Nr. 43
Die Gesichtslosen Sie sind die Diener Spercos, des Tyrannen von H. G. Francis
Die Erde ist wieder einmal davon...
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Nr. 43
Die Gesichtslosen Sie sind die Diener Spercos, des Tyrannen von H. G. Francis
Die Erde ist wieder einmal davongekommen. Pthor, das Stück von Atlantis, dessen zum Angriff bereitstehende Horden Terra überfallen sollten, hat sich dank Atlans und Razamons Eingreifen wieder in die unbekannten Dimensionen zurückgezogen, aus denen der Kontinent des Schreckens urplötzlich materialisiert war. Atlan und Razamon, die die Bedrohung von Terra nahmen, gelang es allerdings nicht, Pthor vor dem neuen Start zu verlassen. Der ungebetene Besucher ging wie der auf die Reise durch Zeit und Raum – auf eine Reise, von der niemand ahnt, wo sie eines Tages enden soll. Doch nicht für lange! Der überraschende Zusammenstoß im Nichts zwischen den Dimensionen führte dazu, daß der »Dimensionsfahrstuhl« Pthor sich nicht länger im Hyperraum halten konnte, sondern zur Rückkehr in das normale Raum-Zeit-Kontinuum gezwungen wurde. Und so geschieht es, daß Pthor auf Loors, dem Planeten der Brangeln, niedergeht, nachdem der Kontinent eine Bahn von Tod und Vernichtung über die »Ebene der Krieger« gezogen hat. Natürlich ist dieses Ereignis nicht unbemerkt geblieben. Sperco, der Tyrann der Galaxis Wolcion, schickt seine Diener aus, die nach dem Rechten sehen sollen. Die se Diener sind DIE GESICHTSLOSEN …
Die Gesichtslosen
3
Die Hautpersonen des Romans:
Karthau und Socco - Besatzungsmitglieder der TREUE.
Atlan - Der Arkonide nimmt Kontakt mit den Spercoiden auf.
Razamon, Thalia und Kolphyr - Atlans Gefährten.
Sigurd, Balduur und Heimdall - Odins Söhne reden mit ihren Untertanen.
1. Der Impuls traf ihn mit schmerzhafter Wucht. Karthau fuhr aus seiner gebeugten Hal tung hoch, als habe ihm jemand die Faust in den Rücken geschlagen. Er stieß einen Schrei aus, der die aufgestaute Luft aus sei nen Lungen trieb, griff nach seiner Lanze und blickte sich kampfbereit um. Da er niemanden sah, machte er einen Schritt nach vorn, um die Halle besser über blicken zu können, in der er sich befand. Er schrie abermals auf. Sein extrapyramidales Nervensystem war noch nicht ausreichend aktiviert. Es war nicht in der Lage, die Mus kelbewegungen richtig zu koordinieren. Karthau stürzte der Länge nach hin. Scheppernd hüpfte sein Helm über den Bo den der Halle, prallte gegen eine Säule und blieb liegen. Er stemmte seine Hände gegen den Boden, doch es gelang ihm nicht, das Spiel seiner Muskeln so aufeinander abzu stimmen, daß er sich aufrichten konnte. Unartikulierte Laute kamen über seine bärtigen Lippen. Er hob den Kopf und atmete mehrere Ma le tief durch. Der Bach, der mitten durch die Höhle floß, strömte einen süßlichen Geruch aus. Dieser verriet dem Gepanzerten, daß die Zerradawochen angebrochen waren. Er schnaufte, schloß die Augen und be mühte sich, das quälende Durstgefühl zu überwinden. Es gelang ihm nicht. Der Wunsch, aus dem Bach zu trinken, wurde immer größer. Schließlich wurde er über mächtig, und Karthau kroch wie eine große Krabbe über den Boden bis zum Bach. Die ser bewegte sich durch eine sorgfältig bear beitete Rinne, die etwa anderthalb Meter tief war.
Enttäuscht blickte Karthau auf das Was ser. Es stand nur etwa eine Handbreit hoch und lag damit so tief unter ihm, daß er es mit den Händen nicht erreichen konnte. Ihm blieb keine andere Wahl. Er kroch weiter, bis er in die Rinne kippte. Enttäuscht schrie er auf, als er sich im Fall überschlug und auf dem Rücken lande te. Das Wasser floß an ihm vorbei, aber trin ken konnte er noch nicht. Er strampelte mit den Beinen und schlug hilflos mit den Ar men, bis er sich endlich soweit herumgewor fen hatte, daß seine Lippen das Wasser er reichten. Er trank gierig, bis ihm schwarz vor Augen wurde, und er erkannte, daß er dabei war, sich selbst zu ertränken. Schnau fend drehte er den Kopf zur Seite und be gann, über seine Lage nachzudenken. Ein Impuls hatte ihn geweckt. Das bedeutete, daß eine Frequenzgleiche vorhanden war. Irgendwo auf Loors befand sich also ein Wesen, das eine Strukturähnlichkeit mit ihm hatte. Die Erkenntnis war so überraschend für Karthau, daß er sich ruckartig aufrichtete. Er streckte seine spindeldürren Arme aus, krall te die Finger in den marmorähnlichen Stein und kletterte aus dem Bach. Ihn störte nicht, daß er völlig durchnäßt war, denn die Luft war warm und angenehm. Sein Nervensystem arbeitete auch jetzt noch nicht fehlerfrei. Dennoch gelang es ihm, zu seinem Helm zu eilen, diesen aufzu nehmen und über den Kopf zu stülpen. Dann packte er seinen Kinnbart mit beiden Hän den und strich ihn solange nach unten, bis er einem gebogenen Dorn glich. In gleicher Weise verfuhr er mit seinem Lippenbart, den er mit den Zeigefingern umschlang und zu beiden Seiten hin ausstrich. Dann nahm er seine Lanze auf, die etwa
4 drei Meter lang war und ihn um knapp fünf zig Zentimeter überragte. Prüfend ließ er seine Finger über die Schneiden der Spitze gleiten. Sie waren leicht angerostet, doch dieser Makel ließ sich schnell beheben. Karthau nahm einen Stein vom Boden auf und schliff den Rost ab. Dann stieg er in seine Stiefel, die an der Spitze stark aufgewölbt und mit halbmond förmigen Dornen besetzt waren. »Ich bin kampfbereit«, rief er, mühsam die Laute formend. »Was kann ich für dich tun?« Zu seiner großen Enttäuschung blieb eine Antwort aus. Er bohrte sich die Zeigefinger in die Ohren und spreizte die Ohrmuscheln danach weit ab. Es knackte vernehmbar in seinen Gehörgängen. Nun vernahm er das Plätschern des Baches, aber keine Stimme, die zu ihm sprach. »Geduld, Geduld«, sagte er. »Der Fre quenzgleiche hat ein Recht darauf, mit sei ner Überraschung erst einmal fertig zu wer den.« Karthau schritt langsam aus. Dabei stützte er den Schaft seiner Lanze auf den Boden, weil er sich noch nicht ganz sicher auf den Beinen fühlte. Er erreichte eine Tür aus mas sivem Stahl. Sie war verrostet, und der Rie gel saß so fest, daß Karthau ihn nicht mit den Händen lösen konnte. Er neigte den Kopf und blickte auf seine Schuhe herab. »Was sagt ihr dazu?« fragte er, wartete ei nige Sekunden, als erwarte er eine Antwort, und fuhr dann fort: »Richtig. Es ist eine ver dammt lange Zeit vergangen, seit ich diese Tür verschlossen habe. Kein Wunder, daß mein Rücken so krumm ist wie eine alte, verdorrte Lorr-Wurzel.« Ächzend und stöhnend bog er die Schul tern zurück und richtete sich noch weiter auf, bis er das Gefühl hatte, wirklich gerade zu stehen. »Doch wir haben keine Zeit, darüber nachzudenken, Freunde. Wir müssen die Tür öffnen. Später können wir uns mit unseren eigenen Problemen beschäftigen. Der Fre-
H. G. Francis quenzgleiche ruft, und er hat ein Anrecht darauf, daß ich darauf reagiere. Schließlich gibt es noch so etwas wie Anstand, Pflicht, Ehre und Verantwortungsgefühl.« Er lauschte den letzten Worten nach, und nickte dann, weil er mit sich und seinem Ausspruch zufrieden war. Er setzte den Schaft der Lanze an den Türriegel, um ihn als Hebel zu benutzen. Nachdem er einige Male abgerutscht war, faßte er endlich, und der Riegel sprang zur Seite. »Na also«, sagte Karthau und stieß die Tür auf. Knarrend drehte sie sich in ihren Angeln. Dahinter öffnete sich ein Gang, der in den Fels gehauen war. An der Decke be fanden sich einige Leuchtelemente. Durch die Tür aktiviert, flammten sie auf und spen deten Licht. Karthau schloß geblendet die Augen. Ei nige Schlangen und Stachelhäuter flüchteten vor ihm den Gang entlang. Der Schläfer schlug sich die flache Hand gegen den Brustpanzer, rückte den bizarr geformten Helm zurecht und schritt in den Gang hin ein. Aus einem Spalt schoß eine armlange Schlange hervor. Sie griff ihn an und ver suchte, ihm die Zähne in die Beine zu schla gen. Karthau schien sie nicht zu beachten, doch seine Fußspitze traf die Schlange mit der Präzision einer positronisch gesteuerten Maschine. Der halbmondförmige Dorn durchtrennte das Reptil und tötete es. Karthau erreichte das Ende des Ganges. Er war durch Büsche und einige Felssteine verschlossen. Mit dem Schaft der Lanze stieß er sie nach außen. Dann trat er in das Dämmerlicht hinaus und blinzelte in die un tergehende Sonne. »Ein guter Anfang«, sagte er. »Es wäre mir nicht recht gewesen, wenn ich meine Augen gleich an grelles Sonnenlicht hätte gewöhnen müssen.« Vor ihm lag eine hügelige Landschaft, die sich bis zum Horizont dehnte. Auf einigen der Hügeln erhoben sich Bäume und Bü sche. Von ihnen ging ein betäubender Duft aus. In den Senken äste Wild. Es waren zu
Die Gesichtslosen meist plump wirkende Vierbeiner. Karthau rammte den Schaft der Lanze in den Boden und rieb sich die Hände, um sie zu wärmen. Sein Magen knurrte vernehm lich. »Also – dann«, sagte er, nahm die Lanze wieder auf und eilte geduckt auf die nächste Herde zu. Der Wind strich ihm entgegen, so daß er nicht zu befürchten brauchte, sich durch den Geruch zu verraten. Er kam bis etwa einhundert Meter an die Tiere heran. Dann richtete er sich auf, legte die Lanze über die Schulter und zielte mit der Metall spitze auf eines der Tiere. »Nun los doch«, sagte er ungeduldig. Ein nadelfeiner Energiestrahl von etwa zehn Zentimetern Länge schoß aus der auf glühenden Spitze hervor und durchbohrte das Wild. Es brach zusammen. Die anderen Tiere flüchteten. Karthau klopfte lobend mit den Fingern gegen die Lanze, setzte sie ab und mar schierte auf die Beute zu. Als er sie erreicht hatte, weidete er sie aus, schälte sie ab und briet sie über einem Holzfeuer auf einem rasch zusammengebauten Gestell. Das erleg te Wild hätte eine ausreichende Mahlzeit für zehn Terraner von gleicher Statur ergeben. Karthau verzehrte es allein und nagte auch die Knochen noch ab, bis keine Fleischfaser mehr daran war. Nun wölbte sich ein kugel runder Bauch unter dem Brustpanzer hervor. Er öffnete seine Hose, um den Druck auf seinen Bauch zu verringern. Dann erhob er sich, schüttelte seine spindeldürren Beine aus, um die Müdigkeit daraus zu vertreiben, und schritt in das Land hinaus. Die Sonne war mittlerweile untergegan gen. Aber das störte ihn nicht. Er war nacht sichtig. Einige Male blieb er auf den Kuppen der Hügel stehen, schloß die Augen und lausch te. Er wartete darauf, daß der Frequenzglei che sich wieder melden würde. Zunächst vergeblich. Erst als einige Stunden verstrichen waren, erreichte ihn ein erneuter Impuls. Er kam so
5 überraschend und so heftig, daß Karthaus Nervensystem erneut versagte. Der Gepan zerte stolperte und fiel der Länge nach hin. Er blieb liegen und konzentrierte sich. Ihn interessierte die Fehlsteuerung nicht, jeden falls vorerst nicht. Er wußte, daß er später noch Zeit genug haben würde, über dieses kybernetische Problem nachzudenken. Jetzt wollte er lediglich wissen, von wem der Im puls kam, was er bedeutete, und wer der Fre quenzgleiche war.
* Ein Lichtstreifen schoß aus dem Nacht himmel herab, glitt schwankend über die Wipfel der Bäume hinweg und stürzte sich kaum hundert Meter von Atlan entfernt auf den Boden. Überrascht richtete sich der Arkonide auf dem Rücken seines Spyten auf, der ebenso wie die anderen drei ruhig lief. Er sah, daß ein kleines Tier im Lichtschein hockte und mit angstgeweiteten Augen nach oben blick te. Im nächsten Augenblick erlosch das Licht, und der Todesschrei eines Tieres hall te durch die Nacht. »Die Glühwürmchen scheinen hier unan genehm groß zu sein«, sagte Razamon, der auf Dognar hinter ihm ritt. »Hoffentlich ent wickeln die nicht auch Appetit auf uns.« Atlan drehte sich zu ihm um. Der Spyte blieb stehen und suchte schnaufend den Bo den nach etwas Freßbarem ab. »Wir könnten eine Ruhepause einlegen«, schlug er vor. »Lieber nicht«, erwiderte Thalia. »Hier scheint es nicht ganz geheuer zu sein.« »Ich brauche keine Pause«, bemerkte Kol phyr. »Wie ihr wollt«, sagte Atlan. Er stemmte seinem Reittier die Hacken in die Seiten, um es anzutreiben. Willig trottete es weiter. Die Spyten wirkten keineswegs erschöpft, ob wohl sie seit Stunden durch unwegsames Gelände gestürmt waren. Eine Bodener schütterung hatte sie aufgescheucht und zu zügelloser Flucht veranlaßt. Atlan, Raza
6 mon, Thalia und Kolphyr war es danach nicht gelungen, sie zu halten. Der Arkonide war froh, daß die Reitspy ten sich jetzt ruhig verhielten. Der Ritt durch die Wildnis hatte ihn mehr angestrengt als die Tiere. Stundenlang bewegte sich die Gruppe nun durch das Gelände, ohne sich über das Ziel klar zu sein. Die Spyten wußten offenbar ge nau, wohin sie wollten. Einige Male ver suchte Atlan, sie in eine andere Richtung zu lenken, aber immer wieder wandten sie sich nach Westen zu. Atlan und seinen Beglei tern blieb also keine Wahl. Einige Male versuchte Atlan, sie anzuhal ten, aber die Spyten reagierten nicht. Erst als die Sonne aufging, waren sie mit einer Pause einverstanden. Der Arkonide und seine Begleiter erreichten eine weite, hügelige Ebene, die sich bis zum Horizont dehnte. An einem Wäldchen schlängelte sich ein Bach vorbei. Atlan versuchte, Kerall, das Tier, auf dem er ritt, dorthin zu lenken. Der Spyte gehorchte. »Endlich«, sagte Thalia, die nun doch er schöpft war. »Ich habe Hunger und Durst.« Kolphyr stieß einen Schrei aus. »Ich sehe etwas«, rief er. »Dort zwischen den beiden Hügeln.« Er schlug Mierjot, seinem Tier, eine Faust in den Nacken. Der Spyte rannte schnau bend los. Als Kolphyr etwa fünfzig Meter weit ge kommen war, verschwand er plötzlich. Atlan, Razamon und Thalia schrien un willkürlich auf. Sie hatten ihn mit ihren Blicken verfolgt. »Wo ist er?« rief die Tochter Odins. »Er kann doch nicht einfach weg sein.« »Ist er aber«, entgegnete Razamon, der nicht weniger verwirrt war als sie. Atlan sprang vom Rücken seines Spyten und eilte, gefolgt von den anderen, auf der Spur Mierjots hinter Kolphyr her. Deutlich konnte er die Eindrücke auf dem Boden er kennen. Alles sah ganz normal aus. An der Stelle aber, an der der Bera verschwunden war, hörte auch die Spur auf.
H. G. Francis »Er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben«, sagte der Atlanter. »So etwas gibt es doch gar nicht.« »Woher sollen wir wissen, was es auf die sem Planeten alles gibt?« fragte Atlan. Fie berhaft suchte er nach einer Antwort auf die Fragen, die sich ihnen stellten. Er fühlte, daß Kolphyr in Gefahr war, und daß es darauf ankam, ihm möglichst schnell zu helfen. »Ich reite hinter ihm her«, sagte Thalia und trieb ihren Spyten auf die Stelle zu, an der die Spur endete. Atlan stellte sich ihr in den Weg. »Das ist doch sinnlos«, sagte er. »Wir ha ben alle nichts davon, wenn du dich auch in Luft auflöst.« »Kolphyr muß irgendwo gelandet sein«, entgegnete sie. »Er existiert noch irgendwo.« »Vermutlich ist er in eine andere Dimen sion übergegangen oder in eine andere Zeit«, bemerkte Razamon. Er bückte sich, nahm einen Stein auf und schleuderte ihn von sich. Er flog etwa zehn Meter weit durch die Luft und verschwand im Nichts. »Wir müssen irgend etwas tun«, sagte At lan. »Was schlagt ihr vor?« »Ich bin ebenso ratlos wie du«, entgegne te Razamon. »Wir könnten ihm folgen, ge wiß, aber dann riskieren wir alles – und das könnte unter Umständen zuviel sein.« »Auf der anderen Seite können wir auch nicht einfach abwarten«, stellte Thalia fest. »Wir können nicht so tun, als sei nichts ge schehen.« Atlan ging zu einem der Büsche und brach einen langen Ast ab. Diesen nahm er und hielt ihn weit vor sich. Dann ging er langsam auf die Stelle zu, an der Kolphyr verschwunden war. Razamon und Thalia be obachteten ihn. Sie sahen, wie sich die Spit ze des Astes mit den Zweigen und den Blät tern daran plötzlich in Nichts auflöste. »Und jetzt zurückziehen«, rief der Atlan ter. »Genau das hatte ich vor«, erwiderte At lan und trat einen Schritt zurück. Er krauste die Stirn und warf Thalia und Razamon den
Die Gesichtslosen Zweig hin. »Wie mit einem Desintegrator abgeschnitten. Was auch immer da ist, es gehört nicht in unsere Daseins-Ebene, und es läßt nicht zurück, was einmal hinüberge langt ist.« Die beiden Männer und das Mädchen zo gen sich etwa fünfzig Meter weiter zurück, um genügend weit von dem offenbar gefähr lichen Ort entfernt zu sein. Razamon sammelte trockenes Holz und entzündete ein Feuer. Ein kühler Wind kam auf. Er kam von Osten und roch nach Meer und Salz. »Ich habe Hunger«, sagte der Atlanter. »Haben wir nicht irgend etwas zu essen?« »Nichts«, erwiderte der Arkonide. Razamon blickte die Spyten an. »Kommt nicht in Frage«, rief Thalia, noch bevor er etwas gesagt hatte. »Das lasse ich nicht zu.« »Nanu, so zartfühlend?« fragte Razamon. »Seit wann?« »Wir brauchen sie als Reittiere«, erklärte sie. »Außerdem gibt es hier genügend Wild.« »Das man erst einmal fangen muß«, wandte Razamon ein. »Dazu kann man sich etwas einfallen las sen«, stellte sie fest. »Muß ich dazu noch Vorschläge machen, oder wissen die Herren allein, wie man so etwas macht?« Atlan lächelte. »Keine Sorge«, erwiderte er. »Das ist kein Problem. Wir …« Er schrie auf und schnellte sich hoch. Kraftvoll stieß er Thalia die Füße gegen die Schultern und schleuderte sie zu Boden. Sie wollte sich wieder aufrichten, sah den Fels brocken jedoch noch rechtzeitig, der auf sie zuflog. Sie preßte sich gegen den Boden. Der Felsen hatte einen Durchmesser von etwa acht Metern. Er flog über sie, Atlan und Razamon hinweg, prallte gegen eine Hügelkuppe und rasierte diese ab. Donnernd rollte er danach in eine Senke, wo er liegen blieb. Die beiden Männer und das Mädchen blickten sich schreckensbleich an.
7 »Woher ist der Brocken gekommen?« fragte Razamon. »Von dort«, antwortete Atlan und zeigte auf die Stelle, an der der Bera verschwunden war. »Ich sah ihn kommen und hatte gerade noch Zeit, Thalia zur Seite zu stoßen.« »Was recht unsanft geschah«, bemerkte sie. »Willst du behaupten, daß dieser Fels brocken so einfach aus dem Nichts heraus erschienen ist?« fragte der Atlanter. »Genau das ist es. Er war so plötzlich da, wie Kolphyr verschwand.« Razamon erhob sich. »Wenn es so ist, sollten wir uns noch wei ter zurückziehen«, schlug er vor. »So etwas kann jeden Moment erneut passieren, und dann könnte es zu spät für uns sein.« Er ging zu dem Felsbrocken hinüber und betrachtete ihn nachdenklich. »Das Ding ist mehrere Tonnen schwer«, rief er Atlan zu. »Wer könnte ihn auf uns ge schleudert haben?« Thalia und der Arkonide kamen zu ihm. »Darüber brauchen wir uns den Kopf nicht zu zerbrechen«, sagte Atlan. »Da es hier keine Superhaluter gibt, gibt es wohl auch niemanden, der mit so einem Felsen nach uns werfen kann. Oder ist einer von euch anderer Meinung?« »Ja«, sagte Razamon keuchend. Er wich rückwärts schreitend zurück. »Dieser Mei nung bin ich.« Atlan wirbelte herum. Entsetzt schrie er auf.
