Atlan - Der Held von Arkon Nr. 201
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Atlan - Der Held von Arkon Nr. 201
Die Höhlen von Magintor Die Goldene Göttin wartet auf Atlan - und Ra, der Barbar, startet ins Abenteuer von Peter Terrid In einer Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht, steht es mit dem Großen Imperium der Arkoniden nicht zum Besten, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die – allen voran Imperator Orbanaschol III. – nur auf ihr eigenes Wohl bedacht sind und das Gemeinwohl völlig außer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von verschworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Gegenwärtig ist Atlan jedoch nicht in der Lage, den Untergrundkampf gegen den Usurpator und Brudermörder Orbanaschol persönlich weiterzuführen. Der Kristallprinz ist bei seinem Besuch von Skrantasquor durch die Einwirkung einer Geheimwaffe der Maahks in ein anderes Raum-Zeitkontinuum gelangt – in den Mikrokosmos. Während Ischtar, die Goldene Göttin, in der Nähe von Skrantasquor wartet und auf eine Chance hofft, Atlan zurückholen zu können, wird Atlans Kampfgefährte Ra ungeduldig. Der Barbar setzt sich ab, startet ins Abenteuer und erreicht DIE HÖHLEN VON MAGINTOR …
Die Höhlen von Magintor
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Die Hautpersonen des Romans: Ischtar - Die Goldene Göttin wartet auf das Wiedererscheinen Atlans. Ra - Der Barbar geht auf Abenteuersuche. Bei Etir Baj - Der Gefangene von Krassigg entgeht der Vernichtung. Thabek - Ein hitzköpfiger junger Con-Treh. Das Ergothal - Eine Bestie, die eine ganze Welt vernichten kann.
1. »Laß mich in Ruhe, Ra!« Die Worte Ischtars klangen sanft und ruhig, aber auch sehr bestimmt. Ra verzog ärgerlich das Gesicht, dann wich er schmollend in den entferntesten Winkel der Zentrale aus. Noch immer umkreiste das Doppelpyramidenschiff der Varganin den Planeten, auf dem die Maahks ihren Stützpunkt aufgebaut hatten. Von Atlan fehlte jedes Lebenszeichen, und so blieb den beiden Menschen an Bord nichts anderes übrig als zu warten. Mit Gleichmut wartete die Varganin auf die Rückkehr des Mannes, den sie liebte, während Ra von Stunde zu Stunde zappliger wurde – er haßte Untätigkeit, sie machte ihn fast körperlich krank. Zudem mußte er sich eingestehen, daß er gar nicht einmal so sehr darauf erpicht war, Atlan wiederzusehen. Wenn es sich um Ischtar handelte, wurde Ra zum kalten Egoisten. Tauchte der Kristallprinz nicht wieder auf, dann war der Weg frei für Ra – so jedenfalls stellte es sich der Barbar vor. Immerhin war er ein wenig vorsichtiger geworden. Klar und deutlich hatte ihn Ischtar bedroht, als er in einem Anfall blindwütiger Eifersucht das Keruhm hatte versagen lassen; der nächste Sabotageversuch, so hatte Ischtar erklärt, würde Ras Tod bedeuten, und es hatte nicht den Anschein gehabt, als hätte die Varganin ihre Worte nicht ernst gemeint. »Ich halte diese Warterei nicht länger aus!« stellte Ra brummig fest. Unruhig ging er in der Zentrale des varganischen Schiffes auf und ab. Ischtar schien ihm nicht zuzuhören. Sie
starrte unverwandt auf den großen Bildschirm, auf dem sich langsam der Ball des Planeten zu drehen schien, auf dem Atlan gelandet war. Daß der Kristallprinz in die Hände der Maahks gefallen war, war ausschließlich Ra zuzuschreiben. Dank der hervorragenden Fernortungsmöglichkeiten der Varganen wußte Ischtar nur zu gut, wo Atlan sich befinden mußte; sie hatte gesehen, wie Atlan geschrumpft und schließlich im Mikrokosmos verschwunden war. Wie Ischtar wußte auch Ra, daß es auch Möglichkeiten gab, dieses geheimnisvolle Kontinuum wieder zu verlassen, aber insgeheim hoffte der Barbar, daß es auf der anderen Seite genügend Gefahren gab, um selbst einen Atlan zur Strecke zu bringen. Obendrein zerrten die großen Maahkschiffe an Ras Nerven. Zwar konnten die Methanatmer gegen die Defensivbewaffnung des varganischen Schiffes nicht viel ausrichten, aber Ra fühlte sich sehr unbehaglich in der Rolle des Belagerten. »Ich werde mir ein bißchen Bewegung verschaffen!« verkündete er schließlich. Er zuckte mit den Schultern, als Ischtars Antwort ausblieb, dann entfernte er sich aus der Zentrale. Die Erfahrungen der jüngsten Zeit hatten ihn gelehrt, daß Ischtar stundenlang die Oberfläche des Maahkplaneten mit der Fernortung abtasten würde, in der Hoffnung, das Wiedererscheinen Atlans beobachten zu können. Einmal mit der Fernortung beschäftigt, war Ischtar kaum ansprechbar; Ra wußte, daß er jetzt einige Stunden Zeit hatte. Der Plan des Barbaren stand fest: Er wollte sich nicht länger aufs Beobachten beschränken, sondern selbst etwas unternehmen. Immerhin verfügte das Doppelpyramidenschiff Ischtars über Beiboote, und Ra
4 war mit der varganischen Technologie hinreichend vertraut, um ein solches Raumfahrzeug auch ohne Ischtars Hilfe steuern zu können. Er wußte auch, wo er an Bord des großen Schiffes die nötige Ausrüstung finden konnte. Ra kümmerte sich nicht um Ischtar, während er Lebensmittel, Waffen und andere Materialien an Bord eines der kleinen Beiboote schleppte. Er wußte, daß sie so in ihre Beobachtungen vertieft sein würde, daß sein Verschwinden stundenlang unbemerkt bleiben würde. Sorgfältig überzeugte sich Ra davon, daß das Beiboot technisch einwandfrei funktionierte, dann erst ließ er die Innenschleuse zufahren. Erst als sich sein Boot vom Mutterschiff löste, erkannte Ra, daß er in seiner Rechnung einen wichtigen Faktor übersehen hatte. Das Doppelpyramidenschiff war eingekreist von schweren Maahkeinheiten, und auf den Bildschirmen und Massetastern würde sich das kleine Beiboot deutlich abzeichnen. »Besser, als hier zu verschimmeln!« knurrte Ra und fletschte die Zähne, als er die gegnerischen Schiffe sah. Er zog den Beschleunigungshebel heran; hinter ihm verstärkte sich das Arbeitsgeräusch des Beiboots, während das Mutterschiff auf den normaloptischen Bildschirmen rasend schnell kleiner wurde und dann nicht mehr mit freiem Auge zu erkennen war. Sofort nahmen die Maahks die Verfolgung auf. Ra grinste nur; er wußte, daß man ihn nicht erwischen konnte. Masse war träge, sie setzte jeder Bewegungsänderung einen Widerstand entgegen. Ras Boot war leicht und klein, seine Kurven und Flugbahnen konnten von den hundertfach größeren Maahkschiffen nicht nachvollzogen werden. Zwar wären die Maschinen der Maahks durchaus in der Lage gewesen, die nötigen Energien zur Überwindung der Massenträgheit zu liefern, aber für derart wahnwitzige Bewegungen, wie Ra sie aus-
Peter Terrid führte, waren ihre Schiffe nicht stabil genug. Bevor die Maahks erkannten, daß sie ihre Beute so gut wie verloren hatten, war das Beiboot schon so weit von ihnen entfernt, daß an einen wirkungsvollen Beschuß nicht mehr zu denken war. Nach kurzer Zeit gaben die Methanatmer die Verfolgungsjagd auf und drehten ab. Ra grinste vergnügt, als er das Manöver auf dem Bildschirm verfolgte, dann machte er sich daran, sich ein Ziel für seinen Ausflug zu suchen. Was er eigentlich wollte, war ihm unbekannt. Nach Kraumon zu fliegen, hatte er keine Lust, und ein Flug nach Arkon wäre ein Selbstmordunternehmen gewesen. Der Barbar konnte nicht viel mehr tun, als sich in der Umgebung umzusehen und dann zu Ischtar zurückzukehren. »Wenn ich wenigstens einen Anhaltspunkt hätte …!« murmelte er. Nur zu gerne hätte er wieder einmal seinen Heimatplaneten aufgesucht, aber ihm fehlte dazu das nötige Wissen. Immerhin konnte er versuchen, eine Welt zu finden, die seiner Heimat entfernt ähnlich war. Vielleicht war es ganz nützlich, eine solche Welt aufzustöbern, überlegte sich Ra. Irgendeine urtümliche Welt mit ebenso urtümlichen Bestien wäre genau nach Ras Geschmack gewesen. Er könnte, überlegte er sich, ein paar dieser Bestien erlegen und ihre Felle, Zähne oder Hörner Ischtar als Trophäen zu Füßen legen. Der Barbar war ein Wesen, das nicht sehr lange depressiv sein konnte, und in bezug auf Ischtar konnte man ihn einen unheilbaren Optimisten nennen. In Gedanken malte er sich bereits aus, wie er Atlan mit seiner Trophäensammlung ausstechen würde. Vielleicht fand sich auch eine Welt, auf der man sich niederlassen konnte – zusammen mit Ischtar natürlich. Während das Beiboot sich immer mehr von seinem Mutterschiff entfernte, gab sich Ra verführerischen Tagträumereien hin. Kurzentschlossen ging er daran, seine Vorstellungen der Wirklichkeit ein wenig
Die Höhlen von Magintor näher zu bringen. Mit Hilfe der Positronik suchte er sich in der näheren Umgebung eine Sonne aus, die den Eindruck machte, als könne sie Planeten aufweisen. Ra programmierte den Kurs und überließ dann den Automaten die Steuerung des Schiffes. Es dauerte nicht lange, bis das kleine Varganenschiff die Sonne erreicht hatte, und Ra stellte zufrieden fest, daß das Gestirn fünf Begleiter aufzuweisen hatte. Fröhlich pfeifend machte er sich daran, die einzelnen Planeten auf ihre Tauglichkeit für seine Zwecke zu untersuchen.
* Bei Etir Baj wartete auf seinen Tod; es war nur noch eine Frage von Sekunden, dann würde die Thermitladung in seinem Körper gezündet werden. Immerhin hatte der Mann die Gewißheit, daß der Mann, der ihm die tödliche Ladung in den Leib hatte einpflanzen lassen, das Ende seines Opfers nicht mehr bewußt erleben würde. Alfert Torpeh, der Kommandant des Asteroiden Krassigg, lag auf dem Bauch, er konnte vor Angst und Schmerzen kein Glied mehr rühren. Sein Kopf war nur drei Handbreit von dem Unterkörper Etir Bajs entfernt. Der geheimnisvolle Arkonide, dem Torpeh in zwölf Jahren beständiger Quälerei sein Geheimnis nicht hatte entreißen können, hatte sich neben dem Kopf des Stationskommandanten auf den Boden gesetzt. In dichten Schwaden wälzte sich der Qualm durch die Halle; Explosionen ließen den Boden erzittern. Auch das Ende des Verbrecherasteroiden Krassigg war abzusehen. »Warte, mein Freund!« hörte Bei Etir Baj eine warme Stimme sagen. »Ich werde dir helfen! Es wird ganz einfach sein!« Etir Baj öffnete die Augen. Über ihm erschien ein schwaches Leuchten an der Decke. Verblüfft sah der Arkonide, wie sich der Körper des Olphers durch den massiven Fels bewegte und sich rasch auf Bei Etir Baj herabsenkte. Immer näher kam der feurige
5 Ball; Etir Baj biß die Zähne zusammen, als er die erste Berührung spürte. Es schmerzte nicht, als sich der Olpher weiter sinken ließ und im Körper Etir Bajs verschwand. »Glück gehabt!« gab der Olpher telepathisch durch. »Es fehlte nicht mehr viel!« Dann spürte Etir Baj, wie sich sein Körper zusammenkrümmte. Irgend etwas wühlte in seinem Körper und schickte Wellen von Schmerz über die Nervenbahnen. Etir Bajs Muskulatur zuckte krampfhaft, und Alfert Torpeh, der mit glasigen Augen auf sein Gegenüber starrte, hatte den Eindruck, als lägen in Etir Bajs Magen zwei Tiere miteinander im Kampf. Langsam kroch der Kommandant von Krassigg zurück, versuchte sich aus der Nähe des vor Schmerzen um sich schlagenden Etir Baj zu bringen. Bei Etir Baj hatte keine Zeit mehr gefunden, sein Nervensystem auf völlige Schmerzunempfindlichkeit umzustellen. In großen Tropfen lief Schweiß über seine Stirn, sein Atem ging pfeifend. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis der Schmerz nachließ und der Olpher sich wieder meldete. »Ich habe die Thermitbombe unschädlich gemacht!« meldete das geheimnisvolle Wesen, das aussah wie ein kleiner, feuriger schimmernder Ball aus reiner Energie. »Allerdings wirst du für den Rest deines Lebens mit zwei faustgroßen Diamanten im Körper auskommen müssen!« »Es gibt Schlimmeres!« meinte der Mann lächelnd. Die Gewißheit, daß er nicht an der heimtückischen Thermitladung würde sterben müssen, gab dem verletzten Mann neue Energie. Von diesem Zeitpunkt an lag es weitestgehend an ihm, ob er die Vernichtung des Asteroiden überlebte oder nicht. Etir Baj warf einen verächtlichen Blick auf Alfert Torpeh. Der Kommandant des Asteroiden stammelte sinnlose Silben und bewegte sich, mühsam kriechend, immer weiter von Etir Baj weg. »Du mußt dich beeilen!« erklärte der Olpher drängend. »Krassigg lebt nicht mehr
6 lange!« Etir Baj sprang auf und griff nach seiner Waffe. Er kümmerte sich nicht mehr um Alfert Torpeh; von ihm drohte keine Gefahr mehr. Im Innern Krassiggs aber versuchten knapp einhundert Menschen in einem rücksichtslosen Kampf jeder gegen jeden, das nackte Leben zu retten. Auf Krassigg waren zwei raumtaugliche Schiffe stationiert, eines war bei der Verfolgung der CERVAX vernichtet worden, aber das andere Schiff mußte noch flugtüchtig sein. Etir Baj rannte los. Er hatte zwölf Jahre Zeit gehabt, sich jeden Winkel der Station einzuprägen. Obwohl das Licht flackerte und immer wieder ausfiel, ließ sich der Mann nicht aufhalten. Er kannte den Weg hinauf zu den Hangars sehr genau. Als die künstliche Schwerkraft ausfiel, brauchte Etir Baj nur Sekunden, bis er sich auf die veränderte Lage eingestellt hatte. Mit nach vorn ausgestreckten Armen flog er durch die Gänge, deren Wände immer größere Risse aufzuweisen hatten. Nur an einer Gabelung legte er eine kurze Pause ein; er nahm einem Toten den Raumanzug ab und streifte ihn sich in größter Eile über. Ein kurzer Blick auf die Kontrollen genügte, um ihm zu zeigen, daß alle Aggregate des Anzugs einwandfrei arbeiteten. Vorsichtshalber ließ Etir Baj schon zu diesem Zeitpunkt die Helmverschlüsse zuschnappen; er konnte nicht abschätzen, wann die Atemluft im Innern Krassiggs schlagartig ins Vakuum entweichen würde. Nicht nur Bei Etir Baj hatte erkannt, daß Krassigg bald zerplatzen würde, auch die anderen Männer in dem Asteroiden wußten nur zu genau, daß sie schnellstens ihr Versteck verlassen mußten. Da sie aber andererseits auch sehr genau wußten, daß für alle kein Platz an Bord des einzigen noch verbliebenen Schiffes war, führten sie ihren verzweifelten Kampf aller gegen alle bereits in den Gängen und Räumen des Asteroiden. Immer wieder stieß Etir Baj auf seinem Weg auf Gruppen von Männern, die sich mit verbissener Wut bekämpften, mit Strahlern und
Peter Terrid Messern, oft genüg mit den bloßen Händen. Überall lagen die Opfer solcher Auseinandersetzungen in den Gängen. »Der gerade Weg wird blockiert sein!« überlegte Etir Baj halblaut. »Ich muß einen Umweg einschlagen!« Jetzt, da sein Leben nicht mehr davon abhing, daß er alle Tage die Batterie neu auflud, die die Detonation der Thermitladung verhinderte, bewegte er sich freier und zielgerichteter. Er konnte sich seinen Weg aussuchen. Etir Baj entschied sich dafür, sich zu einer der Geschützkuppeln durchzuschlagen, mit denen die Oberfläche Krassiggs vor unerwünschtem Besuch geschützt wurde. Nach den Ereignissen der letzten Stunde war anzunehmen, daß die Besatzungen die Geschützstände fluchtartig verlassen hatten. Etir Baj grinste sarkastisch, als er feststellte, daß seine Überlegungen stimmten. Je näher er den Geschützkuppeln kam, desto ruhiger wurde es um ihn herum. Niemand stellte sich ihm in den Weg; die Männer hatten sich offenbar rings um die Hangars zusammengedrängt, um sich dort gegenseitig solange zu dezimieren, bis für jeden Überlebenden Platz an Bord des letzten Schiffes war. Bei Etir Baj erreichte den Geschützstand. Die Impulskanone war stark beschädigt, aber die Panzerkuppel darüber zeigte noch keine Zerfallserscheinungen. Der Mann ließ das schwere Schott hinter sich zufahren, dann öffnete er die Wartungsschleuse, die ins Freie führte. Zwar hätte er durchaus die Möglichkeit gehabt, die innere Schleuse offenzulassen, aber es widersprach seiner Mentalität, die Bewohner Krassiggs auf diese heimtückische Art zu töten, obwohl er sich bewußt war, daß keiner der Männer lange gezögert hätte, wäre er mit dem gleichen Problem konfrontiert gewesen. Etir Baj verwendete seine Waffe als Rückstoßaggregat, um seine Fahrt zu beschleunigen, als er langsam über die zernarbte Oberfläche des Asteroiden glitt. Von den Kämpfen, die im Innern tobten, war hier
Die Höhlen von Magintor nichts wahrzunehmen. Obwohl Etir Baj die Station nie von außen gesehen hatte, wußte er doch sehr genau, wohin er sich zu wenden hatte. Es war eine mühevolle Aufgabe gewesen, aus einigen hundert Einzelinformationen ein Puzzle zusammenzusetzen, mit dem sich etwas anfangen ließ, aber Etir Baj hatte sich immerhin zwölf Jahre lang auf diesen Tag vorbereitet. Er brauchte nur wenige Minuten, dann hatte er sein Ziel erreicht. Es war nicht zu verfehlen. Deutlich war im Licht des Helmscheinwerfers das Loch zu erkennen, daß von der CERVAX bei ihrer Flucht in die Oberfläche Krassiggs geschossen worden war. »Diese Narren!« knurrte Etir Baj verächtlich. Der Hangar war leer. Als die CERVAX gestartet war, mußte die Atemluft schlagartig ins Vakuum entwichen sein, außerdem hatten sich die Schleusen zur restlichen Station automatisch geschlossen. Mit sich selbst und ihrem Verzweiflungskampf beschäftigt, war offenbar noch kein Bewohner Krassiggs dazu gekommen, eine dieser Schleusen zu öffnen. Wahrscheinlich hielten sich die Männer noch in den Vorräumen der Hangars auf und lieferten sich dort einen mörderischen Kampf. Etir Baj stieß sich von der Hangardecke ab und schwebte rasch auf die obere Halbkugel des Schiffes hinab. Die Kugel besaß einen Durchmesser von sechzig Metern und war überlichtschnell, mithin genau das, was Etir Baj brauchte. Der Mann wußte, daß ihm nicht mehr viel Zeit verblieb. So rasch er konnte, arbeitete er sich zur Mannschleuse vor, in der Hoffnung, das Schiff verlassen vorzufinden. Aber ein Rumoren im Innern des Schiffes belehrte ihn, daß sich irgendein lebendes Wesen in dem Schiff aufhalten mußte. Den letzten Beweis für diese Vermutung lieferte die Schleuse, deren Schotte sich schlossen, ohne daß Etir Baj einen Hebel berührt hätte. Wahrscheinlich befand sich jemand in der Zentrale und versuchte nun, das Schiff
7 schnellstens zu starten. Es entsprach der Mentalität der Krassigg-Bewohner, daß es dem Betreffenden offenbar nicht einfiel, den Versuch zu unternehmen, einen Teil seiner Genossen zu retten. »Elender Halunke!« knurrte Etir Baj. Er konnte nicht sehen, was sich im Hangar abspielte, aber aus den Geräuschen folgerte er, daß das Schiff abhob und langsam an Fahrt gewann. Wer auch immer die Steuerung des Schiffes bediente, er überließ seine früheren Kameraden ohne Rücksicht dem Tode, denn es konnte nicht mehr lange dauern, bis der Asteroid zerplatzte. Etir Baj fühlte sich sicher. Er wußte, daß der Unbekannte in der Zentrale genug damit zu tun hatte, das Raumschiff zu steuern. Diese Aufgabe erforderte soviel Konzentration, daß an eine Überwachung des Schiffsinnern nicht zu denken war. Daher unterzog sich Etir Baj gar nicht erst der Mühe, sich langsam an die Zentrale heranzuschleichen, sondern benutzte den kürzesten Weg über den zentralen Antigravschacht. Als er den großen Raum erreichte, erkannte Bei Etir Baj einen Mann, der sich auf den Platz des Piloten gesetzt hatte und vollauf damit beschäftigt war, das Schiff schnellstens von Krassigg wegzubekommen. Der Grund für diese Eile war nicht zu übersehen. Krassigg war explodiert. Von dem Asteroiden war nicht mehr geblieben als eine sich rasch ausbreitende Wolke aus verglühenden Gasen. Die Detonation der Energieanlagen im Innern des Asteroiden hatten das Felsstück in Atome zerfetzt, von den Bewohnern des Verbrecherstützpunkts war mit Sicherheit keiner mehr am Leben. Etir Baj wußte nur zu genau, daß jeder einzelne Krassigger vor normalen Gerichten dutzendmal zum Tode verurteilt worden wäre, dennoch schluckte er heftig, als er die Gaswolke auf dem großen Panoramaschirm sah. Das Schiff war schon zu schnell, um noch von den Ausläufern der Katastrophe erreicht werden zu können. Die vierdimensionalen Folgen des Energieausbruchs hatte das
8 Schiff ohne Mühe überstanden. Etir Baj stand neben dem Eingang des Antigravs und wartete, die Waffe entsichert in der Hand. Mit leiser Genugtuung sah er das Erschrecken in den Augen des Mannes, als dieser sich umdrehte. »Etir Baj!« staunte der Pilot. »Wie zum Teufel kommst du hierher?« Etir Baj verzog das Gesicht zu einem verächtlichen Grinsen; er war ziemlich erleichtert. Denn der Mann, der es als einziger der Krassigg-Bewohner geschafft, das Schiff zu erreichen, war zwar ein Hüne von Gestalt, aber geistig nicht beweglich genug, um Etir Baj ernsthafte Schwierigkeiten bereiten zu können. Etir Baj ließ die Kapuze seines Raumanzugs zurückklappen und lächelte den Mann an. »Ter Mytor!« sagte er halblaut. »Du bist der letzte, den ich hier vermutet hätte!« Mytor starrte nervös auf die entsicherte Waffe in Etir Bajs Hand. Für den Mann war es unbegreiflich, daß Etir Baj immer noch lebte. Er wußte wie jeder andere in Krassigg, daß Etir Bajs Leben davon abhing, daß die kleine Batterie an seiner Hüfte eine Detonation der Thermitbombe verhinderte. Die Stelle, wo die Batterie sitzen mußte, war vom Anzug verdeckt, aber das Objekt hätte sich unter dem flexiblen Gewebe deutlich abzeichnen müssen. »Komm mir nicht näher!« warnte Mytor hastig, als Etir Baj einen Schritt auf ihn zu machte. »Du weißt, daß ich mit der Ladung in deinem Bauch nichts zu tun habe. Willst du mich aus Rache töten?« »Du brauchst um dein Leben nicht zu jammern!« gab Etir Baj kalt zurück. »Ich habe die Ladung unschädlich gemacht! Wohin wolltest du das Schiff steuern?« »Nach Arkon natürlich!« meinte Mytor. »Leg doch endlich die Waffe weg! Du siehst doch, daß ich unbewaffnet bin!« Etir Baj überlegte kurz. Er suchte in seinen Erinnerungen, dann wußte er, wohin sich Ter Mytor wenden wollte. Etir Baj hatte genügend Gesprächsfetzen aufgeschnappt, um zu wissen, wer die Hintermänner waren,
Peter Terrid die den aufwendigen Stützpunkt Krassigg unterhalten und aufgebaut hatten. Er verzichtete darauf, sein Gegenüber mit diesen Kenntnissen zu verblüffen. »Du hast recht!« sagte er freundlich. »Wir sind aufeinander angewiesen!« Langsam streifte er den Raumanzug ab. Die Wunde an seiner Hüfte brannte höllisch und blutete stark. Dort hatte die Batterie gesessen, bis Alfert Torpeh sie zerschossen hatte. Der Blutverlust ließ Etir Baj leicht schwanken. »Ich helfe dir!« sagte Mytor hastig und sprang auf. Er kam gerade noch rechtzeitig, um Etir Baj aufzufangen. Langsam ließ Mytor den Körper des Bewußtlosen auf den Boden gleiten, dann verzog sich sein Gesicht. Ter Mytor grinste boshaft. »Warte, Etir Baj!« murmelte der Mann. »Vielleicht gelingt mir das, was Torpeh zwölf Jahre lang nicht geschafft hat. Ich werde herausbekommen, woher du stammst und wie das Geheimnis beschaffen ist, das du so beharrlich für dich behalten hast!«
* Als Etir Baj erwachte, griff er unwillkürlich nach der Hüftwunde. Er seufzte erleichtert, als er den dicken Verband spürte. Ter Mytor hatte die Wunde mit einem Plasmakonzentrat besprüht, das eine rasche Heilung garantierte. Ein Blick auf die Uhr zeigte dem Mann, daß er mehr als vierundzwanzig Stunden lang ohne Bewußtsein gewesen war – Zeit genug für den durchtrainierten Körper, den großen Blutverlust wenigstens teilweise wieder ausgleichen zu können. Als Etir Baj hochsah, mußte er erkennen, daß der Verband keineswegs auf Mytors Mitleid zurückzuführen war. Etir Baj starrte in die Mündung seiner eigenen Waffe, die Mytor auf seinen Kopf gerichtet hielt. »Was soll der Unfug?« fragte der geheimnisvolle Mann mit den dunklen Haaren und den blauen Augen. »Warum bedrohst du mich!« »Ich glaube nicht, daß du freiwillig mit-
Die Höhlen von Magintor kommen wirst, wenn ich dir sage, daß der Flug nach Arkon geht!« vermutete Mytor grinsend. »Alfert Torpeh war ein Stümper, wenn es darum ging, Leute zu verhören. Ich kenne ein paar Männer, die sich auf solche Aufgaben spezialisiert haben – die werden dich schon zum Sprechen bringen!« »Kaum anzunehmen!« meinte Etir Baj und stand langsam auf. »Außerdem habe ich nichts zu verbergen! Das Geheimnis, hinter dem Torpeh jahrelang hergejagt ist, besteht nur in eurer Phantasie!« »Dann beantworte mir noch ein paar Fragen!« höhnte Mytor. Etir Baj stellte zufrieden fest, daß sein Trick zog; sein Gegenüber wurde sichtlich unruhig bei dem Gedanken, daß Etir Baj jetzt endlich auspacken würde. »Woher kommst du eigentlich? Zu welchem Volk gehörst du?« »Ich bin Arkonide!« stellte Etir Baj fest; er lächelte verhalten. Er sagte die Wahrheit, aber niemand würde sie ihm glauben. Die ganze Wahrheit allerdings würde Etir Baj unter keinen Umständen enthüllen. »Du willst mich wohl veralbern, wie?« knurrte Mytor gereizt. Er gehörte zu der Sorte Menschen, die nichts weniger vertragen können als das Gefühl, nicht jederzeit ernst genommen zu werden. Er trat auf Etir Baj zu, einen Schritt nur, aber diese Bewegung reichte. Etir Bajs Fuß schnellte in die Höhe und traf auf die Waffenhand Mytors. Der Mann schrie auf, aber ließ die Waffe nicht fallen. Ein Schuß löste sich und krachte in ein Istrumentenpult. Klirrend barst ein kleiner Bildschirm und fiel in sich zusammen, gleichzeitig heulte eine Sirene auf. »Verdammt!« schrie Mytor auf. Der Klang der Sirene bedeutete, daß ein Instrument ausgefallen oder beschädigt sein mußte, ohne das dieses Schiff nicht einwandfrei zu beherrschen war. Etir Baj nutzte den winzigen Augenblick aus, in dem Mytor unaufmerksam war und griff an. Ein wilder Zweikampf entspann sich. Mytor verlor die Waffe, die geräuschvoll über den stählernen Boden schrammte; dafür gelang es ihm, Etir Baj einen gutgezielten Hieb zu versetzen,
9 der genau auf die kaum verheilte Hüftwunde traf. Zu Mytors Erstaunen verzog Etir Baj keinen Muskel, er schien den fürchterlichen Schmerz überhaupt nicht zu spüren. Jetzt wußte Ter Mytor, daß er gegen seinen Widersacher keine Siegeschance hatte. Er kämpfte mit dem Mut der Verzweiflung, von dem Gedanken ausgehend, daß Etir Baj – wie es für Mytor selbstverständlich gewesen wäre – seinen unterlegenen Gegner kaltblütig töten würde. Es gelang dem Mann, sich Etir Bajs Griff zu entziehen. Hastig sprang Mytor auf die Füße. Obwohl der Versuch völlig sinnlos war, wollte er sich wieder in den Besitz seiner Waffe setzen; Mytor machte einen Satz und versuchte, über Etir Baj hinwegzuspringen. Der geheimnisvolle Arkonide riß den Fuß hoch und traf Mytor im Sprung. Ter Mytor landete auf dem linken Bein, verlor das Gleichgewicht und ruderte mit den Armen, um nicht zu stürzen. Während er sich drehte, verlor er gänzlich den Halt und fiel rücklings in das Instrumentenpult, das sein Schuß zerstört hatte. Im Bruchteil einer Sekunde raste der Hochspannungsstrom durch seinen Körper.
