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Roy Palmer 1.
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Seewölfe 231 1
Roy Palmer 1.
Unheimlich ragte der hohe, kahle Granitfelsen aus den aufgewühlten Fluten des Atlantiks auf. Er schien etwas ausdrücken zu wollen – eine drohende Botschaft für die Menschen, die es wagen sollten, ihn zu besuchen. Er war der weithin sichtbare Mittelpunkt einer Insel, die von einerurwüchsigen Kraft aus den Tiefen der See emporgehoben worden war, ein Sinnbild finsterer Mächte – so wirkte sie auf den Betrachter. Andrew MacLeod spähte aus schmalen Augenschlitzen zu dem Ungetüm hinüber: Er tat das nun schon seit gut einer halben Stunde, schweigend und mit verschlossener Miene, fast so, als halte er im stillen Zwiesprache mit dem Schöpfer, der sich hinter dem wuchtigen Gebilde verborgen hielt. MacLeod stand breitbeinig auf dem Achterdeck der heftig rollenden Zweimastkaravelle „Confidence“ und hielt sich mit den Händen an der Balustrade fest, die den Querabschluß zur Kuhl bildete. Er war ein großer Mann mit kantigem Gesicht und harten Zügen, breiten Schultern und groben Fäusten. Er zeichnete sich durch unerschütterlichen Mut und Energie aus, konnte aber auch sehr feinsinnig sein. Vor etwas mehr als einer halben Stunde hatte Selkirk, der Ausguck im Großmars, die Entdeckung der Insel durch einen lauten Ruf gemeldet, und die komplette Besatzung war auf dem Oberdeck erschienen, um durch die wenigen Fernrohre, die es auf der „Confidence“ gab, das steinige Eiland zu beobachten. Die Rohre waren von Hand zu Hand weitergereicht worden, aber inzwischen wurden sie nicht mehr gebraucht, denn die Insel war jetzt auch in der einsetzenden Abenddämmerung mit dem bloßen Auge gut zu erkennen. „Die Insel ist ein Geschenk des Himmels“, sagte Hamilton Forbes, der von der Backbordseite der Kuhl auf das Achterdeck geentert war und in diesem Augenblick neben MacLeod trat. „Wir
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haben seit fast fünf Wochen kein Land mehr gesehen, und unsere Trinkwasservorräte neigen sich ihrem Ende entgegen. Es ist bitter kalt geworden, und der Seegang nimmt zu.“ Andrew MacLeod wandte jetzt endlich den Kopf und sah seinen besten Freund an. „Natürlich müssen wir mit einer Wetterverschlechterung rechnen. Wir nähern uns schließlich den ‚Brüllenden Vierzigern’, wie diese Breitenkreise genannt werden. Aber das war dir doch bereits bekannt, nicht wahr?“ „Ja. Ich meine nur, die Insel lädt zum Verweilen ein.“ „Aber Hamilton!“ rief MacLeod aus. „Hast du sie dir wirklich gut genug angesehen?“ Forbes lachte. „Eine Schönheit ist sie nicht, aber wir müssen sie anlaufen. Vielleicht bietet sie uns die letzte Möglichkeit, eine Ruhepause einzulegen, ehe wir unser Ziel erreichen.“ „Auf der Insel gibt es keine Süßwasserquelle“, sagte MacLeod. „Woher willst du das wissen?“ „Ich spüre es.“ „Himmel, Andrew, so gut ausgeprägt können auch deine Sinne nicht sein“, sagte Forbes. „Du hast mich falsch verstanden. Ich fühle, daß uns auf dieser Insel nur Unheil erwartet und wir besser daran tun, einen großen Bogen um sie zu schlagen.“ „Du willst allen Ernstes die ,Brüllenden Vierziger’ bei Nacht in Angriff nehmen?“ stieß Forbes verblüfft aus. „Das kann doch nicht dein Ernst sein, Andrew!“ MacLeod hob den rechten Arm und wies auf den nackten Felsen. der wie ein Gigant näher rückte. „Oben auf dem Gipfel sehe ich ein Grabkreuz, Hamilton.“ „Ein was?“ Forbes nahm nun doch wieder den Kieker zur Hand, zog ihn auseinander und spähte angestrengt hindurch. „Unsinn“, sagte er nach kurzer Betrachtung des steinernen Riesen. „Diesmal irrst du dich, mein Freund. Ich kann kein Kreuz erkennen.“ MacLeod legte ihm die große Hand auf die Schulter. „Wenn wir dort landen, wird der Tod seine Klauen nach einem von uns
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ausstrecken, und wir werden gezwungen sein, ihn zu Grabe zu tragen. Die Insel ist verdammt, sage ich dir. Sie ist des Teufels Zufluchtsort.“ Forbes steckte das Rohr wieder weg und musterte MacLeod aus zusammengekniffenen Augen. „Du willst allen Ernstes von uns verlangen, daß wir dort nicht an Land gehen? Du willst, daß wir weitersegeln, obwohl wir einen Sturm auf die Jacke kriegen könnten, der unser Schiff mit Mann und Maus absaufen läßt?“ „Ich will, daß wir diese Insel um jeden Preis meiden“, sagte MacLeod mit fester Stimme. „Weißt du denn überhaupt, wie sie heißt?“ „Nein. Sie ist auf meinen Karten nicht eingezeichnet.“ „Mit anderen Worten, sie ist noch nicht entdeckt worden?“ „Vielleicht hat es sie gestern noch nicht gegeben“, sagte MacLeod, und wieder richtete er seinen Blick voraus, um das Eiland voll Argwohn zu beobachten. „Hör mir mal gut zu“, sagte Hamilton Forbes. Er war ein schlanker und zäher Mann mit wettergegerbtem Gesicht und grauen Augen, die so durchdringend und unnachgiebig blicken konnten wie kein anderes Augenpaar. „Das redest du dir doch alles nur ein. Du kannst es unseren Leuten nicht verwehren, an Land zu gehen. Sie freuen sich darauf und fiebern der Erkundung der Insel schon entgegen.“ „Satan hat ihren Geist verblendet.“ „Vielleicht gehört die Insel schon zu einem größeren Archipel, der den Küsten des südlichen Kontinents vorgelagert ist“, sagte Forbes hoffnungsvoll. MacLeod schüttelte energisch den Kopf. „Unmöglich. Wir sind nach meinen Berechnungen nicht allzu weit vom Kap der Stürme entfernt, also vom südlichsten Zipfel der Neuen Welt. Wir sind dem Land Amerika näher als Afrika, will ich damit sagen, aber es wird noch einen weiteren Monat dauern, bis wir, ständig auf südlichem Kurs segelnd, das von uns gesuchte und ersehnte Südland erreichen. Außerdem ist es dort warm, mein lieber
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Hamilton, nie und nimmer so eisig kalt wie hier.“ „Bist du denn ganz sicher, daß deine Berechnungen stimmen?“ „Zweifelst du plötzlich daran?“ „Bezüglich der geographischen Breite mögen sie präzise sein, daran läßt sich bestimmt nicht rütteln“, erwiderte Forbes. „Aber beim Festlegen der Längenmaße kann man sich gehörig verschätzen. Vielleicht befinden Wir uns auf der Mitte zwischen dem Kap der Stürme und dem Kap der Guten Hoffnung. Was meinst du, würde es sich nicht lohnen, unsere Position noch einmal zu überprüfen?“ „Zu welchem Zweck denn wohl? Der Teufel hat auch deinen Geist verwirrt.“ Forbes trat noch einen Schritt dichter an ihn heran. „Eins ist sicher, Andrew. Wir gehen heute nacht eher’ vor die Hunde, wenn wir weitersegeln, als wenn wir auf der Insel landen.“ „Der Herr hat uns bisher auf unserem Weg ins Glück und in die Freiheit begleitet“, sagte MacLeod. „Er wird auch weiterhin bei uns sein und uns beschützen.“ Wieder hob er die Hand, diesmal wie in einer mahnenden Gebärde. „Wir haben dieses Schiff, das der Heiland uns schenkte, ,Confidence` getauft, ,Zuversicht`. Wenn wir den Glauben und die Hoffnung aufgeben, können wir auch uns selbst den Mächten der Finsternis überantworten, dann hat alles keinen Sinn mehr.“ „Du bist ein kluger Mann und ein guter Seefahrer“, sagte sein Freund. „Aber du bist auch ein schottischer Dickschädel, Andrew MacLeod.“ Er wies zur Kuhl hinunter. „Diesmal werden unsere Kameraden sich gegen deinen Ratschlag auflehnen -und vergiß nicht, daß wir dich zwar als unseren Anführer angenommen haben, daß wir aber von Anfang an beschlossen haben, Toleranz und demokratisches Recht an Bord dieses Schiffes walten zu lassen.“ „Habe ich mich daran etwa nicht gehalten?“ fragte MacLeod mit erhobener Stimme. „Das habe ich nicht gesagt“, entgegnete Forbes ebenso laut. „Aber es gibt auf der
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,Confidence` keinen Kapitän, keinen Bootsmann, keinen Profos, keine Offiziere und kein gemeines Schiffsvolk - nur Gleichgestellte, denke daran! Die Mehrheit wird also entscheiden, was jetzt zu tun ist!“ Auf der Kuhl hatten sich die Männer erstaunt umgedreht. Mit teils gespannten, teils ärgerlichen Mienen verfolgten sie das Wortgefecht zwischen MacLeod und Forbes, das sich jetzt entwickelte. Zum erstenmal gab es Unstimmigkeiten an Bord, und fast hatte es den Anschein, als sei tatsächlich die Insel, die nun wie zum Greifen nah vor der Karavelle lag, schuld daran. MacLeod wollte Forbes gerade eine geharnischte Antwort geben, da öffnete sich das Schott, das ins Achterkastell führte, und zwei schlanke Gestalten erschienen. Die steife Brise, die aus Nordnordwest wehte, griff sofort nach ihren langen Haaren und zerzauste sie. Sie stießen kleine, entsetzte Rufe aus und griffen mit ihren Händen in den Stoff ihrer Röcke, die vom Wind aufgebauscht wurden. „Vorsicht, Miß Phyllis!“ rief einer der Männer auf der Kuhl. Phyllis, das Mädchen mit den blonden Haaren, war auf dem schwankenden Deck ins Stolpern geraten. Sie versuchte zwar noch, ihr Gleichgewicht durch heftiges Rudern mit den Armen zu halten, aber dann stürzte sie doch - ehe ihre Schwester Rebecca oder einer der Männer ihr zu Hilfe eilen konnte. Sie plumpste auf ihr Hinterteil und gab einen Wehlaut von sich. Rebecca, die Brünette, die anderthalb Jahre älter war als sie, war mit einem Satz neben ihr und griff nach ihren Armen, um sie wieder von den Planken hochzuziehen. Daß bei diesem Manöver Phyllis’ Rocksaum doch bis zu den Oberschenkeln hochrutschte, ließ sich nicht verhindern. „Mein Gott“, sagte Rebecca. „Was du auch immer anstellst! Kannst du denn nicht aufpassen?“ „Rebecca“, sagte Phyllis weinerlich. „Mir ist schon wieder ganz flau im Magen. Was ist denn nur los?“
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Rebecca half ihr auf und drehte sich im nächsten Moment zu den Männern um. „Mister Berwyn. Mister Gallagher, Mister Colmody“, sagte sie. „Phyllis wird mit ihrer Seekrankheit einfach nicht fertig, und deshalb wollten wir fragen. was jetzt geschieht. Gehen wir an Land oder nicht? Phyllis würde es sicherlich gut tun.“ „Nein!“ schrie plötzlich MacLeod, der die Szene mit wachsendem Zorn verfolgt hatte. Er verkrampfte seine Finger um die Handleiste der Balustrade und beugte sich weit vor. „Nein und abermals nein! Wir ankern nicht vor diesem Eiland des Teufels! Und ihr beiden verschwindet sofort wieder in eurer Kammer! Ich habe euch befohlen, euch nicht an Oberdeck sehen zu lassen, sofern ich es nicht ausdrücklich genehmige, und ich verlange, daß ihr euch daran haltet!“ „Aber Vater“, sagte Phyllis. „Mir ist so furchtbar schlecht, und dort unten hat man das Gefühl, ersticken zu müssen.“ „Widersprich mir nicht!“ herrschte er sie an. Kenneth Berwyn, ein untersetzter Mann gutmütigen Aussehens, trat zwei Schritte vor und stemmte die Fäuste in die Seiten. „MacLeod!“ rief er. „Du kannst deine Töchter herumkommandieren, uns aber nicht. Wir wollen uns auf der Insel die Beine vertreten und nach einer Quelle suchen. Ist das vielleicht eine Sünde?“ „Nein“, sagte Stede Gallagher, der jüngste Mann an Bord. „Und die Mehrheit soll entscheiden, was geschieht.“ „Hand hoch, wer auf die Insel will!“ schrie Tom Colmody, der Schiffszimmermann und Segelmacher der kleinen Crew. Alle Arme hoben sich jetzt, auch der von Hamilton Forbes. Nur Andrew MacLeod und seine Töchter, die mit recht eingeschüchterten Mienen dastanden und sich an der Nagelbank beim Großmast festhielten, gaben kein Handzeichen, daß sie einverstanden waren. „Du bist überstimmt, MacLeod!“ rief Berwyn. „Wir suchen jetzt eine Bucht, in der wir ankern können!“ „Ihr Narren“, sagte MacLeod. „Ihr werdet noch sehen, was ihr davon habt. Ihr werdet
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diesen Beschluß noch schwer bereuen, aber wenn ihr dann jammert und stöhnt, erhöre ich euch nicht.“ Er hob seinen Blick und sah den mächtigen Inselfelsen wie einen Todfeind an. * Die ..Isabella VIII.“ hatte es schwer, sich gegen den Wind aus Nordnordwesten zu behaupten. Der Seewolf hatte nach der Umrundung des Kaps der Guten Hoffnung Kurs auf Sankt Helena nehmen wollen, doch beim beständigen Kreuzen gegen die steife Brise wurde die Galeone immer weiter von ihrer ursprünglichen Richtung abgebracht. Da Hasard nicht zu nah an die afrikanische Westküste geraten wollte, hatte er am Morgen dieses Tages beschlossen, zunächst einmal nach Westen abzulaufen und später, wenn der Wind günstiger wurde, auf Nordkurs zu gehen. Bill, der Moses, hatte für die Zeit der Abendwache von vier bis acht Uhr wieder seinen gewohnten Platz im Großmars eingenommen, und im Einsetzen der Abenddämmerung meldete er sich jetzt mit einem Ruf: „Deck! Inseln Steuerbord voraus!“ Der Seewolf, der sich in diesem Moment gerade auf der Kuhl befand, hob den Kopf und blickte zu den Männern der Wache, die sich untereinander ziemlich verwundert ansahen. „Das gibt es doch gar nicht, Himmel, Arm und Wolkenbruch!“ sagte Matt Davies verdutzt. „Inseln in dieser gottverlassenen Ecke Welt? Ich hab gar nicht gewußt, daß hier welche sind.“ „Wie viele sind es denn?“ schrie Carberry, der Profos, zu Bill hinauf. „Willst du Hosentrompeter endlich mal eine vollständige Meldung erstatten, oder muß ich dir deine Hammelbeine wieder langziehen?“ „Ich kann jetzt drei erkennen, Sir!“ rief Bill laut und deutlich zurück. „Zwei kleine im Vordergrund und dahinter eine etwas größere mit einem kahlen Felsen darauf!`“ Jeff Bowie, der nicht weit von Matt Davies und Blacky entfernt stand, grinste und
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sagte: „Hosentrompeter ist gut. Er nennt ihn immer noch so, dabei ist aus dem Burschen nun bei kleinem auch schon ein richtiger Mann geworden.“ Carberry wandte sich zu ihm um. „Mister Bowie, was hast du da zu meckern?“ „Nichts, Mister Carberry, ich sagte nur, ich habe verstanden, daß es drei Inseln sind.“ „Richtig“, brummte der Narbenmann. „Das haben ja wohl alle gehört. Oder hat hier vielleicht jemand Schlick in den Ohren?“ „Nein, keiner“, antwortete Blacky. „Aber meine Frage lautet: Sind wir die ersten Menschen, die auf diese Inselgruppe stoßen, oder könnten sie schon von jemandem entdeckt worden sein?“ „Keine Ahnung“, sagte Carberry und kratzte sich nachdenklich an seinem Rammkinn. „Ich bin doch nicht allwissend.“ Alle schauten jetzt den Seewolf an, und dieser begann zu lächeln. „Wenn mich nicht alles täuscht, dann müßten das die Tristan-da Cunha-Inseln sein“, sagte er. „Da Cunha“, wiederholte Blacky. „Das hört sich portugiesisch an.“ „Ist es auch“, sagte Hasard. „Was, hier sind die Dons auch schon gewesen?“ rief der Profos. „Teufel, ist man denn vor denen nirgends sicher? Jetzt sag bloß, sie hausen auf den gottverfluchten kalten Inseln da vorn!“ „Meines Wissens tun sie das nicht.“ „Aber vor Überraschungen ist man ja nicht sicher“, sagte nun Old Donegal Daniel O’Flynn, der sich zu ihnen gesellt hatte. „Selbst mitten in den ‚Brüllenden Vierzigern’ nicht.“ Damit spielte er auf das Abenteuer an, das sie auf den Prinz-Eduard-Inseln erlebt hatten. Argwöhnisch spähte er über das Steuerbordschanzkleid der Kuhl voraus, aber ohne Kieker waren die soeben entdeckten Inseln noch nicht zu erkennen. „Donegal“, sagte der Profos drohend. „Fang du jetzt nicht wieder mit deinen verdammten Unkereien an.“ Hasard ging zur Back, enterte auf, trat ganz vorn an die Balustrade und holte das Spektiv aus seiner Weste. Er zog es
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auseinander, richtete es nach vorn und blickte über das Galion und am Bugspriet vorbei zu den Inseln, die sich in der Optik wie neblige, unwirkliche Gebilde abzeichneten. Philip junior und Hasard junior, seine Söhne, waren ihm gefolgt und blieben jetzt neben ihm auf dem schwankenden Deck stehen. „Dad, wer war denn dieser da Cunha?“ fragte Philip. „Ein portugiesischer Seefahrer und Entdecker-, erwiderte sein Vater, während er weiter aufmerksam durchs Spektiv sah. „Er wurde 1472 in Lissabon geboren und starb um das Jahr 1550 herum, wann genau, ist mir nicht bekannt.“ „Also ist er schon seit vierzig Jahren oder noch länger tot“, sagte Hasard junior. „Und wann ha: er diese Inseln besucht?“ „Das war 1506. Er war damals gerade zum Vizekönig von Indien ernannt worden. Während der Überfahrt von Portugal nach Indien landete er durch puren Zufall hier. Natürlich gab er den drei kargen, einsamen Inseln seinen Namen.“ „Muß schon ein toller Kerl gewesen sein“, meinte Philip. „Damals war die Seefahrt doch noch viel riskanter als heute, und wer von Europa- nach Asien segelte, der wußte nie, ob er auch wirklich ankam.“ „Du meine Güte“, sagte sein Bruder. „Das ist doch heute noch so. Wenn wir in einen Orkan geraten, können wir auch untergehen. Oder die ‚Isabella’ wird in einer Seeschlacht gegen Spanier, Portugiesen oder Piraten vernichtet. Oder es schleicht sich irgendeine heimtückische Krankheit an Bord, die uns alle umbringt. Oder wir verirren uns im Eismeer oder ...“ „Ins Eismeer segeln wir doch gar nicht!“ unterbrach Philip ihn empört. „Nicht?“ Hasard junior lachte. „Sieh doch mal die vielen Eisschollen an, die auf den Wellen treiben. Ist das nichts?“ Der Seewolf hatte das Fernrohr sinken lassen. „Ihr tragt ganz schön dick auf“, sagte er. „Der alte Donegal ist im Vergleich zu euch ja fast schon harmlos. Aber was die Sache mit der Seefahrt von heute und damals
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betrifft, so hat Philip natürlich recht. Nur haben wir inzwischen bessere, größere und stabilere Schiffe — und bessere Karten und Geräte, die uns eine genauere Navigation ermöglichen.“ „Ja, richtig“, sagte Philip junior. „Dad, willst du auf den Inseln landen?“ Sein Vater blickte ihn an. „Groß ist mein Verlangen danach nicht, aber ich glaube, wir müssen es tun.“ „Wegen der Trinkwasservorräte?“ fragte Hasard junior. „Genau“, erwiderte der Seewolf. Dann wandte er sich ab und stieg wieder auf die Kuhl hinunter. Er öffnete das Kombüsenschott und betrat das Allerheiligste des Kutschers, der gerade unter einigen Schwierigkeiten damit beschäftigt war, die Abendmahlzeit zuzubereiten. Bei dem Seegang war es nicht leicht, das Holzkohlenfeuer unter dem Kessel zu unterhalten, mehr noch, es wurde zu einem Risiko. Der Kutscher jonglierte mit Pfannen, Töpfen und Besteck und fluchte dabei leise vor sich hin. „Kutscher“, sagte der Seewolf, und fast tat es ihm leid, den hageren Mann gestört zu haben, der so tief in seine Gedanken verstrickt gewesen war. Der Koch und Feldscher der „Isabella“ zuckte leicht zusammen und blickte zu seinem Kapitän auf. „Sir? Ich habe gehört, daß Bill eben etwas von Inseln gerufen hat.“ „Ja. Wie steht es mit unserem Trinkwasser?“ „Wir könnten Nachschub gebrauchen.“ „Wie viele volle Fässer haben wir noch?“ „Nur drei“, sagte der Kutscher. Hasard nickte. „Dann wird es höchste Zeit, daß wir uns nach einer Quelle umsehen. Wer weiß, wann wir in den nächsten Tagen wieder auf Land stoßen.“ Er verließ die Kombüse und schloß das Schott hinter sich. Dann trat er vor den Großmast und rief seinen Männern zu: „Wir nehmen Kurs auf die größte der drei Inseln! Mit vier oder fünf Kreuzschlägen müßten wir es