2. Das Bild eines Mannes erschien vor sei nen Augen. Er glaubte, es deutlich sehen zu können, obwohl seine Stirn den Boden be rührte, und seine Augen geschlossen waren. Der Mann war groß und athletisch. Silber weißes Haar fiel ihm bis auf die Schultern herab. »Ich habe verstanden«, sagte Karthau laut und umklammerte mit der Rechten den Schaft seiner Lanze. »Das wird erledigt.«
8 Das Bild des Silberhaarigen verschwamm und wurde wenig später wieder stärker. Eine kaum sichtbare, flimmernde Barriere erhob sich vor ihm. Sie verwirrte Karthau, denn sie ließ seinen Auftrag nicht mehr so klar er scheinen wie zu Anfang. »He, was soll das?« fragte er. »Soll ich ihn nun umbringen oder nicht?« Das Bild des Mannes verschwand. Kart hau schüttelte den Kopf, bewegte Arme und Beine, stellte fest, daß alles wieder so funk tionierte wie gewohnt, und stand auf. Er blickte auf seine Füße. »Irgendwelche Bedenken?« fragte er. Ein Zittern durchlief seine dürren Beine. Es endete in den Fußspitzen. »Also nicht«, sagte er befriedigt und stand auf. »Damit ist die Sache klar. Der Silberne wird die Lanze spüren. Hinterher werden wir noch einmal fragen, ob es auch wirklich so gemeint war.« Er rückte seinen Helm zurecht und be wegte sich mit weit ausgreifenden Schritten in das hügelige Land hinein. Er war etwa einen Kilometer weit gekommen, als das Gras plötzlich nicht mehr grün, sondern blau aussah. Er blieb stehen. »Ich wußte, daß irgend etwas nicht in Ordnung ist«, sagte er und blickte erneut auf seine Fußspitzen. Die beiden halbmondför migen Klingen bebten, wie von eigenem Le ben erfüllt. Als Karthau den Kopf wieder heben woll te, fiel ein Schatten auf sein Gesicht. Re gungslos verharrte er auf dem Fleck und spähte vorsichtig unter dem Rand seines Helmes hervor. Vor ihm stand ein grüner Koloß. Er war etwas kleiner als er selbst, aber so ungeheuer breit in den Schultern wie kein anderes Ge schöpf, dem Karthau jemals zuvor begegnet war. Auf dem Kopf erhob sich ein Büschel von fühlerartigen Gebilden. Das Auffälligste aber war der Mund, den das Wesen zu ei nem breiten Lachen verzog. Neben dem Fremden stand ein Spyte, auf dem er offenbar geritten hatte. Karthau griff mit der linken Hand nach
H. G. Francis seinem Bart und zog ihn in die Länge. Dann lachte er meckernd, in der Hoffnung, da durch das beklemmende Gefühl loszuwer den, das ihn erfüllte. Es gelang ihm nicht. »He, he, hallo«, sagte er unsicher. Das massige Wesen hob einen Arm. Die Mundwinkel wanderten noch weiter in die Höhe. Karthau sah diese Reaktion als Freundschaftsbeweis an. In diesem Moment wirbelte ein faust großer Stein durch die Luft. Karthau be merkte ihn zu spät. Er konnte nicht mehr ausweichen. Der Stein traf ihn am Kopf und riß ihm den Helm herunter. Wütend bückte Karthau sich, nahm den Stein auf und schleuderte ihn von sich. Er wirbelte einige Zentimeter am Kopf des Grünhäutigen vorbei und verschwand. Je denfalls hatte Karthau den Eindruck, daß er verschwand. Daß es wirklich so war, konnte er sich nicht vorstellen. Er dachte auch nicht darüber nach, denn er wurde sich plötzlich dessen bewußt, daß sein Gegenüber den Steinwurf auch als Angriff betrachten konn te. Erschrocken blickte er den Massigen an. Dieser lächelte noch immer. »Hör doch auf mit diesem blöden Grin sen«, schrie er. »Warum?« fragte der Fremde zu seiner Überraschung. Deutlich vernahm er diese Frage, obwohl der Grünhäutige seine Lippen nicht bewegt hatte. Die Mundwinkel wanderten abermals ein wenig weiter nach oben. Nun schien es, als werde das massige Wesen sogleich in ein brüllendes Gelächter ausbrechen. Karthau fühlte, wie ihm das Blut in den Kopf stieg. »Weil ich sonst in Versuchung kommen könnte, dich zu küssen«, erwiderte er wü tend. Die Augen des Fremden weiteten sich. Er breitete die Arme aus und lief auf ihn zu. Bevor Karthau überhaupt begriff, was ge schah, umschlang der Massige ihn und preß te ihm die wulstigen Lippen auf das Gesicht. Karthau schrie auf und stieß dem Grün
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häutigen die Fäuste gegen den Kopf. Der Fremde gab ihn erstaunt frei. Karthau nutzte die Chance. Die Lanze war ihm in seiner Überraschung entfallen, aber das hinderte ihn nicht, den Grünen anzugreifen. Er riß die Fäuste hoch und schlug sie seinem Gegen über mit voller Wucht über den Kopf. Dann wirbelte er herum, warf die Beine in die Hö he und fuhr seinem Gegner mit den halb mondförmigen Klingen quer über das la chende Gesicht. Er stürzte zu Boden, raffte sich jedoch sofort wieder auf und wollte er neut angreifen. Dabei fiel ihm auf, daß die Klingen abso lut wirkungslos geblieben waren. Er konnte nicht die geringste Verletzung feststellen. In seinem Schrecken verzichtete er auf einen weiteren Angriff, fuhr herum und suchte sein Heil in der Flucht. Das massige Wesen stieß einen unartiku lierten Schrei aus und rannte hinter ihm her. Karthau streckte seine langen Beine. Er war überzeugt davon, jedem anderen weglaufen zu können. Er war jedoch noch keine zwan zig Meter weit gekommen, als ihn eine Faust an der Schulter packte und zu Boden warf. Der Fremde stürzte sich auf ihn und be deckte sein Gesicht mit einer Reihe von Küssen. In panischer Angst konzentrierte Karthau sich und strahlte einen mentalen Impuls ab, der so etwas wie ein Hilferuf sein sollte. Zu seiner Überraschung richtete sich der Massi ge hoch auf, verdrehte die Augen, schritt schwankend einige Meter weit und stürzte dann zu Boden. Karthau sprang eilig hoch. Er rannte zu seiner Lanze, nahm sie an sich und kehrte zu dem grünhäutigen Wesen zurück. Es lag auf dem Rücken und streckte Arme und Beine von sich. Auch jetzt noch lachte es, obwohl es nicht bei Bewußtsein war. Karthau richtete die Lanze dorthin, wo er das Herz vermutete. Dann konzentrierte er sich auf Energiefeuer.
*
In der FESTUNG herrschte reges Treiben. Der Dalazaare Pank-pank stand zusam men mit seinen Freunden vor der Pyramide der FESTUNG und beobachtete staunend die Abordnungen der verschiedenen Völker Pthors, die gruppenweise die FESTUNG be traten. »Sogar Platten haben sie gelegt, damit wir nicht durch den Schlamm gehen müssen«, sagte Pank-pank. »Die Dellos waren fleißig. Das muß man ihnen lassen.« »Das Wasser ist abgeflossen«, bemerkte Throm, ein kleiner und untersetzter Mann, der neben ihm stand. »Es sieht so aus, als würde sich jetzt alles normalisieren.« Pank-pank verzog die Lippen. »Normalisieren!« rief er. »Was verstehst du darunter? Sie versuchen, uns einzureden, daß wir keine Furcht mehr zu haben brau chen. Sie behaupten, daß die Zeiten der Angst und des Terrors vorbei seien. Glaubst du das?« Throm hob die Schultern. »Ich weiß nicht, was ich glauben soll«, er widerte er, während er staunend die Anlagen betrachtete, die in der Umgebung der FE STUNG lagen. »Vielleicht meinen sie es wirklich ehrlich. Die alten Herren der FE STUNG sind tot. Sie waren es, die uns ge quält haben. Warum sollten die neuen Her ren nicht anders sein? Es wäre doch für uns alle besser, wenn wir uns nicht ständig be kämpfen würden – oder?« »Klar«, antwortete Pank-pank. »Es wäre schon nicht schlecht, wenn in Moondrag ei niges in Ordnung käme. Vielleicht kann man mit den alten Anlagen unter der Stadt doch noch etwas anfangen.« »Du denkst nur daran, wie du dich zum Herrscher von Moondrag aufschwingen kannst«, sagte Hontro, der hinter ihm stand. »Glaubst du, daß sie das zulassen?« »Warum nicht?« fragte Pank-pank. »Es heißt, daß alles wieder so werden soll wie in alten Zeiten, von denen wir kaum noch et was wissen. Dazu gehört auch, daß die Ma schinen von Moondrag repariert und wieder in Betrieb genommen werden.«
10 »Mit dir als Maschinenmeister«, bemerkte Throm spöttisch. »Wart's ab«, empfahl ihm Pank-pank. »Komm. Wir gehen in die FESTUNG, sonst nehmen uns die anderen noch alle Plätze weg.« Die Dalazaaren aus der Stadt Moondrag reihten sich in die Schlange der Besucher ein, die sich in die FESTUNG drängte. Pank-pank sah Technos und Robot-Bürger von Wolterhaven, Kuroden, Kelotten aus Aghmonth, Yaghts, Bropen, Paarlen, Grendts, Orxeyaner und andere, schwer ein zuordnende Humanoiden. Sie alle wurden von Dellos in die FESTUNG geleitet. Pank-pank betrat die FESTUNG und folg te einem Gang bis zu einem senkrecht auf steigenden Schacht. Er sah, wie die Besu cher Kabinen bestiegen und damit nach oben transportiert wurden. Zwei Dellos standen vor dem Schacht. Sie bedienten den Fahr stuhl. Grinsend trat Pank-pank einem von ihnen vor das Schienbein. Der Dello brach auf schreiend zusammen. Mühsam richtete er sich wieder auf. Der zweite Dello half ihm. Mit schmerzverzerrtem Gesicht zog der Getroffene sich etwa zwei Meter weit vor Pank-pank zurück. Dann verneigte er sich vor ihm. »Entschuldigen Sie«, bat er. »Ich hätte zur Seite treten müssen.« Pank-pank lachte schallend. Er blickte sich zu seinen Freunden um. »Es sind tatsächlich neue Zeiten angebro chen«, sagte er. »Schade eigentlich. Gegen eine kleine Prügelei hätte ich nichts einzu wenden gehabt.« Die Fahrstuhlkabine öffnete sich. Höflich baten ihn die Dellos, einzutreten. Pank-pank gehorchte widerwillig. Wenig später schoß der Fahrstuhl mit hoher Beschleunigung nach oben. Pank-pank wurde blaß. Plötzlich glaubte er, in einer Vernichtungsmaschine zu sitzen. Bevor er jedoch einen Versuch machen konnte, sich aus der Kabine zu be freien, war die Fahrt zu Ende. Klickend öff neten sich die Türen. Pank-pank blickte in
H. G. Francis einen Saal, in dem sich bereits etwa tausend Vertreter der verschiedenen Völkerschaften von Pthor eingefunden hatten. Der Saal war quadratisch. Eine mit fremd artigen Gemälden verzierte Decke wölbte sich über den Köpfen der Besucher. Pank-pank drängelte sich mit seinen Freunden durch die Menge, ohne sich darum zu kümmern, wohin ihn die Dellos führen wollten. So arbeitete er sich bis dicht an eine Bühne heran, auf der drei mächtige Sessel standen. Er schob einen Techno zur Seite und setz te sich auf dessen Platz. »Damit gleich klare Verhältnisse herr schen«, sagte er und deutete mit dem Dau men auf die Bühne, so als hätten ihn die neuen Herren dazu berechtigt, an ihrer Herr schaft teilzunehmen. Niemand erhob Einspruch, zumal in die sem Moment die Söhne Odins eintraten. Ein Blitz zuckte aus der Decke auf die Bühne herab und tauchte sie in gleißendes Licht. Der Boden erzitterte unter einem fernen Donnerschlag. Augenblicklich wurde es still, und aller Augen richteten sich auf die Bühne, auf der die drei mächtigen Söhne Odins in ihren prunkvollen Rüstungen stan den. Sigurd und der finstere Heimdall wirkten kraftvoller denn je, während Balduur neben ihnen einen etwas schwächeren Eindruck machte. Sie setzten sich in die Sessel und blickten einige Zeit lang schweigend in die Runde. Niemand im Saal wagte, seine Stim me zu erheben. Zwei Kuroden erhoben sich von ihren Plätzen. Sie trugen ein rotes Kissen, auf dem drei nußgroße Diamanten funkelten, zur Bühne und legten sie zu Füßen Sigurds nie der. »Diese Steine sollen daran erinnern, daß ihr Freunde an der Küste der Stille habt«, sagte einer von ihnen. Dann verneigten sie sich und kehrten zu ihren Plätzen zurück. »Diese Dummköpfe«, sagte Pank-pank verächtlich zu seinen Freunden. »Ob sie wirklich glauben, sich damit ihre Freund
Die Gesichtslosen schaft erwerben zu können?« Nun erhoben sich nacheinander Yaghts, Bropen, Kelotten, Paarlen, Dellos, Robot bürger von Wolterhaven und viele andere und brachten den Söhnen Odins Geschenke und Ergebenheitsadressen. Nur Pank-pank und seine Begleiter aus Moondrag hatten nichts mitgebracht. Die Blicke Sigurds richteten sich auf den Dala zaaren. Pank-pank erbleichte. »Du mußt etwas tun«, flüsterte ihm Throm zu. »Du kannst nicht einfach sitzen bleiben.« Pank-pank erhob sich. Seine Hände ne stelten nervös am Gürtel herum. Throm und ein anderer Dalazaare stießen ihn auf den Gang, der zur Bühne führte. Die Augen der versammelten Abgeordneten richteten sich auf ihn, und ein Flüstern ging durch den Saal, als diese erkannten, daß er nichts mit gebracht hatte. »Warum kommst du nicht?« fragte der finstere Heimdall, während ein grimmiges Lächeln um seine bärtigen Lippen spielte. Pank-pank erhielt einen Stoß von einem Dalazaaren in den Rücken. Er eilte stolpernd einige Schritte auf die neuen Herren der FE STUNG zu, fing sich dann, blieb stehen, richtete sich stolz auf und ging langsam wei ter. Vor Sigurd blieb er stehen. »Wir kommen von Moondrag«, erklärte er mit hallender Stimme. »Alles, was ich euch hätte mitbringen können, wären Schutt und Asche gewesen. Ich komme mit leeren Händen. Verzeiht mir. Die Bewohner von Moondrag sind arm. Aus den Ebenen liefert niemand mehr etwas. Wir hungern, und Wild gibt es nicht, das wir jagen könnten. Deshalb komme ich nicht mit Geschenken, sondern mit einer Forderung. Wir erwarten von den neuen Herren von Pthor, daß sie un sere Versorgungslage verbessern.« Sigurd nickte anerkennend. »Du meinst also, Herrschen heißt nicht nur Nehmen, sondern auch Geben?« »Das wollte ich sagen«, erwiderte Pank pank furchtlos. »Wenn ihr wollt, daß es eine
11 Bevölkerung von Moondrag gibt, über die ihr herrschen könnt, dann sorgt dafür, daß die bestehende Bevölkerung überlebt.« »Das waren mutige Worte, Dalazaare«, sagte Sigurd. »Sie sollen belohnt werden. Wir werden dafür sorgen, daß Moondrag er hält, was benötigt wird.« Mit einer knappen Handbewegung gab Si gurd dem Dalazaaren zu verstehen, daß das Gespräch beendet war. Pank-pank lief der Schweiß über die Stirn. Er atmete auf, dreh te sich um und wäre in seiner Aufregung fast gestürzt. Er nahm seine Umgebung kaum noch war. Er hastete zu seinem Platz zurück und setzte sich. Erst dann wurde ihm be wußt, daß er sich durch Mut und Frechheit aus einer äußerst unangenehmen Situation gerettet hatte und daß er mehr als alle ande ren im Saal erreicht hatte. Stolz richtete er sich auf. Er fühlte die Blicke der anderen auf sich ruhen und wuß te, daß sie ihn beneideten und bewunderten. Von Sekunde zu Sekunde fühlte er sich bes ser. »Dreh bloß nicht durch«, sagte Throm zu ihm. »Du kannst froh sein, daß die neuen Herren vernünftig sind. Hättest du das zu den alten Herren gesagt, dann wärest du jetzt schon tot.« »Die alten Herren haben sich niemandem gezeigt«, erwiderte er. Aber er wußte, daß Throm recht hatte. Er hatte viel gewagt und gewonnen, nun war es gut, bescheiden zu sein. Ihm erging es im Grunde genommen nicht anders als den vielen anderen im Saal auch. Er war froh, daß die Herrschaft der alten Herren der FESTUNG gebrochen war. Er wußte nicht, wer sie eigentlich besiegt hatte. Unzählige Gerüchte rankten sich um den Tod der alten Herren. Einige behaupteten, die drei Söhne Odins hätten sie getötet, an dere besagten, ein Dello sei es gewesen. Es hieß aber auch, jene Fremden, die für die Zerstörung von Moondrag gesorgt hätten, seien die wirklichen Sieger. Pank-pank bezweifelte, daß es so war. Er erinnerte sich deutlich an die beiden Frem
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den, von denen offenbar niemand genau wußte, woher sie eigentlich gekommen wa ren. Er fragte sich, warum die beiden nicht im Saal waren, wenn sie die Herren besiegt hatten. Würden sie die Herrschaft über Pthor frei willig abgegeben haben, wenn sie die Sieger waren? Er konnte es sich nicht vorstellen. Sigurd erhob sich. Er nahm sein lanzen förmiges Schwert und rammte es mit der Spitze in den Boden der Bühne. »Hört her«, rief er. »Ihr sollt wissen, wie unsere Pläne aussehen. Einer von euch hat deutlich gemacht, daß das Leben auf Pthor schwer geworden ist. Die Versorgungslage ist schlecht. Unsere Kräfte sind erschöpft. Es wird Zeit, daß etwas geschieht.« Prasselnder Beifall unterbrach ihn. Er un terstrich zugleich, daß Pank-pank ausgespro chen hatte, was alle bedrückte.
* Kolphyr brauchte einige Zeit, bis er wie der wußte, wo er eigentlich war. Er hielt die Augen geschlossen, um in Ruhe nachdenken zu können. Er erinnerte sich daran, daß er einem un glaublich dünnen Wesen begegnet war, das ihm zunächst große Zuneigung entgegenge bracht, ihn dann aber angegriffen hatte. Also mußte er etwas falsch verstanden haben. Er öffnete die Augen. Der Dürre stand über ihm und hatte ihm die Spitze seiner Lanze auf die Brust gesetzt. Die Metallspitze glühte. Kolphyr erkannte, daß er sich in tödlicher Gefahr befand. Blitzschnell griff er zu und stieß die Lanze zur Seite. Im gleichen Au genblick schoß ein Energiestrahl aus der Spitze hervor, raste dicht neben ihm in den Boden und verwandelte das Erdreich in eine glutflüssige, brodelnde Masse. Kolphyr hielt die Lanze fest und rollte sich zur Seite, um der Hitze zu entgehen. Der Dürre schrie auf und wirbelte hilflos über ihn hinweg. Er stürzte und blieb re gungslos liegen.
Der Bera richtete sich langsam auf. Fas sungslos blickte er auf den Dürren. Er stellte fest, daß ein Teil seines Kopfes und eine Hand verschwunden war. Es sah aus, als ha be jemand die obere Hälfte seines Schädels mit dem Helm abgeschnitten und entfernt. Blut floß jedoch nicht. Der Bera überlegte. Er wußte nicht, was er tun sollte, und er konnte sich nicht erklä ren, was geschehen war. Um besser sehen zu können, ließ er sich auf den Boden sinken und beugte sich über den Schädel des Dürren. Die Schnittstelle sah grau und verwaschen aus. Kolphyr ver suchte, sie zu berühren, doch das gelang ihm nicht. Er verspürte ein eigenartiges und unange nehmes Kribbeln am Kopf und zog sich un willkürlich von dem am Boden liegenden Mann zurück. Einem spontanen Gedanken folgend, packte er ihn an den Beinen und zog ihn zu sich heran. Verblüfft stellte er fest, daß der Kopf plötzlich wieder vollständig war. Er blickte dorthin, wo der Dürre eben noch mit dem Kopf gelegen hatte, konnte je doch nichts Ungewöhnliches feststellen. Ihm fiel lediglich auf, daß Atlan, Thalia und Raz amon nicht mehr da waren, aber darüber machte er sich keine Gedanken. Er nahm an, daß sie weitergeritten waren. Sein Reitspyte war einige Meter weitergetrottet und schnüf felte mit der Schnauze auf dem Boden her um. Der Dürre bewegte sich. Er drehte sich auf den Rücken herum, griff nach seinem Blechhelm und drückte ihn sich fester auf den Kopf. Dann streckte er die Hände ta stend nach seiner Lanze aus. »Hier ist sie«, sagte Kolphyr und zeigte ihm die Waffe. Der andere verstand ihn. Er zupfte sich seinen Bart zurecht, zog die dürren Beine an und kreuzte sie unter dem Körper. »Was willst du von mir?« fragte er. Kol phyr sah deutlich, daß er die Lippen beweg te. Er vernahm fremdartige Laute, hatte aber dennoch keine Schwierigkeiten, ihn zu ver
Die Gesichtslosen stehen. »Nichts«, erwiderte er. »Du wolltest mich töten.« »Das muß ein Irrtum sein«, sagte der Dür re. »Ich erinnere mich nicht daran. Außer dem habe ich Kopfschmerzen.« »Du hattest zeitweilig den Kopf verlo ren.« Der Dürre verzog das Gesicht. Er ließ er kennen, daß er diese Worte als Unsinn an sah. Er zeigte auf seine Brust. »Ich bin Karthau«, erklärte er. »Und ich suche einen Mann mit silberhellen Haaren. Die Haare reichen ihm bis auf die Schulter herab, und er hat rote Augen.« »Den kenne ich«, erwiderte Kolphyr und nannte ebenfalls seinen Namen. »Das ist At lan. Was willst du von ihm?« »Nichts weiter«, erklärte der Dürre. »Ich habe von ihm gehört und möchte ihn ken nenlernen. Das ist alles.« Nun stutzte Kolphyr doch. »Du hast von ihm gehört?« fragte er. »Wie ist das möglich?« Karthau tippte sich mit einem Finger ge gen die Schläfe. »So etwas passiert bei mir hier oben«, er klärte er. »Wenn ich sage, daß ich etwas ge hört habe, dann ist das nicht ganz richtig. Die Nachrichten kommen aus dem Nichts und sind plötzlich in mir. Es ist so wie jetzt mit dir. Du sprichst eine fremde Sprache, aber wir können uns doch verstehen.« Kolphyr warf seinem Gegenüber die Lan ze zu. Er glaubte nicht mehr daran, daß der andere ihn töten würde. Tatsächlich legte Karthau die Lanze neben sich auf den Bo den. »Und jetzt?« fragte der Bera. »Wir suchen Atlan. Wo kann er sein?« Kolphyr erhob sich und ging auf einen na hen Hügel. Er blickte sich um. Etwa drei hundert Meter von ihm entfernt begann eine Sandwüste. Sie dehnte sich im Süden bis zum Horizont. Im Norden lag grünes, frucht bares Land, das mehr und mehr anstieg und schließlich durch ein riesiges Felsmassiv be grenzt wurde.
13 Diese Berge hatte der Bera vorher nicht gesehen. Endlich begriff er, daß etwas Un geheuerliches geschehen war. Karthau hockte noch immer an der glei chen Stelle auf dem Boden und beobachtete ihn. Kolphyr blickte zu ihm hinüber und faß te einen Entschluß. Er rannte los. Deutlich konnte er die Stelle erkennen, an der Kart hau im Gras gelegen hatte. Dorthin lief er jetzt, ohne an den Spyten zu denken. Er dachte daran, daß eine Hand und ein Teil des Kopfes von Karthau verschwunden gewesen, später aber wieder hervorgekom men waren. Ohne zu zögern, rannte er über die Stelle hinaus, an der er diese seltsame Beobachtung gemacht hatte. Er verspürte einen heftigen Schlag, der ihn fast zurückgeworfen hätte. Vor seinen Augen wurde es für einen Sekundenbruch teil finster, danach hatte er das Gefühl, di rekt in die gleißende Sonne zu sehen. Er streckte die Arme aus, um sich zu hal ten und seine Augen zu beschatten. Dann sah er Atlan, Razamon und Thalia. Erschrocken ließ er sich auf die Knie her abfallen.
