prime Minister. The Hidden Influence of Number Ten. London 1999, S. 19f. Im Folgenden zitiert als: Kavanagh, Powers. 120 Vgl. Seymour-Ure, Issues, S. 126f.. 117
2.3 Die politischen Kommunikationskulturen in beiden Ländern Abbildung 3:
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Die Entwicklung des Downing Street Press Office vom 19. Jahrhundert bis heute121 PRIME MINISTER Public performer, news source, manager of media relations
PUBLICITY MINISTER/ COMMUNICATIONS DIRECTOR Political direction of media strategy and co-ordination: party links; cabinet committee; units for media monitoring, research and writing; polling; correspondence ‘SUPER-SECRETARY’ Diversified functions: radio/TV grooming and negotiation; travel, summits; ‘advancing’; PM’s spouse; staff development; media strategy and planning
GENERAL SECRETARY Multiple functions, including media relations
PRESS SECRETARY Specialized functions; routines, collective briefings
PRESS OFFICE Institutionalized; expanded, intensified functions: assistants, office support; co-ordinating role; collective memory
Diese flexible Auslegung zeige sich auch in einem Zickzackkurs bei der Rekrutierung des Sprechers. Dabei schwanke das Pendel immer zwischen zwei Optionen: der Rekrutierung eines Beamten oder der Berufung eines Journalisten. So ernannte Premierminister John Major ab 1990 nur Personen aus dem Beamtenapparat. Bei allen Unterschieden war allen Press Secretaries bis 1997 gemeinsam, dass sie spätestens bei Amtsantritt Beamte (civil servants) wurden und sich den entsprechenden Neutralitätsregeln unterwarfen.122 Die enge Loyalität zum Premierminister ist immer eine wichtige Amtsvoraussetzung gewesen. Einige Regierungssprecher der Vergangenheit gelten als besonders einflussreich: „Joe Haines under Wilson, and Bernard Ingham under Thatcher, were virtually policy advisers.“123 Insgesamt bewertet Seymour-Ure die persönliche Bindung an den Premier als wichtiger als die parteipolitische Linientreue. Wie schon dargelegt, würde ein solches Amtsverständnis eines BPA-Chefs in Deutschland für böses Blut in Kabinett und Koalition führen: “What prime ministers have wanted above all, clearly, is […] loyalty to them. […] When party and personal loyalty clash […] the prime minister obviously wants the press secretary to remain rock solid.”124
Auch der Sprecher in der Downing Street hat neben der unmittelbaren Pressearbeit Koordinationsaufgaben wahrzunehmen. Jedes Ministerium in Whitehall verfügt wie seine Berliner Pendants über eine eigene Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Deshalb bringt ein wöchentli121
Ebd. Namen von Regierungssprechern aus der Originalgrafik wurden nicht übernommen. Vgl. ebd., S. 136-141 und Kavanagh, Powers, S. 20. Ian Budge u.a.: The new British Politics. Harlow, New York 1998, S. 206. Im Folgenden zitiert als: Budge, Politics. 124 Seymour-Ure, Issues, S. 141. 122 123
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ches Meeting of Information Officers die Chefs der Pressestellen zusammen. Die Pressesprecher der einzelnen Ministerien unterstehen dem Permanent Secretary ihres Ressorts, sind also ihrem Ministerium und den beamtenrechtlichen Vorschriften strikter Unparteilichkeit verpflichtet – das grenzt die Koordinationsmacht des Chief Press Secretary ein.125 Alle beamteten Politikvermittlungsexperten im Regierungsviertel Whitehall sind traditionell im Government Information Service (GIS) zusammengefasst. Der Chef des GIS überwacht die ethischen und professionellen Standards der Arbeit aller regierungsamtlichen Pressereferenten. Das GIS umfasste Mitte der 90er-Jahre 1000 bis 1200 Mitarbeiter – mehr als die deutsche Regierung. Während in 10 Downing Street nur ein gutes Dutzend von ihnen zu finden ist, sind die weiteren Beschäftigten auf die Ministerien verteilt. Der GIS ist seit seiner Gründung 1950 als strikt neutral und objektiv definiert. Da seine Mitglieder aber die Pressearbeit der Regierung zu besorgen haben, wurde diese Vorschrift immer mehr zur Fiktion. So schob die Thatcher-Regierung in den 80er-Jahren dem Central Office of Information (COI), als Teil des GIS zuständig für politisch neutrale Aufklärungskampagnen, die Werbung für die Privatisierung des Staatsvermögens zu. Im letzten Jahr seiner Amtszeit stand Thatchers Pressesprecher Ingham auch dem GIS vor – damit wurde die bewusste Trennung zwischen dem Downing-Street-Sprecheramt und dem Wächter über die Standards der Regierungskommunikation durchbrochen. Spannungen zwischen der vorgeblichen Neutralität des civil service in den Pressestellen und der aktuellen Regierung, die auf eine ihr gewogene PR-Arbeit dringt, sind keine Erscheinung der neueren Zeit.126
125 Vgl. McNair, Introduction, S. 160 und Cabinet Office, Office of Public Service: Report of the Working Group on the Government Information Service. [Mountfield Report.] London 1997, S. 7f. Im Folgenden zitiert als: Mountfield Report. 126 Vgl. McNair, Introduction, S. 158f.; Mountfield Report, S. 17 und Budge, Politics, S. 315. Zu den Veränderungen des GIS ab 1997 s. Abschnitt 4.1.
3 Das neue Umfeld für politische Kommunikation “I know that tomorrow I have to fill a certain amount of space […] if the government is not gonna make stories, by its announcements or by helping me out on information that I’m interested in, then I’ll find something else to put in the paper. […] it’s to make sure that there is always a meal for this very hungry animal, the media, which wants to eat at all times.” Leitender Journalist einer britischen Boulevardzeitung1
Für jegliche PR-Arbeit sind die Entwicklungen in Gesellschaft und Medien zentrale Größen, an die sich die Akteure anpassen müssen. Der Autor dieser Arbeit sieht für Regierungskommunikation noch einen dritten wichtigen Bestimmungsfaktor: Wahlkämpfe lassen sich als die olympischen Spiele politischer Kommunikation beschreiben. In dieser Zeitspanne der Verdichtung und Zuspitzung des Wettbewerbs um die Macht werden Rekorde und Spitzenleistungen aufgestellt, an denen sich alle Mitspieler zukünftig orientieren müssen. Deswegen sind hier die Wahlkampagnen ab den 90er-Jahren als Orientierungsmarken der Regierungs-PR berücksichtigt.
3.1 Die Gesellschaft: postmodern und individualisiert Unsere Zeit hat ihren eigenen kategorischen Imperativ, meint der Soziologe Gerhard Schulze. Kantianische Pflichtethik weiche dem neuen Leitspruch: „Erlebe dein Leben!“ Im Zeitschriftenladen, vor dem Fernseher, beim Einkaufen und – so kann man wohl ergänzen – in der Wahlkabine müsse man sich danach richten, worauf man gerade Lust habe. Der Erlebniswert der Angebote überlagere ihren Gebrauchswert.2 Das punktuelle event ersetzt traditionelle Bindungen: Kommt der Papst nach Deutschland, jubelt auch manch einer, der die Bibel nie in die Hand genommen hat. Liefern sich im Londoner Unterhaus Premierminister und Oppositionsführer das wöchentliche Rededuell, schalten einige ein, die noch nie wählen gegangen sind. All das lässt sich in die Modernisierungstheorie einflechten: Gesellschaftliche Großgruppen und Sozialgefüge differenzieren sich in komplexere Milieustrukturen aus. Die Bindungskraft traditioneller Sinnproduzenten wie Parteien oder Kirchen schwächt sich ab. Der britische Soziologe Lord Anthony Giddens fasste das in dem Axiom zusammen, dass wir in posttraditionellen Gesellschaften gar keine Wahl haben, als zu wählen, wer wir sind und wie wir handeln wollen. Die postmoderne Gesellschaft zeigt sich in der Zunahme an Optionen für die individuelle Lebensführung und der Abnahme an Verbindlichkeiten. 3 Das beschert politischen Akteuren Herausforderungen in der Entscheidungs- und Darstellungspolitik. Für unterschiedliche Lebenslagen müssen sie maßgeschneiderte Konzepte finden, anstatt wie früher jeweils homogenen Lebenslagen in den verschiedenen sozialen Klassen
1
J/G/1-Q12. Zur Verschlüsselung der Zitate aus den Interviews s. Abschnitt 5.3. Vgl. Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt am Main, New York 7 1997, S. 58f. 3 Vgl. Sarcinelli, Kommunikation, S. 145. 2
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3 Das neue Umfeld für politische Kommunikation
zu begegnen. Sie müssen sich auch mehr Gedanken darüber machen, wie sie mit den zerstreuten Zielgruppen kommunizieren.4 Die ökonomische Globalisierung durchdringt zudem Lebensbereiche, die früher nationalstaatlich regelbar waren. Viele Probleme, z.B. Umweltfragen oder organisierte Kriminalität, sind auf der Ebene eines Staates nicht mehr sinnvoll lösbar. Währenddessen wachsen die Ansprüche der Bürger an die Regelungs- und Steuerungskompetenzen des Staates: Die Gesellschaft, deren Gruppen differenzierter und deren Biografien unsicherer werden, erwartet in vielen Lebensbereichen Hilfen und Steuerung von der Politik. Im Prozess der Modernisierung habe sich das Bedürfnis nach dem Staat, der alle Probleme löst und entschieden handelt, noch verstärkt, schreiben Walter/Dürr.5 Der frühere SPD-Bundesgeschäftsführer Matthias Machnig sieht die Politik vor bisher nicht gekannten Herausforderungen bei der Ausarbeitung und Durchsetzung von Ideen: „Wir haben eine enorme Komplexitätszunahme, eine enorme Beschleunigung in der Politik, eine enorme Erwartungshaltung in der Politik. Und wir haben, gegen vieles was beschrieben wird, eine Öffentlichkeit, die sehr viel kritischer ist als noch vor Jahren. Wir haben ausserdem nicht mehr diese klaren Parteibindungen. Das macht Politik und auch große Würfe sehr viel schwieriger. Große Würfe führen nicht unbedingt zu kurzfristigen Erfolgen. […] Es wird schwieriger Akzeptanz für solche Maßnahmen zu finden.“6
Eine ähnliche Rechnung mit globalerer Reichweite macht der britische Meinungsforscher und Blair-Berater Lord Philip Gould auf: “Globalisation has collapsed barriers of time and distance. Citizen expectations grow insatiably. The demand for empowerment is relentless; deference is declining. The scope and scale of media power has been transformed. […] We live in an age of continuous global communications. This is a new age of politics.”7
Blumler/Kavanagh machen ein neues Zeitalter der politischen Kommunikation aus, geprägt von einer Allgegenwart der Medien, ihrer ständigen Verfügbarkeit in den verschiedensten Formen und Kanälen. Diese gesellschaftlichen Veränderungen seien in allen westlichen Gesellschaften zu beobachten. Politische Kommunikation reagiere auf sie, treibe sie auch zuweilen mit an. Im Einzelnen sehen die beiden britischen Politikwissenschaftler sieben Glieder in einer Kette des Wandels, die schon immer vorhandene Probleme des Regierungshandelns weiter erschwerten:
4 Walter, Heimatlosigkeit, S. 13f. Vgl. auch Stokers Ausführungen zur These von der atomisierten Bürgerschaft und den Folgen für die öffentliche Entscheidungsfindung: Für viele Bürger sei die einzige Form des Engagements ein punktuelles, individuelles Eintreten für ihre Rechte, ohne sich um das größere öffentliche Wohl zu kümmern. (Vgl. Gerry Stoker: Why Politics Matters. Making Democracy Work. Houndmills, New York 2006, S. 99-101. Im Folgenden zitiert als: Stoker, Matters.) 5 Vgl. Walter, Heimatlosigkeit, S. 11. Vgl. auch Bergsdorf, Definitionen, S. 37. 6 Thomas Leif: „Es gibt eine Tendenz zur Banalisierung“. [Interview mit] Matthias Machnig über politische Planung, Wahlkampfkommunikation und den politisch-journalistischen Komplex. In: Ders. (Hrsg.): Verschwiegen, verschwunden, verdrängt – was (nicht) öffentlich wird. Dokumentation 7. Mainzer Mediendisput. Mainz 2003, S. 142-156, hier S. 155. Im Folgenden zitiert als: Leif, Banalisierung. 7 Philip Gould [Internet, 2002]: What 'permanent campaign'? Online im Internet: AVL: URL: http://news.bbc.co.uk/1/hi/uk_politics/2499061.stm (21.11.2002). Im Folgenden zitiert als: Gould, Campain.
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Modernisierung: Es herrsche eine verstärkte soziale Differenzierung und Spezialisierung. Soziale Organisationen, Interessen, Lebensstile und Werte fragmentierten sich aus. Die politische Aggregation der Interessen und die Kommunikation würden erschwert. Individualisierung: Es gebe eine geringere Anpassung an Traditionen und Regeln etablierter Institutionen wie Parteien, Familie, Arbeitgeber oder soziale Klassen. Persönliche Selbstverwirklichung werde zum Mittelpunkt des Lebens. Die Bürger verhielten sich gegenüber politischen Institutionen stärker wie Konsumenten: zielorientiert, eine sofortige Wunscherfüllung erwartend, unstet. Politiker hätten es damit schwerer, Interesse und Unterstützung für ihre Ideen zu bekommen. Säkularisierung: Althergebrachte institutionelle Zugänge zur offiziellen Politik gingen verloren. Ein Anzeichen dafür sei eine schwächere Parteibindung. Die Beziehung zwischen Masse und Eliten sei geprägt von einem Verlust des traditionellen Respekts vor Obrigkeiten, stattdessen herrsche verstärkte Skepsis gegenüber Autoritäten, unterlegt von verstärktem politischen und medialen Populismus. Ökonomisierung: Wirtschaftliche Faktoren und Werte verfügten über einen steigenden Einfluss in allen Sphären der Gesellschaft. Ästhetisierung: Fragen des Stils, des Images und der Präsentation erhielten mehr Aufmerksamkeit. Das befördere auch eine engere Verbindung der Politik mit der Popkultur. Rationalisierung: In allen Bereichen der Organisation und Verwaltung herrsche eine wachsende Orientierung auf rationale, von empirischen Daten unterfütterte Sacharbeit. Experten der einzelnen Bereiche käme eine mächtigere Rolle zu. Das gelte auch für Kampagnen und PR. Mediatisierung: Die Medien bewegten sich ins Zentrum des politischen Prozesses. Die Modernisierung von traditionellen Institutionen werde zuallererst als Perfektionierung ihrer PR-Ressourcen verstanden, so z.B. im britischen Königshaus.8
Für diese Charakteristika hat sich im Deutschen das Wort von der Mediengesellschaft eingebürgert, denn die traditionellen Medien und das Internet spiegeln nicht nur die Veränderung wider, sie sind auch deren Beschleuniger, Generator oder „Turbolader“9. Politische Kommunikation ist mehr denn je über die Medien vermittelte Kommunikation. Die interpersonale Kommunikation sei in der westlichen Welt an den Rand des politischen Prozesses gerückt, so McNair.10 Diese Prozesse bleiben selbstverständlich nicht ohne Folgen auf die politischen Kulturen der beiden betrachteten Staaten. Der Respekt vor Eliten und Institutionen hat in der englischen Zivilkultur an Bedeutung verloren. Die Unzufriedenheit mit dem Funktionieren des politischen Systems ist gewachsen.11 Auch wenn der Politikwissenschaftler John Kingdom betont, dass Britannien revolutionäre Veränderungen scheue, scheint er von Kulturpessimismus nicht frei, wenn er die politische Kultur des 21. Jahrhunderts skizziert: Sie sei 8
Blumler, Age, S. 210f. Sarcinelli, Kommunikation, S. 145. 10 Vgl. McNair, Introduction, S. 23 und 29. Natürlich sollte man die Bedeutung direkter Kommunikation zwischen Politikern und Wählern nicht unterschätzen – Bürgernähe und persönliche Kontakte sind ein populärer Pluspunkt für Politiker, der auch deren Medienimage stützt. Aber für die übergroße Mehrheit der Bevölkerung ist wohl McNairs Diagnose richtig, dass die Medien die Hauptquelle politischer Information darstellen. 11 Vgl. Hübner, System, S. 156f. 9
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geprägt von einem äußerst aggressiven politischen Journalismus, schwindendem Respekt vor Obrigkeiten und Apathie der Wähler. Dazu komme eine anti-intellektuelle laddish culture, die wohl am besten mit ,Proletenkultur’ ins Deutsche übertragen werden kann.12 Respekt vor Eliten sei nicht tot, zeige sich aber in der klassenlosen Gesellschaft in einem Kult des Erfolges, der diejenigen feiere, die sich nach oben gearbeitet hätten, z.B. Unternehmer oder Unterhaltungskünstler.13 Eine ähnliche Diagnose lässt sich für Deutschland stellen: Die Zustimmung zur Demokratie an sich ist hoch, aber die Zustimmung zu den konkreten Institutionen fällt weit dahinter zurück. Ein sinkendes Vertrauen in politische Institutionen geht mit einem Mangel an Orientierung einher, was sich im Wort von der Misstrauensgesellschaft kristallisiere, so Korte/Fröhlich. Politik werde zunehmend situativ aufgefasst, weniger als langfristiger Prozess, mehr als kurzfristiges event. Es bilde sich ein konsumorientiertes Verständnis heraus, das Politik wie eine Ware behandele. Viele politische Entscheidungen seien komplex und auf lange Sicht angelegt, während die Verweildauer im Publikum gering sei. Damit müsse sich der kommunikative Aufwand zur Problemorientierung vergrößern. Das wirke auch auf das Regierungshandeln zurück. Den Kommunikationsstil der Exekutive präge auch die demografische Entwicklung der Bevölkerungsstruktur: Die ältere Bürgerschaft wolle effiziente, vertrauensvolle, handlungsstarke Führung. Damit werde die Sehnsucht nach Sicherheit als ohnehin prägnantes Merkmal der politischen Kultur Deutschlands weiter aufgewertet. Die sinkende politische Bindungsbereitschaft werde begleitet von einem gesteigerten Partizipationsbedürfnis, das unkonventionelle politische Beteiligungsformen auf-, konventionelle Teilhabe abwerte. Die Zahl derer, die Einfluss auf politische Entscheidungen als wichtig erachten, sei gestiegen.14 Eine besondere Herausforderung an die Arbeit der Regierungen in beiden Staaten stellt die Auflösung traditioneller Milieus und die schwindende Stammwählerschaft der Parteien dar. Immer weniger können sich die Parteien auf eine stabile Anhängerschaft verlassen. Klassische Großorganisationen wie Kirchen und Gewerkschaften verlieren an Einfluss – die alten, leicht identifizierbaren Milieus der Arbeiter, des liberalen Bürgertums und der treuen Kirchgänger zerfallen. In der Gruppe der heute 20- bis 40-Jährigen lässt sich keine vorherrschende Lebensform mehr beschreiben. Die Bevölkerung wird nicht nur individueller, sondern auch anspruchsvoller, denn im Durchschnitt ist die formale Bildung höher als in der Vergangenheit. Die Mobilität ist angestiegen. Die Zahl der Parteimitglieder überall in Westeuropa nimmt ab. Zwei Effekte dessen lassen sich beobachten: Es gibt mehr instrumentell motivierte Wähler, und auch die Kernsympathisanten der politischen Lager zeigen eine sich abschwächende Identifikation. Dies kann man als doppeltes dealignment bezeichnen (dealignment steht für die Lockerung der Parteibindungen).15 Das bedeutet, dass sich das Verhalten politischer Akteure im Regierungsalltag anpassen muss. Es reicht nicht mehr, im Wahlkampf auf die Mobilisierung des eigenen Anhängerblocks zu vertrauen und einige Wechselwähler zu gewinnen. Schon lange vor der Wahl 12
Dabei handelt es sich um das unverfrorene Zeigen von Verhaltensweisen bildungsferner Schichten, die früher als unfein gegolten hätten, in anderen Schichten. Man könnte auch im US-amerikanischen Sinne von white trash sprechen. 13 Vgl. John Kingdom: Government and Politics in Britain. An Introduction. 3., aktualis. Aufl. Oxford 2003, S. 175-177. 14 Vgl. Korte, Strukturen, S. 111-114. Ähnliche Diagnosen über die Partizipationsbereitschaft der Bürger in den westlichen Demokratien finden sich in Stoker, Matters, S. 87-117. 15 Vgl. Jun, Wandel, S. 183-185.
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müssen die Politiker darauf achten, spätere potenzielle Anhänger zu interessieren, zu gewinnen und an sich zu binden. Ein Sprint im Rennen um Zustimmung in den letzten Wochen vor der Wahl wird nur in einer besonders vorteilhaften Konstellation zum Sieg reichen. Die Parteien und ihre Politiker stehen sich unberechenbareren Wählermärkten gegenüber. Der sozialstrukturelle Wandel postindustrieller Gesellschaften ließ eine Dienstleistungsmittelschicht entstehen, die politisch wenig vorhersehbar sei: „Mobilität, nicht Seßhaftigkeit ist ihr ausdrückliches Leitbild, das Prinzip Schnäppchenjagd ihre Lebensform. Stets auf der Suche nach dem eigenen Vorteil, wechseln sie den Mobilfunkanbieter, den Stromversorger und das Kreditinstitut. Daß auch das Politische von dieser Mentalität erfaßt werden muß, ist offenkundig.“16
In Deutschland sind die traditionellen Kernmilieus noch vorhanden, aber sie schrumpfen. Die Trennlinien zwischen Kapital und Arbeit oder Christen und Atheisten bleiben, spielen aber in der Wahlentscheidung für weniger Bürger als früher eine Rolle. Anfang der 1950erJahre waren 51 Prozent der Westdeutschen Arbeiter, 21 Prozent Angestellte und Beamte. 2000 bestand die deutsche Bevölkerung zu 35 Prozent aus Arbeitern und zu 55 Prozent aus Angestellten und Beamten. Die letztere Gruppe gilt sozialstrukturell als die flexibelste. Der nachwachsende Wählertyp in Deutschland scheint daher der notorische Wechselwähler zu sein. Sein Verhalten sorgte ab 1998 für ein atemberaubendes Auf und Ab der Wählersympathien, was sich in den verschiedenen Wahlen und Umfragen niederschlug. Die Begriffe der Stamm- oder Wechselwähler lassen sich nicht eindeutig definieren. Einen hilfreichen Ansatz bietet aber die Motivation: Der typische Wechselwähler zeigt ein geringes Maß an Identifikation mit einer Partei und orientiert sich eher an Kandidaten und Themen, der Stammwähler weist hingegen ein hohes Maß an Loyalität zu einer Seite auf.17 Einen starken Schub erhielt der dealignment-Trend mit der deutschen Wiedervereinigung. In den neuen Bundesländern konnten sich Parteibindungen im westdeutschen Sinne bis 1990 nicht herausbilden, danach war keine Verfestigung von Loyalitäten zu beobachten. Die neuen Bundesländer werden bevölkert vom radikal-modernen Wähler, der sich ohne Parteibindung bei jeder Wahl neu entscheidet und der seine Präferenz schnell ändern kann. Je nach Erhebungsmethode und definitorischem Ansatz lassen sich nun zwischen 35 und 50 Prozent der Erwachsenen in ganz Deutschland als Wechselwähler bezeichnen.18 In den Zentralen von CDU und SPD gelten diese Zahlen aus der Politikwissenschaft wohl als Untertreibung: Einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zufolge ist bis 2001 die
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Walter, Heimatlosigkeit, S. 235. Vgl. Jun, Wandel, S. 69; Andreas M. Wüst: Wahlverhalten in Theorie und Praxis: Die Bundestagswahlen 1998 und 2002. In: Emil Hübner/Heinrich Oberreuter (Hrsg.): Parteien und Wahlen in Deutschland. München 2003, S. 90-117, hier S. 104. Im Folgenden zitiert als: Wüst, Wahlverhalten. Vgl. auch Peter Gluchowski/Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf: Sozialstrukturelle Grundlagen des Parteienwettbewerbs in der Bundesrepublik Deutschland. In: Oscar W. Gabriel/Oskar Niedermayer/Richard Stöss (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland. Opladen 1997, S. 179-208, hier S. 207f. Im Folgenden zitiert als: Gluchowski, Grundlagen. Vgl. ebenso Hans Joachim Veen: Entwicklungslinien des Parteiensystems im vereinten Deutschland – Eine Zwischenbilanz seiner Kontinuität und Umbrüche nach 12 Jahren. In: Emil Hübner/Heinrich Oberreuter (Hrsg.): Parteien und Wahlen in Deutschland. München 2003, S. 182-213, hier S. 212. Im Folgenden zitiert als: Veen, Entwicklungslinien. 18 Vgl. Vgl. Gluchowski, Grundlagen, S. 201 und 207f.; Veen, Entwicklungslinien, S. 183-185 und Wüst, Wahlverhalten, S. 90-115. 17
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Stammwählerschaft der CDU auf zehn, die der SPD auf acht Prozent geschrumpft. 19 Der Journalist Richard Meng berichtete von internen Studien bei beiden großen Parteien, die in eine ähnliche Richtung weisen. Auch das politische Interesse stelle sich laut einer internen SPD-Studie als niedrig heraus. Zehn Prozent der Bürger seien politisch sehr interessiert. 15 Prozent sähen zumindest regelmäßig die Nachrichten im Fernsehen. Die Wahlen, so hieß es weiter, würden beim restlichen Dreiviertel gewonnen.20 Die Summe der Stimmenanteile der beiden Volksparteien bei Bundestagswahlen, also von Union und SPD in Addition, befinden sich in einem langfristigen Abwärtstrend. Die zentrifugalen Kräfte der Veränderungen scheinen am Gewicht der Großparteien zu zehren. Eine weitere destabilisierende Kraft für das Parteiensystem ist die tendenziell fallende Wahlbeteiligung. In Deutschland ist sie im europäischen Vergleich noch recht hoch, aber bei allen möglichen Wahlen konstatieren die Auszähler neue Tiefstände der Zahl jener, die an dem Urnengang teilnahmen.21 Walter interpretiert diesen Trend als Folge der Wahrnehmung der Bürger, dass die Inhalte der Parteien ununterscheidbar geworden seien. Wahlen würden von vielen nicht als spannend erlebt. Viele Mitglieder der sozial abgekoppelten Schicht, aber auch der arrivierten Bürgerlichen trauten der Politik nicht mehr zu, an ihren Verhältnissen etwas zu ändern und blieben deshalb lieber daheim.22 Parallele Entwicklungen zeigen sich jenseits des Ärmelkanals. Labour und die Konservativen vereinigten bei Unterhauswahlen in den 50er-Jahren zusammen mehr als 90 Prozent aller Stimmen auf sich. Mittlerweile ist diese Zahl weit unter 80 Prozent gefallen. Das Parteiensystem zeichnet sich durch eine stärkere Volatilität aus, die nur wegen des Mehrheitswahlrechts nicht so stark auf die Sitzverteilung im Unterhaus durchschlägt. Der alte Gegensatz zwischen Mittel-/Oberklasse und Arbeiterklasse ist für die Erklärung des Wahlverhaltens immer unwichtiger geworden.23 Es ist nicht mehr unbedingt Ausdruck eigener Klassenidentität: „A two-party system based around a fundamental class cleavage has given way to a more fragmented (and competitive) party system where the personality of party leaders, issue voting, campaigning strategy and new social identities all play a role in shaping electoral choice. In this environment of dealigned politics, the media and political communications have acquired enhanced significance.”24
Die Konservativen betrachteten traditionell die Ober- und Mittelklasse als den Hort ihrer Stammwähler, Labour war eine klassische Arbeiterpartei. Bis 1970 zogen die Torys i.d.R. vier Fünftel der Mittelklasse, Labour drei Fünftel der Arbeiterklasse an. Doch die Klassen19
Vgl. Wolfram Brunner/Jutta Graf/Viola Neu [Internet, 2004]: Die politische Meinungslage in Deutschland 1990-2001. Arbeitspapier der Konrad-Adenauer-Stiftung 35/2001. Online im Internet: AVL: URL: http://www. kas.de//db_files/dokumente/arbeitspapiere/7_dokument_dok_pdf_5685_1.pdf?041115125659 (10.11.2004), S. 9. 20 Vgl. Richard Meng: Der Medienkanzler. Was bleibt vom System Schröder? Frankfurt am Main 2002, S. 129f. Im Folgenden zitiert als: Meng, Medienkanzler. Auch Leinemann verweist auf die Studie, die das Institut polis für den SPD-Bundesvorstand verfasst habe (vgl. Jürgen Leinemann: Höhenrausch. Die wirklichkeitsleere Welt der Politiker. 2., aktualis. Taschenbuchaufl. München 2005, S. 66. Im Folgenden zitiert als: Leinemann: Höhenrausch). 21 Vgl. Gluchowski, Grundlagen, S. 184-187. 22 Vgl. Walter, Franz [Internet, 2006]: Minusrekord in Niedersachsen. Auf Nimmerwiedersehen, Wähler! Online im Internet: AVL: URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,436422,00.html (11.09.2006) 23 Vgl. Gillian Peele: Governing the UK. 4., aktualis. Aufl. Malden, Oxford, Carlton 2004, S. 310-322. Im Folgenden zitiert als: Peele, Governing. 24 Ebd., S. 333.
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basis der Wählerschaft schwindet. Der Anteil der Mittelschicht in der britischen Gesellschaft stieg, die working class verlor an Bedeutung. Eine klare Zuschreibung von Klassenidentitäten wird immer schwieriger: Vier Fünftel der Wähler lassen sich nicht mehr eindeutig in eine Schicht einordnen. Die traditionellen Stammwähler-Milieus existieren weiterhin, sie werden nur kleiner, und ihre Bindung an eine Partei schwächt sich ab. In den 90erJahren wurde der Anteil der Stammwähler nur noch auf 50 Prozent geschätzt. Noch immer entschieden sich 1997 zwei Drittel der working class Labour. All diese Zahlen zeigen, dass auch die Parteien in Großbritannien den Balanceakt vollführen müssen, die eigene Stammklientel zu halten, während sie die ungebundene Mittelklasse umwerben.25 Auffälliger als in Deutschland ist in Großbritannien die schwindende Bereitschaft, sich an Wahlen zu beteiligen. Bei den Unterhauswahlen der letzten zehn Jahre rutschte die Beteiligung auf Rekordtiefs. 2001 beteiligten sich nur knapp 60 Prozent an der Parlamentswahl. Bei einigen Kommunal- und Europawahlen nahmen weniger als 30 Prozent der Bürger ihr Recht wahr. Die soziale Norm, man müsse sich als Staatsbürger an jeder Wahl beteiligen, scheint atemberaubend schnell zu erodieren.26 Der Publizist Hugo Young schrieb, wir lebten heute in 50-Prozent-Demokratien. Es gebe keine leicht vermittelbaren Ideologien und visionäre Heilsversprechungen mehr, um komplexe Fragen vorzustrukturieren. Die Hälfte der Bürger sei nicht mehr bereit, sich mit den verzwickter gewordenen politischen Fragen zu beschäftigen.27 Korte/Fröhlich sehen ebenso eine schwindende Bedeutung der Ideologien, damit gehe auch der politische Kompass für viele Wähler verloren. Die Parteiidentifikation sei früher wichtig als Filter für die eigene Weltsicht gewesen, etwa bei der Aufnahme von Medienbotschaften. Viele Wähler seien nun Orientierungsnomaden. Das ermögliche viele neue Politikmodelle jenseits des alten Links-Rechts-Schemas und ein Koordinatensystem der politisch Handelnden, das Themen-Koalitionen auf der gesamten Links-Rechts-Skala ermögliche.28 Nun ist das Streben der Volksparteien in die Mitte als politisches Marketing keine Erscheinung der neueren Zeit: Schon 1953 reklamierte die CDU im Wahlkampf für sich, die Partei der Mitte zu sein. Aber je mehr sich alte Bindungen lösen, desto mehr wird der Massengeschmack der moderaten Mitte bestimmend. Die Grundsatzfragen der Politik erscheinen geklärt, die politische und die wirtschaftliche Ordnung sind zwischen den deutschen wie britischen Großparteien weniger strittig denn je.29 Niclauß vergleicht die Programme der Volksparteien mit einem Versandhauskatalog, der allen alles bieten will: Eine Vorbereitung von Entscheidungen mit mehreren Lösungsmöglichkeiten fände nicht mehr statt. Die Parteien hätten die Aufgabe der Interessenaggregation aufgegeben. Die vielstimmigen Interessen aus Parteien und Verbänden tönten direkt auf die Regierungsspitze. 30 Das führt zu einer Veränderung des Regierungsstils: Die Konzentration geht weg vom Verwirklichen der eigenen, groß angelegten Ideologien hin zu einem pragmatischen Poli25
Vgl. Dennis Kavanagh: Election Campaigning. The New Marketing of Politics. Oxford, Cambridge (Mass.) 1995, S. 22f. Im Folgenden zitiert als: Kavanagh, Campaigning. Vgl. auch Kavanagh, Politics, S. 127-129. 26 Vgl. Peele, Governing, S. 310-322. 27 Vgl. Hugo Young [Internet, 2002]: Politics is for nerds. Online im Internet: AVL: URL: http://www.guardian.co.uk/Columnists/Column/0,,817931,00.html (23.10.2002) 28 Korte, Strukturen, S. 163-166. 29 Vgl. Bergsdorf, Definitionen, S. 37f. und Tobias Dürr: Was ist und wem gehört die Neue Mitte? Überlegungen zum Parteienstreit um einen strategischen Begriff. In: Tilman Mayer/Reinhard C. Meier-Walser (Hrsg.): Der Kampf um die politische Mitte. Politische Kultur und Parteiensystem seit 1998. München 2002, S. 30-42, hier S. 33-36. Im Folgenden zitiert als: Dürr, Mitte. 30 Vgl. Niclauß, Kanzlerdemokratie, S. 394f.
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tikmanagement. Dieses wacht darüber, konkrete, überschaubare Einzelmaßnahmen auf den Weg zu bringen und wirksam durchzusetzen. Dieses Verständnis ist nun v.a. in der britischen Politik anzutreffen und kristallisiert sich im Wort delivery, das sich mit Umsetzung oder Erfüllung übersetzen lässt.31 Korte/Fröhlich beschreiben den Regierungsalltag als Serie kurzfristiger Steuerungsmaßnahmen: „Wenn die Wähler ihre Parteizuneigungen vom täglichen Marktgeschehen abhängig machen, dann muss sich die Regierung um strategische Marktbeobachtung und Management von Öffentlichkeiten kümmern. Sie sucht den Wählerauftrag für Tagesentscheidungen. Die Schrumpfung der Wählerbasis für die großen Volksparteien fördert somit einen auf die Mitte zentrierten Populismus als Regierungsstil der Amtsinhaber, der auf Mobilisierung und Konsenssicherung, weniger auf die Umsetzung politischer Konzepte achtet […]“32
Am deutlichsten hat der US-Politikberater Dick Morris den pragmatischen, kurzfristig an Umfragen orientierten Regierungsstil beschrieben und selbst auch gepredigt: Ideologie sei für die Wähler heute ein unnötiger Leitstern, sie verließen sich auf ihr eigenes Denken. Die Wähler gäben den Politikern ein spezifisches Mandat für die von ihnen versprochenen konkreten Maßnahmen. Die USA seien nun de facto eine direkte Demokratie.33 „Today, a politician does not just need public support to win elections; he needs it to govern. An elected executive […] needs a popular majority every day in his term. Politicians and the media ignore titular power and focus only on an elected official’s ability to command a following. […] they understand that a president without popularity is without power as well. When he dips below 50 percent, he is functionally out of office.”34
Das von Morris beschriebene Politikverständnis lässt sich im Begriff der permanenten Kampagne zusammenfassen, der unterstellt, dass Politik ständig unter Wahlkampfbedingungen steht und dass alles Tun der Regierung der Gewinnung sofortiger, möglichst breiter Zustimmung dient. Sarcinelli sieht Ansätze für einen schleichenden Wandel von einer parlamentarisch-repräsentativen in eine medial-präsentative Demokratie. Die Akteure der alten Parteiendemokratie hätten ihren Rückhalt bei der Basis und den Parteitagen gefunden. Nun verlagere sich die Legitimationsbasis politischen Tuns immer mehr zum plebiszitären Schulterschluss mit dem Publikum einerseits und zur quasi-präsidialer Moderation konkurrierender Interessen und Machtansprüche andererseits.35 Diese Tendenz führt nach Ansicht des britischen Philosophen David Marquand zu einem geänderten Amtsverständnis der Regierungschefs: Sie gebärdeten sich wie Monarchen, die ihre Legitimation nicht von Gott, sondern aus der Volksmeinung beziehen. Wie bei einem absolutistischen König breche die gedankliche Trennung von Amt und Person zusammen. Heute sei es politischer Selbstmord für einen Staatsführer, darauf zu bestehen, dass sein Privatleben für die Öffentlichkeit aber tabu sei. Das Privatleben müsse in den 31
Vgl. Committee on Standards in Public Life: Defining the Boundaries within the Executive: Ministers, Special Advisers and the permanent Civil Service. Ninth Report. London 2003, S. 17. Im Folgenden zitiert als: Standards, 9th Report 32 Korte, Strukturen, S. 165f. 33 Vgl. Morris, Prince, S. 24-33. Vgl. auch Philip Stephens: When pollsters call the tune. In: Financial Times (European edition) vom 21. Juli 2000, S. 15. Im Folgenden zitiert als: Stephens, Pollsters. 34 Morris, Prince, S. 71. 35 Vgl. Gould, Campaign und Sarcinelli, Kommunikation, S. 149f.
3.2 Die Medien: 24 Stunden Nachrichten
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Medien gezeigt werden, da sie auf Unterhaltung orientiert seien.36 Der Vergleich der postmodernen Staatsführer im Medienzirkus mit den absoluten Monarchen der Vormoderne drängte sich auch Walter/Dürr auf, und auch sie sehen die Medien als Verantwortliche: „Das Politikverständnis, so ist zu befürchten, wird im Zuge der modernen Medienkommunikation und -reduktion […] vermodern. Es gibt da die eine Hauptstadt, die eine Regierungsmacht, den einen Regierungschef. Auf diesen einen Punkt konzentrieren sich alle politischen Erwartungen wie zu Zeiten autoritärer Fürstenherrschaft.“37
3.2 Die Medien: 24 Stunden Nachrichten Gewiss – ein neuer Faktor der Politik sind die Medien nicht. Schon immer galt der Satz: „Wer medial nicht auftritt, den gibt es nicht. Politische Öffentlichkeit bedeutet mediale Präsenz.“38 Doch etwas Wesentliches hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten verändert: die Reichweite der Medien und das Maß, in dem sie das Alltagsleben bestimmen. Wie schon beschrieben, präsentiert sich die postmoderne Gesellschaft zuallererst als eine Mediengesellschaft. Vier wichtige Trends lassen sich auf dem Weg dorthin ausmachen: Die Zahl der Medienangebote wächst. Alle öffentlichen Kommunikationsformen sind als Folge von Deregulierung und der Unterwerfung der elektronischen Medien unter Marktmechanismen einer Kommerzialisierung ausgesetzt. Das Kommunikationstempo beschleunigt sich. Neue Informationstechniken lassen Individual- und Massenkommunikation miteinander verschmelzen.39 Die verstärkte Konkurrenz der Medienangebote und -formen begünstigt eine reine Jagd nach Auflage und Quote, die das eherne Ideal der Sozialverantwortung der Massenmedien untergräbt. Die Angebote haben sich ausdifferenziert, aber die Besitzerstruktur weist eine Konzentration aus. Die oft international agierenden Medienkonzerne sind an Gewinnmaximierung und weniger an der res publica interessiert. Während die Medien zunehmend kommerziellen Logiken verpflichtet sind, schwindet die medienpolitische Steuerungskompetenz des politischen Systems: Verlangte früher die Frequenzknappheit nach klaren Vorfahrtsregeln, so ermöglichen digitale Techniken Hunderte von Programmen. Inhalte können auch über das Internet verbreitet werden, damit verlieren nationale Regeln an Bedeutung. Die Diskrepanz zwischen der Nachfragelogik des publizistischen Gewerbes und der Eigenlogik des politisch-administrativen Systems vergrößert sich. Das trifft übrigens auch auf die öffentlich-rechtlichen Sender zu: Sie können nur dauerhaft als Gebührennehmer überleben, wenn sie von einer Mehrheit der Zahler wahrgenommen werden. Wür-
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Vgl. David Marquand: Decline of the Public. The Hollowing-out of Citizenship. Cambridge, Malden 2004, S. 83-87. Siehe auch Danilo Zolo: Die demokratische Fürstenherrschaft. Für eine realistische Theorie der Politik. Aus dem Italienischen von Moshe Kahn. Göttingen 1997. 37 Walter, Heimatlosigkeit, S. 10f. 38 Tilman Mayer: Die kulturelle Hegemonie in der Berliner Republik. In: Ders./Reinhard C. Meier-Walser (Hrsg.): Der Kampf um die politische Mitte. Politische Kultur und Parteiensystem seit 1998. München 2002, S. 11-29, hier S. 19. 39 Vgl. Barbara Pfetsch: Regieren unter den Bedingungen medialer Allgegenwart. In: Ulrich Sarcinelli (Hrsg.): Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft. Beiträge zur politischen Kommunikationskultur. Opladen, Wiesbaden 1998, S. 233-252, hier S. 243f. Im Folgenden zitiert als: Pfetsch, Allgegenwart.
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3 Das neue Umfeld für politische Kommunikation
den sie zu einem Medium für exklusive Minderheiten, würde die Rechtfertigung der Zwangsgebühren schnell brüchig werden.40 Die Explosion des Medienangebots seit den 80er-Jahren ist so evident, dass hier nur wenige Worte darüber verloren werden müssen. Konnte ein deutscher Durchschnittshaushalt bis 1984 nur drei Fernsehprogramme empfangen, waren es Anfang der 90er schon 30 bis 50.41 Mit der Umstellung von der analogen auf die digitale Übertragungstechnik steigert sich die Verfügbarkeit der Kanäle weiter. Ähnliches gilt für die Zahl der empfangbaren Radioprogramme. Ein wesentlicher Grund für die neue Vielfalt der Kanäle ist das Hinzukommen der privaten Anbieter, aber auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben ihre Programmleistung stark ausgeweitet. Haushalte mit Internet-Anschluss können sich eines schier endlosen Angebots an Informationen erfreuen. BBC-Politikchef Nick Robinson macht die ähnlichen britischen Erfahrungen greifbar: “In 1986 […] there were four TV channels. No 24-hour news. No Radio 5 Live. No internet. No mobile phones let alone video IPod, Sky Plus…etc”.42 Auch die vorgeblich alten Medien expandierten: Der Seitenumfang der Zeitungen wuchs seit den 80er-Jahren dank sinkender Druckkosten deutlich an, in Großbritannien gar um 50 bis 100 Prozent.43 Die Fülle des Angebots allein würde noch nicht zur Konstitution einer Mediengesellschaft ausreichen. Es ist die tatsächliche Nutzung durch die Konsumenten, die den Trend unterfüttert: Langzeitstudien weisen seit Jahrzehnten ein steigendes Zeitbudget für die Massenmedien aus. 2005 konsumierte der Durchschnitts-Bundesbürger täglich knapp neun Stunden die aktuellen Massenmedien.44 Die Zahlen für die britischen Konsumenten sind ähnlich, deshalb spricht der Journalist John Lloyd den Massenmedien umfassende Macht über das Alltagsleben zu: “The media […] are in Britain at the height of their powers – a position shared by their counterparts in no other country, even the US. The population watches, on average, 28 hours of television a week, and listens to 24 hours of radio a day [sic]; in 2003, nearly 35 million people read a daily or Sunday newspaper, 36.5 million read a magazine and 25 million people accessed the internet. […] Nothing – not religious belief, not political debate and argument, not even conversation with friends and family – possesses the command over mass attention that the media has taken as their own. Their themes dominate public and private lives.”45
Das Fernsehen erweist sich in beiden Staaten als Hauptvermittler politischer Information. Es wird von allen sozialen Gruppen genutzt und genießt unter allen Medien die höchste Glaubwürdigkeit. Durch die Zunahme von TV-Angebot und -Nutzung in den letzten 20 Jahren hat es den Stil der Medien insgesamt geprägt: In der gesamten KommunikationsLandschaft dominieren visuelle, unterhaltende Angebote. Sachverhalte werden im Fernse40
Vgl. Sarcinelli, Kommunikation, S. 29-31 und 266f. sowie Jun, Wandel, S. 28-34. Vgl. auch Dieter Stolte: Wie das Fernsehen das Menschenbild verändert. München 2004, S. 12f. 41 Vgl. Pfetsch, Allgegenwart, S. 244. 42 Robinson, Marriage. Five Live ist das Nachrichten- und Sportradio der BBC. Die digitale TV-Plattform Sky bietet Zuschauern mehrere hundert Programme und das digitale Speichern von Sendungen. 43 Vgl. Barnett, Tales, S. 5-7 und Jarren, Mediengesellschaft 2, S. 202-204. 44 Vgl. Christa-Maria Ridder/Bernhard Engel: Ergebnisse der 9. Welle der ARD/ZDF-Langzeitstudie zur Mediennutzung und -bewertung. Massenkommunikation 2005: Images und Funktionen der Massenmedien im Vergleich. In Media Perspektiven 9/2005, S. 422-448, hier S. 424. Im Folgenden zitiert als: Ridder, Mediennutzung. Damit stieg das Zeitbudget gegenüber 2000 um eineinhalb Stunden. 45 Lloyd, Media, S. 9.
3.2 Die Medien: 24 Stunden Nachrichten
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hen anhand unterhaltsamer Bilder und Geschichten vermittelt. Komplexe Zusammenhänge entziehen sich der Visualisierung und sind deshalb im Fernsehen oft nicht darstellbar. Politische Fragen werden auf wenige Spitzenakteure hin personalisiert, Aussagen oft in wenige Sekunden lange Ausschnitte (soundbites) gepresst.46 Kepplinger/Maurer sehen das Fernsehen in einer beinahe alles entscheidenden Rolle für die Politikinformation und interpretation der Wähler: „Nicht alle Fernsehzuschauer und nicht alle Wähler glauben alles, was Politiker im Fernsehen sagen. Trotzdem halten die meisten das meiste, was gesagt und gezeigt wird, für realitätsgerechte Darstellungen der Wirklichkeit. Alle Fernsehzuschauer interpretieren die Nachrichten über das aktuelle Geschehen vor dem Hintergrund ihrer Kenntnisse und Meinungen über ähnliche Vorkommnisse aus der Vergangenheit. Dieser Interpretations-Hintergrund stammt jedoch seinerseits überwiegend aus den Medien und hier vor allem aus dem Fernsehen.“47
Die empirischen Aussagen zum Einfluss der Medien auf das Politikinteresse ergeben kein eindeutiges Bild. Optimisten gehen davon aus, dass ein größeres Programmangebot und dessen Nutzung dafür sorgen, dass auch die wenig an gesellschaftlichen Fragen Interessierten von Informationen erreicht werden, und sei es nur durch Zufall. Pessimisten weisen hingegen auf eine wachsende Kluft zwischen – um die populären Begriffe aufzugreifen – Infoelite und Unterschicht. In Deutschland spricht für eine bessere aktuelle Information der Bevölkerung das seit den 70er-Jahren steigende Politikinteresse: 2005 schätzten sich 55 Prozent als politisch hoch interessiert ein (1970: 32 Prozent), 27 Prozent zeigten sich etwas interessiert. In der Selbstwahrnehmung besteht also ein wachsendes Politikinteresse. Das könnte mit der Bildungsexpansion und der besseren Verfügbarkeit von Informationen zusammenhängen. Nachrichten behalten eine herausgehobene Stellung in der täglichen Mediennutzung: Die Informationssendungen von ARD und ZDF verfügen weiterhin über eine hohe Einschaltquote relativ zum weiteren Programm.48 Aber diese Reichweite ist tendenziell leicht rückläufig. Es ist nicht sicher, dass jüngere Zuschauer das abendliche Tagesschau-Ritual weiter befolgen. Gerade sie nutzen häufig nur Kurznachrichten. Einer großen Mehrheit der Bevölkerung wird ein unterhaltungsorientierter Mediennutzungsstil zugeschrieben. Für einige Zuschauergruppen trifft gar die These vom Unterhaltungsslalom zu: In der Vielkanalwelt können sie jederzeit von informativen Angeboten wegschalten, hin zu einer unterhaltenden Sendung auf einem anderen Kanal. Selbst wenn man nicht von einer Fragmentierung des Publikums sprechen möchte, so zeigt sich eine Ausdifferenzierung der Mediennutzungsstile.49 In Großbritannien sind die Zuschaueranteile der Hauptnachrichten von BBC und ITV seit Jahren rückläufig. Teile des 46
Vgl. Jun, Wandel, S. 43-47. Hans Mathias Kepplinger/Marcus Maurer: Abschied vom rationalen Wähler. Warum Wahlen im Fernsehen entschieden werden. Freiburg, München 2005, S. 184. Im Folgenden zitiert als: Kepplinger, Abschied. 48 Vgl. Jun, Wandel, S. 47-49 und Thomas Leif: Politikvermittlung im Tal der Unterhaltung. Die Entscheidungsschwäche der Parteien begünstigt die Flucht in die mediale Ersatzwelt. In: Frank Nullmeier/Thomas Saretzki (Hrsg:): Jenseits des Regierungsalltags. Strategiefähigkeit politischer Parteien. Frankfurt/Main, New York 2002, S. 133-148, hier S. 137. Im Folgenden zitiert als: Leif, Tal. Vgl. des Weiteren Helmut Reitze/Christa-Maria Ridder (Hrsg.): Massenkommunikation VII. Eine Langzeitstudie zur Mediennutzung und Medienbewertung 1964 - 2005. Baden-Baden 2006, S. 100f. und 154f. 49 Vgl. Uwe Hasebrink: Politikvermittlung im Zeichen individualisierter Mediennutzung. Zur Informations- und Unterhaltungsorientierung des Publikums. In: Ulrich Sarcinelli (Hrsg.): Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft. Beiträge zur politischen Kommunikationskultur. Opladen, Wiesbaden 1998, S. 345-367. 47
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abgewanderten Publikums nutzen nun andere Informationsangebote, aber die Daten lassen den Schluss zu, dass viele Zuschauer gar keine Nachrichten mehr sehen und sich lieber anderen TV-Angeboten zuwenden.50 Alles in allem wird es schwerer, Zuschauer mit Informationsprogrammen zu erreichen. Mit dem wachsenden Angebot schwindet die Integrationsfunktion der Massenmedien. Sarcinelli gibt zu bedenken, dass die Teilnahme am aktuellen Geschehen von politischen Prädispositionen und dem sozialstrukturellen Hintergrund abhängig sei. Gedruckte Informationen seien in der Vermittlung des politischen Faktenwissens überlegen, jedoch strahle die Entpolitisierung des Leitmediums Fernsehen auf den Printbereich ab. Die Empirie bestätige eine wachsende Kluft zwischen informationsorientierten Printmedien-Lesern und unterhaltungsorientierten Vielsehern. Das Publikum sei oft nur anpolitisiert: Obwohl die Menschen vom politischen Geschehen wenig wüssten, hätten die Medien bei ihnen ein Bedürfnis nach Anteilnahme entwickelt.51 Die Ausdifferenzierung des Angebots zeigt sich auch in der Verfügbarkeit von speziellen Nachrichten- und Ereigniskanälen. Sie erreichen meist nur in spektakulären Krisenfällen eine Quote, die über einigen Zehn- oder Hunderttausend liegt. Die ARD-Anstalten bieten mittlerweile beinahe flächendeckend 24-stündige Radio-Informationsprogramme an. Im deutschen Fernsehen senden die privaten Sender n-tv und N24. Der öffentlich-rechtliche Kanal Phoenix überträgt Parlamentsdebatten und wichtige Live-Ereignisse. Weitere Informationsangebote sind im digitalen Fernsehen empfangbar, so die ARD-Nachrichtenschleife EinsExtra Aktuell.52 In Großbritannien konkurrieren mit BBC News 24 und Sky News zwei TV-Nachrichtensender.53 BBC Parliament zeigt parlamentarische und weitere politische Debatten. BBC Radio Five Live bietet Nachrichten, Talk und Sport. In beiden Staaten ist mit CNN International das US-Vorbild aller TV-Informationskanäle empfangbar. Die Nachrichtensender wirken als ein Medium, das gerade von Journalisten häufig genutzt wird und deren Urteile über die Nachrichtenlage beeinflusst.54 Zieht man die Ausweitung der Nachrichtensendungen in den Vollprogrammen (die ARD-Tagesschau bringt es mittlerweile Tag und Nacht auf bis zu 22 Ausgaben) hinzu, zeigt sich, dass der Nachrichtenzyklus nun 24 Stunden am Tag läuft und niemals anhält – statt wie früher mit den Spätnachrichten von ARD/ZDF oder BBC/ITN zu enden, für ein paar Stunden innezuhalten und am nächsten Vormittag neu zu beginnen.55 Blairs früherer Sprecher Campbell beschrieb den Einfluss der Nachrichtenkanäle so: “With 24-hour news, you must talk. You must fill the airwaves. Usually, talk radio is talking about one thing: what’s in the papers. So that the media are constantly feeding off each other, 50
Vgl. Ofcom, Office of Communications [Internet, 2006]: Communications Market 2005. Online im Internet: AVL: URL: http://www.ofcom.org.uk/research/cm/cm05/tv.pdf (27.03.2006), S. 268f. 51 Vgl. Sarcinelli, Kommunikation, S. 152-155. 52 Vgl. Daniel Bouhs: Schleichende Einführung neuer Nachrichtenkanäle. In: Die Welt vom 28. August 2006, S. 28. 53 Der dritte Nachrichtenkanal, der ITV News Channel, wurde 2005 eingestellt. 54 Ein gutes Beispiel für den Effekt der Nachrichtensender auf reichweitenstärkere Medien liefert der ehemalige Clinton-Berater George Stephanopoulos. Er beschreibt, wie er im Wahlkampf 1992 einen CNN-Bericht über eine Frau, die Clinton sexuelle Belästigung vorwarf, verhinderte: „Stopping CNN was key. If they ran the story all day, however briefly, other news organizations could cite them to justify running their own stories.” (George Stephanopoulos: All Too Human. A Political Education. Boston, New York, London 1999, S. 55. Im Folgenden zitiert als: Stephanopoulos, Human.) 55 Vgl. Barnett, Tales, S. 42.
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and a report in a newspaper, which may be true or false, is rolled around for hours until something else comes up.”56
Das Nachrichtenfernsehen stellt die Regierungskommunikation also vor die Aufgabe, die Berichterstattung der Medien ständig zu beobachten und selbst stärker Präsenz zu zeigen. Bleibt ein unzutreffender Bericht in den ständig wiederholten Schlagzeilen stehen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass er Eingang in die populären abendlichen Hauptnachrichten und die Zeitungen findet. Die News-Kanäle verschieben aber auch das journalistische Verständnis dessen, was als wichtig und berichtenswert gilt, urteilte der US-Medienkritiker James Fallows: „Like its cable TV competitors, it really covers whatever is most attention getting that day. If it’s a war, there is very interesting coverage of that war. If there is no war, then there’s almost equally intensive coverage of […] whatever is compulsively watchable at the moment. The oldfashioned concept of news involved some sort of calculation of what was ‘important’. News as a pure business has to go with what grabs attention and hope that from time to time it’s important too.”57
Nicht nur in der Hektik der Nachrichtensender – in der Berichterstattung deutscher Medien allgemein spielen die Suche nach der nächsten Eilmeldung und Skandale eine zunehmende Rolle. Hoch komplexe sachpolitische Fragen erhalten wenig Aufmerksamkeit, sie finden nur dann medial statt, wenn sie allgemeine Bedeutung haben oder von politischem Streit begleitet werden.58 In den deutschen Fernseh-Nachrichten wurde in den vergangenen Jahren eine Zunahme der Konfliktorientierung, der Boulevardisierung sowie der sensationalisierenden, emotionalen Darstellung festgestellt. Eine 2006 vorgestellte Studie der Nachrichten der acht bundesweiten Vollprogramme kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl in den öffentlich-rechtlichen als auch den privaten Sendern der Anteil politischer Themen gefallen ist. Bis 2001 war die Entpolitisierung nur bei den Privaten beobachtet worden. Die Auswerter stellten außerdem den Einzug des Faktors Visualisität fest: Über ein Ereignis werde v.a. dann berichtet, wenn es sich in ausdrucksstarken Bildern präsentieren lasse. Die Annahme einer Boulevardisierungstendenz wurde als bestätigt angesehen.59 Auch in den aktuellen Magazinsendungen der Öffentlich-Rechtlichen erhielten die sogenannten weichen Themen ein größeres Gewicht.60 In der medienwissenschaftlichen Forschung oft unterbelichtet ist die Rolle der Nachrichtenagenturen für aktuelle Redaktionen in Deutschland und Großbritannien. 61 Ihre Rolle als agenda setter und Maßstab für die Redaktionen in Rundfunk und Presse kann leicht 56
Alastair Campbell zit. nach Lloyd, Media, S. 93. James Fallows: The Age of Murdoch. In: Atlantic Monthly 9/2003, S. 81, zit. nach Lloyd, Media, S. 122f. 58 Vgl. Jarren, Mediengesellschaft 1, S. 111 und 163. 59 Vgl. Michaela Maier/Georg Ruhrmann/Kathrin Klietsch [Internet, 2006]: Der Wert von Nachrichten im deutschen Fernsehen. Ergebnisse einer Inhaltsanalyse 1992 - 2004. Online im Internet: AVL: URL: http://www.lfmnrw.de/downloads/nachrichtenanalyse_1992-2000.pdf (04.05.2006), S. 11f. und 63f. 60 Vgl. Petra Kaminsky/Wolfgang Kenntemich/Klaudia Brunst/Ulrich Felix Schneider: Panel 2 – „BoulevardJournalismus – die neue Leitwährung in den Medien”. In: Thomas Leif (Hrsg.): Auf dem Boulevard der Öffentlichkeit – Was kostet uns die Meinungsfreiheit. Dokumentation 8. Mainzer Mediendisput. Mainz 2004, S. 45-61, hier S. 49. 61 Vgl. Jarren, Mediengesellschaft 2, S. 202f. Agenturen wie die dpa oder die Press Association versorgen nicht nur Redaktionen mit Nachrichten und Vorschau-Übersichten, sie liefern auch aktuelles Material für zahlreiche Online-Nachrichtenseiten. 57
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unterschätzt werden – schafft es aber eine Meldung auf den Ticker der Agenturen, dann hat sie quasi Eingang in den aktuellen Nachrichtenkreislauf gefunden. Daher setzen viele aktuelle Redaktionen darauf, mit echten oder vermeintlichen scoops Vorabmeldungen in den Agenturen zu generieren. Die genannten Tendenzen zur Beschleunigung und Zuspitzung zeigen sich auch in den Printmedien. Der Fernseh-Chefreporter des Südwestrundfunks, Thomas Leif, sieht „Schnelligkeit vor Wahrheit“62 als neuen Leitsatz vieler Journalisten. Die Schlüsselfragen in den Redaktionsstuben sähen nun so aus: „- Wie können News zugespitzt und personalisiert werden? - Wie erzeugt man Exklusivität mit dem spezifischen Zugang zu den Agenturen? - Wie grenze ich mich von der Konkurrenz ab? - Wie können Vorab-Meldungen generiert werden?“63
Der Journalist Richard Meng schrieb, den Politikjournalisten in Berlin sei wichtiger als die Haltbarkeit der eigenen Meldung, dass diese von anderen Medien aufgegriffen werde: „Peinlich ist nichts mehr, wenn man nur zitiert wird.“64 Hinzu komme eine atemberaubende Beschleunigung – nichts dürfe mehr für eine gründlichere Recherche über Nacht liegen bleiben, da sonst vielleicht jemand anders das Thema wegschnappe. Die verstärkte Umlaufgeschwindigkeit auf dem Nachrichtenmarkt mache politische Steuerung schwieriger. Reformprojekte seien weit im Vorfeld des politischen Entscheidungsprozesses medial uninteressant geworden. Politische Initiativen seien bei ihrem Inkrafttreten längst vergessen, selbst wenn intensiv über ihr Entstehen berichtet wurde. Die großen politischen Linien interessierten nicht mehr, sondern nur noch der Held oder Verlierer des Tages.65 Der Journalismusforscher Stefan Plöchinger sieht auch Effekte des Hauptstadtumzugs von Bonn nach Berlin: Die Binnenkommunikation der Journalisten sei im größeren Berlin geringer geworden. Das Korrespondentenkorps sei anders – mehr Journalisten insgesamt, mehr Frauen, jüngere und ungebildetere Reporter. Damit folgen die verschiedenen Korrespondenten unterschiedlichen Fährten, was die Politikdarstellung unübersichtlicher, das Bild des politischen Handelns chaotischer macht. Die Bundespolitik traf in Berlin auf veränderte Bedingungen des lokalen Journalismus: Während in Bonn nur eine Lokalzeitung von Rang erscheint, balgen sich in Berlin zehn Tageszeitungen und knapp drei Dutzend lokale Radiound Fernsehstationen um Informationen aus dem Regierungsviertel. Diese personellen und strukturellen Veränderungen lassen auch den Bonner Komment verfallen: Wo früher noch Aussagen in den Hintergrundkreisen meist vertraulich blieben, müssen politische Akteure, die vertraulich mit der Presse sprechen, damit rechnen, dass alles veröffentlicht wird.66 Die Gegebenheiten in Berlin hat die Journalistin Herlinde Koebl in ihrer WDR-Dokumentation „Die Meute“ eindrucksvoll festgehalten: Heerscharen von Journalisten lauern oft stunden62
Thomas Leif: Kommunikationseliten und ihre Medienstrategien – Wer füllt das Vakuum, das die Politik hinterlässt? In: Ders. (Hrsg.): Verschwiegen, verschwunden, verdrängt – was (nicht) öffentlich wird. Dokumentation 7. Mainzer Mediendisput. Mainz 2003, S. 71-82, hier S. 74. 63 Ebd. 64 Meng, Medienkanzler, S. 74. 65 Vgl. ebd, S. 74-76. 66 Vgl. Stefan Plöchinger [Internet, 2002]: Hauptstadt-Journalismus. Wie Politik-Korrespondenten ihre Arbeitsbedingungen in Berlin mit den Bonner Zeiten vergleichen. [Magisterarbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München, September 2001.] Online im Internet: AVL: URL: http://www.stefanploechinger2.de/Service/ Download/Hauptstadtjournalismus.zip (13.03.2002), S. 106, 115 und 128f. Im Folgenden zitiert als: Plöchinger, Hauptstadt. Vgl. auch Heye, Vergleich, S. 288 und Hornig, Sprachrohr, S. 97.
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lang auf Kurzstatements von Politikern, die willig wie zur Fütterung einer Raubtierhorde, häufig nur mit Worthülsen und Leerformeln, auflaufen.67 Egal ob online oder in den Nachrichtenagenturen – der Druck von Wettbewerb und Schnelligkeit hat die Zahl der Vorabmeldungen erhöht und die Recherchezeit für die Journalisten gesenkt.68 Dies wurde durch die mit Ende des New-Economy-Booms 2001 ausgebrochene Krise der Medienwirtschaft noch verschärft. Erstmals komme der wirtschaftliche Druck direkt bei den Journalisten an, so der Medienberater Klaus-Peter Schmidt-Deguelle: „Viele Kollegen müssen sich jeden Tag ihre Existenzberechtigung herbeischreiben oder herbeisenden.“69 Seit 2001 hatten sinkende Anzeigenumsätze und Werbeeinnahmen zu Entlassungen von Journalisten und der Einstellung einzelner Medien geführt. Zeitungen wie die Süddeutsche oder die Frankfurter Rundschau kamen einer Insolvenz gefährlich nahe. Die Wochenzeitung Die Woche wurde eingestellt. Die KirchGruppe, zweitgrößte Privatsender-Holding auf dem deutschen Markt, meldete 2002 Insolvenz an. Auch die britischen Medienhäuser blieben von Anzeigen-Rückgängen und Stellenstreichungen nicht verschont – hier hatte aber der harte Wettbewerb schon in den 90er-Jahren unprofitable Medien hinweggefegt. Die Angebotsexplosion der letzten 25 Jahre war nicht von einer proportionalen Aufstockung der Arbeitsplätze verbunden. Zwar ist die Zahl der politischen Journalisten in Berlin und London jeweils angestiegen, aber diese müssen mehr Sendezeit und Seiten füllen. War es früher in vielen Politikredaktionen üblich, dass Journalisten eigene Spezialgebiete bearbeiten, so hat sich diese Arbeitsteilung abgeschwächt – die Redakteure sind für mehr Themenfelder zuständig, in manchen Fällen die gesamte politische Bühne. Hinzu kommt die Digitalisierung des Journalismus, die viele Techniker-Stellen wegrationalisiert hat. Redakteure müssen sich heute als Multitalente nicht nur für die inhaltliche Arbeit, sondern auch fürs Layouten, Schneiden, Aufnehmen und Senden erweisen. Journalisten haben weniger Zeit für die Recherche oder das Gespräch untereinander, bei dem sich für manches Thema ein kluger Rat finden ließe. Berufsanfänger sehen sich oft mit einer Zukunft jenseits sicherer Vollzeitstellen konfrontiert.70 Die Rückwirkungen auf die medialen Inhalte sind auch in Großbritannien unübersehbar. Das public-service-Ideal für den britischen Rundfunk ist erodiert. Das spiegelt sich in der staatlichen Medienaufsicht: Statt wie früher mit einer spezifischen Rundfunk-Behörde über die Einhaltung der Programmstandards zu wachen, übt nun das Office of Communications (Ofcom) eine eher auf technische und rechtliche Fragen zugeschnittene Kontrolle aller Telekommunikations- und Mediendienste aus. Ofcom ließ 2006 verlauten, public-serviceProgramme könnten von privaten Anbietern im digitalen Zeitalter nicht mehr erwartet werden. Diese Einstellung hat zu einer Marginalisierung von tiefgründiger Information in den TV-Hauptprogrammen geführt. BBC und ITV verschoben ihre Hauptnachrichtensendungen 67
Vgl. das zur Dokumentation erschienene Buch Herlinde Koelbl: Die Meute. Macht und Ohnmacht der Medien. München 2001. Im Folgenden zitiert als: Koelbl, Meute. Für eine kompakte Darstellung des Medienwandels in Berlin aus Sicht eines ehemaligen BPA-Amtsleiters s. Peter Ruhenstroth-Bauer: Moderne Regierungskommunikation. Aktuelle Konzepte, Strategien und Vorhaben des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung. In: Ulrich Sarcinelli/Jens Tenscher (Hrsg.): Machtdarstellung und Darstellungsmacht. Beiträge zu Theorie und Praxis moderner Politikvermittlung. Baden-Baden 2003, S. 33-48, hier S. 33. Im Folgenden zitiert als Ruhenstroth-Bauer, Vorhaben. 68 Ulrich Schäfer: „Eine virtuelle Politikwelt“. Ministerberater Schmidt-Deguelle über die Medien in Berlin und die Karriere von Themen. In: Süddeutsche Zeitung vom 31. Januar 2004, S. 16. 69 Ebd. Zur Rolle Schmidt-Deguelles s. ausführlich Abschnitt 4.2.3. 70 Vgl. Barnett, Tales, S. 5-8 und 32f. und Plöchinger, Hauptstadt, S. 70f.
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in den späteren Abend, um mehr Platz für massenattraktive Formate zu erhalten. Seriöse politische Formate sind in der Hauptsendezeit kaum noch zu finden, sie erhielten Nischenplätze am späten Abend und am Sonntagmorgen.71 Auch die Qualität der Informationen scheint sich zu verschlechtern: Medienkritiker beklagen einen Aufstieg des Boulevard-Journalismus im britischen Fernsehen. Die gründliche Betrachtung von gesellschaftlichen Fragen weicht einer auf Konfrontation und Sensation ausgerichteten Nachrichtengebung. Kriminalität, Verbrauchertipps und Buntes aus Sport und show business erhalten mehr Platz. Die Exzesse der Boulevardpresse färben auch auf die Informations-Programme der BBC ab: Sie greifen Berichte, Themen und Stimmungen aus der Presse auf.72 „It is now received wisdom that the media are ,dumbing down’, usually interpreted as a fundamental shift away from discussion of public affairs, reporting of Parliament, serious journalistic investigation and serious political commentary.“73
In den britischen Boulevardzeitungen sank der Politik-Anteil in den einstelligen Prozentbereich. Auch die seriösen Blätter sind von den Folgen des Wettbewerbs nicht verschont geblieben. Die Gründung der Zeitung The Independent und der von Murdochs Verlag angezettelte Presse-Preiskrieg der 90er-Jahre erhöhten den Wettbewerbsdruck im insgesamt schrumpfenden Marktsegment der Printmedien. Die Qualitätspresse nähert sich den Standards des Boulevards an. Klatsch über Prominente findet auch in renommierten Zeitungen und den Nachrichten der BBC breiten Niederschlag. Skandale, Fehlverhalten, Streitigkeiten in der Politik dominieren die Berichterstattung. Das Privatleben von Politikern ist kein Tabu mehr. Der eherne Grundsatz der Trennung von Nachricht und Kommentar verfällt. Berichteten die Zeitungen früher auf mehreren Seiten über Parlamentsdebatten, findet der Gesetzgebungs- und Repräsentationsprozess im Unterhaus oft nur noch am Rande der politischen Berichterstattung Beachtung.74 Ein konsistentes Verfolgen einer Entwicklung über mehrere Monate ist die Ausnahme, stattdessen lässt sich oft ein kurzes Aufflackern eines Themas oder Skandals beobachten, was anschließend passiert, etwa nach einem Rücktritt oder dem Versprechen der Regierung, einen Missstand auszuräumen, findet sich kaum in der Presse wieder. Mittlerweile scheuen sich die Redaktionen nicht, schon Gerüchte zu publizieren, um auf jeden Fall der Erste zu sein, der die vermeintliche Nachricht gebracht hat.75 Das zeigt schon, dass der verstärkte Wettbewerb nicht unbedingt für Vielfalt sorgt: “Arguments about the tabloidisation aside, commercialisation has also enhanced the media’s long-standing tendency to pursue ‘pack’ journalism, whereby individual organisations pursue a 71
Vgl. Lloyd, Media, S. 109f. und 118-120 und McNair, Introduction, S. 67-69. Vgl. Barnett, Tales, S. 80-87. 73 Ebd., S. 91. 74 Vgl. Peter Wilby: Bad hair day for the quality press. In: MediaGuardian in The Guardian vom 26. Februar 2007, S. 7. Das hat zu dem in London umlaufenden Scherz geführt, eine Erklärung im Parlament sei der beste Weg für die Regierung, etwas für sich zu behalten. Kaum jemand würde sie bemerken, die Regierung könnte aber behaupten, die Angelegenheit brav veröffentlicht zu haben (vgl. Barnett, Tales, S. 40). 75 Vgl. Becker, Großbritannien, S. 253-255; Barnett, Tales, S. 89-94; Lloyd, Media, S. 16 und Peter Riddell: Members and Millbank: the Media and Parliament. In: Jean Seaton (Hrsg.): Politics and the Media. Harlots and Prerogatives at the Turn of the Millennium. Oxford, Malden 1998, S. 8-18, hier S. 12-15. Im Folgenden zitiert als Riddell, Members. 72
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shared agenda. When a story is deemed to have become ‘news’ by one organisation, the others feel compelled to follow suit. This is not necessarily because the story has ‘objective’ importance, but will often be the product of editorial assumptions that to be left behind by the pack is dangerous for an organisation’s commercial position and legitimacy as a news provider.”76
Der Wandel der Berliner und Londoner Medienwelt spiegelt sich in der Wahl der Leitmedien der Korrespondenten. Zwar gab 2005 gab nur ein Zehntel einer Stichprobe aller deutschen Journalisten an, die Bild-Zeitung regelmäßig zu lesen, aber nun ist häufig vom Boulevardblatt als Themensetzer der politischen Information die Rede. Plöchinger nennt für die von ihm befragten Berliner Korrespondenten Bild als Leitmedium Nummer eins.77 In der Untersuchung der Kommunikationswissenschaftlerin Julia Bönisch erwies sie sich bei den Nachrichtenredakteuren deutscher Medien 2005 als die am häufigsten genutzte Zeitung. Ein neues journalistisches Leitmedium in Deutschland hat sich im Internet etabliert: der OnlineAbleger des Spiegel. Bönischs Erhebung ergab, dass Spiegel Online als Ideengeber und Themensetzer fungiert und Einfluss auf die Nachrichtenproduktion hat. 60 Prozent der befragten Redakteure nutzten die Website häufig. Die Befragung brachte aber auch Kritik an Spiegel Online zutage: Das Streben der Online-Redaktion, immer als Erster am Markt zu sein, führe zu fehlerhaften und hastig geschriebenen Artikeln.78 Bei der Amtsübergabe an seinen Nachfolger 2005 beschrieb Regierungssprecher Béla Anda ein Beispiel der Nachrichten-Beschleunigung durch das Internet-Angebot: „Wie eine ,bizarre Meldung einer Nachrichtenagentur’ binnen einer Viertelstunde von ,Spiegel online’ übernommen und dadurch quasi geadelt wird – und wie es viel länger dauere, den Sachverhalt geradezurücken“.79
Die Klage über den Einbruch von Boulevard-Machart in die seriösen Produkte ist in London noch älter. Das Massenblatt Daily Mail erweist sich mit ihrem täglichen Mix aus Klatsch und Nationalismus seit Jahren als äußerst erfolgreich. Der Times-Journalist Riddell spricht daher von einer „Daily Mailisation“80 der Rundfunk-Nachrichten und der Abendschichten in den Zeitungen, die vermeintliche Aufreger-Themen aus Boulevardblättern in die eigenen Spätausgaben übernähmen.81 Zudem scheint sich die Grundeinstellung der Politikredakteure gewandelt zu haben. Behandelten Journalisten die Volksvertretern früher mit Respekt, teils gar Unterwürfigkeit, gilt für britische Interviewer nun die dem früheren Sunday-Times-Chefredakteurs Harold Evans zugeschriebene Frage als Modus Operandi: „Always ask yourself, when you inter-
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McNair, Introduction, S. 68. Vgl. Plöchinger, Hauptstadt, S. 112 und Thomas Leif: Die Strategie kommt ganz zum Schluss. Medienberater und Spin-Doktoren können Politik nicht kommunizieren. In: Der Tagesspiegel vom 26. November 2003, S. 31. Im Folgenden zitiert als: Leif, Strategie. Vgl. auch Siegfried Weischenberg/Maja Malik/Armin Scholl: Zentrale Befunde der aktuellen Repräsentativbefragung deutscher Journalisten. Journalismus in Deutschland 2005. In: Media Perspektiven 7/2006, S. 346-361, hier S. 359. 78 Vgl. Julia Bönisch: Meinungsführer oder Populärmedium? Das journalistische Profil von Spiegel Online. Berlin 2006, S. 89, 113, 124, 129 und 140f. 79 Robert Birnbaum [Internet, 2005]: Doch ein Münchner in Berlin. Online im Internet: AVL: URL: http://www.tagesspiegel.de/politik/archiv/26.11.2006/2780649.asp (26.11.2005) 80 Riddell, Members, S. 12. 81 Vgl. ebd. 77
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view a politician – why is this bastard lying to me?“82 Das konfrontative Interview gilt heute als Standard des britischen Journalismus: „In 2003, the posture of much of the media was that politics was a degraded profession. It was common currency everywhere […] – from tabloid to broadsheet, fact to fiction.”83 Der Politikwissenschaftler Gerry Stoker beklagt, dass Journalisten ihre Reputation v.a. dadurch gewännen, dass sie Politik und Politiker mit Verachtung behandelten.84 Einzelne Star-Journalisten – Chefredakteure, Kolumnisten, Moderatoren und Korrespondenten – verdienen höhere Löhne als Mitglieder des Kabinetts und verfügen in der Bevölkerung über höhere Bekanntheitswerte. 85 Gab es früher schon Journalisten, die sich einer politischen Richtung verschrieben hatten, scheint eine neue Qualität erreicht: Die Medienakteure präsentieren sich als Mitspieler des politischen Prozesses mit eigenen Machtansprüchen, während sich im traditionellen Sinne advokatorische Journalisten als Diener einer Weltanschauung wähnten. Nun gerieren sich viele Journalisten als direkte Mitspieler am Tisch der Politik: „Papers and journalists have not been content to analyse or even advocate. They have sought to be part of the political process.”86 Die Tendenz des britischen Journalismus, Politiker als Ebenbürtige, zuweilen sogar als niedere Kaste zu behandeln, ist in Deutschland in abgeschwächter Form erkennbar, da hier, wie oben dargelegt, die politische Kultur mehr auf Eintracht und weniger auf Konfrontation ausgerichtet ist.87 Doch es gibt vergleichbare Entwicklungen. Nach Meinung der Journalistin Susanne Gaschke gebärden sich viele deutsche Medien wie eine neue außerparlamentarische Opposition. Pluralismus, Kompromisse und kleine Schritte gälten vielen Kommentatoren als zu kompliziert und langweilig. Die neue APO der Journalisten kritisiere die Bundesregierungen nicht nur für ihre Unzulänglichkeiten, sondern zeichne sich durch Elemente der Systemopposition aus, durch Unbehagen am parlamentarischen Regierungssystem und seinen Repräsentanten.88 Der ehemalige stellvertretende Sprecher der Bundesregierung (2002-05), Hans-Hermann Langguth, spricht von einer Kaste der “Besser-Politiker”89. Am augenfälligsten sei der mediale Machtanspruch im Streit um die Rechtschreibreform geworden, als 2004 mehrere Verlage zur alten Orthografie zurückkehrten: „,Seht her, wenn
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Zit. nach Lloyd, Media, S. 17. Ein BBC-Moderator ließ sich mit den Worten zitieren, es sei seine Aufgabe, Ministern im Interview die Gedärme auszureißen (vgl. Peter Mandelson: Rebuilding trust: the central challenge for New Labour. In: Matt Browne/Patrick Diamond (Hrsg.): Rethinking Social Democracy. London 2003, S. 289-299, hier S. 293. Im Folgenden zitiert als: Mandelson, Trust.) 83 Lloyd, Media, S. 8. 84 Vgl. Stoker, Matters, S. 129f. 85 Vgl. ebd., S. 19f.; Barnett, Tales, S. 136f. und Riddell, Members, S. 16f. 86 Riddell, Members, S. 15. Er nennt als Beispiel, wie EU-kritische Zeitungen versuchten, direkt in die Politik der Konservativen einzugreifen. Meckel sieht es als permanente Versuchung der Journalisten an, sich selbst als Teil politischer Gestaltungsprozesse zu begreifen (vgl. Miriam Meckel: Der Mismatch der Mediendemokratie: Anmerkungen zu den Spielregeln politischer Kommunikation. In: Heribert Schatz/Patrick Rössler/Jörg-Uwe Nieland (Hrsg.): Politische Akteure in der Mediendemokratie. Politiker in den Fesseln der Medien? Wiesbaden 2002, S. 277-284, hier S. 280. Im Folgenden zitiert als: Meckel, Mismatch). 87 Siehe Abschnitt 2.3.1 dieser Arbeit. 88 Vgl. Susanne Gaschke: Eine neue Apo hat das Land. In: Die Zeit 32/2006, S. 6. 89 Hans-Hermann Langguth: Der politisch-publizistische Komplex zwischen Allmacht und Ohnmacht. Ein Plädoyer gegen das Potenzgehabe von Eliten in Medien und Politik. In: Miriam Melanie Köhler/Christian H. Schuster (Hrsg.): Handbuch Regierungs-PR. Über die Öffentlichkeitsarbeit von Bundesregierungen und deren Berater. Wiesbaden 2006, S. 119-132, hier S. 124. Im Folgenden zitiert als: Langguth, Allmacht.
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wir nur wollen, dann machen wir euch sogar die besseren Gesetze’, lautete die unausgesprochene Botschaft.“90 All die oben aufgeführten Faktoren der Veränderung wirken sich auf die Regierungskommunikation aus. Die Mediengesellschaft konfrontiert die Regierenden und ihre Politikvermittlungsexperten mit neuen Risiken und Erschwernissen, aber auch Chancen: „Mit der ,Senderausweitung’, vor allem im elektronischen Bereich, werden die Zugänge zu den Medien auch für nicht etablierte Akteure erleichtert, das Erreichen einer Massenöffentlichkeit für alle jedoch erschwert. So stehen auch etablierte politische Akteure in einer verschärften Konkurrenz um Aufmerksamkeit in den allgemein zugänglichen Massenmedien.“91
Dazu tragen auch die Dominanz unterhaltender Formen und die Depolitisierung im Fernsehen bei. Zugespitzt gesagt: Kanzler, Premier und Minister treten im Wettkampf um mediale Beachtung nicht mehr nur gegen die Opposition und internationale Nachrichten an, sondern auch gegen Prominente – Schumi und Madonna sind zur Konkurrenz geworden im Wettbewerb von Sendeminuten und Schlagzeilen. Inwiefern es sich lohnt, Politikvermittlung unterhaltsamer zu machen, ist eine wichtige Kalkulation für die Politiker und ihre Berater.92 Politische Organisationen sind gezwungen, ihre Öffentlichkeitsarbeit und Informationspolitik zu professionalisieren und auszuweiten, aber gleichzeitig wachsen die Zweifel über ihren Erfolg, denn mediale Berichterstattung und ihre Konjunkturen sind weniger denn je planbar. Die Regierung ist als etablierter Akteur immerhin mit guten Zugangschancen zu den Massenmedien ausgestattet. Je weniger die Korrespondenten in der Hauptstadt etwas mit langwierigen Debatten und Programmdiskussionen anfangen können, umso besser sind die Chancen für die Exekutive, mit tagespolitischen Maßnahmen, oft auch pur symbolischen Handlungen, Aufmerksamkeit und Berichterstattung zu bekommen.93 Die kurze Aufmerksamkeitsspanne der Medien kann auch dafür sorgen, dass der Regierung unangenehme Themen schneller aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden, oder sie kann durch agenda-cutting-Techniken versuchen, ein Thema stillzulegen, etwa durch tagespolitische Initiativen oder Ablenken mit anderen Nachrichten.94 Die Hektik des Mediengeschäfts macht es beinahe unmöglich, eine politische Idee ausführlich zu erläutern. Das muss gerade dann Sorge bereiten, wenn die Probleme komplexer und langfristiger angelegt sind. Die Ausweitung der Senderkapazitäten mag zwar politische Information insgesamt marginalisiert haben, aber für Journalisten, Politiker und interessierte Bürger bietet sich nun rund um die Uhr eine unüberschaubare Masse an politischen Formaten in Printmedien, Rundfunk und Internet, die miteinander um Schlagzeilen wetteifern. Diese wirken wie kommunizierende Röhren – ein leiser Ton am einen Ende
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Ebd., S. 126. Sarcinelli, Kommunikation, S. 61. 92 Vgl. Jörg-Uwe Nieland: Von der Bonner zur Berliner Republik? Aspekte des Wandels der politischen Kommunikation in der Populärkultur. In: Heribert Schatz/Patrick Rössler/Jörg-Uwe Nieland (Hrsg.): Politische Akteure in der Mediendemokratie. Politiker in den Fesseln der Medien? Wiesbaden 2002, S. 163-186, hier S. 166. Im Folgenden zitiert als: Nieland, Populärkultur. 93 Vgl. Sarcinelli, Kommunikation, S. 61 und Meng, Medienkanzler, S. 79-82. 94 So nennt der US-Politikberater Morris das Beispiel, dass die Clinton-Regierung bei einem Skandal in einer Regierungsbehörde bewusst Spekulationen über den Rücktritt des Behördenchefs anheizte, um vom sachlichen Missstand abzulenken – schließlich lässt sich eine Person in den Medien besser darstellen als ein abstrakter Vorgang (vgl. Morris, Prince, S. 122f.). 91
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3 Das neue Umfeld für politische Kommunikation
kann ohrenbetäubenden Lärm am anderen auslösen.95 Schon unbedachte Aussagen eines Ministers und Nuancen reichen aus, um einen vermeintlichen oder echten Konflikt innerhalb des Regierungslagers auf die Medienagenda zu heben. Der Independent-Kolumnist Steve Richards führte die Dauerkrise der Regierung John Majors Mitte der 90er-Jahre auch auf die Medienexpansion zurück: „[W]henever a politician is in trouble, he tends to stay in trouble for much longer. In the case of a Prime Minister in a period of political turbulence, the impact can be close to fatal.“96
3.3 Die Wahlkämpfe: War Room, Excalibur und Kampa In den 90er-Jahren fand in einigen westlichen Demokratien neben den technischen Entwicklungen ein politischer Gezeitenwandel statt: In den USA, dem Vereinigten Königreich und Deutschland hatten mehr als eine Dekade lang konservative Regierungschefs amtiert. Nun gelang es Bill Clinton, Tony Blair und Gerhard Schröder, mit ähnlichen Wahlkampfstrategien eine Mehrheit für Mitte-Links-Kabinette zu erringen. Neu erschienen nicht nur ihre gut geplanten Kampagnenstrategien, sondern auch die Hinwendung zur politischen Mitte, das Versprechen, aus politischen Fehlern der Vergangenheit gelernt zu haben.97 In den USA hat sich seit vielen Jahren eine wahre Wahlkampf-Industrie herausgebildet. Rund 40 Agenturen und über 1000 freie politische Berater lauern auf Kunden für Umfragen, TV-Werbebuchungen oder Strategien. Schon die Berichte über Nixons Präsidentschaftswahlkampf 1968 zeigen die präzise Planung moderner US-Kampagnen.98 Der Präsidentschaftswahlkampf Clintons 1992 zeichnete sich darüber hinaus durch eine bis dahin nicht gesehene professionelle Konzentration auf Schnelligkeit im Umgang mit Medien (rapid response), flexible Planung und wenige, klare Kernbotschaften aus. Besondere Aufmerksamkeit zog das clintonsche Kampagnen-Management durch seine mediale Verwertung auf sich: Die Wahlkampfmanager und begleitenden Journalisten meldeten sich nach 1992 mit Büchern zu Wort. Der Dokumentarfilm The War Room über die Koordinationszentrale fand große Aufmerksamkeit. Der war room war ein ehemaliger Redaktionsraum, in dem die Chefkampagnenplaner Clintons arbeiteten. Die Kampagnenplanung selbst wurde zum Medienereignis.99 Im folgenden Wahlkampf 1996 wurden die genannten Techniken weiter verfeinert. Inzwischen war der Politikberater Dick Morris, der zuvor meist Republikaner betreut hatte, zu Clintons Chefstrategen aufgestiegen. Er beeinflusste nicht nur die Kampagnenstrategie, sondern auch inhaltliche Weichenstellungen. Ihm wird die 95
Vgl. Michael White [Internet, 2004]: Gossip and intrigue: the Westminster rumour mill in overdrive. Cabinet ministers take to the airwaves to dismiss speculation that they persuaded the prime minister not to resign. Online im Internet: AVL: URL: http://politics.guardian.co.uk/labour/story/0,9061,1258955,00.html (12.07.2004) 96 Steve Richards: Soundbite politics. In: Reuter Foundation Paper 14/1995. Zit. nach Barnett, Tales, S. 88. 97 Vgl. Frank Esser: Spin doctoring als Regierungs-PR. Strategisches Skandal-, Themen- und Imagemanagement der Clinton-Administration. In: Klaus Kamps (Hrsg.): Trans-Atlantik – Trans-Portabel? Die Amerikanisierungsthese in der politischen Kommunikation. Wiesbaden 2000, S. 129-158, hier S. 129. Im Folgenden zitiert als: Esser, Clinton. 98 Vgl. Holzer, Hexenmeister. Siehe auch Althaus, Beruf und Joe McGinniss: The Selling of the President. 2. Aufl. New York u.a. 1988. 99 Vgl. David Butler/Dennis Kavanagh: The British General Election of 1997. Basingstoke, London, New York 1997, S. 56. Im Folgenden zitiert als: Butler, Election 1997. Siehe u.a. Stephanopoulos, Human; Mary Matalin/James Carville (with Peter Knobler): All’s fair. Love, war, and running for president. New York 1994 oder Anonymous [Joe Klein]: Primary Colors. A Novel of Politics. London u.a. 1996.
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Strategie der triangulation zugeschrieben: Der Demokrat Clinton präsentierte sich als nationaler Führer, der über den Parteien steht und damit auch Politikelemente der Republikaner (z.B. Steuersenkungen) übernahm.100 Die beiden erfolgreichen Wahlkämpfe machten Clinton zum Vorbild vieler MitteLinks-Politiker weltweit. Das Schlagwort von der Amerikanisierung der Kampagnen griff um sich. Amerikanisierung steht hier für die Übernahme von Wahlkampfmethoden aus den USA, im weiteren Sinne für Veränderungen in der Politikdarstellung oder der politischen Kultur insgesamt. Die schon diskutierte These von der Professionalisierung politischer Kommunikation spielt eine Hauptrolle, ebenso die Vermutung, professionelle Experten der Persuasion hätten noch mehr als früher Zugang zu politischen Entscheidungszentren.101 Dabei lässt sich Amerikanisierung sowohl als einseitige Anpassung an die USA, als Reaktion politischer Organisationen auf überall ablaufende Veränderungsprozesse oder auch als globales Lernen voneinander ohne Hierarchien deuten.102 Der Wahlkampf der britischen Labour Party 1997 übernahm viele Elemente der clintonschen New Democrats: Nachdem Tony Blair im Juli 1994 zum Labour-Vorsitzenden gewählt worden war, bemühte er sich fortan um bessere Beziehungen zu den führenden Köpfen der Medienlandschaft, insbesondere um Murdochs Zeitungen wie The Times und The Sun. Die Labour-Parteizentrale zog aus ihrem alten Hauptquartier um in den Millbank Tower, ein Hochhaus in Westminster. Schon 1995, zwei Jahre vor der Wahl, nahm hier die Kampagnen-Zentrale ihre Arbeit auf. Schaltzentrale wurde ein Großraumbüro (war room) mit dem PR-Experten Peter Mandelson als Kampagnenmanager. Alle Aktivitäten der Partei wurden hier zentral abgestimmt. Hier saß auch die Rapid Rebuttal Unit, die auf der Computer-Datenbank Excalibur aufbaute. Die Partei konnte so Attacken der Konkurrenz in Minutenschnelle beantworten. Keine missliebige Aussage der Konkurrenz oder von Journalisten erschien unkommentiert in der Berichterstattung, die Redaktionen erhielten sofort eine mit Daten und Fakten unterfütterte Reaktion Labours. Millbank wurde zu einem Symbol der neuen Professionalität der Partei, die präsentatorisch und programmatisch verjüngt auftrat – als New Labour.103 Eine kleine Gruppe von Blair-Vertrauten in der Parteiführung konstruierte den Wahlkampf. Eine wesentliche Rolle spielten quantitative wie qualitative Umfragen. Eine Gruppe von 5000 Wechselwählern gab den Kampagnenplanern ständiges Feedback. Auf Grundlage dieser Erhebungen destillierte die Partei aus ihrem Wahlprogramm eine Liste von fünf eingängigen, klaren Versprechen im Scheckkartenformat (pledge card). Die Kernbotschaften des Programms wurden von der Parteispitze in allen Interviews so oft wie möglich wiederholt. Blairs professionalisierte und medienzentrierte Kampagnenmaschinerie war nicht billig: Hatte der Wahlkampf 1992 noch 43 Millionen Pfund gekostet, standen 1997 100 Vgl. Edith Meinhart/Ulla Schmid: Spin Doktoren. Die hohe Schule der politischen Manipulation. Wien 2000, S. 94-101. Im Folgenden zitiert als: Meinhart, Manipulation. 101 Siehe Abschnitt 2.1 dieser Arbeit. 102 Vgl. Patrick Donges: Amerikanisierung, Professionalisierung, Modernisierung? Anmerkungen zu einigen amorphen Begriffen. In: Klaus Kamps (Hrsg.): Trans-Atlantik – Trans-Portabel? Die Amerikanisierungsthese in der politischen Kommunikation. Wiesbaden 2000, S. 27-42, hier S. 27-29 und 35-37. Im Folgenden zitiert als: Donges, Amerikanisierung. Vgl. auch Blumler, Age, S. 213. 103 Vgl. McNair, Introduction, S. 146; Jun, Wandel, S. 370-376 und Butler, Election 1997, S. 52-63. Vgl. auch Philip Gould: Why Labour Won. In: Ivor Crewe/Brian Gosschalk/John Bartle (Hrsg.): Political Communications. Why Labour won the General Election of 1997. London, Portland 1998, S. 3-11. Im Folgenden zitiert als: Gould, Why.
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100 Millionen Pfund zu Buche.104 Der Meinungsforscher Philip Gould beschrieb das Grundkonzept von Labours Medienarbeit wie folgt: „In a campaign, you must always seek and keep the momentum […] Gaining momentum means dominating the news agenda, entering the news cycle at the earliest possible time, and repeatedly re-entering it, with stories and initiatives that ensure that subsequent news coverage is set on your terms. It means anticipating and pre-empting your opponents’ likely manoeuvres, giving them no room to breathe, keeping them on the defensive. It means defining the political debate on your terms.“105
Demgegenüber nahm sich die Kampagne 2001 wie ein leiser Nachklang zu 1997 aus. Das Labour-Erfolgsrezept von 1997 fand eifrige Nachahmer. Der Oppositionsführer William Hague umgab sich mit ehemaligen Journalisten als Sprechern. In der Tory-Zentrale wurden die Abteilungen für die Politikentwicklung und für die Außendarstellung in einem Raum zusammengelegt, so entstand ein konservativer war room. Das Ereignis- und Medienmanagement der großen Parteien erreichte eine neue Meisterschaft. So waren es eher die Pannen im geplanten Ablauf, die Schlagzeilen machten. Die professionellen Kampagnentechniken hatten den Ablauf des Wahlkampfes so vorhersehbar und störungsfrei gemacht, dass die Befürchtung wuchs, dass die Wähler die Inszenierung als solche wahrnehmen und daher ihr Interesse an der Wahl sank.106 Blairs Triumph wurde von der deutschen SPD-Führung aufmerksam beachtet. Die Parteizentrale wertete Clintons und Blairs Kampagnen ab 1995 intensiv aus. Dies folgte der Erkenntnis, dass sich Images von Parteien wie bei Markenprodukten nur mittel- bis langfristig verändern lassen. Im September 1997 nahm die erstmals organisatorisch aus der Parteizentrale ausgegliederte Wahlkampfzentrale Kampa ihre Arbeit auf. Sie stand unter Leitung des Bundesgeschäftsführers Franz Müntefering und verstand sich als Dienstleistungszentrale, die Medienarbeit, Werbung, Gegnerbeobachung, Veranstaltungsmanagement und Meinungsforschung zentral bündelte. Sie arbeitete eng mit externen Meinungsforschern und Werbeagenturen zusammen. Alle Maßnahmen wurden von demoskopischen Erhebungen begleitet und evaluiert sowie mit Blick auf die Wirkung im Fernsehen optimiert.107 Schon das Dauerduell zwischen Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder um die Kanzlerkandidatur 1995 bis 1998 wurde nicht als Ausdruck innerparteilicher Zerrissenheit präsentiert, sondern vielmehr als personalisierter Kampf inszeniert, um der SPD dauerhaft Aufmerksamkeit zu sichern. Die niedersächsische Landtagswahl am 1. März 1998 hatte Schröder kommunikativ zu einem Personalplebiszit über seine Person umgemünzt, ähnlich einer amerikanischen Vorwahl (primary). Schröders Sieg machte seine Kanzlerkandidatur zur beschlossenen Sache. Der Leipziger SPD-Parteitag im April 1998, das eigentliche Entscheidungsorgan über den Spitzenkandidaten, wurde so zur Staffage für eine krönungsglei104
Vgl. Jun, Wandel, S. 370-376 und Butler, Election 1997, S. 53f., 57, 65 und 235. Philip Gould: The Unfinished Revolution. How the Modernisers Saved the Labour Party. London 1998, S. 294. Im Folgenden zitiert als: Gould, Unfinished. 106 Vgl. David Butler/Dennis Kavanagh: The British General Election of 2001. Basingstoke, New York 2002, S. 91 und Andrew Rawnsley: Servants of the People. The Inside Story of New Labour. 2. Aufl. London u.a. 2001, S. 487. Im Folgenden zitiert als: Rawnsley, Servants. Siehe auch Nicholas Jones: Campaign 2001. London 2001. Im Folgenden zitiert als: Jones, 2001. 107 Vgl. Jun, Wandel, S. 320-331 und Lars Rosumek: Die Kanzler und die Medien. Acht Porträts von Adenauer bis Merkel. Frankfurt/Main, New York 2007, S. 236-239. Im Folgenden zitiert als: Rosumek, Porträts. 105
3.3 Die Wahlkämpfe: War Room, Excalibur und Kampa
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che Zeremonie, deren genaue Regieanweisungen über Musik, Licht, Applaus und Posen der Spitzenpersonen schnell in die Medien gelangten.108 Jun nennt drei K als wesentliche Strategieelemente des SPD-Wahlkampfes: Koordination, Konzentration und Kontroverse. Der unterschwellige Konflikt zwischen wirtschaftsfreundlicher Modernisierung und traditionellem Profil wurde in der Doppelspitze Schröder/Lafontaine arbeitsteilig abgefangen. Beide Politiker plus Müntefering bildeten das disziplinierte Entscheidungszentrum des Wahlkampfes, das nach außen ein weitgehend geschlossenes Bild der SPD abgab. Zudem konzentrierte sich die Partei auf die durch Umfragen als wichtig herausgehobenen Themen wie die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und den sozialen Zusammenhalt. Nach britischem Vorbild verteilte die SPD eine Garantiekarte mit neun Punkten, die diese Botschaften zusammenfasste.109 Das systematische Kommunikationsmanagement sicherte der SPD positive Schlagzeilen. Galt früher der Grundsatz, dass eine ausgeplauderte Kampagnen-Strategie keine Strategie mehr ist, so gestatteten die Wahlkampfstrategen ganz im Stil der Dokumentation The War Room freimütig Blicke hinter die Kulissen. Noch nie wurde so offen besprochen und dokumentiert, wie eine Kampagne gemacht wird. In mehreren Sendungen wurde die Arbeit der Kampa und der von ihr beauftragten Agenturen gezeigt. Einmal war sogar zu sehen, wie Schröders Berater Bodo Hombach einen Redetext diktiert, dann folgte der Gegenschnitt, wie Schröder diese Rede hielt. Die offene Demonstration der Verführungskunst schreckte die Wähler nicht ab, sondern stärkte noch das Image der SPD als siegreiche, moderne Partei und stabilisierte das Wechselklima. Diese Metakommunikation war die eigentliche Neuerung des Bundestagswahlkampfes 1998, der laut Sarcinelli eine Art Kampa-Mythos schuf.110 Ähnlich wie in Großbritannien zeichnete sich der darauffolgende Bundestagswahlkampf durch eine Übernahme und Ausweitung der nun etablierten Stilelemente aus. Die SPD ließ 2002 erneut eine Kampa arbeiten, Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber verpflichtete mit dem früheren Bild-am-Sonntag-Chefredakteur Michael Spreng einen ExJournalisten als Kampagnenmanager. Wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage fiel der SPD die Konzentration auf Gewinnerthemen zunächst schwer. Im Sommer sorgten das Elbe-Hochwasser und die Irak-Krise für einen kommunikativen Umschwung, der Schröders Strategie der Personalisierung stärkte und Rot-Grün den Sieg bescherte. Die wesentliche Innovation 2002 stellten die zwei TV-Duelle zwischen Schröder und Stoiber nach USMuster dar – komplett mit intensiven Interpretationsversuchen durch Medien und Wahlkampfzentralen. Die Duelle waren mitverantwortlich dafür, dass die Kampagne 2002 als Personalplebiszit wahrgenommen wurde. Wochenlang kreiste die Berichterstattung um Fragen der Wirkung der Kandidaten.111 108 Vgl. Falter, Macht, S. 11; Meng, Medienkanzler, S. 15f. und Klaus Kamps: America ante Portas? Grundzüge der Amerikanisierungsthese. In: Ders. (Hrsg.): Trans-Atlantik – Trans-Portabel? Die Amerikanisierungsthese in der politischen Kommunikation. Wiesbaden 2000, S. 9-26, hier S. 9. Im Folgenden zitiert als: Kamps, Portas. Siehe auch Andreas Timm: Die SPD-Strategie im Bundestagswahlkampf 1998. Hamburg 1999. Für eine Beschreibung der Leipziger „Krönungsmesse“ s. Leinemann, Höhenrausch, S. 338-340. 109 Vgl. Jun, Wandel, S. 320-342. 110 Vgl. ebd.; Sarcinelli, Kommunikation, S. 202-204; Mihr, Auslagerung, S. 106-108 und Albrecht Müller: Von der Parteiendemokratie zur Mediendemokratie. Beobachtungen zum Bundestagswahlkampf 1998 im Spiegel früherer Erfahrungen. Opladen 1999, S. 57f. Im Folgenden zitiert als: Müller, Parteiendemokratie. 111 Vgl. Kamps, Portas, S. 9; Jun, Wandel, S. 352-356; Leif, Banalisierung, S. 156; Kepplinger, Abschied, S. 28-30 und 186-189 sowie Korte, Strukturen, S. 160f. Allerdings ist auch zu konstatieren, dass schließlich Grüne und Liberale trotz der Aufmerksamkeit für die Spitzen der Volksparteien zulegen konnten.
