Archie Lennox
Die Jahrhundertstory Eine inszenierte Entführung soll das Presseimperium sanieren – doch Jo Walker liest...
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Archie Lennox
Die Jahrhundertstory Eine inszenierte Entführung soll das Presseimperium sanieren – doch Jo Walker liest zwischen den Zeilen Die Bombe explodierte in der Knastwäscherei. Eine Druckwelle erschütterte die Halle. Die Häftlinge warfen sich auf den Boden. Armdicke Wasserrohre rissen auf. Die kochenden Wasserstrahlen dampften den Saal ein. Starkstromkabel rissen. Ihre Enden tanzten wie erregte Giftschlangen und versprühten tödlichen Funkenflug. Das höllische Krachen der Explosion wummerte drohend von den kahlen Wänden zurück. Unter den Menschen brach Panik aus. Sie rannten verzweifelt und orientierungslos herum. Cesare Planetta hechtete hinter den Wäscheberg am Ende der Halle. Er zerrte den Plastikbeutel mit dem Tierblut aus dem Versteck, riß ihn auf und klatschte sich den stinkenden Saft ins Gesicht. Dann rollte er sich schreiend auf den breiten Mittelgang zurück.
»Wo du wolle? Du sagen ich fahren.« ›el taxista‹ Dieses eBook ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
Die Hauptpersonen: Cesare Planetta bombt sich aus dem Knast und entführt seine Exfrau in die Hölle. Robert Graton avanciert zum Gewaltverbrecher, um sein wankendes Presseimperium zu retten. Jean Graton heiratet einen Millionär und verbringt ihre Flitterwochen unter dem Abschaum der New Yorker Unterwelt. Geraldine Brooks katapultiert sich mit einer unglaublichen Geschichte in die Hitliste der Sensationsreporter. Jo Walker ist Kommissar X
Zwei Wachbeamte beugten sich über ihn. »He, Planetta. Wo hat es dich erwischt?« Ein paar Häftlinge stürzten mit einer Trage heran. Sie stießen die Schließer zur Seite, luden Planetta auf und schleppten ihn durch das Inferno dem Ausgang entgegen. Über wimmernde Verletzte, die sich am Boden wälzten. Vorbei an uniformierten Beamten, die sinnlose Befehle rausbrüllten und mit defekten Löschern hantierten. Die Gefängnissirenen jaulten auf. Wenig später öffneten sich die beiden schwere Stahltore, und die ersten Krankenwagen rasten in den Innenhof. Gefangene mit schweren Verbrennungen taumelten ihnen aus der Wäscherei entgegen. Der hintere Gebäudetrakt stand in Flammen. Ein Feuerwehrzug donnerte auf den Hof. Die Männer sprangen herunter und rollten die Schläuche aus. Chaos machte sich breit. »Hilfe, er stirbt!« Die Träger kämpften sich zu einem Sanka durch. Sie schoben den blutüberströmten Planetta in den Wagen. Der Fahrer knüppelte den Vorwärtsgang rein und jagte mit aufheulender Sirene aus der schwerbewachten Festung hinaus. »Danke, Kumpel«, röchelte Cesare Planetta. Er riskierte einen Blick nach draußen. Der Sanka düste über die Ausfahrt auf den Highway in Richtung New York City. Die Straßenschilder huschten vorbei. Die Sonne schien. Cesares Puls flog. Es schien unfaßbar. Er war frei. Er schloß die Augen und genoß dieses unglaublich stimulierende Gefühl. Es hatte alles geklappt. Bis jetzt. Die Detonation in der Wäscherei.
Die Kumpels, die ihn als einen der ersten in den Hof geschleppt und ihm die sechzehnschüssige Beretta unter die Jacke geschoben hatten. Und der Trick mit dem Tierblut. Cesares Hand tastete nach der schweren Pistole. Seine Finger schlossen sich um den Griff. Wieder öffnete er die Augen. Er sah den Fahrer. Ein junger Sani mit schmalem Rücken und strähnigen Haaren. Geschmeidig wie eine Katze schob sich Cesare von der Trage nach vorn. Zentimeter für Zentimeter. Dann stieß er dem Sani die Beretta zwischen die Rippen. »Es tut mir leid, Kumpel, daß ich dir so kommen muß. Aber schlag dir aus dem Kopf, das nächste Krankenhaus anzusteuern. Ab sofort spiel ich den Reiseleiter. Und ich empfehle dir dringend, meinen Empfehlungen zu folgen.« Der Sani zog die schmalen Schultern hoch. Er zitterte wie die Maus vor der Katze. Es dämmerte ihm, daß er keinen Schwerverletzten transportierte, sondern einen kerngesunden Gangster, der auf eine kostenlose Taxifahrt reflektierte. »Sagen Sie, wohin Sie wollen, Mister. Ich kutschiere Sie bis ans Ende der Welt. Aber stecken Sie die Kanone wieder ein. Tun Sie mir den Gefallen.« »Schlechte Nerven?« kicherte Cesare bei der Entdeckung, daß er wieder unbeschränkte Macht über andere Menschen hatte. »Schlechte Nerven und ‘ne nette Frau zu Haus, die ich gern Wiedersehen möchte.« »Interessant«, sagte Cesare. »Schmeiß mal das Radio an.« Der Sani gehorchte. Er ließ die Ortssender durchlaufen. Musik, Werbung, Actualities. Da war es! »… explodierte heute früh gegen neun Uhr eine Bombe in der Wäscherei des Staatsgefängnisses Sing Sing. Nach ersten Meldungen gab es eine Anzahl schwerverletzter Wachbeamter und Häftlinge. Es entstand ein Chaos. Die Behörden befürchten, daß einige der Gefangenen die Gelegenheit zur Flucht ergriffen haben.« »Das befürchte ich auch«, grinste Cesare. Er filzte die Privatklamotten des Sani, die auf einem Kleiderbügel hinten im Wagen hingen. »Nehmen Sie mein Geld, Mister«, bibberte der Sani, der seinen gefährlichen Fahrgast durch den Rückspiegel beobachtete. »Nehmen Sie die Kreditkarten und alles, was Sie finden. Und sagen Sie mir endlich, wohin ich Sie fahren soll.«
»Zu dir nach Haus, Kumpel. Ich muß mich waschen, bevor ich wieder auf die Menschheit losgelassen werde. Das siehst du doch wohl ein. Neue Klamotten brauch ich auch. Die wirst du mir besorgen. Ich seh hier in deinen Papieren, daß du in der Bronx zu Hause bist. Hervorragend. Genau auf meinem Weg. Es ist jetzt zehn Uhr. Gegen drei muß ich in Manhattan sein. Also tritt in die Pedale. Wenn du nicht spurst, blas ich dir deine Visage zwischen den Ohren weg.« Der Sani stöhnte leise auf. Er dachte an seine Frau. Es war eine grauenvolle Vorstellung, sie mit diesem Untier zu konfrontieren. Der Gangster hatte wahrscheinlich seit Jahren kein weibliches Wesen mehr in seiner Nähe gespürt… * Als Geraldine Brooks die Nachrichten hörte, kam sie gerade aus dem Bad. Sie ließ das Badetuch fallen und lief nackend ans Telefon. »Das darf nicht wahr sein«, stammelte sie und wählte die Nummer des Staatsgefängnisses Sing Sing, das außerhalb von New York in der Nähe der kleinen Stadt Ossining lag. Natürlich waren alle Leitungen blockiert, denn Geraldine war nicht die einzige aus dem Gewerbe der Journalisten, die um diese Zeit einen telefonischen Kontakt zu dem Knast ersehnte. Alle wollten sie die heißesten »News«, und als Folge qualmten die Leitungen nach Ossining raus. Geraldine Brooks war ein As unter den New Yorker Journalisten. Und das wollte etwas heißen, denn im Kampf um die spektakulärsten und neuesten Meldungen waren Ellbogen, die harmlosesten Waffen, um erfolgreich zu sein. Der Kampf der Journalisten untereinander glich einem pausenlosen Footballspiel ohne Kampfhelm, Nierenschutz und ohne Schiedsrichter. Geraldine war nicht nur eine heiße Reporterin. Sie war auch eine Spitzenfrau. Ein unverschämt sexy Geschöpf. Ihre Kurven und die dazugehörenden Maße ließen die Glitzermiezen aus dem Showbusiness vor Neid aufheulen. Geraldine war Auslese. Ende Zwanzig, unverheiratet und eine verdammte Herausforderung für die Männerwelt. Die meisten hübschen Girls verdienten ihre Brötchen damit, daß sie ihre Hüllen fallen ließen. Geraldine machte Kohle mit ihrer Schreibe, und sie hatte schon eine Menge davon an Land gebaggert. Im Augenblick jedoch lag sie schlecht im Rennen. So, wie es den
Anschein hatte, waren die lieben Kollegen schneller als sie. Sie hatte zwar die Durchwahl von Louis Cobb, dem Knastdirektor, aber sie kam nicht durch in sein Büro. Geraldine knallte wütend den Hörer auf die Gabel. Sie sprang auf und strich sich die lackschwarze Mähne aus dem Gesicht. Was sollte sie jetzt tun? Ein paar Minuten später hatte sie sich in den giftgrünen Mini geworfen und grübelte über einem Glas Grapefruit darüber nach, wie sie ihrer Zeitungsredaktion doch noch eine heiße Schlagzeile von dem Unglück in Sing Sing liefern konnte. Es war sinnlos, dorthin zu fahren. Die Straßen waren vermutlich verstopft. Es gab genug New Yorker, die mit ihren Autos auf dem Weg nach Ossining waren, um sich vor Ort die Katastrophe hautnah reinzuziehen. Geraldine griff zerstreut nach ihrem Notizbuch und blätterte die Telefonnummern durch. Es waren Nummern von den einflußreichen Leuten des Landes, von Gaunern, Stars und Künstlern. Halt! Die Adresse von Jo Walker sprang ihr ins Gesicht. Ein Lächeln umspielte ihre schockroten Lippen. Hinter die Nummer des Private Detective hatte sie ein Herz gemalt. Jo Walker… Vor ein paar Jahren hatten sich ihre beruflichen Wege gekreuzt. Und bei der Gelegenheit war man sich auf privater Ebene sehr nahe gekommen. So nahe, daß bei beiden einige Relais durchgebrannt waren. Ein heißer Flirt. Für eine kurze Zeit. Und eine schöne Erinnerung. Geraldine schloß für einen Moment die Augen. Bilder stiegen in ihr auf. Die Momentaufnahmen einer total verrückten Liebe. Wenn man es recht betrachtete, eigentlich noch ganz frische Eindrücke. Es sprach einiges dafür, Jo Walker wieder einmal zu kontakten. Er war nicht nur ein traumhafter Lover. Er verfügte auch ständig über die neuesten Infos aus der New Yorker Unterwelt. Und es war nicht ausgeschlossen, daß er über die Sing-Sing-Affäre schon wieder etwas mehr wußte als viele andere in der Stadt. * Das Telefon klingelte. April Bondy nahm den Hörer ab. Sie meldete sich mit einem freundlich distanzierten »Hallo«. Als sie die Stimme am anderen Ende der Leitung hörte, verfinsterte sich ihr hübsches Gesicht.
»Geraldine Brooks vom New York Weekly? Sie wollen Mister Walker sprechen? Privat oder beruflich?« April erinnerte sich sofort. Es war die Pressemieze, mit der ihr Chef vor längerer Zeit einen nicht übersehbaren Flirt in Szene gesetzt hatte. Was wollte diese Frau von Jo? Alte Geschichten aufwärmen? April spürte den Stachel der Eifersucht in sich. Nachdrücklich und schmerzhaft. Sie war Jos rechte Hand und dauerverliebt in ihren Boß. Und sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, alle auftretenden Konkurrentinnen aus ihrem Revier zu treiben. »He, was ist los?« meldete sich die Stimme. »Sitzen Sie auf den Ohren? Geben Sie mir Mister Walker.« Bevor April zurückbellen konnte, kam Jo ins Büro. Sie sah ihn hilfesuchend an und legte die Hand auf die Sprechmuschel. »Eine von deinen früheren Verehrerinnen. Die willst du doch wohl nicht auf nüchternen Magen sprechen. Ich sag ihr, daß du nicht im Haus bist.« »Wer ist es denn?« fragte Jo mit wenig Interesse in der Stimme. Er war nicht in Stimmung. Es war noch zu früh am Tag. »Ach, diese Brooks von der ›New York Weekly‹«, sagte April. Sie sprach den Namen undeutlich aus. Als wollte sie damit einem drohenden Unglück entgegenwirken. »Geraldine Brooks? Warum sagst du das nicht gleich?« Jo riß ihr den Hörer aus der Hand und strahlte. Er fühlte sich plötzlich taufrisch. Er fühlte sich wie ein Siebzehnjähriger mit roten Ohren und einem Blumenstrauß in der Hand. »Hallo, mein Engel«, schnurrte er mit belegter Zunge. »Seltsam, ich habe eben gerade an dich gedacht.« Er hörte ihr Lachen. Es klang nach silbernen Glöckchen. »Du Schuft lügst, wie du schon immer gelogen hast. He Jo, du scheinst dich nicht geändert zu haben. Wer ist denn diese Giftspritze neben dir? Sie schirmt dich ab wie eine eifersüchtige Ehefrau.« »Kommen wir zu Sache«, räusperte sich Jo. »Hast du zwei Kinokarten übrig? Brauchst du einen Kredit? Oder soll ich gleich bei dir vorbeikommen?« April konnte die lockeren Sprüche nicht länger ertragen. Sie sprang auf und stöckelte wutentbrannt hinaus. Jo Walker grinste ihr hinterher. »Wir sind allein, Geraldine. Meine Assistentin hat unter Protest ihren Arbeitsplatz verlassen. Sie ist nicht gut auf Leute zu sprechen, die ich in mein Herz geschlossen hab. Aber mal zu dir. Hast du Sehnsucht nach mir, oder brauchst du meine Hilfe?«
»Beides«, säuselte Geraldine. »Sollten wir nicht mal wieder zusammen ausgehen, Darling?« »Nenn es, wie du willst. Nichts lieber als das. Wann paßt es dir? Gleich oder besser heute abend?« »Ich richte mich ganz nach deinem Terminkalender, Jo. Ach ja, und dann noch was: Hast du schon die Frühnachrichten gehört?« »Aber sicher, Baby. Es soll heiß werden heute. Wir könnten zum Baden nach Long Island rausfahren.« Geraldine Brooks registrierte, daß Jo ihr auswich. Wahrscheinlich wußte er schon, worauf sie hinaus wollte, und es machte ihm Spaß, sie zu ärgern. »Ich zieh meinen Tanga zum Schwimmen an, Jo. Wenn du mir was Genaueres über den Vorfall in Sing Sing sagen kannst.« »Ach, da geht es lang«, lachte Jo. »Du brauchst heiße Facts und stehst auf dem Schlauch. Was willst du denn wissen?« »Ich hab vor ein paar Jahren die Reportage über diesen Cesare Planetta gemacht. Vielleicht erinnerst du dich?« »Natürlich, Baby. Es war eine deiner besten Arbeiten. Und wenn ich mich recht erinnere, hast du damals sogar einen von diesen Journalistenpreisen dafür eingefahren.« »Das ist Schnee von gestern, Jo. Aber ich will an Planetta dranbleiben. Du weißt, daß er in Sing Sing dreißig Jahre absitzt?« »Wegen schweren Raubes und ein paar anderen Schweinereien. Wie viele Jahre hat er denn abgebrummt?« »Vier«, sagte Geraldine, und ihre Stimme klang immer geschäftsmäßiger. »Und nun heute diese seltsame Explosion in diesem Knast. Es ist ihm gelungen, schon zweimal aus anderen, sogenannten ausbruchsicheren Haftanstalten auszubrechen. Weißt du, worauf ich hinauswill?« »Du meinst, Planetta hat den Anschlag angezettelt und die Chance ergriffen, den Abflug zu machen? Ich bewundere deinen Scharfsinn, Baby.« »Quatsch mich nicht dumm an, Jo. Rede. Ich kenn dich zu gut. Du weißt mehr. Ich spür das. Raus mit der Sprache. Ich verspreche dir zwanzig Prozent meines Honorars, wenn ich die Story bringen kann.« »Mach mir einen schwarzen Kaffee, Baby. Ich bin in zehn Minuten bei dir. Dann wirst du mehr erfahren. Du wohnst doch noch an der Grand Army Plaza?« »Aber sicher, Jo. Ich freu mich auf dich«, hauchte Geraldine und legte auf. Sie schien es plötzlich sehr eilig zu haben. Wahrscheinlich wollte sie Jo nicht daran hindern, sofort zu ihr rüberzuspurten. Denn ihre Wohnungen lagen nur ein paar hundert Yards Luftlinie auseinan-
der. Jo zog die Stirn in Falten. Er schob sich ein Zigarillo zwischen die Zähne und verließ das Büro. April kam ihm aus der gegenüberliegenden Wohnhalle entgegen. Sie registrierte mit Genugtuung, daß der Boß keinen besonders aufgeräumten Eindruck mehr machte. Seine Laune schien sich verschlechtert zu haben. »Was ist mit dir, Jo? Schlechte Nachrichten?« »Wenn mich nicht alles täuscht, gibt’s heute noch eine Menge Ärger in Manhattan«, knurrte er. »Ruf doch mal eben den Captain an. Frag ihn, ob er was über einen gewissen Cesare Planetta in Zusammenhang mit dem Vorfall in Sing Sing in Erfahrung bringen kann.« »Okay, Jo.« Sie verschwand im Büro. Jo steuerte durch die luxuriöse Wohnlandschaft und trat auf die Terrasse. Es war ein angenehm warmer Vormittag. Der Blick vom vierzehnten Stockwerk war nicht besonders überwältigend. Auf der anderen Seite der 7th Avenue wuchteten sich die Skycraper dem Himmel entgegen, und die Sonne zeigte sich nur in kleinen Appetithäppchen. Man konnte seine Uhr danach stellen. Jo hörte April kommen. »Der Captain ist auf dem Weg nach Ossining. Es soll Tote unter den Gefangenen gegeben haben. Ich hab nur mit Ron Myers sprechen können.« »Und? Was hat er ausgespuckt?« »Dieser Cesare Planetta befindet sich unter den Verletzten. Er ist mit einem Krankenwagen aus dem Knast rausgebracht worden.« »Hab ich mir fast gedacht«, murmelte Jo. Er warf sein Zigarillo über die Brüstung der Terrasse und ging in die Wohnung zurück. April trippelte hinter ihm her. »Ich hab dir den weißen Smoking rausgelegt, Jo. Du hast um fünfzehn Uhr diese Einladung zur Hochzeit bei dem Zeitungsfritzen. Vergiß das bitte nicht. Robert Graton ist einer der einflußreichsten Männer in unserer Stadt.« »Ich bin schon ganz scharf darauf, ihm die Hand zu schütteln«, knurrte Jo. * Der Krankenwagen hielt vor einem dieser spießigen LeichtbauBungalows, die im Norden der Bronx in der Nähe des Van CordtlandParks kleinbürgerliche Idylle vorgaukelten. Während ein paar Subwaystationen südlicher in der Lower Bronx, einem Industrie- und Slumgebiet, das Verbrechen blühte.
Der Sani bekreuzigte sich innerlich, denn die Garage war offen und leer. Was nur bedeuten konnte, daß seine Frau den Wagen zum Einkauf genommen hatte. Sie war also nicht im Haus. »Fahr in die Garage«, befahl Cesare Planetta. Der Sani gehorchte. Draußen sah er ein paar Nachbarsfrauen stehen. Sie waren bei der Gartenarbeit und grüßten ihn freundlich. Er grüßte zurück, so wie ihm das möglich war. Denn seine Nerven tobten. Er schloß die Garagentür von innen zu und schaltete das Licht ein. Cesare Planetta stieg aus dem Sanka. Er wirkte unter dem künstlichen Licht noch grauenvoller. Die bullige Figur. Das Tierblut in dem flachen, viereckigen Gesicht. Die zerfetzten Anstaltsklamotten. »Wo geht’s hier ins Haus?« Der Sani öffnete die Tür zur Küche. Planetta folgte ihm. Sie gingen weiter. Im Wohnzimmer war das Bügelbrett aufgebaut. »Wo ist das Bad, Kumpel? Ich brauch ‘ne Dusche.« Der Sani zeigte ihm wortlos die Tür. Planetta riß das Kabel aus dem Bügeleisen und fesselte ihn an Händen und Füßen. Dann stieß er ihn zu Boden. »Mach keinen Unsinn. Du siehst die Knarre. Eine falsche Bewegung und ich knall dich ab.« Planetta stieg aus seinen Klamotten. Er ging ins Bad und ließ die Tür auf. Dann legte er die Beretta auf das Klo und stieg unter die Dusche. Dabei ließ er den Sani keinen Moment aus den Augen. Nach ein paar Minuten kam er zurück. Sein muskulöser Körper dampfte. Er lief die Treppe zum Schlafzimmer rauf und kam fluchend wieder herunter. Er hatte einen passenden Anzug gesucht, was bei der mickrigen Größe des Hausherrn schon von vornherein ein lächerliches Unterfangen war. Der Sani sah, wie Planetta an die kleine Hausbar ging und sich mit ein paar gierigen Schlucken direkt aus der Bourbonflasche bediente. Wie er sich nackend in den Fernsehsessel knallte, nach dem Telefon griff und eine Nummer wählte. »Hier ist Cesare«, sagte er. »Hat alles geklappt bis jetzt. Ja, ich bin in der Bronx untergekrochen. Subwaystation Woodlawn. Jerome Ave 1334. Ihr könnt mich abholen. Bringt mir Klamotten mit. Ich sitz hier und frier mir einen ab. Over und Ende.« Planetta hatte das Geräusch eines parkenden Wagens draußen vorm Haus gehört. Er griff nach seiner Kanone und sprang neben die Haustür, die direkt ins Wohnzimmer führte. Die Tür ging auf. Eine junge, hübsche Frau quälte sich mit ein paar vollen Einkaufs-
tüten herein. Der Gangster warf seinen Arm um ihren Hals und drückte ihr den Lauf der Beretta in die Rippen. Zugleich stieß er die Tür mit dem Fuß zu. Die Frau ließ die Tüten fallen. Ihre Augen quollen hervor. Sie starrte ihren Mann an, der gefesselt am Boden lag. Sie versuchte zu schreien, aber es kam nur ein Röcheln, das nach Todesangst klang. »Der Mann verschwindet gleich wieder, Linda. Reg dich nicht auf. Er will nichts von uns.« Der Sani versuchte seine Frau zu beruhigen. Seine Stimme zitterte. »Er ist auf der Flucht, verstehst du? Und er hat telefoniert. Gleich kommen ein paar Leute und holen ihn ab.« »Du hättest Prediger werden sollen«, höhnte Planetta. Er ließ von der Frau ab und knotete sich ein Badelaken um die Hüften. Die Frau des Sanis schwieg. Sie ging auf die Knie und sammelte die Lebensmittel ein, die aus den Tüten gerollt waren. Planetta beobachtete sie. Ihre Bewegungen. Sie war eine junge, blonde Schönheit. Er hatte so was zuletzt vor ein paar Jahren gesehen. »Steh auf, Baby. Ich habe mit dir zu reden.« Er zerrte sie hoch. Sie sah ihn an und weinte. Er stieß sie die Treppe zum Schlafzimmer im ersten Stock hoch. Sie versuchte sich am Geländer festzuhalten. Es war vergebens. »Tu das nicht«, schrie der Sani. »Ich gebe dir alles, was ich hab, aber faß sie nicht an!« Er zerrte an seinen Fesseln. Er sah seine Frau mit dem Gangster verschwinden. »Linda heißt du also. Ein schöner Name. Du bist sowieso viel zu hübsch für diesen Schwächling da unten.« Planetta stieß sie auf das Bett. »Los, zieh dich aus.« Sie starrte ihn fassungslos an. Sie war wie gelähmt und brachte keine Silbe heraus. Ihr Kopf konnte keinen Gedanken fassen, und sie versuchte sich aus der Lähmung herauszuzwingen. An etwas völlig Banales zu denken. »Beeil dich«, knurrte Cesare Planetta und beugte sich über sie. »Ich habe meine Zeit nicht gestohlen.« Sie stieß ihn spielerisch zurück. Dann knöpfte sie ihre Bluse auf, »Dreh dich um. Ich hasse es, wenn mir die Männer beim Ausziehen zuschauen.« »Ein scheues Rehlein«, brüllte Planetta vor Vergnügen. »Darauf steh ich. Den Spaß kannst du haben.« Er drehte sich tatsächlich um. Die Frau federte vom Bett hoch. Sie packte mit beiden Händen die Nachttischlampe mit dem schweren Marmorfuß, riß sie blitzschnell hoch und hieb sie Planetta auf den Hinterkopf. Er stürzte mit einem tiefen Seufzer zu Boden.