* Etir Baj knirschte mit den Zähnen. Er hatte sich die Zeit genommen, das, was von Ter Mytor geblieben war, in den freien Raum zu stoßen. Während dieser Zeit hatte er in Gedanken nach einer Möglichkeit gesucht, den Ausfall des zerstörten Instruments wieder wettzumachen. Er hatte keinen Ausweg gefunden, und ohne das Instrument, das dazu diente, die Abstrahlwerte der Einzeltriebwerke zu synchronisieren, war an einen Weiterflug nicht zu denken. Beim Erreichen des Transitionspunkts mußten Schub, Geschwindigkeit und Standort des Schiffes bis auf etliche Dezimalstellen hinter dem Komma präzise bestimmbar sein, sonst war der Sprung nahezu sinnlos. Ohne diese Daten war der Punkt der Rematerialisation nicht zu bestimmen.
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Peter Terrid
Immerhin war es Etir Baj gelungen, eine halbwegs präzise Bestimmung seines galaktischen Standorts zuwege zu bringen. Nach seinen Berechnungen war er ziemlich weit von arkonidischem Herrschaftsgebiet entfernt, weit genug jedenfalls, um seinen Freunden Zeit genug zu geben, ihn zu suchen, bevor die Arkoniden ihn fanden. Denn mit der arkonidischen Flotte wollte Bei Etir Baj wenn möglich nichts zu tun haben. Unruhig ging der hochgewachsene Mann in der Zentrale des kleinen Raumschiffes auf und ab. Er war sich durchaus darüber klar, welches Risiko er einging, sowohl für sich, als auch für seine Freunde und Gefährten. Bei Etir Baj hatte abzuwägen: seinem Wunsch nach Rettung stand das starke Sicherheitsinteresse seiner Art entgegen. Als Etir Baj schließlich das Funkgerät einschaltete, hatte er den Entschluß gefaßt, für den Fall, daß als erstes Arkoniden auf der Szene erscheinen sollten, das Schiff zu sprengen. Vorsichtshalber faßte er auch den Text so ab, daß seine Freunde sehr schnell erkennen konnten, wer da um Hilfe funkte. Nach Schätzungen des Mannes würden mindestens vier, bis fünf Stunden vergehen, bevor man ihn finden konnte, Zeit genug also, das Schiff zur Sprengung vorzubereiten.
* Ra spürte, wie sein Herz schneller schlug, als er die Zeichen auf der schmalen Karte studierte. Die Funküberwachung hatte den Spruch aufgefangen und auf dem Plastikstreifen festgehalten. »Er funkt nicht auf der normalen Notrufwelle!« stellte Ra sachkundig fest. »Auf Hilfe von staatlichen Organisationen legt er mithin keinen Wert!« Ra konnte nicht wissen, wer den merkwürdigen Hilferuf abgesetzt hatte, aber er war sich ziemlich sicher, daß dieser Jemand gute Gründe hatte, nicht von Flotteneinheiten aufgestöbert zu werden. Solche Menschen konnten vielleicht nützlich sein; Gegner Orbanaschols waren auf Kraumon im-
mer willkommen, vorausgesetzt, sie handelten aus Gewissensgründen gesetzwidrig. An kriminellen Gestalten lag Atlan wenig. »Egal!« stellte Ra fest. »Ob kriminell oder Widerständler – ich werde mir den Burschen einmal ansehen! Vielleicht gibt es ein Abenteuer!« Dank der hervorragenden Technik der Varganen dauerte es nicht lange, bis Ra sein Schiff auf das neue Ziel eingestellt hatte.
* Bei Etir Baj würgte einen Fluch hinunter, als er die Anzeige des Strukturtasters hörte. In seiner unmittelbaren Umgebung war ein Schiff aus dem Hyperraum gefallen und materialisiert. Ob Zufall oder nicht, Etir Baj sah sich in die Enge getrieben. Noch war sein Schiff nicht zur Selbstzerstörung vorbereitet. Hastig machte Etir Baj die Sprengladung neben dem Hauptreaktor scharf, dann rannte er auf dem kürzesten Weg in die Zentrale. Der Anblick des Fremden versetzte ihm den nächsten Schock. Niemals zuvor hatte Etir Baj ein solches Schiff gesehen. Obwohl die fremde Einheit nicht mehr sein konnte als ein Beiboot, wußte Etir Baj, daß er einem Fremden gegenüberstand. In den Unterlagen seines Volkes und in seinem glänzenden Gedächtnis war nicht eine einzige raumfahrende Rasse enthalten, die solche Konstruktionen baute. »Bitte melden!« tönte es aus dem Lautsprecher. Der Pilot des kleinen Doppelpyramidenschiffs sprach ein einwandfreies Arkonidisch, ein Umstand, der Etir Baj besonderes Mißtrauen weckte. Die Erbauer des Beiboots mußten schon ziemlich intensiven Kontakt mit Arkoniden gehabt haben, ohne daß Etir Baj je etwas davon gehört hatte. Er konnte sich auch nicht erinnern, daß je auf Krassigg von solchen Konstruktionen gesprochen worden wäre, und die Verbrecher hatten über einen bemerkenswert gutinformierten Nachrichtendienst verfügt. »Sie haben um Hilfe gerufen!« stellte der Fremde fest. »Was kann ich für Sie tun?«
Die Höhlen von Magintor »Ich!« murmelte Etir Baj. »Also nur einer!« Um eine Neukonstruktion der Maahks konnte es sich nicht handeln, dafür verriet die Stimme des Sprechers zuviel Emotion. Etir Baj griff nach dem Mikrophon; er bediente sich des Normalfunks, als er sagte: »Vielen Dank, daß Sie meinen Hilferuf so schnell beantwortet haben. Mein Reaktor läuft langsam heiß, und ich habe kein überlichtschnelles Beiboot zur Verfügung. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich an Bord Ihres Schiffes ließen. Was ist das übrigens für eine Konstruktion? Ich habe dergleichen nie zuvor gesehen!« »Das glaube ich gern!« antwortete sein Gesprächspartner, der Stimme nach zu urteilen ein Mann. »Schiffsbauten dieser Art sind selten in der Galaxis. Wohin soll ich Sie bringen? Nach Arkon?« »Nur das nicht!« entfuhr es Etir Baj; er knirschte hörbar mit den Zähnen, als er begriff, daß er sich eine Blöße gegeben hatte. »Sieh an!« bekam er zu hören. »Ein Gesinnungsgenosse!« Etir Baj zog die Brauen in die Höhe; er begann sich Gedanken über seinen merkwürdigen Retter zu machen. »Gesinnungsgenosse?« wiederholte Etir Baj skeptisch. »Was für eine Gesinnung haben Sie denn? Wer sind Sie überhaupt?« »Wer ich bin, tut nichts zur Sache!« antwortete die Stimme. »Aber, falls es Sie interessiert – ich bin ein persönlicher Freund des künftigen Imperators von Arkon!« Etir Baj begann zu grinsen. Offenbar hatte er es mit einem größenwahnsinnigen Narren zu tun. Damit war auch die bizarre Form des Schiffes erklärt – reiche Arkoniden ließen sich häufig absonderliche Schiffe bauen. »Und wie wird er heißen, der neue Imperator?« fragte Etir Baj beiläufig, während er die Schaltung für die Sprengung beendigte. »Gonozal VIII.« lautete die Antwort. Etir Baj fuhr ruckartig in die Höhe; er ließ das Mikrophon los, so daß der andere das Stöhnen nicht hören konnte, das über seine Lippen kam. Etir Bajs Gesicht war verzerrt,
11 seine Hände zu Fäusten geballt. Wer auch immer der Pilot des Doppelpyramidenschiffes war, er hatte sich mit diesen Worten das Todesurteil gesprochen.
2. »Ich lasse die Schleuse auffahren!« verkündete Ra. Auf dem Bildschirm vor ihm konnte er sehen, wie sich eine Öffnung in der Außenwandung der Kugel bildete, die in geringem Abstand neben Ras Schiff im Raum schwebte. Dann löste sich eine Gestalt aus dem erhellten Bereich der Schleuse und schwebte langsam zu Ra hinüber. »Ich habe Ihre Schleuse erreicht!« verkündete der Mann im Raumanzug. Ra nahm die wenigen Schaltungen vor, die die beiden Schotts zufahren ließen und den Raum der Kammer wieder mit Atemluft füllten. »Ich habe eine Bitte!« erklärte der Gerettete. Den Geräuschen nach zu schließen, war er bereits damit beschäftigt, den Raumanzug wieder abzulegen. »Nehmen Sie Fahrt auf und vernichten Sie mein Schiff. Es darf nicht gefunden werden!« »Wird gemacht!« versprach Ra. Er hatte herausgefunden, daß der Hilferuf von einem Agenten einer arkonidischen Untergrundorganisation stammte, die angeblich über weitreichende Möglichkeiten verfügte und mehrere tausend Mitglieder hatte, darunter führende Personen am Hofe Orbanaschols. In Gedanken klopfte sich Ra selbst auf die Schulter. Er würde der Held des Tages sein, wenn er einen so wertvollen Verbündeten auf Kraumon vorstellte. Der Wunsch des Agenten ließ sich leicht erfüllen; nach wenigen Salven war von seinem Schiff nicht mehr übrig als eine rasch expandierende Wolke aus glühendem Gas. Die Explosion des Hauptreaktors setzte allerdings soviel Energie frei, daß man diesen Ausbruch über Hunderte von Lichtjahren hinweg würde orten können. Es galt also schnellstens zu verschwinden, wenn Ra ein
12 Gefecht mit Einheiten der Arkonflotte vermeiden wollte. »Ich bin Ihnen sehr dankbar!« erklärte Bei Etir Baj freundlich, als er das Cockpit des Varganenschiffs betrat. Er hatte die Hand ausgestreckt, und Ra drehte sich schnell zu ihm herum. Auf beiden Gesichtern spiegelte sich die Überraschung. Ra konnte sich nicht erinnern, jemals von dunkelhaarigen Arkoniden mit blauen Augen gehört zu haben, und wenn es so etwas tatsächlich geben sollte, müßte es ausgeschlossen sein, daß ein so auffälliger Mann eine wesentliche Rolle in einer Untergrundorganisation spielen konnte. Zudem bewiesen die Narben am Kopf, unverkennbar Nachwirkungen rücksichtslos geführter Psychoverhöre, daß der Mann seinen Feinden schon einmal in die Hände gefallen war. Ra hatte gehofft, einen wertvollen Verbündeten gefunden zu haben; jetzt war er sichtlich enttäuscht. Etir Baj war nicht minder verblüfft; auch er hatte damit gerechnet, einen typischen Arkoniden vorzufinden, nach Möglichkeit einen steinreichen, leicht verkalkten älteren Herrn, den zu übertölpeln für ihn ein Kinderspiel sein würde. Jetzt sah Etir Baj vor sich einen stämmigen Mann mit kräftig ausgebildeter Muskulatur, geistig hellwach und obendrein mit zwei Waffen am Gürtel versehen. Von was für einem urtümlichen Planeten der Barbar stammen mochte, interessierte Etir Baj nicht; er erkannte nur, daß er höllisch aufpassen mußte, wenn er diesen Mann überwältigen wollte. »Ich hatte Sie mir etwas anders vorgestellt!« erklärte Ra mit der für ihn typischen Offenheit. »Sie sehen etwas befremdlich aus für einen Arkoniden!« Etir Baj schüttelte die Hand, die ihm der Barbar entgegenstreckte, und grinste. Es war dieses Lächeln, das Ras Mißtrauen in Sekundenbruchteilen zusammenbrechen ließ. »Alles nur Maske!« erklärte Etir Baj heiter. »Ich hatte einen Einsatz auf Zaoviat durchzuführen. Kennen Sie diese Welt?«
Peter Terrid »Nie davon gehört!« antwortete Ra, und nannte seinen Namen. Er setzte sich auf den Platz des Kopiloten und drehte den schweren Sessel so, daß er Ra ins Gesicht sehen konnte. »Mit ein paar Chemikalien sehe ich nach kurzer Zeit wieder ganz normal aus!« Ra deutete auf die Narben an Etir Bajs Kopf. »Echt?« wollte er wissen. »Auch gefälscht!« gab Etir Baj zurück. »Wohin fliegen wir eigentlich?« Ra zuckte mit den Schultern und erklärte: »Irgendwohin! Ich habe nur zugesehen, daß wir schnellstens von dem explodierten Schiff wegkamen. Haben Sie ein bestimmtes Ziel?« »Einstweilen nicht!« log Etir Baj. »Ich möchte mich zunächst gern ausruhen, etwas essen und ein Bad nehmen!« »Kommen Sie mit!« bat Ra und zeigte Etir Baj die Räumlichkeiten.
* Etir Baj hatte die Stiefel ausgezogen und bewegte sich nahezu geräuschlos. Fünf Stunden waren vergangen, seit Ra ihn an Bord genommen hatte. Nach dem Essen hatte sich Etir Baj niedergelegt und so naturgetreu geschnarcht, daß Ra darauf hereingefallen war. Nach Etir Bajs Berechnungen mußte der Barbar irgendwo im Schiff sein – und ebenfalls schlafen. Der Mann grinste leicht, als er die Zentrale erreichte und dort Ra vorfand. Der Barbar hatte es sich im Pilotensessel bequem gemacht und schlief, ein Zeichen dafür, daß er Etir Baj traute. Trotz der hervorragenden Reflexe des Barbaren brauchte Ra zuviel Zeit, um zu begreifen, was geschehen war. Zwar hatte er die ruckartige Bewegung gespürt, aber ehe er reagieren konnte, hatte Etir Baj ihm bereits die Waffen aus den Halftern gezogen und hielt sie ihm jetzt entgegen. »Was soll das?« fragte Ra unwillig. »Bist du verrückt geworden?« »Keineswegs!« wehrte Etir Baj ab. »Setz dich wieder!«
Die Höhlen von Magintor Ra bleckte die Zähne und ließ sich wieder auf den Pilotensitz zurücksinken. Er begriff, daß er in einer Falle saß, aber er hatte nicht die leiseste Ahnung, warum ihm sein Gegenüber die Errettung so schnöde vergalt. »Und jetzt?« fragte Ra spöttisch. Er schlug die Beine übereinander und grinste Etir Baj an. »Kannst du mit diesem Boot umgehen?« »Ich nicht!« versetzte Etir Baj gleichmütig. »Aber du, und du wirst jetzt den Kurs programmieren, den ich dir vorschreibe!« »Fällt mir überhaupt nicht ein!« begehrte Ra auf. Knapp eine Handbreit neben ihm schlug der nadelfeine Strahl in den Pilotensessel ein. Ra sprang hastig auf, während Etir Baj mit dem Lauf der Waffe seiner Bewegung folgte. Ra verstand: Etir Baj würde sofort schießen, wenn er sich seinen Wünschen widersetzte. Was Ra besonders irritierte, war der unverhohlene Haß, der aus Etir Bajs Zügen sprach. Ein Haß, von dem Ra nicht wußte, was ihm zugrunde lag, der aber bereits alt sein mußte und sich dementsprechend gestaut hatte. Ra spürte, daß Etir Baj völlig ruhig und beherrscht war; dieser Haß wurde nicht vom Feuer der Wut genährt, sondern brannte mit steter, kalter Flamme. Entsprechend schwierig war er zu löschen. Ra bedachte seinen Gegner mit ein paar gemurmelten Schimpfworten, die er allerdings vorsichtshalber einer Sprache entnahm, die Etir Baj nicht verstehen konnte. Daß der Tonfall den Inhalt seiner Rede unüberhörbar machte, entging ihm dabei. Etir Baj ließ sich davon, nicht beirren. Ruhig und gelassen erteilte er seine Befehle, und Ra mußte ergrimmt feststellen, daß der Mann ihn keine Sekunde lang aus den Augen ließ. Etir Baj war auf der Hut, und es würde höllisch schwer für Ra werden, wieder das Heft in die Hand zu bekommen. »Wohin soll die Reise gehen?« fragte Ra sarkastisch. »Oder muß das geheim bleiben?« Etir Baj würdigte ihn keiner Antwort. Der
13 Mann stand hinter ihm, hatte die Mündung seiner Waffe auf Ras Nacken gerichtet, und Ra konnte in einem spiegelnden Stück Metall sehen, daß Etir Baj lächelte. Es war jenes freundliche, unverbindliche Lächeln, mit dem Etir Baj die Besatzung von Krassigg jahrelang gefoppt hatte. Er hatte wieder jene durch nichts zu erschütternde Ruhe wiedergefunden, mit der er seine Feinde zu täuschen und einzulullen pflegte. Ra seufzte und programmierte den befohlenen Kurs. Den Versuch, Etir Baj zu täuschen, unternahm er gar nicht erst. Die schweigende Drohung genügte völlig, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Etir Baj kannte die psychologische Wirkung dieses Schweigens, und er nutzte sie kaltblütig für seine Zwecke aus. Ra mußte unwillkürlich an Magantilliken denken, den Henker der Varganen, der ebenfalls ein unerschütterliches Selbstvertrauen zur Schau getragen hatte. Auch der Vargane hatte nicht viel gesprochen, und in den Zeiten, in denen er hartnäckig schwieg, war er Ra besonders gefährlich erschienen. »Verfluchte Varganentechnik!« knurrte Ra. Es wäre ihm lieber gewesen, er hätte in einem anderen Schiff gesessen. Dann wäre mehr Zeit verstrichen bis zum Erreichen des Zieles. Zeit, die Ra bitter nötig brauchte, wenn er etwas gegen Etir Baj unternehmen wollte. Ihm war klar, daß am Ziel dieser Reise ein Stützpunkt stand, wo Etir Baj Hilfe und Unterstützung erwarten konnte, wahrscheinlich auch Freunde, und je mehr Personen sich mit Ras Bewachung beschäftigten, desto geringer wurden die Aussichten des Barbaren, seiner Gefangenschaft ein Ende zu setzen. Etir Baj ging auf Ras Knurren nicht ein, obwohl Ra gehofft hatte, daß ihn das Stichwort Varganen zu Fragen reizen würde. Auch als er sich herumdrehte und Etir Baj die Zunge herausstreckte, zeigte der Mann keinerlei Reaktion. Mit leicht gespreizten Beinen stand er fest und sicher auf dem stäh-
14 lernen Boden des Cockpits und hielt lächelnd die Waffe auf Ra gerichtet. »Der Gott des lautlosen Todes!« spottete Ra. »Oder vielleicht besser der lautlose Gott?« Ra trommelte mit den Fingern auf der Lehne des Sessels. Er war nicht sehr geschwätzig, aber dieses Schweigen zerrte stark an seinen Nerven. Das einzige Zeichen, das bewies, daß Etir Baj überhaupt noch lebte, war das Zittern der Spitze des Strahlers. Ra sah schärfer hin und zählte mit. Er kombinierte kurz, daß die Zahl dieser winzigen Bewegung identisch mit dem Puls des Bewaffneten sein mußte, und wenn Etir Baj tatsächlich mit Arkoniden biologisch verwandt war, dann schien ihn diese Situation überhaupt nicht aufzuregen. Etir Bajs Herz schlug so langsam und gleichmäßig, als ginge ihn die Sache nichts an. Endlich kam Bewegung in die Gestalt Etir Bajs. Er trat ein paar Schritte zurück und aktivierte den Interkom. Wenig später war das vorprogrammierte Reiseziel erreicht. Auf den Bildschirmen erkannte Ra einen durchaus gewöhnlichen Sauerstoffplaneten, mehrere Kontinente, ausgedehnte Meere – eine Welt, wie sie in der Galaxis hunderttausendfach vorkamen und von ihren Bewohnern oft für einzigartig gehalten wurden. Ra hatte gehofft, jetzt etwas mehr über Etir Baj zu erfahren, aber er wurde wieder enttäuscht. Der Mann verwendete ein akzentfreies Arkonidisch, als er in das Mikrophon sagte: »Keine unnötige Aufregung, Freunde! Hier spricht Bei Etir Baj. Kodewort El Mafus! Ich werde mit einem erbeuteten Schiff landen. Es sieht etwas merkwürdig aus, aber es besteht keine Gefahr!« »Wenn du nicht ganz langsam landest, Bei Etir Baj«, lautete die Antwort, »werden wir dich abschießen! Du bist bei uns längst als tot gemeldet!« Etir Baj grinste kurz das Mikrophon an; sobald er sich wieder Ra zuwandte, verhärteten sich sein Züge. Der Wink mit der Waffe war klar und unmißverständlich; Ra
Peter Terrid seufzte leise und steuerte dann das varganische Beiboot langsam auf den Planeten hinab. »Ischtar wird mich vierteilen, wenn sie erfährt, daß ich ihr Beiboot verloren habe!« murmelte er düster. Für einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, in der letzten Minute das Boot so schnell sinken zu lassen, daß die Bewohner des Planeten sofort schießen würden. Er war sich über die Konsequenzen seiner Lage im klaren – die varganische Technik war allem überlegen, was Ra bisher kennengelernt hatte. Konnte er es verantworten, die technologische Delikatesse, die sein Beiboot zweifelsohne darstellte, in die Hände Etir Bajs und seiner Freunde fallen zu lassen? Ra kam zu dem Ergebnis, daß der Wert seiner Person zweifellos höher einzuschätzen war als der des Beiboots. Daher verzichtete er darauf, mit einem gewollten Manöver seine und des Bootes Vernichtung heraufzubeschwören. Er wußte nicht, daß Bei Etir Baj, der psychologisch hervorragend geschult war, aus den wenigen Bewegungen und Veränderungen im Mienenspiel ziemlich genau hatte ablesen können, welche Gedanken Ra durch den Kopf geschossen waren. Das Lächeln des Mannes wurde etwas breiter. »Langsamer!« bestimmte Etir Baj knapp. Ra ließ das Beiboot ein wenig tiefer sinken. Deutlich war die Landschaft unter dem Boot zu erkennen. Ra sah eine gewaltige Gebirgskette, mehrere tausend Kilometer lang. Aus dem Gewirr kleinerer und größerer Flüsse bildeten sich zwei gigantische Ströme, die nach Südosten flossen, sich zu einem gewaltigen Binnenmeer verbreiterten, das schließlich in einen Ozean abfloß. Als Ra die glitzernde Wasserfläche sah, wünschte er sich impulsiv, jetzt dort sein zu können, am Strande liegen zu dürfen, zu fischen, zu jagen … »Das Steuer mehr nach rechts!« kommandierte Etir Baj und riß Ra so aus seinen Tagträumen. Das Ziel der Reise kam langsam in Sicht,
Die Höhlen von Magintor als Ra die Geschwindigkeit immer mehr verringerte und der Abstand zwischen dem Boot und der Oberfläche des Planten auf wenige Kilometer zusammenschmolz. Nach Etir Bajs Kommandos steuerte Ra ein weitgeschwungenes Tal an, das aus dieser geringen Höhe deutliche Spuren von Bearbeitung aufwies. Allerdings hatte Ra etliche Mühe, bis er den Sinn der Bilder erkannte, die ihm die Ortung lieferte. Zu seinem Erstaunen waren die Drähte und Pfosten der Pferche, in denen Vieh weidete, so geschickt bemalt wurden, daß sie mit bloßem Auge nicht vom natürlichen Hintergrund zu unterscheiden waren. Auch die Anordnung der einzelnen Koppeln war so bizarr und verworren, daß der Eingriff denkender Wesen kaum zu erkennen war. Ra begriff, daß die Bewohner dieses Planeten sich alle erdenkliche Mühe gaben, die Tatsache, daß diese Welt bewohnt war, vor jedem zufälligen Besucher zu verbergen. Eine Felswand stellte sich dem, Boot in den Weg; Ra zog den Steuerknüppel in die Höhe und überflog das Hindernis. Dahinter öffnete sich ein Talkessel. An den von der Erosion zernagten Resten eines Ringwalls erkannte Ra, daß dieses annähernd ovale Loch im Gebirge vom Einschlag eines Meteors stammen mußte. Wahrscheinlich hatte es sich um einen Brocken gehandelt, der von irgendeinem zerplatzten Planten stammte, der vielleicht Jahrmillionen durch das All getrieben war, bis er hier zur Ruhe gekommen war. Auch das Innere des Kessels wies Zeichen von Bearbeitung auf, wohlbestellte Felder und Äcker, dazwischen wieder Nutztiere, so zwischen die einzelnen Felder verteilt, daß der Eindruck einer geordneten Acker- und Viehwirtschaft wieder verwischt wurde. Ra fühlte sich zusehends unbehaglicher. Der eisigkalte, schweigende Mann in seinem Nacken, die fast gespenstisch anmutende Besorgtheit der Planetenbewohner vor Entdeckung – Ra spürte, daß man ihm nicht erlauben würde, dieses Geheimnis weiterzutragen. Und wie das sicherste Mittel aussah,
15 einen Verrat zu verhindern, wußte er nur zu gut. Behutsam setzte Ra das Beiboot auf einem freien Flecken inmitten des Kessels ab. »Zufrieden?« erkundigte er sich Bei Etir Baj, doch der antwortete nicht. Er schien Ra völlig vergessen zu haben und starrte auf das Bild der Landschaft. Langsam schien sein Blick jeden Fels abzutasten, jede Einzelheit in sich aufsaugen zu wollen. Ra spürte, daß er jetzt eine reelle Chance hatte, Etir Baj anzugreifen. Ra überließ Etir Baj seinen Gedanken und studierte die Landschaft ringsum. Schmale Pforten öffneten sich in den Felswänden, auch sie hervorragend getarnt. Menschen erschienen in den Öffnungen und kamen langsam näher. Sie waren unbewaffnet, von zwei oder drei Männern abgesehen, aber Ra hatte das sichere Gefühl, daß hinter den täuschend echten Felsen auch ein paar großkalibrige Geschütze steckten, die sein kleines Beiboot mit einer Salve in Atome zerlegen konnten. Interessiert stellte Ra fest, daß die meisten dieser Menschen Etir Baj verblüffend ähnlich sahen – fast alle hatten langes, dunkles Haar; von Albinoaugen, wie sie für Arkoniden typisch waren, konnte Ra nichts sehen. Die Haarfarben schwankten zwischen schwarz – diese Farbe überwog – und dunkelblond; das charakteristische Weiß der Arkoniden tauchte nicht auf. Doch Ra hatte inzwischen von Etir Baj erfahren, daß er sich als Arkonide bezeichnete. »Öffne die Schleuse!« befahl Etir Baj, der sich allmählich aus seiner Erstarrung löste. Ra wußte, daß ihm nichts anderes übrigblieb. Nach wenigen Minuten standen zwei weitere Männer in der Zentrale des Beiboots, die Etir Baj recht ähnlich sahen. Verblüfft stellte Ra fest, daß die Bewaffnung der beiden reichlich altmodisch, um nicht zu sagen primitiv war. Beide Männer trugen weitgeschnittene Hosen, darüber eine einfarbige Bluse, ebenfalls weit und locker geschnitten. In dem breiten Gürtel aus Rohleder steckten ein langer Dolch mit breiter Klinge, ein unterarmlanges Schwert und ver-
16 schiedene Kleinigkeiten, deren Sinn und Bedeutung Ra nicht erfassen konnte. Ein Köcher mit Pfeilen und ein Reflexbogen, den Ra mit Kennerblick als vorzüglich einstufte, vervollständigten die Ausrüstung. Für eine Minute herrschte ein beklemmendes Schweigen im Cockpit des Varganenschiffs, dann trat der ältere der beiden Fremden einen Schritt vor und schloß Etir Baj in die Arme. »Willkommen in Magintor!« sagte er halblaut. Er drehte sich zu Ra herum und musterte den Barbaren eindringlich; Ra verschränkte die Arme vor der Brust und spannte die Muskulatur ein wenig an – auf diese Weise kam sein Körperbau besser zur Geltung. Er hielt dem Blick des Mannes ohne Mühe stand, bis sich der Fremde wieder Etir Baj zuwandte. »Dein Freund?« fragte er knapp und nickte anerkennend. »Du hast eine gute Wahl getroffen, Etir Baj!« »Dieser Mann nennt sich Ra!« stellte Etir Baj mit kaltem Gesicht vor. »Er behauptet, der Freund eines Mannes mit Namen Atlan zu sein, der aus der Sippe der Gonozals stammt!« Ra sprang gerade noch rechtzeitig zurück, um dem Schwerthieb zu entgehen, den der jüngere der beiden Männer blitzschnell nach ihm führte. Bevor der junge Mann noch einmal ausholen konnte und Ra, der wegen des Pultes hinter sich nicht mehr ausweichen konnte, den Schädel spaltete, fiel ihm Etir Baj in den Arm. »Das ist ein Fall für das Con-Treh-Than!« stellte Etir Baj fest. Der jüngere Mann schien seinen Haß nur mit Mühe zügeln zu können; mit einem wütenden Knurren steckte er das Schwert zurück in den Gürtel. »Komm mit, Gonozal-Freund!« fauchte er. »Wenn du zu fliehen versuchst, soll es mir recht sein. Ich werde dir mit Vergnügen den Kopf einschlagen!« Ra grinste den Mann unverschämt an. »Vielleicht lasse ich es auf einen Versuch
Peter Terrid ankommen!« meinte er spöttisch. Als der Mann ihn am Arm packte, um ihn vor sich her zu stoßen, griff Ra zu. Der Bewaffnete konnte gerade noch einen Ruf der Überraschung ausstoßen, dann beendete er auf einem Instrumentenpult seinen Flug durch die Luft, den er einem geschickt angesetzten Hebelgriff von Ra verdankte. Etir Baj grinste breit, während der Ältere drohend sein Schwert zückte. Ra stand ruhig in der Zentrale. Er hatte dem jungen Mann eine Lektion erteilt, und das genügte ihm. »Sieh dich vor, Thabek!« meinte Etir Baj. »Dieser Barbar ist gerissen und geschickt, du hast es gerade gemerkt!« Thabek kämpfte seinen Rachedurst nieder und brachte aus dem Gürtel ein paar dünne, lederne Riemen zum Vorschein, mit denen er einem gleichmütig dreinblickenden Ra die Hände fesselte. Wenn er darauf spekuliert hatte, Ra einen Schmerzenslaut zu entlocken, indem er die Riemen grausam eng zusammenzerrte, so sah er sich getäuscht. Ra grinste ihn nur an, obwohl er sich ganz und gar nicht wohl in seiner Haut fühlte. Er war sich sicher, daß der Schmerz in den Handgelenken nur Vorbote von dem war, was ihm noch bevorstand.
