Nr. 145
Die Instinkt-Spezialisten Ein Geheimprojekt der USO scheitert -IS Froom Wirtz meldet sich nicht von Hans Kneif...
23 downloads
477 Views
269KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Nr. 145
Die Instinkt-Spezialisten Ein Geheimprojekt der USO scheitert -IS Froom Wirtz meldet sich nicht von Hans Kneifel
Auf den Stützpunkten der USO, den Planeten des Solaren Imperiums und den übrigen Menschheitswelten schreibt man Anfang Mai des Jahres 2843. Lordadmiral Atlan hat bei seinem Einsatz auf dem Planeten Karagam den geraubten Zellaktivator noch gerade rechtzeitig zurückgewonnen. Der kopierte Bewußtseinsinhalt des jungen Kristallprinzen Atlan, der Körper und Geist des Springers Curs Broomer übernommen und quasi vergewaltigt hatte, existiert nicht mehr. Auch der Körper Broomers ist tot – und damit ist eine Episode beendet, die nicht nur in Kreisen der USO beträchtliche Unruhe und Aufregung verursacht hatte. Doch inzwischen bahnt sich eine neue Krise an, die Lordadmiral Atlans Organisation zum sofortigen Eingreifen veranlaßt. Ausgangspunkt dieser Krise ist das TiffakSystem, ein Sonnensystem in der Eastside der Galaxis. Hier, und zwar auf der Welt Komouir, sind wertvolle Schwingkristalle entdeckt worden. Die Entdeckung hat sofort bei allen Prospektoren und Glücksrittern in der Nähe einen wahren Run ausgelöst. Die USO und das Solare Imperium haben dabei das Nachsehen, denn sie sind nicht frühzeitig genug informiert worden. Dem Lordadmiral bleibt daher nichts anderes übrig, als eine neue, noch unerprobte Truppe in den Einsatz zu schicken – DIE INSTINKT-SPEZIALISTEN …
Die Instinkt-Spezialisten
3
Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Lordadmiral gibt einen »Zündimpuls«. Sellbegg Garobier - Leiter eines Geheimprojekts der USO. Ceeman Orient, Isidor Natzmann und Froom Wirtz - Drei Abenteurer treten in den Dienst der USO. Jean Atenro - USO-Beobachter auf dem Planeten Komouir.
1. »Ich mag voreilig sein, Lordadmiral«, sagte keuchend der Mann auf dem großen Bildschirm, »aber ich bin überzeugt, daß eine ernste Krise droht. Auf diesem Planeten ist schon jetzt der Teufel los. Und wenn die nächsten Schiffe kommen, dann gibt es ein Desaster. Der gesamte Pöbel wird sich um die Funde prügeln.« Atlan starrte seinen Gesprächspartner betroffen an. Die Botschaft kam aus der Eastside der Galaxis. Hier, in Quinto-Center, war alles ruhig – fast zu ruhig. Die Pausen zwischen den einzelnen Krisen und schnellen, gefährlichen Einsätzen schienen im Augenblick kürzer zu werden. Lordadmiral Atlan fragte nachdenklich: »Was ist passiert? Geben Sie eine Zusammenfassung, bitte!« »Natürlich. Also … im Tiffak-System wurden Schwingkristalle gefunden. Sie scheinen in einzelnen Fundort-Inseln über den gesamten Planeten verteilt zu sein, natürlich immer in der Nähe von ehemaligen Vulkanen oder abgetragenen Vulkanschloten. Niemand weiß mehr genau, wer die Nachricht verbreitet hat. Jedenfalls hat es sich in Windeseile herumgesprochen. Aus den verstecktesten Winkeln kamen die Händler, die Prospektoren, die Springer und eine Masse Glücksritter aus sämtlichen galaktischen Völkern. Ich habe es offensichtlich zuletzt erfahren.« »Reichlich merkwürdig!« kommentierte Atlan. »Nicht so sehr«, gab der USO-Spezialist zu bedenken. »Schließlich war ich nicht auf dem Planeten Komouir. Ich kam zu spät. Hoffentlich nicht zu spät für entsprechende
Aktionen der United Stars Organisation!« Atlan schüttelte langsam den Kopf. »Ich hoffe nicht. Lassen Sie mich nachdenken …« Die Schwingkristalle waren ohne Zweifel wertvoll. Sie gehörten dem Planeten Komouir, der zweiten von insgesamt siebzehn Welten, die die Sonne Tiffak umliefen. Also lag es an der Verwaltung dieses Planeten, sie zu verkaufen. Wenn nur ein Mensch dort wirtschaftlich dachte, entfesselte er einen Zirkus, der einmalig war. Von den Landegebühren bis zum Verkaufen oder zeitweiligen Überlassen des Geländes, von den Bohrund Schürferlaubnissen über die Ausfuhrzölle, ganz abgesehen von dem Preis der unveredelten Rohkristalle – das alles würde dem Planeten eine Menge Geld bringen können. Geldund die gleiche Menge Kriminalität, Ärger, Aufregung und Störungen. »Wann hat das Ganze begonnen?« fragte Atlan. Du mußt etwas tun! Greife ein, ehe aus dem rollenden kleinen Stein eine Lawine wird! flüsterte sein Extrasinn. »Vor etwa zwanzig Tagen. Kann sein, daß es auch ein paar Tage mehr sind. Jedenfalls hat ein Wissenschaftler alles gestartet, als er das Ergebnis seiner Untersuchungen bekanntgab. Die Untersuchungen über die Natur und die wahre Bedeutung und Wichtigkeit der überaus seltenen Schwingkristalle.« »Was ist über das Tiffak-System zu sagen?« erkundigte sich Atlan. »Nichts, Lordadmiral«, erklärte der USOMann auf Komouir, »was nicht in den Archiven wäre. Ich habe lediglich eine bezeichnende Szene in der Nähe einer vorgeschobenen Stadt gefilmt.« Atlan nickte zustimmend, während er nachdachte. »Spielen Sie bitte die Aufzeichnungen
4 ab.« »Selbstverständlich, Sir!« Von Minute zu Minute wurde der erfahrene Arkonide unruhiger. Es gab nichts Greifbares, aber eine Art Instinkt oder die Ahnung von kommenden Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen meldete sich. Atlan kannte dieses Gefühl zur Genüge. Er war lang genug Chef der USO und hatte sein Leben in Kämpfen verbracht. Während er auf die Einspielung wartete, tippten seine Finger fast automatisch die Aufforderung an den Stationscomputer ein, sämtliche vorhandenen Informationen über das Tiffak-System einzuspielen. Die Daten kamen und blieben leuchtend auf dem einen Bildschirm stehen, während auf dem anderen die Bilder des Spezialisten anliefen. Eine Ebene auf Komouir: Es war früher Nachmittag, vor genau dreizehn Stunden war dieser Film in einer winzigen, aber hochleistungsfähigen Kamera aufgenommen worden. Die Gebäude einer hufeisenförmig angeordneten Stadt zwischen dem Gebirge und der Ebene lagen im kurzen Schatten der Gewächse. Der Raumhafen war überfüllt. Pausenlos landeten kleine und größere Schiffe und schoben sich zwischen die abgestellten Einheiten. Der Platz quoll über. Sämtliche raumfahrenden Völker der Galaxis schienen hier vertreten zu sein. Akonen ebenso wie Blues oder NeuArkoniden. Prospektorenschiffe sah man ebenso häufig wie die Walzenraumer der Galaktischen Händler. Die Linsen gingen näher heran. Zwischen den Schiffen bewegten sich Menschenströme. Schwere Gleiter wurden ausgeladen und unter den Schiffen bemannt und ausgerüstet. Überall gab es Gruppen, die zusammenstanden, diskutierten oder sich stritten. Die wenigen Hilfsmannschaften waren hoffnungslos überfordert. Eine Umblendung: In der Stadt waren die Verhältnisse nicht anders. Dort standen vor dem Haus der Planetaren Verwaltung lange Schlangen. Die Kamera filmte eine dieser Reihen. Atlan sah
Hans Kneifel in die Gesichter tatsächlich aller nur denkbarer Individuen aus den Reihen sämtlicher politischer Gruppierungen der Galaxis. Warum hatte die Nachricht diese Leute früher erreicht als die USO oder die Terraner? Ruckweise glitt die Schlange in Halbmeterstücken vorwärts. Diejenigen, die aus dem Eingang herausrannten, sprangen in Gleiter und rasten davon. Sie hatten eine Lizenz für ein bestimmtes Stück Land gekauft. Der Film wurde unterbrochen. »So sieht es überall aus, Sir. Oder fast überall. Einige Küstenstädte sind noch von der Invasion verschont geblieben«, erläuterte der Spezialist. »Wollen Sie den zweiten Teil auch sehen?« »Ja, natürlich!« erwiderte Atlan. Er warf einen Blick auf die abgerufenen Informationen. Der einzige Fundort in diesem Tiffak-System war der zweite von siebzehn Planeten. Dann las Atlan in einer der letzten Zeilen, daß 5,89 Lichtjahre von Tiffak entfernt ein System lag, an das sich sein photographisch exaktes Gedächtnis sofort erinnerte: Es war das Deylight-System, eine Ansammlung von vier Planeten. Der dritte Planet war wichtig. Er hieß Wiga-Wigo … und dort war IS Froom Wirtz stationiert. Atlan zuckte zusammen. Dies war ein wichtiger Punkt. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem anderen Bildschirm zu. Der Ausschnitt zeigte einen Teil der Ebene. Es war eine Steinwüste mit den Resten früheren Vulkanismus. Aber jetzt war diese Gegend belebt. Staubfahnen zogen hinter dendahinrasenden Fahrzeugen in die Luft. Überall durchfurchten Spuren die Dünen und Sandflächen. Hin und wieder stand da ein Gleiter oder ein Mehrzweckfahrzeug. Kleine Gestalten arbeiteten mit seltsam aussehenden Geräten. Sie schnitten mit Lasern und Ultraschallmaschinen in den Stein, brachten Bohrungen nieder und schlugen sich mit Schwärmen von langbeinigen fliegenden Insekten herum. Detonationen hallten zwischen den geröllübersäten Bergen. Die Explosionswolken standen lange in der unbewegten Luft. Es sah aus, als habe sich
Die Instinkt-Spezialisten ein gewaltiges Ameisenheer über diese Wüste verteilt. Eine Space-Jet schwebte langsam und in einem verwirrenden Zickzack zwischen den Bergen entlang. Wieder war deutlich zu erkennen, daß sich Angehörige aller galaktischen Sternenvölker an der aufregenden Suche nach den Schwingkristallen hier beteiligten. Nach einem langen Schwenk, der die gesamte Gegend und die unregelmäßig darin verteilten Such- und Schürfkommandos zeigte, endete die Aufzeichnung. »Sie haben alles gesehen, Sir«, sagte der Informant. »Was haben Sie für mich?« »Im Augenblick nichts. Beobachten Sie jedoch sorgfältig weiter und halten Sie sich bereit, uns weitere Daten zu liefern. Und natürlich melden Sie sich sofort, wenn sich eine Krise anzubahnen beginnt.« »Geht in Ordnung!« sagte der Spezialist und trennte die Hyperkomverbindung zu Quinto-Center. Atlan betrachtete die Daten des Systems, ließ alles in seine Überlegungen einsickern und dachte nach. Er mußte alle seine folgenden Aktivitäten genau bedenken. Das Problem der Schwingkristalle und der zu erwartenden Schwierigkeiten mußte sehr behutsam gelöst werden. »Der Run der Glücksritter und der Hobbyprospektoren hat also bereits voll eingesetzt«, sagte er laut und drückte einen Knopf, der ihn mit seiner Sekretärin verband. »Sir?« »Versuchen Sie mit allen Mitteln, Sellbegg Garobier zu finden. Ich möchte ihn so schnell wie möglich sprechen.« »Sofort, Sir. Sie meinen Garobier, den Psychologen und Genetiker, nicht den Außenhandelsexperten?« »Ich meine den Mann, mit dem zusammen ich vor Jahren das IS-Programm gestartet habe.« Das lächelnde Gesicht der Sekretärin verschwand vom Interkom. Atlan war einen Augenblick allein. Seine Gedanken schweiften zurück, um ziemlich genau sechs Jahre. Im selben Augenblick summte das Signal
5 auf. Der Psychologe war auf dem Bildschirm. »Ich begrüße Sie, Lordadmiral. Sie haben nach mir rufen lassen?« »Richtig. Wo sind Sie im Augenblick?« »Ich betreibe auf einem USO-Stützpunkt ganz in der Nähe meine Forschungen. Sie brauchen mich? Ich kann in vier Tagen im Center sein. Von hier, Point Lyra, ist es nur ein Katzensprung.« »Ja, kommen Sie bitte. Höchste Dringlichkeit. Offensichtlich hat einer unserer IS versagt.« Der dreiundsechzigjährige Wissenschaftler riß erstaunt die Augen auf. »Wer?« »Froom Wirtz auf Wiga-Wigo!« erklärte der Lordadmiral. Er blickte in die ruhigen braunen Augen des Wissenschaftlers. Die Kiefer des Mannes bewegten sich auch dann, wenn Garobier nicht sprach. Sellbegg kaute Betel. »Ausgerechnet Wirtz. Und wir haben ihn doch so gut programmiert. Aber wir können im Center über alles sprechen. Damals … wir haben uns schon sehr wilde Typen herausgesucht für unsere Versuche. Gut, ich komme sofort. Gibt es bestimmte Unterlagen, die ich mitbringen muß?« Atlan schüttelte den Kopf. »Über dieses Programm ist alles in den Speichern. Es wird, glaube ich, eine gefährliche Sache. Kommen Sie so schnell wie möglich, Sellbegg!« »Wird gemacht, Sir!« Sie winkten sich kurz zu, dann trennte Atlan die Verbindung. Noch sehr lebhaft war die Erinnerung an diesen klugen Mann, hinter dessen angeblicher Schwerfälligkeit sich ein messerscharfer, analytischer Verstand verbarg. Sein Laster, Betel zu kauen, war ausgesprochen harmlos. Die narkotisierende Wirkung der Nüsse, in deren dünner Schale sich schwach stimulierende Mittel verbargen, war gering. Die einzig auffallende Wirkung war ein aromatisch riechender Atem. Zugleich mit der Erinnerung an die Zeit der Zusammenarbeit kamen die Gedanken an ei-
6
Hans Kneifel
nige Frauen und Männer, die von der USO damals verpflichtet worden waren. Vor sechs Jahren. Im Juli des Jahres 2837 …
2. Ceeman Orient spähte hinunter auf das Lager. Er rechnete seit acht Monaten mit Ärger und mit Brutalität. Und zwar nicht nur in den Nächten, sondern in jeder Sekunde des Tages. Die drei Gründe standen dort unten vor der unzerstörbaren Panzerplastscheibe, die einen Teil der Lager-Sicherheitseinrichtungen bildeten. Drei Gründe, drei Männer. Vor acht Jahren waren die drei Männer hier im Straflager eingeliefert worden. Kim Zahok, der fünfzigjährige, massige Akone, mehrfacher skrupelloser Mörder und Dieb, dann der Neu-Arkonide Rotta N'honk, der sechsunddreißigjährige, eiskalte Wirtschaftsverbrecher, dessen Wohlleben und Verschwendungssucht mit den Geldern vieler Opfer finanziert worden waren, und schließlich der kleine, wieselartige Russel Zunt, ein Terraner. Er war der intelligenteste Mann dieser Dreiergruppe. Im Augenblick standen sie alle drei dort unten und sprachen miteinander. Ceeman Orient war versucht, das Richtmikrophon herumzuschwingen und die drei zu belauschen, aber dann unterließ er es mit einem Rest von Zurückhaltung. Der Summer. »Ja?« »Hör zu, Ceeman, ich habe ein böses Gefühl. Bitte, halte mich nicht für hysterisch.« Ceeman Orient grinste kalt und entblößte die Zähne. Auf der kleinen Scheibe des Monitors sah ihm das hagere, bronzefarbene Gesicht des Terraners Bobby Mondina entgegen. »Du bist keineswegs hysterisch. Ich bin auch nicht mehr in der Lage, feste Nahrung aufzunehmen. Am besten gehen wir hinunter und betäuben die drei Kerle mit Gas. Dann könnten wir vielleicht heute nacht schlafen.«
Seit acht Wochen demoralisierte die Anwesenheit von drei Gefangenen das gesamte Lager mit rund zweihundertfünfzig verurteilten Strafgefangenen der Neu-Arkoniden. Orient, Bobby Mondina und Alncraft – seinen Nachnamen kennt nur er – waren die Chefs des Bewachungskommandos. Zweihundertfünfzig Verbrecher: eine Viertel Million Jahre Straflager. Es war höchst unwahrscheinlich, ob jemals einer dieser Männer den Planeten Komdorr jemals verlassen würde. Vielleicht in einem Sarg oder in einer Urne, lebend jedoch kaum. »Hör zu, Ceeman – wir müssen etwas tun.« »Ich warte auf den Chef. Ich kann mich nicht ohne einen triftigen Grund gegen die verdammten Vorschriften stellen, Bobby!« »Das sehe ich ein. Aber sie machen uns das ganze Lager verrückt, diese drei Neuen.« Ceeman winkte nachlässig ab. »Es ist so gut wie unmöglich, zu fliehen. Das wissen wir. Der Chef muß jeden Augenblick kommen. Er wird entscheiden.« »Komm runter, Ceeman. Es gibt Kaffee und Cognac. Und vielleicht auch etwas zu essen!« »In Ordnung«, sagte Ceeman und schaltete ab. Er aktivierte sämtliche Überwachungssysteme und verließ seinen Platz. Es war ein gesicherter Turm, der sich an strategisch günstiger Stelle neben dem Lager erhob. Darunter lagen die Häuser der Bewacher. Die Neu-Arkoniden, die für diese Straflager verantwortlich waren, beschäftigten an den wichtigen Stellen ausschließlich terranisches Personal. Die Terraner waren die zuverlässigsten Bewacher, die es gab. Ceeman schwang sich in den engen Antigravschacht und schwebte abwärts. Unten erwartete ihn bereits Bobby Mondina. Sie schüttelten sich die Hände. »Wo ist Alncraft?« fragte Ceeman unruhig. Sie gingen nebeneinander über den üppigen Rasen hinüber zu dem kleinen, flachen Kantinengebäude. Das gesamte Lager
Die Instinkt-Spezialisten war von diesem Rasen umgeben. Es wirkte wie ein annähernd rundes Gebilde in einer riesigen, grünen Ebene. Erst fünfhundert Meter jenseits der zehn Meter hohen Glasmauer begannen die mächtigen Bäume der Dschungelgegend. »Mit dem Gleiter unterwegs. Er kontrolliert den Waldrand, Cee!« »Einverstanden.« Das Lager befand sich in der Mitte einer riesigen Lichtung, die ihrerseits im Zentrum eines ausgedehnten Urwaldgebietes lag. Der Urwald bedeckte eine große Insel, fast einen kleinen Kontinent. Außer dem Lager, dem Gebäude der Wachmannschaften, einem kleinen Raumhafen und einigen Reparaturgebäuden und dem kombinierten Vorrats-, Versorgungs- und Technikgebäude gab es auf der Insel nichts mehr, wohin ein Flüchtling sich absetzen hätte können. Trotzdem waren zumindest die drei Terraner unruhig und nervös. »Wir müssen sie trennen! Sie stecken dauernd zusammen!« sagte Ceeman leise. »Sie sind alle drei klug genug, um zu wissen, daß wir sie abhören können. Aber sie planen etwas.« »Siehst du Gespenster?« »Nein.« Ceeman Orient war ein sechsunddreißig Jahre alter und einhundertfünfundachtzig Zentimeter großer Mann. Sein Kopf war völlig kahl, aber die Schädeldecke glänzte in einem merkwürdigen Schmuck. Drei Fingerbreit über den Brauen begann ein Muster aus verschiedenen Farben, die dicht unter der Haut schimmerten. Verschiedene Blumen und Blüten, Blätter und Ranken ringelten sich in verschlungenen Mustern rund um die Ohren, über den Scheitel und bis hinab in den Nacken. Es wirkte einigermaßen verwirrend. Ceeman und Mondina betraten die kleine Cafeteria und setzten sich an die Theke. Die Robotmaschinerie nahm ihre Wünsche entgegen und stellte die Tassen und Teller auf die Platte. »Versteh mich recht, Bobby! Wir sind
7 Söldner, keine Neu-Arkoniden!« Mondina brummte ärgerlich: »Das weiß ich ebenso gut wie du, Ceeman. Aber wir haben uns im Laufe der Jahre eine Art sechsten Sinn antrainiert. Wir drei wissen, daß es im Lager gärt. Es gibt keine deutlichen Beweise, aber wir wissen es. Richtig?« Ceeman schlürfte seinen Kaffee. Sein nervöser Magen beruhigte sich. Er dachte daran, daß es hier insgesamt hundertzwanzig Bewacher und genau zweihundertdreiundfünfzig Gefangene gab. »Richtig. Wir haben aber sämtliche Möglichkeiten, eine Gefahr erst gar nicht entstehen zu lassen!« entgegnete Bobby. »Das sagst du so leicht!« Der Strafplanet war einigermaßen raffiniert ausgesucht worden. Er lag abseits aller Raumfahrtlinien und wurde so gut wie niemals angeflogen. Drei stationäre Sperrforts sorgten dafür, daß auch keine unangemeldeten Schiffe anflogen und landeten. Die Forts waren tödliche Instrumente, die ebenfalls von hier aus kontrolliert wurden. Wenn es im Lager unruhig wurde – und die drei Terraner kannten diese vielen unsichtbaren Zeichen aus guter Erfahrung –, dann hatte dies einen Sinn. Einen Sinn aber ergab es nur, wenn ein Fluchtversuch gewisse Aussicht auf Erfolg hatte. Wohin sollten die Gefangenen fliehen, wenn die Alternative für das versorgte Lager die Wildnis des Planeten war, diese riesige Insel? Ceeman stützte die Ellbogen auf und brummte: »Wenn du dort gefangen wärst, was würdest du tun? Ich meine, ergibt es einen Sinn, eine Flucht zu planen?« »Unter besonderen Umständen ergäbe es einen Sinn. Aber ohne Schiff ist alles sinnlos. Oder meinetwegen ohne Transmitter.« Ceeman starrte Bobby an, als habe er einen völlig Fremden vor sich. Der junge Mann neben ihm bewegte sich unruhig. »Was hast du? Du siehst aus, als hättest du den Weltuntergang gesehen!« Ceeman flüsterte:
8 »Das ist es! Ein Schiff kommt hier nicht durch! Aber ein Transmitter! Das muß die Lösung sein!« Er sah, wie Bobby Mondina kreidebleich wurde. »Verdammt! Du hast recht!« sagte Bobby. »Das muß überlegt werden. Einen Moment, Cee!« Er glitt vom Hocker, lief hinüber zum Interkom und schaltete das Gerät ein. Zwei Sekunden später meldete sich Alncraft. Er war ein hochaufgeschossener Mann von vierzig Jahren. Er sprach wenig, handelte aber schnell. Seine hellblauen Augen musterten das aufgestörte Gesicht Mondinas. »Was ist los?« fragte er alarmiert. »Komm zurück, Aln! Wir sind auf eine irrsinnige Sache gestoßen. Wir haben das dringende Gefühl, es wäre mehr als nur ein unbegründeter Verdacht.« »Ich komme sofort. Übrigens, falls es euch beruhigt, ich habe nichts Besonderes festgestellt, Freunde.« »Gut!« Die hundertzwanzig Frauen und Männer waren nicht nur als reine Aufpasser hier. Sie besorgten auch sämtliche Arbeiten, die mit der Lebenserhaltung von rund dreihundertsiebzig Menschen oder Humanoiden zu tun hatten. Sie alle wurden sehr gut bezahlt; eine Mannschaft aus Akonen, Neu-Arkoniden und Terranern. Niemand war hier auf Komdorr, der etwas von einem normalen Leben hielt. Keine Spießer, keine Beamten. Sie alle waren in gewissem Sinn Abenteurer. Mondina trank den letzten Schluck Kaffee aus, bestellte noch einen Cognac und sagte dann nachdenklich und langsam: »Wir müssen versuchen, uns Schritt um Schritt durch die Gedanken der Gefangenen zu tasten!« Ceeman nickte und stimmte zu: »Das scheint das Werk von Russel Zunt zu sein. Diese menschliche Ratte ist zu allem fähig. Er hat vor allem Geld und Beziehungen.« »Sicher.« Die Kerntruppe von etwa sechzig Männern waren Terraner. Zum Teil zwielichtige
Hans Kneifel Gestalten, zumeist jedoch harte, kühle Männer, die ihre Aufgabe nicht leicht nahmen. Sie galten ausnahmslos als Söldner. Dies traf zu, denn sie alle hatten sich für eine bestimmte Zeit freiwillig verpflichtet. Die Neu-Arkoniden vertrauten ihnen so sehr, daß sich nur höchst selten ein Kontrollschiff hier sehen ließ. Vor acht Wochen war das letzte Schiff gelandet und hatte diesen Abschaum der Galaxis gebracht. Zahok, N'honk und Zunt. Draußen landete der schwere Kontrollgleiter mit Alncraft am Steuer. Der große, breitschultrige Mann schlug die Tür zu und betrat die Cafeteria. »Zwischen Glas und Waldrand alles in Ordnung!« sagte er mürrisch, bestellte ebenfalls Kaffee und Cognac und setzte sich. »Ihr seht reichlich verstört aus. Was gibt es wirklich?« Ceeman sagte kurz: »Ich wette, die drei Gangster wollen fliehen.« Alncraft sah schweigend und beunruhigt von Mondina zu Orient und brummte dann: »Ich akzeptiere eure Aufregungen. Ich habe ebenfalls ein schlechtes Gefühl im Magen.« Während ihrer Zeit hatte es drei Ausbruchsversuche gegeben. Einen hatten sie am Zaun, den zweiten am Waldrand und den dritten siebentausend Meter tief im Dschungel abgefangen. Und jetzt stand, wenn ihr Instinkt nicht trog, der vierte bevor. Alncraft lehnte sich zurück und sagte: »Gut. Spielen wir also wieder einmal eine Flucht durch.« Sie kannten natürlich die wenigen schwachen Stellen der Anlage am besten. Aber wenn die drei Gangster versuchten zu fliehen, dann würden sie sich nicht mit läppischen Sachen wie einem langen Fußmarsch abgeben. In diesem Fall würde alles bestens vorbereitet sein. Irgendwo im Dschungel stand mit Sicherheit ein kleiner Transmitter, dessen Gegengerät in einem Raumschiff außerhalb der Reichweite der drei Forts justiert war. Der Weg zwischen dem bodengebunde-
Die Instinkt-Spezialisten nen und dem Schiffstransmitter war klar und konnte von ihnen nicht beeinflußt werden. Sie hatten lediglich eine Space-Jet neuarkonidischen Baumusters zur Verfügung. Orient sagte in rauhem, aggressivem Tonfall: »Angenommen, es ist so. Wie kam der Transmitter hierher? Ohne daß er von einem Fort angemessen wurde? Dann gibt es noch andere Fragen wie die nach der Begleitmannschaft; nach dem Zeitpunkt und der Entfernung. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Russel Zunt beispielsweise hundert Kilometer zu Fuß durch den Dschungel rennt, um den Transmitter zu erreichen.« Bobby warf ein: »Diese Überlegung wird auch von ihnen durchgeführt. Sie wissen, daß wir ihnen bestimmte Dinge nicht zutrauen. Gerade deswegen werden sie daran denken.« »Richtig. Eine wichtige Überlegung.« Alncraft sprach und blickte durch die raumhohe Scheibe hinüber zu den Gebäuden des Straflagers. Der Chef, dessen Ankunft erwartet wurde, sollte auch ein Konzept mitbringen, das die Beschäftigung bestimmter Gefangener vorsah, allein deswegen, um die gefahrbringende Langeweile abzubauen. Man konnte zum Beispiel edle Hölzer exportieren. Die drei Leiter des Wachkommandos hatten eine grauenerregende Vision. Das Lager glich einem Tollhaus, wenn die drei Verbrecher zu flüchten versuchten. Sämtliche Gefangenen würden Ablenkungsmanöver unternehmen. Gerüchte und Stimmungen waren in solchen geschlossenen Bereichen schneller fast als die Gedanken. Irgendwann in den nächsten Tagen oder Nächten würde es stattfinden. Die Spannung innerhalb und außerhalb der Mauer trieb unweigerlich einem Höhepunkt entgegen. »Betrachten wir einmal die Strecke zwischen dem Lager und dem Transmitter, der irgendwo dort draußen steht. Wir können den Transmitter nicht anmessen, Aln?« »Nein! Nicht mit unseren Geräten.« Das war eine endgültige Feststellung.
