Gregor Richter (Hrsg.) Die ökonomische Modernisierung der Bundeswehr
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Gregor Richter (Hrsg.) Die ökonomische Modernisierung der Bundeswehr
Schriftenreihe des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr Band 4
Gregor Richter (Hrsg.)
Die ökonomische Modernisierung der Bundeswehr Sachstand, Konzeptionen und Perspektiven
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. . Lektorat: Edmund Budrich 1. Auflage Mai 2007 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Monika Mülhausen / Bettina Endres Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15276-9
Inhaltsverzeichnis Gregor Richter Einführung in die Thematik und Übersicht über die Beiträge ..............
I
7
Die ökonomische Modernisierung der Bundeswehr – zum Verhältnis von militärischen und wirtschaftlichen Handlungsprinzipien
Carsten Großeholz Die ökonomische Modernisierung der Bundeswehr im Meinungsbild der Soldatinnen und Soldaten ...............................................................
15
Martin Elbe Werte verwerten? Zum Spannungsverhältnis zwischen Führung und Ökonomisierung am Beispiel der Balanced Scorecard .........................
33
Jörg Keller Streitkräfte und ökonomisches Kalkül: Top oder Flop? Grundsätzliche Überlegungen zu einer Ökonomisierung der Bundeswehr ....................................................................................
51
II
Controlling – ein modernes Instrument der Steuerung und Führungsunterstützung in der Bundeswehr
Jürgen Zimmermann Die Bundeswehr auf dem Weg zu einem effektiven und effizienten Controlling auf der Grundlage eines ergebnisorientierten Führungs- und Steuerungssystems ........................................................
67
Michael Hubbert Streitkräfteunterstützungskommando: ‘Starke Führung und bester Service in allen Lagen’ – Controlling für den zentralen Dienstleister der Streitkräfte ......................................................................................
87
Gregor Richter Controlling und Führungsprozesse in der Bundeswehr – Ergebnisse einer empirischen Untersuchung ........................................
103
5
III Neue Kooperationsformen zwischen Bundeswehr und Wirtschaft/Privatisierung militärischer Aufgaben Gerd Portugall Die Bundeswehr und das Privatisierungsmodell der „ÖffentlichPrivaten-Partnerschaft“ (ÖPP) ..............................................................
141
Martin Rüttler Bundeswehr und Wirtschaft – Partnerschaft als Beitrag zur Modernisierung ...............................................................................
159
Gerhard Kümmel Wag the Dog? Private Sicherheits- und Militärunternehmen, der Staat und Prinzipal-Agent-Theorie .................................................
171
IV Gestaltung und Steuerung von Veränderungsprozessen in der Bundeswehr Lars Wochnik Das Kontinuierliche Verbesserungsprogramm (KVP) als Instrument der Gestaltung des organisatorischen Wandels ...................
191
Gerd Portugall Das Kontinuierliche Verbesserungsprogramm (KVP) in der Bundeswehr – Eine sozialwissenschaftliche Bestandsaufnahme ..........
211
Autorenverzeichnis .............................................................................
233
6
Einführung in die Thematik und Übersicht über die Beiträge Gregor Richter „Die Transformation der Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz erfordert erhebliche Anpassung und Modernisierung. Das Spannungsverhältnis zwischen verteidigungspolitischen Erfordernissen und finanziellem Bedarf für andere staatliche Aufgaben wird auch in Zukunft fortbestehen. Sicherheitsund Verteidigungspolitik können nicht unabhängig von der allgemeinen Haushaltsentwicklung gestaltet werden. Das zentrale finanzpolitische Ziel der Bundesregierung, die Fortsetzung der Konsolidierung des Bundeshaushaltes, gibt daher auch für die Planungen der Bundeswehr einen verbindlichen Rahmen vor.“ Dieses Zitat, dass dem jüngst vom Bundesministerium der Verteidigung vorgelegten „Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“ entnommen ist, gibt das Generalthema dieses Bandes vor: Wie kann die Bundeswehr ihren nationalen wie internationalen Aufgaben und Verpflichtungen gerecht werden angesichts der stetig knappen Mittelausstattung? Ein Verständnis von ‘ökonomischer Modernisierung’ als bloßes Instrument der Mitteleinsparung und Haushaltssanierung greift allerdings eindeutig zu kurz. Der Prozess der ökonomischen Modernisierung der Bundeswehr, der spätestens seit Anfang der 1990er Jahre eingeleitet wurde, geht weit darüber hinaus und umfasst die Einführung von betriebswirtschaftlichen Managementverfahren und Steuerungskonzepten bis hin zu Teilprivatisierungen von Aufgaben im Servicebereich der Bundeswehr. Der vorliegende Band 4 der Schriftenreihe des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr nähert sich dem Thema „Ökonomische Modernisierung der Bundeswehr“ aus verschiedenen disziplinären und praxisbezogenen Perspektiven. Eine solche Bestandsaufnahme und wissenschaftliche Einordnung des Themenkomplexes lag bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht vor; sie soll deshalb einen überfälligen Diskussionsbeitrag für die problembewusste, zielgerichtete und auch kritische Weiterentwicklung des ökonomischen Reformvorhabens und seiner Teilprojekte leisten. Es wurden Autoren angefragt, die entweder in Forschungsprojekten zu der Thematik arbeiten oder Schlüsselfunktionen im Rahmen der Konzeption, Ausgestaltung, Implementierung und Weiterentwicklung der vielfältigen Bereiche ökonomischer Modernisierung der Bundeswehr wahrnehmen. Insofern steht der Band in der Tradition der Schriftenreihe des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr: Neben hausinternen Beiträgen konnten wieder Autoren aus der Wissenschaft und aus anderen Bundeswehreinrichtungen gewonnen werden. 7
Adressaten des Herausgeberbandes sind deshalb die bundeswehrinterne, aber auch eine breite wissenschaftliche und gesellschaftliche Öffentlichkeit. Das Buch teilt sich in vier Themenblöcke auf. Die Beiträge im ersten Block reflektieren das grundsätzliche Verhältnis von militärischen und wirtschaftlichen Handlungsprinzipien und machen deutlich, dass die ökonomische Modernisierung der Bundeswehr nur adäquat beschrieben und analysiert werden kann, wenn man neben der betriebswirtschaftlichen auch eine organisationssoziologische und -psychologische Brille aufsetzt und das Phänomen in seinen gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang einordnet. Der zweite Block beschäftigt sich mit dem Controlling in der Bundeswehr, also demjenigen betriebswirtschaftlichen Instrument, mit dem heute oftmals die ökonomische Modernisierung der Bundeswehr identifiziert wird. Die im dritten Block versammelten Beiträge befassen sich mit neuen Kooperationsformen zwischen Bundeswehr und privater Wirtschaft, wobei auch ein Ausblick auf ein Forschungsfeld gegeben wird, das über die Grenzen einer Privatisierung von Serviceaufgaben, wie sie zurzeit in der Bundeswehr betrieben wird, hinausweist: Die privaten Sicherheits- und Militärunternehmen. Schließlich widmen sich die Beiträge des vierten und letzten Blocks der Gestaltung des organisatorischen Wandels in der Bundeswehr: Das Kontinuierliche Verbesserungsprogramm (KVP) spielt bereits seit den Anfängen der Einführung der Kosten- und Leistungsverantwortung (KLV) eine prominente Rolle bei der Suche nach mehr Effizienz und Effektivität der Arbeitsprozesse in der Bundeswehr. Carsten Großeholz geht in seiner Untersuchung von der These aus, dass der Erfolg von organisatorischen Veränderungsprozessen in entscheidendem Maße davon abhängt, ob sie von allen Beteiligten verstanden, angenommen, unterstützt und umgesetzt werden. Dabei spielen drei Dimensionen des Veränderungsmanagements eine herausragende Rolle: ‘Können’, ‘Wollen’ und ‘Dürfen’. Entlang dieser Dimensionen stellt der Autor ausgewählte Ergebnisse einer repräsentativen Befragung in den Streitkräften vor und leitet daraus Handlungsempfehlungen für ein partizipatives Veränderungsmanagement in der Bundeswehr ab. Die Balanced Scorecard (BSC), ein modernes Führungsinformationssystem und Steuerungsinstrument in Unternehmen, wird auch in der Bundeswehr allerorts eingeführt. Martin Elbe zeigt anhand des Beispiels BSCEinführung, dass sich die Bundeswehr im Zuge ihrer ökonomischen Modernisierung einem gesamtwirtschaftlichen Trend anschließt, mit Hilfe von Beratungsunternehmen Managementansätze zu übernehmen, die momentan in Mode sind. Seine Argumentationsfigur erinnert an neoinstitutionalistische Interpretationen von organisatorischen Reformprozessen. Bezweifelt werden darf – so Elbe –, dass die Bundeswehr mit der Adoption von Management8
techniken aus ihrer gesellschaftlichen Umwelt tatsächlich immer wirklich Werte schafft und damit den anstehenden Herausforderungen der Transformation gerecht wird. Vielmehr besteht die Gefahr, dass Einkommensquellen für externen Sachverstand und Beratungsunternehmen geschaffen werden, die den finanziellen Spielraum der Bundeswehr weiter beschneiden. Jörg Keller widmet sich in seinem Beitrag der Grundfrage, ob sich das ökonomische Kalkül ähnlich wie bei marktgängigen Gütern und Dienstleistungen auf militärische Aufgaben und Leistungen anwenden lässt. Der Autor argumentiert systemtheoretisch, indem er zeigt, dass das Militär in Friedenszeiten einen anderen Aggregatszustand aufweist als unter Einsatzbedingungen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass ökonomisches Denken und Handeln v. a. im Einsatz kaum anwendbar sind. Somit werden systematisch Grenzen einer Kompatibilität von Ökonomie und Militär deutlich. Den Auftakt zum Themenbereich Controlling macht Jürgen Zimmermann. Nach einem Überblick über die Historie der Entwicklung der Kostenund Leistungsverantwortung und des Controllings, der aktuellen ControllingKonzeption und seiner Ausgestaltung in der Bundeswehr stellt er die Frage nach dem erreichten Sachstand. Seine Bilanz fällt kritisch aus. Ein wesentlicher Baustein bei der Fortführung der ökonomischen Modernisierung der Bundeswehr ist deshalb die Entwicklung eines ergebnisorientierten Führungs- und Steuerungssystems (EOS) für die Bundeswehr, das sich stärker an den Vorgaben der New-Public-Management-Philosophie orientiert. Zimmermanns Prognose für das Controllingsystem der Bundeswehr fällt dann auch positiv aus. Durch EOS, ein integriertes Rechnungswesen und eine valide Datenbasis, die durch neue EDV-Systeme gelegt wird, erfährt das Controlling eine Aufwertung und dürfte deshalb in Zukunft weniger mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen haben. Michael Hubbert stellt in seinem Beitrag das Controlling in einer ausgewählten Dienststelle, dem Streitkräfteunterstützungskommando, vor. Er unterschiedet dabei zwischen (1) dem strategischen Controlling, dessen Kernelement die bereits im Beitrag von Martin Elbe besprochene Balanced Scorecard (BSC) ist, (2) dem operativen Controlling für das „Tagesgeschäft“ und die eher kurzfristige Führungsunterstützung sowie (3) der Kosten- und Leistungsrechnung, die der Einhaltung von Wirtschaftlichkeitszielen dient. In dem Beitrag wird deutlich, dass der Erfolg eines Controllingsystems in erster Linie davon abhängt, dass alle Teilsysteme (BSC, KLR usw.) sinnvoll aufeinander abgestimmt werden; nur so erfüllt das Controlling seine Funktion als umfassendes Führungs- und Steuerungsinstrument. Controlling soll als Führungshilfe, Kommunikationsinstrument und nicht zuletzt als wirtschaftliches Steuerungsinstrument den Kommandeuren und Dienststellenleitungen zur Seite stehen. Gregor Richter berichtet von einer 9
empirischen Untersuchung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr, die der Frage nachgeht, inwieweit Controlling die ihm zugedachte Funktion heute bereits erfüllt, wo Schwachstellen identifiziert werden können und wie das Controllingsystem der Bundeswehr zielorientiert weiterentwickelt werden kann und sollte. Dabei wird deutlich, dass das controllingbasierte und das militärische Führungssystem durchaus kompatibel sind; zwingend erforderlich sind aber überfällige Anpassungen der (wirtschaftlichen) Entscheidungsspielräume bei den Nutzern des Controllings, also dem militärischen wie dem zivilen Führungspersonal. Mit seinem Beitrag leitet Gerd Portugall den Themenblock zu neuen Kooperationsformen zwischen Bundeswehr und privater Wirtschaft ein. Er gibt einen Überblick über die verfassungsrechtliche Seite von Privatisierungen im Bereich der Bundeswehr, ordnet diese in einen größeren internationalen Entwicklungstrend ein und stellt den aktuellen Sachstand der bisher eingeleiteten Privatisierungsprojekte im Geschäftsbereich des BMVg dar. Abschließend referiert er, in Ergänzung des Beitrages von Carsten Großeholz, die Ergebnisse der Streitkräfteumfrage des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr zum Themenfeld „Privatisierung“. Sie belegen eine Skepsis gegenüber dem Privatisierungskonzept der Bundeswehr und den bisher auf den Weg gebrachten Öffentlich-Privaten-Partnerschaften (ÖPP). Martin Rüttler beginnt seinen Beitrag mit der Feststellung, dass sich die beiden Systeme ‘Bundeswehr’ und ‘Wirtschaft’ einander kennen und brauchen – und dies bereits seit der Gründung der Bundeswehr. Die von ihm dargestellten neuen Kooperationen im Fuhrpark- und Bekleidungswesen gehen aber über bisherige Formen der Zusammenarbeit in unternehmensrechtlicher, betriebswirtschaftlicher und nicht zuletzt organisationskultureller Hinsicht weit hinaus. Für die Zukunft zeichnet der Autor ein positives Szenario: Weitere Kooperationen zwischen Bundeswehr und privater Wirtschaft, aber auch optimierte Eigenmodelle, bergen erhebliche Wirtschaftlichkeits- und Rationalisierungspotenziale in sich. Einen Blick über die Bundeswehr hinaus auf internationale Entwicklungen wirft Gerhard Kümmel mit seinem Beitrag. Private Sicherheits- und Militärunternehmen (PSMU) haben sich für viele Regierungen, aber auch für private Unternehmungen zu einem attraktiven Vertragspartner bei der Durchsetzung ihrer militärischen und politischen Interessen entwickelt. Der Autor analysiert PSMUs mit Hilfe eines institutionenökonomischen Ansatzes, der Principal-Agent-Theory. Diese eignet sich insbesondere dazu, Regulierungsund Kontrolleffekte der Prinzipal-Agenten-Struktur zu analysieren und davon ausgehend der Euphorie, die oftmals in Hinblick auf den PSMU-Sektor geäußert wird, kritisch zu begegnen. Gleichwohl bietet die Institutionenökonomie ein Instrumentarium, wie das oftmals bestehende Informationsgefälle 10
zwischen Agent und Prinzipal im Sinne des Letzteren, also des Auftraggebers einer militärischen Dienstleistung, durch entsprechende Vertragsregelungen (kosten)günstiger zu gestalten ist. Den vierten Themenblock leitet Lars Wochnik mit seiner Analyse des Kontinuierlichen Verbesserungsprogramms (KVP) aus Sicht der Theorien des organisatorischen Wandels ein. Eingangs stellt der Autor zurecht fest, dass die Gestaltung des organisatorischen Wandels nicht nur eine Führungsaufgabe beim Umbau der globalen Strukturen und Prozesse (Stichwort: Transformation) ist, sondern auch eine für zahlreichere kleine Anpassungsprozesse, die nicht minder bedeutsam sind. Ein geeignetes Führungsinstrument hierfür ist das KVP, wobei sich der Wert dieses Programms nicht nur im Aufspüren von Verbesserungs- und Rationalisierungsverfahren erschöpft. Vielmehr streicht Wochnik die Bedeutung des KVP für das organisationale Lernen heraus, das für eine Organisation wie die Bundeswehr, die sich ständig an neue Umweltanforderungen anpassen muss, zunehmend zu einer unverzichtbaren Kompetenz wird. Gerd Portugall gibt in seinem zweiten Beitrag zunächst einen detaillierten Überblick über die Geschichte und rechtliche Ausgestaltung des KVP in der Bundeswehr. In seinem Hauptteil referiert er ein jüngst am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr durchgeführtes Forschungsprojekt zur Forcierung des KVP. Ausgehend von den empirischen Befragungsergebnissen entwickelt er Vorschläge, mit denen eine höhere Bereitschaft zur Teilnahme an dem Programm und eine höhere Zufriedenheit mit den Verfahrensregelungen bei den Soldaten und Soldatinnen erreicht werden kann. Wie Wochnik kommt er aber zu dem entscheidenden Ergebnis, dass das KVP nur dann erfolgreich fortgesetzt werden kann, wenn es von den Führungskräften auch aktiv als Führungsinstrument verstanden und eingesetzt wird. An dieser Stelle möchte ich den Autoren aus Wissenschaft und Praxis danken, die ihren Sach- und Fachverstand für die Entstehung dieses Buches eingebracht haben. Mein Dank gilt auch Frau Cordula Röper, die sich um Layout und Formatierung des Bandes verdient gemacht hat, sowie Herrn Dipl.-Hist. Edgar Naumann, der das Lektorat besorgt hat. Ich danke nicht zuletzt Frau Monika Mülhausen vom Verlag für Sozialwissenschaften für ihre wohlwollende Begleitung der Publikation.
Strausberg, im Februar 2007
Der Herausgeber
11
I
Die ökonomische Modernisierung der Bundeswehr – zum Verhältnis von militärischen und wirtschaftlichen Handlungsprinzipien
Die ökonomische Modernisierung der Bundeswehr im Meinungsbild der Soldatinnen und Soldaten Carsten Großeholz Zu den Herausforderungen, vor denen die Bundeswehr im Zuge ihrer Transformation steht, gehört die ökonomische Modernisierung der Streitkräfte unter der Maßgabe betriebswirtschaftlicher Denk- und Handlungsweisen. Um die Organisation Bundeswehr effektiver und effizienter zu gestalten, ist in den vergangenen Jahren eine Reihe von Neuerungen und Veränderungen auf den Weg gebracht worden – von der Einführung betriebswirtschaftlicher Steuerungs- und Managementmethoden bis zur Privatisierung von Aufgaben im Servicebereich der Streitkräfte. Der Erfolg eines solchen Reformprozesses hängt in entscheidendem Maße davon ab, ob und inwieweit die Veränderungen von den Organisationsmitgliedern auf allen Ebenen verstanden, angenommen, unterstützt und umgesetzt werden. Vor diesem Hintergrund fragt die vorliegende Studie in einer sozialwissenschaftlichen Perspektive nach den Wirkungen der ökonomischen Modernisierung, wie sie sich im Meinungsbild unter den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr abzeichnen. Es geht um generelle Einstellungen gegenüber betriebswirtschaftlichen Denk- und Handlungsweisen, um Meinungen zu ausgewählten Reformschritten, um Erfahrungen aus dem Dienstalltag und Einschätzungen des Veränderungsweges. Zudem stellt sich die Frage, wie sich die ökonomische Modernisierung mit der etablierten Führungsphilosophie der Bundeswehr – der Inneren Führung – verbindet bzw. verbinden lässt.
1
Datenbasis: Streitkräftebefragungen 2003 und 2005
Die vorliegende Studie beruht auf Daten, die im Zuge der Streitkräftebefragung, die das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr seit 2002 in jährlichem Rhythmus durchführt, erhoben wurden. Das Themenfeld „Ökonomische Modernisierung“ bildete im Jahr 2005 wie schon im Jahr 2003 einen Schwerpunkt. Im Sinne einer Replikationsstudie wurden die meisten Fragen der ersten Erhebung übernommen und im gleichen Wortlaut wiederholt.1 Die Streitkräfteumfrage ist methodisch eine standardisierte, schriftliche Befragung einer repräsentativen Auswahl von Soldatinnen und Soldaten aller Dienstgradstufen in einer Auswahl von Verbänden, bei der alle Teilstreitkräfte (TSK) bzw. militärischen Organisationsbereiche (OrgBer) in entsprechen1
Siehe hierzu umfassend Großeholz (2006).
15
der Quotierung berücksichtigt sind. Es handelt sich also um eine Querschnittsbefragung auf der Verbands- und Einheitsebene der Streitkräfte. Die Auswahl der Verbände ermöglicht es, ein repräsentatives Gesamtbild über die Wissensbestände, Einstellungen und Meinungen der Soldatinnen und Soldaten „in der Truppe“ zu gewinnen. Ämter, Stäbe und höhere Kommandobehörden werden mit diesem Instrumentarium dagegen ebenso wenig erfasst wie die Bereiche der Wehrverwaltung.
2
Ausgangspunkt der empirischen Studien
Transformation als tiefgreifender Umstrukturierungsprozess bedeutet in besonderer Weise auch Veränderungen in der Ökonomie der Streitkräfte. Der entscheidende Rahmen dafür ist die Gesamtentwicklung des bundesdeutschen Haushalts, die sich unmittelbar auf den Verteidigungsetat auswirkt: Verknappung der Mittel bei steigendem Anforderungsdruck durch die veränderte sicherheitspolitische Lage. Die Anforderung an die Bundeswehr, möglichst optimal mit den vorhandenen finanziellen Ressourcen umzugehen, ist gestiegen und wird weiter steigen. Die sinkende Finanzausstattung zieht zwei ineinander greifende Entwicklungen mit sich: Reduzierungen und Einsparungen einerseits, die Suche nach einem effizienteren Umgang mit den vorhandenen Mitteln andererseits. Für diese zwei Seiten des ökonomischen Modernisierungsprozesses orientiert sich die öffentliche Hand seit nunmehr etwa zwei Jahrzehnten zunehmend an betriebswirtschaftlichen Überlegungen, Modellen und Methoden, wie sie sich in der Privatwirtschaft entwickelt haben. Mit der Einführung der Kosten- und Leistungsverantwortung (KLV), dem Kontinuierlichen Verbesserungsprogramm (KVP) und weiteren Maßnahmen, die letztendlich unter dem Dach eines umfassenden Controllings vereint wurden, wird ein auf die Bundeswehr zugeschnittener Ansatz zu „mehr Wirtschaftlichkeit“ realisiert (vgl. Richter 2006). „Es liegt auf der Hand, dass die Einführung solcher ökonomischer Führungsinstrumente nicht verhaltensneutral erfolgen wird: Sowohl militärische Vorgesetzte als auch ihre Untergebenen werden sich auf diese neuen Instrumente und Techniken einstellen. Mit Verhaltensänderungen muss gerechnet werden. Und eben hier ergibt sich ein unübersehbarer Zusammenhang mit dem Konzept der Inneren Führung.“ (Beirat Innere Führung 2001: 83) Hinzu kommt die Frage, ob und inwieweit sich der militärische Führungsauftrag mit den neuen betriebswirtschaftlichen Führungsinstrumenten zu einem Gesamtkonzept verschmelzen lässt. Denn für die KLV besteht der programmatische Anspruch, weit mehr als nur „die Nutzung betriebswirtschaftlicher Instrumente und die Steigerung der Wirtschaftlichkeit in den 16
Dienststellen der Bundeswehr“ zu sein. Die KLV solle vielmehr die geltenden Führungsprinzipien ergänzen „durch konsequente Delegation von Verantwortung. Dabei sollen Eigeninitiative, Kompetenz und Kreativität vor Ort gefördert und die Qualität der Entscheidungen verbessert werden. Die altbewährte Führung mit Auftrag wird also nicht durch neue administrative Regelungen eingeschränkt, sondern im Gegenteil qualitativ aufgewertet und gestärkt. KLV ist insofern ähnlich der Inneren Führung in erster Linie ein führungsphilosophischer Ansatz.“ (Hubbert 2000: 79) Die Maßnahmen zur betriebswirtschaftlich ausgerichteten Modernisierung einschließlich der Privatisierungen zielen darauf ab, die Bundeswehr ökonomisch betrachtet effizienter zu machen, um damit – unter politischen Gesichtspunkten – finanzielle Spielräume für notwendige Investitionen zurückzugewinnen. Mit der Einführung betriebswirtschaftlicher Methoden in der Bundeswehr werden große Hoffnungen verbunden: „Diese ökonomisch geprägten Führungsinstrumente werden in privatwirtschaftlichen Organisationen nachhaltig genutzt. Mit ihrer Adaption verband und verbindet die Bundeswehr die Erwartung, dass Prozessabläufe effizienter und die Nutzung von Ressourcen nachhaltiger erfolgen können.“ (Beirat Innere Führung 2003: 3) Ausgangspunkt für den Auftrag an das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr, das Thema „Ökonomische Modernisierung“ wissenschaftlich zu erforschen, waren Beobachtungen und Anregungen des Beirats für Fragen der Inneren Führung: „Der Beirat regt eine Längsschnittuntersuchung mit wissenschaftlicher Methodik an, um eine bessere Datengrundlage zu schaffen. Diese soll in systematischer Weise über einen mehrjährigen Zeitraum hinweg die mit der Ökonomisierung möglicherweise verbundenen Verhaltensänderungen bei militärischen Vorgesetzten und Untergebenen ermitteln, um der militärischen Führung die Möglichkeit zu geben, im Falle des Auftretens unerwünschter Effekte Korrekturen zu veranlassen. Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr (SOWI) müsste in der Lage sein, eine solche organisationssoziologische Längsschnitterhebung durchzuführen.“ (Beirat Innere Führung 2001: 89) Der Ausgangsfragestellung entsprechend wurde ein Forschungsdesign entwickelt, mit dem sich ein repräsentatives Gesamtbild der Wissensbestände, Einstellungen und Meinungen in der Truppe sowie Selbstaussagen in Bezug auf das eigene Handeln zum Themenfeld „Ökonomische Modernisierung der Bundeswehr“ gewinnen und mögliche Rückwirkungen auf die Innere Führung sichtbar machen lassen.
17
3
Perspektive der Analyse: Veränderungsmanagement
Der Erfolg der Modernisierung in seinen einzelnen Projekten wie in der langfristigen Verankerung eines für die Bundeswehr neuen betriebswirtschaftlichen Denkens in ihrer Organisationskultur hängt in entscheidendem Maße davon ab, inwieweit es gelingt, „die Änderungsfähigkeit und -bereitschaft der Mitarbeiter, vor allem aber der autorisierten Führungskräfte als die eigentlichen Reformträger auf jeder Verantwortungsebene wirkungsvoll zu stärken, nicht zuletzt auch im Hinblick auf traditionell bekundete Geisteshaltungen (‘change mind’); im bürokratisch-legalistisch bestimmten Verwaltungsgeschehen stoßen ökonomische Denk- und Handlungsmuster eben in den seltensten Fällen auf volle Zustimmung“ (Schmidt 2000: 2). Von der Änderungsfähigkeit und -bereitschaft der Organisationsmitglieder hängt es in wesentlichem Maße ab, ob Reorganisationsprozesse in einem Unternehmen oder einer Organisation sich durchsetzen und langfristig bewähren. „Erfolgreich werden Veränderungsprozesse aber erst, wenn diese organisationsintern angenommen und bewältigt werden.“ (Arnold 2004: 153) Die Frage ist also, ob und inwieweit Reorganisationsmaßnahmen innerhalb der Organisation akzeptiert werden, ob die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereit und befähigt sind, den Veränderungsprozess nicht nur zu unterstützen, sondern den Wandel auch mental und operativ mit zu vollziehen. Die Akzeptanzfaktoren Bereitschaft und Fähigkeit standen mit den Stichworten „Können“, „Wollen“ und „Dürfen“ bereits bei der Initiierung des Forschungsprojekts durch den Beirat für Fragen der Inneren Führung im Zentrum des Untersuchungsinteresses (vgl. Kantner/Richter 2004: 20f.): x
x
x
18
„Können“, d. h. sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überhaupt in die Lage versetzt worden, den betriebswirtschaftlichen Reformprozess zu bewältigen und mit den neuen Maßnahmen umzugehen? Damit stellen sich die Fragen nach Information, Kommunikation und Ausbildung als Voraussetzungen für den Akzeptanzfaktor Änderungsfähigkeit. „Wollen“ die Soldatinnen und Soldaten, dass der angestoßene organisationale Wandel erfolgreich Gestalt gewinnt? Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ebenso wie Führungspersonal müssen motiviert werden, den Reformprozess zu tragen. Indikatoren sind dabei: allgemeine Einstellungen, das Berufsverständnis, die Bedeutung von Anreizsystemen. „Dürfen“: Selbst wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereit sind und auch dazu befähigt sind, die Reorganisationen zu realisieren, kann es zu Schwierigkeiten bei der Umsetzung kommen, wenn die neuen betriebswirtschaftlichen Instrumente nicht kompatibel sind mit den organisatorischen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Handlungsspielräume, Entscheidungswege, Bürokratie sind in diesem Fall die Indikatoren,
von denen die Akzeptanz der Reformen durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wesentlich bestimmt sein wird. Der Grund in dieser Weise nach den Bedingungen für und der Akzeptanz von Veränderungsprozessen zu fragen ist die Notwendigkeit, dass eine Organisation die eigenen Veränderungsprojekte und -programme nicht nur initiieren, sondern bewusst, zielgerichtet und systematisch gestalten muss. Für diese organisationale Gestaltungsaufgabe hat sich in der Literatur der Begriff des Veränderungsmanagements bzw. Change Managements durchgesetzt. Mit der Gestaltungsaufgabe hat das Veränderungsmanagement eine eigene Perspektive auf organisationale Veränderungsprozesse, die sich etwa von einer betriebswirtschaftlichen Perspektive unterscheidet. Die Betriebswirtschaftslehre fragt nach ökonomischen, finanziellen oder leistungsbezogenen Wirkungen von Reformprozessen. Das Change Management dagegen fragt, wie der organisationale Wandel gestaltet werden sollte oder gestaltet werden kann, welche Phasen der Veränderungsprozess durchläuft und welche Erfolgsfaktoren oder Widerstände die Umsetzung bestimmen. Diverse organisationswissenschaftliche Studien haben seit den 1940er Jahren belegen können, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen Mitarbeiterpartizipation und dem Abbau von Widerständen sowie erfolgreicherer Realisierung von Veränderungsvorhaben gibt (vgl. Gleser 1999: 50). Partizipation, verstanden als „Teilhabe/Teilnahme“, wäre demnach ein hilfreiches Instrument, das Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit bietet, „ihre Vorstellungen in Maßnahmen zur Gestaltung, Veränderung und Weiterentwicklung des Unternehmens einzubringen“ (Rosenstiel 1989: 666). Partizipation kann zur „Generierung alternativer Lösungsvorschläge beitragen“ sowie „Widerstand gegen geplante Veränderungen“ eindämmen und zu überwinden helfen (Rosenstiel 1989: 666). Dementsprechend formuliert ein auf Partizipation bedachtes Change Management „Ziele partizipativer Führung“: „Ein partizipatives Führungshandeln würde sich nun dadurch auszeichnen, dass die Akzeptanz für eine Entscheidung nicht durch eine einfache Zustimmung oder Duldung hergestellt wird.“ (Gleser 1999: 68) Vielmehr schafft die stärkere Einbindung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Entscheidungsprozesse Transparenz, welche die dann vom Führungspersonal getroffenen Entscheidungen nachzuvollziehen, mitzutragen und umzusetzen hilft. Partizipation an Entscheidungsprozessen, ohne dass Entscheidungs- oder Befehlsstrukturen aufgelöst würden, verlangt im Fall militärischer Organisation Fähigkeiten von Vorgesetzten, die in wesentlichen Zügen in der Führungsphilosophie der Bundeswehr bereits zu finden sind. Die aus den Grundsätzen der „Inneren Führung“ abgeleiteten Anforderungen an das Führungshandeln, wie sie im Kapitel „Menschenführung“ ZDv 10/1 formuliert 19
sind, bieten hinlänglich Anknüpfungspunkte für eine Stärkung partizipativer Aspekte im Veränderungsprozess („Führen mit Auftrag“, „kooperativer Führungsstil“, „Zusammenarbeit im Team“ etc.). Ein partizipatives Veränderungsmanagement hätte dann die Führenden zu befähigen, „Veränderungsprozesse so zu gestalten, dass die von den Veränderungen betroffenen Mitarbeiter daran partizipieren können und so eine positive Einstellung zu den erforderlichen Umstrukturierungen gewinnen. Die (...) angestrebte höhere Transparenz von Entscheidungen und die Hintergründe für diese Entscheidungen soll den Mitarbeitern das Nachvollziehen und Akzeptieren von Veränderungsprozessen erleichtern. Auch dem jeweils Führenden soll diese Methode seine Rolle als Führungskraft in den oft schwierigen Phasen von Veränderungen erleichtern, indem den Mitarbeitern das Entscheidungskalkül deutlicher vermittelt werden kann und somit Unstimmigkeiten frühzeitig zwischen Führungskraft und Mitarbeitern ausgetauscht werden können. Hauptziel dieser Führungsmethode ist die allgemeine Steigerung der Zufriedenheit der Mitglieder eines Unternehmens und die effizientere Gestaltung der Veränderungsprozesse.“ (Gleser 1999: 81f.) Ein Veränderungsmanagement, dass sich ausdrücklich an der Perspektive der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter orientiert und darüber hinaus den Gedanken des Partizipativen in den Vordergrund rückt, stellt – wie auch die Ergebnisse zeigen werden – eine Möglichkeit dar, die Soldatinnen und Soldaten auf dem Reformweg besser mitzunehmen, die betriebswirtschaftliche und militärische Führung im Sinne der Inneren Führung stärker zu verkoppeln und damit insgesamt den Veränderungsprozess „ökonomische Modernisierung“ zu stabilisieren.
4
Information und Befähigung im betriebswirtschaftlichen Reformprozess („Können“)
In der Frage, wie gut sich die Truppe über den Reformprozess informiert fühlt, gibt es positive Verschiebungen gegenüber 2003. In der ersten Erhebung waren es 42 Prozent aller Befragten, die sich „schlecht“ oder „eher schlecht“ über die ökonomische Modernisierung informiert fühlten. In der Umfrage 2005 gaben nur noch 33 Prozent eine entsprechende Antwort. Der Eindruck, man bekomme über die Veränderungen nicht ausreichend Kenntnis, ist in allen Dienstgradgruppen quantitativ zurückgegangen. Die Mehrheit fühlt sich immerhin „mittelmäßig“ informiert (vgl. Tab. 1).
20
Tab. 1: Informationsbedürfnis 2005 tendenziell besser befriedigt als 2003 „Wie gut fühlen Sie sich über die betriebswirtschaftlichen Reformen informiert?“
Offiziere 2003 Offiziere 2005 Unteroffiziere 2003 Unteroffiziere 2005 Mannschaften 2003 Mannschaften 2005
gut/eher gut mittelmäßig 41 34 31 47 15 39 15 52 11 44 12 52
schlecht/ eher schlecht 25 22 46 33 45 36
Datenbasis: Streitkräftebefragungen 2003 und 2005. Angaben in Prozent.
Dennoch bleibt es für das Management der Veränderungen eine Herausforderung, dass sich so viele Soldatinnen und Soldaten unzureichend in die Kommunikation eingebunden sehen. Wer den Sinn und Zweck bestimmter Maßnahmen nicht versteht, wird weder in der Lage sein, betriebswirtschaftliche Instrumente sinnvoll anzuwenden noch deren Bedeutung und Möglichkeiten anderen überzeugend vermitteln zu können. Untersuchungen über Kommunikationswege bei Veränderungsprojekten in Unternehmen haben gezeigt, dass „Kommunikation im Wandel einen Aufgaben-Mix bewältigen muss, der neben den klassischen Kommunikationsaufgeben auch Motivation, Vertrauensaufbau und Partizipation umfasst“ (Bernecker/Reiss 2003: 41). Mehrheitlich werden nicht nur mehr allgemeine Informationen für alle gewünscht, sondern auch eine verstärkte unmittelbare, dialogisch-vermittelnde Kommunikation, durch die Sinn und Ziel einzelner Veränderungen begreifbarer werden. Hier liegt im Sinne des Change Managements ein wesentlicher Schlüssel für die Schaffung eines Akzeptanz- und Beteiligungsklimas. Die grundsätzliche Aufgeschlossenheit vieler Soldatinnen und Soldaten gegenüber betriebswirtschaftlichen Zusammenhängen wird dann auch deutlich, wenn 45 Prozent der Zeit- und Berufssoldaten sich ausdrücklich und ein weiteres Drittel zumindest teilweise „mehr Lehrgänge zu betriebswirtschaftlichen Themen“ wünschen (vgl. Tab. 2).
21
Tab. 2: Bessere Information, Kommunikation und Weiterbildung gewünscht Aussagen aus dem Themenfeld Information und Befähigung
„Über Sinn und Zweck betriebswirtschaftlicher Neuerungen sollten alle Soldatinnen und Soldaten besser informiert werden.“ „Ich würde mir wünschen, dass die Vorgesetzten den Sinn der neuen Maßnahmen besser erklären.“ „Es sollten mehr Lehrgänge zu betriebswirtschaftlichen Themen durchgeführt werden.“
trifft voll und ganz zu/ trifft eher zu
teils/teils
trifft überhaupt nicht zu/ trifft eher nicht zu
88
10
2
62
28
10
45
33
22
Datenbasis: Streitkräftebefragung 2005. Angaben in Prozent.
5
Einstellung und Bereitschaft gegenüber ökonomischer Modernisierung („Wollen“)
Das Bewusstsein für die Notwendigkeit zu einer erhöhten Wirtschaftlichkeit zu kommen ist in der Truppe weithin vorhanden. Wie schon bei der ersten Befragungswelle 2003 sind auch im Jahre 2005 zwei Drittel der Soldatinnen und Soldaten der Ansicht, dass es in Bezug auf Kostenbewusstsein und Effizienz innerhalb der Bundeswehr nach wie vor Optimierungsmöglichkeiten gibt. Und konkret auf die Ortsebene bezogen sehen große Teile der befragten Soldatinnen und Soldaten nicht nur die Notwendigkeit, sondern auch die Möglichkeit ökonomischer Optimierungen. Hatten schon 2003 43 Prozent der Befragten die Ansicht vertreten, dass es in ihrer eigenen Dienststelle noch einige Möglichkeiten gebe, Gelder einzusparen, ohne dass die Einsatzfähigkeit darunter leiden würde, so sind es 2005 mehr als die Hälfte der Zeit- und Berufssoldaten (vgl. Tab. 3). Die Meinung, es gebe im unmittelbaren eigenen Arbeitszusammenhang noch weitere Optimierungsmöglichkeiten hat sich in der Zwischenzeit weiter verbreitet. Wie in 2003 steigt dabei der Anteil der Zustimmenden mit dem Dienstgrad. Insbesondere Offiziere sehen noch Rationalisierungspotenziale. Der kritische Blick auf Ineffizienzen, auf Verschwendung von Ressourcen und Vergeudung von Zeit ist in allen untersuchten Organisationsbereichen zu finden.
22
Tab. 3: Zeit- und Berufssoldaten sehen noch Einsparpotenziale „Wenn ich mich bei uns so umsehe, gibt es noch Möglichkeiten, Geld zu sparen, ohne dass unsere Einsatzfähigkeit darunter leiden würde.“
2003 2005
trifft voll und ganz zu/ trifft eher zu 43 52
teils/teils 23 20
trifft überhaupt nicht zu/ trifft eher nicht zu 31 23
Datenbasis: Streitkräftebefragungen 2003 und 2005. Nur Zeit- und Berufssoldaten. Angaben in Prozent.
Dementsprechend halten auch mehr als die Hälfte der Befragten die Einführung betriebswirtschaftlicher Instrumente „prinzipiell für eine gute Sache“, ein weiteres Drittel findet diese Entwicklung zumindest in Teilen richtig. Nur eine Minderheit zeigt sich grundsätzlich skeptisch (vgl. Tab. 4). Tab. 4: Mehrheit hat eine positive Grundhaltung gegenüber betriebswirtschaftlichen Methoden in der Bundeswehr „Ich halte die Einführung betriebswirtschaftlicher Methoden in der Bundeswehr prinzipiell für eine gute Sache.“
Offiziere Unteroffiziere m. Portepee Unteroffiziere o. Portepee Mannschaften
trifft voll und ganz zu/ trifft eher zu 68 55 49 44
teils/teils 22 34 38 42
trifft überhaupt nicht zu/ trifft eher nicht zu 10 11 13 14
Datenbasis: Streitkräftebefragung 2005. Nur Zeit- und Berufssoldaten. Angaben in Prozent.
Das Bewusstsein, dass es für eine zukunftsfähige Bundeswehr mit veränderten Auftragssituationen und Leistungsanforderungen auch in der ökonomischen Praxis über schlichte Einsparungen hinaus einiger Veränderungen bedarf, ist nach den Ergebnissen der Befragungen 2003 und 2005 unter den Soldatinnen und Soldaten weithin vorhanden. Und ebenso eine positive Grundhaltung und Grundbereitschaft, betriebswirtschaftliche Rationalitäten in die Organisation stärker als bisher zu integrieren. Eine deutliche Mehrheit sieht keine prinzipiellen Widersprüche zwischen militärischem Auftrag bzw. soldatischem Berufsverständnis und betriebswirtschaftlicher Rationalität (vgl. Tab. 5). Einen grundsätzlichen „Widerspruch“ zwischen Militär und Betriebswirtschaft empfinden die meisten nicht bzw. wenn, dann nur partiell (36 Prozent „teils/teils“). Aber immerhin knapp jeder fünfte Zeit- oder Berufssoldat sieht zwischen militärischen und ökonomi23
schen Prinzipien eine (gewisse) Inkompatibilität. Dennoch führt selbst diese Skepsis nicht zwangsläufig dazu, betriebswirtschaftliches Denken für unvereinbar mit dem eigenen Berufsverständnis als Soldat/Soldatin zu halten. Insbesondere Offiziere (68 Prozent) und Unteroffiziere m. P. (62 Prozent) haben keine Probleme, betriebswirtschaftliches Denken in ihre persönliche Berufsidentität zu integrieren. Tab. 5: Betriebswirtschaftliches Denken passt zum Militär wie zum Soldatsein Aussagen zum Verhältnis Betriebswirtschaft und Militär
„Betriebswirtschaftliches Denken passt in mein Berufsverständnis als Soldat/in.“ „Betriebswirtschaft und Militär stehen für mich nicht im Widerspruch.“
trifft voll und ganz zu/ trifft eher zu
teils/teils
trifft überhaupt nicht zu/ trifft eher nicht zu
56
30
14
44
36
20
Datenbasis: Streitkräftebefragung 2005. Nur Zeit- und Berufssoldaten. Angaben in Prozent.
In allen Dienstgradgruppen und in allen Teilstreitkräften bzw. militärischen Organisationsbereichen finden die Ansätze zu „mehr Wirtschaftlichkeit“ allgemeine Akzeptanz. Aber wie schon in der Erhebung 2003 sieht eine Mehrheit auch 2005 noch teils erhebliche Probleme in der Realisierung der Veränderungen. Nur 17 Prozent der Befragten haben in 2005 den Eindruck, dass die Umsetzung „im Großen und Ganzen“ funktioniere. 70 Prozent hingegen begrüßen die Ansätze, „auch in der Bundeswehr betriebswirtschaftlich zu denken und zu handeln“, sehen aber noch erhebliche Probleme bei deren Umsetzung. Ein Hemmnis scheint dabei nach Ansicht der meisten befragten Soldatinnen und Soldaten darin zu liegen, dass die vorhandenen Mitarbeiterpotenziale nicht genügend genutzt und in den Veränderungsprozess eingebunden werden. „Bei der Suche nach effizienteren Verfahren sollte das intern vorhandene Wissen der Betroffenen stärker als bisher genutzt werden (‚wenn die Bundeswehr wüsste, was die Bundeswehr alles weiß’)“, hatte der Beirat für Fragen der Inneren Führung im Vorfeld der Erhebungen formuliert. Diese Ansicht teilt die überwiegende Mehrheit insbesondere der Offiziere und Unteroffiziere (vgl. Tab. 6).
24
Tab. 6: Mitarbeiterpotenziale sollten stärker mobilisiert und genutzt werden „Wissen und Erfahrungen der Soldaten/Soldatinnen werden im alltäglichen Dienstbetrieb nicht optimal genutzt.“
Offiziere Unteroffiziere Mannschaften
trifft voll und ganz zu/ trifft eher zu 71 66 55
teils/teils 15 24 29
trifft überhaupt nicht zu/ trifft eher nicht zu 14 10 16
Datenbasis: Streitkräftebefragung 2005. Angaben in Prozent.
Wenn die vorhandenen Mitarbeiterpotenziale tatsächlich nicht genügend genutzt werden, ist das nicht nur ein verschwenderischer Umgang mit den sog. human resources, sondern ein möglicherweise entscheidendes Hemmnis für die Modernisierung insgesamt: „Das Personal im öffentlichen Dienst – und nicht etwa das Kapital oder die Technik – ist die maßgebliche Determinante für die Steigerung von Effizienz und Qualität; ohne leistungsbereite und -fähige Beschäftigte (...) kann allen noch so gut gemeinten Modernisierungsbemühungen dauerhaft kein Erfolg beschieden sein.“ (Schmidt 2000: 8) Dementsprechend ist auch der Akzent in der Menschen- und Personalführungspraxis nach dem Leitbild „Innere Führung“ zu setzen. Es muss in besonderer Weise um die Mobilisierung von vorhandenen, aber ebenso von schlummernden oder verschütteten Mitarbeiterpotenzialen gehen. Teil der Führungsaufgabe wird es dann, „Zugang zum impliziten Wissen zu finden, jener verdeckten Ebene von Wirklichkeit in Unternehmen, die wir Alltag nennen“ (Wörl 2004: 47). Eine stärkere Einbindung der Soldatinnen und Soldaten als „Alltagsexperten“ in den Veränderungsprozess wird sich nicht allein durch ein Instrument wie das Kontinuierliche Verbesserungsprogramm (KVP)2 verwirklichen lassen. Vielmehr steht ein Management des Wandels vor der Aufgabe, die einzelnen Veränderungsprojekte so zu gestalten, dass auf allen Ebenen ein möglichst großes Maß an Partizipation im Sinne von „Teilhabe/Teilnahme“ gewährleistet ist. Organisationswissenschaftliche Studien belegen, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen Mitarbeiterpartizipation und dem Abbau von Widerständen sowie erfolgreicherer Realisierung von Veränderungsvorhaben gibt (vgl. Gleser 1999). In diesem Sinne hängt die wirksame Durchsetzung eines veränderten Denkens und Handelns auch davon ab, dass Vorgesetzte und Führungskräfte mit gutem Beispiel vorangehen und eingeleitete Veränderungen sichtbar mittragen. Die Befragungen in der Truppe lassen erkennen, dass eine ausdrück2
Siehe auch die Beiträge von Portugall (KVP) und Wochnik in diesem Band.
25
liche Unterstützung der Reformen durch die unmittelbaren Vorgesetzten nicht immer vorhanden ist oder zumindest nicht immer allen Untergebenen deutlich wird. Sowohl 2003 als auch 2005 konnte jeweils ein Viertel der Zeitund Berufssoldaten nicht sagen, wie der direkte Vorgesetzte zu den Neuerungen steht. (vgl. Tab. 7) Tab. 7: Unterstützung der Veränderungen durch Vorgesetzte nicht immer deutlich „Mein(e) direkte(r) Vorgesetzte(r) unterstützt die ökonomischen Reformen in der Bundeswehr.“
2003 2005
trifft voll und ganz zu/ trifft eher zu 37 30
teils/teils 29 31
trifft überhaupt nicht zu/trifft eher nicht zu 8 14
weiß nicht 26 25
Datenbasis: Streitkräftebefragungen 2003 und 2005. Nur Zeit- und Berufssoldaten. Angaben in Prozent.
Vorgesetzte sind als „Veränderungsmanager“, als „Agenten des Wandels“ gefragt. Zu ihrer Führungsverantwortung gehört es, die Einsicht in die Notwendigkeit und den Zweck der Reformen zu stärken. Sie sind mit dafür verantwortlich, dass die Stimmungen und Energien ihrer Mitarbeiter für den Wandel genutzt werden. Für eine akzeptierende Atmosphäre zu sorgen, ist auch eine wichtige Schnittstelle zwischen ökonomischer Modernisierung und Innerer Führung. Die generelle Einsicht in die Notwendigkeit, in den Sinn und Zweck der Reformen zu stärken, ist unmittelbar Teil der Führungsverantwortung. Und eine deutliche Mehrheit von Soldatinnen und Soldaten wünscht sich eben genau mehr Austausch im tagtäglichen Dienstbetrieb über Reformschritte und neue Maßnahmen. Mehr als die Hälfte der Zeit- und Berufssoldaten sagen, „dass die Vorgesetzten den Sinn und Zweck der neuen Maßnahmen besser erklären“ sollten, ganz im Sinne der Inneren Führung: „Der Vorgesetzte muss seinen Soldaten Sinn und Wert ihrer Aufgaben und die Einordnung in den Gesamtzusammenhang erklären. Information über wesentliche Dienstbelange und regelmäßige Kommunikation sind Daueraufgabe jedes Vorgesetzten.“ (ZDv 10/1, 313)
26
6
Sicht der Soldatinnen und Soldaten auf Rahmenbedingungen für betriebswirtschaftliches Handeln („Dürfen“)
Die Erhebung 2003 hat unter anderem zu Tage gefördert, dass militärische Entscheider über erhebliche Spannungen zwischen den Ansprüchen einer betriebswirtschaftlichen Steuerung und einer nach wie vor großen, teilweise zunehmenden Regelungsdichte sowie über komplexe Verwaltungsabläufe klagen. Auf dieses Problemfeld hatte auch schon der Beirat Innere Führung ausdrücklich hingewiesen: „Die Durchsetzung effizienterer Lösungen innerhalb der Streitkräfte hängt indes nicht nur vom Können und Wollen der Akteure ab, sondern auch vom Dürfen. Veränderungsprozesse und deren Ergebnisse führen offenbar nicht zwangsläufig zu einer Ausweitung individueller Verantwortung und zu flexibler, situationsgerechter Ressourcennutzung. (...) Das traditionelle Verwaltungsdenken behindert nachhaltig Flexibilität und Wahrnehmung individueller Ressourcenverantwortung, obwohl diese durch die Pilotprojekte der Bundeswehr stimuliert werden sollten. Die gegenwärtig eingeführten Doppelstrukturen (Parallelität traditioneller Wehrverwaltung und umgestalteter Wertschöpfungsprozesse unter Einbeziehung externer, ggf. auch ‘outgesourcter’ Dienstleister) sind jedenfalls kontraproduktiv.“ (Beirat Innere Führung 2003: 6f.) Doppel- oder Parallelstrukturen zwischen traditionsgeleiteter Verwaltung einerseits, betriebswirtschaftlichen Instrumenten oder privatwirtschaftlich organisierten Serviceleistungen andererseits, erschweren Dienstabläufe und tragen nicht zu erhöhter Akzeptanz der Reformen bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei. Von daher interessiert die Frage, ob sich eine Trendwende beobachten lässt, ob in der Wahrnehmung der Soldatinnen und Soldaten die Rahmenbedingungen für ein effizienteres Handeln besser geworden sind. Eine immer stärker auf Flexibilität angewiesene Bundeswehr muss alles daransetzen, die betriebswirtschaftliche Führungskomponente mit Verwaltungsabläufen zu harmonisieren und Entscheidungsprozesse soweit als möglich zu verschlanken. Wie schon in der Befragung 2003 haben auch 2005 die meisten Befragten, insbesondere diejenigen mit Führungsverantwortung, den Eindruck, dass der Modernisierungsweg durch zusätzlich entstandene bürokratische Hürden zum Teil verstellt wird. Tabelle 8 zeigt im direkten Vergleich, dass sich mit Blick auf die bürokratischen Rahmenbedingungen und die Entscheidungsprozesse zwischen den Jahren 2003 und 2005 aus der Sicht der militärischen Führer nichts verändert hat. Zwei Drittel beklagen einen Mehraufwand an Verwaltung, mehr als die Hälfte bringen mit den neuen Steuerungsinstrumenten Entscheidungs27
verzögerungen in Verbindung. Andererseits kann nur eine kleine Minderheit von einer Dynamisierung in den Führungsabläufen berichten, die doch immer ein wichtiges Element der New-Public-Management-Programmatik sein sollte. Insgesamt lässt sich aus den Erhebungsdaten feststellen, dass die Mehrheit der militärischen Vorgesetzten für eine konsequente Anwendung der Kosten- und Leistungsverantwortung (KLV)3 votiert. Denn nach Meinung der Führungskräfte sind Entscheidungsspielräume bisher nicht wirklich größer geworden. Viele beklagen eher noch zusätzliche Verzögerungen durch eine erhöhte Regelungsdichte. Tab. 8: Militärische Führer sehen einen erhöhten bürokratischen Aufwand „Wenn Sie die Situation vor und nach der Einführung betriebswirtschaftlicher Methoden in der Bundeswehr vergleichen: was hat sich verändert? Der bürokratische Aufwand ist ...“
2003 2005
geringer geworden 2 3
in etwa gleich geblieben 33 26
gestiegen 64 71
Datenbasis: Streitkräftebefragungen 2003 und 2005. Nur Zeit- und Berufssoldaten. Angaben in Prozent.
Trotz gewisser Fortschritte bei dem Projekt „Flexible Budgetierung“, halten es nach wie vor 88 Prozent der befragten militärischen Führer für wünschenswert, dass den Dienststellen mehr Spielraum im Umgang mit den eigenen Finanzmitteln gegeben wird (vgl. Tab. 9). Der Eindruck, dass sich die eigenen Entscheidungsspielräume im Laufe des Veränderungsprozesses nicht erweitert hätten, ist unter den militärischen Führungskräften weit verbreitet. Das kann frustrierend und demotivierend wirken und so zur Drosselung des Reformmotors führen. Zum Modernisierungsprogramm gehören ja unter anderem die strukturelle Verlagerung fachlicher Entscheidungskompetenzen hin zur Ortsebene, die Zusammenlegung von Fach- und Ressourcenverantwortung mit einem entsprechenden dezentralen Budgetsystem (vgl. Schmidt 2000: 5; vgl. hierzu auch Richter 2006: 47f.). Der Beirat Innere Führung hatte bereits 2001 in seinen Empfehlungen darauf hingewiesen, dass die Sinnhaftigkeit neuer Führungsinstrumente zur Disposition gerät, wenn sie nicht als wirkliche Führungshilfen empfunden werden, weil schlicht die Freiräume 3
28
Das KLV-Konzept als Teil der erweiterten Führungsphilosophie der Bundeswehr zeichnet sich durch vier Programmelemente aus: (1) wirtschaftliche Erstellung aller militärischen und zivilen Leistungen, (2) Herstellung der KLV auf allen Ebenen, (3) Schaffung von Kosten- und Leistungstransparenz, (4) Erschließung von Kreativitätspotenzialen. (vgl. Richter 2006: 44)
für eigenverantwortliche Entscheidungen fehlen. „Demotivation und innere Distanzierung gegenüber diesen neuen Instrumenten ist die zwangsläufige Folge.“ (Beirat Innere Führung 2001: 86). Eindeutig ist der stark verbreitete Wunsch, für die Dienststellen mehr Spielraum im Umgang mit den eigenen Finanzmitteln zu erhalten. Und eine Mehrheit von Befragten befürwortet, betriebswirtschaftliche Methoden als festen Bestandteil der Offizier- und Unteroffizierausbildung zu etablieren, nicht nur für Fachpersonal in Sachen Controlling, KLR und Haushaltsfragen (vgl. Tab. 9). Tab. 9: Militärische Führungskräfte votieren mehrheitlich für konsequentere Anwendung der Kosten- und Leistungsverantwortung KLV Militärische Führungskräfte zu Aspekten der KLV
„Mein Entscheidungsspielraum hat sich durch die Einführung betriebswirtschaftlicher Instrumente vergrößert.“ „Ein flexibler Umgang mit Haushaltsmitteln in einer Dienststelle sollte erleichtert werden.“ „Betriebswirtschaftliche Methoden sollten zu einem festen Bestandteil der Führerausbildung werden.“
trifft voll und ganz zu/ trifft eher zu
teils/teils
trifft überhaupt nicht zu/ trifft eher nicht zu
5
27
68
88
10
2
51
21
28
Datenbasis: Streitkräftebefragung 2005. Nur Unteroffiziere m. Portepee, Offiziere und Stabsoffiziere. Angaben in Prozent.
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Resümee
Die Befragungsergebnisse aus der Erhebung 2005 bestätigen in weiten Teilen die Befunde der ersten Untersuchung 2003. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit und auch die Möglichkeit einer ökonomischen Modernisierung der Bundeswehr ist in den befragten Teilen der Truppe vorhanden. Die Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten zeigt eine positive Grundhaltung gegenüber betriebswirtschaftlichen Denk- und Handlungsweisen. Die Veränderungen und Neuerungen stoßen im Prinzip auf Zustimmung und werden mehrheitlich als Schritte in die richtige Richtung wahrgenommen. Betriebswirtschaftliches Denken gilt nicht als unpassend, weder für das Militär insgesamt noch im Blick auf die eigene Berufsidentität. Die Bereitschaft, die Veränderungen zu unterstützen, an ihnen mitzuwirken, sich zu engagieren und sich 29
auch durch ausbleibende rasche Erfolge nicht entmutigen zu lassen, kann beim Großteil der Truppe vorausgesetzt werden. Skepsis und Kritik besteht vor allem gegenüber der Umsetzung betriebswirtschaftlich begründeter Veränderungen in die Praxis. Nach Ansicht einer Mehrzahl von Soldatinnen und Soldaten liegen die Probleme insbesondere im lückenhaften Informations- und Kommunikationsfluss, in einer zunehmenden Verregelung und Bürokratisierung von Entscheidungsprozessen, in fehlenden Handlungsspielräumen und mangelnder Flexibilität bei der Mittelbewirtschaftung, im Ausbleiben sichtbarer Effizienzsteigerungen und nicht zuletzt in einer unzureichenden systematischen Einbeziehung aller Kräfte in den Reformprozess. Auch die Akzeptanzprobleme gegenüber dem umstrittenen Reformfeld „Privatisierung“ beruhen weniger auf prinzipiellen Vorbehalten als mehr auf einer verbreiteten Unzufriedenheit mit der Praxis und dem Eindruck, dass sich die Service-Leistungen kaum verbessert hätten.4 Die bisher schon implementierten betriebswirtschaftlichen Instrumente und weitere Vorhaben im Prozess der ökonomischen Modernisierung verlangen – das zeigen die bisherigen Erfahrungen, wie sie sich auch in den beiden Streitkräftebefragungen spiegeln – ein verstärktes, ebenso zielgerichtetes wie breit angelegtes Veränderungsmanagement. Hierbei sollte insbesondere berücksichtigt werden: x x
x x
x
4
30
Die Potenziale der Soldatinnen und Soldaten, ihr Wissen, ihre Erfahrung und Motivation sollten noch gezielter genutzt und in den Veränderungsprozess einbezogen werden. Wesentlicher Schlüssel dazu ist eine Informationsstrategie, die die Vielfalt der Kommunikationsformen nutzt, um die Ziele und Wege der Reformen insgesamt sowie Sinn und Zweck konkreter Maßnahmen immer wieder transparent zu machen. Hier sind in besonderer Weise alle Führungskräfte und deren nachdrückliche Unterstützung eines betriebswirtschaftlichen Umdenkens gefragt. Sie sind als Agenten des Wandels in der Mitverantwortung. Veränderungsmanagement heißt auch, den fortlaufenden Prozess des Wandels zu strukturieren, indem organisationsintern Zwischenbilanzen gezogen werden, d. h. bereits erfolgreich realisierte Reformschritte, aber auch noch offene Probleme und Schwierigkeiten thematisiert werden. Ein Anreizsystem für Dienststellen sowie erweiterte Handlungsspielräume und größere Flexibilität bei der Mittelbewirtschaftung wären Schritte, die den Modernisierungsprozess erheblich voranbringen würden.
Siehe hierzu die Befragungsergebnisse im Beitrag von Portugall (ÖPP) in diesem Band.
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31
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Werte verwerten? Zum Spannungsverhältnis zwischen Führung und Ökonomisierung am Beispiel der Balanced Scorecard Martin Elbe 1
Ökonomisierung, Organisation und militärische Führung
Spätestens seit der „Neuausrichtung der Bundeswehr“ (BMVg 2000) ist die zunehmende Ökonomisierung des Militärs einer der Eckpfeiler der Verteidigungspolitik und ihrer organisatorischen Umsetzung in Deutschland. Diese Neuausrichtung, die seit 2004 unter dem Stichwort „Transformation“ firmiert, wird als Modernisierungsprozess gesehen, der die Bundeswehr an veränderte sicherheits- und haushaltspolitische Gegebenheiten anpassen und auf zukünftige Anforderungen vorbereiten soll. „Die gute Nachricht ist, dass die deutsche Regierung die Mängel und Lücken in Struktur und Ausrüstung der Bundeswehr in Bezug auf die grundlegend veränderten operativen Anforderungen eines geografisch und funktional erweiterten Aufgabenspektrums erkannt hat und entschlossen ist, die notwendigen strukturellen Veränderungen vorzunehmen, um die deutschen Streitkräfte in eine weltweit operierende Einsatzarmee umzuwandeln.“ (Meiers 2005: 20) Diese Aussage impliziert eine politische Wertung, die von der Bundesregierung und dem Gesetzgeber seit der Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten 1991 immer wieder bestätigt wurde: Die Bundeswehr ist in eine weltweit operierende Einsatzarmee umzuwandeln. Aus diesem politischen Ziel ergibt sich aber ein Problem: Wie soll man dieses umsetzen, insbesondere vor dem Hintergrund einer schwierigen öffentlichen Haushaltslage? Eine Teilung der materiellen Ressourcen, die für Verteidigung in Deutschland ausgegeben werden, in Kosten für den laufenden Betrieb (konsumtiver Teil) und Mittel, die für den Veränderungsprozess aufgewendet werden (investiver Teil) zeigt, dass – insbesondere im Vergleich zu anderen Staaten Westeuropas oder den USA – der Aufwand für Investitionen deutlich zu niedrig ist, um das Ziel der Transformation wirkungsvoll umzusetzen. „Die Bundeswehr hat eine Struktur, die gemessen am Finanzrahmen zu groß ist oder zu schnell modernisiert wird.“ (Meiers 2005: 21). Anders formuliert: Die Ziel-Mittel-Relation ist nicht dahingehend ausgelegt, um das angestrebte Ziel der Transformation wirkungsvoll umzusetzen. Abhilfe scheint hier im System selbst zu finden zu sein: Indem die Funktionsprinzipien der Organisation ‘Bundeswehr’ zur Disposition gestellt werden, also nicht mehr nur Auftrag und Mittelzuweisung an die Bundeswehr die Zweck-Mittel-Relation bestimmen, sondern in den Reformprozess selbst 33
Mechanismen zur Reduktion der laufenden Kosten eingebaut werden, lässt sich (zumindest langfristig) der Anteil der für Investitionen freiwerdenden Mittel erhöhen. Hierzu ist aber die Handlungsrationalität, nach der Entscheidungen in der Organisation getroffen werden, zu ergänzen und zwar um ein Element, dass dieser Handlungsrationalität bisher fremd war und auch nicht der primären politischen Zielsetzung dient, sondern ein abgeleitetes Ziel verfolgt – in diesem Fall eben die Kosteneinsparung durch Ökonomisierung. Die Bestrebungen der Ökonomisierung in Staat und Verwaltung werden unter den Begriff des New-Public-Managements subsumiert. Richter (2006a: 41) sieht hierfür zwei Strategien: den internen Umbau der öffentlichen Verwaltung und die Veränderung der Arbeitsteilung zwischen staatlichem und privatem Sektor. Aus organisationstheoretischer Sicht ist dabei die Grenze der Organisation ein entscheidender Faktor. Die zweite der oben angeführten Strategien, die Veränderung der Arbeitsteilung zwischen staatlichem und privatem Sektor, bezeichnet eine klassische Outsourcing-Strategie – im Sinne von Williamson und Coase werden dadurch zwar einerseits die Produktionskosten gesenkt und damit Kapital, das in Ersatzinvestitionen zur Aufrechterhaltung des laufenden Betriebs gebunden ist, freigesetzt und kann anderweitig investiert werden, andererseits aber werden die Transaktionskosten steigen, da nun Austauschbeziehungen zwischen Marktteilnehmern entstehen (Transaktionen), wo zuvor stabile Produktionsverhältnisse innerhalb einer Organisation existierten (Williamson 1996). Diese Strategie wurde für die Neuausrichtung der Bundeswehr, insbesondere durch die Schaffung der g.e.b.b. (Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb1 mbH, BMVg 2000), verfolgt. Hier wurde entschieden, einen Teil der Organisation an den Markt abzugeben, also die Grenzen der Organisation Bundeswehr neu zu bestimmen. Die Verwertung von Liegenschaften, Teile des logistischen Betriebs (Fuhrpark und Ausrüstungsgegenstände der Soldaten), die Bereitstellung von Verpflegung und das Management von Dienstreisen wurden so aus der Organisation der Bundeswehr ausgegliedert (g.e.b.b. 2006). Dieses Phänomen wäre der Analyse einer Mikro-Ökonomie des Militärs im Rahmen einer Militär- und Verteidigungsökonomie (Richter 2006b) zuzuordnen und würde die Ausführungen dieser Arbeit sprengen. Aus organisationstheoretischer Sicht interessanter ist die erste der beiden genannten Strategien. Betroffen ist der interne Umbau der Bundeswehr und somit der Kern dessen, was unter dem Begriff der Transformation zu verstehen ist. Die militärische Organisation ist eine zutiefst bürokratische, bei Max Weber (1980) gar ein Prototyp für die Entwicklung seines Idealtyps der Bürokratie (Elbe/Richter 2005: 140) – hieraus bezieht die militärische Organisation ihre grundsätzliche Handlungsrationalität und eben hier setzt dieser 1
34
Siehe hierzu den Beitrag von Rüttler in diesem Band.
Teil der Transformation der Bundeswehr mit seiner Strategie des Umbaus an: Durch die interne Ökonomisierung der Bundeswehr wird die militärischbürokratische Handlungsrationalität (einschließlich ihrer Kontrollmechanismen) ergänzt um eine ökonomische. „Soziologisch kann der Prozess der Ökonomisierung verstanden werden als eine zunehmende Ausrichtung von Handeln an ökonomischen Kategorien, Normen, Werten und Prinzipien.“ (Richter 2006a: 43) Die Wirkung einer solchen Ergänzung militärischer Handlungsrationalität soll im Folgenden untersucht werden. Die grundlegende Fragestellung hierbei ist: Inwiefern verändert ein ökonomisch orientierter Wandel innerhalb der Streitkräfte deren Funktionsweise, deren Rationalität und Handlungsorientierung?
2
Ansätze zur internen Ökonomisierung der Bundeswehr
Die Analyse der internen Ökonomisierung des Militärs ist Gegenstand einer Betriebsökonomie des Militärs (Richter 2006b: 166). In der Bundeswehr findet die interne Ökonomisierung seit Mitte der 1990er Jahre, mit der Einführung der Kosten- und Leistungsverantwortung (KLV), die mit der „Schaffung von Kosten- und Leistungstransparenz durch den Aufbau einer Kosten- und Leistungsrechnung in allen Dienstellen der Bundeswehr“ (Richter 2005: 210) das Wirtschaftlichkeitsdenken in den Streitkräften fördern soll, zunehmende Verbreitung, wobei durch ein ‘Kontinuierliches Verbesserungsprogramm’ (KVP) neue Wirtschaftlichkeitspotenziale erschlossen werden sollen. Ziel dieser Maßnahmen im Sinne eines Managements im öffentlichen Sektor ist die Überführung des Bürokratiemodells in ein outputorientiertes Leistungsmodell der Steuerung von Handlungen in öffentlichen Organisationen (Zielinski 2003: 109). Letztendlich bedeutet dies nichts anderes, als die Umkehrung der Steuerungsrationalität, die nach dem ökonomischen Prinzip in zwei sich ausschließende Perspektiven zu fassen ist: Das Minimimalprinzip: Hierbei wird ein angestrebtes Ziel mit einem Minimum an Aufwand realisiert. Dem entspricht die (bürokratische) Steuerung durch das Haushaltsrecht des Bundes. Aufgrund des Grundgesetzes, Art. 110, wird der Haushalt durch das Parlament im Rahmen des Haushaltsgesetzes genehmigt. Die Mittelzuweisung drückt dabei den politischen Willen der Volksvertretung aus, bestimmte Ziele zu realisieren. Dies ist mit Hilfe des Haushaltsgrundsätzegesetzes und der Bundeshaushaltsordnung umzusetzen und zu kontrollieren. Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sind dabei wichtige Grundprinzipien, um das Minimalprinzip zu realisieren.