* Ra hockte auf der schmalen Holzpritsche; er hatte die Beine an den Oberkörper gezogen, hielt die Knie mit den Armen umfangen und sang leise vor sich hin. Durch das dicke Holz der Zellentür hörte er die leisen Schritte des Wachtpostens. Ra hatte inzwischen herausbekommen, daß sich die Bewohner dieser Welt ConTreh nannten. Der Begriff kam Ra bekannt vor, er erinnerte an alte Formen der arkonidischen Sprache, aber Ra war im AltArkonidischen nicht bewandert genug, um herausbekommen zu können, was mit dieser Bezeichnung gemeint war. Der Ort, an dem er sich befand, nannte sich Magintor; in ihm lebten etwa fünftausend Con-Treh. Die ganze Stadt war im Fels
Die Höhlen von Magintor verborgen, teils in den Felswänden versteckt, in Höhlen und Gängen, teils in einer gewaltigen Anlage unter der grünen Oberfläche des Talkessels. Über die Con-Treh hatte Ra nicht sehr viel in Erfahrung bringen können. Es hatte sich herumgesprochen, daß er ein Freund der Gonozals sei, und dies schien unter den Con-Treh ein todeswürdiges Verbrechen zu sein. Es hatte Ra einen Tag gekostet, bis der Wachtposten bereit war, ein paar Auskünfte zu geben und sich mit dem Gefangenen zu unterhalten. »Es ist so schön, Barbar zu sein!« summte Ra leise. Text und Melodie dieses bemerkenswerten musikalischen Kunstwerks hatte er vor wenigen Stunden erfunden; der nervtötende Gesang mit dem schwachsinnigen Text hatte den Posten schließlich zermürbt. »He, Wächter!« brüllte Ra. »Was werdet ihr mit mir machen?« »Töten!« lautete die knappe Auskunft. »Und warum?« wollte Ra wissen, aber er erhielt keine Antwort. Der Posten war offenbar nicht bereit, über diesen Punkt zu sprechen. Für Ra war es ein Rätsel, warum die Con-Treh ihren grenzenlosen Haß auf die Familie der Gonozals geworfen hatten. Ra war kein Experte in arkonidischer Geschichte, aber wenn ihn sein Gedächtnis nicht trog, dann hatte die Sippe der Gonozals in der mehrtausendjährigen Geschichte Arkons etliche Admiräle, Flottenkommandeure und Imperatoren gestellt. In dieser Reihe fand sich der übliche Anteil von Säufern, Prassern, Wüstlingen, Schwachköpfen und Perversen, der in allen Herrscherhäusern aller Zeiten und Planeten üblich war, wenn uneingeschränkte Macht nicht nach Verdienst und Können sondern nach Geburt weitergegeben wurde. Die anderen berühmten Dynastien Arkons hatten sich durch den gleichen Anteil von Genialität und Cäsarenwahnsinn ausgezeichnet. Zudem hatte Ra noch nie ein Wort über die Con-Treh gehört, und er war sich sicher, daß dieses Volk, das unzweifelhaft mit den Arkoniden verwandt war, auch für Atlan eine
17 Überraschung gewesen wäre. Draußen vor der Tür waren Schritte zu hören. Zwei weitere Wachen erschienen, dann drehte sich kreischend der Schlüssel im Schloß. Ächzend schwang die hölzerne Tür zur Seite. »Mitkommen!« befahl eine der beiden Wachen. Auch diese beiden Männer waren nur mit Hieb- oder Stichwaffen ausgerüstet. Von Strahlwaffen schienen sie noch nie etwas gehört zu haben. Wieder wurden Ra die Hände gefesselt, wieder mit ledernen Riemen, allerdings wurden die Fesseln diesmal nicht so schmerzhaft stramm angezogen. Folgsam trottete Ra vor den Wachen her, deren Hände an den Griffen der Schwerter lagen. Um die Blicke, die Ra von allen Seiten zugeworfen wurden, kümmerte der Barbar sich nicht; ihm wurde allerdings klar, daß der Gonozal-Haß der Con-Treh keine Allüre der herrschenden Kreise war, sondern offenbar tief im Volk verwurzelt war, und dies ohne massive Propaganda und Massenbeeinflussung. Auf seinem Weg durch ein Labyrinth von Gängen und Räumen machte Ra einige überraschende Entdeckungen. Die dreiköpfige Gruppe marschierte an einem Tor vorbei, das genau in dem Augenblick kurz geöffnet wurde, als die Gruppe auf gleicher Höhe war. Ra warf einen raschen Blick zur Seite und erkannte in dem großen Raum die unverkennbare Silhouette eines großen Energiegeschützes. Einige Details verrieten Ra, daß diese Geschütze allerdings schon sehr alt sein mußten. Die Con-Treh hinkten technologisch um einige Jahrhunderte hinter dem arkonidischen Standard hinterher. Ra grinste, als er sich vorstellte, daß ein Mann mit einem Schwert im Gürtel und einem Reflexbogen über der Schulter ein Energiegeschütz bediente. Magintor war eine Stadt mit vielen Widersprüchen, in der eine primitive Lebensführung neben einer hochentwickelten Technik bestehen konnte. Man verfügte in Con-Treh sogar über raumtüchtige Schiffe. Während Ra diesen Gedanken nachhing,
18 vergaß er nicht, sich den Weg, den er geführt wurde, genau einzuprägen. Noch hatte Ra die Hoffnung nicht aufgegeben, daß es ihm vielleicht gelingen konnte, sich zu befreien. Unter den dunkelhaarigen Con-Treh würde er bei weitem nicht so stark auffallen wie unter den weißhaarigen Arkoniden. Fünftausend Con-Treh waren zwar zuwenig, um darin regelrecht untertauchen zu können, aber in der allgemeinen Verwirrung konnte es vielleicht gelingen, eines der ConTreh-Schiffe zu erreichen und damit zu verschwinden. An das varganische Beiboot würde Ra sicherlich nicht herankommen; es wurde bestimmt scharf bewacht. Der Marsch der kleinen Gruppe endete an einem großen, hölzernen Tor. Zwei Posten mit Speeren hielten davor Wache. Ra hatte nur wenig Zeit, die prachtvollen Schnitzereien des Tores zu bewundern, denn die Speerträger öffneten das Tor, und die beiden Wachen zerrten Ra vorwärts. Eine große Halle erstreckte sich hinter dem Portal; sie mußte ziemlich nahe an der Oberfläche liegen, denn aus unregelmäßig geformten Öffnungen in der Halbkugel der Kuppel fiel Tageslicht in den Saal, gerade genug, um dem Raum mit einem diffusen Dämmerlicht den Charakter eines Tempels oder einer anderen weihevollen Stätte zu geben. Zwei Drittel der runden Halle wurde von Zuschauertribünen eingenommen ; zwischen den steinernen Rängen führte der Weg Ras vor ein Podium, hinter dem fünf Gestalten saßen. Als Rah näher kam, konnte er sehen, daß es sich um fünf betagte Männer handelte, die in hochlehnigen Sesseln saßen und Ra ruhig anblickten. Aus einer Nische des Raumes löste sich die Gestalt eines Mannes; Ra erkannte Bei Etir Baj, der ihn in diese Lage gebracht hatte. »Die Sitzung des Con-Treh-Than ist eröffnet!« sagte eine tiefe, kraftvolle Stimme. »Bei Etir Baj, berichte!« Der Angesprochene trat vor die fünf Mitglieder des Con-Treh-Than und erzählte. Nach seiner Darstellung war sein Erkun-
Peter Terrid dungsflug vor zwölf Jahren fehlgeschlagen. (Ra notierte zufrieden, daß er damit den letzten Beweis dafür hatte, daß die Con-Treh über Raumschiffe verfügten.) Er war gezwungen gewesen, sich in die Rettungskapsel zurückzuziehen, in der er schließlich von den Verbrechern aufgefischt wurde, die ihren Stützpunkt in dem Asteroiden Krassigg hatten. Ra nickte anerkennend, als Etir Baj sachlich und genau den Hergang seiner Flucht erzählte. Was er über sein Zusammentreffen mit Ra berichtete, stimmte in jedem Detail. »Du hast Etir Baj erklärt, du seist ein Freund des Mannes Atlan, der aus der Sippe der Gonozals stamme!« sagte schließlich der Sprecher des Con-Treh-Than. Ra konnte erkennen, daß das Alter die Haare des Mannes gebleicht – und daß der Alte seine Haare dunkel gefärbt hatte. Überhaupt hatte Ra keinen einzigen älteren Mann mit grauem oder weißem Haar erkennen können. War dies eine Mode, oder hing es ebenfalls mit dem Geheimnis zusammen, das die ConTreh umgab. »Stimmt dies?« wollte der Sprecher wissen. Etir Baj hatte erklärt, daß er Ra sein Leben verdanke, und der Tonfall, in der der Sprecher seine Frage stellte, war eindeutig. Man war bereit, Ra eine goldene Brücke zu bauen, obwohl das Murmeln im Hintergrund bewies, daß die Mehrzahl der Con-Treh mit diesem Entgegenkommen durchaus nicht einverstanden war. »Atlan ist mein Freund!« stellte Ra fest. »Und sein Vater ist Gonozal VII. gewesen, der von seinem Bruder Orbanaschol ermordet wurde!« Hinter sich hörte Ra ein drohendes Knurren; das Publikum zeigte offen seine Wut und den Haß, der sich an dem Wort Gonozal entzündete. Der Sprecher des Con-Treh-Than stand auf und sah Ra lange und intensiv an. Ra glaubte, die Andeutung eines bedauernden Schulterzuckens sehen zu können. »Man wird dir Zeit geben, deinen Frieden
Die Höhlen von Magintor mit deinen Gottheiten zu machen!« erklärte der Sprecher mit ruhiger Stimme. »Beim Sonnenaufgang des nächsten Tages wirst du sterben! Führt ihn weg!« Ohne Gegenwehr ließ sich Ra abführen; den nachdenklichen Blick, mit dem Bei Etir Baj den Gefangenen betrachtete, nahm er nicht wahr. Ras Gedanken kreisten um Fluchtmöglichkeiten. Viel Zeit blieb ihm nicht, um dem Henker zu entwischen. »Wenn du noch einen Wunsch hast«, sagte einer der Wächter, »dann sage ihn jetzt. Vielleicht kann er dir erfüllt werden!« Ein Gedanke durchzuckte Ras Hirn; der Barbar unterdrückte ein triumphierendes Grinsen. Ra hatte eine Möglichkeit gefunden, ein wahnwitziges Unterfangen zwar, aber trotz der Risiken dem sicheren Tode vorzuziehen. »Wenn ich zu meinen Gott beten will, dem mächtigen, unüberwindlichen, allessehenden und allesrächenden Barsach«, erklärte Ra, »dann brauche ich das Licht des hinscheidenden Tages in meiner Zelle!« Eine der Wachen kratzte sich hinter dem Ohr. »Ich glaube, das ließe sich bewerkstelligen!« meinte er schließlich. »Was brauchst du noch für deinen Götzen?« Ra begann aufzuzählen. Die Liste war ziemlich lang und enthielt eine Menge völlig überflüssigen Krempels, aber dazwischen eingestreut hatte Ra die Dinge, die er wirklich für seinen Plan brauchte. »Heiliger Spiralnebel!« platzte einer der Wächter heraus. »Läßt euch euer Götzendienst eigentlich noch Zeit zum Leben?« »Er gibt uns das Leben!« bemerkte Ra und freute sich über den Hintersinn dieser Worte.