»George!« schrie die Frau. Sie rannte die Treppe nach unten und warf sich schluchzend über ihren Mann. Sie zitterte am ganzen Körper. »Ich habe ihn getötet, George…« »Diese Typen sind zäh. Binde mich los, Linda!« Sie knotete das Kabel auf. Ihre Zähne klapperten. Der Sani sprang auf. Er rannte ans Telefon und wählte die 911. Es war der Notruf der Polizei. »Es ist zum Kotzen. Wenn man sie braucht, sind sie nicht da!« Der lange Summton trieb ihm den Schweiß in die Stirn. Ihm war übel vor Angst. Er knallte den Hörer auf die Gabel. »Komm, Linda. Wir verschwinden.« Sie rannten zur Tür und wurden von zwei Männern zurückgestoßen, die ins Haus reinbrachen. Es waren zwei Nadelstreifenganoven mit Schultern wie Stoßstangen. Sie rissen ihre Colts aus den Gürteln, und ihre Blicke hetzten durch die Wohnung. »Sieht aus, als wenn ihr türmen wolltet«, schnauzte der Ältere mit dem grauen Igelschnitt. »Wo ist der Mann, der uns angerufen hat?« Die Frau knallte auf die Knie und kroch wimmernd in die Küche. Es war ein erbarmungswürdiger Anblick. »Sie hat einen Schock«, entschuldigte sich der Sani. »Er wollte sie vergewaltigen. Sie hat ihm irgendwas auf den Kopf geschlagen.« »Wo ist er, Mann?« »Oben im Schlafzimmer.« Die beiden Nadelstreifen rannten die Treppe hoch. Sie fanden Planetta stöhnend am Boden liegend und lachten dröhnend auf. »Hat dich die Kleine alle gemacht?« japste der Jüngere mit den hochhackigen Stiefeln. »Du bist aus der Übung, Cesare. Los, zieh dich an.« Sie halfen dem fluchenden Planetta auf die Beine und steckten ihn in den Jogginganzug, den sie ihm in einer Plastiktüte mitgebracht hatten. »Wo ist die Drecksau?« fluchte Planetta, als sie die Treppe runterstiegen. »Ich werde sie…« »Nichts wirst du, Cesare. Wir haben keine Zeit für deine Bettgeschichten. Los, leg einen Zwischenspurt ein. Der Wagen steht vor der Tür.« Der Grauhaarige stieß ihn durch das Wohnzimmer zur Haustür hinaus. Der Junge warf einen feixenden Blick in die Küche. »Alle Achtung, Lady. Sie haben eben einen der gefährlichsten Burschen der Vereinigten Staaten aufs Kreuz gelegt.« Die Frau starrte ihm nach. Sie sah ihn als letzten aus dem Haus
gehen. Als sich die Tür hinter ihm schloß, kam sie auf wackligen Beinen hoch und wankte ins Wohnzimmer. Sie sah ihren Mann mit wachsbleichem Gesicht in dem Sessel neben dem Telefon hängen. Er spielte mit Planettas Beretta. Sie schauten sich wortlos an. »Los, ruf die Polizei, George.« »Nein, Baby«, sagte der Sani. »Das erledige ich selbst. Ich werde dieses Schwein erwischen. Irgendwann. Und wenn es zwei Jahre oder länger dauert.« * Der champagnerfarbene Roadstar tauchte in der Tiefgarage des Appartementturms an der Grand Army Plaza ab. Es war kein Problem, einen Parkplatz zu finden. Die meisten Bewohner jobten in den Büros von Manhattan, um die sündteuren Mieten ihrer Luxuswohnungen abzuarbeiten. Jo Walker stieg aus. Er betrat eine der holzgetäfelten Fahrstuhlkabinen und ließ sich mit dem Schnellift in die vierzigste Etage hochdüsen. Wenig später stand er vor Geraldine Brooks’ Appartement und ließ die dezente Glocke summen. Die Tür ging auf. Sie stand vor ihm. In einem durchsichtigen Fünfhundert-Dollar-Traum aus grüner Rohseide. Jo atmete tief durch. Sie sahen sich an und schmunzelten. »Komm rein«, sagte sie leise. »Schön dich zu sehen, und so weiter.« Sie küßten sich auf dem Flur. Von irgendwoher kam leise Musik. Es roch nach frischem, starkem Kaffee. Jo machte sich von ihr los und schlenderte neugierig durch die Penthousewohnung. Nichts hatte sich verändert. Es war, als wäre er gestern noch hiergewesen. Er stieg die Wendeltreppe hoch in den geräumigen Dachgarten. Geraldine kam ihm nach. Sie standen an der Brüstung und schauten über den Central Park. Über The Pond, den romantischen Teich mit seinem Vogelreservat bis weit zum Wollman Memorial Rink, der riesigen Freilichtbühne. »Weißt du noch? Hier oben? Als wir uns zum ersten Mal…« Jo grinste. »Ich glaub, es war zunehmender Mond, und die ganze Stadt stank nach Grillwürstchen. Der Qualm kam aus den Straßen nach oben gekrochen.« Wieder umarmten sie sich. »Du riechst nach meinem Lieblingsparfüm, Geraldine.«
»Du auch nach meinem«, lachte sie. Sie stiegen zurück in die Luxusetage, gingen in die Küche und tranken Kaffee. Es waren die alten Vibrations zwischen ihnen. Sie spürten es beide. Jo räusperte sich. Sie feixte. »Laß uns was anderes denken«, sagte er. »Ich bin zum Arbeiten gekommen. Du wolltest was über Cesare Planetta wissen. Okay. Ich habe eben von meinem Wagen aus mit Tom Rowland gesprochen. Du kennst meinen besten Freund?« »Der Captain von C/II Manhattan?« »Richtig. Morddezernat. Er ist draußen in Sing Sing und sammelt die Leichen ein. Es hat ein paar Tote gegeben bei der Explosion. Und Planetta ist verschwunden.« »Hab ich es mir doch gedacht«, trumpfte sie auf. Jo stand auf und inspizierte mit großem Interesse die kleine, aber feine Sammlung von Hochprozentigem hinter einer Glaswand. »Dein neuer Lover scheint was von diesen Dingen zu verstehen«, grummelte er. »Wie heißt er? Wie alt ist er? Sieht er so gut aus wie ich?« »Komm zur Sache, Jo«, lachte sie. »Planetta wurde mit einem Krankenwagen weggebracht. Zeugen haben gesagt, daß er blutüberströmt war. Aber er ist in keines der umliegenden Krankenhäuser eingeliefert worden. Wenn du mich fragst, ist das mehr als seltsam.« »Er ist getürmt«, sagte Geraldine. »Das steht für mich fest. Ich muß etwas tun.« Sie stand auf, fischte sich eine Zigarette aus der Packung und inhalierte tief. Es war, als ginge ein nervöser Ruck durch ihren Körper. »Ich seh, daß dich das Jagdfieber packt«, grinste Jo. Er nahm sie in die Arme. »Dann wird wohl nichts aus unserem Badeausflug, oder?« Geraldine entzog sich der Umarmung. Sie war in Gedanken schon bei der Fortsetzung ihrer Planetta-Story. Aber dafür brauchte sie Infos. Es gab keinen anderen Weg, als sich dem Gangster an die Hacken zu hängen. Wie konnte sie an ihn herankommen? Sie hatte noch von ihren alten Recherchen die Adressen einiger seiner ehemaligen Freunde. Vielleicht war er da untergekrochen? »He, Geraldine! Was ist los mit dir? Ihr Karrierefrauen seid alle gleich. Sobald Ihr euren Kopfcomputer einschaltet, ist privat nichts mehr mit euch anzufangen. Sei ein bißchen cool und genieße, daß ich hier bin.« Sie schaute ihn etwas irritiert an. Er hatte nicht ganz unrecht. Sie
hatte Witterung aufgenommen und war in Gedanken schon auf der Jagd nach einer neuen Jahrhundertstory. Sie war verrückt, sich so wenig um ihren Gast zu kümmern. Ein Typ wie Walker schneite auch einer Frau wie ihr nicht jeden Tag ins Haus. Ein kantiger, blonder Sonnyboy, den Metro-Goldwyn-Mayer mit dem Lasso von der Straße weggeholt hätte. »He, Jo! Du hast dir für deinen Besuch bei mir deinen weißen Smoking angezogen? Fällt mir jetzt erst auf. Find ich ja rührend. Komm, sei lieb. Entschuldige, daß ich…« »Der Smoking? In den bin ich nicht für dich gestiegen, Baby. Ich geh zur Hochzeit. Robert Graton hat mich eingeladen.« »Der Zeitungstycoon? Wow, das ist erste Adresse. Ich habe schon soviel für diesen Mann geschrieben, aber noch nie hab ich ihn zu Gesicht bekommen. Ihm gehören, glaub ich, etwa zwei Drittel aller Blätter hier an der Ostküste. Ich beneide dich um deine Beziehungen. Heiratet er nicht zum sechsten Mal? Ich hab gehört, es soll irgendso ein französisches Flittchen sein.« »Komm mit. Da wirst du sie kennenlernen«, sagte Jo mit einiger Süffisanz in der Stimme. »Robert Gratons neue Frau wird dich interessieren. Du hast recht, sie kommt aus Frankreich. Aber sie ist Amerikanerin. War nur zwei Jahre drüben in Europa und hat sich da einen französischen Namen zugelegt.« »Du nimmst mich mit? Eine Chance für mich, den obersten aller meiner Bosse kennenzulernen. Verdammt, was tu ich? Soll ich mitgehen oder besser an Planetta dranbleiben?« Sie sah Jo fragend an. »Häng dir deinen teuersten Fummel über den Hintern und begleite mich, Geraldine. Ich habe eine kleine Überraschung für dich. Ich sag dir jetzt etwas, was großes Staatsgeheimnis ist und was außer mir und Graton selbst wohl kaum ein anderer in der Stadt weiß.« »Du machst mich irre gespannt, Jo. Laß es raus!« »Gratons Braut ist die geschiedene Frau von Cesare Planetta.« Geraldine Brooks starrte Jo entgeistert an. »Ich kann’s nicht fassen«, stammelte sie. »Robert Graton und Jean Planetta? Ich blick nicht mehr durch, Jo.« »Er hat sie vor ein paar Monaten in Cannes kennengelernt. Sie hat dort Bilder gemalt oder so was. Und heute heiraten sie in New York. Wie das eben so ist im wirklichen Leben.« »Und heute bricht Cesare Planetta aus dem Knast aus, Jo. Da muß es einen Zusammenhang geben. Ich weiß, daß er seine Exfrau geliebt hat und sehr böse auf sie war, als sie sich von ihm hat scheiden lassen. Er war zu der Zeit schon in Sing Sing…«
»Siehst du, Baby. So fügt sich alles harmonisch zusammen. Und auch deine Gehirnzellen scheinen sich wieder reaktiviert zu haben. Was du in den letzten Sekunden zusammenkombiniert hast, läßt sich sehen.« Er lachte. Geraldine trommelte mit ihren Fäusten gegen seine Brust. Sie war frustriert. Er hatte sie vorgeführt. Es war ihr peinlich, daß sie so wenig über Dinge informiert war, die sie eigentlich mit ihrem Anspruch als Topjournalistin hätte wissen müssen. Man hatte mal über sie gemunkelt, daß sie das Gras wachsen hören würde. Aber die Zeiten schienen längst vorbei. »Ich hasse dich, Jo! Hat nichts damit zu tun, daß ich dich mag. Aber ich hasse dich. Und jetzt zieh ich mich um und geh mit dir auf diese verdammte Hochzeit« * Vor der Trauung fand ein kleiner Empfang bei Costello’s statt. Die exklusive Bar in der East 44. Street galt seit eh und je als erste Adresse bei den Spitzenleuten aus Presse und Werbung. Es war gegen dreizehn Uhr, als Jo Walker bei Costello’s vorfuhr. Er stieg aus. Ein Boy riß die zweite Wagentür auf und half Geraldine aus dem 500 SL. Der goldbetreßte Schrank vor dem Eingang zur Bar ließ sich von Jo die Einladungskarte zeigen. Dann machte er den Weg frei. Die Bar war vollgestopft mit geladenen Gästen. Lärm, Lachen, Luft zum Zerschneiden. Kellner jonglierten riesige Tabletts mit Martinis über die Köpfe hinweg. Es wurde zügig geschluckt, und die Stimmung war für diese Tageszeit beängstigend gut. Jo pflügte sich durch die Menge, und Geraldine folgte ihm in seinem Kielwasser. Sie fanden ein winziges Loch an der Bar, in das sie sich gekonnt reinpreßten. Nach dem ersten Drink hatten sie sich akklimatisiert. Geraldine streckte den Kopf in die Höhe und checkte mit flinken Blicken ihre Umgebung ab. »Wo ist das Brautpaar, Jo? Hoffentlich haben die beiden sich hier nicht abgeseilt und sind schon auf der Hochzeitsreise.« »Die Trauung ist erst in zwei Stunden«, sagte Jo und angelte sich die Olive aus seinem Martini. »Schau mal, da drüben sind sie. Hinter dieser unsäglichen Blumendekoration.« Am Ende der Bar war ein Springbrunnen aufgebaut. Er jagte in unregelmäßigen Abständen buntes Wasser aus den Düsen. Der Brunnen war von einem Blumenberg umgeben.
Dahinter residierte das Brautpaar an einem einzeln stehenden Tisch. Es nahm die Glückwünsche seiner Gäste entgegen. Es wurde viel gelacht, und die Champagnergläser kreisten. Geraldine erkannte Jean Planetta sofort wieder. Sie hatte damals, als sie an der Story über den Supergangster schrieb, seine Frau um ein Interview gebeten. Was aber von Jean abgelehnt worden war. Planettas Exfrau steckte in einem engen, tulpenförmigen Glitzerfummel. Ihre roten Haare waren hochgesteckt. Sie war kaum geschminkt. Man konnte sie als Schönheit bezeichnen. Sie hing mit ihren grünen Augen an Robert Graton. Es sah nach Liebe aus. Der Großverleger war mit seinen fünfzig Jahren locker zwei Jahrzehnte älter als Jean. Er machte den Eindruck eines aalglatten Hundes. Verbindlich und mit dem Dauerlächeln eines Medienstars ausgestattet. Solarbräune, Jacketkronen und dunkelgetönte, volle Haare. Er war mehr dürr als schlank und verkörperte in seinem Äußeren genau das, was sich der Mann von der Straße unter einem erfolgreichen Manager vorstellte. »Ein attraktives Paar«, brüllte Jo seiner Begleiterin ins Ohr. Es war sehr laut geworden. Eine gemietete Jazzband marschierte in die Bar und machte einen Höllenlärm. »Komm mit mir. Wir gratulieren den beiden.« »Hallo, Jo! Freut mich, dich zu sehen«, strahlte Robert Graton. Er schien einen Schwips zu haben. Auch Jean kicherte apart. Allgemeines Händeschütteln. Wobei Geraldine registrierte, daß sich Jeans Gesicht bei ihrem Anblick versteinerte. Die ehemalige Gangstermieze hatte die Journalistin sofort wiedererkannt. Das war nicht zu übersehen. Und Geraldine war gut beraten, sich nichts anmerken zu lassen. Sie behandelte Jean wie eine Fremde. Der Strom der Gratulanten riß Jo und Geraldine nach ein paar Sekunden weiter, und sie landeten irgendwann wieder auf ihren Plätzen. »Ein unheimliches Gefühl, findest du nicht, Jo?« Geraldine sah ihn fragend an. »Jean Planetta heiratet, und ihr Exmann schleicht vielleicht mit einer Knarre durch Manhattan und sucht sie. Wenn du mich fragst, ist das absolut kein Zufall, daß er ausgerechnet heute in Sing Sing den Abflug gemacht hat.« »Wie standen denn die beiden zueinander?« fragte er. »Cesare hat sie geliebt. Als er im Knast hörte, daß sie sich von ihm scheiden lassen wollte, soll er angeblich einen Selbstmordversuch gemacht haben.« Jo schlürfte einen schwarzen, heißen Kaffee. Und er dachte nach. Soweit das diese Umgebung zuließ. Geraldine hatte nicht ganz un-
recht mit ihren Überlegungen. Zufall oder nicht, die anstehende Trauung stand unter ganz besonders unheilvollen Vorzeichen. »Laß uns gehen«, bat Geraldine. »Ich brauch’ frische Luft.« Sie ruderten zum Ausgang rüber und verließen die Bar. Draußen atmeten sie tief durch und gingen ein paar Schritte. »Woher kennst du Robert Graton?« fragte Geraldine. »Von irgendwelchen Parties. Du kennst das ja. Irgendwann hab ich ihm mal geholfen. Eine Versicherung wollte ihn bescheißen, und ich konnte ihm zweihunderttausend Dollar an Land ziehen. Seitdem hat er einen Narren an mir gefressen.« »Weiß Graton, daß seine zukünftige Frau keine französische Malerin, sondern Planettas Exfrau ist?« »Bestimmt«, sagte Jo. »Davon geh ich aus. Ich nehme an, daß er sie überredet hat, eine falsche Identität anzunehmen. Er kann es sich in seiner gesellschaftlichen Position wohl kaum leisten, die Exfrau eines Gangsters zu heiraten. Wenn es allerdings ruchbar wird, gibt es einen Skandal.« »Vielleicht will er darauf hinaus«, kicherte Geraldine. »Das wird seine Zeitungsauflagen hochpushen.« »Kaum, Baby. Die Durchschnittsleser sind da viel zu prüde. Sie würden ihm einen derartigen Skandal nie verzeihen. Da sind schon andere Prominente über kleinere Affären gestolpert.« »Du mußt mir noch eine Frage beantworten, Jo.« »Ist dein Job. Du hast mir zwanzig Prozent von deinem Honorar versprochen. Dafür plauder ich mal ganz gern aus dem Nähkästchen.« »Wie hast du es spitzgekriegt, daß sich hinter dieser unbekannten französischen Malerin Jean Planetta versteckt?« »Ich hab’s von einem Schnüffler erfahren, der für mich arbeitet.« »Aha. Morgen wissen es tausend Leute und nächste Woche die ganze Stadt. Was soll also dieses Versteckspielen?« »Wer kennt Jean Planetta? Wer hat sie jemals gesehen? Sie ist nie an die Öffentlichkeit getreten.« »Du kannst in den Staaten untertauchen und mit einer falschen Identität leben, Jo. Aber du kannst keinen Promi heiraten. Du weißt doch, wie das ist. Die Medien werden so lange in ihrem Vorleben herumwühlen, bis sie wissen, wer sie ist.« Jo blieb stehen. Er zündete sich eine Pall Mall an. Geraldines Überlegungen machten ihn unsicher. An dem, was sie sagte, konnte was dran sein. Sie hatte schon immer eine gute Nase für faule Sachen gehabt. »Es scheint sich ja sogar bis in den Knast rumgesprochen zu ha-
ben, daß Jean heute unter die Haube kommt«, stichelte Geraldine. »Jedenfalls scheint ihr Cesare heute Bambule gemacht zu haben. Und ich wette darauf, daß er sich anschließend auf französisch verabschiedet hat.« »Vielleicht sollte Graton seine Hochzeit verschieben. Ich nehme an, daß er heute noch keine Nachrichten gehört hat. Steig ins Auto und warte auf mich, Baby.« Jo ging in die Bar zurück. Er quälte sich durch die schwitzende Menge nach hinten. Graton und Jean waren verschwunden. »Wo ist das Brautpaar geblieben?« fragte er einen der Kellner, der die Blumensträuße zusammenräumte. Es sah nach Aufbruch aus. »Die Herrschaften sind gegangen, Sir. Ich schätze, sie werden erst bei der Trauung wieder auftauchen.« Jo schob sich wieder hinaus. Er drückte dem uniformierten Türsteher einen Schein in die Hand und stieg in seinen Roadster. Geraldine telefonierte mit der TV CMM und bestellte ein Kamerateam. Sie war freie Mitarbeiterin bei der Fernsehgesellschaft. Eine der Besten. Was sie produzierte, riß man ihr aus der Hand. »In einer Stunde vor St. Patrick’s Cathedral. Seid pünktlich, Boys.« Jo nahm ihr den Hörer aus der Hand. Er wählte die Polizei und meldete sich mit seinem Namen. Die meisten Cops in Manhattan kannten ihn oder hatten zumindest etwas von ihm gehört. Die Zusammenarbeit war nicht immer unproblematisch. »Ich geb euch einen Tip, Leute«, sagte Jo. »Um drei Uhr ist ‘ne Trauung in St. Patrick. Da könnte es Zoff geben. Vielleicht war ‘ne Personenkontrolle angebracht. Mehr kann ich nicht sagen.« »Sehr vage, Mister Walker«, blaffte der Lieutenant zurück. »Wenn Sie unbedingt meinen, schick ich mal einen Streifenwagen rüber.« Jo rammte den Hörer in die Halterung zurück. Es gab eine Menge Ignoranten unter den Bullen. Damit mußte man leben. Er spürte Geraldine. Sie schmiegte sich eng an seine Schulter. Er hörte so etwas wie ein Schnurren. »Endlich ist die Welt wieder in Ordnung, Jo. Du an meiner Seite und ich auf der Jagd nach der heißesten Story des Jahres. Wir sind ein gutes Team. Kann es nicht immer so sein?« »Mal sehen, wo die Reise hingeht, Baby. Schnall dich an. Ich schätze, wir werden heute noch mehr erleben, als dir lieb ist.« * St. Patrick’s Cathedral. 15 Uhr. Die neugotische Kirche an der Fifth Ave glänzte unter den letzten
Strahlen der Nachmittagssonne, die langsam hinter den mächtigen Türmen des gegenüberliegenden Rockefeller Centers abtauchte. Das majestätische Läuten der Glocken ließ die Luft vibrieren und legte sich souverän über den Verkehrslärm. Die beiden Bronzetüren des Hauptportals waren geöffnet. Die Orgel dröhnte. Ein paar Dutzend Schaulustige drängten sich auf den Stufen vor den zwei Glockentürmen, die mit ihrer Höhe von guten hundert Metern erbarmungswürdig winzig zwischen den gigantischen Wolkenkratzern der Nachbarschaft wirkten. Die Auffahrt der Gäste hatte längst begonnen. Sie stiegen aus ihren schwarzen Strechlimousinen und schoben sich ungeduldig in die Kathedrale. Hinter der Kirche, die in ihrer ganzen Länge bis zur nächsten Querstraße, der Madison Avenue, reichte, parkte zur gleichen Zeit ein alter Chevy Impala. »Das Ding steigt.« Cesare Planetta schaute auf die Uhr. Er wirkte angespannt. Der Streß der letzten Stunden hatte ihm zugesetzt. Er hatte mehr Action verkraften müssen als in den letzten Jahren zusammen. »Du bleibst im Wagen, Dino«, befahl er dem Jüngeren. »Falls Bullen auftauchen, fährst du unauffällig los. Du drehst eine ganze Runde um den Tempel und kommst wieder zurück. Okay?« »Hab verstanden«, antwortete Dino betont gelangweilt. »Du bist der Boß.« Cesare und der Ältere mit dem grauen Igelschnitt stiegen aus. Sie hingen sich ein paar Kameras um den Hals und schlenderten langsam durch die schmale Grünanlage. Sie näherten sich wie zwei harmlose Touristen einem kleinen Anbau, in dem sich die Sakristei hinter dem Hochaltar befand: »Was hast du jetzt vor?« fragte der Ältere nervös. »War nicht schlecht, wenn du mich ein bißchen in deinen Plan einweihen würdest.« »Ich geh spenden«, grinste Cesare Planetta. Er drückte die Klingel der Sakristeitür. Sie öffnete sich nach ein paar Sekunden. Ein gnomenartiges, altersloses Männchen schaute heraus. »Was wollen Sie hier? Dies ist kein Touristeneingang, meine Herren. Wir haben eine Trauung. Verschwinden Sie.« »Hören Sie, bester Mann«, warb Planetta freundlich. »Wir sind von der Presse. Wir wollen ein paar besonders hübsche Fotos von dem Brautpaar schießen. So nah wie möglich. Das geht aber nur von hier aus.« »Presse nur durch den Haupteingang.«