9 Diese Möglichkeit schied also aus. Alncraft sagte nach einigen Sekunden Schweigen: »Es ist bisher so ziemlich alles probiert worden, um aus dem Lager herauszukommen. Strickleiter, Katapulte, unterirdische Gräben … einfach alles. Unser Trio wird sich keineswegs mit größerer körperlicher Arbeit abgeben wollen.« »Sicher nicht.« Sie sprachen stundenlang und überlegten sämtliche Möglichkeiten, die diese drei Gangster einsetzen konnten. Aber weder Alncraft noch Ceeman oder Bobby entdeckten, welches Mittel das Trio einsetzen würde. Gegen Abend saß Ceeman Orient wieder in seiner Kontrollkabine und hatte vor sich die Armaturen, die vielen Bildschirme und die großartige Aussicht. Er war um keinen Millimeter weitergekommen. Es steht für mich unverbrüchlich fest, daß die drei Gangster in Kürze zu fliehen versuchen. Aber wie und auf welchem Weg, mit welchen Hilfsmitteln, das weiß niemand von uns. Jedenfalls hatten sie die Jet halb stillgelegt und mit einem dichten Ring aus schwerbewaffneten Wachrobotern umstellt. Mondina und Alncraft schliefen; Alncraft würde ihn in fünf Stunden ablösen. Er wartete.
* Der riesige weiße Mond stand fast im Zenit. Sein bleiches Licht überstrahlte die Szene. Im Lager selbst brannten nur noch wenige Lichter, aber das Infrarotbild machte aus den vielen freistehenden Gebäuden ein Bild, dessen Schärfe nur unwesentlich schlechter war als bei Tageslicht. Langsam kreisten die Antennen. Aufmerksam beobachtete Orient die Schirme. Am Waldrand zeigten sich nicht einmal Tiere. Die Ultraschallgeräte hielten sie aus dem Grund fern, weil sie auf dem Schirm irreführende Echos erzeugen würden. Der gesamte Boden zwischen Waldrand und der hohen
10 Glasmauer bestand aus einem nichtrostbaren Metallnetz, das unter dem Gras ausgelegt war. Jedes größere Wesen zeichnete sich auf dem ringförmigen Detektor so scharf ab, als gehe es über einen hellerleuchteten Platz. »Nichts!« brummte er. Diese Unsicherheit lähmte ihn und regte ihn gleichzeitig auf. Sämtliche Wachen waren von dieser Unruhe erfaßt, denn auch sie spürten es. Obwohl kein einziges lautes Wort fiel, war die gesamte Niederlassung hoch nervös und aufgeregt. Fünf Stunden später ging der Summer. Orient fuhr sich mit der Hand über den kahlen Schädel und drückte den Knopf. »Ja?« »Alncraft hier. Ich löse dich ab.« »Gut. Komm rauf!« »Ich komme.« Am Fuß des Wachgebäudes stand ein flugbereiter Gleiter. Er war hervorragend ausgerüstet, aber zusätzlich gesichert. Die drei Chefwärter versuchten, sämtliche Risiken auszuschalten. Sie schliefen seit einigen Tagen sogar in ihren Kleidern. Als Alncraft vor Orient stand, starrten sie sich schweigend und nachdenklich an. »Keine Idee gehabt, Boß?« fragte Alncraft leise. »Nein. Mir fallen nur so absurde Dinge wie Ballons oder Raketen ein.« »Abwegig, Cee.« Orient nickte und schnallte sich die schwere Kombinationswaffe um. »Das sage ich selbst. Ich werde mich aufs Ohr legen. Bitte, warne mich bei dem geringsten Anlaß. Und denke daran, daß sämtliche Warneinrichtungen durch einen schnellen, exakt geplanten Trick ausgeschaltet werden können. Wir gehen von der Voraussetzung aus, daß nicht ins Lager eingebrochen, sondern aus dem Lager ausgebrochen werden muß.« »Ich weiß, Boß!« Ceeman schwebte hinunter, ging zweimal um den Gleiter herum und stellte natürlich nichts von Bedeutung fest. Er schlenderte müde hinüber zu dem niedrigen, langge-
Hans Kneifel streckten Gebäude, in dem seine Wohnräume lagen. Er zog die dünne Jacke und die Stiefel aus und schlief lange nicht ein. Er träumte von einer geheimnisvollen Kraft, die drei Verbrecher entführte, sie dreißig Kilometer weit über den Dschungel transportierte und vor dem Transmitterrahmen absetzte.
* Vier Tage und vier Nächte vergingen, ohne daß mehr geschah, als daß die Nerven des Wachpersonals auf das äußerste strapaziert worden wären. Genau das schienen die Gangster zu planen, denn wenn immer sie zu sehen waren, grinsten sie unübersehbar höhnisch. Mehr denn je warteten sie alle auf den Ausbruchsversuch. Bobby hielt in dieser Nacht Wache oben im Ausguck. Er war ebenso zuverlässig, aber nicht ganz so erfahren wie Alncraft und Orient. Er wurde genau um Mitternacht unruhig, aber er wußte in den ersten Sekunden nicht genau, warum sich seine Unruhe der Panik näherte. Seine Handflächen begannen feucht zu werden. Schweiß lief von seiner Stirn. Er richtete sich halb auf und ließ sich entmutigt wieder zurücksinken. Was ist los? Warum bin ich … begann er in Gedanken. Seine Augen glitten vom Bildschirm zu Bildschirm. Kein Zeichen deutete darauf hin, daß sich etwas genähert hatte. Dann zwinkerte Bobby Mondina überrascht und erkannte, was vorgefallen war. »Der Mond!« stöhnte er auf. Das Mondlicht wurde schwächer. Mondina hob den Kopf und starrte durch die Kuppel nach oben. Die Scheibe des Vollmonds zeigte die typischen Zeichen einer beginnenden Mondfinsternis. Bobby zögerte und drückte dann den Knopf, der ihn unmittelbar mit dem Schlafraum Orients verband. Zehn Sekunden verstrichen, ehe sich Ceeman rührte. Sein schlaftrunkenes Gesicht mit den rotunterlaufenen Augen erschien auf dem Schirm.
Die Instinkt-Spezialisten »Alarm?« bellte er mit belegter Stimme. »Nein. Cee – eine Mondfinsternis fängt gerade an. In wenigen Minuten ist es stockdunkel. Außerdem ist ein Südwind aufgekommen.« »Ich verstehe. Ich komme sofort!« Ceeman wirbelte herum, rannte in die Naßzelle und tauchte seinen Kopf in eiskaltes Wasser. Dann lief er in den Wohnraum zurück, triefend naß, und schnallte sich die Waffe um. Er sprang mit einem Satz hinaus auf den Rasen und spurtete die zwanzig Meter hinüber zum Haus Alncrafts. Er hämmerte an die Tür, riß sie auf und schrie: »Aln! Es gibt etwas! Heraus mit dir!« Er stürzte in den Wohnraum hinein, riß die andere Tür auf und sah Alncraft, der gerade aufstand und sich in den linken Stiefel zwängte. Er sah auf. »Ausbruch?« »Möglich«, erwiderte Ceeman die gekrächzte Frage. »Eine Mondfinsternis beginnt. Sie nützen es mit Sicherheit aus.« »Ich komme.« Eine Minute später rannten sie beide auf den Turm zu. Das Mondlicht hatte weiter abgenommen. Sie waren sicher, daß diese Nacht die günstigste für eine Flucht war. Was geschah jetzt? Die zwei Männer schwebten durch den Schacht aufwärts und prallten in den Kontrollraum hinein. Mondina stand vor den Apparaten und sah aus, als ob er jeden Augenblick explodieren würde. »Das muß von langer Hand vorbereitet gewesen sein!« stieß er hervor. »Der Weitsichtschirm!« Südwind. Die Zahlen der beträchtlichen Windgeschwindigkeit huschten über die Digitalzifferblätter. Auf dem Schirmbild zeichnete sich die Ebene ab, der Waldrand und darüber der freie Himmel. Dort sahen die drei Terraner eine dichte Kette großer, runder Gegenstände. Ceeman drückte sofort den Alarmknopf. An vier Punkten der Umgebung begannen Sirenen und Warngeräte mit unabhängigen Stromkreisen zu arbeiten. Gleichzeitig erhellten sich sämtliche Leuchtkörper innerhalb und außerhalb des Lagers. Die gläserne
11 Mauer, die im schwindenden Mondlicht fast unsichtbar geworden war, leuchtete auf. »Stufe Eins!« sagte Mondina. »Wir haben es geahnt. Jetzt wissen wir es. Sie haben gewaltige Hilfe. Aber wie …?« Ceeman sagte grob: »Du hast recht, aber diese Frage braucht uns erst nachher zu interessieren. Wir müssen den Aufstand niederschlagen und das Entkommen verhindern.« Ununterbrochen heulten die Sirenen. Die Aufzeichnungsgeräte liefen an. Es waren Geräte, die von den Terranern zum eigenen Schutz, beziehungsweise zur Beweisführung installiert worden waren. Die strahlenden, meist schußsicher angebrachten Leuchtkörper innerhalb des runden Lagerareals beleuchteten kahle Hausfronten, geschlossene Türen und freie, leere Flächen und Gänge. Beim ersten Alarm war eine automatische Verriegelung der Türen und Fenster in Betrieb getreten. »Nichts los, dort unten.« »Kommentiere nicht zu früh. Was sollen diese runden Dinge? Was ist das überhaupt?« fragte Ceeman laut, der jetzt vom schrägliegenden Fenster zurücktrat. Die Wachmannschaften bezogen ihre Plätze. Alncraft drehte bereits an den Abstimmknöpfen des Geräts. Signale auf den Schirmen wurden deutlicher. »Es sind keine Metallgegenstände. Der Wind scheint sie hierher zu treiben. In einer breiten Linie driften sie nahezu mit Windgeschwindigkeit auf das Lager zu. Es scheinen Ballons zu sein oder irgendwelches Gespinst, mit Gas gefüllt. Jedenfalls gibt es dort kein Metall, sonst hätte das Gerät längst gewarnt.« Alncraft brummte: »Wir nehmen die Jet und schießen die Kugeln ab!« »Unsinn.« Ihre Aufregung wuchs immer mehr. Dreitausend Meter weit war die erste Kugel noch von der Glasmauer entfernt. Der Durchmesser war laut Meßlinien auf dem Schirm mehr als hundert Meter.
12 »Warum ist das Unsinn?« widersprach Alncraft. Ceeman grinste kalt. »Weil wir noch nicht genau wissen, was sich in diesen schwebenden Dingern versteckt. Warten wir noch einige Sekunden und aktivieren wir noch mehr von unserer technischen Ausrüstung. Los!« Noch immer bewegte sich dort unten niemand. Der Mond verschwand jetzt vollkommen im Schatten des Planeten. Nur eine dünne Kreislinie, die mehr zu ahnen als zu sehen war, stand zwischen den Sternen am schwarzen Himmel. Die Bälle sanken ab. Dort, wo sie die Schnittlinien der Strahlensperre trafen, flammten sie auf. Aber auch die Strahlen begannen zu flackern. Im Pult flammten einige Rotlichter auf. »Überlastung der Projektoren!« schrie Alncraft. Sie wurden nicht angegriffen, aber sie fühlten sich hier oben gleichermaßen eingeschlossen wie auch der Wirklichkeit entrückt. Jetzt hatte der Sturm auch die letzten Ballons herangetrieben. Sie platzten alle. Die Ortungsschirme spielten verrückt. Ein wirres Muster zeichnete sich auf ihnen ab. Flammend brachen einige Strahlen zusammen. Aus einigen Kugeln drang schwarzer Rauch, der die Räume zwischen den Kugeln ausfüllte. Er verdunkelte das Bild völlig. Sowohl die Wachen, die durch die gläserne Mauer das Innere des Lagers nicht mehr erkennen konnten, als auch die drei Posten hier oben, sahen nichts mehr. »Ceeman!« sagte Bobby alarmiert. »Wir sind ausgeschaltet.« Der Wind aus dem Süden verteilte den Rauch und schluckte halbwegs den Klang der schweren Detonation, die irgendwo dort unten ertönte. Aber der gleiche Wind schob den Rauch vor sich her und blies den Raum zwischen den Häusern und der Mauer am äußersten südlichen Punkt auch wieder frei. Es war in dieser Dunkelheit kaum etwas zu erkennen. Nur auf dem Infrarotschirm zeichneten sich verworrene Eindrücke ab.
Hans Kneifel »So scheint es. Also war mein Traum von einem Ballon doch kein Scherz. Sie werden auf diese Weise fliehen wollen. Achtung.« Ceeman hob das Mikrophon an die Lippen und schaltete die riesigen Lautsprecher ein. Er sagte deutlich: »Achtung! Ceeman Orient spricht. Diese Kugeln sind unter allen Umständen abzuschießen. Sie dürfen nicht nach Osten abtreiben! Feuert, was das Zeug hält!« Klick. Die Lautsprecher schwiegen wieder. Kaum hatte Ceeman Orient den Schalter herumgelegt, begannen Bobby und Alncraft zu feuern. Sie hatten die Fenster weit zur Seite geschoben, trugen schwere Infrarotbrillen und legten die Waffenläufe an das Metall der Fenster. Donnernd und fauchend löste sich Schuß um Schuß. Zwischen den Schüssen schrie Bobby: »Ich sehe, wie aus einem zerstörten Haus drei Gestalten rennen. Ich versuche, sie mit dem Lähmstrahler zu treffen.« »Es ist das Haus, in dem das Trio untergebracht ist!« kommentierte zwischen zwei Treffern Alncraft. »Zu große Entfernung für die Schockwaffen. Sinnlos!« Aus drei verschiedenen Fenstern feuerten sie auf die Kugeln. Langsam trieb der Wind den Rauch nach Osten ab. Auch rund um das Lager wurde geschossen. Drei der Projektoren für die Strahlensperren waren ausgefallen. Aus dem fadendünnen Kreis zwischen den Sternen wurde wieder ein zunehmender Mond, der sekündlich mehr kalkiges Licht abstrahlte. Einer der Ballons nach dem anderen detonierte. Die einen enthielten eine Substanz oder ein Gas, das mit einer grellen Entladung explodierte und die Augen der Schützen blendete. Andere ließen wieder Rauch aus allen Seiten quellen. Mehrere Ballons schienen zu wachsen und schossen am anderen Ende des Lagers fast senkrecht in die Höhe. Als die Wachen erkannten, was da ablief, feuerte sie wie besessen aus allen Richtungen auf die
Die Instinkt-Spezialisten Ballons. Aber die Entfernung war für genaue Treffer bereits zu groß. Die Strahlen waren bereits zu wenig gebündelt, um ernsthafte Schäden anzurichten. Orient ließ die heißgeschossene Waffe sinken. »Dort sind sie, Freunde! Sie treiben in großer Höhe nach Osten, denn der Wind hat sich inzwischen gedreht. Osten ist ihr Ziel.« Er blickte auf den Schirm, der jetzt, nach der Zerstörung der meisten kleinen und aller großen Ballons, wieder deutliche Informationen lieferte. Drei winzige Punkte befanden sich unterhalb der reliefartigen Schattenbilder der drei Ballons. Das Mondlicht war abermals heller geworden. »Was jetzt? Gleiter oder Jet?« Alncraft schob eine neue Energiezelle in seine Waffe. »Jet? Sie ist schneller, aber wir können nur an wenigen Plätzen der Insel landen. Nehmen wir den Gleiter.« Mondina nickte Orient zu. »Ich verständige die einzelnen Teamchefs. Geht ihr hinunter zu Maschine?« »In Ordnung.« Nach wie vor war es im Lager hell, jedoch unnatürlich ruhig. Niemand hatte sich wie die drei Gangster aus dem Haus gewagt. Undeutlich erkannte Orient, während Mondina die einzelnen Funkkanäle aktivierte und Alncraft sich in den Antigravschacht zwang, die Trümmer der Tür und einiger Steine aus der Ummantelung. Zehn Minuten später, als der Mond wieder zu drei Vierteln sichtbar war, startete der Gleiter. Die Teams der übrigen Wachen würden versuchen, die Ordnung wieder herzustellen. Die schwere Maschine, von Orient gesteuert, raste hinter den Ballons her nach Osten. Irgendwo dort wartete der eingeschaltete Transmitter auf die drei Verbrecher. Wer die Invasion der merkwürdigen Ballons gestartet hatte, würde vermutlich für immer ungeklärt sein. Ceeman sagte kurz: »Wir müssen sie fassen!«
13 »Das ist inzwischen sogar zur reinen Prestigefrage für uns geworden«, unterstrich Mondina diesen Satz. »Wir sind im Dschungel mehrmals so gut wie die drei. Jeder von uns wiegt sie alle auf!« schloß Alncraft, lehnte sich zurück und schaltete langsam die Radargeräte und die kleinen Ortungsschirme ein. Der Transmitter konnte zwei, aber auch hundert Kilometer entfernt sein.
* Drei Stunden ging das Rennen nach Osten. Zuerst hatten sie zu tun gehabt, um die schnell treibenden Ballons überhaupt zu finden. Durchsichtige Bälle gegen den nachtdunklen Himmel, in denen drei Menschen kauerten, die ebenfalls weder große Metallgegenstände besaßen noch sonst irgendwie ein gutes Echo ergaben – das war sehr schwierig gewesen. Während der halbstündigen Suche entfernten sich die Ballons immer weiter. Dann, als die Terraner dicht hinter ihnen waren, senkten sich die Kugeln und verschwanden stellenweise zwischen einzelnen Baumwipfeln und in kleinen Lichtungen. Die Geschwindigkeit ließ nach, aber immer dann, wenn Orient, Mondina und Alncraft glaubten, die Flüchtenden würden in die Sümpfe von Komdorr springen, schossen die drei Ballone wieder davon. Jetzt strebten sie dem letzten Stück des Inselkontinents zu – der niedrig bewachsenen Zone zwischen dem Meer und dem Rand des Dschungels. Sie flogen schnell, niedrig und in einer Kette. Der Gleiter entdeckte sie und raste hinter ihnen her. In der Morgendämmerung, als das Geschrei der Vögel und Säugetiere dort unten selbst die Maschinen des Gleiters mühelos übertönte, hob Alncraft den Arm und deutete nach vorn. »Dort. Der erste Ballon landet. Wenn er wirklich durchsichtig ist, werden wir sehen,
14 ob der Insasse ausgestiegen ist.« Sofort änderte Orient den Kurs der Maschine und raste in einem flachen Winkel auf die Fläche zu, die sich wie ein Dreieck im Dschungel abzeichnete. Auf dem Grund der Lichtung sahen sie einen breiten, schmutzigbraunen Wasserlauf. Der Ballon, der an seiner untersten Stelle etwas spitz zulief, verschwand zwischen Bäumen und hohen Sträuchern und kam eine Sekunde später wieder hoch. Er stieg schnell auf, und der Gleiter umkreiste ihn. »Ich sehe ein dunkles Bündel an der tiefsten Stelle«, sagte Orient scharf. »Alncraft – einfach in den obersten Punkt der Blase feuern. Wir wollen sie lebend.« Während der Gleiter in einer engen Kurve auf den Ballon zuschwebte, drifteten die beiden anderen weiter auf den jenseitigen Rand der Lichtung zu. »Feuer!« Mit einem peitschenden Röhren löste sich der Schuß und brannte ein Loch in die hauchdünne Hülle. Sie brannte von oben nach unten. Das Gas verpuffte in einigen Stichflammen, die sich ausbreiteten. Einige Fetzen trugen das Bündel in langsamem Fall nach unten, aber als der Gleiter in einem halsbrecherischen Manöver sich dem abstürzenden Rest näherte, schrie Mondina enttäuscht auf. »Das sind Zweige und eine Jacke! Er hat uns getäuscht.« Ceeman Orient zog den Gleiter hoch, aber die zwei anderen Blasen hatten bereits den Boden berührt, tauchten ins Wasser ein und begannen zu schrumpfen. Sie wurden vom Wasser mitgerissen. »Auch das noch!« stöhnte Orient auf und lenkte den Gleiter im Schatten der Bäume an die Stelle zurück, an der er die erste Blase hatte kurz aufsetzen gesehen hatte. »Hier ist einer ausgestiegen!« rief er erbittert. Er war müde, aber jetzt hatte ihn das Jagdfieber gepackt. Die innere Spannung hatte sich bei allen drei Söldnern gelöst. Ihre Sinne arbeiteten mit ungewohnter Schärfe und Leichtigkeit.