3. Thalia drehte sich um. »Kossys«, schrie sie. Ihr Reitspyte hob den Kopf und blickte sie an. Sie lief auf ihn zu und sprang auf sei nen Rücken. Das Tier rannte los, ohne daß sie es antreiben mußte. Atlan und Razamon wichen langsam zu rück, flüchteten jedoch nicht. Wie gebannt blickten sie auf die riesige Hand, die vor ih nen aus dem Nichts heraus entstanden war. Sie war etwa zwei Meter hoch und zehn Me ter lang. Die Finger, die zwei bis drei Meter lang waren, tasteten suchend über den Bo den und streckten sich den beiden Männern entgegen. Dicht neben der Hand entstand ein metal lenes Gebilde. Es war stark gewölbt und er reichte eine Höhe von etwa zwanzig Metern. Es schwankte, als würde es jeden Moment
14 einstürzen. Thalia kehrte zögernd auf ihrem Spyten zurück, näherte sich der Hand jedoch nicht so weit wie Razamon und Atlan. Die beiden Männer umkreisten die Hand und blieben seitlich von ihr stehen. »Es ist eine menschliche Hand. Kein Zweifel«, sagte Razamon. »Aber wo kommt sie her? Sie muß schließlich jemandem ge hören.« Die Hand zog sich langsam zurück und verschwand. Es sah aus, als ob sie durch einen unsichtbar machenden Schleier gleite. »Wie groß mag das Wesen sein, dem die Hand gehört?« fragte Razamon. Er blickte Atlan unsicher an. »Und was machen wir, wenn dieser Mensch es sich einfallen läßt, zu uns herüberzukommen?« »Du glaubst also auch, daß an dieser Stel le eine andere Welt beginnt, eine Welt, in der Kolphyr verschwunden ist?« »Eine andere Dimension, eine andere Zeit – wer weiß?« Razamon stieß fluchend einen Stein mit dem Fuß weg. »Wir müssen uns entschließen«, sagte er. »Irgend etwas müssen wir tun. Entweder wir reiten weiter und geben Kolphyr verloren, oder wir …« »Du willst doch wohl nicht auch hinüber gehen?« rief Thalia, die sich zu ihnen gesellt hatte. Sie hatte ihren ersten Schrecken über wunden. »Wir können nichts tun«, widersprach At lan. »Hinüberzugehen könnte bedeuten, in den Tod zu laufen. Solange wir nicht wis sen, ob Kolphyr den Wechsel überlebt hat, sind uns die Hände gebunden. Offenbar kann man von drüben zu uns herüber, ohne Schaden zu nehmen, nicht jedoch umge kehrt.« »Was schlägst du also vor?« fragte Raza mon. »Wir können nur warten. Wir werden uns ans Feuer setzen. Kolphyr muß sich allein helfen. Wenn er noch lebt, kann er es auch, und wir brauchen uns keine Sorgen zu ma chen.«
H. G. Francis »Du hast recht«, bestätigte Thalia. Die beiden Männer und das Mädchen zo gen sich bis zum Feuer zurück, das sie ent zündet hatten. Razamon warf noch etwas Holz nach, weil es fast erloschen war. Die drei Spyten blieben in ihrer Nähe. Endlos langsam verstrich die Zeit, während sich alle drei immer wieder fragten, ob es nicht doch noch eine Möglichkeit gab, etwas für den Bera zu tun. Plötzlich erzitterte der Boden. Thalia und die beiden Männer sprangen auf. Sie spür ten, daß etwas Entscheidendes geschehen würde. Ihre Blicke richteten sich auf die Stelle, an der Kolphyr verschwunden war. Ein Schatten fiel auf das Land. Für einen kurzen Moment wurde es so dunkel, als sei en Gewitterwolken aufgezogen. Dann aber wurde es wieder so hell wie zuvor. Die Luft flimmerte grünlich, und eine riesige Gestalt entstand. Sie war weit über hundert Meter hoch und wirkte ungeheuer massig. Ein grünlicher Schleier schien sie hauteng zu umgeben. Das Licht der Sonne brach sich tausendfältig in ihm. »Kolphyr«, schrie Atlan zurückweichend. Der Koloß ließ sich auf die Knie herabfal len. Der Boden erzitterte so heftig, daß At lan, Razamon und Thalia zu Boden stürzten. »Weg, schnell weg«, brüllte der Arkoni de. Er riß Razamon und Thalia mit sich. Sie stürzten sich auf die Spyten, die vor Schreck wie erstarrt auf dem Fleck standen. Die Tie re stürmten los, als sie das Gewicht der Rei ter auf dem Rücken spürten. Kolphyr versuchte, sie aufzuhalten. Tap sig griff er nach Atlan. Seine riesige Hand verfehlte ihn jedoch, weil Kerall, auf dem der Arkonide ritt, zu schnell für den Bera war. »Wartet auf mich«, rief Kolphyr. Seine Stimme dröhnte, daß der Boden er zitterte und die Fliehenden glaubten, ihre Köpfe würden zerspringen. Der Bera ließ sich nach vorn kippen und fing sich mit den Händen auf, so daß er auf allen vieren auf dem Boden kauerte. Atlan, Razamon und Thalia gelang es nach etwa
Die Gesichtslosen zwei Kilometern, die Spyten anzuhalten. Schnaubend verharrten die Tiere auf der Stelle. »Schlimmer hätte es kaum kommen kön nen«, sagte Atlan und blickte auf Kolphyr, der sich wie ein monströses Gebirge aus der Hügellandschaft erhob. »Wir wissen wenigstens, daß er lebt.« Thalia lächelte verkrampft. »Was für ein Leben«, sagte Razamon. Er blickte Atlan hilfesuchend an. »Und was für eine Welt. Wohin sind wir nur geraten?« Die Luft neben Kolphyr flimmerte. Der Bera richtete sich langsam wieder auf. Er streckte eine Hand aus, schien jedoch zu be greifen, daß er sich Atlan, Razamon und Thalia nicht weiter nähern durfte, wenn er sie nicht gefährden wollte. Plötzlich wandte er sich um, und wie aus dem Nichts heraus erschien ein zweiter Rie se neben ihm. Atlan fühlte sich an eine der bizarren Rittergestalten aus dem terrani schen Mittelalter erinnert, als er ihn sah. Der Mann war unglaublich dünn, trug einen Me tallhelm auf dem Kopf und einen Brustpan zer. Die roten Hosen reichten ihm bis fast an die Knie. Die Füße steckten in Schuhen, de ren Spitzen hoch aufgebogen waren und mit halbmondförmigen Klingen verziert waren. Die Gestalt stützte sich auf eine Lanze, die deutlich länger war als er selbst. Der Dürre strich sich mit einer Hand über seinen Bart. Dann tippte er Kolphyr an, drehte sich zusammen mit ihm um und ver schwand ebenso plötzlich, wie er gekommen war. Mit ihm ging Kolphyr. Thalia ließ sich vom Rücken ihres Spyten gleiten. »Ich fürchtete schon, die beiden würden uns aufnehmen«, sagte sie. »Besonders der mit der Lanze.« »Er hätte uns aufspießen können, so wie ein Parkwächter es mit herumliegendem Pa pier macht«, bemerkte Razamon. »Laßt uns von hier verschwinden. Wir wissen, daß Kolphyr lebt. Das sollte genügen. Helfen können wir ihm nicht.« »Das ist die Frage«, entgegnete Atlan.
15 »Du weißt, wie wir ihm helfen können?« fragte Thalia erregt. »Nein, soweit bin ich noch nicht«, erklär te der Arkonide. »Wir wissen jedoch, was hier passiert.« »Tut mir leid«, erwiderte Razamon. »Ich weiß überhaupt nicht, was los ist.« »Wir haben es mit einer hyperenergeti schen Dimensionsverwerfung zu tun«, sagte Atlan. »Das ist wohl klar. Aus irgendeinem noch unbekannten Grund stoßen hier zwei Dimensionsbereiche aneinander, ohne sich durch ihre Polung gegenseitig abzustoßen. Irgend jemand muß also durch einen hype renergetischen Prozeß die natürlichen Ab wehrkräfte neutralisiert haben.« »So daß es für Kolphyr möglich wurde, von einer Dimension in die andere überzu wechseln«, ergänzte Thalia. »So ist es«, bestätigte der Arkonide. »Leider wurde er dabei gewandelt.« »Ebenso wie der Stein«, sagte Razamon. »Ich habe einen faustgroßen Stein durch die Dimensionsschranke geschleudert, und ein Felsbrocken von hundertfacher Größe kam zurück. Vielleicht habe ich Kolphyr oder diese dürre Gestalt am Kopf getroffen, und sie haben den Stein zurückgeschleudert.« »Einer von uns muß zu Kolphyr gehen und ihm helfen«, sagte Thalia. »Wir wissen ungefähr, was los ist. Er weiß es vermutlich nicht. Er ist allein.« »Aber er ist nicht dumm«, erwiderte At lan. »Vergiß nicht, daß Kolphyr Dimensi onsforscher ist. Er sollte also verstehen, was hier geschieht. Vielleicht hat er die Situation längst analysiert und leitet bereits die geeig neten Gegenmaßnahmen ein.« »Du meinst also, ich soll bleiben?« »Das meine ich. Wir warten weiter ab.«
* Kolphyr ließ sich auf den Boden sinken. Er blickte Karthau an, der sichtlich verwirrt neben ihm stand und die Spitzen seines Bar tes zwischen den Fingern zwirbelte. »Irgend etwas ist faul«, stellte Karthau
16 kopfschüttelnd fest. »Ich habe noch nie so kleine Humanoiden gesehen.« »Einer von ihnen war Atlan«, erwiderte der Bera. »Das muß ein Irrtum sein«, rief der Dürre erregt. Er umklammerte seine Lanze, drehte sie um und stieß sie mit der Spitze tief in den Boden. »Das würde man mir nicht zu muten.« »Was würde man dir nicht zumuten?« fragte Kolphyr erstaunt. »Lassen wir das«, bat Karthau. »Wohin wenden wir uns?« »Du willst weg?« »Was soll ich hier?« Der Dürre blickte zu den Bergen hinüber. »Ich glaube, ich wende mich dorthin. Vielleicht finde ich den richti gen Atlan dort.« Kolphyr hütete sich, ihn nun noch näher zu Atlan zu befragen. Eine ungewisse Ah nung stieg in ihm auf, und er beschloß, wachsam zu bleiben. »Nun gut«, sagte er. »Wenn du gehen willst, halte ich dich nicht auf. Ich bleibe hier.« »Was willst du hier? Du solltest lieber se hen, daß du dich weit von dieser unheimli chen Grenze entfernst. Vielleicht passiert es dir gar, daß du plötzlich auch so klein bist wie die da draußen.« »Das würde mir gefallen«, erklärte der Bera. Er weidete sich an der Überraschung seines Gegenübers. Karthau zerrte an der Spitze seines Kinnbarts, riß die Lanze aus dem Boden und legte sie sich über die Schulter. »Der Vorfall hat deinen Verstand getrübt. Es ist besser, wenn ich mich von dir trenne«, sagte er, wandte sich um und entfernte sich etwa fünfzig Meter weit. Dann blieb er ste hen und drehte sich zögernd um. Kolphyr beobachtete ihn, ohne sich auf ihn zu kon zentrieren. Er dachte über seine eigene Situation nach. Inzwischen war er sich darüber klar ge worden, daß er das Opfer einer energeti schen Dimensionsverwerfung geworden
H. G. Francis war. Für ihn war keineswegs verblüffend, daß er soviel größer war als Atlan, Razamon und Thalia. Derartige Effekte waren für ihn ganz normale Erscheinungen, in energeti schen Grenzbereichen wie diesen. Er versuchte gar nicht erst, sich zu erklä ren, wie die Verwerfungen entstanden wa ren. Vielmehr bemühte er sich, aus den Be obachtungen, die er gemacht hatte, eine ein fache Formel abzuleiten. Er wollte wissen, wie hoch das Energiepotential sein mußte, das dazu nötig war, in einem eng begrenzten Bereich Angleichungswerte zu erzielen. Diese sollten ihm einen Übertritt in die an dere Dimension ohne Größenverzerrungen erlauben. Karthau kehrte zu ihm zurück. »Du hast eine Idee«, sagte er anklagend und zeigte mit der Spitze der Lanze auf ihn. »Und wenn es so wäre?« »Dann wäre es höchst unmoralisch, sie mir nicht mitzuteilen.« Kolphyr verzog die Lippen. Er fragte, ob es ratsam war, Karthau ziehen zu lassen. Hatte dieser seltsame Mann einen Auftrag, der sich gegen Atlan richtete? Wenn es so war, bestand dann nicht die Gefahr, daß er als Riese die Dimensionen durchbrach und den Arkoniden einfach unter seinen Füßen zermalmte? War es nicht besser, ihn in sei ner Nähe zu haben und zu kontrollieren? »Du bist ebenfalls nicht aufrichtig zu mir«, erwiderte der Bera. »Welches Interes se hast du an Atlan, und woher kennst du ihn?« »Ich habe eine Botschaft erhalten«, er klärte der Dürre. »Das Bild dieses Mannes entstand vor meinen Augen.« »Sollst du ihn töten?« Karthau schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht«, antwortete er. »Aber jetzt bist du dran. Ich habe alles gesagt, was ich weiß. Nun zu deiner Idee.« Kolphyr sah ein, daß er vorläufig nicht mehr erfahren würde. Er stand auf und ging zu seinem Reitspyten, der sich immer noch in der Nähe aufhielt und den Boden auf wühlte, um ihn nach etwas Eßbarem zu
Die Gesichtslosen durchsuchen. Er schwang sich auf den Rücken des Tieres und kehrte zu Karthau zurück. »Wenn du klug bist, dann setzt du dich hinter mich«, sagte er. »Willst du in die andere Welt dort drüben reiten?« fragte der Dürre. »Willst du als Rie se unter Zwergen leben?« »Das wird nicht notwendig sein. Ich hof fe, daß ich die energetischen Ungleichheiten ausgleichen kann. Wenn das gelingt, werden wir in Normalgröße drüben erscheinen.« Karthau überlegte eine Weile. Hin und wieder blickte er zu den Bergen hinüber. Der Weg dorthin war weit und mühsam, während ein Ritt auf dem Rücken des Spy ten recht bequem war. Er entschloß sich, ein gewisses Risiko auf sich zu nehmen. Er schwang sich auf den Rücken des Reittiers und hielt sich an Kolphyr fest. »Gleich kracht es«, kündigte das Antima teriewesen an. »Laß dich dadurch nicht stö ren. Uns geschieht nichts, wenn wir schnell und entschlossen handeln.« Karthau wußte, daß er weder schnell, noch entschlossen handeln konnte. Er saß auf dem Rücken des Spyten und mußte Kol phyr alles überlassen. Dennoch sagte er: »Du wirst überrascht sein über meinen Mut, meine Entschlußkraft und meinen Einsatzwillen.« Um zu beweisen, daß er meinte, was er sagte, streckte er die Hand aus, mit der er die Lanze hielt, und ließ die Spitze aufglü hen. »Nur das nicht«, rief der Bera schnell. »Keine unkontrollierte Energieausschüt tung.« Die Metallspitze nahm wieder ihre nor male Farbe an. Kolphyr hieb dem Spyten die Faust in den Nacken. »Los, Mierjot«, brüllte er. »Lauf!« Das Tier stürmte los. Blitzschnell näherte er sich der unsichtbaren Grenze zwischen den Dimensionen. Unmittelbar bevor es die energetische Dimensionsverwerfung erreich te, schleuderte Kolphyr ein sorgfältig be
17 rechnetes Hautstückchen aus einem seiner Finger durch den Velst-Schleier. Das Anti materie-Stückchen fiel dicht neben dem Spyten auf den Boden und löste eine Explo sion aus. Weißglühende Materiebrocken schossen donnernd in die Höhe. Für einen Sekunden bruchteil rannte der Reitspyte mit Kolphyr und Karthau durch eine flammende Hölle. Karthau klammerte sich schreiend an den Bera. Er glaubte, die letzten Sekunden sei nes Lebens seien angebrochen, und er ver fluchte sich, weil er sich dazu entschlossen hatte, bei Kolphyr zu bleiben. Der Explosi onsdruck riß ihm den Helm vom Kopf, und ein Gesteinssplitter trennte ein Stück vom Schaft seiner Lanze ab. Der Spyte streckte sich. Es schien, als wolle er sich zurückwerfen und vor der Glut fliehen. Doch Kolphyr trieb ihn erbarmungs los vorwärts, indem er ihm die Beine fest um den Leib preßte und ihm mit beiden Händen den Kopf nach unten drückte. In sei ner Panik wußte Mierjot nicht mehr, wo er war. Er rannte weiter. Schlagartig wurde es still. Karthau blickte auf. Er fand sich in einer Landschaft wieder, die ihm seltsam bekannt vorkam, die jedoch gewaltige Dimensionen angenommen hatte. Zu seinen Seiten befand sich eine violette Wand, die sich bis in den Himmel zu erhe ben und sich links und rechts von ihm bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien. Der Reitspyte schüttelte sich in seinem Schrecken so heftig, daß Karthau von sei nem Rücken stürzte. Dann schnellte sich das Tier mit der Hinterhand steil in die Höhe und warf auch Kolphyr ab. Der Bera ließ sich auf den Boden fallen. Er blieb sitzen und sah sich um. Der violette Energieschleier bestand noch immer. Deutlich waren die zahlreichen Aus buchtungen, scharfen Vorsprünge und Ni schen zu erkennen, die durch unterschiedli che Energiewerte geschaffen wurden. Kol phyr erkannte, daß sich die Dimensionsver werfungen über viele Kilometer hinweg ge
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bildet hatten. So war es kein Zufall, daß er sich in ihnen verfangen hatte, sondern es war überraschend, daß Atlan, Razamon und Thalia ihnen bis jetzt entgangen waren. Sie waren eine geraume Zeit lang parallel zu ih nen geritten. Allmählich erlosch der violette Schleier, und dann verriet sich durch nichts mehr, daß in diesem Gebiet irgend etwas anders war als anderswo. »Wieso denn?« fragte Karthau. »Vorhin war das Land flach und eben. Jetzt sind hier überall Hügel. Was hat das zu bedeuten?« »Das bedeutet, daß du jetzt kein Riese mehr bist«, erklärte der Bera. »Du bist so groß wie Atlan und die anderen. Oder nein. Du bist größer als Atlan. Aber das kannst du gleich genau sehen.« Kolphyr stand auf. Atlan, Razamon und Thalia näherten sich ihnen. Sie ritten auf ihren Spyten, Mierjot hatten sie eingefangen. Sie führten das noch immer nervöse Tier an den Hörnern. Karthau griff nach seiner verkürzten Lan ze. Er strich sich das braune Haar aus der Stirn und suchte vergeblich nach seinem Helm. Dieser war in einer anderen Dimensi on zurückgeblieben.
* Atlan sah ein phantastisches Gebilde. Es glich einem sich hoch auftürmenden Berg aus aneinandergelehnten Plastikscheiben und schien bis in die Stratosphäre des Plane ten hineinzureichen. Es war violett und un durchsichtig, schien aber von zahllosen Lichtquellen erfüllt zu sein. Zu beiden Sei ten hin wurde das Gebilde niedriger und glich mehr einem Energiezaun mit bizarren Vorsprüngen und Nischen. Der Arkonide versuchte sofort, sich zu orientieren, nachdem er seine erste Überra schung überwunden hatte. Er erkannte, daß die Dimensionsverwerfung sichtbar gewor den war. Sie waren wie in einem Irrgarten gefan gen, denn nicht nur vor ihnen verlief eine
Dimensionsverwerfung. Eine andere ver sperrte ihnen den Weg nach Süden, und wie derum eine andere nach Osten. Nur im We sten war eine kleine Lücke frei. Dort ent deckte Atlan eine Anzahl von Zelten der Brangeln. Sie waren jedoch noch so weit entfernt, daß er sich seiner Sache nicht völ lig sicher war. Er prägte sich einige Merkmale der Land schaft ein, um sich später an ihnen orientie ren zu können. »Da ist Kolphyr«, rief Thalia. »Er kommt aus dem violetten Zaun heraus.« »Wir reiten zu ihm«, entschied der Arko nide und trieb sein Reittier an. Der Bera stürzte vom Rücken seines Spyten, der di rekt auf Atlan zustürmte. Der Arkonide lenkte sein Tier in die Bahn Mierjots, und es gelang ihm, diesen einzufangen. Danach eilte er zusammen mit Razamon und Thalia zu dem Bera, um ihn zu begrü ßen.
* In der FESTUNG ging währenddessen die Unterrichtung der Pthorer durch die drei Söhne Odins weiter. Nachdem diese sich davon überzeugt hat ten, daß sie als neue Beherrscher von Pthor nicht mit Widerstand zu rechnen hatten, gin gen sie zum nächsten Punkt über. »Es läuft besser als erwartet«, sagte Bal duur zu Heimdall, als Sigurd damit begann, die Pläne zu erläutern, die sie entwickelt hat ten. »Ich glaube nicht, daß sich jemand ge gen uns stellen wird.« »Bestimmt nicht«, erwiderte Heimdall. »Sie sind froh, daß wir die Verantwortung übernehmen.« »Ich wiederhole«, rief Sigurd. »Uns geht es darum, die Lage auf Pthor so schnell wie möglich zu festigen. Danach werden wir uns auf dieser Welt, auf der wir gelandet sind, umsehen. Wir werden Expeditionen aus schicken, die sich über alles informieren werden, damit wir keine unangenehme Überraschung erleben.«
Die Gesichtslosen Anhaltender Beifall belohnte ihn für diese Ankündigung. »Sieh da«, bemerkte Heimdall. »Unter unseren Besuchern scheint mancher zu sein, der sich gern einmal außerhalb Pthors umse hen möchte.« »Mir soll es nur recht sein, wenn wir Frei willige finden«, erwiderte Balduur. »Wenn sie wissen, daß sie mit Pthor und uns nur ge winnen können, werden sie auch zurückkeh ren.« »Wir werden diese Welt zu einem Stütz punkt machen, wenn sich zeigt, daß sie da für geeignet ist«, fuhr Sigurd mit hallender Stimme fort. »Danach werden wir lernen, wie Pthor kontrolliert wird. Wir wollen wis sen, wie man Pthor durch Zeit und Raum be wegen kann, ohne dabei auf Zufälle ange wiesen zu sein.« Er wartete einige Sekunden, bis er sicher war, daß auch der letzte seiner Zuhörer be griffen hatte, was er meinte. »Die Steuerungsanlagen liegen in den zum Teil unbekannten Tiefen unter der FE STUNG. Sie werden zur Zeit von nieman dem gepflegt. Bedauerlicherweise stehen uns die Magier nicht zu Verfügung. Wir hof fen jedoch, daß wir bald wieder Verbindung zu ihnen aufnehmen können.« »Das sollte er nicht zu laut sagen«, be merkte Balduur leise. »Ich habe in dieser Hinsicht überhaupt keine Hoffnung.« Heimdall gab mit einem Nicken zu verste hen, daß es ihm nicht anders ging. Gern hät ten er und seine Brüder mit den Magiern zu sammengearbeitet, die in ihren Augen hoch qualifizierte Wissenschaftler waren. Die Tür hinter Heimdall öffnete sich. Ver ärgert drehte der Sohn Odins sich um. Ein kahlköpfiger Dello näherte sich ihm in un terwürfiger Haltung. »Ihr solltet wissen, was ich Euch zu mel den habe«, flüsterte er. »Sprich«, befahl Heimdall. »Schnell. Was ist los?« »Das Wache Auge schlägt Alarm«, fuhr der Androide mit gedämpfter Stimme fort. »Es hat einen aus dem Weltraum kommen
19 den Körper geortet.« »Ein Raumschiff also?« »Wahrscheinlich ein Raumschiff. Es nä hert sich uns sehr schnell. Es ist ein seltsa mes Gebilde. Es sieht aus wie zwei überein ander gestülpte Hüte.« »Danke«, sagte Heimdall. »Und jetzt ver schwinde.« Er erhob sich und stellte sich neben Si gurd, der augenblicklich verstummte. »Ein Raumschiff nähert sich uns«, rief Heimdall in den Saal. »Ab sofort hat jeder auf Pthor kampfbereit zu sein. Noch besteht keine direkte Gefahr, aber wir müssen vor bereitet sein. Der Wölbmantel schützt uns, doch das heißt nicht, daß wir nicht aus ihm heraus angreifen werden, falls sich die Not wendigkeit dazu ergibt. Verlaßt jetzt die FE STUNG und wartet auf unsere Befehle.« Die Besucher sprangen auf und drängten sich eilig aus dem Raum.