Das Männchen wollte die Tür schließen. Planetta war schneller. Er steckte den Fuß dazwischen und lockte mit zwei Hundert-DollarNoten. »Nur für ein paar Minuten, Mister Küster. Ohne Aufsehen. Soll Ihr Schaden nicht sein. Wenn die Fotos was werden, bekommen Sie noch mal zweihundert Greenbacks von mir.« Der Glöckner von St. Patrick ließ die Scheine in seiner Jacke verschwinden und knurrte: »Dann kommen Sie schon rein. Ich will aber keine Scherereien. Folgen Sie mir.« Sie schlüpften in die Sakristei. Es roch muffig. In den Regalen stapelten sich Gesangbücher, Kerzenleuchter und Abendmahlgeschirr. Aus der offenen Tür zum Chorraum hörte man die Orgel brausen. Der Gnom winkte die beiden zu sich. Er zeigte ihnen den Hochaltar, dessen Rückseite vor ihnen aufragte. »Da verstecken Sie sich. Sie müssen im Schatten bleiben. Wenn das Brautpaar auf der anderen Seite vom Altar getraut wird, knipsen Sie ihre Bilder. Aber ohne Blitzlicht, wenn ich bitten darf. Es ist hell genug.« »Vielen Dank, Daddy«, dienerte Cesare Planetta und zog seinen Partner mit sich hinter den Altar. »Komm, Ted. Laß uns zum Abendmahl schreiten.« * Jo Walker hatte einen günstigen Außenplatz in der vierten Reihe gefunden. Er schaute sich um und entdeckte Geraldine, die sich mit ihrem Kamerateam auf dem linken Seitengang ganz in der Nähe des Altars postiert hatte. Sie winkte ihm zu und lachte. Der riesige Kirchenraum war zur Hälfte gefüllt. Vorn saßen die Upper Ten der New Yorker Gesellschaft. Hinten machte sich das Volk breit. Vor dem Altar agierte der Pfarrer mit seinem Team. Irgendwann tauchte Robert Graton mit seiner holden Braut auf. Dazu der Clan von engsten Freunden, Verwandten und den unvermeidlichen Blumenmädchen. Sie schritten gemessen in der Reihenfolge des strengen Rituals durch den Hauptgang auf den Hochaltar zu. Dort bauten sie sich umständlich auf, und die Trauungszeremonie begann. Die TV-Kameras surrten. Ein Blitzlichtgewitter tauchte den Chorraum in grelles Weiß. Das holde »Ja« der Braut kam unüberhörbar über die Lautsprecheranlage, und die Damen unter den Zuschauern
flennten. Dann passierte es. Jo sah die beiden Männer hinter dem Hochaltar vorstürmen. Sie ballerten mit schweren Handfeuerwaffen über die Menschen hinweg in das Kirchenschiff. Die Orgel verstummte jäh und auch der hundertköpfige Frauenchor. Das trockene Krachen der Schüsse verstärkte sich durch die hervorragende Akustik des Raumes zu einem höllischen Lärm. Die Menschen warfen sich aufschreiend zwischen die Bänke. Jo riß seine 38er Automatic aus dem Gürtel und stürmte über den Seitengang auf den Altar zu. Die beiden Männer waren in dem chaotisch ineinanderverhakten Angstknäuel von Körpern vor dem Altartisch eingetaucht und zerrten Jean Planetta hervor. Sie verschwanden mit ihr im Dunkel des Chorgestühls. Blitzschnell und brutal war ihr Auftritt. Nur ein paar alptraumartige Sekunden. Jo sprang über die in Todesangst schreienden Menschen hinweg und jagte den Gangstern nach. Sie waren wie vom Erdboden verschluckt. Er tastete sich zu einer offenen Tür, durch die schwaches Tageslicht in den Chorraum drang. Er fand den Küster in der Sakristei am Boden liegen. Der Mann blutete am Kopf. Er hob den Arm und deutete wimmernd nach draußen. Jo rannte zum Ausgang hinaus. Er sah den Chevy Impala. Und die beiden Männer. Sie stießen Jean Planetta in den Wagen. Sie schrie. Sie wehrte sich mit Händen und Füßen. Die vorbeihastenden Passanten taten so, als würden sie nichts hören und nichts sehen. Im Vorwärtsstürmen riß Jo die Automatic hoch und feuerte. Er erreichte den abfahrenden Chevy und hechtete auf den Dachträger. Der Wagen knallte mit durchgeschlagenen Stoßdämpfern über eine flache Fußgängertreppe auf die Straße runter und schleuderte mit häßlich aufheulenden Pneus über die Kreuzung East 51st/Madison Ave in Richtung East River. Jo krallte sich in den Gepäckträger und versuchte, mit dem Griff der Automatic die Frontscheibe einzuschlagen. Beim zweiten Schlag spürte er einen heftigen Schmerz im Unterarm. Und er sah Blut aus dem weißen Jackenärmel dringen. Sie schössen aus dem Wagen auf ihn. Er rollte vom Dach ab und schlug auf den Asphalt auf. Um ihn herum kreischendes Bremsen und Hupen. Ein paar Männer sprangen aus ihren Autos und halfen ihm hoch. Er starrte dem Chevy nach, der mit irrsinnigem Tempo und wie von Teufeln gejagt davonraste. »Geben Sie mir Ihren Wagen, Mister!« hechelte Jo. »Ich muß die
Gangster da vorn verfolgen. Sie haben eine Frau gekidnappt.« »Ne, Mann, das geht zu weit.« Die freundlichen Helfer verdufteten in ihren Schlitten und ließen ihn stehen. Jo rannte in die Kirche zurück. Das Chaos hatte sich gelegt. Die Menschen schleppten sich unter dem Schock der Ereignisse aus dem Hauptportal. Einige von ihnen schienen verletzt zu sein. Es gab Frauen, die entnervt aufschluchzten. Vor dem Altartisch hockte Robert Graton. Seine Solarbräune war einem gespenstischen Bleichton gewichen. Der Pfarrer beugte sich über ihn und strich ihm über das Haar. Hilflos und selbst noch unter schwerem Schock. »Hilf mir hoch, Jo«, ächzte Graton, als er den Detective auf sich zukommen sah. »Ich glaub, ich hab mir den Fuß gebrochen.« Jo schleppte ihn auf einen Platz in der ersten Sitzreihe. »Da bist du in letzter Sekunde noch mal davongekommen«, grinste er. »Um ein Haar hätte dich der Seelenklempner unter die Haube gebracht.« »Das ist nicht die Stunde für schlechte Witze«, giftete der Zeitungszar. »Außerdem hatte sie schon ihr Jawort gegeben, als die Gangster sie mir vom Altar wegrissen. Verdammt, wo bleibt die Polizei? « Geraldine Brooks entdeckte Jo und lief zu ihm. Sie war in bester Laune, denn ihr Kameramann hatte alles, was sich vor ein paar Minuten abgespielt hatte, im Kasten. »Du bist verletzt, Jo?« »Ein Streifschuß.« Sie zog ihm vorsichtig die Jacke aus und legte einen provisorischen Verband an. »Übrigens, Graton, das ist Geraldine Brooks«, sagte Jo. »Du solltest ihr einen Sessel als Chefredakteurin freimachen. Sie ist eine von den Besten, die wir hier in der Stadt haben.« »Hab von Ihnen gehört, Geraldine«, knurrte Graton. »Freut mich, Sie kennenzulernen. Im Moment hab ich andere Sorgen. Das müssen Sie schon entschuldigen.« Er wandte sich Jo zu. »Ich sah, daß du die Gangster verfolgt hast, Jo. Sag mir, was du gesehen hast. Ich muß es wissen. Ich bin verzweifelt. Meine Jean… Kann man in dieser verdammten Stadt denn nicht mal mehr in Ruhe heiraten?« Er schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte auf. »Halt dich fest, Graton«, sagte Jo. »Du wirst es nicht glauben, aber Jean ist von ihrem Exmann entführt worden. Von Cesare Planetta. Er ist heute früh aus Sing Sing ausgebrochen. Ich sag es dir, weil du vielleicht noch keine Nachrichten gehört hast.«
»Planetta? Ich glaub, ich drehe durch.« Er beugte sich zu Jo und zischte: »Woher weißt du, daß Jean mit ihm verheiratet war? Wir haben beide versucht, es geheim zu halten.« »Das ist doch jetzt völlig unwichtig, Mann. Wichtig ist, daß ich eine Spur habe.« Am Haupteingang entstand Lärm. Ein Haufen Cops stürzte in das Kirchenschiff und fuchtelte mit MPs herum. Hinter ihnen tauchten ein paar Weißkittel auf und schleppten die Verletzten hinaus. »Aber sehr freundlich, daß ihr erscheint, Männer«, brüllte Jo den Polizisten entgegen. »Immer, wenn man euch braucht, seid ihr am Ball. Ihr könnt eure Knarren wegstecken. Braucht nur noch die Protokolle zu schreiben.« »Was ist’n das für ‘ne Großschnauze?« Ein Officer baute sieh vor Jo Walker auf. Wutentbrannt. Mit feuerrotem Kopf und schwellenden Muskelpaketen unter dem engsitzenden Uniformhemd. »Schön, Sie zu sehen, Officer«, höhnte Jo. »Ich bin Jo Walker. Und ich habe vor einer Stunde bei Ihnen angerufen und Sie darüber informiert, daß in St. Patrick’s Cathedrale mit einem Anschlag zu rechnen ist, und um Polizeischutz gebeten.« »Bei mir? Ist mir nicht bekannt.« »Wahrscheinlich habe ich einen Ihrer Kollegen erwischt. Um so erstaunlicher, wie schnell Sie reagiert haben. Gratuliere.« Der Officer drehte sich auf den Hacken und stampfte fluchend davon. Es war kein Zuckerschlecken, sich von Walker vorführen zu lassen. »He, Mister Graton. Es wäre doch eine großartige Sache, wenn wir gleich hier am Tatort ein Interview mit Ihnen machen könnten.« Geraldine Brooks umwarb Graton mit einem hinreißenden Augenaufschlag. Sie war in ihrem Element, und bevor der Pressemogul ihr einen Korb geben konnte, hatte sie ihren Kameramann schon zu sich gewunken. »Sie sind von der schnellen Truppe, Geraldine«, gab sich Graton geschlagen. »So was schätze ich. Für wen produzieren Sie?« »Für CMM, Sir.« »Okay. Dann fragen Sie.« Jo ging. Er war nicht scharf darauf, sich ständig auf der Glotze zu sehen. Es tat seinem Beruf nicht gut, als Medienstar von jedem Ganoven auf der Straße schon auf fünfzig Yards Entfernung erkannt zu werden. Er verließ die Kathedrale und stieg in seinen Wagen. Auf dem Weg nach Haus bestellte er sich bei April ein heißes Bad. Er hatte das
Bedürfnis nach einem Vollwaschgang. Danach würde er sich wieder besser fühlen. * Jean war ihr ganzes Leben hart im Nehmen gewesen. Was sie allerdings in der letzten Stunde erlebt hatte, ging über ihr Fassungsvermögen. Sie begriff nichts mehr. Es war, als hätte ein Dämon ihr Gehirn mit seiner Riesenfaust zerschmettert. Sie fühlte sich wie tot. Das einzige, was sie registrierte, war, daß Cesare Planetta neben ihr saß. Und schon dieser Umstand war ihr unerträglich. Dieser Horrortyp hatte ihr vor langer Zeit das Leben zur Hölle gemacht. Jetzt spürte sie seine Pranke auf ihrem Knie und fühlte sich erbärmlich. Draußen schnurrte die kaputte Stadtlandschaft des südlichen Brooklyn vorüber. Straßen, die mit ihren verkommenen Häuserblocks aussahen wie verfaulte Zahnreihen. Autowracks auf den Bürgersteigen. Puertorikanische Mamis, die vor den eingefallenen Hauseingängen ihr Soulfood auf Benzinkochern heiß machten. Die amerikanische Armut, auf Breitwand vorgeführt. Cesare rauchte Kette. Er starrte zwischen Dino und Ted, die vorn saßen, geradeaus auf die Straße. Er schwieg. Er fand keine Worte für Jean. Er spürte den Eispanzer, den sie um sich gezogen hatte. »Nimm deine widerliche Flosse von meinem Knie«, fauchte Jean. »Wenn du wüßtest, wie du mich anwiderst.« Sie spürte, daß er nicht reagierte. Sie hob blitzschnell die Faust und hämmerte ihm die glühende Zigarette zwischen die Augen. Er stieß einen bestialischen Schrei aus. Er sah nichts mehr. »Stop!« brüllte er zwischen Wut und Schmerz. Dino stieg in die Bremse. Der Impala schleuderte, bockte und blieb mit kreischenden Bremstrommeln stehen. Jean stieß die Tür auf und sprang aus dem Wagen. »Helft mir!« schrie sie und lief in Panik auf den nächsten Hauseingang zu. Sie stolperte über das lange, weiße Kleid und schlug auf den Boden. Ein paar athletische Schwarze sprangen aus dem Hausflur nach draußen. Einer von ihnen zog Jean hinter eine überquellende Mülltonne. Die anderen zückten ihre Klappmesser und tänzelten mit offenen Klingen auf den Chevy zu. »He, ihr weißen Bastarde! Was habt ihr mit der Lady vor?«
»Legt Sie um!« brüllte Cesare Planetta. »Gebt mir Feuerschutz!« Mit wäßrigen, schmerzenden Augen checkte er die Gegner ab. Ted ließ das Fenster runtersurren. Er riß die MP hoch und nagelte die erste Salve hinaus. Die Schwarzen warfen die Arme hoch. Sie stürzten stumm und mit offenen Mündern auf die Knie. Cesare Planetta wuchtete sieh aus dem Chevy. Er lief in geduckter Haltung zum Hauseingang rüber. Teds Mac 10 hämmerte unbarmherzig den Weg frei. Belegte die Hausfront bis zum obersten Stock mit glühenden Garben. Fenster zersplitterten. Menschen schrien auf. Jean krümmte sich wimmernd hinter der Mülltonne. Sie sah, wie sich Planetta über sie beugte, und schloß die Augen. Er zerrte sie brutal zu dem Chevy zurück und stieß sie in den Fond. »Fahr los, Dino!« Planetta warf sich über Jean und schlug die Tür zu. Der Wagen schoß mit durchdrehenden Rädern über die Kreuzung Wolcott-Van Brunt Street zum Hafen am Red Hook Channel runter. »Deine Exfrau hat Haare auf den Zähnen«, meckerte Ted amüsiert und verstaute die Mac 10 zwischen seinen Füßen. »Sie ist eine Wildkatze. Ich schätze, wir werden noch viel Spaß mit ihr haben, Mann.« »Halt dich da raus«, schäumte Cesare Planetta. Er richtete sich auf und ballte die Fäuste. »Ich empfehle euch, die Schnauze zu halten, was dieses Thema angeht. Jean ist eine Geisel und ein Vermögen wert. Wer sie anrührt, den mach ich alle. Das ist mein völliger Ernst.« Auch Jean kam aus den Polstern hoch. Endlich reagierten ihre Nerven. Es war, als schösse ein Wolkenbruch aus ihren Augen. Sie heulte hemmungslos. Plötzlich wurde ihr bewußt, daß ihr großer Traum ausgeträumt war, und daß sie sich in einer entsetzlichen Lage befand. Sie riß ihren Schleier aus den Haaren. Das verschmierte Make-up hatte ihr schönes, ebenmäßiges Gesicht in eine erbärmliche Clownmaske verwandelt. In ihrem Innern tat sich ein tiefes, schwarzes Loch auf, und sie drohte, hineinzustürzen. Sie versuchte, das Vaterunser zu beten, aber ihr fiel kein Wort dazu ein. »Was habt ihr mit mir vor?« schluchzte sie. »Reg dich ab, Baby. Wir tun dir nichts. Wenn du aufhörst, Zicken zu drehen und mir gehorchst, bist du in ein paar Tagen wieder bei deinem Zeitungsfritzen.« »Ihr wollt Graton erpressen?« »Du sagst es«, knurrte Cesare Planetta. »Oder glaubst du etwa, ich hab dich aus Eifersucht gekidnappt? Bilde dir keine Schwachheiten ein. Ich hab präzise dein Jawort abgewartet, damit du auch regu-
lär mit diesem Spinner verheiratet bist. Jetzt bist du seine Frau, und er wird für dich blechen.« Der Chevy tauchte in die Hafengegend ab. Eine verlassene, trostlose Ecke auf der häßlichen Seite der Millionenstadt. Früher eine blühende Kleinindustrie mit Fischfabriken und Werften. Heute ein rostiger Schrotthaufen. »Wir sind da«, kaute Dino durch seine Chewinggumblasen. Er steuerte den Chevy auf ein dreistöckiges Fabrikgebäude aus der Jahrhundertwende zu. Rotes Mauerwerk. Hohe, blinde Fenster und zerborstener Schornstein. Der Wagen verschwand in der Halle. Sie stiegen aus. Ted ging ein paar Schritte zurück und schloß die beiden Flügel des Seitentors. Es war, als würde die Welt da draußen nicht mehr existieren. So empfand es Jean, als sie sich aus dem Chevy quälte. Sie schaute sich hilflos um. Eine düstere Fabrikhalle mit zerborstenen Maschinen und durchhängenden Laufbändern. es stank nach Gammel, Rost und Rattenkot. »Willkommen in meiner bescheidenen Hütte«, grinste Cesare Planetta. »Es ist zwar kein Flitterwochenhotel, aber was nicht ist, kann noch werden.« Er hakte sich bei Jean unter und zog sie zu dem Fahrstuhlschacht, der in der Mitte der Halle stand. Eine Tür gab es nicht. Sie drängten sich zu viert in die Kabine. Dino zog einen Hebel, und das Ungetüm quälte sich kreischend in die Höhe. Irgendwann blieb der Lift stehen. Sie stiegen aus. Es war das obere Stockwerk. Eine weitläufige Halle, die mit ein paar Möbeln aus dem Sperrmüll ausgestattet war. Ein paar schmuddelige Betten, ein Schrank. Tisch und Stühle. An dem gemauerten Fahrstuhlschacht klebte ein Anbau, in dem ein verdrecktes Klo stand. Daneben ein Waschbecken und ein altertümliches Telefon an der Wand. Drei Fenster führten auf baufällige Balkons, von denen aus man über den Channel blicken konnte. Die Fabrik stand auf einem verlassenen Kai und war direkt am Wasser gebaut. »Weit hast du es gebracht, Cesare.« Jean schaute sich um. »Ein Palast, von dem man nur träumen kann«, höhnte sie. »Was tust du überhaupt draußen? Hat man dir ein paar Tage Urlaub vom Knast gegeben?« Sie schaute ihm in sein plattes, brutales Gesicht. Er war ihr noch nie so häßlich vorgekommen, und sie fragte sich, wieso sie einmal auf ihn reingefallen war. »Ich hab es ohne dich nicht mehr ausgehalten, Baby.«
Cesare Planetta verzog seine dünnen Lippen zu einem verunglückten Lächeln. Seine wasserblauen Augen waren stumpf geworden. Er strich sich die dünnen, blonden Haare in die Stirn. Irgendwie schien er verlegen zu sein. Vielleicht erinnerte er sich daran, daß er Jean vor vielen Jahren das Himmelreich auf Erden versprochen hatte. Als er sie bat, seine Frau zu werden. * Robert Gratons Pressimperium boomte. Ganz Amerika nahm an seinem Schicksal teil. Am Tag nach der Entführung begann die Vermarktung der Story von dem furchtbaren Schicksal der beiden Eheleute, die eine Minute nach der Trauung so brutal auseinandergerissen worden waren. Gratons Zeitungen erreichten Millionenauflagen. Viele Firmen prügelten sich um ganzseitige Annoncen in seinen Blättern. Und das große Geld floß. Für Graton schien das nur ein geringes Trostpflaster zu sein. Er litt offensichtlich sehr. Mit anderen Worten, er soff wie ein Loch. Seine Freunde kannten ihn als einen Mann, der einen guten Tropfen zu schätzen wußte. Doch die Mengen, die er jetzt in sich hineinschüttete, hätten einer kleinen Pilsbar ein gutes Einkommen verschaffen können. Drei Tage nach der Entführung hatte er Geraldine Brooks zu sich in sein luxuriöses Büro im Corning Glass Building an der Fifth Avenue gebeten. Und dabei war es zu folgendem Dialog gekommen… »Geraldine, Sie sollen wissen, daß ich Sie schätze. Sie haben schon ein paar Arbeiten für mich geliefert. Als freie Mitarbeiterin. Ich hätte Ihnen gern schon früher mal die Hand geschüttelt. Aber in einem so großen Konzern… na ja, Sie wissen, wie das ist.« »Das können wir jetzt nachholen, Mister Graton.« »Nennen Sie mich Rob. Alle meine Freunde nennen mich so.« »Haben Sie meinen Fernsehbericht bei CMM über St. Patrick und das anschließende Interview mit Ihnen gesehen, Rob?« »Großartig, Geraldine. Ganz großartig. Also, um es kurz zu machen. Haben Sie gelesen, was meine Zeitungen bisher über die Entführung gebracht haben?« »Ja.« »Und? Begeistert scheinen Sie nicht zu sein.« »Sie waren schnell. Aber die Schreibe ist ein bißchen dünn, würde ich sagen. Wenn Sie sich schon entschlossen haben, die traurige
Geschichte in Ihren Blättern zu vermarkten, dann könnte das Ganze mehr Drive haben. Seien Sie mir nicht böse, Rob, aber für eine Fortsetzungsstory geht Ihnen langsam die Luft aus, wenn’s nicht bald ein paar heiße Neuichkeiten gibt.« »Sie denken?« »An eine Serie, Rob. Sie haben den Sprung an die Öffentlichkeit gewagt. Dann füttern Sie die Leser auch mit News. Sie wollen mir doch nicht erzählen, daß die Entführer sich noch nicht bei Ihnen gemeldet haben, oder?« »Ich will das Leben meiner Frau nicht aufs Spiel setzen, Geraldine.« »Da kann ich nur lachen. Dafür ist es doch jetzt viel zu spät. Außerdem ist Cesare Planetta nicht empfindlich. Ich würde ihn eher als publicitygeil bezeichnen. Jedes Wort, das er über sich liest, geht ihm runter wie Honig.« »Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen die Story anbiete, Geraldine?« »Wow…« »Machen Sie mir einen Knüller draus. Jeden Tag was Neues. Sie haben sich schon früher mal mit Planetta beschäftigt. Ich kenne die Arbeit. Bauen Sie ihn auf. Machen Sie aus ihm den größten Gangster der westlichen Welt. Zeigen Sie ihn nicht sympathisch, aber beeindruckend.« »Zwei Männer kämpfen um eine Frau.« »So ist es. Die dunkle Welt gegen die helle. Und dazwischen ein Engel.« »Ich habe verstanden, Rob. Wann kann ich anfangen?« »Sofort.« »Nehmen Sie mir die Frage nicht übel, Rob. Aber haben Sie keine Skrupel, Ihr Schicksal und das von Jean so skrupellos auszubeuten.« »Sie sind eine Frau, die kein Blatt vor den Mund nimmt. Das schätze ich an Ihnen. Die meisten meiner Leute schleimen vierundzwanzig Stunden um die Uhr nur um mich herum. Ich will Ihnen Ihre Frage beantworten. Wenn einem Zeitungsverleger wie ich es bin, die frisch angetraute Gattin entführt wird, wird er das immer vermarkten. Es sei denn, er ist ein Vollidiot. Oder er hat sich den falschen Beruf gewählt. So hart ist der Job, und so sind die Zeiten nun mal. So was wie Berufsethos ist out.« »Da ist was dran. Ich muß sie nochmal löchern, Rob. Warum arbeiten Sie in diesem Fall nicht mit der Polizei zusammen? Haben Sie Angst, daß die was falsch machen?« »Genau. Hab ich alle Ihre Fragen beantwortet?«