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schaffen, sie anzulaufen und dort vor Anker zu gehen!“ „Aye, Sir!” schrie Carberry — und fuhr zu den Männern herum. „Habt ihr’s gehört, ihr Helden? Anbrassen und hoch in den Wind, und dann alles klar zum Überstaggehen!“ „Aye, aye, Sir!“ erklärte auch Ben Brightons Stimme vom Achterdeck. Hasards Erster Offizier und Bootsmann suchte das Ruderhaus auf, um dem Rudergänger Pete Ballie seine Anweisungen für die nun folgenden Manöver zu geben. Die „Isabella“ stemmte sich gegen den Wind, und bald richtete sich ihr Bugspriet beim Wenden vom einen auf den anderen Bug auf die große Insel mit dem hohen, kahlen Felsen. Old O’Flynn hatte die Back geentert und blickte zu den Inseln, die jetzt ohne Spektiv zu erkennen waren. „Ein öder Flecken Erde“, sagte er mißmutig. „Häßlich und ungastlich. Gefällt mir ganz und gar nicht.“ Er wußte nicht, daß er nicht der einzige war, der in diesem Moment so dachte. 2. In der recht geräumigen Felsenbucht, in die die „Confidence“ eingelaufen war, erschienen die Dinge mit einemmal in einem fast freundlichen Licht, denn hier schlugen die Wellen nicht so hoch wie draußen auf See, und auch Eisschollen, die gegen die Bordwände schlugen und daran zerbrachen, gab es hier nicht. Der Wind pfiff über die hohen Wände der Bucht und zerrte kaum noch an den jetzt aufgegeiten Segeln, an den Rahen und am rufenden und stehenden Gut der Karavelle. „Ein geschützter Platz“, sagte Hamilton Forbes, als sich die Männer darauf vorbereiteten, an Land zu gehen. „Man fühlt sich richtig geborgen.“ „Mich kann das alles nicht überzeugen“, sagte Andrew MacLeod, der nach wie vor neben ihm auf dem Achterdeck stand, leise. „Es ist eine Falle, in die wir uns begeben haben. Eine Todesfalle. Die Hölle
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öffnet ihren Feuerschlund und verschlingt uns alle.“ Forbes beobachtete Berwyn, Gallagher, Colmody und die anderen, die sich gerade anschickten, das einzige Beiboot der Karavelle an Backbord abzufieren. Der Stockanker der „Confidence“ war jetzt ganz auf den Grund der Bucht gesunken. Man konnte sicher sein, daß das Schiff allenfalls um seine Ankertrosse schwojen nicht aber gegen die Wände der Bucht gedrückt werden würde. Zwei Männer namens John Feininger und Aldo Lionello schleppten gerade die wenigen Handfeuerwaffen an, über die die Besatzung der Karavelle verfügte: zwei Arkebusen, vier Musketen und einige Pistolen. Entsprechend gering war auch die Armierung des Schilfes. Es gab nur vier Kanonen. die auf beiden Seiten der Kuhl placiert waren, zwei Demi-Culverinen und zwei Minions. Forbes sah seinen Fremd an. „Na also, Andrew“, sagte er. und diesmal klang sein Tonfall wieder versöhnlicher. „Laß die Schwarzmalerei. Alles deutet darauf hin, daß die Insel unbewohnt ist. Wer sollte uns also schon in die Quere geraten? Ich glaube nicht. daß es hier Wilde gibt, die mit Speeren und Keule über uns herfallen.“ MacLeod lächelte freudlos. „Du hast mich immer noch nicht verstanden. Auf der Insel haust das Grauen. Satan und die Dämonen der Hölle sind unsichtbar: Forbes zwang sich zur Ruhe. „Du bist ja richtig vernarrt in diese Idee. Aber findest du nicht auch, daß du allmählich ein bißchen übertreibst? Du verläßt dich doch nur auf Ahnungen und hast nicht den geringsten Beweis für deine Behauptung, daß wir uns in Gefahr begeben.“ „Es ist die Stimme des Herrn, die mich warnt“ „Andrew“. sagte Forbes eindringlich. „Ich gebe ja zu, daß du der Klügste unter uns bist - und wir alle haben uns mit Begeisterung deinem Vorhaben angeschlossen, nach dem Südland zu suchen, wo wir eine Kolonie des Friedens und der Gerechtigkeit gründen wollen. Du
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bist auch immer noch unser Vorbild, aber selbst du kannst dich täuschen.“ „Nicht, wenn Gott es ist, der mir die Wahrheit eingibt“, sägte MacLeod. „Aber du bist doch nicht unfehlbar!“ „Versündige dich nicht, Hamilton.“ Forbes hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Ich habe zwar nicht den Eindruck, etwas Lästerliches gesagt zu haben, aber ich will mich nicht mit dir streiten. Denk von mir aus, was du willst. Ich kann und will dich nicht anders beeinflussen. Laß dir nur noch das eine gesagt sein: Ich finde, du überschätzt dich ein bißchen, was die Beurteilung deiner Person betrifft.“ MacLeod verschränkte die Arme vor der Brust und schwieg. „Ich gehe jetzt von Bord“, sagte Forbes. „Willst du uns nicht doch begleiten?“ „Nein, ich bleibe hier“, erwiderte MacLeod. „Ich werde über das Schiff und über meine Töchter wachen, denen ich nie und nimmer gestatte, auch nur einen Fuß auf die Insel zu setzen.“ Forbes stieg auf die Kuhl hinunter. Himmel, dachte er, er ist unausstehlich geworden. Vielleicht hat er selbst schon erkannt, daß er sich in der Berechnung der Position und der Bestimmung unseres Kurses vertan hat, und das wirkt sich bei ihm jetzt auf diese Weise aus. „Hamilton“, sagte Oliver Selkirk, der jetzt aus dem Großmars auf die Kuhl abgeentert war. „Sollten wir nicht wenigstens schön ein leeres Faß mit auf die Insel nehmen?“ „Ich bin der Meinung, daß wir uns zunächst überzeugen sollten, ob es überhaupt eine Süßwasserquelle auf der Insel gibt“, entgegnete Forbes. „Aber auch darüber sollten wir abstimmen.“ „Ja“, sagte Kenneth Berwyn. „Ich bin dafür, daß wir erst mal ohne Faß übersetzen. So ist der Trupp größer, der in der Jolle Platz findet, denn das Faß würde ziemlich viel Raum in Anspruch nehmen.“ „Je mehr wir sind, desto besser“, sagte Gallagher. „Es wird gleich dunkel, aber mit einer starken Gruppe haben wir die Insel schnell erforscht.“
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Andrew MacLeod sah zu, wie die Mehrheit der Männer die Hand hob und somit entschied, das leere Faß vorerst auf der „Confidence“ zurückzulassen. Die demokratische Mitbestimmung mag eine gute Sache sein, dachte er erbittert, aber ein Schiff ist doch besser bedient mit einem Kapitän, der als einziger die Befehlsgewalt hat und bestimmt, was zu geschehen und was nicht zu geschehen hat. Die Eintracht, die unter den dreizehn Männern der „Confidence“ geherrscht hatte, war brüchig geworden. Eine düstere Stimmung des Zwiespalts und des Mißtrauens schien sich über das Schiff gesenkt zu haben. Dies war eine der deprimierenden Folgen der langen, entnervenden Überfahrt, die vor Monaten in Schottland begonnen hatte und deren Ende noch nicht abzusehen war. MacLeods puritanisches Gemüt war durch die plötzliche Aufsässigkeit der Kameraden erheblich erschüttert worden. Mit zunehmendem Zorn blickte er denen nach, die jetzt an der Jakobsleiter in die an der Bordwand der „Confidence“ dümpelnde Jolle abenterten. Es waren Forbes, Berwyn, Gallagher, Colmody, Selkirk, Feininger, Lionello und zwei andere, deren Namen Timball und Jackson lauteten. Die drei restlichen Männer - Mulligan, Duvalier und Burnell blieben als Wachtposten an Bord der Karavelle zurück. Sie beugten sich über das Schanzkleid und winkten den neun Kameraden nach, als diese mit dem Boot ablegten und zum südlichen Ufer der Bucht hinüberpullten. Der Herr wird euch für euren sträflichen Leichtsinn zur Rechenschaft ziehen, dachte Andrew MacLeod. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Sein Blick wanderte an dem mächtigen Felsen hoch, der sehr nah war, so nah, daß man glauben konnte, er würde jeden Augenblick auf die „Confidence“ stürzen. MacLeod meinte wieder das Kreuz hoch oben auf dem Gipfel zu sehen und wußte, daß er diese Insel haßte, wie er zuvor selten etwas gehaßt hatte.
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Phyllis und Rebecca, die längst wieder ihre Kammer im Achterkastell aufgesucht hatten und nur durch ein winziges Fenster das Ablegen der Jolle hatten beobachten können, blickten sich mit sorgenvollen Mienen an. „Glaubst du, daß es gut ausgeht?“ fragte Phyllis. „Vaters Bedenken sind doch bestimmt nicht grundlos.“ „Wegen der Insel bereite ich mir keine Sorgen“, sagte Rebecca. „Viel schlimmer ist, daß es Ärger gegeben hat und jetzt eine Spannung zwischen Vater und den anderen Männern herrscht.“ Phyllis riß ihre großen blauen Augen auf. „Meinst du etwa, sie könnten ihm etwas etwas antun?“ „Sag doch so was nicht“, erwiderte Rebecca ärgerlich. „An offenen Streit und Meuterei denke ich nicht. Ich habe nur Angst, Forbes und die anderen könnten an dem Erfolg unserer Mission zu zweifeln beginnen.“ „Daran, daß wir das Südland finden?“ „Ja.” „Glaubst du denn, daß wir es finden?“ „Vater sagt, es sei ein riesengroßer Kontinent mit mildem Klima. wo das Saatgut, das wir an Bord haben, reichen Ertrag bringen wird-. erwiderte Rebecca. „Niemand brauche dort Hunger zu leiden. Die Sonne scheine fast das ganze Jahr über und der Reichtum der Menschen seien ihre Sorglosigkeit und Friedfertigkeit.“ Sie sagte es voll Überzeugung. wich dem offenen Blick ihrer Schwester aber plötzlich aus, weil sie selbst wußte, daß dies keine Antwort auf die Frage war. Phyllis fuhr plötzlich zusammen, weil tief im Innern des Schiffsrumpfes ein dumpfes Rumoren ertönte. Sie griff nach dem Arm ihrer Schwester. „O Gott, was das?“ „Herrje!“ entgegnete Rebecca „Das sind, die Schweine und Schafe, die wir an Bord haben. Wie oft soll ich dir denn noch sagen. daß die Männer alles daransetzen, unsere Haustiere lebend bis zum Südland zu bringen?“ „Ich werde mich nie daran gewöhnen“, sagte Phyllis mit unglücklicher Miene. „Schweine. Schafe und Hühner - mit uns
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zusammengepfercht auf einem kleinen Schiff, das wie ein Spielball im Meer schaukelt. Ich kann die Seefahrt nicht ausstehen.“ „Aber du wirst durchhalten - versprichst du mir das?“ „Ja“, erwiderte das blonde Mädchen, und plötzlich lächelte sie. „Natürlich. Bis hierher sind wir gelangt, und den Rest der Reise werden wir wohl auch noch schaffen.“ Weder die beiden jungen Mädchen noch ihr Vater oder die drei Deckswachen der „Confidence“, noch die neun Männer, die inzwischen am Ufer gelandet waren und sich auf den Aufstieg in die Felsen vorbereiteten, ahnten, daß sich zu diesem Zeitpunkt ein zweites Schiff der Insel Tristan da Cunhas näherte. Die Ankerbucht der Karavelle befand sich an der Nordseite der Insel, die „Isabella VIII.“ jedoch segelte von Südosten heran. Zwischen den Männern der „Confidence“ und der „Isabella“ stand der hohe Felsen, der ihnen den Ausblick auf die Galeone und die beiden kleineren Inseln versperrte. Man mußte ihn erst erklimmen, tim sich ein vollständiges Bild von der Umgebung zu verschaffen. * Im bläßlichen Büchsenlicht, das den Übergang vom Tag zur Nacht kennzeichnete, steuerte die „Isabella“ mit einem letzten Kreuzschlag von Osten nach Westen auf das Südufer der großen DaCunha-Insel zu. Bill hielt die Augen nach einem geeigneten Ankerplatz offen, und Dan O’Flynn war in den Vormars aufgeentert, um ihn dabei zu unterstützen. Die beiden kleineren Inseln lagen jetzt Backbord achteraus. Hasard hatte sie durch sein Spektiv aufmerksam betrachtet, aber er war nach wie vor der Ansicht, daß er und seine Männer Trinkwasser nur auf der großen Insel finden würden — wenn überhaupt. Wieder stand er auf der Back und hielt mit dem Rohr Ausschau nach Menschen, Tieren und Vegetation. Big Old Shane,
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Ferris Tucker, Old O’Flynn und der Profos waren neben ihm und beobachteten ebenfalls die Küste — mit gemischten Gefühlen. „Da tut sich nichts“, sagte Big Old Shane. „Da ist nichts los.“ „Da ist auch der letzte Hund erfroren“, brummte Carberry. „Alles Leben ist ausgestorben. Was sollen wir da bloß?“ „Trinkwasser suchen“, entgegnete Ferris Tucker grinsend. „Was denn wohl sonst?“ „Da gibt es keine Quelle, sage ich.“ Der Profos warf dem rothaarigen Schiffszimmermann einen wütenden Seitenblick zu. „Aber du Schlauberger kannst ja ein paar Pützen und Kübel aufstellen. Damit fangen wir den Schnee auf, der jeden Augenblick fallen kann. Wir lassen ihn auftauen und trinken ihn, klar?“ „Geht das wirklich?“ fragte Ferris in gespielter Ahnungslosigkeit. Carberrys Miene verfinsterte sich noch mehr. „Ich hab schon immer gesagt, daß du eigentlich zu nichts taugst, du alter Holzwurm, und daß wir auf dieser alten Lady dringend mal einen neuen Zimmermann brauchen.“ Ferris sagte: „Das gilt auch für den Profos, denn ...“ „Ruhe!“ unterbrach ihn der Seewolf. „Seht euch jetzt mal die Hügel an, die zwei oder drei Meilen hinter der Küste aufsteigen. Zuerst dachte ich auch, sie wären kahl, aber jetzt kann ich einen dunklen Streifen erkennen. Das sind mit Sicherheit Büsche — und wo Büsche sind, muß es auch Süßwasser geben. Also, wir gehen an Land und laufen uns ein wenig die Hacken ab, damit wir die Quelle möglichst noch vor dem Dunkelwerden finden.“ „Ja, Sir“, sagten die Männer. Old O’Flynn wies zum dunkelgrau bewölkten Himmel. „Es sieht zwar nach Schnee aus, aber solange der Wind steif aus Nordnordwest bläst, schneit’s noch nicht. Darauf gehe ich jede Wette ein. Ed, wir sind also doch auf die Quelle angewiesen.“ „Sagt mal, seid ihr hier eigentlich alle gegen mich?“ fragte der Profos.
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„Deck!“ riefen Dan und Bill plötzlich wie aus einem Munde. „Bucht in Sicht! Steuerbord voraus - höchstens. eine Meile entfernt!“ präzisierte gleich im Anschluß daran Dan. „Alles vorbereiten zum Landemanöver“, sagte der Seewolf. „Wir gehen so dicht wie möglich unter Land, loten die Wassertiefe aus und sehen, ob die Bucht für unsere Zwecke geeignet ist.“ Carberry drehte sich um und brüllte: „Anluven! Zwei Strich Steuerbord! An die Brassen, an die Schoten, bewegt euch, ihr triefäugigen Plattfüße!“ Während der Profos seine üblichen Flüche vom Stapel ließ, um die Crew anzutreiben, warf Big Old Shane noch einen Blick durchs Spektiv und sagte: „Ich frage mich, ob die Insel wirklich so menschenleer und ausgestorben ist, wie Ed annimmt. Der Schein könnte doch auch trügen, oder?“ „Bald wissen wir es ganz genau“, entgegnete der Seewolf. „Auf bloße Vermutungen will ich mich nicht stützen.“ 3. Hamilton Forbes und Kenneth Berwyn hatten sich an die Spitze des Landtrupps gesetzt. Von dem winzigen Landeplatz der Jolle aus, einer kieselbedeckten Ausbuchtung zwischen den Uferfelsen, gelangten sie in eine große Felsspalte, deren Grund allmählich anstieg und sie etwas später auf eine Art natürlichen Pfad führte. Der Pfad war knapp einen halben Yard breit und verlief in südlicher Richtung, also zurück zur Bucht, und legte sich dann in einer halbkreisförmigen Windung um den größten, alles beherrschenden Felsen. Forbes und Berwyn blieben stehen, und hinter ihnen verharrten auch die sieben anderen Männer. Sie befanden sich jetzt an einem Punkt, von dem aus sie in die Ankerbucht hinunterblicken konnten. Die „Confidence“ lag wie in einem Kessel und schwojte leicht an ihrer Ankertrosse. Forbes hob die rechte Hand und winkte Mulligan, Duvalier und Burnell zu, deren Gestalten er auf der Kuhl erkennen konnte.
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Es dauerte eine Weile, bis auch sie den Landtrupp oben auf dem schmalen Felsensims entdeckt hatten dann aber grüßten sie mit heftigen Gebärden zurück. Von MacLeod und seinen Töchtern war auf den Decks der Karavelle nichts zu sehen. MacLeod hatte sich also schmollend in das Achterkastell zurückgezogen. Da registrierten Forbes und Berwyn rechts neben sich eine ruckartige Bewegung. Sie wandten ihre Köpfe und sahen, wie Colmody und Selkirk den jungen Gallagher an den Armen festhielten. Gallagher war bleich im Gesicht, seine Augen hatten sich geweitet „Er kippte plötzlich vornüber“, sagte Colmody. „Wir konnten ihn gerade noch packen. sonst wäre er runtergefallen.“ „Verdammt!“ keuchte Gallagher. „So was ist mir noch nie passiert.“ „Man könnte meinen, du wärest nicht ganz schwindelfrei“, sagte Hamilton Forbes überrascht. „Dabei habe ich dich schon im dicksten Sturm in den Wanten herumturnen sehen, Stede.“ Stede Gallagher begann zu grinsen und schien sich wieder gefaßt zu haben. „Ist schon gut, Freunde. Ich bin ja noch unter euch und fühle mich eigentlich auch ganz wohl. Also, danke für die Hilfe.“ „Nicht der Rede wert“, brummte Oliver Selkirk. „Was ist, gehen wir weiter? Es ist gleich dunkel.“ Forbes warf noch einen Blick auf die „Confidence“. Ihre Umrisse begannen jetzt zu verschwimmen. Bald würde die Finsternis sie unsichtbar werden lassen, und auch der Felsenpfad würde kaum noch zu erkennen sein. „Wie viele Pechfackeln habt ihr mitgenommen?“ fragte er. „Neun“, erwiderte Lionello, der Italiener. „Das dürfte reichen“, meinte Forbes und setzte seinen Marsch fort. Berwyn glitt mit zwei langen Schritten dicht hinter ihn und raunte ihm zu: „Hör mal, Hamilton, es war fast so, als habe irgend jemand Gallagher einen Schubs versetzt.“
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„Wer denn?“ zischte Forbes. „Etwa Colmody? Oder Selkirk? Bist du verrückt, so was auch nur zu denken?“ „Du kannst sagen, was du willst, diesen Eindruck hatte ich.“ „Hast du denn gesehen, ob ihn jemand gestoßen hat?“ „Nein“, sagte Kenneth Berwyn. „Dann halt deinen Mund“, sagte Forbes schroffer, als er beabsichtigt hatte. Berwyn schwieg. Die sieben anderen, die hinter ihm schritten, hatten zumindest den letzten Satz von Forbes deutlich genug verstanden und wunderten sich darüber, daß der Grauäugige Berwyn derart anfuhr. Alle spürten es: Die Nervosität wuchs. Seit sich Andrew MacLeod gegen eine Landung auf der Insel ausgesprochen hatte, war auch die Atmosphäre zwischen den anderen Männern der Karavelle spannungsgeladen. Verdruß schien sich anzubahnen. Forbes folgte dem Verlauf des Pfades um den großen Felsen herum mit raschen Schritten. Links von ihm stieg die Wand auf, rechts ging es senkrecht in die Tiefe. Forbes fühlte das Verlangen wachsen, auf sicheren Boden zu gelangen, auf ein Plateau etwa, wo man verschnaufen und Umschau halten konnte. Der Felsenweg führte am Rand einer Schlucht vorbei, die tief ins Innere der Insel stieß. Am Ende dieser Schlucht wurde der Pfad plötzlich abschüssig, und wenig später mündete er in einem breiten Geröllfeld, das den Übergang von der Schlucht zum übrigen Bergland bildete. Die Männer atmeten ein wenig auf, als sie nebeneinander durch den Hohlweg gingen, der an das Geröllfeld anschloß. Sie fühlten sich jetzt doch etwas wohler, da keine Gefahr mehr bestand, abzustürzen und sich den Hals zu brechen. „Moment mal“, sagte John Feininger plötzlich. „Hört ihr das nicht?“ Sie blieben stehen und lauschten. Hinter ihnen, offenbar auf dem Geröllfeld, war ein Knirschen und Scharren, als bewege sich irgendjemand mit langsamen Schritten darüber hinweg.