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Das Maximalprinzip: Dieses Prinzip beruht darauf mit einem gegebenen Mitteleinsatz einen maximalen Ertrag zu realisieren. Ein outputorientiertes Leistungsmodell der Steuerung ist durch das Haushaltsrecht nicht zu realisieren, da dieses ja den Output (als politische Willenssetzung) an den Anfang des Steuerungsprozesses stellt. Dies ist im privatwirtschaftlichen internen Rechnungswesen anders: Hier steht der Ertrag im Vordergrund, der vom Aufwand abgegrenzt wird. Um die Wirkungskraft privatwirtschaftlicher Steuerungsmechanismen zu erhöhen, wurden diese in umfassende Controlling-Konzepte integriert. „Controlling erschöpft sich aber nicht in einem übergreifenden Informations-, Berichts- und Analysesystem. Immer mehr geht man von einer Verengung des Controllings als kostenrechnerisches Informationssystem weg und strebt die Ausfächerung eines auf der Balanced-Scorecard (BSC) basierenden Controllings in der Bundeswehr an.“ (Richter 2006a: 47) Vor dem Hintergrund eines so umfassenden Controllingverständnisses steht natürlich die Frage, welche politischen Ziele letztlich damit verfolgt werden oder (noch grundsätzlicher) welche Werte in einem solchen Steuerungssystem handlungsleitend sind. Der Berater Heinz-Jürgen Weiss löst hierfür den politisch abgeleiteten Monismus der Handlungssteuerung im Militär ab durch die Interessenpluralität verschiedener Interesseneigner (Stakeholder): „Verschiedene Stakeholder wie Staat (security for money), Bündnispartner (security for value), Steuerzahler (value for money), Soldaten und zivile Mitarbeiter (value for employment) sowie die Verteidigungsindustrie (value for money) stellen erhöhte Anforderungen an Anpassungs- und Innovationsfähigkeit der Bundeswehr, in deren Mittelpunkt die jeweils nachhaltige Schaffung von (Sicherheits-)Werten ähnlich einer Versicherungsleistung steht.“ (Weiss 2000: 1) Zielrichtung dieses Ansatzes ist den Verteidigungswert zu erhöhen (Outputorientierung: Defense Value Added) und hierfür die „Balanced Scorecard sowohl zur Herleitung als auch zur Darstellung und somit Kommunikation relevanter Werttreiber“ (Weiss 2000: 1) einzusetzen. Der Ansatz folgt dem Maximalprinzip und scheint damit die Umwandlung der Bundeswehr in eine weltweit operierende Einsatzarmee insofern zu unterstützen, als dass diese Forderung sich an den politischen Notwendigkeiten aktueller Krisen und dem deutschen Interesse am Umgang damit sowie an der daraus zu erzielenden internationalen Reputation bemisst. Die Ausrichtung militärischer Steuerungsprinzipien am Stakeholder-Ansatz und die Erhöhung des Defense Value Added durch Einsatz der Balanced Scorecard scheinen probate Mittel um dieser Forderung gerecht zu werden. Im Folgenden soll deshalb der Ansatz der Balanced Scorecard genauer dargestellt werden.
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Handlungsleitung durch Kennzahlen: Der Aufbau der Balanced Scorecard
Das Konzept der Balanced Scorecard wurde in den USA in Zusammenarbeit zwischen einem Betriebswirtschaftslehre-Professor (Robert Kaplan) und einem Unternehmensberater (David Norton) Anfang der 1990er Jahre entwickelt (Kaplan/Norton 1997) und revolutionierte innerhalb kurzer Zeit den Umgang mit Kostenrechnung bzw. Controlling und wird heute auch für den Einsatz in Non-Profit-Organisationen und der öffentlichen Verwaltung (Friedag/Schmidt 2004; König/Rehling 2002; Scherer 2002) diskutiert. Während bis zur Ausarbeitung der Balanced Scorecard durch Kaplan/Norton (1997) die Kontrollfunktion kennzahlenorientierter Steuerungssysteme im Vordergrund stand, zielten die Autoren nun auf die Fähigkeit von ControllingSystemen ab, die Strategie von Organisationen konsequent abzuleiten, in Einzelziele umzusetzen, zu operationalisieren und damit die Strategie selbst der Überprüfung und also auch der Weiterentwicklung zugänglich zu machen. Der Kern des Ansatzes lässt sich folgendermaßen umreißen: x „Es geht um die strategische Ausrichtung von Unternehmen. x Die Umsetzung der Strategie erfolgt in verschiedenen Perspektiven (z. B. Finanz-, Prozess-, Innovations- und Kundenperspektive). x Diese werden in Kennzahlen gefasst, die sich an der Strategie orientieren. x Die Kennzahlen sind miteinander verflochten und haben dementsprechend ausgewogen zu sein, bzw. sind „ausgewogen“ zu interpretieren. x Monetäre und nicht-monetäre Kennzahlen ergänzen einander.“ (Marr/ Elbe 2001: 368) Kaplan/Norton (1997: 33) betonen die Flexibilität des Ansatzes und weisen darauf hin, dass bei der Implementierung einer Balanced Scorecard die spezifische Situation der Organisation für die Ausgestaltung ausschlaggebend ist. Sie stellen damit eine in sich geschlossene gedankliche Konstruktion vor, die so in der Realität nicht anzutreffen ist, in sich aber logisch und konsistent. Auch hierfür bedarf es einer Rationalität, die bei der Konstruktion des Konzepts als Orientierung dient, an der sich die einzelnen Bausteine der Konstruktion messen lassen. Für die Balanced Scorecard ist dieser zentrale Aspekt die Verknüpfung der verwendeten Kennzahlen; andere Aspekte, die in die Konstruktion mit einfließen, wie z. B. die Verwendung nicht-monetärer Kennzahlen, bleiben dem gegenüber nachrangig. „Auch in traditionellen Führungssystemen werden Ziele vorgegeben und kontrolliert, die eigentliche Neuerung der Balanced Scorecard ist die Verflechtung monetärer und nichtmonetärer Ziele zu einem Kennzahlensystem. Sowohl Zielvorgabe als auch 37
Zielkontrolle sind in einem quantifizierten System vereinigt und dadurch in einem Programm institutionalisiert. Auswahl und Dimension der Kennzahlen sind Kommunikationsmittel der Strategie (Zwecksetzung) und der gewünschten Verhaltensweisen (Normen), die in der Organisation wichtig sind.“ (Marr/Elbe 2001: 373) Diese werden in verschiedenen Perspektiven angesprochen, die damit den Stakeholder-Interessen an der Organisation gerecht werden sollen. Neben einer finanzwirtschaftlichen Perspektive (z. B. Wirtschaftlichkeit, return on capital employed: ROCE) nennen Kaplan/Norton (1997: 42) dabei insbesondere die interne Perspektive (z. B. Qualität, Reaktionszeit), die Innovationsperspektive (Zugriff auf Informationssysteme, Mitarbeiterzufriedenheit) und die Kundenzufriedenheit (z. B. Kundentreue, Kundenakquisition). Die Kennzahlen, die Zwecke in den jeweiligen Perspektiven transportieren, müssen je nach Organisation individuell festgelegt werden. Die Verflechtung der einzelnen Perspektiven ergibt sich aus dem postulierten Wirkungszusammenhang, wie ihn Kaplan/Norton (1997: 29) andeuten (siehe Abb. 1). Abb. 1: Ursache-Wirkungskette in der BSC (Kaplan/Norton 1997: 29) Finanzielle Perspektive
ROCE
Kundenperspektive Kundentreue
Pünktliche Lieferung Interne (Geschäftsprozess) Perspektive
Prozessqualität
Lern- und Entwicklungsperspektive
Prozessdurchlaufzeit
Fachwissen der Mitarbeiter
„Der Begriff der Balance wurde gewählt, da die vier Perspektiven einen Ausgleich zwischen Umwelteinflüssen (Teilhaber, Kunden) und intraorganisatorischen Einflüssen (Mitarbeiter, Prozesse) herstellen sollen. Allerdings zeigt 38
sich in der hierarchischen Stufung der Perspektiven, dass mit Balance eher die konsequente Vernetzung gemeint ist und nicht Ausgewogenheit im Sinne gleichgewichteter Anspruchshaltungen in den Perspektiven.“ (Marr/Elbe 2001: 374) Kaplan/Norton (1997: 10) bezeichnen die Balanced Scorecard damit als strategisches Managementsystem, in dem sowohl die in der Organisation verwendeten Kennzahlen, als auch das zu erreichende Zielausmaß und die für die Zielerreichung zur Verfügung stehende Zeit hierarchisch innerhalb der Organisation bis auf den einzelnen Mitarbeiter herunter gebrochen werden. Die Mitarbeiter sollen das organisationsspezifische Konzept mit seinen Kennzahlen und Zielen kennen und für sich selbst eine Handlungsleitung in einer ‘persönlichen Scorecard’ erfahren (Kaplan/Norton 1997: 210). Mit diesem Konzept haben Kaplan/Norton (1997) ein Führungssystem entworfen, das von einem bisher ungekannten Ausmaß die Lernfähigkeit von organisationalen Systemen in sich selbst schlüssig begründet und damit der Beliebigkeit von politischen Zielsetzungen entzieht, da aufgrund der Verknüpfung der abgeleiteten Ziele eine politisch motivierte Veränderung der Zielsetzung (Strategie) des Gesamtsystems die Funktionalität der Organisation in Frage stellen würde. Mit einer organisationsübergreifenden Einführung einer Balanced Scorecard ist die Organisation zwar lern- und anpassungsfähig, von außen aber ohne radikalen Eingriff in das System kaum (oder nur scheinbar) steuerbar. Die Balanced Scorecard folgt damit dem Maximalprinzip als grundsätzlicher Handlungsrationalität, da der Ertrag, der Output in den Vordergrund gestellt wird und eben daran sich die Lernfähigkeit der Organisation bemisst. Dies lässt „(…) sich aus den bisherigen Ausführungen ableiten: 1. Das System muss geeignet sein, personifizierte Führungssysteme (zumindest partiell) zu ersetzen. 2. Das System muss hierarchisch aufgebaut sein, um gewollte Zwecke (Strategie) ableiten zu können. 3. Das System muss die Fähigkeit haben, Interdependenzen abzubilden. 4. Das System darf sich nicht auf die Abbildung interner Handlungen beschränken, sondern muss die Umwelt in adäquater Weise einbeziehen. 5. Das System muss quantifiziert sein (auf Kennzahlen basieren). 6. Das System muss einer abschließenden monetären Bewertung zugänglich sein. 7. Das System muss institutionalisierbar sein.“ (Marr/Elbe 2001: 372) Kaplan/Norton (1997) haben mit der Balanced Scorecard ein Managementsystem entwickelt, dass diesen Anforderungen gerecht wird. Im Folgenden werden nun einige Beispiele für die Verwendung der Balanced Scorecard in der Bundeswehr angeführt. 39
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Beispiele für den Einsatz der Balanced Scorecard in der Bundeswehr
Die Umsetzung dieses Konzepts in der Bundeswehr soll im Folgenden anhand von Beispielen aufgezeigt werden. Die grundsätzliche Übertragbarkeit des Konzepts der Balanced Scorecard hat Anfang der 2000er Jahre bereits Hippler bejaht (Hippler 2001; Hippler/Benzler 2002; Linden/Hippler 2002) und dabei insbesondere die Fähigkeit des Konzepts zur ganzheitlichen Steuerung des militärischen Systems herausgehoben.2 Die Besonderheit der Organisation Bundeswehr im Vergleich zu zivilen Organisationen und insbesondere zu privatwirtschaftlichen Unternehmen, für die die Balanced Scorecard ja ursprünglich konzipiert wurde, sind offensichtlich: Die Bundeswehr trägt zur Erstellung eines öffentlichen Gutes (Sicherheit) bei – die Kundenperspektive der Balanced Scorecard bedarf somit einer deutlichen Anpassung. Das Primat der Politik und die Haushaltssystematik stecken den grundsätzlichen Handlungsrahmen ab (Linden/Hippler 2002). Die Erfolgs- und Leistungsmessung innerhalb der Bundeswehr gestaltet sich als problematisch, da sich die Effektivität und Effizienz militärischer Organisation erst im Einsatzfall zeigen und nicht ständig durch den Markt (wie bei Unternehmen) bestätigt werden oder scheitern müssen (Elbe/Richter 2005: 149). Auch in personeller Hinsicht ist die Bundeswehr vom Markt teilweise entkoppelt: „Ein Teil der Bundeswehrangehörigen unterliegt der gesetzlichen Wehrpflicht. Die Anzahl der freiwillig längerdienenden Wehrpflichtigen, der Zeitund Berufssoldaten ist in Haushaltsplänen festgelegt und kurzfristig nicht beeinflussbar.“ (Linden/Hippler 2002) Dies zeigt, dass sowohl die Stakeholder als auch die Rahmenbedingungen militärischen Handelns und letztlich die internen Prozesse der Bundeswehr eine Anpassung der privatwirtschaftlichen Perspektiven der Balanced Scorecard erfordern. Linden/Hippler (2002) beschreiben diese Anpassung auf die bundeswehrspezifischen Anforderungen in Bezug auf die Divisionen des Heeres folgendermaßen: x „Perspektive ‘Leistung’: Die klassische Finanzperspektive wird in der öffentlichen Verwaltung durch eine Leistungsperspektive ersetzt. Hier werden die strategischen/erfolgskritischen Leistungsziele abgebildet, die eine Division des Heeres unmittelbar zur Zielerreichung im Rahmen ihres politischen/militärischen Auftrages erbringen muss. x Perspektive ‘Prozesse’: Die Perspektive ‘Prozesse’ beinhaltet zum einen Ziele im Bereich der eigentlichen Leistungserstellungsprozesse. Da dass 2
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Für den Einsatz der BSC in einer ausgewählten Dienststelle der Bundeswehr siehe den Beitrag von Hubbert in diesem Band.
Hauptprodukt einer Division einsatzbereite Soldaten bzw. (Organisations)Einheiten sind, sind dies v. a. die (internen) Hauptprozesse Ausbildung und Übung(en). Zum anderen sind kritische Ziele in der Koordination und in der (logistischen) Unterstützung der Leistungserstellung zu identifizieren, die für die zeit- und sachgerechte Auftragserfüllung von zentraler Bedeutung sind und einen starken Optimierungsbedarf aufweisen. x Perspektive ‘Physische und finanzielle Ressourcen’: Die Perspektive ‘Physische und finanzielle Ressourcen’ umfasst Ziele, die als notwendige und kritische Leistungsbasis für die Erfüllung des Auftrags erreicht werden müssen. x Perspektive ‘Mitarbeiter und Informationen’: Die Perspektive ‘Mitarbeiter und Informationen’ zeigt die erfolgskritischen Ziele in Bezug auf die Anzahl, Qualifikation und Motivation von Mitarbeitern sowie die Versorgung und den Umgang mit Information(en) in der Truppe auf, die zur Sicherstellung der aktuellen und zukünftigen Auftragserfüllung erreicht werden müssen. Darüber hinaus sollen hier Ziele erfasst werden, die das eigentliche Potenzial der Mitarbeiter für die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr transparent machen (Führungskultur, Innovationsfähigkeit, Wissensmanagement).“ Mit dieser Umformulierung der Balanced Scorecard-Perspektiven wurden in einem Pilotprojekt in einer Division 31 Detailziele in 13 Handlungsfeldern entwickelt, in Ursache-Wirkungszusammenhänge miteinander gebracht und mit Hilfe von Indikatoren messbar gemacht. Mit der Konzeption einer Balanced Scorecard sollen für die Divisionen des Heeres folgende Führungsvorteile realisiert werden: x x x x
„eine konsequente Verdichtung von erfolgskritischen Zielen/führungsrelevanten Informationen auf einen Blick, eine verständliche Kommunikation der Ziele an jeden Soldaten, eine übergreifende Transparenz über Leistungen, Prozesse, Ressourcen und Ursache-Wirkungsbeziehungen, ein einheitliches Verständnis in der Führung bezüglich der künftigen Ausrichtung/Auftragserfüllung.“ (Linden/Hippler 2002)
Ein weiteres Beispiel für die Einführung der Balanced Scorecard findet sich bei Faermann/Rüdiger (2005): Auch die Marine ist aufgrund der Veränderungen der weltpolitischen Lage dazu gezwungen, sich auf ein erweitertes, globales Einsatzspektrum einzustellen. Der Inspekteur der Marine hat im Juli 2003 neue strategische Zielvorgaben für die Deutsche Marine herausgegeben, die mit Hilfe der Balanced Scorecard umgesetzt werden sollen und die vier 41
Perspektiven Ressourcen, Prozesse, Leistung und Befähigungen umfassen. Diese Perspektiven werden auf die nachgeordneten, operativen Ebenen herunter gebrochen. Um diesen Informationsfluss zu gewährleisten bedarf es natürlich entsprechender technischer Instrumente, da die Balanced Scorecard ja gerade eine Steuerungsfunktion ohne direkte, persönliche Weisung realisieren soll. Dies wird insbesondere mit Hilfe der Projekts SASPF (Standard-Anwendungs-Software-Produkt-Familie) der Firma SAP realisiert: „Parallel zu den Controllingsegmenten werden dann auch die Balanced Scorecards, die von den Organisationsbereichen ausgestaltet wurden, in mySAP ERP Financials umgesetzt. Die Balanced Scorecard steht den Anwendern dann, neben den verwendeten dienststellenbezogenen Management-Cockpits mit einer weiteren wesentlichen Funktionalität zur Verfügung.“ (SAP AG 2005) Hier findet sich eine Parallelität zu der Entwicklung in der Privatwirtschaft: Der zunehmende Bedarf nach Controllinginstrumenten führt zur Entwicklung unterschiedlicher Controllingsysteme und deren technischen Umsetzung in einzelnen Bereichen einer Organisation, die dann der Vereinheitlichung bedürfen, um damit effizient steuern zu können. „In den Organisationsbereichen der Bundeswehr haben sich in den zurückliegenden Jahren seit der Einführung des Controllings unterschiedliche Anwendungen mit vielen manuellen Schnittstellen auf der Basis von MS-Office-Produkten entwickelt. Es war daher aufwendig und teuer, konsolidierte Zahlen und Ergebnisse für die Großorganisation Bundeswehr zu ermitteln.“ (SAP AG 2005) Die Einführung neuer, zusätzlicher Steuerungsmechanismen führte zur Notwendigkeit hierfür die technischen Mittel bereitzustellen (also Investitionen zu tätigen), die aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher, nicht kompatibler Systeme weitere Investitionen zur Vereinheitlichung des Controlling-Systems der Balanced Scorecard nach sich zog und weiterer Investitionen bedurfte. Über mehrere Zyklen im Transformationsprozess der Bundeswehr ist der hierdurch entstehende Investitionsbedarf für die Einführung zusätzlicher Kontrollsysteme kaum mehr abschätzbar. Neben die direkten ökonomischen Folgen treten Veränderungen der Funktionsrationalität des Gesamtsystems: „Vor der Einführung von SASPF steht eine neue Organisation (…). Die Einführung von SASPF in die Bundeswehr ist weit mehr als die Ablösung von veralteten Systemen und die Einführung neuer Informationstechnik. Es geht vielmehr um die Nutzung industriell bewährter Verfahren und Methoden in der Bundeswehr. (…) Dabei wird sich auch die ‘Unternehmensführung Bundeswehr’ ändern. Die umfangreiche konzeptionelle Weiterentwicklung der Bundeswehr und die veränderte Sicherheitslage führten dazu, dass sich die Bundeswehr auf den betriebswirtschaftlichen Grundsatz der Prozessorientierung konzentriert. Obwohl die Bundeswehr kein am Markt agierendes Unter42
nehmen im herkömmlichen Sinne ist, muss sie sich ebenfalls mit ihren ‘Geschäftsprozessen’ auseinandersetzen.“ (BMVg 2004a) Dies ist ganz im Sinne der Balanced Scorecard – so sehen auch schon Kaplan/Norton (1997) eine Orientierung an den internen Geschäftsprozessen als unumgänglich an und empfehlen diese (ganz im Sinne der Verknüpfung der Scorecard-Perspektiven) in ein Wertkettenmodell zu fassen. Die Organisation ‘Bundeswehr’ wurde dementsprechend „(…) in neun Hauptprozesse gegliedert: 1. Controlling, 2. Bundeswehrplanung, 3. Rechnungswesen, 4. Personal, 5. Organisation, 6. Individualausbildung, 7. Rüstung/Logistik, 8. Infrastruktur und Umweltschutz, 9. Gesundheitsversorgung. Diese untergliedern sich wiederum in Geschäftsprozesse, Arbeitsvorgänge und Arbeitsschritte. Um das neue Informationssystem SASPF in die Bundeswehr einzuführen, reicht es also nicht, neue Software und Computer anzuschaffen. Vielmehr muss die gesamte Bundeswehr ihre Verläufe anpassen.“ (BMVG 2004a) Die Konsequenzen des Projekts zeigen sich auch in dem schon angeführten Beispiel der Marine. Der Inspekteur der Marine machte dies anlässlich der Historisch-Taktischen Tagung in Damp am 8. Januar 2004 deutlich: „Interessieren Sie sich für das Projekt, denn schon in wenigen Jahren wird SASPF auch die Lebenswirklichkeit der Marine bestimmen.“ (BMVg 2004b) Hier wird klar gemacht, dass es sich bei der Einführung neuer Controllinginstrumente (insbesondere der Balanced Scorecard und von SASPF) um mehr handelt, als um die Einführung eines unterstützenden Informationssystems, vielmehr soll ein Paradigmenwechsel in der Führungsrationalität der Marine und damit der gesamten Bundeswehr vollzogen werden. „Der Paradigmenwechsel, von der funktionsorientierten Arbeitsweise hin zu einem prozessorientierten und prozessoptimierten ‘Fachinformationssystem SASPF’ als Baustein für eine zukunftsfähige Marine bedarf der Mitarbeit vieler Dienststellen und aller Führungsebenen. Letztendlich sitzen alle bei dem Prozess der internen Optimierung und der nachhaltigen Verankerung der Wirtschaftlichkeit in einem Boot. Dieser Prozess ist unumkehrbar. Zu SASPF gibt es keine Alternative.“ (BMVg 2004b) Es gibt zur Einführung von Controlling und dessen Umsetzung mit Hilfe der Balanced Scorecard und SASPF nicht nur keine Alternative, vielmehr wird dieser Aspekt der Transformation der Bundeswehr als eine Art ‘Heilsweg’ beschrieben: „Die positiven Reaktionen auf das neue System und das große Nutzerinteresse an einer Ausweitung zeigen deutlich, dass hier die richtigen Wege beschritten werden. Wer möchte mit veralteten Ablagestrukturen arbeiten, wenn ein einziges zeitgemäßes Tool in der Lage ist, endlich genau die Informationen bereitzustellen, die der Bearbeiter im konkreten Fall wirklich braucht? Elf weitere Controllinginstrumente stehen noch auf dem Plan, bis schließlich 1 800 Controller und insgesamt über 10 000 Fachanwender und Entscheidungsträger in das neue Bundeswehr43
Gesamtcontrolling eingebunden sein werden. (…) Führungskräfte sind in der Lage, Entscheidungen schnell und flexibel auf solider Wissensbasis zu treffen und die Bundeswehr, ihrer neuen strategischen Ausrichtung gemäß, fit für [die] Zukunft zu machen: modern, effizient und einsatzbereit.“ (BMVg 2005)
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Werte verwerten?
Auffallend ist, dass in der so beschriebenen ‘schönen, neuen Welt’ der militärische Einsatz und die Anforderungen militärischer Ausbildung kaum vorkommen. Dies bleibt offensichtlich den traditionellen, militärischen Führungsprinzipien von Befehl und Gehorsam, Meldepflichten, persönlicher Dienstaufsicht und taktischer Planung vorbehalten, die ihrer Anlage nach dem Minimalprinzip zugehörig sind, also ein angestrebtes Ziel mit einem Minimum an Aufwand zu erreichen suchen. Die Frage ist, ob mit den neuen Steuerungsprinzipien nach dem Maximalprinzip Werte geschaffen werden oder ob sie nicht viel eher im Sinne spezifischer Stakeholder verwertet werden? Insbesondere die Beratungsbranche hat natürlich ein Interesse daran, der Bundeswehr (generell dem staatlichen Sektor) im Rahmen des New-PublicManagements bei der Einführung privatwirtschaftlicher Steuerungssysteme hilfreich zur Seite zu stehen und hieraus Aufträge zu generieren. Defense Value Added, die Einführung der Balanced Scorecard, SASPF sind Projekte, die von Beratungsunternehmen forciert und begleitet werden. Beispiele hierfür finden sich bei Linden/Hippler (2002), Weiss (2000) und SAP AG (2005). Im Rahmen der internen Strategie der Ökonomisierung schließt sich die Bundeswehr damit einem gesamtwirtschaftlichen Trend an, mit Hilfe von Beratungsunternehmen spezifische Managementansätze, die momentan in Mode sind, zu übernehmen. Dieses Phänomen hat der Betriebswirt Alfred Kieser seit 1996 mehrfach beschrieben und das ‘Erfinden’ immer neuer Managementkonzepte mit Modezyklen erklärt, da sich die einzelnen Managementansätze in ihrer Wirkung als Fortschrittsindikatoren der Unternehmen abnutzen. Kieser (1996) belegt dies anhand der Anzahl an Publikationen zu den jeweiligen Ansätzen (z. B. Lean Mangement, Business Process Reengineering, Qualitätsmanagement), die einen zyklischen Verlauf zeigen. Die Beratungsunternehmen nehmen dabei eine wichtige Funktion war, da sie die jeweiligen Ansätze, die gerade in Mode sind, propagieren und als Lösung für die aktuellen Probleme den Unternehmen anbieten. Kieser (1996) fasst diesen Mechanismus in 10 Prinzipien zusammen:
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1. Ein Schlüsselfaktor, der bisher sträflich vernachlässigt wurde, wird in den Vordergrund gestellt und als radikaler Bruch mit bisherigen Managementprinzipien bezeichnet. 2. Die Anwendung der neuen Managementprinzipien wird als unausweichlich dargestellt. 3. Die neuen Prinzipien werden mit zentralen Werten der Kunden in Verbindung gebracht. 4. Der Autor macht auf seine eigenen Spitzenleistungen aufmerksam, Erfolge werden personifiziert. 5. Es ist nicht so, dass der Kunde bisher alles falsch gemacht hat, veränderte Umstände bedürfen aber jetzt neuer Prinzipien. 6. Ein erfolgreiches Managementkonzept ist eine Mischung von Einfachheit, die an Praxisbeispielen verdeutlicht werden und mehrdeutigen Metaphern, die unterschiedliche Lösungen zulassen. 7. Betont wird, dass die Umsetzung des Konzepts mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, dass aber nur durch die Umsetzung enorme Verbesserungen erzielt werden können. 8. Es wird auf empirische Untersuchungen verwiesen, die den Erfolg des Systems untermauern sollen (wissenschaftlichen Überprüfungen in der Regel aber kaum standhalten). 9. Das Managementkonzept muss leicht konsumierbar präsentiert werden (Schaubilder, kein akademischer Jargon etc.). 10. Das Timing stimmt: Es werden Lösungen propagiert, die aktuellen Leitbildern von Managern entsprechen und deshalb von ihnen akzeptiert werden. Für die Verbreitung von Managementkonzepten sind damit zwei Faktoren ausschlaggebend: Zum einen bedarf es einer Art Heldenmythos, der den jeweiligen Ansatz an einen Managementbestseller knüpft (hier an die Balanced Scorecard von Kaplan Norton 1997, welche die oben angeführten Prinzipien voll erfüllt) und damit eine Flut an nachfolgenden Publikationen zu diesem Thema auslöst sowie zum zweiten der aktiven Verbreitung des Ansatzes mit Hilfe von Umsetzungstools durch Unternehmensberatungen. Das Argument für die Konsultierung von Beratern ist hierbei selbsttragend. „In dieser Perspektive ist der positive Performancebeitrag von Beraterkonzepten schon daran erkennbar, dass die Konzepte sich bei einer Vielzahl von Unternehmen durchgesetzt haben (...)“ (Nicolai/Simon 2001: 509) – bis zum nächsten Modezyklus, für dessen Umsetzung wiederum Berater gebraucht werden. Für die Umsetzung der Balanced Scorecard in der Bundeswehr greift dieses Argument in besonderer Weise. Nicht nur wird von ‘Paradigmenwechsel’ hin zur Prozessorientierung gesprochen, vielmehr wird gar eine veränderte ‘Lebensweise’ in den Streitkräften versprochen. ‘Industriell bewährte 45
Verfahren’ sollen die ‘Unternehmensführung Bundeswehr’ verändern, hin zu einer ‘neuen Organisation’ und damit befindet man sich ‘auf dem richtigen Weg’. Die interne Ökonomisierung der Bundeswehr unterliegt damit exakt den Mechanismen, die eine zunehmende Gleichartigkeit der Organisationsstrukturen, den Isomorphismus privatwirtschaftlicher Organisationen (mit Hilfe von Unternehmensberatern) fördern. In diesem Prozess ist fraglich, ob neue Werte geschaffen, Kosten eingespart werden oder ob nicht die Investitionen zur Einführung neuer Systeme, die mit den grundlegenden Führungssystemen der Bundeswehr nicht kompatibel sind, weil sie einer grundsätzlich anderen Rationalität folgen (eben dem Maximal- statt dem Minimalprinzip), aufgrund dieser Inkompatibilität dauerhaft Folgeinvestitionen generieren und einen ständigen Anpassungsprozess aus sich selbst heraus erzeugen. Damit wäre tatsächlich eine lernende Organisation geschaffen, die Transformation als andauernder Veränderungsprozess wäre sichergestellt, weil sie dauerhaft in der Inkompatibilität der Führungssysteme (Balanced Scorecard vs. militärischer Führung) der Organisation Bundeswehr angelegt ist. Vor diesem Hintergrund scheint die Ankündigung, dass das Aufkommen an Controllern in der Bundeswehr auf 1 800 anwachsen soll, die 10 000 Fachanwender steuern, eher eine Drohung als ein Versprechen zu sein. Aber dies ist dem System der Balanced Scorecard immanent. Ein System, das auf Komplexitätssteigerung aufgrund von Kennzahlenverknüpfung ausgelegt ist, bedarf einer erhöhten Anzahl an Programmadministratoren (Controllern). „Die Aufgabe der Programmadministratoren wird aber weniger durch kreative Programmgestaltung, wie sie sich in Kaplans Ausführungen andeutet, bestimmt sein, als vielmehr durch das Nachvollziehen der tatsächlichen Verknüpfungen und Rückkoppelungen (die im Kennzahlensystem entstanden sind) und dem Versuch diese abzubilden. In einem System der Balanced Scorecard sind ihre Handlungsoptionen ebenso gering, wie die der übrigen Organisationsmitglieder (da sie primär mit der Entwicklung diagnostischer Kennzahlen beschäftigt sein dürften) – aber ihre Anzahl wird ansteigen.“ (Marr/Elbe 2001: 382) Die Gewinner in dem Spiel sind letztlich die Unternehmensberater, da für ihr Auskommen gesorgt ist, solange die Transformation der Bundeswehr die institutionelle Funktion des Isomorphismus (Elbe/Richter 2005: 147) erfüllt und deshalb darauf angewiesen ist, externen Sachverstand einzukaufen, der die gängigen Moden des Managements in die Bundeswehr transferiert.
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Militär als Gegenkultur
Die Einführung von Controlling-Konzepten und deren Umsetzung mit Hilfe der Balanced Scorecard in der Bundeswehr in der Form, wie sie heute erfolgt, erfüllt primär die Funktion, Isomorphismus gegenüber ‘erfolgreicher’ privatwirtschaftlicher Steuerungssysteme nachzuweisen. „Wenn das Militär betriebswirtschaftliche Verfahren und Techniken einführt, dann haben diese auch die Funktion, Erwartungen aus der institutionellen Umwelt zu bedienen: das Militär kann gegenüber der Politik und der gesellschaftlichen Öffentlichkeit darauf verweisen, dass es den Anforderungen an eine moderne Verwaltung genügt, die alles tut, ihre internen Prozesse mit einem Höchstmaß an Effizienz zu steuern, um verantwortungsvoll mit den ihr zur Verfügung gestellten finanziellen Ressourcen umzugehen. Und wie könnte man diese Bemühungen bei der Suche nach Rationalisierungspotentialen besser dokumentieren, als wenn man darauf verweist, dass man die hierfür erforderlichen betriebswirtschaftlichen Instrumente anwendet?“ (Elbe/Richter 2005: 149) Demgegenüber darf aber nicht vergessen werden, dass das Militär als Gegenkultur (Vogt 1986) zu privatwirtschaftlichen Organisationen entworfen wurde, dass die Bundeswehr eben nicht marktwirtschaftlichen Prinzipien gehorcht. Ihr Erfolg und ihre Effizienz lassen sich nicht an Marktkriterien messen. Wenn es der erklärte politische Wille ist, die Bundeswehr in eine weltweit operierende Einsatzarmee umzuwandeln, dann wird Legitimität hierfür nicht durch institutionellen Isomorphismus (und den vielfach kontraproduktiven Aufbau einer konkurrierenden Führungsstruktur wie durch die Einführung der Balanced Scorecard) erzeugt – vielmehr ist eben auf diese neuen Einsatzbedingungen abzustellen und hieraus Legitimität und Erfolg abzuleiten. Nicht mehr das Aufeinanderprallen großer militärischer Blöcke bestimmt den Erfolg militärischer Organisationen, es sind die ‘Kleinen Kriege’, die weltweite Einsatzforderungen stellen. Dies lässt sich durchaus ökonomisieren: Es gibt Nachfrage und Angebot nach militärischen Dienstleistungen und auch westliche Streitkräfte nutzen die Chancen, die eine „Partielle Privatisierung“ (Heins/Warburg 2004: 101) militärischer Kräfte im weltweiten Einsatz bietet. Doch auch hier (value for money) scheint Wirtschaftlichkeit vielfach mit Kostenreduktion verwechselt zu werden: „Wichtiger als letzte Motive ist ohnehin die Frage, wie sich sicherstellen lässt, dass private militärische Firmen die Früchte des langen Kampfes von Zivilisten und Soldaten – transnationale Standards von Transparenz, Verantwortlichkeit und Professionsethik im Militär – nicht wieder zunichte machen.“ (Heins/ Warburg 2004: 105) Damit stellen die neuen Einsatzbedingungen auch die zweite Strategie der Ökonomisierung des Militärs (die Fremdvergabe bisher selbst erbrachter Leistungen) in Frage, da mit zunehmendem Outsourcing 47
auch die Legitimität der Organisation schwindet. „Streitkräfte demokratischer Staaten verlieren den Kleinen Krieg nicht militärisch-taktisch, sondern durch den Verlust der Legitimität und das Unvermögen, ihre Streitkräfte strategisch-theoretisch und strukturell auf Leitprinzipien von Counter-insurgency zu adaptieren.“ (Goertz 2006: 97) Die Grundaussage der Counter-insurgencyDoktrin ist, dass nur durch die Gewinnung der Loyalität der Bevölkerung in Einsatzgebieten, diese Konflikte dauerhaft beendet werden können. Dies bedarf aber eines zutiefst demokratischen Grundverständnisses in den Streitkräften selbst, dem das Führungssystem entsprechen muss und dem auch die innere Transformation der Bundeswehr zu folgen hat (erste Strategie der Ökonomisierung). Mit dem Konzept der ‘Inneren Führung’ besitzt die Bundeswehr ein demokratisch legitimiertes Führungssystem, das durch seine traditionell-bürokratischen Prinzipien der Führung und Kontrolle sowie durch die vom Parlament beschlossenen Gesetze und deren verwaltungskonforme Umsetzung legitimiert werden. Dies bedingt eine spezifische Rationalität des Führungssystem, das den Controlling-orientierten Ansätzen, wie sie durch die Balanced Scorecard in der Bundeswehr umgesetzt werden, entgegensteht. Man könnte hier auch von einer „(…) Entkoppelung von bestehenden politisch geprägten Entscheidungsprozessen auf der einen Seite und den durch moderne betriebswirtschaftliche Methoden geprägten Handlungsstrukturen auf der anderen Seite (…)“ (Richter 2006c: 237) sprechen, Modernisierung der Streitkräfte bedeutet eben nicht, dem mimetischen Isomorphismus wechselnder Managementmoden zu folgen, sondern die Bundeswehr konsequent an die neuen Herausforderungen anzupassen, die nicht marktgetrieben sind. „Die nach 2002 begonnene Reform fordert in dieser Phase dazu heraus, die Bundeswehr zu modernisieren und zugleich normsetzend eine weitere Etappe der Demokratisierung des Militärs anzustreben.“ (Bald 2005: 26) Auf diesem Weg ist die innere Ökonomisierung des Militärs (am Beispiel der Balanced Scorecard) ein Scheingefecht, das von den eigentlichen Herausforderungen der Transformation der Bundeswehr ablenkt. Literatur Bald, Detlef (2005): Militärreform und Grundgesetz. In: APuZ – Aus Politik und Zeitgeschichte, 21, 22–26. BMVg – Bundesminister der Verteidigung (2000): Neuausrichtung der Bundeswehr. Grobausplanung. Ergebnisse und Entscheidungen. http://www.bundeswehr.de vom 29.08.2006. BMVg – Bundesminister der Verteidigung (2004a): Vor der Einführung von SASPF steht eine neue Organisation. http://www.bundeswehr.de vom 25.08.2006. BMVg – Bundesminister der Verteidigung (2004b): SASPF – Marine auf Kurs. http://www.bundeswehr.de vom 25.08.2006.
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Streitkräfte und ökonomisches Kalkül: Top oder Flop? Grundsätzliche Überlegungen zu einer Ökonomisierung der Bundeswehr Jörg Keller
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Die Leitfrage
Die Alternative ‘Top oder Flop’ mag bei manchem Leser dieses Titels die Hoffnung aufkeimen lassen, hier folge nun eine Abrechnung der tatsächlichen Ökonomisierungsbemühungen der Bundeswehr in positiver oder negativer Weise. ‘Wie viel verwendet oder spart die g.e.b.b. denn nun wirklich?’ Frei nach dem Motto ‘Das haben wir schon immer vermutet (...)!’ Diese Erwartung wird hier nicht bedient. Vielmehr soll in dieser Arbeit grundsätzlichen Gedanken nachgegangen werden, ob denn eine Ökonomisierung – oder anders ausgedrückt die Anwendung des ökonomischen Kalküls – sich aus einem theoretischen Blickwinkel mit dem „Militärischen“ verträgt. Die Frage ist gegen den Strich des common sense gebürstet, geht man doch im Allgemeinen, so wie in einer Rede des Generalsinspekteurs der Bundeswehr im Speziellen, nicht nur von der Kompatibilität, sondern gerade von der unbedingten Notwendigkeit der Anwendung des ökonomischen Kalküls in der und auf die Bundeswehr aus: „Betriebswirtschaftliche Maxime muss unser Denken und Handeln noch stärker bestimmen. Es gilt vermehrt alternative, innovative Wege zu suchen, um den verfügbaren Finanzrahmen intelligenter auszunutzen. Wir werden uns zukünftig konsequent auf die Wahrnehmung unserer Kernaufgaben konzentrieren müssen.“1 Die Schlichtheit der oben aufgeworfenen Leitfrage dieses Beitrags legt ebenfalls die Schlichtheit des Vorgehens in der Bearbeitung fest: Zunächst ist herauszuarbeiten, was die Grundstruktur von Ökonomisierung ist und dann folgend, was den Kern des Militärischen ausmacht. In einem dritten Schritt müssen dann die grundlegenden Strukturen dieser beiden Handlungsdimensionen auf ihre Kompatibilität hin verglichen werden. In diesen drei Schritten soll idealtypisch vorgegangen werden, wohl wissend, dass sich die Situation in der Realität deutlich differenzierter darstellt. Da aber Differenzierung in diesem Falle den Blick auf das Wesentliche und vor allen Dingen auf den Kern der Problematik verstellt, soll hier in starken Kontrasten gearbeitet werden um eben diesen Kern hervorzuheben. 1
Vortrag des Generalinspekteurs der Bundeswehr General Wolfgang Schneiderhan zum Thema „Die Bundeswehr im Transformationsprozess“ am 15. März 2006 beim Berliner Forum Zukunft der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. http://www. bmvg.de am 07.06.06
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Ökonomisierung
So gebräuchlich der Begriff der Ökonomisierung zu sein scheint, so wenig ist er in Definitionen in den üblichen Nachschlagewerken erfasst. Einzig das trendige Online-Lexikon Wikipedia liefert eine Definition: „Der Begriff der Ökonomisierung bezeichnet die organisatorische Neuordnung staatlicher Verwaltungen, bei der durch interne Rationalisierung und die Übernahme marktpreissimulierter Kosten-Ertrags-Kalküle angestrebt wird, die Qualität öffentlicher Dienstleistungen zu verbessern und gleichzeitig deren Produktionskosten zu senken. Ökonomisierungsstrategien wie New Public Management u. Ä. lehnen sich am Modell des privatwirtschaftlichen Konzerns an und kommen vor allem in den öffentlichen Diensten im engeren Sinne (Bildungs- und Gesundheitswesen, Sozialwesen usw.) sowie in den klassischen „hoheitlichen“ Bereichen staatlicher Tätigkeit (Polizei, Steuerwesen, Militär usw.) zur Anwendung.“2 Richter (2005: 40) konkretisiert dies für die Bundeswehr, indem er aufzeigt: „Dieser Prozess der Einführung betriebswirtschaftlicher Denkweisen, Strukturen, Verfahren und Instrumente in der Bundeswehr mit samt der dazugehörigen Fachterminologie kann unter den Begriff der ‘Ökonomisierung’ gefasst werden. Die Ökonomisierung stützt sich auf die Hoffnung, dass betriebswirtschaftliche Methoden und ökonomisches Denken die Bundeswehr effizienter und effektiver machen und sie somit den anstehenden militär- und sicherheitspolitischen Herausforderungen besser gewachsen ist.“ Beide Quellen verdeutlichen, dass es sich um die Einführung neuer Verfahren und Handlungsweisen in die öffentliche Verwaltung resp. die Bundeswehr handelt, die auf einer bestimmten Denkweise basieren: ‘ökonomisches Denken’ und ‘Kosten-Ertrags-Kalküle’. Es soll wirtschaftliches Handeln sein. Wöhe (1996: 1) führt zu dieser besonderen Art des Handelns in seiner ‘Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre’ aus: „Das wirtschaftliche Handeln unterliegt wie jedes auf Zwecke gerichtete Handeln dem allgemeinen Vernunftsprinzip (Rationalprinzip), das fordert, ein bestimmtes Ziel mit dem Einsatz möglichst geringer Mittel zu erreichen. Auf die Wirtschaft übertragen lässt sich das Rationalprinzip (ökonomisches Prinzip) mengenmäßig oder wertmäßig formulieren. Die mengenmäßige Definition besagt, dass mit einem gegebenen Aufwand an Produktionsfaktoren der größtmögliche Güterertrag zu erzielen ist, d. h. der Ertrag soll maximiert werden (Maximalprinzip), oder dass ein gegebener Güterertrag mit geringstmöglichem Einsatz von Produktionsfaktoren zu erwirtschaften ist, d. h. der
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www.wikipedia.de am 07.06.2006.
Mitteleinsatz soll minimiert werden (Minimalprinzip).“ (Hervorhebungen im Original) Im Kern bedeutet Ökonomisierung der Bundeswehr also die Einführung und Durchsetzung eines ganz speziellen Rationalprinzips des Handelns – des ökonomischen Prinzips. Dieses Prinzip stellt als grundsätzliche Herangehensweise ein Kalkül an: das Kalkül zwischen dem Einsatz von Mitteln und der Erreichung eines ganz bestimmten Zieles. Je nach Schwerpunktsetzung auf Mittel oder Zielerreichung soll mit Ökonomisierung damit Effizienz (Minimalprinzip) oder Effektivität (Maximalprinzip) durchgesetzt werden. Das Wesen von Ökonomisierung der Bundeswehr scheint somit trivial zu sein, sie scheint ein landläufig für alles wirtschaftliche Handeln anerkanntes Grundprinzip zu sein, wobei Angemessenheit und Durchführbarkeit fast schon außer Frage stehen. So gesehen erscheint es weltfremd oder geradezu unsinnig zu fragen, ob dieses Prinzip auf die Bundeswehr anwendbar ist oder nicht. Um über Sinn oder Unsinn der Fragestellung entscheiden zu können, soll nun im Folgenden ebenso holzschnittartig und prinzipiell, wie es im letzten Abschnitt bei der Ökonomisierung geschah, ein ‘Idealtypus’ (im Sinne Max Webers) der Bundeswehr herausgearbeitet werden.
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Die Bundeswehr
Die Bundeswehr kann zunächst einmal, wie es bereits viele Autoren formuliert haben (Roghmann/Ziegler 1969: 156–185; Keller 2004; Haltiner u. a. 2005) als eine Organisation begriffen werden. „Unter Organisation soll hier die Gesamtheit der auf die Erreichung von Zwecken und Zielen gerichteten Maßnahmen verstanden werden, durch die ein soziales System strukturiert wird, und die Aktivitäten der zum System gehörenden Menschen, der Einsatz von Mitteln und die Verarbeitung von Informationen geordnet werden.“ (Hill et al. 1974: 17, Hervorhebung im Original) Diese instrumentelle Definition weist auf den operativen und zielgerichteten Charakter des Organisierens hin, der eben Organisation von spontan gewachsenen (Hill et al. 1974: 25) sozialen Systemen, wie Peergroups, Familienverbänden oder aus Sympathie entstehenden Koalitionen unterscheidet. Das Produkt des Organisierens – aus einem allgemeinen systemtheoretischen Blickwinkel – ist die Organisation als Institution: „Organisationen werden systemtheoretisch als offene Systeme beschrieben, die entsprechend der jeweiligen Umweltstruktur Subsysteme bilden, die u. a. Inputs aus der Umwelt beziehen, die sie in Outputs transformieren, die ihrerseits funktional für andere Subsysteme oder Umweltsysteme sind und damit zu deren Zielerreichung beitragen.“ (Staehle 1994: 390) Um die Definition etwas anzureichern, können wir nun Militär als offenes sozio-technisches (Hill et al. 1974: 24) System begreifen, das in Umwelt53
systeme – hier können je nach erkenntnisleitendem Interesse wahlweise Staat, Gesellschaft, Wirtschaftssytem etc. betrachtet werden – eingebunden ist. In den beiden obigen Definitionen von Organisation treten die Begriffe Zwecke und Ziele auf. Das System hat einen Beitrag zu leisten zur Zielerreichung des umgebenden/übergeordneten Supersystems und zugleich ist dies der existenzielle Zweck des Systems selbst. Begreift man das Militär als eine – sytemtheretisch formuliert – ‘Input-Transformation-Output-Kette’, so stellt der Output den Zweck des Systems und gleichzeitig den nachgefragten Beitrag an das Supersystem dar, der reflexiv sinnstiftend für das System selbst wirkt. Der Output des Militärs ist extreme physische Gewalt, zumindest die Fähigkeit zu ihrer Produktion, für das Supersystem Staat. Militär reiht sich damit einerseits in die Phalanx staatlicher Gewalt (Produktion von Macht) ein, andererseits gliedert es sich durch die Form derselben Gewalt auch wieder aus. Dies lässt sich am Beispiel der Polizeigewalt, wie es Unterseher (1999: 329) ausführlich getan hat, gut beleuchten. „Das Ideal der Polizei ist (...) ‘Friedlichkeit’ im Sinne der Vermeidung bzw. nichteskalatorischer Behandlung der Störung der öffentlichen Ordnung.“ Sie stellt für Unterseher den Gegenpol zum Militär im Kontinuum der „zwangsanwendenden Organisationen“ dar, in „dessen Sphäre, der des Krieges, (...) der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit schon immer als umstritten und äußerst problematisch“ (Unterseher 1999: 329f.) galt. Dass über den Einsatz von Streitkräften in Konfliktverhütung und Krisenbewältigung heute durchaus differenziert3 und im Sinne von Verhältnismäßigkeit nachgedacht wird, ändert nichts an dieser grundsätzlichen Eigenschaft von Militär für den Kriegseinsatz. Die Bundeswehr kann also aus systemtheoretischer Sicht grundsätzlich als eine Kette betrachtet werden, welche Inputs aus Gesellschaft/Staat/ Wirtschaft etc. durch spezielle Transformationen in den Output „Gewalt“ für den Staat verwandelt oder zu verwandeln vermag. An diesem Punkt wird die Parallelität dieser Betrachtungsweise zu den oben gemachten grundlegenden Ausführungen über Ökonomisierung deutlich: das ökonomische Kalkül wurde dort beschrieben als das Kalkül zwischen dem Einsatz von Mitteln und der Erreichung eines ganz bestimmten Ziels. Diese Parallele soll weiter unten als Grundgedanke der Untersuchung von Kompatibilität zwischen Ökonomisierung und Bundeswehr dienen.
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Ein Beispiel hierfür findet sich in der sog. „Agenda for Peace“ der Vereinten Nationen (United Nations, Report of the Secretary-General pursuant to the statement adopted by the Summit Meeting of the Security Council on 31 January 1992: An Agenda for Peace, Preventive diplomacy, peacemaking and peace-keeping. New York 17 June 1992 [A/47/277– S/24111]).
Doch zunächst muss das gerade aufgezeigte sehr einfache Bild des Militärs etwas differenziert werden. Wie sich bereits in den Begriffen Krieg, Peacekeeping und Frieden andeutet, kann sich Militär und damit die Bundeswehr in unterschiedlichen Systemzuständen befinden. Die vom Staat nachgefragte ‘Gewaltleistung’ hat eine jeweils andere Ausprägung, ihre Produktion erfordert unterschiedliche Verfahren in der Transformation des Inputs in den jeweiligen Output. Die Bundeswehr selbst ist in unterschiedliche Subsysteme ausdifferenziert. Zunächst unterscheidet das Grundgesetz zwei Großbereiche: die Streitkräfte (Art. 87a GG) und die Bundeswehrverwaltung (Art. 87b GG). Erstere sind die eigentlichen ‘Gewaltproduzenten’. Die Bundeswehrverwaltung hat lediglich eine dienende Funktion für die Streitkräfte: „Sie dient den Aufgaben des Personalwesens und der unmittelbaren Deckung des Sachbedarfs der Streitkräfte.“ (Art. 87b GG); sie produziert nicht, sie erbringt eine Dienstleistung als Output für die Streitkräfte. Daher sollen in der weiteren Betrachtung die Streitkräfte, welche der Bund zum Zwecke der Verteidigung aufstellt (Art. 87a GG), der einzigen vom Grundgesetz legalisierten Form des Krieges, im Mittelpunkt der weiteren Untersuchung stehen. Auch die Streitkräfte selbst differenzieren sich in Produzenten und Dienstleister. Als Dienstleister können generell die Stäbe und Ämter verstanden werden, welche Verwaltungen oder Bürokratien im Sinne Max Webers darstellen. Produzenten sind dagegen die Einheiten und Verbände der Streitkräfte. Hier wiederum kann sich das Produkt unterscheiden: es kann ‘Gewalt’ oder ‘Fähigkeit zu Gewalt’ wie in einem Einsatzverband sein, es kann aber auch eine Ausbildungsleistung sein. Da die Streitkräfte sich in weiten Teilen selbst ausbilden und nur einen Teil an die Schulen delegieren, wechseln sie in ihren Subsystemen zwischen einer Transformation der Inputs zum Produkt Gewalt einerseits und zum Produkt Ausbildung andererseits. So kann eine Panzerkompanie über einen längeren Zeitraum eine Grundausbildung ihrer Soldaten durchführen und später mit diesen Soldaten in den Einsatz gehen um dort als ‘Gewaltproduzent’ zu agieren. Diese zunächst marginal erscheinende Unterscheidung hat wesentliche Folgen im jeweiligen ökonomischen Kalkül.
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Streitkräfte und Ökonomisierung
Ökonomisierung ist oben als Neuordnung, bei der durch interne Rationalisierung und die Übernahme marktpreissimulierter Kosten-Ertrags-Kalküle eine Ertragssteigerung angestrebt wird, beschrieben worden. Dies setzt voraus, dass einerseits die Kosten des Inputs und der Transformation und andererseits der Ertrag, der Output, zu quantifizieren sind. Für einen Teil der ‘Input55
Transformation-Output-Ketten’ hat die Bundeswehr ein ziviles Verfahren, das Market Testing (MT), für sich assimiliert. Nach der Market TestingRichtlinie (MT-RL) des Bundesministeriums der Verteidigung wird darunter „ein Verfahren zur Prüfung, ob eine vergabefähige Leistung für die Bundeswehr durch gewerbliche Anbieter oder durch Bw-interne Dienststellen wirtschaftlicher erbracht werden kann“ (BMVg 1998: 1) verstanden. Der entscheidende Begriff in dieser Definition ist jedoch ‘vergabefähige Leistung’, welcher nahelegt, dass es auch nicht-vergabefähige Leistungen gibt. In der Tat werden diese auch in einer Anlage der Richtlinie definiert (BMVg 1998: 25): „Grundsätzlich nicht MT-fähige Kernaufgaben gem. Konzeption der Bundeswehr sind x Landes- und Bündnisverteidigung in Zentral-Europa, x Krisenreaktion und Verteidigung im Bündnis außerhalb Zentral-Europas, x Krisenbewältigung im erweiterten Aufgabenspektrum. Daraus ergeben sich im Einzelnen: x x x x x x x x
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Militärpolitische Aufgaben, Militärische Führungsaufgaben, Militärische Aufklärungsaufgaben, Kampf- und lokale Kampfunterstützungsaufgaben sowie lokale Hilfeleistungen in Krise und Krieg, Militärische Dienste zur Sicherstellung der Einsatz- und Kampfbereitschaft, Militärische Führungs- und Kampfausbildung, Logistik und Sanitätswesen im Einsatzgebiet, Bundeswehreigene Mindestkapazitäten, die in Krise und Krieg zur Kampf- und Einsatzunterstützung und Hilfeleistung notwendig sind oder die eigene Bewertungs- und Entscheidungsfähigkeit sicherstellen. Dabei ist die verteidigungspolitische Lage zu berücksichtigen. Zusätzlich auch: Planung, Personalwesen, Organisation, Verwaltung (überwiegend).“
Diese Aufzählung der nicht-vergabefähigen Leistungen umschreibt den oben in den Ausführungen zu Militär entwickelten Kernbereich der Bundeswehr, die Gewaltausübung. Er ist verständlicherweise aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht aus der staatlichen Verantwortung zu entlassen. Andererseits vergibt man die Möglichkeit der Ermittlung ‘marktpreissimulierter’ Kosten für die Kernleistungen des Gesamtsystems. Somit stellt sich die ‘Gretchenfrage’: Ist ein Kosten-Ertrags-Kalkül für die Kernbereiche als Grundlage von Ökonomisierung überhaupt möglich? In den Ausführungen zur Bundeswehr 56
als System wurde bereits angedeutet, dass sich dieses System in verschiedenen Aggregatzuständen befinden kann: im Frieden, im Einsatz und im Krieg. Die Kernfunktion der Bundeswehr bleibt auch mit Verabschiedung des Weißbuchs 2006 die „Verteidigung Deutschlands gegen äußere Bedrohung“ (Bundesministerium der Verteidigung 2006: 11) und damit die Fähigkeit zur Produktion äußerster Gewalt, die Fähigkeit zur Kriegführung mit dem Zweck der Verteidigung. Mit dieser Festlegung der zentralen Kernfunktion ist zugleich auch eine grundlegende Festlegung für das ökonomische Kalkül des Systems getroffen: Es gilt das Maximalprinzip (siehe auch Kantner/ Richter 2004: 8). Mit einem durch den Haushalt bestimmten Input (Art. 87a GG) soll ein Maximum an Output erwirtschaftet werden. Das Maximalprinzip liegt hierbei im Wesen des Krieges begründet: Er hat immer den Charakter des Totalen, des entweder oder, des Sieges oder der Niederlage. Clausewitz fasst dies wie folgt zusammen „Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen. (...) und es gibt in der Anwendung derselben keine Grenzen.“ (Clausewitz 1990: 17, 19) In seinen Ausführungen macht Clausewitz dann weiter deutlich, dass grundsätzlich die Zwecke der Gefechte schlussendlich auch dem eigentlichen Zweck der Vernichtung des Gegners dienen (Clausewitz 1990: 205). Setzt man nun voraus, dass der politische Wille, welchem die Vernichtung des Gegners vorgelagert ist, für die Bundesrepublik immer Verteidigung – also existenzieller Selbsterhalt und staatliche Notwehr – ist, dann führt an der Anwendung des Maximalprinzips als ökonomischem Kalkül für die Streitkräfte kein Weg vorbei. Dieser Grundgedanke lässt sich auch aus dem neuen Weißbuch des Bundesministeriums der Verteidigung ablesen, wird hier doch als Ziel von vernetzter militärischer Operationsführung die „Wirkungsüberlegenheit“ (BMVg 2006: 107) genannt. Soweit erscheint dies einleuchtend, dennoch liegt bereits hier das oben angerissene grundlegende Problem verborgen: das Problem der Quantifizierung des Outputs. Der Output kann nur ex post quantifiziert werden: Sieg oder Niederlage. So mancher erinnert sich noch an die Diskussionen in der Zeit des Kalten Krieges um die hinreichende Bewaffnung oder die angemessene Strategie der Verteidigung. Hier wurde auf der Basis unterschiedlicher Auffassungen des notwendigen Outputs über unterschiedliche Transformationen des Inputs gestritten. Um also ein wirtschaftliches Kalkül nach dem Maximalprinzip anstellen zu können, müsste der gewünschte Output, die Gewalt, operational und damit messbar beschrieben sein. Diese Beschreibung im positiven Sinne liegt nicht vor. Im negativen Sinne liegen Einschränkungen – also Qualifizierungen – durch Völkerrecht und Kriegsvölkerrecht in der Ächtung bestimmter Formen und Verfahren der Gewalt vor. Die Anwendung des ökonomischen Kalküls scheitert also an der 57
fehlenden operationalen Beschreibung des Outputs der Bundeswehr für den Kriegsfall. Diese operationale Beschreibung hätte durch das Primat, also die Politik zu erfolgen, so wie Clausewitz den „politischen Zweck“ als das „ursprüngliche Motiv“ des Krieges (Clausewitz 1990: 25) beschreibt. Ohne Quantifizierung kein wirtschaftliches Kalkül, ohne das Kalkül keine Ökonomisierung im Kernbereich des Militärischen, dem Krieg. Diese aufgezeigte Unmöglichkeit der Quantifizierung des Outputs gilt jedoch nicht nur für den Krieg, sie gilt auch für den sog. „Einsatz“. Als Beispiel mag der politische Auftrag dienen, welchen die Bundeswehr für den Einsatz in Afghanistan im Rahmen von ISAF durch das Parlament erhalten hat: „Deutsche Streitkräfte beteiligen sich an der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan. Der Einsatz der für sechs Monate aufgestellten Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe hat das Ziel (...) die vorläufigen Staatsorgane Afghanistans bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit in Kabul und seiner Umgebung so zu unterstützen, dass sowohl die vorläufige afghanische Regierung als auch Personal der Vereinten Nationen in einem sicheren Umfeld arbeiten können. Das bedeutet folgende Aufgaben: x Verlegung in das Einsatzgebiet, x Eigensicherung, x Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit in Kabul und Umgebung, x im Bedarfsfall Eigenevakuierung sowie x Rückverlegung.“ (Deutscher Bundestag 2001: 3) Auch in diesem Falle ist der Output des Anteils der Bundeswehr an ISAF nur vage beschrieben. Das politische Mandat wurde dann durch die Bundeswehr in militärische Aufträge umgesetzt. Was allerdings dabei nicht erfolgte, ist eine Operationalisierung dessen, was ‘Sicherheit in Kabul und seiner Umgebung’ tatsächlich bedeutet. Wie soll dann eine Kosten-Ertrags-Erwägung angestellt werden, wenn zwar Kosten benannt aber der Ertrag nicht beziffert werden kann. Auch hier erscheint es Aufgabe der Politik, welche ja als Auftraggeber auch der Abnehmer des Outputs der Streitkräfte in Afghanistan ist, zu beschreiben, welche Qualitäten Sicherheit in Kabul und Umgebung hat und bei welchen Quantitäten von Erträgen gesprochen werden kann. Bisher kann nur festgestellt werden, dass das eine Einsatzkontinent die Zahl x an Ressourcen verbraucht hat (Kosten), das andere Kontingent die Zahl y. Der Ertrag kann weder qualifiziert noch quantifiziert werden. Das mögliche Postulat von geringeren Verbräuchen kann nicht mit dem Ertrag kalkuliert werden, ein rationales im Sinne von wirtschaftlichem Handeln ist nicht möglich. Am Rande sei erschwerend für das Einsatzszenario angemerkt, dass Sicherheit in Kabul und Umgebung nicht allein durch die Unterstützung von 58
ISAF (und damit der Bundeswehr) herzustellen ist, vielmehr tragen hierzu die Anstrengungen anderer Ressorts der Bundesregierung aber auch anderer Nationen bei. Der Messvorgang verkompliziert sich nochmals. Für Krieg und Einsatz muss also festgestellt werden: Durch die fehlende Konkretisierung des Outputs kann ein Kalkül zwischen eingesetzten Mitteln und Ertrag nicht angestellt werden, somit ist eine Ökonomisierung im Kernbereich des militärischen Handelns nicht möglich. Wie sieht nun aber die Friedenssituation aus? Hier finden etliche Maßnahmen außerhalb des oben aufgezeigten Kernbereichs unter dem Stichwort Ökonomisierung statt (siehe hierzu Kantner/Richter 2004 und Richter 2004, 2005). Unter Friedenssituation wird hier die Situation der Streitkräfte unter Herausnahme der Kräfte gesehen, welche in den laufenden Einsätzen sind oder Einsätze aus Deutschland oder anderen Nicht-Einsatzländern steuern und führen. Welche Leistungen werden hier erbracht? Es sind grundsätzlich drei Leistungsbereiche: Ausbildungsleistungen, Realversorgung und Verwaltungsleistungen. Das ‘Kerngeschäft’ der Einheiten und Verbände im Friedensbetrieb ist die Ausbildung. Streitkräfte können unter den Bedingungen des Friedensbetriebs als große Ausbildungsorganisationen verstanden werden, in welchen die Produktion von Gewalt für den (Kriegs-)Einsatz geübt und ausgebildet wird. Hiefür existiert eine sehr umfangreiche Infrastruktur an Übungsplätzen, Übungsanlagen und Simulatoren. Innerhalb der Einheiten und Verbände, aber auch in großem Umfang ihnen über und beigeordnet existieren Verwaltungsorganisationen, Stäbe, Ämter, etc., welche Verwaltungs- und Steuerungsaufgaben wahrnehmen. Kantner/Richter (2004: 8) gehen davon aus, dass im Gegensatz zum Kalten Krieg in der heutigen Friedenssituation das Minimalprinzip im ökonomischen Kalkül angewandt wird, was heißt, den Mitteleinsatz bei gegebenem Outputziel so weit wie möglich zu reduzieren. Für die Ausbildungsorganisation einschließlich der Truppenausbildung existieren in den Streitkräften zahlreiche Vorschriften, Ausbildungs- und Lehrpläne und Curricula. Diese sind in unterschiedlichem Maße operationalisiert, also für die Beschreibung des Output brauchbar. Prinzipiell ist demnach eine Ökonomisierung im Bereich des „Friedens“-Kerngeschäfts der Streitkräfte, der Ausbildung, möglich. Für den Bereich der Realversorgung, welche sich z. B. aus sanitätsdienstlicher Versorgung, aus Reparaturleistungen und logistischen Leistungen zusammensetzt, ist eine Ökonomisierung sowohl im Sinne des Maximal- als auch des Minimalprinzips möglich, handelt es sich doch hierbei nicht um spezifisch militärische Leistungen. Auf diese Bereiche der Leistungserstellung bezieht sich explizit die oben vorgestellte Market-Testing-Richtlinie. Für Stäbe und Ämter, die Erbringer von reinen Verwaltungsdienstleistungen, kann die Antwort so einfach nicht erfolgen. Hier sind im Schriftgut 59
die jahrzehntelangen Bemühungen4 um Bürokratisierung und Entbürokratisierung der Streitkräfte unmittelbar beobachtbar. Gleichwohl ist die Frage nach der für die Produktion (von Gewalt) ‘hinreichenden’ Verwaltungsleistung zu stellen. Die Frage nach der hinreichenden Verwaltungsleistung stellt sich ebenso im zivilen Bereich, war sie doch Auslöser für die New-PublicManagement-Bewegung. Auf das Militär bezogen ist die Frage jedoch noch schwieriger zu beantworten, stellt die Verwaltungsleistung doch einen Beitrag zur Gesamtleistung der Streitkräfte dar. Als Zwischenbilanz der bisherigen und abstrakten Betrachtung kann festgestellt werden: Eine Ökonomisierung in den Streitkräften im Sinne eines Kosten-Ertrags-Kaküls kann unter den gegebenen Rahmenbedingungen bei einer systematischen Betrachtung nur in wenigen Bereichen realisiert werden. Die wenigen Bereiche sind Realversorgung und Ausbildung. Selbst die scheinbar mögliche Anwendung des Maximalprinzips – aus einem durch den Haushalt festgelegten Input ein Maximum an Ertrag herauszuholen – ist nicht möglich, da sich der Ertrag als „Gewalt“-Leistung oder „Sicherheits“Leistung der Messung entzieht.
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Schlussbetrachtung
Trotz der oben aufgezeigten Bedenken, die gegen den Erfolg der Ökonomisierung der Bundeswehr sprechen, hat man sich mit unterschiedlichen Maßnahmen aufgemacht, Effizienz und Effektivität der Organisation zu steigern. Als einer der Kernpunkte der Transformation der Bundeswehr nannte Verteidigungsminister Jung den Umgang mit der Finanzausstattung der Bundeswehr: „Die finanziellen Rahmenbedingungen sind eng. Und sie bleiben eng. Auch der Verteidigungshaushalt leistet seinen Beitrag zur Konsolidierung des Gesamthaushalts. Das zwingt dazu, Prioritäten zu setzen und die wenigen Spielräume optimal zu nutzen. Eine umfassende Orientierung an Wirtschaftlichkeit und Effizienz muss daher integraler Teil der Modernisierung von Streitkräften und Verwaltung bleiben. Gleichzeitig bleibt die Steigerung des Investitionsanteils ein wichtiges Ziel.“5 Mit dem eher umfassenden Ansatz des Controllings in der Bundeswehr (Hippler 2001) oder dem älteren aber auch etwas engeren Ansatz der Kostenund Leistungsverantwortung (KLV) (Kantner/Richter 2004: 8) wurde bereits 4 5
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Der Versuch, die Entbürokratisierung der Bundeswehr voranzubringen begann in den siebziger Jahren mit der Einrichtung der sog. „de Maizère Kommission“, welche 1979 ihr erstes Gutachten vorlegte. Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, an der Führungsakademie der Bundeswehr am 25. Januar 2006 in Hamburg „Den Wandel der Bundeswehr gemeinsam erfolgreich gestalten“.
massiv versucht, ökonomische Verfahren und das dafür grundlegende Denken in den Streitkräften zu verankern. Ob diese Bemühungen von Erfolg gekrönt sind, kann in diesem Beitrag nicht beantwortet werden. Die oben angestellten Überlegungen legen hier Skepsis nahe. Es gäbe allerdings in diesem Zusammenhang eine Vielzahl von untersuchenswerten Aspekten wie z. B. der Einfluss der Budgetierung im kameralistischen System oder die Wirkung der mancherorts praktizierten Personalwirtschaft in den Streitkräften, die zu schneller Wissensvernichtung durch kurzfristige Verwendungen oder Zeitverträge zu führen scheint. Als ein wesentlicher Hintergrund für diese untersuchenswerten Aspekte organisatorischen Handelns kann die Organisationskultur der Streitkräfte, gesehen werden, da diese die vorhandenen Handlungsmöglichkeiten weitgehend präjudiziert. Ökonomisches Denken und Handeln in den Streitkräften ist nur dann möglich, wenn es in den Rahmen der Organisationskultur fällt. Es gibt begründete Zweifel daran, dass dies gelingen kann. Nach Luhmann (1999) gebrauchen Systeme strikt zweiwertige Schemen in der Informationsverarbeitung, durch welche sie sich von anderen Systemen unterscheiden. Im medizinischen System wäre dieser binäre Code „krankgesund“, im juristischen System „Recht-Unrecht“, im ökonomischen System „Gewinn-Verlust“ usw. Alle Entscheidungen, welche im System getroffen werden, orientieren sich an dieser Leitunterscheidung. Sie können als eine Art von Vorgabe verstanden werden. Im militärischen System müsste „SiegNiederlage“ als Leitunterscheidung angenommen werden und nicht „Gewinn-Verlust“ aus dem ökonomischen System. Wie stark diese binäre Codierung wirkt kann an den Einsparversuchen (oder Versuchen der Ökonomisierung) des Gesundheitssystems gesehen werden. Auch hier verhindert die Qualifizierung und Quantifizierung des Ertrags „Gesundheit“ das ökonomische Kalkül. Eng mit der binären Codierung des Systems hängt auch die Vorstellung von Führung und Entscheidung zusammen. Im ökonomischen System sind es grundsätzlich ökonomische Entscheidungen, welche zur Erhaltung des Systems getroffen werden müssen, im militärischen System sind es Entscheidungen, welche zu Sieg oder Niederlage führen. Die kulturellen Muster und die darauf aufbauenden Handlungsmöglichkeiten wie im System übliche Führungs- und Entscheidungsverfahren spiegeln den Charakter des Grundproblems wider. Im ökonomischen System sind es finanzkalkulatorische Verfahren, im militärischen System ist es der Kräftevergleich und der Vergleich des Gefechtswertes der Kontrahenten. Da es im militärischen Verfahren um Sieg oder Niederlage geht und hierbei ggf. auch um physische Existenz der Beteiligten (ähnlich wie im medizinischen System), mutet die Einbeziehung eines ökonomischen Kalküls schon zynisch an. Aus diesem Grund ist öko61
nomisches Denken vermutlich nicht im Rahmen der militärischen Organisationskultur vorhanden. Dies bedeutet nicht, dass Militär nicht mit seinen Mitteln haushaltet, es bedeutet vielmehr, dass hinter dem Haushalten ein anderer Begründungszusammenhang zu vermuten ist. Schließlich kommt auch den Leitbildern der handelnden Personen in der Organisation eine wichtige Rolle zu. In einer Untersuchung zu Führungsvorstellungen in den Führungsvorschriften des deutschen Heeres (Keller 2000) wurde deutlich, dass hier ein sehr stark auf die Person des militärischen Führers konzentriertes Bild entworfen wird, welcher die ungeteilte Verantwortung trägt. Drei Kategorien stehen dabei im Vordergrund: Können, Persönlichkeit/Charakter und Ethos/Moral. Die Heeresdienstvorschrift HDv 100/200 (Führungsunterstützung) sagt hierzu aus: „Militärische Führer müssen in ungeklärter Lage, bei Ausfällen von Personal und Material, unter Zeitdruck sowie unter hoher körperlicher und seelischer Belastung handeln und häufig einen Entschluß ins Ungewisse hinein fällen. Der Persönlichkeit des militärischen Führers, seinem Verantwortungsbewusstsein, seiner Willensstärke, seiner Urteilskraft und seinem fachlichen Können kommt deshalb eine ausschlaggebende Bedeutung zu.“ Ausgerichtet am Leitbild des Krieges werden hier willensstarke Entscheider gesucht und bevorzugt und nicht der gewissenhaft (und zeitaufwendig) Kalkulierende, der nach Optimierung sucht. Auch hier kommt die organisationskulturell bedingte binäre Codierung „Sieg-Niederlage“ zum Tragen. In diesem Beitrag konnte aufgezeigt werden, dass Ökonomisierung systematisch eher nicht zum Militärischen passt, dies gilt ganz besonders unter dem Paradigma Krieg oder Einsatzformen, die dem Krieg ähnlich sind. Im Einsatz erschwert die unzureichende Formulierung des Ziels bzw. des Ertrags die Anwendung des wirtschaftlichen Kalküls. Im Friedensbetrieb jedoch ist dies in weiten Teilen möglich, setzt jedoch operationalisierte Ziele voraus. In allen drei Szenarien wirkt jedoch kontraproduktiv, dass die Organisationskultur des Militärs grundsätzlich am ‘worst case’, also dem Krieg, ausgerichtet ist und damit eine Barriere für die Ökonomisierung darstellt. Um an den Ausgangspunkt der Betrachtungen zurückzukehren: Bei aller Notwendigkeit des sparsamen Einsatzes von Mitteln im Militär könnte sich die Ökonomisierung der Bundeswehr letztendlich als „Flop“ herausstellen. Literatur BMVg – Bundesminister der Verteidigung (1981): Führungsfähigkeit und Entscheidungsverantwortung in den Streitkräften. Bonn. BMVg – Bundesministerium der Verteidigung, Führungsstab der Streitkräfte InfoM (Hrsg.) (2004): Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Werte und Normen für Soldaten. Bonn.