Hans Kneifel »Leise und langsam!« warnte Alncraft. Er versenkte die Fenster auf seiner Seite und streckte den Oberkörper in die morgendliche Kühle hinaus. Der Gleiter änderte seine Flugbahn. Er schwebte leise in einen Kreis ein, dessen Radius ungefähr hundert Meter betrug. Langsam und ohne ein Wort zu sagen, kletterte Bobby Mondina hinaus auf die Ladefläche, federte in den Knien und blieb breitbeinig stehen, die Waffe in der rechten Hand. Er hatte den Paralysatorlauf eingeschaltet. Dort drüben sind abgerissene Äste und zerfetzte Blätter. Dort ist der Ballon heruntergekommen. Bobby brummte leise: »Wir müssen die Spur finden. Die Ballons sind flußabwärts getrieben, also ist dort das Ziel.« Sie beendeten die erste Umfahrt der Stelle, als sie im nassen Gras und Gestrüpp auf eine nicht zu übersehende Spur stießen. Augenblicklich wurde der Gleiter herumgerissen und schob sich, schneller werdend, neben der Spur in östliche Richtung. Im Augenblick schwebten sie parallel zum Wasser. Der Urwald war vom Lärmen der eben erwachten Tiere erfüllt. Eine gewaltige Geräuschkulisse umgab die drei Männer. Der Gleiter schwebte über zusammengebrochenen, verfaulenden Baumstämmen und über mannshohen Pflanzen aller Arten. Tiere schwangen sich über ihnen durch die Zweige. Insekten und Vögel flatterten aufgeregt in Spiralen und dicken kleinen Wolken um den Gleiter. »Bleib auf der Spur, Cee!« sagte Mondina von der Ladefläche aus. Er stand da und spähte nach vorn. Das Brummen der Gleitermaschinen verschmolz mit dem Lärm ringsum. »Hier ist er gerannt! Vielleicht steht der Transmitter auf einer der vielen Flußinseln!« murmelte Alncraft. »Vielleicht.« Mit der Geschwindigkeit eines rennenden Menschen schob sich die weiße, tropfenförmige Maschine vorwärts. Dann tauchte sie
Die Instinkt-Spezialisten am Ende der Lichtung in den tiefen Schatten und in die kalte, feuchte Luft zwischen den Bäumen ein. Der Gleiter driftete hinaus über die Wasserfläche und wurde schneller. Alncraft hing halb aus dem rechten Fenster. Als er die Bewegung sah, feuerte er sofort. Sein Strahler fauchte, und dicht vor dem schwankenden Busch breitete sich die Glut der Explosion aus. Von der Ladefläche aus schoß Mondina. Er hatte die dahinrennende und stolpernde Gestalt erkannt. Es war Russel Zunt, der entsprungene Terraner. »Hinüber, Cee!« Der Gleiter bewegte sich seitwärts auf das rechte Ufer des Flusses zu. Zwischen Lianenbündeln und herunterhängendem Pflanzengewirr tauchte immer wieder kurz die geduckte Gestalt des Verbrechers auf. Wieder feuerte Mondina. Ceeman steuerte die Maschine dicht neben dem unkenntlichen Urwaldpfad am Ufer entlang. Die Schüsse wurden von den Pflanzen abgelenkt und trafen nicht oder nur knapp neben den Verbrecher. Auch Alncraft hatte jetzt auf den Paralysatorlauf der Waffe umgeschaltet und zielte lange, ehe sich ein Schuß löste. Schließlich, nach etwa dreißig Sekunden, sagte Orient kurz: »Übernimm das Steuer, Aln!« »Ich verstehe.« Während der Gleiter in einem flachen Bogen in die Mitte des Flusses hinaussteuerte und sekundenlang aus der Steuerung lief, wand und schlängelte sich Alncraft hinter die Hebel und Schalter. Ceeman schnappte seine Waffe und kletterte nach hinten zu Mondina. »Halt dich fest!« sagte er. Wieder raste der Gleiter auf das Ufer zu. Er schrammte mit dem Kiel über die harten Pflanzen und riß eine breite Gasse. Als er sich über dem Pfad befand, sprangen Mondina und Orient ab, landeten im Morast des Pfades und rannten weiter. Aufbrummend schob sich die Maschine rückwärts und nahm dann, als die beiden Männer den Pfad entlang spurteten, wieder den alten Kurs ein,
15 parallel zum Ufer. Vor sich hörte Ceeman nach rund fünfzig Metern schnellsten Rennens die Fußtritte und die keuchenden Atemzüge des Flüchtigen. Er sah ihn hinter einer der unzähligen Biegungen verschwinden und erhöhte sein Tempo. Seine Sohlen blieben im schwarzen, lehmigen Boden stecken. Ceeman achtete nicht auf die Insekten und die Tiere, die neben ihm schrien und sich versteckten, sondern rannte mit erhobener Waffe weiter. Jetzt kam ein annähernd gerades Stück des Pfades. Als er dreißig Schritte vor sich wieder die schlammbespritzte kleine Gestalt sah, feuerte er, ohne in seinem rasenden Lauf innezuhalten. Er zielte auf die Beine des Flüchtigen. Der Paralysator fauchte auf. Zweimal, dreimal, dann gerieten die Füße vor ihm aus dem Takt. Zunt riß die Arme in dem vergeblichen Versuch, das Gleichgewicht nicht zu verlieren, in die Höhe. Dann schlug er, sich halb drehend, lang in den Schmutz des Tierpfades. Drei Sekunden später stand Ceeman breitbeinig neben ihm und richtete die schwere Waffe auf das Gesicht des Mannes. Die Augen des Verbrechers sahen Ceeman mit ungebrochenem Haß an. »Ende des Fluchtversuchs, Zunt!« sagte Ceeman keuchend und registrierte zwei Dinge. Hinter ihm kam Mondina angerannt, und der Gleiter schob sich vom Fluß aus durch das Unterholz und zerfetzte Lianen, als er auf den Pfad zuschwebte. »Mondina! Die Fesseln!« Sie fesselten Zunt, der noch immer nicht sprechen konnte. Sie schleppten ihn drei Meter weit und legten ihn auf die Ladefläche des Gleiters. Mondina und Ceeman schwangen sich in den Gleiter. Ceeman Orient sagte nur: »Weiter. So schnell wie möglich, Aln!« »Okay!« Der Gleiter schob sich zurück auf den Fluß, beschleunigte voll und raste zwei Meter über der braunen Wasserfläche in der Richtung des fließenden Wassers weiter. Sie
16 hielten Ausschau nach zwei kleinen Ballons, die auf dem Fluß dahintrieben, dem Transmitter zu. Von Zunt würden sie nichts erfahren, das war sicher – es gab Dinge, die wußten sie, ohne sie ausgesprochen zu haben. Der Gleiter wurde schneller und fegte, das Wasser hinter sich kräuselnd, flußabwärts. In den leichten Kurven wurden die Männer tief in die Sessel gepreßt. Zunt rutschte über die Ladefläche und schwieg. In seinem Gesichtsausdruck lagen Erschöpfung, Wut und Haß. Einige Minuten vergingen. Die beiden Männer zündeten sich Zigaretten an und wischten Schweiß und Morastspritzer aus den Gesichtern. Noch immer herrschte hier das fast mythologische Dunkel in dem Tunnel zwischen den dichtstehenden und tiefhängenden Bäumen. Der Gleiter schwang sich über einen Baumstamm, der quer über zwei Dritteln des Flusses lag, ging wieder tiefer und schoß weiter geradeaus und die Windungen entlang. Dann, mit eindrucksvoller Plötzlichkeit, änderte sich die Umgebung. Die Flußufer traten weiter auseinander. Es wurde heller, der Gestank des faulenden Bodensatzes der Ufer ließ schlagartig nach. Der Fluß wurde vorübergehend flacher und breiter. Das Wasser begann zu schäumen und zu quirlen, als es über die Steine und die vorgeschobenen Felsrücken floß. Wirbel bildeten sich. Ein sausendes, rauschendes Toben begann den Raum zwischen den Ufern zu erfüllen. Weit voraus, in dreitausend Metern etwa, tauchte eine flache Insel auf, die aus Stein, Sand, Schwemmgut und wuchernden Wasserpflanzen bestand. »Die Ballons!« Ceeman schrie es fast. Alncraft trat den Geschwindigkeitsregler bis zum Anschlag durch, als er die kleinen, zusammengeschrumpften Kugeln sah, die am Anfang der Insel auf den Wellen schaukelten und ständig kleiner zu werden schienen. Die Maschine raste direkt auf die beiden Gespinstkugeln zu und wurde brutal abgebremst. Mit einem Blick vergewisserten sie sich,
Hans Kneifel daß die Kugeln leer waren. Auch hier führte eine unübersehbare Spur geradeaus, auf den weiter abwärts gelegenen Teil der Insel zu. »Weiter! Es geht um Sekunden!« stöhnte Mondina auf und entsicherte seine Waffe. Wieder kletterten Bobby und Ceeman auf die Ladefläche, hielten sich am Dach der Kabine fest und waren bereit, jede Sekunde abzuspringen. Die Spur wand sich zwischen Felsen, kleinen Brackwassertümpeln und massigen Bäumen hindurch. Der Gleiter flog höher, Alncraft überblickte das Gelände und konnte deshalb geradeaus fliegen. Die Pflanzen wurden niedriger, mehr und mehr Sand wurde sichtbar. Und Felsen, die jetzt enger nebeneinander standen. Die Spur führte zwischen den Felsen hindurch. Der Gleiter wurde abermals schneller und überflog dann ein Labyrinth aus fingerähnlichen Steinen. »Irgendwo hier muß der Transmitter stehen! Verdammt! Es wird knapp!« murmelte Ceeman, der an das Schlimmste dachte. Vielleicht erreichten die beiden Verbrecher den Fluchtpunkt nur um Sekunden vor ihnen. Und dann sahen sie den Transmitter. Es war ein kleines, transportables Gerät, das auf einer großen, annähernd runden Fläche aus stoffähnlicher Substanz stand. Die beiden schenkelähnlichen Säulen spannten sich bis zum Schnittpunkt. Alncraft tat das einzig Vernünftige; er drückte die Maschine abwärts, kreiste einmal um einen Felsen und hielt dann den Gleiter in der Nähe des Transmitters an. Wir waren also doch etwas schneller als die beiden Verbrecher, dachte Ceeman und schwang sich hinunter in den Sand. Dann sagte er drängend: »Mondina! Du gehst in die Richtung der Spur. Ich warte hier. Aln – du fliegst zurück und machst einen Rückweg unmöglich. Schnell!« Bobby sprang neben ihm von der Ladefläche. Augenblicklich stieg der Gleiter hoch und verschwand über den Felsen. Ceeman zog sich zwischen die Steine zurück und stand in einem toten Winkel, keine zwölf
Die Instinkt-Spezialisten Meter von der Maschine entfernt, von der die Rettung der Verbrecher abhing. Mondina huschte, die Waffe in der Hand, zurück nach Westen und verschwand zwischen den schrägen und geäderten Sandsteinwänden. Ceeman wartete und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Keine dreißig Sekunden später hörte er die Sirene und den lauten Summer des Gleiters. Zwischen den Felswänden wurde ein hallendes Echo hörbar. Seine Unruhe erreichte einen Grad, der ihn fast krank machte. Ein Gefühl der ohnmächtigen Schwäche breitete sich von der Magengegend aus. Schüsse krachten und fauchten. Er sah nichts, absolut nichts. Die Sirene des schweren Gleiters heulte und kreischte. Sämtliche Nerven Ceemans waren zum Zerreißen gespannt. Er kontrollierte mit einem schnellen Blick die Waffe, um sich abzulenken. Dann hörte er ein neues Geräusch. Fußtritte. Sie waren hastig und stolpernd, unregelmäßig. Ceeman zielte auf den Ausschnitt, aus dem er den Flüchtigen erwartete. Aber dann rannte Rotta N'honk, der Neu-Arkonide, aus einem anderen Zwischenraum heraus und auf den leuchtenden Kleintransmitter zu. Ceeman ging kein Risiko ein. Er feuerte eine Maximalladung genau in die Brust des Neu-Arkoniden. Nach drei Metern strauchelte der Verbrecher, schrie gepreßt auf und überschlug sich im Sand. Ceeman Orient trat aus der Felsspalte heraus und wartete unruhig. Gleichzeitig mit Mondina, der schräg hinter ihm aus einem der vielen Ausgänge des Felsenlabyrinths herausrannte, kam Kim Zahok aus einem anderen Zwischenraum. Der Mann hielt in jeder Hand einen Stein und reagierte blitzschnell. Der Akone schleuderte den scharfzackigen Felsbrocken auf Ceeman, aber Mondina schoß ihm in den Arm. Es war ein hastiger, schlecht gezielter Schuß. Ceeman ließ sich fallen, rollte sich ab und schoß noch während der Bewegung. Er traf Zahok in die Brust. Zwei Meter vor dem Transmitter brach Zahok zusammen. Der Stein löste sich aus seiner wirbelnden Hand und flog in
17 einem flachen Bogen durch den Transmitter und verschwand. Mühsam kam Ceeman auf die Beine. »Vorbei«, sagte er. »Jetzt kann der Chef sich um den Rest kümmern. Wir haben unsere Prämien verdient.« Der Gleiter landete. Die Männer sahen sich schweigend an und fesselten die Verbrecher, legten sie auf die Ladefläche. Ceeman sagte müde zu Mondina: »Ruf die Station an und sage ihnen, sie sollen ein Bad für mich einlassen.« Sie setzten sich in den Gleiter, aßen etwas von den Notvorräten, gaben einen ersten Kommentar für die Station ab und verluden dann den ausgeschalteten Transmitter. Im Augenblick interessierte sie nicht einmal die Spekulation über die einzigartige Möglichkeit, einen Transmitter auf diesem bewachten Planeten abzusetzen. Sie flogen auf direktem Weg zurück zum Lager. Dort erwartete sie eine Überraschung. Ein Raumschiff war gelandet. Aber es war keines der Neu-Arkoniden.
* Die drei Besucher kamen, als sich Ceeman Orient genau in der schmalen Zone zwischen Erleichterung und Erschöpfung befand. Er saß in seinem Wohnraum, ein riesiges Glas besten Alkohols in der Hand. Der Raum wurde von lauter, terranischer Musik überflutet. »Guten Abend!« sagte der Mann. Er war vom Raumschiff, das am frühen Morgen gelandet war. »Ebenso«, sagte Ceeman und streifte die Asche seiner Zigarette ab. »Sie sind Terraner. Aber in den Diensten der NeuArkoniden? Ein Söldner wie ich?« »Nein!« Ceeman blickte ihn genauer an. Groß, schlank, mit wettergegerbter Haut und grauen Augen. Er trug keine Uniform, aber eine Waffe im Schulterhalfter. Der Besucher drehte sich halb um und sah schweigend zu, wie sich zwei weitere Männer in den Raum
18 schoben. »Gehen Sie zum Teufel!« sagte Ceeman ärgerlich. »Ich will ausspannen.« Der erste Sprecher sah ihn mit kühlem, distanziertem Blick an und erklärte: »Sie sind ein wilder Bursche mit Ihrem komischen Pseudokopfschmuck. Sie sind ein hochqualifizierter Söldner ohne Disziplin. Sie verdienen sehr gut und sind bis zu einem bestimmten Punkt Ihr eigener Herr.« Ceeman betäubte seine aufkommende Unsicherheit mit einem Schluck, der genügt hätte, eine Ratte zu konservieren. »Das wußte ich schon, bevor ihr hier eingedrungen seid. Woher kommt ihr eigentlich?« »Von der United Stars Organisation. Sagt Ihnen das etwas?« Ceeman zuckte zusammen. »Allerdings!« Er pfiff durch die Zähne. »Was wollen Sie von mir?« »Wir bieten Ihnen bessere Bedingungen, als Sie hier haben. Unabhängigkeit, jede Menge Abenteuer, Schulung und sogar Altersversorgung. Machen Sie mit?« »Sie scherzen!« murmelte Ceeman. »Sie wollen mich ärgern. Wie sind Sie eigentlich durch die Sperrforts gekommen?« »Auf demselben Weg, wie diese Kugeln kamen und der Transmitter. Wie gesagt, wir können immer ein bißchen mehr. Haben Sie nicht Lust, sich uns anzuschließen? Wir planen ein ganz neues Experiment. Sie befänden sich dann in bester Gesellschaft!« »Mondina und Alncraft auch?« »Nein. Nur Sie.« Ceeman musterte die drei Männer und schwieg. Dann sagte er leise und nachdenklich: »Lassen Sie mir Zeit bis morgen früh. Ich muß überlegen. Kommen Sie aber erst nach dem Frühstück wieder.« »Geht in Ordnung, Partner!« sagte der Sprecher. Die Männer verließen den Raum. Am nächsten Morgen flog Ceeman Orient mit ihnen, nachdem er seine Kündigung eingereicht hatte.
Hans Kneifel
3. »Das war vor sechs Jahren«, erklärte Garobier. »Wir hatten schöne Erfolge. Aber ich habe mich zu wiederholten Malen gefragt, was aus den Instinkt-Spezialisten geworden ist!« Atlan hob den Kopf und blickte Sellbegg an, der ihm in dem schweren Sessel gegenübersaß und die Kiefer mahlend bewegte. Der aromatische Geruch der Betelnuß drang in Atlans Nase. »Vielleicht kommen wir diesem merkwürdigen Vorfall auf die Spur. Sie sagen, Sir, Froom Wirtz wäre weder zu erreichen, noch habe er sich selbst gemeldet.« »So ist es!« bestätigte Atlan unruhig. Es war einige Tage nach dem ersten Gespräch mit Sellbegg Garobier. Atlan und der Genetiker waren am Schicksal von IS Froom Wirtz aus mehreren Gründen sehr interessiert. Nicht nur deswegen, weil Wirtz im Deylight-System noch immer schwieg, sondern auch deswegen, weil er der nächste Spezialist war, der sich um die Vorkommnisse auf Komouir kümmern konnte. »Es gibt verschiedene Möglichkeiten!« schlug Garobier vor. »Die gibt es immer, Sellbegg. Aber schließlich wäre dies der beste Augenblick, unsere Geheimentwicklung an Ort und Stelle gründlich zu testen. Wir haben überall sofort verbreiten lassen, Perry Rhodan würde das Tiffak-System besuchen!« »Tatsächlich? Und das hat nicht gewirkt?« »Nein!« sagte Atlan. »Das klingt nicht gut. Genauer: es sieht so aus, als ob unser schönes Experiment mit den Instinkt-Spezialisten fehlgeschlagen sei!« murmelte Garobier. Sein blondes Haar war zerrauft. Er wirkte schwerfällig und schläfrig, wie er da vor Atlan saß. Dieser Eindruck täuschte jedoch gründlich. »Ich habe nicht mehr gehofft, daß die Instinkt-Spezialisten jemals eingesetzt werden. Vor sechs Jahren haben wir alles aufgebaut.
Die Instinkt-Spezialisten Und jetzt ist der beste Mann des Teams ausgefallen, noch bevor es begonnen hat!« murmelte er. »Haben Sie eine Erklärung dafür, Sir?« »Keine Erklärung. Ich spiele noch mit dem Gedanken, ein Schiff der USO nach dem Kristallplaneten Komouir zu schicken. Aber andererseits steht dabei unsere Planung auf dem Spiel. Aber ich kann unseren ›Zündimpuls‹ noch einmal verstärkt ausstrahlen lassen.« »Das wäre gut!« pflichtete Garobier bei. Er hatte die Frauen und Männer noch sehr gut in Erinnerung. So gut, als habe er den Versuch erst vor einigen Wochen beendet. Es war eine wilde Bande undisziplinierter Mädchen und Burschen gewesen, voller Fähigkeiten, die nicht entdeckt und noch weniger ausgebaut waren. Mühsam genug hatte man sie auf den langen Weg zum IS gebracht. Aber sie hatten sich nicht geändert; noch immer blieben sie die Abenteuernaturen, die alles andere als ruhige Beamtentypen werden konnten. Ceeman Orient war einer von ihnen gewesen. Ein Mann von ungewöhnlichen Talenten, voller Überraschungen und wie kaum ein anderer für diese ebenso ungewöhnliche Ausbildung geeignet. Sellbegg Garobier zuckte die Schultern und murmelte: »Wie ernst ist es mit dem Run auf Komouir?« »Ziemlich ernst!« sagte Atlan. »Wie gesagt – ich warte noch ein wenig. Dann werde ich auch ohne IS Froom Wirtz handeln.« Die Vision eines Rausches, der sämtliche Glücksjäger und deren unerwünschten Anhang innerhalb eines winzigen Gebietes konzentrieren würde, kam über den Arkoniden. Er wußte, daß er es nicht mehr verhindern konnte. Der kleine, autarke Planet würde überflutet werden. Schon jetzt war die Situation mehr als gefährlich. Jede Stunde landeten dort im Tiffak-System weitere Schiffe und spien Mannschaften aus, die augenblicklich nach Kristallen zu suchen begannen – und sie auch fanden. Wenn dieser Run vorbei war, dann war auch der Planet hoff-
19 nungslos verwüstet und alle seine Bewohner korrumpiert. Und, verdammt, warum griff Wirtz nicht ein, der nur eine Handvoll Lichtjahre vom Ort des Geschehens entfernt war und dem man inzwischen zweimal sein ISStichwort laut und deutlich gegeben hatte? Wenn sich Terra mit Gewalt in dieses Geschehen auf Komouir einschaltet, dann konnte dies sogar Krieg bedeuten. Atlan stand auf und sagte entschlossen: »Ich warte noch drei Tage, bis zur Mitte des Monats. Dann handle ich persönlich.« Du wirst diese Frist vermutlich noch verändern müssen. Vielleicht auch verlängern! murmelte die Stimme seines Extrasinns. »Ich erwarte noch heute bestimmte neue Informationen aus dem Tiffak-System«, sagte Atlan. »Bis dahin können wir uns die Speicherdaten unserer IS noch einmal ansehen.« »Es waren sechs Männer und drei Frauen«, sagte Sellbegg Garobier träumerisch, »die wir schließlich aussondern konnten. Damals, vor sechs Jahren … eine sehr interessante Zeit, Lordadmiral.« »Ich weiß«, antwortete Atlan. »Aber sechs Jahre sind eine lange Zeit.« Auch er erinnerte sich sehr genau. Deswegen war seine Enttäuschung, daß Wirtz nicht handelte, auch so nachhaltig.
4. Am heutigen Morgen war die Karawane den elften Tag vom Stützpunkt TovonchFrontier entfernt. Hier auf dem öden Planeten zählten die Tage, nicht die zurückgelegten Kilometer. Isidor Natzmann richtete sich in den Steigbügeln auf und spähte unter der Krempe seines einstmals weißen Hutes hervor. Langsam drehte er den Kopf. »Nichts!« flüsterte er mit rissigen Lippen. Der Ponter unter ihm ging in einem gleichmäßigen Trab. Er konnte fast einen ganzen Tag von sechsundzwanzig Stunden ununterbrochen in diesem Tempo laufen. Hinter Natzmann hingen die schweren Was-
20 sersäcke und das wenige Gepäck, das er persönlich brauchte. Der Lauf der Waffe über seiner Schulter strahlte eine ungeheure Hitze aus. Die Tiere und die Teilnehmer der Jagdkarawane warfen fast keine Schatten – die Sonne strahlte nahezu senkrecht vom fahlblauen Himmel Ig'Tovonchs. Es war eine leere und abstoßende Welt. Einer ihrer Vorzüge war der Squopper. »He, Jäger!« schrie Ed Diumant von hinten. Als der Ton der rauhen, schnarrenden Stimme Natzmann traf, war es, als würfe ihm jemand ein Stilett zwischen die Schulterblätter. Langsam drehte er sich im Sattel um und musterte den Mann mit dem runden Gesicht. Ohne Reittier wäre Diumant binnen einer Stunde hier auf Ig'Tovonch hoffnungslos verloren gewesen. »Ja, Mister Ed?« Natzmann zwang sich zur Höflichkeit. Es gab zwar nur zwei weitere Squopper-Jäger auf diesem Planeten, aber dieser reiche Pöbel, den er spazierenführte, verbreitete seine eigene Tüchtigkeit nur per Mundreklame. Haben Sie sie schon gehört, Teuerste, dieser fabelhafte weiße Jäger auf Ig'Tovonch? Der Junge versteht sein Geschäft. Er führt uns immer an die richtigen Stellen! »Wie lange müssen wir noch auf diesen stinkenden Böcken reiten, bis wir eines der Ungeheuer vor die Flinte bekommen?« Fahr zur Hölle, du Angeber! dachte Natzmann, aber er antwortete nach unmerklichem Zögern: »Wie ich es Ihnen allen schon erklärt habe, Mister Ed, sind die Squopper sehr selten und dazu auch noch sehr scheu. Wir reiten im Zickzack zwischen den Punkten hindurch, an denen sie am häufigsten anzutreffen sind. Schließlich dürfen wir alle kein Risiko eingehen.« »Verstehe!« krächzte die Stimme. Sie war ebenso wenig sympathisch wie der Besitzer dieses Organs. Natzmann ließ seine Schultern wieder nach vorn sinken und paßte sich den Bewegungen des dahingleitenden, geschmeidigen Tierkörpers an.