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Auch 2002 beschäftigten sich viele Zeitungsartikel und Dokumentationen mit den Kampagnenplänen der Parteien. In ihnen stellen sich v.a. die Wahlkampfmanager selbst dar. Der Subtext der Metakommunikation über die Professionalität der Kampagne ist eindeutig zu sehen: Kann eine Partei oder ein Kandidat einen Wahlkampf mit modernsten Mitteln und geschlossener Darstellung führen und das auch nach außen kommunizieren, so wirkt das als Imagetransfer auf das generelle Politikmanagement. Die professionelle Kampagnenführung suggeriert, dass die Partei und ihre Spitze auch im Regierungsalltag mit modernen Mitteln und Ideen sowie Geschlossenheit arbeiten werden. Die Politikvermittlung selbst wurde zum Objekt mediengerichteter Imageprojektion. Die US-Autoren Shawn J. und Trevor Parry-Giles sehen das als Teil postmoderner Politik: “The result is hyperreality, or the idea that because of the saturation of images in contemporary life, it is difficult, if not impossible, to distinguish between that which is ‘real’ and that which is represented or mediated. As such, the distinctions between reality and representation collapse so as to make them meaningless.“112
Ein postmodernes Verständnis erkenne an, dass die Politik von Images und Hyperrealität beherrscht werde. Image und Wirklichkeit würden ununterscheidbar. Oft würden Fernsehbilder für realer gehalten als die Wirklichkeit. Die politische Kommunikation nutze diese Tendenz aus und schaffe eine visuelle Realität. So habe in der Dokumentation The War Room die clevere Präsentation der Image-Konstruktion, obwohl selbst für die Kamera konstruiert, authentisch gewirkt. Das Publikum sei mittlerweile geschult im Umgang mit Bildern und wüsste, dass diese auch manipulativ eingesetzt werden könnten. Images beherrschten die politische Debatte.113 Diese Überlegungen lassen sich angesichts der Macht der Fernsehbilder analog für viele westliche Demokratien, darunter Deutschland und Großbritannien, anstellen. Kampagnenmanager wie Morris, Stephanopoulos, Mandelson, Campbell, Machnig, Hombach und Spreng wurden häufig gleichmacherisch als Spin Doctors bezeichnet, obwohl sich klare Unterschiede zwischen ihnen ausmachen lassen: etwa im Grad ihrer Institutionalisierung, ihrer beruflichen Erfahrung und ihres Einflusses auf die Kampagneninhalte. Anhand von Forschungsfrage 2 wird zu klären sein, was sie in ihrer Arbeit verbindet. Wegen der Unterschiede in den politischen Systemen lassen sich Wahlkämpfe in den USA, dem Vereinigten Königreich und der Bundesrepublik Deutschland nicht gleichsetzen. Sarcinelli warnt zu Recht vor vorschnellen Analogien zwischen Demokraten, Labour und SPD. Die Binnenstrukturen der Parteien sind heterogen, die politischen Kulturen lassen keine völlig parallel laufenden Entwicklungslinien zu.114 Aber die obige Darstellung zeigt deutlich, wie postmoderne gesellschaftliche und mediale Prozesse sowie das Lernen voneinander ähnliche Kampagnenstile hervorgebracht haben. Diese wurden in Medien und Sozialwissenschaft gern als Spin Doctoring etikettiert und zeichnen sich durch die folgenden Elemente aus: 112
Zentralisierung der Kommunikation: Die Partei muss nach außen einheitlich erscheinen und darf nur eine intern vorher abgestimmte programmatische Linie kommunizie-
Shawn J. Parry-Giles/Trevor Parry-Giles: Constructing Clinton. Hyperreality & Presidential Image-Making in Postmodern Politics. New York u.a. 2002, S. 1. 113 Vgl. ebd., S. 1-5 und 187-191. Ähnlich auch Leinemann, Höhenrausch, S. 342. 114 Vgl. Sarcinelli, Kommunikation, S. 190f.
3.3 Die Wahlkämpfe: War Room, Excalibur und Kampa
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ren. Eine machtvolle Zentrale sorgt dafür, dass alle Parteimitglieder sich in Interviews an die einheitliche Botschaft halten. Rapid rebuttal: In Clintons war room hing das Motto „Speed kills“ sichtbar an der Wand. Auf jede Äußerung des politischen Gegners wird sofort geantwortet, um sofort im laufenden Nachrichtenzyklus gegnerische Informationen mit der eigenen Sichtweise zu konfrontieren, statt später ein Dementi nachzureichen. Perfektionierung der Medienüberwachung: Sämtliche Medien werden 24 Stunden am Tag ausgewertet, um möglicherweise schädliche Berichte frühzeitig wahrzunehmen. Außerdem können so die eigenen Aktivitäten evaluiert werden. Professionelle Sammlung von Informationen: Erkenntnisse über die Wählerschaft und den Journalismus werden in Datenbanken gespeichert. Dazu zählen Daten über einzelne Zielgruppen, die politischen Einstellungen von Redaktionen und Journalisten. Das hilft dabei, die Motivationsstrukturen des Journalismus für sich auszunutzen und einzelnen Korrespondenten Exklusiv-Informationen zuzuspielen. Umgekehrt ist es Aufgabe der PR-Experten, sich sofort und aggressiv über negative Berichte oder tendenziösen Journalismus zu beschweren und durch offene oder implizite Drohungen eine vorteilhafte Berichterstattung zu erzielen.115
Diese Kommunikations- und Organisationskonzepte, einmal eingeübt und den Journalisten vorgezeigt, bleiben natürlich nicht auf den Wahlkampf beschränkt – sie wirken auf den Regierungsalltag.116 Dies erscheint nachvollziehbar. Denn das referierte catch-allKampagnenmodell, das eine möglichst breite Zahl an Wählern ansprechen muss, besitzt m.E. allein schon strukturell zwei Parallelen zur Regierungskommunikation: Die Exekutive musste schon immer das gesamte Volk adressieren, und das überwiegend über mediale Vermittlung, denn Minister werben nur selten direkt auf den Marktplätzen um Zustimmung. Damit erscheint die professionalisierte, mediengeleitete Kampagnenarbeit als geeignetes Vorbild für Regierungskommunikation. Die Entwicklung hin zur Mediengesellschaft fügt diesen systemimmanenten Parallelen einen weiteren Imperativ im Sinne einer permanenten Kampagne hinzu: „Indem politische Macht zunehmend auf den kurzlebigen Meinungen von Wählern beruht, deren Unterstützung ständig durch Kommunikation kultiviert werden muss, bestimmt die Kultur des image managements und des fortwährenden spin den politischen Diskurs der politischen Führer und Regierungsvertreter. Politisches Marketing ist so zu einem entsprechenden Teil der elementaren Aufgaben der Regierung geworden.“117
Esser stimmt dieser Ansicht zu – Strukturen und Funktionen staatlicher PR änderten sich. Clinton, Blair und in geringerem Maße Schröder hätten die Regierungsstrukturen so umgebaut, dass PR-Kompetenzen näher an das unmittelbare politische Entscheidungszentrum herangerückt seien.118 Auch Blumler/Kavanagh sprachen von einem Überspringen in den 115
Vgl. Esser, Campaigns, S. 214-216. Vgl. ebd., S. 214f. 117 Vgl. David L. Swanson: Transnationale politische Kommunikation: Konventionelle Sichtweisen und neue Realitäten. In: Frank Esser/Barbara Pfetsch (Hrsg.): Politische Kommunikation im internationalen Vergleich. Grundlagen, Anwendungen, Perspektiven. Wiesbaden 2003, S. 56-78, hier S. 61. Im Folgenden zitiert als Swanson, Transnationale. 118 Vgl. Esser, Clinton, S. 130 und 155f. So auch Korte, Strukturen, S. 265f. 116
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3 Das neue Umfeld für politische Kommunikation
Regierungsalltag. Das von ihnen postulierte dritte Zeitalter der politischen Kommunikation zeichne sich aus durch eine wachsende Abhängigkeit politischer Akteure von professionellen PR-Beratern. Politikvermittlung sei keine lästige Ergänzung, sondern zentrales Instrument politischen Handelns – diese Erkenntnis setze sich immer mehr in den Regierungszentralen durch. Daher erhielten Kommunikationsberater engsten Kontakt zur politischen Führung und Autorität auch über die Fachressorts.119 Swanson sah Parteien- wie Regierungskommunikation geprägt von raffinierten Methoden für die Nachrichtensteuerung, einem Mehr an mediengerechten Inszenierungen, geschicktem Timing von Verlautbarungen und symbolischen Handlungen unter Berücksichtigung redaktioneller Schlusszeiten, einem Zuwachs intern verbindlicher Sprachregelungen – kurz: einem allgegenwärtigem spinning, mit dem politische Akteure journalistische Darstellungen zu ihrem Vorteil beeinflussen wollten.120 Der italienische Soziologe Paolo Manchini beschrieb Parteien als Kommunikationsmaschinen. Ihre Funktionäre könnten nur noch erfolgreich arbeiten, wenn sie Kenntnisse in anderen Felder (z.B. Journalismus, PR, Meinungsforschung) gesammelt hätten.121 Inwiefern den Diagnosen zu den Veränderungstrends zur Mediengesellschaft und zur postmodernen Regierungskommunikation zuzustimmen ist, wird die Expertenbefragung anhand der Forschungsfragen zeigen.122 Zunächst sollen aber im nächsten Kapitel die konkreten Regierungsstile Blairs und Schröders vorgestellt werden. Diese mussten sich nach den gewonnenen Wahlen mit hohen Erwartungen an ihre Politik und ihr Kommunikationsmanagement auseinandersetzen – keine leichte Hypothek, wie sich zeigen wird.
119
Vgl. Blumler, Age, S. 213-216. Vgl. Swanson, Transnationale, S. 62f. Vgl. Paolo Mancini: New Frontiers in Political Professionalism. In: Political Communication, 3/1999, S. 231245, hier S. 234. Im Folgenden zitiert als: Mancini, Frontiers. 122 Siehe die Auflistung der Forschungsfragen in der Einleitung. 120 121
4 Die Kommunikationsstile der Regierungen Blair und Schröder „Die Präsentation und die inhaltliche Arbeit machen dieselben Leute. So ist der Stil der Regierung Blair. […] Und ich glaube auch, dass es in Deutschland nicht anders sein kann. […] ich sehe aber da Defizite […] weil die grundlegende Vision […] fehlt. Es ist etwas schwierig, was zu kommunizieren, was nicht da ist […] Alleine dieses Hinwerfen von Häppchen, was ja ein typisches Merkmal des schröderschen Stils ist. Also man ruft irgendeine Initiative in den Raum hinein und schaut, wie reagiert die Partei und die Öffentlichkeit.“ Deutscher Politikexperte mit Erfahrungen in beiden Staaten1
Im folgenden Kapitel werden die Informationspolitiken der Regierungen Blair (1997-2007) und Schröder (1998-2005) anhand der Literatur dargestellt. Dies stellt die Grundlage für die vertiefenden Interviews der darauffolgenden Untersuchung dar. Dieses Kapitel ist keine Chronik der politischen Geschehnisse – im Mittelpunkt stehen stilprägende, für die Forschungsfragen relevante Aspekte der Regierungskommunikationen unter Blair und Schröder. Bei beiden gesellte sich zur Rhetorik des pragmatischen Dritten Wegs zwischen Sozialismus und Liberalismus ein neues Verständnis für die Bedeutung von PR und Medienwirkung. Die politische Linke hatte sich damit traditionell, bis in die 90er-Jahre hinein, schwergetan.2 Nun traten mit zwei Regierungschefs auf den Plan, die in ihren Parteien wegen ihres offensichtlichen Mediencharismas eher zähneknirschende Zustimmung, aber keine uneingeschränkte Unterstützung bekamen. Von beiden wurde entsprechend erwartet, dass sie eine professionelle Informationspolitik betreiben würden. Zuerst richtet sich der Blick auf Blairs Spin Doctoring – welche Techniken New Labour zur Beeinflussung der Journalisten nutzte und wie sich dies schließlich zum Glaubwürdigkeitsproblem entwickelte. Danach geht es um Schröders rot-grüne Regierung und ihre Versuche, trotz hektischen Wandels zu einer erfolgreichen Kommunikationsarbeit zu gelangen. Am Ende beider Karrieren steht der unfreiwillige Abgang von der Macht – und die Frage für die Untersuchung, welche Spuren sie in den Institutionen und Spielregeln der Regierungskommunikationen in London und Berlin hinterlassen.
4.1 Großbritannien: Tony Blairs spin machine 4.1.1 Ursprünge und Vorbilder Für Blairs Einstellung zur Medienarbeit erweisen sich zwei Erfahrungen als Schlüsselfaktoren: die feindliche Einstellung vieler Zeitungen gegenüber Labour und der Zerfallsprozess der Major-Regierung ab 1992.3 Während Labours schwärzesten Oppositionsjahren diente Sir Bernard Ingham Premierministerin Thatcher als loyaler Sprecher. Der Ex-Journalist war ein Ministeriumssprecher, als er 1979 nach 10 Downing Street berufen wurde. Er entwickelte im Laufe der Jahre eine sehr enge Beziehung zu Thatcher und ihrer Reformpolitik. 1
P/D/11-Q9. Zur Verschlüsselung der Zitate aus den Interviews s. Abschnitt 5.3. Vgl. Kavanagh, Campaigning, S. 213f. und Gould, Unfinished, S. 380f. 3 Vgl. Blick, Dark, S. 295. 2
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Er gestaltete die Informationspolitik vollends in ihrem Sinne, in Kollusion mit der konservativen Presse, v.a. Murdochs Zeitungen. Er war der erste Pressesprecher, der massive öffentliche Kritik wegen seiner reinen Parteilichkeit für die Regierungschefin auf sich zog. Kritiker gaben ihm den Beinamen eines veritablen Vizepremierministers unter Thatcher.4 Die Eiserne Lady war mit ihrem Pressesprecher sehr zufrieden: In ihrer Autobiografie kommt er als Berater und enger Vertrauter vor.5 Thatchers Nachfolger John Major versuchte nach den Auseinandersetzungen der Ingham-Jahre einen Neuanfang in Sachen PR. Ingham verlor sein Amt. Unter Major dienten nacheinander drei Pressesprecher aus dem Beamten- und Diplomatenkorps, die kaum journalistische Erfahrung hatten. Sie waren keine bedeutenden Berater für den Premier. Der innerparteiliche Streit bei den Torys über die Europa-Politik nahm im Laufe der 90er einen selbstzerstörerischen Charakter an. Hinzu kamen Skandale über das Fehlverhalten einiger konservativer Politiker. Die PR-Maschinerie unter Major erwies sich gegenüber Labour und der vormals zahmen Presse als vollkommen überfordert.6 Majors Sprecher Sir Christopher Meyer schrieb in seinen Erinnerungen, die Pressearbeit der Downing Street sei völlig dilettantisch gewesen. Sein Büro sei nicht einmal in der Lage gewesen, ihm morgens die Zeitungen ins Haus zu liefern. Erst Campbell habe ab 1997 die Pressearbeit in Number 10 professionalisiert, gestand Meyer seinem Nachfolger zu.7 Nach dem Verlust der Macht 1979 war Labour zunächst deutlich nach links gerückt. Der Parteivorsitzende Neil Kinnock versuchte ab 1983, Labour durch innerparteiliche Reformen wieder zu einer ernst zu nehmenden politischen Kraft zu machen. Er ernannte 1985 Peter Mandelson zum Kommunikationsdirektor der Partei. Mandelson war zuvor als Mitarbeiter des Gewerkschaftsbunds und als Produzent eines TV-Nachrichtenmagazins tätig gewesen. Die Außendarstellung Labours wurde deutlich modernisiert, doch das Image als rückwärtsgewandte Partei ohne Wirtschaftskompetenz verhinderte einen Sieg bei den Unterhauswahlen. Die konservative Presse ritt über Jahre schwere Attacken gegen die Partei.8 Blairs Strategieberater Gould beschrieb das Fazit aus diesen Erfahrungen so: “New Labour’s determination to have professional communications came from an absolute determination not to allow Tony Blair and New Labour to be destroyed by the press as Neil Kinnock and Labour had been before.”9
Blair wurde im Juli 1994 Labour-Vorsitzender. Schatten-Finanzminister Gordon Brown hatte auf eine Kandidatur verzichtet, um die Stimmen des Modernisierungsflügels nicht zu 4 Vgl. Budge, Politics, S. 241; McNair, Introduction, S. 159-162 sowie Bob Franklin: Packaging Politics. Political Communications in Britain’s Media Democracy. 2., überarb. Aufl. London, New York 2004, S. 37f. Ingham selbst streitet die Vorwürfe, er sei Thatchers allmächtiger Medienminister gewesen, vehement ab (s. Bernard Ingham: The Wages of Spin. A clear case of communications gone wrong. Aktualis. Taschenbuchausg. London 2003, S. 100-120. Im Folgenden zitiert als: Ingham, Wages.) 5 Vgl. Margaret Thatcher: The Downing Street Years. New York 1993, S. 20, 140 und 843. 6 Vgl. John Major: The Autobiography. 2., aktualis. Aufl. London 2000, S. 743f. und Nicholas Jones: Sultans of spin. The media and the New Labour government. London 1999, S. 54-56 und 65f. Im Folgenden zitiert als: Jones, Sultans. 7 Vgl. Christopher Meyer: DC Confidential. The Controversial Memoirs of Britain’s Ambassador to the U.S. at the Time of 9/11 and the Iraq War. London 2005, S. 13f. Meyer spricht aber Campbell nicht vom Vorwurf frei, dieser habe seine Maschinerie missbraucht. (Vgl. ebd., S. 13 und 19f.) 8 Vgl. Seldon, Blair, S. 156f. und Esser, Kräfte, S. 167 und 173. Vgl. auch Frank Unger/Andreas Wehr/Karin Schönwälder: New Democrats. New Labour. Neue Sozialdemokraten. Berlin 1998, S. 86. 9 Gould, Campaign.
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spalten. Der Preis für den Verzicht war Blairs Zugeständnis, Brown weitgehende Freiheit in ökonomischen Fragen zu überlassen. Das Gerücht, Blair habe Brown versprochen, nach einigen Jahren als Labour-Chef zurückzutreten, konnte nie weder bestätigt noch entkräftet werden. Der Preis für die Macht war für Blair die Akzeptanz eines Nebenregenten in der Innenpolitik, was die Eintracht im Außenbild zunächst nicht beschädigte, da beide ähnliche politische Ideen verfolgten. Doch die Machtansprüche Browns waren von Anfang an ein Spaltpilz innerhalb New Labours, der das Image als einige Partei zunehmend unterhöhlte.10 In seinem Feldzug zur Modernisierung Labours lehnte Blair Kompromisse mit der Linken ab, um eine klare Kommunikationslinie vorzugeben. Das neue Grundsatz- und das Wahlprogramm ließ er in einer Urabstimmung aller Labour-Mitglieder bestätigen. So inszenierte er ein Kommunikationsdrama: Die Medien spekulierten wochenlang, ob Blair eine Mehrheit bekommen würde. Blairs Siege in den Abstimmungen sandte ein öffentlichkeitswirksames Signal der Erneuerung.11 Die programmatische Renovierung wurde durch geschickte Kommunikation abgerundet. Schon vor 1994 war Journalisten Blairs Zusammenarbeit mit Mandelson aufgefallen: Für Blairs Interviews legte Mandelson klare Regeln fest und legte Beschwerde ein, wenn ein Bericht ungünstig ausfiel. Während Mandelson aggressiv auftrat, wickelte Blair die Journalisten charmant ein, auch wenn er auf Fragen oft nur vorbereitete Statements wiederholte. Mandelson machte sich in seiner Zeit als LabourKommunikationschef (bis zu seiner Wahl ins Unterhaus 1992) viele Feinde in der Partei und den Medien.12 Während Blairs Kandidatur für den Parteivorsitz 1994 war er deshalb nur verdeckt als Berater tätig, was seinen Ruf als „Prinz der Dunkelheit, Machiavelli, Rasputin“13 begründete. Damit waren schon zwei Charakteristika der Medienarbeit New Labours erkennbar: Während Blair eine freundliche Fassade bot, arbeiteten seine PR-Experten im Halbverborgenen mit Zuckerbrot und Peitsche. Hinzu kam die eiserne Kommunikationsdisziplin, keinesfalls mehr zu sagen als vorher festgelegt. Mandelson trat nun als Medien- und Strategieberater auf. Der Meinungsforscher Philip Gould übernahm die Rolle des demoskopischen Beraters Blairs. Zusätzlich kam im September 1994 der Journalist Alastair Campbell in Blairs Team, bis dahin Politikchef des linken Boulevardblatts The Mirror. Er wurde persönlicher Pressesprecher Blairs, in Abgrenzung zum Sprecher der gesamten Partei, David Hill. Auch Brown arbeitete mit einem auf ihn persönlich zugeschnittenen Team: Der frühere Finanzjournalist Ed Balls und der Ex-Gewerkschaftssprecher Charlie Whelan fungierten als seine Sprecher und Berater.14
10
An Darstellungen der Rivalität zwischen Blair und Brown besteht kein Mangel. Vgl. als Zusammenfassung Seldon, Blair, S. 193-195 und 661-689 und Rawnsley, Servants, S. 19f. 11 Vgl. Gould, Why, S. 6-8 und Michael Foley: The British presidency. Tony Blair and the politics of public leadership. Manchester, New York 2000, S. 94f. Im Folgenden zitiert als: Foley, Presidency. 12 Vgl. Jones, Soundbites, S. 41-45 und Foley, Presidency, S. 187. 13 Jürgen Krönig: Labours PR-Stratege Peter Mandelson: „Prinz der Dunkelheit, Machiavell, Rasputin“. In: Die Zeit 13/1997, S. 6. Im Folgenden zitiert als: Krönig, Prinz. Vgl. auch Derek Draper: Blair’s Hundred Days. London 1997, S. 19-21. Im Folgenden zitiert als: Draper, Hundred. 14 Vgl. Seldon, Blair, S. 293-300 und S. 662f. sowie Peter Oborne/Simon Walters: Alastair Campbell. London 2004, S. 166 und 177. Im Folgenden zitiert als: Oborne, Campbell.
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4.1.2 Techniken des Medienmanagements Im Abschnitt 3.3 wurde bereits die Grundelemente des Spin Doctoring in Wahlkampfzeiten vorgestellt. Alles in allem zeichnete sich die Medienarbeit New Labours durch einen proaktiven Charakter aus. Diese Wortverbindung aus pro (im Voraus) und reaktiv (rückwirkend) betont das Antizipieren zukünftiger Entwicklungen, also das Vorausahnen der Bedürfnisse oder Angriffe der Medien. Nun soll genauer beschrieben werden, welche Techniken Blairs Sprecher und Berater nutzten, um sich eine möglichst vorteilhafte Berichterstattung zu sichern, zunächst in der Opposition und dann in der Regierung. Viele Strategien und Taktiken der politischen Selbstdarstellung sind so alt wie die Politik selbst. Doch mit der Veränderung des medialen Umfelds15 lassen sich neue Spielarten und Zuspitzungen beschreiben. Die Medienwissenschaftler Steven Barnett und Ivor Gaber unterscheiden die Arbeit von Politikvermittlungsexperten in zwei Kategorien: “’Above-the-line’ activities are those overt initiatives taken by media managers that […] an ‘old-fashioned’ press officer would have happily engaged in. ‘Below-the-line’ activities are those now associated with the term ‘spin doctor’; they are usually covert and are as much about strategy and tactics as imparting information.”16
Die von den Autoren benannten „above-the-line activities” bilden zum größten Teil das althergebrachte Spektrum der Informationspolitik ab, z.B. die Wege der Bekanntgabe von Nachrichten wie Pressemitteilungen, Gespräche mit Journalisten oder Erklärungen im Parlament. Diese Möglichkeiten allein sorgen schon dafür, dass sich politische Journalisten an einem normalen Werktag mit Dutzenden von möglichen Nachrichten von Parteien, Behörden und Organisationen konfrontiert sehen, was Pressesprechern die Möglichkeit gibt, die Aufmerksamkeit der Medienvertreter zu lenken. Schon seit den 60er-Jahren verbreitet ist die Vorberichterstattung über Reden und Interviews am Wochenende: Die diensthabenden Journalisten sind meist dankbar für Material an nachrichtenarmen Tagen. Zu den anerkannten Aktivitäten für Pressesprecher gehört nun auch rebuttal und prebuttal. Es ist mittlerweile Standard, dass die Regierung oder Opposition auf Aussagen der jeweils anderen Seite so schnell wie möglich antwortet. Neu war an Labours Ansatz, dass auch innerparteiliche Kritiker gnadenlos zurückgeschlagen wurden (rubbishing). Im Extremfall sollte eine erwartbare Attacke des Gegners beantwortet werden, bevor sie überhaupt geritten wird (prebuttal).17 Den Wert der schnellen Reaktion erklärt Gould so: “The world of politics is littered with assertions that are untrue but believed to be true because they were not effectively answered. An unrebutted lie becomes accepted as the truth. You must always rebut a political attack if leaving it unanswered will harm you. And you must do it instantly, within minutes at best, within hours at worst, and with a defence supported by facts.” 18
Die Reaktionsschnelle bedingt Vorausplanung, Disziplin und Flexibilität. Die Politikvermittlungsexperten müssen alle Akteure der eigenen Seite über neue Entwicklungen auf dem Laufenden halten und Sprachregelungen ausarbeiten. Vor der Wahl 1997, aber auch hinter15
Siehe Abschnitt 3.2. Barnett, Tales, S. 102. 17 Vgl. ebd., S. 103-105; Jones, Sultans, S. 4-7 und Kavanagh, Powers, S. 247. 18 Gould, Unfinished, S. 295. 16
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her, waren Labour-Abgeordnete und -Kandidaten angehalten, vor allen Medienkontakten mit der Parteizentrale Rücksprache zu halten. Alle Vertreter der Partei sollten die zentral festgelegte Linie kommunizieren (staying on message).19 Diese Organisationsregeln begründeten die Reputation einer professionellen PR für New Labour. Der zwielichtige Ruf des Spin liegt aber in den von Barnett/Gaber benannten Techniken „below the line“ begründet. Zuallererst ist das klassische spinning zu nennen – die Interpretation der Aussagen ihrer Chefs durch Politikvermittlungsexperten: „While press officers deal in what the politician will say or has just said, the spin doctor’s stock-intrade is what he or she actually meant.“20 Politische Aussagen haben neben den eigentlichen Worten schon immer eine zweite Ebene, die der taktischen und strategischen Positionierung. Unter New Labour haben sich Doppeldeutigkeiten zu einer wahren Kunstform entwickelt. Das zeigte sich bereits 1994 in der ersten Parteitagsrede Blairs als LabourVorsitzender: Um während der Ansprache Proteste gegen die Reform des Grundsatzprogramms zu vermeiden, kündigte Blair diesen Schritt erst in den letzten Minuten an, in so wolkigen Worten, dass sich dies nur mit Mühe herauslesen ließ. Nach der Rede schwärmten seine Pressesprecher aus, um den Journalisten zu erklären, was Blair meinte. Die verdutzten Parteilinken konnten den Abendnachrichten entnehmen, was genau sie da Stunden zuvor euphorisch beklatscht hatten.21 Auch Blairs Schatzkanzler Brown bediente sich gern dieser Taktik. Im Juni 2006 erwähnte Brown in einer Rede, er stehe zu der Festlegung im Labour-Wahlprogramm, das britische Atomwaffen-Arsenal zu erhalten. Diese unspektakuläre Aussage war mit einem off-the-record briefing an die Presse verbunden, der Schatzkanzler habe sich damit auf den Aufbau einer neuen Generation von Nuklearwaffen festgelegt. BBC-Politikchef Nick Robinson kritisierte daraufhin Browns Gewohnheit, brisante politische Kursbestimmungen durch die Hintertür über nichtssagende Reden und begleitende anonyme Briefings vorzunehmen.22 Umgekehrt sahen die Medienexperten der Partei eine populäre Verlautbarung als einen Prozess, nicht als singuläres Ereignis: „There are three parts to any story – the build up, the event and the follow through.“23 Im Vorfeld einer Rede oder Verlautbarung wurden Journalisten off the record einzelne Teile der kommenden Bekanntmachung zugespielt, um Vorberichterstattung zu schaffen (trailing). Das Ereignis selbst wurde – wie schon unter Thatcher üblich – professionell präsentiert. Daran schloss sich weiteres spinning an, um auch noch für die Zeitungen des Folgetags neue Aspekte und Kommentaransätze zu schaffen. Ein gutes Beispiel ist erneut die jährliche Parteitagsrede des Labour-Vorsitzenden, traditionell an einem Dienstag. Die Zeitungen und Politikprogramme am Wochenende bekamen bereits erste Hinweise, worüber Blair sprechen könnte. Dies griffen die Montagszeitungen auf, ergänzt durch weitere exklusive Häppchen. Am Dienstag fanden sich erste Details und Zitate in den Zeitungen, der Redner ließ in Morgeninterviews Kernbotschaften verlauten. Während und nach der Rede versuchten die Pressesprecher, den Erfolg der Rede zu betonen und Interpretationen vorzunehmen – damit war auch für Berichterstattung in den Zeitungen des nächsten Tages gesorgt. Dieses sogenannte Melken eines Ereignisses fand reichlich 19
Vgl. ebd., S. 305; Barnett, Tales, S. 105f.; Esser, Campaigns, S. 214-216 und Jones, Sultans, S. 78. Barnett, Tales, S. 106. 21 Vgl. Barnett, Tales, S. 106. 22 Vgl. Nick Robinson [Internet, 2006]: What Gordon really said. Online im Internet: AVL: URL: http://blogs.bbc.co.uk/nickrobinson (22.06.2006). Siehe auch Rawnsley, Servants, S. 79-83. 23 Campbell in einem Brief an leitende Mitarbeiter des GIS am 26. September 1997, zit. nach Oborne, Campbell, S. 152. 20
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Anwendung. Um wichtige neue Politikansätze, Aussagen oder Statistiken zu einem günstigen Zeitpunkt und unter selbst gewählten Umständen herauszubringen, fand eine genaue Planung statt. 24 Im Falle ungünstiger Schlagzeilen gehört es zum Repertoire der Spin Doctors zu versuchen, die lästige Geschichte schnell aus dem Medienkreislauf herauszuziehen. Als das Sonntagsblatt News of the World im Sommer 1997 Außenminister Robin Cooks außereheliche Affäre enthüllte, erreichte der vorab informierte Campbell ein Geschäft mit der Zeitung: Diese würde die Story nach der Enthüllung nicht weiterverfolgen, dafür würde Cook sich noch vor Redaktionsschluss äußern. Campbell stellte Cook vor die Wahl, die Affäre zu beenden oder seine Frau zu verlassen und seine Entscheidung sofort zu kommunizieren. Zusätzlich starteten Campbell und Mandelson Ablenkungsmanöver. Schon am Montag war die Cook-Affäre von einigen Titelseiten verschwunden.25 Eine andere Spielart dessen ist der Präventivschlag, falls sich kein Kuhhandel initiieren lässt: Hat ein Medium eine unangenehme Enthüllung vor, kann man ihm mit einer öffentlichen Erklärung zuvorkommen – so lässt sich die Exklusivität stehlen und zumindest behaupten, man habe die unangenehme Wahrheit selbst veröffentlicht.26 In einer Medienwelt, in der sich Journalisten täglich beweisen müssen, kann es für einen Reporter existenzbedrohend sein, keine Exklusivnachrichten oder Interviews zu erhalten.27 Labour investierte viel Kraft in das Gefügigmachen der Redaktionen: „Accept the line, the spokesperson and the story and all would be well: the journalist would get his or her interviewees, a regular drip-feed of minor exclusives and a sense of being on the inside. However, sign up for the ‘awkward squad’ and the results would be interview bids turned down, access to breaking stories denied and no flow of exclusives. Although this is a dilemma that faces all journalists in any sort of lobby, it has become particularly acute with New Labour because the ‘game’ is played with an unprecedented degree of bitterness and brutality.”28
Während viele Journalisten das als Teil der normalen Spannung zwischen Politik und Presse auffassten, sahen andere die Grenzen des Machtmissbrauchs überschritten, als Labour diese Praxis in der Regierungsarbeit fortsetzte: Die Bücher des BBC-Journalisten Nicholas Jones sind voll mit Beschwerden, Einschüchterungsversuchen und Informationsblockaden durch Labours Politikvermittlungsexperten.29 Die investigativen Rundfunk-Programme mussten zunehmend auf Gäste aus der Labour-Führung verzichten. Statt sich dem aggressiven Fragestil der BBC-Politikmagazine zu stellen, wichen Blair und seine Kollegen auf Unterhaltungs- und Sportprogramme aus. Dies war Teil der Strategie, die mainstreamMedien zu umgehen und das Publikum ganz bewusst über alternative Medien wie Frauen-
24
Vgl. Barnett, Tales, S. 106-108 und 111; Gould, Unfinished, S. 294; Jones, 1997, S. 91-96 und Bob Franklin: A Damascene Conversion? New Labour and Media Relations. In: Steve Ludlam/Martin J. Smith (Hrsg.): Governing as New Labour. Policy and Politics under Blair. Basingstoke 2004, S. 88-105, hier S. 92. Im Folgenden zitiert als: Franklin, Conversion. 25 Vgl. Rawnsley, Servants, S. 57f.; Barnett, Tales, S. 108f. und Draper, Hundred, S. 210f. Cook verließ seine Frau noch am Samstagabend – bevor die News of the World überhaupt erschienen war. 26 Vgl. Barnett, Tales, S. 110f. und Jones, Sultans, S. 252-256. 27 Vgl. Franklin, Conversion, S. 93 und Barnett, Tales, S. 112f. 28 Barnett, Tales, S. 113. 29 Vgl. Scammell, Media, S. 518. Zu allen Büchern Jones’ s. die Literaturliste.
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zeitschriften, Minderheitenprodukte, Lokalzeitungen und Talkshows anzusprechen. Hinzu kamen Kolumnen, die unter Blairs Namen als Autor erschienen. 30 Andere „below-the-line“-Taktiken stellen geübte Praktiken jeglicher PR-Arbeit dar, z.B. das Starten von Testballons (flying a kite), also die Weitergabe unausgegorener Vorschläge an Journalisten als Exklusivstory, um die öffentliche Reaktion zu testen. In dieses Feld gehört auch das Erwartungsmanagement: Stehen schlechte Nachrichten bevor, können zuvor schlimmste Befürchtungen gestreut werden. Wenn die Schwarzmalerei vorher stark übertrieben wurde, wirkt das eigentliche Ergebnis dann sogar als Erfolg, da es nicht so schlimm kam wie angedeutet. Von Labour mittels zentraler Ereignisplanung perfektioniert wurde auch die uralte PR-Technik, mit der Bekanntgabe guter Meldungen auf nachrichtenarme Tage zu warten, schlechte Nachrichten hingegen dann aus dem Sack zu lassen, wenn die Aufmerksamkeit der Medien auf andere Ereignisse gelenkt ist.31
4.1.3 New Labour an der Macht Der Einzug der Blairs in das Amt des Premierministers am 2. Mai 1997 zeigte symbolisch den Übertrag der PR-Techniken aus der Opposition in die Regierung. Die Labour-Zentrale postierte jubelnde Anhänger vor die Downing Street und hatte dafür schon eine Woche vorher die besten Kamerapositionen festgelegt. Man konnte aufgrund der TV-Bilder den Eindruck gewinnen, in London herrsche spontane Volksfeststimmung. Blairs wichtigstes Ziel war von seinem Einzug in die Downing Street klar: Sofort sollte sich alles Handeln auf die Wiederwahl ausrichten. Nie zuvor war es einem Labour-Premier gelungen, eine zweite volle Amtszeit zu überstehen. Die strategischen Vorgaben für die Regierungspolitik glichen also denen einer permanenten Kampagne. Labour hatte 18 Jahre lang keine Regierungsmacht innegehabt. Insofern war es nicht verwunderlich, dass die neuen Regenten dem Beamtenapparat misstrauten und versuchten, vertraute Gesichter aus Oppositionszeiten in die Amtsstuben mitzunehmen.32 Viele behielten damit zunächst in der Regierung ihre bisherigen Rollen bei. Mandelson wurde parlamentarischer Staatssekretär im Cabinet Office, der zentralen Koordinierungsbehörde für die Regierungsarbeit, zuständig für die Planung der Präsentation der Regierung – quasi ein Spin Doctor von Amts wegen. Mandelson hatte auf ein Fachministerium gehofft: Ihm war bewusst, dass sich nach beinahe einem Jahrzehnt der PR-Arbeit sein Image als finsterer Spin Doctor zu verfestigen drohte. Campbell übernahm das Amt des Chief Press Secretary des Premierministers. Daneben nahmen die neuen Minister häufig Sprecher, die ihnen in der Parteizentrale gedient hatten, in ihre neuen Ressorts mit. Auch Browns Beraterstab zog mit ihm ins Schatzamt ein. Der Personaltransfer schuf ein verfassungsrechtliches Problem: Die Mitarbeiter des Premiers und der Minister wurden als Sonderberater (special advisers) angestellt. Die Gesamtzahl aller Sonderberater in der Regie30
Vgl. Robinson, Marriage; Foley, Presidency, S. 193-195 und Scammell, Media, S. 517f. Vgl. Barnett, Tales, S. 111f. und Blick, Dark, S. 271f. Vgl. auch Bill Jones u.a. (Hrsg.): Politics UK. 4. Aufl. Harlow u.a. 2001, S. 186. Im Folgenden zitiert als: Jones, Politics. 32 Vgl. Draper, Hundred, S. 7-11; Rawnsley, Servants, S. 18 und 508; Peter Riddell: Blair as Prime Minister. In: Anthony Seldon (Hrsg.): The Blair Effect. The Blair Government 1997-2001. London 2001, S. 21-40, hier S. 23. Im Folgenden zitiert als: Riddell, Prime. Vgl. auch Peter Hennessy: Rulers and Servants of the State: The Blair Style of Government 1997-2004. In: Parliamentary Affairs 1/2005, S. 6-16, hier S. 6-9. Im Folgenden zitiert als: Hennessy, Rulers. 31
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rung verdoppelte sich dadurch mit dem Amtsantritt Blairs. Für Führungspositionen in der Exekutive unterhalb der ministeriellen Ebene kamen bisher nur Beamte (civil servants) infrage. Es bedurfte eines speziellen Erlasses des königlichen Geheimrats, um Campbell und Blairs Stabschef Jonathan Powell die Befugnis einzuräumen, Beamten verbindliche Weisungen zu erteilen. Den Ministern blieb es aber versagt, ihre Vertrauten als Chefpressesprecher der Ressorts anzustellen.33 Das tägliche Treffen der Pressestellen-Mitarbeiter um neun Uhr morgens überlebte den Ortswechsel in die Downing Street. Teilnehmer des presentation meeting waren u.a. Mandelson, Campbell, Labour-Parteisprecher Hill, ein Fraktionsgeschäftsführer und die Sonderberater aus den wichtigsten Ministerien. Dieses sollte sicherstellen, dass sich alle Parteivertreter weiter diszipliniert an einer zentral abgestimmten Botschaft orientieren. Das traditionelle Treffen der Chefs der Ressorts-Pressestellen mit dem Chief Press Secretary blieb erhalten. Weitere Abstimmungsrunden der fachlichen Berater und Politikvermittlungsexperten aus der Downing Street und den Ressorts sollte die Verbindung von Entscheidung und Darstellung sowie eine einheitliche Kommunikationslinie befördern.34 Blair war der erste Premierminister, der sich regelmäßig mit einem Meinungsforscher traf. Sein Strategieberater Gould war mehrmals pro Woche in Kontakt mit dem Regierungschef. Die Ministerien nutzten weitere quantitative und qualitative Umfragen, um die öffentliche Meinung zu erspüren.35 Alle diese Maßnahmen mit Blick auf die öffentliche Wirkung trugen dazu bei, dass die erste Phase der Regierung Blair (Mai 1997 bis Ende 1998) als außergewöhnlich langer honeymoon charakterisiert werden kann. Den Politikvermittlungsexperten gelang es oft, ihr Ziel zu verwirklichen, die Medienagenda mit ihren Themen zu dominieren.36 Campbells Vergangenheit als Boulevardjournalist wirkte stilbildend auf die gesamte Regierungs-PR: „[T]he dominant tone is set by Campbell and his allies: centralised, picture-driven and presentational, rather than concerned to dot the i’s of policy details. Its instincts are tabloid in tone.“37 Das beste Beispiel für diese Tendenz, diffuse Volksstimmungen zu erspüren und zu nutzen, war die schnelle Reaktion auf den Unfalltod Prinzessin Dianas im August 1997. Blair gelang es in seinem ersten Statement am frühen Morgen, mit eilig besorgter schwarzer Krawatte wie ein Trauerredner gekleidet, meisterhaft seine Rolle als Regierungschef mit emotionaler Volksnähe zu verknüpfen.38 Seine Erklärung endete mit den Worten: „She was […] the People’s Princess and that is […] how she will remain in our hearts and our memories forever.“39 Das Wort von der „People’s Princess” hatte Campbell geprägt, es dominierte in den Folgetagen die Überschriften der Presse – das zeigte sein Können im Erfinden griffiger Schlagworte. Die Königsfamilie wurde vom Volkszorn über ihre kühle Reaktion überrascht, während Blairs Beratern die Mechanismen der Boulevardpresse ver-
33
Vgl. Blick, Dark, S. 265 und 269; Draper, Hundred, S. 22 und Rawnsley, Servants, S. 22-27. Vgl. Draper, Hundred, S. 183f. Für eine Übersicht der Runden s. Becker, Produkt, S. 880-882. 35 Vgl. Kavanagh, Powers, S. 267 und Patrick Seyd: The Labour Campaign. In: Pippa Norris (Hrsg.): Britain Votes 2001. Oxford u.a. 2001, S. 43-59, hier S. 43. Im Folgenden zitiert als: Seyd, Labour. 36 Vgl. Becker, Produkt, S. 872 und Scammell, Media, S. 512. 37 Michael White: In the frame. In: The Guardian vom 7. Juli 1997, o.S. Zit.n. Foley, Presidency, S. 189. 38 Vgl. Rawnsley, Servants, S. 60-62 und Robert Worcester/Roger Mortimore: Explaining Labour’s Second Landslide. London 2001, S. 19f. Im Folgenden zitiert als: Worcester, Second. 39 TV-Statement Blairs in Sedgefield am 31. August 2006, zit. nach Rawnsley, Servants, S. 62. 34
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traut waren. Blair und Campbell gelang es, Königin Elisabeth II. zu Zugeständnissen zu bewegen und den Ansehensverlust der Windsors zu stoppen.40 Blair machte sein Amt zur Schaltzentrale der Regierungsarbeit und machte Ministern eindeutige politische Vorgaben. Allerdings stellte Brown einen mächtigen Gegenpol dar – als Sonnenkönig konnte sich Blair nur außerhalb der Ökonomie gebärden. Das Kabinett war kaum noch Ort längerer politischer Diskussionen. Entscheidungen und Absprachen traf Blair im Gespräch mit einzelnen Ministern in seinem Büro. Dafür bürgerte sich der Begriff des sofa government ein.41 Nirgends zeigte sich die Kommandogewalt der Regierungszentrale so deutlich wie in der Informationspolitik. Campbell übte ein straffes Regiment über die gesamte Regierung aus. Ministern und Beamten war klar, dass er mit der ihm verliehenen Autorität des Premiers sprach. Er scheute im Einzelfall nicht davor zurück, selbst Ministern direkte Rügen zu erteilen. Er war der erste Regierungssprecher in der Geschichte, der regelmäßig an Kabinettssitzungen teilnahm. Zudem war er bei wichtigen Absprachen Blairs mit seinen Ministern präsent. Dies diente nicht nur seiner besseren Information, sondern auch der Abschreckung für Minister, keine langen Debatten anzuzetteln und nichts nach außen durchsickern zu lassen.42 Seine Macht leitete sich nicht nur aus der Nähe zu Blair ab, sondern auch aus den neuen Verhaltensregeln für Minister: “In order to ensure the effective presentation of Government policy, all major interviews and media appearances, both print and broadcast, should be agreed with the No.10 Press Office before any commitments are entered into. The policy content of all major speeches, press releases and new policy initiatives should be cleared in good time with the No.10 Private Office; the timing and form of announcements should be cleared with the No.10 Press Office. Each Department should keep a record of media contacts by both Ministers and officials.” 43
In der Realität funktionierte diese Anweisung nur in den ersten Monaten. Starke, selbstbewusste Kabinettsmitglieder wie Bildungsminister David Blunkett ignorierten sie von Anfang an. Spätestens 1999 war das Kontrollregime unter der Belastungen des Regierungsalltags und der traditionellen Ressortverantwortung zusammengebrochen. Das Grundprinzip, dass das Amt des Premierministers die Informationspolitik der Regierung eindeutig führt, war jedoch damit verankert.44 Campbells Entschlossenheit, die Medienarbeit der Regierung ähnlich der erfolgreichen Oppositionsstrategie zu gestalten, bekamen besonders die Beamten in den Presseabteilungen im Regierungsviertel Whitehall zu spüren.45 Im September 1997 gab er den Leitern der Pressestellen in einem Memorandum zu verstehen, sie müssten professioneller und aggressiver agieren:
40
Vgl. Rawnsley, Servants, S. 63-69. Später, im Jahr 2006, wurde diese Zeit auch in einem erfolgreichen britischen Film verewigt: The Queen mit Helen Mirren in der Hauptrolle. Vgl. Hennessy, Rulers; Riddell, Prime, S. 22-29 und William E. Paterson: Darstellungspolitik in einer parlamentarischen Demokratie – Das Westminster-Modell im Medienzeitalter. In: Karl-Rudolf Korte/Gerhard Hirscher (Hrsg.): Darstellungspolitik oder Entscheidungspolitik? Über den Wandel von Politikstilen in westlichen Demokratien. München 2000, S. 146-156, hier S. 150. 42 Vgl. Oborne, Campbell, S. 151-173; Blick, Dark, S. 286; Rawnsley, Servants, S. 53 und Kavanagh, Powers, S. 256. 43 §88 des Ministerial Code von 1997, zit. nach Moutfield Report, S. 7. 44 Vgl. Becker, Großbritannien, S. 280; Riddell, Prime, S. 29; David Blunkett: The Blunkett Tapes. My Life in the Bear Pit. London, New York, Berlin 2006, S. 12 und 166. Im Folgenden zitiert als: Blunkett, Tapes. 45 Vgl. Jones, Sultans, S. 65. 41
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4 Die Kommunikationsstile der Regierungen Blair und Schröder „Media handling needs to be built into the decision making process at the earliest possible stage. […] There is insufficient attention to advance publicity – the briefing of editors, feature writers and others before and after. […] We should always be ahead of the game. We should always know how big stories will be playing in the next day’s papers. This requires a combination of judgement and telephone legwork, but it is a vital early warning system. Defend your headlines. Sell your story, and if you disagree with what is being written, argue your case.”46
Ein Ministerium konnte Campbell nicht der Inaktivität zeihen: Vor Schatzkanzler Browns erstem Haushalt im Juni 1997 waren die Zeitungen voll mit Informationen über die Finanzpläne, während selbst Blair noch im Dunkeln tappte. Browns Sonderberater Whelan und Balls hatten die Presse nach allen Regeln der Kunst mit Exklusivem versorgt: Testballons, Erwartungsmanagement, Fakten schaffen, ohne die Betroffenen zu konsultieren – all dies ließ sich vor Browns Rede in den Medien finden. Die Beamten fühlten sich ausgeschlossen, Brown verließ sich auf seine Berater-Kamarilla. Sonderberater Whelan war nun der wichtigste Bezugspunkt für die Presse im Ministerium, weil er im Gegensatz zur Pressestelle engen Kontakt zu seinem Minister hatte – ein Zustand, der sich zu dieser Zeit in vielen Ressorts abzeichnete.47 Die Leiterin der Pressestelle des Schatzamtes, Jill Rutter, verließ daraufhin ihren Posten im Sommer 1997. Sie war eines der ersten Opfer der bisher beispiellosen Serie an Personalwechseln. Ende 1999 waren nur noch zwei der 17 vor 1997 ernannten Chefs der Pressestellen der Ministerien im Amt, 2001 kein einziger mehr. Die neuen Leiter waren oft externe Kandidaten, die nicht den herkömmlichen Karriereweg der Beamten gegangen waren, häufig Journalisten. Damit war es Campbell gelungen, die Pressestellen von oben zu modernisieren – Kritiker sprachen eher von einem Gefügigmachen und einer Politisierung der vormals streng neutralen Referate. 2003 zeigte sich, dass einzelne Labour-Anhänger Leitungsposten in den Pressestellen erklommen hatten.48 Im November 1997 hatte der Permanent Secretary im Cabinet Office, Robin Mountfield, zusammen mit Beamtenkollegen, Campbell und anderen Sonderberatern einen Bericht zur Reform des GIS erstellt. Der Mountfield Report enthielt alle wesentlichen Wünsche Campbells zur Umgestaltung des amtlichen PR-Apparats. Er sanktionierte viele der Techniken New Labours, z.B. die Weitergabe von Vorab-Informationen zu kommenden Verlautbarungen. Zur besseren Information aller Regierungsmitglieder und Sprecher über Medieninhalte wurde eine Media Monitoring Unit (MMU) eingerichtet, die 24 Stunden arbeitet. Zudem wurde eine Strategic Communication Unit (SCU) geschaffen. Diese sollte auf die Einheitlichkeit aller Inhalte der Regierungskommunikation hinwirken, Kernbotschaften entwickeln und mit den Ministerien koordinieren. Die SCU wurde in Number 10 angesiedelt, sowohl mit Beamten als auch Sonderberatern besetzt und stand unter Kontrolle des Chief Press Secretary. Die tägliche Lobby-Pressekonferenz sollte ihren streng geheimen Charakter verlieren, der Regierungssprecher war nun als Prime Minister’s Official Spokesman zitierbar. Die Ministeriumssprecher wurden aufgefordert, möglichst on the record zu sprechen, um in der täglichen Flut an anonymen Zitaten in den Medien die offizielle Lesart der Regierung sichtbar zu machen. Der GIS wurde in Government Information
46
Campbell in einem Brief an die Leiter der Pressestellen im GIS am 26. September 1997, zit. nach Oborne, Campbell, S. 152f. 47 Vgl. Rawnsley, Servants, S. 46f. und Jones, Sultans, S. 79-83. 48 Vgl. Scammell, Media, S. 522 und Standards, 9th Report, S. 57f.
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and Communication Service (GICS) umbenannt.49 Dessen Leiter Mike Grannatt sollte in den kommenden Jahren deutlich im Schatten Campbells stehen. Die SCU, zunächst unter Leitung des Beamten James Humphreys, entwickelte sich schnell zum unverzichtbaren Herzstück der Kommunikationsplanung. Für die neue Abteilung wurden leitende Journalisten abgeworben, z.B. David Bradshaw, Campbells früherer Stellvertreter als Politikchef bei The Mirror. Parallel entstand in jedem Ministerium eine Strategic Planning Unit, die sich in Ergänzung zur Pressestelle um langfristige Kommunikationsfragen kümmert. Als Untereinheit der SCU gesellte sich 1999 in der Downing Street die Research and Information Unit hinzu, die unter Leitung des Ex-BBC-Journalisten Bill Bush eine verbesserte Version der Wahlkampf-Datenbank Excalibur schuf. Das neue Computersystem enthielt Sprachregelungen für zahlreiche politische Themen, ein Archiv der Pressemitteilungen sowie Zitate, Fakten und Statistiken zur Begründung der Regierungspolitik. Mit dieser Datenbasis war der Regierung rebuttal und prebuttal wie zuvor im Wahlkampf möglich.50 Die neu rekrutierten Sonderberater und offiziellen Sprecher für die PRArbeit der Regierung waren nach Angaben des Medienwissenschaftlers Bob Franklin zum überwiegenden Teil frühere Journalisten.51 Als zentrales Instrument des news management erwies sich das von der SCU erstellte grid, eine Tabelle kommender Ereignisse und Bekanntmachungen der Regierung. Diese Übersicht bestimmte den Zeitpunkt öffentlichkeitswirksamer Initiativen, um ihnen maximale Aufmerksamkeit zu sichern. Sie stellte sicher, dass sich Premierminister und Ministerien nicht mit Nachrichten gegenseitig Konkurrenz machen. Eingeplant waren auch externe Ereignisse wie internationale Gipfeltreffen oder Sportwettkämpfe.52 Ereignisplanung ist für Regierung und Medien nichts Neues, jedoch war bemerkenswert, wie professionell das grid gepflegt wurde und dass sich die Regierungszentrale selbst wie eine Redaktion gebärdete. Oborne/Walters drucken in ihrer Campbell-Biografie das grid einer Woche im August 2003 ab. Unterteilt in main news, statistics, other government news, Europe und general, gleicht es einem redaktionellen Nachrichtenaufriss. Auffällig ist die Vorausplanung für die Schwerpunktwoche der Boulevardzeitung Sun zur Asylpolitik, die prominent verzeichnet ist und von einem Sun-Interview Innenminister Blunketts flankiert wurde. Neben UNOKonferenzen sind in der Zeile für äußere Ereignisse Fußballspiele und aufsehenerregende Gerichtsprozesse verzeichnet.53 Neben dem grid überwachte die SCU wichtige Bekanntmachungen ab 1999 mittels eines Planungsformulars, dass die Pressestellen der Ministerien ausfüllen mussten. Es fragte nach den Kernbotschaften des Ereignisses, dessen Einbettung in die Gesamtbotschaft der Regierung sowie Planungen für Vorberichterstattung, Bekanntgabe und Nachbereitung. Die SCU setzte auch die geübte Praxis fort, der Presse Artikel unter Blairs Namen anzubieten. Auch andere Minister traten als Autoren auf. Die SCU stand als ghostwriter bereit. In den ersten zwei Jahren der Regierung Blair erschienen mehr als 160 Artikel unter dem Namen des Premierministers. Er war damit nominell einer der eifrigsten britischen Kolumnisten. Dies verschaffte ihm 1999 die peinliche Ehrung als freier Journalist des Jahres (freelance of
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Vgl. Mountfield Report., S. 3-26. Vgl. Scammell, Media, S. 524f. und Kavanagh, Powers, S. 255. Vgl. Franklin, Packaging, S. 3. 52 Vgl. Scammell, Media, S. 524 und Gould, Unfinished, S. 335-337. 53 Vgl. Oborne, Campbell, S. 362. 50 51
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the year).54 Nach der Schaffung der neuen Abteilungen stellte sich die Organisationsstruktur des Amts des Premierministers 2000 so dar: Abbildung 4:
Organisation des Prime Minister's Office unter Blair (Stand: Februar 2000)55 Jonathan Powell (SpAd) Chief of Staff
Pat McFadden (SpAd) Deputy Chief of Staff POLICY UNIT David Milliband (SpAd) 9 Beamte, 11 Sonderberater SCU James Humphreys (SCS) 4 Beamte, 2 Sonderberater
PRESS OFFICE Alastair Campbell (SpAd) Chief Press Secretary Godric Smith (SCS) Deputy Press Secretary 8 Beamte, 4 Sonderberater R&I Bill Bush (SpAd) 5 Beamte, 2 Sonderberater
Jeremy Heywood (SCS) Principal Private Secretary PRIVATE OFFICE 7 Beamte, 2 Sonderberater
Weitere administrative Abteilungen
Blairs professionelle PR brachte ihm international Bewunderung ein. Als die NATOZentrale während des Kosovo-Kriegs im Frühjahr 1999 wegen ihrer teilweise unrichtigen Informationspolitik in die Kritik geriet, entsandte Blair Campbell mit zwei Mitarbeitern nach Brüssel. Campbells Rezept für die Krisenkommunikation der NATO-Pressestelle war ein Klon von Millbank und Number 10: rebuttal (Zurückschlagen bei unkorrekten Berichten), lines (Erstellen von soundbites für den NATO-Sprecher), talking heads (Beobachtung der Aussagen von Militärexperten in den Medien), article factory (Vorbereiten und Platzieren von Meinungsartikeln der NATO-Regierungschefs). Daneben führte die NATOPressestelle ein grid ein, um Pressekonferenzen und Statements der führenden Politiker der Mitgliedsstaaten einzuplanen. 56 Der NATO-Kommandeur General Wesley Clark war beeindruckt von Campbells Arbeit: „The right way to fight a propaganda offensive is not with more propaganda, it is to tell the truth […] and do it as rapidly as possible. But you need some smart people who can tell you what piece of the truth you are looking for.”57
54
Vgl. Franklin, Conversion, S. 91f. und 94 sowie Dominic Wring: The Politics of Marketing the Labour Party. Basingstoke 2005, S. 151. 55 Nach Paul Fawcett/Oonagh Gay: [Broschüre] The Centre of Government – No. 10, the Cabinet Office and HM Treasury. House of Commons Library Research Paper 05/92 vom 21. Dezember 2005. London 2005, S. 86. Im Folgenden zitiert als: Fawcett, Centre. Die Darstellung ist stark vereinfacht und nur auf unmittelbar kommunikationsrelevante Einrichtungen und Personen bezogen. Die Abkürzung „SpAd“ steht für Sonderberater, „SCS“ für Beamter. 56 Vgl. Rawnsley, Servants, S. 265f. und Nicholas Jones: The Control Freaks. How New Labour Gets Its Own Way. 2., aktualis. Aufl. London 2002, S. 208-211. Im Folgenden zitiert als: Jones, Freaks. 57 General Wesley Clark im BBC-TV-Magazin Correspondent am 16. Oktober 1999, zit. nach Jones, Freaks, S. 186. Kursivschreibung im Original nicht übernommen.
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Später wiederholte Campbell seine Kosovo-Strategie im Afghanistan-Krieg im Herbst 2001. Der Botschafter des afghanischen Taliban-Regimes in Islamabad, Abdul Zaeef, gab jeden Morgen in Pakistan eine Pressekonferenz – zu einer Zeit, als die europäischen Hauptstädte noch schliefen und die Amerikaner gerade zu Bett gingen. Damit dominierte er oft die weltweiten Informationssender und die Nachrichtenagenda für den Tag. Erneut drohte die westliche Allianz die internationale Medienschlacht zu verlieren. Campbell organisierte zusammen mit dem Weißen Haus die Gründung eines Coalition Information Center in Islamabad, London und Washington. Das neue Nachrichtenzentrum sollte zu jeder Tageszeit rund um den Erdball die Botschaften der westlichen Allianz verbreiten.58
4.1.4 Spin – ein Wort wird zum politischen Kampfbegriff Während das Ausland neugierig New Labours Medienmanagement bestaunte, wuchs in Großbritannien die Kritik. Im Oktober 1998 ereignete sich der erste Rücktritt eines Ministers in der Ära Blair. Der Minister für Wales, Ron Davies, war nachts in einer bekannten Homosexuellen-Gegend in London ausgeraubt worden, als er zu einem Fremden ins Auto stieg. Davies’ Aussagen gegenüber der Polizei waren widersprüchlich. Blair und seine Berater beschlossen, ihn zu entlassen. Campbell diktierte Davies sein Rücktrittsschreiben, das Campbells geschönte Version der Ereignisse enthielt. Blair ernannte sofort einen neuen Wales-Minister, um die Geschichte schnell aus dem Rampenlicht zu ziehen. Das schnelle Krisenmanagement stellte zunächst einen wohltuenden Kontrast zu den Dauerkrisen der Major-Jahre dar – umso mehr jedoch später bekannt wurde, desto größer wurde das Misstrauen. Es stellte sich heraus, dass die offizielle Darstellung, Blair habe nichts über die Polizeivernehmungen seines Ministers gewusst und Davies habe freiwillig seinen Rückzug angeboten, nicht stimmten. Das an sich achtbare Ziel, den in persönlichen Schwierigkeiten steckenden Davies vor der Skandalpresse zu schützen, erhöhte letztlich nur den Argwohn der Journalisten.59 Peter Mandelson brachte den Premier gleich zweimal in Schwierigkeiten. 1998 rückte Mandelson als Handelsminister ins Kabinett auf, damit er sich als kompetenter Staatsmann jenseits der Darstellungspolitik beweisen konnte. Im Dezember 1998 kam ans Licht, dass er einen Kredit über 373 000 Pfund nicht deklariert hatte. Das Geld stammte von dem Unternehmer und Finanz-Staatssekretär Geoffrey Robinson, dessen Geschäftsgebaren Mandelsons Ministerium gerade untersuchte. Ein Interessenkonflikt war zumindest nicht auszuschließen. Einige Zeitungen reagierten mit Rücktrittsforderungen – die Reporter konnten sich nun für vergangene Auseinandersetzungen mit Mandelson rächen. Schließlich entschied Blair, Mandelson und Robinson zur Demission zu drängen. Erneut war es Campbell, der die Entlassungen exekutierte und die Rücktrittsbriefe entwarf, in denen es hieß, Mandelson sei in Sorge um die Reputation der Regierung freiwillig gegangen.60 Die Affäre war damit nicht beendet. Schnell kam der Verdacht auf, Browns Sonderberater Whelan habe einen Journalisten über das zweifelhafte Darlehen informiert, um den Blair-treuen Rivalen Mandelson zu stürzen. Nachdem es Blair monatelang nicht gelungen war, die Konkurrenz in der Außendarstellung der Regierung aufzulösen, setzte sich er sich 58
Vgl. Oborne, Campbell, S. 279f. Vgl. Rawnsley, Servants, S. 243-251 und Oborne, Campbell, S. 163f. 60 Vgl. Seldon, Blair, S. 165-167. 59
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nun durch: Whelan gab Anfang Januar 1999 sein Amt als Browns Sprachrohr ab. Dies nahm in den Medien mehr Platz ein als die historische Euro-Einführung in zwölf EUStaaten zur selben Zeit. Whelan schrieb in seiner Rücktrittserklärung, er sei selbst zum Objekt der Berichterstattung geworden und könne deshalb als PR-Mann nicht mehr sinnvoll arbeiten. Dieses Problem sollte sich bald zum Charakteristikum der Pressearbeit New Labours entwickeln. Für den Moment war aber Campbell unbeschränkter Herrscher der Informationspolitik der Blair-Regierung: Seine Rivalen waren verschwunden, sein Verhältnis zu Blair war durch alle Krisen enger geworden.61 Nur zehn Monate nach der Darlehen-Affäre holte Blair Mandelson als NordirlandMinister zurück ins Kabinett. Im Januar 2001 wurde Mandelson vorgeworfen, beim Innenministerium für zwei indische Millionäre, die Hinduja-Brüder, vorgesprochen zu haben, um ihre Einbürgerung in Großbritannien zu beschleunigen. Als dies publik wurde, spielte Mandelson seine persönliche Einflussnahme herunter. Campbell spitzte diese Aussage in der Lobby zur Versicherung zu, Mandelson habe nie selbst für die Hindujas gebürgt. Als das Innenministerium verlauten ließ, Mandelson habe sehr wohl persönlich eingegriffen, stand der Vorwurf im Raum, die Öffentlichkeit sei belogen worden. Unter dem Druck eines äußerst negativen Presseechos und trotz der Unsicherheit, ob Mandelson wirklich substanzielle Fehler begangen hatte, entließ Blair nur drei Tage nach der ersten Veröffentlichung der Vorwürfe Mandelson erneut. Campbell galt als wesentlicher Faktor in dieser Entscheidung, da er Mandelson Wahrhaftigkeit bezweifelte. Dieser verteidigte sich anschließend mithilfe anonym gestreuter Zitate in der Presse. Die Architekten von Labours PRMaschinerie richteten nun für einige Tage ihr Trickarsenal gegeneinander.62 Ab 1999 häuften sich die Klagen, New Labour sei süchtig nach news management. Das Streben, täglich eine gute Presse und ein positives Image zu erhalten, traf auf Verachtung durch die Medien.63 Die Journalisten fokussierten sich in ihren Berichten oft auf die Informationspolitik der Regierung: „Spin-watching […] has spread to the mainstream and become the uniquely defining feature of press coverage of New Labour.“64 Zunehmend wehrten sich jene Reporter, die sich von Campbell ausgeschlossen fühlten, gegen seine Arbeit. Oppositionsparteien und Kritiker aus den eigenen Reihen warfen der Regierung vor, bei ihr herrsche Verpackung statt Inhalt. Ihr komme es auf das Image und nicht darauf an, echte Probleme zu lösen. Sie regiere per Fototermin und Spin.65 Schatzkanzler Brown hatte 1997 den Haushalt der Vorgängerregierung übernommen. Erst ab 1999 flossen mehr Mittel in die öffentliche Infrastruktur. Bevor die Ausgaben wirken konnten, behalf sich die Regierung damit, die Geldsummen anzupreisen, als ob dies schon fühlbare Verbesserungen für die Bürger bringen würde. Teilweise wurden neue Investitionsprogramme mehrfach bekannt gegeben. Gravierend war auch die Anklage, die PR-Maßnahmen würden die verfassungsmäßige Rolle der Legislative unterminieren. Repräsentanten des Unterhauses beschwerten sich ab 1997 mehrfach bei der Regierung, sie verletze die Konvention, wichtige Bekanntmachungen zuerst im Parlament vorzunehmen. Wichtige Initiativen der Blair61
Vg. Rawnsley, Servants, S. 291f.; Jones, Sultans, S. 273-277; Jones, Freaks, S. 239f. und Oborne, Campbell, S. 230-232. 62 Vgl. Oborne, Campbell, S. 259-266; Rawnsley, Servants, S. 433-462; Jones, Freaks, S. 244-270 und David Butler/Dennis Kavanagh: The British General Election of 2001. Basingstoke, New York 2002, S. 7f. Im Folgenden zitiert als: Butler, 2001 63 Vgl. Becker, Produkt, S. 873. 64 Scammell, Media, S. 515. 65 Vgl. ebd., S. 511; Foley, Presidency, S. 197f. und Barnett, Tales, S. viii.
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Regierung wurden oft über Vorberichterstattung und Fototermine in Schulen und Krankenhäusern publikumswirksam gemacht, bevor sie im Unterhaus vorgestellt wurden.66 Auch der Vorwurf der Politisierung der Regierungsinstitutionen erhielt immer neue Nahrung. Die Verhaltensregeln erlaubten es Sonderberatern, parteipolitische Erklärungen abzugeben. Offene Wahlwerbung und persönliche Angriffe auf Gegner waren angesichts ihrer Bezahlung aus Staatsmitteln aber verboten. Campbell, sein Stellvertreter Lance Price und ihre Mitarbeiter überschritten diese Grenze mindestens zweimal: Vor der Wahl des Londoner Oberbürgermeisters 2000 setzten sie alles daran, den Parteilinken Ken Livingstone als Kandidaten zu verhindern. Campbells Pressestelle führte eine gezielte Kampagne gegen den Politiker, der schließlich die Wahl als Parteiloser gewann. Zudem halfen Campbell und Price beim Fraktionswechsel des konservativen Abgeordneten Shaun Woodward zu Labour und verzögerten die Bekanntgabe des Überlaufens, um den Konservativen maximalen Imageschaden zuzufügen. Campbell bestritt, dass er gegen Livingstone vorgegangen sei und Verhaltensregeln übergangen habe. 67 2000 versuchte Campbell, die Spin-Saga durch größere Offenheit zu beenden. Der BBC-Dokumentarfilmer Michael Cockerell durfte die Arbeit der Pressestelle in Number 10 vier Monate lang verfolgen. Die Zuschauer konnten sehen, wie Campbell und seine Kollegen lines und message scripts für Gespräche mit Journalisten ausarbeiten und wie er in der Lobby Labours Wahlprogramm anpreist. Campbell erklärte in dem BBC-Film, seine Aufgabe sei es, der Stimme der Regierung Gehör zu verschaffen. Die Presse sei oft ein Hindernis dabei: Wenn der Premierminister eine Rede halte, sei in den Zeitungen kaum zu lesen, was er gesagt habe, sondern nur Interpretationen, garniert mit echten oder erfundenen anonymen Zitaten von Insidern. Kernszene der Dokumentation News from Number Ten ist der Moment, in dem Blair in das Büro seines Pressesekretärs hereinkommt, sichtlich überrascht von der laufenden Kamera, aber unfähig, Campbell Einhalt zu gebieten. Konfrontiert mit dem Vorwurf, er sei zu sehr mit seinem Medienimage beschäftigt, verteidigte Blair spontan seinen Regierungsstil: “[…] it’s just modern government now. […] it’s a 24-hour a day news media. […] if a story comes out that says something and […] you haven’t got the capacity to get on top and say ‘now, hang on, sorry, the facts are x and y’ […] and it is not as if these stories don’t take on a life of their own and then start running away in the far distance and the public think ‘oh my goodness, what on earth are they doing that for’, when you are not doing it at all. Yeah, it’s important to have the capacity to get on top of the news in so far as possible but it’s less important to us than […] people perceive it. […] But what is important to me is that it doesn’t disturb me from doing the things that are really important in the end, which are the things for the country […].”68
Zu ungefähr derselben Zeit, als Blair diese Worte sagte, schrieb er ein Memorandum an seine Berater, das einen anderen Eindruck nahelegt: Der Premier fürchtete darin, seine Regierung habe den Draht zu den Emotionen der Bevölkerung verloren. Er verlangte von seinen Mitarbeitern „eye catching initiatives […] tough with immediate bite […] it is im66
Vgl. Rawnsley, Servants, S. 38; Worcester, Second, S. 32 und Peter Riddell: Parliament under Blair. London 2000, S. 162. Im Folgenden zitiert als: Riddell, Parliament. 67 Vgl. Jones, Sultans, S. 221; Jones, Freaks, S. 101-113 und Price, Diary, S. 164-217. 68 Blair in der BBC-TV-Dokumentation News from Number Ten, ausgestrahlt am 15. Juli 2000. Siehe auch Michael Cockerell: Lifting the lid off spin. In: British Journalism Review 3/2000, S. 6-15. Im Folgenden zitiert als: Cockerell, Lid.
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portant I personally should be associated with as much of this as possible.“69 Tatsächlich verkündete der Premierminister wenig später in einer Rede, seine Regierung wolle stärker gegen Alkoholmissbrauch vorgehen. Stark angetrunkene Personen sollten mit einer sofort zu zahlenden Geldstrafe belegt werden. Dies erwies sich schnell als völlig impraktikabel. Dieser Missgriff und mehrere aufgetauchte Memos wie das oben erwähnte mehrten den Eindruck, die Labour-Regierung leide an einer Image-Obsession.70 Die durchgesickerten Memoranden gaben einen faszinierenden Einblick in Blairs Beraterzirkel. Auffällig ist der Jargon, wie Politik hier als Produkt behandelt, New Labour als Marke bezeichnet wird. Trotz einer weiterhin passablen Position in den Meinungsumfragen schien sich Panik darüber auszubreiten, dass die Regierung zunehmend ihre dominierende Position in der Medienagenda verlor.71 Die frühere Entwicklungshilfeministerin Clare Short beschrieb 2003 Blairs Regierungsstil so: „What you are going to say in the media leads to the policy, rather than careful analysis of the merits before a decision, then thinking of how to present it. It is all led by what is said in the media; that leads to this superficiality.”72
Im Frühjahr 2000 kamen Blair und Campbell zur Überzeugung, dass sie der Metaberichterstattung über Spin Doctoring nur Herr werden würden, wenn sie ihre proaktiven Techniken zurückfahren. Im Mai 2000 erklärte Campbell, die Regierung sei zu häufig mit dem Presseecho beschäftigt gewesen, statt sich mit realen Wirkungen politischer Konzepte zu beschäftigen. Sie habe zu viele Initiativen in Bewegung gesetzt und Maßnahmen mehrmals bekannt gegeben, um wiederholte Berichterstattung auszulösen. Er selbst sei in eine Situation geraten, in der er nur noch mit den Journalisten gekämpft habe. Blair ließ verlauten, der Ruf der Medienmanipulation mache ihm Sorge; er wolle deshalb nicht mehr um jede Schlagzeile kämpfen. Auf Wunsch Blairs zog sich Campbell von den meisten der täglichen Lobby Briefings zurück. Zwei- bis dreimal pro Woche trat er noch zur Pressekonferenz an, ansonsten übernahm dies sein Stellvertreter, der Beamte Godric Smith, dessen überparteilicher Status verlorene Glaubwürdigkeit wiederbringen sollte. Die Vorab-Vergabe exklusiver Auszüge aus Reden und Verlautbarungen sollte eingeschränkt werden.73 Doch die Metaberichterstattung blieb Labour erhalten. Campbell verschwand nicht aus der Presse. Vor und nach der Unterhauswahl 2001 machte seine Rolle beim Zuschanzen des Wahltermins als Exklusivgeschichte an The Sun Furore. Wegen einer Tierseuchenepidemie in England war der Urnengang verschoben worden. Blairs Berater bezogen die Zeitung in den Terminfindungsprozess ein, um zu verhindern, dass sie Labour die Unterstützung we69
Blair in einem Schreiben vom 29. April 2000, zit. nach Michael Cockerell: An Inside View on Blair’s Number 10. In: Anthony Seldon (Hrsg.): The Blair Effect. The Blair Government 1997-2001. London 2001, S. 571-579, hier S. 571. Im Folgenden zitiert als: Cockerell, Inside. 70 Vgl. Stefan Klein: Halbzeit der Regierung Blair. Sonnenkönig im Regen. In: Süddeutsche Zeitung vom 12. Juli 2000, S. 8. Im Folgenden zitiert als: Klein, Sonnenkönig. 71 Vgl. Rawnsley, Servants, S. 377-380; Becker, Produkt, S. 875-877 und 883f.; Worcester, Second, S. 51-56 und Stephens, Pollsters. 72 Clare Short zit. nach Andrew Grice: Clare Short. Former Secretary of State for International Development. Spin is not just Campbell’s creation: ‘It is Tony’s way of doing it’. In: The Independent vom 28. Juli 2003, S. 10. Im Folgenden zitiert als: Grice, Short. 73 Vgl. Jones, Freaks, S. 202-204; Rawnsley, Servants, S. 381 und Tom Baldwin: I spun too much repents Campbell. In: The Times vom 09. Mai 2002, S. 1. Siehe auch Alastair Campbell: It's time to bury spin. In: British Journalism Review 4/2002, S. 15-23. Im Folgenden zitiert als: Campbell, Bury.
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gen des Datumswechsels entzieht. Die Journalisten waren zuweilen besser informiert als einige Minister. Die Bevorzugung der Sun sorgte für Verärgerung bei den anderen Redaktionen, die keine exklusiven Hinweise bekommen hatten.74 Nach der Wahl 2001 wurde das Amt des Premierministers neu organisiert, um Campbell eine veränderte Funktion zuzuweisen. Es stand nun auf drei Säulen: Blairs Sekretariat und die Politikplanung verschmolzen zum Policy & Government Directorate, die Abteilung für Government & Political Relations betrieb Beziehungspflege mit Partei und Öffentlichkeit. Für Campbell wurde die Stelle des Director of Communication and Strategy kreiert. Ihm unterstand nun ganz offiziell der Kommunikations- und Koordinationsapparat der Downing Street. Die Leitung der Pressestelle und die Lobby Briefings übernahmen unter Campbells Oberaufsicht die Beamten Godric Smith und Tom Kelly. Außerdem fielen SCU und Research & Information Unit in Campbells Abteilung. Ziel war es, ihn als Blairs Berater zu halten, aber aus der öffentlichen Wahrnehmung herauszuziehen.75 Die Regierung war bestrebt, ihre Reputation für aggressives Medienmanagement abzuschütteln. Der NewLabour-Theoretiker Lord Giddens wertete 2001 in seiner Bilanz der ersten Amtszeit der Blair-Regierung ihre Kommunikation als Misserfolg: “Active media management originally was widely thought to be one of New Labour’s strong points. But the whole approach not only rebounded, it severely damaged Labour’s image in ways from which it has proved difficult to recover. New Labour became thought of as empty of content, as lacking in substantive policies – a perception far from reality.“76
Auch Mandelson meldete sich mit der Besorgnis zu Wort, der Regierung werde oft nicht mehr geglaubt, da ihr das Image anhafte, von Spin abhängig zu sein, zu lügen oder die Wahrheit zu unterdrücken. Die professionellen PR-Techniken seien in übereifrige Hände gefallen. Die vorbereitende und wiederholte Bekanntgabe ein und derselben Initiative nähre nur die Skepsis der Medien und Öffentlichkeit. Die politischen Erfolge der LabourRegierung müssten nun für sich selbst sprechen.77 Doch die Absicht, Blairs zweite Amtszeit für eine innenpolitische Agenda der Verbesserung öffentlicher Dienste zu nutzen, wurde durch die Terroranschläge in den USA am 11. September 2001 Makulatur. Von nun an trat Blair als engster Verbündeter der Amerikaner und einer der wichtigsten weltweiten Repräsentanten der von den USA geführten Koalition gegen den Terror auf.78 Dies brachte Labour auch neue Vorwürfe der Medienmanipulation ein. Am 11. September 2001, nur eine Stunde, nachdem zwei Flugzeuge das World Trade Center in New York getroffen hatten, bekamen die Beamten in der Pressestelle des Londoner Ministeriums für Verkehr und Regionalpolitik eine E-Mail. Sie stammte von Jo Moore, der Sonderberaterin des Ministers Stephen Byers, und hatte den Kernsatz „it’s now a very good day to get
74
Vgl. Price, Diary, S. 309-318; Butler, 2001, S. 81f.; Oborne, Campbell, S. 266-268 und Jones, 2001, S. 3-25. Vgl. auch Andrew Grice: How election decision was made … and leaked. In: The Independent vom 2. April 2001, S. 3 und James Hardy [Internet, 2001]: A spin too far. Online im Internet: AVL: URL: http://www.mirror.icnetwork.co.uk/news/allnews/page.cfm?objectid=1138621%method=full (25.10.2001). 75 Vgl. Fawcett, Centre, S. 87 und Seldon, Blair, S. 306. 76 Anthony Giddens: Where Now for New Labour? Cambridge u.a. 2001, S. 28. 77 Vgl. Peter Mandelson: The Blair Revolution Revisited. 2. Aufl. London 2002, S. xliii-xlv. Im Folgenden zitiert als: Mandelson, Revisited. 78 Vgl. Raymond Kuhn: Media management. In: Anthony Seldon/Dennis Kavanagh (Hrsg.): The Blair Effect 2001-5. Cambridge, New York 2005, S. 94-111, hier S. 106. Im Folgenden zitiert als: Kuhn, Management.
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out anything we want to bury“79. Diese E-Mail wurde einen Monat später in der Presse publiziert. Das von Moore verlangte Platzieren unangenehmer Mitteilungen an einem ereignisreichen Tag ist eine uralte PR-Technik. Ihr Zynismus angesichts der Geschehnisse in den USA sorgte aber für Abscheu. Zudem hatte sie als Sonderberaterin (im Gegensatz zu Campbell) keine Weisungskompetenz für das Pressereferat. Sie hatte sich diese einfach angeeignet. Moore musste sich öffentlich entschuldigen, blieb aber trotz Rücktrittsforderungen im Amt.80 Um einen Neuanfang zu markieren, übernahm der Ex-BBC-Reporter Martin Sixsmith die Leitung der Pressestelle – einer jener Journalisten, die in den Beamtenapparat aufgenommen wurden, um die Medienarbeit zu professionalisieren. Doch er konnte den schwelenden Kleinkrieg zwischen seinen Mitarbeitern und Moore nicht eindämmen: Undichte Stellen im Beamtenapparat versuchten weiter, Moore durch Weitergabe von Informationen an die Presse zu untergraben. Schließlich entließ das Ministerium sowohl Moore als auch Sixsmith. Die Auseinandersetzungen gingen jedoch weiter, als Sixsmith erklärte, seine Kündigung sei ohne sein Wissen erfolgt. Erst im Mai 2002 endete das Drama um die Informationspolitik des Ministeriums: Ressortchef Byers trat zurück. Der Druck der ständigen Medienattacken auf ihn war untragbar geworden. Blair löste das Ministerium auf. 81 Damit war eine reine Frage der Präsentation zum handfesten politischen Skandal geworden. Alle Beteiligten – der Minister, sein Spin Doctor und sein offizieller Sprecher, schließlich die Behörde an sich – fielen ihm zum Opfer. Zwar schienen die Auseinandersetzungen zwischen Jo Moore und dem Beamtenapparat ein spektakulärer Einzelfall zu sein, doch die Rolle der Sonderberater in der Medienarbeit war zweifellos prekär. Es war nicht genau geregelt, ob ihr Aufgabenbereich die Darstellungspolitik einbezieht und welche Grundsätze für Kontakte mit Journalisten galten. Das war umso misslicher, als dass ihre Zahl in Whitehall stieg: Tabelle 3: Zahl und Besoldung der Sonderberater 1994/95 bis 2005/0682 Finanzjahr 94/95 95/96 96/97 97/98 98/99 99/00 79
Zahl der special advisers No 10 MinisInsgeterien samt 6 28 34 8 30 38 8 30 38 18 52 70 25 49 74 26 52 78
Finanzjahr 00/01 01/02 02/03 03/04 04/05 05/06
Zahl der special advisers No 10 MinisInsgeterien samt 25 54 79 26 55 81 27 43 70 26 46 72 28 56 84 24 54 78
Jo Moore, zit. nach Franklin, Packaging, S. 3. Vgl. House of Commons Select Committee on Public Administration: „These Unfortunate Events“: Lessons of Recent Evens at the Former DTLR. Eighth Report of Session 2001-02. London 2002, S. 8-10. Im Folgenden zitiert als: PASC, Unfortunate. Ein Mitarbeiter einer Ministeriums-Pressestelle unter den Konservativen bekannte, dass nach dem Massaker in einem Kindergarten in einem Kindergarten im schottischen Dunblane 1995 eine ganz ähnliche Order bekommen hatte (vgl. Franklin, Packaging, S. 3). 81 Vgl. ebd., S. 8-13; Kuhn, Management, S. 106f. und Jones, Freaks, S. 284-335. 82 Quelle: Oonagh Gay/Paul Fawcett: Special advisers. House of Commons Library Standard Note SN/PC/3813 vom 21. November 2005. London 2005, S. 8. Im Folgenden zitiert als: Gay, Special. 80
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Das Schlaglicht der Medien blieb auch nach 2002 gnadenlos auf der Informationspolitik der Blair-Regierung und Zweifeln über ihre Redlichkeit. Neben den Druck durch v.a. rechtslastige Boulevardzeitungen, aber auch BBC und enttäuschte linke Presseorgane wie The Mirror trat die Sorge politischer Aufsichtsorgane um ethische Standards. Das Committee on Standards in Public Life, ein überparteilicher Ethikrat, schlug 2003 in einem Bericht zu Beamtentum und Sonderberatern vor, die Rolle beider in einem Gesetz klar zu definieren, um Konflikte wie den im Byers-Ministerium zu vermeiden. Zudem solle die Zahl der Sonderberater beschränkt werden. Die Regierung lehnte dies ab. 2005 änderte der königliche Geheimrat auf Wunsch der Regierung die Aufgabenbeschreibung für Sonderberater. Nun war de jure festgeschrieben, was schon lange de facto galt: dass Sonderberater für die Informationspolitik eingesetzt werden dürfen. 83 Die häufig zu hörende Forderung, Sonderberater sollten sich ganz aus der Medienarbeit zurückziehen84, erschien selbst dem Standards Committee als nicht umsetzbar. Eine klare Trennlinie zwischen Pressearbeit und politischer Beratung lasse sich nicht ziehen.85 Die durchgängige Verzahnung von konzeptioneller Arbeit und Präsentation war ohnehin von Anfang an ein Kernanliegen Blairs und Campbells. Dies rief Kritiker auf den Plan, die einen übergroßen Einfluss der Darstellungs- auf die Entscheidungspolitik vermuteten. Blairs Amtsvorgänger Major veröffentlichte 2003 eine vernichtende Philippika auf den Regierungsstils New Labours: “When style and substance intermingle in politics, substance must predominate […] New Labour’s obsession with spin, with style, with perception, has given it great presentational successes. But our political system has paid a high price […] Slick presentation has proved to be the forerunner of distrust.”86
Die Informationspolitik der Regierung sei so moralisch verkommen wie nie zuvor, sie richte sich gegen jegliche Gegner, auch in den eigenen Reihen. Nun glaube die Mehrheit der Wähler nicht einmal Campbells Versicherungen, er wolle seine Spin-Maschinerie zurückfahren, so Major: „Spin is the pornography of politics.“87 Die Kritik traf v.a. die Vertrauten Blairs und die ministeriellen Sonderberater. Mandelson blieb durch alle Aufs und Abs seiner Karriere ein wichtiger persönlicher Berater Blairs. Er half dem Premier bei der kommunikativen Bewältigung vieler Krisen und bezeichnete sich noch 2003, bevor er als EUKommissar nach Brüssel wechselte, als Blairs makropolitischer Planer. Auch verschiedene Minister Blairs (z.B. Blunkett) waren für ein enges Arbeitsverhältnis zu ihren Sonderberatern bekannt, sowohl was Fachpolitik als auch Präsentation angeht. 88 Campbells Rolle blieb aber immer besonders exponiert: Oborne/Walters porträtieren ihn als Vizepremier ohne 83
Vgl. Standards, 9th Report, S. 2-4 und House of Commons Select Committee on Public Administration: Third Report. Special Advisers: Boon or Bane: The Government Response to the Committee’s Fourth Report of Session 2000-01. London 2001, S. v-xxv. Vgl. ebenso Gay, Special, S. 2 und 9-11. 84 So u.a. aufgestellt vom Speaker des Unterhauses, Michael Martin, der 2003 Spin Doctors als Landplage bezeichnete (vgl. Michael White/Vince Moss [Internet, 2003]: Speaker lays into spin doctors as a ,nuisance’. Online im Internet: AVL: URL: http://politics.guardian.co.uk/Print/0,3858,4575418,00.htm (02.01.2003)). 85 Standards, 9th Report, S. 45f. 86 John Major: The Erosion of Parliamentary Government. London 2003, S. v. 87 Ebd., S. 12. 88 Vgl. Patrick Wintour [Internet, 2003]: Mandelson at 50 takes on role as sage. Online im Internet: AVL: URL: http://politics.guardian.co.uk/Print/0,3858,4779602-107979,00.html (22.10.2003) sowie Blick, Dark, S. 259- 269; Blunkett, Tapes, S. 713 und 736f.; Riddell, Prime, S. 35 und Scammell, Media, S. 519.
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Titel, als wichtigsten Vertrauten Blairs fürs gesamte politische Geschäft: „Campbell was not just a messenger; he shaped the message. And he shaped the policy that shaped the message.”89 Manche Insider beschrieben ihn als mächtiger als manchen Minister: Bei schwierigen Entscheidungen wende sich Blair immer zuerst an Campbell.90 Trotzdem – der Einfluss Campbells auf Blairs politischen Kurs sollte nicht überschätzt werden. Selbst Oborne/Walters beschreiben Beispiele klarer ideologischer Differenzen zwischen Blair und seinem PR-Strategen. Am deutlichsten wird das in der Bildungspolitik: Blair favorisierte Wettbewerb und Teilprivatisierungen, Campbell trat für staatliche Gesamtschulen ein. Auch über die Europapolitik und die Irak-Strategie gab es Meinungsverschiedenheiten.91 Campbell sei bewusst von sachlichen Weichenstellungen ferngehalten worden, berichtet Scammell. Er verfüge über keine eigene Machtbasis in der Labour Party und habe vollkommen von Blairs Schicksal und Wohlwollen abgehangen.92 Campbell selbst definierte sich als ausführendes Organ des Premiers.93 Es sei unwahr, dass er politische Entscheidungen manipuliert habe: „I talked to him [Blair] a lot, but presentation did not lead him to doing anything he wouldn’t have done anyway.”94 Die wohl ausgewogenste Einschätzung zur Macht Campbells liefert Seldons Blair-Biografie: “The real significance of Campbell’s policy role is less that he changed Blair’s thinking on key decisions, but rather that with Blair spending so much of his finite time with Campbell, less time could be devoted to his policy staff. […] Instead of thinking bottom-up, he [Blair] thought top(i.e., headlines) down, with predictable results on long-term consistency.”95
Der Premier sei mit einem Gemisch verschiedener Prinzipien statt einem durchdachten Konzept angetreten. Er habe über exzellente politische Berater verfügt, Campbells Anwesenheit habe ihn aber zu kurzsichtigem Denken und Orientierung am medialen Erfolg verführt. Erst 2001/02 habe sich eine klarere ideologische Agenda abgezeichnet.96
4.1.5 Die Kontroverse um die Irak-Dossiers Ein Grundsatz der Blair-Agenda war das enge Verhältnis zu den USA. Dies wurde mit dem 11. September 2001 zum dominierenden Imperativ seiner Außenpolitik. Unmittelbar nach den Anschlägen publizierte die britische Regierung ein Dossier, das die Täterschaft des islamistischen Terrornetzwerks El Kaida nachweisen sollte und als Rechtfertigung für den Angriff auf Afghanistan im Oktober 2001 gelten konnte.97 In den folgenden Monaten ver89
Oborne, Campbell, S. 277. Vgl. Kavanagh, Powers, S. 256. 91 Vgl. Oborne, Campbell, S. 118-122; Gould, Unfinished, S. 224f.; Mandelson, Revisited, S. 53 und Steve Richards [Internet, 2004]: Alastair Campbell by Peter Oborne & Simon Walters. Online im Internet: AVL: URL: http://enjoyment.independent.co.uk/books/reviews/story.jsp?story=532439 (18.06.2004 ). 92 Vgl. Scammell, Media, S. 519. 93 Campbell zit. nach Steven Morris [Internet, 2004]: Campbell: I'm just an extension of Tony. Online im Internet: AVL: URL: http://politics.guardian.co.uk/media/story/0,12123,1164517,00.html (08.03.2004). Im Folgenden zitiert als: Morris, Extension. 94 Campbell im Interview mit Lloyd 2004, zit. nach Lloyd, Media, S. 94. 95 Seldon, Blair, S. 310f. 96 Vgl. ebd., S. 310-312. 97 Siehe Blick, Dark, S. 262f. und Her Majesty’s Government: Responsibility for the Terrorist Atrocities in the United States, 11 September 2001. An updated account. London 2001. 90
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schärften die USA und Großbritannien den Druck auf den irakischen Diktator Saddam Hussein, mit den UN-Waffeninspektoren zusammenzuarbeiten und sein Arsenal zu beseitigen. Wieder produzierte 10 Downing Street ein Dossier, um sich zu legitimieren. Blair legte das Dokument am 24. September 2002 dem Unterhaus vor und beschrieb es als die unparteiische Einschätzung der britischen Nachrichtendienste. In dem Dossier heißt es u.a., der Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen, strebe atomare Bomben an und sei in der Lage, seine Waffen 45 Minuten nach einem entsprechenden Befehl abzufeuern. 98 Ein zweites Dossier wurde im Februar 2003, sechs Wochen vor Kriegsbeginn, publiziert. Es unterlag keiner parlamentarischen Beratung und wurde nur an die Presse und über die Downing-Street-Internetseite vertrieben. Schon wenige Tage nach der Veröffentlichung wurde nachgewiesen, dass weite Teile dieses Dokuments ein Plagiat aus veralteten Büchern und der im Internet verfügbaren Doktorarbeit eines amerikanischen Studenten darstellten, ohne dass diese Zitate kenntlich gemacht wurden. Das Dossier war von vier Mitarbeitern aus Campbells Abteilung erstellt worden, offenbar ohne Rücksprache mit den zuständigen Ministerien und den Geheimdiensten. Das Amt des Premierministers musste sich für das Plagiat entschuldigen. Dieses Vorkommnis nährte erste Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Begründungen der Blair-Regierung für einen Waffengang.99 Campbell empfand die Arbeit der BBC über den im März begonnenen Irak-Krieg als zu parteiisch im Sinne der Kriegsgegner. Bis Ende Mai beschwerte er sich zwölf Mal bei der Anstalt über vorgeblich unfaire Berichterstattung – gemäß der Regel, missliebige Medieninhalte schnell und aggressiv anzukreiden.100 Doch dann führte das September-Dossier dank der BBC zur schlimmsten politischen Krise der Blair-Regierung. Am 29. Mai 2003 behauptete der Reporter Andrew Gilligan im BBC-Radio, Number 10 (und damit Campbell) sei dafür verantwortlich, dass die Bedrohung durch den Irak aufgebauscht („sexed up“) worden sei. Das Dossier, so Gilligan, enthalte Angaben, von denen die Regierung wusste, dass sie unsicher seien und mit denen die Geheimdienst-Vertreter nicht einverstanden gewesen seien. Dies habe ihm einer der beteiligten Geheimdienst-Mitarbeiter erklärt. Campbell dementierte diese Vorwürfe mehrfach öffentlich und verlangte eine Richtigstellung.101 Ungewöhnlich war, dass Campbell, der sich eigentlich aus den Medien zurückziehen wollte, nun so prominent agierte. Offenbar sah er den Kampf um seine Reputation als einen Ausnahmefall an, der öffentlich Auftritte rechtfertigte. Die BBC lehnte eine Rücknahme der Aussagen Gilligans ab. David Kelly, ein Waffenexperte im Verteidigungsministerium, gab sich im Juli gegenüber seinen Vorgesetzten als Quelle der Behauptungen zu erkennen. Das Ministerium gab dies einige Tage später öffentlich bekannt. Kelly musste nun vor zwei Unterhaus-Ausschüssen aussagen. Am 18. Juli 2003 wurde er in einem Waldstück tot aufgefunden. Ein Selbstmord erschien als wahrscheinlichste Ursache. Die Regierung beauftragte den früheren obersten Richter Lord Brian Hutton mit der Untersuchung der Todesumstände. Die Verdächtigungen gegen die Regierung konnten kaum schlimmer sein: Hatte sie Kellys Namen in die Öffentlichkeit lanciert, 98
Vgl. Her Majesty’s Government: Iraq’s Weapons of Mass Destruction. The Assessment of the British Government. London 2002, v.a. S. 5-7. 99 Vgl. Michael White/Ewen MacAskill/Richard Norton-Taylor: Downing St admits blunder on Iraq dossier. In: The Guardian (International Edition) vom 8. Februar 2003, S. 5. 100 Vgl. Lloyd, Media, S. 80 und 83. 101 Vgl. Kuhn, Management, S. 103 und Lord Hutton: Report of the Inquiry into the Circumstances Surrounding the Death of Dr David Kelly C.M.G. [Hutton Report.] London 2004, S. 11f. Im Folgenden zitiert als: Hutton Report.
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ihn so in den Suizid getrieben oder gar ermorden lassen? Hatten Blair und seine Mitarbeiter die Bedrohung durch den Irak übertrieben, um einen Krieg zu rechtfertigen? Lord Huttons öffentliche Vernehmungen aller Beteiligten, darunter Blairs und Campbells, und das untersuchte Beweismaterial legten die Interna von Regierung und BBC offen und boten in London im Sommer 2003 ein Spektakel. Zudem beschrieb Regierungssprecher Tom Kelly den toten David Kelly im August als jemanden, der sich selbst wichtiger gemacht habe, als er gewesen sei. Dieser posthume Rufmord von Amts wegen fand schnell seinen Weg in die Presse und unterstrich den Verdacht, selbst Beamte würden unter Blairs Ägide Regierungsgegner verunglimpfen.102 Lord Huttons Untersuchungsbericht im Januar 2004 überraschte: Er sprach die Regierung weitgehend von allen Vorwürfen frei und diagnostizierte schwere Fehler in der Arbeit der BBC. Hutton bestätigte einen Selbstmord Kellys. Die Freigabe seines Namens durch die Regierung sei nicht illegitim gewesen: Die Regierung habe vielmehr den Vorwurf vermeiden wollen, sie vertusche Informationen zum Konflikt über das Dossier. Dieses sei nicht aufgebauscht („sexed up“) worden. Sein Inhalt sei vom vorhandenen Erkenntnisstand der Nachrichtendienste gedeckt gewesen. Das Dossier selbst sei im Joint Intelligence Committee (JIC), dem Lenkungsausschuss der Geheimdienste, entstanden und mit dessen Zustimmung veröffentlicht worden. Aber es sei zulässig zu behaupten, die Regierung habe im Dossier das Geheimdienst-Material so arrangiert, dass Saddam Hussein so gefährlich erschien, wie es die vorliegenden Fakten erlaubten. Der Wunsch des Premierministers, den Irak als Bedrohung darzustellen, habe vermutlich das JIC beeinflusst. 103 Die Publikation des Hutton Report führte nicht zur erwarteten Regierungskrise, sondern erschütterte die BBC, deren Leitung zurücktrat. Doch die öffentlichen Sympathien neigten klar mehrheitlich zur BBC. Viele Journalisten sahen den Hutton Report als Freispruch zweiter Klasse an: Blair, so der Vorwurf, habe einen milden Richter beauftragt, ihm eine weiße Weste zu verschaffen.104 Labours Streben, durch vorausschauendes Medienmanagement gute Schlagzeilen zu schaffen, war zusammengebrochen. Vormals günstig gestimmte Zeitungen und alte Gegner ritten Kampagnen gegen die Regierung: „Whatever they were fed, the media spewed up conflict, splits, rows and chaos. They were no longer media down with messages travelled […] – including the BBC, the public sector broadcaster. This was war: a war of position, with the prize, trust.”105
Unter öffentlichem Druck musste die Regierung nur eine Woche nach dem Hutton Report eine weitere Untersuchung in Auftrag geben. Unter Leitung des Ex-Kabinettssekretärs Lord Butler untersuchte eine Kommission, warum die Geheimdienstberichte über irakische Massenvernichtungswaffen falsch waren. Lord Butler kam ebenso zu dem Schluss, dass das September-Dossier von der Regierung nicht bewusst aufgebauscht wurde. Aber bei seinem Entstehen seien absichtlich Limitationen, die allen Geheimdienst-Erkenntnissen anhaften, ausgelassen worden, um an die Grenze des Behauptbaren zu gehen. 106 102 Vgl. Hutton Report, S. 1-3, 25-86 und 316 sowie Kuhn, Management, S. 103f. Siehe auch die Auszüge aus dem Beweismaterial in Kapitel 6. 103 Vgl. Hutton Report, S. 153 und 319-325. 104 Vgl. Lloyd, Media, S. 78f. und Franklin, Conversion, S. 104f. 105 Lloyd, Media, S. 98. Siehe Martin Kettle: Press irresponsibility now matches that of the trade unions in the 1960s. Journalists’ self-righteous arrogance has gone too far. In: The Guardian vom 18. Mai 2004, S. 22. 106 Butler Report, S. 76-86 und 113f.
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Auch Blairs Biograf Anthony Seldon nimmt eine kritische Perspektive ein: Jede Geheimdienst-Erkenntnis sei im Dossier so zugespitzt worden, dass die Rechtfertigung für den Krieg so stark wie möglich erschien. Die Geschichte des Dossiers sei die eines Kulturkampfes zwischen der abgeschlossenen Welt der Geheimdienste und einer extrem medienbewussten Regierung. Zwar sei löblich, dass die Regierung durch die Freigabe ihrer Entscheidungsgrundlagen die Öffentlichkeit informieren wollte. Aber die Beweise erwiesen sich als unzuverlässig. Die Folge sei ein schwerer Schaden für Blairs Glaubwürdigkeit.107 Die Tatsache, dass viele Bürger Blairs Regierung nach drei sie entlastenden, voneinander unabhängigen Untersuchungen108 als Lügner ansahen, zeigt das ganze Ausmaß des Vertrauensverlusts. Zu eifrig war die Regierung seit 1997 und in den Irak-Dossiers gewesen, sich so vorteilhaft wie irgend möglich zu präsentieren.
