Matthias Wenger
Die Geißel des Kreuzes Eine historische Studie über religiösen Haß
Berlin Frühlingsäquinoktium 2001
Presented by Randolph Carter --- Carterbooks - - -
Dieses Buch berichtet über die systematische Ausrottung der heidnischen Kulte und Religionen in Europa und in aller Welt. Es werden eine Fülle historischer Fakten wiedergegeben, die belegen, daß die Verbreitung des Christentums kein spiritueller Prozeß sondern eine Aneinanderreihung politischer Gewalttaten war. Aber auch die psychologischen Techniken der Bekehrer, ihre "hochsensiblen" Versklavungsstrategien werden verdeutlicht. Dem Leser könnte zuguterletzt einiges klarer werden über die Ursachen der geistig-seelischen Zwiespältigkeit der modernen Europäer über die tief in die Geschichte hinabreichenden Wurzeln unserer Wurzellosigkeit...
Inhalt I. Statt eines Vorworts II. Die Wurzeln der christlichen Anschauung III. Die Zerstörung der antiken Welt IV. Der Schatten des Imperiums - die auserwählten Völker der neuen Christenheit V. Osteuropa - eine Kultur wird eliminiert VI. Nordeuropa im Schatten des Kreuzes VII. Christliche Umerziehung als Belastung im kollektiven Gedächtnis der Unterworfenen VIII. Im Zeitalter der Hexenjäger IX. Globale Mission - Weltweite Kulturzerstörung X. Gegner freier Stammeskulturen X. Nachspiel zu Beginn des 3. Jahrtausends: Der Vatikan entschuldigt sich XI. Benutzte Literatur
Über dieses Buch Als ich diesen Text 1989/90 schrieb, hatte ich noch eine ganze Reihe von Überzeugungen, die sich heute, im Jahre seiner erstmaligen Verbreitung anders darstellen. Der Glaube an ein Heidentum als des historisch Alten und Guten, das durch eine mörderische Missionsreligion vernichtet wurde, spiegelt eine antagonistische Kompromißlosigkeit wider. Heute vertrete ich eher den Standpunkt, daß die Gegenwart und unser gegenwärtiges Tun alles ist, was wirklich zählt. Und des weiteren glaube ich, daß es in der gegenwärtigen heidnischen Bewegung viele Aktivisten gibt, die in ihrem Missionseifer dem hier Geschilderten in nichts nachstehen. Diese kritische Einstellung gegenüber dem Neuheidentum hatte sich im elften Kapitel ("Gegner freier Stammeskulturen") bereits angedeutet. Manchen historischen Deutungen wie z.B. der Genese des Fanatismus aus dem Alten Testament (s. Kptl. II) mangelt es an gründlicherer Analyse, wie ich sie erst Anfang der Neunziger Jahre mit der Lektüre patriarchatskritischer Texte erbringen konnte. Oder man nehme die Überzeugung einer realhistorischen Kontinuität des alten Heidentums im Hexenkult (Kptl. VIII), die heute niemand mehr ernsthaft vertreten kann. Vielmehr wissen wir heute, daß die psychopathologische Vorstellungswelt vom "Hexensabbat" ein umso schärferes diagnostisches Licht auf den Geisteszustand der beteiligten Kleriker wirft. Aber wie dem auch sei - die zahlreichen historischen Details und Fakten, die hier versammelt wurden, sind in ihrem Wirklichkeitsaspekt unleugbar. Darüber hinaus hatte das Buch für mich zwei wichtige Funktionen: Zum Einen war es für mich persönlich der letztendliche Befreiungsschlag gegenüber einer Religion, deren Annahme mir in meinen Jugendjahren aufgezwungen werden sollte. Deren moralische Ansprüche waren mit der Aufreihung historischer Greueltaten widerlegt. Zum Andern hatte ich mich über oberflächliche Bemerkungen in Werken des Hexenkults und der landläufigen Weichspülesoterik geärgert, die das Bild eines fließenden, gleichsam diskreten Übergangs von der vorchristlichen in die mittelalterliche Religiosität inszeniert hatten. Ich wollte aufzeigen, wie groß nicht allein die religionsgeschichtliche Unwissenheit dieser Kreise sei, sondern auch ihr Defizit an geschichtlichem Realitätssinn. Heute beurteile ich Frauen aus dem Bereich des Hexenkults mehr nach dem Ausmaß ihrer naturreligösen Kreativität und ihrer naturreligiös motivierten politischen Subversivität. Ich bin mir heute dessen bewußt, daß historische Authentizität (z.B. bei Ritualen) uns nicht weiterhilft, wenn damit nicht persönliche Integrität und Reife einhergehen. Es gibt aber einen guten Grund, der es mir immer noch erlaubt, diesem seit einem Jahrzehnt in meiner Schublade schmorenden Text eine gewisse Wertschätzung entgegenzubringen: Eine Religiosität, die mit derartigen Folgen für ihre Anhänger bekämpft wurde, erlegt uns in der Gegenwart eine große Verantwortung auf. Etwas, für das Menschen in vergangenen Jahrhunderten starben, darf sich nicht in oberflächlicher und lächerlicher Manier präsentieren, gleichsam als Lückenbüßer für andere Formen einer Event- und Spaßkultur, die ihre Hirnverbranntheit tagtäglich auf das Erschreckendste demonstriert. Der Blick zurück auf die Leiden der "Bekehrten" fordert auch von uns mehr Würde, mehr Tiefgang, weitaus mehr an Bewußtheit für den Wert und die Bedingungen unserer religiösen Autonomie, welche die Frucht eines Zeitalters der Aufklärung und Demokratisierung darstellt. Meinen Dank möchte ich Lotan und Pete abstatten: Beide haben mir wichtige Hinweise und kritische Anmerkungen geboten, die sich im Text wiederspiegeln.
Matthias Wenger, am 22. März 2001
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I. Statt eines Vorworts
Ernst Haeckel in den "Welträtseln": (Ausgabe Stuttgart 1899) "Die Nemesis der Geschichte wird früher oder später über den römischen Papismus ein fruchtbares Strafgericht halten, und die Millionen Menschen, die durch diese entartete Religion um ihr Lebensglück gebracht wurden, werden dazu dienen, ihr im zwanzigsten Jahrhundert den Todesstoß zu versetzen - wenigstens in den wahren "Kulturstaaten". Man hat neuerdings berechnet, daß die Zahl der Menschen, welche durch die papistischen Ketzerverfolgungen, die Inquisition, die christlichen Glaubenskriege usw. um's Leben kamen, weit über zehn Millionen beträgt. Aber was bedeutet diese Zahl gegen die zehnfach größere Zahl der Unglücklichen, welche den Satzungen und der Priesterherrschaft der entarteten christlichen Kirche moralisch zum Opfer fielen ? - gegen die Unzahl derjenigen, deren höheres Geistesleben durch sie getödtet, deren naives Gewissen gequält, deren Familienleben vernichtet wurde ? Hier gilt das wahre Wort aus Goethes herrlichem Gedichte "Die Braut von Korinth": "Opfer fallen hier, weder Lamm noch Stier, aber Menschenopfer unerhört !" Bertrand Russell: Warum ich kein Christ bin (London 1957) : "Ich will zugeben, daß das Christentum weniger Schaden anrichtet als früher, das ist aber deshalb, weil weniger inbrünstig daran geglaubt wird". Albert Schweitzer über die Christus-Interpretation des protestantischen Theologen Bruno Bauer(1809-1882) (Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, S.256 f.): "Auch als die römische Welt aufgehört hatte und eine neue Welt anbrach, starb jener Christus nicht. Sein Zauber wurde nur grausiger; und als die neue Kraft in die alte Welt hineinflutete, kam die Zeit, da er sein größtes Zerstörungswerk vollenden sollte. Er wurde der Vampir der geistigen Abstraktion, der Vernichter der Welt. Saft und Kraft, Blut und Leben bis auf den letzten Blutstropfen saugte er der Menschheit aus. Natur und Kunst, Familie, Volk und Staat wurden aufgelöst; und auf den Trümmern der untergegangenen Welt blieb das ausgemergelte Ich sich selbst als die einzige Macht übrig. .Der grausige Zauber der Selbstentfremdung des Ich ist gebrochen in dem Augenblick, wo der religiösen Menschheit nachgewiesen wird, daß jener Jesus-Christus seine Wirklichkeit nur ihr verdankt und ihre Schöpfung ist. ... Die Welt ist jetzt frei und reif für jene höhere Religion, wo das Ich die Natur nicht durch Selbstentfremdung überwindet, sondern dadurch, daß es sie durchdringt und adelt. Dem Theologen aber wirft man die Lumpen seiner Wissenschaft, wenn man sie zerrissen hat, als Geschenk und zur Beschäftigung zu, damit ihm in der neuen immer näher kommenden Welt die Zeit nicht lang werde." Rudolph M. Loewenstein : Psychoanalyse des Antisemitismus, Frankfurt a. Main 1971): "Obschon die siegreichen Völker den Besiegten ihre Götter aufdrängten, duldeten sie oft neben den eigenen die Götter der unterjochten Völker und reihten sie sogar manchmal in ihren eigenen Pantheon ein. Mit den monotheistischen Religionen verhält es sich anders. Ob sie sich Judentum, Katholizismus, Protestantismus, griechisch-russische Orthodoxie oder Islam nennen, wenn die Möglichkeit gegeben war, duldeten sie keinerlei rivalisierende Religion neben sich. Es scheint, als sei die Idee eines Einzigen und Allgemeinen Gottes unlösbar an den Begriff eines eifersüchtigen und intoleranten Gottes gebunden."