Hans Kneifel Es waren zwölf Safarigäste, zwei junge Burschen und er. Fünfzehn Personen, die von Frontier aufgebrochen waren. Jeder Tag wurde von diesen Großwildtouristen bezahlt, und der junge Jäger hatte nicht die entfernteste Absicht, den Trip zu beschleunigen. Jeder Tag brachte ihm von zwölf Gästen Einnahmen. Diesmal hatte er eine besondere Auswahl erwischt. Jedesmal, wenn zwölf Interessenten zusammengekommen waren, schickte das Reisebüro eine solche Sammlung per Raumschiff hierher. Die Verträge waren wahre Meisterwerke und schlossen für Isidor Natzmann jede Haftung aus, aber noch keine Jagd war vergangen ohne ernsthafte Verletzungen der hilflosen Touristen. Seit zwei Jahren machte Natzmann nun diese Anstrengungen, und bald würde er es geschafft haben. Schließlich war er der beste Jäger innerhalb einer Kugel von mehreren Lichtjahren Durchmesser. Sie ritten weiter. Jeder Tourist führte ein Reservetier an seinem Sattel, voll beladen mit Wasser und Ausrüstung. Die beiden Helfer hatten jeweils drei Tiere, nur Natzmann ritt ohne hinderlichen Troß. Abe kam entlang des Zuges nach vorn geprescht und hielt sich neben Natzmann in einer hochgewirbelten Wolke feinen Staubes an seiner Seite. »Boß!« Isidor blickte in das schweißnasse, dicht mit einer Staubschicht bedeckte Gesicht des Helfers. »Was gibt es, Abe?« »Kommen wir heute noch nach Point Tranquillitatis?« »Ja. Noch vier, fünf Stunden. Durch die Schlucht. Ich habe nicht vor, auf eine Squopper zu stoßen.« Abe grinste. »Verstehe. Die Touristen«, flüsterte er und zwinkerte wie ein Berufsverschwörer, »sie haben schon wunde Hintern. Die Damen sehnen sich nach einer Dusche.«
Die Instinkt-Spezialisten Isidor nickte. »Ich bin von der Jet verständigt worden. Das Lager ist bereit. Sie waren dort und haben jede Menge Spuren gesehen.« »Dann gibt es sicher eine lustige Nacht!« versprach der Helfer und hielt seine Tiere an. Langsam zog die Karawane an ihm vorbei. Es waren sechs nicht mehr ganz junge Frauen, von denen bestenfalls eine die Bezeichnung »Dame« verdiente. Die anderen waren zu reiche, zu gelangweilte und zu schlecht erzogene Terraner, die ernsthaft glaubten, sie wären die einzigen wichtigen Menschen im Kosmos und hätten nicht nur diese Reise, den Jagdausflug, sondern auch das Leben der drei Helfer gekauft und bezahlt. Sie tyrannisierten drei oder vier Tage lang alle bis zur Weißglut, aber dann hatten die Sonne und der Sand, die Anstrengungen und die geschmeidige, honigsüße Höflichkeit Natzmanns sie kuriert. Fertiggemacht wäre der bessere Ausdruck, überlegte Abe. Natzmann war der falscheste Hund, der zwischen den Polen herumritt. Aber er brauchte zwei durchzechte Nächte, wenn die Safari vorbei war. Dann endlich war er wieder der alte. Natzmann hob jetzt die Hand, winkte seinen Gästen und ritt an die Spitze des Zuges. Die Karawane näherte sich dem Tal, das zunächst weit offen stand, schließlich zu einem engen Canyon wurde und schließlich in die große, windgeschützte Oase Point Tranquillitatis mündete. Dort war das Ziel des heutigen Tages. Als er an Yngryt DeVrias vorbeiritt, griff sie in den Zügel des Ponters und rief: »He, Isidor! Sie wirken so aufgeregt! Hat das Jagdfieber Sie gepackt?« Natzmann schüttelte den Kopf und grinste sie an. »Nein, keineswegs; Madam«, sagte er und spuckte Sand seitlich aus dem Sattel. »Wie Sie wissen sollten, lassen sich die Squopper nur in der Nacht sehen. Von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang. Wie die Vampire!«
21 »Ich lechze nach einer Dusche und nach einem eisgekühlten Drink!« beschwor sie ihn. »Und diese Sättel! Einfach schrecklich!« »Das einfache Leben eines tapferen Jägers erfordert eine gewisse Zurückhaltung und bringt mannigfache Widrigkeiten mit sich, Yngryt!« sagte er scheinheilig, aber mit einer Stimme und einem Gesichtsausdruck, die höflich und entgegenkommend waren. »Trotzdem! Wann werden wir endlich einen Squopper sehen?« Die schwere Mannlicher mit dem geschützten Zielfernrohr, die mit der Mündung nach unten in der Satteltasche steckte, wippte neben den Knien der Reiterin. »Wenn Sie ihn sehen, Madam, ist es schon zu spät. Dann ist er schon auf Schleuderentfernung heran.« Sie kicherte und spuckte ebenfalls völlig undamenhaft Sandstaub aus. »Sie sind ein Schelm, Isidor.« Er gab ungerührt zurück: »Aber ein guter Jäger mit exzellenten Jagdgästen!« Ohne auf eine Antwort zu warten, ritt er weiter. Oh, wie er diese reichen, idiotischen Pseudojäger haßte! Er hatte den Hals voll von ihnen. Sie widerten ihn an, aber trotzdem nahm er ihr Geld. Isidor Natzmann war siebenundzwanzig Jahre alt, aber er wirkte wie ein erfahrener Fünfunddreißiger. Er maß einen Zentimeter mehr als hundertachtzig und war bei seinem gewaltigen roten Haarschopf mit einer hellbraunen Haut und strahlenden blauen Augen ausgestattet. Zusammen mit den weißen Zähnen ergab dies einen Eindruck, der die jüngeren unter den weiblichen Gästen zur Raserei und Verzweiflung brachte. Raserei deswegen, weil die betreffenden Damen in jeder anderen Frau eine Rivalin sahen, Verzweiflung aus einem anderen Grund: Er war zu keinem seiner Gäste höflicher oder entgegenkommender als zu einem anderen. Er verteilte seine Körbe gleichmäßig. Und jetzt ritt er an der Spitze der Karawa-
22
Hans Kneifel
ne, die sich durch die Hitze, den Staub und den Sand bewegte. Wofür Leute freiwillig eine gewaltige Summe Geld ausgaben, war für Natzmann ein Rätsel. Gut, er selbst war ein Jäger, der Schnelligkeit mit Instinkt und beste Kenntnisse mit dem Bestreben verband, mit einer Art, möglichst schnell möglichst viel Geld zu verdienen. Und er verdiente! Er kassierte ebenso von dem Vermieter der Reittiere wie vom Verkäufer der Nahrungsmittel, vom Verleiher der Zelte und der Ausrüstung wie vom Reisebüro, und überdies bekam er noch feste Trinkgelder. Er mußte also in dieser Hitze auf Squopperjagd … »Na schön«, murmelte er und klopfte dem Tier auf den langen, gekrümmten Hals. »Bringen wir es hinter uns. Hoffentlich sterben nicht allzu viele. Das schlägt auf die Laune.« Und auf die Prämien, dachte er, aber er wagte es nicht einmal auszusprechen. Sie ritten weiter. Er war jetzt so weit vor der Karawane und gab vor, Spuren zu sichern, daß ihn niemand mehr erreichen konnte, falls er rief.
* Vier Stunden später ließen die Gäste die engen Felswände hinter sich, die jedes flüsternde Geräusch in einen Orkan aus Echos gemacht und eine unbarmherzige Hitze ausgestrahlt hatte. Der grüne Kreis der Oase lag vor ihnen. Hundertfünfzig Bäume, zwei Brunnen, Rasen und Sträucher. Und zwanzig kleine Würfel aus Plastik und Verbundbaumaterial, die an die natürliche WasserDurchlaufkühlung angeschlossen waren. Den Terranern und den Tieren schlug ein aromatischer Duft entgegen, der nach Blüten und Wasser roch. Die Tiere wurden schneller und hasteten auf die Wasserstelle zu, einen Trog, der außerhalb der Pflanzen stand und aus roh behauenen Steinen bestand. Natzmann ritt bis
vor die Rinne und schrie laut: »Haltet die Tiere zurück. Sie trinken sich sonst krank! Vorsicht! Zuerst absatteln!« Neben ihm bremsten die beiden Helfer und griffen sofort ein. Natzmann schwang sich schnell und geschmeidig aus dem Sattel. Die zwölf Gäste kletterten ächzend und mit steifen Knochen aus den Sätteln. Die jüngste Teilnehmerin war vierunddreißig, der älteste fast siebzig Jahre alt. Er war noch der netteste und verständnisvollste Jagdgast. Aber auch er hatte diese Jagd unter besonderen Umständen angetreten. Er wünschte seine Jugend zu verlängern. Die Sattelgurte wurden gelöst. Die Touristen schufteten wie die Wilden, nur um schneller in die gekühlten Kuben hineinzukommen und aller ihrer Verpflichtungen ledig zu sein. Wieder grinste Natzmann und versorgte sein Tier. Er schleppte Sattel und Ausrüstung in die Hütte mit der Nummer eins und führte dann den Ponter zum Trog. Eine Stunde später hörten sie nichts mehr als gleichmäßiges Duschen der Teilnehmer. Isidor Natzmann saß am Rand des Troges, sah den trinkenden und weidenden Tieren zu und rauchte in guter Ruhe eine lange gelbe Zigarre. Einheimischer Tabak. Er roch wie ein brennender toter Vogel, aber er schmeckte nicht schlecht – und vertrieb die Insekten.
* Die Reittiere weideten rund um die Oase und zwischen den Bäumen. Sie waren satt, getränkt und von den beiden Helfern und einigen männlichen Gästen abgerieben worden. Sauber aufgereiht lagen die Sättel vor den kleinen Hauswürfeln, die auf stählernen Stelzen standen. Ig'Tovonch war einer von drei Planeten einer rötlichen Sonne. Er besaß Meere und eine für Menschen geeignete Atmosphäre, aber die meisten Landstriche waren große Wüsten aus Gebirgen, Steinen und Sand. Hauptsächlich aus Sand. Es gab kaum Bo-
Die Instinkt-Spezialisten denschätze, aber die kleine Siedlung, die einzige auf diesem Kontinent übrigens, existierte ganz gut. Es gab ein Hundert-Zimmer-Hotel, einen Badestrand und einen der letzten Wälder des Planeten. Von diesem Hotel aus starteten die Jagdgesellschaften, um den Squopper zu jagen. Es war ein seltsames Tier, eine Art Kreuzung zwischen sauriergroßer Echse und Wüstentier; geheimnisvoll, weil seine Lebensgewohnheiten kaum bekannt waren. Und sehr gefährlich, denn er war schnell, tötete mit Prankenschlägen, seinem furchtbaren Rachen oder mit seiner Schleuder, einem Organ, das wie die Zunge eines Chamäleons arbeitete. Das ausgewachsene Tier wog fünf Tonnen und ernährte sich von Grünzeug ebenso wie von Gazellen, in deren Rudel es einbrach. Fast so schnell wie ein Ponter, aber nicht so wendig. Die Drüsen am Hinterkopf und in den Gelenken enthielten Hormone, die angeblich stark lebensverlängernd wirkten. Sämtliche Jäger, die auf den Squopper Jagd machten, sagten aus, daß sie es wegen der Faszination der Jagd täten und nicht wegen dieser vorgeblich lebensverlängernden Hormone. Sie logen. Isidor Natzmann stand auf. Er schlenderte hinüber zu seinem Wohnwürfel und sah nach dem Sand und dem Stand der Sonne. Es würde heute nacht keinen Sturm geben, und bis zum Einbruch der Dunkelheit hatten sie noch rund vier Stunden Zeit. Es sah alles ganz gut aus. Sein Kontrakt sah vor, der Gesellschaft mindestens zwei Squopper vor die Büchsenläufe zu treiben. Vielleicht erfüllte er heute die erste Hälfte. Einen Augenblick lang, wie schon sehr häufig in den letzten Monaten, überlegte sich Isidor, ob es nicht doch besser gewesen wäre, sein Hyperphysikstudium zu beenden, aber dann dachte er an sein Guthaben bei der kleinen planetaren Bankniederlassung und grinste kalt. Noch ein Jahr, Isidor! dachte er, während
23 er in den kühlen Würfel kletterte und sich auszog, dann hast du soviel Geld, wie du brauchst. Er reinigte sorgfältig Kleidung, Ausrüstung und Stiefel, dann duschte er heiß und kalt. Das Sonnenlicht und die Hitze erwärmten den Tank im Dach; dadurch gab es warmes Wasser in genügend großer Menge. Isidor zog sich neue Wäsche an, stieg in einen Teil seiner Jagdkleidung und sicherte die schwere Waffe, bevor er den Wohnwürfel verließ. Ein Schluck aus der flachen Taschenflasche, und er fühlte sich wieder hervorragend. Das erste Drittel der Jagdreise war vorbei. Abe und Manfred erschienen und blieben vor ihm stehen. »Machen wir jetzt das Essen für unsere lieben Gäste?« »Genau das. Bei Einbruch der Dunkelheit geht eine Gruppe mit mir los.« »In Ordnung, Boß!« Sie packten die Nahrungsmittel aus, klappten einen der Würfel, die im Halbkreis im Schatten der palmenähnlichen Gewächse standen, auseinander und begannen mit der Vorbereitung des Essens. Zwei der jüngeren weiblichen Teilnehmer kamen und halfen ihnen. »Sie könnten die Tische decken, Maryon!« bat Isidor. »Abe wird Ihnen helfen, die Platten und die Sessel herauszutragen.« »Mache ich gern für Sie, Natzmann!« kicherte sie. Maryon war ziemlich hübsch und unerträglich langweilig. Es war möglich, daß sie sich auf dem gesellschaftlichen Parkett in Terrania hervorragend bewegte, aber hier in der rauhen Natur war sie eine Zumutung. Aber sie ritt hervorragend. Die Gebäude in dieser Oase und an einer Anzahl anderer Plätze in den verschiedenen Wüsteneien waren angelegt worden, um den damaligen Suchtrupps das Leben zu erleichtern und sie in die Lage zu versetzen, längere Zeit unabhängig vom Stützpunkt zu operieren. Sie hatten Bodenschätze gesucht oder etwas, das zu bergen sich lohnte, um diesen
24 Planeten interessanter und wertvoller zu machen. Aber ihre Suche war nur selten erfolgreich gewesen. Ig'Tovonch war und blieb unterentwickelt. Abe zog eine Anzahl Platten aus einem gesicherten Fach, klappte die Beine aus und stellte die Tische in U-Form auf. Fünfzehn Plätze; die Klappstühle befanden sich ebenfalls in einem leeren Wohnwürfel. Maryon deckte die Tische. Sie kochten eine dicke Suppe, runde, schwarzhäutige Bodenfrüchte, Eier mit Schinken. Dazu gab es alle möglichen Getränke. Nur mit Alkohol ging Isidor sehr sparsam um. Als der dünne rote Wein des Planeten in den Papierbechern gluckerte und die Zigaretten brannten, lehnte sich Isidor in seinem Klappstuhl zurück und sagte: »Mein Damen, meine Herren!« Jemand knurrte: »Das heißt besser: liebe Jagdgenossen!« »Wenn Sie dies vorziehen, bitte«, wich Isidor aus. »Also, meine Jagdgenossen, wir sind in dieser Oase. Hier bleiben wir drei Tage. Die Squopper kommen niemals oder sehr selten hierher, weil sie, wie bekannt, scheu sind. Wir werden sie also suchen und verfolgen. Heute nach der Abenddämmerung bricht die erste Gruppe auf, drei Genossinnen und drei Genossen. Und ich. Die anderen müssen Sicherheitsaufgaben übernehmen. Morgen nacht wechseln wir. Ich betone noch einmal, daß dies kein Jagen auf Hasen oder Schnepfen ist, sondern eine tödliche Beschäftigung. Zuerst sehen Sie bitte alle Ihre Waffen nach, kümmern sich um die richtige Munition und stecken die Detonatoren ein. Dann kommt die Kleidung dran. Es sind schon mehr Jäger durch aufgerissene Stiefelschnallen gestorben und durch rutschende Sättel als durch wilde Tiere. Und noch etwas: Ich bin der Chef. Sie schießen nur dann, wenn ich es sage, denn ich kenne im Gegensatz zu Ihnen allen die Squopper sehr gut. Sie sehen sich einer Bestie gegenüber, die so groß und fast ebenso schnell ist wie ein Lastengleiter. Lassen Sie den Squopper nicht näher als
Hans Kneifel fünfzehn Meter an Sie herankommen. Sie kennen die Stellen, an denen Schüsse tödlich sind. Überlegen Sie mehrmals, ehe Sie den Zeigefinger krümmen. Ich habe Ihnen gesagt, daß ich bisher eine Handvoll toter Jagdgenossen zurückbringen mußte. Es waren diejenigen, die es besser gewußt haben wollten als ich. Haben Sie mich alle verstanden?« Einige Sekunden herrschte Schweigen. Seine Rede war deutlich gewesen und hatte den zwölf Personen – Terraner vom Heimatplaneten und aus vielen Kolonien – den Ernst ihres Unternehmens gezeigt. Dann brach eine Flut von Fragen über Natzmann herein. Er beantwortete sie geduldig. Bevor er aufstand, um zu erklären, daß sie jetzt alle die letzten Vorbereitungen treffen sollten, überlegte er, ob er das Funkgerät mitnehmen sollte oder nicht. Da die Wahrscheinlichkeit, daß sie in echte Not geraten würden, relativ klein war, entschied er sich dafür, den leistungsfähigen Minikom hier zu lassen. Er schloß die Antwort auf die letzte Frage ab und ordnete an: »Los geht's, meine Jagdgenossen. Wir haben eben gelost – die sechs Glücklichen lassen sich von den Verlierern helfen!« Fünf verschiedene Gänge zwischen den Felsen führten aus der Oase hinaus. Die sieben Terraner ritten leise durch den nördlichen Canyon hinaus in die Wüste. Die flachen Dünen bildeten ein Muster aus Gelb, bleichem Weiß und tiefem Schwarz. Zwei Monde standen am Himmel. Die heiße Luft, die aus dem Sand hochstieg, ließ die Sterne flimmern und flackern. Man hörte nur die Geräusche der Ponterhufe, das Schnauben der Tiere, die den Tag über als Lasttiere gegangen waren, und die knarrenden Sättel. Hin und wieder schlug ein Waffenlauf gegen ein Metallteil der Ausrüstung. »Nur im Flüsterton unterhalten«, erklärte Isidor. »Die Wüste leitet den Schall hervorragend. Wir biegen bei den drei Felsen nach Süden ab!« Die drei Frauen und die drei Männer ho-
Die Instinkt-Spezialisten ben die Hände zum Zeichen, daß sie verstanden hatten. Isidor Natzmann hob das schwere Glas an die Augen, federte in den Knien und drehte langsam den Kopf. In der Ferne, in siebentausend Metern Entfernung oder so, sah er die dunklen, schopfartigen Büschel der Palmen jener Wasserstelle. Dort hatten die gecharterten Leute, die vor wenigen Tagen die Station ausgerüstet hatten, eine Menge Squopperspuren gesehen. Vermutlich gab es dort wieder Gazellenherden. »Dorthin!« flüsterte Isidor und lenkte seinen Ponter auf der Kuppe einer langgezogenen Düne in die Richtung der Wasserstelle. Ruhig und in langsamer Gangart folgten die übrigen sechs Tiere. Hinter ihnen kamen Abe und einer der älteren Gäste aus der Oase und bezogen ihre Stellungen. Sie würden helfen oder angreifen, wenn etwas besonders Gefährliches geschah. Außerdem trugen sie das Funkgerät bei sich, mit dem man sofort im Stützpunkt um Hilfe funken konnte. Maryon flüsterte: »Werden wir einen Squopper treffen?« Natzmann zog die Schultern hoch und gab zurück: »Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, ich habe dort zwei Gazellenrudel gesehen, auf dem Weg zur Wasserstelle.« Eigentlich war bei der Jagd nur ein einziger tödlicher Schuß nötig, ins Auge oder ein Blattschuß ins Herz. Aber dieses riesige Tier, das sich unaufhörlich bewegte, war nur schwer an der richtigen Stelle zu treffen. Isidor wurde unruhig. Es war nicht das Fieber der Jagd, sondern die Verantwortung. Er wußte, daß diese Pseudowaidmänner ohne ihn verloren waren. Der Squopper zertrampelte und zerfetzte sie, wenn er nicht gleichzeitig an allen Stellen war. Er steckte den Finger in den Mund, befeuchtete ihn mit Speichel und hob ihn in die Höhe. Der milde Nachtwind stand gegen sie. Ausgezeichnet! dachte er. Das sichert uns einen Vorteil. Diese Jagd ließ dem gejagten Wild mehr
25 als eine faire Chance. Der Jäger war ebenso gefährdet wie das Tier. »Schneller!« Die kleine Karawane setzte sich in Bewegung. Die Sporen klirrten leise. In einer Reihe ritten die Jäger über die Dünen. Der Sand staubte unter den Hufen der Ponter hoch. Einige Minuten lang ging es geradeaus, die Dünenkämme hinauf und hinab. Dann, nach einer Zeit voller Nervenanspannung und ständigen Sicherns nach allen Seiten, hob Isidor wieder den Arm und zischte: »Halt!« Sie befanden sich jetzt am Rand eines großen Trichters. Die sanft abfallenden Hänge aus Sand und Geröll, von spärlichen Büschen und einzelnen Felstrümmern durchsetzt, zeigten im Mondlicht deutliche Spuren. Kleine und große und quer durch mehr als den halben Trichter die riesige Spur eines Squoppers. Die sieben Reittiere blieben in weitem Abstand nebeneinander am Rand der Mulde stehen. Genau vor den Jägern lag der dunkelgrüne Fleck der Wasserstelle. Mondlicht glitzerte auf dem schmalen Wasserlauf. »Was jetzt, Isidor?« Maryon schob ihren Ponter seitlich an das Tier des Jägers heran. Isidor deutete nach rechts. »Wir warten. Vermutlich liegt der Squopper am Rand der Wasserstelle. Er wartet auf ein großes Tier, denn wenn er einmal zuschlägt, verscheucht er für die halbe Nacht sämtliches Wild.« »Ich verstehe. Ist er da?« Wahrheitsgemäß versicherte Natzmann: »Ich weiß es nicht. Wir müssen warten. Wenn wir wissen, daß er da ist, können wir handeln. Ruhig bleiben!« »In Ordnung, Boß!« Sie warteten. Die dämmerungs- und nachtaktiven Tiere ließen sich durch die Jäger nicht verscheuchen. Von Norden her näherte sich ein Rudel großer Antilopen. Helle Tiere mit riesigen, nach hinten gebogenen Hörnern, angeführt von einem massigen alten Bock. Sie verharrten schräg gegenüber
26 der Jäger am Rand des Trichters, dann tastete sich der Leitbock den Hang hinunter. Das starke Rudel folgte. Sand knirschte, die Tiere und die Schatten bewegten sich, die gesamte Szene blieb still und gespannt. »Wenn der Squopper das Tier geschlagen hat, wird er abgelenkt sein. Wir warten noch.« Bisher war es noch nicht gelungen, einen Squopper am Tag zu sehen oder zu erlegen. Die Tiere schienen sich spurlos im Sand aufzulösen. Der Squopper, auf den sie hier lauerten, war das dreißigste Tier in der Laufbahn Natzmanns auf diesem Planeten. Im Augenblick war er mit seinen Gästen zufrieden – sie blieben ruhig in den Sätteln und warteten mit unwahrscheinlicher Geduld. Inzwischen hatte der Leitbock des Rudels den Rand der Pflanzen erreicht. Er warf den Kopf hoch und sog die Luft geräuschvoll ein. Er war unruhig. »Er scheint da zu sein!« sagte Natzmann leise. Eine Welle der Erregung ging durch die Wartenden und teilte sich sofort den Tieren mit. Auch sie wurden unruhig und mußten hart in die Zügel genommen werden. Aber die Entfernung zwischen den schnell spielenden Lauschern der Tiere und der Hügelkuppe war offensichtlich zu groß, ebenso wie der Durst der Tiere. Sie zogen jetzt ruhig zwischen den Bäumen und den abgefressenen Büschen auf die Wasserstelle zu. Lange Sekunden verstrichen. Dann war auch das letzte Tier des Zuges verschwunden, und am anderen Ende der kuppelförmig angeordneten Pflanzen und Bäume tauchte der Leitbock auf. Natzmann ahnte, was jetzt geschehen würde, und zudem fühlte er den ersten kühlen Stoß des nächtlichen Windes in seinem Gesicht. »Zügel festhalten!« zischte er. Die unruhigen Tiere drängten sich vom Hang zurück, als die Jäger in die Zügel griffen. Sämtliche Muskeln spannten sich im Körper Isidors. Er ließ das Nachtglas fallen; es schlug schwer gegen seine Brust. Als der Bock nach langem Sichern – er war noch immer unruhig! – den Kopf zum Wasser
Hans Kneifel senkte, gab es ein schnalzendes, lautes Geräusch. Natzmann nickte zufrieden – der Squopper war also da! Er hatte zugeschlagen. Unmittelbar nach dem Schnalzen gab es eine Kette von Geräuschen, die wie nach einem Schema abliefen … zuerst das Aufröhren des Bullen, dann das scharfe Krachen von Knochen, das Plätschern von Wasser, in dem die Läufe des Tieres schlugen. Dann die schnelle Reaktion des Rudels. Die Tiere rissen die Köpfe aus dem Wasser, sprangen vor Schreck senkrecht in die Höhe und rannten und sprangen davon. Sie setzten über die Büsche und entfernten sich in einer Reihe von riesigen Fluchten in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Ein Vogelschwarm stob kreischend aus den zerzausten Kronen der Bäume und flatterte aufgeregt herum. Ein Hyänenhund begann schaurig zu heulen. Dann ein fauchendes, zischendes Geräusch. Schließlich brüllte der Squopper auf. Ein donnerartiges Gebrüll, wie das Triebwerksgeräusch eines kleinen Schiffes, schallte durch die Senke. Gleichzeitig bäumten sich die sieben Ponter auf und mußten mit allen Mitteln gezügelt und gehalten werden. Als sie sich wieder beruhigt hatten, hörte man nur noch das Geräusch berstender Knochen und das Reißen von Fleisch. Natzmann sagte ruhig: »Jetzt frißt er. Rod hier drüben ist der beste Schütze. Erst drei Minuten nach seinem Schuß darf gefeuert werden, eher nicht! Klar?« Sie nickten ihm zu. Er gab ein Zeichen, und die Tiere gingen auf den Hang zu und bewegten sich hinunter. Dabei zog sich die Linie weiter auseinander. Isidor nahm seine Waffe aus der Schutztasche, spannte die Hähne und hielt das schwere Gewehr mit der Mündung nach unten in der rechten Hand. Jetzt bestand zwischen den einzelnen Tieren eine Distanz von fast zwanzig Metern. Die Reiter bildeten einen Halbkreis,
Die Instinkt-Spezialisten dessen Mittelpunkt an der Stelle war, wo sich der fressende Squopper befand. Sie brauchten nur den Geräuschen nachzureiten. Natzmann wußte, daß jetzt die kritischste Phase des gesamten Unternehmens begann. Er ritt ein wenig schneller bis zu einem Punkt, an dem er alle und alles übersehen konnte. Halb verborgen von dem dichten Gebüsch lag vierzig Meter vor ihm das Raubtier, von dem nur schattenhafte Bewegungen des riesigen Körpers und ein Teil des Kopfes zu sehen waren. Der Kopf hing schräg, damit die mächtigen Kiefer besser an den Kadaver des Bocks herankamen. Die Zähne zermalmten die Knochen. Im Mondlicht leuchteten die Hörner, die mit dem Schädel hin und her geworfen wurden. Blut glänzte auf dem zerrissenen Fell und auf dem Gehörn. Natzmann zählte seine Jagdgenossen. Sie standen dort, wie sie stehen mußten. Mister Rod war abgestiegen, hatte seinen Ponter mit dem Zügel fest an einen Baumstamm gebunden und richtete gerade das Zielfernrohr ein, das eine Infrarotlinse trug. Natzmann zog den stabförmigen Werfer aus der Brusttasche und richtete ihn am Wipfel einer Palme vorbei in den Himmel. Er schnippte mit den Fingern. Sechsmal kam das Verstanden- Signal. Dann drückte Isidor die Hülse zusammen. Die kleine Rakete versengte ihm ein wenig die Finger und das Handschuhleder, dann zischte sie schräg hoch und detonierte mit einem puffenden Geräusch in hundert Meter Höhe und loderte stechend weiß und sehr stark auf. Magnesit-Licht schuf in weitem Umkreis Tageshelle. Das Raubtier sprang auf, schleuderte mit einem leichten Ruck seiner Kiefer den Kadaver zwanzig Meter weit von sich und schob sich aus dem Gebüsch hervor. Die beiden mächtigen Vorderbeine standen tief im Wasser der Quelle. Langsam drehte sich der Schädel. »Rod!« Ein scharfer Befehl. Augenblicklich feuerte Rod. Er hatte auf das Auge des Tieres gezielt, was unter den
27 herrschenden Umständen auch Natzmann getan hätte. Aber nur das zusammengerollte Fangorgan wurde getroffen. Sofort holte das Raubtier tief Atem, noch immer übergossen von der kreideweißen zitternden Lichtflut des langsam herunterschwebenden Projektils. Blut wurde in breiten Stößen aus der tiefen Wunde gepumpt. Zwei Sekunden waren vergangen. Das Tier sah nichts, weil ihm das Blut über das Auge lief, aber dann erblickte es mit dem anderen Auge Maryon, die neben ihrem Ponter stand und eine Sekunde später feuerte. Der Rückstoß der schweren Waffe ließ sie nach hinten taumeln und sie fiel schwer gegen das Tier. Der riesige Körper des Raubtiers zuckte zusammen, dann erst machte der Schmerz den Squopper rasend. Er stemmte sich ganz hoch, schob sich weiter vor und rannte dann in seinem eigentümlichen Trab los. Der lange Schwanz peitschte durch die Luft und schnitt einen schenkelstarken Palmenschaft in der Nähe Rods fast auseinander. Wieder feuerte einer der Jäger. Noch griff Natzmann nicht ein, aber er hielt seine Büchse hoch und zielte auf das Auge der Bestie. Gleichzeitig krachten zwei Schüsse von links und von ganz rechts. Der Squopper tobte, warf sich keine zehn Meter vor der verängstigten Maryon herum und rannte genau in Natzmanns Richtung. Ein Ponter ging durch, raste in einem halsbrecherischen Galopp durch die Bäume und warf in der Mitte des Abhangs seinen Reiter aus dem Sattel und schleifte ihn zwanzig Sprünge weit durch den Sand. Gleichzeitig feuerten Rod und Isidor. Rod brachte einen Blattschuß an, und Natzmann jagte das Explosivgeschoß durch das Auge direkt ins Gehirn des Tieres. Zwei Meter vor dem wie verrückt kreischenden und hochgehenden Ponter brach der Squopper mit einem krachenden Geräusch in den Sand und ins Wasser. Langsam entrollte sich das Fangorgan. Der lange Schwanz zuckte noch ein paarmal, während die wild ausschlagenden Reptilienfüße Wasser und Sand aufwühlten.