4.1.6 „No spin is the new spin“: Die Reaktion auf das Medieninteresse Campbells Rückzug auf eine beratende Position im Hintergrund hatte ganz offensichtlich kein Abebben der Auseinandersetzungen um die Informationspolitik gebracht. Auch drei weitere Schritte der demonstrativen kommunikativen Öffnung nutzten wenig. Im Frühjahr 2002 war das Lobby-Systems reformiert worden: Mehr Journalisten als bisher wurden zu den Pressekonferenzen zugelassen. Das brandmarkten Angehörige der alten Garde der Lobby als Versuch, kritische Nachfragen zu behindern, weil nun mehr Reporter Fragerecht hatten. Blair erschien nun alle sechs Monate vor den Fachausschussvorsitzenden des Unterhauses für eine stundenlange Befragung zu allen Politikfeldern. Außerdem gab er eine monatliche, live übertragene Pressekonferenz. Die Auftritte des Regierungschefs hatten nur wenig Einfluss auf die Spitzenplätze der Medienagenda: Blair dominierte meist durch gute Vorbereitung und Charme – und gute Nachrichten sind keine Meldung wert.109 Campbell gab am 29. August 2003 seinen Rücktritt als Blairs Kommunikations- und Strategiedirektor bekannt. Sein bevorstehender Abschied war den meisten Journalisten schon wochenlang bekannt gewesen. Stundenlange Berichte in den Nachrichtenkanälen und Zeitungsaufmacher zeigten aber die Bedeutung, die die Medien Campbell zumaßen. Ein Kommentator verstieg sich zu der Analogie, dies käme für Blair einer Hirnamputation gleich. Gleichzeitig gab der Rückzug der Personifikation des Spin Doctors Blair eine neue kommunikative Chance – die, seine Kommunikation selbst zu verändern.110 Schon nach der Jo-Moore-Affäre hatte die Regierung eine Kommission unter Leitung des Chefs der Guardian-Verlags, Robert Phillis, beauftragt, Reformvorschläge zur Regierungskommunikation auszuarbeiten. Dieser sogenannte Government Communications Review legte einen Zwischenbericht 2003 vor, dessen Empfehlungen Blair annahm. Campbells Rolle wurde in drei Teile aufgespalten. Neuer Director of Communication in der Downing Street wurde David Hill. Er war schon seit den 70ern als Sprecher für die Labour Party tätig, zuletzt in den 90er-Jahren als 107
Vgl. Seldon, Blair, S. 583f. Der Auswärtige Ausschuss des Unterhauses hatte auch einen für Blair entlastenden Bericht veröffentlicht. 109 Vgl. Kuhn, Management, S. 94 und 107f.; Lloyd, Media, S. 95f.; Franklin, Conversion, S. 88 sowie Pitcher, Death, S. 248f.. 110 Vgl. Franklin, Packaging, S. 4 und Andrew Rawnsley: Milestones and millstones. The end of Alastair Campbell presents Tony Blair with the opportunity to make a fresh start with his party and the country. In: The Observer vom 27. Juli 2003, S. 19. 108
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Chefsprecher. Ab 1997 arbeitete er für eine PR- und Lobbyfirma. Hill hatte die Reputation, ehrlich zu sein, nicht so impulsiv wie Campbell, aber genauso den Werten Labours verpflichtet. Allerdings erreichte er nie die Nähe zu Blair, die Campbell genoss. Hill behielt den Zugang zu Kabinettssitzungen. Seine Rolle war aber beschnitten worden: Auf Empfehlung der Phillis-Kommission bekam der neue Sonderberater nicht das Recht, Beamten Weisungen zu erteilen. Er fungierte als reines Sprachrohr Blairs für parteipolitische Fragen. Das wertete das Amt des offiziellen Sprechers des Premiers auf, das bei dem Beamten Tom Kelly verblieb.111 Diese beiden traten nun für die Presse als Duo auf – Kelly für die sachliche Information, Hill für die machtpolitische Interpretation. Der offizielle Sprecher des Premierministers wurde qua Amt zum Stellvertreter eines neuen Amtsträgers: Der Phillis Report sah die Schaffung eines Permanent Secretary (ähnlich einem deutschen Staatssekretär) für Regierungskommunikation im Cabinet Office vor. Ihm obliegt die Koordination der Regierungskommunikation aller Ressorts und die Leitung des Government Communication Network. Dies war der neue Name für das GICS, der Gesamtheit der Pressereferenten aller Ministerien. Dieser Posten ging nicht an einen traditionellen Beamten. Der neue Amtsinhaber Howell James wurde erst nach seiner Ernennung in den Staatsdienst aufgenommen. James war früher TV-Produzent, dann Sonderberater eines konservativen Ministers und Inhaber einer PR-Firma gewesen.112 Abbildung 5:
Organisation des Prime Minister's Office unter Blair (Stand: April 2004)113 Prime Minister Jonathan Powell; Chief of Staff
Government and Political Relations
Communications and Strategy
Policy and Government
Political Operations
Baroness Morgan Director of Government Relations
David Hill Director of Communications
Policy Advisers and Delivery Unit
Pat McFadden Director of Political Operations
Events and Visits
Tom Kelly Press Office
Godric Smith Strategic Communications Unit
Research and Information Unit
Operations
Honours and Appointments
Direct Communications Unit
111 Vgl. Fawcett, Centre, S. 64f.; Seldon, Blair, S. 642; Kuhn, Management, S. 108f.; Franklin, Packaging, S. 42 und Bob Phillis: An Independent Review of Government Communications. [Phillis Report.] London 2004, S. 3436. Im Folgenden zitiert als: Phillis Report. Vgl. auch Oonagh Gay: Changes to Government Communications Machinery. House of Commons Library Standard Note SN/PC/2594 vom 19. Januar 2004. London 2004, S. 5. Im Folgenden zitiert als: Gay, Machinery. 112 Vgl. Franklin, Packaging, S. 4 und Matthew Tempest [Internet, 2004]: Profile: Howell James. Whitehall's new press chief is a 'rightwing' former Tory adviser with links to Peter Mandelson. Online im Internet: AVL: URL: http://politics.guardian.co.uk/media/story/0,12123,1177761,00.html (25.03.2004). 113 Nach Fawcett, Centre, S. 88. Die Darstellung ist stark vereinfacht und nur auf unmittelbar kommunikationsrelevante Einrichtungen und Personen bezogen.
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Außerdem empfahl der Bericht die Vereinheitlichung der Hierarchien in den Pressestellen der Ministerien: An ihrer Spitze sollte ein Director of Communication stehen, der sich um die Beratung des Ministers und langfristige Kommunikationsstrategien kümmern sollte. Ihm unterstehen der Head of News als Pressesprecher des Ressorts und der Head of Press Office als administrativer Leiter der Pressestelle. Diese Rollenausdifferenzierung sei nötig, weil die die Pressestellen immer noch zu oft mit den Anforderungen der Journalisten überfordert seien. Interne Kommunikation, der Dialog mit den Bürgern, Öffentlichkeitsarbeit und Informationspolitik seien zu wenig miteinander verzahnt. Der Außendarstellung mangele es an Ressourcen.114 Damit wurde nach Phillis die Pressearbeit von Number 10 und den Ministerien weiter professionalisiert. Kritik an den Phillis-Reformen blieb nicht aus: Die Ersetzung Campbells durch gleich drei neue Köpfe der Regierungskommunikation löste die Frage aus, wie im Konfliktfall eine einheitliche Informationspolitik gewährleistet werden sollte. Zudem fiel die noch weiter gehende Zentralisierung der Medienarbeit ins Auge. Die Rolle der Sonderberater blieb im Wesentlichen unverändert, neue Konflikte zwischen ihnen und den Pressereferenten waren nicht auszuschließen.115 Dementsprechend war die Presse skeptisch, ob die Veränderungen Downing Street wirklich zum Hort neuer Standards der Offenheit machen würden. Schon 2002 hatte der Guardian-Politikchef Michael White dafür nur Ironie übrig: „,no spin is the new spin’ has become this year’s brittle joke“116. Der Independent-Kolumnist Bruce Anderson formulierte es schärfer: „His [Blair’s] Government was born out of spin, has been sustained by spin and will depend on spin until the day it leaves office.“117 Der Druck durch die 24 Stunden am Tag wachen Medien nahm eher noch zu. Techniken wie kommunikative Koordination, die präzise Planung von Timing und Inhalt von Bekanntmachungen oder rapid rebuttal ließen sich daher kaum aufgeben. Die Informationspolitik konnte auf den einmal erreichten professionellen Stand nicht verzichten, ihre Arbeit würde allenfalls subtiler ausfallen.118 Diese Reaktionen zeigen exemplarisch, wie sehr das Verhältnis von Medien und Regierung gestört war. Der Phillis Report lud alle Beteiligten – Politiker, Bürger und Journalisten – zum Nachdenken ein. Das Vertrauen in die Redlichkeit der Politiker habe mit 16 Prozent einen historischen Tiefstand erreicht. Dies sei auf die PR-Strategien der LabourRegierung sowie die Reaktion der Medien und des Beamtenapparats darauf rückführbar. Die Bürger seien abgekoppelt von der Politik. Viele glaubten weder offiziellen Bekanntmachungen noch Zeitungen. Bekannte Behörden wie der nationale Gesundheitsdienst genössen mehr Vertrauen, aber nur, weil sie viele Menschen nicht als Teil der Regierung wahrnähmen.119 “Our own research and other evidence to date point to a three-way breakdown in trust between government and politicians, the media and the general public. […] The response of the media to a rigorous and proactive government news management strategy has been to match claim with 114
Vgl. Phillis Report, S. 8f., 12-16 und 34-36. Vgl. Phillis Report, S. 21-23 und Kuhn, Management, S. 109f. 116 Michael White: Media: Fear and loathing in the lobby. In: MediaGuardian in The Guardian vom 16. Dezember 2002, S. 1 117 Bruce Anderson: Even when the Prime Minister promises to stop spinning, he is still spinning. In: The Independent (European Edition) vom 28. Juli 2003, S. 12 118 Vgl. Franklin, Packaging, S. 54f. 119 Vgl. Phillis Report, S. 6f. 115
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4 Die Kommunikationsstile der Regierungen Blair und Schröder counterclaim in a challenging and adversarial way, making it difficult for any accurate communication of real achievement to pass unchallenged.“120
Die Regierung versuchte nach diesen Erkenntnissen eine neue Taktik: die Nutzung von Mitarbeitern der öffentlichen Dienste, um ihre Botschaft zu vermitteln. Polizisten, Lehrer und Krankenschwestern sollten direkt von den Verbesserungen in ihren Diensten berichten.121 Diese Taktik ist aus US-Kampagnen als die Nutzung von surrogates bekannt – Personen mit Autorität, die als glaubwürdiger gelten als die Politiker selbst. Dies birgt aber die Gefahr illegitimen Drucks auf die staatlichen Mitarbeiter, sich Kampagnen zur Verfügung zu stellen. Auch nach den Phillis-Reformen blieben Spin und die Blair-Regierung in der Berichterstattung untrennbar verbunden. Die Regierung stellte Ende 2006 ein Korruptionsverfahren im Zusammenhang mit einem Waffengeschäft mit Saudi-Arabien ein und gab zudem bekannt, Blair sei von der Polizei wegen einer möglichen Vergabe von Adelstitel gegen Parteispenden verhört worden. Am selben Tag wurden die Ergebnisse eines Untersuchungsberichts zum Tod von Prinzessin Diana veröffentlicht. Kritik, die Regierung habe zwei peinliche Nachrichten hinter dem Diana-Bericht verstecken wollen, ließ nicht auf sich warten.122 Ein anderes Beispiel ist eine Konferenz der Chefs der Pressestellen im September 2004. Die an die Sunday Times durchgesickerten Protokolle zeigen, dass sich trotz der Reformen wenig geändert hatte. Die Teilnehmer klagten über Eingriffe aus 10 Downing Street, u.a. das Unterdrücken einer kritischen Studie und deren spätere Veröffentlichung in einer nachrichtenreichen Woche. Der neue Staatssekretär für Regierungskommunikation Howell James musste zugeben, dass es ihm bisher nicht gelungen war, zentrale Machtbefugnisse aus der Downing Street abzuziehen.123 Die Kommunikationsdirektorin im Gesundheitsministerium, Sian Jarvis, wird so zitiert: “It’s been a hard educational process to explain to my ministers that the reason we are not getting the story across is that we haven’t got a policy. This is the No 10 problem: they are asking for announcements before we have a policy.”124
Außerdem lösten die Kosten der PR-Arbeit Kritik aus. 2003 schlug das Downing Street Press Office mit knapp 1,4 Millionen Pfund zu Buche. Das entspricht einem Anstieg von 130 Prozent seit Blairs Amtsantritt. 2006 beschäftigten die Ministerien mehr als 1800 Pressereferenten und weitere 1400 bei nachstehenden Behörden. Der konservativen Opposition zufolge kommt dies einer Verzehnfachung seit 1997 gleich. Die Regierung antwortete darauf, die Medienexpansion habe den Ausbau unausweichlich gemacht.125 Die einst so streng eingeübte Disziplin an der Spitze der Labour Party zerfiel nach Campbells Rückzug zusehends. Campbell arbeitete nun als freier Journalist, stand aber mit 120
Ebd., S. 31. Vgl. David Cracknell: Blair’s own spin gurus savage No 10. ‘Trust is at lowest point ever’. In: The Sunday Times vom 26. September 2004, S. 1-2, hier S. 1. Im Folgenden zitiert als: Cracknell, Trust. 122 Siehe Christopher Adams/James Boxell: SFO drops probe into BAE bribe allegations. Britain accused of caving in to Saudi pressure. In: Financial Times vom 15. Dezember 2006, S. 1. 123 Vgl. Cracknell, Trust, S. 2. 124 Jarvis zit. nach ebd., S. 1. 125 Vgl. o.A. [Internet, 2004]: No 10 press office 'costs £1.4m'. Online im Internet: AVL: URL: http://news.bbc.co.uk/1/hi/uk_politics/3565305.stm (24.03.2004) und David Hencke: Ministers say 24/7 news demands 3,200 press officers. In: The Guardian vom 31. August 2006, S. 14. 121
4.1 Großbritannien: Tony Blairs spin machine
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Blair weiterhin in wöchentlichem Telefonkontakt. 2004 zog er mit einem Soloprogramm durch die Theater im Lande, in dem er seine Sicht der Politik darlegte. Im UnterhausWahlkampf 2005 kehrte er als Kampagnenmanager für einige Wochen ins Hauptquartier der Labour Party zurück. Häufige Berichte in den Zeitungen über sein Privatleben zeigten die andauernde Faszination der Medien für den PR-Experten. Über den Inhalt seiner nach Blairs Rücktritt 2007 erscheinenden Memoiren wurde heftig spekuliert.126 Der Regierung gelang es kaum noch, die Medienagenda zu steuern. Angriffe auf einzelne Minister und Ausbrüche von Herdenjournalismus, die Blair so gefürchtet hatte, häuften sich. David Blunkett trat gleich zweimal wegen Attacken auf Unregelmäßigkeiten in seinem Privatleben zurück: im Dezember 2004 als Innenminister und nach der Rückkehr ins Kabinett im November 2005 als Arbeitsminister.127 Im Frühjahr 2006 kamen zwei Ministerinnen in die Schusslinie: Bildungsministerin Ruth Kelly musste unzureichende Vorkehrungen gegen Pädophile bei der Anstellung von Lehrern zugeben. Kulturministerin Tessa Jowell kam wegen der Verstrickung ihres Mannes in einen Korruptionsfall um den damaligen italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi ins Gerede. Beide hielten dem massiven Druck stand. Die frühere Labour-Vizechefin Margaret Beckett stellte im März 2006 in einem BBC-Interview gar die Machtfrage: Ihre Kabinettskolleginnen dürften allein schon nicht zurücktreten, weil man den Medien keine Opfer mehr bringen dürfe.128 Vizepremierminister John Prescott erlebte von April bis Juli 2005 die ganze Wucht einer Pressekampagne: Zunächst wurde eine außereheliche Affäre mit seiner Sekretärin enthüllt. Als Blair ihn daraufhin von seinen fachpolitischen Aufgaben entband, musste Prescott wochenlang mit Kritik leben, er sei als Minister ohne Geschäftsbereich nutzlos. Auch seine enge Verbindung zu einem US-Unternehmer, der sich um ein Regierungsprojekt bewarb, kam in die Schusslinie. In allen genannten Fällen wurden die Attacken tagelang geführt, ohne dass substanzielle Neuigkeiten zu berichten waren. Während dieser Vorkommnisse wurde von Politikern wie Journalisten immer wieder eine Campbell zugeschriebene Faustregel zitiert: Kein Politiker halte mehr als zwei Wochen einer Medienkampagne stand. Gelinge es ihm, nach weniger als 14 Tagen aus den Schlagzeilen zu kommen, weil die journalistische Aufmerksamkeitsspanne ausläuft und es keine Enthüllungen mehr gibt, sei der Verbleib im Amt so gut wie gesichert. Prescott gelang dies gleich dreimal.129 Blair verglich sein Schicksal resigniert mit dem eines Fußballtrainers, angeblich unbeeindruckt von täglichen Berichten über vermutete Konflikte, Krisen und Rücktritte: “We have a media culture, where there is no problem that is not a crisis, no difficulty that is not a catastrophe and no week that is not going to end up [containing] the worst thing that ever happened. You get on with doing the job.”130 126 Vgl. Morris, Extension; Gaby Hinsliff: PM in peril after Hutton says key ally. Hain admits Labour in 'choppy waters'. In: The Observer vom 8. Februar 2004, S. 1. Siehe auch Goodchild, Sophie: Campbell unspun: Spindoctor reveals battle with depression. In: The Independent on Sunday vom 8. Oktober 2006, S. 1-2 und Michael White [Internet, 2007]: Campbell will publish diaries after Blair steps down. Online im Internet: AVL: URL: http://books.guardian.co.uk/comment/story/0,,2029815,00.html (09.03.2007). 127 Vgl. Franklin, Packaging, S. 55. Siehe Blunkett, Tapes. 128 Vgl. o.A. [Internet, 2006]: Jowell faces Commons with a smile. Online im Internet: AVL: URL: http://news.bbc.co.uk/go/pr/fr/-/1/hi/uk_politics/4777592.stm (06.03.2006). 129 Vgl. u.a. Blunkett, Tapes, S. 732 und Mark Lawson: Cherie defies the 11-day rule of spin. Dr Campbell said no story could last this long, but he was wrong. In: The Guardian vom 13. December 2002, S. 19. 130 Blair zit. nach Patrick Wintour/Tania Branigan: Defiant Blair attempts damage limitation exercise. In: The Guardian vom 28. April 2006, S. 1.
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4 Die Kommunikationsstile der Regierungen Blair und Schröder
Die Medienschlachten unterstrichen die schwindende Autorität des Premierministers, der bereits Mitte 2004 über einen Rücktritt nachgedacht hatte. Die entstandene Verunsicherung versuchte er im September 2004 mit der Bekanntmachung zu beenden, er leide an einem Herzproblem, habe bereits ein Haus in London für die Zeit nach Number 10 gekauft und beabsichtige nach der Wahl 2005 keine weitere Wiederwahl als Premier. Es handelte sich hier um den klassischen Versuch, Nachrichten im Paket bekannt zu machen, um ihre Folgen abzupuffern und weitere Spekulationen zu verhindern: Die Herzbehandlung und der Hauskauf wären ohnehin bald ruchbar geworden und hätten Fragen über seine Zukunft ausgelöst. Die Ankündigung erwies sich jedoch als schwerer taktischer Fehler: Sie fachte die Rivalität mit dem voraussichtlichen Nachfolger Brown weiter an. Auf Journalisten wirkte sie wie das rote Tuch auf den Stier: Statt Klarheit zu schaffen, stand nun täglich die Frage im Raum, wann Blair endlich gehen würde. Die Dauerkrise erreichte im September 2006 den Höhepunkt, als Dutzende Labour-Abgeordnete ihm in offenen Briefen den sofortigen Rücktritt nahelegten. Blair konnte die Eskalation nur noch mit dem Versprechen beenden, innerhalb eines Jahres abzutreten.131 Vor seinem Amtsverzicht im Juni 2007 versuchte Blair mithilfe zahlreicher Initiativen, dem Eindruck zu zerstreuen, ihm laufe die Zeit davon. Obwohl er vorgab, keine Zeitungen mehr zu lesen, erinnerte die Vielzahl an Bekanntmachungen an die frühere Jagd nach guten Schlagzeilen. Er musste dennoch hinnehmen, dass die frühere kommunikative Disziplin widersprüchlichen Aussagen seiner Minister wich, die über die Zeit nach Blair diskutierten.132 Am Ende der Blair-Ära, wie bei so vielen politischen Karrieren, stand die Frustration über die Rolle der Medien. Lloyd zitiert einen unbenannten Ministeriumssprecher und früheren Redakteur mit den Worten, er habe aufgehört, aktive Pressearbeit zu betreiben. Er wolle seine Behörde nur noch aus der Zeitung herauszuhalten. Ein namentlich nicht genannter Minister sagte, Zeitung und Rundfunk seien nur noch auf Sensationen aus. Politische Inhalte interessierten sie kaum, daher häuften sich in den Zeitungen Kampagnen und Angriffe aufs Spitzenpersonal.133 Gordon Brown ließ Anfang 2007 verbreiten, er wolle als Premierminister einen neuen Regierungsstil ohne Spin Doctors. Die Zahl und Befugnisse der Sonderberater werde er beschneiden. 10 Downing Street solle v.a. mit Beamten bestückt werden.134 Die Entfernung der Spin Doctors, die ihm und Blair einst an die Macht geholfen hatten, erschien Brown nun als populäre Maßnahme, um die Macht zu behalten.
4.2 Deutschland: Medienkanzler mit Vermittlungsproblem 4.2.1 Suche nach einer Überschrift – die erste Regierung Schröder Wer zuerst auf das Wort vom Medienkanzler kam, ist kaum noch herauszufinden. Wahrscheinlich existierte es lange bevor Gerhard Schröder ins Kanzleramt einzog. Ihm selber ist es schnell als abträgliche Bezeichnung lästig geworden. Doch kein Kanzler der Bundesrepublik vor ihm hatte sich in seinem Aufstieg an die politische Spitze so sehr der Medien 131
Vgl. Seldon, Blair, S. 652-655 und Blunkett, Tapes, S. 690. Vgl. Andrew Grice: Less will be more for Blair as his time ends. In: The Independent vom 10. Februar 2007, S. 23. Im Folgenden zitiert als: Grice, Less. 133 Vgl. Lloyd, Media, S. 107f. und 206-208. 134 Vgl. David Hencke: Brown maps out his course as Blair’s successor. In: The Guardian vom 8. Januar 2007, S. 7. 132
4.2 Deutschland: Medienkanzler mit Vermittlungsproblem
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bedient wie Schröder, vorbei an den hegemonialen Strukturen der institutionellen Politik. So war es nur folgerichtig, ihm bei Amtsantritt 1998 das Etikett des Medienkanzlers aufzukleben. Als Bundestagsabgeordneter in den 80er-Jahren hatte er sich beste Kontakte zu Bonner Journalisten aufgebaut. Schließlich nutzte er 1998 die mediale Inszenierung des Kampfes um die Kanzlerkandidatur, um gegen den Willen großer Teile der SPD Regierungschef zu werden.135 Politikansätze und Personalentscheidungen testete Schröder oft in Hintergrundgesprächen mit Journalisten. Nach seiner Wahl zum Kanzler, erklärte Schröder, habe er sein Informationsverhalten nicht geändert. Er versuchte (vergeblich), ein ungezwungenes Verhältnis zu Journalistenfreunden beizubehalten.136 Geradezu zur Plattitüde geworden ist die ihm zugeschriebene Sentenz, zum Regieren brauche er nur „Bild, BamS und Glotze“137. Als weiteres Leitmotiv aus der Zeit des Amtsantritts ist überliefert, ein Kanzler müsse immer so regieren, dass er am nächsten Sonntag eine Wahl gewinnen könne.138 Die Parallelen zwischen dem Rechtsanwalt Blair in der Downing Street und dem Juristen Schröder im Kanzleramt in puncto Eigen-PR schienen unübersehbar. Auch in Deutschland war Medienpräsenz zum politischen Existenznachweis und Medienkompetenz zur Machtprämie geworden. Sarcinelli schreibt, Schröders Macht habe ihre Legitimationsbasis mehr als die aller seiner Vorgänger in der Mediengesellschaft.139 Der Medienberater von Bundesfinanzminister Hans Eichel, Klaus-Peter SchmidtDeguelle, brachte die Medienorientierung Schröders 2001 so auf den Punkt: „Besonders wenn eine Regierung wie die Regierung Schröder sehr viel Wert darauf legt, nicht gegen die öffentliche Meinung zu agieren, kann die Presse politische Entscheidungen gelegentlich beeinflussen.“140
Schröders Vorgänger Kohl war sich durchaus der Notwendigkeit der Beziehungspflege zu Journalisten bewusst. Sein Biograf Klaus Dreher widerspricht der gängigen Einschätzung, Kohl habe mit Medien nicht umgehen können. Eduard Ackermann und später Andreas Fritzenkötter, die Medienberater im Kanzleramt, seien durch ihre Nähe zu Kohl zentrale Figuren für die Bonner Korrespondenten gewesen. Beide konnten rein kanzlerkonforme Interpretationen vermitteln, von der offiziellen Bürde des Regierungssprecheramts nicht beschwert. Sie agierten damit als Spin Doctors im Kanzleramt, bevor das Wort in Deutsch-
135 Vgl. Meng, Medienkanzler, S. 70; Niejahr, Pollenflug, S. 77f.; Leinemann, Höhenrausch, S. 302f. und Jürgen Leinemann/Michael Jürgs: Podiumsdiskussion „Die Rolle der Medien“ mit Gerhard Schröder am 24. Mai 2003 in Hamburg auf Einladung der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche. In: Thomas Leif (Hrsg.): Verschwiegen, verschwunden, verdrängt – was (nicht) öffentlich wird. Dokumentation 7. Mainzer Mediendisput. Mainz 2003, S. 83-102, hier S. 83. Im Folgenden zitiert als: Leinemann, Podiumsdiskussion. 136 Vgl. Leinemann, Podiumsdiskussion, S. 83; Leinemann, Höhenrausch, S. 349; Reinhard Urschel: Gerhard Schröder. Eine Biografie. Stuttgart, München 2003, S. 9-11. Im Folgenden zitiert als: Urschel, Schröder. 137 U.a. zitiert in Urschel, Schröder, S. 280. Der Biograf weist allerdings darauf hin, dass die Medienstrategie Schröders immer vielschichtiger gewesen wäre: Er habe sich unermüdlich um viele Medien bemüht. 138 Vgl. Sarcinelli, Kommunikation, S. 149 und Hajo Schumacher/Jürgen Leinemann/Stefan Aust: „Steine ins Kreuz“. [Interview mit Bundeskanzler Gerhard Schröder.] In: Der Spiegel 31/1999, S. 26-28, hier S. 26. In dem Interview relativiert er seine frühere Aussage. 139 Vgl. Sarcinelli, Kommunikation, S. 260f. 140 Klaus-Peter Schmidt-Deguelle zit. nach Koelbl, Meute, S. 116. Zur Rolle Schmidt-Deguelles s. Abschnitt 4.2.3 dieser Arbeit.
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4 Die Kommunikationsstile der Regierungen Blair und Schröder
land überhaupt aufkam.141 Wie im Organigramm zu sehen ist, war Fritzenkötters Stabsstelle nicht der Amtshierarchie unterstellt. Er hatte direkten Zugang zu Kohl. Abbildung 6: Kanzlerbüro
StMin Bernd Schmidtbauer
Organisation des Bundeskanzleramtes unter Kohl (Stand: 3. März 1997)142 BK Dr. Helmut Kohl
Chef des Bundeskanzleramtes BMin Friedrich Bohl
Abteilung 5 – Gesellschaftliche und politische Analysen, kulturelle Angelegenheiten 2 Gruppen; 5 Referate
Arbeitsstab Öffentlichkeitsarbeit und Medienpolitik; Ltr.: VA Fritzenkötter
Leitungsgruppe Ministerbüro
StMin Anton Pfeifer
Fünf weitere fachpolitische Abteilungen
Kohls Regierungssprecher mussten erdulden, immer schlechter informiert zu sein als Ackermann oder Fritzenkötter. Das BPA war zeitweise so gut wie bedeutungslos für die Informationspolitik. Auch Kohls Vorgänger Helmut Schmidt hatte trotz der engen Beziehung zu seinem Sprecher Klaus Bölling ein kleines Pressereferat im Kanzleramt zur Beziehungspflege mit den Journalisten.143 Schröder verwarf diese Konstruktion bei seinem Amtsantritt. Im Kanzlerbüro fand offiziell keine Pressearbeit mehr statt. Damit verzichtete Schröder auf ein wichtiges Instrument der persönlichen Mediensteuerung. Alle diese Aufgaben gingen an seinen Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye über. Er hatte als Journalist beim Stern und ZDF gearbeitet, war in den 70er-Jahren Mitarbeiter der SPD-Zentrale und hatte Schröder in Niedersachsen als Sprecher der Landesregierung gedient. Er kannte mediale und politische Abläufe aus eigener Erfahrung. Heyes Rolle war ähnlich der Campbells herausgehoben. Er gehörte zum innersten Zirkel der Macht. Heye machte keinen Hehl daraus, dass er auch auf die politischen Inhalte bei Schröder Einfluss nahm.144 Schon Heyes Vorgänger wie Ahlers unter Brandt und Bölling unter Schmidt hatten sich als enge Kanzlerberater erwiesen. Die Ämter des Regierungssprechers und der Sprecher der Ministerien veränderten sich auch unter Schröder nicht wesentlich. Es lässt sich eine hohe institutionelle Kontinuität der Regierungskommunikation feststellen.145 Doch in 141 Vgl. Dreher, Kohl, S. 317-324, 610 und 615 sowie Katja Schlesinger [Internet, 2002]: Ausbau der Hausmacht im Bundeskanzleramt: Die Systeme Schmidt, Kohl und Schröder. [Magisterarbeit an der Universität zu Köln, August 2000.] Online im Internet: AVL: URL: http://www.karl-rudolf-korte.de/data/mag_schlesinger.pdf (18.02.2002), S. 57-59. Im Folgenden zitiert als: Schlesinger, Hausmacht. 142 Nach: Niclauß, Kanzlerdemokratie, S. 240 und Busse, Bundeskanzleramt, S. 120f. Die Darstellung ist stark vereinfacht und nur auf unmittelbar kommunikationsrelevante Einrichtungen und Personen bezogen. 143 Vgl. Schlesinger, Hausmacht, S. 55; Langguth, Innenleben, S. 81-99 und Dreher, Kohl, S. 320-324. 144 Vgl. Niclauß, Kanzlerdemokratie, S. 309f.; Pfetsch, Markenprodukt, S. 29; Koelbl, Meute, S. 77; Müller, Küchenkabinette, S. 181f.; Urschel, Schröder, S. 220f. und Gerhard Schröder: Entscheidungen. Mein Leben in der Politik. Hamburg 2006, S. 8 und 103f. Im Folgenden zitiert als: Schröder, Entscheidungen. 145 Vgl. Müller, Küchenkabinette, S. 71 und 119-121 sowie Jens Tenscher: Verkünder – Vermittler – Vertrauensperson. Regierungssprecher im Wandel der Zeit. In: Heribert Schatz/Patrick Rössler/Jörg-Uwe Nieland (Hrsg.): Politische Akteure in der Mediendemokratie. Politiker in den Fesseln der Medien? Wiesbaden 2002, S. 245-270, hier S. 267. Im Folgenden zitiert als: Tenscher, Verkünder.
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der öffentlichen Wahrnehmung zeigt sich ab den 80er-Jahren eine schleichende Veränderung der Bedeutung des Regierungssprechers. Früher waren die Sprecher dem Fernsehpublikum fast so bekannt wie die Vorleser der Tagesschau. Ausschnitte ihrer Pressekonferenzen wurden häufig als O-Töne gesendet. Die ab 1984 verfügbaren Privatsender ließen lieber ihre Reporter Neuigkeiten aus der Hauptstadt verkünden. Das verhinderte, dass alle nur dieselben Bilder aus der Bundespressekonferenz sendeten. Die öffentlich-rechtlichen Sender zogen später nach. Damit wurde der Typus des Star-Journalisten weiter entwickelt, der statt des Politikers oder Sprechers selbst politische Entscheidungen interpretiert. Für sie muss der Regierungssprecher heute besonders Zeit aufwenden.146 Hinzu kommt die mediale Präsenz des eigenen Chefs: Im Berliner Bundeskanzleramt ist ein kleines Pult für Pressekonferenzen aufgebaut. Vor einem blauen Hintergrund mit Bundesadler kann der Kanzler hier zusammen mit dem aktuellen Staatsgast oder alleine kurze Erklärungen abgeben und Fragen beantworten. Diese Präsentationsmöglichkeit aus den USA, wo der Präsident jederzeit die Presse ins Weiße Hauses bitten kann, zog ab dem Umzug ins neue Berliner Kanzleramt 2000 in die Bundespolitik ein. In Zeiten stärkerer Personalisierung erweisen sich diese sogenannten stake outs als Chance für den Kanzler, mit einem kurzen Auftritt in die Abendnachrichten zu kommen. Schröder befand sich ab 2001 mehrfach in der Woche am Pult im Foyer des neuen Kanzleramts.147 Heye kam im BPA mit großen Zielen bei knappen Kassen an: Regierungskommunikation dürfe nicht mehr nur fertige Entscheidungen vermitteln, sondern auch den Anlass für die Maßnahmen und den Entscheidungsprozess. Das Interesse der Journalisten gehe weg vom Inhalt der Beschlüsse, hin zu Anlass und Prozess, schrieb der Regierungssprecher 2002. Gebraucht werde ein gemeinsames kommunikatives Dach für die Bundesregierung. Sie müsse als Marke etabliert werden. Die PR-Experten der Bundesregierung konnten nicht auf mehr Haushaltsmittel hoffen: Die Mittel für staatliche PR seien eher gesunken. 2001 standen der Bundesregierung 70 Millionen Euro für ihre PR zur Verfügung.148 An das kommunikative Dach war zunächst nicht zu denken – zu groß war der Gegensatz zwischen der sozialkeynesianistischen Politik des SPD-Vorsitzenden und Finanzministers Lafontaine und der unternehmerfreundlicheren Linie Schröders. Zudem war die Koalition mit Bündnis 90/Die Grünen kaum intendiert, sondern Ergebnis des überraschend klaren Wahlerfolgs. Die noch im Wahlkampf sichtbare kohärente Kommunikationsstrategie der SPD zerfiel nach dem Sieg im September 1998. Als Gründe dafür nennt Jun die Auflösung des strategischen Zentrums aus Lafontaine, Schröder und Müntefering, Gegensätze zwischen Partei und Regierungszentrale sowie unzureichende Vorbereitung auf gestiegene Anforderungen der Regierungskommunikation. Eine Abstimmung der Machtebenen Parteizentrale, Bundestagsfraktion, Ministerpräsidenten und Kanzleramt habe es schon SPD-
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Vgl. Diekmann, Wiederkehr; Marx, Heer, S. 89 und Nieland, Populärkultur, S. 166. Vgl. Hornig, Sprachrohr, S. 97 und Axel Murswiek: Des Kanzlers Macht: Zum Regierungsstil Gerhard Schröders. In: Christoph Egle/Tobias Ostheim/Reimut Zohlnhöfer (Hrsg.): Das rot-grüne Projekt. Eine Bilanz der Regierung Schröder 1998 – 2002. Wiesbaden 2003, S. 117-136, hier S. 121. Im Folgenden zitiert als: Murswiek, Regierungsstil. 148 Vgl. Uwe-Karsten Heye: Kommunikation als Dienstleistung. Die Neuorientierung des Bundespresseamtes. In: Vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik 2/2002, S. 80-88 und Peter Ruhenstroth-Bauer: Regierungskommunikation. Aufbruch zu Dialog und Transparenz. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen 3/2000, S. 49-52. Siehe auch Ruhenstroth-Bauer, Vorhaben. 147
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intern gegeben. Daher hätte eine Ad-hoc-Koordination ohne verbindliche Abläufe dominiert. Strategisch geplante Kommunikationsprozesse hätten nicht stattgefunden.149 Dies sorgte für negative 100-Tage-Bilanzen in der Presse. Zahlreiche Kommentare warfen der Regierung Dilettantismus vor. Hinzu kam Schröders Drang nach persönlicher publicity. Er versuchte, nach der Ära Kohl eine neue Leichtigkeit zu verkörpern – im Kontrast zum Pathos des abgelösten Kanzlers. Anfang 1999 häuften sich die politischen Probleme seiner Regierung, nach außen gab Rot-Grün ein zerstrittenes Bild ab. Nachdem sich Schröder mit teurem Anzug und Zigarre für ein Prominenten-Magazin ablichten ließ und in der ZDF-Show Wetten dass … auftrat, häufte sich Kritik am mangelnden Ernst des Regierungschefs. Unverkennbar ist hier das Bemühen, ähnlich Clinton und Blair durch Auftritte in politikfernen Medien Bürger abseits hergebrachter politischer Informationskanäle zu erreichen. Durch visuelle Reize sollte der Eindruck eines lockeren, bürgernahen Regenten vermittelt werden. Die überwiegend negativen Reaktionen zeigen jedoch, dass die Popularisierung auf Schwierigkeiten stößt, wenn der Eindruck entsteht, der Regierungschef vernachlässige seine Führungsaufgaben zugunsten der Selbstdarstellung.150 Erst mit Lafontaines Rücktritt von allen Ämtern im März 1999 hatte Schröder dem Kanzlerprinzip in seiner Regierung volle Geltung verschafft. Wenig später wurde auch Kanzleramtsminister Bodo Hombach abgelöst, zuvor ein Gegengewicht zu Lafontaine. Hombach hatte sich seinen Ruf als Spin Doctor dank guter Kontakte zur Presse erworben, die er als Propagandist für einen wirtschaftsfreundlichen Kurs nutzte. Damit geriet er auch in Konflikt zu Heye. Beide kamen nicht der Aufgabe nach, die Kommunikationsstrategie des Kanzlers zu gestalten und mit der SPD-Zentrale abzustimmen. Die traditionelle Rolle des Kanzleramtschefs als die eines geräuschlos auftretenden Verwaltungsmanagers und Koordinators lag Hombach nicht. Das von ihm mitinitiierte sogenannte Schröder-BlairPapier war als wirtschaftsliberaleres Gesamtkonzept für die Regierungspolitik gedacht, traf auf eine ablehnende Reaktion in weiten Teilen der SPD. Es wurde von Schröder kurz nach der Publikation im Juni 1999 fallen gelassen. Hombach selbst verließ das Kanzleramt. 151 Die Rücktritte Lafontaines und Hombachs gaben eine Chance zum Neuanfang. Schröder übernahm auch den SPD-Vorsitz. Die nun dreimal wöchentlich tagende sogenannte Kanzlerlage mit Schröder, Regierungssprecher Heye, SPD-Generalsekretär Müntefering, Fraktionschef Peter Struck und Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier versprach zu einem neuen strategischen Zentrum zu werden. Auch die Leiter der Pressestellen der SPD in Parteizentrale und Fraktion, der Ministerien und BPA-Vertreter kamen zu Abstimmungsrunden zusammen. Doch auch nach 1999 war eine der SCU in der Downing Street ähnliche Gruppe weder in Kanzler- noch Presseamt zu finden. Die PR-Experten unter Blair erfreuten deutlich höherer Handlungs- und Kontrollmöglichkeiten als ihre Berliner Pendants. Weiter bemängelten Politikvermittlungsexperten die schwachen Abstimmungsprozesse zwischen ihnen und der Partei- und Regierungsführung152: „Für nicht wenige SPD-Politiker sind
149 Vgl. Jun, Wandel, S. 349f.; Müller, Küchenkabinette, S. 170f.; Niclauß, Kanzlerdemokratie, S. 304-307 und Schröder, Entscheidungen, S. 107-116. 150 Vgl. Leinemann, Höhenrausch, S. 344 und 350; Urschel, Schröder, S. 280f.; Jun, Wandel, S. 349f. und Niclauß, Kanzlerdemokratie, S. 377. 151 Vgl. Müller, Küchenkabinette, S. 170-172; Niclauß, Kanzlerdemokratie, S. 304-309 und 346-349 sowie Jun, Wandel, S. 351f. 152 Vgl. Jun, Wandel, S. 351f. und 403-405.
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politisches Handeln und dessen Präsentation nicht zwei Seiten einer Medaille, sondern zwischen beiden klaffen gelegentlich Widersprüche […].“153 Hombachs Mitarbeiter wirkten nach seinem Rücktritt noch eine Zeit lang weiter. Als Leiter der Planungsabteilung im Kanzleramt wirkte ab 1999 Wolfgang Nowak. Er verstand seine Gruppe als Kreativwerkstatt des Amtes und als Koordinierungsstelle154: „Wir haben eine Ereignisplanung, […] indem wir dem Kanzler zeigen, was in den nächsten Wochen und Monaten zur Entscheidung ansteht und wie sich diese Entscheidungen beispielsweise mit anderen Ereignissen beißen oder treffen und wie weit Entscheidungen gediehen sind, also wo etwas schmort oder wo etwas weitergemacht werden sollte. Sie können aufgrund unseres Planes zum Beispiel feststellen, was an einem bestimmten Tag des Jahres in Deutschland passiert und was die Bundesregierung tut oder warum sie an diesem Tag, weil ein FussballLänderspiel [sic] stattfindet […] vielleicht keine Presseerklärung abgeben sollte.“155
Die von Plöchinger befragten Berliner Korrespondenten erkannten an, dass Rot-Grün die Terminplanung, die Inszenierung von Themen und das Streuen von Informationen ab 1999 besser als die Kohl-Regierung beherrschte.156 Die Arbeit der Planungsabteilung kommt dem grid der Downing Street sehr nahe. Hombach und Nowak beobachteten New Labour aufmerksam und entsandten mit Bernd Becker einen Mitarbeiter ins Prime Minister’s Office, um dessen Arbeit zu studieren und Anregungen für einen möglichen Umbau des Kanzleramts zu finden. Blairs Stern verblasste allerdings in Berlin schnell: Mitte 2000 sei dessen herausgehobene Rolle wegen der Kritik an Stil und Substanz Labours beendet gewesen, diagnostiziert Becker.157 Nowak und Becker zählten nicht zu Schröders innerstem Zirkel. Müller/Walter ordnen dem Kanzler andere Berater für Kommunikationsfragen zu. In Fragen des Images und öffentlicher Auftritte sowie als letzte Instanz in der Redaktion von Reden habe sich Schröder in erster Linie auf seine Büroleiterin Sigrid Krampitz verlassen. Auch seine Ehefrau Doris Schröder-Köpf habe sich zur essenziellen Beraterin entwickelt. Bei allen anderen Kanzlern habe die Ehe dagegen v.a. als privater Zufluchtsort gedient. Die gelernte Journalistin Schröder-Köpf habe in Fragen der Außendarstellung eingegriffen, was zu Spannungen mit Heye geführt habe. Schröder selbst sprach öffentlich über ihre Rolle als Ratgeberin und Türöffnerin im Medienbereich.158 Krampitz’ Stellvertreter Thomas Steg galt ebenso als Vertrauter des Kanzlers und war v.a. für die Vorbereitung von Kanzlerreden zuständig. Er teilte sich diese Funktion mit dem freien Journalisten Reinhard Hesse, der Erfahrungen als Zeitungs- und Hörfunkredakteur hatte.159 Wegen des öffentlichen Eindrucks einer Fixierung der Politiker auf die Medien übte Hesse absichtlich Zurückhaltung bei der Suche nach 153
Ebd., S. 404. Vgl. Schlesinger, Hausmacht, S. 37 und 62. Das SPD-Mitglied Nowak war ähnlich wie einige Blair-Berater politisch nicht leicht festzulegen: Er war zuvor er Staatssekretär beim sächsischen CDU-Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf. 155 Wolfgang Nowak zit. nach Jan Ross/Dieter Jepsen-Föge [Internet, 2002]: Tacheles - Das Streitgespräch am Freitagabend. Ein Gespräch mit Wolfgang Nowak, Planungschef im Bundeskanzleramt. Online im Internet: AVL: URL: http://www.dradio.de/dlr/sendungen/tacheles/167477 (30.04.2002). 156 Vgl. Plöchinger, Hauptstadt, S. 101. 157 Vgl. Becker, Produkt, S. 872 und 884. 158 Vgl. Müller, Küchenkabinette, S. 178-180 und 199; Leinemann, Podiumsdiskussion, S. 93; Niclauß, Kanzlerdemokratie, S. 309 und Schröder, Entscheidungen, S. 9, 288f. und 393. 159 Vgl. Müller, Küchenkabinette, S. 178-180, 184 und 199; Leinemann, Podiumsdiskussion, S. 93; Niclauß, Kanzlerdemokratie, S. 309; Schröder, Entscheidungen, S. 9, 288f. und 393. Hesse verstarb im Oktober 2004. 154
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einprägsamen Formulierungen. Zwar müsse der Redenschreiber in Zeiten der 150-Zeilenund Eineinhalbminuten-Berichte zitierfähige Aussagen schaffen, trotzdem sei vorrangig, dass die generelle Botschaft in der Berichterstattung ankomme.160 Dies stellt einen Gegensatz zu Blairs Medienarbeit dar, die Kernaussagen von Reden und einzelne Sätze deutlich hervorhob. Weitere einflussreiche Journalisten standen Schröder als Ratgeber zur Verfügung. Ein Beispiel ist der frühere Herausgeber der Wochenzeitung Die Woche, Manfred Bissinger. Der Rolle eines Lord Gould bei Schröder, freilich in abgeschwächter Form, lässt sich dem Meinungsforscher Manfred Güllner, dem Leiter des Instituts Forsa, zuordnen. Kohl hatte mit dem Allensbacher Institut für Demoskopie enge Verbindungen gepflegt. Güllner galt als ein wichtiger externer Berater des Kanzlers, was sich in häufigen Treffen und Telefonaten niederschlug. Er nahm zuweilen an den Morgenlagen im Kanzleramt teil.161 Diese Morgenlagen fanden im Gegensatz zu Kohls Kanzleramt nicht mehr an allen Arbeitstagen statt. Schröder pflegte einen informellen Arbeitsstil mit flachen Hierarchien und spontanem Arbeiten auf Zuruf, was langfristige Planungen behinderte. Dieser Zustand kann insgesamt als Charakterisierung des Regierungsstils dienen. Der Kanzler entschied oft situativ-spielerisch, faktische Handlungsspielräume und aktuelle Stimmungen im Blick. Die zentralen politischen Botschaften von Rot-Grün fanden sich weder 1998 noch 2002 in den Ankündigungen zu Beginn der Legislaturperiode. Sie entstanden häufig ungeplant, aus Ereignissen heraus. Die dann getroffenen Entscheidungen hatten dann durchaus weitreichende Folgen und waren v.a. hinsichtlich ihrer Kommunizierbarkeit durchdacht. Als Beispiele seien die Sparpolitik nach dem Rücktritt Lafontaines, die sogenannte Agrarwende nach der BSE-Krise oder die Hartz-Kommission nach der Aufdeckung der Manipulationen in den Arbeitsämtern genannt.162 So entstanden die Leitplanken der Regierungsarbeit quasi während des Vorbeifahrens. Schröder begründete dieses Politikverständnis 2003 mit der Beschleunigung der Veränderungen in der Weltwirtschaft. Gesetze hätten damit eine kürzere Lebensdauer, Politik verwandele sich in einen fortlaufenden Prozess des Managements der Veränderungen: „Denn wenn die Zyklen an der ökonomischen Basis einer Gesellschaft […] sich sehr viel schneller verändern als je zuvor in unserer Geschichte und das eher zunehmen als abnehmen wird, dann besteht die Aufgabe, die politischen Subsysteme entlang dieser Veränderung jedenfalls zu überprüfen, permanent.“163
Außerdem musste sich die rot-grüne Bundesregierung mit dem bereits beschriebenen Wandel des Mediensystems auseinandersetzen, dessen Sprunghaftigkeit viele Themen zu Eintagsfliegen machte. Dagegen brauchen Gesetze zuweilen Jahre, um durch parlamentarische Verfahren zu kommen, in Kraft zu treten und Wirkung zu entfalten. In diese Falle tappte Schröders Regierung mehrfach: Die Entlastungsschritte durch die Steuerreform wurden nach ihrem Beschluss kaum wieder öffentlich thematisiert. 2001 ging das Job-Aqtiv-Gesetz 160 Vgl. Reinhard Hesse: Die politische Rede. Das Beispiel Gerhard Schröder. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen 3/2000, S. 46-48 161 Vgl. Langguth, Allmacht, S. 125; Korte, Strukturen, S. 298f. und Jan Fleischhauer: Im Kanzleramt. In: Der Spiegel 38/2005, S. 22-39, hier S. 22-26. Im Folgenden zitiert als: Fleischhauer, Kanzleramt. 162 Vgl. Korte, Strukturen, S. 298f.; Müller, Küchenkabinette, S. 185 und 191-193; Niclauß, Kanzlerdemokratie, S. 308f. und Meng, Medienkanzler, S. 21-23, 35-37 und 98f. 163 Gerhard Schröder zit. nach Leinemann, Podiumsdiskussion, S. 98f.
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durch den Bundestag, das die Arbeitsvermittlung straffte. Als Anfang 2002 die hohe Erwerbslosenquote und der Skandal um manipulierte Vermittlungszahlen der Arbeitsämter publik wurden, herrschte lautstarke Kritik am angeblichen Nichtstun der Bundesregierung in der Arbeitsverwaltung – das Gesetz war schon vergessen. Meng fasste das Kommunikationsproblem so zusammen: Die Regierung habe vieles gemacht, aber keiner merke es. Daneben sei die handwerkliche Ebene der Regierungsarbeit anfälliger für Skandalisierung: Schon der kleinste Fehler in einem Gesetzestext oder eine falsche Auskunft von einem Sprecher diene manchem Journalisten als Beweis für Dilettantismus oder Manipulation. 164 Schröder sah eine enorme Tempobeschleunigung der Medien: „Das ist alles sehr viel wettbewerbsorientierter geworden und […] mehr orientiert auf kurze Quotes […] und weniger auf ein Gespräch, das aufklärt über Hintergründe […] Die klarsten Vertreter dieser neuen Art, in den Medien zu arbeiten […] halten einem das Mikrofon vor die Nase und sagen: ,Herr Bundeskanzler und ....?’. Dann können Sie gleichermaßen zu wichtigen Fragen der Außenpolitik wie zu der Tatsache antworten, dass Hannover 96 natürlich nicht abgestiegen ist, alles ist möglich.“165
Schröder reagierte mit einigen gut eingeübten Techniken. Eine Machtressource war der Stil der quasi-präsidentiellen Moderation. Im Falle von Abstimmungsschwierigkeiten in der eigenen Regierung oder Partei versuchte er oft, durch telegenen Schwung und Ankündigungen in den Medien Tatsachen zu schaffen. Unterstützt wurde das durch den ChefsachenMythos, die Neigung, Themen an sich zu ziehen und Machtworte zu sprechen. Unter Handlungsdruck traf er Sach- und Personalentscheidungen, die geeignet waren, ein Thema komplett aus der öffentlichen Wahrnehmung herauszunehmen, z.B. der Rücktritt des politisch Verantwortlichen und eine Gesetzesänderung oder Organisationsreform. Hier wurde agenda-cutting mithilfe symbolischer Politik, dauerhaft wirksamen Entscheidungen oder Verlagerung in nicht öffentliche Gremien betrieben. Letzteres zeigte sich v.a. in der Bildung oder Nutzung von Kanzlerrunden und Kommissionen. Deren Zahl nahm unter Schröder drastisch zu. So konnte er vor der Wahl 2002 mit dem Rücktritt Bernhard Jagodas als Präsident der Bundesanstalt für Arbeit und der Berufung der Kommission unter Leitung des VWPersonalvorstands Peter Hartz das lästige Thema Arbeitsmarkt zunächst neutralisieren und später sogar für sich nutzen.166 Bei Schwierigkeiten ging er in die Offensive und versuchte, in der Öffentlichkeit die Oberhand zu behalten. Dabei folgte er der Maxime, dass oft nicht das Problem selbst, sondern die Wahrnehmung des Problems entscheidet. Oft gestand er in Interviews kleine Fehler ein, vermittelte aber durch Worte und Gesten den Eindruck, grundsätzlich habe er alles im Griff. Auf kurze Frist erwies sich die Medienarbeit von Schröder persönlich und der Bundesregierung insgesamt also als äußerst erfolgreich. Journalisten beschrieben das BPA als gut ausgestattet und professionell arbeitend – oft im Gegensatz zu den Ministerien. Für die alltägliche Inszenierung war Schröders Beraterkreis bestens präpariert. So nutzten seine Mitarbeiter die Chance, dass der preisgekrönte Film-Kameramann Michael Ballhaus vor der Silvesteransprache 2001 in Berlin weilte. Ballhaus wurde eingeladen zu untersuchen, 164
Vgl. Meng, Medienkanzler, S. 57f. und 99-101. Leinemann, Podiumsdiskussion, S. 85. Vgl. Korte, Strukturen, S. 246-253; Meng, Medienkanzler, S. 33-37; Niclauß, Kanzlerdemokratie, S. 314-316 und 363f. und Murswiek, Regierungsstil, S. 119 und 122-126. Die Vorschläge der Hartz-Kommission wurden im Sommer 2002 an den Spiegel lanciert und verschafften dem Kanzler eine praktische Wahlkampfhilfe. 165 166
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wie das Kanzleramt noch besser für die Medien nutzbar wäre. Das Ergebnis dessen war in den dynamischen Schnitten in der Ansprache zu bewundern.167 Korte verortete bei Schröder das Mittel des Tageskanzlertums, des permanenten Regierens im Wahlkampfstil.168 Doch Letzteres beschreibt Schröders Arbeit nicht akkurat: Gerade Kampagnen benötigen programmatische Leitideen und strategische Fahrpläne als Basis für taktische Tagesentscheidungen. Dieses Dilemma zeigte sich im Bundestagswahlkampf 2002. Die SPD habe noch 2001 die Meinungsführerschaft bei wichtigen Fragen besessen, aber 2002 wegen „einer null erkennbaren Regierungsagenda“169 verloren, wie der damalige Kampagnenmanager Machnig bemängelte. Schröders Amtszeit zeichnete sich durch besonders deutliche und kurzfristige Meinungswechsel in der Wählerschaft aus: Die Zustimmung zur Regierungspolitik und die Hauptthemen der politischen Agenda fluktuierten dramatisch. Den Ausschlägen der öffentlichen Meinung setzte die Regierung keine stetige Kommunikationsstrategie entgegen, sie trug vielmehr durch sprunghafte Themenund Politikwechsel zur nervösen Grundstimmung bei.170 Natürlich hatten auch Kanzler vor Schröder Schwierigkeiten, prägende Strategien zu entwerfen und durchzusetzen. In der historischen Betrachtung wirkt manches kohärenter, als es noch im tagesaktuellen Brennspiegel erschien. Aber bei Schröder ist der bewusste Verzicht auf vorausschauende Politikplanung zu konstatieren, weil er daran zweifelte, im so schnelllebig gewordenen Politikgeschäft überhaupt längerfristig erkennbare Linien aufbauen zu können.171 Es gebe kein strategisches Zentrum der Koalition und der Partei, denn Schröder betrachte sich als seine eigene strategische Reserve, so Machnig: „Er ist derjenige, der vor allem mit einsamen Entscheidungen und vor allem, wenn Druck aufgebaut ist, in der Lage ist, konsequent zu handeln.“172 Meng argumentiert, die Entwicklungen von 1998 bis 2002 bewiesen, „wie gering die Bedeutung der inhaltlichen Seite bei der Genese politischer Weichenstellungen geworden ist“.173 Schröder selbst sah Streitigkeiten in der Koalition, eine wechselhafte innenpolitische Wetterlage und den Druck außenpolitischer Ereignisse als Prägekräfte seiner Regierungszeit: „Es gab kaum einen Moment in den sieben Kanzlerjahren, in dem so etwas wie eine Ruhepause eingekehrt wäre. Es war eine Koalition, die ungewöhnlich viel Binnenkommunikation erforderte, und kein Sommer blieb ohne Sommertheater.“174
Selbstverständlich war den Akteuren in Kanzleramt und BPA bewusst, dass ein Nebeneinander an Einzelthemen kein geschlossenes Bild abgibt. In der ersten Amtszeit von RotGrün gab es verschiedene Versuche der Definitionsgebung. Nach der Kontroverse um das Schröder-Blair-Papier versuchte sich der Kanzler 2000 mit einem Aufsatz über die zivile 167 Vgl. Niejahr, Pollenflug, S. 99f. Plöchinger, Hauptstadt, S. 108f. und Urschel, Schröder, S. 280-284. Zu den Bundesministerien s. Abschnitt 4.2.3. 168 Vgl. Karl-Rudolf Korte: Regieren in der Ära Schröder oder die Frage nach der Substanz in der Mediendemokratie. In: Tilman Mayer/Reinhard C. Meier-Walser (Hrsg.): Der Kampf um die politische Mitte. Politische Kultur und Parteiensystem seit 1998. München 2002, S. 236-249, hier S. 240f. 169 Matthias Maching zit. nach Leif, Banalisierung, S. 144. 170 Vgl. Niclauß, Kanzlerdemokratie, S. 317 und Müller, Küchenkabinette, S. 193f. 171 Vgl. Korte, Strukturen, S. 298f.; Müller, Küchenkabinette, S. 185 und 191-193; Meng, Medienkanzler, S. 2123, 35-37 und 98f.; Leif, Banalisierung, S. 144. 172 Matthias Machnig zit. nach Leif, Banalisierung, S. 144. 173 Meng, Medienkanzler, S. 8. 174 Schröder, Entscheidungen, S. 444.
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Bürgergesellschaft, in dem er mehr private Initiative forderte.175 Dies brachte ihm die Kritik ein, es handele sich um nachgereichte Philosophie für die Sparpolitik. Wenig später tagten Spitzenvertreter aus Kanzleramt, BPA und Kommunikationsberatungsbranche zwei Tage lang in einem Potsdamer Hotel, um ein Dach für die Regierungspolitik zu finden und die Arbeit des BPA zu verbessern. Vorgeschlagen wurde hier ein Leitsatz von der Modernisierung von Staat und Gesellschaft oder eine Fokussierung auf Verbesserungen für den Mittelstand. Nach Neuer Mitte und ziviler Bürgergesellschaft wurde schließlich Nachhaltigkeit zum Leitwort Schröders. Es wurde nicht nur auf den Umweltschutz bezogen, sondern auch auf Wirtschafts- und Finanzpolitik.176 Meng kritisierte den Begriff als leeres Symbol ohne Symbolwert, das sich nicht für Schlagzeilen eigne. So bleibe als Zwischenbilanz von RotGrün bis 2002 nur ein Mangel an Prägung von Perspektiven.177 Die Konferenz in Potsdam war ein Indikator der Unzufriedenheit Schröders mit der Außendarstellung seiner Regierung. Vorgesehen war, den Medienberater Schmidt-Deguelle als strategischen Berater ins Kanzleramt zu holen, um von dort aus die Regierungskommunikation zu bündeln. Diese Verschiebung im Machtgefüge wurde allerdings nicht umgesetzt. Regierungssprecher Heye wurde ähnlich wie Campbell mehr und mehr zum strategischen Berater seines Chefs. Er entfremdete sich von seinen früheren Kollegen. Hierfür war allerdings nicht die Unterstellung von zu viel Spin verantwortlich, sondern v.a. der Generationswechsel im politischen Journalismus.178 Dies droht jedem Regierungssprecher, wenn er nicht beide Seiten gleichermaßen berücksichtigt: „Regierungssprecher müssen […] nah am Kanzler sein […] Doch wenn sie in der unmittelbaren Nähe des Regierungschefs angesiedelt sind, dann erwartet und verlangt dieser Diskretion. Ein verschwiegener Sprecher aber ist ein Paradoxon und wird von der informationshungrigen Journalistenschar am Regierungssitz auch nicht gemocht. […] Ein unzufriedenes Mediencorps wiederum schätzt der Kanzler nicht, da er ja eine gute Presse für sich und seine Regierung wünscht.“179
Eine Balance zwischen Diskretion und Offenheit gelang Heye zum Schluss offenbar nicht mehr. Er machte keinen Hehl daraus, dass er die Arbeit junger Journalisten für zu oberflächlich hielt. Zu ihnen hielt er kaum Kontakt. Viele Korrespondenten wandten sich an Vize-Regierungssprecher Béla Anda, der vorher für die Bild-Zeitung gearbeitet hatte. Er konnte gelegentlich exklusive, kanzlerfreundliche Informationen massenwirksam unterbringen. Schröders stellvertretender Büroleiter Steg kam ebenso eine Rolle als Ansprechpartner für die Medien zu. Somit sind in Schröders erster Amtszeit Politikvermittlungsexperten erkennbar, die entweder aus der zweiten Reihe (Anda) oder inoffiziell (Steg, Hesse) Informationspolitik betrieben, ähnlich Blairs Sonderberatern. Dies sollte sich jedoch nach der Bundestagswahl im September 2002 ändern: Heye zog sich aus dem Amt des Regierungssprechers zurück.180 175 Siehe Gerhard Schröder: Die zivile Bürgergesellschaft. Anregungen zu einer Neubestimmung der Aufgaben von Staat und Gesellschaft. In: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte 6/2000, S. 200-207. 176 Vgl. Niclauß, Kanzlerdemokratie, S. 349; Schlesinger, Hausmacht, S. 63 und Christoph Schwennicke: Eine Regierung als Gesamtkunstwerk. In: Süddeutsche Zeitung vom 12. April 2000, S. 3. Im Folgenden zitiert als: Schwennicke, Gesamtkunstwerk. 177 Vgl. Meng, Medienkanzler, S. 215-225. 178 Vgl. Schwennicke, Gesamtkunstwerk und Müller, Küchenkabinette, S. 181f. 179 Müller, Küchenkabinette, S. 181. 180 Vgl. ebd., S. 181-184; Hornig, Sprachrohr, S. 94 sowie Urschel, Schröder, S. 220f. und 292f.
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4.2.2 Agenda 2010 – die Grenzen der Reformkommunikation Nach dem rot-grünen Wahlsieg und dem Ausscheiden Heyes wurde Anda Regierungssprecher. Steg rückte als sein Stellvertreter ein. Der vom Koalitionspartner entsandte VizeRegierungssprecher bekam erstmals auch den Titel eines stellvertretenden Amtschefs des BPA zugesprochen, der grüne Vertreter Hans-Herrmann Langguth erhielt so Zugriff auf den Apparat. Das BPA gab seine Auslandsabteilung an das vom Grünen Joschka Fischer geleitete Auswärtige Amt ab. Beide Veränderungen waren Folge des deutlichen Anwachsens des Juniorpartners in der Wählergunst. Dies zeigt, wie in Deutschland die Regierungskommunikation immer wieder zur Verhandlungsmasse in der Koalition wird – ein Kontrast zu London, wo der Premier nur Vertrauensleute für seine PR aussucht. In den Koalitionsverhandlungen hatte ein Tauziehen zwischen Kanzler und Außenminister um die Zuständigkeit für die EU geherrscht. Der Staatsminister für Europafragen blieb schließlich im Auswärtigen Amt, im Bundeskanzleramt entstand eine neue Abteilung für Europapolitik. Zum Ausgleich wurde die Abteilung für politische Analysen und Grundsatzfragen aufgelöst. Planungschef Nowak musste das Kanzleramt verlassen. Damit wuchs Kanzleramtschef Steinmeiers Macht, ihm fielen einzelne Stäbe zu. Aber nun gab es keine spezielle Abteilung mehr, die mit einem Gesamtüberblick zur Regierungspolitik und mit kreativen Ideen von außen kommunikationsstrategisch wirken konnte.181 Das Kanzleramt war nun so aufgebaut: Abbildung 7:
Organisation des Bundeskanzleramtes unter Schröder (Stand: 19. November 2002)182 BK Gerhard Schröder
StMin Rolf Schwanitz
Chef des Bundeskanzleramtes StS Dr. Steinmeier
Kanzlerbüro; Leiterin: VAe Krampitz Büro; Leiter VLR I Steinlein
StMin Dr. Christina Weiss
Sechs fachpolitische Abteilungen
Der öffentlich wahrgenommene Start der zweiten rot-grünen Regierung war sogar noch schlechter als der der ersten. Der Koalitionsvertrag erwies sich als Ansammlung von Einzelmaßnahmen ohne zentrale Botschaft. Versprechungen aus dem Wahlkampf wurden teilweise zurückgenommen, da sich Milliarden-Lücken im Haushalt auftaten. Für die Zeit nach der Wahl waren vorher keine Konzepte ausgearbeitet worden. Im Spätherbst 2002 stritten die Koalitionsparteien nach der mit hauchdünnem Vorsprung gewonnenen Wahl über wirtschaftspolitische Reformen und den außenpolitischen Kurs. Schröder forderte vergeblich ein Ende der Kakofonie. Im Dezember 2002 gab er plötzlich bekannt, er wolle eine Zinsabgeltungssteuer und einen Niedriglohnsektor einführen. Der sonst loyale SPD-
181 Vgl. Hornig, Sprachrohr, S. 97; Niclauß, Kanzlerdemokratie, S. 312; Korte, Strukturen, S. 244f. und Murswiek, Regierungsstil, S. 119. 182 Nach Niclauß, Kanzlerdemokratie, S. 313 und Busse, Bundeskanzleramt, S. 130f. Die Darstellung ist stark vereinfacht und nur auf kommunikationsrelevante Einrichtungen und Personen bezogen.
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Fraktionsvorsitzende Müntefering bemerkte daraufhin, Schröder neige zu spontanen, nicht abgestimmten Aktionen, die keiner berechenbaren Linie folgten.183 Zuvor war eine Kommission zum Umbau des Sozialstaates unter Führung des Wirtschaftswissenschaftlers Bert Rürup eingesetzt worden. Wieder wurde die Idee bemüht, bestimmte Themen (wie Sozialreformen) für gewisse Zeit aus der öffentlichen Diskussion zu ziehen. Das schlug diesmal jedoch spektakulär fehl: Die Rürup-Kommission erwies sich als Sozialparlament en miniature, der öffentliche Streit ihrer Mitglieder füllte Sendezeit und Zeitungsspalten. Der gewünschte Eindruck kehrte sich um: Statt Vertrauen zu schaffen, dass ein Rat aus Wissenschaft und gesellschaftlichen Gruppen für alle akzeptable Ergebnisse aushandeln werde, sorgten die sich teilweise gegenseitig ausschließenden Ideen der Mitglieder nur für mehr Verunsicherung. 2003 drohte Schröder sogar mit der Abschaffung der Kommission. Ihre Vorschläge wurden später nur zum Teil umgesetzt.184 Erneut versuchte der Bundeskanzler einen Neustart nach einem blamablen Beginn der Legislaturperiode. Kurz vor Weihnachten 2002 wurde ein Strategiepapier aus dem Bundeskanzleramt in die Öffentlichkeit lanciert, das konkrete Vorschläge für eine weitreichende Reform sozialer Sicherungssysteme enthielt. Das Dokument wurde zuerst vom Berliner Tagesspiegel veröffentlicht. Dieses Vorgehen erwies sich als kommunikativ geschickt: Das durchgesickerte Papier diente als Testballon – noch war der Kanzler offiziell nicht auf die Ideen festgelegt und hätte sich bei einem extrem negativen Echo in Koalition und Öffentlichkeit davon lossagen können. Das Strategiepapier kam aus einer Planungsgruppe rund um Kanzleramtschef Steinmeier, die ohne Einbeziehung des Gesundheits- und Sozialministeriums Ideen für Sozialreformen ausgearbeitet hatte. Damit war ein überraschendes Signal für einen möglichen Kurswechsel gesetzt, auch für eine Distanzierung von der eigenen Partei: Noch vor der SPD-Bundestagsfraktion erfuhr der sozialpolitische Sprecher der Union Horst Seehofer von dem Papier. Auch der Zeitpunkt war kein Zufall: An Weihnachten würden politische Themen schnell in den Hintergrund treten. Die Veröffentlichung des Papiers löste eine kurze Debatte aus, die anzeigte, dass der Widerstand gegen die Pläne nicht unüberwindbar sein würde.185 Daraufhin ging die Planung des Reformpakets im Kanzleramt auf Beamtenebene weiter. Einbezogen waren das neu geschaffene Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit und externe Experten wie der Politikwissenschaftler Herfried Münkler und der erfahrene Münchener Politikberater Volker Riegger. In diesem Kreis wurde die Idee geboren, eine Regierungserklärung zu halten. Diese sollte die populäre Nichtteilnahme am Irak-Krieg mit 183 Vgl. Leinemann, Höhenrausch, S. 362f.; Leinemann, Podiumsdiskussion, S. 101f. und Christian Tretbar: Wie strategiefähig ist die SPD? In: Leif, Thomas (Hrsg.): Verschwiegen, verschwunden, verdrängt – was (nicht) öffentlich wird. Dokumentation 7. Mainzer Mediendisput. Mainz 2003, S. 184-198, hier S. 188. Im Folgenden zitiert als: Tretbar, SPD. Vgl. auch Thomas Hanke [Internet, 2002]: Kolumne: Taktischer Befreiungsschlag. Online in Internet: AVL: URL: http://www.ftd.de/hanke (19.12.2002). 184 Vgl. Niclauß, Kanzlerdemokratie, S. 316. 185 Vgl. Korte, Strukturen, S. 221 und 295f.; Lutz Haverkamp [Internet, 2002]: Kanzleramt plant radikale Reformen. Strategiepapier: Auf keinen Fall höhere Steuern – aber mehr Eigenbeteiligung bei Gesundheit und Rente. Online im Internet: AVL: URL: http://www.tagesspiegel.de/politik/div/;art771,2149967 (20.12.2002); Nikolaus Blome [Internet, 2002]: Reformthesen aus dem Kanzleramt. Spekulationen über umfassenden Sozialumbau – Ein Testballon von Schröder? Online im Internet: AVL: URL: http://www.welt.de/printwelt/article309347/Reformthesen_aus_dem_Kanzleramt.html (21.12.2002) und Arne Delfs [Internet, 2002]: Geteiltes Echo. Das Strategiepapier des Kanzleramts irritiert Freund und Feind. Online im Internet: AVL: URL: http://www.welt.de/print-welt/article311994/Geteiltes_Echo.html (23.12.2002). Vgl. auch Margaret Heckel: Meister des politischen Spiels. In: Welt am Sonntag vom 16. April 2006, S. 4. Im Folgenden zitiert als: Heckel, Meister.
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den für viele einschneidenden innenpolitischen Veränderungen verbinden. Ihr Termin wurde auf den 14. März 2003 gesetzt. Am selben Tag würde der von der Union beherrschte Bundesrat die rot-grünen Steuergesetze blockieren und den Eindruck politischer Lähmung verstärken. Dem konnte so Aufmerksamkeit entzogen und das Image des Kanzlers als entschlossener Reformer entgegengesetzt werden. In den Vorbereitungsprozess der Rede waren auch der Publizist Manfred Bissinger und der Stern-Journalist Heiko Gebhardt einbezogen. In den Wochen vor der Rede ließen Regierungssprecher Anda und führende SPDVertreter öffentlich erkennen, die Regierungserklärung werde eine neue Leitidee für RotGrün liefern.186 Am 5. März scheiterte erwartungsgemäß das von Schröder einberufene Bündnis für Arbeit aus Gewerkschaften und Arbeitgebern. Anda buchte den Kanzler sofort als Interviewgast in das heute journal des ZDF ein. Dort kündigte er an, er werde nun Reformen ohne Konsens einleiten. Er verdrängte damit auch den Vorsitzenden der Gewerkschaft Verdi, Frank Bsirke, aus der Sendung. Redenschreiber Hesse fertigte einen ersten Entwurf der Ansprache an. Die Endredaktion übernahm dieser zusammen mit Steinmeier, Steg, Krampitz, dem stellvertretenden Kanzlerbüroleiter Albrecht Funk und Doris SchröderKöpf. Die Kanzlergattin ist die Schöpferin des Namens Agenda 2010, den sie nur Stunden vor der Rede erfand. Die Regierungserklärung etablierte diesen Titel des größten Umbaus der Sozialsysteme seit einem halben Jahrhundert, der von nun an Schröders zweite Amtszeit vollkommen prägen sollte.187 Kurzfristig hatten die Vorarbeiter der Agenda 2010 alles richtig gemacht. Die abgeschottete Vorbereitung im Kanzleramt verhinderte, dass die Pläne schon während ihrer Konzeption öffentlich zerredet wurden. Die vorher platzierten Reform-Andeutungen befriedigten den von den Elitemedien geäußerten Wunsch nach wirtschaftspolitischen Reformen und lenkten die Erwartungen von Befürwortern und Gegnern. Externer kommunikativer Sachverstand wurde hinzugezogen. Die Inszenierung des Scheiterns des Bündnisses für Arbeit sicherte dem Kanzler die Interpretationshoheit, dass es nun seine Sache sei, Veränderungen einzuleiten. Nur rhetorisch gab es Enttäuschungen: Von Schröder, der Pathos vermeidet, wurde eine messianische Rede erwartet. PR kann zwar Erwartungen wecken oder dämpfen, aber eben nicht punktgenau managen. Langfristig hätte wohl kein noch so intelligentes Kommunikationskonzept die folgenden politischen Erschütterungen, die mit der vorzeitigen Bundestagswahl im September 2005 endeten, verhindern können. Finanzielle Einschnitte und soziale Unsicherheit für breite Schichten lassen sich außerhalb von Kriegs- oder Notzeiten nicht geschickt ,verkaufen’. Wohl aber hätte eine besser abgestimmte Strategie nach dem 14. März die Verwerfungen mildern können. Dem standen zwei Probleme entgegen: der augenblicksorientierte Stil des Kanzlers und das Fehlen von strategischen Kommunikationsplanern in seinem Umfeld. Der SPD-Experte Christian Tretbar zitiert aus einem Gespräch mit VizeRegierungssprecher Steg, wie dieser eine ideale Vermittlungsarbeit entwerfen würde: „Zunächst müssen die Inhalte vermittelt werden. Danach muss man auf der Mesoebene die Einzelmaßnahmen in einen Kontext bringen. Man muss Erklärungen liefern, eine Geschichte erzäh-
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Vgl. Korte, Strukturen, S. 297-299 und 305. Vgl. ebd., S. 258f. und 300f.; Schröder, Entscheidungen, S. 392f. sowie Leinemann, Höhenrausch, S. 363.
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len […]. Dann kommt noch die Metaebene […] hinzu. Dort muss diese Politik in einen Zukunftsentwurf, in ein Bild von zukünftiger Gesellschaft eingebunden sein.“188
Rot-Grün kam jedoch kaum über die Vermittlung der Einzelinhalte hinaus. Abgesehen von der Agenda-Überschrift kam kein roter Faden in den Maßnahmen zum Vorschein. Das narrative Element und das Zukunftsbild fehlten. Schon die Regierungserklärung befasste sich zum überwiegenden Teil mit der Auflistung der Maßnahmen und zeigte, wogegen sie wirken sollen, aber kaum wofür. Sie bot keinen positiven Zukunftsentwurf, dieser blieb auch später aus. Das Besetzen positiver Begriffe geriet ins Hintertreffen: Statt zu versuchen, die Reformen mit akzeptablen Marken zu versehen, dominierten technische Begriffe wie Agenda 2010 oder Hartz IV.189 Zwar war eine vorbereitende Absprache der Kommunikation von Kanzler, Ministerien und Partei wegen der geheimen Vorbereitung nicht möglich. Doch auch nach der Regierungserklärung gab es Abstimmungsprobleme. Tretbar sieht darin ein Versäumnis des Kanzlers und seiner Vermittlungsexperten: „Es gibt im Kanzleramt kein richtiges Strategiepapier und auch keine festgeschriebenen Kommunikationsziele, wie die Agenda 2010 den Menschen vermittelt werden soll.“190 Susanne Gasde, damals Leiterin des Referats Öffentlichkeitsarbeit im Wirtschafts- und Arbeitsministerium, beurteilte die Erwartungen an die Regierungs-PR als zu hoch: Zwar sprächen freie PR-Berater gern von der Steuerbarkeit medialer Prozesse, doch für die Medien sei das Geschäft mit der Angst lukrativer als abgewogene Berichterstattung. Ferner habe das Reformpaket nicht versprechen können, alle Missstände schnell zu lösen. Mit jeder Maßnahme seien berechtigte Zweifel über die Wirkung verbunden gewesen, die eindeutige, optimistische Versprechen verhinderten. Schließlich sei die Bundesregierung zwischen alle Fronten geraten – zerrieben zwischen Kritikern, die weiter gehende Reformen forderten und jenen, die sozialen Kahlschlag witterten.191 Schröder machte den Widerstand gegen seine Reformen aus SPD-Landesverbänden und von einigen Bundestagsabgeordneten verantwortlich für das zerrissene öffentliche Bild seiner Partei und Regierung. Dies habe eine simple Logik im Denken von Medien und Wählern heraufbeschworen: „Wenn schon die eigene Partei nicht von der Richtigkeit ihrer Politik überzeugt ist, […] warum sollten dann sie, die Wähler, diese Politik unterstützen?“192 Bemerkenswert war auch die Konjunktur des Themas Hartz IV in der Medienagenda. Dieses Gesetz ersetzte die Arbeitslosenhilfe durch ein neues Arbeitslosengeld II auf Sozialhilfe-Niveau. 2003 fokussierte die Berichterstattung auf die Frage, ob der Kanzler die Reform gegen den Widerstand von Koalitionsabgeordneten und den Einspruch des Bundesrats durchsetzen kann. Über die konkreten Inhalte und Auswirkungen konnten die Bürger vielerorts wenig erfahren. Die Nachrichtenfaktoren Person (Durchsetzungsfähigkeit Schröders) und Konflikt (v.a. innerparteilicher Streit in der SPD) standen im Vordergrund. Erst im Sommer 2004 wurden die Auswirkungen breit thematisiert, als die Arbeitsagenturen erste Fragebögen an die Erwerbslosen über ihre Lebensverhältnisse verschickten. Als die 188
Thomas Steg zit. nach Tretbar, SPD, S. 193f. Vgl. Leif, Strategie und Schröder, Entscheidungen, S. 392f. 190 Ebd., S. 193. 191 Vgl. Susanne Gasde: Reformkommunikation unter der Regierung Schröder. Bedingungen und Grenzen der ministeriellen Öffentlichkeitsarbeit. In: Miriam Melanie Köhler/Christian H. Schuster (Hrsg.): Handbuch Regierungs-PR. Über die Öffentlichkeitsarbeit von Bundesregierungen und deren Berater. Wiesbaden 2006, S. 411- 422, hier S. 414. Im Folgenden zitiert als Gasde, Reformkommunikation. 192 Schröder, Entscheidungen, S. 408. 189
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Existenzangst der Bürger fassbar war, hob eine emotionalisierte Berichterstattung an, gab es Demonstrationen gegen das beschlossene Gesetz.193 Die nachholende Berichterstattung überraschte offenbar die Bundesregierung, obwohl zuvor bei Inkrafttreten der Gesundheitsreform Anfang 2004 zu besichtigen war, wie heftig sich die Eskalationsspirale dreht, wenn die Maßnahmen für die Bürger spürbar sind. Besonders nach den folgenden Niederlagen bei Landtagswahlen sprachen führende Vertreter der rot-grünen Koalition von einem Vermittlungsproblem: Die notwendige Reformpolitik sei bislang nicht erfolgreich an die Bürger kommuniziert worden. Die Kritik traf v.a. das BPA und den Regierungssprecher Anda.194 Schröder verteidigte ihn gegen Kritik aus den eigenen Reihen: Die Kommunikationsprobleme seien aus einer Vielzahl widersprüchlicher Äußerungen aus Ministerien, Fraktionen und Parteien erwachsen. Oft seien Entwürfe und Positionspapiere frühzeitig an die Medien gelangt. Das Stimmengewirr habe Andas Bemühungen, eine bessere Abstimmung zwischen allen Sprechern in Regierung und Parteien zu erreichen und das BPA effektiver zu machen, konterkariert.195 Anda musste ebenso mit Angriffen ehemaliger Kollegen leben: Der Stern ließ ihn 2004 als personifiziertes Vermittlungsproblem des Kanzlers auftreten.196 Ihm gelänge es nicht, dem Durcheinander der Regierung eine Überschrift zu verleihen, klagte Der Spiegel im Herbst 2002. Es gäbe erhöhten Kommunikationsbedarf, doch seine Auftritte vor der Presse seien ernüchternd inhaltsleer. Fraglich sei, ob er Zugang zu den wichtigen Gremien habe. Er müsse sich die Informationen im Apparat selbst zusammenrecherchieren. 197 Ernster zu nehmen als die kollegiale Häme sind Informationen, dass Anda der innere Machtzirkel Schröders verschlossen blieb. In der Mitgliederliste der Koordinationsrunde aus Kanzler, Fraktion und Partei fiel sein Name nicht. Ebenso wenig ist seine Beteiligung bei der Vorbereitung der Regierungserklärung Schröders 2002 und der Agenda-2010-Rede erwähnt – obwohl es Usus ist, dass Sprecher auf zentrale Ansprachen Einfluss nehmen. Demgegenüber wurde der Kanzlergattin eine große Rolle in der Informationspolitik zugeschrieben.198 Auch die Koordination der Ressorts bereitete Schwierigkeiten: „So lassen sich bei der täglichen Schaltkonferenz zwischen Anda und den Ressorts selbstbewusste Ministersprecher wie Walter Lindner (Auswärtiges Amt), Klaus Vater (Gesundheit und Soziales) oder Norbert Bicher (Verteidigung) längst nicht mehr auf Sprachregelungen verpflichten.“199
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Vgl. Langguth, Allmacht, S. 129f. Vgl. Mainhardt Graf von Nayhauß: Kanzlers Sprecher ist im Gerede. In: Bild vom 24. Februar 2004, S. 2. 195 Vgl. Schröder, Entscheidungen, S. 413. 196 Vgl. Hans Peter Schütz [Internet, 2004]: Béla Anda. Der Sagenichts. Online im Internet: AVL: URL: http://www.stern.de/politik/deutschland/index.htm?id=520482 (19.02.2004). Im Folgenden zitiert als: Schütz, Sagenichts. 197 Vgl. Hornig, Sprachrohr, S. 94. 198 Vgl. Korte, Strukturen, S. 96f. und 295-305; Hornig, Sprachrohr, S. 95; Müller, Küchenkabinette, S. 183; Diekmann, Wiederkehr und Hans-Jürgen Jakobs: Eine verlorene Liebe. Der Medienkanzler Gerhard Schröder entzaubert sich selbst – und bekämpft das System, das ihn groß gemacht hat. In: Süddeutsche Zeitung vom 6./7. März 2004, S. 20. Im Folgenden zitiert als: Jakobs, Liebe. 199 Schütz, Sagenichts. Ähnlich Hans Monath: Porträt Bela Anda: „Schröder ist zufrieden ... mit der Arbeit des Bundespresseamtes.“ In: Der Tagesspiegel vom 16. August 2004, S. 8. Im Folgenden zitiert als: Monath, Zufrieden. 194
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Im Juni 2003 versuchte Anda, eine stärkere Planung und Disziplin zu etablieren, die an britische Vorbilder erinnert. In einem Runderlass forderte er die Ministerien auf, bei wichtigen Vorhaben umfassende Kommunikationskonzepte vorzulegen: „So sollen die PR-Leute der Ressorts dem Regierungssprecher künftig etwa die ,Einschätzung der Problemlage in der Bevölkerung’ inklusive Daten aus der Meinungsforschung, die ,Darstellung möglicher kommunikativer Probleme und Gegenpositionen’ und eine ,Definition und Begründung der Ziele, Kernaussagen, Medien und Zielgruppen’ vorlegen, und zwar ,spätestens vier Wochen vor der geplanten Kabinettbefassung’.“200
Als Schröder und Anda Anfang 2004 mehr Kommunikationsdisziplin der Ministerien bei der Vermittlung der Agenda 2010 verlangten, verwiesen diese auf ihre Eigenständigkeit. So waren z.B. BPA-Vertreter nicht beteiligt, als das Bundesgesundheitsministerium die Kommunikation der Gesundheitsreform plante. Einige Monate später beauftragte die Bundesregierung jedoch das BPA, die Öffentlichkeitsarbeit für das Reformpaket stärker zu steuern. Es erhielt damit deutlich mehr Macht über die Ministerien. Es war klarer geregelt, dass die Ressorts das BPA über ihre Öffentlichkeitsarbeit zumindest informieren. Zudem war es Anda gelungen, die Modernisierung seines Amts weiter voranzutreiben. Er legte Wert darauf, gute Bilder für den Kanzler zu erzeugen. Fotojournalisten wurde mehr Beachtung geschenkt. Um schneller auf Medieninhalte reagieren zu können, wurde ein einem Redaktionsraum gleichendes newscenter eingerichtet, das ständig die Berichterstattung verfolgt, ähnlich der britischen Media Monitoring Unit. Regierungs- und die Ministeriensprecher erhalten bei Eilmeldungen eine Kurznachricht aufs Mobiltelefon.201 Bereits vor Bekanntgabe der Agenda 2010 hatte sich das Verhältnis von Bundesregierung und Medien, speziell der Bild-Zeitung, verschlechtert. Anda gab sich angesichts des scharfen Tons seiner Ex-Kollegen ratlos. Zu Beginn seiner ersten Amtszeit hatte der Kanzler, unterstützt von den früheren Bild-Redakteuren Schröder-Köpf und Anda, ein durchaus kooperatives Verhältnis zu den Springer-Boulevardblättern. Sie druckten menschelnde Geschichten über den Kanzler, vermieden allzu offensive politische Attacken und machten sogar Stimmung für die rot-grüne Steuerreform. Der damalige Bild-am-SonntagChefredakteur Michael Spreng, später Wahlkampfmanager Stoibers, galt als kanzlernah. Nach dem Austausch Sprengs und anderer Springer-Chefredakteure im Herbst 2000 häuften sich Angriffe auf Regierungsmitglieder, auch persönlicher Art. 202 Noch 2003 war sich der Kanzler nicht zu schade, auf Boulevardtrends aufzuspringen. Im Juli sagte er eine Italienreise ab, weil ein dortiger Minister deutsche Urlauber verspottet hatte. Bild feierte das als patriotischen Akt. Wenige Monate später reichte eine Kampagne der Zeitung gegen einen in Florida lebenden Sozialhilfeempfänger, damit Schröder eine Gesetzesänderung durchsetzte, um solche Fälle zu unterbinden. Doch schließlich brachen die Beziehungen zwischen Kanzler und Springer komplett zusammen. 2004 ließ Schröder verbreiten, er werde Bild kein Interview mehr geben. Außerdem wurden die Journalisten 200
o.A.: Regierung. Andas Vorwärtsverteidigung. In: Der Spiegel 27/2003, S. 19. Vgl. Peter Ehrlich: Botschafter in Sachen Hartz. Kanzler-Sprecher Anda mehrt seinen Einfluss trotz Kritik. In: Financial Times Deutschland vom 17. August 2004, S. 11 und Toralf Staud: Schönreden für Schröder. Wie die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung scheitert – ein Tag im Bundespresseamt. In: Die Zeit 34/2004, S. 5. Vgl. auch Schröder, Entscheidungen, S. 413. 202 Vgl. Meng, Medienkanzler, S. 29; und Elisabeth Niejahr [Internet, 2001]: Krawall in der Hauptstadt. Online im Internet: AVL: URL: http://zeus.zeit.de/text/archiv/2001/04/200104_m-schmidt.xml (02.02.2001). 201
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der Zeitung und des Stern von der Mitnahme in der Regierungsmaschine bei einer USAReise Schröders ausgeschlossen. Damit mobilisierte er auch Chefredakteure zahlreicher anderer Medien gegen sich: Von einer Bestrafung für kritische Berichterstattung war die Rede, die die Pressefreiheit gefährde. Die Bundesbehörde BPA führe eine Praxis ein, missliebige Korrespondenten von Gesprächen und Reisen auszuschließen.203 Aus Regierungskreisen war der Vorwurf zu hören, die Medien seien in einer virtuellen Politikwelt gefangen, die Gerüchte und Nuancen aufbausche, um wenigstens für einen Tag ein Thema zu haben. Viele Journalisten hätten aus Ungeduld mit Rot-Grün förmlich einen Machtwechsel herbeigeschrieben.204 Schröder fehlten populäre Themen und Siegerbilder: „Schröder glaubte, durch und mit den Medien regieren zu können; jetzt, wo ihm auch treueste Wegbegleiter verloren gehen, bleibt nur der Augenblick der Leere vor dem Einsetzen des Abspanns eines Kinofilms.“205
Die politische Dynamik richtete sich gegen Rot-Grün: Auch nach Abflauen der Proteste gegen Hartz IV stabilisierten sich die Umfragewerte nicht, der Tenor der Medien blieb kritisch gegenüber Rot-Grün. Zwar fand Anerkennung, dass der Kanzler seinen situativen Politikstil zurückgestellt hatte und sich als einsamer Anführer gerierte, der die Reformen immer wieder eindringlich zu erklären und durchzusetzen suchte. 206 Doch die anhaltend lahmende Wirtschaft hielt keine frohen Botschaften bereit. Die logische Folge der Aufnahme arbeitsfähiger Sozialhilfeempfänger in die Arbeitslosenstatistik durch das Hartz-IVGesetz war ein einmaliger starker Anstieg der Zahlen. Die Symbolik von fünf Millionen offiziell Arbeitslosen wurde in der Bundesregierung nicht unterschätzt. Aber die Lehre, dass schlechte Nachrichten kommunikativ vorbereitet sein wollen, um die Wirkung ihrer Bekanntgabe zu dämpfen, wurde missachtet: „Ein gutplaziertes Interview zwei Wochen vor den Zahlen, in dem die düstere Perspektive zum ersten Mal genannt werden würde. Dann zwei Wochen anschwellende Diskussion über das Desaster am Arbeitsmarkt. Und schließlich die Zahlen. Jeder hätte sie erwartet, niemand wäre mehr geschockt gewesen. So aber traf die Fünf-Millionen-Nachricht ohne Vorbereitung ins Herz einer demoralisierten Republik mitten in der Rezession. Sie trug entscheidend zum Ende der rotgrünen Bundesregierung bei.“207
Im Sommer 2005 führte Schröder vorzeitige Bundestagswahlen herbei. Ein Jahr später bilanzierte der ehemalige Bundesfinanzminister Eichel, die Flucht in die Neuwahl sei plausibel gewesen: „die Stimmung wäre nicht besser geworden. Sie hätte sich verschärft gegen uns durch die Blockade der Union und die Haltung der Medien.”208 Eine demokratisch 203 Vgl. Jakobs, Liebe und Jörg Thomann: Eine Kampagne gegen alle. Der Spieler als schlechter Handwerker: Der mediale GAU des Kanzlers. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 7. März 2004, S. 35. Im Folgenden zitiert als: Thomann, GAU. Siehe auch Stefan Marx: Boulevard Schröder, Boulevard Blair. Warum Spin Doctoring nicht totzukriegen ist. In: Thomas Leif (Hrsg.): Auf dem Bolevard der Öffentlichkeit – Was kostet uns die Meinungsfreiheit. Dokumentation 8. Mainzer Mediendisput. Mainz 2004, S. 210-218. 204 Vgl. Jakobs, Liebe und Langguth, Allmacht, S. 121. 205 Jakobs, Liebe. 206 Vgl. Franz Walter: Abschied von der Toskana. Die SPD in der Ära Schröder. 2., erweit. Aufl. Wiesbaden 2005, S. 191. 207 Heckel, Meister. Absatz im Original nicht übernommen. 208 Eichel zit. nach Wulf Schmiese: Schröders Memoiren. Der Kanzler, das Buch und das Meer. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 24. Juli 2006, S. 4. Im Folgenden zitiert als: Schmiese, Meer.
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gewählte Regierung dankte ab, weil die Stimmung in den Medien, eigentlich als Wirklichkeitsvermittler, nicht -gestalter gedacht, fest gegen sie gepolt schien. Der frühere Vizeregierungssprecher Langguth reflektierte, kein noch so begnadeter PR-Experte hätte den Untergang der Schröder-Regierung aufhalten können: „Die Kunst von politischer Kommunikation, also auch von Regierungs-PR, besteht allenfalls darin, positive Trends zu verstärken oder negative abzuschwächen und in diesem Sinne auch Themen und Personen in den Medien zu platzieren.“209
4.2.3 Der Einfluss von Medienberatern auf Bundesminister Die von Langguth benannten Fähigkeiten müssen auch Ministeriumssprecher beherrschen. Doch wurde unter der rot-grünen Regierung häufig Kritik an der Kommunikation der Ressorts laut. Noch in der Endphase der Kohl-Ära waren Leitungsstäbe an den Spitzen der Ministerien entstanden. Informationspolitik und Öffentlichkeitsarbeit wurden in den meisten Häusern dort angebunden. Damit entstanden schon vor dem Regierungswechsel Strukturen, die eine bessere Steuerung der Ministeriumsapparate und integrierte Kommunikation möglich machen sollten. Doch blieb unter Rot-Grün ein Defizit in der Kommunikationsarbeit der Ministerien bestehen. Von einzelnen Ausnahmen abgesehen, blieben die Pressestelle und das Referat für Öffentlichkeitsarbeit, die eigentlich eng zusammenwirken müssten, voneinander getrennt.210 Für Michael Marten, von 1998 bis 2005 in verschiedenen Kommunikationsbereichen des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen tätig, blieben Zweifel an der Strategiefähigkeit der Ressorts. Die Kommunikation in den zentralen Leitungsbereichen sei mehr vom Zufall als von Strategie geprägt. Die Akteure auf der Leitungsebene und die Abteilungen hätten unterschiedliche professionelle Sichtweisen auf das Regierungsgeschäft. Selbst wenn die Leitung eine klare Richtung vorgebe, müsse sie davon ausgehen, dass die Verwaltung die Spielregeln der Medien ignoriere und eigene Konzepte durchzusetzen suche. Spätestens 1999 sei klar geworden, dass die Ministerien ohne Beratung von außen nicht fähig sein würden, die kommunikativen Herausforderungen der rot-grünen Projekte zu stemmen.211 Außerdem zeigte sich eine personelle Unterprofessionalisierung dieses Bereiches der Regierungs-PR. Viele medienwissenschaftliche Untersuchungen weisen nach, dass die Pressestellen der Ministerien bis Ende der 90er ausschließlich von Beamten ohne journalistischen Hintergrund besetzt waren.212 Nach 1998 sind kaum Veränderungen zu erkennen: Im Februar 2005 schrieb der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen (BMF), Karl Diller, an den Haushaltsausschuss des Bundestages, der verschärfte Wettbewerb der Medien habe Informationen zur Handelsware im Sinne allgemeiner Markt209
Langguth, Allmacht, S. 120f. Die Ausnahmen waren das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und das Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung. Hier wurden die PR-relevanten Referate mit dem Referat für Redenschreiben zusammengelegt und direkt den Ministerinnen Künast und Schmidt unterstellt. Vgl. Schuster, Politikberatungsagenturen, S. 54 und Ursula Koch-Laugwitz/Dominik Meier (Hrsg.): Mehr Wert durch Beratung? Qualität in Politikberatung und politischer Kommunikation. Dokumentation zur Fachtagung am 29. August 2005 in der Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin. Berlin 2005, S. 15-17. Im Folgenden zitiert als: KochLaugwitz, Wert. 211 Vgl. Marten, Denkste, S. 137, 142-144 und 148. 212 Vgl. Mihr, Auslagerung, S. 87-89. 210
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gesetze gemacht. Neben dem Kanzleramt stehe sein Haus im Fokus des Interesses. Die Mitarbeiter der BMF-Pressestelle seien darauf nicht eingerichtet: „Die wirtschaftliche Konkurrenzsituation […] der Hauptstadt-Medien […] wie der bundesdeutschen Medien im Allgemeinen ist angesichts der Zahl und des zeitlichen Umfangs der täglichen Pressekontakte des BMF mit vier Pressereferenten, die nur eingeschränkt über die nötige ,Binnensicht' der Medien verfügen, qualitativ und quantitativ nicht optimal beherrschbar.“213
Die Pressereferenten des Ministeriums hätten nicht die nötigen Kenntnisse journalistischer Arbeit. Wegen der Besoldungsstruktur der öffentlichen Hand seien Versuche, Personen mit sachgerechter Erfahrung für die Pressestellen zu gewinnen, regelmäßig gescheitert.214 Der Kommunikationswissenschaftler Christian Schuster stellt in seiner Untersuchung fest, die interviewten Mitarbeiter von PR- und Werbe-Agenturen hätten sich relativ häufig über mangelndes PR-Verständnis in den Ministerien beklagt. Schuster zitiert einen Berater so: „Wir treffen in einer verschwindend geringen Anzahl auf Counterparts, die Kommunikationserfahrung haben oder eine Ausbildung in diesem Bereich haben. Es sind oftmals klassische Karrieren im öffentlichen Dienst. Oft hatte ich auch das Gefühl, es seien geparkte Mitarbeiter, die in anderen Abteilungen nicht reüssiert haben […].“215
Die politischen Akteure reagierten auf diese Gegebenheiten mit der Hinzuziehung kommunikativer Beratung von außen. Diese Entwicklung hat nicht erst mit Rot-Grün begonnen. Aber es ist deutlich zu erkennen, dass sich seit Mitte der 90er vermehrt PolitikberatungsAgenturen gründen, bestehende consulting-Firmen in den Bereich politische Kommunikation expandieren und sich einzelne Berater auf diesem Markt selbstständig machen. Die Letztgenannten sind häufig ehemalige Mitarbeiter von politischen Organisationen, die ihre Kontakte nutzen können. Dieses Angebot trifft auf eine gestiegene Nachfrage seitens der Ministerien.216 Die Interaktion der Ministerien, Ressortchefs und externen Berater war vielfältiger Natur. Von Bundesaußenminister Fischer wurde berichtet, dass er einen pensionierten Spiegel-Redakteur als persönlichen Berater angestellt habe. Auch sein Büroleiter Achim Schmillen galt schon vor Einzug ins Auswärtige Amt als wichtiger Ansprechpartner für die Presse. Fischer holte sich vor wichtigen Reden gern Anregungen von Journalisten. Fischers Sprecher Andreas Michaelis machte kein Geheimnis daraus, dass er sich mit dem persönlichen Image seines Chefs befasste. Dies sei unumgänglich, da sich Politik stark personalisiert habe.217 Wirtschafts- und Arbeitsminister Clement (2002 bis 2005), selbst früher Journalist, nutzte Hintergrund-Runden mit vertrauten Ex-Kollegen, um Stimmungen und Ideen aufzunehmen. Laut Leif sind dies Beispiele enger Beziehungen zwischen Politi213
Brief aus dem BMF lag dem Verfasser vor. Vgl. ebd. Namentlich nicht benannter Politikberater zit. nach Schuster, Politikberatungsagenturen, S. 126. Kursivschreibung im Original nicht übernommen. 216 Vgl. Marten, Denkste, S. 138 und Mihr, Auslagerung, S. 93-95. Siehe auch Schuster, Politikberatungsagenturen; Marx, Heer, S. 94-96 und Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. [Antwort auf eine Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU; Bundestagsdrucksache 15/1960] Berlin 2004. 217 Vgl. Niejahr, Pollenflug, S. 99-104; Koelbl, Meute, S. 142 und Thomas Leif: Distanz aus der Nähe. Über das Wechselverhältnis von Politik und Medien. In: Ders. (Hrsg.): Verschwiegen, verschwunden, verdrängt – was (nicht) öffentlich wird. Dokumentation 7. Mainzer Mediendisput. Mainz 2003, S. 130-141, hier S. 135. Im Folgenden zitiert als: Leif, Distanz. 214 215
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kern und Journalisten. Das seien jedoch eher Ausnahmefälle. Vorherrschend in der Beratung sei die Einbindung von Vertretern von Agenturen. So beschäftigte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt laut ihrem Sprecher Klaus Vater dauerhaft einen Politikberater für die PR des Ministeriums.218 Das prominenteste Beispiel für PR-Beratung unter Rot-Grün war Klaus-Peter Schmidt-Deguelle, der Berater von Bundesfinanzminister Hans Eichel. Der frühere TVJournalist hatte Eichel in seiner Zeit als hessischer Ministerpräsident als Regierungssprecher gedient. 1999 folgte er Eichel ins Bundesfinanzministerium. Er hatte zuletzt einen Vertrag mit einem täglichen Nettohonorar über 510 Euro und einer Arbeitszeit von rund 120 Tagen pro Jahr.219 Sccchmidt-Deguelle stellte eine Premiere in der Bundespolitik dar: ein freier Medienberater mit dauerhafter Anbindung an ein Regierungsmitglied. Ebenso auffällig war die Offenheit, mit der er über seine Rolle sprach – die Metakommunikation wurde Teil seines Wirkens. Bereitwillig ließ sich er als Spin Doctor bezeichnen, als „Pressesprecher und mehr“220. Aus den reichlich vorliegenden Berichten über und von Schmidt-Deguelle kann man nur zu dem Schluss kommen, dass sein Einfluss auf Eichel sehr weit reichte. Seine offizielle Tätigkeitsbeschreibung aus dem Ministerium listete u.a. auf: Medienbegleitung bei der Umsetzung finanzpolitischer Beschlüsse, Beratung Eichels bei allen öffentlichen Auftritten und zur amtlichen PR, Unterstützung der internationalen Arbeit des BMF, Mitentwicklung von PR-Kampagnen zur Steuerreform, Pressebetreuung in- und ausländischer Journalisten bei EU-Verhandlungen sowie Beratung des Ministers in presserechtlichen Fragen. Dass Eichel neben der Pressestelle mit Schmidt-Deguelle noch einen besonderen Berater brauchte, läge an deren Vertrauensverhältnis und den guten Medienkontakten des Beraters.221 Schmidt-Deguelles eigene Beschreibung sah so aus: „Meine Rolle war zuallererst eine Backup-Position für alle Fragen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ich war ja kein Beamter oder Angestellter des Ministeriums und konnte deshalb auch nicht öffentlich auftreten. Aber ich konnte durch meine Kontakte zu vielen Journalisten, die ich noch von der anderen Seite her kannte, Transmissionsriemen in beide Richtungen sein. […] Ich hatte zudem die Chance, durch meine Kontakte eine pressefreundliche Beziehung zwischen BMF und den für die Haushalts-, Steuer- und internationale Finanzpolitik zuständigen Kolleg/innen aufzubauen. Dadurch war ich in vielen Fällen Frühwarnsystem für den Minister, das Ministerium und manchmal die Regierung insgesamt. […] Immer dann, wenn die Formulierung ,aus Regierungskreisen’ im Zusammenhang mit dem BMF auftauchte, kann man sicher sein, dass ich es war.“222
Schmidt-Deguelle überarbeitete das Image Eichels, der bis 1999 als bieder und langweilig gegolten hatte. Der Berater verriet, er habe seinem Minister neue Krawatten gekauft und einige Sakkos ausgeredet. Auf dem Schreibtisch des Finanzministers fanden sich bunte Sparschweine – Stoff für die Kameras. Die Bürger konnten erfahren, dass Eichel seine 218
Vgl. Leif, Distanz, S. 135 und Koch-Laugwitz, Wert, S. 39. Vgl. o.A.: Ministerien. Teurer Rat. In: Der Spiegel 8/2005, S. 18. 220 Schmidt-Deguelle zit. nach Thomas Leif: ,Institution’ spin doctor. Interview mit Klaus-Peter SchmidtDeguelle, Politikberater und spin doctor in der Bundesregierung mit Thomas Leif vom 22.05.2000. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen 3/2000, S. 37-45, hier S. 37 und 41. Im Folgenden zitiert als: Leif, Institution. 221 Brief aus dem BMF, im nicht öffentlichen Anhang II. 222 Leif, Institution, S. 41. 219
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Ikea-Möbel selbst montiert, nur wenige Schuhe besitzt und Anzüge von der Stange kauft. Damit gelang es Schmidt-Deguelle, die Sparpolitik über Bilder und Image untrennbar mit Eichel zu verbinden. In den Umfragen zählte Eichel 1999 bis 2001 zu den fünf beliebtesten Politiker Deutschlands. 2000 war Schmidt-Deguelle für Bundessozialminister Walter Riester tätig. Hier kümmerte er sich um die Vermittlung der sogenannten Riester-Rente, organisierte die Pressestelle um und versuchte, die einzelnen Abteilungen näher an die Leitungsebene zu binden. Dabei drohte er auch mit dem Austausch von führenden Mitarbeitern. Auf Wunsch Schröders gab er auch anderen Ministern Nachhilfe in Sachen Medien.223 Seine Berufung ins Kanzleramt scheiterte jedoch.224 Öffentlich gab er seine Ideen für eine bessere Medienarbeit der Bundesregierung zum Besten: BPA und Ressort-Pressestäbe seien besetzt von Protegés der Kohl-Regierung, daher müsse man Nebenstrukturen aufbauen. Regierungsmitglieder machten sich gegenseitig zu oft in der öffentlichen Wahrnehmung Konkurrenz. Per Kabinettsbeschluss müsse jedes Ressort verpflichtet werden, sich dem Gesamtinteresse der Regierung unterzuordnen. Der Regierungssprecher brauche in diesem Sinne mehr Macht. Minister und ihre PR-Experten hätten dem Gesamterfolg der Regierung zu dienen. Schlimmstenfalls müsse der Kanzler jene, die ausscheren, aus dem Kabinett entfernen. Unausgesprochen schimmert hier das britische Vorbild der Sonderberater als Gegenstrukturen zum Apparat, der genauen Ereignisplanung und zentralen Koordination durch. 225 Seine Techniken zur Medienarbeit scheinen ebenso von New Labour inspiriert: Im Rennen der Medienprodukte untereinander würden auch bewusste Falschmeldungen produziert, so Schmidt-Deguelle. Als Reaktion darauf müsse man Korrespondenten eine Zeit lang von Informationen fernhalten und Exklusives an die Konkurrenz geben.226 Er habe seine Minister dazu erzogen, bei Medienauftritten kurze, präzise Sätze zu verwenden. Dazu zählten im Fall Eichel einprägsame Sprachbilder wie „raus aus der Schuldenfalle“227. In einem Statement müssten die ersten drei Sätze die Botschaft und die Konsequenzen enthalten, sonst erscheine der Politiker abends nicht in der Tagesschau. Politik müsse sich heute in Bilder übersetzen. Nötig sei eine genaue Ereignisplanung: ein Termin, der nicht durch andere Ereignisse überlagert werde und eine Kulisse, die positiv besetzt sei. Um die breite Masse der Deutschen zu erreichen, müsse man die Bild-Zeitung mit im Boot haben. Da es eine Zuschauergruppe der informationellen Totalverweigerer gebe, müsse ein Politiker auch Formen wie Kultur- und Sportformaten sowie Unterhaltungsshows für sich nutzen. Diesem Rat folgend, begab sich Eichel in personality-Formate wie UnterhaltungsTalkshows und die Zeitschrift Life & Style. Zu seinen Instrumenten zählte auch das mediale Testen von Vorschlägen. So überlegte Eichel 1999, die steuerliche Absetzbarkeit von Bewirtungsspesen aufzuheben. Um die Popularität dieser Idee zu testen, gab SchmidtDeguelle den Plan an die Bild am Sonntag. Dies sei ein übliches Vorgehen, um die Reakti223 Vgl. Mihr, Auslagerung, S. 112-115; Koelbl, Meute, S. 117; Leif, Institution, S. 43 und Lutz Hachmeister: Der Mann, der „Hans Eichel“ war. Wie sich Journalisten und Medienberater einen Sparminister erfanden. In: Süddeutsche Zeitung vom 5. November 2003, S. 35. Im Folgenden zitiert als: Hachmeister, Mann. Vgl. auch Oliver Schumacher/Christoph Schwennicke: Mister Durchschnitt in der Rolle der Nervensäge. Das Ende des Spardiktats: Wie Finanzminister Hans Eichel damit umgeht, nicht mehr unangefochten die Unterstützung des Kanzlers zu haben. In: Süddeutsche Zeitung vom 15. Oktober 2002, S. 3. Im Folgenden zitiert als: Schumacher, Nervensäge. 224 Siehe Abschnitt 4.2.1. 225 Vgl. Leif, Institution, S. 38f. 226 Vgl. Koelbl, Meute, S. 115f. 227 Mihr, Auslagerung, S. 129.