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„Jemand folgt uns“, flüsterte Colmody. „Verdammt, die Insel ist also doch bewohnt. Vorsicht!“ Er duckte sich und nahm die Muskete, die Lionello ihm noch an Bord der „Confidence“ in die Hand gedrückt hatte, in Anschlag. In der Erwartung, daß der Fremde, der ihnen auf den Fersen war, gleich im Eingang des Hohlweges erscheinen müsse, zielte er in das verblassende Dämmerlicht. „Allmächtiger Gott“, raunte Feininger. „Nehmen wir mal an, wir haben es mit einem ganzen Stamm von Wilden zu tun dann reichen unseren wenigen Waffen nicht aus.“ „Auch das ist MacLeods Schuld“, zischte Gallagher. „Er wollte sowenig Waffen wie möglich mitnehmen - zu Anfang gar keine. Wenigstens konnten wir ihn überreden, die paar alten Schießprügel zu behalten und die vier Kanonen an Bord der Karavelle zu belassen. Na schön, wir wollen keinem Menschen was zuleide tun, wie es die Bibel vorschreibt. Aber wie steht’s beispielsweise mit der christlichen Nächstenliebe, wenn eine Piratenhorde über uns herfällt?“ „Bislang haben wir Glück gehabt“, murmelte Berwyn. „Weil der Herr uns beschützt“, flüsterte Lionello, der Italiener. „Gut“, brummte Colmody. „Dann hoffen wir mal, daß er das auch weiterhin tut.“ Berwyn und Forbes traten neben ihn. Berwyn hatte eine Arkebuse, Forbes eine Muskete in den Fäusten. „Wie ist es, kannst du etwas sehen?“ wisperte Forbes. „Nichts“, gab Colmody ebenso leise zurück. „Aber wir haben die Geräusche alle gehört“, flüsterte Berwyn. „Eine Täuschung kann es also nicht gewesen sein.“ „Jetzt ist es still“, raunte Forbes. „Was meint ihr, ob der oder die Kerle bemerkt haben, daß wir stehengeblieben sind?“ „Ich kehre zum Geröll zurück und sehe nach, was los ist“, zischte Colmody. Er war ein kräftiger, energischer Mann, dem
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es an der nötigen Verwegenheit nicht mangelte, wenn es darauf ankam. Colmody schlich vorsichtig den Hohlweg entlang. Forbes und Berwyn schlossen sich ihm sofort an, und auch die sechs anderen Männer wollten ihren Mut beweisen und pirschten in die Richtung zurück, aus der sie soeben gekommen waren. „Vielleicht ist es MacLeod, der da herumstolpert“, flüsterte Jackson. „Vielleicht hat er’s sich anders überlegt und will sich uns doch noch anschließen. Er ist von Bord der ,Confidence` gesprungen und an Land geschwommen.“ Keiner lächelte über diese Bemerkung, keiner fand sie witzig. Colmody langte als erster am Eingang des Hohlweges an, aber Forbes war dicht hinter ihm und flüsterte: „Drück nicht sofort ab. wenn du den Kerl siehst. Denk daran, daß wir nur in Notwehr schießen wollen.“ „Ich denke daran“, sagte Colmody grimmig. Sie blickten auf das Geröllfeld hinaus, das jetzt mit einem schwachen bläulichen Schimmer überzogen war. Kenneth Berwyn schob sich neben sie und spähte über Forbes’ rechte Schulter. Ein großer Vogel flatterte von den Steinen auf und entfernte sich geräuschlos. Colmody ließ ein leises Lachen vernehmen, und Forbes und Berwyn atmeten auf. „Da haben wir also die Erklärung“, sagte Berwyn. „Was war denn das -eine Möwe oder ein Albatros?“ „Eine Möwe natürlich“, entgegnete Hamilton Forbes. „Hast du denn noch nie gesehen, auf was für eine plumpe Art der Albatros startet und landet?“ „Nein. Ich weiß nur, daß ein Albatros Unglück bringt“, sagte Berwyn. „Abergläubisch soll man aber nicht sein“, sagte Selkirk hinter ihm. „Ich habe einen Vorschlag. Wie wär’s, wenn wir das Geröll noch einmal kurz absuchen vorsichtshalber?“ Sie erforschten das Feld noch einmal ausgiebig, stießen aber auf nichts, was in irgendeiner Weise den Verdacht erhärtete,
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es befänden sich außer ihnen noch andere Menschen auf der Insel. Einigermaßen beruhigt setzten sie ihren Weg ins Innere des Eilandes fort. Der Hohlweg schien an seinem Ende mit einer hohen Felsenwand abgeschlossen zu sein, aber beim Nähertreten entpuppte sich diese Mauer als ein Hang, den man ohne besondere Mühe erklettern konnte. So gelangten die Männer der Karavelle auf ein Plateau, dessen Fläche so groß wie der Durchmesser der Bucht sein mochte, in der die „Confidence“ ankerte. Die Männer schauten sich nach allen Seiten um — so weit, wie die einsetzende Dunkelheit es noch zuließ —, konnten aber außer ein paar krüppeligen Sträuchern in ihrer Umgebung nichts entdecken. „Das nenne ich einen schönen Reinfall“, sagte der junge Gallagher. „Hier scheint alles verdorrt zu sein. Hier gibt es kein trinkbares Wasser, Kameraden.“ „Vielleicht doch, an der Südseite der Insel“, wandte Colmody ein. „Dorthin sollten wir noch gehen, bevor wir unser Unternehmen abbrechen.“ „Wir müssen uns beeilen“, sagte Forbes. „Auf dem Geröllfeld haben wir schon zuviel Zeit verloren. Jetzt ist es fast ganz dunkel geworden, und das erschwert unsere Suche natürlich. Aber ich schlage vor, wir geben trotzdem nicht auf. Wenn wir uns tatsächlich einer Quelle nähern sollten, dann hören wir auch am Rauschen ihres Wassers, wo sie zu finden ist. Also, was sagt die Mehrheit?“ Fast alle waren damit einverstanden, nicht wieder unverrichteter Dinge abzuziehen, nur Timball murrte ein wenig, und Feininger meinte: „Das wird viel zu spät. Wenn wir nachher in der Finsternis zur Ankerbucht zurückkehren, stürzen wir auf dem schmalen Pfad ab und brechen uns alle das Genick.“ „Wir können aber auch auf der Insel übernachten“, schlug Gallagher vor. „Hier?“ rief Feininger entsetzt. „Ehrlich, hier ist es mir zu unheimlich!“ „Hört, hört“, sagte Colmody höhnisch. „Jetzt fängt er auch schon so an wie MacLeod. Ich glaube, einigen von uns hat
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die lange Reise wirklich geschadet. Sie scheinen krank geworden zu sein.“ „Krank?“ wiederholte Feininger aufgebracht. „Wo denn? Im Kopf etwa? Colmody, sieh dich bloß vor. Vor dir habe ich keine Angst.“ „Schluß!“ sagte Hamilton Forbes scharf. „Wenn wir groß herumdebattieren, verlieren wir nur noch mehr Zeit. Timball und John Feininger, ihr könnt ja hier auf uns warten, wenn ihr wollt. Wir schließen unseren Erkundungsgang ah und kehren dann hierher zurück.“ „Ich gehe mit“, sagte Timball. „Ich auch“, entschied Feininger. „Es ist besser, wenn wir alle zusammenbleiben.“ Sie zogen weiter und überquerten das Plateau. Als sie etwa sein Zentrum erreicht hatten, wurden sie plötzlich auf ein Gebilde aufmerksam, das sich wie ein Klotz vor ihnen aus der Dunkelheit erhob. „Was ist denn das?“ sagte Oliver Selkirk in einer Mischung aus Verblüffung und Betroffenheit. „Das sieht ja aus wie — wie ein Haus.“ Unwillkürlich blieb er stehen. Forbes, Berwyn und Colmody waren als erste mit erhobenen Waffen bei dem Gebäude. Gallagher, Lionello und Jackson befanden sich hinter ihnen, dann folgten auch die anderen. Das Haus war ganz aus Naturstein errichtet und hatte eine niedrige Tür und winzige Fenster, soweit sie erkennen konnten. Es war ungefähr drei Yards hoch und sechs Yards breit. Von seiner verwitterten, düsteren Fassade ging etwas Unheilverkündendes aus. „Also doch“, flüsterte Feininger. „Jetzt haben wir den Beweis dafür, daß es hier Bewohner gibt.“ „Unsinn“, brummte Jackson. „Das Haus ist verlassen. Das sehe ich doch von hier aus.“ „Hallo!“ rief Colmody. „Ist da jemand?“ Er erhielt keine Antwort. Stille lag über dem Plateau. Sie wurde nur von dem Wispern und Säuseln des Windes unterbrochen. Forbes, Colmody und Berwyn traten noch näher an das Haus heran. Sie rechneten mit einer Falle, mit einem jähen Angriff der
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Bewohner, doch jede unliebsame Überraschung blieb aus. Forbes drehte sich zu den anderen um. „Zündet bitte eine Fackel an“, sagte er. „Wir untersuchen jetzt das Innere des Hauses.“ „Glaubt ihr, daß ihr dort volle Wasserfässer findet?“ fragte Feininger. „Vielleicht auch das“, erwiderte Forbes. * Hasard stieg mit neun Männern in die Hügel auf. Es waren Shane, Carberry, Ferris Tucker, die beiden O’Flynns, Blacky, Smoky, Matt Davies und Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia. Alle anderen waren unter Ben Brightons Kommando auf der „Isabella“ zurückgeblieben, die jetzt in der Bucht an der Südküste der Insel ankerte. Die Bucht war nicht sonderlich groß und auch nicht sehr geschützt, aber die Wassertiefe war ausreichend, und das genügte dem Seewolf. Mit Wind und Wellen würde es kaum Ärger geben, auch dann nicht, wenn der Wind zunahm, denn der große Inselfelsen dämpfte seine Kraft erheblich. Die Männer konnten dies körperlich spüren. Nur noch schwach umfächelte der Wind an dieser Seite der Da -Cunha-Insel ihre Gestalten, und fast bereuten sie. sich so dick mit Jacken und Fellmützen bekleidet zu haben, um den Härten der Witterung zu trotzen. Zügig und entschlossen strebten sie die sanften Hänge hinauf und hatten bald die Buschgruppen erreicht, die Hasard von der „Isabella“ aus gesichtet hatte. Rasch wurde es jetzt dunkel. „Sir“, sagte Ferris Tucker. Sollen wir schon mal eine der Fackeln anzünden, die wir mitgenommen haben?“ „Noch nicht“, erwiderte der Seewolf. „Ich will damit so lange wie möglich warten, auch, weil ich uns irgendwelchen Beobachtern nicht verraten will.“ „Ein weiser Entschluß“, sagte Big Old Shane. „Sperren wir unsere Augen weit genug auf. dann sehen wir auch ohne Licht noch genug.“
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„Würdest du dir auch zutrauen, eine Fallgrube rechtzeitig zu erkennen?“ fragte Old O’Flynn. „Ja.“ „Wenn du drin liegst, oder?“ „Mal bloß nicht den Teufel an die Wand, Donegal. sonst gibt es Ärger“, sagte Shane warnend. „Eins ist mal sicher“, sagte der Profos ärgerlich. „Die Insel ist genauso öde und jämmerlich, wie ich sie mir vorgestellt habe. Hier ist es so ungemütlich, daß kein Vogel seine Eier legt und kein Seehund sich zum Schlafen begibt. Falls hier tatsächlich jemand hausen sollte, dann muß er den Verstand verloren haben oder sonst irgendwie krank sein.“ „Au, verflucht!“ rief Matt Davies plötzlich. Die anderen fuhren zu ihm herum. „Was ist?“ fragte Hasard. „Nichts, Sir, ich bin boß über eine verdammte Wurzel gestolpert und habe mir dabei fast den Fuß verstaucht“, sagte Matt. „Und deswegen veranstaltest du so einen Lärm?“ fuhr der Profos ihn an. ..Dir geht’s wohl nicht mehr gut, wie? Halt bloß die Luft an, Mister Davies, sonst verstauche ich dir gleich was, nämlich deinen verflixten Affenarsch.“ Matt warf Carberry einen zornigen Blick zu, den dieser Gott sei Dank aber nicht bemerkte. Dann wich Matt Blacky und Smoky aus, die auf ihn zurückten und nicht daran dachten, stehenzubleiben. Sie trugen ein kleines, leeres Faß, und Matt drohte damit zusammenzustoßen. Leise fluchend trat er mitten zwischen die Büsche, um die beiden an sich vorbeizulassen und sich dem Trupp dann wieder anzuschließen. Plötzlich stand er stocksteif da. „He“, sagte Carberry. „Was ist denn jetzt wieder los? Matt Davies, sieh zu, daß du wieder antrabst und den Anschluß nicht verpaßt. Wir haben keine Lust, nachher groß nach dir zu suchen.“ „Augenblick mal“, sagte Matt. „Ich höre was.“ „Was denn?“ fragte der Profos gallig. „Nachtigallen vielleicht?“ „Nein, nein. Hört doch selbst mal.“
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„Ich weiß schon, was das ist“, sagte Old O’Flynn finster. „Der Geist von Tristan da Cunha geht auf dieser Insel um.“ Hasard war wieder stehengeblieben. Er ging jetzt zu Matt hinüber und sagte: „Leute, macht euch nicht lächerlich. Ich höre es jetzt nämlich auch – das Plätschern von Wasser.“ „Jawohl, Sir“, sagte Matt. „Die Quelle muß hier ganz in der Nähe sein.“ „Großartig“, meinte Ferris Tucker. „Wir sind kaum eine halbe Stunde an Land, und schon haben wir sie gefunden. Das nenne ich wirklich Glück.“ Hasard forschte eine Weile das Gebüsch ab, dann bückte er sich und griff mit beiden Händen nach dem Naß, das zwischen den Steinen einer natürlichen Terrassenwand hervorsprudelte. Er nahm die Muck von seinem Gürtel, die er zu diesem Zweck mitgebracht und dort festgebunden hatte, ließ sie vollaufen und probierte einen Schluck von dem kalten Wasser. „Schmeckt ausgezeichnet“, sagte er. „Vergiftet wird es wohl nicht sein. Bringt jetzt das Faß. Wir füllen es, transportieren es zurück an Bord der ‚Isabella’ und holen weitere Fässer.“ Blacky und Smoky setzten das kleine Faß neben dem Seewolf ab, öffneten es und nahmen von Batuti einen Kübel entgegen, den sie zum Schöpfen des Wassers und zum Füllen des Fasses benutzten. Ferris Tucker untersuchte die nähere Umgebung. Die Quelle entwickelte sich zu einem schmalen Bachlauf, der sich nach Osten schlängelte und irgendwo in der Nacht verlor. Ferris hob den Blick, betrachtete die Bergformationen, die sich nur noch schwach wahrnehmbar im Norden aufrichteten, und runzelte plötzlich die Stirn. Dort oben, auf den Felsen, glaubte er ein schwaches Licht entdeckt zu haben. 4. Forbes hielt die brennende Pechfackel und betrat als erster das seltsame Gebäude. Mit
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allen möglichen Entdeckungen hätte er hier oben gerechnet, nur nicht mit einem richtigen Haus aus Steinen. Das zuckende rötliche Licht der Fackel zeichnete bizarre Muster auf die inneren Wände. Forbes schob sich vorsichtig weiter und hielt seine Muskete mit einer Hand so fest, daß er immer noch abdrücken und den Rückstoß mit der Schulter abfangen konnte. Berwyn, Colmody und Gallagher waren hinter ihm. Sie blickten sich genauso prüfend und mißtrauisch um wie er. Welches Geheimnis barg die Behausung? Wer hatte sie errichtet, was hatte sie für eine Geschichte? Daß man das einfache Gebäude seit längerer Zeit nicht bewohnt hatte, war offensichtlich. Der einzige Raum war leer bis auf einen umgekippten Tisch und ein verrottetes Schränkchen. Auf dem unbefestigten Fußboden wuchsen ein paar trockene Sträucher, und überall war Staub, sehr viel Staub. Forbes stieß mit dem Fuß gegen einen Gegenstand. Er entpuppte sich als eine Muck, die scheppernd auf dem Boden hin und her rollte. „Was war das?“ fragte von draußen Jackson. „Nur ein Trinkbecher“, erwiderte Berwyn. „Ihr könnt alle reinkommen, hier ist keine Gefahr.“ „Ein Mann sollte als Wachtposten draußen bleiben“, sagte Colmody. „Für den Fall, daß sich uns doch irgend jemand nähert.“ „In Ordnung“, sagte Jackson. „Ich übernehme das.“ Er blieb im Freien, während sich die anderen zu Forbes, Berwyn, Colmody und Gallagher ins Innere des Gebäudes gesellten, und bewegte die Pistole, die er an Bord der „Confidence“ empfangen hatten, spielerisch zwischen den Fingern. Es soll nur mal einer wagen, sich anzupirschen, dachte er. er kriegt sofort eine Kugel verpaßt, wenn er uns ans Leder will. Er lauschte den Stimmen seiner Kameraden, die sich im Haus miteinander unterhielten.
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„Hier ist schon seit mindestens zwei, drei Jahren keiner mehr gewesen“, urteilte Forbes. ,Der Mann oder die Männer, die das Haus gebaut haben, müssen ums Leben gekommen sein. Wer weiß. welche Tragödie sich hier abgespielt hat: „Du liebe Güte“. sagte Gallagher. „Wer konnte denn auch nur auf die hirnrissige Idee verfallen, sich hier häuslich einzurichten?’ „Vielleicht Eingeborene, die inzwischen wieder abgezogen sind“, meinte Berwyn. „Wohin?“ fragte Colmody. „Und woher kamen sie? Weit und breit ist außer dieser Insel doch nichts als Wasser, und ich kann mir nicht vor-steilen, daß irgendwelche Wilden so gute Schiffe haben, um damit Ozeane überqueren zu können.“ „Auch Wilde sind Menschen“, gab Lionello zu bedenken. „Und auch unter ihnen gibt es hochintelligente Personen.“ „So spricht MacLeod, unser Prediger“, sagte Selkirk. „Na schön, das mag ja sein, aber ich glaube, wir liegen ganz falsch, wenn wir annehmen, daß hier Eingeborene gelebt haben, die möglicherweise von anderen Inseln in der Umgebung stammten. Nein, ich sehe das anders. Schaut euch doch mal die Art an, wie diese Mauern hochgezogen wurden — und das Dach mit den Balken!“ „Balken?“ Forbes hob verwundert den Kopf. Im Schein der Fackel konnte jetzt auch er sehen, daß die primitiven Dachschindeln aus Steinplatten von hölzernen Verstrebungen getragen wurden. „Ja, woher stammt denn bloß das Holz dafür? Auf der Insel gibt es doch offensichtlich gar keine Bäume.“ „Treibholz“, sagte Colmody. „Wenn mich nicht alles täuscht, ist das solide Eiche. Diese Balken wurden aus den ehemaligen Masten und Rahen eines Segelschiffes hergestellt.“ Gallagher deutete auf den umgestürzten Tisch und das Schränkchen. „Folglich lieferten die Planken das Material für die Möbel.“ „Richtig“, sagte Selkirk. „Es waren Europäer, die vor dieser Insel Schiffbruch erlitten und dann versuchten, sich am
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Leben zu erhalten. Die ganze Weise, wie das Haus und die Einrichtungsgegenstände zusammengebaut wurden, deutet darauf hin, daß sie von Leuten geschaffen wurden, die aus einem Land der Alten Welt stammten.“ „Furchtbar“, sagte John Feininger. „Gott allein weiß, welche Nöte und Ängste sie hier durchgestanden haben. Vermutlich haben sie Wochen oder sogar Monate durchgehalten —aber dann sind sie verhungert.“ „Wo?“ fragte Gallagher. „Hier?. Dann müßten hier doch zumindest ihre Knochen liegen.“ „Hör doch auf“, sagte Feininger. „Hast du denn kein Mitgefühl, kein Doch, aber trotzdem möchte ich gern wissen, wo die Leichen abgeblieben sind.“ Hamilton Forbes hatte sich vor den kleinen Schrank gekniet und begann, ihn systematisch zu durchsuchen. Das Möbel war von geschickter Hand hergestellt und mit liebevoller Sorgfalt durch ein wenig Schnitzwerk verziert worden. Türen und Schubladen ließen sich mühelos öffnen. Aber außer Staub fand Forbes nichts. „He“, sagte Colmody plötzlich. „Habt ihr übersehen, daß es hier auch einen Kamin gibt?“ Er durchmaß den Raum mit langen Schritten und klopfte dort, wo das Licht der Fackel am wenigsten Helligkeit verbreitete, mit den Fingerknöcheln gegen die Wand. „Hier, auch das ist ordentliche Handwerkerarbeit, alle Achtung!“ Alle widmeten ihre Aufmerksamkeit jetzt dem Kamin. Seine Steine waren nahezu fugenlos aufeinandergesetzt worden, und oben schloß ihn ein wuchtiger Querbalken ab. Colmody untersuchte das Innere des Kamins mit seinen Fingern, und plötzlich stockte er. „Hier ist was“, sagte er. „Hier hat jemand etwas versteckt.“ Er nahm eins seiner Werkzeuge, die er immer am Gurt trug, in die Hand und werkte damit im Rauchabzug herum. „Ein dicker Eisennagel steckt zwischen den Steinen“, erklärte er. „Ich versuche, ihn mit der Zange herauszukriegen.“
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„Paß auf, daß uns dabei nicht die ganze Bude über dem Kopf zusammenbricht“, sagte Berwyn mahnend, und er meinte es wirklich ernst. Colmody riß den Nagel aus dem Mauerwerk und fluchte, weil ihm dabei Ruß auf den Kopf und auf die Arme rieselte. Etwas fiel mit einem trockenen Laut zu Boden. Er steckte die Zange weg, bückte sich danach und hob es auf. Forbes, Berwyn und die anderen traten näher. „Ein Buch“, sagte Forbes überrascht. „Und sein Besitzer hat den Nagel tatsächlich mitten hindurchgetrieben.“ Tom Colmody betrachtete das Buch, in dessen Umschlagdeckel groß und .häßlich das Loch prangte, von allen Seiten. Er wischte den Staub mit der Handkante fort und sagte: „Ein bißchen angesengt ist es. Wer weiß, ob der, dem es gehörte, es verbrennen wollte.“ „Dann hätte er es doch nur ins Feuer zu werfen brauchen“, meinte Lionello. „überhaupt, ich finde, das ist eine merkwürdige Art, so ein Buch in einem Kamin zu verbergen. Was steht denn drin, Tom?“ Colmody schlug es auf. Die Männer umringten ihn. Alle konnten sie jetzt sehen, daß in dem Buch handschriftliche Eintragungen vorgenommen worden waren, Seite für Seite. Die Lettern waren steil und ein wenig wacklig, jedoch nicht undeutlich. Dennoch vermochten die Männer kein Wort zu entziffern. „Himmel“, sagte Timball. „Was für eine Sprache ist das?“ „Französisch“, erwiderte Hamilton Forbes. „Keiner von uns beherrscht diese Sprache nur Duvalier, unser Kamerad aus Calais.“ „Moment“, sagte Lionello. „Jackson hat während der Reise doch oft genug mit Duvalier zusammengehockt und versucht, so viele französische Wörter wie möglich zu lernen. Vielleicht kann er ein bißchen von dem lesen, was hier aufgeschrieben steht.“ Forbes wandte den Kopf und rief: „Jackson!“
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Jackson antwortete nicht. „Jackson, komm rein, wir brauchen dich!“ sagte Forbes laut. Wieder erfolgte keine Erwiderung. Draußen war nur der Wind, der leise jaulend über das Plateau strich. * Jackson wollte schreien, doch er konnte nicht. Jemand hatte sich ihm lautlos von hinten genähert und ihn brutal gepackt. Der Fremde hielt ihm die eine Hand gegen den Mund gepreßt, mit der anderen hatte er ihm den rechten Arm umgedreht. Jackson hätte gern geschossen, um seine Kameraden zu alarmieren, doch sein ganzer Arm schmerzte wie wahnsinnig, und seine Finger wurden kraftlos. Die Pistole fiel zu Boden, ohne daß er den Hahn spannen und dann abdrücken konnte. Es waren dürre. aber unglaublich harte Hände, die ihn erbarmungslos festhielten. Jackson -war kein schwächlicher Mann, doch gegen diesen Gegner fand er kein Mittel der Abwehr. Die Kraft, über die der Fremde verfügte, war riesengroß, ja geradezu übernatürlich groß, ließ eine entsetzliche Wildheit vermuten. Jackson spürte. wie die Hand, die seinen Arm umgedreht hatte, sich plötzlich um seinen Hals schloß. Seine Panik wuchs ins Uferlose, er wußte, daß er sterben würde, wenn es ihm nicht gelang, den Fremden abzuschütteln. Jackson bäumte sich unter dem Würgegriff auf. Er wollte seinen Gegner zu Boden zwingen, weil er annahm, daß er dann mehr Chancen hatte, sich von ihm loszureißen. Er trat immer wieder mit den Füßen nach den Beinen des Kerls; doch der verstand es, ihm mit erstaunlichem Geschick ebenso oft auszuweichen, wie Jackson ihn zu Fall zu bringen trachtete. Der Luftmangel wurde spürbar, Jackson begann zu würgen. Er sah rote und gelbe Schleier vor seinen Augen wallen, und in seinen Lungen war ein furchtbares Stechen. Sein Widerstand ließ nach. Die Finsternis, die auf die Schmerzen und das
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Tosen, die Panik und das letzte verzweifelte Aufwallen des Lebenswillens folgte, war erlösend. Der Fremde ließ den schlaffen Körper Jacksons zu Boden sinken. Sein Atem ging rasch, aber regelmäßig. Er bückte sich nach der Pistole und ließ dabei das Haus nicht aus den Augen. * „Aldo“, sagte Forbes zu dem Italiener, „sieh doch bitte mal nach, was mit Jackson los ist. Vielleicht ist er eingeschlafen - oder er hat Bohnen in den Ohren.“ Gallagher grinste. „Beides wäre typisch für ihn. Er nutzt jede Gelegenheit, um ein Nickerchen zu halten. Besonders dann, wenn man ihn braucht, ist er schwerhörig.“ Lionello paßte es eigentlich nicht, daß Forbes ihm plötzlich Anweisungen gab, aber er verzichtete darauf, sich aufzulehnen. Es hatte in den letzten Stunden schon genug Widersprüche und Unannehmlichkeiten gegeben. Aldo Lionello zog es vor, den Weg des geringeren Widerstandes zu gehen. Er drehte sich um, ging zur Tür, bückte sich, um sich nicht den Kopf zu stoßen, und war im nächsten Augenblick in der Dunkelheit verschwunden. Seine Kameraden blickten ihm nach. Sie hörten, wie Lionello zweimal Jacksons Namen rief, aber keine Antwort erhielt. Und dann begann der Italiener plötzlich in seiner Muttersprache zu rufen: „Heilige Mutter Gottes - was ist los, wer ist da - wer bist du?“ Forbes setzte sich als erster in Bewegung. „Aldo!“ schrie er, hob seine Muskete und stürmte auf die Tür zu. Berwyn folgte ihm mit seiner Arkebuse. Draußen krachte ein Pistolenschuß. Im nächsten Augenblick dröhnte auch Lionellos Muskete. Forbes sah den Mündungsblitz der Flinte und hörte auch einen Schrei, wußte aber nicht, wer ihn ausgestoßen hatte. Forbes duckte sich und sprang ins Freie, prallte mit dem Kopf aber trotzdem gegen den Türpfosten. Er stöhnte vor Schmerz
