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Ebd. 1308—1316. Über das Todesdatum des Joh. von Damaskus vgl. Vailhe", Date de 1a mort de S. Jean Damascene (4 dec. 749), in Echos d'Orient 1906, 28—31. 5
Ansätze der scholastischen Methode in der griechischen Väterliteratur.
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Stellung und Gruppierung des von den früheren griechischen Vätern erarbeiteten theologischen Wissensgutes. Auf selbständige Arbeit verzichtet er von vornherein1. Im ersten Teile gibt er eine Übersicht über die für die Theologie bedeutsamen philosophischen Stammbegriffe (x£
gewordene Satz, daß die Philosophie die Magd der Theologie ist. ist keineswegs ein origineller Gedanke Johannes' von Damaskus, derselbe findet sich vielmehr in verschiedenen Wendungen in der früheren griechischen Patristik (Klemens von Alexandrien, Gregor von Nazianz) und leitet sich von Philo her3. Es trägt auch die Behandlung der metaphysischen Stammbegriffe im ersten Teile der TT/JPJ yvciascog den Charakter einer philosophischen Propädeutik für die Theologie, besonders für die Christologie. So handelt Kapitel Q6 von der hypostatischen Union. Den Schlußpunkt dieser philosophischen Voruntersuchungen bildet eine Abhandlung (Kap. 68): Tzspl zcov ztaadpcov diaXexzixcbv ne&odcov.
Der zweite Teil (nep\ alpiaecou) ist ein Katalog von 100 Häresien, gleichsam die historische Vorschule für den dritten Teil, welcher die eigentliche Substanz des Werkes ausmacht. Dieser dritte Teil (sxooatQ dxptßrjQ ZYJQ opi%du~ou
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ein ziemlich
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ständiges System der Dogmatik dar. Die Einteilung dieses Kompendiums der Dogmatik, das namentlich für die griechische Theologie des Mittelalters von größtem Einflüsse gewesen ist, in vier Bücher ist keineswegs ursprünglich und findet sich auch nicht in griechischen Handschriften, sie ist erst später im Abendlande nach dem Muster der Sentenzenbücher des Petrus Lombardus vorgenommen worden. Was den Aufbau und die Systematik dieses Werkes betrifft, so steht 1
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(prolog.; M., P. Gr. XCIV 525). 2 Die ganze Stelle lautet: Iläg yäp Ts^vmys dstrat xai TIVOJV ~nog ßiviüv
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daißeiav äizüHJcofiz-fra (Dialectica c. 1; M. a. a. 0 . 582). 3
Vgl. E g g e r s d o r f e r , Der hl. Augustin als Pädagoge, Freiburg 1907, 108; F r e u d e n t h a l . Zur Beurteilung der Scholastik, in Archiv für Geschichte der Philosophie 1890, 23 A. 1.
HO
Die Anfänge der scholastischen Methode in der Patristik.
an seiner Spitze die Gottes- und Trinitätslehre, die durch Untersuchungen über die Erkennbarkeit Gottes und über die Gottesbeweise eingeleitet ist. An die Gottes- und Trinitätslehre (erstes Buch) reiht sich die Schöpfungslehre (zweites Buch), welche zunächst die Engellehre behandelt, sich dann der sichtbaren Schöpfung (nspi xriaecoc bparyjc) zuwendet und mit einer an psychologischen Ausführungen reichen theologischen Anthropologie abschließt. Das dritte Buch und die ersten Kapitel des vierten Buches sind der Inkarnationslehre reserviert. Der übrige Teil des vierten Buches verbreitet sich in ziemlich zwangloser Reihenfolge über einzelne Sakramente, namentlich über Taufe und Eucharistie, über Heiligen-, Reliquienund Bilderverehrung, über den Ursprung des Übels, und endigt mit dem eschatologischen Thema über den Antichrist und die Auferstehung. Es erinnert diese Anordnung der theologischen Probleme bei Johannes von Damaskus an Theodorets von CyrusfteUovdoy/idraju sTciTOfi'/j, nur daß letzterer viel selbständiger verfährt und sich hauptsächlich des Schriftbeweises bedient. Johannes von Damaskus hingegen hat sein theologisches System aus Vätertexten kompilatorisch zusammengefügt. Seine Arbeitsweise erinnert an die abendländischen Sentenzenwerke. Hauptsächlich wurden von ihm benützt Athanasius, Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa, Basilius, Chrysostomus, Epiphanius, Cyrill von Alexandrien, Pseudo-Areopagita, Nemesius, Leo d. Gr., Leontius von Byzanz, Maximus Confessor, Eulogius von Alexandrien und der Mönch und Presbyter Georgius1. Das dogmatische Hauptwerk des Johannes von Damaskus ist keine originelle Schöpfung, sondern eine das Gepräge des Scholastizismus an sich tragende Zusammentragung und Zusammenordnung der griechischen Väterlehre über die Glaubenswahrheiten. „Wer die Geschichte der altkirchlichen Lehrentwicklung kennt", bemerkt Kattenbusch 2 , „erfährt fast nichts Neues. Aber auch er begrüßt sein Werk wie einen Ruhepunkt oder Art Aussichtsturm, auf dem man das durchwanderte Land überschauen und zum Schluß einen Totaleindruck von dem, was die alte griechische Kirche erreicht hat, was ihr Erbe ist, gewinnen kann." 1 Vgl. L o o f s , Leontius von Byzanz, Leipzig 1887, 122 ff; ß a r d e n h e w e r , Ungedruckte Exzerpte aus einer Schrift des Patriarchen Eulogius von Alexandrien über Trinität und Inkarnation, in Tübinger Theol. Quartalschrift 1896, 362; Fr.Diek a m p , Der Mönch und Presbyter Georgius, ein unbekannter Schriftsteller des 7. Jahrhunderts, in Byzantinische Zeitschrift 1900, 42 f. 2 RE. 3 IX 291. L o o f s , Dogmengeschichte 323 ff.
Ansätze der scholastischen Methode in der griechischen Väterliteratur.
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Der abendländischen Scholastik wurde Johannes von Damaskus in der 1146 oder 1147 durch Burgundio von Pisa (f 1194) auf Befehl Eugens IV. gefertigten lateinischen Übersetzung der „Quelle des Glaubens" bekannt. Petrus Lombardus hat diese Übersetzung bei Abfassung seines Sentenzenwerkes gekannt und benutztx. Es legt sich uns nun die Frage zur Beantwortung vor: Welches ist die Bedeutung des Damascenus für die Entwicklung der mittelalterlichen Scholastik, besonders auch für die scholastische Methode gewesen?2 E h r h a r d bemerkt: „Die Scholastik hat ihre Ideale von Augustin, dem großen Denker, nicht von Johannes von Damaskus, dem Kompilator einer späteren Zeit, empfangen3. H a r n a c k hingegen ist der Anschauung, daß das Werk des Johannes Damascenus für das Abendland von nicht geringerer Bedeutung gewesen ist als wie für die griechische Kirche: „Es ist ein Fundament der mittelalterlichen Theologie geworden."4 Eine richtige Würdigung wird den Einfluß des Johannes von Damaskus auf die Scholastik einerseits demjenigen Augustins und des Stagiriten bedeutend nachstellen, anderseits denselben auch nicht zu gering einschätzen. In inhaltlicher Beziehung bedeutet das Bekanntwerden des Hauptwerkes des Johannes von Damaskus im Abendlande vor allem eine neue Etappe der theologischen Stoffzufuhr, insofern jetzt neben die in den bisherigen Sentenzenwerken (Anselm von Laon, Wutolf, Hugo von St Viktor, Abälard usw.) vertretenen lateinischen Väter, Johannes von Damaskus als griechische Väterautorität tritt. Bei dem kompilatorischen Charakter seiner Schriften treten mit ihm auch die früheren griechischen Väter in einzelnen Stellen, wenn auch tecto 1 Sent. L, dist. 19 N redet der Lombarde von Johannes von Damaskus als „inter doctores Graecorum maximus in libro, quem de trinitate scripsit, quem et papa Eugenius transferri fecit". B a l t z e r (Die Sentenzen des Petrus Lombardus, Leipzig 1902, 4) zählt bei Petrus Lombardus 23 Zitate aus Johannes Damascenus. 2 Über den Einfluß des Joh. von Damaskus auf die Scholastik siehe Langen, Johannes von Damaskus, eine patristische Monographie (1879) 9 ff; E r m o n i , Saint Jean Damascene, Paris 1904. Ermoni gibt in Anmerkungen die Anklänge bei Thomas von Aquin an und vergleicht S. 141 ff die Methode des Aristoteles, Joh. von Damaskus und Thomas von Aquin. Speziell über die Beziehungen zwischen Joh. von Damaskus und dem Aquinaten vgl. D u f f o , Saint Jean Damascene source de saint Thomas, in Bulletin de litte"rature ecclesiastique 1906, 126—130. 3 E h r h a r d in Krumbachers Geschichte der byzantinischen Literatur2, München 1897, 70. 4 H a r n a c k , Dogmengeschichte4 260. Ähnlich auch B a c h , Dogmengeschichte des Mittelalters I 49 50: „Seine Schriften sind eine Grundlage für die mittelalterliche Theologie des Abendlandes geworden."
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Die Anfänge der scholastischen Methode in der Patristik.
nomine, in das Gedankenmaterial der Scholastik des endigenden 12. und beginnenden 13. Jahrhunderts ein. Man wird nicht irregehen, wenn man die ausführlichere und gründlichere Behandlung, die man nunmehr den christologischen Problemen gegenüber der verhältnismäßig dürftigen Darstellung dieser Fragen bei Hugo von St Viktor und im Abälardischen Schriftenkreis angedeihen ließ, mit dem Einwirken des Werkes „De fide orthodoxa" in Beziehung bringt. Pesgleichen hat Johannes von Damaskus bereits vor dem Bekanntwerden der aristotelischen Realphilosophie und Ethik der abendländischen Scholastik aristotelische Gedankenelemente namentlich psychologischer und ethischer Natur dargeboten. Der inhaltliche Einfluß des Johannes von Damaskus äußert sich noch in mannigfacher Hinsicht bei den mit dem gesamten aristotelischen Schrifttum wohlvertrauten großen Scholastikern des 13. Jahrhunderts. Die Psychologie Alberts d. Gr., namentlich seine Lehre vom liberum arbitrium hat reichlich aus Johannes von Damaskus geschöpft1. Der Aquinate hat in der Trinitäts- und Inkarnationslehre (Idiomenkommunikation, Willenstätigkeit Christi usw.) sich auf den klassischen Dogmatiker der griechischen Kirche berufen. Was das Einwirken des Johannes von Damaskus auf die Scholastik in methodischer Hinsicht betrifft, so hat er der abendländischen Gelehrtenwelt, welche erst kürzlich die ganze aristotelische Logik kennen gelernt hatte und dieselbe in den Dienst der theologischen Spekulation zu stellen sich bemühte, das lehrreiche Beispiel einer umfassenden Heranziehung der aristotelischen Dialektik zu theologischen Erörterungen gegeben. Johannes von Damaskus ist wohl auch unter dem Einflüsse des Leontius von Byzanz Scholastiker gewesen. Er hat sich stellenweise mit den Gegnern in scholastischer Form auseinander gesetzt2. Besonders äußert sich sein Scholastizismus in dem Bestreben, eine logisch gut ausgebildete Terminologie in der Gottes- und Inkarnationslehre zu schaffen. So stellt er sorgfältige Untersuchungen über die nomina Dei negativa, affirmativa, communia, propria usw. an3, desgleichen sucht er eine richtige Prädikationsweise über Christus zu gewinnen4. Durch dieses Bemühen, mit Hilfe der Dialektik einen korrekten sermo de Deo herzustellen, ist einem schulgerechten, namentlich gegenüber allen1
Vgl. A r t h u r S c h n e i d e r , Die Psychologie Alberts d. Gr. 2. Tl, Münster 1906, 455 464 ff. 2 De fide orth. 3, 15 (M., P. Gr. XCIV 1052); 4, 3 (1105); 4, 7 (1113). 3 Ebd. 1? 11 12 (841 ff). 4 Ebd. 3, 11 (1021 ff).
Ansätze der scholastischen Methode in der griechischen Väterliteratur.
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fallsigen Denkschwierigkeiten und Einwendungen gewappneten Betrieb der Theologie gedient. In dieser Richtung läßt sich auch der Einfluß des Johannes von Damaskus auf die scholastische Methode des Mittelalters nachweisen. Wenn in den ungedruckten Summen vor und nach dem Jahre 1200, z. B. bei Präpositinus, Martinus de Fugeriis, Simon von Tournai, Roland von Cremona, Wilhelm von Auxerre usw., sich sorgfältige Detailuntersuchungen über die Terminologie der Gottes- und Inkarnationslehre finden und die verschiedenen nomina divina klassifiziert werden, so kann und muß hierfür neben andern Einwirkungen, deren Besprechung uns hier noch nicht interessiert, auch der Einfluß des Johannes von Damaskus namhaft gemacht werden. Alexander von Haies beruft sich in seinen eingehenden Darlegungen de divinis nominibus (S. th. 1, q. 48 ff) mehrfach auf Johannes von Damaskus. Ein Schüler des Johannes von Damaskus im weiteren Sinne ist der noch im ersten Viertel des 9. Jahrhunderts lebende Theodor Abou-Kurra, Bischof von Haran, gewesen, der in einem interessanten, von Konstantin Bacha edierten arabischen Traktat einen in scholastischer Form gehaltenen Versuch eines Beweises der christlichen Wahrheit gegen Juden, Ungläubige und Häretiker gegeben hat. Bacha kennzeichnet diese Abhandlung mit Recht als „resume de 1a theologie catholique et un modele de 1a scolastique naissante"*. Das Gepräge des Scholastizismus tragen auch die theologischen Schriften des P h o t i u s (f 891). Seine „Amphilochia" (Quaestiones Amphilochianae), eine Sammlung von Untersuchungen über biblische, dogmatische, philosophische, grammatische, historische Probleme, sind in der Form der 'EpwzvjaeiQ xai änoxpiaeiq abgefaßt. In den exegetischen Partien behandelt er mit Vorliebe biblische Enantiophanien, scheinbare Widersprüche, und macht auch auf die Richtpunkte aufmerksam, welche zur Lösung solcher Widersprüche dienlich sind. Besonders mahnt er, auf Ort, Zeit und Person achtzugeben, den Kontext zu berücksichtigen und überhaupt die Heilige Schrift nach allen Gesichtspunkten zu erforschen2. Es begegnen uns bei Photius hier Erwägungen, die an die später im Abendland von Bernold von Konstanz, Abälard usw. zum Ausgleiche sich scheinbar widersprechender Väterautoritäten oder kirchlicher Kanones an1 P . C o n s t a n t i n B a c h a , Un traite des oeuvres arabes de Theodore Abou-Kurra, Tripoli 1905, 11. 2 J. H e r g e n r ö t h e r , Photius III (1869) 298 ff.
Grabmann, Scholastische Methode. I.
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gegebenen Normen gemahnen. Photius verwertet auch die aristotelische Philosophie und bekundet namentlich in seiner Streitschrift rrsp] TTJQ äyio'j Ttvtufiazoc, imaiaycoyiaQ große dialektische Gewandtheit. „Photius zeigt", bemerkt J. H e r g e n r ö t h e r 1 , „ohne uns ein durchgebildetes dogmatisches System zu geben, sich als geistvoller Theqlog, als Scholastiker in der vollen Bedeutung des Wortes, als einer der einflußreichsten Repräsentanten der griechischen Scholastik, die lange vor der abendländischen entfaltet, aber bald von dieser überflügelt war/ Im Zusammenhang mit der ausgehenden griechischen Patristik, die vielfach den Charakter von Exzerpten, von Zusammenstellungen der Aussprüche früherer Väter hat, ist noch ein Wort über die g r i e c h i s c h e K a t e n e n - und P l o r i l e g i e n l i t e r a t u r zu reden2. Schon die griechische Antike kennt den Brauch, Aussprüche,, Sentenzen (yucbjuac) zu sammeln3. In der Väterzeit spricht Hipp o l y t von einer Gruppierung von Auszügen aus älteren griechischen Schriftstellern nach dogmatischen Gesichtspunkten4. Hauptsächlich kam dieses Verfahren, Auszüge aus Kirchenschriftstellern zu machen und nach bestimmten Gesichtspunkten zu sammeln, seit der zweiten Hälfte des 5, Jahrhunderts, und zwar vornehmlich in der griechischen Literatur, in Schwung. Der später für solche Sammlungen aufgekommene Name catenae (aetpal) drückt sehr sinnvoll die Eigenart dieser Exzerptensammlungen aus, welche wegen der Gleichartigkeit des Themas und der hierdurch bedingten Zusammenordnung der einzelnen Aussprüche einer Kette mit vielen sich aneinander reihenden Gliedern ähnlich sind5. So sehr diese Literatur1
Photius III 652. Vgl. hierüber H a r n a c k , Geschichte der altchristlichen Literatur bis Eusebius 1, Leipzig 1893, 835—842; E h r h a r d in Krumbachers Geschichte der byzant. Literatur 2 206—218; Th. Seh e r m a n n , Die Geschichte der dogmatischen Florilegien vom 5. bis 8. Jahrh., Leipzig 1904; M. F a u l h a b e r , Die Prophetenkatenen nach römischen Handschriften, Freiburg 1899; Hohelied-, Proverbien- und Predigerkatenen, Wien 1902; J. S i c k e n b e r g e r , Die Lukaskatene des Niketas von Herakleia, Leipzig 1902;L. E i s e n h o f e r, Prokopius von Gaza, Freiburg 1897. 3 W a c h s m u t h , Studien über die griechischen Florilegien (1882). E11er, G n o m i c a I et II, Lips. 1892 (I: Sexti Pythagorici, Ohlitarchi, Euagrii Pontici sententiae; II: Epicteti et Moschionis quae feruntur sententiae); Geschichte der griechischen Gnomologien, Bonn 1893. 4 H a r n a c k a. a. 0. xxxi. Seh e r m a n n a. a. 0. 1. 5 E h r h a r d a. a. 0. 206. 2
Ansätze der scholastischen Methode in der griechischen Väterliteratur.
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gattung das Erschlaffen selbsttätiger Geistesarbeit bekundet, so besitzen diese Katenen doch einen hohen Wert für die Überlieferungsgeschichte der patristischen Literatur, weswegen gerade jetzt mit Vorliebe die Forschung sich diesen meist noch ungedruckten und ungehobenen Schätzen der altchristlichen Literatur zuwendet1. Es sind diese Katenen und Floriligien zum Teil dogmatischer Natur, Sammlungen von Aussprüchen der Kirchenväter über dog-< matische Themata. Außerdem gibt es noch aszetische Katenen, die mehr erbaulichen Zwecken dienen, wozu die von Holl 2 dem hl. Johannes von Damaskus zugewiesenen „Sacra Parallela" zu zählen sind. Endlich gibt es biblische Katenen, Sammlungen von Väterstellen zur Erklärung der Heiligen Schrift. Die dogmatischen Florilegien verfolgen den Zweck, als eine Fundgrube für den dogmatischen Traditionsbeweis oder auch für polemische Arbeit zu dienen. Das bedeutendste griechische dogmatische Florilegium ist die von Fr. D i e k a m p musterhaft edierte und untersuchte „Doctrina Patrum de Incarnatione Verbi* 3, die aus der Wende des 7. und 8. Jahrhunderts stammt und wahrscheinlich Anastasius Sinaita zum Verfasser hat 4 . Es trägt dieses Florilegium, das auch von Johannes Damascenus vielfach benutzt wurde, in mehr als einer Hinsicht den Charakter des Scholastizismus an sich. Es hat teilweise eine, wenn auch lose innere systematische Anordnung. An der Spitze (Kap. 1) steht die Lehre von der Dreiheit und Einheit (nepl TTJQ £v zpiddt xai fiovädt 9-toXoyiaq), Hieran reiht sich die Lehre
von der Konstitution Christi, von Christus als Gott und Mensch in einer Person (Kap. 2 ff), wobei gegenüber dem Monophysitismus jede auf eine xpäaic der Naturen in Christus hinzielende schiefe Ausdrucksweise (z. B. /iia
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Die Anfänge der scholastischen Methode in der Patristik.
communicatio idiomatum (Kap. 20) die Rede ist. In einem zusammenfassenden Kapitel (Kap. 21) wird sodann die hypostatische Union behandelt. In dem übrigen Teile des Florilegiums ist eine innere Gliederung nicht wahrnehmbar. Ohne Zweifel erinnert dieses Mosaik von Vätertexten über die Grundfragen der Christologie an die theologische Sentenzenliteratur der abendländischen Scholastik. Über den Zusammenhang der scholastischen Sentenzenliteratur mit den lateinischen patristischen Florilegien wird später zu handeln sein. Die „Doctrina Patrum de Incarnatione Verbi" verrät die Eigenart des Scholastizismus vor allem auch durch die Sorgfalt, mit der die theologische Terminologie ins Auge gefaßt ist. So ist in einem eigenen Kapitel die Väterlehre über die Begriffe (puatq, oucrta, OTtoavaatQ, izpoGWTtov dar-
gestellt (Kap, 6). Das Kapitel 33 enthält eine alphabetische Sammlung von Definitionen. Eine quaestio celebris der abendländischen Scholastik, nämlich die Frage über die Existenz der Allgemeinbegriffe, ist schon in diesem griechischen Florilegium verhältnismäßig eingehend erörtert (Kap. 26). Ein näheres Eingehen auf die griechischen patristischen Florilegien liegt außerhalb des Rahmens unserer Darlegungen. Für uns genügt es hier, das Wesen dieser Literaturgattung skizziert und den Scholastizismus an einem bedeutsamen Produkt dieser Florilegienliteratur nachgewiesen zu haben. Drittes Kapitel.
Die lateinische Patristik und die scholastische Methode. § i. Die voraugustinische lateinische Patristik. Wenn wir die der mittelalterlichen Scholastik schon sprachlich näherliegende lateinische Patristik nach Anfängen und Keimen des Scholastizismus durchsuchen und den Einfluß der lateinischen Väter auf Entstehung, Entwicklung und Vollendung der scholastischen Methode feststellen wollen, wird die voraugustinische lateinische Väterliteratur uns hierfür eine nicht allzu reiche Ausbeute bieten können. Die mächtige Gestalt Augustins hat mit solcher Zaubergewalt das wissenschaftliche Leben und Streben des abendländischen Mittelalters beherrscht und bestimmt, daß daneben die Einwirkungssphäre der früheren lateinischen Väter als eine beschränkte erscheint. Die Anfänge einer theologischen Systematik finden wir in der lateinischen Patristik bei T e r t u l l i a n . Seine Schriften „De
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anima"1 und „Adversus Praxeam"2 bekunden eine freilich von aller Schulmäßigkeit weitabstehende systematische Gliederung. Die Schrift „Adversus Praxeam" ist auch bedeutsam für die Geschichte der lateinischen trinitarischen Terminologie. Es sei hier erinnert an das bei Tertullian zuerst vorkommende Wort Trinitas, auf die Wendungen: una substantia — tres personae, ex substantia Patris, unius substantiae usw.3 Die Schriften des genialen Afrikaners weisen bedeutende Ansätze einer methodischen Behandlung theologischer Fragen auf. Durch die überwältigende Kraft der Argumentation, durch das scharfe und klare Herausstellen der Probleme, durch schöpferische Kraft auf dem Gebiete der theologischen Terminologie hat Tertullian Proben einer methodischen Erörterung dogmatischer Fragen abgelegt. Beachtenswert ist Tertullians Stellung zur griechischen Philosophie. In der ihm eigenen drastischen und plastischen Form spricht er sich mehrfach in sehr scharfer Weise über die heidnische Philosophie aus. Er nennt die Philosophen die Patriarchen der Häresie4, insofern alle Häresien auf der Kunst der Begriffsspalterei und den Regeln der Philosophie beruhen5. Plato ist ein Spezereiladen (condimentariumj aller Häretiker geworden6. Noch kräftiger äußert sich Tertullian über Aristoteles.: „Unglückseliger Aristoteles, der für die Häresie die Dialektik eingeführt hat, die Meisterin im Aufbauen und Niederreißen, doppelsinnig in ihren Sätzen, gezwungen in ihren Konjekturen, rücksichtslos in ihren Argumenten, pedantisch im Wortgezänke, sich selbst zur Last, alles behandelnd, um gar nichts behandelt zu haben. . . . Was hat Athen mit Jerusalem zu schaffen, was die Akademie mit der Kirche, was die Häretiker mit den Christen? Wir brauchen keine müßige Forschung nach Christus Jesus und keine Untersuchung nach dem Evangelium/ 7 Wenn Tertullian an diesen und andern Stellen abschätzig über die griechi1
Vgl. G. E s s e r , Die Seelenlehre Tertullians, Paderborn 1893. K r o y m a n n , Tertulliani Adversus Praxeam (Sammlung Krüger II 8), Tübingen 1907, xx. 3 Ebd. xxiif. S c h l o ß m a n n , Persona und UPOZÜIION im Recht und im christlichen Dogma, Kiel 1896. 4 5 De anima 3. Adv. Hermog. 8. Adv. Marc. 5, 19. De praescr. 7. 6 De anima 23. 7 De praescr. 6; vgl. auch Apologet. 46 u. 47, wo der Unterschied zwischen dem christianus und philosophus markant hervorgehoben ist. Über die Stellung Tertullians zu? griechischen Philosophie siehe A. S e i t z , Die Heilsnotwendigkeit der Kirche nach der altgriechischen Literatur, Freiburg 1903, 389 ff; K . A d a m , Der Kirchenbegriff Tertullians, Paderborn 1907, 12. 2
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Die Anfänge der scholastischen Methode in der Patristik.
sehen Philosophen sich ausspricht, so hat er eine inhaltliche Vermischung und Verquickung von heidnischer Philosophie und Christentum, wie eine solche in den Häresien, vor allem im Gnostizigmus zu Tage trat, vor Augen. Er will von einem platonischen, stoischen oder dialektischen Christentum nichts wissen. Wenn der Inhalt der christlichen Lehre hierdurch nicht getrübt wird, ist philosophische Forschung und Untersuchung in Tertullians Augen angängig. So schreibt er: „Wofern nur ihre hergebrachte Form in ihrer Ordnung (die Glaubensregel) bestehen bleibt, magst du untersuchen, verhandeln, soviel du willst, und aller Lust des Forschens ihren freien Lauf lassen, wenn dir etwas unbestimmt gelassen oder an Dunkelheit zu leiden scheint."1 An einer andern Stelle gibt er zu, daß die Philosophen manchmal auch christlicher Auffassungsweise nahe gekommen sind: „Nonnegabimus aliquando philosophos iuxta nostra sensisse."2 Besonders rühmt er dies den Stoikern nach: „Seneca saepe noster."3 Die Schriften des temperamentvollen Afrikaners verraten Vertrautheit mit der antiken Philosophie, ein ziemliches Maß philosophischer Vor- und Durchbildung. Auch der Frage über das Verhältnis von Glauben und Wissen begegnen wir in Tertullians Schriften. Es wird ihm vielfach das Diktum: „Credo quia absurdum" zugeschrieben4. Dieser Ausspruch findet sich jedoch nicht bei ihm. Es wird im Sinne diesea „credo quia absurdum" vielfach die nachfolgende Stelle gedeutet5: „Gottes Sohn ist gekreuzigt worden — ich schäme mich dessen nicht, gerade weil es etwas Beschämendes ist. Gottes Sohn ist gestorben — das ist erst recht glaubwürdig, weil es eine Torheit ist (prorsus credibile est, quia ineptum est); er ist begraben und wieder auferstanden — das ist ganz sicher, weil es unmöglich ist" (certum est, quia impossibile est) 6 . Indessen besagt diese Stelle, wenn sie im Zusammenhange und unter Berücksichtigung der literarischen Eigenart Tertullians gewürdigt wird, keinen Gegensatz zwischen Glauben und vernünftigem Denken. „Der ganze Tertullian", bemerkt mit Recht G. E s s e r 7 , „spricht aus den starken Wendungen, unter welchen er die Übernatürlichkeit und Unbegreiflichkeit, das scheinbar Paradoxe der Geheimnisse hervorhebt." Tertullian will an dieser Stelle nur 1 4 5 8 7
2 3 De praescr. 12 14. De anima 2. Ebd. 20. Vgl. J. B e c k e r , Credo quia absurdum, in Katholik 1903 (II) 500—518. L o o f s , Leitfaden der Dogmengeschichte 155. De carne Christi 5. Die Seelenlehre Tertullians 21.
Die lateinische Patristik und die scholastische Methode.
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sagen: Das Göttliche ist über das beschränkte menschliche Denken so erhaben, daß es auf den ersten Blick dem Menschengeiste als unmöglich, als undenkbar, ja töricht erscheint und erst bei tieferem Eindringen als etwas Erhabenes, unvergleichlich Weises, als etwas Gottes und des Menschen Würdiges sich offenbart1. Es soll damit nur die Idee des paulinischen: „Quod stultum est Dei, sapientius est hominibus" (1 Kor 1, 25) ausgesprochen werden. Tertullian lehrt nicht nur keinen Gegensatz zwischen christlichem Glauben und vernünftigem Denken, er hält vielmehr das Glauben für etwas eminent Vernünftiges. Das Übernatürliche ist etwas im höchsten Sinne Vernünftiges. „Quid divinum non rationale?"2 „Deus omnium conditor nihil non ratione providit, disposuit ordinavit, nihil non ratione tractari intelligique voluit."3 Nichts, was Gott durch sein Geheiß hervorgerufen, ist unvernünftig4. Das Christentum ist „sapientia de schola coeli"5. Mit Recht bemerkt deshalb Adhemar d'Ales 6 : „Dans 1a pensee de Tertullien l'adhesion ä 1a religion est une acte eminent raisonnable." Das gläubige Festhalten an der regula fidei ist für Tertullian die Basis für das tiefere Eindringen in den Offenbarungsinhalt. Die Isaiasstelle 7, 9: „Nisi credideritis, non intelligetis" kehrt mehrfach bei ihm wieder7. Im wesentlichen hat Tertullian über Glauben und Wissen dasselbe gedacht wie später Augustinus. „Augustinus konnte die Anschauungen seines alten Landsmannes einläßlicher rechtfertigen und hie und da auch schärfer fassen; aber zu ändern brauchte er dieselben nicht."8 J. B e c k e r 9 erbringt den Nachweis, daß die Lehre des Vatikanums über das harmonische Verhältnis zwischen Glauben und Wissen sich in den Grundzügen fast Satz für Satz bei Tertullian nachweisen läßt. Es finden sich sonach in der wissenschaftlichen Lebensarbeit Tertullians mancherlei Ansätze und Anfänge zu der bei den mittelalterlichen Theologen befolgten Methode. Es beschränkt sich die Ähnlichkeit zwischen Tertullians Arbeits- und Darstellungsweise und dem mittelalterlichen Scholastizismus keineswegs auf die aristotelische Dialektik und formalistische Behandlung der Probleme, welche von 1 2 6 7 8 9
J. B e c k e r a. a. 0. 504. 3 4 5 De fuga 4. De paenitentia 1. De anima 16. Ebd. 1. La thöologie de Tertullien, Paris 1905, 11. Adv. Marc. 4, 20 25 27. B a r d e n h e w e r , Geschichte der altkirchlichen Literatur II 344. A. a. 0. 510 ff.
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Harnack 1 in etwas übertriebener Weise hervorgehoben wird. Wenn das scholastische Mittelalter auch nicht unmittelbar mit Tertullians Werken in Fühlung getreten ist, so hat doch der Einfluß des Afrikaners auf die folgende lateinische Patristik, auf Cyprian, Laktantius, Pacian, Hieronymus, Augustinus usw., auch indirekt das Mittelalter berührt. „Für die abendländische Theologie", schreibt Bonw e t s c h 2 , „ist Tertullian grundlegend geworden. Ihre Erfüllung mit juristischem Geist hat er eingeleitet, aber auch im einzelnen Gedanken ausgesprochen und Formeln geprägt, die nicht wieder verklungen sind. Auch das Streben der Scholastik, die ratio der Offenbarung zu beweisen, ist schon in ihm vorgebildet." In bedeutend höherem Maße als Tertullian erwies sich Laktant i u s in seinen „Divinarum Institutionum libri 7", einer Darstellung der christlichen Weltanschauung nach ihrer ethischen Seite, als Systematiker. Er hat die Literaturgattung der Institutiones aus der Rhetorik und Jurisprudenz in die Theologie herübergenommen und „zuerst den Versuch gemacht, in lateinischer Sprache ein System der christlichen Weltanschauung zu entwerfen" 3. Der Einfluß der morgenländischen Theologie wurde dem Abendland vermittelt durch H i l a r i u s von P o i t i e r s 4 , den Athanasius des Abendlandes. Seine zwölf Bücher „De Trinitate" (ursprünglich „De fide") ist eine tief spekulative, hochbegeisterte, stilistisch hochstehende Darstellung und Verteidigung der dogmatischen Hauptlehren des Christentums, vor allem der Gottheit Christi gegenüber dem Arianismus. Die Einleitung und die am Schlüsse des ersten Buches gegebene Inhaltsübersicht über das ganze Werk, seine Begriffsbestimmungen und Analogieschlüsse zeigen, daß Hilarius Sinn für methodische Arbeitsweise, für Gliederung und Systematik mit hervorstechender Originalität und Individualität wohl zu einen verstand. R. Pichon 5 findet in dem Werke „De Trinitate" des hl. Hilarius bereits den Anfang der scholastischen Methode. Es ist hiermit in gewissem Sinne die Reihe der theologischen Summen eröffnet. Kein 1
Lehrbuch der Dogmengeschichte I I P 15. Artikel „Tertulliantt in RE. XIX 3 551. Vgl. M. S c h a n z , Geschichte der römischen Literatur, 3. Tl, München 1896, 300. 3 Ebd. 386, 4 Über die dogmengeschichtliche Bedeutung des hl. Hilarius vgl. A. B e c k, Die Trinitätslehre des hl. Hilarius, Mainz 1903, 2; A. H a r n a c k a. a. 0. I I 5 243 A. 2. 5 Histoire de 1a litterature latine, Paris 1897, 829. 2
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Geringerer a l s M a b i l l o n 1 hat den großen Bischof von Poitiers mit der theologia scholastica in Beziehung gesetzt. In der Tat finden sich im ersten Buch von „De Trinitate", das die Notwendigkeit und Seligkeit der wahren Gotteserkenntnis behandelt, beachtenswerte Winke und Gesichtspunkte für die Handhabung der theologischen Spekulation. So macht Mabillon auf eine Stelle aufmerksam, an der Hilarius über die Art und Weise, wie über Gott und göttliche Geheimnisse gedacht und geredet werden kann und soll, sich äußert2. Er mahnt hier denjenigen, der den göttlichen Geheimnissen sein Augenmerk zuwendet, er solle die schwachen und ohnmächtigen Meinungen irdischen Denkens wegwerfen und die engen Grenzen unvollkommener Erkenntnis durch gottesfürchtige Sehnsucht erweitern. Wir brauchen neue Sinne eines neugebornen Geistes. Man muß erst durch den Glauben in der Substanz Gottes Stellung nehmen, damit man den Sinn nach dem richtet, was der Substanz Gottes würdig ist, also nicht nach dem Maße menschlicher Einsicht, sondern nach der Unendlichkeit. Derjenige, der sich bewußt ist, daß er göttlicher Natur teilhaft geworden sei, soll die Natur Gottes nicht nach den Grenzen seiner eigenen Natur bemessen, sondern göttliche Aussprüche nach der Erhabenheit des göttlichen Zeugnisses von sich selbst abwägen. Der beste Leser ist der, welcher das Verständnis der Worte vielmehr von den Worten erwartet, als es in sie hineinträgt und den Worten nicht einen schon vor der Lesung gefaßten Sinn aufzwingt. Da von göttlichen Dingen die Rede sein wird, wollen wir Gott die Kenntnis seiner selbst zugestehen und mit frommer Verehrung seinen Worten uns unterwerfen. Wenn zur Erklärung göttlicher Dinge Gleichnisse, Analogien vorgebracht werden, so handelt es sich, da das Irdische mit Gott keinen Vergleich aushält, nicht um eine vollendete und erschöpfende Darstellung, sondern lediglich um eine Forderung unserer schwachen Fassungskraft, die durch Bilder aus der niedern Welt das Höhere, Göttliche sich einigermaßen näher bringen möchte. Jedes Gleichnis ist mehr dem Menschen nützlich als Gott entsprechend, weil es den Begriff mehr andeutet als ausfüllt. Auf Grund dieser Erwägungen will Hilarius 1
Tractatus de studiis raonasticis. Latine vertit I. P o r t a I, Venet. 1745, 134. Es sind dies die Kapitel 18 und 19 des ersten Buches „De Trinitate" (M., P. L. X 38—40). Mabillon bemerkt über diese Texte, deren Gedankengang wir oben angeben: „Nihil autem super hoc (sc. theologia scholastica) iucundius ac opportunius legendum nobis occurrit, quam quod monet S. Hilarius lib. 1 De Trinitate." 2
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sein Werk so einrichten und in Angriff nehmen, daß er von Gott mit den Worten Gottes redet und zugleich der menschlichen Fassungskraft durch Bilder und Analogien, die den endlichen menschlichen Verhältnissen entnommen sind, zu Hilfe kommt1. Die in diesen Ausführungen des hl. Hilarius enthaltenen theologischen Arbeitsgrundsätze werden uns der Sache und dem Wesen nach auch bei den scholastischen Denkern begegnen. Es ist dies die besonders vom hl. Anselm von Canterbury, dem Vater der Scholastik, ausgesprochene und ausgebildete Idee des „fides quaerens intellectum", das Bestreben, in die göttlichen Geheimnisse den wahrheitsuchenden Geist hineinzuversenken und diese erhabenen Wahrheiten durch geschöpfliche Analogien und Gleichnisse dem begrenzten menschlichen Denken näher zu bringen. Hilarius nimmt unter den von den mittelalterlichen Scholastikern benützten und zitierten Vätern keine unbedeutende Stellung ein. Seine Werke, besonders „De Trinitate", auch sein Psalmen- und Matthäuskommentar, finden sich in den Katalogen mittelalterlicher Bibliotheken verzeichnet2 und in Sentenzen werken und Summen zitiert. So ist z. B. „De Trinitate" bei Abälard vierzehn Mal3, bei Petrus Lombardus achtundsiebzig Mal4 zitiert. Vornehmlich hat seine Appropriationslehre Beachtung und Verwertung seitens der mittelalterlichen Scholastiker gefunden5. Von den griechischen Vätern beeinflußt ist auch der hl. Ambrosius. „Ambrosius ist nicht der theoretisch geschulte, auf die spekulative Erfassung und Durchdringung des Glaubens gerichtete griechische Theolog des dogmatischen Zeitalters der Kirche, sondern der philosophisch, rhetorisch und juristisch wohl unterrichtete praktische Römer."6 Seine Schriften verfolgen dementsprechend weniger spekulative als praktische Tendenzen und kommen deswegen hauptsächlich in der moralisch-aszetischen, exegetischen und in der Sermonenliteratur des Mittelalters zur Geltung. „Am mächtigsten", bemerkt mit Recht M. Schanz 7 , „wirkte Ambrosius auf die späteren 1
„Pergimus itaque de Deo locuturi Bei verbis, sensum nostrum rerum nostrarum specie imbuentes" (De Trinit. 1, 19; M., P. L. X 39—40). 2 Vgl. B e k k e r , Catalogi bibliothecarum antiqui, Bonnae 1885, 107. 3 K a i s e r , Pierre Abölard, Fribonrg 1901, 72. 4 0. B a l t z e r . Die Sentenzen des Petrus Lombardus, Leipzig 1902, 2. 5 Vgl. S. T h o m a s , Sent. I, d. 31, q. 2, a. 1. 6 N i e d e r h u b e r , Die Eschatologie des hl. Ambrosius, Paderborn 1907, Vorwort. 7 Geschichte der römischen Literatur, 3. Tl, 332.
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Generationen dadurch, daß seine gewaltige Persönlichkeit einen Augustinus für die Kirche gewonnen hat, durch dessen wunderbaren Genius der Okzident die führende Rolle in der Theologie errang.ft Der hl. H i e r o n y m u s hat wohl auf die exegetischen Leistungen des Mittelalters einen bedeutsamen Einfluß ausgeübt, er war aber zu wenig Dogmatiker und zu wenig spekulativ veranlagt, um auf die Gestaltung der mittelalterlichen theologischen Methode einen Einfluß gewinnen zu können. „In die Tiefen der Gedankenwelt hinabzutauchen, ist ihm versagt gewesen. Mit philosophischem Öle war er nicht gesalbt. Die dogmengeschichtliche Entwicklung in neue Bahnen zu lenken, war er nicht berufen." 1 Indessen sind für die Geschichte der scholastischen Methode die Briefe des hl. Hieronymus, namentlich seine „Epistola ad Magnum"2 beachtenswert. Hieronymus, als Verfasser der Schrift „De viris illustribus" ein gründlicher Kenner der theologischen Literaturgeschichte, hat in diesem Briefe die Frage über die Verwendung der weltlichen Wissenschaften in der Theologie prinzipiell und geschichtlich behandelt. Er beruft sich zur Rechtfertigung dieser Benützung profaner Wissenszweige für theologische Zwecke auf das Vorbild der Heiligen Schrift, die auch heidnisches Wissen, besonders die Philosophie, berücksichtigt. Namentlich weist er auf den hl. Paulus hin, der, ein David auf dem Gebiete der Glaubensverteidigung, den Händen der Feinde das Schwert profanen Wissens entwunden und das Haupt des stolzen Goliath mit dessen eigener Waffe vom Rumpfe getrennt hat 3 . Sodann zählt Hieronymus, von den Apologeten Quadratus, Athenagoras usw. angefangen, alle „scriptores ecclesiastici saecularibus litteris eruditi" auf und gibt hiermit gewissermaßen einen geschichtlichen Überblick über die Anfänge und Ansätze der scholastischen Methode in der ihm vorausgehenden Väterzeit. Klemens von Alexandrien gilt ihm als „omnium eruditissimus". Ihn ahmte Origenes nach, „ehristianorum 1
B a r d e n n e w e r , Hieronymus. Rektoratsrede, München 1905, 19. H a r n a c k (Lehrbuch der Dogmengeschichte III 8 27) bemerkt, über Hieronymus: „Fast kann man von ihm in der Dogmengeschichte schweigen/ 2 S. Hieronymi Epist. 62 Ad Magnura, oratorem TJrbis Romae (M., P. L. XXII 664—668). 5 „Ac ne parum hoc esset, ductor christiani exercitus (sc. S. Paulus) et orator invictus pro Christo causam agens, etiam inscriptionem fortuitam arte torquet ad argumentum fidei. Didicerat enim a vero David extorquere de manibus hostium gladium et Goliae superbissimi caput proprio mucrone truncare* (ebd. n. 4; 667).
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et philosophorum sententias inter se comparans et omnia nostrae religionis dogmata de Piatone et Aristotele, Numenio Cornatoque confirmans"*. Hieronymus schließt diesen geschichtlichen Rundgang in der griechischen Patristik mit den Kappadoziern: „Qui omnes intantum philosophorum doctrinis et sententiis suos resarciunt libros, ut nescias quid in Ulis primum admirari debeas eruditionem saeculi an scientiam Scripturarum."2 Hierauf wendet sich Hieronymus der lateinischen Patristik zu und hebt hier besonders Tertullian hervor: „Quid Tertulliano eruditius, quid acutius? Apologeticus eius et contra Gentes libri cunctam saeculi obtinent disciplinam." 3 An der Hand dieses Briefes des hl. Hieronymus, den auch der hl. T h o m a s 4 in Fragen der theologischen Methode zitiert, entwickelt L. T h o m a s s i n 5 den „progressus scholasticae dogmaticaeque theologiae ab ipsis Ecclesiae primordiis". In der voraugustinischen Patristik kommt noch Marius Vikt o r i n u s Afer 6 für die Geschichte der Anfänge des Scholastizismus der Väterzeit in Betracht. Er hat aristotelische und neuplatonische Schriften ins Lateinische übertragen und ist hierdurch auch für den hl. Augustin, der ihn als Übersetzer von „libri Platonicorum" und als „doctissimus senex et omnium liberalium doctrinarum peritissimus" rühmend hervorhebt7, nicht ohne Einfluß gewesen. Marius Viktorinus ist auch nach seiner Bekehrung zum Christentum neuplatonischer Philosoph geblieben und hat in seinen theologischen Schriften mehr als irgend ein anderer Vater das neuplatonische System auf die christliche Lehre angewendet. Es ist ihm wohl nur der griechische Kirchenschriftsteller S y n e s i u s von Cyrene in Bezug auf eine solche Verschmelzung von Neuplatonismus und Christentum an die Seite zu stellen. In seinem Kommentar zum Epheserbrief spricht Marius Viktorinus sich zutreffend über das Verhältnis von Glauben und Wissen 1
2 3 M.? P. L. XXII 667. Ebd. 667 u. 668. Ebd. 668. In Boethium De Trinitate q. 2, a. 3. Thomas führt hier in der Frage: „TJtrum in scientia fidei, quae est de Deo, liceat rationibus physicis uti" eine Stelle aus dieser „Epistola ad Magnum* als Autorität ins Treffen. 5 Dogmata theologica. Tractatus primus: De Prolegomenis Theologiae c. 44 u. 45 (ed. Vives I 275 sq). 6 Vgl. G o d e h a r d G e i g e r , C. Marius Viktorinus Afer, ein neuplatonischer Philosoph (Programm), Metten 1888, 1889; R e i n h o l d S c h m i d , Marius Viktorinus Rhetor und seine Beziehungen zu Augustin (Diss.), Kiel 1905. 7 Confess. 7, c. 9, n. 13; 8, c. 2, n. 3. Über die Beziehungen zwischen Marius Viktorinus und Augustin vgl. R. S c h m i d a. a. 0. 68 ff. 4
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also aus: „Ordo est, ut prior fides est, qui enim credit, is ad scientiam venit. Sie enim scriptum est: credideritis, tunc intelligetis."* Auf die Folgezeit haben die theologischen Schriften des Vikt o r i n u s Afer keinen bemerkenswerten Einfluß ausgeübt. Er dürfte deswegen zu hoch eingeschätzt sein, wenn ihn U s e n e r bezeichnet als den „Vermittler der neuplatonischen Literatur und Begründer der Schulphilosophie der Römer, den Ausgangspunkt jener abendländischen Entwicklungsreihe, die in einer fast stetigen Folge zur Scholastik hinführt; dessen im Greisenalter vollzogener Übertritt zum Christentum vorbildlich geworden ist für die Verbindung von Dogma und Philosophie"2. Derjenige Kirchenvater, der sowohl in inhaltlicher wie methodischer Hinsicht auf den Werdegang der Scholastik des Mittelalters einen Einfluß von unabsehbarer Tragweite ausgeübt hat, ist Augustinus. § 2. Die vorbildliche Bedeutung des hl. Augustinus für die scholastische Methode. Augustinus ist „das größte Genie unter den Theologen der römischen Kirche"3, „einer von jenen Geistern, in welchen hundert andere wohnen" 4, er gleicht „einem Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, dessen Blätter nicht verwelken und auf dessen Zweigen die Vögel des Himmels wohnen"5. „Der tiefste Denker dieses neuen Zeitraumes der Metaphysik, zugleich der mächtigste Mensch unter den Schriftstellern der ganzen älteren Welt ist Augustinus gewesen, und es schien, als ob er zu einer der großen Realität des Christentums entsprechenden Grundlegung der christlichen Erkenntnis hindurchdringen werde. Was des Origenes milder Geist, von den andern wissenschaftlich geringeren griechischen Vätern zu schweigen, versucht hatte, erreichte die stürmische Seele des Augustinus für lange Jahrhunderte: er verdrängte und überbot die antike Weltanschauung durch ein umfassendes Lehrgebäude der christlichen Wissenschaft."6 Augustins welthistorische Persönlichkeit trägt den Stempel der Universalität an sich. Ihr eignet Universalität des Geistes und 1 2 3 4 5 6
M., P. L. VIII 1269. Anecdoton Holderi, Bonn 1877, 61. G r e g o r o v i u s , Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter 1 4 162. S t a u d e n m a i e r , Joh. Skotus Erigena, Frankfurt 1834, 274. H a r n a c k , Lehrbuch der Dogmengeschichte III 3 60. D i l t h e y , Einleitung in die Geisteswissenschaften I, Leipzig 1883, 326.
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des Wissens. Durch die Gebiete des philosophischen und theologischen, des theoretischen und des praktischen Wissens hat Augustin mächtige Furchen gezogen. Mit Recht heißt es in der Unterschrift unter einem in den Überresten des alten Lateranischen Palastes ausgegrabenen, Augustin darstellenden Freskogemälde aus dem 6. Jahrhundert, daß, während andere Väter einzelnes lehrten, der hier dargestellte in lateinischer Sprache mit wuchtigen Worten alle Fragen der Theologie behandelt habe1. An Augustin bemerken wir auch die Universalität der Einwirkung. Sein Einfluß auf die ganze Folgezeit überragt den Einfluß, den Origenes, der am meisten mit Augustin vergleichbare patristische Genius, auf den Orient ausgeübt hat. Aus der Gesamtsumme der augustinischen Einwirkungen auf das Mittelalter haben wir speziell seinen Einfluß auf die Ausbildung der scholastischen Methode herauszuheben und gesondert für sich zu betrachten. Augustinus ist für die Methode der mittelalterlichen Spekulation hochbedeutsam, ja grundlegend durch seine Verwertung der Dialektik für die Theologie, durch seine Auffassung des Verhältnisses zwischen Glauben und Wissen und durch seine Ansätze zu einer Systematik der Offenbarungswahrheiten. Auch die äußere Technik der scholastischen Methode, die Form und Struktur des mittelalterlichen Wissenschaftsbetfiebes konnte sich an augustinischen Vorlagen und Vorbildern mannigfach orientieren. Die ganze Signatur des philosophisch-theologischen Forschens und Arbeitens bis hinein in das 13. Jahrhundert ist vornehmlich von Augustinus bestimmt, und auch die in der eigentlichen Hochscholastik dem größten Kirchenvater erwachsene aristotelische Konkurrenz konnte das augustinische Gepräge der philosophischen und namentlich theologischen Darstellung keineswegs verwischen. a) Dialektik und Theologie.
Schon der ganze geistige Entwicklungsgang Augustins drängte ihn zu einer zielbewußten Heranziehung der Dialektik und überhaupt des profanen Wissens für den Dienst der heiligen Wissenschaft. Sein reiches, außerhalb der christlichen Weltanschauung stehendes Wissen, das er sich in seiner vorchristlichen Lebensperiode erworben, suchte und fand nach seiner Bekehrung einen Ausgleich, eine Synthese mit der von seiner großen Seele heilsbegierig aufgenommenen 1
"Vgl. G. y. H e r t l i n g , Augustinus2, München 1904, 111.
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Ideenwelt des Christentums dadurch, daß seine rhetorische Begabung der paränetisch-praktischen Entwicklung und Darlegung der christlichen Wahrheit, seine dialektisch-philosophische Vorbildung, seine Vertiefung in die neuplatonische Gedankenwelt der spekulativen Durchdringung des Offenbarungsinhaltes zu gute kam1. Augustinus, der eine größtenteils verloren gegangene Sammlung von Abhandlungen über die freien Künste2, eine Enzyklopädie der artes liberales in Angriff genommen hatte, hat sich über die Verwertbarkeit der weltlichen Wissenszweige, vor allem der Dialektik, für .die Darlegung, Begründung und Verteidigung der christlichen Wahrheit unzweideutigst ausgesprochen. In der Schrift „De ordine"3 charakterisiert er die Dialektik, die „disciplina disciplinarum", also: „Haec docet docere: in hac seipsa ratio demonstrat atque aperit, quae sit, quid velit, quid valeat. Seit scire: sola scientes facere non solum vult, sed etiam potest." Das zweite Buch der Schrift „De doctrina christiana", das ein System der profanen Bildungsstudien vom Gesichtspunkte der Heiligen Schrift aus entwirft, enthält auch ein Kapitel: „Quid iuvet dialectica". Hier ist die Verwendbarkeit der Dialektik für das Studium der Heiligen Schrift also hervorgehoben4: „Disputationis disciplina ad omnia genera quaestionum, quae in sanetis libris continentur, plurimum valet." In demselben! Buche drückt sich Augustin über die Brauchbarkeit philosophischer, namentlich platonischer Schriften für theologische Zwecke in folgender Weise aus 5 : „Philosophi autem, qui vocantur, si qua forte vera et fidei nostrae aecommoda dixerunt, maxime Platonici, non solum formidanda non sunt, sed ab eis tamquarn ab iniustis possessoribus in usum nostrum vindicanda." Er wendet hier 1 G r a n d g e o r g e , Saint Augustin et 1e neo-platonisme, Paris 1896, 150; v. H e r t l i n g a. a. 0. 27 40; Die Bekenntnisse des hl. Augustinus2, Freiburg 1907, 11. 2 Augustin beklagt in seinen „Retraktationes" den Verlust seiner Schriften über Dialektik, Rhetorik, Geometrie usw., meint jedoch, sie müßten sich in Abschriften noch bei einigen finden. H a r n a c k , Die Retraktationen Augustins 31. Nach den Maurinern sind die unter den Schriften Augustins überlieferten Abhandlungen : De grammatica liber, Principia dialectices, Principia rhetorices, Categoriae decem ex Aristotele decerptae alle unecht. Nach Prantl, Crecelius u. a. sind die „Principia dialectices* als echt zu erhalten. Vgl. P o r t a l i e , Saint Augustin, in Dictionnaire de thäologie catholique I 2289; E g g e r s d o r f e r , Der hl. Augustin als Pädagoge, 91 f; R e u t e r , Augustinische Studien 454. 3 L. 2, c. 13, n. 38. 4 5 De doctrina christ. 1. 2, c. 31, n. 48. Ebd. 1. 2, c. 40, n. 60.
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zur Illustrierung des Verhältnisses zwischen heidnischer und christlicher Bildung den schon von Origenes gebrauchten Vergleich mit den goldenen und silbernen Gefäßen, Schmucksachen und Gewändern der Ägypter an. Wie das Volk Israel die Götzenbilder der Ägypter verabscheute, jedoch auf Gottes Befehl deren goldene und silberne Gefäße, Schmucksachen und Gewänder bei seinem Wegzuge heimlich zu besserem Gebrauch an sich nahm, so soll der Christ die falschen, abergläubischen Fabeln und die Irrtümer der heidnischen Wissenschaften beiseite liegen lassen, hingegen die zum Dienste der Wahrheit geeigneten freien Künste zur Verkündigung des Evangeliums in rechter Weise gebrauchen. Augustinus rechtfertigt diese Benützung der heidnischen Philosophie für christliche Zwecke auch mit dem Hinweis auf das Beispiel der lateinischen und griechischen Väter 1 : „Nam quid aliud fecerunt multi boni fideles nostri? Nonne adspicimus quanto auro et argento et veste sussarcinatus exierit de Aegypto Cyprianus doctor suavissimus et martyr beatissimus ? quanto Lactantius; quanto Victorinus, Optatus, Hilarius, ut de vivis taceam ; quanto innumerabiles Graeci?" Wenn Augustinus gegen Ende seines Lebens den profanen Wissenschaften gegenüber sich etwas kälter verhielt, und wenn er in seinen „Retractationes" es mißbilligte, daß er die disciplinae liberales zu sehr bevorzugt und der heidnischen Philosophie zu viel Lob gespendet habe2, so darf man aus dieser der Gewissenhaftigkeit des großen Kirchenvaters entsprungenen Einschränkung im Lobe des weltlichen Wissens keineswegs auf eine „für die 1
De doctrina christ. 1. 2, c. 40, n. 61. Andere Stellen, an denen Augustin sich über die Verwendung heidnischer Wissenschaften, namentlich der Dialektik für christliche Zwecke ausspricht, sind De ordine 1. 1, c. 8, n. 24; 1. 2, c. 9, n. 26; Contra Cresconium 1. 1, c. 13sqq; Ep. ad Dioscor. c. 3, n. 21; De civit. Dei 1. 18, c. 41, n. 2; Retract. 1. 1, c. 1, n. 4 u. a. m. Vgl. auch E g g e r s d o r f e r , Der hl. Augustin als Pädagoge 63 ff 107 ff; Fr. W ö r t e r , Die Geistesentwicklung des hl. Aurelius Augustinus bis zu seiner Taufe, Paderborn 1892, 38 ff 140 f; H a n s B e c k e r , Augustin. Studien zu seiner geistigen Entwicklung, Leipzig 1908, 25 ff 62 ff; W i l h . T h i e m e , Augustins geistige Entwicklung in den ersten Jahren nach seiner Bekehrung 386—391, Berlin 1908, 60—64. 2 Retract. 1. 1, c. 3, n. 4 u. 10. H a r n a c k , Die Retraktationen Augustins 11ff. E g g e r s d o r f e r a. a. O. 111. R e u t e r , Augustinische Studien 451 ff. Es ist zu bedenken, daß Augustin eine Entwicklung durchgemacht, und daß namentlich seine Erhebung zum Bischof einen Übergang zum tätigen Leben bedeutet. Er verlangt selbst (Ep. 143, n. 2), daß man seine Werke in der Ordnung lese, in der sie geschrieben worden sind.
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Wissenschaft feindselige Stimmung" schließen, wie dies E u c k e n 1 getan hat. Die Gedanken Augustins über die propädeutische Bedeutung der weltlichen Studien für die heilige Wissenschaft haben auf den Wissenschaftsbetrieb und das Unterrichtswesen des Mittelalters einen richtunggebenden Einfluß ausgeübt. Sein Werk „De doctrina christiana", dessen zweites Buch „ein System der säkularen Bildungsstudien vom Gesichtspunkt der Heiligen Schrift aus" enthält, ist für die mittelalterliche Methodologie und Enzyklopädie der kirchlichen Wissenschaften normativ geworden2. Zur Verteidigung der Verwertung der Dialektik für die Theologie kann sich A b ä l a r d 3 auf Stellen des „excellentissimus Doctor Augustinus" berufen. Auch die aus dem Verhältnis des absolut Einen zur Welt und zum Menschen genommene augustinische Emteilung des profanen Wissens in Physik (Gott = causa subsistendi), Logik (Gott = causa intelligendi) und Ethik (Gott = causa vivendi) kam bei den Denkern namentlich der Vor- und Frühscholastik zur Geltung und Anwendung4. Dadurch, daß Augustinus der Anwendung der Dialektik auf die heilige Wissenschaft das Wort redete und selbst praktisch die Philosophie für die Erfassung und den Erweis der Glaubenswahrheit in der weitest gehenden Weise heranzog, hat er Vernunft und Glauben miteinander in Beziehung gebracht, das Problem von Glauben und Wissen in einer für die Scholastik entscheidenden Form in Behandlung genommen. b) Glauben und Wissen 5 .
Der in der antiken Literatur (Sokrates, Plato, Aristoteles, Cicero) in einer allgemeinen metaphysischen und speziellen ethischen Bedeutung verwertete Begriff der Autorität wurde von Augustinus 1
Die Lebensatischauungen der großen Denker5 220. Vgl. über diesen Einfluß F. A. S p e c h t , Geschichte des Unterrichtswesens in Deutschland (1885) 46 ff, 3 Introductio ad theologiam 1. 2. (M., P. L. CLXXVIII 1040-1041). Abälard beruft sich auf De ordine 2, c. 13, n. 38; De doctrina christ. 2, 31, n. 48; 2, 405 n. 60. 1 L. B a u r , Dominicus Gundissalinus, in De divisione philosophiae, Münster 1903, 195. M a r i e t a n , Probleme de 1a classification des sciences d'Aristote ä St Thomas, Paris 1901, 54—62. 5 Über Augustins Lehre vom Verhältnis zwischen Glauben und Wissen handeln G a n g a u f , Verhältnis zwischen Glauben und Wissen nach den Prinzipien des Kirchenlehrers Augustinus. Augsburger Gymnasial-Programm (1851); H ä h n e l , Glauben und Wissen bei Augustin. Programm, Chemnitz 1891; 2
Grabmann, Scholastische Methode. I.
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in einem theologisch-dogmatischen Sinne zur Erklärung des „credere", des christlichen Glaubens angewendet1. Auctoritas und ratio, diese beiden Triebräder der mittelalterlichen Spekulation, werden von Augustinus in ihrer Eigenart und in ihrer gegenseitigen Beziehung besprochen2. Die Wertschätzung der Autorität der Kirche hat ihm die Worte inspiriert: „Ego vero Evangelio non crederem, nisi catholicae ecclesiae me commoveret auctoritas."3 Die unbedingteste Hingebung an die Autorität der Heiligen Schrift klingt aus der folgenden, auch vom hl. Thomas4 allegierten Äußerung Augustins: „Solis eis Scripturarum libris, qui canonici appellantur, didici hunc timorem honoremque deferre, ut nulluni auctorem eorum in scribendo aliquid errasse firmissime credam."5 Augustin hat der Folgezeit auch das leuchtende Beispiel der Hochachtung vor den heiligen Vätern gegeben: „Quod credunt (sc. Patres), credo; quod tenent, teneo; quod docent, doceo; quod praedicant, praedico."6 So sehr Augustin die Bedeutung der auctoritas hervorhebt, so sehr ist er sich auch über die Wichtigkeit und Notwendigkeit der ratio, der Vernunfttätigkeit für das Ergreifen, Durchdringen und hienieden mögliche Verstehen der göttlichen Wahrheit klar. Seine Anschauung über das Verhältnis von Glauben und Wissen kleidet Augustinus in die berühmte Formel: „Intellige, ut credas, crede, ut intelligas.u 7 Eine nähere Ausführung dieses Gedankens ist die Stelle: „Alia sunt enim, quae nisi intelligamus, non credimus, S c h w e n k e n b a c h e r , Augustins Wort: fides praecedit intellectum erörtert nach dessen Schriften. Programm, Sprottau 1899; N o u r r i s s o n , La phüosophie de St Augustin II 2 , Paris 1866, 282—290; D u p o n t , La philosophie de St Augustin, Louvain 1881, 12—22; S t o r z , Die Philosophie des hl. Augustinus, Freiburg 1882, 85—101; D o r n e r , Augustinus, Berlin 1873, 233—244; Fr. Böhr i n g e r . Die Kirche und ihre Zeugen I 3 , Zürich 1845, 247 ff; P o r t a l i e , St Augustin, in Dictionnaire de theologie catholique I 2337 ff; Z ä n k e r , Der Primat des Willens vor dem Intellekt bei Augustin, Gütersloh 1907, 109 ff; G r a b m a n n , Die philosophische und theologische Erkenntnislehre des Kardinals Matthäus von Aquasparta, Wien 1906, 143 ff. 1 Vgl. F r a n z v. T e s s e n - W e s i e r s k i , Der Autoritätsbegriff in den Hauptphasen seiner historischen Entwicklung, Paderborn 1907, 65 ff. 2 De utilitate credendi c. 16, n. 34 ff; De quantitate animae c. 7, n. 12; Contra Academicos 1. 3, c. 20; De ordine 1. 2, c. 9, n. 26 f; De moribus Ecclesiae cath. c. 2, n. 3. 3 Contra epist. Manichaei quam vocant fundamenti c. 5. 4 5 S. th. 1, q. 1, a. 8 ad 3 m . Ep. 82 ad Hieronymum n. 3. 6 7 Contra Iulianum 1.1, c. 5, n. 20. Sermo 43, c. 7, n. 9.
Die lateinische Patristik und die scholastische Methode.
et alia sunt, quae nisi credamus, non intelligimus. Proficit ergo noster intellectus ad intelligenda, quae credat, et fides proficit ad credenda, quae intelligat.u 1 Das Wissen geht nach Augustin dem Glauben voraus. Wir müssen wissen, daß eine Gottesoffenbarung an die Menschheit erfolgt ist, bevor wir deren Inhalt gläubig aufnehmen. Und auch die gläubige Aufnahme der Heilswahrheit, der Glaubensakt, geschieht mit der freilich übernatürlich erhobenen Vernunft. Auch das Glauben ist Denken: „Ipsum credere nihil aliud est quam cum assensione c o g i t a r e / 2 Ist nun die Offenbarungslehre durch den Glauben ergriffen, dann sucht der übernatürlich erhobene Menschengeist diese Glaubenswahrheit tiefer zu erfassen und so zum Wissen vorzudringen. Augustinus gebraucht in diesem Sinne oftmals die Isaiasstelle 7, 9, und zwar, mit einer einzigen Ausnahme, wo er die Stelle im Sinne der Vulgata: Nisi credideritis, non permanebitis anführt3, immer in der SeptuagintaVersion: „Nisi credideritis, non intelligetis."4 Dieses zum Glauben hinzutretende Wissen ist kein vollendetes Wissen, kein restloses Begreifen der Mysterien, sondern ein durch übernatürliche Gnadenwirkung bedingtes, unserem Diesseitszustand entsprechendes Verständnis der christlichen Wahrheit. Es ist dies ein Wissen, das den Glauben keineswegs beseitigt, sondern denselben vielmehr nährt, stärkt und befestigt: „(Hac scientia) fides saluberrima, quae ad veram beatitudinem ducit, gignitur, nutritur, defenditur, roboratur."5 Sehr ansprechend und klar hat Augustinus in seiner 410 geschriebenen Epistola 120 ad Consentium seine Anschauungen über die Beziehungen zwischen Vernunfttätigkeit und Glaubensfestigkeit 1
Enarr. in Ps. 118, sermo 18, n. 3. De praedestinatione Sanctorurn c. 2, n. 5. 3 De doctrina Christ. 1. 2, c. 12, n. 17. 4 Z. B.: De Trinit. 1. 15, c. 2, n. 2: „Fides quaerit, intellectus invenit, propter quod ait Propheta Is 7, 9: Nisi credideritis, non intelligetis." Ebd. 1.7, c. 5: „Quod intellectu capi non potest, fide teneatur, donec illucescat in cordibus ille, qui ait per Prophetam: Nisi credideritis, non intelligetis." 5 Ebd. 1. 14, c. 1. Diese Stelle ist vom hl. Thomas (S. th. 1, q. 1, a. 2 contra) als Autoritätsbeweis für den wissenschaftlichen Charakter der sacra doctrina, d. h. der Theologie, zitiert. Sehr treffend bemerkt M a u s b a c h : „Sein (Augustins) Wahlspruch: ,Crede, ut intelligas', den der hl. Anselm der Scholastik übermachte, verspricht der gläubigen Vernunft auch im Dunkel des Geheimnisses Strahlen segensvoller Erkenntnis — ein Abendrot nach dem mühevollen Tagewerk des Glaubens, ein Morgenrot vor dem himmlischen Schauen" (Kernfragen christlicher Welt- und Lebensanschauung8 ». *, M.-Gladbach 1905, 32). 9* 2
Die Anfänge der scholastischen Methode in der Patristik.
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präzisiert1. Er betont hier, daß Gott, der Schöpfer unserer Vernunft keineswegs will, daß durch den Glauben die Vernunft verdrängt werde. Wir könnten nicht glauben, wenn wir nicht vernunftbegabte Seelen besitzen würden. Die Vernunft ist vor und nach dem Glaubensakte tätig. Die Vernunft ist nach dem Glaubensakte tätig. Der Glaube geht bei den Glaubensgeheimnissen, die über jede Vernunfteinsicht und Vernunftahnung erhaben sind, dem Wissen voraus. Hat aber das Geheimnis durch den Glauben in unserer Seele Eingang und Leben gefunden, dann kann der durch die Gnade gereinigte und gestärkte Menschengeist Einsicht in den Glaubensinhalt gewinnen gemäß Is 7, 9. Die Vernunft ist auch vor dem Glaubensakte in Tätigkeit, insofern sie uns Vernunftgründe darbietet, welche uns bereden, die geoffenbarte Wahrheit glaubensfreudig anzunehmen. Augustinus versteht es sonach vorzüglich, die Stellung der Vernunft in der Psychologie des Glaubens ohne Beeinträchtigung des letzteren zu wahren und somit Glauben und Wissen in harmonisches Verhältnis zu bringen. Die Idee des „fides quaerens intellectum", womit Anselm von Canterbury die eigentliche Scholastik inauguriert, ist bei Augustin zur scharfen und klaren Aussprache und auch zur zielbewußten Anwendung und Verwirklichung gelangt. Mit Recht bemerkt S t a u d e n m a i e r 2 : „Die große Idee einer spekulativen Vermittlung zwischen Glauben und Wissen haben wir Augustinus zu verdanken." Wer die einschlägigen augustinischen Texte im Zusammenhang betrachtet und würdigt, der wird die An1
Wenn auch der ganze gedankenschwere Brief dieser Frage gewidmet ist, so kommen doch die leitenden Ideen hauptsächlich in n. 3 dermaßen zum Ausdruck: „Absit namque, ut hoc in nobis Deus oderit, in quo nos reliquis animantibus excellentiores creaverit, absit, inquam, ut ideo credamus, ne rationem accipiamus sive quaeramus, cum etiam credere non possemus, nisi rationales animas haberemus. Ut ergo in quibusdam rebus ad doctrinam salutarem pertinentibus, quas ratione percipere nondum valemus, sed aliquando valebimus, fides praecedat rationem, qua cor mundetur, ut magnae rationis capiat et perferat lucem, et hoc utique rationis est et ideo rationabiliter dictum est per prophetam: Nisi credideritis, Bon intelligetis, ubi procul dubio discrevit haec duo deditque consilium, quo prius credamus, ut id, quod credimus, intelligere valeamus; proinde, ut fides praecedat rationabiliter iussum est. Nam si hoc praeceptum rationabile non est, ergo inrationabile est; absit. Si igitur rationabile est, magnam quandam, quae capi nondum potest, fides antecedat rationem, procul dubio quantulacumque ratio, qua hoc persuadet, etiam ipsa antecedit fidem." 2 Joh. Scotus Erigena 274.
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schauung D o r n e r s 1 , die Lehre vom Glauben sei das Dunkelste, was Augustin geschrieben, nicht teilen können, der wird sich über die Behauptung H a r n a c k s 2 , „daß Augustin sich über das Verhältnis vom Glauben und Wissen nie klar geworden sei und übermäßig den Glauben auf Kosten der Vernünftigkeit und des Wissens betont habe", höchlichst wundern. Daß derartige Werturteile über Augustin des realen Fundamentes entbehren, erhellt nicht bloß aus der obigen Darstellung der augustinischen Lehre vom Glauben und Wissen, man ersieht dies auch daraus, daß die Scholastiker ihre apologetischen Beweise für die Wahrheit des Christentums fast ausschießlich aus Gedanken Augustins schöpfen3. So hat z. B. der scharfsinnige Franziskanertheolog Matthäus von Aquasparta seine ausführlichen und gedankenreichen apologetischen Beweise für die Wahrheit des christlichen Glaubens fast mosaikartig aus herrlichen Augustinusstellen zusammengefügt4. Bei der spekulativen Begründung der christlichen Wahrheit, bei der ratio theologica, nehmen in der Scholastik gerade Augustinusstellen und augustinische Ideengänge eine bedeutsame Stelle ein. Augustinus, dem mitunter, freilich ohne Grund, sogar der Vorwurf einer zu großen Betonung und Bevorzugung der Vernunfteinsicht in der Darlegung der christlichen Wahrheit gemacht wurde5, Augustinus, der dem Consentius zuruft: „Intellectum valde ama"6, soll nach Harnack7 „in seiner Zuversicht der Rationalität der christlichen Wahrheit aufs tiefste erschüttert sein"! Augustinus hat der gesamten späteren Theologie, vor allem auch der Scholastik des Mittelalters, den Weg gezeigt und geebnet, auf welchem der durch das Glaubenslicht erleuchtete Menschengeist mit Mut und Energie zu einer Einsicht in den Organismus und Pragmatismus der höheren Geheimnisse des Christentums emporsteigen konnte. 1
Augustinus, Berlin 1873. Lehrbuch der Dogmengeschichte III 3 119 A. 3 Über die Apologetik des hl. Augustinus vgl. J . M a r t i n , L'Apologötique traditionelle partie I re , Paris 1905, 115—199. 4 Vgl. G r a b m a n n , Die philosophische und theologische Erkenntnislehre des Kardinals Matthäus von Aquasparta 125 ff. 5 Näheres hierüber siehe S c h e e b e n , Dogmatik 1370; K l e u t g e n , Theologie der Vorzeit III 821; D e n z i n g e r , Vier Bücher von der religiösen Erkenntnis II, Würzburg 1857, 107 ff. 6 Epist. 120 ad Consentium n. 13. 7 A. a. 0. 73. 2
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Die Anfänge der scholastischen Methode in der Patristik. c) Systematik.
Das Bestreben Augustins, in den Inhalt der Glaubenswahrheiten mit der übernatürlich gereinigten und geführten Vernunft vorzudringen, mußte zu einem tiefen Einblick in die inneren Zusammenhänge, in die organische Einheit der christlichen Glaubensgeheimnisse führen und zur systematischen Darstellung dieses erhabenen Wahrheitenkomplexes mächtig anregen. Augustinus hat von verschiedenen Standorten aus das weite, von unermeßlichen Horizonten umgrenzte Land der christlichen Wahrheit überschaut, er hat den gewaltigen Eindruck, den solch eine Überschau über das übernatürliche Wahrheitsgebiet auf seine große gottsuchende Seele gemacht hat, in Schriften mehr systematischen Charakters ausgesprochen, er hat den mittelalterlichen Denkern weittragende Gesichts- und Richtpunkte für die Struktur und Architektonik theologischer Systeme dargeboten. Die Schrift „De doctrina christiana" (397 begonnen, gegen 426 vollendet) stellt in ihrem ersten Teile (Buch 1—3) eine biblische Hermeneutik, in ihrem zweiten Teile (Buch 4) 1 eine Homiletik dar. An die Spitze dieses Werkes2 hat Augustin ein kurzes System der Theologie gestellt und „damit die Wertschätzung der systematischen Theologie wesentlich gehoben"3. In scharfen Umrissen entwirft er ein Gesamtbild der christlichen Glaubenslehre. Die Lehre vom dreieinigen Gotte und dem unfaßbaren Wesen Gottes, von der Menschwerdung Christi und von der Heilung und Heiligung der Menschen in der Kirche Christi, endlich die Lehre von Tod und Auferstehung, also alle die Themata, welche die mittelalterlichen Summen und Sentenzen in systematischer Einheit zur Darstellung brachten, ziehen hier bei Augustinus in kurzer, scharf gefaßter Form an uns vorüber. Es kommt uns vor, als ob der erste Entwurf der monumentalen systematischen Werke des Mittelalters vor uns liege. Der diesem Aufriß der Glaubenslehre vorausgeschickte Satz: „Omnis doctrina vel rerum est vel signorum, sed res per signa discuntur"4 ist von Petrus Lombardus5 zur Diathese des Stoffes seines Sentenzenwerkes herangezogen worden. Eine systematische Darstellung des katholischen Dogmas ist das um 421 1 „C'est un vrai traite* d'exe*gese, 1e premier en date" ( P o r t a l i e ' , St Augustin, in Dictionnaire de thäologie catholique I 2300. 2 L. 1, n. 9 - 1 9 . 3 E g g e r s d o r f e r , Der hl. Augustin als Pädagoge 140. 4 5 De doctrina christ. 1. 1, c. 2. Sent. I, d. 1, c. 2.
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verfaßte „Enchiridion ad Laurentium sive de fide, spe et caritate über unus", von Portalie1 mit Recht als „admirable Synthese de 1a theologie d'Augustin" bezeichnet. Diese Schrift Augustins ist für die theologische Kompendienliteratur der Scholastik vorbildlich geworden, insofern im Anschluß an dasselbe in diesen kurzgefaßten Darstellungen der Gesamttheologie die christliche Glaubenslehre in den Rahmen der drei göttlichen Tugenden eingefügt wurde. Als typisches Beispiel sei hier das „Compendium theologiae ad fratrem Reginaldum" des hl. Thomas erwähnt, das die compendiosa doctrina de christiana religione unter den Einteilungsgrund der drei göttlichen Tugenden nach augustinischem Vorbild stellt. Systematischen Charakter hat auch die Schrift „De fide et symbolo" (393 verfaßt), eine Auslegung des apostolischen Glaubensbekenntnisses. Das tiefste Werk Augustins sind die fünfzehn Bücher „De Trinitate" (um 416 verfaßt). Die ersten vier Bücher bieten das positive Schriftmaterial über das Trinitätsdogma, die drei folgenden Bücher bringen im Anschluß hieran die Formulierung des Trinitätsdogmas. Die zweite Hälfte des monumentalen Werkes (Buch 8—15) ist der spekulativen Durchdringung dieses erhabenen Geheimnisses gewidmet. Hier sind (namentlich Buch 14, Kap. 1 ff) die Grundsätze der theologischen Erkenntnislehre eingehend und lichtvoll entwickelt. Es hat dieses Werk besonders in seinen spekulativen Partien (es sei bloß an die vom Menschengeist, dem Ebenbild Gottes hergenommene Analogie zur Trinität erinnert) einen tief einschneidenden Einfluß auf die Scholastik ausgeübt. „Pars speculativa huius gigantici operis", bemerkt L. Janssens 2 , „quodlibros omnes adid tempus usque superexcedit, mirandis scholasticorum contemplationibus viam aperuit/ Das bedeutendste Werk Augustins, die zweiundzwanzig Bücher „De civitate Deia (413—426 geschrieben), erscheint „einerseits als eine von den Ideen des Christentums durchwirkte Geschichtsphilosophie und anderseits als eine mit ihr verflochtene großartige Apologie desselben"3. Es ist dieses Werk eine Art theologischer Summa vom 1 A. a. 0. 2302. Zur Analyse dieser augustmischen Schrift siehe Harn a c k , Lehrbuch der Dogmengeschichte I I P 205—211. Augustin sagt über sein „Enchiridion": „Ubi satis diligenter mihi videor esse complexus, quomodo sit colendus Deus, quam sapientiam esse hominis utique veram divina Scriptura definit" (Retract. 2, 63; vgl. ebd. 2, 40). 2 Summa Theologica III: Tractatus de Deo Trino, Friburgi 1900, 5 A. 4. 3 A. v. S c h m i d , Apologetik als spekulative Grundlegung der Theologie, Freiburg 1900, 26. Über den Gedankengang des Werkes „De civitate Dei", den
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Standpunkt der Geschichte aus geschrieben1. Augustins Werk „De civitate Dei" hat auf die Weltanschauung des Mittelalters einen gewaltigen Einfluß ausgeübt. Wenn Spuren historischer Auffassung bei den Scholastikern sich finden, so ist dies hauptsächlich auf die Einwirkung von Augustins „De civitate Dei" zurückzuführen2. Als eine Persönlichkeit, in welcher der mächtige Einfluß der Ideen von Augustins Gottesstaat auf das mittelalterliche Denken in konkreter Weise uns entgegentritt, sei Otto von Freising, der bedeutendste Geschichtsphilosoph des Mittelalters, namhaft gemacht3. Aus Augustins Werk „De civitate Dei" hat die Scholastik eine Fülle von Ideen und Zitaten entnommen. Es wurde dieses Buch des größten Lehrers der katholischen Kirche im Mittelalter viel gelesen, exzerpiert und kommentiert4. Augustin hat demnach von verschiedenen Standpunkten aus die christliche Lehre in ihrer Gesamtheit oder doch weite Gebiete des Offenbarungsinhaltes überschaut und systematisch dargestellt. Er hat der späteren Theologie den großen Gesichts- und Einheitspunkt für den Aufbau eines theologischen Systems an die Hand gegeben, nämlich die ratio Dei, die species aeternitatis. Es ist gleichsam das Echo augustinischer Gedanken, wenn der größte Systematiker Augustin (Retract. 2, 34, 1) selbst entwickelt, vgl. L o o f s , Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte3 412 ff und besonders Zö e k l e r , Geschichte der Apologie des Christentums 159—174. Vgl. auch Bau mg a r t n e r , Geschichte der Weltliteratur IV, Freiburg 1900, 104 ff; G a s t o n B o i s s i e r , La fin du paganisme, Paris 1901, 339—390. 1 S i m l e r , Des Sommes de theologie 24 A. 2: „Le traite de 1a cite de Dieu est une espece de Somme the'ologique redigee au point de vue de l'histoire." 2 Über den Einfluß Augustins auf die mittelalterliche Geschichtsauffassung vgl. E. B e r n h e i m , Lehrbuch der historischen Methode und der Geschichtsphilosophie3 »• *, Leipzig 1903, 639. 3 Siehe J. S c h m i d 1 i n, Die geschichtsphilosophische und kirchenpolitische Weltanschauung Ottos von Freising, Freiburg 1906. 4 Von mittelalterlichen Kommentaren zu Augustins „De civitate Dei" seien erwähnt: T h o m a s W a l l e i s O. Pr. (f nach 1349), In decem primos libros e 22 De civitate Dei S. Augustini expositio, Mogunt. 1473 etc.; N i c o l a u s T r i v e t h O. Pr. (f 1328), In libros S. Augustini De civitate Dei, Mogunt. 1473 etc. (vgl. H u r t e r , Noraenclator literarius theologiae catholicae II 2 563 u. 579); F r a n c i s c u s de M a y r o n i s O. Min. (f 1327), Theologicae veritates in S. Augustini De civitate Dei, Tolosae 1448 (vgl. Cod. Vatic. Lat. 902: Francisci Mayronis veritates collecte ex variis operibus S. Augustini [fol. 1—134: ex libro De civitate Dei]). Einen anonymen Kommentar zur Civitas Dei enthält Cod. Lat. I. 172 Inf. der Bibliotheca Ambrosiana.
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des Mittelalters, Thomas von Aquin, an der Schwelle seines reifsten Werkes, der theologischen Summa, den Satz ausspricht: „Deus est subiectum huius scientiae. Omnia pertractantur in sacra doctrina sub r a t i o n e Dei." 1 Solange das scholastische Denken von augustmischen Inspirationen trotz aller Vorliebe für Aristoteles sich leiten ließ, solange bewahrte es sich auch bei aller Vertiefung in Einzelfragen und Einzeluntersuchungen dennoch die vitale Kraft zum Aufbau theologischer Systeme und Summen. Erst als über einer übertriebenen Dialektik und ungesunden Begriffstechnik der Sinn für Augustinus und die Patristik überhaupt erloschen war, erst dann endigte das Zeitalter der theologischen Summen und brach jäh die Periode des Verfalls der Scholastik an. d) Äußere Technik.
Augustinus hat nicht bloß durch seine Grundgedanken über das Verhältnis der Dialektik zur Theologie, über die Beziehungen zwischen Glauben und Wissen und durch seine weitschauenden systematischen Darstellungen vorbildlich für die Scholastik gewirkt, er hat auch in der Behandlung der einzelnen Materien, in der Anordnung der Fragepunkte, in der Handhabung des Beweisverfahrens, überhaupt in der äußeren Technik des wissenschaftlichen Arbeitens der scholastischen Methode mustergültig vorgearbeitet. Freilich besteht der Unterschied, daß Augustinus sich hier je nach dem Problem, das er behandelt, frei und in den mannigfachsten Formen bewegt und sich keineswegs auf eine bestimmte Schablone, auf bestimmte, stetig wiederkehrende Typen der Problemstellung und des Beweisganges festlegt. Hochbedeutsam ist für die Würdigung des methodischen Verfahrens Augustins seine Schrift „Contra epistolam Manichaei quam vocant fundamenti" (396 oder 397 verfaßt). Er gibt und wendet hier die Regeln und Gesetze an, von denen die Theologen sich bei der Verteidigung der kirchlichen Wahrheit leiten lassen sollen. Er stellt sich hier mit seinen Gegnern auf den gemeinsamen Standpunkt der wissenschaftlich noch nicht gefundenen, mit allem Forschungsernst zu suchenden Wahrheit. Und von diesem Standpunkte ausgehend operiert er mit meisterhafter Dialektik gegen die Argumente der Gegner, löst Einwand um Einwand, erobert siegreich Position um Position und erreicht so, daß die von ihm von Anfang an im Glauben 1
S. th. 1, q. 1, a. 7, c.
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festgehaltene Wahrheit auch wissenschaftlich gerechtfertigt und wohlbegründet dasteht, während die häretische Anschauung des Gegners vor dem Forum einer sachlichen, wissenschaftlichen Überlegung nicht besteht1. Der Kontroversist F r a n z i s k u s V e r o n i u s 2 (f 1649) ist voll des Lobes über diese polemische Methode Augustins und entwickelt eingehend deren Eigenart und Vorzüge. In den Schriften Augustins findet sich eine Fülle von methodisch wertvollen Äußerungen und Anweisungen. Alle Formen der Beweisführung finden wir bei Augustinus angewendet, alle Mittel zur Verdeutlichung und Beleuchtung schwieriger Wahrheits- und Wissensgebiete sind von ihm benützt3. „Augustinus", bemerkt treffend G. v. H e r t l i n g 4 , „ist Meister darin, eine Frage zu erschöpfen, ihr sozusagen von allen Seiten beizukommen, die abstrakteste durch sprechende Bilder zu erläutern, die entlegenste der Erfahrung des Lesers anzunähern." Er äußert sich über die Disputationskunst und schätzt sie nicht als Gelegenheit zur Streitsucht, sondern als Mittel zur Feststellung und Abgrenzung der Wahrheit: „Qui enim disputat, verum discernit a falso."5 Er empfiehlt Ruhe und Mäßigung in Polemik und Disputation6. Mit Nachdruck betont er das ethische Moment beim Wissensbetrieb und richtet eindringlich die Mahnung zur Demut und Mäßigung an den Doctor, den 1
Zur Beurteilung dieser polemischen Methode Augustins dienen folgende Texte: Contra epist. Manichaei n. 3: „Ut autem facilius mitescatis et non inimico animo vobisque pernicioso mihi adversemini, illud quovis iudice irapetrare me oportet a vobis, ut ex utraque parte omnis adrogantia deponatur. Nemo nostrum dicat iam se invenisse veritatem; sie eam quaeramus, quasi ab utrisque njßsciatur. Ita enim diligenter et concorditer quaeri poterit, si nulla temeraria praesumptione jnventa et cognita esse credatur"; ebd. n. 14: „Ego namque catholicam fidem profiteor et per illam me ad certam scientiam perventurum esse praesumo; tu vero, qui fidem meam labefaetare conaris, certam scientiam trade, si potes, ut id, quod credidi, temere me credidisse convincas," Eine Analyse dieser polemischen Methode Augustins gibt L a f o r £ t , Dissertatio historico-dogmatica de methodo theologiae, Lovanii 1849, 75. 2 Methode de traiter des controverses de religion I, Paris 1638, 1, eh. 3. 3 So findet sich bei Augustin mannigfach verwendet das argumentum ex absurdo, • ex auetoritate negativa, ex contrario sensu, ex etymologia, ex loco ad tempus, ex minori ad maius, ex maiori ad minus, ex simili etc. Belegstellen hierfür gibt A n g e l u s C u p e t e o l u s , Theologia moralis et contemplativa S. Augustini I, Venet. 1737, 215 ff. 4 Augustinus 37. 5 Contra Cresconium 1. 1, c. 15, n. 19. 6 Ebd. 1. 4, c. 3, n. 3.
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Lehrer der christlichen Wahrheit: „Si enim malus est, Doctor non est; si Doctor est, malus non e s t / 1 Im Dialog „De magistro" (aus dem Jahre 389) betont Augustinus besonders die Wirksamkeit des göttlichen Faktors beim Erlernen der Wahrheit sich anlehnend an Mt 23, 10: „Unus est magister vester, Christus." Es hat diese Schrift in der mittelalterlichen Literatur Benützung und Nachahmung gefunden2. Augustinus mahnt nicht bloß zur Mäßigung und Umsicht bei der Erforschung, Verteidigung und Darbietung der Wahrheit, er geht selbst allenthalben mit der größten Ruhe und Vorsicht zu Werke. In schwierigen Fragen referiert er oft bloß, ohne eine definitive Entscheidung zu treffen. Er zieht die „diligentia inquirendi* der „temeritas affirmandi" vor3. Es haben auch die Scholastiker, z. B. Petrus Lombardus, Thomas von Aquin, diese Eigentümlichkeit an Augustinus wahrgenommen und manchen seiner Sätze als Referat, nicht als apodiktische Sentenz, gewürdigt4. Mit dieser Ruhe, Mäßigung und Umsicht in der Aufstellung von Behauptungen steht es keineswegs in Widerspruch, daß Augustinus in der Aussprache und Darstellung der einmal erkannten und mit der vollen Begeisterung seiner wahrheitsehnenden Seele umfaßten Wahrheit oft einen überquellenden Idealismus und Spiritualismus kundgibt, demzufolge der Wortlaut mehr besagt, als von ihm beabsichtigt ist5. B o n a v e n t u r a , nächst seinem Schüler Matthäus von Aquasparta, 1
Z. B. De libero arbitrio 1. 1, c. 1, n. 3. C u p e t e o l u s (a. a. 0. II 153 bis 174) stellt unter dem Stichworte v Doctor" eine Auslese von beachtenswerten Äußerungen Augustins über die wissenschaftliche und ethische Ausrüstung und Betätigung des Lehrers der christlichen Wahrheit zusammen. 2 Augustinus gibt Retract. 1, 12 die Idee der Schrift „De magistro" dahin an: „In quo (sc. libro De magistro) disputatur et quaeritur et invenitur raagistrum non esse, qui docet hominem scientiam, nisi Deum." 3 Vgl. Lib. imperf. de Genesi ad litteram c. 9. * P e t r u s Lombardus, Sent. II, dist.33, c. 2: „Ecce perspicuumfit Augustinum superiora dixisse non asserendo, sed diversorum opiniones referendo." Der Aquinate gebraucht diese Wendung häufig, z. B. S. th. 1, q. 77, a. 5 ad 3 m ; a. 8, ad 6; 1, q. 86, a. 6; q. 87, a. 4 ad 2; q. 89, a. 7 ad 2 etc. Freilich spricht aus den diesbezüglichen Stellen des Aquinaten oft auch das Bestreben, platonische, mit dem Aristotelismus schwer vereinbare Äußerungen Augustins als bloßes Referat hinzustellen, um so den hl. Augustinus im Sinne der aristotelischen Erkenntnislehre und Psychologie zu erklären. Vgl. G r a b m a n n , Die philosophische und theologische Erkenntnislehre des Kardinals Matthäus von Aquasparta 72; G. v. Hertl i n g , Augustinuszitate bei Thomas von Aquin, München 1904. 5 Dieser Gesichtspunkt ist besonders bei der Beurteilung der augustinischen Erkenntnis lehre und Gnadenlehre zu beobachten.