* Ra betrachtete zufrieden den Lichtfleck auf dem Boden seiner Zelle. Man hatte ihm tatsächlich einen Raum zugewiesen, der nahe der Oberfläche liegen mußte. Durch eine verglaste Öffnung fiel das Sonnenlicht in
19 den Raum, allerdings war das Fenster so klein, daß der Lichtstrahl nur für ein schwaches Dämmerlicht ausreichte. Die elektrische Beleuchtung war auf Ras Bitten hin abgestellt worden. An einer Stelle des Raumes, die der wandernde Strahl erst in einer Stunde erreichen würde, hatte Ra seinen Altar gebaut: eine Holzkiste mit einer Decke darüber, auf der eine aus Lehm geformte Gestalt hockte. Ra war kein besonders geschickter Bildhauer, und das machte sich jetzt bezahlt. Der Götze war bemerkenswert scheußlich geraten, und die zweifelnden Blicke der Wachen besagten, daß es ihnen ziemlich unsinnig erschien, eine derart widerliche Gestalt anzubeten. Die schmalen, farbigen Bänder, mit denen Ra den Götzen Barsach herausgeputzt hatte, konnten den abstoßenden Eindruck nur noch erhöhen. Um seinen Gott milde zu stimmen, hatte Ra ihn mit Nahrungsmitteln versorgt. Ra hatte sich vorgenommen: wenn er schon abtreten mußte, dann wenigstens mit einem boshaften Scherz. Daher hatte er bei den Con-Treh ein paar Speisen für seinen Gott in Auftrag gegeben, die kein normaler Mensch freiwillig gegessen hätte. In der Zelle hing ein Geruch, der die Gesichter der Wachen blutleer machte. Immer wieder zog sich eine der Wachen würgend zurück. Vor dem Altar hatte Ra ein Räucherbecken aufgebaut, in dem eine Handvoll Kohlen glimmte. Zufrieden stellte Ra fest, daß ein ziemlich kräftiger Luftzug den Rauch aus der Zelle und die Gänge davor trieb. Ra verzichtete darauf, seine Fähigkeiten als Komponist und Textdichter einzusetzen, denn er brauchte die Wachen in seiner Nähe, nicht einige Räume weit entfernt. Er hatte eine der Wachen gebeten, die Trommel für ihn zu schlagen. Der Barbar konnte sehr zufrieden mit sich sein. Ohne dies die Wachen merken zu lassen, hatte er sie in sein Spiel einbezogen. Der verbissene Ernst und Eifer, mit dem er sich anscheinend ausschließlich auf seinen Götzen konzentrierte, hatte die Wachsam-
20 keit der Con-Treh stark vermindert. Die Männer waren so begierig, die absonderlichen Riten des Barbaren zu verfolgen, daß sie nicht darauf achteten, was Ra wirklich im Schilde führte. »Fertig!« sagte Ra schließlich. Seine Vorbereitungen waren beendet. »Schlag die Trommel!« Niemand schien sich daran zu stören, daß plötzlich Ra die Befehle erteilte. Sofort begann der Trommler mit einem wilden, mitreißenden Rhythmus, den die beiden anderen Wachen schnell händeklatschend begleiteten. Dann begann Ra zu tanzen. Er erinnerte sich der Tänze seiner Heimat, von der er nicht wußte, wo in der Galaxis sie zu suchen war; Ra wußte aber, was nötig war, um den Tänzer in einen fast rauschhaften Zustand zu versetzen, dessen Wirkung häufig auch auf die Zuschauer überging. Ra tanzte den Tanz seines Lebens, diesmal nicht begeistert und gläubig wie früher, als die Bezeichnung Barbar für ihn noch sehr zutreffend gewesen war. Diesmal waren seine Bewegungen kontrolliert, der tranceartige Zustand nur gespielt. Während er sich in der kleinen Zelle bewegte, studierte Ra die Gesichter der Wachen. Als er sich sicher war, daß die Wachen ihm förmlich gebannt zusahen, bewegte er sich langsam tanzend auf den improvisierten Altar zu. Scheinbar beiläufig nahm er eine Handvoll eines grünlichen Pulvers auf, das er sich zusammengemischt hatte. Eine Handbewegung genügte, um das Pulver auf die glimmenden Kohlen zu streuen. Eine Qualmwolke stieg in die Höhe und wurde vom Luftzug verweht. »Hm, das riecht aber …!« Zu dem Wort gut kam die Wache nicht mehr. Die Augen des Mannes wurden glasig, seine Beine knickten unter ihm zusammen. Es klapperte vernehmlich, als der Mann auf dem Boden aufprallte, aber die anderen Wachen konnten darauf nicht reagieren. Auch ihre Sinne wurden von dem betäubenden Harzrauch benebelt, nacheinander
Peter Terrid wurden sie bewußtlos. Ra grinste zufrieden, dann nahm er das Wassergefäß und löschte schnell das Kohlefeuer. Die kritische Phase seiner Flucht war jetzt gekommen. Ra brauchte einige Augenblicke Zeit, bis er den Raum verlassen konnte, denn er selbst war gegen die betäubende Wirkung seiner Mixtur keineswegs gefeit. Ra griff nach dem Bein der vor ihm liegenden Wache und zerrte den Körper des Bewußtlosen zu sich heran. Rasch nahm er dem Mann die Waffen ab und streifte seine Kleidung über. Dann tastete er sich langsam vorwärts, immer wieder schnuppernd. Er atmete erleichtert auf, als er merkte, daß sich die Wirkung seiner Mixtur so abgeschwächt hatte, daß er den Raum verlassen konnte. Er stand auf der Schwelle, als ihm ein Gedanke kam. Er raffte in seiner Zelle schnell ein paar brennbare Materialien zusammen und entzündete ein kleines Feuer. In die Flammen setzte er einen hölzernen Napf, den er behutsam mit den Resten des Räucherpulvers füllte. Nach einer gewissen Zeit würden sich die Flammen durch das Holz gefressen haben und wieder das Harzpulver erreichen. Da das Holz vermutlich nur langsam brannte, wurde der gesamte Zellenbereich für einige Stunden in die betäubenden Schwaden getaucht sein. Wenn Ra etwas Glück hatte, war die gasgefüllte Strecke größer als der Weg, den ein Mensch mit angehaltenem Atem laufen konnte – in diesem Fall würde einige Zeit verstreichen, in der niemand sagen konnte, was sich in der Zelle des Todeskandidaten abgespielt hatte. Ra schätzte, daß es mindestens zwanzig Minuten dauern würde, bis man einen Raumanzug herbeigeschafft hatte, mit dem man den gasgefüllten Bezirk gefahrlos betreten konnte. »Viel Glück!« wünschte sich Ra selbst, dann machte er sich auf den Weg. Wo genau die Raumschiffe der Con-Treh zu suchen waren, wußte er nicht, aber es gab immerhin Überlegungen, mit denen man die Zahl der möglichen Orte einschränken konnte. Unterhalb der Wohngebiete Magintors waren die Hangars sicherlich nicht zu su-
Die Höhlen von Magintor chen; folglich mußten sie weit höher, mehr an der Oberfläche liegen. Dicht über dem Boden waren startende Raumschiffe besonders gefährdet, da sie dort naturgemäß nur recht langsam fliegen konnten. Das machte es nötig, die Hangars mit Geschützen gegen Angriffe zu sichern. Auch diese Geschütze mußten dicht an der Oberfläche liegen. Alles sprach dafür, daß die Con-Treh ihre Schiffe in dem zerfallen wirkenden Ringwall versteckt hatten, der nach dem Meteoreinschlag übriggeblieben war. Ra hatte ein sehr gut ausgeprägtes Gefühl für räumliche Anordnungen; er erinnerte sich der Himmelsrichtung beim Betreten der Stadt, dann des Weges, den man ihn geführt hatte. Nach kurzem Nachdenken wußte Ra, wo ungefähr er sich aufhielt. Niemand beachtete den Barbaren, als er langsam und ruhig durch die unterirdischen Anlagen der Stadt Magintor schritt. Die Con-Treh hatten die Bergfestung so bequem gestaltet, wie es sich unter den waltenden Umständen einrichten ließ. Nach dem alles überragenden Haß auf alles, was mit dem Namen Gonozal zusammenhing, war der vorherrschende Charakterzug der Con-Treh ganz offensichtlich ihre panische Angst vor Entdeckung. Ra konnte nur staunen angesichts der Bemühungen der Con-Treh, ihre Existenz zu vertuschen. Jetzt begriff Ra, warum die Con-Treh so wenig arkonidische Technik wie möglich verwendeten, denn die Streustrahlung großer Reaktoren – besonders wenn sie so altertümlich waren wie die Anlagen der Con-Treh – war mit modernen Ortungsgeräten mühelos anzumessen. Auf bewaffnete Männer stieß Ra nur sehr selten. Bei einer so kleinen Gemeinschaft war es offenbar nicht nötig, eine große Polizeitruppe zu unterhalten. Außerdem schien der ständige Druck, unter dem die Con-Treh lebten, der Gefahr entdeckt zu werden, ausreichend zu sein, eventuelle Zwistigkeiten schnell zu beseitigen. Es war eine alte kosmo-soziologische Tatsache, daß äußerer Druck bei einer Gemeinschaft innere Spannungen dämpft und nicht so stark hervortre-
21 ten läßt. Erst als der Verkehr auf den Gängen allmählich spärlicher wurde und wesentlich mehr Männer als Frauen zu erkennen waren, war sich Ra sicher, langsam in den Bereich einzudringen, in dem er die Raumschiffe vermutete. Wider Willen halfen ihm die Con-Treh bei seinem Versuch, ein Schiff zu ergattern. Man mußte Ras Verschwinden bemerkt haben, das folgerte der Barbar aus dem Heulen einiger Sirenen. Schlagartig wurden die Bewegungen der Menschen schneller. Männer rannten durch die Gänge, ohne sich um andere Personen zu kümmern. Ra konnte das nur lieb sein; er rannte mit, bis er an einer Tür ein Symbol entdeckte, das unmißverständlich auf Raumschiffe hinwies. Ra zögerte nicht lange, riß die Tür auf und stürmte in den Raum. Die ersten beiden Räume waren leer, dahinter gabelte sich der Gang. Der rechte Weg führte, wie das Piktogramm auswies, zu einem Geschützstand, der linke zu den Hangars. Ra entschied sich naturgemäß für den linken Gang, obwohl er kurz zögerte. Auf dem Weg über ein Geschütz an die Oberfläche zu kommen, war unter Umständen besser. Er hätte sich in den Wäldern und Tälern rund um Magintor so lange verstecken können, bis die Bewachung der Raumschiffe wieder normal gewesen wäre. Aber Ra konnte nicht wissen, wie, die Oberfläche dieser Welt beschaffen war, welche wilden Tiere und giftigen Pflanzen es hier gab. Daher entschied er sich für den riskanteren Fluchtweg. »Glück gehabt!« murmelte Ra, als er den Hangar erreicht hatte. Vor ihm stand ein Sechzig-Meter-Schiff, offenbar startklar. Der Hangar selbst war menschenleer. Das war nicht verwunderlich, denn einige Augenblicke vor Ras Eintreten hatte eine Lautsprecherdurchsage die Bewohner von Magintor auf eine falsche Fährte gelockt. Irgendein Con-Treh, der das Pech hatte, Ra auf den ersten Blick sehr ähnlich zu sehen, war in einem entfernten Winkel der Stadt aufgestöbert worden und hatte sich
22 in seiner Angst verschanzt. Ziemlich rasch hatte Ra das Schaltpult gefunden, mit dem die Decke des Hangars betrieben und kontrolliert wurde. Ein Knopfdruck genügte, um die meterdicke Felsplatte geräuschlos zur Seite gleiten zu lassen. Über Ras Kopf wurde der Himmel sichtbar. »Bestes Flugwetter!« freute sich Ra. In das Schiff zu kommen, bereitete ihm nur wenige Schwierigkeiten. Zwar war die Konstruktion veraltet wie fast die gesamte technische Ausrüstung der Con-Treh, aber die wesentlichen Konstruktionsmerkmale waren durch die Jahrtausende hindurch gleich geblieben, die Kugelbauweise, der typische Ringwulst – und unter anderem auch der Mechanismus, der die Mannschleuse auffahren ließ. Ra wartete nicht, bis das Schleusentor hinter ihm zuschwang. Er wußte, daß der Automat auch ohne ihn auskam. So rasch es ging, suchte er die Zentrale auf. Die Unterschiede zwischen den Schiffen, die Ra kannte, und dieser Konstruktion waren fürs erste unerheblich. Die EinMann-Katastrophensteuerung war annähernd baugleich mit den Mustern, die Ra aus seinen Hypnoschulungen kannte. Ein einziger Handgriff genügte, um die Arbeit, die üblicherweise von einer geschulten Besatzung gemacht wurde, dem zentralen Positronenrechner aufzubürden. Natürlich war das Schiff mit dieser Schaltung bei weitem nicht so präzise zu handhaben wie normal, aber für Ras Zwecke reichte die Steuerfähigkeit durchaus. Die Hand des Barbaren lag schon auf dem Hebel, mit dem die Triebwerke hochgefahren werden sollten, als er aus den Augenwinkeln heraus eine Bewegung auf einem Bildschirm wahrnahm. Ein rascher Blick zur Seite zeigte ihm, daß ein Mann den Hangar betreten hatte. Es war der junge Thabek, der kurz nach der Landung versucht hatte, Ra den Schädel zu spalten. Ra trommelte nervös mit den Fingern. Natürlich konnte er jetzt ohne weiteres starten; die Maschinen des Raumschiffs
Peter Terrid wurden von der Anwesenheit des Mannes nicht beeinflußt, aber die anlaufenden Maschinen würden Thabek im Bruchteil einer Sekunde atomisieren. »Geh, Junge, bitte geh!« murmelte Ra verzweifelt. Thabek tat ihm den Gefallen nicht. Der junge Con-Treh stellte plötzlich fest, daß die Decke des Hangars offenstand, und wenig später schob sich die Felsdecke wieder an ihren alten Platz. Ras Flucht war gescheitert. Zwar hätte er sich den Weg durch die Decke freischießen können, aber auch dabei wäre Thabek gestorben, ebenso die beiden anderen Männer, die auf Thabeks Rufen hin in den Hangar stürzten. Ra überprüfte schnell die Kontrollen und stellte fest, daß das Schiff noch mit dem Interkomnetz Magintors verbunden war. Ra brauchte nicht lange, bis er die Kameras in der Zentrale so umgestellt hatte, daß jeder Winkel des Raumes von ihren Linsen erfaßt werden konnte. Noch hatte er die Verbindung nicht hergestellt, aber seine Hand bewegte sich in dem Augenblick, in dem Thabek in die Zentrale gestürmt kam. Der junge Con-Treh achtete nicht auf die Lichtanzeige, die signalisierte, daß die Bilder aus dem Schiff in das allgemeine Verbundnetz eingespeist wurden. Er riß mit einem Wutschrei das Schwert aus dem Gürtel und stürzte sich auf Ra. Der Barbar zückte schnell seine Waffe. »Ich werde dich jetzt töten!« versprach Thabek, undeutlich vor Wut. »Und diesmal wird mir niemand in den Arm fallen!« »Komm näher, Jüngelchen!« spottete Ra. Das Wort Jüngelchen war zuviel für Thabek, blindwütig stürmte er vor. In seiner Aufregung achtete er nicht darauf, daß nach ihm noch andere Con-Treh die Zentrale betraten; sie waren ebenfalls bewaffnet, teilweise sogar mit Strahlwaffen, aber sie verzichteten darauf, in den Kampf einzugreifen, vielmehr stellten sie sich entlang den Wänden auf und diskutierten leise die Vorzüge der beiden Gegner.
Die Höhlen von Magintor Thabek war jung, geschickt und hitzig; Ra konnte seine größere Kraft und seine Routine ausspielen. Einstweilen hatte er mit dem jungen Con-Treh wenig Mühe, aber sobald der Gegner etwas Ruhe gewann, mußte Ra ernsthaft auf der Hut sein, wenn er nicht blessiert werden wollte. Funken sprühten durch die Zentrale, wenn die Klingen aufeinandertrafen. Beide Waffen waren aus bestem Stahl geschmiedet, an ein Zerspringen war nicht zu denken. Ra trieb den jungen Con-Treh mit einer Serie wirbelnder Schläge vor sich her, bis er ihn in einen Winkel getrieben hatte, aus dem es kein Entkommen mehr gab. Dann ging Ra daran, seinen Gegner zu zermürben. Er ließ Thabek keine Möglichkeit zum Angreifen, sondern deckte ihn mit einem Hagel von Schlägen ein, den Thabek nur mit Mühe abwehren konnte. In seiner ungünstigen Lage gab sich Thabek bald etliche Blößen, aber Ra verzichtete darauf, die Deckungslücken auszunutzen. Den Zuschauern fiel ziemlich schnell auf, welche Strategie Ra verfolgte, und sie beobachteten den nun sehr ungleich gewordenen Kampf mit breitem Grinsen. Thabek wurde langsam müde; er begann zu begreifen, daß seine Lage kritisch war, und in der Aufregung entblößte er seine Deckung noch mehr. Ra nutzte die Schwäche seines Gegners erbarmungslos aus; mindestens ein Dutzend Mal zischte seine Klinge auf Thabeks rechten Oberarm herab. Ra schlug mit der flachen Klinge, das gab zwar keine Verletzungen, tat aber höllisch weh und ließ den Arm erlahmen. Dicke Schweißtropfen erschienen auf Thabeks Stirn; jetzt hatte die Angst den jungen Con-Treh fest im Griff. Immer langsamer wurden die Bewegungen, mit denen er die harten Schwertschläge Ras abblockte. Schließlich machte Ra dem Kampf ein Ende; er legte noch einmal alle Kraft in einen Hieb und setzte den Schlag gegen Thabeks Schwert, dicht über dem Heft. Thabek konnte die Waffe nicht mehr halten, der Stahl flog aus seiner Hand und landete klir-
23 rend auf dem Boden der Zentrale. »Thabek Scevati Ahuar!« sagte Ra grinsend, und während die Männer in der Zentrale ein tobendes Gelächter anstimmten, färbte sich Thabeks Gesicht dunkelrot. Er wußte, daß er von nun an mit diesem Namen würde weiterleben müssen. Zumindest ein paar Jahre lang würde ihn jeder Mann wie Ra anreden – als den kopflosen Schädelspalter.
3. »Könnt Ihr mir einen Grund nennen, warum der Gefangene Ra mit dem Schiff nicht gestartet ist?« Die Stimme Etir Bajs drang bis in den letzten Winkel der großen Halle, die wieder bis auf den letzten Platz gefüllt war. Nach Ras Fluchtversuch hatte sich das ConTreh-Than genötigt gesehen, eine weitere Sitzung zum Fall dieses Barbaren anzuberaumen. »Ich frage weiter!« setzte Etir Baj seine Rede fort. »Jeder hier weiß, daß Thabek, der kopflose Schädelspalter, keine Sekunde gezögert hätte, den Gefangenen tatsächlich zu töten. Und Ra konnte aus dem Verhalten der anderen Wachen an Bord des Schiffes ohne Mühe ableiten, daß ihn niemand hindern würde, das Duell damit zu beenden, daß er Thabek tötete!« »Du willst damit sagen, Bei Etir Baj«, begann der Sprecher zögernd, »daß Ra das Schiff nicht startete, um Thabeks Leben zu schonen. Auch dein eigenes Leben verdankst du der Hilfe dieses Mannes!« »So ist es!« Mit Staunen hatte Bei Etir Baj den Zweikampf auf dem Interkombildschirm verfolgt. Die Art, in der Ra sein Schwert handhabte, hatte Etir Bajs Anerkennung wachgerufen, die Tatsache, daß Ra sich gescheut hatte, einem Con-Treh das Leben zu nehmen, hatten ihn endgültig davon überzeugt, daß man diesen Mann nicht einfach töten durfte. »Er bleibt nach wie vor bei seiner Behauptung, ein Freund Atlans zu sein!« stellte
24 der Sprecher fest. »Es mag sein, daß seine Handlungsweise unsere Milde förmlich erzwingt, aber können wir es wirklich zulassen, daß ein solcher Mann unter uns ConTreh lebt?« »Ich habe einen Vorschlag!« meldete sich wieder Etir Baj. »Sprich, Etir Baj!« forderte ihn der Sprecher auf. »Seit zweihundert Jahren«, begann der Mann, »ist es keinem mehr gelungen, die Halle der Erinnerung zu betreten! Ich schlage vor, daß wir Ra die Möglichkeit geben, einen neuen Versuch zu machen. Mißlingt ihm sein Auftrag, so ist sein Problem gelöst. Schafft er es aber, uns den Zugang zur Halle der Erinnerung wieder zu öffnen, dann soll er sich verpflichten, kein Wort über uns zu sprechen. Ich bin sicher, daß ein Mann wie Ra diesen Eid halten wird. Wir könnten ihn dann irgendwo in der Galaxis mit seinem Boot freigeben!« Stille breitete sich in der Ratshalle aus. Nach langem Zögern sagte der Sprecher: »Dies ist eine Sache, die zu gewichtig ist für das Con-Treh-Than allein. Ich frage die Gemeinschaft der Con-Treh: sollen wir den Vorschlag Bei Etir Bajs annehmen?« »Ich stimme dafür!« tönte eine klare Stimme; Etir Baj drehte sich herum und erkannte Thabek, der sich von seinem Sitz erhoben hatte. Auf dem Gesicht des Sprechers zeigte sich der Anflug eines Lächelns. Die Abstimmung war schnell durchgeführt; die Mehrheit der Con-Treh stimmte Etir Bajs Vorschlag zu. Ra, der – diesmal ohne Fesseln – vor dem Con-Treh-Than stand, atmete erleichtert auf; er war noch einmal davongekommen, denn ein zweites Mal hätte er die Wachen nicht übertölpeln können. »Wer sagt uns, ob Ra, wenn er zurückkehrt, tatsächlich die Halle erreicht hat?« warf eine Frau ein. »Wenn einer nicht tötet, dann sagt das noch nicht, daß er auch nicht lügt!« »Ich bitte um die Erlaubnis, Ra begleiten zu dürfen!« meldete sich Etir Baj schnell.
Peter Terrid Auch dieser Vorschlag wurde angenommen.
* »Sieh her Ra!« forderte Etir Baj den Barbaren auf. »Dies ist der Kontinent Quertal, und hier liegt Magintor. Dieser breite Strom ist der Donacona, er mündet in das Binnenmeer Abdalor. Inmitten des Meeres ist eine Insel, und dort steht die Halle der Erinnerungen!« »Die Con-Treh haben eine ganz schöne Strecke zwischen sich und ihre Erinnerungen gelegt!« stellte Ra bissig fest. »Habt ihr Angst davor?« Etir Baj wurde schlagartig ernst. »Ich werde dir die Information geben, die ich für nötig halte. Mehr wirst du nicht erfahren. Wer wenig weiß, kann wenig verraten!« erklärte er nachdrücklich. »Auch wer viel weiß, erzählt nicht alles!« meinte Ra grinsend und deutete auf die Narben an Etir Bajs Kopf. »Wie weit ist es bis zu der Halle?« »Schätzungsweise fünfeinhalbtausend Kilometer!« lautete die kurze Antwort. »Zu Fuß?« ächzte Ra bei dieser Auskunft. »Bis wir am Ziel sind, hat uns die Altersschwäche längst ins Grab gebracht. Warum nehmen wir nicht ein Beiboot oder einen Gleiter?« Etir Baj setzte zu einer Erklärung an, aber Ra winkte schnell ab. »Ich weiß!« seufzte er. »Alles wegen der Ortungsgefahr. Eines Tages werdet ihr vor Angst noch ein Verfahren finden, wie man völlig ohne Geräusch atmen kann oder für Jahrzehnte ohne Luft auskommt! Was für Waffen können wir mitnehmen? Ich vermute, daß es zwischen Magintor und dem Meer allerhand Viehzeug gibt, das uns auf den Pelz rücken könnte, oder irre ich mich?« »Du kannst dich in der Waffenkammer bedienen!« erklärte ihm Etir Baj. »Nur Energiewaffen müssen in den Magazinen bleiben. Ich hoffe, du kannst mit altmodischen Waffen umgehen? Daß du mit dem Schwert
Die Höhlen von Magintor kämpfen kannst, habe ich gesehen, aber kannst du auch mit einem Bogen umgehen?« »Ich werde mir Mühe geben!« versprach Ra belustigt. »Wir Barbaren lernen ziemlich schnell!« In den Waffenkammern gab es alles, was man aus Holz, Metall oder Steinen herstellen konnte: Messer aller Arten, Schwerter in verschiedenen Längen, Piken, Keulen, Morgensterne, Kampfbeile, Schleudern und Harpunen. Nach Schußwaffen suchte Ra vergeblich; ihre Herstellung hätte eine entsprechende Industrie verlangt und damit das Ortungsrisiko erhöht. Ra entschied sich für ein unterarmlanges Messer, einen großen Reflexbogen mit mehreren Ersatzsehnen und eine Schleuder. Viel Waffen konnten die beiden Männer nicht mitnehmen; für den ersten Teil der Strecke, der durch unzugängliche Gebirge führte, mußten sie Proviant für einige Tage mitschleppen, außerdem das Werkzeug, mit dem sie später ein Boot bauen wollten. Schon am Morgen nach Ras vergeblicher Flucht machten sich die beiden Männer auf den Weg.
* Ras anfängliche Sorge, daß Etir Baj den Strapazen einer solchen Wanderung vielleicht nicht ganz gewachsen sein würde, zerstreute sich ziemlich schnell. Die beiden Männer kamen rasch vorwärts. Auf vielen Jagdausflügen hatte Etir Baj schon vor Jahren ein großes Gebiet rings um Magintor durchstreift; er hatte daher auch die Führung übernommen. Da der Con-Treh nicht bereit war, mehr über sich oder sein Volk zu erzählen, war es auch Ra nicht eingefallen, mehr von sich zu geben als ihm unumgänglich erschien. Im stillen amüsierte er sich über Etir Bajs Besorgnis; der Con-Treh hielt Ra für einen Raumfahrer und damit für reichlich degeneriert, für einen Mann, der sich nur hinter Energiegeschützen und unter Schirmfeldern sicher fühlt. Ra tat nichts, um diesen falschen Eindruck zu zerstreuen.
25 Die Con-Treh stellten aus der Haut ihrer Rinder vorzügliche Lederwaren her. Ra und Etir Baj hatten sich für enge Anzüge aus Rohleder entschieden, an den Füßen trugen sie ebenfalls lederne Mokassins. Die Ausrüstung schleppten sie in sorgfältig verschnürten Ballen auf dem Rücken. »Gibt es eigentlich außer euch Con-Treh noch anderes intelligentes Leben auf diesem Planeten?« fragte Ra plötzlich. Seit Stunden hatten die beiden Männer kein Wort gewechselt, waren schweigend nebeneinander durch den tiefen Schnee gestapft, der den Paß bedeckte. »Außer dir nicht!« erklärte Etir Baj. »Das heißt …!« Er stolperte, weil Ra der zu erwartenden boshaften Bemerkung mit einem Fußtritt zuvorgekommen war. Etir Baj rutschte ein Stück, da der Weg leicht abwärts führte, und landete schließlich in einer Schneeverwehung. Die beiden Männer fühlten sich viel zu wohl, um ständig ernsthaft sein zu können. Etir Baj hatte zwölf Jahre im Innern eines Asteroiden verbracht, und erst jetzt spürte er in voller Deutlichkeit, was er in dieser Zeit entbehrt hatte. Auch Ras natürlicher Bewegungsdrang war in der letzten Zeit kaum zur Geltung gekommen; er war froh, zum ersten Mal seit geraumer Zeit den Blick nicht durch stählerne Bordwände versperrt zu sehen. Die Schneeballschlacht dauerte nur wenige Minuten, dann marschierten die beiden Männer weiter. Etir Baj summte leise ein uraltes Lied. Die Sonne stand schon ziemlich tief, als die beiden Männer das Ende des Passes erreichten. Unter sich sahen sie ein dunkles Tal, dicht mit Bäumen bestanden. Dazwischen glitzerte das Wasser des Wildbachs, der hier im Gebirge entsprang und sich später zu dem gewaltigen Strom Donacona entwickelte. »Das Wasser läuft unterirdisch an einem kleinen Vulkan vorbei!« erklärte Etir Baj. »Daher konnte sich der Urwald entwickeln.
26 Wir sollten dort unser Lager aufschlagen!« Ra nickte kurz, obwohl er es für ratsamer gehalten hätte, sich am Rand des Waldes aufzuhalten. Dort waren die Fluchtmöglichkeiten größer, falls es irgendeiner Bestie einfallen sollten, den Schlaf der beiden Männer zu stören. Der Abstieg war mit den schweren Lasten auf dem Rücken ziemlich schwierig. Der Hang fiel steil ab, und das Gestein war brüchig. Als sie den Boden des Tales erreicht hatten, sah Ra auch den Wildbach, der weißschäumend aus einer Felsspalte hervorbrach. Das Bett war mit Geröll übersät; Baumstämme lagen quer zur Strömung. »Wenn der Fluß über lange Strecken so aussieht«, murmelte Ra düster, »werden wir Ewigkeiten brauchen, bis wir unser Ziel erreicht haben!« »Weiter unten wird der Fluß so breit, daß man in seiner Mitte bequem fahren kann!« beteuerte Etir Baj. Ra war skeptisch, aber er widersprach nicht. Die beiden Männer fanden eine Lichtung in dem undurchdringlich erscheinenden Gestrüpp des Waldes. Etir Baj erzählte Ra, daß dieses Gebiet von den Con-Treh noch niemals richtig erforscht worden war. »Gibt es noch andere Siedlungen der ConTreh auf dieser Welt?« fragte Ra. Etir Baj nickte kurz, aber er sagte nicht, wo diese Ansiedlungen lagen, oder wie kopfstark die Con-Treh insgesamt waren. Auf einer solchen Welt konnten, wenn die Bewohner rücksichtsvoll mit ihrer Umwelt umgingen, knapp fünfhundert Millionen Menschen ein bequemes Leben führen. Ra war sicher, daß die Con-Treh nicht annähernd diese Zahl erreichten. Vermutlich gab es auf dem ganzen Planeten nur ein paar tausend dieser merkwürdig aussehenden Arkoniden. Mit steinernem Gesicht sah Ra zu, wie Etir Baj Holz zusammensuchte und ein Feuer anfachen wollte. Immerhin war der ConTreh erfahren genug, trockenes Holz auszuwählen. Aber bereits kurze Zeit, nachdem die ersten Flammen hochgezüngelt waren, wußte Ra, daß sein Weggefährte in seiner,
Peter Terrid Ras Heimat, nicht lange überlebt hätte. Die Flammen wurden viel zu groß, und die Rauchsäule war bei Tageslicht kilometerweit zu sehen. Während Etir Baj sich weiter um das Feuer kümmerte, nahm Ra den Bogen von der Schulter und schlug sich ins Gebüsch. Da dieser Winkel des Planeten nur überaus selten von Zweibeinern unsicher gemacht wurde, waren die Jagdbedingungen hervorragend. Bereits nach wenigen Minuten hatte Ra einen vierfüßigen Säuger erspäht; als Sekunden später das Tier mit einem Pfeil im Herzen zusammenbrach, wußte Ra, daß er von seinen Fertigkeiten noch nichts eingebüßt hatte. Es war gut, das zu wissen, denn zur Abwehr aller nur möglichen Gefahren waren die beiden Männer auf ihre altmodischen Waffen angewiesen. »Aha, ein Merua!« stellte Etir Baj fest, als Ra seine Beute anschleppte. »Das Fleisch schmeckt hervorragend, liegt aber schwer im Magen!« Ra störte das nicht, er war froh, endlich der Konzentratnahrung entgangen zu sein, die an Bord der meisten Raumschiffe ausgegeben wurde. Nach einigen Minuten drehte sich der Braten langsam auf einem improvisierten Grill und verbreitete einen prachtvollen Geruch. »Was ist eigentlich an dieser Halle der Erinnerung so wichtig!« wollte Ra wissen; er sprach undeutlich, an seinen Wangen lief der Fleischsaft entlang. »Du wirst es sehen, wenn wir die Halle erreicht haben!« erwiderte Etir Baj kauend. Er warf einen Seitenblick auf seinen Gefährten. Im flackernden Licht des Feuers wirkte das markante Gesicht des Barbaren besonders eindrucksvoll. Etir Baj bedauerte lebhaft, daß er sich verpflichtet hatte, Ra nur mit den allernötigsten Informationen zu versehen. Der Mann gefiel ihm, und Etir Baj würde es sehr bedauern, wenn der Versuch, die Halle zu erreichen, fehlschlagen sollte. Erst ein paar Minuten später fiel ihm ein, daß er den Fehlschlag dieses Versuchs vermutlich auch nicht überleben würde.