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II. Die Wurzeln der christlichen Anschauung
Das Christentum hat im Laufe seiner Geschichte einem Ausschließlichkeitsgedanken gehuldigt, der seinen Vertretern das Recht gab, alle Menschen anderen Glaubens zu "rechtgläubigen" Christen zu machen - oder eben zu vernichten. Dafür hatte es, gemäß seinem Fetisch "Heilige Schrift" zwei gleichartige Motivationen und Möglichkeiten der Rechtfertigung: 1. Die Alttestamentarische: Der radikale Glaube an den eigenen Stammesgott, der das eigene Volk auserwählt hat und das Recht zur Vernichtung anderer Stämme und Völker einräumt. 2. Die Neutestamentliche: Der Glaube an zwei verschiedene Arten von Menschen: Die durch den Glauben Erlösten und die wegen Unglauben oder Sünde Verdammten. Daraus die Folgerung der "Nächstenliebe", sie, wenn notwendig, auch gewaltsam "zum Heil" zu bringen (Rettung der Seelen). Wesentlich ist hier die Tatsache, daß es nicht mehr nur wie im alten Testament um Vernichtung sondern um Transformation der Uneinsichtigen im Sinne einer tiefgreifenden Umgestaltung ihres Wesens geht. Erst wenn dies aussichtslos erscheint, dürfen auch diese der Auslöschung übergeben werden. Es handelt sich bei dieser Skizzierung "biblischer Humanität" nicht um geschichtliche Reminiszenzen. Die geistig-literarischen Grundlagen dieser Religion schmücken immer noch auf zahllosen Kirchen des Abendlandes wie der ganzen Erde den Altar: Die Bibel ist nach wie vor der Bestseller aller christlichen Kirchen - und sie wird es auch bleiben, so lange diese nicht zugeben können, daß sie die Menschheit zweitausend Jahre lang belogen und betrogen haben. Solange die Kirchen sich nicht von den nachfolgenden Bibelstellen distanzieren oder sie aus der Bibel entfernen, müssen wir unseren Vorwurf aufrechterhalten: Daß in diesen Institutionen auch nach wie vor potentielle Massenmörder und inquisitorische Unmenschen erzogen werden. Machen wir uns nun anhand einiger Zitate damit vertraut, was das "Wort Gottes" über die Behandlung von Andersgläubigen sagt. Unsere Zitate entstammen einer neueren, revidierten Übersetzung der Luther-Bibel aus den Siebziger Jahren und entsprechen in der Anordnung dem fortlaufenden Text. 2.Mose 23,24 : "...du sollst ihre Steinmale umreißen und zerbrechen." 3.Mose 20,6 :"Wenn sich jemand zu den Geisterbeschwörern und Zeichendeutern wendet, daß er mit ihnen Abgötterei treibt, so will ich mein Antlitz gegen ihn kehren und will ihn aus seinem Volk ausrotten." 3.Mose 26,30 : "...Und ich will eure Opferhöhen vertilgen und eure Sonnensäulen ausrotten und will eure Leichname auf die Leichname eurer Götzen werfen und werde an euch Ekel haben." 5.Mose 4,19 : "Hebe auch nicht deine Augen auf gen Himmel, daß du die Sonne sehest und den Mond und die Sterne, das ganze Heer des Himmels, und fallest ab und betest sie an und dienest ihnen. Denn der Herr, dein Gott, hat sie zugewiesen allen anderen Völkern unter dem ganzen Himmel." 5.Mose 7,5 : " Sondern so sollt Ihr mit ihnen tun: Ihre Altäre sollt ihr einreißen, ihre Steinmale zerbrechen, ihre heiligen Pfähle abhauen und ihre Götzenbilder mit feuer verbrennen..."
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5.Mose 12,2-3 : "Zerstört alle heiligen Stätten, wo die Heiden, die ihr vertreiben werdet, ihren Göttern gedient haben, es sei auf hohen Bergen, auf Hügeln oder unter grünen Bäumen, und reißt um ihre Altäre und zerbrecht ihre Steinmale und verbrennt mit Feuer ihre heiligen Pfähle, zerschlagt die Bilder ihrer Götzen und vertilgt ihre Namen von jener Stätte." 5.Mose 17, 2-5 : "Wenn bei dir in einer deiner Städte, die dir der Herr, dein Gott, geben wird, Mann oder Frau, der da tut, was dem Herrn, deinem Gott mißfällt, daß er seinen Bund übertritt und hingeht und dient andern Göttern und betet sie an, es sei Sonne oder Mond oder das ganze Heer des Himmels, was ich nicht geboten habe, und es wird dir angezeigt, und du hörst es, so sollst du gründlich danach forschen. Und wenn du findest, daß es gewiß wahr ist, daß solch ein Greuel in Israel geschehen ist, so sollst du den Mann oder die Frau, die eine solche Übeltat begangen haben, hinausführen zu deinem Tor und sollst sie zu Tode steinigen." Allein dies ist ein Text, der sich zur Etablierung jeder Art von Inquisition und Kreuzzugswahn bedenkenlos heranziehen läßt. Die Anweisungen "Gottes" sind eindeutig. Kein Wunder, daß einzelne Texte dieser Art im "Hexenhammer" von 1487 zitiert werden, wo es darum geht, die Hexenverfolgung mit ihren Millionenopfern theologisch "korrekt" zu begründen. Das alte Testament ist in seinen Zielsetzungen gegenüber Menschen anderen Glaubens sehr konkret: Zerstörung der Kultstätten, systematische Überwachung, physische Vernichtung der Gläubigen wie auch der Priester. Natürlich ist es klar, daß es zwischen den damaligen schon fast legendenhaften Geschehnissen in Palästina und und der späteren Missionsgeschichte gar keinen direkten Zusammenhang gab. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß die geschilderte Vorgehensweise der jüdischen Patriarchen Modellcharakter für die Bekämpfung der europäischen Heiden und der Heiden in aller Welt bekam. Es ist höchst kurios, wie selbst in apokryphen Überlieferungen die damaligen kulturellen Auseinandersetzungen des Volkes Israel mit einer feindlichen Umwelt noch weiter in die Vergangenheit zurückprojiziert werden. So gibt es im Koran eine Stelle über den jüdischen Erzvater Abraham, der die "Götzen" seines eigenen Vaters und dessen Sippe in Stücke schlägt, um ihm dadurch die Machtlosigkeit seiner Götter vor Augen zu führen. Nur den größten von allen Götzen ließ er bestehen, um diesem vor seinen Verwandten anschließend die Zerstörung der anderen Götter in die Schuhe zu schieben (Der Koran, nach der Übertragung von Ludwig Ullmann , München 1988, Sure 21). Kann man die Entstehung der monotheistischen Gottesvorstellung noch humoristischer darstellen ? Natürlich läßt sich nicht von der Hand weisen, daß die altjüdische Kultur nicht die einzige gewesen ist, die solche Formen einer kulturellen Abschottung gegen das Fremde aufzuweisen hat. In der Tat finden wir Auserwähltheitsdünkel und die Vorstellung, selbst im Mittelpunkt der Welt zu stehen, auch bei den Massai oder bei den alten Chinesen. Aber der entscheidende Unterschied besteht darin, daß dieser Gedanke im Judentum viel stärker ideologisiert und dogmatisiert wird. Und des weiteren sollten wir bedenken, daß es einige Gelehrte und Künstler jüdischer Abstammung waren, die zu den schärfsten und begründetsten Kritkern dieser Art von Religiosität zählten: Heinrich Heine, Karl Marx, Sigmund Freud und Wilhelm Reich. Allerdings bedarf es an dieser Stelle eines Hinweises, mit dem wir auftretenden Mißverständnissen vorbeugen wollen: Die hier skizzierte Ideologie beruhte auf der Machtgier priesterlicher Kreise, die damit selbst im Widerspruch zu großen Teilen des jüdischen Volkes standen, wie die historische Analyse der Besiedlung Palästinas beweist. Es bestand damals einige Jahrhunderte lang die Gefahr, daß die Juden der Faszination des kanaanitischen Heidentums erliegen würden. Die autoritäre Haltung der theokratischen Kreise richtet sich hier also auch gegen die "Abweichler" innerhalb des eigenen Volkes. Sie hat auch geschichtlich gesehen eine Langzeitwirkung gezeigt: Wurde doch die priesterliche Intoleranz zur wichtigsten Triebfeder des christlichen Antisemitismus. Als erst einmal das Christentum zur herrschenden Religion geworden war, behandelte es seine jüdischen Ursprünge ebenso aussondernd und autoritär, wie es früher die tempel-
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priesterlichen Kreise gegenüber den innerjüdischen Dissidenten taten. Die christliche Kirche imitierte hier also etwas, war sie doch selbst ursprünglich nur eine Sekte innerhalb des Judentums gewesen. Sollte also jemand aus den hier dargelegten Vorgängen Anleihen für einen neuen Antisemitismus machen wollen, indem er die monotheistische Intoleranz zu einem unveränderlichen Wesenszug des jüdischen Volkes deklarierte, so können wir ihn nur zur geschichtlichen Selbstkritik auffordern: In Bezug auf Brutalität in der Verfolgung Andersgläubiger auch in quantitativer Hinsicht (Man denke an die Millionenopfer der Hexenverfolgung) standen die Europäer den alten Theokraten nicht nur in nichts nach. Sie übertrafen diese dabei auch gewaltig und beließen das Schreckensregiment nicht nur in einem Winkel dieser Erde, sondern dehnten es im Zuge der Kolonisierung auch auf den gesamten Planeten aus. Um nun auf das alte Volk Israel zurückzukommen: Aus einer mehr instinktiven Abwehrgebärde infolge einer geo- und kulturpolitischen Bedrohung wird eine Weltanschauung gemacht und diese wird in dem Augenblick zur Zwangsvorstellung, wo die äußeren Bedingungen ihrer Entstehung längst beseitigt sind. In besonderer Weise gilt dies für das Christentum, das die paranoiden Elemente des Judentums übernimmt und konserviert, obwohl es bei einem vernünftigen Verhalten der ersten Christen zu einem Agreement mit den politischen Instanzen des Imperium Romanum hätte kommen können. So steigerte man sich weinerlich in die Rolle des Getretenen hinein, erschuf sich massenhaft Märtyrer, von denen man später bestens profitieren konnte. Der Fanatismus des Neuen Testaments bewegt sich gemäß des stärkeren Einflusses hellenistischer Philosophie auf einer etwas "feinstofflicheren" Ebene. Da der Urgemeinde ja zunächst die Mittel gesellschaftlicher und staatlicher Macht fehlen, bedient man sich einer Strategie der gefühlsmäßigen Verängstigung der Menschen. Sie werden in verschiedene heilsgeschichtliche Klassen eingeteilt, gemäß der rigorosen Vorstellung des alten iranischen Dualismus, den die ersten Christen gnostisch-moralistisch neuinterpretieren: Wir hätten zu lernen, zwischen Kindern des Lichtes und den Kindern der Finsternis zu unterscheiden. So heißt es z.B. in Matthäus 23,33 : "Ihr Schlangen, ihr Otterngezüchte ! Wie wollt ihr der höllischen Verdammnis entrinnen ?" Wir begegnen in diesem Text schon der Gleichsetzung des Bösen mit dem Tierischen, was nicht nur tief symbolisch für die ganze Einstellung des Christentums gegenüber der Natur ist, sondern sich in dem Sinnbild des "Großen Tieres" der Johannesapokalypse noch stärker verdichtet. "...einer wird angenommen, der andere wird verworfen werden" sinniert der Autor von Mattäus 24, 40, worin sich die Aussonderung der "Wertlosen" im Sinne des Jüngsten Gerichts drohend andeutet. Eindeutiger Natur ist auch der sogenannte Missionsbefehl, der eigentlich pauschal einen großen Teil der Menschheit der Vernichtung preisgibt: "Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubet, der wird v e r d a m m t werden" (Markus 16, Vers 16). Und in Matthäus 25, 41 ruft der sonst so sanftmütig dargestellte Jesus seinen geistigen Kontrahenten zu: "Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln." Vers 46: "...und sie werden in die ewige Pein gehen, aber die Gerechten in das ewige Leben." Im Laufe der vergangenen nun fast 2000 Jahre sind viele Gegner des Christentums ins Feuer geschickt worden, abgesehen von den vielen Millionen Glaubensbrüdern, denen dieser Weg ebenfalls nicht erspart blieb. Die vielfältigen Äußerungen des Apostels Paulus wollen wir unseren Lesern ersparen, weil dieser Mann und sein exzessiver Haß ein Thema für sich sind. Paulus zeichnete sich besonders durch seine geistige Stellung zwischen verschiedenen Welten aus, die ihn dazu nötigte, ständige innere Kämpfe nach außen zu projizieren. Als Jude mit römischem Bürgerrecht und umfassender (heidnisch)-hellenistischer Bildung mußte er sich selbst als Verräter an der eigenen Stammesreligion vorkommen.