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onen der Beteiligten zu testen, erklärte er später freimütig. Wegen des sofortigen, starken Protests der Gastwirte ließ Eichel die Idee fallen. Bemerkenswert an dieser Geschichte ist einmal mehr die Offenheit, mit der Schmidt-Deguelle Einblick in sein Trickarsenal gewährte. Er verletzte bewusst den Hauptstadt-Komment, wonach das Zusammenwirken von Journalismus und politischer PR besser unausgesprochen bleibt.228 Auch seinen Einfluss auf finanzpolitische Entscheidungen machte er sichtbar. So habe er viel mit Parlamentariern gesprochen, um für die Sparpolitik zu werben. Zudem habe er massiv auf das Vorziehen der ersten Steuerreformstufe von 2002 auf 2001 gedrängt.229 Das Gesetz sei schon bekannt gewesen, man habe deswegen eine Überraschung gebraucht, um weitere positive Kommentare auszulösen: „Hier war also inhaltliche Einflussnahme von der Öffentlichkeitswirkung her geboten.“230 Eichels Botschaft des soliden Haushalts fand Zuspruch. Er konnte die auf den ersten Blick unpopuläre Politik in seltenem Gleichklang von Finanzpresse, Politikjournalisten, Boulevardmedien und Ministerium gegen Widerstände in der SPD und der Opposition durchsetzen. Es gelang, das erste Sparpaket 1999 zu verabschieden, im Dezember 1999 positiv mit der Steuerreform zu überraschen und diese 2000 durch den Bundesrat zu bringen. Dies wurde von einer Kampagne der Bild-Zeitung für Steuersenkungen untermalt. In der Finanzpolitik gelang es Rot-Grün 1999 bis 2001, mit medialem Schwung politische Entscheidungsprozesse anzutreiben.231 In den Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl 2002 wurde wegen der eingetrübten wirtschaftlichen Lage eine Abkehr vom strikten Sparkurs beschlossen. Eichel steckte nun in einem Dilemma. Sein Image war an die Sparpolitik gefesselt. In reiner Kommunikationslogik gedacht hätte er abtreten müssen, so wie das Brandts erster Finanzminister Alex Möller 1971 tat, als er der Ausgabenwünsche seiner Kollegen nicht Herr wurde. Eichel blieb aber im Kabinett und musste fortan eine Politik vertreten, die nicht mit dem strikten Sparen der Vorjahre übereinstimmte. Als die Koalition der Haushaltskonsolidierung weniger Priorität einräumte, verließ Eichel sein medialer Erfolg.232 Hier zeigt sich die Gefahr der klaren politischen Botschaft: Sie richtet sich plötzlich gegen ihren Träger, wenn sich die Umstände ändern. Von nun an haftete Eichel das Image des Verwalters der Haushaltslöcher an. Schmidt-Deguelle blieb nur, auf eine wirtschaftliche Trendwende zu hoffen und die häufigen Katastrophenmeldungen so gut wie möglich abzufedern. Exemplarisch dafür war die Steuerschätzung im Frühjahr 2003, die einen dramatischen Fall des Wirtschaftswachstums und eine dreistellige Milliarden-Lücke im Bundeshaushalt bloßlegte. Nachdem Eichel vom bevorstehenden Gutachten erfahren hatte, ging er auf Anraten Schmidt-Deguelles gleich in die Öffentlichkeit. Der Berater begleitete den Minister zu allen Pressekonferenzen und Interviews, um kurzfristig Ratschläge geben zu können.233 Dank Schmidt-Deguelles Fähigkeiten zur Krisenkommunikation gelang es Eichel, sich bis zur Wahl 2005 im Amt zu halten.
228 Vgl. Koelbl, Meute, S. 11 und 116. Vgl. auch Mihr, Auslagerung, S. 115, 128, 131 und 139; Leif, Institution, S. 41 und Hachmeister, Mann. 229 Vgl. Koelbl, Meute, S. 117 und Leif, Institution, S. 42. 230 Schmidt-Deguelle zit. nach Leif, Institution, S. 42. 231 Vgl. Mihr, Auslagerung, S. 112f., 122 und 130. 232 Siehe Schumacher, Nervensäge. 233 Vgl. Matthias Geyer: „War das jetzt in Ordnung?” Wie der Sozialdemokrat Hans Eichel seine bisher schwerste Woche als Bundesfinanzminister überstand. In: Der Spiegel 21/2003, S. 26-27. Im Folgenden zitiert als: Geyer, Ordnung.
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Schmidt-Deguelle argumentierte, der Wandel der Medienlandschaft zwinge Minister, sich anleiten zu lassen. Deutschland sei in der politischen Medienberatung ein Entwicklungsland. Die Beschleunigung der Berichterstattung führe zu Falschmeldungen. Diese müssten richtiggestellt werden, aber so geschickt, dass nicht neue Missverständnisse und Nachberichte folgen.234 Es müsse für einen Minister möglich werden, seine eigenen Berater mitzubringen oder die Pressestelle mit Vertrauensleuten zu besetzen: „Noch ist Spin Doctoring und Medienberatung in Deutschland die Ausnahme. Es steht nicht neben und hinter jedem Minister ein Medienberater.“235 Doch schon das prominente Einzelbeispiel Schmidt-Deguelle brachte in den deutschen Zeitungen einzelne metakommunikative Berichte wie bei Blairs Spin Doctors hervor, die ihn und seine Techniken beleuchteten. Zuweilen wurde Eichel wie eine Marionette an den Fäden seines Medienberaters dargestellt.236 Daran war Schmidt-Deguelle nicht unschuldig. So schrieb er 2002, er bespreche dauernd öffentliche Auftritte mit Eichel: „Erforderlich ist beständig ein gewisses Nachjustieren. So ist Hans Eichel nach dem 11. September 2001 die Formulierung unterlaufen, dass er sich auch von Terroristen seinen Sparkurs nicht zerbomben lasse. […] Das hätte nicht passieren dürfen, zeigt aber, dass Politiker gelernte Floskeln – unpassend – in einer Situation verwenden, auf die man nicht vorbereitet war.“237
Auch in der Bundespolitik zeigten sich Delegitimierungsstrategien und die Skandalisierbarkeit gegen Politikvermittlungsexperten der Exekutive. Die Unionsfraktion im Bundestag thematisierte immer wieder Schmidt-Deguelles Beratertätigkeit. Sie stellte Anfragen zu seiner Bezahlung und zog die Rechtmäßigkeit der Vertragskonstruktion in Zweifel. Sogar der Bundesrechnungshof legte auf Wunsch des Haushaltsausschusses des Bundestags einen Bericht über diese Frage vor. Die Rechnungsprüfer kritisierten, dass das BMF nicht analysiert habe, ob und in welchem Umfang ein externer Medienberater nötig sei. Außerdem gebe es keine klare Trennung zwischen der Pressearbeit für das Ministerium und für die SPD. Das Finanzministerium betonte demgegenüber, die Beratung sei sauber geregelt und angesichts des großen Interesses an der Finanzpolitik notwendig. Der Haushaltsausschuss nahm den Bericht des Rechnungshofs ohne weitere Folgen zur Kenntnis. Selbst die oppositionelle FDP erklärte, man könne von Minister Eichel nicht verlangen, dass er die Position eines persönlichen Medienberaters ausschreibe, statt eine Person seines Vertrauens zu wählen.238 Als 2004 bekannt wurde, dass Bundesbank-Präsident Ernst Welteke auf Kosten der Dresdner Bank in einem Berliner Luxushotel übernachtet hatte, geriet Schmidt-Deguelle in 234
Vgl. Klaus-Peter Schmidt-Deguelle: Mehr als nur reaktives Handeln. Die Praxis der Medienberatung. In: Frank Nullmeier/Thomas Saretzki (Hrsg:): Jenseits des Regierungsalltags. Strategiefähigkeit politischer Parteien. Frankfurt/Main, New York 2002, S. 99-108, hier S. 99f. Im Folgenden zitiert als: Schmidt-Deguelle, Handeln. 235 Ebd., S. 108. 236 Vgl. Mihr, Auslagerung, S. 138f. Siehe v.a. Geyer, Ordnung und Hachmeister, Mann. Letzterer trieb diese Darstellung auf die Spitze, indem er den Namen des Finanzministers wie ein Produkt in Anführungszeichen setzte und als traurige Figur porträtierte, die an den Strippen des Beraters hänge. 237 Schmidt-Deguelle, Handeln, S. 103. 238 Vgl. Bundesrechnungshof: Ergebnisbericht 2004. Folgerungen aus den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2002. Bonn 2004, S. 104 sowie Michael Klein [Internet, 2003]: Kritik an Vertrag Eichels mit Medienberater zur Kenntnis genommen. Online im Internet: AVL: URL: http://www.bundestag.de/aktuell/hib/2003/2003_271/ 01.html (10.12.2003). Vgl. ebenso Mihr, Auslagerung, S. 124; Leif, Distanz, S. 130f.; Leif, Institution, S. 43 und den Brief aus dem BMF, im nicht öffentlichen Anhang II.
4.2 Deutschland: Medienkanzler mit Vermittlungsproblem
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Verdacht, Weltekes Stellung untergraben zu haben. Schmidt-Deguelle hatte bis 2003 auch der Dresdner Bank als externer Berater gedient. Er wies jegliche Verdächtigung zurück.239 Beim Sturz des Bundesverteidigungsministers Rudolf Scharping hatten sich zuvor schon vermutete illegitime politische Einflussnahme und Stilfragen vermischt. Scharping ließ sich von dem Frankfurter PR-Experten und Lobbyisten Moritz Hunzinger beraten. In dessen Salon hatte er seine spätere Frau Gräfin Pilati kennengelernt. Die neue Beziehung machte Scharping gern publik, um sein hölzernes Image aufzumöbeln. In der Zeitschrift Bunte erschienen 2001 Fotos, die Scharping und Pilati planschend auf Mallorca zeigten – ausgerechnet in jener Woche, in der deutsche Soldaten einen Einsatz in Mazedonien begannen.240 Hinzu kamen Fragen nach der häufigen Nutzung der Flugbereitschaft der Bundeswehr durch Scharping. Dies spielte sich während der Sommerpause ab und verlor seine Relevanz mit den Anschlägen des 11. September 2001. Damit kam Scharping die mediale Eigenart zu Hilfe, dass ein Thema kaum längere Zeit Aufmerksamkeit behält, was schon oben als Alastair-Campbell-Regel beschrieben wurde. 2002 folgten Berichte, Hunzinger betreibe Lobbying für eine Rüstungsfirma und habe Scharping Geschenke und Geld zukommen lassen. Bundeskanzler Schröder entließ Scharping im Juli 2002, obwohl die medialen Anwürfe einen illegitimen Einfluss auf den Minister nicht bewiesen.241 Die Affäre Hunzinger erwies sich als besonders explosiv, weil der Berater PR und Lobbyismus verquickt hatte. 2004 verlor der Präsident der Bundesagentur für Arbeit, Florian Gerster, sein Amt, weil er kommunikative Beratungsdienstleistungen ohne Ausschreibung eingekauft hatte. Diese Affäre unterstrich die leichte Skandalisierbarkeit von PRAusgaben in Deutschland. So schreibt Gasde, die ministeriellen Öffentlichkeitsarbeiter seien ständig mit hohen Erwartungen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit, aber auch mit dem Vorwurf der Verschwendung konfrontiert.242 In der Großen Koalition ab Herbst 2005 fiel der SPD erneut das Bundesfinanzministerium zu. Eichel wurde durch den früheren nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Peer Steinbrück ersetzt. Auch dieser kaufte sich externe PR- und Imageberatung ein. Der BMF-Sprecher Torsten Albig erklärte, der Minister müsse mit den richtigen Themen und der richtigen Sprache vernehmbar sein. Das könnten die offiziellen Referate für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit allein nicht leisten. Ein Politiker sei ein Markenartikel, der richtig verkauft werden müsse.243 Die externe PR-Beratung in der Bundesregierung geht also weiter, auch wenn die Namen der Beteiligten wechseln.
239 Vgl. Ulrich Schäfer: Berater mit Hotelrechnung. In: Süddeutsche Zeitung vom 15. April 2004, S. 6. Welteke trat schließlich zurück. Der Verdacht gegen Schmidt-Deguelle wurde von der CDU/CSU durch Anfragen im Bundestag thematisiert, aber konnte nie belegt werden. 240 Auf dem Titelblatt der Bunte vom 23. August 2001 waren Scharping und Pilati „Total verliebt auf Mallorca“ zu sehen. Der Spiegel 35/2001 thematisierte die Bilder und ihre politischen Folgen mit der Titelgeschichte „Rudolf der Eroberer“. 241 Vgl. Leinemann, Höhenrausch, S. 372f.; Niclauß, Kanzlerdemokratie, S. 309; Niejahr, Pollenflug, S. 89-92 und Meng, Medienkanzler, S. 92. 242 Vgl. Gasde, Reformkommunikation, S. 415. 243 Vgl. Christian Reiermann/Wolfgang Reuter: Öffentlichkeitsarbeit: Die Marke Steinbrück. In: Der Spiegel 8/2006, S. 76.
5 Untersuchungsdesign und Methoden “[…] it is a fact […] that presentation is part of substance […]. How something appears and how it’s understood is part of what it does. So it’s not wrong, it’s not sort of dishonest or manipulative in a negative sense for people that are creating policies to regard the way these policies are perceived as part of what those policies are.” Leitender britischer Journalist und Ex-Politikaktivist1
Dieses Kapitel markiert den Beginn der Darstellung der empirischen Untersuchung, die dieser Arbeit zugrunde liegt. Die Forschungsfragen (FF) waren bereits in der Einleitung vorgestellt worden. An dieser Stelle wird nun auf der Grundlage der vorhergehenden drei Kapitel knapp ihre Herleitung skizziert, bevor die für ihre Beantwortung gewählte Forschungsmethodik des leitfadengestützten Experteninterviews vorgestellt wird. Die vermutete Zunahme einer Externalisierung der Informationspolitik und eines Bedeutungszuwachses informeller Informationspolitik (FF1) leitet sich aus dem Anstieg der Anzahl der Sonderberater im Londoner Regierungsviertel Whitehall und den aufgeführten Beispielen für externe Medienberatung von Bundesministern in Berlin ab.2 Diese sind nicht die offiziellen Sprecher ihrer Behörden und können nur Informationen weitergeben, ohne dass ihr Name als Quelle genannt wird. Es wird also zu fragen sein, ob sich die Informationspolitik aus den offiziellen Pressestellen zu anderen Quellen verlagert. Die angesprochenen nicht beamteten PR-Experten wurden und werden in den Medien häufig als Spin Doctors bezeichnet. Doch wird es auch unterschiedslos als Kurzwort für alle Arten von Personen im Umfeld von Spitzenpolitikern verwendet. Die Untersuchung von FF2 zeigt an, ob und wie eine klare Definition einer Kategorie des Spin Doctors, ob nun als festes Berufsbild oder Idealtypus im weberschen Sinne, möglich ist. Nach dem beruflichen Hintergrund der PR-Experten fragt FF3. Es wurde gezeigt, dass in London wie Berlin ein Bedarf nach erfahrenen Journalisten für die Politikvermittlung besteht.3 Sollten sich darin wirklich Veränderungen im Berufsbild und in der Rekrutierung von PR-Experten zeigen und sich mit neuen Techniken der Beeinflussung von Journalisten kombinieren, dann muss gefragt werden, ob die politische Kommunikation ein neues Niveau erreicht hat, das als Spin Doctoring bezeichnet werden kann (FF4). In diesem Zusammenhang ist auch der Frage nachzugehen, inwiefern Politikvermittlungsexperten einen verstärkten Einfluss auf die Entscheidungspolitik (FF5) erhalten haben.4 Die Macht der PR-Experten lässt sich auch an ihrer Stellung in der Hierarchie und ihren informellen Zugangsmöglichkeiten zu den Entscheidungszentren messen. Daher beschäftigt sich FF6 mit dem möglichen Anwachsen des Einflusses der Politikvermittlungsexperten. Die organisatorischen Reformen in den Regierungszentralen in London und Berlin waren schon erläutert worden. Außerdem wurde gezeigt, dass Schröders Umfeld Blairs Politikansatz aufmerksam beobachtete – daher kann eine Vorbildwirkung New Labours 1
J/G/3-Q9. Zur Verschlüsselung der Zitate aus den Interviews s. Abschnitt 5.3. Vgl. die Abschnitte 4.1.4 und 4.2.3. 3 Vgl. Blumler, Age, S. 213-216 und s. die Abschnitte 4.1.3 und 4.2.3 dieser Arbeit. 4 So sprechen Esser/Reinemann/Fan von einer neuen Qualität der politischen PR (vgl. Esser, Campaigns). Scammell schreibt, niemand könne bezweifeln, dass New Labour die politische Kommunikation auf eine neue Stufe geführt habe (vgl. Scammell, Media, S. 509). Siehe auch Blumler, Age sowie Abschnitt 3.3 und Kapitel 4 dieser Arbeit. 2
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5 Untersuchungsdesign und Methoden
vermutet werden.1 Das Überthema für FF1 bis FF6 ist die These eines neuen Zeitalters der Regierungskommunikation in London und Berlin. Jedoch ist auch möglich, dass es sich hier um einzelne Modeerscheinungen handelt, die bei einem Wechsel des Regierungschefs wieder verschwinden würden. Nicht umsonst wurde in den letzten Jahren Spin oft genug für tot erklärt, auch von den vorgeblichen Spin Doctors selbst.2 Die gesellschaftlichen und medialen Veränderungen sowie ihre Wirkungen auf Journalisten und Politikvermittlungsexperten wurden ausführlich dargelegt.3 Nun ist zu fragen, welche Wandlungen sie als für ihre jeweilige Arbeit relevant betrachten (FF8) und sie aus demokratietheoretischer Sicht bewerten (FF9). Wie die unmittelbaren Adressaten der Informationspolitik, die Journalisten, auf verstärkte Bemühungen der Regierungen antworten, ihre politische Kommunikation zu professionalisieren, ist Gegenstand von FF10. Das Interesse der Medien am Blick hinter die Kulissen, an der Metaebene politischer Kommunikation, war bereits erörtert worden.4 Inwiefern Metaberichterstattung für PR-Experten praktisch bedeutsam ist, werden die Interviews zeigen.
5.1 Die empirische Untersuchung 5.1.1 Zum Untersuchungsgegenstand Auf der Hinterbühne der politischen Arbeit ablaufende Interaktionen, persönliche Beziehungsgeflechte und oft informell gestaltete Prozesse der Beratung machen die politische Kommunikation zu einer black box, die sich nicht einfach mit einer idealen Methode öffnen lässt.5 Doch die Regierungskommunikation in einem demokratischen Gemeinwesen ist eine essenzielle Komponente für die Meinungsbildung der Bürger. Daher ist es – trotz noch zu erläuternder Limitationen der Aussagekraft – legitim und notwendig, sich diesem Feld zu nähern, um zu Erkenntnissen über sie zu gelangen. In der vergleichenden Politikwissenschaft lassen sich nie umfassende Erklärungen und allgemeingültige Erkenntnisse gewinnen, besonders nicht bei einem so fluiden Thema wie der politischen Kommunikation. Aus forschungsökonomischen Gründen war es nötig, eine Eingrenzung auf eine bestimmte Art von Fällen (hier zwei europäische Länder) und Untersuchungsgegenstände vorzunehmen. Dargestellt werden wichtige Aspekte der politischen Kommunikationskulturen in den zwei Hauptstädten London und Berlin. Als unabhängige Variable erweisen sich in dieser Studie die beschriebenen Veränderungen der Gesellschaft und der Medienlandschaft, auch wenn ihre Handlungsrelevanz in den Interviews gesondert überprüft wird.6 Abhängige Variablen sind der Stil der Informationspolitik der Regierungen, die Art der Rekrutierung der Politikvermittlungsexperten, der organisatorische Aufbau der Regierungszentralen und die Struktur informeller Einflusszirkel sowie der Berichterstattungsstil in den Medien über die Regierungs-PR. Dabei handelt 1
Siehe Kapitel 4. Siehe Campbell, Bury und George Pitcher: The Death of Spin. Chichester 2003, S. 126. Pitcher schrieb, Blairs Entourage habe eine Faszination für das Triviale. Die Kommunikationsmaschinerie der Regierung werde sich nach Blairs Abgang vom Amt des Premierministers ändern. 3 Siehe Kapitel 3. 4 Siehe die Abschnitte 3.3, 4.1.4 und 4.2.3. 5 Zum Zusammenwirken von politischem und medialem System in der Theorie s. Abschnitt 2.2.1. 6 Siehe Kapitel 3 und Abschnitt 6.1.1. 2
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5 Untersuchungsdesign und Methoden
es sich um vielschichtige soziale Prozesse, die sich mit Hilfe einfacher Daten und Fakten kaum sinnvoll darstellen lassen. Bei den hier verwendeten Variablen handelt es sich um multidimensionale Konzepte, die mithilfe einiger Daten (z.B. Anzahl der Politikvermittlungsexperten und ihre Kosten), aber v.a. nicht messbarer qualitativer Aspekte (politischer Einfluss der PR-Akteure, ihre Selbstwahrnehmung als Spin Doctor) beschreibbar sind.7 Die vorliegende Studie will das schillernde Phänomen Spin und die Veränderungen im Stil der Regierungskommunikation in zwei Staaten untersuchen. Dieses Erkenntnisinteresse verleiht ihr einen explorativen, heuristischen Charakter, da das Wort vom Spin Doctoring zwar in die Alltagssprache, aber kaum in wissenschaftliche Zusammenhänge Eingang gefunden hat und umfassende Studien zur Regierungskommunikation in der Bundesrepublik und im Vereinigten Königreich rar sind.8
5.1.2 Zur Begründung des Forschungsdesigns An diesen Anforderungen orientiert sich das gewählte Forschungsdesign. Diekmann unterscheidet drei Gruppen empirischer Methoden in der Sozialwissenschaft: Beobachtung, Inhaltsanalyse und Befragung.9 Die Methode der Beobachtung erwies sich als nicht praktikabel, da dies den Fokus auf einen Einzelfall oder eine kleine Handvoll an Untersuchungsobjekten gerichtet hätte. Ein allgemeinerer Vergleich zwischen Großbritannien und Deutschland wäre so nicht möglich gewesen. Zudem wäre höchst zweifelhaft, ob der Autor ohne Weiteres Zugang zu Pressestellen und Redaktionen in London und Berlin erhalten hätte.10 Eine Inhaltsanalyse käme schon eher in Betracht, wenn man die zahlreichen Medienberichte über die Regierungskommunikation unter Blair betrachtet. Eine Inhaltsanalyse medialer Quellen zur Untersuchung der Forschungsfragen wurde daher erwogen. In Deutschland finden sich dazu aber kaum Datensätze, wie ein Besuch des Autors bei dem Bonner Medienauswertungsdienst MedienTenor ergab. Überdies scheidet die Inhaltsanalyse als primäre Methode zur Erhellung der Forschungsfragen aus: Es soll schließlich untersucht werden, inwiefern Spin Doctoring ein reales Phänomen darstellt. Die Berichterstattung selbst stellt aber die bedeutendste Umfeldbedingung für Regierungs-PR dar. Damit hätte eine Inhaltsanalyse von Medienquellen keinen Erkenntnisfortschritt bringen können. Elemente der Inhaltsanalyse kommen nur bei der Auswertung der Transkriptionen der Interviews zum Einsatz. Die Befragung von Experten zur Regierungskommunikation, also von Politikvermittlungsexperten und Journalisten, kann die Veränderungen dieses Feldes am besten erhellen:
7
Vgl. zum Vorgehen Frank H. Aarebrot/Pal H. Bakka: Die vergleichende Methode in der Politikwissenschaft. In: Dirk Berg-Schlosser/Ferdinand Müller-Rommel (Hrsg.): Vergleichende Politikwissenschaft. 4., überarb. und erweit. Aufl. Opladen 2003, S. 57-76, hier S. 58-60, hier S. 66f. Im Folgenden zitiert als: Aarebrot, Vergleichende. 8 Zur vorliegenden Literatur s. die Einleitung dieser Arbeit. 9 Vgl. Andreas Diekmann: Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. Reinbek ³1997, jeweils S. 456-480, 481-515 und 371-455. Im Folgenden zitiert als: Diekmann, Empirische. 10 Der BBC-Journalist Michael Cockerell erhielt erst nach drei Jahren insistierenden Bittens die Zusage Campbells, in der Pressestelle der Downing Street zu filmen (vgl. Cockerell, Lid, S. 6f.)
5.1 Die empirische Untersuchung
133
„Objektive Schilderungen über das sensible Binnenverhältnis zwischen politischen PR-Experten und politischen Journalisten sind deshalb schwer zu erhalten, weil nur PR-Experten oder Journalisten darüber informiert Auskunft geben können.“11
Zudem verspricht die Beteiligung von einzelnen Wissenschaftlern, die sich intensiv mit politischer Kommunikation befasst haben und eng mit der Praxis in Berührung gekommen sind, zusätzliche Einblicke in die Abläufe der politischen Kommunikation. Die genaue Methode der Befragung wird ebenso durch diese Bedingungen diktiert: Das reine Abfragen quantitativer Aspekte durch einen standardisierten Fragebogen mit geschlossenen Fragen und vorgegebenen Antwortmöglichkeiten kann für die Beantwortung der Forschungsfragen kaum mehr erbringen als die Bestätigung bereits bestehender Stereotype. Ein solcher Frageund Antwortkatalog kann nur erstellt werden, wenn detailliertes Vorwissen über den Forschungsgegenstand existiert, was sich bei der komplexen sozialen Realität der politischen Kommunikation als schwierig erweist. Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde die Methode des leitfadengestützten Experteninterviews gewählt. Die teilstrukturierte Befragung kommt in der Sozialwissenschaft meist zur Exploration und Hypothesenentwicklung und zur Analyse seltener und interessanter Gruppen zum Einsatz.12 Dies ist bei der vorliegenden Arbeit der Fall. Jede andere Methode als das qualitative Interview mit einer Auswahl von an der Regierungskommunikation beteiligter Experten wäre Gefahr gelaufen, statt neuer Erkenntnisse nur wenig erhellende Methodenartefakte zu fabrizieren. Deshalb folgt der Autor hier einem Ratschlag Lamneks: „Lieber durch ein qualitatives Interview Hypothesen generieren, die näher an der sozialen Realität liegen, als Hypothesen zu ‚verifizieren’ oder zu falsifizieren, wenn die Datenbasis unzuverlässig und die Entscheidung über Beibehaltung oder Verwerfung der Hypothese fragwürdig ist.“13
Das teilstrukturierte Interview macht eine offene Gesprächsführung möglich und erweitert die Spielräume der Befragten in ihren Antworten. So lässt sich am besten ein Einblick in die Erfahrungshintergründe des Interviewten gewinnen. Die Interviews sollen handlungsrelevante Einschätzungen und implizites Wissen offenlegen. Bei der Erhebung ist den Befragten freies Verbalisieren und Erläutern erlaubt, dem Befrager die Möglichkeit zum klarstellenden Nachfragen gegeben.14 Gerade im Feld der aktiven Politik (die Regierungen Blair und Schröder waren zum Zeitpunkt der Befragung noch im Amt) ist damit zu rechnen, dass sich den Beteiligten kaum differenzierte Aussagen entlocken lassen, wenn ein
11
Esser, Clinton, S. 135. Vgl. Rainer Schnell/Paul B. Hill/Elke Esser: Methoden der empirischen Sozialforschung. 7., überarb. Aufl. München, Wien 2005, S. 322 und 387. Im Folgenden zitiert als: Schnell, Methoden. 13 Siegfried Lamnek: Qualitative Sozialforschung. Bd. 2: Methoden und Techniken. 3. Aufl. Weinheim 1995, S. 53. Im Folgenden zitiert als: Lamnek, Sozialforschung 2. 14 Vgl. Schnell, Methoden, S. 387 und Michael Meuser/Ulrike Nagel: ExpertInneninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht. Ein Beitrag zur qualitativen Methodendiskussion. In: Detlef Garz/Klaus Kraimer (Hrsg.): Qualitativ-empirische Sozialforschung. Konzepte, Methoden, Analysen. Opladen 1991, S. 441-471, hier S. 442. Im Folgenden zitiert als: Meuser, ExpertInneninterviews. 12
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5 Untersuchungsdesign und Methoden
gezieltes Nachfragen nicht möglich ist. Bei teilstrukturierten, individuellen Interviews15 lässt sich die Informationsgewinnung in diesem Sinne am besten steuern. Das leitfadengestützte Experteninterview bot also die für das Erkenntnisinteresse nötige Offenheit in den Gesprächen, aber auch die Grundlage einer Strukturierung für den späteren Vergleich der Antworten. Der Leitfaden garantierte außerdem, dass in jedem Interview alle forschungsrelevanten Aspekte angesprochen wurden. Beim teilstrukturierten Interview bleibt es dem Forscher überlassen, Reihenfolge und Formulierung der Fragen zu bestimmen. Dies machte es möglich, bei den verschiedenen Experten einzelne Schwerpunkte anzusprechen und damit eine auf den Interviewpartner zugeschnittene Gesprächsatmosphäre zu schaffen. Zudem wurden Elemente des problemzentrierten Interviews aufgenommen. Dies bedeutet, dass das theoretische Konzept des Forschers während der Gespräche fortlaufend überprüft wurde. Es fand ein permanenter Prozess der Operationalisierung der Forschungsfragen statt. Die Antworten eines Befragten bestimmten Form und Ansatzpunkt für das aktuell laufende Gespräch und die folgenden Interviews. Der Forscher konnte im Laufe der Untersuchung im Leitfaden alle ihm wichtig erscheinenden Themenbereiche abdecken und fehlende nachtragen. Damit konnten noch in der Forschungsphase bereits gewonnene Erkenntnisse in weitere Interviews eingewoben und Stellungnahmen zu sich formenden Hypothesen eingeholt werden.16
5.2 Planung und Ablauf der Experteninterviews 5.2.1 Die Auswahl der Experten Für die Experteninterviews mussten Gesprächspartner gefunden werden, die zu neuen Erkenntnissen über die Regierungskommunikation unter Schröder und Blair konnten. Diese wurden bewusst ausgewählt. Als Experte gilt, wer privilegiertes Wissen über eine Personengruppe oder soziale Prozesse besitzt. Es handelt sich hier um die Auswahl typischer Fälle, die als charakteristisch für Grundgesamtheit gesehen werden. Die Definition der Aufnahmekriterien in den Kreis der Befragten leitet sich aus dem Untersuchungsziel ab.17 Im Falle dieser Arbeit waren das Politikvermittlungsexperten (sowohl institutionalisierte Sprecher als auch externe Berater), Politikjournalisten und Wissenschaftler mit praktischen Einblicken. Eine vollständige Befragung von nur einer Gruppe von PR-Experten auf Bundesebene, wie sie etwa Tenscher18 durchführte, schied aus. Denn das Wort Spin Doctoring impliziert eine Auslagerung der Politikvermittlung und Beratung an Personen, die nicht das Rampenlicht der Öffentlichkeit suchen oder keine offiziellen Ämter bekleiden. Ausgangspunkt der Feldphase war die Empfehlung von Gläser/Laudel, vor Beginn der Interviews eine Liste der wichtigsten Interviewpartner festzulegen. 19 Diese enthielt für 15
Nur einmal wurden zwei Politikvermittlungsexperten gemeinsam befragt. Als der Autor den früheren GICSLeiter Mike Grannatt traf, kam spontan sein Kollege Simon Buckby (Ex-Chef der Pro-EU-Lobbygruppe Britain in Europe) hinzu. Beide sind jedoch bei der Auswertung einzeln erfasst worden. 16 Vgl. Schnell, Methoden, S. 387f. Siehe auch Jochen Gläser/Grit Laudel: Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse als Instrumente rekonstruierender Untersuchungen. Wiesbaden 2004, S. 59-106. Im Folgenden zitiert als: Gläser, Instrumente. 17 Vgl. Schnell, Methoden, S. 298f. und Meuser, ExpertInneninterviews, S. 443f. 18 Siehe Tenscher, Professionalisierung. 19 Vgl. Gläser, Instrumente, S. 113f.
5.2 Planung und Ablauf der Experteninterviews
135
Deutschland u.a. den Medienberater Schmidt-Deguelle, die Regierungssprecher Anda und Steg sowie die Journalisten Rolf Kleine und Tissy Bruns; für Großbritannien u.a. den PRExperten Lord Tim Bell, die ehemaligen Regierungsbeamten Mike Grannatt und Andrew Neather sowie die Journalisten Michael White und Jürgen Krönig. Bei diesen Gesprächen wurden die Befragten um die Namen anderer geeigneter Interviewpartner gebeten, was dazu führte, dass Politikvermittlungsexperten aufgespürt werden konnten, die sich zum Teil nicht auf offiziellen Posten befinden, aber dennoch kenntnis- und einflussreich sind. Es handelt sich hier um das Schneeballverfahren, das in der Sozialwissenschaft meist der Analyse sozialer Netzwerke dient und das auch als Nominationstechnik bezeichnet werden kann. Ausgehend von einigen vorher festgelegten Personen werden danach die von ihnen häufig genannten Kontakte um ein Gespräch gebeten. 20 Dieses Verfahren ergab eine zweite Liste von insgesamt rund 150 genannten PRExperten, Journalisten und Wissenschaftlern, aus der der Autor eine bewusste Quotenauswahl traf: Dabei wurde versucht, die verschiedenen politischen Lager zu repräsentieren (also auch Personen aus dem Umfeld der Regierungskommunikation einzubeziehen), unterschiedliche Genres des Journalismus abzudecken (Qualitäts-, Boulevardzeitungen und elektronische Medien) und für eine zeitgeschichtliche Perspektive ehemalige PR-Akteure zu beteiligen. Besonders interessiert war der Autor an freiberuflichen oder fest angestellten Politikvermittlungsexperten, deren Name nicht ohne Weiteres in der politikinteressierten Öffentlichkeit als bekannt gelten kann – bei ihnen konnte man ein Wirken auf der Hinterbühne des politischen Geschehens am ehesten vermuten. Eine besondere Leistung dieser Arbeit besteht also darin, dass die gezielte Auswahl von Personen mit Einfluss möglich war, die ihre Tätigkeit nicht öffentlich pflegen und die normalerweise keine allgemein zugänglichen und zitierfähigen Interviews geben. Befragt wurden Personen in Schlüsselpositionen mit privilegiertem Einblick in die Regierungskommunikation. Es war bewusst nicht gewollt, eine Grundgesamtheit eines bestimmten Typus von Politikvermittlungsexperten und Medienvertretern unter die Lupe zu nehmen. Da der genannte Personenkreis definitionsgemäß nicht quantitativ festlegbar ist und je nach politischer Wetterlage wechseln kann, ist der Kreis der Befragten nicht unter Gesichtspunkten der Repräsentativität interpretierbar. Es können aber aussagekräftige Erkenntnisse zu neuen Tendenzen und Strukturen im Prozess der Regierungskommunikation unter den beiden Regierungschefs gewonnen werden.21 Die für diese Arbeit Befragten wurden in drei Gruppen eingeteilt: Politikvermittlungsexperten, Journalisten und Wissenschaftler. Im Sinne des oben erläuterten problemzentrierten Stils wurde die anfangs gewählte Unterscheidung der Gruppe der Politikvermittlungsexperten in Spin Doctors und in institutionalisierte Sprecher nach einigen Interviews aufgegeben, da sich diese als unpraktikabel erwies. Die Einteilung der drei Befragten-Gruppen ist nicht in jedem Fall trennscharf: So gibt es PR-Experten mit wissenschaftlicher Tätigkeit, freie Journalisten, die Politiker beraten oder ehemalige politische Sprecher, die als Redakteure tätig sind. Für ihre jeweilige Einordnung war entscheidend, in welcher Funktion sie hauptsächlich befragt wurden. So arbeiteten Klaus Bölling und Andrew Neather zum Zeitpunkt der Befragung als Publizisten22, wurde aber zu ihren Aufgaben im Regierungsamt befragt und folglich als Politikvermittlungsexperten klassifiziert. Der Universitätsdozent 20
Vgl. Schnell, Methoden, S. 300 und Tenscher, Professionalisierung, S. 162. Zur Nichtrepräsentativität und Aussagekraft der Ergebnisse s. die Anmerkungen in den Abschnitten 5.3 und 5.4. 22 Bölling ist pensioniert, nimmt aber noch einzelne publizistische Nebentätigkeiten wahr. 21
136
5 Untersuchungsdesign und Methoden
James Humphreys zählt hier als Wissenschaftler, gab seine Einschätzungen aber auch aus den Erfahrungen seiner Anstellung im Prime Minister’s Office unter Blair ab.23 Insgesamt führte der Autor 50 Interviews, davon 30 in Deutschland und 20 in Großbritannien. In Deutschland waren fast alle Angesprochenen zu einem Interview bereit, auch wenn sich mancher Gesprächswunsch wegen Terminschwierigkeiten nicht verwirklichen ließ. In London erwies es sich trotz der beruflichen Verbindungen des Autors als äußerst schwierig, Gesprächspartner zu finden, da eine deutschsprachige Studie für britische Akteure naturgemäß wenig interessant ist. Zahlreiche Anfragen blieben unbeantwortet, wurden abschlägig beschieden, oder es wurde grundsätzliches Interesse bekundet, aber es ließ sich trotz allen Bemühens kein Termin finden. 24 Auf britischer Seite besteht damit eine Lücke an Aussagen, die hier durch die Einbeziehung von Primärquellen in der Auswertung ausgeglichen werden soll. Dies sind im Einzelnen: Aussagen vor Ausschüssen des Unterhauses zwischen 1998 und 2005 sowie die Transkriptionen der Verhöre und die Beweisstücke der Untersuchung Lord Huttons.25 Diese gleichen am ehesten der authentischen Interviewsituation: Relevante Akteure wie Alastair Campbell äußern sich hierin direkt in einer Befragungssituation, oder es handelt sich um interne Schriftwechsel der Blair-Regierung, die für Lord Huttons Untersuchung offengelegt wurden. Tabelle 4: Befragtenstatistik nach Ländern und Gruppenzugehörigkeit Deutschland Politikvermittlungsexperten (P) … davon Aktive … davon Ehemalige Journalisten (J) Wissenschaftler (W) Insgesamt
20 (16) (4) 8 2 30
Großbritannien 8 (4) (4) 9 3 20
Beide Länder 28 (20) (8) 17 5 50
Die Liste der Befragten umfasst für beide Länder Vertreter ehemaliger und zum Zeitpunkt der Befragung noch amtierender Regierungen, nicht institutionalisierte Politikvermittlungsexperten oder jene, die für die jeweilige Opposition arbeiten. So wurden in Deutschland Helmut Schmidts Regierungssprecher Klaus Bölling, Helmut Kohls Medienberater Andreas Fritzenkötter sowie Schröders Sprecher Béla Anda und Thomas Steg interviewt. Zu ihrer Sicht der Regierungskommunikation nahmen mit Bernd Schoppe (SPD), Michael Donnermeyer (früherer Sprecher der SPD), Michael Thielen (CDU) und Martin Kothé (FDP) auch Mitarbeiter der Parteizentralen Stellung. Hinzu kamen nicht assoziierte Experten wie Klaus-Peter Schmidt-Deguelle, Marion Uhrig oder Michael Spreng. In London fanden sich die Mitarbeiter im Prime Minister’s Office, Patrick Diamond und Roger Liddle, zum Gespräch bereit, ebenso ihre früheren Kollegen Mike Grannatt (PR-Berater), Andrew Neather (jetzt Journalist) und James Humphreys (Universitätsdozent). In beiden Ländern wurden erfahrene Journalisten wie Tissy Bruns (leitende Redakteurin des Tagesspiegel), Rolf Kleine (Leiter des Bild-Hauptstadtbüros), Thomas Leif (SWR-Chefreporter), Michael White 23
Eine volle Liste der Interviewpartner findet sich im Anhang I dieser Arbeit. So v.a. in den Fällen des früheren Regierungssprechers Campbell, seiner Nachfolger Hill und Smith sowie seines Vorgänger Meyer. Von allen genannten Personen hatte der Autor eine Zusage für ein Interview erhalten, aber zwischen 2004 und 2006 kam trotz mehrerer Anfragen kein Termin zustande. 25 Der Abschlussbericht selbst wurde nicht einbezogen, da er bereits in Abschnitt 4.1.5 ausgewertet wurde. 24
5.2 Planung und Ablauf der Experteninterviews
137
(Political Editor des Guardian), John Pienaar (leitender Politikkorrespondent der BBC) oder George Pascoe-Watson (stellvertretender Political Editor der Sun) zum Gespräch bereit.26
5.2.2 Die Befragung der Experten Vor den Interviews erstellte der Autor einen verbindlichen Leitfaden für die Befragungen. Die komplexeren Forschungsfragen wurden operationalisiert, d.h. in mehrere Einzelfragen gespalten und auf die praktische Erfahrungswelt der Interviewpartner zugeschnitten.27 Nötig war es, durch möglichst offene Fragen einen natürlichen Erzählfluss der Befragten zu gewährleisten. Jede Befragtengruppe bekam einen auf sie zugeschnittenen LeitfadenKatalog. So konnten z.B. PR-Experten direkt nach ihrem Einfluss auf die Sachpolitik gefragt werden, Journalisten und Wissenschaftler nach ihren Eindrücken in diesem Bereich. Der Empfehlung Diekmanns folgend, wurden die Fragebögen in Themenblöcke untergliedert, um einzelne Bereiche erschöpfend behandeln zu können. Dies entspricht weitgehend der von Schnell/Hill/Esser angeregten Unterteilung des Fragebogens in Schlüssel- und Eventualfragen: So konnte in jedem Interview mindestens eine Frage aus jedem Themenkomplex gestellt werden.28 Umgesetzt wurde auch Diekmanns Anregung, am Anfang Eisbrecherfragen zur Lockerung der Gesprächsatmosphäre einzusetzen.29 So sollten z.B. PRExperten im Interview zuerst allgemein über ihre Tätigkeit erzählen, was den Gesprächsfluss in Gang setzte. Der vor Beginn der Feldphase entworfene Leitfaden30 kam bei allen Gesprächen zum Einsatz. Allerdings verschob sich im Sinne des oben beschriebenen problemzentrierten Interviewansatzes31 nach den ersten Interviews der Akzent bei einigen Einzelfragen. Beispielsweise rief allein schon der Begriff Spin Doctor häufig schroff ablehnende Reaktionen hervor. Deshalb mussten neutralere Formulierungen wie PR-Berater oder Medienexperte verwendet werden. Daneben erwies sich nach einigen Interviews die explizite Frage als sinnvoll, ob Politikvermittlungsexperten höhere Einflusspositionen erreicht haben. Diese Frage war vorher nur implizit einbezogen. Die Interviews wurden zwischen September 2003 und Juli 2004 geführt. Sie fanden meist im Büro des Experten oder an einem von ihm oder ihr gewählten Ort statt, z.B. in einem Café. Der Autor nahm alle Befragungen selbst vor. Da bei teilstrukturierten Befragungen der Interviewer laut Schnell/Hill/Esser selbst Forschungsleistungen erbringt, indem er die Forschungsfragen in den Gesprächen in konkrete Interviewpunkte übersetzt, wurde so sichergestellt, dass der Autor die Feldphase voll unter seiner Kontrolle hatte.32 Außerdem war dem Autor die Situation des Informationsgesprächs aufgrund seiner journalistischen Ausbildung bestens vertraut. Ein nach dem Leitfaden ablaufendes Gespräch befasste 26
Genannt sind hier die Tätigkeiten zum Zeitpunkt des Interviews. Erneut sei auf die volle Liste der 50 Interviewpartner im Anhang I verwiesen. Informationsgespräche, die nicht in die Auswertung einflossen, gab es u.a. mit Marco Althaus (2004, damals Sprecher der SPD-Verlagsgesellschaft DDVG), Michael Geffken (2004, freier Kommunikationsberater in München) sowie Oonagh Gay (2006, Leiterin der Abteilung für Parlaments- und Verfassungsrecht der wissenschaftlichen Dienste des Unterhauses). 27 Vgl. dazu Gläser, Instrumente, S. 109. 28 Vgl. Schnell, Methoden, S. 387 und Diekmann, Empirische, S. 414f. 29 Vgl. Diekmann, Empirische, S. 414f. 30 Siehe Anhang I. 31 Siehe Abschnitt 5.2. 32 Vgl. Schnell, Methoden, S. 387f.
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5 Untersuchungsdesign und Methoden
sich zunächst mit der Definition von Spin Doctors, den biografischen Hintergründen von PR-Experten, ging dann zu ihrem Einfluss auf die Entscheidungspolitik über, befasste sich mit ihren medialen Kontakten, ihrer Stellung im Gesamtkomplex der politischen Kommunikation und schließlich mit der Reaktion der Medien auf Einflüsse der Regierungs-PR. Beinahe jeder Dialog erwies sich jedoch wegen der spezifischen Expertise des jeweiligen Gesprächspartners und Nachfragen als nicht beliebig wiederholbares Einzelinterview.33 Als häufiger Planungsfehler bei qualitativen Interviews erweist sich die Fehleinschätzung des Verhältnisses von Informationsinteresse und verfügbarer Zeit. Der Autor versuchte daher, einen überlangen Leitfaden und ein dadurch oberflächliches Abhaken von Fragen34 – die sogenannte „Leitfadenbürokratie“35 – zu vermeiden und stattdessen genug Zeit zum Nachhaken im Sinne der Forschungsfragen zu lassen. Dies war besonders wichtig, da die Gesprächspartner oft nur wenig Zeit hatten. Der überwiegende Teil von ihnen nahm sich für das Interview zwischen 30 und 60 Minuten Zeit, was eine Gesamtbefragung im Sinne des Leitfadens zuließ. Es gab einzelne Interviews, die länger als eine Stunde dauerten. Fünf Befragungen (Inge Maria Burgmer, Ulrich Deupmann, James Blitz, John Lloyd, Lisa Tremble) mussten allerdings in weniger als 30 Minuten abgeschlossen werden. In solchen Fällen konzentrierte sich der Autor auf wesentliche Fragen wie die Einstellung zum Begriff des Spin Doctors und die Veränderungen des Umfelds für die politische Kommunikation. Lamnek betont den persönlichen Charakter qualitativer Befragungen. Telefoninterviews schieden in der Regel aus: Durch das fehlende visuelle Element würden sie den Intentionen qualitativer Forschung nicht gerecht.36 Nichtsdestotrotz mussten vier Interviews (mit Matthias Machnig, Anthony Barnett, Paul Routledge und Lisa Tremble) wegen Terminschwierigkeiten aufseiten der Befragten telefonisch geführt werden. Nach Ansicht des Autors hätte der Verzicht auf deren Wissen einen gravierenderen Nachteil für die Studie dargestellt als die forschungstechnisch nicht optimale Variante des Telefoninterviews. Der normale Gesprächsverlauf enthielt ein nicht in die Untersuchung eingehendes Vor- und Nachgespräch zur Erläuterung des Projekts und zum Umgang mit den gewonnenen Erkenntnissen. Das Hauptgespräch wurde mithilfe eines digitalen Aufnahmegeräts aufgezeichnet. Allerdings musste in zahlreichen Interviews die Aufzeichnung für kurze Zeit unterbrochen werden, weil der Gesprächspartner durch Anrufe gestört wurde oder auf eine Pause bestand, um Hintergrundinformationen zu geben, die nicht aufgenommen werden durften. Zwei Gesprächspartner ließen keine Aufzeichnung des Gesprächs zu, da sie ihre Aussagen nur ohne Tonband geben wollten. Zwei Telefon-Interviews (Matthias Machnig, Paul Routledge) waren aus technischen Gründen nicht aufnehmbar. Bei zwei weiteren Gesprächen (Frank Esser, James Blitz) verhinderte ein technischer Defekt des Tonbandgeräts eine vollständige Aufnahme. In diesen sechs Fällen bilden die Mitschriften des Autors aus den Interviews die Basis der Auswertung. Diese geben selbstverständlich den Gesprächs-
33
Lamnek (Sozialforschung 2, S. 65) betont, dass offene Leitfadengespräche eine beliebige Anordnung der Fragen erlauben, um eine natürliche Gesprächssituation herzustellen. Siehe die Transkriptionen der Interviews im Band II dieser Arbeit. 34 Vgl. Christel Hopf: Qualitative Interviews – ein Überblick. In: Uwe Flick/Ernst von Kardorff /Ines Steinke (Hrsg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek 2000, S. 349-360, hier S. 358 35 Ebd. 36 Vgl. Lamnek, Sozialforschung 2, S. 59f.
5.3 Zur Auswertung und Darstellung der Erkenntnisse
139
verlauf nur unvollständig und indirekt wieder und sind daher in der Auswertung besonders gekennzeichnet.37
5.3 Zur Auswertung und Darstellung der Erkenntnisse Die Analyse qualitativer Interviews und ihre Aufbereitung müssen wie die Konstruktion der Interviews auf das individuelle Forschungsprojekt zugeschnitten werden. Für die Transkription der Interviews und ihre Auswertung gibt es keine allgemeingültige Methode. Entscheidend ist, dass jeder Schritt rekonstruierbar bleiben muss, um eine der rein subjektiven Sicht des Forschers folgende Ergebnisdarstellung zu vermeiden. Daher war es hier das Ziel, eine intersubjektive Nachvollziehbarkeit sicherzustellen.38 Dabei war es eine besondere Herausforderung, die Einzelmeinungen der Interviewten zu einem Ganzen zusammenzufügen, um nicht nur eine Sammlung an Zitaten und Anekdoten zu liefern. Dafür griff der Autor weitgehend auf die von Meuser/Nagel vorgestellte interpretative Auswertungsstrategie zurück und schnitt sie auf die Gegebenheiten dieser Studie zu. Die interpretative Auswertungsstrategie besteht allgemein aus den folgenden sechs Schritten: Transkription, Paraphrase (Verknappung der Aussagen), Überschriften (thematische Zusammenstellung der Paraphrasen), thematischer Vergleich (Zusammenstellung ähnlicher Passagen aus verschiedenen Interviews), soziologische Konzeptualisierung (Systematisierung von Deutungsmustern), theoretische Generalisierung (Verknüpfung von Sinnzusammenhängen zu Typologien und Theorien). Allerdings weisen Meuser/Nagel darauf hin, dass diese Methode flexibel an die Bedingungen der jeweiligen Untersuchung angepasst werden muss.39 So wurde die Überschriften- bzw. Kategorienbildung bereits von Anfang an durch die Strukturierung der Leitfäden und deren Anpassung an die Interview-Realität geleistet und fiel daher weg. Die Auswertungsschritte aller Interviews der vorliegenden Arbeit können kurz gefasst in die folgenden Phasen eingeteilt werden: 11. Transkription 12. Korrektur der Texte und Autorisierung durch die Befragten 13. Einordnung der Aussagen in nach den Leitfaden-Fragen gegliederten Tabellen, Ergänzung um die Mitschriften des Verfassers 14. Verdichtung und Paraphrase der Aussagen 15. Theoretische Generalisierung Im ersten Schritt wurden alle Interviewaufzeichnungen vollständig und wortgetreu durch den Autor und eine Schreibkraft transkribiert. Dabei fanden auch nonverbale Aspekte wie Gesprächspausen, Lachen oder Unterbrechungen Beachtung.40 Der Autor korrigierte danach alle abgeschriebenen Texte noch einmal und verglich sie mit den Tonbandaufzeich37
Siehe auch die Erläuterungen im Abschnitt 5.3. Die Verwendung von Mitschriften ist bei der Dokumentation von Leitfadengesprächen ein nicht unübliches Verfahren (vgl. Schnell, Methoden, S. 388). 38 Vgl. Lamnek, Sozialforschung 2, S. 108 und Ines Steinke: Gütekriterien qualitativer Forschung. In: Uwe Flick/Ernst von Kardorff/Ines Steinke (Hrsg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Hamburg 2000, S. 319-331, hier S. 324. Im Folgenden zitiert als: Steinke, Gütekriterien. Vgl. auch Gläser, Instrumente, S. 191-252. 39 Vgl. Meuser, ExpertInneninterviews, S. 452 und 455-466. Vgl. auch Lamnek, Sozialforschung 2, S. 108-124. 40 Lamnek zufolge haben diese Signale erhebliche Bedeutung für die Interpretation der Ergebnisse (vgl. Lamnek, Sozialforschung 2, S. 108).
140
5 Untersuchungsdesign und Methoden
nungen, um eine volle sinn- und wortgetreue Übertragung der Gespräche sicherzustellen. Anschließend erhielten jene Interviewpartner, die dies gewünscht hatten, die Transkriptionen per Brief oder E-Mail zur Autorisierung. Mit dem Angebot der Autorisierung konnte erreicht werden, dass sich die Interviews so offen wie möglich gestalteten, da sich die Befragten darauf verlassen konnten, dass sie ihre Aussagen vor der Verwendung noch einmal kontrollieren durften. Zusätzlich wurde dadurch dem Gütekriterium der kommunikativen Validierung in der qualitativen Forschung Genüge getan.41 Einige Gesprächspartner nutzten die Autorisierung für geringfügige Änderungen, andere signalisierten ihre volle Zustimmung. Die Sorge des Autors, dass die Interviewten die Autorisierung zu Streichungen von Aussagen nutzen würden, erwies sich als völlig unbegründet. Vielmehr konnten so Klarstellungen des Sinngehalts und die Korrektur von Verständnisfehlern vorgenommen werden. Der nächste Auswertungsabschnitt bestand in der Erstellung von Tabellen für die Antworten auf jeweils jede in den Leitfäden vorkommende Frage. Die relevanten Aussagen aller Beteiligten zu einer bestimmten Frage des Leitfadens wurden dorthin einsortiert. Damit entstanden insgesamt 46 Tabellen, getrennt zwischen deutschen und britischen Befragten. Alle für die Beantwortung der jeweiligen Fragestellung relevant erscheinenden Aussagen (und damit nicht nur die direkte Reaktion im Interview auf die gestellte Frage) wurden aus den 44 Transkriptionen extrahiert und in die Tabellen eingeordnet. Hier wurden auch die Mitschriften des Verfassers aus jenen sechs Interviews ergänzt, die aus technischen Gründen oder auf Wunsch des Experten nicht aufgezeichnet werden konnten. Die Auszüge der Mitschriften wurden durch eckige Klammern markiert, um ihren Charakter als nicht wörtliches Zitat eindeutig zu kennzeichnen. In den Tabellen wurde die Sequenzialität der Transkriptionen aufgehoben. Dies ist laut Meuser/Nagel notwendig, um die Kategorienbildung in der Auswertung nicht von der Eigenlogik der Einzelfälle dominieren zu lassen, sondern vielmehr in der Gegenüberstellung der Darlegungen der Experten das Überindividuell-Gemeinsame herauszuarbeiten.42 Im vierten der oben genannten Schritte wurden die Inhalte der Tabellen inhaltlich auf das Wesentliche reduziert, etwa Redundanzen und überlange Formulierungen gestrichen. Dem schloss sich die Paraphrase der Ausführungen innerhalb der Aufstellungen an, die das Wesentliche der Gedanken des Gesprächspartners zur gestellten Frage anzeigen. Die Gestaltung dieser Aufstellungen folgte Mayrings Vorschlägen zur Zusammenfassung durch qualitative Inhaltsanalyse.43 Daraus ergibt sich jeweils eine vierspaltige Tabelle. In der linken Spalte ist das Namenskürzel des Befragten vermerkt, in der zweiten der Kenncode des Zitats. In der dritten Spalte ist das auf das Wesentliche reduzierte Originalzitat zu finden. Die vierte Spalte vermerkt die vom Autor vorgenommene Paraphrase. Der Empfehlung Lamneks folgend, wurden die Paraphrasen schließlich erneut mit den Transkriptionen abgeglichen, um Fehlinterpretationen zu vermeiden. 44 Die Paraphrase stellt das Kondensat des Zitates dar, das zum Vergleich der Aussagen untereinander und für Schlussfolgerungen zum jeweiligen Fragekomplex genutzt wird. Das Resultat der Auswertung wird im Kapitel 6 ausführlich dargestellt. Daran schließt sich im Kapitel 7 die Beantwortung der For41
Vgl. Steinke, Gütekriterien, S. 320. Siehe auch Abschnitt 5.4 dieser Arbeit. Vgl. Meuser, ExpertInneninterviews, S. 452 und 458. Vgl. auch Lamnek, Sozialforschung 2, S. 108f. 43 Vgl. Philipp Mayring: Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim 61997, S. 59-71. Die Tabellen mit den gekürzten Aussagen und Paraphrasierungen finden sich als nicht öffentlich zugänglicher zweiter Teil im Anhang II dieser Arbeit. 44 Vgl. Lamnek, Sozialforschung 2, S. 109f. 42
5.3 Zur Auswertung und Darstellung der Erkenntnisse
141
schungsfragen mittels der gewonnenen überindividuellen Erkenntnisse an. In beiden Kapiteln werden zudem verdeutlichende Zitate und Fallbeispiele aus den Interviews aufgeführt, um die Ausführungen zu illustrieren. Nicht jeder Interviewte ist in jeder Unterkategorie mit einer Aussage zitiert. Dies hat drei Gründe: Zum einen verhinderten bei manchen Interviews Zeitnöte der Gesprächspartner das Abfragen jedes einzelnen Teils des Fragebogens. Zum zweiten wurde der Leitfaden im Feld weiterentwickelt45, was einzelne Lücken in den zu geführten Gesprächen unausweichlich macht, v.a. bei der später regelmäßig gestellten Frage nach einem möglichen institutionellen oder informellen Aufstieg von Politikvermittlungsexperten. Ein anderer möglicher Grund kann sein, dass der Interviewpartner die entsprechende Frage nicht oder nur unzureichend beantwortete, etwa mit Verweis auf fehlendes Wissen oder Geheimhaltungsregeln. Für die Ergebnisdarstellung im Hauptteil dieser Arbeit wurden alle Aussagen der Interviewpartner anonymisiert. Die meisten Gesprächspartner gaben zwar ihr Einverständnis für die Verwendung ihrer Aussagen mit voller Namensnennung. In einigen Fällen war aber das Zitieren bestimmter Aussagen an die Nichtnennung des Urhebers gebunden. Oft wurde die Verwendung nur mit Tätigkeitsbeschreibung, aber ohne Namensnennung (etwa „ein Sprecher der Organisation X“) gestattet. Andere verbaten sich, wie oben bereits erwähnt, von Anfang an eine Aufzeichnung des Interviews. Damit wäre es möglich gewesen, viele Aussagen voll zu zitieren, andere jedoch nur mit einer Verschlüsselung. Eine nur teilweise Anonymisierung wäre jedoch wirkungslos, weil der Leser durch ein einfaches Ausschließen der voll zitierten Gesprächspartner die Identität des Urhebers eines verschlüsselten Belegs leicht erraten könnte. Der Autor hat sich daher entschlossen, sämtliche zitierte Aussagen zu anonymisieren. Die Alternative wäre gewesen, auf die Darstellung wichtiger Befunde zu verzichten, was die Qualität der dargestellten Ergebnisse deutlich beeinträchtigt hätte.46 Tabelle 5: Verschlüsselung der Namen der Befragten in dieser Arbeit
Deutschland Großbritannien
Politikvermittlungsexperte P/D/Nummer P/G/Nummer
Journalist
Wissenschaftler
J/D/Nummer J/G/Nummer
W/D/Nummer W/G/Nummer
Die im Hauptteil dieser Arbeit dargestellten Aussagen sind doppelt gekennzeichnet: Sie tragen eine Funktionszuschreibung des Urhebers und einen Kenncode des Zitats, der auf die Tabellen im nicht öffentlichen Anhang II verweist. Die interviewten Experten erhalten ein verschlüsseltes Abkürzungszeichen, das sich nach ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe und ihrem Arbeitsort richtet, die Nummer am Ende wurde nach dem Zufallsprinzip (Losverfah45
Siehe die Anmerkungen zum problemzentrierten Ansatz im Abschnitt 5.1.2. Gläser/Laudel fordern eine Anonymisierung der empirischen Befunde, nur bei Einwilligung der Betroffenen könnten die Namen zugeschrieben werden (vgl. Gläser, Instrumente, S. 271-273). Eine Anonymisierung wirft natürlich die Frage der Beweisbarkeit der zitierten Aussagen auf. Deshalb wurde der volle Text aller InterviewTranskriptionen und der Auswertungstabellen mit den relevanten Mitschriften aus den nicht aufgenommenen Gesprächen in einem zweiten Band gebündelt, der den wissenschaftlichen Gutachtern dieser Arbeit vorlag. Dieser Anhang II ist wegen der Vertraulichkeit der gegebenen Informationen öffentlich nicht zugänglich. Alle Verweise in dieser Arbeit auf „Anhang II“ beiziehen sich auf diesen nicht öffentlichen Band.
46
142
5 Untersuchungsdesign und Methoden
ren) ausgewählt. Die Kenncodes der verwendeten Zitate weisen auf den Standort der Aussage in den im Anhang II enthaltenen Tabellen hin. So steht z.B. „P/D/12-Q4“ für die Aussage des als P/D/12 verschlüsselten Politikvermittlungsexperten in Deutschland auf die vierte Leitfadenfrage. Die Wahl der Forschungsmethode und die Auswertung folgten dem Verständnis der US-amerikanischen Politikwissenschaftler Alexander George und Andrew Bennett von der typological theory. Es handelt sich hierbei um eine Theorie, die unabhängige Variablen spezifiziert, in diesem Fall z.B. gewandelte Charakteristika der Gesellschaften und Medien. Für diese Variablen wird beschrieben, wie sie sich in spezifischen Zusammenhängen verhalten und auf abhängige Variablen (z.B. Verhalten und Einfluss der PR-Experten und Journalisten, Verhältnis zwischen ihnen beiden) auswirken. Der Zusammenhang zwischen ihnen kann dann in einen bestimmten Typus eingeordnet werden. Die typologischen Theorien teilen komplexe Phänomene (wie politische Kommunikation) in Typen ein, die so für die weitere Forschung zur Verfügung stehen.47 „In contrast to a general explanatory of a given phenomenon, typological theory provides a rich and differentiated depiction of a phenomenon and can generate discriminating and contingent explanations and policy recommendations.“48
Zur Entwicklung typologischer Theorien empfiehlt sich die Verwendung von individuellen Fallstudien mit explorativem Zugang, so wie es in dieser Arbeit geschieht. Aus den Fallstudien lassen sich keine Aussagen zur Häufigkeit eines Phänomens treffen, denn typologische Theorien können ohne die Identifikation einer repräsentativen Auswahl von Fällen konstruiert werden.49
5.4 Gütekriterien zur qualitativen Forschung Jeder Beitrag zur qualitativen Forschung, zumal wenn er wie hier sich mit höchst subjektiven Einstellungsfragen beschäftigt, auf individuellen Interviews basiert und nach einem eigens entwickelten Auswertungsverfahren zusammengefasst wird, muss sich besonders die Frage nach seiner Wissenschaftlichkeit und der realen Gültigkeit seiner Aussagen gefallen lassen. Der Autor ist der Ansicht, dass sein gewählter Ansatz die entscheidenden Kriterien der Wissenschaftlichkeit erfüllt und eine wichtige politisch-kommunikative Grauzone ausleuchtet, auch wenn Abstriche in puncto Allgemeingültigkeit und Wiederholbarkeit der Befunde unvermeidlich sind: „Wenn man sich komplexeren Bereichen zuwendet, nehmen auch die Validitätsprobleme zu. […] Trösten mag dabei die Tatsache, dass es oft lohnender ist, sich mit einem wichtigen und vielschichtigen Konzept intensiv auseinanderzusetzen als Banalitäten über irrelevante einfache Variablen von sich zu geben.“50 47
Vgl. George, Case, S. 235-239. Im Folgenden zitiert als: George, Case. Die Autoren beschreiben typologische Theorien nur anhand von Beispielen in der internationalen Politik, sie lassen sich aber auch für die vorliegende Arbeit anwenden. 48 Ebd., S. 235. 49 Vgl. ebd., S. 240-244. 50 Aarebrot, Vergleichende, S. 67.
5.4 Gütekriterien zur qualitativen Forschung
143
Alle Kriterien der Wissenschaftlichkeit wurden in dieser Untersuchung beachtet. King/Keohane/Verba nennen vier Charakteristika, an denen sich die Anlage, Auswertung und Darstellung der vorliegenden Untersuchung orientierte. Demnach sollen Forschungen deskriptive und erklärende Schlussfolgerungen auf der Basis empirischer Informationen ziehen. Dies wird nach der Darstellung der Ergebnisse bei Beantwortung der Forschungsfragen geleistet. Zweitens soll die Methodik des Forschers offen und explizit dargelegt werden, um die Validität der Ergebnisse einschätzbar zu machen, so wie dies in diesem Kapitel ausführlich geschehen ist. Drittens soll der Forscher aus unsicheren Ergebnissen keine absolut sicheren Schlüsse ziehen, sondern vielmehr Grenzen und Einschätzungen über die Unsicherheiten darlegen. Dies geschieht in diesem Abschnitt. Schließlich soll die kausale Ableitung von Schlussfolgerungen einheitlichen, nachvollziehbaren Methoden und Regeln unterliegen. Dem kommt der Autor mit der Offenlegung der Interviewaussagen (soweit es die Anonymisierung zulässt) und deren Auswertung nach.51 Allgemein sind quantitative Kriterien wie Reliabilität und Validität nur bedingt auf qualitative Forschung übertragbar. Eine identische Wiederholung der Interviews durch einen anderen Forscher ist allein schon wegen des Aktualitätsbezugs, unterschiedlicher Bedingungen der Interviews und der Wandelbarkeit des Phänomens politischer Kommunikation kaum möglich. Wohl aber können Gütekriterien eingehalten werden, die für die Richtigkeit der gewonnenen Aussagen und die Nachvollziehbarkeit des Forschungsprozesses bürgen. Die kommunikative Validierung wurde durch die wortgetreue Abschrift der Interviews und deren Autorisierung geleistet. Die Aussagen können also als gültige Forschungsdaten betrachtet werden. Im Vorstehenden wurde der Forschungsprozess im Einzelnen erklärt: das Vorverständnis des Forschers wurde in den einleitenden Bemerkungen und im deskriptiven Teil beschrieben. Im vorliegenden Kapitel wurden das Forschungsdesign und der Erhebungskontext erläutert, die Transkriptionsregeln erklärt, die Auswertungsmethoden behandelt und die für die Arbeit geltenden Kriterien reflektiert. Die Dokumentation der Daten und ihrer Auswertung im Anhang II macht den Umgang mit dem gewonnenen Material transparent. Damit ist die intersubjektive Nachvollziehbarkeit dieser Untersuchung sichergestellt.52 An dieser Stelle sollen mögliche Verzerrungen und die Grenzen in der Aussagekraft des gewählten Forschungsansatzes deutlich offengelegt werden. Ohne diesen Kontext lassen sich die Ergebnisse nicht einordnen. Zuallererst basiert die angestrebte Einschätzung von sozialen Phänomenen wie informeller Informationsgebung, politischem Einfluss oder Qualität politischer Kommunikation auf den subjektiven Eindrücken der Befragten, die auf keinem Wege eindeutig messbar sind – und selbst wenn sie klar messbar wären, würden die gewonnenen Daten nur einen flüchtigen Augenblickszustand wiedergeben. Regierungskommunikation ist geprägt von verborgenen Beziehungsgeflechten, die bewusst geheim gehalten oder mystifiziert werden. Hier wird eine Summe von gesammelten Experteneinschätzungen herangezogen, die als eine gut begründete Annäherung an die genannten Phänomene verstanden werden können. Zudem ist zu beachten, dass es keine universell anerkannten Experten für den Charakter der Regierungskommunikation gibt. Das bei dieser Untersuchung zu Hilfe genommene Schneeballverfahren bei der Suche nach verborgenen einflussreichen Akteuren der Politik51
Vgl. Gary King/Robert O. Keohane/Sidney Verba: Designing Social Inquiry. Scientific Inference in Qualitative Research. Princeton, Chichester 1994, S. 7-9. 52 Vgl. zu den genannten Kriterien Steinke, Gütekriterien, S. 320-326.
144
5 Untersuchungsdesign und Methoden
vermittlung konnte zwar einige nicht öffentlich wirkende Akteure ausfindig machen. Es ist aber notwendigerweise auf die Informationen und die Kooperation der Befragten angewiesen und damit nicht völlig lückenlos bei der Erfassung wichtiger nicht institutionalisierter PR-Akteure. Lamnek zufolge können damit allgemeine Aussagen nur eingeschränkt gemacht werden: „Stichprobentheoretische Überlegungen im wahrscheinlichkeitstheoretischen Sinne, wie auch die Frage der Repräsentativität, spielen im qualitativen Interview nur eine untergeordnete Rolle, denn generalisierende Aussagen, gemäß dem normativen Paradigma, sind nur auf der Grundlage repräsentativer Zufallsstichproben zulässig.“53
Wie bereits oben angesprochen, können allgemeinere Schlussfolgerungen nicht auf Basis repräsentativer Daten gezogen werden. Allerdings ist es möglich, Veränderungen des Umfelds und Charakters von Regierungskommunikation unter Blair und Schröder in typologische Theorien zu gießen und daraus praktische Schlüsse und Gestaltungsempfehlungen für die Regierungskommunikation abzuleiten.54 Die Untersuchung trägt einen schlaglichtartigen Charakter: Die Gruppe der Politikvermittlungsexperten ist äußerst heterogen, deren Zusammensetzung ändert sich, und zu Interviews sind nur diejenigen bereit, die nicht völlig die Publizität scheuen. Bei Politik und Medien handelt es sich um ein hektisches Geschäft – oft wechselt sehr schnell das Personal, die Aufgaben der Verbleibenden können sich verändern. Die Interviews wurden 2003/04 geführt, entsprechend basieren die Erkenntnisse zur Regierungskommunikation unter Schröder und Blair auf den damals aktuellen Aussagen der Befragten. Da sich diese Studie mit Regierungen befasst, die zum Zeitpunkt der Befragung im Amt waren, musste sich der Autor mit Informationsblockaden arrangieren. Viele Angaben waren nicht frei zugänglich. Zwar gibt es Organigramme von 10 Downing Street und des Bundeskanzleramts, aber oft liefern diese bürokratischen Hierarchien keine realitätsgetreue Abbildung des Machtzirkels der Spitzenpolitiker. Komplett offene und nicht interessengeleitete Aussagen über Einflüsse und Erscheinungsformen der Regierungskommunikation sind kaum zu bekommen. Deshalb sprach der Forscher mit einer möglichst großen Zahl an Experten, hinterfragte ihre Aussagen im Interview kritisch und glich diese später mit der verfügbaren Hintergrundliteratur ab.55 Selbst nicht mehr aktive Akteure aus Medien und politischen Machtzentren neigen zuweilen dazu, parteiische und interessengeleitete Aussagen zu machen – bei noch Aktiven muss diese Neigung notwendigerweise noch stärker ausgeprägt sein, da sie akuten Zwängen der Geheimhaltung, politischer Entscheidungen und der Machtsicherung des eigenen Arbeitgebers unterliegen. All diese Überlegungen müssen bei der Interpretation der Erkenntnisse beachtet werden.
53
Lamnek, Sozialforschung 2, S. 92. Kursivschreibungen im Original nicht übernommen. Siehe George, Case, S. 233-262. 55 Siehe Kapitel 6 zur Ergebnisdarstellung und 7 zur Auswertung und Einordnung. 54
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse „Das war hier Gerhard Schröders Rätemanie: […] Im Prinzip werden da Industrieführer eingeladen, […] immer die üblichen Verdächtigen. […] Wirtschaftsführer, ein paar Wissenschaftler, […] Gewerkschaftsführer. […] und dann sitzen die da zwei Stunden beim Kanzler. Die Presseerklärung ist vorher geschrieben. Der Kanzler […] macht dann zwei, drei Keynotes für die Kameras und das war’s. Und am nächsten Tag steht in der Zeitung, mit welchen großen Geistern der Kanzler wieder konferiert hat zum Wohle Deutschlands. Also da merkt man dann schon sehr, dass die Verpackung fast wichtiger ist als der Inhalt. […] unter den Medienbedingungen, […] ist natürlich Politik viel, viel stärker als früher auch eine Verkaufsfrage und auch ein Darstellungsgeschäft.“ Leitender Berliner Journalist einer überregionalen Zeitung1
Das folgende Kapitel stellt ausführlich die empirischen Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit dar. Aus den 50 Interviews wurden Handlungsmuster und Eigenschaften der Regierungskommunikation unter Schröder und Blair herausdestilliert, an einzelnen Stellen ergänzt durch direkte Quellen über führende britische PR-Experten aus offiziellen Untersuchungen.2 Die Darstellung orientiert sich an den Interview-Leitfäden, ohne deren Reihenfolge zu kopieren. Vielmehr wurde ein sachlogischer Aufbau gewählt: Nach der Darstellung der Veränderungen der externen Bedingungen folgt die Beschreibung der Arbeit und Rollen der PR-Experten und Journalisten, ihrer Einstellungen zur Diskussion um Spin Doctoring und der Folgen für das Verhältnis von Politik und Medien.
6.1 Das wahrgenommene Umfeld für politische Kommunikation 6.1.1 Mehr, schneller, härter – der Medienwandel Bereits Kapitel 3 war den Umfeldbedingungen für politische Kommunikation gewidmet. Dort wurden Veränderungen aufgezeigt, die Charakter und Erfolgschancen von Regierungs-PR beeinflussen. Doch wurde keine Aussage getroffen, welche der Bedingungen die Akteure in Amts- und Redaktionsstuben als für sich relevant erachten. Hier wird nun gezeigt, welche Wandlungen auf die jeweiligen Berufsauffassungen von Journalisten und PRExperten sowie ihr Verhältnis zueinander wirkten. Dies folgt der Theorie des symbolischen Interaktionismus: Wenn Menschen eine Situation als real begreifen, dann hat jene reale Folgen für sie, ihre Handlungen und ihr Umfeld.3 Die Befragung der Experten zur Veränderung des Umfelds der Regierungskommunikation innerhalb der letzten zwei bis drei Jahrzehnte4 brachte in fast jedem Gespräch eine Antwort hervor: die rapide Ausweitung des Medienangebots und die Verfügbarkeit von Nachrichten rund um die Uhr (46 von 50 Befragten). In beiden Staaten ist das die häufigs1
J/D/8-Q15. Zur Verschlüsselung der Zitate aus den Interviews s. Abschnitt 5.3. Zu den einzelnen Quellen s. Abschnitt 5.2.1. 3 Vgl. Percy S. Cohen: Modern Social Theory. London 1968, S. 74f. und Herbert Blumler: Symbolic Interactionism. In: Craig Calhoun u.a. (Hrsg.): Contemporary Sociological Theory. Oxford, Malden 2002, S. 66-77, hier S. 73-75. 4 Frage 12 im Interview-Leitfaden, s. Anhang I. 2
146
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
ten geäußerte Beobachtung. Auch die Beschleunigung des Umschlags von Informationen in den Medien, die Zunahme der Echtzeit-Kommunikation wurden in beiden Ländern sehr häufig (38-mal) genannt, gefolgt vom verstärkten Wettbewerbsdruck auf dem Medienmarkt und dem Drang der Journalisten nach exklusiven Inhalten (32 Nennungen). Auffällig im Vergleich zwischen den Aussagen der Experten beider Staaten ist, dass in Großbritannien tendenziell stärker von einem konfrontativen Verhältnis zwischen politischen und medialen Akteuren die Rede war: Die Vorwurf an die Medien, sie seien zynisch und führten Kampagnen, fand sich hier häufiger. Auch die Diagnose einer wachsenden Aggressivität zwischen beiden Seiten war hier deutlicher zu hören als in Deutschland. Zunächst sollen die Befunde für die deutsche Regierungs-PR näher betrachtet werden. Die folgende Tabelle wertet die Aussagen der interviewten Experten zu Deutschland aus. Darin wurden alle Angaben erfasst und nach ihrer Häufigkeit geordnet. In der Tabelle sind all jene Aussagen aufgeführt, die mindestens von fünf Experten gemacht wurden. Dabei ist zu beachten, dass hier wie im Folgenden die einmalige Erwähnung eines Phänomens entscheidet – auch wenn ein Interviewpartner einen Umstand mehrmals genannt hat, wird dieser nur einmal gewertet. Tabelle 6: Aussagen der deutschen Befragten zur Veränderung des Umfelds für politische Kommunikation5 Deutschland: Aussage Starkes Wachstum des Medienangebots Beschleunigung des Nachrichtenflusses, EchtzeitKommunikation Konkurrenzdruck der Medien, Suche nach Exklusivem Politikdarstellung durch Fernsehen dominiert Berlin-Umzug: mehr Personal in den Medien Deprofessionalisierung der Journalisten (schlechtere Ausbildung, weniger Sorgfalt, weniger Fachkenntnisse) Starke Zuspitzung in Berichterstattung, Skandalisierung Drang der Politik zur Personalisierung Mehr Druck auf Politik, öffentlich sichtbar zu sein Geringere Halbwertzeit von Nachrichten und Themen als früher Kurze O-Töne: Druck zu kürzeren Aussagen Zunahme des Kampagnen-Journalismus Politiker erscheinen als von Medien Getriebene Medienberater für Politiker nötiger als früher Berlin-Umzug: weniger räumliche Nähe 5
P (n=20) 20 14
J (n=8) 8 7
14
5
7 10 9
5 2 3
6
5
7 7 4
3 1 5
6 8 5 6 5
3
W (n=2) 1
19 1
13 12 12
11
1
3 1 2
Summe (n=30) 29 21
10 9 9 9 8 8 7 7
Siehe im Einzelnen die deutsche Tabelle zu Q12 im Anhang II dieser Arbeit. Die Abkürzungen im Kopf der Tabelle stehen im Folgenden analog zur Codierung der Experten: P = Politikvermittlungsexperte, J = Journalist, W = Wissenschaftler.
6.1 Das wahrgenommene Umfeld für politische Kommunikation Berlin-Umzug: Kampf der lokalen Hauptstadtmedien Gute Kommunikation der Inhalte Teil des Regierens Politikprogramme und -nachrichten verlieren an Bedeutung Privatbereich der Politiker interessanter für Journalisten Aktivere Regierungskommunikation nötig Gerüchte als Nachrichten in Medien weitergegeben Globalisierung; soziale Verunsicherung der Bürger Verschwinden großer ideologischer Konfliktlinien Alte Standesregeln der Journalisten häufiger gebrochen
6
147 1
7
7
7
4
1
1
6
3
3
6
5 4 3 3 1
1 2 2 4
5 5 5 5 5
Der Regierungsumzug von Bonn nach Berlin wurde recht häufig thematisiert. In dieser Diskussion werden jedoch oft echte Effekte des Ortswechsels mit ortsunabhängig ablaufenden Veränderungen im politisch-medialen Beziehungsgeflecht vermengt. 6 Es erschien daher zweckmäßig, die Frage des Berlin-Umzuges analytisch in die drei in der Tabelle aufgeführten Dimensionen zu zerlegen. Die Zunahme des Personals in den Medien kann eine generelle Entwicklung sein, die durch den Ortswechsel nur akzentuiert wurde. Die beiden nachfolgend genannten Aussagen (Verlust der räumlichen Nähe, Berliner Lokalmedien) sind dagegen klar auf die Berliner Gegebenheiten zurückzuführen. Insgesamt wirkte der Bonn-Berlin-Umzug wie ein Brennspiegel, der viele Veränderungen des Politikjournalismus bündelte, wie diese Aussage eines führenden PR-Akteurs der rot-grünen Bundesregierung zeigt: „In Berlin ist vieles schneller geworden, was in Bonn […] nicht so schnell war. Das lag sicherlich auch am Tempo der Stadt, das […] beschaulich war. […] Dadurch dass Berlin größer ist […], der Kampf […] zwischen den Redaktionen um Exklusivinformationen größer geworden ist, hat es zu einer hektischen Betriebsamkeit geführt. Und das was in Bonn nicht gedruckt worden wäre, weil es nur ein Gerücht ist, taugt heute schon zu Aufmachern. Oder nehmen Sie die Bild-Zeitung von heute mit ihrem Bericht über [die] angebliche bevorstehende Kabinettsumbildung, zumindest in einem Riesenbericht auf Seite 2. Da ändert sich auch nichts dran, wenn man das dementiert. […] Heute macht man das ungehemmt, bezogen auf irgendwelche Kreise, nicht namentlich genannt. […] Sie haben auch hier den Kampf der Hauptstadtpresse. Sie haben am Ort drei Boulevardmedien. Das war in Bonn nicht der Fall.“7
Das am häufigsten genannte Merkmal, das starke Wachstum des Medienangebots, hat den Befragten zufolge die Bedingungen für politische Kommunikation insgesamt erschwert. Politischen Akteuren bietet sich ein diffuses Bild an zahlreichen Medienorganisationen, die auf Nachrichten warten, aber weniger Zeit für die Vermittlung politischer Inhalte lassen: „Der viel zitierte newscycle ist ein ad-hoc, 24-stündiger. […] Es gibt eine Inflation von Nachrichtensendern. Wer hätte jemals gar in den 80ern von n-tv oder N24 geträumt? Oder Phoenix 6 7
Siehe dazu Plöchinger, Hauptstadt, v.a. S. 128f. P/D/5-Q12. Vgl. auch die ähnliche Aussage von P/D/6-Q12.