Die Höhlen von Magintor
* »Hier?« wollte Ra wissen. Etir Baj nickte kurz und setzte die Last ab. Die beiden Männer hatten noch einen Paß übersteigen müssen, während sich der Fluß den bequemeren, gradlinigen Weg durch die Felsen gebahnt hatte. Die Männer hatten inzwischen das Ende des Gebirges erreicht. Von ihrem Standort aus konnten sie die weiten Waldgebiete überblicken, die die Landschaft bis an den fernen Horizont bedeckten. Nur geübten Augen war es möglich, das schmale, blaue Band zu erkennen, das sich durch die grüne Ebene wand. Der Fluß war hier nicht sehr breit, und an beiden Ufern standen Bäume, teilweise tief im Wasser. »Es fragt sich nur, was wir bauen!« überlegte Etir Baj laut. »Ein Floß oder ein Kanu?« »Das Floß wäre einfacher, aber langsam und ziemlich breit!« meinte Ra. »Der Fluß ist noch so schmal, daß wir mit dem Floß überall hängenbleiben können. Ein Kanu erfordert aber entschieden mehr Aufwand!« »Es ist aber wesentlich schneller!« bemerkte Etir Baj. »Außerdem schleppen wir nichts mit uns herum, das durch Nässe verdorben werden könnte!« Damit war die Entscheidung gefallen. Ra übernahm die Aufgabe, einen passenden Baum zu finden, der zu einem Kanu umgebaut werden sollte. Er selbst hätte zwar lieber ein Fell- oder Rindenboot gebaut, aber dazu fehlte die Zeit. Bald hatte er einen geeigneten Baum gefunden, ein fünfmal mannshoher Stamm, gerade gewachsen, und das Astwerk begann erst in beträchtlicher Höhe. Eine unangenehme Überraschung wurde offenkundig, als die beiden Männer dem Stamm mit den mitgebrachten Äxten zu Leibe rücken wollten. Der Mann, der die Äxte geschäftet hatte, war ein erbärmlicher Stümper gewesen. Nach den ersten kräftigen Hieben brachen die Stiele, zu allem Überfluß
27 dicht unterhalb der Schneide. Ra murmelte einen Fluch und schleuderte die nutzlose Axt ins Gebüsch. »Bis wir die Holzreste herausgewühlt und neue Stiele geschnitzt hätten«, stellte er ergrimmt fest, »werden ein paar Tage vergangen sein. Wir müssen anders vorgehen!« »Wie, wenn ich fragen darf?« meinte Etir Baj düster. Ra grinste ihn unverschämt an. »Ein Barbar weiß immer Rat!« behauptete er. Fartuloon hatte einmal bemerkt, daß Ra offenkundig einer hochentwickelten Steinkultur entstammen müsse. Er hatte richtig beobachtet, und Ra hatte von dem, was er früher einmal gelernt hatte, nichts vergessen. Er brauchte einen halben Tag, dann hatte er zwei Steinbeile angefertigt, von denen er eines an Bei Etir Baj weitergab. »Und du glaubst, daß uns diese primitiven Dinger weiterhelfen werden?« fragte er zweifelnd. »Wir werden es versuchen!« konterte Ra. Bei Etir Baj mußte die verblüffende Feststellung machen, daß die Steinzeit auch ihre guten Seiten gehabt haben mußte. In verblüffend kurzer Zeit war der mächtige Stamm gefällt und entastet, dann machten sich die Männer daran, eine Vertiefung in den Stamm zu hauen. Während Etir Baj noch hackte, entfachte Ra ein neues Feuer, diesmal aus Holzarten, die sehr langsam brannten. Mit den rotglühenden Holzstücken füllte er die Höhlung im Stamm, wo sich die Glut langsam in die Tiefe fraß. Die Arbeit nahm vier Tage in Anspruch, in denen das Feuer pausenlos überwacht werden mußte. Drohte die Gefahr, daß die Bordwand zu dünn geraten könnte, mußte das Feuer schnell gelöscht werden. Gleichzeitig war der freie Mann damit beschäftigt, Kiel und Bug mit der Axt roh herauszuhacken. Später wurden die Kanten mit einem Mahlstein und Sand geglättet. Ra sammelte im Wald lange, zähe Lianen, mit denen er einen Ausleger am Boot befestigte. Auf diese Weise wurde das Boot na-
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Peter Terrid
hezu kentersicher, und am Morgen des sechsten Tages schwamm das Kanu auf dem Wasser des Flusses.
* Die Fahrt verlief einstweilen ohne große Störungen. Ein paar Mal mußten sich die beiden Männer der wütenden Angriffe eines Rudels Wasserbüffel erwehren, aber dank der Schärfe ihrer Schwerter konnten sich die Männer den Weg freikämpfen. Inzwischen war der Strom so breit geworden, daß das Boot gemächlich treiben konnte. Ein Mann am Steuer genügte, der andere konnte sich in dieser Zeit ausruhen und dann später das Ruder übernehmen. Auf diese Weise war es möglich, bei Tag und Nacht zu fahren. Ra hatte während einer Pause eine kleine Plattform aus Holz gebastelt, die er überaus sorgfältig mit dünnen Steinplatten belegt hatte. Auf dieser Plattform brannte des Nachts ein Feuer, damit der Rudergänger etwas sehen konnte. Eine Laune der Natur wollte es, daß die Insekten dieser Welt ohne Ausnahme Vegetarier waren; Ras Befürchtung, in der Nacht mit Insektenstacheln gespickt zu werden, hatte sich als grundlos erwiesen. Der Fischbestand war reichlich, Krebse ließen sich mit der bloßen Hand fangen, und das abendliche Wildbret ließ sich ohne sonderliche Mühe vom Boot aus mit Pfeilen erreichen. Etir Baj lag mit dem Rücken auf dem Boden des Kanus und starrte auf die wenigen Wolken, die der Wind bedächtig über den blauen Himmel schob. »Darauf habe ich zwölf Jahre lang gewartet!« murmelte er nachdenklich. »Manchmal frage ich mich, wozu man überhaupt Raumschiffe baut!« »Wie hättest du diesen Planeten erreicht, wenn nicht mit einem Raumschiff!« wandte er ein. »Wie ist dein Volk eigentlich auf diese Welt gekommen? Du wirst mir doch nicht erzählen wollen, eure Art sei hier entstanden!« »Mit Raumschiffen vermutlich!« beant-
wortete Etir Baj die Frage. »Und wie bist du an dein Schiff gekommen? Hast du es selbst gebaut?« Jetzt war die Reihe an Ra, ausweichende Antworten zu geben. Immerhin hatte ihn Etir Baj an etwas erinnert. Nach Ras Überlegungen kreiste Ischtar in ihrem Schiff noch immer um den Maahkstützpunkt. Irgendwann würde sie Ra vermissen, und so, wie Ra die Varganentechnik einschätzte, würde es ihr ein leichtes sein, den Standort ihres Beiboots herauszufinden. Was dann geschehen würde, daran wagte Ra gar nicht erst zu denken. In Magintor würde eine fürchterliche Panik ausbrechen, wenn das Doppelpyramidenschiff am Himmel auftauchte und sich obendrein gegen den konzentrierten Strahlbeschuß aus den veralteten Geschützen der Con-Treh als gefeit erwies. Und Ischtar war nicht die Frau, die lange fackelte, wenn man ihr Schiff ohne Vorwarnung beschoß. Ra machte ein paar schwache Paddelschläge, um das Boot wieder auf den richtigen Kurs zu bringen. Das Wasser war kristallklar und erfrischend kühl. Darüber lag ein feiner Geruch nach Moder, der vermutlich von dem Pflanzenmaterial stammte, das am Ufer versunken war. Nur ab und zu war ein Teil eines umgestürzten Baumstamms zu sehen, der Rest des Ufers wurde kilometerweit von Schwimmpflanzen bedeckt, vor allem einer Sorte mit einer leuchtend roten Blüte, mit einer gelbweißen Maserung an den Blattspitzen. Ra klemmte das Paddel in die Armbeuge und bückte sich; vor ihm lag ein Stück Fleisch, das er am Abend zuvor gebraten hatte. Genußvoll schlug der Barbar seine weißen Zähne in das Fleisch.
* Die Sonne stand sehr tief am Horizont; noch waren ihre Strahlen kräftig genug, um den Boden zu wärmen. Ihr Schein fiel auf einen verlassenen Lagerplatz, auf ein längst erloschenes Feuer. Daneben lagen einige Steinsplitter; Ra hatte hier eine neue Schnei-
Die Höhlen von Magintor de für sein Steinbeil geschlagen. Die Splitter glänzten im Licht der untergehenden Sonne. Das Gestein war glashart, und an einigen Stellen waren die Bruchkanten glatt wie Eis. Langsam wanderte der Schein der Sonne weiter. Das Splitterstück war knapp handtellergroß, von scharfen Zacken umsäumt. Ras Schlag hatte den Splitter sauber abgetrennt; in der Mitte des Steines war eine sanft gewölbte Vertiefung entstanden, die glatt und spiegelnd war. Langsam wanderten die Lichtstrahlen, die von der Sonne ausgingen und von diesem Spiegel zurückgeworfen wurden, über den Boden, der mit trockenem Laub bedeckt war. Auf dem Weg des gesammelten, zurückgeworfenen Sonnenlichts gab es nur ein Blatt, das genau die Entfernung von dem steinernen Hohlspiegel hatte, die der Brennweite dieses Spiegels entsprachen. Dieses Blatt begann zu glimmen, und als die Sonne hinter den Baumwipfeln versank, stand bereits eine quadratmetergroße Fläche in Flammen.
* Am späten Nachmittag erst öffneten die Wasserblumen ihre roten Kelche. Den ganzen Tag über hatten sie das Gas produziert, das sie jetzt brauchten, um ihre Nahrung finden zu können. In dem klaren Wasser gab es nicht genügend Nahrung für die Blumen, daher ergänzten sie ihren Vorrat, indem sie die Insekten fingen, die abends in Millionenschwärmen über den Wassern tanzten. Unwiderstehlich wurden die Insekten von dem betäubenden Duft angelockt, und erst wenn das Gas seine todbringende Wirkung schon fast zur Gänze getan hatte, öffneten die Blumen ihre Kelche vollständig und fingen den nahrhaften Regen langsam herabsinkender Insekten auf. Das Gas, das die Pflanzen produzierten, war sehr leicht und brennbar. Sekunden, nachdem der Laubbrand am Ufer eine der Blumen erreicht hatte, standen bereits einige
29 hundert Meter des Ufers in Flammen. Der Wind trieb den Feuersturm vor sich her, flußabwärts.
* Das Feuer, diesmal von Ra angelegt, brannte leise und mit kleiner Flamme. Dieses Geräusch wurde nur ab und zu von einem genußvollen Schmatzen unterbrochen. Vor Tagen hatte Ra ein paar große Schieferplatten gefunden, die er seitdem mitschleppte. Auf dieser Fläche briet er Fleisch und Fisch, röstete Nüsse und buk aus Nußmilch, Fleischfett, Eiern und gequollenem Grassamen hervorragend schmeckende Fladen. Bisher war die Fahrt zwar ab und zu anstrengend, aber noch nicht gefährlich geworden. Wäre nicht die Sorge Ras gewesen, der ein Eingreifen Ischtars befürchtete, hätte der Barbar die Reise als Ferienausflug genießen können. An die Gefahr, daß das Unternehmen mißlingen könnte, und die Con-Treh ihn um einen Kopf kürzer machen würden, dachte er nicht mehr. Inzwischen verstand er sich mit Etir Baj fast ohne Worte; die beiden Männer paßten gut zueinander, vor allem deshalb, weil sie sich in dieser Wildnis wohl fühlten. Welche Strecke sie bisher zurückgelegt hatten, konnte Ra nur schätzen, es konnten annähernd tausend Kilometer sein. Der Fluß hatte hier ein steiniges Bett und war relativ schmal, entsprechend hoch war die Geschwindigkeit des fließenden Wassers. Nach einigen Tagen hatte Ra gemerkt, daß der Wind tagsüber häufig flußabwärts wehte, daher hatte er ein Segel und einen Mast gebastelt, der die Geschwindigkeit des Einbaums beträchtlich erhöhte. Etir Baj rülpste ungeniert, dann packte er das verbliebene Stück Braten in ein paar große Blätter. So hielt sich das Fleisch tagelang, zudem wurde es von dem Saft der Blätter aromatischer. »Gute Nacht!« wünschte Ra, als sich Etir Baj auf die Seite legte und die Beine anzog. Die Nachtluft war angenehm warm, der
30 Himmel sternenklar. Ra starrte in die Höhe; er versuchte gar nicht erst, irgendeine bekannte Konstellation zu finden. In diesem Raumgebiet, dem galaktischen Zentrum ziemlich nahe, änderten sich die Sternbilder mit jedem Lichtjahr. Irgendwo in dieser Schwärze kreiste Ischtars Schiff um einen Stern, und irgendwo lag auch Ras Heimat. Unwillkürlich sah sich Ra um. »Doch«, murmelte er. »Hier könnte ich mich niederlassen!« Er hörte auf das leise Geräusch des fließenden Wassers, auf die verwirrenden Lebensäußerungen des großen Urwalds, den noch niemand erforscht hatte. Hinter dem Gebirge ging einer der Monde auf; der Trabant mußte eine merkwürdige Umlaufbahn besitzen, denn bisher hatte Ra den Mond noch nie gesehen. Es dauerte nur kurze Zeit, bis Ra begriff, daß es sich nicht um einen Mond handelte, sondern um ein gewaltiges Feuer, dessen Widerschein er wahrgenommen hatte. Ra stieß Etir Baj an. Sofort war der Mann hellwach und sprang auf. »Wir müssen verschwinden – und zwar schnell!« stellte Ra fest und deutete über die Schulter, während er schon damit beschäftigt war, die Waffen und Ausrüstungsgegenstände schnell im Boot zu verstauen. Etir Baj unterstützte ihn ohne Zögern, und nach wenigen Minuten trieb das Boot schnell auf dem Wasser. Ra kniete kurz hinter der Plattform mit dem Leuchtfeuer; mit harten Paddelschlägen trieb er das Boot vorwärts. Etir Baj saß am Heck und schwang ebenfalls kraftvoll sein Paddel. Ra fluchte erbittert, als er entdeckte, welche Ursache die neue Gefahr hatte. In der Eile des Aufbruchs hatte er vergessen, das Lagerfeuer zu löschen, und nun hatte sich der Brand weitergefressen und ebenfalls die Wasserblumengase entzündet. Mit großer Geschwindigkeit, weit schneller als das Kanu, fraß sich der Brand am Ufer entlang. »Verbrennen werden wir jedenfalls nicht!« schrie Etir Baj. Er mußte sich anstrengen, um das Brausen des Feuers zu
Peter Terrid übertönen. »Die Blumen wachsen nur in Ufernähe!« »Aber ersticken können wir sehr wohl!« brüllte Ra über die Schulter. »Wenn der Brand das ganze Ufer erfaßt hat und das Unterholz brennt, wird das Feuer jedes Atom Sauerstoff heranziehen, bis uns nichts mehr übrig bleibt!« »Das linke Ufer ist frei!« schrie Etir Baj. »Versuchen wir dort unser Glück!« Der Einbaum war leicht zu lenken, wenn beide Männer zusammenarbeiteten, und nach relativ kurzer Zeit trieb das Boot in Ufernähe. Dieser Uferstreifen war bislang vom Feuer verschont worden, aber der Lichtglanz im Rücken der beiden Männer wies unübersehbar darauf hin, daß der erste, größere Brand beide Uferstreifen erfaßt haben mußte. Es konnte auch nicht mehr lange dauern, bis der Brand, der aus dem Lagerfeuer erwachsen war, durch Funkenflug auf die andere Seite des Flusses übersprang. »Sollen wir an Land gehen?« fragte Ra. »Dort haben wir vielleicht eine größere Chance durchzukommen!« Etir Baj schüttelte lebhaft den Kopf. Längst war das Feuer so groß geworden, daß es große Teile des Urwalds erfaßt hatte und hinter sich einen unter Umständen kilometerbreiten Streifen verbrannter Fläche entlang dem Flußverlauf zurückließ. Niemand konnte wissen, wie dicht der Wald an dieser Stelle stand; unter Umständen wären die Männer nur überaus langsam vorwärtsgekommen und vom Feuer eingeholt worden. »Land in Sicht!« rief Ra und grinste. Das linke Flußufer wurde zusehends steiniger; der Bewuchs wurde immer geringer und hörte schließlich ganz auf. Jetzt allerdings war eine Landung unmöglich, denn die Felsen ragten Dutzende von Metern fast senkrecht in die Höhe. In dem Licht, das von dem Uferfeuer ausging, konnte Ra sehen, daß in diesem Bereich an Landung nicht zu denken war. Zudem verengte sich das Flußbett, und dementsprechend höher wurde die Fließgeschwindigkeit des Wassers. In ihrem
Die Höhlen von Magintor Eifer, dem Feuer zu entkommen, hatten die Männer darauf nicht geachtet, und jetzt war der Fluß so reißend geworden, daß Menschenkraft das Boot nicht gegen die Strömung fortbewegen konnte. Um die Männer herum war das Prasseln des Feuers, durchsetzt von einem langsam anschwellenden Dröhnen. »Das Feuer holt uns ein!« rief Etir Baj. Ra schüttelte den Kopf. »Der Lärm kommt von vorne!« stellte er fest. »Wir treiben auf einen Wasserfall zu!« Auch das rechte Ufer wurde allmählich steiler. Von dem Rand der Klippen leuchtete das Feuer auf den Fluß, auf die wirbelnden Wassermassen, den weißlich leuchtenden Gischt. Das Boot wurde unruhig; die Wellen wurden kürzer und härter, und der Einbaum wurde vom Anprall des Wassers herumgestoßen. »Wie hoch ist der Fall?« schrie Ra, um das Brausen des Wassers zu übertönen. »Ist es überhaupt ein richtiger Wasserfall oder nur eine Stromschnelle?« »Keine Ahnung!« gab der Con-Treh zurück. »Der Fluß ist nie genau vermessen worden.« »Langsam begreife ich, daß von dieser Reise noch keiner zurückgekommen ist!« brummte Ra. Etir Baj konnte die Worte nicht hören, zu laut war inzwischen das Toben des Wassers. Es dauerte nicht lange, dann konnten die beiden Männer nicht mehr paddeln oder das Boot lenken. So heftig tanzte das Kanu auf dem Wasser, daß die Männer ihre ganze Kraft brauchten, um nicht über Bord geschleudert zu werden. Das Brausen des Falles war zu einem ohrenbetäubenden Dröhnen angewachsen, das jede Verständigung unmöglich machte. Der Aufprall auf die Felsen zerstäubte die Wassertropfen, der wäßrige Nebel drang in die Lungen und ließ die Männer husten. »Festhalten!« brüllte Ra instinktiv, obwohl Etir Baj ihn nicht hören konnte. Vor sich sah Ra die Felskante, über die das Wasser strömte und in die Tiefe stürzte.
31 Jetzt hing alles davon ab, welche Strecke das Wasser im freien Fall zurücklegte. Ra spürte, wie das Boot angehoben wurde, dann sackte das Vorderteil in die Tiefe. Ra schrie instinktiv, als er den Halt verlor und aus dem Boot geschleudert wurde; neben ihm tauchte für einen Sekundenbruchteil ein schwarzer Schemen auf und glitt vorüber, dann prallte Ras Körper auf dem Wasserspiegel auf. Ra glaubte seine Knochen brechen zu hören, als er aufschlug; die Strömung packte ihn und wirbelte ihn herum. Die Welt verschwand in einem Wirbel aus weißschäumendem, wildbewegtem Wasser. Ra schlug um sich und versuchte nach Luft zu schnappen; Wasser drang in die Luftröhre und löste einen unwiderstehlichen Hustenreiz aus. Dann prallte Ras Kopf gegen etwas Hartes, und im Bruchteil einer Sekunde verlor er das Bewußtsein.