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auf und rieb sich mit der einen Hand seinen Schädel, lief jedoch weiter - und sah Lionello gekrümmt auf dem Boden vor dem Steinhaus knien. Die leergefeuerte Muskete lag neben ihm. „Aldo!“ schrie Forbes noch einmal. „Was ist passiert?“ „Mich hat’s erwischt“, sagte der Italiener gepreßt. „Und ich - ich glaube - ich habe ihn verfehlt.“ „Wen, um Himmels willen, wen? Jackson?“ „Der Kerl - ist um das Haus herum“, keuchte Lionello. „Faßt ihn! Stellt ihn! Er hat - Jackson ...“ Mit diesen Worten brach er zusammen und blieb auf der Seite liegen. Hamilton Forbes lief weiter, nach links, wo er jetzt eine liegende Gestalt zu erkennen glaubte. Berwyn und Colmody waren bei dem Italiener, Gallagher, Selkirk und Feinfinger folgten Forbes, während Timball recht verdattert vor der Tür des Hauses stand. Forbes erkannte voll Grauen, daß die Gestalt am Boden Jackson war. Er umrundete die Ecke des Hauses, meinte knirschende Schritte zu vernehmen und hob die Muskete, um den Täter über den Haufen zu schießen. Doch es gab kein Ziel für die Musketenkugel — der Kerl, der Jackson und Lionello angegriffen hatte, schien verschwunden zu sein. Forbes hetzte um die nächste Ecke und befand sich jetzt an der Rückseite des Hauses. Wieder schien vor ihm nichts als das Dunkel der Nacht zu sein, doch er war sicher, ein schwaches Atemgeräusch zu vernehmen. Forbes hatte die Fackel an Selkirk abgegeben, als sie sich die Eintragungen in dem merkwürdigen Buch angesehen hatten, aber er bereute es jetzt. Mit der Pechfackel hätte er den Fremden sicherlich sofort entdeckt. „Selkirk!“ schrie er. „Zur anderen Seite! Ihr müßt diesem Hund den Weg abschneiden!“ Selkirk war bei Jackson und stieß einen erschütterten Laut aus, warf sich auf den Ruf von Forbes hin aber sofort herum und lief zurück zu Lionello, Berwyn, Colmody
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und Timball. Er hielt die Fackel hoch in der linken Hand und die Steinschloßpistole, die er an Bord der „Confidence“ erhalten hatte, in der rechten Hand. „Alles hier herüber!“ brüllte er. „Forbes hat ihn gesehen! Schnappen wir uns dieses verdammte Schwein!“ Gallagher und Feininger liefen hinter ihm her, und auch Colmody sprang jetzt auf, um sich ihnen anzuschließen. Berwyn blieb mit trauriger, zutiefst bestürzter Miene bei dem Italiener knien, der sich nicht mehr rührte. Timball löste sich aus seiner starren Haltung und stolperte zu Selkirks Trupp, der soeben an ihm vorbeistürmte. Selkirk glaubte eine Gestalt zu sehen, einen huschenden, undeutlichen Schemen vor sich in der Dunkelheit. Er hob die Pistole, rief aber vorsichtshalber: „Hamilton, wo bist du?“ „Hier — noch hinter dem Haus!“ tönte es zurück. Oliver Selkirk spannte den Hahn und drückte ab. Der Schuß der Steinschloßpistole brach. Ein grellgelber Blitz stach scharf in die Nacht, eine weißliche Wolke Pulverqualm stob hoch. Noch einmal sah Selkirk die Gestalt vor sich. und auch Forbes, der jetzt die nächste Ecke des Hauses hinter sich gebracht hatte und zu seinen Kameraden lief, erkannte im Aufzucken des Mündungsblitzes und im rötlichen Schein der Fackel die Umrisse eines hageren Menschen, der sich offenbar wie eine Marionette bewegte. Dann war die unheimliche Gestalt wieder in der Finsternis verschwunden. Doch ein Laut, der wie das Jaulen eines Hundes klang, war noch zu vernehmen. Dieses Geräusch jagte den Männern einen eisigen Schauer über den Rücken. „Vielleicht hat meine Kugel ihn verletzt“, sagte Selkirk. „Los, wir müssen ihm nach. Wir erwischen ihn bestimmt: „Warte“, sagte Forbes. „Erst müssen wir wissen. wie es mit Jackson und Lionello steht“ Kenneth Berwyn, der inzwischen auch Jackson untersucht hatte, trat mit
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schwerem Schritt auf die Gruppe seiner Kameraden zu, die jetzt unweit der Hausecke verharrten. „Sie sind beide tot“, sagte er. „Mein Gott“, flüsterte Timball. „MacLeod hatte also doch recht. Die Insel ist verflucht. Wir hätten sie nie betreten dürfen. Zwei Männer haben auf entsetzliche Weise ihr Leben verloren.“ „Sei still“, sagte Stede Gallagher. „Wer ist diese Bestie?“ fragte Selkirk betroffen. Berwyn wies Jacksons Pistole vor. Der Fremde hatte damit auf Lionello geschossen. „Auf jeden Fall eine Bestie, die mit Schußwaffen umgehen kann und obendrein noch zu treffen versteht.“ „Wir müssen zwei Gruppen bilden“, sagte Forbes hastig. „Kenneth, hast du etwas dagegen, die Toten in das Haus zu tragen und dann zur Ankerbucht zu laufen und unseren Kameraden Bescheid zu geben? Sie haben die Schüsse bestimmt gehört und bereiten sich Sorgen um uns.“ „Ich bleibe“, entgegnete Berwyn. „Aber ich hätte gern noch einen zweiten Mann dabei.“ „Laßt mich bei Berwyn zurück“, sagte Timball. „Ich kann nicht so schnell laufen wie ihr, und auf Schnelligkeit kommt es an, wenn ihr den Mörder einholen wollt.“ „Richtig“, meinte Colmody mit einem leicht spöttischen Blick auf Timball. „Also gut, geben wir Berwyn und Timball genügend Pechfackeln, damit sie den Rückweg zur Bucht finden und nicht auf dem Felsenpfad ausrutschen und abstürzen. Vielleicht holt ihr mit der Jolle Mulligan, Duvalier und Burnell als Verstärkung an Land, schaden könnte es bestimmt nichts.“ „MacLeod soll bei seinen Töchtern bleiben“, sagte Selkirk. „Er legt ja sowieso keinen Wert darauf, uns irgendwie zu helfen, das hat er ausdrücklich erklärt, bevor wir aufbrachen.“ „Aber er hat auch recht behalten mit seinen Ahnungen“, sagte Hamilton Forbes, der jetzt Andrew MacLeod gegenüber ein schlechtes Gewissen verspürte. „Vergiß das nicht.“ Selkirk erwiderte nichts darauf.
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Sie ließen vier Pechfackeln bei Berwyn und Timball zurück, dann eilten sie in die Richtung, in der sie den Unheimlichen hatten verschwinden sehen: Forbes, Gallagher, Colmody, Selkirk und Feininger, die fest entschlossen waren, dem Fremden den doppelten Mord mit gleicher Münze zurückzuzahlen. 5. Das Wasserfaß war noch nicht halb gefüllt, als oben in den Bergen die Schüsse erklangen, zuerst zwei kurz hintereinander und kurz darauf ein dritter, der dem Laut nach von einer Pistole stammen mußte. Hasard hatte sein Spektiv auf das Licht gerichtet, auf das Ferris ihn kurz zuvor hingewiesen hatte. Zunächst hatte er den Eindruck gewonnen, daß der leicht zuckende Schein aus kleinen Fensterlöchern drang, aber jetzt schien das Licht zu wandern. Es bewegte sich in östlicher Richtung. Für kurze Zeit blieb es stehen, dann setzte es seinen Weg fort, nach Nordosten jetzt und anscheinend höher ins Bergland hinauf. „Das ist mit Sicherheit eine Fackel“, sagte Hasard. „Weiß der Himmel, was dort los ist.“ „Die Insel ist ein Piratennest“, erklärte Smoky. „Laßt uns so schnell wie möglich wieder verschwinden.“ „Wie denn? Schießen sich die Piraten etwa gegenseitig über den Haufen?“ fragte Matt Davies. „Das kann uns doch scheißegal sein“, sagte der Profos. „Vielleicht jagen sie ja auch den Geist des alten Tristan da Kuno, der ihnen das Leben versauert.“ „Da Cunha“, verbesserte Dan O’Flynn ihn. „Auf jeden Fall ist es wirklich das beste, gleich abzuhauen“, sagte Carberry, ohne weiter auf die Bemerkung einzugehen. „Nicht wahr, Sir?“ „Mit anderen Worten, ihr würdet vor einer Handvoll Galgenstricken einfach kneifen“, sagte der Seewolf. Carberry richtete sich zu seiner vollen Größe auf und hob die rechte Hand in einer abweisenden Geste. „Halt, das habe ich
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nicht sagen wollen. Nie und nimmer würde ich mich nur deshalb verholen, weil ich Schiß vor irgend so einer Schweinebande von Schlagetots und Strandräubern habe. Sir, du selbst hast doch gesagt, daß wir uns nicht grundlos Ärger einhandeln wollen.“ „Stimmt genau“, pflichtete Old O’Flynn ihm bei. „Aber ich merke schon, auf was das Ganze mal wieder hinausläuft. Irgendwer, der da oben in den dämlichen Bergen bedroht wird, könnte ja unsere Hilfe dringend nötig haben, oder?“ „Ja“, sagte Hasard, und seine Stimme hatte jetzt einen härteren Klang. „Immerhin müssen wir diese Möglichkeit in Betracht ziehen. Wenn du Einwände hast, Donegal, kannst du gleich an Bord der ‚Isabella’ zurückkehren.“ „Mit anderen Worten, wir marschieren mal fix in die Berge hinauf und sehen nach dem Rechten?“ erkundigte sich Big Old Shane. „Mir soll es recht sein. Auf was warten wir noch?“ „Ich bin auch mit von der Partie“, erklärte der alte O’Flynn. „Aber ich sage euch, wir handeln uns ganz dicken Verdruß ein.“ Batuti grinste so breit, daß seine weißen Zähne im Dunkeln zu sehen waren. „Ganz egal. Hauptsache, wir haben altes O’Flynn dabei, als Zauberer, wenn oller Geist von da Cunha auftaucht.“ „Batuti“, sagte der Seewolf. „Du läufst als Melder zur Ankerbucht und sagst Ben Bescheid, welche Entscheidung ich getroffen habe.“ Der Gambia-Mann begann mit den Augen zu rollen. „Sir, bitte nicht. Ich möchte lieber mit rauf und nachsehen, wo Piraten sind. Sir, kann nicht jemand anders ...“ „Das ist ein Befehl!“ unterbrach ihn Hasard. „Du teilst Ben mit, er soll unsere alte Lady sofort gefechtsklar machen. Im übrigen soll er meine Zeichen abwarten. Weiter erwarte ich von ihm, daß er ein paar Männer mit dem zweiten Boot an Land schickt, die sich dir anschließen. Ihr faßt hier hei der Quelle weiter Trinkwasser. Aber ich stelle es Ben frei, uns eine kleine Nachhut nachzuschicken, die meinetwegen von dir angeführt wird.“
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„Aye, aye, Sir!“ sagte der schwarze Herkules aufgeregt. „Bin schon unterwegs.“ Mit diesen Worten zeigte er klar, dann drehte er sich um, und einen Augenblick später war seine Gestalt bereits mit den Schatten der Nacht verschmolzen. Hasard schulterte den RadschloßDrehling., den er von Bord der „Isabella“ mitgenommen hatte, setzte sich an die Spitze seines kleinen Trupps und schritt zügig in nördlicher Richtung voran — dorthin, wo sie alle das Licht der Fackel als glimmenden Punkt erkennen konnten. Ihr Weg führte durch knorriges Dickicht die Hänge und natürlichen Terrassen der Hügel hoch und später stärkere Steigungen hinauf, die sie direkt in das zerklüftete Felsengebiet der Insel brachten. Zurück blieb das vorerst herrenlose Faß, neben dem mit verhaltenem, gluckerndem Geräusch das Wasser aus der Quelle sprudelte. * Andrew MacLeod hatte das Achterkastell verlassen, als im Innern der Insel die Schüsse gefallen waren. Er war in größer Hast auf die Kuhl gestürmt, hatte es aber auch diesmal nicht versäumt, seinen Töchtern Phyllis und Rebecca einzuschärfen, ihre Kammer auf keinen Fall zu verlassen. Er stand jetzt bei Mulligan, Burnell und Duvalier, dem Franzosen, und redete aufgebracht auf sie ein: „Habt ihr gehört? Forbes, Berwyn und die anderen haben Schwierigkeiten. Vielleicht sind sie in eine Falle getappt. Also, habe ich nicht doch recht gehabt mit meinen bösen Ahnungen?“ „Du scheinst ja fast so etwas wie einen Triumph deswegen zu verspüren, MacLeod“, sagte Burnell. MacLeods grobe Hände schossen plötzlich vor. Er packte Burnell an seinem Jackenkragen und zog ihn dicht zu sich heran. „Sag so was nicht noch mal!“ zischte er. „Die Gebote des Herrn sind mein Gesetz, aber trotzdem schlage ich dir meine Faust
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mitten ins Gesicht, wenn du mir so etwas unterstellst.“ „Schon gut“, sagte Burnell rasch. „Es war nicht so gemeint, wirklich nicht.“ Er begriff, daß er einen Schritt zu weit gegangen war. „Wir sollten lieber beraten, was zu tun ist, statt uns zu streiten“, sagte nun Duvalier. „Warum unsere Kameraden geschossen haben, können wir nur feststellen, wenn wir selbst an Land gehen und versuchen, zu ihnen zu stoßen.“ „Das ist zu riskant“, wandte Mulligan ein. „Ihr habt doch gesehen, auf was für einem schmalen Pfad die Freunde sich vorhin oben auf dem Felsen bewegt haben. Wir könnten hinunterstürzen. Und überhaupt — wie kommen wir an Land?“ „Wir schwimmen, ganz einfach“, sagte Duvalier. „Dann können wir weder Fackeln noch Schußwaffen mitnehmen, die werden im Wasser sofort naß und damit unbrauchbar“, sagte Mulligan. Burnell zuckte hilflos mit den Schultern. „Es wäre besser gewesen, wenn wir zwei Beiboote an Bord der ,Confidence’ gehabt hätten. So aber müssen wir uns dem Schicksal beugen. Die Jolle liegt drüben am Ufer und ist für uns nicht erreichbar.“ „Was denn?“ stieß der Franzose empört aus. „Wir sollen tatenlos hier herumstehen, während es den anderen an den Kragen geht?“ „Vielleicht haben sie ja nur auf irgendein Tier geschossen“, meinte Mulligan, aber es klang lahm und in keiner Weise überzeugend. „Wir haben noch zwei Pistolen und vier Fackeln“, sagte Andrew MacLeod überraschend. „Die binden wir auf einem behelfsmäßigen Floß fest, das wir schnell aus zwei oder drei Planken, die in der Zimmermannswerkstatt liegen, zusammenbauen. Wir lassen das Floß vorsichtig zu Wasser, dann springen wir ihm nach und stoßen es vor uns her, während wir zum Ufer schwimmen. übrigens glaube ich, daß es noch eine andere Lande- und Aufstiegsmöglichkeit gibt, schätzungsweise fünfzig Yards links
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von dem Platz, an dem die Jolle liegt. Das habe ich vorhin gesehen, bevor es dunkel wurde. Von dort aus kann man den Felsen möglicherweise an seiner östlichen Seite umrunden, nicht an der westlichen, wie Forbes und die anderen acht es getan haben. Vielleicht ist es ein bequemerer, schnellerer Weg.“ Duvalier blickte ihn erstaunt an. „Möglich, aber wie sollen wir von dort aus jemals unsere Kameraden finden?“ „Sie werden inzwischen gewiß Fackeln angezündet haben. Wir brauchen uns nur an dem Feuerschein zu orientieren.“ „Natürlich, das hatte ich ganz vergessen!“ rief der Franzose. „Duvalier“, sagte Andrew MacLeod. „Wärest du dazu bereit, dieses Unternehmen mit mir zusammen zu wagen?“ „Sofort!“ MacLeod wandte sich an Mulligan und Burnell. „Und ihr beiden? Würdet ihr weiterhin hier an Bord der ,Confidence` Wache halten? Ja? Gut, dann empfehle ich euch, die Kanonen zu laden und auszurennen - für alle Fälle. Und gebt auf meine Töchter acht!“ Keine zehn Minuten später befanden Duvalier und er sich bereits in dem kalten Wasser der Felsenbucht. Zähneklappernd schwammen sie zum Ufer und schoben das improvisierte Floß mit den Pistolen und Fackeln vor sich her. Frierend erreichten sie das schmale Ufer, gingen an Land und trockneten sich ab, so gut es eben ging. Dann stiegen sie in ihre Kleidung, die sie mit auf dem Floß festgezurrt hatten, nahmen die Pistolen und die Fackeln an sich und begannen mit dem Anstieg. Sie mußten einen glatten Hang hinauf, auf dem sie ein paarmal abzurutschen drohten, aber der Hang war nicht sehr hoch. Hinter seinem oberen Abschluß öffnete sich ein V-förmiger Einschnitt, den der Franzose und der Schotte nun in der Hoffnung betraten, auf diesem Weg durch den Felsen hindurch ins Innere der Insel zu gelangen. Der Boden des Einschnitts öffnete sich immer mehr und wurde bald zu einem
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breiten, recht sanft aufstrebenden Weg, auf dem man schnell vorangelangte. Vorerst verzichteten die beiden Männer darauf, eine der Fackeln zu entfachen. Sie waren sich einig darüber, daß sie die kostbaren Lichtquellen besser so lange wie möglich aufsparten, da sie sie später bestimmt noch dringend gebrauchen würden. Diese Überlegung war zwar richtig, aber dennoch stellte es sich als sträflicher Leichtsinn heraus, so forsch durch die Finsternis zu marschieren und sich dabei nur auf die Augen zu verlassen. Der Pfad bog nach links ab und führte zwischen spitz aufragenden Felgenzinnen hindurch wieder bis an die Außenseite des steinernen Giganten. Der Weg wurde plötzlich schmaler und nach links hin abschüssig. Duvalier, der dicht hinter Mac Leod schritt, konnte nicht mehr verhindern, daß er durch eine Unachtsamkeit ausglitt, das Gleichgewicht verlor und abstürzte. Er stieß nur einen unterdrückten Ruf aus, aber MacLeod fuhr sofort zu ihm herum. Trotzdem war es zu spät. MacLeod konnte nicht mehr helfen. Der Franzose war verschwunden. Ein dumpfer Aufprall und das Prasseln von Geröll waren zu vernehmen. „Mein Gott, Duvalier!“ sagte der Schotte entsetzt. „Hier bin ich !“ rief der andere zu seinem größten Erstaunen. „Hier unten, MacLeod, und ich lebe noch. Tief bin ich nicht gefallen.“ „Warte, ich helfe dir“, sagte MacLeod. Dann zündete er mit Feuerstein und Feuerstahl hastig eine der Pechfackeln an. Als die Glut auf das Pech übersprang, züngelte eine kleine Flamme auf. Rasch wurde sie größer. MacLeod beugte sich über den Saum des Pfads und stellte fest, daß es schräg hinunterging, etwa drei, vier Yards bis auf eine Art Sockel, auf dem die Gestalt des, Franzosen zu erkennen war. Ohne zu zögern, kletterte er den Hang hinunter und langte bei dem Kameraden an, der sich stöhnend regte. „Du bist verletzt, Bruder“, sagte MacLeod entsetzt, „Es ist meine Schuld, daß du
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gestrauchelt bist, denn ich habe zu sehr zur Eile gedrängt.“ „Ach wo.“ Duvalier richtete sich halb auf und untersuchte sein rechtes Bein. „So schlimm ist es nicht. Ich glaube, ich habe mir nur ein bißchen den Knöchel verrenkt. Kannst du mal leuchten?“ MacLeod beugte sich mit der Fackel über ihn, und sie tasteten gemeinsam das Bein ab. Duvalier gab einen Wehlaut von sich, als MacLeods Finger den Knöchel berührten. „Ich versuche, dein Bein wieder einzurenken“, sagte MacLeod. „Vertraust du mir?“ „Nur zu. Ich gebe mir Mühe, nicht zu schreien.“ MacLeod legte die Fackel auf den Boden. Er wollte mit beiden Händen nach dem Knöchel greifen, aber Duvalier hielt plötzlich seinen Arm fest und flüsterte: „Da, sieh mal, was ist denn das?“ MacLeod drehte sich um und gewahrte im hin und her huschenden Schein der Fackel eine Öffnung im Felsen, die wie ein großes, gieriges Dämonenmaul wirkte. „Wir haben durch Zufall den Eingang einer Höhle entdeckt“, murmelte er. „Aber damit ist uns auch nicht geholfen.“ Er ahnte nicht, wie sehr er sich in diesem Punkt irrte. * Schwer atmend verharrten Forbes und seine vier Begleiter inmitten der bizarren Gesteinsformationen. Sie leuchteten mit den drei Fackeln, die sie inzwischen angezündet hatten, die ganze Umgebung ab, aber von dem Mörder war keine Spur mehr zu entdecken. „Das gibt’s doch nicht“, sagte Gallagher. „Soviel Vorsprung hat er nicht gehabt, wir hätten ihn auf jeden Fall einholen müssen. Er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben.“ „Vielleicht hat er einen anderen Weg genommen“, sagte Colmody. „Welchen denn?“ fragte Selkirk. „Wir haben gesehen, daß nur dieser eine Pfad von dieser Seite her zu dem großen Felsen
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hinaufführt. Wer davon abweicht, der bricht sich höchstwahrscheinlich sämtliche Knochen.“ „Und fliegen kann der Hundesohn bestimmt nicht“, meinte Feininger. „Bist du sicher?“ fragte Oliver Selkirk. Forbes wandte sich halb erstaunt, halb ärgerlich zu ihm um. „Verdammt, wie meinst du das?“ „Bis jetzt sind wir nicht sicher, daß wir es hei dem Dreckskerl auch wirklich mit einem Menschen zu tun haben“, erwiderte Selkirk, und sein derbes Gesicht nahm bei diesen Worten einen fast trotzigen Ausdruck an. „Wer sagt uns denn, ob er ein gewöhnlicher Sterblicher ist oder nicht?“ „Unser gesunder Menschenverstand“, erklärte Hamilton Forbes so ruhig wie möglich. „Und wir sollten uns zu keinen Trugschlüssen verleiten lassen, was immer auch geschieht. Ich weiß, auf was du hinauswillst, Oliver, aber ich versichere dir, du täuschst dich. Der Fremde ist weder ein Dämon noch der Teufel persönlich. MacLeods Voraussagen werden sich, was dies betrifft, nie bewahrheiten.“ Selkirk nickte. „Das mag schon sein. Ich frage mich nur, wie diese —diese Kreatur auf dieser Insel leben kann, wenn es absolut nichts zu beißen gibt. Nun?“ „Er könnte sich von Fischen ernähren“, sagte Gallagher. „Und warum wohnt er nicht in dem Haus?“ wollte Selkirk wissen. „Darüber lassen sich nur Vermutungen anstellen“, meinte Tom Colmody. „Vermutlich könnte das Buch, das wir gefunden haben, uns Näheres darüber verraten. Aber Jackson ist tot, und Duvalier befindet sich an Bord der ,Confidence`. Wir haben weder die Zeit noch die Gelegenheit, uns die Aufzeichnungen übersetzen zu lassen.“ „Wo ist das Buch eigentlich?“ fragte Forbes. „Hast du es mitgenommen, Tom?“ „Himmel, nein!“ „Dann muß es noch in dem Haus liegen“, sagte Gallagher. „Ja, du hast es fallen lassen, als wir nach draußen liefen, Tom.“
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„Hoffentlich sind Kenneth Berwyn und Timball so schlau, es mit zur Ankerbucht zu nehmen“, sagte Colmody. Er stieß einen langgezogenen, entmutigten Seufzer aus. „Und wir? Suchen wir weiter?“ „Ja“, erwiderte Forbes. „Ich jedenfalls suche weiter, und wenn es die ganze Nacht über dauern sollte. Ich will diesen hundsgemeinen Kerl packen. Und wenn ich ihn habe, töte ich ihn so gnadenlos und brutal, wie er den armen Jackson und den armen Lionello umgebracht hat.“ 6. Berwyn und Timball hatten die Leichen ihrer beiden Kameraden in das Steinhaus getragen, und Berwyn hatte ein paar Worte der Andacht gesprochen, während sie beide die Hände gefaltet und die Köpfe gesenkt hatten. Jetzt waren die beiden unterwegs zur Ankerbucht ihres Schiffes. An das Buch, das nicht weit vom Kamin entfernt auf dem Boden lag. hatten sie nicht mehr gedacht, sonst hätten sie es wohl aufgehoben und mitgenommen. Berwyn hatte eine Fackel entfacht und trug sie am ausgestreckten Arm vor sich her. Die drei anderen Fackeln steckten als Reserve in Timballs Gürtel. Timball schritt rechts neben seinem Kameraden und blickte sich immer wieder nach allen Seiten um. „Ich habe das Gefühl. uns folgt jemand“, raunte er. Berwyn schüttelte den Kopf. „Unsinn. Mach dich doch nicht selbst verrückt. Ich weiß, daß du Angst hast, Timball. aber du mußt dich zusammenreißen. verstehst du?“ „Ich werd’s versuchen“. entgegnete Timball, aber er konnte das Beben seiner Stimme kaum unterdrücken. Das Grauen hatte ihn gepackt und ließ ihn nicht mehr los. Sie marschierten quer über das Plateau zu dem Hang. der in den Hohlweg hinunterführte, und das Licht ihrer Fackel wies jetzt den Seewölfen, die von Süden her gerade auf das Plateau stiegen, den Weg.