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II
Controlling – ein modernes Instrument der Steuerung und Führungsunterstützung in der Bundeswehr
Die Bundeswehr auf dem Weg zu einem effektiven und effizienten Controlling auf der Grundlage eines ergebnisorientierten Führungs- und Steuerungssystems Jürgen Zimmermann 1
Motive für die Implementierung eines Controllings in öffentlichen Verwaltungen
Die komplexen Wechselwirkungen zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und gesellschaftlichem Wandel sowie die geringe Veränderungsneigung des politisch-administrativen Systems bei ständig steigender Staatsquote1 mit der Folge einer dauerhaft angespannten Haushaltssituation haben nicht nur in Deutschland einen erheblichen Veränderungsdruck auf öffentliche Einrichtungen aufgebaut. Dringend gefordert werden moderne und effiziente Verwaltungsprozesse bei deren Steuerung die Führungsebene durch ein professionelles Controlling unterstützt werden soll. Dabei wird dem Controlling häufig einseitig die Aufgabe der Effizienzsteigerung zugeschrieben und sein Wert in Einsparpotenzialen im Verhältnis zu den von ihm mitverursachten Kosten gemessen. Dies ist jedoch eine gänzlich unvollständige Betrachtungsweise aus einem überkommenen Finanzkontrollverständnis. Das moderne Controlling unterstützt die Führung auf allen Ebenen und auf allen Führungsgebieten durch Wirkungsanalysen, die die Führung zu einer Wirkungssteuerung auf der Grundlage strategischer Ziele und deren Operationalisierung befähigen. Hier liegt der wahre Nutzen eines modernen Controllings, der nur in dem kleinen Anteil „Einsparbeitrag“ monetär, weit überwiegend aber skalar zu bewerten ist.
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Die Entwicklung des Controllings in der Bundeswehr in Abhängigkeit von der Entwicklung der zweckorientierten Kosten- und Leistungsrechnung
Die Entwicklung der dezentralen Kostenrechnung in der Bundeswehr begann 1994 mit dem Ministerauftrag, den Betrieb der Bundeswehr zu optimieren und wo zweckmäßig zu privatisieren. Zweck der Kostenrechnung war die Unterstützung der Optimierung des Betriebs der Bundeswehr von Grund auf. Für diesen Zweck erschien die Prozesskostenrechnung die geeignetste 1
Eine Staatsquote von 48,9 Prozent in Deutschland bedeutet, dass annähernd die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts dem Wettbewerb entzogen ist und damit Wohlstandsverluste aufgrund von Allokations-, Qualitäts- und betrieblichen Ineffizienzen drohen.
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Kostenrechnungsart, da deren Implementierung die Analyse der Arbeitsschritte einer Wertschöpfungskette bis zum endgültigen Arbeitsergebnis bedingt und insoweit zwingt, den gesamten Arbeitsprozess organisationselementübergreifend zu analysieren. Entsprechend der Zwecksetzung von „Grund auf“ wurde die Prozesskostenrechnung auch bottom up eingeführt. Da die Ergebnisse der Kostenrechnung der Dienstellenleitung ausgewertet und mit konkreten Handlungsempfehlungen vorgelegt werden sollten, musste dazu geeignetes Fachpersonal ausgebildet werden. Damit war der Dienststellencontroller geboren, der in aller Regel auch die Optimierung der Dienststelle unterstützen und vorantreiben sollte. Die Eigenverantwortlichkeit der Dienststellen für deren Optimierung basierte auf der Philosophie der Kosten- und Leistungsverantwortung (KLV). Dazu gehörten – neben der Prozesskostenrechnung2 und dem dienststellenbezogenen Controlling – das nach dem Vorbild der Industrie entwickelte „Kontinuierliche Verbesserungsprogramm (KVP)“3, eine Flexibilisierung bei der Haushaltsmittelbewirtschaftung4 sowie kleinere Freiräume beim Einsatz des Personals und bescheidene Anreize zur Einsparung von Haushaltsmitteln, die jedoch nur zu Bruchteilen von den Leistungen erbringenden und Kosten verursachenden Dienststellen selbst bewirtschaftet wurden und auch heute noch werden. Nach Realisierung der Optimierungsansätze der Dienststellen im Zuge der Einführung der Prozesskostenrechnung stand auf der unteren Dienststellenebene sehr bald der Erkenntnisgewinn häufig in keinem gesunden Verhältnis mehr zum Aufwand5. Mit der sukzessiven Einführung von KLV6 auch auf höheren Dienststellenebenen erweiterte sich das bisher reine Dienststel2
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Schon damals gab es Ausnahmen von der Prozesskostenrechnung. So z. B. im nachgeordneten Bereich des Bundesamts für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB), das die Kosten seiner wehrtechnischen Aufträge als Produktkosten mit einer Kostenträgerrechnung darstellen musste. KVP soll die Kreativität der Mitarbeiter fördern und verstärkt zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit des Betriebs führen. Siehe auch die Beiträge von Wochnik und Portugall in diesem Band. In mehreren, zeitlich aufeinander folgendenden Schritten wurden zunehmend Titel mit einer sog. F-Codierung im Einzelplan 14 verankert. F-codierte Titel sind gegenseitig deckungsfähig und ohne Einsparverpflichtung aus dem Budget des Folgejahres übertragbar. Obwohl eine Vielzahl von Personalausgabetiteln im Einzelplan 14 analog zu den übrigen Einzelplänen F-codiert war, wurde die Flexibilisierung im Verteidigungsressort bei diesen Ausgaben nicht durchgereicht, weil zentrale Steuerungserfordernisse dem entgegenstanden und heute immer noch – und dies in ganz besonderem Maße – entgegenstehen. Der Aufwand war im Wesentlichen durch die Zeitaufschreibungen zu den jeweiligen Aktivitäten bedingt. Er wurde bis 2004 sukzessive und in erheblichem Umfang reduziert. Die Entscheidung zur flächendeckenden Einführung von KLV erfolgte auf der Grundlage der vorangegangenen Erprobung in allen unterschiedlichen Dienststellentypen in 1998 und war im Wesentlichen Ende 2004 abgeschlossen.
lencontrolling zur sog. „Teilhabe am Controlling“. Sie stellte den Versuch dar, auf der nächst höheren Führungsebene Handlungsbedarf aus den Controllingerkenntnissen der unterstellten Dienststellen für den gesamten Zuständigkeitsbereich zu generieren. Da die Summe aller unwesentlichen Erkenntnisse aus den bereits optimierten Dienststellen auch nicht sehr viel wesentlicher sein konnte7, wurde erstmals die Frage diskutiert, ob sich die Aufgabe des Controllers in der Auswertung der Daten aus der Prozesskostenrechnung erschöpfe oder ob er die Führung nicht auch bei all ihren Führungsaufgaben – im Hinblick auf wirtschaftliches Handeln – unterstützen sollte. Diese Überlegungen führten zu der Erkenntnis, dass der gewählte Weg der bottom-upEinführung für ein leistungsstarkes Controlling nicht zielführend sein konnte. Damit war – analog der früheren Entwicklung in der Industrie – der Weg vom Controller als Auswerter der Kostenrechnungsdaten und Informant hin zum Führungsgehilfen in allen wesentlichen Führungsgebieten geebnet. Dieser Weg sollte nun top down angegangen werden. Mit dem Aufbau von Leitbildern der ministeriellen Organisationsbereiche (OrgBer), der Bildung eines aus den verteidigungspolitischen Richtlinien abgeleiteten strategischen Zielsystems, das zur leichteren Steuerung über Kennzahlen operationalisiert wurde, dem Herunterbrechen dieses Zielsystems auf die jeweils nachgeordneten Bereiche nach Maßgabe von deren Auftragsspektren und schließlich mit dem Aufbau des Leitungscontrollings, waren die Grundlagen für eine flächendeckende Implementierung des Controllings zur Unterstützung der Führung auf allen wesentlichen Führungsgebieten und -ebenen gelegt.
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Die neuen Aufgaben des Controllings gemäß Rahmenweisung Controlling
Das 2001 eingesetzte Leitungscontrolling als oberste Controllingfachinstanz legte mit der vom Minister am 3. Mai 2002 gebilligten „Rahmenweisung für das Controlling im Geschäftsbereich des BMVg“ die organisatorischen und fachlichen Grundlagen für die Einführung eines flächendeckenden, ebenengerechten und durchgängigen Controllings moderner Prägung. Nach der Rahmenweisung sind Gegenstand des Controllings alle in der Verantwortung des jeweiligen Entscheidungsträgers liegenden Aufgabenfelder. Es unterstützt den Führungsprozess in Gänze und die Führung auf allen Ebenen. Dabei beschränkt sich Controlling aus seinem ganzheitlichen Ver-
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Ausnahmen bildeten dabei Dienststellen, die sich einem Market Testing – das ist der wettbewerbliche Vergleich von in- und externen Optimierungskonzepten – unterzogen.
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ständnis nicht nur auf quantitative, sondern bezieht bewusst auch qualitative Faktoren in die Betrachtungen mit ein. Damit die Entscheidungsträger ihr Handeln dauerhaft am Prinzip der Wirtschaftlichkeit ausrichten können, erfasst Controlling die Beziehung zwischen geforderten Leistungen und Befähigungen sowie den dafür eingesetzten Ressourcen und ermöglicht eine quantitative und qualitative Bewertung der Zielerreichung hinsichtlich Zeit, Menge und Qualität (Effektivität) und Wirtschaftlichkeit (Effizienz)8. In Kenntnis der Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Zielvorgaben können die Folgen für konkurrierende Ziele beschrieben und mit Blick auf die nächsthöhere Ebene auch Aussagen zur Auswirkung auf übergeordnete Zielvorgaben getroffen sowie Handlungsalternativen entwickelt werden. Die Aufgaben des Controllers dieser neuen Prägung (sog. Controller A)9 sind: Aufbau- und Entwicklungsaufgaben, wie: x Unterstützen bei der Entwicklung und Formulierung von Zielen, abgeleitet aus dem Auftrag bzw. den Aufgaben der jeweiligen Ebene und unter Beachtung übergeordneter Ziele, x Mitarbeiten bei der Entwicklung eines hierarchisch aufgebauten Zielsystems, dabei Aufzeigen von Ursache-Wirkungszusammenhängen und relevanten Einflussgrößen im Zielsystem, x Mitwirken bei der Operationalisierung der Ziele zur Definition der Zielvorgaben im Dialog mit den fachlich Verantwortlichen, dabei Entwicklung und Weiterentwicklung von Kennzahlen (Leistungs-, Qualitäts-, Wirtschaftlichkeitskennzahlen) und Indikatoren für die Bewertung nicht quantitativer Kriterien wie Leistungsqualität, Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, Zukunftsfähigkeit, x Aufbau und Entwicklung einer qualifizierten Prognosefähigkeit sowie der Kompetenz zur Analyse von Teilaspekten in einem ganzheitlichen Zusammenhang, x Erarbeiten und Pflegen eines empfängerorientierten und steuerungsrelevanten Berichtswesens für den Verantwortungsbereich.
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In der Regel ausgedrückt als optimiertes oder zu erreichendes Kosten-Leistungsverhältnis. Controller A ist jeweils eine Mitarbeiterin/ein Mitarbeiter des Höheren Dienstes mit einer betriebswirtschaftlichen Hochschulausbildung oder adäquaten berufspraktischen Erfahrungen zuzüglich einer speziellen lehrgangsgebundenen Ausbildung der Controller A in der Bundeswehr.
Managementunterstützende Aufgaben, wie: x Planungsunterstützung mit den Teilaufgaben, x Unterstützen bei der Umsetzung der Ziele in konkrete Maßnahmenplanungen, x Unterstützen der jeweiligen Leitungs-/Führungsebene bei der Bewertung von Planungen bezogen auf die (politischen) Rahmenbedingungen und Vorgaben bzw. übergeordneten Zielvorgaben, x Veranlassen und Überprüfen der sachgerechten Zuordnung von Kosten zu den geplanten Maßnahmen, soweit dies für die Transparenz der Wirtschaftlichkeit der Auftragserfüllung zielführend ist, x Festlegen von Toleranzgrenzen hinsichtlich der geplanten Leistungsqualität und -quantität sowie des geplanten Kosten/Leistungsverhältnisses (z. B. Ampelfunktionen) im Dialog mit den fachlich Zuständigen und mit Billigung der Leitung/Führung, x Mitwirken bei der dezentralen Budgetplanung des Verantwortungsbereichs, soweit Controllingziele berührt werden, x Organisation der Datenerhebung und des Datenflusses. Aktive Unterstützung der Steuerung mit den Teilaufgaben: x Information der Leitung/Führung im Rahmen des periodischen Berichtswesens hinsichtlich der Zielerreichungsgrade und Darstellung von Ursache-Wirkungszusammenhängen auf der Grundlage von Messergebnissen im Dialog mit den fachlich Zuständigen; dazu Nutzen von Soll-IstVergleichen, Trend- und Abweichungsanalysen sowie von Prognosen und Einzelanalysen, x Aufzeigen von Steuerungsmöglichkeiten einschließlich der Bewertung ihrer möglichen positiven und negativen Auswirkungen im Dialog mit den fachlich Zuständigen, x Beraten bei der Entscheidungsfindung durch Aufzeigen von Chancen und Risiken möglicher Handlungsalternativen innerhalb des Zielsystems, x Erfassen und Bewerten der Auswirkungen der veranlassten Maßnahmen, x Sicherstellen der Berücksichtigung der in der Durchführung gewonnenen Erkenntnisse bei der Nachsteuerung der Zielvorgaben und der weiteren Planung.
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Laufende betriebswirtschaftliche Beratung mit den Teilaufgaben: x Verbessern der Transparenz von Entscheidungsgrundlagen,10 x Durchführen von Systembetrachtungen und Erarbeiten von Vorschlägen zur Gestaltung des Handlungsrahmens zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des Ressourceneinsatzes (u. a. auch bedarfsorientierte Analyse der Effektivität und Effizienz von im Verantwortungsbereich implementierten Regelungssystemen), x Zuarbeit bei allen wesentlichen Investitionsentscheidungen im Verantwortungsbereich, x Bewerten geplanter Umorganisationen einschließlich Out-/InsourcingMaßnahmen, x Bewerten von Vorschlägen zur Umsetzung außerplanmäßiger Aufgaben und deren Auswirkungen auf das Zielsystem sowie Analysieren der Umsetzungsergebnisse, x Bedarfsorientiertes Bewerten alternativer Finanzierungsmodelle (Kauf, Leasing, Miete, Betreibermodelle etc.), x Nutzen von Benchmarking und anderer Methoden zur Optimierung von Prozessen und zur Kontrolle der Zielerreichung. Zur Aufbereitung der erforderlichen Kostendaten in den jeweiligen Dienststellen, zur Pflege der Stamm- und Bewegungsdaten, zur Anpassung der KLR an den Bedarf des Controllings sowie zur ebenengerechten Wahrnehmung von Controllingaufgaben in kleineren Dienststellen wird der/die sog. Controller(in) B im gehobenen Dienst eingesetzt. Seine/Ihre in der lehrgangsgebundenen Ausbildung vermittelten, an den jeweils aktuellen Entwicklungsfortschritt angepassten Fähigkeiten werden auch bei Einführung von SASPF11 gefordert sein.12 Zur Sicherstellung der notwendigen Informationstechnologieunterstützung (IT-U) und des Controlling-Informationsflusses, zur Unterstützung bei der Implementierung neuer Programmversionen sowie zur Durchführung periodisch abgestimmter Datensicherungen und anderer Zuarbeiten ist dem 10 Eine organisatorische Lösung zur Sicherstellung der Aufgabenwahrnehmung ist die Implementierung eines Vorlagencontrollings. 11 = Standard-Anwendungs-Software-Produktfamilien. 12 Die in SASPF geplante relative Einzelkostenrechnung soll einer Vielzahl von Rechnungszielen dienen können. Dementsprechend können im Rechnungswesen nur Grundlagendaten erfasst werden. Die Aufbereitung entsprechend dem jeweiligen Rechnungsziel erfolgt außerhalb des Hauptprozesses Rechnungswesen im Business Information Warehouse/ Strategic Enterprise Management (SAP BW/SEM) im Rahmen des Controllingsegments Rechnungswesen. Zur Aufbereitung dieser Daten wird es auch in Zukunft der Dienste des Controllers B bedürfen, wenn auch mit anderen Schwerpunkten, an anderen Stellen (Konzentration) und ggf. in geringerem Umfang.
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Controller B ein(e) IT-versierte(r) Bürosachbearbeiter(in) (BSB) des mittleren Dienstes zur Seite gestellt. 4
Die Entwicklung eines ergebnisorientierten Führungs- und Steuerungssystems für die Bundeswehr und dessen Bedeutung für das Controlling
Die 1994 begonnene Entwicklung und anschließende sukzessive Einführung betriebswirtschaftlicher Instrumente und Methoden in die Bundeswehr hat – auch nach den Befragungsergebnissen des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr (SWInstBw) 2003 (Kantner/Richter 2004) – noch nicht zu der erhofften nachhaltigen Steigerung wirtschaftlichen Handelns in der Bundeswehr geführt. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Unzureichendes Veränderungsmanagement, hohe Fluktuation des Fachpersonals bis hin zu der Auffassung, dass betriebswirtschaftliche Aspekte in einem von klassischen Hoheitsaufgaben und einem hohen Bedürfnis nach Sicherheit geprägten Ressort bei der Entscheidungsfindung allenfalls eine nachrangige Rolle spielen können. Wesentliche Ursache scheint aber zu sein, dass die Nutzung der eingeführten betriebswirtschaftlichen Methoden und Instrumente ohne Verankerung in bestehenden Führungs- und Steuerungsprozessen der Beliebigkeit preisgegeben ist. Diese Erkenntnis führte fünf Jahre nach der Entscheidung zur flächendeckenden Einführung der Kosten- und Leistungsverantwortung (KLV) im Jahr 1998 in grundsätzlich allen Organisationsbereichen der Bundeswehr zu dem Ministerauftrag vom Oktober 2003, ein Konzept für ein betriebswirtschaftliches Steuerungssystem Bundeswehr zu entwickeln und entscheidungsreif abzustimmen. Dazu sollte in einem ersten Schritt unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus den in den Landes- und Kommunalverwaltungen erprobten „Neuen Steuerungsmodellen“ ein Konzept zu einer „Ergebnisorientierten Steuerung (EOS) in der Bundeswehr“ erarbeitet und deren Grundprinzipien und Kernelemente in sieben ausgewählten militärischen und zivilen Dienststellen erprobt und die Ergebnisse in die weitere Konzeptarbeit einbezogen werden. 4.1
Grundprinzipien und Kernelemente, Nutzen und Anforderungen der ergebnisorientierten Steuerung
EOS ist eine Steuerungsmethode, die in allen Phasen des Führungsprozesses (Kreislauf: Lagefeststellung/Ist-Analyse, Zielbildung, Planung, Durchführung, Erfolgskontrolle, erneute Lagefeststellung/Ist-Analyse, Überprüfung 73
der Zielvorgaben usw.) betriebswirtschaftliche Aspekte stärker als bisher verankert und dabei auch den unterschiedlichen Anforderungen in Kernleistungs-13 und Unterstützungsbereichen Rechnung trägt, den Wandel von der input- zur outputorientierten Steuerung14 vollzieht und der Umsetzungsebene Handlungsfreiräume in Abhängigkeit vom Grad der übertragenen Ergebnisverantwortung einräumt. Gleichzeitig unterstützt EOS einen modernen Führungsstil, der auf Vereinbarungen (contracting) von Leistungsergebnissen bei definiertem Ressourceneinsatz innerhalb klar beschriebener Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren setzt, damit Verfahrens- und Verhaltenssteuerung reduzieren hilft, zur Entbürokratisierung beiträgt und letztlich auch eine Verschlankung von Führungsstrukturen unterstützt (siehe Abb. 1). Abb. 1: Steuerungs- und Führungsmethode in EOS
EOS Steuerungsmethode Betriebswirtschaftliche Aspekte in allen Phasen des Führungsprozesses: Optimierungspotenzial finden Lage: Zielvereinbarungen treffen (z. B. Auftrag: Zielproduktkosten) Bedarfsgerechte Planung: Leistungserbringung planen Durchführung: Bestmögliche Effektivität bei optimierter Effizienz erzielen Überwachung: Kontinuierlich und ebenengerecht anhand von Effektivitäts - und Effizienzkennzahlen überwachen und steuern
Führungsmethode Wesentliche Merkmale: • Führen mit Auftrag • Übertragung erweiterter Ergebnisverantwortung • Vereinbarungen von Leistungsergebnissen und anzustrebenden Kosten -Leistungs Relationen • Gewährung angemessener Freiräume, Flexibilität und Anreize • Kooperativer Führungsstil • Förderung Mitarbeitermotivation
4.1.1 Wesentliche Grundprinzipien und Bausteine Grundprinzipien von EOS sind: x Führen über vereinbarte Ergebnisse mit ebenengerechter Delegation von Verantwortung hinsichtlich Zielerreichung und Ressourceneinsatz („Führen mit Auftrag“), 13 Kernleistungen umfassen alle Leistungen, die zum Erreichen und zum Erhalt von Kernfähigkeiten erforderlich sind. Kernfähigkeiten umfassen alle zur Erfüllung von Auftrag und Aufgaben der Bundeswehr erforderlichen Fähigkeiten, über die die Bundeswehr aufgrund gesetzlicher Vorschriften, politischer Vorgaben oder militärisch unabdingbarer Erfordernisse verfügen muss und/oder für die eine Leistungserbringung durch Dritte nicht zur Verfügung steht. Alle übrigen Leistungen sind Unterstützungsleistungen. 14 Inputorientierung = Ressourcenorientierte Steuerung; Outputorientierung = Ziel- und ergebnisorientierte Steuerung.
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x Zusammenführen der Durchführungs- und Ressourcenverantwortung zu einer erweiterten Ergebnisverantwortung auf der Durchführungsebene, x Transparente Darstellung der Zusammenhänge zwischen Leistungen und den dafür einzusetzenden Ressourcen, x Erbringen und Abrufen von Unterstützungs-/Serviceleistungen nach dem Prinzip „Wer bestellt, bezahlt“ sowie x Fördern des Wettbewerbs mit Leistungsanbietern innerhalb und außerhalb der Bundeswehr wo immer möglich und sinnvoll. Die wesentlichen Bausteine von EOS sind: x Ebenengerechte Zielvereinbarungen bezogen auf Leistungsergebnisse zu vereinbarter Ressourcenbereitstellung, x Einbeziehung des gesamten Führungsstrangs in den Prozess der Zielvereinbarung im Gegenstromverfahren15, x Nutzen des vorhandenen, ebenengerechten und durchgängigen Controllings zur Bildung geeigneter Effektivitäts- und Effizienzkennzahlen zur wirtschaftlichen Steuerung der Dienststelle sowie zur ebenengerechten Information über die Zielerreichung auf dem Führungsstrang mit einem geeigneten Berichtswesen, x die Definition von Produkten oder abgrenzbaren Leistungen als Ergebnis des Leistungserstellungsprozesses, x Wechsel von der Prozess- zur Kostenträgerrechnung zur Bestimmung der Produktkosten, x die Produktions- oder Leistungserstellungsplanung aufgrund streng am Bedarf sowie am Wirtschaftlichkeitsprinzip orientierter Bedarfsermittlung, x die Planung des Einsatzes der in der Dienststelle gemäß Zielvereinbarung verfügbaren Ressourcen auf Basis einer optimierten Produktions- bzw. Leistungserstellungsablaufplanung zur Erreichung vereinbarter Produktkosten, x die Bildung von Kostenbudgets, in geeigneten Fällen auch Ausgabenbudgets (z. B. für Fremdleistungen) zur dienststellenbezogenen Steuerung des Leistungserstellungsprozesses. 15 Unter Gegenstromverfahren wird die Gegenläufigkeit im Zielvereinbarungs- und Planungsprozess verstanden. Dabei wird der Ressourcenbedarf für geforderte und geplante Leistungsergebnisse auf dem Führungsstrang nach oben gemeldet und dort mit den insgesamt verfügbaren Ressourcen nach ebenengerechter Priorisierung abgeglichen. Das Ergebnis wird der Durchführungsebene bekannt gegeben und nach gemeinsamen Überlegungen zu Möglichkeiten der Optimierung und ggf. erforderlichen Leistungsreduzierungen wird die Planung festgeschrieben und die gemeinsam für erreichbar eingeschätzten Leistungsergebnisse zu den verfügbaren Mitteln in Zielvereinbarungen dokumentiert.
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4.1.2 Anforderungen der ergebnisorientierten Steuerung an die Führungsebenen Damit EOS zur Stärkung wirtschaftlichen Handelns beitragen kann, müssen die Führungsebenen ebenengerecht Zielvereinbarungen16 treffen, einen Zielvereinbarungsprozess im Gegenstromverfahren zulassen, der sicherstellt, dass die Ziele auch erreichbar sind und die Umsetzungsebene alles daran setzt, die Ziele zu erreichen, weil sie, sie selbst auch für erreichbar hält. Zudem ist es erforderlich, dass die Führungsebenen dabei hinreichend Gestaltungsraum bei Organisation, Personaleinsatz, Bewirtschaftung der Haushaltsmittel inkl. Anreize und Handhabung von Verfahrensregelungen einräumen, damit die neue Qualität der Ergebnisverantwortung auf der Durchführungsebene auch getragen werden kann. Schließlich unterstützen ein kooperativer und die Mitarbeitermotivation fördernder Führungsstil sowie ein geeignetes Change Management, das u. a. gelegentlich auch auf die immer noch bestehenden Vorteile des öffentlichen Dienstes hinweist, Teamgeist und Identifikation mit den gemeinsamen Zielen. 4.1.3 Nutzen einer ergebnisorientierten Steuerung Abgesehen von dem grundsätzlichen Vorteil für die Bundeswehr, über eine stärker betriebswirtschaftlich ausgerichtete Methode der Steuerung zu verfügen, stellt sich die Frage nach dem voraussichtlichen Nutzen für Führung und Mitarbeiter. Sie kann grundsätzlich wie folgt beantwortet werden: EOS x entlastet die Führungsebenen von Detailregelungen und Verhaltenssteuerung, x verbessert den Informationsstand zur Effizienz der Leistungserbringung,17 x ermöglicht eine vergleichende Ergebnismessung, x schafft im Unterstützungsbereich die Voraussetzungen zur Erreichung der Wettbewerbsfähigkeit und damit schließlich zur Überlebens- und Zukunftsfähigkeit, x stärkt Eigenverantwortung und Selbstbewusstsein der Mitarbeiter durch Einbeziehung in den Vereinbarungsprozess und messbare Zieldokumen16 Zielvereinbarungen müssen Regelungen enthalten zu Leistungsart, -menge und -qualität, Ressourcenbereitstellung zur vereinbarten Leistungserbringung, Zeit, Berichtswesen (Kennzahlen zur ebenengerechten Steuerung), ggf. neue Organisation, in der die Leistungen erbracht werden sollen, wirtschaftliche Ziele, die erreicht werden sollen, Anreize, Gestaltungsfreiräume hinsichtlich Organisation, Personaleinsatz zur Unterstützung der erweiterten Ergebnisverantwortung sowie die zentralen Steuerungserfordernisse (Personalumfang, eigenbewirtschaftete Flexibilisierung der Haushaltsmittel) etc. 17 Durch Leistungsdefinition (z. B. Produktbildung) und Planung gewünschter Kosten-/Leistungsrelationen.
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tation, durch einen kooperativen Führungsstil und gemeinsame Optimierung der Arbeitsprozesse im Team und unter Nutzung eines lebendigen und von der jeweiligen Führungsebene sichtbar unterstützten und geförderten KVP-Wesens und durch Anreize, Gestaltungsfreiräume und Kommunikation gemeinsamer Erfolge, x motiviert die Mitarbeiter durch messbare Ergebnisse und spürbare Reaktion der Führungsebene auf erbrachte Ergebnisse sowie durch den Ergebnisvergleich zwischen typgleichen Dienststellen („Wettbewerb fördert Sportsgeist“), x schafft so ein höheres Verantwortungsbewusstsein und Engagement für die gemeinsame Sache (Motivationssteigerung bewirkt Leistungssteigerung und gelenkte Leistungssteigerung ermöglicht größere Effektivität und Effizienz) und x schafft mehr Verständnis für getroffene und zu treffende Maßnahmen zur nachhaltigen Überlebensfähigkeit. EOS steht damit in vollem Einklang mit den Grundsätzen der Personalführung im Geschäftsbereich des BMVg und auch mit dem Prinzip der Inneren Führung. 4.2
Möglichkeiten einer sukzessiven Implementierung in der Bundeswehr
EOS lässt sich am leichtesten in Dienstleitungszentren in den Unterstützungsbereichen mit betrieblichen Strukturen umsetzen. Dort könnten ein kaufmännisches Rechnungswesen eingerichtet, die Leistungen relativ leicht und bedarfsgerecht geplant und der Bedarfsträger in geeigneter Form belastet werden. Wettbewerbselemente könnten über Verrechnung zu Marktpreisen oder Benchmarks zu marktvergleichbaren Leistungen integriert werden. Die eingeführte Prozesskostenrechnung ist in diesen Bereichen bereits überwiegend auf eine Kostenträgerrechnung umgestellt. Es müsste lediglich noch eine Zentralisierung und Harmonisierung der bestehenden KLR erfolgen. In den militärischen und zivilen Kernleistungsbereichen steht die Effektivität der Leistungsergebnisse – gemessen an den Zielwerten (z. B. an Fähigkeitskriterien) – im Vordergrund. Gleichzeitig gebietet die angestrebte Herstellung der Balance zwischen Auftrag und Mitteln den wirtschaftlichen Einsatz von Ausrüstung, Verbrauchsmitteln und Personal sowie die wirtschaftliche Nutzung von Infrastruktur und Transportmitteln bei der Erzielung der Leistungsergebnisse (operative Steuerung). Damit gilt auch für den Kernleistungsbereich: Es ist eine größtmögliche Effektivität bei größtmöglicher Effizienz zu erzielen (siehe Abb. 2).
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Abb. 2: EOS in Kernleistungs- und Unterstützungsbereichen Bundeswehr
Unterstützungsbereich x x x x x
zunehmende Zentralisierung Kunden-Lieferantenverhältnis Produkt- und „Preisbildung“ Betriebswirtschaftliche Organisation mit Rechnungswesen Herstellen der Konkurrenzfähigkeit zu gewerblichen Anbietern betriebsähnliche Strukturen
Kernleistungsbereich Effektivität der Leistungsergebnisse, gemessen an x x x
den Fähigkeitskriterien dem wirtschaftlichen Einsatz von Ausrüstung und Personal etc. den Kosten vergleichbarer Einheiten und/oder Fähigkeiten innerhalb und außerhalb
Da in den Kernleistungsbereichen der Schwerpunkt auf strategischer Steuerung18 unter besonderer Gewichtung der Effektivität der Leistungserbringung liegt und hierzu die notwendigen Voraussetzungen (z. B. Neuausrichtung der Bundeswehrplanung, integriertes Rechnungswesen) noch nicht geschaffen sind, sollte EOS hier zuletzt eingeführt werden. Ein mögliches Einführungsszenario könnte wie folgt aussehen: x
x x
4.3
1. Schritt: Ausfächerung im zivilen und militärischen Unterstützungsbereich, in dem die Kostenrechnung (alt) in der Ausprägung der Kostenträgerrechnung schon weitgehend etabliert ist; Start nach positiven EOSErprobungsergebnissen. 2. Schritt: Erprobung repräsentativer militärischer Dienststellen mit Kernaufgaben; Start nach positiven EOS-Erprobungsergebnissen. 3. Schritt: Ausfächerung auf alle Dienststellen; Start nach Erfüllung aller notwendigen Voraussetzungen (Implementierung des neuen Rechnungswesens). Bedeutung für das Controlling
Wie einleitend dargestellt, hat die Entwicklung des Controllings vom reinen Dienststellencontrolling über die Teilhabe am Controlling bis hin zum TopDown-Ansatz eines ebenengerechten Controllings mit entsprechender Organisation und detaillierten Aufgabenbeschreibungen für Bereiche mit unterschiedlichem Entscheidungs- und Handlungsspielraum (Controller A und B, sowie Bürosachbearbeiter IT-U) noch keinen befriedigenden Stand erreicht. 18 Z. B. die Fragen: Was kostet uns eine Fähigkeit im internationalen Vergleich? Wo liegen hier unsere Stärken und Schwächen? Welcher integrative oder konsolidierende Ansatz könnte im Verbund aufgrund der angestellten Analysen gefahren werden?
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So hat das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr in einer Befragung des Controllingfunktionspersonals in 2005 (Richter 2006) sowie der Streitkräfte in 2003 und 2005 (Kantner/Richter 2004; Großeholz 2006) im Wesentlichen folgende Gründe dafür ermittelt:19 Obwohl die Dienststellenleitungen nach Meinung der befragten Controller/innen Vertrauen in deren Fachkompetenz haben, sehen sie sich in folgender Situation: 54 Prozent der Befragten geben an, dass die Dienststellenleitungen keine klaren Vorgaben zu ihrem Informations- und Beratungsbedarf machen und 48 Prozent antworteten, dass das Controlling kein regelmäßiges Feedback für seine Arbeit erhält. Controlling ist kein zentraler Führungsbestandteil in den Dienststellen – dies wird von 52 Prozent der Befragten so gesehen. Ebenso geben 52 Prozent an, dass bei wichtigen Entscheidungen keine Beteiligung des Controllings erfolgt. In Lage- und Führungsbesprechungen sind die Ergebnisse des Controllings selten ein wichtiges Thema – diese Einschätzung treffen 56 Prozent der Controller/innen. 13 Prozent der befragten Controller sprechen ihre Dienststellenleitung höchstens einmal im Quartal. Die Controller haben keine eigenen Kompetenzen („dürfen nichts“) und keinen eigenen Fachstrang; über 60 Prozent streben eine Weiterqualifikation im Bereich Controlling über die verpflichtende lehrgangsgebundene Ausbildung hinaus an. Das Meinungs- und Einstellungsbild in den Streitkräften lässt sich wie folgt charakterisieren: Die grundsätzliche Einstellung zur Einführung betriebswirtschaftlicher Methoden bei der Truppe ist mit über 80 Prozent Zustimmung durchaus hoch, allerdings werden die Umsetzung und die Ergebnisse von einer Mehrheit von 70 Prozent als unzureichend angesehen. Ein hoher Prozentsatz von 85 Prozent der Befragten wäre gerne besser über Sinn und Zweck betriebswirtschaftlicher Neuerungen und geplanter Privatisierungen durch den direkten Vorgesetzten informiert. Der Handlungsspielraum an der Basis wird als zu klein angesehen, die zentrale Steuerung als zu groß und unflexibel mit der Folge einer Überregulierung. Die Experimentierfreude bei der Einführung neuer Methoden wird als zu gering, Anreize als unzureichend bewertet. Die Analyse der Befragungsergebnisse legt insgesamt den Schluss nahe, dass im Schwerpunkt ein Führungs- und Steuerungsproblem vorliegt. Die Merkmale des Führungsproblems sind im Wesentlichen: x Fehlende konsequente Annahme und Nutzung der entwickelten, anderenorts bereits hinreichend praxiserprobten betriebswirtschaftlichen
19 Siehe auch die Beiträge von Richter und Großeholz in diesem Band.
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x
x x x
Methoden und Instrumente durch die Führung auf allen Ebenen20. So wird z. B. das entwickelte Instrument der Balanced Scorecard nicht als Steuerungsinstrument, sondern nur halbherzig, zögerlich und z. T. sogar ängstlich als Informationsinstrument genutzt. Hierzu ein Beispiel: Die Balanced Scorecards (BSC) der ministeriellen Organisationsbereiche enthalten priorisierte, strategische Ziele, was für ein Ministerium mit den Kernkompetenzen Planen, Lenken und Kontrollieren sachgerecht ist. Die Operationalisierung beim Herunterbrechen auf die nachfolgenden Ebenen erfolgt – zumindest hinsichtlich der wirtschaftlichen Ziele – nicht stringent genug. Vergessen wird insbesondere, dass die Durchführungsebene ihrem Auftrag entsprechende, klare und vollständige Leistungsziele (nach Art, Umfang und Qualität) benötigt und dass diese in Balance mit den nach Priorisierung verfügbaren Haushaltsmitteln stehen müssen. Das Instrument zur Herstellung dieser Balance ist aber nicht, wie häufig verwendet, die Balanced Scorecard, sondern die Zielvereinbarung. Sie ist im Hinblick auf die Leistungserbringung die Operationalisierung der strategischen BSC-Leistungsziele. Fehlender Mut zum konsequenten Führen über Ziele und zum damit verbundenen „Loslassen“ und Einräumen notwendiger Handlungs- und Entscheidungsspielräume.21 Unzureichend ausgeprägte Corporate Identitiy mit der Konsequenz unzureichenden Vertrauens in die Mitarbeiterloyalität und -zuverlässigkeit. Unzureichende Beachtung und Nutzung der enorm positiven Hebelwirkung kreativer, systematischer Mitarbeitermotivation auf Leistungseffektivität und -effizienz (größte Optimierungspotenziale).
Schwerpunkte des Steuerungsproblems sind: Die bisherige Beauftragung zur Leistungserbringung22 im Rahmen der an den Vorjahresausgaben bemessenen Ausgabemittel sowie der Personal- und Infrastrukturausstattung erschwert wirtschaftliches Handeln und verhindert eine betriebswirtschaftliche Steuerung, weil x keine geeignete Messlatte für Leistungsergebnisse vorhanden ist,23 20 Geführt wird wie bisher mittels Verfahrenssteuerung über zahlreiche Erlasse und Einzelweisungen (Fire and forget, Management by trouble-shooting and political instinct); die an die Hand gegebenen Instrumente werden zusätzlich nebenher halbherzig befüllt, nicht genutzt und deshalb als belastend statt als nutzbringend empfunden. 21 Zumindest in den Bereichen: Budgetverantwortung und -flexibilität, Organisation, Personaleinsatz. 22 Dienststellen- und Einzelauftrag ohne outputorientierte Bedarfsermittlung. 23 An welchen Ergebnissen soll gemessen werden? Hier kommt insbesondere die KostenLeistungsrelation der beauftragten Leistungen zu kurz.
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x der Ressourceneinsatz nicht primär vom jährlich neu zu überprüfenden Bedarf, sondern von den fortgeschriebenen Vorjahres-Ist-Ausgaben24 und den „Spielregeln einer kameralen Inputsteuerung“25 bestimmt wird und x keine Priorisierung der Leistungserbringung bei unzureichender Mittelzuweisung erfolgen kann, weil die Ausgaben und Kosten für die Leistungsprodukte nicht bekannt sind. Die Anforderungen an die zu erbringenden Leistungsergebnisse (Leistungsart, -menge, -qualität und -niveau) werden noch nicht vollständig und ebenengerecht26 sowie unter Berücksichtigung der die Leistungserbringung beeinflussenden Rahmenbedingungen (z. B. strategische Ressourcenentscheidungen, Organisationsentscheidungen etc.) dokumentiert und hinreichend verbindlich gemacht (fehlende Leistungsvereinbarungen im Rahmen von Zielvereinbarungen). Strategische Eckpunkte hinsichtlich des Ziels „Wirtschaftlichere Leistungserbringung“ (z. B. jahresbezogene Personalabbauquoten, konkrete Verbrauchseinsparungen, Kostendeckungsquoten für die Beschäftigung von Remanenzpersonal, Qualitätsniveaus, Befähigungs- und Ausbildungsstandards etc.) werden ohne Berücksichtigung oder Vereinbarung betriebswirtschaftlicher Maßnahmen zur weiteren Sicherstellung der geforderten Leistungen zentral als Inputgrößen vorgegeben. Die von finanzpolitischem Pragmatismus geprägten Verteilungsschlüssel werden häufig ohne (hinreichende) Mitwirkung der betroffenen Durchführungsebene diktiert. Auswirkungen auf Leistungsspektrum und -niveau werden nur in spektakulären oder bedrohlichen Konfliktsituationen hinterfragt. Ansonsten gilt das Prinzip „Fire and Forget“. Damit können anspruchsvolle und langfristig gesteckte Leistungsziele nicht verantwortlich gesteuert werden. Somit bleiben im derzeitigen System auch ebenengerechte Vereinbarungen steuerungsrelevanter Leistungsgrößen27, Kosten-Leistungsrelationen, Ausgaben- und Einnahmenziele etc. wirkungslos und eine am Wirtschaft24 Gemessen am fortgeschriebenen Bedarf, der jedoch den bisherigen Bedarf nicht immer wieder grundlegend neu hinterfragt (Add-on-Fortschreibung). 25 Z. B.: nicht verausgabte Ausgabemittel führen zu Ausgabekürzungen des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) im Folgejahr und F-codierte Titel, die die Bildung echter Ausgabereste ermöglichen – also keine Einsparungen zu Lasten des Plafonds des Folgejahres erfordern – werden an vorderster Front zu globalen Minderausgaben herangezogen. 26 D. h., einem der Ebene angemessenen Operationalisierungsgrad unter Berücksichtigung des Grundprinzips „Führen über Ergebnisvereinbarungen“. 27 So ist z. B. ein Schiff, ein Flugzeug oder ein Panzer kein eigenständiges steuerungsrelevantes Produkt, sondern das militärische Produkt ist eine militärische Fähigkeit, die unter Einbeziehung und Nutzung von z. B. Ausbildung des militärischen Personals im Verband, streitkräftegemeinsam und/oder im Verbund, Ersatzteil-, Treibstoff- und Instandhaltungsversorgung sowie bereitzustellender Infrastruktur erworben, verbessert oder aufrechterhalten werden soll.
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lichkeitsprinzip orientierte Erfolgskontrolle über zu vereinbarende Kennzahlen und das etablierte, ausgebildete Controlling kommen nicht zur Entfaltung. Deshalb müssen dienststellenisolierte Bemühungen der eingesetzten Controller, die Aufgaben ihres Tätigkeitsprofils zu erfüllen, an der fehlenden Integration wirtschaftlicher Kriterien in allen Phasen des Führungsprozesses und der fehlenden Einbindung des gesamten Führungsstrangs in eine outputorientierte Steuerung zwangsläufig scheitern. Würde sich das Konzept der ergebnisorientierten Steuerung (EOS) durchsetzen und breiter zur Anwendung gelangen, wären die heutigen Effektivitäts- und Effizienzprobleme des Controllings sofort gelöst.
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Der Einfluss der Entwicklung eines umfassenden, IT-gestützten, integrativen, modernen Rechnungswesens auf das Controlling
Der gewählte prozessorientierte, integrative Ansatz der SASPF-Einführung enthält drei grundsätzliche Neuerungen mit wesentlichem Einfluss auf die Wirksamkeit des Controllings, nämlich x eine größere Datenvalidität sowie eine hohe Datenvergleichbarkeit durch eine einheitliche und integrative Datenerfassung28 und Datenbasis, x eine Prozessoptimierung durch Prozessmodellierung29, ausgerichtet an industriell oder im öffentlichen Sektor erprobten Prozess-Standards (Best Practices)30 mit betriebswirtschaftlichen Strukturen, auf die die Standardanwendungssoftware ausgerichtet ist und x die Möglichkeit der ziel- und zweckorientierten Datenaufbereitung aus validen Grunddaten in dem sog. Business Warehouse31.
28 Jeder Geschäftsvorfall löst eine Buchung aus, die nur einmal im System erfolgt (Systemeintritt über die Finanzbuchhaltung) und in allen drei Geschäftsprozessen (Finanzbuchhaltung, Haushalt und Kostenrechnung) ihren Niederschlag findet. 29 Diese Prozessmodellierung wird die Organisationsstruktur prozessorientiert ausrichten. Damit ist SASPF in erster Linie ein Organisationsprojekt und erst in zweiter Linie ein IT-Projekt. 30 Vgl. Rönsch (2006); Wolfgang Rönsch, Brigadegeneral, ist Beauftragter Prozessorientierung SASPF der Bundeswehr im BMVg. 31 Business Warehouse ist eine u. a. für das neue Rechnungswesen der Bundeswehr eingerichtete Datenbank mit stichtagsbezogenen Grunddaten, aus denen zu Informations- und Steuerungszwecken eine Vielzahl von Berichten und Datenaufbereitungen erstellt werden können.
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Das ermöglicht im Controlling x einen ebenengerechten Zugriff auf eine einheitliche, solide, zentrale Datenbasis, die endlich die Grundlage für die geforderte Durchgängigkeit des Controllings liefert, x vielfältigere Möglichkeiten der ziel- und zweckorientierten Datenzusammenstellung,32 x eine höhere Akzeptanz der Controllingempfehlungen durch größeres Vertrauen in die Validität der zugrundeliegenden Daten, x fortlaufende Anstöße zur Prozessoptimierung über die Prozessverantwortlichen und x sich konsequent nur noch dort nützlich zu machen, wo auch Handlungsspielraum für Entscheidungen besteht.33 In der am 12. März 2003 vom Bundesminister der Verteidigung erlassenen Rahmenweisung für das Rechnungswesen im Geschäftsbereich des BMVg werden folgende Anforderungen an das neue Rechnungswesen postuliert:34 x x x x x x x x
Fähigkeitsorientierung, steuerungsrelevanter Produktbezug, Produktzuordnung zu Fähigkeiten und erstellenden Organisationen, Herstellen von Transparenz über Finanz-, Güter- sowie Kosten- und Leistungsströme, Bereitstellung valider Daten für sämtliche Prozesse der Bundeswehr, Möglichkeit, Budgetierungsmodelle bei Planung und Bewirtschaftung zu unterstützen, Möglichkeit, das Vermögen der Bundeswehr realistisch bewertet darzustellen, Erfüllung der Anforderungen kaufmännischer Rechnungslegung (Bilanz mit Gewinn- und Verlustrechnung) wo immer sinnvoll, zweckmäßig und wirtschaftlich,
32 Dazu bedarf es allerdings gut ausgebildeter Mitarbeiter mit fundierten betriebswirtschaftlichen Kenntnissen. Ob diese dann dem Rechnungswesen, Bereich Kostenrechnung, oder dem Controlling zugeordnet werden, ist nachrangig. 33 Verbunden mit dem Zugriff auf eine einheitliche, zentral verfügbare Datenbasis, die durch die systemgesteuerte Buchung von Geschäftsvorfällen automatisch in allen drei Geschäftsprozessen befüllt wird, können dann die derzeitigen Controller B von Dienststellen ohne nennenswerten Handlungsspielraum abgezogen (die im derzeitigen Kostenrechnungssystem notwendige Aufgabe der Datenerfassung entfällt künftig) und an Stellen mit hohem Entscheidungsspielraum eingesetzt werden. Dort werden sie dringend benötigt, um aus der neutralen Datenbasis ziel- und zweckbezogene Datenzusammenstellungen zu gewährleisten. 34 Siehe die Abschnitte 4 (Nutzen) und 5 (Grundsätze) der Rahmenweisung Rechnungswesen.
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x Möglichkeit, die Abschlüsse von Bundeswehrdienststellen, Profitcentern, Bundesbetrieben und Beteiligungsgesellschaften zu konsolidieren, x Unterstützung betriebswirtschaftlicher Rechnungen wie z. B. Szenarienrechnungen (Simulationen), Wirtschaftlichkeits-, Finanzierungs- und Investitionsrechnungen. Diese Anforderungen schaffen das notwendige und vollständige Instrumentarium für ein effektives und effizientes Controlling, das als Eckpfeiler einer ergebnisorientierten Steuerung auch nicht mehr mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen haben wird. Sobald die Bundeswehr über das vollständige Instrumentarium verfügt, können wir auch im Kernleistungsbereich die Effektivität der Leistungsergebnisse an den Zielwerten (z. B. an Fähigkeitskriterien) besser messen und damit eine größtmögliche Effektivität bei größtmöglicher Effizienz erreichen (vgl. Zimmermann 2006). Die wesentlichen, von den Controllern aufbereiteten Steuerungselemente könnten dabei sein35: x Fähigkeitsanalyse mit identifizierten Fähigkeitslücken, Fähigkeitsprofil für Einsatzoptionen und Schließung der Fähigkeitslücken auf Basis eines streitkräftegemeinsamen Ansatzes, x Zielvereinbarungen oder -vorgaben, x Messung der zu erreichenden Fähigkeiten an operationalisierten Kriterien, x Bewertung der Plan- und Ist-Kosten zur Erreichung der definierten Fähigkeiten und Justierung der nationalen Fähigkeiten im internationalen Verbund auf der Grundlage von Stärke- und Schwäche- sowie von Kostenanalysen, x Konsequente Priorisierung des Einsatzes der verfügbaren Mittel nach Maßgabe der wichtigsten Fähigkeiten in der im Planungszeitraum aktuell notwendigen Ausprägung, x Bewertung aller operativen Handlungsalternativen mit unterschiedlichem Ressourcenbedarf nach Kosten-Nutzen-Aspekten sowie x Optimierung vergleichbarer Prozesse auf der Grundlage von Benchmarks. Fazit: Eine von der Führung eingesetzte und genutzte ergebnisorientierte Steuerung nach den Erfordernissen und Möglichkeiten des Kernleistungsund Unterstützungsbereiches auf der Grundlage valider Daten eines integrierten Rechnungswesens bildet das Fundament für ein effektives und effizientes Controlling und ist Erfolgsgarant für eine nachhaltige ökonomische Modernisierung der Bundeswehr. 35 Vgl. Broschüre des Stabes Leitungscontrolling, Referat LC 1 „Ergebnisorientierte Steuerung (EOS)“ vom 1. März 2005.
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Zu berücksichtigende Befindlichkeiten auf dem Weg zur angestrebten Verwaltungsmodernisierung in der Bundeswehr
Tiefgreifende Veränderungen bedürfen der besonderen, aufklärenden und informierenden Zuwendung zu allen am Veränderungsprozess unmittelbar und mittelbar Beteiligten. Unmittelbar Beteiligte sind jene, die die Veränderungen entwickeln, vorbereiten und herbeiführen sollen. Zu ihnen gehören die Projektverantwortlichen, die Anwender und die Führungsebene, die schließlich die Veränderungen durchsetzen, vorantreiben und beispielgebend als erste konsequent nutzen sollen. Sie müssen gemeinsam ein Konzept erarbeiten, das den Zielzustand beschreibt, die Projektfortschritte festlegt und somit als Messlatte für den Projektfortschritt dienen kann. Auf dem Weg zur Modernisierung der Bundeswehr wurden immer wieder Befindlichkeiten deutlich, die sich besonders an den nachfolgenden Gegensatzpaaren neu zu alt manifestierten (Treche 2006)36: Doppik Privatisierung Wirtschaft Kernaufgaben Managen, Steuern Kostenbewusstsein das Bessere Risikobereitschaft Ergebnisoffenheit Partnerschaft
Kameralistik Selbermachen Bundeswehr Aufgabenvielfalt Selbermachen Sparsamkeitsdenken das Gute Sicherheitsdenken Ergebnisbestimmtheit Misstrauen
Aufgabe des Controllers ist es, immer wieder die Fragen zu stellen und zu prüfen: „Verfolgen wir gemeinsam noch immer die gleichen Ziele? Halten wir immer noch streng an unserem Konzept fest oder haben wir es gemeinsam oder in Teilbereichen bereits verlassen?“ Die unmittelbar Betroffenen müssen ständig und umfassend über Fortgang und Probleme des Veränderungsprozesses informiert werden, damit in komplexen Systemen die wesentlichen Aktivitäten stets aufeinander abgestimmt und alle Teilprojekte am gemeinsamen Konzept ausgerichtet bleiben. Die mittelbar Betroffenen sind all diejenigen, die den Veränderungsprozesses nicht selbst beeinflussen können, denen der Veränderungsprozess aber ebenso wie den unmittelbar Betroffenen Chancen und Risiken beschert, die auch Ängste und Unsicherheit hervorrufen können. Sie müssen offen und kreativ über ihre Chancen, aber auch über die möglichen Risiken des Veränderungsprozesses informiert werden. 36 Klaus-Peter Treche, Generalmajor, ist Stellvertreter des Befehlshabers Streitkräfteunterstützungskommando.
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Nur so ist es möglich, unüberwindbar scheinende psychologische Barrieren zu beseitigen oder Risiken zumindest beherrschbar zu machen. Im neuen Sprachgebrauch wird zur Bewältigung dieser schwierigen Aufgabe häufig der Begriff „Veränderungsmanagement“37 verwendet. Obwohl meist bekannt ist, wozu Veränderungsmanagement dient, fehlt es oft an einer organisatorischen Heimat für diese wichtige Aufgabe, die sachgerecht nicht im Nebenamt verrichtet werden kann. Auch die besten Ideen setzen sich nicht von alleine durch. Die zur Modernisierung der Bundeswehr notwendige Veränderung braucht Ziele, allgemein verständliche Konzepte, einen verbindlichen Fahrplan, Unterstützung der Führung, angemessene Entscheidungs- und Handlungsfreiräume sowohl im Modell als auch in der Umsetzung sowie ehrliche Kommunikation. Der Bundeswehr wird kaum etwas anderes übrig bleiben, als den begonnenen Kurs der Modernisierung fortzusetzen. Dabei sollte das Tempo mit der weiteren Verschärfung der Rahmenbedingungen Schritt halten. Literatur Großeholz, Carsten (2006): Die ökonomische Modernisierung der Bundeswehr im Meinungsbild der Soldatinnen und Soldaten. Ergebnisse der Streitkräftebefragung 2005. Strausberg: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr. (unveröff. Ergebnisbericht) Kantner, Cathleen/Richter, Gregor (2004): Die Ökonomisierung der Bundeswehr im Meinungsbild der Soldaten. Ergebnisse der Streitkräftebefragung 2003. SOWIArbeitspapier 139. Strausberg: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr. Richter, Gregor (2006): Controlling und Führungsprozesse in der Bundeswehr. Vortrag im BMVg, Bonn 15. März 2006. Rönsch, Wolfgang (2006): SASPF und die Prozesse der Bundeswehr. In: Behördenspiegel, 22: 6. Treche, Klaus-Peter (2006): Befindlichkeiten bei Privatisierungsvorhaben im Bundeswehrbereich, Erfahrungen und Lehren. Vortrag beim Europäischen Verband für Defense Public Private Partnership e.V. (EPPP), Bonn 20. April 2006. Zimmermann, Jürgen (2006): Systematische Förderung wirtschaftlichen Handelns in der Bundeswehr durch „Ergebnisorientierte Steuerung“. In: Die Bundeswehrverwaltung, 7, 145–151.
37 Siehe auch den Beitrag von Großeholz in diesem Band.
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Streitkräfteunterstützungskommando: ‘Starke Führung und bester Service in allen Lagen’ – Controlling für den zentralen Dienstleister der Streitkräfte Michael Hubbert 1
Streitkräfteunterstützungskommando als Kind der Transformation
Mit Ende des Ost-West-Konflikts, der die Bundeswehr seit ihrer Aufstellung in jeglicher Hinsicht bestimmt hatte, veränderten sich die Rahmenbedingungen für die Bundeswehr in den folgenden Jahren grundlegend. Für das vereinigte Deutschland besteht seither keine unmittelbare militärische Bedrohung im klassischen Sinne. Stattdessen haben sich neue Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus und Proliferation von Massenvernichtungswaffen entwickelt. Gleichzeitig zwingt ein immer enger werdender Finanzrahmen die Bundeswehr dazu, sich auf wenige Schwerpunkte zu konzentrieren. Diese veränderten Rahmenbedingungen haben nicht nur ein vollständiges Umdenken, sondern auch einen umfassenden Umbau der Bundeswehr erforderlich gemacht. Seit Oktober 2000 befindet sich die Bundeswehr in einer Umstrukturierungsphase, die im Wesentlichen bis 2010 abgeschlossen sein wird. Im Gegensatz zu früheren Strukturmaßnahmen geht es nicht darum, eine statische neue Zielstruktur einzunehmen, sondern im Sinne einer Transformation die Fähigkeit zu entwickeln, sich ständig an sich verändernde politische, militärische, technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen anzupassen. Derzeit besteht der wesentliche Schwerpunkt der Transformation darin, die Streitkräfte vorrangig auf Auslandseinsätze im Frieden auszurichten (Hubbert 2005: 58). Ein wesentliches Ergebnis der gewandelten Herausforderungen ist die Schaffung des neuen Organisationsbereichs Streitkräftebasis (SKB), in dem wichtige Unterstützungsfunktionen wie z. B. Logistik und Führungsunterstützung, die bislang von den Teilstreitkräften (TSK) selbst wahrgenommen wurden, zusammengefasst worden sind. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Streitkräfteunterstützungskommando (SKUKdo) zu, dem als Führungskommando der SKB der überwiegende Teil der Verbände und Dienststellen der SKB zugeordnet ist. Der Charakter des SKUKdo wird durch seine drei Rollen geprägt: •
Als Führungskommando ist das SKUKdo zugleich „Force Provider“ und „Support Provider“ für die Einsätze der Bundeswehr. Hierzu verfügt das SKUKdo sowohl über mobile Einsatzverbände (z. B. Führungsunterstüt87
•
•
zungsbataillone), die unmittelbar im Einsatzland die Streitkräfte unterstützen, als auch über ortsfeste Unterstützungseinrichtungen, die im Grundbetrieb aus dem Inland die Verbände der Streitkräfte im Einsatz unterstützen (z. B. Depots). Gleichzeitig trägt das SKUKdo als oberstes nationales territoriales Kommando Führungsverantwortung für nahezu alle Einsätze innerhalb Deutschlands. Erfolgreiche Beispiele hierfür sind die Einsätze bei der Bekämpfung des Elbehochwassers sowie die Unterstützungsleistungen beim Weltjugendtag 2005 und der Fußballweltmeisterschaft 2006. Darüber hinaus ist das SKUKdo ein Kommando mit fachlichen und konzeptionellen Aufgaben, die z. T. bundeswehrübergreifend wahrgenommen werden. Als Beispiel sei hierzu das Aufgabengebiet „ABC-Abwehr/ Schutzaufgaben“ genannt, in dem unter dem Motto „Schutz aus einer Hand“ die Aufgaben ABC-Abwehr, Brandschutz, Munitionssicherheit, Betriebsschutz und Umweltschutz zusammengefasst sind.
Diese Aufgabenzuordnung ist nach Art und Umfang einzigartig in der Bundeswehr. Das SKUKdo wird so zu dem zentralen Dienstleister für die Streitkräfte der Bundeswehr.
2
Controlling als Hilfsmittel der Führung
Die sich aus der Transformation ergebenden Herausforderungen stellen höchste Anforderungen an alle Führungsebenen der Bundeswehr. Um diesen zu begegnen, führt die Bundeswehr in allen Organisationsbereichen Controlling ein (Hubbert 2005: 58). Dabei löst Controlling allein für sich jedoch keine Probleme, sondern trägt dazu bei, Probleme rascher und exakter zu lokalisieren und zu gewichten, d. h. Prioritäten für ihre Lösung zu setzen (Baier 2002: 12). Controlling ist eine Erfindung der Praxis. Insofern gibt es auch keine einheitliche wissenschaftliche Definition, sondern eine Vielzahl von Ansätzen, den Begriff Controlling in seinen unterschiedlichsten Ausprägungen zu fassen (Weber 1995: 22–23; Hubbert 2000: 79). Für die Anwendung in der Praxis im SKUKdo wird Controlling wie folgt beschrieben: Controlling ist ein Hilfsmittel der Führung und damit integraler Bestandteil des Führungsprozesses. Es unterstützt die Führungskräfte aller Ebenen in den vier Phasen des militärischen Führungsprozesses „Lagefeststellung“, „Planung“, „Befehlsgebung“ und „Kontrolle“ (Hubbert 2005: 58). Dabei ist Controlling ziel-, zukunfts-, entscheidungs-, verhaltens-, dialogorientiert. Controlling verfolgt mit einem systematischen und kontinuierlichen Plan-Ist-Vergleich die Erreichung vorgegebener Ziele und ermöglicht so 88
rechtzeitiges Gegensteuern bei sich abzeichnenden Schwachstellen. Im Gegensatz zur Kontrolle ist Controlling zukunftsorientiert. Mit Hilfe von Controlling soll nicht die Vergangenheit bewältigt, sondern die Zukunft gestaltet werden. Die Prognose künftiger Entwicklungen ist daher wesentlicher Bestandteil von Controlling. Controlling liefert Grundlagen für die Entscheidungen der Führungskräfte; Controlling entscheidet jedoch nicht selbst. Controller sind – außer im eigenen Aufgabenbereich Controlling – nicht Führungskräfte, sondern Führungsgehilfen. Zugleich beeinflusst Controlling das Verhalten von Angehörigen einer Organisation (z. B. zu mehr Wirtschaftlichkeit) durch Bereitstellen von Informationen (hier: Kosten- und Leistungsinformationen). Controlling schafft Transparenz und unterstützt damit positive Veränderungen. Controlling verändert auch die Führungskultur der Organisation, indem es das Gespräch über zu erreichende Ziele und erforderliche Mittel sowie über Zielerreichungsgrad und notwendige Maßnahmen zwischen den verschiedenen Führungsebenen einfordert. Im Gegensatz zum Controlling in der Wirtschaft, bei dem monetäre Ertragsziele im Vordergrund stehen, geht es bei der Bundeswehr darum, die effektiv geforderte Leistung so effizient wie möglich zu erbringen. Dies hat der Generalinspekteur der Bundeswehr 2003 als übergeordnete strategische Zielsetzung wie folgt formuliert: „[Die Bundeswehr leistet einen, d. Verf.] Beitrag zur Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland durch moderne und attraktive, bündnisfähige und einsatzbereite Streitkräfte unter wirtschaftlicher Nutzung der Ressourcen!“ (zitiert nach Hubbert 2005: 59). An dieser Zielsetzung werden die Bundeswehr, die SKB und damit auch das SKUKdo gemessen.
3
Systematik und Instrumente des Controllings
Grundlage für das Controlling in der Bundeswehr ist die Rahmenweisung des Ministers für das Controlling im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) von 2002. Demnach ist in der Bundeswehr ein durchgängiges Controllingsystem von der Leitung des BMVg bis zu den Verbänden und Dienststellen auf der untersten Führungsebene einzurichten. Das Controlling im SKUKdo ist Bestandteil dieses Systems (vgl. Abb. 1).
89
Abb. 1: Das Controllingsystem der Bundeswehr
Bundesminister
Leitungscontrolling Stab LC
Staatssekretäre BMVg
Controlling Fü S
Generalinspekteur
Bereichscontrolling SKB
AbtLtr/Insp
Controlling SKUKdo
HöhKdoBeh KdoBeh
Controlling
Dienststellen IT
SKB
Heer
Luftwaffe
Marine ZSanDBw Rüstung
TerrWV
Im SKUKdo wird – wie in der SKB insgesamt – das Controlling in zwei Ausprägungen implementiert (Hubbert 2005: 59): Das strategische Controlling verfolgt grundsätzlich lang- bis mittelfristige Ziele mit anhaltender und übergreifender Bedeutung. Das wesentliche Instrument hierfür ist die „Balanced Scorecard (BSC)“. Das operative Controlling hingegen betrachtet eher kurzfristig bedeutsame Ziele mit Schwerpunkt auf dem „Tagesgeschäft“. Hierzu wird als Visualisierung das „Management Cockpit (MC)“ genutzt. Ein weiteres wesentliches Controllinginstrument im SKUKdo ist die Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) als Grundlage für die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots gemäß Bundeshaushaltsordnung (BHO).
4
Strategisches Controlling und Balanced Scorecard
4.1
Struktur und Inhalt der Balanced Scorecard
Die BSC ist ein inzwischen weit verbreitetes Instrument zur Steuerung strategisch relevanter Größen. Es dient der Umsetzung von Strategien in konkrete Ziele und Maßnahmen. Die Zielerreichung wird mit Hilfe von Kennzahlen gemessen. Dabei erfolgt nicht nur eine monetäre Betrachtung, sondern alle 90
entscheidungsrelevanten Aspekte einer Organisation werden mit einbezogen. Hierzu wird die BSC i. d. R. in vier Perspektiven unterteilt. Zwischen den Kennzahlen der einzelnen Perspektiven sollen zweckmäßigerweise Ursacheund Wirkungszusammenhänge bestehen (Weber/Schaeffer 1998: 8–14; Wöhe 2002: 218–219; Göpfert 2005: 265; Horváth 2006: 212).1 Das SKUKdo befindet sich als relativ junges Kommando in einer besonderen Lage, die sich wie folgt charakterisieren lässt: Der Kommandobereich des SKUKdo mit den für den Einsatz bestimmten mobilen Truppenteilen wächst noch auf. Dies hängt damit zusammen, dass dem SKUKdo erst im Verlauf der Umstrukturierung nach und nach die Unterstützungsverbände der TSK unterstellt wurden, die für das neue erweiterte Aufgabenspektrum zumeist anschließend umzugliedern waren. Dementsprechend verfügen diese Verbände auch noch nicht über das erforderliche Personal und Material. Im SKUKdo dient die BSC daher primär der Überwachung des Aufbaus der Fähigkeiten zur Wahrnehmung der zentralen Unterstützungsaufgaben der Streitkräfte im Einsatz. Hierzu ist die BSC des SKUKdo in vier Perspektiven unterteilt (Hubbert 2005: 60): (1) Leistungen, (2) Fähigkeiten, (3) Prozesse und Strukturen, (4) Ressourcen (vgl. Abb. 2). Die Perspektive „Leistungen“ stellt die Ergebnisse und Wirkungen der Auftragserfüllung des SKUKdo dar. Dabei geht es im Schwerpunkt um die Bereitstellung der geforderten Einsatzkontingente zur Unterstützung der laufenden Einsätze. In der Perspektive „Fähigkeiten“ werden Stand und Entwicklung militärischer Fähigkeiten als Voraussetzung für den Einsatz dargestellt. Der Schwerpunkt liegt hier insbesondere bei der Bewertung der Durchhaltefähigkeit in Bezug auf die derzeit laufenden Einsätze und der Handlungsfähigkeit hinsichtlich freier Kräfte und Mittel für eventuell künftig noch zusätzlich erforderlich werdende Einsätze. Die Perspektive „Prozesse und Strukturen“ zeigt den Handlungsbedarf hinsichtlich Aufbau- und Ablauforganisation auf. Für das SKUKdo liegt hier der Schwerpunkt bei der Einnahme der künftigen Zielstruktur 2010 im Hinblick auf den Aufwuchs von Personal und Material. Der für die Leistungserbringung notwendige Bedarf an Kräften und Mitteln wird in der Perspektive „Ressourcen“ abgebildet. Der Schwerpunkt des SKUKdo liegt dabei in der Abdeckung der Dienstposten von Personal mit Spezialqualifikationen, für das in fast allen Aufgabenbereichen noch ein nicht unerheblicher Mangel besteht.
1
Siehe den Beitrag von Elbe in diesem Band.
91
Abb. 2: Perspektiven der Balanced Scorecard SKUKdo
Perspektive 1: Leistungen
Perspektive 2: Fähigkeiten
Leitbild des SKUKdo
Perspektive 3: Prozesse/Strukturen
Perspektive 4: Ressourcen
4.2
Vom Leitbild zur Balanced Scorecard und Jahresweisung
Das Verfahren der Erstellung der BSC des SKUKdo ist in der Weisung des Befehlshabers SKUKdo zur Strategischen Zielsetzung vom 08.09.2005 dargestellt (vgl. Abb. 3). Ausgangspunkt der BSC im SKUKdo ist das Leitbild des SKUKdo (vgl. Abb. 4). Das Leitbild ist der Rahmen für langfristiges zielorientiertes Handeln. Es stellt die programmatischen Aussagen für den Kommandobereich SKUKdo dar und hat dementsprechend eine zeitliche Reichweite von fünf und mehr Jahren. Inhaltlich trifft das Leitbild Aussagen zum Selbstverständnis des SKUKdo, zu den Aufgabenfeldern und zum Umgang der Angehörigen des SKUKdo sowohl mit Externen als auch untereinander. Grundlage hierzu sind die oben bereits beschriebenen Rollen des SKUKdo als Führungskommando, als oberstes nationales territoriales Kommando sowie als Kommando mit fachlichen und konzeptionellen Aufgaben. Das Leitbild hat auch visionären Charakter. So drückt das Motto „Starke Führung und bester Service in allen Lagen!“ aus, wie das SKUKdo künftig gesehen und gemessen werden will. Der Erreichung dieser zentralen visionären Zielsetzung dienen letztlich alle Anstrengungen im SKUKdo.