4. »Wo zum Teufel bin ich!« stöhnte Ra. Sein Schädel dröhnte wie eine Trommel, er fühlte sich zerschlagen und zerschunden. Aber er lebte noch, und das war das Wichtigste. »In einem Berg!« erklärte ihm eine bekannt klingende Stimme. »Etir Baj!« staunte Ra. »Wo steckst du?« Eine Hand legte sich auf Ras Schulter. Es war stockfinster, kein Lichtstrahl fiel in diese Schwärze, und selbst Ras hervorragende Augen konnten nichts wahrnehmen als Dunkelheit. »Einstweilen leben wir noch!« meinte Etir Baj, aber der Ton seiner Stimme klang alles andere als optimistisch. »Ich habe mich im Boot festgeklammert und bin mit dem Kanu abgestürzt. Dabei hat sich das Boot auf den Rücken gedreht, auf diese Weise hatte ich einen kleinen Luftvorrat bei meiner Fahrt und wurde nicht ohnmächtig. Wenn ich mir die Landschaft vorstelle, dann geschieht hier folgendes: der Fluß fällt ungefähr zwanzig Meter tief. Ein Teil des Wassers wird durch
32 eine Öffnung im Berg in diesen unterirdischen Fluß gedrückt, der Rest läuft über den Rand des Sturzbeckens und bildet einen zweiten Flußlauf. Wann und wo sich diese beiden Arme wieder vereinigen, weiß ich nicht!« »Was ist von unserer Ausrüstung noch da?« erkundigte sich Ra. Das Gefühl, fürs erste sicher zu sein, ließ ihn die Schmerzen rasch vergessen. Etir Baj, der schon einige Zeit länger bei Bewußtsein war, hatte die Zeit genutzt, um in der Dunkelheit herumzutasten und festzustellen, wo er sich befand. Auf diese Weise hatte er das Boot wiedergefunden, es vertäut und dann nach Ra gesucht. »Das Wasser fließt hier ziemlich ruhig!« stellte der Con-Treh fest. »Ich habe das Kanu am Ufer angebunden und leergeschöpft, während du betäubt warst!« »Und die Ausrüstung?« wiederholte Ra seine Frage. »Wieviel davon hat den Absturz überstanden?« Etir Bajs Seufzen verriet, daß es um die Ausrüstung nicht gut bestellt sein konnte. »Sieh selber nach!« schlug er vor. Ra entdeckte an seiner Hüfte das Schwert und den Dolch. Im Boot lag ein Bogen mit gesprungener Sehne. Etir Baj hatte sein Messer ebenfalls retten können. Mehr war nicht geblieben. »Wir müssen zusehen, daß wir diese Höhle verlassen!« stellte Ra fest. »Wir müssen hier heraus, sonst verhungern wir!« Glücklicherweise hatten die Paddel den Sturz ebenfalls überstanden, hauptsächlich deswegen, weil Ra die Paddel mit dünnen, aber sehr starken Lederriemen am Boot befestigt hatte, nachdem ihm ein Paddel aus der Hand geglitten und abgetrieben war. »Wie fühlst du dich, Ra?« wollte Etir Baj wissen. »Mäßig!« gab Ra zurück; der Tonfall von Etir Bajs Stimme hatte echte Besorgnis verraten, und das freute Ra. Er verschwieg, daß sein Schädel noch immer dröhnte und schmerzte. »Warten wir nicht lange, fahren wir los!«
Peter Terrid Die kleine Feuerplattform am Bug war verschwunden, wahrscheinlich war sie beim Sturz ähnlich wie der Ausleger in Splitter verwandelt worden. Ra übernahm die vordere Sitzbank und stieß das Boot vom Ufer ab. Zu sehen war nichts, das einzige Hilfsmittel zur Orientierung war das leise Rauschen des Wassers. Die Luft in der Höhle war kalt und feucht, und die beiden Männer zitterten bald vor Kälte. »Lange halten wir das nicht durch!« prophezeite Etir Baj düster. »Man kann viel ertragen, wenn man muß!« hielt Ra ihm entgegen. Das Plätschern der Paddel verstärkte sich. Ra und Etir Baj kamen langsam in Schwung. Es war eine einfache Rechnung: solange die beiden Männer fleißig paddelten, würden sie nicht frieren. Allerdings brauchten sie wegen der Arbeit entschieden mehr Nahrungsmittel, um den Energieverlust wieder ausgleichen zu können. Das wiederum verkürzte die Zeitspanne, die ihnen zur Verfügung stand, um wieder das Tageslicht zu erreichen. Hinzu kam die nervliche Belastung. Schon nach sehr kurzer Zeit wurde der Gehörsinn wesentlich schärfer, aber selbst noch so scharfe Ohren konnten nicht feststellen, welcher Art die Geräusche waren, die die beiden Männer umgaben. Niemand konnte sagen, ob das leise Glucksen von einem Felsvorsprung stammte, um den das Wasser herumströmte, oder ob es sich um das Geräusch eines Fisches handelte. Ra wußte, daß sich Tiere schon nach wenigen Generationen völlig an ein Leben in absoluter Finsternis anzupassen vermochten. Was er nicht wußte, war die Antwort auf die Frage, wie groß solche Tiere werden konnten. Der Barbar begann zu lächeln, als er weit voraus einen schwachen Lichtschimmer wahrnehmen konnte, zuerst nur verschwommen, dann immer deutlicher zu erkennen. »Ich glaube, wir sind bald wieder im Freien!« gab er an Etir Baj durch. »Ich kann Licht sehen!« »Ich sehe schwarz!« bemerkte Etir Baj
Die Höhlen von Magintor brummend. »Für den Fall nämlich, daß die Ausfahrt aus dieser Höhle verläuft wie die Einfahrt!« Ra gab keine Antwort; er spähte angestrengt nach vorn, versuchte Einzelheiten zu erkennen. Unwillkürlich beschleunigten die beiden Männer den Rhythmus ihrer Paddelschläge. Das Licht reichte bereits aus, um schwach das Ufer des unterirdischen Flusses erkennen zu lassen. Immer stärker wurde der Schein, und Ra begann zu hoffen, daß er in ein paar Stunden schon wieder an einem Feuer seine Glieder wärmen und die Kleidung würde trocknen können. Um so größer war die Enttäuschung, als er bemerkte, daß der Lichtschein nicht von der Sonne stammte. Das unwirklich bleiche Licht ging von den Felswänden aus, die den Fluß umgaben. Sogar das Wasser wurde von unten erhellt, und Ra konnte unterarmlange Fische erkennen, die sich träge bewegten. »Woher kommt dieses Leuchten?« fragte Ra seinen Begleiter. »Ist dieses Material häufig auf dieser Welt zu finden?« Etir Baj schüttelte langsam den Kopf. Ratlos antwortete er: »Ich habe dieses Material noch nie gesehen! Das heißt: ich kenne eine Substanz, die auch ohne Lichtzufuhr im Dunkeln leuchtet!« »Ich weiß!« warf Ra ein. »Ich denke an den gleichen Stoff – chemisch reines Uran!« Die beiden Männer wußten, was sich aus diesen Überlegungen ergab. Eine Konzentration strahlenden Materials von solchem Ausmaß ergab eine Dosis an Radioaktivität, die die beiden Männer in kurzer Zeit töten mußte. Ra wäre fast aus dem Boot gekippt, als Etir Bajs Hand klatschend auf seiner Schulter landete. Der Con-Treh begann laut zu lachen. »Heilige Galaxis, was sind wir für Feiglinge!« prustete der Mann. »Wenn das Zeug wirklich strahlend wäre, müßten hier überall Fischleichen herumliegen! Was auch immer das für ein Mineral ist, radioaktiv ist es jedenfalls nicht!«
33 »Wenigstens haben wir jetzt Licht!« meinte Ra mit einem Seufzer der Erleichterung. »Halte nach rechts!« Der unterirdische Fluß beschrieb einen leichten Bogen, und an einer Stelle hatte das stetig spülende Wasser den Berg unterhöhlt, daß massive Felsen in das Bett gestürzt waren. Vor diesem natürlichen Hindernis hatte sich im Lauf der Zeit allerlei Schwemmholz aufgehäuft. Und dieses Holz lag jetzt auf dem Trockenen. Ra sprang als erster aus dem Kanu und untersuchte das Holz, während Etir Baj das Kanu am Ufer vertäute. »Das Holz ist zwar ziemlich feucht«, stellte Ra fest, »aber für unsere Zwecke zu gebrauchen!« Er sammelte einige Steine, hockte sich auf den Boden und fing an zu arbeiten. Etir Baj verfolgte mit Staunen, wie Ra mit den Resten der Bogensehne, ein paar Steinen und dem morschen Holz ein Feuer zuwege brachte. »Ah, das tut gut!« murmelte Ra und hielt die Hände über die kleinen Flammen des Feuers. Langsam und gründlich rieb er seine Hände über der Wärme, bis die frühere Geschmeidigkeit zurückgekehrt war. »Sammle das Holz und bringe es ins Boot!« befahl er Etir Baj. »Ich glaube, wir werden es brauchen!« Er selbst suchte in dem Geröll lange herum, bis er gefunden hatte, was ihm vorschwebte. Es war ein mächtiger Brocken Fels, ungefähr so groß wie Ras Rumpf und entsprechend schwer. Ra stöhnte und ächzte, aber nach einer halben Stunde hatte er den Fels mühsam bis ans Ufer gewuchtet. Wortlos hockte sich Etir Baj neben den Stein und kopierte genau, was Ra ihm vormachte. Der Con-Treh war geschickt und intelligent, aber ihm fehlte die natürliche Begabung dafür, den richtigen Winkel zu finden, um mit einem steinernen Meißel den Fels zu bearbeiten. Das Material war glasartig, sehr hart und überaus spröde; dies erleichterte Ra die Arbeit. Nach zwei Stunden Arbeit war das Produkt fertig, eine große, tief gewölbte Schale aus Stein, die gerade in das Kanu
34 hineinpaßte. Ra sorgte dafür, daß sich die Schale nicht bewegen oder verrutschen konnte, dann füllte er die Glut des Feuers in das Behältnis. Jetzt erst begriff Etir Baj den Zweck der gesamten Arbeit. Die Männer konnten nicht darauf hoffen, jedesmal, wenn sie Holz brauchten, auf eine solche Anhäufung angeschwemmten Materials zu stoßen. Daher hatte Ra dafür gesorgt, daß sie das Feuer mit sich führen und nach Belieben anfachen und vergrößern konnten. »Fahren wir weiter oder essen wir erst?« wollte Ra wissen. Er deutete auf die großen, weißen Fische, die sich mit trägem Flossenschlag in dem Wasser bewegten. »Wir können allerdings auch während der Fahrt essen!« »Fahren wir!« entschied Etir Baj. »Je schneller wir diese Höhle verlassen, desto besser für uns!« Ra nickte und löste die Lederschnur von dem Felsen, an dem Etir Baj das Boot befestigt hatte. Neben ihm auf dem Boden lag der Speer mit der steinernen Spitze, der fast beiläufig bei der Arbeit an der Feuerschale entstanden war. Langsam und fast geräuschlos glitt das Kanu durch die Höhle. Das bleiche Licht der Mineralien und der rötliche Schein des Feuers verbanden sich zu einer geheimnisvollen Beleuchtung, die den gefährlichen Eindruck der Szenerie noch verstärkte. Ra ließ sich von solchen Überlegungen nicht beeindrucken; er hatte sich in den Bug gehockt und versuchte mit dem Speer zu fischen. Er brauchte erst einige Versuche, bis er sich daran gewöhnt hatte, daß die veränderten optischen Verhältnisse im Wasser eine andere Zieltechnik erforderlich machten. Dann aber durchbohrte seine Waffe nacheinander fünf große Fische. Kurze Zeit später brutzelten die ausgenommen Tiere über dem Becken, dessen Glut von Etir Baj mit größter Aufmerksamkeit gehütet wurde. Die Fische waren nicht sonderlich sättigend, aber der größte Hunger konnte rasch gestillt werden. Angesichts des Fischreich-
Peter Terrid tums dieses unterirdischen Flusses war die Gefahr des Hungertodes wenigstens vorläufig gebannt. »Das Leuchten wird heller!« bemerkte Etir Baj. Ra grinste mit bläulich verfärbten Zähnen; in dieser Beleuchtung wirkte sein Gesicht wie eine Teufelsmaske. Die Höhle wurde breiter, die Decke wölbte sich in die Höhe; der Raum, den Ra und Etir Baj erreichten, war fast schon als unterirdischer Dom zu bezeichnen. Ra schätzte den Durchmesser des Gewölbes auf fünfhundert Meter, die lichte Höhe auf ein Fünftel. Der Fluß erweiterte sich zu einem unterirdischen See, der von einer schmalen Landzunge fast halbiert wurde. Das Kanu kam fast zum Stillstand, als der See erreicht war. Die plötzliche Erweiterung des Flußbetts war schuld an diesem Effekt. An der Engstelle, dort wo die Landzunge in das Wasser ragte, mußte das Wasser allerdings seine Fließgeschwindigkeit beträchtlich erhöhen. Der Engpaß war nicht zu übersehen, weiß tanzte der Gischt auf dem aufgewühlten Wasser. Es war nicht dieser Anblick, der Ras Herz schneller schlagen ließ. Die Landzunge hatte eine Verlängerung in den massiven Fels hinein, eine geräumige, fast kreisrund geformte Höhle, die ziemlich steil anzusteigen schien. Auf der gesamten Strecke der Landzunge lagen gelbliche schimmernde Körper, schmal und gebogen, dazwischen ähnlich gefärbte Halbkugeln. »Skelette!« flüsterte Ra beklommen. »Hier sind Dutzende von Menschen gestorben! Alle, die den Wasserfall unbeschädigt überstanden haben, sind dem Flußlauf gefolgt. Und hier sind sie gestorben!« Ra bemühte sich, etwas mehr von der Höhle erkennen zu können, aber an dieser Stelle war der Glanz der Mineralien so stark wie eine elektrische Beleuchtung. Was sich hinter dem grellen Licht verbarg, war nicht einmal zu erahnen. Aber die Männer konnten sich ausrechnen, daß es kein Zufall sein konnte, wenn hier Skelette in solcher Zahl
Die Höhlen von Magintor zu finden waren. »Wir müssen höllisch aufpassen!« murmelte Etir Baj und griff nach seinem Schwert. Ra hielt seinen Speer bereit, während er mit vorsichtigen Paddelschlägen das Kanu langsam näher an die Landzunge heranbrachte. Einen anderen Weg gab es nach seiner Meinung nicht. Die Falle war hervorragend angelegt. Wenn das Kanu die Engstelle passierte, waren die beiden Männer sicher so intensiv mit der Lenkung des Bootes beschäftigt, daß sie zu einer Gegenwehr gegen einen plötzlichen Angriff nicht fähig gewesen wären. Ra hatte sich dafür entschieden, dem unbekannten Feind die Stirn zu bieten. Wenn es ihm und Etir Baj nicht gelang, den Erbauer der Landzunge auf festem Boden zu stellen und zu töten, dann gab es auch keine Chance, mit dem Kanu die Engstelle zu überwinden. Es schrammte leicht, als das Kanu am Ufer auflief. Jetzt konnte Ra die Skelette deutlich sehen; es mußten Dutzende von Menschen gewesen sein, die hier den Tod gefunden hatten, von den Hunderten von Tieren ganz abgesehen. »Wir müssen uns auf allerhand gefaßt machen!« knurrte Ra. Er war sicher, daß der helle Glanz, der von der Höhle ausging, kein Zufall war, weit eher das Werk seines Bewohners. Auch die Landzunge war mit Sicherheit künstlich; ein so starkes Hemmnis in seinem Lauf hätte der Fluß in kurzer Zeit abgeschliffen gehabt. »Versuchen wir, das Kanu auf die andere Seite zu schleppen!« schlug Etir Baj vor. »Oder willst du warten, bis sich unser unbekannter Freund zeigt?« Etir Baj hatte zweifellos recht, schließlich konnten die beiden Männer nicht an diesem Fleck verweilen. Mit vereinten Kräften zerrten sie das Boot hinter sich her. Glücklicherweise war die Landzunge ziemlich flach, daher ließ sich das Boot verhältnismäßig leicht schleppen. Der Bug des Kanus tauchte auf der anderen Seite schon wieder ins Wasser, als sich der Bewohner der Höhle vorstellte.
35 Er tat dies mit einem Brüllen, das von den Felswänden zurückgeworfen wurde und die Männer zusammenzucken ließ. Blitzartig fuhr Ra herum und legte die Hand über die Augen, um gegen das grelle Licht des Höhleneingangs etwas erkennen zu können. Nur undeutlich sah er eine Gestalt, die sich langsam bewegte. »Noch haben wir eine Chance!« brüllte Etir Baj. »Hilf mir!« Er stemmte sich mit der Schulter gegen das Boot, aber allein war er zu schwach, um das Kanu von der Stelle bewegen zu können. Ra wollte ihm helfen und machte einen Schritt auf das Boot zu. Das Geschoß schlug eine Handbreit neben seinem Fuß auf dem Fels und zersprang klirrend. Ra spürte einen harten Schlag, dann einen schneidenden Schmerz am Fuß. Er sah hinunter und starrte auf den Splitter, der knapp über dem Knöchel aus dem Bein ragte. Wieder pfiff aus dem Höhleneingang ein Geschoß herüber und prallte auf den felsigen Boden der Landzunge; diesmal wurde Etir Baj von dem Splitterhagel eingedeckt. Die beiden Männer warfen sich auf den Boden, um dem Beschuß nicht so offen ausgesetzt zu sein. Langsam wurde der Schütze sichtbar, ein gigantischer, grüngeschuppter Wurm, der an der Spitze mindestens drei Meter Durchmesser besaß. Ra konnte zwei irrlichternde Augen erkennen, darunter einen kleinen Mund. Aus dieser Öffnung verschoß der Wurm Kristallkugeln. So hoch war die Anfangsgeschwindigkeit dieser Projektile, daß Ra nur eine winzige Bewegung der Lippen des Wurmes sehen konnte, dann krachte das Geschoß vor ihm auf den Boden. Ra hatte noch nie davon gehört, daß Tiere Steinkugeln verschossen, aber er wußte, daß Tiere, die ihre Beute einmal ins Auge gefaßt hatten, selten danebengriffen. Es war unwahrscheinlich, daß die Bestie mehr als fünfmal danebengeschossen haben sollte. »Das Biest ist intelligent!« flüsterte er; Etir Baj lag neben ihm und nickte grimmig. »Und sadistisch veranlagt!« stellte er fest.
36 »Es will mit uns spielen!« Inzwischen hatte der Wurm weitere Teile seines Körpers aus der Höhle geschoben und den Vorderteil des Leibes aufgerichtet. Langsam pendelte der häßliche Kopf hin und her, und immer wieder öffneten sich die Lippen zu einem Schuß. Ra betrachtete die Splitter, die in seiner Nähe auf den Boden fielen; sie bestanden aus dem gleichen Material, aus dem an dieser Stelle das gesamte Gewölbe bestand. Offenbar stellte die Bestie den geheimnisvollen, glänzenden Stoff selbst her und verwandte ihn als Waffe. Ra hörte das heftige Pochen seines Herzens, fast übertönt von dem schleifenden Geräusch, mit dem der Wurm sich vorwärts bewegte. »Ein Gloohn!« flüsterte Etir Baj plötzlich. »Wir haben nur ein einziges Mal eine solche Bestie gefunden, und es ist uns nur mit Energiewaffen gelungen, das Tier zu vernichten. Es ernährt sich von Steinen, und es ist fähig, seine Körperausscheidungen nach Belieben zu kontrollieren. Es kann jedes gewünschte Mineral herstellen. Aber ab und zu braucht es organische Materie, und dafür muß jedesmal ein Tier oder ein Mensch sterben!« »Energiewaffen haben wir nicht!« knurrte Ra. »Aber vielleicht …!« Er sprach den Satz nicht zu Ende. Mit einem gewaltigen Sprung schnellte er sich einige Meter weit fort, sprang auf die Füße und begann zu rennen. Dem Gloohn schien seine Flucht Spaß zu machen, sofort wechselte es das Ziel und beschoß den Boden rings um Ras Füße. Es war ein grausames Spiel; die Bestie hätte jederzeit Ra mit einem gezielten Treffer außer Gefecht setzen, wahrscheinlich sogar töten können, aber es hatte mehr Gefallen daran, seine Opfer zu quälen. Wie präzise die Bestie treffen konnte, zeigte sich bald. Als Etir Baj seinen Standort verändern wollte, wurde er von einem Hagel von Geschossen in seine Deckung zurückgezwungen. Das Gloohn brauchte nur Sekundenbruchteile, um seine Bewegung zu se-
Peter Terrid hen, den Kopf zu wenden und Etir Baj zu beschießen. Die Zeit war nicht lang, die Ra zur Verfügung stand, aber in der kurzen Spanne des Zielwechsels konnte Ra das Kanu erreichen. Sofort warf er sich hinter dem Boot in Deckung. Wenig später flogen Holzsplitter um sein Gesicht, das Gloohn machte sich daran, das Boot zu zerschießen. Ra sah nur eine Chance, den Angreifer zu vertreiben; er griff sich ein brennendes Stück Holz aus dem Feuer, wirbelte es über dem Kopf und schleudert den Brand dem Gloohn entgegen. »Treffer!« schrie Etir Baj. »Noch einmal, Ra!« Das Gloohn stieß schrille, trompetenartige Laute aus und zog sich hastig zurück. Offenbar fürchtete es das Feuer. Ra schleuderte einen zweiten Brand, wieder traf er sein Ziel. Das Gloohn kümmerte sich jetzt nur noch um Ra, und Etir Baj nutzte die Zeit, um alles erreichbare Schwemmholz in der Nähe des Höhleneingangs aufzuhäufen. Das Gloohn schrie und zuckte; der Rauch der Fackeln stieg ihm in die Augen und blendete das Tier. Ra konnte die Kristallgeschosse über seinem Kopf pfeifen hören. Hastig richtete sich der Barbar auf, griff sich zwei Fackeln und rannte damit nach vorne, dem Gloohn entgegen. Die Bestie spürte die Nähe des Feuers und wich angsterfüllt zurück. Ra achtete darauf, daß der Rauch der Fackeln auf das Gloohn zuwehte, als er Schritt um Schritt vorwärts rückte und die Bestie immer weiter in ihre Höhle zurücktrieb. Endlich war der große Kopf des Gloohn in der Höhle verschwunden; sofort schob Etir Baj die Holzstöße, die er aufgetürmt hatte, vor den Eingang. Ra zündete die Holzstapel rasch an, dann rannten die Männer zu ihrem Boot zurück. Es dauerte nicht lang, bis das Kanu wieder schwamm. Die Gefahr des Gloohn hinter ihnen gab ihnen ungeahnte Kräfte, obwohl das schauerliche Heulen und Brüllen der Bestie verriet, daß Etir Baj und Ra ihr gründlich zugesetzt hatten.
Die Höhlen von Magintor Noch lange hörten sie das Gloohn schreien, während sie das Boot mit schnellen, harten Paddelschlägen vorwärts trieben. »Hoffentlich gibt es nicht weitere Exemplare dieser Art!« wünschte sich Ra. »Wir Con-Treh haben in unserer ganzen Geschichte nur einmal ein Gloohn gesehen!« behauptete Bei Etir Baj. »Dieses war das zweite, und ich vermute auch das einzige auf diesem Planeten!« Gern hätte Ra gefragt, über welchen Zeitraum sich die Geschichte der Con-Treh erstreckte, aber da er wußte, daß er nur eine ausweichende Antwort bekommen würde, verzichtete er auf die Frage. Er war sich ziemlich sicher, daß er eines Tages auf alle Fragen, die mit den Con-Treh zusammenhingen, eine vernünftige Antwort bekommen würde. Dann nämlich, wenn er seine Aufgabe gelöst hatte und nach Magintor zurückkehrte. Es entsprach der Mentalität des Barbaren, daß er überhaupt nicht an einem Gelingen der Mission zweifelte, und sein Optimismus war stark genug, Etir Baj damit zu infizieren. Allerdings hatte der Con-Treh manchmal das Gefühl, als sei dieser Optimismus angesichts der Möglichkeiten, die die Zukunft barg, auch bitter vonnöten.
5. Ra kniff die Augen zusammen, um vom Licht der Sonne nicht geblendet zu werden. Nach Tagen, in denen die beiden Männer nur das schwache Licht ihres Feuers gehabt hatten, wirkte das helle Licht der Sonne fast schmerzhaft. Das Kanu glitt sanft schwankend über das Wasser. Die Ausfahrt aus dem Höhlensystem war nicht annähernd so hart gewesen wie die Einfahrt. Das Wasser strömte ruhig aus einem großem Tor im Berg hervor und verband sich einige hundert Meter flußabwärts wieder mit dem Hauptarm. »Geschafft!« murmelte Etir Baj und kratzte sich ausgiebig. Die Männer hatten sich nicht rasieren
37 können, und waren hungrig. Nach der Landzunge des Gloohn hatten sie nur noch wenige Fische fangen können, und beide hatten etliches Gewicht verloren. Die Gesichter waren bleich und eingefallen, die Augen lagen tief in den Höhlen. »Programmpunkt eins: ein großer, saftiger Braten!« bemerkte Ra. Er brauchte nicht auf eine Antwort Etir Bajs zu warten, denn der Con-Treh war genauso ausgehungert wie er selbst. Ra schirmte die Augen mit der Handfläche ab und deutete nach vorne. »Was ist das dort?« fragte er Etir Baj. »Ein Vulkan?« Etir Baj faßte den Horizont schärfer ins Auge und schüttelte den Kopf. »Dort gibt es zwar einen Vulkan, aber der ist seit Jahrhunderten erloschen!« meinte er nachdenklich. »Es wäre möglich, daß einige von uns noch immer dort leben!« Ra zog fragend die Brauen in die Höhe, dann zuckte er die Schultern. Er hatte es endgültig aufgegeben, nach mehr Informationen zu fragen; aus Etir Baj war nichts herauszuholen. Und wenn die dünne Rauchsäulen tatsächlich von Con-Treh stammte, dann würde man diese Menschen ohnehin bald sehen, denn der voraussichtliche Weg der beiden Männer führte ziemlich gerade auf den schwärzlichen Faden am Himmel zu. Ein paar kräftige Paddelschläge genügten, um das Kanu an Land treiben zu lassen. Jetzt war Ra wieder in seinem Element. Zwar war auch Bei Etir Baj naturerfahren, ein geübter Jäger und Waldläufer, aber er war immer auf ein gewisses Mindestmaß an technischer Ausrüstung angewiesen. Ohne Messer wäre er wahrscheinlich im Wald verloren gewesen; ihm fehlte die zum Instinkt gewordene Erfahrung, aus Hunderten von Steinen denjenigen herauszufinden, der einen brauchbaren Faustkeil ergab oder scharfkantige Splitter für Pfeile liefern konnte. Während Ra sich um das Feuer kümmerte, ging Etir Baj auf die Jagd. Sein Messer war lang und hervorragend ausbalanciert, so
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dauerte es nicht lange, bis Etir Baj mit zielsicherer Hand einen Wurf ansetzte und seine Beute genau an der Stelle traf, an der das Messer eindringen sollte. Etir Baj brach das Tier auf und schleppte dann die genießbaren Teile zum Ufer, wo Ras Feuer bereits brannte. Den ganzen Tag verbrachten die beiden Männer damit, ihre Ausrüstung zu vervollständigen. Ra war es, der das Holz für die Bögen auswählte und die Sehnen aus den erbeuteten Tieren schnitt, während Etir Baj aus kopfgroßen Nußschalen neue Gefäße herstellte und die Bugplattform erneuerte, auf der des Nachts das Feuer weiterbrennen sollte. Als die Sonne am Horizont verschwand, war die Ausstattung der beiden Männer wieder halbwegs komplett. Ra stieß das Kanu vom Ufer; die Reise konnte weitergehen.
* Die Männer wußten nicht, wie viele Tage seit ihrem Aufbruch von Magintor bereits vergangen waren. Die Fahrt in der Höhle hatte es unmöglich gemacht, die Tage zu zählen, aber Etir Baj hatte das Gefühl, die Reise müßte ziemlich schnell vonstatten gegangen sein. Der Strom war inzwischen so breit geworden, daß vom Kanu aus kein Ufer mehr erkennbar war. Das Wasser hatte sich verfärbt; der Fluß schleppte gewaltige Mengen lehmiger Erde mit sich. Abgerissene, morsche Baumstämme trieben in dem Wasser, und der Mann am Steuer hatte viel Mühe, den Baumriesen auszuweichen und eine Kollision zu verhindern, bei der das Boot unfehlbar gekentert wäre. »Wenn das ein Lagerfeuer ist«, meinte Ra spöttisch, »dann bin ich Imperator von Arkon! Das ist ein Vulkan!« »Ich fürchte, daß du recht hast!« pflichtete ihm Etir Baj bei. »Aber ich kann es mir nicht erklären. Seit die Con-Treh auf dieser Welt leben, ist er als erloschen bekannt!« »Meinetwegen!« brummte Ra. »Noch sind wir weit von ihm entfernt. Wann
glaubst du, werden wir das Binnenmeer erreicht haben?« Etir Baj zuckte mit den Schultern. Das Boot trieb in Sichtweite des rechten Ufers, knapp fünfhundert Meter von dem weißen Sand des Strandes entfernt. Ra fühlte sich versucht, dort ein paar Tage lang auszuruhen. Soweit er die Landschaft hinter dem Ufer erkennen konnte, entsprach sie dem, was man gemeinhin als Paradies bezeichnete. Weite, grasbedeckte Flächen, von kleineren Hügelketten durchbrochen, dazwischen flache Seen. Die Jagdgelegenheiten mußten atemberaubend sein. »Ich glaube«, sagte Etir Baj plötzlich, »wir haben unser Ziel erreicht!« Ra zog das Paddel kräftiger durch, bis auch das Heck des Bootes die Biegung umfahren hatte. Der Augenschein sprach dafür, daß Etir Baj recht hatte. Das Ufer bog fast rechtwinklig ab. Vor dem Bug war nichts als Wasser zu sehen, mit einer leichten Dünung, die durchaus zu einem großen Binnenmeer gepaßt hätte. »Kennst du die Gegend?« wollte Ra wissen. Etir Baj verneinte. »Ich kenne nur Magintor und seine Umgebung aus eigener Anschauung«, erklärte er. »Aber ich habe Karten dieses Landstrichs gesehen. Danach muß rechts von uns, ein paar Kilometer entfernt, ein altes Fischerdorf sein. Es wurde vor mehr als zweihundert Jahren verlassen!« Diese zweihundert Jahre waren der einzige Zeitraum, den Ra kannte. Aber die Geschichte der Con-Treh mußte viel weiter in die Vergangenheit zurückreichen; in zweihundert Jahren konnte sich kein Volk so weitgehend von den Arkoniden wegentwickeln. »Wurde das Dorf allmählich geräumt oder fluchtartig verlassen?« wollte Ra wissen. »Was ist daran so wichtig?« fragte Etir Baj erstaunt zurück. »Wenn die Bewohner viel Zeit hatten«, erläuterte Ra geduldig, »dann haben sie vermutlich alles mitgeschleppt, was sich überhaupt tragen ließ. Bei einer Flucht sind
Die Höhlen von Magintor wahrscheinlich Werkzeuge zurückgeblieben und andere Sachen, die wir vielleicht brauchen könnten. Rasiermesser, beispielsweise!« Er sah Etir Baj an und grinste. Der ConTreh bot mit seinem langen, verfilzten Bart einen recht erheiternden Anblick; daß Ra nicht besser aussah, verriet das Lächeln, mit dem Etir Baj antwortete. »Greif zu!« forderte er Ra auf. »Es ist nicht mehr weit!« Bereits nach kurzer Fahrt war ersichtlich, daß mit diesem Kanu eine Überquerung des Binnenmeeres Abdalor ausgeschlossen war. Obwohl die beiden Männer eine recht dicke Bordwand hatten stehenlassen, tanzte das Boot auf den Wellen wie ein Korken. Weiter draußen im Meer würde es wahrscheinlich noch stürmischer werden, und Ra hatte eine lebhafte Abneigung gegen große Wassermengen, vor allem, wenn er kein gutes Boot besaß.
* Von der Siedlung der Con-Treh am Ufer des Binnenmeeres war nicht mehr viel geblieben. Zwei Jahrhunderte lang hatten Wind und Wetter Zeit gehabt, die Gebäude einzuebnen, und was die Witterung verschont hatte, war von Pflanzen überwuchert. Und die ehemaligen Bewohner hatten offenbar viel Zeit gehabt, alles mitzunehmen, was irgendwie von Wert war. Immerhin fanden sich noch zwei angebrochene Tuben mit Enthaarungscreme, die erstaunlicherweise trotz ihres hohen Alters noch wirkte. Außerdem fanden sich noch genügend Metallteile, aus denen sich mit etwas Geduld und Sachkenntnis Waffen und andere nützliche Gerätschaften fertigen ließen. Den größten Fund machte Etir Baj. »Du wirst es nicht glauben«, berichtete er, als er die halbverfallene Hütte erreicht hatte, die den beiden Männern als Unterschlupf diente. »Ich habe ein Boot gefunden!« »Aber erst nachdem du den meterhohen Schimmelbewuchs heruntergeschnitten
39 hast!« vermutete Ra bissig. »Plastikmaterial schimmelt nicht!« meinte Etir Baj und lächelte selbstzufrieden. »Es ist alles vorhanden, sogar Netze habe ich gefunden. Wir können sofort aufbrechen!« Ra deutete wortlos auf den Horizont, wo sich eine grauschwarze Wolkenwand gebildet hatte. Angesichts dieser Wetteraussichten verzichtete Etir Baj auf eine sofortige Abreise. Dafür nahmen sich die Männer viel Zeit für das Boot. Etir Baj hatte nicht übertrieben, das Boot war seetüchtig und praktisch sofort verwendungsfähig. Zwar wurde auch Kunststoffmaterial im Lauf der Zeit abgebaut, aber dieses Boot hatte in einem Schuppen gelegen, der durch Zufall fast vollständig luftdicht geworden war, als die Hütte darüber zusammengebrochen war. »Es muß damals in deinem Volk auch ein paar Reiche gegeben haben!« stellte Ra mit leisen Spott fest. »Dieses Boot ist niemals zum Fischen verwendet worden!« Etir Baj konnte ihm nicht widersprechen, denn es war offenkundig, daß Ra recht hatte. Das Boot war offen, ruhte auf zwei Schwimmkörpern und hatte einen übergroßen Mast; es handelte sich um einen ausgesprochenen Hochgeschwindigkeitskatamaran, wie er von Sport-Seglern verwendet wurde. Das Boot hatte Platz für zwei Personen, nicht mehr. Fische waren darin nicht unterzubringen. »Damit schaffen wir die Strecke bis zur Insel an einem Tag!« freute sich Etir Baj. Ra war ebenfalls erleichtert, denn Katamarane waren dank ihrer speziellen Bauart weitestgehend kentersicher. Der Barbar war weder feige noch wasserscheu, aber die Vorstellung, auf dem offenen Meer tagelang schwimmen zu müssen, bis er völlig entkräftet versank, hatte etwas Grauenerregendes an sich. Von der Insel selbst war nichts zu sehen, nur die unverkennbare Rauchsäule des Vulkans. Ra war gespannt auf das, was sich hinter dem Begriff der Halle der Erinnerung wohl verbergen mochte.