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Hasard, Big Old Shane, Carberry, Ferris Tucker und die fünf anderen von der „Isabella“ hatten das andere Licht, das ihnen vorher die Orientierung erleichtert hatte, aus den .Augen verloren. Forbes, Gallagher, Colmody, Selkirk und Feininger waren zwischen den zerklüfteten Felsen verschwunden. Der Schein ihrer Fackeln reichte nicht mehr über die Ränder der steinernen Barrieren hinaus. Nach gut hundert Schritten über das Plateau hatten der Seewolf und seine Männer das Steinhaus erreicht, und erst jetzt gab Hasard die Anweisung, eine Fackel zu entfachen, damit sie das Innere des Gebäudes untersuchen konnten. Er betrat mit dem vorgehaltenen Drehling als erster den Bau. Dan O’Flynn war dicht hinter ihm und hielt die Fackel, deren blakender Rauch kräuselnd zu den Deckenbalken aufstieg. Betroffen blieb Hasard bei den zwei Männerleichen stehen, die in so friedlicher Haltung auf dem Boden lagen, als schliefen sie. Er bückte sich und untersuchte sie kurz. „Sie sind erst seit wenigen Minuten tot“, sagte er. „Ihre Körper sind noch ganz warm. Der eine wurde erwürgt, der andere durch einen Schuß in die Brust ins Jenseits befördert.“‘ „Allmächtiger“, flüsterte Smoky. „Was wird hier bloß gespielt?“ „Das weiß keiner“, sagte der alte O’Flynn düster. „Aber daß hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, steht für mich fest.“ Big Old Shane betrachtete die Toten im Schein der Fackel. „Wie Piraten sehen mir die nicht aus. Ich meine, wie sie so daliegen, könnte man sie eher für anständige, unbescholtene Männer halten.“ „Ja“, sagte nun auch der Seewolf. meinem Piraten steht es zwar nicht im Gesicht geschrieben, daß er ein Galgenvogel ist, aber mit der Zeit kriegt man doch einen Blick dafür, wer ein guter und wer ein schlechter Kerl sein könnte.“ „He“, sagte der Profos plötzlich. „Hier liegt ein Buch auf dem Boden. Sieht aus, als habe jemand in der Mitte
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hindurchgeschossen.“ Er hob es auf und sah es sich an. „Nein, das war wohl doch keine Kugel, die dieses Loch gerissen hat, sonst wäre der Rand rußgeschwärzt.“ Er schnupperte daran. „Aber irgendwie rauchig riecht es doch. Merkwürdig.“ „Ein geräuchertes Buch?“ sagte Ferris Tucker. „Gib doch mal her, du kannst ja doch nichts damit anfangen, Ed.“ „Was soll das nun wieder heißen?“ fragte der Profos angriffslustig. Hasard hatte sich aufgerichtet und trat zwischen sie. Er streckte die Hand nach dem Buch aus, und Carberry händigte es ihm sofort aus. Nachdenklich blätterte Hasard in dem Buch. Dan O’Flynn warf unterdessen einen Blick aus einem der kleinen Fenster. „Der Feuerschein ist kaum noch zu sehen“, sagte er. „Wenn wir den oder die Kerle noch erwischen wollen, die sich da offenbar verdrücken, müssen wir uns beeilen.“ „Ob das wohl die Mörder dieser armen Teufel sind?“ fragte Blacky. „Herrgott, man muß schon einen gewaltigen Haß im Leib haben, um einen Mann wie den Großen dort mit bloßen Händen zu erwürgen.“ „Wer sagt dir denn, daß er mit bloßen Händen erdrosselt wurde?“ erkundigte sich Matt Davies. „Die Male an seinem Hals“, sagte Blacky. „Ist doch ganz einfach.“ „Dieses Buch ist in französischer Sprache abgefaßt“, erklärte jetzt der Seewolf. „Jean Ribault hat mir seinerzeit genügend Wörter beigebracht, ich kann fast alles verstehen. Hier ist von Schiffbruch und Elend die Rede, vom Kampf ums nackte Überleben —aber gehen wir jetzt und versuchen wir, den zu stellen, der es anscheinend sehr eilig hat, diesen Platz zu verlassen. Mal sehen, ob er uns etwas Genaueres über die Ereignisse verraten kann.“ Seine Miene war grimmig. Er empfand Mitleid mit den beiden Toten, die — wie er zu ahnen begann — vielleicht völlig schuldlos hatten sterben müssen. Und er verspürte eine kalte Wut gegen den, der so
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gnadenlos und grausam zu töten imstande war. Berwyn und Timball befanden sich jetzt in dem Hohlweg. Timball, der zum wiederholten Male über seine Schulter zurückblickte, vermochte nicht mehr zu sehen, daß in dem Steinhaus jetzt Licht brannte. Der Hang, der den Übergang vom Hohlweg zum Plateau bildete, verdeckte ihm die Sicht. * Hamilton Forbes, der junge Gallagher, Colmody, Selkirk und Feininger bewegten sich im Kreis. Sie wären in einen engen Felsenkessel geraten, zu dem es nur einen Zugang gab und in dem der Gesuchte wie in einem Käfig gefangen gewesen wäre, wenn er hier wirklich Zuflucht vor seinen Verfolgern gesucht hätte. Vorsichtig kletterten die fünf Männer bis auf den Boden des Kessels hinunter. Ihr Unternehmen verlangte ihnen jetzt ein nahezu akrobatisches Geschick ab, denn sie mußten mit den Fackeln und mit ihren Waffen jonglieren und obendrein ständig nach Gesteinsvorsprüngen und anderen Unebenheiten im Fels suchen, an denen sie sich festhalten konnten. Endlich standen sie auf der Sohle und schauten sich aufmerksam, aber ohne große Hoffnungen um. Tom Colmody schritt die nackten Granitwände ab und beleuchtete sie mit seiner Fackel. Plötzlich blieb er abrupt stehen. „Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr!“ stieß er verblüfft aus. „He, schaut euch das mal an!“ Mit wenigen Schritten waren sie bei ihm und blickten auf das, was er entdeckt hatte. Unter einer bauchig gewölbten Felsennase gähnte der Einstieg zu einer Grotte. Von oben her war diese Öffnung wegen des Gesteinsvorsprungs nicht zu sehen gewesen. Die Höhle war so niedrig, daß man sich tief bücken mußte, um hineinzugelangen. Aber Colmody zögerte keinen Augenblick: Er ging in die Knie, stützte sich auf und schob die Fackel und die Muskete vor sich her. Seine
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Kameraden konnten hören, wie der Waffenhahn metallisch knackte, als er ihn spannte. Forbes kroch hinter ihm her. Der nächste war Gallagher, dann folgten Selkirk und Feininger. Gespenstisch irrte der Schein der Fackeln über die Wände der Höhle, in der sie sich nun aufrichten konnten. Forbes und Colmody forschten ihre Umgebung ab und stellten fest, daß die Grotte ihre Fortsetzung in einem mannshohen, stollenähnlichen Gang fand. Forbes stieß einen leisen Pfiff aus. „Sieh mal einer an“, sagte er. Seine Stimme hallte von den Höhlenwänden wider. „Wollen wir wetten, daß sich das Ungeheuer hier verkrochen hat? Er muß in Windeseile an der Kesselwand abgeentert sein, und dann war er für uns wie vom Erdboden verschluckt.“ „Gnade ihm Gott, wenn wir ihn finden“, sagte Selkirk. Er packte die Steinschloßpistole, die er längst nachgeladen hatte, fester. Hamilton Forbes schritt voran und folgte dem Verlauf des Stollens. Colmody war hinter ihm. Selkirk schloß sich dem Zimmermann und Segelmacher der „Confidence“ an, und den Schluß des Trupps bildeten wieder Stede Gallagher und John Feininger. Wenig später stellten die fünf fest, daß sie in ein Labyrinth von Höhlengängen geraten waren, die die Inselfelsen wie einen Termitenhügel durchlöcherten. * Kenneth Berwyn und Timball waren jetzt auf dem Pfad, der sich um den großen, kahlen Felsen spannte wie ein Gürtel um den Leib eines Mannes. Berwyn hatte die Fackel ein wenig gesenkt, um jederzeit den Verlauf des Weges genau sehen zu können. Timball brauchte nichts weiter zu tun, als der breiten, untersetzten Gestalt des Kameraden zu folgen. Unbehelligt schritten sie voran, und es hatte den Anschein, als würden sie die Ankerbucht und die Jolle rasch erreichen.
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Da der Abgrund, der sich zu ihrer Linken öffnete, im Dunkeln nicht zu erkennen war, konnte sie auch das Schwindelgefühl oder die Furcht vor dem Absturz nicht in dem Maß packen, wie es bei Tageslicht der Fall gewesen wäre. Dennoch war Timballs Angst so groß, daß ihm sein Herz bis zum Hals hinauf schlug und ihm der Schweiß in Strömen ausbrach. Er konnte den Anblick der toten Kameraden nicht vergessen. Immer noch hatte er deutlich vor Augen, wie die leblosen Gestalten von Jackson und Lionello vor ihnen auf dem Boden des Hauses gelegen hatten. Das ist unser aller Ende, dachte er, und seine aufkeimende Panik war stärker als jede vernunftmäßige Erwägung. Berwyn war ein mutiger und besonnener Mann, der sich besser in der Gewalt hatte. Er schritt so schnell wie möglich voran, und er hatte im Moment nur den einen drängenden Wunsch: MacLeod, Mulligan, Burnell und Duvalier Bericht über das zu erstatten, was sich auf dem Plateau ereignet hatte. Er grübelte darüber nach; wer der Unheimliche sein mochte, der sie so scheinbar ohne jeden Grund angegriffen hatte, und er war so tief in seine Gedanken verstrickt, daß er die Gefahr zu spät registrierte. Die beiden Männer befanden sich jetzt an jenem Punkt, von dem aus man in die Bucht hinunterblicken konnte. Berwyn sah als erster die Hecklaterne, die an Bord der „Confidence“ angezündet worden war. Sie schimmerte dämmrigrot und vermittelte ein Gefühl der Wärme und Hoffnung. Berwyn sah nur aus den Augenwinkeln. wie von rechts her etwas auf ihn zuzuckte. Er wollte noch herumfahren, seine Arkebuse hochreißen und mit der Fackel nach dem schlagen, der ihn da jählings angriff, doch jede Reaktion erfolgte zu spät. Er hatte nicht die geringste Chance. Ein Gegenstand traf seine rechte Schläfe mit größter Wucht. Berwyn begriff noch. daß es ein spitzer Stein war, ehe ihm die Sinne schwanden. Ihm fiel auch noch ein, daß Gallagher an diesem Punkt des Pfades
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ins Wanken geraten war, als sie zur Karavelle hinuntergeblickt hatten, aber das war das letzte, was er in seinem Leben dachte. Er kippte nach links weg, und seine Füße rutschten fast sanft von dem Felsenweg ab. Berwyn stürzte dem Wasser der Bucht entgegen. Er war nicht. einmal mehr fähig, einen Schrei auszustoßen, denn er war bereits ohnmächtig, bevor er eintauchte. Die Fackel und die Arkebuse entglitten seinen Händen. Sein Körper fiel schneller als die Waffe und die brennende Fackel, und so geschah es, daß der dumpfe Klatscher, mit dem er unterging, ertönte, als die Fackel noch wie ein mahnendes Fanal in der Luft schwebte. Timball war stehengeblieben —keine drei Schritte von dem Platz entfernt, an dem es Berwyn getroffen hatte. Er war nicht in der Lage, sich zu bewegen. Der Schock lähmte ihn. Die Angst und das Grauen schnürten ihm die Kehle zu, und er glaubte, ersticken zu müssen. Eine dürre, haarige Gestalt löste sich aus der Felswand und verharrte leicht vornübergebeugt auf dem Pfad. Sie schien Berwyn nachzuspähen, der jetzt bewußtlos auf den Grund der Bucht sank und ein jammervolles Ende fand. Keiner konnte ihm mehr helfen. Timball hätte ihm in der vagen Hoffnung, ihn doch vielleicht noch aus dem Wasser zu ziehen, nachspringen können, doch Timball wußte zum einen, daß schon der Schlag gegen Berwyns Schläfe derart heftig gewesen war, daß er zu seinem Tod führen mußte, und zum anderen ließ ihn die grenzenlose Angst so steif und willenlos dastehen wie eine Statue. Der Unheimliche, der für Timball nur ein undeutlicher Schattenriß in der Finsternis war, verfolgte, wie nun auch die Fackel ins Wasser tauchte und erlosch. Er stieß einen leisen, knurrenden Laut der Befriedigung aus. Dann richtete sich sein Blick auf die Hecklaterne der Karavelle. Von Bord des Schiffes ertönten fragende Rufe. Der Unheimliche schlich auf dem Pfad weiter, und zwar in nordöstlicher Richtung
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zu der Spalte, die zu der Ausbuchtung hinunterführte, an der die Jolle vertäut lag. Er schien Timball nicht bemerkt zu haben. Timball brauchte ihm jetzt nur nachzupirschen. Er hatte eine Pistole, und wenn er es fertigbrachte, sich wenigstens etwas zu beruhigen, würde er auch Chancen haben, den Mörder mit der einzigen Kugel zu treffen. Aber Timball war weit davon entfernt, die Beherrschung wiederzufinden. Er war nie ein Held gewesen, und er wußte, daß er lieber Berwyn nachspringen und ertrinken würde, als zu wagen, diesem Monstrum nachzustellen. Er konnte sich wieder bewegen. Langsam drehte er sich um und schritt auf dem Pfad zurück, dorthin, woher sie eben gekommen waren. Er hatte drei Fackeln, wagte aber nicht, auch nur eine anzuzünden, aus Angst, der Unheimliche würde ihn dann finden. Timball ging schneller, und bald begann er zu laufen. Er rutschte plötzlich aus, glitt vom Pfad ab und stürzte. Er ruderte mit den Armen und suchte verzweifelt nach einem Halt, doch es nutzte alles nichts — auch er schien jetzt verloren zu sein. 7. „Forbes!“ rief Mulligan vom Achterdeck der „Confidence“ aus zu dem Felsen hinauf. „Bist du’s?“ „Berwyn, Colmody, Jackson und Selkirk!“ schrie Burnell. „So antwortet doch!“ Doch es erfolgte keine Erwiderung. Die beiden Wächter der Karavelle hatten lediglich beobachten können, wie die Fackel in die Tiefe gefallen war. Sie hatten auch den Klatscher vernommen, der ihnen für die Größe einer Fackel zu heftig erschienen und außerdem ertönt war, als sich das Licht noch in der Luft befunden hatte. Sie ahnten jedoch nichts von dem Drama, das soeben seinen Lauf genommen hatte, denn es war zu dunkel und die Achterlaterne der Karavelle blendete sie obendrein ein wenig. Sie hatten weder Berwyn noch die Arkebuse sehen können,
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und sie vermochten beim besten Willen nicht den Unheimlichen und Timball zu erkennen, die sich in entgegengesetzten Richtungen auf dem Felsenpfad bewegten. „Das verstehe ich nicht“, sagte Burnell. „Was hat das jetzt wieder zu bedeuten?“ „Denk doch mal nach“, entgegnete Mulligan. „Unsere Leute befinden sich auf dem Rückweg zur Bucht, sie wollen an Bord zurückkehren. Forbes oder sonst jemand hat die Fackel verloren, die ihnen beim Finden des Weges half. Gleich zünden sie eine zweite an, paß nur auf.“ „Aber warum antworten sie nicht auf unsere Rufe?“ „Möglich, daß sie uns nicht gehört haben“, sagte Mulligan. „Nein, nein“, widersprach Burnell heftig. „Sie müssen uns gehört haben.“ Mulligan sagte: „Dann kann ich es mir nur so erklären: Jemand ist ihnen auf den Fersen, und sie wollen sich nicht durch Geschrei verraten. Vielleicht haben sie sich erfolgreich gegen die Wilden verteidigt, die auf der Insel hausen, aber jetzt ziehen sie es vor, den Rückzug anzutreten. Ich gehe jede Wette ein, daß sie gleich bei der Jolle sind und zu uns herüberpullen.“ Burnell war von dieser Version nicht überzeugt, und er wollte wieder etwas dagegenhalten, doch in diesem Augenblick öffnete sich knarrend das Schott des Achterkastells. Sie fuhren beide herum. Ihre Hände zuckten zum Waffengurt. Sie hatten schon ihre Degen gezückt und hochgehoben, da stellten sie fest, daß es Rebecca und Phyllis MacLeod waren, deren Gestalten vor dem offenen Schott auf der Kuhl erschienen. „Mister Mulligan und Mister Burnell“, sagte Rebecca. „Würden Sie uns bitte erklären, was die Rufe zu bedeuten hatten?“ „Unsere Leute kehren zurück“, erwiderte Burnell. Er verließ das Achterdeck über den Backbordniedergang und trat auf die Mädchen zu. Phyllis klammerte sich ängstlich an ihrer Schwester fest. „Dann wird jetzt also alles gut?“ fragte Phyllis naiv.