92
Abb. 3: Verfahren Balanced Scorecard – Jahresweisung Vorhaben InspSKB
Leitbild SKUKdo
- Selbstverständnis, - Tätigkeitsfeld, - Umgang
Reichweite: ≥ 5 Jahre
Strategie SKUKdo
- Umsetzung des Leitbildes in strat. Aktionen
Reichweite: ≥ 5 Jahre
Zielsystem SKUKdo
- Aufbrechen der Strategie in Ziele/ Kennzahlen
Reichweite: ≥ 2 Jahre
- Schwerpunktziele, - Zielvorgaben, - Maßnahmen, - Ursache-/Wirkungszusammenhänge
Reichweite: ≤ 2 Jahre
- verbale Beschreibung der Schwerpunktziele
Reichweite: = 1 Jahr
BSC SKUKdo Vorhaben für unterstellten Bereich
Jahresweisung SKUKdo
Abb. 4: Leitbild SKUKdo Wir sind: • Das Führungskommando der Streitkräftebasis. • Die oberste Nationale Territoriale Kommandobehörde. • Ein Kommando mit Fachaufgaben. Unsere Hauptaufgaben: • • •
Mit unseren Kräften nehmen wir maßgeblich an Eingreif- und Stabilisierungsoperationen der Bundeswehr teil – dies sowohl im Einsatzgebiet als auch aus dem Inland heraus. In unseren Händen liegt die militärische Führung bei territorialen Einsätzen. Mit unserer Fachkompetenz treiben wir die Weiterentwicklung der Bundeswehr in wichtigen Fähigkeitsbereichen voran.
Unser Anspruch: • • •
Streitkräftegemeinsamkeit und Vielfalt prägen unser Kommando. Wir denken und handeln in übergreifender Verantwortung und erweitern durch moderne betriebswirtschaftliche Verfahren die Handlungsspielräume für alle. Als zentraler Dienstleister richten wir uns im Einsatz und für den Grundbetrieb mit ganzer Kraft am Bedarf der Streitkräfte aus. Deren Unterstützung ist unser oberstes Ziel. Wir setzen auf Dialog nach innen wie nach außen zum Abgleich und zur aktiven Anpassung unserer Ziele und Leistungen. – Streitkräfteunterstützungskommando – Starke Führung und bester Service in allen Lagen
93
In einem nächsten Schritt wird das Leitbild mit Hilfe der strategischen Zielsetzung konkretisiert. Diese setzt das Leitbild in strategische Aufgaben um, die zu erfüllen sind, um die Vorstellungen des Leitbildes zu realisieren. Sie ist damit zugleich ein Mittel der Kommunikation, mit dem der Befehlshaber SKUKdo den ihm nachgeordneten Befehlshabern, Amtschefs und Kommandeuren seine strategischen Ziele vorgibt. Hierzu werden zu jedem Leitbildsatz daraus abgeleitete konkrete Aufgaben formuliert, die Grundlage und „Andockpunkte“ für die Entwicklung der Detailziele des Zielsystems und damit der BSC bilden. Wie das Leitbild so ist auch die strategische Zielsetzung SKUKdo langfristig angelegt und hat dementsprechend ebenfalls eine zeitliche Reichweite von mehr als fünf Jahren (vgl. Abb. 5). Abb. 5: Beispiel Strategische Zielsetzung SKUKdo (Auszug)
Leitbild
Strategische Ziele
Wir sind das Führungskommando der Streitkräftebasis
Die Rolle des SKUKdo als Führungskommando der SKB ist zu gestalten und zu stärken.
Wir sind die oberste Nationale Territoriale Kommandobehörde
Die territoriale Führungsorganisation und Führungskompetenz auf der Ebene der KdoBeh ist zu stärken. Mit den Führungsorganisationen der anderen OrgBereiche der Bundeswehr ist ein territoriales Netzwerk aufzubauen und zu pflegen. Mit den zivilen Dienststellen und Behörden ist ebenengerecht ein ZMZ-InlandNetzwerk aufzubauen und zu pflegen. Mit den alliierten/befreundeten Streitkräften in Deutschland und im angrenzenden Ausland ist ebenengerecht ein territoriales Netzwerk aufzubauen und zu pflegen. Die Host Nation-Unterstützung für die alliierten/befreundeten Streitkräfte in Deutschland ist sicherzustellen.
Wir sind eine Kommandobehörde mit Fachaufgaben
Die Wahrnehmung der zentral für die gesamte Bundeswehr übernommenen Amtsaufgaben ist zu gewährleisten. Die Kompetenz und Expertise im Bereich Weiterentwicklung und Ausbildung in den Fähigkeitsbereichen ist zu erhalten und auszubauen.
94
Das Zielsystem des SKUKdo ist die weitergehende Operationalisierung und Konkretisierung der Strategie des SKUKdo. Es ist die Basis für die Auswahl der Schwerpunktziele der BSC und hat eine mittelfristige Reichweite von mindestens zwei Jahren. Zur Messung des Grades der Zielerreichung sind den strategischen Zielen geeignete Kennzahlen zuzuordnen. Kennzahlen sind numerische Größen zur Darstellung quantifizierbarer sowie Indikatoren und Bewertungen zur Beschreibung qualitativer Sachverhalte. Das Identifizieren der geeigneten Kennzahl, die den Zielerreichungsgrad umfassend und hinreichend kongruent abbildet, ist die schwierigste Aufgabe im Zusammenhang mit der Entwicklung einer BSC. Daher ist hierzu i. d. R. eine ständige Überprüfung und Weiterentwicklung erforderlich. Wenn irgend möglich sind numerische Kennzahlen zu nutzen. Für die Durchgängigkeit des Controllings im Kommandobereich SKUKdo ist es notwendig, dass über alle Führungsebenen für gleiche Sachverhalte grundsätzlich identische Kennzahlen verwendet werden. Die BSC SKUKdo gilt i. d. R. bis zu zwei Jahren. Da in der Praxis jedoch Änderungen der Rahmenbedingungen kurzfristig zu einer veränderten Lage führen können, ist fallweise auch eine Anpassung der BSC SKUKdo in Jahresschritten oder sogar unterjährig nicht generell auszuschließen. Sie ordnet die Schwerpunktziele logisch den oben beschriebenen vier Perspektiven zu, um die Gesamtlage in verschiedene „Sichten“ übersichtlich zu gliedern (vgl. Abb. 2). Zu den ausgewählten Schwerpunktzielen enthält die BSC SKUKdo die jeweils den Zielen zugeordneten Kennzahlen mit den entsprechenden Zielvorgaben, den vorgegebenen Maßnahmen zur Sicherstellung der Zielerreichung und die Darstellung der Ursache- und Wirkungszusammenhänge zwischen den Kennzahlen der verschiedenen Perspektiven. Hier ein Beispiel für die Ursache- und Wirkungszusammenhänge: So hängt beispielsweise das Erreichen der Vorgabe der Kennzahl „Bereitstellen der Einsatzkontingente“ ursächlich davon ab, inwieweit die Vorgabe der Kennzahl „Durchhalte-/ Handlungsfähigkeit“ erreicht werden kann. Ohne durchhaltefähige Kräfte könnten auf Dauer die Einsatzverpflichtungen nicht mehr erfüllt werden. Die „Durchhalte-/Handlungsfähigkeit“ wiederum hängt davon ab, inwieweit der planmäßige Aufwuchs der Einsatzkräfte in der neuen Struktur – dargestellt durch die Kennzahl „Einnahme Struktur 2010“ – erreicht werden kann. Der personelle Aufwuchs, der mit der Kennzahl „Einnahme Struktur 2010“ abgebildet wird, setzt wesentlich die Einhaltung der Vorgaben der Kennzahl „Entwicklung Spezialqualifikationen“ voraus. Die SKB, und damit das SKUKdo, ist in besonderem Maße durch Spezialisten geprägt, ohne die eine Erbringung der geforderten Unterstützungsleistungen nicht möglich ist und 95
die daher Grundlage für die Zielerreichung hinsichtlich des personellen Aufwuchses ist. Die Jahresweisung des Befehlshabers SKUKdo schließlich beschreibt die in der BSC enthaltenen Schwerpunktziele in detaillierter Form einschließlich der zu erreichenden Zielvorgaben und evtl. erforderlichen Erläuterungen/ Begründungen. Im Gegensatz zu BSC und Zielsystem gilt die Jahresweisung SKUKdo nur für ein Jahr. Um das Ausmaß der Zielerreichung der in der BSC vorgegebenen strategischen Ziele über das Jahr festzustellen und bei sich abzeichnenden Fehlentwicklungen gegensteuernde Maßnahmen zu initiieren, werden jeweils zum Ende eines Quartals Controllingberichte zur BSC erstellt. Diese enthalten Daten und Fakten zur Zielerreichung mit einer „Ampelwertung“ sowie eine obligatorische Kommentierung/Bewertung und Empfehlung zu treffender Maßnahmen bei Ampelwerten „Gelb“ oder „Rot“ durch die fachlich zuständige Abteilung des Stabes SKUKdo. Das Controlling ergänzt den Bericht durch eine zusammenfassende Bewertung/Prognose und einen Vorschlag zu notwendigen Maßnahmen der Führung aus übergeordneter Sicht des SKUKdo. Darüber hinaus sind die Bewertung der Zielerreichung sowie die Prognose für das laufende Jahres wesentliche Grundlagen für die Erarbeitung von BSC und Jahresweisung des Folgejahres.
5
Operatives Controlling und Management Cockpit
Im Gegensatz zum Instrument der BSC ist das MC in der aktuellen betriebswirtschaftlichen Literatur kaum vertreten. Soweit Autoren von diesem Instrument überhaupt Notiz nehmen, wird das MC eher als eine Spezialmethode für die Abbildung der in der BSC enthaltenen Tatbestände beschrieben (Jossé 2004: 129; Dillerup/Stoi 2006: 624–625). Im SKUKdo wird das Instrument des MC als Hilfsmittel des operativen Controllings ergänzend zur BSC genutzt. Das MC entspricht quasi der „Lagekarte“ einer Operationszentrale. Es beinhaltet nur ausgewählte Kennzahlen, die für das operative Tagesgeschäft relevant sind. Es dient der unterjährigen Steuerung und gibt zugleich Antwort auf die Frage nach der Erreichbarkeit der strategischen Ziele, die in der BSC abgebildet sind (Hubbert 2005: 60). Strukturell besteht das MC aus einem gebundenen Kennzahlenteil sowie aus einer verbalen Bewertung der Sachverhalte durch den jeweiligen Befehlshaber, Amtschef bzw. Kommandeur. Dabei werden die Daten von unten nach oben durchgängig aufwachsen, wobei jedoch ein Durchgriff auf die Daten von oben nach unten nicht stattfindet. Das MC wird so zu einer fundierten Grundlage für den Dialog zwischen den verschiedenen Führungsebenen der SKB (Hubbert 2005: 61). Inhaltlich sollen im MC hauptsächlich 96
die Einsatz-, Personal-, Material-, Infrastruktur-, Haushalts- sowie Kostenund Leistungslage des Kommandobereichs SKUKdo in seinen Hauptaufgabenbereichen (Logistik, Führungsunterstützung, Strategische Aufklärung, Feldjägerwesen, Zivil-militärische Zusammenarbeit etc.) abgebildet werden (Hubbert 2005: 61). Das MC als Darstellungsform des Kommandobereichs SKUKdo wird derzeit mit dem zuständigen Referat Fü S/Controlling im BMVg abgestimmt. Dabei wird das MC SKUKdo nur einen – wenn auch wesentlichen – Anteil des MC des Inspekteurs der SKB bilden. Bei der gemeinsamen Arbeit wird es vor allem darauf ankommen, sich in Auswahl und bei der Festlegung der relevanten Kennzahlen in Selbstbeschränkung zu üben. Da das MC ein Instrument des Controllings darstellt, kann es nicht darum gehen, die Gesamtlage des SKUKdo bzw. der SKB abzubilden. Dies ist Aufgabe der jeweils fachlich zuständigen Abteilungen des SKUKdo. Vielmehr muss das MC die jeweils kritischen Bereiche darstellen, für die Handlungsbedarf oberhalb der festgelegten Abteilungskompetenz besteht. Neben der geplanten Darstellung eines übergreifenden MC werden im SKUKdo bereits spezielle MC entwickelt und z. T. auch schon genutzt, die fachspezifische Probleme einzelner Aufgabenbereiche des SKUKdo abbilden, soweit sie im Erkenntnisinteresse des Befehlshabers SKUKdo liegen. Ein Beispiel hierfür ist das MC für die Spezialpionierkräfte des SKUKdo, das den Aufwuchs und die Einsatzbereitschaft der Feldlagerkräfte und der Pipelinepioniere darstellt und umfangreich kommentiert (vgl. Abb. 6). Abb. 6: Beispiel Management Cockpit Spezialpioniere (Auszug)
Stellenbesetzungsgrad Ausbildungsgrad in % des STAN-Soll 85 61
58 47 34
SpezPiBtl 164
SpezPiBtl 174
48 35
38
SpezPiBtl 464
Gesamt
97
Ähnliche Darstellungen sind für die Einnahme der neuen Struktur der Führungsunterstützungsbataillone sowie für die Kostenentwicklung in den ortsfesten logistischen Einrichtungen beabsichtigt.
6
Wirtschaftlichkeit und Kosten- und Leistungsrechnung
Gemäß BHO sind grundsätzlich alle geeigneten Dienststellen des Bundes dazu verpflichtet, eine KLR einzuführen. Dies hängt mit der Verpflichtung aller öffentlichen Stellen zur Wirtschaftlichkeit und zum Nachweis derselben zusammen. Die kameralistische Haushaltsrechnung ist nicht in der Lage, den vollständigen Ressourcenverbrauch zur Erstellung von Leistungen zu erfassen, da sie lediglich den Haushaltsmittelfluss in Form von Einnahmen und Ausgaben abbildet. Die vollständige Erfassung des Ressourcenverbrauchs ist aber notwendig, um bei der Erfüllung von Aufgaben die jeweils wirtschaftlichste Lösung festzustellen. Neben den unmittelbar abfließenden Haushaltsmitteln fallen bei jeder Leistungserstellung i. d. R. Personalkosten, Materialkosten und Abschreibungen für die Abnutzung von Anlagegütern (Gerät und Infrastruktur) an, die nicht durch die kameralistische Haushaltsrechnung abgebildet werden. Die Erfassung dieser nicht direkt monetären Ressourcenverbräuche ist Aufgabe der KLR. Die KLR ist somit auch für das SKUKdo ein wichtiges Controllinginstrument. Sie stellt Transparenz über Kosten und Leistungen her und ist auf diese Weise Grundlage für wirtschaftliches Verhalten aller Führungskräfte und Mitarbeiter. Im Einzelnen dient die KLR folgenden Rechnungszwecken: • • • • • • •
98
Bereitstellung valider Informationen über erstellte Leistungen und dafür verbrauchte Ressourcen, Vorgabe von Kostenzielen bei Zielvereinbarungen im Rahmen des Controllings, Plan-Ist-Vergleich von vorgegebenen zu tatsächlich erstellten Leistungen und der dafür angefallenen Kosten im Rahmen des Controllings, Datenbereitstellung für Wirtschaftlichkeitsanalysen und -rechnungen sowie für die Erarbeitung von Organisationsgrundlagen, Preisermittlung für Leistungen von Bundeswehrdienststellen für Stellen außerhalb der Bundeswehr gegen Bezahlung, Preisermittlung für Regressforderungen der Bundeswehr gegenüber eigenen Angehörigen bzw. gegenüber Dritten, Verrechnung von Leistungen für andere Dienststellen innerhalb der Bundeswehr.
Zur Erfüllung dieser umfangreichen Palette von Rechnungszwecken muss die KLR flexibel angelegt werden. Sie muss in der Lage sein, zum einen relevante Teilkostendaten für Wirtschaftlichkeitsberechnungen und zum anderen die gesetzlich geforderten Vollkostendaten für die Abrechnung von Leistungen gegenüber Dritten bereitzustellen (Hubbert 2005: 62). Bei der Anwendung ist darauf zu achten, dass der Aufwand für die Durchführung der KLR das notwendige Ausmaß nicht übersteigt. Dabei darf nicht übersehen werden, dass auch eine KLR letztlich nur eine modellhafte Abbildung realer Sachverhalte ist, die versucht, komplexe Zusammenhänge möglichst zutreffend darzustellen. Eine exakte Wiedergabe der Realität wäre – mit derzeit vorhandenen Möglichkeiten – nur mit einem unvertretbar hohen Erfassungsaufwand zu erreichen (Hubbert 2005: 62). Bei der Einführung der KLR im SKUKdo, die bis Ende 2006 abgeschlossen wurde, haben die Kostenstellenleiter daher die Wahl, die KLR mit pauschalierter Leistungserfassung – was einen niedrigen Arbeitsaufwand in der Anwendung aber auch einen entsprechend geringen Genauigkeits- und Detaillierungsgrad bedeutet – oder mit personengenauer Erhebung der Aktivitäten – was einen hohen Arbeitsaufwand sowie einen hohen Grad an Exaktheit zur Folge hat – einzuführen. Nach bisherigen Erkenntnissen entscheidet sich inzwischen doch eine Reihe von Abteilungsleitern des SKUKdo für die personengenaue Erhebung der Aktivitäten. Aber auch hierbei gilt es, den Aufwand in vertretbaren Größen zu halten, d. h. den Detaillierungsgrad bei der Aktivitätenerfassung nicht zu übertreiben.
7
Ausblick
Mit der Einführung der hier beschriebenen Controllinginstrumente, die in der SKB und damit auch im SKUKdo bis zum 31.12.2006 abzuschließen war, ist bereits ein grundlegender Schritt erreicht worden. Die Bundeswehr folgt damit einem weltweiten aber auch inzwischen in der deutschen öffentlichen Verwaltung vorherrschenden Trend der Nutzung in der Wirtschaft bewährter Steuerungs- und Managementinstrumente. Dabei hatte die Bundeswehr anfänglich auch mit erheblichen Akzeptanzproblemen und Widerständen zu kämpfen (vgl. Kantner/Richter 2004: 15). Mit Heranwachsen einer neuen Führungsgeneration haben sich die bestehenden Vorbehalte jedoch erheblich reduziert, so dass von einem im Wesentlichen fristgerechten Abschluss der Controllingeinführung auszugehen ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass damit die Arbeit getan ist. Vielmehr wird es nach Abschluss der formellen Einführungsphase darum gehen, das Controlling in der praktischen Anwendung weiter auszugestalten und zu einem schlagkräftigen Instrument weiterzuentwickeln. 99
Eine wesentliche Verbesserung der Rahmenbedingungen für ein erfolgreiches Controlling brächte eine baldige Umsetzung des Erprobungsprojekts „Ergebnisorientierte Steuerung der Bundeswehr (EOS)“.2 Neben einer Reihe von Dienststellen der territorialen Wehrverwaltung und der Rüstung ist auf Seiten der Streitkräfte die Führungsakademie der Bundeswehr in die Erprobung, die in den Jahren 2006/2007 abläuft, einbezogen worden. Im Rahmen von EOS ist es insbesondere die Realisierung des Grundprinzips „Zusammenführung von Ergebnis- und Ressourcenverantwortung“, wodurch die Steuerungsmöglichkeiten der Kommandeure und Dienststellenleiter grundlegend verbessert wird. Hierzu ist es erforderlich, den Kommandeuren und Dienststellenleitern angemessene organisatorische, personalwirtschaftliche und haushaltswirtschaftliche Gestaltungsfreiräume zu gewähren. Geführt wird ein Truppenteil dann über Zielvereinbarungen, bei denen sowohl Leistungs- als auch Ressourcenziele zwischen den Führungsebenen abgesprochen und im Rahmen der Budgetplanung verbindlich vorgegeben werden. Es ist davon auszugehen, dass auf diese Weise die Wirtschaftlichkeit im Betrieb der Bundeswehr erheblich gesteigert werden kann. Eine weitere grundlegende Verbesserung ist durch die Einführung von „Standard-Anwendungs-Software-Produkt-Familien (SASPF)“ zu erwarten. Durch SASPF wird es ermöglicht, auf eine bundeswehreinheitliche Datenbasis zurückzugreifen, die elektronisch gesteuert allen Bedarfsträgern in gleicher Weise bereitsteht. Dies führt dazu, dass seitens Controlling keine Datensammlung mehr zu betreiben ist, sondern die benötigten Daten durch SASPF bedarfsgerecht generiert werden und das Controlling sich auf seine eigentliche Aufgabe, nämlich das Aus- und Bewerten von Daten und das Ziehen der führungsrelevanten Folgerungen und Schlüsse, konzentrieren kann. Längerfristig wird auch die Bundeswehr nicht umhinkommen, ein kaufmännisches Rechnungswesen einzuführen, wie es bereits bei vielen Kommunalverwaltungen und einigen Landesverwaltungen in Deutschland stattfindet. Nur ein kaufmännisches Rechnungswesen ist in der Lage, neben den Flüssen der Finanzströme auch die Kapital- und Vermögensverhältnisse sowie die Erträge, Leistungen und Ressourcenverbräuche darzustellen. Die derzeitige Kameralistik hingegen, die lediglich Einnahmen und Ausgaben abbildet, verschleiert letztendlich mehr als das sie offenlegt und ist daher als Instrument zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit weitgehend ungeeignet. Unabhängig von den künftigen Entwicklungstendenzen kommt es jetzt jedoch darauf an, mit den bereits vorhandenen Methoden und Instrumenten alles zu unternehmen, damit Controlling ein Erfolg wird. Ein tatenloses Abwarten, bis die genannten Weiterentwicklungen greifen, wäre schädlich für die weitere Entwicklung von Controlling. Es muss darum gehen, den Elan 2
Siehe auch den Beitrag von Zimmermann in diesem Band.
100
der Anfangszeit am Leben zu halten und die Entwicklung auch mit den limitierenden Rahmenbedingungen voranzutreiben. Literatur Baier, Peter (2002): Führen mit Controlling. Aktivieren Sie das Leistungspotenzial Ihres Unternehmens. Regensburg – Berlin: Walhalla Fachverlag. Bundesministerium der Verteidigung – Stab Leitungscontrolling (2002): Rahmenweisung für das Controlling im Geschäftsbereich des BMVg. Bonn. Dillerup, Ralf/Stoi, Roman (2006): Unternehmensführung. München: Verlag Vahlen. Göpfert, Ingrid (2005): Logistik Führungskonzeption. Gegenstand, Aufgaben und Instrumente des Logistikmanagements und -controllings. 2. Aufl. München: Verlag Vahlen. Horváth, Péter (2006): Controlling. 10. Aufl. München: Verlag Vahlen. Hubbert, Michael (2000): Schlanker Staat. KLV und Flexible Budgetierung in den Streitkräften. In: Bundeswehrverwaltung, 44: 4, 79–83. Hubbert, Michael (2005): Zeitgemäße Führung eines zukunftsfähigen Systems Bundeswehr. Europäische Sicherheit, 1, 58–62. Jossé, Germann (2005): Balanced Scorecard. Ziele und Strategien messbar umsetzen. München: Deutscher Taschenbuchverlag. Kantner, Cathleen/Richter, Gregor (2004): Die Ökonomisierung der Bundeswehr im Meinungsbild der Soldaten. Ergebnisse der Streitkräftebefragung 2003. SOWIArbeitspapier 139. Strausberg: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr. Streitkräfteunterstützungskommando-Befehlshaber (2005): Weisung Strategische Zielsetzung des Befehlshabers des Streitkräfteunterstützungskommandos für den Zeitraum 2006–2010. Köln. Weber, Jürgen (1995): Einführung in das Controlling. 6. Aufl. Stuttgart: SchäfferPoeschel Verlag. Weber, Jürgen/Schaeffer, Utz (1998): Balanced Scorecard. Vallendar: Otto-BeisheimHochschule. Wöhe, Günter (2002): Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre. 21. Aufl. München: Verlag Vahlen.
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Controlling und Führungsprozesse in der Bundeswehr – Ergebnisse einer empirischen Untersuchung Gregor Richter 1
Einleitung
Nicht nur das sicherheits- und verteidigungspolitische Umfeld für die Bundeswehr hat sich in den letzten 15 Jahren tiefgreifend geändert. Auch veränderte ordnungspolitische Rahmenbedingungen des öffentlichen Sektors und neue Leitbilder für die Modernisierung von Staat und Verwaltung stellen die Bundeswehr heute vor neue Herausforderungen (vgl. Richter 2004): Wie kann sie ihre wirtschaftlichen Prozesse effizienter gestalten und Führungsund Entscheidungsprozesse stärker an betriebswirtschaftlichen Kriterien ausrichten? In welchem Umfang sind Aufgaben, die nicht zu den Kernaufgaben der Streitkräfte gehören, privatisierbar? Und welche rechtlichen und organisatorischen Gestaltungsoptionen stehen der Bundeswehr für den Umbau zur Verfügung? Die Bundeswehr hat einen Begriff aufgegriffen, der wie eine Klammer all diese Umweltanforderungen und anstehenden Veränderungsprozesse umfasst: die Transformation der Bundeswehr. Transformation ist die Gestaltung eines fortlaufenden, vorausschauenden Anpassungsprozesses, mit dem Ziel, die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zu erhöhen und auf Dauer zu erhalten. Im Gegensatz zur Reform, die Veränderungen in einzelnen Schritten (festgelegter Zeitpunkt, definierter Endzustand) vornimmt, beinhaltet Transformation einen fortlaufenden Anpassungsprozess bei sich ständig wechselnden Rahmenbedingungen (Schneiderhan 2005: 3). In der Terminologie der Organisationsentwicklung bzw. des Veränderungsmanagements hieße dies: Transformation lässt sich nicht mit einem „Wiedereinfrieren“ von Handlungsstrukturen beenden; die stetige Veränderung ihrer Organisation wird langfristig gesehen eine alltägliche Erfahrung für die Soldaten und Soldatinnen sowie für das zivile Personal der Bundeswehr bleiben (vgl. Richter 2006c). Ein zentrale Säule der Transformation der Bundeswehr ist ihre ökonomische Modernisierung. Die dabei zum Einsatz kommenden betriebswirtschaftlichen Instrumente und Managementmethoden, die im Wesentlichen der Privatwirtschaft entlehnt sind (Elbe/Richter 2005), sollen nicht parallel zur Transformation eingesetzt und genutzt werden, sondern haben im Kern die Funktion, die Führung sowohl in militärischen Verbänden als auch in den Dienststellen der Wehrverwaltung bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu unterstützen. Controlling als Instrument der Führungsunterstützung soll deshalb von den Kommandeuren und Dienststellenleitern/innen nicht als zusätz103
licher Arbeitsaufwand gesehen werden, sondern als Führungshilfe, Kommunikationsinstrument und nicht zuletzt als wirtschaftliches Steuerungsinstrument zur Bewältigung der vielfältigen Aufgaben innerhalb des Transformationsprozesses. Die vorliegende Untersuchung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr beschäftigt sich hiervon ausgehend mit der Frage, inwieweit das Controlling die ihm zugedachte Funktion heute bereits erfüllt, wo Schwachstellen identifiziert werden können und wie das Controllingsystem der Bundeswehr zielorientiert weiterentwickelt werden kann und sollte. Hierzu wird folgender Bogen gespannt: In einem ersten Schritt wird die Konzeption des Controllings in der Bundeswehr1 skizziert (Abschnitt 2). Danach folgen die theoretische Positionierung der Studie in der Controllingwissenschaft und Anmerkungen zum Vorgehen bei der empirischen Erhebung (Abschnitte 3 und 4). Es folgt der Hauptteil mit der Darstellung der zentralen Ergebnisse der Befragung der Controller/innen der Bundeswehr von 20052 (Abschnitt 5). Aus dem Meinungs- und Einstellungsbild des Funktionspersonals lassen sich schließlich Empfehlungen für die Weiterentwicklung des Controllings in der Bundeswehr aussprechen (Abschnitt 6).
2
Controlling in der Bundeswehr: Konzeption und Sachstand
Der Grundstein für die Einführung betriebswirtschaftlicher Instrumente und Denkweisen wurde Anfang der 1990er Jahre mit dem bundeswehreigenen Konzept der „Kosten- und Leistungsverantwortung (KLV)“ gelegt. (Richter 2004: 44f.) Das Konzept, verstanden als eine ökonomisch orientierte Führungsphilosophie, „(...) will den wirtschaftlichen Umgang mit den anvertrauten Ressourcen als einen wesentlichen Maßstab des Denkens und Handelns in der Bundeswehr stärker als bisher verankern“ (Hubbert 2000: 79). Im Einzelnen umfasst das Konzept folgende Programmelemente: •
die wirtschaftliche Erstellung aller militärischen und zivilen Leistungen der Bundeswehr (Wirtschaftlichkeitsgebot), die Herstellung der Kosten- und Leistungsverantwortung (KLV) durch die Zusammenführung von Fach- und Ressourcenverantwortung sowie eine Flexibilisierung der Mittelbewirtschaftung, die Schaffung von Kosten- und Leistungstransparenz durch den Aufbau einer Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) in allen Dienststellen der Bundeswehr,
• •
1 2
Ergänzend siehe auch die Beiträge von Hubbert und Zimmermann in diesem Band. Siehe hierzu ausführlich Richter (2006b).
104
•
die Erschließung von Kreativitätspotenzialen durch das Kontinuierliche Verbesserungsprogramm (KVP).
In jüngster Zeit wurde die ursprüngliche KLV-Konzeption zu einem umfassenden Controllingansatz weiterentwickelt. Neben der Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und der Leistungstransparenz soll ein vertikales Controlling auch entsprechende führungs- und planungsrelevante Informationen für die Transformation der Bundeswehr bereitstellen. Der Aufbau eines durchgängigen Controllingsystems setzt sich aus einer Reihe von Teilprojekten – genannt sei beispielsweise die Entwicklung von Management Cockpits und Balanced Scorecards (vgl. Hubbert 2005) – und flankierenden Maßnahmebündeln (an prominenter Stelle die Einführung von SASPF3) zusammen. Das heutige Konzept von Controlling fußt hauptsächlich auf der im Mai 2002 vom Bundesministerium der Verteidigung erlassenen „Rahmenweisung für das Controlling im Geschäftsbereich des BMVg“, die Zielsetzung, Gegenstand, Grundsätze, Aufgaben und die Organisation des Controllings in der Bundeswehr regelt: „Controlling hat zum Ziel, der jeweiligen Führungsebene die notwendigen Informationen zur erfolgreichen Steuerung und Leitung des Verantwortungsbereiches zur Verfügung zu stellen und das Handeln der Entscheidungsträger dauerhaft am Prinzip der Wirtschaftlichkeit auszurichten.“ (Rahmenweisung Controlling) Betrachtet man alleine dieses Grundsatzdokument, so lässt sich das darin zum Ausdruck kommende Controllingverständnis der Bundeswehr den sog. informationsorientierten Ansätzen zuordnen (Richter 2006a: 227). Erkennbar wird zudem auf das bereits im KLVKonzept verankerte Wirtschaftlichkeitsprinzip rekurriert. Die Fokussierung des Controllings auf Informationsversorgung und Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit von Entscheidungen wird auch deutlich in der Liste der ihm zugedachten Aufgaben. Vor allem wird aber die Funktion des Controllings für die Entwicklung und Fortschreibung des Zielsystems auf der jeweiligen Führungsebene herausgestellt (Stichwort: Rationalitätssicherung): • • • • •
„Unterstützung bei der Analyse der Rahmenbedingungen und Vorgaben, Unterstützung bei der Systematisierung der Zielsetzung, Unterstützung bei der Formulierung der Zielvorgaben, Operationalisierung der Ziele und Zielvorgaben, Kontinuierliche Bewertung des Zielerreichungsgrades sowie Überwachung von Effizienz, Effektivität und Qualität der Zielerreichung mittels eines regelmäßigen Berichtswesens,
3
Standard-Anwendungs-Software-Produkt-Familien. SASPF ist ein einheitliches Fachinformationssystem mit dem die Bundeswehr künftig verstärkt nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen geführt werden soll.
105
•
Erstellen von Analysen, insbesondere zu Prozessen, Strukturen und Ergebnissen (Produkten), Aufzeigen von Handlungsalternativen für den Führungsverantwortlichen sowie Durchführung von Sonderanalysen (Bewertung von Forderungen, leitungsrelevanten Projekten und dgl.)“ (Rahmenweisung Controlling).
• •
Gegenüber früheren Konzeptionen signalisiert die „Rahmenweisung Controlling“ den Wechsel hin zu einem durchgängigen Top-down-Ansatz: Zielsysteme auf den oberen Führungsebenen sollen dem Sinn nach von den jeweiligen unterstellten Ebenen übernommen werden, gleichzeitig soll eine ebenengerechte Ausgestaltung und Konkretisierung der Zielperspektiven die führungsunterstützende Funktion des Controllings vor Ort gewährleisten. Hierbei kommt das Instrument der „Balanced Scorecard (BSC)“ (Kaplan/Norton 1997; Horváth 2001) zum Einsatz, mit dem einerseits die perspektivische Harmonisierung der Zielsysteme von Organisationseinheiten ermöglicht wird, andererseits aber ausreichend Spielraum für die Dienststellen gewahrt bleibt, die das Ziel- und Kennzahlensystem auf ihre individuellen Bedürfnisse hin gestalten können.4 Im Gegenzug fungieren die unterstellten Dienststellen als Datenlieferant für die jeweils vorgesetzten Führungsebenen. Diese haben meist einen Informationsbedarf auf einer höheren Aggregationsebene im Sinne einer Zusammenführung der Kennzahlen und Leistungsdaten der nachgeordneten Organisationseinheiten. Die Organisation des Controllings in der Bundeswehr folgt diesen Anforderungen. Die Spitze der Controllingorganisation nimmt dabei der Stab Leitungscontrolling (LC) im BMVg ein, der die Richtlinien für die Weiterentwicklung und Implementierung des Controllings im Geschäftsbereich des BMVg formuliert. In den ministeriellen Führungsstäben und zivilen Abteilungen werden die Grundlagen für das Controlling in den militärischen und zivilen Organisationsbereichen (OrgBer) entwickelt, bevor sie stufenweise über die Höheren Kommandobehörden bzw. Bundesober- und -mittelbehörden der Wehrverwaltung bis zu den Einheiten und Dienststellen ausgefächert werden (vgl. Hubbert 2005: 59). Die flächendeckende Einführung des Controllings ist im Großen und Ganzen abgeschlossen. Die Logik des controllingunterstützten Führens in Unternehmen lässt sich in einem Stufenmodell, angefangen von der Sammlung von Informationen über die Ausgangssituation (= Ist-Analyse), über die Bestimmung von strategischen und operativen Zielen (= Zielvorgaben oder Zielvereinbarungen), einer Ermittlung des Grades der Zielerreichung (= Soll/Ist-Vergleich) bis hin zu einem letzten Schritt, dem des operativen Nachsteuerns bzw. der 4
Siehe hierzu auch den Beitrag von Elbe in diesem Band.
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strategischen Neuausrichtung, abbilden. Eine ähnliche Logik liegt militärischen Führungsprozessen mit den Stationen „Lagefeststellung“, „Bewertung und Folgerungen“, „Maßnahmen“, „Befehlsgebung“, und „Kontrolle“ zugrunde. Insofern sind der militärische und der betriebswirtschaftliche bzw. controllingbasierte Führungsprozess – zumindest in der Theorie – miteinander kompatibel. Die Einführung des Controllings stellt dennoch eine weitreichende Erweiterung hinsichtlich der Systematik, des Umfangs, der Verbindlichkeit und der Formalisierung ökonomischen Denkens und Handelns im Militär und in der Bundeswehr dar (Kantner/Richter 2004: 59). Welche Bedeutung dem Controlling in einer Dienststelle bzw. einer Einheit zukommt und in welchem Umfang Controllingdaten für Entscheidungsprozesse herangezogen werden, d. h. welche Definitions- und Organisationsmacht dem Controlling somit zukommt, hängt in hohem Maße von den Kommandeuren und Dienststellenleitern/innen ab. Controlling ist ein Führungsinstrument, das seine Wirkung nur entfalten kann, wenn es auch als solches verstanden und tatsächlich genutzt wird. Systematische Erkenntnisse darüber, ob und in welcher Weise Controlling in den Dienststellen der Bundeswehr tatsächlich eingesetzt und genutzt wird, d. h. Controllingsysteme auch in Controllingpraxis übergehen, existierten bisher nicht. Die vorliegende Befragungsstudie soll einen Beitrag bei der Beantwortung dieser Frage leisten.
3
Theoretischer Bezugsrahmen: Controllingwissenschaft
Der Begriff „Controlling“ 5 wurde nach dem Zweiten Weltkrieg aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland importiert. Im amerikanischen Raum wird Controlling stets mit dem allgemeinen Managementprozess in Verbindung gebracht, in Deutschland hingegen kristallisierte sich eine von der Unternehmensführung abgrenzbare Funktion heraus. Entsprechend hat sich hierzulande eine eigene betriebswirtschaftliche Teildisziplin „Controlling“ entwickelt (Messner 2005: 263). Folgender Gedanke leitet diese Untersuchung zum Controlling in der Bundeswehr: „Die Implementierung von Controllinginstrumenten, und noch umfassender: jeder Akt der Konstituierung bzw. Rekonstituierung von Controllingsystemen erfolgt nicht als ein instrumenteller Vorgang, sondern stellt den einmaligen Prozess der Aneignung einer Technik in einem spezifischen Kontext dar.“ (Scheytt/Unterrieder/Becker 2005: 87) Eine bloße Eins-zu-eins-Übernahme von betriebswirtschaftlichen Instrumenten aus der privaten Wirtschaft ist gerade für eine Organisation wie 5
Zum Controllingkonzept siehe ausführlich Horváth (2003) und Weber (2002); zum Controlling in der öffentlichen Verwaltung siehe Müller (2005).
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die Bundeswehr, die durch einen spezifischen organisationskulturellen Kontext und besondere Strukturvoraussetzungen geprägt ist, nicht erfolgversprechend. Ebenso wenig sollte man einer betriebswirtschaftlichen Rationalitätsunterstellung Glauben schenken, die aus der bloßen Tatsache, dass Controllinginstrumente in einer Organisation eingeführt werden, direkt schließt, dass die Organisation damit notwendigerweise effizienter und besser steuerbar würde. Bezweifelt werden kann also, ob mit der Einführung von betriebswirtschaftlichen Instrumenten bereits vorhandene interne Entscheidungs- und Verfahrenslogiken überhaupt, und wenn ja, ob sie ohne Umwege und ohne Friktionen an neue Rationalkriterien gebunden werden können. Dies alles hat Konsequenzen für das theoretische Leitkonzept dieser controllingwissenschaftlichen Untersuchung. Die handelnden Akteure, die ein Controllingsystem konstituieren (Controllingfunktionspersonal und Kommandeure bzw. Dienststellenleiter/innen) stehen im Focus der Betrachtungen. Ausgangspunkt für die Studie ist das Konzept eines „verhaltensorientierten Controllings“ (Hirsch 2005) bzw. einem Controlling als „organisationalem Phänomen“ und als organisationswissenschaftlichem Forschungsgegenstand, wie er von Richter (2006a) am Beispiel des Militärs formuliert wird. Die organisationswissenschaftliche Controllingforschung folgt dabei einer verhaltenswissenschaftlich begründeten Managementwissenschaft, wie sie umfassend bei Staehle (1999) dargelegt wurde. Diese Managementwissenschaft versteht sich als verhaltenswissenschaftlich, weil sie – neben betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen – v. a. auf Forschungsergebnisse der Psychologie und der Soziologie aufbaut.
4
Fragestellungen und Untersuchungsmethode
Ziel der Untersuchung ist es zu ermitteln, in welchem Umfang und wie das führungsunterstützende Controlling von Kommandeuren und Dienststellenleitern/innen genutzt werden kann und genutzt wird, ob und wie es sich in den alltäglichen (militärischen) Führungsprozess einfügt und wo Inkompatibilitäten zwischen betriebswirtschaftlicher Handlungslogik, Verwaltung und militärischer Handlungsrationalität auftreten. Controlling entsteht im Zusammenspiel von Controllingpersonal und Unternehmensführung bzw. im Fall der Bundeswehr dem Kommandeur bzw. der Dienststellenleitung (Richter 2006a: 229). Folglich sollte eine sozialwissenschaftliche Untersuchung des Controllings in der Bundeswehr auch dieses Interaktionssystem in den Blick nehmen. Dies kann aber nur indirekt bewerkstelligt werden, da eine simultane Befragung der jeweiligen Dienststellenleitung und des Funktionspersonals vor Ort (in einer direkten Interaktionssituation) methodische Probleme wie soziale Erwünschtheit und Probleme 108
bei der Zusicherung von Anonymität erzeugt oder gar persönliche Nachteile für die Befragten mit sich bringen könnte. Gegen ein solches Verfahren sprechen also eine zu erwartende geringe Validität der Antworten und forschungsethische Erwägungen. Deshalb wurden zwei methodisch unabhängige, gleichwohl aber inhaltlich aufeinander bezogene Formen der Mitarbeiter/innen-Befragung6 gewählt: eine standardisierte schriftliche Befragung des Controllingpersonals und leitfadengestützte Experteninterviews mit ausgewählten Kommandeuren und Dienststellenleitern/innen.7 Dieses Vorgehen kennzeichnet das Triangulationsverfahren, bestehend aus einem Mix aus quantitativen und qualitativen Zugängen. Dabei besteht das Ziel dieses Verfahrens weniger in einer kumulativen Validierung, vielmehr in einer komplementären Beleuchtung des Gegenstandes in inhaltlicher und methodischer Hinsicht. Im Folgenden werden nur Ergebnisse des quantitativen Teils der Untersuchung dargestellt.8 Mit der Controller/innen-Befragung ist es möglich, Wissensbestände zu ermitteln und ein Bild über das Einstellungs- und Meinungsklima in dieser Gruppe zu zeichnen.
5
Ergebnisse der Controller/innen-Befragung 2005
5.1
Grundgesamtheit, Erhebungszeitraum, Rücklauf, statistische Grunddaten
Die Controller/innen-Befragung 2005 war als Vollerhebung mit folgender Grundgesamtheit konzipiert: Soldaten/innen und zivile Mitarbeiter/innen, die Controllingaufgaben als Controller A (Con A) oder Controller B (Con B) in Haupt- oder Nebenfunktion wahrnehmen. Nicht einbezogen in die Studie wurden Controller Bürosachbearbeiter/innen (Con BSB). Die Grundgesamt6 7
8
Zu den Methoden der Mitarbeiterbefragung siehe im Überblick Bungard/Jöns (1997); zu Folgeprozessen die Studie von Deitering (2006). Für einen Überblick über qualitative Methoden in der Organisationsforschung siehe Strodtholz/Kühl (2002). Ziel ist nicht die (statistisch abgesicherte) Hypothesenprüfung, sondern die Exploration eines Forschungsfeldes, d. h. die Hypothesengenerierung; nicht Repräsentativität, sondern die Breite und Tiefe des Einzelfalls stehen im Blickpunkt. Auch in der Controllingwissenschaft werden qualitative Verfahren neuerdings eingesetzt (Messner 2005). In (leitfadengestützten) Experteninterviews – einer speziellen Forschungstechnik innerhalb des qualitativen Paradigmas – werden Wissen, Erkenntnisse und Erfahrungen von handelnden Personen im Forschungsprozess genutzt. Siehe hierzu umfassend Bogner/Littig/ Menz (2002). Für Anwendungen in der Organisationsforschung siehe Liebold/Trinczek (2002). Die Auswertung der Interviews war zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Bandes noch nicht abgeschlossen.
109
heit erstreckt sich auf die Streitkräfte und die Wehrverwaltung. Somit wurden alle Teilstreitkräfte (TSK), die militärischen und die zivilen Organisationsbereiche (OrgBer), die eine eigene Controllingorganisation aufweisen, an der Studie beteiligt: Heer (H), Luftwaffe (Lw), Marine (M), Streitkräftebasis (SKB), Zentraler Sanitätsdienst der Bundeswehr (ZSanDBw), die Territoriale Wehrverwaltung (TerrWV) und der Rüstungsbereich (Rü). Mit eingeschlossen waren dabei Soldaten/innen und zivile Mitarbeiter/innen, die ihre Ausbildung abgeschlossen haben, noch in Ausbildung waren oder die Ausbildung zum Con A und/oder Con B erst begonnen haben. Die Befragung erstreckte sich nicht auf das Controllingpersonal im BMVg. Die Grundgesamtheit betrug 685 Personen. Die Befragung wurde bei 84 Prozent der Controller/innen als teilstandardisierte schriftliche Befragung durchgeführt; 16 Prozent wurden im Online-Verfahren über das Intranet der Bundeswehr mit einem inhaltsgleichen Fragebogen befragt.9 Auf diese Weise konnte das Instrument der Online-Befragung im Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr erfolgreich erprobt werden. Der Befragungszeitraum erstreckte sich inklusive Erinnerungsschreiben vom 15.11.2005 bis zum 09.01.2006. Der Rücklauf beträgt 57 Prozent.10 Ein Anteil von drei Prozent der Befragten ist weiblich, 97 Prozent sind männlich. Das Durchschnittsalter liegt bei 38 Jahren bei einer Altersspanne von 21 bis 62 Jahren. 77 Prozent der Controller/innen zählen zum militärischen, 23 Prozent zum zivilen Personal. Unter den Soldaten und Soldatinnen sind die Berufssoldaten (BS) mit 59 Prozent und die Soldaten auf Zeit (SaZ) mit 41 Prozent vertreten. 77 Prozent der Befragten sind hauptamtliche, 23 Prozent nebenamtliche Controller/innen. Die Anteile an hauptamtlichem Personal variieren zwischen den TSK/OrgBer. So sind die Controller/innen in der Luftwaffe und im Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr fast ausnahmslos hauptamtlich tätig, während im Heer mehr als 50 Prozent ihre Aufgaben im Nebenamt wahrnehmen. 29 Prozent der Befragten sind in einem Führungskommando, in Ämtern bzw. in Bundesober- und Mittelbehörden tätig, 71 Prozent im nachgeordneten Bereich. Das Controlling in der Bundeswehr wurde ausgehend von der Rahmenweisung Controlling von 2002 flächendeckend in der Bundeswehr 9
Für einen Überblick über inter- und intranetbasierte Befragungen in der Organisationsforschung siehe Weber/Brake (2005). Mit der Controller-Befragung wurde erstmalig das Instrument der Online-Befragung im Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr getestet. Ein entsprechender Vergleich der Ergebnisse der beiden Befragungsmethoden (Mittelwertvergleiche) ergab keine signifikanten Unterschiede im Antwortverhalten. 10 Der Rücklauf kann als sehr zufriedenstellend bezeichnet werden. Niedermayr (1994: 191) dokumentiert den Rücklauf empirischer Erhebungen zum Thema Controlling bei 15 von ihr gesichteten Untersuchungen. Im Vergleich zu den dort berichteten Werten ist der in der Controller/innen-Befragung 2005 erzielte Rücklauf überdurchschnittlich hoch.
110
eingeführt. Deshalb ist sowohl die Controllingorganisation als auch das „Berufsbild“ des Controllers noch relativ jung. Nur gut ein Drittel der Befragten kann auf eine Verwendung als Controller/in von mehr als drei Jahren zurückblicken (Tab. 1). Tab. 1: Bisherige Verwendungsdauer der Controller/innen in der Bundeswehr
Wie lange sind Sie schon in Verwendung/Funktion als Controller/in in der Bw insgesamt? Anteil in % weniger als ein Jahr
14
1–2 Jahre
31
2–3 Jahre
23
3–4 Jahre
10
über 4 Jahre
22
Datenbasis: Controller/innen-Befragung, SOWI 2005. n = 384.
5.2
Controllingorganisation
Eine Mehrheit von 79 Prozent der befragten Controller/innen gab zum Befragungszeitraum an, dass in ihrer Dienststelle die Einführung des Controllings bereits abgeschlossen war. Bei der Darstellung einiger der folgenden Befragungsergebnisse zur Nutzung des Controllings ist es daher sinnvoll, nur diejenigen Controller/innen einzubeziehen, in deren Dienststellen die Einführungsphase abgeschlossen ist. In 69 Prozent der Fälle ist die Controllingfunktion als Stabsstelle direkt der Dienststellenleitung zugeordnet, bei 25 Prozent als Stabsfunktion auf Abteilungs- oder Referatsebene angesiedelt und in sechs Prozent in Linienfunktion unterhalb der Dienststellenleitung. Das Controlling verfügt somit, allein was die Einbindung in die Aufbaustruktur in den Dienststellen betrifft, über eine relativ hohe Positionierung in der Organisationshierarchie. Damit wird der Bedeutung des Controllings als Instrument der unmittelbaren Führungsunterstützung in der Aufbauorganisation durchaus Rechnung getragen, und die Voraussetzungen für eine intensive und enge Zusammenarbeit zwischen Dienststellenleitung und Controlling wären gegeben. Die Befragungsergebnisse zum Themenfeld „Nutzung des Controllings“ (s. u.) lassen aber erkennen, dass zum jetzigen Zeitpunkt zwar die formal-organisatorischen Voraussetzungen bestehen, die Bedeutung des Controllings im militärischen wie im zivilen Führungsprozess de facto aber sehr begrenzt ist. Da die meisten Controllingabteilungen als Stabsstellen eingerichtet wurden, verwundert es auch nicht, dass der Typus „Empfehlungs- und Beratungsrechte“ vorherrscht (Tab. 2). Dies steht im Einklang mit der Konzeption 111
des Controllings in der Bundeswehr als Instrument der Führungsunterstützung und als Berater in wirtschaftlichen Belangen. Die Kompetenzen des Controllings sind in der Regel in Führungskommandos, in Ämtern bzw. in Bundesober- und Mittelbehörden größer als im nachgeordneten Bereich, was sich dort in einem höheren Anteil des Typus „Mitsprache- und Mitwirkungskompetenzen“ ablesen lässt. Zwischen den TSK/OrgBer bestehen auffällige Unterschiede in Hinblick auf die dem Controlling zugestandenen Kompetenzen in den Dienststellen. So fällt das Heer mit einem „Kaum-Kompetenzen“Anteil von 59 Prozent deutlich aus dem Rahmen. Tab. 2: Kompetenzen des Controllings in den Dienststellen
Wie würden Sie grundsätzlich die Kompetenzen des Controllings in Ihrer Dienststelle charakterisieren?
Gesamt 31
nur: Führungskommando, Oberbehörde, Amt, Mittelbehörde 20
nur: unterstellter Bereich 36
Empfehlungs-/ Beteiligungskompetenzen
48
47
48
Mitsprache-/Mitwirkungskompetenzen
21
33
16
kaum Kompetenzen
Datenbasis: Controller/innen-Befragung, SOWI 2005. n = 297. Angaben in Prozent.
5.3
Nutzung des Controllings in den Dienststellen
Das Controllingkonzept der Bundeswehr sieht nicht vor, dass das Controlling selbst umfassende Entscheidungsbefugnisse zugestanden bekommt. Dies deckt sich mit den gängigen Vorstellungen über Funktion und Bedeutung des Controllings in der privaten Wirtschaft und in der betriebswirtschaftlichen Lehrmeinung. Das Controlling soll vielmehr der Dienststellenleitung gegenüber als kritische Beratungsinstanz in (wirtschaftlichen) Führungs- und Entscheidungsprozessen zur Seite stehen und die Antizipations- und Reaktionsfähigkeit der Organisation erhöhen. Die Controllingwissenschaft unterscheidet folgende Dimensionen der Führungsunterstützung: „Die Funktionsbreite beschreibt das Maß der Verschiedenartigkeit der enthaltenen Aufgabenqualitäten [des Controllings, d. Verf.]. Die Funktionstiefe definiert das Ausmaß des Controllingeinflusses auf Entscheidungen und Führungsprozesse des Unternehmens.“ (Niedermayr 1994: 72f.). Im Folgenden wird die Funktionstiefe untersucht: In welchem Umfang und in welcher Intensität fließen die Daten und Informationen des Controllings in Entscheidungs- und Führungsprozesse ein, d. h. welche 112
Wirkungen entfaltet dieses Instrument aus Sicht der befragten Controller/ innen heute in den Dienststellen. Dabei werden zwei Dimensionen unterschieden: (1) die Interaktionsfrequenz und der Informationsaustausch zwischen Dienststellenleitung und Controllingabteilung sowie (2) die Bedeutung des Controllings in Führungs- und Entscheidungsprozessen. „Controlling vollzieht sich im Zusammenspiel zwischen Manager und Controller.“ (Weber 2002: 52) Auf die Organisation Bundeswehr angewandt heißt dies: Controlling vollzieht sich im Zusammenspiel von Kommandeur bzw. Dienststellenleiter/in und Controller/in in den militärischen Verbänden, Ämtern oder Einrichtungen. Durchaus positiv kann gewertet werden, dass in gut drei Vierteln der Dienststellen mindestens zwei- bis dreimal im Monat ein direkter Gesprächskontakt zwischen Dienststellenleitung und Controllingabteilung zustande kommt (Tab. 3). In gut einem Viertel der Dienststellen besteht offenbar sogar ein Austausch mehrmals in der Woche. Aber was kann man über Effekte und die Zielgerichtetheit der Kommunikation aus Sicht der Controller/innen aussagen? Tab. 3: Interaktion zwischen Dienststellenleitung und Controlling
Wie oft hat das Controlling in Ihrer Dienststelle durchschnittlich die Möglichkeit, mit der Dienststellenleitung über Controlling-Themen zu sprechen? 2–3-mal die Woche
Anteil in Prozent 24
1-mal die Woche
34
2–3-mal im Monat
16
1-mal im Monat
13
1-mal im Quartal und weniger
13
Datenbasis: Controller/innen-Befragung, SOWI 2005. n = 375.
Die Controller/innen gestehen ihrer Dienststellenleitung mehrheitlich durchaus zu, dass sie dem ökonomischen Denken und Handeln eine hohe Priorität zumisst (Tab. 4, Item i). Positiv fällt bei einer Einschätzung der Nutzung und der Bedeutung des Controllings in den jeweiligen Einrichtungen durch die Controller/innen ferner auf, dass auch eine Mehrheit von 62 Prozent der Befragten von ihrer Dienststellenleitung annimmt, dass sie Vertrauen in die Fachkompetenz des Controllings hat (Tab. 4, Item c). Allerdings geben bei der Frage nach der Qualität der Kommunikation zwischen der Dienststellenleitung und dem Controlling 48 Prozent der Befragten an, dass das Controlling bei ihnen eher kein oder überhaupt kein regelmäßiges Feedback für seine Arbeit von der Dienststellenleitung erhält (Tab. 4, Item d). Dies stellt sowohl aus instrumenteller Sicht (Stichwort: Funktionstiefe des Controllings), vor
113
allem aber auch aus Sicht der Inneren Führung – der Führungsphilosophie der Bundeswehr – ein Defizit dar. Damit das Controlling seine Arbeit ziel- und ergebnisorientiert gestalten kann, ist es u. a. notwendig, dass die Dienststellenleitung ihren Informationsund Beratungsbedarf klar formuliert. Dies ist aber offensichtlich nicht der Fall: Nur 23 Prozent der Befragten können behaupten, dass die Dienststellenleitung bei ihnen klare Angaben macht, welchen Informations- und Beratungsbedarf sie gegenüber dem Controlling hat (Tab. 4, Item f). Ebenso können sich nur 23 Prozent der Auffassung anschließen, dass das Controlling für ihre Dienststellenleitung ein zentraler Führungsbestandteil ist (Tab. 4, Item j). 42 Prozent haben sogar den Eindruck, dass die Dienststellenleitung gut und gerne auf Controlling verzichten würde, wenn sie könnte (Tab. 4, Item b). Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Frage, ob das Controlling in Entscheidungsprozesse eingebunden wird: 52 Prozent der Controller/innen sind der Überzeugung, dass das Controlling bei wichtigen Entscheidungen nicht beteiligt wird (Tab. 4, Item h). Bereits der Einsatz des Controllings und seiner Arbeitsergebnisse in Lage- und Dienstbesprechungen scheint nur in wenigen Verbänden, Ämtern und Einrichtungen zum Standard zu gehören (Tab. 4, Item k). Die Hälfte der Befragten ist der Auffassung, dass die Informationen aus dem Controlling nicht gebührend berücksichtigt werden. Diese Meinung ist im unterstellten Bereich noch stärker verbreitet als bei Controller/innen, die in Führungskommandos, in Ämtern bzw. in Bundesober- und Mittelbehörden tätig sind (Tab. 5). Die hohe Anzahl derjenigen, die auf diese Frage mit „weiß nicht“ antwortet, könnte zudem ein Indiz dafür sein, dass viele Controller/innen aufgrund oftmals fehlenden Feedbacks von der Dienststellenleitung noch nicht einmal Klarheit darüber haben, ob und in welchem Ausmaß ihre Arbeit in ihrem Bereich überhaupt Wirkungen erzeugt. Die Studie bringt zudem zu Tage, dass es zwischen den TSK/OrgBer nicht unerhebliche Unterschiede in Hinblick auf die Einbindung des Controllings in Führungsprozesse gibt. Das Heer fällt hier ebenfalls auf: Nur eine Minderheit von 11 Prozent der Befragten ist dort mit dem Umfang der Nutzung des Controllings durch die Dienststellenleitung zufrieden.
114
Tab. 4: Nutzung und Bedeutung des Controllings in den Dienststellen
Bitte geben Sie an, inwieweit folgende Aussagen aus Ihrer Sicht in Ihrer Dienststelle zutreffen. trifft voll trifft und eher trifft teils/ nicht ganz eher zu teils zu zu a) Die Dienststellenleitung misst dem Cont16 21 27 26 rolling einen hohen Stellenwert zu. b)
trifft überhaupt nicht zu 11
Ich habe den Eindruck, dass die Dienststellenleitung gut und gerne auf Controlling verzichten würde, wenn sie könnte.
15
22
21
21
21
c)
Die Dienststellenleitung hat Vertrauen in die Fachkompetenz des Controllings.
19
43
20
14
3
d)
Das Controlling bei uns erhält regelmäßig ein Feedback für seine Arbeit von der Dienststellenleitung.
7
19
26
29
19
Die Dienststellenleitung legt Wert darauf, die Daten und Informationen aus dem Controlling fachlich zu verstehen.
14
34
23
19
10
Die Dienststellenleitung macht bei uns klare Angaben, welchen Informationsund Beratungsbedarf sie gegenüber dem Controlling hat.
7
16
22
29
25
Der Dienststellenleitung ist es wichtig, dass alle Mitarbeiter/innen und Soldaten/innen ein Sinnverständnis für das Controlling entwickeln.
9
28
28
25
11
h)
Das Controlling wird bei wichtigen Entscheidungen beteiligt.
7
18
24
28
24
i)
Ökonomisches Denken und Handeln hat für unsere Dienststellenleitung eine hohe Priorität.
11
30
31
21
8
Controlling ist für unsere Dienststellenleitung ein zentraler Führungsbestandteil.
6
17
25
30
22
In Lage- und Dienstbesprechungen sind die Ergebnisse des Controllings oft ein wichtiges Thema.
5
13
27
32
24
Controlling ist für die Dienststellenleitung in erster Linie Kostenkontrolle.
4
28
26
31
11
e)
f)
g)
j)
k)
l)
Datenbasis: Controller/innen-Befragung 2005. Angaben in Prozent.
115
Tab. 5: Funktionstiefen des Controllings nach Organisationsbereichen
Finden aus Ihrer Sicht die Informationen aus dem Controlling bei Entscheidungen in Ihrer Dienststelle gebührend Berücksichtigung? gesamt
ja 29
nein 51
weiß nicht 20
Heer
12
65
23
Luftwaffe
24
51
25
Marine
41
38
21
Streitkräftebasis
33
53
14
Zentraler Sanitätsdienst
50
42
8
Territoriale Wehrverwaltung
33
47
20
Rüstungsbereich
56
25
19
FüKdo/Oberbehörde/Amt/Mittelbehörde
35
45
20
unterstellter Bereich
27
53
20
Datenbasis: Controller/innen-Befragung 2005. Angaben in Prozent.
Die Ursachen für die nur geringe Einbindung des Controllings in Führungsund Entscheidungsprozesse durch die Dienststellenleitung sind vielfältig. Hierzu wurden die Controller/innen gebeten, in einer offenen Frage in Stichworten oder in kurzen Sätzen Gründe zu nennen. Es ließen sich drei typische Bündel von Gründen aus den Antworten extrahieren: 1. Ursachen, die mit dem Entwicklungsstand des Controllings in den Dienststellen zusammenhängen: In Dienststellen, in denen die Controllingeinführung noch relativ jung ist, werden die Informationen und Daten aus dem Controlling oft aufgrund fehlender Güte (Datenvalidität) und Zuverlässigkeit (Datenreliabilität) nicht für Entscheidungsprozesse herangezogen. Diese Problematik dürfte aber langfristig gesehen an Bedeutung verlieren. Entscheidender ist die oft erkennbare Vergangenheitsorientierung des Controllings. Da solche Controllingsysteme keine Planungsfunktion erfüllen können, werden sie von vielen Dienststellenleitungen (zurecht) auch nicht genutzt. Ein Befragter hierzu: „[Aus] Daten werden keine Konsequenzen gezogen. Daten werden nur ermittelt, gesammelt und abgeheftet. Das war’s.“ 2. Ursachen, die im Führungsverständnis der Dienststellenleiter/innen bzw. Kommandeure liegen: „Controlling wird als Nebenkriegsschauplatz angesehen“, so formuliert es ein Controller. In diese Richtung antworten viele Befragte. Sie sehen den Grund für die geringe Bedeutung des Controllings in der Aufgabenvielfalt und den ständig wechselnden Anforderungen an die Kommandeure und Dienststellenleiter/innen begründet, welche beispielsweise durch die Transformation der Bundeswehr hervor116
gerufen werden. Controlling wird, weil befohlen, formell abgearbeitet; eine echte Auseinandersetzung mit ihm und ein zielorientierter Einsatz des Instruments zur Führungsunterstützung findet nicht statt. Ein Controller bringt es auf folgende Formel: „Controlling gleich höherer Arbeitsaufwand ohne erkennbaren Nutzen aus Sicht der Dienststellenleitung; der Dienstbetrieb läuft auch ohne Controlling.“ Zudem beklagen einige Controller/innen eine „Beratungsresistenz“ bei ihren Vorgesetzten. Diese ist aus Sicht der Controller/innen oft darin begründet, dass betriebswirtschaftliche Qualifikationen und ein Verständnis für die neuen Managementmethoden bei den Kommandeuren und Dienststellenleiter/innen fehlen, die deshalb mit den Controllingberichten oftmals „nichts anfangen“ können. Oder aber die Befragten sehen den Grund in einem autoritären Führungsverständnis. Ein Befragter formuliert dies so: „Der Kommandeur ist von ‘alter Garde’. Er hat in 40 Jahren Dienst nie Controlling benötigt.“ Ein anderer resigniert: „Führungsentscheidungen werden trotz sachlicher Gegenargumente nicht revidiert.“ 3. Ursachen, die mit den Anreizsystemen und den wirtschaftlichen Entscheidungsspielräumen zusammenhängen: Selbst wenn die Qualität der Arbeit des Controllings hoch und bei der Dienststellenleitung ein entsprechendes Sinnverständnis für moderne Managementmethoden vorhanden ist, müssen darüber hinaus entsprechende Anreize für die Nutzung des Instruments gesetzt werden. Solche Anreize fehlen im heute gültigen militärischen Beurteilungssystem. Einige Controller/innen beklagen, dass militärische Handlungslogiken und Beurteilungsdimensionen die wirtschaftliche Handlungslogik stark dominieren. Hierzu eine Antwort eines Luftwaffenangehörigen: „[Die] Dienststellenleitung wird nicht nach Effizienz bewertet, sondern nach outputorientierten Größen wie Jahresflugstundenprogramm.“ Die Ursachenanalyse zeigt insbesondere, dass die fehlenden wirtschaftlichen Handlungsspielräume und das starre kameralistische System der Hauptgrund für die diagnostizierte geringe Funktionstiefe des Controllings sind. Hierzu ein Statement eines Controllers aus der Wehrverwaltung: „Beim StOVControlling ist seit Jahren kein Konzept zu erkennen. Globalbudget für StOV wäre ein mutiges Projekt gewesen, war nicht gewollt. Entscheidungen fallen nicht auf Ortsebene (StOV), sondern bei WBV und höher, und das auch ohne Controlling.“ Die Antworten auf das Item „Controlling hat so lange keinen rechten Sinn, wie die haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen nicht geändert werden“ zeigen eindeutig auch in diese Richtung: Aus Sicht von 57 Prozent trifft diese Aussage „voll und ganz“ zu (!), für 21 „eher zu“ und für 15 Prozent „teils/teils“. Nur fünf Prozent antworten mit „trifft eher nicht zu“ 117
und zwei Prozent „trifft überhaupt nicht zu“. Damit das Controllingsystem der Bundeswehr echte Wirkungen entfalten kann, ist daher eine Harmonisierung der haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen mit den modernen Führungs- und Managementinstrumenten dringend geboten. 5.4
Controllingeffizienz
Was ist Controllingeffizienz und wie kann man sie messen? In Anlehnung an Amshoff (1993: 470) kann Controllingeffizienz definiert werden als das Ausmaß, in dem ein Controllingsystem zur Erfüllung der unterschiedlichen Controllingziele beiträgt. Um die Controllingeffizienz bestimmen zu können, bedarf es in einem ersten Schritt der Konkretisierung von Controllingzielen. In einer Literaturanalyse einschlägiger Veröffentlichungen zur Theorie und Praxis des Controllings extrahiert Amshoff (1993: 180ff.) einen Katalog von Zielen, die ein Controllingsystem gemeinhin zu erfüllen hat: • • • • • • • •
Sicherung der Planung, Sicherung der Kontrolle, Integration von Planung und Kontrolle, Sicherung der Steuerung, Sicherung der Informationskongruenz, Beitrag zur Sicherung der Harmonisation, Beitrag zur Sicherung der Entscheidungsqualität, Beitrag zur Sicherung der Flexibilität.
Das weitere Vorgehen zur Bestimmung der Effizienz des Controllings erfordert dann eine Operationalisierung der Zieldimensionen. Im nächsten Schritt wäre eine Priorisierung der Zieldimensionen und die Messung ihrer Ausprägungen im Unternehmen erforderlich. In einem letzten Schritt müsste dann der Aufwand, der durch den Betrieb des Controllings entsteht, den jeweiligen Erreichungsgraden der oftmals in der Praxis nicht quantifizierbaren Zieldimensionen gegenübergestellt werden. Ein solches Vorgehen ist aus mindestens zwei Gründen problematisch: Erstens steht man vor kaum lösbaren Operationalisierungs- und Messproblemen, und zweitens werden in den Unternehmen – je nach Informationsbedarf, Erkenntnisinteresse und Rechnungsziel der KLR – unterschiedliche Controllingziele mit unterschiedlicher Prioritätensetzung verfolgt.
118
Wie in anderen Studien11 auch, wird in dieser der Weg beschritten, die Controllingeffizienz schätzen zu lassen und das Expertenwissen sowie die Erfahrungen der in das Controllingsystem eingebundenen Akteure zu nutzen. Die Controllingeffizienz kann dementsprechend bestimmt werden über ein subjektives, aber qualifiziertes Urteil der befragten Controller/innen zum Verhältnis von materiellem und personellem Aufwand für die Unterhaltung der Controllingfunktion auf der einen Seite und dem Nutzen, den es in der Dienststelle stiftet, auf der anderen Seite. Die Auswertung der Antwortverteilung zeigt überraschenderweise, dass ein hoher Anteil der Controller/innen, in deren Dienststelle die Controllingeinführung bereits abgeschlossen ist, annimmt, dass das Controlling mehr kostet, als es Nutzen stiftet (Tab. 6). Tab. 6: Controllingeffizienz nach TSK/OrgBer und Hierarchieebene
Wenn Sie das Controlling in Ihrer Dienststelle unter Effizienzgesichtspunkten bewerten: Welcher Aussage würden Sie am ehesten zustimmen?
TSK/OrgBer/ Hierarchieebene
a) Das Controlling lohnt sich bei uns: Der personelle und finanzielle Aufwand ist geringer als der Nutzen, den das Controlling für die Dienststelle bringt.
c) Das Controlling lohnt sich bei uns nicht: Der personelle und finanb) Der Aufwand für zielle Aufwand ist das Controlling und höher als der Nutzen, den das der Nutzen für die Dienststelle halten Controlling für die Dienststelle sich in etwa die bringt. Waage.
gesamt
25
32
Heer
19
23
43 58
Luftwaffe
19
44
37
Marine
30
33
37
SKB
25
36
39
ZSanDBw
42
25
33
TerrWV
24
26
50
Rüstung
53
27
20
Führungskommando, Ämter, Bundesoberund Mittelbehörden
28
33
39
unterstellter Bereich
24
32
44
Datenbasis: Controller/innen-Befragung 2005. Angaben in Prozent.
11 In den Studie von Amshoff (1993) und Niedermayr (1994) werden Befragungsdaten zur Ermittlung der Controllingeffizienz herangezogen. Befragungsmethoden werden auch von Exner-Merkelt und Keinz (2005) in ihrer Untersuchung zur Effektivität des Controllings in Unternehmen genutzt.