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Vor allem eines interessierte die beiden Männer: wie sah die Gefahr aus, der in den letzten zweihundert Jahren alle Männer zum Opfer gefallen waren, die versucht hatten, zur Halle der Erinnerung vorzudringen?
* Am nächsten Morgen war der Himmel blau und wolkenlos, von der Küste her wehte ein kräftiger Wind. Besser konnten die Startbedingungen kaum sein. Ra und Etir Baj brauchten etwas mehr als eine Stunde, dann schwamm das Boot auf dem Wasser. Die beiden Schwimmkörper des Katamarans waren unbeschädigt, wie Ra erleichtert feststellte. Rasch packten die beiden Männer ihre Habseligkeiten zusammen und verstauten sie im Boot. Dann konnte die Fahrt beginnen. Das Boot machte flotte Fahrt. Die Männer hatten kein Log, aber nach ihren Schätzungen machten sie mindestens dreizehn Knoten, und schon nach kurzer Zeit war die Küste außer Sicht. Zu tun gab es wenig, da der Wind sehr gleichmäßig wehte. Ra unternahm einen letzten Versuch, Etir Baj auszufragen. »Da ich es bald ohnehin erfahren werde«, begann er entschlossen, »würde ich schon jetzt gern wissen, was diese Halle der Erinnerung ist!« Etir Baj lachte bitter auf. »Ich würde es dir gerne sagen«, erklärte er. »Aber ich weiß es selbst nicht!« Ra schüttelte fassungslos den Kopf. Der Hang der Con-Treh zur Geheimniskrämerei nahm allmählich fast skurrile Formen an. Oder lag eine gewisse Absicht des ConTreh-Than dahinter, die beiden Männer sowenig wie möglich zu informieren? Ra konnte sich sehr gut vorstellen, daß der Ältestenrat der Con-Treh diesen Weg wählte, um ihn auf diese Weise doch hinrichten zu können. Und ein Gericht, das einen Menschen nur deshalb zum Tode verurteilte, weil er ein Freund Atlans war, war nach Ras Ansicht auch fähig, einen Con-Treh zu opfern, um
den Zweck – nämlich Ras Tod – erreichen zu können. Mit solchen Gedanken verbrachte Ra die Zeit, in der er nichts zu tun hatte. Er wurde erst dann wieder abgelenkt, als sich langsam der Gipfel des Vulkans über den Horizont zu schieben schien. Es gab jetzt keinen Zweifel mehr, der Vulkan war wieder tätig. Es war unverkennbar, daß der Rauch der Spitze des schwarzgrauen Kegels entströmte, allerdings stieg der Qualm so gleichmäßig hoch, als handle es sich um den Rauch eines kleinen, sorgfältig gehüteten Feuers. Von gefährlicher Aktivität des Berges war nichts zu erkennen. Ra spürte, daß sein Herz schneller schlug. Die Gefahr, der die Con-Treh in früheren Jahren erlegen waren, mußte zum Greifen nahe sein. Wie sah diese Bedrohung aus? Bestand sie in der wieder aufgeflammten Tätigkeit des Vulkans, von dem die ConTreh angenommen hatten, er sei tot und kalt? Ra wandte sich zu Etir Baj um. Auch der Con-Treh zeigte Zeichen der Erregung. Ra konnte sehen, wie er nervös die Hand um die Pinne krallte, dann wieder lockerte und wieder fest zugriff. Er kaute nervös auf den Enden des Schnurrbarts, der der Enthaarungscreme nicht zum Opfer gefallen war. Etir Baj hatte sich vorgenommen, den Bart erst dann wieder abzuschneiden, wenn das Rätsel um die Halle der Erinnerung gelöst war. Die Küste wurde sichtbar, ein flacher Sandstrand, der eher anheimelnd als unheimlich wirkte. Erst als das Boot dem Strand immer näher kam, sah Ra die Skelette am Ufer, von der Sonne gebleicht, so daß sie in dem hellen Sand kaum zu erkennen waren. Ra beugte sich etwas vor, um die Knochen besser sehen zu können. Er wäre fast über Bord gegangen, als Etir Baj ruckartig das Steuer herumriß. »Aufgepaßt, Ra!« rief der Con-Treh. »Die Insel wird bewacht!« Instinktiv zuckte Ras Hand in den Gürtel
Die Höhlen von Magintor und umklammerte das Heft des Schwertes, während er mit der freien Hand hinter sich griff, um wieder Halt zu finden. Als er endlich fähig war, sich umzudrehen, sah er in geringer Entfernung von sich ein weitaufgerissenes Maul, mit einer Reihe furchterregender Zähne, die vom Blut früherer Opfer schwärzlich verfärbt waren. »Wasserechsen!« rief Etir Baj. »Paß auf, daß du nicht über Bord gehst, ich werde versuchen, die Biester auszumanövrieren!« Ra nickte grimmig. Sein Schwert zuckte auf den Schädel des vordersten Angreifers herab. Wie von einer elastischen Haut prallte die scharfe Klinge ab, ohne die geringste Verletzung hervorgerufen zu haben. Ra stieß einen Fluch aus, dann versuchte er, die Spitze der Klinge in die Haut zu treiben. Auch das mißlang. »Die Biester sind gepanzert!« rief er über die Schulter hinweg. Etir Baj hatte sich im Heck des Bootes so klein wie möglich gemacht; solange Ra deutlich sichtbar im Bug stand, würden sich die Angriffe der Wasserechsen auf ihn konzentrieren, und nur solange war Etir Baj in der Lage, das Boot zu steuern. Er wußte, daß Verteidigung und Steuerung des Bootes ihn überfordert hätten. Ra hatte endlich eine Methode gefunden, die Echsen auf Distanz zu halten. Er hackte und stach nur noch nach den Augen. An diesen Punkten waren die Angreifer verwundbar, das bewiesen die Schreie der Echsen und das hervorquellende Blut. Der Blutgeruch verstärkte die Angriffswut der Echsen, aber Ra merkte erleichtert, daß sie zunächst über ihre verletzten Artgenossen herfielen und sie zerfleischten. Die geringste Verletzung wurde jedem Angreifer zum Verhängnis. »Halte auf den Strand zu!« rief Ra Etir Baj zu. »Wir werden ihnen weglaufen!« »Und was ist, wenn die Biester ebenfalls schnell rennen können?« fragte Etir Baj grimmig zurück. Der Einwand war nicht sehr ernst gemeint, denn ihm war klar, daß sie sich im
41 Wasser nur noch kurze Zeit würden halten können. Es war Ra gerade noch gelungen, eine Echse zu verwunden, bevor sie tauchen und das Boot auf den Rücken nehmen konnten, um es umzustürzen. »Verdammt, sie können laufen!« fauchte Ra. Knirschend war das Boot auf den Strand aufgelaufen, und Ra war schnell an Land gesprungen. Doch die Echsen gaben nicht auf, sie krochen den beiden Männern ohne Zögern nach. Ra und Etir Baj mußten sich ihren Weg erst bahnen, der Strand war von Knochen übersät. Zum Glück ließen die Bestien das Boot unbehelligt; ohne den Katamaran hätte es von der Insel keine Rückkehr gegeben. Erst als die beiden Männer den Rand des Strandes erreicht hatten und hinter den ersten Bäumen in Deckung gingen, wichen die Echsen zurück. Es war, als habe sie schlagartig eine Panik befallen; wild krochen sie zurück, überschlugen sich förmlich, wenn sie in ihrem Eifer übereinanderkrochen und stürzten. Ra holte keuchend Atem. »Ob das die Gefahr war?« ächzte er. »Allein wäre hier keiner von uns beiden durchgekommen!« Etir Baj war ebenfalls außer Atem; keuchend antwortete er: »Die Echsen sind so gefährlich nicht! Immerhin sind ein paar hundert davon an diesem Strand gestorben!« Er wies auf die Knochen, die den Strand bedeckten. Etir Baj hatte zweifellos recht, mehr als vier Fünftel der Skelette stammte nicht von Con-Treh, sondern von den Wasserechsen. Fraglich war nur, was die großen, kräftigen Tiere mit der starken Panzerung getötet haben konnte. Eine Seuche? Giftige Gase, die von dem Vulkan ausgingen? »Ein Glück, daß sie unser Boot in Ruhe lassen!« murmelte Etir Baj. »Sollen wir weitermarschieren?« »Warten bringt uns nicht weiter!« stellte Ra fest. Er ging langsam voran. Der Bewuchs der
42 Insel war dicht, genährt von der Wärme des Vulkans und den Wassern des Binnenmeeres Abdalor. Jeden Schritt mußten sich die beiden Männer erst mühsam freihauen. Der Boden war weich und nachgiebig; oft versanken Ra und Etir Baj bis an die Knöchel in einem grünlich schillernden Morast. Unter dem dichten Blattwerk des Urwalds stauten sich die Wärme und die Feuchtigkeit, Ra und Etir Baj fühlten sich bald wie in einem Dampfbad. Merkwürdig war nur, daß außer dem schmatzenden Geräusch des Schlamms unter ihren Füßen nichts anderes zu hören war. Es gab keine kreischenden Affen, keine schrill pfeifenden Vögel, wie sie typisch gewesen waren für den Oberlauf des Flusses Donacona. »Ich traue diesem Frieden nicht!« knurrte Ra. Er suchte nach Skeletten, aber er fand keine Knochen. Allerdings konnte das darauf zurückzuführen sein, daß die Gebeine in dem feuchtwarmen Klima längst verrottet waren. Vielleicht hatte auch der Morast sie längst verschluckt. Als das Blattwerk ein wenig aufgelockert wurde, konnte Ra ein Stück nach vorn sehen. Deutlich erkennbar war der hohe Kegel des Vulkans, dem eine beständige Rauchfahne entstieg. Davor mußte es einen kleinen, grasüberwachsenen Hügel geben, annähernd kreisrund geformt. Vielleicht ein Seitenkrater des Vulkans, dachte Ra. »Wo zum Teufel ist diese Halle der Erinnerung?« fragte er Etir Baj. Der Con-Treh zuckte mit den Schultern. »Sie muß irgendwo zwischen dem Strand und dem Vulkan liegen!« behauptete er. »Früher soll dies alles hier ein Park gewesen sein. Siehst du die Ruine dort?« Ra folgte mit dem Blick der ausgestreckten Hand Etir Bajs. Nur mit Mühe war unter dem alles überwuchernden Blattwerk die Silhouette eines Gebäudes zu erkennen. Das Haus war schon vor langer Zeit unter der Last eines gewaltigen Baumes zusammengebrochen, der auf dem Dach gewachsen war. Viel war nicht mehr geblieben von dem klei-
Peter Terrid nen Bungalow, außer ein paar schwer erkennbaren Reliefs an der Außenwand, eingestürzten Mauern und ein paar hellen Flecken im eintönigen Grün des Urwalds. Ra hätte sich die Reliefs gerne aus der Nähe angesehen, aber Etir Baj stieß ihn sanft, aber nachdenklich vorwärts. »Keine Pause!« mahnte er. »Die Halle der Erinnerung wartet auf uns!« Ra spürte am Tonfall seiner Stimme, daß der sonst so beherrschte Con-Treh Mühe hatte, seine Fassung nicht zu verlieren. Die Halle schien in der Geschichte der Con-Treh eine zentrale Rolle zu spielen, allerdings war verwunderlich, daß sie sich nicht schon wesentlich früher aufgerafft hatten, mit einer wohlausgerüsteten Expedition den Weg zur Halle wieder freizukämpfen. Was ihm und Etir Baj jetzt vielleicht gelingen konnte, hätte man wesentlich früher schon erreichen können – allerdings mit dem Einsatz moderner Waffen, von denen die Con-Treh nur sehr ungern Gebrauch machten. »Wir sind am Ziel!« flüsterte Etir Baj, der vorangegangen war. »Die Halle der Erinnerung!« »Man muß ein verdammt gutes Gedächtnis haben, um sich an so etwas zu erinnern!« stellte Ra bissig fest. Was Etir Baj als Halle bezeichnete, waren ein paar geborstene Säulen am Fuß des Hügels, den Ra schon vorher gesehen hatte. Mehr war nicht zu entdecken. »Das ist alles?« staunte Ra. »Ein paar Stücke morschen Marmors? Ein Haufen Pflanzen auf einer Ruine?« Dafür also hatten sie ihr Leben gewagt und beinahe auch verloren. Für dieses brüchige Gemäuer waren zweihundert Jahre lang Con-Treh gestorben? »Die eigentliche Halle liegt dahinter!« erklärte Etir Baj lächelnd. Er kam Ra vor wie ein Rauschgiftsüchtiger beim Anblick eines Spritzbestecks. Ra zuckte mit den Schultern. Vielleicht mußte man tatsächlich ein ConTreh sein, um bei diesem Anblick euphorisch zu werden. »Gehen wir hinein!« schlug Etir Baj vor.
Die Höhlen von Magintor Unwillkürlich griff Ra das Schwert fester. Bisher waren die beiden Männer auf keine Gefahr gestoßen, die die Unsumme von Knochen am Strand hätte erklären können. Lauerte das Verhängnis jenseits der umgestürzten Säulen des Eingangs. Ra hielt seinen Freund zurück. Erst als er ein Feuer gemacht und aus harzgetränkten Holzspänen eine stattliche Zahl von Fackeln gefertigt hatte, schloß er sich Etir Baj an, der mit dem verklärten Blick eines Schlafwandlers auf die Öffnung zuschritt. Hinter den geborstenen Säulen war es dunkel, und diese Schwärze signalisierte Gefahr, das spürte Ra ganz genau. Er hatte eine untrügliche Witterung für solche Dinge. Unwillkürlich sah er auf den Boden des Eingangs. Die marmornen Platten waren gebrochen, und in den Fugen bewegte sich dürres Gras im leichten Wind. Es sah aus, als hätte seit langen Jahren kein lebendes Wesen mehr diesen Weg genommen. Ra kam die Szenerie nicht geheuer vor, aber er schwieg und folgte Etir Baj. Die metallene Konstruktion, an der der Weg ins Innere vorbeiführte, war nicht zu verkennen. Ra kannte den Mechanismus und das Aussehen einer Mannschleuse arkonidischer Bauweise ganz genau. Der Hügel, in dem sich die Halle befand, war nichts weiter als die Außenhaut eines zur Hälfte im Boden versunkenen ArkonSchiffes. Ra schätzte grob die Höhe des Hügels und kam zu dem Schluß, daß das Schiff einen Durchmesser von achthundert Metern gehabt haben mußte, eine selbst für arkonidische Verhältnisse gigantische Größe. Nach Ras Erinnerungen wurden Schiffe dieser Kategorie nur zu dem einen Zweck gebaut, mit einer Fahrt eine große Schar von ArkonKolonisten mitsamt ihrer Ausrüstung auf eine zu erschließende Welt zu befördern. Das Schiff, das neben dem Vulkan stand und vom Gras völlig überwuchert war, mußte vor vielen Jahren die Con-Treh zu diesem Planeten gebracht haben. Es gab keinen Zweifel mehr, die Con-Treh waren tatsäch-
43 lich Arkoniden, so unwahrscheinlich das klingen mochte. »Verdammt!« entfuhr es Ra. »Vielleicht strahlt der Kasten!« Er verwünschte die Angst der Con-Treh vor hochentwickelter Technik. Natürlich hatte man den beiden Männern kein Dosimeter mitgegeben, und Ra hatte keine Möglichkeit festzustellen, ob sein Verdacht sich bestätigte. Allerdings war dies eine sehr gute Erklärung für die Skelette am Ufer. Die Eindringlinge waren in kurzer Zeit so stark radioaktiv verseucht worden, daß sie gerade noch das Ufer erreichen konnten. Von Etir Baj war vorläufig keine Hilfe zu erwarten, der Con-Treh war wie benommen. Ra zuckte mit den Schultern. Wenn sein Verdacht stimmte, dann war er schon jetzt unrettbar verseucht. Die nächste Möglichkeit, Strahlenerkrankungen zu heilen, lag mindestens fünftausend Kilometer entfernt, das hieß, wenn die Con-Treh überhaupt über solche Möglichkeiten verfügten. »Bist du dir darüber im klaren, wo wir stecken?« fragte Ra seinen Begleiter. Etir Baj nickte begeistert. »In der Halle der Erinnerung!« sagte er triumphierend. »Wir haben es tatsächlich geschafft!« »Das wird sich zeigen!« orakelte Ra düster. »Dies hier ist ein Raumschiff, das einmal auf diesem Planeten gelandet ist, und zwar in einem Zustand, der einen Start unmöglich machte!« »Möglich!« meinte Etir Baj geistesabwesend. »Das interessiert mich im Augenblick nicht. Ich weiß, daß dies eine Raumschiffshülle ist, aber ich möchte herausfinden, warum man die Hülle so eigentümlich benennt. Siehst du irgend etwas, was eine Erklärung für die Halle der Erinnerung sein könnte?« Ra schüttelte den Kopf. In dem Licht der Fackeln war ohnehin nicht allzuviel zu sehen. »Wenn wir hier überhaupt etwas finden können, dann höchsten in der Zentrale des Schiffes!« vermutete er. »Ich zeige dir den Weg!«
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Ra ging vorneweg und leuchtete die Gänge aus. Nach einigen hundert Metern jedoch wurde dies überflüssig. Die Innenbeleuchtung des alten Schiffes funktionierte! Ra sah die hellerleuchteten Gänge und schluckte, denn ihm wurde brutal bewußt, was für Folgerungen sich daraus ableiten ließen. Irgend jemand lebte noch im Schiff, denn normalerweise wurde auch die Beleuchtung positronisch kontrolliert. Wenn längere Zeit niemand an Bord war, schaltete der Automat sämtliche Leuchtkörper aus. Auch Raumschiffe mußten Energie sparen. Ra wußte nicht, welchen Zeitraum in früheren Jahrhunderten der Automat zuließ, aber er war sich sicher, daß keine Positronik die Lampen länger als ein paar Tage würde brennen lassen. Wer war das Wesen, das es sich in dem Schiff bequem gemacht hatte? »Damit ist deine Angst, von Strahlung umgebracht zu werden, wohl verschwunden?« meinte Etir Baj mit leisem Spott. »Mir ist es egal, wer oder was mich umbringt!« gab Ra schlagfertig zurück. »Halt an!« Die beiden Männer wären an einer Kabine vorbeigekommen, der Gravierung an der Tür nach mußte es sich um die Privaträume des früheren Kommandanten gehandelt haben. »Mal sehen, was sich hier tut!« meinte Ra. »Wenn sich ein Mensch hier einquartiert hat, dann steckt er mit Sicherheit in der Kommandantenkabine!« Er grinste Etir Baj an, und der Con-Treh lächelte zurück; offenbar waren die Charaktere bei Con-Treh und Barbaren ziemlich verwandt. Mit dem Fuß stieß Ra die Tür auf, die Hand umklammerte das Heft des Schwertes. Er prallte erschrocken zurück, als er sah, was die Kabine füllte.
* Die Eier waren so groß wie ein menschlicher Kopf, ihre Schale war weiß, mit rötli-
chen Flecken übersät, die im Licht der Lampen leicht glitzerten. »Heilige Galaxis!« stöhnte Etir Baj auf. »Was ist das?« Ra zuckte mit den Schultern, er konnte sich den Anblick ebenfalls nicht erklären. Die gesamte Kabine des Kommandanten war mit Eiern vollgestopft. Überall lagen die Eier, teilweise bis an die Decke gestapelt, in den Schubladen der Schränke lagen sie, in der Dusche, auf den Tischen und Stühlen. »Hier auch!« reif Etir Baj. Er hatte die benachbarte Kabine flüchtig durchstöbert. »Sogar in den Toiletten liegen Eier!« »Ich möchte wissen, was an diesen Eiern so gefährlich sein soll!« rätselte Ra. »Vielleicht das Wesen, das diese, Eier gelegt hat!« Langsam und vorsichtig bewegten sich die beiden Männer durch das Schiff. Sie hatten beträchtliche Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden. Auch Hypnoschulung, wie sie Ra erhalten hatte, konnte da wenig helfen. Es war auf den ersten Blick zu sehen, daß dieses Schiff nicht so gelandet war, wie es sich der Kommandant vorgestellt hatte. Die Spuren der Beschädigung waren zwar nicht allzu offensichtlich, aber in einigen entfernten Winkeln lagen noch genügend verbogene Streben und geplatzte Geräte herum, um an die Bruchlandung zu erinnern. Die Männer hatten sich dafür entschieden, das Schiff langsam zu untersuchen. Die Zentrale wollten sie sich für den Schluß aufheben, denn sie waren sich ziemlich sicher, daß der unbekannte Eierfreund sein Hauptquartier dort aufgeschlagen hatte. Im Schiff war es sehr ruhig. Die wenigen Reaktoren, die das Schiff mit Energie versorgten, waren klein und machten wenig Lärm. Die großen Reaktoren, die beim Flug gebraucht wurden, waren desaktiviert. Inzwischen hatte auch Etir Baj seine Benommenheit verloren. Der Anblick der Eier hatte die weihevolle Stimmung zerstört, die er beim Betreten der legendenumwobenen Halle empfunden haben mochte.
Die Höhlen von Magintor »Unser Eierfreund war außerordentlich fleißig!« stellte Etir Baj trocken fest. Überall lagen die Eier herum. In den Kabinen, auf den Gängen, sogar in den Hohlräumen zwischen den Decks, nicht einmal die Maschinenräume waren eierfrei. In der Maschinenzentrale machten die beiden Männer eine weitere, überraschende Entdeckung. Jemand hatte sich an den Maschinen zu schaffen gemacht. Neugierig beugte sich Ra über die Geräte und Maschinen. Ein Teil der Beschädigungen, die zweifellos noch von der Bruchlandung stammten, war vor vielen Jahrhunderten behoben worden. Eine zweite Reihe von Reparaturen war offensichtlich jüngeren Datums und von einer Person ausgeführt worden, die handwerklich nicht eben geschickt war. Immerhin verstand dieser Jemand etwas von Raumschiffstechnik, denn rein fachlich waren die Reparaturen einwandfrei. Ra hatte allerdings seine Zweifel, ob die »Reparaturen« einer stärkeren Belastung gewachsen sein würden. »Also, unser Freund legt Eier und versucht offenbar, das Schiff startklar zu machen!« faßte Etir Baj die Beobachtungen zusammen. »Die Art, in der er die Schäden zu beheben versucht hat, läßt darauf schließen, daß er über keine sehr gut ausgebildeten feinmotorischen Gliedmaßen verfügt!« »Viel ist das nicht!« meinte Ra seufzend. »Sollen wir jetzt in die Zentrale vordringen?« Etir Baj preßte die Lippen zusammen und nickte. Bisher waren sie auf keinen Widerstand gestoßen, nichts war zu sehen, das mit der Gefahr identisch sein konnte, die zweihundert Jahre lang die Halle der Erinnerung blockiert hatte. War es das unbekannte Wesen in der Zentrale? Oder gab es eine noch größere, unbekannte Gefahr? »Los denn!« knurrte Ra. »Mehr als das Leben kann es nicht kosten!«
6.
45 Der Boden, auf dem die Stadt Siret stand, bebte. Häuserwände rissen auf, die Straßendecke platzte, und ein tiefes Grollen erschütterte die Luft. Die Menschen standen auf der weiten Fläche vor der Stadt und schrien vor Entsetzen. Ohnmächtig mußten die Sireten mitansehen, wie ein Teil ihrer Stadt in Schutt und Asche fiel. Die Stadt war noch jung, erst vor wenigen Jahrzehnten waren die Kolonisten auf Siret gelandet und hatten ihre Stadt gebaut. In einigen Jahren sollte der zweite Schub Kolonisten landen. Jetzt versank die Arbeit einiger Jahre in wenigen Augenblicken, verschwand in einer gewaltigen Staubwolke. »Diese Bestie!« flüsterten die Menschen. Sie wagten nicht, laut zu sprechen. Vielleicht hätte das Ergothal sie gehört.