148
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse oder der Meute im besten Sinne, die das Mikrofon ins Gesicht streckt. Noch 1976, meine Lieblings-Tageschau, Nominierungsparteitag der CDU, 15 Minuten Tagesschau, Helmut Kohl […] neun Minuten, Kurt Biedenkopf, damals Generalsekretär, drei Minuten. […] Das ist unvorstellbar. Das liegt ein bisschen mehr als 25 Jahre zurück.“8
Die mediale Durchleuchtung der Regierungsarbeit hat nach Eindruck der Befragten deutlich zugenommen. Für politische Spitzen werde es notwendig, intensiver über ihre Kommunikation nachzudenken und sie sorgfältiger zu planen.9 Die Bundesregierung erschien einigen als Verlierer dieser Entwicklung, weil die Selbstdarstellungsmöglichkeiten ihrer Kritiker gewachsen seien. So sagte ein ehemaliger Parteifunktionär: „[…] das Zusammenspiel von Politik und Medien ist […] dadurch geprägt, dass es […] mehr Möglichkeiten für Politiker gibt, die Medien zu nutzen. […] Und das wiederum führt dazu, dass die politische Kommunikation unübersichtlicher geworden ist […]. Sie können nicht mehr so einfach Disziplin herstellen. […] die Gefahr, dass irgendjemand dann doch aus der Reihe springt und meint, sich irgendwie zu irgendwas äußern zu müssen, die ist einfach größer, als das vorher der Fall war. Und das hat sehr viel damit zu tun, […] dass einfach mehr Journalisten da sind, mehr Anbieter da sind, die eben auch Input brauchen, nämlich Information.“10
Noch in den 80er-Jahren seien Bonner Korrespondenten nicht mehr gewesen als Bittsteller, die froh sein konnten, wenn sie Informationen bekamen. Heute bestünde die Gefahr, dass politisches Handeln von den Korrespondenten unrichtig interpretiert werde, wenn die Exekutive ihre Arbeit nicht selbst verdeutliche, berichtete ein enger Berater von Bundeskanzler Schröder. Daher sei es notwendig für die Regierung, ihr Handeln zu begründen und die Interpretation zu Politikentwürfen (man könnte auch von Spin sprechen) gleich mitzuliefern.11 Dies erfordert ruhiges Nachdenken über die eigene Vermittlung der eigenen Politik, aber es trifft auf eine Beschleunigung des Nachrichtenflusses. Auf dem Berliner Nachrichtenmarkt ist es zum wichtigen Erfolgskriterium geworden, der Erste mit einer Meldung zu sein: „Es ist schneller geworden natürlich dadurch, dass die elektronischen Medien einen immer größeren Anteil am Kuchen für sich beanspruchen. Die bürgen natürlich für eine maximale Beschleunigung des Gewerbes. […] im Fischteich ist es enger geworden. Nur wer sich schnell genug bewegt, findet noch was zu fressen.“12
Einer der befragten PR-Experten, der selbst früher als Journalist gearbeitet hatte, beklagte, dass der Wert von Hauptstadt-Korrespondenten nach der Zahl ihrer Exklusivgeschichten bewertet werde, nicht wie früher nach der Akkuratesse und Klarheit ihrer Analysen.13 Dabei ginge es nicht nur darum, durch eigene Inhalte interessierte Rezipienten anzuziehen, sondern auch um innermediales Prestige:
8
Aussage eines freiberuflichen PR-Experten. P/D/13-Q12. Vgl. u.a. P/D/6-Q12, P/D/11-Q12, J/D/3-Q12, J/D/4-Q12. 10 P/D/12-Q12. 11 Vgl. P/D/9-Q12 und J/D/4-Q12. 12 Aussage eines Mitarbeiters einer Boulevardzeitung. J/D/2-Q12. 13 Vgl. P/D/1-Q12. 9
6.1 Das wahrgenommene Umfeld für politische Kommunikation
149
„Das nimmt zu […], dass Zeitungen Interviewäußerungen an die Agenturen geben. […] Dann laufen die […] als Äußerung in den Rundfunknachrichten und damit hat man kostenlose Werbung […] wir haben heute zu 99,9 Prozent Schein-Scoops, die darin bestehen, dass irgendein Politiker gefragt wird zu irgendeinem Thema, der irgendeine wüste Äußerung macht, die dann über die Agentur läuft. Am nächsten Tag fragt kein Mensch mehr danach. […] das ist ein Kampf um Aufmerksamkeit, der […] teilweise mit einer riesigen Verzweifelung geführt wird.“14
Diese Beschleunigung der Massenkommunikation wurde vom Fortschritt der individuellen Kommunikationsmittel begleitet: E-Mails und Mobiltelefone sorgen dafür, dass politische Akteure jederzeit für Journalisten erreichbar sind.15 Zahlreiche Journalisten seien damit beschäftigt, Politiker um ihre Meinung zu abseitigsten Themen zu bitten. Dabei sei nicht entscheidend, ob eine Idee ernst gemeint sei. Zudem sei beliebt, jede Abweichung innerhalb eines Lagers als Streit darzustellen, z.B. wenn ein Politiker der Regierung einen niedrigeren Steuersatz fordere als der andere.16 Somit entstünden jede Woche Unmengen an Vorschlägen, die keine Chance auf Realisierung hätten und die Bürger verwirrten: „Die Politiker wissen das. Die sagen dann augenzwinkernd nur: ,Ich war gestern in den Nachrichten.’“ 17 Nuancen in der Entscheidungsfindung würden zum Objekt großer Schlagzeilen. Diese stellten sich nachher als irrelevant oder inkorrekt heraus. Trotzdem kämen die Nachrichtenagenturen im Wettbewerb nicht daran vorbei, diese Informationen aufzugreifen.18 Ein Mitarbeiter einer Parteizentrale beschrieb ein typisches Wochenende in Berlin so: „Heute ist es so, dass die Exklusivgeschichte per se im Durchschnitt klein ist und von der Rhythmik her am Samstagmorgen als Vorabmeldung, etwa des Spiegels, herausgegeben wird und bis zum Mittag entweder dementiert und bestätigt wird, und am Montag, wenn die Gremien der Partei wieder zusammentreten, in höchstens zehn, oder deutlich weniger Prozent der Fälle überhaupt […] noch Nachrichten sind […]. Nachrichten werden zerstückelt, um exklusiv sein zu können. Es entsteht sozusagen ein Mini-Tornado, der bis Samstagnachmittag hält und dann einfach weg ist.“19
Die Darstellung der Bundespolitik wurde nach Ansicht fast der Hälfte der Befragten in Deutschland vom Fernsehen dominiert, was auch den Charakter der Vermittlung forme.20 Dies habe den Typus des erfolgreichen Politikers mitgeprägt, so ein politischer PR-Akteur. Niemand werde mehr in politische Spitzenpositionen kommen, wenn er oder sie nicht gute Kommunikationsfähigkeiten habe, so ein Ex-Journalist und PR-Mann.21 Die Rangfolge wichtiger Medien für die Politikdarstellung beschreiben zwei Gesprächspartner so: „[…] grundsätzlich ist eine Tendenz zu sehen weg vom Wort, hin zum Bild, also eine immer stärkere Bedeutung des Fernsehens. Und eine immer stärker werdende Bedeutung nicht nur des
14
Aussage eines Mitarbeiters einer überregionalen Abonnementszeitung. J/D/8-Q12. Vgl. P/D/5-Q12. 16 Aussage eines Mitarbeiters einer überregionalen Abonnementszeitung. Vgl. J/D/8-Q12. 17 Ebd. 18 Vgl. Aussagen eines Journalisten mit internationalen Erfahrungen und eines PR-Experten in Diensten der Bundesregierung, J/D/6-Q12 und P/D/6-Q12. 19 P/D/17-Q12. 20 Vgl. P/D/3, P/D/4, P/D/9, P/D/17, J/D/4, J/D/7, J/D/8, jeweils -Q12. 21 Vgl. P/D/15-Q12. 15
150
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse Fernsehens, das Politik unmittelbar abbildet wie in der Tagesschau oder in Bundestagsdebatten, sondern auch die fernsehgemäße Variante von Politik, die Talkshows.“22 „Das Fernsehen ist mit Abstand das wichtigste Medium, dann kommt das Massenmedium BildZeitung. Dann kommt […] die FAZ und Der Spiegel, dann kommt ganz lange nichts und dann kommt noch mal der Rest.“23
Die genannten Medien schienen der Aussage eines TV-Journalisten zufolge auch innerhalb des journalistischen Gewerbes die Funktion von Leitmedien zu erfüllen.24 Ein weiterer genannter Punkt verdient Beachtung durch die Kommunikationswissenschaft: Klagen über schwindende Sorgfalt und mangelnde Bildung der Journalisten waren in zwölf Interviews zu hören. Dies steht im Kontrast zur Professionalisierungsdebatte in der Medienwissenschaft, die von Fortschritten in journalistischer Fach- und Sachkompetenz und Ethik ausgeht. Die genannten Beobachtungen, v.a. von PR-Akteuren, aber auch einzelnen Redakteuren, lassen sich in der These von einer Deprofessionalisierung des Berliner Korrespondentenkorps zusammenfassen. Einmal fällt dieser Begriff explizit.25 Ein wichtiger Aspekt dessen ist die Abnahme der Spezialisierung innerhalb der Redaktionen: „[…] FAZ und so, die machen das heute auch noch, aber die haben sich halt Spezialisten gehalten für Verteidigungspolitik, für Finanzpolitik, und das waren Journalisten, also der hätte im Grunde selbst Finanzminister sein können […] das gibt’s in der Form heute […] nicht mehr oder weniger.“26 „[…] ich war zuständig für Gesundheit, Soziales, für Umwelt, für Bildung und für die SPD, und konnte mich auf diese Themen konzentrieren. […] wenn irgendeine Neuigkeit kam, dann wusste ich, das ist eine Neuigkeit, oder […] das ist ein alter Hut […] die Zeit ist in den Redaktionen einfach nicht da, weil es einfach auch ein Mangel an Personal gibt.“27
Eine beliebte Anekdote dazu ist die Geschichte einer jungen Reporterin, die in der SPDZentrale angerufen habe, um mit dem längst verstorbenen Herbert Wehner verbunden zu werden.28 Noch entscheidender ist für viele Aktive der unterstellte Verfall der journalistischen Ethik angesichts von Beschleunigung und Konkurrenzdruck. Vor allem das Prinzip der journalistischen Sorgfalt hat nach Ansicht einiger Befragter stark gelitten.29 Diese Entwicklung ist eng verbunden mit der Zuspitzung und Skandalisierung von Themen in der Berichterstattung. Ein Ministerberater führte dies auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Mediensektor zurück: „Die Konkurrenzsituation hat sich ganz erheblich verschärft dadurch, dass der wirtschaftliche Druck auf die Medien inzwischen zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik bei den Journalisten direkt ankommt. […] Das führt natürlich zu Überspitzungen, denn wenn die Story 22
Aussage eines Mitarbeiters einer Parteizentrale. P/D/17-Q12. Zitat eines Journalisten einer überegionalen Zeitung. J/D/8-Q12. 24 J/D/5-Q12. Zu den Leitmedien s. die Abschnitte 2.2.2 und 3.2. 25 Zitat aus dem Interview mit einem TV-Journalisten. Vgl. J/D/5-Q12. 26 Aussage eines früheren Spitzenakteurs der Regierungs-PR. P/D/15-Q12. 27 Zitat eines freiberuflich arbeitenden PR-Experten. P/D/19-Q12. Aussage zur früheren Tätigkeit als Journalist. 28 Erzählt von einem ehemaligen leitenden Akteur der Regierungskommunikation, der von dieser Geschichte gehört hatte. Vgl. P/D/16-Q12. 29 Vgl. P/D/1, P/D/2, P/D/4, P/D/15, P/D19, J/D/5, J/D/8, jeweils -Q12. 23
6.1 Das wahrgenommene Umfeld für politische Kommunikation
151
nicht […] skandalös genug ist, landet sie auf Seite 5 oder 6 und wird nicht zitiert, wenn Sie aber wöchentlich eine Schlagzeile liefern, die auch von anderen Zeitungen und Hörfunksendern, Agenturen zitiert werden [sic], haben Sie größere Chancen. […] die Zuspitzung passiert in einer Art und Weise, die teilweise an der Faktenlage völlig vorbei geht.“30
Die Zeit für Politikeraussagen in den Medien ist den Beobachtungen der Praktiker zufolge gefallen: Ein O-Ton oder Zitat sei häufig nur noch wenige Worte oder höchstens eine halbe Minute lang. Damit sinke die Zeit zur Erklärung von Ideen und Konzepten.31 Teil der Beschleunigung des Tempos der Nachrichtenmedien scheint auch die Tendenz zu einer kürzeren Aufmerksamkeitsspanne für ein Thema zu sein: „[…] für mich war der Todesfall Jürgen Möllemann […] eine massive Zäsur. […] Und ich bin ungeheuer erstaunt darüber, dass schon zwei, drei Wochen nach der Beerdigung […] der Mann medial völlig verschwunden [war]. Das war’s.“32 „Der Sieg Stoibers am Sonntag ist morgen, am Mittwoch kein Thema mehr […] die Nachrichten, die Ereignisse überschlagen sich und bedingt durch die Konkurrenz versuchen die Medien […] hinterherzuhecheln. Man hat heute viel weniger Zeit, eigene Themen zu setzen […].“33
Als ein Grund für die Unübersichtlichkeit der Medienszene wurde die räumliche Situation in der Hauptstadt genannt. Die Korrespondenten säßen in neuen Büros, die mit moderner Technik ausgestattet seien und das Anschauen der Pressekonferenzen erlaubten, ohne selbst anwesend zu sein. Damit leide die Binnenkommunikation unter den Korrespondenten. Sie wüssten weniger, woran der andere gerade arbeite. Problematisch daran sei, dass offensichtliche Fehlinformationen seltener erkannt würden.34 Unabhängig vom Regierungsumzug beklagten einige Experten einen Bedeutungsverlust der klassischen Informationskanäle über Politik. Gemeint waren offenbar traditionelle Elitemedien, Hauptnachrichtensendungen oder Politikmagazine im Fernsehen. Formen wie Kurznachrichten oder Talkshows nähmen für die Politikdarstellung einen breiteren Raum ein.35 Als damit verbundenes Phänomen lässt sich die von einigen angegebene stärkere Durchleuchtung der Privatsphäre der Politiker, auch in den seriösen Medien, ansehen. 36 Ein ehemaliger hochrangiger Regierungsmitarbeiter stellte dies auch als Chance für politische Akteure dar: „[…] diese sogenannten People-Magazine […] sind im Grunde das einzige Segment, das noch Zulauf hat, und dem müssen sich Politiker natürlich auch stellen, das heißt eine gewisse Öffnung des Privaten ist unbestreitbar notwendig.“37
30
P/D/6-Q12. Vgl. P/D/3-Q12 und P/D/16-Q12. 32 Zitat eines Mitarbeiters einer Parteizentrale. P/D/17-Q12. 33 Aussage eines sehr erfahrenen Bonn- und Berlin-Korrespondenten. J/D/7-Q12. Diese Angabe bezieht sich auf die bayerische Landtagswahl im September 2003, bei der die CSU erstmals mehr als zwei Drittel der Sitze gewonnen hatte. 34 Vgl. P/D/6-Q12 und P/D/7-Q12. 35 Vgl. u.a. P/D/2-Q12 und W/D/2-Q12. 36 Vgl. P/D/3-Q12 und J/D/1-Q12. 37 P/D/15-Q12. Ähnlich auch P/D/3-Q12. 31
152
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
Auffällig in der Auswertung ist, dass gesamtgesellschaftliche Themen nicht so prominent genannt wurden wie der Medienwandel, obwohl die Frage nach den Bedingungen für politische Kommunikation bewusst offen formuliert war. Möglicherweise wurde die InterviewFrage von vielen nur auf ihre unmittelbaren täglichen Arbeitsbedingungen im Zusammenspiel von Politik und Medien bezogen. In Deutschland wurden als wichtigste gesellschaftliche Probleme v.a. die Globalisierung und die Verunsicherung der Bevölkerung über ihre soziale Lage genannt.38 Bei den Befragten zur britischen Regierungskommunikation kommen gesellschaftliche Faktoren etwas prominenter, aber ebenso nur am Rande vor: Tabelle 7: Aussagen der britischen Befragten zur Veränderung des Umfelds für politische Kommunikation39 Großbritannien: Aussage Starkes Wachstum des Medienangebots Beschleunigung des Nachrichtenflusses, EchtzeitKommunikation Verschärfter Wettbewerb, Drang nach Exklusivstorys Kampagnen-Journalismus Skandalisierung, Zynismus der Journalisten Metaberichterstattung über Regierungssprecher, Spin Druck der Medien auf Politik für Nachrichtenmaterial Personalisierung, Politiker als Prominente Boulevardisierung Schlechtere Qualität des Journalismus Geringere Obrigkeitsorientierung der Bevölkerung Gerüchte als Nachrichten Orientierung der Politiker auf das Fernsehen Wachsende Aggressivität zwischen Politik und Medien
P (n=8) 7 7
J (n=9) 8 8
W (n=3) 2 2
Summe (n=20) 17 17
3
8
2
13
3 4 4 4
7 4 4 5
2 2 1
12 10 9 9
5 2 2 5 2 1 3
3 4 4 2 3 3
1 2 2
9 8 8 7 7 5 5
2 1 2
Fast keiner der Interviewpartner in London kommt ohne die Erwähnung eines 24-StundenNachrichtenzyklus aus. Diesen könne keine öffentliche Institution oder Person ignorieren: “you have got to worry 24 hours a day what people think about you. […] some very minor matter might have thrown the public’s trust in you into reverse.”40 Die Ausweitung der Kanäle, Seiten und Sendeplätze schaffe einen Imperativ für politische Organisationen: Von ihnen werde erwartet, dass sie die medialen Angebote mit vermeldenswertem Material beliefern, allein schon um zu verhindern, dass ihre Gegner den verfügbaren Platz besetzen oder dass die Redakteure eigene Interpretationen der Lage vornehmen:
38
Vgl. u.a.Aussage eines Ex-Parteifunktionärs, P/D/12-Q12. Siehe im Einzelnen die britische Tabelle zu Q12 im Anhang II dieser Arbeit. 40 Aussage eines Experten aus der kommerziellen PR. P/G/5-Q12. 39
6.1 Das wahrgenommene Umfeld für politische Kommunikation
153
“There’s been a dramatic change in the last ten years in the media environment in which politicians operate, 24-hour news on television means that there is a constant need to give information, there is a constant need for copy and there is a constant process of updating the news. So if you have an event first thing in the morning, by lunchtime it’s gone.”41
Damit hatte die Beschleunigung der medialen Abläufe zwei Seiten: Neuigkeiten und Material gelangen mittels Informationstechnik schneller in die Redaktionen als früher. Daneben sank die Frist, in der eine Nachricht noch als neu betrachtet wird. Den Effekt auf Politiker und ihr Kommunikationsverhalten beschrieb ein Journalist sehr plastisch: “In the old days, a minister could have made a speech off message […] in Inverness in Scotland, somewhere in the Black Forest and nobody would have heard about this for weeks. But nowadays the local radio station in Inverness or in the Black Forest would be over there […] and would be taking a tape recorder and they would squat it down the line […] the Bundes Chancellor would hear about it within a couple of hours because the media would tell him […]. All these things of speed of communications, and that’s what creates pressure on governments to get their message, like advertising, get it simple, […] get it all the same. And the more they try to get it the same, the more we try to pick up any little tiny fraction of difference, of nuance and blow it up into a big row.”42
Der Wettbewerb im britischen Medienmarkt stellte sich den Beteiligten als gnadenlos dar.43 Die Fähigkeiten eines Politikjournalisten würden heute nach der Zahl der von ihm gelieferten exklusiven Berichte beurteilt, nicht nach seiner Sorgfalt und Zuverlässigkeit. Auch die BBC räume diesen einen hohen Stellenwert ein.44 Dank der Beschleunigung des Umschlags der Nachrichten wird dies ergänzt durch intermediale Konkurrenz: “[…] the advent of 24-hour radio and TV, that has put a double pressure on newspaper journalists, because on the one hand, they are scrabbling to keep their own stories exclusive but secondly, they are veering more and more away from doing news because if you wanna know what Blair said about Butler, it’s been on TV, radio all the time. The journalist has to do commentary, analyse, get a side bar, get something different. So they are doing less and less news and more and more what Alastair Campbell calls ‘spin’.”45
In der vorliegenden Untersuchung fällt auf, dass sich eine Mehrheit der befragten Journalisten den Vorwurf an die britischen Medien zu eigen machte, sie trennten nicht zwischen Nachricht und Kommentar. Zwei Redakteure erklärten sogar das angelsächsische Ideal der objektiven Berichterstattung für tot – Medien seien keine neutralen Kommunikationsmittel.46 Ein führender Journalist sagte, die Debatte sei gegenstandslos: “[…] British newspaper are highly political animals […] every newspaper takes a line, has a view about every political story, whether the government has done the right thing or the wrong thing […] I don’t editorialise in my news writing but I make sure that we approach every political story from the right political angle. […] we take the view that we were pro the war in Iraq, 41
Zitat eines politischen PR-Managers. P/G/3-Q12. Angabe eines leitenden Journalisten einer national verbreiteten Zeitung. J/G/4-Q12. 43 Vgl. u.a. P/G/1-Q12 und J/G/8-Q12. 44 Vgl. Aussage eines erfahrenen Rundfunk-Journalisten. J/G/5-Q12. 45 Zitat eines Medienwissenschaftlers. W/G/1-Q12. 46 Vgl. Aussagen zweier Boulevard-Journalisten. J/G/1-Q12 und J/G/2-Q12. 42
154
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse that means when we write about like the Butler Report, we are consciously looking for things in the report which prove our view. […] nobody is neutral and nobody is objective, it doesn’t exist.”47
Die Blair-Regierung stand damit oft Nachrichtenmedien gegenüber, die sich nicht als objektive Mittler sahen, sondern als politische Faktoren mit eigener Agenda. Eine besondere Frage zur Redlichkeit des Journalismus wurde die Art, wie einzelne Medien mit Fakten umgehen, die ihrer eigenen Meinung widersprechen. Mit Bezug auf drei Zeitungskampagnen der letzten Jahre, die des Independent gegen den Irak-Krieg sowie der Daily Mail gegen Gentechnik und ein Impfmedikament, stellt ein Wissenschaftler fest: “The more that you have, as a newspaper brand, distinctive takes on issues of concern to people, the more loyalty you will get, is the idea. So if you are The Independent newspaper and you are in pretty deep financial difficulties, to take a stance on an issue such as the Iraq war […] you don’t report, you push your views on it, you are constantly telling people what you think and you are sluing the news agenda and sluing your coverage to satisfy readers who already have a set of believes in that area. […] What it means though is whenever new information comes on a story which you have become engaged in, you can’t report it straight. Because one thing a newspaper will never do is go ‘Err, we got that wrong, sorry.’ […] Everything then has to be through the prism which they as a newspaper have taken […]”.48
Dieser von massiver Konkurrenz, Beschleunigung und einer Zunahme der Kampagnen geprägte Journalismus führte zu einer Zuspitzung der Nachrichten, wie sie bereits oben für Deutschland beschrieben wurde. Nach diesen Beschreibungen zu urteilen, ist dies aber in Großbritannien weiter fortgeschritten. Auffällig ist auch der an Journalisten gerichtete Vorwurf, sie seien zynisch und trügen zur Politikverdrossenheit bei.49 Knapp der Hälfte der Befragten diagnostizierte eine wachsende Personalisierung der Politik in den Medien. In diesem Zusammenhang wurde die Darstellung politischer Akteure analog zu anderen Prominenten (z.B. Stars der Unterhaltungsindustrie) erwähnt. So erklärten zwei Mitarbeiter der Blair-Regierung, die Journalisten seien weniger an faktischen politischen Veränderungen als an dramatischen Geschichten über Konflikte zwischen Persönlichkeiten interessiert. Politik sei für einige Medienprodukte nicht mehr als eine tägliche Seifenoper.50 Sehr aufschlussreich war der Kommentar eines leitenden Redakteurs eines Massenblatts, als er mit dem Vorwurf der Trivialisierung der Politikberichterstattung konfrontiert wurde: “I would say more or less 70 or 80 percent of our time is spent writing about political figures, politicians and individuals and behind-the-scenes rows and punch-ups and fights. […] Politics is not about policy, not if you want to make it interesting. […] anybody who accuses the media of focussing on personality politics and the showbiz side of politics doesn’t understand politics, actually because that’s where the emphasis should be, it should be on the individuals who are leading the country. […] policy is very often extremely dull […] if people really want to know the
47
Zitat eines leitenden Redakteurs eines Boulevard-Blatts. J/G/1-Q12. Aussage eines Experten zur politischen Kommunikation. W/G/3-Q12. Geäußert von Politikvermittlungsexperten und Journalisten gleichermaßen, vgl. P/G/1, P/G/5, P/G/7, J/G/3 und J/G/6, jeweils -Q12. 50 Vgl. P/G/2-Q12 und P/G/7-Q12. 48 49
6.1 Das wahrgenommene Umfeld für politische Kommunikation
155
ins and outs of policy, then they will go and find out the ins and outs of policy but the truth of the matter is nobody reads it […].”51
Arbeitsweise und Themen der Boulevardpresse sind nach Angaben von acht Interviewpartnern auf alle Medienprodukte übergesprungen. Der gesamte Medienmarkt befände sich in einer Abwärtsspirale, gefangen in einer Mischung aus Trivialisierung und marktschreierischer Zuspitzung, so einige der Befragten. Selbst befragte Journalisten erklärten, die Medien kümmerten sich wenig um den Wahrheitsgehalt ihrer Berichte.52 Dies verstärkte den Trend des schwindenden Respekts der Bürger für Obrigkeiten, den sieben Befragte ausmachten. Die höhere populäre Skepsis gegenüber Aussagen der Regierung bringe diese in eine konstante Defensive.53 Ein ehemaliger politischer PR-Berater sah das Internet als Vorreiter für ein neues Zeitalter sämtlicher Formen vermittelter Kommunikation: “[…] until the internet came along, the only way you get the answer to that question was if you found somebody to ask who knew what the word meant or you had a dictionary to hand […] sticking it in a search engine, people find very easy. So it’s not that we’ve got a more informed population, it’s that we have a population with greater access to information. […] we live in what we call the reference age as opposed to the deference age. […] the deference age meant that when the Prime Minister spoke, it carried authority and you tended to believe it. Now that we live in the reference age, nobody believes anything anybody says. What they do is they look for an endorsement of their view from ‘people like me’.”54
Nicht erwähnt in der Tabelle ist ein Aspekt, der von drei PR-Experten angesprochen wurde, aber wegen der besonderen Binnensicht dieser Befragten beachtenswert erscheint: die internationale Rolle Großbritanniens. Sie sprachen von einem starken Anstieg der Anfragen ausländischer Medien an das Amt des Premierministers und wichtige Ministerien. Dies war nach diesen Angaben eine Folge internationaler Krisen wie der Kriege auf dem Balkan und des Kampfes gegen den Terrorismus.55
6.1.2 Gut beraten? Die Reaktion der offiziellen Politikvermittlung Nach den geschilderten Veränderungen – schließlich gab es keinen einzigen Experten, der keine größeren Wandlungen ausmachen wollte – ist zu thematisieren, ob die zwei Regierungen ausreichend auf das neue Umfeld eingestellt waren. Das beinhaltet auch die Frage, ob ihre Reaktionen adäquat waren. Die Sicht der Befragten auf die Folgen der RegierungsPR wird noch ausführlich im Abschnitt 6.5 diskutiert. Die hier relevanten Antworten kreisen um die Frage der Qualität der politischen Kommunikation sowie von positiven und negativen Folgen einer professionelleren Regierungs-PR.56 Für den britischen Teil in die-
51
J/G/1-Q12. Vgl. P/G/2, P/G/6, J/G/3, J/G/6, J/G/9, W/G/1 und W/G/3, jeweils -Q12. 53 Vgl. Aussagen zweier PR-Experten, P/G/4-Q12 und P/G/5-Q12. 54 P/G/3-Q12. 55 Vgl. Aussagen von ehemaligen und aktiven Mitarbeitern der Blair-Regierung, P/G/1, P/G/2, P/G/4 und P/G/8, jeweils -Q12. 56 Fragen 12, 15 und 16 im Leitfaden-Fragebogen, s. Anhang I. 52
156
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
sem Abschnitt konzentrierte sich die Auswertung auf die Situation vor dem Phillis Review in den Jahren 2003 und 2004.57 Bei Ansicht der Tabellen wird deutlich, dass die Meinungen divergierten. Es wurden disparate Themenbereiche angeschnitten, häufig widersprachen sich die Aussagen gegenseitig. Das gilt in Deutschland noch stärker als in Großbritannien, wo sich schon eher Mehrheitsmeinungen abzeichnen. Die Urteile über die Informationspolitik der rot-grünen Regierung sind kontrovers, oft gespalten hinsichtlich einzelner Akteure und Ministerien. Deswegen wird in der folgenden Übersicht auf eine lineare Aufreihung der Aussagen nach ihrer Häufigkeit verzichtet, da sich ansonsten ein Wirrwarr widersprüchlicher Ansichten ohne Systematik ergeben hätte. Vielmehr wurden die Angaben zwar der Menge nach geordnet, dazu passende (Gegen-)Aussagen aber in der folgenden Zeile angefügt. Tabelle 8: Aussagen der deutschen Befragten zur Qualität der Regierungskommunikation Schröders58 Deutschland: Aussage Regierung fehlt Gesamtstrategie für Politik Regierung Schröder hat Gesamtstrategie für Politik Einbindung externer Berater in einzelnen Ressorts Kaum freie Medienberater für Mitglieder der Bundesregierung aktiv Widerstand gegen externe Berater aus Apparat Einzelne Akteure der Regierung haben Macht der Bilder gelernt Oberflächlichkeit, extreme Vereinfachung Politik muss ihre Anliegen besser erklären Im Wahlkampf geübte Techniken wie rapid response, Koordination, prägnante Botschaften oft nicht gegeben Techniken wie rapid response und Prägnanz von Botschaften gelernt und in Regierung umgesetzt Breites Spektrum an Qualität der Kommunikation in verschiedenen Teilen des Regierung Schröder persönlich sehr guter Kommunikator Regierungs-PR unter Schröder insgesamt mangelhaft Qualität der Regierungs-PR allgemein befriedigend Rot-Grün hat echtes Vermittlungsproblem Problem der Inhalte, kein Vermittlungsproblem SPD steht nicht hinter Politik der Regierung Zentrale Kommunikations- und KoordinationsStruktur für Bundesregierung fehlt und wäre nötig
57 58
P (n=20) 8 1 5 1
J (n=8) 2 2 2
Summe (n=28) 10 1 7 3
3 3
3
3 6
3 2 4
3 2 2
6 4 6
5
W (n=0)
5
4
2
6
3 3
3 2
6 5
3
2 6 5 3 6
2 6 2 3 3
Siehe Abschnitt 4.1.6. Siehe im Einzelnen die Tabelle zu Q15 im Anhang II dieser Arbeit.
3
6.1 Das wahrgenommene Umfeld für politische Kommunikation Zentrale Kommunikations-Struktur für Bundesregierung nicht praktikabel Bessere Abstimmung der Sprecher der Bundesregierung untereinander gegeben Zu starke Trennung der Entscheidungs- und Darstellungspolitik Entscheidungs- und Darstellungspolitik besser verzahnt Regierungssprecher Anda gibt zu wenige Auskünfte Regierungssprecher Anda macht gute Arbeit
2
157 1
2 4
2 2
2 2 1
3
6 2
3
5 1
Der Vorwurf an die Regierung Schröder, ihr fehlte ein überwölbendes Ziel, führt die Liste der Aussagen an. Eine Einbettung der rot-grünen Einzelmaßnahmen in einen kommunikativen Rahmen war diesen Angaben zufolge nicht möglich.59 So sagte ein Politikvermittlungsexperte: „Die Regierung kann wunderbar kommunizieren in Einzelteile, aber sie kriegt kein Gesamtbild hin […].“60 Ein Journalist einer Boulevard-Zeitung bestätigte diese Beobachtung, als er beschrieb, dass Schröders erster Regierungssprecher Heye versucht habe, ihm das Handeln des Kanzlers als das moderne Prinzip von Versuch und Irrtum nahezubringen: „Also er [Heye] hat im Prinzip das chaotische und vom Tagesgeschäft bestimmte Regierungshandeln des Bundeskanzlers […], ich hab das immer genannt Regierungsprinzip Tagesbau nach Morgenlektüre, […] in eine Theorie oder eine Konzeption versucht zu gießen […] in seiner Persönlichkeitsstruktur liegt eben, Schröder hält nichts von langfristigen Konzepten […].“61
Dieses einzelne Beispiel lässt sich übrigens als cleverer Versuch werten, die Schwäche eines politischen Akteurs in eine Stärke umzuinterpretieren: Der Mangel einer tragfähigen Strategie sollte zur Flexibilität und Modernität umgedeutet werden. Obwohl der zitierte Journalist dieses Bild ablehnte, fand es bei anderen Medien Niederschlag.62 Ein Kanzlerberater verteidigte die Politik Schröders: Mit der Agenda 2010 habe die Regierung versucht, zukunftsfähige Wirtschaftsstrukturen und die Sozialsysteme in Einklang zu bringen. Diese Politik habe sehr wohl eine Überschrift: „Weg von den Vergangenheitssubventionen, hin zu den Zukunftsinvestitionen.“63 Das werde von den Medien nur nicht weitergetragen, da sie am liebsten Einzelmaßnahmen auf deren Folgen abklopften: „Nur wird Ihnen natürlich niemand diese Überschrift, außer wenn es mal eine große Kanzlerrede gibt, kommunizieren, sondern im Einzelfall wird es heißen: ,Aha, Eigenheimzulage soll gestrichen werden […] Oma verliert ihr Häuschen.’ […] eine solche […] Überschrift, die aber natürlich ganz komplizierte einzelne Entscheidungen erfordert, da zerbröselt Ihnen auch die Überschrift.“64 59
Siehe auch Abschnitt 4.2.1 und Marx, Boulevard, S. 213-215. Zitat eines Kampagnen-Experten. P/D/18-Q15. 61 J/D/3-Q15. 62 Vgl. ebd. 63 P/D/9-Q15. 64 Ebd. 60
158
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
Dies sind subjektive Meinungen zur Gesamtstrategie der Schröder-Regierung, aber auch bei eigentlich klar quantifizierbaren Sachverhalten wie der Häufigkeit von externen Beratern für die Politikvermittlung in Kanzleramt und Ministerien herrscht Uneinigkeit. Was ein Befragter als beachtlichen Kreis an freien Politikvermittlungsexperten in offiziellen Diensten ansieht, könnte ein anderer als lächerlich geringe Anzahl empfinden. Exemplarisch seien zwei Zitate von Politikvermittlungsexperten vermerkt: „[Schröder] hat sicherlich noch den einen oder anderen, und das ist in der Öffentlichkeit nicht bekannt. Und ich weiß auch nicht, ob das Leute sind, die das für einen Euro tun oder ob die bezahlt werden. […] Manchmal ist es ganz gut, dass man das auch nicht weiß.“65 „Also ich habe da [im gesamten Bundeskabinett] keinen Überblick, wer Verträge mit freien Beratern hat, aber nach meinem Eindruck […] ist das verschwindend gering […] ich weiß gar nicht, ob es mehr als eine Person ist.“66
Als Hindernis für einen verstärkten Einsatz externer PR-Berater wirkten nach Eindruck von drei Befragten Widerstände aus den Apparaten. Das wurde ergänzt durch bürokratische Hindernisse wie die Notwendigkeit der Ausschreibung öffentlicher Aufträge, was bei einem Vertrauensjob wie persönlicher Beratung abschreckend wirken kann. Zudem wirkten auch öffentliche Widerstände wie die Skandalisierung von PR-Beratung in den Medien. 67 Sechs Befragte konstatieren, dass zumindest einige Minister der rot-grünen Regierung die Macht medialer Bilder verinnerlicht hätten. Ebenso häufig zu hören war aber auch die Klage über eine extreme Vereinfachung der Regierungskommunikation, die zu einer starken Oberflächlichkeit geführt habe. Der Vorrang des Visuellen für die Arbeit der Regierungskommunikatoren zeigte sich in dieser Beobachtung eines Journalisten: „Schröder hat seine Botschaften selten über Hintergrundgespräche platziert, sondern über Bilder und Symbole. Schröder hat es verstanden, in Bildern zu denken. Er hat ja nicht von ungefähr damals gesagt, er braucht nur Bild, BamS und Glotze. Und das war […] das Neue an Schröder, das was vor ihm noch keiner so gnadenlos ausgenutzt hat, nämlich das Spiel mit den visuellen Medien und das Wissen darum, dass im Grunde die visuellen Medien die ersten Eindrücke schaffen, über die die Printmedien dann hinterher nur noch berichten oder die sie einordnen, […] aber die Erstinformation für das Massenpublikum findet eindeutig über die visuell geprägten Massenmedien statt.“68
Allerdings merkte ein anderer Journalist an, schon unter Kohl hätten Medienberater „Bilder für Bildermacher“69 organisiert, so z.B. bei seinen sommerlichen Urlaubsfotos mit Tieren. Dies habe es immer gegeben.70 Doch nach Ansicht einiger Experten stellt die Anpassung der Regierungs-PR an die bildergeprägte Medienlandschaft wegen übermäßiger Simplifizierung eine Gefahr für die Demokratie dar. In diesem Zusammenhang wurde die Sorge geäußert, dass die politischen Akteure dem Volk zu wenige verständliche Erklärungen böten. Politikeraussagen seien oft unlebendige Worthülsen, die die Bürger nicht nachvoll65
Aussage eines freiberuflichen PR-Experten. P/D/19-Q15. Zitat eines offiziellen PR-Akteurs. P/D/8-Q15. 67 Vgl. P/D/4, P/D/5 und P/D/19, jeweils -Q15. 68 Aussage eines Redakteurs einer Boulevard-Zeitung. J/D/3-Q15. 69 Angabe eines TV-Journalisten. J/D/5-Q15. 70 Vgl. ebd. 66
6.1 Das wahrgenommene Umfeld für politische Kommunikation
159
ziehen könnten, so ein Sprecher einer politischen Organisation in Berlin.71 Ein FernsehJournalist ging noch weiter: Er sah die Simplifizierung der politischen Kommunikation nicht nur als Ergebnis, sondern als Spiegelbild hektischer medialer Abläufe: „Politik wird […] immer oberflächlicher und die Kommunikation darüber auch. […] Wie erklären die [Vertreter der These der Professionalisierung der politischen Kommunikation] sich, wenn das alles so professionell zugeht, das Ausmaß etwa von den Beschlüssen zur Gesundheitsreform? Hat ja keiner vorhergesehen. Zehn Euro Praxisgebühr, der Aufstand und anderes, das ist alles nicht vorgefiltert worden.“72
Während weitgehend unstrittig war, dass PR-Techniken wie rapid rebuttal und die Abstimmung klarer Kommunikationslinien in Bundestagswahlkämpfen bei den großen Parteien zum Einsatz kommen, herrschten gegenläufige Meinungen über ihr Vorhandensein in der Regierungs-PR.73 Ein regierungsamtlicher Politikvermittlungsakteur berichtete von Veränderungen im BPA: Die Auswertung der Medien sei beschleunigt worden. Das neu eingerichtete newscenter, das ähnlich einer Redaktion arbeiten kann, garantiere eine schnelle und aktivere Arbeit. Hinzu komme ein Internet-Angebot für Journalisten, das mediale Dienste jederzeit verfügbar mache.74 Ein Journalist mit breiter internationaler Erfahrung sagte hingegen, im Vergleich zur Regierung Blair betrachteten die Berliner Akteure der Regierungskommunikation schnelles Reagieren auf Medienberichte nicht als wichtig. Es gebe keine entsprechenden Mechanismen.75 Als Fallbeispiel für Kommunikationsmängel der rot-grünen Regierung dienten bei einigen Interviews im Frühjahr 2004 Medienberichte, die Bundesregierung wolle ihren Sparkurs im Haushalt formell aufgeben. Diese wurden offenbar ausgelöst durch ein Spiegel-Interview des grünen Bundesaußenministers Joschka Fischer. Diese Spekulationen zogen sich einige Tage durch die Medien. Während ein in die Frage involvierter PR-Experte betonte, das BPA habe sehr schnell reagiert und die Behauptung innerhalb von drei Stunden in einer Erklärung widerlegt 76, erklärte ein anderer den Fall zur einfachen Panne, die der Tatsache geschuldet sei, dass Redaktionen am Wochenende schwieriger ansprechbar seien.77 Ein dritter machte dagegen die Regierungssprecher verantwortlich, dass das angebliche Ende des Sparkurses tagelang Schlagzeilen machte: „Es werden Fehler gemacht, die schreien zum Himmel. Also das, was da jetzt übers Wochenende gelaufen ist, weil einfach keiner was gemacht hat. Ich stell mir vor, dass am Samstag der Béla Anda den Bundeskanzler anruft und sagt: ,Herr Bundeskanzler, Sie müssen damit in die Öffentlichkeit gehen, wo immer Sie stehen und müssen mal sagen, […] dass […] die Abkehr vom Sparkurs […] nicht stimmt.’ Das ist nicht geschehen, offensichtlich nicht.“78
Diese Fehler passierten häufiger.79 Auch das Urteil über die Effektivität der Informationspolitik der Bundesregierung fiel gemischt aus. Eine einfache Mehrheit der Befragten urteil71
Vgl. P/D/17-Q15. J/D/5-Q15. 73 Diese Kampagnentechniken werden häufig als Spin Doctoring bezeichnet, s. die Abschnitte 3.3 und 4.1.2. 74 Vgl. P/D/5-Q15. 75 Vgl. J/D/6-Q15. 76 Vgl. P/D/8-Q15. 77 Vgl. P/D/9-Q15. 78 P/D/1-Q15. 79 Vgl. ebd. 72
160
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
te, es gäbe unterschiedliche Kommunikationsfähigkeiten in den verschiedenen Apparaten. Dabei gingen die Beurteilungen quer durch die politischen Lager, sie sind also nicht an die parteilichen Überzeugungen der Befragten gebunden. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass nicht alle Experten zu der Überzeugung gelangt waren, dass die rot-grüne Bundesregierung in ihrer Informationspolitik ausreichend auf mediale und gesellschaftliche Veränderungen reagierte, was jedoch durch Rahmenbedingungen wie Finanzausstattung und rechtliche Regelungen erschwert wurde. Symptomatisch für die gespaltenen Urteile sind die folgenden Aussagen von PR-Experten: „Sie [die Regierungs-PR unter Schröder] ist im Handwerklichen, im Alltäglichen das Beste, was bisher geleistet wurde […] Was Schröder im Detail, wenn er auftritt, kommuniziert, […] à la bonheur. […] immerhin hat ja, ob berechtigt oder nicht, der Béla Anda ja den Preis des PR gekriegt […] er macht es gut, und ich empfinde das auch so. […] dass das ganze Kanzleramt eine im Grunde genommen gute Kommunikationsmaschinerie ist, man hat ja fast das Gefühl, die Journalisten wesentlicher Zeitungen sitzen da mit um den Tisch herum.“80 „Wenn man mit die Bundesregierung die politische Generalkommunikation des Kanzlers sieht, dann habe ich […] eine so miserable Verkaufe wie bei dieser Regierung […] noch nie erlebt. […] natürlich müssen Sie dann unterscheiden auch nach einzelnen Ministern. Die Verkaufe der Minister […] Clement, Schily, Struck, die ist eins bis zwei. […] ich habe das selten erlebt, dass eine so gute Politik so schlecht verkauft worden ist […]. Der Schröder kommuniziert das in seinen Reden hervorragend. Aber der redet nicht jeden Tag zum deutschen Volk […].“81
Diese Problematik spiegelt sich auch in der Frage nach der Quelle der kommunikativen Unfälle. In dem vorstehenden Zitat klang schon die Meinung an, dass eine gute Politik schlecht vermittelt und durch einzelne handwerkliche Fehler überlagert werde.82 Handelte es sich, wie von Vertretern der Regierungskoalition oft betont, um Vermittlungsprobleme, als die Reformen der Agenda 2010 auf öffentliche Proteste stießen?83 Ein Experte aus dem Bereich der kommerziellen PR führte dies darauf zurück, dass die extreme Vereinfachung, mit der politische Probleme vermittelt werden müssten, eine breite Beschäftigung mit den Folgen von Globalisierung und demografischem Wandel verhindere. Dies sei ein echtes Vermittlungsproblem, eine Herausforderung an die Akteure der politischen Kommunikation.84 Drei befragte PR-Akteure führten an, die SPD sei nicht einverstanden mit der Reformpolitik des Kanzlers. Deshalb würden jegliche Versuche, diese den Bürgern zu vermitteln, vom eigenen Lager konterkariert.85 Fünf Befragte machten aber inhaltliche Probleme für den Absturz der Koalition in der öffentlichen Meinung verantwortlich, so wie dieser Journalist: „Eine derartig unpopuläre Entscheidung durchzusetzen, dann ins Werk zu setzen und dann auch noch zu beobachten, dass sie nicht funktionieren, jedenfalls nicht so, wie man es gedacht hat,
80
Aussage eines Kampagnen-Fachmanns. P/D/18-Q15. Zitat eines Ex-Journalisten und PR-Experten. P/D/1-Q15. 82 Vgl. ebd.; P/D/18-Q15 und J/D/6-Q15. 83 Siehe Abschnitt 4.2.2. 84 Vgl. P/D/20-Q15. 85 Vgl. P/D/1, P/D/11 und P/D/18, jeweils -Q15. 81
6.1 Das wahrgenommene Umfeld für politische Kommunikation
161
das kriegen Sie mit dem besten Spin Doctoring nicht hin. […] Das führt einfach zu einem Negativimage.“86
Umstritten unter den Experten war auch, inwiefern eine engere Abstimmung der Informationspolitik Pannen und Fehler verhindern könnte. Sechs Befragte mahnten eine zentrale Koordinationsinstanz an, z.B. dieser Politikvermittlungsexperte: „[…] es fehlt der politische Wille. Der muss aus dem Bundeskanzleramt kommen. […] Wie kann ich die Vision, die ich politisch habe, kommunizieren über alle Ebenen der Regierung weg? Ich glaube, es geht nur, wenn ich eine zentrale Stelle habe, von der alle wissen.“87
Andere Experten bezweifelten hingegen, ob eine zentrale Festlegung von Strategie und Kommunikation aus dem Bundeskanzleramt heraus möglich wäre. Sie verwiesen einerseits auf vorhandene Koordinationsmechanismen wie Schaltkonferenzen zwischen BPA und Bundesministerien, andererseits auf die Unabhängigkeit der Bundestagsabgeordneten, die Ressortautonomie und die Stärke der Länder. Eine solche Machtkonzentration sei rechtlich nicht möglich und werde von niemandem, Schröder eingeschlossen, gewünscht. 88 Eine ähnliche Kontroverse entspann sich bei der Frage des Zusammenwirkens von Entscheidungs- und Darstellungspolitik. Einzelne Kritiker machten einen Mangel daran schon an den Namen der Reformmaßnahmen fest: So machten Titel wie Hartz IV deutlich, dass deren Vermittlung nicht durchdacht worden sei. Es fehlten Leitlinien über die Kommunikationsstrategie zu den Gesetzespaketen.89 Eine in Wahlkämpfen geübte Technik ist die eines proaktiven Zugehens der offiziellen Politikvermittlungsexperten auf die Journalisten. Drei PR-Experten ließen verlauten, eine solche Einstellung werde in der Bundesregierung gepflegt.90 Zwei Kollegen meldeten allerdings daran Zweifel an, wie dieser Ministerberater: „Die Art der politischen Kommunikation […] ist im Wesentlichen reaktive. Die aktive Kommunikation ist maximal ein Drittel noch. Wir haben das auch hier in der Pressestelle einmal über ein paar Wochen hin mit Strichlisten geführt, also 60 bis 70 Prozent sind reaktive Kommunikation, […] weil Sie […] richtigstellen müssen […].“91
Einige Befragte bezweifelten die Professionalität von BPA und Ressort-Pressestellen. So erklärten zwei Politikvermittlungsexperten, dort dominierten Beamte, die meist keine journalistischen Erfahrungen hätten. Damit fehlte ihnen das Einfühlungsvermögen für die Arbeitsweise der Journalisten, dringend benötigte Rückrufe blieben aus.92 Die alte Kontroverse, ob der Regierungssprecher im Kanzleramt besser aufgehoben wäre, findet sich auch in den Antworten dieser Studie wieder.93 Die Meinungen über die bereits unter Adenauer eingeführte Konstruktion der Regierungskommunikation waren geteilt: 86
Aussage eines leitenden Journalisten einer Boulevard-Zeitung. J/D/2-Q15. Zitat eines PR-Experten mit Regierungserfahrung. P/D/11-Q15. 88 Vgl. P/D/5, P/D/8, P/D/9, jeweils -Q15. 89 Vgl. P/D/15-Q15 und J/D/5-Q15. Ein ehemaliger offizieller Politikvermittlungsexperte sagte dazu, Hartz IV sei „geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie man’s nicht machen sollte“ (P/D/15-Q15). 90 Zur Erklärung proaktiver Techniken s. Abschnitt 4.1.2. 91 P/D/6-Q15. 92 Vgl. P/D/15, P/D/19 und J/D/2, jeweils -Q15. 93 Siehe dazu Abschnitt 2.3.3. 87
162
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse „Der [Regierungssprecher] hat […] 700 Mitarbeiter, natürlich viel zu groß, sitzt fünf Querstraßen weg vom Kanzleramt […] was eine absolute Fehlentscheidung ist, weil er also nicht beim Kanzler dran ist.“94 „[…] das [BPA] ist einfach eine schlichte Fehlkonstruktion. […] den ganzen Bereich PR, Öffentlichkeitsarbeit würde ich ins Kanzleramt setzen […] wir hatten auch mal so was in der KohlZeit, und er hat das damals auch abgelehnt mit Hinweis auf Koalitionspartner […].“95 „[…] dass das Bundespresseamt auch jetzt noch existiert, ist […] ein eindeutiger Beleg dafür, dass sich dieses System […] bewährt hat […] ob das Presseamt seinen Anforderungen gerecht wird, hängt weniger davon ab, ob es eine eigene Behörde ist oder eher ein Stabsbereich ist im Kanzleramt […]. Sondern es hängt sehr stark davon ab, welche Aufgaben man wahrzunehmen hat und ob man dafür genügend und qualifizierte Leute hat.“96
Obwohl es streng genommen nicht zum Gegenstandsbereich dieser Arbeit gehört, soll noch eine Bemerkung zur Öffentlichkeitsarbeit der Parteien gemacht werden. Immer wieder ist von einer Professionalisierung der Parteiapparate zu lesen. Während dies für Wahlkämpfe durchaus zutreffen mag, nötigte die allgemeine Annahme Praktikern oft nur einen Seufzer ab. Zwei der befragten PR-Akteure und ein Journalist berichteten von knappen Kassen in den Parteizentralen, die an eine adäquate Ausstattung der Bereiche Politikplanung und Öffentlichkeitsarbeit gar nicht denken ließen. In beiden politischen Lagern war von unzureichender Ausstattung und dilettantischem Vorgehen der Parteien im Vergleich zu Bundesregierung und Wirtschaft die Rede.97 Weitere, kritische Nachforschungen der Politikwissenschaft zur These von den professionalisierten Parteien wären m.E. angeraten. Die Befragungen in London enthüllten weniger kontroverse Einstellungen als in Deutschland. Die wichtigste Beobachtung der Mehrheit der Experten war der proaktive Charakter der Informationspolitik unter Blair. Seine Regierung sei beständig darum bemüht, eine Feinsteuerung der Medien auszuüben und ihr Außenbild so weit wie möglich zu determinieren. Finanzmittel und Aufwand für die Medienarbeit seien deutlich gewachsen. In der nachfolgenden Auswertung wurden die Aussagen analog zur deutschen Tabelle zusammengefasst: Tabelle 9: Aussagen der britischen Befragten zur Qualität der Regierungskommunikation Blairs98 Großbritannien: Aussage Informationspolitik der Blair-Regierung proaktiv Campbell zu auffällige Figur in Informationspolitik Kommunikation als Politikersatz: Regierung maß anfangs Erfolg zu sehr in Schlagzeilen 94
P (n=8) 3 1 5
J (n=9) 7 7 4
W (n=3) 3 2
Summe (n=20) 13 10 9
Angabe eines ehemaligen Mitarbeiters der Regierungszentrale. P/D/11-Q15. Zitat eines weiteren Ex-Mitarbeiters der Regierungszentrale. P/D/15-Q15. Bei diesem Zitat ist zu beachten, dass der Befragte offensichtlich mit Öffentlichkeitsarbeit die Informationspolitik im Sinne dieser Arbeit meint. 96 Zitat eines offiziellen PR-Experten, P/D/8-Q15. Ähnlich äußert sich auch ein weiterer PR-Akteur, P/D/1-Q15. 97 Vgl. die Aussagen der Mitarbeiter von Parteizentralen und eines investigativ arbeitenden Journalisten, P/D/4, P/D/14 und J/D/5, jeweils -Q15. Zur These der Professionalisierung siehe u.a. Blumler, Age; Esser, Campaigns; Swanson, Transnationale und Meinhart, Manipulation. 98 Siehe im Einzelnen die britische Tabelle zu Q15 im Anhang II dieser Arbeit. 95
6.1 Das wahrgenommene Umfeld für politische Kommunikation Unter Blair höhere Priorität für Darstellung, engere Verzahnung von Darstellungs- und Entscheidungspolitik Zentralisierung der Regierungskommunikation, weniger Freiheit für Ministerien Reform der noch 1997 überforderten Medienarbeit Pressestellen der Regierung weiter schlecht organisiert Zweifel über Wahrhaftigkeit der Aussagen und Ethik der Regierungs-PR Unklare rechtliche Regeln für Sonderberater Sonderberater nötig, um politische Dimension von Informationen zu erläutern Regierung immer noch (2004) abhängig von Spin
163
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Die Informationspolitik unter Blair zeichnete sich demnach aus durch eine zentrale Planung, eine aggressive Reaktion auf für die Regierung negative Berichte und eine schnelle Antwort auf aktuelle Ereignisse.99 Ein Politikvermittlungsexperte beschreibt den Ansatz, der 1997 in die Regierungsbehörden einzog, mit der folgenden Illustration: “[…] the old approach used to be […] you would prepare a press release about something and then it would be there if the press wanted it and if they wanted more information about it, they could call you up. Now […] they got a white paper coming out […] they will trail different bits of it to two or three or even four different newspapers, they will choose […] a different nugget […] effectively to dangle in front of a particular journalist […], who they know and they know the paper will go for that and they use it proactively like that to generate publicity. […] even if they don’t do it in quite that targeted way, they are still acting more proactively […].”100
Als zweithäufigste Aussage fand sich gleich Kritik an der Ausgestaltung der Informationspolitik: Blairs Vertrauter und offizieller Sprecher Alastair Campbell habe sich zu auffällig und aggressiv gebärdet: „what happened with Campbell is that he, as they say, became the story“101. Ein anderer Journalist verglich das Verhältnis zwischen Campbell und den Reportern mit einem Stierkampf: „Alastair was rather like a superior bull being tormented by matadors […] it had reached a point where it wasn’t doing the government much good and that’s why they stopped it.”102 Seine Nachfolger träten ruhiger und diskreter auf. Der grundlegende Bauplan der Medienarbeit sei aber weiterhin intakt.103 Ein befragter Wissenschaftler, der in 10 Downing Street Campbells Taktiken genau beobachten konnte, machte dessen Arroganz für das Misstrauen vieler Reporter gegenüber der PR-Arbeit der Regierung mitverantwortlich. Dieser habe viel zu offen mit seinen Strategien geprahlt:
99
Vgl. die Angaben zweier für nationale Prestigemedien arbeitenden Reporter, J/G/4-Q15 und J/G/7-Q15. Zitat eines früheren Mitarbeiters der Labour-Regierung. P/G/8-Q15. 101 Aussage eines Journalisten einer überregionalen Qualitätszeitung, der selbst früher bei Labour aktiv war. J/G/9Q15. 102 Zitat eines leitenden Redakteurs einer Qualitätszeitung. J/G/4-Q15. 103 Vgl. ebd., P/G/4, P/G/6, J/G/2 und W/G/3, jeweils -Q15. 100
164
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse “It’s an extraordinary idea that somebody like Alastair Campbell would sponsor very effective communication and evasions, such as dealing with regional newspapers more effectively, dealing with women’s magazines editors more effectively and then give a speech and tell everybody what he had done to the media, and they would report it and the women’s magazines editors would become furious and stop co-operating. And that kind of arrogance was picked up […] by political journalists and […] it contributed to their hostility to the Labour government in the early years.”104
Eine weitere, fast ebenso häufig zu hörende Kritik richtete sich gegen die Tendenz der Blair-Regierung, ein gutes Medienecho schon als politischen Erfolg zu werten. Blairs Mannschaft habe nicht schnell genug verstanden, dass für den Bürger fühlbare Verbesserungen zählten, nicht wohlformulierte Ankündigungen105: “[…] in opposition, they were incredibly effective and when they first came to power, I think that they failed to appreciate nearly quickly enough […] that oppositions only live or die by what they say, governments can do things. And therefore, they should have upgraded and become rather less insecure, rather less aggressive and […] therefore they would have avoided all the pitfalls of announcing the same figures five times and all that.”106
Fast die Hälfte der Befragten gibt an, dass unter Blair die Präsentation ein größeres Gewicht erhalten habe oder dass Entscheidung und Darstellung enger verzahnt wurden. In der Realität hing dies von der Chemie zwischen den einzelnen handelnden Personen ab. Einige Fachreferenten versuchten, die Vermittlungsexperten vom Formulierungsprozess fernzuhalten; auf der anderen Seite wurde von Versuchen der PR-Experten berichtet, politische Entscheidungen über ihre mediale Wirkung vorzusteuern. Blair ermutigte seine Fachreferenten und Kommunikationsexperten, gemeinsame Vorlagen ausarbeiten.107 In der Downing Street sorgte zudem Campbell für eine ständige Beachtung der PR-Arbeit: “Alastair was obviously a very powerful presence within the building and he succeeded in insuring that communications and media was a very prominent part of the work that was done here. […] probably since his departure, policy has become a more important aspect of what happens within the Downing Street machine.”108
Viele Befragte gaben an, mit dem Einzug Blairs und Campbells in die Downing Street sei die Macht der Zentrale gewachsen, der Einfluss der einzelnen Ministerien geschwunden. Ein Teil dieser Entwicklung war der in Number 10 entwickelte Ereignisplan (grid) für die gesamte Regierung, der die Ressorts zum Informationsaustausch und zur Einhaltung vorgegebener Termine zwingt. Hinzu kam die Aufstockung des Personals in Blairs Amt, das damit eine größere Kontrolle ausüben konnte. 109 Ein Befragter erlebte den starken Einfluss der Regierungszentrale in der Pressestelle des Home Office (Innenministerium):
104
W/G/3-Q15. Vgl. P/G/1, P/G/2, P/G/8 und J/G/4, jeweils -Q15. 106 Zitat eines leitenden Akteurs einer kommerziellen PR-Firma. P/G/5-Q15. 107 Vgl. die Aussagen zweier ehemaliger Mitarbeiter der Regierungszentrale, P/G/8-Q15 und W/G/3-Q15. 108 Zitat eines Mitarbeiters der Labour-Regierung. P/G/4-Q15. 109 Vgl. die Angaben eines langjährigen Mitarbeiters in Whitehall, P/G/6-Q15. 105
6.1 Das wahrgenommene Umfeld für politische Kommunikation
165
“If the phone went and it was the Number 10 press office or the Strategic Communications Unit or the Government News Network, any phone call from Number 10, they just jumped. Every morning, the chief press officer of the Home Office would go to the planning meeting in Number 10, hear the morning briefing from Campbell, come back and call a meeting and there was no discussion. ‘This is what Number 10 want us to do today and this and this and […] we can’t do that because they don’t want us to.’ So is communications more important across government? Yes, it is because it is more important in Number 10 […].”110
Fast die Hälfte der Experten gestand der Blair-Regierung zu, sie habe die Institutionen der Informationspolitik umgestaltet, die vor 1997 überfordert gewesen seien. Über die MajorRegierung hieß es, sie habe ihre Verlautbarungen nicht mediengerecht präsentiert. Befragte berichteten von zu kleinen Pressestellen, die mit dem Ansturm von Anrufen nicht fertig geworden seien. So seien im Innenministerium noch 2000 ein Viertel aller Presseanfragen nicht beantwortet worden.111 Andererseits porträtiert eine kleinere Anzahl der Befragten die Regierungskommunikation auch nach den Veränderungen der Blair-Zeit als unprofessionell: „[…] it’s archaic, badly structured, badly organised and badly run and it employs very inferior people. […] Communication is not high up the hierarchy in terms of what it’s trying to do.”112 Ein anderer Befragter meinte, die PR-Experten Blairs glaubten nur, sie seien erfolgreich. Allerdings fehle ihnen trotz professioneller Taktiken strategische Weitsicht, um die langfristige Glaubwürdigkeit der Regierung sicherzustellen.113 Auffällig ist die hohe Zahl der Experten, die Zweifel an den ethischen Standards der Informationspolitik unter Blair anmeldeten. Dieses Thema spielte bei den deutschen Befragungen zur Bundesregierung kaum eine Rolle. Das Ausmaß der Kritik war bei den acht Befragten unterschiedlich. Es begann bei der generellen Unterstellung des Lügens: “It’s always as if this government says ‘whatever we do, we mustn’t tell the truth, what we must do is tell a good lie’. That’s how it looks like from the outside.”114 Am anderen Ende stand milde Kritik an einzelnen Ungereimtheiten: “I certainly think that when Campbell was under pressure at times he came close to saying things that were not completely correct.”115 Ein Journalist nannte die Bezeichnung des toten Waffenexperten David Kelly als Phantasten durch einen Regierungssprecher ein deutliches Beispiel verfallender ethischer Standards.116 Auch ein Wissenschaftler mit guten Kenntnissen des Innenlebens von Number 10 sprach mit Blick auf Blairs Medienmanagement von „the ridiculous manipulation, the abandonment of ethical standards“117. Insgesamt lässt sich konstatieren, dass eine deutliche Zahl der Befragten die Regierung nicht immer für glaubwürdig hielt. Dazu trug auch die ab 1997 stark erhöhte Zahl der Sonderberater in der Downing Street und in den Ministerien bei. Ihre unklare Rolle wurde von fünf Befragten als Risiko für das institutionelle Ansehen der Informationspolitik der Regierung geschildert. Ein Politikvermittlungsexperte erklärte die Rolle eines Sonderberaters mit PR-Funktionen so:
110
Zitat eines Wissenschaftlers, der die Arbeitsabläufe in Whitehall erforschte. W/G/1-Q15. Vgl. P/G/8-Q15 und W/G/2-Q15. 112 Ansicht eines führenden Mitarbeiters eines politischen PR-Unternehmens, P/G/3-Q15. 113 Vgl. die Aussage eines Politik-Dozenten mit Regierungserfahrung, W/G/3-Q15. 114 Meinung eines führenden Mitarbeiters eines politischen PR-Unternehmens, P/G/3-Q15. 115 Ansicht eines leitenden Journalisten einer Londoner Zeitung. J/G/8-Q15. 116 Vgl. die Aussage eines langjährigen Politik-Journalisten, J/G/5-Q15. Siehe dazu auch Abschnitt 4.1.5. 117 W/G/3-Q15. Diese Bemerkung schränkt er allerdings im folgenden Satz mit der Bemerkung ein, diese hässlichen Seiten kämen zuweilen vor, seien aber nicht überall verbreitet (vgl. ebd.) 111
166
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse “[…] I’m here simply to give the press office a guide on what shall we do in certain circumstances […] it’s necessary to have both, and the most effective department is where there is a head of news and a special adviser that work effectively together.”118
Drei Experten bezeichneten die special advisers als nötig, um die parteipolitische Dimension der Regierungsarbeit kommunizieren zu können. Ein Journalist beschrieb sie als einen von Blair gewollten, parteipolitischen Arm der Informationspolitik, der sich wenig um alte Konventionen der Westminister-Demokratie scherte: “[…] we got into a position where the special advisers would trail the information unattributably with journalists and government information officers would then back it up. […] Before Labour came in, it was very unusual for a government civil service information officer to give you anything about the contents of a parliamentary statement before it had been made. […] in each case, the trail of responsibility goes back to Downing Street.”119
Ein anderer Befragter verweist auf die Veränderungen in Number 10: Dort gäbe es nun zahlreiche Sonderberater, meist mit Kommunikation beschäftigt. Die traditionell scharfe Trennung zwischen parteilicher Spitze und neutralen Staatsdienern werde so verwischt. Besorgnis wurde auch über die Auswechslung aller Chefs der regierungsamtlichen Pressestellen in Blairs erster Amtszeit geäußert.120 Warum die Regierung Sonderberater für nötig hielt, machte Campbell im Juni 1998 in einer Befragung vor einem Unterhaus-Ausschuss deutlich. Hierin erwähnte er, dass die Sprecher des Premiers und der Ministerien nach traditionellen Konventionen nicht auf Angriffe der Opposition antworten durften – das habe die Regierung so gut wie schutzlos vor Attacken zurückgelassen: “My predecessor would have had to say, ‘That is a party matter, you have to refer it to the party.’ […] a lot of journalists are actually quite lazy and […] what happened in those circumstances is they take that as no comment, they take that as the Tories, the Government or whoever refused to respond. I will never refuse to respond.”121
Vier Befragte beschrieben die Ausbreitung der Sonderberater nach 1997 als temporär: Die neuen Minister hätten sich mit Vertrauten umgeben wollen, besonders im PR-Bereich. Mit zunehmender Regierungserfahrung hätten sie den Beamtenapparat schätzen gelernt. 122 Auch die Einschätzung der Wirkung der PR-Strategien New Labours rief unterschiedliche Urteile hervor. Vier Befragte erklärten, Blairs Medienapparat habe für spektakuläre Erfolge gesorgt, ebenso viele Experten sahen die Darstellungspolitik als eine unverzeihliche Schwäche. In den ersten Jahren der Amtszeit Blairs wirkte sein Image wie eine frische Brise, so ein führender Regierungsbeamter, der diese Zeit miterlebte: 118 Zitat eines Ministerberaters. P/G/7-Q15. Dieser verteidigende Kommentar klagt sich aber eher selbst an und macht sogleich das Problem deutlich: Obwohl die Sonderberater den Regeln zufolge keine Autorität über die Pressestelle haben, ist hier von „guide“ die Rede – ein informeller Einfluss der parteipolitischen Berater auf die Beamten wird erkennbar. 119 Zitat eines erfahrenen Politik-Journalisten, J/G/5-Q15. 120 Vgl. P/G/3-Q15 und P/G/6-Q15. 121 Antwort Alastair Campbells auf Frage 311 in: House of Commons Select Committee on Public Administration [Internet, 1998]: Minutes of Evidence. Online im Internet: AVL: URL: http://www.publications.parliament.uk/pa/ cm199798/cmselect/cmpubadm/770/8062302.htm (27.07.1998). 122 Vgl. P/G/2, P/G/4 und J/G/9, jeweils -Q15.
6.2 Hintergrund und Stellung der Politikvermittlungsexperten
167
“[The government’s media strategy] was certainly effective for a much longer period than even Alastair thought what’s going to happen in the first couple of years of government. Alastair’s view to me directly was he thought the honeymoon period between the media and the New Labour government would be six months but in effect it lasted two years. Because the machine was moving faster than the media could actually establish it.”123
Einer der befragten Journalisten erklärte hingegen, die aggressive Selbstdarstellung habe sich schon 1997 als schwerer Fehler der Blair-Regierung dargestellt: „[…] die Schwäche dieser Regierung ist die Präsentation, […], nicht die Stärke. Wenn jeder naseweiße Greenhorn-Reporter der BBC in einer Pressekonferenz über einen Minister, wo eine Politik angekündigt wurde […], im stolzen Brustton der Überzeugung sagen konnte, im Hintergrund waren ja diese New-Labour-Spindoktoren, statt über die Politik zu berichten […], kann das kein Erfolgsmerkmal sein für eine geschickte Darstellungspolitik.“124
6.2 Hintergrund und Stellung der Politikvermittlungsexperten 6.2.1 Aufstieg einer Medienelite in die Regierung? Die Diskussion um politische Kommunikation kreist häufig um die Frage, inwiefern Politikvermittlungsexperten bedeutender, ja für Politiker überlebensnotwendig geworden sind. Zudem wird im Zuge der Professionalisierungsdebatte gern insinuiert, nur noch erfahrene Journalisten könnten das Geschäft der politischen PR erfolgreich betreiben. 125 Daher wurden die Experten zum biografischen Hintergrund und zur Machtstellung politischer PRAkteure befragt. Daneben spielten das typische Arbeitsverhältnis und der Grad der Loyalität zwischen PR-Experten und ihren Vorgesetzen eine Rolle. In diesem Abschnitt werden die Antworten dazu ausgewertet.126 Obwohl die Schlussfolgerungen recht eindeutig ausfallen, sind einige Störfaktoren, die das Ergebnis beeinflussen, zu beachten. Zuerst sollen deshalb hier die möglicherweise verzerrend wirkenden Effekte erläutert werden. Die fünfte Frage im Leitfaden suchte nach dem typischen Karriereverlauf eines Spin Doctors. Schon nach wenigen Interviews war allerdings klar, dass dieser Begriff bei unterschiedlichen Befragten unterschiedliche Ergebnisse hervorrief.127 Einige sahen Spin Doctor als Bezeichnung für jeglichen in der Informationspolitik Tätigen, andere verstanden darunter eine mehr oder minder große Gruppe von freiberuflichen PR-Beratern. Diese Widersprüche werden in der folgenden Ergebnisdiskussion noch näher beleuchtet. Damit verschob sich die Frage bei den folgenden Interviews generell auf Politikvermittlungsexperten, egal ob fest in der Regierung angestellt oder freiberuflich tätig. Dieser problemzentrierte Ansatz bei den Leitfadengesprächen128 kam auch beim zwei123
P/G/1-Q15. Ansicht eines langjährigen London-Korrespondenten. J/G/6-Q15. 125 Siehe Blumler, Age; Esser, Clinton und die Abschnitte 3.2 und 3.3 dieser Arbeit. 126 Das entspricht den Fragen 1, 5, 6, 8 und 20 im Leitfaden, s. Anhang I. Q8 wurde unterschiedlich formuliert: PR-Experten erhielten die Frage, wie häufig sie mit ihrem jeweiligen Chef sprechen (in der Annahme, dass viel gemeinsame Zeit ein enges Verhältnis anzeigt), und Journalisten und Wissenschaftler wurden nach der Bedeutung eines engen Vertrauens zwischen politischen und PR-Akteuren gefragt. 127 Siehe dazu ausführlich Abschnitt 6.4. 128 Siehe Abschnitte 5.1.2 und 5.2.1. 124
168
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
ten Fragekomplex zum Tragen: Die explizite Frage nach einem möglichen formellen oder informellen Machtzuwachs der Politikvermittlungsexperten wurde erst nach einigen Interviews zusätzlich als Frage 20 in den Fragebogen aufgenommen, als deutlich wurde, dass deren implizite Behandlung129 keine klaren Antworten hervorbrachte. In den folgenden beiden Tabellen werden zunächst die Aussagen der Experten in beiden Staaten zum biografischen Hintergrund der PR-Akteure dargestellt. Dabei ist zu beachten, dass sich zwei deutsche Befragte, ein Politikvermittlungsexperte und ein Wissenschaftler, aufgrund eigener Kenntnisse zu den entsprechenden Gegebenheiten in Großbritannien äußern. Damit steigt die Zahl der Aussagen in Großbritannien in der Darstellung entsprechend an. Außerdem machten manche Befragte mehrere Angaben, statt nur einen Weg als dominierend herauszustellen. Tabelle 10: Aussagen der deutschen Experten zum typischen biografischen Hintergrund von Spin Doctors130 Deutschland: Aussage Journalismus Kein typischer Hintergrund Erfahrung in Politik nötig Journalismus gute Voraussetzung für Amt des Regierungssprechers Journalismus nicht unbedingt Voraussetzung für Medienberatung Sozialwissenschaftliches Studium
P (n=15) 9 4 1 1
J (n=7) 3 4 2
W (n=2) 2 1
Summe (n=24) 14 8 4 1
1
1
1
1
Tabelle 11: Aussagen der britischen Experten zum typischen biografischen Hintergrund von Spin Doctors131 Großbritannien: Aussage Politische Aktivisten Journalismus PR und Werbeagenturen Beamtenschaft Politikwissenschaftler Thinktanks Keine Journalisten
P (n=5) 5 1 1 2 1
J (n=5) 2 2 1 2 1 1
W (n=2) 1 2 1 1
Summe (n=12) 8 5 3 3 2 2 1
Diese Zahlen sind nur mit Kenntnis des Hintergrunds der Aussagen zu verstehen: Wie bereits beschrieben, ernannte die Blair-Regierung ab 1997 mehrere Dutzend Sonderberater in 10 Downing Street und den Ministerien. Die öffentlich bekannte Zahl von 70 bis 80 special
129 Wie in den Fragen nach dem genauen Arbeitsverhältnis (Q1), dem Verhältnis zum Dienstherren (Q8) und dem politischen Einfluss (Q9). 130 Siehe im Einzelnen die deutsche Tabelle zu Q5 im Anhang II dieser Arbeit. 131 Siehe im Einzelnen die britische und deutsche Tabelle zu Q5 im Anhang II dieser Arbeit.
6.2 Hintergrund und Stellung der Politikvermittlungsexperten
169
advisers ist eine klar definierbare Gruppe.132 Zudem zählten einige Befragte noch die beamteten Pressesprecher hinzu.133 Damit kamen von den britischen Befragten eindeutigere Antworten als von den deutschen, da sich für Letztere der Kreis der infrage kommenden Personen (Pressereferenten der Ministerien, freiberufliche und von Agenturen angestellte PR-Berater) wesentlich diffuser darstellte. Einige deutsche Befragte nannten redaktionelle Erfahrungen als wichtigsten Karriereweg v.a. für externe PR-Akteure, aber auch zunehmend für institutionalisierte, z.B. Pressereferenten in Bundesministerien. Ein Politikvermittlungsexperte mit journalistischen wie administrativen Stationen postulierte journalistische Kenntnisse als unabdingbare Voraussetzung für eine Karriere in der Regierungs-PR, stellte jedoch fest, dass die meisten Pressereferenten der Ressorts aus dem Beamtenapparat stammten und dies nicht vorweisen könnten. Diese Beobachtung bestätigte ein Kollege mit ähnlicher Biografie, der prognostizierte, dass die Ministerien daher vermehrt auf externe Berater mit medialen Erfahrungen zurückgreifen würden.134 Acht Befragte in Deutschland gaben an, dass es keinen idealen Weg zu Politikvermittlungsexpertise gebe. In einer solchen Minimaldefinition handelt es sich um Akademiker mit kommunikativen Talenten.135 Vier Experten nannten Erfahrungen in politischen Apparaten als typische Voraussetzung für politische PR, wie beim früheren SPDBundesgeschäftsführer Machnig: „Beispielsweise ist Matthias Machnig nach meinem Gefühl ein ausgezeichneter Spin Doctor, obwohl er nie in der Zeitung von innen gearbeitet hat. Er kommt aber eben da aus den politischen Prozessen. Und er war deswegen ein guter Spin Doctor für Franz Müntefering, weil er die politischen Prozesse in der Partei und in der Regierung relativ gut abschätzen konnte.“136
Aus diesen Ergebnissen folgernd lässt sich in Berlin eine Tätigkeit in der Verwaltung weiterhin als klassischer Karriereweg für die institutionelle Regierungskommunikation bezeichnen. Bei externen politischen Beratern (von einigen Experten als derzeit wachsendes Geschäft identifiziert) waren journalistische Erfahrungen und Tätigkeiten in politischen Apparaten vornehmlich als Hintergrund auszumachen. In Großbritannien war nach Labours Regierungsübernahme 1997 vom großen Einfluss einer ungewählten Medienelite die Rede.137 Umso überraschender muss bei Betrachtung der hier dargestellten Ergebnisse sein, dass die Befragten seltener den Journalismus als politische Tätigkeiten als wichtigsten Rekrutierungsweg benannten. Aber auch hier sind die schon für die deutsche Bundespolitik angewandten Differenzierungen hilfreich. Ein führender Zeitungsjournalist beschreibt die Situation bei Amtsantritt der Blair-Regierung so: “[…] you have a civil service and a minister will come in with […] two or three political trustees […] who either have specialist skills of a policy-driven nature, they might be an expert on 132 Siehe die Abschnitt 4.1.3 und 4.1.4 dieser Arbeit. Nach Aussage des damaligen Leiters des GICS, Mike Granatt, betrieben 2002 etwa 40 der knapp 80 Sonderberater ausschließlich oder zumindest teilweise Informationspolitik (vgl. Granatts Antwort auf Frage 4 in: House of Commons Select Committee on Public Administration [Internet, 2002]: Minutes of Evidence. Online im Internet: AVL: URL: http://www.publications.parliament.uk/pa/ cm200102/ cmselect/cmpubadm/303/2022802.htm (01.03.2002)). 133 Vgl. u.a. die Aussages eines Medienwissenschaftlers, W/G/1-Q15. 134 Vgl. P/D/15 und P/D/6. Ähnlich auch P/D/17, P/D/19 und W/D/1, jeweils -Q5. 135 Vgl. P/D/1, P/D/2, P/D/12 und J/D/2, jeweils -Q5. 136 Zitat eines erfahrenen Bonn- und Berlin-Korrespondenten. J/D/3-Q5. Ähnlich auch J/D/8-Q5. 137 Siehe Abschnitt 4.1.3 und 4.1.4.
170
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse transport, work for the transport secretary or they might […] be party fixers in the sense of that they know how to fix votes and fix party contacts and the party-political side of things. Or thirdly, they might be good at media communications and the promotion of their minister.”138
Nach den ersten Regierungsjahren verschoben sich die Verhältnisse: Durch den Austausch der Spitzen der Pressestellen in den Ministerien waren rund ein halbes Dutzend frühere Journalisten in diese Positionen gekommen. Auch drei frühere Mitarbeiter der LabourParteipressestelle wurden bis 2002 in führenden Positionen in den beamteten Pressestellen installiert, wie der damalige GICS-Direktor Mike Granatt in einem Unterhausausschuss erklärte.139 Damit verließen sich die Labour-Minister zunehmend wieder auf die offiziellen Kommunikationsstäbe.140 Insgesamt ergab sich damit 2004 nach Aussage eines Wissenschaftlers dieses Gesamtbild: “[…] the senior press officer can come from a government background, they can come from a journalistic background, they can come from a PR background. The special adviser will tend to come from a political background, maybe a trade union, maybe a lobby group, maybe working for the party. So I think if you looked at special advisers and you looked at senior press officers, you’d see distinct patterns […] but you can’t just say they all come from the same place, there are many special advisers who are ex-journalists, there are many special advisers who weren’t. There are many senior press officers who are ex-journalists […].”141
Ein Journalist verwies auf zahlreiche seiner Kollegen, die von der Labour-Regierung in verschiedene offizielle Funktionen abgeworben worden seien. Er spricht von wahren Raubzügen der Blair-Regierung innerhalb von BBC und Zeitungen.142 Damit wurden zwei typische Karrierewege augenfällig: Die Pressesprecher blieben in der Position als Beamte, wurden aber durch medienerfahrene Journalisten und PR-Kräfte ergänzt. Nach Ansicht vieler Befragter rekrutieren sich die Sonderberater v.a. aus Engagements innerhalb der Labour Party, sei es als Wahlkampfhelfer, Mitarbeiter der Parteizentrale oder wissenschaftliche Mitarbeiter von Abgeordneten im Parlament. Der öffentliche Eindruck, die Außendarstellung der Blair-Regierung werde übermäßig von Journalisten dominiert, war offenbar dem herausgehobenen Profil Campbells geschuldet, der aus der Position eines Politikjournalisten heraus an Blairs Seite kam.143 Ein Wissenschaftler gab zudem einen Hinweis zur institutionellen Stellung der Politikvermittlungsexperten in London: „In Großbritannien […] ist […] die Verzahnung enger. Das heißt, dass zwar die Leute aus dem Journalismus, aus Werbe- und Medienagenturen kommen, aber dann meistens viel stärker in die Parteien integriert worden sind, als das bei den deutschen Parteien der Fall ist, wo eben dann häufig nach bestimmten Wahlkämpfen […] sie wieder ausscheiden, während die in Großbritannien dann häufig im Parteiapparat verbleiben und […] viel stärker integriert sind in den Parteioder Regierungsapparat.“144 138
J/G/4-Q5. Vgl. Frage 75 und Antwort Mike Granatts in: House of Commons Select Committee on Public Administration [Internet, 2002]: Minutes of Evidence. Online im Internet: AVL: URL: http://www.publications.parliament.uk/pa/ cm200102/cmselect/cmpubadm/303/2022805.htm (01.03.2002). 140 Vgl. die Aussage eines Mitarbeiters der Blair-Regierung. P/G/4-Q5. 141 Zitat eines Sozialwissenschaftlers mit Forschungsstationen in Medien und offiziellen Pressestellen. W/G/1-Q5. 142 Vgl. die Meinung eines langjährigen Politik-Journalisten, J/G/5-Q5. 143 Vgl. P/G/3, P/G/4, P/G/7, P/G/8, J/G/6 und J/G/9, jeweils -Q5. 144 Zitat eines deutschen Politikwissenschaftlers, der das SPD-Labour-Verhältnis erforscht hat. W/D/2-Q5. 139
6.2 Hintergrund und Stellung der Politikvermittlungsexperten
171
Dies zeigt die größere Flexibilität des britischen Systems: Externe Experten aus Medien, PR- und Werbe-Agenturen können nach einem erfolgreichen Wahlkampf durch die Institutionalisierung von Sonderberatern in die Regierung integriert werden, während ein solches Amt in der Bundespolitik nicht vorgesehen ist und damit Berater von außen wichtiger sind. Nun gilt es abzuschätzen, ob PR-Experten innerhalb der letzten Jahre an Macht in den Regierungssystemen gewonnen haben. Macht ist eine soziale Beziehung. Deshalb wurde bei den Gesprächen Wert darauf gelegt, sowohl institutionelle als auch informelle Einflüsse zu beachten. Ein möglicher größerer Einfluss von Darstellungsexperten auf politische Akteure muss sich nicht unbedingt in größeren Abteilungen oder prächtigeren Titeln ausdrücken, sondern könnte sich auch z.B. im Zeitbudget von Ministern für PR-Akteure niederschlagen. Die Auswertung dieses Komplexes ergab das folgende Bild: Tabelle 12: Aussagen der deutschen Befragten zu einem möglichen Machtzuwachs für politische PR-Akteure145 Deutschland: Aussage Kein Aufstieg der Politikvermittlungsexperten Gleichbleibende Bedeutung des Regierungssprechers Bedeutung der PR-Experten gewachsen Zwei Arten von PR-Experten: Beamte innerhalb Hierarchie, Berater stehen neben Hierarchie
P (n=7) 3 3 2
J (n=0)
W (n=1)
1
Summe (n=8) 3 3 2 1
Tabelle 13: Aussagen der britischen Befragten zu einem möglichen Machtzuwachs für politische PR-Akteure146 Großbritannien: Aussage Politikvermittlungsexperten wichtiger geworden Politikvermittlungsexperten waren immer wichtig Situation abhängig vom jeweiligen Ressort und Person des Politikers PR-Experten wichtiger geworden, als sie verdienen PR-Experten nicht wichtiger, müssten es aber werden Politikvermittlungsexperten unwichtiger geworden
P (n=8) 4 1 2
J (n=6) 5 1
1 1 1
W (n=3) 2 2
Summe (n=17) 11 4 2
1
2 1 1
Wegen der geringen Zahl an Befragten ist das deutsche Ergebnis nur bedingt aussagefähig. Es kann aber als Denkanstoß für weitere Forschungen dienen. Exemplarisch seien hier zwei Aussagen gegeneinander gestellt: „[…] sie [die Bedeutung von Pressesprechern in der Politik] ist einfach deshalb gestiegen, weil er einer der wenigen in der Umgebung des Chefs ist, also diesen berühmten access hat, diesen Zugang. Und da ist seine Bedeutung wohl noch gewachsen. […] Also der Pressesprecher sitzt
145 146
Siehe im Einzelnen die deutsche Tabelle zu Q20 im Anhang II dieser Arbeit. Siehe im Einzelnen die britische Tabelle zu Q20 im Anhang II dieser Arbeit.
172
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse schon dabei. Es gibt sogar viele Pressesprecher, die sitzen mal mehr dabei als alle anderen Politiker im Kabinett.“147 „Kann ich nicht beobachten […] ich sehe im Umfeld der Bundesregierung keine größere Anzahl von Medienleuten als bei anderen Bundesregierungen. […] Im Gegenteil, denken Sie mal daran, wie das bei Willy Brandt war ja eine ganz fröhliche Schar damals […] Also wenn Sie jetzt von Paradiesvögel absehen wie Klaus-Peter Schmidt-Deguelle […] Also im Kanzleramt sehe ich keinen.“148
In Deutschland war auch die Frage interessant, ob sich die Rolle des Regierungssprechers verändert hat, war doch in der Presse ab 2002 die Interpretation zu lesen, dieses Amt sinke angesichts der Selbstdarstellungsmöglichkeiten des Kanzlers in die Belanglosigkeit ab. Drei Befragte bestritten dies: Der Regierungssprecher sei bei den Journalisten unverändert gefragt, die Rolle als einer der wichtigsten Mitarbeiter des Kanzlers sei intakt.149 Für Großbritannien ist die Diagnose der Experten eindeutiger: Die Mehrheit stellte fest, dass Politikvermittlungsexperten unter Blair ein enges Verhältnis zu ihren politischen Vorgesetzten entwickelten und ihnen ein stärkerer Einfluss zukam als früher. Einige Befragte merkten aber an, dass nach dem Rückzug Campbells aus dem Prime Minister’s Office das Pendel wieder etwas in Richtung der Entscheidungspolitik zurückgeschwungen sei.150 Ein Wissenschaftler beschrieb einen graduellen Bedeutungszuwachs in der Nachkriegszeit, der in den 90er-Jahren einen deutlichen Schub erfahren habe: “It’s not to say that they weren’t important in the 60s and into the 70s and particularly the communications, the marketing people coming in in the 1980s under Thatcher. […] there is now an understanding that the only way you can effectively market […] a political product is if the marketing people are involved in the product design. […] There’s been a huge push to get policy makers and communications people more closely together and that’s inevitably raised the status of communication advisers and particularly those closest to ministers.” 151
Vier Befragte sagten, sie sähen keinen weiteren Schub, die Rolle der Politikvermittlung sei schon immer wichtig gewesen. So identifizierte ein Journalist keine besonderen Veränderungen, außer dass individuelle Arrangements in der Blair-Regierung und die Rolle der Spin Doctors ein größeres Echo in den Medien ausgelöst hätten: “[…] a lot of it has to do with personalities […] they’ve [special advisers] always been there […] they’ve been talking to the media, too. So they occupy the same position of importance […] even if the government is more media-aware than we have seen for a while, to that extent, they have got a more prominent position.”152
147
Aussage eines erfahrenen Kampagnen- und Parteimanagers. P/D/18-Q20. Zitat eines Schröder-Beraters. P/D/9-Q20. 149 Vgl. die Aussagen zweier Insider der Schröder-Regierung, P/D/5-Q20 und P/D/8-Q20. Siehe die Abschnitte 4.2.1 und 4.2.2 sowie Hornig, Sprachrohr und Schütz, Sagenichts. 150 Vgl. die Aussagen zweier Journalisten in London, J/G/6-Q20 und J/G/9-Q20. 151 Zitat eines Dozenten zur politischen Kommunikation. W/G/3-Q20. Zum Einfluss der Politikvermittlungsexperten auf die Entscheidungspolitik s. den gesonderten Abschnitt 6.3. 152 Zitat eines erfahrenen Politik-Reporters. J/G/7-Q20. Ähnlich äußert sich auch ein Mitarbeiter der LabourRegierung, P/G/7-Q20. 148
6.2 Hintergrund und Stellung der Politikvermittlungsexperten
173
Nach der Frage des Karrierewegs und des Einflusses soll nun näher untersucht werden, wie sich das genaue Verhältnis der politischen PR-Akteure zu ihren Vorgesetzten definiert. In Deutschland reicht das Spektrum institutioneller Möglichkeiten zur Beschäftigung eines PR-Experten sehr weit. Die Befragten zeigten eine Spanne von der Einordnung in den Beamtenapparat oder als Regierungsangestellter über freiberufliche oder Agenturkräfte bis hin zum Berater, der seine Dienste als reinen Freundschaftsdienst ohne Honorar ansah.153 Alle Versuche, dies für diese Arbeit mit einer künstlichen Eingrenzung zu lösen, würden kein volles Bild über die Vielfalt der in der Informationspolitik tätigen Akteure gewähren. So würde z.B. eine Beschränkung auf rein externe Berater verdecken, dass es (wie in jeder Regierung vorher) durchaus Referenten und Büroleiter gab, die Informationspolitik und Medienauftritte ihrer Vorgesetzten entscheidend prägten. Eine Einengung der Untersuchung auf die fest angestellten Pressesprecher würde ausblenden, dass sich die Spitzenpolitiker der rot-grünen Bundesregierung Berater von außen hinzuholten. Allerdings ließen die Befragten verlauten, dass ein dauerhaft installierter Medienberater als Honorarkraft nur bei einem Bundesminister154 vorzufinden war. Das schließt aber weitere, kurzfristig beauftragte Berater bei anderen Spitzenakteuren nicht aus. Informelle Beratung gab es nach Auskunft eines Befragten schon lange vor 1998, die meisten Personen dieser Art blieben außerhalb des Lichts der Öffentlichkeit.155 All diese Bemerkungen gelten analog für Großbritannien. Die Einflüsse auf Minister waren vielfältig, doch die Möglichkeit der Anstellung von Sonderberatern als persönlich an Minister gebundene Mitarbeiter machte klarere Zuordnungen möglich: Fachliche Auskünfte erhielten Journalisten in der Blair-Zeit von den offiziellen Pressestellen, zur Erklärung des Denkens des Ministers standen in vielen Fällen Sonderberater zur Verfügung.156 Entscheidend für wirksame Informationspolitik ist den Befragten zufolge ein enges Vertrauensverhältnis zwischen dem politischen Akteur und Politikvermittlungsexperten. Dabei ist zweitrangig, welche offizielle Stellung Letzterer innehat – sowohl für diesen selbst als auch für die Journalisten. Dies lässt sich als Konsens aller Befragten, die hierzu Auskunft gaben, ausmachen.157 Journalisten erleben diese Anforderungen im Arbeitsalltag: „[…] wenn Sie das merken, dass einer dumm gehalten wird und nichts drauf hat in seinem Beruf, dann rufen Sie natürlich nicht mehr den Pressesprecher an, sondern dann versuchen Sie es auf anderen Wegen […].“158
153
Vgl. deutsche Ergebnisse zu Q1. Im Anhang II. Gemeint ist Klaus-Peter Schmidt-Deguelle für Bundesfinanzminister Hans Eichel und zwischenzeitlich Arbeitsminister Walter Riester. Vgl. die Angaben eines leitenden politischen Redakteurs, J/D/4-Q5 und Abschnitt 4.2.3. 155 Vgl. die Aussage eines kommerziellen PR-Akteurs mit Verbindungen zur Bundesregierung, P/D/20-Q1. Entsprechend gelang es in dieser Studie, einige der Einflussreichen zu befragen, andere Berater blieben aber im Dunkeln. Die Befragten nannten ihnen namentlich bekannte weitere Akteure mit Einfluss auf die Außendarstellung, etwa Berater für den Bundeskanzler, Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und Bundesaußenminister Joschka Fischer (vgl. deutsche Ergebnisse zu Q4). 156 Vgl. britische Ergebnisse zu Q1. Im Anhang. Außerdem war in Abschnitt 2.2 bereits dargestellt worden, dass Hintergrundgespräche zwischen Politikern und Journalisten schon immer Informationen und Ratschläge in beiderlei Richtung transportierten. Auch diese unkonventionellen Formen der Beratung existieren in Berlin und London weiterhin. 157 Vgl. die deutsche und die britischen Tabelle zu Q8. 158 Erklärung eines Redakteurs einer überregionalen Abonnementszeitung. J/D/8-Q8. 154
174
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse „Das kommt immer darauf an, was ich will. […] wenn es um eine steuerliche Fachfrage geht, muss ich [den Sprecher des Bundesfinanzministeriums] Jörg Müller anrufen, weil ich weiß, der kriegt es am schnellsten hin. [...] Wenn es aber um etwas geht, was eher die Person Eichel betrifft, dann muss ich Jörg Müller nicht anrufen. Dann ruf ich Schmidt-Deguelle an.“159
Die Rolle des externen Beraters stellt nach Ansicht eines freiberuflich arbeitenden Politikvermittlungsexperten die eines Vertrauten dar: „Also grundsätzlich arbeite ich nur so, dass ich mit dieser Person direkt zu tun habe […] ich sehe die Person turnusmäßig und dann, wenn ich angerufen werde. Ich bin einfach da.“160 Ähnliches gilt für Großbritannien. Hier sind es meist die Sonderberater, die sich als persönliche Konfidenten ihrer Vorgesetzten erweisen: „The special advisers […] have an informal relationship with the minister, they’ve known the minister for a long time […]. Senior press officer is a more professional relationship.”161 Schließlich ist noch die Frage zu klären, wohin sich die persönlichen Loyalitäten der PR-Akteure im Falle eines Konfliktes bewegen. Ein beliebter Kritikpunkt an Spin Doctors ist die persönliche Anbindung an ihre Auftraggeber und Dienstherren, die die Interessen der Gesamtorganisation (wie der Regierung) überlagern könnte.162 Deshalb wurden die Experten nach Erfahrungen und ggf. eigenen Einstellungen in diesem Spannungsfeld befragt. Ein deutscher PR-Experte mit Kenntnissen der Londoner Verhältnisse gab seiner Meinung zu beiden Regierungen Ausdruck, somit ist er in beiden Tabellen berücksichtigt. Tabelle 14: Aussagen der deutschen Experten zur Loyalität von PR-Experten im Konfliktfall163 Deutschland: Aussage Einzelperson Einzelperson, zum weiteren Teil Organisation Keine allgemeine Aussage möglich Organisation
P (n=14) 4 4 5 2
J n=5) 4 1
W (n=1) 1
Summe (n=20) 9 5 5 2
Tabelle 15: Aussagen der britischen Experten zur Loyalität von PR-Experten im Konfliktfall164 Großbritannien: Aussage Einzelperson Keine allgemeine Aussage möglich Einzelperson, zum weiteren Teil Organisation
159
P (n=8) 6 2
J (n=5) 4 1
W (n=1) 1
Summe (n=14) 11 2 1
Zitat eines Journalisten eines Boulevardblatts. J/D/2-Q8. P/D/19-Q8. 161 Zitat eines Medienwissenschaftlers. W/G/1-Q8. 162 Vgl. u.a. Blick, Dark, S. 2. Besonders augenfällig wurde diese Problematik in dem Mitte der 90er-Jahre schwelenden Konflikt zwischen Blairs Sprecher Campbell und Browns Sprecher Whelan, die beide ihre Tätigkeiten ab 1997 als Sonderberater wahrnahmen (vgl. Abschnitt 4.1.2 und 4.1.4). 163 Siehe im Einzelnen die deutsche Tabelle zu Q6 im Anhang II dieser Arbeit. 164 Siehe im Einzelnen die britische und deutsche Tabelle zu Q6 im Anhang II dieser Arbeit. 160
6.2 Hintergrund und Stellung der Politikvermittlungsexperten
175
Nach diesen Zahlen stand in beiden Staaten die Treue zum eigenen Dienstherren bzw. Auftraggeber an erster Stelle, in Großbritannien noch mehr als in Deutschland. Immerhin erklärten für die Bundespolitik fünf Befragte, die Verpflichtung gelte sowohl der Einzelperson als auch der gesamten Regierung. Der letztere Anspruch wird repräsentiert durch die Antwort eines Ministerberaters auf die Frage, ob im Streitfall seine erste Loyalität bei seinem Auftraggeber liege: „Das ist sie sicherlich, wobei ich für mich in Anspruch nehmen würde, dass ich dieses Gesamtprojekt Rot-Grün versuche, so weit wie möglich zu stabilisieren und zu unterstützen […] von daher würde ich schon in Anspruch nehmen, vom Ende her und vom Ganzen her zu denken.“165
Die Zahlen und dieses Zitat zeigen: Die Treue zum eigenen Chef stand typischerweise an erster Stelle. Ein Blick hinter die Zahlen offenbart jedoch Zweifel, ob dies eine Entwicklung der neusten Zeit ist. So verwiesen einige Befragte auf Mitarbeiter früherer Bundeskanzler, Kohls Öffentlichkeitsarbeiter Ackermann und Fritzenkötter oder Schmidts Regierungssprecher Bölling.166 Die Befragten in London hoben v.a. das enge Vertrauensverhältnis zwischen Blair und seinem Kommunikationsdirektor Campbell hervor. Die Stellung der Sonderberater in den Ministerien stellte sich ihnen als vergleichbar dar – die special advisers wären mehr ihrem Dienstherren verpflichtet als der Regierung insgesamt.167 Ein PR-Experte der BlairRegierung machte ein Kontinuum der Einstellungen während der Wahlperiode aus, kam aber bei der Frage der grundsätzlichen Loyalität zum selben Ergebnis wie die Mehrheit der Befragten: “[…] a year away from a likely general election […] there will be a stronger sense […] that we have to promote the achievements of the government, not just individual ministers […]. because of the terms of contract and the structure of their position within the civil service, ultimately they are loyal to their individual minister and they would see themselves as promoting the interests of that minister within both the government and within the party and within politics.”168
Auch in London bezweifelten einige Experten, dass dies eine Neuerung ist, die erst mit der Blair-Regierung zum Tragen kam. Zwei Befragte nannten das Beispiel des ThatcherSprechers Bernard Ingham. Jedoch sei dieser ein Beamter gewesen und erst im Laufe seiner Amtszeit zum loyalen Freund Thatchers geworden. Eines erwies sich damit als neu: Die Sonderberater unter Blair seien von Anfang an als Labour-Anhänger erkennbar.169 Die grundsätzliche Ausprägung einer spezifisch persönlichen Loyalität eines PR-Experten zum Dienstherren schien also in beiden Staaten kein Phänomen der neueren Zeit zu sein. Gleichwohl lässt sich ableiten, dass die vermehrte Beschäftigung persönlicher Berater außerhalb des Apparats Personenkonstellationen mit besonderer Loyalität zu Spitzenpolitikern – jenseits parteilicher und institutioneller Bindungen – befördert. 165
P/D/6-Q6. Vgl. P/D/1, P/D/13, P/D/15, P/D/16, J/D/7 und J/D/8, jeweils -Q6. Siehe Abschnitt 4.2.1. 167 Vgl. P/G/1, P/G/2, P/G/3, P/G/7, J/G/8 und J/G/9, jeweils -Q6. 168 P/G/4-Q6. Der Verweis auf den Arbeitsvertrag bezieht sich offensichtlich auf die Klausel im Arbeitsvertrag der Sonderberater, dass sie ihren Job verlieren, wenn ihr Dienstherr sein Amt abgibt. 169 Vgl. die Aussagen eines kommerziellen PR-Akteurs und eines erfahrenen Mitarbeiters in Whitehall, P/G/3-Q6 und P/G/6-Q6. Siehe Abschnitt 4.1.1. 166
176
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
6.2.2 Anforderungen an einen postmodernen PR-Experten Was muss ein Politikvermittlungsexperte für seinen Beruf mitbringen? Vor dem Hintergrund der aufgeführten gesellschaftlichen und medialen Wandlungen und der Diskussion um Spin Doctoring könnten sich die Anforderungen geändert haben. Deshalb wurden die Experten gebeten, die Fähigkeiten eines idealen politischen PR-Experten wie in einer Stellenanzeige aufzulisten.170 Bei den britischen Befragten gab es wenig verwertbare Daten zur Beschreibung eines effektiven politischen PR-Experten: Nur fünf Befragte äußerten sich dazu. Dies lag darin begründet, dass viele Befragte auf einer rein technischorganisatorischen Ebene der Blair-Regierung eine professionelle Antwort auf den Medienwandel zugestanden. Kritik gab es hingegen an der Redlichkeit der Informationspolitik.171 Daher wurden nur wenige konkrete Anforderungen an PR-Experten geäußert, und wenn doch, dann v.a. normative Vorgaben. Tabelle 16: Anforderungen der deutschen Befragten an einen idealen Politikvermittlungsexperten172 Deutschland: Aussage Mediale Kenntnisse: journalistisches Handwerk, mediale Prozesse, Kontakte zu Journalisten Soziale Fähigkeiten, v.a. Freude an Kommunikation Kenntnisse der machtstrategischen und psychologischen Seiten der Politik Strategisches Denken Gute Grundkenntnis dreier Politikdimensionen: rechtlichen Rahmen, politische Prozesse, Fachgebiete Gefühl für allgemein verständliche Sprache Fähigkeit, knappe, eingängige Leitsätze zu formulieren Enges Vertrauensverhältnis zum Beratungsobjekt Institutionelle Zugänge – gute Beziehungen zum Dienstherren und politischen Entscheidungszentren Seismograf für Stimmung bei den Journalisten Fähigkeit, Entscheidungen und Denken des Dienstherren nachvollziehbar zu machen Enge Verbindung zur Partei des Dienstherren Bauchgefühl für Denkweise der einfachen Menschen
170
P (n=15) 9
J (n=5) 3
W (n=1) 1
Summe (n=21) 13
8
3
1
12
6
3
1
10
7 6
3 3
6 5
1 1
6 5
1 1
3 3
1 1
4 3
1
10 9
1 1
8 7 7 6
1 1
5 5 4 4
Frage 14 im Leitfaden-Fragebogen, s. Anhang I. Siehe dazu die Abschnitt 6.1.2 und 6.5.2. 172 Siehe im Einzelnen die deutsche Tabelle zu Q14 im Anhang II dieser Arbeit. Alle Aussagen mit mindestens drei Nennungen berücksichtigt. 171
6.2 Hintergrund und Stellung der Politikvermittlungsexperten Dienstherrn mit strategischen Ideen jenseits des Tagesgeschäfts versorgen Verschwiegenheit und Bereitschaft, sich im Hintergrund zu halten Tiefgründiges fachpolitisches Wissen unwichtig
177
3
1
4
2
1
3
3
3
Tabelle 17: Anforderungen der britischen Befragten an einen idealen Politikvermittlungsexperten173 Großbritannien: Aussage Aufbau einer politischen Marke ermöglichen – Vertrauen und Stetigkeit ausstrahlen Bauchgefühl für Denken der einfachen Menschen Fähigkeit, eingängige Kernbotschaften zu formulieren Strategische und taktische Kenntnisse: Wissen um praktische Kommunizierbarkeit einzelner Botschaften Fähigkeit, unpopuläre Entscheidungen vorzubereiten Wahrheitsliebe
P (n=3) 1
J (n=2) 2
W (n=0)
Summe (n=5) 3
2 2
2 2
2
2
2 1
1
2 2
Auffällig in der Gesamtschau der deutschen Antworten ist ein deutlich unterschiedliches Verständnis der Arbeit von Politikvermittlungsexperten, das für verschiedene Akzente bei den erwarteten Fähigkeiten sorgte: Mancher Befragter verortete den Schwerpunkt ihrer Arbeit in der Beratung des jeweiligen Dienstherrn, z.B. zum Umgang mit Medien. Andere Befragte ließen diese Aufgaben aus und konzentrieren ihre Ausführungen auf die reine Tätigkeit als Vermittler. Zuweilen kamen beide Rollenzuschreibungen vor. Dies zeigt auch die Spannweite der Tätigkeiten, die PR-Akteuren in der rot-grünen Bundesregierung zufielen – abhängig von ihren Fähigkeiten und den Anforderungen der politischen Spitzen. Bei vielen Befragten schwang der Wunsch mit, ein Politikvermittlungsexperte möge über einen reichen Schatz an Erfahrungen in Medien und in politischer Arbeit verfügen.174 Die wichtigste Schlüsselqualifikation, mediale Kenntnisse, zerfällt in drei Dimensionen. Zum einen handelt es sich um journalistisches Handwerkszeug, z.B. Recherchetechniken und Darstellungsformen. Daneben wurde Wissen über den Medienmarkt, z.B. die Reichweite bestimmter Produkte, gefordert. Zum dritten spielt ein gutes Netzwerk an Bekanntschaften unter den Journalisten eine wichtige Rolle.175 Einige Experten hielten daher nur erfahrene Journalisten für geeignet, hochrangige Posten in der Politikvermittlung zu versehen. Andere glaubten, dass sich auch Nicht-Journalisten diese Kenntnisse aneignen können.176
173 Siehe im Einzelnen die britische Tabelle zu Q14 im Anhang II dieser Arbeit. Alle Aussagen mit mindestens zwei Nennungen berücksichtigt. 174 Vgl. u.a. die Aussagen eines Ministerberaters und eines langjährigen Hauptstadt-Korrespondenten, P/D/6-Q14 und J/D/7-Q14. 175 Vgl. die Angaben eines erfahrenen Journalisten und Kampagnenmanagers, P/D/10-Q14. 176 Vgl. u.a. ebd. sowie P/D/3, P/D/12 und P/D/17, jeweils -Q14.
178
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
Als zweithäufigste Tätigkeitsvoraussetzung wurden soziale Begabungen erwähnt, überwiegend für interpersonale Kommunikation: „ein absolut Menschen zugewandter Typus […] Schweiger sind jetzt auch wieder nicht die Richtigen auf diesen Posten.“177 Sehr wichtig war den Experten auch ein Verständnis für die Dimension von Politik als strategischem und taktischem Spiel um Macht zwischen formellen und informellen Gruppen sowie Einzelpersonen.178 Ein PR-Experte versuchte, diesen Bereich zu umreißen: „Das ist natürlich zum einen der permanente Machtkampf, der in der Politik stattfindet, und zwar nicht nur zwischen den unterschiedlichen Parteien, sondern auch innerhalb der Parteien. […] Das sind natürlich auch die ganz persönlichen Enttäuschungen, die jeder Politiker irgendwann mal erfährt, weil es auch ein hartes Geschäft ist. […] man muss wissen, wie ist eigentlich mein Kandidat, für den ich arbeite, […] in diesem Kommunikations-Wirrwarr […] aufgestellt.“179
Des Weiteren wurde die Fähigkeit zum strategischen Denken ins Spiel gebracht. Dieser Anspruch konnte zwei Bedeutungen annehmen. Bei einigen Befragten schimmerte die Anforderung durch, PR-Experten müssten Botschaften entsprechend den vom Dienstherren festgelegten Politikzielen formulieren oder gar diese Grundideen mitformulieren.180 Andere Befragte bezogen sich auf die Planung, in welchen Medien und welchen Darstellungsformen (z.B. TV-Talkshow oder Radiointerview) das Beratungsobjekt am besten auftreten sollte.181 Ein Politikvermittlungsexperte erklärte sein Verständnis der strategischen Fähigkeit eines Angehörigen seiner Zunft so: „[…] er muss in einem optimalen Fall Dinge immer vom Ende her sehen können. ,Ich habe vor, zum Jahresende 2004 in folgender Situation zu stehen. Welche Maßnahmen muss ich jetzt ergreifen und welche Maßnahmen muss ich jetzt unterlassen?’“182
Nachdem das Verständnis für machtpolitische Fragen oben schon beschrieben wurde, folgte die Frage der Kenntnis der unterschiedlichen Dimensionen von Politik nur knapp dahinter: PR-Experten sollten den formellen Rahmen, den politischen Prozess sowie die Kernpunkte der einzelnen politischen Themen verstehen. Einige Befragte forderten nur ein gutes Überblickswissen, andere verlangen von den Vertretern der Fachressorts genaue Kenntnis über den Inhalt der einzelnen politischen Vorhaben.183 Die Fähigkeit, dieses Wissen in allgemein verständlicher Sprache darzustellen, gilt in der Demokratie von jeher als wichtige Voraussetzung für politischen Erfolg. So formulierte ein PR-Experte hohe Ambitionen für die Arbeit eines PR-Verantwortlichen in der Politik:
177
Zitat eines leitenden Politik-Journalisten einer Abonnentmentszeitung in Berlin, J/D/4-Q14. Siehe die Angaben eines Mitarbeiters einer Parteizentrale, P/D/4-Q14. 179 Zitat eines Ex-Parteifunktionärs. P/D/12-Q14. 180 Vgl. die Aussagen zweier freiberuflicher PR-Akteure und eines Parteimitarbeiters, P/D/2, P/D/4 und P/D/13, jeweils -Q14. 181 Vgl. die Angaben eines langjährigen Kampagnen- und Parteimanagers, P/D/18-Q14. 182 Zitat eines Mitarbeiters einer Parteizentrale. P/D/17-Q14. 183 Vgl. zu Ersterem die Angaben eines freiberuflichen PR-Experten und eines Ex-Parteifunktionärs, P/D/2 und P/D/12, zu Letzterem die Aussagen eines TV- und eines Print-Journalisten, J/D/5 und J/D/8, jeweils -Q14. Im Anhang. Zu den hier angesprochenen Dimensionen des Politik-Begriffs s. auch Abschnitt 2.1. 178
6.2 Hintergrund und Stellung der Politikvermittlungsexperten
179
„Er muss in der Lage sein, in fünf Sätzen Dinge so einfach zu formulieren für denjenigen, den er berät, dass er eine gute Chance hat, […] dass er darüber auch drei Wochen die Agenda des Landes bestimmt.“184
Schon im Vorstehenden war beschrieben worden, wie wichtig das Vertrauensverhältnis zwischen dem PR-Akteur und seinem Dienstherren gewertet wurde. Dazu kommen auch institutionelle Zugänge: Der PR-Experte muss nach Beschreibung der Befragten die Möglichkeit haben, die Denk- und Entscheidungsprozesse seines Chefs mindestens nachvollziehen zu können. Er brauche Zutritt oder wenigstens eine gute Verbindung zu wichtigen Teilen des politischen Apparats und zu den bestimmenden Gremien.185 Ein Ministerberater fasste sein Verständnis von der Beteiligung an Beratungen noch weiter: „[…] Politiker neigen in der Regel dazu, Entscheidungen herauszuzögern […] Es gibt bestimmte Rezeptionsmechanismen bei den Journalisten, wo Sie wissen, da muss jetzt eine Entscheidung fallen, oder es geht schief. Dafür muss man Gespür haben.“186
Schließlich ist noch die geforderte Fähigkeit eines Politikvermittlungsexperten zu nennen, sich selbst im Hintergrund zu halten187, oder wie dies ein Berater eines Bundesministers beschrieb: „Er muss sicherlich die Gratwanderung beherrschen, zwischen eigener Profilneurose und dienender Funktion zu laufen. Er muss in der Lage sein, auch mehr zu wissen als zu sagen und der Versuchung widerstehen, zu viel zu sagen.“188
Bei den britischen Befragten wurden Fähigkeiten analog zu den Forderungen der deutschen Experten genannt, z.B. Erfahrungen in den Medien und ein Talent für die Formulierung eingängiger Botschaften. Das Auftreten von zahlreichen normativen Ansprüchen an das Verhalten der PR-Experten kann als Nachhall zur Diskussion um Spin Doctoring gedeutet werden.189 Außerdem demonstrierten die genannten Gedanken einen strategischeren Zugang zu politischer Öffentlichkeitsarbeit, die als langfristige Aufgabe der Vertrauensbildung verstanden wurde, nicht vordergründig als tagesaktuelle Pressearbeit. Der Unterschied zwischen beiden Feldern – der alltäglichen Informationspolitik und langfristigen politischen Strategien – wurde deutlich betont.190 Drei Befragte erklärten, ein PR-Akteur müsse Vertrauenswürdigkeit und Stetigkeit ausstrahlen, um seinen Dienstherren oder seine Organisation als eine verlässliche politische Marke aufbauen zu können, die mit bestimmten Ideen und Werten verbunden sei. Der Schaffung einer solchen Assoziationskette in den Köpfen der Bürger dauere mehrere Jahre. Das Handeln der PR-Akteure dürfe in keinem Fall diese Markenwerte beschädigen.191 184
Zitat eines freiberuflichen PR-Beraters. P/D/2-Q14. Vgl. die Aussage eines erfahrenen politischen Sprechers. P/D/3-Q14. 186 P/D/6-Q14. 187 Vgl. die Angaben eines früheren offiziellen PR-Akteurs und eines leitenden Journalisten, P/D/15-Q14 und J/D/4-Q14. 188 P/D/6-Q14. 189 Siehe die Abschnitte 6.4 und 6.5. 190 Vgl. u.a. die Angaben eines kommerziellen PR-Akteurs mit politischen Erfahrungen, P/G/5-Q14. 191 Vgl. die Aussagen eines Ex-Spitzenbeamten, eines Boulevard- und eines Radio-Journalisten, P/G/1, J/G/1 und J/G/5, jeweils -Q14.. 185
180
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
Zwei Politikvermittlungsexperten betonten die Notwendigkeit, unpopuläre Entscheidungen sorgfältig kommunikativ anzubahnen: „you can’t start from the story because you have to create context in which the public are even prepared to listen to your version of events.”192 In solchen Fällen sei die Fähigkeit vonnöten, zunächst öffentliches Verständnis für die eingenommene Position oder die zu treffenden Schritte zu schaffen. Erst dann sei es möglich, einen Beschluss zu kommunizieren und Argumente dafür ins Feld zu führen. Dies könne leicht mehrere Jahre dauern. Dennoch helfe es bei einigen Themen nicht weiter, allein mit geschickter tagesaktueller Informationspolitik zu glänzen.193
6.3 Die Macht der PR-Akteure 6.3.1 Der Einfluss auf die Entscheidungspolitik Ist von Spin Doctors die Rede, so schwingt der Glaube mit, dass die Experten für die mediale Darstellung großen Einfluss auch auf die Entscheidungspolitik nehmen. Deshalb wurde der Frage nachgegangen, inwiefern Politikvermittlungsexperten auch über politische Inhalte mitentscheiden.194 Um eine analytische Differenzierung zur Untersuchung dieser Frage vorzunehmen, verwendet der Autor hier das Konzept von Entscheidungs- und Darstellungspolitik. Entscheidungspolitik wird verstanden als der Routinevorgang der Formulierung eines politischen Konzepts, der schließlich in einen Gesetzentwurf oder Verwaltungshandeln mit den entsprechenden Verfahren mündet. Die Darstellungspolitik steht dem gegenüber als ein Prozess nach den Verfahrensregeln der Medien.195 In den folgenden beiden Tabellen werden die Auskünfte der Experten dargestellt. Antworten, die einen Einfluss von Darstellungslogiken auf die Entscheidungspolitik postulieren, stehen ganz oben. Aussagen, die für eine weitgehende Autonomie der politischen Facharbeit sprachen, finden sich in der Mitte. Unten kommen jene Angaben, die keinen generellen Trend anzeigten. Zwei deutsche Befragte, ein PR-Experte und ein Wissenschaftler, machten aufgrund eigener Kenntnisse Aussagen zu beiden Staaten. Damit steigt die Zahl der Aussagen zu Großbritannien in der Darstellung entsprechend an. Tabelle 18: Aussagen der deutschen Befragten zum Einfluss von PR-Experten auf politische Konzepte196 Deutschland: Aussage Wirkung der Darstellung auf Entscheidung … Politikvermittlungsexperten nehmen Einfluss auf sachpolitische Entscheidungen … Politische Konzepte und deren Präsentation werden zusammen gedacht 192
P (n=19)
J (n=7)
W (n=2)
Summe (n=28)
8
1
1
9
2
8
6
Zitat eines PR-Akteurs mit Schwerpunkt strategische Kommunikation. P/G/5-Q14. Vgl. ebd. 194 Frage 9 im Leitfaden-Fragebogen, s. Anhang I. Zu den vermuteten Einflüssen der PR-Experten s. die Abschnitte 3.3, 4.1.4 und 4.2.1 dieser Arbeit. 195 Siehe Abschnitt 2.1 zu Definitionen und theoretischen Überlegungen. 196 Siehe im Einzelnen die deutsche Tabelle zu Q9 im Anhang II dieser Arbeit. 193
6.3 Die Macht der PR-Akteure Kaum Wirkung der Darstellung auf Entscheidung … Kein oder kaum Einfluss von PR-Akteuren auf sachpolitische Entscheidungen … Zu starke Trennung zwischen Konzeption und Präsentation Einfluss je nach Politiker individuell verschieden
181
3
3
6
1 1
1 3
4
Tabelle 19: Aussagen der britischen Befragten zum Einfluss von PR-Experten auf politische Konzepte197 Großbritannien: Aussage Wirkung der Darstellung auf Entscheidung … Politikvermittlungsexperten nehmen Einfluss auf sachpolitische Entscheidungen … Politische Konzepte und deren Präsentation werden zusammen gedacht Kaum Wirkung der Darstellung auf Entscheidung … Mit Ausnahme Campbells kein oder kaum Einfluss von PR-Akteuren auf sachpolitische Entscheidungen … Zu wenig Verschränkung von Sacharbeit und Kommunikation – Darstellung dominiert oft Sacharbeit Einfluss je nach Politiker individuell verschieden
P (n=9)
J (n=9)
6
4
3
W (n=4)
Summe (n=22) 10
1
4
4
4
1
1
1
3
4
Auffällig an den vorgestellten Ergebnissen ist die Parallelität der Aussagen für die zwei Länder, war doch aufgrund der vorliegenden Literatur davon auszugehen, dass die BlairRegierung die Verschränkung von Entscheidungs- und Darstellungspolitik deutlicher vorangetrieben hatte als die rot-grüne Bundesregierung.198 In beiden Staaten bestätigte eine Mehrheit der Befragten eine klare Wirkung der Darstellungs- auf die Entscheidungspolitik. Dies benannte ein befragter Wissenschaftler als generellen Trend der Regierungskommunikation in allen westlichen Staaten. 199 Die folgende Einzelanalyse der Interviewaussagen wird zeigen, dass trotzdem Unterschiede sichtbar wurden. In Großbritannien bestätigten fast alle PR-Akteure einen Einfluss der Darstellungsexperten auf die Entscheidungsfindung, während die These der Trennung eher von Journalisten vertreten wurde. Ob es sich hier um das Ergebnis mangelnden Einblicks der Redakteure oder weltkluger Skepsis handelte, wird im Folgenden ebenso hinterfragt. Aus der Gesamtschau der einzelnen Aussagen ergibt sich ein weiterer Schluss, der nicht aus der Tabelle ersichtlich ist: Sehr viele Befragte identifizierten einen wachsenden Einfluss von Darstellungs- auf Entscheidungspolitik als eine Tendenz der neueren Zeit.