119
Die Befragungswerte können nicht als „harte Daten“ für die Ermittlung einer betriebswirtschaftlichen Effizienz des Controllings in der Bundeswehr herangezogen werden, werfen aber doch ein Licht auf die Meinungen und Einstellungen der Controller/innen über ihr alltägliches Tun in den Dienststellen. Und dies muss aufhorchen lassen: 43 Prozent des Funktionspersonals ist der Meinung, dass es letztlich unter rein ökonomischen Aspekten günstiger wäre, man würde die Controllingfunktion in ihrem Bereich wieder einstellen. Handelt es sich hierbei um ein temporäres Phänomen? Sind diese Ineffizienzunterstellungen nur dort zu finden, wo sich Controlling noch in der Aufbauoder Konsolidierungsphase befindet und sozusagen Anschubfinanzierungen geleistet werden müssen? Man kann dieser Frage nachgehen, wenn man ältere mit jüngeren Controllingdienststellen vergleicht. Das Alter einer Controllingabteilung wurde operationalisiert durch die Frage: „Wie lange ist es her, dass in ihrer Dienststelle Controllingdienstposten erstmalig eingerichtet wurden?“ Die Auswertung ergab, dass das durchschnittliche Alter aller Controllingabteilungen zum Zeitpunkt der Befragung drei Jahre und sieben Monate betrug. Die Hälfte der Controllingabteilungen war jünger als drei Jahre und einen Monat. In Tab. 7 werden die Altersgruppen in Hinblick auf die Controllingeffizienz verglichen. Tab. 7: Controllingeffizienz nach Alter der Controllingabteilung
Wenn Sie das Controlling in Ihrer Dienststelle unter Effizienzgesichtspunkten bewerten: Welcher Aussage würden Sie am ehesten zustimmen? c) Das Controlling lohnt sich bei uns nicht: Der personelle und finanzielle Aufwand ist höher als der Nutzen, den das Controlling für die Dienststelle bringt.
a) Das Controlling lohnt sich bei uns: Der personelle und finanzielle Aufwand ist geringer als der Nutzen, den das Controlling für die Dienststelle bringt.
b) Der Aufwand für das Controlling und der Nutzen für die Dienststelle halten sich in etwa die Waage.
0–24 Monate
25
35
40
25–48 Monate
17
34
49
über 48 Monate
34
28
38
Alter der Controllingabteilung
Datenbasis: Controller/innen-Befragung 2005. Angaben in Prozent.
In der Tat ist die Controllingeffizienz in jungen Controllingabteilungen gering ausgeprägt. In der Zeit von zwei bis drei Jahren nach Einführung nimmt die Controllingeffizienz noch einmal leicht ab. Erst ab einem Alter über vier Jahren scheint die Controllingeffizienz anzusteigen. Allerdings wird der Alterseffekt durch die Tatsache überlagert, dass die Controllingabtei120
lungen aus dem Rüstungsbereich, die eine relativ hohe Controllingeffizienz aufweisen, in dieser Kohorte überproportional stark vertreten sind. Ein gleicher Effekt entsteht durch den relativ geringen Anteil von Controllingabteilungen des nachgeordneten Bereichs in den beiden jüngeren Kohorten. Dennoch kann dem „Controlling-Alter“ ein leicht positiver Effekt auf die Controllingeffizienz zugeschrieben werden. Aber auch in der Kohorte über vier Jahre nach Einführung des Controllings ist die Anzahl derjenigen Befragten, die in ihrer Dienststelle einen negativen Saldo aus Betrieb und Wirkung des Controllings wahrnehmen, höher als die Anzahl derjenigen, aus deren Sicht sich das Controlling bezahlt macht. Ein solches Ergebnis kann gerade bei diesen älteren Controllingabteilungen, bei denen die Phase der „Anschubfinanzierung“ bereits überwunden sein sollte, nicht zufrieden stellen. Ein wesentlicher Aspekt bei der Evaluation des Controllings ist die Entscheidungsrelevanz der Daten und Informationen für die Dienststellenleitung. Denn nur bei einer entsprechend hohen Entscheidungsrelevanz rechtfertigen sich der Betrieb und die Aufrechterhaltung der Controllingfunktion in einer Dienststelle. Auch hier wurden nur diejenigen Befragten in die Analyse einbezogen, bei denen die Controllingeinführung bereits abgeschlossen war. Tab. 8 lässt erkennen, dass es auch hier erhebliche Unterschiede zwischen den TSK/OrgBer und den Ebenen des Controllings gibt. Tab. 8: Entscheidungsrelevanz der Informationen aus dem Controlling
Wie beurteilen Sie die Entscheidungsrelevanz der von Ihrem ControllingBereich angebotenen Informationen für Ihre Dienststellenleitung? TSK/OrgBer/ Hierarchieebene gesamt
sehr relevant/ ziemlich relevant
teils/teils
kaum relevant/ nicht relevant
24
40
36
Heer
13
36
51
Luftwaffe
16
52
33
Marine
23
35
41
SKB
27
41
32
ZSanDBw
73
9
18
TerrWV
28
37
35
Rüstung
44
37
19
Führungskommando, Ämter, Bundesober- und Mittelbehörden
27
48
25
unterstellter Bereich
22
36
42
Datenbasis: Controller/innen-Befragung 2005. Angaben in Prozent.
Ein wichtiges Ergebnis ist, dass die Entscheidungsrelevanz der Informationen des Controllings mit der Hierarchie nach oben zunimmt. Die Informationen 121
des Controllings in Dienststellen an der Basis der Aufbauorganisation der Bundeswehr, etwa in einem militärischen Verband auf Bataillonsebene oder einer Standortverwaltung, sind offensichtlich weniger relevant für die jeweilige Dienststellenleitung als in Dienststellen weiter oben in der Hierarchie, etwa in einem Führungskommando oder einer Wehrbereichsverwaltung. Der Grund hierfür kann in der jeweiligen Qualität der Arbeit des Controllings, oder aber im jeweiligen Umfang der Handlungs- und Entscheidungsspielräume gefunden werden. In einem militärischen Verband auf Bataillonsebene ist der (wirtschaftliche) Entscheidungsspielraum geringer als auf der vorgesetzten Ebene, was eben auch heißt, dass das Controlling in diesen Fällen durchaus interessante Daten sammelt („Nice-to-Know-Informationen“), diese aber kaum eine Relevanz für die Führungsprobleme und Entscheidungen vor Ort besitzen. 5.5
Controllingphilosophie
Die Realisierung des Controllings in einem Unternehmen stellt eine höchst variable Größe dar, selbst in einer Organisation wie der Bundeswehr, die durch Erlasse, Weisungen und eigene Handbücher relativ strikte und einheitliche Vorgaben für die Ausgestaltung des Controllings in den Dienststellen macht. Das bedeutet aber nicht, dass die hohe Regelungsdichte notwendigerweise zu einem einheitlichen Controllingselbstverständnis und zu einheitlichen Handlungsformen des Controllings in der Bundeswehr führen muss. Im Hintergrund der täglichen Arbeit des Controllings werden auch im Fall der Bundeswehr unterschiedliche Controllingselbstverständnisse in den einzelnen Dienststellen wirksam. Es ist anzunehmen, dass sich diese Selbstverständnisse typologisieren lassen. In der empirischen Controllingforschung findet sich eine Reihe von Typologisierungsversuchen, an die auch in dieser Studie angeknüpft wurde. Im Folgenden liegt der Focus auf dem, was in Anlehnung an Amshoff (1993) als „Controllingphilosophie“ bezeichnet werden kann. Eine Controllingphilosophie umfasst die generelle Ausrichtung des Controllings und die Handlungsprinzipen und Normen- und Wertesysteme, die seiner Arbeit zugrundeliegenden.12 Amshoff (1993: 241, passim) entwickelt eine Typologie von Controllingphilosophien und unterscheidet (1) den passiv-vergangenheitsorientierten Typ, (2) den aktiv-zukunftsorientierten Typ und (3) den innovativ-antizipativen Typ. 12 Amshoff entwickelt drei Typologien: (1) „Controlling-Zieltypen“ (Worin bestehen die Hauptaufgaben des Controllings?), (2) „Controlling-Philosophien“ (Welches sind die generellen Normen- und Wertesysteme der Controlling-Träger?) und (3) ControllingsystemTypen (Wie ist das Controlling im Unternehmen institutionell ausgestaltet?).
122
Der erste Typ ist primär an der Erfassung abgeschlossener Vorgänge interessiert; das Controlling wird nur auf Initiative der Unternehmensführung hin aktiv. Der zweite Typ zeichnet sich durch eine zukunfts- und zielorientierte Grundhaltung aus und wird selbstständig aktiv; die Plankostenrechnung spielt hier eine zentrale Rolle. Der dritte Typ sucht selbstständig und aktiv nach neuen Problemlösungen und versteht sich als Frühwarnsystem des Unternehmens. Dieser letzte Typus findet sich bei der Mehrzahl der untersuchten Unternehmen. Die quantitative Verteilung der von Amshoff gefundenen Typologie ist für diese Untersuchung des Controllings in der Bundeswehr sekundär, da sie zeitlich bedingt ist (Erhebungszeitraum 1990) und den Entwicklungsstand in einer bestimmten Gruppe von Unternehmen wiedergibt. Vielmehr ist der grundsätzliche Ansatz einer Typenbildung auf Basis clusteranalytischer statistischer Verfahren hilfreich.13 Die Clusteranalyse zählt zu den multivariaten statistischen Verfahren der Gruppenbildung. Sinn und Zweck dieser Technik in den Sozialwissenschaften ist die Bildung einer Typologie von Gruppen mit relativ übereinstimmenden Verhaltens- und Einstellungsmustern. Die Mitglieder einer Gruppe sollen dabei eine weitgehend verwandte Eigenschaftsstruktur aufweisen. Zwischen den Gruppen sollen demgegenüber so gut wie keine Ähnlichkeiten bestehen (Backhaus 2006: 490). Als Grundlage für die Clusteranalyse in dieser Studie zur Controllingphilosophie dient die Antwortverteilung in der Itembatterie in Tab. 9. Die Items wurden in Anlehnung an das Indikatorensystem bei Amshoff (1993: 237) mit bundeswehrspezifischen Erweiterungen konstruiert. Als Fusionierungsalgorithmus wurde die Clusterzentrenanalyse in SPSS14 gewählt. Ergebnis der Clusteranalyse ist eine Typologie von zwei Gruppen von Controller/innen mit entsprechenden grundlegenden Controllingphilosophien in der Bundeswehr. Die beiden Typen lassen sich mit „Controlling als Registrator“ und „Controlling als Navigator“ bezeichnen. Eine genauere Beschreibung dieser beiden Typen ist Tab. 10 zu entnehmen. Der Typus „Registrator“ entspricht dabei weitgehend dem passiv-vergangenheitsorientierten Controllingphilosophie-Typ. Das Controlling als „Navigator“ kann als eine Mixtur aus dem aktiv-zukunftsorientierten und dem innovativ-antizipativen Controllingphilosophie-Typ verstanden werden.
13 Für weitere Typologisierungsversuche in der Controllingwissenschaft siehe Niedermayr (1994) und die Zusammenschau bei Horváth (2003: 52ff.). 14 Statistical Package of Social Science. Gängiges Anwenderprogramm zur Analyse sozialwissenschaftlicher Daten.
123
Tab. 9: Items zur Controllingphilosophie in den Dienststellen
Wie ist das Controlling in Ihrer Dienststelle ausgerichtet? Das Controlling bei uns ... trifft übertrifft eher haupt nicht zu nicht zu
trifft voll und ganz zu
trifft eher zu
teils/ teils
... besteht im Prinzip aus dem Betrieb der Kosten-Leistungs-Rechnung.
23
36
21
11
9
... arbeitet weitgehend vergangenheitsorientiert.
17
38
25
15
4
... arbeitet weitgehend zielorientiert und vorausschauend.
6
18
26
36
15
... zeichnet primär aufgelaufene Vorgänge nach.
10
37
31
16
5
... bekommt seine Aufträge überwiegend von der (truppendienstlich) vorgesetzten Dienststelle.
10
30
22
24
15
... arbeitet genau das ab, was angeordnet bzw. befohlen wurde und nicht mehr.
8
17
19
34
22
... wird hauptsächlich auf Veranlassung der eigenen Dienststellenleitung tätig.
3
11
24
43
19
... wird hauptsächlich auf Veranlassung durch Stellen außerhalb der Dienststelle, beispielsweise die vorgesetzte Dienststelle, tätig.
8
27
25
27
14
... versteht sich in der Rolle als „Frühwarner“ und „Frühaufklärer“.
7
27
22
28
16
... stellt oft bestehende Prozesse und Strukturen in Frage und sucht aktiv nach Verbesserungspotenzialen.
9
29
26
25
11
... versteht sich als umfassende Führungsunterstützung.
20
30
23
17
10
... stellt sicher, dass Ziele klar und eindeutig festgelegt und formuliert werden.
11
25
25
25
14
... kontrolliert kontinuierlich den Grad der Zielerreichung in der Dienststelle.
11
26
25
21
16
... initiiert bei Zielabweichungen geeignete Gegensteuerungsmaßnahmen.
7
18
26
29
21
... arbeitet weitgehend termingerecht und ohne Verspätungen.
32
48
14
4
2
Datenbasis: Controller/innen-Befragung 2005. Angaben in Prozent.
124
Tab. 10: Typologie von Controllingphilosophien in der Bundeswehr
Controlling als „Registrator“
Controlling als „Navigator“
vergangenheitsorientierte Grundhaltung, zeichnet vorwiegend abgelaufene Vorgänge nach
zukunftsorientierte Grundhaltung, zielorientierte und vorausschauende Arbeitsweise
starke Orientierung an der KLR
KLR nur ein Instrument des Controllings neben anderen, Ziel- und Kennzahlensystem ist wichtiges Controllinginstrument
Aufgabe besteht vorwiegend in der Erstellung von Kostenberichten
Aufgabe wird definiert in einer umfassenderen Führungsunterstützung bei der Zielformulierung und Überprüfung der Zielerreichung
Aufgabenstellung erfolgt vornehmlich durch (truppendienstlich) vorgesetzte Stelle
Aufgabenerstellung erfolgt vorwiegend durch Dienststellenleitung und eigeninitiativ
tendenziell passive Grundhaltung, Abarbeitung (von außen) vorgegebener Aufträge
eher aktive Grundhaltung, initiiert Maßnahmen und sucht selbstständig nach Verbesserungs- und Einsparpotenzialen, stellt bestehende Strukturen und Prozesse in Frage
Anteil in der Bundeswehr: ca. 45 %
Anteil in der Bundeswehr: ca. 55 %
In einem nächsten Schritt gilt es zu ermitteln, ob die beiden Controllingphilosophietypen in einem systematischen Zusammenhang zu anderen Variablen stehen. Anzunehmen ist, dass sich mit zunehmendem Alter der Controllingabteilung eine Entwicklung hin zum Typus „Navigator“ ergibt. Ergebnis der Analyse: Zwar erweisen sich Controllingabteilungen vom Typus „Navigator“ tatsächlich als geringfügig älter als diejenigen vom Typus „Registrator“, der statistische Mittelwertvergleich erlaubte aber keine signifikante Aussage. D. h. die These, dass mit zunehmendem Alter der Controllingabteilung auch ein Wandel der Controllingphilosophie einhergeht, lässt sich mit dem vorliegenden Datenmaterial nicht bestätigen. Anders verhält es sich mit der Variable „Nutzung des Controllings durch die Dienststellenleitung“. Erst wenn das Controlling eine aktive Grundhaltung einnimmt, zukunftsorientiert und vorausschauend arbeitet und seine Aufgabe in der umfassenden Führungsunterstützung definiert, entfaltet es nach den hier vorliegenden Ergebnissen Wirkungen auf die Führungs- und Entscheidungsprozesse in den Dienststellen (Tab. 11). Während nur fünf Prozent der Befragten, die dem Typus „Registrator“ zugeordnet werden können, der Ansicht sind, dass die Informationen aus dem Controlling bei Entscheidungen in ihrer Dienststelle gebührend Berücksichtigung finden, sind es in der Gruppe „Navigator“ immerhin 48 Prozent.
125
Die beiden Variablen „Controllingphilosophie“ und „Funktionstiefe des Controllings“ sind dabei nicht in einem linearen Kausalmodell von abhängiger und unabhängiger Variable zu denken. Vielmehr bilden sie ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis: In welchem Umfang Controlling tatsächlich als Instrument der Führungsunterstützung in der Bundeswehr ausgestaltet wird, ist abhängig vom Controllingsystem, also dem Zusammenspiel zwischen Dienststellenleitung und Controllingabteilung vor Ort. Das bedeutet auch, dass der statistische Befund, wonach „Navigatoren“ mehr Berücksichtigung in ihrer Dienststelle finden als „Registratoren“ nicht unbedingt allein auf das Agieren als „Navigator“ zurückgeführt werden kann, sondern auch auf das proaktive Verhalten ihres Controlling-Counterparts: dem Kommandeur bzw. dem Dienststellenleiter/der Dienststellenleiterin. Tab. 11: Controllingphilosophie und Funktionstiefe des Controllings
Controllingphilosophie-Typ „Registrator“ Finden aus Ihrer Sicht die Informationen aus dem Controlling bei Entscheidungen in Ihrer Dienststelle gebührend Berücksichtigung?
ja
„Navigator“
gesamt
5
48
29
nein
73
33
51
weiß nicht
22
19
20
100
100
100
Datenbasis: Controller/innen-Befragung 2005. Angaben in Prozent.
5.6
Kosten-Leistungsrechung (KLR)
Ein wesentlicher Bestandteil des Controllings in Unternehmen ist die Kostenund Leistungsrechnung (KLR). Auch in der Bundeswehr existiert mittlerweile fast flächendeckend eine KLR. Bereits im Rahmen der KLV-Einführung in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre wurde in zahlreichen Dienststellen eine KLR aufgebaut. Zum Befragungszeitraum gaben 83 Prozent der Controller/innen an, dass in ihrer Dienststelle eine KLR betrieben wird. Die Befragungsergebnisse zeigen, dass in der Bundeswehr heute noch zweifelsohne die Dokumentations- und Informationsfunktion (Stichwort: Kostentransparenz) der KLR im Vordergrund steht und nur in Ausnahmefällen der Schritt hin zur Entwicklung und Nutzung der KLR als Planungs-, Prognose- und Steuerungsinstrument gemacht wird. Zukunftsorientierte Verfahren wie die Plankostenrechnung oder die Investitionsrechnung werden nur selten angewendet. So geben nur 11 Prozent der Befragten, die eine KLR betreiben, an, dass sie auch von der Plankostenrechnung Gebrauch machen. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Die Verwendung des Plankostenmoduls in
126
KOLIBRI15 setzt eine valide und robuste Ist-Kostenrechnung voraus. Es ist davon auszugehen, dass gerade in Dienststellen, bei denen die KLR-Einführung noch relativ jung ist, die entsprechenden Voraussetzungen noch nicht gegeben sind (Stichwort: Datenqualität) und deshalb von der Aktivierung dieses Tools noch Abstand genommen wird. Wahrscheinlicher für die weit verbreitete Zurückhaltung bei der Nutzung der KLR als echtes Planungsinstrument dürfte aber der Umstand sein, dass Planung wirtschaftliche Steuerungs- und Handlungsspielräume voraussetzt, die oftmals aber nicht gegeben sind und somit die Sinnhaftigkeit des Einsatzes dieser Verfahren in den Controllingdienststellen bezweifelt wird. Die KLR-Berichterstellung für die Dienststellenleitung erfolgt in den meisten Fällen kontinuierlich. So geben 83 Prozent der Controller/innen an, dass in ihrer Dienststelle die Berichterstellung auf Basis des Berichtswesens von KOLIBRI bzw. anderer Kostenrechnungssysteme – wie sie etwa im ZSanDBw oder im Rüstungsbereich alternativ zum Einsatz kommen – regelmäßig im monatlichen Rhythmus erfolgt, bei 11 Prozent immerhin noch regelmäßig im vierteljährlichen Rhythmus und nur bei acht Prozent unregelmäßig bzw. bei drei Prozent nie. In 80 Prozent der Fälle liegen die KLR-Berichte der Dienststellenleitung nach durchschnittlich 20 Tagen ab Ende einer Rechnungsperiode vor. Dieser Wert kann durchaus befriedigen, stellt man den oftmals nicht unerheblichen Koordinierungs- und Arbeitsaufwand für einen KLR-Bericht in Rechnung (z. B. Koordination mit externen und internen Datenlieferanten, Durchführung der Buchhaltungen, Pflege des DV-Systems, Verfassen und grafische Aufbereitung der Berichte). Allerdings ist damit weder etwas über die Güte der Berichte und die Qualität der KLR-Daten in den Dienststellen, noch über deren Entscheidungsrelevanz ausgesagt: Nur 12 Prozent der befragten Controller/innen messen den KLR-Berichten in ihrer Dienststelle eine klare Entscheidungsrelevanz zu. Eine Mehrheit von 55 Prozent bewertet die KLR-Berichte hingegen als kaum bzw. nicht relevant. 5.7
Handlungswirksamkeit und soziale Akzeptanz
Gerade bei Mitarbeitern, denen bei organisationalen Veränderungsprozessen eine wichtige Rolle zukommt, muss sichergestellt werden, dass in der Einführungsphase des neuen Instruments ein positives Meinungs- und Einstellungsmuster erzeugt und dieses in der Betriebsphase auch aufrechterhalten wird. Zweifelsohne kommt dem Controllingpersonal, insbesondere den Con A und Con B, eine entscheidende Rolle bei der Einführung und bei der Nut15 = Kosten- und Leistungsrechung in der Bundeswehr zur Rationalisierung und internen Optimierung. Bezeichnung für die eigens für die Bundeswehr entwickelte KLR-Software.
127
zung des Controllings zu. Ob diese Gruppe die Zielsetzungen von Reformen teilt und ob sie von der Sinnhaftigkeit ihres Tun überzeugt ist, stellt einen entscheidenden Parameter für den Erfolg des Projekts insgesamt dar. Ein Ziel der Studie war es daher, ein entsprechendes Einstellungs-, Akzeptanz- und Motivationsbild bei dieser Gruppe zu ermitteln. Der wohl entscheidende Faktor für die Motivation eines Controllers oder einer Controllerin – auch in Hinblick auf das professionelle Selbstverständnis – dürfte sein, dass das alltägliche Handeln tatsächlich nachvollziehbare Wirkungen in der Dienststelle entfaltet (Handlungswirksamkeit). Gerade im militärischen Bereich kommt in besonderem Maße hinzu, dass das alltägliche Handeln von der sozialen Umwelt positiv sanktioniert, d. h. von Kameradinnen und Kameraden entsprechend gewürdigt und unterstützt wird (soziale Akzeptanz). Welches Wahrnehmungsmuster sich in Hinblick auf diese beiden Dimensionen ergibt, ist Tab. 12 zu entnehmen. Was die erste Dimension anbelangt haben wenige die Überzeugung, dass sie in ihrer jetzigen Funktion tatsächlich etwas bewirken können. So sind gerade einmal 22 Prozent der Ansicht, dass sie einen echten Beitrag dazu leisten, dass ihre Dienststelle wirtschaftlicher arbeitet. Ein solches Ergebnis ist nicht nur ein weiterer Hinweis auf die geringe Effizienz des Controllings (siehe oben), sondern hiermit wird auch die Problematik der Legitimation und der Akzeptanz nach innen, gegenüber den Kameraden/Kameradinnen und Kollegen/Kolleginnen, aufgeworfen. Bei einer früheren empirischen Untersuchung in den Streitkräften zum Prozess der ökonomischen Modernisierung der Bundeswehr konnte gezeigt werden, dass bislang ein Informationsdefizit unter den Soldaten und Soldatinnen besteht und der wirtschaftliche Erfolg der eingeleiteten Reformen und Maßnahmen von vielen in Zweifel gezogen wird (Kantner/Richter 2004: 62ff.). Die Einstellungen gegenüber dem Controlling, sowohl beim Funktionspersonal als auch bei den anderen Angehörigen der Bundeswehr, hängt vor allem von der Controllingeffizienz ab: „Um die langfristige Akzeptanz seiner Arbeit zu sichern, sollte das Controlling im Sinne eines Erfolgsnachweises seine Effizienz bzw. den bewirkten Nutzen transparent machen und die relevanten Einflußfaktoren auf die Effizienz identifizieren und steuern.“ (Niedermayr 1994: 161) Wie soll aber ein solcher Erfolgsnachweis kommuniziert werden, wenn die Mehrheit der Controller/innen vom Erfolg des Controllings selbst nicht überzeugt ist? Das Personal, das als Multiplikator und Motivator für die Etablierung der Kosten- und Leistungsverantwortung in der Bundeswehr wirken soll, müsste selbst von den wirtschaftlichen Effekten und Potenzialen der neuen Führungs- und Managementinstrumente überzeugt sein. Dies ist aber offensichtlich noch nicht der Fall.
128
Tab. 12: Handlungswirksamkeit und soziale Akzeptanz
Bitte geben Sie an, wie Sie über Ihre Rolle als Controller/in denken.
a) In meiner jetzigen Funktion kann ich eigentlich nichts bewirken. b) Ich habe den Eindruck, dass ich nur den Ist-Zustand verwalte und auf nichts wirklich Einfluss nehmen kann. c) Durch meine Arbeit als Controller/in leiste ich einen echten Beitrag dazu, dass unsere Dienststelle wirtschaftlicher arbeitet. d) Als Controller/in habe ich die Überzeugung, dass ich eine sinnvolle und wichtige Aufgabe in der Bw erfülle. e) Als Controller/in genießt man hohes Ansehen unter den Kameraden/ Kameradinnen und Kollegen/ Kolleginnen. f) Die Mehrheit meiner Kameraden/ Kameradinnen und Kollegen/ Kolleginnen hält das Controlling für eine notwendige Einrichtung.
trifft voll und ganz zu/trifft eher zu
teils/teils
trifft überhaupt nicht zu/trifft eher nicht zu
47
27
26
56
21
23
22
28
50
47
29
24
9
27
64
10
25
65
Datenbasis: Controller/innen-Befragung 2005. Angaben in Prozent.
5.8
Berufliche Perspektiven, Stehzeiten und Zufriedenheit mit der Verwendung als Controller
Eine Mehrheit von 62 Prozent der Befragten bewertet die eigene Verwendung im Controlling als eine interessante und herausfordernde Aufgabe (Tab. 13, Item c). Auch die Einplanung auf einen Controller-Dienstposten haben 57 Prozent als positiv empfunden (Tab. 13, Item e). Generell kann in der Studie eine relative Zufriedenheit mit der aktuellen Verwendung und mit den beruflichen Entwicklungsperspektiven beim Controlling-Funktionspersonal festgestellt werden. Dieses positive Einstellungsklima ist beim zivilen Personal noch etwas stärker ausgeprägt. Ein eindeutiges Votum geben die Befragten zu den Stehzeiten auf Controlling-Dienstposten ab. Für eine Mehrheit von 62 Prozent sind die Stehzeiten „zu kurz“ oder „viel zu kurz“, für 31 Prozent „gerade richtig“ und für eine Minderheit von sieben Prozent „zu lang“ oder „viel zu lang“. Die Wahrnehmung von Aufgaben im Controlling erfordert nicht nur eine solide Ausbil129
dung, sondern auch entsprechende Berufserfahrung in der Einführung und Weiterentwicklung von Controllingsystemen in den Dienststellen der Bundeswehr. Offenbar wird das Humankapital für eine solche Aufgabe zwar kontinuierlich in den Dienststellen aufgebaut. Das Befragungsergebnis zu den Stehzeiten lässt aber vermuten, dass die Mitarbeiter/innen zu einem Zeitpunkt, wo ihre erworbenen Fähigkeiten zunehmend gewinnbringender eingesetzt werden könnten, dann für andere Verwendungen eingeplant werden. Tab. 13: Verwendung als Controller/in und berufliche Entwicklung
Bitte beurteilen Sie ihre Verwendung als Controller/in in Hinblick auf ihre berufliche Entwicklung.
teils/ teils
trifft eher nicht zu
trifft überhaupt nicht zu
31
27
25
8
8
26
25
25
16
c) Meine derzeitige Verwendung als Controller/in ist eine interessante und herausfordernde Aufgabe.
20
42
20
12
4
d) Ich hoffe, dass ich bald auf einen anderen Dienstposten wechseln kann und nicht mehr Controller/in bin.
13
13
18
27
29
e) Meine Einplanung auf einen Controller-Dienstposten habe ich als positiv gewertet.
25
34
22
12
7
trifft voll und ganz zu
trifft eher zu
a) Die Dienstposten für Controller/innen in der Bw sind ausreichend gut dotiert.
8
b) Meine derzeitige Verwendung als Controller/in wirkt sich positiv auf meine berufliche Entwicklung aus.
Datenbasis: Controller/innen-Befragung 2005. Angaben in Prozent.
Welches ist der wesentliche Faktor, der ein positives Einstellungsmuster in Hinblick auf die berufliche Karriere und die Zufriedenheit mit der aktuellen Verwendung bewirkt? Die Untersuchung bringt zum Vorschein, dass es hier vor allem auf die Vorgesetzten ankommt. Von ihrer Einstellung gegenüber neuen Managementinstrumenten und von der Bedeutung, die eine Dienststellenleitung dem Controlling in Führungs- und Entscheidungsprozessen einräumt, hängt auch die Berufszufriedenheit und die Motivation ihres Controllingpersonals ab. Nur dort, wo die Arbeit des Controllers Resonanz findet, kann sich bei ihm eine positive Einstellung gegenüber seiner Aufgabe herausbilden. Tab. 14 gibt die Korrelationsmatrix für ausgewählte Items der 130
Befragung zu diesem Themenfeld wieder, die den Zusammenhang statistisch belegt. Tab. 14: Korrelationsmatrix für ausgewählte Items
„Die Dienststellenleitung misst dem Controlling einen hohen Stellenwert zu.“
„Das Controlling erhält bei uns regelmäßig ein Feedback für seine Arbeit von der Dienststellenleitung.“
„Das Controlling wird bei wichtigen Entscheidungen beteiligt.“
,434** (378)
,380** (373)
,396** (377)
„Ich hoffe, dass ich bald auf einen anderen Dienstposten wechseln kann und nicht mehr Controller/in bin.“
-,298** (371)
-,303** (368)
-,341** (370)
„Meine derzeitige Verwendung als Controller/in wirkt sich positiv auf meine berufliche Entwicklung aus.“
,430** (377)
,361** (373)
,413** (377)
Korrelation nach Pearson (n) „Als Controller/in habe ich die Überzeugung, dass ich ein sinnvolle und wichtige Aufgabe in der Bw erfülle.“
Datenbasis: Controller/innen-Befragung 2005. **Die Korrelation auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant.
6
Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Controllings in der Bundeswehr
Um den Fortgang von organisationalen Veränderungsprozessen zu evaluieren und bereits eingetretene Änderungen von Leistungs- und Verhaltensmerkmalen von Organisationen ermitteln zu können, ist es erforderlich in bestimmten Phasen eine Bestandsaufnahme vorzunehmen und Bilanz zu ziehen. Auch im Fall der Bundeswehr stellt sich die Frage nach dem Stand der funktionalen, instrumentalen und institutionellen Gestaltung des Controllings fünf Jahre nach der Inkraftsetzung der Rahmenweisung Controlling. Dieses Wissen um den Stand der Einführung des Controllings ist die Voraussetzung für eine Evaluation vor dem Hintergrund der ursprünglichen Zielsetzungen und bildet den Ansatzpunkt für eventuelle Nachbesserungen. 131
Die Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr bringt zum Vorschein, dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht gelungen ist, das Controlling flächendeckend als Instrument der Führungsunterstützung und wirtschaftlichen Steuerung in der Bundeswehr im ursprünglich geplanten Ausmaß zu etablieren. Die strukturellen wie organisatorischen Voraussetzungen für den Betrieb des Controllings in den Dienststellen sind zwar weitgehend vorhanden; gleiches gilt für ein Funktionspersonal, dass über die erforderlichen Qualifikationen und motivationalen Voraussetzungen für die Erfüllung seiner Aufgaben verfügt. Allerdings zeigen die Befragungsergebnisse an vielen Stellen, dass der Entwicklungsstand des Controllings in der Bundeswehr noch relativ niedrig ist: Das Controlling nimmt in den meisten Fällen Kontroll-, Ermittlungs- und Dokumentationsfunktionen wahr und nicht Planungs-, Prognose- und in die Zukunft orientierte Beratungsfunktionen. Und nur wenn es gelingt, das Controlling in diese Richtung weiterzuentwickeln, wird dieses Instrument bei den Kommandeuren und Dienststellenleitungen – allgemeiner: beim zivilen und militärischen Führungspersonal – auf die nötige Akzeptanz stoßen. Erst dann kann es einen echten Beitrag bei der Bewältigung der Herausforderungen leisten, vor denen die Bundeswehr heute in ihrer Transformation steht. Auf Basis der Befragungsergebnisse können Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Controllingsystems der Bundeswehr ausgesprochen werden: 1. Konsolidierung des vorhandenen kostenrechnerischen Informationssystems bei gleichzeitiger Ausweitung der Planungs- und Prognosefunktion: Die Bundeswehr verfügt heute in vielen Bereichen über eine gut funktionierende Kostenrechnung. Der Schwerpunkt der Weiterentwicklung sollte weniger auf einer immer detaillierteren Erfassung von vergangenheitsbezogenen Kostendaten liegen, die die immer wieder erwähnten „Datenfriedhöfe“ hervorbringen. Vielmehr sollte der Schwerpunkt in der Aktivierung von zukunftsorientierten Verfahren wie der Plankostenrechung liegen. Ein solcher Wandel der Kostenrechnungsphilosophie weg vom „Registrator“ hin zum „Navigator“ muss sich auch in der Weisungslage, in den Vorgaben der vorgesetzten Dienststellen und in der Ausbildung von Kommandeuren, Dienststellenleitern/innen und Controllern/ innen niederschlagen. 2. Schaffung von mehr Akzeptanz für das Controlling beim Führungspersonal: Die Mehrheit der Controller/innen der Bundeswehr ist heute der Auffassung, dass die Informationen und Vorschläge aus dem Controlling in den Führungs- und Entscheidungsprozessen zu wenig Berücksichtigung finden. Damit eine Dienststellenleitung die Arbeitsergebnisse des Controllings verstehen und bewerten kann, muss bei ihr ohne Zweifel ein Mindestmaß an betriebswirtschaftlichem Sachverstand vorhanden sein. 132
Allerdings ist es nicht erforderlich, dass managementbezogene und betriebswirtschaftliche Inhalte die Ausbildung zum militärischen Führer dominieren. Für ökonomische Problemstellungen steht dem Führungspersonal ja heute das Controlling unterstützend zur Seite. Entscheidend ist also weniger das ‘Können’ als das ‘Wollen’ und ‘Dürfen’ (Kantner/ Richter 2004) bei den Entscheidern. Vom ‘Wollen’ der Unternehmensführung bzw. einer Dienststellenleitung hängt es ab, welcher faktische Einfluss dem Controlling zugestanden wird. Das Spektrum reicht dabei von der aktiven Einbindung in Entscheidungen über angeforderte Führungsunterstützung und ungefragte Beratung bis hin zur „Zwangsberatung“. Dort wo heute das Controlling eher als zusätzlicher Arbeitsaufwand oder gar als störend empfunden wird, gilt es bei den Dienststellenleitungen aktiv für das Instrument ‘Controlling’ zu werben und seine Vorteile transparent zu machen. Und diese Aufgabe darf nicht dem Controllingpersonal vor Ort alleine überlassen werden. Die Überzeugungs- und Informationsarbeit ist auch Führungsaufgabe der vorgesetzten Ebenen in Kommandobehörden, Ämtern und den entsprechenden zivilen Behörden bis hin zu ministerialen Führungsstäben und zivilen Abteilungen. Die Machtpromotoren des Veränderungsprozesses müssen betriebswirtschaftliches Denken erst in ihrem eigenen Handeln verankern, um dann mit positivem Beispiel für den nachgeordneten Bereich wirken zu können. 3. Zusammenführung von Fach- und Ressourcenverantwortung: Diese Forderung ist ein zentraler Baustein des New-Public-Management-Konzepts, das auch Leitbild für die ökonomische Modernisierung der Bundeswehr ist (vgl. Richter 2004). Damit ist aus Sicht des Veränderungsmanagements16 die Kategorie des ‘Dürfens’ angesprochen, von der die Akzeptanz des Controllingsystems der Bundeswehr in besonderem Maße bestimmt wird. Letztlich hängt die Zukunftsfähigkeit des Controllings in der Bundeswehr davon ab, ob es gelingt, die Fach- und Ressourcenverantwortung ebenengerecht zusammenzuführen und die sachliche und zeitliche Flexibilität der Haushaltsmittelbewirtschaftung spürbar zu erhöhen (Stichworte: Globalisierung der Haushaltstitel, flexible Budgetierung). Zwar wird dies mittlerweile in den Pilotprojekten zur „Ergebnisorientierten Steuerung (EOS17)“ erprobt. Es bleibt aber erklärungsbedürftig, warum führungs- und steuerungsunterstützende Instrumente wie das Controlling in der Bundeswehr seit Jahren flächendeckend eingeführt werden, die entsprechende Anpassung der Spielräume bei der Haushaltsmittel- und Ressourcenbewirtschaftung, wenn überhaupt, dann nur zeitversetzt in Pilotprojekten eingeleitet wird. Hier zeigt sich die Dringlichkeit, die Teilvor16 Siehe hierzu den Beitrag von Großeholz in diesem Band. 17 Siehe hierzu den Beitrag von Zimmermann in diesem Band.
133
haben der ökonomischen Modernisierung besser zeitlich zu koordinieren und die Anpassung der Rahmenbedingungen vielleicht auch mit dem nötigen politischen Druck voranzutreiben. Heute wirkt das Controlling nicht als allokatives Steuerungsinstrument, mit dem ein optimaler Einsatz finanzieller, materieller und personeller Ressourcen vorangetrieben werden könnte. Allenfalls wirkt es als administratives Steuerungsinstrument, d. h. als ein „Verfahren der Verantwortungszuschreibung“ (Richter 2006a: 236). Hiermit wird eine wirtschaftliche Steuerungsillusion in den Dienststellen erzeugt. Es werden Verantwortlichkeiten beispielsweise für eine Kostenstelle konstruiert, denen eine finanzielle Basis in Form eines Budgets fehlt. Dienststellenleitern/innen und Kostenstellenleitern/innen ist dies bewusst. Wenn hier keine grundsätzlichen Anpassungen vorgenommen werden, könnte dieses eine (weitere) Demotivierung sowohl des Controllingpersonals als auch des Führungspersonals nach sich ziehen. 4. Stärkung des Top-Down-Prinzips und Präzisierung des Beratungsbedarfs: „Eine zentrale Fragestellung, die sowohl die Klassiker der Managementforschung als auch die Managementpraxis in der Gegenwart bewegt, ist, wie trotz notwendiger Dezentralisierung als Antwort auf die Umweltdynamik eine Ausrichtung auf Zielsetzungen für die Unternehmung als Ganzes sichergestellt werden kann.“ (Horváth 2003: 10) Das Controlling hat nicht zuletzt die Aufgabe, diese unternehmensinterne Koordinationsleistung zu erbringen und auf Dauer sicherzustellen. Was für moderne Unternehmungen gilt, trifft ebenso für die Bundeswehr in ihrer Transformation zu, die durch eine steigende Umweltdynamik geprägt ist. Mit der Erarbeitung eines durchgängigen Zielsystems (auf der 18 Basis des BSC-Konzepts ) und seiner ebenengerechten Ausformulierung in den Dienststellen könnte dieser Spagat gelingen. Voraussetzung ist aber eine intensive ebenenübergreifende wie dienststelleninterne Kommunikation. Dabei ist das Controlling vor Ort auf zwei Kommunikationspartner angewiesen: Zum einen auf die Vorgaben der vorgesetzten Controllingorganisation in den Führungskommandos und Ämtern bis hin zu den entsprechenden ministeriellen Stellen. Zum anderen vor allem aber auf eine Konkretisierung des Beratungs- und Informationsbedarfs durch die Dienststellenleitung. Die Studie hat gezeigt: Die Dienststellenleitungen müssen ihren Beratungs- und Informationsbedarf stärker als bisher präzisieren und dem Controlling kontinuierlich ein Feedback auf seine Arbeit geben. Nur bei einem intensiven Kontakt zwischen Dienststellenleitung und dem Funktionspersonal kann ein Ausbau des Controllings zu einem echten Instrument der Führungsunterstützung gelingen. 18 Siehe hierzu den Beitrag von Elbe in diesem Band.
134
5. Prüfung der Möglichkeit einer Verschlankung der Controllingorganisation: Mit der Rahmenweisung ‘Controlling’ wurde eine Reihe von weitreichenden Entscheidungen für die Controllingorganisation der Bundeswehr gefällt. So erfolgte ein Wechsel vom noch im Rahmen der KLVEinführung verfolgten Bottom-up-Prinzip zu einem integrierten TopDown-Prinzip des Controllings. Damit wird ein höheres Maß an Harmonisierung und Koordinierung innerhalb der Controllingorganisation eingefordert. Zudem sollte hinreichend Handlungsspielraum und Kreativität für Besonderheiten der OrgBer gelassen werden. Von besonderer Tragweite war allerdings folgende Festlegung: „Im nachgeordneten Bereich ist es Ziel, bis auf Verbandsebene19 bzw. vergleichbare Ebenen der territorialen Wehrverwaltung eigenständige Dienstposten für die hauptamtliche Wahrnehmung der Controlling-, KLV- und AR-Aufgaben vorzusehen.“ (Rahmenweisung Controlling). Ergebnis ist, dass heute in nahezu jeder Dienststelle eine Controllingfunktion vorgehalten wird. Das Controlling wurde flächendeckend in der Bundeswehr institutionalisiert. Die Befragung hat gezeigt, dass die Controllingeffizienz, d. h. der Aufwand für die Unterhaltung der Controllingfunktion im Verhältnis zum Nutzen, den es stiftet, in vielen Dienststellen als zu gering eingeschätzt wurde. Dies kann nur als Hinweis darauf verstanden werden, dass sich der Betrieb des Controllings in einigen Dienststellen offenbar nicht lohnt. Grund hierfür sind oft die zu geringen wirtschaftlichen Entscheidungs- und Handlungsspielräume vor Ort. Ist der Betrieb einer KLR in einem Musikkorps oder einem Gebirgsjägerbataillon tatsächlich sinnvoll und zielführend? Welche steuerungsrelevanten Informationen für die Entscheidungsträger können hier gewonnen werden? Welche Beratungsleistung für eine Dienststellenleitung kann von einem Controller B tatsächlich erbracht werden, der seine Aufgaben in zweiter oder dritter Nebenfunktion wahrnimmt? Es wird deshalb empfohlen zu prüfen, in welchen Bereichen und auf welchen Ebenen der Betrieb des Controllings tatsächlich sinnvoll ist. Kommt man zu dem Ergebnis, dass sich die Aufrechterhaltung des Controllings in einer Dienststelle nicht lohnt, sollte ein entsprechender Rückbau bzw. die Einstellung der Controllingorganisation kein Tabu sein. Dort aber, wo das Beratungsvolumen und die Funktionstiefe des Controllings mit dem (wirtschaftlichen) Handlungs- und Steuerungsspielraum der Führung korrespondieren, sollte die Controllingorganisation auf eine tragfähige personelle Grundlage gestellt werden. Der Vorschlag läuft letzten Endes darauf hinaus, die heute zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen auch effizient in der Bundeswehr zu alloziieren. Würde eine solche Real19 Verbandsebene als Bataillonsäquivalent gem. ZDv 1/50.
135
lokation der Ressourcen in Angriff genommen, dürfte auch die Controllingeffizienz bessere Werte aufweisen. 6. Bessere Nutzung der vorhandenen Humanressourcen: Wie in vielen anderen Bereichen der Transformation sind die beteiligten Menschen der entscheidende Erfolgsfaktor. Dies trifft insbesondere im Controlling zu. Ein klares Votum geben die Befragten zu den Stehzeiten auf Controllingdienstposten ab: Sie sind für die überwiegende Mehrheit eindeutig zu kurz bemessen. Die Stehzeiten sollten auf jeden Fall verlängert werden, um damit auch das aufgebaute Humankapital länger und somit effizienter nutzen zu können. Mittlerweile hat sich auch in der Bundeswehr ein Berufsbild des Controllers herausgebildet. Es sollte deshalb geprüft werden, ob nicht entsprechende (militärische) Verwendungslaufbahnen für das Controllingpersonal entwickelt und institutionalisiert werden sollten.
7
Fazit
Die wissenschaftliche Erforschung von Veränderungsprozessen in Unternehmen und im öffentlichen Sektor ist seit längerem ein zentrales Feld der Organisationssoziologie. Eine ihrer prominenten Theorierichtungen, der Neoinstitutionalismus, interpretiert organisationale Veränderungsprozesse als eine Anpassung an die institutionellen Vorgaben der gesellschaftlichen Umwelt. Für ihre Anpassungsbemühungen erfährt die Organisation im Gegenzug zusätzliche Legitimitätsgeltung (vgl. für das Militär: Elbe/Richter 2005). Der norwegische Organisationssoziologe Nils Brunsson hat sich in mehreren Untersuchungen den Reformprozessen und der dazugehörigen Reformkommunikation in öffentlichen Organisationen gewidmet. Er beschäftigt sich dabei vorwiegend mit Fällen, in denen die Anpassung an Handlungsanforderungen aus der Umwelt nicht reibungslos oder gar grundsätzlich der internen Handlungslogik widerspricht, d. h. organisationsexterne und -interne Rationalitätsmuster lassen sich oftmals nicht miteinander vereinbaren. Organisationen neigen in solchen Fällen dazu, die Anforderungen von außen zumindest auf einer rituellen Ebene abzuarbeiten und diese Anstrengungen nach außen entsprechend zu kommunizieren: „If an organization cannot quite fulfil some particular norm, it may at least be a good idea to emphasize a firm intention to do so.“ (Brunsson 1989: 5) Die Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr zeigt ein derartiges Reaktionsmuster auch für den Fall der Einführung von Controllinginstrumenten in der Bundeswehr. Dennoch scheint es in einigen Dienststellen gelungen, die betriebswirtschaftlichen Instrumente nicht nur rituell, sondern als echte Hilfe im Führungsprozess zu etablieren. Auf jeden Fall wurde klar, dass sich militärische und betriebswirtschaftliche Handlungslogik 136
nicht in einem wie auch immer gearteten grundlegenden Widerspruch zueinander stehen. Wesentlich für den weiteren Erfolg dieses noch nicht abgeschlossenen organisationalen Veränderungsprozesses ist deshalb die Adoption der Technik „Controlling“ an die Bedürfnisse militärischer Organisationen und v. a. der Militärbürokratie. Ebenso aber gilt es die haushalts- und verwaltungsrechtlichen Rahmenbedingungen mit den neuen betriebswirtschaftlichen Methoden zu harmonisieren. Literatur Amshoff, Bernhard (1993): Controlling in deutschen Unternehmungen. Realtypen, Kontext und Effizienz. Wiesbaden: Gabler. Backhaus, Klaus et al. (2006): Multivariate Analysemethoden. Eine anwendungsorientierte Einführung. 11. Aufl. Berlin – Heidelberg: Springer. Bogner, Alexander/Littig, Beate/Menz, Wolfgang (Hrsg.) (2002): Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. Opladen: Leske + Budrich. Brunsson, Nils (1989): The Organization of Hypocrisy. Talk, Decisions and Actions in Organizations. Chichester et al.: Wiley. Bungard, Walter/Jöns, Ingela (Hrsg.) (1997): Mitarbeiterbefragung. Ein Instrument des Innovations- und Qualitätsmanagements. Weinheim: PVU. Deitering, Franz G. (2006): Folgeprozesse bei Mitarbeiterbefragungen. München – Mering: Hampp. Elbe, Martin/Richter, Gregor (2005): Militär: Institution und Organisation. In: Werkner/Leonhard 2005: 136–156. Exner-Merkelt, Karin/Keinz, Peter (2005): Wie effektiv ist das Controlling in der Praxis? In: Controlling, 1, 15–21. Gareis, Sven Bernhard/Klein, Paul (Hrsg.) (2004): Handbuch Militär und Sozialwissenschaft. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Hagen, Ulrich vom (Hrsg.) (2006): Armee in der Demokratie. Zum Verhältnis von zivilen und militärischen Prinzipien. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Hirsch, Bernhard (2005): Verhaltensorientiertes Controlling – Könnensprobleme bei der Steuerung mit Kennzahlen. In: Controlling & Management, 49: 4, 282–288. Horváth, Peter & Partner (Hrsg.) (2001): Balanced Scorecard umsetzen. 2. überarb. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Horváth, Peter (2003): Controlling. 9. vollst. überarb. Aufl. München: Vahlen. Hubbert, Michael (2000): Schlanker Staat – KLV und Flexible Budgetierung in den Streitkräften. In: Bundesverwaltung, 44: 4, 79–83. Hubbert, Michael (2005): Zeitgemäße Führung eines zukunftsfähigen Systems Bundeswehr. In: Europäische Sicherheit, 1, 58–62. Kantner, Cathleen/Richter, Gregor (2004): Die Ökonomisierung der Bundeswehr im Meinungsbild der Soldaten. Ergebnisse der Streitkräftebefragung 2003. SOWIArbeitspapier 139. Strausberg: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr. Kaplan, Robert S./Norton, David P. (1997): Balanced Scorecard. Stuttgart: SchäfferPoeschel.
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III Neue Kooperationsformen zwischen Bundswehr und Wirtschaft/ Privatisierung militärischer Aufgaben
Die Bundeswehr und das Privatisierungsmodell der „Öffentlich-Privaten-Partnerschaft“ (ÖPP) Gerd Portugall 1
Transformation der Bundeswehr als „Motor“ ökonomischer Modernisierung
Die Bundeswehr befindet sich in einem grundlegenden Wandel zu einer Armee im weltweiten Einsatz. Die sog. Transformation soll hierbei die kontinuierliche Anpassung an das dynamische internationale Umfeld und den Erhalt der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte gewährleisten. Die Transformation der Bundeswehr ergibt sich jedoch nicht nur aus ihrer weltpolitisch bedingten veränderten Auftragslage, sondern auch aus ihrer dramatisch verschlechterten Ressourcenlage. Euphemistisch stellen die Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) des damaligen Verteidigungsministers Peter Struck (SPD) aus dem Jahre 2003 unmissverständlich fest: „[Die] sicherheitspolitischen Verpflichtungen Deutschlands (…) berücksichtigen (…) die Ressourcenlage.“ (BMVg 2003: Ziff. 2) Gemeint ist: Deutschland muss die Ressourcenlage berücksichtigen. Ergänzend hierzu führt Ziffer 66 der VPR aus: „Die verfügbaren Mittel werden vor allem zum Erhalt und zur Verbesserung militärischer Kernaufgaben eingesetzt. Hierbei kommt den Anstrengungen zur Erhöhung der Effizienz in der Bundeswehr, auch in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, hohe Bedeutung zu.“ (BMVg 2003: Ziff. 66) Wiederum gemeint ist: Die Nicht-Kernaufgaben, d. h. sog. Serviceaufgaben, sollen in Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft bedient werden. Dies sind die übergeordneten haushaltspolitischen Rahmenbedingungen für die ökonomische Modernisierung der Bundeswehr, bei der verschiedene Privatisierungsarten eine zentrale Rolle spielen sollen. Die zunehmende Konzentration auf Kernaufgaben ist dabei kein Spezifikum der Bundeswehr. So erklärte beispielsweise der amtierende Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) in einem Interview gegenüber der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“ im Mai 2006, der Staat insgesamt solle sich künftig auf seine Kernaufgaben beschränken.1 Die konkreten Ursachen für die Konzentration auf staatliche Kernaufgaben im Allgemeinen 1
Vgl. www.presseportal.de am 25.07.2006. Diese Grundeinstellung vertrat Steinbrück interessanterweise wiederholt öffentlich bereits als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, so etwa am 25. Juli 2003 in Bielefeld. Vgl. www.pressearchiv.nrw.de am 25.07.2006. Die Betonung der Rückführung des Staates auf seine Kernaufgaben ist auch kein neues ordnungspolitisches Anliegen, wie beispielsweise ein Blick auf die Kanzlerschaft Helmut Kohls (CDU) in den 1980er Jahren belegt (vgl. hierzu Kohl 2005: 800).
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sowie für die ökonomische Modernisierung der Bundeswehr im Besonderen sind Folgende (nach Richter 2004: 42f.): An erster Stelle ist die Finanznot aller öffentlichen Haushalte in Deutschland – und damit auch des Bundeshaushaltes – zu nennen. Da die diesbezüglichen Probleme in erster Linie strukturell und nicht konjunkturell bedingt zu sein scheinen, ist auf absehbare Zeit nicht mit einer grundlegenden Trendwende zum Besseren im Sinne gefüllter öffentlicher Kassen zu rechnen. Verwaltungsapparate von komplexen Großorganisationen wie der Bundeswehr als einem der größten „Arbeitgeber“ in Deutschland sind zweitens ausgesprochen schwerfällig zu führen und nachzusteuern. Zusätzliche Steuerungsinstrumente – hier: betriebswirtschaftlicher Art – sollen helfen, dieses Manko auszugleichen. Hinzu kommt drittens ein wachsender gesellschaftlicher Druck im Hinblick auf mehr staatliche Effizienz (Wirtschaftlichkeit) und Effektivität (Wirksamkeit) sowie ein modernistischer Zeitgeist, der vom ökonomischen Neoliberalismus geprägt ist. Erklärtes Ziel der ökonomischen Modernisierung in den Streitkräften ist demnach die Entlastung der Bundeswehr von sog. Nicht-Kernaufgaben durch Kooperationen mit privaten Anbietern. So erklärte das BMVg in seinen Grundzügen der Bundeswehr-Konzeption (BMVg 2004: 48): „Durch eine verstärkte Kooperation erhält die Bundeswehr Zugang zum Innovationspotential der Wirtschaft. Damit stellt diese nicht nur Güter und Dienstleistungen, sondern auch Wissen für eine effizientere Gestaltung der Betriebs- und Beschaffungsabläufe.“ Während die Ökonomisierung rein wirtschaftlich betrachtet die Bundeswehr effektiver und effizienter machen soll, beinhaltet der politische Wille hinter diesem Rationalisierungskonzept die Vorstellung, dass durch die erzielten Einsparungen zusätzliche Finanzmittel für dringend benötigte Investitionen zugunsten der Streitkräfte gewonnen werden könnten. Bei den gewünschten Effekten der ökonomischen Modernisierung der Bundeswehr soll durch die Einführung betriebswirtschaftlicher Rationalitätskriterien, verbunden mit finanzieller Eigenverantwortung und Transparenz, Folgendes erreicht werden (vgl. Portugall 2005: 178f.): 2
x Ausgabensenkung bei den Betriebs- und Personalkosten, x Herausbildung von mehr Kreativität bei der Auftragserfüllung durch die militärischen und zivilen Bediensteten, 2
Der größte „Brocken“ sind dabei in der Regel die Personalkosten. Angestrebt wird deshalb die Substitution von Personal durch Kapital. Der dabei gegebenenfalls notwendige Abbau von Zivilpersonal soll gemäß eigenem Anspruch sozialverträglich bewerkstelligt werden. Die so gewonnenen Finanzmittel stünden dann für Investitionssteigerungen im Verteidigungsetat zur Verfügung (vgl. Schnell 2006: 1).
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x wirtschaftliches Denken als künftiger fester Bestandteil des militärischen Führungsprozesses, x Schärfung des Bewusstseins, noch verantwortungsvoller als bisher mit dem Geld der Steuerzahler umzugehen (vgl. Richter 2004: 49), x insgesamt mehr Effizienz, Effektivität und Nachhaltigkeit beim Mittelund Personaleinsatz bei der Bundeswehr. Letztlich lässt sich die Ökonomisierungsproblematik reduzieren auf die Meta-Frage: „Was kostet eigentlich ‘Sicherheit?’.“ (Kantner/Richter 2004: 8) Oder anders gewandt: Wie hoch ist das absolute finanzielle Minimum, das von der öffentlichen Hand aufgewendet werden kann und muss, damit die Bundeswehr ihren Auftrag noch erfüllen kann? Der Verteidigungshaushalt (Einzelplan 14 des Bundes) für das Jahr 2005 beträgt rund 24 Milliarden Euro. Während der Anteil der Kosten für die Wahrnehmung der militärischen Kernaufgaben daran 57 Prozent beträgt, entfallen auf den Kostenanteil Serviceaufgaben die verbleibenden 43 Prozent. Die rund 10 Milliarden Euro Servicekosten verteilen sich wie folgt: Liegenschaften 34 Prozent, Logistik 29 Prozent, IT und Kfz-Flotte je sieben Prozent, Ausbildung und Verpflegung je fünf Prozent, Beschaffung vier Prozent, Bekleidung drei Prozent sowie Sonstiges sechs Prozent (vgl. g.e.b.b. 2004: 1). Folglich ist zumindest theoretisch ein enormes Privatisierungs- und Einsparpotenzial vorhanden. Die Einführung betriebswirtschaftlichen Denkens in den Führungsprozess stellt gleichsam einen Paradigmenwechsel innerhalb der Bundeswehr dar (vgl. Kantner/Richter 2004: 7). Das ohnehin im Vergleich zu anderen Armeen in demokratischen Staaten ausgesprochen progressive Leitbild der Inneren Führung soll ergänzt werden um eine zusätzliche ökonomische Dimension. Dies wird nicht ohne Auswirkungen auf die bisherige Organisations- und „Unternehmenskultur“ der Streitkräfte bleiben.
2
Privatisierung öffentlicher Aufgaben als Ausdruck ökonomischer Modernisierung des Staates
Definitorisch kann man „ökonomische Modernisierung“ bzw. „Ökonomisierung“ staatlicher Sektoren wie folgt differenzieren: „Ökonomisierung im engeren Sinne meint die Einführung betriebswirtschaftlicher Steuerungs- und Managementinstrumente. Eine zweite Variante bezieht sich auf die vollständige oder teilweise Übertragung von vormals vom Staat ausgeführten Aufgaben an private Unternehmen (= Privatisierung).“ (Kantner/Richter 2004: 7) Bei der Privatisierung öffentlicher Aufgabenwahrnehmung handelt es sich folglich um eine Art „Entstaatlichung“ (Voigt/Seybold 2003: 130). Die Priva143
tisierung ihrerseits kann in Anlehnung an die einschlägige Literatur noch einmal unterschieden werden in folgende Privatisierungsarten (vgl. hierzu z. B. Budäus 2003: 224f.; Voigt/Seybold 2003: 130ff.): x Materielle3 Privatisierung: Dabei handelt es sich um die Abgabe von öffentlichen Aufgaben an private Anbieter. Diese Abgabe nennt man neudeutsch Outsourcing bzw. Contracting out. Weil die Wahrnehmung dieser Aufgaben vollständig in privater Regie erfolgt, bezeichnet man diesen Privatisierungstyp im Vergleich zu den beiden noch folgenden Typen auch als „echte Privatisierung“. x Formelle Privatisierung: Hierbei nimmt eine staatliche Organisation zwar eine private Rechtsform – zum Beispiel die einer GmbH – an; tatsächlich verbleibt sie jedoch im staatlichen Besitz. Solche Eigenbetriebe pro forma nennt man neudeutsch Inhouse-Gesellschaften. Nimmt man es begrifflich ganz genau, so handelt es sich hierbei streng genommen überhaupt nicht um eine „Privatisierung“, da sich an den Eigentumsverhältnissen per se nichts ändert. x Funktionelle Privatisierung: Bei dieser Privatisierungsart schließlich gründet der Staat zusammen mit der Wirtschaft ein gemeinsames Unternehmen – häufig auch in Form von GmbHs. Diese Mischbeteiligungsform bzw. Öffentlich-Private Partnerschaft (ÖPP)4 nennt man im Gegensatz zur materiellen Privatisierung auch „unechte Privatisierung“. Der Ausdruck „Teilprivatisierung“ würde den tatsächlichen Sachverhalt präziser umschreiben. Bei der funktionellen Privatisierung wird der Staat Leistungsempfänger von Privaten. Dietrich Budäus nennt diese Konstellation eine „Prinzipal-AgentenBeziehung“ (Budäus 2003: 220), bei welcher der Staat („Prinzipal“) durch ÖPP private Agenten mit der Wahrnehmung bestimmter Aufgaben betraut. Formal besitzen solche Partnerschaften „privatrechtliche Organisationsstrukturen unter dem Dach des Staates“ (Gramm 2004: 82). Die staatliche Seite verfolgt bei solchen Partnerschaften das Ziel, privates Kapital und Knowhow für die Finanzierung und Wahrnehmung ursprünglich öffentlicher Aufgaben zu erschließen (vgl. Budäus 2003: 224f.). Erhofft wird häufig dabei sogar eine vollständige Vorfinanzierung durch den privaten Partner (vgl. Schnell 2006: 1). Die Interessenlage der privaten Seite unterscheidet sich von 3
4
Die Unterscheidung zwischen „materieller“ und „formeller“ Privatisierung ist begrifflich der Rechtswissenschaft entlehnt, die beispielsweise auch zwischen „formellen“ Gesetzen – in Bezug auf das Entstehungsverfahren – und „materiellen“ Gesetzen – in Bezug auf die inhaltliche Wirksamkeit – differenziert. International wird hierfür der Begriff Private-Public-Partnership (PPP) verwendet. Der deutsche Ausdruck ÖPP ist letztlich nicht originär, sondern lediglich eine entsprechende Übersetzung.
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der staatlichen darin, dass bei ersterer die Erwirtschaftung einer Mindestrendite das primäre ÖPP-Unternehmensziel darstellt (vgl. Budäus 2003: 215).5 Damit eine Öffentlich-Private Partnerschaft überhaupt funktionieren kann, muss eine sog. win-win-Situation gegeben sein, d. h. beide Geschäftspartner profitieren von der Kooperation, deren Ergebnis sie zu vergleichbar günstigen Konditionen einzeln nicht produzieren könnten. Während die Gewährleistungsverantwortung in Bezug auf die Aufgabenerfüllung bei ÖPP nach wie vor beim Staat liegt, teilen sich öffentliche und private Akteure die Finanzierungs- und Durchführungsverantwortung (vgl. Strünk/Heinze 2005: 123). Zusammenfassend machen folgende Merkmale eine idealtypische Öffentlich-Private Partnerschaft aus (vgl. Budäus 2003: 218; ders. 2004: 314f.): x Projekt- oder organisationsbezogene Kooperation zwischen öffentlichen und privaten Akteur(en), x Zielverträglichkeit bzw. Zielkomplementarität der Partner, x Schaffung von Synergiepotenzialen durch Ressourcenbündelung6, x Formalisierte Trennung von Identitäten und Verantwortlichkeiten, x Zusammenspiel aus rechtsverbindlichem Vertrag und gegenseitigem Vertrauen. Bevor auf Öffentlich-Private-Partnerschaften im Bereich der Bundeswehr näher eingegangen wird, folgt zunächst ein knapper Abriss der allgemeinen Privatisierungs- und speziellen ÖPP-Vorgeschichte.
3
Ursprünge der Phänomene „staatliche Privatisierung/ÖPP“
Ging der kameralistische Trend in den 1970er Jahren beispielsweise in Großbritannien und Westdeutschland noch hin zu mehr Verstaatlichung, so setzte in den 1980er Jahren in der westlichen Welt ein Umkehrtrend ein, der sich die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung nach Vorbildern aus der Privatwirtschaft auf die Fahnen geschrieben hat. „Unter dem Einfluss der sog. monetaristischen Theorien der Chicago School des amerikanischen Nationalökonomen Milton Friedman (...) wird generell auf eine Reduzierung der staatlichen Aktivitäten und die Stärkung des privatwirtschaftlichen Entscheidungsrahmens gesetzt.“ (Sontheimer/Bleek 2003: 129)
5 6
Ein sekundäres Unternehmensziele wäre beispielsweise, beim öffentlichen Geschäftspartner einen „Fuß in die Tür“ zu bekommen. Ressourcen können vielfältiger Art sein, so z. B. Kapital, Sachmittel, Rechte, Sozialkapital etc.
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Das ÖPP-Modell für die Kooperation zwischen staatlichen und privatwirtschaftlichen Partnern erhielt seit Ende der 1970er Jahre Auftrieb zunächst im Bereich der britischen und US-amerikanischen Stadtentwicklungs- und regionalen Strukturpolitik (vgl. Strünk/Heinze 2005: 121). Die entsprechenden wirtschaftspolitischen Schlagworte Thatcherismus und Reaganomics leiten sich – wie unschwer zu erkennen ist – aus ihren Protagonisten ab. Die konservative britische Premierministerin Margaret Thatcher (1979–1990) profilierte sich hierbei besonders. „Die Privatisierung (…) war denn auch das eigentliche ‘Flaggschiff’ der Thatcher-Regierungen. (…) Erst nach dem Wahlsieg 1983 radikalisierte sich das Programm zur Forderung nach dem Verkauf aller öffentlicher Unternehmen einschließlich der ‘natürlichen Monopole’.“ (Abromeit 1994: 306) So verwundert es nicht, dass ÖPP in Europa am weitesten in Großbritannien entwickelt und fortgeschritten sind. Über 20 Prozent aller öffentlichen Investitionen werden dort über ÖPPProjekte realisiert (vgl. Hopf 2006: 219). Mittlerweile werden auf den britischen Inseln ÖPP auch bei sensiblen Bereichen wie der inneren und äußeren Sicherheit eingegangen. Die deutlichsten Kosteneinsparungen werden dabei bei Gefängnissen und beim Verteidigungsetat erzielt (vgl. Strünck/Heinze 2005: 124f.). Sogar der Heimathafen der britischen Atom-U-Bootflotte wird von einer privaten Firma – der Serco group plc mit Firmensitz London – gemanagt (vgl. Verbeet 2006: 42).7 Margaret Thatcher fand ihr wirtschaftspolitisches Alter Ego auf der anderen Seite des Atlantiks in US-Präsident Ronald Reagan (1981–1989). Der Republikaner betrieb eine aktive Rückbesinnung auf den Wirtschaftsliberalismus nordamerikanischer Prägung. „Diese so genannten Reaganomics folgten damit im Wesentlichen den wirtschaftspolitischen Empfehlungen des Monetarismus, der die Selbststeuerungsfähigkeit des privaten Sektors betonte und infolgedessen für eine Rückführung des Staatssektors plädierte.“ (Löffelholz 2004: 512) Ende der 1980er Jahre begann auch in der Bundesrepublik Deutschland während der Kanzlerschaft Helmut Kohls (1982–1998) eine Privatisierungsphase im öffentlichen Sektor (Bundesbahn, Bundespost), die bis heute anhält (vgl. Mäding 2000: 419f.). Bereits 1986 entstand in Westdeutschland die erste bundesweit bekannte ÖPP: der Initiativkreis Ruhrgebiet (vgl. Strünk/ Heinze 2005: 124). Beschleunigt wurde diese Phase durch die Deutsche Einheit 1990 und in den ihr folgenden Jahren, als die ehemals „realsozialistische“ und staatlich gelenkte Wirtschaft der DDR reprivatisiert werden sollte. „Die wichtigste Institution in diesem Transformationsprozess war die Berliner Treuhand-Anstalt, die alle staatlichen Unternehmen der ehemaligen 7
Ein Tochterunternehmen der Serco Group wiederum ist zuständig für privatisierte Gefängnisse in Großbritannien (vgl. www.imi-online.de am 30.08.2006).
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DDR in ihren Besitz genommen und, soweit möglich, an private Unternehmer verkauft hat.“ (Sontheimer/Bleek 2003:137) Auch die rot-grüne Bundesregierung hatte sich 1998 weitere Privatisierungen auf ihre Fahnen geschrieben. Gesetzgeberischen Ausdruck fand dieses Bestreben in dem ÖPPBeschleunigungsgesetz von 2005. Die Fortsetzung dieses Trends auch in der Großen Koalition (seit 2005) kann man u. a. an der Erarbeitung eines ÖPPVereinfachungsgesetzes erkennen (s. u. Kapitel 4). Die britische „Privatisierungswelle“ ist selbst im Bereich innerer Sicherheit in die Bundesrepublik „geschwappt“, wie das erste deutsche „ÖPP-Gefängnis“ im hessischen Hünfeld zeigt (vgl. Verbeet 2006: 41). Bezeichnenderweise betreibt die Serco GmbH, deutsche Tochtergesellschaft der oben erwähnten britischen Serco 8 group plc, Teilbereiche der JVA Hühnfeld.
4
Rechtliche Rahmenbedingungen für die Privatisierung öffentlicher Aufgabenwahrnehmung bei der Bundeswehr
Wie gerade angedeutet, erfasste die alte Bundesrepublik in den 1980er Jahren eine bis dahin beispiellose Privatisierungswelle. So wurden die bisher staatlich betriebenen Bereiche Flugsicherheit, Post und Bahn entsprechend „entstaatlicht“. Während jene Privatisierungen rechtstechnisch auf der Grundlage von Verfassungsänderungen erfolgten, basierten die bisherigen Privatisierungen bei der Bundeswehr lediglich auf Organisationsentscheidungen des Bundesministers der Verteidigung. Als Rechtsgrundlage hierfür gilt das sog. Ressortprinzip gemäß Art. 65 Satz 2 Grundgesetz (GG). Danach „(…) leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbstständig und unter eigener Verantwortung“. Aus dieser allgemein gehaltenen Rechtsvorschrift wird für den Geschäftsbereich des BMVg abgeleitet, dass der Verteidigungsminister die Einsatzbereitschaft und Funktionsfähigkeit der Bundeswehr sicherzustellen hat. Wie er diese sicherstellt, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. D. h., „es gibt keinen generellen verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt für die Überführung von Verwaltungsbehörden in privatrechtliche Organisationsformen“ (Gramm 2004: 83). Maßgebliche Rechtsgrundlage für die bundesdeutschen Streitkräfte ist Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“ Die Rechtslehre leitet daraus ab, dass es sich bei der Auf- und Bereitstellung von Streitkräften um eine exklusive Verfassungs- und Bundesaufgabe handelt. Einhellig wird hierbei die Rechtsmeinung vertreten, dass es sich bei den oben erwähnten Kernaufgaben der Bundeswehr um einen hoheitlichen Kernbereich handelt, der sich jeglicher Form von Privatisierung ent8
Vgl. www.imi-online.de am 30.08.2006.