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„Das nehmen wir an“, antwortete Mulligan, der über ihnen an der Balustrade des Achterdecks stand und auf sie hinunterblickte. „Was ist mit Vater und mit Mister Duvalier?“ wollte Rebecca wissen. „Kehren sie auch wieder an Bord zurück?“ Burnell räusperte sich, bevor er entgegnete: „Sie haben sich zwar in eine andere Richtung gewandt, aber sicherlich sind auch sie auf unsere Rufe aufmerksam geworden. Ich rechne fest damit, daß sie ans Ufer zurückkehren, um nach dem Rechten zu sehen. Bei dieser Gelegenheit treffen sie sich natürlich mit Forbes, Berwyn, Colmody und den anderen.“ Mulligan sah mit einer Miene zu Burnell, die soviel ausdrückte wie: Du glaubst doch wohl selbst nicht, was du sagst. Burnell sagte: Rebecca und Miß Phyllis, bitte gehen Sie jetzt wieder in Ihre Kammer. Wir haben Ihrem Vater versprochen, uns an seine Wünsche zu halten. Das heißt, daß Sie beide auch nach wie vor unter Deck bleiben müssen, um keiner Gefahr ausgesetzt zu werden.“ „Das halten wir nicht mehr lange durch“, sagte Rebecca, aber dann wandte sie sich doch um und dirigierte ihre Schwester neben sich her zurück zum Achterkastell. Das Schott fiel krachend hinter ihnen zu. Burnell und Mulligan hoben ihre Blicke und spähten dort hinauf, wo sie den Pfad und die Felsspalte wußten, doch sie warteten beide vergeblich darauf, daß wieder eine Fackel aufflammte. * Timball überschlug sich zweimal in der Luft. Er schloß die Augen und preßte die Hände schützend gegen den Kopf. Er stöhnte und wimmerte vor Angst, doch dann verstummte er plötzlich, denn der Aufprall erfolgte viel früher, als er angenommen hatte. Die Landung war hart. Es zerriß ihm die Jacke und die Hose, und er kollerte ein paar Yards weit über den Boden, wobei er sich Prellungen und Hautabschürfungen zuzog. Mehr geschah aber nicht. Er blieb
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liegen, und wenig später stellte er fest, daß er sich erheben konnte. Er war auf dem Geröllfeld gelandet und hatte dabei großes Glück gehabt, denn offenbar hatte er nicht einmal eine Rippe gebrochen. Seine Gliedmaßen schmerzten zwar, aber es war eine erträgliche Qual, die ihn nicht daran hinderte, weiterzulaufen. Keuchend steuerte er auf den Hohlweg zu. Wieder spürte er die Angst vor dem Unheimlichen im Nacken, und er beschleunigte seine Schritte noch: Er würde sich erst wieder einigermaßen sicher fühlen, wenn er bei Forbes, Gallagher, Colmody, Selkirk und Feininger war, die er weiter oben in den Felsen suchen wollte. Am Eingang des Hohlweges wuchs so unvermittelt eine Gestalt vor ihm hoch, daß er nicht mehr stoppen konnte. Er prallte mit dem Fremden zusammen und stöhnte vor Schmerz und Entsetzen auf. Timball wollte nun doch seine Pistole hochreißen und auf den Kerl abdrücken, doch der packte seinen Arm und stieß ihn nach unten. Das tat so weh, daß Timball die Pistole sofort losließ. Er schluchzte vor Angst. „Töte mich nicht“, sagte er immer wieder. „Bitte, töte mich nicht. Ich hab dir doch nichts getan.“ „Mir nicht, aber den beiden armen Teufeln in der Steinhütte vielleicht“, erwiderte der andere zu seinem Erstaunen im besten Cornwall-Englisch. „Und wenn du nicht willst, daß wir hart mit dir umspringen, dann erzählst du mir jetzt alles, was ich wissen will, Freundchen. Wie heißt du?“ „Timball.“` „Und ich bin Philip Hasard Killigrew. Stammst du aus Schottland?“ „Ja“, sagte Timball und konnte immer noch nicht fassen, hier einem Engländer begegnet zu sein. „Das hört man“, sagte eine andere Stimme im Hintergrund. „He, Ferris, du krummbeiniger Klamphauer, zünd doch mal wieder die Fackel an, ja? Wir wollen uns dieses Früchtchen genauer ansehen.“ „Wie hast du mich genannt, Ed?“ fragte eine dritte Stimme.
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„Den besten Zimmermann der Welt, schon gut. Also, wird’s bald mit dem Feuer?“ Das Licht flammte - funkensprühend auf, dann zuckte die Feuerzunge von Ferris’ Fackel so hoch auf, daß ihr Schein fast den ganzen Hohlweg ausfüllte. „Nicht, nicht!“ stammelte Timball. „Er sieht es bestimmt — und dann schleicht. er sich an und bringt uns alle um!“ Entsetzt sah er in das Gesicht des schwarzhaarigen, blauäugigen Mannes, der ihn festhielt. Es war ein hartes, von tausend Wettern und Erfahrungen gezeichnetes Antlitz, über dessen Stirn und Wange eine Narbe verlief. Timballs Blick wanderte etwas nach rechts und erkannte hinter dem Mann, der sich als Killigrew ausgegeben hatte, zwei andere wuchtige Gestalten — einen furchterregenden Narbenmann mit einem mächtigen Rammkinn und einen rothaarigen Riesen, der eine Zimmermannsaxt in seinem Gurt trug. Ein vierter Mann — er war jünger als seine drei Gefährten, dunkelblond, schlank und gewandt — schob sich jetzt in den Vordergrund und bückte sich nach Timballs Pistole. Er hob sie auf und steckte sie sich in den Gurt. Sein prüfender Blick glitt an Timballs Gestalt auf und ab. Timball hatte den Eindruck, daß im Hohlweg noch mehr Männer standen, aber er wagte nicht, Killigrew danach zu fragen. „Von wem sprichst du eigentlich?“ wollte Hasard jetzt von ihm wissen. „Und wer hat die beiden Männer getötet, die wir in dem halb verfallenen Haus gefunden haben? Wie hießen sie?“ „Jackson und Lionello“, sagte Timball hastig. „Das Ungeheuer hat sie auf dem Gewissen.“ „Welches Ungeheuer?“ fragte Carberry verblüfft. „Ich hab’s ja gesagt, hier geht das Gespenst des alten Tristan da Cunha um“, sagte der alte O’Flynn. Von hinten war Big Old Shanes drohende Stimme zu vernehmen. „Donegal, sei doch bitte mal einen Augenblick still, verdammt!“
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„Es ist die Bestie, die eben auch Kenneth Berwyn vom Felsen gestürzt hat“, sagte Timball. „Ich bin vor ihr auf der Flucht.“ Der Seewolf sah ihm fest in die Augen. „Jetzt versuche mal, dich zu beruhigen und zusammenhängend zu berichten, was sich hier zugetragen hat. Wenn du die Wahrheit sprichst, beschützen wir dich, und es krümmt dir keiner ein Haar, solange wir bei dir sind, Timball.“
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Immer wieder blickte Ben sorgenvoll zur Insel hinüber, deren Felsen sich wie eine Festung im Zentrum erhob. Irgendwo glaubte er, den matten Schimmer von Fackeln zu sehen. Er dachte an die Schüsse, die auch er deutlich vernommen hatte, und wußte, daß es noch mehr Verdruß geben würde. Daß sich der Seewolf mit seinen Männern aufs Geratewohl ins Innere der Insel vorgewagt hatte, behagte ihm gar nicht.
* Batuti war zur „Isabella“ gepullt und hatte Ben Brighton berichtet, daß der Seewolf mit dem Landtrupp zum Inneren der Insel unterwegs war. Er hatte auch die Anweisungen weitergegeben, die Hasard ihm für seinen Ersten Offizier und Bootsmann mitgeteilt hatte, und so faßte Ben jetzt sehr schnell seinen Entschluß. Der Gambia-Mann kehrte mit Pete Ballie, Gary Andrews, Al Conroy, Sam Roskill und Bob Grey an Land zurück. Die sechs Männer nahmen ein zweites Faß mit, das sie bis zur Quelle in den Hügeln hinaufschleppten. Dann blieben Sam und Bob gemäß der Order von Ben Brighton dort, um beide Fässer mit Hilfe des hölzernen Kübels bis zum Rand zu füllen. Batuti, Pete, Gary und Al stiegen als Nachhut des ersten Landtrupps in der Richtung in. die Berge auf, in der Hasard und die anderen sich vorher entfernt hatten. Sie waren mit Musketen und Tromblons, Pistolen, Entermessern, Säbeln und Flaschenbomben bewaffnet, und Batuti hatte zudem noch seinen Morgenstern dabei. An Bord der „Isabella“ befanden sich jetzt außer Ben nur noch der Kutscher, Jeff Bowie, Luke Morgan, Will Thorne, Stenmark, Bill und die Zwillinge - und natürlich Arwenack, der Schimpanse, und Sir John, der karmesinrote Aracanga. Ben ließ die Culverinen ausrennen und Klarschiff zum Gefecht machen. Bill und die Zwillinge streuten Sand auf der Kuhl aus, um den Männern an den Geschützen im Fall eines Kampfes einen sicheren Stand zu gewährleisten.
* Mulligan und Burnell hatten die Stückpforten der „Confidence“ geöffnet und die zwei Demi-Culverinen und die zwei Minions ausgerannt, wie MacLeod ihnen geraten hatte. Als sie jetzt in Ufernähe eine undeutliche Bewegung zu bemerken glaubten, traten sie vorsichtshalber hinter die Backbordgeschütze und schürten für alle Fälle die Glut in den Kupferbecken mit der Holzkohle auf, die für das Anzünden der Geschützlunten bereitstanden. Die Karavelle lag mit dem Vorschiff nach Südwesten und mit dem Heck nach Nordosten in der Felsenbucht, so daß ihre Backbordseite zu dem Landeplatz der Jolle wies. „Ich glaube, sie sind es wirklich“, raunte Burnell seinem Kameraden zu. „Wenn mich nicht alles täuscht, haben sie das Boot zu Wasser gebracht und pullen zu uns herüber. Sieh doch.“ Mulligan beobachtete aus schmalen Augen über das Rohr der Demi-Culverine hinweg, was sich in der Bucht tat. Auch er konnte jetzt allmählich die Umrisse des länglichen, schlanken Bootskörpers erkennen. Lautlos glitt die Jolle auf das Schiff zu. Mulligan hielt plötzlich den Atem an. Dann zischte er: „Burnell, das kann doch nicht sein!“ „Was denn?“ „Ich sehe keine Riemen, die ins Wasser tauchen. Und ich sehe auch unsere Kameraden nicht auf den Duchten sitzen.“
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„Mein Gott, du hast recht!“ stieß Burnell hervor. „Was hat denn das jetzt wieder zu bedeuten?“ „Eine Strömung hat das Boot mitgenommen und trägt es zu uns herüber. Forbes und die anderen haben es wohl nicht gut genug vertäut.“ Mulligan richtete sich auf, trat ans Schanzkleid und beugte sich darüber. Er sah das Boot näher und näher gleiten und gewann den Eindruck, daß es von einer unheimlichen, unsichtbaren Kraft bewegt wurde. Burnell blickte jetzt auch übers Schanzkleid. Sein Mund öffnete sich staunend, seine Miene drückte Fassungslosigkeit aus. Die Jolle drehte sich ein wenig, und wenige Augenblicke später schlug ihr Rumpf mit dumpfem Laut gegen die Bordwand der „Confidence“. Hier blieb sie träge dümpelnd liegen —nicht weit von der Jakobsleiter entfernt, die seit dem Landgang der neun Männer an der Bordwand baumelte. „Da stimmt was nicht“, sagte Mulligan. „Ich entere mal kurz ab und sehe nach, was mit der Jolle los ist.“ „Sei vorsichtig“, mahnte Burnell, der jetzt spürte, wie ein seltsames Gefühl von ihm Besitz ergriff. Es kroch ihm in die Beine und pflanzte sich durch seinen ganzen Körper fort. Seine Knie begannen leicht zu zittern, und etwas kroch eiskalt über seinen Rücken. Mulligan schwang sich übers Schanzkleid und hangelte an den Holzsprossen der Jakobsleiter in die Tiefe. Bevor er die Jolle erreichte, zog er vorsichtshalber wieder seinen Degen. Doch es schien nichts zu geben, gegen das es zu kämpfen galt. Das Boot lag einsam und verlassen da. Kein Mann der Besatzung hielt sich etwa zwischen den Duchten verborgen, wie Mulligan anfangs angenommen hatte, auch kein Fremder. Weder war einer der Kameraden zur Karavelle zurückgekehrt — verletzt und abgehetzt, nach Hilfe verlangend, wie Mulligan es sich in seiner Phantasie ausgemalt hatte —, noch hatte ein etwaiger
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Feind die Jolle benutzt, um sich mit einem Trick anzuschleichen. Mulligan kletterte ins Boot und stieg über die Duchten von vorn nach achtern und dann wieder zurück. Er untersuchte alles, fand aber außer den ordnungsgemäß verstauten Riemen und einigem anderen Zubehör nichts. Kopfschüttelnd vertäute er die Jolle an der Bordwand, dann enterte er wieder an der Jakobsleiter auf. „Burnell“, sagte er, als er an die Rüsten gelangte und sich anschickte, wieder auf die Kuhl zu klettern. Burnell antwortete nicht. Mulligan hob seinen Degen in einer Ahnung, die ihn befiel. Er war auf eine Überraschung vorbereitet, aber dann konnte er doch nicht mehr handeln, denn auf der anderen Seite des Schanzkleides schoß eine Gestalt hoch, die das Schaurigste und Häßlichste war, was Mulligan je zuvor in seinem Leben gesehen hatte. Zwei klauenartige Hände packten Mulligans Hals, und dann schüttelte der Schreckliche sein Opfer so heftig hin und her, als sei es eine dünne, zerbrechliche Spielzeugpuppe. Mulligan ließ den Degen los, so groß war sein Entsetzen. Der Degen fiel ins Wasser. Das letzte, was er sah, waren die schwärzlichen Zähne in dem gräßlichen Maul des Ungeheuers. Ein teuflisches Grinsen verzerrte die Lippen der Kreatur, und ein kehliger Laut drang zwischen ihnen hervor. Gewaltig war die Kraft, mit der die Hände Mulligans Gurgel zusammenpreßten. Mulligans Gestalt wurde schlaff, und der Unheimliche ließ sie los. Geräuschlos verschwand der Körper in der Tiefe. Erst als er im Boot auf die Duchten schlug, gab es einen harten, häßlichen Laut. Der Mörder wandte sich ab und lief seltsam ungelenk quer über die Kuhl zum Schott des Vordecks. 8. Duvalier biß die Zähne aufeinander, als MacLeod ihm das Fußgelenk mit einem
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Ruck wieder einrenkte. Der Schmerz war höllisch, aber der Franzose gab keinen Laut von sich —wie er seinem Begleiter versprochen hatte. „Endlich“, sagte Andrew MacLeod. ..Das war der dritte Versuch, und ich gestehe dir, ich hatte schon Angst, daß es nicht klappt.“ „Dann wäre ich aufgeschmissen gewesen.“ Duvalier grinste. „Vielen Dank, MacLeod, das werde ich dir nicht vergessen.“ „Kannst du denn auch wirklich wieder laufen? Warte, ich helfe dir beim Aufstehen.“ „Nein, das kann ich auch allein“, sagte der Franzose. Er erhob sich und hinkte auf den niedrigen Hang zu, den er hinuntergefallen war. Der Knöchel tat zwar noch ein wenig weh, aber wenn er sich zusammenriß, konnte er sich fortbewegen, ohne auf MacLeods Unterstützung angewiesen zu sein. „In Ordnung“, sagte er. MacLeod hatte die Fackel vom Boden aufgehoben. „Gut, dann laß uns jetzt nachsehen, was es mit den Rufen auf sich hatte, die wir gehört haben. Ich nehme mit Sicherheit an, daß sie von der ,Confidence’ kamen.“ „Beeilen wir uns“, sagte Duvalier. ..Wir haben hier schon zuviel Zeit verloren.“ Er stieg neben MacLeod den Hang hoch, und kurz darauf humpelte er hinter dem Kameraden her, der jetzt —von der Sorge um seine Töchter und um die Bordwachen getrieben — immer schneller lief. Ohne Zwischenfälle gelangten sie wieder an den schmalen Uferstreifen, an dem sie mit ihrem Behelfsfloß gelandet waren. MacLeod spähte zum Schiff hinüber, vermochte aber nichts zu sehen, was seinen Argwohn erregte. Er wollte schon die Hände an den Mund legen und etwas zu Mulligan und Burnell hinüberschreien, da griff Duvalier nach seinem Arm und machte ihn auf etwas anderes aufmerksam. Er deutete nach links, und MacLeod richtete seinen Blick auf die schwachen Bewegungen, die etwa fünfzig Yards weiter dort wahrzunehmen waren, wo die Jolle liegen mußte.
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„Das könnten unsere Kameraden sein“, flüsterte Duvalier. „Sie sind zurückgekehrt. Burnell und Mulligan haben sie durch Rufe begrüßt.“ „Ich glaube nicht daran“, sagte MacLeod grimmig. „Los, sehen wir nach, was das für Gestalten sind.“ Er ging bereits los und steuerte hart am Felsen entlang, mal über Kieselsteine, mal durchs flache Wasser, auf die Gruppe von Männern zu, die sich da offensichtlich in der kleinen Ausbuchtung versammelt hatten. Duvalier hatte Mühe, mit dem Schotten Schritt zu halten. MacLeod blieb stehen, hob seine Pistole und zielte auf die Gruppe. Seine Fackel hatte er schon vor dem Eintreffen an der Bucht in kluger Voraussicht gelöscht, so daß die Männer vor der Mündung seiner Waffe — wer immer sie auch waren —ihn und den Franzosen bestimmt nicht erkennen konnten. Mitten in der stummen Versammlung flammte jetzt eine Fackel auf, und jemand sagte überraschend auf englisch: „Geben wir ein Zeichen zum Schiff hinüber, Ferris, vielleicht werden sie dann ja auf uns aufmerksam.“ „Halt!“ rief MacLeod. „Keine Bewegung! Wer seid ihr?“ Duvalier trat rasch neben ihn und hob ebenfalls seine Pistole. MacLeod war zu allem bereit, obwohl er sich geschworen hatte, niemals auf andere Menschen zu schießen, wenn es nicht in äußerster Notwehr geschah. Die Sorge um die Kameraden und die Wut, die er im Bauch hatte, ließen ihn jetzt einen seiner puritanischen Grundsätze über Bord werfen. „MacLeod!“ rief plötzlich die Stimme von Timball. „Bist du’s wirklich? Mein Gott, schieße nicht, diese Männer hier sind unsere Freunde. Es sind Philip Hasard Killigrew und acht seiner Männer von der ,Isabella VIII.`.“ MacLeod hob erstaunt die Augenbrauen und ließ die Pistole sinken. „Killigrew, Killigrew“, wiederholte er murmelnd. „Diesen Namen habe ich doch irgendwo schon mal gehört?“
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Phyllis MacLeod war in ihrer Koje eingeschlafen. Rebecca saß auf dem Rand ihrer Lagerstatt, die der von Phyllis gegenüberlag, und lauschte den Geräuschen, die im Innern des Schiffes waren. Burnell und Mulligan schienen sich eben unterhalten zu haben, aber was sie gesprochen hatten, hatte Rebecca nicht verstehen können. Jetzt herrschte oben auf der Kuhl wieder Stille - nur tief unten in den Laderäumen war ein eigenartiges Rumoren. Die Tiere sind unruhig, dachte sie. Sie stand auf und nahm das Talglicht, das mit niedrig brennender Flamme auf dem kleinen Tisch in der Mitte des Raumes stand, in die rechte Hand. Sie verließ die Kammer, nachdem sie sich davon überzeugt hatte, daß ihre Schwester immer noch fest schlief, trat in den Mittelgang des Achterkastells hinaus und überlegte sich, ob sie Burnell oder Mulligan Bescheid sagen sollte. Lieber nicht, dachte sie, sie haben genug mit der Ankerwache zu tun, es ist besser, sie nicht auch noch mit anderen Dingen zu behelligen. Sie schritt nach achtern, gelangte an den Niedergang, der in die beiden unteren Decks führte, und stieg leise die Stufen hinunter. Die Karavelle schwankte nur leicht in den sanften Wellen der Bucht. Rebecca brauchte sich nicht festzuhalten. Es war nicht das erstemal, daß sie die Schweine, Schafe und Hühner, die sie an Bord hatten, zu beruhigen versuchte. Im Gegensatz zu Phyllis, der die Tiere sowenig geheuer waren wie das Meer und die Seefahrt, hatte sie ein geradezu freundschaftliches Verhältnis zu ihnen. Sie hatte jedem von ihnen einen Namen gegeben und pflegte sich mit ihnen zu unterhalten. Wenn sie in einem bestimmten Tonfall auf sie einredete - etwa so, wie man mit kleinen Kindern sprach -, hörten sie auch bei starkem Seegang auf. in ihren aus Holz gezimmerten Boxen hin und her
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zu laufen und ängstliche Laute auszustoßen. Rebecca langte auf dem untersten Schiffsdeck an. öffnete ein Schott und durchquerte den Frachtraum, in dem das Saatgut, Baumaterialien, Werkzeug. Proviant. die Fässer mit dem Trinkwasser und andere wichtige Utensilien für die Überfahrt zum sagenhaften Südland lagerten. Es gab einen zweiten, weiter vorn gelegenen Laderaum, der etwas kleiner war als der erste. Dort waren die Tiere untergebracht. Rebecca hörte die Schweine grunzen und schnaufen. Die Schafe blökten und stießen offenbar immer wieder gegen die Wände ihrer Boxen, als hätten sie vor irgendetwas Angst. Die Hühner gackerten, und die flatternden Geräusche ihrer Flügel ließen vermuten, daß auch sie sich in einem Zustand höchster Erregung befanden. Entschlossen ging Rebecca zum Verbindungsschott, riß es auf und eilte zu den Boxen, das Talglicht in der erhobenen Rechten. Sie blickte in die Drahtkäfige der Hühner. Dort herrschte wilder Aufruhr, die Tiere wirbelten durcheinander. Sie lief weiter und blickte in die Boxen der Schafe. Im Schein der einfachen Lampe war deutlich die Angst in den geweiteten Augen der Vierbeiner zu erkennen, die sich wie wahnsinnig hin und her bewegten. Dann erreichte Rebecca die Schweineställe. Sie sah hinein und erstarrte. Gleich in der ersten Box kniete eine dürre, scheußliche Gestalt über dem Leib eines Jungtieres. Sie hielt einen spitzen Stein in der Hand, mit der sie das Schwein erschlagen hatte. Die gutturalen Laute, die aus dem Mund des Schrecklichen drangen, mischten sich mit dem entsetzten Quieken der anderen Schweine. Alle Tiere spürten die Gefahr, die in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft war. Der Unheimliche war derart beschäftigt mit seinem grausigen Werk, daß er das vor Angst und Grauen paralysierte Mädchen mit dem Talglicht hinter seinem Rücken nicht zu bemerken schien. Er hieb noch
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einmal mit seiner primitiven Waffe zu, dann beugte er sich gierig über das tote Schwein und zerrte an seinem Leib. Rebecca schrie auf. „Allmächtiger Gott im Himmel, steh uns bei!“ Jetzt fuhr der Schreckliche zu ihr herum, und als sie seine Fratze sah, schrie sie noch einmal, diesmal lauter. Er sprang auf und wollte sich mit ausgestreckten Händen auf sie stürzen, doch sie wich zurück, und er prallte gegen die Tür der Schweinebox, die hinter ihm zugefallen war, als er sich hineinbegeben hatte. Rebecca warf das Talglicht nach der gräßlichen Fratze, und er heulte auf, als die Flamme seine Haut versengte. Mit einer wilden Handbewegung schleuderte er das Talglicht zu Boden. Es erlosch. Rebecca lief durch den kleinen Laderaum in den achteren Raum, stolperte, stieß gegen eine Kiste, rammte mit dem Ellenbogen dagegen, fing sich aber gleich wieder und eilte weiter. Plötzlich hörte sie Phyllis’ Stimme. „Rebecca, Rebecca! Jesus, wo bist du denn?“ Phyllis war von ihren Schreien geweckt worden. Rebecca hastete den Niedergang hinauf und rief ihr zu: „Warte auf mich, ich komme!“ Hinter sich konnte sie die polternden Schritte und das Keuchen des Unheimlichen vernehmen. Die Angst drohte sie wieder zu lähmen, aber sie zwang sich dazu, durchzuhalten. Wenn sie sich von der Panik übermannen ließ, fiel Phyllis in die Hände der grauenvollen Kreatur. Sie traf ihre Schwester im Mittelgang. Durch Rebeccas Schreie alarmiert. hatte das blonde Mädchen die Kammer verlassen. Sie stellte leise, stammelnde Fragen, aber Rebecca antwortete nicht darauf, sondern griff nur nach der Hand ihrer jüngeren Schwester und zog sie mit sich fort - fort zum Schott, das auf die Kuhl führte, in der Hoffnung, Mulligan und Burnell zu erreichen, ehe das Monstrum den knappen Vorsprung eingeholt hatte und sie beide packte.