»Bis auf weiteres ja.« »Okay, Geraldine. Dann gehen Sie an die Arbeit. Setzen Sie sich an die Maschine und rattern Sie los. Bringen Sie mir als erstes eine Schauerstory über die Ehe zwischen Planetta und Jean. Und bevor es in den Druck geht, will ich es lesen.« * Es war Nacht. Der dichte Nebel hing über New York wie ein nasser Teppich. Jo Walker bog vom Grand Boulevard ab und steuerte den Roadstar in eine der trostlosen Seitenstraßen der nördlichen Bronx. Nach zweihundert Yards tauchte auf der rechten Seite die rote Neonreklame von Chico’s Place auf. Jo parkte den Wagen direkt vor der Kneipe. Er stieg aus und ging hinein. Die Luft, die ihm entgegenschlug, hätte man mit einer Baumsäge in Scheiben schneiden können. Am Bartresen rechts drängten sich Schulter an Schulter und wie für ewige Zeiten in den Boden gerammt die Feierabendtrinker. Männer, die keine großartigen Träume mehr hatten. Links standen ein paar Resopaltische, an denen die hockten, denen es schwerfiel, sich gerade zu halten. Im Hintergrund, wo es zu den Toiletten ging, wummerte eine alte Wurzlitzerorgel. Jo entdeckte den Sani an einem dieser Tische. Er ging zu ihm und setzte sich. »Hallo, Samuel. Ich heiße Jo. Ich komm eben von deiner Frau. Sie hat mir erzählt, wo ich dich finden kann.« Der Sani hatte schon mächtig was für seinen Alkoholspiegel getan, aber er war immerhin noch ansprechbar. Er zog die schmalen Schultern hoch und starrte sein Gegenüber irritiert an. »Was willst du von mir?« »Ich bin Private Detective, Sam. Ich hab ein bißchen rumgeschnüffelt. Mir ist zu Ohren gekommen, daß du Cesare Planetta mit deinem Krankenwagen aus Sing Sing gebracht hast.« »Na und? Ich kann dazu nichts sagen. Die Bullen haben mich schon ausgequetscht.« »Dann sag mir, was du denen erzählt hast.« Der Sani griff nach dem Zwanzig-Dollar-Schein, den Jo ihm über den Tisch schob, und spulte lustlos sein Erlebnis mit Planetta runter, wobei er sich allerdings als unüberwindbarer Held aufspielte. Nach seinem Bericht war er es, der dem Gangster eins über den Scheitel gezogen hatte. Jo grinste, als er das hörte, denn Samuels Frau hatte ihm die Ge-
schichte ganz anders erzählt. Sie hatte außerdem noch von ein paar unerfreulichen Nebenerscheinungen berichtet. Zum Beispiel, daß ihr Göttergatte nach diesem Zwischenfall den wilden Manu spielte und sich neuerdings in Kneipen rumtrieb. Angeblich, um Cesare Planetta zu jagen. Vielleicht stimmte es sogar. Aber damit übernahm sich Samuel, der Sani. Und er schien es zu spüren. Denn warum bestellte er sich schon wieder einen doppelten Bourbon ohne Eis und Wasser? Wo er doch schon bis zum Stehkragen abgefüllt war. »Der Gangster hat meine Frau angefaßt«, blähte er sich auf. »Ich werde diesen Planetta kastrieren, und dann baller ich ihm die…« Jo sah, wie Samuel an dem Lauf einer schweren Pistole herumzerrte, die unter der Jacke in seinem Gürtel steckte. Hier war schnelles Eingreifen angesagt. »Ein wunderschönes Schießeisen hast du da, Sam.« Jo griff blitzschnell nach der Beretta und brachte sie in Sicherheit. Er klinkte das volle Magazin aus und schob es in seine Jackentasche. »Was tust du da?« quengelte Sam. »Gib mir den Ballermann zurück. Ich hab ihn Planetta abgenommen, als ich mit ihm im Clinch lag.« »Hast du gut gemacht, Mann. Ich wette, du hast dem Gangster die Jacke vollgehauen und ihn aus deinem Haus rausgeworfen.« »So war es, Mister. Ich habe ihm die Klamotten runtergerissen und ihn zum Teufel gejagt.« »Und jetzt bist du hinter ihm her. Wo willst du ihn finden?« »Ich weiß, wo er ist«, brabbelte Sam und fummelte einen schmierigen Zettel heraus. »Da is ‘ne Adresse. Ich hab sie in seiner Jacke gefunden. Wenn es dir Spaß macht, fahren wir jetzt beide dahin und machen Planetta alle.« Jo staunte nicht schlecht. Was sich immer im Haus von diesem Weißkittel abgespielt haben mochte, er schien nicht auf den Kopf gefallen zu sein. Jedenfalls wenn er nüchtern war. Und bei Planettas Besuch schien er es gewesen zu sein. »He, Sam. Du würdest einen guten Detective abgeben. Zeig mir den Zettel. Aha, hm. Und du glaubst, da hat sich der Gangster verkrochen?« »Ich bin da vorbeigefahren, Mann. Gestern. Es ist ‘ne alte Fabrik unten in Brooklyn.« »Und du hast Planetta gesehen?« »Aber sicher, Mann. Sie waren zu dritt. Sonst hätt ich mir ihn vorgeknöpft. Er wird mir nicht entkommen!« Sam trommelte mit seinen Fäustchen auf den Tisch. »Ich werde es allen zeigen, die glauben,
daß ich ein feiger Hund bin. Wer meine Frau anfaßt, den nehm ich mir zur Brust.« Er japste nach Luft. Dann fiel sein Kopf auf den Tisch, und das sofort eintretende Schnarchen war nicht zu überhören. So wie es aussah, hatte ihn zunächst mal der Alkohol besiegt. »Ich glaube dir, Sam«, seufzte Jo. Er steckte den Zettel ein und ging. Aber er kam nicht weit, denn sein Small Talk mit dem Sani war nicht unbemerkt geblieben. Es war still geworden in der Kneipe. Zwei Typen bauten sich vor Jo auf. Sie fixierten ihn feindselig. Auch die übrigen Gäste drehten sich auf ihren Barhockern zu ihm rüber. »Wer sind Sie, Mister? Was haben Sie mit Sam angestellt? K.-o.Tropfen in seinen Whisky geschüttet?« »Ich schätze, euer Freund hat sich die nötige Bettschwere angesoffen«, sagte Jo verbindlich. »Vielleicht ist es besser, wenn ihr ihn zu Mutti nach Hause bringt.« »Wir haben gesehen, daß Sie ihm seine Kanone geklaut haben, Mann. Rücken Sie das Ding wieder raus. Oder wollen Sie Schwierigkeiten?« »Übernehmt euch nicht, Leute. Laßt mich gehen. Ich zahl das Taxi für euren Sani.« Jo griff in die Jacke, um einen Schein springen zu lassen. Leider wurde seine Bewegung mißverstanden. Die zwei Stänkerer stürzten sich auf ihn. Er tauchte seitlich ab und ließ sie ins Leere laufen. Es war ihnen zuwenig. Sie kamen zurück. Jo schnappte sich eine der vorschießenden Fäuste und drehte sie im Uhrzeigersinn, bis sich der dazugehörige Vorstadtcatcher heulend am Boden wand. Dem zweiten trieb Jo schlechtgelaunt die Stiefelspitze in die Magengrube. Auch der verabschiedete sich mit einem unartikulierten Schrei. Die übrigen Gäste erstarrten. Was sie eben zu sehen bekommen hatten, ließ ihren Atem stocken. Eine Kurzdemo in Sachen Selbstverteidigung vom Allerfeinsten. »Es ist zum Heulen mit euch Saufbrüdern«, fluchte Jo. »Nichts anderes im Kopf als ehrbaren Mitbürgern auf die Füße zu treten.« Er verließ Chico’s Place, ohne sich noch einmal umzudrehen. * Als Geraldine Brooks ihr Appartement verließ, stieß sie auf Jo Walker. Er kam ihr aus dem Fahrstuhl entgegen. Sie ließ ihre Kameratasche fallen und fiel ihm schluchzend in die Arme.
»He, Baby! Was ist mit dir?« »Ich habe dich vierundzwanzig Stunden gesucht, Jo. Wo bist du gewesen?« »Aber das weißt du doch.« Er brachte sie in das Appartement zurück. »Ich bin untergetaucht, um Spuren von Planetta aufzunehmen. Ich kenn eine Menge Leute in der Unterwelt. Hab ich dir aber alles lang und breit klargemacht. Jetzt entspann dich mal.« Er legte sie auf einen Diwan, von dem sie in der nächsten Sekunde wie von der Tarantel gestochen wieder hochkam. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, Jo.« »Das ist echte Liebe«, grinste er. »Den Satz laß ich mir auf der Zunge zergehen. Den gibt’s heute nur noch in Liebesromanen zu lesen. Aber mal zur Sache. Ich bin fündig geworden. Nicht, daß irgendeiner von meinen V-Leuten etwas gewußt hätte. Nein, der Tip kam aus einer ganz anderen Ecke. Und ich glaube, es ist ein ganz heißer Tip. Es ist mir nämlich gelungen, den Sani aufzutreiben, der Planetta…« »Du machst mich verrückt, Jo!« unterbrach ihn Geraldine hysterisch. »Siehst du nicht, daß ich am Ende mit meinen Nerven bin?« Sie versuchte, sich eine Zigarette anzustecken. Der Glimmstengel zerbrach ihr zwischen den zittrigen Fingern. »Wow, Darling. Dich hat’s aber mächtig erwischt. Hat Robert Graton dich rausgeschmissen, oder hast du an der Börse spekuliert?« Jo verschwand in ihrem Badezimmer. Er kannte sich aus. Im Apothekenschränkchen fand er eine Packung Valium. Er nahm eine Tablette heraus und brachte sie Geraldine mit einem Glas Wasser. »Hier, nimm das. Ist zwar auch nicht das Gelbe vom Ei, aber was Besseres fällt mir nicht ein.« Sie schluckte die Tablette und atmete tief durch. Er steckte sich eine Zigarette an und schob sie ihr zwischen die Lippen. »Also, was ist, Darling? Was drückt dich? Spuck’s aus.« »Ich hätte dich gebraucht, Jo. Graton hat mir einen Job verpaßt, der mir schwer zu schaffen macht. Mit anderen Worten, ich habe Angst.« »Wovor?« »Vor Cesare Planetta.« »Ich versteh kein Wort. Der Reihe nach, wenn ich bitten darf.« Geraldine stand auf und ging zu ihrem Schreibtisch. Sie stellte den Cassettenrecorder an. Erst hörte man ein kurzes Rauschen. Dann eine männliche Stimme. »Hören Sie, Graton. Ich wiederhole mich nicht gern. Drei Millionen in zwei Alukoffern. Alte Scheine. Nicht durchnummeriert. Treffpunkt
und Zeit wie verabredet…« Geraldine schaltete den Recorder aus. »Es ist die Stimme von Planetta«, sagte sie. »Er hat gestern in Gratons Büro angerufen. Ich habe das Telefonat mitgeschnitten.« »Dann ist doch alles okay. Graton rückt mit dem Geld raus und bekommt seine Jean wieder. Was regst du dich auf? Es sind nicht deine drei Millionen. Wann findet der Deal statt?« »In einer Stunde. Graton selbst will das Geld übergeben.« »Hut ab vor dem alten Gauner. Sehr mutig. Man kann nur hoffen, daß ihm die Cops nicht auf die Spur kommen. Bei solch sensiblen Aktionen stellen sie sich meistens nicht begeistert, wenn sie auftauchen. Robert Graton will also seine Frau höchstpersönlich raushauen. Und allein. Die Sache gefällt mir leider nicht. Sag mir, wo der Deal stattfindet, Geraldine. Ich denke, ich fahr mal vorbei und paß auf, daß die Sache glatt über die Bühne geht.« »Dann kannst du mich gleich mitnehmen«, jammerte Geraldine. »Graton will, daß ich die Übergabe fotografiere. Ich hab die Hosen gestrichen voll, wenn du mich fragst.« »Was will der Idiot?« Jo sprang wütend auf. Er stiefelte an die Hausbar und genehmigte sich einen Hochprozentigen. Dann baute er sich vor Geraldine auf und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Sag das noch mal, bitte.« »Graton will seine Frau zurück. Aber er will auch die Story. Ich soll heimlich Bilder schießen. So irgendwie aus der Nähe oder wie er sich das vorstellt. Und morgen bringen seine Zeitungen dann alles exklusiv.« »Ein gerissener Hund. Die Idee finde ich nicht schlecht. Aus seiner Sicht fast genial. Aber an der Schmerzgrenze des guten Geschmacks. Mir dämmert’s, wovor du Angst hast.« »Ich weiß, wie brutal Planetta ist, Jo. Wenn der spitzkriegt, daß Graton nicht allein ist, nietet er uns beide um. Ich hab überhaupt noch keine Lust, ins Gras zu beißen. Wenn du weißt, was ich meine.« »Und warum hast du zu diesem Himmelfahrtskommando zugesagt?« Jo schaute die Journalistin verständnislos an. Er griff sich an den Kopf und wanderte herum. Er wußte schon, weshalb sie diesen verdammten Job angenommen hatte. »Du denkst an deine Karriere. Du bist hin und her gerissen zwischen dem Ruhm, den dir diese einmalige Story bringen kann, und der Vorstellung, eine Kugel zwischen deine hübschen Äugen zu bekommen. Ist es so?«
»Auf jeden Fall fühl ich mich wohler, wenn du dabei bist, Jo. Laß uns gehen. Ich bin wieder fit.« Sie warf sich die Kameratasche über die Schulter, ergriff Jos Hand und zog ihn mit sich nach draußen. »Hoffentlich hast du nicht vergessen, Filme einzulegen«, feixte Jo und ließ sich von seiner hübschen Partnerin in den Fahrstuhl stoßen. * Zweimal mußte Jo anhalten. Geraldine sprang aus dem Wagen und verschwand in irgendwelchen Telefonzellen, um Robert Graton zu kontakten. »Wie im Kino«, knurrte Jo. »Ich wette, er jagt dich noch durch die halbe Stadt« »Planetta gibt die Befehle«, konterte sie. »Er ruft Graton in seinem Wagen an und dirigiert ihn immer wieder woanders hin. Ich häng mich an meinen Boß, um auf dem laufenden zu bleiben. Aber halt dich fest, ich weiß jetzt, wo sie sich treffen.« »Wo?« »Unten am Hudson. Auf dem Parkplatz vor der ausrangierten Mobil-Oil-Raffinerie.« »Okay. Dann wollen wir uns mal den letzten Akt von dem Drama reinziehen.« Jo verließ den Broadway auf der Höhe Times Square und fuhr die West 42nd Street runter zum Hudson River. Die Bürotower huschten im Nebel vorbei wie ferne, futuristische Leuchttürme. Unten an den Docks tauchten die Reste der demontierten Raffinerie auf. In die Nacht hochschießende, stählerne Etagen. Rohre, Kessel und tote Peitschenlampen. Die Gegend am Wasser war ruhig. Die Lichter der an den Piers liegenden Frachter schimmerten herüber. Jo fuhr an dem Parkplatz der Raffinerie vorbei. Er lag hinter dem Werkseingang. Der ehemals hohe Zaun war abgerissen. Hunderte von Autos standen in Reih und Glied unter gelbschimmernden Halogenleuchten. Es waren die Wagen der Hafenarbeiter, die ein paar hundert Yards weiter auf den Piers ihre Nachtschicht runterrissen. »Planetta hat den Platz nicht ungeschickt gewählt«, sagte Jo. »Weißt du, wo genau sie sich treffen wollen?« »Vor der Halle 2.« Geraldine schaute auf die Uhr. »Wir haben noch zwanzig Minuten bis zum Treff.« Jo umfuhr den Parkplatz und stoppte den Roadster hart an den Hallen hinter ein paar hohen Eisenbahnwaggons. Sie waren auf den Gleisen abgestellt und boten ein sicheres Versteck.
Sie stiegen aus und schlichen sich zum Stellwerkhäuschen rüber. Eine einstöckige, halbverfallene Hütte, die aus zerbrochenem Glas und rostigem Blech bestand. Die Tür stand offen. »Wie für uns hingestellt«, flüsterte Jo. Sie gingen hinein. Von hier unten aus war die Sicht nach draußen gleich null. Vorsichtig stiegen sie über die Eisentreppe in den ersten Stock hoch und schauten durch die zerborstenen Fensterscheiben hinaus. »Da drüben! Die Halle 2 mit der Uhr. Wir haben einen Logenplatz erwischt, Jo.« Geraldine packte ihre Tasche aus und schraubte die Objektive auf die Kamera. Es schien, als hätte sie wieder das Jagdfieber gepackt. Ihre Angst war wie weggeblasen. Vielleicht von dem frischen Nachtwind, der vom Wasser rüberkam und den beiden ein Frösteln über den Rücken jagte. »Ich hab mir unser Wiedersehen irgendwie etwas anders vorgestellt, Darling«, frozzelte Jo. Er rieb sich die Hände. Ihm wurde kalt. »Nicht daß ich ein Romantiker wäre, aber man hat so seine eingefahrenen Vorstellungen. Vor einer Woche hast du mich angerufen, und seitdem war nichts als Streß. Und diese Hundehütte hier würde ich auch nicht grade als ein Liebesnest bezeichnen. Nicht mal beim Einsatz allergrößter Phantasie.« »Was nicht ist, kann noch werden«, lachte Geraldine leise. »Wenn wir hier fertig sind, guck ich mal in meinen Terminkalender und schau, was sich machen läßt.« »He, es geht los, Darling.« Sie sahen einen dunklen Bentley von der Straße her über den Parkplatz rollen. Langsam. Er kroch fast. Vor der Halle 2 blieb er stehen. Jetzt erloschen seine Scheinwerfer. Und auch das leise Singen des Motors erstarb. »Es ist Gratons Wagen, Jo.« Ein paar Minuten geschah nichts. Dann tauchte ein alter Chevy auf. Er machte einen Höllenlärm. Es schien, als hätte er seinen Auspuff in der Garage vergessen. Das Kreischen der abgefahrenen Bremsbacken rundete den geräuschvollen Auftritt ab. Zuerst stieg Graton aus. Er schien einen Fahrer bei sich zu haben, denn er kam aus dem hinteren Fond. Er blieb neben seinem Bentley stehen und schaute zu dem Chevy rüber. »Hast du genug Licht?« fragte Jo. »Genug«, flüsterte Geraldine. Sie schoß konzentriert ein Bild nach dem anderen. »Da ist Planetta. Er steigt aus.« Die beiden Männer standen sich in einer Entfernung von etwa fünfzehn Yards gegenüber. Ein paar Sekunden starrten sie sich schweigend an. Dann hob Robert Gratoh seinen Arm.
Auf das Zeichen stieg sein Fahrer aus. Er öffnete den Kofferraum und hob zwei große Koffer heraus. Er schleppte sie in die Mitte zwischen Graton und Planetta und stellte sie dort ab. Darm verschwand er eilig wieder im Bentley. Es wird spannend, dachte Jo. Live war eben nicht zu überbieten. Er tastete nach seiner Automatic. Aber er ließ die Waffe stecken. Wie es immer auch kam, es war für alle Beteiligten das Beste, wenn er sich nicht einmischte. Denn wenn Planetta merkte, daß ihm einer aus dem Dunkel heraus auf die Finger schaute, wäre Jean in Gefahr. Aber es kam alles ganz anders. Zunächst ging der Gangster ein paar Schritte vorwärts. Bis zu den Koffern. Er blieb stehen, bückte sich, machte sie auf und warf einen Blick hinein. Er schloß sie wieder und nickte Graton zu. Dann drehte er sich um und ging zu seinem Chevy zurück. »Jetzt holt er Jean«, flüsterte Geraldine. »Ich halt das nicht mehr aus. Das wird die größte Story…« Sie sprach nicht weiter. Planetta öffnete die Wagentür. Ein Mann sprang heraus. Er riß seine MP hoch und hämmerte eine Salve scharf über Graton hinweg. Planetta rannte unter dem Schutz des Feuers zu den Koffern und zerrte sie zum Chevy. Graton hechtete in seinen Bentley. Der schwere Wagen schoß mit durchdrehenden Reiften davon. »Runter mit dir!« brüllte Jo. Er warf sich über Geraldine. Ein Dutzend verirrter Kugeln fetzte durch das Stellwerk. Die Querschläger sirrten gemein umher. Und noch immer tackerte draußen die MP. Jo fuhr blitzschnell hoch und warf einen Blick hinaus. Er sah den Chevy davondonnern. Mitsamt Planetta, dem Schützen und den Koffern. »Ich wußte, daß da was passiert«, wimmerte Geraldine. Sie zitterte. »Ich bin so dankbar, daß du bei mir bist, Jo. Wenn ich…« »Kannst du mir nachher erzählen, Baby.« Jo zog sie hoch. Er ließ ihr kaum Zeit, die Kameras zu verstauen. »Weg hier. Wenn die Bullen kommen, werden wir ihnen eine Menge unangenehmer Fragen beantworten müssen. Das will ich vermeiden.« Sie sprangen die Eisentreppe hinunter und liefen zu dem Roadster zurück. Als sie einstiegen, hörten sie die ersten Polizeisirenen. »Sie haben die Knallerei gehört. Schnall dich an. Wir heben ab.« Jo knüppelte den Vorwärtsgang rein. Der schwere Mercedes schoß über die Gleise auf die Straße und nahm Kurs auf den Broadway. »Was ist da passiert, Jo?« Geraldines Stimme kam dünn und gepreßt. »Ich flipp aus. Das darf doch alles nicht wahr sein. Planetta
ist das größte Schwein unter der Sonne. Er hat Graton gelinkt.« »Dafür hat er wenigstens deine Bilder«, grinste Jo. »Vielleicht holt er mit eurer Fortsetzungsstory in den nächsten Tagen das Lösegeld wieder rein. Die Leute werden ihm seine Käseblätter frisch aus der Presse reißen.« »Und was ist mit Jean?« »Das werden wir vielleicht schneller wissen, als es uns lieb ist.« »Du hast wieder so eine undeutliche Aussprache«, giftete Geraldine. »Ich versteh nämlich wieder mal kein Wort. Du sprichst in Rätseln. Muß man dir jede Silbe aus der Nase ziehen?« »He, he!« meuterte Jo. »Wo bleibt dein stadtbekannter Charme? Du wüßtest schon viel mehr, wenn du mich hättest ausreden lassen, als ich dich vorhin besucht hab. Ich wollte dir nämlich interessante Neuigkeiten offerieren. Aber wie’s so geht. Bei den meisten hübschen Frauen komm ich einfach nicht zu Wort. Entweder sie reden zuviel, oder mir fällt nichts mehr ein, weil mich ihre Schönheit blendet.« »Also rede, Partner«, schnurrte Geraldine. »Ich gebe dir zwei Minuten meiner kostbaren Zeit. Bei der Gelegenheit könntest du mir eigentlich mal verraten, wohin du mich fährst.« Sie schaute aus dem Wagen hinaus. »Ich muß in die Redaktion und die Filme zum Entwickeln abgeben. Außerdem will ich wissen, wie’s Graton geht. Ob er verletzt ist oder so.« »Oder so…?« spottete Jo. »Seit sie ihm die Frau geklaut haben, hängst du dich auffällig an ihn. Willst du Jeans Ehejob beerben?« »Idiot!« zischte Geraldine. Dann schmiegte sie sich an seine Schulter und schnurrte: »Ich bin ganz Ohr, Partner. Spuck deine Neuigkeiten aus.« Jo donnerte den Broadway hinunter in Richtung Manhattan Bridge. Er wußte nicht, wo er anfangen sollte. »Ich mach es kurz«, sagte er. »Wir statten Jean jetzt einen kleinen Besuch ab. Ich bin sicher, daß ich weiß, wo Planetta sein Hauptquartier aufgeschlagen hat.« »Ich werde verrückt«, stöhnte Geraldine. »Du bist der Größte, Jo. Ich mach dir auf der Stelle einen Heiratsantrag. Was sagst du dazu?« »Nimm es mir nicht krumm«, feixte Jo. »Aber eine ZwanzigProzent-Beteeligung an deinem Honorar langt mir für ‘s erste.« * Sie hatten Jean der Einfachheit halber mit einer Kette an eines der Feldbetten gefesselt. Sie konnte zwar ein paar Schritte gehen, aber bis an die Fenster reichte es nicht Und auch nicht bis an die Tür, geschweige denn ans Telefon.