28 Rod kam herbeigerannt und schwenkte die Waffe über dem Kopf. »Ich habe ihn geschafft!« schrie er. Natzmann sprang ihn an und schrie: »Vorsicht, du Narr!« Die letzte Bewegung des Schwanzes, der in eine Kette aus scharfen Knochenteilen auslief, machte aus dem Schweif eine überdimensionale Peitsche, die eine Handbreit über den Männern die Büsche zerfetzte und dann Rod am Bein traf und hinschleuderte. Dann war auch die letzte Bewegung des Tieres vorbei. Breite Ströme von Blut liefen aus den furchtbaren Wunden der Explosivgeschosse. »Walther!« schrie Natzmann. »Reiten Sie hinüber zu Maryon und sehen Sie nach!« »Verstanden.« Die Leuchtkugel fiel dicht neben dem Koloß ins Wasser und erlosch. Erst jetzt konnten sie das Monstrum genau betrachten. Es maß von der Schwanzspitze bis zu den Widerhaken des Fangorgans mindestens sechzig Meter. Eine rostrote, an einigen Stellen gelbe Haut mit handtellergroßen Schuppen und knöchernen Dreiecken entlang der Rückenlinie. Die vier Beine, die schlanker und länger waren als die Extremitäten von Sauriern, wiesen jeweils vier scharfe, lange Krallen auf. Und überall war Blut. Rod fragte leise, noch immer von seinem Erlebnis überwältigt: »Wer hat ihn erlegt?« »Vermutlich wir alle zusammen. Ich schoß als letzter, und ich habe das Auge hier getroffen. Es war eine richtige Gemeinschaftsleistung. Aber jetzt kommt die Hauptarbeit.« »Ich weiß. Die Drüsen!« »Richtig. Hoffentlich könnt ihr alle die schweren Vibromesser handhaben.« »Mehr oder weniger!« stimmte Rod zu. Er sicherte die Waffe und warf sie auf den Rücken. Sie beruhigten die Reittiere und machten sich, nachdem Walther, ein fünfzigjähriger Geschäftsmann aus den Kolonien, der einen abenteuerlichen Helm trug, der jungen Frau geholfen und ihren Ponter ein-
Hans Kneifel gefangen hatte, ans Aufbrechen des riesigen Kadavers. Gegen Morgen kamen sie zurück ins Lager und waren erschöpft. Die Kleidung starrte vonSchmutz und von Blut. Über der Wasserstelle kreiste ein riesiger Schwarm von Aasvögeln, und in den Kühltaschen befanden sich die Fleischbrocken, von denen die fünf Drüsen umgeben waren. Maryon hatte einen verstauchten Knöchel.
* Sie ritten jetzt, einen halben Tag später, mitten in die lodernde Abenddämmerung Ig – Tovonchs hinein. Wieder sechs Jagdgäste und Isidor Natzmann. Er fühlte sich nicht ganz ausgeschlafen, obwohl er von der Morgendämmerung bis zum Abendessen in seinem Kubus geschlafen hatte. Der Schauplatz würde heute ein anderer sein; es war nicht damit zu rechnen, daß eines der Raubtiere die Wasserstelle der vergangenen Nacht innerhalb der nächsten fünfzehn Tage aufsuchen würde. Die Aasfresser, die kleineren Raubtiere und die Aasvögel würden in dieser Zeit den riesigen Körper bis auf die weißen Knochen abgefressen haben. Insekten, Sonne und Sand besorgten den Rest. Die Touristen hatten sich begeistert auf das rohe Raubtierfleisch gestürzt, das tatsächlich hervorragend schmeckte; als Beefsteak à la Tatare mit Kräutern und Gewürzen auf getoastetem Brot angerichtet, konnte es auch empfindlichen Gaumen zugemutet werden. Die geringen Mengen Hormone in diesem Fleisch wirkten angeblich Wunder, jedenfalls hatten die Jagdgäste versichert, sie fühlten sich jünger. Reine Einbildung! dachte Natzmann. Sie ritten genau nach Westen und suchten eine andere Wasserstelle. Vom Ende des Zuges kam Camara, eine vierunddreißigjährige Dienststellenleiterin, deren Vater Zulieferer für eine Raumschiffswerft war, in scharfem Tempo herangeritten und blieb mit Isidor auf gleicher Höhe. Sie lächelte ihn strahlend
Die Instinkt-Spezialisten an und sagte: »Ich bewundere Sie, Natzie!« Er schluckte seinen Ärger herunter und wußte, daß es mit dieser Gruppe noch mehr Ärger geben würde. Er antwortete: »Ich heiße Natzmann, Miß Camara. Oder Isidor. Verwechseln Sie mich bitte nicht mit Ihrem Reittier. Außerdem – warum bewundern Sie mich, einen heruntergekommenen Jäger?« »Sie sind so ungeheuer souverän. Aber gleichzeitig haben Sie etwas Wildes, Urtümliches an sich!« »Richtig«, sagte er sarkastisch. »Sie kennen nur mein Zivilisations-Ich. In Wirklichkeit hause ich in einer Höhle, ernähre mich von Nüssen und geklauten Eiern und trage einen Fellschurz. Und bete Bäume und Blitze an.« Sie kicherte und deutete auf sich. »Wie Sie das einrichten. Das Auslosen des ersten Schusses, das Bestimmen, wer am besten und sichersten schießt, und das alles.« »Das gehört zum Handwerk, Madam«, sagte Natzmann höflich. Noch fünfzehn Tage, dachte er. Und dann muß ich mich zwei Tage lang besaufen, um diese Ignoranten zu vergessen. »Werden wir heute einen Squopper finden? Dieses Tier ist ja riesig! Und wie es gestunken hat! Gräßlich.« »Nur selten«, bemerkte Natzmann, »pflegen Tiere in freier Wildbahn nach Parfüm zu riechen!« Wieder kicherte sie. Diese junge Frau hatte das Gebaren einer Hysterikerin; er vermochte sich nicht vorzustellen, wie sie in der Lage sein sollte, eine Dienststelle zu leiten. »Sie sind lustig, Isidor!« sagte sie dann. »Was ist das dort vorn?« Er setzte sich gerade auf und spähte unter der Hand nach der Stelle, auf die sie deutete. Dann sah er es deutlich. »Sie sind ein Glückspilz«, sagte er. »Das ist eine ganz frische Squopperspur.« Der Zug hielt an, als er das Signal gab.
29 Die sechs Reiterinnen und Reiter versammelten sich um ihn. »Das ist eine ganz frische Spur«, sagte er drängend. Zum erstenmal in diesen Tagen hatte ihn selbst das Jagdfieber ergriffen. »Sie führt nach Süden, in die Richtung eines anderen Wasserloches. Nur eine kleine Wasserstelle. Wir werden ihr folgen.« Risco, ein Textilkaufmann, fragte alarmiert: »Bedeutet das, daß wir vielleicht einen Squopper am Tag sehen können?« Natzmann nickte. »Vielleicht. Das kann gut möglich sein. Allerdings wäre es auch für mich das erstemal.« »Nichts wie hinterher. Wie weit ist es bis zum Wasserloch?« erkundigte sich Dany lachend. Er war ein hagerer, schlaksiger Mann von fast siebzig, der einen unerschütterlichen Optimismus zur Schau trug, mit dem er nicht nur Natzmann auf die Nerven fiel. »Ein Tagesritt!« sagte Natzmann. »Nicht ganz, wenn die Strecke gut ist!« »Vielleicht treffen wir den Squopper schon vor dem Loch!« schlug Marnali vor, die Inhaberin eines großen Gleiterverleihs auf einem hochindustriellen Planeten des Imperiums. »Ich glaube nicht an Wunder. Also, meinetwegen! In langsamem Trab der Spur entlang!« »Heiahh!« brüllte jemand und spornte seinen Ponter. Es wurde zusehends dunkler. Die Spur des Riesenraubtiers lag jetzt deutlich, mit tiefen Schatten, vor ihnen. Sie war wie mit dem Lineal gezogen und führte über die Dünen und durch die Täler geradeaus nach Süden. Das bedeutete eine Abkehr um neunzig Grad vom eigentlichen Ziel. Wieder setzte sich die Karawane in Marsch und glitt wie ein Zug rasend schneller Ameisen der Spur entlang. Die Krallen des Tieres hatten scharfe Löcher in den harten Sand gerissen. Sie waren an der Vorderkante scharf abgeschnitten, aber nach hinten verwischt. Hinter jedem Eindruck befand sich
30 ein längliches Häufchen Sand. Das gewaltige Tier mußte schnell gerannt sein. Der Squopper war der König der Wüstengegenden dieses Planeten. Und die Population schien ziemlich groß zu sein, denn trotz der Jagd auf ein Tier, das diese Größe besaß, riesige Nahrungsmengen brauchte und aus diesen und anderen Gründen nicht sehr zahlreich sein konnte, gab es noch immer große Mengen. Sie folgten sieben Stunden lang der Spur. Am Ende dieser Zeit waren die Tiere ziemlich erschöpft und die Menschen ebenso. Kleidung und Stiefel waren voller ätzendem Staub. Die Lippen waren ausgedörrt. Sie hatten Hunger und dürsteten. Die Feldflaschen waren leer. Und noch immer war weder der Squopper zu sehen noch das Wasserloch. Die durstigen Tiere würden das Wasser gewittert haben. »Verdammt!« dachte Natzmann laut. »Das kann schiefgehen.« Er beschloß, noch sechzig Minuten zu warten. Sie ritten weiter. Etwas langsamer und erschöpft, aber noch immer folgten sie der Spur. Die sieben Terraner hingen schwer in den Sätteln, aber auch in den Köpfen der sechs Gäste spukte diese besondere Jagd. Sie waren von der Erregung Natzmanns angesteckt und versuchten, sich nicht zu blamieren, obwohl man besonders den Frauen ansah, daß sie lieber jetzt als in zehn Minuten die Jagd abgebrochen hätten. Aber sie hielten sich gut und schauderten nur dann und wann, wenn die Schatten ihr Spiel trieben und sie erschreckten. Nicht ganz eine Stunde lang ging es schweigend weiter. Die Tiere keuchten und wurden plötzlich schneller. Fast gleichzeitig rochen sie es alle: Wasser. »Dort vorn! Dort muß es sein!« sagte Natzmann. »Auf alle Fälle bleiben wir an der Wasserstelle!« Sie waren unachtsam geworden, deswegen traf es sie besonders schwer. Niemand sah den Squopper, der plötzlich hinter einer Düne auftauchte und gegen die Scheibe des
Hans Kneifel Mondes eine scharfe Silhouette bildete. Er war geräuschlos und ungesehen herangekommen. Jetzt schrie er auf. Panik brach aus. Die Reittiere gingen durch und strebten instinktiv von der Schallquelle fort. Sieben Ponter rasten die Dünen hinauf und hinab. Der Squopper sprang los, rannte auf ein Tier zu und feuerte die spiralige Fangmuskulatur ab. Sie zischte durch die Luft, warf Tullmann aus dem Sattel und riß eine tiefe Wunde in die Flanken des Reittiers. Natzmann saß eisern im Sattel seines Tieres, das sich auf der Stelle drehte und sich gegen Zügel, Schenkeldruck und Sporen stemmte. Dann machte das Tier ein paar stolpernde Sätze und raste einen Dünenkamm entlang. Natzmann schrie, so laut er konnte: »Außer Sichtweite reiten! Dann zurückkommen und gezielt schießen!« Er hörte hinter sich wieder die Muskelfasern des Fangorgans durch die Luft zischen und duckte sich. Das Tier unter ihm streckte sich und schien die Gefahr zu sehen. Er wurde schneller. Natzmann versuchte seine Waffe aus der langen Hülle zu ziehen und drehte sich um. Das Riesentier hinter ihm rutschte gerade eine Düne hinunter und überschlug sich. Endlich war die verdammte Waffe frei. Mit äußerster Gewalt lenkte Natzmann sein Tier auf die Kuppe einer anderen Düne hinauf und hielt es an. Das Tier stand, aber es zitterte an allen Gliedern. Die anderen Jagdgäste waren in alle Richtungen zerstreut, aber Natzmann sah Tullman, der versuchte, auf allen vieren den Hang hinaufzuklettern. Er bot im hellen Licht der beiden Monde ein verlockendes Ziel für das Fangorgan der Bestie, die sich jetzt brüllend aufrichtete. Natzmann feuerte, ohne besonders lange zu zielen. Das Projektil traf dicht neben dem Auge des Tieres auf eine Hornplatte, zerfetzte sie und schlug eine furchtbare Wunde. Natzmann schoß ein zweites Mal und riß die
Die Instinkt-Spezialisten Büchse herunter, repetierte und sah dann erst nach dem Treffer. Jetzt tauchte Camara auf, ebenfalls die Büchse an der Schulter und schoß auf das Tier. Der Squopper stand in der Mulde zwischen den Dünen und schüttelte sich, schrie und peitschte mit seinem langen Schwanz. Natzmanns zweiter Schuß war in den Rachen gegangen. Das Tier löste sich jetzt aus der Starre und griff brüllend an. Es stürzte sich auf Tullman, der noch immer mit dem nachrutschenden Sand kämpfte. Isidor zielte sorgfältig und versuchte, das Zittern des Ponters auszugleichen. Noch zwanzig Meter trennten Tullman vom Squopper. Isidor verfolgte das Tier mit dem Lauf, hielt den Atem an und krümmte den Finger. Peitschend löste sich der Schuß und traf voll ins Blatt. Der Squopper bäumte sich auf. Weitere Schüsse hämmerten durch die Dünen. Dann, nachdem es sich auf dem Schwanz aufgerichtet hatte, brach das Tier zusammen und verendete im Todeskampf. Es überschüttete Tullman mit einem Sandregen und schleuderte mit seinem letzten Schwanzhieb Sihouk von ihrem Tier, die schreiend durch den Sand kollerte und direkt neben dem blutüberströmten Schädel liegenblieb, neben den schnappenden Kiefern. Dann starb der Riese. Natzmann stieg ab und blieb stehen. Er suchte mit den Augen seine sechs Gäste und war verblüfft, daß sie sich noch bewegten. Also war niemand ernsthaft verletzt worden. Es war schwierig, mitten in der Nacht hier Ordnung zu schaffen. Sie versorgten die Verletzten, fingen die Tiere ein, machten eine lange Pause und gingen dann daran, das Tier zu zerlegen. Bereits in der frühesten Morgendämmerung zeigten sich die ersten Aasvögel. Ihre Anzahl stieg ständig, und sie wurden so zudringlich, daß sie schon einfielen, als die Männer noch mit den Vibromessern an dem Kadaver herumschnitten. Damit war die Jagd so gut wie beendet.
31 Nach reichlich zwei Wochen kam die Karawane wieder in Frontier an. Als sie die Siedlung von fern sahen, erkannte Natzmann, daß sich etwas verändert hatte. Ein hundert Meter großes Kugelraumschiff stand neben dem Touristenschiff auf dem kleinen Hafen. Etwas Besonderes also. Er erfuhr es sieben Stunden später in der Hotelbar.
* Hier, in einer Atmosphäre, in der sie sicher war, veränderten sich die Gäste völlig. Erstens waren sie in den teuren Kleidern, die sie endlich anziehen konnten, fast nicht mehr zu erkennen, und zweitens hatten sie die Strapazen einigermaßen verändert. Wohltuend verändert, fand Natzmann, der in einem weißen Anzug an der Bar saß und mit der Chefstewardeß des Touristenschiffs flirtete. Er war schon ziemlich angeheitert. Er hob das Glas und erklärte Connie gerade: »Verstehst du, Mädchen, ich brauche das. Ich habe sie alle so gründlich satt, daß ich sie hassen könnte. Sieh hin, wie sie sich bewegen, die großen Abenteurer. Aber ich lebe von ihrem Geld. Und nicht einmal schlecht! Verdammt!« Er stürzte ein Glas Whisky herunter und verzog das Gesicht. Dann sah er schräg hinter Connie einen Mann, der nicht hierher paßte. »Wer ist das?« Connie drehte sich um, musterte den Mann wie ein besonders interessantes Bild und sagte dann leise: »Das ist einer der schweigsamen Burschen vom anderen Schiff. Man sagt, es sei von der USO!« »Aha! Interessiert mich nicht!« bemerkte er und widmete sich wieder dem Versuch, Connie zu überzeugen, daß er für die wenigen Tage ihres Aufenthaltes hier der beste Mann für sie wäre. Plötzlich merkte er, daß der Mann neben ihm auf dem nächsten Hocker Platz genommen hatte. Der Fremde
32
Hans Kneifel
in einem unauffälligen Anzug tippte ihm auf die Schulter und fragte: »Verzeihen Sie – haben Sie bitte Feuer?« »Möglich!« Natzmann fischte nach dem Feuerzeug und bediente den Fremden. Der andere sah ihn prüfend an und murmelte dann so leise, daß es nicht einmal Connie verstehen konnte: »Ich muß mit Ihnen sprechen. Kommen Sie bitte für einige Minuten hinaus auf die Terrasse. Es ist wirklich dringend und könnte eine große Chance für Sie sein. Die größte Ihres Lebens, Isidor Natzmann.« Langsam glitt er vom Hocker und fragte verwundert: »Woher kennen Sie meinen Namen?« »Keiner ist hier bekannter. Kommen Sie!« Natzmann entschuldigte sich bei Connie und folgte dem Mann hinaus bis zur Brüstung der Terrasse. Dort machte der Fremde ihm das Angebot, bei einem Projekt der United Stars Organisation mitzumachen. Auf seine Frage, welcher Art dieses Projekt wäre, erhielt er ausweichende Antworten. Aber Lordadmiral Atlan selbst habe ihn vorgeschlagen. Also eine große Sache. Natzmann erbat sich Bedenkzeit. Er bekam sie und verlebte einige sehr glückliche Tage mit Connie und einige Nächte voller Schlaflosigkeit wegen der Fragen, die er sich immer wieder stellte. Am siebenten Tag kassierte er alle seine ausstehenden Gelder, verabschiedete sich von seiner Reisegruppe, steckte den Scheck ein und flog mit dem USO-Schiff davon.