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Sie stolperten auf die Kuhl hinaus und sahen Burnell. Er hatte sich hinter den Lafetten der Geschütze der Backbordseite aufgerappelt und stand wankend da. Beim Näherkommen bemerkten sie, daß sein Gesicht blutüberströmt war, und sie schrien beide auf. Burnell hielt seinen Degen in der rechten Hand und wies damit zum Schanzkleid. „Fort!“ sagte er mit eigentümlich brüchiger, müder Stimme. „Springt ins Wasser - und schwimmt zum Ufer. Ich ich halte ihn auf!“ „Mister Burnell!“ rief Rebecca. „Mein Gott, Sie brauchen doch Hilfe!“ „Fort!“ stieß er keuchend aus. „Verschwindet! Haut ab - von diesem Teufelskahn!“ Rebecca wollte trotzdem zu ihm laufen, aber jetzt krachte das Achterdecksschott gegen die Querwand der Hütte, weil der Unheimliche es voll Wucht aufgestoßen hatte. Er schlich auf die Kuhl und näherte sich mit knurrenden und lallenden Lauten, die so abscheulich klangen, daß die Mädchen wieder gellende Schreie ausstießen. Schockiert durch das Erscheinen der Schreckensgestalt, liefen sie zum Backbordschanzkleid und kletterten darüber. Burnell tat zwei torkelnde Schritte auf den Unheimlichen zu. „Jetzt zu uns“, sagte er. Burnell wußte jetzt, wie die Kreatur an Bord der „Confidence“ gelangt war. Sie hatte die Jolle im Wasser vor sich hergeschoben, war untergetaucht, als das Boot gegen die Bordwand der Karavelle prallte, und hatte sich dann bis zum Heck gestohlen, um am Ruder hochzuklettern. Während Burnells und Muiligans ganze Aufmerksamkeit der Jolle gegolten hatte, hatte sich der Mörder vom Achterdeck aus an Burnell herangepirscht. Er hatte ihn mit dem Stein niedergeschlagen, der auch Berwyns Verderben geworden war, aber er hatte sich dieses eine Mal getäuscht, als er dachte, daß sein Opfer tot wäre. Burnell war ohnmächtig auf die Planken gesunken, aber er hatte die Besinnung wiedererlangt,
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als die Mädchen zu schreien begonnen hatten. Er wollte jetzt mit seinem Degen nach der furchtbaren Gestalt stechen, doch der Gegner war schneller. Plötzlich flog der spitze Stein durch die Nacht, und er war so gut gezielt, daß er Burnells Stirn traf. Mit einem Seufzer sank Burnell wieder auf das Deck. Der Degen entglitt seiner schlaff werdenden Hand. Mit einem wölfischen Heulen warf sich der Schreckliche auf ihn. * „Killigrew“, sagte MacLeod, als er zusammen mit Duvalier auf die Gruppe der zehn Männer zutrat. „Ja, jetzt entsinne ich mich. Die Killigrews aus Cornwall, die Sippe der Seeräuber von Arwenack Castle -und Sie, Philip Hasard, sind der berühmteste von ihnen. Seinerzeit, als die Armada England überfallen wollte, sind Sie auch in Schottland gewesen, und später wurden Sie von der Königin zum Ritter geschlagen. Dennoch ist es ein zweifelhafter Ruhm, der Ihnen anhaftet. Oder sind Sie stolz darauf, ein Pirat zu sein?“ Hasard blieb ruhig. „Wir sind Korsaren, MacLeod, aber das dürfte für Sie wohl das gleiche sein. Aber Sie -sind Sie stolz darauf, Ihren kleinen Haufen von Träumern und Phantasten ins sichere Unheil zu führen?“ „Was geht Sie das an?“ fragte MacLeod empört. „Timball hat uns eben erzählt, daß Sie das Südland suchen. Es gibt keinen südlichen Kontinent, jedenfalls nicht das Paradies, das Sie sich erhoffen. Schlagen Sie sich das ein für allemal aus dem Kopf.“ „Sie lügen“, sagte MacLeod zornig. „Was wollen Sie hier? Uns vielleicht ausplündern? Haben Sie auf unseren Landtrupp geschossen?“ „Nein, die Dinge liegen anders“, entgegnete der Seewolf, und er war immer noch erstaunlich gelassen. „Wir sind durch Zufall zum selben Zeitpunkt wie Sie auf dieser Insel, der Insel Tristan da Cunhas,
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gelandet. Als wir die Schüsse hörten, dachten wir, wir könnten vielleicht irgendjemandem aus der Patsche helfen.“ „Wir helfen uns selbst“, sagte MacLeod schroff. Carberry, Shane und Ferris Tucker wollten aufbrausen, aber es war Duvalier, der jetzt das Gespräch in eine andere Bahn lenkte. „Moment mal“, sagte er verdutzt. „Wo ist denn eigentlich die Jolle?“ „Das haben wir uns auch schon gefragt“, erwiderte Timball. Er wollte noch etwas hinzufügen, doch in diesem Augenblick ertönten an Bord der „Confidence“ die Schreie der Mädchen. Andrew MacLeod fuhr zum Schiff herum. „Rebecca! Phyllis! Mein Gott!“ rief er. „Mulligan! Burnell! So antwortet doch!“ Mulligan lag mit zerschmetterten Knochen in der Jolle. Burnell war unter den wuchtigen Hieben gestorben, die der Schreckliche ihm zugefügt hatte. Rebecca und Phyllis sprangen soeben ins Wasser und landeten in der Nähe des Bootes in den Fluten, so daß auch sie keine Antwort auf die Rufe ihres Vaters geben konnten. Hasard sagte: „Zwei Gestalten sind vom Schiff in die Bucht gesprungen, soviel habe ich gesehen.“ Dan O’Flynn, der bekanntlich die besten Augen von allen Männern der „Isabella“ hatte, fügte hinzu: „Es sind Mädchen. Jemand ist hinter ihnen her. Da, jetzt ist er oben auf dem Schanzkleid!“ „Herr, erhöre unser Flehen!“ sagte MacLeod entsetzt. Der Seewolf riß sich die Kleidung vom Leib und stürmte ins Wasser. Die Fluten waren eisig kalt, aber er biß die Zähne zusammen und tauchte, ohne zu zögern, ein. Dan, Shane, der Profos und Ferris folgten seinem Beispiel. Old Donegal Daniel O’Flynn, Blacky, Smoky und Matt Davies hoben ihre Waffen und legten an, um ihren Kameraden den nötigen Feuerschutz zu geben. MacLeod und Duvalier standen erschüttert da und wußten für Augenblicke nicht, was sie tun sollten. Dann entledigte sich auch MacLeod seiner Kleidung.
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„Du bleibst hier!“ rief er dem Franzosen noch zu und warf sich gleich darauf ebenfalls ins Wasser. 9. Rebecca und Phyllis versuchten, das Boot zu erreichen. Das Wasser war entsetzlich kalt, außerdem hatten sich ihre Kleider mit dem Naß vollgesogen, so daß sie wie Gewichte an ihren Körpern zerrten: Sie hatten Mühe, sich überhaupt an der Oberfläche zu halten. Phyllis war vor ihrer Schwester an der Jolle. Sie klammerte sich am Dollbord fest und zog sich daran hoch - und dann fiel ihr Blick auf die Gestalt Mulligans, dessen gebrochene Augen sie anzustarren schienen. Sie schrie wie von Sinnen, ließ den Dollbord wieder los und versank im Wasser. Rebecca ahnte, was ihre Schwester in dem Boot entdeckt hatte, weil sie selbst schon über Mulligans Verschwinden nachgedacht hatte. Rasch nahm auch sie den Kopf unter Wasser und tauchte Phyllis nach. Der Unheimliche war katzengewandt über das Schanzkleid geklettert und hangelte jetzt an der Jakobsleiter hinunter. Er turnte geschickt über das Boot und sprang ins Wasser. Der Seewolf hatte zu diesem Zeitpunkt etwas mehr als die halbe Distanz zwischen dem Ufer und dem rahgetakelten Zweimaster zurückgelegt. Deutlich konnte er verfolgen, was sich bei der Jolle abspielte. Er sah die dürre Gestalt, die in die Fluten sprang, um die beiden Mädchen zu verfolgen — und plötzlich glaubte er zu wissen, wer dieser Unheimliche war. Plötzlich tauchten Rebecca und Phyllis wieder auf. Sie schöpften japsend Atem und traten offenbar mit den Beinen heftig Wasser, aber dennoch hatten sie augenscheinlich allergrößte Mühe, sich zu halten. „Shane, Ed, Ferris, Dan!“ schrie Hasard. „Kümmert euch um die Mädchen! Bringt sie an Land! Und nehmt auch das Boot mit!“
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„Aye, Sir!“ schallte es über die Wellen zu ihm zurück. Hasard registrierte eine Bewegung vor sich,. keine drei Yards entfernt. Er konnte gerade noch tief Luft holen, dann schoß die Gestalt auch schon vor ihm hoch — ein wüstes Gesicht mit zottigem Haar und wildem Bart, ein magerer Körper mit langen Armen. Der Kerl wollte Rebecca und Phyllis MacLeod nach, doch der Seewolf versperrte ihm den Weg. Zornig warf er sich Hasard entgegen und versuchte, ihm den spitzen Stein, den er immer noch als Waffe bei sich trug, an den Kopf zu schlagen. Hasard wich seitwärts aus, und der mörderische Hieb ging fehl. Hoch spritzte das Wasser auf. Hasard packte die Arme des Kerls, dann gingen sie beide unter und rauften sich verbissen unter Wasser. Der Fremde verfügte über geradezu unglaubliche Kräfte, obwohl er halb verhungert wirkte. Hasard mußte die Arme, die sich wie Klammern um ihn schlossen, mit aller Macht zurückdrücken, sonst hätten die klauenartigen Hände seinen Hals gepackt. Woher all diese Kraft rührte? Auch das glaubte Hasard zu wissen. Er riß den Gegner zu sich heran und wandte einen der Tricks an, die ihm seinerzeit Sun Lo, der Mönch von Formosa, beigebracht hatte. Dieser Griffe .zur Selbstverteidigung bediente er sich nur, wenn er mit normalen Kampfmethoden nichts mehr ausrichten konnte — und genau das war jetzt der Fall. Der Feind verlor den Stein aus der Hand. Hasard durchbrach seine heftige Abwehr und wollte ihm einen Jagdhieb beibringen, der ihm das Bewußtsein raubte, doch diesmal war der andere auf der Hut. Er zog sich vor ihm zurück, konnte sich losreißen und verschwand in der Schwärze der Fluten. Hasard suchte nach ihm, solange seine Atemluft ausreichte, doch er fand ihn nicht wieder. Ein feines Stechen wurde jetzt in seinen Lungen spürbar, und er mußte auftauchen.
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Als er den Kopf aus dem Wasser hob, sah er sich MacLeod gegenüber. Der Schotte blickte ihn fragend an, doch Hasard sah an ihm vorbei und vergewisserte sich zunächst einmal, ob seine Kameraden die Mädchen gerettet hatten. Sie hatten es geschafft. Shane schleppte die Brünette zum Ufer hin ab, Carberry hatte die Blondine sicher im Griff und schwamm mit ihr in Rückenlage. Ferris Tucker und Dan O’Flynn waren eben an Bord der Karavelle auf geentert und stiegen jetzt wieder hinunter. Sie kletterten in die Jolle, lösten ihre Leinen und griffen zu den Riemen, um an Land zu pullen. „Killigrew!“ rief MacLeod. „Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen! Sie wollen uns wirklich nur helfen. Ich fühle mich — zutiefst beschämt.“ „Schon gut“, sagte Hasard. „Versuchen wir jetzt, den Mann zu finden, der das alles angerichtet hat. Irgendwann muß er auftauchen.“ Sie blickten sich nach allen Seiten um, doch der Unheimliche zeigte sich nicht wieder an. der Oberfläche des Wassers. War er ertrunken? * Shane und Carberry zogen die Mädchen behutsam auf das winzige Stück Kieselstrand. Sie waren bei vollem Bewußtsein, ließen sich auf den Steinen nieder, klammerten sich aneinander und begannen hemmungslos zu weinen. Dan O’Flynn und Ferris Tucker trafen mit der Jolle ein. Duvalier warf einen Blick hinein, dann wich er zurück und stammelte entsetzt: „Mulligan, mein Gott, Mulligan, was haben sie mit dir getan?“ „Er ist tot“, sagte Dan. „Und — und Burnell?“ „Falls du damit den zweiten Wachtposten an Bord eures Schiffes meinst, er liegt erschlagen auf der Kuhl“, erwiderte Ferris. Duvalier stöhnte auf und fuhr sich in einer verzweifelten Geste mit den Händen durchs Gesicht. „Da!“ rief Old O’Flynn plötzlich. „Da ist der Satansbraten, der die Mädchen packen
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wollte! He, Leute, er versucht, an Land zu gehen! Dort, an Steuerbord!“ Die Männer, die alle mit den Gesichtern zur Bucht gewandt standen, blickten nach rechts und sahen die magere Gestalt, die dort über die Uferfelsen kletterte, wo kurz zuvor MacLeod und Duvalier mit ihren gezückten Pistolen gestanden hatten. „Das ist er!“ schrie nun auch Dan. „Gebt einen Warnschuß ab!“ rief vom Wasser aus der Seewolf. MacLeod und er hatten jedes Wort verstanden. Smoky zielte mit dem Radschloß-Drehling, den Hasard ihm übergeben hatte, über den Kopf des Unheimlichen. „Stehenbleiben!“ schrie er, aber das hatte nicht die geringste Wirkung auf die Gestalt. Smoky drückte ab, und der Schuß fuhr donnernd aus dem Lauf. Sein Krachen wurde von den Felswänden zurückgeworfen. Im Aufleuchten des Mündungsblitzes raste die Kugel um gut drei Handspannen über den Flüchtenden weg. Auch das nützte nichts. Er hetzte weiter und war zwischen den Felsen verschwunden, bevor Hasards Decksältester ein zweites Mal hinter ihm herfeuern konnte. „Ihm nach!“ rief Hasard im Wasser MacLeod zu. „Wir müssen ihn packen, bevor er eine weitere Wahnsinnstat verübt!“ „Ich weiß, wo er sich verstecken will“, sagte MacLeod, denn ihm war eingefallen, daß sich an der Stelle, an der Duvalier gestürzt war, eine Höhle befand. Gemeinsam schwammen sie zum Ufer. * Die Höhle, in der sie wenig später mit ihren Fackeln standen und sich nach allen Seiten umschauten, war größer, als MacLeod jemals vermutet hätte. Tief führte sie in den Inselfelsen hinein. Der Seewolf schritt sie in ihrer ganzen Länge ab und hielt seine Fackel hoch, damit soviel Licht wie möglich in das düstere
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Gewölbe fiel, doch von dem Unheimlichen war keine Spur zu entdecken. Hasard blieb stehen. Vor ihm öffneten sich drei Gänge, deren Eingänge sich in Form und Größe so sehr ähnelten, daß man fast glauben konnte, sie wären von Menschenhand geschaffen worden. Seine Begleiter versammelten sich hinter ihm. Er drehte sich zu ihnen um und sagte: „Jetzt haben wir die Wahl. Wohin hat sich der Mann zurückgezogen? Spuren sind auf dem nackten Gestein nicht zu entdecken.“ „Bilden wir doch drei Gruppen“, schlug Old O’Flynn vor. „Jede nimmt sich einen Gang vor. Auf diese Weise finden wir den Hundesohn ganz bestimmt.“ „Wenn wir das wagen, bringt er uns alle um“, sagte Timball. „Wir sollten auf jeden Fall zusammenbleiben, das ist unsere einzige Garantie, nicht von ihm angegriffen zu werden. Je mehr wir sind, desto besser für uns.“ Carberry stemmte die Fäuste in die Seiten und erklärte: „Timball, wenn hier nicht zufällig zwei reizende junge Ladys anwesend wären, würde ich dir jetzt sagen, daß du die Hosen gestrichen voll hast, was für einen Mann deines Alters schon mehr als eine Schande ist.“ Timball blickte den Koloß von einem Mann entgeistert an. Die Seewölfe grinsten, und Duvalier lächelte auch ein bißchen. MacLeod und seine Töchter wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten, das Ganze war ihnen offensichtlich peinlich. Hasard übernahm kurzerhand das Kommando. „Wir sind vierzehn Leute, aber wir rechnen die Mädchen jetzt nicht mit. Zwölf geteilt durch drei — das sind vier Mann pro Gruppe. Shane, Ed, Ferris und Dan, ihr nehmt euch den linken Gang vor. Donegal, Blacky, Smoky und Matt forschen den rechten ab, und MacLeod, Timball, Duvalier, die Mädchen und ich wählen den mittleren. Wer den Mörder als erster entdeckt, feuert einen Pistolenschuß ab. Smoky, gib mir bitte meinen Drehling wieder.“ „Hier, Sir.“ Smoky reichte seinem Kapitän die sechsschüssige Waffe zurück.
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Hasard nahm sie an sich, überprüfte die Verteilung der übrigen Waffen und sagte dann: „Los jetzt, wir haben keine Zeit zu verlieren. Wenn dieser Wahnsinnige auf die andere Gruppe stößt, die nach Timballs Bericht die Felsen von der Südseite her durchsucht, könnte passieren, daß er zumindest noch einen Mann umbringt. Zuzutrauen ist ihm alles, und er ist unberechenbar.“ Er schritt mit seiner Fackel in den mittleren Höhlengang, ohne ein weiteres Wort mit seinen Männern zu wechseln. Sie wußten gut genug, wie sie sich zu verhalten hatten, denn sie waren eine fest zusammengeschmiedete, gut aufeinander eingespielte Crew. Shane übernahm die Leitung der linken, Old O’Flynn die Führung der rechten Gruppe. MacLeod schritt hinter dem Seewolf her. Er war selbst kein Zauderer, aber die Art, wie dieser Mann seine Entschlüsse faßte und in die Tat umsetzte, verlangte ihm seine Hochachtung ab. Duvaliers Gedanken bewegten sich in ähnlichen Bahnen. Rebecca und Phyllis MacLeod, die noch vor Timball schritten, sahen mit offener Bewunderung zu dem schwarzhaarigen Mann. Rebeccas Herz begann schneller zu klopfen, als sie daran dachte, wie es gewesen wäre. wenn statt des graubärtigen Riesen, der Big Old Shane genannt wurde, der Seewolf sie aus dem Wasser gezogen hätte. MacLeod schloß zu Hasard auf. Der Gang war breit genug, um dies zuzulassen. „Sind Sie von dem, was Sie eben gesagt haben, wirklich überzeugt?“ fragte er. „Ich meine, daß dieser –dieser Satan ein Geisteskranker ist?“ „Ja.“ „Ich hielt ihn für eine Ausgeburt der Hölle.“ „Damit könnten Sie schon fast mit unserem guten Old O’Flynn konkurrieren, der auch überall Geister und Dämonen sieht“, sagte der Seewolf. „Aber nein, der Mann, der die fünf Männer der ,Confidence` getötet hat, ist eine armselige menschliche Kreatur, die seit mehr als
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zwei Jahren über diese Insel irrt. Er heißt Jean-Claude Leclerc.“ „Woher wissen Sie das?“ stieß MacLeod verblüfft hervor. „Ich habe in seinem Tagebuch gelesen“, erwiderte Hasard und griff in die Jacke, die er nach dem Bad in der Bucht zusammen mit seiner Hose und seinen Stiefeln wieder übergestreift hatte, und holte das Buch heraus. Er hatte es aus dem Haus auf dem Plateau mitgenommen. „Ich bin verständlicherweise noch nicht dazu gekommen, auch die restlichen Eintragungen zu entziffern, aber soviel habe ich bis jetzt in Erfahrung gebracht: Am 2. Juni 1588 erlitt eine französische Galeone, deren Name ‚Sirene’ lautete, vor der Küste dieser Insel in schwerem Sturm Schiffbruch. Die einzigen Überlebenden waren Jean-Claude Leclerc, seine Frau Juliette, deren Tochter Michele, der Sohn Pierre sowie der Erste Offizier Barthelmy und zwei Decksleute, deren Namen nicht verzeichnet sind.“ „Meine Landsleute“, sagte Duvalier ergriffen. „Mein Gott, wohin waren sie denn nur unterwegs?“ „Nach Indien, und zwar im Auftrag eines spanischen Handelshauses aus Cadiz. Der Kapitän der ,Sirene` sollte in Madras eine reguläre Ladung Waffen und Werkzeuge abliefern. Die Leclercs wollten als Auswanderer, die sich eine neue Existenz aufzubauen gedachten, dortbleiben.“ Hasard blieb kurz stehen und leuchtete mit der Fackel eine Gesteinsnische aus, die sich zu ihrer Rechten öffnete, aber sie war leer. Er ging weiter und fuhr in seinen Erklärungen fort: „Ein Decksmann wurde bei dem Untergang der ,Sirene` so schwer verletzt, daß er gleich nach der Landung auf der Insel starb und von den anderen wieder der See übergeben wurde. Barthelmy stürzte vom Pfad des großen Felsens in die Ankerbucht der ,Confidence` und wurde nicht mehr gesehen. Im Tagebuch heißt es, daß das ablaufende Wasser damals wohl seinen Leichnam mit hinaus aufs offene Meer nahm.“
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„Und was wurde aus den anderen?“ fragte MacLeod. „Wie können Sie so sicher sein, daß der Irre Leclerc ist und nicht der andere Decksmann, der das Unglück mit überlebte?“ „Das dürften uns die letzten Seiten des Buches verraten“, sagte Hasard. Er schwieg, denn jetzt gabelte sich vor ihm der Gang, und sie standen vor der Entscheidung, welchen der beiden zweigförmig auseinanderführenden Stollen sie betreten sollten. „Wir befinden uns in einem Labyrinth“, sagte MacLeod. „Und der Verrückte hat uns gegenüber den Vorteil, daß er sich besser auskennt als wir. Er kann mit uns Verstecken spielen, wenn er will.“ „Nehmen wir den rechten Gang“, sagte Hasard. „Und halten wir die Augen offen. Nach allem, was bisher geschehen ist; ist eines klar: Leclerc greift immer nur einen, höchstens zwei Männer an. Vor größeren Aufgeboten scheint er Angst zu haben. Deshalb kann uns nichts geschehen, wenn wir dicht zusammenbleiben.“ „Aber er hat gewaltige Kräfte“, gab Timball zu bedenken. „Wie hätte er sonst Jackson oder Berwyn töten können?“ „Es ist der Wahnsinn, der ihm diese großen Energien verleiht“, erwiderte der Seewolf. „Aber irgendwann muß auch er erschöpft sein. Er lebt von Fischen, Würmern und anderem Kleingetier, wie ich annehme, und hält sich nur noch wie durch ein Wunder auf den Beinen.“ „Er wollte das Schwein an Bord unseres Schiffes roh verzehren“, sagte Rebecca schaudernd. „Sein Hunger muß entsetzlich groß sein.“ „Furchtbar“, murmelte ihr Vater. „Er ist zur mordenden Bestie geworden, aber er weiß nicht, was er tut. Der Herr sei seiner armen Seele gnädig.“ 10. Shane blieb plötzlich stehen. „Da vorn ist ein Seitenstollen“, zischte er seinen Begleitern zu. Carberry schob sich neben ihn und zündete eine zweite Fackel an, indem er sie mit
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dem pechgetränkten Lappen gegen Shanes Kienspan hielt. „Laß mich mal vor“, raunte er. „Ich sehe nach, ob sich der Kerl darin versteckt hält. Wenn nicht, können wir gleich weiterziehen.“ Er schlich an Shane vorbei, und im nächsten Augenblick war seine wuchtige Gestalt in dem Stollen verschwunden, der nach links von dem größeren Gang abbog. Dan O’Flynn folgte dem Profos. Shane und Ferris blieben im Gang stehen und sicherten nach vorn und nach hinten, um vor unliebsamen Überraschungen sicher zu sein. Carberry pirschte leicht geduckt in den Stollen hinein und spähte aus zusammengekniffenen Augen nach vorn. War da nicht eine Bewegung gewesen? „He“, flüsterte er Dan O’Flynn zu. „Halte deinen Schießprügel bereit. Mister O’Flynn, da tut sich was, glaube ich.“ Dan hob den SchnapphahnRevolverstutzen, eine der besten Waffen aus Hasards Waffenschrank, und spannte den Hahn. Er versuchte, sich neben den Profos zu bringen, aber jetzt ertönte unversehens vor ihnen eine Stimme, die schottischen Akzent sprach. „Halt! Keine Bewegung! Jetzt habe ich dich endlich, du Bastard! Freunde, seht euch das an. Der Schweinehund hat einen Helfer,. wer hätte das gedacht!“ „Vorsicht“, sagte eine andere Stimme. „Vielleicht stecken noch mehr von diesen Dreckskerlen in der Höhle. Hamilton, es war auf jeden Fall richtig, daß wir die Fackel gelöscht haben.“ „Ja, so sind sie uns in die Falle getappt. Seht euch an, wie häßlich und gemein diese Bestie ausschaut. Mein Gott, ich kann nicht länger an mich halten, ich muß ihn niederschießen.“ „Jetzt hört mir mal gut zu“, sagte der Profos der „Isabella“, und Dan O’Flynn wunderte sich darüber, wie leise seine Stimme war. „Eure Beleidigungen will ich vergessen, ihr Himmelhunde, weil ich verstehen kann, daß ihr einen Mordshaß im Bauch habt. Aber wenn es auch nur einer wagt, zu feuern, ehe ich erklärt habe, was
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los ist, kriegt er selbst eine Ladung in die Schnauze, die ihn mit Halleluja aus dieser Scheißhöhle :ausbläst, verstanden?“ Es lag trotz der Tatsache, daß er diesmal nicht brüllte, so viel Autorität in seinem Tonfall, daß Forbes, Gallagher, Colmody, Selkirk und Feininger, die bis hierher in das Höhlenlabyrinth vorgedrungen waren, wirklich nicht wagten, zu schießen :der auch nur einen Schritt weiter vorzudringen. Carberry indes schritt näher an sie heran und leuchtete ihnen mit der Fackel in die Gesichter. Dan O’Flynn sagte sich im stillen, daß sie gut daran taten, keinen Finger gegen den Narbenmann zu rühren. Wenn der Profos leise wurde, war Windstärke zwölf im Verzug. „Wer — wer bist du?“ fragte Selkirk. „Edwin Carberry, Profos der ,Isabella VIII.’, die dem Kommando von Philip Hasard Killigrew untersteht. Und ihr Trauerfiguren seid zweifellos Hamilton Forbes, Stede Gallagher, Tom Colmody, Oliver Selkirk und John Feininger. Woher ich das weiß?“ Er grunzte verächtlich. „Ganz einfach, wir haben vor kurzer Zeit euren lieben Andrew MacLeod kennengelernt. Und Timball hat uns erzählt, was oben auf dem Plateau los war. Reicht das? Können wir uns jetzt die Hände schütteln?“ „Ja, Sir“, sagte Hamilton Forbes und streckte als erster die Hand aus. Das „Sir“ rutschte ihm ganz unwillkürlich über die Lippen, es war etwas in Carberrys Auftreten, was nach dieser Anrede verlangte. * Hasard war mit seinem Gefolge gut hundert Schritte weit durch den neuen Gang vorgedrungen, da stieg ihm ein eigentümlicher, unangenehmer Geruch in die Nase. Er ahnte, welchen Ursprungs er war. Deshalb blieb er jetzt stehen und blickte sich besorgt nach den Mädchen um. Wenn es irgend möglich war, wollte er sie vor einem neuerlichen Schock bewahren.