Wenn sie auf die Toilette mußte, machte einer der Männer die Kette los, und dann durfte sie. Für das Essen war der Jüngere zuständig. Dino schleppte Tag für Tag Konserven heran, die auf einem Campingkocher angewärmt wurden. Ted, der Ältere mit dem grauen Igel, lag meistens auf einem der Betten und las Sportzeitungen. Er war maulfaul. Er kaute durchgehend Oliven und spuckte die Kerne durch eines der offenen Fenster hinaus auf das Wasser. Jean war bisher ohne Nachricht von draußen. Die Entführung lag zwar schon eine Woche hinter ihr, und sie hatte sich psychisch erholt, aber der Streß der Gefangenschaft machte sie zunehmend aggressiver. »Ich will etwas trinken«, fauchte sie ihren Bewacher an. Ted erhob sich ächzend von seinem Bett. Er brachte ihr einen Plastikbecher mit Cola. Sie trank und warf den Becher auf den nackten Betonboden. »Verdammt, rede ein Wort mit mir! Wo sind die beiden anderen Pfeifen? Wo ist Planetta?« »Sie haben was zu erledigen, Lady.« »Findest du es in Ordnung, daß ich hier gefangengehalten werde, Ted?« Jean setzte sich auf den Bettrand und strich sich die rote Mähne aus der Stirn. Noch immer trug sie das weiße Brautkleid. Sie war seit ihrer Entführung nicht mehr aus den Klamotten gekommen. Hatte sich nicht duschen können. Auch Angst gehabt, sich vor den Augen der Männer auszuziehen, um sich wenigstens mal an diesem verdreckten Waschbecken frisch zu machen. Sie hatte auch äußerlich abgebaut. »Kannst du es als ein aufrechter Mann mit ansehen, daß eine Frau wie ein Vieh in einem Verschlag vor sich hin vegetiert? Wenn du noch ein bißchen Ehre im Leib hättest, müßte dich das empören. Ach, was rede ich. Du bist genauso ein verkommenes Subjekt wie die anderen.« Ted hatte ihr mit halbgeschlossenen Augen zugehört. Er kaute auf einem Streichholz herum, und seine Kiefer malmten. Man sah ihm an, daß ihre Worte ihn trafen. »Ich hab auch schon mal bessere Tage gesehen, Lady. Jetzt mache ich diesen Job. Ich hab’ keine andere Wahl. So ist das Leben.« »Erzähl, Ted. Wie bist du hier reingeraten.« »Ich war Chef von ‘nem Möbelhandel. Der ist pleite gegangen. Dann hab ich Taxi gefahren. Und jetzt spiel ich den Ganoven. Ist mir nicht in die Wiege gelegt worden…«
Es war ungewöhnlich, daß er so offen von sich sprach. Es war das Bedürfnis eines Underdogs, der Welt endlich mal klarzumachen, aus welchem guten Stall er eigentlich war. Und wie leicht es war, auf die schiefe Bahn zu geraten. »Das passiert schnell, Lady. Gucken Sie sich selbst an. Letzte Woche wollten Sie einen Millionär heiraten, und heute sitzen Sie böse in der Scheiße.« Er zündete sich eine Zigarette an und steckte sie Jean zwischen die Lippen. Sie zog den Rauch tief ein und hustete. Es war ihr erster Glimmstengel seit acht Tagen. »Du weißt, daß ich mal mit Planetta verheiratet war, Ted. Die Frau eines Gangsters zu sein, ist kein Zuckerschlecken. Ich hab in die Hölle geschaut. Ich wollte mich wieder emporarbeiten. Ein schönes, anständiges Leben fuhren. Aber immer wieder kommt mir dieses Dreckschwein in die Quere.« »Das darf ich mir eigentlich gar nicht anhören, Lady. Halten Sie den Mund. Aber verdammt, ich kann Sie sehr gut verstehen.« Jean stand auf und ging auf ihn zu, soweit es die Kette erlaubte. Sie hatte das Gefühl, mit dem Mann reden zu können. »Ich weiß nicht, wieso das hier schon so lange dauert, Ted. Was ist los? Planetta will Lösegeld von meinem Mahn. Und ich weiß hundertprozentig, daß Graton jede Summe für meine Freilassung hinblättert. Er ist ein reicher Mann, und er liebt mich. Also, warum ist der Deal noch nicht gelaufen? Hat Planetta vielleicht was ganz anderes mit mir vor? Ich weiß, daß du mir darauf nicht antworten darfst. Aber ich mach dir einen Vorschlag. Laß mich mit meinem Mann telefonieren. Und dann kassierst du allein. Ich werde das arrangieren.« »Ich versteh nicht, Lady«, stotterte Ted, Er spuckte das Streichholz aus und machte einen völlig verdatterten Eindruck. »Ich soll Planetta ausbooten? Der verfolgt mich bis in den letzten Winkel der Welt. Sie kennen ihn doch selbst.« »Mein Mann wird dir eine völlig neue Identität verschaffen, Ted. So was ist heute möglich. Kein Mensch wird dich wiedererkennen. Du wirst reich sein, und nicht einmal deine eigene Mutter, wird dich wiedererkennen.« »So was, wie ‘ne – Gesichtsoperation meinen Sie?« »Genau. Ein neues, hübsches Gesicht inklusive Liftung. Damit läßt es sich leben. Vor allem, Wenn man das nötige Kleingeld hat. Überlegen Sie nicht lange, Ted. Ich brauche nur ein paar Minuten. Wenn die beiden anderen gleich auftauchen, ist es zu spät.« Der Gangster schien beeindruckt. Er stampfte mit kurzen Schritten durch die Halle, blieb stehen, fuhr sich murmelnd mit der Pranke über
das graue Stoppelhaar, und die Röte, die ihm in den Kopf gestiegen war, deutete auf einen erhöhten Blutdruck hin. »Wer garantiert mir, daß Sie mich nicht linken, Lady?« »Ist doch ganz einfach, Ted. Sie haben mich nicht entführt und bekommen kein Lösegeld. Sie tun jetzt genau das Gegenteil. Sie befreien mich, und dafür wird mein Mann Sie fürstlich belohnen. Und er wird dafür sorgen, daß Sie, mit einer neuen Identität versehen, für immer abtauchen. Verdammt, geben Sie sich einen Tritt in den Hintern, Ted. Es ist die Chance Ihres Lebens!« Jean hob beschwörend die Arme. Sie spürte, daß sie ihn fast soweit hatte. Und es war ihr klar, daß jetzt jede Sekunde zählte. * »Da ist es!« Jo trat auf die Bremse. Er stieg aus dem Wagen und warf einen Blick auf den düsteren Fabrikbau. Nur im dritten Stockwerk brannte Licht. Ein weißes, kaltes Neonlicht. Weit und breit der einzige helle Flecken in dieser düsteren Steinwüste. Von ferne hörte man den in einen tiefen Summton zusammengeschmolzenen Lärm der Millionenstadt. Und das nähe Plätschern des Wassers am Kai. Kein Auto vor der Fabrik. Ein geschlossenes Hallentor. Kein Mensch auf der Straße. Mit Phantasie nur das Huschen der Ratten im Straßenmüll zu hören. Geraldine stieg aus: »Bleib bitte im Wagen«, sagte Jo leise. »Fahr ihn dort hinter den Container. Von da aus kann dich keiner sehen. Du kannst das Objekt fotografieren.« »Jawohl, Mister Pascha«, kam es ungehalten zurück. Jo taxierte die Entfernung zu der Fabrik. Es waren nicht mehr als fünfzig Yards. Er lief bis an den Kai und sah, daß das Gebäude mit der Rückwand direkt ans Wasser stieß. Die Fenster im Parterre waren vergittert. Hart am Wasser fand er eine Feuerleiter. Er zog sich die rostigen Sprossen hoch. Über die erste und zweite Etage. Dann sah er über sich den Balkon. Er schwang sich über das Gitter. Die Balkontür war geschlossen. Die Scheiben zerbrochen. Ein dunkler Vorhang bauschte sich unter dem Wind, der von See kam. Jo griff durch das Fenster und schob ihn zur Seite. Er sah Jean. Sie stand neben einem Feldbett. An eine Kette gefesselt. Sie diskutierte mit einem der Gangster. Die beiden schienen allein zu sein. Er hörte ihre Stimmen, aber er verstand nicht genau, was sie sagten.
Anscheinend wollte sie telefonieren. Jo sah, wie der Kerl ihr plötzlich die Kette aufschloß. Es sah nach einem spontanen Entschluß aus. Jean lief zum Telefon. Sie hob den Hörer ab und wählte mit flatternden Händen eine Nummer. Der Gangster stand dicht neben ihr. Er machte einen nervösen Eindruck, und es sah aus, als wollte er unbedingt mithören. In diesem Moment tauchte ein zweiter Mann auf. Er sprang aus dem offenen Lift. Er checkte die Situation, und es war, als wäre er zu Eis erstarrt. »Verdammt, was ist hier los, Ted? Bist du übergeschnappt?« Er stürzte sich auf Jean und riß den Hörer mitsamt dem Kabel aus dem Apparat. Dann packte er den Älteren und stieß ihn zu Boden. »Willst du dich selbständig machen? Hat die Schlange dich rumgekriegt? Du gottverdammter Idiot!« »Nein, Dino. Ich schwöre dir, daß das nicht wahr ist. Sie wollte nur…« Dino riß seinen Colt aus dem Holster und stieß Ted die Mündung unters Kinn. »Ich will die Wahrheit, oder du bist ein toter Mann. Raus damit! Was habt ihr beide vor?« »Hör zu, Dino. Sie will hier raus. Sie hat mir ein Vermögen angeboten. Machen wir beide den Deal. Ohne Planetta. Es ist unsere Chance. Ich beschwöre dich. Wir sind doch Kumpels.« Teds Stimme flatterte in Todesangst. »Steck deine verdammte Kanone ein. Ich flehe dich an.« Jo spannte seinen Körper. Er stützte sich an dem Balkongeländer ab, riß die Beine hoch und stieß die Tür mit den Stiefeln ein. Die beiden Holzflügel brachen krachend in die Halle. Mit drei Sätzen war Jo bei Dino und trümmerte ihm die Faust in den Nacken. Der Gangster ließ den Colt fallen und kippte zur Seite ab. Jo hetzte zu Jean rüber. Sie krümmte sich schluchzend neben dem Waschbecken am Boden zusammen. »Sind Sie okay, Jean?« »Sicher ist sie okay«, kam eine Stimme von hinten. Sie klang nach Eiswürfeln. Klirrend kalt. »Es geht ihr immer gut, wenn sie bei mir ist.« Jo kam langsam hoch und drehte sich um. Cesare Planetta richtete seine Magnum auf ihn. »Mal die Flossen hoch, Mann. Wir haben also Besuch. Das Telefon ist im Eimer. Einer von meinen beiden Leuten ist ausgeknockt, und die liebe Jean ohne Fesseln. Sauber, kann ich da nur sagen. Saubere Arbeit, Fremder. Darf man fragen, mit wem ich die Ehre habe?«
»Ich bin Privatschnüffler«, sagte Jo und hob die Arme. »Moment, ich kenne dich doch.« Planetta trat dicht an ihn heran. »Du warst uns doch auf den Hacken, als wir Jean aus dem Tempel geholt hatten. Ja, klar bist du’s. Jetzt mußt du dir aber einen intelligenten Spruch ausdenken, um mich davon abzubringen, dich nicht sofort umzulegen, Mann.« »Keine Ahnung, wovon Sie reden, Mister Planetta«, log Jo mit ehrbarer Miene. Cesare Planetta war irritiert. Vielleicht hatte er sich getäuscht. Er war seit einer Woche fast ohne Schlaf, und manchmal checkte er kleine Blackouts bei sich. »Also, was willst du hier?« blaffte er, wütend über sich selbst. »Ich habe einen Klienten, der mich auf Sie angesetzt hat, Mister Planetta. Es ist der Sanitäter, der Sie aus dem Knast rausgefahren hat.« »Auf mich angesetzt? Dieser kleine Hosenscheißer hat einen Privatbullen auf mich angesetzt? Da muß ich aber mal kräftig wiehern.« Planetta wieherte nicht. Er machte eher einen verblüfften Eindruck. Es hatte den Anschein, als wären seine grauen Zellen schwersten Turbulenzen ausgesetzt. Jo machte eine kleine Kunstpause, um den Überraschungscoup voll wirken zu lassen. Dann räusperte er sich spröde: »Es hat bei Ihrem Erscheinen im Haus meines Klienten eine unschöne Szene gegeben, Mister Planetta. Sie haben sich an seiner Frau vergriffen. Jetzt liegt sie mit einem Nervenschock im Krankenhaus. Mein Klient fordert Schadensersatz. Und zwar in bar. Über die Summe werde ich mit Ihnen verhandeln.« »Hör auf zu quatschen, Gerichtsvollzieher!« Planetta überfiel die Erinnerung an die schmähliche Niederlage, die er erlitten hatte. Immerhin war es das erste Mal gewesen, daß ihn eine Frau ausgeknockt hatte. »Wie hast du überhaupt hierher gefunden?« Jo warf sich künstlich in die Brust und versuchte, einen betont bescheuerten Eindruck zu schinden. Er wollte erreichen, daß der Gangster ihn nicht für voll nahm und endlich die Mündung der schweren Magnum aus dem Bereich seines Zwerchfells abzog. »Wie Sie wissen, Mister Planetta, haben Sie Ihre… hm, Kleidung bei meinem Klienten zurückgelassen. Und in der Jacke fand ich auf einem Zettel diese Adresse. Sie dürfen nicht vergessen, daß ich ein eingetragener Private Detective bin und auf eine Menge Berufserfahrung zurückgreifen kann.« Planetta fiel ein Stein vom Herzen. Der Mann mußte die Wahrheit
sagen. Sonst hätte er ihn hier nicht gefunden. Ein harmloser Irrer, der sich mit seiner Neugier selbst das Grab geschaufelt hatte. »Okay, James Bond. Sag deinem Klienten, er soll mir die Rechnung schicken. Und jetzt verschwinde, bevor ich mir’s anders überlege.« Jo nahm das großzügige Angebot an. Es war unter diesen speziellen Umständen besser, sich aus dem Staub zu machen. Um so schnell wie möglich aus besserer Position ein zweites Mal anzugreifen. Er warf Jean einen aufmunternden Blick zu und ging in Richtung Lift. Nach ein paar Schritten spürte er ein schmerzhaftes und dumpfes Krachen in seinem Genick. Er sackte in die Knie. Erst kam ein Blitzlichtgewitter in Farbe, dann zogen schwarze Wolken vor seinen Pupillen auf, und das letzte, was er dachte, war: Du bist ein verdammter Trottel, Jo… Aber das künstlich herbeigeführte Schlummerstündchen dauerte nicht lange. Er kam wieder zu sich, als er spürte, wie man ihm Handschellen um die Gelenke legte. Und er hütete sich, seine Rückkehr ins Wachbewußtsein herauszuposaunen. Jo spielte den toten Mann. Er öffnete seine Augen zu schmalen Schlitzen und peilte die Lage. Man hatte ihn zur Seite gezerrt. Er lag in der Nähe des Balkons, über den er in das Ganovennest eingebrochen war. Abgesehen davon, daß er höllische Schmerzen hatte und sein Kopf sich anfühlte wie ein auslaufender Sandsack, war seine Lage nicht aussichtslos. Aus der Froschperspektive sah er zwei Stiefel an sich vorbeilatschen. Sie gehörten zu Cesare Planetta, der sich mitten in der Halle aufbaute und das große Weltgericht abhielt. »Wenn einer hier schreit, bin ich es!« brüllte er mit Stentorstimme über seine beiden sich anfetzenden Leibwächter hinweg. Und tatsächlich wurde es still. Nur Jean schluchzte leise auf ihrem Bett. Sie hatte den Rest ihrer gesunden Nerven verloren. »Ich will wissen, was hier los war. Du zuerst, Dino!« »Also es war so, Boß…« »Ohne Einleitung, Mann. Was hast du gesehen?« »Ich kam rein. Ted stand mit Jean am Telefon. Sie wählte eine Nummer.« »Nicht wahr«, keifte der Grauigel dazwischen. Er zitterte am ganzen Körper, und die große Bleiche hatte sich über sein Gesicht gezogen. »Schnauze, Ted!« brüllte Cesare Planetta.
»Ich reiß also Jean den Hörer aus der Hand«, hechelte Dino wie ein Sportreporter. »Dann greif ich mir Ted und setz ihm die Kanone an den Kopf. Und was meinst du, Boß? Er singt wie ein Amsel.« Ted brüllte auf und sprang Dino an. Sie wälzten sich im Clinch über den Boden. Planetta keilte sie mit seiner Stiefelspitze auseinander. Ted blieb wimmernd liegen und griff sich mit beiden Händen zwischen die Schenkel. Dino kam auf die Beine. Seine dunklen Augen glühten haßerfüllt. Er spuckte auf Ted runter. »Der da und diese Frau wollten dich ausbooten, Boß. Sie hat ihm einen Haufen Geld versprochen, wenn er sie mit Graton telefonieren läßt. Er hat’s selbst zugegeben.« »Das stimmt nicht!« Jean richtete sich auf. Sie war nur noch ein Häuflein Elend. »Hör zu, Cesare. Es ist alles Quatsch, was Dino erzählt. Ich bat Ted, mir die Kette abzumachen, weil ich aufs Klosett wollte. Ted tat mir den Gefallen. Er schloß die Kette auf und ging zu seinem Bett zurück. Als ich am Telefon vorbeiging, sah ich meine Chance. Ich griff zum Hörer. Ich wollte die Polizei anrufen. Da war Ted schon bei mir und wollte mir den Hörer aus der Hand reißen. Und in dem Augenblick kam Dino rein und hat hier einen Riesenrummel abgezogen.« »Und wer hat das Balkonfenster zertrümmert?« »Das war dieser Schnüffler«, jammerte Ted. »Ich hab endgültig die Schnauze voll«, brüllte Cesare Planetta mit hochroter Rübe. »Hier wird gelogen, daß die Schwarte kracht. Dino, du greifst dir Ted und sperrst ihn im zweiten Stock ein. Du bewachst ihn, bis ich dich rufe.« Planetta hatte noch nicht ausgeredet, da packte Dino seinen verhaßten Partner, zerrte ihn in den Lift und fuhr mit ihm abwärts. Jo bewunderte Jeans Geistesgegenwart und ihren Mut. Er wäre am liebsten aufgesprungen und hätte sie in den Arm genommen. Ein tapferes Mädchen. Aber sie lag noch immer gefesselt auf diesem arschkalten Betonboden, und er wurde unfreiwillig gezwungen, den Zuhörer zu spielen. Und zu sehen, was sich im folgenden abspielte. Denn Cesare Planetta schien ihn völlig vergessen zu haben. Das lag zweifelsohne an seiner geistigen Verfassung. Er war außer sich. Als ob er spürte, daß ihm einige Fäden entglitten waren. Sein plattes Gesicht war wie eingeeist. Mehr Ähnlichkeit mit einer Eidechse als mit einem menschlichen Antlitz war da zu registrieren. Das schmutziggelbe Haar hing in einem verhunzten Pony tief in die flache Stirn. Unter dem knappsitzenden, schwarzen Overall schienen die Muskelpakete zu vibrieren.
Cesare Planetta walzte mit angewinkelten Armen auf Jean zu. »Ich will die Wahrheit, du Schlampe! Komm mir nicht mit so verlogenen Stories wie vorhin. Guck mich nicht so bescheuert an. Raus mit der Sprache!« Jean verzog keine Miene. Sie stand von ihrem Bett auf und sah ihm ins Gesicht. »Es stimmt, was ich sagte. Ted hat damit nichts zu tun. Und dein Dino ist ein verdammter Lügner, der sich an dich ranschmeißen will.« Planetta hob den Arm und schlug sie. Mitten ins Gesicht. Sie stürzte auf das Bett zurück. Er setzte ihr nach und schlug sie wieder und wieder. Jean blieb stumm wie ein Fisch. Es war eine Tortur für Jo, das mitzuerleben. Er knirschte ohnmächtig vor Wut mit den Zähnen. Er ballte die Fäuste, und es wurde ihm endgültig bewußt, daß er nichts tun konnte, solange er mit auf den Rücken gefesselten Händen am Boden lag. Planetta hätte ihn bei der ersten Bewegung kaltblütig abgeknallt. Im Augenblick stampfte der Gangster an ihm vorbei und angelte sich ein Dosenbier aus einem aufgebrochenen Pappkarton. Er riß die Dose auf und schüttete den Inhalt in sich hinein. »Ich glaube dir kein Wort«, keuchte er und wischte sich den Schaum vom Mund. »Dino hat mich noch nie belogen. Ich kenn ihn schon aus meiner Zeit vor dem Knast. Jedes Wort, was er gesagt hat, stimmt. Und Ted ist ein Vollidiot, Er hat sich von dir beschwatzen lassen.« Planetta steckte sich großspurig eine überdimensionale Zigarre ins Gesicht, begann zu paffen und umrundete Jean wie das Raubtier seine Beute. »Ich nehme es dir nicht mal krumm, daß du mit allen Mitteln versuchst, hier auszubrechen. Ich nehme dir nur krumm, daß du das bestreitest. Ich bin stinksauer auf dich, weil du mich für einen Vollidioten hältst. Weil du glaubst, du bist was Besseres.« »Ach, hör doch auf mit deinen Minderwertigkeitskomplexen!« schrie Jean plötzlich. »Du bist ein so mieses, kleines Licht. Ich weiß, daß du mir diesen Mann nicht gönnst.« »Robert Graton?« Cesare Planetta fing an zu lachen. Es war ein höhnisches Lachen, und dahinter steckte der ganze Frust eines Mannes, der es zu nichts gebracht hatte. »Jetzt will ich dir mal was erzählen, Baby. Ich hab’s die ganze Zeit für mich behalten. Aber jetzt sollst du es wissen. Ich gönn dir also diesen Graton nicht. Dann hätte ich dich doch schon längst aus New
York rausgeholt und wäre mit dir über alle Berge. Aber ich bin hier, wie du siehst.« »Warum hat Graton noch nicht gezahlt?« wimmerte Jean. »Oder hast du ihn schon um das Lösegeld betrogen? Ich weiß, daß er jede Summe für mich hinlegt.« »Halt endlich die Klappe! Du mit deinen Illusionen. Ich werde dir sagen, was Sache ist. Halt dich fest: Graton und ich sind Partner. Was sagst du jetzt?« Cesare Planetta hatte die letzten Worte wie Peitschenhiebe rausgeknallt. Silbe für Silbe. Er starrte Jean an, um die Wirkung seiner ungeheuerlichen Aussage bei ihr zu erforschen. Er starrte sie an wie die Schlange das Insekt. Mit glatten, kalten Äugen. Jean wurde blaß. »Jetzt bist du ganz verrückt geworden«, stammelte sie. »Ich kann mir vorstellen, daß dich diese Neuichkeit schafft«, höhnte Planetta. »Finde dich damit ab. Was glaubst du, wie es mir möglich war, aus Sing Sing auszubrechen? Ich will es dir sagen. Graton hat das von draußen organisiert. Er hat eine Bombe hochgehen lassen. Der Coup hat ihn eine Menge Geld gekostet.« »Hör doch auf!« schrie Jean hysterisch. »Willst du mich in den Wahnsinn treiben?« »Am besten, ich fang mal von vorn an«, ließ sich Planetta genüßlich aus. Er schleppte den Bierkarton an Jeans Bett und warf sich ihr gegenüber in einen alten Korbsessel. Dann begann er zu trinken. Es war seine Stunde. Es war die Stunde der Rache, auf die er so lange gewartet hatte. Die Rache dafür, daß Jean sich von ihm hatte scheiden lassen, ohne daß er sich wehren konnte. Weil er im Knast saß. »Du hast Graton kennengelernt. Ihr hattet eine schöne Zeit miteinander. Bis er herausbekam, wer du warst. Aus was für einem Stall du kamst. Daß du die Exfrau eines der berüchtigsten Gangster der Vereinigten Staaten warst.« »Was heißt, er hat es herausbekommen? Ich habe es ihm gesagt, weil das kein Verbrechen ist. Und er hat es akzeptiert.« »Wie auch immer. Es bleibt unterm Strich gehupft wie gesprungen, Darling. Irgendwann habt ihr beschlossen zu heiraten.« »Ja, du hast recht!« Jean trommelte mit den Fäusten auf ihre Brust. »Aber das weiß ich doch alles. Und du? Du hast es in der Zeitung gelesen. Hör auf zu saufen. Du wirst zum Tier, wenn du den Kanal voll hast.« Planetta riß die nächste Dose auf und trank in gierigen Zügen.