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In jener unmöglich-absurden Vermischung jüdisch-sektiererischer und jüdischtraditioneller Religion mit griechischer Philosophie betrachtete er zuerst die Christen als Verräter am ursprünglichen Judentum. Schließlich, nachdem er zum Christentum übergelaufen war, wurden sowohl die jüdischen Traditionalisten als auch die hellenistisch Beeinflußten innerhalb des Christentums seine Feinde. Durch den Konflikt zwischen dem Eigenen und Fremden im kulturellen Chaos des Imperium Romanum innerlich entzweit, wird Paulus zum "Handelsreisenden" in Sachen Religion. Statt sich damit abzufinden, daß Menschen überall eigenständige, legitime religiöse Überlieferungen haben, entwickelt er die Idee, allen Menschen die wahre Religion vermitteln zu müssen. Insofern sind seine Missionsreisen der Prototyp aller späteren Kreuzzüge und "Überzeugungstaten" der Bekehrer. Paulus transformiert den alttestamentarischen Gedanken der Abwertung und Abwehr andersgläubiger Völker zu einer weltweiten Bewegung. Er macht aus dem stammesegoistischen Ressentiment eines kleinen Wüstenvolkes eine Aufgabe von globaler Bedeutung. So wird aus einer Ansammlung regionaler, vorderorientalischer Vorurteile und Haßgefühle, so wie sie aus den Zitaten des Alten Testaments hervorgehen, eine weltweite geistige Krankheit. Nur am Rande sei erwähnt, daß er im 1. Brief an die Korinther, 10,14-22 heidnische Gottesdienste und Opfer als Teufelsverehrung und Dämonenkult darstellt und die Christen eindringlich davor warnt. Und dies, obwohl schon seine eigene Weltanschauung ohne den Einfluß der heidnischen antiken Philosophie überhaupt nicht denkbar gewesen wäre. Wie übrigens alle Theologen während ihrer Grundausbildung erfahren, was sie nicht daran hindert, die Zuhörer ihrer Sonntagspredigten über diesen Punkt zu belügen. Wir sollten aber der Gerechtigkeit halber erwähnen, daß ohne den Großmachtwahn der Römer eine derartige Ausbreitung intoleranten Gedankengutes kaum möglich gewesen wäre. Das Imperium Romanum verlieh dem jüdischen Fanatismus des Paulus die zivilisatorischen Möglichkeiten zu seiner Verbreitung. Hätte es diesen umfassenden Machtanspruch der Römer im kulturellen Sinne nicht gegeben, der Ungeist der "Bibel" wäre nicht mehr geblieben, als eine Fußnote der vorderasiatischen Religionsgeschichte. Es ist nicht ganz unwesentlich, anhand der Gestalt des Paulus auf die ununterbrochene Folgerichtigkeit der biblischen Überlieferung hinzuweisen. Viele Theologen bemühen sich um die Darlegung der Tatsache, daß Paulus die Botschaft jenes "Jesus von Nazareth" drastisch verändert und durch eine recht eigenwillige Version ersetzt habe. Nun mag es durchaus sein, daß aus dem realen, historischen Jesus der frühen Christen bei Paulus ein philosophisch-symbolisches Gottwesen im Sinne der hellenistischen Mysterienkulte wurde. Doch ändert dies nichts an der Kontinuität der religiösen Unduldsamkeit, mit der er seinen Zuhörern gegenüber tritt. Darin sind sich der Zimmermannssohn aus Nazareth und der römische Jude aus Tarsus einig. Zuguterletzt sei noch die " liebevoll-humanitäre" Zukunftsvision der ersten Christen aus der Johannes-Apokalypse zitiert (Kptl. 22, 14-15): "Selig sind, die ihre Kleider waschen, auf das sie teilhaben dürfen an dem Baum des Lebens und zu den Toren eingehen in die Stadt. Draußen sind die Hunde und die Zauberer und die Unzüchtigen und die Totschläger und die Götzendiener..". Der von den Theologen stets behauptete Unterschied zwischen altem und neuem Testament in Bezug auf Menschlichkeit und Toleranz ist angesichts der zitierten Quellen nicht erkennbar. Der "liebe Heiland" und die christliche Nächstenliebe erweisen sich als schillernde Vernebelungsstrategie der Theologen. Es fehlte in der Geschichte der christlichen Theologie nicht an Versuchen, diese Gedankengänge auf zeitgemäße Art und Weise fortzuführen. So betrachtet Augustinus Gewaltanwendung bei der Missionierung als grundsätzliches Gebot, von der Zerstörung heidnischer Kultstätten bis zur Todesstrafe für absolut "Unbelehrbare", allerdings nach Auffassung von Hans-Dietrich Kahl nur bei Rückfälligen, die vorher bereits einmal die Taufe empfangen hatten.
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Gewissermaßen geht es hier um ein Mittel zur Erzwingung zur Einhaltung des einmal abgeleisteten Taufgelöbnisses. Die von dem heute noch hoch gelobten Kirchenvater gestattete Gewaltanwendung beinhaltet Haft- und Prügelstrafen sowie kriegerische Exekutionen gegen ganze Menschengruppen. Letzteren Gesichtspunkt betrachtet Kahl als wichtigen frühkirchlich-ideologischen Ausgangspunkt für die Kreuzzüge. Weitere Grundgedanken zur missionarischen Verbreitung des Christentums verdankt die Kirche Gregor dem Großen (590-604), der als wirksame Mittel gegen das Heidentum betrachtete: "...mehr oder weniger gelinder Druck, etwa mit Einräumung oder Entziehung von Vermögensvorteilen unter Umständen weitreichender Art wie stark überhöhtem Steuerdruck." (Kahl, S.42). Nach der gleichen Darstellung konzipierte Gregor auch die Idee des indirekten Missionskrieges, die die kriegerische Unterwerfung und daraufhin die friedliche Glaubenspredigt als aufeinanderfolgende Schritte vorsah. Diesbezügliche Mitteilungen Gregors an den Exarchen von Afrika wurden in die späteren Dekretaliensammlungen des Mittelalters aufgenommen und so zu einer kirchlich anerkannten Rechtsnorm aufgewertet. Jene Ausführungen werden von Hans-Dietrich Kahl als programmatischer Ausgangspunkt des gesamten europäischen Kolonialismus einschließlich der Greuel der Konquistadoren in "Neuindien" sowie sämtlicher Kriege gegen die Slawen aufgefaßt ! Erst sollte ein fremdes Volk, das als Träger einer heidnischen Kultur als prinzipiell rechtlos angesehen wurde, im militärisch-politischen Sinne unterworfen werden. Dann erst war es reif für die Vermittlung des Glaubens. Dennoch soll Gregor dem Prinzip des "direkten Zwangs" also etwa einer Überredung zur Taufe mit unmittelbarer Todesdrohung ablehnend gegenüber gestanden haben. Viel sympathischer war besagtem klerikalem Gangster lt. Kahl die "indirekte Nötigung", die in geschickter Anwendung sonstiger Repressalien bestand. Jedenfalls wurde überdeutlich, daß die Praktiken der Christianisierung nicht etwa nur zeitlich gebundene "Ausrutscher" agressiver Fürsten und Missionare waren, die den Geist der Nächstenliebe vergessen hatten. Die in diesem Buch beschriebenen Methoden sind vielmehr erwiesenermaßen Ausdruck einer liebevoll gehegten und gepflegten Weltanschauung, in der Nichtchristen grundsätzlich keinen Anspruch auf freie Entfaltung und Anerkennung ihrer menschlichen Würde besaßen.