5. Die Kneipe war voller Rauch und Schweiß, voller Lärm und Gerüche, voller Menschen und Humanoiden. Es war unmöglich, sein eigenes Wort zu verstehen, wenn man nicht gerade schrie. Gläser klirrten, Mädchen kicherten schrill, harte Flüche waren zu hören. Acht Uhr abends, und die Zustände waren noch vergleichsweise ruhig und angenehm. Drei Stunden später würde
hier die Hölle los sein. So wie an allen Abenden seit dem Beginn des Sturms auf die Schwingkristalle. Noch niemals in seiner Geschichte hatte der Planet Komouir so viele Menschen gesehen. Jean Atenro war zwischen einen bärtigen Ertruser und einen Springer eingekeilt und hielt seine Hand schützend auf das Glas. Immer wieder fiel Asche in das Getränk. Es war billiger Fusel, durch eine Menge von Eiswürfeln trinkbar gemacht. »Und ich sage dir, Terry«, dröhnte der Springer lachend, »in ein paar Wochen haben wir Galaktischen Händler die besten Fundstätten fest in unseren Händen. Dann besitzen wir das Monopol!« »Quatsch!« gab der Ertruser zurück. »Hast du nicht gehört, daß dieser Rhodan kommen wird? Sein Besuch ist schon mehrmals angesagt worden. Dann wird die Flotte uns hier hinausekeln!« Der Springer lachte laut und rempelte Jean Atenro an. Hinter ihm feuerte jemand seinen Schockstrahler gegen die Decke ab. »Das ist möglich, aber unwahrscheinlich!« warf der Springer ein. »Der Planet ist unabhängig und untersteht nicht dem Imperium.« »Als ob das schon jemals von Wichtigkeit gewesen wäre«, schrie der Ertruser zurück. Eine Kellnerin, die ihr einstmals gutes Aussehen ihrem Beruf geopfert hatte, zwängte sich an den Männern vorbei. Atenro versuchte, die vielen winzigen Informationen, die er hier und an vielen Stellen aufgefangen hatte, zu einem Gesamtbild zu verarbeiten. »Ich sagte dir, es ist das beste, wir versuchen, so schnell zu arbeiten wie eben nur möglich!« rief ein jüngerer Springer, der mehr oder weniger zufällig von den drängelnden Menschen hierher geschoben worden war. Sämtlichen Anwesenden lief der Schweiß in breiten Bahnen über die Gesichter. Aber niemand öffnete ein Fenster der Spelunke. Inzwischen hatten sich verschiedene Aspekte ergeben. Kaum einer davon war ge-
Die Instinkt-Spezialisten eignet, Jean Atenro zu begeistern. Nahezu alle große Gruppen oder Einmann-Kristallgräber begannen zu ahnen, daß die Zeit ziemlich kurz sein würde, in der sie ohne Beschränkung von Menge oder Lage graben und ausführen durften. Also verstärkte sich die Intensität der Arbeit. Und im gleichen Verhältnis verstärkten sich auch die Begleiterscheinungen. Verwüstungen der Landschaft und schwere Eingriffe in die Planetenökologie. Kriminalisierung der Bewohner und Zuzug von mehr und mehr Gesindel, das hier eine leichte Chance zum schnellen Geldverdienen sah. Die kleinen Städte des Planeten wirkten inzwischen wie Heerlager eines mittelalterlichen Krieges. Jean Atenro trank wieder einen Schluck seines kaum zu definierenden Getränks und hörte weiter zu, indem er versuchte, sich entlang der schwankenden Theke zum Ausgang hinzuschieben. Seine Fortbewegungsgeschwindigkeit betrug nur Millimeter. Atlan hatte ihm versichert, ein ganz besonderer Mann würde hier eintreffen, aber bisher gab es nicht das geringste Zeichen dafür, daß jemand hier gelandet war, der mit diesem Heer der Verrückten nichts zu tun hatte. Wieder schnappte er Gesprächsfetzen auf. »… haben wir den Felsen gesprengt. Ich sage dir, jede Menge Kristalle. Allerdings keine Ader oder keine großen, zusammenhängenden Klumpen. Aber viele kleine Funde.« Der Preis für die Lizenzen und die Ausfuhrzölle stiegen ununterbrochen. Es gab nur wenige Plätze des Planeten, an denen nicht gebohrt, gesprengt, gebaggert oder gegraben wurde – mit Geräten, die quer durch zwei Jahrtausende technischer Entwicklung verschiedener raumfahrender Völker gingen. »… aber dann ist der Damm gebrochen, und das Meerwasser hat dieses verdammte Land überschwemmt. Wir hatten drei Tote, von den Verletzten will ich gar nicht reden …« Jean Atenro hatte sich jetzt um zehn Me-
33 ter bewegt. Noch vier Meter und etwa dreißig Personen trennten ihn noch vom Ausgang. Er holte tief Atem und schob sich zwischen zwei Überschwere. »Verzeihung, Freund!« sagte er und stellte sein fast leeres Glas irgendwo ab. »Ich muß hier durch. Sonst wird mir schlecht.« »… warte nur auf den Augenblick, wo Rhodans Flotte eintrifft. Oder dieser weißhaarige Arkonide. Dann werfen wir sie raus!« »Aber das wird sich unsere Regierung nicht gefallen lassen!« »Dann gibt es eben Krieg. Schließlich können wir ganz gut allein für Ordnung sorgen.« Im hinteren Teil des Lokals entstand wüstes Geschrei. Dann hörte Atenro die Geräusche von Schlägen und einen Schuß. Die Menschen vor ihm stürzten zur Seite, und er erwischte die Tür und riß sie auf. Die Sonne blendete ihn. Er warf einen langen Blick nach hinten und sah, daß sich eine Gruppe Akonen mit einem Polizisten prügelte und den Mann erbarmungslos zusammenschlug. Jean rannte hinaus in das Sonnenlicht und die frische Luft und hastete ein Stück Straße entlang, bis er auf den zerschrammten Gleiter der Polizei traf. »In der Bar dort schlagen sie einen von euch zusammen. Vielleicht sollten Sie sich um ihn kümmern, Sergeant!« sagte er. Der Streifenführer musterte ihn kurz, dann erkannte er, daß Jean im Ernst sprach und schwang sich hinter das Steuer. Mit aufheulender Sirene wendete der Gleiter und raste quer über die Straße auf den Eingang des Lokals zu. Gleich darauf hörte Atenro die typischen Entladungen von Schockwaffen. »Verdammter Mist!« flüsterte er und ging weiter. Er würde noch heute einen letzten, dringenden Appell an Atlan und die USO richten. Sie durften nicht mehr warten. Orgelnd raste ein kleines Springerschiff schräg über den Himmel, direkt über das Zentrum der Siedlung. Überall bildeten sich Gruppen von
34
Hans Kneifel
Fremden, gingen wieder auseinander, trafen sich neu. Ein Geruch nach Staub, heißem Metall und stinkendem Abfall lag über der Stadt. Selbst die Bäume sahen schmutzig aus. Jean schauderte.
* »Wenn ich ein Raumschiff schicke, dann provoziere ich!« sagte Atlan hart und schlug mit der Faust auf die Tischplatte. »Das ist völlig klar!« »Das wäre noch die Frage!« schränkte Sellbegg Garobier ein. Er saß da, las in den Unterlagen und kaute Betel. »Schließlich wissen die Schatzsucher auf Komouir, daß außergewöhnliche Umstände herrschen.« Atlan schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ich warte noch einen Tag, also bis zum sechzehnten Mai. Nicht länger, denn der letzte Bericht meines Beobachters Atenro war schon fast ein Alarm.« Natürlich hätte er jederzeit ein Schiff dorthin schicken können. Aber erstens wollten sie, Sellbegg und er, die InstinktSpezialisten testen, und zweitens war ein USO-Schiff eine klare Provokation. Es würde Unruhe unter den Glücksrittern stiften. Warum zögerst du eigentlich? Es muß nicht ein offizielles USO-Schiff sein, gab der Extrasinn zu bedenken. Das wäre eine Möglichkeit! Ein getarntes Schiff. Aber dann dachte Atlan wieder an die großen Anstrengungen, die Sellbegg und er unternommen hatten, um die Gruppe der IS erfolgreich zu testen und auszubilden. Es wäre eine einzigartige Gelegenheit, Froom Wirtz zu testen. Ebenso wichtig würde es werden, festzustellen, warum ausgerechnet einer der talentiertesten Instinkt-Spezialisten zumindest bisher versagt hatte. »Können Sie sich noch erinnern, warum wir Wirtz nach Wiga-Wigo geschickt haben?« fragte Garobier. Dann entsann er sich, daß Atlans Erinnerung schlechterdings phänomenal war, und er lächelte entschuldigend. Atlan erwiderte: »Natürlich. Sozusagen auf Abruf. Wir
dachten uns, daß wir in der Eastside der Galaxis niemals genug Spezialisten haben können. Wirtz würde auf jeden Fall tätig werden …« »… das dachten wir!« unterbrach Garobier kauend. »Richtig, das dachten wir. Davon waren wir überzeugt. Jedenfalls scheint auch im Deylight-System oder auch nur auf dem Planeten Wiga-Wigo nicht das geringste erfahren zu haben.« Atlan war ernstlich beunruhigt und hatte bereits drei verschiedene Mannschaften ausrüsten lassen. Sie standen bereit und waren in der Lage, jede Sekunde zu starten. Aber nach genauem Nachdenken und Abwägen aller Möglichkeiten war der Lordadmiral zu dem Schluß gekommen, daß er noch bis zum Sechzehnten dieses Monats warten würde. Wirtz, dachte er. IS Froom Wirtz, der Abenteurer. Einer der Männer, die zuletzt ausgesucht worden waren. Damals, nach dieser spektakulären Angelegenheit seiner verrückten Klondike-Bahn …
6. Das größte Karussell der Galaxis war eine Goldgrube. Seit einem Jahr, seit dem Zeitpunkt, an dem es sich amortisiert hatte, warf es jeden Tag mehr Geld ab. Froom Wirtz war jetzt auch der Inhaber – für neunundneunzig Jahre hatte er von der planetaren Verwaltung dieses Stück Svorgebirge gepachtet. Aber schon jetzt erreichte Frooms Vermögen eine sechsstellige Zahl in terranischen Solar. Wirtz stand auf und blickte etwas mißmutig auf das Glas, das vor ihm auf dem Schreibtisch stand. Ich entspanne zu oft und zuviel, dachte er selbstkritisch. Ich brauche mehr Bewegung. Ich mag schon keine dicken Frauen, und dicke Männer sind mir zuwider! Er grinste seinem Spiegelbild in einer raumhohen Mehrfachglasscheibe zu. Sein Büro lag auf dem Dach des Klondike-Hotels, eines Bauwerks, das sämtliche Voraus-
Die Instinkt-Spezialisten setzungen erfüllte, um den Strom der Gäste aufzufangen. Wirtz betrachtete die Bildschirme, von deren funkelnden und stereoskopischen Flächen eine ganze Wand ausgefüllt war. Fünfzehn Reihen hoch, jede Reihe zu zwanzig Monitoren, ein kleines Schaltpult, das sämtliche Möglichkeiten des Überwachungssystems ausnutzte. »Zweitausendeinhundertzwanzig Kilometer!« murmelte Wirtz. Er war stolz auf sich, seine Energie und sein Lebenswerk, auch wenn es keinen anderen Zweck erfüllte, als den Besuchern einigen Spaß zu bereiten. Ein Summer unterbrach die Stille des großen Büros, in dem nichts anderes zu hören war als die Atemzüge von Wirtz und das feine Summen der Klimaanlage. Froom ging zurück an den Tisch, kippte einen Schalter und fragte: »Ja?« Ein Interkom leuchtete auf. Der Oberkörper von Doman Riley war zu sehen. Der Chef der Kontrolltruppe, ein sehr fähiger und umsichtiger Mann von siebzig Jahren, sagte ruhig: »Sie wissen, Froom, Alabama DePeer ist im Anflug. Er ist mehrfacher Millionär und Person des öffentlichen Interesses.« »Aha. Und sollten wir jetzt unsere Bahn waschen und polieren?« fragte Froom zurück. »Das nicht. Aber wir haben die Gästeliste kontrolliert. Wir haben genau ein Dutzend Leute heraussuchen können, die nicht in unser Schema passen.« Wirtz biß sich auf die Unterlippe und murmelte: »Das ist ein völlig neuer Aspekt, Doman. Lassen Sie mich nachdenken, bitte.« »Deswegen rief ich an. Das Schiff von De-Peer landet in weniger als zwanzig Stunden.« »Gut. Ich rufe zurück. Wo sind Sie?« »Unten, zwischen Restaurant und Schwimmbad.« »Danke, Doman!« Froom wurde unruhig. Er war ein Kämp-
35 fer, wenn es sich lohnte oder wenn es notwendig wurde. Er hatte jahrelang kämpfen müssen, um diese Klondike-Bahn zu bauen und einzurichten. Und er würde auch gegen jeden kämpfen, der diese Bahn anrührte. Er zündete sich eine kurze schwarze Zigarre an und ging unruhig im Raum hin und her. Manchmal blieb er vor einem der vielen Monitore stehen und sah hinein. Langsam bewegten sich die Linsen, programmgesteuert brachten sie Einzelheiten näher heran oder veränderten sich in die Totale. Für ihn besaßen diese Bilder natürlich einen ganz anderen Sinn als für jeden anderen. Die Besucher jedenfalls kamen in Scharen, aus allen Teilen der Galaxis. Sie fühlten sich wohl und ließen eine Menge Geld hier. Wenn in vielen Jahren die Anlage einmal nicht mehr interessant sein würde, dann hatte sich die Gegend rund um das Hotel in ein kleines Paradies verwandelt. Schon heute wurde sie jeden Tag um ein paar Quadratmeter größer. »Ja«, sagte Froom endlich. »Ich glaube, das ist wichtig!« Er war erst achtundzwanzig Jahre alt, wirkte aber reifer. Hundertsiebzig Zentimeter groß, ein eher schmächtiger, fast zerbrechlich wirkender Typ. Man mußte ihn länger kennen, um zu erfahren, daß seine Zähigkeit fast unerreichbar war. Er war ruhig und zurückhaltend, bedächtig fast, aber dabei hochintelligent. Sein Lebensweg bis zum heutigen Tag war einigermaßen kurios, aber er zeigte einiges von den Energien, die in diesem Mann steckten. Froom sog an der Zigarre, blies den blauen Rauch gegen einen Monitor und sah dem Zug zu, der durch die kleine Intensiv-Prärie dampfte. Er hatte eine konventionelle Ausbildung hinter sich. Er war Professor für alte Musik. Es gab so gut wie kein Musikstück des alten Terra, das er nicht kannte. Auch hier auf Mourt-Amont besaß er sämtliche Bänder und eine ziemlich gute Anlage, mit der er sowohl sein Büro als auch seine Wohnung bedienen konnte. Aber viel interessanter war sein
36 Hobby, das sich mit dem Thema Schatzsuche beschäftigte. Froom drückte auf einen Schalter. Blitzschnell fuhr eine breite Tür zur Seite. Durch einen kleinen Flur ging Wirtz hinüber in seine Wohnung. Die Sonne des Vormittags brannte auf das Dach des Penthouses, aber die Filterscheiben ließen die Hitze nicht durch. Vorsichtig legte Froom die dicken Kontaktlinsen an. Er brauchte sie, wenn er seine Räume verließ. Er hatte sich entschlossen, wegen der wichtigen Persönlichkeit etwas zu unternehmen. Auf alle Fälle mußte er sich mit Doman unterhalten. Gefahr lag in der Luft. Als Professor für alte Musik war er gescheitert. Das lag weniger an seinem mangelnden Wissen, sondern daran, daß er allzu kühne Theorien vertreten hatte. Er versuchte immer wieder, den Zusammenhang terranischer Musik mit dem Einfluß außerirdischer Elemente zu beweisen. Das brachte auf die Dauer zwar reizvolle Thesen und Effekte, diskreditierte Wirtz aber bei Kollegen und auch bei den Studenten. Auch sein Hobby, das sich zeitweise zu einer Manie ausweitete, war bizarr, erfolgversprechend und nicht jedermanns Sache. Wirtz wußte fast alles über Schätze, verborgene Schätze, deren Methoden und Erfolge sowie Mißerfolge. Er hatte den Schatz und jeden geschichtlichen wichtigen Wertgegenstand der terranischen Geschichte im Kopf. Große theoretische Erfahrung in sämtlichen verwendeten Techniken der Schatzsuche und Schatzhebung – das war seine zweite Stärke. Er war ein rastloser Mensch und besaß einen glänzenden Verstand. Bisher war die Klondike-Bahn sein erster Erfolg gewesen. Aber ein ausgezeichneter Erfolg, bemerkte er bei sich und zog seine weiße Jacke aus. Er schnallte sich die flache Waffe unter die Schulter und setzte die dunkle Brille auf. Es mußte nicht sein, daß ihn jeder erkannte und begrüßte, wenn er unten auftauchte.
Hans Kneifel Mit dem Privatlift einer kleinen Antigravanlage fuhr er hinunter in die Halle des Klondike-Hotels. Vor dem kleinen Kiosk, in dem die Karten verkauft wurden, standen mindestens hundert Menschen, die an einer der nächsten Fahrten teilnehmen wollten. Frooms Grinsen war nicht ohne Selbstgefälligkeit. Er ging über den weichen Teppich bis zu der langgestreckten Bar, die jetzt wenig besucht war. Doman saß vor einem Glas warmer Milch. »Das Frühstück?« erkundigte sich Wirtz halblaut. »Etwas Ähnliches. Ist gut gegen Magengeschwüre.« Sie grinsten sich kurz an, dann schwang sich Froom auf den Nachbarhocker. Diese Bewegung zeigte, wie wendig und sicher er wirklich war. »Haben Sie welche?« fragte Wirtz kurz und sah sich langsam, mit durchdringenden Blicken um. Alles, was er sah, freute ihn. Es war in Ordnung. »Noch nicht.« »Was ist das für eine finstere Geschichte mit dem Millionär und dem Dutzend der verdächtigen Personen?« Doman holte Luft, trank einen Schluck Milch und erklärte: »Jeder, der hier ankommt und bei uns wohnt, füllt eine Art Fragebogen aus. Diese Anmeldung enthält alles Wissenswerte. Unser Computer hat, nach Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit sortiert und gestaffelt, für jede Personengruppe bestimmte Kriterien. Wenn also jemand, total abgerissen und unrasiert, hier ankommt und behauptet, er sei Rhodans Adjutant, dann entspricht er nicht dem typischen Bild, das man sich von Rhodans Adjutant macht, klar? Wir prüfen ihn dann näher, und bei dieser Überprüfung hat sich bisher in siebzig von hundert Fällen ergeben, daß unser Computer zu Recht argwöhnisch war. Das ist, abgesehen von rund zweihundert Informationsstellen, unser Sicherheitssystem. Zum großen Teil haben Sie diese Investitionen genehmigt, es kann Ihnen also nicht
Die Instinkt-Spezialisten fremd sein!« Froom Wirtz nickte langsam. »Sie haben recht. Ich wollte nur Gewißheit haben. Sind diese zwölf Personen noch einmal überprüft worden?« »Ja. Vier scheiden aus. Sie sind, was sie vorgeben, und sie sind sauber. Die anderen acht sind Männer, kommen von allen möglichen Richtungen und haben bisher die Bahn jeweils sechsmal benutzt. Sie scheinen sich genau umzusehen.« Sie sahen sich schweigend an. Beide hatten die gleichen Gedanken. »Entführung?« fragte Wirtz gedehnt. Etwas Kaltes berührte seinen Rücken und erzeugte ein Gefühl der Drohung. »Dies oder etwas Ähnliches, Chef.« »Was können wir tun?« Nach einigen Sekunden mußte Doman bekennen: »Noch nichts. Wir haben noch neunzehn Stunden Zeit. Wir können uns etwas einfallen lassen.« Wirtz dachte nach: Wenn sich acht Männer daran machen, einen Millionär zu entführen, um Lösegeld zu kassieren, dann brauchten sie ein genaues Konzept. Hier auf der vierten Sauerstoffwelt des Perrmit-Systems, siebentausendachthundertdreißig Lichtjahre entfernt, gab es vier Möglichkeiten für eine solche Aktion. Als ob er Frooms Gedanken gelesen hätte, fragte Doman: »Der Raumhafen – nach meiner Meinung scheidet er aus. Er ist klein, und dort wird sehr viel kontrolliert. Und nach unserer Unterhaltung wird noch mehr kontrolliert.« »Ich würde auch niemanden aus dem Raumschiff entführen. Sie können nicht anders vorgehen, als die technischen Möglichkeiten es zulassen. Entweder Entführung mit einem Raumschiff, durch einen Transmitter und in Verbindung mit einem Schiff, und als letzte Möglichkeit die bekannte Geiselnahme, die eine mehr oder weniger offene Flucht ermöglicht.« »Richtig. Ich schlage vor, wir mengen uns unter die Gäste und kontrollieren einmal die
37 Strecke. Bei der Gelegenheit können wir einigen unserer Mitarbeiter auf die Finger sehen.« »Keine schlechte Idee!« Sie standen auf und gingen langsam auf die Endstation der Klondike-Bahn zu, die einen Kilometer vom Hotel entfernt war. Rund um das Hotel wucherte kontrolliert die Grünzone, die sich im Laufe der Jahre, in den Jahren der schrittweisen Erweiterung der Bahnstrecke, geschaffen hatte. Froom Wirtz und Doman Riley bestiegen den Führerstand der Bahn und warteten, bis sie anfuhr. Normalerweise kostete eine Fahrt siebzehn Solar und dauerte sieben Stunden.