197
Siehe im Einzelnen die britische und deutsche Tabelle zu Q9 im Anhang II dieser Arbeit. Siehe Kapitel 4 und die in Abschnitt 6.1.2 ausgewerteten Aussagen. 199 Vgl. die Aussage eines Medienwissenschaftlers, W/D/1-Q9. 198
182
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
Acht deutsche Befragte gaben an, bei politischen Entscheidungen würden Herstellung und Vermittlung im Beratungsprozess eine Einheit bilden. Eine Trennung zwischen Entscheidung und Darstellung stellte sich jenen Befragten als künstlich dar: „[…] meiner Ansicht nach kommt man wohl nur in einem Land der Oberprinzipien wie in Deutschland auf die Idee, dass man die Politik von der Kommunikation trennen kann. […] der deutsche Politiker hat nach wie vor, Schröder ist vielleicht der erste, kein wirkliches Bild davon, dass seine politische Arbeit und seine Kommunikation zwei Seiten der gleichen Medaille sind.“200 „[…] natürlich ist es so, dass Politik heute sich vielleicht an einem Punkt unterscheidet von der Politik, die in den 60er-Jahren umgesetzt werden konnte. […] Politikdarstellung auf der einen Seite und davor die Politikherstellung, das kann man vielleicht noch analytisch trennen, aber in der Praxis nicht wirklich. […] Und da das so ist, […] sind natürlich diejenigen, die mit politischer Kommunikation hauptamtlich befasst sind, auch immer irgendwie dabei und bringen sich ein […].“201 „[…] wenn wir diskutieren miteinander etwa im Kanzleramt oder im Umfeld auch von Leuten, die der Regierung etwas näher stehen, überlegst du natürlich schon mit, wie lässt sich diese Politik gut erklären, oder wie lässt sie sich vermitteln […].“202
Zwei PR-Akteure nannten konkrete Beispiele, wie die Logik des öffentlichen Eindrucks auf sachpolitische Entscheidungen wirkt und den Darstellungsexperten eine Stimme bei Weichenstellungen gibt, beginnend mit einem Zitat des letztgenannten Befragten: „Es gibt jetzt […] eine Menge von Leuten, die aus guten Gründen sagen: ,Das Ding mit dem Hartz IV […], da zeichnen sich bisher noch so große technische Schwierigkeiten ab […] dass es unter Umständen ein kommunikatives Desaster geben könnte.’ […] Und dann kommt das Gegenargument, das heißt: ,Wenn wir jetzt gerade nach diesen Wahlergebnissen hingehen und sagen, wir ziehen die Konsequenzen und verschieben Harz IV […], würde das natürlich sofort so interpretiert werden, als würden wir eine Kehrtwendung im Reformprozess machen.’ Und dann beginnt so ein Abwägungsprozess. […] Das Schlimmere wäre sicherlich die Botschaft, sie kehren um. […] Da spielt natürlich schon eine große Rolle, wie so was dann vermittelt werden kann und was der Eindruck ist […].“203 „[Ich] versuche auch unter der Frage kommunikative Vermittelbarkeit Politik ein bisschen auch daraufhin zu beraten, dass sie diese Dinge mehr berücksichtigt, als dass es Beamte oder Apparatschiks tun. […] ich bin an den Diskussionen beteiligt, und natürlich gebe ich auch meine Einschätzung wieder. […] Vorziehen der Steuerreform zum Beispiel, da hab ich ganz wesentlich für plädiert und in der Presse entsprechend vorgearbeitet […].“204
Die oben aufgeführten Kommentare zeigen die Zweifel einiger Experten, ob die Maxime von der Einheit von Herstellung und Darstellung in der gesamten Bundesregierung beherzigt wurde. Zwei Befragten zufolge hatte noch Schröders Vorgänger Kohl PR-Experten 200
Ansicht eines erfahrenen Kampagnen- und Parteimanagers. P/D/18-Q9. Zitat eines offiziellen PR-Akteurs. P/D/8-Q9. Ausage eines Beraters von Bundeskanzler Schröder. P/D/9-Q9. 203 Ebd. 204 Zitat eines Ministerberaters. P/D/6-Q9. 201 202
6.3 Die Macht der PR-Akteure
183
vom Einfluss auf sachpolitische Entscheidungen ferngehalten. Ihnen war kaum Mitsprache in Beratungsprozessen eingeräumt worden, höchstens zur Frage des Zeitpunkts der Veröffentlichung.205 Die Aussage eines deutschen Befragten machte aber deutlich, wie sehr politische Akteure Medienlogiken schon in der Kohl-Zeit verinnerlicht hatten: „Nehmen Sie mal an, wenn wir im [Partei-]Präsidium gesagt haben: ,Um 13 Uhr ist jetzt eine Pressekonferenz.’ Und manchmal war es um 12 Uhr 30 so, dass die Atmosphäre zum Zerreißen war. […] Irgendwann musste Schluss sein. Da stand der Vorsitzende auf und der Pressesprecher, und der Generalsekretär machte eine Pressekonferenz, und die Sitzung war zu Ende. Und die Gremienmitglieder haben dann oft geguckt, was sie denn nun beschlossen haben.“206
Einige Befragte machten den konkreten Einfluss einzelner PR-Akteure abhängig vom jeweiligen Vorgesetzten oder Auftraggeber: „[…] es gibt sicherlich Sprecher, die haben einen großen Einfluss auf ihren jeweiligen Minister […] sie sind […] Teil des politischen Prozesses und haben sehr wohl die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen auch auf die Gestaltung des Ganzen.“207 „Das kommt auf die konkrete Beratungssituation drauf an, es kommt auf das Beraterprofil an, es kommt drauf an, was die Offenheit, die Bereitschaft dessen, der sich beraten lässt, diese Dinge auch aufzunehmen und bis hin zur Hinterfragung von einzelnen, vielleicht auch politischen Aspekten […].“208
Sieben Befragte in Deutschland neigten dem Paradigma der Trennung von Inhalt und Verpackung zu. So vertrat ein Journalist eine völlig konträre Auffassung zur Mehrheit: Früher seien die Sprecher stärker aus dem Apparat gekommen und hätten die Fachmaterie gut verstanden. Sie seien beratend bei komplexen Maßnahmen wie einer Rechtsreform beteiligt gewesen. Heute stünde bei Pressereferenten die PR-Expertise im Vordergrund. Damit seien sie an der konzeptionellen Phase nicht mehr beteiligt.209 Ein anderer Reporter sprach von einer meist erratischen Entscheidungsfindung in deutschen Amtsstuben: Ein wirkliches Durchdenken politischer Leitlinien finde nicht statt. Entsprechend gebe es auch keine Reflektion über Kommunikation.210 Ein Kollege diagnostizierte als Schwäche der rot-grünen Reformpolitik, dass sich nur wenige Beteiligte mit ihr identifizieren könnten. Die Medienexperten seien daher v.a. damit beschäftigt, ihre Meister kurzfristig gut aussehen zu lassen.211 Weitere Befragte erklärten, dass Inhalte und Präsentation sehr wohl weiter trennbar seien. So verstand z.B. ein Politikvermittlungsexperte seine Rolle wie folgt: „Nein, also Konzepte sind meistens Gesetzesvorhaben, und darauf habe ich keinen Einfluss und will auch keinen Einfluss haben. Das ist politische inhaltliche Arbeit. Ich bin dazu da, die inhalt-
205
Vgl. die Aussagen zweier einflussreicher PR-Berater der Kohl-Regierung, P/D/15-Q9 und P/D/18-Q9. Zitat eines langjährigen Wahlkampf- und Parteimanagers. P/D/18-Q9. 207 Aussage eines leitenden offiziellen PR-Experten. P/D/5-Q9. 208 Aussage eines kommerziellen PR-Akteurs. P/D/20-Q9. Ähnlich auch die Aussage eines erfahrenen HauptstadtKorrespondenten, J/D/7-Q9. 209 Vgl. die Ansicht eines leitenden Politik-Redakteurs, J/D/8-Q9. 210 Vgl. die Aussage eines investigativ arbeitenden Journalisten, J/D/5-Q9. 211 Vgl. die Meinung eines Redakteurs einer Abonnentmentszeitung in Berlin, J/D/4-Q9. 206
184
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse lich erarbeitete Sache für die Kommunikation so vorzubereiten, dass sie verstanden wird […].“212
Auch in Großbritannien scheint der Einfluss von PR-Experten auf Entscheidungsprozesse keine völlige Neuheit zu sein. Schon im vorigen Abschnitt war auf das enge Verhältnis zwischen Premier Thatcher und ihrem Sprecher Ingham hingewiesen worden. Doch die große Mehrheit der britischen Experten sah einen gestärkten konzeptionellen Einfluss der Vermittlungsexperten in der Blair-Regierung. So schrieb ihnen ein Befragter eine durchgängig wichtige Rolle zu: „in policy terms in government now, you would find senior communication staff sitting at policy discussions […] almost as matter of course and this did not happen before.“213 Erneut unterschieden einige Befragte Sonderberater und Beamte: “[…] there are some special advisers who have a genuine policy contribution to make but special advisers whose main job is public projection are what we commonly call spin doctors […] a senior press officer who tried to advise on policy would get into big trouble with the civil servants who are the policy civil servants, so they wouldn’t do it.”214
Da die Beziehung zwischen Sonderberatern und Ministern informell sei, gäbe der special adviser auch fachliche Ratschläge, wenn er sich in der Fachmaterie auskenne.215 Ein ExMitarbeiter der Blair-Regierung wartete mit einem sehr konkreten Beispiel auf, bei dem die Erfordernisse der Darstellung die durchdachte Politik-Formulierung übertrumpft hatten: “[…] what senior civil servants will tell you is that communications people are involved in policy announcements and even, to a degree, in policy formulation, much earlier than they would have been before and in a much more proactive way. […] There was this notorious speech he [Blair] gave in Germany on young thugs guilty of anti-social behaviour, that they could be fined on the spot, taken straight to a cash point […] I was in a meeting with [Home Secretary] Jack Straw and his special advisers, the head of news about something else [...]. And we had a call through from the Number 10’s head of policy David Miliband saying ‘[…] we are working on the Prime Minister’s speech for tomorrow […] we really need a meaty thing to put in it […] What about this idea of on-the-spot fines?’ […] Straw said ‘argh, we really shouldn’t go with that’. Because the Home Office was running a pilot project somewhere to see if it works and ‘it’s just too early and it’s just too inconclusive […].’ […] it turned up as policy on the next day and then was immediately shot down. […] that is absolutely the philosophy […] you keep yourself on the front page and we keep trying to make the Prime Minister look like he’s coming to a solution […] it’s not the way you make any kind of coherent policy.”216
Die wichtige Rolle, die Blairs Mitarbeiter der Darstellung zumaßen, zeigt sich deutlich bei der Vorbereitung des Irak-Dossiers im September 2002. Die Untersuchung Lord Huttons veröffentlichte im Herbst 2003 Dokumente zur Entstehungsgeschichte des Textes. Campbell gab Geheimdienstchef John Scarlett auf Wunsch Blairs Hinweise zur Aufmachung und 212 Zitat eines freiberulichen PR-Akteurs. P/D/19-Q9. Ein ähnliches Verständnis – wenngleich nicht der Regierungskommunikation, sondern der Wahlkampfführung – offenbarte auch ein Kampagnenmanager, P/D/10-Q9. 213 Aussage eines Ex-Spitzenbeamten. P/G/1-Q9. Ähnlich äußerte sich auch ein kommerzieller PR-Akteur, P/G/5Q9. 214 Zitat eines Medienwissenschaftlers. W/G/1-Q9. 215 Vgl. ebd. 216 P/G/8-Q9. Der Befragte konnte zum Urheber der Blair-Rede nur Vermutungen anstellen: Dies sei entweder Planungschef Miliband oder Campbell gewesen (vgl. ebd. und s. Abschnitt 4.1.4).
6.3 Die Macht der PR-Akteure
185
Präsentation des Dossiers, das offiziell ein Produkt der Geheimdienste war. In einem Memorandum Campbells vom 17. September 2002 wird Scarlett geraten, eine Vielzahl vorsichtiger Formulierungen („might“, „may“, „could“) durch kraftvollere zu ersetzen. 217 Dieser übernahm einige der Vorschläge, lehnte andere aber ab.218 Wie sehr das Dossier zum Teil der PR-Strategie im Irak-Konflikt wurde, zeigt eine E-Mail von Blairs Stabschef Jonathan Powell an Campbell am 19. September, wenige Tage vor Publikation des Dossiers: „Alastair - what will be the headline in the Standard on day of publication? What do we want it to be?”219 Powell riet außerdem, eine Passage zu streichen, weil sie gegen einen Angriff auf den Irak spreche. Dieser Absatz hatte ausgesagt, dass Saddam Hussein biologische Waffen einsetzen könnte, wenn sein Regime bedroht sei.220 Die E-Mail demonstrierte, wie stark sich Blairs engstes Umfeld um detaillierte Schlagzeilen sorgte – und somit Fragen der Darstellung an höchster Stelle eine große Rolle spielten. Campbell wurde von den meisten Befragten als ein einflussreicher Akteur über die Informationspolitik hinaus identifiziert. Allerdings wies ein Journalist darauf hin, dass Beeinflussen nicht Durchsetzen heißt. Die Entscheidungspolitik und der Führungsstil bleibe Sache der politischen Spitzenakteure: “[…] my impression is that the very senior ones, […] people at the Campbell level, are definitely participating in strategic and tactical discussion of policy. […] Campbell disagreed with Blair for example on education […] they are still the servants. […] it depends on the issue […] and on the politician […]. Blair is somebody who lives for tomorrow’s newspaper headlines. And he will consult with those assisting him on news presentation […] that will influence the sort of policies that he’s looking for […]. I know from people that have worked with him this is the case.”221
Auch ein Journalist mit intimen Kenntnissen von New Labour leitete Campbells Macht von der Priorität ab, die Blair der Außendarstellung eingeräumt habe. Das heiße aber nicht, dass PR-Erfordernisse Wirkung auf fundamentale politische Ideen gehabt hätten.222 Ein leitender Politikredakteur nannte den Vorwurf, Campbell habe für Blair politische Initiativen erfunden, einen Witz.223 Ein PR-Experte der Regierung schloss sich dem an, räumte aber selbstkritisch ein: “But one or two occasions, we [the Blair government] may have given the impression that somehow, policy substance has been sacrificed to presentation.”224
217 Vgl. Campbell zit. nach The Hutton Enqiry [Internet, 2003]: Evidence. Cabinet Office. Online im Internet: AVL: URL: http://www.the-hutton-inquiry.org.uk/content/cab/cab_11_0066to0068.pdf (20.08.2003), S. 2. 218 Vgl. Hutton Report, S. 141f. 219 Powell zit. nach The Hutton Enqiry [Internet, 2003]: Evidence. Cabinet Office. Online im Internet: AVL: URL: http://www.the-hutton-inquiry.org.uk/content/cab/cab_11_0103.pdf (20.08.2003). Absatz im Original nicht übernommen. Powell bezieht sich auf die Londoner Abendzeitung Evening Standard, die wegen ihrer Verbreitung ab dem frühen Nachmittag als agenda setter für Rundfunk und Morgenzeitungen wirken kann. 220 Vgl. ebd. Zur Vor- und Nachgeschichte des Irak-Dossiers s. auch Abschnitt 4.1.5. 221 Aussage eines Journalisten und ehemaligen politischen Aktivisten. J/G/3-Q9. 222 Vgl. J/G/9-Q9. 223 Vgl. J/G/4-Q9. 224 P/G/4-Q9.
186
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
6.3.2 Der Einfluss auf die Darstellungspolitik Nachdem der Einfluss von PR-Akteuren auf die Entscheidungspolitik untersucht worden ist, gilt es noch der Art der Darstellungspolitik nachzugehen. Die Interviewpartner wurden gefragt, wie häufig Journalisten und PR-Akteure miteinander in Kontakt stehen und wie oft Informationen auf Hintergrundbasis, also öffentlich nicht nachvollziehbar, fließen. 225 Auf eine Aufbereitung der Ergebnisse in Tabellen wird hier verzichtet, da die Fallzahl gering war und die Antworten ein heterogenes Bild abgaben. Vielmehr seien einige bemerkenswerte Auffälligkeiten benannt. Eine wenig überraschende Erkenntnis war, dass die Kontaktdichte zwischen Journalisten und Politikvermittlungsexperten hoch ist. Institutionalisierte Pressereferenten waren häufiger mit Reportern beschäftigt als externe PR-Berater. Letztere erfüllten eine andere Rolle als ihre fest angestellten Kollegen: Sie bezeichneten sich selbst als diejenigen, die von Journalisten für einordnende Gespräche angelaufen werden und nicht für eilige, rein faktische Informationen.226 Alle befragten deutschen PRAkteure ohne Festanstellung als Pressereferent gaben an, in der Presse nie namentlich zitiert werden zu wollen, während ihre Kollegen aus dem Apparat je nach Bedarf alle Auskunftsmöglichkeiten nutzen.227 Zwei Berater, die beide nicht als beamtete Sprecher in der Bundesregierung agierten, brachten es so auf den Punkt: „[…] zitierbar bin ich nicht. Alles, was ich sage, ist unter Drei. Mein Name taucht nirgendwo auf.“228 „Ich bin ja nicht der Sprecher des Ministers oder der Ministerin, sondern nur im Hintergrund. […] Wenn mich jemand zur Beratung holt, dann holt er mich […] nicht zum Quatschen. Es sei denn, ich werde aufgefordert […] dann mach ich das im Selbstgang, ohne dass jemand das aus dem Ministerium erfährt.“229
Einige Gesprächspartner kritisieren allerdings die von ihnen wahrgenommene Neigung einiger PR-Berater, sich selbst in den Vordergrund zu drängen. Damit werde dem Ansehen des Beratungsobjekts geschadet. Ein echter Spin Doctor bleibe im Hintergrund und sei der Öffentlichkeit völlig unbekannt.230 Ein PR-Experte beschränkte die Praxis der Informationspolitik nicht auf die offiziellen Sprecher: Zahlreiche Beamte im Apparat in Kanzleramt und BPA seien regelmäßige Gesprächspartner der Journalisten. Dies sei teilweise schon zu Kohl-Zeiten so gewesen.231 Andererseits beklagte ein Journalist ein Versiegen der Kommunikationskanäle nach dem Regierungsumzug: „[…] diese ganze Kultur der differenzierten Informationsschienen daneben und dahinter […] haben [sic] eigentlich eher gelitten, insofern ist es mit dem Spin Doctoring gar nicht so doll, wie 225
Siehe die Auswertungen zu Q10 und Q11 im Anhang II. Vgl. die Aussagen aktiver und ehemaliger PR-Akteure mit Anstellung bei oder Aufträgen von der Bundesregierung sowie zweier Korrespondenten, P/D/1, P/D/6, P/D/15, P/D/19, J/D/2 und J/D/6, jeweils -Q10. 227 Vgl. die Angaben von fest angestellten und freiberuflichen Politikvermittlungsexperten, P/D/1, P/D/3, P/D/5, P/D/6, P/D/12, P/D/15 und P/D/19, jeweils -Q11. 228 P/D/6-Q11. 229 P/D/19-Q11. 230 Vgl. ebd. sowie die Aussagen eines ehemaligen und eines aktiven Mitarbeiters einer Parteizentrale, P/D/4-Q11 und P/D/12-Q11. 231 Vgl. die Angaben eines erfahrenen Kampagnen- und Parteimanagers, P/D/18-Q9. 226
6.4 Der Begriff Spin Doctor
187
die häufige Verwendung der Begriffe suggeriert. […] wenn eine Rentenreform gemacht wird oder dieser Gesundheitskompromiss vertreten werden muss, dann haben wir eigentlich immer eher das Problem, dass gemauert wird […] und dass man eigentlich keine Informationen kriegt, die vielleicht erst in einem oder zwei Monate wirklich interessant wird, also keine Weichen stellende Information kriegt oder viel zu selten.“232
Konfrontiert mit dieser Beobachtung, vermutete ein PR-Experte, dass die Politiker wegen des Anwachsens des Journalistenkorps nur noch Zeit für bedeutende Medien hätten. 233 Wäre dem so, würde dies auf einen Mangel an institutionalisierten PR-Akteuren in der rotgrünen Bundesregierung hinweisen. Dies bestätigte indirekt ein Journalist: „[…] die Spin Doktoren sind Teil des Spiels hier geworden. Und gute Spin Doktoren haben auch eine Riesenchance, auch mit ihren Botschaften hier durchzukommen. Also die Kontakte, die die Leute hier zu den A-Leuten haben, sind relativ begrenzt. Und deswegen ist das Geschäft einfach über diese […] gesteuerte Kommunikation der Politiker über Spin Doktoren, wenn man es gut anstellt, immer erfolgreicher.“234
Die Diagnose für die Londoner Verhältnisse fällt ähnlich aus: Während die offiziellen Pressesprecher vornehmlich aktuelle Fakten kommunizierten, wurden die Sonderberater als Geber einordnender Informationen beschrieben, und das off the record.235 Ein Journalist kritisierte diese Praxis: Seit den 60er-Jahren sei die Zahl der Zitate ohne Namensnennung in der Politikberichterstattung massiv angewachsen. Die bevorzugte Arbeitsmethode Campbells und anderer Sonderberater seien anonyme Hinweise für ausgesuchte Journalisten gewesen. Damit habe er zur Ausbreitung von unfundierten Spekulationen beigetragen, da die offizielle Informationspolitik mit den gleichen Methoden gearbeitet habe wie andere informelle Quellen der Journalisten. So übte ein langjähriger Berichterstatter der britischen Innenpolitik Selbstkritik: “I might have spoken to a spin doctor of one cabinet minister or to some lowly person working for the cabinet minister and I would say ‘[…] cabinet ministers are saying’ […]. Why aren’t we saying that it was the minister’s political adviser?”236
6.4 Der Begriff Spin Doctor 6.4.1 Definitionen und Wertungen des Begriffes Die in dieser Untersuchung angestrebte klare Definition des Begriffs Spin Doctor (Forschungsfrage 2) sollte mehrere Elemente enthalten: Sie sollte dessen Stellung im politi232
Zitat eines leitenden Politik-Journalisten einer Qualitätszeitung in Berlin. J/D/4-Q10. Vgl. die Aussage eines ehemals hochrangigen Akteurs der Regierungskommunikation, P/D/16-Q10. Vgl. dazu auch die Angaben eines Sozialwissenschaftlers, W/D/2-Q10. 234 Zitat eines Reporters einer Boulevard-Zeitung. J/D/3-Q11. 235 Vgl. P/G/2, P/G/4, P/G/7, J/G/1, J/G/4, J/G/5 und J/G/7. Ein leitender Journalist eines Massenblatts antwortete auf die Frage, wie viele Auskünfte von Sonderberatern nur ohne Namensangabe verwendbar seien: „99.99999 percent.“ (J/G/1). Ein Kollege von einer Qualitätszeitung sagte, die Sonderberater seien für anonyme Informationen da: „Nobody is going to tell you anything interesting on a television camera, are they.“ (J/G/4). Alle Fundstellen jeweils -Q11. 236 J/G/5-Q11. 233
188
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
schen und medialen System umreißen, seine genauen Tätigkeiten festlegen und seine arbeitsrechtliche Position (angestellt, freiberuflich oder eventuell beides) beschreiben. Zudem sollte deutlich werden, warum bestehende Begriffe nicht ausreichen und der Neologismus nötig wäre. Deswegen wurden die Experten zu ihrer Definition und Einstellung zum Begriff befragt. Zudem wurden ihnen weitere Fragen gestellt, die diesen Komplex weiter illuminieren sollen: ob sich der Gesprächspartner selbst als Spin Doctor einordnen würde, wie viele von ihnen in Berlin und London tätig sind, welche Tätigkeiten sich unter spinning fassen ließen und wie Journalisten mit der vorgeblich neuen Klasse an PR-Akteuren umgehen.237 Startpunkt für dieses Thema soll die Begriffsdefinition sein: Tabelle 20: Aussagen der deutschen Befragten zu ihrer Definition und Einstellung zum Begriff des Spin Doctors238 Deutschland: Aussage PR-Akteure, die Themen bestimmten Impuls geben Beeinflussung der Journalisten aus dem Hintergrund Berater in der Politik Berater, die Kommunikationsstrategien entwickeln und in Öffentlichkeit bringen Begriff grundsätzlich unsinnig, gibt es nicht Oft Eigenschaft eines Pressesprechers Manipulator Frühwarnsystem und Trendmelder für Beratungsobjekt Strippenzieher Ideengeber für Spitzenpolitiker Medientrainer Kampagnenmanager Positiv Negativ neutral
P (n=20) 10 9
J (n=8) 5 4
6 3
4 4
3 2 3 1
1 2 1 3
W (n=2) 1 1
10 7 1
3 3 2 2 6 14
Summe (n=30) 16 14
5 4 4 4 3 3 2 2
2 6
1 1
0 9 21
Die daraus ableitbare Vorstellung lässt sich so zusammenfassen: Die deutschen Befragten sahen einen Spin Doctor als einen PR-Akteur, der einem Thema einen bestimmten, von ihm gewollten Impuls zu verleihen versucht. Dabei versucht er, die Journalisten meist aus einer der breiten Öffentlichkeit verborgenen Position zu beeinflussen. Es handelt sich oft auch um einen Berater eines Spitzenpolitikers. Dies weicht nicht sehr weit von den gängigen Definitionen ab.239 Allerdings lehnten fünf Experten das Wort als grundsätzlich ab und erklärten die Vorstellung eines Spin Doctors zur Legende. Die überwiegende Mehrheit sah 237
Fragen 2, 3, 4, 7, 11A, 11B und 11C im Interview-Leitfaden, s. Anhang I. Siehe im Einzelnen die deutsche Tabelle zu Q2 im Anhang II dieser Arbeit. Alle Aussagen mit mindestens zwei Nennungen berücksichtigt. 239 Siehe zur vorläufigen Definition Abschnitt 2.1. 238
6.4 Der Begriff Spin Doctor
189
das Etikett des Spin Doctors als neutrale Bezeichnung an. Niemand vermochte aber eine absolut positive Konnotation des Wortes erkennen. Ein Sprecher einer politischen Institution gab eine ambivalente Definition zum Handwerk des Spin Doctors: „Die positive Definition ist die aus der Sicht eines Pressesprechers, der sagt: ,Der Spin Doctor sorgt dafür, dass die Journalisten Verständnis für das Handeln eines Politikers in seinen jeweiligen Umständen entwickeln können, weil ihnen geholfen wird, seine Perspektive, seine oder ihre Sicht der Dinge nachzuvollziehen.’ Die negative Definition ist: Der Spin Doctor ist jemand, der die Wahrnehmung von Wirklichkeit zu verändern oder Wirklichkeit vorzutäuschen sucht […] und damit als Manipulator tätig wird. […] Ich denke, dass im Kern beides im Spiel ist.“240
Ein ehemaliger Akteur der Regierungs-PR sah das Wort als einen Import aus den USA, der deswegen chic geworden sei.241 Ein Kampagnen-Fachmann wies aber darauf hin, dass diese Bezeichnung selbst in US-Kreisen nicht mehr wohlgelitten sei.242 Eine ganz eindeutig negative Einfärbung geben diese zwei offiziellen Politikvermittlungsexperten dem Spin Doctor auch im deutschen Raum: „Wer für sich reklamiert, Spin Doctor zu sein, der wirkt auf jeden Fall unseriös […].“243 „Es ist geradezu ein vernichtendes Urteil, wenn man als Spin Doctor in Deutschland gilt. Das ist mit so einem eklatanten Verlust an Seriosität und Glaubwürdigkeit verbunden, dass man kaum noch in der politischen Kommunikation tätig sein kann.“244
Einige Befragte nahmen dieses Etikett jedoch durchaus für sich in Anspruch. Als Beispiele für die unterschiedlichen Eigensichten seien hier zwei PR-Experten zitiert: „In gewisser Weise bin ich das. Klar. Weil ich eben versuche, einen bestimmten spin in die Entwicklung reinzubringen oder in die Berichterstattung reinzubringen.“245 „Nein […] das Wort Spin Doctor war für’ne kurze Zeit so eine sehr schicke Modeformulierung, hat aber die Wirklichkeit der politischen Arbeit in Deutschland nie getroffen.“246 Auffällig war, dass einige Politikvermittlungsexperten, die von anderen Befragten eindeutig zur Gattung der Spin Doctors gezählt wurden, diese Bezeichnung für sich selbst vehement ablehnten. Umgekehrt nahmen weitere, die in den Aufzählungen anderer Experten nicht aufgetaucht waren, für sich das Spin Doctoring quasi als Gütesiegel in Anspruch.
240
P/D/17-Q2. Diese Aussage wurden wegen ihrer Ambivalenz als neutrale Wertung eingeordnet. Vgl. P/D/15-Q2. 242 P/D/18-Q2. 243 P/D/5-Q2. 244 P/D/8-Q2. 245 Aussage eines Ministerberaters. P/D/6-Q3. 246 Zitat eines lange Jahre geübten Kampagnen- und Parteimanagers, P/D/18-Q3. 241
190
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
Tabelle 21: Antwort der deutschen Befragten auf Frage, ob sie als Spin Doctor tätig seien247 Deutschland: Aussage Ja Nein Zum Teil
P (n=17) 5 9 3
J (n=1)
W (n=0)
1
Summe (n=18) 5 10 3
Noch uneinheitlicher wird das Bild bei der Frage nach der Menge der Spin Doctors in der Bundespolitik. Etwa ein Viertel der Befragten sah diese Spezies als nicht vertreten an. Fast die Hälfte (14) bezifferte ihre Menge in der Bundespolitik mit unter 25. Diese Zuweisung war natürlich von der vom Experten selbst gegebenen Definition abhängig. Die mit dem Begriff verbundenen Berufsbilder sind im zweiten Teil der Tabelle angegeben. Tabelle 22: Aussagen der deutschen Befragten zur Menge der Spin Doctors in der Bundespolitik und der damit assoziierten Tätigkeiten248 Deutschland: Aussage Keine Sehr wenige Wenige Personen – etwa fünf bis zwölf Nicht mehr als 25 Viele Freiberufliche PR-Berater Pressesprecher Persönliche Referenten, Büroleiter, Mitarbeiter von Planungsabteilungen Kampagnenmanager Redenschreiber Verbändevertreter Meinungsforscher
P (n=20) 7 2 6 1 4 8 4 2 3 2 1 1
J (n=8)
W (n=2) 1
3
1
Summe (n=30) 8 4 9 1 8
7 6 5
1 1 1
16 11 8
1
4 2 2 1
2 3
1
Eine Mehrheit der Befragten verband freiberufliche PR-Berater am engsten mit dem Begriff des Spin Doctors. Einen Eindruck des weiten Felds der Beraterszene, ob internalisiert im Apparat oder extern beauftragt, gibt dieses Zitat eines altgedienten Journalisten: „Diese Spin Doktores […] sind Angestellte der Regierung. […] wenn die Planungsabteilungen gut sind in den Ministerien oder im Kanzleramt, dann sitzen dort Spin Doktores. […] Natürlich gibt es eine ganze Reihe von Politikberatern, die hier in Berlin herumlaufen, teilweise sind es
247
Siehe im Einzelnen die deutsche Tabelle zu Q3 im Anhang II dieser Arbeit. Ein pensionierter Journalist, der sich als Berater von Politikern betätigt, wurde ebenso in die Auszählung einbezogen. 248 Siehe im Einzelnen die deutsche Tabelle zu Q4 im Anhang II dieser Arbeit.
6.4 Der Begriff Spin Doctor
191
Lobbyisten. Teilweise sind es Leute aus der Kommunikationsbranche, die von Ministern oder anderen Politikern angeworben werden.“249
Insgesamt hing die Zahl der genannten Spin Doctors bei den meisten Befragten an der Definition: Diejenigen, die das Wort als ein rein angelsächsisches Konzept verstanden, vermuteten keine Spin Doctors in Berlin.250 Andere beschränkten sich auf Freiberufler mit Kontakten zu Spitzenpolitikern oder setzten das Kriterium eines Einflusses auf politische Entscheidungen und Journalisten an. Sie kamen entsprechend auf niedrige Zahlen.251 Diese Unbestimmtheit setzte sich auch bei der Frage nach den wichtigsten Tätigkeiten der Experten und der vermuteten Spin Doctors fort. Wegen der Vielzahl der Hintergründe der Befragten wird hier auf eine Auszählungstabelle verzichtet.252 Als ein Ergebnis lässt sich ersehen, dass die nicht institutionalisierten PR-Akteure das Einwirken auf Journalisten aus dem Hintergrund und die Beratung ihres politischen Dienstherren als wesentliche Aufgaben charakterisierten, während sich die Sprecher als in der Öffentlichkeit stehende Sprachrohre ihrer Chefs definierten. Ein nicht institutionalisierter PR-Experte nannte viele informelle Aufgaben, die er für einen Spitzenakteur der Bundesregierung wahrnahm: „[…] das ist zum einen […] das Aufnehmen, das Verarbeiten von Informationen, die von außen kommen, wo Fallstricke liegen. […] Da muss man dann sofort reagieren und bestimmte Gegenpositionen organisieren, die Minister informieren […]. Es ist zum anderen dann auch die aktive Kommunikation mit Journalisten, die auf bestimmte Dinge hinweisen […]. Wenn beispielsweise Der Spiegel irgendeine Titelgeschichte macht […], sind da natürlich im Vorfeld viele Gespräche zu führen und bestimmte Linien klarzustellen. Dann bei den Interviews dabei zu sein, die Redaktionen nach den Interviews zu supervisen. Es ist die Begleitung bei Öffentlichkeitsterminen, die möglicherweise kritisch sind, also wo es drauf ankommt, halt ihm auch mal ein Zeichen geben, wenn er zu ausführlich wird, wenn er zu sehr ins Detail geht, ihn auf Dinge hinweisen, die man am Rande mitkriegt, […] Ansprechpartner zu sein für Leute […] quantitativ ist es sicherlich der Kontakt mit der Presse, der bei mir am meisten auf der Zeitachse auflaufen würde.“253
Ein im Apparat verankerter Sprecher wies den externen Beratern eine andere Rolle als die seinige zu, auch wenn er ebenso über Kommunikationsstrategien nachdenken müsse: „Sie müssen nicht die Pressekonferenzen geben, sie müssen nicht Rede und Antwort stehen. Sie haben nicht zu tun mit Kritik von allen möglichen Seiten, auch aus dem politischen Raum. […] Natürlich haben sie eine andere Funktion, und sie haben es auch leichter. Viel leichter sogar.“254
Der Begriff des Spin Doctors ließe sich nach Sichtung dieser Aussagen am nächsten auf nicht beamtete politische PR-Berater anwenden, doch ein klar umrissenes Berufsbild wurde nicht erkennbar. Es blieb daher der Untersuchung bei den britischen Experten überlassen, eine klarere Begriffsbestimmung zu versuchen.
249
J/D/1-Q4. Vgl. P/D/1, P/D/9 und P/D/11, jeweils -Q4. 251 Vgl. P/D/6, P/D/15, J/D/2 und J/D/4, jeweils -Q4. 252 Siehe im Einzelnen die deutsche Tabelle zu Q7 im Anhang II dieser Arbeit. 253 P/D/6-Q7. 254 P/D/5-Q7. 250
192
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
Tabelle 23: Aussagen der britischen Befragten zu ihrer Definition und Einstellung zum Begriff des Spin Doctors255 Großbritannien: Aussage PR-Experten, die Themen bestimmten Impuls geben PR-Experten, die in Medien bestmöglichen Eindruck für ihre Auftraggeber schaffen wollen Erfindung der Medien, existiert nicht Manipulator Pressesprecher Verdeutlichen Journalisten Denken des Beratungsobjekts Experten für Umgang mit Medien Mehr als ein reiner Pressesprecher Greifen politische Gegner an Positiv Negativ Neutral
P (n=8) 4 1
J (n=9) 4 6
1 2 2 2
5 2 2
4 4
W (n=2) 1 1
Summe (n=19) 9 8
1 1 1
6 5 5 3
2 1 1
1 1 1
3 2 2
4 5
1 1
0 9 10
Auch aus diesen Aussagen ist oberflächlich eine konsensuale Einschätzung konstruierbar: Demnach handelt es sich um PR-Akteure, die versuchen, Themen in der öffentlichen Diskussion einen bestimmten Impuls zu geben und den optimalen Eindruck für die Politik und Personen ihres politischen Lagers zu schaffen. Doch rund ein Drittel der Befragten beschrieb das Wort als reine Erfindung der Medien. Besonders Journalisten kamen zu dieser Bewertung. Im Vergleich zu den deutschen Zahlen war das Image des Begriffs deutlich negativer. Ein Experte aus der Welt der kommerziellen PR-Agenturen sprach von einer Bedeutungsverschiebung von Spin: “[…] if you look at something, you look at it from a particular position. [...] the concept of spin is simply to get people to look at things from a different point of view. […] Doctoring simply means that you are good at it. […] it’s a term of abuse now whereas it was a descriptor […] The modern version of it has come to mean deception and misleading people […].”256
Ein Wissenschaftler mit Erfahrungen in der Blair-Regierung gab eine ähnliche Einschätzung: Spin sei zu einem meist abwertenden Wort geworden, das legitime wie illegitime Formen der politischen Kommunikation umfasse – von reiner kommunikativer Interessenvertretung bis zu absichtlicher Manipulation der Wahrheit.257 Alastair Campbell bezeichnete das Wort als überflüssig: “It is a meaningless term of abuse. […] If you try to understand what may be defined as spin, if people are being serious about this, I would say it is illegitimate communication. The vast bulk 255 Siehe im Einzelnen die britische Tabelle zu Q2 im Anhang II dieser Arbeit. Alle Aussagen mit mindestens zwei Nennungen berücksichtigt. 256 P/G/3-Q2. 257 Vgl. W/G/3-Q2.
6.4 Der Begriff Spin Doctor
193
of communication done by and in Government is wholly legitimate […]. 85-90% of what people understand to be spin is put there by journalists and newspapers with an agenda.“258
Einige Befragte bezogen den Begriff nur auf die Sonderberater in der Blair-Regierung.259 Andere verstanden darunter alle Arten von Pressesprechern.260 Ein Wissenschaftler, der sich intensiv mit dem Politik-Medien-Verhältnis beschäftigt hat, führte die verschiedenen Zuschreibungen definitorisch zusammen: Demnach ist ein Spin Doctor “a press officer plus. […] he or she might do the normal operations of a press officer […] the spin doctor does two or three additional things. […] they seek to understand and anticipate what their minister, whoever might say and therefore they give journalists the opportunity to look […] behind the official thinking. Secondly, they attack opponents, undermine opponents, sometimes on the opposition party, sometimes in their own party. And thirdly, they steer, they try and suggest to journalists lines of inquiry and so forth. […] it’s a distinction without a difference. […] at senior levels, senior government press officers do all that.”261
Den oben angeführten Auskünften folgend kann es nicht verwundern, dass sich in der Befragung niemand selbst als voller Spin Doctor bezeichnen wollte: Tabelle 24: Antwort der britischen Befragten auf Frage, ob sie als Spin Doctor tätig seien262 Großbritannien: Aussage Ja Nein Zum Teil
P (n=7) 6 1
J (n=0)
W (n=1) 1
Summe (n=8) 0 7 1
Nachdem viele Befragte in London den Begriff vollkommen abgelehnt hatten, war es oft ergebnislos, nach der Zahl der Spin Doctors vor Ort zu fragen. Aber die Auswertung der Ergebnisse zu dieser Frage zeigt auch, dass einige Personen nach Meinung der Experten so bezeichnet werden konnten. In der Tabelle wurden auch die Aussagen eines deutschen PRExperten beachtet, der aus eigenen Erfahrungen in London berichten konnte.
258 Antwort Campbells auf Frage 381 in: House of Commons Select Committee on Public Administration [Internet, 2004]: Minutes of Evidence. Online im Internet: AVL: URL: http://www.publications.parliament.uk/pa/ cm200304/cmselect/cmpubadm/274/4051104.htm (01.06.2004). 259 Vgl. die Aussages eines Regierungsmitarbeiters und eines leitenden Politik-Journalisten, P/G/7-Q2 und J/G/4Q2. 260 Vgl. u.a. P/G/4, J/G/2 und J/G/6, jeweils -Q2. 261 W/G/1-Q2. 262 Siehe im Einzelnen die britische Tabelle zu Q3 im Anhang II dieser Arbeit. Ein Wissenschaftler, der früher als PR-Experte tätig war, wurde auch in die Auszählung einbezogen.
194
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
Tabelle 25: Aussagen der britischen Befragten zur Menge der Spin Doctors in der Bundespolitik und der damit assoziierten Tätigkeiten263 Großbritannien: Aussage Keine Zwei bis drei Nicht mehr als zehn der vorhandenen Sonderberater Beraterstäbe um Blair, Brown und einige andere Minister Einige Sonderberater und einige Pressesprecher 70-80 Sonderberater, davon aber nicht alle Spin Doctors Weit über 100 Sonderberater Pressesprecher
P (n=6) 1
J (n=3)
W (n=1)
Summe (n=10) 1 1 1 1
1
2 3
1 1 1
2
1 1
1 4 1
1 2 1
1 1
7 3
Die Schätzungen der Experten schwankten zwischen der Nichtexistenz von Spin Doctors bis zu mehr als 100 Vertretern. Als Trend lässt sich nur erfassen, dass viele Sonderberater mit dem Etikett belegt wurden. Aber nach den Aussagen der Experten befassten sich viele Sonderberater nicht mit PR-Fragen, und einige Pressesprecher erweisen sich als effektive Sprachrohre und Berater ihrer Minister. Damit ist es schwierig, eine klar definierbare Tätigkeitsbeschreibung eines Spin Doctors herauszuarbeiten. Ein Vertrauter eines Ministers beschrieb den Aufgabenbereich der Sonderberater so: “[…] a lot of the job is basically similar to what the head of news would do in a department. But the difference is that I am allowed to talk about the opposition party and matters of why the political interest of the secretary of state that goes outside is a media brief within the department […] I could talk about what Labour was doing vis-à-vis the Tories or the Lib Dems […].”264
Damit stellte sich die Wirklichkeit der Arbeit der Sonderberater in der Blair-Regierung als komplexer dar, als dass sie nur als PR-Experten oder Spin Doctors zu bezeichnen wären. Aufgaben und Erscheinungsformen von Spin Doctors lassen sich in der Gesamtschau der Ergebnisse auf kein einheitliches Muster bringen.265 Die Frage, ob ein mögliches Aufkommen von Spin Doctors als einer neuen PRAkteursklasse das Verhältnis von Journalisten und PR-Experten verändert hat, erbrachte wenige grundlegende Veränderungen, was einmal mehr den Vermutungen der Neuheit von Spin Doctoring widerspricht.266 Neun der deutschen Befragten definierten PR-Experten und Journalisten als zwei klar antagonistische Seiten. Fünf Befragte sahen das Verhältnis beider Berufe eher als kollegial an. Letztere Ansicht wurde ganz überwiegend von den Politikvermittlungsexperten selbst vertreten, während Journalisten tendenziell das Prinzip der Trennung betonten. Dies könnte Ausdruck der Verbundenheit zum alten Beruf sein oder eine 263
Siehe im Einzelnen die britische und deutsche Tabelle zu Q4 im Anhang II dieser Arbeit. P/G/7-Q7. 265 Siehe abschließend die Auswertung dieser Ergebnisse in Abschnitt 7.1. 266 Siehe im Einzelnen die deutsche und die britische Tabelle zu Q11A im Anhang II dieser Arbeit. 264
6.4 Der Begriff Spin Doctor
195
Kumpel-Masche267, um sich bei den Zielobjekten ihrer PR anzudienen. Die Aussage eines PR-Experten mit enger Verbindung zur rot-grünen Regierung zeigte jedenfalls den Wunsch an, trotz des Dienstes für die Politik weiterhin als Journalist zu gelten, aber auch wie sich dies funktional ausnutzen lässt: „[…] ich fühle mich immer noch mehr als Journalist. […] Ich bezeichne auch die Journalisten immer noch als Kollegen. […] Ich kenne […] viele aus meiner aktiven Zeit, auf der anderen Seite noch recht gut und bin mit vielen befreundet. Das macht das Geschäft sehr viel leichter. Das schafft dann auch neues Vertrauen bei denen, die ich nicht kenne.“268
Auch in Großbritannien betonten die Journalisten das Prinzip des antagonistischen Verhältnisses zwischen ihnen und den PR-Akteuren, doch erklärten zwei Befragte, ihre Kollegen sähen dies häufig anders. Eigen- und Fremdsicht fielen auseinander: „I have always found it wiser to keep my distance, keep a degree of separation. You can be friendly to them but […] you’re on the other side […]. You have different functions.”269 Die Frage nach der Nutzung von PR-Akteuren als Quellen, auch für Informationen ohne Namensnennung, ergab eine Bestätigung der im Vorstehenden erläuterten Theorie der Produktionsgemeinschaften zwischen politischen und medialen Akteuren. Die Ergebnisse zeigten keine wesentlichen Verschiebungen in diesem Verhältnis an.270 Die Befragten bestätigten den Hunger von Journalisten auf Berichte aus dem engsten Umfeld von Spitzenpolitikern. Einige der deutschen Befragten berichten von einem ständigen Informationsfluss auf der Hinterbühne. Viele der Gespräche zwischen PR- und medialen Akteuren fänden nur ohne Namensnennung Eingang ins mediale Endprodukt.271 Dies gilt noch mehr für die britischen Verhältnisse, wo nach Empfindung eines Befragten die Nutzung anonym bleibender Quellen den Politikjournalismus nun vollkommen prägt.272 Schließlich wurden Journalisten und die anderen Experten zu ihren Erfahrungen über die Verlässlichkeit der Aussagen der Regierungs-PR in Berlin und London befragt.273 Während die deutschen Befragten von keinen größeren Problemen berichten, gaben die britischen Experten konkrete Kritik an der Kommunikation der Regierung Blair zu Protokoll. Die deutschen Journalisten nannten mehrere Techniken, um Angaben von Politikvermittlungsexperten zu filtern: die Überprüfung der Angaben durch eigenes Erfahrungswissen, bei wichtigen Nachrichten das Prinzip, eine zweite, unabhängige Quelle zu haben. Im Falle einer unwahren Information werde die unzuverlässige Quelle zukünftig aus dem Kommunikationsfluss ausgeschlossen oder die Falschinformation gar öffentlich thematisiert.274 Ein Redakteur berichtete von einem Fall, in dem er auf unwahres Spin Doctoring hereingefallen sei, betonte aber, dass er genauer nachrecherchiert hätte, falls die Information substanzielle politische Fragen berührt hätte: Als Finanzminister Eichel einen Bandscheibenvorfall erlitt, war in der Bild-Zeitung zu lesen, dieser sei dadurch ausgelöst worden, dass der Politiker 267
So wie von einem leitenden TV-Reporter, J/D/5-Q11A, vermutet. P/D/6-Q11A. 269 Zitat eines leitenden Politik-Journalisten einer Qualitätszeitung. J/G/4-Q11A. 270 Siehe die deutsche und britische Tabelle zu Q11B im Anhang II dieser Arbeit und zum Modell der Produktionsgemeinschaften Abschnitt 2.2.1 in dieser Arbeit. 271 Vgl. die Aussagen der vier leitenden Journalisten in seriösen wie Boulevard-Medien, J/D/3, J/D/4, J/D/5 und J/D/8, jeweils -Q11B. 272 Vgl. die Aussage eines Radio-Journalistem, J/G/5-Q11B. 273 Siehe die deutsche und britische Tabelle zu Q11C im Anhang II dieser Arbeit. 274 Vgl. die Angaben von vier Hauptstadt-Journalisten, J/D/2, J/D/3, J/D/4 und J/D/8, jeweils -Q11C. 268
196
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
seine Wohnung selber putze. Damit wurde Eichels Image als eiserner Sparer unterstrichen – der Meldung war aber falsch: „Der Urheber war Schmidt-Dequelle. […] Sie hat nicht ganz gestimmt, aber sie war irgendwie witzig und sie hätte im Zweifel stimmen können. In dem Fall ging es um nichts. Und da lass ich auch mal fünfe gerade sein.“275
Die Aussagen der Londoner Experten ließen gravierendes Misstrauen gegenüber der offiziellen Informationspolitik erkennen. Acht der zwölf Befragten, die dazu Angaben machten, berichteten von bewusstem Übertreiben der Erfolge der Regierungspolitik.276 Früher hätten Pressereferenten Hintergrundinformationen gegeben, auch wenn sie für die aktuelle Regierung nicht vorteilhaft waren, sagte ein altgedienter Rundfunk-Reporter: „what you would get from the civil service information officer was a little bit of realism whereas if you went to a political spin doctor they would just hype it up.”277 Fünf Befragten sprachen von der Praxis der Blair-Regierung, für sie unvorteilhafte Informationen zu verschweigen. Ein führender Journalist eines überregionalen Qualitätsblatts sagte, man müsste den Sprechern sehr zugespitzte Fragen zu stellen, um substanzielle Antworten zu bekommen und die Wahrheit offenzulegen.278
6.4.2 Spin Doctoring als neues Phänomen? Um Spin Doctoring einzugrenzen und bewerten zu können, ist es neben der Begriffsbestimmung nötig zu erfassen, ob es sich dabei um eine neue Erscheinung oder nur um ein plakatives Wort handelt. Im Abschnitt 3.3 waren bereits einige Prinzipien der politischen PR aufgelistet worden, die gemeinhin als Spin Doctoring verstanden werden. Diese Aufstellung wurde in Abschnitt 4.1.2 vertieft, wo einzelne Techniken der Informationspolitik erläutert wurden. Die Experten wurden befragt, inwiefern sie ein neues Phänomen der politischen PR unter dem Namen Spin Doctoring identifizieren können.279 Tabelle 26: Antworten der deutschen Befragten auf Frage, inwiefern und ob Spin Doctoring ein neues Phänomen der politischen Öffentlichkeitsarbeit darstellt280 Deutschland: Aussage Begriff bezeichnet altbekannte Erfordernisse und Techniken Steht für professionelle moderne Öffentlichkeitsarbeit und sorgfältigeres Nachdenken über Kommunikation 275
P (n=18) 12
J (n=7) 3
W (n=2)
Summe (n=27) 15
7
2
2
11
Zitat eines leitenden Redakteurs in Berlin. J/D/2-Q11C. Vgl. P/G/6, P/G/8, J/G/1, J/G/4, J/G/5, J/G/7, J/G/9 und W/G/3, jeweils -Q11C. 277 J/G/5-Q11C. 278 Vgl. J/G/8-Q11C. 279 Frage 13 im Fragen-Leitfaden, s. Anhang I. 280 Siehe im Einzelnen die deutsche Tabelle zu Q13 im Anhang II dieser Arbeit. Alle Aussagen mit mindestens zwei Nennungen berücksichtigt. 276
6.4 Der Begriff Spin Doctor Zeigt veränderte Bedingungen für politische Kommunikation Drückt Bedeutung von agenda setting in Medien aus Schon frühere Bundesregierungen und -kanzler hatten ihre Spin Doctors Neue Techniken, z.B. Mobilfunk und Internet, verlangen veränderte Informationspolitik Beschleunigung der Kommunikation wichtigeres Phänomen Ministerberater, der aus Steuermitteln bezahlt wird, ist ein neues Phänomen Begriff ist Inszenierung der Politikvermittlungsexperten Ja Nein Teilweise
197 8
2
7 2
1
11
1
8
5
7
4
4
4
4
2
(n=16) 1 14 1
1
3
2
2
(n=6) 2 4
(n=2) 1 1
(n=24) 3 19 2
Danach sah eine große Mehrheit der deutschen Experten kein neues Phänomen, dass sich als Spin Doctoring bezeichnen ließe. Nur eine kleine Minderheit benannte zumindest teilweise Ansätze in dieser Richtung. Zwei Politikvermittlungsexperten wiesen darauf hin, dass viele Techniken der rhetorischen Beeinflussung schon in der Antike galten, z.B. das Prägen und Wiederholen kurzer Leitsätze, die Lenkung der Aufmerksamkeit und der Einsatz ausdrucksstarker Bilder.281 So sagte ein PR-Experte: „Das ist ein gehypter Begriff, der Sachen ausdrückt, die man schon hatte […] Das ist ein Effekt aus der Post-97/98er-Bundestagswahlkampagne. […] Wenn Sie die sozusagen verstärkte und intensivere Form über Medien gespielte Variante meinen […] ist es ein eher neueres Phänomen. […] Dass gute Politik sich immer darauf verstanden hat, die Botschaft zuzuspitzen bzw. eine Botschaft als Motiv des gesamten […] Tuns zu definieren, nun gut: Bismarck, der Eiserne Kanzler […]. Da ging die politische Kommunikation direkt ins Schulbuch […].“282
Dieses Zitat zeigt die Ambivalenz vieler Antworten: Trotz der Ablehnung des Begriffs Spin Doctoring gab es viele Befragte, die veränderte Bedingungen für die Regierungskommunikation anschnitten und entsprechende Reaktionen der PR-Akteure vermuteten. 283 So sagten je elf Experten, die Diskussion um den Begriff allein zeige den Wandel zu professionellerer PR und zu sorgfältigerer Berücksichtigung der Außenwirkung von Politik bei ihren Akteuren. Ein offiziell tätiger Politikvermittlungsexperte lehnte den Begriff Spin Doctoring ab, identifizierte aber wegen der Vervielfachung und Beschleunigung medialer Kanäle die Notwendigkeit für politische Akteure, ihre Kommunikation sehr fein zu steuern – über 281 Vgl. die Aussagen eines Sprechers einer politischen Institution in Berlin und eines freiberuflichen PR-Akteurs, P/D/2-Q13 und P/D/3-Q13. 282 Zitat eines freiberuflich arbeitenden Politikvermittlungsexperten, P/D/13-Q13. 283 Zu den sich verändernden Bedingungen für politische Kommunikation s. Kapitel 3 und Abschnitt 6.1.
198
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
Aussagen, Timing und Platzierung nachzudenken.284 Ein nicht fest angestellter Ministerberater begriff Spin Doctoring als Phänomen der Externalisierung der Regierungs-PR, „[…] das zunehmen wird. Ich glaube, dass […] anhand der Medienentwicklung, […] der Angloamerikanisierung dieser Verhältnisse […] solche unabhängige Beratung wichtiger wird und auch im Apparat nicht zu kriegen ist. […] es gibt keinen Pressesprecher der Bundesregierung außer dem Regierungssprecher, der mal als Journalist gearbeitet hat. […] weil Sie auch für die Besoldungsgruppe, in der Pressesprecher besoldet werden, fast nur Berufsanfänger kriegen.“285
Kurz lassen die gewonnenen Aussagen auf diese Formel bringen: Auch die Bundesregierungen der Vergangenheit sahen die Notwendigkeit, ihre Botschaften geschickt an die Journalisten zu vermitteln. Entsprechende Experten waren schon immer vorhanden. Die Expansion, Beschleunigung und Bedeutung medialer Vermittlung macht jedoch eine besser darauf eingestellte Regierungskommunikation notwendig. Einige Befragte deuteten auf einflussreiche Akteure unter früheren Kanzlern, Regierungssprecher Bölling unter Schmidt oder Kohls Kanzleramtsmitarbeiter Ackermann und Fritzenkötter. Gerade die Stellung der beiden Letztgenannten habe der einflussreicher, nicht mit Namen zitierbarer Berater entsprochen, wie es im Begriff Spin Doctors stecke.286 Der Einzug eines neuen SpinDoctoring-Phänomens unter Rot-Grün wird von den meisten Experten negiert, allenfalls stellte sich die Beschäftigung des Freiberuflers Schmidt-Deguelle als permanenter Berater für Bundesminister manchem Befragten als einzige Neuerung dar.287 In London verweisen die Befragten ebenso auf die bereits referierten Veränderungen der Landschaft für Regierungskommunikation. Einige stellten deutlich heraus, dass die Blair-Regierung mehr Kapazitäten auf PR-Arbeit verwende als ihre Vorgänger. Allerdings fiel hier die Ablehnung der Idee des Spin Doctoring als Neuheit noch deutlicher aus. Tabelle 27: Antworten der britischen Befragten auf Frage, inwiefern und ob Spin Doctoring ein neues Phänomen der politischen Öffentlichkeitsarbeit darstellt288 Großbritannien: Aussage Politik war schon immer auch Kommunikation Begriff bezeichnet altbekannte Erfordernisse und Techniken Reine Erfindung der Medien Zeigt veränderte Bedingungen für politische Kommunikation Blair-Regierung energischer in ihrem Medienmanagement als jegliche Regierung zuvor Beschleunigung der Kommunikation 284
P (n=4) 2
J (n=9) 4 4
1
4 5
1
3
2
2
W (n=3) 2 3
Summe (n=16) 8 7 5 5
1
5 4
P/D/3-Q13. P/D/6-Q13. 286 Vgl. P/D/4, P/D/19, J/D/1, J/D/5 und J/D/7, jeweils -Q13. 287 Vgl. die Angaben eines ehemaligen Akteurs der Regierungs-PR, eines kommerziellen Beraters und eines Zeitungsjournalisten, P/D/15, P/D/20 und J/D/3, jeweils -Q13. 288 Siehe im Einzelnen die britische Tabelle zu Q13 im Anhang II dieser Arbeit. Alle Aussagen mit mindestens zwei Nennungen berücksichtigt. 285
6.4 Der Begriff Spin Doctor
199
Schon Ingham persönlicher Berater Thatchers Präsentation wichtiger Teil der Konzepte geworden
1 1
1 1
Ja Nein Teilweise
4
1 8
2 2 3
1 15 0
Parallel zu den deutschen Befragten wurde betont, Politik sei schon immer eine Kommunikationsaufgabe gewesen. Ein für eine Boulevardzeitung tätiger Journalist fasste seine Ansicht so zusammen: “[…] it’s one of the oldest professions in the history of the world. […] it’s just become fashionable to call it spin doctoring and to make it an art form […] it’s always existed, just under different names.”289
Ein Rundfunk-Journalist schrieb das Aufkommen der Berichte über Spin Doctoring der starken Dominanz Labours ab 1997 zu, was dazu geführt habe, dass sich die Medien den Prozess der Regierungs-PR als Spielfeld gesucht hätten, um diese herauszufordern: “[…] we become more obsessed with the process of communications, the process of politics, than we have been for a very long time. […] that’s partly a product of having such a prominent government in the House of Commons. […] they came in with far more discipline over the flow of information from government to the media as a whole. […] that was the consequence of our obsession with Alastair Campbell […] partly that was written to fill the vacuum that was left by scrutiny of other things.”290
Andere Gesprächspartner setzten den eigentlichen Wandel politischer Kommunikation in den 80er-Jahren an. Schon Thatchers Informationspolitik selbst sei zum Objekt der Berichterstattung geworden.291 Ein Journalist und Ex-Politikaktivist erklärte, der Wandel der Politik werde symbolisiert durch den Aufstieg des Ex-Schauspielers Ronald Reagan zum USPräsidenten ab 1981. Diesem Beispiel eines Politikers mit TV-Ausstrahlung seien viele andere Länder gefolgt. Spin Doctors seien die Diener dieser Politiker.292 Ein anderer Befragter, der im Bereich Politikwissenschaft forschte, ging sogar zurück in die 1930er-Jahre und machte unter Blair nur eine Weiterentwicklung bekannter Techniken aus.293 Damit wird es schwierig, ein Spin-Phänomen festzuhalten: “[…] the name doesn’t mark anything in particular. For as long as we had communications, virtually all communications is spin. […] it makes the demarcation lines, the definitions of spin impossible really. […] you can waste a lot of time trying to work out where it begins and who was the first spin doctor.”294
289
J/G/1-Q13. J/G/7-Q13. 291 Vgl. die Angaben eines erfahrenen Beamten und eines London-Korrespondenten, P/G/6-Q13 und J/G/6-Q13. 292 Vgl. J/G/3-Q13. 293 Vgl. W/G/2-Q13. 294 W/G/1-Q13. 290
200
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
Dennoch – die Expansion der Medien in 24-Stunden-Angebote vollzog sich zeitlich parallel zum Aufstieg New Labours. Blairs Mitarbeiter waren entschlossen, darauf zu reagieren. Diese Ansicht fand sich in der Einschätzung dieses Journalisten einer Qualitätszeitung wieder: “[…] the government, by giving the responsibility of making their narratives to a powerful figure, like Campbell, with powerful figures like Gould and Mandelson behind […] was an attempt to counter the media narratives. […] it’s what every government has to do […] New Labour did it more proactively, more energetically, sometimes more abrasively than anybody before [...] But it’s not a difference of principle, it’s a difference of degree.”295
In dieser Aussage findet sich die von den meisten Befragten geäußerte Ansicht wieder, dass es sich bei der Informationspolitik der Blair-Regierung nicht um eine neue Qualität politischer PR gehandelt habe, sondern vielmehr um eine graduelle Verstärkung der Ressourcen und Techniken.
6.5 Die Folgen professioneller PR – der „postmoderne Tanz“ 6.5.1 Gesellschaftliche Wirkungen der Regierungskommunikation Regierungskommunikation in Demokratien muss immer mit Kritik leben. Nie können es die PR-Akteure allen interessierten Personen, ob Regierungsmitgliedern, der Opposition oder Reportern, recht machen. Im Vorstehenden war schon einige Kritik an den Regierungen Schröder und Blair zu lesen: Die rot-grüne Regierung wurde von Befragten als konfus empfunden, Schröders Auftreten als das eines sich selbst inszenierenden Medienkanzlers gerügt. In London fanden sich Klagen über ein aggressives Einwirken der LabourRegierung auf Journalisten und eine zu starke Betonung der Darstellungspolitik.296 Die Befragten wurden deshalb aufgefordert, ihre Meinung zu postmoderner PR-Strategien in der Politik, zu positiven wie negativen Folgen, zu benennen.297 In der Auflistung werden jeweils die positiv wie negativ konnotierten Komplexe getrennt in absteigender Reihenfolge ihrer Häufigkeit angezeigt: Tabelle 28: Aussagen der deutschen Befragten zu positiven und negativen Folgen der Arbeit von professionalisierten Politikvermittlungsexperten auf das politische System298 Deutschland: Aussage Anpassen an neue Möglichkeiten der Medien durch Mechanismen wie Themenkoordination und rapid rebuttal erforderliche Maßnahmen 295
P (n=17) 5
J (n=5) 4
W (n=1) 1
Summe (n=23) 10
J/G/9-Q13. Siehe Kapitel 4 und Abschnitt 6.1.2. Frage 16 im Interview-Leitfaden, s. Abschnitt I. 298 Siehe im Einzelnen die deutsche Tabelle zu Q16 im Anhang II dieser Arbeit. Alle Aussagen mit mindestens zwei Nennungen berücksichtigt. 296 297
6.5 Die Folgen professioneller PR – der „postmoderne Tanz“
201
Natürliche Grenze: Über-Inszenierung trifft auf Abwehr bei Bürgern und Medien Professionelles Kommunikationstraining kann Authentizität eines Politikers unterstreichen Einsatz von Politikvermittlungsexperten nötig, um verschiedene Medien gezielt bedienen zu können Verknappung der Botschaften nötige Anpassung ans Publikum Einfluss der PR-Akteure begrenzt, denn gewählte Politiker entscheiden über Gesetze Einfluss der Politikvermittlungsexperten begrenzt, denn Journalisten bestimmen Inhalt der Medien
5
1
3
1
2
2
1
1
Tendenz, dass Verpackung wichtiger als Inhalte; Oberflächlichkeit Seriöser, überparteilicher Informationsauftrag der Regierung gefährdet Entwicklung zur Mediendemokratie, Entfremdung der Menschen von Demokratie durch Inszenierung Gefahr, dass sich PR-Experten selbst ins Rampenlicht stellen Indiskretionen befördert Gefahr der Manipulation und Täuschung Machtvoller PR-Apparat der Regierung würde Vetospieler ausschalten, Demokratie beeinträchtigen
3
1
6 1
5 4
2
2
2
2 2 1
5
3
1
4
3
1
4
4 3 1 2
4
1
1
3 3 2
Aus der Tabelle ergibt sich, dass die deutschen Befragten wenige Schwierigkeiten mit den Standards der rot-grünen Regierungskommunikation aufzeigten und v.a. allgemeinpolitische und potenzielle Problemstellungen nannten. Zehn Befragte werteten Mechanismen wie eine Koordination von Themen innerhalb der Regierung und das schnelle Reagieren auf Ereignisse und gegnerische Aussagen als notwendige Adaptation an die Medienlandschaft. Exemplarisch formulierte es ein leitender Politik-Journalist einer Qualitätszeitung in Berlin so: „[…] moderne Politik in der modernen Mediengesellschaft braucht Leute, die […] über das Thema Kommunikation nachdenken. […] das ist eine eigene professionelle Schiene des politischen Berufs, die ihre Berechtigung und Legitimität hat.“299
Einige Kollegen waren allerdings skeptisch, ob die Pressestellen mit den Bedingungen der Mediengesellschaft zurechtkamen oder ob ein Professionalisierungsschub oder vermehrter Einsatz freiberuflicher Politikvermittlungsexperten nötig wäre. 300 Diese Zweifel am IstZustand in der rot-grünen Kommunikation schien ein offiziell tätiger PR-Akteur zu bestäti299
J/D/4-Q16. Vgl. die Aussagen eines Reporters einer Boulevardzeitung und eines Fernsehjournalisten, J/D/3-Q16 und J/D/5Q16. 300
202
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
gen, als er seine Aussagen zur Bundesregierung nur konjunktivisch formulierte: Das britische Modell, Ereignisse und Themen für die Regierung zentral zu planen, sei „sicherlich etwas, das auch hier interessant sein könnte. Genauso wie diese Mechanismen der instant rebuttal oder pre-emptive rebuttal […].“301 Unabhängig von allen Versuchen der Professionalisierung – sechs Befragte identifizierten eine natürliche Grenze gegen politische Inszenierungen. Ein Mitarbeiter einer Parteibundeszentrale nannte den FDP-Wahlkampf 2002 ein Lehrbeispiel, dass eine politische Organisation nicht den Eindruck mangelnden Ernsts erwecken dürfe.302 Ein freiberuflicher PR-Berater formulierte eine generelle Regel dazu: „Jeder professionelle Kommunikationstrainer weiß, dass wenn er es ad absurdum führt, also die Authentizität sozusagen herausnimmt und es zu sehr stylt, dass es da einen Punkt gibt, wo eben das Ganze kippt. Insofern: die Professionalisierung geht nicht grenzenlos nach oben.“303
Als eher heilsam wurde von einigen Befragten die Rolle von PR-Akteuren für Auftritte von Politikern in den elektronischen Medien empfunden. Die sich so äußernden Experten gingen von der Prämisse aus, dass die Selbstpräsentation im Fernsehen eine spezielle, wichtiger gewordene Kulturtechnik sei, die politische Spitzenakteure lernen müssten. Es sei Aufgabe der PR-Berater, ihren Dienstherren die Stärken des jeweiligen Mediums beizubringen, damit sie dieses effektiv zur Vermittlung ihrer Inhalte nutzen könnten. Die Zuschauer achteten auf Gestik, Mimik und Körperhaltung der gezeigten Personen. Sei diese Sekundärkommunikation nicht authentisch, könne der Politiker mit seinen Botschaften nicht zu den fernsehenden Bürgern durchdringen.304 Die negativen Assoziationen der Befragten waren oft nur befürchtete Tendenzen, ohne dass konkrete Fehlentwicklungen eingetreten waren. So führt die Sorge, dass eine Professionalisierung der Regierungskommunikation ihre Inhalte oberflächlicher mache, die Liste an. Die meisten benannten dies als Gefahr, sahen aber in Deutschland nur wenige Anzeichen in diese Richtung.305 Allerdings kritisierte ein freiberuflicher PR-Experte mit internationalen Erfahrungen den Politikstil der rot-grünen Regierung, der zu wenig auf die Inhalte hinter der Kommunikation fokussiere: „In Deutschland […] gibt es das Missverständnis, dass politische Kommunikation erst mal etwas wäre für Wahlkampf-Technologen […] ein strategisches Missverständnis, dass sich niederschlägt in ,Ach ja, was ist jetzt eigentlich unser Projekt, wir sind wieder gewählt? Das haben wir uns jetzt noch nicht überlegt.’ Und dann kommen Wochen, die eingehen als […] schlechter Start […].“306
Einige Befragte betonten den Auftrag des Verfassungsorgans Bundesregierung, überparteilich und glaubwürdig zu informieren. Dieser Auftrag könnte durch ein stärker werbliches Auftreten ihrer Vertreter beschädigt werden. Ein offiziell tätiger PR-Experte unterstrich, 301
P/D/5-Q16. Vgl. P/D/14-Q16. 303 P/D/2-Q16. 304 Vgl. ebd. und die Angaben eines Parteifunktionärs und eines freiberuflichen PR-Experten, P/D/4-Q16 und P/D/19-Q16. 305 Benannt von aktiven wie ehemaligen Akteuren der Regierungs- und Parteienkommunikation. Vgl. P/D/5, P/D/12 und P/D/16, jeweils -Q16. 306 P/D/13-Q16. 302
6.5 Die Folgen professioneller PR – der „postmoderne Tanz“
203
„dass man hier auch einen Auftrag hat, […] Bürger […] oder […] Journalisten zu informieren über das, was man tut. Das sollte man tun nach bestem Wissen und Gewissen. [...] Information muss es auch sein und nicht nur Spin.“307
Doch selbst bei Einhaltung dieser Regeln befürchteten einige Experten der Regierungs-PR, dass die Entwicklung zu einer Mediendemokratie und die damit verbundene PolitikInszenierung das Volk von der Demokratie entfremde. Die Vereinfachung politischer Sachverhalte werde ihrer wachsenden Komplexität nicht gerecht – Enttäuschungen der Bürger seien eine unvermeidbare Folge.308 Sorge und zuweilen Kritik an einigen handelnden Personen wurde auch über die Positionierung von PR-Experten in der Öffentlichkeit geäußert. Da einige von ihnen ins Rampenlicht der Medienberichterstattung drängten, könnte der Eindruck aufkommen, Politiker seien Marionetten von Medienberatern. Daneben würden die PR-Experten damit leicht zu Sündenböcken für ihre Auftraggeber, wenn Probleme auftreten.309 Eine diszipliniertere Abstimmung der Kommunikation und die damit verbundene Machtzentralisierung beschrieben drei Befragten als dem deutschen politischen System abträglich. Dies berge das Risiko, dass Indiskretionen aus dem Apparat an die Presse noch zunehmen könnten, da sie das letzte verbliebene Ventil darstellten.310 Ein PR-Experte porträtierte eine kommunikative Zentralisierung beim Bundeskanzler als Ausschaltung von Vetospielern. Dies sei dank einer klaren PR-Linie der Regierung kurzfristig vorteilhaft, schalte aber kritische Instanzen aus. Demokratie brauche Einspruchsmöglichkeiten. Dies sei v.a. in Großbritannien deutlich geworden, als sich die Unterhausmehrheit 2003 für eine Beteiligung am Irak-Krieg entschied: „das britische System hat gerade in Fragen von Krieg und Frieden […] bewiesen, dass es zwar handlungsfähig ist, aber eben nicht unbedingt die vernünftigste aller Lösungen findet.“311 Kritik an der Regierungs-PR unter Blair äußerten die britischen Befragten noch viel deutlicher. Die negativen Assoziationen überwogen hier klar – im auffälligen Gegensatz zum deutschen Ergebnis. In der Tabelle wurden auch die Aussagen eines deutschen Politikvermittlungsexperten mitgezählt, der aus Erfahrungen in London berichten konnte. Tabelle 29: Aussagen der britischen Befragten zu positiven und negativen Folgen der Arbeit von Politikvermittlungsexperten auf das politische System312 Großbritannien: Aussage Labours Informationspolitik insgesamt nötige Reaktion auf Mediengesellschaft Anpassung an neue Möglichkeiten der Medien durch Themenkoordination, rapid rebuttal war erforderlich
307
P (n=8) 4
J (n=9) 2
2
3
W (n=3) 2
Summe (n=19) 8 5
P/D/5-Q16. Vgl. P/D/16-Q16 und P/D/8-Q16. 309 Vgl. P/D/3, P/D/4 und P/D/13, jeweils -Q16. 310 Vgl. die Aussagen zweier Insider der rot-grünen Regierung und eines Wahlkampf-Experten, P/D/8, P/D/9 und P/D/18, jeweils -Q16. 311 Anmerkung eines Kanzlerberaters. P/D/9-Q16. 312 Siehe im Einzelnen die britische und deutsche Tabelle zu Q16 im Anhang II dieser Arbeit. Alle Aussagen mit mindestens zwei Nennungen berücksichtigt. 308
204
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
PR-Experten gebraucht, um aus Informationsflut Wichtiges zu selektieren
1
1
2
Vertrauensverlust in Regierung wegen irreführender Aussagen und übertriebener Zahlen Zu starker Fokus auf kurzfristige Schlagzeilen Campbell sagte nicht immer Wahrheit Trennung zwischen neutralen Beamten und parteipolitischen Funktionen gefährdet Labours Politikvermittlungsexperten agieren als reine Verkäufer ihrer Chefs, unterdrücken Unvorteilhaftes Campbell und andere Berater entwickelten sich selbst zu Prominenten Rhetorik der Regierung schuf überzogene Erwartungen Druck auf Politiker, ständig Neuigkeiten zu produzieren Arroganz der PR-Experten machte viele Journalisten zu Gegnern Zu starke Zentralisierung in Number 10 Vorwurf des Spin Doctoring schadete Regierung sehr Regierung betrieb bewusstes Verwirrspiel mit Worten Verfall ethischer Standards der Regierungs-PR Einfluss ungewählter Berater zu groß, gefährdet Demokratie Aggressivität des Verhältnisses von Politik und Medien macht Bürger verdrossen
5
5
1
11
4 1 4
3 4 2
1 1
8 6 6
1
5
2
2
4
1
5
3
2
5
6
1
5
2
3
5
2 2
2 1
1
4 4
2
1 1 1
3 1 1
2 2
2
2
Acht Befragte stellten der Blair-Regierung das Zeugnis aus, dass ihre Informationspolitik alles in allem eine adäquate Reaktion auf die Erfordernisse der Medien gewesen sei: “What is most impressive about this government is that it’s done spectacularly well in winning over elements of the press, which they didn’t have before, keeping them on board, using a whole variety of positive and negative tactics, carrot and stick, and that was […] decisive in delivering not one landslide victory but two and keeping the government ticking over.”313
Fünf Experten vertraten das Argument, der Fortschritt von Technik und Medienangeboten hätte die Regierung genötigt, mit neuen Mechanismen in der Informationspolitik zu reagieren, z.B. mehr PR-Experten zu beschäftigen, schneller zu arbeiten und die Termine wichtiger Bekanntmachungen zu koordinieren.314 Obwohl die Wichtigkeit von PR-Expertise also wenig bestritten wurde, war die Zahl der negativen Aussagen hoch. Elf Befragte, darunter 313 314
Zitat eines Sozialwissenschaftlers, der Blairs Regierungs-PR erforscht hat. W/G/2-Q16. Vgl. u.a. die Aussagen zweier Ex-Beamter, P/G/1-Q16 und P/G/8-Q16.
6.5 Die Folgen professioneller PR – der „postmoderne Tanz“
205
einige Anhänger Labours, konstatierten einen Vertrauensverlust in die Regierung, den sich diese wenigstens zum Teil selbst zuzuschreiben habe. Die Blair-Regierung habe häufig absichtlich irreführende Aussagen gemacht und Statistiken für eigene Zwecke gefärbt. Oft waren kritische Verweise auf die mehrmalige Ankündigung von Staatsausgaben zu hören: “[…] there’s [money] been announced for the health service, it’ll be announced in the Chancellor’s pre-budget report, then again by the NHS and then maybe at the budget again […] as a journalist it can be quite hard to keep track what exactly is new. […] this is what the government have deliberately created confusion over […] ultimately, it’s counterproductive. […] people just don’t believe it […].”315
Ein in der kommerziellen PR Tätiger beschuldigte nicht nur die Regierung, Misstrauen zu erregen. An allen Enden des Dreiecks Politik – Medien – Bürger sei das gegenseitige Vertrauen zusammengebrochen, obwohl ein symbiotisches Verhältnis zwischen politischen und medialen Akteuren weiter bestehe, aber öffentlich versteckt werde. Alle Beteiligten befänden sich in einem postmodernen Tanz des gegenseitigen Misstrauens: “[…] we are now engaged in a very post-modern dance whereby at one level, journalists are talking to a sceptical public with their own spin, at another level politicians are talking to a sceptical public with their own spin and yet somewhere in all that, the politician and the journalist are also talking to each other but not communicating the true story to the public because they are in on the act. And somehow, we’ve got to break out of all that.”316
Ein Mitarbeiter der Regierung nannte die Haushaltsrede Schatzkanzler Browns 1999 als Beispiel für irreführende Angaben der Exekutive, die 40 Milliarden Pfund an zusätzlichen Ausgaben für Gesundheit und Bildung versprochen hatte. Die Summe habe sich als Übertreibung erwiesen: Hier seien die Ausgaben mehrerer Jahre zusammenaddiert worden. Dies sei ein Fehler gewesen, den die Regierung nicht mehr wiederholt habe.317 Die schlagzeilenfreundlichen Milliardenbeträge für staatliche Dienstleistungen sollten gute Berichterstattung mindestens für einen Tag sichern. Dies ist auch der Aufhänger des zweithäufigsten Vorwurfs an die Blair-Regierung: dass sie sich zu sehr auf kurzfristig gute Schlagzeilen konzentriert habe, statt an langfristig vorzeigbaren Ergebnissen ihrer Politik zu arbeiten. Auch dies sei ein Grund gewesen, warum die Bürger misstrauisch geworden seien: Während sie bombastische Ankündigungen der Regierung hören konnten, hätte sich für sie persönlich, etwa im Krankenhaus oder im öffentlichen Nahverkehr, wenig verändert. Den Erfolg ihrer Arbeit hätten der Premierminister, seine Berater und viele Minister v.a. an der Medienberichterstattung gemessen.318 Blairs früherem Sprecher Campbell wurde vorgeworfen, nicht immer die Wahrheit gesagt zu haben. Die Spanne der Ansichten bei den Befragten reicht hier vom Hinweis, er habe sich in wenigen Einzelfällen mit Notlügen beholfen, bis hin zum Verdacht mehrfachen offenen Lügens.319 Dieser Eindruck ist schädlich für jeglichen Repräsentanten der Regie315
Zitat eines früheren PR-Akteurs der Blair-Regierung. P/G/8-Q16. P/G/5-Q16. 317 Vgl. P/G/2-Q16. 318 Vgl. ebd. sowie die Aussagen eines erfahrenen Mitarbeiters in Whitehall und eines London-Korrespondenten, P/G/6-Q16 und J/G/6-Q16. 319 Vgl. u.a.die Aussagen zweier Boulevardblatt-Journalisten und eines Redakteurs einer Qualitätszeitung, J/G/1, J/G/2 und J/G/9, jeweils -Q16. 316
206
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
rungs-PR, wie oben in der Diskussion der Ergebnisse für Deutschland angedeutet: Die Verlässlichkeit der Aussagen der Regierung ist wegen ihres öffentlichen Auftrags ein hohes Gut. Der daraus erwachsende Vorwurf des Zurechtbiegens der Wahrheit für eigene Zwecke schadete dem Ansehen der Regierung nach Meinung diverser Befragter deutlich.320 Kritisch für die verfassungsrechtliche Stellung der Exekutive ist auch die Vorhaltung, die Blair-Regierung habe die politische Unabhängigkeit der Beamten aufgeweicht. Einige Experten erwähnen die Rücktritte sämtlicher Chefs der Pressestellen in den Ministerien nach dem Regierungsantritt 1997 sowie die informelle Macht der Sonderberater, die sich z.B. in der Jo-Moore-Affäre gezeigt habe.321 Ein Journalist macht Campbell dafür verantwortlich, dass 10 Downing Street zum Ort politischer Kampagnen abgestiegen sei: “[…] civil service information officers […] are getting sucked more and more into political campaigning work. […] at the last election [in 2001] […] there’s Alastair Campbell giving out Labour Party pledge cards and he’s backed up by the full civil service press officers. […] the lines of responsibility have been blurred […].”322
Die neuen Chefs der Pressestellen seien deutlich pro-Labour eingestellt und würden daher bei einem Regierungswechsel zu den Konservativen kaum im Amt bleiben können. 323 Den PR-Akteuren der Blair-Regierung insgesamt wurde von sechs Befragten unterstellt, sie verstünden sich als reine Verkäufer ihrer Chefs, was auch die Unterdrückung unvorteilhafter Informationen beinhalte.324 Ein früher in Diensten der Blair-Regierung stehender Politikvermittlungsexperte erklärte, das Ziel der PR-Akteure der Regierung sei, jederzeit öffentlich einen guten Eindruck zu hinterlassen, ohne die langfristigen Folgen mancher Politikansätze zu beachten.325 Noch stärker als in Deutschland regte sich Kritik an der prominenten öffentlichen Rolle der PR-Experten, v.a. Campbells. Das läge zwar auch an der Metaberichterstattung der Medien. Allerdings müssen sich Campbell und seine Kollegen laut diesen Experten vorhalten lassen, wenig Zurückhaltung geübt und so entsprechende Berichte ermöglicht zu haben.326 Ein Insider der Regierung verwies auf Jo Moore und Schatzkanzler Browns früheren Sprecher Whelan: „They both became […] the story in the media, rather than the messengers of the story […] that it is something which would be of great concern to ministers.”327 Einige Experten berichteten über Druck aus dem Amt des Premierministers auf die Ministerien, ständig medienwirksame Initiativen zu produzieren. Dies führte nach ihrer Meinung zu oberflächlichen, symbolischen Aktivitäten oder zur Übertreibung vorhandener Initiativen. Ein früherer Beamter beschrieb seine Erfahrungen, wie zweischneidig der Ereigniskalender (grid) aller Regierungsaktivitäten wirkte:
320 Diese Aussagen kamen sowohl von der Labour-Regierung wohlgesonnenen Vertretern als auch deren Kritikern. Vgl. P/G/6, P/G/8, J/G/4 und W/G/2, jeweils -Q16. 321 Vgl. P/G/3, P/G/6, P/G/8 und J/G/5, jeweils -Q16. Im Anhang. Siehe auch die Abschnitte 4.1.3 und 4.1.4. 322 Zitat eines erfahrenen Rundfunk-Journalisten. J/G/5-Q16. 323 Vgl. ebd. 324 Vgl. u.a. die Aussage zweier leitender Politik-Redakteure, J/G/1-Q16 und J/G/8-Q16. 325 P/G/8-Q16. 326 Vgl. die Angaben eines Mitarbeiters in Whitehall und eines London-Korrespondenten, P/G/6-Q16 und J/G/6Q16. Im Anhang. Zur Metaberichterstattung s. den folgenden Abschnitt. 327 P/G/4-Q16.
6.5 Die Folgen professioneller PR – der „postmoderne Tanz“
207
“The government […] seems to be almost allergic to not being on the front pages. […] the grid […]’s partly there as a sensible tool to make sure that different departments know what each other is doing and you don’t have two departments making major announcements on the same day [...]. But it’s also in terms of making sure that there’s a constant flow of government stories […] because of the pressure on individual Whitehall departments and within Number 10 to constantly generate stories, you end up with a steady diet of government announcements.”328
Ein in der Regierungs-PR erfahrener Kollege sah nicht nur die Medienmaschinerie in Number 10 als Schuldige, auch viele Minister hätten sich auf die Produktion guter Schlagzeilen verstiegen. Die Zahl der Ankündigungen und Presseerklärungen sei nach 1997 dramatisch gewachsen.329 Die sehr starke Zentralisierung der Regierungsarbeit im Amt des Premierministers habe die Ministerien zu Befehlsempfängern für Blairs Mitarbeiterstab degradiert, dominiert von Anforderungen der Darstellungspolitik.330 So beschrieb ein RundfunkKorrespondent Campbell als mächtiger als manchen Minister: “he did have the authority […] to tell cabinet ministers what to do and to […] tell them off […]”.331 Ein Medienwissenschaftler diagnostizierte einen Regierungsstil, der PR-Akteure zuweilen mächtiger mache als gewählte Volksvertreter: “[…] we’ve got a culture where the power of the appointed has taken precedence over the power of the elected and that’s not good for democracy. Spin doctors have to be back in their box and one of the fundamental problems is that the founders of New Labour were all obsessed with spin.”332
6.5.2 Zunahme der Metaberichterstattung? Ein Effekt einer perfektionierten Medienarbeit von Regierungen kann die Zunahme der Metaberichterstattung sein. Journalisten konzentrieren sich damit auf die Motive, Art und Protagonisten politischer Kommunikation, sodass die vermeintliche öffentliche Wirkung einer politischen Vorlage, nicht sie selbst, zum Inhalt der Berichterstattung wird. Den Experten wurden hierzu drei Fragen gestellt: ob sie eine Zunahme der Metaberichterstattung wahrnehmen, ob diese die Arbeit von PR-Akteuren erschwert und ob ein weiteres Ansteigen zu erwarten ist.333
328
P/G/8-Q16. Vgl. P/G/6-Q16. 330 Vgl. ebd. und J/G/3-Q16. 331 J/G/7-Q16. 332 W/G/1-Q16. 333 Fragen 17, 18 und 19 im Interview-Leitfaden, s. Anhang I. 329
208
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
Tabelle 30: Aussagen der deutschen Befragten zu einer möglichen Zunahme der Metaberichterstattung zu politischer Kommunikation in deutschen Massenmedien334 Deutschland: Aussage Metaberichterstattung hat zugenommen Metaberichterstattung kommt v.a. in Wahlkämpfen vor Metakommunikation zum Kompetenzausweis für Professionalität der politischen PR geworden Nicht viel Metaberichterstattung in deutschen Medien Berichterstattung entkoppelt sich von Inhalten Metaberichterstattung flaute nach Wahlkämpfen ab Politikvermittlungsexperten promoten sich auch selbst Politikberatung als neuer Industriezweig in Berlin findet Echo in Medien Erfüllt Drang zur Selbstreferenzialität der Medien Metaberichterstattung in Konkurrenz der Medien begründet – schafft Journalisten neuen Blick auf Thema
P (n=17) 7 6
J (n=6) 5 2
3
3
6
4
1
5
4 2 4
1 1
3 3 2
W (n=1) 1 1
1
Summe (n=24) 13 9
5 4 4 3
1
3 3
13 der deutschen Experten gaben den Eindruck wieder, die Berichterstattung über Gegenstände der politischen Kommunikation habe zugenommen. Ein PR-Experte mit Erfahrungen in der Regierungszentrale erklärte z.B., allein schon die ständigen medialen Bezüge auf Gerhard Schröder als Fernsehkanzler zeigten eine Aufmerksamkeit für die Selbstdarstellung der Spitzenpolitiker, die durchaus von Schröder und seinen Beratern befördert worden sei.335 Allerdings sind hier zwei Einschränkungen angebracht: Fünf Befragte konstatierten eine kleine Zahl an metakommunikativen Beiträgen in den Medien. Sie vertraten die Meinung, es gebe entweder keine Zunahme, oder die Zahl der Berichte sei verschwindend gering. Des Weiteren wurde die Metakommunikation zum großen Teil mit Wahlkämpfen verbunden. Sie hat sich also nach Meinung vieler Befragter kaum im Regierungsalltag bemerkbar gemacht. Ein offiziell tätiger Politikvermittlungsexperte beschrieb seinen Eindruck so: „Es findet häufiger so genannte Metakommunikation […] statt, sicherlich. Aber sie ist immer noch zum Verhältnis der Berichterstattung über eigentliche politische Prozesse, Entscheidungen, Gremiensitzungen höchst marginal. […] Sie finden sie nicht […] im politischen Alltagshandeln […] sehr wohl in Wahlkämpfen […].“336
334
Siehe im Einzelnen die deutsche Tabelle zu Q17 im Anhang II dieser Arbeit. Vgl. P/D/11-Q17. 336 P/D/8-Q17. 335
6.5 Die Folgen professioneller PR – der „postmoderne Tanz“
209
Bei der Frage nach der Metaberichterstattung berichteten die meisten Befragten zuallererst von ihren Gedanken zu den Wahlkämpfen 1998 und 2002, so wie dieser Journalist einer Qualitätszeitung in Berlin: „[…] wir haben alle durchweg kritisiert, dass das inszenatorisch so zunimmt und alles andere überdeckt und die Konzepte keine Rolle mehr spielen, aber wir selbst haben über die Inszenierung auch mehr berichtet als über die Konzepte oder auch die fehlenden Konzepte bei den Parteien. […] nach dem Jahr 2002 hat die Lust daran doch etwas nachgelassen.“337
Auch außerhalb von Wahlkämpfen habe sich eine Fachöffentlichkeit herausgebildet, die interessiert an Berichten über politische Kommunikation sei, konstatierten einige Politikvermittlungsexperten. So verwies ein Befragter auf den Politik-Award (PR-Preis), den Regierungssprecher Anda 2003 erhielt. Noch in den 60er-Jahren sei undenkbar gewesen, dass ein amtierender Regierungssprecher Auszeichnungen für seine Arbeit annehme, so ein lange in der Parteien- und Kampagnenkommunikation Tätiger.338 Ein offizieller PR-Akteur erklärte, weiterhin stünden in den Medien meist Sachfragen im Vordergrund, aber es gebe in Berlin eine neue Industrie, „die mit Politikberatung und ,Politik und Kommunikation’, so ein Fachblatt dieser Zunft, zu tun hat. So etwas hat es auch am Orte Bonn überhaupt nicht gegeben. Es war interessant, auf welche offene Ohren das hier stößt, als eben dieses Magazin […] vor etwa zwei Monaten ihre Preisverleihung gemacht haben […] parallel ein Kongress veranstaltet zu diesem Thema […] wirklich beeindruckend, wer da alles auftrat und wie voll das Auditorium war.“339
Die Berichterstattung werde befördert von den Interessen der Kommunikationsbranche, kritisierten vier Befragte. Einige PR-Experten drängten selbst in die Medien, um neue Aufträge zu generieren. So sagte ein freiberuflicher PR-Akteur, Berater gehörten in die zweite Reihe: „[…] ich stelle zunehmend fest, dass Berater der Meinung sind, sie müssten in der ersten Reihe stehen. Und es muss bekannt sein, dass der und der den und den berät, weil er meint, er müsste sich mit diesem Kunden schmücken.“340
Ein freiberuflicher Kollege merkte zu dieser Kritik an, ein freier, auf Aufträge angewiesener Berater müsse einen Spagat machen: seine eigene Leistung öffentlich darstellen, ohne das eigene Beratungsobjekt herabzusetzen. In Krisenzeiten müsse er deutlicher aus dem Verborgenen heraustreten, um die Politik seines Dienstherren erklären zu können. Metaberichterstattung über den Berater sei dann nicht völlig zu verhindern.341 Innermediale Gründe spielten nach Ansicht einzelner Experten eine Rolle bei der Metakommunikation: Medien seien von Natur aus selbstreferenziell.342 Dies führe mitunter zu einem „Journalisten-Journalismus“343, wie es ein Kampagnen-Experte nannte. Auch Verän337
J/D/4-Q17. Vgl. P/D/18-Q17. 339 P/D/5-Q17. 340 P/D/19-Q17. 341 Vgl. P/D/6-Q17. 342 Vgl. die Anmerkungen eines Sprechers einer politischen Institution in Berlin. P/D/3-Q17. 343 P/D/18-Q17. 338
210
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
derungen der Medienlandschaft wurden als Grund genannt: Bei der Suche nach exklusiven Meldungen schaffe der Blick hinter die Kulissen eine neuen Sichtweise auf ein Thema. Ein erfahrener Boulevard-Journalist erklärte so die Wirkung der Sparschweine, die Finanzminister Eichel auf Anraten Schmidt-Deguelles auf seinem Schreibtisch hatte: „In unserem Beruf ist das Schreiben […] letztendlich nicht das Wichtigste. […] wichtig sind neue Themen und auch für den Fotografen eben eine neue Optik. Wenn also jetzt Herr Eichel statt Sparschwein da ein Känguru stehen hat […], dann ist das für sie ein neues Thema, eine neue Optik. […] Man berichtet entweder, dass er es macht oder wie er es macht und macht eine Fotostrecke. Oder aber man sagt: ,Moment mal, jetzt schreiben wir einfach über den, der ihm dazu geraten hat und ob er es widerwillig gemacht hat, ob es lange gedauert hat, bis er das umgesetzt hat.’“344
Die Frage, inwiefern Metaberichterstattung eine Bedrohung der Arbeit politischer PR darstellt, wird wegen der weiten Streuung der verschiedenen Antworten nur verbal ausgewertet.345 Einige Befragte erklärten, dass Drängen einiger Berater und die Öffentlichkeit sowie die für einfache Bürger letztlich nutzlosen Insider-Referenzen über politische PR stellten die Gefahr dar, die populäre Verdrossenheit an der Politik zu steigern. Eine direkte Bedrohung des Wirkungsspielraums von politischen PR-Akteuren wegen kritischer Durchleuchtung in den Medien wollte aber kaum einer der deutschen Befragten ausmachen, allerdings wurde die schon an früheren Stellen erwähnte Daumenregel genannt, wonach ein Medienberater aufhört, effektiv zu sein, wenn er selbst zum Objekt der Berichterstattung wird. So erklärte ein Ministerberater, er habe 2000 seine Berufung in eine neu zu schaffende, herausgehobene Koordinationstätigkeit für die PR in der Regierungszentrale abgesagt, als in den Zeitungen Berichte über seine neue Aufgabe und mögliche Auswirkungen der Personalentscheidung erschienen: „Da wurde dann der mögliche Berater zum eigentlichen Thema bis hin zu Fragen in der Bundespressekonferenz. Ich […] hab dann mit [Regierungssprecher] Heye telefoniert und hab gesagt: ,[…] Mach das Ding dicht. Dann komme ich erst mal nicht.’ Die CDU wollte, glaube ich, eine parlamentarische Anfrage im Bundestag oder eine Aktuelle Stunde machen […]. Das haben wir dann gestoppt damit.“346
Die Frage, ob die Metaberichterstattung über die Akteure der politischen Kommunikation zunehmen werde, führte zu einem völlig uneinheitlichen Meinungsbild. Vier Experten erwarteten eine Zunahme, fünf sagten keinen Anstieg voraus, sieben gaben sich unentschieden.347 Die offensichtliche Uneinigkeit der Experten erlaubte keine Prognose über die Zukunft der Politikberichterstattung in Deutschland. Eindeutiger als die deutschen sprachen die britischen Befragten von einer Zunahme der Metaberichterstattung. Zwar war auch hier vernehmbar, dass sich diese journalistische Spielart besonders im Wahlkampf beobachten lasse, doch die Medien fokussierten nach diesen Aussagen deutlich auf den Prozess der Regierungskommunikation. Kein einziger Befragter leugnete eine Zunahme. Da sich auch jeweils ein deutscher PR-Experte und Wis344
J/D/7-Q17. Siehe im Einzelnen die deutsche Tabelle zu Q18 im Anhang II dieser Arbeit. 346 P/D/6-Q18. 347 Siehe im Einzelnen die deutsche Tabelle zu Q19 im Anhang II dieser Arbeit. 345
6.5 Die Folgen professioneller PR – der „postmoderne Tanz“
211
senschaftler mit guten Kenntnissen der britischen Politik zu dieser Frage äußerten, wurden ihre Auskünfte in die Aufstellung einbezogen. Tabelle 31: Aussagen der britischen Befragten zu einer möglichen Zunahme der Metaberichterstattung zu politischer Kommunikation in britischen Massenmedien348 Großbritannien: Aussage Zunahme der Metaberichterstattung Personen und Images werden wichtiger als Inhalte Metaberichterstattung nach Campbells Rücktritt wieder rückläufig Grund für Metaberichterstattung war Machtfülle Campbells Schon Ingham Objekt von Berichterstattung Erfüllt Drang zur Selbstreferenzialität der Medien
P (n=6) 4 3 2
J (n=6) 3 4 1
W (n=2) 2
1
2
3
1
1 2
2 2
1
Summe (n=14) 9 7 4
Allgemein kritisieren einige Befragte an den Medien, diese betrieben eine zu starke Personalisierung. Dies manifestiere sich auch in der Darstellung der politischen Berater.349 So sagte ein Rundfunk-Journalist, Politikjournalismus sei zu einer Gattung für Insider mutiert: “[…] the Westminster village has become more village-like. Those inside the village […] their appetite for village gossip has increased […] the cognoscenti of Westminster, there’s been more interest in the process of politics, the interplay of personality in politics, who’s up, who’s down […] outside the village […] interest in these things has proportionally declined […].”350
Dieser Kritik schlossen sich andere Befragte an. So erklärte ein für die Regierung tätiger PR-Experte, der durchschnittliche Medienkonsument bekäme oft nur Berichte über persönliche Konflikte, z.B. zwischen Premierminister Blair und Schatzkanzler Brown, statt Informationen über echte politische Ideen zu hören. Mittlerweile werde jeglicher politischer Berater in den Medien als Spin Doctor etikettiert.351 Vier Befragte sagten, die Metaberichterstattung sei nach der Reorganisation des Medienapparats der Regierung 2003 zurückgegangen. Die neuen Amtsinhaber wie Kommunikationsdirektor David Hill legten Wert darauf, nicht zu öffentlichen Personen zu werden. Nach den medialen und internen Auseinandersetzungen um die Informationspolitik bevorzugten Labours Minister nun Beamte und zurückhaltende Sonderberater, um die Aufmerksamkeit von der Metakommunikation wegzuleiten.352 Drei Befragte erklärten, das mediale Interesse für Campbell sei wegen seiner Machtstellung als enger Berater Blairs gerechtfertigt gewesen. Gerade bei der Vorbereitung der Irak-Dossiers habe sich gezeigt, dass er mehr als nur ein reiner Präsentator gewesen sei. 348
Siehe im Einzelnen die britische und deutsche Tabelle zu Q17 im Anhang II dieser Arbeit. Vgl. u.a. die Aussagen eines Whitehall-Insiders und eines leitenden Journalisten, P/G/2-Q17 und J/G/3-Q17. 350 J/G/7-Q17. 351 Vgl. P/G/7-Q17. 352 Vgl. die Aussagen eines Insiders der Regierung und eines erfahrenen Politik-Korrespondenten, P/G/4-Q17 und J/G/5-Q17. 349
212
6 Die Sicht der Experten – empirische Erkenntnisse
Insofern sei es nicht völlig falsch, über seinen Einfluss zu informieren – eine Einschätzung, der sich auch andere Experten anschlossen: Campbells Recht, Beamten Weisungen zu erteilen, habe Kritik herausgefordert.353 Ein Politik-Korrespondent hielt Campbell außerdem vor, er habe es durchaus genossen, im Rampenlicht zu stehen: “[…] while he was in his job, he agreed to television documentaries and people following him around […] Campbell was somebody who enjoyed his spats with the journalists, he liked taking on the media […] he was somebody who liked a high personal profile and he certainly maintained it when he got his job with Blair.”354
Auch bei den englischen Befragten soll eine kursorische Darstellung der genannten Auswirkungen der Medienberichte über politische Kommunikation genügen, da die meisten Aspekte schon behandelt wurden.355 Einzelne Befragte bezeichneten die mediale Etikettierung von PR-Experten als Spin Doctors als den Versuch, deren Aussagen a priori zu diskreditieren. Das erlaube den Medien, über das Wie einer Verlautbarung zu berichten, statt sich die Mühe zu machen, Inhalte zu recherchieren.356 Ein Akteur aus der kommerziellen PR-Szene gab zu bedenken, dass das öffentliche Reden über die eigene Strategie nun zur politischen PR gehöre. Damit hätten politische Organisationen Metakommunikation selbst angeschoben.357 Die meisten britischen Experten, die auf die Frage nach einem möglichen weiteren Ansteigen der Metaberichterstattung antworteten, gaben sich unentschieden. 358 So erklärte ein ein leitender Redakteur der elektronischen Medien, die Faszination der Journalisten für sich selbst werde bleiben. Da die Rezipienten wenig Auswahl an journalistischen Stilformen hätten, müssten sie bis auf Weiteres mit selbstreferenziellen Medien leben. Dies werde sich erst langfristig ändern, etwa durch mehr Auswahl für die Konsumenten im Internet.359 Einer seiner Kollegen beschrieb das Ausmaß von Metaberichterstattung als abhängig von politischen Zyklen: Je näher eine Parlamentswahl komme, desto mehr werde es davon geben. Er könne sich aber nicht vorstellen, dass die Medien jemals zur Konzentration auf pure politische Inhalte bekehrbar wären.360 Ein Kommunikationswissenschaftler bezweifelte, dass Metaberichterstattung je mehr sein werde als ein diffuser Verweis auf angebliche Medienmanipulationen seitens der Regierung. Die britischen Medien seien zu Selbstkritik kaum fähig. Über den Phillis Report und seine deutliche Kritik am Verhalten der Journalisten sei kaum berichtet worden. Lang anhaltend am Verhalten vieler Medienorgane sei nur eines – ihre kurze Aufmerksamkeitsspanne.361
353
Vgl. die Angaben eines Whitehall-Insiders und eines Radio-Journalisten, P/G/6-Q17 und J/G/7-Q17. J/G/5-Q17. 355 Siehe im Einzelnen die britische Tabelle zu Q18 im Anhang II dieser Arbeit. 356 Vgl. die Auffassungen eines Mitarbeiters der Regierung und eines London-Korrespondenten, P/G/7-Q18 und J/G/6-Q18. 357 Vgl. P/G/3-Q18. 358 Siehe im Einzelnen die britische Tabelle zu Q19 im Anhang II dieser Arbeit. 359 Vgl. J/G/3-Q19. 360 Vgl. J/G/7-Q19. 361 Vgl. W/G/1-Q19. 354
7 Bilanz – Spin ist tot, lang lebe Spin “[…] the truth about the modern world in terms of the media is whoever has the ability to react most quickly, most simply and most clearly is going to win. Forget the merits of the argument, it’s about who gets there first.” Ehemaliger britischer Spitzenbeamter1
Nachdem im vorherigen Kapitel die Ergebnisse der 50 geführten Interviews im Einzelnen vorgestellt wurden, werden diese nun zur Beantwortung der Forschungsfragen ausgewertet. Der Ablauf der Darstellung im letzten Kapitel rekonstruierte den natürlichen Fluss vieler Interviews. Der Aufbau dieses Teils der Arbeit folgt dagegen der Nummerierung der einzelnen Forschungsfragen. Im ersten Abschnitt wird zunächst eine Bewertung des Begriffs Spin Doctor vorgenommen und begründet, warum diese Wortschöpfung wertlos ist. Daran schließt sich die Darlegung von Ähnlichkeiten und Ungleichheiten der Informationspolitiken unter Schröder und Blair an. Der dritte Teil dieses Kapitels beschäftigt sich mit Herausforderungen und Problemen politischer Kommunikation in beiden Staaten. Der letzte Abschnitt verbindet schließlich die Essenz aller Erkenntnisse zu zehn Thesen und zwei typologischen Theorien und benennt die Imperative für Akteure postmoderner Regierungs-PR.