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zieht. Anders verhält es sich bei den ebenfalls oben genannten Serviceaufgaben. Art. 87b Abs. 1 Satz 2 GG regelt, dass die Bundeswehrverwaltung „(…) den Aufgaben des Personalwesens und der unmittelbaren Deckung des Sachbedarfs der Streitkräfte [dient]“. Hier wird durchaus eine Wahlfreiheit des Bundes zwischen öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Verwaltungsorganisation gesehen (vgl. Voigt/Seybold 2003: 136). Die entsprechende pflichtgemäße Ermessensentscheidung setzt allerdings zwingend einen sachlichen Grund voraus: „Allein Gründe der Effizienzsteigerung können deshalb als Begründung für Teilprivatisierungen herangezogen werden.“ (Voigt/Seybold 143) Daraus wiederum leitet sich die Notwendigkeit von entsprechenden Wirtschaftlichkeitsnachweisen gemäß § 64 Bundeshaushaltsordnung (BHO) ab. Einen wichtigen Schritt hin zur Realisierung von ÖPP im Geschäftsbereich des BMVg stellt der am 15. Dezember 1999 von Vertretern der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft unterzeichnete Rahmenvertrag „Innovation, Investition und Wirtschaftlichkeit in der Bundeswehr“ dar.9 Initiator war der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) gewesen. Mit jener Vereinbarung, so das Bundesministerium der Verteidigung, sei eine „strategische Partnerschaft und enge Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Wirtschaft“ (BMVg 2002: 39) begründet worden. Nach Christof Gramm löste der Rahmenvertrag einen regelrechten „Verrechtlichungsschub“ (Gramm 2004: 86) auf dem Gebiet der ökonomischen Kooperation zwischen öffentlichen und privaten Partnern aus. Jüngstes Privatisierungsregelwerk ist das „Gesetz zur Beschleunigung der Umsetzung von Öffentlich Privaten Partnerschaften und zur Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingungen für Öffentlich Private Partnerschaften“ vom 1. September 2005 (BGBl. Jg. 2005 Teil I Nr. 56, 2676), das noch die rot-grüne Bundesregierung auf den Weg gebracht hatte. Mittlerweile ist in der Großen Koalition der Entwurf zu einem ÖPP-Vereinfachungsgesetz bzw. Beschleunigungsgesetz II in Arbeit (vgl. Verbeet 2006: 40).
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Öffentlich-Private Partnerschaften und andere Privatisierungsarten in der Bundeswehr
Der öffentliche Rationalisierungselan erfasste auch zunehmend die Bundeswehr. Im Führungsstab der Streitkräfte (Fü S), dem Arbeitsstab des Generalinspekteurs im BMVg, wurde 1992 eine Arbeitsgruppe „Aufwandbegrenzung und Rationalisierung im Betrieb“ (AGAB) eingerichtet. Diese Arbeitsgruppe 9
Schon Ende 2000 hatten über 400 Unternehmen den Bundeswehr-Rahmenvertrag unterschrieben (vgl. www.imi-online.de am 30.08.2006).
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hatte den Auftrag, das Konzept der Kosten- und Leistungsverantwortung (KLV) für die Bundeswehr zu entwickeln. Im Mittelpunkt steht dabei der wirtschaftliche Umgang mit öffentlichen Ressourcen. Einen zentralen Bestandteil der ökonomischen Modernisierung der Bundeswehr stellt dabei, wie bereits oben erwähnt, die Privatisierung von sog. Nicht-Kernaufgaben dar. Ein bedeutender Schritt hin zur Privatisierung von Nicht-Kernaufgaben der Bundeswehr wurde am 19. Mai 2000 mit der Gründung der „Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb“ (g.e.b.b.) getan. Am 22. August desselben Jahres nahm diese Gesellschaft ihren Betrieb auf. Da das Bundesministerium der Verteidigung zu 100 Prozent – d. h. alleiniger – Gesellschafter der g.e.b.b. ist, handelt es sich dabei um eine sog. „Inhouse-Gesellschaft“.10 Hier fand also gemäß der eingangs vorgestellten Typologie eine formelle Privatisierung statt. Rechtstechnisch handelt es sich dabei um eine „juristische Person des Privatrechts im nachgeordneten Bereich des BMVg“, d. h. die g.e.b.b. ist kein Bestandteil der Bundeswehrverwaltung gemäß Art. 87b GG (vgl. Gramm 2004: 85). Die g.e.b.b. selbst hat lediglich 103 feste und acht freie Mitarbeiter (Stand Mai 2006).11 Der Aufsichtsratsvorsitzende der g.e.b.b. wurde ständiges Mitglied des am 26. Mai 2003 eingerichteten Modernisierungsboards des BMVg, wo die Modernisierungsstrategien sowie ihre Umsetzungsmaßnahmen auf höchster Ebene festgelegt werden (vgl. Biederbick 2005: 3). Gemäß eigenem Rollenverständnis („Best value for money“) definierte sich die g.e.b.b. bis zum organisatorischen Revirement vom 15. Mai 2006 (s. u.) wie folgt (vgl. g.e.b.b. 2005: 7ff.): x Berater und Motor für die ökonomische Modernisierung, x Identifizierung von Optimierungspotenzialen und Entwicklung von Privatisierungskonzepten (!), x Management der BMVg-Beteiligungen als Holding, x Steuerung der Transformation von ÖPP bis zur Marktfähigkeit und vollständigen Privatisierung, x Bindeglied zwischen Privatwirtschaft und Staat. Erklärtes Endziel der g.e.b.b. ist letztlich die umfassende Entlastung der Bundeswehr von allen Nicht-Kernaufgaben über die einzelnen Etappen Interne Optimierung, funktionelle Privatisierung (ÖPP) bis schließlich hin zu materieller Privatisierung (vollständiges Outsourcing) (vgl. g.e.b.b. 2005: 8). Als Rechtfertigung für ihr Privatisierungskonzept verweist die g.e.b.b. auf die 10 Das Prinzip bringt Richter (2007: 171) auf den Punkt: „The state renders services for itself.“ Siehe auch den Beitrag von Rüttler in diesem Band. 11 Vgl. www.gebb.de am 08.08.2006.
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Entlastung des Verteidigungshaushalts, die sie durch ihre Beteiligungsgesellschaften erzielt hat.12 So weist der Saldo für das Haushaltsjahr 2002 erstmals schwarze Zahlen aus. Die Einsparungen betragen laut Geschäftsbericht 2004 für 2002 75,3 Mio. Euro, für 2003 bereits 253,9 Mio. Euro und für 2004 373,8 Mio. Euro. Konkrete Privatisierung fand erstmalig in großem Stil bei der Transportund Ausrüstungslogistik statt. Auf der betriebwirtschaftlichen und privatrechtlichen Grundlage der g.e.b.b. wurde am 6. Juni 2002 die Bundeswehr Fuhrpark Service GmbH (BwFuhrparkService GmbH) als privates Unternehmen gegründet. Die g.e.b.b. – und damit der Bund – ist als Mehrheitsgesellschafter mit 75,1 Prozent bei der Fuhrparkgesellschaft beteiligt. Die privaten Anteile wurden bei ihr mit 24,9 Prozent von der Deutschen Bahn AG übernommen. Demnach ist das Fuhrparkwesen – wieder gemäß der eingangs vorgestellten Typologie – funktionell privatisiert worden. Bei der BwFuhrparkService GmbH handelt es sich also um die erste finanzorientierte Öffentlich-Private Partnerschaft der Bundeswehr (vgl. Richter 2007). Die BwFuhrparkService GmbH beschäftigt zurzeit knapp 300 eigene Mitarbeiter und rund 2 000 beigestellte Zivilkraftfahrer in 30 sog. Mobilitätszentren sowie in 120 Servicestationen, die über die ganze Republik verteilt sind.13 Die bisher beim Fuhrpark der Bundeswehr Beschäftigten bleiben als beigestelltes Personal Mitarbeiter des Bundes.14 Das Unternehmen hält sich u. a. zugute, dass sich auf der einen Seite durch 15 000 Neuanschaffungen das Durchschnittsalter der Pkw-Flotte von 9,2 auf 1,3 Jahre verringert hat und die Kilometerkosten durch höhere Auslastung u. ä. gesunken sind (vgl. g.e.b.b. 2005: 33f.). Auch das Bekleidungswesen der Bundeswehr ist funktionell privatisiert worden. Am 13. August 2002 wurde mit der Gründung der Lion Hellmann Bundeswehr Bekleidungsgesellschaft mbH (LH Bw Bekleidungsgesellschaft mbH) eine weitere ÖPP aus der Taufe gehoben. Die g.e.b.b. ist – anders als bei der BwFuhrparkService GmbH – diesmal als Minderheitsgesellschafter mit 25,1 Prozent an der Bekleidungsgesellschaft beteiligt. Mehrheitsgesellschafter bei dieser ÖPP mit zusammen 74,9 Prozent sind die Unternehmen Lion Apparel Deutschland und Hellmann Worldwide Logistics. Die Bekleidungsgesellschaft beschäftigt rund 170 eigene und etwa 2 200 beigestellte Mitarbeiter.15 Öffentliche Anerkennung erhielt die Gesellschaft durch die 12 So auch Generalmajor Klaus-Peter Treche, ehemaliges Mitglied der g.e.b.b.-Geschäftsleitung, am 20 April 2006 auf einer Veranstaltung des Europäischen Verbandes für Defense Public Private Partnership e. V. (EPPP) in Bonn. 13 Vgl. www.gebb.de am 08.08.2006. 14 Siehe hierzu § 13 des Tarifvertrags über sozialverträgliche Begleitmaßnahmen im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Bundeswehr vom 18. Juli 2001. 15 Vgl. www.gebb-mbh.de am 08.08.2006 und www.gebb.de am 08.08.2006.
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Verleihung des „Innovationspreises 2005 für PPP“, der jährlich vom „Behördenspiegel“ und dem „Bundesverband Public Private Partnership (PPP)“ verliehen wird (vgl. Hopf 2006: 223). Für Verwaltung, Logistik und Betrieb des neuen Gefechtsübungszentrums Heer (GÜZ) auf dem Truppenübungsplatz Altmark nördlich von Magdeburg ist im Jahre 2004 ein Unterstützungszentrum Altmark (UZA) zwischen dem Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) und einem privaten Firmenkonsortium gegründet worden (vgl. Verbeet 2006: 41). Hauptvertragspartner der Bundeswehr ist interessanterweise wiederum die Serco GmbH.16 Serco-Mitarbeiter führen dort Serviceaufgaben wie Munitionsbereitstellung, Waffeninstandsetzung u. ä. aus. Als weiteres ÖPP-Projekt wurde 2005 die Instandsetzung von Heeresgerät ausgegliedert. Am 26. Januar 2005 stimmte der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages der Gründung der Heeresinstandsetzungslogistik GmbH (HIL) zu. Daraufhin unterzeichneten am 16. Februar desselben Jahres der Vizepräsident des BWB, Harald Stein, und die beiden Geschäftsführer der HIL, Peter Haalck und Brigadegeneral Karl-Heinz Hagemann, einen entsprechenden Leistungsvertrag. Danach gehört die HIL zu 49 Prozent dem Bund und zu 51 Prozent einer Industrie-Holding (bestehend zu je 17 Prozent aus Krauss-Maffei Wegmann, Rheinmetall Landsysteme sowie der DiehlTochter Industriewerke Saar).17 Der Leistungsvertrag hat zunächst eine Laufzeit von acht Jahren und einen Gesamtwert von 1,77 Mrd. Euro. Unternehmensziel ist es, die Waffenverfügbarkeit auf 70 Prozent zu erhöhen. Im Bereich des Verpflegungswesens hatte sich die Bundeswehrführung für ein anderes ÖPP-Konzept entschieden. Bisher arbeiteten 413 Truppenküchen mit rund 7 500 zivilen und 3 500 militärischen Mitarbeitern (vgl. Gause 2004: 63). Im Rahmen eines sog. Market-Testing-Verfahrens zwischen eigenoptimiertem Truppenküchen-Modell einerseits und privatem Service-Modell des Multidienstleisters Dussmann-Gruppe andererseits sollte künftig die für die Bundeswehr optimale Lösung ermittelt werden.18 Am 1. August 2005 startete das Pilotprojekt „München II“ mit 13 in Süd-Bayern von Dussmann-Service betriebenen Truppenküchen, die fortan bis zu knapp 5 000 Soldaten täglich verpflegten. Im Juni 2006 endete die Partnerschaft zwischen Bundeswehr und Dussmann abrupt im Streit. Zum 30. Juni kündigte der private Caterer einseitig den Vertrag mit dem BMVg über die Bewirtschaftung von Truppenküchen an ausgewählten Standorten. Als Hauptgründe hierfür wurden von Dussmann angeführt, dass erstens von der Bundeswehr 16 Vgl. www.imi.on-line.de am 30.08.2006. 17 Vgl. Helmut Rempl/Stephan Prinzen: Hohe Einsatzbereitschaft garantiert. In: Bundeswehr aktuell, 31. Januar 2005, 8f. 18 Miriam Weiler: Wer kann es besser? In: Bundeswehr aktuell, 18. Juli 2005, 5.
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zu wenig Personal beigestellt worden sei und dass zweitens jenes Personal disziplinarisch der Bundeswehr – und nicht Dussmann – unterstellt sei.19 Die Vorwürfe lauteten im Klartext: Die beigestellten Kantinenmitarbeiter hätten eine „nahezu destruktive Haltung“ gegenüber ihrem Arbeitgeber eingenommen und die verpflegten Soldaten würden stehlen und sich zuviel Essen auf die Teller packen.20 Zur Bündelung der Modernisierungszuständigkeiten im BMVg hat Minister Franz Josef Jung (CDU) die Einrichtung einer zentralen Abteilung „Modernisierung“ angeordnet. Ihr Abteilungsleiter gehört automatisch dem ministeriellen Modernisierungsboard an und nimmt darüber hinaus auch dessen Geschäftsführung wahr (vgl. Hopf 2006: 223). Am 15. Mai 2006 hat diese Abteilung M ihre Arbeit aufgenommen und ist fortan u. a. zuständig für die einheitliche Beteiligungsführung bei ÖPP – zulasten der g.e.b.b.21 Es war der Bundesrechnungshof gewesen, der massive Bedenken an einem möglichen Interessenkonflikt innerhalb der g.e.b.b bei gleichzeitiger Beratungstätigkeit und Beteiligungsführung geäußert hatte. Deshalb hat die g.e.b.b. ihre bisherige Holdingfunktion – und damit ihre ÖPP-Funktion – weitgehend eingebüßt. Nach der Herauslösung der Bundesbeteiligungen bleibt der g.e.b.b. in erster Linie die Aufgabe einer betriebswirtschaftlichen Beratungszentrale.22
6
Ergebnisse von Streitkräftebefragungen des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr zu Privatisierungen innerhalb der Bundeswehr
Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr (SWInstBw) hat im Rahmen seiner periodisch durchgeführten repräsentativen Streitkräftebefragungen erstmals im Jahre 2003 gezielt Fragen zum Komplex ökonomische Modernisierung im Allgemeinen und zum Bereich Privatisierungen im Besonderen gestellt. Damals zeigte sich das Meinungsspektrum zu den hier interessierenden Privatisierungen, seien es nun formelle Privatisierungen wie bei der g.e.b.b. oder funktionelle Privatisierungen wie bei der ÖPP BwFuhrparkService GmbH, wie folgt (vgl. Kantner/Richter 2004: 42ff.): x Die grundsätzlichen Befürworter und Kritiker der Serviceprivatisierungen hielten sich mit 36 bzw. 35 Prozent in etwa die Waage.
19 Vgl. die offizielle Pressemitteilung der Dussmann-Gruppe auf ihrer Homepage unter www.dussmann.de am 28.06.2006. 20 Vgl. Die Welt, 21. Juni 2006. 21 Vgl. www.bmvg.de am 01.08.2006 und www.vab-gewerkschaft.de am 01.08.2006. 22 Vgl. Griephan Briefe, Nr. 27/2006, 1f.
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x Allerdings rechnete eine absolute Mehrheit von 53 Prozent nicht damit, dass Privatisierungen überhaupt zu Einsparungen führen würden. x Außerdem fürchtete eine relative Mehrheit von 49 Prozent aller befragten Soldaten, die militärische Einsatzfähigkeit der Bundeswehr könne durch die Privatisierung von Servicebereichen leiden. x Lediglich 25 Prozent waren der Ansicht, die Bundeswehr solle möglichst viele Bereiche privatisieren und sich auf das militärische „Kerngeschäft“ beschränken. Im Jahr 2005 führte das Institut wieder eine Streitkräftebefragung u. a. zum Komplex Privatisierungen durch, aus denen sich erste interessante Erkenntnisse im Zeitvergleich gewinnen lassen. Da im hier interessierenden Zusammenhang die Meinungen und Einstellungen von Wehrpflichtigen und Reservisten nachrangig sind, beziehen sich die folgenden Aussagen ausschließlich auf Zeit- und Berufssoldaten. Der Grundtenor im Vergleich von 2005 gegenüber 2003 lässt sich zusammenfassen in dem Satz: Die Skepsis gegenüber Privatisierungen hat in der Truppe nicht ab-, sondern zugenommen. Im Einzelnen ergab sich folgendes Meinungsbild (siehe Abb. 1): Während 2003 noch 35 Prozent der Längerdienenden grundsätzlich für Privatisierungen waren, waren es zwei Jahre später nur noch 22 Prozent. Glaubten 2003 bereits 50 Prozent der Befragten, die Privatisierungen seien nicht (!) günstiger für den Steuerzahler, so nahm die Zahl der Skeptiker 2005 noch um acht Prozent zu. Abb. 1: Ergebnisse der Streitkräfteumfragen zur Privatisierung
Meinungen zu Privatisierungen 2003 und 2005 (Angaben in Prozent)
70 2003
50 40 30
59
58
60 2005
50
47
35 22
24 16
20 10 0 Grundsätzlich f ür Priv atisierung
Weitgehend priv atisieren
Für Steuerzahler nicht günstig
Einsatzbereitschaf t könnte leiden
Datenbasis: SKBefr 2003/2005. Zustimmung unter SaZ/BS: „trifft voll und ganz zu“/ „trifft eher zu“. Grafik SOWI 2006.
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Ebenso verschlechterte sich die Einschätzung der Zeit- und Berufssoldaten zu den erwarteten Auswirkungen von Privatisierungen im Servicebereich auf die militärische Einsatzfähigkeit. Glaubten 2003 immerhin schon 47 Prozent, die Einsatzfähigkeit könnte unter den Privatisierungsmaßnahmen leiden, so waren es 2005 schon 59 Prozent. Zudem nahm die Zahl der Anhänger möglichst weit reichender Privatisierungen ab. Sprachen sich 2003 noch 24 Prozent der Längerdienenden dafür aus, die Bundeswehr solle weitgehend, also soweit wie möglich privatisieren, so waren es zwei Jahre später nur noch 16 Prozent. Ähnlich kritisch ist das Meinungsklima in der Truppe in Bezug auf ein konkretes ÖPP-Projekt, nämlich die Arbeit der BwFuhrparkService GmbH, zu der in der Studie 2005 Fragen gestellt wurden (siehe Abb. 2). Zwar lassen die Befragungsergebnisse erkennen, dass sich offenbar der technische Zustand der Fahrzeuge und die Zuverlässigkeit im Vergleich zu früher, also vor der Privatisierung, aus Sicht der Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit verbessert haben. Gleichzeitig bemängelten sie aber die Verfügbarkeit der Fahrzeuge, die Flexibilität bei der Nutzung und v. a. die Organisation des privatisierten Fuhrparkwesens. Bei der Frage nach der Zufriedenheit halten sich die Antworten in etwa die Waage: 25 Prozent der Befragten sind mit dem privatisierten Fuhrparkwesen zufriedener, 27 Prozent unzufriedener als früher. Aus Sicht der Nutzer konnten also die hochgesteckten Ziele der Privatisierung im Fuhrparkwesen nur teilweise erreicht werden. Abb. 2: Ergebnisse der SOWI-Streitkräfteumfragen zum Fuhrparkwesen
Meinung zu Veränderungen im Fuhrparkwesen unter SaZ/BS (Angaben in Prozent) 60
Zustand der Fahrzeuge
5 31
Zuverlässigkeit
11 20
Verfügbarkeit
30
15
Flexibilität
34
6
Organisation
36 25 27
Eigene Zufriedenheit 0
10
20
schlechter geworden
30
40
50
60
besser geworden
Datenbasis: SKBefr 2005. Nur SaZ/BS. n = 1 100. Alle anderen: „Gleich geblieben“/ „Kann ich nicht sagen“.
154
70
7
Fazit: Probleme und Perspektiven für ÖPP innerhalb der Bundeswehr
Je länger die Privatisierungen in der Bundeswehr fortschreiten und je mehr Erfahrungswerte damit vorliegen, desto größer ist die allgemeine Ernüchterung. In jedem Fall sieht es so aus, dass die anfängliche Euphorie verflogen zu sein scheint. Mittlerweile sieht man zahlreiche Problemfelder ausgesprochen kritisch, wie u. a. die Umfrageergebnisse des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr gezeigt haben. Darüber hinaus werden immer wieder Zweifel laut, ob die g.e.b.b. bisher tatsächlich alle direkten und indirekten Privatisierungskosten der ÖPP in ihren Bilanzen ausgewiesen hat.23 Auch stellt sich die Grenzziehung zwischen Kern- und Serviceaufgaben in der Praxis wesentlich schwieriger dar als in der Theorie. Bei ÖPP – und selbst bei Inhouse-Gesellschaften – ist eine starke Tendenz zur Verselbstständigung und damit einhergehend zur rechtlichen Ausdifferenzierung bis hin zu Rechtsformen sui generis feststellbar (vgl. Gramm 2004: 86f.). Entsprechend hochkomplexe Vertragsstrukturen bewirken ein hohes Maß an Bürokratisierung und Undurchschaubarkeit (vgl. Budäus 2004: 317). Je mehr Akteure jedoch beteiligt bzw. eingebunden sind, desto schwieriger gestaltet sich die Handlungsfähigkeit und Steuerbarkeit entsprechender Unternehmen. Dabei wird gerne die tatsächliche Risikoverteilung zulasten des staatlichen Geschäftspartners verschleiert, während letzterer häufig den privaten Partner zulasten des Steuerzahlers teilsubventioniert (vgl. Strünck/ Heinze 2005: 123ff.). Ursächlich hierfür ist in der Regel eine Interessendivergenz zwischen Gewinnmaximierung auf der privaten Seite und Gemeinwohlzielen auf der öffentlichen Seite (vgl. Gramm 2004: 86). Erleichtert wird solch ein „divergierendes“ Geschäftsgebaren häufig durch unklare Kontrollkompetenzen bei ÖPP, sei es durch die Rechnungshöfe bezüglich der Verwendung öffentlicher Gelder, sei es durch parlamentarische Gremien bezüglich der demokratischen Kontrolle (vgl. Budäus 2003: 231; Gramm 2004: 87). So warnt der Präsident des bayerischen Rechnungshofes, Heinz FischerHeidelberger, dass über Öffentlich-Private Partnerschaften staatliche Finanzierungslasten häufig nur in die Zukunft verlagert würden. Der Bundesrechnungshof konstatiert gerade bei ÖPP-Projekten immer wieder „Verschwendung von Steuergeldern“ (vgl. Verbeet 2006: 42). Bei ÖPP gibt es aufgrund ihrer „Zwittereigenschaft“ in der Regel kein „echtes“ freies Marktgeschehen. Budäus macht deutlich eine „Tendenz zur Oligopolisierung des Angebotsmarktes“ (Budäus 2004: 317) aus. Bei Fuhr23 Der Verband der Bundeswehrbeamten (VBB) hat sogar schon die Auflösung der g.e.b.b. gefordert. Anstelle „sinnloser Privatisierungsmaßnahmen“ solle der internen Optimierung der Vorzug gegeben werden (vgl. www.welt.de am 09.08.2006).
155
park und Bekleidung nehmen die entsprechenden Öffentlich-Privaten Partnerschaften sogar eine Monopolstellung gegenüber der Bundeswehr ein, d. h. das Wettbewerbsprinzip fehlt hier vollständig (vgl. Richter 2007). Erschwert wird dieser Sachverhalt, wenn man bedenkt, dass ÖPP tendenziell dazu neigen, lediglich ein Durchgangsstadium auf dem Weg zur vollständigen materiellen Privatisierung darzustellen (vgl. Budäus 2003: 216). Daraus wiederum könnten sich, wie gezeigt wurde, erhebliche verfassungsrechtliche Zulässigkeitsprobleme ergeben. Getreu dem Motto „wo viel Licht ist, ist viel Schatten“ bedürfen Öffentlich-Private Partnerschaften im Geschäftsbereich des BMVg auch der kontinuierlichen und aufmerksamen wissenschaftlichen Beobachtung, damit gewaltenteilige Kontrollmechanismen im Bedarfsfall greifen können und nicht an den hehren Ökonomisierungszielen Effizienz und Effektivität zulasten der öffentlichen Haushalte – die ja gerade entlastet werden sollen – „vorbeigeschossen“ wird. Literatur Abromeit, Heidrun (1994): Entwicklungslinien im Verhältnis von Staat und Wirtschaft. In: Kastendiek/Rohe/Volle 1994: 298–314. AIK – Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation (Hrsg.) (2004): Tagungsband „Das veränderte sicherheitspolitische Umfeld und die Konsequenzen für die Informationsarbeit der Bundeswehr“ anlässlich der Expertentagung zur Vorbereitung des 10. Strausberger Symposiums am 4./5. Oktober 2004 an der AIK in Strausberg. Andersen, Uwe/Woyke, Wichard (Hrsg.) (2000): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 4. Aufl. Opladen: Leske + Budrich. Biederbick, Klaus-Günter (2005): Die ökonomische Modernisierung der Bundeswehr. In: Bundeswehrverwaltung, 1, 1–3. Blanke, Bernhard et al. (Hrsg.) (2005): Handbuch zur Verwaltungsreform. 3. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. BMVg – Bundesministerium der Verteidigung (Hrsg.) (2002): Bundeswehr 2002. Sachstand und Perspektiven. Bonn. BMVg – Bundesministerium der Verteidigung (Hrsg.) (2003): Verteidigungspolitische Richtlinien für den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung vom 21. Mai 2003, Berlin. BMVg – Bundesministerium der Verteidigung (Hrsg.) (2004): Grundzüge der Konzeption der Bundeswehr, Berlin. Budäus, Dietrich (2003): Neue Kooperationsformen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Charakterisierung, Funktionsweise und Systematisierung von Public Private Partnership. In: Harms/Reichard 2003: 213–233. Budäus, Dietrich (2004): Public Private Partnership. Strukturierung eines nicht ganz neuen Problemfeldes. In: Zeitschrift Führung + Organisation (zfo), 6, 312–318.
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Bundeswehr und Wirtschaft – Partnerschaft als Beitrag zur Modernisierung Martin Rüttler Eines vorweg: Die wirtschaftliche Modernisierung der Bundeswehr ist notwendig. Und sie kommt voran. Wirtschaftliche Modernisierung heißt aber nicht zwangsläufig unternehmerische Kooperation von Staat und Wirtschaft oder Privatisierung von staatlichen Leistungen, sondern heißt auch die Optimierung von internen Strukturen und Prozessen nach betriebswirtschaftlichen Prinzipien. In der Gleichwertigkeit beider Vorgehensweisen – Kooperationsund optimiertes Eigenmodell – liegt der Schlüssel zum Erfolg: Je nach Ausgangslage und Zielvorgabe muss das erfolgversprechendste, sprich das wirtschaftlichste Modell maßgeschneidert werden. Das Augenmerk dieses Beitrags richtet sich aber insbesondere auf die Kooperation von Bundeswehr und Wirtschaft. Denn hier betreten wir immer noch Neuland. Deshalb ist gerade auf diesem Feld das Sammeln und Werten von Erfahrungen besonders wichtig. Eigenmodelle optimiert die Bundeswehr schon so lange es sie gibt – in den letzten Jahren mit mehr Dynamik. Kooperationen mit der Wirtschaft sind dem gegenüber vergleichsweise neu. Und sie sind ein wichtiges Modell für Gegenwart und Zukunft. Im „Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“ heißt es dazu: „Die Bundeswehr konzentriert sich konsequent auf ihre Kernfähigkeiten. Kooperationen mit der Wirtschaft bei Service-Aufgaben bis hin zu einer völligen Entlastung von Aufgabenfeldern, die der private Sektor günstiger erbringen kann, werden weiterverfolgt. Auf diese Weise werden die Streitkräfte entlastet, die Wirtschaftlichkeit gesteigert sowie Betriebskosten und gebundenes Kapital gesenkt. Es werden privates Investorenkapital mobilisiert, neue Ertragsquellen erschlossen und damit Freiräume zur Stärkung der Investitionen für die Bundeswehr geschaffen. Entscheidend ist, dass neben einer zukunftsfähigen Ausrüstungsplanung der Betrieb der Streitkräfte und die Vorsorge für die laufenden Einsätze gesichert bleiben.“ Die Reduzierung der Betriebskosten zu Gunsten der investiven Ausgaben ist ein wichtiges haushaltspolitisches Ziel, bei dessen Erreichung auch Kooperationen mit der Wirtschaft helfen können. Zu den finanziellen Grundlagen heißt es unter anderem im Weißbuch 2006: „Eine angemessene finanzielle Grundlage für die Transformation wird (...) durch die Neuausrichtung des Verteidigungshaushaltes, insbesondere die Umschichtung finanzieller Mittel vom Betrieb hin zu den Investitionen, erreicht. Eine Vielzahl von Maßnahmen trägt dazu bei, die Betriebsausgaben zu senken. Im Zentrum stehen die weitere Reduzierung von Personal, das neue Stationierungskonzept, die Material- und Aus159
rüstungsplanung sowie eine weitere Entbürokratisierung. Die Absenkung der Betriebsausgaben wird genutzt, um den Anteil der verteidigungsinvestiven Ausgaben am Verteidigungshaushalt zu steigern.“
1
Gegensätze im allgemeinen Gedankengut
Bundeswehr und wirtschaftliches Handeln – ins allgemeine Gedankengut sind diese beiden Welten bisher leider als Gegensätze eingegangen. Man betrachtet beide als abgeschlossene Systeme, die keinen Austausch miteinander pflegen und kaum Berührungspunkte haben. Allein diese erste intuitive Reaktion ist bereits falsch. Denn tatsächlich ist die Bundeswehr auf Unternehmen der privaten Wirtschaft seit jeher angewiesen – und umgekehrt. Dies gilt zum Beispiel im technischen Bereich und in der militärischen Ausrüstung, wo Bundeswehr und die zivile Wirtschaft gemeinsam an Projekten arbeiten. Das gilt aber auch im Alltag bei ganz einfachen Dienstleistungen, die lokale Unternehmen vom Bäcker bis zur Wäscherei für die vor Ort stationierten Soldaten und Soldatinnen übernehmen. Nicht umsonst führt die Schließung eines Bundeswehrstandortes regelmäßig zu Unruhe in der lokalen Wirtschaft. Dies zeigt: Die beiden Systeme kennen sich und brauchen einander. Diese über Jahrzehnte bewährte Kooperation hat aber lange den Blick dafür versperrt, dass aus einer optimierten Verbindung der beiden Welten noch viel mehr werden kann. Erst das Ende des Kalten Krieges, die notwendige Umstrukturierung der Streitkräfte und die knappen Haushaltsmittel haben zu einem Umdenken geführt. Nicht nur bei der Bundeswehr, sondern auch bei anderen Armeen, wobei vor allem die US-amerikanischen und die britischen Streitkräfte Vorreiter in Sachen Kooperation mit der Wirtschaft (meistens bezeichnet als Outsourcing und Privatisierung) sind.
2
Weitergehende Kooperation erst seit Ende der 90er Jahre
Bei der Bundeswehr hat es immer wieder Ansätze gegeben, Prozesse und Leistungen denen der privaten Wirtschaft anzugleichen. Mal ging es darum, die Handlungsfähigkeit zu erhöhen oder schneller zu Entscheidungen zu kommen. Dann war es das Ziel, Kosten einzusparen. Erst Ende der 1990er Jahre aber war in Deutschland die Zeit reif für eine wirklich fundierte Auseinandersetzung mit den Chancen und Risiken, die eine Kooperation zwischen Bundeswehr und Wirtschaft birgt. Am Anfang stand der Auftrag, dass die Bundeswehr sich in Zeiten knapper Ressourcen auf ihre militärischen Kernaufgaben konzentriert, von allen 160
Nicht-Kernaufgaben aber entlastet werden solle – so wie es erst jüngst wieder im Weißbuch 2006 bestätigt und bekräftigt wurde. Schon Ende der 1990er Jahre fiel der Blick deshalb auf die Serviceaufgaben der Bundeswehr. Das Management von Immobilien, die Logistik, das Flotten- und Bekleidungsmanagement oder auch das Verpflegungswesen – all diese Aufgaben müssen nicht zwangsläufig von Soldaten oder von Beamten und Angehörigen des öffentlichen Dienstes übernommen werden. Eine weitere Chance einer Kooperation zwischen Wirtschaft und Bundeswehr liegt in der Schaffung investiver Spielräume im Verteidigungsetat. Dies kann auf vier Wegen geschehen: x x x x
Mobilisierung von privatem Investorenkapital, Senkung der Betriebskosten, Senkung des gebundenen Kapitals, Generierung zusätzlicher Einnahmen.
Hinzu kommt als ein qualitativer Aspekt das spezifische Management-Knowhow der Wirtschaft.
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Entlastung von Nicht-Kernaufgaben – „Public Private Partnership (PPP)“ ist eine Antwort
Die Idee ist einfach: Innerhalb der Bundeswehr gibt es viele Dienstleistungen, die in nahezu identischer Art und Weise auch in der Wirtschaft nachgefragt und angeboten werden, und die keinen speziell militärischen Bezug haben. Beispiele wie Immobilien- oder Fuhrparkmanagement kommen dabei sofort in den Sinn. In der Wirtschaft hat sich längst der Outsourcing-Gedanke durchgesetzt. Es liegt nahe, diesen auch auf die Bundeswehr zu übertragen. Private Unternehmen können unterschiedlich stark zur Erfüllung dieser Aufgaben herangezogen werden. Der radikalste Schritt ist die komplette Privatisierung einer bestimmten Dienstleistung durch vollständige Übertragung auf einen Dienstleister. Dies wird zum Beispiel in Großbritannien praktiziert, wo der Staat, wenn der Auftrag einmal vergeben ist, seine Einflussmöglichkeiten selbst eingeschränkt hat. Bei PPP in Form von gemeinsamen Gesellschaften behält der Staat über eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung weiterhin deutlichen Einfluss, zudem können beide Seiten voneinander lernen.1 Bei der Bundeswehr ist z. B. das komplette Fuhrparkmanagement für handelsübliche Kraftfahrzeuge seit Mitte 2002 in einem PPP organisiert. Die BwFuhrparkService GmbH (BwFPS) ist ein Gemeinschaftsprojekt des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) 1
Siehe auch den Beitrag von Portugall (ÖPP) in diesem Band.
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und der DB Dienstleistungen GmbH. Auch das Bekleidungswesen ist seit 2002 in der Hand eines staatlich-privaten Joint Ventures. Hier haben sich der Logistik-Dienstleister Hellmann und der Berufsbekleidungshersteller Lion Apparel zu einem Konsortium zusammengeschlossen und sind der Mehrheitseigner an der LH Bundeswehr Bekleidungsgesellschaft mbH (LHBw). Sie hat die früheren Kleiderkammern übernommen und komplett modernisiert. Die Erfolge der beiden Modelle werden mittlerweile auch von den kritischsten Zweiflern anerkannt. Beispiel Fuhrpark: Vor Beginn der Modernisierung hatten die zivilen Pkw der Bundeswehr ein Alter von durchschnittlich 9,2 Jahren. Dies ist nicht nur eine Frage des Komforts für die Fahrer und Fahrerinnen. Die älteren Fahrzeuge verbrauchten auch mehr Treibstoff, sie genügten nicht den heutigen Ansprüchen an Umweltverträglichkeit und Sicherheit und vor allem waren sie häufig defekt. Untersuchungen haben ergeben, dass ein Pkw damals bis zu 36 Tage im Jahr nicht einsatzfähig in der Werkstatt stand. Bei den Lastwagen war die Lage noch schlechter. Die Situation hat sich geändert: So hat die Pkw-Flotte mittlerweile ein Durchschnittsalter von nur noch etwa einem Jahr und ein Pkw steht maximal zwei bis drei Tage in der Werkstatt. Die Kosten pro Kilometer konnten von 0,38 Euro auf 0,31 Euro gesenkt werden. Das ist eine Kostenreduzierung von knapp 20 Prozent. Obwohl durch die Einführung neuer Autos der Betrieb selbst schon deutlich wirtschaftlicher wird, hat die BwFPS ein komplett neues FahrzeugManagement eingeführt. Leitmotiv war Mobilität zur Verfügung zur stellen – und nicht einfach nur Autos. Hatten früher die einzelnen Einheiten „ihre“ Fahrzeuge, die mehr oder weniger intensiv genutzt wurden, so können sie heute genau an ihre Bedürfnisse angepasste Mobilitätskonzepte nutzen. Für den Basisbedarf gibt es die sog. Langzeitmiete. Sie funktioniert wie ein Dienstwagenleasing in der Wirtschaft, bei dem ein Fahrzeug für einen längeren vorab definierten Zeitraum mit einer vorab zu vereinbarenden Laufleistung gemietet wird. In dieser Zeit anfallende Reparaturen und Wartungen sind ebenfalls in der Langzeitmiete mit inbegriffen. Dadurch entsteht eine hohe Planbarkeit der Kosten. Für kurzfristigen Spitzenbedarf gibt es die Kurzzeitmiete, die wie eine Autovermietung funktioniert. An mehr als 130 Orten in Deutschland sind Mobilitätscenter, Servicestationen und -punkte eingerichtet, bei denen Fahrzeuge übernommen und abgegeben werden können. Nach fünf Jahren Betrieb haben sich die Erwartungen an die Wirtschaftlichkeit mehr als erfüllt: Die eingesetzten Fahrzeuge werden intensiver genutzt, sind also weit besser ausgelastet. Überraschenderweise fragt die Bundeswehr deutlich mehr Fahrleistung mit Pkw nach als ursprünglich 162
erwartet. Die Gründe hierfür: Zum einen werden weniger Fahrten mit Privatautos durchgeführt und abgerechnet als früher. Außerdem wurden früher offensichtlich Fahrten mit Lkw oder gar militärischen Fahrzeugen unternommen, für die man nun die kostengünstigeren Pkw nutzen kann. Das Beispiel Fuhrparkmanagement zeigt noch einen weiteren unschlagbaren Vorteil der PPP-Lösung: Der private Partner war in der Lage, binnen zwei Jahren ca. 15 000 Neufahrzeuge mit einem Beschaffungsvolumen von rund 300 Mio. Euro bereitzustellen – eine Investition, welche die Bundeswehr aus ihrem Etat nie hätte leisten können. Insgesamt hat die Einführung eines Mietmodells in der Bundeswehr zu einem wirtschaftlicheren Denken und Handeln geführt. Die Preisliste mit Full-Service-Preisen für Fahrzeuge und Fahrleistungen sowie ein schrittweises Einführen von Controllinginstrumenten und eine darauf aufbauende Optimierungsberatung der BwFPS machen es erstmals möglich, dass die Kosten direkt dem Verursacher bewusst werden – ein Novum im kameralistischen System der Bundeswehr. Durch die neue Datentransparenz können die Verantwortlichen den Forderungen nach mehr Wirtschaftlichkeit unmittelbar nachkommen. Die Mietpreise der BwFPS sind Systempreise, die jederzeit und bundeswehrweit gelten. Deshalb sind sie verlässlich und berechenbar im Gegensatz zu Spotpreisen sonstiger ziviler Anbieter, die nur einzelne Fahrzeugkategorien umfassen oder nur in umsatzschwachen Regionen sowie zu umsatzschwachen Zeiten angeboten werden. Auch beim Bekleidungsmanagement standen am Anfang der Modernisierung kräftige Investitionen in die Informationstechnologie in Höhe von rund 12 Millionen Euro. Die Aufgabe, viermal im Jahr rund 20 000 Rekruten mit ca. 130 persönlichen Kleidungs- und Ausrüstungsartikeln – was etwa 2,6 Millionen Teilen entspricht – zu versorgen, ist vorrangig ein LogistikThema. Die LHBw hat zu Beginn ihrer Tätigkeit erst einmal umfangreiche Lagerbestände abgebaut, die allein aufgrund einer optimierten Verteilung auf die Kleiderkammern besser genutzt werden konnten. Weitere Aufgaben für die privatisierte Bekleidungsgesellschaft waren die Senkung der Beschaffungspreise, besserer Service für die Soldaten, der sich vor allem in einer geringeren Fehlteilquote niederschlagen sollte, und der Aufbau von Drittgeschäft, also die Gewinnung neuer Kunden für die Dienstleistungen der neuen Bekleidungsgesellschaft. Alle Aufgaben hat die LHBw mit Bravour gemeistert – und das trotz einiger Hindernisse, die es zu überwinden galt. Ein Beispiel: Obwohl die LHBw ein mehrheitlich privates Unternehmen ist, muss sie sich an das öffentliche Vergaberecht halten. Trotzdem hat sie im Einkauf noch Einsparungen von 16 Prozent erzielt – im Vergleich zu den Preisen vor Übernahme durch die LHBw. Zudem wurde die Anzahl der Mitarbeiter und Mitarbeite163
rinnen reduziert, was zu einer höheren Wirtschaftlichkeit führt. In den ersten drei Jahren hat die LHBw trotz ungeplanter struktureller Effekte bereits Aufwandsreduktionen erzielt – in der Höhe deutlich mehr als zu Beginn des Projekts prognostiziert. Beide operativen Gesellschaften zeigen, wie wichtig die Einbindung privater Partner ist. Ihr Know-how ist für ein modernes Management unverzichtbar. Überdies sind sie in der Lage, Investitionen zu finanzieren, die die Bundeswehr in diesem Umfange nicht hätte leisten können.
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Kulturelle Unterschiede als größte Herausforderung
Wann immer Staat und Wirtschaft kooperieren, dann treffen nicht anonyme Institutionen aufeinander, sondern Menschen. Und wenn ein Teil der Menschen aus Unternehmen kommt und ein Teil aus der öffentlichen Verwaltung, dann treffen damit auch zwei Erfahrungswelten aufeinander. Erschwert wird das Miteinander durch jahrzehntelang aufgebaute Vorurteile, die durch selbst erlebte oder vermittelte Beispiele zementiert werden. Dazu kommen Ängste: Wo „Weniger Staat“ als Leitmotiv steht, ist die Verwaltung per se in der Defensive. Die Folge ist offensichtlich: Gemeinsame Projekte sind vielfach durch diese Kluft belastet, kommen nicht zum Erfolg. Das hat nichts damit zu tun, dass etwa eine Seite weniger gutwillig wäre als die andere. Der Grund ist vielmehr in der unterschiedlichen Ausbildung und Sozialisation zu suchen. So sind in den Unternehmen oftmals betriebswirtschaftlich ausgebildete Manager in verantwortlichen Positionen. Deren zentrale Begriffe und Leitgrößen wie Rendite, Kapital und Output waren in der öffentlichen Verwaltung lange Zeit keine erfolgskritischen Faktoren. Nicht nur das: In der Ausbildung der Beamten kamen viele dieser Aspekte einfach nicht vor oder sie kamen zu kurz. Erst seit gut einer Dekade ändert sich das. Zudem sind viele Unternehmen unzufrieden mit den langwierigen Prozessen und komplizierten Entscheidungsstrukturen der staatlichen Behörden und stehen diesen oft mit Unverständnis gegenüber. Das Rechtswesen – der Kern allen staatlichen Handelns – ist für Unternehmer dagegen oft nur eine Hilfsdisziplin bei der Verfolgung ihrer wirtschaftlichen Ziele. Der größte Gegensatz zwischen den beiden Welten liegt aber im Umgang mit den vielfältigen Risiken, die bei jeder Tätigkeit auftreten. Der Unternehmer zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er Wagnisse kalkuliert und diese bewusst eingeht. Nur dann kann er auf Dauer im Wettbewerb bestehen. Wer nichts riskiert, wird irgendwann von der Konkurrenz überholt. Letztlich ist jede Investition ein Risiko. Denn kein Unternehmer hat für seine Investitionen eine Erfolgsgarantie. Das mögliche Scheitern wohnt jedem unternehmerischen Handeln inne. Solches Handeln ist aber Voraussetzung für Innova164
tionen und technischen Fortschritt. Das bedeutet nicht, dass Unternehmer Hasardeure sind – ihre Aufgabe besteht vielmehr darin, Risiken bewusst zu sehen, ihre Gefahren aber auch ihre Chancen zu bewerten und entsprechend unternehmerisch zu handeln. Im Gegensatz dazu ist es die Aufgabe der öffentlichen Verwaltung, Risiken völlig auszuschließen und wo das nicht möglich ist, sie doch so weit wie möglich zu minimieren. Und auch dies hat seinen guten Grund: Ein Staat, der seine Bürger bewusst Risiken aussetzt, mit Eintrittswahrscheinlichkeiten kalkuliert und in Kauf nimmt, dass auch einmal ein gewisser Teil seiner Bürger durch riskante Manöver Verluste erleidet, verliert seine demokratische Legitimation. Man kann sich vorstellen, dass es daher häufig zu Missverständnissen und Unzufriedenheit in der Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft kommt. Auch in den bisherigen Privatisierungsprojekten gibt es Licht und Schatten. Und sehr häufig sind es die kulturellen Unterschiede, die Projekten den Erfolg verwehren. Dies ist übrigens auch innerhalb der Wirtschaft so. Dort ist es inzwischen allgemeine Erkenntnis, dass Fusionen und Übernahmen häufig am Faktor Unternehmenskultur scheitern. Und wenn man jede PPP, jedes Kooperationsprojekt als ein Joint Venture zwischen Staat und Unternehmen begreift, dann ist unmittelbar einsichtig, welche Bedeutung diese Frage auch für die Modernisierung der Bundeswehr hat. Jedes Projekt, das nicht gelingt, bringt den Gedanken der Privatisierung und der Kooperation in Misskredit und gibt leider den Kräften, die auf ein Scheitern aus falsch verstandenem Eigeninteresse setzen, weiteren Auftrieb.
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Schaffung von investiven Spielräumen
Die Bundeswehr ist im Wandel. Das Bedrohungsszenario hat sich in den 90er Jahren grundlegend gewandelt. An die Stelle einer schwer gepanzerten Armee, die in erster Linie einen massiven Angriff auf unser Land abzuwehren hatte, ist eine flexible und hochmobile Truppe getreten, die in der Lage sein soll, an nahezu jedem Ort der Welt in kürzester Zeit schlagkräftige Kontingente bereitzustellen. Dies bedeutet nicht nur völlig neue Anforderungen an Mensch und Material, sondern auch die Kosten, die durch die neuen Anforderungen entstehen, sind höher und schwerer planbar. Die Bundeswehr braucht also mehr Spielraum für Investitionen in die Ausbildung und Ausrüstung ihrer Soldaten. Die Anwendung privatwirtschaftlicher Methoden und die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft bieten zahlreiche Ansatzmöglichkeiten. Ein Ansatz ist, die Kapitalbindung zu reduzieren – dies senkt betriebswirtschaftliche Kosten und macht Mittel frei für wichtigere Aufgaben. Der Begriff der Kapi165
talbindung ist dem kameralistischen Denken fremd. Da es keine Bilanz der Bundeswehr gibt, sondern nur eine Einnahmen-/Ausgabenrechnung, fallen Lagerbestände, Gebäude und Grundstücke nicht ins Gewicht. In der Gedankenwelt mancher handelt es sich um Dinge, die ohnehin vorhanden sind und damit keine weiteren Kosten verursachen. Wie lässt sich aber Kapital der Bundeswehr mobilisieren? Das Beispiel Bekleidung hat gezeigt, dass die Senkung von Lagerbeständen ein Gewinn bringender Weg ist. Dies gilt nicht nur für Kleidung, sondern auch für Heizöl, Ersatzteile und vieles mehr. Der größte Teil des gebundenen Kapitals der Bundeswehr steckt aber in Grund und Boden, sie besitzt ein Prozent der Fläche der Bundesrepublik. Der Bundeswehr gehören Kasernen, Häfen, Flughäfen, Lagerflächen, Truppenübungsplätze in dünn besiedelten Gebieten und Standortverwaltungen in Innenstädten. Nicht umsonst richteten sich in den vergangenen Jahren viele begehrliche Blicke auf die Erlöse, die bei einem Verkauf dieser Immobilien zu erwarten sein müssten. Was wenig überraschte: Hier waren die größten Enttäuschungen zu verzeichnen. Schnell zeigte sich, dass mit einem schlichten Verkauf der nicht mehr benötigten Grundstücke und Gebäude nur wenig einzunehmen war. Ein anderer – privatwirtschaftlich geprägter – Weg hat sich schließlich als der erfolgreichere erwiesen. Gemeinsam mit privaten Partnern wie Projektentwicklern oder Architekten, in Abstimmung mit Landesentwicklungsgesellschaften und Kommunen, wurden individuelle Nutzungskonzepte für einzelne Liegenschaften entwickelt. Es zeigte sich, dass mit einem überzeugenden Konzept viel leichter Investoren zu gewinnen und höhere Erlöse zu erzielen waren. Zudem stand bei diesem Modell die Einbindung der betroffenen Städte und Gemeinden an oberster Stelle. Dies verschaffte den Investoren zusätzliche Planungssicherheit. Trotz eines zurückgehenden Personalbestandes braucht die Bundeswehr auch heute noch neue Gebäude. Gemeinsam mit privaten Partnern sollen Projektgesellschaften gegründet werden, die Planung, Finanzierung, Bau und Betrieb von Immobilien übernehmen. Durch das private Know-how und die Bündelung von Ressourcen können diese Aufgaben effizienter und schneller erledigt werden. Sie garantieren Kosten- und Terminsicherheit schon vor Baubeginn und sollen Bau- und Betriebskosten wirtschaftlicher gestalten. Dies ist ein Weg, den in diesem Bereich in den vergangenen Jahren aufgebauten Investitionsstau auflösen. Trotz komplexer rechtlicher und fiskalischer Fragestellungen sind derzeit zwei Projekte der Bundeswehr in Arbeit: Ausbau und Modernisierung der Fürst-Wrede-Kaserne in München als erstes PPP-Pilotprojekt des Bundes im Hochbau und die Kurmainz-Kaserne in Mainz.
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Eine weitere Stoßrichtung zur Entlastung des Verteidigungshaushaltes ist die beabsichtigte Senkung der Kosten für Betrieb und Unterhalt der Liegenschaften. Untersuchungen haben ergeben, dass diese Dienstleistungen im Bereich des Facility Managements deutlich optimiert werden können. Der zuständige Staatssekretär des Verteidigungsministeriums, Dr. Peter Wichert, hat deshalb die g.e.b.b. in seiner Weisung vom 29. Mai 2006 beauftragt, „einen Ideenwettbewerb zur Erarbeitung eines privatwirtschaftlichen Kooperationsmodells durchzuführen“. Mit dem Ideenwettbewerb soll der Wirtschaft die Chance gegeben werden, ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Der gemeinsame Bewertungsmaßstab von Wehrverwaltung und g.e.b.b. ist eine wirtschaftliche Stärkung der Bundeswehr. Nur das kann der Sinn einer möglichen Kooperation sein.
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Generierung zusätzlicher Einnahmen
Ein Weg, der in der Bundeswehr bis vor kurzem nur wenig systematisch verfolgt wurde, ist die Generierung von Einnahmen durch Nutzung von bundeswehreigenen Einrichtungen durch Dritte. Zwei Beispiele sind die Vermietung von Bundeswehrflächen an die Betreiber von Mobilfunkanlagen oder Windkraftanlagen. Zwar haben auch schon vorher einzelne Standortverwaltungen von der Möglichkeit, Flächen für Mobilfunkanlagen zu vermieten, Gebrauch gemacht. Doch erst eine durchgängige Vermarktung mit einheitlichen und industrieüblichen Vertrags- und Preisstandards hat dem Modell zum Erfolg verholfen. Das schlägt sich auch in den Zahlen nieder: Wurden vor der Optimierung im Jahr 2003 rund zwei Millionen Euro Miete eingenommen, so waren es für 2004/2005 bereits 12 Millionen Euro. Und auch diese Dienstleistung wird außerhalb der Bundeswehr nachgefragt: Das Land Mecklenburg-Vorpommern setzt seit 2004 auf das gleiche Modell – mit Erfolg. Welch große Fortschritte der Kooperationsgedanke in der Bundeswehr macht, zeigt sich auch im Bereich der Ausbildung. Am Anfang stand das Ziel, die Ausbildung kostengünstiger, effizienter und innovativer zu gestalten. An einem entsprechenden Projekt wird momentan für die Technische Schule der Luftwaffe 1 in Kaufbeuren gearbeitet. Die nicht spezifisch militärischen Lehrveranstaltungen sollen auch Kunden aus der Privatwirtschaft angeboten werden. Darüber hinaus beteiligen sich private Unternehmen als Partner in diesem Projekt u. a. an der Ausstattung mit modernem Ausbildungsgerät.
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Erfahrungen aus einem halben Jahrzehnt Kooperationsarbeit
Insgesamt sind die Erfahrungen, die in den vergangenen fünf Jahren mit PPP gemacht wurden, höchst unterschiedlich. Auf der einen Seite stehen zweifelsfrei erfolgreiche Projekte wie die genannten Beispiele Fuhrpark und Bekleidung. Andererseits ist das Beispiel Pilotprojekt Verpflegung zu nennen, das wegen unbefriedigender Ergebnisse vom privaten Dienstleister aufgekündigt wurde. Die Voraussetzungen für dieses Projekt waren gut: Für die Verpflegung ihrer Soldaten im Inland gibt die Bundeswehr ein Vielfaches dessen aus, was in vergleichbaren Industrieunternehmen aufgewendet wird. Gründe dafür sind eine veraltete Technik in den meisten Bundeswehrküchen und gut bezahlte Soldaten an den Herden, die eigentlich für militärische Kernaufgaben zur Verfügung stehen sollten. Nichts lag also näher, als diese Aufgabe an einen privaten Dienstleister vom Fach auszulagern. So wie mehrere tausend Mitarbeiter einer Automobilfabrik nicht von Facharbeitern bekocht werden, sondern von darauf spezialisierten Unternehmen. Auch das Bundesministerium der Verteidigung hat mit der Bewirtschaftung seiner Kantinen seit vielen Jahren einen privaten Dienstleister beauftragt. Bei den Kooperationsmodellen für Fuhrpark und Bekleidung war nach der Überprüfung des Wirtschaftlichkeitsvergleichs die Entscheidung zur kompletten Auslagerung der Dienstleistung in der gesamten Bundeswehr getroffen worden. Der Erfolg hat den damaligen Entscheidungsträgern recht gegeben. Bei den Truppenküchen ging man einen anderen Weg. Es wurde ein Wettbewerb ausgelobt: Der private Anbieter sollte in einem Pilotprojekt in 13 ausgewählten Küchen zeigen, dass er es effizienter kann als ein optimiertes Eigenmodell der Wehrverwaltung, das gleichzeitig in anderen Bundeswehrküchen eingeführt wurde. Der Wettbewerber des Privaten, die Wehrverwaltung also, war gleichzeitig sein Partner, auf dessen kooperative Haltung er angewiesen war. Eine schwierige Situation. Der Lerneffekt aus diesem Projekt ist groß. Jetzt gilt es, mit Unterstützung der g.e.b.b., das optimierte Eigenmodell der Wehrverwaltung flächendeckend einzuführen – unter größtmöglicher Anwendung privatwirtschaftlicher Standards. Sowohl die erfolgreichen als auch die gescheiterten Beispiele zeigen: Der Reformansatz der Kooperation mit der Wirtschaft kann greifen, aber wenn der Staat zur Modernisierung der Bundeswehr auch privatwirtschaftliche Ansätze verfolgen und die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft wirklich will, so ist ein konsequentes und gleichzeitig kooperatives Vorgehen unerlässlich. Die Konzepte für die Umsetzung eines Projekts müssen vorurteilsfrei und 168
ergebnisoffen diskutiert werden. Beide Wege, der Kooperation und der des Eigenmodells, haben ihre Chancen und Risiken. Wenn aber der Staat die Chancen einer Zusammenarbeit mit der Wirtschaft ergreifen will, so gibt es noch viel zu tun. Denn die beiden bereits privatisierten Bereiche Fuhrpark und Bekleidung decken nur ein Zehntel der zivilen Dienstleistungen der Bundeswehr ab. Insbesondere die Bereiche Logistik, Ausbildung und Facility Management bieten hohe Verbesserungspotenziale – auch mit Mitteln der Kooperation. Die Potenziale auf diesem Weg zu heben, heißt immer wieder, allen Betroffenen schwierige Entscheidungen abzuverlangen. Dies wird jedoch dadurch belohnt, dass für die Bundeswehr ein Mehr an Wirtschaftlichkeit erreicht und investive Spielräume geschaffen werden können. Die Erfahrungen der vergangenen fünf Jahre lehren: Es geht nicht um eine „feindliche Übernahme“ durch die Privaten, sondern um das Miteinander von Kooperations- und optimiertem Eigenmodell. Und es geht um das Mitnehmen der Menschen auf beiden Wegen – hin zum gemeinsamen Ziel: Einer modernen Bundeswehr, die ihre Aufgaben noch effizienter erfüllen kann.
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Wag the Dog? Private Sicherheits- und Militärunternehmen, der Staat und Prinzipal-Agent-Theorie Gerhard Kümmel It’s the economy, stupid! (Bill Clinton)
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Einleitung
„Der öffentliche Sektor ist seit den letzten zwei Jahrzehnten einem tiefgreifenden Veränderungsprozess ausgesetzt, der sowohl den organisatorischen Umbau der Verwaltung als auch die Neujustierung des Verhältnisses von staatlicher und privater Leistungserstellung umfasst. In der Verwaltungswissenschaft hat sich hierfür der Begriff ‘Ökonomisierung’ etabliert.“ (Richter 2005: 209) Mit diesen Worten beschreibt Richter für die Sphäre des Staates und fast schon ein wenig lapidar einen Prozess mit enormer Reichweite und gravierenden Folgewirkungen; es handelt sich dabei um nichts weniger als die „zunehmende Ausrichtung von Handeln an ökonomischen Kategorien, Normen, Werten und Prinzipien“ (Richter 2005: 209; vgl. ferner Harms/ Reichard 2003). Analytisch unterscheidet er dabei „zwei Spielarten von Ökonomisierung“: „Ökonomisierung i.e.S. bezeichnet die Einführung von betriebswirtschaftlichen Steuerungsformen und Managementinstrumenten in der öffentlichen Verwaltung. Eine zweite Spielart umfasst solche Prozesse der Ökonomisierung, bei denen vormals vom Staat selbsttätig ausgeführte Aufgaben an private Organisationen abgegeben werden, Teile der öffentlichen Verwaltung in eine private Rechtsform überführt werden (= Privatisierung) oder eine Bündelung von staatlichen und privaten Ressourcen zur Erreichung eines bestimmten Sachziels erfolgt (= Public-Private-Partnership).“ (Richter 2005: 209) Diese Entwicklung hat mit interessanten zeitlichen Versetzungen im Ländervergleich seit geraumer Zeit auch die Streitkräfte erreicht (vgl. für die Bundeswehr: Gause 2004; Kantner/Richter 2004; Portugall 2006; Strunz 2006; Richter 2007) und stellt diese vor erhebliche Probleme des Reorganisationsmanagements (vgl. Schirmer 2000). Das Phänomen, von dem an dieser Stelle die Rede ist: private Sicherheits- und Militärunternehmen (PSMU), also Unternehmen, die Sicher-
Dieser Beitrag greift in Teilen zurück auf Kümmel (2005) und Kümmel (2006).
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heit als Ware anbieten und verkaufen,1 lässt sich ohne große Schwierigkeiten als Abgabe staatlicher Aufgaben an private Organisationen begreifen und fällt mithin unübersehbar in dieses thematische Feld der Ökonomisierung, hier demnach in der Richterschen Variante Zwei, der Privatisierung (vgl. hierzu Feigenbaum/Henig/Hamnet 1999; Rügemer 2006). Im Folgenden wird dieses Phänomen nun im Lichte ökonomischer Theorien, hier konkret der Prinzipal-Agent-Theorie (PAT), beleuchtet, um die im Titel anklingende These, dass hier der Schwanz (der Agent – ein PSMU) mit dem Hund (dem Prinzipal – einem Staat) wedelt, einer näheren Betrachtung und Kritik zu unterziehen. Zunächst wird dabei in der gebotenen Kürze die Branche der Dienstleister in Sachen Sicherheit umrissen, bevor die Grundzüge der PAT skizziert und am Beispiel der PSMU diskutiert werden.
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Die Branche
(Fast) alle haben Sie: Großbritannien, die Vereinigten Staaten von Amerika, aber auch Sierra Leone, Kolumbien und Angola. Die Vereinten Nationen und einige ihrer Unterorganisationen haben sie ebenfalls. Gleiches gilt für British Petroleum, Chevron, Exxon, Freeport, Siemens und Shell. Auch US Aid, Care International, der World Wildlife Fund und das Internationale Rote Kreuz haben sie. So unterschiedlich die Genannten auch sein mögen, sie alle haben auf die eine oder andere Weise und in mal größerem, mal kleinerem Umfang die Dienste von PSMU in Anspruch genommen, einem Wirtschaftszweig, der sich im Gegensatz zu vielen anderen in der jüngeren Vergangenheit durch imposante Wachstumsraten auszeichnet. Zwar gehen die Anfänge der PSMU bereits in die 1960er Jahren zurück, doch erst in der jüngeren Vergangenheit haben sie enorm an Bedeutung gewonnen. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Einmal hat der Siegeszug des Neoliberalismus vor dem öffentlichen Sektor keinen Halt gemacht. Entsprechend hat die Privatisierungswelle, die ihren Anfang Ende der 1970er Jahre im Großbritannien Margaret Thatchers genommen hat, im Zuge von soziokulturellen Individualisierungsprozessen und der Herausbildung einer Risikogesellschaft das Wort ‘staatlich’ zusehends zu einem Synonym für ‘zweitrangig’, ‘schlecht’ und ‘ineffizient’ werden lassen, während gleichzeitig ‘privat’ immer häufiger mit ‘billiger und zugleich besser und effektiver’ übersetzt worden ist. Damit griff der Trend zum Outsourcing, den 1
Die Literatur zu diesem Thema ist mittlerweile Legion geworden (vgl. den Überblick bei Kümmel 2005). Explizit genannt seien jedoch Avant 2005; Center for Public Integrity 2002, 2004; Cilliers/Mason 1999; Isenberg 1997, 2004; Jäger/Kümmel 2007; Mandel 2002; Mills/ Stremlau 1999; Musah/Fayemi 2000; Schreier/Caparini 2005; Shearer 1998; Silverstein/ Burton-Rose 2000; Singer 2003; Uesseler 2006; Wulf 2005.
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man bereits von der Privatwirtschaft her kannte und erfolgreich kopieren zu können glaubte, auf den Staat über. Zudem sind hier das Ende des Ost-West-Konflikts und die daraus resultierende weltordnungspolitische Euphorie im Wechsel von den 1980er zu den 1990er Jahren zu nennen. Letztere äußerte sich in einer Reduzierung der Verteidigungsausgaben, in einer Verkleinerung der militärischen Arsenale und in einem deutlichen Abbau militärischen Personals. Für die Branche der PSMU ergaben sich damit zwei begünstigende Faktoren. Einmal bedeutete dies ein Überangebot von Arbeitskräften mit militärischer Expertise, und zum zweiten waren nun modernste Waffen für relativ günstiges Geld zu bekommen. Mit dem Zerfall der Sowjetunion lässt sich ferner das Verschwinden der weltordnungspolitisch disziplinierend-zähmenden Wirkung der amerikanisch-sowjetischen Systemauseinandersetzung beobachten. Als Folge davon konnten alte Konfliktlagen wieder aufbrechen, aber sich auch neue leichter herausschälen. Solche Konfliktkonstellationen ergaben sich aus den häufig schwierigen und unübersichtlichen Nationen- und Staatsbildungsprozessen in dem zerfallenden sowjetischen Herrschaftsbereich und aus der Tatsache, dass für eine erkleckliche Anzahl von Staaten in der Dritten Welt die Wirtschafts-, Entwicklungs- und Militärhilfe bietende externe Anlehnungsmacht verschwand und sich dadurch die sozioökonomische Lage in diesen Gesellschaften zuspitzte, was wiederum die internen Bruchlinien schärfer zutage treten ließ und bisweilen regelrechte Staatszerfallsprozesse einläutete. Häufig genug sahen sich Regierungen und Staaten nicht einmal in der Lage, für ihre eigene Sicherheit Vorsorge zu treffen. In vielen Entwicklungs- und Transformationsländern war es der Besorgnis erregende Zustand vieler Streitkräfte, der private Sicherheits- und Militärdienstleister für Regierungen attraktiv machte. Schlecht bezahlte, schlecht ausgebildete, schlecht geführte, schlecht gemanagte, schlecht überwachte, schlecht ausgerüstete, korrupte und mit fragwürdiger Loyalität ausgestattete Streitkräfte konnten nicht-staatlichen Gewaltakteuren häufig kaum etwas Substanzielles entgegensetzen und brachten damit ihre Regierungen in arge Bedrängnis, die um ihres politischen Überlebens willen ihr Heil in PSMU suchten. Damit stieg insgesamt die Zahl der Konfliktparteien, staatlicher wie nicht-staatlicher Natur, die ihre Differenzen noch dazu in wachsendem Maße auf dem Wege der Gewalt zu lösen versuchten. Infolgedessen konnte Sicherheit in vielen Gegenden der Welt nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Dies nährte seit Beginn der 1990er Jahre die Nachfrage nach Sicherheit und nach Anbietern von Sicherheit bei humanitären Organisationen, NGOs und transnationalen Wirtschaftsunternehmen, die in diesen Gegenden operierten. Aber auch die regulären Streitkräfte und deren Regierungen traten verstärkt als Nachfrager der Angebote privater Militär173
und Sicherheitsdienstleister auf. Denn das Aufgabenspektrum der Streitkräfte wurde vor dem Hintergrund eines erweiterten Sicherheitsbegriffs und sich daraus ergebender Risikoanalysen sukzessive über die traditionelle Verteidigungsfunktion hinaus auf die eigene Sicherheit steigernde nicht-traditionelle Peaceenforcement-, Peacekeeping- und Peacebuilding-Missionen ausgedehnt. Gleichzeitig ergab sich im internationalen Kriegs- und Konfliktgeschehen eine Verschiebung hin zu schmutzigen kleinen Kriegen, Low-Intensity Conflicts und asymmetrischen Kriegen, die relativ hohe eigene Verluste befürchten ließen. Diese glaubte man wiederum jedoch den eigenen individualisierten, wertegewandelten Gesellschaften kaum zumuten zu können, so dass die Anwerbung von PSMU mit der „Freikaufmentalität postheroischer Gesellschaften“ (Münkler 2002: 239) korrespondiert. Sicherheit ist offenbar ein Gut, das nicht hinlänglich ausreichend zur Verfügung steht, ja sogar knapper zu werden scheint und dementsprechend in steigendem Maße nachgefragt wird. Nicht nur für international tätige Unternehmen, Einrichtungen und Organisationen, sondern auch für viele Regierungen und Streitkräfte dieser Welt sind PSMU damit zu einem attraktiven Vertragspartner geworden, so dass sie zwischenzeitlich im internationalen Konflikt- und Kriegsgeschehen einen immer größeren Raum eingenommen haben. Der Markt, mit dem wir es hier zu tun haben, ist folglich ein milliardenschwerer. Seriösen Schätzungen zufolge setzte die Branche Anfang der 1990er Jahre noch gut 50 Mrd. USD um. Dies verdoppelte sich bis zum Jahr 2000, und bis zum Jahr 2010 wird mit einer neuerlichen Verdopplung auf dann deutlich über 200 Mrd. USD gerechnet. Die USA, die auf diesem Markt derzeit den größten Kunden darstellen, haben in den vergangenen zehn Jahren nicht weniger als 3 000 Verträge mit solchen Firmen abgeschlossen; allein in Afghanistan und Irak sind 2004 mehr als 150 PSMU für die BushRegierung tätig gewesen, wobei deren Auftragsvolumen auf knapp 49 Mrd. USD geschätzt wird. Diese Zahlen illustrieren nicht nur die gewachsene Bedeutung von PSMU in der internationalen Politik in der vergangenen Dekade, sondern auch deren noch weiter zunehmende weltpolitische Relevanz in den kommenden Jahren. Dies rechtfertigt eine intensivere Beschäftigung mit diesem Phänomen, ja macht eine solche sogar erforderlich, zumal die Branche der PSMU durch Licht, aber auch durch Schatten gekennzeichnet ist. Entsprechend haben sie in den letzten Jahren verstärkt die Aufmerksamkeit der Medien, der Wissenschaft und auch der Politik gefunden.