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der am tiefsten von der Ideenwelt und der Persönlichkeit Augustins ergriffene und erfüllte Scholastiker des 13. Jahrhunderts, charakterisiert diese literarische Eigenart des großen Bischofs von Hippo dahin: „Plus dicens et minus volens intelligi." 1 Mustergültig hat Augustinus der Scholastik in der Technik der Problemstellung vorgearbeitet. Er ist sich der methodischen Wichtigkeit und Notwendigkeit einer klaren Fassung und Erfassung des Fragepunktes voll und ganz bewußt: „Qui non videt quaestionem, quomodo intelliget quod exponitur?"2 Es findet sich in den Schriften Augustins eine Fülle von gelegentlichen Äußerungen über das Wesen und die Arten und den Gegenstand der quaestio niedergelegt. Es begegnen uns sehr häufig Anweisungen über Kürze, Sorgfalt und Umsicht bei Lösung von Fragen, über die Bedeutung von auctoritas und ratio bei der Beantwortung theologischer Schwierigkeiten und Quästionen. Es ließe sich aus Augustinustexten eine förmliche Hodegetik für die wissenschaftliche Formulierung, Präzisierung und Beantwortung von Fragen zusammenstellen3. Diese Gesichts- und Stichpunkte Augustins über die Technik der wissenschaftlichen Fragestellung und Fragelösung sind um so wertvoller, als sie nicht der Feder eines einseitig theoretisch orientierten Logikers entflossen sind, sondern sich vielmehr in einer siegreichen Verteidigung der christlichen Wahrheit gegen die kompliziertesten Einwände der Gegner sich praktisch bewährt haben. Die „quaestio de nomine0, der bloße Streit um Worte und Termini ohne sachliches Ziel wird als unnütz und Zeichen eines streitsüchtigen Menschen von Augustinus abgelehnt4. Wendungen wie: „Sed hoc omitto, ne de nominibus sit potius controversia quam de rebus"5, kehren häufig bei ihm wieder. Für Subtilitäten und Wortklauberei war des Augustinus weit und tief angelegter Geist nicht zugänglich. Wenn der Vorwurf der Haarspalterei und Begriffsspielerei, der Vorwurf leerer Wortstreitigkeiten 1
Sent. II, dist. 33, a. 3, q. 1, ad 1; Breviloquium 1. 3, § 5. Tract. 29 in loann. 3 C u p e t e o l u s (Theologia moralis et contemplativa S. Augustini III 685 bis 715) hat in 19 Kapiteln diese augustinischen Texte unter dem Stichworte „ Quaestio * zusammengestellt. 4 Quid est enim contentiosius quam, ubi de re constat, certare de nomine? (Epist. 338, n. 4). 5 De anima et eius origine 1. 4, c. 14, n. 20. „Dicant, quod volunt; nön enim cum eis de verborum controversia laborandum est" (De civitate Dei 1. 9, c 23, n. 1); „Non enim cum eis de vocabulis quaestione pugnandum est" (De Trinitate 10, c. 7, n. 191). 2
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auf den einen und andern Scholastiker namentlich in der Verfallzeit der Scholastik zutrifft, so ist ein so gearteter Scholastiker sicherlich nicht augustinischen Geistes gewesen. Für eine von großen sachlichen Gesichtspunkten geleitete wissenschaftliche Arbeitsweise konnte die Scholastik aus den Schriften Augustins eine Summe wertvoller methodischer Winke und Weisungen entnehmen, und sie hat es auch in reichem Maße getan. Die Formen, in welchen in den verschiedenen Perioden der mittelalterlichen Geistesgeschichte diese augustinischen Einflüsse konkret zu Tage getreten sind, werden bei der Behandlung der einzelnen Epochen und der einzelnen Denker näher ins Auge zu fassen sein. Hier handelte es sich bloß um eine Übersicht über jene Elemente der schriftstellerischen Tätigkeit des hl. Augustinus, welche für die Entwicklung und Ausgestaltung der scholastischen Methode belangreich und bedeutsam gewesen sind. Es erübrigt uns noch, kurz darauf hinzuweisen, daß die Signatur der mittelalterlichen Spekulation augustinische Färbung trägt. „Im wesentlichen", bemerkt R o t t m a n n e r 1 , „hat Augustin der gesamten späteren Theologie 1
M. Buchbergers Kirchliches Handlexikon I 413. Über Augustins Einfluß und Autorität siehe Fr. B ö h r i n g e r , Die Kirche und ihre Zeugen I 3 772: „Sie (die Zeit des Mittelalters) ist wie getaucht in Augustins Geist, alle ihre Werke sind voll von Reminiszenzen aus ihm. Die Scholastik geht auf ihn zurück und die Mystik;" beide haben in ihm ihre Wurzeln, wie er beide in sich zusammengefaßt hat. Mit seinem Herzen ist er der Vater der besseren Mystik, mit seiner Spekulation der Scholastik." R e u t e r , Augustinische Studien 479—516: Zur Würdigung der Stellung Augustins in der Geschichte der Kirche. N o u r r i s s o n , La philosophie
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des Abendlandes den Stempel seines Geistes aufgedrückt." Augustinus hat die geistigen Schätze der antiken Welt in den Dienst des Christentums gestellt und der späteren Zeit überliefert. Sein Werk war die Umformung und Ausgestaltung der lateinischen Sprache für den Ausdruck der christlichen Lehre. „Augustin en a fait 1a langue dogmatique par excellence et c'est sur lui que se sont formes les Anselme et les Thomas d'Aquin."1 E. N o r d e n 2 nennt Augustin „als Stilist die gewaltige, Vergangenheit und Nachwelt überragende Persönlichkeit". Das Sehnen Augustins nach Wahrheit, nach der unerschaffenen Wahrheit, der mächtige Zug seiner großen Seele zu Gott hin, der theozentrische Charakter seiner Weltanschauung und seiner Lehre3, all das hat den wahrheitsuchenden Blick der mittelalterlichen Denker zur Sonne göttlicher Wahrheit hingelenkt. Augustins Lehre hat einen durch und durch katholischen Charakter, ist getragen von einer tiefen Auffassung von der Kirche, geleitet von größter Hochachtung vor der kirchlichen Autorität. Die kirchliche Richtung der Scholastik hat an Augustinus sich orientieren können. Augustins Seele war durchglüht von Liebe zur Wahrheit. Diese Wahrheitsbegeisterung äußerte bei ihm sich oftmals in einem überschäumenden Spiritualismus. Seine Gedanken, die da Leben und Kraft sprühen, haben in den besseren Zeiten der Scholastik die Eintönigkeit und den Schablonismus ferngehalten. Wenn im scholastischen Denken vitale Kraft und Jugendfrische sich findet, so ist dies das Wesen augustinischen Geistes, wenn in der mittelalterlichen Weltanschauung psychologische Elemente sich regen und zeigen, so ist diese Äußerung einer psychologisch-subjektiven Auffassung eine Nachwirkung des großen afrikanischen Denkers, Universitatis Parisiensis II 503: „Augustinus eniin qui cum haereticis saepe colluctandum habuit, eam (sc. theologiam vel potius methodum scholasticam) aliquatenus introduxit." P. M a t t h a e u s H a u z e u r hat in seinem „Commentarius anatomicus in omnia et singula opera B. Augustini"2 (Augustae Eburonum 1745) einen Index scholasticus (S. 74 ff) veröffentlicht. 1 P o r t a l i 6 , St Augustinus, in Dictionnaire de the'ologie catholique 12321. 2 Die antike Kunstprosa II 621. 3 Über A u g u s t i n s Richtung auf Gott hin als den eigentlichen Mittelpunkt, um welchen sich das ganze Seelenleben Augustins nach der Bekehrung dreht, handelt sehr anregend A u g u s t i n E g g e r , Der hl. Augustinus, Kempten und München 1904, 91 ff. Eine Reihe von Augustinusstellen, welche die Richtung seines Denkens und Strebens zu Gott hin zum Ausdruck bringen, ist zusammengestellt bei P. A n t o n i n u s M. T o n n a - B a r t h e t , Sancti Patris Augustini doctrina ascetica II, Einsidlae 1906, c. 1, p. 155—162.
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der in sein eigenes Seelenleben sich so sehr vertieft hat, der in seinen „Bekenntnissen" ein Seelengeniälde von hinreißender Wirkungskraft entworfen, der da ausgerufen hat: „Ich will nichts anderes wissen als Gott und die Seele.u Die Bergriesen der mittelalterlichen Spekulation danken ihren Reiz und ihre Anziehungskraft auf ferne Zeiten der Tatsache, daß sie in augustinische Atmosphäre hineinragen. § 3. Die nachaugustinische lateinische Väterzeit. Die ersten Sentenzenwerke. Die auf Augustinus folgende lateinische Patristik ruht auf den Schultern dieses größten Theologen der katholischen Kirche. Die Anfänge und Ansätze der scholastischen Methode in dieser Epoche beruhen im wesentlichen auf Reproduktionen und weiteren Ausführungen augustinischer Gedanken und Verfahrungsweisen. Augustins bester Schüler, der hl. P r o s p e r von Aquitanien, hat unter dem Titel „Sententiarum ex operibus S. Augustini delibatarum über" eine Sammlung von 392 Sätzen aus den Schriften seines Meisters gegeben, „gleichsam als eine Summe der Theologie desselben, ein Buch, literargeschichtlich schon deshalb merkwürdig, weil es im Abendlande das erste einer Art war, die im Mittelalter noch so wichtige Werke als das des Petrus Lombardus zeitigen sollte" 1. Eine an Augustins „Enchiridion" erinnernde systematische Darstellung der Glaubenslehre, ein Kompendium der Dogmatik ist das wahrhaft goldene Büchlein „De fide seu de regula fidei ad Petrum" des hl. F u l g e n t i u s v o n R u s p e , welches wegen seines augustinischen Charakters während des Mittelalters dem hl. Augustinus zugeschrieben wurde2. Gleichfalls dem hl. Augustin wurde das im Mittelalter viel zitierte Buch „De ecclesiasticis dogmatibus", ein kurzer systematischer Abriß der Glaubenslehre, zugesprochen. Es ist dieses Werk jedoch von Gennadius von M a r s e i l l e 3 verfaßt. Als einen dialektisch geschulten Schüler des hl. Augustin zeigte sich C l a u d i a n u s M a m e r t u s , dessen Schrift „De statu aniinae" im Mittelalter be1
E b e r t , Allgemeine Geschichte der Literatur des Mittelalters im Abendlande I 2 , Leipzig 1889, [366. Ygl. M., P. L. LI 37; Hist. litt, de France II 369—407. 2 Vgl T u r m e l , Histoire de 1a theologie positive depuis Vorrgine jusqu'aa concile de Trente, Paris 1904, XXIIT. 3 Vgl. G. M 0 r i n, Le Liber dogmatum de Gennade de Marseille et pro« blemes qui s'y rattachent, in Revue Be"nedictine XXIV 445—455.
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kannt war und z. B. von Abälard zitiert ist 1 . Vom methodischen Gesichtspunkte aus ist hier der der Reihenfolge nach aus den heidnischen Philosophen, aus den ecclesiastici doctores (Hilarius von Poitiers, Ambrosius, Augustinus) und aus der Heiligen Schrift geführte Beweis für die animae incorporalitas hervorzuheben2. Der bereits an der Schwelle des Mittelalters stehende große Papst G r e g o r d. Gr. befolgt eine mehr praktische Geistesrichtung. Der Hauptakzent seines gewaltigen Einflusses liegt auf dem Gebiete des kirchlichen Rechtes und der praktischen Gestaltung des kirchlichen Lebens. Seine Schriften haben auf die praktische Richtung der mittelalterlichen Scholastik sehr stark eingewirkt, sie wurden viel studiert und exzerpiert, wie die große Zahl von Gregoriuszitaten, namentlich in den moralischen Partien der mittelalterlichen Sentenzenwerke und Summen, beweist. Wenngleich die Einwirkung Gregors d. Gr. auf das mittelalterliche kirchliche Leben und Denken eine nachhaltige und mannigfache war, wenngleich das mittelalterliche Schrifttum allenthalben die deutlichen Spuren des Einflusses Gregors d. Gr. verrät, so lassen sich dennoch keinerlei für die Entwicklung und Ausgestaltung der scholastischen Methode bedeutsame Momente und Elemente aus der schriftstellerischen Tätigkeit des großen Papstes feststellen. Nur einige seiner Sätze, wie z. B.: „Hoc veraciter dicitur credi, quod non valet videri", oder „Apparentia non habent fidem, sed agnitionem", oder: „Fides non habet meritum cui humana ratio praebet experimentum"3, werden von den Scholastikern, z. B. Petrus Abälard, Simon von Tournai, Thomas von Aquin, Matthäus von Aquasparta u. a., bei der Behandlung des Verhältnisses von Glauben und Wissen in Betracht gezogen. Für die Überlieferung der Sätze römischen Wissens an die neue germanische Welt hat der hl. I s i d o r von S e v i l l a (f 636) Hervorragendes geleistet, besonders durch seine „Etymologien oder Origines", eine Enzyklopädie des gesamten Wissens in 20 Büchern, wovon die ersten drei Bücher die Fächer des Triviums und Quadriviums behandeln. Für die mittelalterlichen Darstellungen der sieben freien Künste, Enzyklopädien und Glossarien ist dieses Werk Isidors eine Fundgrube sprachlichen und realen 1
C l a u d i a n i M a m e r t i opera. Rec. Aug. E n g e l b r e c h t in Corpus Script, eccl. lat. XL K a i s e r , Pierre Abelard critique 31. 2 Lib. 1, c. 8 9 10ff. 3 Homil. in Evang. 1. 2, homil. 26, n. 1 8 (M., P. L. LXXVI 1197 1202).
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Wissens geworden1. Für die systematische Seite der scholastischen Methode sind Isidors „Libri tres Sententiarum" bedeutsam. Es stellt dieses Werk, dessen Titel wohl von Prosper von Aquitanien entlehnt ist, eine meist aus Augustinus- und Gregoriuszitaten mosaikartig zusammengesetztes Kompendium der Glaubens- (1. Buch) und Sittenlehre (2. und 3. Buch) vor. Wir haben hier, wenn wir von den doch zu wenig systematisch angeordneten Sentenzen Prospers absehen, den e r s t e n T y p u s der in der Scholastik, besonders des 12. Jahrhunderts, so reichlich auftretenden Sentenzenliteratur2. Isidors Sentenzen sind eines der gelesensten Bücher des Mittelalters, sie sind in den mittelalterlichen Handschriftenbeständen zahlreich vertreten und haben auch eine mannigfache Überarbeitung gefunden. Die Ambrosianische Bibliothek in Mailand enthält z. B. sieben schöne Handschriften von Isidors Sentenzen, darunter einen aus Bobbio stammenden, dem 7. Jahrhundert angehörenden Codex. Ein Beispiel der Verarbeitung der Sentenzen Isidors ist Cod. lat. 694 der Bibliotheque Mazarine, welcher fol. 53 r bis fol. 70r größere Partien von Isidors Sentenzen mit Ausführungen späterer Theologen, wie Lanfranks, Anselms von Canterbury, verknüpft. Das erste Buch von Isidors Sentenzen, welche wegen ihres Anfanges: „Summum bonum Deus est" auch „De summo bono" genannt werden, enthält in 30 Kapiteln die Dogmatik. Es handelt zunächst von den Eigenschaften Gottes (Kap. 1—3) und von der Erkennbarkeit Gottes (Kap. 4 u. 5). Die Ewigkeit Gottes (Kap. 5) bildet den Übergang zu den Themata der Schöpfungslehre, zur Lehre von der Welt, vom Übel, von den Engeln und von der Menschenseele. Die Kapitel 14 und 15 enthalten die Lehre von Christus und vom Heiligen Geiste. Nach einer Erörterung über Kirche, Häresien und Heiden (Kap. 16 u. 17) kommt Isidor auf das Verhältnis zwischen dem Alten und Neuen Bunde (de diflferentia Testamentorum) zu sprechen. Daran reihen sich Bemerkungen über Symbol, Gebet, Taufe und Kommunion. 1
Über Isidors „Etymologien" siehe E b e r t , Allgemeine Geschichte der Literatur des Mittelalters im Abendlande 1 2 588 ff. B a u r , Dominicus Gundissalinus, in De divisione philosophiae 355 ff. M a r i e t a n , Probleme de 1a classification des sciences, Paris 1901, 88 ff. B a u m g a r t n e r . Geschichte der Weltliteratur IV 241 ff. Über die mittelalterlichen Abkürzungen und Nachahmungen von Isidors „Origines" handelt Loewe , Prodromus corporis Glossariorum latinorum, Lips. 1876. Die Hauptglossarien sind aufgeführt in KL. V 712. Ein interessantes „Summarium Henrici in Isidori Etymologiis" enthält Clm. 2612, fol. 1 — 91. 2 Über Isidors Sentenzen vgl. E b e r t a. a. 0. I 2 596; R, S c h m i d (Wagenmann f) in RE. IX 3 450. Grabmann, Scholastische Methode. I.
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Den Schluß der Dogmatik bildet die Eschatologie. Wir haben hier, freilich in ziemlich loser Anordnung, die Grundzüge der mittelalterlichen theologischen Systeme vor uns. Ausführlicher ist die im zweiten und dritten Buche behandelte Sittenlehre, welche mit der Lehre von den theologischen Tugenden und von der Gnade beginnt. Für die theologische Ethik der Scholastiker hat hier Isidor reiches Material gesammelt. In seiner Auffassung vom Studium der heiligen Wissenschaft ist er von hohen, übernatürlichen Gesichtspunkten geleitet K Ein Sentenzenwerk schrieb auch der etwas nach Isidor lebende und gleichfalls in Spanien wirkende Bischof Samuel Tajus von S a r a g o s s a 2 . Im Vorwort präzisiert Tajus den Zweck seiner Publikation dahin, daß er die gesamte christliche Lehre im engsten Anschluß an die Schriften Gregors d. Gr. darstellen und in den von Gregor nicht eigens behandelten Fragen Augustinus heranziehen werde. In der Tat sind die Sentenzen des Tajus ein Gewebe aus Gregoriustexten und ergänzenden Augustinusstellen. Die 40 Kapitel des ersten Buches enthalten die Lehre von Gott, Gottes Eigenschaften und von der Trinität, die Schöpfungslehre. Die Abhandlung über die Vorbereitung der Menschheit auf den Welterlöser bildet die Überleitung zur Inkarnations- und Erlösungslehre, welche an der Spitze des zweiten Buches (Kap. 1—8) steht. Das zweite Buch enthält auch sehr anregende Ausführungen über die Verkündigung des Evangeliums und über das Amt des Seelenhirten. Der warme, innige Ton von Gregors „Regula pastoralis" spricht aus diesen Kapiteln. Das dritte Buch ist eine Tugend- und Pflichtenlehre, das vierte Buch gibt einen eingehenden Unterricht über die Sünde, der sich im fünften Buch fortsetzt. Mit der Eschatologie schließt dieses Werk ab. Die Sentenzen des Tajus haben eine straffere systematische Anordnung als diejenigen Isidors, so daß Mabillon mit einem ge1
Vgl. 1. 3, c. 8 de lectione; c. 9 de assiduitate legendi; c. 10 de doctrina sine gratia; c. 11 de superbis lectoribus; c. 12 de carnalibus lectoribus; c. 37 de his, qui bene docent et male vivunt; c. 40 de iracundis doctoribus; c. 41 de superbis doctoribus. 2 Über die Sentenzen des Tajus, welche in der Espana sagrada XXXI und bei M., P. L. LXXX 727—990 abgedruckt sind, siehe H u r t e r , Nomenciator I 3 610. Über die handschriftliche Verbreitung der Sentenzen des Tajus vgl. D e n i f l e , Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte des Mittelalters I 587 A. 1.
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wissen Rechte die Behauptung aufstellen konnte, Tajus sei der erste, nach dessen Beispiel Petrus Lombardus u. a. Sentenzenwerke verfaßt haben1. 1
M a b i l l o n , Traite* des etudes monastiques, Paris 1691, 210. Der anonyme Verfasser der lesenswerten Schrift „De optima legendorum Ecclesiae Patrum methodo" (Augustae Taurinorum 1742) schreibt S. 232: „Saeculo septimo Tayonus Episcopus Caesaraugustanus Summam Theologiae ex operibus Sanctorum Gregorii Papae et Augustini collectam elucubravit."
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Dritter Abschnitt. Boethius, der letzte Römer — der erste Scholastiker. Im Zusammenhang mit der lateinischen Patristik begegnet uns auch die ritterliche Gestalt des Boethius, des letzten Römers (f 524—526)1. Nächst Augustinus hat Boethius von allen lateinischen Schriftstellern der Väterzeit am nachdrücklichsten auf die Scholastik, besonders auf die Entwicklung der scholastischen Methode eingewirkt. „Boethius ist", bemerkt Gr. v. H e r t l i n g 2 , „nächst Augustin die größte Autorität für die Frühscholastik." In einer Münchner Handschrift aus dem 14. Jahrhundert wird Boethius als „noster summus philosophus" bezeichnet3. In bildlichen Darstellungen der verschiedenen Wissenschaften, wie sie in mittelalterlichen Codices sich mehrfach finden, erscheint Boethius als Vertreter der Philosophie, so z. B. in einer Münchner Handschrift aus dem 13. Jahrhundert4. 1 Über B o e t h i u s vgl. an neuerer Literatur T e u f f e l - S c h w a b e , Geschichte der römischen Literatur II 5 (1890) 1230ff; B a r d e n h e w e r , Patrologie 2 554—558; H u r t er, Nomenciator I 3 459—462. Die Artikel über Boethius von F u n k in KL. I I 2 967ff,von D r y a n d e r (Georg Müller) in RE. III 3 277 f, von G o d e t in Dictionnaire de the'ologie catholique II 918—922, von H a r t m a n n in Pauly-Wissowas Realenzyklopädie des klassischen Altertums III 2 596—601 und von H. P l e n k e r s in Buchbergers Kirchl. Handlexikon I 677. Über Entstehungszeit und zeitliche Folge der Werke des Boethius siehe die vortrefflichen Darstellungen von B r a n d t in Philologus LXII (1903) 141—154 234—275. 2 G. v, H e r t l i n g , Descartes' Beziehungen zur Scholastik, in Sitzungsberichte der philos.-philol.-historischen Klasse der bayrischen Akademie der Wissenschaften 1899, 25. 3 Clm. 12 667, fol. 30 \ 4 Ebd. 2599. Dieser Codex enthält fol. 102a—111 b Figurae variarum disciplinarum pictae, quarum singulis primarii cultores ex adverso adpicti sunt, ut grammatice Priscianus. Auf fol. 106b ist die Philosophie abgebildet. Rechts ist eine Frau dargestellt in buntem Gewände, die in der Linken ein Zepter trägt. Links ist eine Burg mit Türmen und mit der Inschrift: „Carcer in Papia" abgebildet. In diesem Kerker ist hinter einem Gitter Boethius dargestellt. Auf
Boethius als Vermittler des Aristotelismus an das abendländische Mittelalter.
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Die Bedeutung des Boethius für die Vor- und Frühscholastik und auch noch für die Hochscholastik, sein Einfluß auf die Gestaltung und Entfaltung der scholastischen Methode gründet in drei Momenten, nämlich in der Vermittlung aristotelischer Schriften, in der Verbreitung seiner „Consolatio philosophiae" und namentlich in seinen Opuscula sacra, in seinen theologischen Schriften. E r s t e s Kapitel.
Boethius als Vermittler des Aristotelismus an das abendländische Mittelalter. Boethius hat der Vor- und Frühscholastik wichtige Teile der aristotelischen Logik im lateinischen Sprachgewande zur Verfügung gestellt und dadurch zur Ausbildung und Entwicklung der Dialektik in diesen Zeiten und auch zur Verwertung der Dialektik im Dienste der Theologie in bedeutsamer Weise beigetragen. Wie er uns selbst mitteilt, hat Boethius mit dem weitschauenden Plane sich getragen, sämtliche Werke des Aristoteles und Plato ins Lateinische zu übersetzen und mit Kommentaren zu versehen, um so eine Konkordanz dieser beiden griechischen Denkerfürsten zu ermöglichen1. Indessen scheint dieser Plan bloß rücksichtlich der logischen Schriften des Stagiriten zur Verwirklichung gelangt zu sein. Die Behauptung M a n d o n n e t s 2 , Boethius habe auch außer den logischen Schriften noch andere, wenn auch nicht alle Werke des Aristoteles übersetzt, der Außenseite eines Buches, das er in der Rechten trägt, steht: „Flebilis heu mestos cogor inire modos." Um seinen rechten Vorderarm schlingt sich eine Rolle mit der Aufschrift: „Consolatus ego vobis solatia presto." 1 In librum de Interpret, editio secunda 1. 2 (M., P. L. LXIV 433): „Ego omne Aristotelis opus quodcumque in manus venerit, in Romanum stilum vertens, eorum omnia commenta latina oratione perscribam, ut si quid ex logicae artis subtilitate, et ex moralis gravitate peritiae, et ex naturalis acumine veritatis ab Aristotele conscriptum est, id omne ordinatum transferam, atque id quodam lumine eommentationis illustram, omnesque Piatonis dialogos vertendo, vel etiam commentando, in latinam redigam formam. His peractis non equidem contempserim Aristotelis Platonisque sententiam, in unam quodammodo revocare concordiam, et in his eos non ut plerique dissentire in omnibus, sed in plerisque quae sunt in philosophia maxime consentire demonstrem." 2 Siger de Brabant, Fribourg 1899, xxiv A. 3. Vgl. über den Umfang der boethianischen Aristotelesübersetzungen auch C o n c e t t o M a r c h e s i , L'Etica Nicomachea nella tradizione latina Medievale, Documenti ed Appunti, Messina 1904, 19 ff. Marchesi nimmt lediglich eine Übersetzung der logischen Schriften des Aristoteles durch Boethius als sicher an.
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Boethius, der letzte Römer. Der erste Scholastiker.
scheint, bevor nicht beweiskräftige handschriftliche Funde gemacht werden, nur den Wert einer Hypothese zu haben. Von den Aristotelesübersetzungen des Boethius sind uns lediglich die Übersetzungen der „Kategorien" und der Schrift nept kpfirjveiaQ erhalten. Desgleichen haben wir von Boethius einen Kommentar zu den „Kategorien" des Aristoteles in vier Büchern und zwei Kommentare zum Buche xspl kpfjLiqvslaQi nämlich einen mehr elementaren Kommentar (editio prima) in zwei Büchern und einen wissenschaftlichen Kommentar (editio secunda) in sechs Büchern1. Die bei Migne unter den Werken des Boethius abgedruckten Übersetzungen der beiden „Analytika", der „Logik" und der „Sophistik" des A r i s t o t e l e s 2 sind nicht Werke des Boethius, sondern sind von Jakob vonVenetia im Jahre 1128 hergestellt worden. Diese Übersetzung des Jakob von Venetia wurde von den späteren Scholastikern für ihre Kommentare zu den logischen Schriften des Stagiriten und zur Herstellung von Schullogiken fast allgemein benützt. Es wurde diese Übersetzung des Jakob von Venetia im 15. Jahrhundert von Johannes Argyropulos im humanistischen Sinne sprachlich zurechtgerichtet und fand irrtümlicherweise in die Basler Ausgabe der Werke des Boethius 1546 und damit in die Ausgabe Mignes Aufnahme3. Diese Übersetzungen der 1 Von den Kommentaren des Boethius zu nspl kpßvjvdag hat kK. M e i s e r eine kritische Ausgabe hergestellt: A. M. S. Boethii commentarii in librum Aristotelis nepl kpjuyvetag, Leipzig 1877—1880, 2 Bde. 2 Analytica priora (M., P. L. LXIV 639—712); Analytica posteriore (ebd. 712 bis 766); Topica (ebd. 910—1008); Elenchi sophistici (ebd. 1008—1040). 3 Auf dem pseudoboethianischen Charakter dieser Aristotelesübertragungen haben bereits S c h a a r s c h m i d t (Jobannes Saresberiensis [1862J 120) uud Val e n t i n R o s e (Die Lücke im Diogenes Laertius und der alte Übersetzer in Hermes, in Zeitschrift für klassische Philologie I [1866] 382) aufmerksam gemacht. Neustens hat J. S c h m i d l i n (Die Philosophie Ottos von Freising, in Philosoph. Jahrbuch 1905, 168 ff) eingehend nachgewiesen, daß diese in Frage stehenden Aristotelesübersetzungen nicht dem Boethius, sondern dem Jakob von Venetia zuzuschreiben seien, und hat (S. 173) durch Text vergleichung dies auch erhärtet. Schmidlin bemerkt außerdem S. 169 A. 3 : „Dies (daß von Boethius uns überhaupt keine Übertragung der ,Topik', ,Sophistik' und beider ,Analytika* überliefert ist) hätte man schon daraus entnehmen können, daß der pseudoboethianische Text trotz des Titels ,Interpretatio' bei Migne von keinem Kommentar begleitet ist, im Gegensatz zu ,De categoriis' und ,De interpretatione', die gerade dank der boethianischen Auslegung auf das Frühmittelalter gekommen sind. Das plötzliche nachträgliche Auftauchen des Boethius gleichzeitig mit den andern Übersetzungen des späteren ,Organon* wäre unerklärlich. Übrigens trägt keine Handschrift den Namen des Boethius.u In den Darstellungen der Geschichte der mittelalterlichen Philosophie bei Ü b e r w e g - H e i n z e (Grundriß der Geschichte der Philosophie
Boethius als Vermittler des Aristotelismus an das abendländische Mittelalter.
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„Kategorien" und des Buches Trspl kp/rrjuetac, die uns von Boethius erhalten sind, waren für die ganze Vorscholastik bis in die ersten Dezennien des 12. Jahrhunderts hinein die allein bekannten aristotelischen Schriften. Boethius wird mit Recht von Mandonnet 1 als „le veritable introducteur d'Aristote en Occident" bezeichnet. Die Aristotelesübersetzungen des Boethius waren um so brauchbarer und verlässiger, als derselbe ein hervorragender Philosoph und Philolog zugleich war, zwei Eigenschaften, die bei denjenigen, die im Laufe der Jahrhunderte mit dem aristotelischen Schrifttum sich befaßt haben, leider nur zu oft sich nicht beisammen fanden. Die philologische Tüchtigkeit des letzten Römers werden später noch von Roger Bacon und Leonardo Bruni gerühmt2. Neben den beiden aristotelischen Schriften „De categoriis" und „De interpretatione", deren Text er durch Übersetzung und deren Ideen er durch sachkundige Kommentare vermittelte, hat Boethius auch die „Isagoge" des Porphyrius zu den aristotelischen „Kategorien" im lateinischen Sprachgewande und mit einem doppelten Kommentar, nämlich einem zu der von Marius Viktorinus gefertigten lateinischen Übersetzung der „Isagoge" und einem andern zu der von ihm selbst betätigten lateinischen Übertragung desselben Werkes, der Vorscholastik und damit auch der Früh- und Hochscholastik zur Verfügung gestellt3. Die „Isagoge" des Porphyrius in der lateinischen Übersetzung des Boethius bildete zugleich mit den aristotelischen Schriften „De categoriis" und „De interpretatione" (mpi s II 9 151) und De W u l f (Histoire de 1a philosophie medievale2 156) ist immer noch bemerkt, daß wir von Boethius Übersetzungen der „Topik", „Sophistik" und beider „Analytika" besitzen. 1 Siger de Brabant xxiv. 2 R o g e r B a c o n : „Solus Boethius prunus interpres novit plenarie potestatem linguarum14 (Opus maius, ed. Bridges. I 62). L e o n a r d o B r u n i : „Hec a Boetio longe absunt viro in utraque lingua docto et eleganti" (Ep. 22, 1. 4). 3 Über die boethianische Übersetzung der „Isagoge" des Porphyrius handelt Ad. B u s s e , Porphyrii Isagoge et in Aristotelis Categorias commentarium. Comment. in Aristot. graeca IV, Berolini 1887, vin 1. Busse gibt S. xxxi—xxxiv einen Conspectus Codicum translationis Boethianae. Von den zwei Kommentaren des Boethius zur „Isagoge" des Porphyrius hat S a m u e l B r a n d t in der Wiener Ausgabe der lateinischen Väter eine vortreffliche, von Schepß vorbereitete Edition veranstaltet: Anicii Manlii Severini Boethii in Isagogen Porphyrii comment. copiis a Georgio Schepss comparatis suisque usus recensuit Samuel Brandt, in C. S. EXLVIII, Vindob. 1906. Die Isagogekommentare des Boethius waren, wie aus Brandts Prolegomena XXXVII—XLVIII ersichtlich ist, handschriftlich sehr verbreitet.
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Boetliius, der letzte Römer. Der erste Scholastiker.
gleichfalls in boethianischer Übersetzung, für die erste Periode der Scholastik, für die ganze Vorscholastik, desgleichen für die Frühscholastik bis zum Bekanntwerden des ganzen aristotelischen „Organon", das Handbuch der Logik, den Inhalt und Bestand der logica vetus. Und als mit dem Bekanntwerden der übrigen Teile der aristotelischen Logik, nämlich der beiden „Analytika", der „Logik" und der „Sophistik" und mit der Hinzufügung anderer logischer Arbeiten des Mittelalters selbst, wie des „Liber sex principiorum" des Grilbertus Porretanus, der Kreis logischer Lehrbücher sich erweiterte und zur logica vetus die logica nova sich hinzugesellte, da steht stets in den diese logischen Schriften zusammenfassenden Schullogiken die „Isagoge" des Porphyrius an der Spitze \ Die Kommentare des Boethius zur „Isagoge" des Porphyrius, namentlich der zweite, viel gereiftere Kommentar, sind für das mittelalterliche Denken auch insofern bedeutsam geworden, als der boethianische Lösungsversuch der Fragen des Porphyrius hinsichtlich der Gattungen und Arten den Ausgangspunkt für die mittelalterliche Universalienkontroverse bildete2. Boethius hat auch eine Reihe selbständiger Abhandlungen zur formalen Logik veröffentlicht, welche mit seinen eindringenden aristotelischen Studien im Zusammenhang stehen und welche in der Scholastik vielfach zitiert werden. Es sind dies die Traktate >.Introductio ad syllogismos categorieos"3, „De syllogismo categorico"4, „De syllogismo hypothetieo"5, „De divisione"6, „De differentiis topicis" 7. Der gleichfalls unter den logischen Schriften des Boethius stehende Traktat „De definitione"8 scheint nicht von ihm, sondern von Marius Viktorinus verfaßt zu sein. Die Schrift „De differentiis topicis" wird in den scholastischen Kommentaren zur aristotelischen Logik, so von A l b e r t u s Magnus 9 , als Boethius in „Topicis" zitiert und benützt» Alle diese logischen Traktate des Boethius wie auch alle boethianischen und pseudoboethianischen Übersetzungen, Kommentare und Abhandlungen, die auf die Fächer des Triviums und Quadriviums Bezug haben, begegnen uns im „Heptateuehon" des T h i e r r y von 1 Vgl. Seh m i d i i n , Die Philosophie Ottos von Freising, in Philosophisches Jahrbuch 1905, 173. 2 R e i n e r s , Der aristotelische Realismus in der Frühscholastik, Aachen 1907, 5—13. 3 5 M., P. L. LXIV 762—794. * Ebd. 794-831. Ebd. 831—875. 6 7 Ebd. 875—892. Ebd. 1174—1222. 8 Ebd. 892-910. Vgl. U s e n e r , Anecdoton Holderi 59—66. 9 Liber de praedicabilibus tract. 1, c. 3.
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C h a r t r e s 1 . In den handschriftlichen Zusammenstellungen der für den Schulgebrauch bestimmten logischen Traktate erscheinen die beiden Schriften des Boethius „De divisione" und „De differentiis topicis" in stereotyper Reihenfolge zugleich mit dem „Liber sex principiorum" des Gilbertus Porretanus unmittelbar nach der „Isagoge" des Porphyrius, nach den „Kategorien" und nach rcepl kpfxrjveiaQ des Stagiriten aufgeführt, so daß sie vor den übrigen Bestandteilen des „Organon" („Topik", die beiden „Analytika", „Sophistik") zu stehen kommen und so als Bestandteil oder doch als Anhang der logica vetus erscheinen2. Auch in Verordnungen der Pariser Universität aus dem 13. Jahrhundert erscheinen diese beiden logischen Traktate des Boethius als Gegenstand des Unterrichts und Examens in der Artistenfakultät3. Boethius hat auch einen uns nicht ganz erhaltenen Kommentar zur „Topik" Ciceros geschrieben4. Für die Fächer des Quadriviums in den frühmittelalterlichen Schulen waren bedeutsam die boethianischen Traktate „De musica" in fünf Büchern5 und „De arithmetica" in zwei Büchern6. Boethius hatte auch eine „Geometrie" geschrieben. Die seinen Namen tragende „Geometrie" scheint jedoch nicht von ihm zu stammen. Die nach dem Bericht Cassiodors von Boethius gefertigten Übersetzungen eines astronomischen Buches des Ptolemäus 1
C l e r v a l , Les Ecoles de Chartres au moyen-äge du V e au XVI e siecle, Chartres 1895, 222 u. 223. 2 Um nur auf die einschlägigen Handschriften der Pariser Nationalbibliothek hinzuweisen, so enthält Cod. lat. 12 956 (aus St-Germain-des-Pres, 13. Jahrh.) folgende logische Schriften: Isagoge Porphyrii — Aristotelis predicamenta et periermeneias — liber sex principiorum — Boetii divisiones et topica — Aristotelis topica et elenchi, analytica priora et posteriora. Genau dieselbe Reihenfolge ist eingehalten in Cod. lat. 14 697 (St-Victor, 13. Jahrh.) Cod. lat. 16 092 (Sorbonne, 13. Jahrh.) Cod. lat. 16 595 (Sorbonne, 13. Jahrh.) Cod. lat. 17 806 (NotreDame, 13. Jahrh.) 3 D e n i f l e , Chartularium Univ. Paris. I 228. 4 Th. S t a n g l , Boethiana vel Boethii commentariorum in Ciceronis Topica emendationes, Gotha 1882. 5 Vgl. E i t n e r , Biographisch-bibliographisches Quellen-Lexikon der Musiker und Musikgelehrten II, Leipzig 1900, 890 ff, woselbst über Bedeutung, Handschriften, Ausgaben und Übersetzungen dieser Schrift des Boethius gehandelt wird. 6 Boetii De institutione arithmetica libri duo, De institutione musica libri quinque. Accedit Geometria quae fertur Boetii. Ex libris mss. ed. G. Friedlein, Lips. 1867. Vgl. S c h e p ß , Zu den mathematisch-musikalischen Werken des Boethius: Abhandlungen aus dem Gebiete der klassischen Altertumswissenschaft, W. v. Christ dargebracht, München 1901, 107—113.
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und einer Arbeit des Archimedes über Mechanik sind nicht auf uns gekommen1. In den Bereich des Boethius pseudepigraphus sind ferner zu verweisen die Schrift „De scolarium disciplina" 2 und die Abhandlung „De unitate". Letztere ist ein Werk des Dominikus Gundissalinus und von Boethius inhaltlich stark beeinflußt3. Wenngleich mehrere Schriften, die Gegenstände des Triviums und Quadriviums behandeln und die als Werke des Boethius galten, als Pseudoboethiana sich erwiesen haben und wenn selbst von der dem Stagiriten gewidmeten schriftstellerischen Tätigkeit des letzten Römers nur die Übersetzungen und Erklärungen der „Kategorien" und der Schrift nsp} kpfiYjvslaq uns als sicheres und echtes Erbe überkommen sind, so wird man dennoch nicht umhin können, diesen literarischen Arbeiten des Boethius, vor allem seinen Aristotelesübersetzungen und Aristoteleserklärungen, einen mächtigen auf Einfluß Vor-, Frühund selbst auch Hochscholastik zuzuschreiben, einen Einfluß, der sich namentlich auch in Bezug auf die äußere Gestaltung und Technik der scholastischen Methode geltend gemacht hat. Das, was Boethius dem Mittelalter von und über Aristoteles darbot, bildet für die erste Periode der Scholastik das Handbuch der Logik und diente auch als Rüstzeug für die spekulative Durchdringung der christlichen Wahrheit. „Die fast ausschließliche Quelle für den Aristotelismus vor dem 13. Jahrhundert", bemerkt M. B a u m g a r t n e r 4 , „bildete Boethius. Er ist der philosophische Lehrmeister der früheren Jahrhunderte genau in denselben Maße, wie später A r i s t o t e l e s , und sein tiefgehender Einfluß auf die Entwicklung der mittelalterlichen Philosophie nicht bloß in logischen, sondern ebensosehr in metaphysischen Fragen läßt sich nur mit jenem des Stagiriten in Vergleich bringen." Die Aristotelesübersetzungen und -kommentare des Boethius, die schon in der Vorscholastik in zahlreichen Handschriften verbreitet waren5, bedeuteten für die werdende Scholastik eine Zufuhr 1
Cassiodor., Var. 1. 1, c. 45 (M., P. L. LXIX 539). M., P. L. XIV 1223-1238. 3 C o r r e n s , Die dem Boethius fälschlich zugeschriebene Abhandlung des Dominikus Gundissalinus, Münster 1891. 4 Die Philosophie des Alanus de Insulis, Münster 1896, 12. 6 Über die Handschriften speziell der boethianischen Übersetzungen und Erklärungen von nspt kpfirjvsiaq vgl. die praefatio zur editio prima und secunda in der vortrefflichen Ausgabe von K. M eis e r , A. M. S. Boethii commentarii in librum Aristotelis nspl kppLTjvetag I VIII—x; II in—iv. Besonders reich ist die Münchner Staatsbibliothek an solchen Boethiushandschriften aus dem 9., 10. und 11. Jahrhundert, die aus Tegernsee, St Emmeram, Freising usw. stammen. Über 2
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reichlichen und wertvollen logischen wie überhaupt philosophischen Materials, das für den Werdegang der Dialektik und für die Anwendung derselben auf die Bearbeitung theologischer Materien von bedeutsamem Einfluß geworden ist. Durch die Übersetzungen der beiden ersten Schriften des „Organon" wurden dem Mittelalter die Kenntnis der aristotelischen Kategorienlehre und der aristotelischen Lehre vom Satze vermittelt. Die „Isagoge" des Porphyrius in lateinischer Übersetzung gab den Schlüssel zu tieferem Eindringen in die aristotelische Logik. In ganz besonderem Maße kommen des Boethius beide Kommentare zur „Isagoge", seine Erklärungen zu den „Kategorien" und zu Ttspl spju7]v£iaq, namentlich die zweite ausführliche, eindringende Erklärung (editio secunda) zu izepi epfjLTjveiaq unter dem Gesichtspunkt der Stoffzufuhr für die mittelalterliche, besonders frühmittelalterliche Philosophie in Betracht. Es gibt die zweite Erklärung zu Tüspl kpfiTjveiaQ nicht bloß eine ausführliche, vor keiner Denkschwierigkeit zurückschreckende Exegese und Analyse der oft recht verwickelten Gedankengänge des Stagiriten, sondern stellt auch eine Reihe anderer nicht mit dem Wortlaut der aristotelischen Schrift gegebener philosophischen Materialien zur Verfügung. Boethius versteht es, die Bedeutung des Aristoteles, den er als „philosophus omnium rerum sollertissimus"1 feiert, zur Geltung zu bringen. Wenn im Mittelalter die Hochschätzung des Hauptes der Peripatetiker, des philosophus schlechthin, gleichsam Tradition geworden ist, so führt sich dies zu einem guten Stücke auf Boethius zurück. In seinen Erklärungen zu rrep) ep/iyveiag, namentlich in der editio secunda, wird der Leser auch mit Texten und Gedankengängen der andern aristotelischen Schriften vertraut gemacht. Es begegnen uns Zitate aus den beiden „Analytika", aus der „Logik" und „Sophistik", aus den drei Büchern von der Seele, aus der „Metaphysik" und „Poetik". Von andern griechischen Philosophen tritt uns Plato mit seinem „Cratylus" und „Theätet" entgegen. Auch die Dialektik der Stoa kommt ab und zu zu Worte. die reiche handschriftliche Verbreitung der translatio Boethiana des Porphyrius siehe B u s s e , Porphyrii Isagoge etc. Comment. in Aristot. graeca IV 1 xxxi bis xxxiv. Über die zahlreichen Handschriften der boethianischen Isagogekommentare gibt einen conspectus S a m u e l B r a n d t , Boetii in Isagogen Porphyrii comment. etc. xxxviii—XLVIII. 1 Ed. secunda 1. 4, c. 10 (K. M e i s e r a. a. 0. II 273, 28). An einer andern Stelle sagt Boethius: „Sed nos auctoritati Aristotelicae servientes id quod ab illo veraciter dicitur, adprobamus" (ed. secunda 1. 2, c. 7; ebd. 172, 20).
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Boethius hat in seinen Perihermeneiaserklärungen auch von den griechischen Kommentatoren zu Aristoteles ausgiebigen Gebrauch gemacht. Am häufigsten zitiert er den P o r p h y r i u s , den er als „excellentissimus expositorum"x bezeichnet, sodann auch den Alexander von A p h r o d i s i a s und den S y r i a n u s . Weniger häufig werden A s p a s i u s und H e r m i n u s zu Rate gezogen. Von den lateinischen Aristotelikern werden je einmal AI bin us und V e g e t i u s (Vettius) P r ä t e x t a t u s erwähnt. In den Isagogekommentaren des Boethius finden wir Zitate aus den logischen Schriften des Aristoteles2, sowie aus der „Metaphysik" und aus „De coelo". Von Aristoteleskommentatoren sind unser Porphyrius, der hier selbstverständlich im Vordergrund steht3, und Alexander von Aphrodisias nominatim zitiert. Desgleichen begegnen wir Aussprüchen und Gedankengängen aus Cicero, Makxobius, Marius Viktorinus und besonders aus Plato. Aus dieser Übersicht über die von Boethius benützten Quellen, besonders über die verwerteten Aristotelesschriften und Aristoteleskommentare ergibt sich unschwer, daß hier ein reiches und schätzbares philosophisches Material vornehmlich dialektischen Charakters dem Mittelalter zur Verfügung gestellt wurde. Gerade die Benützung und Anführung von Aristotelesschriften, die in der Vorscholastik und teilweise auch in der Frühscholastik ihrem ganzen Text nach unbekannt waren und die erst an der Schwelle der Hochscholastik dem abendländischen Wissenschaftsbetrieb erschlossen werden sollten, gerade diese Aristotelesverweise mochten im 11. und besonders im 12. Jahrhundert das Sehnen und Streben der denkenden Geister zuerst nach dem Besitz der sämtlichen logischen Schriften, sodann nach dem Besitz der „Metaphysik", „Physik" und überhaupt des ganzen aristotelischen Schrifttums wachgerufen haben. Wenn wir noch näher die Bedeutung der Übersetzungen und Kommentare des Boethius für die Scholastik und scholastische Methode ins Auge fassen, so ist vor allem die Tatsache hervorzuheben, daß durch Boethius ein großer Teil der aristotelischen Terminologie eine 1
Ed. prima 2, c. 10 (K. M e i s e r , A. M. S. Boethii coramentarii in librum Aristotelis nspt kpurjvdaq I 136, 6). An einer andern Stelle äußert er sich über Porphyrius also: „Hie enim nobis expositor et intellectus acumine et sententiarum dispositione videtur excellere" (ed. seeunda 1. 1; ebd. II 7, 7). 2 Ed. prima 1. 1, c. 5 gibt eine Übersicht über das ganze aristotelische „Organon" und gewährt einen Einblik in den Zusammenhang seiner einzelnen Bestandteile. B r a n d t , Boetii in Isagogen Porphyrii comment. etc. 12 ff. 3 Vgl. Ed. seeunda 1. 3, c. 8 ( B r a n d t a. a. 0. 225, 14).
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für das ganze abendländische Mittelalter maßgebende lateinische Übersetzung und Fixierung erhalten hat. Die lateinischen Schultermini der Scholastik, diese gangbaren Münzen des mittelalterlichen geistigen Verkehrs, sind durch Boethius geprägt worden. So haben die aristotelischen Schriften xarrjoptac und Ttept ep/iiqveiaQ die fixe Bezeichnung „De praedicamentis" und „De interpretatione" erhalten. Die technischen Bezeichnungen der aristotelischen Kategorienlehre, die peripatetischen Kunstausdrücke über den Satz und seine Formen, über Begriffsbestimmung, Einteilung, Unterschied und Gegensatz, über Bejahung, Verneinung und Zweifel haben durch den des Griechischen wie des Lateinischen gleich kundigen Hofphilosophen Theodorichs d. Gr. eine lateinische Übertragung erhalten, an der das Mittelalter unverrückt festhielt und die auch in den lateinischen Darstellungen der Philosophie bis auf die Gegenwart in Gebrauch war1. Indessen hat Boethius der philosophierenden Nachwelt nicht bloß lateinische Formeln und Termini hinterlassen, er hat in seinen Kommentaren zu Aristoteles und Porphyrius auch das Beispiel einer gründlichen und allseitigen Behandlung logischer Probleme gegeben, den Weg zu einer befriedigenden Lösung schwieriger dialektischer Fragen vorgezeichnet, er hat den Betrieb der Logik als Wissenschaft und als Kunst gelehrt und gefördert und in einer indirekt auch für die Theologie bedeutsamen Weise eine möglichst genaue sprachliche Formulierung philosophischer Gedanken betätigt und angeregt. Die Dialektiker und die mit der Dialektik operierenden Theologen in den Entstehungszeiten der Scholastik konnten aus Boethius wertvolle Winke und eine zielbewußte Methode für die Beantwortung von dubitationes (äxopiaO, für die Lösung von quaestiones schöpfen. Die im Sprachgebrauch der ganzen Scholastik stereotyp gewordenen Ausdrücke quaestio und solutio finden wir schon bei Boethius angewendet. Wenn auch der Schwerpunkt der Einwirkung der mit Aristoteles sich befassenden Schriften des letzten Römers auf die mittelalterliche, 1 Um die hauptsächlichsten Übersetzungen aristotelischer Termini durch Boethius namhaft zu machen, sei auf folgende verwiesen: actus (hipysca), species (etdoq), principium (dp^y), universale (zatfoAou), affirmatio (xard<paatq), negatio (änopafftg), dubitatio (änopia), differentia (diayopd), divisio (oiaipzmq), accidens (
(ävTL<JTp£
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besonders frühmittelalterliche Wissenschaft in der Dialektik liegt, so hat doch auch Boethius in diese seine Schriften ab und zu große metaphysische Gedanken und Leitsätze einfließen lassen. So finden wir hier das weitschauende metaphysische Prinzip: „Der Akt ist früher als die Potenz" ausgesprochen.1 Auch die aristotelische Dreiteilung in vegetative, sensitive und vernünftige Kräfte der Seele ist durch Boethius der Scholastik vermittelt2. Die in den Kommentaren des Boethius zu Aristoteles und Porphyrius ausgesprochenen metaphysischen Ideen und Prinzipien wurden von der Scholastik teils als Ausgangspuukt weiterer metaphysischer Betrachtungen teils auch als Hilfsmittel zur Erklärung und Beleuchtung theologischer Fragen verwertet. Die Kommentare des letzten Römers zu Aristoteles und Porphyrius sind endlich noch speziell für eine Literaturgattung der Scholastik, für die Interpretationen und Kommentare besonders zu Aristoteles bedeutsam und vorbildlich geworden. Die Scholastiker konnten von der Kommentierungsmethode des Boethius ablesen und ablernen, wie ein ganzes Werk, ein größerer Text objektiv und klar nach seinem Gedankengang analysiert werden kann, wie an die Texterklärung Einzelfragen angeknüpft werden können und wie bereits vorliegende Interpretationen mit Handhabung einer selbständigen Kritik zu Rate gezogen werden müssen. Besonders belangreich für die mittelalterliche Aristoteleserklärung ist die Art des Boethius, größere zusammengehörige Aristotelesperikopen im Wortlaut anzuführen und dann ausführlich, je nach der Bedeutung und Schwierigkeit des Inhaltes, zu interpretieren und zugleich auch den Zusammenhang mit den vorhergehenden und den nachfolgenden Texten ins Auge zu fassen. Es mag damit zusammenhängen, daß eine glossenartige Aristoteleserklärung analog den Glossen zur Heiligen Schrift und der Glossenform der ältesten Erklärungen zum Petrus Lombardus in der Scholastik nicht geübt wurde, sondern daß nach dem Vorbild des Boethius stets größere Aristotelestexte erklärt und im Zusammenhang mit den andern benachbarten Texten und auch mit dem Hauptgedanken und Ideengang der ganzen betreifenden ' „Natura actus prior est potestate" (nspl kptj.rjvstaq1 1.2, c. 1 3 ; M e i s er, A. M. S. Boethii commentarii in librum Aristotelis nspc kp/iyveiaq I 206 28). „In omnibus enim illud quod est actu prius est et nobilius quam id quod potestate est" (TTspt kpßTj^iaq2 1. 6, c. 13; ebd. IT 462, 25). 2 In Porphyr. 2 1. 1, c. 1 ( B r a n d t , Boetii in Isagogen Porphyrii comment. etc. 136 ff).
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aristotelischen Schrift gewürdigt wurden1. Ob nicht auch die bei den Exegeten der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts auftretende und vom hl. Thomas mustergültig ausgebildete Methode, „ein Buch der Heiligen Schrift oder ein Kapitel oder größere Partien eines Kapitels zu zerlegen, um die Ordnung und das Verhältnis der einzelnen Teile unter sich und zum Ganzen oder zum Hauptgedanken aufzuzeigen" 2, im kausalen Zusammenhange mit der boethianischen Methode der Aristotelesinterpretation steht? Doch die Beantwortung dieser Frage wie auch der Spezialnachweis über den Einfluß der boethianischen Aristoteleserklärungen auf die scholastische Aristotelesinterpretation gehören in die Darstellung der Entwicklung der scholastischen Methode in den Zeiten der Hochscholastik und liegt deswegen über den Rahmen dieses mit Anselm von Canterbury abschließenden Buches hinaus. Was speziell den methodischen Einfluß der boethianischen Aristoteleskommentare auf die scholastischen betrifft, so ist bei Einschätzung desselben sicherlich auch der Einfluß der arabischen Aristoteleskommentare auf die Scholastiker in Anschlag und Berechnung zu bringen. Für uns handelt es sich hier nur, in ganz allgemeinen Umrissen die vorbildliche Bedeutung der Kommentare des Boethius zu Aristoteles und Porphyrius für die mittelalterliche Kommentierungsliteratur, speziell für die Aristotelesexegese, darzulegen. Im Einleitungskapitel zu seiner ersten Isagogeerklärung gibt Boethius im Anschlüsse an griechische Quellen die Richtpunkte an, die für die Erklärung einer philosophischen Schrift maßgebend sind. Es sind dies die folgenden sechs Gesichtspunkte: Zweck, Nutzen, Anordnung, Echtheit, Überschrift und Stellung der zu kommentierenden Schrift im Gesamtgebiet der philosophischen Disziplinen, Gesichtspunkte, an der Hand welcher mittelalterliche Interpreten sich eine zu erläuternde Quellenschrift gründlich und nach allen Seiten besehen konnten. Daß die Aristoteleskommentare des Boethius tatsächlich für die scholastische Aristotelesinterpretation von Bedeutung und Einfluß gewesen sind, ist aus der Zitation und Benützung seiner Perihermeneiaskommentare durch Albertus Magnus und Thomas von Aquin ersichtlich. Insbesondere hat der letztere in seinem Kommentar zu Tzep} 1
Man vergleiche zu diesem Zwecke die boethianischen Kommentare zu Ttspl kppL7jV£iag mit der Erklärung des hl. Thomas zur gleichnamigen aristotelischen Schrift. 2 D e n i f l e , Die abendländischen Schriftausleger bis Luther über Iustitia Dei (Rom 1, 17) und Iustificatio 112.
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Boethius, der letzte Römer. Der erste Scholastiker.
kpfjLTjveiaQ sich häufig und in zustimmender Weise auf Boethius
berufen, wie denn auch die streng an die littera des Stagiriten sich anschließende und den Zusammenhang feststellende Interpretationsweise des Aqutnaten mehr an Boethius erinnert als die mehr den Charakter einer freien Paraphrase an sich tragende Aristoteleserklärung des Doctor universalis. Z w e i t e s KapiteL
Die Schrift „De consolatione philosophiae" und das Mittelalter. Große Beliebtheit erlangte Boethius in den gebildeten Kreisen des Mittelalters durch seine Schrift „De consolatione philosophiae". Es ist dieses Buch im Mittelalter äußerst verbreitet gewesen, es fehlte in keiner Kloster- oder Dombibliothek, es wurde unzähligemal abgeschrieben, in verschiedene Sprachen übersetzt, mehrfach glossiert und kommentiert und von Dichtern, Philosophen und Theologen nachgeahmt1. 1
a) Die beste Ausgabe ist: Anicii Manlii Severini Boetii philosophiae consolationis libri quinque. Accedunt eiusdem ac incertorum opuscula sacra; recensuit Rudolfus P e i p e r , Lips. 1871. Was die h a n d s c h r i f t l i c h e V e r b r e i t u n g betrifft, so seien zu den bei P e i p e r a. a. 0. v—xvin namhaft gemachten Codices meist deutscher Bibliotheken noch hinzugefügt die Codd. lat. monac. 14380 (10. Jahrh.), 15 090 (10. Jahrh.), 16 093 (11. Jahrh.). Bezüglich der Verbreitung von Boethiushandschriften in den mittelalterlichen Klöstern siehe G. B e k k e r, Catalogi bibliothecarum antiqui, Bonn. 1885. — b) Bezüglich der Ü b e r s e t z u n g e n der „Consol. philosophiae" sei auf die angelsächsische Alfreds d. Gr., auf die deutsche des Notker von St Gallen (um 1000), auf die französische des Jean de Meung (t 1318), auf die griechische des Maximus Planudes (f 1310), auf eine in der Vatikanischen Bibliothek befindliche Übersetzung ins Hebräische hingewiesen. Über die Übersetzungen vgl. P e i p e r a. a. O. Liff, desgleichen M a z z u c h e l l i , Gli scrittori d'Italia II, part. 3, Brescia 1762, 1416 ff. D e r s . gibt S. 1418 f ein Verzeichnis der Druckausgaben der „Consolatio philosophiae", die noch im 15. Jahrhundert 43mal gedruckt worden ist, sodann S. 1422 ff ein ausführliches Verzeichnis der Übersetzungen ins Italienische, Französische usw. — c) Was die Komment a r e zu den fünf B ü c h e r n „De c o n s o l a t i o n e p h i l o s o p h i a e " betrifft, so sei zu den bei P e i p e r a. a. O. XL—XLVI erwähnten Kommentaren des Wilhelm von Conches, Nikolaus Triveth, Pierre d'Ailly, Dionysius Carthusianus, Johannes Murmellius usw. noch auf folgende handschriftliche Glossen und Kommentare hingewiesen: Cod. 1093 (10. Jahrh.) der Stadtbibliothek T r i e r enthält Teile von Kommentaren des Johannes Scotus Eriugena und des Remigius von Auxerre zur „Consolatio" des Boethius (vgl. E d w a r d K e n n a r d R a n d , Johannes Scotus, München 1896, 97). Von der P a r i s e r N a t i o n a l b i b l i o t h e k kommen in Be-
Die Schrift „De consolatione philosophiae* und das Mittelalter.
Aus der außerordentlich großen Verbreitung und Beliebtheit des Buches „De consolatione philosophiae" darf man jedoch auf keinen ebenso großen Einfluß desselben auf den Inhalt und die Methode der mittelalterlichen Spekulation schließen. Es war das Trostbuch des letzten Römers für das Mittelalter vor allem ein Lesebuch, an dessen anregenden und schönen Gedanken man sich labte, an dessen sprachlicher Eleganz sich selbst der anbrechende Humanismus noch erfreute und bildete1. Für die Entwicklung der philosophisch-theologischen Spekulation, für den Werdegang des Scholastizismus kommt die Schrift „De consolatione philosophiae" vornehmlich dadurch in Betracht, daß der mittelalterliche Leser dieser Trostschrift mit einer Fülle platonischer tracht die Codd. lat. 13953 (10. Jahrh; enthält Glossen zur „ Consolatio"), 14380 (10. Jahrh.; enthält fol. 66\ ein Commentnm des Robert von Lincoln), 16094 (14. Jahrh.), 17 814 (11. Jahrh.), 17 816 (15. Jahrh.; enthält einen Kommentar des Io. Renierius de S. Trudone), 18424 (14. Jahrh.; Text mit Kommentar des Nik. Triveth und Übersetzung des Jean de Meung). Die Universitätsbibliothek Erl a n g e n besitzt in Cod. 301 (11. Jahrh.) die „Consolatiou mit Marginal- und Interlinearglossen. Die Bibliothek von Cues besitzt in Cod. 191 (11. oder 12. Jahrh.) einen „Commentarius in Boethii De consolatione philosophiae/ Fol. 1 ist ein Magister Menegaldus zitiert. Vgl. J. M a r x , Verzeichnis der Handschriftensammlung des Hospitals von Cues, Trier 1905, 178. Über eine M a i h i n g e r Handschrift mit Glossen und einem geschlossenen Kommentar vgl. G e o r g S c h e p ß , Handschriftliche Studien zu Boethius' De consolatione philosophiae, Würzburg 1881. — d) Bezüglich der Nachahmungen der „Consolatio philos". vgl. P e i p e r a. a. O. LVI—LIX und besonders auch V i n c e n z o di G i o v a n n i , Severino Boezio filosofo e i suoi imitatori, Palermo 1881, 131 —174. — e) An neuester Literatur über die „Consolatio philos.u vgl. noch S c h e i d , Über des Boethius Trostbuch, in Stimmen aus Maria-Laach XXXIX (1890) 374ff; G. Grupp, Kulturgeschichte des Mittelalters I 2 155; G r i s a r , Geschichte Roms und der Päpste im Mittelalter I 483; A. Engelb r e c h t , Die „Consolatio philosophiae" des Boethius; Betrachtungen über den Stil des Autors und die Überlieferung seines Werkes, Wien 1902. 1 Es haben sich deswegen auch mit besonderer Vorliebe die Dichter in die Lektüre des boethianischen Trostbuches vertieft. D a n t e berichtet in seinem „Convivio" (2, 13), daß er sich mit des Boethius „De consolatione philosophiae" befaßt habe; er hatte wohl auch bei Abfassung seiner „Vita nuova" für die^ Darstellnngsform, für den Wechsel von Poesie und Prosa die boethianische Schrift vor Augen. Im „Paradiso" (10, 124 ff) läßt er den hl. Thomas über Boethius sich auf folgende Weise äußern: „In Anschauung alles Guten erfreut sich diese heilige Seele. Sie hat die trügerische Welt aufgedeckt dem, der auf sie hörte." Über Boccaccio und Boethius vgl. E. N a r d u c c i , Intorno all' autenticitä di un Codice Vaticano contenente il trattato di Boezio „De consolatione philosophiae" scritto di mano di Oiovanni Boccaccio, in Atti della R. Accademia dei Lincei. Ser. 3. Scienze morali VIII, Roma 1883, 243 ff. Grab mann, Scholastische Methode. I.
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Boethius, der letzte Römer — der erste Scholastiker.
bzw. neuplatonischer Gedanken in Berührung kam und zugleich durch die herrlichen farbenfrischen Schilderungen der Tröstungen und Segnungen der Philosophie für das Studium der Weltweisheit begeistert wurde. Die „Consolatio philosophiae" vermittelte der Scholastik bedeutsame antike Kulturelemente und Kulturwerte. Für die mittelalterliche Philosophie und Theologie bot diese tiefsinnige Schrift manch geistvollen und anregenden Ausspruch dar, welcher der trockenen und verstandesmäßigen Darlegung zur Würze und als Ornament dienen konnte. Doch nicht bloß dies, die mittelalterliche Spekulation hat auch eine Reihe von Definitionen und allgemeinen Prinzipien der Trostschrift des letzten Römers entnommen und als Bausteine für die Aufrichtung des philosophisch-theologischen Systems verwertet. Namentlich hat auch der hl. Thomas eine ziemliche Anzahl solcher Begriffsbestimmungen und Leitsätze aus der ^Consolatio philosophiae" sich angeeignet und dieselben näher beleuchtet und begründet. Von Begriffsbestimmungen, welche aus der „Consolatio" in die mittelalterliche Literatur übergegangen sind und Gemeingut der Scholastik geworden sind? seien hier die Definitionen der Ewigkeit *, der Glückseligkeit 2, der Vorsehung3, des Fatums i namhaft gemacht. Von allgemeinen Prinzipien seien auf die Sätze aufmerksam gemacht: „Omnis cognitio est per modum cognoscentis"5 oder „cognoscens cognoscit per modum suum" 6 ; dann: „Deus stabilis manens dat cuncta moveri0 7 ; ferner: „Inserta est mentibus hominum veri bonique cupiditas" usw.8 Die Gotteslehre der Scholastik weist, wenn man sie in ihre geschichtlichen Elemente zerlegt, auch Gedanken aus der boethianischen Trostschrift auf. Namentlich wird eine historische Analyse der scholastischen Gottesbeweise den Spuren der „Consolatio" mehrfach begegnen9. Es ist deswegen begreiflich und verständlich, daß auch 1
„Aeternitas est igitur interminabilis vitae tota simul et perfecta possessio'1 (Consol. 1. 5, pros. 6). Vgl. S. T h o m a s , S. th. 1, q. 10, a. 1. 2 „Beatitudo est status omnium bonorum congregatione perfectus" (Consol. 1. 3, pros. 2). Vgl. S. T h o m a s , S. th. 1, 2, q. 3, a. 2; De pot. q. 5, a. 1. 3 „Providentia est ipsa divina ratio in summo omnium principe constituta, quae cuncta disponit" (Consol. 1. 4, pros. 6). Vgl. S. T h o m a s , S. th. 1, q. 22, a. 1. 4 „Fatum est inhaerens rebus mobilibus dispositio, per quam Providentia suis quaeque nectit ordinibus" (Consol. 1. 4, pros. 6). Vgl. S. Thomas. S. th. 1, q. 116, a. h 5 6 Consol. 1. 5, pros. 6. Ebd. 1. 2. 7 Consol. 1. 3, metr. 9. Vgl. B o n a v e n t u r a , Opera omnia Sent. I, d. 8y p. 1, a. 2, q. 1. 8 Consol. 1. 3, pros. 2. 9 Vgl. G r u n e w a l d , Geschichte der Gottesbeweise im Mittelalter, Münster 1907, 21 u. 67.
Die scholastische Methode in den Opuscula sacra des Boethius.
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neuere Dogmatiker, z. B. Franzelin, Scheeben u. a., in der Gotteslehre mehrfach auf diese Schrift des Boethius sich berufen. Wenn in der „Consolatio" auch keine eigentliche Erwähnung von Christus und Christentum sich findet, so ist doch das darin gezeichnete Gottesbild so christlich warm und wahr, daß man, selbst wenn keine entscheidenden äußeren Belege für das christliche Bekenntnis des letzten Römers zur Verfügung stünden, in Boethius einen christlichen Denker zu sehen berechtigt ist. Drittes Kapitel. Die scholastische Methode in den Opuscula s a c r a des Boethius. In einem hohen Grade intensiver und nachdrücklicher als durch seine „Consolatio philosophiae" hat Boethius durch seine theologischen Schriften, durch seine Opuscula sacra, auf die Scholastik und speziell auf die scholastische Methode eingewirkt. Er hat durch diese Abhandlungen die scholastische Methode in sehr beachtenswerter Weise vorgebildet und vorbereitet. Es wird sich wohl nicht leugnen lassen, daß der Einfluß der boethianischen theologischen Schriften auf die scholastische Methode in mancher Hinsicht bedeutsamer gewesen ist als selbst die Einwirkung seiner Aristotelesübersetzungen und Aristoteleserklärungen : Mit dem Namen des Boethius sind nun die folgenden theologischen Schriften verknüpft1: I. De sancta Trinitate. II. Utrum Pater et Filius et Spiritus Sanctus de divinitate substantialiter praedicentur. III. Quomodo substantiae in eo quod sint bonae sint cum non sint substantialia bona. IV. De fide catholica. V. Liber de persona et duabus naturis contra Eutychen et Nestorium. 1
Dieselben sind abgedruckt bei M., P. L. LXIV 1247—1412 zugleich mit den Kommentaren des Gilbertus Porretanus. Eine kritische Textausgabe hat P e i p e r im Anhang zur seiner Edition der „Oonsolatio philosophiae" veranstaltet. Das erste opusculum ist von Boethius seinem Schwiegervater Symmachus, das zweite und dritte ist dem Diakon Johannes, späteren Papst Johannes L, gewidmet. 11*
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So wenig das christliche Bekenntnis des Boethius einem begründeten Zweifel unterliegt \ so sicher ist jetzt auch die Echtheit seiner theologischen Schriften beglaubigt. Nur das an vierter Stelle stehende Opusculum „De fide catholica", auch „Brevis fidei christianae complexio" betitelt, das in großen Zügen die Fundamentaldogmen des Christentums: Trinität, Schöpfung, Sündenfall, Inkarnation und Erlösung behandelt und auf Tradition und Heilige Schrift als die zwei Quellen der katholischen Wahrheit hinweist, scheint nicht den Boethius, sondern vielmehr den Johannes Diakonus zum Verfasser zu haben2. Die Echtheit der Opuscula sacra des Boethius (mit Ausnahme des ebengenannten Schriftchens „De fide catholica") ist verbürgt durch das Zeugnis des Cassiodor, das im „Anecdoton Holderi" uns erhalten ist. Es hat nämlich 1877 Alfred Holder in der Hof- und Landesbibliothek zu Karlsruhe einen authentischen Auszug einer verloren gegangenen kleinen Schrift Cassiodors aufgefunden, worin der letztere über Boethius sich also äußert: „Scripsit librum de sancta Trinitate et capita quaedam dogmatica et librum contra Nestorium."3 Es ist übertriebener kritischer - Skeptizismus, wenn der um die Boethiusforschung hochverdiente Schepß die Echtheit dieser Äußerung Cassiodors und infolgedessen auch die Echtheit der theologischen Schriften des Boethius bestreitet4. Übrigens ist die Autorschaft des Boethius an diesen theologischen Schriften (Opusc. I—III, V) auch hinreichend beglaubigt und erhärtet durch die handschriftliche Überlieferung, welche durch Giovanni Bosisio und Cornelius Krieg einer gründlichen und ergebnisreichen Untersuchung unterstellt worden ist5. 1
Vgl. hierüber J. G. S u t t n e r , Boethius, der letzte Römer. Sein Leben, sein christliches Bekenntnis, sein Nachruhm (Progr.), Eichstätt 1852; B o s i s i o , Sul cattolicismo di A. M. T. S. Boezio, Pavia 1867; H i l d e b r a n d , Boethius und seine Stellung zum Christentum, Regensburg 1859; G. B o i s s i e r , Le christianisme de Boece (extrait du Journal des savants), Paris 1889; S e m e r i a , II christianesimo Sev. Boezio rivendicato, Roma 1900. 2 E. K. R a n d , Der dem Boethius zugeschriebene Tr. De fide catholica, in Jahresbericht für klassische Philologie (26. Supplementband), Leipzig 1901. 3 Vgl. M. G. SS. Auetores antiquissimi XII 5—7 und U s e n e r , Anecdoton Holderi 4. 4 Siehe J. D r ä s e k e , Boethiana, in Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie XXXI (1888) 94-104. 5 SulF autenticitä delle opere teologiche di A. M. T. S. Boezio, Pavia 1869. Vgl. hierüber das gründliche Referat von G. S c h ü n d e l e n im Bonner Theolog.
Die scholastische Methode in den Opuscula sacra des Boethius.
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Gegenwärtig wird allgemein die Echtheit der Opuscula sacra des Boethius (mit Ausnahme des Opusc. IV: „De fide catholica") angenommen. B a r d e n h e w e r 1 , F u n k 2 , T e u f f e i - S c h w a b e 3 , H a r n a c k 4 , H a r t m a n n 5 , E h r h a r d 6 u. a. treten für die Autorschaft des Boethius ein. E d w a r d K e n n a r d Rand 7 , der für die Herausgabe der Kommentare des Johannes Scotus (Scotus Eriugena) und des Remigius von Auxerre zu den Opuscula sacra des Boethius in die handschriftliche Überlieferung derselben einen tiefen Einblick gewinnen mußte, bemerkt: „Die Echtheit dieser Schriftchen ist nicht mehr zu bezweifeln." Wenn nach Bejahung der Echtheitsfrage die Frage nach dem Einfluß der theologischen Schriften des Boethius auf die mittelalterliche Theologie aufgeworfen wird, so muß ohne Bedenken eine ganz hervorragende Einwirkung dieser Traktate auf die scholastische theologische Spekulation und namentlich auf die scholastische Methode behauptet werden. Es entspricht den tatsächlichen Verhältnissen nicht, wenn H a r n a c k 8 schreibt: „Aber nicht durch seine christlichen Schriften hat er auf die Folgezeit eingewirkt, sondern durch seine von Aristoteles ganz abhängigen Traktate ,De consolatione philosophiae', die ebendeshalb auch ein Heide geschrieben haben könnte, sowie durch seine Kommentare zu Aristoteles." Eine derartige Unterschätzung des Einflusses der boethianischen theologischen Schriften des Boethius auf das Mittelalter — auf die Unrichtigkeit der Behauptung einer gänzlichen Abhängigkeit der Traktate (!) „De consolatione philosophiae" von Aristoteles braucht kein Leser dieser großenteils auf neuplatonischen und auch stoischen Gedanken ruhenden Literaturblatt 1870, Sp. 804 ff 838 ff; C o r n e l . K r i e g , Über die theologischen Schriften des Boethius, im Jahresbericht der Grörr es-Gesellschaft für 1884, Köln 1885, 23—25. 1 2 Patrologie2 556 f. KL. II 2 171. 3 Geschichte der römischen Literatur II 5 (1890) 1234. 4 Lehrbuch der Dogmengeschichte IIP 31 A. 2. 5 In Pauly-Wissowas Enzyklopädie des klassischen Altertums III 2 599. fi Die altchristliche Literatur und ihre Erforschung seit 1880, 214. 7 Johannes Scottus, München 1906, 19, in Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters I, 2. Heft, herausgegeben von L u d w i g T r a u b e . Der Artikel über Boethius von D r y a n d e r f (Georg Müller) in RE. III 3 277 f hält auffallenderweise die Unechtheit der Opuscula sacra fest. Überw e g - H e i n z e (Grundriß der Geschichte der Philosophie II 9 151) nimmt in der Frage noch eine etwas skeptische Stellung ein. 8 A. a. O.
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Trostschrift eigens aufmerksam gemacht zu werden — wird durch die große handschriftliche Verbreitung und durch die vielfache Glossierung und Kommentierung dieser Opuscula sacra seitens hervorragender mittelalterlicher Denker als unbegründet und unberechtigt dargestellt. Was die handschriftliche Verbreitung betrifft, so besitzen wir zwei Handschriften der Opuscula sacra aus dem 8. Jahrhundert in der Biblioteca Ambrosiana zu Mailand1, ferner Handschriften aus dem 9., 10. und 11. Jahrhundert in München, Bern, Einsiedeln, St Gallen, Paris, in der Vatikanischen Bibliothek usw.2 Noch verbreiteter als Handschriften bloß des boethianischen Textes waren Handschriften dieser Opuscula sacra mit Marginal- und Interlinearglossen, ein Beweis für die große Wertschätzung dieser Traktate in den Jahrhunderten der Vor- und Frühscholastik. E. K. R a n d 3 ist in der Lage, allein mehr denn 20 Handschriften der Opuscula sacra, welche mit den Glossen des Joh. Scotus versehen sind, aufzuzählen, darunter mehrere schon aus dem 9. Jahrhundert, und er bemerkt ausdrücklich, daß seine Aufzählung der Handschriften keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Einfluß und Benützung der theologischen Schriften des Boethius bemerken wir auch bei den Theologen der Karolingerzeit, so bei A l k u i n und H i n k m a r von Reims 4 . Was die mittelalterlichen Kommentare zu den theologischen Schriften des letzten Römers betrifft, so sei hier an die Kommentare des Johannes Scotus Eriugena, des ßemigius von Auxerre, des G i l b e r t de 1a P o r r e e , des P s e u d o - B e d a und des hl. Thomas von Aquin erinnert. Von den Glossen des Johannes Scotus Eriugena und auch des Remigius von Auxerre hat, wie bereits bemerkt wurde und wie bei der Darstellung des Einflusses Eriugenas auf den Werdegang der scholastischen Methode des näheren ausgeführt werden wird, E. K. Rand eine mustergültige Ausgabe und Untersuchung veranstaltet. Der Boethiuskommentar des Gilbert de 1a Porree fand bei dem hohen Ansehen, dessen sich Gilbert als Lehrer und Gelehrter erfreute5, große Verbreitung und hohe Wert1
Vgl. hierüber ß i r a g h i, Boezio filosofo, teologo, martire, Calvenzano Milanese 1865. 2 P e i p e r, Consolatio philosophiae xvni—xxin. 3 4 Johannes Scottus 28 f. P e i p e r a. a. 0. xix u. XLVI. 5 Über den großen Einfluß Gilberts de 1a Porree und über seine Schule vgl. B. G e y e r , Die Sententia divinitatis, herausgegeben und untersucht. Ein Beitrag zur Geschichte des Gilbertus Porretanus (Diss.), Münster 1907. Die Be-
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Schätzung, wenn auch einzelne Sätze kirchlicherseits Beanstandung erfuhren. Die Vatikanische Bibliothek enthält in Cod. Vatic. Lat. 561 (12. Jahrh.) zunächst „Boethii opera cum comnientariis Gilberte und im Anschluß hieran (von fol. 176 ab) eine anonyme „Defensio ortho» doxae fidei Gilberti Porrettae praesertim ex auctoritatibus patrum et Boetii libro De Trinitate contexta". Mit einer mehr oder minder scharfen Stellungnahme gegen die irrigen Sätze Gilberts sind der unter den Werken des Beda abgedruckte Kommentar zur boethianischen Schrift „De Trinitateu des Pseudo-Beda (Gottfried von Auxerre f 1180) (P)1 wie auch der „Tractatus super Boetium De Trinitate" des Magister C l a r e m b a l d u s 2 abgefaßt. Der hl. Thomas von Aquin hat sowohl das erste wie auch das dritte theologische Opusculum des Boethius kommentiert. Im Stamser Katalog sind diese Erklärungen des Aquinaten mit den Titeln „Item quaestiones super Boetium De Trinitate" und „Super Boetium de ebdomadibus" notiert. Im Anschlüsse an diese mittelalterlichen Kommentare zu Boethius sei noch auf einen bislang unbeachtet gebliebenen handschriftlich erhaltenen Kommentar hingewiesen, der sowohl von demjenigen des Scotus Eriugena wie auch von dem des Gilbert de 1a Porree verschieden ist und in Codices der Münchner Hof- und Staatsbibliothek (Clm. 2580, 12. Jahrh.) und der Universitätsbibliothek Erlangen (Cod. 229, 12. Jahrh.) uns erhalten ist. In beiden Handschriften ist der Autor nicht genannt. Im Cod. Erlang. 229, fol. 66r beginnt der Kommentaraiso: „Librum hunc De Trinitate inchoantibus primo videndum est, que sit auctoris intentio, que libri utilitas, ad quem scribat. Intentio auctoris est, in hoc opusculo quaestionem illam solvere quomodo scilicet una in Deo sit substantia tres vero persone." Die Kommentierung des Prologes erstreckt sich von fol. 66r—69% worauf der Kommentar zu den eingentlichen Ausführungen des Boethius „De Trinitate" beginnt und auf fol. 103v mit „bona saltem voluntas supplebit* abschließt. Auf diesen Boethiuskommentar folgt in der deutung Gilberts als Lehrer der Theologie ist im Bilde dargestellt in einer Prachthandschrift der Bibliothek von Valenciennes (Cod. 197, 12. Jahrh.). Siehe D e n i f l e , Die abendländischen Schriftausleger 344. 1 Siehe B. G e y e r a. a. 0. 15. B a c h , Dogmengeschichte des Mittelalters II, Wien 1875, 161 ff. P e i p e r a. a. 0. L. 2 Ebd. Peiper macht hier auf Cod. 142 (12. Jahrh.) der Stadfcbibliothek SaintOmer aufmerksam, welche einen anonymen Tractatus super B. „De Trinitate" mit dem Incipit „Cum regimini scholarum accitus ab episcopo Laudunensi" etc. enthält.
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Erlangener Handschrift unmittelbar eine Glosse zum „Symbolum Athanasianum", während ihm unmittelbar der von Stölzle aufgefundene und herausgegebene „Tractatus de unitate et Trinitate" Abälards vorausgeht. Doch derselbe Erlangener Codex enthält noch von fol. l 1 bis fol. 27r einen Text der boethianischen Opuscula sacra (mit Ausnahme des Opusculum IV: „De fide catholiea"), der mit Marginal- und Interlinearglossen versehen ist. Dieser Teil der Handschrift, der ohne Zweifel für uns hier noch interessanter und bedeutsamer ist als der soeben erwähnte Kommentar zu „De Trinitate" des Boethius beginnt fol. l r also: „Incipit über Anicii Boetii Manlii Severini viri clarissimi et illustrissimi exconsularis ordinarii patricii de sancta trinitate Domino Patri Simmacho." Die auf den meisten Seiten angebrachten röten und schwarzen Randglossen bieten vornehmlich dialektische Begriffsbestimmungen. Namentlich die Glossen zum letzten Opusculum, zur Schrift „Contra Nestorium et Eutychen (von fol. 12T bis fol. 26v) enthalten sehr interessante Notizen über Person, Substanz usw. Der unbekannte Autor dieser Glossen- zeigt sich als einen philosophisch wie auch mathematisch wohl gebildeten Glossator. Am Schlüsse der in dieser Weise glossierten Opuscula sacra (fol. 26r) ist mit roter Schrift das „Elogium Gerberti" auf Boethius angebracht1. Der Glossator hat nicht bloß die schwierigeren Begriffe des boethianischen Textes zu erläutern und zu verdeutlichen gesucht, er hat auch der Methode, die in den boethianischen theologischen Schriften befolgt ist, seine Aufmerksamkeit zugewendet. Es steht diesbezüglich am Schlüsse von „De Trinitate" (fol. 8V) mit roten Buchstaben die nachfolgende beachtenswerte Notiz: „Finitur liber primus. (S)ocraticus usus erat ut ipse qui quereret etiam solveret, utpote ut mens inquisitionem faceret et ratio questionem solveret. ita et adhuc catholicorum quorumdam mos est idem ut Augustini in soliloquiis ita etiam facit Boetius." Aus der großen handschriftlichen Verbreitung der theologischen Schriften und aus den zahlreichen mittelalterlichen Glossen und Kommentaren zu denselben, teilweise aus der Feder hervorragender und einflußreicher Denker, ergibt sich ganz klar, daß diese Opuscula sacra in den Zeiten der Vor-, Früh- und Hochscholastik in hohem 1 Dieses „Elogium Geiberti" ist abgedruckt bei P ei p e r , Consolatio philosophiae XL, woselbst in der Anmerkung auch die Literatur hierüber angegeben ist. Es handelt sich hier um eine Inschrift, die Gerbert für ein Boethiusdenkmal im Palast bzw. in der Bibliothek Kaiser Ottos III. dichtete.
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Ansehen standen und auf die mittelalterliche Spekulation in bedeutsamem Maße einwirkten1. Wenn wir nun den Einfluß der theologischen Schriften des Boethius auf den Entwicklungsgang der scholastischen Methode näher ins Auge fassen, so hat der letzte Römer in seinen Opuscula sacra in einer für die Scholastiker mustergültigen Weise die aristotelische Philosophie auf die erhabensten und tiefsten Geheimnisse des Christentums angewendet zu dem Zwecke, den Glaubensinhalt unserem Denken nahezubringen, denselben in logisch und theologisch korrekter Weise zu formulieren und zu analysieren, einen richtigen sermo de Deo zu ermöglichen. Indessen soll durch diese Tätigkeit der Vernunft der Geheimnis- und Glaubenscharakter des Offenbarungsinhaltes keineswegs beseitigt oder auch nur hintangesetzt werden. Der katholische Glaube bildet vielmehr die unverrückbare Basis für die theologische Spekulation. Der erste theologische Traktat des Boethius: ^De sancta Trinitate" behandelt die Frage: „Quomodo Trinitas unus Deus ac non tres dii?" In dem Proömium, in welchem er diese Schrift seinem Schwiegervater Symmachus zueignet, spricht er sich über die Methode, die er zu befolgen gedenkt, klar und deutlich aus. Er will, wie er des näheren ausführt, diese trinitarische Lehre, diese schwierige, schon viel überdachte Lehre, soweit es die Vernunft vermag, rationell begründen, dem vernünftigen Denken näher bringen2. Er will diese 1
Für das hohe Ansehen der boethianischen Opuscula sacra spricht auch die Tatsache, daß dieselben in den mittelalterlichen Bibliotheken eine bevorzugte Stelle einnehmen und häufig in ein und demselben Codex mit den bedeutsamsten, meistgelesenen und einflußreichsten Traktaten auftreten. Es ist dies z. B. aus verschiedenen Rezensionen der päpstlichen Bibliothek ersichtlich, so aus der recensio a Gregorio XI c. an. 1375 concinnata (n. 285 288 289 1338 1549). Es füllen die boethianischen theologischen Traktate Codices gemeinsam mit Schriften des Pseudo-Dionysius, Johannes von Damaskus, Anselm von Canterbury und Richard von St Viktor. Vgl. E h r 1 e, Hist. biblioth. Pontificum turn Bonifatianae turn Avenionensis, Romae 1889, 475 540 553. 2 „ I n v e s t i g a t a i n d i u t i s s i m e q u a e s t i o n e m , quantum nostrae mentis igniculum lux divina dignata est, f o r m a tarn r a t i o n i b u s litterisque mandatam offerendam vobis communicandamque curavi." Das f o r m a t a m r a t i o n i b u s erläutert Scotus Eriugena mit „subnixam argumentis", der Cod. E r l a n g . 229, fol. 66 v mit „argumentis comprobatam". G i l b e r t de 1a P o r r e e bemerkt hierzu: „Quaestio informis est, dum adhuc in incognito loco manens indigesta multiplicitas, formam veritatis, ut cuius partis contradictionis sit, nesciatur, obducunt. Cum vero loco exposito ipsa quoque de loci universalitate educitur, et per divisionem significatio et modus exeritur, et haec, vel quae cetera ostendit divisio partibus
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rationelle Begründung aus den schwierigsten und tiefsten philosophischen Disziplinen, aus der Metaphysik und Logik entnehmen und das Glaubensgut in einer neuen Sprache, in einer neuen Terminologie darbieten1. Boethius ist sich der Grenze der menschlichen Vernunft in Erforschung der Glaubensgeheimnisse wohl bewußt, er verhehlt sich keineswegs die Schwierigkeit seiner Aufgabe. Es gereicht ihm zur Stütze und zur Ermutigung, am Schlüsse dieses Proömiums sich auf das Beispiel des hl. Augustinus berufen zu können und Symmachus zur Prüfung aufzufordern darüber, ob der in des großen Kirchenvaters Schriften niedergelegte Same rationeller Glaubensbegründung nicht in diesem Traktat „De Trinitate" einige Früchte gezeitigt habe2. „Dies ist genau", so bemerkt mit Recht quaestionis aptantur, ut plene cognosci possit, forma veritatis excluditur. Accedit tarnen ad formain, quod haec partium divisionis partibus quaestionis aptatio argumentis firmatur. Convenit enim, ut quaestio, sicut argumentis in dubitationem adducitur, ita quoque argumentis certa reddaturu (M., P. L. LXIV 1259). Der hl. T h o m a s bemerkt zu „formatam rationibus": „Quaestio namque quamdiu probabilibus rationibus sub dubio agitatur, quasi informis est, nondum ad veritatis certitudinem pertingens; et ideo formata dicitur quando ad eam ratio additur per quam certitudo de veritate habetur; et in hoc providit intelligentia; quia quod credimus debemus auctoritati, quod intelligimus rationi, ut Augustinus dicit.* In Boeth. de Trinitate, prooemii explanatio. 1 „Idcirco stilum brevitate contraho et ex i n t i m i s s u m p t a p h i l o s o p h i a e d i s c i p l i n i s n o v o r u m v e r b o r u m s i g n i f i c a t i o n i b u s velo, ut haec mihi tantum vobisque, si quando adeo convertitis oculos, conloquantur." Cod. E r l a n g . 229, fol. 68 r bemerkt: „Que ex profundissima sumpsi philosophia novorum inquit verborum significationibus velo. Novorum dicit vel quia verba philosophica ad loquandum de trinitate transtulit que in divina pagina nova sunt, id est inusitata vel quia novis quibusdam verbis, id est inusitatis utitur ut est omousion." G i l b e r t de 1a P o r r e e : „Ut sumpta ex philosophiae disciplinis, non dico exterioribus physicae vel interioribus mathematicae, sed intimis theologiae, novorum verborum novis significationibus velo, qualia sunt, homo non est id quod est* (M., P. L. LXIV 1260). Der hl. T h o m a s äußert sich also: „Ex intimis disciplinis philosophiae sumpta, quae sunt disciplinae a sensibus abstrahentes, quarum principiis et conclusionibus utitur, et metaphysicae et logicae." Ebd. 2 „Vobis tarnen etiam illud inspiciendum est, an ex b e a t i A u g u s t i n i s c r i p t i s s e m i n a r a t i o n u m a l i q u o s in nos venientia f r u c t u s ext u l e r i n t . " G i l b e r t de 1a P o r r e e erläutert diese Worte dahin: „Vobis enim etiam illud inspiciendum est et attentissime notandum, an semina, id est principia rationum venientia in nos ex scriptis beati Augustini extulerint aliquos fructus: quasi, auctore Augustino scripsi. Nam quaecumque de hac quaestione dixi, quamvis ab eins verbis dicendi differant qualitate, sensu tarnen conveniunt, et ex intellectu quo se scripsisse significat deducta sunt" (M., P. L. LXIV 1261). Der hl. T h o m a s : „Deinde cum dicit: Verbis tarnen illud inspiciendum est etc. . . ., dicit cuius auctoritatem instruendo sequatur, scilicet Augustini: non ut ea tantum
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Krieg über dieses Proömium1, „die Sprache des ersten Scholastikers; sie charakterisiert klar und bündig das eigentliche Wesen der Scholastik". Im Hinblick auf die von Boethius selbst hervorgehobene innige Beziehung der Trinitätslehre zu derjenigen Augustins bemerkt Conradus Hirsaugiensis in seinem „Dialogus super auctores" 2 : „Ut veredicorum relatio docet, Papiae prope sepulcrum Augustini Ipponensis episcopi et ipse sepultus est, quem etiam imitatus libellum de sancta Trinitate eomposuit, in quo et fidei suae et ingenii perfundissimi aperta argumenta monstravit." Nachdem Boethius im Proömium sich über seine Methode in der Darstellung der Trinitätslehre im allgemeinen verbreitet hat, geht er in die Behandlung der quaestione propositaes des von ihm fixierten und formulierten trinitarisehen Problems selbst ein und stellt an die Spitze seiner Darlegungen im Kapitel 1 die „sententia catholica de trinitate et unitate Dei". Boethius nimmt hiermit seinen Standort auf dem festen Boden des katholischen Glaubens ein, er hat damit eine bestimmte Operationsbasis für seine spekulativen Untersuchungen. Es ist dies offensichtlich der methodische Standpunkt des „credo, ut intelligam", womit später Anselm von Canterbury die eigentliche Scholastik inauguriert hat. Boethius ist indessen nicht bloß damit zufrieden, durch Vorlage der katholischen Glaubenslehre eine dogmatische Norm für seine spekulativen Deduktionen zu besitzen, er will sich auch naherhin über die besondere Art und Weise, wie Fragen der theologischen Spekulation wissenschaftlich behandelt werden wollen, vergewissern. Zu diesem Zwecke gibt er eine im wesentlichen von Aristoteles inspirierte Einteilung der theoretischen Wissenschaften, eine Wissenschaftslehre in großen Umrissen, und unterscheidet nach den Stufen der Abstraktion die spekulativen Disziplinen in Naturwissenschaft (Naturalis), in Mathematik (Mathematica) und Theologie (Metaphysica). Bezüglich der jeder dieser Wissenschaften eigentümlichen Methode dicat, quae in libris Augustini inveniuntur; sed quia ea quae Augustinus de Trinitate dixit, scilicet quod in absolutis divinae personae conveniunt et in relativis destinguuntur, aeeipit quasi semina et prineipia, quibus utitur ad quaestionis difficultatem enodandam; et sie ipsa veritatis explicatio per multas rationes sunt fruetus ex seminibus Augustini in ipso provenientes." Ebd. 1 Über die theologischen Schriften des Boethius, im Jahresbericht der GörresGesellschaft für 1884, 28. 2 G. Schepfi, Conradi Hirsaugiensis Dialogus super auetores sive didascalon (Progr.), Würzburg 1889, 61.