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III. Die Zerstörung der antiken Welt
Zunächst müssen wir die Antike betrachten, die erste große Auseinandersetzung fand statt zwischen dem antiken griechisch-römischen Heidentum und der erstarkenden christlichen Kirche. Hierzu ist festzustellen, daß Paulus bereits im Jahre 54 n. Ztw. in Ephesos eine große Bücherverbrennung inszenierte, wobei es sich um Bücher handelte, die von "sonderbaren Dingen" handelten. Im Jahre 390 n.Ztw. verbrannten Christen die große SerapeionBibliothek in Alexandria (Ägypten), in der sich etwa 200 000 Schriftrollen mit religiösen, literarischen und wissenschaftlichen Überlieferungen befanden. Schon unter Konstantin dem Großen, der im Jahre 313 das Mailänder Edikt zum "Schutz der Christen" erließ, machte sich bereits butale Intoleranz bemerkbar: Darin verbot er z.B. das Heranziehen etruskischer Zeichendeuter zur Erforschung der Zukunft, obwohl er selbst diesen Praktiken popsitiv gegenüber stand und sie auch benutzte. Theodosius d. Gr. (379-395) sandte besondere Präfekten in die Provinzen, mit dem Auftrag, heidnische Heiligtümer und Kulte mit staatlichen Mitteln zu brechen. Auf diese Weise wurden heidnische Kulte wie der Mithras-Kult in den Randgebieten des Imperium Romanum zerstört, bevor man daran ging, die einheimischen Kulte jener Regionen zu beseitigen. So wurde das Mithraeum in Dieburg bei Darmstadt zerstört, ebenso wie jenes in Saarburg bei Trier. In letzterer Kultstätte fanden Archäologen das gefesselte Skelett des dortigen Mithraspriesters, der wahrscheinlich von Christen ermordet wurde. Durch zwei Verordnungen, 385 und 392, stellte er die Wahrsagepraktiken der Haruspizien unter Strafe: Der Tod auf dem Scheiterhaufen drohte jedem, der einen Haruspex konsultierte. Sein Sohn und Nachfolger Honorius ließ die Bücher der Nymphe Vegoia samt den im Jupitertempel auf dem Kapitol aufbewahrten Sibyllinischen Büchern öffentlich verbrennen - unersetzliche Schätze uralter etruskischer Mysterienkultur (s. Literatur 19a ). Selbst ein protestantischer Kirchenhistoriker muß zugeben: "Unter Theodosius (Imperium Romanum) war das Heidentum fast völlig entrechtet, durch äußeren Zwang, in blutigen Kämpfen wurde das Christentum staatlicherseits zum Siege gebracht. Dem staatlichen Verhalten entsprach das Vorgehen des christlichen Pöbels -Tempelstürme!- , der durch den Klerus und von Mönchen geführt wurde." (Die Religion in Geschichte und Gegenwart,Bd.1, S.1552, Tübingen 1927). Der französische Julian-Biograph Benoist- Mechin dokumentiert den christlichen Vernichtungswillen folgendermaßen: "Säulen, Architrave und Kapitelle der Tempel wurden entfernt und für den Bau von Klöstern und Kirchen benutzt. Im Jahre 376 wurde das Mithras-Heiligtum in Rom zerstört, 380 ließ Theodosius das Heiligtum von Eleusis vernichten; 391 wurden alle heidnischen Tempel geschlossen, die Gläubigen verfolgt. Heidnische Heiligtümer in Edessa und Apameia wurden im Jahre 387 von Christen zerstört. Natürlich gab es auch Heiden, die sich dem zunehmenden christlichen einfluß entgegenstemmten, wie z.B. Porphyrios (233-304), Celsus, der im Jahre 178 das erste antichristliche Werk schrieb und schließlich der berühmte Kaiser Julian, der eine tiefgreifende Reform des Heidentums und einen Staat auf echt heidnischer Grundlage erstrebte". Um sich ein Bild von der moralischen Integrität der politischen Steigbügelhalter der Christianisierung zu machen, sei kurz eine blutige "Anekdote" aus dem Leben des Theodosius berichtet. Theodosius, Kaiser von Byzanz läßt im Jahre 390 in der Arena des Zirkus von Thessalonich 7000 Menschen niedermetzeln - Bürger jener Stadt. Welches schreckliche Verbrechen hatten sie wohl begangen ? Der Grund war, daß in Thessalonich e i n kaiserlicher Beamter ermordet worden war ! Am Weihnachtstage des Jahres 390 zwang Ambrosius, Bischof von Mailand den Kaiser, für diese administrative Schandtat vor allem
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Volk ein öffentliches Schuldbekenntnis abzulegen. 391 ist es dann dieser Kaiser, der den römischen und hellenischen Heiden alle öffentlichen Tieropfer verbietet, ein zentraler Ritus des alten Heidentums. Die Begründung:"...denn es sei nicht statthaft, für menschliche Schuld ein unschuldiges Tier zu schlachten" (zit. b. Holger Schleip: Zurück zur Naturreligion ? , Freiburg i. Br. 1986, S.71) Solche moralischen Wracks konnte die Kirche in der Tat hervorragend für ihre Zwecke einspannen. Die beste Kenntnis der menschlichen Seele dient hier nur zu dem Zweck, ihre Versklavung zu vollenden, nie zur Heilung oder Vervollkommnung. Vigilius, Bischof von Trient (um 378) versuchte ein Götterbild hinabzustürzen, das sich auf einem schroffen Felsen befand. Es gelang ihm nicht mehr, da er vorher von erbosten Bauern erschlagen wurde. Nicht sehr viel pietätvoller gingen die Bekehrer auch mit den Heiligtümern der Griechen um: Die Athenestatue aus dem Parthenon auf der Akropolis in Athen wurde im 5. Jhdt. entführt und der Asklepiostempel zerstört. Eine ganze Reihe anderer Tempel ließ man zwar in ihrer Bausubstanz unversehrt, entweihte sie dann allerdings dadurch, daß man sie Gestalten der christlichen Ikonographie widmete. Der Tempel der Athene auf der Akropolis wurde der Jungfrau Maria zugeordnet, ebenso auch der Tempel der Persephone. Das Theseion, der Tempel des Theseus wurde eine Kirche des heiligen Georg. In Eleusis, im Tempel des Triptolemos, in Lebadia, im Heiligtum des Trophonius und im Tempel der Rhea zu Konstantinopel: Überall bemächtigten sich die Christen der alten Kultstätten, um sie als Kirchen zu mißbrauchen. Noch schäbiger behandelte Theodosius einige Tempel auf der Akropolis, indem er sie einer profanen Nutzung unterwarf. So geschah es mit den Tempeln des Helios, der Artemis und der Aphrodite. Ein Jupiter- und ein Poseidontempel wurden niedergerissen, um anschließend aus dem Baumaterial Kirchen für christliche Märtyrer zu errichten. Selbst in späterer Zeit, als die religiöse Riten der antiken Welt längst erloschen waren, macht der christliche Haß keinen Halt vor den künstlerischen Kultobjekten: Der griechische Asket Ossios Christodoulos (gest. März 1093) fand auf der Insel Patmos einen Tempel der Göttin Artemis, die einst Schutzgöttin der Insel war. Er "zerstörte erst ein kunstreiches Götzenbild, das sie dort im Namen der Artemis hatten" und baute dann an dieser Stelle sein Kloster (Papadopoulos, S. 6) Auch in Italien ist die Zahl der heidnischen Tempel, denen eine neue christliche Identität verpaßt wurde, geradezu Legion. Wenn die Menschen wirklich wie von selbst Christen wurden, wie manche Theologen gern behaupten, warum schufen sie sich dann nicht auch ihre eigenen Heiligtümer ? Folgende alte Kultstätten fielen im Einzugsgebiet des römischen Heidentums der Christianisierungswut auf diese Weise zum Opfer: Das Templum Sacrae Urbis und das Templum Romuli (durch Bischof Felix IV., 526-536), das Pantheon - heute S. Maria Rotonda (609 durch Bonifazius IV.), der Antoninstempel, der Tempel der Ceres und Proserpina und der alte Minervatempel (Alle in Rom). Im übrigen Italien teilten dieses Schicksal ein Apollotempel in Fundi(Latium), ein Bacchustempel in Mailand (Ambrosiusbasilika), ein Concordiatempel (Sizilien), ein Zeusheiligtum (Girgenti/Sizilien) und ein Athenetempel auf Ortygia. Doch es dauerte noch geraume Zeit, bis das antike Heidentum wirklich verschwunden war. Noch im Jahre 528 fand Benedikt von Nursia eine Kultgemeinschaft des Gottes Apollon auf der Höhe des Castrum Casinum in Latium. Dort gab es einen heiligen Hain, ein Kultbild nd einen Altar, auf dem noch Opfer dargebracht wurden. Benedikt zertörte die Statue mitsamt dem Tempel und brannte den Hain nieder. An dieser Stelle wurde das erste Kloster der Benediktiner, Monte Cassino, begründet. Auch im gesamten orientalischen Einzugsbereich der hellenistischen Kultur, in Kleinasien, Syrien und Ägypten wurde das Zerstörungswerk intensiv betrieben. Man muß ein Buch wie "Der unbesiegte Gott" von Franz Altheim (Hamburg 1957) gelesen haben, um schmerzlich
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nachzuempfinden, wie grandios und vielfältig das Heidnische auch in diesen Regionen der alten Welt präsent war - der starren Gesetzesreligion des Judentums zum Trotz. Wie sich hier Impulse altorientalischer Sonnenkulte mit hellenischen Mysterien in künstlerischer Intuition zu einem komplexen Gebilde entwickelte, dem das spätere orientalische Christentum oder gar der Islam nur eine unfaßbare geistige Öde entgegensetzen konnten. In der Stadt Sufes (Nordafrika) stürzten die Christen eine besonders verehrte Herkulesstatue um, worauf es zu blutigen Unruhen kam, in deren Verlauf mehr als sechzig Christen getötet wurden. Der Berichterstatter Augustin verschweigt nicht, daß Christen aber auch die eigentlich Schuldigen an dem Gemetzel waren (Neuwinger, S.132). Im Jahre 391 wurde das Serapeion, der Tempel des griechisch-ägyptischen Gottes Serapis, unter Anführung des Patriarchen Theophilus von den Christen gestürmt und vernichtet. Die griechische Mathematikerin und neuplatonische Philosopin Hypatia wurde im Jahre 415 von asketischen Mönchen vom nitrischen Gebirge nackt ausgezogen und mit Glasscherben zerfetzt (Deschner, S.392) In Kleinasien wurden der Tempel des Dionysos in Teos (Karien) sowie das Heiligtum der Athene Polias in Priene zerstört. In Phönizien wurde der Tempel von Aphaka am Libanon von Konstantin vernichtet, weil der dort praktizierte Aphrodite-Kult den Trägern einer neuen verkrampften Morallehre Bauchschmerzen bereitete. In Gaza, einst eine Metropole der Philister, widmete sich der Asket Porphyrius dem Werk der Zwangsbekehrung. Als Porphyrius im Jahre 395 Bischof wurde, erwirkte er von Kaiser Arkadius ein Dekret gegen den Götzendienst, das eigentlich nur durch eine Intrige seiner fränkischen Gemahlin Eudoxia zustande kam. Porphyrius vernichtete zunächst eine Marmorstatue der Aphrodite. Das Marneion, ein Heiligtum des semitischen Gottes Marna wurde niedergebrannt und an dessen Stelle eine Kirche gebaut. Mit den Marmorstücken des Allerheiligsten des Tempels ließ Porphyrius den Weg zur Kirche pflastern, "damit jene nicht nur von Männern mit Füßen getreten würden, sondern auch von Frauen und Schweinen und anderen Tieren" (zit. b. Neuwinger, S.134). Ferner wurden Haussuchungen durchgeführt, bei denen man es auf Götterbilder abgesehen hatte. Was gefunden wurde, zertrümmerte man, warf es ins Feuer oder in den Schmutz. In Adra bei Damaskus wurde ein Tempel des Gottes Theandrites von den Christen zertrümmert und durch eine Kirche ersetzt. Marcellus, Bischof von Apamea, hatte in seinem Ort bereits alle heidnischen Tempel niedergerissen. Als er auch in den benachbarten Ort Aulon mit einigen Soldaten aufbrach, um einen dort gelegenen Tempel zu zerstören, wurde er mit dem Widerstand der einheimischen Bauern konfrontiert. Diese belagerten und verteidigten ihr Heidentum. Als sie Marcellus dezent im Hintergrund stehend erspähten, schleppten sie ihn fort und verbrannten ihn bei lebendigem Leibe. Wenn man bedenkt, daß der Bevölkerungsanteil der Christen im Imperium Romanum zur Zeit Konstantins (Mitte 4.Jhdt.) auf weniger als 10 % geschätzt wird, so wird man ihre Handlungsweise verstehen können: Ohne Terror und machtpolitische Intrigen hätte das Christentum nie die Macht erringen können. Ein wesentlicher Grund dieser Machtergreifung liegt aber auch in der Schwäche und Dekadenz der antiken Kultur, die durch die Auflösung der alten sozialen Ordnung, der Verkommenheit der herrschenden Schichten und der Durchdringung mit unverstandener orientalischer Kultur dem Verfall preisgegeben war. Allerdings müssen wir auch das Ausmaß an Toleranz bewundern, das in der antiken Welt möglich war. Diese Toleranz war einesteils eben die Grundlage für eine ungeheuer fruchtbare Vielfalt in Kultus, Gottesvorstellung und Philosophie - und zugleich auch der Hauptgrund dafür, daß man nicht die tödliche Gefahr des christlichen Dogmatismus erkannte. Einer entschlossenen Ideologie, die sich um jeden Preis an die Spitze des geistigen Lebens setzen wollte, hatte man nichts entgegenzuhalten, keine unüberwindbare geistige Front, da die Exponenten des Heidentums in zahllose intelektuelle Scharmützel verstrickt waren. So bemerkte einst der Philosoph Themistius zu Kaiser Valens: "Die Hellenen haben einhundert Weisen, die Gottheit aufzufassen und zu ehren, die sich über diese Verschiedenheit der Huldigungen freut" (zit. bei Theodor Reik: Der eigene und der fremde Gott, Frankfurt a. M. 1972, S.173).