* Etir Baj und Ra bewegten sich sehr langsam und vorsichtig, stets gewärtig, zu den Waffen greifen zu müssen. In einer verlassenen Kabine hatte Ra tatsächlich ein paar Strahlwaffen mit frischen Magazinen finden können. Etir Baj hatte zwar finster dreingeblickt, sich dann aber gesagt, daß sich der Gegner wohl kaum von ein paar Schwertern würde beeindrucken lassen, wenn dieser Gegner fähig war, ein Raumschiff zu reparieren. Die Piktogramme an den Wänden der Gänge zeigten an, daß die Zentrale nicht mehr sehr weit entfernt war, Etir Baj spürte, wie sich sein Puls beschleunigte. Dann war die Zentrale erreicht. Leise schwang die schwere Stahltür auf und gab den Blick in den Raum frei. Das erste, was den beiden Männern auffiel, waren die Eier, die auch diesen Raum füllten. In der riesigen Zahl von kopfgroßen Körpern verschwanden die Geräte und Instrumentenpulte fast völlig. Nur ein Teil des Raumes war noch eierfrei, aber dieser Teil war leer. Der Besitzer der Eier hielt sich
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nicht in der Zentrale auf. Ra unterdrückte eine Verwünschung. »Ich möchte jetzt endlich wissen, wie diese Eier von innen aussehen!« murmelte er und hob das Schwert. Die Klinge prallte hart auf die Schale eines freiliegenden Eies, die klirrend zersprang. Eine helle Nährflüssigkeit quoll aus dem Ei, dann wurde der Dotter sichtbar. Eine dünne, elastische Haut umgab einen winzigen Körper. Ra nahm den Dotter auf; die Membran war sehr zäh und hielt dem Druck der Finger mühelos stand. Im Innern des Dotters erkannte Ra eine kleine Gestalt. Er sah eine schuppige Haut, von rötlichen Flecken übersät, vier Gliedmaßen und einen überproportionierten Kopf. »Das Kleine muß von einem echsenartigen Tier stammen!« vermutete Etir Baj, nachdem er sich den Inhalt des Eies betrachtet hatte. »Aber wo ist das Muttertier. Und vor allem – wo kommt es her?«
* »Gebt mir ein Raumschiff!« forderte das Ergothal gnadenlos. »Andernfalls vernichte ich eure ganze Stadt. Ihr wißt, was das heißt?« Die Sireten nickten betroffen. Die kleine Abordnung hatte Mühe, ihre Entsetzen nicht zu zeigen. Mit einem einzigen Biß seines riesigen Maules hätte das Ergothal die Männer verschlingen können. »Wir haben nur das eine Schiff!« stammelte der Leiter der Delegation. »Ohne das Schiff sind wir verloren!« »Mit dem Schiff auch!« lautete die zischende Antwort des Ergothal. »Ich werde auch alle töten, keiner wird mir entgehen, ihr könnt es mir glauben. Also?« »Wir geben das Schiff her!« sagte der Leiter der Abordnung; er ließ den Kopf hängen, und seine Begleiter waren ähnlich niedergeschlagen. Aber den Sireten blieb keine andere Wahl. Die ganze Stadt war machtlos gegen das Ergothal.
* »Ich habe etwas gefunden!« rief Etir Baj freudig erregt. »Ein Translator!« stellte Ra fest. »Wer mag das Gerät angestellt haben?« »Ich!« sagte das Ergothal. Die Männer fuhren herum. Aus dem zentralen Antigravschacht, dessen Feld ausgefallen war, schob sich der gigantische Schädel eines Tieres, unverkennbar ein stark vergrößertes Abbild des Embryos, den die beiden Männer in dem Ei gefunden hatten. Langsam wichen die Männer zurück. Ihnen war auf den ersten Blick klar, daß sie mit ihren Schwertern gegen diesen Gegner keine Chancen hatten. Und Energiewaffen zu verwenden, widersprach Etir Bajs tiefstem Empfinden; dies war die Halle der Erinnerung, jeder Schuß konnte Unersetzliches zerstören. Zudem würde ein Treffer in die Eier die Bestie so wütend machen, daß ihre Reaktionen unberechenbar wurden. »Sieh an!« sagte das Ergothal, und der Translator vermittelte sogar den höhnischen Unterton, »wieder zwei Con-Treh! Hat es euch nicht gereicht? Mußtet ihr wiederkommen, obwohl euch bekannt ist, daß es von hier keine Rückkehr gibt?« »Du willst uns töten?« fragte Ra, obwohl er die Antwort bereits kannte. Jetzt galt es Zeit zu gewinnen. »Selbstverständlich!« lautete die Antwort. »Spielen wir also unser Spiel. Fast alle, die mich störten, wollten Zeit schinden und fragten mich aus. Fangt also an!« Wenn das Ergothal menschliche Verhaltensweisen deuten konnte, mußte es ein sadistisches Vergnügen bei dem Anblick haben, den die beiden Männer boten. Ra fühlte sich, als habe man ihm buchstäblich den Boden unter den Füßen weggezogen, und Etir Bajs Gesicht ähnelte verblüffend der Farbe der Eier. »Fragt also!« forderte das Ergothal die beiden Männer auf. »Ich werde antworten!«
Die Höhlen von Magintor
* Als das Schiff startete, brachen viele der Sireten in die Knie oder wurden ohnmächtig. Sie waren jetzt allein auf dem Planeten, ohne technische Ausrüstung. Die großen Reaktoren des Kolonistenschiffs hatten den Strom für die ganze Stadt geliefert, die Maschinen hatten die Werkzeuge hergestellt, die man zum Häuserbau und zur Feldbestellung brauchte. An Bord war auch das medizinische Labor, und das Ergothal hatte sich geweigert, auch nur eine Ampulle oder eine Diagnosemaschine herauszugeben. Hilflos waren die Sireten ihrem ungewissen Schicksal preisgegeben. Das Ergothal kümmerte sich nicht darum; es verfolgte seinen Plan mit der charakteristischen Hartnäckigkeit seiner Art. Die Ergothals kannten nur sich selbst und sonst nichts. Andere Werte als die eigenen erkannten sie nicht an. Schon vor der ersten Transition hatte das Ergothal die Sireten vergessen. Der Sprung brachte das Schiff in einen Raumbezirk, der bisher noch nie von Ergothals besucht worden war. Zufrieden stellte das Ergothal fest, daß einer der Planeten für seine Zwecke geeignet war, und es steuerte diesen Planeten an. Die Welt war ausreichend warm, und mit der von ihm speziell für seine Zwecke umgebauten Ortung konnte das Ergothal feststellen, daß es dort auch Vulkane gab. Langsam kam das Schiff dem Planeten näher, so gesteuert, daß sein Kurs an der Welt vorbeiführen mußte und keinen Verdacht erregen konnte. Wäre das Ergothal zu einer solchen Gefühlsregung fähig gewesen, wäre es vor Freude aufgesprungen, als es auf der Ortung die gewaltige Metallmasse eines Raumschiffs entdeckte. Zwar war sich das Ergothal nicht sicher, ob es wirklich ein Schiff war, aber das Metall war auf jeden Fall bearbeitet. Das ließ auf intelligentes Leben schließen, und wenn der Körper kein Raum-
47 schiff war, so mußten eben später die Planetenbewohner nach den Angaben des Ergothal eines bauen. Das Schiff des Ergothal hielt seinen Kurs bei. Als es dem Planeten am nächsten stand, warf das Ergothal eines seiner Eier über Bord. Es wußte, daß die Schale nicht in der Atmosphäre verglühen würde. Dann verschwand das Schiff in den Weiten des Alls.
* Mit Entsetzen hatten sich die Männer die Geschichte des Ergothal angehört. Aus dem vereinzelten Ei war die Bestie geworden, die das Raumschiff der Con-Treh für sich beanspruchte. Jetzt wußten die Männer auch, was die vielen Eier und die Reparaturversuche zu bedeuten hatten. Das Ergothal wollte mit diesem Schiff starten und seine Eier überall Galaxis verteilen. Ra wagte sich nicht vorzustellen, was für Konsequenzen sich daraus ergaben, aber er wußte, daß in diesem Ergothal der Galaxis eine unvorstellbare Gefahr erwachsen war. Wenn es der Bestie gelang, das Schiff in die Luft zu bekommen, würde das Ergothal Hunderte von Planeten überfallen können. »Ihr wißt jetzt genug!« stellte das Ergothal fest. Die beiden Männer sprangen auseinander. Mit einem gewaltigen Satz brachte sich Ra in Deckung, hinter einem Stapel von Eiern. Hier war er vielleicht am sichersten vor dem Ergothal, denn die Bestie würde zwar sein Leben nicht schonen, aber doch einen gewissen Wert auf ihre Eier legen. Etir Baj hatte sich eine ähnliche Deckung gesucht. Er zog seine Waffe und gab einen Schuß auf das Ergothal ab. Aus dem Lautsprecher des Translators kam ein Geräusch, das sich wie die Karikatur eines Lachens anhörte. Etir Baj sah entsetzt, daß die Bestie die Strahlenergie seiner Waffe mühelos absorbierte. Auch der konzentrierte Beschuß aus beiden Waffen konn-
48 te die Bestie nicht beeindrucken. »Macht nur weiter so!« höhnte das Ergothal. »Ihr werdet mir nicht entkommen!« Langsam kroch die Bestie auf Etir Baj zu, der fühlte, wie seine Haut kalt vor Angst wurde. Ununterbrochen feuerte Etir Baj auf das Ergothal, zielte auf die grünlichen Augen, aber er erzielte keine Wirkung. Während sich die Bestie Etir Baj immer mehr näherte, bewegte sich Ra schnell und geräuschlos aus seiner Deckung. Dann warf er sich nach vorne. Mehrere Meter des langen, geschmeidigen Körpers des Ergothal hatten sich inzwischen aus der Öffnung des Antigravschachts geschoben. Ohne zu zögern, warf sich Ra auf den Körper und hieb mit dem Schwert auf den schuppigen Leib. Zu seiner Überraschung ließ die Haut die Klinge durch, und in weniger als einer Minute hatte Ra den Kopf der Bestie abgetrennt. Etir Baj kam rasch aus seiner Deckung und zückte ebenfalls sein Schwert. »Das Biest ist also nicht unverwundbar!« jubelte der Mann. »Los, hacken wir es in Stücke!« »Pech gehabt!« murmelte Ra entsetzt. Er starrte auf die Öffnung des Antigravschachts, aus der sich ein neuer Kopf in die Höhe schob. Gleichzeitig löste sich der erste Kopf langsam auf. Immer heller wurde die Hautfarbe des abgetrennten Teiles, schließlich leuchtete der Kopf grellweiß, und eine kaum erträgliche Hitze breitete sich in der Zentrale aus. »Gib mir Eier!« rief Ra, während er selbst nach einem Ei griff. Sekunden später prallte dem Ergothal sein Nachwuchs ins Gesicht. Sofort zuckte die Echse zurück und fing die kostbaren Eier auf. Ohne Pause setzten Ra und Etir Baj das Bombardement fort, bis der sichtbare Teil des Schachtes vollständig mit Eiern gefüllt war. »Es kann sich nur langsam zurückziehen!« freute sich Ra. »Sonst würden die Eier nämlich den Schacht hinunterfallen und am Boden zerschellen!« »Auch das wird uns nicht helfen!« sagte
Peter Terrid Etir Baj mit erstickter Stimme. Ras Blick folgte dem ausgestreckten Arm des ConTreh. Aus einer Tür schob sich langsam ein weiterer Kopf des Ergothal, und der Translator produzierte dazu ein hämisches Kichern, bis ein gutgezielter Schuß Ras den Kasten explodieren ließ. Die Männer warteten keinen Augenblick und gingen sofort zum Angriff vor, aber diesmal wich das Ergothal schon zurück, bevor die Männer in seiner Nähe waren. Dafür öffnete sich eine weitere Tür zur Zentrale, und ein neuer Angreifer trat auf den Plan. Ra kümmerte sich um den ersten, Etir Baj um den zweiten Kopf. Die Hitze in der Zentrale war kaum noch zu ertragen, von dem weißglühenden, sich auflösenden Ergothal-Kopf ging diese Hitze aus, und Ra stellte entsetzt fest, daß diese Wärme auch den Stahl des Bodens rot färbte. Im stillen dankte Ra dem Einfallsreichtum der Arkoniden, die für solche Fälle vorgesorgt hatten. Die Spezialstähle leiteten Wärme nur in bestimmten Umfang, andernfalls hätte jeder Strahltreffer den ganzen umliegenden Raum in einen Schmelzofen verwandelt, in dem niemand überleben konnte. »Immer nur kleine Stücke abhacken!« schrie Ra. »Vielleicht gelingt es uns, die Zugänge zuzuschweißen!« Ra kämpfte wie ein Besessener, schwang sein Schwert und trieb das Ergothal zurück. Ihm war klar, daß es sich bei den verschiedenen Köpfen nicht um mehrere Ergothals handeln konnte – schließlich hatte das Muttertier nur ein Ei auf diesem Planeten abgesetzt. Die Regenerationsfähigkeit des Monstrums war extrem hoch, wie die beiden Männer zu ihrem Leidwesen feststellen mußten. Zu allem Überfluß nahm das Ergothal in seiner Angriffswut nur wenig Rücksicht auf seinen Nachwuchs. Hunderte von Eiern barsten und ergossen die Nährflüssigkeit in den Raum. Wo die Brühe auf Überreste des Ergothal traf, verdampfte sie zischend und füllte den Raum
Die Höhlen von Magintor mit einem kaum zu ertragenden Gestank. »Ich will versuchen …«, schrie Ra, aber er brach ab. Etir Baj war zu beschäftigt, um ihn verstehen zu können. Ra sprang hinüber, dorthin, wo üblicherweise der Sitz des Piloten sein mußte. Jetzt lagen dort Eier. Mit einem Fußtritt schleuderte Ra die Körper weg, dann schaltete er den ersten großen Hauptreaktor ein. Ein leichtes Zittern ging durch das Schiff, als die gewaltigen Maschinen im Innern des riesigen Körpers nach jahrhundertelanger Pause wieder anliefen. Schnell schaltete Ra die Ortung ein, versuchte er sich ein Bild von der Umgebung zu machen. Zufällig blieb sein Blick auf dem Bildschirm der Infrarotortung hängen. »Heilige Dunkelwolke!« stöhnte der Mann auf. Deutlich zeigte der Schirm das Bild des Vulkans und den Lavastrang, der aus dem Boden bis an die Spitze des Kegels führte. Ebenso deutlich aber war der schmale Lavafaden, der von der Seite des Berges unter dem Schiff hindurch führte und irgendwo unter dem Schiff ein Ende hatte. War er dort wirklich zu Ende? Ra ließ die Kameras schwenken. Das Bild änderte sich, die Fortsetzung des Lavastreifens erschien. Es führte aus dem Boden in das Schiff, stellte Ra mit schreckgeweiteten Augen fest, setzte sich dort fort und endete, stark abgekühlt, in der Zentrale. Auf geheimnisvolle Art und Weise bezog das Ergothal seine Energie aus dem Vulkan. So war es nicht verwunderlich, daß es noch niemandem gelungen war, dieser Bestie zu entkommen. Jetzt wußte Ra auch, womit das Mutterergothal die unglücklichen Bewohner Sirets erpreßt hatte. Wahrscheinlich war es einem Ergothal möglich, ganz nach Belieben Erdbeben oder Vulkanausbrüche hervorzurufen. Ra hatte keine Zeit, sich lange mit diesen Gedanken zu beschäftigen. Er übernahm die Hauptkontrolle für die Waffentürme. »Ein Glück, daß Etir Baj mich nicht sieht!« murmelte er in einem Anflug von
49 Galgenhumor. Es dauerte einige Zeit, bis die Waffentürme, die seit Jahrhunderten nicht mehr bewegt worden waren, in der rechten Stellung waren. Dann feuerte Ra. Die großen Geschütze brannten einen Kanal in den Berg, ließen das Gestein kochen und fraßen sich in kurzer Zeit immer tiefer in den Fels. Ra zielte auf den Lava faden. Vielleicht gelang es ihm, dem Ergothal diese Energiezufuhr abzudrehen. »Es weicht zurück!« schrie Etir Baj triumphierend. »Es verschwindet!« Ra wußte es besser. Das Ergothal zog zwar einen großen Teil seines Körpers aus dem Schiff zurück, aber nur zu dem Zweck, mit diesem Körper den Strahlbeschuß aufzufangen. Ra hätte nie für möglich gehalten, das dergleichen geschehen konnte, aber er mußte selbst ansehen, wie das Ergothal die Energieflut, die gegen seinen Körper brandete, scheinbar mühelos absorbierte. »Bist du wahnsinnig, Ra!« schrie Etir Baj auf. Er war noch bleicher als beim Auftauchen des Ergothal. »Schalte die Geschütze ab!« Ra stieß ihn zur Seite und wollte gerade die Kanonen neu richten, als ein gewaltiger Stoß die Erde zittern ließ. Der Boden der Zentrale hob sich um mehrere Meter, Ra und Etir Baj flogen wie Spielzeugpuppen durch die Luft und landeten auf Eiern, die krachend barsten. Ra kam als erster wieder auf die Füße und rannte sofort zu seinem Platz zurück. Mit einer Handbewegung schaltete er die Geschütze aus. »Sinnlos!« knirschte er. »Das Ergothal führt die Energie an den Vulkan ab, der sie mit Erdstößen verarbeitet! So kommen wir an das Biest nicht heran!« Auf den Bildschirmen war zu erkennen, daß die Rauchsäule aus dem Vulkan dicker geworden war. Es bestand kein Zweifel, daß das Ergothal mit dem Vulkan in Verbindung stand. Ra gestand sich ein, daß es keinen Sinn hatte, gegen einen Feind zu kämpfen,
50 der über unbegrenzte Kraftreserven verfügte. Man konnte den Feind nur hinhalten, nur den Todeskampf verlängern. Ra schrak aus seinen Gedanken hoch, als er in seiner Nähe eine Bewegung wahrnahm. Es war der Instinkt des Barbaren, der ihm das Leben rettete; Ra machte einen gewagten Satz zur Seite, und das Schwert Etir Bajs pfiff neben ihm durch die Luft. Jetzt war Bei Etir Baj wieder ganz ConTreh. Ra hatte die Geschütze feuern lassen, und diese Energieausbrüche waren von einem Raumschiff aus leicht anzumessen. Allerdings hätte dazu ein Schiff in kurzer Entfernung von dem Planeten sein müssen. Etir Baj dachte nicht an solche Überlegungen, er schäumte vor Wut und drang mit erhobenem Schwert auf Ra ein. Ra parierte den Schlag und setzte seinerseits einen wuchtigen Hieb gegen Etir Bajs Klinge. Etir Baj war ein entschieden besserer Schwertkämpfer als der junge Thabek. Ra mußte höllisch auf der Hut sein. Die beiden Männer waren so in ihren Kampf vertieft, daß sie gar nicht bemerkten, wie sich ein Kopf des Ergothal aus der Öffnung des Antigravschachtes schob. Auch die Worte, die das Wesen sprach, hörten sie nicht. Sie hätten sie auch nicht verstanden, da der Translator zerstört war, aber den Sinn hätten sie dennoch nach kurzer Zeit begriffen. Das Ergothal amüsierte sich darüber, daß sich die Zweibeiner gegenseitig umbrachten und ihm die Arbeit erleichterten. »Du wolltest uns verraten!« fauchte Etir Baj. »Dafür wirst du sterben!« »Blödsinn!« keuchte Ra; er hatte alle Mühe, sich den geschickten Etir Baj vom Leibe zu halten. Der Con-Treh schlug eine beängstigend gute Klinge. »Früher oder später wäre der Planet doch verraten worden!« schnaubte Ra. »Dann nämlich, wenn die Bestie mit dem Schiff gestartet wäre!« Auch dieser vernünftige Einwand konnte Etir Baj nicht beruhigen. Ra sah keine andere Möglichkeit, als die, seine Fähigkeiten
Peter Terrid rücksichtslos auszuspielen. Daß er der bessere Schwertkämpfer war, darüber gab es für Ra keine Zweifel, und es war diese Selbstsicherheit, die schließlich den Ausschlag gab. Etir Baj war zu erregt, um besonnen kämpfen zu können; Ra trieb ihn langsam im Raum herum, einmal sogar in Reichweite des Ergothal, aber die Bestie schien sich über den Zweikampf so zu amüsieren, daß sie auf ein Zugreifen verzichtete. Dann ließ sich Ra von Etir Baj absichtlich in die Enge treiben. Mit klirrenden Schwertern kämpften sich die beiden Männer durch den Raum, bis sie kurz vor dem Instrumentenpult waren, an dem der Kampf begonnen hatte. Ra wußte, daß er nicht regelgerecht kämpfte, aber ihm blieb keine andere Wahl. Er fintierte, ließ Etir Baj ins Leere stolpern. Während der Con-Treh nach Halt suchte, griff Ra nach einem Ergothal-Ei und schleuderte es Etir Baj ins Genick. Ra hatte keine Zeit, die Wirkung des Geschosses abzuwarten. Im Bruchteil einer Sekunde krachte seine Hand auf den Sammelschalter, der die Geschütze auslöste. Das Ergothal schrie auf und zog sich blitzartig zurück. Etir Baj schüttelte den Kopf, er war leicht benommen. »Los, hilf mir!« schrie ihn Ra an, und der barsche Tonfall wirkte. Etir Baj ließ das Schwert fallen und kam näher. »Wir müssen versuchen, das Schiff zu starten!« erklärte Ra hastig. »Übernimm du die Geschütze. Schalte sie ab, und dann wenn das Ergothal ins Schiff zurückgekrochen kommt, nimmst du das Feuer wieder auf. Wir müssen das Biest beschäftigen!« Etir Baj nickte kurz und übernahm die Kontrollen, während Ra den Platz wechselte. Er suchte nach dem Schalter, mit dem man das Schiff auf Ein-Mann-Steuerung umstellen konnte. Er konnte nur hoffen, daß die Schaltung noch funktionierte, und daß die Positronik einwandfrei arbeitete. Ra brauchte nicht lange, bis er den Schalter gefunden hatte, aber ihm schien die Zeit fünffach gedehnt.
Die Höhlen von Magintor »Ischtar!« flüsterte Ra. Es war eine Beschwörung, die ihm Mut machen sollte. Ra zögerte eine Sekunde, dann ließ er die Kraftwerke hochfahren. Auf den Bildschirmen konnte er erkennen, daß sich noch immer Teile des Ergothal im Schiff befanden, es war sogar der größere Teil der Bestie. Dem Ergothal konnte das Anlaufen der Maschinen nicht entgehen, aber es erwies sich als zu reaktionsträge. Das Schiff schüttelte sich, als Ra die Triebwerke hochfahren ließ. Die Impulsströme peitschten aus den Ringwulstdüsen und verwandelten den Boden unter dem Schiff in ein Lavameer. »Feuer einstellen!« schrie Ra. Etir Baj nickte und gehorchte. Ra wartete nur kurze Zeit, dann sah er, daß neunzig Prozent der Ergothalmasse an Bord waren. Sofort schob er den Fahrthebel nach vorn. Ein Ruck ging durch das Schiff, an den Bordwänden flogen die Grasbüschel vorbei, die sich im Laufe der Jahrhunderte dort niedergelassen hatten. Das Schiff ächzte und knirschte in den Verbänden, aber es bewegte sich. »Schneller!« rief Etir Baj. Ras Stirn war mit Schweiß bedeckt. Er hatte noch nie ein so großes Raumschiff allein gesteuert, dazu hätte man einen Kosmonauten wie Sprangk gebraucht, und selbst dieser Pilot hätte seine Schwierigkeiten mit diesem Koloß gehabt. Ra wußte auch, daß große Teil des Schiffes, vor allem in jener Hälfte, die im Erdbeben verborgen gewesen war, schwere Beschädigungen aufwiesen. An einen vernünftigen Start war nicht zu denken. Zeitlupenhaft beschleunigte Ra das Schiff. Allmählich stieg der Körper in die Höhe. Plötzlich wurde die Fahrt langsamer, kam dann gänzlich zu Stillstand. »Das Ergothal zerrt uns zurück!« rief Etir Baj. Erst jetzt begriff er in vollem Umfang, was die Eierladung des Schiffes für die bewohnte Galaxis bedeutete. Ein Echse, die ihre Energie aus einem Vulkan bezog und ein
51 startendes Riesenschiff festhalten konnte, konnte für eine Welt das Ende sein. Ra grinste zufrieden, als er spürte, wie das Schiff langsam wieder sank. Unerbittlich zerrte das Ergothal die Riesenkugel wieder auf den Boden herab, von dem sie sich nur wenige Meter entfernt hatte. »Es dringt in die Zentrale vor!« warnte Etir Baj. »Gib mehr Energie!« Ra preßte die Kiefer zusammen. Er verringerte die Triebwerksleistung um einen winzigen Betrag. Sofort wurde der Zug des Ergothal stärker, das Schiff sackte ab. Ra wußte, daß er nur einen Sekundenbruchteil zur Verfügung hatte, um zu handeln, und diesen Bruchteil mußte er genau erfühlen. Blitzartig stieß er den Beschleunigungshebel nach vorn, das Schiff sprang förmlich in die Höhe. Etir Baj verlor den Halt und stürzte zu Boden; hilflos glitt er über das Metall, das von zerschlagenen Eiern schlüpfrig geworden war. Das Ergothal war von dieser Aktion völlig überrascht. Es hatte bereits den größten Teil seines Körpers in die Zelle des Schiffes gebracht, als es plötzlich mit unwiderstehlicher Gewalt in die Höhe gerissen wurde. Verzweifelt wehrte sich die Bestie gegen den Zug des Schiffes. Ra sah aus den Augenwinkeln heraus, wie das Ergothal einen Kopf bildete und in die Zentrale vorstieß. Aber der Angriff war nicht zielgerichtet genug. Der häßliche Kopf prallte weit neben Ra gegen eine Wand. In diesem Augenblick war das Schicksal des Ergothal besiegelt. Mit einem letzten Ruck zerrte das hinaufstrebende Schiff den Leib des Ergothal aus dem Boden, die Verbindung zu dem Lavafaden erlosch schlagartig. Ra konnte die Folgen sehen. In Sekunden verfärbte sich das Ergothal, schrumpfte und verfiel. Die Haut löste sich ab, segelte in großen Fetzen durch die Zentrale. Nach kurzer Zeit war von der Bestie nur noch ein grün schimmerndes Gerippe zu
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sehen. Das Ergothal war tot, es konnte keiner Welt der Galaxis mehr gefährlich werden. Das Schiff bockte und stieß. Ra hatte gewußt, daß die Triebwerke nicht einwandfrei arbeiteten, aber mit solchen Störungen hatte er nicht gerechnet. Verzweifelt bemühte sich der Mann, den Kurs zu stabilisieren, das Schiff in der Luft zu halten. Die Triebwerke begannen zu stottern, setzten dann teilweise ganz aus. Unter sich sah Ra das Loch, daß das Schiff in den Vulkanhang gerissen hatte. Dieses Loch kam mit furchtbarer Geschwindigkeit näher. Dann war der Boden erreicht. Ra hörte noch das Aufkreischen des Me-
talls der Schiffshülle, den entsetzten Ruf Etir Bajs, dann verlor er das Bewußtsein. Das Schiff prallte auf den Boden, federte ein paar Meter in die Höhe und fiel erneut. Zweimal überschlug sich die große, stählerne Kugel, dann kam sie langsam zum Stillstand. Aus den Löchern in der Bordwand quoll schwarzer, dichter Rauch. Nur noch das leise Grollen des Vulkans war zu hören, sonst herrschte auf der Insel eine tödliche Stille.
ENDE
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