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bemerkt er, daß man in der Naturwissenschaft („in naturalibus") „rationabiliter", in der Mathematik „disciplinaliter" und in der Theologie („in divinis") „intellectualiter" zu verfahren habe1. Nach diesen methodologischen Voraussetzungen untersucht Boethius, ob die göttliche Substanz Form sei, ob in Bezug auf Gott von einer Zahl die Rede sei, ob auf Gott die Prädikamente, speziell die Relation, anwendbar sei. Auf Grund dieser methodisch fortschreitenden Untersuchungen kann der scharfsinnige Denker im Schlußkapitel die Frage „quomodo unitas et trinitas in Deo" endgültig beantworten. Diese Schrift des Boethius konnte sowohl als Ganzes wie auch in den einzelnen Gedankengängen den Scholastikern zum Muster und Vorbild für die methodische Behandlung der Dogmen, speziell der Trinitätslehre, dienen. Sie konnten nicht bloß dem Proömium wertvolle methodische Andeutungen und Anweisungen entnehmen, sie konnten auch aus der strengen Gedankenabfolge, aus der mit Meisterschaft gehandhabten Anwendung philosophischer Begriffe und Grundsätze auf das Glaubensgebiet, aus der scharfsinnigen und umsichtigen Behandlung der den spekulativen Deduktionen entgegentretenden Denkschwierigkeiten eine förmliche Hodegetik der wissenschaftlichen Behandlung schwieriger theologischer Probleme ablesen und ablernen. Die Bedeutung dieser boethianischen Schrift für die scholastische Methode erhellt daraus, daß Thomas von Aquin im Anschluß an das Proömium eingehend die Hauptfragen der theologischen Erkenntnislehre behandelt, speziell die Berechtigung, Tragweite und Grenze des Vernunftverfahrens auf dem Glaubensgebiete beleuchtet, und daß derselbe Scholastiker, der doch die scholastische Methode in ihrer vollendetsten Form repräsentiert, auf Grund der boethianischen Einteilung der Wissenschaft einläßliche Ausführungen über die Wissenschaftslehre uns bietet. Auch die andern theologischen Schriften des Boethius enthalten methodisch interessante Gesichtspunkte und Verfahrungsweisen. Am Schlüsse des kleinen Opusculum II: „Utrum Pater et Filius et Spiritus Sanctus de divinitate substantialiter praedicentur" ruft der Verfasser dem Johannes Diakonus zu: „Fidem, si poteris rationemque coniunge." 1
Über die Wissenschaftseinteilung des Boethius siehe M a r i e t a n , Probleme de 1a classification des sciences d'Aristote a St Thomas 63—71; L. B a u r , Dominicus Gundissalinus, in De divisione philosophiae 350 ff. Über die Bedeutung der Ausdrücke rationabiliter, disciplinaliter, intellectualiter vgl. S. T h o m a s , In Boeth. De Trinit. 6.
Die scholastische Methode in den Opuscula sacra des Boethius.
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Das Opusculum III, kurzweg auch „Liber de hebdomadibus" genannt, ist durch Verwertung der mathematisch-deduktiven Methode für die Scholastik vorbildlich geworden. Boethius stellt nach dem Vorbild der Mathematik allgemeine Sätze, Axiome, an die Spitze, aus denen er die Antwort auf die gestellte Frage deduktiv ableitet. Am Schlüsse der kurzen Einleitung steht die über die Anlage des Schriftchens orientierende Bemerkung: „Ut igitur in mathematica fieri solet ceterisque etiam disciplinis, praeposui terminos regulasque quibus cuncta quae secuntur efficiam." Der hl. Thomas bemerkt zu dieser Stelle, wo Boethius die mathematische Methode als die wissenschaftliche Methode überhaupt bezeichnet: „Ex huiusmodi autem principiis intendit concludere et facere nota omnia quae consequenter tractanda sunt, sicut fit in geometria, et in aliis demonstrativis disciplinis, quae ideo dicuntur disciplinae, quia per eas discipulis aggregatur scientia ex demonstratione quam magister proponit."1 Nach der kurzen Einleitung gibt Boethius neun allgemeine Prinzipien und stellt hierauf die quaestio, welche das Thema des opusculums bildet, wobei der Fragepunkt ausführlich formuliert wird. An die Aufstellung der quaestio schließt sich die Beantwortung derselben, die solutio, an, welche unter Verwertung der vorangestellten allgemeinen Prinzipien sich vollzieht. Diese von Boethius hier befolgte Methode hat im Mittelalter, namentlich auf Alanus de Insulis, Einfluß ausgeübt, dem in seinen „Theologicae Regulae" und in seiner „Ars fidei catholicae" die boethianische Schrift „De hebdomadibus" als Vorlage gedient hat 2 . Auch bei Thomas B r a d w a r d i n u s bemerken wir die Einwirkung dieser Schrift3. Wir werden durch das Büchlein „De hebdomadibus" an das Verfahren, das Spinoza in seiner „Ethik" durch strenge Durchführung der geometrischen Methode eingehalten hat, erinnert. Das ausführlichste und dogmengeschichtlich interessanteste theologische Opusculum des Boethius ist Opusculum V: „Liber de persona et duabus naturis contra Eutychen et Nestorium"4. Es ist diese Schrift in gewissem Sinne ein abendländisches lateinisches Gegenstück zu den koyoi y xazä Nzoropiavcov xai EuTuyiavtoTtov des
Leontius von Byzanz, des mit Boethius ziemlich zeitgenössischen 1
S. T h o m a s , In libr. Boethii De hebdomadibus lect. 1. M. B a u m g a r t n e r , Die Philosophie des Alanus de Insulis 28 ff. 3 H a h n , Thomas Bradwardinus und seine Lehre von der Willensfreiheit, Münster 1905, 13. 4 Vgl. Schwane, Dogmengesch. der patristischen Zeit2, München 1895, 372 f. 2
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Boethius, der letzte Römer — der erste Scholastiker,
griechischen Dogmatikers und Scholastikers. Boethius will in dieser seiner Schrift die Thesis „in utrisque naturis Christum et ex utrisque consistere" behandeln und beweisen1. Er gibt zu diesem Behufe zunächst eine eingehende Bestimmung der Begriffe Natur und Person (Kap. 1—3)? kennzeichnet sodann (Kap. 4—6) die beiden Häresien des Nestorius und Eutyches und gibt schließlich (von Kap. 7 ab) eine scharfsinnige Begründung der zwischen diesen beiden häretischen Extremen in der Mitte liegenden katholischen Wahrheit. Es liegt somit schon in der ganzen Anlage der theologischen Opuscula des Boethius, besonders in dem Bestreben, durch philosophische Hilfsmittel den Glaubensinhalt zu verdeutlichen und zu beleuchten, in dem streng methodisch fortschreitenden Beweis verfahren, in der scharfsinnigen Behandlung und Verbescheidung der entgegentretenden Irrtümer, Einwände und Schwierigkeiten ein hoher propädeutischer Wert für den mittelalterlichen Scholastizismus. Außerdem hat auch die mittelalterliche Scholastik eine Reihe von Leitsätzen, Begriffsbestimmungen und Gedankengängen den theologischen Schriften des Boethius entnommen, wodurch namentlich die scholastische Terminologie befruchtet wurde. So rührt von Boethius die von den Scholastikern viel gebrauchte Unterscheidung von „quo est" und „quod est" her 2 . Sehr häufig begegnen wir in den Darstellungen der Trinitätslehre bei den Scholastikern Sätzen aus der boethianischen Schrift „De Trinitate". In Bezug auf das Wesen Gottes sei an den Satz: „Nam substantia in illo non est vere substantia, sed ultra substantiam"3 erinnert. Mehrfach werden von den Scholastikern auch die Sätze: „Forma, quae est sine mat-eria non poterit esse subiectum4* und: „Hoc vere unum 1 Siehe Proömium zum Opusculum und Kap. 7. Am Schlüsse des Proömiums gibt Boethius den Plan der ganzen Schrift also an: „Sed quoniam semel res a collocutione transfertur ad stilum, prius extremi sibique contrarii Nestorii atque Eutychis summoveantur errores post vero adiuvante Deo, medietatem fidei temperato. Quoniam vero in tota quaestione contrariarum sibimet haereseon de personis dubitatur atque naturis, haec primitus definienda sunt et propriis differentiis segreganda." 2 De Trinit. c. 2; De hebdomadibus. Vgl. S. T h o m a s , S. th. 1, q. 40, a. 1; B o n a v e n t u r a , Sent. I, d. 3, p. 2, a. 1, q. 3 und Sent. I, d. 8, p. 2, art. unic. q. 2. Siehe auch A r t h u r S c h n e i d e r , Psychologie Alberts d. Gr. 392. 3 De Trinit. c. 4. Vgl. A l e x a n d e r von H a i e s , S. th. 1, q. 48, m. 4, a. 3 § 1. B o n a v e n t u r a , Sent. I, d. 23, a. 1, q. 2. 4 De Trinit. c. 2. B o n a v e n t u r a , Sent. I, d. 8, p. 2, dub. 3 und Sent. I, d. 19, p. 2, art. unic, q. 3.
Die scholastische Methode in den Opuscula sacra des Boethius.
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est in quo nullus numerusa 1 zitiert. Für die Lehre von den trinitarischen Relationen sind bedeutsam die nachfolgenden Grundsätze: „Qmnia, quae veniunt in divinam praedicationem, mutantur in substantiam praeter ad aliquid2", sodann: „Ita igitur substantia continet unitatem, relatio multiplicat trinitatem 30 , und: „Quae (seil, relatio) tota non in eo quod est esse consistit sed in eo quod est in comparatione aliquo modo se habere.u 4 Besonders bedeutsam und einflußreich für die Entwicklung und Weiterbildung der scholastischen Terminologie ist das gegen Nestorius und Eutyches gerichtete Opusculum V des Boethius gewesen, da hier die grundlegenden Begriffe Natur und Person festgestellt und analysiert sind und zugleich die lateinische Terminologie der griechischen gegenübergestellt ist. Die Definition der Person: „Persona est naturae rationalis individua substantia" ist von der Scholastik fast allgemein rezipiert und mehr oder minder eingehend gewürdigt worden5. In umfassender Weise sind also die theologischen Schriften des Boethius für die Scholastik bedeutsam und typisch gewesen. Es finden sich in diesen Schriften die Elemente der scholastischen Methode. Boethius war nicht bloß der vorzüglichste Vermittler der griechischen, besonders der aristotelischen Philosophie an das Abendland, er hat auch in seinen theologischen Arbeiten die aristotelische 1 De Trinit. c. 2. Vgl. Bernhard von Clairvaux, De consideratione 1.5, c. 7, n. 17 (M., P. L. CLXXXII 798); P e t r u s Lombardus, Sent. I, d. 8, c. 8; Alexander von Haies a. a. 0. a. 1; Bonaventura, Sent. I, d. 24, a. 2, q. 1; S. Thomas, De pot. q. 7, a. 1; S. th. 1, q. 30, a. 1; Gottfried von F o n t a i n e s , Quodl. III, q. 3. 2 De trinit. c. 4. Bonaventura, I. Sent. d. 9, q. 1, a. 2. S. Thomas, De pot. q. 9, a. 7. 3 De Trinit. c. 6. Alexander von Hai es a. a. 0. a. 3, § 3. Bonav e n t u r a , Sent. I, d. 25, a. 1, q. 1; Sent. I, d. 26, art. unic, q. 3. S.Thomas, S. th. 1, q. 40, a. 2. 4 De Trinit. c. 5. Bonaventura, Sent. I, d. 33, art. unic, q. 1. 5 De persona et duabus naturis contra Eutychen et Nestorium c. 3. Zur Würdigung und Verwertung dieser Definition in der Scholastik vgl. Ostler, Psychologie des Hugo von St Viktor, Münster 1906, 39; Alexander von Haies, S. th. 1, q. 56 u. 58; Bonaventura, Sent. I, d. 23, a. 1, q. 1; Sent..1, d. 25, a. 1, q. 1 u. 2; S. Thomas, S. th. 1, q. 29; Tiphanus, Declaratio de hypostasi et persona c. 16: „Persona definitio a Boetio tradita" (Neuausgabe Paris. 1881, 80). C. Braun, Der Begriff Person in seiner Anwendung auf die Lehre von der Trinität und Inkarnation, Mainz 1876. De Regnon, Etudes sur 1a Trinite I, Paris 1892, 80 ff.
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Boethius, der letzte Römer — der erste Scholastiker.
Philosophie für die Analyse und Begründung des Dogmas in glücklicher Weise verwendet und verwertet. Er beruft sich dabei zugleich auf Augustinus, auf dessen Bahnen er, zumal in der Trinitätslehre, wandeln will. Wir finden somit hier in den Grundzügen die charakteristischen Momente des Scholastizismus, wir bemerken das Bestreben, mit Mitteln der aristotelischen Logik und Metaphysik und mit Verwertung der spekulativ so fruchtbaren Gedanken des hl. Augustinus eine rationelle Einsicht in den Glaubensinhalt zu gewinnen, eine theologische Lehre in fortschreitender Gedankenentwicklung als ein mehr oder minder systematisches Gesamtbild darzustellen und die bei der Deduktion sich entgegenstellenden Schwierigkeiten und Einwände zu entkräften. Es ist im Grunde genommen dasselbe Verfahren, das wir später in den Schriften des hl. Anselm von Canterbury in einer freilich viel schärfer und bestimmter ausgeprägten Form wahrnehmen werden. K r i e g 1 nennt deswegen mit Recht Boethius den „ersten Scholastiker". T h o m a s s i n u s 2 hebt die innigen Beziehungen des letzten Römers sowohl zur Patristik wie auch zur Scholastik hervor: „Propius accessit ad tritum scholae usum Boetius nee a Patrum tarnen »sententia vel faeundia recessit." T i r a b o s c h i 3 bezeichnet ihn als den wahren Urheber und Vater der scholastischen Lehrmethode. „Esprit et methode", schreibt Godet 4 , „les opuscules de theologie presagent et preparent les travaux des scolastiques; car, en aeeeptant 1e dogme, ils vont, non pas ä 1e comprendre, mais ä 1e prouver aux yeux de 1a raison; 1a foi y cherche l'intelligence, et, d'autre part, les avantages que 1a philosophie retire de 1a revelation en ressortent nettement." Auch R a n d 5 bringt die Opuscula sacra des Boethius mit dem beginnenden Scholastizismus in Beziehung, er sieht in ihnen „eigentlich die Erstlinge der scholastischen Methode". Im Zusammenhange mit Boethius sei hier auch Cassiodor (f 570)6 erwähnt, der durch seine „Historia ecclesiastica tripartita" die 1
Über die theologischen Schriften des Boethius, im Jahresbericht der GörresOesellschaft für 1884, 24. 2 Theolog. Dogm. De Deo 1. 4, c. 4, n. 9 (ed. Vives I, Paris., 317). 3 Storia della letteratura italiana antica e moderne III 46. 4 V a c a n t - M a n g e n o t in Dictionnaire de theologie cath. II 921. 5 Johannes Scottus 19. 6 Vgl. A. F r a n z , Cassiodorius Senator, Breslau 1872; H a r t i n a n n , Artikel über Cassiodor in Pauly-Wissowas Realenzyklopädie der klassischen Altertumswissenschaften III 2 1672—1676. Die nähere Literatur siehe bei B a r d e n h e w e r , Patrologie2 561 ff.
Die scholastische Methode in den Opuscula sacra des Boethius.
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griechischen Kirchenhistoriker in das Mittelalter eingeführt hat, und dessen „Institutiones divinarum et saecularium lectionum" (litterarum) auf die mittelalterliche Gelehrsamkeit von Einfluß gewesen sind. Das erste Buch des letzteren Werkes stellt eine Methodologie des theologischen Studiums, eine Hodegetik zum Studium der Heiligen Schrift dar. Cassiodor betont hier besonders die Autorität der Väter für die Auslegung der Heiligen Schrift. Das zweite Buch, gewöhnlich „De artibus ac disciplinis liberalium litterarum" betitelt, gibt einen Grundriß der sieben freien Künste, enthält also die Grundzüge der profanen Gelehrsamkeit, welcher Cassiodor hohen propädeutischen Wert für das Studium der Heiligen Schrift beimißt. Es sind diese „Institutiones" des gelehrten Mönches von Vivarium, namentlich das zweite Buch, ein Bildungsbuch für das mittelalterliche Abendland geworden. Isidor von Sevilla, Alkuin und Rhabanus Maurus schöpfen daraus K Von Boethius ist die literarische Art Cassiodors grundverschieden. Er ist in der Wissenschaft Sammler und Praktiker, metaphysische Spekulationen liegen ihm fern. Seine Kenntnisse in profanen Wissensgebieten beschränken sich auf die Fächer des Triviums und Quadriviums. In seiner Anschauung von der Verwertung profaner Disziplinen für theologische Aufgaben ist er wesentlich von Augustins „De doctrina christiana" inspiriert2. Viel benützt wurde im Mittelalter Cassiodors Psalmenkommentar, wie auch seine „Historia ecclesiastica triparflta" dem Mittelalter als kirchengeschichtliches Handbuch diente. Die eindringende Kenntnis der griechischen Philosophie, besonders des Aristoteles, wie sie Boethius besaß und auch für die Theologie nutzbar machte, findet man weder bei Cassiodor noch bei den gelehrten Sammlern der Vorscholastik. Es darf uns deswegen nicht wundernehmen, wenn nur ein verhältnismäßig kleiner Bruchteil der aristotelischen Philosophie in der Vorscholastik und in den ersten Entwicklungsstadien der Frühscholastik für die dialektische Bearbeitung des Offenbarungsinhaltes zur Verwendung kam. 1 2
Vgl. L. B a u r , Dominicus Gundissalinus 352 ff. E g g e r s d o r f e r , Der hl. Augustin als Pädagoge 211 ff.
Grabmann, Scholastische Methode. I.
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Vierter Abschnitt. Die Überlieferung und Weiterbildung der patristischen und boethianischen Anfänge der scholastischen Methode in der Vorscholastik. Erstes Kapitel. Die wissenschaftliche Arbeitsweise im karolingischen Zeitalter und in den darauf folgenden Zeiten. Gegen Ende des 7. Jahrhunderts beginnt eine große Verschiebung in der Entfaltung des kirchlichen Lebens. Der Schwerpunkt des politischen, religiösen und kulturellen Lebens verlegt sich immer mehr nach Westen und Norden1. Die Kirche tritt an die Lösung der schwierigen Aufgabe heran, den germanischen Völkern die Segnungen der Christlichen Zivilisation zu bringen. Die literarischen Schätze des klassischen Altertums und die Schriften der Väter mit ihrem hohen Bildungswert werden vom germanischen Geiste ergriffen und durchdrungen. Die christliche Wissenschaft verläßt die heiligen Hallen der Patristik, es beginnt die Zeit der mittelalterlichen Theologie, deren erste bis auf Anselm von Canterbury reichende Epoche wir als Vorscholastik bezeichnen möchten. Für die Erhaltung und Überlieferung der klassischen und patristischen Literatur hatte die göttliche Vorsehung in den ersten Jahrhunderten des Mittelalters eine Heimstätte, ein Asyl auf den britischen Inseln geschaffen 2. Hier war namentlich auch die Kenntnis des Griechischen durch den Mönch Theodor, späteren Erzbischof von Canterbury, verbreitet worden. Die Glaubensboten, die von England und Irland nach Deutschland kamen, waren auch Träger 1 Vgl über diesen Umschwung J. A. M ö h 1 e r , Gesammelte Schriften und Aufsätze II 280. 2 Z i m m e r , Pelagius in Irland, Berlin 1901. S c h u l t z e , Die Bedeutung der iro-schottischen Mönche für die Erhaltung der Wissenschaft, in Zentralblatt für Bibliothekwesen 1889, 185 ff 233 ff 281 ff.
Die wissenschaftliche Arbeitsweise im karolingischen Zeitalter etc.
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der Kultur und Wissenschaft. Welch hohes Maß von Bildung repräsentiert nicht Bonifatius, der größte dieser Missionäre, der Apostel der Deutschen! Hauptsächlich von den britischen Inseln aus wurde altklassische und patristische Bildung in das Frankenreich verpflanzt, woselbst unter Karl d. Gr. und noch mehr unter seinem hochgebildeten Enkel Karl dem Kahlen eine Renaissance der Wissenschaften heraufgeführt wurde. Auf diese Zeit der Blüte im karolingischen Zeitalter folgte in den unruhigen Zeiten des 9. und 10. Jahrhunderts jäh ein Sinken, ein Niedergang wie des kirchlichen so auch des wissenschaftlichen Lebens. Erst der mächtige Aufschwung des kirchlichen Lebens gegen Ende des 11. Jahrhunderts, der Sieg der Reform auf kirchlichem Gebiete, führte eine Erhebung, eine Blüte der kirchlichen Wissenschaft herauf, leitete den Beginn der eigentlichen Scholastik, deren jugendfrischer rascher Entwicklungsgang im 12. Jahrhundert als Frühscholastik bezeichnet wird, erfolgreich ein. Es obliegt uns nunmehr, in der bis in die Tage Anselms von Canterbury sich erstreckenden Vorscholastik alle jene literarischen Bewegungen und Strömungen wahrzunehmen und im Zusammenhange darzustellen, welche die in der Väterzeit zu Tage getretenen Ansätze und Anfänge der scholastischen Methode erhalten, weiterführen und weiterentwickeln. Es wird sich zeigen, daß nicht ein rauhes, gänzlich unwegsames Gebirge die fruchtbaren Auen der Patristik von den gesegneten Triften der Früh- und Hochscholastik trennt, sondern daß vielmehr eine Fülle von Verbindungswegen diese beiden großen Aren christlicher Wissenschaftsblüte gerade in den von uns als Vorscholastik zusammengefaßten Jahrhunderten in regen Lebensverkehr, in innige Fühlung bringt. Wir werden unserer Aufgabe am ehesten gerecht werden, wenn wir zuerst die wissenschaftliche Signatur der Vorscholastik im allgemeinen feststellen und sodann die Hauptvertreter der scholastischen Methode in der voranselmianischen Theologie im einzelnen ins Auge fassen. § i. Die Signatur des frühmittelalterlichen Wissenschaftsbetriebes. Traditionalismus (auctoritas). Die Bedeutung der lateinischen patristischen Florilegien. Die Schuldialektik (ratio). Die Hauptsignatur des Wissenschaftsbetriebes im karolingischen Zeitalter und in den darauf folgenden Zeiten bis hinein in die Frühscholastik ist R e z e p t i v i t ä t , T r a d i t i o n a l i s m u s . Es ist die 12*
Die Überlieferung und Weiterbildung etc.
Vorscholastik eine Zeit des Sammeins und Exzerpierens, der Reproduktion und Kompilation. Charakteristisch für die Bildung des früheren Mittelalters ist das ausschlaggebende Ansehen der auctoritas, die Abhängigkeit von den Aussprüchen und Anschauungen der großen Lehrer der Väterzeit. Hinter dieser unbedingten Hinnahme der Väterautorität, hinter diesem Kult der auctoritas mußte die ratio, das vernünftige Verarbeiten, das Durchdringen und selbständige Erfassen des überlieferten Stoffes, zurücktreten. „In jener Zeit der innigsten, zuversichtlichsten, bergeversetzenden Glaubensstärke galt ein Wort der Heiligen Schrift, der Schluß eines Kirchenrates, der Ausspruch eines Heiligen Vaters als die höchste inappellable Instanz; was mit einer Autorität gedeckt war, das galt als bewiesen, und keine höhere Bürgschaft reinster, unbefleckter Rechtgläubigkeit konnte es geben, als eine Erörterung in die Worte jener verehrten Lehrer zu kleiden."1 Diese Rezeptivität, dieser hyperkonservative Zug hängt auch mit dem Schulwesen des früheren Mittelalters zusammen. Die gelehrte Bildung wurde gegeben und empfangen in den mit dem Aufblühen des Benediktinerordens entstehenden, in ihren Prinzipien auf Augustinus zurückgehenden Kloster- und Domschulen 2. Es sind diese Schulen — es sei hier bloß an die Dom- bzw. Klosterschulen von Tours, Orleans, Lyon, Reims, Chartres, Corbie, Fulda, Reichenau, St Gallen usw. erinnert — blühende Heimstätten der Gelehrsamkeit gewesen. Aber die ganze Einrichtung des Schulbetriebes, dp,s Verhältnis von Schüler und Lehrer, der Lehrplan, all dies drückte dem in diesen Schulen erworbenen Wissen den Stempel des Überlieferten, des Traditionalismus auf. Was den Lehrplan und Lehrgang in diesen Schulen betrifft, so wurde das profane Wissen in den Fächern des Triviums und Quadriviums, im Rahmen der sieben freien Künste gelehrt. Die Hauptlehrbücher für die freien Künste waren das um 430 geschriebene Buch des Martianus Capella: „De nuptiis Mercurii 1
J. S c h n i t z e r in Hist.-polit. Bl. CXXVIII 541. Vgl. P. G a b r i e l M e i e r 0. S. B., Ausgewählte Schriften von Columban, Alkuin, Hrab. Maurus (1890) 8; S c h a u b, Kampf gegen den Zinswacher, ungerechten Preis und unlautern Handel im Mittelalter, Freiburg 1905, 1 ff. 2 Über diese Dom- bzw. Klosterschulen siehe u.a. C l e r v a l , Les ecoles de Chartres au moyen-äge du 5e au 16e siecle (1895); A s p i n w a l l , Les ecoles episcopales et monastiques de l'ancienne province eccle*siastique de Sens du 6e au 12e siecle, Paris 1904; J u l i u s J ä g e r , Die Schola Carolina Osnabrugensis. Eine Geschichte der dortigen Domschule und ihrer Entwicklung von Karl d. Gr. bis auf unsere Zeit, Osnabrück 1904.
Die wissenschaftliche Arbeitsweise im karolingischen Zeitalter etc.
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et Philologiae", ein didaktischer Roman, eine mythisch-allegorische Enzyklopädie der septem artes liberales, ferner Cassiodors Schrift über die sieben freien Künste und die einschlägigen Partien von Isidors Etymologien. In diesen profanen Studien, namentlich in den Fächern des Triviums, lebte das klassische Altertum im Mittelalter fort1. Die profanen Studien wurden als Propädeutik für die Theologie aufgefaßt, ohne daß jedoch dabei eine innere Verbindung beider Wissensgebiete angestrebt wurde. Die in den sieben freien Künsten, namentlich in der Dialektik, liegenden formellen Vorteile und didaktischen Hilfsmittel wurden in den Jahrhunderten der Vorscholastik im allgemeinen wenig auf Gestaltung und Durchdringung des Offenbarungsinhaltes verwendet. Die Theologie bestand vor allem in Exegese der Heiligen Schrift, die dem Zwecke nach einen moralisierenden und allegorisierenden Charakter hatte, der Form nach ein fast ausschließlich kompilatorisches Gepräge an sich trug. Für die Erklärung der Heiligen Schrift kamen nicht so fast grammatikalischhistorische Gesichtspunkte und selbständige Untersuchungen über den Gedankengang und Zusammenhang der Bibeltexte, sondern hauptsächlich nur Ansammlungen von Exzerpten aus den Vätern in Betracht. 1 Über die Einrichtung, das Studienprogramm, die Lehrmittel usw. dieser Schulen handelt zusammenfassend De W u l f , Histoire de 1a philosophie medievale 2 145—157. — Über das Studium der sieben freien Künste im Mittelalter vgl. P. G a b r i e l M e i e r 0. S. B., Die sieben freien Künste im Mittelalter, Einsiedeln 1886. K. A p p u h n , Das Trivium und Quadrivium in Theorie und Praxis, Erlangen 1900. F e r r e r e , De 1a division des sept arts liberaux, in Ann. de philos. ehret., Juin 1900. — Über Martianus Capella siehe E b e r t , Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters 1 2 483; Baum g a r t n e r , Geschichte der Weltliteratur IV 198 ff; De W u l f a. a. O. 155. — Über die Pflege der klassischen Studien im Mittelalter handeln U r 1 i c h s, Grundlegung und Geschichte der klassischen Altertumswissenschaft, in Iwan Müllers Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft I 2 , München 1892, 41 ff. B u r s i a n , Beiträge zur Geschichte der klassischen Studien im Mittelalter, in Sitzungsberichte der kgl. bayrischen Akademie der wissenschaftlich philosophisch-historischen Klasse 1873, 157—578. Revue Benedictine XII (1895) 529—545: Les classiques au moyenäge. R o g e r , L'enseignement des lettres classiques d'Ausone ä Alcuin, Paris 1905. Roger erbringt den Beweis dafür, daß die mittelalterliche Klosterschule nicht eine Fortsetzung und Modifikation der römischen Rhetorenschule, sondern ein neues Institut gewesen ist. Über die Bedeutung Virgils für die mittelalterlichen Schulen siehe C o m p a r e t t i , Virgilio nel medio evo 2 (1896). Über das Fortleben des Lukrez besonders in der frühmittelalterlichen Literatur handelt P h i l i p p e , Lucrece dans 1a the'ologie chretienne du 3 e au 13 e siecle et speciellement dans les £coles carolingiennes, 1896.
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Die Überlieferung und Weiterbildung etc.
Dieser Charakter der Rezeptivität, der von subjektiver Auffassung und Verarbeitung unbeeinflußten Stoffüberlieferung, der dem frühmittelalterlichen Unterrichtswesen eignet, tritt uns allenthalben auch bei den schriftstellerischen Leistungen dieser Epoche entgegen. Die theologische Literatur der Vorscholastik steht mit wenigen Ausnahmen unter dem Zeichen der Reproduktion. Die Katenen- und Florilegienliteratur der ausgehenden Patristik findet eine vielfache Nachahmung und Fortführung. Für die Auswahl der Vätertexte war maßgebend das sog. Gelasianische Bücherdekret: „De libris recipiendis" , das die Nichtbenutzung einer Reihe von patristischen Schriften (z. B. Klemens' von Alexandrien, Tertullians) zur Folge hatte 1 . Wir sehen, wrie Männer von der Bedeutung eines Servatus L u p u s 2 und H i n k m a r von R e i m s 3 sich auf dieses Dekret berufen. Unter allen Vätern erfreute sich der hl. Augustinus des meisten Ansehens. Ein Blick in die mittelalterlichen Handschriftenbestände mit ihren zahlreichen Augustinushandschriften und Augustinusexzerptensammlungen gibt uns einigermaßen einen Begriff von der beispiellosen Hochschätzung, welche auch die Jahrhunderte der Vorscholastik dem größten aller Kirchenväter entgegenbrachten4. Die Schriftsteller dieser Zeit rühmen in den höchsten Lobeserhebungen die Größe Augustins. Karl d. Gr. war, wie der Monachus Sangallensis berichtet, selbst ein begeisterter Verehrer Augustins, er ließ sich aus der „Stadt Gottes" vorlesen5. Sein Rundschreiben an die geistlichen Würdenträger seines Reiches zur Pflege der freien Künste ist von augustinischen Gedanken inspiriert6. S e r v a t u s Lupus (f ca 862) feiert in 1
Abgedruckt bei T h i e l , Epist. Rom. Pontif. I 455 ff, desgleichen bei P r e u s c h e n , Analecta, Freiburg 1893, 147 ff. Vgl. T h i e l , De decretali Gelasii papae de recipiendis et non recipiendis libris, Brunsberg. 1866; M i r b t . Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus2, Tübingen und Leipzig 1901, 68 ff; G r i s a r , Geschichte Roms und der Päpste im Mittelalter I 735 ff. Es wurde dieses sog. Gelasianische Bücherdekret auch in das Dekret Gratians aufgenommen. 2 Epist. 128 (M., P. L. CXIX 605). 3 S c h r ö r s , Hinkmar, Erzbischof von Reims, Freiburg 1884, 173. 4 Es seien bloß an die zahlreichen Augustinushandschriften (9.—13. Jahrh.) der Vatikanischen Bibliothek (Cod. 414—515) erinnert. Über die hervorragende Stelle der augustinischen Schriften in den mittelalterlichen Klosterbibliotheken siehe L. D e l i s i e , Le Cabinet des manuscrits de 1a Bibliotheque nationale 427 bis 440: Bibliotheque de Corbie: 458—485: Bibliotheque du Cluni. 5 E g g e r , Der hl. Augustinus 121. 6 C a r o l i M. epist, de litt, colend. (M. G. LL. Sect. 2: Capit. Reg. Franc. I 79).
Die wissenschaftliche Arbeitsweise im karolingischen Zeitalter etc.
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den rühmendsten Epithetis den Denker, den Schriftsteller, den Schrifterklärer Augustinus1. P r u d e n t i u s von T r o y e s (f 861) hat in einem seiner Briefe ein begeistertes „Encomion S. Augustini" hinterlassen2. N o t k e r B a l b u l u s (f 912) rühmt die exegetische Tätigkeit des großen Kirchenvaters und eignet sich den schon vor ihm ausgesprochenen Satz an: „Si Augustinus adest, sufficit ipse tibi." 3 R a t h e r i u s von V e r o n a (f 974) beruft sich fortwährend auf Augustinus und bekennt, wie viel er dem Einfluß dieses Heiligen verdanke4. Der große Einfluß Augustins auf die vorscholastische theologische Literaturperiode erhellt besonders deutlich aus der Florilegien- und Katenenliteratur. Die meisten Steinchen dieser Mosaikarbeiten sind den Werken Augustins entnommen. In den Handschriftenbeständen begegnen uns häufig „Flores ex S. Augustino"5. Neben Augustin ist auch Gregor d. Gr., besonders in den Florilegien, die mehr praktische Zwecke verfolgen, reichlich vertreten. Dieser große Papst war besonders in der angelsächsischen Kirche hochangesehen. Einzelne seiner Schriften wurden im 9. Jahrhundert ins Angelsächsische übersetzt. Wir müssen hier im Zusammenhang diese Florilegien kurz charakterisieren. Denn fürs erste bekunden gerade diese Exzerptensammlungen die dieser Epoche eigentümliche Rezeptivität in vorzüglichstem Maße. Fürs zweite finden sich in diesen Florilegien häufige Anläufe zur Systematik. Es wurden die Vätertexte nach bestimmten Gesichtspunkten, wenn auch in loser Form gruppiert, wodurch eine 1 „Clarissimus idemque suavissimus auctor Augustinus" (epist. 4, M., P. L. CXIX 444). „Vir ille divini ingenii" (epist. 5; ebd. 446). „Ipse autem Augustinus, quem nescias utrum rerum inventione magis an dicendi felicitate mireris" (Liber de tribus quaestionibus; ebd. 634). 2 Prudentius (M., P. L. CXV 973) will darstellen : „Boctrinambeatissimi Patris Augustini omni um alsque ulla dubietate undecumque doctissimi sanctarum Scripturarum auctoritati in omnibus concordissimam, quippe nullus doctorum abstrusa earum scrupulosius rimatus, diligentius exquisierit, verius invenerit, veracius protulerit, luculentius enodaverit, fidelius tenuerit, robustius defenderit, effusius disseminaverit." 3 De interpretibus divinarum scripturarum c. 5 (M.. P. L. CXXXI 998). 4 „Sed et ille, qui nostrum, quod laboramus, iam in multis iuvit, auxit, ornavit, et roboravit opus, ne quid minus et ad id explicandum posse videatur, adsit, rogo, quantocius Augustinus utique beatus" (M., P. L. CXXXVI 204). 5 Es sei z. B. an die Münchner Handschriften 11011 14176 erinnert. Über derlei Augustinusexzerpte siehe auch 0 u d i n ,' Comment. de scriptoribus ecclesiae antiquis I, Lips. 1733, 990—993.
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Überleitung von den Sentenzensammlungen eines Isidor und Tajus zu den Sentenzenwerken der Frühscholastik gegeben ist 1 . Fürs dritte haben diese Florilegien auch teilweise noch den späteren Scholastikern positives Material, eine Fülle von auctoritates für die theologische Beweisführung dargeboten. In Ermanglung kompleter Väterhandschriften wurden auch später die Väterzitate in vielen Fällen solcherlei Sentenzensammlungen entnommen2. Fürs vierte endlich haben diese Florilegien auch Anlaß zur Ausbildung und technischen Entfaltung der scholastischen Methode gegeben. Nichtübereinstimmung solcher Väterautoritäten erzeugte das Bestreben, auf dialektischem Wege diese Gegensätze auszugleichen3. Was die a l l g e m e i n e E n t w i c k l u n g dieser Exzerptenliteratur vom Beginn des Mittelalters bis in die Scholastik hinein betrifft, so hat Künstle 4 , der eine ältere Sammlung von „Sententiae sanctorum" ediert und gewürdigt hat, den Werdegang dieser Literaturgattung also gekennzeichnet: „Wie man vom 7. bis zum 10. Jahrhundert keine originellen Kunstformen zu schaffen im stände war, sondern immer wieder die altchristlichen Gebilde reproduzierte und kopierte, so hat man auch die theologische Literatur wieder so überliefert, wie sie das 6. Jahrhundert abgeschlossen hatte. In der Karolingerzeit dagegen hat man mit großem Eifer den Kirchenbau gepflegt; aber es ist im wesentlichen immer die altchristliche Basilika, die man schuf. In derselben Zeit hat man mit unermüdlichem Eifer theologische Handschriften abgeschrieben; aber es sind vielfach die theologischen Sammelwerke aus viel früherer Zeit, die man der Nachwelt überlieferte. Vielleicht fügte man am Schlüsse Partien aus Isidor und Alkuin bei, ließ aber im übrigen die Texte in der Gruppierung, wie sie sich aus dem 6. Jahrhundert erhalten hatten. Eine neue Form wie im Betrieb der theologischen Wissenschaft, so auch in der Überlieferung der theologischen Literatur datiert vom Beginn 1 Es gehen diese Florilegien parallel mit den vorgratianischen Kanonen- und Dekretaliensammlungen. Vgl. M a a ß e n , Geschichte der Quellen und der Literatur des kanonischen Rechts im Abendlande I, Graz 1870; F o u r n i e r , Etudes sur les peiiitentiels, in Revue d'hist. et de litt. rel. 1901, 286—317; 1902, 59—70 121—127. 2 G. v. H e r t l i n g , Augustinuszitate bei Thomas von Aquin, in Sitzungsberichte der philos.-philol. und der historischen Klasse der bayrischen Akademie der Wissenschaften 1904. 540. 3 Ebd. 538. 4 Eine Bibliothek der Symbole und theologischer Traktate zur Bekämpfung des Priscillianismus und westgotischen Arianismus aus dem 6. Jahrhundert, Mainz 1900, vin.
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der Scholastik. Von dieser Zeit an entstehen die großen Miszellancodices, worin hauptsächlich jene patristischen Texte ausgewählt sind, die für das Studium der Dogmatik von Bedeutung waren. Diese tragen gewissermaßen ein internationales Gepräge an sich/ Wenn wir die einzelnen Formen dieser mittelalterlichen Florilegien, die zum großen Teil ungedruckt und undurchforscht sind, näher ins Auge fassen, so sind sie zum Teil, ähnlich wie der größte Teil der patristischen Katenen, exegetischer Natur. Es wurden zu Büchern der Heiligen Schrift Kommentare hergestellt, die sich ganz aus Väter- bzw. Augustinuszitaten zusammensetzen. Denifle 1 hat auf eine Reihe solcher Katenen zu den Paulinen aufmerksam gemacht. Vielfach wurden auch theologische Monographien in dieser Katenenform hergestellt. Gezo (f 984) hat seinen „Liber de corpore et sanguine Christi" aus Cyprian, Hilarius, Ambrosius, Augustinus, Gregorius, Hieronymus, Isidor usw. exzerpiert: „De quorum omnium scriptis quosdum sententiarum decerpsimus flores." -2 Unter dem Namen des Erzbischofs Amulo von Lyon (f 852) ist uns eine Zusammenstellung von augustinischen Sätzen über Prädestination, Gnade und Willensfreiheit erhalten: „B. Augustini Sententiae de praedestinatione et gratia Dei et libero hominis arbitrio collegente Amulone episcopo Lugdunensi"3. Sehr viele, dieser patristischen Florilegien haben große Gebiete der Theologie zum Gegenstande, wobei in der Vorscholastik der praktische, aszetische Gesichtspunkt vorwiegt. So haben Odo von C l u g n y 4 (f 942) und A d a l b e r t von Metz 5 (um 970) solche Florilegien aus den Schriften Gregors d. Gr. hergestellt. 1
Die abendländischen Schriftausleger bis Luther über Tustitia Dei (Rom 1, 17) und lustificatio 22—25: „Sammlungen von Exzerpten aus Augustin; Katenen." 2 M., P. L. CXXXVII 371-406. 3 Ebd. CXVI 106—140. Die Autorschaft Amulos läßt sich nicht beweisen. Vgl. S c h r ö r s , Der Streit über die Prädestination im 9. Jahrhundert 33 A. 37. 4 M., P. L. CXXXIII 107—512: „Epitome Moralium S. Gregorii in Job" des hl. Odo von Clugny. Vgl. H u r t e r , Nomenciator I 880. S a k u r , Die Cluniacenser II 331 ff. 5 M., P. L. CXXXVI 1309—1312. Adalbert schreibt in der praefatio in Florilegium ex S. Gregorio (col. 1311): „Non temerario si quidem, ut mihi videtur, ausu id tentavi peragere, sed revera eo magis studio, ut tarn ego quam mei, si forte sunt similes, quos non multum vacat legere, aut etiam si vacat, desidia non sinit multa legendo percurrere, aut si studium adsit, forsitan copia, ut plerisque in locis assolet, deest librorum; hoc nostrum, si tarnen libuerit excerptionis opusculum compendio percurrere queant, et fastidium prolixitatis pati omni modo
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An ungedruckten Florilegien (Flores sententiarum, Libelli auctoritatum, Auctoritates-, Deflorationes, Excerpta theologica, Diffinitiones patrum usw.) liegt in den Handschriftenbeständen eine sehr große Zahl. Es seien hier einige der wichtigsten dieser Handschriften namhaft gemacht. Die Pariser Nationalbibliothek besitzt in Cod. lat. 13 381 (aus der Benediktinerabtei Saint-Germain-des-Pres stammend) ein sehr beachtenswertes Exzerptenwerk aus dem 9. oder 10. Jahrhundert, das in gewissem Sinne eine aus Augustinusstellen zusammengefügte theologische Summa darstellt. Es erinnert dieses Werk in vieler Hinsicht an die Sentenzen, des Tajus. Freilich steht dasselbe, was Gliederung und gleichmäßige Behandlung der einzelnen Materien betrifft, bedeutend hinter Tajus zurück. Während psychologischen Fragen ein unverhältnismäßig großer Raum zugeteilt ist, finden die andern theologischen Fragen eine wenig ausführliche und großenteils recht fragmentarische Erörterung. Ob dieses Werk dem Heiricus von Auxerre, dem es zugeschrieben wird, tatsächlich auch zugehört, läßt sich nicht feststellen 1. Eine bedeutsame Floreshandschrift der Bibliotheque nationale zu Paris ist der gleichfalls aus der Handschriftensammlung von Saint-Germain-des-Pres stammende, im 10. Jahrhundert geschriebene Cod. lat. 13441. Es enthält derselbe eine in die Form von interrogationes und solutiones gekleidete Auslese von Väter-, meist Augustmustexten, zunächst zu biblischen Gegenständen und im weiteren Verlauf zu dogmatischen und moralischen Thematen2. Auch nesciant." Weiter unten (col. 1312) schreibt er: „Ecce per prata cucurrj amoenissima ac fiorum diversitate vernantia omnique iucunditate plenissima; quibus tanta sum aviditate illectus, cum sint cuncta fragrantia, cnncta redolentia, ut penitus omnia concupiverim. Sed quia universa concupida exili praeditus industria mecum ferre non valui, sedit animo, ut flores quos pulchriores inspexi habere colores et perplurima praevidi habere medicamina, decerpere studerem." 1 D e l i s l e , Inventaire des manuscrits de Saint-Germain-des-Pres 100: „ 13381 Extracts de S. Augustin, attribue's ä Eric d'Auxerre." S i m m l e r (Des Sonames de theologie 25) sagt von dieser Handschrift: „C'est une Somme de theologie tiree de Saint Augustin. . . . L'auteur inconnu ne saurait etre compte parmi les precurseurs des Sommistes." 2 Auf der inneren Seite des vorderen Deckblattes dieser Handschrift steht in Majuskelschrift: „In hoc quoque mediocri opere sunt alique ex sanctorum patrum intexte interrogaciones simulque soluciones propter compendium manuale scilicet agustini gregorii hieronimi bede reliquorumque sanctorum/ Von fol. l r bis 53 r stehen biblische Fragen im Vordergrund. Fol. 5 3 r : Incipiunt questiones de deo agustini episcopi. Es folgen zunächst bis fol. 59 r dogmatische Abhandlungen (Trinitätslehre), sodann mit der Lehre von den drei theologischen Tugen-
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die Bibliotheque Mazarine zu Paris enthält in den Cod. lat. 700 und 701 solche patristische Florilegien. Von vatikanischen Codices sei auf Cod. Vatic. lat. 1311: „Tabula auctoritatum sanctorum Patrum" und Cod. Borghes. lat. 52: „Anonimi de laude et qualitate celestis patrie. Excerpta ex sanctorum Patrum opusculis" verwiesen. In der Bibliothek von Montecassino befinden sich Cod. 118: „Ignatii monachi Casinensis Flores sententiarum collecti ex libris S. Gregorii Papae" und „Eiusdem Elucidarium Moralium S. Gregorii Papae" K Eine Reihe von beachtenswerten Florilegien birgt die Wiener Hofbibliothek. Cod. lat. 1332. im 10. Jahrhundert geschrieben, enthält von fol. 2r bis 108r: „Liber de diversis sententiis", eine Sammlung von Vätertexten „De deo vel eius vocabulo, de filio dei, de spiritu sancto, de eadem trinitate". Bereits dem 12. Jahrhundert, also der Frühscholastik, gehören die in den Cod. lat. 1018 und 1290 enthaltenen patristischen Florilegien an 2 . Recht beachtenswerte Typen solcher patristischer Florilegien treffen wir unter den Manuskripten der Münchner Hof- und Staatsbibliothek an. Clm. 356 (10. Jahrh.) enthält in 81 Kapiteln einen „Liber de diversis voluminibus", ein wenig systematisches, aus Schrift- und Väterstellen (Augustinus, Hieronymus, Isidor) mosaikartig zusammengesetztes moralisch-aszetisches Sammelwerk. Daß auch noch in späterer Zeit, als längst in Sentenzenwerken und Summen eine organische Zusammenfassung der theologischen Spekulation im großen Stile angebahnt und ausgeführt war, solcherlei Florilegien zusammengestellt wurden, dafür geben die Codd. lat. monac. 7640 und 7977 (beide 13. Jahrh.) treffliche Beispiele ab 3 . den an der Spitze moralische Erörterungen. Die Darstellung setzt sich aus Väterstellen, vornehmlich Augustinuszitaten zusammen. Fol. 71 v schließt der Codex. 1 Vgl. Bibliotheca Casinensis III 76 ff. 1 Cod. lat. 1018 enthält (fol. 1r—82v) ein „Corpus doctrine Christiane e patribus septem partibus constans". Cod. lat. 1290 enthält (fol. l r —99 v ) diffinitiones patrum de diversis e. g. de Patre et Filio, de angelis, de Adam, de fide antiquorum. 3 Clm. 7640 bietet fol. 39 r —53 r ein opus ex scriptis Patrum breviter digestum. Clm. 7977 enthält fol. l r —90 r einen „Libellus diversarum auctoritatumtt mit aszetisch-mystischem Inhalt. Manchmal ist auch die Form der quaestio angewendet, deren Lösung mit „ad quod respondendum" eingeleitet wird. Berücksichtigte Autoritäten sind Augustinus, Gregorius, Haymo, Origenes, Anselm, Beda, Isidor, Cassiodor, Rhabanus, Heiricus, Rubertus Tuicensis (von Deutz), Basilius, Bernhard, Prosper, Cassian, Hilarius, Cyprian, Eusebius, Albuinus (Alkuin), Fulgentius. Derselbe Codex enthält fol. 90—146 einen „Libellus excerptus ex diversis opusculis orthodoxorum patrum*. Augustinus ist hier vorwiegend vertreten. Am
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Mehrfach, besonders in späterer Zeit, wurde diesen Florilegien eine alphabetische Anordnung gegeben. So enthält z. B. Cod. 327 (13. Jahrh.) der Bibliothek von Laon „Sententiae ordine alphabetico digestae*. Auch wurden später in diese Sentenzensammlungen mittelalterliche Schriftsteller einbezogen1. Cod. 247 der Bibliothek von Tours enthält ein theologisches Exzerpt aus Augustin, Johannes von Damaskus, Boethius, Isidor, Anselm, Bernhard, Hugo und Richard von St Viktor. Der sehr beachtenswerte Cod. 1180 (12. Jahrh.) der an wertvollen scholastischen Handschriften reichen Bibliothek von Troyes umfaßt „Excerpta varia theologica e variis auctoribus* (Hincmaro, Augustino, Ambrosio, Isidoro, Gregorio, Jeronimo, Ioanne Crisostomo, Rabano etc.) Es haben diese Exzerpte schon mehr den Charakter der frühscholastischen Sentenzenwerke. Es gingen eben diese meist wenig systematisch gearbeiteten Florilegien in die planmäßig und methodisch dargestellten Sentenzenwerke über. Ein Beispiel einer selbständigeren Verarbeitung und sachlichen Gliederung von Väterexzerpten ist der Oxforder Cod. Balliol. 307 (12. Jahrh.): „Opus theologicum in capita circiter CCXX distinctum ex SS. Augustino, Hieronymo, Rufino, Anselmo, Origene aliisque decerptum". In dieser Florilegienliteratur, aus der wir nur einige bedeutsame Typen herausgehoben haben und die noch einer wissenschaftlichen Sichtung und Bearbeitung harrt, äußert sich vor allem der große Nachdruck, den die Vorscholastik auf Stoffzufuhr, auf Weiterüberlieferung patristischer Materialien gelegt hat. Es sind diese Exzerptensammlungen Belege eines hohen Maßes von Rezeptivität und Traditionalismus, wenn man mitunter auch einzelnen Spuren einer selbständigen Gliederung, Systematisierung und dialektischen Verarbeitung des patristischen Materials begegnet. So sehr indessen auch in dieser Periode literarischen Schaffens die Kompilation, Reproduktion, das Zusammentragen von fremden Anfang sind die vier Schriftsinne erklärt. Die Materie ist durchweg praktisch. Weitere interessante Münchner Florilegiencodices sind Clin. 13 050 (12. Jahrh.): „Flosculorum ex Gregorii M. Moralibus a monacho Pruviningensi excerptorum lib. 5* und Clm. 14426 (10. Jahrh.) fol. 1—140: „Questiones in Evangelia ex dictis patrum" (in Dialogform). 1 Auch die Philosophen wurden später in diese Exzerptensammlungen einbezogen. Der Cod. Erlangens. 445 (14. Jahrh.) enthält: „Auctoritates sanctorum, philosophorum, poetarum collecte per fr. Erbonem, Ord. Praed." Über die philosophische auctoritas handelt P r a n 11 in Sitzungsberichte der bayrischen Akademie der Wissenschaft. II 2 (1867), 173-178.
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Anschauungen und Aussprüchen, mit einem Worte die auctoritas vorherrscht, so hat sich doch auch die selbständige Forschung, das Bestreben, den Offenbarungsinhalt zu gliedern, zu durchdringen, kurz die ratio bei verschiedenen Schriftstellern dieser Jahrhunderte geltend gemacht. Anregend wirkte in dieser Hinsicht das Studium der Werke Augustins. Augustin ist ein Genius von solcher Selbständigkeit des Denkens, ein Geist, der so tief hineingeleuchtet hat in die Tiefen der natürlichen und der übernatürlichen Wahrheit, daß die Lektüre seiner Schriften unwillkürlich das Sehnen und Verlangen nach einer immer klareren Erkenntnis der Wahrheit in der Seele wachruft. Außerdem nimmt unter den vom früheren Mittelalter empfangenen und weiter tradierten Materialien auch die Dialektik eine beachtenswerte Stelle ein1. Eine ziemliche Anzahl dialektischer Schriften stand auch den vorscholastischen Schriftstellern zur Verfügung. Von der aristotelischen „Logik" waren die „Kategorien" und „ Hermeneutik * in der Übersetzung des Boethius bekannt, während die Kenntnis der beiden „Analytika", der „Topik" und der „Sophistici Elenchi" gänzlich abhanden gekommen war. Desgleichen boten die „Isagoge" des Porphyrius, die augustinischen „Principia dialecticae", die pseudoaugustinischen „Categoriae decem" logische Arbeiten dar. Ferner gaben die Ausführungen in den didaktisch-enzyklopädischen Schriften des Martianus Capeila, Cassiodor und Isidor vielerlei Impulse zur Durchdringung und Apperzeption des überlieferten Stoffes2. Von Piatos Schriften hat ein Teil des „Timäus" in der Übersetzung des Chalcidius auf das Mittelalter tiefgehenden Einfluß ausgeübt3. Auch durch Augustin und Pseudo-Areopagita wurden platonische bzw. neuplatonische Ideengänge vermittelt. Diese mannigfachen logischen Schriften wurden von der Vorscholastik übernommen, mehrfach abgeschrieben, im Schulunterricht bei der Behandlung der Dialektik verwertet und auch häufig glossiert. Die Pariser Nationalbibliothek birgt eine Reihe von Miszellancodices aus dem 9. und 10. Jahrhundert in sich, in welchen die gebrauchten 1
Vgl. C a n e l l a , Della Dialettica uelle scuole dopo 1a Rinascenza Carolingia, e deir origine della Controversia degli universali (8. u. 9. Jahrh.), in Riv. di Scienze stör. 1904, 398—408 444-445. 2 Über das dem früheren Mittelalter vorliegende philosophische bzw. logische Material siehe B a u r , Dom. Gundissalinus 284; N a g l e , Ratramnus und die heilige Eucharistie, Wien 1903, 55ff; De Wulf, Hist. de 1a phiios. med.2 149. 3 S w i t a l s k i , Des Chalcidius Kommentar zu Piatos Timäus, Münster 1902.
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dialektischen Lehrmittel zusammengestellt sind l . Es sei von diesen Handschriften besonders auf Cod. 12 949 hingewiesen, einen aus Saint-Germain-des-Pres stammenden Sammelband des 9. Jahrhunderts. In demselben finden sich auch Augustins „Dialectica", die pseudoaugustinischen „Categoriae" und des Porphyrius „Isagoge" in der Übersetzung des Boethius. Es sind diese logischen Schulbücher mit Glossen versehen. Die Glosse zu den „Categoriae", wahrscheinlich auch die Glosse zu der „Dialectica8 und vielleicht gleichfalls diejenige zur „Isagoge" sind der Feder des H e i r i c u s von A u x e r r e entflossen2. Das aus dem Altertum überkommene dialektische Lehrmaterial fand indessen nicht bloß Glossatoren, sondern auch mehr oder minder selbständige Nachahmer in Verfassern eigener dialektischer Traktate. Abgesehen von der „Dialectica" Alkuins, die wir später berühren werden, gibt es aus der Vorscholastik eine Reihe von ungedruckten Darstellungen der Dialektik, die meist den Charakter von philosophischen Einleitungen und Wissenschaftslehren an sich haben. Eine sehr beachtenswerte Handschrift ist diesbezüglich Clm. 14 401, ein Miszellancodex aus der ehemaligen Bibliothek von St Emmeram in Regensburg. Von fol. 1—126 reicht „Boethius in Aristotelem De interpretatione, eiusdem De arithmetica". Es sind diese philosophischen Traktate mit Marginal- und Interlinearglossen versehen. Die Blätter 126—153 werden durch einen glossierten Martianus Capeila (10. Jahrh.) ausgefüllt. Fol. 154r beginnt, geschrieben von einer Hand des 12. Jahrhunderts, eine „Dialectica'', durch eine spätere Randbemerkung als „Tractatus de trivio" bezeichnet. Der Traktat beginnt also: „In dei nomine pauca incipiunt de philosophia et eius partibus. Omnibus divina stipulante gratia sapientiam discere volentibus necesse est ut sciant philosophia quid sit que fons omnis artis est et discipline et omnium virtutum magistra et ut deinde cognoscant in quot et in quales partes ab eruditis secularium divinarumque doctoribus divisa sit et quibus gradibus ad eius summum precedente gratia ascendatur." Der Traktat selbst ist ähnlich wie Alkuins „Dialectica" in Dialogform gekleidet. Die Philosophie ist definiert als „rerum humanarum divinarumque cognicio cum studio bene vivendi coniuncta" und eingeteilt in Physik, Ethik 1
Es seien die insgesamt aus Saint-Germain-des-Pr6s stammenden Codd. lat. 12949 (9. Jahrh), 12957 (9. Jahrh.), 12958 (9. u. 10. Jahrh.), 12960 (9. Jahrh.), 13 953 (10. Jahrh.), 13 957 (9. Jahrh.) namhaft gemacht. 2 Vgl. über diese Glossen des Heiricus von Auxerre und über den Cod. 12949 E d u a r d K e n n a r d R a n d , Johannes Scottus 83.
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und Logik. Diese drei Arten der Philosophie finden auch auf die Heilige Schrift Anwendung, insofern die einzelnen biblischen Bücher ihrer literarischen Eigenart gemäß sich auf eine dieser tres philosophiae species zurückführen lassen. Was speziell die Dialektik betrifft, so wird ihre Aufgabe in folgender Weise umschrieben: „Dyalectica vero est disciplina ad disserendas rerum causas inventa et per disputandi regulam intellectum mentis acuit et per hanc ratio a falsis vera distribuit et in conquirendo ita sententiam eloquio armat, ut obiecta sine ulla dilatione et difficultate eiiciat et in disputandi efficacia quattuor hec agit: Proponit, adsumit, confirmat testimoniis atque concludit" (fol. 156V). Es ist demnach in diesem Traktat die Dialektik hochgewertet und ihre Aufgabe gut gekennzeichnet. Der Verfasser dieses Traktates ist auch durchdrungen von der propädeutischen Bedeutung der septem artes liberales, vornehmlich auch der Dialektik, für die Theologie: „Non solum enim philosophi humane videlicet sapiencie amatores rite discendo docendoque hos predictos sequebantur gradus sed et s. diyine scripture doctores et catholici nostre fidei defensores his gloriosis sapiencie gradibus incedentes ad sacrarum scripturarum culmina pervenerunt" (fol. 1571). Die Vertrautheit mit dialektischen Schriften führte zu dem Bestreben, eine rationelle Einsicht in den Glaubensinhalt zu gewinnen. „Infolge des Studiums der Dialektik", bemerkt Näg] e1, „hielt sich der Geist nicht bloß rezeptiv, er besann sich immer mehr auf sich selbst und betrachtete es neben dem herrschenden Sammeleifer als seine zweite Aufgabe, den Inhalt der traditionellen Überlieferung vorerst wenigstens in einzelnen Lehrpunkten dem denkenden Selbstbewußtsein nahezubringen." Dieser durch die Dialektik angeregte Zug nach Einsicht in den Glaubensinhalt äußert sich besonders um die Mitte des 9. Jahrhunderts in Frankreich. Man versuchte um diese Zeit eine tiefere Behandlung einzelner theologischer Fragen. S c h r ö r s 2 kennzeichnet diese Bewegung, dieses Vorwärtsdringen als Vorbereitung der scholastischen Periode. Es wurden, wie in der späteren Scholastik, einzelne theologische Fragen aufgegriffen, nach allen Seiten beleuchtet und die diesen Fragen anhaftenden Denkschwierigkeiten zu lösen und zu überwinden gesucht. Von diesen Fragen, die damals den Gegenstand 1 2
Ratramnus und die heilige Eucharistie 61. Hinkmar, Erzbischof von Reims 88.
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wissenschaftlicher Verhandlung und auch heftiger Kontroversen bildeten, seien hervorgehoben die Fragen über die Art und Weise der Gegenwart Christi in der Eucharistie, über die Prädestination, über den Ausdruck „trina deitas", über die wunderbare Geburt Jesu aus Maria der Jungfrau. Man stellte sich die Fragen, ob Christus während seines Erdenlebens Gott mit leiblichen Augen sehen konnte, wie unsere Augen nach der Auferstehung beschaffen sein werden1. Auch kuriose Fragen begegnen uns in dieser Zeit, so die Untersuchungen „De Cynocephalis", ob die Kynokephalen (d. h. Monstren mit Menschenleib und Hundskopf) Menschen oder Tiere seien2. In dieser Weise hat also die Dialektik zur einläßlichen und gründlichen Behandlung einer Reihe von theologischen Einzelfragen geführt. So innig sich deswegen die Vorscholastik mit der eigentlichen Scholastik berührt, so sehr unterscheiden sich beide Epochen durch den Umstand, daß die Vorscholastik bei Einzelfragen stehen blieb und sich nicht (mit Ausnahme des Scotus Eriugena) zu einem zusammenfassenden, großangelegten, spekulativen System emporschwang. Nach dieser allgemeinen Überlegung über Traditionalismus und Dialektik, über Stoffzufuhr und Stoffverarbeitung, über auctoritas und ratio in der Vorscholastik und über die dabei zu Tage tretende Weiterentwicklung der Ansätze scholastischer Methode bei den Vätern und Anbahnung und Vorbereitung der eigentlichen Scholastik müssen wir einige führende Gestalten hervorheben, in deren wissenschaftlichen Individualität und schriftstellerischen Tätigkeit diese methodischen Gesichtspunkte besonders markant hervortreten. § 2. Die Hauptvertreter der scholastischen Methode bis zu Beginn des ii. Jahrhunderts. Ist Scotus Eriugena der Vater der Scholastik? Die mittelalterliche Theologie nimmt ihren Anfang mit Beda V e n e r a b i l i s (f 735)3. Seine Werke umfassen das ganze Gebiet der damaligen Gelehrsamkeit. Er hat die mittelalterliche Schriftauslegung eingeleitet, er ist durch seine „Historia ecclesiastica gentis Britonum" der älteste germanische Historiograph gewesen, sein 1
Über diese Fragen siehe H i n c m a r u s , De praedestinatione c. 31 (M., P. L. CXXV 296 ff). Auch der Streit über die Existenz von Antipoden gehört zu diesen Fragen. Vgl. K r e t s c h m e r , Die physische Erdkunde im christlichen Mittelalter, Wien 1889, 54 ff. 2 N a g l e , Ratramnus und die heilige Eucharistie 23. 3 H u r t e r , Nomenciator I 631 ff. B a u m g a r t n e r , Geschichte der Weltliteratur IV 274 ff.
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systematisches, von Isidor inspiriertes Werk „De natura rerum" hat die mittelalterliche Kosmographie und Geographie nachdrücklich beeinflußt1. Seine Werke „Liber de temporibus" und „De ratione temporum" sind für die Chronologie des Mittelalters von maßgebendem Einfluß gewesen. Aus der von Bedas Schüler Egbert gegründeten Schule von York ging A l k u i n (f 804)2 hervor, der, an den Hof Karls d. Gr. berufen, die angelsächsische Bildung auf den noch unbebauten Boden des politisch mächtigen Frankenreiches verpflanzt hat. Alkuin, den Baronius die „fax saeculi"3 nennt, hat als Leiter der Schola Palatina, als „le premier ministre intellectuel de Charlemagne"4 auf die geistige Hebung des Frankenreiches, auf das Schul- und Unterrichtswesen und überhaupt auf das kirchliche Leben im Frankenreiche einen umfassenden Einfluß ausgeübt. Seine Werke5, die teils exegetischen, teils dogmatischen, teils liturgischen, teils philosophischpädagogischen Inhalts sind, weisen im allgemeinen wenig Originalität auf, sondern tragen den Stempel der Rezeptivität und des Traditionalismus an sich. Doch kommt bei ihm auch die Dialektik, die ratio zur Geltung. Unter seinen in Dialogform geschriebenen didaktischen Schriften befindet sich auch ein Traktat „De dialectica* 6? welcher in einem Zwiegespräch zwischen Karl d. Gr. und Alkuin die Grundzüge der Dialektik vorführt. Alkuin hat in den von Karl d. Gr. gegründeten Schulen das Studium des Triviums und Quadriviums eingeführt. Er betont den propädeutischen Wert der 1
Vgl. Z ö e k l e r , Geschichte der Beziehungen zwischen Theologie und Naturwissenschaften I 1, 246 ff. Von dem hohen Ansehen, welches Beda der Ehrwürdige auch in der Hochscholastik genoß, gibt folgende Wendung des Gerhardus von Abbatisvilla, eines Zeitgenossen des hl. Thomas, in seinen „Quodlibeta" Zeugnis: „Beda venerabilis, qui clarissimis sapiencie et eloquencie titulis radiavit* (Cod. Vat. lat. 1015 fol. 29 v ). 2 K. W e r n e r , Alkuin und sein Jahrhundert2. H u r t e r , Nomenciator I 700. L a f o r e t, Histoire de Alcuin, Namur-Paris 1898. H a u c k, Kirchengeschichte Deutschlands II 119—140. Dictionnaire de theol. cath. I 687—692. RE. I 3 365 ff. D i t s c h e i d , Alkuins Leben und Bedeutung für den religiösen Unterricht (Progr.) 1. Tl. P i c a v e t , Esquisse d'une histoire generale et comparee des philosophies medie'vales 125 ff; chapitre 6: La renaissance de 1a philosophie avec Alcuin et Jean Scot Erigene. Picavet stellt S. 126 ff verschiedene Urteile über Alkuin zusammen und gibt S. 130—136 eine Analyse seiner Schriften. De W u l f , Histoire de 1a philosophie medievale2 144 ff. 3 Ad Ann. 802. 4 G u i z o t , Histoire de 1a civilisation en France IT, Paris 1853, 167. 5 e M., P. L. CI. Ebd. 951—976. Grab mann, Scholastische Methode. I.
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artes liberales, besonders der' Logik und Grammatik für die Theologie, für das Studium der Heiligen Schrift. Seine Dialektik ist nicht originell, sie beruht auf Isidor von Sevilla und der pseudoaugustinischen Schrift von den zehn Kategorien. Wie in seinen Schriften überhaupt, so ist Alkuin namentlich auch in seinen didaktischen Abhandlungen von Augustin abhängig1. Die praefatio Alkuins zur „Grarnmatica"2 ist ein Beleg dafür, daß der Verfasser sich besonders an die Ideen von Augustins Erstlingswerk anschließt. Auch die dialogische Form dieser didaktischen Traktate Alkuins erinnert an diese augustinischen Schriften. Viele Ideen der didaktischen Arbeiten Alkuins, so sein Parallelismus zwischen Philosophie (Physik, Logik, Ethik) und Heiliger Schrift (Natur-Genesis, Moral - Weisheitsbücher, Logik-Hoheslied und Evangelien), fanden auch in der Scholastik Aufnahme und Weiterbildung. Alkuins psychologische Schrift „De animae ratione ad Eulaliam" 3 ist später von Alcher von Clairvaux in den pseudo-augustinischen Traktat „De spiritu et anima" zugleich mit Fragmenten aus Augustin, Boethius, Cassiodor, Hugo von St Viktor usw. hineingearbeitet worden. Die Bewertung der literarischen Bedeutung und des Einflusses Alkuins auf die Folgezeit ist eine sehr verschiedene. Während H a u r e a u 4 in Alkuin nur einen Grammatiker, aber keinen Philosophen sieht, feiert ihn Picavet 5 als den Urheber der philosophischen Renaissance in Frankreich und Deutschland, als den Vater der mittelalterlichen Philosophie, der Scholastik. Von größerem Interesse als seine didaktischen Schriften ist für die Entwicklung der scholastischen Methode Alkuins dogmatisches Hauptwerk: „De fide sanctae et individuae trinitatis libri tres", eine auf Augustin sich stützende Dogmatik6. Diese Schrift behandelt in drei Büchern die Trinitätslehre (1. Buch), die Schöpfungslehre (2. Buch), die Inkarnationslehre und Eschatologie (3. Buch). H a u c k 7 1
Vgl. E g g e r s d o r f e r , Der hl. Augustinus als Pädagoge 222 f. 3 M., P. L. CI 849. Ebd. 639—650. 4 Histoire de 1a philosopkie scolastique I, Paris 1872, 123 126. 5 Esquisse d'une histoire generale et eomparee des philosophies medievales 136: „Pour toutes ces raisons Alcuin est 1e pere de 1a scolastique en France et 1e premier auteur de 1a philosophie qui, ä travers moyen-äge, 1a renaissance et les temps modernes, s'est developpee en Occident jusqu'ä Kant, Fichte, Schelling, Hegel." 6 M., P. L. CI 11—54. 7 Kirchengeschichte Deutschlands II 134. E b e r t , Allgemeine Geschichte der Literatur des Mittelalters II 21 f: „Die kulturgeschichtliche Bedeutung des 2
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bezeichnet dieses Werk als „den Anfang der mittelalterlichen Theologie, als typisch für dieselbe". In der Tat ist dieses Werk bedeutsam für den Entwicklungsgang der scholastischen Methode. In dem an der Spitze stehenden Widmungsschreiben (epistola nuncupatoria) an Karl d. Gr. verbreitet sich Alkuin über die Gründe, die ihn zur Abfassung seines Werkes veranlaßt haben, und betont dabei besonders die Notwendigkeit der dialektischen Behandlung und Bearbeitung des Offenbarungsinhaltes, .wobei er auf die Anschauungen und auf das vorbildliche Verfahren in Augustins Schrift „De Trinitate" hinweist1. Die methodischen Grundsätze Alkuins erinnern an des Boethius Schriftchen „De Trinitate". Überhaupt ist Alkuin nicht nur in dieser Einleitung, sondern auch in weiteren Darlegungen von Boethius beeinflußt. Wie Boethius, so stellt auch er an die Spitze der Trinitätslehre die katholische Glaubenslehre, um sodann an die spekulative Analyse derselben zu gehen. Wie Boethius, so legt auch er ausführlich die Frage auseinander, ob und inwieweit die aristotelischen Prädikamente auf Gott Anwendung finden können2. Die Art und Weise Alkuins, den Glaubensinhalt dialektisch zu entwickeln, und sein Anlauf zu einer Systematik der Offenbarungslehre lassen sein Buch „De Trinitate" als eine bedeutsame Vorbereitung und Anbahnung der scholastischen Methode erscheinen. Ein Freund und Schüler Alkuins war R h a b a n u s M a u r u s (f 856 als Erzbischof von Mainz), der „primus praeceptor Germaniae", der Begründer der theologischen Studien in deutschen Landen3. Rhabanus Maurus war ein hervorragender Exeget, er hat Werkes liegt in der Tat darin, daß dies neue System der Dogmatik, so unvollkommen es war und so wenig originell, da es durchaus auf augustinischer Grundlage ruhte, zu spekulativem Nachdenken wieder aufforderte und die Notwendigkeit einer philosophischen Vorbildung zeigte." 1 M.,. P. L. CI 11ff. Als Grundlage zur Abfassung seiner Schrift gibt er auch an, „necnon ut convincerem eos, qui minus utile existimabant, vestram nobilissimam intentionem dialecticae discere velle rationes, quas pater Augustinus in libris de sancta Trinitate apprime necessarias esse putavit, dum profundissimas de sancta Trinitate quaestiones nonnisi categoriarum subtilitate explanari posse probavit. Quod etiam in ante nominato eiusdem Patris opusculo pius et devotus inquisitor facile inveniet, si phiiosophiae cognitionem in discendo habere non negligit". 2 L. 1, c. 3 (M., P. L. CI 16 ff; behandelt, Alkuin, „quod quaedam de Deo substantialiter, quaedam relative dicuntur". L. 1, c. 15 (ebd. CI 22) stellt er die Frage: „Quomodo intelligendae s.int locutiones praedicamentorum de Deo?" 3 KL. X 2 697 ff. RE. VIII 3 403ff. H a u c k a. a. 0. 571—592. P i c a v e t a. a. 0. 139 ff. H a r t e r , Nomenciator I 794 ff. T u r n a u , R. Maurus. Ein 13*
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Kommentare zu fast allen Büchern der Heiligen Schrift geschrieben, welche einen katenenartigen Charakter und eine allegorisierende Art an sich haben1. Rhabanus Maurus war ein Polyhistor, eine enzyklopädische Natur. Die 22 Bücher „De universo" stellen eine Realenzyklopädie des gesamten damaligen theologischen (Buch 1—5) und profanen (Buch 6—22) Unterrichts und Wissens vor, eine Nachbildung und in gewissem Sinne Neuauflage von Isidors Etymologien. Seine Anschauungen über Methode des Unterrichts hat Rhabanus Maurus in der didaktischen, von Cassiodor, Isidor und namentlich von Augustin stark beeinflußten Schrift „De institutione clerieorum" (819 verfaßt) niedergelegt2. Die ersten zwei Bücher dieser Schrift behandeln liturgische Gegenstände, das dritte Buch verbreitet sich über die allgemeine und theologische Bildung des Klerus. Es ist dieses dritte Buch „nichts anderes als eine "Überarbeitung der letzten drei Bücher von Augustins ,Doctrina christiana4"3. Die Ausführungen über den Nutzen der artes liberales und deren propädeutischer Wert für die Theologie4 erinnern vielfach an Gedanken in Augustins Schrift „De ordine"5. Als Höhepunkt des klerikalen Studiums erscheint bei Rhabanus Maurus das Studium der Heiligen Schrift. Die schriftstellerische Tätigkeit des Rhabanus Maurus trägt durchgehends das Gepräge der Stoffzufuhr und der Stoflfüberlieferung an sich, sie steht unter dem Gesichtspunkt der auctoritas. Für die Philosophie kommt Rhabanus, abgesehen von seinen Anschauungen über die Einteilung der Philosophie6, durch seinen Kommentar zur „Isagoge" des Porphyrius in der Übersetzung des Boethius in Betracht7. Beitrag zur Geschichte der Pädagogik des Mittelalters. B u r g e r , Hrabanus Maurus, der Begründer der theologischen Studien in Deutschland, in Katholik 1902, II 51—69 122—135. 1 H a b l i t z e l , Hrabanus Maurus als Exeget. F. F a l k , Bibelstudien, Bibelhandschriften und Bibeldrucke in Mainz vom 8. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Mainz 1906, 9 ff.; Der hl. Rhabanus Maurus als Exeget, in Studien und Mitteilungen aus dem Benediktinerorden 1899, 640 ff. 2 K n o e p f l e r , Rabani Mauri De institutione clericorum, München 1900. Vgl. S c h n i t z e r in Historisch-politische Blätter CXXVIII (1901) 536—542: Ein theologisches Lehrbuch vom Jahre 819. K n a a k e , Die Schrift des Rhabanus Maurus De institutione clericorum, in Theol. Studien und Kritiken 1903, 309 ff. 3 E g g e r s d o r f e r , Der hl. Augustinus als Pädagoge 225. 4 6 L. 3, c. 18—20. De ordine 2, c. 13. 6 B a u r , Dom. Gundissalinus 356. M a r i e t a n , Probleme de 1a classification des sciences 106—114. 7 H a u r ö a u Histoire de 1a philosophie scolastique I 144ff.
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Ein Schüler des Rhabanus Maurus war W a l a f r i d S t r a b o , Abt von Reichenau (f 849), von dessen Schriften für uns hier nur die „Glossa ordinaria" in Betracht kommt, ein durchgehends kompilatorischer, meist aus Rhabanus Maurus ausgeschriebener, kurzer Kommentar zur Heiligen Schrift, welcher im Mittelalter in zahllosen Handschriften verbreitet war, als Hilfsmittel für die Exegese in Ansehen stand und auch in den systematischen Werken der Scholastiker mit einer gewissen Autorität zitiert wurde1. Im sog. „contra" der Artikel des hl. Thomas fungiert die „Glossa ordinaria" vielfach als die traditionelle Verdeutlichung der Schriftautorität. Mit Recht bemerkt Samuel B e r g e r 2 von Walafrid Strabos Bibelglosse: „Ce commentaire a ete 1e pain quotidien des theologiens du moyen-äge." Der in den exegetischen Schriften eines Alkuin, Rhabanus Maurus, Walafrid Strabo, Haimo von Halberstadt, Dietrich von Hersfeld usw. in Anwendung gebrachte Katenenstil blieb für die abendländische Schrifterklärung typisch und maßgebend, bis infolge der mehr entwickelten dialektischen Methode schon gegen Ende des 12. Jahrhunderts — Petrus Cantor (f 1197) ist der letzte Vertreter der einfachen Schrifterklärung — scholastische Quästionen und Erklärungen in die Schrifterklärung eingeflochten wurden3 und im 13. Jahrhundert schon vor Thomas von Aquin (Hugo von St-Cher, Johann von La Rochelle) das Hauptaugenmerk auf die Gliederung der einzelnen Teile eines Schriftkapitels, auf deren Verhältnis zueinander und zum Hauptgedanken des Kapitels gelenkt wurde4. Ein anderer Schüler des Rhabanus Maurus war der hochgebildete Abt Lupus Servatus von Ferneres (f um 862). Seine Hauptbedeutung liegt auf einem ganz andern Gebiete als diejenige Walafrid Strabos, auf dem Gebiete der Philologie. „In Frankreich", schreibt L. Traube 5 , 1
Über Walafrids „Glossa ordinaria* vgl. S a m u e l B e r g er (Histoire de 1a Vulgata pendant les premiers siecles du moyen-äge 132—136), der auch die Handschriften heranzieht. Handschriftliches findet sich auch b e i D e n i f l e , Die abendländischen Schriftausleger bis Luther über Iustitia Dei (Rom 1, 17) und Iustiiicatio 16 f. Vgl. auch A. J u n d t , Walafrid Strabon: l'homme et 1e theologien, Cahors 1900; E i g l , Walahfrid Strabo, Wien 1908. 2 A. a. 0. 134. Zur Beurteilung des Ansehens der „Glossa ordinaria" in der Hochscholastik vgl. die Zusammenstellung der Zitate aus der „Glossa ordinaria" in den Werken des hl. Bonaventura. Opera omnia ed. Q u a r a c c h i X 272 f. 3 4 D e n i f l e a. a. 0. 88. Ebd. 112. 5 Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte römischer Schriftsteller, in Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Klasse der bayrischen Akademie der Wissenschaften 1891, 389.
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„ist im 9. Jahrhundert Lupus von Ferneres der bedeutendste Vertreter der kritischen Philologie. Im ganzen eine bewundernswerte Erscheinung." Lupus war ein Humanist im besten Sinne des Wortes, er bekundete historischen Sinn und war beseelt von wissenschaftlichem Idealismus, wie sein hochinteressanter Briefwechsel beweist1. Für die Theologie und für die scholastische Methode ist bedeutungsvoll sein „Liber de tribus quaestionibus" mit angehängtem „Collectaneum8 aus den Kirchenvätern2. Es handelt dieses methodisch beachtenswerte Werk „de libero arbitrio, de praedestinatione bonorum et malorum ac de sanguinis Domini taxatione". Wir haben hier eine zusammenfassende Behandlung der theologischen Einzelfragen und Streitfragen, die nach der Mitte des 9. Jahrhunderts in Frankreich unter dem Einfluß der dialektischen Durchbildung entstanden, eine größere Selbständigkeit des theologischen Denkens bekundeten und als Vorbereitung auf die eigentliche Scholastik bedeutsam waren. Hervorragende Vertreter dieser monographischen Art der theologischen Schriftstellerei waren P a s c h a s i u s R a d b e r t u s , Abt von Corbie (f um 860), und R a t r a m n u s , Mönch von Corbie (f nach 868). P a s c h a s i u s R a d b e r t u s 3 , auch hervorragend alsExeget 4 , hat in seiner 831 verfaßten Schrift „De corpore et sanguine Domini" 5 den ersten Versuch einer zusammenfassenden systematischen Darstellung und spekulativen Ergründung der Gesamtlehre von der Eucharistie gemacht. „Die Bedeutung des Radbertischen Buches", bemerkt N a g l e 6 , „liegt kurz gefaßt darin, daß es als die erste Monographie über das Abendmahlsix^sterium auf dem sichern Boden 1 Vgl. besonders den Brief an Einhart (M., P. L. CXIX 431—437). Traube, Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte römischer Schriftsteller, in Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Klasse der bayrischen Akademie der Wissenschaften 1891, 402 ff. 2 8 M., P. L. GXIX 622—648. RE. XVI 3 394 ff. 4 Der Matthäuskommentar des Paschasius Radbertus ist die beste exegetische Arbeit des 9. Jahrhunderts. Vgl. S c h ö n b a c h , Über einige Evangelienkommentare des Mittelalters, in Sitzungsberichte der Wiener kaiserl. Akademie der Wissen„ Schäften, philos.-hist. Klasse, Wien 1903. 5 M., P. L. CXX 1263—1350. Vgl. E r n s t , Die Lehre des hl. Paschasius Radbertus von der Eucharistie, Freiburg 1896. 6 Ratramnus und die heilige Eucharistie 72. Vgl. N a g l e , Die Eucharistielehre des hl. Johannes Chrysostomus 305. T u r m e l (Histoire de 1a thäologie positive depuis l'origine jusqu'au Concile de Trente 307) sagt von der Schrift des Paschasius Radbertus: „Ce livre qui est comme 1a premiere Somme de l'Eucharistie, passait en revue tous les problemes que souleve 1e sacrement de nos autels."
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der Heiligen Schrift und Tradition vermittels der Dialektik die kirchliche Lehre von der Eucharistie nach allen Seiten hin einheitlich zu untersuchen und zu durchdringen bestrebt ist." Das Hauptthema der Patristik war die Trinität und die Inkarnation. Die Irrlehren drängten zu einer allseitigen Durchdringung und Verteidigung dieser Fundamentalmysterien. Die Lehre von der heiligen Eucharistie wurde mehr gelegenheitlich und im Zusammenhang mit andern Geheimnissen, namentlich mit der Inkarnation, behandelt. Paschasius Radbertus kündigt mit seiner eucharistischen Monographie das Spezialthema der Scholastik, die Ausbildung der Sakramentenlehre an. Es war kein leichtes Unternehmen, die von verschiedenen Gesichtspunkten aus angestellten gelegentlichen Untersuchungen der Väter zusammenzufassen, deren oft verschieden lautende Anschauungen auszugleichen und eine spekulative Begründung des patristischen Materials zu geben. Es darf uns deswegen nicht wundernehmen, wenn selbst unter streng kirchlich denkenden Theologen Differenzen sich zeigten, wenn ein Paschasius Radbertus und Ratramnus verschiedene Wege gingen. Es mußte noch ein weiter Weg zurückgelegt werden, bis mit Zuhilfenahme der aristotelischen Philosophie die Eucharistielehre der griechischen und lateinischen Kirchenväter zu einem einheitlichen und abgeschlossenen Bauglied in die mächtigen Summen des 13. Jahrhunderts eingefügt werden konnte1. Und auch noch nachdem der Aquinate in seiner theologischen Summa eine abschließende spekulativ-theologische Darstellung des Eucharistiedogmas geboten hatte, wurde an der Pariser Hochschule „de modo existendi corporis Christi in sacramento altaris" gestritten2. Wenn auch weder Paschasius Radbertus noch Ratramnus, da sie noch zu sehr Traditionarier waren und ihnen philosophische Hilfsmittel nicht in genügendem Maße bereit standen, das patristische Material zu einer völlig befriedigenden spekulativen Darstellung 1
C h o l l e t , Le dogme de l'eucharistie chez les scolastiques (Science et religion n. 333). 2 Im Jahre 1304 hielt der Dominikaner Johannes von Paris eine Determinatio de modo existendi corporis Christi in sacramento altaris alio quam sit ille quem tenet ecclesia. Handschriftlich erhalten im Cod. lat. 14 889 fol. 70 ff der Pariser Nationalbibliothek, auch gedruckt zu London 1686. Vgl. D e n i f l e , Chartularium Universitatis Parisiensis II 120 n, 656; S c h o l z , Die Publizistik zur Zeit Philipps des Schönen und Bonifaz' YIIL, Stuttgart 1903, 282; C a p r e o l u s , Defensiones Theologiae D. Thomae Aquinatis; ed. Paban ei Pegues VI, Tours 1906, 223.
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gestalten können, so müssen doch ihre eucharistischen Schriften als eine rührige Vorarbeit zur Scholastik betrachtet werden*. Die einflußreichste patristische Autorität war auch für Paschasius Radbertus Augustin. Im augustinischen Sinne ist es sein Bestreben, Glauben und Wissen bezüglich des eucharistischen Dogmas in ihrer vollen Harmonie darzutun: „Nee fides in mysterio sine scientia recte defenditur nee scientia sine fide, quae nondum capit, quandoque ut percipiat, enutritur."2 Die Schrift des Paschasius Radbertus: „De corpore et sanguine Domini" deutet nach rückwärts auf das hehre Vorbild Augustins und zeigt uns nach vorwärts, wenn auch noch in weiter Ferne, die großen Theologen der Früh- und Hochscholastik. Es hat diese Schrift in sachlicher und besonders auch in methodischer Hinsicht derartige Vorzüge an sich, daß H a r n a c k 3 nicht übertreiben dürfte, wenn er dem Abt von Corbie die lobenden Worte widmet: „Paschasius Radbertus ist vielleicht der gelehrteste und tüchtigste Theolog nach Alkuin gewesen, ein Mann ebenso bewandert in der griechischen Theologie wie heimisch im Augustinismus, ein umfassender Geist, der den lebendigsten Drang empfand, Theorie und Praxis in Einklang zu bringen und zugleich alles, was die kirchliche Überlieferung bisher über das Abendmahl gelehrt hatte, zu verwerten. Sein großes Werk über das Abendmahl ist die erste kirchliche Monographie über diesen Gegenstand. . . . Paschasius hat in Bezug auf dies Dogma das geleistet, was Origenes einst für die ganze Dogmatik geleistet hat; er ist der Origenes der katholischen Abendmahlslehre." Der maßgebende augustinische Einfluß zeigt sich besonders in einer andern theologischen Monographie des Paschasius Radbertus, in der Schrift „De fide, spe et cantate" 4 . An der Spitze dieser Arbeit steht eine ausführliche Paraphrase der paulinischen Glaubensdefinition (Hebr 11, 1), eine auch in der eigentlichen Scholastik mehrfach geübte Gepflogenheit. Das Kap. 6 „De fide* gibt in Form einer Symbolerklärung eine Entwicklung des Glaubensinhalts. In Kap. 7 und 8 „De fide" finden sich die augustinischen Gedanken über das Verhältnis zwischen Glauben und Vernunfteinsicht besonders nach ihrer ethischen Seite in anregender Form zusammengestellt. Die intelligentia, d. h. die durch übernatürliche Mittel (Gaben des 1 2 3 4
E r n s t , Die Lehre des hl. Paschasius Radbertus von der Eucharistie 136. De corpore et sanguine Domini c. 2 (M., P. L. CXX 1272). Lehrbuch der Dogmengeschichte III 3 287. M., P. L. CXX 1387-1490.
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Heiligen Geistes usw.) ermöglichte Einsicht in den Offenbarungsinhalt ist der Lohn, die Krönung des Glaubens und eines aus dem Glauben hervorgehenden Lebenswandels1. R a t r a m n u s , vermutlich ßadberts Schüler, war ein theologisch durchgebildeter, kritisch veranlagter, namentlich für Polemik befähigter Denker2. So sehr er auch, dem Zuge der Zeit folgend, vom Traditionalismus sich leiten ließ, so ragte er doch als Dialektiker und Methodiker über viele seiner Zeitgenossen hinaus. Ratramnus hat an den damals schwebenden Kontroversen in einer Anzahl von Monographien teilgenommen. In seiner letzten und reifsten Schrift: „Contra Graecorum opposita Romanam ecclesiam infam an tium" 3 hat er die kirchlich-orthodoxe Lehre vom Ausgang des Heiligen Geistes vom Vater und vom Sohne in einer methodisch fortgeschrittenen Weise dargestellt und gegen die Einwände der Griechen verteidigt. Die Jugendschrift „De nativitate Christi"4 ist der Geburt Christi aus Maria der Jungfrau, die Schrift „De praedestinatione Dei libri duo" 5 dem damals entstandenen Prädestinationsstreit gewidmet. Die berühmteste Schrift des Ratramnus ist das Buch „De corpore et sanguine Domini"6. Die streng durchgeführte Disposition und Systematik7 und die Anlehnung an die aristotelische Philosophie in der Auffassung und Verwertung der in der damaligen Kontroverse viel gebrauchten Begriffe veritas et figura8 lassen diese Schrift als einen trefflichen Anlauf zur scholastischen Methode erscheinen. Weniger äußert sich eine dialektische und systematische Behandlung des patristischen Materials in den Schriften des hervor1 „Porro illa, quae de Deo divinitus dicuntur, credibilia quidem sunt simul et intelligibilia; sed nisi credantur prius, nunquam intelliguntur: idcirco necesse est credantur ex toto corde, ex tota anima et ex tota virtute, ut Christo illustrante hie ex parte et in futuro ex toto intelligantur. Igitur illuminatio perfecta e intelligentiae merces est fidei, quia mandatorum Dei observatio de perfecta fidei virtute descendit. Alioquin nisi prius perfecte credas, o homo, et fides ex operibus vivat, intelligere minime valebis" (De fide c. 8; M., P. L. CXX 1406). — „Nisi credideritis, non intelligetis (Is 9, 9). Intelligentia enim est merces fidei et ideo quae needum intelligimus, fide crediraus, operibus veneramur, ut intellectu totum, quod in fide est, comprehendamus" (De fide c. 8; M., P. L. CXX 1408). 2 Über Persönlichkeit und literarische Bedeutung des Ratramnus siehe N a g l e , Ratramnus und die heilige Eucharistie 1—36. 8 5 M., P. L. CXXI 225-346. * Ebd. 81-102. Ebd. 1 3 - 8 1 . 6 Ebd. 125-170. 7 Eine Analyse des Aufbaues und Inhalts dieser Schrift gibt N a g l e a. a. O. 131-162. 8 Ebd. 335 ff.