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Schon längere Zeit, bereits in den Schriften Ciceros (106-43 v.Ztw.) war die bloße Existenz der Götter Gegenstand endloser philosophischer Debatten, die sich in fruchtlosen Abstraktionen und Gedankenspielen verloren. Es fehlte bereits Jahrhunderte vor der definitiven Christianisierung an lebendigem Glauben und innerer Gewißheit im römischen Heidentum. Deshalb verlagerte sich das abendländische Machtzentrum auch bald in den Bereich jener nordeuropäischen Völker und Stämme, die noch nicht durch die zivilisatorische Aufweichung Roms beeinträchtigt waren. Ein besonderes Kapitel der Bekehrungsgeschichte sind die kontinentalen Kelten, da sie ja bereits früher, durch die Auseinandersetzung mit den Römern, viel von ihrer eigenen Identität eingebüßt hatten. Bekannt für die Zerstörung des noch verbliebenen keltischen Heidentums der Gallier wurde Martin von Tours (4. Jhdt.), der zahlreicheHeiligtümer zerstörte. Er litt derart unter seinem dadurch hervorgerufenen schlechten Gewissen, daß er selbst noch hin und wieder von heidnischen Göttinnen und Göttern heimgesucht wurde. In Ambroise zerstörte er einen gewaltigen alten Tempel und stürzte eine Säule mit einem Götterbild zu Boden. Remigius von Reims wütete im 5. bis 6. Jhdt. gegen die "Altäre der Idole", unter denen er vor allem Heiligtümer der altgallischen Dreiheitsgötter verstand. Orientus, ein Bischof im südlichen Aquitanien riß einen Tempel nieder, der sich auf der Spitze eines heiligen Berges befand. Cäsarius, der in der Gegend um Arles wirkte, forderte in seinen Predigten immer wieder zur Vernichtung der Altäre und Heiligtümer auf. All die hier geschilderten Untaten sind einesteils die Geschichte einer Kultur, die durchaus ursprüngliche, erdreligiöse Bezüge hatte, das Leben und die Natur durch eine Vielzahl von Riten zu heiligen bemüht war. Doch je mehr die Gier nach äußerer Macht und die damit verbundene Raffgier nach noch mehr Besitz internationalen Handel und Militarismus förderten, desto stärker löste sich die alte Ordnung auf. Die römische Kultur war schließlich an einem zivilisatorischen Stadium angelangt, an dem die soziale Schichtung der Bevölkerung soviel Leid und der luxuriöse Überfluß soviel Überdruß hervorgerufen hatten, daß die scheinbare Lösung aller Probleme nur noch durch eine Erlösungsreligion gewährleistet werden konnte. In diesen geistig-seelischen Leerraum stießen viele verschiedene Mysterienkulte vorwiegend orientalischer Herkunft - Doch nur das Christentum konnte den Sieg davon tragen. Dank seiner rigorosen Ansprüche auf Macht und Entfaltung, die wir im vorigenKapitelskizziert hatten.
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IV. Der Schatten des Imperiums: Die auserwählten Völker der neuen Christenheit
Nachdem man im Mittelmeerraum alle geistig unabhängigen Kräfte zum Schweigen gebracht hatte, wandte sich die Bekehrungsmaschinerie dem Bereich nördlich der Alpen zu. Die germanischen Stämme, die im Rahmen der Völkerwanderung nach Südeuropa geraten waren, hatte man schon frühzeitig zum Christentum gebracht. Ganz offen wird aus theologischer Perspektive zugestanden, daß eigentlich bei den "Bekehrten" gar kein inneres seelisches Bedürfnis nach der neuen Religion vorhanden war: "Die im 3. Jhdt. drohende Gefahr, daß die vordringenden Germanen mit dem Reich zugleich das Christentum vernichten und so dem (germanischen) Heidentum (an Stelle des griech.römischen) von neuem den Sieg verschaffen möchten, wurde dadurch verhindert, daß man die Germanen christianisierte." (Die Religion in Geschichte u. Gegenwart, Bd. 1, S. 1553, Tübingen 1927). Wenngleich sich ihr unabhängiger Geist in Form des arianischen Christentums noch eine etwas eigenständige Sichtweise der Dinge bewahrt hatte, gab es doch keinen Raum mehr für eine Religiosität aus eigener Wurzel. Der britische Religionshistoriker E.A. Thompson ist der Auffassung, daß z.B. die gotische Stammesaristokratie sich aus rein wirtschaftlichen Gründen genötigt sah, den neuen Glauben anzunehmen. Ihre Anpassung an die Lebensweise der spätrömischen Grundherren beinhaltete auch ein Zugeständnis zu deren religiöser Grundeinstellung. Aus ähnlichen Beweggründen ließen sich später auch im Norden und in Britannien viele heidnische Männer "mit dem Kreuz zeichnen", was die Kirche auch als prima signatio bezeichnete. Es handelte sich um eine Vorstufe zur Taufe, noch nicht um einen definitiven Bekehrungsakt. Doch wurde dieser Ritus generell von Nordmännern durchgeführt, die Kaufleute waren oder sich in ein Dienstverhältnis bei Christen begaben. Die Entscheidung sagte insofern nichts über irgendwelche Überzeugungen aus. Sicher war eine solch pragmatische Einstellung nicht nur durch eine neue Lebenssituation im wirtschaftlichen Sinne bedingt, sie war für einen germanischen Polytheisten grundsätzlich auch vom religiösen Standpunkt aus möglich. Warum ? Nun, wenn ich als Polytheist davon ausgehe, daß die Vielfalt des Lebendigen sich in einer ebensolchen vielseitigen Existenz geistiger Wesen wiederspiegelt, so bin ich grundsätzlich offen für das Kennenlernen neuer Gottheiten und ihrer Kulte. Hatte doch in der altgermanischen Naturmystik mitunter ein Berg, ein Fluß oder ein bestimmter Wald seinen eigenen Schutzgeist. Man überlege sich die Konsequenz dieser Sichtweise, wenn ein germanischer Stamm bei seiner Wanderung in den Mittelmeerraum ganz neue Landschaften, eine neue Flora und Fauna kennenlernte. Für viele "bekehrte" Goten, Wandalen und Sueben muß Christus ein neuer und vielleicht ebenbürtiger Gott neben seinen alten Göttern gewesen sein. Daß mit der Annahme der neuen Religion auch ein völlig neues Verständnis von Menschentum, Weltentwicklung und Schicksal zusammenhing, wird den meisten Germanen im Eifer des Gefechts entgangen sein. Zumal gerade dann, wenn sie zunächst von Jesus Christus nicht sehr viel mehr erwarteten, als sie von den alten Götter auch erwartet und bekommen hatten. Beispielsweise Glück im Krieg oder gute Nachkommenschaft. Es war ihnen wahrscheinlich oft nicht ersichtlich, daß es sich bei der Taufe um einen grundsätzlich unumkehrbaren Akt von umstürzender Totalität handelte. Und nicht, wie er vielleicht selbst glauben mochte, um eine Angelegenheit, die bequem neben der noch vorhandenen heidnischen Gesinnung koexistieren konnte.
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Über die Missionierung Nordeuropas kursieren nun die eigenartigsten Behauptungen, wobei es vor allem zwei Dinge sind, die immer wieder auftauchen: Einmal die These, daß es nur eine bestimmte Gruppe innerhalb der römischen Kirche gewesen sei, die die Mission mit besonderer Brutalität und Härte vorangetrieben hätte. Die Mission der iro-schottischen Mönchskirche hingegen soll sich durch eine vergleichsweise milde, kompromißbereite Haltung gegenüber dem Heidentum ausgezeichnet haben. Diese vielfach von Anthroposophen verbreitete These mutet abenteuerlich an, wenn man sich der zölibatären Lebensformen der iro-schottischen Mönche erinnert oder solcher Gewaltaktionen wie der Verbrennung von 10.000 Runenmanuskripten aus Birkenrinde im 7. Jhdt., die die Überlieferung der keltischen Kultur enthielten (Charroux, S.63). Gerade die Tatsache, daß es sich bei der iro- schottischen Kirche um eine Mönchskirche handelte, sollte uns doch hellhörig machen. Die lange Unabhängigkeit dieser Kirche von Rom wird von theologischen Historikern als geschichtlicher Rückstand orientalischen Asketentums bewertet, wie wir es auch zu Beginn der Etablierung des Christentums im Imperium Romanum finden. Irrtümlicherweise sehen manche Esoteriker hier gleich immer eine verdeckte Beziehung der Iro-Schotten zu den altkeltischen Druiden. Verräterisch sind ferner auch die bei ihnen besonders intensiv gepflegte Beichtpraxis und die ausgedehnten Bußübungen (Wörterbuch der Kirchengeschichte, München 1984, S. 278). Die auf dem europäischen Festland insbesondere im Frankenreich benutzten Bußbücher, die regelrechte Sündenkataloge darstellten, gehen auf iroschottische Initiativen zurück. Zur Praxis dieser Bußen gehörten unter anderem extremes Fasten, unaufhörliche Nachtwachen, zahllose Kniebeugen und kalte Bäder. Ein besonderes Kuriosum ist das schon seit Beginn der Christianisierung Irlands vorhandene "Syneisaktentum", bei dem männliche und weibliche Asketen zur angeblichen Stärkung ihres asketischen Willens zusammenlebten. Ausdruck "altkeltischen druidischen Tantras" oder Beispiel übelster Verleumdung sexueller Intinkte durch mönchische Fanatiker ? Die Einrichtung selbst wird bereits in der "Ersten Ordnung der Heiligen" aus dem Jahre 431 erwähnt. Robert E. McNally jedenfalls kennzeichnet die irischen Mönche als weltverachtend, voll von übersteigertem Moralismus und begabt mit ausgeprägtem Sündenbewußtsein. Des weiteren zeichnete sich die irische Geistlichkeit dadurch aus, daß sie ihren Angehörigen eine besondere Form von Tonsur auferlegte, bei der wahrscheinlich nur der vordere Teil des Kopfes von einer Verbindungslinie zwischen beiden Ohren an geschoren wurde. Auch die Berechnung des Osterdatums erfolgte nach einer anderen Methode als in der römischen Kirche. Reicht das aber schon aus, bereits eine unmittelbare Nähe zu den Druiden ins Auge zu fassen ? Auch die legendenhafte Angabe, daß es bereits um 431/32, als Patrick seine Missionierung Irlands begann, schon ein Mönchstum auf der grünen Insel gegeben haben soll, ist kein sicherer Anhaltspunkt. In Wahrheit waren es gerade die iroschottischen Mönche, die bei ihrer Festlandmission nicht vor der Zerstörung heiliger Stätten zurückschreckten. Es muß uns schon aufmerksam machen, wenn wir hören, daß gerade sie von den Frankenherrschern Pippin (715-768) und Karl (768-814) ins Land geholt wurden ! Unter anderem gehörten so berüchtigte "Heilige" zu ihnen wie Kolumban, Kilian, Wigbert, Willibrord und Winfried (Bonifatius). So wäre z.B. der Ire Kolumban (gest. 615) mit seinen Gehilfen fast erschlagen worden, als er im Gebiet von Zürich ein alemannisches Heiligtum anzündete. Eine andere, dreist vorgetragene Behauptung der kirchenamtlichen Historiker läuft darauf hinaus, daß die Christianisierung Nordeuropas mehr oder weniger auf freiwilliger Basis erfolgt sei, weil die Heiden ohnehin nicht mehr an die alten Götter glaubten und sich das Heidentum überlebt hätte. Rudolf Steiner, ein Meister neoplatonischer Fabulierkunst kleidet diesen Gedankengang in die Schilderung folgender "überirdischer" Notwendigkeiten: "Die spätere römische Geschichte wurde auch geleitet von einer Art von Zeitgeist, der aus dem Erzengel des Römertums aufgestiegen war und sich in seiner Wirksamkeit mit dem christlichen Zeitgeist zu gemeinsamem Wirken verband. Diese beiden waren die Erzieher jenes Erzengels, welcher die germanischen Völker führte, der zu deren führenden Erzengeln gehörte, der sich dann zum Zeitgeiste der fünften nachatlantischen Kulturperiode emporhob" (Steiner, S.132).