* Die Landschaft zwischen dem Hotel und der ersten langen Höhle des Svorgebirges war völlig unverändert geblieben. Die Kette der Prallgleiter – die ersten hundert Kilometer blieben mehrere Einheiten zu einem Zug verbunden – fuhr mehrere Handbreit über dem Boden dahin und wurde durch Energieleitlinien gesteuert. Der Zug ruckte an, beschleunigte und raste los. »Schöne Gegend!« kommentierte Doman trocken und deutete aus dem Führerstand hinaus. Die Bahn sah aus wie eine der ersten Eisenbahnen des Wilden Westens Terras; auch der Name stammte aus dieser Zeit. Bei einer Geschwindigkeit von mehr als zweihundert Stundenkilometern pfiff, heulte und kreischte der Fahrtwind um jede der Aufbauten. Die Glocke läutete ohrenbetäubend, als Wirtz auf einen Hebel drückte. Aus dem riesigen Schlot quoll schwarzer Rauch, der vom Fahrtwind nach hinten gerissen und zerfetzt wurde. »Kann ich etwas für die Gegend?« Die ersten Ruinen tauchten auf. Es waren Anlagen, die älter als zwei Jahrtausende und hervorragend erhalten waren. Die Überreste einer uralten Kultur, deren Erschaffer ausgestorben und vergessen waren. Schwarzer, mattglänzender Stein, in schaurigen Formen
38 erbaut. Es sah drohend aus. Die Bahn machte eine scharfe Kurve und fuhr holpernd und ratternd auf das Zentrum der Gebäude zu. Eine riesige Anlage, unterbrochen von Rasenflächen, von verkrüppelten und versteinerten Bäumen umgeben. Geschwungene Treppen, die in Eingängen wie Totenschädel verschwanden. Die Bahn bohrte sich in diese Schächte und tauchte alle Gäste in pechschwarze Dunkelheit. Die Fahrt verlangsamte sich. Der Zug fuhr in Schleifen, aufwärts und abwärts, schneller und langsamer, manche Strecken zweimal, tauchte in unterirdische Höhlensysteme und schob sich durch die Oberflächenbauten. Sie waren einst, das hatten die Aufzeichnungen und die ebenfalls in Stein gehauenen Bilder, Basreliefs und Standbilder deutlich genug gezeigt, eine Kultstätte gewesen. Der Kult schien von der Opferung lebendiger Wesen gelebt zu haben. Der Umstand, daß dieses ausgestorbene Planetenvolk menschenähnlich gewesen war, verstärkte noch mehr die grauenvolle Wirkung der Anlage. Sie war von Wirtz und seinen Leuten und einer Schar von Robotern und Handwerkern weitgehend restauriert worden. Dumpfer Chorgesang war zu hören und hallte als mehrfaches Echo zwischen den Mauern wider. Scheinwerfer blendeten auf und beleuchteten Szenen der Folterung und der Opferung, dargestellt durch einfache Robotapparaturen. Es war keine Geisterbahn, sondern viel mehr, fast bis zum historischen Perfektionismus getreu, eine nachvollzogene Geschichte dieser Bauwerke. Die Mischung aus völliger Stille, aus schnellen Beschleunigungsmanövern, von Abfahrten und Aufstiegen, durch tiefes Dunkel voller Feuer, Lichtblitze und Scheinwerfer, erhellt von flackernden Fackeln und rußenden Öllampen – gasgespeist – der uralte terranische Chorgesang und schaurige Primitiv-Musik, teilweise von Wirtz selbst »komponiert« – diese Mischung faszinierte die Zuschauer schon fünfzehn Minuten nach Anfang der
Hans Kneifel Fahrt. Dann ratterte der Zug heulend und dampfzischend durch einen gewundenen Tunnel hinaus ins Freie und auf einen typischen früheren Bahnhof der Klondike-Zeit. »Danke, Maschinist«, sagte Froom und stieg aus. Auch die Reisenden mußten den Zug wechseln. Wirtz und Riley schlossen sich aber nicht den anderen Fahrgästen an, sondern sie gingen hinüber in den Lagerschuppen neben dem Wasserturm. Dort erwartete sie ein heller, hervorragend eingerichteter Raum. Wirtz begrüßte seine Mitarbeiter, die schon fast Freunde geworden waren und mit Prämien und Gewinnbeteiligung hier ebenfalls mitverdienten. »Mädchen«, sagte er, »und natürlich auch Jungen, ich glaube, es stehen uns ein paar aufregende Stunden bevor.« Sie umringten ihn, und zusammen mit Riley berichtete er, was sie erwarteten. Er schloß: »Es kann sein, daß alles ein blinder Alarm war. Aber ebensogut können diese acht Männer auch tatsächlich die Entführung planen. Nehmt alle Geräte, macht in den nächsten dreißig Stunden lange Kontrollgänge und meldet alles in mein Sekretariat. Es ist verdammt wichtig. Außerdem spekuliere ich drauf, daß sich unser nichtsahnender Freund, der Millionär DePeer, auch erkenntlich zeigen wird. Das wäre es!« Er konnte sich auf sie verlassen, trotzdem aber unternahmen er und Doman Riley einen langen Rundgang durch das Gebiet. Es gab hier natürlich unzählige Verstecke für einen Transmitter, einen schweren Gleiter oder eine schnelle Space-Jet, aber sie alle waren nach kurzer Suche zu entdecken. Die Bahn verkehrte nur in der Zeit der Tageshelligkeit, also fiel die Nacht als Schutz für mögliche Verbrechen aus. Zweifellos würden die Gangster mit den Mitteln der Überraschung und des Terrors arbeiten. Das bedeutete eine harte Auseinandersetzung. »Warum sind wir eigentlich so pessimi-
Die Instinkt-Spezialisten stisch?« fragte sich Wirtz laut. »Wir haben doch keine Gewähr, daß es diese acht Männer tatsächlich auf ein lohnendes Kidnapping abgesehen haben?« »Ich selbst«, erklärte Riley, »glaube nur zu fünfzig Prozent an eine Entführung oder einen ähnlichen Gewaltakt. Aber fünfzig Prozent sind schon zuviel des Zufalls. Es muß Methode hinter allem liegen.« Er winkelte den Arm an und sprach in seinen Minikom: »Raumhafen. Sind irgendwelche Aktivitäten gemeldet worden?« »Nein. Nichts. Wir haben alles durchsucht und auch Roboter und die planetare Polizei aktiviert. Es ist so friedlich wie immer. Es ist uns buchstäblich nichts aufgefallen außer einigen Abfällen, die natürlich niemand liegengelassen hat.« »Gut so. Weitermachen!« murmelte Riley und schaltete ab. Sie gingen zu dem nächsten Zug, der sich fertig machte. Durch die alte Hafenstadt, die sich unmerklich veränderte, gingen die Gäste, bummelnd und einkaufend, essend und trinkend, hinunter zum Hafen. Auch dieser Hafen war original, aber restauriert. Eine Kette von spindelförmigen Booten lag dort, durch Stege miteinander verbunden und tauchfähig. Auch sie wurden durch Energieschienen geleitet und gesteuert. Riley und Wirtz bestiegen das Führungsboot. Die zweite Fahrt begann.
* Sie glitten durch die Wunderwelt der versunkenen Stadt. Es war eine große Hafenmetropole gewesen, die durch einen fernen Vulkanausbruch versenkt worden war. Riley hatte eine wahrhaft riesige Summe ausgegeben, um einen provisorischen Damm zu ziehen, alles leerzupumpen und den Schlick der Jahrtausende wegzuräumen. Jetzt konnten die Boote sich durch die Gassen winden, konnten ins Innere der restaurierten und abgesicherten Gebäude sehen und die Schwärme von Fischen
39 in allen Größen und allen Farben und Formen bewundern. Zwei Stunden lang glitten sie durch die zauberhafte Umgebung, über die versunkenen Straßen hinweg und zwischen den Ästen dertoten Bäume. Hier war ein Überfall nicht möglich, aber an der nächsten Station würden die Chancen der Gangster größer sein. Weiter … durch alle Stationen, durch die Schluchten der Berge und durch die Tunnels, die übergangslos endeten und in Rampen ausliefen, die eineinhalbtausend Meter über dem Boden von Schluchten zwischen Himmel und Erde entlang glitten. Nur die Pfade von Bergziegen waren schmaler und schwindelerregender. Auch in dieser Passage schien einÜberfall für die Verbrecher mehr Gefahr zu bedeuten als für ihr Opfer. »Es muß schnell gehen, Doman!« sagte Wirtz und beugte sich weit aus dem Fenster, um den Abgrund genau zu sehen. Die einzelnen Wagen wanden sich wie Raupen an der senkrechten Felswand entlang und steuerten dann in sinnverwirrenden Serpentinen hinunter und auf die Brücke zu. Auch der Pfad, ebenso wie die Felsenbrücke, waren Hinterlassenschaften der alten Kultur. Nur waren sie inzwischen durch terranische Technik sicherer gemacht worden. Jedenfalls stand den Passagieren noch das Erlebnis der Brücke bevor. »Richtig. Und dafür eignet sich weder die Unterwasserstadt noch dieser Abschnitt der Strecke. Wenn sie den Wagen mit dem Millionär überfallen und anhalten – oder etwas anderes tun –, dann nur an drei möglichen Plätzen.« Finster bestätigte Wirtz: »In der Totenstadt, in den Höhlen …« »… und vor dem Vulkan. Meinetwegen noch im Bereich der Geister!« »Richtig.« Sie durchfuhren die gesamte Strecke und freuten sich, als die Gäste schreckensbleich und kreischend merkten, wie die Brücke zu schwanken und sich durchzubiegen begann. Schluchten von grauenerregender Einsamkeit wechselten sich mit einer Fahrt über
40 die Stromschnellen und den Wasserfall eines Gebirgsflusses ab, der seinerzeit von den ausgestorbenen Planetariern umgeleitet und zu einer Reihe fürchterlicher Wasserspiele gemacht worden war. Ein Boot, das sich auf diesem Fluß bewegte, glitt durch Kanäle, die im Fels verschwanden und ihre Beleuchtung durch schräge Schächte erhielten. Die Fahrzeuge der Klondike-Bahn fuhren die alten Wege, trennten sich, kamen wieder zusammen und machten alle die merkwürdigen Martern durch, die jene Wesen damals als Spaß oder gesunde Aufregung empfunden hatten. Auch hier leitete die Technik die Wagen auf die sicherste Weise. Die Ingenieure, die diese Programme entworfen hatten, waren heute hochbezahlte Spezialisten und außerdem stolz darauf, daß noch nicht der kleinste Unfall geschehen war. Dann kam die Höhle. Auch hier stiegen sie aus und bereiteten die Insassen der Kontrollstationen darauf vor, was passieren konnte. Schließlich nahmen sie einen Gleiter und flogen hinüber zu dem vulkanisch aktiven Gebiet, in dem heißes Tiefenwasser, Dampf und abgelagerte Mineralien dafür sorgten, daß die Phantasie überreizt wurde. Die siebente Stunde der Fahrt verbrachten die Gäste hier, dann kehrten sie wieder zurück zum Ausgangsbahnhof. Auch hier befanden sich dieÜberreste der alten Kultur, überwuchert von Kalkablagerungen in sämtlichen pastellenen Farben des Spektrums. Nachdem sämtliche Streckenposten in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt worden waren und ihrerseits darüber nachdachten, was sie tun konnten, um alles noch sicherer zu machen, gingen Riley und Wirtz wieder in das Büro zurück. Alles war geradezu unheimlich normal und ereignislos. Natürlich wurden die acht Männer überwacht. Aber auch sie verhielten sich nicht anders als normale Touristen. Mit einem kleinen Unterschied …
Hans Kneifel
* Mitten in der Nacht erwachte Froom Wirtz. Er blinzelte, schaltete das Licht ein und wischte sich über die Stirn. In der letzten Zeit hatte er eine Untugend an sich festgestellt, die Anzeichen einer Krisensituation oder einer sich nähernden Krise war. Er sprach gern mit sich selbst. Er schüttelte den Kopf, ging in die halbrobotische Versorgungszelle und nahm sich ein Glas Fruchtsaft aus dem Kühlschrank. Er hatte auf dem Planeten Mourt-Amont das größte Karussell, eine historisch einwandfreie Geisterbahn, kurz: eine Sensation errichtet. Dieses Lebenswerk, das ihm eine Menge Selbstbewußtsein einflößte und eine noch höherer Summe Geld brachte, war in Gefahr. Was immer geplant wurde – dieses Zusammentreffen war nicht zufällig. Sieben Stunden lang war der Millionär in Gefahr. Im Hotel und zwischen Hotel und Raumhafen konnte er beschützt werden, aber nicht genügend während der langen Fahrt. Froom Wirtz stellte seine schwere Omniaphonanlage an, schob eine Kassette ein und ließ alte terranische Musik durch die Räume donnern. Er fühlte sich persönlich angegriffen. Es war, als ob ein Verbrecher eine hochversicherte Karussellanlage auf einem Rummelplatz zerstören wollte und damit den Kindern den größten Schmerz zufügte. Es ging jetzt nicht mehr um die Bahn, sondern um das Prinzip. Wirtz entschloß sich zu handeln. Seine wissenschaftliche Ausbildung und seine ununterbrochene Beschäftigung mit sehr ungewöhnlichen Materien hatten ihn, unter anderem, eines gelehrt: alles, was ein Hirn oder mehrere Hirne sich ausdenken konnte, konnte von einem anderen Verstand nachvollzogen oder, besaß man Anhaltspunkte, vorausbedacht werden. Wirtz duschte sich, während die Anlage donnerte und die Scheiben zitterten, heiß und kalt und nahm dann eine Dosis aufputschender Mittel. Er zog sich an, wechselte seine Waffe
Die Instinkt-Spezialisten aus und klemmte sich einen Minikom an den Arm. Dann ging er hinüber ins Büro, drückte einen Schalter und sagte kurz: »Bereitschaftsdienst!« Der Roboter verband ihn in einem Sekundenbruchteil. Vom Schirm grinste ihn Doman Riley an. Beide hatten sie also die gleichen Empfindungen gehabt. »Sehr gut!« sagte Wirtz erleichtert. »Doman, haben Sie einen Expreßwagen?« »Selbstverständlich. Ich konnte nicht schlafen.« »Ich auch nicht. Ich komme zu Ihnen herunter. Ist Azih in der Nähe?« »Ja. Er beschäftigt sich mit seinem positronischen Spielzeug.« »Okay!« Minuten später befand sich Wirtz in dem runden Büro, das über dem Wasserbehälter der Oase untergebracht war. Die Anlage befand sich, fast nicht wahrnehmbar, auf der Kuppe eines runden Hügels in unmittelbarer Nähe des Kopfbahnhofes. Wirtz sah hinunter auf die arbeitenden Reinigungsroboter und bemerkte, daß vor der Lokomotive des ersten, bereitgestellten Zuges ein schneller Prallfeldgleiter mit einem Zusatzgerät stand. »Gehen wir!« sagte Wirtz. »Wohin?« »In die Höhlen. Ins Labyrinth. Dort und nirgendwo sonst werden sie es versuchen.« Als sie durch die menschenleeren Gassen schritten, arbeitete hinter ihnen Azih mit seinen Monitoren. Von allen Punkten, die mit Linsensystemen zu erreichen waren, wurden Aufnahmen gemacht und gespeichert. Dann blieben die Linsen eingeschaltet. Veränderte sich nun in der Wirklichkeit das gespeicherte Bild, das immer wieder von der Positronik kontrolliert wurde, dann ertönte ein Warnsignal. Dieses Signal würde nicht ertönen, solange der normale Verkehr der KlondikeBahn ablief. Sie schwangen sich in den Gleiter, dessen hintere Sitze voller Waffen, Scheinwerfer und anderen Geräten lagen. Die Maschine schoß los und beschleunigte innerhalb von vierzehn Sekunden auf vierhundert Stundenkilometer. Sie benutzten die
41 Weichen und fuhren ohne Umwege die kürzeste Strecke bis zum Höhlenlabyrinth. Dort, vor dem Eingang, hielt der Gleiter an. Wirtz sah auf die Digitaluhr an seinem Handgelenk und sagte: »Bis zum ersten Zug haben wir noch vier Stunden Zeit, Freund Riley. Wir werden sie gut nutzen.« Einer plötzlichen Eingebung folgend, blickte Wirtz hinauf zum Himmel. Dort waren die funkelnden Reflexe und die dünnen Partikelspuren von zwei offensichtlich kleinen Raumschiffen zu sehen. Die Gerade wies genau auf den kleinen Raumhafen der Stadt. »Der Millionär!« bemerkte Riley. »Mit seiner Privatjacht.« »Und das zweite Schiff?« Sie blickten sich an und hoben vielsagend die Schultern.
* Wirtz fragte in das winzige Mikrophon des Minikoms hinein: »Wachdienst Höhlenlabyrinth. Hier spricht Wirtz. Gibt es etwas Neues?« »Nein. Wir haben euch kommen sehen. Was geht vor?« »Wir warten hier, ob etwas geschieht. Macht bitte für eine Stunde sämtliche Lichter an, ja?« »Gut. Brauchen Sie noch etwas?« »Vielleicht später ein Frühstück. Ich denke, wir bleiben ziemlich lange hier. Paßt um Himmels willen auf, sobald der Betrieb beginnt!« »Selbstverständlich, Chef!« Sämtliche Lichter wurden nacheinander angeschaltet, selbst die Scheinwerfer der Notbeleuchtung, die auch die verstecktesten Winkel ausleuchteten. Der Gleiter nahm Fahrt auf und schob sich über den Energieschienen in die Höhle hinein. Jene merkwürdigen Wesen hatten hier in vier Ebenen, verbunden durch zahlreiche Rampen und Treppen, ein Labyrinth geschaffen, das im wesentlichen aus dicken Säulen und langen
42 Wänden in vielerlei rechten Winkeln bestand, unterbrochen durch kleine Plätze und Nebenanlagen. Die Hohlräume zwischen diesen über und über behauenen Figurenwänden, Altären, Versammlungsplätzen, rituellen Stätten und Anlagen waren in mühevoller Arbeit geschaffen und das Gestein hinaustransportiert worden. Es bildete, inzwischen erodiert und von einem Wald bestanden, eine Art Sockel dieses Bergmassivs. Riley fädelte den Gleiter in die Steuerimpulse der regulären Rundfahrt ein und sah auf seiner Seite hinaus. »Es gibt nur wenige Stellen, an denen einÜberfall möglich ist. Schließlich muß ein Wagen angehalten werden. Womöglich auch noch einer, der voller fremder Passagiere ist.« Wirtz nickte nachdenklich und deutete schräg nach vorn. Dort, zwischen langen Mauern, befand sich ein Nebenplatz, bevölkert mit einfachen Robotwesen, die ausgeschaltet waren. Jetzt, im grellen Licht, wirkte alles etwas steril und ohne jedes Geheimnis und angenehmes Schaudern. »Das ist ein solcher Platz. Denkbar ist, daß sie den Millionär herauszerren, in einen Transmitter stoßen, dessen Gegengerät in einem Raumschiff ist. Wir müssen also handeln, ehe der Transmitter erreicht ist.« Riley murmelte: »Wir werden sie zweifellos sehen, wenn sie den Transmitter aufbauen. Es ist schließlich ein auffälliges Gerät.« Er drückte auf einen Knopf und steuerte den Gleiter aus der Rundfahrt hinaus. Die Maschine schwebte langsam und vorsichtig in den Hintergrund zurück und wurde dort an einer Stelle versteckt, die kaum jemand finden konnte. Dann schritten die Männer zwei Stunden lang die Höhle ab und fanden einige Stellen, die sich förmlich anboten. Sie stellten eine Serie kleiner Geräte auf, machten die Handscheinwerfer fertig und warteten. Insgesamt vier Stunden lang. Dann erreichten sie kurz nacheinander mehrere Meldungen. »Millionär DePeer ist eingetroffen, hat
Hans Kneifel sein Hotelzimmer erreicht. Er kam mit seiner sehr gutaussehenden Tochter.« »Zwei der beobachteten Männer sind mit einem Mietgleiter weggefahren. Richtung Norden, also Wüstenrand.« »Drei Männer verlassen mit Koffern das Hotel. Nehmen angeblich an einem Planetenrundflug teil!« »Die drei letzten Verdächtigen haben sich getrennt. Sie kauften Karten für die Bahn.« Langst waren die Lichter wieder ausgeschaltet worden und hatten den »normalen« Effektlichtern Platz gemacht, die eine Menge schauriger Szenen beleuchteten und die in Stein gehauenen gräßlichen Bildwerke hervortreten ließen. Nachdenklich musterten die beiden Männer die Fratzen, die Qualen der Opfer und die wahrhaft steinernen Gesichter der Zelebranten. Die Züge kamen, fuhren ihre Schlangenlinien, fuhren wieder weg, erschienen an anderen Stellen. Die Trommeln und Fanfaren, die Chorsätze der uralten Musik, das Stöhnen und die elektronisch erzeugten Geräuscheffekte brachen sich zwischen den Bildwerken und den schwarzen Mauern. Parallel strahlende Scheinwerfersätze verwandelten die Reliefs in drohende Galerien der Schrecken. Langsam ging das Inferno aus Geräuschen und Lichtern, aus Musik und den vorbeihuschenden Gesichtern den Männern auf die Nerven. Wieder erhielten sie neue Mitteilungen. Inzwischen gab es keinen Zweifel mehr daran, daß die acht Männer etwas versuchten. Riley und Wirtz warteten immer noch. Hin und wieder huschte einer der Männer weg und inspizierte das Gelände. Schließlich kam es aus dem Minikom: »Soeben sind DePeer und seine Tochter gestartet. Zwei der Männer befinden sich im selben Wagen.« »Jetzt geht es los!« sagte Wirtz. Sie warteten weiter. Sie wurden unruhig, aber ihre Wachsamkeit ließ keineswegs nach.
Die Instinkt-Spezialisten
* Plötzlich summte eines der Warngeräte auf. Augenblicklich sprangen die Männer auf und drückten sich in den tiefen Schatten der Säulen und Winkel. Der Lärm und die Musik übertönten sämtliche Geräusche. Wieder ein Summen. Also waren die beiden Männer eingetroffen, die den Mietgleiter fuhren. Riley näherte seinen Mund dem Ohr Frooms und sagte grimmig: »Alle unsere Überlegungen waren richtig. Sämtliche Sicherheitssysteme haben erstklassig funktioniert.« Eine weitere Meldung besagte, daß sieben Männer der Sicherungstruppe von ihren Posten abgerufen und auf den Weg hierher geschickt worden waren. Hin und wieder sahen Wirtz und Riley die Fremden. Es waren Männer, die sich mit schnellen, sicheren Körperbewegungen durch das Labyrinth schoben. Sie schleppten schenkelstarke, dicke Metallteile mit sich. Sie gingen sehr geschickt vor und nützten jede Deckung aus, rannten geduckt zwischen den Prallfeldgleitern vorbei und kamen immer näher. Sie verschwanden in einem kleinen runden Platz zwischen den Säulen. Hier loderte ein gasgespeistes Feuer, um das Roboter in den Gewändern der ausgestorbenen Herren dieses Labyrinths tanzten. Die Männer bewegten sich im Takt der Musik und begannen, ihr Gerät zusammenzubauen. Sie waren außerordentlich geschickt. Im Rhythmus des flackernden Lichtes setzten sie in wahrer Rekordzeit die Basis des kleinen, aber leistungsfähigen Transmitters zusammen. Riley sah ebenso zu wie Wirtz, und als Riley vorsichtig die dunkle Jacke zurückschlug und die Waffe zog, drückte Froom die Hand langsam hinunter. Die Mündung deutete jetzt zum Boden. Warnend schüttelte Wirtz den Kopf. Riley verstand sofort. Der Transmitter war zusammengebaut. Die Männer bückten sich und schalteten ihn
43 ein. Der Krach, mit dem die beiden rotglühenden Säulen sich aufbauten, übertönte die Geräuschkulisse im Labyrinth. Aber von den Wagen aus fiel der arbeitende Transmitter nicht auf. Dreißig Minuten vergingen. Riley und Wirtz merkten sich genau, wo die beiden Gangster sich versteckten. Dann ertönte abermals das Signal, und drei weitere Verbrecher näherten sich und versteckten sich ebenfalls zwischen der scharfen Kehre der Bahn und der Nebenhöhle. Hinter ihnen kamen die Wächter und legten sich auf die Lauer. Wirtz hob den Arm und sagte in den Minikom: »Stoppt die Bahn nach dem Wagen, in dem der Millionär sitzt. Sonst gibt es ein Chaos!« »Verstanden.« Damit schien wenigstens ein Teil der drei Kidnapper ausgeschaltet zu sein, falls sie sich hinter dem Wagen des Millionärs befanden. Wieder warteten die Männer und wußten, daß es in kurzer Zeit auf Sekunden ankommen würde. Schließlich kam der Prallfeldgleiter heran und näherte sich in der vorgeschriebenen Geschwindigkeit der scharfen Kehre. Kurz bevor der Gleiter den Wendepunkt erreichte, sprang einer der Kidnapper vor, feuerte aus einer schweren Zweihandwaffe auf den Boden und durchtrennte die dicke Isolierung der Leitlinie. Einer der Wächter erhob sich und feuerte aus einem wuchtigen Lähmstrahler. Der Saboteur riß den Oberkörper zurück, schleuderte die Waffe nach rechts und fiel nach links zwischen die Felswände. Zwei weitere Männer sprangen vor, als die Tür des Gleiters aufgerissen wurde und das Mädchen hinaussprang. Ein Gangster folgte, der mit dem Strahler DePeer bedrohte. Jetzt bewegten sich auch Riley und Wirtz. Anschließend überstürzten sich die Ereignisse. Die zwei Männer, die den Transmitter aufgebaut hatten, eröffneten das Feuer auf die Stelle, an der der Wächter gestanden hat-
44 te. Jemand sprang vor und riß das Mädchen als Schild vor sich. Er rannte und stolperte auf den Transmitter zu. Jetzt handelte Wirtz. Er riß den kleinen Paralysator heraus, zielte sorgfältig und schoß dem Kidnapper die volle Ladung in den Rücken. Dann ließ er die Waffe fallen, hechtete nach vorn und faßte das Mädchen um die Hüfte. Er zog sie mit sich in den Hintergrund und warf sich zu Boden, als zwei Strahlerschüsse über das Mädchen und ihn hinwegzischten und die Steine detonierten und im Funkenregen auseinanderbrechen ließen. »Bleiben Sie hier liegen!« brüllte er und wirbelte herum, halb in der Hocke, die Waffe hochgerissen. Er feuerte einen langen Schuß auf den Transmitter ab und zerschmolz die Basisplatte. Undeutlich sah er Schatten und Bewegungen verschiedener Männer. Er konnte Freund und Feind nicht unterscheiden. Flammen und glühende Spuren fraßen sich durch das Metall des Transmitters. Dann detonierte das Gerät, warf die Robots um und löschte die Gasflammen aus. Riley war hinter dem Entführer aufgetaucht, der den Millionär bedrohte. Sein Arm hob sich und sauste herab. Der Entführer brach, von einem furchtbaren Schlag getroffen, auf der Stelle zusammen. Riley riß den Millionär mit sich und flüchtete, von einigen Schüssen verfolgt, hinter einer Säule und versuchte dann, sich zum Gleiter durchzuschlagen. Die Kidnapper – fünf Mann mußten noch übrig sein – zogen sich in die Tiefe des Labyrinths zurück. Die anderen Sicherheitsleute der Klondike-Bahn verfolgten sie. Wirtz, der zusehen mußte, wie wertvolle Teile der uralten Bildwerke zerstört wurden, wie die kostbaren Leitschienen vernichtet und die Scheinwerfer zerfetzt wurden, fühlte, wie eine besinnungslose Wut in ihm hochkroch. Er sprang zwischen den taumelnden Robotern hervor, hechtete nach links und rannte dann eine lange Rampe hinauf. Rechts, schräg unter ihm, in einer Front von mehr als zwanzig Metern, lieferten sich Verfolger und Verfolgte ein wütendes Ge-
Hans Kneifel fecht. Jetzt war eine Unterscheidung einigermaßen gut möglich. Die Gruppe der Kidnapper zog sich in die Richtung zurück, in der einige abgestellte Wagen standen. Nach wie vor waren die Leitschienen in Betrieb, die Störung erstreckte sich nur auf einen Teil der Strecke von fünf Kilometern, der sich durch die Labyrinthe wand. Wirtz begann zu rennen und hetzte im Zickzack zwischen den Säulen und den vielen Winkeln des Felsens entlang und gab von Zeit zu Zeit einen gezielten Schuß ab. Er sah einen Mann fallen, aber dann überflutete ein Hagel aus Feuerstrahlen seine Deckung. Er rannte keuchend weiter. Noch vier Kidnapper. Die Verfolger schwärmten aus und versuchten, die Männer zu umgehen und zu umzingeln. Jetzt entdeckte einer der Kidnapper die abgestellten Wagen und handelte schnell. Es schienen Profis zu sein. Für sie war es wichtig, um jeden Preis zu entkommen. Plötzlich schaltete jemand das gesamte Licht ein, und die dröhnende Musik, die bisher ununterbrochen gespielt hatte, riß abrupt ab. Jetzt waren die Schüsse, die hastigen Schritte und die Flüche deutlich und mit Echo zu hören. Ein weiterer Kidnapper wurde von einem Hagel aus Strahlen festgehalten und beim Versuch, die Deckung durch einen tollkühnen Sprung zu verlassen, in der Luft von einem Wirkungstreffer erwischt und herumgewirbelt. Zwei Männer rannten auf den Gleiter an der Spitze zu, auf ein offenes Modell. Zwei Sekunden später schleuste sich die Maschine in die Gerade ein und raste davon. Die Männer schossen nach rückwärts und verbrannten einen Verfolger den Arm und den halben Rücken. Wirtz fluchte lautlos und erreichte den nächsten Wagen. Jetzt war seine Wut in mörderischen Haß umgeschlagen. Er schwang sich in den Fahrersitz und schaltete die Maschine ein. Rücksichtslos riß
Die Instinkt-Spezialisten
45
er den Beschleunigshebel bis zum Anschlag durch und fühlte, wie ihn der Andruck schwer in den Sitz preßte. Das andere Fahrzeug hatte einen Vorsprung von mindestens zehn Kilometern, aber er kannte einige Tricks, die den anderen vor ihm fremd waren. Beide Gleiter nahmen Kurs auf den Weg durch die Schluchten und entlang der senkrechten Felsabstürze.