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ragendsten Kirchenfürsten des Frankenreiches im 9. Jahrhundert, des Erzbischofs H i n k m a r von Reims (f 882), der mehr Kanonist als Theolog war. „Das ganze theologische Wissen Hinkmars", bemerkt S c h r ö r s 1 , „bestand in nichts anderem als in einer staunenswerten Belesenheit in den Schriften der Väter und Kirchenschriftsteller. Nicht nur sind seine Gedanken sämtlich aus dieser Quelle geschöpft, sondern auch deren Form: eine selbständige Verarbeitung des überlieferten Stoffes ist bei ihm noch viel weniger anzutreffen wie bei den übrigen Theologen des 9. Jahrhunderts. Seine dogmatischen Schriften bestehen zum größten Teile nur aus aneinandergereihten Zitaten." Wie mitten aus einem wellenförmigen, gut bebauten Hügelland sich plötzlich und jäh ein einsamer Bergkegel erhebt, so ragt aus der traditionalistisch und im allgemeinen kompilatorisch gearteten wissenschaftlichen Literatur des 9. Jahrhunderts die merkwürdige Denkergestalt des J o h a n n e s Scotus E r i u g e n a , des Hofphilosophen Karls des Kahlen, hervor2. „Meteorartig leuchtet er auf, um ebenso rasch wieder zu verschwinden. Eine fast rätselhafte Persönlichkeit, scheint er auf den ersten Blick aus jedem Zusammenhang mit der Entwicklung der zeitgenössischen Philosophie herausgelöst/ 3 Die Werturteile über die wissenschaftliche Individualität des Scotus Eriugena gehen weit auseinander. Während S t a u d e n m a i er 4 , K a u l i c h 5 u. a. in ihm den Vater der Scholastik sehen und rühmen, ist er in den Augen von De Wulf 6 , 1
Hinkmar, Erzbischof von Reims 166. De W u l f , Histoire de 1a philosophie medievale2 179. H a u r e a u , Histoire de 1a phil. scol. I 148—175. Ü b e r w e g - H e i n z e , Grundriß der Geschichte der Philosophie II 9 160 ff. P i c a v e t , Esquisse d'une histoire generale et comparee des philosophies medievales 144ff. S c h r ö r s , Der Streit über die Prädestination im 9. Jahrhundert, Freiburg 1884, 160ff. Dornet de V o r g e s , Saint Anselme, Paris 1901, 25—28. B a c h , Dogmengeschichte des Mittelalters I 264—313. H a r n a c k , Lehrbuch der Dogmengeschichte III 3 252. Handschriftliches bieten A. S c h m i t t , Zwei noch unbenutzte Handschriften des Joannes Scotus Erigena (Gymnasialprogr.); T r a u b e in den Monument. Germ. Hist. Poet, lat. aevi Carol. III (1896) 525 553 (Handschriften von Eriugenas Übersetzung des Pseudo-Dionysius). 3 M. B a u m g a r t n e r in KL. X 2 2138 f. 4 Joh. Scotus Erigena und die Wissenschaft seiner Zeit 481 ff. Vgl. Laud i e r t , Franz Anton Staudenmaier, Freiburg 1901, 204 ff. 5 Geschichte der scholastischen Philosophie I, Prag 1863, 26. Vgl. auch R ä h s e , Über des Joh. Erigena Stellung zur mittelalterlichen Scholastik und Mystik, Rostock 1874, 46. 6 A. a. O. 179 ff: J. Scot Eriugene, pere de l'antiscolastique. 2
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G l o ß n e r 1 u. a. der „pere de l'antiscolastique", kein Vertreter der eigentlichen Scholastik, gleichsam ein Irrstern am Himmel der christlichen Philosophie. Um die Bedeutung Eriugenas für die Anbahnung und Vorbereitung der scholastischen Methode beurteilen zu können, müssen wir ihn als Ü b e r s e t z e r , als s p e k u l a t i v e n D e n k e r , als K o m m e n t a t o r ins Auge fassen. Als des Griechischen wohlkundiger Übersetzer2 hat er (ca 858 bis 860) die Schriften des Pseudo-Areopagita und die „Ambigua* des Maximus Confessor aus dem Griechischen ins Lateinische übertragen. Es waren die Werke des Pseudo-Areopagiten im Jahre 827 durch eine Gesandtschaft des byzantinischen Kaisers Michael des Stammlers an den Hof Ludwigs des Frommen gebracht worden3. Durch seine Übersetzungstätigkeit hat Eriugena einen Komplex neuplatonischer Ideen in die abendländische Gedankenwelt hineingesenkt. Freilich hatten im damaligen theologischen Wissenschaftsbetrieb Traditionalismus und Konservatismus dermaßen die Oberhand, daß der Einfluß der neuplatonischen Spekulation auf die eigene schriftstellerische Tätigkeit Eriugenas beschränkt blieb. Als selbständigen Denker, als wissenschaftliches Genie hat sich Scotus Eriugena auf theologischem Gebiete zuerst durch die 851 gegen Gottschalk geschriebene Schrift „De divina praedestinatione" 4 bewährt. Der Schwerpunkt dieser Streitschrift liegt auf ihrer formellen Seite. „Das Buch", bemerkt S c h r ö r s 5 , „steht in formeller Beziehung hoch über allen literarischen Erzeugnissen des 9. Jahrhunderts. Die methodische Art der Untersuchung, die gewTandte Beweisführung verraten den geübten Dialektiker; aber der Inhalt ist nichts anderes als eine im Tone starken Selbstbewußtseins vorgetragene pantheisierende Religionsphilosophie, die pelagianischrationalistische Elemente mit neuplatonischer Spekulation verbindet/ Eriugenas spekulative Kraft tritt in dieser Monographie um so mar1
Jahrbuch für Philosophie und spek. Theologie XX 403. Die Vertrautheit mit der griechischen Sprache hat zu der unbegründeten Annahme geführt, Eriugena habe im Orient selbst seine Ausbildung erhalten, ja er sei ein Grieche gewesen. Diese Annahme ist als unhaltbar abzulehnen, wenn sie auch M. G. B r u n h e s (La foi chretienne et 1a philosophie au temps de 1a renaissance carolingienne, Paris 1903, 199 f) wieder zur Diskussion gestellt hat. 8 Vgl. H. O m o n t , Manuscrit des ceuvres de St-Denys l'Areopagite envoye de Constantinople ä Louis 1e Debonnaire en 827, in Revue des Etudes grecques XVII (1904) 230 ff. 5 * M., P. L. CXXII 355—440. A. a. O. 28. 2
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kanter hervor, als er, wie J a c q u i n 1 auf Grund einer sorgsamen Quellenanalyse nachgewiesen hat, hier noch nicht unter dem Einflüsse der Schriften des Pseudo-Areopagiten steht, sondern nur lateinische Autoren kennt und zitiert. Neben Gregor d. Gr. und Isidor ist vor allem Augustin sein Gewährsmann, den er etwa sechzigmal erwähnt. Aus Augustin hat er wenigstens in den Prinzipien die neuplatonischen Ideen entlehnt. Seine dialektische Veranlagung führt Eriugena auch dazu, eine Klassifizierung der im Schrift- und theologischen Sprachgebrauch üblichen Gottesbenennungen vorzunehmen2, also eine theologische Terminologie anzubahnen, eine Arbeit, die späterhin, gegen Ende des 12. Jahrhunderts, ein Präpositinus, Simon von Tournai und andere Verfasser ungedruckt gebliebener Summen unter dem Einflüsse des aristotelischen „Organon", des Johannes von Damaskus und des Dionysius Areopagita mit Erfolg wieder aufgenommen und die die großen Summisten der Hochscholastik, ein Alexander von Haies, Thomas von Aquin, Ulrich von Straßburg u. a., glücklich zu Ende geführt haben. Die gänzliche Verschiedenheit dieser Klassifizierung der Gottesnamen in Eriugenas Prädestinationsschrift von der Klassifizierung in dem Buche „De divinis nominibus" des Pseudo-Areopagiten weist auch darauf hin, daß der Schriftenkomplex des letzteren hier noch nicht benützt worden ist. Wenngleich die Schrift „De divina praedestinatione" die Autorität der lateinischen Väter, besonders Augustins, gebührend berücksichtigt und noch nicht unter dem Einflüsse der neuplatonischen Spekulation des Pseudo-Areopagiten steht, so zeigt sie doch wohl als Ausfluß der ausnehmenden spekulativen Begabung des Autors eine Überspannung der Dialektik, des spekulativen Moments, die zu einer Vermischung von Religion und Philosophie führte3. Noch mehr tritt diese dominierende Stellung der Philosophie uns entgegen im wichtigsten Werke Eriugenas, in seinem nach 867 verfaßten, unter der Inspiration des Pseudo-Areopagiten stehenden Hauptwerke ntp\ (pöazcoQ (/ispt(T/JtoüJ, „De divisione naturae" 4. Dieses 1
Le neo-platonisme de Jean Scot, in Revue des sciences pliilosophiques et theologiques I (1907) 664—685. 2 De divina praedestinatione 9, 2 (M., P. L. CXXII 390). 3 „Quid est aliud de philosophia tractare nisi verae religionis, qua summa et principalis omnium rerum causa Deus et humiliter colitur et rationabiliter investigatur, regulas exponere" (De div. praedest. 1, 1; M., P. L. CXXII 357—358). 4 M., P. L. CXXII 441—1022.
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für die damalige Zeit des Traditionalismus und der Rezeptivität einzig dastehende Werk eines tiefsinnigen, spekulativen Genius repräsentiert sich schon durch seine Quellen als eine damals singulare Tat. D r ä s e k e 1 hat eine sorgfältige Quellenanalyse vorgenommen. Danach sind folgende Autoren vertreten: Plato, Aristoteles, Eratosthenes, Cicero, Virgilius, Plinius, Hilarius, Ambrosius, Augustinus, Hieronymus, Boethius, Martianus Capella, Klemens von Alexandrien, Origenes, Gregor von Nazianz, Basilius, Gregor von Nyssa, Chrysostomus, Epiphanius, Pseudo-Dionysius Areopagita und Maximus Confessor. Die beiden letzteren sind die hauptsächlichsten Gewährsmänner des genialen Metaphysikers. So sehr indessen auch Eriugena an vielen Stellen die Autorität der Väter betont, so räumt er doch für den Fall einer Kollision zwischen Autorität und Vernunft entschieden der Vernunft die maßgebende Stelle ein2. Das Normativ für die Spekulationen des Scotus Eriugena bildet nicht die Autorität der Väter, sondern die Vernunft oder vielmehr seine neuplatonische Weltanschauung3. Die Dialektik, die Philosophie tritt bei ihm nicht bloß aus dem beengenden Rahmen des Triviums heraus, sie leistet ihm zur Begründung und Darstellung der überkommenen Glaubenslehre nicht bloß subsidiäre Dienste, sie tritt der überkommenen Glaubenslehre als gleichwertiger, ja als maßgebender und entscheidender Faktor gegenüber. Neuplatonismus und christliche Glaubenslehre verschmelzen miteinander, und das Resultat dieser Synthese ist ein idealistischer Monismus. Das hervorragende dialektische Können Eriugenas zeigt sich auch in der streng gegliederten Systematik seines Hauptwerkes. Er ist ohne Zweifel der gewandteste Systematiker der Vorscholastik. Scotus Eriugena 1
J. Scotus und dessen Gewährsmänner in Divisione naturae, Leipzig 1902. „Nunc enim nobis ratio sequenda est, quae rerum veritatem investigat, nullaque auctoritate opprimitur, nullo modo impeditur, ne ea, quae et studiose ratiocinantium ambitus inquisivit et laboriose invenit, publice aperiat atque pronuntiet" (De divis. naturae 1, 63; M., P. L. CXXII 509). 3 „Magister: Non ignoras, ut opinor, maioris dignitatis esse, quod prius est natura, quam quod prius est tempore. Discipulus: Hoc paene omnibus notum est. Mag.: Rationem priorem esse natura, auctoritatem vero tempore didicimus" (De divis. naturae 1, 69; M., P. L. CXXII 513). „Auctoritas ex vera ratione processit, ratio vero nequaquam ex auctoritate. Omnis auctoritas, quae vera ratione non approbatur, infirma esse videtur; vera autem ratio quum virtutibus suis rata et immutabilis munitur, nullius auctoritatis adstipulatione roborari indiget" (De divis. naturae 1, 69; M., P. L. CXXII 513). 2
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hat also in kühner Weise einen wenn auch nicht ohne Beeinträchtigung der christlichen Glaubenslehre gelungenen, so doch sicher genialen Versuch gemacht, mit philosophischen Mitteln seine Weltanschauung in einem einheitlichen System zu entwickeln. Er hat das Zentralproblem der Scholastik, nämlich die Anwendung der Philosophie zur Verdeutlichung, Begründung und Systematisierung der Glaubens Wahrheit, mit kräftigem Griff erfaßt, er hat aber die Verwertung der Philosophie übertrieben und durch dieses Übermaß nicht eine Harmonie zwischen Philosophie und kirchlicher Lehre, zwischen Wissen und Glauben, sondern eine Modifizierung, Reduzierung und schließlich Annullierung des kirchlichen Lehrbegriffs erzielt. Er hat demnach das Zentralproblem der Scholastik nicht richtig gelöst, und er kann deswegen auch nicht der Vater der Scholastik genannt werden. Dieser Titel ist um so weniger historisch begründet, als Scotus Eriugena auf den Entwicklungsgang der Scholastik keinen maßgebenden Einfluß ausgeübt hat. Einzelne seiner Gedanken begegnen uns bei Gerbert, Berengar von Tours, Alanus de Insulis, Garnerius von Rochefort, Isaak von Stella3. Einigermafien berechtigt wäre die Bezeichnung „Vater der Scholastik" für den Hofphilosophen Karls des Kahlen, wenn seine Doktrin die Gedankenwelt Anselms von Canterbury beeinflußt hätte. Für eine solche Abhängigkeit Anselms von Scotus Eriugena, wie sie ab und zu, wenn auch schüchtern, behauptet wurde2, fehlt jeder stichhaltige Beweis. Wir haben keine äußeren Argumente, die eine tatsächliche Bekanntschaft Anselms mit der Spekulation Eriugenas nahelegen, und können auch aus dem Inhalt der anselmianischen Schriften trotz des einen oder andern parallelen Gedankenganges keine Beeinflussung durch Scotus Eriugena ersehen. Übrigens hat Anselm von Canterbury das Verhältnis zwischen auctoritas und ratio, zwischen Glauben und Wissen in einer zu der Auffassung Eriugenas direkt entgegengesetzten Weise gelöst und ist somit in 1 M. B a u m g a r t n e r , Die Philosophie des Alanus de Insulis 13. P r a n t l , Geschichte der Logik II 2 58. 2 R o u s s e l o t (Etudes sur 1a philosophie dans 1e moyen-äge I 213ff) sucht Anselm als „continuateur de J. S. Erigene" hinzustellen und „le rapport intime qui lie saint Anselme et J. S. Erigeneu nachzuweisen. Die von Rousselot (ebd. 217) betreffs Anselm aufgestellte Behauptung: „Le caractere de sa philosophie n'est pas douteux, il est 1e m§me que celui que nous avons reconnu a J. S. Erigene", ist durch die von ihm namhaft gemachten parallelen Gedankenrichtungen keineswegs bewiesen.
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der grundlegenden Frage seiner Methode und gerade in dem Punkte, in welchem er für die Frühscholastik und überhaupt für den Werdegang der eigentlichen Scholastik richtunggebend gewesen ist, in dem Punkte, in welchem er sich als den Vater der Scholastik im eigentlichen und wahren Sinne dokumentiert hat, sicherlich von den Inspirationen Eriugenas gänzlich unabhängig gewesen. Eine ganz auffallende Berücksichtigung und Benützung hat Eriugena durch Honorius von Augustodunum erfahren, dessen bis jetzt ungedruckte Schrift „Clavis physicae" nichts anderes ist als ein wortgetreuer Auszug aus Eriugenas „De divisione naturae* mit unbedeutenden redaktionellen Veränderungen des daselbst vorliegenden Textes1. Auch Wilhelm von Malmesbury (f um 1143) spricht sich anerkennend über das Hauptwerk Eriugenas aus<:i. An der Schwelle der eigentlichen Hochscholastik treffen wir noch an Simon von Tournai, einen mit Scotus Eriugena wohlvertrauten Theologen3. Das Wiederaufleben der pantheistischen Irrtümer Eriugenas bei Amalrich von Bena4 veranlagte die kirchliche Autorität, gegen das Buch „De divisione naturae" Stellung zu nehmen. Es erfolgte dessen Verurteilung auf dem Provinzialkapitel zu Paris 1210 und eine weitere Verurteilung durch Papst Honorius III., der 1225 dieses Buch von neuem verurteilte und die Verbrennung der von demselben vorhandenen Exemplare anordnete5. Die Folge davon war, daß die Handschriften dieses Buches sehr selten geworden sind, und daß die Spekulation Eriugenas auf die großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts nicht direkt einwirken konnte. Der Neuplatonismus des PseudoAreopagita ging unabhängig von Scotus Eriugena eine Verbindung 1
J. A. E n d r e s , Honorius Augustodunensis 65 ff. 2 Ebd. H a u r e a u , Notices et extraits de quelques manuscrits latins de 1a bibliotheque nationale III, Paris 1890ff, 250—259. Vgl. B ä u m k e r in Archiv für Geschichte der Philosophie 1897, 144. 4 B ä u m k e r , Ein Traktat gegen die Amalricianer aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts 1ff. C h o l l e t , Amaury de Bene, in Dictionnaire de thöologie catholique I 936—940. 5 D e n i f l e , Chartularium Universitatis Parisiensis I 106, n. 50. Vgl. auch den Bericht in der „ Chroniku Alberichs von Trois-Fontaines zum Jahre 1225 (M. G. SS. XXIII 914 915). Der Chronist bringt zuerst den Wortlaut des Verurteilungsdekretes Honorius' III. und fügt dann die Bemerkung bei: „Non est igitur mirum, si libellus hie, ante 300 circiter annos editus, et magnum concilium nuper celebratum (nämlich das vierte Laterankonzil 1215) evasit et hoc anno dampnationem cueurrit propter novos Albigenses et falsos theologos, qui verba bene forsitan suo tempore prolata et antiquis simpliciter intellecta, male intelligendo pervertebant et ex eis suam haeresim confirmabant." 3
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Die Überlieferung und Weiterbildung etc.
mit dem Augustinismus und Aristotelismus in den theologischen Summen des 13. Jahrhunderts ein. Wenn P i c a v e t 1 in die Einflußsphäre Eriugenas nicht bloß Anselm, sondern auch Alexander von Haies, Thomas von Aquin und Duns Scotus einbezieht, so ist das lediglich das Zeichen einer nicht auf eingehende Textstudien sich stützenden Geschichtskonstruktion. Wenn Scotus Eriugena auch nicht der Vater der Scholastik genannt werden kann, so darf er aber auch nicht als Vater der Antischolastik bezeichnet werden. Scotus Eriugena hat namentlich in methodischer Hinsicht durch Verwertung der Dialektik und durch einen kräftigen Anlauf zu einem spekulativen System wesentliche Aufgaben der Scholastik in Angriff genommen. Ihn wegen seiner Irrungen überhaupt aus der Reihe der Scholastiker oder besser der Vorscholastiker streichen zu wollen, wäre ein historisch ungerechtfertigtes Verfahren2. Mehr noch als K o m m e n t a t o r denn als selbständiger Denker kommt Joh. Scotus Eriugena für den Geschichtschreiber der scholastischen Methode in Betracht. Haureau hat in Cod. Paris, lat. 12 960 (9. Jahrh.) Glossen des Eriugena zu Martianus Capella aufgefunden und nachgewiesen3. Neuestens hat E d w a r d K e n n a r d Rand 4 den bedeutungsvollen Nachweis erbracht, daß Eriugena der Verfasser des in vielen Handschriften (9.—14. Jahrh.) erhaltenen ältesten Kommentars zu den Opuscula sacra des Boethius (Opusc. I—III V) ist. Rand, der eine mustergültige Ausgabe dieser Glossen veranstaltet hat, stützt sich für den Beweis dieser Autorschaft Eriugenas hauptsächlich auf Parallelen zwischen seinem Kommentar zu Johannes und 1
Esquisse d'une histoire generale et comparee des philosophe's medievales 149. 2 J a c q u i n (Le neo-platonisme de Jean Scot, in Revue des sciences philosophiques et thäologiques I [1907] 685) bemerkt über das Buch „De divisione naturae": „Cette oeuvre contestable sans doute, mais vigoureuse, au demeurant 1a seule synthese philosophique et theologique du haut moyen-äge." Die Form, in welcher De W u l f sowohl in seiner „Histoire de 1a philosophie medievale"2 (S. 179f) wie auch in seiner „Introduction ä 1a philosophie nöo-scolastique" (S. 34 60—62) Eriugena als Vater der Antischolastik bezeichnet hat, ist sicherlich zu scharf und historisch nicht hinreichend begründet. Zur Frage, ob Eriugena der Vater der Scholastik genannt zu werden verdient, vgl. auch N a g l e , Ratramnus und die heilige Eucharistie 107 A. 5. 3 H a u r e a u , Notices et extraits XX 2, 1ff. 4 Johannes Scottus 1ff. T r a u b e hat in seinem Vorwort (S. vn) zur Publikation Rands den von diesem gegebenen Beweis der Autorschaft Eriugenas als gelungen bezeichnet.
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zwischen diesen Glossen. Aus dieser Entdeckung Rands ergeben sich auch wertvolle Hinweise auf den geistigen Werdegang des großen irischen Philosophen. Es nehmen diese Glossen zu „De divisione naturae" etwa dieselbe Stellung ein wie die „Retractationes" zu den früheren Schriften Augustins1. Auch über die Stellung Eriugenas zu Boethius gibt die wertvolle und tief eingreifende Publikation Rands neue Aufschlüsse2. Scotus Eriugena ist kein resoluter Gegner des Boethius, sein Kommentar ist in den meisten Punkten zustimmend. Über das Verhältnis von fides und ratio, Glauben und Vernunfteinsicht, äußert sich Eriugena in diesen Glossen in einer von seinen sonstigen diesbezüglichen Anschauungen abstechenden Form. Er drückt hier unter Berufung auf die Stelle Is 7, 9: „Nisi credideritis non intelligetis" das Verhältnis zwischen fides und ratio im augustinischen Sinne dahin aus, daß der Glaube an die Offenbarungswahrheit der Einsicht in dieselbe vorauszugehen habe 3 . Scotus Eriugena hat also die theologischen Schriften des Boethius, d. h. jene Schriften, welche in methodischer Hinsicht scholastisches Gepräge an sich haben und dem letzten Römer den Namen des ersten Scholastikers eingetragen haben, in ziemlich zustimmender Weise kommentiert. Auf diese Weise steht Eriugena durch seine Boethiusglossen zur Entwicklung des Scholastizismus, zur Vorbereitung und Grundlegung der scholastischen Methode in einem wesentlich innigeren Verhältnis als durch sein spekulatives Hauptwerk „De divisione naturae". Angesichts dieser engen Beziehung Eriugenas zu den boethianischen Opuscula sacra können wir ihn, wenn auch nicht als Vater der Scholastik, so doch mit T r a u b e 4 ganz gut als rüstigen Vorläufer der Scholastik bezeichnen. Wir sind hierzu um so mehr berechtigt, als diese Boethiusglossen in viel zahlreicheren Hand1
2 R a n d a. a. 0. 18. Ebd. 19 ff. „Et fidem si poteris rationemque coniunge. Fidem multi habent, rationem autem admodum pauci, id est soli sapientes. Sed per fidem venitur ad rationem, unde et evangelium (vielmehr Is 7, 9) dicit: nisi credideritis non intelligetis. Ergo melior est fides quam ratio. Gregorius (Hom. 40 in Evang. II 26): fides non habet merituin cui humana ratio praebet experimentum. Pauci enim sunt qui ratione possint confirmare id quod credunt. Et hoc fuerunt duo apostoli currentes ad monumentum. Ioannes scilicet ratio, Petrus fides, monumentum est Sacra Scriptura. Ioannes autem praecurrit, quia ratio vivacior, fides tardior est. Non tarnen introivit antequam Petrus ingrederetur, quia ad perfectionem plenam non pervenitur nisi per fidem. Unde scriptum est: nisi credideritis non intelligetis" (Rand a. a. 0. 4 49 26—50). 4 Vorwort zu Rand vn. 3
Grab mann, Scholastische Methode. I.
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Di e Überlieferung und Weiterbildung etc.
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Schriften bis ins 13. Jahrhundert hinein verbreitet waren und deswegen eine vielfältigere Benützung und einen bedeutsameren Einfluß auf die Scholastik bekunden als Eriugenas Hauptwerk „De divisione naturae". T r a u b e 1 ist mit liebender Hingabe und mit genialem Forscherblick den noch vorhandenen Handschriften des Werkes „De divisione naturae" aus dem 9. Jahrhundert nachgegangen und hat aus den zahlreichen älteren Handschriften dieses Werkes geschlossen, daß dasselbe schon im 9. Jahrhundert einen großen Leserkreis gefunden hat. Traube hat in der Handschrift Reims 875 und in der Bamberger Handschrift H. J. IV. 5 und 6 Randbemerkungen von Eriugenas eigener Hand feststellen können. Es ist die Hand Eriugenas „eine charakteristische, irische Gelehrtenhand, die aber nicht über das Pergament fliegt, wie die seiner humanistisch gerichteten, kompilierenden Landsleute im Bernensis 963, sondern nachdrücklich, nachdenklich und doch mitteilsam in den Worten und Sätzen verweilt"2. Wenn nun auch das Werk „De divisione naturae" schon im 9. Jahrhundert einen großen Leserkreis sich erobert hat, so hat es doch, wie wir schon weiter oben gesehen, auf die Methode und Denkrichtung der Früh- und Hochscholastik keinen irgendwie nachhaltigen Einfluß ausgeübt. Eine ungleich größere Verbreitung und vielfachere Benützung scheinen hingegen die Boethiusglossen Eriugenas in der Folgezeit gefunden zu haben. Rand hat eine ziemliche Zahl von Handschriften dieser Glossen, die sich in den Bibliotheken zu Paris, Orleans, Bern, St Gallen, Einsiedeln> München, Bamberg, Berlin, Wien und in der Vatikanischen Bibliothek finden, namhaft gemacht3. Auch die späteren Erklärer des Boethius haben aus diesen alten Glossen geschöpft. Scotus Eriugena ist durch seine Glossen auch ein Vorbild für andere Glossatoren gewesen. H e i r i c u s von A u x e r r e (f 876?), ein Schüler des Servatus Lupus und vielleicht auch Eriugenas, glossierte die pseudo-augustinische Schrift „Categoriae". Vermutlich stammen von ihm auch Glossen zur boethianischen Übersetzung der Eldaycoyvj des Porphyrius und möglicherweise auch die Prudentiusscholien in der Trierer Handschrift 1093 vom 11. Jahrhundert. Auch hat er sein Gedicht über den heiligen Germanus mit Glossen versehen4. 1
2 Vorwort zu Rand VIII. Ebd. ix. R a n d , Johannes Scottus 29. 4 Ebd. 15 17 f 83. Vgl. T r a u b e in Neues Archiv XVIII (1893) 104. Über Heiricus und Remigius von Auxerre vgl. auch M a n i t i u s in Neues Archiv XXXII (1902) 608 ff. 3
Die wissenschaftliche Arbeitsweise im karolingischen Zeitalter etc.
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Ein sehr fruchtbarer Glossator war Heirics Schüler, Remigius von A u x e r r e (f ca 908). Von ihm stammen außer Schriftkommentaren ein den Glossen des Eriugena nachgebildeter, jedoch wenig verbreiteter und auch inhaltlich wenig bedeutender Kommentar zu den Opuscula sacra des Boethius (auch zu Opusc. IV), ferner Kommentare zu verschiedenen grammatikalischen Abhandlungen, zu der pseudo-augustinischen Schrift „Categoriae" und zu Augustins „Dialectica", zu Marcianus Capeila und zur „Consolatio philosophiae" des Boethius1. Es tritt uns also eine vielfach auf Einflüsse und Anregungen Eriugenas zurückführbare Glossenliteratur entgegen, die gegen Ende des 9. Jahrhunderts noch in schöner Blüte stand und sich noch ins 10. und 11. Jahrhundert fortsetzte. Besonders wurden die „Isagoge" des Porphyrius und die Schriften des Boethius glossiert2. Es begegnen uns hier auch Spuren althochdeutscher Glossen3. Die Porphyriusglossen sind vielfach aus den Kommentaren des Boethius zur „Isagoge" entnommen. Es ist diese Glossenliteratur, die einen Einblick in den damaligen Wissens- und Unterrichtsbetrieb gibt und namentlich über die Stellung dieser Zeit zu philosophischen, speziell dialektischen Fragen orientiert, bisher noch nicht genügend untersucht. Das 10. Jahrhundert war ein Jahrhundert des Niederganges auch auf wissenschaftlichem Gebiete. Nur einige wenige Männer führten unter ungünstigen äußeren Verhältnissen die wissenschaftlichen Bestrebungen fort. Die Wissenschaft fand in diesen unsichern Zeitläufen nur in den Klöstern, vor allem in der zu Beginn des 10. Jahrhunderts entstandenen, reformierten Benediktinerkongregation von Cluny eine Heimstätte. Es wurden in diesem Jahrhundert in den stillen Klosterzellen viele Handschriften mit großer Sorgfalt abgeschrieben. Für den Paläographen, der die Geschichte der Minuskelschrift verfolgt, ist das 10. Jahrhundert, die Zeit der neukarolingischen Minuskel, von 1 R a n d a. a. O. 87 f 97. T h u r o t , Notices et extraits de divers ms?, latins pour servir ä l'histoire des doctrines grammaticales au moyen-äge, in Notrea et Extraits des Mss. de 1a Bibl. Nat. XXII2 (1868) 1ff). F o x , A. Remigii Antissiodorensis in artem Donati minorem commentum, ad fidem codd. mss. ed., Lips. 1902. 2 Über ungedruckte Isagogeglossen siehe R e i n e r s, Der aristotelische Realismus in der Frühscholastik 14 ff. 3 E l i a s S t e i n m e y e r und E d u a r d S i e v e r s , Die althochdeutschen Glossen II, Berlin 1882, 54—81 366. 14* *
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Die Überlieferung und Weiterbildung etc.
großem Interesse1. Die uns erhaltenen Kataloge von Klosterbibliotheken aus dem 10. Jahrhundert geben Zeugnis dafür, daß man in den Klöstern emsig kostbare Bücherschätze sammelte und hütete 2 . Von den Schriftstellern des 10. Jahrhunderts sei zunächst R a t h e r i u s von V e r o n a (f 974) genannt, dessen Arbeiten einen vorwiegend praktischen Charakter haben. Über seine Auffassung von der Stellung der Vernunft zu den Glaubensgeheimnissen ist der Ausspruch beachtenswert: „De caeteris quaeso, ne solliciteris, quandoquidem mysterium esse audis, et hoc fidei: nam si mysterium est, non valet comprehendi: si fidei debet credi, non vero discuti.* 3 Odo von Cluny (f 942) hinterließ u. a. ein „Epitome Moralium S. Gregorii in Job" 4 . In der Bibliothek von Troyes findet sich ein aus dem 10. Jahrhundert stammender theologischer Traktat (Cod. Trec. 1979, n. 14, 10. Jahrh.), der in die Form von Fragen und Antworten gekleidet ist5. Bei den Cluniacensern zeigte sich mehrfach eine Abneigung gegen das klassische Altertum und überhaupt gegen profane Autoren. So verbot Abt Einold einem Mönche, daß er zum Zwecke augustinischer Studien mit der Dialektik sich befaßte6. Die bedeutendste Klosterschule gegen Ende des 10. Jahrhunderts war die von dem Cluniacensermönche Abbon (f 1004) geleitete zu Fleury-sur-Loire7. Es wurden hier Kirchenväter gelesen und vom Trivium die Grammatik, Dialektik, vom Quadrivium die Arithmetik gelehrt. 1
Vgl. T h e o d o r S i c k e l , Das Privilegium Ottos I. für die römische Kirche, Innsbruck 1883, 10—12. 2 B e k k e r , Catalogi bibliothecarum antiqui: S. 64 ff Bibliothek von Bobbio, S. 82—125 Bibliothek von Lorsch, S. 127 ff Bibliothek von St Emmeram. Über die Bibliothek von Cluny siehe S a c k u r , Die Cluniacenser II 329ff. Vgl. über das Bücherwesen des 10. Jahrhunderts auch St. B e i s s e l , Die Evangelienbücher in der ersten Hälfte des Mittelalters, Freiburg 1906, 225 ff. Über die gelehrten Studien im 10. Jahrhundert handelt auch C. B u r s i a n , Geschichte der klassischen Philologie in Deutschland I, München-Leipzig 1883, 40—55. 3 R a t h e r i i Epist. ad Patr. de corpore et sanguine Domini (M., P. L. CXXXVI 648). 4 M., P. L. CXXXIII 107-512. Vgl. S a c k u r a. a. O. 331 ff. 5 Incerti Questiones de fide catholica, symbolo et ecclesia. Incipit Interr.: „Quid est fides?" Resp.: „Fides est per quam ea quae non videmus esse confidimus et non dubitamus de rebus invisibilibus." 6 Ch. Pf i s t e r , Etudes sur 1e regne de Robert 1e Pieux 4. 7 Ebd. 9 ff. C u i s s a r d - G a u c h e r o n , L'ecole de Fleury-sur-Loire, in Memoires de 1a Sociöte archeologique d'Orle'ans XIV 551. P a r d i a c , Hist. de St Abbon, Paris 1872. H e i d e m a n n in RE. l 3 26 f.
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Umfassender war der Unterrichtsstoff in der von Gerbert von A u r i l l a c , dem späteren Papst Silvester II. (f 1003), geleiteten Domschule von Reims1. Die Grammatik wurde nach Donatus, Priscian und Marcianus Capeila gegeben. In der Dialektik tradierte Gerbert der Reihe nach die „Isagoge" des Porphyrius in der Übersetzung des Marius Viktorinus und in der Übersetzung wie auch Erklärung des Boethius, ferner die „Kategorien" und nept kpfiTjveiac, des Aristoteles mit dem Kommentar des Boethius, die Erklärung des Boethius zur „Topik" Ciceros und die selbständigen logischen Traktate des Boethius. Der „letzte Römer" und „erste Scholastiker" stand also in der Schule von Reims in hohen Ehren. Auch in den Fächern des Quadriviums, die alle von Gerbert gelehrt wurden, wurden die einschlägigen Traktate des Boethius verwertet. Für die Zwecke der Rhetorik benützte Gerbert Vergil, Statius, Terenz, Juvenal, Persius, Horaz, Lucan. Gerbert suchte auch Handschriften zu sammeln und errichtete eine ziemlich reichhaltige Bibliothek, wie er auch zuvor die Klosterbibliothek zu Bobbio, wo er früher Abt war, bedeutend vermehrt hatte 2 . Die schriftstellerische Tätigkeit Gerberts bewegte sich vor allem auf dem Gebiete der Mathematik3. Ein Typus für die Technik der damaligen Schullogik ist sein Otto III. gewidmeter „Libellus de rationali et ratione uti" 4 . Eine ziemlich merkliche Anwendung der Dialektik auf theologisches Gebiet betätigt sich in der unter Gerberts Schriften stehenden, jedoch nicht mit voller Sicherheit ihm zugehörenden Abhandlung „De corpore et sanguine Domini" 5. Es wird hier vornehmlich mit Aussprüchen der Väter (Hilarius, Ambrosius, Hieronymus, Augustinus, Fulgentius, Gregorius, Basilius, Cyrillus usw.) operiert. Wir begegnen hier — und das macht diese Abhandlung für die Entwicklungsgeschichte der äußeren Technik der scholastischen Methode bedeutsam — schon wenigstens in den Grundzügen dem Versuche, sich scheinbar widersprechende Väterstellen auf dialektischem Wege zu harmonisieren. Er recht1 Vgl. K. W e r n e r , Gerbert von Aurillac, Die Kirche und die Wissenschaft seiner Zeit, Wien 1878, 41 ff: Gerbert als Dialektiker. F. P i c a v e t , Gerbert un pape philosophe d'apres l'histoire et d'apres 1a legende. 2 Über Gerberts Schulbetrieb siehe Pf i s t er a. a. 0. 1—40. 3 B o u b n o v , Gerberti opera raathematica, JBerol. 1899. W e i s s e n b o r n , Gerbert. Beitrag zur Kenntnis der Mathematik des Mittelalters, Berlin 1888. 4 M., P. L. CXXX1X 159—168. Analyse dieser Schrift bei P i c a v e t a. a. 0. 151—157. 5 M, P. L. CXXXIX 179-188.
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fertigt dieses sein Verfahren mit den Worten: „Et nos aliquando, antequam tantorum virorum (Cyrilli dico et Hilarii) auctoritatibus instrueremur, hanc supra dictorum sanctorum discrepantiam alicuius dialectici argumenti sede absolvere meditabamur. Non enim ars illa, quae dividit genera in species et species in genera resolvit, ab humanis machinationibus est facta; sed in natura rerum ab auctore omnium artium, quae verae artes sunt, et a sapientibus inventa et ad utilitatem solertis rerum indaginis est usitata." 1 Wir bemerken somit hier Anfänge und Spuren jenes Verfahrens der Konkordanz sich widersprechender Väterautoritäten, dem wir später bei Bernold von K o n s t a n z und P e t e r A b ä l a r d in einer ausgebildeten, für die scholastische Technik richtunggebenden Form begegnen werden. In Deutschland hat N o t k e r Labeo (f 1022), Lehrer an der blühenden Klosterschule zu St Gallen, die „Kategorien" und rcepl kpuTjvdaQ des Aristoteles in der boethianischen Übersetzung, sowie des Boethius „De consolatione philosophiae" und des Marcianus Capella Schrift „De nuptiis Philologiae et Mercurii" in die deutsche Sprache übertragen2. Ein anderer N o t k e r , der 1008 als Bischof von Lüttich starb, hat dort selbst das Studium der Fächer des Triviums und Quadriviums eifrigst gefördert und in der Lütticher Schule ein Zentrum der Zivilisation geschaffen. Aus dieser Schule sind eine Reihe trefflicher Männer hervorgegangen3. Es zeigen sich sonach gegen Ende des 10. Jahrhunderts mehrfache Anzeichen eines neuen Aufschwunges des Wissenschaftsbetriebes. Wir bemerken Momente, die für die Weiterbildung der theologischen Methode im 11. Jahrhundert, am Vorabend der Scholastik, bedeutsam sind. 1
M., P. L. CXXXIX 185. Vgl. a u l P i p e r , Die Schriften Notkers und seiner Schule I (1. und 2. Lieferung). In der Einleitung zur 1. Lieferung druckt der Herausgeber bei Besprechung der von ihm benützten Handschriften auch eine Reihe von Texten ab, die wohl mit Notkers Schule zusammenhängen und von der damaligen Schuldialektik uns Proben geben. So enthält Cod. Turicensis 121, der aus St Gallen stammt (fol. 54v —55 v j, eine Abhandlung: Quis sit dialecticus. Dieselbe beginnt: „Quis est dialecticus? Qui novit illa quinque que? difn'nire argumentari raciocinari dividere partiri." Daran schließt sich (fol. 55v—58v) ein Traktat „De diffinitione Philosophie". P i p e r a. a. 0. viff. Vgl. auch J. K e l l e , Die philosophischen Kunstausdrücke in Notkers Werken: Abhandlungen der bayrischen Akademie der Wissenschaft der philos.-philol. Klasse XVIII 1—59. 8 Vgl. G o d e f r o i d K u r t h , Notger de Liege et 1a civilisation au X e siecle I, Paris 1905; chapitre 14: L'instruction publique 251—300. 2
Am Vorabend der Scholastik etc.
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Zweites Kapitel. Am Vorabend der Scholastik. Methodische Strebungen und Strömungen in der Theologie des n . Jahrhunderts. § i. Auctoritas und ratio im Kampfe zwischen Dialektikern und Antidialektikern und im berengarischen Abendmahlsstreit. Eine anziehende Gestalt am Anfang des 11. Jahrhunderts ist F u l b e r t von C h a r t r e s (f 1028), Schüler Gerberts und Gründer der Schule von Chartres1. Während bei Gerbert die Dialektik und überhaupt die profane Gelehrsamkeit in vorwiegender Weise zur Geltung kam, schlug Fulbert eine vorzugsweise positive und konservative Richtung ein. Indessen sind in der Schule Fulberts keineswegs die weltlichen Studien: Grammatik, Rhetorik und Dialektik vernachlässigt, sondern vielmehr nur im richtigen Verhältnisse zu den theologischen Studien, zum Studium der Heiligen Schrift und der Väter betrieben worden. Ein Beweis hierfür ist Cod. 100 der Bibliothek von Chartres, der im 11. Jahrhundert geschrieben ist und das in der Schule von Chartres damals benützte dialektische Unterrichtsmaterial enthält2. Neben der „Isagoge" des Porphyrius, der. „Kategorien" und xep\ kpfir^ziac des Stagiriten und neben den logischen Traktaten des Boethius sind hier auch Gerberts „De rationali et ratione uti" und Verse Fulberts über den Unterschied von Dialektik und Rhetorik dargeboten. Auch für die Ausbildung in der Grammatik und Rhetorik benützte die Schule von Chartres im 11. Jahrhundert ein ziemlich umfassendes, antikes Lehrmaterial. Aber höher als profane Wissenschaft stellt Fulbert die Schriften der Väter: „Nos vero trita et pervulgata Patrum via incedentes, Patrum memoriam in rationali pectoris nostri, id est praecedentium Patrum exempla prae oculis habeamus, et quae rationabiliter eos egisse cognovimus, teneamus.u 3 Fulbert ist sich der Begrenztheit des menschlichen Geistes bei Ergründung der Offenbarungswahrheit bewußt und spricht die Unzulänglichkeit der Weisheit dieser Welt gegenüber den göttlichen Dingen deutlich und unverhohlen aus 1 P f i s t e r , De Fulberti Carrotensis episcopi vita et operibus, Nancy 1885. Hist. litt, de France VII 261 ff. RE. V I 3 310f. C l e r v a l , Les öcoles de Chartres au moyen-age du V e au X V I e sieele 29 ff. 2 Ebd. 117. 3 Ep. 3 (M., P . L. CXLI 192).
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und warnt ernstlich vor Disputiersucht in göttlichen Dingen1. Pulbert hebt hier das ethisch-religiöse Moment bei der Betrachtung himmlischer Wahrheiten mit Entschiedenheit hervor, er ist hier das Echo der Väter und erinnert zugleich an die herrlichen Gedanken, die nahezu 100 Jahre später der hl. Anselm von Canterbury, der Vater der Scholastik, gegenüber einer übertriebenen Dialektik ausgesprochen hat. Fulberts Worte klingen wie ein Protest gegen eine zu seiner Zeit immer mehr anschwellende Strömung, nämlich gegen eine Überschätzung der weltlichen Wissenschaften und Übertreibung der dialektischen Kunst. Die Wissenschaft des 11. Jahrhunderts ist von dem Gegensatz zwischen Dialektikern und Antidialektikern beherrscht, einem Gegensatz, der viel einschneidender und beachtenswerter ist als der Widerstreit zwischen Nominalismus und Realismus in der voranselmischen Zeit. Ja R a n d 2 hat nicht unrecht, wenn er bemerkt: „Es ist mißlich, vor dem Zeitalter Anselms von einem bestimmten Nommalismus und Realismus zu schreiben/ Während in der karolingischen Renaissance, etwa mit der einzigen Ausnahme des Scotus Eriugena, freie Künste und Schriftstudium in friedlichem Einklang gepflegt wurden, eine Harmonie, die bis in die Tage Fulberts von Chartres fortwährte, begann im 11. Jahrhundert zugleich mit einer gesteigerten Wertschätzung, Betonung und Betätigung profaner Studien ein ungesundes Überwiegen der 1 F u l b e r t spricht diese Gedanken an der Spitze seiner dogmengeschichtlich (Eucharistielehre) interessanten Ep. 5 (M., P. L. CXLI 196 f) in sehr schöner Form aus: „Incomprehensibilera enim divini consilii altitudinem sapientia humana puro cognitionis intuitu comprehendere non potest; quia dum mens nostra ultra se praecipitanter erigere usque ad inaccessibilem secretorum Dei visionem appetit, infirmitatis suae obstaculo reverberata et intra ignorantiae suae angustias coarctata nee quod ultra se est valet comprehendere nee quod intra se est aestimare, unde scriptum est: ,Altiora te ne quaesieris et profunda consiliorum eius ne investigaveris* (Eccli 3, 22). . . . Porro mundi sapientia exterius eloquentia nitens, intus vacua a virtutis sapientia manet, semper enim quaerit et numquam invenit, quia profunda mysteriorum Dei non humanae disputationi, sed fidei oculis revelantur, sicut Dominus in Evangelio ait: ,Pater, gratias tibi ago, quia abscondisti haec sapientibus et prudentibus et revelasti ea parvulis' (Mt II, 25). Ergo mens humana, cum divinae dispositionis causas argumentis per se discutere non valet, ad hoc, quod comprehendere non valet, reverenter erroneae disputationis oculos claudat, nee invisibilia ex visibilibus nee ineorruptibilia ex corruptibilibus metiri praesumat, ne dum caeca disputatione clausa pulsat et operta non videt, propriis definitionibus captivata, et caecum sensum sequens in erroris praeeipitium cadat." 2 Joh. Scottus 17 A. 2.
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Dialektik1. Die Dialektik artete in Streitsucht, spitzfindigen Formalismus und eitle Sophistik aus. Es wurde der dialektische Streit um des Streites willen gepflegt. Auch die ethische Verfassung dieser Dialektiker (philosophi, dialectici, sophistae peripatetici) erscheint in keinem günstigen Lichte. Es waren diese extremen Dialektiker unstäte Charaktere, sie zogen ziellos im Land herum. Ein Typus dieser Wanderlehrer ist Anselm der P e r i p a t e t i k e r , dessen nur in zwei Handschriften erhaltene, von Ernst Dümmler edierte „Rhetorimachia" uns einen Einblick in diese hyperdialektisch-rhetorischen Strömungen um die Mitte des 11. Jahrhunderts gestattet2. Anseimus bezeichnet sich als Schüler des Philosophen Drogo, den er als „flos et Italiae decus" feiert3. Die philosophischen Quellen Anselms des Peripatetikers waren Aristoteles, soweit er damals bekannt war, die „Isagoge" des Porphyrius und die logischen Schriften des Boethius4. Wir bemerken jedoch bei ihm auch einen starken rhetorischen Einschlag. Dieser rhetorisch-praktische Zug der Dialektik steht vielleicht im Zusammenhang mit dem Aufblühen des Rechtsstudiums in Italien, von dem die Rechtsschulen in Ravenna (11. Jahrh.) und Pavia (10. Jahrh.) Zeugnis geben. Es stand die Pflege des Rechtsstudiums in den Anfängen in innigem Kontakt mit Grammatik, Rhetorik und Dialektik analog, wie auch später zwischen dem aufblühenden Studium des kanonischen Rechts und der Dialektik Abälards eine mehr oder minder innige Fühlung zu Tage trat 5 . Anselm der Peripatetiker 1 Über diese Strömungen im Geistesleben des 11. Jahrhunderts handelt in eingehender und ergebnisreicher Weise E n d r e s, Die Dialektiker und ihre Gegner im 11. Jahrhundert, in Philosophisches Jahrbuch 1906, 20—33. 2 E. D ü m m l e r , Anselm der Peripatetiker. Über die in Cues befindliche Handschrift Cod. 52, fol. 326—330: „Anselmi Peripatetici Artis rhetoricae libri tres" vgl. J. M a r x , Verzeichnis der Handschriften-Sammlung des Hospitals von Cues 51. 3 D ü m m l e r a. a. 0. 17. Anselm drückt (ebd. 56) sein Schülerverhältnis zu Drogo in der überschwenglichen Form aus: „Drogoni magisterrimo . . . discipulissimus Anseimus gratia Dei et vestra imperatorius capellanus." 4 H a u r e a u , Singularites historiques et litteraires (1861) 192 ff. 5 Über die Berührung von Dialektik, Grammatik und Rhetorik mit dem Rechtsstudium siehe P r a n t l , Geschichte der Logik im Abendlande II 69 f; B o i n s - L e n e l , Geschichte und Quellen des römischen Rechtes, in H o l t z e n d o r f - K ö h l e r , Enzyklopädie des Rechtsstudiums I 6 (1904) 165 f. Ein konkreter Beweis für die innigen Beziehungen zwischen Jus und Dialektik bzw. Grammatik ist das um 1063 entstandene, in zahllosen Handschriften überlieferte „Elementarium doctrinae erudimentum" des Glossographen P a p i a s , das zugleich eine erhebliche Zahl juristischer Worte und Begriffe wie auch eine Fülle von die Logik
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ist auch ein Musterbild eines Hyperdialektikers. Ein Beleg hierfür ist seine „Epistola ad Drogonem Magistrum et Condiscipulos de logica disputatione in Gallia habita" *, ein in seine „Rhetorimachia" eingeflochtener Bericht über eine von ihm in Frankreich abgehaltene Disputation, die die Frage, ob es zwischen Bejahung und Verneinung ein Mittleres geben kann, zum Gegenstand hatte und auch auf theologisches Gebiet, speziell auf die Prädestinationslehre, eine Abschweifung machte. Auch die Charakterrichtung dieser Hyperdialektiker spiegelt sich in Anselms „Rhetorimachia" ab, die überhaupt als „ein merkwürdiges und anziehendes Sitten- und Kulturbild von hie und da fast novellistischer Ausführung"2 sich darstellt. So äußert Anselm hier eine recht lebensfrohe Weltansicht und ein an die Humanisten des 15. Jahrhunderts gemahnendes, schriftstellerisches Selbstgefühl. Läßt er doch in einer Vision die Seligen des Himmels und die Musen um seine Person sich streiten! 8 Wenn wir schon bei Anselm dem Peripatetiker, wenn auch nur mehr andeutungsweise, eine Abschwenkung dieser rhetorisch-hyperdialektischen Denkrichtung auf spezifisch-theologische Dinge bemerken, so dürfen wir von vornherein erwarten, daß auf die Dauer das weite Gebiet theologischer Fragen, die zur Zeit der karolingischen Renaissance Gegenstand der Diskussion und oft erregten Polemik gewesen waren, von der Invasion dieser überwuchernden, einen rein profanen Charakter an sich tragenden übertriebenen Dialektik nicht verschont blieb. B e r e n g a r von T o u r s (f 10884), Vorstand der Martinschule von Tours und seit 1040 zugleich Archidiakon von Angers, hat dieses übertriebene dialektische Verfahren auf die Eucharistielehre angewendet und nicht bloß die Wesensverwandlung, sondern auch, wie aus seiner von Lessing aufgefundenen und von Vischer 1834 edierten Schrift „De coena Domini" hervorgeht, die wirkliche Gegenwart Christi in der Eucharistie geleugnet. Berengar von Tours, ein seinem betreffenden, aus Boethius und Isidor von Sevilla geschöpften Worterklärungen in sich schließt. 1 D ü m m l e r , Anselm der Peripatetiker 56—58. 2 3 Ebd. 7. Ebd. 8 f. * S c h n i t z e r , Berengar von Tours, München 1891. C l e r v a l , Les ecoles de Chartres au moyen-äge 64 ff 118 ff 131 ff. R e n a u d i n , L'heresie antieucharistique de Berenger, in L'universite" catholique XI 415—447. E b e r s o l t , Essai sur Berenger de Tours et 1a controverse sacramentaire en 11 e s., Paris 1903. H a r n a c k , Lehrbuch der Dogmengeschichte III 8 347 ff. HergenrötherK i r s c h , Kirchengeschichte II 410 ff. Vgl. den gründlichen Artikel über Berengar im Dictionnaire de the"ologie catholique II 722—742 (von Vernet).
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Lehrer wenig ähnlicher Schüler Fulberts von Chartres, hatte schon frühzeitig eine an die oben geschilderten Dialektiker erinnernde Streitund Neuerungssucht gezeigt. Guitmund von Aversa (f um 1095), Verfasser einer Gegenschrift gegen Berengar, welche „durch theologische Tiefe und Gelehrsamkeit wie durch Schönheit und Kraft der Darstellung gleich ausgezeichnet ist" *, hat in vielleicht etwas zu schwarzer, aber sicherlich in der Hauptsache wahrer Form diesen ungesunden Entwicklungsgang Berengars geschildert und auf seine eitle Sucht nach „novae verborum interpretationes" hingewiesen. Bezeichnend ist auch der von Guitmund berichtete Zug, daß Berengar von Eifersucht gegen die von Lanfrank geleitete Schule von Bec, welche an Glanz die Martinschule zu Tours überstrahlte, ergriffen war 2 . Berengar hatte, wenn er auch stellenweise mit Wärme und Begeisterung von der Heiligen Schrift und von Augustin spricht, eine durchwegs übertriebene Vorstellung von dem Werte der Dialektik auf theologischem Gebiete. Die Dialektik ist für ihn die Vernunft und der Inbegriff und Maßstab alles Wissens3. Er spricht diese seine Zuversicht in die Dialektik aus mit den charakteristischen Worten: „Maximi plane cordis est, per omnia ad dialecticam confugere, quia confugere ad eam ad rationem est eonfugere."4 Berengar zieht die Vernunft der Autorität vor, er ist von der eminentia rationis überzeugt und durchdrungen5. Nur wer durch vernünftiges Denken nicht in den Besitz der Wahrheit zu kommen im stände ist, begnügt sich mit der Autorität. Berengar war in seiner Abendmahlslehre, sowie auch in seiner Auffassung des Verhältnisses zwischen Glauben und Wissen, auctoritas und ratio, Bibel und Dialektik von Scotus Eriugena inspiriert6. Man findet fast allgemein in seiner nominalistischen philosophischen Richtung den Grund seiner Abendmahlslehre7. Dieser Auffassung gegenüber bemerkt E n d r e s mit 1
2 S c h e e b e n in KL. V 2 1360. M., P. L. CXLIX 1427. Vgl. S c h n i t z e r a. a. 0. 265ff. 4 De sacra caena (ed. Vischer) 101. 5 Ebd. 33 102. Vgl. auch Berengars Brief an A d e l m a n n , Scholastikus zu Lüttich, später Bischof von Brescia bei M a r t e n e - D u r a n d , Thes. nov. anecdot. IV 113. 6 S c h n i t z e r a. a. 0. 269. N a g l e , Ratramnus und die heilige Eucharistie 269. 7 R ö m u s a t (Abelard I 358) bezeichnet die Abendmahlslehre Berengars als „un nominalisme Special on restreint ä une seule question"- Vgl. R o u s s e l o t , Etudes sur 1a philosophie dans 1e moyen-äge 1 118. H a u r e a u , Histoire de 1a philosophie scolastique I 233. 3
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Recht, daß dieser Nominalismus mehr hineinphilosophiert worden ist. „Nicht nach einem erkenntnistheoretischen, sondern nach einem inneren allgemeinen Maßstab ist die Geistesrichtung Berengars zu bemessen. Er war Rationalist, oder um in der Ausdrucksweise seiner Zeit zu reden, er war Dialektiker."1 Welches ist nun die Stellung, welche Berengar von Tours im Werdegang der scholastischen Methode einnimmt, welches war der Einfluß, den er auf die Entwicklung der scholastischen Methode ausübte? Schnitzer 2 äußert sich diesbezüglich folgendermaßen: „Hatte Berengar seine dialektischen Deduktionen auf die Lehre von der heiligen Eucharistie eingeengt, so wurden sie nun auch auf die andern Dogmen des Christentums ausgedehnt, verschiedene Fragen wurden laut, die Gelehrten teilten sich in die beiden Gruppen der Nominalisten und Realisten. Überhaupt ist nicht zu zweifeln, daß Berengar durch seine ganze formale Behandlungsweise der Glaubenssätze einen mächtigen Anstoß zur werdenden Scholastik gab, wie denn schon seine Schrift ,De sacra coena' der scholastischen Methode sich nähert/ Diese Auffassung Schnitzers von der Beziehung Berengars von Tours zur werdenden Scholastik, zur Bildung der scholastischen Methode scheint in mehr als einer Hinsicht der geschichtlichen Wirklichkeit nicht zu entsprechen. Fürs erste ist es historische Tatsache, daß die in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts mächtig einsetzende wissenschaftliche Bewegung, welche gegen Ende dieses Jahrhunderts, dank der geistesgewaltigen Persönlichkeit des hl. Anselm von Canterbury, zum Beginn der eigentlichen Scholastik, zunächst der Frühscholastik führte, ihren Ausgang von den Gegnern Berengars genommen hat. Lanfrank und Anselm von Canterbury waren ihrer ganzen Gesinnung und Richtung nach zu weit von Berengar von Tours entfernt, als daß sie sich in methodischer Beziehung von ihm in einer nachdrücklicheren Weise hätten beeinflussen lassen. Zudem hatte Lanfrank unabhängig von Berengar seine wissenschaftliche Methode, seine Vertrautheit mit der Dialektik usw. sich angeeignet, und er erfreute sich als Leiter der weltberühmten Schule von Bec eines ganz andern wissenschaftlichen Ansehens als Berengar von Tours. Fürs zweite ist zu beachten, daß die Anwendung der Dia1 E n d r e s , Die Dialektiker und ihre Gegner im 11. Jahrhundert, in Philos. Jahrbuch 1906, 25. 2 Berengar von Tours 411.
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lektik auf die Glaubenswahrheiten, die formale Behandlung der Glaubenssätze längst vor Berengar von Tours in Übung war. Dieser hat nur in übertriebener und einseitiger Weise von diesem dialektischen Verfahren Gebrauch gemacht. Er hat das Verhältnis von auctoritas und ratio, dieser treibenden Grundkräfte des Scholastizismus, gänzlich umgestellt. Die gesunde Scholastik, die sich zu einem richtigen Verständnisse dieses Verhältnisses durchringen mußte, konnte sich unmöglich an Berengars Rationalismus orientieren. Überhaupt besteht die gesunde, einen Gedankenfortschritt bedeutende Scholastik nicht lediglich in Dialektik, sondern im Gleichgewicht zwischen Dialektik und Überlieferungsstoff. Das Überwiegen der Dialektik hat auch im 12. und 13. Jahrhundert immer wieder eine Reaktion zu Gunsten des patristisch-positiven oder auch des aszetischmystischen Standpunktes hervorgerufen. Diese Reaktion führte zu einer ebenmäßigen Berücksichtigung beider Grundkräfte des Scholastizismus, der ratio und auctoritas. Erst als die Dialektik in der Weise das Übergewicht erlangte, daß der Stoffzufuhr keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt wurde, begann rasch der Verfall der Scholastik. Wer dem Werdegang der Scholastik und der scholastischen Methode genau folgen will, darf nicht bloß der Dialektik und der formalen Seite des Wissenschaftsbetriebes sein Interesse zuwenden, er muß auch das Stoffliche, Inhaltliche an der Scholastik ins Auge fassen. Es ist nicht bloß die Vermehrung und Verfeinerung der dialektischen Hilfsmittel, sondern auch, und zwar in höherem Maße, das Anwachsen des Überlieferungsmaterials, das Erschließen neuer philosophischer und theologischer Quellen ein Fortschrittsprinzip der Scholastik und der scholastischen Denk- und Arbeitsweise. D e n i f l e 1 hat die Beobachtung gemacht, daß in der Verfallzeit der Scholastik die Väterhandschriften abnehmen und eine inhaltliche Sterilisierung der Theologie mit einer nominalistischen übertriebenen Dialektik Hand in Hand ging. Im Lichte dieser Erwägungen über den Werdegang der Scholastik und scholastischen Methode und über die hierbei tätigen Faktoren dürfte ein Kausalnexus zwischen Berengar von Tours und der Ausbildung der eigentlichen Scholastik nicht angenommen werden können. Man kann höchstens von einem indirekten Einfluß Berengars auf den Werdegang der Scholastik und scholastischen Methode reden in dem Sinne nämlich, daß seine Eucharistielehre eine Reihe von Chartularium Universitatis Parisiensis III ix.
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theologischen Zeitgenossen zum Schutze der Orthodoxie unter die Waffen gerufen, eine Fülle von Gegenschriften veranlaßt und dadurch eine rührige theologische Bewegung erzeugt hat. Es seien hier als theologische Gegner Berengars A d e l m a n n , Scholastikus zu Lüttich, später Bischof von Brescia, Bischof Hugo von Langres, Abt Dur and von T r o a r n , Lan frank und G u i t m u n d von A v e r s a 1 genannt. Alger von Lüttich, der die beste Arbeit gegen Berengar von Tours geschrieben, und Gregor von Bergamo gehören schon der Frühscholastik an. All diese Gegenschriften, diese Abhandlungen „De corpore et sanguine Domini contra Berengarium" haben, um die Einwürfe Berengars gegen die reale Gegenwart Christi zu widerlegen, sowohl mit den Waffen der Dialektik und noch mehr mit einem reichen patristischen Material operiert. Berengar hat nicht blofs vom Standpunkte seiner übertriebenen Dialektik aus gegen die kirchliche Eucharistielehre Einwendungen gemacht, er hat seine dialektischen Künste auch dazu benützt, um Aussprüche der Väter in seinem Sinne zu deuten. Er hat sich zu Gunsten seiner dynamischen Theorie namentlich auf augustinische Formeln und Unterscheidungen berufen2. Seine orthodoxen Gegner haben einer solchen dialektischen Umdeutung der Väterlehre gegenüber die Übereinstimmung der Patristik mit der Kirchenlehre durch Vorführung einer Fülle von Vätertexten nachgewiesen. Es spricht aus diesen Gegenschriften eine warme Begeisterung für die auctoritas der Väter und eine gründliche Vertiefung in die patristischen Schriften. Doch mußten diese Gegner Berengars zur Entkräftung seiner dialektischen Einwände und zur Verteidigung der Väter gegen seine dialektischen Interpretationskünste auch von den Mitteln einer gesunden Dialektik Gebrauch machen. Guitmund von Aversa wählt zu diesem Zwecke die Form eines Dialoges zwischen ihm und seinem Freunde Roger. Letzterer bringt die obiectiones, die dann Guitmund löst. Zunächst werden mit großem Scharfsinn die dialektischen Einwände des Gegners zurückgewiesen, alsdann finden die angeblichen Autoritätsgründe Berengars, seine Umdeutungen von Vätertexten eine kritische Beleuchtung. Große Sorgfalt ist auf die Rechtfertigung Augustins verwendet. Guitmund 1
Vgl. S c h n i t z e r , Berengar von Tours 318—404. B i g i n e l l i , La Rinascenza degli studi eucaristi nel medio-evo in occasione dell'eresia di Berengario sulla presenza reale, in Compte rendu du quatrieme congres scientifique international des catholiques a Fribourg (Suisse) 1897. Premiere section: Sciences religieuses 19—31. 2 Vgl. K . A d a m , Die Eucharistielehre des hl. Augustin 1.
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macht gegen die gewaltsamen Augustinusdeutungen seines Gegners auf die für die Beurteilung von Texten maßgebenden Regeln und Grundsätze der Grammatik und Dialektik aufmerksam. Den Schluß der polemischen Schrift Guitmunds bildet der positive Beweis des kirchlichen Glaubens. In dieser Weise war eine glückliche Wirkung von Berengars Auftreten die Entfaltung einer neuen Tätigkeit auf theologischem Gebiete, die gegenüber einer übertriebenen Dialektik mehr die positiv-patristischen Gesichtspunkte hervorkehrte und auctoritas und ratio in die richtige Proportion zu setzen suchte. Das Resultat dieser Kontroverse war ein großer Fortschritt in der Exposition des eucharistischen Dogmas. Das heilige Altarssakrament wurde in viel intensiverer Weise als im 9. Jahrhundert zum Thema der theologischen Erörterung gemacht. Diese monographische Behandlung der heiligen Eucharistie führte zu einer allseitigen Beleuchtung dieses Dogmas, leitete dazu an, den Zusammenhängen dieses Glaubenssatzes mit andern Punkten der christlichen Lehre nachzugehen und weckte hierdurch den Sinn für eine systematische Behandlung größerer Ausschnitte aus dem Gesamtgebiet der Theologie. Die eingehendere Beschäftigung mit den Gedanken der Väter brachte eine Fülle spekulativer Ideen und großer Gesichtspunkte in den Gesichtskreis der Theologen. Zur Lösung der von Berengar erhobenen Schwierigkeiten und zur Aufhellung so vieler schwieriger Punkte der Eucharistielehre wurden Analogien aus dem Bereiche des Natürlichen verwertet und zum Erweis der christlichen Wahrheit mancherlei Konvenienzgründe angeführt. So kommt es, daß uns bei Lanfrank, besonders aber bei Guitmund — der geistvolle Alger kommt für uns hier noch nicht in Betracht — manche Ideen und Gedankengänge begegnen, die Sinn für Spekulation verraten und auch in der folgenden Scholastik verwertet und weitergebildet worden sind *. Auch brachte der Berengarsche Streit eine Förderung und Bereicherung der theologischen Terminologie. Guitmund verwertete die Begriffe „Substanz" und „Akzidenz" für die Eucharistielehre2. Bei Hilde1
Vgl. S c h e e b e n , Mysterien des Christentums 459 A. 1; 469 A. 3; 497 A. 1; Dogmatik I 424: „Durch letztere (Lanfrank, Hugo von Langres, Guitmund und Alger) wurde die im Mittelalter hervortretende reiche Entwicklung der Sakramentenlehre eingeleitet, nachdem die Väter sich mehr mit Trinität und Inkarnation befaßt hatten." F r a n z e l i n , Tractatus de ss. eucharistiae sacramento et sacrificio2, Rom. 1873, 143 197. T u r m e l , Histoire de 1a theologie positive depuis l'origine jusqu'au concile de Trente 310 ff 438 ff. 2 G u i t m u n d u s , De corp. et sangu. I. Chr. veritate in Eucharistia 1. 2 (M., P. L. CXL1X 1450).
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b e r t von L a v a r d i n , einem Schüler und Gegner Berengars zugleich, findet sich zum erstenmal der Terminus transsubstantiatio1. Der ganze Berengarsche Abend mahlsstreit fügt sich ganz gut in den Rahmen der dialektischen Strömungen des 11. Jahrhunderts ein. Er repräsentiert sich als eine Invasion der Hyperdialektik auf theologisches Gebiet, während in der hierdurch hervorgerufenen theologischen Gegenbewegung zu Gunsten der kirchlichen Lehre mehr das positive patristische Element, die auctoritas, betont ist. Indessen rief die übertriebene Dialektik und das Überwiegen des weltlichen Wissensbetriebes auch eine Reaktion hervor, die in Form mehr oder minder antidialektischer Anschauungen prinzipiell zur Frage über die Berechtigung und den Wert der Dialektik und der profanen Studien Stellung nahm. Die hauptsächlichsten dieser Antidialektiker waren Othloh von S t E m m e r a r a , P e t r u s Damiani und Manegold von L a u t e n b a c h . Auch L a n f r a n k wird ihnen beigezählt2. § 2. Das Gleichgewicht von auctoritas und ratio bei Lanfrank. Petrus Damiani. Aus dem Widerstreite extremer Richtungen auf dem Gebiete geistigen Lebens und Strebens resultiert in der Regel eine gemäßigte Strömung, die einen gesunden Mittelweg zwischen einseitigen Gegensätzen darstellt und einen wirklichen Fortschritt bedingt. Der Gegensatz zwischen den Hyperdialektikern des 11. Jahrhunderts, welche der Dialektik auch auf theologischem Gebiete eine übertriebene, die Orthodoxie schädigende Bedeutung beimaßen, und zwischen den Antidialektikern, welche nicht nur gegen die Ingerenz der Dialektik auf das Glaubensgebiet Front machten, sondern auch zu einer Unterschätzung und Mißbilligung der Dialektik als solcher mehr oder minder neigten, dieser Antagonismus von allzu fortschrittlichen und von allzu konservativen Tendenzen führte zu einer Richtung im wissenschaftlichen Leben, welche einer gemäßigten Dialektik 1
D e n i f l e , Luther und Luthertum I 2 614. Hierüber geben Aufschluß die gründlichen Abhandlungen von J. A. End r e s , Die Dialektiker und ihre Gegner im 11. Jahrhundert, in Philos. Jahrbuch 1906, 20—33; Othlohs von St Emmeram Verhältnis zu den freien Künsten, insbesondere zur Dialektik, ebd. 1905, 44—52 173—184; Manegold von Lautenbach. Ein Beitrag zur Philosophiegeschichte des 11. Jahrhunderts, in Hist.-pol, Blätter 1901, 127 389—401 486—495; Lanfranks Verhältnis zur Dialektik, im Katholik 1902, 215-231. 2
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huldigte und zwischen ratio und auctoritas das richtige Verhältnis fand. Der hervorragendste Repräsentant dieser Wissenschaft der Ausgleichung und Vermittlung nach der Mitte des 11. Jahrhunderts war L a n f r a n k , geboren ca 1005 zu Pavia, später Mönch und Haupt der Klosterschule in Bec (Normandie), von 1070—1089 Erzbischof von Canterbury K Lanfrank war ein Mann von universeller Bildung. Er hatte in jungen Jahren zu Bologna sich gründliche juristische Kenntnisse erworben, er erfreute sich eines großen Rufes als Dialektiker und besaß ein hervorragendes Wissen in der positiven Theologie, in der Heiligen Schrift und den Vätern. Bezüglich seiner Fertigkeit in der Dialektik bemerkt sein Schüler Guitmund von Aversa, daß durch den gelehrten Lanfrank Gott die freien Künste wieder aufleben ließ2. Lanfranks das Gleichgewicht zwischen ratio und auctoritas wahrende wissenschaftliche Methode tritt uns besonders markant in seiner Gegenschrift gegen Berengar von Tours „De corpore et sanguine Domini"3 entgegen. Was seine Stellung zur Dialektik betrifft, so erhebt er gegen Berengar Tadel, weil derselbe die heiligen Autoritäten hintansetze und zur Dialektik seine Zuflucht nehme, da doch in den Geheimnissen des Glaubens die heiligen Autoritäten, nämlich Schrift und Väter, den dialektischen Argumenten vorzuziehen seien4. Wenn nun Lanfrank trotzdem gegenüber den philosophischen Einwänden seines Gegners von den Mitteln der Dialektik Gebrauch machen muß, so ruft er Gott und sein Gewissen zum Zeugen an, daß er bei der Behandlung der Wahrheiten des heiligen Glaubens lieber auf die Künste der Dialektik verzichten würde, daß er dieselbe nur 1 Über Lanfrank vgl. J. de C r o s a l z , Lanfranc, sa vie, son enseignement, sa politique, Paris 1877: Moiraghi, Lanfranco di Pavia, Padova 1889; Schnitzer, Berengar von Tours 340 ff; Dornet de V o r g e s , St Anselme 42 ff; J. A. E nd r e s , Lanfranks Verhältnis zur Dialektik, im Katholik 1902 (I) 215—231. H a r t e r (Nomenciator I 3 1055) bezeichnet Lanfrank als „omnium forte praecipuus hac periodo theologus et in dialectica maxime versans, aerae laetioris aurora*. 2 „Cumque per ipsum D. Lanfrancum virum aeque doctissimum liberales artes Deus recalescere atque optime reviviscere fecisset" etc. (M., P. L. CXLIX 1423). 3 M., P. L. CL 407—442. 4 „Relicfcis sacris auctoritatibus ad dialecticam confngium facis. Et quidem de mysteriis fidei auditurus ac responsurus quae ad rem debeant pertinere, mallem audire ac respondere sacras auctoritates quam dialecticas rationes" (De corp. et sang. Domini c. 7; M., P. L. CL 416).
G r ab mann, Scholastische Methode. I.
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zur größeren Klarstellung des Gegenstandes benütze und daß er weit davon entfernt sei, mehr auf die dialektische Schlagfertigkeit als auf die Wahrheit und Autorität der Väter zu bauen und zu vertrauen. Er findet sich zur Verwertung der Dialektik berechtigt durch das große Lob, daß der hl. Augustin dieser Disziplin gespendet habe1. Für Lanfrank ist die Dialektik nur Mittel zum Zweck, ein Hilfsmittel zur Entwicklung, Klarlegung des Glaubensinhaltes. Er rügt deswegen an Berengar, daß dieser die Dialektik um der Dialektik willen selbst auf theologischem Gebiete in eitler Ruhm- und Disputiersucht pflege 2. Wenn Lanfrank in seiner Polemik gegen Berengar auch mit Geschick die dialektischen Hilfsmittel benützt und den Gegner mit dessen eigenen Waffen bekämpft, so liegt doch der Schwerpunkt seiner Gegenschrift auf dem positiven patristischen Momente, auf der Verteidigung der Väterlehre gegenüber den Entstellungen und Textverdrehungen Berengars. „Berengar", bemerkt zutreffend Möh 1 er 3 , „war Meister in der Kunst, eine Menge abgerissener Stellen aus den Vätern beizubringen und mit diesem bunten Gemengsei zu beweisen. Lanfrank berücksichtigt genau den Zusammenhang, vergleicht sorgfältig Parallelstellen und widerlegt in der Tat den Berengar sehr gut. Das zwar nie versäumte Studium der Kirchenväter brachte er auch wieder in lebhaftere Aufnahme." Lanfrank war von größter Hochschätzung vor der Autorität der Kirche und der Väter erfüllt. Der Glaube der römischen Kirche war ihm die Norm der Rechtgläubigkeit und galt ihm als der Glaube der heiligen Väter4. Es 1
„Verum contra haec quoque nostra erit studü respondere, ne ipsius artis inopia me putes in hac tibi parte deesse; fortassis iactantia quibusdam videbitur et ostentationi magis quam necessitati deputabitur. Sed testis mihi Deus est et conscientia mea, quia in tractatu divinarum litterarum nee proponere nee ad propositas respondere cuperem dialecticas quaestiones vel earum solutiones. Etsi quando materia disputandi talis est, ut liuius artis regulis valeat enueleatius explicari in quantum possum, per aequipollentias propositionum tego artem, ne videar magis arte quam veritate sanetorumque Patrum auetoritate confidere, quamvis beatus Augustinus, in quibusdam suis scriptis et maxime in libro de doctrina christiana, hanc diseiplinam amplissime laudet, et ad omnia quae in sacris litteris vestigantur plurimum valere confirmet" (De corp. et sang. Domini c. 7; M., P. L. CL 417). 2 „Quod vero dialectica verba, affirmationem, praedicatum, subiectum caeteraque in hunc modum traetatui tantae rei laboras inserere, propter nihil aliud videris id facere nisi ut hac occasione peritum te disputandi imperitis Valens suadere" (ebd. c. 8; 418). 3 Gesammelte Schriften und Aufsätze. Herausgegeben von Döllinger I 42» 4 „Incurrisque in illud, quod beati doctores eisdem tarnen sententiis multis in locis concorditer adstruxerunt, haereticum esse omnem hominem qui a Romana
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ist deswegen ebenso die richtig verstandene Lehre der Väter, wie es die Lehre der katholischen Kirche, die nicht irren kann, ist, daß Christus in der Eucharistie real gegenwärtig ist. Unter den Vätern wird der hl. Augustin von Lanfrank als „Eeclesiae columna et firmamentum veritatis" gefeiert1. Bei schwierigen Vätertexten ist es nach seiner Ansicht besser,4 wenn man auf eine Interpretation überhaupt verzichtet, als daß man solche Stellen in einem glaubenswidrigen Sinne deutet, zumal wenn es sich um hervorragende Kirchenväter handelt2. Lanfrank hat auch tatsächlich den patristischen Teil seiner Schrift gegen Berengar sorgfältig ausgearbeitet und namentlich in der Erklärung schwer verständlicher und mißdeuteter Augustinusstellen großen Scharfsinn und eine vortreffliche und auch sachlich zutreffende Interpretationsmethode bekundet. Für die theologische Methode Lanfranks und seine Stellungnahme zur Dialektik in der Zeit nach seiner Kontroverse mit Berengar geben seine Kommentare zu den paulinischen Briefen Aufschluß. Er spricht hier den Gedanken aus, daß die Dialektik an sich die Geheimnisse Gottes nicht bekämpft, sondern vielmehr, wenn sie richtig angewendet wird, den Glauben begründet und befestigt3. Wenn der Apostel (Kol 2, 4) die Gläubigen mahnt, sich nicht in sublimitate verborum täuschen zu lassen, so tadelt derselbe hiermit nicht die Kunst* des Disputierens, sondern nur den Mißbrauch dieser et universali ecciesia in fidei doctrina discordat" (De corp. et sang. Domini c. 2; M., P. L. CL 410). — „Hanc fidem tenuit a priscis temporibus et nunc tenet Ecciesia, quae per totum diffusa orbem catholica nommatur" (ebd. c. 18; 430); vgl. ebd. c. 22; 440. — „Has et huiusmodi scripturas per totum fere divinarum litterarum corpus sparsim diffusas, si amoto inanis iactantiae appetitu, pro intentione vitae aeternae humiliter legeres, si inter legendum effusis ad dominum precibus impetrata divina gratia intelligeres, si ea quae ad litteram accipi et ea quae spiritualiter oportet intelligi, christiana cautela distingueres, procul dubio crederes quod universalis Ecciesia credit . . . carnem scilicet et sanguinem domini nostri I. Chr. et ore corporis et ore cordis, hoc est corporaliter et spiritualiter manducari et bibi" (ebd. c. 17; 429). 1 Ebd. c. 18; 433—434. 2 „Tutius est igitur lectori in difficillimis sanctorum Patrum sententiis, quas ingenii sui imbecillitas capere non potest, interrogato quod nescit, dicere se nescire quam pertinaci arrogantia et arroganti pertinacia, non sine sua et aliorum pernicie, fidei contraria definire; praesertim, si talis persona est, quae vel scientia litterarum vel probitate morum vel potius utraque parte auctoritatis pondus prae se gerere videatur" (Ep. 50; M., P. L. CL 544). 3 „Dialectica sacramenta Dei non impugnat, sed cum res exigit, si rectissime teneatur, astruit et confirmat" (M., P. L. CL 157). 15*
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Kunst *. Auch die Art und Weise, wie Lanfrank die Paulinen interpretiert, zeugt von einem vernünftigen Gebrauch der Dialektik. So rühmt ihm sein Zeitgenosse Sigebert von Gemblours 2 nach, daß er nach den Gesetzen der Dialektik den Apostel Paulus auslege. Tatsächlich betrachtet Lanfrank die logische Form der paulinischen Briefe. So macht er z. B. darauf aufmerksam, daß der Völkerapostel 2 Kor 3, 16 und 17 einen vollständigen Syllogismus, bestehend aus Obersatz, Untersatz und Schlußsatz vorlege3. Lanfrank nimmt also auch in seiner Exegese in der Frage über das Verhältnis von Dialektik und Glauben eine sehr maßvolle Stellung ein, er schätzt und benützt die profane Wissenschaft und steht nur ihrem Mißbrauch ablehnend gegenüber. „Diese maßvolle Haltung gegen die antike Literatur und Weisheit bildet fortan eine regelmäßige Begleiterscheinung der eigentlichen Förderer des mittelalterlichen Gedankenfortschrittes/ 4 Danäus, Georgius Hornius u. a. lassen mit Lanfrank die eigentliche Scholastik beginnen5. Diese Behauptung hat nur insoweit Richtigkeit, als aus der Schule Lanfranks eine Reihe hervorragender Männer, die für den Aufschwung der theologischen Wissenschaften an der Schwelle des 12. Jahrhunderts tätig gewesen sind, darunter in erster Linie der hl. Anselm von Canterbury, der Vater der Scholastik, hervorgegangen sind. Wohl noch mehr wie durch seine schriftstellerische Tätigkeit hat Lanfrank als Lehrer, als Schulhaupt gewirkt. Die Klosterschule zu Bec war unter seiner Leitung, wie W i l h e l m von Malmes1 „In sublimitate, id est in altitudine verborum et syllogismorum et aliorum generum disputantium; non artem disputandi vituperat, sed perversum disputantium usum" (M.f P. L. CL 322). 2 De scriptoribus ecclesiasticis c. 155 (M., P. L. CLX 582): „Lanfrancus dialecticus et Cantuariensis archiepiscopus Paulum apostolum exposuit et, ubicumque opportunitas locorum occurrit, secundum leges dialecticae proponit, assumit, concludit." 3 M., P. L. CL 225 f. Vgl. ü. H o l z m e i s t e r , 2 Kor 3, 17: „Dominus autem Spiritus est." Eine exegetische Untersuchung mit einer Übersicht über die Geschichte der Erklärung dieser Stelle, Innsbruck 1908, 64. 4 J. A. E n d r e s , Lanfranks Verhältnis zur Dialektik, im Katholik 1902, (I) 223. 5 D a n a e u s , Sent. I, Frolegom. G e o r g i u s H o r n i u s , Hist. Philosoph. 1. 6, c. 2ff: „In occidentali plaga primum gradum ad Scholasticen struxit Lanfrancus Papiensis, omnium sui temporis in Dialectica doctissimus habitus." Vgl. l o a n n . B a p t . G e n 6 r , Theologia dogmatico-scholastica I, Romae 1767, 4.
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b u r y schreibt, „magnum et famosum litteraturae gymnasium*1. Theologische wie weltliche Wissenschaften wurden in anziehendster Weise gelehrt. Lanfrank war, wie sein Biograph Milo Crispinus erzählt, auch bemüht, eine ausgewählte philosophisch-theologische Bibliothek zu sammeln2. Zu den Füßen Lanfranks saßen Schüler, die später in der Wissenschaft und im kirchlichen Leben ein hohes Ansehen sich erwarben, so Papst Alexander II., Guitmund von Aversa, Ivo von Chartres, Anselm von Canterbury u. a. Auch aus Deutschland eilten lernbegierige Männer nach der fernen Normandie, um Lanfrank zu hören. Der Abt W i l l i r a m von E b e r s b e r g spricht sich in der rühmendsten Weise über Lanfranks Lehrtätigkeit aus und verspricht sich aus dem Besuche dieser Schule seitens seiner Landsleute eine Förderung gelehrter Bildung in deutschen Landen 3. Aus all dem dürfte ersichtlich sein, daß Lanfranks erfolgreiche und einflußreiche Lehrtätigkeit einer jener Faktoren gewesen ist, welche ein Aufblühen der kirchlichen Wissenschaften in den letzten Dezennien des 11. Jahrhunderts und den Beginn der eigentlichen Scholastik, zunächst der Frühscholastik, vorbereitet haben4. Lanfrank, 1
De gestis pontif. Angl. 1. 1 (M., P. L. CLXXIX 1459): „Litteratura praeinsignis liberales artes, quae iam dudum sorduerant, a Latio in Gallias vocans acumine suo expolivit. . . . Exivit fama eius in remotissimas Latinitatis piagas eratque Beccum magnum et famosum litteraturae gymnasium." Vgl. auch O r d e r i cus V i t a l i s , Historia ecclesiastica (M., P. L. CLXXXYIII 327); D e n i f l e , Die Universitäten des Mittelalters I 42. 2 „Effulsit eo magistro obedientiae coactu philosophicarum ac divinarum litterarum bibliotheca, nodos quaestionum in utraque solvere potentissimo" (M., P. L. CL 41—42). 3 E n d r e s a. a. 0. 218 f. 4 Angesichts des hohen Ansehens, das Lanfrank bei seinen Schülern besaß, und das sich z. B. in den Briefen Anselms von Canterbury an seinen ehemaligen Lehrer ausspricht, und angesichts des ruhmvollen Gedenkens, das ihm auch die Schriftsteller des 12. Jahrhunderts, wie die oben genannten Wilhelm von Malmesbury, Orderich u. a., zu teil werden ließen, erscheint es eigentümlich, daß Lanfrank von neueren Autoren mitunter so gering eingeschätzt wird. Abgesehen von dem voreingenommenen und harten Urteil P r a n t l s (Geschichte der Logik im Abendlande II 73), sei hier auf H. B ö h m e r hingewiesen, der ohne Zweifel Lanfrank unterschätzt, wenn er schreibt: „Als Schriftsteller hat Lanfrank nicht sonderlich viel geleistet. Nachhaltiger hat er als Lehrer gewirkt. Zwar eine theologische Schule hat er nicht begründet und nicht begründen können. Denn er war als Theolog noch zu sehr Epigone, Epigone der Karolingerzeit, es widerstrebte ihm, theologische Probleme dialektisch zu behandeln. Sein bedeutendster theologischer Schüler, Anselm, hat daher früh schon eigene Wege eingeschlagen, er ist in der Methode mehr Berengar gefolgt als Lanfrank" (RE. XI 8 255).
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selbst ein hervorragender Dialektiker, wendet sich, wie wir weiter unten des näheren sehen werden, nicht gegen die Dialektik als solche, sondern gegen den Mißbrauch der Dialektik. Hingegen sind die antidialektischen Äußerungen der andern soeben genannten Autoren nicht bloß als reaktionäre Stimmen gegen die Hyperdialektik, sondern auch vielfach als wirkliche Ablehnung oder doch große Einschränkung der profanen Studien und namentlich der Dialektik zu verstehen. Diese ablehnende Stellung gegenüber der Dialektik und teilweise überhaupt gegenüber dem profanen Wissen war nicht bloß durch die Übertreibungen der Dialektiker beursacht, sondern war auch in der streng aszetischen, allem Weltlichen entsagenden Richtung eines großen Teiles der Mönche begründet. Die auch früher zu Zeiten von Ordensreformen zu Tage getretene Auffassung, daß durch Pflege weltlicher Studien Weltsinn und Weltgeist in die Abgeschiedenheit der Klöster dringen könnte, fand jetzt eine literarische Aussprache. Es ist dies der Streit über die Erlaubtheit der weltlichen Studien für die Ordensleute, der im 13. Jahrhundert in den Ordenskonstitutionen der Dominikaner noch nachwirkte und der noch nach Jahrhunderten in der berühmten Kontroverse zwischen Rance und Mabillon mächtige Wellen schlug. Othloh von St E m m e r a m (f um 1073) war vor allem begeistert für das Studium der Heiligen Schrift und beklagte es, daß viele Kleriker den Maßstab der Dialektik an die Texte der Heiligen Schrift anlegten und dem Boethius mehr Autorität zuerkannten als den heiligen Vätern K Bei aller Hochschätzung der Heiligen Schrift verwarf Othloh indessen das Studium der weltlichen Wissenschaften nicht schlechthin, er hielt dasselbe nur für die Mönche unerlaubt. Aus dieser extrem aszetischen, monastischen Stimmung heraus ist seine Abneigung speziell gegen die Dialektik wohl begreiflich2. Von Othlohs wissenschafts- und dialektikfeindlicher Richtung sticht wohltuend ab die wissenschaftsfreundliche Haltung W i l h e l m s von H i r s c h a u , der mit Berufung auf die Väter der saecularis philosophia das Wort redet3. 1 „Peritos autem dico magis illos, qui in Sacra Scriptura quam qui in dialectica sunt instructi; nam dialecticos quosdam ita simplices inveni, ut omnia Sacrae Scripturae dicta iuxta dialecticae auctoritatem constringenda esse decernerent magisque ßoetio quam sanctis scriptoribus in plurimis dictis crederent" (Othloh, Dialogus de tribus quaestionibus bei P e z , Thes. anecdotorum novissimus III 2 144). 2 E n d r e s in Philos. Jahrb. 1904, 45f 173 ff. Vgl. Ü b e r w e g - H e i n z e , 3 Grundriß der Geschichte der Philosophie II 9 177. E n d r e s a. a. 0. 183.
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Zu den Gegnern der Dialektik zählt auch Manegold von L a u t e n b a c h (f nach 1103)^ der in seinem „Opuseulum contra Wolfelmum Coloniensem" eine den weltlichen Wissenschaften abholde Stimmung und Stellung bekundet und in der Philosophie etwas wenn auch nicht Sündhaftes, so doch Überflüssiges und Gefährliches sieht. P e t r u s D a m i a n i (f 1072) war nicht bloß eine durch Heiligkeit des Wandels, durch umfassende praktische kirchliche Wirksamkeit hochstehende Persönlichkeit, sondern auch ein Mann von großer Gelehrsamkeit2. Die Hauptstärke seiner Wissenschaft und seiner schriftstellerischen Tätigkeit liegt in seiner großen Vertrautheit mit der Heiligen Schrift. Wenn auch der größere Teil seiner Werke erbauliche und praktische Zwecke, die monastische Aszese und die kirchliche Reform im Auge hat, so zeigt sich Petrus Damiani doch in mehreren seiner Opuscula als einen Theologen von spekulativer Denkenergie. Das Opuseulum „De fide catholica"3 behandelt die Grundgeheimnisse des Christentums, Trinität und Inkarnation, mit Gedankentiefe, mit Frömmigkeit und mit einem deutlichen Ansatz zu einer systematischen Darstellungsweise. Sein „Antilogus contra Iudaeos"4 und seine Schrift „Contra errorem Graecorum de processione Spiritus Sancti"5 zeugen auch von Damianis Gewandtheit in apologetisch-polemischer Hinsicht. Seine theologisch bedeutsamste Leistung ist das Opuseulum „De divina omnipotentia*6, das in ziemlich loser Anordnung mit einem reichen biblischen Material die Eigenschaften Gottes, besonders die Allmacht, erörtert und eine Reihe von Fragen aufwirft, welche auch später in der Früh- und Hochscholastik Gegenstand der Verhandlung gewesen sind. In dieser Schrift findet sich auch jene Stelle, mit welcher die antidialektische Stellungnahme Damianis gewöhnlich belegt wird. Es ist dies das fünfte Kapitel, das „De futuris contingentibus et philosophiae usu in sacris disputationibus8 handelt. Der Gedankengang dieses Kapitels ist der Hauptsache nach folgender: Wenn das, was geschehen ist, unmöglich zugleich nicht geschehen sein kann, wenn das, was gegenwärtig ist, unmöglich zugleich nicht sein kann, und 1
M., P. L. CLV 147—176. Vgl. R 6 g i n a l d B i r o n , S t Pierre Damien, Paris 1908, 189 ff. 3 M., P. L. CXLV 20—39. 4 Ebd. 4 1 - 5 8 . Vgl. Z ö e k l e r , Geschichte der Apologie 202. 6 * M., P. L. CXLV 633—642. Ebd. 595—622. 2
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wenn das, was in der Zukunft geschehen wird, unmöglich zugleich nicht geschehen wird, so bedeuten diese Unmöglichkeiten keine Einschränkung der göttlichen Allmacht, wie manche Dialektiker infolge falscher Anwendung ihrer Regeln gemeint haben, sondern beziehen sich auf den ordo disserendi und sind im Kontradiktionsprinzip begründet. Gerade diese Ingerenz der Dialektik in rein theologisches Gebiet und die daraus entstandenen Irrtümer veranlassen den für die Reinheit der Glaubenslehre warm begeisterten Schriftsteller, prinzipiell über das Verhältnis zwischen Theologie und Dialektik sich auszusprechen und letztere in ihre Schranken zurückzuweisen. Es seien hier seine Darlegungen im Wortlaut angeführt: „Videat ergo imperite sapientium et vana quaerentium caeca temeritas; quia si haec quae ad artem pertinent disserendi, ad Deum praviter referant; iam non tantum in praeteritis, sed in praesentibus ac futuris, eum impotentem penitus et invalidum reddant. Qui nimirum, quia necdum didicerunt elementa verborum, per obscuras argumentorum suorum caligines amittunt clarae fidei fundamentum; et ignorantes adhuc, quod a pueris tractatur in scholis, querelae suae calumnias divinis ingerunt sacramentis. . . . Haec plane quae ex dialecticorum vel rhetorum prodeunt argumentis, non facile divinae virtutis sunt aptanda mysteriis: et quae ad hoc inventa sunt, ut in syllogismorum instrumenta proficiant vel clausulas dictionum, absit, ut sacris legibus se pertinaciter mferant et divinae virtuti conclusionis suae necessitates opponant. Quae tarnen a r t i s humanae p e r i t i a , si quando t r a c t a n d i s s a c r i s e l o q u i i s a d h i b e t u r , non debet ius m a g i s t e r i i s i b i m e t a r r o g a n t e r a r r i p e r e ; sed v e l u t ancilla dominae quodam f a m u l a t u s obsequio, ne si praecedit, o b e r r e t , et dum e x t e r i o r u m verborum s e q u i t u r c o n s e q u e n t i a s , i n t i m a e v i r t u t i s lumen et rectum verit a t i s t r a m i t e m perdat." Wenn man diese ganze Stelle im Zusammenhang mit dem Inhalt und der Tendenz des ganzen Kapitels würdigt, sieht man, daß nach der Lehre des hl. Petrus Damiani die Philosophie, die Dialektik, wenn sie sich auf das Glaubensgebiet wagt, zur Theologie in dem Subordinationsverhältnis der ancilla zur domina steht. Über die Berechtigung der Philosophie an sich, über ihre Selbständigkeit auf ihrem eigenen Boden ist in diesem Texte eigentlich nichts entschieden. Es dürfte deswegen der Standpunkt Dämianis doch zu hart beurteilt sein, wenn man ihn mit Endres also präzisiert: „Die Vernunftwissenschaft soll der Theologie untertan sein, d. h. sie soll auf ein eigenes selbständiges Recht und auf
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endgültige Entscheidungen verzichten.u 1 Es hat der Satz, daß die Philosophie ancilla theologiae sei, bei Damiani nicht einen wesentlich andern Sinn als bei Johannes von Damaskus und bei den Denkern der Hochscholastik. Daß unser Autor die Dialektik lediglich insoweit im Auge hat, als dieselbe auf das Glaubensgebiet sich begibt und dort Übergriffe sich gestattet, ergibt sich auch ganz klar aus den Darlegungen gegen den Schluß des Kapitels zu. Er hebt hier hervor, daß die alten Vertreter der freien Künste, sowohl Heiden wie Christen, über die dialektischen Fragen „De consequentia necessitatis vel impossibilitatis" vom rein philosophischen Standpunkte aus „iuxta miram solius a r t i s v i r t u t e m " disputiert haben, ohne daß sie dabei an Gottes Allmacht gezweifelt oder auch nur hierbei Gott erwähnt haben2. Hieraus ergibt sich ganz klar, daß Petrus Damiani der Dialektik auf ihrem eigenen Arbeitsgebiete Rechte und Berechtigung zugesteht. Es soll und kann jedoch nicht in Abrede gestellt werden, daß der strenge monastisch-aszetische Standpunkt sich in seinen Werturteilen über die profanen Wissenschaften vielfach kundgibt. Beweis hierfür sind die beiden Opuscula „De sancta simplicitate scientiae inflanti opponenda"3 und „De vera felicitate ac sapientia" 4. Charakteristisch für diesen aszetisch-monastischen Standpunkt in der Beurteilung des profanen Wissensbetriebes sind die folgenden einleitenden Sätze zu letzterem Opusculum: „Prudentissimo viro Bonifacio, Petrus peccator monachus indissolubile circulum caritatis. Non ignoro, frater, quia cum mea epistola saecularium manibus traditur, mox eloquentiae nitor curiose perquiritur; quam consequens sit dispositionis ordo tractatur; utrum rhetoricae facultatis color eluceat, an sententias 1 E n d r e s , Die Dialektiker und ihre Gegner im 11. Jahrhundert, in Philos. Jahrb. 1906, 31. 2 „De qua nimirum quaestione veteres liberalium artium discussores, non modo gentiles, sed et fidei Christianae participes, prolixius tractaverunt; sed nemo illorum in hanc ausus est prosilire vesaniam, ut Deo notam impossibilitatis ascriberet, et, praesertim si Christianus fuit, de illius omnipotentia dubitaret; sed ita de consequentia necessitatis vel impossibilitatis iuxta miram solius artis disputavere virtutem, ut nullam in his conflictibus Dei facerent mentionem. . . . Haec igitur quaestio, quoniam non ad discutiendam maiestatis divinae potentiam, sed potius ad artis dialecticae probatur pertinere peritiam; et non ad virtutem vel materiam rerum, sed ad modum et ordinem disserendi et consequentiam verborum. non habet locum in Ecclesiae sacramentis, quae a parvis scholaribus ventilatur in scholis" (M., P. L. CXLV 604). 3 4 M., P. L. CXLV 695-704. Ebd. 831-833.