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Solchen absonderlichen Thesen wollen wir ganz einfach die Fakten gegenüber stellen: Das Fundament für die Identität von Frankenherrschaft und christlichem Missionsfanatismus legte bereits Chlodowech (Chlodwig), der von 482- 511 lebte. Seine Bekehrungsgeschichte, in einem Buch Gregor v. Tours überliefert, zeugt nicht gerade von fröhlichem Erkennen einer neuen Religion. Sie offenbaren vielmehr den dumpfen Haß seiner christlichen Umgebung auf das Heidnische. So versuchte zunächst seine Frau mit endlosem Gekeife, ihn von den "Götzen" abzubringen. Doch erst in einer Schlacht gegen die Alemannen, in der ihm die von ihm angerufenen Götter nicht halfen, wandte er sich Christus zu. Ein Stoßgebet zum neuen Gott brachte angeblich die Alemannen dazu, sich trotz anfänglicher totaler Übermacht gegenüber Chlodwigs Heer diesem zu unterwerfen. Eine seltsame, unglaubwürdige Geschichte. Noch eigenartiger ist die Schilderung der Begebenheiten nach der Schlacht, die eine offensichtliche Umfälschung der Tatsachen darstellen: Als die Königin heimlich den Bischof von Reims, Remigius, zu einem Gespräch mit Chlodwig herangeholt hatte, beteuerte der König, er würde, sich ja gern bekehren, doch "das Volk... duldet nicht, daß ich seine Götter verlasse". Als Chlodwig daraufhin eine Volksversammlung einberuft, sind die Menschen überraschenderweise bereit, "die sterblichen Götter" dem "unsterblichen Gott" zuliebe zu verlassen. Haben wir hier ausgefeilte Intrigen klerikaler Drahtzieher vor uns oder nur ganz einfach eine fromme Geschichtslüge ? Jedenfalls wurde anschließend (immer nach Gregorius' Bericht) eine prachtvolle Taufzeremonie veranstaltet, bei der Remigius seine Stimme zu dem pietätlosen Weihespruch erhob: "Beuge still deinen Nacken, Sicamber, verehre, was du verbranntest, verbrenne, was du verehrtest." Diese Tragödie spielte sich angeblich im Jahre 498 ab. Noch ein anderes Faktum könnte eine gewisse Bedeutung für Chlodwigs Bekehrung gehabt haben, und das ist die starke Verbreitung des St. Martinskultes im westfränkischen Reich. Er wurde ursprunglich um 336 in Pannonien geboren und starb gegen 401. Martin war Zeit seines Lebens Soldat gewesen und wurde später Volksarzt, Heidenbekehrer und dann auch Bischof von Tours. Martin war die erste Heiligengestalt, der die römische Kirche überhaupt erstmals Verehrung entgegenbrachte. Hoch zu Roß sitzend erscheint er als Statue oder Bildnis in seinen Kapellen. Wahrscheinlich war seine soldatische Herkunft der Anlaß für den späteren Brauch der merowingischen Könige, seinen Mantel in der Schlacht vorantragen zu lassen. Karl der Große soll die Chorkappe des "Heiligen" immer mit sich geführt haben. Es wird von der Stellung Martins im Volksbrauchtum des 11. November her geschlossen, daß Martin eine gewisse Beziehung zu dem germanischen Gott Wodan gehabt haben müsse. Führte also der Trick der Kirche, heidnische Glaubensinhalte oberflächlich zu integrieren, bei Chlodwig zu einer Täuschung über dessen wahre Natur ? Jedenfalls soll er in der Grabbasilika des Heiligen in Tours im Jahre 498 seltsame Erlebnisse gehabt haben, die mit nicht näher ausgeführten Wundern verknüpft waren. Nicitius, damaliger Bischof von Trier behauptete , daß der Martinskult ausschlaggebend für Chlodwigs Übertritt gewesen sei. König Childebert I. (511-558) erließ für das Teilreich von Paris ein generelles Verbot heidnischen Kultes. Für die Zeit um 525 wird uns berichtet, daß in der Gegend von Köln ein Missionar eintraf, der dort ein heidnisches Heiligtum in Brand setzte. Auch der langobardische Missionar Wulfilaich, der im 6. Jhdt. im Gebiet der Ardennen wirkte, zerstörte dort mindestens eine Kultstätte. Bereits im Jahre 554 wurde im Reich des Frankenkönigs Childerich ein Gesetz erlassen, das die Verfolgung der Anhänger des alten Glaubens und die Vernichtung ihrer Kultstätten und "Götzenbilder" zum Inhalt hatte. Welcher Ungeist sich hier nördlich der Alpen formierte, wird schlaglichtartig in zwei Vorfällen deutlich: Auf dem Konzil von Macon (585) diskutierte man z.B. über die Frage, ob Frauen menschlich beseelte Wesen seien, wobei man sich immerhin noch zu einer bejahenden Antwort durchrang. Doch wird es klar sein, welche Folgen eine derartige "Thematik" für die germanische Religion haben mußte, in der schon laut Tacitus die Frau eine besondere priesterliche Funktion besaß.
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Auch vor ganz primitiven Sticheleien gegen volkstümliche Bräuche schreckten die Bekehrer nicht zurück: So verbot Cäsarius v. Arles (469- 542) das kultische Baden anläßlich der Johannisnacht (Jung, S. 227). Um die Mitte des 6. Jahrhunderts bemühte sich der christliche Missionar Wulflach um die Christianisierung der Landbevölkerung im Trierischen. Dabei stieß er auf einen ausgedehnten Bilderdienst, der sich besonders um eine von Gregor von Tours so bezeichnete Göttin namens Diana rankte. Erst nach längeren Bemühungen gelang es dem Fanatiker, einige Menschen aus der Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen: Erst mit ihrer Hilfe gelang es ihm, die Statue der Göttin und eine ganze Reihe ähnlicher Bildnisse zu zerstören. Als Radegund, die Gemahlin Chlotars I.( herrschte 558 - 561) auf einer Fahrt von Thüringen nach Frankreich an einem fränkischen Heidentempel vorbeikam, gebot sie ihrem Gefolge, diesen anzuzünden. Die Franken wehrten sich zwar, aber Radegund setzte ihren Willen durch, da sie eine glaubenseifrige Christin war (Vita Sanctae Radegundis, zit. b. Golther, S. 595). Der "heilige" Barbatus von Benevent (602-683) ließ einen von den Langobarden kultisch verehrten Baum fällen. Anschließend sorgte er dafür, daß Stamm und Wurzel so vergraben wurden, daß man seine ursprüngliche Stelle nicht mehr finden konnte. Im Jahre 612 stellten Columban und Gallus bei einer Missionsreise nach Bregenz am Bodensee fest, daß die dortige Bevölkerung eine christliche Kirche zweckentfremdet hatte. In der Wand einer Aureliakapelle waren drei vergoldete Erzbilder angebracht, die das Volk anbetete. Gallus zerschlug die Götterbilder und warf sie in den See (Golther, S.604). So besaß der Missionar Amandus (gest. 679), der um das Jahr 625 herum seine Missionstätigkeit in den fränkischen Grenzgebieten am Rhein begann, eine staatliche Konzession für Zwangstaufen. In seiner Lebensbeschreibung wird angegeben, daß sie ihm von dem fränkischen König Dagobert I. (629- 639) erteilt worden sei. In Gent legte er sich (vermutlich mit irgendwelchen Taschenspielertricks) das Image eines Wundertäters zu und konnte damit einige Einheimische "überzeugen": Mit ihrer Hilfe verwüstete er zahlreiche Tempel und Götterbilder. Dieser Amandus versuchte seine missionarische "Erfolgsbilanz" auch dadurch aufzubessern, daß er massenhaft Sklaven ankaufte, um sie anschließend zu taufen. Diese waren ja dann sein Eigentum und konnten sich nicht wehren. Karl Martell (714-741) unterstützte die kirchliche Missionstätigkeit mit einem generellen Verbot heidnischer Bräuche, das von seinem Sohn Karlmann bestätigt wurde. Der Wanderbischof Pirminius (714 - 753), der neben dem Kloster Reichenau am Bodensee noch zahlreiche andere Klöster gründete, fällte bei dem Ort Ober-Alteich eine heilige Eiche. Childerich III. gab im Jahre 743 ein Edikt bekannt, in dem generell alle Formen heidnischer und magischer Praktiken verdammt wurden. Im gleichen Jahr fand in Liftinae unter dem Vorsitz von Bonifatius eine Synode statt, in der ein umfangreiches Verzeichnis von religiösen und magischen Gebräuchen aufgestellt wurde, der sogenannte "Indiculus superstitionum et paganiarum". Damit war ein Leitfaden geschaffen worden, mit dem man definitiv feststellte, was an volkstümlichen Bräuchen unerwünscht oder verboten sein sollte. Auf Befehl Karlmanns, des Herzogs der Ostfranken sollte jeder Zuwiderhandelnde eine Summe von 15 Solidi an Strafe zahlen. Leider sind uns von den insgesamt dreißig Kapiteln nur noch die Überschriften erhalten geblieben, so daß wir nur mutmaßen können, welche Praktiken und Riten wirklich gemeint sind. Aber vielseitig ist dieser Katalog, in dem vom Totenkult, unsauberen Festen im Februar, Götterhütten, Waldheiligtümern, Zaubersprüchen, Opferbrunnen, Notfeuern und Mondzauber die Rede ist.