Dann lachte er böse auf. Er erhob sich, marschierte ein paar Schritte auf und ab. Kam bei Jo vorbei und stieß ihm den Stiefel zwischen die Rippen. »Der Schnüffler poft wie ein Weltmeister. Dino hat ihn voll getroffen. Dino ist mein bester Mann.« Noch einmal trat er auf Jo ein. »Und du bist der Verlierer, Baby.« Er schwankte zu Jean zurück. »Graton ging es damals nicht so besonders gut. Finanziell, meine ich. Um ehrlich zu sein, ihm stand das Wasser bis zum Hals. Sein Imperium wankte. Er verkaufte ein paar von seinen Käseblättern, um sich zu sanieren. Aber irgendwas mußte er unternehmen, um wieder ins ganz große Geschäft zu kommen. Er brauchte eine Jahrhundertstory. Eine Story, die seine Auflagen in die Höhe treiben würde. Kannst du mir folgen?« Von Jean kam keine Reaktion mehr. Sie starrte mit leeren Augen vor sich hin, und es schien, als erwarte sie undeutlich, daß in den nächsten Minuten eine Welt für sie zusammenbrechen würde. Jo empfand es so. Er konnte sie aus den Augenwinkeln beobachten. Und er war wie vor den Kopf geschlagen. Das, was dieser Verbrecher von sich gab, klang echt, obwohl es über das Vorstellungsvermögen eines normalen Verstandes ging. »Ob du mir folgen kannst, hab ich dich gefragt!« Planetta schleuderte ihr eine halbvolle Bierdose entgegen. Der braune Saft sickerte über ihr weißes Brautkleid. Sie sah ihn stumm an und nickte. »Also gut, dann sperr die Ohren auf. Graton hat vor ein paar Wochen Kontakt mit mir aufgenommen. Er hat mich aus dem Knast befreien lassen und mir den Auftrag gegeben, dich vom Altar weg zu kidnappen.« »Aber das ist doch absurd!« schrie Jean außer sich. »Robby liebt mich!« »Dein Robby? Das ist ein Schlitzohr. Der zahlt keinen Cent für dich. Dafür kassiere ich. Er hat mich engagiert. Er hat mir sozusagen eine Dauerstellung angeboten.« Cesare Planetta stieß ein häßliches Lachen aus und zeigte seine ungepflegten Hauer. »Er hat was vor mit uns beiden. Er will ein berühmtes Gangsterpaar aus uns machen. So ‘ne Art ›Bonnie and Clyde‹ auf der Flucht. Das will er in seinen Zeitungen verbraten, und wir kassieren jede Menge Kies. Na, was hältst du davon?« Jo sah ihn zum Klosett rüberschwanken. Der Gangster schien voll zu sein bis unter die Haarspitzen. Er hatte wahrscheinlich schon den ganzen letzten Tag getrunken, um sich für seine diversen Unterneh-
mungen zu stählen. Und der Alkohol hatte ihm auf verhängnisvolle Weise die Zunge gelöst. Jo rollte sich auf die Knie und federte hoch. Er warf Jean einen beschwörenden Blick zu und schlich sich seitlich an die offene Klotür heran. Er sah Planettas Rücken. Die Spülung setzte ein. Es klang nach einem donnernden Wasserfall. Der Gangster drehte sich um und schob sich aus dem Kabuff raus. Jos Fußtritt traf ihn in der Magengegend. Wie eine Kanonenkugel. Planetta riß Mund und Augen auf. Japste nach Luft. Drehte sich um die eigene Achse und sackte mit einem Gurgeln zusammen. »Kommen Sie, Jean!« rief Jo. »Helfen Sie mir. Suchen Sie die Schlüssel für die Handschellen.« »Er hat Sie nicht gefesselt. Es war Dino. Der hat die Schlüssel eingesteckt. Ich hab’s gesehen.« »Verdammt, dann nehmen Sie diesem Stinktier die Waffe ab.« Jean gehorchte. Sie zog die Magnum aus Planettas Schulterholster. Sie war erregt, und es sah aus, als würde sie ihren Exgatten am liebsten sofort umlegen. »Können Sie mit dem Ding umgehen, Jean?« »Ja. Was soll ich tun?« »Schießen Sie mir die Handschellen auseinander. Drücken Sie die Mündung auf den Steg zwischen den beiden Handgelenken. Beeilen Sie sich. Zielen Sie genau. Stellen Sie sich einfach vor, ich war ein Pianist, der die Finger braucht, um seine Familie zu ernähren.« Jo spannte die Arme hinter seinem Rücken. Der Schuß krachte. Er war frei. Die Handgelenke brannten wie Feuer. Jean drehte den Wasserhahn über dem Waschbecken auf. »Halten Sie die Hände untere Wasser.« »Danke, Jean.« Sie hörten den Lift hochrumpeln. »Verdammt, das ist dieser Dino!« Jo griff nach der Magnum und zielte auf die Neonröhren unter der Decke. Er schoß. Es war stockfinster. »Wie kommt man hier raus, Jean?« »Nur über den Lift. Sie kommen immer über den Lift. Sie sagen, die Treppe ist kaputt.« Jo zerrte Jean auf den Balkon. »Wir springen. Ziehn Sie das Kleid aus. Es drückt Sie unters Wasser.« »Was ist hier los? He, Boß? Wo bist du?«
Es war Dinos Stimme. Sie kam vom Fahrstuhl. Die Dunkelheit schien ihm aufs Gemüt zu schlagen. Er stieß ein wolfsähnliches Heulen aus. Jo packte Jean um die Taille. Er hob sie hoch und schwang sich mit ihr über das Geländer. Sie fielen in die Tiefe. Der Aufprall kam plötzlich. Das Wasser war ölig und kalt. Es schlug über ihnen zusammen. Jo verlor den Körperkontakt zu Jean. Er sah nicht die Hand vor Augen. Die Pestbrühe brannte in den Augen. Er tauchte nach allen Seiten ab, und nach endlosen Sekunden fanden seine Hände ihren Körper. Seine Lunge war kurz vorm Explodieren, als er durch die Wasseroberfläche hochstieß Jean krallte sich in Todesangst in ihn hinein. Er hielt ihren Kopf hoch und erreichte den Kai, als er über sich einen Handscheinwerfer aufflammen sah. Eine gellende Stimme stieß unsinnige Befehle aus. Sie gehörte Dino. Er hatte endgültig die Übersicht verloren. Jo schwamm an der vom Tang glitschigen Kaimauer entlang. Sie ragte hoch über die Wasseroberfläche hinaus. Mit einem Arm hielt er Jean, mit dem anderen tastete er sich vorwärts. Endlich stieß er auf eine senkrechte Eisenleiter. Sie war glatt wie nasse Seife. Sprosse für Sprosse quälte er sich hoch und zog Jean mit sich. Sie hing apathisch in seinem Griff wie an einem Kran. Als er oben war, bellten Schüsse auf. Die Kugeln sangen grell an ihm vorbei. »Verdammt, reißen Sie sich zusammen!« Jo zerrte Jean mit sich, bis sie zusammenbrach. Er warf sie über die Schulter und schleppte sie zu dem Container rüber, hinter dem der Roadster parkte. »He, Jo!« Geraldine lief ihm entgegen. Sie riß die Kamera hoch und schoß Bild auf Bild. Eine Wahnsinnige… »Hilf mir«, fauchte Jo sie an. »Ich bin kein Fotomodell.« Sie luden Jean in den Wagen. Jo schwang sich hinter das Steuer und warf den Motor an. Der Roadster schoß aus seiner Deckung hervor auf die Straße. Jo hatte kein Verlangen, noch einmal zurückzuschauen. Er wollte die Bruchbude, in der er eine der unattraktivsten Stunden in seinem Leben verbracht hatte, nicht mehr sehen. Er ließ die Scheinwerfer aufflammen und aktivierte die dreihundertsechsundzwanzig Pferdestärken, um auf dem schnellsten Weg unter die Dusche zu kommen. »Du hast lange gebraucht«, schmollte Geraldine. »Ich wäre fast gestorben vor Langeweile. Was hast du die ganze Zeit getrieben?«
Jo grinste. Er kannte seine Partnerin gut genug, um zu verstehen, daß sie mit ihrem spröden Gewäsch nur ihre Hochachtung vor seiner Leistung überspielen wollte. »Ich hab meinen Ballermann im Handschuhfach gelassen. Und deswegen mußte ich die Ganoven alle einzeln erwürgen. So was braucht eben seine Zeit.« Jean tauchte auf. Sie schob sich auf dem Rücksitz hoch und blinzelte aus ihren verklebten Augen. Sie sagte nichts. Sie streckte die Hand nach vorn aus. Jo ergriff sie. Er spürte einen leisen Druck. »Ich habe da einen Muntermacher im Türfach«, sagte er zu Geraldine. »Gib ihr einen Schluck. Sonst wird sie sich noch erkälten.« Geraldine fand den Flachmann. Sie schraubte ihn auf und flößte Jean den hochprozentigen Stoff ein. Dann trank sie selbst. Ihr war irgendwie danach zumute. »Wer sind Sie?« fragte Jean. »Jo Walker. Wird ihnen nicht viel sagen.« »In eingeweihten Kreisen nennt man ihn Kommissar X«, ergänzte Geraldine, und es war so etwas wie Stolz in ihrer Stimme. »Wenn Ihnen das weiterhilft.« »Oh….«, hauchte Jean und sank in die Polster zurück. Natürlich kannte sie den Namen. Sie hatte ihn schon öfter gehört. Sie war also von einem der prominentesten Private Detectives zwischen der Westund der Ostküste gerettet worden. »Glauben Sie an die Geschichte, die Planetta über Graton erzählt hat, Jo?« schluchzte sie, und die Bilder der grauenhaften Szene mit ihrem Exmann stiegen ihr wieder ins Gedächtnis. »Was für ‘ne Story?« fuhr ihr Geraldine hellwach in die Parade. »Los, erzähl, Jo. Morgen muß ich meinen nächsten Artikel liefern.« »Kann sein, daß du ‘ne kleine Pause in deiner Berichterstattung einlegen wirst«, antwortete Jo trocken. »So wie die Dinge liegen, muß ich dir bis auf weiteres Schreibverbot erteilen.« »Was soll das heißen, Jo?« »Ihr Pressemiezen seid unerträglich in eurer Neugier. Wart es ab. In der Zwischenzeit bau dich mit autogenem Training oder was weiß ich auf. Ich wette, du fällst vom Stuhl, wenn ich die Bombe hochgehen lasse.« Er griff nach dem Telefon und rief April Bondy an. »Weißt du, wie spät es ist?« giftete sie. »Irgendwann zwischen Abend und Morgen«, brummte Jo werbend. »Ich hab einen anstrengenden Job hinter mir, April. Ich bin in einer guten halben Stunde zu Haus. Schmeiß den Whirlpool an und häng mir den Bademantel raus. Was tust du gerade?«
»Ich bin vorm PC eingeschlafen, Chef.« »Ach so, eh ich’s vergeß. Bezieh ein paar Betten in den Gästezimmern. Ich bring zwei nette Frauen mit. Sie werden dir gefallen.« »Noch was?« wütete es am anderen Ende der Leitung. »Wenn wir gerade dabei sind, du könntest einen starken Punsch machen. Ich bin ins Wasser gefallen. Und wirf doch gleich ein paar Steaks in die Mikrowelle. Mir fällt ein, daß ich seit vierundzwanzig Stunden nichts mehr gegessen habe?« »Was für Frauen?« jammerte April. »Mußt du deine Weibergeschichten jetzt auch noch in dein Büro verlegen?« Jo lachte und legte auf. »Wohnt deine Assistentin eigentlich bei dir?« fragte Geraldine betont desinteressiert. »Im Augenblick schiebt sie ‘ne bezahlte Nachtschicht«, sagte Jo diplomatisch. * »Nein, das ist nicht wahr!« Dino beugte sich fluchend über die beiden geöffneten Alukoffer. Was er sah, ging nicht in seinen Kopf. Nichts als lächerliches Spielgeld. Gebündeltes Papier, das nicht mehr wert war als ein paar lumpige Dollars. Hatte sich Planetta übers Ohr hauen lassen? Er hatte doch selbst bei der Geldübergabe die Koffer geprüft. Irgendwas war da faul. Dino stolperte im Halbdunkel zu Planetta rüber, der noch immer vor dem Klosett lag. Jos Fußtritt war nur das Betthupferl gewesen. Jetzt schlief er seinen Rausch aus. Dino goß ihm rabiat einen Eimer Wasser über den Kopf. Cesare Planetta stöhnte und schüttelte sich. Er riß die verklebten Augen auf. Es fiel ihm sichtlich schwer, sich in die Realität zurückzubeamen. »Was ist los? Kann ich nicht mehr richtig sehen, oder ist es wirklich so dunkel hier?« »Ich hab ‘ne Notbeleuchtung gebastelt, Boß. Komm hoch. Ich helf dir.« Er schleppte Planetta auf ein Bett. »Ich hab einen Schuß gehört und bin hochgerannt. Alles war dunkel. Du lagst am Boden, Boß. Was ist passiert?« »Ich war pinkeln. Dann wurde mir schlecht. Bring mir ‘n Bier.« Nach dem ersten Schluck stand er auf und schnüffelte sich durch die dunkle Halle. Dino dicht hinter ihm. »Suchst du was, Boß?«
»Frag nicht so blöde. Ich hatte Krach mit Jean. Wo hat sie sich verkrochen? Und wo ist dieser verdammte Detective?« »Sie sind ausgerissen, Boß. Über den Balkon runter in den Channel.« »Du Versager hast sie laufen lassen?« Planetta schlug zweimal zu. Mit der flachen Hand. Dino taumelte. »Nein. Ich hab die Frau abgeknallt. Wie du es befohlen hast. Und den Fremden auch. Mit deiner Magnum. Ich bin auf den Balkon. Mit ‘nem Scheinwerfer. Ich hab sie erwischt. Sie sind tot. Mit der Strömung nach draußen abgetrieben. Ich kann es beschwören, Boß. Weil ich es mit eigenen Augen gesehen habe.« »Zeig mir die Kanone.« Dino hatte die Magnum noch im Gürtel stecken. Er zog sie heraus. »Hier ist sie, Boß. Leergeschossen. Überzeug dich selbst.« Cesare Planetta besah sich die Waffe und lud sie nach. Die Ereignisse hatten sich überstürzt. Er versuchte, sie auf die Reihe zu bekommen. Er hatte Dino und Ted eingeschärft, Jean bei einem Fluchtversuch zu töten. Und soweit schien es jetzt gekommen zu sein. Er hatte sich alles genau zurechtgelegt Schon, als Graton ihm dieses seltsame Angebot gemacht hatte, Jean zu entführen. Seitdem war sie nicht nur für den Zeitungsfritzen, sondern auch für ihn ein Goldesel geworden. Jetzt, wo sie tot war, würde sich nichts daran ändern. Er nahm sich vor, Graton nichts von diesem Betriebsunfall zu erzählen und alles beim alten zu belassen. Bisher hatte Graton zwanzigtausend Dollar gezahlt. Und er würde weiter zahlen, um seine Story von dem fluch‘ tigen Gangsterpaar verkaufen zu können. Und deshalb mußte Jean in Gratons Vorstellung weiterleben. »Hast du sie auch wirklich getroffen?« Cesare Planetta stand auf dem Balkon und starrte weit hinaus auf das Wasser. Es lag da wie Blei und verschmolz am Horizont mit dem Nachthimmel. »Keine Sorge, Boß« log Dino. »Ich habe sie beide erledigt. Und ich habe gesehen, wie die Strömung sie mit nach draußen gezogen hat. Die Haie werden sich um sie kümmern.« Cesare empfand kein Mitgefühl für Jean. »Wie ich sehe, hast du die Koffer aus dem Auto geholt, Dino. Und du hast sie aufgemacht. Das wirst du mir erklären müssen.« Dino erschrak. Vor ein paar Minuten noch wollte er seinen Herrn und Meister wegen des Spielgeldes zur Rede stellen. Jetzt zitterte er vor Angst. Es war Planettas Stimme, die ihn irritierte. Sie klang auf einmal gefährlich, sanft. Das war kein gutes Zeichen.
»Sei froh, daß ich sie aufgemacht habe«, jammerte Dino. »Graton hat uns beschissen. Und du solltest mir dankbar sein, daß ich es entdeckt habe.« Er griff in einen der Koffer und schleuderte theatralisch die Bündel unter die Decke. Es war das wichtigtuerische Gehabe eines Underdogs, der seine Haut retten wollte. »Das geht schon in Ordnung, Dino«, sang Planettas Stimme leise und freundlich. »Von Geschäften verstehst du nichts. Die Geldübergabe war getürkt. Es ist zu kompliziert. Geht in deinen Kopf nicht rein. Was hast du mit Ted gemacht?« »Er hat dich gelinkt, Boß«, dienerte Dino sich an. »Ich hab ihm umgelegt. Er liegt im zweiten Stock.« »Das hast du gut gemacht, Dino. Es hat sich einiges geändert. Ich kann kein Personal mehr beschäftigen. Ich bin jetzt ganz allein auf mich angewiesen.« Er hob die Magnum und schoß. Zweimal. Dino starrte ihn an. Mit einem Ausdruck heilloser Panik im Gesicht. Dann warf er die Arme nach oben und kippte nach hinten wie eine Schaufensterpuppe, der man einen Fußtritt gegeben hatte. * Am nächsten Morgen fand in Jos Domizil in der 7th Ave 1133, Ecke 57th West, ein Brunch statt. April fuhr Hams und Eggs auf. In gewaltigen Portionen. Denn Jo hatte Gäste. Geraldine Brooks und Jean. Sie hatten hier übernachtet. Es war ihnen nicht mehr als zwei, drei Stunden Schlaf geblieben. Als erster jedoch war Tom Rowland aufgetaucht, nachdem Jo ihm telefonisch versichert hatte, daß der Tisch sich unter den erlesenen Speisen biegen würde. Tom Rowland war Captain der Mordkommission C/II in Manhattan. Und Jos Busenfreund. Sie stellten im Kampf gegen die New Yorker Unterwelt seit Jahren ein gefürchtetes Team dar und hatten schon einige hochkarätige Ganoven in gerneinsamer Aktion auf die Matte gelegt. Tom hätte von der Figur her locker Bud Spencer doubeln können. Ihn als Freund der guten Küche zu bezeichnen, wäre maßlos untertrieben gewesen. Neben seinem Job, Mörder hinter Gitter zu bringen, widmete er sich vornehmlich der Aufgabe, die Speisekammern von diversen Bekannten und Drei-Sterne-Restaurants leerzufegen. »Ist das alles, was eure Küche zu bieten hat?« dröhnte er nach der zweiten Portion Wildlachs mit Rührei.
»Ich hab noch kalten Truthahnbraten im Angebot«, feixte April. »Shrimps in Mayo und Eiersalat. Was würde dir gefallen, Tom?« »Alles. Her damit. Ich hab die ganze Nacht nichts gegessen. Der Schlaf hat mich leider davon abgehalten.« Er ging mit einem Zahnstocher auf Entdeckungsreise und fixierte Jo mit einem neugierigen Blick. »So, wie ich dich kenne, hast du mich nicht nur eingeladen, damit ich deinen Kühlschrank ausräume. Ich seh’s an deinem Blick, daß du irgendwas auf der Pfanne hast, was mir eventuell meinen Appetit verderben könnte. Spuck es aus, damit ich es hinter mich bringe.« Jo lachte und biß in ein gebratenes Hühnerbein. Der alte Fuchs von der Mordkommission hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. »Ich will dir den Appetit nicht verderben, Tom. Im Gegenteil. Ich habe eine gute Nachricht.« »Dann raus damit, Mann!« »Robert Gratons Frau ist frei.« »Was sagst du da?« fuhr der Captain hoch. Er feuerte seine riesige Tuchserviette auf den Tisch und sprang mit einer Behändigkeit auf, die ihm keiner zugetraut hätte. Er wanderte vom Eßzimmer in die Wohnhalle und zurück. Er schob sich eine Havanna zwischen die Zähne und fing an zu qualmen. Tom war aus dem Häuschen. Seine Leute hatten sich seit Tagen mit diesem Fall beschäftigt und waren keinen Schritt weitergekommen. Es gab nur eine hochinteressante Information. Mehr nicht. »Ich gehe richtig in der Annahme, daß du sie befreit hast?« »So ist es«, sagte Jo trocken und machte sich über seinen Salat her. »Ich habe sie Cesare Planetta abgejagt. Es war ein schweres Stück Arbeit.« »Und wo ist sie? Wo hast du sie versteckt, Jo?« »Sie sitzt hier am Tisch. Ich habe sie dir vorhin vorgestellt. Es ist Jean.« »Verdammtes Schlitzohr!« schäumte der Captain. »Unverschämt, einen alten Freund wie mich derart vorzuführen.« Er starrte Jean an. Er hatte ihr Foto in seinem Büro auf dem Schreibtisch liegen. Und jetzt erkannte er sie nicht. Sie trug einen Bademantel. Ihre roten Haare waren in ein Frotteetuch eingeschlagen. Sie versteckte ihr Gesicht hinter einer großen, getönten Brille. »Entschuldigen Sie, Madam…«, stotterte Tom verlegen. »Ist schon okay. Sagen Sie Jean zu mir. Ich habe abgebaut in den letzten Tagen. Wie sollen Sie mich erkennen?«
»Warum sind Sie nicht bei Ihrem Mann, Jean?«, fragte Tom irritiert. »Weißt Graton noch nichts von seinem Glück?« »Das ist eine gute Frage, Captain«, sagte Geraldine, die frisch geschminkt aus dem Bad kam. »Und Jo hat eine interessante Antwort darauf.« »Also, raus damit, Jo«, polterte Tom. »Es liegt doch was in der Luft. Wieso hockt Ihr hier alle völlig unbeteiligt herum, wo doch die ganze Nation danach fiebert, daß dieser Entführungsfall endlich aufgeklärt wird?« »Es ist nichts geklärt, Tom. Die Geschichte wird immer undurchsichtiger. Was hältst du von der Vorstellung, daß Graton und Planetta zusammenarbeiten?« Tom Rowland hüllte sich in eine Zigarrenwolke. »Der Verleger und der Gangster«, fuhr Jo fort. »Sie planen gemeinsam die Entführung und fuhren sie durch. Jeder in seiner Rolle. Graton hat seine große Story, und für Planetta fällt auch einiges dabei ab.« »Und woher beziehst du deine kühne These?« fragte Tom. »Planetta hat im Suff geplappert. Er wollte Jean fertigmachen. Ich war dabei. Ich hab’s mit meinen eigenen Ohren gehört.« »Es stimmt«, sagte Jean. »Genauso war es. Was Planetta sagte, hat mich furchtbar mitgenommen. Zuerst hab ich ihm nicht geglaubt. Aber jetzt bin ich mir sicher, daß er die Wahrheit gesagt hat. Weil er überhaupt nicht die Phantasie hat, so etwas zu erfinden.« Dann brachte Jo die Geschichte mit der Geldübergabe. Ironisch gewürzt. Mit ein paar entsprechenden Seitenblicken auf Geraldine Brooks. »Du meinst, die haben das nur veranstaltet, damit Graton neuen Stoff und neue Bilder für seine Story hat?« empörte sie sich. »Jetzt geht aber die Phantasie mit dir durch, Jo.« »Ich sage dir, was ich von Graton halte. Er ist ein Schizotyp. Er hat in einer finanziell prekären Situation den Überblick verloren. Und dann ist ihm in seinem kranken Hirn die Idee gekommen, seine Zeitungen mit einer sensationellen Fortsetzungsstory zu sanieren. Das scheint ihm auch bis jetzt gelungen zu sein. Und er benutzt deinen guten Namen als Journalistin, um die Story glaubwürdig rüberzubringen. Er hat dir eine professionelle Geldübergabe hingelegt, damit du ihm Fotos machst. Mit zwei Koffern. Und ‘ner attraktiven Ballerei. Kein Toter. Keine Verletzten. Nur die Hauptperson fehlte. Das gekidnappte Opfer. Jean wurde nicht übergeben, weil die Story ja irgendwie weitergehen muß. Und in den beiden Koffern war kein Geld. Vielleicht Gratons alte Socken oder was weiß ich.«
»Wenn das wahr sein sollte, bring ich Graton um«, schrie Geraldine hysterisch, »Oder noch besser: ich dreh den Spieß um und reiß ihm die Maske runter. Ich werde ihn in den Medien verheizen…« »Und wirst der Superstar in deiner Branche«, grinste Jo. »Ihr redet hier alle rum, als ob es mich überhaupt nicht gäbe«, fiel Jean aggressiv in die Runde ein. »Denkt keiner daran, was ich durchgemacht habe, und wie’s mit mir weitergehen wird?« »Du bist doch bestens aus dem Schneider«, ereiferte sich April, die sich bisher Vornehm zurückgehalten hatte. »Du bist schließlich mit Graton verheiratet. Du läßt dich scheiden, und jeder Richter wird dir ein paar Millionen Abfindung zugestehen.« Jo und Tom zogen sich diskret in die Wohnhalle zurück und überließen die Damen ihren Spekulationen. »Wir müssen die Sache vorsichtig angehen«, sagte der Captain. »Wir müssen Graton in Sicherheit wiegen und ihn von hinten aufrollen.« »Du glaubst mir also?« fragte Jo interessiert. »Was hast du für Grunde? Immerhin ist noch nichts bewiesen, und Planetta kann sich die ganze Geschichte aus den Fingern gesogen haben.« »Wir haben Erkenntnisse, daß Graton hinter dem Bombenanschlag in Sing Sing steckt. Er scheint das Ding über Mittelsmänner finanziert und organisiert zu haben.« Jo stieß einen leisen Pfiff aus. »Entführung fällt ja eigentlich nicht in mein Ressort«, sagte Tom. Er qualmte sich ein und zwinkerte Jo verschwörerisch zu. »Aber in Sing Sing sind bei der Explosion ein paar Gefangene hopsgegangen. Die den Anschlag verübt haben, sind Mörder. Die Spur führt zu Graton. Ich seh das als meinen Fall an. Was hältst du davon, daß wir beide uns die zwei Goldjungs zur Brust nehmen?« »Graton und Planetta, ein reizendes Pärchen«, überlegte Jo. »Wir müßten sie beide zusammenbringen und sehen, was passiert. Jetzt, wo Jean verschwunden ist, werden sie Zoff miteinander bekommen.« Es dauerte noch eine gute halbe Stunde, bis sich Jo und Tom darüber einig waren, wie sie vorgehen wollten. Sie gingen ins Eßzimmer zurück und setzten sich zu Geraldine, die mit April in Sachen Jo Walker herumeifersüchtelte. »Ich schlag vor, du gehst jetzt in die Redaktion«, sagte Jo. »Versuch, Graton zu erwischen. Erzähl ihm, wie spannend es letzte Nacht war mit der Kofferarie, und wie dich das mit den Nerven runtergebracht hat. Und wie bedauerlich es ist, daß die Gangster ihn übers Ohr gehauen haben. Na ja, du weißt schon. Laß dir nicht anmerken. Tu so, als wäre weiter nichts geschehen.«
»Okay, Jo. Ich werde alles tun, was du sagst. Aber ich will als erste auf dem laufenden gehalten werden. Graton gehört mir.« Geraldine warf sich die Kameratasche über die Schulter und stiefelte geladen hinaus. »He, April. Wo ist Jean abgeblieben?« Jo stand auf und schaute sich in der Wohnung um. April lief hinter ihm her. »Sie wollte sich ein bißchen hinlegen«, sagte sie. »Sie sah auf einmal ganz schlecht aus. Vielleicht ist sie auch im Bad?« Jean war nicht im Bad. Sie war auch nicht in einem der Gästezimmer. Sie war verschwunden. Und als April die wenigen Kleider, die sie in Jos Wohnung hängen hatte, durchzählte, fehlte eines von ihnen. Es fehlte Geld aus ihrer Tasche und der kleine Astra-Revolver, den sie immer bei sich trug. »Jean ist durchgebrannt«, knurrte Jo, und ihm schwante Böses. »Ich wette, daß sie Graton einen Besuch abstattet. Wir müssen sie abfangen, bevor sie Scheiße baut. Die läuft Amok, wenn wir sie nicht stoppen.« Er schnappte sich den Captain und stürmte mit ihm aus der Wohnung. * »Sie sind naiv, Rob. Verdammt, hätten Sie nur die Polizei eingeschaltet. Jetzt sind Sie das Geld los, und Jean ist noch immer in den Händen der Banditen.« Geraldine Brooks musterte den Verleger, der hinter seinem Schreibtisch mehr hing als saß. Er spielte gekonnt den Verzweifelten und schüttete Whisky in sich rein. Er gab sich den Touch eines Mannes, der eine Schlacht verloren hatte. »Schimpfen Sie nur mit mir, Geraldine. Sie haben recht, ich bin ein Idiot. Ich habe Planetta unterschätzt. Ich glaubte, es gäbe noch so eine Art von Ganovenehre.« »Sie sind ein Traumtänzer, Rob«, flötete Geraldine. »Vielleicht tröstet Sie die Tatsache, daß ich eine Menge Fotos von dem mißglückten Deal und der Ballerei geschossen habe. Die ganze Welt wird sehen, daß Sie Ihr Leben für das Ihrer Frau eingesetzt haben. Nur die Bullen werden mit Ihren Alleingängen nicht einverstanden sein. Aber das ist Ihre Sache.« Robert Graton stand auf. Er überragte Geraldine um Kopfeslänge. Er war eine elegante Erscheinung, und sie bedauerte es, daß er fast schon ein verlorener Mann war. Ein Mann, der nicht sah, daß die Geier schon über ihm kreisten, um seinen Leichnam zu fleddern.