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argumenta dialecticae subtilitatis involvant; quaeritur etiam utrum categorici an potius hypothetici, quae proposita sunt, per allegationes inevitabiles astruant syllogismi. Sed haec et huiusmodi phalerata ludibria ii qui spiritu Dei vivunt, ut revera frivola et vana eontemnunt; et sicut Apostolus ait, arbitrantur ut stercora."1 Indessen gibt sich an andern Stellen der Schriften Damianis eine ganz andere Wertschätzung der profanen Studien kund. So spricht er sich im Schlußwort des an Hildebrand gerichteten Schriftchens „De quadragesima et quadraginta duabus Hebraeorum mansionibus" entschieden für die Verwertbarkeit des profanen Wissens für Theologie und Religion aus. Er bedient sich dabei der den Vätern seit Origenes geläufigen allegorischen Auslegung von Ex 11, 2, wonach unter den goldenen und silbernen Gefäßen und den Gewändern, welche die Kinder Israels den Ägyptern zum Schmucke des Heiligtums ab* genommen hätten, die Schätze der Wissenschaft zu verstehen sind2. Alles in allem genommen ist Petrus Damiani in dem Sinne als Antidialektiker aufzufassen, als er gegen die übertriebene Dialektik und namentlich gegen die Übergriffe der Hyperdialektik auf dem Boden der Theologie Front machte und in der Beurteilung des profanen Wissens von monastisch-aszetischen Erwägungen sich leiten ließ, ohne daß er jedoch der Dialektik und dem weltlichen Wissensbetrieb jede Berechtigung und Bedeutung absprach. § 3. Abälards Sic-et-nom-Methode bei Bernold von Konstanz. Die Bedeutung Ivos von Chartres für den Werdegang der scholastischen Methode. B e r n o l d von K o n s t a n z (f 1100)3 zählt zu den bedeutendsten theologischen Schriftstellern Deutschlands in den letzten Dezennien des 11. Jahrhunderts. Er betätigte sich als Historiker durch seine wertvolle „Chronik"4, nahm durch den Traktat „De Beringerii 1
M., P. L. CXLV 831. „Quod utique templum tu, venerabilis frater, optime potes, Deo manum praebente, construere, qui mutuatus es ab Aegyptiis aurea vasa et argentea cum vestibus pretiosis (Ex 12). Thesaurum quippe tollit Aegyptiis, unde Deo tabernaculum tionstruat, qui poetas ac philosophos legit, quibus ad penetranda mysteria caelestis eloquii subtilius convalescat" (M., P. L. CXLV 560). 3 Vgl. M i r b t in RE. II 8 642; J. V e r n e t in Dictionnaire de th^ol. cath. II791 ff; S t r e 1 a u, Leben und Werk des Mönches Bernold von St Blasien, Jena 1889. 4 M., G. SS. V 892—467. Vgl. S c h u l z e n , De Bertoldi et Bernoldi chronicis. Bonner Diss. (1867); J. R i c h t e r , Die Chroniken Bertholds und Bernolds, Köln 1882. 2
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haeresiarchae damnatione multipliei* * teil am Abendmahlsstreit und zeigte sich durch seinen „Mierologus* als gründlichen Kenner der kirchlichen Liturgie2. Für den Geschichtschreiber der scholastischen Methode kommen vor allem seine Streitschriften in Betracht, die er als begeisterter Anhänger Gregors VII. veröffentlicht hat 8 . Die hervorragende Bedeutung dieser Schriften für den Werdegang der scholastischen Methode besteht darin, daß wir in denselben das Verfahren, widersprechende Sentenzen der Väter gegenüberzustellen und durch Wahrnehmung bestimmter Anweisungen und Regeln auszugleichen und als nur scheinbar sich widersprechend darzutun, in einer ziemlich ausgeprägten Form vorfinden. Bernold stellt in diesen der Hauptsache nach kanonistischen Schriften zu wiederholten Malen nicht bloß verschiedenlautende Yäterautoritäten lücksichtlich ein und desselben Gegenstandes zusammen, sondern gibt auch eine förmliche Hodegetik zur Bewerkstelligung dieser „concordantia auctoritatum discowlantium*. Wir bemerken mithin bereits bei Bernold von Konstanz jene äußere Technik der scholastischen Arbeitsweise, als deren erster. Vertreter bisher Peter Abälard in seiner Schrift „Sie et nona galt, und die für die äußere Gestaltung der scholastischen Methode späterhin so bedeutsam geworden ist. Mit einem Worte, der Kanonist Bernold von Konstanz verwendet bereits jene äußere Technik der wissen« schaftlichen Darlegung, die wir als die Sie-et-non-Methode Abälards bezeichnen. Der Nachweis hierfür läßt sich unschwer erbringen. In dem Traktat „De sacramentis exeommunicatorum iuxta assertionem sanetorum Patrum0 4 stellt er die scheinbar in diametralem Gegensatz zu einander stehenden Anschauungen der Väter über die Gültigkeit der von Exkommunizierten, also extra ecclesiam, gespendeten Sakramente zusammen. Bernold konstatiert zuerst diesen Widerstreit der Väterautoritäten und führt sodann auch eine stattliche Zahl solcher Zitate auf, wodurch zwei einander gegenüberstehende Eichtungen in der Patristik in Bezug auf diese Frage gegeben zu sein 1
Ed. U s s e r m a n n , Germaniae sacrae prodromus seu eollectio monumentorum res alemannlcas illustrantium, St Blasien 1792, 482—4S7. 2 G. M o r i n In Revue Benldietine 1891, 1931ff 385ff. 8 Dieselben sind abgedruckt bei M., P. L. CXLVIII1061—1272 und außerdem ediert von T h a n e r in Monumenta Germaniae Historiea: Libelli de lite iraperatorum et pontificum saeculis XI et XII II (1892) 7—168. Tgl. auch M i r b t , Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII., Leipzig 1894. 4 M., P. L. CXLVIII 1061-1068.
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scheinen1. Alsdann stellt er die Thesis auf, daß diese scheinbar voneinander abweichenden Väterstellen von der Wahrheit nicht abgehen und, falls sie richtig verstanden und interpretiert werden, sich ganz gut miteinander vereinbaren lassen. Durch eine Distinktion wird sodann diese Konkordanz hergestellt2. Aus seiner Behandlung der Väterautoritäten spricht eine hohe Wertschätzung der Patristik, in erster Linie des hl. Augustinus3. Viel bedeutsamer noch als der Traktat Bernolds „De sacramentis excommunicatorum" ist in methodischer Hinsicht seine Schrift „De vitanda excommunicatorum communione, de reconciliatione lapsorum et de conciliorum, canonum, decretorum, decretalium ipsorumque Pontificum Romanorum auctoritate" 4. Er kommt gegen Schluß dieser Abhandlung wiederum auf den Widerspruch von Autoritäten zu sprechen und bemerkt: „Harum sententiarum diversitatem facile concordabim u s / 5 Er hat hier hauptsächlich Entscheidungen, Kanones der Päpste und Konzilien, dann auch Aussprüche der Väter im Auge und wünscht den Ausgleich, die Konkordanz anscheinend widersprechender Sentenzen um so dringender, als ein nicht gelöster Widerspruch zwischen solchen Aussprüchen und Kanones dieselben leicht in Ver1 „Sententiae sanctorum Patrum de sacramentis, quae extra ecclesiam catholico more fiunt, diversae reperiuntur, quarum quaedam eadem penitus annullare videntur, quaedam autem, etsi recipi ea prohibeant, non tarnen prorsus eorum confectionem denegant" (M., P. L. CXLVIII 1061). Die Frage über die Gültigkeit der sakramentalen Handlungen der Häretiker, Simonisten, Schismatiker wurde auch gegen Ende des 11. Jahrhunderts und auch im 12. Jahrhundert mehrfach verhandelt. Vgl. G i g a l s k i , Die Stellung des Papstes Urban II. zu den Sakramentshandlungen der Simonisten, Schismatiker und Häretiker, in Tübinger Theol. Quartalschrift 1897, 217—258; L o u i s S a l t e t , Les reordinations. Etüde sur 1e sacrement de l'ordre, Paris 1907, 173—360. 2 „Sed hae sententiae, etsi diversae, a veritate tarnen deviare nusquam probantur, si competenter intelligantur, videlicet si superiores sententiae ad effectum baptismi referantur, qui nusquam esse posse extra Ecclesiam veracifer asseritur, et inferiores ad veritatem sacramentorum referantur, quae eadem integritate bonis et malis adesse uno ore ipsi sancti Patres nobis communiter dicerent: extra Ecclesiam nee sunt nee fiunt sacramenta effective, id est cum salute animae, attamen eadem inutiliter immo et perniciose et esse et fieri non denegamus" (M., P. L. CXLVIII 1063). 3 „Tarn egregii doctoris (sc. S. Augustini) assertioni et nos absque scrupulo aequiescere debemus, quem et Romani pontifices iuxta attestationem S. Coelestini papae, inter magistros, dum adhuc viveret, habuere, cuius et opuscula post mortem eius pro authenticis recipienda synodali iudicio decrevere" (ebd. 1066). 4 M., P. L. CXLVIII 1181—1218. 5 Ebd. 1214.
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achtung bringen könnte, eine Geringschätzung, die in letzter Linie sogar auf den Heiligen Geist zurückfallen würde1. Im weiteren Verlaufe gibt Bernold die Regeln an, nach welchen eine solche Konkordanz zu bewerkstelligen ist. Denn nicht auf dem Wege gewaltsamer Interpretationen, sondern durch ein möglichst gründliches Verständnis des Inhaltes und der Tragweite solch schwieriger Stellen ist diese Ausgleichung, diese Harmonie scheinbarer Widersprüche anzubahnen und zu betätigen. Diese Mittel und Regeln sind folgende: a) Vergleichung der Kanones und Aussprüche miteinander. Denn eine solche vergleichende Betrachtung und Würdigung hellt scheinbare Widersprüche auf, ein Kanon beleuchtet oft den andern2. b) Berücksichtigung von Zeit, Ort und Personen, welche für die betreffenden Kanones und Verordnungen in Betracht kommen. Der Widerspruch zwischen einzelnen Statuten wird sich als ein sachlich nur scheinbarer herausstellen, wenn man die Verschiedenheit des jeweiligen Milieus, aus dem diese Kanones hervorgegangen sind, in Berechnung zieht3. c) Sorgfältige Prüfung der Ursachen, welche solche scheinbar widersprechende Kanones und Statuten veranlaßt haben4. d) Ganz besondere Rücksichtnahme auf die Tragweite, die Tendenz und den Verpflichtungscharakter solcher Dekrete und Kanones. Es ist hier scharf zu unterscheiden zwischen Anordnungen, die die heiligen Väter nur dispensatorie, d. h. als nicht für immer, sondern 1
„Sie ergo et in aliis canonum diversitatibus competentem sensum inquirere debemus, ne forte huiusmodi diversa, nonnumquam quasi repugnantia temere respuamus, quae tarnen ex apostolica auetoritate promulgata sive confirmata non ignoramus. Tta, inquam, intelligendi congruentiam indagare conemur, ne huiusmodi statuta uspiam sibi contraria interpretemur. Nam ipsi Spiritui Sancto magnam iniuriam irrogare videmur, si illa quae ipse per sanetos Patres instituisse legitur, quasi contraria et ideo contemnenda interpretari non veremur" (M., P. L. 0XLVI1I 1214). 2 „Diversorum statutorum ad invicem collatio nos multum adiuvat, quia unum saepe aliud elucidat" (ebd. 1215). a „Consideratio etiam temporum, locorum sive personarum saepe nobis competentem subministrat intellectum, ut etiam diversitas statutorum nequaquam absurda vel contraria videatur, cum diversitati temporum, locorum sive personarum apertissime distributa reperiatur" (ebd). 4 „Hoc utique lectori multum intelligentiae suppeditabit, si huiusmodi statu torum originales causas singulari diligentia indagare non omittit" (ebd.).
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nur für eine bestimmte Zeit in Kraft bestehend getroffen haben, und zwischen Anordnungen, die dieselben generaliter, auf eine unbeschränkte Zeitdauer, für alle Zukunft erlassen haben1. Bernold bringt für diese wichtige Unterscheidung und für die verschiedene Beurteilung, welche diese beiden Gruppen von Kanones und Sentenzen verlangen, eine Fülle von Belegen und läßt hierbei ganz gute historische Beobachtungen miteinfließen. Diese Gesichtspunkte kehren mehr oder minder auch in einer andern Schrift Bernolds wieder, in dem Traktat: „De prudenti dispensatione ecclesiasticarum sanctionum"2, in welcher er auch den Konkordanzgedanken scharf in den Vordergrund stellt3. Er deutet hier noch eine neue Konkordanzregel an, nämlich: e) Allenfallsige Untersuchung über die Authentizität einer Stelle, da viele Aussprüche und Entscheidungen fälschlich den heiligen Vätern zugeschrieben werden4. Am Schlüsse dieser Schrift spricht er den Gedanken und den Wunsch aus, daß die wissenschaftliche Diskussion sich innerhalb der von den Vätern gezogenen Grenzen halten und bewegen soll5. Aus diesen Darlegungen dürfte als Resultat sich ergeben, daß die von Abälard in seiner Schrift „Sie et non" befolgte Methode hier bei Bernold in ausgebildeter Form sich findet. Bernold hat nicht bloß — darauf hat T h a n e r 6 bereits hingewiesen — eine Fülle von einander gegenüberstehenden Autoritäten zusammengestellt, er hat vielmehr, was die Hauptsache ist, die Regeln und Grundsätze zum Behufe einer Konkordanz, eines Ausgleiches solcher Enantiophanien, solch scheinbarer Widersprüche zusammengestellt, analog wie dies Abälard in der Einleitung zu seiner Schrift »Sie et non" getan 1 „Hoc utique studiosissime indagandum et indagatum memoriae tenaciter commendandum: quid saneti Patres dispensatorie quasi ad tempus servandum instituerint; quid etiam generaliter et omni tempore tenendum censuerint. Alia enim ratio est eorum quae dispensatorie instituta videntur, alia generalium" (M., P. L. CXLVIII 1215). 2 M., P. L. CXLVIII 1265—1272. 8 „Ipsa vero decreta sobrium lectorem et circumspectissimum intellectorem requirunt, qui patienter ferre sciat, etiamsi non omnia in primo aditu pleniter intelligat. Nam multa in eis diversa reperiuntur, quae veritati nequaquam repugnantia deputanda sunt, si competenter intelligantur" (M., P. L. CXLVIII 1267). 4 „Sunt autem multa SS. Patrum statutis falso adscripta" (ebd.). 5 „Sufficiat ergo et hoc nobis nee libeat eousque disputando procedere, ut terminos SS. Patrum aliquo modo notemur excedere" (ebd. 1272). ti Abälard und das kanonische Recht, Graz 1900, 23 f.
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hat 1 . Ein Vergleich oben angeführter Regeln und Gesichtspunkte Bernolds mit den parallelen Ausführungen Abälards wird eine sachliche Übereinstimmung beider Autoren, ja mitunter nahezu wörtliche Anklänge zeigen. Welche Folgerungen sich aus dieser bisher noch nicht beachteten Tatsache für die Beurteilung der Genesis, des Wesens und der Tendenz von Abälards Sie-et-non-Methode, für die Auffassung des Verhältnisses zwischen Kirchenrecht und Theologie ergeben, dies wird bei der Darstellung der Methode Abälards, die bereits über den Rahmen dieses mit Anselm von Canterbury abschließenden Bandes hinausfällt, des näheren zu erörtern sein. Übrigens ist uns die eine oder andere dieser Konkordanzregeln im Verlaufe unserer Darstellung der Geschichte der scholastischen Methode bereits begegnet. Es sei hier auf die Grundsätze hingewiesen, die Photius für die Behandlung biblischer Enantiophanien im Sinne einer harmonistischen Bibelerklärung angegeben hat und in denen besonders die Rücksichtnahme auf Zeit, Ort und Person zur Lösung von Widersprüchen dringend empfohlen und durch eine Fülle von Beispielen erhärtet ist. Das Bestreben, widersprechende Väteraussprüche und Kanones zu vereinbaren, hat Bernold von Konstanz mit andern Kanonisten der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts gemein. Es sei an die 1087 vollendete Kanonessammlung des Kardinals D e u s d e d i t erinnert 2. Dieselbe ist vom methodischen Standpunkte aus durch ihre Tendenz, die auctoritas der Väter und die kirchlichen Entscheidungen rechtlicher Natur zu einem einheitlichen Werke zusammenzustellen, also durch einen Ansatz zur Systematik, bedeutsam3. Außerdem tritt uns schon im Prolog deutlich der Konkordanzgedanke entgegen. Er spricht die Überzeugung aus, daß sich Aussprüche, die sich bei oberflächlicher und erstmaliger Betrachtung zu widersprechen scheinen, bei genauerer Prüfung und tieferer Beurteilung leicht vereinbaren lassen. Deusdedit verweist hierbei auf die Evangelien, wo ähnliches häufig vorkommt4. 1
M, P. L. CLXXVILI 1340-1349. V i k t o r W o l f von G l a n v e l l , Die Kanonessammlung des Kardinals Deusdedit, I. B'd: Die Kanonessammlung selbst, Paderborn 1905. 3 „Ex variis sanctorum patrum et christianorum principum auctoritatibus potioribus quibusque in unum congestis praesens defloravi opusculum" (ebd. 2). 4 Porro si quae hie inserta, quod etiam in evangelistis saepe contingit, sibi invicem contraria videbantur, discretione adhibita facile patebit, quod neque sibi 2
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Der hervorragendste Kanonist des ausgehenden 11. und beginnenden 12. Jahrhunderts ist Bischof Ivo von Chartres (f 1116)1, neben Anselm von Canterbury wohl die einflußreichste und geistig hervorragendste Persönlichkeit an der Jahrhundertwende. Ivo hat seine wissenschaftliche Ausbildung in der Klosterschule zu Bec als Schüler Lanfranks und Mitschüler Anselms genossen und hier in der Dialektik und profanen Gelehrsamkeit und besonders in der Theologie sicherlich eine gründliche Durchbildung und ein reiches Wissen erworben. Ivo von Chartres repräsentiert neben einer umfassenden praktischen und kirchenpolitischen Tätigkeit, die besonders in seiner ausgedehnten und interessanten Korrespondenz zu Tage tritt 2 , die Verbindung zwischen kanonischem Recht und Theologie. Über die schriftstellerische Tätigkeit Ivos auf kanonistischem Gebiete, die für uns hier nur nach ihrer Bedeutung für die scholastische Methode in Betracht kommt, sind wir durch die abschließenden Forschungen Pourniers auf das beste informiert. Fournier hat bezüglich der sog. „Collectio trium partium (Tripartita)" festgestellt, daß das erste und zweite Buch 1095 in Frankreich verfaßt worden ist und daß der Verfasser Ivo, oder doch in der Umgebung Ivos zu suchen ist. Das dritte Buch ist ein Auszug aus dem Dekrete Ivos. Das „Deeretum Ivonis" ist nach den Feststellungen Fourniers unzweifelhaft ein Werk Ivos, auch um 1095 verfaßt. Es ist hier reichlich das Dekret Burchards von Worms benützt, insofern von den 3760 Fragmenten Ivos 1600 aus Burchard entnommen sind. Die Panormia stimmt dem Plane und der Anordnung nach mit dem Dekret überein, ist ein Auszug aus demselben und auch sicher von Ivo zusammengestellt. nee extra positis scripturis adversentur" ( V i k t o r W o l f v o n G l a n v e l l , Die Kanonessammlung des Kardinals Deusdedit, I. Bd: Die Kanonessai» inlung selbst 3). 1 Über I v o von C h a r t r e s , seine literarische Tätigkeit und seine Bedeutung für das kanonische Recht geben den besten Aufschluß die eindringenden Untersuchungen von P. F o u r n i e r : a) Les collections canoniques attribuees a Yves de Chartres, in Bibl. de l'Ecole de Chartres LVII (1896) 645 ff; LVIII (1897) 26 ff 293 ff 416 ff 622 ff; b) Yves de Chartres et 1e droit canonique, in Revue des questions historiques. Nouvelle se'rie XIX (1898) 51 ff 384 ff. Vgl. auch C l e r v a l , Les Ecoles de Chartres au moyen-äge 146—153. 2 Vgl. F o u c a u l t , Essai sur Yves de Chartres d'apres sa correspondance, Chartres 1883.
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Ivo von Chartres hat demnach das im 11. Jahrhundert von Burchard von Worms1, Anselm von Lucca2, Deusdedit betätigte Werk der Zusammenstellung der Kanones unter weitest gehender Benützung dieser Vorlagen mit regem Eifer und in umfassender Weise weitergeführt. Wenn wir die Bedeutung der kanonistischen Arbeiten Ivos, vor allem seines Dekretes, für den Werdegang der scholastischen Methode näher bestimmen wollen, müssen wir seinen Sinn für Systematik, sein Streben nach der Konkordanz widersprechender Autoritäten und die dogmatischen Partien des Dekretes ins Auge fassen. Wenn auch die 17 Bücher des Dekretes nur eine mehr äußere und lose Einheit aufweisen und zueinander in wenig organischem Zusammenhang stehen, so ist dieses Werk dennoch als eine Zusammenfassung des ganzen damals verfügbaren kirchenrechtlichen Materials und auch eines guten Teiles dogmatischer Stoffe bedeutsam und einflußreich gewesen für die Verbreitung und Verwirklichung systematisierender Tendenzen. Die Idee einer Überschau über große Gebiete der Theologie ist hier in umfassender Weise verwirklicht analog wie in dem „Speculum universale" des mit Ivo von Chartres gleichzeitigen Radulfus Ardens. Freilich besteht zwischen beiden Werken der Unterschied, daß der Bischof von Chartres in seinem Dekrete mehr den positiven Gesichtspunkt hervorkehrt und die Kanones wie auch patristisches Material dogmatischen Inhalts zusammenstellt, während Radulfus Ardens, eine mehr spekulativ veranlagte Natur, dogmatisch-ethische Gegenstände mit Zuhilfenahme der Dialektik zu einem Gesamtbild verarbeitet. Ivo von Chartres spricht seine systematisierende Tendenz mehrfach aus. Er will die Kanones und Autoritäten in unum corpus, in unum speculum zusammenfügen3. Einen großen Gesichtspunkt für die Einteilung der kirchlichen Wissenschaft findet er schon in der Heiligen Schrift angedeutet, insofern dieselbe teils Lehren enthält, die Gegenstand nur des Glaubens und Wissens sind, teils auch 1
A. M. K ö n i g e r , Burchard I. von Worms und die deutsche Kirche seiner Zeit, München 1905. 2 F o u r n i e r , Observations sur diverses recensions de 1a collection canonique d'Anselme de Lucques, in Annales de l'univ. de Gre,noble 1901, 427 ff. 3 „Excerptiones ecclesiasticarum regularum . . . in unum corpus adunare ouravi" (Decret., prolog.; M., P. L. CLXVI 47). „In unum tamquam speculum congeram" (ebd. 60). Grab mann, Scholastische Methode. I.
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Gebote und Verbote für das praktische Leben in sich schließt1. Es ist dies ein Gesichtspunkt, der auch noch bei Summisten des 13. Jahrhunderts für die Diathese des theologischen Gesamtstoflfes maßgebend gewesen ist. So beginnt eine anonyme theologische Summa: „Summa theologice discipline in duabus consistit, in fide et moribus." 2 Ähnlich hebt auch die ungedruckte „Summa de vitiis* des Franziskanertheologen Johannes von Roch eile (De Rupa) an: „Cum Summa theologice discipline divisa sit in duas partesu etc. 3 Ivo von Chartres ist auch ein Vertreter des Konkordanzgedankens: Bei der Unfülle von Kanones und Autoritäten, die in seinem Dekret zusammengetragen sind, ist es begreiflich, daß eine große Zahl von Differenzen auszugleichen und durch Anwendung von Regeln, Grundsätzen und Distinktionen eine Harmonisierung kirchlicher Rechtsentscheidungen anzustreben war. Er bringt schon im Prolog zum Dekret diesen Konkordanzgedanken und die darauf bezüglichen methodischen Grundsätze in einer eingehenden und anregenden Form zum Ausdruck. Er wendet sich hier an den verständigen Leser mit der eindringlichen Mahnung, derselbe möge, wenn er einen Widerspruch zwischen Kanones entdecke, nicht sofort diese Kanones tadeln und zurückweisen, sondern sich auf die Tragweite und den Verpflichtungscharakter solcher Entscheidungen besinnen. Besonders möge der Leser darauf achthaben, ob solche Kanones im Sinne strenger Gerechtigkeit oder im Sinne von Milde und Barmherzigkeit auf Grund des Wortlautes und der Intention aufgefaßt werden wollen. Daß Barmherzigkeit und Gerechtigkeit einander nicht widersprechen, sondern harmonisch ineinander sich fügen, für diese Wahrheit führt Ivo mit Berufung auf Schriftstellen das Walten und Wirken Gottes, in dem Barmherzigkeit und Gerechtigkeit sich die Hand reichen, ins Feld*. 1
„Quis ignorat in Scripturis sacris, id est legitimis, propheticis, evangelicis et apostolicis auctoritate canonica praeditis quaedam sie esse posita, ut tantum scirentur et crederentur. . . . Quaedam vero sie esse iussa, ut observarentur, prohibita ne fierent" (Decr. 1, 1; M., P. L. CLXVI 59). 2 8 Cod. Vat. Lat. 4298 fol. l r . Ebd. 4293 fol. l r . 4 Prologus: „In quo prudentem lectorem praemonere congruum duximus, ut si forte quae legerit, non ad plenum intellexerit vel sibi invicem adversari existimaverit, non statim reprehendat; sed quid seeundum rigorem, quid seeundum moderationem, quid seeundum iudicium, quid seeundum misericordiam dicatur diiigenter attendat; quae inter se dissentire non sentiebat: ,Misericordiam et iudicium cantabo tibi, Domine' (Ps 100), et alibi: ,Universae viae Domini, misericordia et veritas' (Ps 24)" (M., P. L. CLXI 24).
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Die Ausführungen Ivos über die Ausgleichung widersprechender Kanones fanden auch in der Folgezeit Beachtung. Nicht bloß als Prolog an der Spitze der Handschriften seines Dekretes fanden diese Ideen Verbreitung, wir finden vielmehr diese methodologischen Grundsätze auch separat in Handschriften. Noch belangreicher als durch Systematik und Konkordanzbestrebungen ist Ivos Dekret für die Genesis der scholastischen Methode durch seine dogmatischen Bestandteile. Dogmatisches steht als Inhalt des ersten und zweiten Buches an der Spitze des Dekrets, Dogmatisches schließt auch mit dem 17. Buche das ganze Werk ab. Das erste Buch trägt die Überschrift: „De fide et sacramento fidei" und beginnt mit dem zweiten Kapitel „Quae esse propria divinae Trinitatis senserunt catholici tractatores" die Darstellung der Glaubenslehre, zunächst der Gottes- bzw. Trinitätslehre. Die Form ist eine vorwiegend positive, es werden hauptsächlich Vätertexte, oft sogar größere Väterstellen im Wortlaut angeführt. So gibt das dritte Kapitel das „Symbolum Ephesini concilii" mit den zwölf Anathematismen des hl. Cyrill von Alexandrien. Das vierte Kapitel gibt ein umfangreiches Exzerpt aus dem im Mittelalter dem hl. Augustin zugeschriebenen Werkchen des hl. Fulgentius von Ruspe: „De fide ad Petrum". Die Gottes- und Trinitätslehre setzt sich fort bis Kapitel 13 und handelt kurz von Gott als Herrn und Schöpfer, von Gottes Ewigkeit, Unveränderlichkeit und Unermeßlichkeit, von den drei Personen, vom Heiligen Geiste als „procedens ab utroque". Die Kapitel 13—20 beschäftigen sich mit der Inkarnationslehre, die sich unmittelbar an die Gottes- und Trinitätslehre anschließt. Es sind hier die Hauptdogmen der Christologie und der Mittelpunkt der Soteriologie, das Kreuzopfer, behandelt1. An die Inkarnationslehre reihen sich (Kap. 21—26) einige Ausführungen über Fragen der Schöpfungslehre an 2 . Kapitel 28 und 29 enthalten eschatologische Gedanken: „De iudicio". Nachträge zur Gotteslehre geben Kap. 33 bis 35, die über das Wissen Gottes und die Prädestination sich ver1
Diese Themata der Inkarnationslehre Ivos sind durch die nachfolgenden Kapitelüberschriften gekennzeichnet: Solus Filius incarnatns. — Verus Deus, verus homo. — Unum Verbum fecit omnia tempora, dedit legem, factus sub lege. — Unus inconfusus et inseparabilis. — Una persona. — Verbum conceptum. — Dei Verbum carnem factum se pro nobis obtulisse sacrificium. — Verbum semper habet veram carnem. 2 So handeln Kap. 24 „De differentia rationalis et irrationalis", Kap. 25 „De libero arbitrio", Kap. 26 „De originali peccato eiusque remedio". 16*
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breiten. Der übrige Teil des ersten Buches ist mit starker Hervorkehrung des praktischen Gesichtspunktes dem „sacramentum fidei", der Taufe, gewidmet. Entscheidungen der Päpste und Konzilien, Aussprüche und Darlegungen der Väter, vor allem Augustins, und auch früherer mittelalterlicher Theologen, z. B. des Rhabanus Maurus, werden hier in großer Zahl aufgeführt. Das zweite Buch von Ivos Dekret hat dogmatisches Gepräge, insofern es an der Hand eines reichen patristischen Materials in einer Reihe von Kapiteln die Eucharistielehre erörtert. Daß unser Autor hier noch unter dem Eindrucke des Berengarschen Abendmahlsstreites steht, davon geben das neunte Kapitel, das einige längere Exzerpte aus Lanfranks Streitschrift enthält, und das zehnte Kapitel, welches die professio Berengarii bietet, uns Kunde. Die Bücher 3—16, also der weitaus größte Teil des Dekrets, sind fast ausschließlich kanonistischen und liturgischen Inhalts. Für die Dogmatik sind allenfalls die Erörterungen des fünften Buches „De primatu Romanae Ecclesiae" von Interesse. Auf rein dogmatischem und teilweise auch moralischem Boden bewegen sich die Gedankengänge des letzten und 17. Buches: „continens speculativas sanctorum patrum sententias de fide, spe et caritate". Psychologische Gegenstände, z. B. die Würde des Menschen, die Natur der Seele, eine eingehendere Darstellung der Prädestinationslehre, die Engellehre, eschatologische Gedanken über Hölle, Antichrist, Weltgericht und Seligkeit, und schließlich einige Auslassungen ethischen Charakters finden hier mit den Worten der Väter, namentlich des hl. Augustin und Gregors d. Gr., eine wissenschaftliche Aussprache. Wenn wir nunmehr die Tragweite dieser dogmatischen Teile des Dekretes Ivos für die Entwicklung der scholastischen Methode beurteilen wollen, so tritt uns hier zunächst der Gesichtspunkt der Stoffzufuhr entgegen. Der Bischof von Chartres hat zu einer Reihe von Dogmen größeres und teilweise zusammenhängendes, patristisches Material beigebracht und hierdurch die positive Seite der Theologie gefördert1. Das in den Sentenzenwerken des 12. Jahrhunderts angesammelte und verarbeitete patristische Material wird, soweit es nicht auf dem Wege unmittelbaren Studiums von Väterhandschriften, sondern durch Einblicke in Exzerptensammlungen gewonnen ist, zum guten Teile durch Ivos Dekret vermittelt sein. Die Quellenanalyse 1
Vgl. T u r m e l , Histoire de 1a thöologie positive depuis l'origine jusqu'au concile de Trente xxivff: „Le Decret de FevSque de Chartres fait donc epoque dans Thistoire de 1a theologie positive."
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dieser Sentenzensammlungen wird eine mehrfache Abhängigkeit dieser theologischen Literaturgattung nachweisen können. Doch es liegt dieser Detailnachweis bereits über den Grenzen des in diesem Bande gesteckten Arbeitszieles. Die dogmatischen Partien des ersten Buches von Ivos Dekret stellen zugleich mit den auf die Sakramentenlehre bezüglichen Kapiteln des zweiten Buches so ziemlich den Inhalt der Sentenzenwerke, wie sie aus den ersten Dezennien des 12. Jahrhunderts uns handschriftlich erhalten sind, dar. Die Sentenzen des Anselm von Laon, Wilhelm von Champeaux, des Wutolf und eine Reihe anderer handschriftlich erhaltener Sentenzen, über welche im zweiten Bande gehandelt werden wird, bieten nach Inhalt und Anordnung des Stoffes ungefähr dasselbe Bild dar wie diese dogmatischen Bestandteile von Ivos Dekret. Es ist deswegen ganz wohl begreiflich und berechtigt, wenn in einer Handschrift Ivo unter der Zahl der Sententiarier aufgeführt wird. Der Cod. 425 der an wertvollen scholastischen Handschriften so reichen Bibliothek von Troyes enthält den „Liber Pancrisis (7tayyp6<j£OQ), quia hie auree continentur sententie vel questiones, sanetorum Augustini, Heronimi, Ambrosii, Gregorii, Isidori, Bede et modernorum magistrorum Wilhelmi Catalaunensis episcopi, Ivonis Carnotensis episcopi, Anselmi et fratris eius Radulphi". Ivo von Chartres wird in diesem von Petrus Cornestor zusammengestellten Sammelwerke zugleich mit Wilhelm von Champeaux und den beiden Brüdern Anselm von Laon und Radulfus als Sententiarier genannt. In der Trinitäts- und Inkarnationslehre bietet Ivos Dekret sogar ein reicheres Material als die Werke der soeben genannten Autoren. Fournier hat in seinen bahnbrechenden Forschungen über Ivo von Chartres, speziell in den Untersuchungen über „Les collections canoniques attribuees ä Yves de Chartres" auf den nachhaltigen Einfluß, den derselbe durch seine Schriften auf die Theologen und Kanonisten des 12. Jahrhunderts ausgeübt hat, hingewiesen. Die kanonistische,n Sammlungen des gelehrten Bischofs von Chartres haben auf eine Reihe handschriftlicher kanonistischer Sammelwerke, auf die Sentenzen Algers von Lüttich, auf die Schriften Hugos von St Viktor, auf Abälards „Sie et non" eingewirkt. Was die „Collectio trium partium", das „Decretum" und „Panormia" für das Dekret Gratians bedeuten, ist am ehesten aus einer Übersicht über die von dem großen Bologneser Kanonisten aus Ivos Schriften herübergenommenen Eanones ersichtlich1. Vgl. Corpus iuris canonici, ed. Richter-Friedberg I, Lips. 1879, LIV—LXVIII.
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Ivo von Chartres hat mithin in methodischer Hinsicht das kanonische Recht und die Theologie in nicht zu unterschätzender Weise beeinflußt. Er hat eine Gesamtübersicht über das Gebiet des kirchlichen Rechts und über ein gutes Stück dogmatischer Fragen gegeben und dadurch den Sinn für Systematik geweckt, er hat eine Reihe neuer Fragen auf kanonistischem Boden aufgerollt wie auch zu lösen versucht und hat dadurch den wissenschaftlichen Gesichtskreis erweitert und in mancher Hinsicht einen Fortschritt, eine geistige Vorwärtsbewegung bedingt. Er hat fernerhin durch sein Bestreben, die Kanones und Autoritäten auszugleichen und aus der Mannigfaltigkeit die Einheit zu erzielen, ähnlich, wenn auch nicht in demselben Maße und in demselben ausgebildeten, prinzipiellen Fundament wie Bernold von Konstanz, schon vor Abälard dessen sog. Sic-et-non-Methode erfolgreich in Anwendung gebracht. Für die dogmatischen Werke des 12. Jahrhunderts, für die Sentenzensammlungen hat Ivos einschlägige schriftstellerische Tätigkeit eine Fülle von Väterstellen zur Verfügung gestellt und auch nach Inhalt und Anordnung des Stoffes in mehr als einer Beziehung vorbildlich gewirkt. „Auf dieser (nämlich der von Ivo von Chartres geschaffenen) Grundlage", bemerkt B a r t h 1 in Anlehnung an die Feststellungen Fourniers, „sollte der Geist der Schulen des 12. und 13. Jahrhunderts weiterbauen, generalisierend in seinen Strebungen, fein in seinen Distinktionen; man sieht dann das scholastische Gebäude des kanonischen Rechts sich neben demjenigen der Theologie erheben. Es wäre Übertreibung, Ivo als einen der Baumeister zu bezeichnen, die an diesem Gebäude gearbeitet haben, aber es ist nicht mehr als gerecht, wenn man anerkennt, daß er das Terrain hierfür bereitet, die Materialien aufgehäuft, das Bauen selbst ermöglicht hat/ § 4. Das „Speculum universale" des Radulfus Ardens, eine ungedruckte theologische Summa am Ende des 11. Jahrhunderts. Mehr schon in die Zeit Anselms von Canterbury als Lanfranks fällt die Wirksamkeit des R a d u l f u s A r d e n s ; eines hervorragenden Kanzelredners, über dessen Lebensgang nur wenige Daten uns bekannt sind, und der auch bisher wenig Beachtung gefunden hat. Gebürtig aus Beaulieu in der Picardie, erscheint Radulfus, wegen seiner feurigen Beredsamkeit Ardens zubenannt, später als Berater des Herzogs Wilhelm IV. von Aquitanien, den er 1101 in das Heilige Hildebert von Lavardin, Stuttgart 1906, 6.
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Land begleitete. Von diesem Zeitpunkte an verschwindet sein Name aus der Geschichte. Über seinen Studiengang, über die Schule, in der er die Grundlage zu seinem ohne Zweifel hervorragenden und universellen Wissen gelegt, fehlen leider jegliche Nachrichten1. In der Geschichte der Theologie wird Radulfus Ardens wegen seiner mehr denn 200 Homilien auf die Episteln und Evangelien des Kirchenjahres2 aufgeführt. Es geben diese Homilien, die mehrfach gedruckt worden und auch bei Migne 3 ediert sind, Zeugnis von der hohen und umfassenden geistigen Durchbildung ihres Autors. Vor allem tritt uns eine innige Vertrautheit mit einem umfangreichen kirchlichen wie profanen Wissensmaterial entgegen. Seine Belesenheit in der Heiligen Schrift und in den patristischen Schriften, vor allem in den Werken Augustins, des hl. Hieronymus, Gregors d. Gr., des Sulpicius Severus, des Beda Venerabilis usw., ist eine staunenswerte. In dogmatischen Fragen ist Augustin sein Führer, in der Moral Gregor d. Gr. An Augustin schließt er sich besonders enge in der Gnadenlehre an. In einer Homilie über die Epistel der Gründonnerstagsmesse trägt er scharf und klar die Lehre von der eucharistischen Wesensverwandlung (Transubstantiation) vor4. Auch über das Bußsakrament finden sich in dieser dogmengeschichtlich bisher noch nicht ausgewerteten Homiliensammlung bedeutsame Äußerungen. Desgleichen verraten die Predigten des Radulfus gründliche Kenntnisse im kanonischen Rechte. Ein Beleg für seine Kenntnis des Eherechts ist seine Homilie auf den zweiten Sonntag nach Epiphanie5. Auch in profanen Autoren, in Dichtern, Philosophen und Historikern scheint sich Radulfus umgesehen zu haben. So zitiert er z. B. Vergil6. Seine Latinität ist verhältnismäßig rein, und es ist nicht ausgeschlossen, daß er auch etwelche Kenntnis des Griechischen und Hebräischen besaß. Für seine logische Schulung sind die klaren Einteilungen, die er vornimmt, ein Beleg. 1 Zur Lebensbeschreibung des Radulfus Ardens siehe Histoire litt^raire de 1a France IX 254—265. H u r t e r , Nomenciator I 3 1097. 2 „Homiliae in Epistolas et Evangelia de tempore" und „Homiliae in Epistolas et Evangelia Sanctorum". 8 P. L. CLV 1299—1626 1667—2118. 4 Ebd. 5 Ebd. 1742ff. Vgl. D e n i f l e , Luther und Luthertum I* 257 A. 1 und 260 A. 4. 6 M., P. L. CLY 1423.
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So interessant und beachtenswert die Homilien des Radulfus Ardens für die Geschichte der mittelalterlichen Predigt und auch des Dogmas sind, so ist es doch ein anderes Werk aus seiner Feder, das in seiner ganzen Anlage und nach seinem Inhalte noch wertvoller ist als seine Predigtsammlung und das in hervorragendem Maße für den Geschichtschreiber der scholastischen Methode in Betracht kommt. Es ist dies sein ungedruckt gebliebenes, nur in ganz wenigen Handschriften erhaltenes „Speculum universale". Zwei Handschriften dieses „Speculum universale" befinden sich in der Bibliotheque Mazarine zu Paris, nämlich die Codd. 709 (1080) und 710 (423). Cod. 709 ist ein Pergamentcodex aus dem 15. Jahrhundert und enthält sämtliche 14 Bücher des „Speculum universale", während Cod. 710, eine Pergamenthandschrift des 13. Jahrhunderts, nur die Bücher 9—14 umfaßt. Eine weitere Handschrift ist in der Vatikanischen Bibliothek, nämlich Cod. Vatic. Lat. 1175, der in zwei Bänden (pars I und II) das ganze Werk in 14 Büchern in sich faßt. An der Spitze des ersten Teiles steht auf fol. l r in roter Schrift der Titel: „Incipit speculum universale distinctionum magistri radulfi ardentis de virtutibus et vitiis eisdem oppositis". Unmittelbar daran schließt sich eine „Tabula super capitula primi libri". Hierauf beginnt mit fol. l v das erste Buch: „Expliciunt capitula primi libri. Incipit liber primus. Quid sit scientia et eius species. Capitulum primum" etc. Die vatikanische Handschrift ist auch in der nachfolgenden Darstellung der Bedeutung des „Speculum universale" für den Entwicklungsgang der scholastischen Methode zu Grunde gelegt. Unter drei Gesichtspunkten ist dieses Werk des R a d u l f u s A r d e n s hier für uns von Interesse, nämlich unter dem Gesichtspunkte der S y s t e m a t i k , der W i s s e n s c h a f t s l e h r e und der Anwendung der p h i l o s o p h i s c h e n T e r m i n o l o g i e auf theologische Fragen. Was die S y s t e m a t i k des „Speculum universale" angeht, so ist dasselbe eine Gesamtdarstellung der christlichen Glaubens- und Sittenlehre mit Vorwiegen des moralisch-aszetischen Momentes* Während in dieser Zeit Gesamtübersichten über das kirchliche Recht mit Berücksichtigung der Dogmatik und Moral uns bereits begegnen — es sei hier auf das Dekret Ivos von Chartres hingewiesen —, dürfte das „Speculum universale" des Radulfus in der damaligen Zeit nicht leicht seinesgleichen finden lassen.
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Um den Aufbau dieses inhaltsreichen Werkes, die freilich etwas lose Struktur desselben und den Anlauf zu einem System der christlichen Doktrin, den dasselbe macht, in etwas würdigen zu können, sei eine gedrängte Inhaltsübersicht im folgenden geboten. An der Spitze des ersten Buches und damit des ganzen Werkes steht eine Wissenschaftslehre, eine Abhandlung über den Begriff und die Einteilung der Wissenschaft, ähnlich wie auch die großen systematischen Werke, die Summen der Hochscholastik, an erster Stelle eine mehr oder minder ausführliche theologische Einleitungslehre bieten. Das erste Buch (fol. lv—15V) selbst erörtert die Grundbegriffe der Ethik, die Begriffe des sittlich Guten, der Tugend, der Sünde, speziell der Erbsünde. Wir haben hier eine Art ethischer Prinzipienlehre vor uns. Das zweite Buch (fol. 15y—28v) handelt von Christus und von der Erlösung, es verbreitet sich gleichsam über die dogmatischen Grundlagen und Voraussetzungen für die christliche Lehre von Tugend und Sünde. Das dritte Buch (fol. 28v—44v) enthält eine ausführliche Lehre von den Versuchungen, verfolgt eine vorwiegend praktisch-aszetische Tendenz und zeugt auch von großer Kenntnis der Wandlungen und Strebungen des menschlichen Herzens. In geistreicher Weise sind die drei Feinde des Menschen (caro, dyabolus, homo mundanus) charakterisiert. Diesen drei Feinden stellt das vierte Buch (fol. 44V—60v) drei Freunde des Menschen entgegen: Spiritus, bonus angelus und vir iustus, deren segensvolle Wirksamkeit in anregender Weise geschildert wird. Wirklich packend ist die fürsorgende Tätigkeit des Schutzengels behandelt. Den Gegenstand des nächsten, des fünften Buches (60v—85r) bilden die menschlichen Gedanken, insofern sie Quellen der Tugend oder auch des Lasters sind. Warm ist hier die christliche Wachsamkeit über die Gedankenwelt empfohlen. Am Schlüsse dieses Buches ist bemerkt, daß das sechste Buch, welches über das Gebet handeln sollte, von dem Verfasser ausgelassen und auf später verschoben wurde, aber infolge seines Todes nicht mehr ausgearbeitet wurde1. 1
„Explicit liber quintus. Hie deest sextus liber, in quo proposuerat magister se de oratione traetaturum quemque cum ad maiora festinabat quousque consummasset distulit; sed postea morte intervenierte perficere non potüit* (fol. 85r). Aus der Bezeichnung magister ist ersichtlich, daß Radulfus nicht bloß Prediger, sondern auch Lehrer und Leiter einer höheren Schule gewesen ist.
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Das siebte Buch (fol. 85r—113T), das „De divisione virtutis in speeiebus" betitelt ist, jedoch nur vom Glauben handelt, ist der Hauptsache nach rein dogmatischer Natur. Es wird der Glaube als fides credens und fides credita ins Auge gefaßt und unter dem letzteren Gesichtspunkte ein förmlicher Traktat „De Deo uno et trino" geboten. Wir finden hier Ausführungen über das Wissen und Vorherwissen Gottes, über den Willen Gottes und am Schlüsse der Abhandlung „De Deo uno" auch einen Exkurs über die Prädikamente in ihrer Bedeutung für die Gotteslehre, ein Beweis der Vertrautheit des Radulfus mit den damals bekannten aristotelisch-boethianischen philosophischen Schriften. Die Trinitätslehre ist getrennt im Anschlüsse an die allgemeine Gotteslehre behandelt. Das 88. und letzte Kapitel dieses Buches behandelt die Frage: „An prelati ecclesie possint dare Spiritum Sanetum." Auch das achte Buch (fol. 113V—147T) hat einen dogmatischen Charakter und Inhalt, es enthält die Inkarnations-, Sakramentenlehre und Eschatologie und als moraltheologischen Bestandteil eine Abhandlung über die zehn Gebote: „Incipit liber octavus, in quo agitur de incarnatione verbi et de septem sacramentis et de decem preceptis et de iudicio et ipsum consequentibus." Für die Dogmengeschichte ist es von Interesse, daß hier schon zu Ende des 11. Jahrhunderts die Siebenzahl der Sakramente so formell in einem theologischen Werke ausgesprochen ist. Es rührt somit nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, das älteste authentische Zeugnis für die formelle „Siebenzahl" vom hl. Otto (um 1127), Bischof von Bamberg und Apostel der Pommern, her 1 . Wir haben hier wieder einen Beweis dafür, daß eine Durchforschung der ungedruckten theologischen Werke des 11. und 12. Jahrhunderts gerade für die Sakramentenlehre neue geschichtliche Resultate darbietet. Das neunte Buch (fol. 148r—174V) handelt in 62 Kapiteln über die Kardinaltugend der prudentia und im Zusammenhang damit auch über sapientia, scientia usw. Für die Dogmatik sind die Ausführungen über die Arten der Gotteserkenntnis von Interesse. Die drei andern Kardinaltugenden, namentlich die iustitia, bilden den Gegenstand des zehnten Buches (fol. 175r—220r), während das elfte Buch, „in quo tractatur de effectuosis virtutibus", ausführlich und mit mystischer Wärme die Caritas erörtert und feiert (fol. 220r—268r). 1
Vgl. über diese bisherige Anschauung P o h l e , Lehrbuch der Dogmatik III 21; V a n N o o r t , Tractatus de sacramentis eccleaiae I, Amstelodami 1905, 8; S p e c h t , Lehrbuch der Dogmatik II, Regensburg 1908, 155. 2
Am Vorabend der Scholastik etc.
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Die folgenden Bücher verfolgen ausschließlich moralisch-aszetische Ziele. Das zwölfte Buch (fol. 268r—318r) handelt in geistvoller Weise von der Verachtung im guten und schlechten Sinne und den daraus entspringenden Tugenden bzw. Sünden („De contemptu malo sive bono"), das dreizehnte Buch (fol. 318r— 339T) befaßt sich mit der Regelung des äußeren Menschen, speziell mit der Beherrschung der Zunge („De moribus exterioris hominis bonis sive malis et primo de moribus lingue"), das vierzehnte und letzte Buch mit den fünf Sinnen und den darauf bezüglichen Tugenden und Fehlern. Auf fol. 361T schließt das Werk ab. Es folgt dann bis fol. 377v eine tabula, ein ausführliches alphabetisches Sachregister. Es finden sich auch im Texte selbst mehrfach Tabellen, Figuren zur Veranschaulichung der Gedankengänge angebracht. Wenn auch das „Speculum universale* des Radulfus nicht die scharfgegliederte und einheitliche Architektonik der großen theologischen Summen der Hochscholastik aufweist, so bekundet dasselbe doch ein für die damalige Zeit nicht gewöhnliches Streben nach einer Überschau über das Gesamtgebiet der Theologie und verrät speziell in der Anordnung, Gliederung und Einteilung einzelner Partien ein unverkennbares Talent für Systematik. Besonders zeigen die beiden rein dogmatischen Bücher, das siebte und achte, eine ziemlich in geordneter Gedankenabfolge fortschreitende Darstellung der katholischen Glaubenslehre. Wir haben wenigstens in den Hauptzügen hier das dogmatische Schema der theologischen Sentenzen und der Summen des 12. Jahrhunderts vor uns: Gottes- und Trinitätslehre, Inkarnations- und Sakramentenlehre und Eschatologie. R a d u l f u s A r d e n s hat an die Spitze seines „Speculum universale" eine eigentliche W i s s e n s c h a f t s l e h r e gestellt, in welcher er eine hohe Auffassung auch vom profanen Wissensbetrieb bekundet. Schon die von ihm gegebene Definition bekundet eine ideale Anschauung und hohe Wertschätzung der Wissenschaft: „Scientia est vera perceptio mentis infinita finite eomprehendens." Die Wissenschaft, die synonym auch „ars" genannt werden kann, wird eingeteilt in die Theorica, Ethica, Logica und Mechanica. Die Theorica befaßt sich in spekulativer Weise mit der Natur und den Ursachen der Dinge, die Ethik mit der Normierung unseres sittlichen Verhaltens , die Logik ist die Kunst des Redens und Denkens, die Mechanica, die nur im uneigentlichen Sinne Wissenschaft ist, hat das für das körperliche Leben Notwendige und Zweckdienliche ins Auge zu fassen.
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Die Überlieferung und Weiterbildung etc.
An dieser Wissenschaftseinteilung des Radulfus Ardens ist die Tatsache geschichtlich bedeutsam, daß wir hier bereits die später von Hugo von St V i k t o r in seiner „Eruditio didascalica*1 getroffene Einteilung der Philosophie in Theorie, Praxis, Logik und Mechanik, eine Einteilung, welche eine selbständige und fortgeschrittene Verwendung und Erweiterung des aristotelischen Einteilungsschemas durch Hereinbeziehung der artes mechanicae und der Logik bedeutet, vor uns haben. Es erinnert auch Hugo von St Viktors Wesensbestimmung der Philosophie: „Philosophia est disciplina omnium rerum divinarum atque humanarum rationes probabiliter investigans"2, sachlich an die Begriffsbestimmung der Wissenschaft durch Radulfus. Wir finden also bei Radulfus Ardens jene Einteilung der Wissenschaft bzw. Philosophie, die noch für Albertus Magnus und Robert Kilwardby maßgebend gewesen ist und als deren erster Vertreter bisher Hugo von St Viktor galt 3 . Von einer hohen Wertschätzung dieser vier Disziplinen gibt die Bemerkung des Radulfus Zeugnis, daß der gütige und barmherzige Gott dieselben uns verliehen habe als Gegengift und Gegenmittel gegen die vier aus der Erbsünde herrührenden Gebrechen der menschlichen Natur, die Theorie gegen die Unwissenheit des Verstandes, die Ethik gegen die Ungerechtigkeit des Willens, die Logik gegen die Fehlerhaftigkeit der Zunge und Rede, die Mechanik gegen die körperliche Gebrechlichkeit und Armseligkeit4. 1
L. 2, c. 2 (M., P. L. CLXXVI 752). L. ß a u r , Dominicus Gundissalinus 358 ff. 8 M„ P. L. CLXXVI 752. 3 Vgl. B a u r a. a. 0. 362 A. 2. * „Scientia est vefa perceptio mentis infinita finite comprebendens. Dicitur quippe scientia colleetive. Unde et ars nuncupatur ea videlicet ratione, quum infinitatis confusionem sub certorum locorum et regularum artat et concludit brevitate. Scientia vero sive ars quadrifariam recipit partitionem. Dividitur siquidem i n t h e o r i c a m , e t h i c a m , l o g i e a m e t m e c h a n i c a m . Porro theorica est scientia quae invisibiles rerum naturas et causas spiritualiter speculatur. Unde theorica id est speculativa nuncupatur. Ethica vero est scientia, que in moribus nos conformat et componit. Unde et ethica dicitur id est moralis. Logica est eloquendi ratiocinandique scientia. Unde et logica dicitur id est sermocinalis sive ratiocinativa. Logos enim grece sermo sive ratio dicitur latine, Mechanica autem est scientia ministrandi ea que sunt necessaria eorporee fragilitati. . . . Itaque theorica inquirit de re, an sit, quid, quanta, qualis sit, a quo et cur sit* Ethica, quid iustum sit, Logica, quid verum sit, Mechanica ad necessitatis suffragationem. Has igitur quattuor artes pius et misericors Deus provide nobis contulit, ut essent nobis tamquam quattuor antidota contra quattuor humane fragili-
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Die Theorie teilt er im Anschluß an Boethius ein in Physik, Mathematik und Theologie und bestimmt auch die Objekte und Methoden dieser drei Disziplinen mit Berufung auf die Ausführungen des letzten Römers in seiner Schrift „De trinitate". Die Ethik wird eingeteilt in eine ethica solitaria, domestica, politica, insofern sie sich auf die einzelne Person, auf die Familie und auf den Staat bezieht. Es ist diese Einteilung, die auch von Hugo von St Viktor vorgenommen wird, sachlich nichts anderes als die bereits bei Eudemus ausgesprochene und schließlich bei Aristoteles grundgelegte Dreiteilung der Ethik in Ethik, Ökonomik und Politik1. Die Logik gliedert sich bei Radulfus Ardens in Grammatik, Dialektik und Rhetorik. Am eingehendsten und detailliertesten ist die Klassifikation der Mechanik, die in eine Siebenzahl von Disziplinen zerfällt, von denen jede wiederum eine große Zahl von Unterabteilungen aufweist. Diese bei Radulfus angegebenen sieben Zweigdisziplinen der Mechanik stimmen mit der bei Hugo von St Viktor gegebenen Siebenzahl nicht vollständig überein. Auch die drei Wissenschaften der Theorica, die Physik; Mathematik und Theologie, zerfallen bei Radulfus wieder in Zweigwissenschaften, so daß sich eine ziemlich entwickelte und komplizierte Gliederung des Wissenschaftsorganismus ergibt2. Für jeden Fall bedeutet eine so ausführliche Wissenschaftstatis molestias sive calamitates. Natura nimira humana in qnattuor fuerat corrupta per primariam protoplasti praevaricationem. Peccaverat quippe protoplastus in quattuor scilicet in intellectu, in voluntate, in sermone et in carne. Et in intellectu quidem peccavit quum cum in honore esset non intellexit, comparatus est iumentis et sirailis factus est Ulis. In voluntate peccavit, quum lignum vetitum concupivit. In sermone peccavit quum domino interrogante noluit peccatum suum confiteri. . . . In carne peccavit, quum in pomi vetiti comestione illectus est delectatione. Quum igitur noluit intelligere ut bene ageret, vulneratus est in voluntate per iniquitatem. Quum in sermone peccavit, vulneratus est per ineloquentiam. Quum in carne peccavit, vulneratus est in carne per miseriam. Itaque contra quattuor has incommoditates adhibentur quattuor remedia per quattuor prenominatas artes. Theorica nimirum medetur ignorantie, ethica iniustitie, logica ineloquentie, mechanica miserie. Theorica intellectum illuminat, ethica voluntatem iustificat, logica linguam disertam reddit, mechanica humanam miseriam fulcit" (fol. l r ). 1 Vgl. B a u r a. a. 0. 311 u. 360. 2 Die Einteilung der Wissenschaften des Radulfus Ardens ist im Cod. Vatic. Lat. 1175 fol. 2V auch graphisch dargestellt in Form eines Baumes, in dessen Verästelung und Verzweigung die einzelnen Disziplinen ausgeschieden sind. Am Fuße des Baumes ist eine männliche Figur ohne Kopf angebracht, die die Axt gegen den Baumstamm erhebt. Es soll damit vielleicht in drastischer Weise
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lehre an der Spitze eines zusammenfassenden theologischen Werkes zu Ende des 11. Jahrhunderts einen Fortschritt der wissenschaftlichen Methode. Wir finden außerdem bei Radulfus, dessen „Speculum universale" von einer aszetisch-mystischen Lebensauffassung an vielen Stellen zeugt, keineswegs die ablehnende Stellung der Antidialektiker gegen die profanen Wissenschaften, sondern vielmehr eine hohe Wertschätzung derselben. Er sieht in den weltlichen Wissenschaften Geschenke Gottes und versteht es meisterhaft, dieselben in den Dienst der Theologie, und der Frömmigkeit zu ziehen. Die Verwertung der profanen Wissenszweige, speziell der Philosophie für die Theologie, zeigt sich bei Radulfus Ardens in besonders hervorstechender Weise durch die A n w e n d u n g d e r p h i l o s o p h i s c h e n T e r m i n o l o g i e auf t h e o l o g i s c h e F r a g e n und Materien. Ja er benützt nicht bloß praktisch die philosophischen Termini zur Darlegung und Verdeutlichung der Glaubensgeheimnisse, ausgedrückt sein, daß nur Gedanken- und Kopflosigkeit gegen die Wissenschaft feindlich gesinnt sind. Die in diesem Wissensbaume vorgestellte Gliederung der Wissenschaften soll im nachfolgenden Schema reproduziert werden.
Bhysica Anthropophysica Cosmophysica Pneumatophysica
Victuaria I continet Agriculturam Venatoriam Piscatoriam Aucupariam Panificariam Coquinariam
Scientia: Theorica I Mathematica Theologia I. dividitur in quattuor partes Arithmetica ! Musica prima agit de ipsa divinitate Astronomia secunda de divina operatione Geometria tertia de divino cultu quarta de divina retributione
Ethica I Solitaria — Domestica — Politica Logica I Grammatica Dialectica Rketorica i I I docet recte scribere et discernere ad probandum loqui ad persuadendum ioqui ad intelligendum vel improbandum Mechanica I Suffragatoria Medicinaria Patrocinaria Lanificaria Architectoria Negotiatoria (Militaria) I I Textoriam Cementariam Purgatoriam Commutationem Iumentoriam Tueri pa.triam Pellipariam Carpentariam Emptionem Instrumentalem Confortatoriam Tueri religionem Coriariam Fabrilem Venditionem Temperatoriam Vehicularem Tueri constituSutoriam quae dividitur in Conservatoriam Mutuationem tiones legum AccommoMaleatoriam Tueri unicuique dationem Fusoriam ius suuni Exclusoriam
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er stellt sogar eine m e t h o d o l o g i s c h e U n t e r s u c h u n g über die B e r e c h t i g u n g und die A r t und Weise der Ü b e r t r a g u n g der p h i l o s o p h i s c h e n T e r m i n o l o g i e auf theol o g i s c h e s Gebiet an. Hier liegt der Hauptakzent der Bedeutung des Radulfus Ardens für die Geschichte der scholastischen Methode. Im 14. Kapitel des der Gottes- und Trinitätslehre geweihten siebten Buches legt er sich ex professo die Frage vor: „Qua necessitate quave intentione nomina sint translata a naturali facultate ad theologiam?" Von Interesse ist hier schon der Gebrauch des Ausdruckes naturalis facultas. D e n i f l e 1 macht in seiner monumentalen Geschichte der mittelalterlichen Universitäten die Bemerkung, daß der Ausdruck facultas im Sinne einer gemeinsamen scientia oder Disziplin speziell für Paris in einem Schreiben Honorius' III. vom 18. Februar 1219 an die Scholaren von Paris sich findet. Denifle bemerkt weiterhin, daß vereinzelt die Anwendung obigen Ausdruckes in dieser Bedeutung schon früher, z. B. bei Peter von Blois (f 1200) sich findet2. Aus der oben angegebenen Fragestellung des Radulfus Ardens ist ersichtlich, daß die Wendung naturalis facultas als Bezeichnung des profanen Wissensgebietes im Gegensatz zur Theologie bereits ca 100 Jahre vor Peter von Blois sich findet. Desgleichen ist in obiger Fragestellung auch der Gebrauch des Wortes „theologia" in dem umfassenden Sinne von Glaubenswissenschaft gegenüber dem natürlichen Wissenschaftsgebiete beachtenswert. Es wird ja auch hier unter theologia in erster Linie die Gottes- und Trinitätslehre gemeint sein, wie das noch zur Zeit Abälards fast ausschließlich der Fall war 3 , jedoch scheint die Inkarnations- und Sakramentenlehre und die Eschatologie unter der theologia mitverstanden zu sein, wie dies auch aus der Anfügung dieser Gegenstände des Glaubens unmittelbar an die Trinitätslehre sich ergibt. Desgleichen spricht für diese weitere Fassung des Begriffes theologia bei Radulfus Ardens auch die von ihm vollzogene Zerlegung der theologia in vier Teile: „De ipsa divinitate, De divina operatione, De divino cultu et De divina retributione". Wenn wir nun auf die Antwort, die Radulfus auf die obige Frage sich gibt, näher eingehen und seine Grundsätze über die Verwertung der philosophischen Terminologie für theologische Zwecke analysieren, so finden wir wenigstens in groben Umrissen hier schon 1
2 Die Universitäten des Mittelalters I 71. Ebd. A. 1. Vgl. C o r n e l i a s K r i e g , Enzyklopädie der theologischen Wissenschaften nebst Methodenlehre 36 f. 3
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Die Überlieferung und Weiterbildung etc.
die Gedanken der Scholastiker des 12. und 13. Jahrhunderts über die Zurechtlegung der philosophischen Ausdrücke für die Darlegung und Verdeutlichung der Glaubenswahrheiten. Radulfus Ardens geht von der Erwägung aus, daß man in der facultas naturalis, worunter zunächst die Philosophie zu verstehen ist, durch die Erkenntnis der Dinge zur Erkenntnis der dieselben bezeichnenden Wörter und Ausdrücke gelangt. In der Theologie handelt es sich um Dinge, um Inhalte, die unserem natürlichen Denken unbekannt sind, die über die Tragweite unseres natürlichen Denkens hinausliegen. Wenn nun dementsprechend auch die Terminologie, die diese geheimnisvollen Inhalte ausdrückenden Bezeichnungen unbekannt wären und so den über unsere Fassungskraft erhabenen Gegenständen der Theologie auch gleichfalls über unser Denkvermögen hinausliegende Termini entsprechen würden, dann wären auf theologischem Gebiete uns sowohl die res, die Gegenstände und Inhalte, wie auch die vocabula, die sprachliche und begriffliche Einkleidung dieser Inhalte, gänzlich unbekannt und unverständlich. Wir könnten dann weder durch die Erkenntnis der Dinge zur Erkenntnis der Namen noch durch die Erkenntnis der Namen zur Erkenntnis der Dinge gelangen. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, von der Philosophie uns bekannte Wörter und Termini auf die Theologie zu übertragen, damit wir so auf dem Wege einer uns bekannten und geläufigen Terminologie wenigstens einigermaßen zum Erkennen und Verständnis des uns an sich unbekannten Gegenstandes der Glaubenswissenschaft fortschreiten und vordringen können 1. Aisdana verbreitet sich Radulfus ausführlicher über die Art und Weise der Übertragung der philosophischen Terminologie auf theologisches Gebiet. Er ist vor allem davon überzeugt, daß diese profanwissenschaftlichen Termini, wenn sie auf Gott Anwendung finden sollen, nicht voll und ganz ihre ursprüngliche Bedeutung und Eigentümlichkeit beibehalten können, sondern eine entsprechende Zurecht1
„Qua necessitate quave intentione nomina sint translata a naturali facultate ad theologiam? In naturali facultate per cognitionem rerum pervenitur ad cognitionem vocabulorum. In theologia vero quum res incognite sunt, si habere quoque propria sibique cognita vocabula tarn res quam vocabula forent nobis incognita et sicut per res possemus pervenire ad cognitionem nominum, ita nee per nomina possemus pertingere ad cognitionem rerum. Oportuit igitur a naturali facultate nota vocabula transferri ad theologiam ut per nota vocabula proficeremus qualitercumque ad rei incognite cognitionem. Nemo tarnen estimet naturalia nomina, cum de Deo dieuntur, inventionis suae retinere proprietatem, at subtiliter perquirat transsumptionis rationem."
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richtung und Umformung erheischen. Um über die Art und Weise dieser Zurechtlegung und Umformung sich Klarheit zu verschaffen, wird vor allem die Ursache, der Berechtigungsgrund dieser Herübernahme philosophischer Begriffe in die Theologie zu berücksichtigen sein. Dieser Grund, diese Ursache ist die similitudo. Es folgt hierauf eine Einteilung dieser similitudo in eine similitudo absoluta, similitudo im eigentlichen Sinne, und in eine similitudo collativa, welch letztere auch proportio heißt. Als Beispiel für erstere führt er die Ähnlichkeit eines weißfarbigen Dinges mit einem andern weißfarbigeri an, als Beispiel für letztere gibt er die Ähnlichkeit zwischen genus und materia an, insofern sich nämlich das logische Genus zur spezifischen Differenz ähnlich verhält wie die Materie zur Form. Gerade die zweite Form der similitudo, die proportio, zieht Radulfus heran, um die Art und Weise, wie philosophische Begriffe auf Gott und Göttliches anzuwenden sind, näher zu bestimmen. Seine ziemlich komplizierten Darlegungen bezwecken sachlich den Nachweis, daß und wie diese philosophischen Termini in einem analogischen Sinne auf Gott übertragbar sind.
Grabmann Scholastische Methode. I.
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Fünfter Abschnitt. Anselm von Canterbury, der Vater der Scholastik. Erstes Kapitel. Anselms wissenschaftliche Individualität. Eine Zeit der Erhebung, des idealen Aufschwunges brach für das kirchliche Leben in den letzten Dezennien des 11. Jahrhunderts an. Während zu Beginn des 11. Jahrhunderts ein düsterer Pessimismus auf den Gemütern lagerte und der ernste Gedanke des nahen Weltendes die edelsten Geister erfaßte, erwachte gegen Ende dieses Jahrhunderts eine mächtige religiöse Begeisterung, eine hoffnungsfreudige Sehnsucht nach dem Göttlichen und Ewigen. „Die religiöse Flamme verlangte nach Freiheit, in der Wärme, die sie verbreitete, zersprangen alle Fesseln, in welche der Geist gebunden war." 1 Es entstand der gewaltige Kampf um die Kirchenfreiheit, um Loslösung der Kirche von der Gewalt des Staates. Papst Gregor VII.2, der Kämpfer für diese Kirchenfreiheit, strebte auch die ethische Freiheit, die sittliche und intellektuelle Hebung des Klerus an, eine Freiheit der Gesinnung. Diese Sehnsucht nach Freiheit, nach Befreiung von all dem, was den einzelnen Menschen und die Gesamtheit am Aufschwünge zu den höchsten Zielen hemmt, hat die abendländische Christenheit in großen Scharen hinübergeführt in das Heilige Land, um die ehrwürdigsten und heiligsten Stätten von der Knechtschaft des Islams zu befreien, hat das Zeitalter der Kreuzzüge heraufgeführt. Dieses Freiheitsehnen, dieser ideale Zug und Schwung, der in jenen Zeiten die christlichen Länder erfaßte, hat auch eine Erneuerung, eine mächtige Erhebung des wissenschaftlichen Lebens und Strebens hervorgerufen, hat die Scholastik, ein Rittertum des Geistes inauguriert. 1
M ö h 1 e r, Anselm, Erzbischof von Canterbury, in Vermischte Schriften I 84. Vgl. über die Bestrebungen Gregors VII. H e r g e n r ö t h e r - K i r s c h , Kirchengeschichte II 4 368—373. 2
Anselms wissenschaftliche Bedeutung.
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Derjenige, der „unter der Devise.: ,Fides quaerens intellectum' das Rittertum des Geistes, d. h. das männlich ernste und kühne, von der Begeisterung des kindlichen Glaubens getragene und von der zartesten Liebe beseelte Ringen nach dem Vollbesitz der christlichen Wahrheit eröffnete"1, war Anselm von Canterbury, der wahre und eigentliche Vater der Scholastik. Anselm von C a n t e r b u r y 2 (geb. am 6. Mai 1033 zu Aosta in Piemont, 1060 Mönch, 1078—1093 Abt im Kloster Bec, 1093—1109 Erzbischof von Canterbury) ist eine jener mächtigen Individualitäten, deren Wirken nicht unter dem Gesichtswinkel einer einseitig sozialpsychologischen Betrachtungsart erfaßt werden will. Sein Lebenswerk kann nicht restlos aus dem Milieu, aus der Umwelt, die auf ihn einwirkte, erklärt werden. Anselm von Canterbury wird nicht vollkommen gewürdigt und verstanden, wenn die Gesetze der geschichtlichen Entwicklung auf ihn mechanisch angewendet werden. Während in den vorhergehenden Jahrhunderten der Vorscholastik, in den Zeiten des Traditionalismus und der Rezeptivität auch die bedeutenderen Vertreter und Träger der kirchlichen Wissenschaft in ihrer literarischen Tätigkeit sich in der Regel nicht über das Niveau der Schule, aus der sie hervorgegangen, erheben konnten, tritt uns Anselm von Canterbury als ein Denker von scharf ausgeprägter wissenschaftlicher Individualität, als ein seine Zeitgenossen hoch überragender, spekulativer Genius entgegen. „Der Übergang ist so plötzlich, der Abstand zwischen Anselm und Lanfrank so groß, daß man sich unwillkürlich fragt, von welch entfernter Triebkraft der Geistesflug dieses Mannes getragen war." 3 1
S c h e e b e n , Dogmatik I 424. Über Anselms Persönlichkeit und Lehre vgl. C e i l l i e r , Hist. geiiör. des auteurs sacres et eccl. XXI 267—349; Hist. litt, de 1a France IX; H a s s e , Anselm von Canterbury, Leipzig 1843—1852; M. R u l e , Life and times of S. Anselm, London 1883; R a g e y , Histoire de St Anselme, Paris 1890; J. M. R i g g , S. Anselm of Canterbury, London 1896; Van W e d d i n g e n , Essai critique sur 1a philosophie de St Anselme de Canterbury, ßruxelles 1875; V i g n a , S. Anselmo filosofo, Milano 1899; Dornet de V o r g e s , Saint Anselme ; B a i n v e 1, Artikel Anselme in Dictionnaire de theologie cath. 1 1327—1360; M. de Wulf, Hist. de 1a philosophie nie'die'vale2 173 ff 179; J. A. E n d r e s , Geschichte der mittelalterlichen Philosophie im christlichen Abendlande 41 ff. In Vorbereitung sind „La theologie de St Anselmeu von B a i n v e l für die Bibliotheque de theologie historique und eine „Geschichte des anselmianischen Gottesbeweises" von P. August in Daniels O. S. B. für die Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters. 3 J. A. E n d r e s , Honorius Augustodunensis 96. — Die überragende Bedeutung Anselms bringt mehr denn hundert Jahre nach seinem Tode der Chronist und 17* 2
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Anselm von Canterbury, der Vater der Scholastik.
Man hat eine Inspiration Anselms durch Scotus Eriugena vermutet und behauptet. Diese Behauptung einer Abhängigkeit Anselms von dem Hofphilosophen Karls des Kahlen entbehrt, wie schon früher dargetan wurde, sicherer innerer und äußerer Gründe. D r ä s e k e 1 , der Anselms „Monologium" und „Proslogium" auf die Quellen hin untersucht hat, ist zu dem Ergebnis gekommen, daß Anselm nicht von Scotus Eriugena und von Pseudo-Areopagita, sondern von Augustin inspiriert ist. Der Hauptgrund für Anselms weit über seine Zeit und auch über ein gutes Stück der Folgezeit hinausragende geistige Bedeutung liegt in seiner Persönlichkeit selbst, in seiner außerordentlichen ethischen und intellektuellen Veranlagung. Dabei haben die Klosterschule von Bec unter Lanfranks Leitung und die Klosterbibliothek 2, in deren patristische Schätze sich der jugendliche Anselm vergrub, die frühzeitige Entwicklung dieses hervorragenden Talentes gefördert. Der Mönch Eadmer, dei; als Biograph und Schüler zu Anselm in ähnlicher Beziehung steht wie Possidius zu Augustin und Wilhelm von Thocco zu Thomas von Aquin, läßt uns einen Blick werfen in das reiche Geistesleben des Mönches und Priors Anselm und berichtet uns von der Begeisterung und Energie, mit der sich derselbe nicht bloß den Übungen des monastischen Lebens, sondern auch dem Studium der heiligen Wissenschaft hingab, einer Begeisterung und Energie, die ihm die schwierigsten Fragen durchdringen und lösen half3. Cisterciensermönch Alberich von Trois-Fontaines also zum Ausdruck: „Prima dominica quadragesimae pridie Nonas Martii (1092) eligitur tandem in archiepiscopum Cantuarie sanctus Anseimus abbas de Becco Herluini et per annos 16 prefuit. Qui inter ecclesiasticos doctores sui tempons precipuus enituit et multa laude digna scripsif (M. G. SS. XXIII 802). 1 Zu Anselms Monologium und Proslogium, in Neue kirchliche Zeitschrift XI (1900) 243—257. Ders., Zur Frage nach dem Einfluß des Joh. Scotus Erigena, in Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie L (1907) 326 ff. 2 Ein Katalog der Bibliothek von Bec aus dem 12. Jahrhundert ist abgedruckt bei B e k k e r , Catalogi bibliothecarum antiqui 257—266, n. 127. Wenn dieser Katalog, den Ravaisson aus Cod. 1942 der Bibliothek von Avranches zum erstenmal publiziert hat, auch erst aus nachanselmianischer Zeit stammt, so war doch sicherlich der Grundstock der in diesem Katalog namhaft gemachten Codices schon zur Zeit, da Anselm in Bec weilte, in der dortigen Klosterbibliothek vorhanden. Es weist dieser Katalog eine erstaunlich große Zahl von Väterhandschriften, namentlich von Augustinushandschriften auf. 3 „Factumque est, ut (sc. Anseimus) soli Deo, coelestibusque disciplinis iugiter occupatus, intantum speculationis divinae culmen ascenderit, ut obscurissi
Anselms wissenschaftliche Bedeutung.
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Anselm ist also mit einer außerordentlich hervorragenden, spekulativen Begabung und mit unermüdlicher Arbeitslust an die Verarbeitung, Durchdringung und Durchheilung des biblischen und patristischen Materials, das er mit Fleiß und Begeisterung in sein reiches Innenleben aufgenommen, herangetreten. Er hat den Mechanismus und Schablonismus der bisherigen Väterbenützung ebenso wie den Formalismus und die besonders seit Berengar hervortretende antidogmatische Tendenz der Dialektik abgestreift und dieses geläuterte Väterverständnis und diese klug in die rechten Bahnen zurückgelenkte Dialektik mit den großen Ideen, mit den Inspirationen seines reichen Genius durchdrungen, beseelt und ausgefüllt1. Er hat das Väterstudium und die Dialektik unter große Gesichtspunkte gebracht, auf hohe Ziele hingeführt. Anselm hat den Beweis erbracht, wie mit wenig dialektischen Mitteln ein großangelegter, fruchtbarer Geist Werke schaffen kann, vor denen eine über unvergleichlich reichere Mittel verfügende spätere Zeit staunend steht. De Wulf 2 hat mit Recht Anselm den Gregor VII. der Wissenschaft genannt. Wie Gregor VII. die Kirche aus der das kirchliche Leben erstickenden Umarmung des Staates zu befreien und namentlich den Klerus zu sittlicher Freiheit und Reinheit zu erheben strebte, so hat auch Anselm die Wissenschaft aus den beengenden Banden formalistischer Dialektik und kompilatorischer Väternachbeterei befreit. Wie Gregor VII. auf religiösem und kirchenpolitischem Gebiete die kirchliche Organisation befestigt und die Beziehungen zwischen Staat und Kirche geregelt hat, so hat auch Anselm auf wissenschaftlichem Gebiete organisatorisch gewirkt, die Beziehungen zwischen Glauben und Wissen scharf formuliert und die hierüber von ihm gewonnenen Grundsätze konsequent durchgeführt. mas et ante tempus suum insolutas de divinitate et nostra fide quaestiones Deo reserante perspiceret ac perspectas enodaret, apertisque rationibus quae dicebat rata et catholica esse probaret" (S. Anselmi Vita auctore Eadmero c. 2; M., P. L. CLVIII 54 f). 1 „Cette alliance d'une logique ferme et d'une inspiration eleväe est 1a grande nouveaute" que nous reconnaissons dans l'oeuvre de saint Anselme. Saint Augustin volait vers 1a ve'rite' d'un coup d'aile; saint Anselme 1a voit, lui aussi, mais il s'attache ä etablir solidement les degres pour y arriver" (Dornet de V o r g e s, Saint Anselme 326). 2 Histoire de 1a philosophie me'die'vale2. „S. Anselme fait penser ä Grögoire VII qui, dans Tordre religieux et politique acheva l'organisation de l'Eglise et definit ses rapports avec l'Etat; il est 1e Gre"goire VII de 1a science. Ces deux figures sont Thonneur de l'äpoque de restauration et de Constitution definitive que fut leXI e siecle."
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Anselm von Canterbury, der Vater der Scholastik.
In Anselms Brust haben Glauben und Wissenschaft, Theologie und Frömmigkeit, ethischer Adel und Tiefe der Spekulation sich aufs innigste verbunden und umschlungen. Anselm war eine reine, heilige Seele, die durch den hehren Schwung der Betrachtung und Beschauung an Johannes und Augustin gemahnt. Er war kein bloßer Intellektualist, der mit der abstrakten Erfassung und Darbietung der Wahrheit sich begnügt hätte, ihn zog es hin zu liebevoller Versenkung in die Wahrheit. Seine Spekulation ist zugleich Meditation und Kontemplation1. Welche Innigkeit und Wärme, welche Mystik liegt nicht in seinen Homilien, Meditationen und Gebeten! Namentlich sind die „Meditationes" und „Orationes" Anselms von innigstem Verlangen beseelt, Gott nicht nur durch Erkenntnis, sondern auch durch liebende Hingabe zu ergreifen und zu besitzen. Der Grundzug dieser „Meditationes", welche im Mittelalter, wie die vielen Handschriften beweisen2, gern gelesen und später auch häufig gedruckt und in neuere Sprachen übersetzt wurden3, ist das begeisterte und jubelnde Aufstreben einer großen Seele zu Gott, ein Streben und Sehnen nach Gott, das in folgenden herrlichen Worten sich kundgibt: „Nun sei du bei mir, mein Gott, den ich suche, den ich liebe, den ich mit Herz und Mund bekenne, den ich mit ganzer Kraft lobe und anbete. Mein Geist, „Arne vraiment pure, vraiment sainte, d'une hauteur de meditation incomparable et qui eüt e*gale saint Augustin, s'il füt ne dans des circonstances plus heureuses8 (Dornet de V o r g e s , Saint Anselme 68). E a d m e r bemerkt über das kontemplative Leben Anselms: „Sanctis meditationibus insistebat, ex conteniplatione summae beatitudinis et desiderio vitae perennis immensos lacrymarum imbres effundebat" (S. Anselmi Vita 1. 1, c, 2; M., P. L. CLVIII 56). 2 Die „Meditationes" des hl. Anselm finden sich in mittelalterlichen Handschriften häufig mit aszetischen Schriften Augustins, Bernhards, Bonaventuras oder auch des Aquinaten usw. zusammengestellt, z. B. Clm. 3708; Clm. 676. 3 Die Drucke sind notiert bei C e i l l i e r (Hist. gene>. des auteurs sacr&s et eccl. 43, § 14). Ceillier äußert sich über Anselms „Meditationes" also: „Ses Medit a t i o n s et ses 0 r a i s o n s sont tres-e"difiantes, remplies d'instructions salutairos, de sentiments de pie"te et de reconnaissance envers Dieu. Ce sont proprement des effusions de son coeur, qui brülait d'amour pour Dieu et pour 1e salut des hommes. Aussi 1e style en est-il tendre, jusque dans les reproches qu'il fait aux p^cheurs. On y trouve des pense"es mystiques, et on voit, par d'autres endroits des ouvrages de saint Anselme, qu'il aimait a s'en entretenir" (ebd. 43). Die Bedeutung der „Meditationes" Anselms für das Verständnis seiner Persönlichkeit und seiner Doktrin erhellt auch daraus, daß Kardinal Saenz d'Aguirre, der als Verfasser einer dreibändigen „Theologia S. Anselmi" sich als vortrefflichen Anselmuskenner gezeigt hat, den von ihm leider nicht mehr realisierten Plan faßte, in einem vierten Bande einen Kommentar zu den „Meditationes" und „Orationes" des hl. Anselm zu geben.
Anselms wissenschaftliche Bedeutung.
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ganz dir sich hingebend, von deiner Liebe entflammt, nach dir strebend und nach dir sich sehnend, mein Geist, der nur dich zu sehen verlangt, weiß nichts Süßeres, als von dir zu reden, von dir zu hören, von dir zu schreiben, von dir sich zu besprechen, über deine Herrlichkeit häufig nachzudenken, auf daß die liebliche Erinnerung an dich inmitten der Wirrsale dieses Erdenlebens meine Ruhe sei. Dich rufe ich an, nach dem mein tiefstes Sehnen geht, zu dir rufe ich empor mit mächtigem Aufschrei in meinem ganzen Herzen. Und wenn ich zu dir rufe, dann rufe ich zu dir in mir selbst; denn mit nichten wäre ich, wärest du nicht in mir; und wenn ich nicht in dir wäre, wärest du nicht in mir. In mir bist du, weil du in meinem Gedenken bleibst. Aus meinem Gedächtnis habe ich dich erkannt, und in ihm finde ich dich, wenn ich mich deiner erinnere, und ich frohlocke in dir über dich, aus dem, durch den und in dem alles ist." 1 In Anselms „Proslogium" begegnen uns Erhebungen des Gemütes zu Gott, die an Augustins „Confessiones" anklingen. Die Briefe Anselms sind der Ausdruck einer durch und durch edeln Seele2. Selbstlosigkeit, aufrichtige Demut, treueste Hingabe an die Kirche und deren Oberhaupt, Milde und Liebenswürdigkeit, alle diese Züge leuchten aus diesen Briefen uns entgegen. Anselm von Canterbury ist eine ungemein liebenswürdige und anziehende Persönlichkeit. „Groß ist und bleibt er als theologische Persönlichkeit. Seiner Liebe Gegenstand, seines Sinnens und Denkens Ziel bei Tag und Nacht war das Himmlische, von dem daher sein Mund jederzeit überfloß. Alles in allem genommen steht er vor uns als ein Mann, welcher durch die tiefe Harmonie seines Wesens für immer eine der edelsten Gestalten der Kirche bleiben wird/ 3 Die liebenswürdige und bezaubernde Art der Persönlichkeit Anselms ist auch über seine Schriften ausgegossen4. Es ist Gemüt 1
Meditatio 14, n. 1 (M., P. L. CLVIIT 779). Über die Briefe Anselms siehe C ei l i i e r a. a. 0. 25—33, § 6. 3 K u n z e in seinem Artikel über Anselm in RE. I 3 560. Eine schöne Darlegung der traits caracteristiques der Persönlichkeit Anselms gibt B a i n v e l (Artikel „Anselme" in Dictionnaire de theologie catholique I 1341). 4 „C'est d'abord que, chez Anselme, l'homme apparait partout dans l'auteur. II est 1e protagoniste des dialogues. II intervient au debut de tous ses traites, ponr nous dire ce qu'il a voulu faire, ou comment teile ide*e lui est venue et comment il a etö amene* a ecrire ou ä publier tel traite\ dans quelle circonstance il l'a compose' et quelle disposition il desire dans 1e lecteur; il intervient ä 1a fin pour prendre conge" par un mot aimable et modeste, tout cela avec cette huinilite simple et vraie qui parle de soi contme on ferait de l'autre" (ebd. 1342). 2
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Anselm von Canterbury. 4er Vater der Scholastik.
in seinen Schriften; Gefälligkeit, reine Latinität und ästhetischer Sinn zeichnen seine Darstellung aus1. Er wählte mehrfach den Dialog, um die Darlegung abstrakter Materien lebendiger und packender gestalten zu können und um die bei der Erörterung erhabener Geheimnisse sich einstellenden Denkschwierigkeiten in Rede und Gegenrede entwickeln und lösen zu können. Die Schriften Anselms haben nicht den unpersönlichen Charakter der späteren scholastischen Werke. Er schickt mit Vorliebe und Vorbedacht seinen Schriften ein Vorwort voraus, in welchem er sich über die Veranlassung, die Tendenz und Methode der jeweiligen Publikation verbreitet. Meist verdanken ja die Schriften unseres vielbeschäftigten Theologen, Ordensmannes und Bischofs ihre Entstehung der Anregung und dem Drängen lernbegieriger Mitbrüder. So steht denn Anselms Bild vor uns als das eines genialen Denkers voll religiöser Begeisterung und tief schauen der Spekulationskraft, verklärt durch den Reiz persönlicher Liebenswürdigkeit. Selbst Abälard nennt ihn einen „magnifieus Ecclesiae doctor* 2, und Roscelin hat für seinen Gegner die rühmenden Worte: „Sed de domno Anselmo archiepiscopo, quem et vitae sanctitas et doctrinae singularitas ultra communem hominum mensuram extollit, quid dicam?" 3 Aus der Individualität Anselms erklärt sich auch großenteils die Art und Weise seiner Spekulation, seine theologische Methode. Wie in seinem Innern liebende Achtung vor der Autorität der Schrift, der Väter und der Kirche mit selbständiger, auch vor den höchsten Fragen nicht zurückbebender Denkenergie sich harmonisch vereinte, so hat er es auch in seinen Schriften meisterhaft verstanden, auctoritas und ratio, diese beiden treibenden Faktoren der Scholastik, in die rechte Beziehung zu setzen und dadurch der scholastischen Spekulation die sichere Bahn zu zeigen. 1
„La latinite de S. Anselme, est pure, et 1a fa9on particuliere d'exprimer ses pensees serree, concise, fort coupäe et sans ornement, mais claire et ordinairement naturelle" (Hist. de 1a France IX 460). 2 M., P. L. CLXXVIII 357—358. 3 Roscelins Brief an Abälard von J. A. S c h m e l l e r in den Abhandlungen der philos.-philolog. Klasse der kgl. bayrischen Akademie der Wissenschaften V, 3, 189 (1851) ediert.