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„MacLeod“, sagte er. „Würdest du bitte die Fackel halten?“ MacLeod trat näher und nahm sie ihm ab. Hasard zog wieder das Tagebuch aus der Jacke und bat Duvalier durch eine Geste, zu ihm zu treten. Duvalier rückte dicht neben ihn, und gemeinsam beugten sie sich über das Buch mit den durchlöcherten Seiten. Timball schloß dicht zu den Mädchen auf. Phyllis bedachte ihn mit einem abfälligen Blick, aber das kümmerte ihn nicht weiter. Er hatte wieder Angst, entsetzliche Angst, und er glaubte, den Eishauch des Todes in seinem Nacken zu spüren. „Duvalier“, sagte der Seewolf leise. „Was diese Aufzeichnungen bedeuten, weiß ich nicht. So gut ist mein Französisch nun auch wieder nicht.“ Der Franzose räusperte sich, bevor er sprach. „Ich weiß nicht, ob ich das alles laut vorlesen soll - wegen Miß Rebecca und Miß Phyllis.“ „Nur zu“, sagte Rebecca zum Erstaunen ihres Vaters. „Schlimmer als das, was wir auf der ,Confidence` erlebt haben, kann es nicht sein.“ „Nun gut.“ Duvalier fuhr sich unruhig mit der Hand übers Kinn. „Hier steht, daß Jean-Claude Leclerc, der dies alles aufgeschrieben hat, sein Sohn Pierre, der damals achtzehn Jahre alt war, und der Decksmann der ‚Sirene’ in mühseliger Arbeit das Haus aus Steinen errichteten. Sie bauten aus den angespülten Trümmern der Galeone einen Tisch, Stühle und auch einen Schrank, und sie wärmten sich an dem Kamin, den sie konstruierten. Eine Zeitlang ernährten sie sich von ein wenig Proviant, den die Wogen ans Ufer trugen, dann aber begann der Hunger.“ Er blätterte um, las aufmerksam und fuhr fort: „Die Männer versuchten, Fische zu fangen, doch das Ergebnis war karg. Sie hatten keine Netze und keine Angeln.“ Wieder räusperte er sich. „Eines Tages - Ende 1588 - kehrten Jean-Claude und sein Sohn Pierre von einem erfolglosen Ausflug über die Insel zurück und fanden Juliette, Leclercs Frau, tot in dem Haus vor. JeanClaude tötete Francois, das war der
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Decksmann. Er glaubte, dieser habe seine Frau umgebracht, um sie - um sie ...“ „Um sie zu verzehren“, vervollständigte Rebecca den Satz. „So groß war der Hunger.“ Ihre Miene war hart geworden. Phyllis klammerte sich wieder an ihr fest. Sie legte ihr beruhigend die Hand über die Schulter. „Aber Juliette war vor Hunger gestorben“, sagte der Seewolf, der die Eintragungen ebenfalls verfolgt hatte. „Und Michelle? Was wurde aus ihr?“ Duvalier schlug die nächste Seite um. „Sie fanden sie in einer Schlucht“, sagte er. „Der Anblick ihrer toten Mutter mußte ihren Geist verwirrt haben - sie hatte den Freitod gesucht. Sie bargen ihren Leichnam und trugen ihn in das Haus hinauf.“ „Und Pierre?“ fragte MacLeod beinah zaghaft. „Über ihn ist hier weiter nichts vermerkt“, erklärte Duvalier. „Der Text wird jetzt wirr, aber ich glaube zu begreifen, was sie mit dem toten Francois taten.“ Er schluckte plötzlich heftig und schien mit aufsteigender Übelkeit zu kämpfen. Hasard sagte: „Wir können es uns ausmalen. Der Hunger von Jean-Claude und Pierre war größer als jedes menschliche Tabu.“ „Aber - aber ich kann mir nicht vorstellen, daß sie das gleiche Schicksal auch der armen Frau und ihrer Tochter angedeihen ließen“, flüsterte MacLeod, der sich selbst darüber bewußt war, wie unbeholfen seine Formulierung war. „Sicher nicht“, sagte Hasard. „Jean-Claude und Pierre entdeckten eines Tages das Höhlenlabyrinth, und hier betteten sie die Leichen auf - für die Ewigkeit. JeanClaude gab die Hütte auf dem Plateau auf und zog sich in die Höhlen zurück, wo er von Gewürm und Insekten lebte. Er scheint jeden töten zu wollen, der den schrecklichen Frieden dieser Insel stört.“ „Er nagelte das Tagebuch im Rauchabzug des Kamins fest“, sagte Timball mit zitternder Stimme. „Er muß zu jenem Zeitpunkt schon total verrückt gewesen sein. Aber was wurde aus Pierre?“
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Duvalier blätterte in dem Tagebuch weiter, zuckte aber nur mit den Schultern. „Kein Hinweis mehr, nur noch unverständliches Zeug, wie zum Beispiel dies: ,Meine große Angebetete schön wie alles auf Erden und auf den schönsten Sternen der Erde, die ich anbete, meine große Frau angebetet von allen Kräften der Sterne schön in der Schönheit, welche die Erde schmücken, du wirst kommen, du eilst auf deinen dreizehn vollen Beinen und auf deinen leeren Beinen herbei.’ „ „Danke“, sagte der Seewolf. „Das genügt.“ Er wandte sich ab und ging weiter, um nicht die Erschütterung zeigen zu müssen, die selbst ihn erfaßt hatte. Der Geruch nahm an Intensität zu. Wenig später sah Hasard im Schein der zuckenden Fackel am Ende des Ganges eine Art Grotte, in der etwas Undefinierbares zu liegen schien. Ein anderer Gang zweigte vor dem Einlaß der Grotte nach rechts ab, so daß es zwei Felsenstollen waren, die auf den merkwürdigen Raum zu verliefen. Hasard senkte die Fackel. Ihr Licht fiel jetzt nicht mehr in den gewölbeähnlichen Raum. Sie waren nur noch etwa zwanzig Schritte davon entfernt. Er wandte sich zu seinen Begleitern um und raunte ihnen zu: „MacLeod, ich möchte nicht, daß deine Töchter uns dort hineinbegleiten. Ich möchte, daß du hier im Gang bei ihnen bleibst. Timball, du hast die Wahl, ob du mit Duvalier und mir gehen willst.“ „Ich bleibe auch lieber hier“, sagte Timball. „Einverstanden.“ Hasard gab Duvalier durch einen Wink zu verstehen, daß er ihm folgen solle. Sie traten in die Grotte, während MacLeod, Rebecca, Phyllis und Timball zehn Schritte vom Einlaß entfernt verharrten. * „Großer Gott im Himmel!“ flüsterte Duvalier entsetzt. Es war, wie Hasard vermutet hatte: Das, was von Juliette und Michele Leclerc übriggeblieben war, lag auf einem
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grotesken, absonderlichen Gebilde aufgebahrt, das man ein Bett oder eine Bahre aus Stein hätte nennen können. Eine Weile standen sie erschüttert vor den Leichen, dann vernahmen sie schlurfende Schritte, die sich der Grotte näherten. „MacLeod!“ flüsterte der Seewolf. „Keinen Laut - und die Waffen bereithalten. Wir löschen jetzt die Fackel.“ „Gut“, erwiderte MacLeod ebenso leise. Hasard brachte die Flamme des Kienspans zum Ersticken und zog sich mit Duvalier zusammen etwas von dem grausigen Fund zurück. Dann brauchten sie nur noch zu warten. Die Schritte rückten näher, verharrten kurz, bewegten sich dann scharrend weiter und waren jetzt in der Grotte. Hasard und der Franzose hielten unwillkürlich den Atem an. -Sie konnten deutlich vernehmen, wie der Unheimliche zu der von ihm errichteten Grabstätte stolperte. Hasard glaubte ihn zu sehen: wie er auf die Knie sank, schluchzende Laute von sich gab und Unverständliches stammelte. Es war das Gebet des geistig Umnachteten an der schaurigen Ruhestätte seiner Frau und seiner Tochter. Plötzlich näherte sich rötliches Licht. Es drang aus der Richtung, aus der auch Leclerc die Grotte betreten haben mußte. Shanes Stimme sagte plötzlich: „Hasard, seid ihr das dort vorn? Gebt euch zu erkennen!“ Auf welchen Umwegen Shanes Gruppe den Gang, der zur Grotte führte, erreicht haben mochte, ließ sich jetzt nicht feststellen. Das Licht wurde so stark, daß es jetzt auch einen Teil des Felsenraumes ausfüllte und die Umrisse der jammervollen Gestalt nachzeichnete, die tatsächlich neben dem Steinsockel kniete und mit dürren Fingern nach der Hand von Juliette Leclerc tastete. Der Wahnsinnige hob den Kopf und gab einen drohenden Laut von sich. „Jean-Claude“, sagte Hasard. „Jean-Claude Leclerc, du brauchst keine Angst zu haben. Wir wollen dir nichts Böses tun. Hab Vertrauen zu uns.“ Er sagte es auf
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französisch, aber die erwartete Wirkung blieb aus. Mit einem klagenden Heulen fuhr Leclerc hoch. Er wankte ein wenig und zog das eine Bein leicht nach, als er auf den Seewolf zulief. Selkirks Schuß vor dem Steinhaus mußte ihn am Oberschenkel gestreift haben. Blind vor Haß hob er die Hände, um sich auf Hasard zu stürzen. Hasard sprang auf ihn zu, ehe Duvalier handeln konnte, wich den zupackenden Händen Leclercs aus und holte mit der Faust zu einem Hieb aus, der den Irren ins Reich der Träume schicken sollte. Doch plötzlich warf sich Leclerc herum und hastete aus der Grotte in den Gang hinaus. Jemand schrie auf - es war Timball. Dann krachte ein Schuß. Jean-Claude Leclerc taumelte, prallte gegen die Wand des Ganges und sank schlaff daran zu Boden. Die Kugel aus Hamilton Forbes’ Muskete hatte ihn mitten in die Brust getroffen, und er hauchte sein erbarmungswürdiges Leben binnen weniger Augenblicke aus. Jetzt aber schrien gellend die Mädchen auf. MacLeod fuhr zu ihnen herum und sah im Schein von Shanes Fackel, wie Timball, von einem Schlag getroffen, zu Boden stürzte. Rebecca wurde von einer Gestalt fortgezerrt, die Jean-Claude Leclerc erschreckend ähnelte. Phyllis versuchte, ihre Schwester festzuhalten. strauchelte jedoch und stürzte neben Timball zu Boden. MacLeod stand da wie vom Donner gerührt. Hasard hetzte aus der Grotte und prallte fast mit Shane zusammen, der an der Spitze der heranstürmenden Gruppe war. Er entriß ihm die Fackel und nahm die Verfolgung auf. Als er neben MacLeod war, schrie er: „Pierre! Pierre Leclerc, bleib stehen! Du rennst in dein Verderben!“ * So war geklärt, wie sich der unheimliche Mörder auf der Flucht vor Forbes,
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Gallagher, Colmody, Selkirk und Feininger oberhalb des Plateaus in das Höhlenlabyrinth hatte zurückziehen können - und wie doch fast gleichzeitig der heimtückische Anschlag auf Berwyn hatte stattfinden können. Jean-Claude Leclerc war es gewesen, der Jackson und Lionello getötet hatte. Pierre hatte unterdessen die „Confidence“ belauert. Er hatte am Felsenpfad in einer kaum sichtbaren engen Spalte gehockt und schon beim Anmarsch des Landtrupps von der Karavelle Gallagher jenen Stoß versetzt, der diesen fast in die Tiefe befördert hätte. Nach Berwyns Tod in der Bucht war er zur Jolle gelaufen und mit ihr zur „Confidence“ hinübergeschwommen, um auch Burnell und Mulligan zu töten. Jetzt schleppte er Rebecca mit sich fort. Er bewegte sich erstaunlich schnell und gewandt. Als er die Höhle verlassen hatte, begann er sofort mit dem Aufstieg am Felsen. Rebecca schien ohnmächtig geworden zu sein, sie regte sich nicht mehr. Pierre wuchtete sich ihren Körper auf die Schulter und trug sie den Hang hinauf, als habe er nur einen Sack voll Daunen zu transportieren. Hasard stieg ihnen nach. Es hatte keinen Zweck, Pierre durch Rufe aufhalten zu wollen -auch er hatte den Verstand verloren, auch er wußte nicht, was er tat. Schießen konnte der Seewolf auch nicht, denn er riskierte, daß der Irre das Mädchen tötete. Pierre hatte sich irgendwo im Labyrinth versteckt, als sie es betreten hatten, und er mußte ihnen nachgeschlichen sein, auf einen günstigen Moment hoffend, in dem er den einen oder anderen von ihnen angreifen konnte. Höher, immer höher führte die Flucht, und Hasard hatte Mühe, nicht den Anschluß zu verlieren. Er sah, wie Pierre immer wieder über die Schulter zurückblickte, und er hoffte nur auf eins: daß er ihn, seinen Verfolger, in der Dunkelheit nicht entdeckte. Dann, endlich, war der Gipfel des hohen, kahlen Felsens erreicht. Hasard duckte sich
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und versuchte, sich anzuschleichen.. Pierre verharrte jetzt, ließ den schlaffen Körper des Mädchens sinken und blickte sich wieder nach allen Seiten um. Überlegte er, was er jetzt tun solle? Hasard schlug einen Bogen auf dem winzigen Plateau, das den Gipfel des Felsens abflachte. Er kroch jetzt auf allen vieren. Pierre Leclerc schien ihn immer noch nicht bemerkt zu haben. Als sie nur noch zwei Yards voneinander entfernt waren, sprang der Seewolf plötzlich auf. Er beförderte sich mit einem Satz über Rebecca hinweg und griff nach den Armen von Pierre. Pierre schrie gellend auf. Hasard versuchte, ihn festzuhalten und bewußtlos zu Boden zu schicken, doch Pierre entwickelte unbändige Kräfte. Er riß sich los, tat zwei stolpernde Schritte zurück und begann plötzlich mit den Armen zu rudern. Dann kippte er nach hinten über, ehe Hasard wieder bei ihm war und ihn festhalten konnte. Pierre stürzte vorn Felsen in die Ankerbucht der „Confidence“ hinunter. Ein langgezogener Schrei war das letzte, was Hasard und die anderen Männer, die inzwischen am Felsen hochkletterten, von ihm vernahmen. Langsam drehte der Seewolf sich Rebecca war wieder bei Besinnung. Sie erhob sich vorsichtig und schien nicht glauben zu können, daß sie noch am Leben war. Dann aber erkannte sie, wer der große Mann war, der aufrecht vor ihr stand. Sie eilte auf ihn zu, schlang ihm die Arme um den Hals und küßte ihn. „Du hast mir das Leben gerettet, Philip Hasard Killigrew“, stammelte sie. „Das werde ich dir nie vergessen, nie!“ Zum selben Zeitpunkt hatten Batuti, Pete Ballie, Gary Andrews und Al Conroy von Süden her den Eingang zum Labyrinth gefunden. Sie trafen mit dem fluchenden Old O’Flynn, mit Blacky, Smoky und Matt Davies zusammen, die sich bis hierher verirrt hatten. „Zum Teufel, was ist eigentlich los?“ fragte Pete Ballie.
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„Das fragst du mich?“ stieß der alte O’Flynn aus. „Das möchte ich auch gern wissen.“ * Berwyns Leiche konnte aus der Bucht geborgen werden, und im Morgengrauen wurden die Toten auf dem großen Plateau der Insel bestattet — auch Jean-Claude Leclerc, seine Frau und seine Tochter. Pierres Leichnam hatten weder die Seewölfe noch die Männer der „Confidence“ gefunden. Er mußte auf den Grund der Felsenbucht gesunken sein und sich dort verfangen haben. Als die Sonne rötlichgelb über der östlichen Kimm stand, errichteten Hasard und Andrew MacLeod auf dem Gipfel des hohen Felsens ein großes Grabkreuz — als Mahnmal für alle Seefahrer, die jemals in diese Breiten geraten mochten. Von hier oben waren jetzt auch die beiden kleineren Inseln im Süden zu erkennen — und die „Isabella“, die friedlich in der Bucht am Südufer ankerte. Sobald sie ihr Werk beendet hatten, wandte MacLeod sich dem Seewolf zu und sagte: „Ich hatte recht, als ich meine Kameraden vor dem Betreten der Insel warnte. Aber ich hätte mich noch energischer gegen ihren Leichtsinn behaupten sollen.“ „Werden sie dich jetzt als ihren Kapitän anerkennen?“ „Ja. Unser Schiff braucht einen Kapitän — und eine Borddisziplin.“ „Das sind die ungeschriebenen Gesetze der Seefahrt“, sagte Hasard. „Keiner wird sie ändern — auch die Männer der nächsten Jahrhunderte nicht.“ „Wir kauften die ,Confidence’ für wenig Geld in Schottland und richteten sie her, bis sie seetüchtig war“, sagte MacLeod. „Wir glaubten an unser Glück, das wir im Südland zu finden hofften, wir hatten himmelstürmende Ideen. Ich hatte die Absicht, der Alten Welt für immer den Rücken zu kehren, weil ich dort meine Frau verloren hatte, und wollte mit meinen Töchtern etwas Neues, nie Dagewesenes aufbauen. Unterwegs stießen Duvalier und
Roy Palmer
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Lionello zu unserer kleinen Gruppe. Wir hielten uns für Weltverbesserer, für Pilgerväter, doch nach allem, was du mir gesagt hast, müssen wir einsehen, daß wir einen tragischen Irrtum begangen haben. Ich selbst habe mich in der Berechnung unserer Position geirrt, und ich habe wohl noch andere Fehler begangen.“ „Der südliche Kontinent mit dem warmen Klima existiert nicht“, erklärte Hasard. „Aber versuche, die Dinge in einem anderen Licht zu sehen. Ihr habt euch ganz einfach nur in der Richtung geirrt. Geht auf neuen Kurs, vielleicht in die Neue Welt hinüber. Mit acht Mann ist die Besatzung für ein Schiff wie die ,Confidence’ zwar
Die Inseln Tristan da Cunhas
sehr knapp, doch ich bin sicher, daß ihr es schafft.“ MacLeod lächelte. „Ja, und der Glaube kann Berge versetzen. Ich bin ein gottesfürchtiger Mann, und auch die anderen werden es bleiben.“ „Laß uns jetzt zu den anderen hinuntersteigen“, sagte Hasard. „Wir wollen das Wasser, das wir gefunden haben, gerecht aufteilen und vergessen, was sich hier in der vergangenen Nacht zugetragen hat.“ Sie schüttelten sich die Hände, und der Seewolf wußte, daß er einen neuen, aufrichtigen Freund gefunden hatte.
ENDE