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Die Unternehmen
PSMU sind keine Söldner, denn zwischen dem von den Medien gerne verwendeten Begriff des Söldners und PSMU bestehen wichtige qualitative Unterschiede. PSMU setzen sich von Söldnern dadurch ab, dass (1) ihr Einsatz zumeist außerhalb der Kampfhandlungen eines internationalen, bewaffneten Konflikts stattfindet; (2) sie in der Form von Geschäftsunternehmen organisiert sind, als solche institutionalisierte Eigentums- und Besitzverhältnisse aufweisen sowie breit und umfassend mit anderen Wirtschaftsunternehmen vernetzt oder sogar Bestandteil einer größeren Unternehmensholding sind; (3) sie primär nicht durch individuelles Profitstreben motiviert sind, sondern durch das Streben nach Unternehmensprofit; (4) sie eine wesentlich größere Bandbreite an Sicherheitsdienstleistungen als der klassische Söldnertrupp anbieten; (5) eine breitere Zahl von Akteuren zu ihren Kunden gehört; (6) sie ihre Mitarbeiter professioneller und systematischer rekrutieren; und (7) sie sich in einem offenen, kompetitiv und wettbewerbsmäßig organisierten Markt behaupten müssen. (Singer 2003) Generell können dabei in Anlehnung an Peter Singers (2003) ‘Tip-of-theSpear’-Typologie folgende vier Typen von Unternehmen unterschieden werden (siehe Abb. 1): Military Provider Firms übernehmen direkte militärische Implementierungs- und Kommandofunktionen und befinden sich physisch im Zentrum des Konflikt- und Kampfgeschehens, sei es als komplette eigene kleine Einheit, als einzelne Spezialisten in bestimmten Funktionen (etwa Kampfpiloten) oder auch als Befehlshaber für reguläre Einheiten. Klassische Beispiele für Military Provider Firms sind zwei aktuell nicht mehr existierende Unternehmen: Zum einen die britische Firma Sandline International und zum anderen das südafrikanische Unternehmen Executive Outcomes (EO). Security Provider Firms übernehmen analog zu Military Provider Firms direkte polizei- und wachdienstliche Implementierungs- und Kommandofunktionen. Da diese in Ländern bzw. Regionen mit brisanten und gefahrenträchtigen Konfliktsituationen tätig sind, können sie leicht in die Gefahr geraten, zu aktiven Parteien im örtlichen oder regionalen Konflikt- und Kampfgeschehen zu werden. Ein Beispiel ist die britische Firma Defense Systems Limited (DSL). Military & Security Consultant Firms bieten Beratungs- und Trainingsdienstleistungen an, die für die Durchführung von Kampfoperationen bzw. für die Gewährleistung einer relativ stabilen Sicherheitslage genuin wichtig sind. So restrukturieren sie etwa die Sicherheitskräfte des Kunden oder formieren diese neu; sie bieten strategische, operative und organisatorische Analyseexpertise, greifen aber selbst nicht direkt in das unmittelbare Geschehen 175
ein. Im Segment der Military & Security Consultant Firms gelten amerikanische Firmen wie DynCorp oder Military Professional Resources Incorporated (MPRI) oder auch die mit Hauptsitz in Großbritannien gemeldete Firma Control Risks. Bei Military & Security Support Firms ist der Funktionsbereich durch nicht-lethale Hilfe und Unterstützung bestimmt. Unternehmen dieses Typs offerieren ihren Kunden dem Konflikt- und Kampfgeschehen vor- und nachgelagerte Dienstleistungen wie etwa Logistik, Nachschub, Transport, technische Unterstützung und Aufklärung und erlauben ihnen damit, ihre Kräfte auf das originäre, genuine Tätigkeitsgebiet zu konzentrieren. Ein sehr bekanntes Beispiel ist die Firma Kellogg, Brown & Root Services (KBR). Abb. 1: Typen privater Sicherheits- und Militärunternehmen
Distanz zum Kampfgeschehen klein
Military Provider Firms
Security Provider Firms
Military & Security Consultant Firms
Military & Security Support Firms groß klein
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Differenzierungsgrad der Dienstleistungen & Umsatz des Unternehmens
groß
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Die Notwendigkeit von Kontrolle und Regulierung
PSMU sind durchaus funktional und nützlich. Sie haben ihre Fähigkeiten mehrfach eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Sie bieten eine wachsende Bandbreite von Funktionen und Dienstleistungen an, die sie häufig zur Zufriedenheit ihrer Kunden ausführen. Sie gelten als zuverlässig, effizient und gleichzeitig kostengünstig. Damit haben sie es geschafft, sich für viele Akteure als glaubwürdiges funktionales Äquivalent für staatliche Sicherheitsvorsorge zu etablieren. Für die Branche selbst stellen PSMU mittlerweile sogar nichts weniger als die letzte und beste Hoffnung der Menschheit dar. Der Vorsitzende des Dachverbandes der PSMU, der International Peace Operations Association (IPOA), Doug Brooks (2000), etwa sieht einzig die PSMU in der Lage, dem afrikanischen Kontinent, noch dazu vergleichsweise preisgünstig, den Frieden zu bringen. Dies bedürfe lediglich der Existenz eines willigen Scheckbuches. Aber auch kritischere Beobachter äußern sich positiv über PSMU und deren Einsatzmöglichkeiten etwa in PeacekeepingOperationen. Sie könnten von internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen, der Afrikanischen Union oder der ASEAN für Missionen herangezogen werden, in denen sich die Großmächte nicht zu engagieren gedenken. In Operationen zur Befreiung von Geiseln, bei Einsätzen gegen die internationale Drogenmafia und andere kriminelle Vereinigungen oder gegen transnationale terroristische Netzwerke à la Al Kaida könnten sie ebenfalls durchaus sinnvoll eingesetzt werden. Gleiches gilt für den Bereich von Information Warfare. (Smith 2002–03) Dennoch ist die Kritik an PSMU beträchtlich (vgl. für eine Gegenüberstellung des Nutzens und der Kosten Kümmel: 2005; sowie ausführlich die Beiträge in Jäger/Kümmel 2007). Zentraler Kritikpunkt ist dabei die Frage von Gewalt und deren Kontrolle, denn ein klassisches Gut von Staatlichkeit, die Herstellung und Gewährung von Sicherheit, wird ausgelagert, privatisiert, vermarktwirtschaftlicht und damit zu einer Ware, die sich eher Reiche denn Arme leisten können. Entsprechend sieht man in Teilen die PSMU an den Grundfesten staatlicher Souveränität, dem Gewaltmonopol des Staates, rütteln und die Autorität und Legitimität des Staates untergraben. Die Folgen können gravierend und dramatisch sein. So befürchtet beispielsweise Rolf Uesseler (2006) nichts weniger als die Zerstörung der Demokratie. Zudem wurden und werden etwa im Kontext des Einsatzes von PSMU Klagen über Menschenrechtsverletzungen laut. Instruktiv hierfür ist das Beispiel des Irak, wo die beteiligten Akteure unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen 20 000 und 25 000 ausländische und über 30 000 irakische Angehörige von PSMU unter Vertrag genommen haben. Dort waren Beschäftigte von Unternehmen wie der in London ansässigen Caci International Inc. und der im 177
kalifornischen San Diego beheimateten Titan Corp. an den Folterungen von Irakern in dem berüchtigten Gefängnis von Abu-Ghraib beteiligt. Bemängelt wird überdies die mangelnde Transparenz der Unternehmen, ihrer Verträge, ihrer Vertragspartner und ihrer Operationen. Zwar macht sie unter Umständen gerade dies für ihre Kunden, auch für ihre staatlichen Kunden attraktiv, die auf diesem Wege eine Stellvertreter-Außenpolitik betreiben können, doch entziehen sie sich damit den Augen einer kritischen demokratischen Kontrolle und der Öffentlichkeit. Was da so alles passieren kann, zeigte sich etwa im Fall des Einsatzes von Sandline International in Sierra Leone im Jahre 1997. Hier verstieß das Unternehmen mutmaßlich mit regierungsamtlicher Rückendeckung gegen ein Waffenembargo der Vereinten Nationen. Die Verwicklung britischer Regierungsstellen konnte zwar nicht endgültig verifiziert werden, doch gehen informierte Beobachter gemeinhin davon aus, dass britische Geheimdienste in diese Angelegenheit involviert waren. Als problematisch werden ferner die Vertragstreue und -sicherheit empfunden, da Restzweifel eben nicht vollständig ausgeräumt werden können. Denn wie kann man sicher sein, dass der Vertragspartner seinen Pflichten vertragsgemäß nachkommt? Dieses Problem erstreckt sich beispielsweise auf abrechnungstechnische Unregelmäßigkeiten, d. h. insbesondere auf Fälle, in denen auch renommierte Firmen wie KBR überhöhte Kostenansätze für ihre Dienstleistungen berechnet haben, aber auch auf Fälle, in denen PSMU, hier ebenfalls die KBR, die ihre Nahrungsmittelversorgung für die amerikanischen Soldaten im Irak zeitweise ausgesetzt hat, ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sind. Gefragt sind demnach intelligente Strategien seitens der diversen Kunden der PSMU, mit deren Hilfe sie es bewerkstelligen können, PSMU sachgerecht und konstruktiv in die Bearbeitung weltpolitischer Konfliktlagen einzubeziehen. Es geht also nicht um Ausgrenzung und Ächtung von PSMU, sondern um deren Zähmung und kontrollierte Einbindung. Einige setzen dabei auf die Selbstheilungs- und Disziplinierungskräfte des Marktes, darauf, dass sich die Unternehmen aus Gründen der Erhaltung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in einem kompetitiv strukturierten Dienstleistungsbereich einer freiwilligen Selbstkontrolle unterwerfen, und darauf, dass die Anteilseigner und Aktionäre auf Transparenz drängen. Die Hoffnungen ruhen damit im Wesentlichen auf wahrgenommenen wirtschaftlichen Zwängen zur Selbstregulierung der PSMU, die auch tatsächlich vorhanden sind. Andere wiederum vertrauen auf die Wirkung einer demokratisch-kritischen Öffentlichkeit, einer permanenten Beobachtung der Branche durch die Medien und die Befassung der Wissenschaft mit dieser Thematik.
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Dies erscheint einigen Beobachtern jedoch völlig unzureichend; sie fordern deswegen eine strengere Regulierung der Tätigkeit von PSMU durch die jeweiligen Nationalstaaten und deren Regierungen,2 so zum Beispiel den Einzug von Sicherheitsschleifen und Kontrollmechanismen in die Verträge, um die Unternehmen für ihre Handlungen haftbar zu machen und damit deren unerwünschtes Verhalten zu unterbinden. Auch wird darüber nachgedacht, die beteiligten Akteure darauf zu verpflichten, die Verträge öffentlich zu machen und von Regierungsstellen prüfen und genehmigen zu lassen. Ferner, so ein weiterer Vorschlag, sollen die Firmen angehalten werden, ihre Besitzverhältnisse und ihre Beziehungen zu anderen Unternehmen transparent zu machen. Auch die UNO könnte, vor allem durch ihre „Working Group on the Use of Mercenaries as a Means of Violating Human Rights and Impeding the Exercise of the Rights of the Peoples to Self-Determination“, welche im Juli 2005 die Nachfolge des seit 1987 eingesetzten Sonderberichterstatters für Söldnerfragen im „Office of the High Commissioner for Human Rights“ angetreten hat, wichtige Impulse für eine noch zu erarbeitende Internationale UN-Konvention zu PSMU geben.3 Am Ende bedarf es wohl einer Kombination nationaler und internationaler Regulierungs- und Zertifizierungsmaßnahmen, an denen staatliche wie nicht-staatliche Akteure und auch die PSMU selbst beteiligt sind, vielleicht auch im Sinne des von Herbert Wulf (2005: 210–216) vorgeschlagenen 2
3
Im nationalen Rahmen haben einige Länder bereits Regulierungsmaßnahmen ergriffen. In Südafrika wurde in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre nach bekannt werden der Aktivitäten von EO über ein entsprechendes Gesetz verhandelt, das dann im Jahre 1997 verabschiedet wurde und derzeit einer Überarbeitung im Sinne einer weiteren Verschärfung unterliegt. (Buchner 2007) In Großbritannien erfolgten Überlegungen zur Regulierung und Kontrolle der Tätigkeit von PSMU im Zuge der sog. Sandline-Affäre. Dort hatte man zunächst auf die Selbstregulierung der Firmen gesetzt, doch wuchs im Zuge der Affäre der politische Druck, regulierend aktiv zu werden. Schließlich entstand ein regierungsoffizielles Green Paper, das aber noch nicht in die konkrete Gesetzgebung eingeflossen ist. In Frankreich wurde hingegen Anfang April 2003 ein Gesetz verabschiedet, das alle Arten von Söldnertum unter Strafe stellt, das aber gemeinhin als unzureichend gewertet wird. In den USA wiederum wird von offizieller Seite kaum Anlass zum Handeln gesehen. Hier werden die bestehenden Maßnahmen als ausreichend angesehen, müssen doch die Verträge vom Office of Defense Trade Controls im State Department geprüft und abgesegnet werden. Allerdings weisen Kritiker wie Deborah Avant (2007) darauf hin, dass dies erst ab einem Auftragsvolumen von 50 Mio. US-Dollar nötig sei, was teilweise gezielt zum Unterlaufen der Regulierungsmaßnahme eingesetzt werden könne, indem umfangreichere Verträge schlicht und ergreifend aufgeteilt würden. Auch in Deutschland erachtet die Bundesregierung die nationalen Handlungsmöglichkeiten über das BGB, die Gewerbeordnung und die Bewacherverordnung bislang für ausreichend. Als Sonderberichterstatter fungierten Enrique Bernales Ballesteros aus Peru (1987–2004) und Shaista Shameem von den Fidschi-Inseln (Juli 2004–Juli 2005). Die Arbeitsgruppe besteht aus Najat Al-Hajjaji, José Luis Gómez des Prado, Alexander Nikitin und Shaista Shameem und wird geleitet von dem Kolumbianer Amada Benavides de Pérez.
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Mehrebenenmodells für ein öffentliches Gewaltmonopol. Gleichzeitig muss man sich allerdings darüber im Klaren sein, dass den internationalen wie den nationalen Regulierungsversuchen gewisse Grenzen gesetzt sind, so dass man sich über deren Durchschlagskraft keinen Illusionen hingeben, sondern realistisch bleiben sollte. Nicht alle, vielleicht sogar die wenigsten PSMU entsprechen den gängigen, pejorativen Vorstellungen über sie. Und dennoch gibt es die schwarzen Schafe der Sparte. Letztere können sich wie EO durch Unternehmensneugründungen oder Verlagerung des Firmensitzes in ein Land, das nicht oder nur wenig regulierend in den Geschäftsbereich hineinwirkt, der Regulierung und Kontrolle relativ einfach entziehen. Doch werden diese Fragen wie auch der Vorschlag des Mehrebenenmodells für ein öffentliches Gewaltmonopol an dieser Stelle nicht weiter verfolgt und vertieft, da wir uns im Folgenden auf Regulierungs- und Kontrolleffekte beschränken, die aus der den Wirtschaftswissenschaften entstammenden Prinzipal-Agent-Theorie abzuleiten sind.
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Prinzipal-Agent-Theorie und die Zähmung von PSMU
Die Prinzipal-Agent-Theorie (PAT) (grundlegend Jensen/Meckling 1976; vgl. auch bilanzierend Eisenhardt 1989) gehört nicht zu den neoklassischen ökonomischen Modellen, in denen eine wesentliche Annahme die der vollständigen Rationalität der beteiligten, handelnden und vollständig informierten Akteure im Sinne des homo oeconomicus ist, sondern ist der Neuen Institutionenökonomik und der Informationsökonomie zuzurechnen (MachoStadler/Pérez-Castrillo 2001). Entsprechend geht die PAT von einer eingeschränkten und begrenzten Rationalität der Akteure aus, die in ihrer Entscheidungsfindung suboptimal ausgestattet sind, da sie nicht über umfassende Informationen verfügen, wenn sie das Handeln anderer beurteilen. Die grundlegende Figur des Modells ist das Verhältnis zwischen einem Auftraggeber, dem Prinzipal, und einem Auftragnehmer, dem Agenten. Die Akteure handeln der Theorie zufolge opportunistisch-egoistisch; beide agieren interessengeleitet: Der Agent möchte für möglichst wenig Dienstleistung möglichst viel an Bezahlung erhalten, während es sich bei dem Prinzipal genau umgekehrt verhält: Er möchte möglichst wenig bezahlen, dafür aber möglichst viel Leistung erhalten. Die Interessen der Akteure sind also nicht identisch. Daraus können Konflikte entstehen, die jedoch abgemildert bzw. sogar verhindert werden können, wenn man sich über die strukturell angelegten Problemfelder einer Prinzipal-Agent-Beziehung im Klaren ist (vgl. Grossman/Hart 1983). Die wichtigsten dieser Problemfelder sind die folgenden, hier danach unterschieden, ob sie vor Vertragsabschluss oder danach entstehen (siehe Abb. 2): 180
181
E I G E N I N T E R E S S E / N U T Z E N M A X I M I E R U N G
P
hidden action
hidden characteristics
ASYMMETRISCHE INFORMATION
hidden information
Auftragsdurchführung
Erteilung eines Auftrages
hidden intentions
Abb. 2: Problemfelder des Prinzipal-Agent-Verhältnisses
A
E I G E N I N T E R E S S E / N U T Z E N M A X I M I E R U N G
Vor Vertragsabschluss: x Verborgene Eigenschaften (hidden characteristics): Sucht ein Prinzipal das erste Mal einen Agenten für eine bestimmte Dienstleistung, möchte er sich Gewissheit verschaffen, dass der Agent auch über die Eigenschaften und Fähigkeiten verfügt, die zur Durchführung dieser Dienstleistung erforderlich sind, um zu verhindern, dass er sich schlicht den falschen Agenten erwählt (adverse selection). Nach Vertragsabschluss: x Verborgenes Handeln (hidden action): Dieses Problem kann entstehen, wenn der Prinzipal die Leistungserbringung des Agenten nicht vollständig beobachten, überwachen und kontrollieren kann. In diesem Fall verfügt der Agent über erhebliche ‘diskretionäre’ Handlungsspielräume, die opportunistisch ausgenutzt werden können (moral hazard) und dem Prinzipal verborgen bleiben. x Verborgene Information (hidden information): Selbst wenn der Prinzipal die Leistungserbringung durch den Agenten beobachten kann, kann es sein, dass er deren Qualität nicht beurteilen kann, etwa wenn er nicht über die erforderlichen spezifischen Fachkenntnisse verfügt. x Verborgene Absicht (hidden intention): Dies meint den Umstand, dass der Prinzipal die Intentionen des Agenten nicht exakt, wahrheitsgemäß und umfassend bestimmen kann. Das grundlegende Problem des Verhältnisses zwischen Prinzipal und Agent ist demnach die Asymmetrie in der Verteilung der Informationen. Das Verhältnis und die Interaktion zwischen einem PSMU und seinem Kunden, gleich ob es eine Regierung eines Staates, ein transnationales Unternehmen, eine Nichtregierungsorganisation (NGO), eine (Gruppe von) Privatperson(en) ist, entspricht der Konstruktion der PAT: Der Kunde des PSMU ist der Prinzipal, das PSMU selbst ist der Agent. Entsprechend finden sich in der empirischen Praxis auch Beispiele für die verschiedenen Problemfelder einer Prinzipal-Agent-Beziehung, die Anlass zu der Vermutung geben, dass hier der Schwanz mit dem Hund wedelt, um das Bild vom Titel wieder aufzugreifen: x Verborgene Eigenschaften (hidden characteristics): Ein PSMU, das etwa in einem Einsatz für einen Kunden gezielt gegen Menschenrechte verstoßen hat, um den Auftrag zu erfüllen, wird einem neuen Kunden gegenüber möglicherweise diese Information gezielt vorenthalten, um den Auftrag zu erhalten. Im Falle, dass diese Nachricht durchsickert, kann der Imageschaden für den Neukunden beträchtlich sein. 182
x Verborgenes Handeln (hidden action): Ein PSMU kann beispielsweise ohne das Wissen des Prinzipals einen Sub-Kontraktor mit der Durchführung von Teilen des Auftrags betrauen. Dadurch entsteht dem PSMU ein Gewinn, denn die Dienstleistungen werden von dem Sub-Kontraktor in aller Regel zu einem niedrigeren Preis erbracht. Die den Sub-Kontrakt vergebende PSMU stellt jedoch dem Prinzipal den ursprünglich vereinbarten Preis in Rechnung. In Kauf genommen wird dabei von dem Agenten, dem PSMU, dass die praktische Durchführung des Auftrags eventuell in der Hand von weniger qualifizierten Personen liegt, die noch dazu vielleicht auch qualitativ weniger hochwertiges Gerät einsetzen und infolgedessen schlechtere Arbeitsergebnisse erzielen. Ein weiteres Beispiel ist, dass PSMU auch versucht sein können, durch den Einsatz von zweifelhaften Methoden und Instrumenten wie etwa Folter ihre Effektivität zu erhöhen, wodurch sich indes Nebenfolgen einstellen können, die dem Prinzipal eher ungelegen kommen. x Verborgene Information (hidden information): Häufig vergeben die Prinzipale sog. Cost-plus-Verträge (vgl. Hartley 2004), die den PSMU die Erstattung der Kosten plus eine Gewinnmarge, einen Profit von X Prozent garantieren, ohne den Umfang der vereinbarten Dienstleistungen exakt zu bestimmen. Unterstützend tätig werdende PSMU, etwa im Bereich der Logistik, haben demzufolge einen gewissen Anreiz, möglichst viel Leistung zu erbringen, also etwa möglichst viel Treibstoff oder Lebensmittel zu liefern, da dies den eigenen Überschuss fördert. Bisweilen ist der Prinzipal angesichts der konkreten praktischen Konfliktsituation, in der das PSMU tätig ist, dann nicht in der Lage, exakte Informationen einzuholen, dass tatsächlich Treibstoff in dem von dem PSMU angegebenen Umfang geliefert worden ist. Diese Situation kann ein PSMU ausnutzen und dem Prinzipal beispielsweise mehr Treibstoff oder Lebensmittel in Rechnung stellen, als tatsächlich geliefert wurden. x Verborgene Absicht (hidden intention): Ein recht häufig vorgebrachtes Argument der Kritiker von PSMU lautet, dass diese bisweilen wenig Interesse an einer schnellen Auftragserfüllung an den Tag legen. Ganz im Gegenteil streben diese vielleicht sogar gerade eine Perpetuierung des Konflikts an, da ihnen dies weitere Beschäftigung, Anschlussverträge und weiteren Gewinn verspricht und garantiert. Um das Eintreten dieser Probleme einzuschränken, zu verhindern, hilft der PAT zufolge zuvörderst ein Ansetzen an der Wurzel des Problems, nämlich der Asymmetrie der Information. An einer solchen Symmetrisierung der Information können sowohl der Prinzipal wie auch der Agent beteiligt sein, wobei dies für beide mit entsprechenden Transaktionskosten verbunden ist. Allerdings sollte der Anreiz zur Informationsangleichung für den Prinzipal, 183
welcher der Hauptleidtragende der besagten asymmetrischen Informationsstrukturen ist, stärker ausgeprägt sein als für den Agenten. Eine solche Informationssymmetrisierung kann bereits im Vorfeld des Vertragsabschlusses geschehen. Hier kann das Problemfeld der verborgenen Eigenschaften etwa durch Signalling und Screening umgangen werden. Der Agent vermittelt dem Prinzipal ein möglichst realistisches Profil seiner Leistungen und Fähigkeiten (signalling); der Prinzipal vergleicht, wertet aus und prüft die Leistungskataloge der verschiedenen ihm vorliegenden Angebote (screening). Das soeben geschilderte Problem verborgener Absichten kann der Prinzipal beispielsweise durch die Einführung bestimmter Anreizstrukturen entschärfen. So könnte man Prämien in Aussicht stellen, wenn ein Auftrag schneller als in der vorgegebenen Zeit erledigt wird. Und die Problemfelder der verborgenen Informationen und der verborgenen Handlungen ließen sich durch den stärkeren Einsatz von Rechnungsprüfungs-, Kontroll-, Monitoring-, Evaluierungs- und Sanktionsinstrumenten seitens des Prinzipals bearbeiten (Fredland/Kendry 1999: 156). Der PAT gemäß wäre es für den Prinzipal wie auch für den Agenten durchaus rational, sich in einer solchen Art und Weise zu verhalten. Schaut man sich indes die vorliegenden Berichte beispielsweise des amerikanischen Government Accountability Office, ehemals General Accounting Office (GAO; www.gao.gov) an, dann wird man feststellen, dass selbst ein westlichdemokratisches Land wie die Vereinigten Staaten von Amerika von diesen Instrumenten vergleichsweise wenig Gebrauch macht. Immer wieder finden sich in diesen Berichten im Nachgang zu Darstellungen von Fehlverhalten und Missbrauch Klagen über mangelnde Transparenz, mangelnde Aufsicht, mangelnde Kontrolle etc. Dieser Befund ist auch angesichts der doch erheblichen Summen, um die es dabei geht, durchaus erklärungsbedürftig. Eine Erklärung lautet, dass der Markt, um den es sich handelt, ein zwar nicht monopolistisch, doch oligopolistisch strukturierter Markt ist, in dem die Anbieter von militärischen und Sicherheitsdienstleistungen sozusagen die Bedingungen diktieren (vgl. Markusen 2001: 2). Ein anderes Argument sieht praktische Probleme in der Implementierung von Überwachungs- und Kontrolleinrichtungen, die damit zusammenhängen, dass die Sicherheitslage an den Orten, an denen PSMU ihre Dienstleistungen gemeinhin erbringen, oftmals prekär und gefährlich ist und sich häufig und rasch ändert (Singer 2003: 152f.). Dieser Umstand spricht zudem auch dafür, dass der Prinzipal nur mäßig gewillt ist, einen Agenten im Falle seines missbräuchlichen Verhaltens während eines laufenden Einsatzes abzulösen und auszutauschen. Dem kann indes mit dem Five-Forces-Modell von Michael Porter (1979, 1996) entgegengehalten werden, dass der Markt der PSMU zwar tatsächlich ein Markt mit einer vergleichsweise geringen Zahl von Anbietern ist, dass der 184
Wettbewerbsdruck jedoch nicht unbeträchtlich ist und in den vergangenen Jahren zugenommen hat (Drutschmann 2007), da x die Geschäftsstrategien der Unternehmen relativ eng beieinander liegen, x die Schwelle für neu den Markt betretende Unternehmen recht niedrig ist, x vor allem mit den USA ein Kunde auftritt, der über enorme GegenMarkt-Macht verfügt, x mit Verweis auf die Streitkräfte die Drohung einer Umkehrung des Outsourcing und der Privatisierung glaubhafter und fundierter als in anderen Bereichen ist und x der Wettbewerb der PSMU um qualifiziertes Personal in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat. Folge dieses gestiegenen Wettbewerbsdrucks auf dem Markt der privaten Militär- und Sicherheitsindustrie ist eine Disziplinierungswirkung auf die Unternehmen in dem Sinne, dass missbräuchliches Verhalten eher als früher sanktioniert wird. Ablesbar ist dies an den bereits erwähnten Selbstbeschränkungs- und Selbstregulierungsmaßnahmen der PSMU. Diese orientieren sich nun stärker an ihrem langfristigen Überleben; der Agent strebt stärker nach einer Interessenabgleichung mit dem Prinzipal, so dass Vertrauen – wiewohl immer noch eine riskante Ressource (Luhmann 2000; vgl. auch BijlsmaFrankema 2005) – das Verhältnis und die Interaktionen zwischen Prinzipal und Agent bestimmt. Der Markt belohnt die untadeligen, seriösen und authentischen Unternehmen, so dass die nun stärker als zuvor vorhandenen (Selbst-)Einschränkungen (constraints) im Sinne von Wolfgang Streeck (1997) „beneficial“ sind. Schließlich kann auch mit guten Gründen vermutet werden, dass noch weitere Regulierungen am Werke sind, wie sie weiter oben bereits geschildert worden sind. Dabei ist in der jüngsten Vergangenheit größere Aufmerksamkeit informell wirkenden Regulierungen zuteil geworden, die auch die Tatsache widerspiegeln, dass die Konstruktion des rational kalkulierenden, opportunistisch-egoistisch handelnden homo oeconomicus zu kurz greift, sich neben ökonomischen Anreizwirkungen auch nicht-ökonomisch grundierte Motivationsfaktoren bemerkbar machen und kulturell-normative Prägungen der Beschäftigten der PSMU, die ja zum überwiegenden Teil früher Soldaten waren und entsprechend einer spezifischen Militärkultur und einem militärischen Professionalismus ausgesetzt gewesen sind, in der Gegenwart nachwirken. Doch dies ist eine Geschichte, die bereits andernorts erzählt worden ist (Drutschmann 2007). Festzuhalten bleibt für unsere Betrachtung der PAT, dass ihre Verwendung im Kontext von PSMU zweifellos ihre Berechtigung hat, sie durchaus erklärungskräftig ist und Wege aufzuzeigen in der Lage ist, 185
wie man die Probleme, die sich im Verhältnis von PSMU und Auftraggeber, also zwischen Agent und Prinzipal einstellen können, bearbeiten kann, ohne allerdings so etwas wie eine Generalrezeptur bieten zu können. Hierzu müssen dann entsprechend weitere Faktoren berücksichtigt werden, so dass sich für unser Thema der PSMU noch auf absehbare Zeit hin substanzielle Forschungsperspektiven und -möglichkeiten eröffnen. Literatur Avant, Deborah D. (2005): The Market for Force. The Consequences of Privatizing Security. Cambridge et al.: Cambridge University Press. Avant, Deborah D. (2007): Selling Security: Trade-Offs in State Regulation of the Private Security Industry. In: Jäger/Kümmel 2007: 419–442. Bijlsma-Frankema, Costa (2005): Understanding the Trust-Control Nexus. In: International Sociology, 20: 3, 259–282. Boyer, Robert/Hollingsworth, J. Rogers (Hrsg.) (1997): Contemporary Capitalism: The Embeddedness of Institutions. Cambridge: Cambridge University Press. Brooks, Doug (2000): Write a Checque, End a War: Using Private Military Companies to End African Conflicts. In: Conflict Trends, 3: 1, 33–35. Bryden, Alan/Caparini, Marina (Hrsg.) (2006): Private Actors and Security Governance. New Brunswick – London: Transaction Publishers. Buchner, Susan (2007): Private Military Companies and Domestic Law in South Africa. In: Jäger/Kümmel 2007: 395–405. Center for Public Integrity (2002): Making a Killing: The Business of War. http:// www.publicintegrity.org/bow. Center for Public Integrity (2004): Windfalls of War: U.S. Contractors in Iraq and Afghanistan. http://www.publicintegrity.org/bow. Cilliers, Jakkie/Mason, Peggy (Hrsg.) (1998): Peace, Profit or Plunder? The Privatisation of Security in War-Torn African Societies. Pretoria: Institute for Security Studies. Drutschmann, Sebastian (2007): Informal Regulation: An Economic Perspective on the Private Security Industry. In: Jäger/Kümmel 2007: 443–455. Eisenhardt, Kathleen (1989): Agency Theory: An Assessment and Review. In: Academy of Management Review, 14: 1, 57–74. Feigenbaum, Harvey/Henig, Jeffrey/Hamnet, Chris (1999): Shrinking the State: The Political Underpinnings of Privatization. Cambridge: Cambridge University Press. Fredland, Eric/Kendry, Adrian (1999): The Privatization of Military Force: Economic Virtues, Vices and Government Responsibility. In: Cambridge Review of International Affairs, 13: 1, 147–164. Gause, Clemens (2004): Die Ökonomisierung der Bundeswehr: Strategische Neuausrichtung und organisationskulturelle Rahmenbedingungen. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag. Grossman, Sanford J./Hart, Oliver D. (1983): An Analysis of the Principal Agent Problem. In: Econometrica, 51: 1, 7–46.
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IV Gestaltung und Steuerung von Veränderungsprozessen in der Bundeswehr
Das Kontinuierliche Verbesserungsprogramm (KVP) als Instrument der Gestaltung des organisatorischen Wandels Lars Wochnik 1
Der Wandel als organisatorische Herausforderung
Wandlungsprozesse in Organisationen zu gestalten ist eine der wichtigsten und zugleich schwierigsten Herausforderungen für die Führung. Dies gilt gleichermaßen für die Wirtschaft, wie für den öffentlichen Sektor, weil in beiden Fällen Organisationen an veränderte Rahmenbedingungen angepasst werden müssen. Insbesondere in Zeiten begrenzter Ressourcen ist es lohnend, sich professionell mit organisatorischen Wandlungsprozessen zu beschäftigen. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass innerhalb von 15 Jahren bis 1995 die Fortune-100-Unternehmen durchschnittlich je 1 Mrd. USD in Reorganisationsprojekte investierten und 70 Prozent davon scheiterten oder nicht den erhofften Erfolg brachten. (Picot/ Freudenberg/Gaßner 1999: 1f.) Um hohe Summen an Steuergeldern geht es auch bei Wandlungsprozessen innerhalb der Streitkräfte und speziell der Transformation der Bundeswehr. Vor diesem Hintergrund ist es sehr wichtig, diejenigen Instrumente genau zu kennen, die für die Gestaltung des Wandels zur Verfügung stehen. Ziel dieses Beitrags ist es, die Bedeutung des Kontinuierlichen Verbesserungsprogramms der Bundeswehr (KVP) als Gestaltungsinstrument des organisatorischen Wandels zu erfassen. Dazu wird zunächst der organisatorische Wandel und dessen Management charakterisiert (Abschnitt 2). Anschließend wird der Zusammenhang zwischen dem Wandel und dem Lernen von Organisationen skizziert (Abschnitt 3), bevor im Abschnitt 4 ausführlich auf das Instrument KVP eingegangen wird. Im Abschnitt 5 werden die Voraussetzungen benannt, die erforderlich sind, um KVP als Instrument des organisatorischen Wandels einzusetzen. Abschließend werden im Abschnitt 6 die wesentlichen Erkenntnisse zusammengefasst.
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Charakterisierung und Management des Wandels
In einer Langzeitanalyse, in der zwei amerikanische Eisenbahngesellschaften über 25 Jahre beobachtet wurden, wurde festgestellt, dass sich Unternehmen trotz vergleichbarer Umwelt unterschiedlich verhalten. Das eine Unternehmen verhielt sich während der Untersuchung solange passiv, bis schließlich eine radikale Reorganisation erforderlich wurde, um es vor der Insolvenz zu 191
retten. Im zweiten Unternehmen gab es permanent kleinere und größere Veränderungen. Diese wirkten sich zunächst im Denken der Manager, dann aber auch in der Organisationsstruktur aus. Zudem passte sich dieses Unternehmen auch bezüglich seiner Ziele und der Effizienzkriterien flexibel an die jeweiligen Anforderungen an. Interessanterweise sah das erste Unternehmen die Gründe für die Probleme in unberechenbaren Umweltbedingungen, während das zweite Unternehmen interne Probleme und die Notwendigkeit zur Anpassung als Ursache identifiziert hatte. (Barr/Stimpert/Huff 1992: 15–36) Wenn von organisatorischem Wandel die Rede ist, ist zunächst einmal noch nicht bestimmt, ob es sich um einen radikalen Wandel oder um einen Wandel in kleinen Schritten, also einem evolutionären Wandel handelt. Der radikale Wandel geht konform mit dem Konzept des Business Reengineering und setzt auf eine top-down Strategie. Der evolutionäre Wandel stimmt hingegen mit den Gedanken der Organisationsentwicklung (OE) überein und ist um eine partizipative Vorgehensweise bemüht. Durch Maßnahmen der OE soll nicht nur die Leistungsfähigkeit der Organisation, sondern gleichzeitig die Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten erhöht werden. Für das Management des Wandels ist es nun wichtig zu wissen, wann die eine oder die andere Form des Wandels effizient ist. Die Beurteilung der Vorteilhaftigkeit der beiden Ansätze hängt von zahlreichen Faktoren ab. Unterschiede ergeben sich aufgrund der zu bewältigenden Situation, aber auch bezüglich des zugrunde gelegten Menschenbildes und des Machtverständnisses. (Thom/ Ritz 2006: 91ff.; Lehner 2006: 122, 126) Studien haben ergeben, dass ein stark durch die Führung bestimmter Wandel vor allem dann sinnvoll ist, wenn die Verteilung des für die Veränderung relevanten Wissens konzentriert und explizit, die tatsächlichen Machtverhältnisse unipolar, die Interessen konfligierend und der erwartete direkte Nutzen für die Beschäftigten gering sind. In dem Maße jedoch, in dem der Wandel zu einem kontinuierlichen Anpassungsprozess wird, der auch von den Fähigkeiten der Beschäftigten und deren Akzeptanz abhängig ist, sind partizipative Instrumente des Wandels einzubeziehen. Zukünftig wird diese wechselseitige Gratwanderung zwischen schneller Reaktion einerseits und Partizipation der Beschäftigten andererseits eine besonders schwierige Herausforderung für die Führungskräfte darstellen. (Picot/Fiedler 2002: 252– 254; Gaßner 1999: 187) Ein häufiges Problem jeglicher Veränderungsprozesse sind Widerstände gegen den Wandel. Während der zutreffenden Benennung der Probleme und der Ausarbeitung von Lösungen viel Raum gegeben werden, geraten die internen Barrieren oftmals aus dem Blickfeld. Dabei wird übersehen, dass jedes größere Reformprojekt auf Hindernisse stoßen wird, deren Überwindung für eine erfolgreiche Realisation erforderlich ist. (Kieser/Hegele/Klimmer 1998: 192
120ff.) Für den öffentlichen Sektor stellen Thom/Ritz (2006: 95ff.) fest: „Bei der Umsetzung zeigen sich jedoch meist recht bald die ersten Widerstände und die beträchtliche Trägheit der staatlichen Institutionen. Diese Hindernisse oder Barrieren bei der Umsetzung umfassen einerseits konkrete Widerstandsaktionen, daneben aber auch generelle Hemmschwellen und allgemeine Trägheit, welche die Nutzung bestehender und Gestaltungsspielräume verhindern.“ In Wissenschaft und Praxis setzt sich zusehends die Auffassung durch, dass für einen erfolgreichen organisatorischen Wandel die Einbindung der Beschäftigten spätestens ab der Umsetzungsphase erforderlich ist, um das Wissen der Beschäftigten fruchtbar zu machen, die Motivation zu erhöhen, die Akzeptanz zu steigern und eine bessere Information der Beschäftigten sicherzustellen. (Picot/Fiedler 2002: 252; Picot 1993: 170ff.; Kieser/Hegele/ Klimmer 1998: 218ff.) Wie die Beschäftigten zur Unterstützung von Veränderungen zu bewegen sind und wie sie dabei aktiv eingebunden werden können, ist auch und vor allem im öffentlichen Sektor eine entscheidende Frage zur erfolgreichen Gestaltung des organisatorischen Wandels. Eine hohe Wandlungsbereitschaft der Beschäftigten konnte insbesondere in der japanischen Automobilindustrie festgestellt werden. Dies führen Picot/ Dietl/Franck (1999) auf Rahmenbedingungen zurück, welche die Risiken des Wandels für die Beschäftigten minimieren. Interessanterweise sind die dort genannten Bedingungen denen in der Bundeswehr durchaus vergleichbar: eine Beschäftigungsgarantie auf Lebenszeit, Job-Rotation und feste Entlohnungsstrukturen nach dem Senioritätsprinzip1 statt nach Leistungskriterien. Als ein weiteres wichtiges Element, mit dem die Beschäftigten in die Veränderungsprozesse aktiv eingebunden werden, wurden moderierte Arbeitsformen wie Workshops und Qualitätszirkel identifiziert. Durch das beschriebene Maßnahmenbündel werden Befürchtungen der Beschäftigten abgebaut und deren Flexibilität erhalten. Zugleich wird erwartet, dass die Beschäftigten ihr spezifisches Wissen in die Reorganisationsprozesse einbringen. (Womack/Jones/Roos 1994: 59f.; Picot/Dietl/Franck 1999: 397f.) Bereits an dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass im Rahmen von KVP auch bei der Bundeswehr die Möglichkeit besteht, moderierte Arbeitsformen zu nutzen. Auch die Bundeswehr unterliegt einem ständigen organisatorischen Veränderungsprozess, der als organisatorischer Wandel bezeichnet werden kann und durch externe und interne Einflussfaktoren bedingt ist. Vor allem die Errungenschaften des Informationszeitalters und die asymmetrische Bedrohungslage haben bei den Streitkräften dafür gesorgt, dass sich die Innovationszyklen verkürzt haben und die Komplexität und die Umweltdynamik gestiegen sind. Diesen veränderten Rahmenbedingungen muss organisa1
Mit dem Senioritätsprinzip ist die Entlohnung der Beschäftigten nach Lebensalter und der Dauer der Betriebszugehörigkeit statt nach Leistungskriterien gemeint.
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tionsintern mit einer höheren Flexibilität begegnet werden, um sich permanent an neue Situationen anpassen zu können. (Skodowski 2004: 239; Stieglitz 2005: 24–30; Schneiderhan 2006) Beim Bemühen, den organisatorischen Wandel der Bundeswehr zu charakterisieren, stößt man rasch auf den Begriff der Transformation.2 Dabei geht es um einen fortlaufenden, vorausschauenden Anpassungsprozess, um die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zu erhöhen und auf Dauer zu erhalten. Beabsichtigt ist, sich permanent auf neue Bedrohungen und militärische Erfordernisse einzustellen, neue Technologien konsequent zu nutzen und die Fähigkeitsprofile der einzelnen Teilbereiche stärker zu integrieren. (BMVg 2003)3 Bei der Transformation handelt es sich um einen Prozess, der bisher durch einen relativ geringen Partizipationsgrad gekennzeichnet ist. Wenn in relativ kurzer Zeit eine deutliche Steigerung der Effektivität erreicht werden soll, ist dieses Vorgehen empfehlenswert. Ihrem Wesen nach ist die Transformation jedoch ein kontinuierlicher Prozess zur Anpassung an neue Gegebenheiten und Herausforderungen. Deshalb muss auch Wert darauf gelegt werden, bei möglichst vielen Beschäftigten eine allgemeine Veränderungsbereitschaft und den Aufbau von Veränderungspotenzialen zu schaffen. Die Forderung des Bundesministers der Verteidigung und ranghoher Militärs, die Beschäftigten auf diesem Weg mitzunehmen, trägt diesem Aspekt Rechnung. (Jung 2006; Böckler 2004) Wenn nachfolgend vom organisatorischen Wandel der Bundeswehr gesprochen wird, soll der Begriff jedoch mehr umfassen, als ‘nur’ die Transformation. Neben dem Umbau der globalen Strukturen und der bundeswehrweiten technologischen Modernisierung gibt es zahlreiche kleinere Anpassungsprozesse, die nicht minder bedeutsam sind. Sie ergeben sich vor allem aus den Anwendungserfahrungen der durchführenden Ebenen und lassen sich als evolutionärer Wandel kennzeichnen. Diese Anpassungsprozesse sind vor allem dort effizient, wo die unmittelbar Betroffenen einen Änderungsbedarf wesentlich früher erkennen können als zentrale Instanzen. Als eine Voraussetzung für mehr Eigeninitiative hat Minister Jung die Schaffung von Handlungsspielräumen identifiziert, in deren Rahmen mehr Verantwortung übernommen werden kann. Jung fordert daher die Vorgesetzten aller Führungs2 3
Vor dem Hintergrund der sicherheitspolitischen Veränderungen hat das Bundesministerium der Verteidigung den Transformationsbegriff entwickelt und ihn in den Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) aus dem Jahr 2003 konkretisiert. Die Sichtweise, dass eine Reform mit einem definierten Endzustand nicht mehr ausreicht, um den heutigen und zukünftigen Anforderungen zu genügen, ist in der Bundeswehr relativ neu. In der betriebswirtschaftlichen Literatur wurde diese Erkenntnis schon vor mehr als 10 Jahren geäußert. Schreyögg und Noss sprachen bereits 1995 davon, dass der organisatorische Wandel nicht mehr länger als Ausnahmefall, sondern als Normalfall betrachtet werden muss. (Schreyögg/Noss 1995: 181)
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ebenen und die Beschäftigten dazu auf, die Abläufe in der Bundeswehr auf ihre Effizienz zu prüfen und, wenn nötig, zu entbürokratisieren. (Jung 2006) Um diese Veränderungen auf den Weg zu bringen, für die gesamte Organisation nutzbar zu machen und daraus neue Standards zu generieren, bedarf es geeigneter Instrumente. Eines dieser Instrumente ist das KVP.
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Organisatorischer Wandel und organisatorisches Lernen
Angesichts der dynamischen Rahmenbedingungen wird die Wandlungsfähigkeit der Organisation zu einem kritischen Erfolgsfaktor. Wandel zum Zwecke der Anpassung an veränderte Bedingungen bedeutet, dass die Organisation lernt. Die Förderung des permanenten Lernens der Beschäftigten und ganzer Organisationsbereiche ist dabei kein singuläres, klar abgrenzbares Ereignis mehr – wie es in den traditionellen Lernkonzepten und der Organisationsentwicklung angenommen wird – sondern der Normalfall. Zudem muss verstärkt auch auf unerwartete Umweltsignale reagiert werden, die ex ante nicht hinreichend definierbar und auch nicht vollständig beherrschbar sind. Dementsprechend ist ein dynamischer, fortlaufender Lernprozess erforderlich, der die Erfahrungen aller Beschäftigten mit der Umwelt einbezieht. (Schreyögg/Noss 1995: 174–181) Wenn Wandlungsprozesse zukünftig erfolgreich absolviert werden sollen, muss die Organisation in die Lage versetzt werden, zu lernen. Dies erfolgt, indem die Individuen lernen oder ihr Wissen mittels Kommunikation teilen. Der Gedanke der ‘Lernenden Organisation’4 entstammt der Beobachtung, dass auch Organisationen ihr Verhalten ändern können, d. h. auf den selben Stimulus in einer signifikant anderen Weise zu reagieren. Voraussetzung dafür ist der Erwerb neuen Wissens, die Neubewertung von vorhandenem Wissen oder eine bessere Verteilung des Wissens. (Probst/Raub/Romhardt 2003: 23; Al-Laham 2003: 56ff.) Der organisatorische Wandel erfolgt also aufgrund von Lernprozessen, die innerhalb der Organisationen stattfinden. Lernen und Wandel sind damit zwei eng miteinander verbundene Begriffe, „gewissermaßen zwei Seiten derselben Münze“. (Schreyögg/Noss 2000: 45f.) Die nachfolgenden Ausführungen gehen von der Grundannahme aus, dass der organisatorische Wandel der Bundeswehr durch ständige Lernprozesse gefördert werden kann, für die ein systematisch aufgebautes und organisatorisch verankertes Instrument optimal geeignet ist: das Kontinuierliche Verbesserungsprogramm der Bundeswehr.
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Der Begriff der ‘Lernenden Organisation’ wurde von Argyris/Schön (1978) geprägt; siehe auch Argyris (1990).
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Das Kontinuierliche Verbesserungsprogramm (KVP)
In der Literatur und in der Praxis steht KVP als Abkürzung sowohl für „Kontinuierlicher Verbesserungsprozess“ als auch für „Kontinuierliches Verbesserungsprogramm“ und wird von den meisten Autoren auf die japanische Managementphilosophie des Kaizen zurückgeführt.5 Diese geht davon aus, dass jede Organisation optimierungsfähig ist und dass die Beschäftigten, die täglich mit den Abläufen und Prozessen befasst sind, einen großen Beitrag dazu leisten können. Auch KVP zielt darauf ab, einen stetigen Prozess der Verbesserung zu initiieren, der die gesamten Mitarbeiterpotenziale systematisch erschließt. Dabei stehen nicht revolutionäre Veränderungen oder patentierfähige, technische Erfindungen im Vordergrund, sondern die zahlreichen inkrementellen Anpassungen, die die alltäglichen Arbeitsprozesse erleichtern. Das Innovationspotenzial beruht hierbei vor allem auf der Einbindung der praktischen Intelligenz der Ausführungsebene und der Anzahl der eingereichten Ideen, die sich auf quantitative oder qualitative Aspekte beziehen können. (Witt/Witt 2001: 13f.; Kopp 1998: 29) Ohne hier auf die Entwicklungslinien von KVP im Detail eingehen zu können,6 soll doch herausgestellt werden, welche Unterschiede zwischen dem traditionellen Vorschlagwesen und den neueren Ansätzen der kontinuierlichen Verbesserung bestehen. Die Erfahrung zeigt, dass vielen Beschäftigten die Unterschiede zwischen dem Kontinuierlichen Verbesserungsprogramm und dem Vorschlagwesen nicht geläufig sind. Fälschlicherweise wird oft davon ausgegangen, dass es sich bei beiden Instrumenten um ähnliche oder nahezu identische Konzepte handelt, um Ideen der Beschäftigten zu erfassen. Richtig daran ist, dass deren Ideen im Mittelpunkt stehen. Der Anspruch von KVP ist jedoch deutlich weitreichender und dessen Möglichkeiten sind noch nicht annähernd ausgeschöpft, wie die folgende Betrachtung von Vorschlagwesen und KVP zeigen soll. 4.1
Klassisches Vorschlagwesen und KVP
Das Betriebliche bzw. das Behördliche Vorschlagwesen (BVW) haben eine lange Tradition. Sie sollen für die Beschäftigten eine Beteiligungsmöglichkeit schaffen. Die Beschäftigten, die einen Verbesserungsvorschlag ein5
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Andere Autoren sehen die Wurzel von KVP auch in dem US-amerikanischen Ansatz des Total Quality Managements (TQM) von Deming, Juran und Ishikawa. Hierbei wird KVP als Continuous Improvement Process (CIP) bezeichnet. An dieser Stelle ist es jedoch unerheblich, ob TQM nun Kaizen befruchtet hat oder umgekehrt. Zur Kontroverse sei auf folgende Quellen verwiesen: Läge 2002: 27f.; Wahren 1998: 7ff. Hierzu sei auf die reichhaltige Literatur verwiesen: vgl. u. a. Läge 2002: 11, 27ff.; Kopp 1998: 28; Neckel 2004: 12ff.; Witt/Witt 2001: 13ff.
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reichen wollen, müssen diesen i. d. R. auf einem speziellen Formular erfassen und an die Beauftragten für das Vorschlagwesen leiten. Dieser prüft den Vorschlag nach bestimmten Kriterien, wie präzise Problembeschreibung und konkreter Lösungsansatz, monetärer oder qualitativer Nutzen, inhaltliche Neuheit und ob der Vorschlag über den Arbeitsbereich des Einreichenden hinausgeht. Anschließend werden die Vorschläge anonym an die zuständigen Gutachter weitergeleitet und nach der inhaltlichen Entscheidung von einer Bewertungskommission prämiert. (Läge 2002: 13f.) Im Laufe der Anwendung des BVW machte man die Erfahrung, dass dieses System durch Detailregelungen selbst sehr bürokratisch und ineffizient wurde. Lange Bearbeitungszeiten und der eindeutig passive Charakter führten zu einer geringen Akzeptanz unter den Beschäftigten. Aussicht auf Erfolg hatten vor allem Vorschläge, die auf Kostensenkungen, Rationalisierungen oder Produktivitätssteigerungen abzielten, was den Teilnehmerkreis stark einschränkte. Die Anonymität in der Bearbeitung verhinderte eine direkte Kommunikation zwischen den Einreichern und den Gutachtern, was zu Missverständnissen und langwierigen schriftlichen Nachfragen führte. (Neckel 2004: 17f.) Im Zuge des Erfolgs japanischer Management- und Produktionssysteme wurden zahlreiche Ansätze zunächst von westlichen Automobilunternehmen und später auch von anderen Wirtschaftsunternehmen und staatlichen Institutionen übernommen. Unter dem Einfluss des Kaizen-Gedankens, der kontinuierlichen Verbesserung in kleinen Schritten, und moderierter Arbeitsformen, wie Qualitätszirkeln und Workshops, wurde das klassische BVW zu einem modernen Führungsinstrument umgebaut. Heute spricht man vom ‘Vorgesetztenmodell’, wenn sich die Beschäftigten mit ihren Verbesserungsvorschlägen direkt an ihre Vorgesetzten wenden können. (Läge 2002: 14) Diese Entwicklung wurde im Grundsatz auch von den deutschen Streitkräften nachvollzogen. Das Vorschlagwesen der Bundeswehr wurde 1996 zunächst um Aspekte der kontinuierlichen Verbesserung ergänzt und im Jahre 2000 durch das Kontinuierliche Verbesserungsprogramm der Bundeswehr (KVP) abgelöst. KVP ist heute der Oberbegriff, unter dem alle Aktivitäten der Gewinnung, Erfassung, Bearbeitung und Verwendung von Verbesserungsvorschlägen als auch die Durchführung von KVP-Projektgruppen erfolgen. (Portugall 2006: 15f.)7 Das bedeutsamste Unterscheidungsmerkmal zwischen dem klassischen Vorschlagwesen und dem KVP besteht darin, dass KVP als Managementund Führungsinstrument konzipiert ist. Während beim BVW die Vorschläge eher zufällig und oftmals von einzelnen Beschäftigten eingereicht wurden, 7
Bei der Bundeswehr werden die moderierten Arbeitsformen ‘KVP-Workshop’ und ‘Qualitätszirkel’ zusammen auch als KVP-Projektgruppen bezeichnet. Auf die Arbeitsform wird im weiteren Verlauf noch eingegangen.
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sind beim KVP die Vorgesetzten dafür verantwortlich, die Beschäftigten in die Veränderungen einzubeziehen und sie zur Teilnahme am KVP zu motivieren. Die Vorgesetzten sollen aktiv dazu anregen, dass Ideen über KVP eingereicht werden, um die Organisation durch Verbesserungen ständig an veränderte Bedingungen anzupassen. Zudem soll das Kreativitätspotenzial der Beschäftigten in moderierten Arbeitsformen systematisch gefördert werden. (Läge 2002: 30; Witt/Witt 2001: 13) Um die Bearbeitung der Vorschläge zu beschleunigen, erfolgt deren Prüfung, anders als im Vorschlagwesen, i. d. R. durch die nächste Vorgesetztenebene.8 Damit ist an die Stelle einer zentralen Organisation eine dezentrale Struktur getreten, die eine höhere Präsenz, eine schnellere Annahme, Umsetzung und Anerkennung der eingereichten Ideen sowie ein höheres Maß an Akzeptanz erzeugen soll. Vorrangiges Ziel ist es, eine möglichst hohe Zahl an Verbesserungsvorschlägen zu erzielen, die Erleichterungen in der täglichen Arbeit bedingen und in ihrer Summe aber auch zu deutlichen Kostensenkungen und qualitativen Verbesserungen führen.9 Die Befürchtung, dass mit einer höheren Anzahl an Vorschlägen eine qualitative Verschlechterung einhergehen müsse, wurde mittlerweile wissenschaftlich widerlegt. In ihrer Dissertation weist Läge (2002: 35ff.) nach, dass sich bei der Umstellung von einem Vorschlagwesen zum KVP sowohl die Anzahl der Beschäftigten, die sich mit Vorschlägen beteiligen, als auch die Anzahl der eingereichten Vorschläge deutlich erhöhen. Die nahezu perfekte positive Korrelation mit der Anzahl der angenommenen und umgesetzten Vorschläge sowie mit den erzielten Kostensenkungsund Einsparpotenzialen zeigt, dass die Qualität der Vorschläge erhalten bleibt.10 4.2
Leistungsfähigkeit und Nutzen von KVP
Erklärtes Ziel von KVP ist es, das Wissen, die Erfahrung und die Kreativität aller Beschäftigten für die Organisation nutzbar zu machen. Dabei soll vor allem der Austausch zwischen den einzelnen Bereichen und Fachdisziplinen gefördert werden, weshalb der Anregung von Vorschlägen aus Mitarbeiter8
Bei der Bundeswehr werden die eingereichten Verbesserungsvorschläge auf Ebene der Dienststelle geprüft. 9 KVP wird auch als die ‘Methode der kleinen Schritte’ bezeichnet. Grund dafür ist, dass es in erster Linie nicht um revolutionäre Innovationen, sondern um viele ‘kleine’ Ideen geht. Eine populäre Aussage zu KVP besagt, dass es besser ist, 100 Prozesse um ein Prozent zu verbessern, als einen Prozess um 100 Prozent. 10 Zudem wird ein schwacher ertragsgesetzlicher Verlauf der Vorschlagsquote postuliert. Der abnehmende Grenznutzen bedeutet die Verringerung der Einsparsummen ab einer bestimmten Vorschlagszahl. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es für jedes Unternehmen einen anderen Punkt gibt, ab dem die Einsparsummen tatsächlich abnehmen.
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gruppen und der Durchführung von moderierten Projektgruppen eine hohe Bedeutung zukommt. Während das BVW hauptsächlich Einzelvorschläge kennt, ist die originäre Form von KVP die Projektgruppenarbeit. Auch wenn der Nutzen kleiner und kleinster Verbesserungen finanziell nur schwer oder gar nicht quantifizierbar ist, ist deren Bedeutung nicht zu unterschätzen. Zum einen ist die Summe der Optimierungspotenziale durchaus beträchtlich. Zum anderen werden die Beschäftigten zu mehr Qualitätsbewusstsein und zu einer selbstreflexiven Arbeitsweise angehalten. Woraus KVP seine enorme Leistungsfähigkeit generiert, soll nachfolgend anhand der Effekte erläutert werden, die durch KVP erzielt werden können. Hierbei wird weitgehend der Einteilung in drei Bereiche nach Wahren (1998: 34ff.) gefolgt: ökonomische Effekte, qualitative Effekte und Effekte für Lernen und Wandel. 4.2.1 Ökonomische Effekte Wenn der Nutzen von KVP diskutiert wird, führen viele zunächst einmal das Argument der Kostenersparnis ins Feld. (Kopp 1998: 35) Nicht zuletzt mit dem Argument, finanzielle Mittel für Investitionen frei zu machen, wurde KVP in die Bundeswehr implementiert. (Portugall 2006) Unter den ökonomischen Effekten sind in einem weiteren Sinne jedoch alle Auswirkungen von KVP auf die quantifizierbaren Größen zu verstehen. Hierzu zählen vor allem Kostensenkungen, Leistungssteigerungen, Bestandsreduzierungen, Verkürzungen von Prozess-, Durchlauf- und Stillstandszeiten sowie Reduzierungen von Ausschuss, Nach- und Doppelarbeit. Im Jahre 1996 wurden in einer Studie 113 Unternehmen verschiedener Branchen zur Anwendung von KVP befragt. (Fröschle/Geiger/Weck 1996) Dabei ergab sich folgendes Bild: x x x x x
98 Prozent senkten mit KVP ihre Kosten, 80 Prozent konnten Bestandsreduzierungen aufweisen, 71 Prozent konnten Ausschuss und Nacharbeit verringern, 94 Prozent stufen den Ertrag höher als den Aufwand ein, nur bei 6 Prozent wurden die Durchlaufzeiten nicht verkürzt.
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass heute sehr viele Unternehmen mit KVP arbeiten. Laut einer weiteren Studie, bei der 503 Betriebsräte aus der Metall- und Elektroindustrie befragt wurden, gaben 85 Prozent der Befragten an, KVP anzuwenden oder einzuführen. (Kopp 1998: 33f.) Selbstverständlich sind derartige „Sensationsmeldungen“ stets mit Vorsicht zu betrachten. Allzu oft konnte bei genauerer statistischer Analyse die Validität und Reliabilität der Daten nicht einwandfrei bestätigt werden. Betrachtet man die berechenbaren Einsparsummen aus Verbesserungsvorschlägen, die 199
das Deutsche Institut für Betriebswirtschaftslehre im Jahre 2004 für 365 deutsche Unternehmen ermittelte, so gelangt man jedoch ebenfalls zu der beachtlichen Größe von über 1 Mrd. Euro. (DIB 2004: 102) 4.2.2 Qualitative Effekte Unter qualitativen Effekten sind solche zu verstehen, die sich nicht unmittelbar in Geldeinheiten bewerten und ausdrücken lassen. Hierzu zählen die Qualität der Leistungserstellung, die Motivation der Beschäftigten, die Intensivierung der bereichsübergreifenden Zusammenarbeit, die Verbesserung der Teamfähigkeit, die Identifikation mit der eigenen Aufgabe und mit der Organisation, die Führungs- und Fehlerkultur sowie die internen Kommunikationsprozesse. Zu diesen Effekten wurden in der o. g. Studie folgende Daten erhoben (Fröschle/Geiger/Weck 1996): x 75 Prozent sahen die Qualität der Leistungserstellung als verbessert an, x 91 Prozent geben an, dass KVP die Motivation gesteigert hat, x 44 Prozent geben an, dass sich die Zusammenarbeit zwischen Beschäftigten und Führungskräften stark oder überragend verbessert hat, x 100 Prozent gaben an, dass sich die Teamfähigkeit verbessert hat, x 62 Prozent sahen eine Verbesserung der Identifikation mit dem Unternehmen, x 62 Prozent bewerteten das Betriebsklima als verbessert, x durch die Einführung von KVP gab es bei keinem Unternehmen eine Verschlechterung in einem der erhobenen Kriterien. Auch wenn sich bei den hier erhobenen Daten einige methodische Kritikpunkte anführen lassen,11 so lässt sich dennoch feststellen, dass es starke Indizien für deutliche Verbesserungen der qualitativen Aspekte durch KVP gibt. Deren Bedeutung wird insgesamt ebenso hoch eingeschätzt, wie die der quantitativen Aspekte. Für die Praxis ist in diesem Zusammenhang bedeutsam, dass eine positive Abhängigkeit der Variablen untereinander besteht, sie sich also gegenseitig verstärken können. Das bedeutet aber auch, dass im Falle von Schwierigkeiten im Zusammenhang mit KVP, beispielsweise weil in der Organisation bürokratische Verfahren, lange Entscheidungswege oder Umsetzungsdefizite bestehen, schnell ein sich selbst verstärkender negativer Zyklus entstehen kann. (Wahren 1998: 36f.) Auch das KVP der Bundeswehr sieht sich teilweise derartiger Kritik ausgesetzt. Betrachtet man KVP jedoch als Führungsinstrument und ‘Ideenpipeline’, die bezüglich der Fachthemen weder Entscheidungs-, Umsetzungs- noch Kontrollmacht haben, so ist evi11 Kritisiert werden kann, dass die Variablen Motivation und Zusammenarbeit nicht voneinander unabhängig sind und beide wiederum stark mit dem Betriebsklima korrelieren.
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dent, dass nahezu alle Hemmnisse und Schwierigkeiten in der Gesamtorganisation und nicht im KVP verhaftet sind. Nachdem bei der Bundeswehr seit nunmehr drei Jahren die Möglichkeit besteht, Verbesserungsvorschläge ohne berechenbares Einsparpotenzial über einen Punktwert zu prämieren, werden vermehrt Vorschläge eingereicht, die Fragen im Zusammenhang mit Arbeitssicherheit, Flugsicherheit, Umweltschutz, Bürokratie, Transparenz, Motivation usw. thematisieren. Neben den finanziellen Anreizen hat das v. a. mit einer verstärkten Kommunikation und dem daraus resultierenden Bewusstsein der Beschäftigten zu tun, dass auch diesen Vorschlägen eine große Bedeutung zukommt. (Portugall 2006: 34ff.)12 4.2.3 Effekte auf Lernen und Wandel Wie in Abschnitt 3 verdeutlicht, ist unter dynamischen Rahmenbedingungen eine allgemeine Anpassungsfähigkeit der Organisation an vorab nicht planbare und zentral nicht vollständig beherrschbare Situationen ein entscheidender Erfolgsfaktor. Eine Organisation wird ihr Problemlösungspotenzial nur behalten, wenn sie eine permanente Wandel- bzw. Lernfähigkeit und -bereitschaft entwickelt. Für die weitere Betrachtung ist es angebracht, zwischen Verbesserungsvorschlägen einerseits und der Projektgruppenarbeit andererseits zu unterscheiden. Zunächst soll der Einfluss der eingereichten Vorschläge auf den Wandel und das Lernen der Organisation untersucht werden. Anschließend werden die Auswirkungen der Projektgruppenarbeit auf die Lern- und Veränderungsbereitschaft der Beschäftigten thematisiert. 4.2.3.1 Bedeutung der KVP-Vorschläge für Lernen und Wandel Verbesserungsvorschläge stellen für die Organisation eine Möglichkeit dar, neues Wissen zu generieren, mit neuen Lösungsansätzen bekannte Problemstellungen zu bearbeiten und bekannte Ansätze auf neue Probleme zu übertragen. Diese Aufgabe kann von den Beschäftigten, die täglich mit den Problemen umgehen, oftmals deutlich besser als von entfernten Fachstellen geleistet werden. Hier treffen Fachwissen und die praktische Anwendungserfahrung zusammen. Über die Möglichkeit, Verbesserungsvorschläge einzureichen, kann das persönliche Wissen der Beschäftigten für die Organisation zugänglich gemacht werden. Schätzungen gehen davon aus, dass bisher rund 80 Prozent der vorhandenen Mitarbeiterressourcen im beruflichen bzw. dienstlichen Umfeld ungenutzt bleiben. (Portugall 2006: 12) Mit KVP wird ein organisatorischer Lernprozess angestoßen, der wegen seines i. d. R. inkrementellen Charakters als evolutionärer Wandel bezeichnet werden kann. Für die Führungskräfte lässt sich KVP somit nutzen, um Anpassungsprozesse im eigenen Bereich anzuregen, aufzunehmen und umzu12 Siehe auch den Beitrag von Portugall (KVP) in diesem Band.
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setzen sowie Vorschläge über eine zentrale Datenbank auch anderen Organisationseinheiten zur Verfügung zu stellen. KVP stellt damit eine Schnittstelle dar, über die relevantes Wissen aus der Umwelt für die Organisation nutzbar wird. Dies stellt zum einen eine Erweiterung der Wissensbasis und zum anderen einen aktiven Beitrag zur Entwicklungsfähigkeit der Organisation und damit zum organisatorischen Wandel dar. Darüber hinaus können durch KVP die Verrichtung einer Tätigkeit und das Nachdenken über deren Optimierung wieder zusammenfinden. Beim permanenten Anpassungsprozess der Bundeswehr, der Transformation, lässt sich KVP hervorragend flankierend einsetzen. Den Beschäftigten wird durch die aktive Anwendung von KVP die Möglichkeit gegeben, die operative Ausgestaltung dieses Wandlungsprozesses zu unterstützen. Das die Wahl der Mittel eigenverantwortlich und ergebnisorientiert durch den Durchführenden erfolgen soll, lehrt beim Militär bereits die Auftragstaktik.13 Die umfassende Information und Einbeziehung der Soldaten sowie die Offenheit des Systems sind Grundsätze der Inneren Führung, der Führungsphilosophie der Bundeswehr. Wenn diese Konzepte tatsächlich gelebt werden, ist KVP ein unverzichtbarer Bestandteil. Für die Beschäftigten sind Handlungsspielräume zu schaffen, die diese lageangepasst nutzen können. Zumindest die Gestaltung des eigenen Arbeitsplatzes ist i. d. R. unter weitreichender Beteiligung der Betroffenen denkbar. (Kieser/Hegele/Klimmer 1998: 118ff.; Picot 1993: 170ff.) Bei der Bearbeitung von KVP-Vorschlägen werden bei der Bundeswehr regelmäßig verschiedene Gutachter damit betraut, fachliche Stellungnahmen abzugeben. Am Ende des Bewertungsprozesses entscheidet die fachlich zuständige Stelle über die Umsetzung des Vorschlags. Mit der Einbindung der Fachleute werden weitere Personen dazu animiert, nach alternativen, innovativen Lösungen zu suchen. Ziel ist es, einen Verbesserungsvorschlag bei negativem Entscheid nicht nur in Gänze abzulehnen. Vielmehr sollte vor einer Ablehnung auch nach der Möglichkeit einer Teilumsetzung in den vorgeschlagenen oder anderen Bereichen gesucht bzw. weitere Handlungsalternativen generiert werden, die das beschriebene Problem abstellen helfen. Voraussetzung dafür ist allerdings, und das wird oftmals verkannt, dass auch bei den Fachstellen die Einsicht in die Notwendigkeit geweckt werden muss, sich permanent um Verbesserungen zu bemühen. Dazu muss der KVPGedanke bei der Bundeswehr noch stärker verbreitet werden. Zudem müssen den Fachstellen die zeitlichen und personellen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um diese Wertschöpfung auch leisten zu können. Schließlich 13 Aspekt militärsicher Führung, wonach auf jeder Befehlsebene der Führungsgrundsatz der nächst höheren zu gelten hat. Bei der Ausführung eines Auftrags sind Ziel und Zweck vorgegeben, der Ausführende hat aber weitgehende Freiheit bei der Wahl der Mittel.