Analyse der wissenschaftlichen Methode Anselms.
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Zweites Kapitel. Analyse der wissenschaftlichen Methode Anselms. § i. Die Bedeutung der auctoritas für das wissenschaftliche Arbeiten Anselms. Anselm von Canterbury war bei seiner wissenschaftlichen Tätigkeit von der Autorität der Kirche, der Heiligen Schrift und der Väter geleitet. Anselm hatte eine hohe und tiefe Auffassung von Kirche und kirchlicher Autorität. In seinen Homilien finden sich schöne Darlegungen über das dogmatische Wesen der Kirche, meist im Anschluß an Schrifttexte1. Besonders wird hier das Verhältnis zwischen Christus und der Kirche beleuchtet. In seinen Briefen begegnen uns warme und begeisterte Worte über die Rechte und Freiheit der Kirche, für welche er mutig gekämpft und freudig Verfolgung und Verbannung erduldet hat 2 . In theologischen Fragen betont er überall seinen streng kirchlichen Standpunkt3. In einem Briefe an Bischof Fulko von Beauvais z. B., wo er sich über Roscelins Trinitätslehre scharf ablehnend äußert, spricht er mit vollster und innerster Überzeugung sein unentwegtes Festhalten an den kirchlichen Grlaubenssymbolen aus und verurteilt jeden gegenteiligen Standpunkt als unkirchlich und unchristlich4. In dem Widmungsschreiben an Papst Urban II., das er an die Spitze seines gegen Roscelin geschriebenen Buches „De fide Trinitatis et incarnatione Verbi" stellt, 1
Homil. i (M., P. L. CLV1I1 385 ffj; Homil. 3 (ebd. 597 ff). Über Anselms Lehre von der Kirche vgl. B a i n v e l , L'idee de l'Eglise au moyen-äge, in Science catholique, fevrier 1899. 2 Z. ß. 1. 1, epist. 47 48 49 (M., P. L. CLIX 228ff). 3 Vgl. A b r o e l l , S. Anseimus Cantuariensis de mutuo fidei et rationis consortio, Würzburg 1864, 60 ff. 4 „De me autem hanc veram omnes homines habere volo sententiam. Sie teneo ea quae confitemur in symbolo, cum dieimus: Credo in Deum Patrem omnipotentem creatorem coeli et terrae. Et: Credo in unum Deum, Patrem omnipotentem, factorem coeli et terrae. Et: Quicumque vult salvus esse, ante omnia opus est, ut teneat catholicam fidem et ea quae sequuntur. Haec tria christianae confessionis prineipia, quae hie proposui, sie inquam haec et corde credo et ore confiteor ut certus sim quia quicumque horum aliquid negare voluerit, et nominatim quicumque blasphemiam, quam supra posui me audisse a Roscelino dici pro veritate asseruerit, sive homo sive angelus, anathema est; et confirmando dicam, quamdiu in hac perstiterit pertinacia, anathema sit" (1. 2, Epist. 4 1 ; M., P. L. CLVIII 1193).
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bringt er seine Hingabe an den apostolischen Stuhl zum Ausdruck und spricht seine Überzeugung von der Autorität des Papstes in Sachen des Glaubens klar und entschieden aus 1. Von maßgebender Bedeutung für die wissenschaftliche Arbeit Anselms war die auctoritas Sacrae Scripturae. Mit liebevoller Begeisterung hat sich Anselm in das Studium der Heiligen Schrift vertieft. Sein Schüler Eadmer berichtet uns bei Schilderung von Anselms Lernjahren von dessen unermüdlichem Eifer, in das Studium der heiligen Schriften einzudringen2. In Anselms Briefen begegnen uns Mahnungen zu fleißigem Studium der Heiligen Schrift3. Diese ist ihm Norm für seine Spekulation. Er ist zu innerst davon überzeugt, daß jede Anschauung und Behauptung, die offenbar der Heiligen Schrift widerspricht, falsch sei4. Nie und nimmer, so äußert er sich, können wir etwas zum übernatürlichen Wohle Zuträgliches verkünden, es sei denn, die vom Heiligen Geiste wunderbar befruchtete Heilige Schrift spreche dasselbe ausdrücklich aus oder enthalte es wenigstens stillschweigend. Ist nun ein spekulativer Gedanke weder ausdrücklich in den heiligen Schriften ausgesprochen noch auch aus derselben durch Deduktion zu gewinnen, so wird dieser spekulative Gedanke in folgender Weise an der Heiligen Schrift zu messen und danach anzunehmen oder abzulehnen sein: Stützt dieser Gedanke sich auf ganz klare und einleuchtende Gründe und widerspricht die Heilige Schrift in keiner Weise diesem Gedanken, dann wird derselbe ebendeshalb, weil die Heilige Schrift ihn nicht negiert, von der Heiligen Schrift autorisiert und ist deswegen als Wahrheit anzunehmen. Wie nämlich die Heilige Schrift keiner Wahrheit zuwider ist, so ist sie auch für keinen Irrtum zugänglich. Ist jedoch die Heilige Schrift diesem unserem spekulativen Gedanken 1
„ Quoniam divina providentia vestram elegit sanctitatem, cui vitam et fidein christianam custodiendam et Ecclesiam suam regendam committeret; ad nulluni alium rectius refertur, ut si quid contra catholicam fidem oritur in Ecclesia, ut eius auctoritate corrigatur« (M., P. L. CLVIII 261). 2 „Divinis namque Scripturis tantam fidem adhibebat ut indissobubili firmitate cordis crederet nihil in eis esse, quod solidae veritatis tramitem ullo modo exiret. Quapropter summo studio animum ad hoc intenderat, quatenus iuxta fidem suam mentis ratione mereretur percipere, quae in ipsis sensit multa caligine tecta latere* (S. Anselmi Vita.l. 1, c. 2; M., P. L. CLVIII 55). 3 Z. B. 1. 1, epist. 2 (M., P. L. CLVIII 1064). 4 „Certus enim sum, si quid dico quod Sacrae Scripturae sine dubio contradicat, quia falsum est; nee illud tenere volo, si cognovero" (Cur Deus homo 1. 1, c. 18; M., P. L. CLVIII 388).
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offenbar entgegen, so ruht derselbe, mag er sich auch scheinbar auf noch so unumstößliche Beweisgründe stützen, nicht auf dem Fundament der Wahrheit. In dieser Weise autorisiert also die Heilige Schrift jede Wahrheit, die unsere Vernunft findet, jeden spekulativen Gedanken, insofern sie ihn entweder ausdrücklich enthält und bestätigt oder ihn doch nicht negiert1. Es liegt in diesen Gedankengängen, in diesen methodischen Grundsätzen Anselms ein wahrheitsfroher Zug. Er findet in der Autorität der Heiligen Schrift kein Hemmnis der Spekulation, der selbständigen Spekulation, im Gegenteil die Heilige Schrift verleiht seinem Wahrheitsfluge, seiner Spekulation Freiheit und Sicherheit zugleich. Dadurch, daß Anselm in dieser Weise die Heilige Schrift in den Mittelpunkt des theologischen Studiums gestellt hat, hat er für die Früh- und Hochscholastik ein richtunggebendes methodisches Grundprinzip theoretisch ausgesprochen und praktisch in Anwendung gebracht. Wenn im 13. Jahrhundert bei Bonaventura Gottesgelehrsamkeit mit Schriftgelehrsamkeit, Sacra Scriptura mit theologia gleichbedeutend ist, wenn in der Blütezeit der Scholastik das Studium der Heiligen Schrift so hohen Ansehens sich erfreute und in der technischen Sprache des mittelalterlichen Universitätswesens magister sacrae paginae, magister Sacrae Scripturae den Lehrer der Theologie bezeichnete, so lag eine derartige Hochschätzung der Heiligen Schrift in der Konsequenz der von Anselm gegebenen Grundsätze und Inspirationen2. Mit Hochachtung der auctoritas Sacrae Scripturae ging bei Anselm von Canterbury Hochschätzung der Patristik Hand in Hand. Er war von tiefer Ehrfurcht vor den Vätern der Kirche erfüllt. 1 „Siquidem nihil utiliter ad salutem spiritualem praedieamus, quod Sacra Scriptura Spiritus Sancti miraculo foecundata non protulerit, aut intra se non contineat. Nam, si quid ratione dicamus aliquando, quod in dictis eius aperte monstrare aut ex ipsis probare nequimus, hoc modo per illam cognoscimus utrum sit accipiendum aut respuendum. Si enim aperta ratione colligitur et illa ex nulla parte contradicit; quoniam ipsa sicut nulli adversatur veritati, ita nulli favet falsitati: hoc ipso, quia non riegat quod ratione dicitur, eius auctoritate suscipitur. At, si ipsa, nostro sensui indubitanter repugnat; quamvis ratio nostra videatur inexpugnabilis, nulla tarnen veritate fulciri credenda est. Sie itaque Sacra Scriptura omnis veritatis, quam ratio collegit, auetoritatem continet, cum illam aut aperte affirmat aut nullatenus negat" (De concordia praescientiae Dei cum Hbero arbitrio q. 3, c. 6; M., P. L. CLVIII 528). 2 Vgl. P. H i l a r i n F e l d e r , Geschichte der wissenschaftlichen Studien im Franziskanerorden 492.
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Namentlich war es Augustin, in dessen Schriften er sich mit Liebe, Begeisterung und Kongenialität vertiefte. Er kann deswegen in der praefatio zu seinem „Monologium" sagen, daß in demselben nichts enthalten sei, was nicht aufs innigste mit den Schriften der heiligen Väter, insbesondere des hl. Augustin, zusammenhänge. Er kann deswegen den Leser, der in dieser Schrift Neologien oder gar Irrtümer vermute, getrost auffordern, daß er ihn nicht vorschnell als kühnen Neuerer oder als Verfechter des Irrtums verschreien, sondern zuerst des heiligen Lehrers Augustinus Bücher über die Dreieinigkeit bedachtsam durchlesen und erst dann ein Urteil über dieses sein Schriftchen sich bilden soll1. Anselm legt ein großes Gewicht darauf, daß die Leser seines „Monologiums" sich seiner Konformität mit den Vätern und vor allem mit Augustinus bewußt seien, und bittet deshalb, man möge bei Abschriften dieses seines Werkchens stets auch die über Zweck und Methode desselben orientierende praefatio beifügen. In der Tat, Anselm von Canterbury steht ganz auf den Schultern des großen afrikanischen Kirchenlehrers. Seine Schriften sind voll von augustinischen Inspirationen sowohl in den Hauptgedanken wie auch in der Detailausführung. Es ist keine Übertreibung, wenn N o u r r i s s o n 2 meint, Anselm habe sozusagen keine Zeile geschrieben, bei der ihm nicht eine Augustinusstelle vorgeschwebt habe; es ist nicht zu viel behauptet, wenn Dornet de V o r g e s 3 1 „ Nihil potui in venire me in ea dixisse, quod non cafcholicorum Patrum et raaxime beati Augustini scriptis cohaereat. Quapropter, si cui videbitur quod in eodem opusculo aliquid protulerim, quod aut nimis novum sit, aut a veritate dissentiat, rogo ne statim me aut praesumptorem novitatum aut falsitatis assertorem exclamet: sed prius libros praedicti doctoris Augustini de Trinitate diligenter perspiciat, deinde secundum eos opusculum meum diiudicet" (Monologium, praef.; M., P. L. CLVIII 143 f). 2 La philosophie de St Augustin II 2 167: „Anselme n'a pas ecrit, pour ainsi dire, une page qu'il n'ait eu present ä l'esprit, comme point de repere, quelque passage de saint Augustin." Vom fl Monologiumu bemerkt derselbe ebd. 168: „Le Monologium est tout entier de filiation augustinienne/ 3 Saint Anselme 323. Über die Beziehungen zwischen Augustin und Anselm siehe auch S a e n z d ' A g u i r r e , Theologia S. Anselmi I, Romae 1688, 40—64. Th. H e i t z , La philosophie et 1a foi chez les mystiques du XI e siecle, in Revue des sciences philosophiques et thäologiques II (1908) 524: „ Anselme semble avoir he'rite' 1e culte des Peres, en particulier de saint Augustin. L'influence de ce docteur se trahirait dans les theories de notre philosophe et dans son style, meme si les innombrables citations empruntees au theologien africain, et les titres des ouvrages d'Anselme ne nous rendaient attentifs ä cette patente spirituelle. . .
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sagt, daß der große Bischof von Hippo dem hl. Anselm „tout 1e fond de sa doctrine" überliefert habe. Die Schriften des hl. Augustin müssen Anselms Lieblingslektüre gewesen sein. Und doch wird durch diese innige Beziehung zu Augustin, durch dieses Durchdrungensein von augustinischen Ideen keineswegs Anselms Selbständigkeit beeinträchtigt, keineswegs Anselms wissenschaftliche Größe verringert. Anselms Art, Augustinus zu benützen und zu verwerten, ist grundverschieden von der Augustinusverwertung seiner Vorläufer und Zeitgenossen. Diese sahen wohl in Augustin den Inbegriff der kirchlichen Lehre, sie exzerpierten seine Schriften, sammelten Stellen aus denselben zur Widerlegung der Häresien, aber die großen spekulativen Grundgedanken, die großen Gesichtspunkte Augustins haben sie nicht erfaßt und in sich aufgenommen, zur Seele der augustinischen Lehre sind sie nicht vorgedrungen. Anselm hat nicht, wie seine kompilatorisch angelegten Zeitgenossen, einzelne Augustinuszitate aufgehäuft, er hat diese Zitatensammlungen nicht geübt und geliebt, er hat vielmehr die tiefen, fruchtbaren spekulativen Gedanken Augustins sich zu eigen gemacht, mit kongenialem Verständnisse dieselben innerlich verarbeitet und in selbständiger Form zum Ausdruck gebracht. Anselm hat sich so tief in die augustinischen Schriften hineinversenkt und hat sein eigenes reiches Geistesleben so sehr am Lichte der augustinischen Spekulation entfacht, daß nicht bloß der Inhalt seiner Schriften unter augustinischer Einwirkung steht, sondern auch ihre stilistische Gestaltung das leuchtende, lebensfrische augustinische Kolorit verrät. Es ist eine ganz richtige Einschätzung des Verhältnisses Anselms zu Augustin, wenn R. S e e b e r g 1 bemerkt: „Die Bedeutung Anselms besteht darin, daß er von den Formeln Augustins zu dem Geiste und der Denkweise Augustins zurückführte. Er hat selbst wieder Enfin, Anselme, tient d'Augustin, l'amour de 1a Spekulation; et c'est precisement 1e röle eminent que celle-ci joue dans son oeuvre qui 1e söpare de son inaitre Lanfranc et plus encore des the"ologiens asce'tiques." 1 In seinem gehaltvollen und objektiv geschriebenen Artikel „Scholastik" in RE. XVII 8 709. Sehr schön bemerkt über Anselms Verhältnis zu Augustin Dornet de V o r g e s a. a. 0. 324: „Celui-ci (Anselme), par 1a confraternite* du ge"nie, a saisi tout d'abord ce qu'il y avait de föcond dans l'enseignement de son glorieux pre'de'cesseur. Le premier il a ose* s'essayer, ä ces nobles späculations dont saint Augustin nous a laisse" un modele si admirable. II a su les reproduire dans toute leur beaute" avec une note qui lui ötait propre. II n'y a qu'un grand maitre pour comprendre ainsi un grand maitre, s'assimiler sa doctrine et de*velopper tous les tr&sors qui y sont renfermes."
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augustinisch -empfunden und gedacht, er hat in der Art Augustins theologische Probleme wieder religiös verstehen und praktisch wertvoll lösen gelehrt." Anselm von Canterbury hat durch sein tiefes Augustinusverständnis der Früh- und Hochscholastik das Beispiel eines begeisterten Studiums der Werke des größten lateinischen Kirchenlehrers gegeben, er hat die Motive und Ziele seines eigenen wissenschaftlichen Arbeitens aus Augustins Schriften geschöpft und genommen. Seine wissenschaftliche Arbeitsweise ist von der Eigenart augustinischen Forschens nachdrücklich berührt und bestimmt. In Anselm traten Augustinus und die Scholastik sich nahe, durch Anselm ist Augustinus der Scholastik nicht bloß als auctoritas, sondern auch als Repräsentant der ratio, als spekulativer, die Glaubenswahrheit mit der Kraft seines mächtigen Geistes durchdringender Genius dargestellt und übergeben worden. Der Vorscholastik galten Augustins Schriften fast ausschließlich als Codex der katholischen Lehre, aus dem Zitate als auctoritates gegen die Häretiker sich entnehmen ließen. Die Augustinusbenützung war in diesen Zeiten der Rezeptivität vorwiegend eine mechanische. Für die in Augustins Schrifttum sich äußernde Kraft der menschlichen durch das Glaubenslicht erleuchteten Vernunft in Ergründung, Begründung und Darstellung der Offenbarungswahrheiten hatte diese Zeit im allgemeinen wenig Verständnis. Erst Anselm von Canterbury hat gleichsam in die Seele, in die inneren treibenden Kräfte der augustinischen Lehre geschaut, hat ohne Einbuße seiner Selbständigkeit Augustins Denkkraft und Denkweise auf sich einwirken lassen, hat in seinen Schriften einen organischen und lebendigen Augustinismus der Ideen dargeboten und denselben an Stelle des äußerlichen und mumienhaften Augustinismus der Zitate gesetzt. An diesem Augustinismus Anselms konnte die Früh- und Hochscholastik sich orientieren nach Inhalt und Methode. Anselm von Canterbury hat demnach die Autorität der Väter, besonders des hl. Augustin hochgeschätzt und hochgehalten, er hat sich in ihre Schriften liebend und sinnend versenkt, er ist aber bei einer bloßen Reproduktion der Patristik, wie eine solche bei seinen Vorläufern und Zeitgenossen im Schwünge war, nicht stehen geblieben. Im Gegenteil, das Väterstudium war für ihn ein Prinzip des Fortschrittes, ein Ansporn zum Ausbau der patristischen Gedanken nach Weite und Tiefe. Vernehmen wir hierüber seine methodische Anschauung, wie er sie so überzeugungsklar im Vorworte zu seiner Schrift: „De fide Trinitatis et incarnatione Verbi" ausgesprochen. Er
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geht hier den folgenden Gedankengang: Wenn auch nach der apostolischen Zeit heilige Väter und die späteren Theologen vieles zur Ergründung und Begründung unseres Glaubens geschrieben haben, zur Abwehr von Unwissenheit und Unglauben, zur Stärkung und Beglückung der Gläubigen, wenn auch diese Schriften der heiligen Väter niemals ihresgleichen in der Beschauung der Wahrheit finden werden, so verdient deshalb doch derjenige mit nichten einen Tadel, der mit voller Glaubensüberzeugung und Glaubensfestigkeit ausgerüstet es unternimmt, eine Einsicht in den Glaubensinhalt zu gewinnen. Denn 1. das Menschenleben ist so kurz, daß die heiligen Väter nicht alles über diese Wahrheiten sagen konnten, was sie bei längerem Leben hätten sagen können. 2. Die veritatis ratio ist so weit und so tief, daß sie von einem geschaffenen Geiste nie ganz ausgeschöpft, nie ganz ergründet werden kann. 3. Außerdem hört Christus nicht auf, in seiner Kirche, bei der er seiner Verheißung gemäß bis zur Vollendung der Weltzeit bleiben wird, die Geschenke seiner Gnade auszuteilen. 4. Auch die Heilige Schrift mahnt zur Ergründung der Glaubenswahrheit mit den Worten: „Nisi credideritis, non intelligetis" (Is 7, 9). Diese Stelle enthält eine offenkundige Mahnung zum Erstreben eines Glaubensverständnisses, da sie uns den Weg hierzu zeigt. 5. Endlich liegt dieses Glaubens Verständnis in der Mitte zwischen dem Glauben und dem himmlischen Schauen. Je mehr deswegen hienieden diese Glaubenseinsicht sich steigert, desto näher kommen wir der jenseitigen Anschauung, diesem unserem heißersehnten Lebensziel1. 1
„Quamvis post Apostolos, sancti Patres et doctores nostri multi et tot et tanta de fidei nostrae ratione dicant ad coiifutandam insipientiam et frangendam duritiam infidelium, et ad pascendum eos, qui iam corde fide mundato, eiusdem fidei ratione (quam post eius certitudinem debemus esunre) delectantur, ut nee nostris nee futuris temporibus ullum illis parem in veritatis contemplatione speremus; nulluni tarnen reprehendendum arbitror, si fide stabilitus, in rationis eius indagine se voluerit exercere. Nam et Uli, quia ,breves dies sunt' (lob 14, 58), non omnia quae possent si diutius vixissent, dicere potuerunt: et veritatis ratio tarn ampla tamque profunda est ut a mortalibus nequeat exhauriri; et Dominus in Ecclesia sua, cum qua se esse usque ad consummationem saeculi promittit, gratiae suae dona non desinit impertiri. Et, ut alia taceam, quibus sacra pagina nos ad investigandam rationem invitat, ubi dicit: ,Nisi credideritis, non intelligetis' (Is 7, 9), aperte nos monet intentionem ad intellectum extendere; cum docet qualiter ad illum debeamus proficere. Denique quoniam inter fidem et pseciem intellectum, quem in hac vita capimus, esse medium intelligo, quanto
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Das Schrift- und Väterstudium ist also für Anselm ein Mahnruf zu selbsttätiger Erforschung der Offenbarungswahrheit. Die durch die kirchliche Autorität, durch Schrift und Väter gewährleistete fidei certitudo drängt ihn vorwärts zur Ergründung der fidei ratio, geleitet ihn zur veritatis contemplatio, die auctoritas selbst schlägt ihm die feste Brücke zur ratio. § 2. Die Funktionen der ratio in der Methode Anselms. Wir finden bei Anselm von Canterbury eine dreifache Funktion der Vernunft, der ratio, in Behandlung der Glaubenswahrheiten: A. Die Vernunfttätigkeit soll eine rationelle Einsicht in den Glaubensinhalt erstreben. B. Die Vernunfttätigkeit soll eine zusammenfassende Überschau über einzelne Gebiete der Glaubenslehre bezwecken. C. Endlich soll die Vernunfttätigkeit die bei der spekulativen Ergründung der Glaubenswahrheit sich aufdrängenden Schwierigkeiten lösen und auch die von den außerhalb der christlichen Überzeugung stehenden Gegnern erhobenen Einwürfe widerlegen. A. Die rationelle Einsicht in den Glaubensinhalt. Anselms Arbeitsprogramm: „Credo, ut intelligam".
I. I n h a l t und T r a g w e i t e von Anselms „credo, ut intelligam". Die erste und grundlegende Funktion der Vernunft bei Behandlung der christlichen Glaubenslehre ist in der Theorie und in der wissenschaftlichen Praxis Anselms von Canterbury die Erzielung einer rationellen Einsicht in den Glaubensinhalt. Die durch Kirche, Schrift und Väter erlangte und gesicherte fidei c e r t i t u d o soll die feste Basis bilden für die fidei r a t i o . Der Ausdruck ratio hat bei Anselm einen subjektiven und objektiven Sinn. Im subjektiven Sinne besagt ratio die auf das Wesen und den Inhalt der Dinge vordringende Menschenvernunft (mens rationalis). Weiterhin schließt der Begriff ratio im subjektiven Sinne auch die Funktion der Vernunft ein1. Im objektiven Sinne bezieht sich ratio auf den Inhalt der Offenbarungslehre. aliquis ad illum proficit. tanto eiim propinquare speciei (ad quam omnes anhelamus) existimo" (De fide Trinitatis et incarnatione Verbi, praefatio; M., P. L. CLVIII 259 ff). 1 „Ratio quae et princeps et iudex omnium debet esse, quae sunt in nomine" (ebd. c. 2; 272).
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Bei Anselm kehren in diesem Sinne die Wendungen „Veritatis ratio, fidei ratio, ratio quomodo sit id, quod Ecclesia docet" wieder. Es ist hiermit der ideale Gehalt, die Vernünftigkeit, die Konvenienz, die Zweckmäßigkeit, der organisch-pragmatische Zusammenhang der mit fester Glaubenszuversicht festgehaltenen Heilswahrheiten gemeint. Indem diese Gesichtspunkte an der Offenbarungslehre von der Vernunft wahrgenommen und aufgenommen sind, ist von fidei rationes, von Vernunftgründen, Vernunftbeweisen die Rede1. Aus allen Schriften Anselms leuchtet uns sein Streben und Sehnen entgegen, einen Einblick in den Inhalt, in die geheimnisvollen Zusammenhänge, in die erhabene Teleologie der mit vollster Glaubensfreudigkeit als gewiß und unfehlbar wahr hingenommenen Offenbarungswahrheit zu gewinnen. Schon die Titelüberschriften, die er ursprünglich seinem „Monologium" und „Proslogium" gab — er bezeichnete die erstere Schrift als „exemplum meditandi de ratione fidei" und die letztere als „fides quaerens intellectum"2 —, weisen deutlich auf Anselms Tendenz hin, eine rationelle Einsicht in den Glaubensinhalt zu gewinnen. Er spricht aber diese seine Absicht zu Beginn seines „Proslogiums" mehrfach klar und deutlich aus: „Non tento Domine penetrare altitudinem tuam; quia nullatenus comparo illi intellectum meum, sed desidero aliquatenus intelligere veritatem tuam, quam credit et amat cor meum. Neque enim quaero intelligere, ut credam; sed c r e d o , ut i n t e l l i g a m . Nam et hoc credo, quia nisi credidero non intelligam."3 Dieses „credo, ut intelligam"4, der 1
Vgl. Monolog, c. 64 (M., P. L. OLVIII 210); De fide Trinitatis et incarnatione Verbi, praefatio (ebd. 259 ff): „Fidei nostrae ratio; veritatis ratio tarn ampla tamque profunda est, ut a mortalibus nequeat exhauriri; eorum, quae credimus, ratio"; ebd. c. 2; 263: „Quaerere rationem quomodo sit (sc. id quod Ecclesia credit)"; Cur Deus homo 1. 1, c. 1 (M., P. L. CLVIII 361): „Cuiusdam quaestionis de fide nostra rationes." 2 Proslogium, prooemium (M., P. L CLVIII 225). 3 Ebd. c. 1; 227. 4 Über Anselms „credo, ut intelligam" handeln S t ö c k l , Geschichte der Philosophie des Mittelalters I 154 ff; Ü b e r w e g - H e i n z e , Grundriß der Geschichte der Philosophie II 9 189 ff; S c h w a n e , Dogmengeschichte der mittleren Zeit 230ff; H a f f n e r , Grundlinien der Geschichte der Philosophie, Mainz 1881, 485 ff; B a c h , Dogmengeschichte des Mittelalters II 41—88; Van W e d d i n g e n , Essai critique sur 1a philosophie de S. Anselme de Cantorbery 361 ff; B a i n v e l , Artikel „Anselme" in Dictionnaire de theologie cath. 11343; Dornet deVorges, Saint Anselme 132 ff; A b r o e l l , S. Anseimus Cantuariensis de mutuo fidei ac rationis consortio. Die Hauptstellen des hl. Anselm über Glauben und Wissen sind auch zusammengestellt bei M i r b t , Quellen zur Geschichte des Papsttums 2 114, Nr 204. Grabmann, Scholastische Methode. I.
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Anselm von Canterbury, der Vater der Scholastik.
Widerhall der Denk- und Redeweise Augustins, drückt in kürzester Weise das theologische Arbeitsprogramm Anselms aus, ist der Kernpunkt seiner theologischen Methode, ist gleichsam die weithin strahlende Aufschrift über dem Portal der eigentlichen Scholastik, die von Anselm inauguriert wird. Denselben Gedanken spricht Anselm auch in seiner Schrift „Cur Deus homo" aus: „Sicut rectus ordo exigit, ut profunda fidei prius credamus priusquam ea praesumamus ratione discutere, ita negligentia mihi videtur, si postquam confirmati sumus in fide, non studemus quod credimus intelligere."a An dieser Stelle erachtet Anselm das Bestreben, eine Einsicht in den Glaubensinhalt zu gewinnen, geradezu als Pflicht. Es ist die letztere Stelle in den Zeiten der Hochscholastik, so von Matthäus von Aquasparta, zugleich mit ähnlichen Stellen aus Augustin und Richard von St Viktor als autoritativer Beweis für die Möglichkeit und Bedeutsamkeit spekulativer Durchdringung, Ergründung und Begründung der Offenbarungslehre aufgeführt worden2. Der hl. Anselm will ein Verständnis der Glaubenswahrheit, eine rationale Einsicht in den Offenbarungsinhalt erlangen, und zwar auf der festen und unerschütterlichen Grundlage des Glaubens. Der Glaube soll durch diese Vernunfteinsicht weder gesetzt noch ersetzt, sondern vorausgesetzt werden. Anselm setzt die Offenbarungslehre als unanzweifelbare Wahrheit voraus und vertieft sich mit seinem reichbegabten, scharfen Denkergeist in diese Wahrheiten, um deren organischen Zusammenhang und erhabenen Ideengehalt einigermaßen zu erkennen und um die logischen Konsequenzen dieser erhabenen Wahrheiten darzulegen3. Während Augustin seine Anschauung über das Verhältnis von Glauben und Wissen in der Formel „intellige, ut credas, Eane eingehende Würdigung dieses anseimischen Fundamentalprinzips gibt J. B. B e c k e r in seiner vortrefflichen Abhandlung: „Der Satz des hl. Anselm: Credo, ut intelligam, in seiner Bedeutung und Tragweite*, in Philos. Jahrbuch XIX (1906) 115—127 312—326. Gleichfalls expresse handelt hierüber Th. H e i t z , La Philosophie et 1a Foi chez les mystiques du XI e siecle, in Revue des sciences philo» sophiques et theologiques II (1908) 526—535. 1 Cur Deus homo 1, c. 2 (M„ P. L. CLVIII 362). 2 M a t t h a e i ab A q u a s p a r t a Quaestiones Disputatae selectae q. 5 de fide, ed. Quaracchi 1903, 140. 3 „Prenant pour acquises les donnees de 1a foi, il applique toutes les ressources de sa belle intelligence ä s'expliquer les verites qu'il croit de tout son coeur, a les eclairer des faibles rayons de 1a lumiere creee, ä les coordonner en Systeme, a en montrer 1e Ken et les conse'quences rbgiques" ( B a i n v e l , Artikel „Anselme" in Dictionnaire de theologie catholique I 1343).
Analyse der wissenschaftlichen Methode Anselms.
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crede, ut intelligas"1 ausspricht, ist Anselms wissenschaftliche Richtlinie lediglich durch „credo, ut intelligam" markiert. Während der größte Denker in der Väterzeit auch das Verhältnis der Vernunfterkenntnis zur Genesis des übernatürlichen Glaubens, das dem Glauben vorausgehende Wissen, die praeambula fidei ins Auge zu fassen durch apologetische Erwägungen sich veranlaßt sieht, kommt für Anselm, der dieses apologetische Moment weniger im Auge hat, das auf den Glauben folgende Wissen, das für die durch den Glauben erleuchtete Vernunft hienieden erreichbare Verständnis der Heilswahrheit in erster Linie in Betracht. Anselm hat dieses sein methodisches Grundprinzip „credo, ut intelligam" praktisch in seinen Schriften, besonders in seinem „Monologium", „Proslogium" und „Cur Deus homo" verwirklicht. Im „Monologium" und „Proslogium" hat er die allgemeine Gotteslehre und die Trinitätslehre lediglich mit spekulativen Darlegungen und Begründungen entwickelt, ohne die Äußerungen der Heiligen Schrift und der Tradition in seine Darstellung aufzunehmen2. Wenn Anselm von Canterbury hier auch nicht Schrift- und Väterstellen als Autoritätsbeweis anführt, so ist seine spekulative Erklärung der Glaubenswahrheit dennoch von den spekulativen Gedanken der Patristik, namentlich Augustins, getragen und geleitet. Anselm hat der Scholastik und überhaupt der gesamten späteren Dogmatik ein Beispiel gegeben, wie die sog. ratio theologica, die spekulative Begründung der Dogmen organisch aus der Schrift- und Väterlehre hervorwachsen soll. In der Tat sind die Konvenienzgründe, welche die großen Scholastiker des Mittelalters für die einzelnen Glaubenswahrheiten entwickeln, vielfach patristischer, vornehmlich augustinischer Provenienz. Von einer formellen Aufführung von Schrift- und Väterstellen zum Zwecke einer positiven Beweisführung steht der Verfasser des „Monologium" und „Proslogium" gänzlich ab, da er die Offenbarungslehre als sicher zu Recht bestehend voraussetzt. Hingegen sind die spekulativen Ideen der Patristik für das von ihm angestrebte Glaubens1
S. Aug., Serm. 43, c. 7, n. 9. „Sed si quis legere dignabitur duo parvula opuscula mea, M o n o l o g i o n scilicet et P r o s l o g i o n , quae ad hoc maxime facta sunt, ut quod fide tenemus de divina natura et eius personis praeter Incarnationem, necessariis rationibus sine Scripturae auctoritate probari possit; si, inquain, ea aliquis legere voluerit, puto quia et ibi inveniet de hoc quod non improbare poterit nee contemnere volet" (De fide Trinitatis c. 4; M., P. L. CLV1II 272). Über Anselms „Monologium" und „Proslogium" vgl. B i l l r o t h , De Anselmi Cautuariensis Proslogio et Monologio, Leipzig 1832; K l e e , De S. Anselmi Cant. Proslogio et Monologio, Leipzig 1832. 18* 2
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Anselm von Canterbüry, der Vater der Scholastik.
Verständnis (fides quaerens intellectum; credo, ut intelligam) wertvoll und werden deshalb von ihm ohne Namensnennung in seine Darstellung hineingewoben. Dieses Absehen von Zitationen, das diesen Schriften Anselms das Gepräge einer selbständigen, ausgereiften und in sich abgeschlossenen Arbeitsweise gibt, ist namentlich hinsichtlich der patristischen Zitate auch von späteren Scholastikern, denen es um eine kurze, zusammenfassende Überschau über das theologische Gesamtgebiet zu tun war, mit Nutzen nachgeahmt worden, so von Alanus de Insulis in seiner „Ars fidei catholicae", von Bonaventura in seinem „Breviloquium", von Thomas von Aquin in seinem „Compendium theologiae ad fratrem Reginaldum". Ein ähnliches, die Schrift- und Vätertexte, den Autoritätsbeweis ausschaltendes Verfahren wie in seinem „Monologium" und „Proslogium" schlägt Anselm auch in seiner dogmen geschichtlich beachtenswertesten Schrift „Cur Deus homo" ein. Er will in dieser Schrift, wie F u n k e 1 zutreffend bemerkt, „den historischen Christus in seinem Sein und Streben, wie die Offenbarung ihn darstellt, aus seinen gegebenen Voraussetzungen heraus, soweit es dieselben gestatten, allein mit Hilfe der Vernunft gleichsam zu Recht konstruieren und so rationell begründen". Anselms methodisches Fundamentalprinzip „credo, ut intelligam" ist namentlich in Hinsicht auf seine Schriften „Monologium", „Proslogium" und „Cur Deus homo" Gegenstand vielfältigen Mißverständnisses und der entgegengesetztesten Mißdeutungen gewesen. Man hat diesen Ausspruch im traditionalistischen Sinne dahin gedeutet, daß nach Anselm jede menschliche Erkenntnis auf der Offenbarung, auf dem Glauben beruht (Ritter, Prantl, ÜberwegHeinze)2. Diese Auffassung gründet in der durch Anselms Texte in keiner Weise gerechtfertigten Anschauung, als ob das „credo, ut intelligam" ganz allgemein das Verhältnis zwischen Glauben und Wissen ausdrücke. Anselm hat hier doch das Verhalten der Vernunft zu den christlichen Wahrheiten, und zwar nach der gläubigen Annahme dieser Wahrheiten im Auge. Auf dem andern Extrem bewegt sich die Deutung des Anselmschen Satzes im rationalistischen Sinne. Danach hat nach Anselm die Vernunft die Kraft, ein volles, inhaltliches Verständnis der Glaubenswahrheiten zu erlangen, so daß dieselben aufhören, Geheimnisse zu sein. J. B. B e c k e r 3 führt 1 2
Grundlagen und Voraussetzungen der Satisfaktionstheorie des hl. Anselm 97. J. B. B e c k e r , Credo, ut intelligam, in Philos. Jahrbuch XIX (1906) 120ff. Ebd. 312 ff.
Analyse der wissenschaftlichen Methode Anselms.
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Kunze und Hase als Vertreter dieser Auffassung auf, welche dem Vater der Scholastik einen offenen oder doch zum mindesten versteckten Rationalismus zuschreibt. Auch J. A. E n d r e s 1 sieht im „credo, ut intelligam" ein Können der Vernunft in Bezug auf die Glaubensgeheimnisse ausgesprochen, das der Lehre der Hochscholastik nicht ganz entspricht. Th. H e i t z 2 bemerkt, Anselm habe unbewußt den Rationalismus gestreift, ohne aber in denselben zu verfallen. Es ist richtig, daß bei Anselm Wendungen und Ausdrücke sich finden, welche, wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen und nicht im Zusammenhalt mit der Gesamtdoktrin des scharfsinnigen und konsequent denkenden Theologen von Canterbury aufgefaßt werden, den Vorwurf eines wenigstens versteckten Rationalismus einigermaßen rechtfertigen könnten. Es kommen hier vor allem jene Stellen in Betracht, an welchen von rationes necessariae, von zwingenden Vernunftgründen die Rede ist 3 . Speziell charakterisiert Anselm Beweisgänge in seinem „Monologium" und „Cur Deus homo" als rationes necessariae. Wir geben mit B a i n v e l 4 und De R e g n o n 5 gerne zu, daß Anselm in seinen Ausdrücken manchmal überschwenglich ist. Anselm ist 1
Geschichte der mittelalterlichen Philosophie im christlichen Abendlande 43. „Quoiqu'il ait toujours proteste de son respect pour 1e principe d'autorite", il cötoyait inconsciemment 1e rationalisme — sans toutefois y tomber — en pro' tendant demontrer par 1a seule raison l'existence de 1a Trinitö et l'absolue nöcessite de l'Injcarnation. C'est dire que dans l'oeuvre de saint Anselme 1a raison tient un röle eminent" (Th. H e i t z , La Philosophie et 1a Foi chez les mystiques du XI e siecle, in Revue des sciences philosophiques et the'ologiques II [1908] 534). 3 „Videtur mihi huius tarn sublimis rei secretum transcendere omnem intellectus aciem humani; et idcirco conatum explicandi qualiter hoc sit, continendum puto. Sufficere namque debere existimo rem incomprehensibilem indaganti, si ad hoc ratiocinando pervenerit ut eam certissime esse cognoscat; etiamsi penetrare nequeat intellectum, quomodo ita sit. Quapropter si ea, quae de summa essentia hactenus disputata sunt, n e c e s s a r i i s r a t i o n i b u s sunt asserta, quamvis sie intellectu penetrari non possint, ut et verbis valeant explicari; nullatenus tarnen certitudinis eorum nutat soliditas" (Monolog, c. 64; M., P. L. CLVIII 210). In „Cur Deus homo" läßt Anselm durch Boso an sich das Ersuchen richten: „Ita volo me perducas illuc, ut rationabili necessitate intelligam esse oportere omnia illa, quae nobis fides catholica de Christo credere praeeipit, si volumus salvari" (1, c. 25; M., P. L. CLVI1I 400). Vgl. die praefatio Anselms zu „Cur Deus homo" (ebd. 361): „Quod (sc. opus) seeundum materiam, de qua editum est, Cur Deus homo nominavi et in duos libellos distinxi. Quoniam prior . . . tandem remoto Christo (quasi nunquam aliquid fuerit de illo) probat r a t i o n i b u s n e c e s s a r i i s esse impossibile ullum hominem salvari sine illo." 4 Artikel „Anselme" in Dictionnaire de the"ologie catholique I 1346. 5 Etudes de the'ologie positive sur 1a sainte Trinite' II 23: „ Vraiment on ne sait ce qu'on doit de plus admirer dans saint Anselme. ou de 1a force de sa foi 2
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Anselm von Canterbury, der Vater der Scholastik.
eben eine Augustinus kongeniale Natur. Die Einwirkung von Augustins überquellendem Spiritualismus, die Begeisterung und geniale Selbständigkeit, mit der Anselm der Ergründung der höchsten Wahrheiten sich hingab, seine mit den wachsenden Schwierigkeiten sich noch steigernde Wissenssehnsucht haben ihn zuweilen zu Wendungen und Ausdrücken fortgerissen, die für sich betrachtet bei einem lediglich mit dem Winkelmaß der Distinktion und des Syllogismus operierenden Schultheologen Anstoß erregen können. Aber wenn man derlei Wendungen mit der Gesamtdoktrin des hl. Anselm, mit seinen sonstigen Auffassungen und Äußerungen, mit den Grundlagen und Voraussetzungen seiner systematischen Monographien in Beziehung bringt, dann wird man diese rationes necessariae, dieses rationelle von Schrift und Vätern abstrahierende Verfahren in der Trinitäts- und Inkarnationslehre keineswegs als Kundgebungen rationalistischer Tendenzen erkennen1. Was die rationes necessariae, von welchen Anselm in seinem „Monologium" bei Behandlung der Trinitätslehre spricht, betrifft, so hat Säenz d ' A g u i r r e 2 guidant et poussant sa raison vers les re'gions sublimes, ou de 1a sublimite de son intelligence percant toutes les profondeurs de 1a inötaphysique. Mais l'alliance de cette foi et de cette raison e*tait si intime, que 1e pieux penseur n'a pas songe" ä distinguer dans sa meditation 1a part de chacune d'elles. On dirait d'un aigle qui, ouvrant ses ailes ä un vent puissant, se laisse empörter pour planer au plus haut et qui, dans 1a joie de son vol, ne sait plus discerner entre ses battements d'ailes et 1e souffle qui 1e souleve. Sans doute, 1a memoire d'un si grand docteur demand qu'on interprete ses expressions dans 1e sens 1e plus favorable. On pourrait dire qu'il s'est uniquement propose de fournir pour les dogmes des raisons , probables' et de montrer que les objections ne concluent pas necessairement." 1 Vgl. B e c k e r , Credo, ut intelligam, in Philos. Jahrbuch XIX (1906) 320. 2 Theologia S. Anselmi II 17 disp. 51, sect. 5: „Supponit fidem Trinitatis in iis, quos erudiendos accipit in hoc opusculo et deinde accedit ad excogitandum varias rationes quibus utcumque suadeat seu ostendat non abhorrere a vero, quidquid de Trinitate credimus paretque viam seu modum ad occurrendum argumentis infidelium seu haereticorum contra disputantium," — Ebd. II 808 disp. 99, sect. 4: „Quare nee rationes ipsae, quibus utitur S. Doctor ad eas veritatis probandas, sunt plane demonstrativae seorsim a doctrina fidei, qua ipse instruetos supponit et vult lectores huius opusculi. . . . Si quae igitur habent vim demonstrationum, certe illam habent, quatenus supponunt veritatem revelatam a Deo, ex qua manuducitur intellectus fidelis ad exquirendum discursu ac subsidio naturalis rationis veritatem aut nonrepugnantiam mysterii crediti." Eingehend behandelt derselbe die Stellung der Vernunft zum Trinitätsgeheimnis in disp. 8 u. 9 (I 171—208), wobei er auf die sachliche diesbezügliche Konkordanz zwischen Augustin, Anselm und Thomas aufmerksam macht.
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darauf aufmerksam gemacht, daß diese rationes den Glauben an die Trinität voraussetzen, unter Voraussetzung der Offenbarungslehre die Wahrheit und innere Widerspruchslosigkeit des Trinitätsgeheimnisses durch spekulative Erwägungen darzutun versuchen, daß also diese rationes necessariae in keiner Weise die Bedeutung einer von der Glaubenslehre unabhängigen, demonstrativen Beweisführung beanspruchen. Die späteren Scholastiker, ein Alexander von Haies, Albert d. Gr., Bonaventura, Thomas von Aquin, Richard von Mediavilla usw.x, haben bei der Verhandlung über die Stellung der Vernunft zum Trinitätsdogma keinerlei Veranlassung genommen, sich mit Anselm auseinanderzusetzen, ein Zeichen dafür, daß sie mit den Anschauungen des Vaters der Scholastik prinzipiell einverstanden waren. Selbst Richard von St Viktor2, der in vordringlicherer Weise als Anselm seine rationes necessariae in der Trinitätslehre zur Geltung bringt, hat sich von der Linie der traditionellen, über das Verhältnis von Vernunft und Mysterium korrekt denkenden Theologie nicht entfernt. Einen freilich etwas andern Sinn hat die zu einer Zeit, da durch die großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts die Stelle der Vernunft in der Ergründung und Darlegung der christlichen Geheimnisse scharf umschrieben war, durch Raimundus Lullus versuchte „Probatio articulorum fidei per necessarias rationes". Und selbst über die Inkorrektheit der diesbezüglichen Anschauungen Lullus' ist noch nicht die geschichtliche Forschung zu einem abschließenden Resultat gekommen3. Die neueren Dogmatiker, die sich mit Anselms Trinitätslehre eingehender befaßt haben, sehen fast alle hier keinerlei Überspannung der Vernunft auf Kosten des Glaubens, keinerlei rationalistische Ten1
A l e x . Hai., S. th. 1, q. 2, m. 2, a. 3. Bonav., Sent. I, d. 3, p. 1, a. 1, q. 4. A l b e r t u s M., Sent. I, d. 3, a. 18. S. T h o m a s , S. th. 1, q. 32, a. 1. Rieh, de M e d i a v i l l a , Sent. I, d. 3, a. 2, q. 2. Vgl. die zusammenfassende Darstellung bei D i o n y s . C a r t h u s i a n u s , Sent. I, d. 3, q. 4. 2 De Trinitate 1. 1, c. 4 (M., P. L. CXCVI 892). Vgl. P o h l e , Lehrbuch der Dogmatik I 2 321. 3 Es kommt hier besonders die von Raimundus Lullus 1296 verfaßte und mit einer Widmung an Bonifaz VIII. eingeleitete Schrift „Probatio articulorum fidei per necessarias rationes * in Betracht. Eine Handschrift hiervon enthält Cod. Vatic. Lat. 1054, s. 14, fol. 1—14 mit der von späterer Hand stammenden Aufschrift: „Raimundi traetatus ad Bonifacium VIII, quod fides catholica potest probari per necessarias raciones." Auch Cod. 81 der Handschriftensammlung zu Cues enthält fol. 72r—82 v dieses Schriftchen Lullus'.
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Anselm von Canterbury, der Vater der Scholastik.
denzen. So bemerkt der in seinen historischen Urteilen sehr beachtenswerte Tübinger Dogmatiker Kuhn 1 , daß Anselm eine rein aprioristische Deduktion, d. h. eine Ableitung des positiven Inhalts aus der bloßen Vernunft, weder beabsichtigt noch viel weniger liefert. L. J a n s s e n s 2 , ein bedeutender Anseimus- und Thomaskenner, kommt bei seiner Analyse und Bewertung der betreffenden Texte des „Monologiums" zu dem Ergebnis, daß Anselm an den Stellen, an denen er scheinbar der Vernunft einen zu großen Spielraum zuerkennt, nicht die auf sich selbst gestellte, sondern die durch den Glauben gestützte Vernunft im Auge hat. Die rationes necessariae Anselms sind im wesentlichen nichts anderes als die auch vom hl. Thomas angenommenen rationes, welche, Trinitate posita, die Konsequenz und Kongruenz der im Glauben erkannten und festgehaltenen Wahrheiten dartun wollen3. Auch die Spekulation des hl. Anselm über die Inkarnationslehre, wie er sie in seiner Schrift „Cur Deus homo" in so scharfsinniger Weise entfaltet, hat außer einer metaphysisch-dialektischen Grundlage auch spezifisch dogmatische Voraussetzungen, vor allem die Unwandelbarkeit des ursprünglichen, durch die Sünde nicht umzuwerfenden , göttlichen Beseligungsdekretes. Die Spekulation des hl. Anselm ist im Boden der übernatürlichen Offenbarung festgeankert 4. Außer diesen Erwägungen gibt es noch eine Reihe von Gründen, welche entschieden von Anselms Theologie jeden Verdacht und Vorwurf des Rationalismus abwenden. Zugleich verbreiten diese Gründe — und dies ist die Ursache, weswegen wir dieselben näher ins Auge 1
Katholische Dogmatik I 239—244. Summa Theologica, ßd III: De Deo Trino, 414. F r a n z e l i n (De Deo trino 2 321) beurteilt Anselms rationes necessariae also: „At haec non est demonstratio Trinitatis ex solo lumine rationis, sed est theologica deductio ex veritate revelata eiusdemque veritatis analogica aliqua paulo distinctior intellectio ex analogia Spiritus creati." Vgl. S c h w a n e , Dogmengeschichte III 149ff; A. v. Schmid, Apologetik 144; V a n N o o r t , Tractatus de Deo uno et trino, Amstelodami 1907, 202; K l e u t g e n , De Deo ipso, Ratisb. 1881, 577. Eine sehr treffende Beurteilung Anselms gibt S c h e e b e n , Mysterien des Christentums 739 ff. 3 S. th. 1, q. 32, a. 1, ad 2M. 4 Eine eingehende Untersuchung über Anselms Absicht bei Abfassung seiner Schrift „Cur Deus homo", über die dialektisch-metaphysische Grundlage und über die dogmatischen Voraussetzungen dieses Buches und damit den Schlüssel zu einer richtigen Beurteilung derselben gibt F u n k e , Satisfaktionstheorie des hl. Anvon Canterbury 122—166. 2
Analyse der wissenschaftlichen Methode Anselms.
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fassen — Licht über Sinn und Bedeutung des anselmianischen Axioms: „Credo, ut intelligam". d) Vor allem erklärt Anselm selbst, daß er nichts behaupten wolle, was sich nicht durch die Heilige Schrift und die Schriften der Väter verteidigen lasse. Bezüglich seiner Trinitätslehre, wie er sie im „Monologium" aufgebaut und gegliedert, hat er sich in einem Briefe an seinen Lehrer Lanfrank ausdrücklich geäußert. Er will diese seine Schrift nur in innigster Anlehnung an Augustinus verstanden, gleichsam als den einfachsten, kürzesten Ausdruck der augustinischen Lehre aufgefaßt und gewürdigt wissen1. Bezüglich seiner Inkarnationslehre erklärt Anselm am Anfang seiner Schrift „Cur Deus homo", daß er seine Darlegungen in folgendem Sinne verstanden wissen wolle: „Wenn ich etwas sage, was eine höhere Autorität nicht bestätigt, so soll das, mag ich es auch mit Vernunftgründen erhärten, doch mit keiner andern Gewißheit angenommen werden, als daß es eben vorderhand meine persönliche Anschauung sei, bis mir Gott auf irgend eine Weise Besseres zeigt."2 ß) Fernerhin ist Anselm von der Unbegreiflichkeit und Unerfaßbarkeit der höchsten Geheimnisse überzeugt. Er hat dieser seiner Überzeugung bezüglich des Trinitätsgeheimnisses im 64. und 65. Kapitel seines „Monologium" unverhohlen Ausdruck verliehen und die ineffabilitas dieses Mysteriums betont mit Berufung auf die Isaiasstelle: „Generationem eius quis enarrabit" (Is 53, 8). Auch bezüglich des Inkarnationsdogmas hat er nachdrucksam die durch keine Spekulation ergründbare Tiefe dieses Geheimnisses hervorgehoben3. 1
„Nam haec fuit mea intentio per totam illam qualemcumque disputationem, ut omnino nihil ibi assererem, nisi quod aut canonicis aut beati Augustini dictis incunctanter posse defendi viderem: et nunc quotiescunque ea quae dixi retracto nihil aliud me asseruisse percipere possum. . . . Ea enim ipsa sie beatus Augustinus in libro de Trinitate suis magnis probationibus probat, ut eadem quasi mea breviori ratiocinatione inveniens, eius confisus auetoritate dicerem: ,Quod dico, non aliquid eorum quae dixi apud nos defendendo; sed ea me non a me praesumpsisse, sed ab alio assumpsisse ostendendo'" (Ep. 1, 68; M., P. L. CLVII1 1139). 2 „Tentabo pro mea possibilitate . . . quod quaeritis non tarn ostendere quam tecum quaerere; sed eo pacto, quo omnia, quae dico, aeeipi volo: videlicet ut si quid dixero quod maior non confirmet auetoritas, quam vis illud ratione probare videar, non alia certitudine aeeipiatur, nisi quia interim mihi ita videtur, donec mihi Deus melius aliquo modo revelet" (Cur Deus homo 1, 2; M., P. L. CLVIII 363). Denselben Gedanken fast mit demselben Wortlaut spricht Anselm auch in seinem „Monologium" c. 1 aus (M., P. L. CLVIII 145). 3 „Sciendum est, quidquid homo inde dicere vel scire possit, altiores tantae rei adhuc latere rationes" (Cur Deus homo 1, 2; M., P. L. CLVIII 364).
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Anselm von Canterbury, der Vater der Scholastik.
y) Außerdem ist der Leserkreis, an den die Schriften des hl. Anselm sich richten, ins Auge zu fassen. Seine Schriften wenden sich an Mönche, welche durch seine Darlegungen nicht erst zur christlichen Überzeugung kommen wollen, sondern welche tiefer in den von ihnen freudig festgehaltenen Glaubensinhalt eingeführt werden wollen, welche an seiner spekulativen Entwicklung des Offenbarungsinhalts sich erfreuen und erbauen möchten. Er hat diese Stimmung seines Leserkreises klar im ersten Kapitel des ersten Buches seines „Cur Deus homo" also ausgesprochen: „Die Mönche haben mich um Abfassung dieser Schrift gebeten, nicht damit sie durch die Vernunft zum Glauben gelangen, sondern damit sie durch das Verständnis und die Betrachtung dessen, was sie glauben, erfreut würden und auch soviel als möglich gerüstet seien, jedem, der Rechenschaft fordert vom Gegenstand unseres Hoffens, Rede zu stehen." l Die Schrift „Cur Deus homo" ist, wie F u n k e 2 überzeugend dargetan hat, keine Streitschrift gegen die Ungläubigen. Freilich hat Anselm dabei auch ein apologetisches Interesse, jedoch nicht in primärer und ausschließlicher Weise. Er will zunächst seinen Schülern, glaubensfreudigen Mönchen, durch rationelle Begründung des geoffenbarten Christus in seinem Sein und Werk einen Gegenstand der Betrachtung und des spekulativen Nachdenkens darbieten und ihnen dadurch Freude bereiten. Als Nebenzweck hat er dabei auch die apologetische Schulung seiner Leser im Auge. 3) Zur Beurteilung von Anselms Methode und methodischem Leitgedanken „credo, ut intelligam" ist auch die Natur dieses intellectus, dieser ratio fidei, dieser rationellen Einsicht in den Glaubensinhalt ins Auge zu fassen. Vor allem dürfen wir diesen intellectus, diese ratio fidei nicht als eine den Erkenntnisgegenstand adäquat erkennende, aus seinen Ursachen erschöpfende Verstandestätigkeit auffassen. Der später vom hl. Thomas adoptierte und entwickelte, aristotelische Wissensbegriff darf auf diesen intellectus fidei nicht angewendet werden. Dieser intellectus fidei, dieses intelligere besagt 1 „Saepissime et studiosissime a raultis rogatus sum et verbis et litteris, quatenus cuiusdam quaestionis de fide nostra rationes, quas soleo respondere quaerentibus, memoriae scribendo commendarem: dicunt enim sibi placere eas et arbitrantur satisfacere. Quod petunt, non ut per rationem ad fidem accedant, sed ut eorum, quae dicunt intellectu et contemplatione delectentur, et ut sint quantum possunt parati semper ad satisfactionem omni poscenti se rationem de ea, quae in nobis est, spe" (Cur Deus homo 1, 2; M., P. L. CLVIII 361). 2 Satisfaktionstheorie des hl. Anselm von Canterbury 133.
Analyse der wissenschaftlichen Methode Anselms.
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eben nur eine Einsicht in das Inhaltliche der Offenbarungslehre, soweit sie in diesem Erdenzustande erreichbar ist. Ein den Geheimnischarakter der Offenbarungslehre zerstörendes Wissen oder gar Begreifen ist dieser intellectus fidei keineswegs. Die gläubige Vernunft will nicht bloß gleichsam an der Außenseite, am Äußeren der Glaubenswahrheit haften bleiben, sie will auch einigermaßen in das Innere, in die inneren Zusammenhänge der Heilswahrheit vordringen, sie will über das durch den Glauben verbürgte Daß auch in etwas zum Verständnis des W a s und Wie der über den Menschengeist erhabenen und denselben zugleich erhebenden übernatürlichen Wahrheiten emporsteigen. Es ist hierbei wohl zu beachten, daß dieser intellectus fidei keineswegs eine mit bloß natürlichen Mitteln erlangte Einsicht ist, sondern vielmehr unter dem Einfluß übernatürlicher Gnadenwirkung entsteht. Die Vernunft ist hier nicht lediglich auf ihre natürliche Spannkraft und Tragweite angewiesen, sie ist über ihr natürliches Vermögen erhoben durch Gnade und Glauben. Der Glaube verleiht dem Geiste die Schwingen zum Höhenfluge der Betrachtung himmlischer Geheimnisse1. Aus diesen Gründen, die zugleich den Sinn und die Bedeutung des anselmianischen „credo, ut intelligam" näher aufhellen, ergibt sich ganz klar, daß die Spekulation des hl. Anselm von jeder Form des Rationalismus entfernt ist. Anselm von Canterbury hat durch die Art und Weise, wie er das Verhältnis von Glauben und Wissen theoretisch fixiert und wie er praktisch seinen scharfblickenden Denkergeist in der Begründung und Ergründung der Offenbarungswahrheit gezeigt hat, dasselbe getan und geleistet, was ein Klemens von Alexandrien und Origenes 1
A b r o e l l , S. Anseimus Cantuariensis de mutuo fidei ac rationis consortio 82: „Fides animo alas praebet, ut volatum sublimem ad coelestia peragat; fides scala quaedam est, qua ad contemplanda revelationis mysteria ascenditur. . . . Intellectus iste, de quo loquimur, a fide, quae est virtus infusa, theologica, nullo modo divelli aut separari potest." Ähnlich äußert sich auch Th. H e i t z , La Philosophie et 1a Foi chez les mystiques du XI e siecle, in Revue des sciences Philosoph, et theol. II (1908) 534: „Appuye'e sur 1a foi et les vertues morales, nourrie par 1e travail the"ologique, 1a raison atteint, des cette vie, ä l ' i n t e l l i g e n c e des ve>ites öternelles. Ici l ' i n t e l l i g e n c e ne designe pas l'absolue evidence du philosophe, mais plutöt 1a foi du croyant, qui, de simple et nai've qu'elle etait au seuil des recherches scientifiques, s'est enrichie des conclusions the'ologiques qui sont comme des illuminations, des revelations supplömentaires, si Ton peu ainsi parier, descendues d'en haut pendant 1a möditation des divins mysteres. Tel est, ce nous semble, 1e sens de 1a formule ,credo, ut intelligam'."
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begonnen und was namentlich Augustinus in vorbildlicher Weise verwirklicht hat 1 . Die mannigfachen Ansätze und Elemente der scholastischen Methode in der Patristik haben in Anselm sich zu lebensvoller Einheit zusammengefügt. Anselms Arbeitsprogramm: „Fides quaerens intellectum; credo, ut intelligam" ist nach rückwärts die Zusammenfassung der patristischen, vornehmlich augustinischen Theologie und theologischen Arbeitsmethode und ist zugleich nach vorwärts der methodische Grundgedanke der Früh- und Hochscholastik. Anselm ist der Vorläufer des hl. Thomas gewesen, der, mit einem viel reicheren, philosophischen Apparat ausgerüstet, das anselmianische „credo, ut intelligam" verwirklichen konnte. Saenz d'Aguirre bemerkt mit Recht: „Quare Anseimus id ipsum fere praestitit, quod centum quinquaginta post ipsum annis uberius executus fuit D. Thomas : qui in prima parte suae Theologicae Summae et in libris contra Gentes atque alibi saepe, rationibus explicare et probare utcumque nititur ea ipsa, quae supponuntur a christianis credita per fidem: ut qui prius crediderant, postea intelligant sive sciant.u 2 II. Die M i t t e l und Wege zur V e r w i r k l i c h u n g „credo, ut i n t e l l i g a m " .
des
Nachdem wir über Inhalt und Tragweite von Anselms „credo, ut intelligam" klar geworden sind, müssen wir auf die Mittel eingehen, mit denen er diesen intellectus fidei zu erreichen suchte. Diese Mittel sind hauptsächlich folgende : a) S p e k u l a t i v e Vertiefung in die A n a l o g i e n des Ü b e r n a t ü r l i c h e n auf n a t ü r l i c h e m G e b i e t e ; b) E t h i s c h e R e i n h e i t und S e l b s t h e i l i g u n g ; c) A b l e h n u n g des N o m i n a l i s m u s ; d) Anwendung der D i a l e k t i k und M e t a p h y s i k . a) Anselm schafft sich nach augustinischem Vorbild einen erkenntnistheoretisch sichern Weg zur Erforschung des Übernatürlichen, indem er in die mannigfachen Analogien, die das Übervernünftige im Bereiche des Geschöpflichen hat, sich vertieft. Vernehmen wir hierüber seine methodischen Grundsätze, wie er sie speziell rück1
Vgl. C a p p e n b e r g , De Fidei et Scientiae christianae ratione mutua secundum Patrum Alexandrinorum, S. Augustini et scholasticorum sententias, Monasterii 1844. 2 S a e n z d ' A g u i r r e , Theologia S. Anselmi I 67, disp. 1, sect. 8.
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sichtlich der Trinitätslehre entwickelt. Wenn auch Gottes Wesen in seiner Eigennatur unaussprechlich ist, so kann man doch über Gott in der Weise nachdenken und sich ausdrücken, daß diese Spekulation und Disputation Wahrheitsinhalt besitzt. Wir reden ja auch über vieles, was wir nicht in seinem eigensten Wesen benennen, sondern durch etwas anderes bildweise bezeichnen, und wir vermeinen, damit auch Wahrheit auszudrücken. In ähnlicher Weise können wir auch durch Bilder, Gleichnisse usw. über Gottes höchstes Wesen uns ausdrücken, ohne daß hierdurch die Unbegreiflichkeit Gottes in Frage gestellt und die Wahrheit unserer Ausdrucksweise beeinträchtigt wird. Gottes Natur ist also unaussprechlich, Gott kann, so wie er in sich ist, nicht durch Worte ausgedrückt werden. Zugleich ist das, was wir von Gott durch Bilder reden, keineswegs unrichtig. Wenn nun Gott durch Bilder, durch seine Geschöpfe erkannt wird, so wird dieses schöpferische Gotteswesen, dieses Vorbild alles Geschaffenen, um so tiefer und innerlicher erkannt, je näher das Bild, das Geschöpf, wodurch Gott erkannt wird, seinem Wesen steht. Nun ist aber unter der Fülle des Geschaffenen der vernunftbegabte Geist es allein, der zur Ergründung des Göttlichen sich zu erheben vermag. Zugleich aber ist der vernunftbegabte Geist durch seine Natur am meisten Gottes Ebenbild, steht Gott am nächsten. Es ergibt sich hieraus ganz klar, daß der vernünftige Geist zu einer um so intensiveren Gotteserkenntnis sich emporschwingt, je mehr er in sein eigenes Wesen sich versenkt, je mehr er sich verinnerlicht. Der Menschengeist ist sich selbst ein Spiegel, in welchem er das Bild desjenigen betrachtet, den er von Angesicht zu Angesicht nicht zu schauen vermag1. 1 „Sie ergo illa natura et ineffabilis est; quia per verba, sicuti est, nullatenus valet intimari; et falsum non est, si quid de illa, ratione docente, per aliud vel in aenigmate potest aestimari" (Monolog, c. 65; M., P. L. CLVIII 212). — „Procul dubio itaque tanto altius creatrix essentia cognoscitur, quanto per propinquiorem sibi creaturam indagatur. . . . Patet igitur quia sicut sola est mens rationalis inter omnes creaturas, quae ad eius investigationem assurgere valeat, ita nihilominus eadem sola est, per quam maxime ipsamet ad eius inventionem proficere valeat. Nam, iam cognitum est quia haec illi maxime per naturalis essentiae propinquat similitudinem. Quid igitur apertius, quam quia mens rationalis quanto studiosius ad se discendum intendit, tanto efficacius ad illius cognitionem ascendit; et quanto seipsam intueri negligit, tanto ab eius speculatione descendit?" (Ebd. c. 66; 212—213.) — „Aptissime igitur ipsa sibimet esse velut speculum dici potest, in quo speculetur, ut ita dicam, imaginem eius, quem facie ad faciem videre nequit" (ebd. c. 67; 213).
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Anselm von Canterbury hat zur Verdeutlichung des geheimnisvollen, innertrinitarischen, göttlichen Lebens die Vorgänge im Innern der Menschenseele benützt, er hat das trinitarische Bild in der Menschenseele in markanten Zügen gezeichnet und ist an der Hand dieser Analogie der Vorgänge im menschlichen Geiste zu einer tief spekulativen Betrachtung und Darlegung des Trinitätsmysteriums gelangt1. Anselms Darstellung und Verwertung der trinitarischen Signatur der Menschenseele ist wesentlich augustinisch2. K u h n 3 bemerkt mit Recht: „Die augustinische Nachweisung der göttlichen Trinität aus der Analogie des menschlichen Geistes hat durch Anselm von Canterbury eine schärfere Begrenzung und planmäßigere Ausführung erfahren." Diese Adaptierung und prägnante Formulierung der psychologischen Trinitätstheorie Augustins durch Anselm von Canterbury hat ohne Zweifel viel zur Verbreitung und Einbürgerung derselben in der Früh- und Hochscholastik beigetragen4. So haben die Sentenzenkommentare in Sent. 1, dist. 3 das Bild des dreieinigen Gottes in der Menschenseele zum Gegenstand eingehender Untersuchungen und zum Ausgangspunkt tiefsinniger, trinitarischer Spekulation gemacht. Thomas von Aquin steht in seiner diesbezüglichen Darstellung „prinzipiell auf demselben Boden mit Anselm"5. Diese Verwertung der Vorgänge des menschlichen Seelenlebens zur Verdeutlichung des Trinitätsmysteriums ist ein Typus des Verfahrens, die übervernünftigen Glaubenswahrheiten überhaupt durch geschöpfliehe Analogien unserem Denken näherzubringen. Es ist dieses Verfahren sowohl der Patristik wie der Scholastik eigen. Es gehen hier Origenes, Gregor von Nazianz und Gregor von Nyssa, 1
Vgl. Monolog, c. 33 (M., P. L. CLVIII 188). Ebd. c. 3 9 - 4 1 ; 192 ff. Aug., De Trinit. 1. 9, c. 12, n. 18. Vgl. ebd. 1. 14, c. 8, n. 11; ebd. 1. 15, c. 7, n. 11; De Civit. Dei 1. 11, c. 26. Sehr prägnant De Trinit. 1. 15, c. 6, n. 10: „Sie enim et in nomine invenimus trinitatem, id est mentem, et notitiam, qua se novit, et dilectionem, qua se diligit." Eine kurze Darstellung der augustinischen Trinitätslehre geben K u h n , Katholische Dogmatik II 596—602; S c h w a n e , Dogmengeschichte II: Patristische Zeit2 188—194; L o o f s , Leitfaden der Dogmengeschichte 364 ff; So ü b e n , Nouvelle Theologie dogmatique II, Paris 1903, 108—114. 3 A. a. 0. 602. 4 „Depuis 1e XIII e siecle, eile (1a theorie augustinienne) regne sans rivale dans l'enseignement de l'Ecole, et il n'est que juste de rappeler ici l'influence preponderante que les ecrits de saint Anselme ont exerce en sa faveur* (Soüben a. a. O. 114). 5 K u h n a. a. 0. Vgl. S. T h o m a s , S. c. Gent. 1, 11; S. th. l r q. 43, a. 6. 2
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Basilius und die beiden Cyrille, Hilarius und Augustinus dieselben Bahnen wie Anselm, die Viktoriner, Alexander von Haies, Bonaventura, Albert d. Gr. und Thomas von Aquin *. Es handelt sich hier um eine wesentliche Funktion der scholastischen Methode, um eine hervorragende Betätigung der tides quaerens intellectum, die ein Gemeingut der patristischen und scholastischen Spekulation bildet. Die Konvenienzgründe, die rationes theologicae der Scholastiker erweisen sich bei näherer, geschichtlicher Analyse meist als patristische Gedanken, wenn auch in den Zeiten der Hochscholastik aristotelische und arabische Ideen auf die Gestaltung der theologischen Vernunftbeweise erheblich eingewirkt haben. Um nur auf einige scholastische Erklärungen des Übernatürlichen durch natürliche Analogien hinzuweisen, so hat z. B. der hl. Thomas die übernatürliche Gnadenausstattung der Seele durch Hinweis auf das natürliche Kräftesystem der Seele, fernerhin die Notwendigkeit und Konvenienz der Sakramente durch den Parallelismus mit dem Entwicklungsgange und den Erfordernissen des natürlichen, individuellen wie sozialen Lebens dargetan. Anselm von Canterbury hat namentlich durch Exposition des Trinitätsdogmas unter Anlehnung an das menschliche Seelenleben sein Programm „fides quaerens intellectum" großzügig verwirklicht und der folgenden Früh- und auch Hochscholastik den Weg gezeigt, auf dem eine rationelle Einsicht in den Offenbarungsinhalt erreichbar ist. Anselm hat unter dem Einflüsse der Patristik, besonders Augustins, einer spekulativen Behandlung der Dogmen in der Scholastik Bahn gebrochen. Die von Anselm aus Augustinus entnommene Lehre, daß der Menschengeist Gottes Ebenbild sei, daß in den drei Grundkräften der einen Menschenseele sich die göttliche Trinität widerspiegle, hat nicht nur spekulativen Wert, indem sie den Weg zur Gotteserkenntnis weist, sie hat auch eine praktische, eine ethische und aszetische Bedeutung, indem gerade diese Lehre den Christen zur Einkehr in 1 Vgl. J a n s s e n s , De Deo trino 396 ff. Diese Kontinuität zwischen Scholastik und Patristik zeigt sich auch darin, daß die scholastische Theologie ihre Tiefe und Inhaltlichkeit solange wahrte, als sie in die patristischen Gedankengänge sich vertiefte, und daß die Scholastik den Schwerpunkt von der inhaltlichen Seite auf die formelle Seite verlegte und in übertriebene Dialektik und endlose Begriffsspalterei ausartete und damit auch dem Verfall entgegenging, sobald sie dem befruchtenden Einfluß großer Vätergedanken sich mehr und mehr entzog. D e n i f l e (Chartularium Univ. Paris. III ix) findet diese Tatsache auch bestätigt durch Abnehmen der Väterhandschriften in der Zeit des Verfalls und durch inhaltliche Sterilisierung der Scholastik.
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sich selbst und zur Ausgestaltung dieses Gottesbildes im eigenen Innern mahnt. Die vernünftige Kreatur soll ihr ganzes Können und Streben darauf hinrichten, daß sie an das höchste Gut, nach dessen Bild und für das sie geschaffen, sich erinnere, dasselbe erkenne und liebe1. Anselm steht mit dieser aszetisch-mystischen Verwertung der Lehre von der Gottesebenbildlichkeit der Menschenseele in inniger Fühlung mit Augustin, der zur Rückkehr in das eigene Herz, wo das Bild Gottes ist, mahnt. Desgleichen spricht hier Anselm einen Gedanken aus, den auch die Mystik des Mittelalters sich angeeignet hat. Scholastik und Mystik reichen sich hier bei Anselm die Hand. Die Verinnerlichung, das Betrachten des Gottesbildes im eigenen Herzen drängt und führt auch zur Selbstheiligung, zur ethischen Reinheit, dem zweiten Mittel, das zum intellectus fidei führt. b) E t h i s c h e R e i n h e i t und S e l b s t h e i l i g u n g . In scharf pointierter Weise betont Anselm im zweiten Kapitel seiner gegen Roscelin gerichteten Schrift „De fide Trinitatis"2 die Notwendigkeit einer entsprechenden ethischen Disposition für die Ergründung der Geheimnisse Gottes. Er will hier den Hochmut derjenigen zurückweisen, die in frivoler Leichtfertigkeit es wagen, gegen etwas, was der christliche Glaube lehrt, zu disputieren, weil sie es mit ihrem Verstande nicht fassen können und weil sie in ihrem Wissensdünkel meinen, nie und nimmer könne das existieren, was sie nicht begreifen, anstatt daß sie mit Demut und Weisheit bekennen, daß es vieles geben könne, was sie nicht zu begreifen vermögen3. Anselm stellt diesem verkehrten Verfahren gegenüber folgenden Grundsatz auf: „Kein Christ darf darüber disputieren, wie etwas, was die katholische Kirche innerlich glaubt und nach außen bekennt, n i c h t ist. Vielmehr soll der Christ diesen katholischen 1
Das 68. Kapitel des „Monologium" ist diesem Gedanken gewidmet. „Consequi itaque videtur quod rationalis creatura nihil tantum debet studere, quam hanc imaginem sibi per naturalem potentiam impressam, per voluntarium effectum exprimere. . . . Ciarum est ergo rationalem creaturam, totum suum posse et velle ad memorandum, et intelligendum, et amandum summum bonum impendere debere, ad quod ipsum esse suum se cognoscit habere" (M., P. L. CLVIII 211). 2 De fide Trinitatis et incarnatione Verbi contra blasphemias Ruzelini sive Roscelini c. 2 (M., P. L. CLVIII 263—265). 3 „Aliquid praemittam ad compescendam eorum praesumptionem qui nefanda temeritate audent disputare contra aliquid eorum, quae fides christiana confitetur, quoniam id intellectu capere nequeunt: et potius insipienti superbia iudicant nullatenus posse esse, quod nequeunt intelligere quam humili sapientia tateantur esse multa, quae ipsi non valeant comprehendere" (ebd. 263).
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Glauben, ohne zu zweifeln, festhalten, lieben und zur Lebensrichtschnur nehmen. Erst dann kann er demütigen Sinnes sich die Frage vorlegen, wie dieses Glaubensgeheimnis zu verstehen ist. Gewinnt er Einsicht in den Glaubensinhalt, so danke er Gott, gewinnt er eine solche Einsicht nicht, so beuge er in Demut sein Haupt und verehre das Geheimnis1. Anselm entwirft hierauf eine Schilderung von dem verkehrten Verfahren derjenigen, die in eitlem Wissensdünkel ohne die entsprechende sittliche Reife an die Erforschung des Göttlichen sich heranwagen. Es gibt manche, so führt er aus, die nicht wissen, daß jemand, der etwas zu wissen meint, noch nicht weiß, wie er es wissen muß, die aber trotzdem, bevor sie durch Glaubensfestigkeit und Glaubensüberzeugung die Fittiche erlangt, den Höhenflug zu den erhabensten und schwierigsten Fragen über die Glaubenswahrheiten wagen. Die Folge davon ist, daß sie, während sie zu den Höhen der Wahrheit mit ihrer natürlichen Geisteskraft, ohne dem Wort der Schrift gemäß (Is 7, 9) die Leiter des Glaubens zu benützen, sich zu erheben suchen, durch das Versagen ihrer Denkenergie in den Abgrund mannigfacher Irrtümer herabgeschleudert werden. Es ist offensichtliche Tatsache, daß jene nicht die Festigkeit des Glaubens besitzen, welche deshalb, weil sie den Glaubensinhalt nicht einsehen, gegen die von den heiligen Vätern erhärtete Glaubenswahrheit disputieren. Es nimmt sich das gerade so aus, als wenn die Fledermäuse und Nachteulen, die nur zur Nachtzeit den Himmel sehen, mit dem Adler, dessen scharfer Blick in die Sonne schaut, einen Disput über die Natur der Mittagssonnenstrahlen anfangen würden 2. 1
„Nullus quippe Christianus debet disputare, quomodo quod Ecclesia cathelica corde credit et ore confitetur, nonsit; sed semper eamdem fidem indubitanter tenendo, amando et seeundum illam vivendo, humiliter quantum potest quaerere rationein, quomodo sit. Si potest intelligere, Deo gratias agat; si non potest, non immittat cornua ad ventilandum, sed submittat caput ad venerandum" (ebd.). 2 „Solent enim quidam, cum coeperint quasi cornua confidentis sibi scientiae producere nescientes quod si quis existimat se scire aliquid, nondum cognovit quemadmodum oporteat eum scire, antequam habeant per soliditatem fidei alas spirituales, praesumendo in altissimas de fide quaestiones assurgere. Unde fit ut, dum ad 111a, quae prius fidei scalam exigunt, sicut scriptum est: ,Nisi credideritis, non intelligetis* (Is 7, 9), praepostere prius per intellectum conantur ascendere, multimodos errores per inteliectus defectum cogantur descendere. Palam namque, est quia illi non habent fidei firmitatem, qui, quoniam quod credunt intelligere non possunt, disputant contra eiusdem fidei a sanetis Patribus confirmatam veriGrabmann, Scholastische Methode. I.
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Diesem verkehrten Verfahren gegenüber stellt nun Anselm die Vorbedingungen zu einem richtigen Verständnis der Heilswahrheiten in folgender Weise fest: Vorerst ist das Herz durch den Glauben zu reinigen, sind die Augen des Geistes durch treue Beobachtung des göttlichen Gesetzes zu erleuchten. Vorerst müssen wir durch demütige Hinnahme der Zeugnisse Gottes Kinder werden, Kindessinn annehmen, auf daß wir Weisheit lernen gemäß dem Worte des Psalmisten: „Das Zeugnis des Herrn ist getreu und gibt Weisheit den Kleinen" (Ps 18, 8). Wir müssen zuerst das, was fleischlich ist, hintansetzen und nach dem Geiste leben, bevor wir die Tiefen des Glaubens erforschen und ergründen wTollen; denn „der sinnliche Mensch faßt nicht, was des Geistes Gottes ist; der Geistige aber beurteilt alles" (1 Kor 2, 14 15). Je getreuer \vir die Tugendvorschriften der Heiligen Schrift befolgen, eine desto erhabenere und tiefere Erkenntnis der in der Heiligen Schrift enthaltenen Geheimnisse dürfen wir erhoffen1. Die Notwendigkeit dieser ethischen Vorbedingungen zum intellectus fidei, zur Einsicht in den Glaubensinhalt begründet Anselm positiv also: Wer nicht glaubt, der wird diese Einsicht in die Offenbarungswahrheit nicht haben. Denn wer nicht glaubt, der wird diese Wahrheit nicht erleben, und wer sie nicht erlebt, wird sie auch nicht verstehen. Wie die eigene unmittelbare Erfahrung das bloße Hören von einer Sache weit überragt, so übertrifft auöh das Wissen der Erfahrung, des Erlebens weit ein nur durch Hören erlangtes Wissen2. Negativ erweist Anselm die Notwendigkeit dieser tatem; velut si vespertiliones et noctuae nonnisi in nocte coelum videntes, de meridianis solis radiis disceptent contra aquilas solem ipsum irreverberato visu, intuentes* (M., P. L. CLVIII 263—264). 1 „Prius ergo fide mundandum est cor, sicut dicitur deDeo: ,Fide mundans corda eorum' (Act 15, 9) et prius per praeceptorum Domini custodiam illuminandi sunt oculi, quia ,praeceptum Domini lucidum illuminans oculos' (Ps 18, 9); et prius per humilem obedientiam testimoniorum Dei debemus fieri parvuli, ut discamus sapientiam, quam dat Testimonium Domini fidele, sapientiam praestansparvulis* (Ps 18, 8). . . . Prius, inquam, ea quae carnis sunt postponentes, secundum spiritum vivamus quam profunda fidei diiudicando discutiamus . . . Verum enim est quia quanto opulentius nutrimur in Sacra Scriptura ex his quae per obedientiam pascunt, tanto sublimius provehimur ad ea, quae per intellectum satiant* (ebd. 264). 2 „Nimirum hoc ipsum quod dico, qui non crediderit, non intelliget. Nam qui non crediderit, non experietur; et qui exportus non fuerit, non intelliget. Nam quantum rei auditum superat experientia, tantum vincit audientis cognitionem, experientis scientia" (ebd.).
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ethischen Ausrüstung für eine segensvolle theologische Spekulation aus den Konsequenzen, die aus dem Mangel solch sittlich-religiöser Lebensauffassung sich ergeben. Es ist eine von eitlem Wissensdünkel geleitete, nicht von Glaubensinnigkeit und treuer Beobachtung der göttlichen Gebote beseelte Erforschung des Göttlichen verhängnisvoll, indem nicht bloß die höhere Erkenntnis verhindert und entzogen wird, sondern mitunter auch bei solcher Hintansetzung der Reinheit des Gewissens das Gut des Glaubens verloren geht1. Wie treu Anselm selbst diese ethischen Vorbedingungen, die Glaubensfreiidigkeit und Glaubensinnigkeit, die überzeugungsvolle Hingabe und Weihe seines ganzen Selbst an Gott und Gottes Gebote, diese edle, lautere Gesinnung in seinem eigenen wissenschaftlichen Arbeiten erfüllt hat, davon geben nicht bloß seine Homilien, Meditationen und Gebete, sondern auch seine streng wissenschaftlichen Werke Zeugnis. Anselms Spekulation atmet die Innigkeit tiefen, religiösen Empfindens, seine Gedankengänge haben die Eigenart des religiös Erlebten an sich2. So schließt er sein „Proslogium" mit einem inbrünstigen Gebete. Mit dieser religiösen Innerlichkeit und Innigkeit verbindet sich bei Anselm auch aufrichtige Demut, edle Bescheidenheit. Er ist sich der Grenzen des menschlichen Wissens wohl bewußt, er ist kein Freund von unnützen Subtilitäten, sein theologisches Forschen ist ein sapere ad sobrietatem. Er ist auch gerne bereit, Belehrung und Verbesserung anzunehmen. Belege hierfür sind die Schlußsätze seiner Schrift „Cur Deus homo" und seiner Verteidigungsschrift gegen Gaunilo3. 1 „Et non solum ad intelligendum altiora prohibetur mens ascendere sine fide et mandatorum Dei obedientia, sed etiam aliquando datus intellectus subtrahitur, et fides ipsa subvertitur, neglecta bona conscientia* (ebd.). 2 Sehr treffend schildert T r i c a l e t u s (Bibliotheca manualis ecclesiae Patrum VIII, Venetiis 1783, 85) diese Eigenart von Anselms Theologie: „Ex S. Anselmi scriptis et operibus manifeste elucet, ipsum peritum fuisse philosophum, acutum metaphysicum expertumque theologum. Lectores ex illorum lectione ediscere possunt viam solidam et exactam ratiocinandi et supra sensus se attollendo gustare veritates tantummodo intellectuales et obiecta fidei christianae. Sublimis est in suis cogitationibus, acutus et subtilis in ratiocinationibus, humilis tarnen et modestus in proponendis, quare sublimitatem scientiae cum virtutis splendore mire coniungit." 3 „Si quid diximus quod corrigendum sit; non renuo correctionem, si rationabiliter lit. Si autem testimonio veritatis roboratur quod nos rationabiliter invenisse existimamus, Deo, non nobis attribuere debemus, qui est benedictus in saecula. Amen" (Cur Deus homo 2, c. 20; M., P. L. CLVJII 432). — „Gratias ago benignitati tuae et in reprehensione et in laude oj)usculi mei. Cum enim ea, 19*
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Anselm steht in seiner nachdrücklichen Betonung der ethischen Reinheit und Selbstheiligung als Vorbedingung fruchtreicher, theologischer Spekulation auf augustinischem Boden1. Er hat damit zugleich auch der Früh- und Hochscholastik einen fundamentalen, methodischen Grundsatz an die Hand gegeben. Diejenigen Denker der Scholastik, welche ihre wissenschaftliche Lebensaufgabe unter diesem übernatürlichen ethischen Gesichtspunkte ins Auge faßten und mit Glaubensfreudigkeit, Seelenreinheit und Demut an die Ergründung der göttlichen Mysterien herantraten, waren zugleich auch die Repräsentanten eines inhaltlichen und methodischen Fortschrittes in der mittelalterlichen philosophischen und theologischen Spekulation. Übertriebene Dialektik und Sucht nach Subtilitäten liebten diese Denker nicht. Es tritt uns diese Hochhaltung des ethischen Momentes entgegen in den Schriften eines Rupert von Deutz und Bernhard von Clairvaux, eines Hugo und Richard von St Viktor, eines Wilhelm von Auxerre und Wilhelm von Auvergne, eines Alexander von Haies, Bonaventura und Matthäus von Aquasparta, eines Albertus Magnus und Thomas von Aquin. Der nähere geschichtliche Nachweis hierfürwird bei der Darstellung derEntwicklungsphasen der scholastischen Methode in der Früh- und Hochscholastik zu erbringen sein. Die Außerachtlassung dieses übernatürlich ethischen Motivs ging mit dem Überhandnehmen übertriebener Dialektik und endloser Streitigkeiten Hand in Hand und bereitete den Niedergang der Scholastik vor. Es ist deshalb begreiflich, wenn in den Zeiten, da die mittelalterliche Scholastik ihren Zenit bereits überschritten hat, die Klagen über die curiositas, über die Vorliebe der Theologen für Spitzfindigkeiten immer häufiger uns begegnen. Ein kräftiges Beispiel solch einer Klage ist der in der Pariser Nationalbibliothek handschriftlich erhaltene „Libellus de fide contra vanos curiosos philosophos" des Franziskaners S e r v u s D e i 2 . quae tibi digna susceptione videntur, tanta laude extulisti, satis apparet, quia quae tibi infirma visa sunt, benevolentia. non malevolentia reprehendisti" (Liber apolog. contra Gaunilonem c. 10; M., P. L. CLVIII 260). Belege von Anselms Bescheidenheit sind auch seine Briefe. Vgl. 1. 1, ep. 63 68; 1. 2, ep. 11 (M., P. L. CLVIII 1134 1138 1159). 1 S. A u g u s t i n u s , De Trinit. 1, c. 1, n. 3; ebd. 14, c. 1, n. 3. Sehr viele augustinische Belegstellen bei Z ä n k e r , Der Primat des Willens vor dem Intellekt bei Augustin. 2 Biblioth. nat. Nouv. acqu. lat. 259. Vgl. über diese Handschrift auch D e l i s l e , Melanges de Paleographie et de Bibliographie, Paris 1880, 489 ff.
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Anselm von Canterbury hat die Notwendigkeit ethischer Reinheit für die Gewinnung einer rationellen Einsicht in den Glaubensinhalt auch deshalb so nachdrücklich und eindringend betont, weil die übertriebenen. Dialektiker seiner Zeit, die Nominalisten, ohne diese ethische Ausrüstung an die Ergründung des Göttlichen herantraten. c. Ablehnung des Nominalismus. Anselm und Roscelin. In unmittelbarem Anschluß an die soeben entwickelten Äußerungen über die Notwendigkeit ethischer Reinheit für die theologische Spekulation nimmt Anselm im zweiten Kapitel seiner Schrift „De fide Trinitatis et incarnatione Verbi"x gegen den Nominalismus Roscelins in scharf ablehnender Weise Stellung. „Wenn schon alle zu mahnen sind", so führt er aus, „daß sie mit zartester Vorsicht an die Fragen der Heiligen Schrift herantreten, dann sind die Dialektiker unserer Zeit oder vielmehr die Häretiker der Dialektik, welche die universellen Substanzen bloß für leeren Wortschwall halten, welche in ihrem Denken die Farbe nicht vom Körper und die Weisheit nicht von der Seele trennen können, ganz und gar von der wissenschaftlichen Erörterung übernatürlicher Fragen fernzuhalten. Bei diesen übertriebenen Dialektikern ist die Vernunft, die doch alles im menschlichen Seelenleben beherrschen, richten und schlichten muß, so sehr in die sinnlichen Phantasievorstellungen hineingetaucht, so sehr von denselben beherrscht, verhüllt und verdunkelt, daß sie sich davon nicht loszumachen und das, was rein für sich von dem vernünftigen Denken betrachtet werden muß, aus diesen Phantasievorstellungen nicht herauszuheben vermag. Wer nämlich nicht einsieht, wie mehrere Menschen in der Spezies ein Mensch sein können, wie wird der bei der Betrachtung des erhabensten und unbegreiflichsten göttlichen Wesens nur einigermaßen erfassen können, wie drei Personen, von denen jede vollkommener Gott ist, ein Gott sind? Und wird derjenige, dessen Geist nicht das Pferd und die Farbe des Pferdes zu unterscheiden vermag zwischen dem einen Gott und der Mehrzahl von Relationen in Gott unterscheiden können ? Wer im Menschen nur das Individuum als etwas Reales erkennt, der wird notwendig unter einem Menschen immer nur die menschliche Person verstehen, denn 1
Über diese Streitschrift Anselms siehe E a d m e r , S. Anselmi Vita 1. 1, n. 10 (M., P. L. CLVIII 84); C e i l l i e r , Histoire generale des auteurs sacr^s et ecclesiastiques XIV 11; B a i n v e l , Artikel „Anselme" in Dictionnaire de th&>logie catholique I 1330 ff.
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jeder individuelle Mensch ist eine menschliche Person. Ein solcher wird nicht erfassen können, wie bei der Menschwerdung vom Sohne Gottes nicht eine menschliche Person, sondern die menschliche Natur angenommen wurde." 1 Nach dieser allgemeinen Konstatierung des Einflusses des Nominalismus auf die Trinitäts- und Inkarnationslehre erbringt er im weiteren Verlaufe seiner Streitschrift zunächst den Nachweis, daß die christliche Trinitätslehre keine Dreiheit von Göttern bedingt, daß in Gott zwar tres res personales sind, jedoch nur una res essentialis ist. In Bezug auf die Inkarnationslehre stellt er fest, daß aus der Wesenseinheit der drei göttlichen Personen keineswegs die Menschwerdung aller drei Personen sich ergeben müsse, und daß umgekehrt die Menschwerdung lediglich einer göttlichen Person keineswegs die Einheit der göttlichen Natur in den drei Personen aufhebe. Den tiefsten Grund hierfür, daß die Menschwerdung der einen göttlichen Person keineswegs eine Inkarnation der andern göttlichen Personen bei Voraussetzung der Natureinheit der göttlichen Personen zur Folge haben müsse, findet Anselm von Canterbury darin, daß die menschliche Natur mit der göttlichen nicht zu einer Natur, sondern zu einer Person in der Inkarnation sich vereinigt hat 2 . Auch in 1
Cumque omnes, ut cautissime ad sacrae paginae quaestiones accedant, sint commovendi: illi utique nostri temporis dialectici (immo dialectice haeretici, qui non nisi flatum vocis putant esse universales substantias, et qui colorem non aliud queunt intelligere quam corpus, nee sapientiam hominis aliud quam animam) prorsus a spiritualium quaestionum disputatione sunt exsufflandi. In eorum quippe animabus ratio, quae et prineeps et iudex omnium debet esse quae sunt in nomine, sie est in imaginationibus corporalibus obvoluta, ut ex eis se non possit evolvere nee ab ipsis ea, quae ipsa sola et pura contemplari debet, valeat discernere. Qui enim nondum intelligit quomodo plures homines in specie sint unus homo; qualiter in illa secretissima et altissima natura comprehendet quomodo plures personae, quarum singula quaeque est perfectus Deus, sint unus Deus? Et cuius mens obscura est ad discernendum inter equum suum et colorem eius, qualiter discernet inter unum Deum et plures relätiones eius? Denique qui non potest intelligere aliquid esse hominem nisi individuum nullatenus intelliget hominem nisi humanam personam. Omnis enim individuus homo persona est, Quomodo ergo iste intelliget hominem assumptum ssse a Verbo, non personam, id est aliam naturam, non aliam personam esse assumptam? (De fide Trinitatis c. 2; M., P. L. CLVIII 265.) 2 Während in Kapitel 3 in äußerst scharfsinniger und schlagfertiger Weise der Tritheismus Roscelins widerlegt ist, beginnt mit Kapitel 4 die kritische Analyse der mit dem Tritheismus Hand in Hand gehenden schiefen Vorstellungen seines Gegners auf dem Gebiete der Inkarnationslehre. Speziell das Kapitel 6 ist dem Nachweis „quomodo in Christo non sunt duae personae, sicut sunt duae naturae" gewidmet.