7.1 Der Spin Doctor – ein Medien-Mythos Seit Mitte der 90er-Jahre erschienen in Deutschland und Großbritannien viele journalistische und wissenschaftliche Artikel, die Spin Doctoring als neuen Berufszweig der politischen Kommunikation beschrieben. Schuster porträtierte sie als Profession routinierter Politikvermittlungsexperten, die sich in Großbritannien, seltener in Deutschland antreffen lasse.2 Der deutsche Korrespondent Jürgen Krönig, der in London lebt, beschrieb 1996 Labours Medienberater als eine bisher nicht vorgekommene Spezies: „Eine neue Klasse ist entstanden, die sich in der Grauzone zwischen Politik und Medien tummelt. Ihre Repräsentanten sind ungewählt; sie besitzen keine Legitimation außer der Gunst der politisch Mächtigen.“3
Die hier geäußerte Annahme würde das im zweiten Kapitel skizzierte Modell der politischmedialen Produktionsgemeinschaft4 um ein neues Glied ergänzen, das neben den traditionellen Politikvermittlungsexperten agiert. Zwischen dem politischen und dem medialen System stünde demnach als neue machtvolle Schaltstelle der Politikvermittlung der Spin Doctor, der weniger als seine Vorgänger in die Zwänge des politischen Systems eingebunden ist, weil er bestimmten Regeln (z.B. der der neutralen Informationsgebung und des fairen Zugangs für alle Journalisten) nicht folgen muss. Außerdem klingt in der zitierten Aussage die häufig geäußerte Vermutung der Externalisierung der Informationspolitik 1
P/G/1-Q15. Zur Verschlüsselung der Zitate aus den Interviews s. Abschnitt 5.3. Vgl. Schuster, Politikberatungsagenturen, S. 19. Krönig, Prinz. 4 Siehe Jarren, Mediengesellschaft 2, S. 153-174 und das vom Autor auf Basis dessen erstellte Modell im Abschnitt 2.2.1. 2 3
214
7 Bilanz – Spin ist tot, lang lebe Spin
durch, z.B. durch die Anstellung freier Kommunikationsberater in Deutschland oder mittels der schleichenden Verlagerung dieser Aufgaben an die von Ministern persönlich ernannten Sonderberater im britischen System.5 Daher beschäftigte sich Forschungsfrage 1 mit der Vermutung einer zunehmenden Externalisierung der Informationspolitik sowie einer gesteigerten Verfügbarkeit vertraulicher Informationen für die Journalisten. Die Untersuchung der Anstellungsverhältnisse der befragten Politikvermittlungsexperten zeigte für Deutschland eine breite Palette an Konstruktionen an: Es fanden sich einige freiberufliche Berater, die dauerhaft oder kurzfristig Beratungs- und PR-Funktionen für Mitglieder der Bundesregierung wahrnahmen. Auch der Fall von Beratung als einem unentgeltlichen Freundschaftsdienst kam vor. Insgesamt vermuteten viele Gesprächspartner die wirkungsmächtigen Politikvermittlungsexperten zum stark überwiegenden Teil weiterhin innerhalb des Beamtenapparats. Die Zahl der externen Berater – diesen wurde am ehesten die Bezeichnung eines Spin Doctors zugeschrieben – wurde sehr niedrig geschätzt. Oftmals galt den Experten der Medienberater Schmidt-Deguelle in Diensten von Bundesfinanzminister Eichel als Einzelbeispiel.6 Aus diesen Angaben lässt sich nur ableiten, dass ein nennenswertes Ansteigen der Zahl und Bedeutung externer Akteure für die Informationspolitik der rot-grünen Bundesregierung nicht zu beobachten war.7 Die Untersuchung in London zeigte einen deutlichen Anstieg der Sonderberater nach dem Regierungsantritt Blairs. Ihre Zahl wuchs auf rund 70 bis 80 an. Nach Aussage der Experten nahmen etwas weniger als die Hälfte der Sonderberater Funktionen der Informationspolitik wahr. Mit ihnen assoziierten einige Befragte den Begriff Spin Doctor.8 Das Mandat der special advisers ist komplett an die Person des Ministers gebunden. Sie werden nur als temporäre Angestellte in den Regierungsapparat aufgenommen und stehen als persönliche Angestellte ihrer Beratungsobjekte komplett neben der Hierarchie. Damit lässt sich für London unter der New-Labour-Regierung eine numerische Verstärkung informeller Informationspolitik durch externe Stellen konstatieren. Bei der Abfrage der bevorzugten Informationswege war sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien auffällig, dass sich die nicht in ministeriellen Apparaten verankerten PR-Experten ausschließlich auf die Weitergabe vertraulicher Informationen beschränkten, die Journalisten nur ohne Nennung der Quelle oder gar nicht zitieren durften.9 Wie gerade dargestellt, war aber die Bedeutung externer Akteure der Informationspolitik nur in Großbritannien deutlich gewachsen, sodass nur hier nennenswerte Auswirkungen auf die Politikberichterstattung vermutbar sind – hier ist die Anzahl der verfügbaren, gut informierten journalistischen Quellen jenseits der offiziellen Pressestellen gestiegen.10 Die Annahme eines verstärkten Flusses von vertraulichen Informationen an Journalisten über externe 5
Siehe Mihr, Externalisierung und Blick, Dark. Vgl. die Abschnitte 4.2.3, 6.1.2, 6.2.1 und 6.4.1 sowie im Anhang II die deutschen Tabellen zu Q1, Q4 und Q15. 7 Diese Aussage beschränkt sich explizit auf die Informationspolitik für die Medien. Wer die längerfristige, oft direkt an die Bürger gerichtete Öffentlichkeitsarbeit betrachtet, kommt zu anderen Ergebnissen, die sehr wohl eine Externalisierung anzeigen (vgl. Schuster, Politikberatungsagenturen und Marx, Heer). 8 Vgl. die Abschnitte 4.1.3, 4.1.4, 6.1.2, 6.2.1 und 6.4.1 sowie im Anhang die britischen Tabellen zu Q1, Q4 und Q15. 9 Vgl. Abschnitt 6.3 und im Anhang die Tabellen zu Q11. 10 Zu beachten ist aber, dass es abseits hauptberuflicher PR-Akteure viele weitere Informanten für Journalisten gibt, etwa Abgeordnete oder Fachbeamte. Der Druck nach exklusiven Informationen lässt den Bedarf nach solchen Auskünften abseits der offizieller Pfade bei den Journalisten steigen (s. Abschnitt 6.1). 6
7.1 Der Spin Doctor – ein Medien-Mythos
215
Politikvermittlungsexperten trifft für London zu, für Berlin weniger – in der Bundeshauptstadt blieb die Bedeutung externer PR-Berater auf Einzelfälle beschränkt. Ob nun jene Akteure als Spin Doctors beschreibbar sind, kann die Beschäftigung mit Forschungsfrage 2 nach der Definition von Spin Doctors aufklären: „Spin, once an obscure term of art amongst political professionals, is now used to define an age. Yet its exact meaning remains obscure and fluid”11, stellte der Londoner Politikwissenschaftler und frühere Regierungsmitarbeiter James Humphreys fest. In der medialen Berichterstattung wird das Wort Spin Doctor ohne feinere Unterscheidungen gebraucht: In Deutschland tauchte es v.a. in den Wahlkämpfen ab 1998 auf und wurde z.B. zur Beschreibung der Bundesgeschäftsführer und Kampagnenmanager der Parteien verwendet. Aber auch der Medienberater Schmidt-Deguelle nahm das Etikett für sich in Anspruch.12 In Großbritannien bezeichnete es Mitte der 90er-Jahre die Wahlkampfleiter der Labour Party, später Pressesprecher aller Parteien, dazu noch die Sonderberater in vielen Ministerien. Schließlich scheint der Begriff zum Allerweltsnamen für sämtliche Politikvermittlungsexperten mutiert zu sein.13 Sollte es das behauptete Zeitalter des Spin wirklich geben, müsste der Begriff wenigstens definierbar sein. Allerdings führt die Frage nach der Definition des Spin Doctors und der wissenschaftlichen Relevanz der Wortschöpfung geradewegs zur Ablehnung des Begriffs. Die Intention der Untersuchung war es, den Spin Doctor mindestens als eine typologische Theorie oder einen Idealtypus zu umreißen14, wenn nicht sogar als neues Berufsbild zu definieren. Nach Auswertung der Experteninterviews ergab sich das Bild eines geschickten PR-Akteurs, der versucht, einem Thema in der Berichterstattung einen bestimmten Impuls zu verleihen.15 Damit wäre eine oberflächliche Definition möglich. Doch beschriebe sie wirklich etwas Neues? Der Anspruch, Themen und Interpretationen in die Berichterstattung einzubringen, ist von jeher Teil des Selbstverständnisses eines professionell arbeitenden Pressesprechers.16 Es bedurfte daher weiterer Komponenten einer Definition, um den Neuigkeitswert des Begriffes zu begründen. Bei der Suche nach Komponenten, die eine neue Gattung des Spin Doctors im Berufsbild der politischen PR ausmachen soll, stieß der Autor immer wieder auf Wunschvorstellungen und Negativprojektionen. So war z.B. feststellbar, dass zahlreiche Befragte – in Großbritannien noch mehr als in Deutschland – negative Assoziationen mit dem Wort des Spin Doctors verbanden. Einige Experten lehnten es sogar rundweg ab und weigerten sich, eine Definition zu geben.17 Wenn ein Terminus solche starken Reaktionen hervorruft, wird es äußerst schwierig, eine anerkannte Definition zu
11
Vgl. James Humphreys: The Iraq Dossier and the Meaning of Spin. In: Parliamentary Affairs 1/2005, S. 156170, hier S. 168. Im Folgenden zitiert als: Humphreys, Meaning. 12 Vgl. die Abschnitte 3.3 und 4.2.3 dieser Arbeit. Siehe auch Daniel Koch: Mythos Spin Doctors. In: Thomas Leif (Hrsg.): Auf dem Boulevard der Öffentlichkeit – Was kostet uns die Meinungsfreiheit. Dokumentation 8. Mainzer Mediendisput. Mainz 2004, S. 157-167. 13 Vgl. das Unterkapitel 4.1 in der vorliegenden Arbeit und Humphreys, Meaning, S. 168. 14 Zur typologischen Theorie s. Abschnitt 5.3. George/Bennett, die Schöpfer der typologischen Theorie, siedeln ihr Konzept nahe der Konstruktion von Idealtypen nach Max Weber an: In beiden Konzepten könnten Fälle gefunden werden, die nahe am Ideal sind, die allerdings nie eine völlige Übereinstimmung darstellten (vgl. George, Case, S. 236). 15 Vgl. die Abschnitte 2.1 und 6.4.1 dieser Arbeit. 16 Siehe Abschnitt 6.4. Noch einmal sei hier auf die von den Befragten häufig genannten PR-Experten der Bundeskanzler Schmidt und Kohl, Bölling bzw. Ackermann und Fritzenkötter, verwiesen. 17 Vgl. Abschnitt 6.4.1.
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7 Bilanz – Spin ist tot, lang lebe Spin
finden – und es bedarf einiger unabweisbarer Daten und Fakten, um die Begriffsbestimmung solide zu gestalten.18 Völlig verwirrend waren aber die Ergebnisse auf die Frage nach der Zahl der Spin Doctors in den zwei jeweiligen Hauptstädten: So tummelten sich nach Ansicht von jeweils etwa einem Drittel der Experten keine/sehr wenige, einige oder sehr viele Spin Doctors in der Bundespolitik. Für Großbritannien waren die Ergebnisse ähnlich undeutlich. Auch die Tätigkeiten und Arbeitsverhältnisse, in denen sich Spin Doctors finden könnten, sind nach den kumulierten Angaben der Befragten nicht eindeutig festzulegen. So assoziierten die Experten in Großbritannien Spin Doctors überwiegend mit den Sonderberatern der BlairRegierung, aber auch beamtete Presssprecher wurden genannt. Ein noch undeutlicheres Bild zeichneten die deutschen Befragten: Sie nannten zuallererst regierungsexterne PRExperten, dann Pressereferenten und weitere Angehörige des Beamtenapparats.19 Eine Definition des Spin Doctors als PR-Akteur, der nicht in den Regierungsapparat eingebunden ist, würde also den Einfluss und die Möglichkeiten von Pressereferenten und angestellten oder beamteten Mitarbeitern im Umfeld von Spitzenpolitikern verkennen. Außerdem zeigt sich hier erneut, dass die vorhandenen Begriffe (z.B. Pressesprecher, Medienberater, PR-Experte) völlig ausreichend sind, um Tätigkeitsprofile in der politischen Kommunikation zu beschreiben. Daher bleibt nichts anderes übrig, als den Begriff des Spin Doctors endgültig zu verwerfen und eine in der Wissenschaftsgemeinde und darüber hinaus anerkannte Definition für unmöglich zu erklären. Die Unklarheit des Begriffes und der (meist negativ aufgeladene) manipulative Unterton machen ihn in der Wissenschaft und darüber hinaus unbrauchbar. Das Wort Spin Doctor verschleiert mehr, als es enthüllt. Wer immer – ob Politiker, Journalist oder Wissenschaftler – das Wort benutzt, muss sich kritischen Nachfragen stellen. Wer es gebraucht, setzt sich dem berechtigten Verdacht aus, selbst nicht genau zu wissen, was gemeint sein soll – Distanzierung von manipulativer politischer PR oder anerkennende Zuschreibung professioneller Persuasionskraft? Statt vom Spin Doctor zu sprechen, wäre eher wissenswert, um wen es sich genau handelt: ob um einen hauptamtlichen Sprecher, um einen fest angestellten oder freien Berater, vielleicht um eine andere Person aus der Hierarchie (etwa einen Staatssekretär) oder gar um einen hierarchisch niedrig stehenden Beamten ohne permanenten Zugang zum Spitzenpolitiker. Erst mit diesen Informationen ist es möglich, sich ein Urteil über den Zugang und die Wahrhaftigkeit der Aussagen der einzelnen Personen zu bilden. Der Spin Doctor taugt, wie schon von Althaus definiert, allenfalls als augenzwinkernde Bezeichnung für einen Politikvermittlungsexperten. Der von Tenscher geprägte Terminus des Politikvermittlungsexperten umreißt das Feld der möglichen Tätigkeiten in der politischen Kommunikation bereits sehr gut, bedarf hinsichtlich der genannten Unterscheidungen einer genaueren Verfeinerung, wenn das Wirken der Akteure untersucht und dargestellt wird. Zur genauen Beschreibung und Differenzierung der Tätigkeit von PR-Akteuren 18
So lösen reine Begriffe wie z.B. Globalisierung und Neoliberalismus auch kontroverse Reaktionen aus, doch hinter ihnen stehen objektivierbare Daten (z.B. die Zunahme weltweiter Warenströme) oder Theorien (wie die Leitsätze zum wirtschaftlichen Angebot). Um den Begriff Spin Doctor intersubjektiv nachvollziehbar zu umreißen, bedurfte es klar abgrenzbarer Merkmale, die intersubjektiv anerkannt werden. 19 Siehe Abschnitt 6.4.1 und die Tabellen zu Q4 im Anhang II. Verwiesen sie hier auf die Aussage eines befragten britischen Medienwissenschaftlers: Er definierte Spin Doctors als Pressesprecher plus – ohne festzulegen, in welchem Angestelltenverhältnis sie stehen. Die Unterscheidung der Tätigkeitsprofile von Sonderberatern und beamteten Pressestellenleitern sei unter der Blair-Regierung bedeutungslos geworden (vgl. W/G/1-Q2).
7.1 Der Spin Doctor – ein Medien-Mythos
217
erweist sich Althaus’ Unterscheidung nach Arbeitsverhältnis (angestellte Pressesprecher, freie Beratern oder Mitarbeiter von Agenturen) und Auftraggebern (Ministerien, Parteien oder andere Institutionen) als beste Möglichkeit, das Feld der Regierungskommunikation zu beschreiben.20 Sinnvoll ist auch die von Sarcinelli verwendete Auffächerung der Arbeitsfelder politischer Kommunikation, z.B. Pressereferenten, Redenschreiber, ImageExperten, Politikberater, Bundesgeschäftsführer der Parteien.21 All diese Unterscheidungen zeichnen ein akkurateres Bild politischer PR-Arbeit als die zur abwertenden Worthülse abgestiegene Begrifflichkeit Spin Doctor. Auch das Wort Spin, mittlerweile zum wohlfeilen Generalverdacht gegen jegliche Form der PR in Großbritannien mutiert, hält einer Überprüfung seines Gehalts kaum stand. Es kann drei verschiedene Bedeutungen annehmen: Im Extremfall steht es für die bewusste Irreführung der Öffentlichkeit. In seiner abgeschwächten Bedeutung deutet es auf die Stellung der Regierung als ein Teilnehmer des Prozesses der öffentlichen Meinungsbildung – dabei erklärt sie subjektiv ihre Argumente, ohne gegnerische Darlegungen einzubeziehen, tritt also als Anwalt der eigenen Politik auf. Zum dritten spielt die ursprüngliche Bedeutung des Wortes noch eine Rolle: die Rolle von Politikvermittlungsexperten, Journalisten eine griffige, autorisierte Interpretation einer politischen Rede zu vermitteln. Das Hauptproblem in der Blair-Regierung lag nach Angaben Humphreys in einem advokatorischen Verständnis der Informationspolitik: Politische Akteure und ihre Vermittlungsexperten ließen ihnen unangenehme Informationen beiseite oder spielten mit der Bedeutung ihrer Aussagen. Dies sei per se nicht unethisch. Aber bewusste Übertreibungen und Irreführungen der Öffentlichkeit hätten verfallende Standards der Regierungskommunikation angezeigt. Diese sollten individuell benannt und kritisiert werden. Der Begriff Spin sei wegen seiner oben benannten Bedeutungsvielfalt in dieser Diskussion so gut wie wertlos.22 Die Figur einflussreicher Berater rund um Spitzenpolitiker ist wahrscheinlich so alt wie die Politik selbst. Die Ergebnisse dieser Studie bestätigen daher Tenschers Meinung, dass der Begriff des Spin Doctors lediglich suggeriere, dass politische PR bisher mit geringerem Erfolg und in weniger anrüchiger Weise gearbeitet habe: „Vielmehr handelt es sich in erster Linie um eine Zuschreibung bzw. um ein Image, das sich aus der Selbstdarstellung entsprechender Akteure sowie der Perzeption und Darstellung anderer Arenenakteure politischer Öffentlichkeit […] entwickelt. […] ein Akteur ist kein ,Spin Doctor’ – er wird lediglich als solcher präsentiert, inszeniert und wahrgenommen.“23
Alles in allem scheint es sich um nichts anderes zu handeln als um einen von den Medien geschaffenen Mythos, wie es auch mehrere Befragte betont hatten.24 So schrieb der Journalist Richard Meng 2005, es gebe eine Professionalisierung der Politikvermittlung in Berlin, doch die Inszenierung einflussreicher Einflüsterer sei aus der Mode gekommen:
20
Vgl. Althaus, Spin, S. 166 und Tenscher, Professionalisierung, S. 111. Vgl. Sarcinelli, Kommunikation, S. 169. 22 Vgl. Humphreys, Meaning, S. 168-170. 23 Jens Tenscher: Mythos „Spin Doctors“. Analytische Anmerkungen und empirische Befunde zu Zentralakteuren moderner Politikvermittlung. In: Ulrich Sarcinelli/Jens Tenscher (Hrsg.): Machtdarstellung und Darstellungsmacht. Beiträge zu Theorie und Praxis moderner Politikvermittlung. Baden-Baden 2003, S. 69-86, hier S. 76. 24 Vgl. Abschnitt 6.4.1 dieser Arbeit. 21
218
7 Bilanz – Spin ist tot, lang lebe Spin „Inzwischen finden sich […] keine ausgewiesenen Spin Doctors mehr in der Umgebung von Kanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer. […] Das bedeutet nicht, dass damit der erreichte Professionalisierungsschub bei der Medienberatung rückgängig gemacht würde. Hier ist inzwischen in allen politischen Lagern ein Standard erreicht, der zumindest in den Mitarbeiterstäben sehr viel mehr Medienkompetenz umfasst als früher. Aber den einsamen Starberater, der hinter den Kulissen am ,Spin’ […] der Politik bastelt, der unberührt von internen Machtkonstellationen an den politischen Rädchen drehen kann, den hat es als Medienmythos immer nur vorübergehend gegeben.“25
Zu einem ähnlichen Schluss kam der Meinungsforscher und Blair-Berater Lord Gould. Das Gerede über die schwarzen Künste des Spin sei medialer Nonsens, aber: “In a world in which political parties, and other high-profile organisations, are under twentyfour-hour media attack, it is common sense to employ people to put the view of the party or organisation and to do it to best effect. In a modern media environment, competence and good communications are inseparable: you cannot have one without the other.”26
In diesem Sinne wird hier die Präsentation der Ergebnisse fortgesetzt: Der geführte Nachweis, dass Spin und Spin Doctor als tote Begriffe für die wissenschaftliche und journalistische Auseinandersetzung mit Regierungskommunikation wertlos sind, heißt eindeutig nicht, dass ihr Aufkommen reines Hirngespinst einiger Journalisten ist. Vielmehr sind sie Indikatoren eines Wandels der politischen Kommunikation, den es weiter zu untersuchen gilt. Daher wird später die typologische Theorie der postmodernen Regierungskommunikation entworfen, die ohne die schillernden Begriffe des Spin Doctorings auskommt. Die öffentliche und wissenschaftliche Debatte um Ethik, Praktiken, Erfordernisse und Erscheinungsformen von Regierungs-PR in der Mediengesellschaft ist zweifelsfrei notwendig. Sie sollte nicht durch machiavellistisch anmutende Termini vernebelt und entwertet werden. In einer Demokratie bedarf die Arbeit der politischen PR-Experten der Kontrolle, da es Auftrag der Regierung ist, alle Bürger wahrheitsgemäß und diskriminierungsfrei über ihre Politik zu informieren. Auch bei der Beantwortung von Forschungsfrage 3, ob sich politische PR-Akteure vermehrt aus dem Journalismus rekrutierten, wird deutlich, dass sich viele der Trendmeldungen in politikwissenschaftlichen und medialen Publikationen in der Empirie so nicht eindeutig bestätigen lassen. Die Fragestellung impliziert, dass ab 1997/98 deutlich mehr Journalisten in offiziellen Sprecherämtern und freien Beraterfunktionen in beiden Staaten tätig wären.27 Die Mehrheit der deutschen Befragten stellte in der Tat Journalismus als wichtigsten Karriereweg für Politikvermittlungsexperten der Bundesregierung dar. Dies bezog sich jedoch in vielen Fällen v.a. auf freie Politikberater und Mitarbeiter von Politikberatungsagenturen. Wie bereits im Vorstehenden dargelegt, ergab die empirische Untersuchung zwar eine wachsende, aber immer noch sehr kleine Zahl an externen Vertretern dieser Zunft in der Kommunikation der Bundesregierung. Bei den Sprechern der Bundesministerien blieb auch unter Rot-Grün die Rekrutierung ohne journalistische Vorkenntnisse die Regel, auch wenn einzelne Befragte einen sehr schleppenden Trend hin zu Amtsinhabern 25
Richard Meng [Internet, 2005]: Spin Doctors – Aus für die Meinungsmacher? Online im Internet: AVL: URL: http://www.arte-tv.com/de/geschichte-gesellschaft/geschichte-ammittwoch/Programm/Das_20gesamte_20Programm/903504,CmC=905864.html (20.06.2005). 26 Gould, Unfinished, S. 334. 27 Vgl. Blumler, Age, S. 213-216 und s. die Abschnitte 4.1.3 und 4.2.3 dieser Arbeit.
7.1 Der Spin Doctor – ein Medien-Mythos
219
mit redaktionellen Erfahrungen ausmachten.28 Daneben gab die Leitfaden-Frage nach dem Bild eines idealen Politikvermittlungsexperten Hinweise auf typische Karrierewege. In einer Stellenanzeige für einen PR-Akteur würden die meisten deutschen Befragten journalistische Kenntnisse ganz nach oben stellen. Diese wurden komplettiert durch den Wunsch nach allgemeinen kommunikativen Begabungen. Aber viele der Experten erklärten, gute mediale Kenntnisse seien durchaus auch ohne die praktische Arbeit als Redakteur erlernbar.29 Aus den deutschen Befragungen lässt sich damit schließen, dass für PR-Experten in Diensten der Bundesregierung die Vorbildung als Journalist in den letzten Jahren an Bedeutung zugenommen hat. Dies galt für externe PR-Experten noch viel deutlicher als für fest angestellte im Regierungsapparat. Es handelte sich aber um einen langsam verlaufenden Trend. Nach den britischen Befragungen ergibt sich zwar ein Anstieg journalistischer Mitarbeiter in der Politikvermittlung, aber keinesfalls ein ungebremster Einzug von ExRedakteuren in die Reihen der PR-Experten. Es wurde bereits gezeigt, dass das Amt des Premierministers ab 1997 einige Zeitungsjournalisten und BBC-Reporter als Sonderberater gewinnen konnte. Der prominenteste Vertreter war selbstverständlich Alastair Campbell, der einige seiner Ex-Kollegen in die Regierungszentrale holte. Viele Minister ließen Aufgaben der Informationspolitik von ihren Sonderberatern erledigen. Im Zuge des Umbaus des Kommunikationsapparates der Regierung, v.a. durch den Mountfield Report 1997 und den Government Communications Review 2004, wurden zudem die Rekrutierungsregeln für die Pressereferenten gelockert, sodass einige Journalisten als Leiter in Pressestellen von Ministerien einrückten. Daher gingen einige britische Autoren von einer Dominanz von früheren Journalisten in der Informationspolitik der Blair-Regierung aus.30 Doch die Befragung der Experten zeigte, dass sich aus diesen Fakten allein noch keine beträchtlichen Zugewinne für Journalisten durch den gesamten Apparat der Regierungskommunikation hindurch ableiten lassen. Die meisten Sonderberater stammen nach Aussage der Befragten zu einem großen Teil aus einem politischen Hintergrund, etwa der Arbeit als Mitarbeiter der Labour Party oder als Assistenten der Minister. Hinzu kam Personal aus Universitäten und Denkfabriken. Kräfte aus Journalismus und PR wurden erst an zweiter Stelle genannt. 31 Ein Blick auf die Karrieren einiger prominenter Sonderberater bestätigt diese Beobachtung: Abgesehen von prominenten Beispielen wie Campbell und Whelan wiesen die meisten der von Blick porträtierten Sonderberater einen politischen oder wissenschaftlichen Hintergrund auf.32 Nach Beobachtung der Experten nahm die Inanspruchnahme von Sonderberatern für die Informationspolitik nach der ersten Amtszeit der Blair-Regierung tendenziell ab, denn die beamteten Pressestellen erhielten ab 1997 zunehmend Kommunikationsdirektoren mit Erfahrungen in Redaktionen oder der PR-Branche. Den Angaben zufolge wurden Leitungsposten in bis zu zehn Ministerien so besetzt. Das prominenteste Beispiel dafür war Howell James, der 2004 ernannte Staatssekretär für Regierungskommunikation. Posten unterhalb der Leitungsebene blieben weiterhin von Beamten besetzt, die meist keine redaktionellen Erfahrungen hatten.33 Bei der Frage nach den gewünschten Kenntnissen eines Politikvermitt28
Vgl. Abschnitt 6.2.1 und s. auch Abschnitt 4.2.3. Vgl. Abschnitt 6.2.2 und die deutsche Tabelle zu Q14 im Anhang II. 30 Vgl. das Unterkapitel 4.1. 31 Vgl. Abschnitt 6.2.1 dieser Arbeit. 32 Vgl. Blick, Dark, S. 259-296. 33 Vgl. die Abschnitte 4.1.6 und 6.2.1 sowie Phillis Report, S. 19-21. 29
220
7 Bilanz – Spin ist tot, lang lebe Spin
lungsexperten wurde von einigen Befragten der Wunsch nach einem auf längere Sicht ausgerichteten Verständnisses der Informationspolitik geäußert.34 Dies zeigte an, dass die interviewten Experten einen Mangel an strategischem PR-Denken in der Regierung ausmachten, während ihnen die Beachtung der Erfordernisse der tagesaktuellen Informationspolitik ausreichend erschien. Als Ergebnis der britischen Befragung zeigte sich insgesamt eine Zunahme der Rekrutierung von Journalisten für die Arbeit als Politikvermittlungsexperten in der Regierung. Dies war v.a. für Leitungspositionen innerhalb der amtlichen Pressestellen und für einzelne führende Sonderberater in 10 Downing Street feststellbar. Alles in allem kann in beiden Ländern eine Steigerung der Chancen von Journalisten festgestellt werden, in die Regierungskommunikation aufzurücken – nach dem Eindruck der Befragungen ist diese Zunahme bisher gering, mit dem Potenzial eines wachsenden Bedarfs an Medienprofis für Akteure der Spitzenpolitik. Es lohnt sich also, die Rekrutierung offizieller und externer PRExperten in Berlin und London weiter im Auge zu behalten. Forschungsfrage 4 suchte eine Bewertung der Novität der oftmals mit dem Begriff Spin Doctoring belegten Phänomene der politischen Kommunikation vorzunehmen.35 Zwar war schon oben der Begriff Spin Doctoring verworfen worden, aber die Ablehnung des Etiketts an sich muss nicht bedeuten, dass die unter ihm subsumierten Institutionen und Techniken nicht existieren und eine Professionalisierung nicht erkennbar ist. Um bewerten zu können, ob sich postmoderne Regierungskommunikation durch neue Phänomene der politischen PR auszeichnet oder vielmehr durch eine Adaption bekannter Institutionen und Techniken, wurden die Befragten nach der Neuheit der verwendeten Kommunikationstechniken gefragt. Handelte es sich bei der Regierungskommunikation unter Blair und Schröder wirklich um eine neue Qualität der politischen PR?36 Externen Politikvermittlungsexperten, die im Auftrag politischer Akteure arbeiteten, wurde eine übermäßige Loyalität zum jeweiligen Dienstherren zugeschrieben, die zulasten der Verpflichtung gegenüber der Institution Ministerium oder der Regierung als Ganzes ginge. Dies wurde in einen Gegensatz zur Verpflichtung beamteter Pressereferenten gestellt, dem Staat unparteilich zu dienen.37 Die Interviews ergaben aber vielschichtigere Rollenauffassungen der Befragten. In der Tat zeigte sich, dass externe Berater von Bundesministern oder die Sonderberater in London zuallererst das Wohl ihres Auftraggebers im Auge haben. Das Anstellungsverhältnis der special advisers ist automatisch beendet, wenn ihr Minister sein Amt verlässt, allein schon daraus kann eine hohe persönliche Bindung geschlossen werden. Aber neben dieser klaren mehrheitlichen Aussage gab es interessante Nuancen: So sahen einige Experten die Arbeit für einen speziellen Dienstherren als Teil der allgemeinen Unterstützung der Politik der rot-grünen Regierung – die personelle Loyalität stellte sich also als Folge der politischen Überzeugungen dar. In Großbritannien fungieren die Sonderberater nicht nur als persönliche Assistenten der Minister, sondern auch als Ver34
Vgl. Abschnitt 6.2.2. Siehe dazu die Abschnitt 3.3 und 4.1.2. Genannt wurden hier v.a. die zentralisierte Abstimmung der Politikentwicklung und -darstellung, rapid rebuttal, die Ausweitung der Medienauswertung und die professionelle Sammlung von politischen Fakten und Informationen über den Politikjournalismus, um redaktionelle Routinen und Gratifikationsschemen (z.B. den verstärkten Durst der Reporter nach exklusiven Informationen) für die eigene Darstellung zu nutzen. 36 Vgl. zu dieser Behauptung exemplarisch Blumler, Age und Esser, Campaigns. 37 Siehe dazu die Darlegungen zu den Rivalitäten in der Blair-Regierung bis 1999 in Abschnitt 4.1.3 oder die Darstellung der Oppositionskritik an Finanzminister Eichels Berater Schmidt-Deguelle im Abschnitt 4.2.3. 35
7.1 Der Spin Doctor – ein Medien-Mythos
221
bindungsleute zur Labour Party. Ihnen obliegt damit auch Verantwortung für den zukünftigen Erfolg der Partei. Einige Sonderberater dienten im Laufe der Zeit mehreren Ministern.38 Der Vergleich mit den beamteten Akteuren zeigt außerdem, dass die enge Zusammenarbeit zwischen Politikern und ihren Mitarbeitern durchaus kein Phänomen von externen PR-Akteuren der neueren Zeit ist. Die Sprecher der einzelnen Ministerien in beiden Staaten unterstehen schon immer den Ressortchefs: Ihr Blick ist damit explizit auf die Wahrung der Interessen ihres Hauses und erst in zweiter Linie auf die allgemeine Linie der Regierung gerichtet.39 Beispiele für vertrauensvolle, loyale Arbeitsbeziehungen mit Spitzenpolitikern waren und sind also nicht auf externe Politikvermittlungsexperten beschränkt. Ein grundlegender Wandel lässt sich also hier nicht feststellen, allenfalls eine leichte Verschiebung dahingehend, dass einige Spitzenakteure der Regierungen in Berlin und London durch das Engagement ihnen direkt verpflichteter PR-Akteure auf sie zugeschnittene Medienarbeit von Beginn ihrer Amtszeit an sicherstellen wollen. Die Befragten in beiden Staaten beschrieben deutlich eine Wandlung des Umfelds für Regierungskommunikation. Diese Veränderungen erzwangen nach Aussagen der Experten eine professionellere Planung der Informationspolitik und eine allgemein bessere Vorbereitung und Durchdringung von Kommunikationsstrategien. Die Vervielfachung des Medienangebots mache verstärkte PR-Anstrengungen und eine feinere Steuerung des Informationsverhaltens notwendig, z.B. eine genaue Medienauswertung und rapid rebuttal, um die schnelle Verbreitung falscher oder unerwünschter Informationen zumindest zu hemmen. Auch die Bedeutung von Techniken, um Themen zu setzen und die öffentliche Aufmerksamkeit auf bestimmte Teile der Agenda zu lenken – durch eingängige Formulierungen, möglichst große Botschaftsdisziplin und gezielte Streuung von Exklusiv-Informationen – kommt aus den Antworten klar heraus. Die genannten Techniken entsprechen jenen Organisationsregeln und Instrumenten für den Wahlkampf, die bei Labour und der SPD ab 1997 Anwendung fanden. Die deutschen Befragten bezweifelten überwiegend, dass diese Lehren auch im Regierungsalltag von Rot-Grün beachtet wurden. Die britischen Experten stellten hingegen fest, dass die Regierung Blair in ihrem Medienmanagement energischer vorgehe als ihre Vorgänger.40 Dies spräche für eine neue Stufe der politischen PR. Doch stritten viele Befragte in beiden Staaten ab, dass es sich hier um komplette Innovationen der Informationspolitik handelte. Der Tenor hierzu war deutlich vernehmbar: Die angesprochenen Techniken waren wohlbekannt und wurden nur den Bedingungen der Mediengesellschaft angepasst. Einige Ideen, wie z.B. das Prägen und Wiederholen eingängiger Sprachbilder, bewährten sich schon bei den berühmten Rednern der Antike.41 Ebenso stellt die Abstimmung der Kommunikation der gesamten Regierung kein völliges Novum dar. Sie ist nur wegen der stärkeren und dauerhafteren Ausleuchtung der politischen Bühne durch aktuelle Medien nötiger 38
Siehe Abschnitt 6.2.1 und die Tabellen zu Q6 im Anhang II. Vgl. auch Blick, Dark, S. 260. Vgl. Abschnitt 6.2.1. So galt Bundeskanzler Ludwig Erhards Büroleiter, der Beamte Karl Hohmann, als treu ergebener Mitarbeiter (vgl. Aussage eines erfahrenen Bonn- und Berlin-Korrespondenten, J/D7-Q13 und Hans Klein: Ludwig Erhard. In: Ders. (Hrsg.): Die Bundeskanzler. Berlin 1993, S. 91-164, hier S. 115-120). Regierungssprecher Bölling arbeitete engstens mit Kanzler Schmidt zusammen. Das Beispiel von Sprecher Ingham unter Premierministerin Thatcher war bereits mehrfach benannt worden. 40 Vgl. die Abschnitte 3.3 und 6.4.2 dieser Arbeit sowie Esser, Campaigns, S. 214-216 und Jun, Wandel. S. 320323. 41 Vgl. Abschnitt 6.4.2. 39
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7 Bilanz – Spin ist tot, lang lebe Spin
geworden. Die Abstimmungsrunden zwischen dem deutschen Regierungssprecher und den Pressereferenten der Bundesministerien gab es schon in den 70er-Jahren. In Großbritannien beauftragte bereits Premierminister Edward Heath (1970-74) einen parlamentarischen Staatssekretär mit der strategischen Koordination der Politikentwicklung und Kommunikation, eine Praxis, die die folgenden Regierungschefs beibehielten. Der Staatssekretär sollte sicherstellen, dass sich die Aussagen von Premier, Ministern und den Pressereferenten nicht widersprachen. Auch die Regierung von Blairs Vorgänger Major hatte immer einen für die Koordination zuständigen Minister. Der interne Riss über die EU-Politik verhinderte aber ein einheitliches Auftreten. Unter Blair war die wichtigste Neuheit, dass er nun die gesamte Koordination der Informationspolitik machtvoll in seinem Amt in Number 10 konzentrierte.42 Doch es wäre kurzsichtig, dies als Durchbruch zu porträtieren, der alle Koordinationsprobleme der Regierungskommunikation lösen kann. Die Beispiele Major und Blair zeigen vielmehr die Chancen und Grenzen einer einheitlichen Politik: Ein Premierminister mit einer starken, unangefochtenen Machtstellung in Partei und Kabinett kann erfolgreich seine Linie durchsetzen, so wie Major bis 1992 und Blair bis zum Irak-Krieg 2003. Schwindet jedoch seine Autorität, schwächeln die Umfrage-Zahlen, ist die Mehrheit im Parlament knapp – dann verhindert auch die professionellste Komposition und Koordination von PRBotschaften nicht, dass der öffentliche Eindruck von Vielstimmigkeit in der Regierung entsteht, siehe Majors Dauerkrise ab 1992 und Blairs langer Abschied ab 2004.43 Als komplette Neuerungen unter Schröder und Blair identifizierten die Befragungen nur jeweils ein kleineres Teilphänomen. In Deutschland handelte es sich um das Auftreten eines dauerhaft beschäftigten, externen Medienberaters in der Person von Klaus-Peter Schmidt-Deguelle im Bundesfinanzministerium. In Großbritannien erwies sich die Befugnis des Sonderberaters Alastair Campbell, Beamten Weisungen zu erteilen, als Novum. Dieses Privilegium wurde aber nach Campbells Rücktritt im Sommer 2003 wieder eingemottet.44 Beides sind Einzelbeispiele, die abhängig waren von individuellen Personenkonstellationen. Für die Zukunft ist nicht unbedingt zu erwarten, dass diese Beispiele Fortsetzung finden, auch wenn die Notwendigkeit kommunikativer Beratung und Koordination für politische Spitzenakteure deutlich sichtbar wurde.45 Aus den Befragungen und historischen Betrachtungen bleibt nur der Schluss, dass unter den Regierungen Schröder und Blair keine komplett neue Stufe in der Informationspolitik erreicht worden ist, sondern lediglich bekannte Techniken intensiver eingesetzt wurden, um auf die Veränderungen der postmodernen Gesellschaft zu reagieren. Griffiger formuliert: Aus dem Ausschnittsdienst für Zeitungsartikel wurde die 24 Stunden arbeitende Zentrale für media monitoring, die traditionellen Sprechzettel für Minister wurden nun elektronisch geliefert und mit prägnanteren Formulierungen bestückt, und aus den informellen journalistischen Zirkeln für Hintergrundgespräche erwuchsen sorgfältiger platzierte Exklusiv-Nachrichten. Das Wort Spin Doctoring, das eine völlig neue Stufe politischer PR-Arbeit suggeriert, erweist sich einmal mehr als Schimäre. Zwar ist der Wandel zur Mediengesell42
Vgl. Rosumek, Porträts, S. 112-125, 133 und 226; Franklin, Packaging, S. 32-35 und Kavanagh, Powers, S. 54f., 84-86, 232 und 256. 43 Siehe Abschnitt 4.1.6 dieser Arbeit; Kavanagh, Powers, S. 217, 225-227, 238 und 320f. sowie Foley, Presidency, S. 16f. und 301-343. 44 Vgl. Abschnitt 6.4.2. 45 Siehe auch zu den Lehren für die Zukunft Abschnitt 7.4.
7.2 Koch oder Kellner? Zur Bedeutung der Darstellungspolitik
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schaft nicht zu leugnen, doch die Instrumente der politischen PR-Akteure, ihr zu begegnen, erweisen sich als bewährter, als manche aufgeregte publizistische Debatte suggeriert.
7.2 Koch oder Kellner? Zur Bedeutung der Darstellungspolitik Zu Beginn der Arbeit waren bereits die Journalismuskulturen, Traditionen und rechtlichen Vorgaben für politische Apparate in Deutschland und Großbritannien gezeigt worden. Diese prägen die politischen Kommunikationskulturen. Auf der Grundlage dieser Strukturen zeigten sich in beiden Ländern ähnliche und unterschiedliche Reaktionen der Akteure auf die gewandelten gesellschaftlichen und medialen Umstände. In diesem Abschnitt geht es nun darum, die beiden politischen Kommunikationskulturen in ihrem Wandel zu analysieren.46 Dies geschieht anhand der Forschungsfragen nach dem Einfluss der Darstellungs- auf die Entscheidungspolitik, den vorgenommenen oder unterlassenen Reformen der Institutionen der Regierungs-PR und dem Fluss von Ideen zwischen den handelnden Personen der Regierungen Schröder und Blair (FF5 bis 7). Mit den gewonnenen Aussagen lässt sich auch ein Beitrag zur Modernisierungsdebatte leisten. Handelt es sich bei den Veränderungen der politischen Kommunikation in Westeuropa um das simple Kopieren von angloamerikanischen Vorbildern? Oder reagierten die Institutionen in der Bundesrepublik und im Vereinigten Königreich jeweils autonom auf ähnliche, wenn auch nicht völlig gleich ausgeprägte Phänomene postmoderner Gesellschaften?47 Eine erste Antwort liefert die Auflösung von Forschungsfrage 5: Nahmen die Kommunikationsexperten auch Einfluss auf politische Konzeptionen? Tenscher gab hierauf 2003 für den deutschen Bereich eine eindeutige Antwort. Er hatte 60 Politikvermittlungsexperten befragt, v.a. hauptamtliche Sprecher von Behörden und Parteien. Er schrieb, seinen Befragten zufolge werde die Sphäre des politischen Herstellungsbereichs so gut wie überhaupt nicht durch die Politikvermittlung tangiert. Es herrsche eine einseitige Abhängigkeit der Politikvermittlung von der -herstellung. Die von Tenscher interviewten Experten diagnostizierten in der politischen Arbeit ein Ungleichgewicht zugunsten der Herstellung. Ein potenzieller Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse habe sich nur bei den Parteisprechern und beim Regierungssprecher gezeigt. Besonders PR-Experten, die freundschaftliche Verbindungen mit den Politikern pflegten, hätten sich zu einem Einfluss bekannt.48 Tenschers Ergebnisse lassen sich metaphorisch so übertragen: Die Fachpolitiker erweisen sich wie gehabt als die Köche, die PR-Experten als die Kellner, die der Öffentlichkeit das fertige Politik-Menü – möglichst recht geschickt – servieren. Doch die vorliegende Arbeit kommt für Deutschland zu einem anderen Ergebnis: Die Kellner scheinen in die Küche eingezogen zu sein. Auffällig ist, wie klar die Mehrheit der befragten Politikvermittlungsexperten war, die einen Einfluss der Darstellungs- auf die Entscheidungspolitik konstatierte. Auch bei Hinzunahme der anderen beiden Expertengruppen (Journalisten und Wissenschaftler) bleibt die Mehrheit, leicht reduziert, bestehen. Ein ähnliches Ergebnis zeigte sich in Großbritannien. Zahlreiche Akteure verwiesen darauf, 46
Zum Begriff der politischen Kommunikationskulturen vgl. Unterkapitel 2.1, zum Vergleich der Strukturen in beiden Staaten Abschnitt 2.3 dieser Arbeit. Siehe auch Pfetsch, Kommunikationskultur, S. 35-39. Zum Hintergrund der Amerikanisierungs- bzw. Modernisierungsthese und ihren analytischen Ausprägungen s. Sarcinelli, Kommunikation, S. 168-170 und Korte, Strukturen, S. 265. 48 Tenscher, Professionalisierung, S. 293 und 338. 47
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7 Bilanz – Spin ist tot, lang lebe Spin
dass sich konzeptionelle Arbeit und die öffentliche Präsentation nicht mehr trennen ließen. Sie stellten das als eine Erscheinung der jüngeren Zeit dar.49 Damit lässt sich die Forschungsfrage dahingehend beantworten, dass PR-Akteure unter Schröder und Blair in vielen Fällen Einfluss auf die Inhalte politischer Konzepte nahmen. Was sind die Gründe für den ganz offensichtlichen Dissens mit Tenschers Ergebnissen? Gleich mehrere Faktoren könnten zu diesem Ergebnis beitragen. Die größte Schwierigkeit liegt wohl in der Fluidität der Begriffe Darstellungs- und Entscheidungspolitik oder Politikvermittlung und -herstellung selbst. Die jeweils Erstere lässt sich nicht nur auf die offensichtlichen PR-Instrumente wie Pressekonferenzen und Fototermine beschränken, Letztere nicht ausschließlich auf Gesetzgebung rein technisch-administrativer Natur. Da Spitzenpolitiker heute über mediale Talente verfügen müssen, um aufzusteigen und ihre Position zu behaupten, kann man sowieso davon ausgehen, dass Fragen der Vermittelbarkeit ihrer politischen Ideen in ihrem Nachdenken eine Rolle spielen. Eine Trennung von reiner Sach- und Vermittlungslogik ist somit schwieriger geworden. Schon der Name von Maßnahmen kann zum Streitpunkt werden, man denke nur an das Hartz-IV-Gesetz. Auch Routine-Abstimmungsprozesse, eigentlich klar Teil der Entscheidungspolitik, können zuweilen in den Fokus der Medienöffentlichkeit rücken. Es kann vermutet werden, dass einige der hier interviewten Experten den Begriff der Entscheidungspolitik nicht nur als Routine-Gesetzgebung verstanden, sondern auch weitreichende, zahlreiche Menschen betreffende Entscheidungen einbezogen, für die freilich auch mediale Aufmerksamkeitsregeln gelten.50 Da Tenscher zahlreiche pensionierte PR-Experten interviewte, könnte es sich außerdem bei seiner Schlussfolgerung um eine historisch überholte Erkenntnis handeln. Diese Vermutung wird nicht zuletzt durch die oben referierte Aussage gestützt, dass die für diese Arbeit Befragten den Einfluss von PR-Akteuren auf politische Konzepte als aktuell ansteigendes Phänomen empfanden. Trotz der allgemeinen Feststellung einer Vermischung zwischen Entscheidung und Darstellung – die Idee, dass beide zwei Seiten derselben Medaille seien, wurde in den Regierungen Schröder und Blair nicht überall gleichermaßen befolgt. Sie blieb nach den Erkenntnissen der Befragung oft mehr programmatische Ambition als alltägliche Realität. Es hing oft von den konkreten Akteuren ab, inwiefern dieser Anspruch umgesetzt wurde: Befragte berichteten auch von PR-Experten, die bewusst aus Entscheidungsprozessen ferngehalten wurden. Dies wurde v.a. in Deutschland berichtet. Fälle, in denen der Pressesprecher aus dem innersten Kreis ausgeschlossen war und damit noch nicht einmal seiner Vermittlungsfunktion ordnungsgemäß nachkommen konnte, endeten nicht mit der Kohl-Zeit.51 Premierminister Blair selbst und seine unmittelbaren Mitarbeiter maßen der Vermittlung ihrer Politik eine sehr große Bedeutung zu – was in einzelnen Fällen sogar zulasten der politischen Substanz gegangen sein könnte. Jedes wichtige konzeptionelle Papier der Ministerien, z.B. Weißbücher mit Plänen für Gesetzgebung, wanderte vor der Veröffentlichung auf die Schreibtische der Strategic Communications Unit in Number 10, damit diese die Verlautbarung auf ihre öffentliche Wirkung hin abklopfen und umformulieren konnte. Aber nicht immer arbeiteten unter Blair Politikentwickler und PR-Experten harmonisch zusammen. In der Praxis hing die Kooperationsbereitschaft von den Arbeitsbeziehungen
49
Vgl. Unterkapitel 6.3 dieser Arbeit. Vgl. Abschnitt 2.1 zur analytischen Unterscheidung von Entscheidungs- und Darstellungspolitik. 51 Vgl. die Abschnitte 2.3.3, 6.1.2 und 6.3. 50
7.2 Koch oder Kellner? Zur Bedeutung der Darstellungspolitik
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zwischen den zuständigen Personen ab.52 Doch die grundlegende Tendenz, dass der Einfluss der Darstellungslogik auf den Entscheidungsprozess anstieg und dass Politikvermittlungsexperten mehr Chancen erhielten, auf konkretes politisches Handeln Einfluss zu nehmen, war in jedem Fall aus den Interviews klar erkennbar. Das alte Bild, dass die Entscheidungspolitik als Koch fungiert, die Darstellungspolitik als Kellner, scheint nicht mehr zuzutreffen. Damit stellt sich konkret die Frage eines Einflussgewinns für PR-Experten. Forschungsfrage 6 ging ihrer institutionellen wie informellen Machtstellung in den Regierungen Schröder und Blair nach. Hier sind die Ergebnisse in beiden Länder nicht so parallel wie bei der vorigen Problemstellung. Externe deutsche PR-Akteure porträtierten sich selbst als diejenigen, die Spitzenpolitikern als Medienberater dienten und die Journalisten nicht zitierbare Informationen zukommen ließen. Dies grenzte sie von ihren institutionalisierten Kollegen ab. Die nicht institutionalisierten Politikvermittlungsexperten wurden auch von den Journalisten vermehrt für einordnende Hintergrundgespräche nachgefragt, da sie bessere Einblicke in die Gesamtstrategie des jeweiligen Politikers geben konnten. Nur zeigte die Durchleuchtung der Regierung Schröder mithilfe der Befragungen äußerst wenige Medienberater in einem dauerhaften Dienstverhältnis an. Nach Aussage der Befragten wurden einige der beamteten Pressereferenten von ihren Vorgesetzten als politische Gesprächspartner geschätzt, andere wiederum nicht. Einige Experten sahen eine gleichbleibende Rolle von PR-Experten, andere widersprachen dem. Die Frage, ob Politikvermittlungsexperten in der Bundesregierung informell an Bedeutung gewonnen hätten, ergab keine eindeutige Antwort.53 Zu fragen ist aber noch nach der institutionellen Stellung der Vermittler. Die Idee, den Regierungssprecher ins Bundeskanzleramt zu verlagern, ist nichts Neues. Damit könnte der Chefverkäufer der Regierungspolitik institutionell näher an den Kanzler herangeholt werden. Schröder (wie auch seinem Vorgänger) lagen dazu konkrete Pläne vor. Dieser Idee wurde nicht gefolgt. Auch die Forderungen des Medienberaters Schmidt-Deguelle, dem Regierungssprecher mehr Einflussmöglichkeiten auf die Bundesministerien zu geben, blieben zunächst ergebnislos. Erst 2004 bat Regierungssprecher Anda die Ressorts, an einer einheitlicheren Kommunikation mitzuwirken – dies beruhte aber auf Freiwilligkeit. Damit blieb die Stellung des Regierungssprechers innerhalb der Exekutive auch unter Rot-Grün relativ konstant. In den Ministerien gab es nur einzelne Fälle von Veränderungen zur besseren Abstimmung der Kommunikation.54 Bezeichnend ist auch das Schicksal der Planungsabteilung, der alten Abteilung V im Kanzleramt, die wesentliche Anstöße für die Vorbereitung und Koordination von politischen Projekten und deren Kommunikation geben kann. Zu Beginn der zweiten Amtszeit von Bundeskanzler Schröder wurde sie aufgelöst. Er verzichtete damit auf ein Instrument für vorausschauende Politikplanung. Seine Nachfolgerin Angela Merkel schuf hingegen erneut einen Stab für politische Planung und Grundsatzfragen, der ihr direkt zugeordnet ist. Zudem ist im Kanzlerbüro seit 2005 auch wieder eine Stelle für Pressebetreuung tätig.55 Ein 52
Vgl. Abschnitt 6.3 dieser Arbeit sowie Humphreys, Meaning, S. 167. Vgl. die Abschnitte 6.2.1, 6.3 und 6.4.1 sowie die deutschen Tabellen zu Q4, Q7, Q8, Q10 und Q20. 54 Vgl. zu den Details die Abschnitte 2.3.3, 4.2 und 6.1.2 dieser Arbeit. Siehe auch Rosumek, Porträts, S. 223f. und zu den Reformvorschlägen fürs Bundeskanzleramt Becker, Produkt. 55 Vgl. die Abschnitte 4.2.1, 4.2.2 und 6.4.1 dieser Arbeit. Siehe auch Rosumek, Porträts, S. 275 und o.A. [Internet, 2007]: Organisationsplan des Bundeskanzleramts. Online im Internet: AVL: URL: http://www. 53
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Grund für den Verzicht Schröders auf strategische PR-Planung kann in seiner persönlichen Medienkompetenz liegen, wie diese Aussagen eines Politikvermittlungsexperten nahelegen: „[…] Gerhard Schröder müssen Sie nicht beraten, was Bedeutung von Medien angeht […]. Der weiß schon ziemlich genau, mit welchen Sachen er punkten kann und welche Sachen er besser erklären muss. Der weiß auch oft sehr viel genauer als die, die von Amts wegen dafür zuständig sind, wann man jetzt ganz schnell mal ein paar Journalisten anrufen muss und die mal zusammenrufen, weil er eben was erklären will. […] dem müssen Sie keinen Medienberater hinstellen.“56
Damit lässt sich für Schröder konstatieren, dass ein Aufstieg von Politikvermittlungsexperten in der Hierarchie des Apparats oder auf informeller Ebene im Kanzleramt nicht stattgefunden hat, auch wenn der Regierungschef selbst sehr wohl die Darstellungskomponente seiner Arbeit im Auge hatte. Der Medienkanzler scheint sich selbst sein bester PR-Berater gewesen zu sein – PR-Experten mit dauerhafter Macht fanden sich in der rot-grünen Regierung jedenfalls kaum. Anders lag der Fall in der Regierung Blair. Gerade in der Downing Street wuchs unter Blair die Zahl der Stellen, deren Inhaber sich mit Kommunikationsaufgaben beschäftigten. Insgesamt war feststellbar, dass gerade die Sonderberater, deren Zahl Labour 1997 stark erhöht hatte und von denen etwa die Hälfte in der Informationspolitik tätig waren, sich als oft sehr enge Vertraute ihrer Vorgesetzten erwiesen. Auch die hauptamtlichen Pressereferenten waren von Fall zu Fall mit Medienberatung für ihre Minister beschäftigt. Die Journalisten bedienten sich der Sonderberater als informelle Quellen, die Einblick in das Denken ihrer Vorgesetzten geben konnten. Die Sonderberater wurden öffentlich als Konfidenten ihrer Minister wahrgenommen.57 Die Mehrheit der britischen Experten sah einen Aufstieg von Politikvermittlungsexperten in der Regierung Blair. Sie seien für ihre Vorgesetzten in der täglichen Arbeit wichtiger geworden. Sie hätten mehr Einfluss auf Stil und Aufmachung öffentlicher Verlautbarungen, sogar manchmal auf Inhalte. Zwar machten viele Befragte ihre Antwort v.a. an der Person Campbells fest, dessen Rücktritt 2003 Blair um einen seiner wichtigsten Berater brachte, doch auch ohne ihn zeichnete sich ein genereller Trend des Machtzuwachses ab.58 Das zeigt einen deutlichen Unterschied in der Machtstellung der Politikvermittlungsexperten in beiden Regierungen auf, obwohl New Labours Politikplanung und Außendarstellung lange Zeit als Ideal für die SPD galt. Forschungsfrage 7 beschäftigte sich mit der möglichen Vorbildwirkung der Informationspolitik Blairs auf die rot-grüne Bundesregierung. Haben Schröder und seine Mitarbeiter Techniken und Institutionen der PRArbeit New Labours für ihre Regierungskommunikation übernommen? In Bodo Hombachs Zeit als Chef des Bundeskanzleramts bis zum Sommer 1999 bestand ernsthaftes Interesse an einer näheren Untersuchung der blairschen Strategie- und Medienarbeit und der Möglichkeit, Elemente davon zu übernehmen. 1999 wurde der Kanzleramts-Mitarbeiter Bernd
bundesregierung.de/Content/DE/__Anlagen/druckversion-organigramm-bkamt,property=publicationFile.pdf (18.01.2007). 56 P/D/9-Q15. Im Anhang. 57 Vgl. die Abschnitte 6.2.1, 6.3 und 6.4.1 sowie die britischen Tabellen zu Q4, Q7, Q8 und Q10. Siehe auch in aller Ausführlichkeit die Abschnitte 4.1.2 bis 4.1.6 in dieser Arbeit. 58 Vgl. die Abschnitte 6.1.2 und 6.2.1 sowie die britische Tabelle zu Q15 und Q20.
7.2 Koch oder Kellner? Zur Bedeutung der Darstellungspolitik
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Becker in das Prime Minister’s Office entsandt, um dessen Arbeit zu beobachten.59 Die Ideen zur Umgestaltung von Bundeskanzler- und Bundespresseamt, die noch unter Hombachs Ägide initiiert wurden, hätten die Berliner Regierungszentrale im britischen Sinne umgestaltet: „Das Ziel war eine neue […] Abteilung V [im Kanzleramt]. Die sollte strukturiert werden wie die Policy Unit. Ein Beraterstab, der explizit eben mittelfristige politische Visionen aufbaut, auch Reden schreiben […]. Was das deutsche System angeht, ist die Quintessenz einfach: Der Apparat ist zu groß […]. Wenn man es übertragen wollte, dann müsste man den Regierungssprecher […] installieren im Kanzleramt, nicht im Bundespresseamt. […] Und der wiederum müsste ein Panel von zwölf bis 15 Leuten um sich rum haben, die sich regelmäßig treffen, aus den Ministerien, vom Koalitionspartner, die alle aber wissen, wer der Chef ist. Das muss also vom Kanzler gewünscht werden und es muss auch klar sein und vom Koalitionspartner gewollt sein, dass also so eine zentrale Kommunikationsstruktur aufgebaut wird. Diese Leute sollten versuchen, so etwas Ähnliches wie Strategie-Meetings zu machen und versuchen, so eine Art von ,Grid’ aufzubauen. Also wenigstens eine Vorwegplanung von Events, von Sachen, von politischen Initiativen auf Wochenbasis. So ähnlich wie es in Großbritannien bis heute läuft, wo das halt sehr detailliert gemacht wird und wo das Ganze in Number Ten aufgehangen wird. […] Offensichtlich wird Politik in Deutschland immer noch, auch zwischen den Ministerien, zu sehr als Gegeneinander empfunden.“60
Diese Ideen wurden nie verwirklicht. Es gewannen jene Berater des Kanzlers die Oberhand, die sich gegen eine Umwandlung der Institutionen wehrten. Die an früherer Stelle beschriebenen Veränderungen des BPA, um schneller und effektiver zu arbeiten, erfolgten ohne expliziten Rekurs auf die britischen Erfahrungen. So erklärte ein Politikvermittlungsexperte, der die Einführung neuer Strukturen und Techniken im BPA (z.B. die Verstärkung der Medienüberwachung) anleitete, diese sei weniger Übernahme von New Labour gewesen als eine zeitlich parallele Entwicklung.61 Freilich erfolgten die Veränderungen in der Koordination der Informationspolitik und der Arbeit des BPA zu einem Zeitpunkt, als Blair schon erste Rückschläge und Kritik wegen seines Ansatzes der strikten Kontrolle der Informationspolitik hinnehmen musste. Ein Kanzlerberater berichtete, anfangs habe Schröders Umfeld Blairs Kommunikationsmaschinerie fasziniert, aber auch belustigt beobachtet, da eine Figur wie Alastair Campbell im Kanzleramt nicht möglich sei. Das deutsche Regierungssystem sei deutlich dezentraler und machtteilender angelegt als das britische. Die Ressortautonomie lasse sich nicht aushebeln. Ein mächtiger Chef-Kommunikator der Bundesregierung würde nur für Streit mit verschiedenen Hierarchieebenen innerhalb von Kanzleramt und BPA, mit dem Koalitionspartner, den Ministern und den Journalisten sorgen.62 Einer seiner Kollegen spöttelte, Ereignisplanung und Absprachen gebe es schon lange innerhalb 59
Vgl. Becker, Produkt, S. 872. Siehe auch die deutsche Tabelle zu Q15 im Anhang. Zitat eines Politikvermittlungsexperten mit Erfahrungen in beiden Regierungszentralen. P/D/11-Q15. Im Anhang. Die genannte Abteilung V war damals die Planungsabteilung im Kanzleramt. Das grid war der zentrale Ereignisplan der Blair-Regierung (s. Abschnitt 4.1.3). Umgekehrt waren auch Blairs Mitarbeiter an der Organisation des Kanzleramts interessiert, da das Amt des Premierministers häufig als zu klein und machtlos kritisiert wird (vgl. Kavanagh, Powers, S. 318). Dieses Interesse bezog sich aber nicht auf die Informationspolitik und ist damit für diese Untersuchung irrelevant. 61 Vgl. die Aussage eines offiziell tätigen Politikvermittlungsexperten. P/D/5-Q15. Im Anhang. Siehe die Abschnitte 4.2.1, 4.2.2 und 6.1.2 zu den unter Heye und Anda erfolgten organisatorischen Veränderungen des BPA und die Bemühungen zur Koordination der Ministerien. 62 Vgl. P/D/9-Q15. 60
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der Bundesregierung. Dazu brauche man keine Tabelle wie das in der Downing Street verwendete grid: „[…] die [Nachrichten-]Agenturen machen eine Vier-Wochen-Planung, die allen zugänglich ist. […] Deswegen brauche ich aber nicht eine große Tafel […] wie früher einen Stundenplan, der im Lehrerzimmer hing und mit den vielen Pins von den Lehrern versehen war. […] Das weiß man einfach.“63
Auch der Überblick der Meinungen der Experten zur allgemeinen Qualität der politischen Kommunikation in Deutschland deutet darauf hin, dass Rot-Grün wenig Anleihen bei der Blair-Regierung nahm. So kritisierten zahlreiche Experten, der Regierung Schröder fehle eine klare und wiedererkennbare Gesamtstrategie für ihre Politik. Währenddessen schaffte es New Labour, bis zu Blairs erzwungener Rücktrittsankündigung 2006 weitgehend eine einheitliche Kommunikationslinie durchzuhalten. Die deutschen Befragten waren sich nicht einig, ob die im Wahlkampf von der SPD demonstrierte Fähigkeit, eingängige Botschaften zu finden und bei für sie negativen Medienberichten schnell und entschlossen zu reagieren (rapid rebuttal), auch in die Regierungskommunikation hinein transferiert wurde. Die von Blair und seinen Mitarbeitern postulierte enge Verschränkung von Inhalt und Verpackung vermissten in Berlin deutlich mehr Experten als die, die sie zu beobachten glaubten.64 Diese Untersuchung zeigt deutlich, dass in puncto Regierungskommunikation die Unterschiede zwischen Blair und Schröder die Ähnlichkeiten überlagerten. Zu Beginn der Regierungszeit von Blair und Schröder war viel die Rede von der Konvergenz der europäischen Sozialdemokratie. Zwar zeigten beide Regierungschefs Mediencharisma und Bewusstsein für die kurzfristige darstellerische Wirkung. Beide kommunizierten neue Initiativen gern zuerst durch die Medien und gründeten ihren innerparteilichen Erfolg auf ihrer Popularität bei den Wechselwählern und in den Elitemedien. Sie glaubten, es könnte ihnen gelingen, die öffentliche Agenda zu prägen – an traditionellen Institutionen vorbei mithilfe von informellen Runden, Reden, Interviews. Doch schon die Reaktion der SPDFunktionärsebene auf das Schröder-Blair-Papier im Juni 1999 ließ Zweifel aufkommen, ob die Gemeinsamkeiten in den Inhalten nicht übertrieben wurden.65 Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen, dass auch die Präsentation wenig Parallelen erkennen ließ. Blair zentralisierte Politikentwicklung und Informationspolitik in seinem Amt. Neue Abteilungen wie die Strategic Communication Unit entstanden, die bis heute die langfristigen Kommunikationslinien und die taktischen PR-Entscheidungen der britischen Regierung verbindlich koordinieren. Auch nach massiver Kritik an seiner PR-Arbeit ließ Blair nicht von der Zentralisierung der Kompetenzen für die Informationspolitik ab.66 Wie oben dargelegt, gab es keine entsprechende Machtzentralisierung im Kanzleramt. Vergleichbare Einrichtungen wie die Planungsabteilung wurden sogar abgeschafft.
63
P/D/8-Q15. Siehe Abschnitt 6.1.2 und die Tabellen zu Q15 im Anhang. 65 Siehe Walter, Heimatlosigkeit, S. 111 sowie zu Schröders und Blairs (als auch Clintons) Going-PublicStrategien Kavanagh, Powers, S. 278f. und 289f.; Foley, Presidency, S. 116-145 und 186-204. Siehe auch KarlRudolf Korte: Information und Entscheidung. Die Rolle von Machtmaklern im Entscheidungsprozess von Spitzenakteuren. In: Aus Politik aus Zeitgeschichte 43/2003, S. 32-38, hier S. 38. Im Folgenden zitiert als: Korte, Machtmakler. 66 Vgl. die Abschnitte 4.1.3 bis 4.1.6. 64
7.3 Postmoderne Beziehungen – Politik und Medien in London und Berlin
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Damit lautet die Diagnose für die Regierungskommunikation unter Rot-Grün, dass sich kaum von einer Übernahme von britischen Rezepten sprechen lässt. Im Rahmen der Amerikanisierungsdebatte handelte es sich in Deutschland also um eine Modernisierung als Reaktion auf endogene Ursachen, v.a. mediale Bedingungen.67 Dabei orientierten sich Schröders Mitarbeiter offenbar nicht allzu sehr am Vorbild Blair, trotz des anfänglich großen Interesses an seinem Regierungsstil. Mehr noch – die Herangehensweise beider Regierungschefs an die Kommunikationsaufgaben ihrer Ämter stellte zwei Extreme dar: Blair musste lernen, dass übermäßiger Zwang zur Vereinheitlichung der Informationspolitik Widerstände hervorruft und die übermäßige Betonung von Imagefragen an sich zum Imageschaden werden kann. Das Beispiel Schröder demonstriert hingegen, dass der Verzicht auf die straffe Planung von politischen Leitlinien und kommunikative Vereinheitlichung die eigene Machtbasis ebenso erodiert.
7.3 Postmoderne Beziehungen – Politik und Medien in London und Berlin Gerhard Schröder und Tony Blair traten ihre Ämter kurz vor dem symbolbeladenen Jahrtausendwechsel an. Die Trennschärfe der großen politischen Ideologien war zu diesem Zeitpunkt schwächer geworden. Neue Medien wie digitale Kommunikationskanäle und das Internet begannen ihren Einzug in Redaktionen und Wohnzimmer. Beide Regierungschefs mussten sich mit den Folgen dieser Trends auseinandersetzen, ihre Politik-Herstellung und -Darstellung darauf einstellen. Die Befragung der Experten in Deutschland und Großbritannien zu den Forschungsfragen 8 bis 10 nach den Veränderungen von Gesellschaft und Mediensystem sowie den Konsequenzen daraus spiegeln den unabgeschlossenen, unfertigen Charakter dieser Jahre deutlich wider. Forschungsfrage 8 nach den Wandlungen in Gesellschaft und Medien innerhalb der letzten Generation machte einige Grundströmungen sichtbar, mit unterschiedlichen Ausprägungen diesseits und jenseits des Ärmelkanals. Drei grundlegende Entwicklungen wurden von der Mehrheit der Experten in beiden Staaten klar identifiziert. Ganz oben steht ein starkes Wachstum des Medienangebots. Dieses zwingt die Akteure der Regierungskommunikation, mehr mediale Kanäle als früher zu bedienen. Zudem können die Konsumenten unter einer größeren Zahl an Nachrichtenquellen auswählen. Der zweite benannte Komplex lässt sich unter dem Begriff der Beschleunigung zusammenfassen. Seit den 90erJahren ermöglichen neue individuelle Kommunikationsmittel (E-Mail, Mobiltelefon) einen schnelleren Fluss von Informationen von den Offiziellen zu den Journalisten und weiter zu den Rezipienten. Die Befragten gaben an, dass die mediale Agenda dynamischer geworden ist. Themen kommen schneller in die Schlagzeilen, stehen aber auch kürzer im Schlaglicht der Medien als früher. Der dritte Trend ist ein verschärfter Konkurrenzdruck der Medien untereinander, sowohl inner- als auch intramedial und personell. So müssen Zeitungen z.B. versuchen, Antworten darauf zu finden, dass ihre Leser die Nachrichten des gestrigen Tages schon vielfach im Fernsehen oder Internet gesehen haben. Freie Journalisten kämpfen um ihre Existenzgrundlage. Sie alle glauben nur bestehen zu können, wenn sie ihren Rezipienten exklusive Inhalte bieten, Geschichten und Angebote, die die Konkurrenz nicht hat.
67
Siehe zu den Unterscheidungen in der Amerikanisierungsdebatte Abschnitt 3.3 dieser Arbeit sowie Donges, Amerikanisierung, S. 35-37 und Korte, Strukturen, S. 265.
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Das erhöht den Druck auf die Reporter, tatsächlich oder vermeintlich Unbekanntes zu enthüllen oder Bekanntes in eine sensationellere Verpackung zu stecken.68 Diese von den Befragten genannten Faktoren wirken auf den politischen Prozess und das Nachrichtenbild der Bürger. In Abschnitt 2.2.1 waren Politik und Medien als Systeme dargestellt wurden. Laut dem Phasenmodell zum politischen Prozess von Jarren/Donges69 wirken die Medien auf die Abschnitte der Problemartikulation, -definition und Politikdefinition. Wenn sich die Umschlagsgeschwindigkeit von Themen in der medialen Agenda ändert, wirkt dies auf die Problemwahrnehmung der Bürger. Die Wahrnehmung nimmt einen erratischeren und hektischeren Verlauf an. Die politischen Akteure könnten sich mehr kurzfristigen Forderungen nach ihrem Handeln ausgesetzt sehen. Sie kommen bei einer größeren Zahl von Themen unter mehr Druck, ,endlich etwas zu tun’. Es bleibt in der medialen Arena weniger Zeit für eine tiefer greifende intellektuelle Auseinandersetzung, ob wirklich ein Problem besteht und wie es gelöst werden kann. Eine differenziertere Mediennutzung aufgrund eines gewachsenen Angebots lässt erwarten, dass die Politikwahrnehmung bei den Bürgern weniger uniform und mehr individuell ausfällt. Zudem erzeugt die Betonung sensationeller Nachrichtenfaktoren infolge des Drucks nach exklusiven Inhalten ein skandalisierendes Bild politischer Vorgänge, das das Vertrauen der Bürger in den demokratischen Prozess schwächen kann. Die Trends betreffen die politischen Bühnen in der Bundesrepublik und im Vereinigten Königreich gleichermaßen. Doch zeigten sich auch klare Unterschiede zwischen beiden Staaten. In Deutschland wurden viele Tendenzen im Zusammenhang mit dem Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin erwähnt. Die räumliche Verlagerung der Hauptstadt hat offenbar einige Trends verstärkt und herausgehoben, z.B. den verschärften Konkurrenzkampf der Reporter in der Hauptstadt. In Großbritannien waren jene Aspekte deutlicher ausgeprägt, die ein antagonistisches Verhältnis zwischen politischen und journalistischen Akteuren anzeigen. Häufiger als in Deutschland sprachen die britischen Experten von einer Zunahme des Kampagnen-Journalismus, von Skandalisierung und Zynismus in den Medien. Es war vom Druck der Reporter auf die Regierung die Rede, interessantes Nachrichtenmaterial zu produzieren. Zudem berichteten viele Experten davon, dass die Regierungskommunikation selbst in britischen Medien zum Thema geworden sei. Darauf wird unten in den Anmerkungen zu FF10 noch näher eingegangen. Alle diese Aspekte wurden auch von den deutschen Befragten erwähnt, jedoch bei Weitem nicht so häufig wie in London. 70 Damit sieht sich die britische Regierung, nicht erst seit Blair, dem Säurebad einer sehr aggressiven Journalismuskultur ausgesetzt: Sie muss sich mehr noch als die deutsche Bundesregierung anstrengen, Gehör für ihre Mitteilungen und Ansichten zu finden und Kritik abzuwehren. Die befragten Politikvermittlungsexperten und Journalisten führen die oben genannten Punkte aus eigener praktischer Erfahrung an. Es ist somit zu vermuten, dass diese Trends von ihnen in der täglichen Arbeit als handlungsrelevante Fakten betrachtet werden. Die Regierungskommunikation muss sich wohl oder übel auf die Veränderungen einstellen. Dies gelang der Regierung Schröder allenfalls teilweise. Den Angaben der Experten zufolge demonstrierten nur einzelne Akteure und Institutionen der rot-grünen Regierung, dass sie den Wandel des Umfelds für Politikdarstellung schon erfasst hatten. So war davon die 68
Vgl. hierzu Abschnitt 6.1.1 dieser Arbeit. Siehe auch Abschnitt 3.2. Vgl. Abschnitt 2.2.1 und Jarren, Mediengesellschaft 2, S. 47. 70 Vgl. Abschnitt 6.1.1 sowie die Tabellen zu Q12 im Anhang. 69
7.3 Postmoderne Beziehungen – Politik und Medien in London und Berlin
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Rede, dass einzelne PR-Berater in die Arbeit eingebunden seien, dass einzelne Akteure der Bundesregierung die Bedeutung der Bebilderung ihrer Politik gelernt hätten oder dass Reaktionsschnelle auf Berichte und kommunikative Disziplin oft nicht gegeben sei. Die Experten hielten die Reaktion der rot-grünen Regierung auf die Veränderung ihrer kommunikativen Umwelt damit für deutlich ausbaufähig.71 Die britischen Beiträge ließen hingegen insgesamt verlauten, dass sich die LabourRegierung auf die Mediengesellschaft eingestellt hatte. Eine Mehrheit der Experten erklärte, die Regierung Blair gehe aktiv auf die Journalisten zu und versuche, ihre Kernbotschaften auf die mediale Agenda zu setzen. Dass auch hier Kritik überdeutlich hörbar war, lag an der wahrgenommenen Überreaktion New Labours auf die Veränderungen: Viele Befragten sahen die Politikvermittlungsexperten als zu mächtig, die Darstellungspolitik insgesamt als überzeichnet an.72 Die Diagnose aus den Befragungen lautet also: Während die Regierung Schröder in Gänze zu wenig abgestimmte Reaktion auf das neue Medien-Umfeld zeigte, demonstrierte Blairs Ansatz mit seinem zentralen Zugriff auf die Informationspolitik und seiner Imagefixierung zu viel davon. Viele Befragte äußerten sich besorgt über die Wirkungen der temporeichen Medienkultur auf die demokratischen Institutionen. Zwei sehr nachdenkliche Bemerkungen von Redakteuren sollen hier gesondert zitiert werden. Ein in London ansässiger Journalist erklärte, die Ökonomisierung der britischen Medien sei weiter fortgeschritten als die der deutschen. Doch in beiden Staaten herrschten parallele Tendenzen: „Der Rhythmus von Politik und Medien driftet immer weiter auseinander. Der Rhythmus der Medien ist kurzatmig, ungeduldig. 24 Stunden, wenn nicht noch kürzer. Man braucht in Schlagzeilen dramatische Storys, reißerische Geschichten. […] postideologische Politik ist […] langfristiger, langweiliger, pragmatischer, und wenn man dann irgendwelche Bildungsreformen macht, dann zeigen die vielleicht Effekte in fünf Jahren. […] Deshalb dieser clash zwischen dem, was die Medien eigentlich wollen, brauchen in diesen verschärften Auflagen- und Einschaltquotenkriegen und dem, was die Politik bietet. […] auch die Sprache unterscheidet sich. Wenn ich in Deutschland Politiker höre, wie vorsichtig, ängstlich, politisch korrekt, bürokratisch sie formulieren […] dagegen ist die Sprache der Medien hart, reißerisch und knallig.“73
Ein leitender Redakteur einer seriösen Zeitung in Berlin zeichnete das Bild einer krisenhaften Situation im Verhältnis zwischen Politik, Medien und Bürgern, für die bisher keine Lösung gefunden sei: „Einmal gibt es große Veränderungen in der Politik selbst, und es gibt große Veränderungen in der Medienwelt. Und diese beiden Veränderungen überlagern sich und verstärken sich gegenseitig. Und manchmal in unguter Weise. […] was man gängig, kulturpessimistisch als zu großes Tempo, Schlagzeile statt Hintergrund, Sensation statt Kontext usw. bezeichnet. Die Veränderungen in der Politik sind einfach, deswegen reden wir auch über Spin Doktoren, dass sie mit dem Verlust der Lager und der Trennschärfen zwischen den politischen Parteien eben die politische Person, den Spitzenakteur sehr viel wichtiger macht. […] Also wo das Inszenatorische ohnehin aus der Politik heraus stärker wird und das Fernsehen und […] bildhafte andere Medien
71
Vgl. Abschnitt 6.1.2 und die deutsche Tabelle zu Q15 im Anhang. Vgl. Abschnitt 6.1.2 und die britische Tabelle zu Q15 im Anhang. 73 J/G/6-Q12. 72
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7 Bilanz – Spin ist tot, lang lebe Spin natürlich nach Inszenierung schreien. Da gibt es diese Effekte, dass eben das Kurzatmige und das Sichtbare das Hintergründige und das zu Erklärende sehr stark dominiert.“74
Diese beiden Zitate zeigen schon, dass im Zusammenhang mit dem Wandel zur Mediengesellschaft Fragen nach der Stabilität des demokratischen Systems lauter werden. Forschungsfrage 9 fokussierte daher darauf, ob eine Professionalisierung der Politikvermittlungsexperten dazu führt, dass die Gesellschaft besser oder schlechter über Politik informiert wird. In beiden Staaten wurden mit den Experten die demokratietheoretischen Implikationen, Chancen und Gefahren der Mediengesellschaft für die Regierungskommunikation diskutiert. In Großbritannien verwies eine Mehrheit der Experten zuallererst auf den Vertrauensverlust, für den sie die Regierung Blair mit ihrer allzu selbstbewussten Informationspolitik verantwortlich machten. Sie habe in ihren öffentlichen Aussagen zu sehr ihre positiven Botschaften akzentuiert. Dazu habe sie bewusst Journalisten irregeführt, indem sie wichtige, fürs eigene Ansehen negative Zusatzinformationen weggelassen habe. So wurden neue Investitionsprogramme etwa mehrfach bekannt gegeben. Selbst LabourPolitiker bestritten diese Vorwürfe am Ende von Blairs erster Amtszeit nicht mehr.75 Als besonders verhängnisvoll erwies sich die Taktik der selektiven Ehrlichkeit: Die Blair-Regierung unterstrich häufig jene Teile der Wahrheit, die ihr vorteilhaft erschienen, spielte mit der Bedeutung von Worten und versuchte unvorteilhafte Fakten so gut wie möglich zu verstecken. Nun war es wohl schon immer das Geheimnis erfolgreicher PR, das Positive zu unterstreichen und das Negative zu übertünchen. Von einem hohen Staatsorgan wird aber mehr erwartet als reine PR: Würde, Transparenz und zumindest eine gewisse Neutralität. Das gilt auch in der Mediengesellschaft mit ihrem Verlangen nach kurzen, klaren, eindeutigen Botschaften. So wurde das Vorgehen von Blair und seinen Mitarbeitern zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung: In der Annahme, dass der Respekt vor der Obrigkeit ohnehin verschwunden sei, beschädigten sie weiter das Ideal, dass Informationen aus der Exekutive neutrale, nur am Gemeinwohl orientierte Aussagen darstellen. Sie nährten den Zynismus bei den Journalisten gegenüber der Exekutive und untergruben das Vertrauen der Bürger in die Verlässlichkeit von Aussagen und Statistiken der Regierung. Dazu gesellte sich bei den Experten in London die Sorge um den Erhalt der Überparteilichkeit des Beamtenapparats in der Regierung. Die traditionelle Trennung zwischen der neutralen Beamtenschaft, der es auf langfristige Stabilität und Glaubwürdigkeit ankommt, und den parteipolitischen Interessen der Führung, die auf den nächsten Wahlsieg ausgerichtet sind, sei unter Blair aufgeweicht worden. Dies bedrohe auch die Reputation des Beamtenapparats. Eine weitere Kritik der Befragten an der Blair-Regierung war ihre Ausrichtung auf kurzfristig gute Schlagzeilen, statt langfristig greifbare Verbesserungen vorzuweisen.76 Dies berührt ein weiteres Dilemma postmoderner Regierungskommunikation. Die Möglichkeiten der demokratischen Institutionen, Nachrichten zu schaffen, sind begrenzt. Sie sind meist an langwierige Entscheidungsprozesse gebunden. Die Medien brauchen aber Neuigkeiten, die sie verbreiten können. Sie erwarten daher von der Regierung ständig Berichtenswertes. Aus diesem Dilemma gibt es kaum Auswege: Die Regierung kann ständig neue Initiativen verkünden, die Aktivität vorgaukeln – damit wären Enttäuschungen der 74
J/D/4-Q12. Vgl. die Abschnitte 4.1.4, 6.1.2 und 6.5.1 und die britische Tabelle zu Q16 im Anhang II. Zur Selbstkritik innerhalb des Labour-Führungszirkels s. Mandelsons öffentlich demonstrierte Reue in Mandelson, Trust. 76 Vgl. Abschnitt 6.5.1 dieser Arbeit und die britische Tabelle zu Q16 im Anhang. 75
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Bürger programmiert. Sie könnte auf der Autonomie von Entscheidungsprozessen beharren, schweigen und sich damit in die Gefahr begeben, dass gegnerische Akteure den medialen Platz einnehmen. Oder sie kann Altbekanntes ein weiteres Mal verkünden, mit der benannten Folge, dass langfristig das Misstrauen gegenüber ihren Angaben wächst. Eine weitere, häufig in den Interviews genannte Besorgnis war die Macht von Politikvermittlungsexperten, die nach Ansicht von Kritikern jenseits der demokratischen Kontrolle liegt. Einige Befragte kritisierten, Campbell und einzelne seiner Kollegen hätten sich selbst zu Prominenten entwickelt. Blairs Zentrale habe zu viel Macht an sich gezogen. Korte brachte die Befürchtungen einer Gefährdung des demokratischen Prinzips durch Berater von Spitzenpolitikern 2003 so auf den Punkt: „Demokratietheoretisch stimmt es bedenklich, wenn immer mehr ,Erwählte’ an Stelle der ,Gewählten’ an Einfluss gewinnen. […] Da Regieren sich aber zunehmend kommunikationsabhängig und verflochten im Sinne eines Interdependenzmanagements gestaltet, nehmen Prozesse der Informalisierung – und damit auch das Gewicht von Maklern – potentiell zu. Ihr Einfluss besteht eben nicht nur in der Informationsaufbereitung, sondern auch in der Informationsinterpretation, was einer inhaltlichen Politikausrichtung gleichkommt.“77
Als Leistung der Blair-Regierung erkannten einige Befragte an, ihre Informationspolitik sei insgesamt eine angepasste Reaktion auf das Medienumfeld gewesen. Blair verordnete seiner Partei eine strikte Kommunikationsdisziplin und versuchte, diese auch in der Regierung durchzuhalten. Sein Argument, zerstrittene Parteien würden von den Wählern nicht goutiert, hat einige empirische Berechtigung. Aber dies setzt die Ausschaltung von Diskussionen, Widerständen und Vetospielern voraus.78 Walter bezeichnete das als neoautoritären Zug der Politik. Gefordert werde geschlossenes Auftreten, sonst gälten Parteien in den Pressekommentaren als chaotisch und nicht regierungsfähig. Die Folge dessen sei, dass die Akteure in Regierungen, Fraktionen und Parteiorganisationen verstummten. Die politische Debatte sei dann nicht mehr interessant und fesselnd. Das beschleunige nur ihren Bedeutungsverlust und mindere den Respekt bei den Bürgern.79 Alle diese Punkte zeigen, dass eine Regierung im postmodernen Medienzeitalter Gefahr läuft, so zu enden wie das Opfer in der Geschichte vom Hasen und Igel: Egal wie schnell sie (der Hase) sich an neue Gegebenheit anpasst, die Medien (der Igel) sind immer schon einen Schritt weiter – entweder muss sich die Regierung für ineffektive Pressearbeit oder für zu viel PR kritisieren lassen. Bei den deutschen Befragten waren weniger Bedenken gegenüber der Medienarbeit der Bundesregierung zu hören, wenn auch das Lob alles andere als überschwänglich ausfiel. Viele Befragte erkannten an, dass sich die Akteure der Regierungskommunikation um schnellere Antworten auf Medienberichte und effektivere Themenkoordination bemüht hätten. Dies wurde als adäquate Reaktion auf die Presselandschaft eingeordnet. Einzelne Befragte gaben ihrer Sorge Ausdruck, dass Regierungs-PR zu oberflächlich werde und das die Bürger von demokratischen Institutionen entfremde. Dies wurde aber auch mit der Hoffnung kontrastiert, dass die Bürger allergisch auf Überinszenierungen reagieren würden. Zudem wurde analog zu Großbritannien die Besorgnis laut, der seriöse, überparteiliche 77
Korte, Machtmakler, S. 38. Als Machtmakler bezeichnet Korte freilich allgemein Personen im Umfeld von Regierungschefs, darunter Regierungssprecher und Medienberater, aber auch Büroleiter oder Stabs- bzw. Kanzleramtschefs. Vgl. dazu auch die ähnliche Aussage von W/G/1-Q16 im Anhang oder in Abschnitt 6.5.1. 78 Siehe Abschnitt 6.5.1. 79 Vgl. Walter, Toskana, S. 55f.
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Informationsauftrag der Bundesregierung könnte gefährdet sein, wenn sie sich allzu werblich für die eigenen Ziele gebärde.80 Eine Beobachtung der Experten ist besonderer Betrachtung wert: der bereits mehrfach erwähnte Vorwurf an die Regierung Schröder, es habe an einer politischen Gesamtstrategie gefehlt.81 Mit anderen Worten: Der wichtigste Fehler der Regierungskommunikation von Rot-Grün lag eher in der Unterlassung strategischer Planung, nicht in der übertriebenen Ausrichtung an der eigenen Wirkung wie bei Blair. Zu oft wurde ein kommunikativer Erfolg (z.B. in der ersten Wahlperiode durchgesetzte Reformen) durch eine neue, gegenteilige Botschaft (wie die 2001 von Schröder ausgerufene Politik der ruhigen Hand) völlig konterkariert. Der Mangel stabiler Orientierungsmarken erwies sich als schädlich. Täglich geisterten widersprüchliche Vorschläge und Ideen aus den Koalitionsparteien durch die Medien. Der Bundesregierung war es unmöglich, selbst absurde, chancenlose Gedanken unter Verweis auf ihren klaren Kurs hinreichend zu diskreditieren und so schnell aus dem Diskurs zu ziehen.82 Plötzliche Strategiewechsel wie die Aufgabe der strikten Sparpolitik 2002 müssen kommunikativ langfristig vorbereitet werden und können nicht unvermittelt als vollendete Tatsache verkündet werden. Der Mangel an politisch-strategischer Orientierung manifestierte sich in der mangelhaften kommunikativen Durchdringung der eigenen Projekte. Hinzu kam, dass die rot-grüne Regierung die kommunikative Dimension der eigenen Vorhaben häufig zu spät entdeckte. Sie wurde häufig aufgrund vernachlässigter Vorsorge von Protesten gegen Reformen überrascht.83 Die Wirkung jedes größeren Projekts sei zeitweise außer Kontrolle geraten, schrieb die frühere Mitarbeiterin im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Susanne Gasde.84 Ihr Kollege im Verkehrministerium, Michael Marten, stellte fest, Kommunikation sei für die Schröder-Regierung häufig defensives Rückzugsgefecht gewesen und nicht offensives Werben zum Gewinn von Gestaltungsoptionen. Auf technischer Ebene sei zwar solide Arbeit gelungen, aber eine unbeabsichtigte Konsequenz der sieben rot-grünen Jahre sei ein Vertrauensverlust in die Möglichkeiten von Regierungs-PR und in die Kompetenz von politischer Kommunikationsberatung.85 Die Regierung Schröder erhöhte durch mangelhafte strategische und kommunikative Planung die Verunsicherung der Bürger in wirtschaftlich schwierigen Zeiten – auch das ist ein bedenkliches Zeugnis für die Wirkung der Regierungskommunikation. Damit lässt sich für beide Regierungen zumindest auf handwerklicher Ebene eine Modernisierung der PR-Arbeit konstatieren. Dies wurde natürlich von den unmittelbaren Adressaten aktueller Informationspolitik, den Politikjournalisten, sehr aufmerksam registriert. Forschungsfrage 10 richtete sich auf die Reaktion der Medien auf eine Professionalisierung der Regierungskommunikation. Besonders die sogenannte Metaberichterstattung, die Darstellung der Techniken, Akteure und mutmaßlichen Wirkungen der politischen Kommunikation in den Medien, hat sich zu einer Spielart entwickelt, die PR-Akteure nicht ignorieren können. Bei der Befragung zeigte sich in beiden Staaten eine wahrgenommene Zunahme der Metaberichterstattung, allerdings in unterschiedlicher Intensität. So sprach eine Mehrheit der Experten für die Bundespolitik zwar von einem Ansteigen metakommunikativer Beiträge in den Medien. Aber insgesamt ordneten viele von ihnen diese als klares 80
Vgl. Abschnitt 6.5.1 und die deutsche Tabelle zu Q16 im Anhang. Vgl. Abschnitt 6.1.2. 82 Siehe Abschnitt 6.1.1. 83 Siehe Abschnitt 6.1.2. 84 Vgl. Gasde, Reformkommunikation, S. 412. 85 Vgl. Marten, Denkste, S. 137f. 81
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Randphänomen ein. Zudem wurde diese journalistische Spielart überwiegend mit Wahlkampf-Berichterstattung assoziiert. Sie hatte damit für den Regierungsalltag wenig Bedeutung.86 In Großbritannien spürten die befragten Experten ein erweitertes Interesse der Medien am Prozess der Regierungskommunikation. Stärker als in Deutschland wurde der Eindruck berichtet, in den journalistischen Endprodukten würden Personen und ihre Images wichtiger als politische Inhalte. Einige sprachen zwar von einem Rückgang der Metaberichterstattung nach dem Ausscheiden Campbells aus der Downing Street im Sommer 2003. Das metakommunikative Element hat sich aber zu einer ständigen Spielart des britischen Politikjournalismus entwickelt, die nach Ansicht der Befragten bestehen bleiben wird, auch wenn sie zyklisch zu- und abnimmt.87 Mindestens so wichtig wie die Einschätzungen zur Häufigkeit der Metaberichterstattung ist ihre Bewertung durch die Befragten. Der journalistische Blick hinter die Kulissen soll das Wirken der Politikvermittlungsexperten öffentlich machen. Die Metakommunikation ließe sich damit als nötige Erweiterung der demokratischen Kontrollfunktion der Medien interpretieren, da PR-Aspekte eine wichtigere Rolle in der politischen Planung einnehmen. Sie kann auch als feuilletonistische Ergänzung der allgemeinen Politikberichterstattung angesehen werden, als Theaterkritik zur zunehmenden Inszeniertheit politischer Ereignisse. Andererseits kann es sich um reinen „Journalisten-Journalismus“88 handeln, in dem Reporter Insider-Referenzen einflechten, um unter ihren Kollegen Ansehen zu gewinnen. Eine zynische Interpretation identifiziert Metakommunikation als Möglichkeit für Journalisten, politische Inhalte links liegen zu lassen und sich ganz auf den einfachen Prozess der Vermittlung und Spekulationen zu konzentrieren. Alle diese Auslegungen waren in den Befragungen zu hören. Dazu gesellte sich in beiden Ländern Kritik an den PRAkteuren: Zu häufig hätten diese selbst das Licht der Medienöffentlichkeit gesucht und die ihnen zukommende Aufmerksamkeit genossen. Damit hätten sie in Kauf genommen, dass ihre Auftraggeber als Marionetten dargestellt werden konnten. Insgesamt stellte die Metaberichterstattung nach diesen Aussagen keine Bedrohung sämtlicher politischer PRBemühungen, sehr wohl aber ein Gegengewicht zu professionellerer Regierungskommunikation dar. Erwies sich die Arbeit eines PR-Experten als zu auffällig, sorgte das Medienecho früher oder später für eine Einschränkung seiner Macht.89 Insgesamt ließ sich aus den Antworten heraushören, dass Metaberichterstattung eine natürliche Reaktion der Medien auf die verstärkte Kommunikationsabhängigkeit politischer Institutionen darstellt. Von der Regierung wurde professionelle Informationspolitik erwartet, aber auch ein unaufdringliches und diskretes Agieren, kein aggressives und allzu parteiliches Propagieren der eigenen Politik. So war Campbells Rolle, gerade auch vor dem IrakKrieg, viel mehr als das eines Sprachrohrs. Er hatte 1997 exekutive Kompetenzen erhalten und galt als rechte Hand Blairs. Zudem erwies sich die Bevorzugung gewogener Journalisten oder Benachteiligung kritischer Reporter durch die offiziell neutrale, vom Steuerzahler finanzierte PR-Maschinerie der Regierung als Ärgernis für Journalisten und damit als ein Thema für ihre Berichterstattung.90 Auch die Nutzung von Techniken zur Steuerung der 86
Vgl. Abschnitt 6.5.2 und die deutschen Tabellen zu Q17 und Q19 im Anhang II. Vgl. Abschnitt 6.5.2 und die britischen Tabellen zu Q17 und Q19 im Anhang II. 88 So die Bezeichnung eines Experten der Parteien- und Kampagnenkommunikation. P/D/18-Q17. Im Anhang. 89 Vgl. Abschnitt 6.5.2 und die Tabellen zu Q18 im Anhang II. 90 Siehe hierzu die Erläuterungen zur Arbeit Campbells in den Abschnitten 4.1.2 und 4.1.4 sowie zur Kontroverse um Schröders Boykott einzelner Presseorgane im Abschnitt 4.2.2. Siehe auch Abschnitt 6.5.2. 87
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öffentlichen Aufmerksamkeit, etwa das (schon lange praktizierte) Platzieren unvorteilhafter Berichte an nachrichtenreichen Tagen (burying bad news), verdiente es nach Aussage der Experten, von den Medien kritisch durchleuchtet zu werden, um Missbräuchen von Informationsmonopolen aufseiten der Exekutive entgegenzuwirken. 91
7.4 Regieren in der Mediengesellschaft Um zu einem umfassenden Bild der postmodernen Regierungs-PR in beiden Staaten zu gelangen, werden die gewonnenen Erkenntnisse nun als typologische Theorien zusammengefasst und hieraus konkrete Empfehlungen für die Darstellungspolitik abgeleitet. Dies folgt der Empfehlung von George/Bennett, dass typologische Theorien anwendungsfähiges Wissen für die Praxis mit sich bringen sollten. Sie verstehen Politikwissenschaft nicht als rein theoretische Kunde, sondern auch als Ingenieurwesen für politische Entscheidungsträger.92 Aus den im Vorstehenden aufgeführten Antworten auf die zehn Forschungsfragen lassen sich analog zunächst zehn Thesen ableiten, die die Regierungskommunikationen unter Schröder und Blair beschreiben: 1.
2.
3.
4.
5.
91 92
In der Amtszeit der Regierung Blair zeigte sich ein nennenswerter Anstieg der Zahl der externen Politikvermittlungsexperten, v.a. durch die Ernennung von bis zu 80 Sonderberatern als persönliche Assistenten des Premiers und der Minister. Da diese Akteure die Journalisten nur unter der Bedingung informierten, dass ihre Namen nicht genannt werden, beschleunigte die Regierung den Trend zu nicht belegten Zitaten in der Politikberichterstattung. Diese Entwicklung zur Externalisierung der Informationspolitik und zur Informalisierung des Politikjournalismus war unter der Regierung Schröder in Deutschland nicht zu beobachten. Die Termini Spin, Spin Doctor und Spin Doctoring sind undefinierbar und daher als sozialwissenschaftliche Kategorien ungeeignet. Spin kann jegliche Bedeutung zwischen legitimer politischer PR und illegitimer, absichtlicher Desinformation annehmen. Der Begriff Spin Doctor erweist sich als ein v.a. von Journalisten gewobener Mythos. Unter Rot-Grün wurden journalistische Erfahrungen als Basis für eine Arbeit als Politikvermittlungsexperte wichtiger, v.a. für externe Akteure. Diese Beobachtung gilt auch für die Blair-Regierung, aber hier schwerpunktmäßig für PR-Experten im Beamtenapparat. In beiden Fällen handelte es sich jedoch um langsam voranschreitende Entwicklungen. Die Regierungen Blair und Schröder haben die Techniken der politischen PR weiterentwickelt, jedoch keine neue Qualität der Politikvermittlung erreicht. Vielmehr passten sie bekannte Instrumente an die Bedingungen von 24 Stunden aktiven, beschleunigten Informationsmedien an. In den Regierungen Schröder und Blair nahmen Politikvermittlungsexperten Einfluss nicht nur auf die PR-Arbeit, sondern auch auf politische Konzeptionen. Eine Trennung von Entscheidungs- und Darstellungspolitik ist immer weniger möglich. Die stärkere Verschmelzung beider Politikdimensionen ist eine Erscheinung der neusten Zeit.