4. »Jetzt ist alles in Ordnung?« fragte Tha lia, nachdem sie Kolphyr begrüßt und mit den anderen zusammen seinen Bericht ge hört hatte. »Alles in Ordnung«, bestätigte er und stellte Karthau, seinen Begleiter, vor. »Wir sollten schnellstens aus dieser Ge gend verschwinden«, schlug Razamon vor. »Wer weiß, was uns sonst noch hier pas siert.« »Nein«, erwiderte Atlan, dem auffiel, daß Karthau seinen Blicken stets auswich. »Wir gehen in Richtung der Lücke weiter, die ich gesehen habe. Wenn wir beieinander bleiben und uns von den Dimensionsverwerfungen fernhalten, kann uns nichts passieren.« »Warum willst du ein Risiko eingehen?« fragte der Atlanter. »Ich will wissen, was die Dimensionsver werfungen zu bedeuten haben«, erklärte At lan. »Sie sind nicht natürlichen Ursprungs. Davon bin ich überzeugt. Also ist irgend je mand dafür verantwortlich, daß sie existie ren. Ich frage mich, warum er sie geschaffen
20 hat. Fraglos gehört ein beträchtlicher Ener gieaufwand dazu, sie aufrechtzuerhalten. Für uns könnte lebenswichtig sein, daß wir er fahren, welchen Sinn das alles hat.« »Vorsicht«, rief Thalia. Atlan fuhr herum. Er sah, daß ein riesiges Insekt aus der nun unsichtbaren Energiever werfung hervorkam. Es sah einer Mücke ähnlich. Aus dem zerklüfteten und mit Haar büscheln besetzten Kopf ragten kugelförmi ge Facettenaugen von beträchtlichen Aus maßen hervor. Das Tier überragte die vier Männer und Thalia um wenigstens fünfzig Meter, wobei die dünnen Beine etwa sieben undvierzig Meter beanspruchten. Es schlug mit den durchsichtigen Flügeln und erzeugte dabei ein sirrendes Geräusch, das augen blicklich starke Kopfschmerzen bei Atlan und seinen Begleitern hervorrief. Nicht fliehen! warnte der Extrasinn. Nicht aufmerksam machen. »Wir bleiben hier«, rief Atlan. »Wenn wir laufen, sieht das Biest uns sofort.« Er blickte zu dem Insekt empor. Es hatte einen langen, mit Dornen besetzten Rüssel, die wie Widerhaken aussahen. Voller Ent setzen stellte er sich vor, von diesem Rüssel durchbohrt zu werden. Das Rieseninsekt tänzelte auf seinen dün nen Beinen hin und her. Es schien sich nicht entschließen zu können, wohin es sich wen den sollte. Dabei berührte es Kolphyr mit seinem Spyten. Das Tier fuhr schnaubend zurück und prallte gegen eines der anderen fünf Insektenbeine. Das Monstrum stellte den Hinterleib auf recht. Es senkte den Kopf. Der Rüssel mit der messerscharfen Spitze schwebte dicht über Atlans Kopf. Dieser wich langsam zu rück. Er hoffte, daß der Anzug der Vernich tung ihn schützte, aber sicher war er sich dessen nicht. »Kolphyr«, sagte er. »Du wirst auf ein weiteres Stückchen deines Körpers verzich ten müssen. Halte ein paar Moleküle bereit.« »Keine Sorge«, erwiderte der Bera. »Wenn es noch schlimmer wird, spucke ich.«
H. G. Francis »Aber mir nicht auf den Kopf«, entgegne te Atlan. Er wich noch weiter zurück. Sie kann nicht! meldete sich der Logik sektor. Atlan stutzte. Die Kniegelenke! Jetzt bemerkte Atlan, daß die Riesen mücke in den Beingelenken einknickte. Die Flügel standen fast still. »Weg hier«, schrie er. »Schnell!« Er stieß seinem Reitspyten die Hacken in die Seiten. Das Tier stürmte los. Die anderen folgten ihm. Karthau schwang sich hinter Kolphyr auf den Rücken von Mierjot und klammerte sich an dem Bera fest. Atlan blickte über die Schulter zurück, während Kerall ihn aus der Nähe des Rie seninsekts trug. Er sah, wie das monströse Wesen zu Boden stürzte, in zahllose Frag mente zersplitterte und sich vollständig auf löste. »Nur noch Staub ist übrig«, stellte Raza mon fest, als sie sich etwa zweihundert Me ter weit entfernt hatten. »Wie ist so etwas möglich?« Kolphyr, der Dimensionsforscher, war es, der eine Antwort fand. »Das Atmungssystem der Insekten ist nicht für so große Geschöpfe geeignet«, sag te er. »Die Mücke ist erstickt.« »Schön und gut«, bemerkte Razamon. »Das erklärt aber noch lange nicht, weshalb sie zu Staub zerfallen ist.« »Es war ein Geschöpf einer anderen Di mension«, erläuterte der Bera. »Die hyper physikalischen Bedingungen seiner Existenz waren für diese Dimension nicht geeignet. Die hyperphysikalischen Spannungen, die jedes Lebewesen in sich zusammenhalten, lagen auf einer für diese Dimension zu frem den Frequenz.« »Das hört sich reichlich verwegen an«, entgegnete Razamon. »Und weshalb lebst du noch? Weshalb ist dieser Ritter von der trau rigen Gestalt noch nicht zu Staub zerfallen?« »Mich schützt der Velst-Schleier«, ant wortete Kolphyr ungerührt. »Was mit ihm
Die Gesichtslosen ist, weiß ich nicht.« Karthau zwirbelte die Spitzen seines Oberlippenbartes zwischen den Fingern. »Was mich betrifft, so muß ich zugeben, daß ich mich nicht wohl fühle«, erklärte er. »Vielleicht bin ich in einigen Sekunden auch Staub?« Er hob die Hände an den Kopf, um den Helm zurechtzurücken, stellte fest, daß er nicht mehr vorhanden war, und ließ sie ver wirrt sinken. »Ihr solltet freundlich zu mir sein«, fuhr er fort. »Wer weiß, wie lange ihr noch das Vergnügen habt, mich zu erleben?« Atlan beachtete ihn nicht. Er blickte an ihm vorbei. Einige Meter hinter Kolphyr und Karthau erschienen plötzlich zwei Bran geln. Sie bewegten sich taumelnd hin und her. Sie fuchtelten mit ihren Armen in der Luft herum und verschwanden wieder. Kurz darauf erschienen einige BrangelKinder, die ebenso verwirrt wirkten. Sie kro chen im Gras herum, als suchten sie nach et was, und tauchten ebenfalls wieder im Nichts unter. Unmittelbar darauf erblickte der Arkonide ein Spitzzelt, wie es für die Brangeln typisch war. Rauch kräuselte sich daraus empor. »Es schwebt über dem Boden«, sagte Thalia atemlos. »Wir verschwinden besser«, riet Kolphyr, »sonst geraten wir auch in die Verwerfung.« Die Konturen eines Reitspyten schälten sich aus dem Nichts. Zwei Brangeln ritten auf dem Tier, das verängstigt aussah. Für ei nige Sekunden schien es aus der Dimensi onsverwerfung ausbrechen zu wollen. Die Brangeln lenkten es dann jedoch in eine an dere Richtung. »Was wird hier gespielt?« fragte Raza mon. »Das ergibt doch keinen Sinn.« »Vielleicht doch«, sagte Atlan. »Hört doch mal!« Ein dumpfes Grollen erfüllte die Luft. »Das hört sich an wie ein Raumschiff, das noch sehr weit von uns entfernt ist«, sagte Razamon. »Es nähert sich uns«, stellte Thalia fest.
21 »Wir sollten uns verstecken«, bemerkte Kolphyr. »Vielleicht hat das Raumschiff mit den Dimensionsverwerfungen etwas zu tun.« Atlan zeigte zu einem kleinen Wald hin über, der die Kuppen einiger Hügel überzog. »Dorthin.« Er trieb Kerall an. Das Tier gehorchte und ließ sich bis unter die Bäume lenken. Hier sprang der Arkonide ab. Auch Razamon, Kolphyr und Thalia versteckten ihre Spyten unter den Bäumen. Das Grollen wurde zu einem mächtigen Dröhnen. Im glasigen Dunst des Himmels wurde ein helles Objekt sichtbar, das sich schnell näherte. »Es kommt genau auf uns zu«, stellte At lan fest. »Jetzt glaube ich auch daran, daß die Verwerfungen mit dem Raumer zusam menhängen.« »Vielleicht stellen sie so etwas wie eine Ortungshilfe dar?« vermutete Razamon. »Die hyperenergetischen Spannungen sind aus dem Weltraum leicht auszumachen.« »Falls die Schiffsbesatzung über das ent sprechende Instrumentarium verfügt«, gab Atlan zu bedenken. »Es hat alles, was es dazu braucht«, be hauptete Razamon, »sonst würde es nicht di rekt hierher fliegen. Entweder ist es eine Or tungshilfe oder eine Falle, die ahnungslose Raumfahrer anlocken soll.« »Das werden wir vermutlich bald wis sen«, bemerkte Karthau würdevoll. Er pack te seine Lanze mit beiden Händen und hielt sie sich quer vor den Leib. »Wenn es eine Falle ist, müssen wir kämpfen.« Durch das Laubwerk der Bäume hindurch konnte Atlan das Raumschiff sehen. Es war kegelförmig, hatte eine stumpfe Spitze und sah aus wie zwei übereinander gestülpte Schlapphüte. Dabei hatte es beträchtliche Ausmaße. Der Arkonide schätzte, daß es an der Unterseite, an der die glühenden Ab strahlschächte saßen, einen Durchmesser von wenigstens siebenhundert Metern hatte. »Hoffentlich kommen die nicht auf den Gedanken, direkt vor unserer Nase zu lan
22 den«, sagte Razamon mit gepreßter Stimme. »Dann bleibt nicht viel mehr als Asche von uns übrig.« »Das Gelände ist zu uneben«, gab Atlan zu bedenken. »Das Schiff wird weiter drü ben heruntergehen. Dort scheint es besser zu sein.« »Seht euch das an«, rief Kolphyr. »Eine Siedlung der Brangeln.« Tatsächlich schälten sich aus dem Nichts heraus immer mehr Zelte der Brangeln, bis ein Dorf von etwa zweihundert Zeltbauten sichtbar geworden waren. Die Bewohner standen zumeist bewegungslos zwischen den Zelten herum. Sie sind völlig durcheinander, stellte der Logiksektor fest. Sie wissen überhaupt nicht, was geschieht. Mit brüllenden Triebwerken schwebte das Raumschiff in etwa zweitausend Metern Hö he über das Dorf hinweg. Atlan wandte sich ab. Eine unerträgliche Hitze schlug auf ihn und seine Begleiter herab. Die Blätter der Bäume wurden in wenigen Sekunden welk. Dämpfe stiegen aus dem Boden auf. Einige der Zelte, die offenbar besonders trocken waren, entzündeten sich und gingen in Flammen auf. Unter diesen Umständen konnten Atlan und seine Begleiter das Geschehen im Dorf der Brangeln nicht mehr verfolgen. Sie hat ten genug damit zu tun, die Reitspyten an ei ner Flucht zu hindern. Die Tiere zitterten vor Angst und waren kaum zu halten. Die Brangeln flüchteten in ihre Zelte. Sie waren so verschreckt, daß einige direkt in die Flammen liefen. Erst die Schmerzen ih rer Brandwunden trieben sie wieder zurück. Das ausgedörrte Gras der Ebene brannte. Das landende Raumschiff verdrängte die Luft und entfachte einen Sturm, der das Feu er mit rasender Geschwindigkeit über das Land trieb. Atlan sah eine Feuerwand auf sich zu kommen. »Wir können uns nicht halten«, rief er. »Los. Weg hier.« Er sprang auf und schwang sich auf den
H. G. Francis Rücken seines Spyten, hielt diesen jedoch so lange zurück, bis er sich davon überzeugt hatte, daß die anderen ebenfalls flüchteten. Karthau stieg wiederum zu Kolphyr auf den Spyten. Die Tiere waren wie entfesselt, als Atlan Kerall antrieb. Der Spyte brach brüllend durch das Unterholz, und die anderen folg ten ihm. Atlan mußte sich tief über den Kopf des Spyten beugen, um nicht von herabhän genden Zweigen abgerissen zu werden. Die Hitzewelle trieb sie vor sich her. Erst einige Kilometer weiter, als das Land abfiel, erreichten sie eine Zone mit angenehmeren Temperaturen. »Das hat die Brangeln umgebracht«, sagte Thalia. »Wir brauchen gar nicht nachzuse hen. Von denen lebt keiner mehr.« »Warten wir es ab«, entgegnete Atlan. »Ich bin noch nicht davon überzeugt.« »Sie können es nicht überlebt haben«, be merkte Razamon. »Das Gras und die Zelte brannten wie Zunder. Wir waren in dem Wäldchen einigermaßen geschützt und muß ten doch vor der Hitze fliehen.« Atlan sprang vom Rücken seines Spyten, der schnaufend zu einem Tümpel trabte, um sich im Wasser und im Schlamm abzuküh len. »Ich schlage vor, aus dieser Gegend zu verschwinden«, fuhr Razamon fort. »Wir sollten versuchen, so schnell wie möglich nach Pthor zurückzukehren. Diese Welt bie tet uns zu wenig.« Der Arkonide lächelte. »Warum so voreilig, Razamon?« fragte er. »Wieso bietet uns diese Welt nichts?« »Das siehst du doch. Dieses Land hier ist schon fast eine Steppe. Und was wir sonst gesehen haben …« »Ist ein winziger Teil dieses Kontinents«, ergänzte Thalia. »Ich bin sicher, daß es auf dieser Welt viele Zonen gibt, in denen es sich lohnt zu leben.« »Darum geht es nicht«, entgegnete Atlan ruhig. Er legte Thalia den Arm um die Schulter und zeigte zu dem Raumschiff hin über, dessen Spitze weit über die Hügel und
Die Gesichtslosen die Wälder hinwegragte. »Wir wollen wis sen, was es mit dem Raumschiff auf sich hat, und was die Dimensionsverwerfungen zu bedeuten haben.« »Was geht uns das an?« fragte Razamon. »Das Ding da wird früher oder später wieder von hier verschwinden. Aber nicht nur das. Die Söhne Odins werden zweifellos dafür sorgen, daß Pthor wieder starten kann.« »Das wird nicht so bald geschehen. Ver giß nicht, daß einiges auf Pthor zerstört wor den ist. Vor allem im Bereich der FE STUNG«, entgegnete Atlan. »Es wird einige Zeit dauern, bis die Schäden behoben wor den sind – falls man sie überhaupt beheben kann.« Der Flächenbrand erreichte die Kuppen der Hügel, die über ihnen lagen, überschritt sie jedoch nicht, da der Wind umschlug und die Flammen zurücktrieb. An den erhitzten Wandungen des Raumschiffs stieg die war me Luft auf, so daß von allen Seiten kühlere Luft zum Landeplatz hin nachströmte. Kleinwild aller Art flüchtete jedoch nach wie vor aus dem verbrannten Gebiet. Nur wenige Tiere zeigten Brandspuren. Die mei sten schienen die erste Feuerwelle in Erd höhlen überstanden zu haben. Razamon tippte Karthau an. »Wie ist das, alter Ritter?« fragte er. »Bist du zu schwach, mit deinem Speer einen saf tigen Braten zu besorgen? Dann gib ihn mir. Ich schleudere ihn weit und genau genug.« Der Dürre griff sich an die Spitzen seines Bartes und drehte sie, während sich seine Blicke empört auf den Atlanter richteten. »Hüte deine Zunge, Hinkebein«, antwor tete er, »sonst muß ich dich zu einem Zwei kampf herausfordern, den du zweifellos nicht überleben wirst, weil noch niemand einen Kampf gegen mich überlebt hat.« »Hör auf«, rief Razamon lachend. »Das will ich alles gar nicht wissen. Spieße uns lieber ein Wildstück auf, bevor uns alle da vongelaufen sind.« Karthau legte grüßend seine Faust an den Brustpanzer und warf den Kopf zurück. »Es wird mir eine Ehre sein, deinen er
23 bärmlichen Hunger zu stillen«, erklärte er, wandte sich um und eilte zu den Kuppen der Hügel hin. »Nun bin ich mal gespannt, ob er mit dem Ding überhaupt trifft«, sagte Razamon. »Ich wette, dieser komische Kauz kann gar nicht richtig mit einem Speer umgehen.« »Abwarten«, bemerkte Kolphyr. »Ich hätte ihm die Lanze abnehmen sol len«, sagte Razamon. »Wer weiß, ob wir jetzt noch zu einem Braten kommen?« Voller Skepsis beobachtete er Karthau, der sich plötzlich niederkniete. Ein Tier, das Atlan lebhaft an einen terranischen Hirsch erinnerte, erschien zwischen zwei Hügeln. Es wandte dem Dürren den Kopf zu, schien jedoch keine Gefahr von ihm zu erwarten. »Was soll denn der Unsinn?« fragte Raza mon, als er sah, daß Karthau die Lanze wie ein Gewehr anlegte, wobei er es allerdings nicht gegen die Schulter, sondern gegen die Hüfte stemmte. Die Metallspitze der Lanze glühte auf, und ein Blitz zuckte daraus hervor. Er fällte das Tier auf der Stelle. Razamon wandte sich Atlan zu und blick te ihn an. Der Arkonide war ebenso über rascht wie er. Thalia war blaß geworden. »Hast du das gewußt?« fragte sie den Be ra. Kolphyr gab ihr mit einer Handbewegung zu verstehen, daß er informiert gewesen war. »Du hättest es uns sagen müssen«, rief sie vorwurfsvoll. »Warum?« fragte er. »Ich glaube nicht, daß er für uns gefährlich ist.« Karthau kehrte stolz mit dem erlegten Wild zurück. Er hatte es sich über die Schul tern gelegt. »Wer ist für das Feuer zuständig?« erkun digte er sich. »Ich werde die Zubereitung übernehmen, ein anderer möge für die nöti ge Hitze sorgen.« »Das mache ich«, sagte Kolphyr. Er ent fernte sich, um trockenes Holz für das Feuer zusammenzusuchen. Atlan beobachtete ihn. Er hat ein schlechtes Gewissen, signali sierte der Extrasinn. Er weiß, daß der Dürre
24 gefährlich werden kann. Karthau entfernte sich wieder etwas von den anderen und nahm das erlegte Wild aus. Thalia baute ein einfaches Gestell aus Ästen, auf dem sie die Beute grillen konnten. Atlan und Razamon setzten sich ins Gras. »Wann kehren wir zu den Brangeln zu rück?« fragte der Atlanter. »Glaubst du, daß wir viel Zeit haben?« »Wir haben im Augenblick nichts zu tun«, erwiderte der Arkonide. »Es dauert noch wenigstens eine Stunde, bis wir etwas essen können. Komm. Wir sehen uns ein wenig um.« Die anderen protestierten nicht, als Atlan und Razamon das Lager verließen. Sie hat ten genügend mit dem Wild zu tun. Schweigend schritten die beiden Freunde über den verbrannten Boden. Sie blickten immer wieder zu dem Raumschiff hoch, oh ne irgendeine Veränderung erkennen zu können. Der Wald, von dem aus Atlan und seine Begleiter die Landung beobachtet hatten, brannte noch. Sie umgingen ihn in weitem Bogen, um der Hitze auszuweichen. »Karthau gefällt mir nicht«, sagte Raza mon, als sie sich durch eine Bodenrinne be wegten. »Was will er eigentlich bei uns?« Atlan antwortete nicht. Er legte Razamon die Hand an den Arm und deutete mit der anderen Hand zum Dorf der Brangeln hin über, von dem so gut wie nichts übriggeblie ben war. Die Zelte waren verbrannt. Nur die Holz gestelle standen noch. Die Brangeln kauer ten auf dem Boden. Sie taten nichts. Spyten hielten sich nicht mehr in ihrer Nähe auf. Die Tiere waren offensichtlich geflüchtet. »Sie tun nichts«, sagte Razamon. »Sie warten einfach nur ab. Sie sind vollkommen deprimiert.« »Sie scheinen zu wissen, daß sie sich nicht retten können, wenn sie flüchten«, sag te Atlan. Von den energetischen Dimensi onsverwerfungen war nichts mehr zu bemer ken. Die Brangeln, die sich im Bereich der Verwerfungen befunden hatten, waren deut-
H. G. Francis lich zu sehen. Daraus schloß der Arkonide, daß eine Normalisierung eingetreten war. »Wer sind die Fremden?« fragte Raza mon. »Und was suchen sie hier? Die Bran geln bieten ihnen doch so gut wie nichts, und auf dem ganzen Kontinent scheint es auch nichts zu geben, was einen Raumflug lohnt.« »Wer will das jetzt schon sagen?« Atlan ließ sich in die Hocke sinken. Seine Finger strichen durch die Asche. »Ich vermute, daß die Leute in dem Schiff etwas mit den ver glühten Körpern in der Fläche Jell-Cahrmere zu tun haben.« »Hm, könnte sein«, sagte Razamon zu stimmend. Er blickte den Arkoniden fragend an. »So wie ich dich kenne, überlegst du jetzt, wie wir mit den Leuten vom Raum schiff ins Gespräch kommen. Oder irre ich mich?« »Du irrst dich nicht. Mit den Vertretern eines raumfahrenden Volkes zu reden, ist wahrscheinlich interessanter als mit den Brangeln. Und wenn wir nicht immer auf Pthor angewiesen sein wollen, brauchen wir Raumschiffe.« »Da sind die Pyramiden.« »Die sehr alt sind«, entgegnete der Arko nide. »Wer weiß, ob man mit ihnen über haupt noch fliegen kann. Sie müßten von Grund auf überholt werden.« Razamon wandte sich den Brangeln wie der zu. Einige von ihnen hatten sich erho ben. Sie drängten sich um einen einfachen Brunnen und pumpten Wasser daraus her vor. Die Aussicht, den Durst löschen zu können, lockte weitere Brangeln an. »Wir sollten zu ihnen gehen und sie zur Flucht veranlassen«, sagte Razamon. »Das könnte sie alle das Leben kosten«, entgegnete Atlan. Er blickte an der metal lisch schimmernden Wand des Raumschiffs hoch, das sie um etwa fünfhundert Meter überragte. »Wer weiß, was die für Waffen haben?« »Eine Schleuse öffnet sich«, rief Raza mon. »Ziemlich weit unten.« Atlan sah es ebenfalls. Etwa fünfzig Me
Die Gesichtslosen ter über dem Boden glitt ein Schott zur Sei te. Darin wurden die Gestalten von mehre ren humanoiden Wesen sichtbar. »Sie tragen dicke Panzer«, sagte der At lanter. »Es sind Raumanzüge. Sieh doch die Helme. Sie sehen aus wie eine Mischung zwischen Raumhelm und Maske. Die Frem den kommen also von einer Welt, auf der andere Umweltbedingungen herrschen als hier. Vielleicht sind es Methanatmer, oder sie kommen direkt aus der Hölle, wo sie in Schwefelsäure und Feuer baden.« »Langsam, langsam«, entgegnete Atlan lächelnd. »Übertreibe nicht. Wesen, die in Schwefelsäure und Feuer baden, haben wir beide noch nicht gesehen.« »Natürlich nicht«, sagte Razamon. »Ich habe es auch nicht ernst gemeint.« Auf einer Plattform, die aus der Schleuse ausgefahren wurde, sanken fünf der Frem den langsam nach unten. »Ich glaube nicht, daß diese Panzerungen, die sie tragen, Raumanzüge in unserem Sinne sind«, sagte Atlan. »Wieso denn nicht?« fragte Razamon. »Was sollten sie sonst sein? Es sind Schutz anzüge. Wenn sie sie nicht tragen, ersticken sie auf dieser Welt. Vielleicht sind sie einen wesentlich höheren Druck gewohnt. Viel leicht ist die Gravitation auf Loors zu nied rig für sie, und sie benötigen eine Art Kor sett, damit sie nicht platzen.« »Alles Vermutungen«, entgegnete Atlan. »Sie bringen uns nicht weiter.« Die fünf Gepanzerten verschwanden mit ihrer Plattform hinter einigen Hügeln. Atlan und Razamon konnten sie erst wieder sehen, als sie sich dem verwüsteten Dorf der Bran geln näherten. Diese schienen nichts zu mer ken. Sie drängten sich in ständig wachsender Zahl um den Brunnen und tranken. Aus der verbrannten Ebene kehrten einige Spyten zurück. Sie trotteten bis zum Brunnen und wurden von den Brangeln versorgt. »Sie reagieren überhaupt nicht auf die Fremden«, stellte Razamon überrascht fest. »Ob die Hitze sie blind gemacht hat?« Die fünf Raumfahrer hatten den Rand der
25 zerstörten Siedlung erreicht. Aus Taschen an den Außenseiten ihrer Oberschenkel zogen sie mit beiden Händen Waffen hervor und richteten sie auf die Brangeln. Einer von ih nen schoß und tötete zwei von ihnen.