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seinen Briefen1 kommt Anselm auf Roseelins Lehre, daß in Gott entweder die drei Personen als drei voneinander getrennte Realitäten nach der Analogie von drei Engeln sich finden und nur eine moralische Einheit des Willens und der Macht bilden oder eine Inkarnation nicht bloß des Sohnes, sondern auch des Vaters und des Heiligen Geistes angenommen werden muß, nachdrucksam zu sprechen und verwahrt sich namentlich in einem Briefe an Falko2 gegen die Unterstellung, daß er (Anselm) selbst und sein Lehrer Lanfrank ähnliche irrige Theorien vertreten hätten. Bevor wir diese energische Stellungnahme gegen die mit dem Namen Roseelins von Compiegne in Verbindung stehenden, philosophischen und namentlich theologischen Anschauungen nach ihrer Bedeutung für Anselms Methode und für den Entwicklungsgang der scholastischen Methode überhaupt näher charakterisieren und würdigen können, müssen wir zuerst ein Wort sowohl über die Eigenart des von Anselm bekämpften Nominalismus wie auch über die Beschaffenheit des von ihm vertretenen Realismus reden. Wir müssen diese Voruntersuchungen über Anselms Standpunkt in der Universalienfrage um so mehr anstellen, als in der Beurteilung desselben vielfache Differenzen zu Tage getreten sind. Selbstverständlich kommt die Entwicklung der Universalienfrage hier nur insoweit für unsere Darlegungen in Betracht, als Anselms Auffassung, seine Methode und die scholastische Methode überhaupt hierdurch berührt und beeinflußt sind. Die im Verlaufe des 12. Jahrhunderts zu Tage getretenen Wandlungen und Richtungen des Universalienproblems kommen selbstverständlich hier noch nicht in Betracht. Das Interesse der mittelalterlichen Spekulation für die Universalienfrage, die im Grunde so alt ist als die Philosophie selbst und deren typische Lösungen, wenigstens der Hauptsache nach, in der antiken Philosophie vertreten sind, knüpft sich zu einem guten Teil an eine Stelle der schon der vorscholastischen Periode durch die Übersetzung des Boethius bekannten „Isagoge" des Porphyrius3. Dieser stellt die Frage, ob die Gat1
L. 2, ep. 35 41 51 (M., CLVIII 1187 1192 1206). L. 2, ep. 41. In diesem Briefe drückt er Roseelins Lehre kurz und prägnant also aus: „Audio (quod tarnen absque dubietate credere non possum) quia Roscelinus clericus dicit in Deo tres personas esse tres res ab invicem separatas, sicut sunt tres angeli, ita tarnen ut una sit voluntas et potestas: aut Patrem et Spiritum Sanctum esse incarnatum, et tres deos vere posse dici si usus adraitteret." 3 Über die nähere Entwicklung des Universalienproblems in der Vorscholastik siehe Darlegung, Quellen und Literatur bei Ü b e r w e g - H e i n z e . 2
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tungen und Arten wirklich existieren oder nur in leeren Vorstellungsbildern bestehen, ob sie, falls sie existierten, körperlich oder unkörperlich sind, und ob sie getrennt von den sinnfälligen Dingen oder in und an denselben ihr Dasein haben1. Boethius, der Übersetzer und Kommentator des Porphyrius und Aristoteles zugleich, hat durch die Zusammenfassung der Begriffe Gattung und Art nach ihrer logischen Seite unter dem Namen „universale" (der lateinischen Übertragung des1 aristotelischen XOMAOD) für die seit Cousin in ihrer Bedeutung für den Werdegang der scholastischen Spekulation vielfach überschätzte Universalienkontroverse die technische Benennung bereitgelegt. Boethius hat auch in der Erörterung seines zweiten Isagogekommentars zu den eben aufgeführten Fragen die Ansicht der aristotelischen Schule des späteren Altertums niedergelegt und damit eine aristotelisch-boethianische gemäßigte Richtung in der Universalienfrage eingeleitet. Diese aristotelisch-boethianische Richtung hat in der voranselmianischen Zeit hauptsächlich in den Kommentaren zur „Isagoge" des Porphyrius, so in dem Kommentar des sog. Jepa und in einem von Prantl fälschlich einem Schüler des Rhabanus zugeschriebenen, wahrscheinlich aber erst aus der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts stammenden Isagogekommentar eine Vertretung und teilweise auch eine Modifizierung erfahren 2. Außer dieser aristotelisch-boethianischen Richtung verschaffte sich in der Vorscholastik auf dem Gebiete der Universalienlehre eine platonistische Auffassung, die auf dem Piatonismus bzw. Neuplatonismus beruht, Geltung. Dieselbe tritt uns in einer extremen Form besonders bei Scotus Eriugena, in einer gemäßigten Form bei ReGrundriß der Geschichte der Philosophie II 9 170ff; De W u l f , Histoire de 1a Philosophie me'die'vale2 161—173; W i l l n e r , Des Adelard von Bath Traktat de eodem et diverso, Münster 1903, 51 ff; R e i n e r s , Der aristotelische Realismus in der Frühscholastik. Ein Beitrag zur Geschichte der Universalienfrage im Mittelalter, Aachen 1907. Trotz der umfassenden Literatur ist ein scharfes, befriedigendes Bild von dem wirklichen geschichtlichen Verlauf des Universalienstreites in der Vorscholastik und auch in der Frühscholastik noch nicht herausgearbeitet. Die Verdienste der für die Geschichtschreibung der Universalienfrage so einflußreichen französischen Forscher W. Cousin und B. Haure"au beruhen mehr auf der Edition von einschlägigen ungedruckten Texten wie auf der Beurteilung und richtigen Interpretation des gedruckten wie ungedruckten Materials. Vgl. B ä u m k e r , in Archiv für Geschichte der Philosophie X (1897) 133 f. 1 Über die Bedeutung des Porphyrius und des Boethius für die Universalienlehre siehe R e i n e r s a. a. 0. 5—13. 2 Ebd. 14 ff.
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inigius von Auxerre und Odo von Cluny entgegen *. Der Nominalismus begegnet uns in den Marginalnoten des Heiricus von Auxerre zu der pseudo-augustinischen Schrift „Categoriae"2. In dem von Haureau mitgeteilten Text Heiricus' finden sich Wendungen, die an die oben angeführten Mitteilungen Anselms über den Nominalismus Roscelins erinnern3. Der Nominalismus Roscelins hängt wohl mit den hyperdialektischen Tendenzen des 11. Jahrhunderts innig zusammen und scheint eine Abzweigung der aristotelisch-boethianischen Richtung in der Universalienlehre zu sein. Ob der Nominalismus Roscelins sein originelles Werk ist oder ob und inwieweit die Genesis des Nominalismus in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts mit Johannes Sophista als eventuellem Vorgänger Roscelins4 in Beziehung steht, darüber hier zu entscheiden ist wegen Mangels an Quellen — wir haben von Johannes Sophista gar kein literarisches Produkt und von Roscelin nur einen für diesen Zweck belanglosen Brief — nicht gut möglich und ist schließlich für die Charakteristik der Stellungnahme Anselms zu Roscelin auch nicht notwendig. Welches ist nun die Eigenart, das Wesen des von Anselm so energisch bekämpften Nominalismus Roscelins?5 Es bestehen hier1
W i l l n e r a. a. 0. 51. Ebd. 52. Ü b e r w e g - H e i n z e a. a. 0. 173. 3 H e i r i c u s von A u x e r r e : „Si quis dixerit album et nigrum absolute sine propria et certa substantia, in qua continetur, per hoc non poterit certam rem ostendere, nisi dicat albus homo vel equus aut niger" ( H a u r e a u , Hist. de 1a philos. scol. I 192). — A n s e l m : „Et cuius mens obscura est ad discernendum inter equum suum et colorem eius, qualiter discernet inter unum Deum et plnres relationes eius?" (De fide Trinit. c. 2; M., P. L. CLVII1 265.) 4 Vgl. C l e r v a l , Les ecoles de Chartres au moyen-äge 70 120. 5 Über Roscelin und Anselms Stellung zu demselben siehe Ü b e r w e g H e i n z e a. a. 0. 180—183. Außer der dortselbst angegebenen Literatur vgl. noch M i g n o n , Les origines de 1a scolastique et Hugues de Saint-Victor I, Paris 1895, 58; S c h w a n e , Dogmengeschichte der mittleren Zeit 152 ff; L o o f s , Leitfaden der Dogmengeschichte4 499 ff; H a r n a c k , Dogmengeschichte4 328; Lehrbuch der Dogmengeschichte III 3 336 A. 3 u. 468; De R e g n o n , Etudes positives sur 1a s. Trinite II 59—65; Dornet d e V o r g e s , Saint Anselme 141 bis 167; V a n W e d d i n g e n , Essai critique sur 1a philosophie da St Anselme de Canterbury 191—242; K a i s e r , Pierre Abelard Critique 211—214; S c h m i d l i n , Bischof Otto von Freising als Theologe, in Katholik 1905, 165; Die Philosophie Ottos von Freising, in Philos. Jahrbuch 1905, 316; Artikel „Roscelin" in RE. 3 XVII 137—143; A d l h o c h , Roscelin und St Anselm, in Philos. Jahrbuch 1907, 442—456; E. B o n a i u t i , Un Filosofo della contingenza nel secole XI Roscellino di Compiegne, in Revista storico-critica delle scienze teologiche 1908, 195—212. 2
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über verschiedene Deutungen und Anschauungen. So ist H a u c k 1 der Ansicht, daß Anselm die Theorie Roscelins karikiert hat, „wie wenn dieser eigentlich dem gröbsten Sensualismus gehuldigt und den allgemeinen Begriffen alle Bedeutung darum abgesprochen hätte, weil er sie nicht realistisch als Substanzen betrachtete, während die Ansicht Roscelins war, daß die allgemeinen Begriffe in Gedanken unserer Seele bestehen, diese Gedanken aber nicht zugleich etwas außer der Seele Subsistierendes bezeichnen. Das Positive zu diesem Negativen ist aber, daß nur das Individuellexistierende (was nicht nur ein Sinnliches sein muß) das Reale ist. Es ist daher als eine Verdrehung von Seiten Anselms zu bezeichnen, wenn er Roscelin vorwirft, er könne das Pferd nicht von der Farbe unterscheiden, während er doch nur meint, die Farbe existiere nicht für sich als Substanz, sondern nur als Eigenschaft eines Pferdes und sei für sich nur ein Begriff; ebenso ist es eine Verdrehung des Sachverhaltes, daß Roscelin nicht begreifen könne, wie mehrere Menschen in specie unus homo seien, da Roscelin nur leugnet, daß diese species mehr sei als eine Abstraktion. Den Ausdruck flatus vocis hat Roscelin offenbar nur gewählt, um den Gegensatz gegen den so unvermittelten Realismus Anselms recht schroff bis zum Schein des Paradoxen zu bezeichnen." Wenn man diese Darlegungen Haucks liest, gewinnt man unmittelbar den Eindruck, als seien wir über die Lehre Roscelins auf das beste, etwa aus eigenen Schriften desselben, unterrichtet und seien so in den Stand gesetzt, den Kontrast zwischen dem wirklichen echten Roscelin und zwischen dem von Anselm entstellten, karikierten und verdrehten Roscelin haarscharf, gleichsam aktenmäßig nachzuweisen. Indessen kennen wir die Lehre Roscelins gerade fast ausschließlich aus dem Bericht und der Kritik Anselms. Die Charakteristik, die Abälard in einem Briefe von dem Pseudo-Dialecticus Roscelin entwirft, lehnt Hauck ebenfalls als unbefugte Konsequenzmacherei ab. Wie kann nun Hauck mit solcher Bestimmtheit einen Gegensatz zwischen der angeblichen wirklichen Lehre Roscelins und zwischen der Darlegung derselben von Seiten Anselms behaupten? Wie kann er den der Hauptsache nach übereinstimmenden und zudem voneinander unabhängigen Berichten Anselms und Abälards über Roscelins Lehre in Bausch und Bogen den Vorwurf der Verdrehung und Entstellung machen? Hauck kann dies nur auf dem Wege einer Fiktion bewerkstelligen, indem er kurzerhand die Lehre Roscelins (Landerer f) Artikel „Roscelin' in RE.3 XVII 141 f.
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als Konzeptualismus etwa im Sinne des Petrus Aureolus oder des O k k a m 1 auffaßt und an diesem Maßstabe die Darstellung Anselms bemißt. Nur im Lichte einer solchen freilich recht willkürlichen Fiktion lassen sich die oben angegebenen Ausführungen Haucks über die verschiedenen Verdrehungen Anselms begreifen. Eigentümlich nimmt sich die Bemerkung aus, Roscelin habe den Ausdruck flatus vocis gewählt, um den Gegensatz gegen den so unvermittelten Realismus Anselms recht schroff zu bezeichnen. Der Realismus Anselms ist wahrlich kein unvermitteltes und zum Widerspruch anreizendes Element. Da wir Roscelins Lehre fast nur durch Anselm kennen und da eine Gegenüberstellung des wirklichen und des durch Anselm geschilderten Roscelin nicht möglich ist, so gibt es für Hauck nur einen Weg, auf dem eine Entstellung der Lehre Roscelins von Seiten Anselms eventuell mit Grund behauptet wTerden könnte, nämlich den aus den Worten Anselms selbst geschöpften Nachweis der Voreingenommenheit und Tendenz. Wenn aber dieser auch energisch Roscelins Doktrin als glaubensgefährlichen Irrtum zurückweist, so verraten seine Worte keinerlei Entstellungssucht, keinerlei wahrheitswidrige Tendenz. Außerdem wäre ein solches Verfahren mit dem Charakter, mit der durch und durch lautern und edeln Denkungsart Anselms nicht wohl vereinbar. Ferner ist wohl zu beachten, daß Roscelin sich nirgends über eine falsche Deutung seiner Lehre von seiten seines großen Gegners beschwert. In seinem Briefe an Abäl a r d 2 , dem einzigen uns bekannten Schriftstück Roscelins, kommt dieser auf Anselm in der ehrendsten Weise zu sprechen und beklagt sich mit keiner Silbe einer etwaigen Verdrehung seiner Anschauungen durch denselben. Übrigens ist Haucks Behauptung, daß Anselm die Universalienlehre Roscelins entstellt habe, von Haureau inspiriert3. So sehr auch die rastlose Arbeit Haureaus in der Veröffentlichung bisher 1
Eine quellenmäßige Darstellung von Okkams Konzeptualismus siehe bei S t ö c k l - W o h l m u t h , Lehrbuch der Logik, Mainz 1905, 332 ff. 2 Veröffentlicht aus Clm. 4643 von J. A. S c h m e 11 e r in den Abhandlungen der philos.-philol. Klasse der kgl. bayrischen Akademie der Wissenschaften V 3 (1851), 189 ff. Die lobende Erwähnung Anselms lautet: „Sed de domino Anselmo archiepiscopo, quem et vitae sanctitas honorat et doctrinae singularitas ultra communem hominum mensuram extollit, quid dicam?" 8 H a u c k verweist auch auf H a u r ö a u , Hist. de 1a philosophie scolastique I 178 181 185.
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ungedruckter wertvoller Texte den Dank und die Anerkennung des Literarhistorikers der Scholastik verdient, so vorsichtig muß mitunter seine philosophische Würdigung und Klassifizierung der Texte entgegengenommen werden. So ist Haureau gerade in Bezug auf Roscelin das Versehen unterlaufen, daß er dessen Tritheismus als Sabellianismus bezeichnet1, und daß er einen handschriftlich erhaltenen Traktat „Sententia de universalibus secundum magistrum R." als eine Arbeit Roscelins ansieht, obgleich ein richtiges Verständnis des Inhalts dieses Traktates eine derartige Zueignung an Roscelin verbietet2. Während nun Hauck in dem Bericht des hl. Anselm über Roscelins Universalienlehre eine Karikatur, eine Verdrehung der wirklichen Doktrin desselben sieht, finden andere Autoren in der von Anselm vorgetragenen und kritisierten Lehre Roscelins keinen eigentlichen Nominalismus Roscelins, ja überhaupt keine wirkliche und ernsthafte Behandlung der Universalienfrage. So bezeichnet de Wulf 3 diesen angeblichen Nominalismus Roscelins als pseudo-nominalisme, da derselbe das, was wir heutzutage unter Nominalismus verstehen, nicht gelehrt habe. Der wirkliche Standpunkt Roscelins könne füglicher mit der negativen und relativen Bezeichnung Antirealismus eingeschätzt werden. Adlhoch 4 scheint wenigstens am Eingang seiner Untersuchung über das Verhältnis zwischen Roscelin und Anselm das Universalienproblem, ja überhaupt philosophische Fragen aus der zwischen diesen beiden Männern stattgehabten Kontroverse ausscheiden zu wollen: „Abgesehen davon, daß unser Begriff Nominalismus keineswegs identisch ist mit der Roscelinschen Lehre vom flatus vocis, scheinen Anselm und Roscelin selber von einem derartigen Streithandel so viel wie nichts zu wissen! Eher könnte man den Gegenstand der Auseinandersetzung im Verhältnis von persona und substantia singularis suchen, weil damit Roscelins dialektische Abirrung auf das Trinitätsdogma bequemer einleuchtete, was vom flatus vocis aus immerhin ein Problem für sich bleibt. Allein die Gleich1
Ü b e r w e g - H e i n z e , Grundriß der Geschichte der Philosophie II 9 184. Tgl. B ä u m k e r in Archiv für Geschichte der Philosophie X (1897) 134; W i l l n e r , Adelard von Bath 64. 3 Hist. de 1a philos. me'dievale2 172: „Le n o m i n a l i s m e de Roscelin est un p s e u d o - n o m i n a l i s m e , si on prend ce mot dans 1e sens precis qu'ii recoit aujourd'hui. Ou plutöt les sources anciennes qui s'en servent l'entendent dans 1e sens negatif et relatif d'antirealisme." 4 Roscelin und Sfc Anselm, in Philos. Jahrbuch 1907, 443 ff. 2
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Setzung von Einzelsubstanz—Person ist kein Nommalismus, sondern naturalistischer Empirismus gegenüber den ungleich höheren Tatsachen der Übernatur. Der hl. Anselm schreibt zwar ein Buch gegen Roscelin: ,De fide Trinitatis contra blasphemias Roscelini'. Allein schon der bloße Titel charakterisiert die Auseinandersetzung als wesentlich theologische." Adlhoch kann sich ebensowenig wie Pic a v e t 1 erklären, wie die Lehre vom flatus vocis wirklich ihrer Natur nach zur trinitarischen Irrung führen mußte. Ist nun wirklich die von Anselm in kurzen, aber scharfen Strichen gezeichnete Lehre Roscelins kein Nominalismus, ist in den Darlegungen Anselms wirklich die Universalienfrage gar nicht behandelt, und falls sie wirklich ins Auge gefaßt ist, ist sie dann als für die Trinitätslehre belanglos aufgefaßt? Was die erste dieser durch die soeben vernommenen Aufstellungen de Wulfs, Adlhochs und Picavets nahegelegten Fragen betrifft, so muß der von Anselm charakterisierten Roscelinschen Lehre entschieden nominalistische Tendenz zugeschrieben werden. R. F a l c k e n b e r g 2 gibt in seiner Erläuterung der wichtigsten philosophischen Kunstausdrücke, die er seiner »Geschichte der neueren Philosophie" beigefügt hat, in folgender Weise die gebräuchliche Begriffsbestimmung des Nominalismus wieder: „Nominalismus, mittelalterliche Bezeichnung für die Theorie, daß die U n i v e r s a l i e n (die Gattungen, das Allgemeine) keine Realität haben, bloße Vorstellungen (Begriffe, Konzeptualismus), ja b l o ß e N a m e n (nomina) seien.u Als neuzeitliche Vertreter des Nominalismus führt er Hobbes, Locke. Berkeley auf. In Bezug auf letzteren bemerkt er: „Ein dritter Punkt, an dem Locke seinem Nachfolger (nämlich Berkeley) nicht weit genug gegangen war, betrifft den in England einheimischen N o m i n a l i s m u s . Locke hatte mit seinen Vorgängern behauptet: Alles Wirkliche ist individuell, allgemeine Wesen gibt es nur im abstrahierenden Verstande. Von hier aus geht Berkeley noch einen Schritt weiter, den letzten, der in dieser Richtung möglich war, indem er selbst die Möglichkeit a b s t r a k t e r V o r s t e l l u n g e n in Abrede stellt. Wie alle Wesen Einzeldinge, so sind alle Ideen Einzelvorstellungen." Wenn wir nun dieser Begriffsbestimmung des Nominalismus und diesen Formen desselben in der neueren Philosophie 1 Roscelin philosophe et thöologien d'apres 1a legende et d'apres l'histoire 26. 2 Geschichte der neueren Philosophie4 560.
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die Ansicht Roscelins gegenüberstellen, müssen wir diese als nominalistisch geartet erkennen. Sowohl für Roscelin wie auch für den modernen Nominalismus ist nur das Individuelle wirklich, das Allgemeine ist nur Kollektivname ohne objektiven realen Wert, ist vocis flatus. Und wenn Anselm als Quelle des nominalistischen Irrtums Roscelins das Unvermögen, zwischen Verstand und Phantasie zu unterscheiden, angibt, so gilt das noch viel mehr für den neuzeitlichen, sensualistischen und positivistischen Nominalismus. Aus diesen Erwägungen und Vergleichungen ergibt sich ganz klar, daß die Bezeichnung des durch Anselm ohne Zweifel objektiv wiedergegebenen wissenschaftlichen Standpunktes Roscelins als Nominalismus geschichtlich gerechtfertigt und dem philosophischen Sprachgebrauch entsprechend ist K Selbstverständlich ist damit zugleich auch dargetan, daß in dem anselmianischen Bericht über Roscelin auch wirklich von der Universalienfrage die Rede ist. Schon der Umstand, daß von substantiae u n i v e r s a l e s die Rede ist und daß die Einheit von drei menschlichen Personen und die Einheit der drei göttlichen Personen einander gegenübergestellt werden, würde an und für sich schon, selbst wenn die von Anselm entwickelte Lehre Roscelins sich nicht als Nominalismus bestimmen ließe, dafür sprechen, daß die Universalienfrage in diesem Texte erwähnt und berücksichtigt ist. Es ist aber auch nicht in Abrede zu stellen, daß diese Hereinziehung der Universalienlehre gerade mit Rücksicht auf die Trinitätsund auch auf die Inkarnationslehre geschah, daß demzufolge zwischen der nominalistischen Lehre vom vocis flatus und zwischen der trinitarischen Irrung, dem Tritheismus Roscelins ein innerer, und zwar ein recht inniger Zusammenhang besteht. Daß dem wirklich so ist, ergibt sich ganz klar und unzweideutig aus einem allgemeinen ge1
Beda Adlhoch gewinnt aus den Äußerungen Abälards über Roscelin den Eindruck, daß dieser „ein verblüffend realistisch gerichteter und vokalistischer oder phonetischer Dialektiker ist" (Roscelin und St Anselm, in Philos. Jahrbuch 1907, 452). Desgleichen folgert er aus den Texten Anselms, daß „Roscelin eine zu empirisch-realistische Dialektik vokalistischer Art lehrte" (ebd. 456). Es ist einleuchtend, daß diese Bezeichnungen ganz gut auf den Nominalismus passen. Der Realismus, den hier Adlhoch dem Roscelin zuschreibt, ist wahrlich kein Realismus im erkenntnistheoretischen Sinne, kein Realismus im Sinne der Universalienlehre. Es ist dies ein Realismus im metaphysischen Sinne, etwa nach Art des Materialismus, es ist dies ein Realismus, der auf erkenntnistheoretischem Gebiete Nominalismus bedingt. Es sei hier auf ein Analogon in der neueren Philosophie, auf Herbart hingewiesen.
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schichtlichen Exkurs und dann auch aus dem Kontext des anselmianischen Referates über Roscelin. Daß Universalienlehre und Trinitätslehre, daß speziell auch Nominalismus und Trinitätslehre miteinander in Kontakt stehen, dafür haben wir treffliche Beweise aus der Patristik. Zur Erklärung und Verdeutlichung der Homousie, der Einheit der göttlichen Natur bei der realen Verschiedenheit der göttlichen Personen voneinander, wurde von den Vätern mehrfach als Analogon die Einheit von drei menschlichen Personen benützt, wobei der große Unterschied zwischen diesen beiden Einheiten beleuchtet wurde. Selbstverständlich mußte bei der Bestimmung und Beurteilung der Einheit von drei menschlichen Personen der eigentliche Kernpunkt des Universalienproblems, wenn dieses auch noch nicht formell als solches zur Verhandlung vorlag, scharf ins Auge gefaßt werden. So haben wir hierüber ganz deutliche Darlegungen von Gregor von N a z i a n z und J o h a n n e s von Damaskus, die in einer sachlich ganz korrekten, wenn auch sprachlich noch nicht völlig durchgearbeiteten Weise die Eigenart der Einheit von drei menschlichen Personen bestimmt haben1. Gregor von N y s s a hat in seiner an Ablabius gerichteten Schrift rcspl TOD jui] ol'eaäai Xiyew rpelg SSOUQ2 die Natureinheit von drei menschlichen Personen in exzessiv-realistischem Sinne gedeutet und hierdurch die strenge Natureinheit der drei göttlichen Personen zu veranschaulichen gesucht. Indessen hat dieser exzessiv-realistische Standpunkt Gregors von Nyssa auf seinen dogmatischen Standpunkt in der Trinitätslehre keinen Einfluß ausgeübt. Daß man in der griechischen Patristik die Bedeutung der Universalienfrage für die Exposition des Trinitätsdogmas wohl zu würdigen wußte, dafür ist eine Abhandlung über die Existenz der Allgemeinbegriffe in dem von Diekamp edierten und untersuchten griechischen Florilegium „Doctrina Patrum de incarnatione Verbi" ein sprechender Beweis. Es trägt diese Abhandlung die nachfolgende Überschrift: Vrc im
7rdvT
1 Vgl. hierüber die gründlichen Ausführungen von K u h n , Katholische Dogmatik, Bd II: Die Trinitätslehre 436—447. Über die einschlägige Lehre des hl. Gregor von Nazianz siehe J. H e r g e n r ö t h e r , Die Lehre von der göttlichen Dreieinigkeit nach dem hl. Gregor von Nazianz 34 ff. 2 M., P. Gr. XLV 116—136. Vgl. auch Gregor von Nyssas Schrift npöq r 'EUy»ac ix rwu xowwv Iwoiatv (ebd. 176—185). Über Gregors von Nyssa einschlägige Lehre handeln S c h w a n e , Do^mengeschichte II 2 156ff; P e t a v i u s , De Trinitate 1. 4, c. 9, n. 2 ff (ed. Vives 1JI 2 ff}.
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t%cop7]Tov yju oödk ixplcrzauzac zä xowä xa\ xadoAou Xsy6/jLai>a fiovTj dz T7j ßeia xac U7repav£%o6<7Yj ouoia TcecpüXaxzai xupuoQ zb sv TTpay^azt xac
Indessen haben wir nicht bloß dafür, daß die Patristik die Bedeutung der Universalienlehre für die Trinitätslehre in Betracht gezogen hat, überzeugende Beweise, sondern wir sind sogar in der Lage, Zusammenhänge zwischen einer nominalistischen Universalientheorie und der trinitarischen Häresie aus der Väterzeit nachzuweisen. Wir sehen hier ab von der nominalistischen Tendenz des Arianisnius2 und weisen lediglich auf den Aristoteliker J o h a n n e s P h i l o p o n u s hin, der zugleich Nominalist und Tritheist gewesen, also dieselben Irrwege wie Roscelin gegangen ist. Wir haben an Philoponus einen ganz markanten und konkreten Beweis, daß zwischen Nominalismus, zwischen dem vocis flatus und zwischen Tritheismus in der Trinität eben doch ein Zusammenhang besteht3. S c h ö n f e l d e r , der im Anhang zu seiner Übersetzung der Kirchengeschichte des Johannes von Ephesus auch die Lehre der Tritheiten, speziell die des Johannes Philoponus, auf Grund des bei Johannes von Damaskus erhaltenen Fragmentes seines „Diätetes" behandelt hat, weist auf die Ähnlichkeit zwischen Johannes Philoponus und Roscelin hin4. Aus dieser skizzenhaften geschichtlichen Darlegung ergibt sich, daß längst vor Roscelin die Universalienlehre und speziell der nominalistische Standpunkt in derselben in der Trinitätslehre nachgewirkt haben. Wer den Bericht Anselms über Roscelins Lehre liest und würdigt, wird deutlich wahrnehmen, wie der tiefe Denker von Canterbury die Fäden zwischen dem Nominalismus und dem Tritheismus 1
D i e k a m p , Doctrina Patrum de incarnafcione Verbi. Ein griechisches Florilegium aus der Wende des 17. und 18. Jahrhunderfcs 188—190. Wie schon die obenstehende Titelüberschrift, die zugleich Inhaltsangabe ist, andeutet, und wie der Gedankengang der ganzen Abhandlung beweist, ist hier die Frage von der Existenz der Allgemeinbegriffe in der Richtung eines gemäßigten Realismus gelöst. 2 Vgl. K l e u t g e n , Philosophie der Vorzeit I 295 ff: „Die heiligen Väter wider die nominalistischen Arianer". 3 Über des Joh. Philoponus Trinitätslehre siehe J. M. S c h ö n f e l d e r , Die Kirchengeschichte des Johannes von Ephesus, Aus dem Syrischen übersetzt. Mit einer Abhandlung über die Tritheiten, München 1862, 286—297. Über die Lehre des Johannes Philoponus über Natur und Hypostase gibt eingehenden Bericht nebst Gegenbemerkungen die „Doctrina Patrum de incarnatione Verbi" c. 36 (ed. Diekamp 272—282). * Ebd. 288.
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seines Gegners deutlich und sorgsam aufhellt. Die Ausführungen Anselms in seiner polemischen Schrift „De fide Trinitatis" stimmen mit seinen einschlägigen brieflichen Äußerungen vollauf zusammen. Roscelin steht vor folgendem Dilemma: Entweder sind die drei Personen in Gott tres res ab invicem separatae, drei voneinander getrennte reale Substanzen oder Naturen narch Analogie von drei Engeln, oder aber es ist mit dem Sohn zugleich auch der Vater und der Heilige Geist Mensch geworden. Im ersten Falle ist Tritheismus gegeben, im zweiten Falle die unkirchliche Lehre einer Inkarnation der ganzen Trinität. Roscelin findet keinen Weg zur Lösung der Schwierigkeit, der ihn glücklich zwischen diesen beiden häretischen Konsequenzen hindurchführen würde, und so gerät er denn in dem Bestreben, die Charybdis der Annahme einer Inkarnation der ganzen Trinität zu vermeiden, in die Scylla des Tritheismus. Der hl. Anselm legt sich nun die Frage vor, aus welchem Grunde Roscelin keinen Ausweg aus dieser Schwierigkeit in Form einer beide häretische Konsequenzen vermeidenden Lösung gefunden habe, und er beantwortet diese Frage mit dem offenbaren Hinweis auf den Nominalismus seines Widerparts. Wie kann jemand, das ist Anselms Gedankengang, der sich nicht einmal über die spezifische Einheit von drei menschlichen Individuen klar ist, für den diese Einheit nichts als ein Kollektivname ist, wie kann sich ein solcher die Homousie, die numerische Natureinheit der drei göttlichen Personen in einer wissenschaftlich und dogmatisch korrekten Form klarlegen ? Ein Nominalist, in dessen Augen bloß das Individuelle Wert und Realität hat, ist nicht im stände, jene Unterscheidungen zu treffen, die ihm unschwer die Wege zur glücklichen Lösung obiger Schwierigkeit weisen würden. Ein Nominalist, der nur das Individuum für etwas Reales ansieht, wird zwischen Person und Natur keinen Unterschied sehen, wird Person und Natur schlechthin identifizieren und infolgedessen in der Trinitätslehre Tritheist sein und in der Inkarnationslehre sich nicht erklären können, wie der Sohn Gottes zwar eine menschliche Natur, aber nicht eine menschliche Person angenommen habe. Indem nun Anselm von Canterbury in diesem Gedankengang, der in seinem Referat sicherlich angestellt ist, sich den Zusammenhang zwischen Nominalismus und Trinitäts- bzw. Inkarnationslehre vergegenwärtigt und sich der irrigen, häretischen Auswirkung einer nominalistisch gearteten Universalienlehre gerade in der Trinitätsund Inkarnationslehre, also in jenen Gegenständen, welche den Höhepunkt der theologischen Spekulation bilden, so recht bewußt wird, Grabmann, Scholastische Methode. I.
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indem Anselm zugleich die psychologischen Wurzeln einer nominalistischen Denkweise, dieses Kleben an sinnlichen Phantasievorstellungen ohne Aufschwung zum Ideellen und Transzendenten in Rechnung zieht, muß er ganz entschieden und energisch gegen die Brauchbarkeit und Verwertung des Nominalismus in der theologischen Spekulation überhaupt protestieren. Anselm lehnt nicht bloß zum Schutz der Orthodoxie in der Trinitäts- und Inkarnationslehre den Nominalismus ab, er tut dies auch ganz allgemein und schlechtweg vom Standpunkte einer gesunden theologischen Methode aus. Seine Ausführungen über den Nominalismus im zweiten Kapitel der Schrift „De fide Trinitatis" haben gerade so wie die denselben unmittelbar vorausgehenden warmen und wahren Worte über die Notwendigkeit ethischer Reinheit und Selbstheiligung für die theologischen Studien einen hervorragend methodologischen Zweck und Wert. Anselm schließt deswegen dieses Kapitel mit den Worten: „Haec dixi, ne quis antequam sit idoneus, altissimas de fide quaestiones praesumat discutere; aut si praesumpserit, nulla difficultas aut impossibilitas intelligendi valeat illum a veritate, cui per fidem adhaesit, excutere. Iam veniendum est ad id propter quod incoepimus." Gerade die ausgesprochene methodologische Tendenz dieser Ausführungen Anselms war Grund und Anlaß, weswegen dem Referat Anselms über Roscelins Lehre eine eingehendere historisch-kritische Untersuchung zu widmen war. Eine richtige Einschätzung der Bedeutung dieser Texte Anselms für seine theologische Methode und für den Entwicklungsgang der scholastischen Methode setzt eben eine Untersuchung darüber voraus, ob und in welchem Sinne der in diesen Texten geschilderten Doktrin Roscelins wirklich der Tatbestand des Nominalismus eigen ist. Nachdem der von Anselm bekämpfte Irrtum in seiner philosophischen Wurzel als Nominalismus erwiesen und somit Anselm als entschiedener Gegner nominalistischer Tendenzen dargetan ist, ist sein Standpunkt in der Universalienfrage nach der positiven Seite kurz ins Auge zu fassen. Anselm von Canterbury steht in der Universalienfrage auf dem Boden des Realismus. Er zeigt sich als Realist dadurch, daß er reale Unterschiede annimmt. So statuiert er einen realen Unterschied zwischen Wesenheit, Quantität und Qualität 1 , außerdem 1
Monolog, G. 17 26 ( M , P. L. CLVill 166 u. 479).
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zwischen Wesenheit und individuellen Bestimmtheiten1, zwischen Natur und Person2. Wenn wir die Frage stellen, wie dieser Realismus Anselms sich näher charakterisieren läßt, so haben Cousin, Haureau, Ubaghs u. a. in Anselm einen Vertreter eines extremen Realismus gesehen3. Es finden sich allerdings bei Anselm Stellen, welche, falls man sie pressen würde, einen exzessiven Realismus im Sinne Wilhelms von Champeaux besagen würden4. Wenn nun auch der Wortlaut mancher Stellen in den Schriften Anselms exzessiv realistisch klingt, so haben wir doch triftige Gründe dafür, daß sachlich und inhaltlich unser Denker keineswegs einem ungesunden und exzessiven Realismus gehuldigt hat. Damit soll jedoch keineswegs gesagt sein, daß er als Vertreter des gemäßigten Realismus im technischen Sinne dieses Wortes anzusehen sei. Von einem gemäßigten Realismus im Sinne des hl. Thomas kann man überhaupt in der Vor- und Frühscholastik noch nicht reden5. Zu einer solchen Formulierung und Lösung des Universalienproblems fehlten noch die entsprechenden metaphysischen, psychologischen und terminologischen Voraussetzungen. Außerdem ist bezüglich Anselms wohl zu beachten, daß er vom philosophischen Standorte aus die Universalienfrage überhaupt nicht explicite behandelt hat und daß deswegen seine Universalienlehre sich uns lediglich in ihrer theologischen Anwendung und Verwertung repräsentiert. Dieser Realismus Anselms ist ein gemäßigter Piatonismus und kommt als Ingredienz, als Element der theologischen Spekulation, also nach seiner Auswirkung auf theologischem Gebiete, dem gemäßigten Realismus des hl. Thomas von Aquin und der Hochscholastik nahe. Der Standpunkt des Aquinaten in der Universalienlehre ist zwar durch Verwertung von aristotelischen Materialien6, die für J
De processione S. Spiritus c. 28 (ebd. 320): „Hominum personae diversae sunt ab invicem quia uniuscuiusque proprietatura collectio non est in alia eadem." 2 De conceptu virginali c. 23 (ebd. 456). 3 H a u r e a u , Histoire de 1a phil. scol. I 204. R o u s s e l o t , Etudes sur 1a phil. dans 1e moyen-äge chap. vn. 4 Z. ß. Monolog, c. 27 (M., P. L. CLV1II 180). 5 R e i n e r s , Der aristotelische Realismus in der Frühscholastik (Vorwort). 6 So z. B. die aristotelischen Texte Anal. post. 1, 2 (72 a 4J; De anima 2, 5 (417 b 24); Metaph. 6 (7), 12 (1037 b 22) usw, Zur Universalienlehre des hl. Thomas vgl. seine Ausführungen in seinem Kommentar zu De anima lib. 2. lect. 12; De ente et essentia c. 3 u. 4; S. tli. 1, q. 28, a. 1; q, 85, a. 2, ad 2 ni ; ebd. a. 3, ad l m . 20*
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Anselm von Canterbuiy, der Vater der Scholastik.
Anseim noch nicht bereit standen, beeinflußt und hierdurch namentlich in Bezug auf die Terminologie bestimmt, aber trotzdem ist der Abstand zwischen der Universalienlehre der beiden großen Denker in sachlicher Hinsicht und in den theologischen Konsequenzen kein erheblicher. Piatonismus und Aristotelismus begegnen sich auf dem Gebiete des Universalienproblems schon darin, daß sie, wenn auch in verschiedener Weise, dem Allgemeinen realen Wert beilegen und das Allgemeine als Gegenstand der Wissenschaft ansehen. Außerdem besitzt der Piatonismus, wie ihn Anselm vertritt, eine gemäßigte Form und Richtung infolge der augustinischen Ideenlehre, welche den Ursprung der Allgemeinbegriffe mit den göttlichen Ideen in Beziehung bringt. Diese Ideenlehre, diesen augustinischen Exemplarismus hat nun Anselm in sein System aufgenommen1, anderseits hat auch Thomas von Aquin, ungeachtet der scharfen Kritik, die der Stagirite an Piatos Ideenlehre geübt hat, die augustinische Ideenlehre rezipiert und mit seinem aristotelischen Realismus kombiniert2. Angesichts dieser Verhältnisse ist es wohl begreiflich, daß Anselms und des Aquinaten Anschauungen in der Universalienfrage sachlich und den theologischen Resultaten nach in ein und derselben Richtung liegen. Es hat überhaupt, wie Baumgartner3 bemerkt, „die überlieferte realistische Tendenz der christlichen Lehrer in dem durch die Araber bekannt gewordenen ganzen Aristoteles nur eine glänzende Bestätigung gefunden". Diese soeben gegebene Beurteilung des Realismus Anselms stimmt im wesentlichen auch mit der Auffassung von einer Reihe neuerer Autoren, die sich mit Anselms Uni Versalienlehre befaßt haben, wie van Weddingen, Dornet de Vorges, Mignon, de Wulf, Bainvel, Geyser, Wilner usw., überein4. 1
Monolog c. 9 u. 10 (M., P. L. CLVIII 157 u. 158). Vgl. hierzu S a e n z d ' A g u i r r e , Theologia S. Anselmi I. 2 Vgl. L i p p e r h e i d e , Thomas von Aquin und die platonische Ideenlehre, München 1890. 3 Die Philosophie des Alanus de Insulis 27. 4 V a n W e d d i n g e n , Essai critique sur 1a philosophie de S. Anselme 242. Dornet de V o r g e s , Saint Anselme 156. M i g n o n , Les origines de 1a scolastique et Hugues de Saint-Victor I 58. De W u l f , Histoire de 1a philos. mödievale2 177. B a i n v e l , Artikel „Anselme* in Dictionnaire de the"ologie catholique I 1345: „En somme Anselme est realiste, si par 1a on veut dire qu'il a combattu 1e nominalisme; mais il n'a pas les exces du realisme et, en fait, 1a question des universaux a chez lui fort peu de place." G e y s e r , Artikel „ Universalien" in KL. XII 2 308: „Wilhelms Zeitgenosse, der hl. Anselm von Canter-
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Anselm hat also in der Universalienlehre entschieden und energisch den Nominalismus bekämpft. Wenn J o h a n n e s von S a l i s b u r y 1 bemerken konnte, daß die Lehre, die Worte seien selbst die Gattungen und Arten, längst verworfen und mit ihrem Urheber (Roscelin) verschwunden sei, so dürfen wir das rasche Erlöschen des Nominalismus an der Schwelle der Frühscholastik zu einem guten Stücke der energischen Gegenwehr Anselms von Canterbury zuschreiben2. Anselm hat in negativer Hinsicht jede nominalistische Denkweise auf das nachdrücklichste abgelehnt und in positiver Hinsicht einen dem thomistischen Realismus der Sache und der theologischen Verwertbarkeit nach nahekommenden Standpunkt eingenommen. Anselms Ablehnung des Nominalismus steht unter dem Zeichen der Methode. Der weitblickende Theolog von Canterbury hat, das ergibt sich aus seinen Darlegungen gegen Roscelin, den Nominalismus als eine Gefahr, als ein Hindernis für eine wirkliche Einsicht in den Glaubensinhalt, für eine richtige Spekulation zurückgewiesen. Er hielt eine nominalistische Denkweise für schlechthin unvereinbar und unverträglich mit der Verwirklichung seines großen methodischen Prinzips: „Credo, ut intelligam." Anselm hat sich mit voller Entschiedenheit auf den Boden des Realismus gestellt. Diese ablehnende Stellung gegenüber nominalistischen Tendenzen und dieser gesunde Realismus der Spekulation Anselms ist für seine eigene wissenschaftliche Methode und für den Werdegang und die Ausgestaltung der scholastischen Methode überhaupt von beachtenswerter Bedeutung gewesen. Der Realismus wahrt dem Denken seinen objektiven Inhalt, er hält an dem objektiven, allgemein gültigen Charakter der Wahrheit fest und macht eine metaphysische Weltanschauung möglich. Der Nominalismus hingegen negiert den objektiven, allgemein gültigen Wert der Wahrheit, er lähmt den Flug der Seele aus sich selbst heraus in das weite große Reich natürlicher und übernatürlicher Wahrheit, er führt zum Subjektivismus und Individualismus. Während bury, legte der Universalienlehre kein besonderes Gewicht bei. Im übrigen folgte er dem gemäßigten Realismus des Aristoteles." W i l n e r , Adelard von Bath 52. 1 Policraticus 7, 12 und Metalogicus 2, 17. 2 W i l l m a n n , Geschichte des Idealismus II 2 354: „Dazu (d.h. zur Überwindung des Nominalismus) hatte der Einspruch des großen Anseimus viel beigetragen, der dem Nominalismus die augustinisch-platonische Ideenlehre als Damm entgegenstellte."
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der Realismus zwischen Denkform und Denkinhalt die richtige Proportion herstellt, überspannt der Nominalismus in einseitiger Weise die Denkform oder vielmehr die Sprachformel und entwertet den Denkinhalt. Der Nominalismus ist der üppige Boden für. eine überwuchernde Dialektik, die an sprachlichen Formeln ihre Kunst entfaltet und in Spitzfindigkeiten, Wortklauberei und endloser Distinktionstechnik einen Ersatz für den mangelnden großen Denkinhalt sucht. Es soll hiermit keineswegs gesagt sein, daß im Verlaufe der Scholastik sich nicht auch Vertreter des Realismus einer Übertreibung der Dialektik schuldig gemacht haben. Aber es liegt in der Natur des Nominalismus, daß der Hauptakzent nicht auf den Inhalt, sondern auf die Formel gelegt wird. Die Geschichte des Verfalls der Scholastik belehrt uns, daß der wiedererwachende Nominalismus bzw. Konzeptualismus und ein ungesundes Maß von Dialektik in diesen Zeiten des Niederganges Hand in Hand gingen. Anselm von Canterbury hat durch die entschiedene Ablehnung des Nominalismus den Nachdrück des wissenschaftlichen Strebens und Arbeitens auf die Inhaltlichkeit, auf das Wahrheitsziel gelegt, er hat Denkform und Denkinhalt in das Gleichgewicht gebracht und hierdurch die scholastische Methode in die rechte Bahn gelenkt. Eine auf große allgemeine Wahrheiten, Gesichtspunkte und Ausblicke hinstrebende Spekulation ist allein auf dem Böden des Realismus möglich. Anselm hat darin, da,ß er dem Nominalismus die Pforten des Heiligtums der theologischen Spekulation verschlossen wissen wollte, tief geschaut. Wenn der Nominalismus sein Auge schon vor dem Lichte allgemeiner natürlicher Wahrheiten verschließt, dann wird er um so weniger in das großartige System übervernünftiger Wahrheiten eindringen können, er wird vielmehr konsequenterweise an der Objektivität und Realität übernatürlicher Wahrheitslehre und Wahrheitsvermittlung zu rütteln suchen und schließlich in inhaltslosem religiösen Subjektivismus und Individualismus aufgehen. Die theologische Spekulation wird sich an die realistische Weltanschauung als die Hüterin objektiver Werte halten müssen1. R. See1
Über das Verhältnis des philosophischen Nominalismus zu Theologie und Kirche vgl. G r a b m a n n , Die Lehre des hl. Thomas von der Kirche als Gottes•werk 44ff; Fr. L o o f s , Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte4 611 ff; S c h e e b e n (Dogmatik I 438) bezeichnet als Wirkungen des Nominalismus die Verflüchtigung der reichen und fruchtbaren Ideen des 13. Jahrhunderts, die Zer-
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b e r g 1 hat recht, wenn er die Tragweite der Universalienfrage für die theologische Spekulation also charakterisiert: „Anselm ist Realist, d. h. er verficht die Realität des Allgemeinen, der Arten und Gattungen, der Begriffe und der Ideen. Diese Universalien sind objektive Realitäten und nicht bloße flatus vocis oder rein subjektive Bildungen. Damit war die Streitfrage, die das ganze Mittelalter bewegt hat, scharf formuliert. Die Frage war mehr als eine bloße Schulfrage. An ihrer Beantwortung hing das Recht und der Wert der Spekulation in der Theologie. Wurden die Universalien als Realitäten anerkannt, dann hatte der Theolog es nicht bloß mit den Formeln der Kirchenlehre zu tun, sondern mit den Sachen selbst, dann bestand seine Aufgabe nicht bloß darin, die alten Formeln zu reproduzieren und eventuelle Widersprüche in ihnen miteinander auszugleichen, sondern er mußte für die erkannten Sachen neue, adäquate Formeln schaffen." Anselm hat in seiner energischen Ablehnung des Nominalismus diesen Irrtum in einem Atemzug mit der übertriebenen Dialektik genannt, er hat zugleich auch entschieden Stellung genommen gegen die zeitgenössischen dialectici. Wenn er nun auch gegen die Dialektiker Front macht, so hat er sicher nur die ungemessene, ziellose Übertreibung der Dialektik im Auge, er bestimmt deswegen die dialectici näher als immo dialectice haeretici. Ein vernünftiger, zweckgemäßer, von den Grundsätzen einer richtigen theologischen Methode geleiteter Gebrauch der Dialektik findet seine volle Billigung. Er hat selbst zur Erlangung einer rationellen Einsicht in den Offenbarungsinhalt von den dialektischen Hilfsmitteln seiner Zeit einen ausgiebigen und verständigen Gebrauch gemacht. Er ist freilich nicht bei der Verwertung der Dialektik für die formale Gestaltung seiner wissenschaftlichen Arbeiten stehen geblieben, er hat vielmehr auch zur sachlichen Behandlung und Vertiefung der großen und erhabenen Fragen, die sein spekulativer Genius sich vorgelegt, die Dienste der Metaphysik in ausgebreitetem Maße in Anspruch genommen. d) A n w e n d u n g der D i a l e k t i k und M e t a p h y s i k . Anselm hatte in der Schule Lanfranks eine gründliche dialektische Durchbildung sich angeeignet, er hatte das zu seiner Zeit zugängliche antike wissenschaftliche Material über Dialektik und wohl auch die einschlägige Glossenliteratur kennen und schätzen gelernt Störung des lebendigen Inhalts und Zusammenhangs der christlichen Wahrheit durch frivole Willkür und haarspaltende Spitzfindigkeiten und die Untergrabung der übernatürlichen Würde und Einheit der Kirche im äußeren Leben. 1 Artikel „Scholastik" in RE. XVII 3 709.
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und zugleich auch die Dialektik, die Logik als Kunst, als Denktechnik praktisch eingeübt1. Diese zu Füßen Lanfranks genossene logische Schulung hat Anselm, nachdem er selbst Lehrer geworden, in einem durch eigene Fortbildung und Erfahrung gesteigerten Maße seinen lernbegierigen Schülern darzubieten sich bemüht. Ein Beweis für diese seine logischen Studien und seine Vertrautheit mit den zu seiner Zeit zugänglichen Schriften des Aristoteles ist sein Dialog „De grammatico"2. Dieser Traktat behandelt in streng logischer Schulform das durch die aristotelische Kategorienlehre nahegelegte Problem: „An grammaticus sit substantia an qualitas." Anselm zeigt sich in dieser seiner ersten Schrift nicht als bloßen Glossator der aristotelischen Kategorienlehre, sondern als einen selbständigen wohlgeübten Dialektiker, der an einem einzelnen Problem unter Vorführung und Prüfung aller Gründe pro und contra die Grundsätze der Dialektik erhärtet. Er bezeichnet selbst dieses sein Elaborat als ein brauchbares Hilfsmittel zur Einführung in die Dialektik3 und verspricht sich von demselben wenigstens eine dialektische Schulung und Vervollkommnung seines Auditoriums4. Es zeigt diese verschieden beurteilte5 Erstlingsarbeit Anselms auch ein bedeutendes 1
Es ist nicht ganz richtig, wenigstens soweit Anselm in Betracht kommt, wenn S c h m i d l i n (Bischof Otto von Freising als Theologe, in Katholik 1905, 7. Heft, 91) bemerkt: „Wie im 11. Jahrhundert Mangold der Philosoph und noch schärfer Otloh von Freising im Einklang mit dem hl. Anseimus das Schwert mit der heidnischen Philosophie gekreuzt, ja gegen die weltliche Wissenschaft und das philosophische Studium überhaupt Stellung genommen hatten, so sahen es im 11. Jahrhundert usw." Über x^nselms Stellung zur Dialektik vgl. S a e n z d ' A u g u i r r e , Theologia S. Anselmi I, disp. 1, sect. 8, n. 70 ff; H a s s e , Anselm von Canterbury I 58—70; Van W e d d i n g e n , Essai critique sur 1a philos. de S. Anselme 1—55. 2 M., P. L. CLVIII 561—582. 3 „Quartum (sc. dialogum) edidi, non inutilem, ut puto, introducendis ad Dialecticam, cuius initium est de grammatico" (Dialogus de veritate, prologus; ebd. 467). 4 „Quoniam scis quantum nostris temporibus dialectici certent de quaestione a te proposita; nolo te sie his inhaerere ut ea pertinaciter teneas; si quis validioribus argumentis haec destruere et diversa valuerit astruere: quod si contigerit saltem ad e x e r c i t a t i o n e m d i s p u t a n d i nobis haec profecisse non negabis" (Schluß des Dialogs „Ue grammatico" ; ebd. 582). 5 Eine eingehende Würdigung dieses Traktates gibt V a n W e d d i n g e n a. a. 0. 18—30. Die Hist. litt, de France VII 2, ferner .M. de R e m u s a t , S. Anselme 102, desgleichen H a s s e a. a. O. I 76 sind voll des Lobes für diesen Dialog Anselms. Nach letzterem bezeichnet derselbe „in der Tat einen Wendepunkt der Entwicklung; er ist die Probe, die das Mittelalter von der in
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didaktisches Geschick1. Der Schüler wird im Verlaufe der ganzen dialogischen Verhandlung fortwährend in Spannung gehalten, sein Interesse wird trotz der trockenen Materie fortwährend rege erhalten, die Entwicklung und Lösung des Fragepunktes vollzieht sich in einer klaren, eine richtige Lehrmethode verratenden Form. Wir gewinnen einen interessanten Einblick in die Art und Weise, wie zu den Zeiten Anselms in den Klosterschulen die Fächer des Triviums und Quadriviums, hier speziell die Logik, gelehrt, eingeübt und erlernt wurden, wir bekommen einen Begriff von der Sorgfalt, welche auf die formale Seite des wissenschaftlichen Denkens verwendet wurde, wir werden unterrichtet über die elementaren Formen und über die Anfänge der scholastischen Disputationsmethode. Der Magister verfolgt mit aller Schärfe der Dialektik die Beweisgänge seines Discipulus, kritisiert die mangelnde Folgerichtigkeit derselben mit einem deutlichen „non sequitur" 2, sucht sodann durch Fragen auf heuristischem Wege den Schüler zur Erkenntnis der von letzterem im Verlaufe der dialogischen Diskussion gemachten dialektischen Versehen zu bringen und versteht es meisterhaft, den Zögling, falls derselbe auf seine Gedankengänge nicht eingeht, in die Enge zu treiben und vor ein scheinbar unlösbares Dilemma zu stellen3. Mit besonderem Nachdruck sieht der Lehrer auf die formale Richtigkeit des syllogistischen Beweisverfahrens, auf eine korrekte Handhabung der Technik des Syllogismus. Er leitet seinen Discipulus an, Syllogismen zu bilden und besonders darauf acht zu geben, daß die Sätze einen communis terminus (d. h. einen terminus medius) haben4. Der Schüler findet reichlich Gelegenheit, seine theoretischen Kenntnisse über den Syllogismus praktisch an^ der Schule des Aristoteles erlangten Reife zu einer selbständigen Reproduktion dieser Wissenschaft ablegte." Ein sehr hartes Urteil fällt über Anselms Schrift P r a n t l , Geschichte der Logik im Abendlande II 89 f. 1 B a i n v e l , Artikel „Anselme* in Dictionnaire de theologie cath. I 1335: „C'est en meine temps une excellente lecon de pedagogie pratique, tant, par 1a facon d'interesser 1e disciple, d'eveiller et de diriger 1a re^flexion, que par 1a choix pour matiere d'exercice d'une question importante ä elucider." 2 Z. B. c. 3 (M., P. L. CLVIII 562). 3 Vgl. (ebd. 563); „Disc.: Angustiae sunt mihi utrinque: nam si concedo, concludis nulluni hominem esse animal; si renuo, dices me non tantum posse intelligi, sed vere esse sine rationalitate." 4 C. 4 (ebd.). Der Magister gebraucht hier die Wendungen: „Repete et contexe syllogismos, quos fecisti" . . . „Concedo: assume (d. h. ich bin mit dem Obersatz einverstanden, bilde dazu einen passenden Untersatz). . . . Vide ergo, utrum habeant c o m m u n e m t e r i n i n u m , sine quo nihil efficiant.*
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zuwenden und so eine Probe über die richtige Auffassung der erlernten diesbezüglichen dialektischen Regeln abzulegen. Der Magister, der jedes Wort und jeden Satz seines Hörers einer scharfen dialektischen Kontrolle unterzieht, vergewissert sich ab und zu auch, ob derselbe den wirklichen Fragepunkt richtig erfaßt und die Gedankenabfolge begriffen habe. Zu diesem Behufe wird der Schüler veranlaßt, einen Syllogismus zu distinguieren *. den Unterschied zwischen zwei ihm vorgelegten Syllogismen zu bestimmen2 oder den dialektischen Fehler eines proponierten Trugschlusses namhaft zu machen3. Durch den ganzen Dialog zieht sich auch das Bestreben, die gebrauchten Worte und Redewendungen genau auf ihren Sinn und auf ihre Bedeutung zu prüfen. Es bekundet sich allenthalben Verständnis und Gefühl für die Sprachlogik. Anselm legt großes Gewicht darauf, daß der Text des Aristoteles, des Vaters der Logik, richtig aufgefaßt und interpretiert werde. Es handelt deswegen das Kap. 17: „De Aristotelis sensu in tractatu De categoriis" 4. Der Dialog „De grammatico" ist ein Beleg dafür, daß Anselm sich gründlich in das Studium der aristotelischen Logik, soweit sie ihm zugänglich war, vertiefte, sich selbst eine sorgfältige dialektische Schulung aneignete und auch seine Schüler mit ersichtlichem didaktischen Geschick in der Palästra der formalen Logik, namentlich in der Technik des Syllogismus zu üben und zu bilden verstand. Diese vorzügliche logische Durchbildung, die Anselm selbst als Schüler sich angeeignet und in der er sich als Lehrer noch mehr vervollkommnet hat, kam seiner schriftstellerischen Tätigkeit in hohem Maße zu gute. Die Routine und Schlagfertigkeit in der Dialektik war in seinen Augen weder Selbstzweck noch auch etwas für Glauben und Frömmigkeit Bedenkliches. Während kleinere Geister des 11. Jahrhunderts und auch der Folgezeit in der Dialektik, in der geschickten Handhabung aller Künste und Feinheiten des formalen Denkens entweder den Höhepunkt der wissenschaftlichen Ausbildung und Tätigkeit sahen oder aber auch der Dialektik und der profanen Wissenschaft überhaupt als einer Gefahr für Glauben, Kirche und Aszese mit Mißtrauen und banger Zurückhaltung begegneten, hat 1
C. 6 (M.f P. L. CLVIII 564): „Si ergo bene intelligis, quae dixi, die quomodo tu dissolveres liunc syllogismuoi, si quis ita contexeret." 2 C. 7 (ebd. 566). 3 C. 8 (ebd. 567): „Utile tarnen tibi erit, cum ipsum sophisma, quod te sub pallio verae rationis fallit, in sua fallacia ita nudum conspicies." * M., P. L. CLVIII 575-576.
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Anselm von Canterbury, der auch hier die Wege seines großen Vorbildes Augustin mit Mut und Sicherheit gewandelt ist, die richtige Mitte zwischen diesen zwei Extremen gefunden. Sein für große Ideen, für weite Ausblicke angelegter Genius hat ihn zugleich vor dem Übermaß wie auch vor ängstlicher Scheu in Bezug auf die Pflege und Verwertung der Dialektik und des profanen Wissens überhaupt bewahrt. Wir können aus Anselms Briefwechsel zur Genüge ersehen, daß er nicht bloß der Dialektik, sondern auch den andern in den Schulen seiner Zeit betriebenen profanen Disziplinen Interesse und Sympathie entgegenbrachte1. Vor allem scheint er auf die Pflege der mit der Dialektik nahe verwandten Grammatik großes Gewicht gelegt zu haben. Ein Beweis hierfür ist einer seiner Briefe an Mauritius 2 , einen seiner Lieblingsschüler, dessen wissenschaftliche und aszetische Förderung ihm sehr am Herzen lag. Anselm drückt in diesem Briefe seinem dilectus filius et frater Mauritius seine herzliche Freude darüber aus, daß er bei dem vortrefflichen Grammatiker Arnulfus Grammatik hören kann, und ermahnt ihn eindringlich, diese Gelegenheit fleißig und ernsthaft auszunützen3. Besonders legt er es ihm ans Herz, Vergil und die andern Klassiker, soweit dieselben nichts Anstößiges enthalten, sorgfältig zu lesen4. Aus diesem Briefe erfahren wir auch, daß Anselm selbst Unterricht in der Grammatik erteilt hat. Mit Recht beruft sich Mabillon 5 auf diesen Brief dafür, daß gerade die hervorragendsten Vertreter des Benediktinerordens dem Studium der Humaniora in den Klöstern warm das Wort geredet haben, und daß deswegen zwischen dem monastisehen Leben und zwischen der Pflege 1
Es sei hier die Bemerkung erlaubt, daß die Briefe Anselms nicht bloß zu einem großen Teile für den äußeren Lebensgang, für die kirchenpolitische Tätigkeit Anselms und für die Kirchengeschichte seiner Zeit überhaupt schätzbares Material enthalten, sondern daß diese Briefe namentlich für die Kenntnis des Seelenlebens ihres Verfassers, für seine wissenschaftlichen und aszetischen Anschauungen und Anregungen hochbedeutsam sind und vielfach an die Briefe des hl. Augustin erinnern. 2 L. 1 ep. 55 (M.,. P. L. CLV1II 1124). a Ebd. Zur Terminologie des damaligen Schulbetriebes sind die in diesem Briefe sich findenden Wendungen „legere ab aliquo", d. h. bei jemand Unterricht haben, Vorlesungen hören (Audivi quod legas a domino Arnulfo), und „declinare" hervorzuheben. 4 „Et volo quatenus ut fiat quantum potes, satagas, et praecipue de Vergilio et aliis auctoribus, quos a tne non legisti, exceptis his, in quibus aliqua turpitudo sonat." 5 Tractatus de studiis monasticis I 40 und II 73.
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profaner Studien, besonders der Lektüre der antiken Klassiker, kein Widerspruch bestehe. Mit diesem Sinn für die Lektüre der lateinischen Klassiker steht in enger Beziehung Anselms Bestreben, möglichst korrekte und verlässige Texte für seine Studien zu besitzen. Sein Biograph E a d m e r 1 erzählt, daß Anselm als Mönch des Klosters Bec die Handschriften, die dazumal einen sehr korrumpierten Text hatten, in den Stunden der Nacht korrigierte. In einem Briefe an seinen Schüler Mauritius ersucht Anselm diesen um Zusendung je eines Exemplars der Regel des hl. Dunstan und von Bedas Schrift „De temporibus", damit er auf Grund besserer Handschriften den mangelhaften Text der in der Klosterbibliothek zu Bec vorhandenen Codices dieser Werke zu emendieren im stände sei2. Anselms Sinn und Verständnis für die antiken Klassiker kommt freilich in seinen philosophische und hauptsächlich theologische Gegenstände behandelnden Schriften nicht zu einer nachweisbaren Geltung, es sei denn, daß die unleugbaren stilistischen Vorzüge seiner Traktate auf derartige Studien zurückzuführen sind. Indessen scheinen auf Anselms Stil hauptsächlich die Werke der großen Kirchenväter, vornehmlich Augustins, eingewirkt zu haben. Auch die intensive Beschäftigung mit der Heiligen Schrift mag mehr oder minder die Eigenart seiner Diktion bedingt haben. Die Königin Mathilde von England rühmt in einem Briefe an Anselm die literarischen Vorzüge von dessen Schriften und weist auch auf Parallelen in der heidnischen und christlichen Antike hin: „Quid namque vestris, domine, scriptis aut stylo ornatius aut sensu refertius? Non his desunt frontonica gravitas Ciceronis, Fabii aut Quintiliani acumina. In his sane doctrina quidem redundat Pauli, diligentia Hieronymi, elucubratio Gregorii, explanatio Augustini, et quod his maius est, hinc dulcor evangelici stillat eloquii.3" In viel wahrnehmbarerer Weise äußert sich in Anselms Schrifttum seine dialektische Vorbildung und Schulung. Er hat die Dialektik in den Dienst der theologischen Spekulation gestellt zu dem Zwecke, um seine Gedankengänge in einer klaren, wissenschaftlich korrekten Aufeinanderfolge, Fassung und Gliederung vorführen zu können. Die Dialektik dient der formalen Seite seiner wissenschaft1
S. Anselmi Vita 1. 1, c. 2, n. 11: „Praeterea libros, qui ante id ternporis nimis corrupti ubique terrarum erant, nocte corrigebat." 2 L. 1 ep. 34 (M., P. L. CLVIII 1106). 3 L. 3 ep. 119 (ebd. CLIX 156).
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liehen Lebensarbeit. Die theologischen Schriften Anselms zeichnen sich vor den mehr praktisch orientierten Arbeiten seiner Vorgänger und Zeitgenossen durch eine streng wissenschaftliche Formulierung, durch klare und scharfe Fragestellung, durch präzise Fixierung der Begriffe und durch große Sorgfalt der Beweisführung aus. Wie gründlich hat er nicht in seiner Schrift „Cur Deus homo" die Begriffe Freiheit, Notwendigkeit, Sünde, Genugtuung usw. analysiert und festgelegt!x Er ist stets bemüht, eine scharf abgegrenzte Terminologie zu schaffen und von den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten eines Terminus durch scharfsinnige Distinktion die richtige und für den betreffenden Fall passende herauszuheben2. Dieses sein Streben, in möglichst klarer und konsequenter Form seine Gedankenreihen vorzuführen, hat ihn auch veranlaßt, mit Vorliebe sich des Dialoges zu bedienen. Diese Dialogform ermöglicht eine sehr scharfe Präzisierung des status quaestionis3 und eine unzweideutige Aussprache über die grundlegenden Begriffe des zu verhandelnden Problems. Die Dialogform ermöglicht die Entwicklung und Lösung des Problems auf dem Wege der interrogatio und responsio4. Die Diskussion findet ihren Abschluß, wenn der Discipulus keine Frage mehr zu stellen, kein Bedenken mehr zu erheben in der Lage ist 1 F u n k e , Satisfaktionstheorie des hl. Anselm 87 f: „Zunächst im Besitze einer auf das genaueste fixierten F r a g e s t e l l u n g verfügt er bei seinen t i e f e r e n und k o r r e k t e r e n Ideen über ein ganz anderes Begriffsmaterial zur Aufführung seines Lehrgebäudes, als seine Vorgänger. Während diese ihre Ausführungen meistens homiletischen und paränetischen Zwecken dienstbar machten und deshalb keine Veranlassung hatten, die Begriffe genau zu analysieren und klarzustellen, ja sogar vielfach weiteren begrifflich-abstrakten Deduktionen zweckentsprechenderweise geradezu aus dem Wege gingen, war er vom streng w i s s e n s c h a f t l i c h e n Interesse geleitet und beherrscht. Daher bei ihm die Untersuchungen über die ausdrücklich aufgeworfenen Fragen nach den Begriffen der Freiheit, Notwendigkeit, Sünde, Ehre Gottes, Genugtuung usw., wie wir sie in der g a n z e n Patristik vor ihm n i r g e n d w o finden." 2 So im Monologium c. 8 (M., P. L. CLVIII155—166): „Quomodo intelligendum sit quod omnia fecit ex nihilo" etc. Er gibt zur Anbahnung einer Lösung dieser Frage eine dreifache interpretatio (significatio) des Schaffens und Werdens aus nichts. 3 Über die genaue Fragestellung des Dialoges „Cur Deus homo" vgl. F u n k e a. a. 0. 123 ff. 4 „Et quoniam ea, quae per interrogationem et responsionem investigantur, multis et maxime tardioribus ingeniis magis patent, et ideo plus placent: unum ex illis qui hoc flagitabant, qui inter alios instantius ad hoc me sollicitat, accipiam mecum disputantem: ut Boso quaerat et Anseimus respondeat" (Cur Deus homo 1. 1, c. 1; M., P. L. CLVIII 362). Vgl. den Prolog zum Dialog De veritate (ebd. 467).
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und dank den Ausführungen, Antworten und Beweisgängen des auf alle Schwierigkeiten sorgsam und liebevoll eingehenden Magisters über die vorwürfige theologische Materie sowohl im ganzen wie auch in den einzelnen Punkten sich völlig klar ist 1 . Es springt die Ähnlichkeit dieser anselmianischen Dialogform mit der in den Summen, Sentenzenkommentaren, Quaestiones und Quodlibetalia der Hochscholastik sich uns darbietenden, nach dem Schema: obiectiones — responsio principalis (corpus articuli) — responsiones ad obiectiones konstruierten äußeren Technik der philosophisch-theologischen Darstellung in die Augen. Beide Darstellungsformen beruhen auf Rede und Gegenrede, auf quaestio und responsio (solutio). Abälard, der durch seine Schrift „Sie et non" für die Ausbildung der äußeren Technik der scholastischen Methode bedeutsam geworden ist, tritt uns zugleich auch als Verfasser von Dialogen entgegen. Anselm hatte für die Gestaltung seiner Dialoge ein erhabenes Vorbild in augustinischen Schriften, an Boethius und auch in einer Reihe von Elaboraten der Vorscholastik2. Seine Dialoge sind in ihrer ganzen Anlage und Technik von der Dialektik beeinflußt und stehen schon hierdurch mit der im 12. Jahrhundert besonders nach dem Bekanntwerden der ganzen aristotelischen Logik sich rasch entwickelnden Disputationsmethode auf einem gemeinsamen Boden. Die Dialogform, wie sie Anselm gepflegt, hat vor der in der Hochscholastik, z. B. in der theologischen Summa des hl. Thomas gebräuchlichen äußeren Technik der Darstellung, eine gewisse dramatische Frische und Lebendigkeit, eine das Interesse stets rege erhaltende Abwechslung und eine größere Betonung des inneren Zusammenhangs der einzelnen Einwände voraus. Hingegen treten in, der dreiteiligen Anordnung der Darlegung nach obiectiones — responsio principalis und responsiones ad obiectiones die Hauptgedanken und Hauptzusammenhänge markanter hervor und ist zugleich auch für eine eingehendere und weiter ausholende Begründung der Hauptsätze mehr Raum gegeben. Desgleichen 1 So schließt im Dialog „De libero arbitrio" der Discipulus die Diskussion also: „De diffinitione et divisione libertatis huius Deo annuente, sie mihi satisfecisti, ut nihil queam invenire quod necesse habeam de illis interrogare" (c. 14; M., P. L. CLVIII 506). 2 Zur Geschichte des Dialoges vgl. die grundlegenden Untersuchungen von R. H i r z e l , Der Dialog. Ein literarhistorischer Versuch, 2 Bde, Leipzig 1895. Der Schwerpunkt dieses Werkes liegt auf der Antike, dem Mittelalter und der Neuzeit ist eine eingehendere Behandlung in demselben nicht gewidmet. Vgl. auch 0. Z ö e k l e r , Der Dialog im Dienste der Apologetik.
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läßt sich hier besser eine Übersicht über größere Wissensgebiete erzielen und viel leichter ein System der gesamten philosophischtheologischen Wahrheit konstruieren, vorausgesetzt, daß nicht die großen leitenden Gedanken durch eine Überfülle von Einwänden und Subtilitäten verdunkelt und verdrängt werden. Indessen liegen diese vergleichenden Betrachtungen eigentlich über den Rahmen des mit Anselm abschließenden ersten Teiles der Geschichte der scholastischen Methode hinaus. Für uns kommt hier die Feststellung der Tatsache in Betracht, daß Anselm in der Dialektik gründlich geschult war, und daß diese dialektische Durchbildung für die formale Seite seines Schrifttums von Einfluß und Wert gewesen ist. Von noch größerer und weiter tragender Bedeutung für die Theologie des hl. Anselm ist seine Veranlagung und Vorliebe für metaphysische Spekulationen gewesen. W^enn wir die Werke des großen Erzbischofs von Canterbury, namentlich sein „Monologium" und „Proslogium", mit einem großen Teil der gedruckten und ungedruckten Sentenzen werke und Summen des 12. Jahrhunderts und auch noch des beginnenden 13. Jahrhunderts vergleichen, so überrascht uns die Fülle von Inhaltlichkeit, von tiefen Gedanken, von großartigen Ausblicken, von der Höhe und Tiefe der metaphysischen Spekulation, wodurch die Schriften Anselms, dem doch die aristotelische Metaphysik noch nicht bekannt sein konnte, an Wuchtr Erhabenheit und Schönheit des Inhalts diese späteren, teilweise schon von den ersten Strahlen der dem Abendlande allmählich zur Kenntnis kommenden metaphysischen Schriften des Stagiriten begrüßten Werke überragen. Während in letzteren Schriften die Dialektik, die durch das Zuströmen neuer logischer Quellen, vor allem der ganzen aristotelischen Logik weitergebildete Dialektik vielfach geschäftig an auctoritates, an Schrift- und Väterstellen scharfsinnige Kleinarbeit übt, wagt Anselm mutig den Höhenflug metaphysischer Spekulation. Gerade in dieser metaphysischen Betrachtungsweise müssen wir ein Hauptmoment für die Erzielung einer rationellen Einsicht in den Offenbarungsinhalt, wie sie in Anselms „credo, ut intelligam" programmatisch ausgesprochen ist, erkennen. Wenn wir die Schriften des hl. Anselm durchlesen, finden wir allenthalben ein liebevolles und tiefgehendes Eindringen in metaphysische Probleme. Es treten uns die großen metaphysischen Gedanken des hl. Augustin in einer Fassung und Verwertung entgegen, wie sie nur einem Augustin kongenialen Denker möglich ist. Einen
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spezifisch metaphysischen Charakter hat Anselms Dialog „De veritate" *, eine mit augustinischen Tinten geschriebene Abhandlung über den Begriff und die Formen der Wahrheit. Wenn auch hier Untersuchungen angestellt werden über die logische Wahrheit (veritas enuntiationis), über die moralische Wahrheit (rectitudo voluntatis, veritas actionis), so ruht doch der Schwerpunkt der Erörterung auf der ontologischen Wahrheit. Anselms alle Wahrheitsformen umspannende Definition der Wahrheit ist „rectitudo sola mente perceptibilis"2. Die augustinischen Einflüsse treten uns besonders in dem auch im „Monologium" ausgeführten Schluß vom Bestehen von Wahrheiten auf die Existenz Gottes als der höchsten Wahrheit, als der Wahrheit an sich (summa veritas per se subsistens) entgegen3. Es ist bezeichnend, daß Anselm von Oanterbury, der Vater der Scholastik, und Thomas von Aquin, der Fürst der Scholastik, Traktate über die Wahrheit geschrieben haben. Mögen auch des Aquinaten „Quaestiones disputatae de veritate" ein unvergleichlich reicheres Material mit viel größerer Klarheit und Wissenschaftlichkeit verarbeiten, so bedeutet doch auch Anselms mit viel geringeren Mitteln ausgearbeiteter Dialog „De veritate" einen über das Niveau seiner literarischen Zeitgenossen weit hinausreichenden Ansatz zu eindringender metaphysischer Spekulation4. Indessen hat viel reicher sich das metaphysische Talent Anselms in seinem „Monologium" entfaltet. Der Zug zur metaphysischen Spekulation verrät sich schon dadurch, daß Anselm als erster seit der Karolingerzeit wiederum Gott zum Gegenstand eingehender wissenschaftlicher Untersuchung und monographischer Darstellung machte5. In Handschriften ist sein „Monologium* auch als Traktat „De essentia divinitatis" und sein „Proslogium" als Abhandlung „De existentia divinitatis" charakterisiert. Anselm 1
M., P. L. CLVIII 467—486. Vgl. Dornet de V o r g e s , Saint Anselme 121—131. Eine eingehende Analyse und Würdigung des Dialoges „De veritate" gibt Van W e d d i n g e n , Essai critique sur 1a philosophie de S. Anselme Canterbury 59—71; De W u l f , Histoire de 1a philosophie medie'vale2 176. 2 C. 11 (M, P. L. CLVIII 480). 3 C. 10 (ebd. 478 f). In diesem Kapitel beruft sich Anselm auf seine Darlegungen im Monologium c. 18. 4 De W u l f a. a. 0. 177: „Moins präcise que 1a theorie thomiste, 1a doctrine me'taphysique de S. Anselme est cependant exacte.a Der hl. Thomas befaßt sich auch mit Anselms Definition der Wahrheit (De verit q. 1, a. 1; S. th. 1, q. 16). 5 Über Anselms Gotteslehre siehe Van W e d d i n g e n a. a. 0. 243—246; Dornet de V o r g e s a. a. 0.
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hat die Gotteslehre ausdrücklich vom spekulativen Standpunkt aus behandelt. Indem er geflissentlich eine Sammlung und dialektische Verarbeitung von auctoritates, von Väterzitaten über Gott und Gottes Eigenschaften vermied und die positive biblisch-patristische Darlegung der Gottes- und Trinitätslehre nicht in seinen Arbeitsplan aufnahm, mußte er, um seinen Ausführungen Inhalt und Zusammenhang zu geben, sich unter selbständiger Verwertung augustinischer Vorlagen in metaphysische Spekulationen vertiefen. Die Entwicklung der Beweise für das Dasein Gottes erheischte eine Untersuchung der Begriffe des Guten, des Vollkommenen, des Wahren, des Seins, der Ursache usw., die Erörterung der Eigenschaften Gottes, speziell der Ewigkeit, Unermeßlichkeit und Unveränderlichkeit, ließ sich nicht ohne Analyse der diese Eigenschaften unserem Denken näher bringenden metaphysischen Begriffe Zeit, Raum usw. anstellen. Die Trinitätslehre gab Anlaß zur Erörterung der metaphysischen Stammbegriffe Substanz, Person usw.; die Behandlung und Verdeutlichung der innergöttlichen Prozessionen führte zu einläßlichen, psychologischen Untersuchungen. Bedeutsame psychologische Darlegungen über Freiheit usw. bietet der Dialog „De libero arbitrio"1. Ein Erzeugnis des metaphysischen Genius Anselms ist sein sog. ontologischer Gottesbeweis. Es ist dieser vielerörterte Gottesbeweis »ein Gedanke, der, entsprossen dem kühnsten Philosophieren eines von der Allgewalt der Philosophie Überzeugten, getragen von dem Scharfsinn und der Abstraktionsgabe eines Feuerkopfes, eben wegen seiner eminenten Originalität die erst langsam diesen Fragen sich zuwendenden Geister zur Stellungnahme wenigstens gegenüber dem Gottesbeweis als solchem geradezu zwingen mußte* 2. Anselm hat sonach in umfassender Weise metaphysischen Problemen sein Augenmerk zugewendet3. Auch in seinen Briefen konnte er es sich nicht ver1 M., P. L. CLVIII 489—506. Zur Psychologie Anselms, die in den Handund Lehrbüchern der Geschichte der Philosophie vielfach nicht die verdiente Beachtung findet, vgl. Dornet de V o r g e s a. a. 0. 185. 2 G r u n w a l d , Geschichte der Gottesbeweise im Mittelalter, Münster 1907, 20. 3 M i g n o n (Les origines de 1a scolastique I 50) bemerkt bezüglich der metaphysischen Leistungen Anselms: „C'est ä juste titre en effet que 1e saint docteur a e"te appele* 1e fondateur de 1a me'taphysique au moyen-äge.u V a n W e d d i n g e n a. a. O. 57: „C'est avec Emotion que l'on salue cette grande et douce figure, ce moine fervent enivre* des dölices d'extase, mais pre'occupe' jusqu' a son dernier Souffle de montrer ä 1a raison tout ce qu'il lui est donne* d'entrevoir ici-bas de 1a vörite", des mysteres, de TAbsolu.u
Grabmann, Scholastische Methode. I.
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sagen, auf derlei Fragen einzugehen. So verbreitet er sich in einem Briefe an den Prior Bernhard und dessen Mönche über die Begriffe Substanz und Person in ihrer Anwendung in der Trinitätslehre und über die Verschiedenheit der Terminologie in der lateinischen und griechischen Patristik1. In einem Briefe an Mauritius behandelt er das Wesen des Übels2. Anselm von Canterbury hat seine an Augustinus entfachten metaphysischen Studien in den Dienst der Theologie gestellt, um eine rationelle Einsicht in den Glaubensinhalt zu erlangen. Wir stehen am Schlüsse unserer Untersuchungen über die Mittel, mit welchen Anselm einen intellectus fidei zu erreichen suchte. Eindringen in die geschöpflichen Analogien des Göttlichen, besonders Vertiefung in das Gottesebenbild in der Menschenseele, übernatürliche ethische Reinheit und Selbstheiligung, eine von allen nominalistischen Tendenzen freie, von gesundem Realismus getragene, großzügige Wahrheitsfreudigkeit, eine zweckmäßige Verwertung der Dialektik und eine tiefgehende metaphysische Spekulation, alle diese Momente haben Anselm von Canterbury dazu gedient, um eine rationelle Einsicht in den Glaubensinhalt zu gewinnen, um sein großes Programm: „Credo, ut intelligam" in mustergültiger Weise zu realisieren. B. Die systematisierende Funktion der ratio.
Die zweite Aufgabe, welche in der Spekulation des hl. Anselm die ratio leistet, ist eine zusammenfassende, systembildende Tätigkeit. Je tiefer der Menschengeist in einen Gegenstand eindringt, je gründlicher er sich mit einer einzelnen Wahrheit befaßt, je genauer er sich dieselbe nach allen Richtungen besieht, desto mehr Beziehungen, Zusammenhänge mit andern Wahrheiten wird er entdecken. Die Wahrheiten, natürliche wie übernatürliche, treten dem Geiste als ein Organismus, als eine geordnete Einheit vieler Teile gegenüber. Es drängt den forschenden Geist, diesen Wahrheitenkomplex entweder als Ganzes darzustellen oder wenigstens größere Gebiete, größere Ausschnitte aus diesem Wahrheitsorganismus herauszunehmen und im Zusammenhang darzustellen. Zu dieser systematisierenden, weite Wahrheitsgebiete überschauenden Tätigkeit leisten Metaphysik und Dialektik treffliche Dienste; die Metaphysik, indem sie große 1 2
L. 4, ep. 104 (M., P. L. CLIX 252—254). L. 2, ep. 8 (M., R L. CLVIII 1155).
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Gesichtspunkte, unter welche die Einzelfragen gestellt werden können, an die Hand gibt und die großen ontologischen Grund- und Stammbegriffe für die Architektonik eines einheitlichen Wissensgebäudes planmäßig benützt, die Dialektik, insofern dieselbe den Zusammenhang der einzelnen Wahrheiten und die diesen Zusammenhang ausdrückenden Schlüsse, Unterscheidungen und Begriffsbestimmungen klar, richtig und übersichtlich zu gestalten versucht. Anselm von Canterbury war ein hervorragendes systematisches Talent. H a r n a c k 1 bezeichnet ihn als einen „Systematiker von besonderer Energie, ja als den Begründer der mittelalterlichen Systematik trotz der noch bestehenden Dürftigkeit des philosophischen Stoffes". Loofs 2 findet, daß Anselms „Denken das Ganze in freierer und anziehenderer Weise umfaßte als die Systematik der formalistisch ausgebildeten späteren Scholastik". Auch P i c a v e t 3 ist voll Bewunderung für die geschlossene Einheit von Anselms theologischmetaphysischem System. Anselm hat zwar kein spekulatives Gesamtbild der christlichen Lehre im großen Stile entworfen, aber er hat systematische Behandlungen einzelner Hauptabschnitte der christlichen Spekulation dargeboten, sorgfältig und scharf ausgearbeitete Miniaturbilder von genialer Konzeption und großartiger Perspektive. Wie aus der Sainte-Chapelle in Paris, dieser Miniaturkathedrale, uns der architektonische Genius des Künstlers ebenso wie aus den majestätischen Kathedralen von Notre-Dame in Paris und Reims entgegenleuchtet, so bekunden die verhältnismäßig kleinen Traktate Anselms in ihrer strengen, von einem Gedanken beherrschten Gliederung ein nicht minder großes systematisches Geschick und Talent als wie die Folianten umspannenden theologischen Summen der Hochscholastik. Anselms Schriften sind mit logischer Schärfe und Konsequenz aus sichern Grundlagen und Voraussetzungen herausentwickelt, sie sind, wie F u n k e 4 treffend bemerkt, „zum großen Teil — namentlich ,Cur Deus homo' — fast nichts als eine Kette von Syllogismen, die aufeinander aufbauen, ein einziger großartiger Schluß". 1
Dogmengeschichte4 330. Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte4 506. 8 Esquisse d'une histoire compare"e des philosophies me'clie'vales 186: „Ses oeuvres, analyse"es et rappröch^es, offrent un Systeme the'ologico-me'täphysique, d'unitö et d'une liaison incontestables." 4 Satisfaktionstheorie des hl. Anselm von Canterbury 122. 21* 2
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Ein Meisterwerk der Systematik ist sein „Monologium", „eine vollständige, streng logisch gegliederte und entwickelte Lehre von Gott in der Einheit der Natur und der Dreifaltigkeit der Personen" K Es ist diese inhaltsschwere Schrift aus dem Begriff des Absoluten herausentwickelt. Die Grundlegung bildet der aus metaphysischen Gesichtspunkten fließende Erweis des Daseins Gottes. Aus dem Begriff des Guten, des Vollkommenen, aus dem Begriff des Seins und aus der Gradverschiedenheit der Dinge wird die Existenz eines summe magnum, summe bonum, summum ens sive subsistens, id est summum omnium, quae sunt, die Existenz Gottes in strenger Gedankenabfolge nachgewiesen2. Die bei den Gottesbeweisen gewonnenen Erkenntnisse über die Natur Gottes werden bei der Behandlung der Eigenschaften Gottes weiter verwertet und vertieft. Zunächst wird im Anschluß an die Gottesbeweise in einer sehr eindringenden Weise über das Wesen Gottes gehandelt und dargetan, daß diese summa natura weder durch sich selbst noch durch etwas anderes verursacht wird, daß diese summa natura per se et ex se ipsa ist 3 . Nach Feststellung und metaphysischer Erläuterung der göttlichen Aseität wird in einer Reihe von Kapiteln eingehend erörtert, daß und wie alles außergöttliche Seiende, die rerum universitas, von Gott beursacht ist 4 . Hierbei wird dem Schöpfungsbegriff, dem facere ex nihilo und der Lehre von den göttlichen Ideen, deren Abbilder die geschaffenen Dinge sind, besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Anselm benützt zur Verdeutlichung dieser Fragen die Analogie des künstlerischen Schaffens. Auch die Abhängigkeit der Geschöpfe in ihrem Fortbestande von der erhaltenden Tätigkeit und Fürsorge Gottes wird hervorgehoben. Mit Kapitel 15 beginnt die Abhandlung über die Eigenschaften Gottes. Zunächst wird im allgemeinen festgestellt, wie alle Attribute Gott substantialiter zukommen, wie Gott summa essentia, summa vita, summa ratio, summa iustitia usw. ist 5 . Alle diese Gedankengänge sind geleitet von dem Gedanken, daß die summa natura per se et ex se ipsa ist, also von der Idee der Aseität. Auf Grund dieser allgemeinen Überlegung über die göttlichen Eigenschaften werden im einzelnen die Einfachheit, die Ewigkeit, die Unermeßlichkeit und Allgegenwart 1
S c h e e b e n , Dogmatik I 424. G r u n w a l d , Geschichte der Gottesbeweise im Mittelalter261f. B ä u m k e r , Witelo 290—310. Die Gottesbeweise Anselms reichen von Kap. 1 bis 4. 3 4 5 Kap. 5 u. 6. Kap. 7—14. Kap. 15 u. 16. 2
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und die Unveränderlichkeit in einer lichtvollen, gedankentiefen und bei den bescheidenen metaphysischen Hilfsmitteln Anselms doppelt überraschenden streng wissenschaftlichen Weise besprochen1. Das Kapitel 29 eröffnet die Trinitätslehre, die einen ebenso streng gegliederten systematischen Aufbau wie die allgemeine Gotteslehre aufweist. Es wird zunächst an den schon in der allgemeinen Gotteslehre gebrauchten Begriff der göttlichen locutio, per quam facta sunt omnia, angeknüpft und die Konsubstantialität dieses göttlichen Wortes mit dem Summus Spiritus, mit der unendlichen geistigen Natur Gottes dargetan. In einer ausführlicheren Weise, als es selbst in der späteren Scholastik, in der eigentlichen Hochscholastik geschah, wird von Anselm die Beziehung des göttlichen Wortes zu den geschöpflichen Dingen besprochen und hervorgehoben, daß der Summus Spiritus und das Verbum ein Schöpfer, ein Prinzip aller endlichen Dinge seien2. In Kapitel 38 wird das gegenseitige Verhältnis zwischen Summus Spiritus und Verbum in das Auge gefaßt und einstweilen festgestellt, daß sie, unbeschadet ihrer Konsubstantialität, duo sind. Diese ineffabilis pluralitas hat darin ihren Grund, daß es dem einen eigentümlich ist, von einem andern zu sein, während das diesem andern eigentümlich ist, daß der erstere von ihm ist 3 . Die weitere methodisch sicher fortschreitende Untersuchung über die Art und Weise des Hervorganges des Verbum aus dem Summus Spiritus kommt zu dem Ergebnis, daß es sich hier um einen Hervorgang durch Zeugung handle und demnach der Summus Spiritus zum Verbum sich als Vater zum Sohn, als genitor zum genitus verhalte4. Der Charakter dieser Zeugung als einer intellektuellen Zeugung gibt Anlaß zu Ausführungen über den Sohn als intelligentia, sapientia Patris usw. An die Logoslehre schließt sich mit Kapitel 49 die Lehre vom göttlichen Heiligen Geiste an, dessen Hervorgang aus Vater und Sohn als hypostatische göttliche Liebe eingehend erörtert wird. Daran schließt sich eine Reihe von Fragen über das gegenseitige Verhältnis der drei göttlichen Personen. Auch die trinitarische Perichorese wird behandelt5. Den Abschluß dieser den Höhepunkt der Spekulation Anselms bedeutenden Trinitätslehre bildet eine mit Kapitel 64 beginnende Darlegung des Verhältnisses der menschlichen Vernunft zu dem Geheimnis der Trinität. Die damit zusammen1 5
Kap. 17—28. Kap. 59.
2
Kap. 30-37.
3
Kap. 38.
4
Kap. 39 ff.