Siehe dazu die Abschnitte 4.1.4 und 6.5.2. Vgl. Abschnitt 5.3 dieser Arbeit und George, Case, S. 263-269.
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6.
In der Schröder-Regierung haben Politikvermittlungsexperten keine institutionellen Machtgewinne erzielt. Eine Aussage zu ihrem informellen Einfluss war aufgrund widersprüchlicher Ergebnisse nicht möglich. Die Blair-Regierung zeichnete sich durch einen Machtzuwachs für PR-Akteure aus, sowohl in hierarchischen Organisationsschemata als auch in individuellen Beratungskonstellationen. 7. Zu Beginn der Amtszeiten von Blair und Schröder 1997/98 existierte auf beiden Seiten die Bereitschaft, voneinander in puncto Politikplanung und -darstellung zu lernen. Entsprechende Versuche führten jedoch zu wenigen konkreten Ergebnissen. Die Veränderungen der Mechanismen der Regierungs-PR unter Rot-Grün erfolgten als weitgehend eigenständige Anpassung an die medialen Bedingungen. 8. Die für politische Akteure handlungsrelevanten Veränderungen des Kommunikationsumfelds sind in beiden Staaten analog feststellbar. Das mediale Angebot ist in den letzten 20 bis 30 Jahren explosionsartig gewachsen – beide Länder sind zu Mediengesellschaften mutiert. Der Fluss von Informationen und die mediale Agenda sind dynamischer geworden. Die Medien befinden sich in einer verstärkten Konkurrenzsituation. Der letztere Trend war in Großbritannien besonders deutlich ausgeprägt, ebenso wie eine mediale Tendenz zur Skandalisierung und zum Kampagnen-Journalismus. 9. Beiden Regierungen gelang es, sich auf handwerklich-technischer Ebene an das veränderte mediale Umfeld einzustellen. Das proaktive, teils aggressive Einwirken der Blair-Regierung und ihre Taktiken der selektiven Ehrlichkeit schwächten jedoch das Vertrauen der Journalisten und Bürger in die offizielle Informationspolitik. Die Schröder-Regierung unterschätzte hingegen häufig die kommunikativen Aspekte ihrer politischen Projekte und beschädigte so das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Regierung. 10. Die Metakommunikation, die journalistische Berichterstattung über die politische Kommunikation selbst, spielte zu Zeiten der Schröder-Regierung im politischen Alltag eine geringe Rolle. Sie ist außerhalb von Wahlkämpfen nur geringfügig gewachsen. In Großbritannien war hingegen ein deutlich gesteigertes mediales Interesse an der Regierungskommunikation spürbar. Aus diesen Thesen und den weiteren Erkenntnissen dieser Arbeit können nun zwei typologische Theorien als Hauptthesen zur jeweiligen Regierungs-PR unter Bundeskanzler Gerhard Schröder abgeleitet werden. Die starke Expansion und Beschleunigung des medialen Nachrichtenflusses übt Druck auf die Regierenden in allen westlichen Industriestaaten aus, ihre Darstellungspolitik an die vielfältigen medialen Plattformen mit ihren unterschiedlichen Zielgruppen anzupassen. Es setzt die politischen Akteure und ihre Politikvermittlungsexperten außerdem unter Zugzwang, schnell und umfassend auf die verschiedensten Ereignisse, Äußerungen und Gerüchte zu reagieren. Zwischen Medien und Politik ist eine Rüstungsspirale in Gang gekommen, wie die Beobachtungen in beiden Staaten zeigen. Journalisten sind auf der Suche nach aufsehenerregenden Nachrichten, die Praktiker der Regierungskommunikation reagieren darauf mit professionellerer Vorbereitung und Vergabe oder Entzug von exklusiven Zugängen. Darauf antworten viele Medien wiederum mit dem Vorwurf der Inszenierung und der Zensur. Diese Veränderungen trafen die deutschen und britischen Regierungsakteure gleichermaßen. Ihre Regierungskommunikation fand unter den Bedingungen einer postmodernen Mediengesellschaft statt.93 93
Zum Begriff der Postmoderne s. Abschnitt 2.1.
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Die Unterschiede zwischen den beiden Regierungen wurden zunächst geprägt von den jeweils vorhandenen politischen Kommunikationskulturen vor Ort: So ist etwa das Verhältnis von Politik und Medien in Großbritannien auf nationaler Ebene antagonistischer als in Deutschland. Die Aufweichung der Trennung von Nachricht und Kommentar, die Boulevardisierung und Neigung zum Kampagnen-Journalismus zeigte sich den Befragungen zufolge in den britischen Medien ausgeprägter. Die Struktur politischer und medialer Institutionen erwies sich in Großbritannien als wesentlich zentralistischer als in der föderalen Bundesrepublik. Zwar ist mit dem Umzug nach Berlin die Bedeutung der Hauptstadt als Nachrichtenmarkt unübersehbar gewachsen, doch verfügt die Bundesrepublik weiterhin über andere regionale Zentren.94 Die britische Regierung sieht sich gezwungen, wesentlich offensivere PR-Techniken auf die in London ansässigen national bedeutenden Medien zu konzentrieren, um sich bei den Bürgern Gehör zu verschaffen. Die deutsche Bundesregierung kann weiterhin darauf hoffen, dass die verschiedenen regionalen Medien ihre Mitteilungen zumindest ungefiltert berichten werden, so kritisch die begleitenden Kommentare auch sein mögen. Die typologische Theorie der Informationspolitik der Regierung Blair von 1997 bis 2007 wird benannt als postmoderne Regierungskommunikation mit strategischproaktivem Charakter. Sie enthält innerhalb der oben benannten Rahmenbedingungen die folgenden Elemente: Sämtliches Wirken der Blair-Regierung wurde als Teil ihrer PRStrategien begriffen und auf seine kommunikative Wirkung hin perfektioniert. Die PRAkteure erhielten in der Regierungsarbeit institutionell und informell mehr Einfluss. Sie entschieden in Beratungsprozessen über politische Inhalte mit. Sie wirkten sehr aktiv auf die Journalisten ein, um die mediale Agenda in ihrem Sinne zu bestimmen. Durch die Ernennung einer Vielzahl der an den jeweiligen Minister gebundenen Sonderberater wurde Informationspolitik v.a. in der ersten Amtszeit externalisiert. Dem teilweise sehr aggressiven Stil der Journalisten setzten die PR-Experten der Blair-Regierung ebenso offensive Techniken entgegen. Dies nährte allerdings das Misstrauen und den Antagonismus der medialen Akteure. Damit changierten die Beziehungsmodi von Regierung und medialem System von einer anfangs oft erfolgreichen Instrumentalisierung der Medien durch die Regierungs-PR über eine Symbiose bis hin schließlich zur Gewaltenteilung, in der sich oft beide Systeme antagonistisch gegenüberstanden. Die Medien versuchten permanent, über ihre Metaberichterstattung die Außendarstellung der Blair-Regierung, als Spin etikettiert, zu diskreditieren. Die institutionellen Reformen der PR-Institutionen 2003 läuteten eine zurückhaltendere Medienarbeit ein. Das Verhältnis beider Seiten sollte weniger antagonistisch ausfallen und wieder mehr in Richtung einer Symbiose gestaltet werden.95 Tony Blair hatte im Gegensatz zu Schröder die Möglichkeit, seine Partei ab 1994 in seinem Sinne umzuformen. Seine Wertvorstellungen (v.a. seinen Widerstand gegen ein Zurück zu staatssozialistischen Ideen) machte er konsistent immer wieder klar. Er richtete seine politischen Projekte an dieser Linie aus. Die Protagonisten von New Labour hatten nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ihr Ideal eine enge Verbindung von Darstellungsund Entscheidungspolitik ist. Die vorausschauende Beachtung der öffentlichen Wirkung im Prozess der Politikentwicklung war ein Herzstück der Idee von New Labour. Das setzte
94 95
Siehe die Abschnitte 3.2 und 6.1. Zu den Paradigmen des Verhältnisses von politischem und medialem System s. Abschnitt 2.2.1.
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einen bewussten Kontrapunkt zur Tendenz der politischen Linken, der Reinheit der Ideologie zuweilen einen höheren Rang zuzuweisen als der eigenen Popularität.96 Blairs Regierung operierte mit einigen häufig wiederholten Kernbotschaften. Er zeigte ein gutes Verständnis für Anforderungen der Mediengesellschaft, unterstützt durch PRExperten wie Peter Mandelson und Alastair Campbell. 97 Doch der von ihm eingeführte professionellere Stil der Regierungskommunikation entwickelte sich recht schnell zum Glaubwürdigkeitsproblem. Blair und seine Mitarbeiter zeigten ein großes Bedürfnis, die Medienagenda für sich einzunehmen. Sie verschwendeten viel Aufmerksamkeit auf die wechselnden Launen mancher Printprodukte und bemühten sich in den ersten Regierungsjahren um ständig gute Schlagzeilen mithilfe von werbenden und aggressiven Techniken. Das ließ den (teilweise ungerechtfertigten) Eindruck entstehen, der Blair-Regierung gehe es zuallererst um die Manipulation der Medien in ihrem Sinne, mehr um Schlagzeilen als Inhalte. Die Erfolge der Regierungsarbeit wurden so überlagert. Selbst sehenswerte Ergebnisse und Statistiken ernteten Misstrauen, weil sie als ein Teil einer von der Regierung in Gang gesetzten PR-Täuschung diskreditiert werden konnten.98 Die offiziellen Untersuchungen zur Entscheidung für einen Krieg gegen den Irak sprachen die Blair-Regierung zwar vom Vorwurf der Lüge frei. Sie legten aber eindrucksvoll offen, wie sehr der Gedanke an die Prägnanz und Durchsetzung der eigenen Linie Standards der demokratischen Transparenz erodiert hatte.99 Die typologische Theorie der Regierungskommunikation der rot-grünen Bundesregierung von 1998 bis 2005 wird im Gegensatz zur Blair-Regierung als postmoderne Regierungskommunikation mit taktisch-passivem Charakter bezeichnet. Der Bundeskanzler vertraute auf sein persönliches Mediencharisma mehr als auf institutionelle PR-Expertise. Entscheidungen fielen oft situativ, ohne Regress auf strategische Grundsatzorientierungen. Kurzfristig konnten so öffentlichkeitswirksame Erfolge erzielt werden. Doch Veränderungen der Institutionen der Informationspolitik fanden zumeist nachholend statt, nachdem sich Koordinationsmängel und unzureichende Mechanismen im Umgang mit der Berliner Medienszene gezeigt hatten. Dieser passive Zugang steht im Gegensatz zur aktiven Reform der PR-Institutionen in der Blair-Regierung. Ein Machtzuwachs von PR-Akteuren konnte nicht verifiziert werden, ebenso wenig wie eine verstärkte Externalisierung der Informationspolitik an nicht institutionalisierte Politikvermittlungsexperten. Analog zur britischen Regierung war ein Wachsen des Einflusses von Darstellungsexperten auf die Entscheidungspolitik feststellbar. Doch dies bezog sich offenbar v.a. auf kurzfristige Politikplanung, da eine langfristige kommunikative Gesamtstrategie der rot-grünen Regierung vielerorts vermisst wurde. Der Beziehungsmodus zwischen der politischen Exekutive und dem Mediensystem schien zwischen 1998 und 2005 der Symbiose am nächsten zu kommen, auch
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Vgl. Jones, Politics, S. 193. Siehe u.a. Blairs in Abschnitt 4.1.4 zitierte Aussagen zur Mediengesellschaft. 98 Dies manifestierte sich v.a. im „I was lucky“-Syndrom: In der zweiten Amtszeit Blairs zeigten sich erste deutliche Verbesserungen öffentlicher Dienstleistungen wie Bildung oder Gesundheit. Während eine Mehrheit der Befragten in Meinungsumfragen die persönlichen Erfahrungen mit Schulen und Krankenhäusern vor Ort als gut beschrieb, ergab sich gleichzeitig eine Mehrheit, die einen allgemein schlechten Zustand der staatlichen Institutionen beklagte. Diese Lücke zwischen persönlicher Zufriedenheit und allgemeiner Malaise zeigte ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Optimismus der Blair-Regierung an (vgl. die Aussage eines Wissenschaftlers mit Erfahrungen in der Regierungs-PR, W/G/3-Q16 im Anhang und Marx, Boulevard, S. 212). 99 Siehe v.a. die Schlussfolgerungen in Hutton Report, S. 320f. und Butler Report, S. 76-92 und 163-176. 97
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7 Bilanz – Spin ist tot, lang lebe Spin
wenn sich Schröder besonders in seiner zweiten Amtszeit enttäuscht über viele Medienorgane äußerte.100 Der Mangel an langfristiger strategischer Planung erweist sich als Achillesferse der rot-grünen Regierung. Sie beherrschte im Laufe ihrer Amtszeit handwerklich die Erfordernisse der Mediengesellschaft besser und besser. Bundeskanzler Schröder verstand es, sich besonders im Fernsehen gut in Szene zu setzen. Das BPA entwickelte sich allmählich zu einer schnelleren, effektiveren Zentrale der Informationspolitik. Seine Mitarbeiter verstanden durchaus das Setzen markanter Botschaften. Die Koordination der Ministerien wurde im Rahmen der Möglichkeiten eines politischen Systems mit Koalitionsregierungen und verfassungsrechtlich verankerter Ressortautonomie verstärkt. Doch Bundeskanzler Schröder verzichtete bewusst auf antizipierende Politikplanung, da er sie in der hektischen Medienwelt für obsolet hielt. Es mangelte an der klaren Definition und am Durchhalten langfristiger, gut erkennbarer Orientierungsmarken der Regierungspolitik – an dem Verständnis, dass trotz kurzfristiger Herausforderungen ein langfristiger Zukunftsentwurf nötig ist, an dem alle Kommunikation aufgehängt werden kann.101 Einige Leitplanken des politischen Handelns existierten durchaus, wurden allerdings zu oft durchbrochen. Auf das Wahlversprechen von 1998, wirtschaftliche Freiheit und soziale Gerechtigkeit miteinander zu versöhnen, folgten in der ersten Amtszeit widersprüchliche Signale. Der neue Leitstern der Sparpolitik und Generationengerechtigkeit erwies sich ab 2002 als Schnuppe. Die mit der Agenda 2010 verbundene Grundidee „Weg von den Vergangenheitssubventionen, hin zu den Zukunftsinvestitionen“102 wurde mit Rücksicht auf die eigene Klientel eher verschämt als offensiv verbreitet. Diese Kritik verkennt nicht die elementaren Hindernisse, denen sich die Regierung Schröder stellen musste: die Unmöglichkeit einer von Anfang an einheitlichen Arbeitsgrundlage in einer Koalitionsregierung, die dünnen Mehrheiten im Bundestag und die Macht des fast immer oppositionell eingestellten Bundesrates. All dies zwang Rot-Grün zu Kompromissen – Regieren aus einem Guss war unmöglich. Hinzu kamen heftige Ausschläge in den Meinungsumfragen und ein wirtschaftlich äußerst missliches Umfeld nach Zusammenbruch der New-Economy-Blase 2001. Aber dies rechtfertigt an sich nicht den Verzicht auf klare Grundwerte und die häufigen Wechsel der rot-grünen Hauptbotschaften. Damit erschwerte sich Schröder selbst die Kommunikation und sorgte dafür, dass sich öffentliche Debatten noch mehr als sonst im Klein-Klein der Einzelmaßnahmen verloren, statt zu Diskussionen über dahinterstehende Ideen zu werden, wie es der frühere SPDBundesgeschäftsführer Machnig 2003 feststellte: „Wir führen in Deutschland meistens Instrumentendebatten und keine Wertedebatten. Ich glaube, ich muss an Wertedebatten bestimmte Instrumente ankoppeln und nicht umgekehrt. […] Es wird sich der durchsetzen, der zeigt, dass er [eine] konsistente Linie hat, die sich auch an solchen Prinzipien, Werten orientiert. Das kann kurzfristig auch zu geringerer Akzeptanz in der Bevölkerung führen, aber mittelfristig den Menschen eine klare Orientierung vermitteln. Dann kann man auch Journalisten überzeugen. Man darf sich nicht dem Verdacht aufsetzen [sic], man
100 Zu den Paradigmen des Verhältnisses von politischem und medialem System s. Abschnitt 2.2.1. Zur Auseinandersetzung zwischen Kanzler und einzelnen Presseorganen 2004 s. Abschnitt 4.1.2. 101 Vgl. die Anmerkungen zu Schröders Politikstil in den Abschnitten 4.2.1 und 6.1.2 dieser Arbeit sowie Leif, Banalisierung, S. 144. 102 Aussage eines Beraters von Bundeskanzler Schröder. P/D/9-Q15. Im Anhang.
7.4 Regieren in der Mediengesellschaft
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würde aus eher kurzfristigen taktischen Motiven agieren. Dann bekommt man in der Tat ein gewaltiges Problem in der Vermittlung.“103
Beide typologischen Theorien weisen neben den genannten Unterschieden auf viel Gemeinsames – die zahlreichen Dilemmata, denen sich Regierungen in der Mediengesellschaft gegenübergestellt sehen. Journalisten und Bürger in der postmodernen Gesellschaft erwarten von der Exekutive ein zentral koordiniertes, kohärentes politisches Programm und dessen professionelle Präsentation. Aber die Debattenkultur soll nicht leiden, sonst steht der Regierungschef als zu autoritär am Pranger. Die Politikvermittlung soll auf dem neuesten Stand der Technik sein und die Journalisten zufriedenstellen, anderenfalls gilt die Regierung allein schon wegen schlechten Auftretens als inkompetent. Aber die technische und personelle Aufrüstung kostet Geld und fordert geradezu Stimmen heraus, die Regierung verschwende Steuergeld für Imagepflege. Grundsätzlich sollte die Regierung transparent ihre Ziele, Instrumente, und Handlungsoptionen darlegen. Dagegen verstieß z.B. die BlairRegierung, als sie in ihrem Irak-Dossier 2002 bewusst Einschränkungen der Geheimdiensterkenntnisse ausließ, Vermutungen und Unsicherheiten zu sicheren Informationen aufwertete. Doch wer im Zeitalter der in manchem Medium nicht einmal eine Minute langen Kurznachrichten keine eindeutige, in wenige Worte fassbare Botschaft präsentiert, droht in der öffentlichen Wahrnehmung unterzugehen. Unter welchem Öffentlichkeitsdruck politisch Verantwortliche stehen, zeigen die folgenden Aussagen des damaligen Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Franz Müntefering, auf einer Podiumsdiskussion: „Als ich eben hier reinkam, waren draußen zwei Fernsehteams. […] Ich bleibe stehen, die erste Frage ist: ,Sind sie auch dafür, dass vier Feiertage abgeschafft werden?’ Ich sage, wieso, was soll das denn? ,Ja, das hat der Wiesheu gesagt.’ Ich weiß nichts von den vier Feiertagen und weiß nicht, was der Wiesheu gesagt hat. […] Jetzt muss ich aber antworten und bin nun ganz gespannt, was sie daraus machen. […] ,Aber eine Frage, habe ich noch’, sagt dann der andere vom Fernsehen, ,diese Sache mit der Flugbereitschaft. Meinen Sie, dass wir eine private Flugbereitschaft haben sollten?’ Ich sage, was ist denn jetzt mit der Flugbereitschaft? ,Ja, das waren doch diese beiden Minister, die damit geflogen sind.’ Und ich habe denen gesagt, ich kümmere mich nicht drum. Ich kümmere mich um die wichtigen Sachen. Trotzdem läuft das abends über den Sender. Das ist der Alltag.“104
Im täglichen Markt der Aktualitäten ist die Regierung fast immer gefordert. Sie gilt – oft zu Recht, aber auch häufig zu Unrecht – als gesamtverantwortlich für alle Geschehnisse in ihrem Staat und wird für eine aktuelle Reaktion auf alle möglichen Ereignisse nachgefragt. Im tagesaktuellen Dauerfeuer taktisch zu bestehen, ist allein schon schwer genug. Über alle Tagesereignisse im Nachrichten-Zirkus noch die eigenen strategischen Ziele im Blick zu behalten, erweist sich als noch höhere Kunst. Hierzu sei noch einmal Müntefering zitiert: „Ich bin gar nicht mehr in der Lage, irgendjemandem zu sagen: Ich weiß das nicht. Der sagt mir, in einer Minute hast du das da, und dann musst du das auch wissen. Es ist eine andere Schlagge-
103
Matthias Machnig, zit. nach Leif, Banalisierung, S. 153f. Müntefering zit. nach Tissy Bruns/Markus Klimmer/Bernd Löhning/Franz Müntefering: [Paneldiskussion] Anforderungen an Politikberater. In: Marco Althaus/Dominik Meier (Hrsg.): Politikberatung: Praxis und Grenzen. Münster 2004, S. 69-100, hier S. 93. 104
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7 Bilanz – Spin ist tot, lang lebe Spin schwindigkeit in die Entscheidungen gekommen. […] Wir finden nicht mehr die Muße, Informationen noch sacken zu lassen und zu überlegen. Man lebt sehr im Tagesgeschäft.“105
Aus diesen Anforderungen und den typologischen Theorien zieht der Autor die folgenden normativen Schlüsse für die Praxis der Regierungskommunikation unter den Bedingungen der Mediengesellschaft: Jeder Bundeskanzler und Premierminister täte gut daran, sich selbst und seine Regierung als eine politische Marke zu verstehen, die für bestimmte Werte und Grundorientierungen steht. Im täglichen Regierungshandeln sollte jede Maßnahme von diesen Werten abgeleitet werden. Alles, was ihnen klar zuwiderläuft, sollte tunlichst unterlassen werden, selbst wenn es kurzfristig opportun erscheint. Selbstverständlich müssen die Zielvorgaben aufgrund aktueller Ereignisse immer wieder überprüft und fortgeschrieben werden. Nötige Richtungswechsel wollen jedoch begründet und intensiv vorbereitet werden. Politische Grundorientierung als Leitplanken vermitteln den Bürgern Sicherheit und verhindern den fatalen Eindruck von Sprunghaftigkeit und Opportunismus. Der Regierungschef hat so die Chance, der Hektik der Medien Stetigkeit und Vertrauen entgegenzusetzen. Er kann sich das Bedürfnis nach demokratischer Führung zunutze machen. Der Zerfall der typischen politischen Lager und sozialen Gruppen hat zwar traditionelle Gewissheiten und Gefolgschaften zerstört, aber die Sehnsucht nach Führung und Orientierung verstärkt. Ein Regierungschef und Minister mit Mediencharisma können als Problemlöser und Lotsen im Alltag erscheinen, das Bedürfnis nach Orientierung für sich personalisieren. Dieses Image kann helfen, wenn eine Krisensituation herrscht oder die Zustimmung der Bürger zu einzelnen Maßnahmen ausbleibt.106 Die Regierung muss die eigene strategische Kursbestimmung den Bedingungen der Medienwelt entsprechend kommunizieren. Die Leitlinien brauchen prägnante, wiedererkennbare Überschriften, die von Kommunikationsprofis ausgearbeitet werden. Diese Überschriften müssen sich durchs Regierungshandeln ziehen wie ein roter Faden. Die Politikvermittlungsexpertise wird sowohl fürs professionelle Agieren als auch das Reagieren auf schnelllebige Ereignisse gebraucht. Regierungen sind gezwungen, schnell auf fehlerhafte Medienberichte, wichtige Ereignisse oder abweichende Äußerungen im eigenen Lager einzugehen. Schaffen sie das nicht, dann steht die Interpretation der gegnerischen Seite (sei es die einer Terrororganisation auf internationaler Ebene oder eines regierungskritischen Abgeordneten im Inland) ohne eine Antwort der Regierung in der Medienarena. Die eigene Kommunikationslinie droht unterwandert zu werden. Zudem sind die PR-Experten und Politiker der Exekutive gefragt, das Regierungshandeln immer wieder geduldig gegenüber Journalisten und Bürgern zu erläutern und Erklärungen für Entscheidungen zu geben. Regierungsorgane brauchen mehr denn je profunde PR-Expertise, um die Stärken der verschiedenen Medien für sich nutzen zu können. Dabei zeichnet sich nach den Erfahrungen der Schröder- und Blair-Jahre eine Arbeitsteilung zwischen den Medienarten ab. Das Fernsehen wird von einer übergroßen Mehrheit der Bevölkerung genutzt und ist so das Leitmedium für die politische Erstinformation.107 Blairs früherer Kommunikationsdirektor Campbell erklärte 2005, das Fernsehen sei heute die wichtigste Nachrichtenquelle der Bürger. Es sei unwichtiger als früher für politische Akteure, in Zeitungen Untersützung zu 105
Müntefering zit. nach ebd., S. 91. Vgl. dazu Korte, Strukturen, S. 187. Siehe die Mediennutzungsdaten in Abschnitt 3.2. Vgl. auch Ofcom, Office of Communications [Internet, 2006]: The Communications Market 2006. Online im Internet: AVL: URL: http://www.ofcom.org.uk/research/cm/ cm06/tv.pdf (11.08.2006), S. 269-271 und Ridder, Mediennutzung. 106 107
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finden.108 Daneben tritt die Qualitätspresse als Leitmedium für andere Journalisten: Hier können Ideen ausführlicher dargestellt und diskutiert werden, Richtungsentscheidungen kommunikativ vorbereitet werden. Andere Medien wie die Regionalpresse, Boulevardzeitungen und populäre Radiosender eignen sich, um einzelne, für den Rezipientenkreis relevante Maßnahmen herauszustellen und die oben erwähnten kurzen Leitbotschaften der Regierungskommunikation zu unterstreichen. Die Websites von Regierungen bieten sich als Plattform für all jene an, die sich in aller Ausführlichkeit über politische Entscheidungen informieren wollen. Die Offenlegung interner Papiere ermöglicht es der Regierung, Misstrauen abzubauen, dem Sensationalismus der Medien, Verdächtigungen und allerlei Verschwörungstheorien die Fakten entgegenzustellen. Zwar werden diese Dokumente nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung und selbst der Journalisten interessieren. Sie ermöglichen es der Regierung aber, ungerechtfertigte Angriffe unter Verweis auf öffentlich verfügbares Material abzuwehren. Die BlairRegierung erlebte dies während der Untersuchung Lord Huttons 2003: Zahlreiche interne E-Mails, Tagebucheinträge und Protokolle wurden als Beweisstücke ins Internet gestellt. Alles in allem entlasteten sie Blairs Administration von vielen Verdächtigungen.109 Natürlich folgte der Hutton Report den außergewöhnlichen Umständen des Selbstmords des Rüstungsexperten David Kelly. Jedoch spricht wenig dagegen, dieses Vorgehen bei wichtigen Entscheidungen breiter anzuwenden, solange Geheimschutz und Persönlichkeitsrechte gewahrt bleiben. Trotz aller hilfreichen Transparenz: Postmoderne Regierungskommunikation ist auf Inszenierung angewiesen, um im medialen Stimmengewirr gehört zu werden und Wirkung zu entfalten. Dabei muss das wohlverstandene In-Szene-Setzen des Regierungsauftritts keinen Verzicht auf Echtheit bedeuten. Richtig verstanden geht es darum, der Exekutive und ihren Akteuren eine Bühne zu verschaffen, die die Bedeutung, Seriosität und Ziele ihrer Botschaften und Konzepte unterstreicht, aber nicht vom eigentlichen Inhalt ablenkt. So kann es etwa sinnvoll sein, eine neue Maßnahme zur Familienpolitik nicht in einer herkömmlichen Pressekonferenz zu verkünden, sondern in einem Kindergarten. Vielleicht wurden die beteiligten Eltern sogar vorher um ihre Meinung zu dem neuen Konzept gebeten, sodass sie nicht nur Staffage darstellen. Dies ermöglicht Medienvertretern eine angemessene Bebilderung und mehrt damit den Informationswert für Fernsehzuschauer. Damit ist schon die Frage angesprochen, welche Fähigkeiten PR-Experten in der Regierungskommunikation für die Mediengesellschaft beherrschen sollten. Ihnen fällt die Aufgabe zu, ihren Vorgesetzten und deren politischen Konzepten eine gute Bühne zu bereiten. Dafür ist zunächst eine politisch-strategische Planung der eigenen Inhalte und ihrer taktischen Platzierung nötig – Entscheidung und Darstellung greifen hier eng ineinander. Dafür werden die PR-Experten als Medienberater ihrer Dienstherren gebraucht. Hinzu kommen die Rollen als Sprecher für offizielle Erklärungen und als Ansprechpartner der Journalisten für Hintergrundinformationen. Diese Funktionen können sich in einer Person vereinigen, etwa wie beim Kommunikationsdirektor Campbell. Oder es treten verschiedene Akteure auf den Plan, so wie es bei der Regelung von Campbells Nachfolge geschah, z.B. Strategieplaner, offizieller Sprecher, Medienberater. Unverzichtbar ist aber in der Mediengesellschaft, dass alle Stränge der Politikherstellung und -vermittlung an einer Stelle zu108
Aus der Mitschrift des Autors in „Delivering the message”, Wahlkampfseminar für Labour-Abgeordnete und ihre Mitarbeiter mit Alastair Campbell am 22. Februar 2005 im Unterhaus in London. 109 Siehe http://www.the-hutton-inquiry.org.uk.
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sammenlaufen und dass sämtliches Handeln und Reden die Grundbotschaft der Regierung (oder der einzelnen Führungsperson) unterstreicht, sei es in Reden, Interviews, Fototerminen oder Grußworten.110 Aus all diesen Gründen ist unwahrscheinlich, dass künftige Premierminister auf die von Blair geschaffenen zusätzlichen PR-Einrichtungen verzichten werden. Selbst wenn die kommenden Regierungen auf aggressive werbliche Taktiken verzichten, ohne strategische Kommunikationsplanung, Medienauswertung und Koordination kommt keine Londoner Regierung mehr aus – und auch keine Berliner. Das Beispiel der Blair-Regierung zeigt, dass die offene Demonstration der eigenen PR-Strategien Anwürfen Vorschub leistet, die auf die Diskreditierung der Informationspolitik zielen. Politikvermittlungsexperten brauchen Zurückhaltung und diplomatisches Geschick genauso wie offensive Beeinflussungstechniken. Es gilt, die herausgehobene Stellung der Regierung im politischen System zu beachten: Das eigene Medienmanagement lässt sich gedeihlich nur so weit treiben, wie es dem langfristigen Ansehen der Regierung zuträglich ist. So ist es kurzfristig sicherlich von Vorteil, wenn die Regierung ihre herausgehobene Stellung auf dem Nachrichtenmarkt ausnutzt und exklusive Informationen an bevorzugte Journalisten vergibt sowie missliebige Korrespondenten vom Informationsfluss abschneidet. In der wirtschaftlichen Konkurrenzsituation der verschiedenen Medien sind Informationen zunehmend zu einer Art Handelsware geworden.111 Dies stellt Praktiker der Regierungskommunikation vor ein praktisches Dilemma. In der Idealvorstellung stellt die Regierung jedem Medienvertreter jede öffentlich zu machende Information diskriminierungsfrei zum selben Zeitpunkt zur Verfügung. Dieses Musterbild verkennt aber die Realität, dass bei völliger Offenheit wahrscheinlich viele Informationen wirkungslos im täglichen Nachrichtenzyklus verpuffen würden. Soll die Regierung als einzige auf Techniken des news management verzichten, wenn es alle anderen, die Opposition eingeschlossen, tun? Dieses Dilemma lässt sich wohl nur so auflösen, dass die Instrumente sparsam eingesetzt werden und Medien in der Konkurrenzsituation insgesamt fair behandelt werden. Aber zuweilen sollte die Regierung neuen Politikansätzen durch Vergabe von Exklusivstorys besondere Aufmerksamkeit verschaffen und einzelne Zielgruppen über bestimmte Publikationen ansprechen. Allgemein bleiben die PR-Experten aber gut beraten, am Ideal der Offenheit festzuhalten, da die Erfahrungen der Regierungen Schröder und Blair gezeigt haben, dass sich selbst Journalisten, die gut informiert werden, früher oder später mit den ausgeschlossenen Kollegen solidarisieren und dies selbst zum Medienthema wird.112 Zukünftige Regierungen in Berlin und London werden noch unberechenbarere, fragmentierte Informationsmärkte vorfinden. Die gatekeeper-Rolle der althergebrachten Medien wird durch Kommunikationsforen im Internet geschwächt. Gerüchte und dezentral aufgebaute Online-Kampagnen entfalten eine eigene Dynamik und wirken auf die mainstream-Medien zurück. So tauchten die Gerüchte über Clintons Affäre mit seiner Praktikantin Monica Lewinsky 1996 zuerst auf einer Klatschseite im Internet auf. Die von ver110
Siehe auch Abschnitt 6.2.2. So heißt es in dem Brief des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesministerium der Finanzen, Karl Diller, vom Februar 2005 an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages, nachgewiesen im nicht öffentlichen Anhang II. Zu Großbritannien und Labours Taktiken s. Nicholas Jones: Trading Information. London 2006, v.a. S. 149-202. 112 Vgl. die Ausführungen zum Verhältnis zwischen der Blair-Regierung und Murdoch sowie dem SpringerBoykott Schröders in den Abschnitten 4.1.2, 4.1.4 und 4.2.2. 111
7.4 Regieren in der Mediengesellschaft
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schiedenen gesellschaftlichen Gruppen initiierte Wohlfühl-Kampagne „Du bist Deutschland“ wurde 2005 im Internet mit einem ähnlichen Slogan der Nationalsozialisten kontrastiert. Ein Blogger, ein Autor eines online geführten Tagebuchs, stellte ein Foto mit einem solchen Nazi-Spruchbanner von 1938 ins Internet. Dies übernahmen viele andere Websites. Das Foto wurde zum Thema der traditionellen Medien und untergrub so teilweise die Wirkung der Kampagne.113 In Blogs kann jeder seine Meinung zum aktuellen Geschehen öffentlich machen. Politische Insider können so – anonym oder mit vollem Namen – ihnen bekannte Informationen und Gerüchte ins Internet stellen. Populäre Video-Seiten wie YouTube ermöglichen es jedem Internetnutzer, gefilmtes Material im Internet hochzuladen. Somit können unbedachte und in vermeintlich privatem Umfeld getätigte Äußerungen von Politikern und ihren Mitarbeitern in Sekundenschnelle ihren Weg vor ein potenzielles Millionenpublikum finden.114 Selbstverständlich bieten sich für Regierungen Chancen, über das Internet Informationen zu verbreiten und Online-Diskussionen anzustoßen. Die wichtigste Wirkung ist allerdings eine Zuspitzung der prekären Lage der Regierung: Der Druck zur kommunikativen Disziplin wird weiter gesteigert. Sie muss die Online-Inhalte beobachten und gegebenenfalls schnell öffentlich reagieren, wenn eine Internet-Kampagne an Fahrt gewinnt. Die Auswertung aktueller Medien (media monitoring) endet nicht mehr beim Ausschneiden von Zeitungsartikeln und dem Transkribieren der TV-Nachrichten. Dank dieser Entwicklungen wird das Wettrüsten zwischen den Akteuren der Regierungskommunikation und den Reportern um die Interpretation des aktuellen Geschehens in nächster Zeit nicht nachlassen. Um in der vielfältiger gewordenen Medienlandschaft wahrgenommen zu werden, sind Journalisten mehr denn je auf Schnelligkeit, exklusive Inhalte und das Erregen von Aufsehen angewiesen. Die Politiker und PR-Experten müssen sich in diesem Umfeld Aufmerksamkeit und Zustimmung organisieren – indem sie im täglichen Spiel der kleinen und großen Aufgeregtheiten mitmachen, ohne die eigenen Ziele aus dem Blick zu verlieren. Der Kampf der verschiedenen Deutungen, der verschiedenen Spins geht weiter – täglich, 24 Stunden.
113 Vgl. Lars-Christian Cords/Olaf Hoffmann/Kathrin Schüttler: ,Du bist Deutschland’. Vorbild für Regierungskommunikation? In: Miriam Melanie Köhler/Christian H. Schuster (Hrsg.): Handbuch Regierungs-PR. Über die Öffentlichkeitsarbeit von Bundesregierungen und deren Berater. Wiesbaden 2006, S. 287-300, hier S. 295f. Vgl. auch Howard Kurtz: Spin Cycle. Inside the Clinton Propaganda Machine. New York u.a. 1998, S. 292f. 114 Vgl. John Harris: The vision thing. In: G2 in The Guardian vom 10. Oktober 2006, S. 6-11. Blogs wie das von einem Londoner Unterhaus-Mitarbeiter geschriebene RecessMonkey.com veröffentlichen auch private Gespräche von Politikern im Parlament.
8 Zusammenfassung „So wenig, wie Sie es heute hinbekommen, über vier Monate hinweg das berühmte dicke Brett zu bohren, ohne dass jemand davon Kenntnis hat, welches Brett Sie da gerade bohren […] So wenig darf man andererseits sagen, die Agenda oder der Takt wird eben nur noch von den Medien vorgegeben […] grundsätzlich muss man eine große Vermischung feststellen, und es ist im Moment eigentlich viel wichtiger, […] sich der Grenzbereiche besser zu vergewissern […].“ Berliner Journalist und Politikvermittlungsexperte1
Diese Arbeit beschrieb die PR-Arbeit der Regierung Tony Blairs als postmoderne Regierungskommunikation mit strategisch-proaktivem Charakter, während Gerhard Schröders Außendarstellung als postmoderne Regierungskommunikation mit taktisch-passivem Charakter bezeichnet wurde. Deutschland und Großbritannien haben sich zu postmodernen Mediengesellschaften gewandelt. Diese zeichnen sich aus durch die folgenden Merkmale: eine Vervielfachung des Medienangebots, eine Beschleunigung des Nachrichtenflusses und der Themenagenda sowie einen verstärkten Wettbewerb der Medien untereinander. Die Untersuchung brachte auch Unterschiede zwischen den politischen Kommunikationskulturen2 zutage, die trotz der allgemeinen Entwicklungen bestehen bleiben: In Großbritannien herrscht ein weitaus aggressiverer Stil des Journalismus mit zuweilen beißender Kritik an den Mächtigen und tendenziöser Berichterstattung. Die hier schon seit Jahrhunderten bestehende Stellung der Medien als Gegenmacht zur etablierten Politik wird durch den Druck des Wettbewerbs noch weiter akzentuiert. Wie die Regierungen Schröder und Blair auf diese Veränderungen in ihrer aktuellen Informationspolitik reagierten, war Gegenstand der Untersuchung. Dazu wurden in den Jahren 2003 und 2004 insgesamt 50 Experten der Regierungs-PR befragt, davon 30 in Deutschland und 20 in Großbritannien. Diese Experten stammten aus Berufen der politischen PR, aus dem Journalismus und der Wissenschaft. Mithilfe einer Schneeballmethode konnten Politikvermittlungsexperten und Journalisten aufgespürt werden, die nicht immer im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen, aber von ihren Kollegen als einfluss- und kenntnisreich beschrieben wurden. Die qualitativen Interviews führte der Verfasser anhand eines Fragen-Leitfadens, der die zehn Forschungsfragen in konkrete Gesprächsanregungen übertrug und eine spätere Vergleichbarkeit der Antworten sicherstellte. Aus den Gesprächen ergaben sich einige Erkenntnisse, die sich für beide Länder gleichermaßen beschreiben lassen: Postmodernes Regieren unter Schröder und Blair zeichnete sich aus durch ein Zusammenwachsen von Entscheidungs- und Darstellungspolitik. Die typische traditionelle Arbeitsteilung, dass politische Akteure und Fachleute sachliche Entscheidungen treffen und erst danach erwägen, wie sich das beschlossene Konzept medial darstellen lässt, trifft die Realität des Regierens offenbar nicht mehr. In beiden Regierungen nahmen Politikvermittlungsexperten nach Auskunft der meisten Befragten Einfluss auf konzeptionelle Entscheidungen. Diese Kernerkenntnis der Arbeit ist kontrovers: Entscheidungs- und Darstellungspolitik sind praktisch schwer trennbar. Außerdem stellt sich die
1
P/D/9-Q9. Im Anhang II. Zum Begriff der politischen Kommunikationskultur und Mitteln zu deren Erforschung s. Abschnitt 2.1 und Pfetsch, Kommunikationskultur, S. 20-39. 2
8 Zusammenfassung
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Frage der sozialen Erwünschtheit eines solchen Politikansatzes. Weitere Studien zum politischen Entscheidungsmanagement sind in jedem Fall empfehlenswert. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Begriffe Spin und Spin Doctor(ing) nicht mehr sind als ein vornehmlich von Journalisten kreierter Mythos. Diese Wortschöpfungen wurden oft als Gattungsbezeichnungen im Zusammenhang postmoderner politischer Kommunikation verwendet. Die Befragungen machten deutlich, dass es sich beim Spin Doctor um einen wertgeladenen Begriff handelt, der einen Politikvermittlungsexperten als geschickten Manipulator entweder auszeichnen oder brandmarken soll. Eine allgemein anwendbare Definition oder die Konstruktion eines Idealtypus im weberschen Sinne für einen Spin Doctor war aufgrund der Befragungen nicht zu leisten. Zu unklar blieb bei den Definitionsversuchen, was einen Spin Doctor von einem geschickt auftretenden, professionell arbeitenden Pressesprecher oder kommerziellen Politikvermittlungsexperten unterscheiden soll. Die Begriffe können höchstens im nicht wissenschaftlichen Kontext als ironischspielerische Bezeichnungen für PR und deren Akteure gelten. Wer sie verwendet, zeigt nur seine intellektuelle Bequemlichkeit: Statt konkrete Praktiken oder Akteure zu beschreiben, soll der Verweis auf Spin die Inhalte der PR generell überhöhen oder verdächtig machen, ohne Gründe zu nennen, warum dem so sein soll. Die Diskussion um Spin erweist sich als reine Nebelwand, die die in der Tat nötige demokratische Auseinandersetzung um Art und Umfang der Regierungskommunikation eher behindert als befördert. Daraus leitet der Autor die Empfehlung an künftige Studien ab, konkrete Unterscheidungsmerkmale beim Studium der politischen Kommunikation zu verwenden – etwa den genauen Status eines PRAkteurs (Beamter in einer offiziellen Pressestelle, Regierungsangestellter, Beamter einer Fachabteilung, Mitarbeiter einer kommerziellen Agentur oder Freiberufler). Eine Annäherung an politische Spitzengremien ist mithilfe der Verwendung von Theorien zu Einflusszirkeln möglich.3 Die Auseinandersetzung mit der Wahrhaftigkeit politischer Aussagen kann nicht mit absoluten Begriffen, sondern nur mit einer Skala zwischen absoluter Offenheit und klar identifizierbarer Lüge geführt werden.4 Analog dazu wurde anhand der Aussagen der Experten gezeigt, dass sich die Berichte von einer neuen Qualität der Politikvermittlung, die sich unter den Begriff Spin Doctoring fassen lässt, maßlos übertrieben sind. Blumler/Kavanagh hatten die These von einem dritten Zeitalter der politischen Kommunikation geprägt. Dieses zeichne sich aus durch die Modernisierung der Gesellschaften und Allgegenwart der Medien. Die Autoren porträtierten Spin Doctors als neue Elite der Politikvermittlungsexperten. Diese managten nicht nur Wahlkämpfe mit neuen Techniken, sondern zögen auch in den Regierungsalltag ein und verbänden hier administratives Handeln und die Vermittlung. 5 Wie bereits gezeigt, treffen einzelne Teile dieser Analyse zu. Die Allgegenwart medialer Angebote prägt tatsächlich mehr und mehr das Alltagsleben. Politische Sacharbeit und kommunikative Vermittlung lassen sich weniger trennen als noch in den 1980er-Jahren. Doch die vermeintlich neuen PR-Techniken (z.B. rapid rebuttal, media monitoring, Ereignisplanung) hatten nach den Erkenntnissen des Autors schon lange Anwendung gefunden und wurden allenfalls auf die neuen digitalen Medien transferiert.
3
Siehe Kavanagh, Powers. Siehe Humphreys, Meaning. 5 Siehe Blumler, Age, S. 214f.. 4
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8 Zusammenfassung
Teil der Zuschreibungen einer neuen Qualität politischer PR waren drei weitere Vermutungen. Zum einen wurde unterstellt, dass die Externalisierung der politischen PR zunimmt, da nicht institutionalisierte Akteure professionellere und loyalere Arbeit lieferten als die herkömmlichen Pressestellen.6 Eine andere beliebte These zur Rekrutierung politischer PR-Experten lautet, dass mehr und mehr erfahrene Redakteure in ihre Reihen vorstoßen, da nur sie die heute für diese Arbeit unerlässlichen journalistischen Erfahrungen mitbrächten. 7 Zum dritten ist von einem Aufstieg der Politikvermittlungsexperten innerhalb der Hierarchien die Rede – ihr offizieller und persönlicher Einfluss auf Politiker wachse.8 Alle diese drei Thesen konnten in der vorliegenden Arbeit nicht vollkommen verifiziert oder falsifiziert werden. Vielmehr ergaben sich dazu differenzierte Resultate. So zeigten die Befragungen keine dauerhafte massive Aufstockung des Arsenals extern hinzugezogener Berater für die Medienarbeit und Informationspolitik unter der rotgrünen Bundesregierung in Berlin – von der prominenten Ausnahme des Medienberaters von Bundesfinanzminister Hans Eichel, Klaus-Peter Schmidt-Deguelle, einmal abgesehen. Die Blair-Regierung erhöhte hingegen die Zahl der direkt den Ministern zugeordneten Sonderberater nach ihrem Amtsantritt deutlich. Viele der 80 special advisers waren zumindest teilweise damit beschäftigt, Journalisten zu informieren. Nach den Ergebnissen der Befragung traten externe PR-Akteure immer nur als anonyme Quellen für Reporter auf. Damit erhöhte der Einsatz der Sonderberater in London die Zahl offizieller Regierungsinformationen ohne Nennung des Urhebers in den Medien. In beiden Regierungen zeigte sich eine Zunahme von PR-Akteuren, die journalistische Erfahrungen vorweisen konnten. Das bezog sich in Deutschland v.a. auf externe Politikvermittlungsexperten, in Großbritannien besonders auf die beamteten Leiter der Pressestellen in den Ministerien. In beiden Ländern war dieser Trend sichtbar, er verlief aber sehr langsam. Von dem vielfach behaupteten starken Anstieg der Rekrutierung erfahrener Journalisten für Posten in der Regierungs-PR konnte kaum eine Rede sein. Um diese Hypothese weiter zu überprüfen, wären quantitative Vollerhebungen von Mitarbeitern des BPA und der Ressortpressestellen mit Vergleichen zu Sprecherkohorten der Vergangenheit wünschenswert. Dabei sollten auch externe Berater aus der Kommunikationsbranche einbezogen werden, um ein volles Bild der in beiden Hauptstädten tätigen PR-Akteure zu erlangen. Die Untersuchung der institutionellen und der informellen Machtstellung von Politikvermittlungsexperten unter Bundeskanzler Schröder ergab, dass ihnen insgesamt kein Machtgewinn zuerkannt werden konnte. Versuche der Stärkung politischer Planung und kommunikativer Abstimmung wurden zwar unternommen, blieben aber wenig erfolgreich oder wurden durch andere Maßnahmen (etwa der Zerschlagung der Planungsabteilung im Kanzleramt) konterkariert. Auch die informelle Macht von PR-Experten schien nicht gestiegen zu sein. Schmidt-Deguelles wichtige Rolle im Ministerbüro Eichels erwies sich auch hier nicht als stilbildend, sondern als Einzelbeispiel. Die Blair-Regierung war aber nach der Mehrheitsmeinung der Experten von einem Aufstieg der Politikvermittlungsexperten geprägt. Neue Abteilungen wie die Strategic Communication Unit in der Downing Street überwachten zentral sämtliche größere Veröffentlichungen der Regierung. Sonderberater und Leiter der Pressestellen erwiesen sich als wichtige Ratgeber ihrer Minister. Als
6
Vgl. Mihr, Externalisierung, S. 146 und Franklin, Packaging, S. 68. Vgl. Lloyd, Media, S. 40f. und Mancini, Frontiers, S. 234. 8 Vgl. Blumler, Age, S. 215 und Esser, Clinton, S. 129f. 7
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wichtigstes und fast immer zitiertes Beispiel erwies sich Blairs Kommunikationsdirektor Campbell, der bis 2003 als täglicher Berater für den Premierminister fungierte. Schließlich zeigen die Ergebnisse dieser Studie, wie flüchtig die Tendenzen der Annäherung zwischen SPD und Labour Party waren. New Labour fungierte für die SPD-Führung Mitte der 90er-Jahre als Vorbild hinsichtlich erfolgreicher Kampagnenorganisation. Auch die politischen Parallen zwischen dem Dritten Weg blairscher Prägung und Schröders Neuer Mitte sind kein Zufall. Das Schröder-Blair-Papier von 1999 sollte einen Weg für eine zeitgemäße Mitte-links-Politik weisen – doch es wurde angesichts des Widerstands innerhalb der SPD nicht zum bestimmenden Leitstern der deutschen Regierungspolitik. Diese Beobachtungen spiegelten sich auch in der Organisation der Informationspolitik wider: Während am Anfang Lernbegierde bei den Deutschen herrschte, verblasste die Vorbildwirkung Labours zusehends. Das Bundeskanzleramt entsandte 1999 einen Mitarbeiter nach London, um Politikplanung und -darstellung in 10 Downing Street zu beobachten und Vorschläge für eine Reform der deutschen Regierungszentrale auszuarbeiten. Entsprechende Vorschläge, von den Briten zu lernen, wurden nicht umgesetzt. Der Regierungssprecher wurde nicht aus dem Bundespresseamt ins Kanzleramt verlagert. Die Reformen des BPA, um es schneller und effektiver zu machen, ähnelten teilweise den britischen, wurden aber ohne eine explizite Vorbildwirkung Blairs durchgeführt. Während Gerhard Schröders Amtszeit war die Regierungskommunikation damit geprägt von einem taktisch-passiven Ansatz. Diese typologische Theorie beschreibt eine Einstellung zur Politikvermittlung, die PR vornehmlich als kurzfristige Selbstdarstellung begreift, ohne sich auf langfristig vorbereitete Kommunikationsstrategien zu stützen. Eine dauerhafte Strategie des Regierungshandelns und dessen effektiver Vermittlung waren über die meiste Zeit nicht erkennbar. Der Bundeskanzler und einige seiner Minister beherrschten es taktisch gut, sich selbst darzustellen. Auf technisch-organisatorischer Ebene wurde das Bundespresseamt professionalisiert und den Anforderungen der Mediengesellschaft angepasst. So wurde die Auswertung der verschiedenen aktuellen Medien intensiviert und die Reaktion auf deren Inhalte beschleunigt. Die Abstimmung zwischen BPA und Ressorts wurde intensiviert. Allerdings erfolgten diese Änderungen erst, nachdem die Anfangsphase der rot-grünen Regierung von zahlreichen Kommunikations- und Koordinationsproblemen geprägt war. Insgesamt reagierte die Bundesregierung damit v.a. passiv-nachholend auf die Beschleunigung und Ausweitung der Informationsmedien. Die traditionelle Verankerung der Pressestellen und der politischen Beratung in amtlichen Hierarchien stellt in der Bundespolitik einen sich zuspitzenden Gegensatz zu den aufkommenden flexibleren, beschleunigten Kommunikationswegen der neueren Zeit dar. Die typologische Theorie der postmodernen Regierungskommunikation mit strategisch-proaktivem Charakter ist hingegen Tony Blairs Wirken zuzuschreiben. Vor dem Hintergrund einer antagonistischeren Presselandschaft als in Deutschland verwendete die Labour-Regierung viel Aufmerksamkeit auf die Antizipation der Medienagenda. Die wichtigsten Politikziele der Blair-Regierung wurden zentral in der Downing Street festgelegt, sämtliche größere Verlautbarungen wurden hier abgestimmt. Mit der Strategic Communication Unit, der Research & Information Unit sowie der Media Monitoring Unit entstanden drei neue Referate in der Regierungszentrale, die die Planung und Reaktionsschnelligkeit der Informationspolitik und Öffentlichkeitsarbeit verbessern sollten. Die Politikvermittlungsexperten versuchten aktiv, die Medien für sich zu instrumentalisieren. Journalisten wurden bei Wohlverhalten exklusive Informationen zugespielt, bei kritischem Auftreten
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mussten sie mit aggressiven Beschwerden rechnen. Die Blair-Regierung erwies sich als so professionell im Betonen positiver Nachrichten und Herunterspielen weniger guter, dass das Misstrauen der Journalisten gegenüber der Regierungs-PR wuchs und die Politikvermittlung selbst oft zum Ausgangspunkt der Berichterstattung wurde. Diese genannten typologischen Theorien verbanden einzelne Merkmale des Stils der Regierungskommunikationen unter Schröder und Blair zu Charakterisierungen und Erklärungen. Sie stellen einen Beitrag zur Forschung über politische Kommunikationskulturen dar. Diese sind Subkulturen der politischen Kulturen, die sich im Verhältnis zwischen Akteuren des politischen und medialen Systems manifestieren. Es handelte es sich um eine mikro- und mesoperspektivische Betrachtung. Es wurden Aussagen zu einzelnen Interaktionsmustern zwischen den Akteuren politischer PR und Journalisten sowie zum Gesamtverhältnis zwischen beiden Gruppen in den zwei Staaten getroffen. Nur die Beachtung längerfristig gültiger Rahmenbedingungen erlaubt eine Analyse eines Wandels der Regierungskommunikation und den Vergleich zwischen den beiden Staaten. Als theoretische Grundlage für die Untersuchung wurden verschiedene Modelle und Theorien für das Verhältnis von politischem und medialem System verwendet. Im Zusammenwirken zwischen beiden Systemen wurde eine ständige, stabile Austauschbeziehung als wahrscheinlichster Beziehungsmodus identifiziert. Diese Auswahl wurde im Folgenden weitgehend durch die Ergebnisse der Befragung gestützt. Zur genauen Konstitution der Untersuchung verwendete der Autor den von Jarren/Donges entwickelten Ansatz der Produktionsgemeinschaft zur Politikdarstellung.9 Dieses Handlungssystem entsteht durch den routinemäßigen Austausch zwischen Akteuren des politischen und medialen Systems. Hier wird in interdependenten Prozessen die Medienberichterstattung über Politik täglich quasi ausgehandelt. Davon ausgehend hypothetisierte der Autor das Bestehen solcher Produktionsgemeinschaften in Berlin und London und fokussierte die Befragungen auf die möglichen Veränderungen innerhalb von ihnen. Zudem wurde das Bühnenmodell der politischen Kommunikation in diese Überlegungen einbezogen: Es geht davon aus, dass im öffentlich nicht sichtbaren Bereich täglich informelle Interaktionen zwischen beiden Gruppen ablaufen, die die Politikdarstellung bestimmen. Zur Analyse des Einflusses der Medien auf den politischen Prozess wurde zudem das policy-cycle-Modell von Jarren/Donges10 angeführt, dass den Medien im Verlauf der politischen Problembearbeitung einen schwindenden Einfluss unterstellt. Dieses Modell diente zur Verdeutlichung der Forschungsfrage, ob sich das mediale Gewicht an den Enden der Achse (v.a. bei der Programmformulierung) in jüngster Zeit erhöht hat. Das Modell räumt den Medien eine bedeutende Rolle bei der gesellschaftlichen Themensetzung, dem agenda-setting, ein. Themen wurden als soziale Konstrukte definiert, deren Entstehen die Medien wesentlich beeinflussen könnten, was sich als ein wesentlicher Faktor für die Arbeit von Politikvermittlungsexperten erweist. Zudem bestimmen die Nachrichtenfaktoren als journalistische Hypothesen über die Realität, welche Ereignisse in journalistischen Produkten Beachtung finden. Diese werden auch durch dominante Schemata der Berichterstattung (frames) beeinflusst, die Journalisten helfen, Ereignisse und Entscheidungen in bekannte Muster und Symbole einzuordnen. Aus diesen Hypothesen zum Ob und Wie der Thematisierung von Nachrichten wurde geschlossen, dass das Wirken politischer
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Siehe Jarren, Mediengesellschaft 2, S. 153-174 und das dazu vom Autor erstellte Modell in Abschnitt 2.2.1. Siehe Jarren, Mediengesellschaft 2, S. 47
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PR Themenkarrieren entscheidend mitbestimmt. Jedoch können Journalisten relativ frei über das Wie der Berichterstattung entscheiden. Neben den etablierten Mustern im Wechselspiel von Politik und Medien stellten rechtliche und politisch-kulturelle Voraussetzungen eine zweite wichtige Rahmenbedingung für den Vergleich der Regierungskommunikation unter Schröder und Blair dar. Ein wesentlicher Unterschied prägte die politischen und medialen Systeme in beiden Ländern: Während die Bundesrepublik gewaltenteilend-föderal aufgebaut ist, stellt sich das Vereinigte Königreich konzentriert-zentralistisch dar. In Großbritannien kann der Premierminister im Falle starker interner Autorität und stabiler Parlamentsmehrheit seine Regierung, ihre Informationspolitik und die politische Bühne dominieren. Der deutsche Bundeskanzler muss sich mit zahlreichen Vetospielern auseinandersetzen und ist viel mehr auf Verhandeln und Koordinieren angewiesen. In beiden Staaten betreiben sowohl dem Regierungschef zugeordnete als auch in den Ministerien bestehende PR-Stellen Kommunikationsarbeit, sodass eine zu jeder Zeit völlig einheitliche Informationspolitik eher Wunschvorstellung als realisierbares Ziel wäre. In beiden Hauptstädten zeigt sich eine große Nähe zwischen politischen und journalistischen Eliten. Der offizielle und informelle Informationsaustausch ist in Institutionen wie der Bundespressekonferenz und der Lobby geregelt. Die Regierungssprecher sind die jeweiligen Hauptakteure der Regierungskommunikation. Der deutsche Regierungssprecher leitet mit dem Bundespresseamt (BPA), der zentralen Stelle der Kommunikation der Bundesregierung, eine eigene Behörde. Der Chief Press Secretary des Premierministers ist hingegen direkt in 10 Downing Street tätig. Während in der Bundesrepublik die meisten politischen Mitspieler guten Zugang zu den Journalisten haben, erlauben die zweimal pro Tag abgehaltenen Lobby-Pressekonferenzen hinter verschlossenen Türen dem Sprecher des britischen Premierministers privilegierte Einflusschancen auf die Hauptstadt-Korrespondenten. Die Veränderungen in Gesellschaft, Medien und Wahlkampf-Marketing in den letzten 20 bis 30 Jahren wurden im dritten Kapitel dargelegt. Sie bestimmen das Umfeld für und die Erwartungen an Regierungskommunikation neu. Dabei handelt es sich um fortlaufende Prozesse, die schon vor Blairs und Schröders Amtszeiten zu wirken begannen und die weiter andauern werden. Drei Wandlungen wurden wesentlich herausgestellt:
gesellschaftliche Veränderungsprozesse der Individualisierung, der Abnahme der Stammwählerschaft und der ökonomischen Globalisierung, eine Explosion des Angebots der Medien, die unterhaltende Sparten stärkt und das Publikum differenziert und eine Professionalisierung von Wahlkämpfen in den westlichen Staaten, die Kampagnenplanung ressourcenreicher und flexibler macht.
Alte soziale Milieus werden brüchiger oder lösen sich ganz auf. Damit schwinden auch die althergebrachten Unterstützerbasen der Parteien. Politisches Engagement ist punktueller geworden. Dies bedeutet für die politischen Organisationen, dass sie ständig ihre Konzepte erklären und bewerben müssen. Regierungsarbeit wird so zur ständigen Organisation von Zustimmung. Die ökonomische Globalisierung und die gesellschaftliche Individualisierung machen politische Problemlösungen komplexer: Ließen sich früher Politikansätze für gleich gelagerte Schichten mit jeweils ähnlichen Umständen finden, erschwert deren Auflösung nun gezieltes Handeln. Die sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen rufen
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Unsicherheiten bei den Bürgern hervor, die sich häufig in Ansprüchen äußern, die an das politische System herangetragen werden. Regierungskommunikation muss auf diese Erwartungen eingehen und den politischen Spielraum für die Behandlung der komplexen Probleme erläutern. Doch ist weniger denn je gesichert, dass die Erklärungen der Regierung bei allen Bürgern ankommen. Die Rolle journalistischer Produkte als gesamtgesellschaftliches politisches Forum schwächt sich ab. Neue Techniken und Deregulierung des Medienmarktes erodieren das eherne Ideal der Sozialverantwortung der Medien und stellen ökonomische Interessen wie Einschaltquoten und Werbeeinnahmen in den Vordergrund. Die Fülle des Medienangebots und die Zeit, die Konsumenten mit ihnen verbringen, machen Medien zur dominanten Macht des Freizeitlebens und für die übergroße Mehrzahl der Bürger zur wichtigsten intermediären Instanz zum politischen System. Das Fernsehen hat sich als der Hauptmittler der politischen Information etabliert. Zuschauerdaten zeigen aber eine Ausdifferenzierung der Mediennutzungsstile und einen in beiden Staaten merkbaren leichten Rückgang der Sehbeteiligung der Hauptnachrichtensendungen. Unterhaltungsorientierte Zuschauer können mühelos Informationsangebote umgehen. Umgekehrt können informationsorientierte Nutzer nun jederzeit Nachrichten und deren Hintergründe abrufen. In Großbritannien ist zudem eine massive Boulevardisierung der einstmals seriösen Zeitungen und der Nachrichteninhalte der BBC zu beobachten. Auch in Deutschland sahen Medienwissenschaftler seit Anfang dieses Jahrzehnts Beweise für eine Veränderung des Journalismus hin zu mehr Emotion, Konflikt und Sensationalismus. Die einzelnen Medienangebote suchen nach Alleinstellungsmerkmalen, einige (v.a. die Boulevardpresse) greifen dafür auch auf Kampagnen-Journalismus zurück. Mehr noch als früher nehmen Journalisten die Rolle eines Mitspielers im politischen Prozess für sich an – sie stoßen in die Lücke, die sinkende Partizipation der Bürger in politischen Organisationen lässt. Neue Standards für die Regierungskommunikation setzte auch die Wahlkampfführung. Als Kernelemente des politischen Marketings Labours nach der Wahl Blairs zum Vorsitzenden 1994 erwiesen sich v.a. das einheitliche Auftreten der zentral geführten Partei, rapid rebuttal, eine 24 Stunden aktive, ständig aktuelle Medienauswertung und die Sammlung relevanter Daten in einer zentralen Datenbank mit Zahlen, Fakten und Informationen über Journalisten.11 Die Arbeit des Wahlkampf-Managers Peter Mandelson und des BlairSprechers Alastair Campbell war von dem Prinzip angeleitet, ständig die Medienagenda zu dominieren und dem politischen Gegner keinen Spielraum zum Agieren zu lassen. Die SPD übernahm für ihren Bundestagswahlkampf 1998 viele der Lehren aus London und Washington. Die Kampagnenzentrale Kampa wurde aus der Parteizentrale ausgegliedert. Der SPD-Wahlkampf mutete koordiniert, konzentriert und modern an. Als eine besondere Neuheit der Wahlkämpfe der 90er-Jahre – unter Clinton, Blair und Schröder – war das ausgesprochen hohe Interesse der Medien an der Kampagnenstrategie selbst. Die Akteure der Kampagne nährten bewusst das mediale Interesse an ihrer Arbeit. Die breite Metaberichterstattung über die sorgfältige Wahlkampf-Planung unterstrich das Image von Labour und SPD als moderne, professionelle Parteien. Nach dem Labour-Wahlsieg 1997 war die neue Regierung bestrebt, ihre Strukturen aus dem Wahlkampf in die Regierungsarbeit zu verpflanzen. Blair ernannte Campbell zu seinem offiziellen Sprecher. Campbell war der erste Pressesprecher, der sein Amt nicht als Beamter, sondern als parteipolitischer Sonderberater wahrnahm. Reziprok traten zahlreiche 11
Siehe Esser, Campaigns, S. 214-216.
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weitere neue Sonderberater in den einzelnen Ministerien hinzu. 10 Downing Street wurde zur Kommandozentrale für die Außenwirkung der Regierung. Campbell erhielt aber die besondere Befugnis, Beamten Weisungen zu erteilen. Er entwickelte sich mehr und mehr zur alles bestimmenden Figur der Politikvermittlung der Blair-Regierung. Allein schon die lange Zeit, die Blair täglich mit Campbell verbrachte, deutet auf einen tendenziell starken Einfluss Campbells auf Politikstil und Prioritäten des Premierministers. Die proaktive Informationspolitik der Labour-Regierung verhalf ihr in ihren ersten Jahren zu einem außergewöhnlich positiven Medienecho. Schon innerhalb des ersten Jahres nach Amtsantritt schuf Campbell in der Regierungszentrale neue Abteilungen für strategische Kommunikationsplanung, Medienauswertung und Datenbanken-Pflege. Alle Mitarbeiter des Premierministers und der Ministerien wurden aufgefordert, die öffentlichkeitswirksame Präsentation schon in der Phase der Politikherstellung mitzubedenken. Die Standards von Blairs Regierungskommunikation fanden international Bewunderer: So wirkte Campbell beratend für die PR-Strategien der US-geführten Kriege im Kosovo, in Afghanistan und Irak. Im Inland drehte sich das publizistische Meinungsklima aber zunehmend gegen Blairs öffentliches Auftreten, Campbells Vorgehen und die Sonderberater der Ministerien. Alle Chefs der Pressestellen der Ministerien wurden bis 1999 komplett ausgetauscht. Das brachte Labour den Vorwurf der Politisierung des Beamtenapparats ein. Ab 1999 wurde die mediale Metakommunikation über Spin zum dominanten Schema der Berichterstattung über die Blair-Regierung. Schatzkanzler Gordon Brown, der Blair 2007 als Premierminister nachfolgen sollte, hatte neue Investitionsprogramme mehrfach bekanntgegeben, um den Eindruck einer kräftigen Verbesserung öffentlicher Dienste zu kreieren. Campbell zog sich ab 2000 sukzessive aus der aktuellen Medienarbeit zurück. Nach dem erneuten LabourWahlsieg 2001 stieg er zum Direktor für Kommunikation und Strategie in der Downing Street auf, zuständig für die politisch-strategische Beratung Blairs. Das offizielle Regierungssprecheramt ging wieder auf Beamte über. Doch die Medien fokussierten sich weiterhin auf die Außenwirkung der Regierung. Die propagandistische Vorbereitung des Irak-Feldzugs 2002/03 entwickelte sich zur größten Krise der Blair-Regierung und zum finalen Schlagabtausch zwischen Campbell und zahlreichen Journalisten. In einem im September 2002 veröffentlichten Dossier hatte die Regierung unter Berufung auf Geheimdienst-Informationen über das angebliche irakische Arsenal an Massenvernichtungswaffen berichtet. Dies wurde später als wichtigster Kriegsgrund gegen den Irak angeführt. Die Behauptung der BBC, die Regierung habe die Bedrohung bewusst aufgebauscht, zog eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem Sender und Campbell nach sich. Die Quelle der BBC, der Waffenexperte David Kelly, beging im Juli 2003 Selbstmord. Zwei anschließende unabhängige Untersuchungen unter Lord Hutton und Lord Butler sprachen die Regierung zwar von den meisten Vorwürfen frei, zeigten aber deutlich, wie die vorhandenen unsicheren Erkenntnisse für die propagandistische Kriegsvorbereitung zugespitzt wurden. Campbell zog sich im Sommer 2003 aus der Regierung zurück. Dies nutzte Blair zu einer erneuten Umgestaltung des Kommunikationsapparats. Campbells Rolle wurde in drei Posten zerlegt: einen neuen Staatssekretär für Regierungskommunikation, einen parteipolitischen Kommunikationsdirektor und einen beamteten Regierungssprecher. Das Vertrauen der Bürger in Medien und Politik hatte einen historischen Tiefstand erreicht. Dies sowie Blairs schwindende Autorität und seine Rücktrittsankündigung 2004 untergruben jedoch die einstmalige Reputation für energische, einheitliche Informationspolitik. Blairs Nachfol-
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ger Brown versprach 2007 eine Rückkehr zu einer Regierungskommunikation, die vom neutralen Beamtenapparat geprägt sein soll. In Deutschland war der Wechsel zur rot-grünen Bundesregierung im Jahr 1998 auch ein Zeitenwechsel im Politikstil. Der Umzug von Parlament und Regierungsspitze in die Hauptstadt Berlin 1999 änderte zudem die Arbeitsbedingungen der Beteiligten. Bundeskanzler Schröder zeichnete sich durch gute Kontakte zu Journalisten und einen Instinkt für ihre Bedürfnisse aus. Der oft als Medienkanzler Titulierte ließ zu Beginn seiner Regierungszeit wissen, dass er die Unterstützung durch die öffentliche Meinung als entscheidende Stütze seiner Macht ansah. Sein Vertrauter Uwe-Karsten Heye wurde zum Regierungssprecher ernannt. Die unter Kohl im Bundeskanzleramt installierte Stabsstelle für die informelle Medienberatung und Informationspolitik wurde aufgelöst. Dies zeigte Schröders Politikstil an, Präsentationsfragen selbst in die Hand zu nehmen, auch wenn ihm einige vertraute Ex-Journalisten (wie seine Ehefrau Doris Schröder-Köpf, sein Vizebüroleiter Thomas Steg oder Redenschreiber Reinhard Hesse) als Berater zur Verfügung standen. Nach dem knappen erneuten Wahlsieg 2002 zog Schröder die Kommunikation weiter an sich persönlich heran. Informelle Politikvermittler und -planer aus seinem Umkreis verschwanden aus dem Kanzleramt und konnten so ihre inoffiziellen Aufgaben nicht mehr fortsetzen. Regierungssprecher Heye wurde durch seinen Stellvertreter Béla Anda ersetzt. Steg wurde Andas neuer Stellvertreter. Die Planungsabteilung des Kanzleramts, zuständig für strategische Politikentwicklung und Ereignisvorbereitung, wurde aufgelöst. Der rot-grünen Regierung gelang es bis 2003 nicht, einen haltbaren Leitstern für ihre Politik zu definieren. Einzelne Ideen und Projekte lösten einander ab, meist aus aktuellen Ereignissen und politischen Opportunitäten heraus. 2003 wurde die von Schröder vorgestellte Agenda 2010 zur Reform des Sozialstaates zur zentralen Botschaft der Bundesregierung. Vor der Regierungserklärung 2003 wurde aber kein genauer Kommunikationsplan mit zentralen Begriffen und Vermittlungsstrategien erstellt. Lange Verhandlungsprozesse innerhalb von Sozialdemokratie, Koalition und mit dem CDU/CSU-dominierten Bundesrat verwischten außerdem die anfangs gesetzte klare Botschaft der Modernisierung und führten zu monatelangen Diskussionen über Einzelmaßnahmen auf offener Bühne. Die Kritik aus den eigenen Reihen, die lahmende Konjunktur und das Fehlen einer positiven, griffigen Leitidee machten sämtliche Versuche, Boden gutzumachen, zunichte. Die offene Auseinandersetzung mit Journalisten der Bild-Zeitung und des Magazins Stern, die vom Zugang zum Kanzler abgeschottet wurden, verstärkten den Eindruck einer Regierungskommunikation in bedrängter Defensive. Schließlich führte Schröder 2005 vorzeitige Neuwahlen herbei. Die Institutionen der Regierungskommunikation änderten sich unter Rot-Grün nicht grundlegend. Einzelne freiberufliche Medienberater zogen in Kanzleramt und Ministerien ein, wenngleich nicht in dauerhafte Positionen, sondern allenfalls ad hoc. Als permanenter und öffentlich sichtbarer PR-Berater wirkte nur ein Freiberufler, der Ex-Journalist und ehemalige Regierungssprecher in Hessen, Klaus-Peter Schmidt-Deguelle. Er beriet Bundesfinanzminister Eichel und trat offen für die Übernahme einiger PR-Techniken der BlairRegierung ein. Das Ministerium verteidigte Schmidt-Deguelles Rolle immer wieder gegen Kritik der Opposition und einzelne Medienberichte und ließ verlauten, die herkömmlichen Pressestellen seien überfordert mit der temporeichen und häufig fehlerhaft berichtenden Medienszene in Berlin.
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Bundeskanzler Gerhard Schröder und Premierminister Tony Blair galten zu Anfang ihrer Amtszeiten als Politiker neuen Typs: die traditionellen ideologischen Trennlinien zwischen Rechts und Links ignorierend, charismatisch und mediengewandt. Beide waren der Allgegenwart allzeit verfügbarer Nachrichtenkanäle ausgesetzt. Ihre Reaktionen auf die Mediengesellschaft waren geprägt von den Traditionen der politischen Systeme: Blair nutzte die Durchsetzungs- und Darstellungsmöglichkeiten des britischen Premierministers. Er veränderte die Institutionen der Regierungskommunikation in London grundlegend. Schröder inszenierte die Institutionen der deutschen Verhandlungsdemokratie für sich und vertraute auf sein mediales Charisma. Er ließ die Struktur der Politikvermittlung in der Bundesregierung weitgehend unangetastet. Ihre Nachfolger werden einen anderen Regierungsstil und damit ein anderes Kommunikationsverhalten aufweisen. Aber die Hektik der Mediengesellschaft hat Standards gesetzt, die ein Regierungschef nur um den Preis des Scheiterns ignorieren kann: Seine zentrale Rolle in der Politikdarstellung ist wichtiger als je zuvor. Ohne eine klar kommunizierbare politische Strategie, medienerfahrene Berater und Techniken wie rapid rebuttal bleibt die Regierung ungeschützt in der Flut der täglichen Informationen, Gerüchte und Meinungen. Der Spin Doctor mag ein Mythos sein, doch ohne professionelle Expertise zur Mediengesellschaft kommt keine politische Institution mehr aus.
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„Writing a local newspaper article“, Weiterbildungsseminar der Parliamentary Labour Party mit David Bradshaw (Strategic Communication Unit, Prime Minister’s Office, 10 Downing Street) am 28. Oktober 2004 im Unterhaus in London „Delivering the message”, Wahlkampfseminar für Labour-Abgeordnete und ihre Mitarbeiter mit Alastair Campbell am 22. Februar 2005 im Unterhaus in London
Abkürzungsverzeichnis
ARD
Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland BamS Bild am Sonntag BBC British Broadcasting Corporation BK Bundeskanzler BMF Bundesministerium der Finanzen BPA Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Bundespresseamt) BSE bovine spongiforme Enzephalopathie (Rinderwahnsinn) CDU Christlich-Demokratische Union CNN Cable News Network COI Central Office of Information CSU Christlich-Soziale Union EU Europäische Union FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FDP Freie Demokratische Partei FF Forschungsfrage GCN Government Communication Network (Gesamtheit der PR-Stellen der britischen Regierung seit 2004) GICS Government Information and Communication Service (Gesamtheit der Pressestellen der britischen Regierung von 1997 bis 2004) GIS Government Information Service (Gesamtheit der Pressestellen der britischen Regierung bis 1997) ITN Independent Television News ITV Independent Television J/D deutscher Journalist (in Kodierung der Interviews) J/G britischer Journalist (in Kodierung der Interviews) JIC Joint Intelligence Committee (Lenkungsausschuss der britischen Geheimdienste) Lib Dem Liberal Democrat MMU Media Monitoring Unit NATO North Atlantic Treaty Organisation NHS National Health Service (britischer nationaler Gesundheitsdienst) No 10 10 Downing Street (Amt des britischen Premierministers) Ofcom Office of Communications (britische Regulierungsbehörde) P/D deutscher Politikvermittlungsexperte (in Kodierung der Interviews) P/G britischer Politikvermittlungsexperte (in Kodierung der Interviews) PASC House of Commons Select Committee on Public Adminstration Q Frage aus dem Interview-Leitfaden PR Public Releations R&I Research and Information Unit
280 SCU SpAD StMin StS SWR TUC UNO VA VAe VLR I W/D W/G WDR WMD ZDF
Abkürzungsverzeichnis Strategic Communications Unit Special Adviser (Sonderberater) Staatsminister Staatssekretär Südwestrundfunk Trade Union Congress (britischer Gewerkschaftsbund) United Nations Organisation (Vereinte Nationen) Verwaltungsangestellter Verwaltungsangestellte Vortragender Legationsrat 1. Klasse deutscher Wissenschaftler (in Kodierung der Interviews) britischer Wissenschaftler (in Kodierung der Interviews) Westdeutscher Rundfunk Weapons of Mass Destruction (Massenvernichtungswaffen) Zweites Deutsches Fernsehen
Anhang I
Interviews in Deutschland1 Politikvermittlungsexperten Ahrens, Rupert: Geschäftsführer der Werbeagentur Ahrens + Behrendt, Frankfurt am Main. Frankfurt am Main, 3. März 2004, 14.00 bis 15.00 Uhr. Anda, Béla: Staatssekretär, Chef des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, Sprecher der Bundesregierung, stellvertretender Sprecher der Bundesregierung 1998 bis 2002. Berlin, 15. Januar 2004, 15.00 bis 16.15 Uhr. Becker, Dr. Bernd: Freier Journalist in Bonn. 1998/99 Mitarbeiter des Bundeskanzleramts und in 10 Downing Street. Bonn, 4. März 2004, 16.30 bis 17.30 Uhr. Bölling, Klaus: Publizist, Staatssekretär a.D., Sprecher der Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt und Leiter des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1974 bis 1980 und 1982. Berlin, 29. Oktober 2003, 17.00 bis 18.10 Uhr Burgmer, Inge Maria: Managementberaterin. Berlin, 15. Januar 2004, 17.00 bis 18.00 Uhr Cecere, Vito: Leiter Public Affairs Vodafone Deutschland, 2003/03 Büroleiter des SPDBundesgeschäftsführers, Mitarbeiter der SPD-Wahlkampfzentrale „Kampa“ 1998 und 2002. Berlin, 16. Januar 2004, 15.00 bis 16.30 Uhr. Donnermeyer, Michael: Sprecher des Senats und des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, früherer Sprecher des SPD-Bundesvorstands. Berlin, 22. September 2003, 13.30 bis 14.15 Uhr. Fäßler, Hans-Roland: Journalist, Geschäftsführer der Polimedia Beratungsgesellschaft. Berlin, 3. Mai 2004, 19.00 bis 20.00 Uhr. Fritzenkötter, Andreas: Leiter der Kommunikationsabteilung des Heinrich-Bauer-Verlags. Ehemaliger Leiter der Stabsstelle für Medienpolitik und Öffentlichkeitsarbeit im Bundeskanzleramt unter Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl. Hamburg, 26. August 2004, 15.00 bis 16.15 Uhr. Hesse, Reinhard: freier Journalist, Redenschreiber für Bundeskanzler Gerhard Schröder seit 1998. Berlin, 18. Juni 2004, 12.30 bis 13.30 Uhr. († 11. Oktober 2004) Keinath, Jochen O.: Freier Kommunikationsberater in Berlin, 1996 Mitglied des Media Team der Wiederwahlkampagne von US-Präsident Bill Clinton. Berlin, 22. September 2003, 16.00 bis 17.00 Uhr. Kothé, Martin: Leiter Kommunikation und Sprecher der FDP. Berlin, 14. Januar 2004, 12.15 bis 13.30 Uhr. Machnig, Matthias: Partner bei Booz Allen Hamilton, Düsseldorf, früherer Bundesgeschäftsführer der SPD 1999-2002. Telefoninterview, München/Düsseldorf, 17. März 2004, 11.00 bis 11.20 Uhr. Radunski, Peter: Wahlkampfberater bei Publicis. Berlin, 17. Juni 2004, 15.00 bis 16.00 Uhr. Schmidt-Deguelle, Klaus-Peter: Freier Kommunikationsberater in Berlin, seit 1999 Berater des Bundesfinanzministers Hans Eichel, früherer Sprecher der hessischen Landesregierung. Berlin, 24. September 2003, 15.00 bis 16.00 Uhr. Schoppe, Bernd: Leiter des Planungsstabes beim SPD-Bundesvorstand. Berlin, 30. Oktober 2003, 17.00 bis 18.00 Uhr. 1
Alle Gesprächspartner werden jeweils mit ihrer Funktion zum Zeitpunkt des Interviews benannt.
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Anhang I
Spreng, Michael: Redaktionsleiter der ARD-Sendung „Menschen bei Maischberger“, Leiter des „Stoiber-Teams“ im Bundestagswahlkampf 2002, früherer Chefredakteur der „Bild am Sonntag“. Berlin, 30. Oktober 2003, 14.30 bis 15.20 Uhr. Steg, Thomas: stellvertretender Sprecher der Bundesregierung. Berlin, 14. Juni 2004, 16.30 bis 17.30 Uhr. Thielen, Michael: Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit in der CDU-Bundesgeschäftsstelle. Berlin, 13. Januar 2004, 15.00 bis 16.15 Uhr. Uhrig, Marion: Freie Beraterin für Medientraining, Kommunikation und Public Affairs, 1999 Sprecherin des SPD-Bundesvorstands. Berlin, 13. Januar 2004, 11.45 bis 13.30 Uhr.
Journalisten Bruns, Tissy: Leitende Redakteurin beim „Tagesspiegel“, frühere Präsidentin der Bundespressekonferenz. Berlin, 22. September 2003, 12.00 bis 12.45 Uhr. Deupmann, Ulrich: Redakteur „Bild am Sonntag“. Berlin, 29. Oktober 2003, 11.30 bis 12.00 Uhr. Goffart, Daniel: Stellvertretender Leiter des Berliner Korrespondentenbüros des „Handelsblatt“. Berlin, 16. Januar 2004, 12.30 bis 13.30 Uhr. Kleine, Rolf: Leiter des Hauptstadtbüros der „Bild“-Zeitung. Berlin, 14. Januar 2004, 15.00 bis 15.30 Uhr. Leif, Dr. Thomas: Chefreporter beim Südwestrundfunk, Vorsitzender des „Netzwerk Recherche“. Mainz, 2. März 2004, 12.00 bis 13.30 Uhr. Nayhauß, Meinhardt Graf von: Kolumnist der „Bild“-Zeitung, langjähriger Korrespondent in Bonn und Berlin. Berlin, 23. September 2003, 17.00 bis 19.00 Uhr. Williamson, Hugh: Deutschland-Korrespondent der „Financial Times“ in Berlin. Berlin, 18. Juni 2004, 10.45 bis 11.30 Uhr. Wirtgen, Klaus: freier Journalist, früherer Korrespondent von „Der Spiegel“ in Bonn. Berlin, 6. Mai 2004, 18.45 bis 19.15 Uhr.
Wissenschaftler Esser, Dr. Frank: Dozent am Publizistikwissenschaftlichen Institut der Johannes-GutenbergUniversität Mainz. Mainz, 2. März 2004, 15.00 bis 16.30 Uhr. Jun, Dr. Uwe: Privatdozent an der Universität Potsdam, Institut für Politikwissenschaft. Berlin, 29. Oktober 2003, 15.15 bis 15.45 Uhr.
Anhang I
283
Interviews in Großbritannien Politikvermittlungsexperten Aylett, Philip: Committee Clerk des House of Commons Public Administration Committee (Parlamentsausschuss für öffentliche Verwaltung), früherer Sprecher des Department for International Development (Entwicklungshilfeministerium) und Mitarbeiter des Downing Street Press Office unter Margaret Thatcher. London, 11.30 bis 13.00 Uhr. Lord Bell, Tim: Geschäftsführer der PR-Agentur Bell Pottinger, früherer Berater der Premierministerin Margaret Thatcher. London, 14. Mai 2004, 10.00 bis 11.00 Uhr. Buckby, Simon: Partner bei der PR-Agentur Luther Pandragon, früherer Leiter der Kampagnenorganisation „Britain in Europe“. London, 19. Mai 2004, 16.00 bis 16.30 Uhr (gemeinsam mit Mike Granatt). Diamond, Patrick: Special Adviser im Prime Minister’s Office in 10 Downing Street. London, 18. Mai 2004, 9.15 bis 10.00 Uhr. Granatt, Mike: Partner bei der PR-Agentur Luther Pandragon, früherer Leiter des Government Information and Communication Service (GICS). London, 19. Mai 2004, 16.00 bis 16.30 Uhr (gemeinsam mit Simon Buckby). Liddle, Roger: Special Adviser im Prime Minister’s Office in 10 Downing Street. London, 14. Juli 2004, 17.30 bis 18.00 Uhr. Neather, Andrew: Redakteur des „Evening Standard“, früherer Mitarbeiter der Strategic Communications Unit des Prime Minister’s Office, früherer Redenschreiber im Home Office (Innenministerium). London, 18. Mai 2004, 14.30 bis 15.30 Uhr. Tremble, Lisa: Special Adviser im Department for Education and Skills (Bildungsministerium). Telefoninterview, München/London, 23. Juli 2004, 11.30 bis 12.00 Uhr.
Journalisten Barnett, Anthony: Chefredakteur des Onlinemagazins opendemocracy.net, London. Telefoninterview, München/London, 28. Juli 2004, 20.00 bis 20.30 Uhr. Blitz, James: Political Editor der „Financial Times“. London, 18. Mai 2004, 11.45 bis 12.15 Uhr. Jones, Nicholas: Pensionierter früherer BBC-Journalist in Westminster und Buchautor. Barnet, 14. Mai 2004, 16.00 bis 17.30 Uhr. Krönig, Jürgen: Korrespondent von „Die Zeit“ in London. London, 20. Mai 2004, 10.00 bis 11.00 Uhr. Lloyd, John: Redaktionsleiter „Weekend“ der „Financial Times“. London, 21. Mai 2004, 9.30 bis 10.00 Uhr. Pascoe-Watson, George: Deputy Political Editor von „The Sun“. London, 15. Juli 2004, 12.00 bis 12.45 Uhr. Pienaar, John: Political Correspondent der BBC in Westminster. London, 20. Mai 2004, 16.30 bis 17.30 Uhr. Routledge, Paul: Political Columnist des „Daily Mirror“. Telefoninterview, London, 20. Juli 2004, 10.00 bis 10.20 Uhr. White, Michael: Political Editor von „The Guardian“. London, 19. Mai 2004, 11.15 bis 12.00 Uhr und 12.30 bis 12.45 Uhr.
284
Anhang I
Wissenschaftler Gaber, Ivor: Dozent für Journalistik an der London School of Economics; freier Journalist. London, 16. Juli 2004, 12.30 bis 13.30 Uhr. Humphreys, James: Dozent für politisches Marketing an der Kingston University. Früherer Mitarbeiter der Strategic Communications Unit im Prime Minister’s Office. London, 15. Juli 2004, 13.30 bis 14.15 Uhr. Snowdon, Peter A.: Wissenschaftlicher Mitarbeiter Anthony Seldons für das Buch „Blair“. London, 15. Juli 2004, 17.15 bis 18.00 Uhr.
Anhang I
285
Leitfäden für die Experteninterviews – deutsche Fragebögen Spin Doctors Selbsteinordnung und biografischer Hintergrund Q1 In welchem Arbeitsverhältnis befinden Sie sich? Wo sind Sie angestellt, oder arbeiten Sie als freier Berater? Was ist Ihr genauer Titel? Q2 Wie würden Sie den Begriff „Spin Doctor“ definieren? Q3 Sehen Sie sich selbst als ein Spin Doctor? Q4 Wie viele Spin Doctors gibt es außerdem an Ihrem Einsatzort? Q5 Wie sind Sie zu Ihrer Position gekommen? Q6 Sehen Sie sich zuallererst als persönlicher Sprecher Ihres Dienstherren, oder gilt Ihre erste Loyalität der Organisation (Regierung, Partei) als Ganzes? Politischer Einfluss Q7 Was sind Ihre wichtigsten Tätigkeiten? Q8 Wie häufig sehen/sprechen Sie Ihren Dienstherren? Q9 Beraten Sie Ihren Dienstherren nur in puncto Kommunikation, oder nehmen Sie auch Einfluss auf politische Konzeptionen? Einfluss auf die Medien Q10 Wie häufig sehen/sprechen Sie Journalisten? Q11 Wenn Sie mit Journalisten sprechen, wie oft geben Sie Informationen auf Hintergrundbasis? Lassen Sie sich ohne weiteres zitieren? Politische Kommunikation: Spin Doctoring als Phänomen Q12 Wie haben sich die Bedingungen für politische Kommunikation in den letzten Jahren entwickelt? Q13 Inwiefern sehen Sie Spin Doctoring als neues Phänomen? Q14 Was muss ein guter Spin Doctor / PR-Berater können? Q15 Wie bewerten Sie die Qualität der politischen Kommunikation in Ihrem Land? Q16 Sehen Sie negative Folgen Ihrer Arbeit auf das politische System (z.B. zu viel Einfluss der Medien auf die Politik, Ablenkung durch Metaberichterstattung, Apathie der Bürger, Einfluss ungewählter Berater)? Welche positiven Folgen sehen Sie?
PR-Experten / Frühere Politikberater oder Sprecher Einordnung und biografischer Hintergrund der Spin Doctors Q1 Was ist Ihre genaue Tätigkeit? Q2 Wie würden Sie den Begriff „Spin Doctor“ definieren? Q3 Sind Sie selbst zuweilen als Spin Doctor tätig? Q4 Wie viele Spin Doctors gibt es an Ihrem Einsatzort? Q5 Was ist deren typischer biografischer Hintergrund?
286
Anhang I
Q6
Sehen diese/Sie sich meist als persönlicher Sprecher Ihres Dienstherren, oder gilt ihre/Ihre erste Loyalität der Organisation (Regierung, Partei) als Ganzes?
Einfluss der Spin Doctors auf die Politik Q8 Wie wichtig erachten Sie für einen Spin Doctor ein besonders enges Vertrauensverhältnis zu seinem Dienstherren? Q9 Haben Sie den Eindruck, dass die Spin Doctors / PR-Berater nur in puncto Kommunikation beraten, oder nehmen Sie auch Einfluss auf politische Konzeptionen? Politische Kommunikation: Spin Doctoring als Phänomen Q12 Wie haben sich die Bedingungen für politische Kommunikation in den letzten Jahren entwickelt? Q13 Ist Spin Doctoring ein neues Phänomen, oder sind die damit verbundenen Attribute (einheitliche Botschaft, rapid rebuttal, Ausnutzung journalistischer Eigengesetze) schon immer da gewesen? Q14 Was muss ein guter Spin Doctor / PR-Berater können? Q15 Wie bewerten Sie die Qualität der politischen Kommunikation in Ihrem Land? Q16 Sehen Sie negative Folgen der Arbeit von PR-Beratern auf das politische System (z.B. zu viel Einfluss der Medien auf die Politik, Ablenkung durch Metaberichterstattung, Apathie der Bürger)? Welche positiven Folgen sehen Sie? Reaktion der Medien auf politische PR Q17 Berichten Medien zunehmend nicht nur über politische Konzepte, sondern über die Präsentation und ihre Macher? Q18 Wie bewerten Sie diese Berichterstattung – bedroht sie die politische PR? Q19 Wird die Berichterstattung über Beeinflussungsversuche der Politik auf die Medien, der Blick hinter die politische Bühne, in Zukunft wichtiger werden?
Journalisten Einordnung und biografischer Hintergrund der Spin Doctors Q2 Wie würden Sie den Begriff „Spin Doctor“ definieren? Q4 Wie viele Spin Doctors gibt es an Ihrem Einsatzort? Q5 Was ist deren typischer biografischer Hintergrund? Q6 Sehen sich die Spin Doctors meist als persönlicher Sprecher Ihres Dienstherren, oder gilt Ihre erste Loyalität der Organisation (Regierung, Partei) als Ganzes? Einfluss der Spin Doctors auf die Politik Q8 Wie wichtig ist Ihnen, dass der Gesprächspartner ein enges Vertrauensverhältnis zu seinem jeweiligen Dienstherren hat? Q9 Haben Sie den Eindruck, dass die Spin Doctors / PR-Berater nur in puncto Kommunikation beraten, oder nehmen Sie auch Einfluss auf politische Konzeptionen? Einfluss auf die Medien Q10 Wie häufig sehen/sprechen Sie Spin Doctors / Medienberater der Politiker?
Anhang I Q11 Q11A Q11B Q11C
287 Wenn Sie mit ihnen sprechen, wie oft erhalten Sie Informationen auf Hintergrundbasis? Sehen Sie Spin Doctors / PR-Berater eher als Kollegen oder Vertreter der Politik? Wie ist das Ansehen der Spin Doctors bei Journalisten? Wie häufig verwenden Sie die Spin Doctors als Quelle? Wie überprüfen Sie den Realitätsgehalt der Aussagen von Spin Doctors? Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Politische Kommunikation: Spin Doctoring als Phänomen Q12 Wie haben sich die Bedingungen für politische Kommunikation in den letzten Jahren entwickelt? Q13 Ist Spin Doctoring ein neues Phänomen? Q14 Was muss ein guter Spin Doctor / PR-Berater können? Q15 Wie bewerten Sie die Qualität der politischen Kommunikation in Ihrem Land? Q16 Sehen Sie negative Folgen der Arbeit von PR-Beratern auf das politische System? Welche positiven Folgen sehen Sie? Reaktion der Medien auf politische PR Q17 Berichten Sie selbst zunehmend nicht nur über politische Konzepte, sondern über die Präsentation und ihre Macher? Die anderen Medien nach Ihrer Wahrnehmung? Q19 Wird die Berichterstattung über Beeinflussungsversuche der Politik auf die Medien, der Blick hinter die politische Bühne, in Zukunft wichtiger werden?
Wissenschaftler Einordnung und biografischer Hintergrund der Spin Doctors Q2 Wie würden Sie den Begriff „Spin Doctor“ definieren? Q4 Wie viele Spin Doctors gibt es in Berlin / London? Q5 Was ist deren typischer biografischer Hintergrund? Q6 Sehen sich die Spin Doctors meist als persönlicher Sprecher Ihres Dienstherren, oder gilt Ihre erste Loyalität der Organisation (Regierung, Partei) als Ganzes? Einfluss der Spin Doctors auf die Politik Q8 Wie wichtig ist Journalisten, dass der Gesprächspartner ein enges Vertrauensverhältnis zu seinem jeweiligen Dienstherren hat? Q9 Haben Sie den Eindruck, dass die Spin Doctors / PR-Berater nur in puncto Kommunikation beraten, oder nehmen Sie auch Einfluss auf politische Konzeptionen? Einfluss auf die Medien Q10 Wie häufig sehen/sprechen Journalisten Spin Doctors / Medienberater der Politiker? Q11 Wenn sie mit ihnen sprechen, wie oft erhalten sie Informationen auf Hintergrundbasis?
288 Q11A Q11B Q11C
Anhang I Sehen Journalisten Spin Doctors / PR-Berater eher als Kollegen oder Vertreter der Politik? Wie ist das Ansehen der Spin Doctors bei Journalisten? Wie häufig verwenden Journalisten die Spin Doctors als Quelle? Wie überprüfen sie den Realitätsgehalt der Aussagen von Spin Doctors? Welche Erfahrungen haben Journalisten dabei gemacht?
Politische Kommunikation: Spin Doctoring als Phänomen Q12 Wie haben sich die Bedingungen für politische Kommunikation in den letzten Jahren entwickelt? Q13 Ist Spin Doctoring ein neues Phänomen? Q14 Was muss ein guter Spin Doctor / PR-Berater können? Q15 Wie bewerten Sie die Qualität der politischen Kommunikation in Ihrem Land? Q16 Sehen Sie negative Folgen der Arbeit von PR-Beratern auf das politische System? Welche positiven Folgen sehen Sie? Reaktion der Medien auf politische PR Q17 Berichten die Medien zunehmend nicht nur über politische Konzepte, sondern über die Präsentation und ihre Macher? Q19 Wird die Berichterstattung über Beeinflussungsversuche der Politik auf die Medien, der Blick hinter die politische Bühne, in Zukunft wichtiger werden?
Anhang I
289
Leitfäden für die Experteninterviews – englische Fragebögen Spin Doctors Self-classification and CV background Q1 What is your exact occupation? Where are you employed, or are you selfemployed? What is your exact title? Q2 How would you define the term “spin doctor“? Q3 Do you consider yourself as a spin doctor? Q4 How many spin doctors are there in London? Q5 How did you reach your position? Q6 Do you see yourself primarily as a spokesman of your master, or is your first loyalty dedicated to the organisation (government, party) as a whole? Political influence Q7 What are your most important tasks? Q8 How often do you see / speak to your superior? Q9 Do you advise your master on presentational issues only or do you have an influence on policies as well? Influence on the media Q10 How often do you see / speak to journalists? Q11 When you speak to journalists, how often do you give information on a nonattributable basis? Can you be quoted without difficulty? Political communications: spin doctoring as a phenomenon Q12 How have the conditions for political communications developed in the past years? Q13 Is spin doctoring a new phenomenon? Q14 What would be the job description for a good spin doctor or PR expert? Q15 How do you rate the quality of political communications in the UK? Q16 Do you see negative effects of your work on the political system (e.g. too much influence of the media on politics, distraction by meta-coverage, voter apathy, influence of unelected advisers)? Which positive effects can you see?
PR experts / Former political advisers and spokespeople Classification and CV background of spin doctors Q1 What is your exact occupation? Q2 How would you define the term „spin doctor“? Q3 Do you consider yourself as a spin doctor? Q4 How many spin doctors are there in London? Q5 What is their typical CV background? Q6 Do spin doctors see themselves primarily as a spokesman of their master or is their first loyalty dedicated to the organisation (government, party) as a whole?
290
Anhang I
Influence of spin doctors on politics Q8 How important is it for spin doctors to have a close relationship of trust with their superior? Q9 Do spin doctors advise their masters on presentational issues only or do they have an influence on policies as well? Political communications: spin doctoring as a phenomenon Q12 How have the conditions for political communications developed in the past years? Q13 Is spin doctoring a new phenomenon? Q14 What would be the job description for a good spin doctor or PR expert? Q15 How do you rate the quality of political communications in the UK? Q16 Do you see negative effects of your work on the political system (e.g. too much influence of the media on politics, distraction by meta-coverage, voter apathy, influence of unelected advisers)? Which positive effects can you see? Media’s reaction to political PR Q17 Do the media increasingly focus on presentation and PR experts, rather than reporting on policies? Q18 How do you rate this coverage – is it a threat to political PR? Q19 Will the coverage of presentational issues become more important in the future?
Journalists Classification and CV background of spin doctors Q2 How would you define the term „spin doctor“? Q4 How many spin doctors are there in London? Q5 What is their typical CV background? Q6 Do spin doctors see themselves primarily as a spokesman of their master or is their first loyalty dedicated to the organisation (government, party) as a whole? Influence of spin doctors on politics Q8 How important is it for you that a spokesman has a close relationship of trust with their superior? Q9 Do spin doctors advise their masters on presentational issues only or do they have an influence on policies as well? Influence on the media Q10 How often do you see / speak to spin doctors / politicians’ media advisers? Q11 When you speak to them, how often do you get information off the record? Q11A Do you see spin doctors / PR advisers as colleagues or as political representatives? What is the spin doctors’ reputation? Q11B How often do you use spin doctors as a source?
Anhang I Q11C
291 How do you check the veracity of spin doctors’ statements? What is your experience on this?
Political communications: spin doctoring as a phenomenon Q12 How have the conditions for political communications developed in the past years? Q13 Is spin doctoring a new phenomenon? Q14 What would be the job description for a good spin doctor or PR expert? Q15 How do you rate the quality of political communications in the UK? Q16 Do you see negative effects of the work of PR experts on the political system? Which positive effects can you see? Media’s reaction to political PR Q17 Do you increasingly report on presentation and PR experts, rather than reporting on policies? How about the other media outlets? Q19 Will the coverage of presentational issues become more important in the future?
Scientists Classification and CV background of spin doctors Q2 How would you define the term „spin doctor“? Q4 How many spin doctors are there in London? Q5 What is their typical CV background? Q6 Do spin doctors see themselves primarily as a spokesman of their master or is their first loyalty dedicated to the organisation (government, party) as a whole? Influence of spin doctors on politics Q8 How important is it for journalists that the PR expert they talk to has a close relationship of trust with their superior? Q9 Do spin doctors advise their masters on presentational issues only or do they have an influence on policies as well? Influence on the media Q10 How often do journalists see / speak to spin doctors / politicians’ media advisers? Q11 When they speak to them, how often do they get information off the record? Q11A Do journalists see spin doctors / PR advisers as colleagues or as political representatives? What is the spin doctors’ reputation? Q11B How often do journalists use spin doctors as a source? Q11C How do journalists check the veracity of spin doctors’ statements? What is your experience on this? Political communications: spin doctoring as a phenomenon Q12 How have the conditions for political communications developed in the past years? Q13 Is spin doctoring a new phenomenon?
292
Anhang I
Q14 Q15 Q16
What would be the job description for a good spin doctor or PR expert? How do you rate the quality of political communications in the UK? Do you see negative effects of the work of PR experts on the political system? Which positive effects can you see?
Media’s reaction to political PR Q17 Do the media increasingly focus on presentation and PR experts, rather than reporting on policies? How about the other media outlets? Q19 Will the coverage of presentational issues become more important in the future?