5. Karthau griff gierig zu. Er riß sich einen Brocken Fleisch aus der Lende des Beute stücks, das groß genug gewesen wäre, Tha lia zu sättigen. Die Tochter Odins hatte bis her nur ein kleines Stück erwischt, das genü gend durchgegart war. Ihr schmeckte das Fleisch dieses Tieres nicht, solange es noch zu roh war. Der Dürre schien jedoch beson ders das halbgare Fleisch zu bevorzugen. Er schlang es gierig herunter, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, daß Thalia wartete. Schließlich löste sich Thalia einen Fetzen Fleisch heraus, spießte ihn auf und hielt ihn über das Feuer. Karthau blickte sie mißbilli gend an. Sie lachte. »Hör auf«, sagte sie. »Du hast über die Hälfte aufgegessen. Eine kleine Portion wirst du mir wohl gönnen.« »Ich habe kaum etwas zu mir genom men«, entgegnete er. »Wie kannst du so et was behaupten?« Thalia lauschte den Worten nach. Sie hat te sie deutlich verstanden, aber ihr schien, als sei in ihnen noch etwas ganz anderes mitgeklungen, etwas Fremdartiges, dem sie sich nicht entziehen konnte. »Aber wie du willst«, sagte Karthau. »Wenn du meinst, daß ich mehr esse, als mir zusteht, dann verzichte ich.« Unwirsch warf er ihr die Reste seines Stückes vor die Füße, erhob sich und ent fernte sich einige Schritte. »Und du?« fragte Thalia den Bera. »Ich denke«, erwiderte dieser. Sie blickte Kolphyr prüfend an. Sie wurde nicht klug aus ihm. Sie wußte mittlerweile, daß er ein Dimensionsforscher war und über eine beträchtliche Intelligenz verfügte. Da bei wunderte sie, daß er manchmal wie ein
26 zurückgebliebenes Kind sprach und so tat, als könne er nicht bis drei zählen. Da Kolphyr keine Bereitschaft zeigte, sich eingehender zu äußern, wandte sie sich wie der dem Fleisch zu. Karthau ließ sich auf den Boden sinken. Er zog die Beine weit an den Körper, so daß seine dünnen Knie über seine Schultern hin wegragten. Den zersplitterten Schaft seiner Lanze rammte er in den Boden und hielt sich mit beiden Händen daran fest. Er lehnte sich nach vorn, bis er das Holz mit der Stirn be rührte. In diesem Moment erreichte ihn abermals ein mentaler Impuls. Antworte! Karthau zuckte zusammen. Der Magen verkrampfte sich ihm. Er wußte nicht, worauf er antworten soll te, und was man von ihm erwartete. Das Bild Atlans erschien vor seinem gei stigen Auge, so als habe der Unbekannte nur darauf gewartet, daß er eine Erklärung ver langte. Er dachte über Atlan nach. Bisher hatte er so gut wie nichts über ihn herausgefunden. Er wußte, daß er derjenige war, nach dem sich die anderen richteten. Was er sagte, wurde zumeist getan. Thalia empfand offenbar große Sympathi en für ihn, und er für sie. Woher kommt er? Das war eine konkrete Frage, aber auch die konnte er nicht beantworten. Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen ihm und den anderen. Warum? Karthau wurde schlecht. Ihn schwindelte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er nur vage Vorstellungen über seinen Auftrag gehabt. Er hatte geglaubt, daß er Atlan töten sollte, war sich dessen jedoch nicht ganz sicher ge wesen. Er hätte längst zugeschlagen, wenn er sich nicht davor gefürchtet hätte, einen Fehler zu machen. »Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht!« rief er. »He, was sagst du da?« fragte Thalia. »Ich habe kein Wort verstanden.« Ihre Stimme kam aus weiter Ferne zu ihm. Sie erschien ihm unwirklich, so als ent stamme sie einem Traum. Er wollte sich um-
H. G. Francis drehen, war dazu jedoch nicht in der Lage. Seine Muskeln gehorchten seinem Willen nicht. Thalia erhob sich und kam zu ihm. Sie hielt einen brennenden Ast in der Hand. Di rekt neben ihm bohrte sie ihn in den Sand, um die Glut zu löschen. Beißender Rauch stieg ihm in die Nase. Er nieste. »Was ist los mit dir?« fragte sie. Mühsam hob er den Kopf. Er sah sie wie durch einen Schleier, und sie erschien ihm wie eine Projektion. »Ich habe zuviel gegessen«, erwiderte er, wobei er Wort für Wort unter großen An strengungen über die Lippen brachte. »Es ist mir nicht bekommen.« »Das habe ich dir ja gleich gesagt.« Sie lachte. »Wer so dürr ist wie du, sollte sich nicht bis obenhin vollstopfen.« Sie drehte sich um und kehrte ans Feuer zurück, überzeugt davon, das Fleisch nun in aller Ruhe garen zu können, ohne befürchten zu müssen, daß er sie störte. Sein Kopf sank nach unten. Er hörte, wie Thalia zu dem Bera sagte: »Ihm ist schlecht.« Ihm war wirklich schlecht, aber nicht, weil sein Magen so voll war, sondern weil er Angst hatte. Er wollte nicht in die Höhle zurückkeh ren, aus der er gekommen war. Die Zeit sei ner Freiheit durfte noch nicht zu Ende sein. Er versuchte, sich an sein früheres Leben zu erinnern. Aber das gelang ihm nicht. Immer wieder hämmerte er sich ein, daß er eine Kindheit und eine Jugend gehabt hat te. Er war irgendwo und irgendwann aufge wachsen, hatte mit anderen Wesen zu tun gehabt. Sein Gehirn mußte voller Erinnerun gen an diese Zeit sein. So sehr er sich aber auch bemühte, die Vergangenheit lebendig werden zu lassen, es war vergeblich. Das Dunkel hellte sich nicht auf. Es war, als sei er in der Höhle zum Leben erwacht, als habe es nie eine Vergangenheit für ihn gegeben. Erfülle deine Aufgabe! Ich bin bereit dazu! dachte er, wobei er
Die Gesichtslosen sich mit aller Kraft konzentrierte, weil er glaubte, so besser verstanden zu werden. Er ist eine Gefahr. Eine Sphäre des Un bekannten umgibt ihn. Durchdringe sie, wenn du kannst – oder töte ihn. Und die anderen? fragte er. Was ist mit den anderen? Soll ich mich nicht um sie kümmern? Soll ich sie nicht fragen? Willst du nichts über sie wissen, wer auch immer du bist? Es ist hoffnungslos. Sie sind anders als er. Über sie wirst du nichts herausfinden. Entstammen sie einer anderen Welt? Du sollst nicht mich fragen, sondern ihn. Karthau zuckte zusammen. Er fühlte, daß der unbekannte Frager zornig war, und er spürte die Drohung, die hinter den Worten lag. Für einen kurzen Moment entstand das Bild einer Felskante vor seinen Augen. Er sah sich auf der Kante stehen und über sie hinaus in die Tiefe spähen. Eine stählerne Hand schien ihn zu packen und bis zum äußersten Rand vorzuschieben. Er begriff. Wenn er die Erwartungen des Unbekann ten nicht endlich erfüllte, würde er in die Tiefe stürzen. Er stand auf. Er mußte sich auf die Lanze stützen, weil seine Knie zu stark zitterten, und er fürchtete, auf den Boden zu stürzen. »Ist dir jetzt besser?« fragte Thalia. »Wo ist er?« forschte Karthau. »Wo ist Atlan? Ich muß mit ihm reden.« Kolphyr zeigte auf das gelandete Raum schiff. Er hielt es nicht für nötig, klarer zu antworten. Thalia wurde aufmerksam. Sie blickte den Dürren argwöhnisch an. »Wieso willst du ihn plötzlich sprechen?« fragte sie. »Gibt es etwas, was er wissen müßte, und was du ihm bisher verschwiegen hast?« »Unsinn«, entgegnete er. Dabei riß er die Lanze aus dem Boden, legte sie sich quer über die Schultern und hielt sich mit den Händen daran fest. Schweigend ging er an Thalia vorbei. Er folgte den Spuren Atlans und Razamons.
27 »Da stimmt doch etwas nicht«, sagte die Tochter Odins, als er zwischen den Hügeln verschwunden war. »Wir folgen ihm, Kol phyr. Wer weiß, was er vorhat?« Der Bera sprang auf, als habe er längst auf einen solchen Entschluß gewartet. Er stürmte hinter Karthau her, doch Thalia rief ihn zurück. »Nicht so schnell«, mahnte sie. »Das Klappergestell muß ja nicht unbedingt wis sen, daß wir ihm folgen.« »Gute Idee«, lobte Kolphyr. Er blickte zu den Spyten hinüber, die sich noch immer im Tümpel aufhielten und sich träge im Schlamm wälzten. »Wir lassen sie hier«, sagte Thalia. »Sie werden uns nicht weglaufen.« Sie schloß zu dem Bera auf.
* Karthau folgte den Spuren Atlans und Razamons. Sie zeichneten sich deutlich in der Asche ab. Der Wind hatte sie nur an ei nigen höher gelegenen Stellen verweht. Karthau schritt schnell aus. Er blickte nach einiger Zeit zurück und bemerkte, daß Thalia und Kolphyr ihm folgten. Das veran laßte ihn, die Hügelkuppen zu meiden und in den Senken zu gehen. Dort glaubte er sich unbeobachtet. Er lief schneller, weil er lange vor seinen Verfolgern bei Atlan sein wollte. Bald entdeckte er den Arkoniden, der zu sammen mit Razamon hinter einem umge stürzten und weitgehend verkohlten Baum stamm lag und beobachtete, was im Dorf der Brangeln geschah. Dafür interessierte der Dürre sich nicht. Er blieb etwa fünf Meter hinter Atlan ste hen und räusperte sich. Der Arkonide fuhr herum. Razamon sprang auf, duckte sich je doch gleich wieder. »Mußt du hier herumstehen?« fragte At lan. »Man kann dich sehen.« Karthau ging zur Seite und stellte sich hinter einen Baum. »Was willst du?« fragte Razamon. »Ich will etwas über euch wissen«, erwiderte er.
28 »Ich bin bei euch und vertraue euch mein Leben an, ohne zu wissen, mit wem ich es eigentlich zu tun habe. Wer zum Beispiel bist du wirklich?« Er zeigte mit der Lanzenspitze auf Atlan. Dieser setzte ein verständnisvolles Lächeln auf, mit dem er Karthau jedoch nicht täusch te. »Mußt du das ausgerechnet jetzt fragen?« Atlan deutete über die Schulter hinweg mit dem Daumen auf das Dorf der Brangeln. »Dort wird geschossen. Die Fremden, die gelandet sind, kennen keine Rücksicht. Und du kommst mir mit so etwas.« »Vielleicht hat er etwas mit den fremden Raumfahrern zu tun«, argwöhnte Razamon. »Du willst mir also nicht sagen, wer du bist«, sagte Karthau. »Wir haben dich in unseren Kreis aufge nommen«, entgegnete Atlan, »obwohl du der erste bist, der uns äußerlich gleicht. Die Brangeln, die Bewohner dieses Planeten, ha ben überhaupt keine Ähnlichkeit mit uns. Woher kommst du? Ich könnte mir gut vor stellen, daß du in so einen Raumanzug paßt, wie ihn die Fremden dort drüben tragen.« Karthau ließ sich auf die Knie sinken. Er legte die Lanze an und zielte damit auf den Arkoniden. »Nicht doch«, sagte er zornig. »Mit denen da habe ich nichts zu tun. Ich komme aus der Höhle. Mehr weiß ich nicht. Ich will le ben. Das ist alles.« »Dann lebe. Wir hindern dich nicht daran. Du kannst gehen, wohin du willst. Wenn du aber bei uns bleiben willst, dann solltest du dich anders benehmen.« »Du kannst dich entscheiden, Atlan. Du sagst mir entweder, woher du kommst und wer du wirklich bist, oder ich schieße. Ich will endlich wissen, weshalb du so anders bist als deine Begleiter.« Atlan blickte ihn überrascht an. »Das hast du also herausgefunden?« frag te er, wobei er bewußt langsam sprach, um Zeit zu gewinnen. Er entdeckte Thalia und Kolphyr, die noch etwa zweihundert Meter von ihnen entfernt waren, und sich ihnen nä-
H. G. Francis herten. »Es war nicht schwer.« Der Arkonide wußte nicht genau, was er meinte. Razamon, Thalia und auch Kolphyr sind Pthorer, stellte der Logiksektor fest, aber Atlan fand diese Erklärung nicht ganz be friedigend, da sie für Razamon und den Bera nur mit Einschränkungen galt. Karthau war kein Pthorer. Er stammte von Loors. Falls er die Wahrheit gesagt hat. Richtig, dachte Atlan. Irgend jemand konnte ihn von Pthor hinter ihm her ge schickt haben. »Ich werde dir alles sagen, was du wissen willst«, versprach der Arkonide. »Doch nicht jetzt.« »Wenige Worte genügen«, erwiderte der Dürre. »Und die Zeit dafür reicht aus. Also. Sprich.« »Verdammter Idiot«, brüllte Razamon. »Siehst du denn nicht, daß wir es uns nicht leisten können, in dieser Situation herumzu quatschen? Sieh doch 'rüber zu den Bran geln. Dann wirst du hoffentlich begreifen, daß es hier um mehr geht als um ein paar of fene Fragen.« Karthau zwirbelte sich die Bartspitzen mit den Fingern der linken Hand, während er mit der rechten die Lanzenspitze auf Raza mon richtete. »Du bist nicht gefragt«, sagte er kühl. »Ein Wort noch, und ich lösche dich aus.« Der Atlanter preßte die Lippen zusam men. Atlan spürte, daß er dicht vor einem Wutausbruch stand. Zugleich sah er, daß Kolphyr und Thalia aufmerksam geworden waren. Sie näherten sich lautlos und schnell. »Ich will dir keinen Vorwurf machen«, sagte er zu dem Dürren. »Du sollst wissen, was dich interessiert. Du hast recht, ich bin anders als die anderen. Ich komme von ei nem Planeten, der sich Arkon nennt.« Unter den Füßen des Beras knackte ein Ast. Karthau fuhr herum. Atlan schnellte sich hoch und warf sich auf ihn. Der Dürre bemerkte den Angriff, wandte sich ihm zu und versuchte, ihn mit der Lanzenspitze ab
Die Gesichtslosen
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zufangen. Der Arkonide schlug sie zur Seite. Seine Faust traf das Kinn Karthaus. »Überlasse ihn mir«, forderte Razamon. Karthau wich einem Kampf jedoch aus. Er nahm seine Lanze auf, die ihm entfallen war, sprang über den umgestürzten Baum hinweg und rannte auf das Dorf der Bran geln zu. »Weg«, rief Atlan. »Schnell weg, sonst erwischen sie uns.« Er eilte mit Razamon, Kolphyr und Thalia durch den verbrannten Wald. Dabei blickte er immer wieder zurück. Er sah, daß sich Karthau dem Dorf der Brangeln bis auf etwa zwanzig Meter genähert hatte. Zwei der ge panzerten Fremden erwarteten ihn mit ange schlagenen Waffen. Atlan blieb stehen. »Dieser Narr«, sagte Razamon. »Er bringt sich selbst um.« Die beiden Gepanzerten feuerten. Die Energiestrahlen fingen den geheimnisvollen Karthau ab. Er stürzte zu Boden. Die Frem den schossen noch zweimal auf ihn, bis nur noch Asche von ihm übriggeblieben war. »Seltsam«, sagte Atlan. »Warum hat er das getan?« »Weil er lebensmüde war«, entgegnete Razamon. »Dafür hatte er keinen Grund.« »Er hat sich eigenartig benommen, nach dem er gegessen hatte«, erklärte Thalia. »Vielleicht konnte er das Fleisch nicht ver tragen? Vielleicht hat es ihn vergiftet?« »Das wäre möglich, aber ich glaube nicht, daß es so war«, erwiderte der Arkonide. »Ich fürchte, wir werden nie erfahren, was der wirkliche Grund für sein Verhalten war.«
* Der mentale Impuls weckte ihn auf. Er traf ihn mit einer derartigen Wucht, daß er aus seiner gebeugten Haltung auffuhr, als habe ihm jemand eine Faust in den Rücken geschlagen. Er sprang auf. Seine Rüstung klirrte.
Er beugte sich nach vorn und blickte durch die Sichtscheibe seines Helms an sich herab. Er sah, daß in den Taschen an seinen Oberschenkeln zwei Energiestrahler steck ten. Er zog sie heraus und überprüfte sie. Die Energiekammern wiesen die volle La dung aus. Sie waren einsatzbereit. Er reckte sich. Er hatte das Gefühl, seit unendlichen Zeiten geschlafen zu haben. Er drehte sich einmal um sich selbst und sah sich um. Er befand sich in einem qua dratischen Raum, der gerade groß genug für ihn war. Die Wände, die Decke und der Bo den bestanden aus sechskantigen, farbigen Steinen. In einer Wand befand sich eine Tür, die ebenfalls aus diesem Material bestand. Er stieß mit dem Fuß dagegen, und sie öff nete sich. Dahinter lag ein Gang. Er schritt in ihn hinein. Über ihm leuchteten Lampen auf, die seinen Weg erhellten und wieder er loschen, wenn er unter ihnen durchgegangen war. Nach etwa zwanzig Metern stieg der Gang steil an. Licht fiel herein. Er sah, daß der Gang an einigen größtenteils verkohlten Büschen endete. Er drückte die schwarzen Äste zur Seite und trat ins Freie. Nicht weit von ihm entfernt erhob sich ein riesiges Raumschiff. Es sah aus, wie zwei übereinandergestülpte Schlapphüte. Zwi schen ihm und dem Raumer lag ein fast völ lig vernichtetes Dorf von Brangeln. Es interessierte ihn nicht. Er wandte sich einem Wäldchen zu, als wüßte er genau, was er dort finden würde. Tatsächlich wußte er nicht, warum er sich gerade dieses Ziel ausgesucht hatte. Als er die ersten Bäume erreichte, blieb er stehen. Er schloß die Augen und dachte nach. Das Bild eines Mannes mit rötlichen Augen und schulterlangem, silbernen Haar erschien vor seinen Augen, und er glaubte, den Namen ATLAN zu hören. Er griff nach seinen Energiestrahlern.
* »Es muß eine Strafaktion sein«, sagte At
30 lan. Zusammen mit Razamon, Kolphyr und Thalia stand er im Schutz einiger Bäume und blickte zum Dorf der Brangeln hinüber. Er sah, daß die Fremden auch zahlreiche Spyten erschossen und sie danach achtlos liegen ließen. Razamon hielt ihn am Arm fest. »Das geht uns nichts an«, sagte er ein dringlich. »Wir dürfen uns nicht einmi schen.« »Ich kann nicht tatenlos zusehen, wie die harmlosen Brangeln umgebracht werden«, erwiderte Atlan zornbebend. Seine Augen tränten vor Erregung. »Razamon hat recht«, sagte Thalia sanft. »Wir können nichts tun. Wir müssen davon ausgehen, daß in dem Raumschiff noch eini ge hundert andere sind, die sofort heraus kommen werden, wenn die Gepanzerten im Dorf in Schwierigkeiten kommen.« »Wir greifen an, zerschlagen die Scheiben ihrer Helme und erledigen sie dadurch«, sagte Atlan. »Dann nehmen wir die Energie strahler an uns und ziehen uns zurück. Alles wird so schnell vorbei sein, daß wir weit weg sind, wenn die im Schiff reagieren.« Falsch, signalisierte der Extrasinn. Sie werden schnell reagieren. Sie werden militä risches Gerät einsetzen und dich verfolgen. Sie werden Beiboote ausschleusen und dich erwischen, bevor du die Spyten an der Suhle erreicht hast. »Vielleicht jagen sie uns nicht«, versetzte Razamon. »Sie werden sich dennoch rächen. Sie werden alle Brangeln umbringen, die noch leben.« Atlan blickte zum Dorf hinüber. Etwa die Hälfte der Brangeln, die den ersten Angriff überlebt hatten, versuchte zu fliehen. Doch damit war man im Raumschiff nicht einver standen. Mehrere große Schleusen öffneten sich im unteren Teil des Raumers, und Bei boote schwebten auf flammenden Abgasen heraus. Die Beiboote glichen dem Großrau mer in der äußerlichen Gestalt. Sie rasten mit hoher Beschleunigung da von und schnitten den Brangeln den Flucht weg ab. Etwa zwanzig Spyten jagten in wil-
H. G. Francis der Flucht auf die Ebene hinaus. Sie kamen jedoch nicht weit. Als sie in die Nähe eines der Beiboote gerieten, zuckte ein Blitz dar aus hervor und tötete sie. »Hoffentlich bringt dich das zur Ver nunft«, sagte Thalia. »Sie kennen keine Gnade.« »Wir haben keine andere Wahl«, bemerk te Razamon. »Wir müssen warten, bis es ein wenig ruhiger geworden ist. Ich glaube nicht, daß sie alle Brangeln ermorden wer den. Einige werden sie leben lassen. Wenn es soweit ist, können wir etwas tun. Vorher nicht. Oder es ergeht uns wie Karthau.«
6. Der Auszug der Abordnungen aus der FE STUNG setzte sich fort. Die Dellos leiteten ihn und sorgten dafür, daß es keine Pannen gab. Pank-pank ließ sich Zeit. Er genoß es, im Bereich der FESTUNG zu sein. Während die meisten Besucher nach wie vor atemlos vor Bewunderung und Ehrfurcht waren, blieb er gelassen. Die Reaktion der neuen Herren der FESTUNG hatte ihm gezeigt, daß man mit ihnen verhandeln konnte und daß ihre Reaktionen berechenbar waren. Er sah keinen Grund, den Bereich der FE STUNG allzu schnell zu verlassen. »Worauf wartest du noch?« schrie ihm Throm zu, als sie einen See erreicht hatten. Pank-pank ließ sich neben einem Blumen beet ins Gras sinken. »Warum sollten wir uns beeilen?« fragte er. »Wir haben doch Zeit.« »Ein Raumschiff greift Pthor an«, rief Throm erregt. »Und du setzt dich ins Gras.« Pank-pank lachte. Er ließ sich auf den Rücken sinken und blickte in den blauen Himmel. »Erstens kann von einem Angriff gar kei ne Rede sein«, erwiderte er. »Das Wache Auge warnt vor einem fremden Raumschiff, das sich uns nähert. Mehr nicht. Soll es doch kommen. Gibt es einen Ort, an dem wir si cherer sind als hier?«
Die Gesichtslosen »Ja«, erklärte Throm. »Jeder Ort, der weit von hier entfernt ist, ist besser. Wenn der Angriff erfolgt, wird er sich auf die FE STUNG konzentrieren, nicht aber auf die Wüstengebiete oder auf das zerstörte Moon drag.« »Du kannst recht haben«, gab Pank-pank zu. »Hast du aber auch an den Wölbmantel gedacht? Den können die Fremden nicht durchdringen.« Pank-pank zeigte nach oben. Unwillkür lich blickte Throm hoch. Er sah runde Gebil de über sich hinweggleiten. Sie waren klein. Die genauen Umrisse waren nicht zu erken nen, weil sie zu weit entfernt waren, und der Wölbmantel optische Verzerrungen hervor rief. »Das sind sie«, behauptete Pank-pank. »Sie versuchen, den Wölbmantel zu durch dringen. Es gelingt ihnen nicht.« Er nahm einen Kieselstein und schleuder te ihn ins Wasser. »Wozu also sich aufregen?« Seine Begleiter standen hilflos um ihn herum. Sie waren unsicher und wagten es nicht, ohne ihn eine Entscheidung zu treffen. Er genoß seine Überlegenheit. Hatte er nicht bewiesen, daß er sich nicht einmal vor den neuen Herren der FESTUNG fürchtete? Er war von seiner eigenen Größe über zeugt, und er glaubte, sich stets so verhalten zu müssen, daß er den anderen seine Größe immer wieder vor Augen führte. »Seht euch das doch an«, empfahl er sei nen Begleitern. »Die Fremden richten nichts aus. Wir sind unter dem Wölbmantel völlig sicher.« Er erhob sich und reckte sich gähnend. »Also gut. Ich sehe, mit euch ist heute nicht viel los. Wir kehren nach Moondrag zurück. Dort werden wir etwas auf die Beine stellen.« »Was hast du vor?« fragte Throm. »Man hat uns zur FESTUNG delegiert«, erklärte er. »Man hat uns gewählt. Alle an deren waren zu feige, den Bereich der FE STUNG zu betreten und den neuen Herren ins Auge zu schauen. Wir sind gegangen.
31 Daraus leitet sich ein Anspruch für uns ab. Wir kehren nach Moondrag zurück und wer den den Aufbau der Stadt organisieren. Hier in der FESTUNG sind neue Herren eingezo gen. Wir werden als die neuen Herren von Moondrag zurückkehren. Kommt.« Er hatte es plötzlich eilig. Von seiner ei genen Idee beflügelt stürmte er davon. Er wollte so schnell wie möglich zu den abge stellten Reittieren kommen. Seine Begleiter hatten Mühe, mit ihm Schritt zu halten.
* Atlan hörte, daß sich ihm jemand näherte. Er drehte sich um, wähnte sich aber noch in guter Deckung. Wie sehr er sich geirrt hatte, wurde ihm augenblicklich klar. Vor ihm stand einer der gepanzerten Fremden und zielte mit zwei Energiestrah lern auf ihn. »Wenn ich eine vernünftige Waffe hätte …«, begann Razamon. Dann merkte er, daß etwas nicht stimmte. Er blickte zu Atlan hin über und sah, daß dieser die Arme hob. Kolphyr und Thalia wichen zurück. Sofort richteten sich die Energiestrahler auf sie, und sie blieben stehen. Atlan versuchte, etwas durch die Sichtscheibe des Schutzanzugs zu erkennen, aber sie spiegelte so stark, daß er nicht sehen konnte, was für ein Geschöpf sich dahinter verbarg. Der Gepanzerte war wenige Zentimeter größer als er. Der Schutzpanzer hatte eine blaßblaue Farbe, während die Energiestrah ler schwarz waren. Auch einige andere Din ge, die am Panzer hingen waren schwarz. Der Schutzanzug war in der Hüftgegend mit faustgroßen Noppen versehen. Auch am Helm saßen einige Noppen. Sie betonten die ovale Sichtscheibe, die aus einem braunen, quarzähnlichen Material bestand. Der Schutzanzug war aus Metall gefertigt, besaß an den Gelenken jedoch elastische Übergänge, so daß das Wesen darin sich recht gut mit ihm bewegen konnte.