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Es ist allerdings anzunehmen, daß viele der angesprochenen Bräuche wie auch z.B. die in den berühmten Bußbüchern erwähnten in Wahrheit nur Projektionen des bereits untergegangenen griechisch-römischen Heidentums auf die germanische Religion gewesen sind. Dieter Harmening hat in einer Untersuchung (Superstitio, Berlin 1979) darauf hingewiesen, daß viele Redewendungen aus derlei Sündenkatalogen jahrhundertelang immer wieder mit der gleichen Formelhaftigkeit aufgeführt werden. Es sind demzufolge in vielen (nicht in allen Fällen) A n n a h m e n darüber, womit sich die Bekehrten beschäftigten, nicht ein objektives, aus der unmittelbaren Anschauung geborenes Wissen. Solche Angaben als Quellenmaterial für die Religion der Unterdrückten zu verwenden, ist deshalb nicht unbedingt zu empfehlen. Es wäre ungefähr genauso, als wenn man eine BildZeitung aus dem Jahre 1955 als Quelle zur Entwicklungsgeschichte des russischen Marxismus heranziehen würde. Dennoch ermöglicht uns die Rigorosität, mit der man zumindest versuchte, das heidnische Denken zu katalogisieren, wie ernst es den christlichen Monarchen mit der Zerstörung des Alten war. Um das Jahr 700 herum, nach dem Sieg Pippins über die Friesen, führte der Missionar Willibrord systematische Zwangstaufen durch. Im Jahre 694 besuchte er auf einer Missionsreise den Ort Walcheren, und zerstörte ein dort befindliches Heiligtum. Die Hüter des Tempels setzten sich dagegen bewaffnet zur Wehr, allerdings ohne Erfolg (Golther, S.466). Sicher kann man daraus den Schluß ziehen, daß die Bekehrer über administrative Schergen verfügten, die ihnen bei der "Überzeugungsarbeit" behilflich waren. Die Annahme der Taufe war oft die Vorraussetzung für das weitere Anrecht auf Leben und Besitz. Als großer Höhepunkt der erfolgreichen Missionsarbeit galt dann natürlich das Fällen der heiligen Donarseiche bei Geismar (gegen 722), die in einem Stammesheiligtum lag. Diese Schändung eines heidnischen Heiligtums nahm man als Beweis für die Hilf- und Leblosigkeit der alten Götter, doch hätte der Missionar Wynfried-Bonifatius sie nicht durchführen können, ohne eine entsprechende militärische Gefolgschaft.
Bonifaz läßt an der gefällten Wotanseiche eine Kapelle bauen (Gemälde Alfred Rethel, Kunstmuseum Düsseldorf)
Noch bis zum 30-jährigen Krieg wurde diese Untat von den Bewohnern Geismars alljährlich gefeiert. Sie mußten sich zu diesem Zweck nach Fritzlar begeben, wo auf dem sogenannten Fritzhof zum Andenken an die Tat des Bonifatius ein Baum gefällt wurde. Bonifatius wurde 671 in Wessex geboren und brachte fast sein ganzes Leben damit zu, den verschiedenen germanischen Stämmen seine fremde Religion aufzuzwingen.
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Im Jahre 718 begab er sich nach Rom, wo er von Gregor II. den Auftrag erhielt, Thüringen zu missionieren. Von 719-722 war er drei Jahre lang in Friesland. 722 führte ihn sein Missionseifer nach Hessen wo er mit der Gründung des Klosters Amanaburg (Amöneburg) die fränkische Mission unterstützte. Im gleichen Jahr weihte ihn der Papst in Rom auch zum Missionsbischof. Im Jahre 724 missioniert Bonifatius wieder in Thüringen, wo er in verstärktem Maße für die Durchsetzung der römischen Kirchenpraxis arbeitet. Gregor III. ernennt ihn dann 732 zum Missionserzbischof, wonach er sich hauptsächlich der Mission Bayerns widmet. Ab 753 stand für Bonifatius die friesische Mission im Vordergrund, was sein unrühmliches Schicksal besiegelte. 754 zerschlägt Bonifatius die Götterbilder in den Tempeln östlich der Zuidersee. Im gleichen Jahr wurde er dann auch von erbitterten Heiden seiner Untaten wegen umgebracht. Eine solche Biographie wie die des Bonifatius widerlegt eindeutig die These, daß der Terror der Christianisierung eigentlich der kriegerischen Brutalität fränkischer Fürsten zuzuschreiben ist. Eher ist es so gewesen, daß sich die Kirche dieser Mentalität gezielt bedient hat, um ihre Ziele besser zu erreichen. Papst Zacharias (741-752) beispielsweise ermahnte die Franken nicht zu Sanftmut und echter Überzeugungsarbeit. Vielmehr forderte er den fränkischen Adel auf, den Kirchengesetzen und Weisungen des Bonifatius Folge zu leisten, damit sie sich dadurch "den Lohn des Sieges über alle Heidenvölker erwerben würden". Trotz all dieser Zwangsmaßnahmen war das Heidentum einfach unausrottbar. Nach der "Erstchristianisierung" waren deshalb alle möglichen Maßnahmen notwendig, um zu verhindern, daß die Bevölkerung in heidnische Praktiken zurückfiel. Pirminius war infolge dessen ausschließlich damit beschäftigt, heidnische Gebräuche bei den bereits "bekehrten" Alemannen zu bekämpfen. Zu diesem Zweck hatte er ein eigenes Missionshandbuch namens "Scarapsus" herausgegeben, in dem diese verwerflichen Dinge aufgelistet wurden. In Hessen und Thüringen soll es in der Wende vom 7. zum 8. Jhdt. noch starke heidnische Restpotentiale gegeben haben. Die Thüringer wurden im Jahre 724 von Gregor II. dazu ermahnt, eine Abkehr vom Götzendienst zu vollziehen und sich taufen zu lassen. Bonifatius stößt bei seinen dortigen Missionsbemühungen auf einen "massiven heidnisch- christlichen Synkretismus" (Heinz Löwe), auf häretische und irreguläre Geistliche, die noch im Jahre 732 dem Gott Donar opferten und Opferfleisch aßen. Doch w i e tief verwurzelt die "götzendienerischen Gebräuche bei Hessen und Thüringern noch waren, zeigt ein Schreiben von Papst Gregor III.(731-741), das er 737/38 an Adel und Volk jener Stämme richtete: "Ihr aber, Teuerste, die ihr im Namen Christi getauft seid und Christus angezogen habt, laßt ab und haltet euch fern von jeglichem Götzendienst, nicht nur euch selbst, Teuerste, zum Besseren leitend, sondern auch eure Untergebenen. Wahrsagen und Losdeuten, Totenopfer, das Ausspähen nach Vorzeichen in Hainen und bei Quellen, Amulette, Beschwören, Zauber und Hexen und alle gotteslästerlichen Gebräuche, die bei euch im Schwang sind, verachtet und verabscheut ganz und gar..." In einem gleichfalls um diese Zeit verfaßten Brief an die Bischöfe Baierns und Alamanniens wendet er sich ausdrücklich gegen Brauch und Lehre des Heidentums sowie mit besonderem Nachdruck gegen die Totenopfer. Wenn man bedenkt, daß nach A. Birlinger bei den Allemannen noch um 1200 einzelne Gemeinden zum Heidentum zurückgekehrt waren, kann man sich die Schärfe der geistigen Auseinandersetzung vorstellen (zit. b. Jung, S. 488). Bonifatius stand in allen Detailfragen in intensivem Schriftwechsel mit Papst Zacharias. So teilt ihm der Papst in einer Anweisung auf Anfrage ausdrücklich mit, daß sich die bekehrten Christen vom Genuß der Dohlen, Krähen, Störche, Biber, Hasen und wilden Pferde enthalten sollten. Offenbar deshalb, weil mit diesen Tieren rituelle Opferbräuche verbunden waren. Schon Gregor III (731-741) hatte ihm mitgeteilt, daß er auf keinen Fall mehr das Essen von Pferdefleisch zulassen solle, denn es sei "unrein und verabscheuenswert". Der von Bonifatius zum Bischof von Würzburg ernannte Burchard (gest. 754) hielt regelrechte Hetzpredigten gegen die überlieferte Religion, wie z.B. die folgende: "Wir mußten hören, daß einige von euch bei Bäumen ihre Gelübde einlösen, zu Quellen beten und
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teuflische Wahrzeichen beobachten... Dann gibt es - und das ist noch schlechter - Unselige und Elende, die sich nicht allein sträuben, der Heiden Heiligtümer zu vernichten, sondern sogar die schon zerstörten ohne jegliche Scham wieder aufzubauen wagen !... Verbrennet die verdammten Heidenbäume bis zur Wurzel, zerbrecht die Altäre des Teufels !" (Aus Homilie 23, W. Boudriot,zit. i. R. Oldenbourgs geschichtliches Quellenwerk, S.111). Der Missionar Willehad (gest. 789) führte in der Provinz Drenthe einen Feldzug gegen alte Heiligtümer, von denen er auch mehrere vernichten konnte. Liudger (gest. 809), von katholischen Schreibtischtätern gern als "Apostel der Friesen" tituliert, machte das Heiligtum auf der Insel Fosite (Helgoland) dem Erdboden gleich. Auf dieser Insel befanden sich eine heilige Quelle sowie heilige, dem Gott Fosite geweihte Tiere (vermutlich Rinder). Ohne Bedenken taufte er in dieser Quelle drei Menschen und ließ von dem Vieh nach seinem persönlichen Nahrungsbedarf eins nach dem andern schlachten (Herrmann, S. 505). Im Jahre 776 sandte ihn Bischof Alberich in die friesischen Gebiete östlich der Laubach. Sein Auftrag: Zerstörung sämtlicher Tempel. Die bei dieser Gelegenheit erbeuteten Schätze gingen zu zwei Dritteln an König Karl, zu einem Drittel an das Bistum Utrecht (Golther, S.608). Mit Kaiser Karl schließlich wurden die Franken, nach der Lex Salica "das auserwählte Volk der katholischen Christenheit" die Speerspitze des Kampfes gegen das mitteleuropäische Heidentum. Manche Historiker heben besonders hervor, daß Karl die Macht der Kirche auf das Geistliche beschränkt hätte und auf diese Weise eine Art "Staatskirche" geschaffen hätte, bei der er selbst immer ein Wort mitzureden hatte. Doch ändert dieser Sachverhalt auch nicht das Geringste an der wirtschaftlichen Macht, die er dem Klerus verschaffte: Erst Karl erkannte die Abgabe des "Zehnten" gesetzlich an und setzte sie auch durch. Das war ein eminent wichtiger Schritt für die kirchliche Machtentfaltung, hatte sie doch bereits sehnsüchtig seit zwei Jahrhunderten auf dieses Privileg gewartet. Denn bereits im Jahre 585 auf der 2. Synode von Macon war eine derartige Forderung erhoben worden ! (Heussi, S.166). Karls Person dokumentiert eine Vorgehensweise, die die Kirche tausendfach bis zum heutigen Tage immer wieder angewandt hat: Indem man die Persönlichkeiten der Herrschenden und ihrer Familien umformte und durch Hofgeistliche unter Kontrolle hielt, brachte man diese dazu, die Interessen des eigenen Volkes zu verraten sowie befreundete Stämme und Völker zu vernichten. Nur in diesem Sinne kann der fränkische Imperialismus gegen Friesen, Sachsen und Osteuropäer verstanden werden, nicht aber als Keimzelle einer späteren deutschen Kultur. Karl wird für uns stets Sinnbild eines Gewaltherrschers bleiben, dessen Machtgier sich mit dem Glauben an das gute Werk der Zwangsbekehrung unlöslich verband. Das im Jahre 785 erlassene Reichsgesetz "Capitulatio de partibus Saxoniae" trägt für alle Zeiten deutlich den Stempel katholischen Hasses, der sich staatlicher Zwangsmaßnahmen bedient. Nach diesem Gesetz war es unter anderem vorgesehen, daß all jene, die noch heimlich die alten Riten verrichteten, von ihren Mitmenschen denunziert und ausgeliefert werden. Wer sich dieser Bestimmung nicht beugte, wurde von seinem Hof vertrieben (deportiert) und in fremden Gegenden angesiedelt. Einige auszugsweise Zitate aus diesem "Gesetzbuch" sollen seinen Charakter verdeutlichen: Kptl.1: "Zunächst wurde bei den schwereren Satzungen von allen dies beschlossen, daß die Kirchen Christi, wie sie in Sachsen errichtet und Gott geweiht wurden, nicht geringerer Ehre haben sollen, sondern größere und hervorragendere als die Heiligtümer der Götzen hatten."