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hängende Erörterung des Abbildes der Trinität in der menschlichen Seele bildet den Übergang zu dem Schlußgedanken des „Monologium", daß die Trinität Inhalt unseres Glaubens, Hoffens und Liebens ist 1 . Aus dieser kurzen Skizze des Aufrisses von Anselms „Monologium" dürfte unschwer zu ersehen sein, daß es sich hier um eine hervorragende systematische Leistung handelt. Während in den Seiitenzenwerken des 12. Jahrhunderts, besonders in den Sentenzen des Lombardus und zum guten Teile auch in den ungedruckten Summen des endenden 11. und beginnenden 12. Jahrhunderts und selbstverständlich auch in den Kommentaren zu den Sentenzen des Lombarden, eine Trennung der allgemeinen Gottes- und Trinitätslehre nicht vorgenommen ist und überhaupt der systematische Zusammenhang der theologischen Probleme als ein ziemlich loser erscheint, während noch in den Zeiten der Hochscholastik der hl. Thomas 2 an der Spitze seiner theologischen Summa sich über den Mangel an Systematik in den zeitgenössischen wissenschaftlichen Publikationen beklagt, tritt uns im „Monologium" des hl. Anselm an der Schwelle der Frühscholastik die Kraftprobe eines ganz außerordentlichen systematischen Talentes entgegen. Das ungemein tiefe, in strenger Konsequenz vorgehende Nachdenken eines spekulativen Genius über die höchsten Wahrheiten, über die schwierigsten Fragen ist hier nach außen projiziert. Man wird in der theologischen Literatur nicht leicht einen so prägnanten, scharfsinnigen, fein systematisierten Grundriß der Gottesund Trinitätslehre finden3. „Das ,Monölogium'u, sagt H a s s e 4 , „kann man schon eine Summa im kleinen nennen; denn wenn es auch ex professo nur die Theologie im engeren Sinne behandelt, so leitet es doch aus dieser die Grundzüge der Kosmologie und Anthropologie, selbst der Soteriologie ab, entwirft also gleichsam einen Riß der gesamten Kirchenlehre, stellt eine Metaphysik derselben auf, und in so spekulativ-systematischer W'eise, daß schwerlich ein Werk der Scholastik in dieser Weise sich mit ihm messen darf." Eine Ergänzung der im „Monologium" entwickelten Lehre von Gott in der Einheit der Natur ist Anselms „Proslogium". Es beginnt 1
2 Kap. 69—79. g. th. 1, prologus. B a i n v e l , Artikel „Anselme" in Dictionnaire de th^ologie cath. I 1335: „Ni les Peres, ni Augustin n'avaient rien de si pre*cis, de si puissamment raisonne", de si fortement lie sur l'essence et tes attributs de Dieu, et je ne pense pas que depuis on ait rien de si bien comme pre"cis de the'odice"e.B 4 Anselm von Canterbury, 2. Tl, 33. 3
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dieses Schriftchen, das in vielen Stücken an die Unmittelbarkeit und die lebendige Begeisterung der „Confessiones" Augustins erinnert, mit einer Aufmunterung der Seele zur Betrachtung Gottes. Der Mensch ist zum Schauen Gottes geschaffen. Er sucht Gott, kann Gott aber nur suchen, wenn Gott ihn belehrt, er kann Gott nur finden, wenn Gott sich ihm zeigt. Den Kernpunkt des Schriftchens bildet der sog. ontologische Gottesbeweis. Im Anschluß daran folgt eine ziemlich gegliederte ausführliche Darstellung der Eigenschaften Gottes, besonders der ethischen Eigenschaften, die im „Monologium" weniger berücksichtigt sind. Das Büchlein klingt aus in einer farbenfrischen Schilderung des beseligenden Besitzes und Genusses des dreieinigen Gottes. Wenn auch im „Proslogium" neben dem metaphysischspekulativen Moment der mystisch-kontemplative Zug sich sehr bemerkbar macht, so zeigt doch auch diese Schrift Anselms, wenn auch nicht in dem Grade wie das „Monologium*, sein prächtiges systematisches Talent. Eine Ergänzung der Trinitätslehre des „Monologium* ist Anselms Schrift „De processione Spiritus Sancti contra Graecos", die gleichfalls von dem methodischen und systematischen Können ihres Verfassers Zeugnis gibt1. Der streng logische Beweisgang Anselms stützt sich auf das, was in der Trinitätslehre gemeinsame Doktrin der Lateiner und Griechen ist, um von da aus durch spekulative Argumente und durch biblische Beweise den Hervorgang des Heiligen Geistes auch aus dem Sohne darzutun und die Gegenargumente der griechischen Schismatiker zu entkräften2. Anselm hat in dieser Schrift die Lehre von den göttlichen Eelationen behandelt und im zweiten Kapitel den Gedanken als trinitarisches Grundgesetz ausgesprochen, daß in Gott alles unum ist, ubi non obviat aliqua relationis oppositio, ein Gedanke, der für die trinitarische Spekulation der späteren Theologie bedeutsam und fruchtbar geworden ist und der im „Decretum pro Iacobitis" des Florentinums Aufnahme in die kirchliche Lehre gefunden hat 3 . 1
M., P. L. CLVIII 280—326. Kap. 1: „Quae communis est Latinis et Graecis fides de Trinitate". Man vergleiche diesen vorzugsweise mit spekulativen Argumenten operierenden polemischen Traktat des hl. Anselm mit den hauptsächlich patristisehes Material verwertenden parallelen Schriften „Contra errores Graecorum" des hl. Thomas von Aqnin und „De aeterna processione Spiritus Sancti" des Kardinals Matthäus von Aquasparta. 3 Vgl. J a n s s e n s , De Deo trino 252ff; P o h l e , Dogmatik I 2 336. Die dogmengeschichtlich hochbedeutsame Stelle steht De processione Sp. S. c. 2 mit 2
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Anselms glänzendes systematisches Talent strahlt uns auch aus seinem „Cur Deus homo", das die Satisfaktionstheorie darstellt, entgegen. „Die Klarheit des Begriffsmaterials ermöglichte es und befähigte, ja drängte den hl. Anselm, nun auch eine formell vollkommene Theorie, soweit es seinem Zwecke entsprach, aufzustellen, seine Fundamente tief zu legen, sowie Voraussetzungen festzustellen und so ein ganzes, dialektisch einheitliches Lehrgebäude von herrlichem Material und vollendet logischer Struktur und Architektonik aufzuführen, das erste in seiner Art." * Die Systematik von „Cur Deus homo" äußert sich weniger in einer genauen, allenthalben eingehaltenen Disposition als vielmehr in der streng logischen Herausarbeitung und Herausentwicklung der Gedankengänge aus festen metaphysischdialektischen und dogmatischen Voraussetzungen und Grundlagen. Das System von Anselms „Cur Deus homo" ist, um hier einen Gedanken Trendelenburgs zu verwerten, nicht so fast ein System der A n o r d n u n g als vielmehr ein S y s t e m der E n t w i c k l u n g 2 . So verschieden auch die sachliche und geschichtliche Beurteilung der Satisfaktionstheorie Anselms je nach dem Standpunkt der Autoren ist, so einstimmig ist die Anerkennung der geschlossenen Systematik des Schriftchens „Cur Deus homo". So bemerkt H a r n a c k , der namentlich in seinem „Lehrbuch der Dogmengeschichte" eine ziemlich radikale Kritik an Anselms Genugtuungslehre übt, in seiner „kürzeren Darstellung der Dogmengeschichte"3, daß „Anselm in der dialogisch folgendem Inhalt: „Sie ergo huius unitatis et huius relationis consequentiae se contemperant; ut nee pluraiitas quae sequitur relationem transeat ad ea in quibus praedietae simplicitas sonat unitatis; nee unitas cohibeat pluralitatem, ubi eadem relatio significatur; q u a t e n u s n e e u n i t a s a m i t t a t a l i q u a n d o s u a m c o n s e q u e n t i a m , u b i n o n o b v i a t a l i q u a r e l a t i o n i s o p p o s i t i o ; nee relatio perdat quod suum est, nisi ubi obsistit unitas inseparabilis* (M., P. L. CLVIII 288). 1 F u n k e , Satisfaktionstheorie des hl. Anselm von Canterbury 98. Er gibt S. 82 ff einen Überblick über den Aufbau von Anselms „Cur Deus hoino". Vgl. auch J. F. M u t h , Die Heilstat Christi als stellvertretende Genugtuung, München 1904, 20 ff. S t a a b , Die Lehre von der stellvertretenden Genugtuung Christi, Paderborn 1908, 181 ff. 2 Adolf T r e n d e l e n b ü r g , Logische Untersuchungen II, Berlin 1840, 335 f: „Wir unterscheiden ein S y s t e m der A n o r d n u n g und ein S y s t e m der E n t w i c k l u n g . Beide beherrschen eine Vielheit der Erkenntnisse durch die Einheit. In dem einen waltet die Übersicht der Einteilung, in dem andern die lebendige Erzeugung eines Prinzips. In jenem werden fertige Substanzen nach ihrer Verwandtschaft zusammengestellt, in diesem entstehen sie aus ihren Gründen.11 3 Dogmengeschichte* 838.
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geschriebenen Schrift ,Cur Deus homo4 das Ganze der christlichen Religion in einen Punkt zusammenfaßt, einheitlich und logisch behandelt hat". Loofs 1 schreibt über Anselm: „Seine libri duo ,Cur Deus homo4 sind ein genialer Versuch, alle kirchlichen Dogmen in einen zentralen Gedanken zusammenzufassen; sein Kollokutor Boso gesteht zum Schlüsse: Per unius quaestionis, quam proposuimus, solutionem, quidquid in novo veterique testamento continetur, probatum intelligo." Auch K r ü g e r 2 redet im Hinblick auf die Schrift „Cur Deus homo" von „der wohlüberlegten, festgefügten und allgemeine Gültigkeit beanspruchenden Dialektik Anselms". Fragen der Inkarnationslehre sind mit solchen der Trinitätslehre zusammengestellt und gemeinsam behandelt in der schon oben bei Behandlung des Standpunktes Anselms in der Universalienfrage gewürdigten Streitschrift gegen Roscelin: „Liber de fide Trinitatis et de incarnatione Verbi", eine Zusammenstellung, die uns auch in der patristischen Literatur begegnet und die später auch bei Abälard und Hugo von St Viktor usw. sich findet. So hat Anselm in einer Reihe von gedankentiefen und sorgsam ausgearbeiteten Monographien ein herrliches systematisches Talent bekundet. Da er das positive Material aus Schrift und Patristik voraussetzte und deshalb nicht in die Darstellung aufnahm, so konnte er die Zusammenhänge und innersten Beziehungen der einzelnen Wahrheiten um so schärfer herausarbeiten, um so klarer die Auswirkung großer Prinzipien und Ideen auf den verschiedenen Gebieten der theologischen Spekulation verfolgen und nachweisen. Die Stetigkeit und Stringenz der Systematik war bei Anselm auch nicht gestört durch müßige Schulfragen und nicht zur Sache gehörige Subtilitäten. Wenn auch Anselm von Canterbury noch nicht in einer großen Summa den Gesamtinhalt der natürlichen und übernatürlichen Wahrheit zusammengefaßt hat, so ließe sich doch unschwer aus seinen Spezialarbeiten eine die Häuptpunkte der christlichen Lehre spekulativ vorführende Gesamtdarstellung, eine Art von theologischer Summa zusammenstellen. Anselm weist selbst öfters auf den innigen Kontakt seiner Schriften hin. Es knüpfen seine Schriften mehrfach an 1 Leitfaden der Dogmengeschichte * 507. F. Ch. B a u r (Die christliche Lehre von der Versöhnung in ihrer geschichtlichen Entwicklung [1838] 189) sieht in der Satisfaktionstheorie Anselms „eine glänzende Prohe des dialektisch-spekulativen Scharfsinns der Scholastiker1*. Vgl. auch Ne an d e r , Christliche Dogmen geschichte, Berlin 1857, 100. 2 Das Dogma von der Dreieinigkeit und Gottmenschheit 263.
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Gedanken an, die in andern seiner Schriften schon angedeutet und mehr vorübergehend besprochen worden waren und die nun zum Vorwurf einer eigenen monographischen Behandlung von ihm gemacht werden. So verweist er im Prolog zum Dialog „De veritate" auf den Zusammenhang der vier in Dialogform abgefaßten Traktate „De grammatico", „De veritate", „De libero arbitrio" und „De casu diaboli" und wünscht, wenngleich diese Abhandlungen kein inhaltliches förmliches Kontinuum bilden, dennoch, in Anbetracht der inhaltlichen Zusammenhänge und der Darstellungsweise derselben, daß sie in der entsprechenden angegebenen Reihenfolge kopiert werden möchten1. Der Dialog „De veritate" knüpft an einen Gedanken des 18. Kapitels des „Monologium" an, die Schrift „De conceptu virginali et originali peccato"2 ist, wie aus Anselms Prolog hierzu ersichtlich ist3, die nähere Ausführung und Vertiefung eines in der Schrift „Cur Deus homo" ausgesprochenen Gedankens. Wenn Anselm ein und dasselbe Gebiet der Theologie, z. B. die Gotteslehre, die Trinitätslehre, in zwei oder mehreren Schriften behandelt, so handelt es sich bei ihm keineswegs um sachliche Wiederholungen mit etwa nur veränderter äußerer Anordnung der Gedankengänge, sondern vielmehr um Behandlung und Beleuchtung verschiedener Seiten und Gesichtspunkte ein und desselben Themas. In dieser Weise ergänzen und vervollständigen sich zwei oder mehrere Schriften zu einer umfassenden und eindringenden Erörterung eines abgegrenzten Gebietes der theologischen Spekulation. Wenn wir die hauptsächlichsten Schriften Anselms gemäß ihrem Inhalt und ihrem gegenseitigen Nexus zu einem systematischen Ganzen zusammenfügen wollen, so stellt sich uns im „Monologium", im „Proslogium" und in der Streitschrift „De processione Spiritus Sancti contra Graecos" ein wirksames Gesamtbild der Lehre von Gott dem Einen der Natur nach, dem Dreipersönlichen und dem schöpferischen Prinzip alles Endlichen dar. Der an einen Gedanken des „Mono1 „Qui videlicet tractatus, quamvis nulla continuatione dictaminis cohaereant, raateria tarnen eorum, et similitudo disputationis exigit, ut simul eo, quo illos commemoravi, ordine cooscribantur. Licet itaque a quibusdam festinantibus alio ordine sint conscripti, antequam perfecti essent, sie tarnen eos, ut hie posui, volo qrdinari" (M., P. L. CLVIII 468). 2 Ebd. 431—464. Über die in dieser Schrift Anselms vorgetragene Erbsündenlehre vgl. E s p e n b e r g e r , Die Elemente der Erbsünde nach Augustin und der Frühscholastik, Mainz 1905, 59—72. 3 M., P. L. CLVIII 431.
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logium" anknüpfende Dialog „De veritate" bildet den Übergang zur theologischen Betrachtung des Menschen und stellt in den Grundzügen eine Psychologie des menschlichen Verstandeslebens dar. Eine Psychologie des Willenslebens gibt der Dialog „De libero arbitrio"1, während der Dialog „De casu diaboli" 2 einen Einblick in die Psychologie der Engelwelt, speziell der gefallenen Engelwelt gewährt und das Wesen der Sünde beleuchtet (Hamartologie). Den Übergang zur Inkarnationslehre bildet der Traktat „De conceptu virginali et de originali peccato", eine eingehende Theorie der Erbsünde. Die Inkarnationslehre selbst ist Gegenstand der zwei Bücher „Cur Deus homo" und der Streitschrift gegen Roscelin „De fide Trinitatis et de incärnatione Verbi". Während letztere Schrift, die in mehreren Kapiteln sich mit der Trinitätslehre befaßt und damit den inneren und innigen Zusammenhang zwischen Trinitäts- und Inkarnationslehre dartut, Grundfragen der Christologie erörtert, ist das Büchlein „Cur Deus homo" eine originelle, tiefgehende Behandlung der Soteriologie. Probleme der Gnadenlehre kommen in der gedankentiefen Schrift „De concordia praescientiae et praedestinationis necnon gratiae Dei cum libero arbitrio" 3 zur Sprache. Kleine Fragmente einer Sakramentenlehre sind die Abhandlungen „De tribus Waleranni quaestionibus ac praesertim de azymo et fermentato", „De sacramentorum diversitate ad Walerannum episcopum" und „De nuptiis consanguineorumu 4. Der systematische Zusammenhang der Schriften des hl. Anselm ist von späteren Bearbeitern und Kommentatoren in der nachtridentinischen Periode der katholischen Theologie wahrgenommen worden. Jos. P o r t a 5 und N. M. T e d e s c h i 6 haben die Gesamtlehre des hl. Anselm in Form eines theologischen Lehrbuches dargestellt. Saenz d' A g u i r r e 7 hat seinen inhaltsschweren Kommentar 1
2 Ebd. 489—506. Ebd. 325—360. Ebd. 507—542. 4 Ebd. 541—548 551—554 557-560. 5 Theologia scholastica secundum principia S. Anselmi, Romae 1690. 6 Scholae S. Anselmi doctrinae, Romae 1705. Vgl. H u r t er» Nomenclator 2 JI 1296. 7 Theologia S. Anselmi commentariis et disputationibus tum dogmaticis tum scholasticis illustrata. Dieses Werk, das wir schon des öfteren zitiert haben, ist ein Kommentar des „Monologium" bis Kap. 66, also eine sehr eingehende Darstellung der Trinitäts- und Gotteslehre des hl. Anselm. Über Kardinal Saenz d'Aguirre vgl. H u r t e r a. a. O. 521 ff; KL. I 2 366 ff; Dictionnaire de thex>logie catholique I 639 ff. 3
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zum „Monologium" in drei Folianten geschrieben und namentlich die Beziehungen Anselms zur späteren Scholastik, besonders zum hl. Thomas von Aquin beleuchtet. Joh. B. L a r d i t o hat in drei Folianten die Bücher „Cur Deus homo", „De fide Trinitatis et de incarnatione Verbi", „De processione Spiritus Sancti" und „De conceptu virginali et de originali peccato" in ausführlicher Weise kommentiert und fortwährend auf die parallelen Gedankengänge des Aquinaten hingewiesen1. O l i v a r e z 2 hat einen Kommentar zu sämtlichen Werken des hl. Anselm veröffentlicht. Freilich haben diese Theologen oft zu sehr die Konkordanz zwischen Thomas und Anselm betont und hierdurch die Eigenart der anselmianischen Spekulation etwas verwischt. Auch sind diese Kommentare, welche Arsenale scholastischer Gelehrsamkeit sind, zu breit und zu massig angelegt. Es kommt deswegen, so sehr auch der Zusammenhang der einzelnen Gedanken und Schriften Anselms ins Auge gefaßt ist, die Systematik des hl. Anselm nicht wirksam genug zur Geltung. C. Die Betätigung der ratio in Lösung von Einwänden und Ausgleichung scheinbarer Widersprüche.
Die ratio, die Vernunft, hat in der Spekulation des hl. Anselm nicht bloß eine rationelle Einsicht in den Offenbarungsinhalt anzustreben, nicht bloß eine zusammenfassende Überschau über größere Wahrheitsgebiete in systematischer Darstellung zu geben, sie hat auch noch als dritte Funktion die Lösung der Schwierigkeiten anzustreben, welche bei Erforschung der Wahrheit, namentlich der übernatürlichen Wahrheit, dem begrenzten Menschengeiste sich aufdrängen und das Vordringen in den hienieden möglichen Vollbesitz der Wahrheit verlangsamen. 1
Die drei Bände des Werkes von L a r d i t o , der ebenso wie Saenz d'Aguirre Benediktiner war, sind betitelt: a) S. Anselmi. . . uterque über Cur Deus homo nee non alius de incarnatione Verbi et fide Trinitatis scholiis et commentariis illustratus, disputationibus scholasticis complectens, quidquid a S. Thoma q. 1—26de Deo incarnato examinatur, Salmanticae 1699. b) De summa Trinitate, de voluntate Dei eiusque visione beatifica, Salmanticae 1700 (Erklärung zu De processione Sp. S.). c) De peccatis in communi et in particulari, Salmanticae 170& (Erklärung zu De conceptu virginali et de originali peccato). Über Lardito vgl. H u r t e r , Nomenciator II 2 362. 2 Commentarius in universos S. Anselmi traetatus, Vallisoleti Salmanticae1776—1785.
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Es treten dem Theologen gerade bei seinem Bemühen, eine rationelle Einsicht in den Glaubensinhalt zu gewinnen und die übernatürlichen Geheimnisse mit den Mitteln und Formen des natürlichen Denkens und Wissens zu erklären und zu verdeutlichen, gleichsam dunkle Punkte in diesen leuchtenden Heils Wahrheiten entgegen, Denkschwierigkeiten, scheinbar unlösbare Widersprüche zwischen übernatürlichen Glaubenswahrheiten und zwischen sicher feststehenden Resultaten der philosophischen Spekulation. Desgleichen begegnen dem Theologen bei seiner systematisierenden Tätigkeit Lehrpunkte, deren Wahrheit durch die Offenbarung sicher und unzweifelhaft feststeht, die aber scheinbar miteinander sich gar nicht oder nur sehr schwer vereinbaren lassen und die sich deshalb nicht gut, zumal als harmonische Bauglieder, in das einheitliche spekulative Gebäude des christlichen Wahrheitsystems einfügen lassen. Hat nun Anselm und nach und mit ihm die folgende Scholastik gleich den Vertretern des Modernismus unserer Tage die Lösung dieser Schwierigkeiten in der Weise angestrebt, daß Religion, Offenbarung und Glaube aus dem Bereich der Vernunft, des Denkens und Erkennens eliminiert und in das Gebiet des Wollens und des Gefühles transloziert und so zwei voneinander unabhängige Bezirke, der Bezirk des Intellekts für die Wissenschaft, der Bezirk des Willens und Fühlens für den Glauben geschaffen wurden ? Anselm von Canterbury hat als kongenialer Schüler Augustins sicherlich dem Wollen und auch dem religiösen Empfinden die gebührende Stelle angewiesen — dafür sind sein „Proslogium" und seine „Meditationes" Zeugen —, aber er hat, überzeugt von der Kraft der Vernunft, festhaltend an den unverrückbaren Grundsätzen der Metaphysik, eine Lösung dieser Schwierigkeiten auf dem Boden des Intellekts für möglich erachtet und eine solche Lösung auch erfolgreich versucht. Es ist in der Tat für das spekulative Talent des Theologen gar oftmals ein schwieriges Unternehmen, zwei in Widerspruch stehende Wahrheiten auszugleichen und eine harmonische Eingliederung derselben in das theologische System zu bewerkstelligen. Diese Harmonisierung geschieht in der Regel dadurch, daß diese zwei scheinbar disharmonierenden Wahrheiten durch eine dritte Wahrheit, welche diese Dissonanz nur als eine scheinbare, nicht im Offenbarungsinhalt, sondern in der Relativität des menschlichen Erkennens gründende aufzeigt und auflöst, bestrahlt werden. Der Theolog hat hier oft eine Reihe von Einwänden zu lösen, eine
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Fülle von dunkeln Punkten aufzuhellen. Scharfe Fassung und sorgsame Wertung der Begriffe, klare Unterscheidungskraft, überhaupt geschickte Handhabung der Dialektik verbunden mit tiefem Einblick in die metaphysischen Probleme leisten hierbei treffliche Dienste. Anselm ist in seinen Schriften den Einwänden und Schwierigkeiten nicht aus dem Wege gegangen. Wie er diesbezüglich die Dialektik zweckdienlich verwertete, wie darauf auch seine Verwendung des Dialoges abzielte, ist bereits dargelegt worden. Hier kommt vor allem die letzte Schrift seines inhaltsreichen Lebens, der „Tractatus de concordia praescientiae et praedestinationis necnon gratiae Dei cum libero arbitrio" in Betracht1, woselbst er in wirklich genialer Weise seine spekulative Kraft, schwierige Probleme der theologischen Wissenschaft zu lösen und scheinbar im Widerstreit miteinander stehende Lehrpunkte in ihrer vollen Zusammenstimmung nachzuweisen und vorzuführen erprobt hat. Er zerlegt diesen auch in formeller, literarischer Hinsicht hochstehenden Traktat in drei Quaestiones, die wieder in Kapitel zerfallen. In der ersten Quaestio weist er nach, daß zwischen dem göttlichen Vorherwissen und der menschlichen Willensfreiheit keinerlei Widerspruch besteht. Er präzisiert scharf den Fragepunkt, führt dann die Einwände und Schwierigkeiten auf2, gibt dann eine Lösung des Problems und Beantwortung der Schwierigkeiten und faßt das Resultat seiner sorgfältigen Untersuchung in die Worte zusammen: „Puto, quia, gratia Dei adiuvante, monstravimus, quod praescientiam Dei et liberum arbitrium simul esse, si diligenter considerentur quae diximus, non sit impossibile, neque possit aliquid obici, quod non sit dissolubile.* 3 1
Dieser Traktat ist der letzten Zeit seines Lebens, vielleicht erst 1109 von Anselm fertiggestellt worden. E a d m e r u s , S. Anselmi Vita 1. 2, c. 7, n. 71 (M., P. L. CLVill 114). Vgl. B a i n v e l , Artikel „Anselme14 in Dictioanaire de thöologie cath. I 1332; S c h w a n e (Dogmengeschichte der mittleren Zeit 447) schreibt: „Der hl. Anselm ergriff fast sämtliche schwierigen Probleme der Theologie, um seinen Tiefsinn an der spekulativen Durchdringung derselben zu erproben. Das Geheimnis von der Prädestination war dasjenige, dem er seine letzten Kräfte und seinen Schwanengesang in der Schrift ,De concord. praesc. Dei* etc. widmete." 2 Die Einwände werden eingeführt mit der Formel: „Videntiir quidera praescientia Dei et liberum arbitrium repugnare" (M., P. L. CLV1II 507). Man vergleiche die Art und Weise, wie Thomas von Aquin in die Einwände einführt. 3 Ebd. 519.
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In der zweiten Quaestio weist Anselm mit derselben Gründlichkeit und Schärfe in der Fragestellung, Formulierung der Einwände und Beantwortung der schwierigen Punkte nach, daß die göttliche Vorherbestimmung und menschliche Willensfreiheit sich keineswegs ausschließen. Hierbei versteht er es mit großem methodischen Verständnis, an die in der ersten Quaestio gewonnenen Resultate anzuknüpfen *. In noch schärferen Konturen tritt Anselms scharfsinnige Methode und gewandte Technik im Ausgleichen tiefliegender, scheinbar nicht zusammenstimmender Wahrheiten des christlichen Glaubens in der dritten Quaestio, welche die concordia gratiae et liberi arbitrii zum Thema hat, hervor. Im ersten Kapitel werden die aus der Heiligen Schrift sich ergebenden Bedenken und Schwierigkeiten gegen diese concordia eingehend vorgeführt. Die Quaestio, das Problem ergibt sich aber aus dem Umstände, daß die Heilige Schrift sich einerseits dahin zu äußern scheint, daß der Wille nichts, die Gnade allein alles dazu beitrage, während anderseits eine andere Zahl von Schriftstellen unser ganzes Heilswerk in unserem Willen gründen läßt2. Am Schlüsse dieses ersten, die Einwände vorführenden Kapitels stellt er als Ziel der vorwürfigen Untersuchung die Erbringung des Nachweises dafür hin, daß Gnade und Willensfreiheit zugleich bestehen und harmonisch zusammenwirken, ähnlich wie die Willensfreiheit sich mit dem göttlichen Vorherwissen und der göttlichen Vorherbestimmung vereinbaren läßt 3 . In den drei folgenden Kapiteln (2—4) bietet sodann Anselm die prinzipielle Lösung des gestellten Problems. Es wird zuvor der Fragepunkt genau umschrieben und dabei besonders betont, daß die Quaestio sich lediglich auf den schon zum Vernunftgebrauch gelangten Menschen beziehe. Es stellen diese drei Kapitel eine eingehende, streng und sicher fortschreitende, an 1 „Nunc ergo in eo (sc. Deo) spectantes, qui hucusque nos perduxit, discordiam quae inter praedestinationem et liberum arbitrium videtur esse, aggrediamur d i s s o l v e r e . Ad quod per ea, quae supra discernimus, sicut in sequentibus patebit, non parum profecimus1* (ebd. 519). 2 „Quaestio ista inde naseitur, quia divina Scriptura ita loquitur aliquando ut nihil videatur liberum arbitrium prodesse ad salutem, sed sola gratia; aliquando vero ita, velut tota nostra salus in libera nostra consistat voluntate" (ebd. 521). 8 „In hac igifcur quaestione haec erit nostra intentio, ut liberum arbitrium simul esse cum gratia et cum ea operari in multis monstremus: sicut illud cum praescientia atque praedestinatione concordare reperimus" (ebd. 522).
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Schrifttexte sich anlehnende und spekulativ gehaltene Lösung des Problems dar. Auf diese prinzipielle Verbescheidung der Frage folgt im fünften Kapitel die Antwort auf die im ersten Kapitel angeführten, aus Schrifttexten entnommenen Schwierigkeiten und Einwände. Diese Antwort wird aus den in der Hauptantwort auf die gestellte Frage in den Kapiteln 2—4 gegebenen Ausführungen über die Konkordanz zwischen Gnade und Freiheit abgeleitet. Aus diesen prinzipiellen Ausführungen ergibt sich nämlich ganz klar, daß die Heilige Schrift, wenn sie die Gnade betont, keineswegs den Willen, und wenn sie den Willen betont, keineswegs die Gnade ausschließt \ In den folgenden Kapiteln (6—13) wird eine Reihe mit der Frage von der Vereinbarkeit von Gnade und Freiheit zusammenhängender Unterfragen und Schwierigkeiten erörtert. Im Schlußkapitel (Kap. 14) gibt Anselm eine recapitulatio et conclusio operis, eine zusammenfassende Übersicht über die Resultate seiner Untersuchungen2. Wenn wir die Anordnung des Gedanken- und Beweisganges, wie sie namentlich in den ersten fünf Kapiteln der dritten Quaestio dieser soeben besprochenen Schrift Anselms uns entgegentritt, betrachten, dann haben wir hier bereits das Gerüste, das dreigegliederte Schema des scholastischen Untersuchungsganges, wie es in der Hochscholastik allgemeine Anwendung fand, in den Hauptzügen vor uns. Es werden zuerst die Einwände und Schwierigkeiten entwickelt, hierauf folgt eine eingehende selbständige Lösung der gestellten Frage, daran reiht sich auf Grund dieser Lösung die Beantwortung der eingangs aufgeworfenen difficultates. Diese Technik der scholastischen Methode erscheint hier bei Anselm in einer großangelegten Form, frei von Schablonismus und unnötigen Subtilitäten. Diese scholastische Technik, die wir auch bei Anselms Zeitgenossen Bernold von Konstanz angetroffen haben, wurde freilich erst später unter dem Einfluß von Abälards „Sie et non" allgemeine Übung der Scholastik und hat im 13. Jahrhundert ihre volle Ausbildung und Ausreifung erfahren. Aus diesen unsern Darlegungen über die Art und Weise, wie Anselm von Canterbury seine Spekulation aus der Zusammenstimmung 1 „Si bene considerentur quae dieta sunt, aperte cognoscitur, quia cum aliquid dicit Sacra Scriptura pro gratia, non amovet omnino liberum arbitrium; neque cum loquitur pro libero arbitrio, exeludit gratiam: quasi sola gratia aut liberum arbitrium solum sufficiat ad salvandum hominem sicut videtur illis, qui hanc faciunt quaestionem" (M., P. L. CLVIII 525—526). 2 Ebd. 540 ff.
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von auctoritas und ratio entstehen ließ, wie er mit Hilfe der ratio eine Einsicht in den Glaubensinhalt und eine systematische Gliederung und Zusammenfassung der Offenbarungslehre anstrebte, wie er endlich bereits die Technik, die äußere Anordnung des scholastischen Unterrichts- und Beweisganges in großen Zügen präformierte, ergibt sich ganz evident die epochemachende Bedeutung dieses großen Denkers für den Werdegang der scholastischen Denk- und Arbeitsweise, ergibt sich für ihn die Berechtigung des Ehrentitels „Vater der S c h o l a s t i k " *. Anselm von Canterbury hat in vielfacher Weise auf die spätere Scholastik, namentlich auf die Scholastik des 13. Jahrhunderts, eingewirkt. Im 12. Jahrhundert begegnen wir seinem Einfluß bei Honorius von Augustodunum2, bei Hugo und Richard von St Viktor. Auch der hl. Bernhard von Clairvaux kennt Anselms Schriften3. Desgleichen nehmen wir in einer Reihe von ungedruckten scholastischen Traktaten aus der Frühscholastik und der Übergangszeit zur Hochscholastik die Spuren seiner Einwirkung wahr. So ist in einem anonymen theologischen Lehrbuch der Vatikanischen Bibliothek (Cod. Reg. Lat. 430 und Cod. Vat. Lat. 5062) Anselm vielfach benützt und die anselmianische Gottesdefinition an die Spitze gestellt. Wenig ist Anselm in dem an Abälard sich anschließenden Theologenkreis berücksichtigt4. Die Scholastik des 13. Jahrhunderts steht in vieler Hinsicht mehr als die Scholastik des 12. Jahrhunderts unter dem Einflüsse des Vaters der Scholastik. Wir begegnen Anselmuszitaten z. B. bei Präpositinus, Philipp von Greve und häufig 1
RE. I 3 565: „Er ist mit Recht Vater der Scholastik genannt worden/ K. B i h l m e y e r in Buchbergers Kirchl. Handlexikon I 242: „Anselms anregende Lehrtätigkeit und schriftstellerische Fruchtbarkeit im Dienste der Spekulation . . . erwarben ihm mit Recht den Titel eines äpxyyog, ,Vorläufers* und ,Vaters der Scholastik'." V a n W e d d i n g e n , La philosophie de S. Anselme 403: „Anselme a bien merite" 1e nom de pere de 1a scolastique que lui döcerna 1a posterite\tt S a e n z d ' A g u i r r e , Theologia S. Anselmi I 68, tract. 1, disp. 1, sect. 7: „Verum iis (sc. Lombardo, D. Thomae Aqu.) facem praetulit S. Anseimus." L. Janss e n s , Summa Theologica. De Deo uno I XIII: „Scholastici aevi praeco iure nunoupatur." Breviarium Romanum, Officium S. Anselmi II Noct. lect. 3: „Omnium theologorum, qui sacras litteras s c h ' o l a s t i c a m e t h o d o tradiderunt, normam coelitus hausisse ex eius libris omnibus apparet." 2 J. A. E n d r e s , Honorius Augustoduniensis 95. 3 J. R i e s , Das geistliche Leben in seinen Entwicklungsstufen nach der Lehre des hl. Bernhard, Freiburg 1906, 16. 4 So zitiert z. B. Odo von Ourscamp Ans.elm nicht. Vgl. P i t r a , Analecta novissima Spie. Solosm. II: Tusculana, Paris. 1888, XIII. Grabmann, Scholastische Methode. I.
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bei Alexander von Haies, Bonaventura, Thomas von Aquin usw. In einem ungedruckten Breviloquium der Vatikanischen Bibliothek (Cod. Vat. Lat. 819) ist mit der Heiligen Schrift, Gregor d. Gr., Bernhard und Augustin auch Anselm benützt und zitiert. Besonders nachrücklich und andauernd war Anselms Einwirkung auf die englischen Theologen1. Während eine Durchsuchung der Handschriften des 12. Jahrhunderts keine allzu große Verbreitung von Anselmushandschriften aufweist, bezeugt die größere Anzahl von solchen Handschriften im 13. Jahrhundert ein besonders seit Alexander von Haies sich steigerndes Interesse der Scholastiker an den gedankentiefen Werken des Vaters der Scholastik. Den Scholaren der Pariser Universität standen die Originalia Anselmi zur Verfügung 2. Indessen ist das Fortleben und Fortwirken des großen Bischofs von Canterbury in der Scholastik nicht lediglich nach der Zahl der Anseimuszitate bei den Denkern der Früh- und Hochscholastik zu bemessen. Es zeigt sich diese mächtige Einwirkung hauptsächlich in der inhaltlichen und formellen Weiterbildung einzelner theologischer Probleme und in der Gesamtauffassung des wissenschaftlichen theologischen Arbeitens. Eine sorgsame Analyse der Gedankengänge bei den nachanselmianischen Denkern, eine vergleichende Betrachtung der theologischen Bewegungen vor und nach Anselm wird die richtunggebende Bedeutung des Vaters der Scholastik auch dort wahrnehmen und feststellen können, wo ein Wegweiser von wirklichen Zitaten aus Anselm nicht zur Verfügung steht. Indessen liegen solche Detailnachweise außerhalb des Rahmens dieses mit Anselm abschließenden ersten Bandes der Geschichte der scholastischen Methode. Nur im allgemeinen sei hervorgehoben, daß Anselm die theologische Terminologie und Begrififsbildung befruchtet und beeinflußt hat. Eine große Menge von Formeln, von Definitionen, Distinktionen, Axiomen usw. ist aus den Schriften Anselms in die scholastische Theologie übergegangen. Es seien aus diesem anselmianischen Erbgut der Scholastik hervorgehoben das trinitarische Grundgesetz: „In Deo omnia sunt unum ubi non obviat relationis oppositio", die Lehre über das Unendliche an der Sünde und überhaupt die Termini und Gedankengänge der Satisfaktionstheorie, die Unterscheidung von voluntas antecedens et consequens, die Hervorhebung verschiedener Arten der necessitas usw. 1 2
R. S e e b e r g , Die Theologie des Duns Scotus (1900) 33. Vgl. D e n i f l e , Chartularium Universitatis Parisiensis I 644, n. 530.
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Was die Gesamtauffassung des theologischen Arbeitens betrifft, so hat Anselm durch seine Betonung der V e r n u n f t t ä t i g k e i t auf dem Gebiete der Theologie einen mächtigen Aufschwung der theologischen Spekulation eingeleitet und zugleich durch die zarte und pietätvolle Weise, mit der er das Verhältnis zwischen Glauben und Wissen bestimmt hat, sein theologisches Lehrgebäude auf dem Felsenfundament des Glaubens und der Kirche aufgerichtet. Durch seine Betonung der Spannkraft der menschlichen Vernunft und dadurch, daß er eine Reihe von Fundamentproblemen (Existenz Gottes, Unsterblichkeit der Seele) mit bloßen Vernunftmitteln in Behandlung genommen, hat er der Vernunft eine selbständige Rolle eingeräumt und die Verselbständigung der Philosophie als einer Wissenschaft mit eigenem Arbeitsplan und Arbeitsgebiet in gewissem Sinne angebahnt. Anselm hat durch seine wissenschaftliche Lebensarbeit in genialer Weise gezeigt, wie eine methodische Anwendung der Philosophie die Theologie erheben und fördern kann1. Anselm weist zurück auf Augustin und deutet hin auf Thomas von Aquin: „So steht denn Anselm in der Mitte zwischen Thomas Aquinas und Augustin; nur mit diesen beiden ist er zu vergleichen, denn unter den ersten hat er seinen Rang. Aber Augustin und Thomas von Aquin sind konsummative Größen, Anselm ist eine initiative. Augustin verjüngt sich in ihm, um den Grund zu Thomas Aquinas zu legen/ 2 1
Th. H e i t z , Revue des sciences philos. et theol. II (1908) 235: „(Anselme) Fun des premiers parmi les docteurs orthodoxes du moyen-äge, il a montre par son exeraple, combien feconde pour 1a defense de 1a foi est l'application de 1a philosophie ä 1a theologie. Cela n'etait pas d'un mince rae"rite a une epoque oü les heresies de Berenger et de Roscelin, aussi bien que les anathemes de saint Pierre Damien, pesaient sur 1a methode dialectique." 2 H a s s e , Anselm von Canterbury II 33.
Verzeichnis der benützten und angeführten Handschriften. Die Ziffer vor dem Doppelpunkt gibt die Signaturnummer der Handschrift, die Ziffer nach dem Doppelpunkt die betr. Seitenzahl des Buches an.
B a m b e r g , K.Bibliothek H. I. IV 5 6:210 — Q. VI 30:47. B r ü g g e , Bibliotheque publique de 1a ville 119:47. C u e s , Bibliothek des Hospitals 81:279 — 191«161. E r l a n g e n , K. Universitätsbibliothek 229:167 ff — 301:161 - 445:188 — 619:61 — 819:61. I n n s b r u c k , K. K. Universitätsbibliothek 297:59. L a o n , Bibliotheque 327:188. M a i l a n d , Biblioteca Ambrosiana I 172 Inf.:136. M o n t e C a s s i n o , Biblioteca abbaziale 118:187. M ü n c h e n , K. Hof- und Staatsbibliothek Codd. lat. (Clm.) 356:187 — 686:47 - 2580:167 — 2599:148 2612:145 — 7640:187 — 7977;187 — 11011:183 — 12667:148 — 13050:188 — 14176:183 — 14 380: 160 — 14 401:12 — 14426:188 — 15 090:160 — 16 093:160. O x f o r d , Balliol College 57:59 — 307:188. - New College 112:59. P a r i s , Bibliotheque Mazarine 694:145 — 700:187 — 701:187 — 709:248 — 710:248 — 1002:47.
P a r i s , Bibliotheque nationale Codd, lat. 12 949 :190 — 12 956:153 — 12 957 : 190 — 12 958:190 — 12 960; 190 208 — 13 381:186 — 13441:186 — 13 953:161 190 — 13 957:190 — 14380:161 — 14423:33 — 14515: 47 — 14 697:153 — 14889:199 — 15 900:61 — 15901:61 — 16 092: 153 - 16 094:161 - 16 595:153 — 17 806:153 — 17 814:161 — 17 816: 161 — 18424:161 — Nouv. acqu. lat 259 • 292 P a d u a, Bibliotheca S. Antonii 152:48. R e i m s , Bibliotheque 875:210. Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana Codd. Vat. lat. 561:167 — 819:338 — 902:136 — 1015:193 — 1054: 279 — 1175:248 ff — 1311:61 187 — 2192:100 — 4293:242 — 4296; 34 — 4298:242 — 5062:337 — Reg. lat. 430:337 — Borghes. lat. 27 :48 — 52:187. S a i n t - Ö m e r , Bibliotheque de 1a ville 142:167. T r i e r , Stadtbibliothek 1093:160. T r o y e s , Bibliotheque 425:245 — 1979:212. V a l e n c i e n n e s , Bibliotheque publique 197:167. W i e n , K. K. Hofbibliothek Codd. lat. 1018:187 — 1290:187 - 1332:187.
Personenverzeichnis. Abälard 17 31 39 46 47Amulo von Lyon 185. 53 95 111 112 113 122Anastasius Sinaita 103 115. 129 144 168 214 217 234 Anselm der Peripatetiker 235 238 239 245 246 255 217 f. 264 297 298 299 302 318 — von Canterbury 4 6 9 329 336 337. 15 17 31 32 33 80 83 Abbon 212. 87 92 97 122 131 132 142 145 159 169 171 176 Ablabius 303. 178 179 187 188 206 208 Abroell 265 273 283. Acheryd' 49. Adalbert von Metz 185. Adam 117 222. Adelardvon Bath 46 300 309. Adelmann 219 222. Adhe"mar d'Ales 119. Adlhoch 297 300 301 302. Aillyd' 160. Alanus de Insulis 31 47 173 206 276. Alberich von Trois-Fontaines 43 207 260. Albert d. Gr. 7 10 16 40 41 84 90 91 100 112 152 159 160 174 252 279 287 292. Albinus 156. Alcher von Clairvaux 194. Aletino 50. Alexander II. 229. — Neckam 47. — von Aphrodisias 99 103 156. — von Haies 31 40 53 113 174 175 204 208 279 287 292 338. Alfred d. Gr. 160. Alger von Lüttich 222 223 245. Alkuin 166 177 180 184 187 189 190 193 ff 197 200. Allo 25. Amalrich von Bennes 207. Ambrosius 92 122 143 185 188 205 213 245. Ammonius Hermiä 101 102 104 109.
216 220 225 228 229 239 240 246 258-339. — von Laon' 39 111 245. — von Lucca 241. Antonin von Florenz 49. Appuhn 181. Archimedes 153. Aristoteles 6 7 8 17 40 41 51 68 75 88 92 93 95 96 99 101 102 103 105 109 111 112 117 124 129 137 149 150 153 154 155 156 157 158 159 160 163 165 171 172 177 190 205 213 214 217 296 308 312 314 319. Arnauld 88. Arnulfus 315. Asklepius 101. Aspasius 156. Aspinwall 180. Assemani 96. Athanasius 64 85 f 110 120. Athenagoras 123. Augustin 6 10 11 15 33 50 60 64 69 72 75 80 82 92 109 111 116 119 120 113 124 125—143 144 145 146 147 148 168 170 171 176 177 180 182 183 185 186 187 188 189 190 194 195 196 200 204 205 209 211 213 219 222 223 226 227 236 243 244 245 247 260 262 263 268 269 270 274 275 278 284 286 287 292 315 316 319 322 327 330 333 339.
Bach 111 167 202 273. Bacha 113. Bacon Roger 48 151. Bainvel 37 259 263 265 273 274 277 293 308 313 326 334. Baltus 73. Baltzer 111 122. Bardenhewer 70 80 85 100 110 119 123148165 176. Baronius 193. Barre de 1a 72 79 80 85 93. Barth 246. Bartholomaeus de Mosburch 100. Basilius d. Gr. 87 f 92 93 110 187 205 213 287. Baumeister 5. Baumgartner A. 136 145 181 192.
— M. 136 145 154 173 181 192 202 206 308. Bäumker 8 32 100 207 296 300. Baumstark 95 96. Baur Aug. 15. — F. Chr. 329.
— L. 41 129 145 172 177 189 196 252 253. Beck A. 120. Becker D. 66. — J. B. 118 119 128 274 276 278. Beda Venerabilis 92 167 187 192 f 245 247 316. Beissel 212. Bekker 45 122 160 212 260. Bellamy 23. Beilesheim 64. Benzel-Sternau 52. Berengar von Tours 206 218—224 225 226 227 229 261. Berg 52. Berger S. 197. Berkeley 301.
Personenverzeichnis. Bernhard von Clairvaux 92 Cajetan 22. 175 187 188 262 292 337 Calvin 50. Canella 189. 338.
— von Gannat 42. — von Trilia 42. Bernheim 136. Bernold von Konstanz 113 214 234—239 246 336. Berthold 234. Beth 1. Biginelli 222. Bihlmeyer K. 337. Billot 23. Billroth 275. Binder 51. Biraghi 166. Biron 231. Boccaccio 161. Boethius 148—176 177 188 189 190 194 195 196 205 208 209 210 211 213 214 215 217 229 253 295 296 318. Böhmer H. 229. Böhringer 130 141. Boins-Lenel 217. Boissier 136 164. Bonaiuti 297. Bonaventura 19 20 32 34 41 42 48 60 85 87 92 139 162 174 175 197 262 267 276 279 287 292 338.
Bonifatius 179. Bonifaz VIII. 199 279. Bonnety 20. Bonwetsch 90 120. ßosisio 164. Boso 277. Bossuet 51. Boubnow 213. Boulay du (Bulaeus) 51 141. Bourquard 22 52. Boyer 52. Bradwardinus Thomas 173. Brandt 148 151 155 156 158. Braun C. 175. Brucker 51. Brunhes 203. Bruni Leonardo 151. Burchard von Worms 240 241. Burger 196. Burgundio von Pisa 111. Buonpensiere 23. Bursian 191 212. Busse 96 103 151 155.
343 Denifle 19 39 45 49 53 f 60 146 153 159 167 185 197 199 207 221 224 229 247 255 287 338. Denis 83. Denzinger 19 133. Descartes 3 148. Deslandes 52. Deusdedit 239 240 241. Dexippus 103. Diekamp 88 94 98 110 115 303 304. Dietrich von Freiberg 100. — von Hersfeld 197. Dilthey 4 6 f 16 125. Dimnet 25. Diodor von Tarsus 94 95. Diokletian 85. Dionysius Carthusianus 160 279. Ditscheid 193. Dobschütz 56. üöllinger 21 52 226. Domanski 93. Dornet de Vorges 202 225 259 261 262 268 269 273 297 308 320 321. Dominicus a SS. Trinitate 50 90. Donatus 211 213. Dorner 130 133. Douais 53. Dräseke 164 205 260. Drogo 217 218. Dryander (Georg Müller) 148 165. Ducange 32. Duchesne 78 81 83 84 93. Duffo 111. Dümmler 217 218. Duns Scotus 14 15 41 208. Dunstan 316. Dupont 130. Durand von Troarn 222. Duval 95 96.
Cano Melchior 49. Capitaine 79 84. Cappenberg 284. Capreolus 199. Carra de Vaux 97. Cassian 187. Cassiodor 153 154 164 176 f 181 187 189 194 196. Cathrein 24. Cavallera 86. Ceillier 259 262 263 293. Chabot 95 97. Chalcidius 189. Chamberlain 8. Chollet 199 207. Chrysostomus 92 94 95 110 188 198 205. Cicero 129 153 156 205 213 316. Clarembaldus 167. Claudianus Mamertus 143 144. Clemanges de N. 49. Clerval 153 180 215 218 240 297. Columban 180. Commer 23. Comparetti 181. Conradus Hirsaug. 47 171. — de Rotovila 100. Consentius 133. Corderius 91. Cornatus 124. Correns 154. Cousin V. 14 296 307. Crecelius 127. Crosalz 225. Cuissard Gaucheron 212. Cupeteolus Angelus 138 139 140. Cyprian 120 128 185 187. Cyrill von Alexandrien 88 f "93 106 107 110 213 214 Eadmer 260 261 262 266 243 287. 293 316 334. — von Jerusalem 86 287. Ebedjesu 95. Ebersolt 218. Damascius 103. Ebert 143 145 181 194. Damiani Petrus 224 231 Egbert 193. bis 234. Egger A. 142 182. Danäus 228. Eggersdorfer 109 127 128 Daniels 259. 134 177 194 196. Dante 161. Ehrhard 25 27 28 78 80 David der Armenier 101. 111 114 165. Degen 100. Ehrle 22 42 45 169. Delisle 45 182 186 292. Einhart 198.
344 Einold 212. Eisenhofer 114. Eisler 29. Eitner 153. Eiser 95. Elter 114. Endres J A. 18 31 53 207 217 219 220 224 225 229 230 232 233 259 277 337. Engelbrecht 144 161. Epiphanias 110 205. Erasmus von Rotterdam 49 90. Eratosthenes 205. Eriugena Scotus 15 17 31 90 132 160 165 166 167 169 176 192 193 202 bis 210 211 216 219 260 296. Ermoni 94 105 111. Ernst 198 200. Espenberger 330. Esser G. 117 118. Eucken 1 4 7 f 129. Eugen IV. 111. Eulogius von Alexandrien 110. Eusebius I. 114. — von Cäsarea 72 93 187. Eutyches 168 174 175.
Personenverzeichnis. ulbert von Chartres 215 f 219. Fulgentius von Ruspe 143 187 213 243. Fulko von Beauvais 265. Funk F. X. 94 148 165. Funke B. 276 280 282 317 323 328. Fuß 21.
Gregor von Nazianz 86 f 109 110 205 286 303. — von Nyssa 88 98 110 205 286 303. Gregorovius 125. "risar 161 182. Grroot de 21. runwald 162 321 324. Grupp 161. Grützmacher R. 16 f. Grandulphus 39. Gualterius 48. Gangauf 129. Guidi 97. Gardeil 25. Guido d'Orchelles 40. Garnerius von Rochefort Guitmund von Aversa 219 206. 222 223 225 229. Gassendi 3. Guizot 193. Gaufrid von Poitiers 40. Gundissalinus D. 41 129 Gautier 51. 145 154 172 177 189 196 Geffcken 68. 252. eiger 124. ener Joh. 51 141 228. Hablitzel 196. Gennadius von Marseille Haffner 273. 143. Hahn 173. Georgius 110. Hähnel 129. Gerbert von Aurillac 168 Haimö von Halberstadt 197. Harnack 9 - 1 1 56 57 f 68 206 213f 215. 73 84 85 88 89 94 106 Gerdil 52. 111 114 120 123 125 127 Gerhard von Abbatisvilla 128 133 135 141 165 200 41 193. 202 218 297 323 328. Gerhard von Bologna 48. Hartmann 148 165 176. — von Cremona 100. Hase 277. Germanus 210. Hasse 259 312 326 339. Gerson 49. Falckenberg 30 301. Hatch 56. Geyer 166 167. Falk 196. flauck 13 14 193 194 195 Geyser 308. Falko 295. 298 299 300. Faucon 45. Gezo 185. Haur^au 194 196 202 207 Gigalski 236. Faulhaber 114. 208 217 219 296 297 299 Gilbert de 1a Pore"e 39 47 Faye de 79. 300 307, 152 153 163 166 167 169 Feder 77. Hauzeur 142. Fei 23. 170. Hayduck 96. Felder 53 267. Girgensohn 16. Haymo 187. Feret 53. Gloßner 203. Hegel 4 24 194. Ferrere 181. Godet 158 176. Feßl er-Jungmann 104. Gottfried von Fontaines Heidemann 212. Heinrich von Gent 40 48 Fichte 194. 175. 75. — von St Viktor 47. Fiebig 49. Heinrici 56. Gottlieb 45. Fitzacker R. 41 59. Heinze 99. Gottschalk 208. Foucault 240. Heiricus von Auxerre 186 Fournier 184 240 241 245 Granderath 21. 187 189 210 297. Grandgeorge 127. 246. Heitz 268 274 277 283 339. Gratian 182 245. Fox 211. Franciscus de Mayronis 136 Gregor VII. 235 258 261 Heraklian von Chalcedon 108. — IX. 19. — Veronius 138. Herbart 302. — XL 169. Franz A. 176. — d. Gr. 92 144 145 146Hergenröther 86 87 113 Franzelin 163 223 280. 147 183 185 187 188 204 114 258 303. Freimann 95. 209 212 213 244 245 24 — -Kirsch 32 218. Freudenthal 3 109. Hermias 101. 316 338. Friedlein 153. Herminus 156. — von Bergamo 222. Fuchs 22.
Personenverzeichnis. Hertling G. v. 3 66 126 127 138 139 148 184. Herväus Natalis 42. Hesychius 103. Hieronymus 92 120 123 f 185 187 188 205 213 245 247 316. Hilarius von Poitiers 120 fF 128 144 185 187 205 213 214 287. Hildebert von Lavardin 223 f. Hildebrand 164 234. Himpel 101. Hinkmar von Reims 166 182 188 191 192 202. Hippolyt 57 114. Hirzel 318. Hlfiä 95. Hobbes 301. HofFmann Jak. 87. — M. 95. Holder 164. Holl 21 115. Holtzendorf-Köhler 217. Holzmeister 228. Honorius III. 255. Honorius von Augustodunum 207 337. Horantius (Orantes) 50. Horaz 213. Hornius 228. Huber G 52. Hugo de St Cher 41 197. — von Langres 222 223. *— von St Viktor 32 39 47 60 87 90 92 111 112 175 188 194 245 252 253 287 292 297 308 329 337. Hugon 23. Hurte* 136 146 148 185 192193195 225 247 331. Hyvernat 97. Jgnatius Monachus 187. Irenäus 57 77 78. Isaak von Stella 20fr. Isidor von Sevilla 144 fF 177 181 184 185 187 188 189 193 196 204 245. Ivo von Chartres 229 234 240—246 248.
Johann von La Rochelle 197 242. Johannes Argyropulos 150. — Damascenus 17 50 80 87 92 108—113 115 179 188 204 233 303 304. — Diakonus (Johannes I.) 163 164 172. — Ev. 60 209 262. — Murmellius 160. — Sapiens (Joh. Kyparissos) 50. — Sophista 297. — von Ephesus 96 304. — von Neapel 42. — von Paris 199. — von Salisbury 47 309. — von Treviso 40. Jülicher 94. Jundt 197. Junglas 140 f. Justinus M. 70 f 72 77 94. Juvenal 213. Kaiser 122 144 297. Kant 7 17 25 194. Karl d. Gr. 179 182 193 195. — der Kahle 179 202 206 260. Karo et Lietzmann 115. Kattenbusch 110. Kaulich 202 206. Kayser 49. Keil 73. Kelle 214. Kellner 66. Kerker 49. Kihn 37 93. Kilwardby Robert 41 252. Klee 275. Klemens von Alexandrien 58 70 71 f 74 78—80 89
345 Kroymann 117. Krüger G. 1 73 81. Krumbacher 111 114. Kuhn 22 52 73 f 280 286 303. Künstle 184. Kunze 263 277. Kurth 214. Lraberthonniere 56. LaforSt 138 193. Laktantius 120 128. Lanfrank 145 219 220 222 223 224 225—230 240 244 246 259 260 281 295 311 312. Langen 91 92 111. Lardito 332. Laudiert 202. Launoy 51. Leibniz 3. Leo XIII. 21 f. — d, Gr. 110. Leontius von Byzanz 104 bis 108 110 112 173. Lepicier 23. Le Roy 25 56. Lessing 218. Lipperheide 308. Lipsius 25. Locke 301. Loewe 145. Löffler 73. Loisy 56. Loofs 9 11f 30 56 57 84 93 104 106 110 118 136 286 297 310 323 329, Lottini 23. Lucan 213. Ludwig A. Fr. 52. — der Fromme 203. Lukrez 181. Lupus Servatus 197 f. Luther 49 54 60 159 224.
93 109 123 182 205 283. Kleutgen 52 66 133 280 Maaßen 184. 304.
Knaake 196. Knabenbauer 59. Knittel 79. Knoepfler 196. Koch H. 72 90 99 103. Koetschau 78 83. Köhler W. 54. Komi 95. Jacquin 204 208. Königer 241 329. Jäger J. 180. Krebs E. 100. Jakob von Venetia 150. Kretschmer 192. Jamblichus 99. Janssens 23 135 280 287 Krieg 164 165 171 176 327 337. 255. Grabmann, Scholastische Methode. 1.
Mabillon 51 121 146 230 315. Mai 104. Makarius 76. Makrobius 156. Mancini 23. Mandonnet 149 151. Manegold von Lautenbach 224 231. Mangold 312: Manitius 210. Mannens 23. Marchesi Concetto 149. 22**
346 Maria de 23. Marietan 129 145 172 196. Marius Viktorinus Afer 124 f 151 152 156 218. Martene-Durand 219. Martianus Capella 180 181 189 190 205 208 211 213 214. Martin 133. Martinus de Fugeriis 40 113. — Mag. 40. Marx 217. Mathilde von England 316. Mattes 6Q. Matthäus von Aquasparta 41 130 133 139 144 274 292 327 Mauritius 315 316 322. Mausbach 130. Maximus Confessor 92 110 203 205. Mazzella 23. Mazzuchelli 160. Meier G. 180 181. Meiser 150 154 155 156 158. Melito 57. Menegaldus 161. Merk 79. Meung Jean de 160 161. Michael der Stammler 203. Migne 103 150 247. Mignon 297 308 821. Milo Crispinus 229. Mirbt 182 234 235 273. Moerbeke Wilh. v. 100. Möhler 22 52 178 226 258. Moiraghi 225. Morin G. 143 235. Moses 72. Mosheim 73. Müllenhoff 93. Müller Iwan 181. Murri 25. Muth J. F. 328. tfägle 189 191 192 198 201 208 219. Narducci 161. Neander 329. Nemesius von Emesa 93« 110. Nestorius 164 168 174 175. Newman 64. Niederhuber 122. Niketas von Herakleia 114. Nitzsch 10. Norden 85 142.
Personenverzeichms. Notker (Bischof von Lüttich) 214. — Balbulus 183. — Labeo 160 214. Noort van 250 280. Nourrisson 130 141 268. Novatian 57. Numenius 124.
Petrus von Capua 34 40. — von Poitiers 33 39 40 47. Pez 230. Pfister 212 213 215. Pfleiderer O. 56. Philipp der Schöne 199. — von Greve 40 337. Philippe 181. Occam 5 15 299. Philo 80 109. Odo von Cluny 185 212 Philoponus Johannes 96 f 297. 101 304. — von Ourscamp 337. Philoxenus Mabbugensis Olivarez 332. 97. Olympiodorus 101. Photiüs 85 113 f 239. Omont 203. Picavet 31 53 60 193 194 Optatus 128. 195 202 208 213 301 Ordericus Vitalis 229. 323. Origenes 58 72 77 78 80 Pichon 120. bis 85 88 93 98 123 125 Piper 214. 126 128 187 188 200 205 Pitra 337. Pins VI. 19. 234 283 286. Ostler 175. — IX. 20 f 22. Othloh von St Emmeram — X. 22. Planudes 160. 224 230 312. Otten 72. Plato 26 66 67 68 69 70 Öttingen AI, v. 17. 72 75 88 92 93 98 101 Otto 1. 212. 102 105 117 124 129 149 — III. 213. 155 156 189 205 308. — von Bamberg 250. Plenkers 148. — von Freising 43 136 Plessis d'Argentre, du 51. 150 152 297. Plinius 205. Plotin 98 103. Oudin 183. Pohle 250 279 327. Pacian 120. Porphyrius 95 96 99 103 109 151 152 153 155 156 Papias 217. 157 158 159 189 190 196 Paquet 23. Pardiac 212. 210 211 213 215 217 295 Pascal 79. 296. Paschasius Radbertus 198 ff Porta 121 331. Portalie" 127 130 134 135 201. 141 142. Paulsen 4 f 16. Paulus 59 60 61 123 228 Possevin 50. Prado, del 23. 316. Prantl 52 127 188 206 Pegues 23, 217 229 276 296 313. Peiper 160 161 163 166 Präpositinus 40 113 204 167 168. 337. Pendzig 3. Prat 60 80 81 82 83 84. Persius 213. Prätextatus 156. Pesch Chr. 59. Preische 79. Petavius 50 79 803. Preuschen 56 80 182. Peter von Blois 47 255. Priscian 213. Petrus 209. Proklus 99 ff. — Aureolus 299. Prokopius von Gaza 114. — Cantor 40 197. — Lombardus 33 39 40 Prosper von Aquitanien 143 145 187. 47 50 109 111 122 134 139 143 147.158 175 Pröfiä 95. Prudentius von Troyes 183. 326.
Personenverzeichnis. Pseudo-ßeda (Gottfried von Auxerre) 166 167. Pseudo - Dionysius Areopagita 17 50 72 75 90 bis 92 99 103 110 169 189 203 204 205 207 260. Ptolemäus 153. Pythagoras 98. Quadratus 123. Radulfus Ardens 39 46 241 245—257. Ragey 259. Rähse 202. Raimundus Lullus 279. Rance" 230. Rand 39 160 164 165 166 176 190 208 209 210 211 216. Ratherius von Verona 183 212 Ratramnus 189 190 192 198-201 208 219. Ravaisson 260. Re-gnon de 175 277 297. Rehmke 8. Reiners 152 211 296 307. Reinkens 79. Remer 23. Remigius von Auxerre 160 165 166 210 211 296. Remusat 219 312. Renan 95. Renaudin 218. Renierius de S.Trudone 161. Reuter 117 128 141. Rhabanus Maurus 177 180 187 188 195 ff 244 296. Richard J. 23. — von Mediavilla 279. — von St Viktor 169 188 274 279 287 292 337. Richter 234. Friedberg 245. Ries 337. Rigg 259. Rintelen 3. Ritschi A. 17 25. Ritter 276. Robert de Courc.on 40. — de Sorbön 48. — Greathead (Grosseteste) von Lincoln 41 90 161. — von Melun 40 41 47 59. — von Monte 43. Roger 181. Roland von Cremona 40113.
Roscelin 96 97 264 265 288 293 295 297 298 299 300 301 302 304 305 306 309 329 Rose V. 150. Rottm anner 141. Roure 25. Rousselot 206 219 307. Rupert von Deutz 187 292. Rufinus 188. Rügamer 104. Rule 259.
347 Schwane 78 84 173 273 280 286 297 303 334. Schwenkenbacher 130. Seeberg A. 76. — R. 9 12—15 16 56 57 78 80 269 311 338. Seider 86. Seitz A. 17 69 72 117. Seil 15. Semeria 164. Seneca 118. Sergios von Rls'ain 96. Servatus Lupus 182 210. Servus Dei 292. Sickel 212. Sickenberger J. 114. Sievers 39 211. Sigebert von Gemblours228. Siger von Brabant 149. Simler 52 136 186. Simon von Tournai 40 41 113 144 204 207. Simplicius 101. Sixtus V. 19. ' Sokrates 68 129. Soto Dominikus 50. Souben 286. Souverain 73. Specht F. A. 129. — Th. 250. Spinoza 3 173. Srawley 88. Stählin 71 74 79. Stangl 153. Statius 213. Staudenmaier 52 125 132 202. Stazzuglia 21. Steinmeyer 39 211. Stephan von Langton 40. — von Tournai 47. Stiglmayr 104. Stölzle 168. Storz 130. Straubinger 92. Strelau 234. Stöckl 273. — -Wohlmuth 299. Stoffels 76. Sulpicius Severus 247. Suttner 164. Switalski 189. Symmachus 163 169 170. Synesius von Cyrene 124. Syrianus 156.
Sabatier A. 15 f 25. Saenz d'Aguirre 262 268 278 284 308 312 331 332 337 Sakur' 185 212. Salimbene 43. Saltet 236. Sandaeus (van der Sandt) 50. Sangallensis Monachus 182. Satolli 23. Schaarschmidt 150. Schanz M. 120 122. Schaub 180. Scheeben 86 89 133 163 219 223 259 280 310 324. Scheid 161. Schell 25 f 28. Schelling 24 194. Schepss 151 153 161 164 171. Schermann 114. Schiffini 23. Schloßmann 117. Schmeller 264 299. Schmid A. v. 135 280. — R. 124 145. Schmidlin 136 150 152 297 312 Schmitt 202. Schneid M. 22. Schneider A. 91 112 174. Schnitzer 180 196 218 219 220 223 225. Scholz A. v. 59. — R. 199. Schönbach 198. Schönfelder J. 96 304. Schrörs 182 185 191 202 203. Schulte J. 89. Schultze 178. Schulzen 234. Schündelen 164. Tabarelli 23. Schürmann 79. Tajus von Saragossa 146 f Schwab 52. 184 186.
348 Tedeschi 331. Tennemann 51. Terenz 213. Tertullian 57 72 77 116 bis 120 124 182. Tessen-Wesierski 130. Teuffel-Schwabe 148 165. Thaner 235 238. Themistius 99. Theoderich d. Gr. 157. Theodor Abou-Kurra 113. — von Canterbury 178. — von Mopsuestia 94 95. — von Raithu 104 108. Theodoret von Cyrus 72 89 93 110. Theognostus 85. Thiel 182. Thieme 128. Thierry von Chartres 46 153. Thomas von Aquin 7 8 10 13 14 15 17 19 20 21 22 23 27 31 32 35 40 41 42 48 50 51 59 60 61 64 72 75 77 79 80 85 87 89 90 91 92111 122 124 129 130 131 135 137 139 142 144 159 160 161 162 166 167 170 172 173 174 175 184 193 197 199 204 208 260 262 276 278 279 280 282 284 286 287 292 307 308 310 318 320 326 327 332 334 338 339. — von Suttona 42. Thomasius Jakob 51. Thomassin 124 141 176. Thuröt 51 211. Tiedemann 51. Tiphanus 175. Tiraboschi 176. Tixeront 78. Tonna-Barthet 142. Traube 39 165 197 198 202 208 209 210. Trendelenburg 328. Tribechovius 51.
Personenverzeichnis. Tricaletus 291. Triveth N. 136 160 161. Turmel 143 198 223 244. Turnau 195.
Wehofer 22. Weigl E. 88. Weiß K. 87. Weissenborn 213. Wendland 56 58. Werner 193 213. Ubaghs 307. Überweg-Heinze 32 73 88 Wernle 30 56. 90 93 96 150 165 202 Wiclif 19. 230 273 276 295 297 Wiegand 77. Wilhelm de 1a Mare 42. 300. Ulrich von Straßburg 41 — von Auvergne 292. 48 60 91 204. — von Auxerre 34 40 59 Urban II. 236 265. 113 292. ürlichs 181. — von Champeaux 39 245 Urraburu 23. 307. Usener 152 164. — von Conches 160. Ussermann 235. — von Hirschau 230. — von Malmesbury 207 Tacant 21. 228 229. Vailhe" 108. — von Melitona 41. Val del 23. — von Thocco 260. Valentinus 77. Williram von Ebersberg Valla Laurentius 90. 229 Vaschalde 97. Willmann 6G 73 141 309. Vega de 50. Willner 296 297 300 308 Vegetius (Vettius) 156. 309. Vergil 181 205 213 247. Windelband 8 29 58. Vernet 218 234. Witelo 100. Vigna 259. Wolf von Glanvell 239 Viktorinus 128. 240. Vincenzo di Giovanni 161. Wörter 128. Vischer 218 219. Wulf de 7 31 90 151 181 Vitelli 96. 189 193 202 208 259 261 Vives Joh. ß, 49. 296 300 301 308 320. Wundt 29. Wachsmuth 114. Wutolf 39 111 245. Wagner W. 79. Walafrid Strabo 197. Zaccaria 51. Waldensis Thomas Netter Zacharias von Mitylene 19. 101. Walerannus 331. Zahn 76. Walleis Thomas 136. Zänker 130 292. Wallies 96. Zeller E. 99 101. Walter von St Viktor 39 Ziegler Th. 5. 47. Zigliara 23. Zimmer 178. Weber E. 49. Weddingen van 22 259 273 Zirkel 52. 297 308 312 320 321 Zöckler 5 80 89 98 136 337. 193 231 318.
Sachregister. Abendniahlsstreit Berengars und die moderne Scholastik 220 ff. Aktuelles Interesse der scholastischen Methode 2 ff. Alexandrinische Schule 78 ff. Allegorische Auslegung von Ex 11, 2 (goldene und silberne Gefäße und Gewänder der Ägypter) bei Origenes 85; bei Augustinus 128; bei Petrus Damiani 234. Analogien des Übernatürlichen auf natürlichem Gebiete in der theologischen Spekulation 285—288. Anseimushandschriften 338. Anseimuszitate bei den Scholastikern des 12. und 13. Jahrhunderts 337 f. Antidialektiker 216 224 ff. Antinomien des scholastischen Denkens 7. Antiochenische Schule 93 ff. änopiat des Aristoteles 102; bei den griechischen Aristoteleskommentatoren und den griechischen Vätern des 6. und 7. Jahrhunderts 103. Apostolisches Glaubensbekenntnis 76 f. Aristoteleskommentare 96 101 150. Aristotelesübersetzüngen des Boethius 149—151; des Jakob von Venetia 150; des Notker Labeo 214. Aristotelisch-boethianische Richtung in der Universalienfrage 296. Aristotelische Philosophie und schulmäßige systematische Behandlung der Glaubenslehre 74; bei den Alexandrinern 93; in den Homilien des hl. Basilius 93; in der antiochenischen Schule 93—95; bei den Syrern 95 bis 98; Ursachen ihrer Bevorzugung in der ausgehenden griechischen Patristik 98—104. Aristotelismus, scholastischer 8; Aristotelismus und Nestorianismus 95 ff; Boethius als Vermittler des Aristotelismus an das abendländische Mittelalter 149-160. Artes liberales 127 191 196. Auctoritas et ratio, die Triebfedern der scholastischen Methode 5 10 16 19
33 34 35 42 45 206; bei Leontius von Byzanz 105 108; bei Augustinus 130 140; bei Anselm 265—336; UmStellung des Verhältnisses zwischen auctoritas und ratio durch Skotus Eriugena 205 f; durch ßerengar von Tours 219 ff; auctoritas et ratio im Kampfe zwischen den Dialektikern und Antidialektikern des 11. Jahrhunderts 215—224. Aufklärungszeit 19. Augustinusstudium. Augustinische Färbung der Scholastik 141; Ansehen Augustins in der Vorscholastik 182; bei Lanfrank 227; Augustinusstudium Anselms von Canterbury 268—270. Autoritätsbegriff 129. Bibliothek des Klosters Bobbio 213; des Klosters Bec 260 316. Bibliotheken der Scholastiker 45. Bibjiothekskataloge, mittelalterliche 45 ; Kataloge der Klosterbibliotheken des 10. Jahrhunderts 212; Katalog der Klosterbibliothek Bec 260. Christentum. Das Christentum des Evangeliums nicht bloß Erlebnis, sondern Lehre 56; angeblicher Gegensatz zwischen Christentum und Intellektualismus 56 ff; prinzipielle Darstellung des Verhältnisses zwischen Christentum und Intellektualismus 61—63; Konsequenzen hieraus für Wesen und Berechtigung der scholastischen Methode 63 ff. Christologie 89 112. Cluniacenser 211 ff. Credo, ut intelligam bei Klemens von Alexandrien 79; bei Origenes 81; bei Hilarius von Poitiers 122; bei Augustinus 132; bei Boethius 171; als methodisches Fundamentalprinzip Anselms von Canterbury 272—322; falsche Deutungen 276 ff; richtige Erklärung 278—283; Bedeutung für die Hochscholastik 283 f; Mittel zur Ver-
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Sachregister.
wirklichung des Credo, ut intelligam 284—322. Siehe Glauben und Wissen. Dialektik, aristotelische 94 107 108; Dialektik im Dienste der Theologie 45 88 92 126-129 (Augustin) 155 191 226 (Lanfrank) 232 (Petrus Damiani) 311—319 (Anselm); Überschätzung der Dialektik 216 ff 219; übertriebene Dialektik und Verfall der Scholastik 221 292 310; Dialektik in der Vorscholastik 189—192 193 215 ff; Dialektik und Systematik 323. Dialektische Arbeiten Anselms 312—315. Dialogform 98 193 194 222 f 264 317 ff. Disputationsmethode 5 138 227 318. Dogmenentwicklung und scholastische Methode 9. Echtheit der Opuscula sacra des Boethius 154. Einleitungslehre, theologische, des Radulfus Ardens 249 ff. Einleitungen zu den Sentenzenkommentaren 59. Einwände, Lösung derselben bei Leontius von Byzanz 107; bei Augustinus 137; Formulierung der Einwände bei Anselm 3342. Eklektizismus, philosophischer, der Väter 74 ff 82 93. Enantiophanien, biblische 113 239. Enzyklika Aeterni Patris 21; Pascendi 22. iftwT-qoEiq xal änoxpiGBiq 1 0 3 113.
Ethisch-aszetische Dispositionen und theologische Spekulation bei Origenes 82; Gregor von Nazianz 87; bei Augustin 138 ff; bei Fulbert von Chartres 216; bei Anselm 288—293; als Fortschrittsprinzip der Scholastik 292 Eucharistielehre 89 189 199 218 223. facultas naturalis als Bezeichnung des profanen Wissensgebietes bei Radulfus Ardens 255. Fidei certitudo 272. Fidei ratio 272 282. Fides quaerens intellectum. Siehe Credo, ut intelligam. Florilegien- und Katenenliteratur 92; griechische 114—116; lateinische 183—188. Formalismus, scholastischer 10 30 36 217. Formale Seite der Schriften Anselms 316 f.
Oelasianisches Bücherdekret 182. Geringschätzung der scholastischen Methode 12. Glauben und Wissen bei Klemens von Alexandrien 78; bei Basilius 87; bei Philoxenus Mabbugiensis 97; bei Tertullian 118 ff; bei Marius Viktorinus Afer 124 u. 125; bei Augustinus 129—133; bei Gregor d. Gr. 144; bei Boethius 170 ff; bei Paschasius Radbertus 200—201; in den Boethiusglossen des Skotus Eriugena 209 ; bei Ratherius von Verona 212; bei Anselm 272—284. Siehe Credo, ut intelligam. Glaubensartikel als Prinzipien der Theologie 82. Gleichgewicht zwischen auctoritas und ratio bei Lanfrank 225 ff; als Fortschrittsprinzip der Scholastik 221. Glossa ordinaria 197. Glossenliteratur 39 43 190 210 ff; Glossen zu den Opuscula sacra des Boethius 166 f. Gotteslehre des hl. Anselm und Metaphysik 320 ff; Trennung der allgemeinen Gotteslehre und der Trinitätslehre in Anselms Monologium 326. Griechische Philosophie. Verhältnis zum Christentum 56—76; Anlaß zu ihrer Verwendung im Dienste des Christentums 66 f; Berührungspunkte zwischen Christentum und griechischer Philosophie 67—68; prinzipielle Auffassung der Väter vom Verhältnis zwischen Christentum und griechischer Philosophie 68—75; Bemerkungen der Scholastiker über die Benützung der griechischen Philosophie seitens der Väter 75; diese Benützung bedingt keine inhaltliche Umprägung und Entstellung des Urchristentums 75; Bedeutung dieser Tatsache für den Scholastizismus 75; Origenes und die griechische Philosophie 84; Gregor von Nazianz 87; Tertullians Stellung zur griechischen Philosophie 117 ff. Handschriftenstudium, scholastisches. Notwendigkeit 38 ff; Schwierigkeit 42. Harmonisierung zweier scheinbar widersprechenden Wahrheiten 333 f. Heilige Schrift. Bibelstellen als methodische Leitsätze der Scholastiker 59—61; auctoritas S. Scripturae und Anselm 266 ff; Sacra Scriptura = theologia 267.
Sachregister. Hyperdialektiker 217 ff; Hyperdialektik und der Berengarsche Abendmahlsstreit 218 224. Individualität, wissenschaftliche, des hl. Anselm 258—264. Tntellectus fidei 33 282. Intellektualismus 17 23 26 58 ff 76. Isagoge des Porphyrius 95 96 151 190 210 211 213 215 295. Kanonen- und Dekretaliensammlungen, vorgratianische 184 l. Katenenstil und abendländische Schrifterklärung 197. Kirchenrecht und scholastische Methode 239 ff. Kirchliche Autorität und scholastische Methode 18 ff. Kirchliche Richtung der Scholastik 142; Anselms streng kirchlicher Standpunkt 265 f. Kommentare, mittelalterliche,4 zu Augustins De civitate Dei 136 ; zu den opuscula sacra desBoethius 166—169. Kommentatoren des hl. Anselm 331 ff. Kommentierende Tätigkeit des Skotus Eriugena 208 ff. Kommentierungsmethode des Boethius für die scholastische Aristoteleserklärung vorbildlich 158 ff. Kompendienliteratur der Scholastik 135. Konkordanz widersprechender Väterautoritäten 184 214 234—239 242; Regeln für eine solche Konkordanz bei Bernold von Konstanz 237 ff. — zwischen Anselm und Thomas 280; zu sehr betont 332. Konvenienzgründe 223 275 287. ^Legere ab aliquo 315. Lehrmethode, scholastische 31 ff 36. Literatur zur Geschichte der scholastischen Methode 49—54. Logik, aristotelische 16 108 (Johannes von Damaskus) 149 ff (Boethius) 176 312 ff. Vgl. Dialektik. Logische Schriften des Boethius 152 ff. Mathematisch-deduktive Methode 173. Metaphysik 6 45 170 176; im Dienste der Theologie bei Anselm 319—322; Metaphysik und Systematik 323. Moderne Wissenschaft 1 16. Modernismus 15 22 25 56 a 333. Monographische Art der theologischen Schriftstellerei 198 223 320. Mystik und scholastische Methode 11 54*; Mystik der Patristik und des
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Mittelalters 76 90; Mystik und Scholastik bei Anselm 262 ff 288. ÜTeuplatonismus 90 91; der peripatetische Zug des späteren Neupiatonismus 99; Neuplatonismus der Scholastik übermittelt durch Proklus und Pseudo-Areopagita 99 f; durch Skotus Eriugena 203 205. Nominalismus und Realismus. Begriffsbestimmung des Nominalismus 301: Nominalismus und Realismus in voranselmischer Zeit noch wenig bedeutungsvoll 216; Einfluß des Nominalismus auf den Abendmahlsstreit überschätzt 219 f; Nominalismus und Trinitäts- bzw. Inkarnationslehre 293 f 302 ff; Nominalismus und Hyperdialektiker 297 ff; Nominalismus Roscelins 293—311; falsche Deutungen 299 ff; Ablehnung des Nominalismus durch Anselm 293 ff 304 f; Methodologische Tendenz dieser Ablehnung 306 309—311; Nominalismus und Tritheismus 304 ff; Verhältnis des Nominalismus zu Theologie und Kirche 310 f; Realismus des hl. Anselm (gemäßigter Piatonismus) 306 f; Verhältnis zu Thomas von Aquin 307 308. Ontologischer Gottesbeweis des hl. Anselm 321 ff. Parallelismus zwischen Philosophie und Heiliger Schrift 194. Patristik und scholastische Methode 11 27; Abhängigkeit der Scholastik von der Patristik 55; Kontinuität zwischen patristischer und scholastischer Theologie 22 54 f 287 ». Paulus. Paulinische Gedanken und scholastische Methode 59—61; Lanfrank als Interpret der Paulinen 228. Philologie, lateinische, des Mittelalters 181 l 197f 213 315. Philosophia ancilla theologiae nach Klemens von Alexandrien 80; bei Johannes von Damaskus 109; bei Petrus Damiani 231—233. Philosophie. Verwertbarkeit für die rationelle Einsicht in den Glaubensinhalt 64 65; Verselbständigung der Philosophie 339. Pistis und Gnosis 78 ff 81 88 89. Platonische Philosophie. Verwertbarkeit für die theologische Spekulation 67 f; Plato und die ersten Jahrhunderte der griechischen Patristik 76 ff 93; Plato und das Alte Testament 72.
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Sachregister.
„Piatonismus der Kirchenväter", eine geschichtliche Konstruktion 72—74. Prädikamente, aristotelische. Anwendung auf Gott 195 250. Probleme angesichts der Wissenschaft des Mittelalters 17 f 28. Profane Wissenschaften. Würdigung ihres propädeutischen Wertes für die Theologie durch Klemens von Alexandrien 80; durch Gregor von Nazianz und Basilius 87; durch Gregor von Nyssa 88; durch Hieronymus 123 ff; durch Augustinus 126 ff; durch Anselm 315 f; Abneigung gegen die profanen Wissenschaften 212 230 f; Streit über die Erlaubtheit profaner Studien für die Ordensleute 230. Pseudo-boethianische Schriften 150 3 154. Quaestio 140 318; quaestio et solutio bei Leontius von Byzanz (^TTjmg, Xumq); bei Boethius 157. Quästionenliteratur 41 43 318. Quellen der Geschichte der scholastischen Methode 37—48 ; Notwendigkeit des Studiums auch der ungedruckten Quellen 38 ff; Gesichtspunkte beim Studium dieser Quellen 44 ff; Übersicht über das ungedruckte Material 38—42; Noten und Umfang der Quellen 42—48; formelle Quellen der scholastischen Methode 46 ff; subsidiäre Quellen 43 f. Quodlibetalienliteratur 41 43 318. Ratio. Begriff der ratio bei Anselm 272 f; Funktionen der ratio bei Anselm 272—336. Ratio theologica 133 275 287. Rationalismus Berengars von Tours 221; angeblicher Rationalismus in der Scholastik 4; bei A.nselm 276. Rationelle Einsicht in den Glaubensinhalt 36 191 272 ff 282 ff 332. Rationes necessariae bei Anselm 277 ff; in der nachfolgenden Scholastik 279. Rechtsstudium und Dialektik 217. Regula fidei 77. Sakramentenlehre als Spezialthema der Scholastik 199. Satisfaktionstheorie Anselms 328 ff. Schema, dreigliedriges, der scholastischen Darstellungsweise 31 32 318 336. Vgl, Sic-et-non-Methode. Scholastische Methode. Innerwesentliche Momente und äußere Formen 24 f; absolute oder relative Bedeutung 28; Begriffsbestimmung 28—37 52 4 ;
unrichtige und einseitige Begriffsbestimmungen 29 ff; Anschauungen der Scholastiker selbst über das Wesen der scholastischen Methode 32—35; Erscheinungen und Funktionen der scholastischen Methode 36; ihr eigentliches Wesen 36 37; prinzipielle Erörterungen der Scholastiker über scholastische Methode 46 ff; die Einleitung zu nspl äp^wv des Origenes und der Grundgedanke der scholastischen Methode 80—83; Antizipation der scholastischen Darstellungsweise in den pseudo-justinischen Schriften 94 95; der Scholastizismus des Leontius von Byzanz 105—108; des Johannes von Damaskus 112; des Photius 113; die wissenschaftlichen Arbeitsgrundsätze des hl. Hilarius von Poitiers 120 ff; die vorbildliche Bedeutung Augustins für die scholastische Methode 125—143; die scholastische Methode in den Opuscula sacra des Boethius — Boethius, der erste Scholastiker 163—177; Bedeutung der lateinischen patristischen Florilegien für die Ausbildung der scholastischen Methode 183 f; methodische Grundsätze in Alkuins Trinitätslebre 194 195; Ratramnus 201; Bedeutung der Boethiusglossen Eriugenas für die Grundlegung der scholastischen Methode 209; die äußere Technik bei Gerbert von Aurillac 214; die Gegenschriften gegen Berengar von Tours und die scholastische Methode 222—224; Lanfrank 229 ; Abälards Sic-et-non-Methode bei Bernold von Konstanz 234—239; Einfluß Ivos von Chartres auf die scholastische Methode 246; methodische Untersuchung des Radulfus Ardens über die Übertragung der philosophischen Terminologie auf theologisches Gebiet 254—257; Anselms methodisches Fundamentalprinzip Credo, ut intelligam 272—284; Anselm und die spekulative Behandlung der Dogmen 286 f; Ablehnung des Nominalismus und scholastische Methode 306—311; Anselms Dialogform und die äußere Technik der Scholastik 317 318; die Ausgleichung scheinbarer Widersprüche in Anselms Tractatus de concordia praescientiae etc. 332—336. Vgl. auctoritas et ratio; Credo, ut intelligam; Glauben und Wissen; Sic-et-non-Methode; System; Technik, äußere.
Sachregister. Schulbücher 43; für die freien Künste in der Vorscholastik 180; in der Schule von Reims 213; in der Schule von Chartres 215. Schulen. Schule von Edessa 95; von Nisibis 95. Dom- und Klosterschulen 180 ff; Domschule von Reims 213; von Lüttich 214; Klosterschule von Fleury-sur-Loire 212; von St Gallen 214; von Bec 220 228 f 240. Schullogiken 150 152 213. Schulwesen des früheren Mittelalters 180 ff. Schulwissenschaft 32 98. Sentenzensammlungen, Sentenzenwerke 39 40 43 111 116 148—147 184 244 ff 251 318 319 326. Sic-et-non-Methode. Anfänge bei Photius 113; Gerbert von Aurillac (?) 213 ff; Abälards Sic-et-non-Methode schon ausgebildet bei Bernold von Konstanz 234—239; Ivo von Chartres 242 f; Anselm 334-336. Vgl. Technik, äußere. Siebenzahl der Sakramente zum erstenmal formell ausgesprochen bei Radulfus Ardens 250. Spiritualismus 98; Augustins 139; Anselms 278. Sprachlogik 314. Stil des hl. Anselm 316. Stoffzufuhr. Gedanken des Johannes von Damaskus in der Scholastik 112; Bedeutung des Boethius für die Überlieferung logischen und überhaupt philosophischen Materials 154—156; metaphysische Gedanken aus den Aristoteleskommentaren des Boethius in der Scholastik 158; Scholastische Definitionen und Prinzipien aus De consolatione philosophiae 162; scholastische Leitsätze und Begriffsbestimmungen aus den Opuscula sacra des Boethius 174—175; Bedeutung der lateinischen patristischen Florilegien für die Stoffzufuhr 188; dialektische Materialien der Vorscholastik 189 213 215; Skotus Eriugena als Übersetzer und Vermittler neuplatonischer Materialien; Bedeutung von Ivos Dekret für das patristische Material der Sentenzen des 12. Jahrhunderts 244 ff; die Überlieferung nominalistischer Materialien 295—297; Distinktionen, Definitionen und Axiome aus Anselm in der Scholastik 337 f. Summen, theologische 40 251 318 319 323 326 329; nspi äp^ww als „theologische Summa" 84; De trinitate des
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hl. Hilarius von Poitiers 120; das ungedruckte Speculum universale des Radulfus Ardens 246—257. Syllabus Pius' IX. 20. Syllogismus in der Dialektik Anselms 313 314. System und Systematik. Systematik und scholastische Methode 36; System der Anordnung und der Entwicklung 328; System 77 86 88 89 90 97 99 120 143 1 S; x£pl äpywv des Origenes, das erste System der Dogmatik 82 bis 84; systematisierende Tätigkeit des Johannes von Damaskus 109 f; Augustins 134—137 ; Eriugenas 205 f; Ivos von Chartres 241 ff; des Radulfus Ardens 248—251; Anselms 322 bis 332. Technik, äußere, der scholastischen Methode 5 13; bei modernen katholischen Autoren 23 f; didaktische Vorzüge 24; ist nicht das Wesen der scholastischen Methode 31 ff; Quellen und Literatur zur Kenntnis der äußeren Technik 48 52 53; die Technik des Aristoteles und der griechischen Aristoteleskommentare für die spätere griechische Patristik vorbildlich 102 f; die scholastische Technik in den pseudojustinischen Schriften 94 f; bei Leontius von Byzanz 107 108; Vorbildliches bei Augustin 137—143; Boethius 154; Bernold von Konstanz 235 ff; Technik der Dialoge Anselms 318—319; äußere Technik in Anselms Tractatus de concordia praescientiae etc. 334—336. Vgl. Sic-et-non-Methode, dreigliedriges Schema. Terminologie 68 87 90 99; scholastische Termini bei Leontius von Byzanz 107 ; Johannes von Damaskus und die scholastische Terminologie 112 113; theologische Terminologie in den griechischen patristischen Florilegien 116; trinitarische Terminologie bei Tertullian 117; Boethius vermittelt und übersetzt die aristotelische Terminologie 156 f; die Opuscula sacra des Boethius und die dogmatische Terminologie 170 173—175; Skotus Eriugena 204; der Abendmahlsstreit und die theologische Terminologie 223: Anwendung der philosophischen Terminologie auf theologische Fragen bei Radulfus Ardens 254 ff; Sinn Anselms für scharfe Terminologie 317 ; Anselm und die metaphysischen Stammbegriffe 321 322.
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Sachregister.
Theologia als Bezeichnung der Glaubenswissenschaft bei Radulfus Ardens 225. Traditionalismus als Signatur des frühmittelalterlichen Wissenschaftsbetriebes 179—188 203 259. Traditionsbeweis 115. Trinitarisches Grundgesetz 327. Trinitätslehre. Methode des Boethius in der Darstellung der Trinitätslehre 169—171; Vorbild für die Methode der Scholastik 172; Trinitätslehre des hl. Anselm 278 ff 325 ff; psychologische Trinitätslehre Augustins und Anselms 286. Tritheismus 96 304 ff. Trivium und Quadrivium 144 152 f 177 180f 193 212 213 313. Universal ienfrage. Entstehung 295 ; Überschätzung 296; Richtungen 296 f; Universalienfrage und Trinitätelehre in der Patristik 303—304; Tragweite für die theologische Spekulation 309. Vgl. Nominalismus und Realismus. Vater der Scholastik, Ehrentitel des hl. Anselm 337.
Väterstudium als Prinzip des Fortschritts für Anselm 270 f; Väterstudium und Dialektik bei Anselm 261; Abnahme der Väterhandschriften in der Verfallzeit der Scholastik 287 \- kompilatorische Art der Väterbenützung 112 180 ff 261. Vatikanum 21. Weisheit als Bezeichnung der Glaubenswissenschaft 79. Werturteile über scholastische Methode. Akatholische Philosophen 4—8; Dogmenhistoriker 9—15; systematische Theologen 15—18; katholische Gelehrte 18—28; Verschiedenheit der Urteile 18 28. Wissenschaft. Einteilung der Wissenschaft bei Origenes 84; bei Augustinus 129; bei Boethius 171; in einer ungedruckten Dialectica 190 f; bei Radulfus Ardens 251—254; bildliche Darstellung der Wissenschaft in Handschriften 149. Wissenschaftslehre 56 f; des Radulfus Ardens 251 ff.