32 Einige Minuten verstrichen, ohne daß et was geschah. »Nun gut«, sagte Atlan dann. »Du hast uns erwischt. Und was weiter? Sollen wir zum Raumschiff gehen?« »Ihr bleibt hier«, antwortete der Gepan zerte mit knarrender, unangenehm klingender Stimme. Atlan hörte deutlich die fremd artigen Laute, die keinen Sinn zu ergeben schienen, und er verstand jedes Wort. Ihm war, als klängen die Worte direkt in seinem Gehirn auf. Telepathische Verständigung, stellte der Logiksektor fest. »Was willst du von uns?« fragte der Ar konide. »Von ihnen will ich nichts«, erklärte der Gepanzerte und zeigte auf Razamon, Thalia und Kolphyr. »Sie werden mir immer ver schlossen bleiben. Bei dir aber spüre ich, daß ich die Schranke durchbrechen kann, und das werde ich tun.« »Was für eine Schranke?« fragte Atlan, obwohl er bereits erkannt hatte, was gemeint war. Offenbar gelang es dem Gepanzerten nicht, telepathischen Kontakt mit Razamon, Thalia und Kolphyr zu bekommen. Daher konnte er auch keine Informationen von ih nen beziehen. Seine Bemühungen, sie tele pathisch zu sondieren, stießen ins Nichts, während er glaubte, bei ihm zum Erfolg zu kommen. Karthau in anderer Gestalt, meldete der Extrasinn. »Du weißt, welche Schranke ich meine.« »Ich glaube – ja«, antwortete Atlan zö gernd. »Willkommen bei uns, Karthau. Hast du Hunger?« »Jetzt hat er den Verstand verloren«, sag te Razamon bestürzt. »He, Arkonidenhäupt ling, was ist mit dir los?« »Du weißt also, wer ich bin«, versetzte der Gepanzerte. »Nun gut. Das ändert nichts.« »Nicht wahr? Jetzt können wir offen mit einander reden.« Atlan lächelte, als sei alle Gefahr behoben. Karthau hob den Energiestrahler und setz-
H. G. Francis te ihn dem Arkoniden auf die Brust. »Ich will es wissen. Woher kommst du?« »Ich werde es dir sagen«, erklärte Atlan, »aber nur, wenn du die Waffe zur Seite nimmst.« Der Gepanzerte trat einen Schritt zurück. Er ließ die Energiestrahler sinken. In diesem Moment griff Thalia an. Sie schleuderte die Vars-Kugel mit blitzschneller Bewegung auf den Gepanzerten. Wie ein Geschoß raste sie auf ihn zu. Er versuchte, die Energiestrahler hochzureißen, war jedoch viel zu langsam. Es gelang ihm auch nicht mehr, der Stahlku gel auszuweichen. Sie prallte wuchtig gegen die Sichtplatte seines Helms und zerschmet terte sie. Atlan sah, wie das quarzähnliche Material in das Innere des Helmes stürzte. Für einen Sekundenbruchteil versperrte ihm die VarsKugel die Sicht. In dieser Zeit blitzte es im Innern des Raumanzugs auf. Als die VarsKugel zurückfiel, brach der Gepanzerte zu sammen. Der Schutzanzug verfärbte sich, glühte auf und verging innerhalb weniger Sekunden, ohne daß zu erkennen gewesen wäre, wer sich darin verborgen gehalten hat te. »Weg hier«, rief Atlan. »Die anderen müssen es bemerkt haben.« Als er sah, daß Thalia seinem Befehl folg te, rannte er los. Er wollte zu den Spyten zu rück, um sich weiter vom Raumschiff der Fremden zu entfernen. Die Begegnung mit dem Gepanzerten hatte ihm gezeigt, daß er sich nicht länger in der unmittelbaren Nähe der Fremden aufhalten durfte. Razamon und Kolphyr rannten hinter Atlan und Thalia her, bis diese den Waldrand erreichten. Hier blieb der Arkonide stehen. Er hielt das Mäd chen fest. »Zu spät«, sagte er. Mehrere Beiboote landeten im offenen Gelände. Sie bildeten einen weiten Kreis um das Mutterschiff. »Wir dürfen den Wald nicht verlassen«, sagte Razamon. »Sie würden uns sofort er wischen.« »Hier können wir auch nicht bleiben«,
Die Gesichtslosen entgegnete Atlan. »Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie den Wald durchkämmen.« »Woher ist der Gepanzerte eigentlich ge kommen?« fragte Razamon. »Ich verstehe nicht, daß er plötzlich hinter uns war.« »Ich weiß es auch nicht«, antwortete der Aktivatorträger. »Wieso hast du Karthau zu ihm gesagt?« fragte Kolphyr. »War das ein Trick?« »Nein. Ich bin davon überzeugt, daß es wirklich Karthau war.« »Karthau ist tot«, stellte der Bera fest. »Wir haben gesehen, wie er getötet wurde.« »Dennoch war es Karthau«, erwiderte At lan. »Es wird wahrscheinlich noch viele Karthaus geben, die mich aushorchen wol len. Ich glaube, daß Karthau die Projektion eines parapsychisch begabten Geistes ist. Daher kann Karthau uns in den verschieden sten Gestalten begegnen. Vielleicht er scheint er uns das nächste Mal als Spyte, so daß er unsere Gespräche belauschen kann, ohne daß wir es merken.« »Woher willst du das alles wissen?« frag te Thalia. »Das sind Vermutungen. Mehr nicht.« »Von mir aus«, bemerkte Razamon mür risch. »Das ist mir egal. Ich frage mich nur, was wir jetzt tun sollen. Wir können nicht hier herumstehen und debattieren, während die Gepanzerten vielleicht schon mit der Jagd auf uns beginnen.« »Ich werde zu ihnen gehen«, sagte Atlan. Thalia, Kolphyr und Razamon blickten ihn bestürzt an. »Hast du den Verstand verloren?« fragte Razamon. »Sie bringen dich auf der Stelle um. Sie sind eiskalt. Das hast du doch gese hen.« »Sie haben keinen Grund, mich zu töten«, erwiderte der Arkonide ruhig. »Sie werden sofort sehen, daß ich kein Brangel bin.« »Die Unterschiede sind allerdings be trächtlich«, bemerkte Razamon spöttisch. »Vielleicht haben sie einen Grund, sich an den Brangeln zu rächen, nicht aber an mir.« »Dennoch wäre es sinnlos, ein solches Ri siko einzugehen«, sagte Thalia leidenschaft
33 lich. »Sie werden dich gefangennehmen und verschleppen.« »Dabei kann nicht viel passieren«, ent gegnete der Arkonide. »Ich werde viel er fahren, was für uns wichtig ist, und sie wer den von euch abgelenkt. Ich glaube nicht, daß sie das Gelände durchsuchen, wenn ich freiwillig zu ihnen komme.« »Denke daran, was mit Karthau passiert ist«, sagte Thalia erregt. »Ich meine den Dürren.« »Der hat sich ungeschickt verhalten. Sein Ende war unvermeidlich.« Atlan nickte den Freunden zu und wollte sich abwenden, doch Thalia hielt ihn fest. »Geh nicht, Atlan. Bitte.« »Still«, sagte er. Aus der Gegend, in der Karthau II vergan gen war, ertönten knarrende Stimmen. »Sie sind da«, flüsterte Atlan. »Sie unter suchen die Stelle, an der wir waren.« Razamon, Thalia und Kolphyr drehten sich um. Sie horchten. Die Geräusche bestä tigten ihre Befürchtungen. Die Gepanzerten waren in den Wald eingedrungen. »Wir müssen uns entscheiden«, sagte Razamon. »Was wollen wir tun?« Er wandte sich um. Atlan war verschwunden.
* Der mentale Impuls traf ihn mit einer der artigen Wucht, daß er sich ruckartig aufrich tete. Seine Hörner stießen gegen die Decke des Raumes, in dem er sich befand. Seine Füße scharrten über den Boden. Er erkannte, daß er ein Spyte war. Die Entdeckung löste ein Gefühl der Be friedigung in ihm aus. Er war mit sich zu frieden. Da alles in Ordnung zu sein schien, beschloß er, augenblicklich aufzubrechen. Er senkte den Kopf und stürmte gegen ei ne der vier Wände. Sie stürzte krachend zu sammen. Dahinter lag ein Gang, der groß genug war, ihn durchzulassen.
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H. G. Francis
* Eine Signalleuchte flammte vor ihm auf. Der Spercoide drückte eine Taste, und ein Bildschirm erhellte sich. Der Helm eines an deren Spercoiden wurde darauf sichtbar. »Er spielt verrückt, Socco«, meldete der andere. »Kümmere dich um ihn.« »In Ordnung«, erwiderte Socco und schal tete das Gerät aus. Er erhob sich. Seine Hand glitt zum Oberschenkel. Sie zog den Energiestrahler aus der Tasche. Er überprüf te die Waffe. Sie war in Ordnung. Dann verließ er den Raum, der in der Nä he der Kommandozentrale des Schiffes lag. Mit wenigen Schritten erreichte er eine Tür, die mit einer grünen Sonne gekennzeichnet war. Er zögerte kurz. Obwohl er gemeinhin keinerlei Gefühle kannte, löste dieses Sym bol Unbehagen bei ihm aus. Es kennzeich nete den Krankenbereich des Raumschiffs. Socco pflegte sonst alles zu ignorieren, was nicht der Ordnung entsprach. Eine Krankheit bedeutete Unordnung. Damit wollte er nichts zu tun haben. Und doch blieb ihm in diesem Fall keine andere Wahl. Er mußte sich um den Kranken kümmern, der hinter dieser Tür lag. Er hatte den Befehl dazu erhalten, und er konnte sich ihm nicht entziehen.
* Atlan nutzte die wenigen Sekunden, in denen seine Begleiter nicht auf ihn achteten, um sich von ihnen zu entfernen. Lautlos eil te er davon. Er rannte am Waldrand entlang und lief dann direkt auf das Dorf der Bran geln zu. Die Bewohner des Dorfes standen ver schüchtert und verängstigt zwischen den Re sten ihrer Zelte. Sie wagten nicht, irgend et was zu unternehmen. Als der Arkonide das Dorf erreichte, sah er, daß fünf der gepanzerten Raumfahrer von dem Wäldchen zurückkehrten, in dem sich jetzt noch Thalia, Razamon und Kol-
phyr verborgen hielten. Er war überrascht, wie dicht der Wald aus der Sicht des Zelt dorfs war, und wie gut er sich als Versteck eignete. Als er im Wald war, hatte er das Gefühl gehabt, nicht besonders gut gedeckt zu sein. Jetzt zeigte sich, daß die verkohlten Bäume eine fast undurchdringlich erschei nende, schwarze Wand bildeten. Die Brangeln begannen erregt zu schmat zen, als sie den Arkoniden bemerkten. Er verstand inzwischen genügend von ihrer seltsamen Sprache. Sie wollten ihn vor den Fremden warnen, die sie Spercoiden nann ten. »Sie bringen uns alle um«, rief ihm einer der Brangeln zu. Es war ein junger Mann, dessen wulstförmige Sinnesorgane heftig pulsierten. Atlan sah, daß die Spercoiden noch weit schlimmer im Dorf gewütet hatten, als er an genommen hatte. Überall lagen tote Bran geln zwischen den Resten der Zelte. Die Ge panzerten hatten keinen Unterschied zwi schen Männern und Frauen, Erwachsenen und Kindern gemacht. Offenbar wahllos hat ten sie in die Menge der Brangeln hineinge schossen. »Warum töten sie euch?« fragte der Arko nide. Die Brangeln wichen furchtsam zurück. Atlan begriff. Er drehte sich um. Vor ihm standen drei Spercoiden. Sie richteten ihre Energiestrahler auf ihn. Er hob seine Arme, um ihnen verstehen zu geben, daß er nicht kämpfen wollte. Eini ge bange Sekunden verstrichen, dann trat ei ner der Gepanzerten auf ihn zu, schob den Energiestrahler in die Tasche am Ober schenkel zurück, und ließ seine Hand über den Anzug der Vernichtung gleiten. Wieder versuchte Atlan auszumachen, wer oder was sich hinter der quarzähnlichen Sichtscheibe des Schutzanzugs verbarg. Wiederum vergeblich. »Komm mit«, befahl der Spercoide, nach dem er sich wieder einige Meter von Atlan entfernt hatte. Seine Stimme hallte dumpf
Die Gesichtslosen aus dem Helm hervor. Er benutzte die schmatzende Sprache der Brangeln, so daß der Arkonide ihn verstehen konnte. »Wohin?« fragte er. Einer der anderen Spercoiden hob war nend seinen Energiestrahler, so daß Atlan vorsichtshalber darauf verzichtete, weitere Fragen zu stellen. Er drehte sich um und ging auf das Raumschiff der Spercoiden zu. Dabei blickte er einige Male zu dem Wäldchen hinüber, in dem er Thalia, Raza mon und Kolphyr wußte. Er konnte seine Freunde jedoch nicht sehen. Doch das war ihm nicht wichtig. Die Spercoiden waren zum Dorf zurückgekehrt. Sie suchten nicht länger. Vielleicht waren sie davon über zeugt, daß er der einzige gewesen war, der sich in dem Wald verborgen gehalten hatte. Als Atlan einen Hügel überschritt, sah er zum erstenmal, wie viele Brangeln die Sper coiden in ihr blau schimmerndes Schiff ge bracht hatten. Es waren Hunderte. Überraschenderweise verließen zugleich aber auch zahlreiche Brangeln das Schiff durch eine Schleuse dicht über dem Boden. Die Spercoiden ließen sie frei und jagten sie in das offene Land hinaus, so daß sie nicht ins Dorf zurückkehren konnten. Atlan erreichte eine Gruppe von etwa sie bzig Brangeln, die abwartend auf dem Bo den kauerten. Sie wurden von vier Spercoi den bewacht. Er gesellte sich zu ihnen und ließ sich ebenfalls auf dem Boden nieder, als er erkannte, daß er noch nicht ins Schiff ge bracht werden sollte. Vor ihm warteten noch andere Gruppen von insgesamt etwa fünfzig Brangeln. »Was hat das alles zu bedeuten?« wisper te Atlan einem älteren Brangel zu, der neben ihm saß. Doch dieser war so aufgeregt, daß er nicht sprechen konnte. Er schmatzte laut vor sich hin, ohne daß es Atlan gelang, einen Sinn aus diesen Geräuschen herauszuhören. Einer der Spercoiden kam heran und ver setzte dem Alten einen Tritt in den Rücken. »Sei endlich still«, sagte er, »sonst schicke ich dich zu den anderen auf die Ewi ge Fläche.«
35 Angesichts dieser tödlichen Drohung ver stummte der Brangel. Seine Sinnesorgane pulsierten so heftig, als wollten sie zerplat zen. Er tat Atlan leid. Ein jüngerer Brangel rückte näher an ihn heran. »Was machst du hier?« wisperte er ihm so leise zu, daß er ihn kaum verstehen konnte. »Ich will wissen, was hier geschieht«, ant wortete Atlan. »Was wollen sie von euch?« »Sie verhören uns«, erwiderte der Bran gel. »Was wollen sie wissen?« »Ich habe keine Ahnung. Offenbar wissen wir nicht, was wir ihnen antworten sollen. Sieh doch. Sie treiben unsere Leute zum Verhör hinein, schicken sie aber bald wieder 'raus.« Atlan nickte unwillkürlich. Der Brangel hatte recht. Dies schien die einzig mögliche Erklärung zu sein. Die Dorfbewohner wur den im Schiff verhört. In einem rücksichts losen Massenverfahren suchten die Raum fahrer nach jemandem, der ihnen ihre Fra gen beantworten konnte. Atlan konnte sich vorstellen, wie es im Schiff zuging. Nachdem er gesehen hatte, zu welcher Brutalität die Spercoiden fähig war, zweifelte er nicht daran, daß sie schärfste Verhörmethoden hatten und auch vor schwerer Folter nicht zurückschreckten. Er beobachtete die Spercoiden, die aus dem Schiff kamen. Sie sahen ermattet aus. Wegen der großen Entfernung konnte er je doch nicht erkennen, ob sie Spuren einer Folterung zeigten. Atlan betrachtete das Raumschiff, das sich wie ein blau schimmerndes Gebirge vor ihm erhob. Es war mit zahlreichen fremdar tigen Symbolen und Zeichen versehen, die er nicht verstand. »Was steht auf dem Schiff?« fragte er den Brangel. »Kannst du es lesen?« »Nein, aber ich kenne den Namen des Schiffes.« »Wie heißt es?« »TREUE.« Atlan war so überrascht, daß er sich un
36 willkürlich umdrehte und den Brangel an sah. »TREUE? Bist du sicher?« »Absolut.« Einer der Spercoiden kam zornig heran und trat Atlan wuchtig in den Rücken. Er traf den Arkoniden so unglücklich, daß die ser zu Boden stürzte und wie gelähmt liegen blieb. Atlan spürte, daß der Zellaktivator plötzlich mit vielfacher Intensität arbeitete. Das war ein Zeichen dafür, daß etwas ver letzt worden war. Der Spercoide schrie auf ihn ein, aber At lan verstand ihn nicht. In seinen Ohren rauschte es, und es gelang ihm nicht, sich auf die fremdartige Sprache zu konzentrie ren. Er sah, daß der Spercoide sich entfernte. Da er sich dessen sicher war, daß er sich bald erholen würde, blieb er ruhig. Er ver suchte auch gar nicht erst, sich schon vorzei tig wieder zu erheben. Er wartete einfach ab, bis die Wirkung der belebenden Impulse des Aktivators fühlbar wurden. Während dieser Zeit überlegte er. TREUE! Der Schiffsname erschien ihm wie ein Hohn. Er paßte einfach nicht zu Wesen wie den Spercoiden, die kaltblütig mordeten, als handele es sich bei den Brangeln nicht um intelligente Lebewesen. Der Schiffsname war Ausdruck eines ho hen moralischen und ethischen Wertes. Er paßte nicht zu einem Volk, das keine Gefüh le kannte. Oder war das Verhalten der Sper coiden entgegen allem Anschein doch von Gefühlen geprägt. Von Haß beispielsweise? »Haben sie Grund, euch zu hassen?« wis perte Atlan. »Ich glaube nicht«, antwortete der Bran gel leise schmatzend. »Jedenfalls kenne ich keinen Grund. Wir haben ihnen nichts ge tan.« Atlan fühlte, wie das Leben in seine Glie der zurückkehrte. Er bewegte Arme und Beine. Das taube Gefühl wich. Schmerzen im Rücken ließen ihn aufstöhnen, doch sie flauten rasch ab, als er sich aufrichtete.
H. G. Francis »Was weißt du über die Spercoiden?« fragte Atlan, der sich noch näher an den Brangel setzte, der ihm so bereitwillig Aus kunft gab und dabei alle Gefahren ignorier te. Ihm imponierte die mutige Haltung des jungen Mannes. »Nicht viel«, erwiderte der Brangel so lei se, daß die Spercoiden ihn nicht hören konn ten. Dabei versteckte er seine rechte Hand geschickt zwischen sich und Atlan, so daß die Spercoiden nicht sehen konnte, wie er die drei Saugrüssel bewegte. Mit ihnen er zeugte er die schmatzenden Laute, die die Sprache der Brangeln darstellten. »Was weißt du?« »Ich weiß nur, daß sie kalt und gefühllos sind. Ihren ist nichts heilig. Nicht einmal ihr eigenes Leben.« Die Spercoiden schlugen in die Hände und trieben die Brangeln hoch. Atlan blickte auf. Diese Gruppe war an der Reihe. Die Gepanzerten trieb sie zum Schiff. Atlan blickte zurück, weil er hoffte, Raza mon, Kolphyr oder Thalia irgendwo zu se hen. Doch sie zeigten sich nicht.
7. Socco stieß die Tür auf und betrat den Krankenbezirk. Nur ein einziger Spercoide hielt sich darin auf. Er lag auf einem Gestell aus Stahlroh ren. Es war der Kranke. Er trug seinen gepan zerten Schutzanzug ebenso wie alle Spercoi den an Bord und außerhalb des Schiffes. »Das Maß des Erträglichen wurde über schritten«, erklärte Socco. »Öffne deinen Anzug.« »Ich bin doch nicht verrückt«, antwortete der Kranke und richtete sich auf seinem La ger auf. Er setzte sich auf die Kante des Rohrgestells und klopfte mit den flachen Händen rhythmisch auf die Rohre. Socco erschauerte. »Wir haben verfolgt, was du getan hast, Karthau«, erklärte er. »Dein verwirrter Geist richtet Unordnung an. Er muß beseitigt wer
Die Gesichtslosen den.« »So«, antwortete der Spercoide. »Nur weil ich mit ungewöhnlichen Methoden ar beite und euch weit voraus bin, schaffe ich Unordnung.« »Du strahlst etwas aus, was uns alle stört«, behauptete Socco. »Dein Geist ist ge spalten!« »Ach, dann weißt du gar nicht, was ich getan habe?« »Wir vermuten, daß du wieder Projektio nen geschaffen hast, die außerhalb des Schiffes herumlaufen.« »Das ist allerdings richtig«, erwiderte Karthau. »Ich habe vergeblich versucht, ein Geheimnis zu lüften. Da draußen befindet sich ein Wesen, das ständig Impulse aussen det. Ich empfange sie. Gerade jetzt sendet dieses Wesen ein wahres Stakkato von Impulsen aus. Ich weiß nicht warum, und ich weiß nicht, was sie zu bedeuten haben. Ich möchte das klären. Verstehst du das nicht?« »Nein«, antwortete Socco abweisend. Er glaubte Karthau kein Wort. Seine Bemer kung von der »Projektion« war lediglich ei ne Falle gewesen. Karthau hatte behauptet, so etwas schaffen zu können, doch keiner der anderen Spercoiden glaubte ihm. So et was hielt man für völlig ausgeschlossen. »Ich spüre, daß ich die Schranken durch brechen kann, die dieses Wesen um seinen Geist errichtet hat. Und wenn mir das ge lingt, werde ich alles erfahren, ohne fragen zu müssen. Allein mit der Kraft meines Gei stes.« Daß Karthau über ungewöhnliche Kräfte verfügte, wußte Socco. Er selbst spürte diese Kräfte an Bord des Schiffes als Unordnungs und Störfaktor. Mittlerweile waren er und viele andere Spercoiden soweit, daß sie Karthau für alles die Schuld gaben, was an Bord unvorhergesehen geschah. Versagte irgendwo ein elektronisches Ge rät, dann war Karthau dafür verantwortlich. Stolperte ein Besatzungsmitglied, hatte Karthau ihm mit unsichtbaren Mitteln ein Bein gestellt. Zeigte sich, daß der Kurs des Schiffes
37 falsch berechnet war, dann zögerte niemand, Karthau die Schuld zu geben. Der Störfaktor mußte endlich beseitigt werden. »Du bist krank und uneinsichtig«, erklärte Socco. »In diesem Fall bleibt mir keine an dere Wahl. Ich habe einen Befehl auszufüh ren.« Er trat blitzschnell auf Karthau zu und überraschte ihn. Bevor dieser eine Abwehr bewegung machen konnte, hatte Socco ihm bereits den Helm geöffnet. Karthau blieb noch nicht einmal Zeit für einen Schrei. Er verglühte in seiner Ausrüstung. Socco wandte sich um und verließ fluchtartig den Krankenbereich.