Chef jagt die beiden letzten Kidnapper.« »Es war furchtbar!« flüsterte sie. »Was ist eigentlich passiert?« Vom hinteren Teil der Anlage schob sich der Krankengleiter heran und blendete die Scheinwerfer ab. Binnen kurzer Zeit waren die bewußtlosen und toten Körper verstaut. Eine Hosteß mit einem kleinen Hotelgleiter kam und brachte den Millionär und seine Tochter zurück ins Hotel.
*
*
Riley erschoß den letzten Kidnapper, der sich erbittert wehrte und ihn um eine Handbreit direkt in den Kopf getroffen hätte. Seine gesamte Schädelhälfte brannte fürchterlich. Dann hob er den Arm und schrie ins Mikrophon: »Wir haben sie alle. Bringt sofort die Rettungsleiter ins Labyrinth. Genau zu den tanzenden Derwischen!« Er sicherte die Waffe und schob sie zurück. Dann ging er langsam zu der Stelle zurück, wo sie den bewußtlos geschossenen Millionär und dessen Tochter zurückgelassen hatten. Unterwegs sahen sie die furchtbaren Schäden, die sowohl an den Skulpturen wie auch an der technischen Einrichtung zurückgeblieben waren. Hin und wieder stießen sie auf einen bewegungslosen Körper und hoben ihn auf. Scheinwerfer waren zerschossen oder ausgebrannt. Stromführende Kabel hingen durchgeschmort von den Decken. Die Leitschiene war durchschossen. Zwischen den Säulen hing Rauch. Knackend kühlte an einigen Stellen der Stein aus. Fetzen waren aus den Fratzen und den Figuren herausgesprengt worden. In den Basaltwänden waren tiefe Trichter. Der Prallfeldgleiter war zerstört. Die Tochter des Millionärs hob den Kopf und sah ihnen entgegen. »Kommen Sie«, sagte Riley. »Es ist alles vorbei. Sie sollten entführt werden. Unser
Froom Wirtz holte auf. Schon längst hätte Wirtz die Verbrecher eingeholt, wenn nicht, mit Ausnahme des Felsenlabyrinths, sämtliche anderen Schienen und Gleiter hätten weiterlaufen müssen. So aber konnte er nur aus seinem Gerät das Letzte herausholen und hoffen, daß inzwischen die Schaltzentrale ein Teilstück ausschaltete, so daß sich der Gleiter vor ihm entscheidend verlangsamte. Er würde trotzdem in der Spur bleiben, dank der Sicherheitsvorkehrungen der Klondike-Bahn. Die Fahrt abwärts begann. Die Wagen näherten sich bis auf dreißig Meter, aber durch einen Abgrund getrennt. Langsam hob Wirtz die Waffe und visierte den vor ihm rasenden Gleiter an. Er selbst raste auf einer langen Gerade auf eine Kurve zu. Hinter der Kurve verschwand eben der Gleiter mit den beiden Kidnappern. Er würde eine enge Wendung beschreiben und dann an der gegenüberliegenden Felswand wieder schneller werden. Dreißig Meter vor der Kurve feuerte Wirtz einen Schuß nach dem anderen ab. Er traf den Unterteil des Gleiters, die Windschutzscheibe und das Heck. Die Maschine sackte mit dem Heck schwer durch und schlitterte funkensprühend und krachend über die planierten Felsen. Dann bremste Frooms Gleiter, bog in die Kurve ein, und jetzt eröffneten die Kidnapper das Feuer. Wirtz, dem die Steinbrocken und die Splitter um die Ohren flogen, duckte sich tief unter
46 das Armaturenbrett. Über ihn fauchten die Schüsse hinweg. Dann verschwand der Gleiter. Wieder raste das Fahrzeug Frooms los, schob sich bis auf kurze Distanz an den dahinratternden und schlingernden Gleiter heran. Froom stemmte sich mit Kniekehlen und der linken Hand, die sich irgendwo festkrampfte, gegen die Fliehkraft und hob sich halb aus dem Sitz. Er zielte und feuerte, ein Schuß löste sich und schmetterte zwischen die beiden Männer. Bis hierher hörte Wirtz den Schrei. Er bewegte den Lauf hin und her, aber die Kidnapper ließen sich in die Sitze fallen. Die Feuerstrahlen schmolzen weitere Teile des Hecks zusammen. Jetzt quoll aus dem Heck eine dichte, langgezogene Rauchwolke. Unbarmherzig schoß Wirtz weiter und sah jetzt, daß der Gleiter vor ihm sich der langsamen Schußfahrt näherte, die in die schwankende Brücke überlief. Sein Gleiter natürlich auch, zwanzig Meter später. Er war fast besinnungslos vor Wut. Dort vorn verbrannte sein Eigentum, an dem der Schweiß vieler und karger Jahre klebte. Der Gleiter vor ihm wurde schneller. Und schneller. Noch schneller. Er schlingerte hin und her. Wirtz ließ sich wieder zurückfallen und wußte, was jetzt kommen würde. Er warf die Waffe achtlos auf den Nebensitz und drosselte die rasende Geschwindigkeit des Wagens. Der Fahrtwind heulte durch die offenen Seitenfenster und durch die durchlöcherte Frontscheibe. Jetzt … Die Maschine schlingerte, beschleunigte noch immer und wurde dann aus der Führung, die durch unsichtbare Energien gewährleistet wurde, gerissen. Vor der letzten leichten Kurve verließ der Gleiter die Gerade und raste weiter, schnellte sich von dem schmalen Felsband und flog einige Sekunden lang geradeaus weiter. Dann senkte sich die Haube. In einem flachen, immer spitzer werdenden Winkel kippte die Maschine ab und stürzte dann trudelnd, sich überschlagend und rauchend mehr als eintausend Me-
Hans Kneifel ter tief. Erst als Wirtz schon lange an der Absturzstelle vorbei war, hörte er die Explosion eine Zehntelsekunde nach dem Aufprall und rund drei Sekunden später als der Zeitpunkt, in dem die Männer gestorben waren. Tausend Meter waren drei Sekunden, die der Schall zurücklegen mußte. An der nächsten Station stieg er aus, nahm sich einen Gleiter und fuhr zurück in sein Büro. Dort erfuhr er, daß Riley bereits jede verfügbare Kraft, auch die bereits voll programmierten Roboter, ausgeschickt hatte, um die verwüstete Höhle wieder instand zu setzen. Auch die planetare Polizei wartete auf ihn. Drei Stunden nach Abschluß aller notwendigen Formalitäten: Froom Wirtz lag in einem Sessel. Aus den Lautsprechern klangen die letzten zwanzig Minuten der Incoronazione di Poppea von Monteverdi. Froom war nicht mehr ganz nüchtern, als er einen störenden Ton herauszuhören glaubte. Der Türsummer! Er schlug einen kunstvollen Seemannsknoten in den Gürtel des weißen Bademantels und ging langsam zur Tür. Der scharfgesichtige Mann in dunkelbrauner Uniform, der ihn anblickte, war völlig unbekannt. »Darf ich eintreten?« fragte er. »Der Tag ist ohnehin schon ruiniert«, sagte Wirtz. »Kommen Sie herein. Calvados?« »Gern. Wenn Sie den Kaffee dazu liefern.« »Natürlich. Und was wollen Sie?« Der Fremde lächelte verbindlich, jedoch sehr zurückhaltend. »Ich habe von dem Unglück gehört, das Sie betroffen hat. Ich weiß auch, daß Sie mit aller Macht die Schäden wieder aufbauen wollen. Ich bin geschickt worden, um Ihnen ein Angebot zu machen.« »Sie sind geschickt?« »Möglicherweise nur erfahren«, beendete der Fremde das Wortspiel und folgte Froom in die Küche, wo Wirtz die Kaffeemaschine programmierte. »Ich komme von Atlan, dem großen Boß der United Stars Organisation.
Die Instinkt-Spezialisten Er läßt fragen, ob Sie bei uns mitmachen wollen …« Wirtz zuckte zusammen. »Höre ich schlecht?« »Nein. Wir können Ihnen ein Leben voller gefährlicher Abenteuer bieten und die fast uneingeschränkte Macht der riesigen Organisation. Übergeben Sie treuhänderisch die Bahn Ihrem Freund Riley und kommen Sie mit uns. Kein USO-Spezialist hätte das Kidnapping besser verhindern können als Sie.« Der Robot stellte die Tassen bereit und die Gläser. Sie zogen sich in den Wohnraum zurück, in dem gerade die letzten, triumphierenden Takte der uralten Musik verhallten. Dort setzten sie sich. Mit einem gekonnten Schnörkel lief die Musik aus. Die Stille war beinahe erschreckend. »Woher wissen Sie, was ich getan und unternommen habe?« erkundigte sich Wirtz etwas verwirrt. »Bildschirme, Gerüchte, einige Wahrnehmungen, Unterhaltung mit Petra DePeer, und andere Dinge. Wie gesagt: United Stars Organisation.« Wirtz war ein Mann schneller Entschlüsse. Beim dritten Calvados sagte er zu, dann ging er ins Bett und schlief bald ein. Der Fremde hatte ihm nicht verraten, wozu die USO gerade ihn, Froom Wirtz brauchen konnte. Sicher nicht dazu, um eine andere Klondike-Bahn einzurichten …
7. 16. Mai 2843 – Quinto-Center: Atlan schaukelte mit seinem Sessel hin und her und fragte sich zum hundertstenmal, was in seinem Projekt fehlgeschlagen sein könnte. Wieder bewegte sich der massige Mann vor ihm und deutete auf die Bildschirme des Computers. »Jetzt haben wir die letzte Bestätigung. Nichts, Sir!« Atlan nickte. »Nichts. Froom Wirtz hat sich nicht gemeldet, und mir wurde eben versichert, daß er nicht auf
47 Komouir gelandet ist.« Er deutete auf eine entsprechende Mitteilung, die auf dem Bildschirm flimmerte. War das gesamte Projekt IS sinnlos geworden und bewies damit seine Untauglichkeit? »Welche Fehler haben wir gemacht?« fragte er laut. Garobier kaute und murmelte schwer verständlich: »Ich habe in den Tagen, in denen ich hier bin, sämtliche Unterlagen noch einmal durchgelesen und genau analysiert. Schließlich hatten wir das Projekt vor sechs Jahren etwa gestartet.« Atlan sah ihn fast verzweifelt an. »Ja, und? Mit welchem Ergebnis?« Garobier schüttelte seinen Schädel und versicherte im Tonfall der tiefsten Überzeugung: »Wir haben alles richtig gemacht, Lordadmiral. Alles. Mir fiel nicht der geringste Fehler auf. Außerdem haben wir zweimal eine Wahrscheinlichkeitsberechnung machen lassen. Es gibt nur eine denkbare Lösung.« Atlan senkte den Kopf. »Froom Wirtz ist auf Wiga-Wigo umgekommen. Er ist tot.« Es gab kaum etwas, das sie nicht über das Projekt »Instinkt-Spezialisten« wußten. Sie erinnerten sich. Sechzehn Terraner wurden ausgesucht. Sie waren alle Personen ohne soziale Bindungen. Zehn Männer, darunter Ceeman Orient, Isidor Natzmann und Froom Wirtz, waren an allen möglichen Orten der Galaxis ausgesucht, befragt und angeworben, ohne daß einem von ihnen klar gewesen wäre, worin sie sich mit ihrer grundsätzlichen Einwilligung eingelassen hatten. Und sechs Frauen … sie waren in gewisser Weise derselbe Typ. Unabhängig, überraschenderweise sehr hübsch und mit allen Wassern gewaschen. Auch sie waren auf dieselbe Weise angeworben worden. Die Sammelaktion hatte einen guten Erfolg erbracht. Schließlich befanden sich die sechzehn
48 Terranerinnen und Terraner in Quinto-Center. Atlan erinnerte sich deutlich, wie er damals in den kleinen Saal getreten war … »Fragen Sie mich jetzt nicht, warum wir gerade auf Sie gestoßen sind. Das erfahren Sie alles während Ihrer Ausbildung – falls Sie sich ausbilden lassen. Ich sage Ihnen, daß wir ein faszinierendes Vorhaben starten wollen.« Damals wie heute stand es vor seinen Augen, hatte Wirtz die Hand gehoben und leicht ironisch gefragt: »Schön und gut, Sir. Aber wer sagte Ihnen, daß gerade wir die Richtigen für Ihr Vorhaben sind?« Atlan hatte gegrinst und geantwortet: »Unter anderem eine Reihe von Tests. Was immer die Resultate sind – Sie gehen kein Risiko ein. Wir nennen dieses Projekt ›Instinkt-Spezialisten‹. Ich frage Sie jetzt, wer sich freiwillig für dieses Projekt zur Verfügung stellt. Es hat, abgesehen von einer erstklassigen Ausbildung, einige zunächst merkwürdig erscheinende Erkenntnisse zur Folge. Ihr Gedächtnis wird in bestimmten Teilen verändert. Das ist aber kein Eingriff in die Persönlichkeit, denn gerade weil Sie alle so sind, wie Sie sind, haben wir Sie ausgesucht. Zweitens werden Sie einer Reihe von einzelnen Abschnitten der Hypnoschulung unterzogen. Wissen und Kenntnisse, Erkenntnisse und Verhaltensweisen werden Ihnen eingeprägt. Es ist dies alles keine Veränderung Ihrer bisherigen Qualifikation; selbst Kandidaten, die erkennen lassen, daß sie für diesen Versuch nicht geeignet sind, werden bei uns eine Menge anderer, ebenso reizvoller Möglichkeiten finden. Und wenn Sie nicht mehr mögen, verschaffen wir Ihnen einträgliche Jobs, die Sie selbst sich aussuchen können! Wer meldet sich freiwillig?« Atlan mußte grinsen. Damals hatten sich alle gemeldet, ohne jegliches Zögern. Dann, schon am nächsten Tag, hatten die Testreihen begonnen.
Hans Kneifel Die USO beschäftigte ausschließlich Spitzenkönner. Deswegen waren die Tests auch zuverlässig und sagten eine Menge aus. Ganz langsam, von Woche zu Woche, verringerte sich die Zahl der Kandidaten. Sechs Männer und drei Frauen blieben übrig. Neun aus sechzehn. Ein fabelhafter Prozentsatz, wie der betelkauende Sellbegg versichert hatte. Diese sieben Frauen und Männer wollten ebenfalls in den Reihen der USO bleiben und wurden entsprechend untergebracht. Garobier unterbrach die Gedanken des Arkoniden. Er fragte trocken: »Nun, in den Erinnerungen gekramt, Sir?« Atlan lächelte etwas schwermütig. »So ist es«, gab er zu. »Ich glaube wirklich, Wirtz ist tot. Es gibt kaum eine andere Alternative. Wiga-Wigo ist ein kleiner Planet, auf dem selten Schiffe landen oder starten. Die Siedler dort in der Eastside kämpfen hart um ihre Existenz.« »Erinnern Sie sich noch an die Aufregungen damals?« fragte Sellbegg. »Ich erinnere mich immer!« sagte Atlan. Die neun Terraner, die nach den umfangreichen Tests übriggeblieben waren, erhielten Hypnoschulungen. Die Testreihen wurden immer schwieriger, je mehr Zeit verstrich. Nicht eigentlich schwieriger, sondern spezialisierter. Sie hatten die Ungeeigneten von den Geeigneten getrennt. Es war für Atlan fast eine Selbstbestätigung, daß Ceeman Orient, Isidor Natzmann und Froom Wirtz übriggeblieben waren. Schließlich, nach einem halben Jahr … … wußten die neun Personen nicht mehr, daß sie erstens Instinkt-Spezialisten waren und zweitens zur United Stars Organisation gehörten. Sie waren noch immer »ihre alten Persönlichkeiten«. Sie hatten sich kaum verändert. Ceeman Orient war und blieb der Typ des Mannes, der seine persönliche Freiheit über alles stellte und auch voll in der Lage war, sie zu behalten und nötigenfalls mit allen Mitteln zu verteidigen. Er konnte aber mehr,
Die Instinkt-Spezialisten wußte mehr, besaß mehr Kenntnisse und Erkenntnisse. Sein Intelligenzquotient hatte sich um dreißig Prozent erhöht, und schon vorher war er alles andere als niedrig gewesen. Isidor Natzmann blieb jedenfalls der jungenhaft wirkende Jäger, der jetzt aber zu groß und zu gut für Bestien wie einen Squopper war. Noch immer stand er dem Rest der Gesellschaft – das waren mit ein paar Ausnahmen alle anderen Menschen – mit äußerster Skepsis gegenüber. Aber er hatte sein Wissen um einen geradezu unglaubhaft hohen Betrag erweitert und fühlte sich keineswegs als Angestellter einer Institution, die die Ordnung im Kosmos auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Und schließlich Froom Wirtz. Noch immer produzierte sein Verstand die skurrilen Ideen und phantastischen Theorien am laufenden Band. Auch er war einer der Menschen, die im Bedarfsfalle von der USO aktiviert werden konnten. Er lebte unter einer neuen, ihm sehr sympathischen Identität und fühlte sich dabei wohl. »Verdammt!« sagte Atlan. »Schade, daß er tot ist. Oder derart blockiert, daß er sich nicht befreien kann.« Sellbegg Garobier, der Leiter dieses langen und sehr intensiven Verfahrens stimmte zu. »Ich kann mir nichts anderes vorstellen. Natürlich habe ich etwas dagegen, mir selbst zu erzählen, meine wissenschaftliche Arbeit sei Unsinn oder nicht effizient, aber dennoch muß ich sagen: Froom Wirtz scheint, so oder so, ausgefallen zu sein.« Sie schwiegen. Zahlreiche Möglichkeiten, mit denen Instinkt-Spezialisten auszuschalten waren, schossen durch ihre Überlegungen. Die Instinkt-Spezialisten mußten »gestartet« oder »gezündet« werden. Das bedeutete nichts anderes, als eine umfassende Reaktion auf Schlüsselreize. Bei Froom Wirtz war es die Mitteilung, daß Rhodan auftauchen würde. Ein unerklärlicher Zwang, den Wirtz keineswegs als uner-
49 klärlich, sondern als höchst normal erkannte, würde ihn dann an die Stelle treiben, an der Rhodan auftauchen würde. Das war geschehen. Man hatte auch in die Richtung von Wiga-Wigo ausgestrahlt, daß Rhodan nach Komouir kommen und dort nach dem Rechten sehen würde. Die IS wußten keinesfalls, warum sie so und nicht anders handelten. Und das machte sie auch völlig immun gegen jede Art von Verhör. Niemand konnte sie verdächtigen, für die USO zu arbeiten. Niemand war in der Lage, ihnen eine Verbindung zur USO nachzuweisen, denn was sie selbst nicht wußten, konnten sie bekanntlich unter keinen Umständen ausplaudern. Ihre wahre Identität war auch durch die bekannten und zu Recht gefürchteten Hypnoverhöre nicht ans Tageslicht zu bringen. Niemand wußte, daß sie im Dienst der USO unterwegs waren. Denn während die Instinkt-Spezialisten im Einsatz waren, wußten sie selbst nicht, daß sie eigentlich im Dienst und für die Interessen der USO arbeiteten. Sellbegg fragte leise: »Sollen wir nicht einen anderen Mann einsetzen? Oder eine der jungen Frauen?« Natürlich kannten sie alle die Operationsgebiete, in denen die »schlafenden« Spezialisten jetzt operierten, bereit, auf Abruf zu einer neuen Mission zu starten. »Nein!« erklärte der Arkonide. »Ich habe bereits etwas anderes im Sinn. Ich habe versprochen, bis heute zu warten. Ich versprach es mir selbst, weil ich nicht an einen Mißerfolg von Wirtz dachte. Aber jetzt muß ich handeln, ob ich will oder nicht!« Zielsicher spuckte Garobier die ausgekaute Schale der Betelnuß in einen Abfallvernichter und fischte in der Tasche nach einer neuen, glänzenden Betelnuß. Er schob sie zwischen die Zähne und biß darauf. Dann begann er zufrieden zu kauen. »Ich verstehe!« sagte er kauend. Der Einsatzbefehl für IS erfolgte durch einfache Kommandos. Es war im Idealfall fast eine Reaktion der Pawlowschen Hunde. Wirtz würde dorthin reisen, wo Rhodan
50
Hans Kneifel
demnächst landen würde. Ein geistiger oder sogar körperlicher Reiz war der Auslöser. Atlan überlegte abschließend: Bisher hatte er gewartet, ob Wirtz auf Komouir eintraf. Perry Rhodan – das war die Aktivierung für Wirtz gewesen. Sie hatte versagt. Jedenfalls war im Deylight-System etwas los. Entweder hatten sie die Nachricht über Rhodans Landung auf Komouir nicht gehört – das war unglaubwürdig. Sie mußten es gehört haben! Es gab keine Alternative. Oder Wirtz war tot. Sellbegg Garobier und Atlan klammerten sich an den Ausdruck ihres Wunschdenkens. Sie wollten nicht daran glauben, daß Wirtz tot war. Er hätte augenblicklich ins TiffakSystem aufbrechen müssen. Außerdem … wenn man in den letzten Winkeln der Galaxis von den Schwingkristallen auf Komouir gehört hatte und augenblicklich reagierte, dann war es geradezu unmöglich, daß diese Nachricht nicht bis nach Wiga-Wigo gedrungen war. Garobier fragte: »Sie sind ratlos, Lordadmiral?« »Sie haben recht. Ich weiß nicht, was ich von allem halten soll. Jedenfalls werde ich jetzt die Alternativplanung einleiten. Sofort,
Sellbegg.« Sie verließen den Computerraum. Beide Männer schwiegen. Sie kannten die eigene Enttäuschung und den Grad der Enttäuschung, die den anderen bedrückte. Sie waren ratlos. Es wäre das erstemal, daß eine derart sorgfältige USO-Planung ein derart erbärmlich schlechtes Ergebnis ergeben hatte. Überraschungen und Pannen – ja. Aber keine Fehlreaktion in diesem Ausmaß. Atlan blieb plötzlich stehen, packte Garobier am Ärmel und sagte hart: »Ich habe keine Beweise, Sellbegg. Aber ich kann nicht glauben, daß ausgerechnet Froom Wirtz tot ist.« Sellbegg nickte gleichmütig und versicherte: »Ich auch nicht. Aber warten wir es ab. Ihre Alternativplanung wird sicher bessere Ergebnisse erbringen. Was ist, wenn Wirtz handelt, ohne daß wir etwas davon erfahren?« Atlan blickte ihn ratlos an.
ENDE
ENDE