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müssen die Gutachter bezüglich der Bearbeitung von KVP-Vorschlägen geschult werden, um deren Handlungssicherheit zu erhöhen. Aus Sicht mancher Beschäftigter gibt es auch andere und mitunter einfachere Wege als das KVP der Bundeswehr, Verbesserungen im eigenen Arbeitsbereich oder am eigenen Standort zu realisieren. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass KVP darauf ausgelegt ist, auch andere Bereiche in der Bundeswehr von der gefundenen Optimierung in Kenntnis zu setzen. Dies stellt einen wichtigen Baustein im professionellen Management der Ideen dar. Zudem stellt KVP das standardisierte Verfahren dar, eingereichte Verbesserungsvorschläge auch angemessen würdigen zu können. Und schließlich wird bei der Bundeswehr jeder angenommene KVP-Vorschlag in eine zentrale Datenbank eingegeben, in der sich derzeit rund 25 000 Eintragungen befinden. Mit dieser Datenbank hat jede Dienststelle Zugriff auf einen riesigen Ideenpool, der sich für Auswertungen und Übertragungen auf die eigene Dienststelle eignet. Im Rahmen von internen Optimierungen lassen sich die gefundenen Lösungen anschließend umsetzen. Dadurch können wiederum eigene Veränderungsprozesse angestoßen werden, die einen lokalen organisatorischen Wandel darstellen. 4.2.3.2 Bedeutung von KVP-Projektgruppen für Lernen und Wandel KVP-Projektgruppen sind die originäre Form des KVP. In ihnen werden die Mitarbeiterpotenziale und deren Kreativität systematisch erschlossen und Abläufe mit Hilfe der Beschäftigten aus den betroffenen Bereichen optimiert. Zur Unterstützung der Kommunikation und zur Sicherung der Arbeitsergebnisse werden die Teilnehmer von einem Moderator unterstützt. Dieser ist in den Techniken der Moderation geschult und verfügt über spezielle Methodenkenntnisse, um den Meinungs- und Willensbildungsprozess der Gruppenmitglieder zu initiieren und zu koordinieren. Inhaltlich verhält sich der Moderator stets neutral. Der Einsatz von KVP-Projektgruppen eignet sich insbesondere für die Optimierung bereichsübergreifender Handlungsfelder, in denen verschiedene Fertigkeiten und Sichtweisen sowie ein breiter Erfahrungsschatz eingebracht werden können. Im Prozess der Ist-Analyse, Ursachensuche und Ideenfindung werden Fehler entdeckt und zugleich vielschichtige, praxistaugliche Lösungsvorschläge erarbeitet. Mit der anschließenden Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen werden neue Standards für die internen Abläufe definiert. (Neckel 2004: 258) Auf dem Weg vom ursprünglichen auf das höhere Leistungsniveau durchläuft die Organisation einen Lern- und Wandlungsprozess. Neben den intendierten, also ohnehin beabsichtigten Wandlungsprozessen, bewirkt diese Arbeitsform weitere Lernprozesse, die sich ebenfalls als eine Form des Wandels kennzeichnen lassen und nachfolgend dargestellt werden. 203
Abgesehen von der hohen Problemlösungskompetenz von KVP-Projektgruppen geht deren Motivationspotenzial weit über dasjenige herkömmlicher Arbeitsgruppen hinaus, wodurch intensiver Gebrauch von den verschiedenen Talenten gemacht werden kann. Durch die methodische Begleitung des Moderators werden Konflikte bereits in der Projektphase aufgedeckt und bearbeitet. Damit treten in der nachfolgenden Umsetzungsphase weniger interne Widerstände auf. Zudem werden die Kommunikationsfähigkeit und die Diskussionsbereitschaft der Gruppenteilnehmer geschult. Ständige und temporäre Gruppen stellen ein schnelles Koordinationsinstrument dar, um sich an veränderte Bedingungen anzupassen und entlasten zugleich die Linienorganisation. Durch ihre flexible Einsetzbarkeit können KVP-Projektgruppen damit die bestehenden Organisationsstrukturen hervorragend ergänzen. Das gilt insbesondere für große Organisationen mit zahlreichen Hierarchieebenen, wie der Bundeswehr. (Kieser/Hegele/Klimmer 1998: 232ff.; Kieser/Walgenbach 2003: 433) Während der Mitarbeit an KVP-Projektgruppen ist es den Teilnehmern möglich, in vergleichsweise ungezwungener Atmosphäre Kontakte zu anderen Bereichen zu knüpfen, die ihnen zu einem späteren Zeitpunkt nützlich sein können. Wenn sich Ansprechpartner gegenseitig kennen und neben den zahlreichen Möglichkeiten elektronischer Kommunikation auch persönlich Informationen austauschen, ist dies auch für die Organisation vorteilhaft. Damit helfen KVP-Projektgruppen die bereichsübergreifende Zusammenarbeit zu intensivieren und fördern eine innovative Teamkultur, in denen die Teilnehmer zudem viel über die Zusammenhänge in der Organisation und über die Hintergründe von Entscheidungen lernen. Dieses Wissen benötigen sie, wenn sie in ihrer Fachfunktion eigenverantwortlich handeln und Entscheidungen im Sinne des Ganzen treffen sollen. Dazu trägt auch die Kenntnis von verschiedenen Sichtweisen auf die gleiche Problemstellung bei, die sich aus den Kommunikationsprozessen in den Projektgruppen ergibt. Durch die kollektiven Erfahrungen, die die Teilnehmer machen, können sie zugleich ihre Teamfähigkeit und ihr Fachwissen verbessern. Hilfreich ist dies nicht zuletzt, um den Wissensverlust abzufedern, der infolge von Fluktuation stattfindet. (Wahren 1998: 39f.) Indem sich die Teilnehmer von KVP-Projektgruppen mit den relevanten Handlungsfeldern beschäftigen, wird deren Problemlösungsfähigkeit und -bereitschaft geschult. Da es thematisch oftmals darum gehen wird, Prozesse zu verbessern und entstehende Kosten zu senken, wird zudem die Einsicht in wirtschaftliches Handeln vermittelt. Durch die partizipative Einbindung der Beschäftigten über KVP-Projektgruppen erhöht sich die Akzeptanz für erforderliche Veränderungen und die Bereitschaft, im Wandlungsprozess Verantwortung zu übernehmen. Indem deren Bedürfnis nach Information, Beteili204
gung und Mitgestaltung Rechnung getragen wird, steigt die Motivation der Beschäftigten und deren Engagement. (Picot/Freudenberg/Gaßner 1999: 136f.) Vor allem wenn die Arbeitsergebnisse rasch umgesetzt werden, lernen die Beteiligten, dass es sich lohnt, an Verbesserungen mitzuwirken und sind dann auch zukünftig eher willens und in der Lage, sich mit ihren Ideen einzubringen. Alles zusammen führt dazu, dass sich die Organisation flexibler und schneller an neue Anforderungen anpasst und Wandlungsprozesse erfolgreicher ablaufen. Vergleichbar bedeutsam wie die Lösung eines bestimmten Detailproblems, sind in KVP-Projektgruppen angeregte Lernprozesse, wie Problemstellungen methodisch angegangen werden können. Für jede Organisation ist es wichtig, sich selbst kritisch zu beobachten, zu hinterfragen und bei Bedarf die notwendigen Veränderungen einzuleiten. Die kritische Selbstreflexion ist eine weitere Fähigkeit, die bei der Durchführung dieser Arbeitsform geschult wird. Im Gegensatz zu den meisten anderen Wandlungskonzepten, die erst dort ansetzen, wo Veränderungen unumgänglich sind, unterstützt KVP den Wandel proaktiv. Die maßgebliche Aufgabe der Führung besteht darin, die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen zu schaffen, die diese Lernprozesse ermöglichen. An dieser Stelle ist festzuhalten, dass das Instrument der KVP-Projektgruppe auch bei der Bundeswehr eingeführt und deren Erfolg durch Anwendungsbeispiele bestätigt wurde. Die Ergebnisse daraus wurden bereits für Budget-, Material- und Personalverhandlungen sowie zur Anpassung von Verfahrens- und Organisationsstrukturen herangezogen. Allerdings werden moderierte Arbeitsformen insgesamt noch nicht in ausreichendem Maße eingesetzt, um deren Potenziale für Lernprozesse vollständig auszuschöpfen.
5
Voraussetzungen für den Einsatz von KVP in der Bundeswehr
Die Chancen, die das KVP der Bundeswehr als Führungsinstrument bietet, sind vielen Vorgesetzten bisher nicht klar. Der richtige Stellenwert innerhalb der Organisation ist jedoch ein entscheidender Erfolgsfaktor. Wenn keine ausreichenden personellen und zeitlichen Ressourcen bereitgestellt und KVPProjektgruppen trotz ausgebildeter KVP-Moderatoren nicht durchgeführt
205
werden, bleiben große Potenziale ungenutzt.14 Grundvoraussetzungen für den Einsatz von KVP sind demnach Akzeptanz und Förderung durch die oberen und mittleren Führungsebenen. Nur wenn die Führungskräfte der Bundeswehr die Idee eines kontinuierlichen Strebens nach Verbesserung verinnerlicht haben, kann eine dauerhaft anpassungsfähige Organisation geschaffen werden. Dazu sind die Vorgesetzten stärker als bisher in Fragen des organisationalen Lernens und der Implementierung einer kontinuierlichen Verbesserung zu schulen. Führungskräfte müssen zukünftig vor allem in der Lage sein, ein Klima zu schaffen, in dem Verbesserungen durch die Beschäftigten eingebracht und durch die Verantwortlichen zum Erfolg geführt werden. Dabei ist es sekundär, ob dies mit dem Instrument KVP oder in anderen Änderungsverfahren erfolgt. Ein weiterer Erfolgsfaktor von KVP ist die Akzeptanz von KVP durch die Beschäftigten. Um dies weiterhin sicherzustellen sind vor allem die Bearbeitungszeiten der Verbesserungsvorschläge zu verkürzen und die Qualität und Nachvollziehbarkeit der fachlichen Gutachten zu verbessern. Damit ist ein Problem angesprochen, das wegen der Multiplikatorenfunktion der bisherigen Einreicher fatale Auswirkungen haben kann. So gibt ein Drittel derjenigen, die schon einmal einen Verbesserungsvorschlag eingereicht haben, an, dass sie dies aufgrund schlechter Erfahrungen nicht noch einmal tun würden. (Portugall 2006: 39) Bearbeitungszeiten von mehreren Monaten sind keine Ausnahme und oft ist aus Sicht der Einreicher zu hören, dass ihre KVP-Vorschläge aus nicht nachvollziehbaren Gründen abgelehnt oder nur schleppend bearbeitet werden. Die KVP-Fachorganisation hat hier kaum Handlungsmöglichkeiten, da bezüglich der Vorschlagsinhalte keine Entscheidungskompetenz und bezüglich der Linienorganisation keinerlei Weisungsbefugnis bestehen. Dennoch muss dieses Defizit unverzüglich behoben werden, beispielsweise indem der Bearbeitung eingereichter Vorschläge ein höherer Stellenwert beigemessen und ein justiziables Verfahren installiert werden. Wenn, wie im oben stehenden Abschnitt gefordert, die Vorgesetzten KVP als Führungsinstrument erkennen, werden sich mittelfristig die Bearbeitungszeiten auch ohne Sanktionsmechanismen dauerhaft reduzieren lassen. Als eine elementare Voraussetzung für den zukünftigen Erfolg ist den Führungskräften und Beschäftigten ein ebenengerechter Entscheidungs- und Handlungsfreiraum zu gewähren. Beispielsweise könnte ein Dienststellenleiter ein eigenes Budget für die Umsetzung von KVP-Vorschlägen erhalten, 14 In einer Befragung von 74 Dienststellen, die zwischen Juni 2005 und Juni 2006 Moderatoren haben ausbilden lassen, gaben nur neun Dienststellen an, innerhalb des letzten Halbjahres eine oder mehrere KVP-Projektgruppen durchgeführt zu haben. Wegen der positiven Erfahrungen planen davon jedoch sieben (78 Prozent), diese Arbeitsform in den kommenden sechs Monaten erneut einzusetzen, während dies von den übrigen Dienststellen lediglich 25 Prozent beabsichtigen. (BMVg 2006)
206
wenn die Einsparungen revisionssicher berechnet wurden. Handlungsspielräume benötigt aber auch die ausführende Ebene, um Ideen selbstständig umsetzen zu können. Erfreulicherweise wird in der Bundeswehr die Auftragstaktik als eine ihrer Stärken betrachtet. Dieses Prinzip des ergebnisverantwortlichen Handelns anhand eines definierten Ziels könnte die Voraussetzung darstellen, um die erforderlichen Freiräume zu schaffen. Die eingeschränkte dezentrale Personal- und Ressourcenverantwortung in der Bundeswehr ist auch dem Primat der Politik geschuldet, das in der Bundesrepublik Deutschland dafür sorgt, dass die konstitutionellen Eckpfeiler des Militärs durch Politik und Verwaltung determiniert werden. Mittelfristig könnte eine neue Balance zwischen politischer Kontrolle und wirtschaftlicher Effizienz dazu beitragen, die Potenziale dezentralen Handelns besser zu nutzen. Diese beruhen auf raschen Entscheidungen durch situative Wissensvorsprünge, Anreizstrukturen zu Ressourceneinsparungen sowie geringeren Transaktionskosten, die wiederum aus dem Wegfall des hohen Informations- und Kommunikationsbedarfs bei zentraler Steuerung resultieren. Schließlich ist durch die Führung das ‘Lernen am Experiment’ zu fördern, um aus eigenen Erfahrungen lernen zu können. Hierdurch entsteht ein offenes, lebendiges Arbeitsklima, das neue Motivation und Veränderungsbereitschaft erzeugt. (Probst/Raub/Romhardt 2003: 118ff.; Kopp 1998: 37; Thom/Ritz 2006: 152; Lehner 2006: 159) Dazu ist eine Fehlerkultur erforderlich, in der Fehler zunächst einmal nicht als etwas Negatives gesehen werden. Vielmehr müssen sie, im Sinne von KVP, als eine Chance zum Lernen begriffen werden. (Neckel 2004: 21) Die dahinterstehende Idee, dass sich lediglich bei genauer Ursachenanalyse eine Chance zur Weiterentwicklung der Organisation ergibt, wird vielerorts bereits einen Bewusstseinswandel darstellen.
6
Zusammenfassung
Mit KVP steht den Führungskräften der Bundeswehr ein Instrument zur Verfügung, mit dem der organisatorische Wandel proaktiv gestaltet werden kann. KVP eignet sich dazu, systematisch neues organisatorisches Wissen zu generieren und organisationsinterne Problemlösungskapazitäten aufzubauen. Veränderungsbedarf wird rascher erkannt und es wird schneller darauf reagiert. Damit leistet KVP einen Beitrag, dass sich die Bundeswehr zeitnah an unsichere, dynamische Bedingungen anpassen kann. Entscheidende Voraussetzung für den zukünftigen Erfolg von KVP ist, dass die Führungskräfte die Notwendigkeit der kontinuierlichen Verbesserung erkennen und KVP als Führungsinstrument nutzen. Es erscheint dringend geboten, die vorhandenen, bis dato aber nicht ausgeschöpften Mitarbeiterfähigkeiten für die Bundeswehr 207
nutzbar zu machen. KVP stellt keinen Ersatz für erforderliche Veränderungen dar, kann diese aber gestalterisch unterstützen. Wie dargestellt wurde, werden dabei deutlich tiefgreifendere Wandlungsprozesse induziert, als durch eine kurzfristige Erfolgsmessung ermittelbar wären. Die zeitlichen, personellen und finanziellen Aufwendungen in KVP sind deshalb nicht ausschließlich als Kostenfaktor, sondern als eine Investition in die Beschäftigten zu betrachten. Literatur Al-Laham, Andreas (2003): Organisationales Wissensmanagement. Eine strategische Perspektive. München: Vahlen. Argyris, Chris (1990): Overcoming organizational defenses: facilitating organizational learning. Boston: Allyn and Bacon. Argyris, Chris/Schön, Donald A. (1978): Organizational Learning: A Theory of action perspective. Reading, Mass.: Addison-Wesley. Barr, Pamela S./Stimpert, J. L./Huff, Anne S. (1992): Cognitive Change, Strategic Action, and Organizational Renewal. In: Strategic Management Journal, 13, 15–36. Bitz, Michael et al. (Hrsg.) (1993): Vahlens Kompendium der Betriebswirtschaftslehre. 3. überarb. und erw. Aufl. München: Vahlen. BMVg – Bundesministerium der Verteidigung (2003): Verteidigungspolitische Richtlinien für den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Berlin – Köln: Bachem. BMVg – Bundesministerium der Verteidigung (2006): Anwendung der Arbeitsform „KVP-Projektgruppe“ in der Bundeswehr. Unveröffentlichte Ergebnisse einer Online-Umfrage der Technischen Schule der Luftwaffe 1 im Auftrag des BMVg LC 3 vom 26.06.–31.07.2006. Böckler, Dirk (2004): Transformation ist ein geistiger Prozess. Stellungnahme des stellvertretenden Generalsinspekteurs und Beauftragten für die Transformation der Bundeswehr am 25.08.2004 in Berlin. Nachgewiesen im Internet: http:// www.bundeswehr.de/portal/a/bwde, Stand: 28.06.2006. DIB – Deutsches Institut für Betriebswirtschaftslehre (2004): Forum Ideenmanagement/BVW. Statistik 2004, Branchenergebnisse, Punktebewertung. Frankfurt am Main: DIB. Fröschle, Ulrich/Geiger, Werner/Weck, Leonhard (1996): Die KVP-Studie. Eine Studie der Agamus Consult Unternehmensberatung im Auftrag von Otto Wolf von Amerongen. Starnberg: Agamus Consult GmbH. Gaßner, Winfried (1999): Implementierung organisatorischer Veränderungen. Eine mitarbeiterorientierte Perspektive. Wiesbaden: DUV. Howaldt, Jürgen/Kopp, Ralf/Winter, Michael (Hrsg.) (1998): Kontinuierlicher Verbesserungsprozeß. KVP als Motor lernender Organisation. Köln: Wirtschaftsverlag Bachem. Jung, Franz Josef: Den Wandel in der Bundeswehr gemeinsam erfolgreich gestalten. Vortrag an der Führungsakademie der Bundeswehr am 25.01.2006. Nachgewiesen im Internet: http://www.bundeswehr.de/portal/a/bwde, Stand: 28.06.2006.
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Das Kontinuierliche Verbesserungsprogramm (KVP) in der Bundeswehr – Eine sozialwissenschaftliche Bestandsaufnahme Gerd Portugall 1
Das Kontinuierliche Verbesserungsprogramm (KVP) als Teil der ökonomischen Modernisierung der Bundeswehr
Die Einführung des Kontinuierlichen Verbesserungsprogramms (KVP) ist integraler Bestandteil der sog. ökonomischen Modernisierung der Bundeswehr. Erklärtes Modernisierungsziel gegenüber den deutschen Streitkräften und der Wehrverwaltung ist u. a. die tatsächliche – und damit auch finanzielle – Entlastung der Bundeswehr von sog. „Nicht-Kernaufgaben“ in Servicebereichen. Bereits praktizierte Beispiele hierfür gibt es im Fuhrpark- und im Bekleidungswesen.1 Im Zusammenhang mit der angestrebten finanziellen Entlastung ist für die Bundeswehr ab 1995 im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) das Konzept einer Kosten- und Leistungsverantwortung (KLV) entwickelt worden.2 Diese für Streitkräfte neuartige Führungsphilosophie soll den bisherigen militärischen Führungsprozess zusätzlich unterstützen im Hinblick auf den wirtschaftlichen Umgang der Führer mit den ihnen anvertrauten öffentlichen Ressourcen. Die Kosten- und Leistungsverantwortung hat auch das Ziel, eine größere Kostentransparenz zu erzeugen. Im Rahmen der KLV werden zwei Instrumente in der Bundeswehr eingesetzt: die Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) und das Kontinuierliche Verbesserungsprogramm (KVP), das Gegenstand des vorliegenden Beitrages ist.
2
Die Idee der Kontinuierlichen Verbesserung
Das Kontinuierliche Verbesserungsprogramm, wie es heute in der Bundeswehr existiert, geht zurück auf die in den 1980er Jahren in Japan entwickelte Unternehmensphilosophie des Kaizen. Dieses kann man wörtlich in etwa mit „Veränderung zum Besseren hin“ übersetzen. Spiritus Rector jener Denkschule ist Masaaki Imai (vgl. Imai 2001). Die Kernaussage seines Ansatzes besagt, dass kein Tag ohne irgendeine Verbesserung im Unternehmen ver1 2
Siehe auch den Beitrag von Portugall (ÖPP) in diesem Band. Die betriebswirtschaftliche KLV-Führungsphilosophie ist von der 1992 im Führungsstab der Streitkräfte (Fü S) des BMVg eingerichteten Arbeitsgruppe „Aufwandsbegrenzung und Rationalisierung im Betrieb“ (AGAB) entwickelt worden.
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gehen solle. Während der nordamerikanisch-europäische Innovationsansatz sich unternehmenskulturell auf große Veränderungsschritte in unregelmäßigen Zeitabständen kapriziert, konzentriert sich der ostasiatische KaizenAnsatz unternehmenskulturell auf kleine, aber dafür kontinuierliche Veränderungsschritte. Als Terminus technicus wird Kaizen in der deutschen Übersetzung als „Kontinuierlicher Verbesserungsprozess“ bezeichnet. Der betriebswirtschaftliche Grundgedanke, der letztlich hinter dem KVP steht, ist der, dass ein Großteil der Fähigkeiten, über welche der durchschnittliche Mitarbeiter eines Unternehmens in seiner Ganzheit verfügt, während der Arbeitszeit brach liegt, obwohl die Anwendung jener Fähigkeiten dem Wohl des jeweiligen Unternehmens dienen würde. „Es gibt Schätzungen, dass rund 80 Prozent der Mitarbeiterfähigkeiten in deutschen Unternehmen nicht genutzt werden.“ (Kostka/Kostka 2002: 16) Qualitätsoptimierung soll nicht durch die Anstellung neuen Personals oder durch die Anschaffung teuren Geräts erreicht werden, sondern durch einen „Wandel in den Köpfen aller Mitarbeiter“ (Kostka/Kostka 2002: 28), die sowieso während ihrer Arbeitszeit dem Arbeitgeber beziehungsweise während der Dienstzeit dem Dienstherrn zur Verfügung stehen.3
3
KVP-Richtlinien und -Organisation der Bundeswehr
Aufgrund der originären Zuständigkeit des Bundesministeriums des Innern (BMI) für Angelegenheiten der allgemeinen Bundesverwaltung spielte dieses auch eine Vorreiterrolle auf dem Gebiet des KVP. So erließ das BMI zum 1. Januar 2002 eine „Rahmenrichtlinie für ein modernes Ideenmanagement in der Bundesverwaltung“. Auch im Bereich EDV-mäßiger Vernetzung ergriff das Innenministerium die Initiative zum Aufbau einer bundeseinheitlichen „Ideendatenbank“.4 Zwischenzeitlich ist das KVP-Wesen fester Bestandteil der Erlasslage im BMVg geworden. Als Weiterentwicklung der „Richtlinie für das Vorschlagwesen in der Bundeswehr“ (VgRBw) vom 1. August 1989 hatte Org 4 am 30. September 1996 die „Vorläufige Richtlinie für die Anwendung des Kontinuierlichen Verbesserungsprogramms (KVP) in der Bundeswehr (vRLKVP)“ erlassen. Dieser Vorschrift folgte am 14. Dezember 1999 die „Vorläufige Richtlinie Kontinuierliches Verbesserungsprogramm (KVP) für die Erprobung der Zusammenführung des Vorschlagwesens in der Bundeswehr 3 4
Zur Bedeutung des KVP als Gestaltungsinstrument des organisatorischen Wandels siehe den Beitrag von Wochnik in diesem Band. Die Inbetriebnahme der „Zentralen Ideendatenbank des Bundes“ war für Ende 2005 geplant (vgl. hierzu www.infosys.svc am 19.10.2005).
212
und des KVP in den KLV-Dienststellen (VorlKVP-RL)“. Daran schloss sich am 13. Januar 2003 die als längerfristig konzipierte „Richtlinie für das Kontinuierliche Verbesserungsprogramm (KVP) in der Bundeswehr (KVP-RL)“ an. Mittlerweile befindet sich der Entwurf einer Zentralen Dienstvorschrift (ZDv)5 1/500 zum KVP, welche die bisherige Richtlinie ersetzen soll, in der ministeriellen Mitprüfungsphase; ihr Inkrafttreten ist für 2007 avisiert. Die KVP-RL liefert eine rechtsverbindliche Legaldefinition dessen, was überhaupt unter „KVP“ zu verstehen ist, nämlich „ein systematisch aufgebautes, organisatorisch verankertes Konzept zur ständigen Verbesserung der Qualität der Auftragserfüllung in allen Dienststellen der Bundeswehr unter Beteiligung aller Beschäftigten“ (KVP-RL Nr. 1.1). Dessen Umsetzung ist damit eine zusätzliche Führungsaufgabe auf allen Ebenen. Hauptziel des KVP ist die kontinuierliche Qualitätsverbesserung von Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Arbeitsergebnissen aller Tätigkeiten im Geschäftsbereich des BMVg (KVP-RL Nr. 1.2.1). Hierzu sollen eigenverantwortliche Denk- und Verhaltensweisen aktiviert werden, und zwar kontinuierlich und konsequent in kleinen Schritten. Durch die Förderung von Eigeninitiative und Kreativität aller Bediensteten soll deren Arbeitsmotivation erhöht werden. Schließlich erzeugen Anerkennung von Leistung und Spaß an der Arbeit ein positives Betriebsklima beziehungsweise ein hohes Maß an Arbeitszufriedenheit. Grundsatzangelegenheiten des Kontinuierlichen Verbesserungsprogramms sind auf ministerieller Ebene angesiedelt im Referat LC 3 des Stabes Leitungscontrolling (LC) (Erlass BMVg Sts Org 1 vom 18.06.2003). Auf der obersten nicht-ministeriellen Ebene bündelt die KVP-Zentrale im Dezernat ZA 7 des Bundesamtes für Wehrverwaltung (BAWV) in Bonn die Kompetenzen für das Vorschlagwesen in der Bundeswehr (KVP-RL Nr. 2.2.4). Koordinierungsstellen für das Ideen- und Qualitätsmanagement haben alle Teilstreitkräfte (TSK) und sonstigen Organisationsbereiche (OrgBereiche) in jeweils eigener Zuständigkeit weisungsgemäß einzeln eingerichtet (KVP-RL Nr. 2.2.1). So befindet sich die KVP-Koordinierungsstelle der TSK Heer im Heeresamt in Euskirchen, der TSK Luftwaffe im Luftwaffenamt auf dem Fliegerhorst Köln-Wahn und der TSK Marine im Marineamt Berlin. Darüber hinaus existiert je eine Koordinierungsstelle für den OrgBereich Streitkräftebasis (SKB) im Streitkräfteamt (SKA) Bonn, für den OrgBereich Zentraler Sanitätsdienst der Bundeswehr (ZSanDBw) im Sanitätsamt München, für den OrgBereich Wehrverwaltung im BAWV Bonn sowie schließlich des OrgBe-
5
Die Vorteile einer ZDv gegenüber einer Richtlinie liegen in einem standardisierten Änderungsverfahren und einem Nachschlageregister, das die praktische Arbeit mit dem Dokument erheblich erleichtert.
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reichs Rüstung im Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) in Koblenz. Grundsätzlich ist jede Einheit beziehungsweise Dienststelle der Bundeswehr verpflichtet, eine jeweils eigene KVP-Organisation zu schaffen. Lediglich Kleindienststellen – zu denen beispielsweise das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr (SWInstBw) zählt – haben die Möglichkeit, sich der KVP-Organisation der vorgesetzten Dienststelle anzuschließen (KVP-RL Nr. 2.1.3). Auch für dieses zusätzliche Aufgabengebiet liegt die Verantwortung bei der jeweiligen Einheitsführung beziehungsweise Dienststellenleitung. Zur Unterstützung der Leitung muss ein sog. KVP-Steuerungsausschuss als Beratungsgremium eingerichtet und ein sog. KVP-Beauftragter als direkter Ansprechpartner bestellt werden (KVP-RL Nr. 2.1.2). Der von jeder Dienststelle zu ernennende KVP-Beauftragte fungiert als Anlaufstelle für Verbesserungsvorschläge aller Art im jeweiligen Tätigkeitsfeld der einzelnen Bediensteten. Der KVP-Beauftragte soll in der Regel dieses Amt in Nebenfunktion ausüben. Das bedeutet auf der einen Seite, dass keine zusätzlichen Personalkosten entstehen. Andererseits bedeutet dies für das Zeitbudget der Beauftragten, dass der KVP-Einsatz zu Lasten der Wahrnehmung anderer Aufgaben gehen muss. In den einzelnen Dienststellen können über den Beauftragten hinaus KVP-Projektgruppen gebildet werden, die konkrete Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten haben. Moderiert werden solche Gruppen durch sog. KVP-Moderatoren, die gleichzeitig die Leitung der entsprechenden Projektgruppen übernehmen und den KVP-Beauftragten unterstützen.
4
Erfahrungen in der Bundeswehr mit dem KVP
Während die ministeriellen KVP-Richtlinien und die eingerichteten KVPOrganisationen wissenschaftlich betrachtet gleichsam den Anspruch beziehungsweise die Theorie widerspiegeln, liegen erste Erfahrungswerte der Bundeswehr mit dem Kontinuierlichen Verbesserungsprogramm vor, die zeigen, wie die bisherige Praxis dieses Programms tatsächlich ausschaut. 4.1
Die jüngste KVP-Statistik
Wenn man die Anzahl der offiziell in der Bundeswehr eingereichten KVPVorschläge zwischen den Jahren 2002 und 2005 betrachtet, so fällt für den Zeitraum von 2002 bis einschließlich 2004 ein deutlicher und kontinuierlicher Abwärtstrend auf (vgl. Abb. 1). Die auf der ministeriellen Leitungsebene unmittelbar für das Kontinuierliche Verbesserungsprogramm Verant-
214
wortlichen zeigten sich entsprechend besorgt über diese Entwicklung.6 Schließlich soll das KVP-Wesen nicht nach der Abarbeitung der drängendsten Optimierungsdefizite wieder in der Versenkung verschwinden, sondern – ganz im Gegenteil – kontinuierlich und im Prinzip zeitlich unbegrenzt weiter betrieben werden, da nie ein vollkommener Endzustand erreicht werden kann. Die jüngsten Zahlen für 2005, die erstmals seit längerem einen Anstieg der eingereichten KVP-Vorschläge ausweisen, geben jedoch wieder Anlass für gedämpften Optimismus. Abb. 1: Anzahl der in den Jahren 2002 bis 2005 offiziell in der Bundeswehr eingereichten KVP-Vorschläge
2 500 2 000
2 224
1 500
1 988
2 011 1 564
1 000 500 0 2002
2003
2004
2005
Quelle: BMVg – LC 3 vom 25.01.06 und Ltr KVP-Zentrale BAWV vom 31.01.06.
Ein genaueres Bild ergibt sich jedoch, wenn man den beständigen Personalabbau bei der Bundeswehr berücksichtigt. Setzt man die Anzahl der eingereichten KVP-Vorschläge in Relation zur jeweiligen Kopfstärke aller Bundeswehrangehörigen, so ergibt sich zwischen 2004 und dem dritten Quartal 2005 ein leichter und kontinuierlicher Anstieg der Vorschlagsquote (vgl. Abb. 2). Demnach gibt es durchaus erste Anzeichen für einen Umkehrtrend hin zu mehr Beteiligung am KVP beim militärischen und zivilen Personal der Bundeswehr.
6
So etwa der Referatsleiter des Stabes Leitungscontrolling/LC 3 im BMVg auf der zweiten KVP-Jahrestagung auf der Bonner Hardthöhe am 5. März 2005. Vgl. hierzu www. infosys.svc am 19.10.2005.
215
Abb. 2: KVP-Vorschlagsquoten in Relation zur Gesamtzahl der Bundeswehrangehörigen
6,00 5,00 4,00
4,44
4,39
2004
II/04-II/05
4,80
4,97
III/04-II/05
IV/04-III/05
3,00 2,00 1,00 0,00
Angaben in Promille.
Die KVP-Zentrale im BAWV setzte dem bis einschließlich 2004 vorherrschenden Negativtrend bei der Anzahl eingereichter KVP-Vorschläge eine offensive Prämienpolitik entgegen. Ging die Gesamtzahl der 2004 eingebrachten KVP-Vorschläge im Vergleich zum Vorjahr um 424 auf 1 564 zurück – das sind immerhin 21 Prozent –, so stieg im gleichen Zeitraum die Summe der ausgeschütteten Geldprämien von rund 318.000 auf 644.000 Euro (nach KVP-RL Nr. 7.3 Prämienbemessung bei Vorschlägen mit haushaltswirksamen Einsparungen und nach KVP-RL Nr. 7.4 Prämienbemessung bei anderen Vorschlägen),7 d. h. die Prämiensumme hat sich von 2003 zu 2004 mehr als verdoppelt. Da 2004 deutlich mehr KVP-Vorschläge finanziell prämiert wurden als im Jahr zuvor – 242 gegenüber 95 –, verringerte sich die durchschnittliche Geldprämie pro eingereichtem Vorschlag von 3.350 Euro (2003) auf 2.660 Euro (2004), jedoch wurden in 2004 immerhin sechs KVPMeldungen mit der zulässigen Höchstprämie von 25.000 Euro ausgezeichnet.8 Erfreulicherweise stieg die Anzahl der eingereichten KVP-Vorschläge von 2004 auf 2005 spürbar – nämlich um 29 Prozent – an. Da mit 239 in 2005 die Anzahl der prämierten Vorschläge in etwa der von 2004 entsprach, die Summe der ausgezahlten Geldprämien jedoch mit insgesamt 7
8
Die Summe der Sachpreiswerte nach KVP-RL Nr. 7.2 Anerkennungsmaßnahmen sind hier nicht berücksichtigt, da in den einschlägigen statistischen Aufstellungen die jeweilige Anzahl der eingereichten KVP-Vorschläge nicht aufgeführt ist, so dass auch kein entsprechender Durchschnittswert „Sachpreiswert in Euro pro KVP-Vorschlag“ errechnet werden kann. Die Angaben stammen von der KVP-Zentrale der Bundeswehr, Stand: 26.10.2005.
216
534.000 Euro deutlich unter der von 2004 lag, verringerte sich folglich die Durchschnittsprämie in 2005 auf 2.230 Euro pro Vorschlag. Allerdings wurde auch in 2005 wieder sechsmal die Höchstprämie von 25.000 Euro ausgeschüttet.9 4.2
Die jüngste KVP-Öffentlichkeitsarbeit
Als eine weitere Maßnahme gegen zurückgehende KVP-Vorschläge ist eine offensivere Öffentlichkeitsarbeit zu erkennen. So wurden beispielsweise im Frühjahr 2005 vermehrt in der Bundeswehrzeitung „Bundeswehr aktuell“ erfolgreich umgesetzte KVP-Vorschläge in einer eigenen kleinen Rubrik auf Seite 10 – inklusive Foto – vorgestellt. Dabei wurden stets der Vorschlagende mit vollem Namen, seine militärische Einheit oder zivile Dienststelle und ort, seine Idee sowie die erzielte Ersparnis genannt. Auch wurde stets hervorgehoben, dass der Betreffende für seine Idee eine Prämie erhalten hatte, auch wenn deren Höhe aus verständlichen Gründen nicht publik gemacht wurde. Allerdings ist zumindest in „Bundeswehr aktuell“ für 2006 ein Abflauen der KVP-Berichterstattung zu beobachten. Das in die Jahre gekommene Transportflugzeug „Transall“ C-160 ist beispielsweise ein dankbares Objekt für entsprechende Verbesserungsvorschläge. So erbrachte zum Beispiel die Konstruktion einer Fluggasttreppe eine Ersparnis von rund 53.000 Euro, weil der Besatzungseinstieg jetzt nicht mehr so schnell wegen Überlastung kaputt geht („Bundeswehr aktuell“ vom 21.03.2005: 10). Ein anderes Beispiel ist die Entwicklung von neuen Kabeln für die Fehlermeldungen der Bordverständigungsanlage in der C-160, die einen Arbeitsgewinn von rund 90 Stunden pro Jahr erbringt, weil die Instandsetzungszeiten verkürzt werden konnten („Bundeswehr aktuell“ vom 09.05.2005: 10). Das plastische Beispiel „Fluggasttreppe“ bei der Transall wird jedoch nicht nur bei den Printmedien der Bundeswehr herausgestellt, sondern auch durch die Online-Redaktion von „INTRANET aktuell“ im Intranet der Bundeswehr. Eine weitere, interessante PR-Maßnahme stellt die erstmalige Einrichtung eines zweistündigen Chat-Rooms von LC 3 zum Thema „Weiterentwicklung des KVP“ am 27. Oktober 2005 in INTRANET aktuell dar. Die rege Diskussionsbeteiligung bei diesem Chat zeigt das große Interesse, das offenkundig in dieser Frage bei Bundeswehrangehörigen vorherrscht.
9
Die Zahlen für 2005 stammen von der Präsentation von LC 3 anlässlich der 2. KVP-Tagung des BWB vom 25. Januar 2006 in Koblenz.
217
5
Ergebnisse der Streitkräftebefragung 2005
Im Folgenden werden die Ergebnisse der Streitkräftebefragung 2005 (SKBefr 2005) des SWInstBw vorgestellt (vgl. Portugall 2006). Das Themenfeld „KVP“ stellte in 2005 einen Befragungsschwerpunkt dieser jährlich im SWInstBw durchgeführten Untersuchung dar. Insgesamt 40 repräsentativ ausgesuchte militärische Verbände waren im August 2005 befragt worden. Von den 1 950 verteilten Fragebögen waren 1 647 ausgefüllt zurückgeschickt worden und standen für eine Auswertung zur Verfügung. 5.1
Bedarf an Verbesserungen
Die Streitkräftebefragung 2005 bringt klar zutage, dass in der Truppe konkreter Verbesserungsbedarf genau dort gesehen wird, wo das KVP ansetzen möchte, nämlich bei Effektivität und Effizienz der Arbeitsprozesse. Diese Erkenntnis ergibt sich aus der Feststellung, dass nur 15 Prozent aller Befragten der Meinung sind, die Bundeswehr hätte „eigentlich immer schon kostenbewusst und effizient gearbeitet“, während 55 Prozent diese Einschätzung ausdrücklich verneinen. Folglich muss die Mehrzahl der Bundeswehrangehörigen nicht erst von der Notwendigkeit von Verbesserungen im Rahmen der ökonomischen Modernisierung überzeugt werden. In der Untersuchung benennen die befragten Soldaten10 deutlich, „wo der Schuh am meisten drückt“. Sie identifizieren mit je rund 56 Prozent als die drei Bereiche in ihrer Einheit beziehungsweise Dienststelle, in denen der höchste Optimierungs- und Verbesserungsbedarf besteht, die Dienst- und Arbeitsabläufe, die Organisation sowie die Arbeitszufriedenheit (vgl. Tab. 1). Tab. 1: Der Dienstalltag steht im Mittelpunkt des Interesses Frage: „Wenn Sie sich in Ihrer Einheit/Dienststelle so umsehen: In welchen Bereichen besteht Ihrer Meinung nach erhöhter Bedarf für Optimierungen und Verbesserungen?“ Verbesserungsbedarf Dienst- und Arbeitsabläufe Organisation Arbeitszufriedenheit Technische Lösungen Arbeits- und Gesundheitsschutz Umweltschutz Betriebssicherheit
genannt von 56 % 56 % 56 % 34 % 18 % 12 % 9%
Datenbasis: SKBefr 2005; n = 1 647.
10 Aus sprachstilistischen Gründen wird auf die geschlechtsspezifische Doppelnennung verzichtet. „Soldat“ und „Kamerad“ wird hier als geschlechtsneutraler Gattungsbegriff für die entsprechenden Personengruppen verwendet.
218
5.2
Kenntnisstand über das KVP
Sorgte das Befragungsergebnis von 2003, wonach das KVP nur knapp der Hälfte der Soldaten bekannt war, für einiges Aufsehen, so haben sich die entsprechenden Werte in 2005 nicht verbessert (siehe Abb. 3).11 Dieses Ergebnis ist insofern enttäuschend, da – wie bereits erwähnt – mittlerweile vielfältige PR-Bemühungen der KVP-Organe auf den verschiedenen Leitungs- und Arbeitsebenen unternommen worden sind. Differenziert man dabei nach den Dienstgradgruppen, so ergibt sich ein präziseres Bild (siehe Abb. 4). Danach hat sich der Kenntnisstand über das KVP im Unteroffizierkorps in den vergangenen beiden Jahren immerhin um zwei Prozentpunkte verbessert, nachdem der relativ schlechte Wert für 2003 entsprechend diagnostiziert worden ist. Wenig überraschend ist dabei, dass die Problemfälle mit großer Mehrheit bei den Unteroffizieren ohne Portepee zu finden sind, da die Portepeeträger in der Regel länger gedient und höher qualifiziert sind. Abb. 3: Kenntnisstand über das KVP in der Truppe
Frage: „Was wissen Sie über das Kontinuierliche Verbesserungsprogramm (KVP)?“
2003
56
2005
58
0%
20%
25
19
14
28
40%
Vom KVP höre ich heute das erste Mal
60%
80%
100%
Habe eine ungefähre Vorstellung davon
Ich weiß relativ genau, was das KVP ist
Datenbasis: SKBefr 2003 und 2005; n [2003] = 1 482, n [2005] = 1 546.
11 Rein numerisch ist der Wert für 2005 sogar um zwei Prozentpunkte gestiegen. Daraus ableiten zu wollen, dass sich der KVP-Kenntnisstand sogar weiter verschlechtert habe, wäre jedoch statistisch nicht abgesichert (Stichprobenfehler).
219
Abb. 4: Kenntnisstand differenziert nach Dienstgradgruppen
Frage: „Was wissen Sie über das Kontinuierliche Verbesserungsprogramm (KVP)?“
100 80
79 59
60
31
40 20
48
42 18 3
28
33
30
10
19
0 Mannschaften
Uffz o. P.
Uffz m. P.
Offz
Vom KVP höre ich heute das erste Mal Habe eine ungefähre Vorstellung davon Ich weiß relativ genau, was das KVP ist Datenbasis: SKBefr 2005; n = 1 546, Angaben in Prozent.
Was den relativ schlechten Kenntnisstand in der Truppe über das KVP betrifft, so scheint der „Hund“ – zumindest zum Teil – in der bisherigen Informationsqualität „begraben“ zu sein. Immerhin fühlen sich 41 Prozent derjenigen, die das KVP kennen, schlecht bis eher schlecht darüber informiert (siehe Abb. 5). Mit anderen Worten: hier wird ein klares Defizit beanstandet. Was die Informationsqualität betrifft, so sind die Werte für das KVP noch schlechter als die für die betriebswirtschaftlichen Reformen in der Bundeswehr allgemein. Schließlich fühlen sich nur 27 Prozent aller KVP-Kenner schlecht bis eher schlecht über die ökonomische Modernisierung im Allgemeinen informiert. Dieses Umfrageergebnis ist ausgesprochen ernüchternd: Die Mehrzahl der Soldaten ist nicht über das KVP informiert, und diejenigen, die es nach eigenem Bekunden sind, fühlen sich dann noch mehrheitlich schlecht informiert. Anhaltspunkte dafür, wie in der Informationspolitik diesen negativen Befunden gegengesteuert werden kann, liefern die Antworten auf die Frage, wie die KVP-Kenner von dem Programm erfahren haben (Tab. 2). Spitzenreiter als Informationsquellen sind die Vorgesetzten, gefolgt von Bundeswehrzeitschriften und den Kameraden. Interessanterweise ist die Rangliste bei den Informationsquellen für die ökonomische Modernisierung anders zusammengesetzt. Auffällig ist besonders der hohe Wert für Bundeswehrzeit220
schriften als Ursprung des Wissens über betriebswirtschaftliche Reformen. Da hier das KVP mit über 20 Prozent hinterherhinkt, empfiehlt es sich, diese Medien mehr als bisher als Informationsquellen zu nutzen. Schließlich haben sie sich bereits bei der ökonomischen Modernisierung allgemein bewährt. Tab. 2: Informationsquellen über KVP und betriebswirtschaftliche Reformen allgemein Frage: „Wie haben Sie vom KVP erfahren?“ und Aussage: „Mein Wissensstand über die betriebswirtschaftlichen Reformen stammt in erster Linie (...)“ betriebswirtschaftliche Reformen allgemein
Informationsquellen
KVP
Vorgesetzte
47 %
Bw-Zeitschriften
40 %
61 %
Kameraden
33 %
27 %
Weisungen vorgesetzter Dienststellen
29 %
32 %
Bw-Intranet
17 %
29 %
Fortbildung
15 %
17 %
38 %
Datenbasis: SKBefr 2005; nur KVP-Kenner; n = 706, Mehrfachnennungen möglich.
Die Konsequenz aus den Umfrageergebnissen zum Informationsstand kann nur lauten: Die „Werbetrommel“ muss noch mehr als bisher für das KVP „gerührt“ werden. Ziel muss eine permanente Diskussions- und Medienpräsenz des KVP im Dienstalltag sein, die eine Art „positives Grundrauschen“ (Stock 2004: 98) erzeugt. Das heißt: zumindest in den Bundeswehr-Medien („Bundeswehr aktuell“, Bw-TV u. ä.) sollte das KVP regelmäßig thematisiert werden und der Grundtenor der Berichterstattung sollte dabei die positiven Seiten des Programms herausstellen. Da die allgemeine Öffentlichkeitsarbeit in Sachen KVP laut Umfrageergebnisse nicht auszureichen scheint, könnte es vielversprechend sein, in allen Truppenteilen spezielle Informations- und Werbeveranstaltungen für das KVP durchzuführen, um auch prinzipiell wirklich alle zu erreichen. Dies wäre umso sinnvoller, als bundeswehrexterne Informationsquellen wie Tageszeitungen oder Fernsehsendungen kaum für ein Dauerthema wie das KVP zu erschließen wären. 5.3
Motivation und Anreize
Positiv festzustellen ist, dass bei denjenigen, die das KVP kennen, immerhin eine relative Mehrheit von 43 Prozent ihre grundsätzliche Bereitschaft, aus einer eigenen Idee oder Anregung einen KVP-Vorschlag zu machen, als hoch bis eher hoch einschätzt, während nur 19 Prozent diese Bereitschaft als gering bis eher gering bezeichnen (siehe Abb. 5). Bei der Grundhaltung aller Befragten – also nicht nur der KVP-Kenner – sieht die Einstellung zur Suche 221
nach Verbesserungsmöglichkeiten nicht ganz so gut aus. Der Feststellung, die Suche nach Einspar- und Verbesserungsmöglichkeiten mache ihnen Spaß, stimmen 2005 nur 30 Prozent zu, während 32 Prozent dieser Aussage ausdrücklich widersprechen. Wenigstens nahm die Anzahl derjenigen, denen eine solche Suche Spaß macht, im Zweijahresvergleich 2003/2005 um acht Prozent zu. Damit scheint sich allmählich ein gewisser Sportsgeist im Sinne eines Ideenwettbewerbs in der Truppe zu entwickeln. Begünstigt wird diese Einstellung sicherlich auch durch die Vorstellung, dass man als Vorschlagender auch selbst von der Umsetzung entsprechender Verbesserungsvorschläge profitieren kann. Abb. 5: Aussagen der Befragten zu Bereitschaft, Motivation und Information KVP-Bereitschaft, Motivation und Information Wie hoch ist Ihre Bereitschaft zum KVP?
43 19 19
Wie gut fühlen Sie sich motiviert?
30 20
Wie gut fühlen Sie sich informiert?
41 0
10
20
(eher) schlecht bzw. gering
30
40
50
(eher) gut bzw. hoch
Angaben in Prozent, Datenbasis: SKBefr 2005; nur KVP-Kenner; n = 706. Die auf 100 fehlenden Prozentzahlen ergeben sich für die Antwort „mittelmäßig“.
Allerdings tut sich bei der Motivationslage folgendes Problem auf (siehe Abb. 6): Während sich die absolute Mehrheit von 51 Prozent durch die Aussage mittelmäßig nicht näher festlegt, fühlen sich immerhin 30 Prozent der KVP-Kenner von dem Verbesserungsprogramm so, wie es konzipiert und praktiziert wird, schlecht bis eher schlecht angesprochen und motiviert, während nur 19 Prozent sich entsprechend positiv äußern. Noch augenfälliger wird der Unterschied, wenn man sich die Randverteilung der Bewertungen anschaut: Danach fühlen sich nur zwei Prozent ausdrücklich gut durch das existierende KVP angesprochen und motiviert, während acht Prozent – also die vierfache Menge – sich für schlecht entscheidet.
222
Abb. 6: Ansprache und Motivation lassen zu wünschen übrig Frage: „Wie gut fühlen Sie sich vom KVP angesprochen und motiviert?“ mittelmäßig 51%
eher schlecht 22% eher gut 17%
gut 2%
schlecht 8%
Datenbasis: SKBefr 2005; nur KVP-Kenner; n = 682.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass bei den Soldaten zwar eine positive Bereitschaft, sich grundsätzlich am KVP zu beteiligen, durchaus vorhanden ist. Jedoch sieht das Meinungsbild, sich im existierenden Programm konkret einzubringen, weniger günstig aus. Die Kunst muss daher darin bestehen, abstrakte Bereitschaft in konkrete Motivation umzuwandeln. Anhaltspunkte, wie das geschehen kann, können die Daten über das Meinungsbild zu Anreizen und Erfahrungen liefern. Es konnte nachgewiesen werden, dass es einen Zusammenhang zwischen Bereitschaft und Motivation zur Beteiligung am KVP einerseits und der Grundeinstellung zur Bundeswehr allgemein andererseits gibt. Die Zahlen besagen, dass es eine schwache, aber vorhandene Wechselbeziehung in der Truppe zwischen Identifikation mit der Bundeswehr und Bereitschaft zum KVP-Engagement gibt (Portugall 2006: 35f.). Mit anderen Worten: Wer sich unter den Soldaten mit seinem „Arbeitgeber“ Bundeswehr deutlich identifizieren kann, ist gegenüber dem KVP aufgeschlossener als diejenigen, die ihre Dienstzeit als Job wie jeden anderen sehen. Ergänzend hierzu kann man das Antwortverhalten bei der über das KVP hinausgehenden allgemeinen Aussage heranziehen, wonach es 30 Prozent aller Befragten Spaß macht, in der eigenen Einheit oder Dienststelle nach Einspar- und Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen. Vergleicht man hierbei die Antworten von KVP-Kennern und Nichtkennern, so lässt sich Folgendes feststellen: Ein entsprechendes Spaßempfinden äußern nur 27 Prozent der Nichtkenner, während es 37 Prozent der Kenner tun. Der Kontakt mit dem KVP hinterlässt demnach offenkundig Spuren. Werden die Nichtkenner über das KVP aufgeklärt, so darf man hoffen, dass diese sich unter Umständen nicht nur nach reinem Kosten-Nutzen-Kalkül an dem Verbesserungspro223
gramm beteiligen werden, sondern dass sie auch aus Überzeugung einen breiteren Focus in Bezug auf Verbesserungs- und Einsparmöglichkeiten aller Art entwickeln werden. Aufschlussreich sind insbesondere die Antworten auf die Frage an die einzelnen KVP-Kenner, was für sie jeweils Anreiz wäre, einen Verbesserungsvorschlag zu entwickeln und einzureichen (siehe Abb. 7). Interessanterweise landen die Kategorien Verbesserung des Dienstalltags und Nutzen der Dienststelle auf den Plätzen eins und zwei. Diese Aussagen bestätigen das Antwortverhalten bei der Frage danach, wo in der eigenen Einheit bzw. Dienststelle Verbesserungsbedarf gesehen wird (vgl. Tab. 1). Demnach ist die Frage, ob eher egoistische oder altruistische Motive einen Anreiz für eine aktivere KVP-Beteiligung darstellen, wenig hilfreich, da es in der Praxis wohl eine Mischung aus beiden Motivlagen ist. Abb. 7: Dienstalltag und Dienststelle stehen im Mittelpunkt des Anreizinteresses Frage: „Was ist für Sie Anreiz, einen Verbesserungsvorschlag zu entwickeln und einzureichen?“ 79
Verbesserung des Dienstalltags Zum Nutzen der Dienststelle zu handeln
64
Geld-/Sachprämie
56
Zügiges Verfahren
55 43
Positive Beurteilung 37
Anerkennung von Vorgesetzten 19
Anerkennung von Kameraden 0
20
40
60
80
100
Angaben in Prozent, Datenbasis SKBefr 2005; nur KVP-Kenner; n = 706; Zustimmung mit Angabe „wichtig“. Die auf 100 fehlenden Prozentzahlen verteilen sich auf die Antworten „weniger wichtig“ und „unwichtig“.
Wohl deshalb bewegt sich der Anreiz „Geld oder Sachprämie“ mit 56 Prozent lediglich im Mittelfeld, obwohl man eigentlich in unserer materialistischen Konsumgesellschaft hätte erwarten können, dass der „schnöde Mammon“ eine höhere Platzierung erzielen würde. Interessanterweise ist der entsprechende Wert bei der allgemeinen Frage, ob jemand finanziell belohnt werden sollte, wenn er zu Einsparungen beiträgt, mit 55 Prozent fast identisch. Allerdings ergibt sich ein unterschiedliches Bild, wenn man nach KVPKennern und Nichtkennern differenziert. So sprechen sich 47 Prozent der 224
Nichtkenner, aber 67 Prozent der KVP-Kenner für finanzielle Belohnungen bei Einsparungsvorschlägen aus. Demnach sind finanzielle Anreize für KVPKenner selbstverständlicher als für KVP-Nichtkenner. 5.4
Konkrete Erfahrungen mit dem KVP
Bezogen auf die Gesamtzahl der Befragten hat bei den Streitkräftebefragungen quantitativ nur eine Minderheit ganz konkrete Erfahrungen mit dem KVP durch das förmliche Einbringen entsprechender Vorschläge gemacht. Im Jahre 2005 waren es gerade einmal 76 von 1 647 befragten Bundeswehrangehörigen, die einen oder mehrere KVP-Vorschläge eingereicht haben. 2003 waren es 63 von 1 510 Soldaten gewesen. Am aktivsten bei der Einreichung von KVP-Vorschlägen erwiesen sich zum einen die Gruppe der Unteroffiziere mit Portepee und zum anderen die Marineuniformträger. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, wer nach seinen bisherigen Erfahrungen weitere Verbesserungsideen als KVP-Vorschlag einreichen bzw. nicht einreichen würde, sowie für den Fall der Verneinung die Nachfrage nach den Gründen hierfür. Danach würde gut die Hälfte derjenigen, die schon ein- oder mehrmals förmliche Vorschläge im Rahmen des KVP eingereicht haben, sich wieder an diesem Programm beteiligen, während immerhin ein Drittel derjenigen mit praktischen Vorschlagserfahrungen dermaßen abgeschreckt worden ist, dass sich in Zukunft nicht mehr am KVP beteiligen würde. Besonders stechen bei der Gruppe der „Enttäuschten“ die Unteroffiziere ohne Portepee und die Heeresuniformträger hervor. Die am häufigsten genannten Gründe für eine künftige KVP-Verweigerung waren: x zu lange Bearbeitungsdauer der eingereichten Vorschläge, x schlechte Informationspolitik der KVP-Organe während des Verfahrens sowie x Desinteresse der Vorgesetzten an dieser Form von Engagement. Erschreckend ist in diesem Zusammenhang auch, dass immerhin 45 Prozent aller KVP-Kenner die Meinung vertreten, Verbesserungsideen lieber direkt in der eigenen Dienststelle zu äußern als den förmlichen KVP-Weg zu beschreiten (siehe Abb. 8).
225
Abb. 8: Das Meinungsbild zum KVP ist sehr unterschiedlich Eindrücke und Meinungen zum KVP Äußere Ideen lieber direkt
45
Höhe der Prämien ist Ansporn
40
Man wird von Vorgesetzten für Vorschläge respektiert
25
Vorgesetzte/Dst. wollen häufig nichts davon wissen
24
Ich befürchte persönliche Nachteile
6 0
10
20
30
40
50
Angaben in Prozent, Datenbasis: SKBefr 2005; nur KVP-Kenner; Zustimmung mit „trifft voll und ganz/eher zu“. Die auf 100 fehlenden Prozentzahlen verteilen sich auf die Antworten „teils/teils“, „weiß nicht“ und „trifft nicht zu“.
Wenn es um konkrete Erfahrungen mit dem KVP geht, bilden die wichtigsten Bezugsgruppen zum einen die Vorgesetzen und zum anderen die Kameraden. Die Vorgesetzten sind laut Aussagen der befragten KVP-Kenner insgesamt die mit Abstand wichtigste Informationsquelle zum KVP. Differenziert man nach Dienstgradgruppen, so gilt diese Aussage uneingeschränkt nur für die Unteroffiziere mit und ohne Portepee. Bei Mannschaften und Offizieren landen die Vorgesetzten jeweils nur auf Platz zwei. Haben die Mannschaftssoldaten vom KVP in erster Linie aus den Bundeswehr-Medien erfahren, so sind die Hauptinformationsquellen zum KVP für die Offiziere Weisungen und Erlasse vorgesetzter Dienststellen, der Ämter oder des BMVg selbst. Bei Luftwaffen- und Marineuniformträgern werden Vorgesetzte wesentlich häufiger als wichtigste Informationsquelle über das KVP genannt als bei Heeresuniformträgern. Allerdings vermitteln Vorgesetzte nur bei jedem zweiten Untergebenen den Eindruck, ihre Anerkennung könnte einen Anreiz für das Einbringen eines KVP-Vorschlages sein. Schaut man sich die einzelnen Dienstgradgruppen an, so ergibt sich bei den Portepeeträgern sowie den Mannschaften ein differenzierteres Bild (siehe Tab. 3). Während die Aussicht auf Anerkennung durch Vorgesetzte nur für 29 Prozent der Unteroffiziere mit Portepee einen Anreiz darstellt, einen Verbesserungsvorschlag zu entwickeln und einzureichen, ist dieser Aspekt immerhin für 59 Prozent der Mannschaften von 226
Bedeutung. Ähnlich sieht das Antwortverhalten auch in Bezug auf den Anreiz positive Beurteilung aus. Während für die Längerdienenden (Portepeeträger, Offiziere) eine entsprechende Beurteilung mehrheitlich keinen Ansporn für einen Verbesserungsvorschlag darstellt, so ist dies für die Mehrheit der kürzerdienenden Mannschaften und Unteroffiziere ohne Portepee durchaus der Fall. Damit ist ein Forcierungsinstrument für das KVP bei den unteren Dienstgradgruppen identifiziert, das den Dienstherrn nichts kostet, aber trotzdem Wirkung erzielen kann. Bei den Uniformträgern fällt dabei die Marine negativ aus dem Rahmen, da für sie sowohl die Anerkennung von Vorgesetzten als auch eine positive Beurteilung deutlich geringere Anreize für KVP-Vorschläge darstellen als dies bei Heeres- und Luftwaffenuniformträgern der Fall ist. Tab. 3: Unterschiedliche Bewertung der Kategorie Anerkennung von Vorgesetzten als Anreiz für Verbesserungsvorschläge je nach Dienstgradgruppe Frage: „Was ist für Sie Anreiz, einen Verbesserungsvorschlag zu entwickeln und einzureichen?“ und Aussage „Wichtiger Anreiz“ bzw. „Unwichtig“. gesamt
Mannschaften
Uffz o. P.
Uffz m. P.
wichtig
41 %
59 %
41 %
29 %
39 %
unwichtig
19 %
12 %
13 %
28 %
20 %
Offiziere
Datenbasis: SKBefr 2005; nur KVP-Kenner; n = 645. Die auf 100 fehlenden Prozentzahlen ergeben sich für die Aussage „weniger wichtig“.
Bei 24 Prozent – das heißt bei fast jedem Vierten – der KVP-Kenner erwecken Vorgesetzte oder höhere Dienststellen den Eindruck, dass diese von Verbesserungsvorschlägen häufig überhaupt nichts wissen wollen – unabhängig von Dienstgrad- und Uniformträgergruppe (siehe Abb. 8). Noch ausgeprägter ist diese Einschätzung bei den Mannschaften und den Unteroffizieren ohne Portepee. Auch bei Heeres- und Luftwaffenuniformträgern ist dieser Eindruck weiter verbreitet als bei Marineuniformträgern (siehe Abb. 9). Kameradschaft als militärisches Spezifikum ist mehr als reine Kollegialität. Es ist vielmehr die besondere Form von „Solidarität unter Soldaten“, auf die das „Leben in der militärischen Gemeinschaft (angewiesen) ist“ (Reeb/ Többicke 2003: 152). Deshalb ist die Rolle der Kameraden in der alltäglichen Praxis des KVP von besonderem Interesse. Als Informationsquelle über das KVP stehen die Kameraden immerhin auf Platz drei – nach Vorgesetzten und Bundeswehr-Medien (vgl. Tab. 2). Gibt es keine großen Unterschiede im Antwortverhalten der verschiedenen Dienstgradgruppen, so werden bei den Uniformträgern Kameraden doch von den Marineangehörigen auffallend häufig als Informationsquellen genannt.
227
Abb. 9: Bei Marine und Luftwaffe wird das KVP mehr in den Dienststellen unterstützt und gefördert als beim Heer „In unserer Dienststelle wird KVP unterstützt und gefördert.“
60 40
37
40 21
25
20
20
10
0 Heer trifft voll und ganz/eher zu
Luftw affe
Marine
trifft nicht/überhaupt nicht zu
Angaben in Prozent, Datenbasis: SKBefr 2005; nur KVP-Kenner; Frage nach Uniformträgern; n [Heer] = 371, n [Luftwaffe] = 154, n [Marine] = 135.
Bedenken hinsichtlich möglichen Neidverhaltens bei Kameraden gegenüber denjenigen, die einen KVP-Vorschlag offiziell einreichen, konnten durch die Umfrageergebnisse ebenso zerstreut werden wie Befürchtungen, der eigene KVP-Vorschlag könnte den Kameraden Nachteile einhandeln. Die Zustimmung bewegt sich bei beiden Aussagen lediglich im einstelligen Prozentbereich. Wenn überhaupt, so finden sich lediglich bei den befragten Mannschaften vereinzelt solche Befürchtungen. Zieht man jedoch das Antwortverhalten in 2005 bei den allgemeinen Fragen zum Themenfeld Ökonomisierung in Bezug auf die Kameraden hinzu, dann ergibt sich insgesamt ein weniger günstiges Stimmungs- und Meinungsbild (vgl. Tab. 4). So geben 30 Prozent aller Befragten an, dass aus ihrer Sicht ein Großteil der Kameraden „von diesen Veränderungen nicht viel (hält)“, im Gegensatz zu nur 13 Prozent, die der Auffassung sind, dass ihre Kameraden in der Mehrzahl die ökonomische Modernisierung der Bundeswehr unterstützen. Von den KVP-Kennern glauben sogar 35 Prozent, dass der Großteil ihrer Kameraden nicht viel von den betriebswirtschaftlichen Neuerungen hält. Es kann daher kaum überraschen, dass die überwiegende Mehrheit in der Truppe die Behauptung, das ökonomische Denken trage insgesamt zu einer größeren Motivation bei den Kameraden bei, verneint. Folglich sollten die KVP-Kenner auch und gerade im Kameradenkreis durch „Mund-zu-Mund-Propaganda“ für mehr Wissen, Akzeptanz und Engagement im Rahmen dieses Verbesserungsprogramms werben. 228
Tab. 4: Die Einstellung der Kameraden zur ökonomischen Modernisierung der Bundeswehr wird überwiegend skeptisch beurteilt Aussage: „Ein Großteil meiner Kameraden hält von diesen Veränderungen nicht viel.“ alle
KVP-Kenner
Nichtkenner
trifft (eher) zu
30 %
35 %
26 %
trifft (eher) nicht zu
13 %
17 %
11 %
Datenbasis: SKBefr 2005; n = 1 622.
5.5
Fazit
Fasst man die Ergebnisse der Streitkräftebefragung 2005 zusammen, so kann man festhalten, dass die Ausgangslage bei den Wissensständen, Einstellungen und Erfahrungen insgesamt in der Truppe in Bezug auf das KVP gar nicht so schlecht ist. Der Bedarf an kontinuierlichen Verbesserungen wird durchaus gesehen, der Kenntnisstand könnte besser sein, Motivation ist vorhanden und konkrete Anreize können diese steigern. Die bisherigen Erfahrungen mit dem KVP lassen jedoch zu wünschen übrig. Die Bundeswehr riskiert, vorhandenes Kapital im Sinne einer positiven Grundhaltung gegenüber diesem Programm zu verspielen. Damit genau dies nicht eintritt, werden im Folgenden praktische Forcierungsvorschläge auf der Grundlage des bisher Erarbeiteten vorgestellt.
6
Praktische Forcierungsvorschläge auf empirischer Grundlage
Die folgenden Vorschläge stellen gleichsam das Destillat aus der empirischen Studie des SWInstBw zum KVP (vgl. Portugall 2006) dar und bilden die Quintessenz des entsprechenden Forschungsmoduls ab, wie das bundeswehreigene Verbesserungsprogramm noch effizienter und effektiver gestaltet werden kann.12 1. Offensivere Werbekampagnen: Aufgrund des nachgewiesenen schlechten allgemeinen Kenntnisstandes in der Truppe über das KVP erscheint es sinnvoll, noch mehr als bisher hierfür die „Werbetrommel“ zu rühren – insbesondere im Heer und bei der Unteroffizierausbildung. 2. Anreize gezielt ansprechen: Für zusätzliches KVP-Engagement empfiehlt sich bei Kürzerdienenden die Ausstellung positiver Beurteilungen 12 Erste Forcierungsvorschläge hat die Bundesluftwaffe bereits im Jahre 2003 vorgelegt. Vgl. hierzu Luftwaffenamt (Hrsg.) (2003): Luftwaffenstruktur 5 – Neue Horizonte, Nr. 14, Köln.
229
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
230
im Falle entsprechender Aktivitäten, während Längerdienende insbesondere durch eine kürzere Bearbeitungsdauer zu motivieren sind. Motivationstraining für KVP-Personal: Professionelle Trainer könnten KVP-Beauftragte und -Moderatoren im individuellen Bedarfsfall zusätzlich als Multiplikatoren coachen, um deren Arbeit noch wirkungsvoller zu gestalten. Vorgesetzte als Vorbilder herausstellen: Gerade Vorgesetzte sind, was Information über und Motivation zum KVP betrifft, für ihre Untergebenen von herausragender Bedeutung. Da die Befragungen des SWInstBw gerade im Bereich Interesse von und Anerkennung durch Vorgesetzte Defizite zu Tage gefördert haben, empfiehlt es sich, deren Vorbildcharakter auch auf diesem Gebiet stärker als bisher herauszustreichen. KVP statt direkte Verbesserungsvorschläge betonen: Auch wenn bei den KVP-Kennern der informelle „Obergefreiten-Dienstweg“ für eigene Verbesserungsvorschläge nach wie vor beliebt ist, sollte durch Vorgesetzte und Kameraden darauf gedrungen werden, Verbesserungsideen als förmliche KVP-Vorschläge einzubringen. Verringerung der Bearbeitungsdauer: Die Verringerung der häufig als zu lang empfundenen Bearbeitungsdauer erscheint dringend geboten, da die Bundeswehr sonst Gefahr läuft, die durchaus vorhandene positive Grundhaltung in der Truppe gegenüber dem KVP durch frustrierende Erfahrungen zu verspielen. Offensivere Informationspolitik auf allen KVP-Ebenen: Gerade bei besonders anspruchsvollen Vorschlägen, wo die Bearbeitungsdauer wegen komplexer Prüfungen lang sein kann, sollten begründende, eigeninitiative Zwischenbescheide Demotivierung und Frustration bei den Vorschlagenden entgegenwirken. Beschleunigte Umsetzung angenommener Vorschläge: Wichtig ist nicht nur die beschleunigte Bescheidung eingereichter Vorschläge, sondern auch die Aufklärung über deren Umsetzung im Falle der Annahme und Prämierung. Mehr Erfahrungsaustausch zwischen den einzelnen Teilstreitkräften und OrgBereichen: Aufgrund der angesprochenen Unterschiede könnte die Einrichtung einer TSK-übergreifenden „Erfahrungsbörse“ als Austauschforum ganz sinnvoll erscheinen. Einrichtung eines „Sorgentelefons“: Die Schaffung einer zentralen Anlauf- und Schiedsstelle in Sachen KVP könnte einen Beitrag dazu leisten, durch das SWInstBw registrierte Enttäuschungen abzubauen.
7
Zusammenfassung
Die Ausführungen zeigen, dass auf dem Gebiet des Kontinuierlichen Verbesserungsprogramms in der Bundeswehr schon viel geleistet worden ist. Dies gilt beispielsweise sowohl für die Öffentlichkeitsarbeit „von oben“ als auch für das Engagement „von unten“. Ganz im Sinne des KVP heißt dies natürlich nicht, dass es hier keine Verbesserungsmöglichkeiten mehr gäbe. Ganz im Gegenteil: Dort, wo noch Defizite bestehen, insbesondere bei Kenntnisstand und Motivation, sollten diese auch zügig abgebaut werden. In der Truppe ist eine grundsätzlich positive Grundhaltung gegenüber dem KVP vorhanden. Allerdings tragen praktische Erfahrungen mit dem Programm vielfach zur Frustration und sogar zur Abschreckung bei – insbesondere wegen der häufig als zu lange empfundenen Verfahrensdauer und wegen der als unzureichend empfundenen Informationspolitik während des sich hinziehenden Prüfverfahrens. Gelänge es, bei den Verbesserungsbemühungen gerade hier anzusetzen, so könnte sich das KVP insgesamt als noch effizienter und effektiver erweisen. Ein entsprechendes Potenzial ist in jedem Fall vorhanden, das voll auszuschöpfen sich sicherlich lohnen würde. Literatur AIK – Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation (Hrsg.) (2004): Tagungsband „Das veränderte sicherheitspolitische Umfeld und die Konsequenzen für die Informationsarbeit der Bundeswehr“ anlässlich der Expertentagung zur Vorbereitung des 10. Strausberger Symposiums am 4./5. Oktober 2004 an der AIK in Strausberg. Biederbick, Klaus-Günter (2005): Die ökonomische Modernisierung der Bundeswehr. Bundeswehrverwaltung, 1, 1–3. Bundesministerium der Verteidigung, Stab Leitungscontrolling (2005): Präsentation zum Thema „Gesamtsituation KVP“ vor Abteilungsleiterrunde am 21. Januar 2005, Bonn. Elbe, Martin/Richter, Gregor (2005): Militär: Institution und Organisation. In: Leonhard/Werkner 2005: 136–156. Gareis, Sven Bernhard/Klein, Paul (Hrsg.) (2004): Handbuch Militär und Sozialwissenschaft. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Gause, Clemens (2004): Die Ökonomisierung der Bundeswehr. Strategische Neuausrichtung und organisationskulturelle Rahmenbedingungen. Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag. Großeholz, Carsten/Portugall, Gerd (2006): Mehr Wirtschaftlichkeit. Die ökonomische Modernisierung der Bundeswehr. Information für die Truppe, Nr. 1/2006, 14–18. Imai, Masaaki (2001): KAIZEN – Der Schlüssel zum Erfolg der Japaner im Wettbewerb. 7. Aufl. München: Ullstein.
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Autorenverzeichnis Elbe, Martin, Prof. Dr., Dipl.-Soz., Dipl.-Kfm., Professor an der Fachhochschule für angewandtes Management, Erding. Großeholz, Carsten, M.A. theol., bis Dezember 2006 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr (SWInstBw), Strausberg. Hubbert, Michael, Dipl.-Betrw., Oberst i. G., Controller A im Streitkräfteunterstützungskommando (SKUKdo), Köln. Keller, Jörg, Dipl.-Päd., Oberstleutnant, Projektleiter am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr (SWInstBw), Strausberg. Kümmel, Gerhard, Dr., M.A., Wissenschaftlicher Direktor am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr (SWInstBw), Strausberg. Portugall, Gerd, Dr., M.A., Politikwissenschaftler, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr (SWInstBw), Strausberg. Richter, Gregor, Dr., Dipl.-Soz., Projektleiter am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr (SWInstBw), Strausberg. Rüttler, Martin, Dr., Dipl.-Kfm., Geschäftsführer der Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb mbH (g.e.b.b.), Köln. Wochnik, Lars, Dipl.-Kfm., Hauptmann, Dozent an der Technischen Schule der Luftwaffe 1 (TSLw 1), Kaufbeuren. Zimmermann, Jürgen, Dipl.-Kfm., Regierungsdirektor, Grundsatzreferent im Stab Leitungscontrolling (LC) im Bundesministerium der Verteidigung, Bonn.
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