* Die Spercoiden trieben ihre Gefangenen mit erbarmungsloser Härte voran. Wenn ei ner der Brangeln stolperte, rissen die Gepan zerten ihn hoch und straften ihn mit Schlä gen oder Tritten. Mehrere Brangeln überleb ten die Torturen nicht, die sie erleiden muß ten. Atlan war größer als sie. Ihm fiel es nicht schwer, das Tempo zu halten. Er bewegte sich an der Spitze der Gruppe der Gefange nen und erreichte als erster das Raumschiff. In der Schleuse warteten mehrere Spercoi den auf sie. Mit harten, knarrenden Stimmen sprachen sie auf die Gepanzerten ein, die die Gefan genen gebracht hatten. Dann trat einer von ihnen auf Atlan zu und befahl ihm mit einer Handbewegung, zur Seite zu treten und sich von den Brangeln zu trennen. Er gehorchte. Dabei merkte er, daß ihm die Augen feucht wurden. Die Erregung drohte, ihn zu übermannen. Bis zu diesem Augenblick war er davon überzeugt gewesen, daß ihm im Grunde genommen nichts passieren konnte, sobald er vorsichtig taktierte. Daß man ihn jetzt von den anderen Ge fangenen absonderte, erfüllte ihn mit tiefer
38 Sorge. Das konnte alles bedeuten. Behutsa mere Behandlung – oder Tod. Die Brangeln wurden an ihm vorbeige trieben. Um ihn kümmerte sich zunächst keiner der Spercoiden. Erst als alle Brangeln im Schiff waren, und die Schotte sich hinter ihnen geschlossen hatten, wandte sich einer der Gepanzerten ihm zu. »Komm mit«, befahl er in der schmatzen den Sprache der Brangeln. Er war schwer zu verstehen, da es ihm nur schlecht gelang, die richtigen Schmatzlaute zu formen. Ein Seitenschott öffnete sich. Atlan ging hindurch und stellte fest, daß er sich in einer Fahrstuhlkabine fand. Das Schott schloß sich hinter ihm. Er war allein. Die Kabine ruckte an und schoß mit erhebli cher Beschleunigung nach oben. Der Arko nide zählte die Sekunden. Als er bei neun angekommen war, hielt der Fahrstuhlkorb. Atlan vermutete, daß er sich nun etwa zwei hundert Meter über dem Boden befand, sich also ungefähr in der Schiffsmitte aufhielt. Er erwartete, daß die Kabine sich öffnen würde. Das war jedoch zunächst nicht der Fall. Etwa fünfzehn Minuten verstrichen. Atlan suchte nach Knöpfen oder Hebeln, mit de nen er das Schott betätigen konnte, aber es gab keinerlei Bedienungselemente. Als er gerade die Fäuste hob, um an die Tür der Kabine zu trommeln, öffnete sich diese. Atlan trat auf einen Gang hinaus, der kalt und nüchtern eingerichtet war. Hier gab es keinerlei Verzierungen oder farbliche Mar kierungen, die der Verschönerung dienten. Alles war funktionell und zweckmäßig. An den Wänden befanden sich einige Schaltkä sten. In dünnen Rohren verliefen Kabel. Und unter der Decke führte kastenförmige Ele mente als Teile eines Transportmediums entlang. Eine Tür glitt zur Seite. Atlan sah einen Spercoiden, der in einer Sitzschale ruhte. Er trug den gepanzerten Schutzanzug. Der Arkonide trat ein. Es war nicht zu er kennen, wer sich hinter der spiegelnden
H. G. Francis Scheibe des Schutzanzugs verbarg. »Setz dich«, befahl der Spercoide und deutete auf eine einfache Bank, die an der Wand stand. »Wer bist du?« »Ich bin Atlan«, erwiderte der Arkonide, als er Platz genommen hatte. Er atmete un willkürlich auf, da er glaubte, daß die größte Gefahr nunmehr vorbei sei. »Ich bin Socco, ein Spercoide«, erklärte der Gepanzerte. Er beherrschte die Sprache der Brangeln weitaus besser als die anderen Spercoiden, denen Atlan begegnet war. »Ich bin ein Raumfahrer im Dienst des Tyrannen Sperco, der früher oder später die gesamte Galaxis Wolcion beherrschen wird. Soviel über mich und meine Aufgabe. Jetzt zu dir.« »Eine Frage noch, wenn du erlaubst«, ent gegnete Atlan eilig. »Wie ist der Name die ses Schiffes?« Er sprach bei weitem nicht so gut Brange lisch wie Socco, doch dieser verstand ihn. »TREUE«, antwortete er und bestätigte damit, was der Brangel bereits gesagt hatte. Der Spercoide lehnte sich zurück, wäh rend Atlan sich erneut fragte, was für ein Wesen sich hinter dem Panzerglas verbarg. Die Form des Raumanzugs ließ auf einen Humanoiden schließen, aber das mußte sich nicht bestätigen. Die Form konnte absicht lich so gewählt worden sein, um andere zu täuschen. Das Wesen darin konnte ganz an ders aussehen. Es mußte den Anzug noch nicht einmal völlig ausfüllen. Vielleicht war es selbst winzig und bediente lediglich eine Maschinerie. Auch war keineswegs erwiesen, daß sich nur ein Wesen in dem Schutzanzug aufhielt. Es konnten zwei, drei oder noch mehr sein. »Du kommst von jenem Planetoiden, der jenseits der Fläche Jell-Cahrmere liegt. Ge stehe!« Atlan verzog keine Miene. Der Spercoide hielt Pthor also für einen Planetoiden. Er war ihnen aufgefallen und schien ihnen viele Rätsel aufzugeben. Sie beschäftigten sich intensiv damit, ohne bis her eine Antwort auf ihre Fragen bekommen zu haben.
Die Gesichtslosen Der Arkonide atmete auf. Er wußte nun, daß die Gefahr für ihn geringer war, als er angenommen hatte. Die Raumfahrer wollten etwas von ihm wissen, und so lange er ihnen das Gefühl gab, daß sie noch etwas aus ihm herausholen konnten, würden sie ihn nicht töten. Es galt, geschickt zu taktieren und das Verhör in die richtigen Bahnen zu lenken. »Da gibt es nicht viel zu gestehen«, erwi derte er bereitwillig. »Deine Vermutung ist richtig. Ich kann dir allerdings nicht sagen, wie wir hierhergekommen sind. Vielleicht hat das etwas mit den außerordentlich seltsa men Erscheinungen zu tun, die wir in der Ebene beobachten konnten?« »Welche Erscheinungen meinst du?« »Einer von unseren Leuten verschwand ganz plötzlich. Er kehrte später wieder aus dem Nichts zurück – aber riesengroß. Später verwandelte er sich wieder auf das normale Maß zurück. Wir vermuten, daß wir in ein Gebiet geraten sind, in dem energetische Di mensionsverwerfungen vorhanden waren.« Atlan machte eine Pause. Er beobachtete den Spercoiden, es gelang ihm jedoch nicht, irgendeine Reaktion an ihm festzustellen. Der Gepanzerte saß wie erstarrt in seiner Sitzschale, so als befände sich kein Lebewe sen in dem Schutzanzug. »Ich verstehe«, antwortete der Spercoide nach einigen Minuten. »Du sprichst von un serem Leuchtfeuer.« »Ich habe kein Feuer bemerkt«, erwiderte Atlan, der wohl wußte, was der Spercoide meinte, jedoch weitere Informationen aus ihm herauslocken wollte. »Es war etwas ganz anderes.« »Wir nennen es Leuchtfeuer«, erklärte der Gepanzerte, »obwohl es mit einem wirkli chen Feuer nichts zu tun hat. Diese Leucht feuer sind von uns geschaffene RaumZeit-Verwerfungen, die viele Lichtjahre weit in den Normalraum hinauspulsieren. Sie die nen uns zur Orientierung. Die Leuchtfeuer helfen uns, bestimmte Welten leichter wie derzufinden. Sie sind ausgezeichnete Navi gationshilfen. Selbstverständlich kommen
39 wir auch ohne sie aus. Wir benutzen sie nur, weil sie eine recht bedeutende Hilfe sind.« Atlan hatte Mühe, ein Lächeln zu unter drücken. Der letzte Satz verriet ihm, daß ge nau das Gegenteil der Fall war. Socco hatte gemerkt, daß er ein wenig zuviel gesagt hat te, und er wollte seinen Fehler wieder aus gleichen. Die Spercoiden konnten ohne die Hilfe der Leuchtfeuer nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten navigieren. Atlan hatte eine ihrer Schwächen heraus gefunden. Er schwor sich, daß er sie nützen würde, wenn sich dazu eine Gelegenheit für ihn ergab. »Mir wird jetzt einiges klar«, sagte Atlan. »Ich glaube, ich weiß, wie ich auf diesen Planeten gekommen bin.« »Willst du damit behaupten, daß du es vorher nicht gewußt hast?« fragte der Sper coide. »Allerdings«, erwiderte Atlan, der sich rasch eine Geschichte zusammenstellte. »Dieser Planetoid, von dem du gesprochen hast, stammt aus diesem Sonnensystem. Bis her hat niemand auf Pthor, wie wir den Pla netoiden nennen, gewußt, wie wir hierherge kommen sind. Es gibt nur eine Möglichkeit. Pthor muß durch die Auswirkungen des Leuchtfeuers auf Loors materialisiert sein.« »Pthor hat einen Energieschirm«, sagte der Spercoide. »Wir konnten ihn nicht durchdringen.« »Er war vorher nicht da«, schwindelte At lan. »Er kann ebenfalls nur durch das Leuchtfeuer entstanden sein. Eine andere Er klärung habe ich nicht.« »Wir haben so etwas noch nie beobachtet. Auf keiner anderen Welt«, erklärte der Ge panzerte. »Warum sollte so etwas ausge rechnet hier geschehen sein?« »Warum nicht?« fragte der Aktivatorträ ger. »Ich kenne die besonderen Eigenschaf ten des Leuchtfeuers nicht. Es sind RaumZeit-Verwerfungen, sagtest du?« »Das sagte ich.« »Sie könnten den Raum und die Zeit für Pthor verändert haben, so daß der Planetoid
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H. G. Francis
aus seiner normalen Umlaufbahn um die Sonne herausgerissen wurde. Ja. Nur so kann es gewesen sein.« Der Spercoide bewegte sich nicht. Für At lan war nicht zu erkennen, ob er die Ge schichte glaubte. »Sperco ist die Macht«, sagte der Gepan zerte plötzlich. »Die Spercotisierten sind sei ne Diener.« Nach diesen Worten erhob er sich und verließ den Raum. Die Tür schloß sich hin ter ihm. Atlan hörte, wie ein Riegel einraste te.
* »Das war ein Fehler«, sagte Thalia. »Das hätte er nie tun dürfen.« Sie stand zusammen mit Razamon und Kolphyr unter den Bäumen des Waldes, in dem Atlan sich von ihnen getrennt hatte. »Wir müssen etwas unternehmen«, ent gegnete Razamon. »Wir dürfen ihn nicht al lein lassen.« »Was können wir denn tun?« fragte Kol phyr. Er streckte seine Hände aus. »Wir ha ben nichts. Sie haben alles.« »Wir müssen versuchen, ins Schiff zu kommen«, sagte Razamon. »Und das schnell. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Wenn es ganz dumm kommt, startet das Schiff wieder und verschwindet. Dann ist es zu spät für Atlan.« »Was schlägst du vor?« fragte das Mäd chen. »Sich unter die Brangeln zu mischen, hat wohl keinen Sinn. Sie würden uns sofort herauspicken, so wie sie es mit Atlan ge macht haben. Was haltet ihr davon, wenn wir ganz offen auftreten?« »Das können wir später entscheiden«, meinte Thalia. »Zunächst sollten wir näher an das Schiff herangehen, so daß wir sehen können, was passiert.« »Reiten«, sagte Kolphyr. »Das ist besser.« »Wenn wir die Spyten nehmen, kommen wir nicht ungesehen an die Gepanzerten her an«, erwiderte Razamon. »Aber vielleicht ist
die Idee gar nicht mal so schlecht. Falls je mand die Umgebung des Raumers von oben aus überwacht, kommen wir sowieso nicht unbemerkt an das Schiff heran. Vielleicht knallt man uns sogar ab, wenn wir uns an schleichen. Da ist es schon besser, auf die Spyten zu steigen und in aller Offenheit vor zugehen.« »Und was kommt dann?« fragte Thalia. »Wir lassen alles weitere an uns heran kommen«, entgegnete Razamon. »Wahrscheinlich ist es das beste, wenn wir ebenfalls gefangengenommen und in das Schiff gebracht werden. Dort können wir die Suche nach Atlan aufnehmen. Vielleicht sperrt man uns auch zusammen ein.« »Damit wäre auch nicht viel erreicht«, be merkte sie. »Das wird sich zeigen. Wir haben immer noch Kolphyr, unsere Geheimwaffe. Wenn er will, kann er das ganze Schiff in die Luft sprengen. Und keiner von den Gepanzerten ahnt, was es mit ihm auf sich hat. Da er kei ne Waffe bei sich trägt, werden sie ihn un terschätzen.« »Also gut«, stimmte Thalia zu. »Wir müs sen versuchen, Atlan irgendwie herauszuho len. Er braucht unsere Hilfe.« Sie verließen den Wald und eilten zu den Spyten zurück, die sich in der Nähe der Suh le aufhielten. Sie bestiegen die drei Tiere, auf denen sie auch bisher geritten hatten. Kerall, Atlans Spyte, blieb zurück. Razamon trieb die Spyten zu rascher Gangart an. Er war ungeduldig. Für ihn war selbstverständlich, daß er versuchte, Atlan zu helfen. Er wußte, daß der Arkonide im umgekehrten Fall ebenso gehandelt hätte. Als sie sich dem Raumschiff bis auf etwa fünfhundert Meter genähert hatten, sahen sie, daß die vorletzte Gruppe der Brangeln in die Schleuse getrieben wurde. Weitab vom Schiff warteten die Brangeln, die bereits im Schiff gewesen waren. Sie verhielten sich ruhig. Apathisch saßen die meisten von ih nen auf dem Boden. Zwölf Spercoiden hielten sich außerhalb des Schiffes auf. Von Atlan war nichts zu
Die Gesichtslosen sehen. Die Gepanzerten wurden aufmerksam, als die drei Reiter bis auf etwa dreihundert Me ter herangekommen waren. Zwei von ihnen sonderten sich ab und gingen den Reitern ei nige Schritte entgegen. Sie hielten ihre Ener giestrahler in den Händen. Razamon veranlaßte seinen Spyten erst zu einer langsamen Gangart, als ihn nur noch etwa fünfzig Meter von den Gepanzerten trennten. Auch Thalia und Kolphyr ritten nun gemächlich auf das Schiff zu. Wenige Schritte vor den Raumfahrern hielten sie die Spyten an. »Wo ist er?« fragte Razamon in brangeli scher Sprache. Die Gepanzerten hoben ihre Energiestrah ler und gaben Razamon, Thalia und Kolphyr zu einer Handbewegung zu verstehen, daß sie absteigen sollten. Sie gehorchten. »Antworte«, forderte Razamon. »Wo ist er?« »Von wem sprichst du?« fragte einer der Gepanzerten. »Von dem Weißhaarigen«, antwortete der Atlanter. Er war sich sicher, daß der Gepan zerte genau wußte, von wem er sprach. »Im Schiff. Auch ihr werdet jetzt ins Schiff gehen«, erklärte der Gepanzerte, der bisher als einziger gesprochen hatte. »Wirf die Kugel weg.« Thalia gehorchte. »Gehen wir darauf ein?« fragte Razamon in pthorischer Sprache. »Wir müssen wohl«, entgegnete Thalia. »Außerdem wolltest du das ja. Oder nicht?« Razamon lächelte flüchtig. Er hob die Hände und ging auf die beiden Spercoiden zu. Sie wichen zur Seite, ließen Razamon, Thalia und Kolphyr vorbei und untersuchten Razamon und Thalia nach Waffen, als sie die Schleuse erreicht hatten. Die Gefange nen ließen die Prozedur schweigend über sich ergehen. Sie hatten keine Waffen, die sie vor den Gepanzerten hätten verbergen können. Als die Untersuchung beendet war, erhiel
41 ten sie einen Stoß in den Rücken und betra ten die Schleuse. Zwei Gepanzerte, die sie dort erwarteten, trieben sie zusammen mit den Brangeln über einen Gang, sonderten sie dann aber ab, als sie schon glaubten, bei den Brangeln zu bleiben. Man sperrte sie in einen großen Raum, der völlig leer war. »Und was jetzt?« fragte Thalia, als sie sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte. »Erst einmal abwarten«, erwiderte Raza mon. »Sie werden uns verhören. Da bin ich ganz sicher. Weshalb hätten sie uns sonst ins Schiff gelassen? Danach haben wir viel leicht eine Chance, zu Atlan zu kommen. Vielleicht bringen sie uns sogar zu ihm.« Thalia ließ sich auf den Boden sinken. »Mir gefällt das alles nicht«, sagte sie. Die Tür öffnete sich. Einer der Gepanzer ten trat ein. Er zeigte auf Razamon. »Komm«, befahl er. Razamon folgte dem Befehl. Er verließ den Raum. Lautlos schloß sich die Tür hin ter ihm. Eine halbe Stunde verstrich. Dann öffnete sich die Tür wieder, und Razamon trat zu sammen mit einem Spercoiden ein. Dieser zeigte nun auf Kolphyr und beorderte ihn auf den Gang hinaus. »Bleibe friedlich«, wisperte Razamon ihm zu, als er den Raum verließ. »Was wollte er von dir?« fragte Thalia, kaum daß sich die Tür geschlossen hatte. »Er wollte wissen, wer wir sind, woher wir kommen und was wir hier suchen«, er widerte er. »Und was hast du ihm gesagt?« »Die Wahrheit natürlich«, erklärte er, nachdem er sich auf den Boden gesetzt hat te. »Und was ist die Wahrheit?« fragte sie weiter, als er keine Anstalten machte, von sich aus mehr zu berichten. »Er wollte wissen, woher Pthor kommt. Ob es zum Beispiel aus diesem Sonnensy stem stammt. Ich habe ihm gesagt, daß Pthor die Erde verlassen hat und durch Raum und Zeit geglitten ist, daß es dabei mit einem an deren Objekt zusammengeprallt und dann
42 hier auf Loors gelandet ist.« Er blickte sie fragend an. »Hätte ich etwas anderes sagen sollen, Thalia? Wenn sie jetzt Kolphyr verhören, wird er ihnen die gleiche Geschichte erzäh len.« »Oder eine völlig andere«, entgegnete sie. »Wie ich den Bera kenne, macht er sich einen Spaß daraus, sie völlig zu verwirren.« »Und was wirst du ihnen erzählen?« Sie überlegte kurz. Dann sagte sie: »Wiederum eine andere Geschichte.« »Was für einen Sinn hätte das?« Razamon erhob sich. »Glaubst du, sie lassen sich für dumm verkaufen?« »Das nicht. Wir können jedoch Zeit ge winnen. Und das ist wichtig. Wer weiß, was Atlan ihnen auf ihre Fragen geantwortet hat. Wir könnten ganz schön in die Klemme ge raten. Klar, daß sie wissen wollen, was es mit Pthor auf sich hat. Sie sind nicht zum er sten Mal hier auf Loors, sonst hätten sie kei nen Grund für ihr Vorgehen gegen die Bran geln. Vielleicht beanspruchen sie diesen Pla neten für sich. Daher stellt Pthor eine Bedro hung für sie dar. Sie können sich an ihren fünf Fingern ausrechnen, daß wir von Pthor kommen, also werden sie …« »Woher weißt du, daß sie fünf Finger ha ben?« Sie winkte gereizt ab. »Sie werden uns unter Druck setzen, bis sie wissen, wie sie Pthor vernichten oder zu mindest den Wölbmantel beseitigen kön nen.« »Du hast recht«, sagte er zustimmend. »Es wäre besser gewesen, wenn wir uns vor her eine Geschichte zurechtgelegt hätten. Wir haben uns nicht genügend vorbereitet.« »Also bleibt uns jetzt keine andere Wahl, als Zeit herauszuschinden, bis wir wissen, wo Atlan ist, und bis wir mit ihm gemein sam vorgehen können.« Die Tür öffnete sich. Kolphyr kehrte zu rück. Der Spercoide winkte Thalia auf den Gang hinaus. »Was hast du ihnen erzählt, Kolphyr?« fragte Razamon.
H. G. Francis »Märchen«, antwortete der Bera. »Ich ha be gesagt, daß Pthor die Vorhut der größten Macht ist, die das Universum je gesehen hat.« Er verzog den Mund zu einem breiten Grinsen. »Er hat mir kein Wort geglaubt.«
8. Drei Spercoiden betraten seine Kabine. Atlan erhob sich von der Bank, auf der er gesessen hatte. Einer der Gepanzerten setzte sich, die anderen beiden blieben in der Nähe der Tür stehen. »Ich bin Socco«, sagte der Spercoide, der sich gesetzt hatte. »Sperco ist die Macht – die Spercotisierten sind seine Diener.« Er schien eine Antwort zu erwarten, doch der Arkonide schwieg. »Pthor stammt aus diesem Sonnensy stem?« fragte Socco, nachdem etwa fünf Minuten verstrichen waren. »Das habe ich gesagt.« »Das Energiefeld, das Pthor umgibt, ist undurchdringlich. Du bist hindurchgekom men. Wie?« »Einfach so«, erwiderte der Arkonide. »Mir ist zunächst gar nicht aufgefallen, daß da überhaupt ein Energieschirm war. Man kann ihn ja nicht sehen.« »Du lügst.« »Warum sollte ich lügen?« Atlan blieb ru hig. Er fühlte sich sicher, da er glaubte, daß die Spercoiden nur die Geschichte hatten, die er ihnen aufgetischt hatte. Sie mußten sie akzeptieren. »Ich sage das, was ich glaube. Sollte ich mich irgendwo irren, dann ist das nicht meine Schuld. Ich weiß nicht alles und kann daher nur vermuten. Sollte der Ener gieschirm nicht durch die RaumZeit-Verwerfung entstanden sein, sondern durch etwas anderes, dann liegt das nicht an mir.« Die Spercoiden schwiegen. Atlan wartete ab, als sie das Verhör jedoch auch nach mehreren Minuten noch nicht fortsetzten, fragte er: »Warum sprecht ihr von einer
Die Gesichtslosen Raum-Zeit-Verwerfung? Wenn es eine sol che ist, wie konnte es dann zu den Erschei nungen kommen, die wir beobachtet ha ben?« »Es kommt darauf an, wie die Steueranla ge eingestellt wird«, erklärte Socco bereit willig. »Allerdings haben wir solche Dinge auch noch nicht beobachtet, wie du sie ge schildert hast. Entweder du hast gelogen, oder die Steuermaschine ist beschädigt. Das würde allerdings unerwartete Effekte auslö sen.« Atlan war sich klar darüber, daß die Sper coiden einen Angriff auf Pthor vorbereite ten. Pthor war ein Störfaktor erster Ordnung für sie. Er mußte beseitigt werden. Der Arkonide dachte an die negative Bi lanz, die Pthor aufzuweisen hatte. Über Jahr tausende hinweg hatte Pthor überall im Uni versum für Schrecken und Terror gesorgt. An positive Taten konnte sich auf Pthor nie mand erinnern. Jetzt prallte Pthor mit einer anderen nega tiven Macht zusammen. Die Spercoiden ver breiteten Angst und Schrecken unter den Brangeln. Waren sie aufzuhalten? Hatte Pthor die Möglichkeit, sich ihnen in den Weg zu stellen? Seit dem letzten Verhör grübelte Atlan darüber nach, was getan werden konnte, um die Spercoiden von Loors fernzuhalten. Es gab eine Möglichkeit, es ihnen zumindest zu erschweren, diesen Planeten zu finden. Das hyperenergetische Leuchtfeuer war eine wichtige kosmonautische Hilfe für sie. Atlan vermutete sogar, daß sie ohne Leuchtfeuer gar nicht auskamen. Wenn es gelang, die Maschinerie des Leuchtfeuers auf Loors auszuschalten, war zumindest für die Bran geln schon viel erreicht. »Ich habe nicht gelogen«, sagte der Arko nide. »Ich habe alles so dargestellt, wie ich es weiß.« »Wir werden dich auf die Probe stellen«, kündigte Socco an. »Du wirst uns beweisen müssen, daß du die Wahrheit gesagt hast.« »Wie könnte ich das?« »Du wirst es erleben. Bald schon.« Socco
43 erhob sich und verließ zusammen mit den beiden anderen Spercoiden den Raum. Atlan blickte ihnen nachdenklich nach. »Was ist, wenn ich es nicht beweisen kann?« rief er, bevor sich die Tür schließen konnte. Socco drehte sich um. Blickte er ihn durch die Scheibe seines Helms an? »Dann wirst du sterben!« erklärte er. »Was soll ich tun?« Atlan wollte die Spercoiden nicht gehen lassen, ohne einige Informationen eingeholt zu haben. Er wollte sich vorbereiten. »Nichts kann das Energiefeld um Pthor durchdringen«, antwortete Socco. »Wir ha ben es versucht. Nichts geht hindurch. Wenn du es überwinden kannst, glauben wir dir. Kannst du es nicht, stirbst du.« Die Tür schloß sich, bevor Atlan weitere Fragen stellen konnte.