»Schreiben Sie die nächste Folge, Geraldine. Gehen Sie in die vollen. Ich will das heute abend lesen. Legen Sie mir die Fotos dazu, damit ich eine Auswahl treffen kann.« Er nahm seinen Hut, küßte Geraldine auf die Wangen und ging mit ihr hinaus. Im Vorzimmer entließ er sie. Dann gab er seiner Sekretärin ein paar Instruktionen. »Ich fahr nach Haus und leg mich aufs Ohr. Stellen Sie bitte keine Telefonate durch. Um 16 Uhr bin ich zurück.« »Okay, Boß«, dienerte die Platinblonde hinter dem PC. »Ruhen Sie sich aus. Sie haben’s verdient.« Robert Graton nahm den Privatlift. Die Kabine jagte lautlos nach unten in die Tiefgarage. Der weiße Caddy Eldorado stand in der Nähe der Lifttür. Graton stieg ein. Er ließ den Sitz nach hinten surren und atmete tief durch. Sein magerer Körper stieß Warnsignale aus. Es waren keine Schmerzen. Es war ein hypernervöses Vibrieren. Seine Hand tastete nach einem der Papiertütchen im Türfach. Er riß das Tütchen auf und schüttete das weiße Pulver auf seine Zigarettenschachtel. Mit einem Plastikrohr zog er sich das Pulver in die Nase. Das Kokain fegte in die Gehirnwindungen und explodierte in einem Pilz von Power. Das Blut tanzte. Die Batterien waren geladen. Robert Graton entspannte sich und spürte zugleich höchste Konzentration. Er stellte das Radio an und summte eine lächerliche Melodie mit. Er war fit bis unter die Haarspitzen; Mit einer lässigen Bewegung schob er den Knüppel in den Rückwärtsgang. Als er in den Rückspiegel schaute, sah er Jean. »Hallo, Darling«, schnurrte sie. Graton spürte die kalte Revolvermündung in seinem Genick. Er hörte sein Herz hämmern. Ein juckender Schweißfilm überzog sein Gesicht. Er fühlte sich in ein tiefes Loch fallen. In seinem Kopf pulsierten Gedankenfetzen und produzierten Panik, die seinen Körper wie eine Meute reißender Hunde überfiel Er versuchte, etwas zu sagen, aber seine Mundhöhle war staubtrocken. »Seit wann kokst du, Darling?« Jeans Stimme klang kühl und freundlich interessiert. Sie strich ihm von hinten über sein volles, frisch getöntes Haar. Sie behandelte ihn wie einen armen Hund, der auf dem Weg zur Klapsmühle ist. Ihr Streicheln war voller Ironie. Robert Graton spürte entsetzt, wie die Droge in eine tiefe Depression umsehlug. »Ich muß hier raus«, sagte er mit rauher Stimme. »Die Garage fällt mir gleich auf den Kopf.« »Aber selbstverständlich«, sagte Jean. Er sah sie im Rückspiegel.
Sie war ungeschminkt. Ihre Haare hingen in feuchten Strähnen vom Kopf herunter. Sie steckte sich eine Zigarette an und benutzte den hinteren, elektrischen Anzünder. Keine Sekunde ließ sie den Revolver von seinem Hals gleiten. Graton setzte den Eldorado nach hinten. Dann stellte er den Knüppel auf Drive und fuhr langsam zum Ausganghoch. Die Sekunden quälten sich hin wie Ewigkeiten, und er wußte nicht, wie er die nächste Stunde überleben sollte. »Wir fahren nach Hause«, räusperte, er sich. »Da reden wir miteinander. Steck die Waffe ein. Ich bin kein Verbrecher.« »Wir fahren nach Brooklyn, Darling. Zu Planetta. Und dort reden wir miteinander. Wir drei. Du wirst ja wissen, wo er wohnt Wenn nicht, zeig ich dir den Weg.« »Ich versteh nicht, Jean…« Graton erschrak bis ins Mark. Sie schien etwas zu wissen. Tausend Fragen nebelten ihn ein. Was war passiert? Wie war sie hierhergekommen? Was hatte sie vor? Er schob sich in den Verkehr auf der Fifth Ave. In Richtung Manhattan Bridge. Sie führte nach Brooklyn. * Cesare Planetta wachte aus wüsten Träumen auf. Er richtete sich ächzend auf. Die Mittagssonne knallte durch die hohen Fenster in die Fabriketage und blendete ihn. Er rieb sich die entzündeten Augen. Seine Klamotten waren im Schlaf durchgeschwitzt und stanken. »Du verkommst allmählich, Cesare«, grunzte er vor sich hin und wälzte sich aus dem Bett. Er stapfte auf den Balkon und schaute über das Wasser. Containerschiffe zogen vorbei. Die Möwen kreischten über ihm. Eine warme Brise kam vom Meer. Die Welt schien in Ordnung. Dann entdeckte er Dinos Leiche. Fast wäre er drüber gestolpert. Er erschrak. Er faßte sich an den Kopf und versuchte, einige Dinge auf die Reihe zu bekommen. Es gelang ihm nicht. Oder da waren nur Schlieren der Erinnerung. Cesare Planetta hatte einen Filmriß. Er fluchte über sich und den Alkohol. Mehr gelang ihm nicht. Seit Jahren war er im Knast ohne Stoff gewesen, und jetzt bekam er die Rechnung für die reichliche Dröhnung, die er sich gestern verpaßt hatte. Der erste Schluck Pulverkaffee schmeckte widerlich und kam ihm wieder hoch. Er schleuderte den Becher fort und griff nach einer Do-
se Bier. Der Stoff machte ihn ruhig, und es gelang ihm, sich an das, was in der letzten Nacht passiert war, in groben Zügen zu erinnern. Da war die »Geldübergabe«, von der Graton am Telefon gesagt hatte, daß sie wichtig sei wegen irgendwelcher Fotos. Dann die Auseinandersetzung mit Jean, und wieder ein Loch in der Erinnerung. Später sagte Dino, er hätte sie abgeknallt oder so ähnlich. Cesare fluchte. Er konnte sich keinen Reim auf die Geschichte machen. Er rauchte und trank. Er zählte sein Geld und war beruhigt, daß man ihn nicht bestohlen hatte. War da nicht noch ein Fremder gewesen? Ein Schnüffler, den Dino mit Handschellen gefesselt hatte? Es schien ratsam, dieses Rattenloch zu verlassen und sich irgendwo anders einzuquartieren. Und Jean? Wenn sie wirklich tot war, mußte er einen Dreh finden, sich das Geschäft mit Graton zu erhalten. Er warf wahllos ein paar Klamotten in einen der Alukoffer. Es war unzählige Male in seinem Leben so gewesen. Irgendwann hatte er plötzlich sehr schnell die Koffer packen müssen. Es hätte sich eine innere Unruhe in ihm eingenistet. Schon seit langem. Er war ständig auf dem Sprung. Nur in den Knastzeiten war er etwas zur Ruhe gekommen. Aber auch da wurde unter Streßbedingungen das nächste »Ding« ausbaldowert. Das »Ding«, das zur Zeit lief, stand unter keinem günstigen Stern. Davon mußte sich Planetta notgedrungen überzeugen lassen, als Jean auftauchte. Sie kam von hinten. Das erste, was er von ihr wahrnahm, war ihre Stimme. »Flossen hoch, Planetta!« Er drehte sich langsam um. Jean stand am Lift mit einem Revolver in der Hand. Sie trug ein hinreißendeis grünes Kleid. Ihre roten Haare schienen zu lodern. Die Augen waren kalt wie Steine. Zwei Schritte vor ihr stand Robert Graton. Er hielt die Arme hochgestreckt, und Planetta entschloß sich spontan, das gleiche zu tun. Er wußte aus früheren Zeiten, daß Jean die Begabung hatte, bei Bedarf in einer unberechenbaren Weise auszuklinken. Außerdem schoß sie sicher und genau wie ein Profi. »Ihr beide habt ausgespielt«, fauchte Jean und trieb sie in eine Ecke der Halle. Es wurde ihnen klar, daß hier so etwas wie eine Abrechnung stattfinden würde. Jean entwaffnete Planetta und prüfte das Magazin der Magnum. Es war fast gefüllt. Sie entdeckte Dinos Leiche und den gepackten Koffer ihres Exmannes. Sich darauf einen Reim zu machen, fiel ihr nicht schwer. »Du willst den Abflug machen, Planetta. Du hättest dich etwas be-
eilen müssen. Dafür ist es jetzt zu spät.« Sie genoß den Anblick der beiden Typen, die sie fertigmachen wollten. »Was seid ihr für zwei erbärmliche Figuren. Ein versoffener Gangster und ein koksender Altyuppie, den ich bis gestern geliebt habe.« »Hör zu, Jean«, jammerte Graton. »Ich weiß nicht, was Planetta dir für einen Unsinn aufgetischt hat. Ich bin unschuldig an deiner Entführung. Ich schwöre es dir. Ich liebe dich.« Die Antwort kam von Planetta. Er drehte sich, und seine offene Pranke traf Graton mitten im Gesicht. Der Pressemogul stürzte aufheulend in die Knie. Er verbarg seinen Kopf unter den Armen. »Du Stinktier!« brüllte Planetta. »Willst du deinen Hals aus der Schlinge ziehn? Komm mir nicht so. Ich habe Jean von unserem Deal erzählt. Und zwar in allen Einzelheiten. Zier dich nicht und beichte. Es ist sowieso alles zu spät.« »Ja, beichte!« schrie Jean hysterisch. »Ich will alles hören. Heul dich aus, du Versager!« Sie war wie von Sinnen. Man hatte sie gedemütigt. Ihre Seele totgetreten. Ein ohnmächtiger Haß brach aus ihr heraus. Sie riß die Magnum hoch und schockte die beiden Männer mit ein paar Warnschüssen, die ihre Bewegungsfreiheit bedrohlich einschränkten. »Ich will alles wiedergutmachen«, fistelte Graton in Todesangst. Er warf sich wie Planetta auf den Boden. Sie krochen in sich zusammen. Elende, feige Bündel. Abschaum der New Yorker High Society und des Staatsgefängnisses Sing Sing. »Ich will ein Geständnis.« Jean näherte sich Graton und beugte sich über ihn. Sie preßte ihm den Lauf der Magnum an die Schläfe. Planetta rollte sich blitzschnell zur Seite. Er hob die Faust und trümmerte Jean die Beine unter dem Körper weg. Sie schlug nach hinten auf den Beton und blieb stöhnend auf dem Rücken liegen. Planetta griff nach seiner Waffe und zerrte Robert Graton hoch. Er stieß ihn vor sich her und trieb ihn in den Fahrstuhl. Im zweiten Stock zwang er seinen Partner, zwanzig Liter Benzin aus einem Kanister über den Boden und die hölzernen Regale zu schütten. »Zünd es an, Graton. Machen wir ein Ende mit diesem Miststück da oben. Los, zier dich nicht. Das paßt nicht zu dir!« Graton gehorchte. Helle Flammen schlugen hoch. Die Hitze trieb sie in den Lift. Sie fuhren nach unten, hetzten raus auf die Straße und stiegen in den Cadillac. Als Graton losfuhr, spürte er Planettas Waffe im Rücken. Er war als
Verlierer gekommen und fuhr als Verlierer wieder ab. Nur die Beifahrer hatten gewechselt. »Ich steige aus«, knurrte Cesare Planetta. »Deine Geschäfte sind mir zu windig, Graton. Ich hab nichts als Ärger, seit ich aus dem Knast raus bin. Dein Plan war größenwahnsinnig. Hab ich dummerweise zu spät erkannt. Jetzt ist Zahltag. Fahr mich zu dir nach Haus. Wir wollen mal gucken, was du in deinem Safe gebunkert hast. Wenn’s für mich reicht, bist du mich los. Wenn nicht, muß ich dir Beine machen.« Robert Graton antwortete nicht. Er registrierte nur, daß er auf dem Tiefpunkt seiner Karriere angelangt war. * »Was findest du an dieser Gegend, Jo?« Tom Rowland starrte finster nach draußen. Eine deprimierende Stadtlandschaft. Es sah aus, als hätten hier vor zwanzig Jahren mehrere Tornados zugleich gewütet, und danach wäre nichts aufgeräumt worden. South Brooklyn. »Mein Riecher führt mich hierher«, sagte Jo. »Hat mich selten getäuscht. Graton war nicht in seinem Büro. Und zu Hause war er auch nicht. Jean ist verschwunden. Ich schätze, daß die beiden Krieg miteinander führen. Der Kriegsschauplatz könnte hier sein. Eine Fabrik. Planettas Anlaufadresse. Da ist mir Jean schon mal über den Weg gelaufen.« Ein Cadillac mit dunkel getönten Scheiben tauchte vor ihnen auf und raste mit halsbrecherischer Geschwindigkeit in Richtung Manhattan vorbei. Jo sah in den Rückspiegel. Robert Graton fuhr so einen Schlitten. Das war kein Zufall. Der Caddy schien es eilig zu haben. Es sah nach Flucht aus. Saß Jean mit im Wagen? »Den greif ich mir«, fluchte Jo und trat in die Bremsen. Der Roadster ging in die Knie und drehte auf der verlassenen Straße. »Ich wette um ‘ne Kiste Dimple, daß da unser Presseheini drinsitzt.« »Es brennt«, kam es trocken vom Captain zurück. »Da ist ‘ne Fabrik, die qualmt wie ‘ne schlechte Zigarre.« Jos Blick hetzte zurück. Es war Planettas Hauptquartier, das in Flammen stand. Wieder drehte er. Die Pneus jaulten auf. Der Roadster schoß auf die Fabrik zu. Aus dem zweiten Stockwerk prasselte das Feuer. Der dritte war in giftig gelben Qualm eingehüllt. Ein Müllwagen fuhr achtlos vorbei. Ein
paar Kids blieben stehen und warfen gelangweilte Blicke. In diese Gegend verirrte sich keine Feuerwehr. Jo und Tom Rowland sprangen aus dem Wagen. Sie rannten in die Toreinfahrt. Der Lift rührte sich nicht mehr. Jo lief um die Ecke. »Ich kenn mich hier aus!« rief er. »Bleib unten, Tom!« »Da fällst du mir allein nur runter«, schnaufte der Captain und wuchtete sich hinter Kommissar X die Feuerleiter hoch. »Hier bin ich letzte Nacht schon mal hoch, Tom. Es sind vierundsechzig Sprossen. Acht davon mußt du auslassen. Die bestehen nur noch aus Rost.« »Vielen Dank für den Tip.« Sie hechelten sich hustend durch einen Funkenregen. Es war heiß, und der Wind trieb den beißenden Qualm aus den leeren Fensterhöhlen. Jo erreichte den Balkon im dritten Stock. Er flankte über das Geländer und packte Tom am Arm. Er hievte den Captain unter Aufbietung aller Kraft nach oben. »Verdammt schlechte Sicht. Machen wir einen Stoßtrupp durchs Gelände.« Keuchend kämpften sie sich durch die ätzenden Schwaden. Jo erreicht das Waschbecken und drehte den Wasserhahn auf. Sie steckten die Köpfe unter den Strahl. Dann suchten sie weiter. Tom Rowland stolperte über Dinos Leiche. Jo fand Jean. Sie lag am Boden und rührte sich nicht. Ihr Gesicht war ausdruckslos. Das Herz schlug. So, wie sie lag, mußte sie mit dem Kopf auf den Beton geschlagen sein. Es sah nach einer Gehirnerschütterung aus. »He, Tom! Ich hab sie gefunden!« Der Captain tauchte hustend in dem Qualm auf. Er hielt sich einen nassen Lappen vor den Mund und deutete zum Lift. Aus dem offenen Schacht schlugen hohe Flammen. Sie schleppten Jean auf den Balkon. Es war sinnlos zu springen. Diesmal würde Jean es nicht überleben. Tom verschwand und tauchte mit einem Bettlaken auf. »Ich binde sie dir auf den Rücken.« »Okay, Tom. Schnall sie fest.« Jo bückte sich nach vorn. Tom zerriß das Laken. Er schob Jean auf Jos Rücken Und zurrte sie fest. »Wir steigen ab, Jo.« Der Captain rollte sich über das Geländer und tauchte nach unten in die hochquellenden Qualmwolken ab. Jo stieg hinterher. Irgendwann erreichten sie den Boden.
»Ins nächste Krankenhaus mit ihr«, keuchte Tom. Er band Jean los und trug sie in den Wagen. Jo sprang hinter das Steuer. Sie fuhren los. »Die Kleine scheint einen verdammten Hang zu alten Fabrikgemäuern zu haben. Ich schwöre dir, Tom, daß ich sie hier das letzte Mal rausgebaggert hab!« »Ich hab Kohldampf«, raunzte Tom Rowland. »Sobald wir sie abgeliefert haben, muß ich mir was zwischen die Zähne schieben. Hast du noch was Interessantes in der Richtung im Kühlschrank?« Jo wieherte los. Seine Stimme tremolierte zwischen Baß und Sopran. Er schien etwas zuviel Feuer geschluckt zu haben. * Robert Gratons Anwesen lag exklusiv. Südlich des Kennedy Airports an der Rockaway Beach. Umgeben von Kiefernwäldern und mit eigenem Strand. Es war ein pseudomaurischer, weißer Kitschbau aus den fünfziger Jahren. Ein flaches Viereckgebäude mit Innenhof und Springbrunnen. »Sehr nobel, wie du hier haust, Graton.« Cesare Planetta stieg aus und dirigierte den Verleger mit vorgehaltener Waffe ins Haus. Sie landeten in Gratons Bibliothek. »Kein Personal im Haus? Irgendwelche Putzen oder Gärtner?« »Nein«, sagte Graton. Seine Stimme zitterte. Er war total erschöpft. »Hör zu, Planetta. Ich muß mich setzen. Hast du was dagegen? Mir geht es nicht gut.« »Tu dir keinen Zwang an, Partner«, grinste der Gangster. »Hau dich da auf das Sofa. Ja, Beinchen hoch. So ist es gut. Ich werde dich ein bißchen einwickeln. Das mußt du verstehen.« Planetta stieß Graton auf einen niedrigen Diwan. Er riß eine Gardinenkordel ab und fesselte ihn an Händen und Füßen. Dann ging er hinaus und fuhr den Eldorado in die Garage. Er verschloß die Garagentür von innen und ging von dort aus auf Entdeckungstour durch das Innere des Anwesens. Er schlich sich staunend durch die luxuriös ausgestatteten Räume und fahndete nach dem Hauspersonal. Graton schien die Wahrheit gesagt zu haben. Das Haus lag wie im Schlaf, und nichts rührte sich. Planetta entdeckte einen gutbestückten Waffenschrank, eine ebenso reich sortierte Bär und einen gefüllten Kühlschrank. Das reichte ihm fürs erste. Nach einer Weile kehrte er mit Bierdosen und Sandwiches beladen in die Bibliothek zurück. Er warf sieh Graton gegenüber in einen Sessel und stöhnte wohlig auf.