* Razamon untersuchte die Tür des Raumes, in dem sie gefangengehalten wurden. »Kein Problem«, verkündete er schon nach wenigen Minuten. »Ich kann die Tür öffnen.« »Was versprichst du dir davon?« fragte Thalia, die inzwischen vom Verhör zurück gekehrt war. »Ich gehe auf die Suche nach Atlan«, er widerte er. »Das Schiff ist riesig«, gab Thalia zu be denken. »Wo willst du ihn suchen? Er kann überall sein. Direkt neben uns oder hundert Meter über uns hinter irgendeiner von tau send Türen.« »Das glaube ich nicht. Warum sollten sie Gefangene über das ganze Schiff verteilen? Das würden wir auch nicht tun. Wir würden alle Gefangenen in einem Trakt zusammen fassen, weil wir sie so besser überwachen können.« »Die Gepanzerten müssen nicht so den ken wie wir«, gab Kolphyr zu bedenken. »Niemand handelt sich freiwillig Schwie rigkeiten ein. Das paßt nicht zu den Gepan
44 zerten. Sie wären längst gescheitert, wenn sie so unplanmäßig vorgehen würden.« »Mir gefällt nicht, daß du ein Risiko ein gehen willst, das unnötig ist«, sagte Thalia. »Es ist zu früh, nach Atlan zu suchen.« »Wir sind alle drei verhört worden«, ent gegnete Razamon. »Damit ist die erste Pha se unserer Gefangenschaft vorbei. Was man mit den Brangeln gemacht hat, weiß ich nicht. Vielleicht sind sie auch verhört oder anderswie behandelt worden. Auf jeden Fall hat man alle Brangeln durchgeschleust, die in dieser Ebene leben. Die Gepanzerten ha ben also erledigt, was sie sich vorgenommen haben. Versteht ihr? Damit wird es immer wahrscheinlicher, daß sie bald wieder von Loors verschwinden. Ich würde aber gern vor dem Start von Bord gehen, weil ich kei ne Lust habe, eine Reise ins Ungewisse mitzumachen.« »Wenn wir gehen, dann gehen wir alle drei«, sagte Thalia. »Es hat keinen Sinn, wenn wir uns trennen.« »Also gut. Dann gehen wir eben alle drei«, stimmte Razamon zu. Er nahm seinen Gürtel ab und löste die Nadel der Gürtel schnalle heraus. Geschickt bog er sie zu ei nem Haken zurecht, den er vorsichtig an der Verschlußseite der Tür entlangführte. Hier befand sich ein Schlitz, in den er die Nadel einführte. Da er die Tür schon vorher einge hend untersucht hatte, vergingen nur wenige Sekunden, bis es leise klickte, und die Tür sich öffnete. Razamon trat auf den Gang hinaus, schlang sich den Gürtel wieder um die Hüf ten und setzte die Nadel der Gürtelschnalle wieder ein, so daß er den Gürtel schließen konnte. Außer ihnen hielt sich niemand auf dem Gang auf, der in weitem Bogen durch das Schiffsinnere führte. Razamon schätzte, daß er ihn auf wenigstens hundert Meter Länge übersehen konnte. Auf dieser Strecke zweig ten mehrere Gänge zu den Seiten hin ab. »Was bleibt uns anderes übrig?« fragte er. »Wir müssen Tür für Tür untersuchen, bis wir Atlan gefunden haben.«
H. G. Francis »Dann los«, sagte Thalia. Sie ging zur nächsten Tür, blieb davor stehen und horch te. Dann klopfte sie leise. Niemand antwor tete. »Was machen wir, wenn einer der Gepan zerten die Tür aufmacht?« fragte Kolphyr. »Dann müssen wir ihn irgendwie über wältigen und unschädlich machen«, erwider te Razamon. »Eine andere Möglichkeit ha ben wir nicht.« Er deutete auf eine Taste, die sich im Rahmen neben der Tür befand. »Damit läßt sie sich öffnen. Ich halte es für besser, wenn wir hineinschauen, damit uns nichts entgeht. Es wäre immerhin mög lich, daß Atlan nicht auf unser Klopfen ant worten kann, weil er gefesselt ist.« Als Thalia nicht protestierte, drückte er die Taste. Die Tür glitt zur Seite. Dahinten lag ein langgestreckter Raum, in dem sich etwa zwanzig Brangeln befanden. Ihre Sin nesorgane pulsierten heftig. Razamon schloß die Tür wieder. »Willst du sie nicht herauslassen?« fragte die Toch ter Odins. »Wir können uns nicht damit belasten. Sie helfen uns nicht. Sie sind verängstigt und verwirrt. Wer weiß, was die Gepanzerten mit ihnen gemacht haben oder noch machen werden. Nein. Wir müssen uns auf uns selbst verlassen.« »Wir wissen jetzt, daß die Gefangenen in diesem Teil des Schiffes untergebracht sind«, bemerkte Kolphyr. »Wir werden At lan hier finden.« »Zur nächsten Tür«, sagte Razamon und ging weiter.
* Die Tür öffnete sich. Ein Spercoide trat ein. Er hielt einen Energiestrahler in der Hand. Er richtete ihn auf Atlan und winkte ihn mit der Waffe zur Tür hinüber. Der Arkonide erhob sich. »Bist du Socco?« fragte er. »Ich bin Socco«, antwortete der Spercoi de. »Die Prüfung beginnt.«
Die Gesichtslosen »Vorher muß ich mit Karthau sprechen«, erklärte Atlan. Er sah, daß der Spercoide zusammenzuck te. Die Überraschung war also gelungen. »Wer ist Karthau?« fragte der Gepanzerte nach einigen Sekunden, nachdem er sich wieder gefangen hatte. Atlan antwortete nicht. Er wartete ab. Der Energiestrahler ruckte hoch. Die Abschuß mündung richtete sich auf die Brust des Ar koniden. »Antworte«, forderte der Spercoide. »Ich bin Karthau begegnet«, erwiderte der Arkonide nun. »Zweimal sogar. Hat er es dir nicht erzählt?« »Karthau ist krank«, teilte der Spercoide ihm mit. Er schien seine Bedenken aufgege ben zu haben, über Karthau zu sprechen. At lan setzte zu einer Antwort an, doch der Lo giksektor hielt ihn zurück. Nicht so schnell, du Narr. Die Spercoi den haben keine Parafähigkeiten. Wer auch immer Karthau ist, er hat welche. Entweder ist er kein Spercoide oder er ist geistesge stört. Das war es. Karthau hatte versucht, Kon takt auf parapsychischem Wege zu bekom men. Er verfügte über Fähigkeiten, die die Spercoiden sonst wahrscheinlich nicht kann ten. Aus diesem Grunde war er für sie krank. »Ich weiß, daß er krank ist«, erwiderte der Arkonide. »Gerade deshalb muß ich mit ihm reden.« »Karthau war der Erbauer des Leuchtfeu ers. Er geriet bei einem Unfall zwischen die Dimensionen. Seitdem war er krank und bil dete sich ständig ein, von irgendwoher Auf träge zu bekommen. Er behauptete, seinen Geist in mehrere Persönlichkeiten aufspalten zu können«, erklärte der Spercoide. »Ich be kam den Befehl, ihn zu töten, und ich habe ihn getötet.« Atlan glaubte ihm vorbehaltlos. Karthau war offenbar tatsächlich geistes gestört gewesen. Er hatte nicht logisch und konsequent gehandelt. Dennoch hätte er ein außerordentlich wertvoller Mann für die Spercoiden sein können, wenn man auf sei
45 ne Fähigkeiten eingegangen wäre. Er hat ihn umgebracht, stellte der Logik sektor fest. Jetzt weiß er, daß er einen Feh ler gemacht hat. Atlan fragte sich, was in dem Gehirn hin ter der undurchsichtigen Panzerglasscheibe vorging. Er hat Angst. War es ein Fehler gewesen, von Karthau zu sprechen? Wenn Socco dieses parapsy chisch begabte Wesen getötet hatte, und dies erwies sich nun als Fehler, hatte er dann mit strengen Strafen zu rechnen? Er wird dafür sorgen, daß sein Fehler nicht als solcher erkannt wird. Damit wird die Lage kritisch. »Ich verstehe«, sagte Atlan. »Auch mir erschien er als krank. Was er tat, war unlo gisch. Ich habe Hoffnungen in ihn gesetzt, die sich jedoch nicht erfüllt haben.« Die Verständigung mit dem Spercoiden wurde schwierig, da ihnen nur die im Auf bau und in der Ausdrucksweise recht einfa che Sprache der Brangeln zur Verfügung stand. Diese Sprache war darüber hinaus auch außerordentlich wortarm. Vor allem technische und physikalische Begriffe gab es kaum. Daher mußte Atlan sich jedes Wort genau überlegen. Ein einziger Fehler konnte schon tödliche Folgen haben. Socco stand unter Druck. Er sah sich selbst stark gefährdet, konnte sich selbst zu gleich nur unzureichend ausdrücken, war je doch nicht bereit, Atlan Fehler in seiner Ausdrucksweise zuzugestehen. Die Gefahr der Mißverständnisse wuchs von Wort zu Wort. »Warte einen Moment«, bat der Arkonide immer wieder. »Es fällt mir schwer, dafür die richtigen Worte zu finden.« Mit solchen Bemerkungen rettete er sich über die Zeit. Schließlich merkte er, daß Socco sich beruhigte. Der Spercoide sprach nicht mehr über Karthau, sondern wandte sich dem vor ihnen liegenden Problem zu. »Ich will endlich die Wahrheit wissen«, sagte er. »Du wirst mit mir nach Pthor flie gen und den Energieschirm durchdringen,
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falls du das kannst. Wenn nicht, wirst du Karthau Gesellschaft leisten.« Karthau ist also tot! Daran bestand nun kein Zweifel mehr. At lan atmete unwillkürlich auf. »Ich bin bereit«, erklärte er. »Führe mich nach Pthor, und ich werde dir beweisen, daß ich die Wahrheit gesagt habe.«
* Die Tür öffnete sich. Dahinter lag ein Raum mit allerlei Laborgeräten. Niemand hielt sich darin auf. »Nichts«, sagte Razamon lakonisch und schloß die Tür wieder. Thalia war inzwischen schon zur nächsten Tür gegangen. Sie wartete, bis Kolphyr und Razamon zu ihr gekommen waren. Dann drückte sie die Taste. Die Tür glitt zur Seite. Thalia blickte in einen Raum, der etwa zwanzig Meter breit und dreißig Meter tief war. Eine Mauer aus Brangeln stand vor ihr. Die Gefangenen schmatzten aufgeregt mit den Fingerrüsseln. Die Tochter Odins verstand kein Wort. Razamon verstand dafür um so besser. »Sie halten uns für Verbündete der Ge panzerten«, rief er Thalia und Kolphyr in Pthora zu. Er wollte mit der Faust gegen die Verschlußtaste schlagen, als die Brangeln angriffen. Sie stürzten sich durch die Tür auf den Gang hinaus und sprangen Thalia und ihre beiden Begleiter an. Diese wollten die Brangeln auf keinen Fall verletzen. Sie wi chen zurück. Die Brangeln umliefen sie und kauerten sich hinter ihnen auf den Boden. Bevor Thalia, Razamon und Kolphyr sich versahen, stürzten sie rücklings über die Brangeln. Diese sprangen auf und flüchteten zusammen mit den anderen den Gang ent lang. Die Tür schloß sich plötzlich, ohne daß jemand die Taste daneben berührt hätte. Die Brangeln, die aus dem Raum entkom men waren, stürmten in heilloser Flucht über den Gang. Razamon sah es weit von ihnen entfernt
aufblitzen. »Weg hier«, rief er. »Schnell. In den Sei tengang.« Thalia wollte aufspringen, doch er riß sie wieder zu Boden. »Unten bleiben«, sagte er. »Damit sie uns nicht sehen.« Er robbte sich zu der nur wenige Schritte entfernten Gangbiegung hin und rollte sich um die Ecke. Thalia und Kolphyr folgten ihm. Auch sie krochen auf allen vieren bis in den Seitengang. Hier erst richteten sie sich auf. »Was ist los?« fragte Thalia. »Gepanzerte«, antwortete Razamon. »Ich habe gesehen, daß sie schießen.« Er schob sich bis zur Ecke des Ganges vor und blickte vorsichtig dorthin, wohin die Brangeln geflüchtet waren. Eine glühend heiße Druckwelle fegte ihm entgegen. Er sah noch, daß alle Brangeln tot auf dem Bo den lagen, und daß bei ihnen mehrere Ge panzerte standen. Dann fuhr er zurück und preßte sich an die Wand. »Sie machen kurzen Prozeß«, sagte er keuchend. »Sie haben alle umgebracht.« »Es wäre vielleicht doch besser gewesen, wenn wir geblieben wären, wo wir waren«, bemerkte Thalia erbleichend. »Jetzt ist es zu spät«, sagte Kolphyr ruhig. »Wir müssen überlegen.« »Das versuche ich schon die ganze Zeit«, gestand Thalia. »Es gelingt mir jedoch nicht, meine Gedanken zusammenzuhalten.« »Vielleicht machst du dir zuviel Sorgen um Atlan«, entgegnete Razamon. »Er kann sich schon helfen, wenn es nötig ist.« Diese Worte trösteten sie nur wenig. »Wir können nicht hier bleiben«, stellte der Bera fest und fügte breit lachend hinzu: »Nix gut für langes Leben.« Doch damit konnte er die Spannung nicht mildern, unter der Thalia und Razamon stan den. »Wir hätten die Tür nicht öffnen dürfen«, sagte Thalia. »Hätten wir es nicht getan, wä ren die Brangeln nicht auf den Gedanken ge kommen, eine Flucht zu riskieren. Wir sind
Die Gesichtslosen schuld an ihrem Ende.« Razamon winkte ab. »Sich Selbstvorwürfe zu machen, bringt uns auch nicht weiter. Entweder suchen wir weiter, oder wir ziehen uns in einen Raum zurück, setzen uns selbst gefangen und war ten ab, was geschieht. Ich gestehe, daß mir diese Möglichkeit überhaupt nicht behagt.« Er schob sich wieder zur Ecke vor und spähte herum. Erschrocken fuhr er zurück. »Sie kommen«, sagte er und zog Thalia und Kolphyr mit sich. »Wir können nicht hier bleiben.« Sie eilten den Gang entlang, der nach et wa dreißig Metern an einem breiten Schott endete. Hinter ihnen ertönte ein schriller Pfiff. Razamon fuhr herum, konnte jedoch nicht erkennen, woher er gekommen war. Vor dem Schott warteten Thalia und Kolphyr auf ihn. Beide waren nervös. »Wie geht das verdammte Ding auf?« fragte die Tochter Odins. Razamon wollte ihr antworten. Er kam zu ihr. Dann sah er, wie sich ihre Augen weite ten. Er blickte zu der Gangbiegung zurück, von der sie gekommen waren. Er sah Atlan, der von vier Spercoiden vor beigeführt wurde. Niemand blickte zu ihnen herüber. Atlan verschwand, bevor Razamon sich bemerkbar machen konnte. »Wir müssen hinterher«, sagte Kolphyr. »Wir müssen wissen, wohin sie ihn brin gen.« Thalia und Razamon antworteten nicht. Sie hetzten den Gang entlang. Noch schien niemand ihre Flucht bemerkt zu haben, und der Ausbruch der Brangeln schien auch kei nen allgemeinen Alarm ausgelöst zu haben. Bis fünf Schritte vor der Gangbiegung konnten sie hoffen. Dann schoß von unten ein Panzerschott mit explosiver Gewalt in die Höhe und verschloß den Gang. Wenige Schritte hinter ihnen schob sich ein zweites Schott quer über den Gang und verschloß ihn. Sie waren in einem Raum gefangen, der wesentlich kleiner war als jener, in dem sie
47 bisher gewesen waren. Eine Tür, die sie nach der bewährten Methode hätten aufbre chen können, gab es nicht. »Das alles wäre nicht so schlimm, wenn die Gepanzerten nicht genau wüßten, wo wir sind«, sagte Thalia niedergeschlagen. »Jetzt sitzen wir endgültig in der Falle.«
* Atlan hörte, wie ein Stahlschott einrastete. Er blickte über die Schulter zurück, be merkte jedoch nichts Auffälliges. Während er, bewacht von vier Spercoi den, durch den Gang schritt, wunderte er sich über die Hitze, die hier herrschte. Der abstoßende Geruch von verbranntem Fleisch hing in der Luft. Da die Gepanzerten sich je doch ruhig verhielten, schob er den Gedan ken von sich, hier habe ein Kampf stattge funden. Er versuchte, sich auf das zu kon zentrieren, was vor ihm lag. Er war sich nicht klar darüber, wie das Experiment ausgehen würde, das Socco mit ihm plante. Es wird eine schnelle Entscheidung geben, stellte der Logiksektor fest. Ein Schott glitt vor ihnen zur Seite. Die Spercoiden führten Atlan in einen Hangar, in dem ein Beiboot stand. Es sah wie eine miniaturisierte Nachbildung des Mutter schiffs aus. »Was hast du vor?« fragte Atlan und blieb stehen. »Mit einem Beiboot kann ich den Wölbmantel nicht durchdringen.« »Steige ein«, befahl Socco. »Du wirst rechtzeitig erfahren, was du zu tun hast.« Er öffnete die Tür einer Schleuse, die groß genug war, ihn selbst und Atlan aufzu nehmen. Er betrat sie und wartete, bis der Arkonide bei ihm war. Dann erst öffnete er das innere Schott und betrat einen kleinen Raum, der mit robotähnlichen Geräten ge füllt war, so daß nur wenig Platz für ihn und Atlan darin verblieb. Die drei anderen Sper coiden folgten durch die Schleuse. Sie scho ben sich an Atlan und Socco vorbei und kletterten über eine Stahlleiter nach oben.
48 Sie verschwanden durch eine Öffnung, die sich selbsttätig hinter ihnen verschloß. Atlan war mit Socco allein. Er blickte den Spercoiden an, dessen Waffen in den Taschen seines Schutzanzu ges steckten. Du kannst ihn erledigen, stellte der Lo giksektor emotionslos fest. Er ist dir unter legen. Atlan erwog, sich auf ihn zu werfen, als er einen seltsamen Reflex auf der Sichtscheibe Soccos bemerkte. Er blickte genauer hin und sah im Spiegelbild, das sich hinter ihm ein Durchgang aufgetan hatte. Darin stand ein Spercoide und überwachte ihn. Der Arkonide merkte, wie seine Augen feucht wurden. Die Erregung trieb ihm die Tränen in die Augen. Socco hatte nur auf einen Angriff gewar tet. »Wann sind wir da?« fragte Atlan mit be herrschter Stimme. Er war so ruhig, als be stünde nicht die geringste Gefahr für ihn. Der Spercoide antwortete nicht. Die Triebwerke sprangen an. Das Beiboot erbebte, als er abhob und aus dem Hangar schwebte. Dann beruhigte es sich wieder. Der Flug endete bereits nach wenigen Mi nuten. Sanft und erschütterungsfrei setzte der Pi lot das Beiboot auf. Das Innenschott der Schleuse öffnete sich. Atlan wollte die Schleuse betreten, doch Socco hielt ihn fest. »Warte«, befahl er. »Noch ist es nicht so weit.« Der Spercoide, der hinter ihm stand, stieß ihm die Faust in den Rücken. Atlan stürzte auf die Knie herab. »Bleib, wo du bist«, be fahl ihm Socco. »Keine Bewegung.« Ketten klirrten. Der Begleiter Soccos schlang sie Atlan um die Knöchel und zog sie stramm. Dann verschweißte er sie mit ei nem kleinen Handgerät. Danach gab Socco dem Arkoniden zu verstehen, daß er sich er heben durfte. Als Atlan sich aufrichtete, stellte er fest, daß der Spercoide die Beine nicht aneinan dergefesselt, sondern jedes Bein an eine an-
H. G. Francis dere Kette gelegt hatte. Die beiden Ketten waren schätzungsweise hundert Meter lang. »Jetzt kannst du das Schiff verlassen«, sagte Socco höhnisch. »Du kannst mir be weisen, daß du durch den Wölbmantel ge hen kannst. Wenn du es wirklich kannst, dann werden wir dich allerdings zurückzie hen. Nichts kann uns daran hindern.« »Eine gute Idee«, sagte Atlan lobend. »Ich wußte, daß du ein kluger Mann bist.« Socco legte seine Hand an die Wand ne ben dem Schleusenschott. Nun öffnete sich auch das äußere Schott. Der Tag neigte sich dem Ende zu. Die Dämmerung war hereingebrochen. Atlan verließ das Beiboot. Socco und der andere Spercoide folgten ihm dichtauf. Sie zerrten an den Ketten, als Atlan es nicht ver mutete. Sie rissen ihm die Beine unter dem Leib weg. Er stürzte zu Boden. »Ein Versehen«, teilte ihm Socco mit. »Wir wollten lediglich sehen, ob die Ket ten halten«, ergänzte sein Begleiter. Atlan blickte sie an. Er wünschte, er hätte durch die Scheiben ihrer Helme sehen kön nen. Er war sich dessen sicher, daß sie sich über ihn amüsierten. Da sie keine Reaktion zeigten, drehte er sich um, nachdem er sich erhoben hatte und blickte zu Atlantis hinüber. Das riesige Ge bilde war im Dämmerlicht nur schwer zu er kennen. Atlan zweifelte jedoch nicht daran, daß es wirklich Pthor war, das er sah. Er schätzte, daß er etwa hundertfünfzig Meter von Pthor entfernt war. Bis zum Wölbman tel waren es also nur etwa fünfzig Meter. »Worauf wartest du?« fragte Socco. Er griff nach seinem Energiestrahler. »Du weißt, daß du nicht durch den Energieschirm gehen kannst: Du hast nicht die Wahrheit gesagt. Das kannst du jetzt noch nachholen. Wenn du erst vom Wölbmantel zurückge worfen wirst, ist es zu spät für dich. Dann sprechen nur noch die Waffen.« Bis zu diesem Moment hatte der Aktiva torträger befürchtet, daß die Spercoiden ihm das Goldene Vlies abnehmen würden. Jetzt war klar, daß sie den außerordentlichen
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Wert dieser Ausrüstung nicht erkannten. »Bis später«, sagte er. »Ich werde den Schirm durchschreiten, so wie ich es gesagt habe.« Er wandte sich ab und ging auf den Wölb mantel zu. Die Ketten schleiften klirrend hinter ihm durch den Sand. Die Spercoiden gaben im mer nur so wenig davon frei, daß sie mehr oder minder straff gespannt blieben. Da durch wurde Atlans Marsch zu einer kräfter aubenden Strapaze. Er mußte sich Schritt für Schritt vorankämpfen. Die Spercoiden dach ten nicht daran, ihm Hilfen zu geben. Der Zellaktivator in seiner Brust pulsierte heftig. Atlan spürte, daß seine Kräfte schnell nachließen, doch das beunruhigte ihn nicht. Der Kräfteverlust war für ihn ein Zeichen dafür, daß er den Wölbmantel schon erreicht hatte und nun dabei war, ihn zu durchdrin gen. Plötzlich fühlte er einen Ruck an den Fü ßen. Keuchend blieb er stehen und blickte an sich herab. Er konnte kaum noch etwas er kennen, weil es schon zu dunkel war, im merhin sah er, daß die Ketten sich auflösten. Er ging drei Schritte weiter und blieb er neut stehen. Er war frei. Die Ketten waren verschwun
den. Damit hatte er gerechnet. Schon einmal war er durch den Wölbman tel gegangen. Zusammen mit Razamon hatte er ihn durchschwommen. Dabei hatten sich ihre Kleider aufgelöst. Nackt und ohne jede Ausrüstung waren sie nach Pthor gelangt. Der Zellaktivator war ihm unter die Haut in den Brustkorb eingedrungen und lag seitdem unter der Brustknochenplatte verborgen. Er hatte sich ebensowenig aufgelöst wie das Parraxynth-Stück Razamons, das von Atlan tis stammte. Da auch das Goldene Vlies von Atlantis stammte, löste es sich ebenfalls nicht auf. Atlan drehte sich um. Er sah, wie die Enden der Ketten in der Dunkelheit verschwanden. Socco und sein Begleiter zogen sie zurück. »Eure dummen Gesichter möchte ich jetzt sehen«, sagte der Arkonide. Er war vor den Spercoiden in Sicherheit. Langsam ging er auf Pthor zu, das sich als schwarzer Schatten vor ihm erhob. Dabei fragte er sich, ob die Spercoiden überhaupt Gesichter hatten.
E N D E
ENDE