»Weißt du, was ich mir überlegt hab, Partner? Ich bleibe hier. Mir gefällt’s bei dir. Eine schnuckelige Behausung. Grad richtig für meines Vaters Sohn. Was hältst du von meiner Idee?« »Ich zahl dich aus, Planetta«, stöhnte Robert Graton. »Sag, was du für einen Neuanfang brauchst. Du bekommst es, und dann verschwinde.« »Neuanfang? Wie vornehm, Partner. Klingt nach Existenzaufbau. Aber ich muß mal ‘ne Pause einlegen. Meine Nerven, verstehst du? Ich bin dein Gast für die nächste Zeit. Wenn dir das nicht paßt, muß ich leider den Staatsanwalt anrufen und aus dem Nähkästchen plaudern. Er wird sich freuen, wenn er von mir erfährt, was du mit deiner Frau so alles angestellt hast.« Planetta knallte sich ein Bier rein, rülpste wohlig und quälte sich aus dem Sessel hoch. Ganz wie ein behäbiger Hausherr, dem nach ein paar Verdauungsscnritten war. Er spazierte durch die Bibliothek und gaffte sich die Augen aus. Impressionisten an den Wänden, chinesische Seidenteppiche und eine hervorragend sortierte Erstausgabensammlung der europäischen Klassikerliteratur des 19. Jahrhunderts. Cesare Planetta verstand von diesen Dingen nicht viel, aber es gefiel ihm alles sehr gut. Es war irgendwie sehr gemütlich bei diesem Pressemogul. »Hier habe ich Ruhe vor den Bullen«, schwärmte der Gangster. »Wer käme auf die Idee, daß ich bei dir Untermieter zum Nulltarif bin? Ich find das genial, muß ich sagen.« Das Telefon klingelte. Planetta zuckte zusammen. Sein Gehirn rotierte. Was sollte er tun? »Melde dich, Graton«, zischte er. »Tu so, als war nichts. Ganz locker vom Hocker. Mach mir keine Schande, sonst blase ich dir das Licht aus.« Planetta hielt Graton den Hörer ans Ohr. Zugleich stellte er den Lautsprecher an, um mitzuhören. »Hier Graton.« »He, Rob. Ich bin’s, Edward. Wie geht’s dir? Wir lesen deine Serie über diese scheußliche Entführung. Hat sich was Neues ergeben? Hast du ein Lebenszeichen von deiner Frau?« »Nein, Edward«, sagte Graton mit fester Stimme. »Aber ich hoffe noch immer, daß sich alles zum Guten wenden wird.« »Meine Frau gibt morgen abend eine kleine Party«, kam es vom anderen Ende der Leitung. »Raff dich auf und komm rüber. Vielleicht bringen wir dich mal auf andere Gedanken.« »Weißt du, Edward, ich bin voll ausgebucht. Ein anderes Mal sehr
gerne. Grüß deine Frau.« »Versteh ich, Rob. Nichts für ungut. Ich melde mich wieder.« Planetta griff nach dem Hörer und legte auf. Er machte ein sehr zufriedenes Gesicht. »Gut gemacht, Partner«, kicherte er zufrieden. Er walzte sich erneut in seinen Sessel zurück, biß in ein Sandwich und bot Graton mit einer vertraulich anbiedernden Geste ein Stück davon an. »Willst du auch was mampfen, Kumpel?« Robert Graton wandte angewidert seinen Kopf ab. Er hatte sich nie im Leben träumen lassen, daß ein Ausflug in die Kriminalität mit soviel deprimierenden und ekelhaften Begleiterscheinungen verbunden war. »Weißt du was, Graton?« plauderte Cesare Planetta in vertraulichem Ton weiter. »Ich hab mir schon die nächste Fortsetzung für deine Horrorstory ausgedacht: Der große Planetta flieht mit seiner Exfrau in die mexikanischen Berge! Ist das nicht geil? Wie hoch ist das Honorar, das du mir dafür zahlst?« Er kugelte sich vor Lachen. »Ich hab heute nachmittag ein paar wichtige Termine im Verlag«, stöhnte Robert Graton verzweifelt. »Es wird auffallen, wenn ich nicht erscheine.« »Ach, das haben wir doch gleich. Du meldest dich einfach krank. Der eigene Chef meldet sich in seinem Büro krank, ha, ha. Gib mir mal deine Nummer. Los, zier dich nicht. Spuck sie aus.« Planetta versetzte Graton einen brutalen Schlag. Mit einem Grinsen auf den Lippen. Zur Ermunterung. Und Graton murmelte verzweifelt seine Durchwahl. Wieder legte ihm der Gangster den Hörer ans Ohr. »Mir geht’s nicht gut«, meldete sich Graton bei seiner Sekretärin. »Ich bleibe heute nachmittag zu Hause. Ob ich morgen komme, weiß ich noch nicht. Verlegen Sie alle Termine.« Cesare Planetta brach das Gespräch hochzufrieden ab. »Das war gekonnt, Partner. Wie’n kleiner Angesteller, der sich vor der Arbeit drückt. Und jetzt sagst du mir, wo du deinen Safe versteckt hast.« * Geraldine Brooks fegte in das Vorzimmer des Chefs. Sie trug eine Mappe unter dem Arm. »Ich muß den Boß sprechen«, sagte sie. »Melden Sie mich bitte an.« Die Sekretärin schaute ratlos drein. »Er ist zu Hause. Ihm geht es nicht gut. Er hat vor zehn Minuten angerufen. Wahrscheinlich kommt er morgen auch nicht. Ich weiß nicht, was mit ihm los ist. Er hat am
Telefon so merkwürdig geklungen. Es ging ihm doch noch gut, als er heute vormittag hier war.« Sie seufzte tief. »Wenn Sie mich fragen, trinkt der arme Mann zuviel. Das Schicksal seiner Frau…« Geraldine drehte sich auf dem Absatz und ging hinaus. Was sollte sie tun? Der Artikel mußte abgenommen werden, und die Fotos waren auch schon fertig. Außerdem kam ihr Gratons Krankmeldung mehr als seltsam vor. Sie entschloß sich spontan, bei ihm vorbeizufahren. Ein paar Minuten später saß sie in einem Taxi. Der Driver war ein junger, hübscher Schwarzer. Er fuhr einen heißen Stiefel. Immer wieder musterte er Geraldine neugierig im Rückspiegel. »Ich glaub; ich kenn Sie, Miß. Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor. Kann es sein, daß ich Sie schon mal in der Glotze bestaunen durfte?« »Kann sein«, lachte Geraldine. Sowas passierte ihr öfter. Sie hatte sich daran gewöhnt und genoß es. »Was sagt Ihre Frau dazu, wenn Sie mit Ihren weiblichen Fahrgästen flirten?« Der Schwarze zeigte sein blendendes Gebiß. »Sie ist einverstanden damit, Miß. Ich hab ihr erklärt, daß es mir einen Haufen Trinkgeld bringt, wenn ich nett zu meinen Kunden bin. Jetzt erinnere ich mich, ja! Ich hab Sie in einer Talkshow gesehen. Es war vor ein paar Tagen. Es ging um diese Entführung da. Um den Pressefuzzi mit seiner Gangsterbraut.« Er schlug sich vergnügt auf die Schenkel. »Und Sie sind Geraldine Brooks? Stimmt’s?« »Wie hat Ihnen die Sendung gefallen?« lenkte sie ab, um den Jungen in seiner Begeisterung zu bremsen. »Beschissen. Das war doch alles Shit, was da gequasselt wurde. Der einzige Lichtblick waren Sie, Geraldine. Ich darf Sie doch so nennen? Sie sparen sich den Fahrpreis, wenn Sie mir nachher ‘ne Unterschrift geben. Meine Frau dreht durch, wenn ich ihr ein Autogramm von Ihnen mit nach Hause bring. Sie ist verrückt nach Ihrer Serie. Da geht’s ja um dasselbe Thema wie in der Talkshow. Robert und Jean…. ich kann’s nicht mehr hören. Ganz New York hat nichts anderes im Kopf. Jeder Fahrgast spricht mich darauf an.« »Hör ich gern«, lachte Geraldine. »Es ist doch ein Knüller, oder? Was halten Sie von der Geschichte?« »Wenn Sie mich so direkt fragen, ist dieser… wie heißt er gleich noch?« »Graton. Robert Graton.« »Genau. Also, dieser Graton ist ein Schwein. Und das sagen viele. Meine Frau ist auch der Meinung. Dieser Verleger ist ein Kotzbrocken. So wahr ich Bob Wonder heiße.«
»Und warum?« »Der Typ reibt sich doch die Hände, daß seine Frau entführt worden ist. Soviel hat der doch noch nie im Leben kassiert. Dem werden seine Zeitungen aus der Hand gerissen. Ich sage Ihnen, Geraldine, das nimmt kein gutes Ende. Das heißt Gott versuchen. Verstehen Sie, wie man einen Menschen, den man liebt, auf so eine miese Tour ausbeuten kann?« »Sie haben recht, Bob. Ich verstehe es auch nicht, wie man das Schicksal seines Partners so link ausbeutet. Aber es ist mein Job, darüber zu schreiben. Und in ein paar Wochen kräht kein Huhn und kein Hahn mehr danach. Da gibt’s dann neue Sensationen. Und immer geht’s nur um die Kohle. Das ist das Leben.« Es tat Geraldine unheimlich wohl, so unverblümt mit einem Mann von der Straße zu reden. Sie brauchte kein Blatt vor den Mund zu nehmen, und dieser Bob Wonder hatte sich, wie wahrscheinlich viele Bürger dieser Stadt, den gesunden Menschenverstand bewahrt. »Warten Sie hier«, sagte sie, als er die weiße Kiesauffahrt zu Robert Gratons Anwesen hochrollte. »Ich brauche nicht lange. Wenn ich in zehn Minuten nicht zurück bin, kommen Sie einfach ins Haus.« »Eine verdammt luxuriöse Bude«, staunte Bob. »Wer kann sich so was heute noch leisten? Sagen Sie mir, Geraldine, wer da wohnt?« »Warum?« fragte sie und lachte über seine Neugier. »Damit ich heute abend meiner Frau wieder was Heißes aus dem Leben eines Yellow-Cab-Drivers erzählen kann. Sie meint nämlich, ich hätte einen langweiligen Job.« »Da wohnt Robert Graton.« »Ich wußte es doch, daß der Mann Geld scheffelt«, knurrte Bob. »Und das alles auf Kosten seiner Frau.« Geraldine griff nach ihrer Mappe und ging. Sie klingelte an der Haustür. Es rührte sich nichts, sie klingelte wieder und wieder. Endlich ging die Tür einen Spalt weit auf. Sie sah den kräftigen Arm. Dann wurde sie in das Haus gerissen. Eine Hand schraubte sich um ihren Hals. Vor ihren Augen tauchte eine Fratze auf. Es war Cesare Planetta. Er schloß die Tür hinter sich zu und drängte Geraldine in die Bibliothek. Port warf er sie in einen Sessel. Sie entdeckte Graton auf dem Diwan. Er war gefesselt, und seine Augen flackerten in Todesangst. »Wer ist sie?« knurrte Planetta gefährlich. »Was tut sie hier? Raus damit, Graton?« Geraldine sah, wie die Angst ihrem Boß die Kehle zuschnürte. Sie war völlig überrascht. Graton und Planetta zusammen? Das stimmte
soweit. Nach Jo Walkers Theorie. Aber hier waren die Rollen anders verteilt. Der Gangster hielt den Verleger in Schach, und das deutete in keiner Weise auf eine intime Zusammenarbeit. Sie entschloß sich zu einem Vorstoß. »Ich bin Geraldine Brooks. Sie kennen mich, Cesare. Ich habe vor ein paar Jahren ihre Memorien geschrieben, wenn ich das mal so nennen darf.« Sie gab sich Mühe, entspannt zu lächeln. »Und jetzt schreibe ich die Artikelserie über die Entführung Ihrer Exfrau. Gratuliere, Sie sind in. Sie stehen im Mittelpunkt. Seit der Story haben Sie mehr Anhänger als der Präsident der Vereinigten Staaten.« »Ich werd verrückt!« Planetta starrte sie an wie ein Zauberwesen aus einer anderen Welt. Er konnte es nicht fassen. Damals im Knast durfte er ihren Bericht lesen. Und die heiße Gangsterstory hatte ihn unglaublich populär unter den anderen Knastbrüdern gemacht. »Geraldine Brooks… Sie sind die einzige Frau, die mich je im Leben verstanden hat. Sie haben die Superschreibe. Freut mich, Sie kennenzulernen, Baby.« Er streckte ihr ungelenk die Hand entgegen. In seinen stumpfen Pupillen leuchtete so etwas wie Rührung auf. Dann wurde sein Blick finster. »Was tun Sie hier, Geraldine? Ich habe hier ein paar wichtige Dinge mit Ihrem Boß zu regeln und kann keine Besucher gebrauchen.« Geraldine hielt ihm geistesgegenwärtig ihre Mappe entgegen. »Hier, Cesare. Lesen Sie. Sie können stolz auf sich sein. Das ist der Artikel über die Geldübergabe. Mit Fotos. Ich habe sie auf dem Parkplatz bei der Raffinerie geschossen. Natürlich ganz diskret. Es war kein einziger Bulle in der Nähe. Und jetzt bin ich gekommen, damit Mr. Graton den Artikel abnimmt. Er muß ihn lesen, bevor er in Druck geht. Das ist bei uns so üblich.« »Und woher wissen Sie, daß Graton zu Hause ist?« »Ich war in seinem Büro. Die Sekretärin sagte mir, daß er angerufen hätte und krank sei.« Planettas Sorgenfalten glätteten sich. Er schlug die Mappe auf, las und vertiefte sich in die Fotos. Er strahlte. Jetzt war er ein Held. Er spürte es hautnah. Die wichtigsten Leute waren um ihn versammelt, und er las seine eigene Story. Begeistert griff er nach dem nächsten Bier. Geraldine und Graton wechselten Blicke. Sie signalisierte ihm Nervenstärke rüber. Plötzlich hörten sie ein Geräusch. Es klang nach zerbrechenden Glasscheiben. Die Tür sprang auf. Bob Wonder preschte herein. Er schoß aus der
Hüfte. Die Mehrladerschrotflinte spuckte lange Mündungflammen. Planetta brüllte auf und warf sich in Deckung. Er schoß zurück und traf Bob Wonder ins Bein. Geraldine stieß den Fahrer hinaus. Sie warf die Tür hinter sich zu und drehte den Schlüssel herum. Unter Aufbietung aller Kräfte schleppte sie den Verletzten über den Flur in ein Schlafzimmer. Wieder verrammelte sie die Tür hinter sich. »Was tun Sie hier, Bob?« schrie sie. »Ich hab gesehen, wie man Sie ins Haus gezerrt hat«, stöhnte der Schwarze. »Ich hab mir gesagt, da stimmt was nicht. Ich bin durch den Keller ins Haus und hab mir diese Flinte aus dem Waffenschrank geschnappt.« Er sank auf das Bett. Geraldine besah sich die Wunde. Ein glätter Durchschieß. Der muskulöse Oberschenkel blutete aus dem Loch heraus. »Stopfen Sie es zu«, jammerte Bob. »Ich habe keine Lust, hier zu verrecken. Nehmen Sie ein Handtuch und stoppen Sie das Blut.« Geraldine arbeitete fieberhaft. Bob schob sich ächzend in den Kissen hoch und zielte mit der Riot Gun auf die Tür. »Gott steh uns bei«, murmelte er. Dann hörten sie zwei dumpfe Schüsse aus der Bibliothek. Geraldine wußte in diesem Moment, daß Cesare Planetta seinen Partner hingerichtet hatte. * Kommissar X und der Captain kamen aus dem Krankenhaus. Sie stiegen in den Roadster. Zufrieden damit, daß Jean endlich versorgt wurde. Tom Rowland knurrte etwas von Kohldampf. Jo grinste und wählte die Nummer des Verlages. Geraldine war nicht in der Redaktion. Man sagte ihm, daß sie zu Graton nach Hause gefahren war. »Wir machen einen Abstecher nach Rockaway Beach, Tom. Zu Graton. Geraldine ist auch schon da. Die Sache stinkt. Irgendwas braut sich da zusammen.« »Dein Riecher?« fragte Captain. »Ich bin dabei. Vielleicht hat unser Freund einen gut bestückten Kühlschrank.« Jo nahm die Fiatbush Avenue. Sie führte über die Marine Bridge auf kürzestem Weg auf die langgestreckte Landzunge, die im Süden vom Atlantik umspült wird. »Was tut Geraldine bei Graton?« Jo schob sich eine Zigarette zwischen die Zähne. Er knobelte her-
um und fand keine Antwort. Die ganze Geschichte war in den letzten Stunden völlig aus dem Ruder gelaufen und nicht mehr berechenbar. Tom Rowland hängte sich ans Telefon und gab seinen Standort an das Dezernat durch. Er orderte zwei Polizeiwagen nach Rockaway Beach. Auch er spürte, daß sich das Drama auf eine entscheidende Phase zubewegte. »Sieht ja alles sehr friedlich aus«, murmelte Jo, als sie auf Robert Gratons Anwesen zurollten. Außer einem Yellow Cab vor dem Haus war nichts Besonderes auszumachen. »Zu friedlich für meine Begriffe.« »Halt an«, sagte Tom. »Nicht zu dicht an den Feind. Wir robben uns lieber zu Fuß ran.« Jo trat auf die Bremse. Sie stiegen aus und luden sich ein paar Blendgranaten in die Taschen. Sie waren eben ein eingefahrenes Team und hatten einschlägige Erfahrungen, was unangemeldete Besuche anging. Vorsichtig pirschten sie sich durch einen Kiefernhain an das Anwesen heran. Sie schlugen einen Haken um das Haus und kamen von hinten. Jo schlich unter den Fenstern um die Ecken herum und erreichte die Haustür. Er drückte vorsichtig die Klinke. Die Tür war verschlossen. Auf dem Rückweg entdeckte er zerschossene Fensterscheiben. »Hier tut sich was, Tom. Wir müssen ins Haus rein. Es ist rumgeballert worden. Wahrscheinlich machen sie eine Kampfpause oder sowas Ähnliches.« »Ich hab schon einen Eingang gefunden«, raunzte Tom. »Wenn du mir nicht weggerannt wärst, wären wir längst in der Küche. Hier geht’s lang, Partner.« Er stieß Jo eine schmale Treppe hinunter. Die Kellertür war angelehnt. Sie schlüpften in das Untergeschoß. Als sie den zweiten, düsteren Raum durchquerten, hörten sie Schüsse. Sie kamen von oben. »Vorwärts!« brüllte Tom Rowland. Sie stürmten die Treppe ins Erdgeschoß hoch. Sie öffnete sich in den Innenhof. Jo griff nach seiner 38er Automatic. Der Captain warf sich gegen die nächstliegende Tür. Sie schlug nach innen auf. Er schnappte sich eine Blendgranate, riß den Zünder und schleuderte sie an das Ende des langen Flurs. Sie warfen sich zu Boden und bedeckten ihre Gesichter mit den Armen. Dann wummerte das Haus in seinen Mauern auf. Ein strahlender Blitz tauchte alles in grellvernichtendes Licht. Ein paar Sekunden später taumelte ihnen Geraldine entgegen. Sie schrie, und ihre Arme ruderten unkontrolliert. Tom fing sie auf und
schleppte sie raus in den Hof. Jo hetzte den Flur entlang. Von Tür zu Tür und mit der Wand im Rücken. Er stieß auf ein Schlafzimmer. Die Tür war offen. Ein Schwarzer richtete sich im Bett auf. Seine Brust war zerfetzt. »Sagen Sie Geraldine, daß wir sie mögen…«, flüsterte er. Dann kippte sein Kopf zur Seite. Seine großen Augen leuchteten für eine Sekunde auf. Dann wurden sie stumpf. »He, Mann!« brüllte es hinter Jos Rücken. Er drehte sich um und hob die Arme. Cesare Planetta stand vor ihm. Er war am Ende. Sein mächtiger Körper zitterte wie im Fieber. Mit beiden Händen hielt er seine Kanone krampfhaft in Augenhöhe. Sein Finger bog sich um den Abzug. »Ihr habt mich«, gurgelte er. »Aber dich nehm ich noch mit.« Jo tauchte ab und hechtete ihm entgegen. Sie rollten über den Flur. Sie schlugen sich. Planetta erwischte eine kalte Rechte unter die Rippen. Ihre Gesichter waren nahe beieinander, Jo spürte die abgestandene Bierfahne. Es ekelte ihn, und er schlug noch einmal zu. »Sag mir, ob du das Ding mit Graton zusammen gedreht hast«, fauchte er. »Ich will es wissen!« »Graton und ich«, röchelte Planetta. »Okay, wir sind Partner. Laß mich los, Bulle. Das können wir alles in deinem Büro besprechen.« »He, Jo! Laß was übrig!« Der Captain walzte über den Flur. Er zerrte Jo hoch. »Ich brauche diesen Hund, sonst werden sie mir das Gehalt kürzen. Kümmere dich um Graton. Es hat ihn schwer erwischt. Aber er lebt noch. Er hat mir eben gestanden, daß er…« »Das Ding mit Planetta gedreht hat«, keuchte Jo. Er quälte sich hoch und stiefelte auf wackligen Beinen nach draußen. Geraldine lag apathisch auf dem Rücksitz im Roadster. Sie registrierte stumm, daß Jo nach dem Telefon griff und den Notruf wählte. Er orderte einen Rettungshubschrauber. Zwei Polizeiwagen schlichen sich die Auffahrt hoch. Ein paar Cops stiegen zögernd aus und schauten sich in aller Ruhe um. »Da drin ist euer Captain«, rief Jo ihnen entgegen. »Stürmt die Bude und holt ihn da raus. Er ist in Schwierigkeiten.« Die Cops starrten fasziniert auf die Haustür, die durch den Druck der Granate aus den Angeln geflogen war. Tom Rowland wankte heraus. Auf seiner Schulter hing Cesare Planetta wie ein erlegtes Wild. »Du hast deine Millionenstory, Darling«, schnurrte Jo und beugte sich über Geraldine. »Graton hat gestanden. Mach ihn fertig mit deiner Superschreibe.« Geraldine lächelte und schlang die Arme um seinen Hals. Jo mach-
te sich geduldig frei und wählte eine neue Nummer. »He, April. Wir sind in der Nähe von Rockaway Beach. Es ist schönes Wetter hier am Strand. Nein, ich bin nicht ins Wasser gesprungen. Keine Badehose dabei. Wer noch hier ist? Ein Haufen netter Leute. Weshalb ich anrufe, wir sind in zwei Stunden da. Hau uns was in die Pfanne, ja?« »Na, klar«, seufzte April Bondy durch den Äther. »Hauptsache, ich hab dich wieder.«
ENDE
Bereits nächste Woche erscheint KOMMISSAR X Band 1631: Frank Evans
Die Nacht der langen Messer Deutscher Erstdruck
Eigentlich soll Jo Walker nur eine sechzehnjährige Ausreißerin zurück nach Chikago bringen. Aber die Demo der Umweltschützer, in die er dabei gerät, hat eher mit Greenterror zu tun als mit Greenpeace. Unversehens findet sich Jo in einem Alptraum wieder. In Grand Rapids, wo er mit der aufsässigen Kathy übernachten muß, gehen alle Lichter aus, und die Nacht der langen Messer beginnt. Schwerbewaffnete Gangster verwandeln die Kleinstadt In einen Kriegsschauplatz, plündern und morden. Es ist der Coup des Jahrzehnts. Jo nimmt die Suche auf nach den Verantwortlichen des Anschlags auf eine ganze Stadt – und für den Mord an einem jungen Umweltschützer, dessen Freundin gerade ihr Kind erwartet. Er trifft auf die Wlld-Earth-People, die sich für die Barbaren des Computerzeitalters halten – und auch so kämpfen. Ob und wie Kommissar X der jagenden Meute entkommt und dem Terror ein Ende macht, das schildert Frank Evans in seinem hochbrisanten Roman. Besorgen Sie ihn sich besser noch rechtzeitig, bevor Ihr Kiosk in die Luft fliegt Ihre Krimi-Redaktion KOMMISSAR X erscheint wöchentlich in der Verlagsunion Erich Pabel-Arthur Moewig KG, 7550 Rastatt, Telefon (07222) 13-1. Druck und Vertrieb: Verlagsunion Erich Pabel-Arthur Moewig KG. Anzeigenleitung: Verlagsunion Erich Pabel-Arthur Moewig, 7550 Rastatt. Anzeigenleiter und verantwortlich: Rolf Meibeicker. Zur Zeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 15. Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg Gesellschaft m. b. H, Niederalm 300, A-5081 Anif. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlages. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Bestellungen einzelner Titel dieser Serie nicht möglich! Printed in Germany. Mai 1990