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Kptl.3: "Wenn jemand in eine Kirche eindringt und ihr gewaltsam oder dieblich etwas wegnimmt oder diese Kirche durch Feuer einäschert, sterbe der des Todes." Kptl.4: "Wenn jemand die heilige 40-tägige Fastenzeit zwecks Herabsetzung des Christentums verschmäht und Fleisch ißt, sterbe er des Todes; aber dennoch werde vom Pfarrer darauf geachtet, ob nicht vielleicht auf Grund von Not dies bei einem dahin gekommen ist, daß er Fleisch aß." Kptl.5: "Wenn jemand einen Bischof oder Priester oder Diakon tötet, werde er in gleicher Weise mit dem Tode bestraft." Diese Bestimmung ist außergewöhnlich, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint. Denn es gab damals durchaus die Möglichkeit, die Tötung eines Menschen durch eine Geldbuße wiedergutzumachen. Hier wird also dem Leben eines Klerikers ein höherer Wert eingeräumt, als dem eines Normalmenschen. Kptl.7: "Wenn jemand den Körper eines verstorbenen Mannes nach dem Brauch der Heiden durch Feuer verzehren läßt und seine Gebeine zu Asche macht, werde er mit dem Tode bestraft." Kptl.8: "Wenn jemand im Volke der Sachsen fürderhin unter ihnen versteckt und ungetauft sich verbergen will und es verschmäht, zur Taufe zu kommen, und Heide bleiben will, sterbe er des Todes." Kptl.10: "Wenn jemand mit den Heiden eine Verschwörung gegen die Christen eingeht oder mit ihnen in Gegnerschaft zu den Christen verharren will, sterbe er des Todes; und wer auch immer ebendies hinterlistig gegen den König oder das Volk der Christen verabredet, sterbe des Todes." Kptl.16: "Und dies ist durch Christi Gnade beschlossen, daß Kirchen und Pfarrern der zehnte Teil gegeben werde, wann auch immer irgendeine Abgabe an den Fiskus gelangt, sei es als Friedensgeld, sei es als irgendeine Bannbuße oder als sonstige Leistung, die dem König gebührt." Kptl.17: "In gleicher Weise schreiben wir nach Gottes Gebot vor, daß alle den zehnten Teil des Vermögens und ihres Erwerbes den Kirchen und Pfarrern schenken und so Adelige und Freie und in gleicher Weise auch Halbfreie ihren Teil Gott zurückgeben sollen, wie ihn Gott jedem Christen gegeben hat." Kptl.21: "Wenn jemand bei den Quellen oder Bäumen oder Hainen seine Andacht verrichtet oder etwas nach der Sitte der Heiden darbringt und zur Ehre der Dämonen ißt, (büße er), wenn er Adeliger ist, 60 Schillinge, wenn Freier, 30, wenn Halbfreier 15; wenn sie aber nichts haben, womit sie auf der Stelle bezahlen können, sollen sie zum Dienst der Kirche geschenkt werden, bis diese Schillinge bezahlt sind." Kptl.23: "Wir setzen fest, daß man Weissager und Zauberer den Kirchen und Pfarrern überliefern soll." (Übersetzt v. Karl August Eckhardt, zitiert bei Prof.Dr. O. Reche, Kaiser Karls Gesetz, Leipzig 1935). Dieses Gesetz demonstriert also die frohe Botschaft des göttlichen Erlösers in Form von legalisiertem Mord, Enteignung und Sklaverei. Es ist ein einmaliger Schandfleck der "abendländischen" Rechtsgeschichte. Es ist im Übrigen bezeugt, daß Karls bevorzugter Lesestoff das Werk des Kirchenvater Augustin "Der Gottesstaat" war. Aufschlußreich ist auch das Zwiegespräch zwischen Priester und Täufling, das sogenannte altsächsische Taufgelöbnis, das Ferdinand von Fürstenberg in der vatikanischen Bibliothek entdeckt hatte und 1699 zum ersten mal veröffentlichte: "Entsagst du dem Teufel ? Ich entsage dem Teufel. Und aller Teufelsgilde ? Und ich entsage aller Teufelsgilde. Und allen Teufelswerken ? Und ich entsage allen Teufelswerken und Worten dem Thunaer und Woden und Saxnote und allen den Unholden, die ihre Genossen sind." Gleich zu Beginn des Sachsenkrieges im Jahre 772 vernichtete Karl eines der wichtigsten sächsischen Kultgegenstände: Die Irminsul, die eine symbolische Verkörperung des Weltbaumes bzw. der Weltsäule dartellte. Sie stand ursprünglich bei Altenbeken nordöstlich von Paderborn im obersten Heiligtum der Sachsen.
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Sturz der Irmensäule durch Karl den Großen 772 (Gemälde von Alfred Rethel)
In Magdeburg gab es eine Statue der Göttin Freya, das wahrscheinlich römischen Ursprungs war und möglicherweise ursprünglich die Venus verkörperte. Es wurde gleichfalls von Karl zerstört, wie eine alte Chronik zu berichten weiß (Vulpius, S.150) Ein Höhepunkt des fränkisch-katholischen Terrors war dann die Ermordung von 4500 Sachsen in Verden an der Aller im Jahre 782. Massenmorde gehörten in dieser Sippe offenbar zur Familientradition: Hatte doch schon Karls Onkel Karlmann im Jahre 746 bei Cannstadt einige tausend Alemannen umzingeln und ermorden lassen, die sich, seinem Versprechen auf freies Geleit vertrauend, unbewaffnet eingefunden hatten. Im Jahre 785 ließen sich Widukind und Abbio angeblich in Attigny taufen. Aber schon 792 erhoben sich die Bauern in den nördlichen Gauen aufs neue, da sie nicht mehr bereit waren, weiterhin den Zehnten zu zahlen. Karl reagierte daraufhin mit blutigem Terror und Massendeportationen von tausenden von Sachsen in fränkische Gebiete. Es ist kein Wunder, daß sich die Kirche bei der Energie, die sie in das Missionsgeschehen investierte, irgendwann einmal auch Gedanken über die Religion der Gegner machen mußte. Bereits Augustinus hatte sich in seinem "Gottesstaat" in umfänglicher Weise mit der antiken Mythologie und Religionsphilosophie beschäftigt, wobei er allerdings am Ende zu dem Schluß kommt: "...alle Götter der Völker sind Dämonen, aber der Herr hat den Himmel gemacht". Die späteren Bekehrer verzichteten ganz auf philosophische Disputationen, ihnen reichten physische Gewalt, Gesetze und Verbote. Mit einer danach ausgerichteten "Rechtsprechung" wurde nun auch in immer stärkerem Maße juristisch festgeschrieben und bekräftigt, was zuvor durch physische Gewaltmaßnahmen erreicht worden war. Das einzige, was die Verzeichnisse heidnischen Aberglaubens aber wirklich verraten, ist die Intensität des Kampfes gegen die alte Religion, die Inbrunst des Hasses und der Bevormundung gegenüber dem Volk. Trotz der monotonen Diktion der Bußbücher und der zahlreichen Gesetze gegen heidnischmagische Praktiken, in denen schon fast mechanisch immer wieder die alte Religion verdammt wird, sollte man niemals vergessen: Jedes einzelne Dokument dieser Art ist ein Anschlag auf die religiöse Menschenwürde, eine schlagende Widerlegung der betulichen Sprüche von einer sich damals entfaltenden "christlich-abendländischen" Kultur. Wie hätte sich die germanische Kultur der späten Epoche der Völkerwanderung erst entfalten können, wenn nicht christliche Dogmatiker ständig das Schöpferische in den Menschen blockiert und deformiert hätten ! Sowohl im sechsten, siebenten als auch im achten Jahrhundert hatte es laufend Konzilsbeschlüsse gegeben, die strenge Verdammungsurteile gegen jegliche Art von Magie beinhalteten.
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Die Kirchenversammlung von Nancy (789) bestätigte die Vorgehensweise Kaiser Karls, indem sie die Zerstörung von Kultstätten zum Gebot erhob: "Auch die Steine, die das durch Dämonenblendwerk getäuschte Volk an den Trümmerstätten in den Wäldern verehrt...sollen von Grund aus ausgegraben und an einen solchen Ort geworfen werden, wo sie von ihren Verehrern niemals wieder aufgefunden werden können." (zit. bei Erich Jung, S. 132). So sprach das Konzil von Tours im Jahre 813 eine heftige Warnung vor der Benutzung von Zaubersprüchen zur Heilung Kranker oder Sterbender aus: Sie würden keine Hilfe bieten, sondern lediglich Illusionen oder Tricks des Teufels darstellen. Interessanterweise wird hier noch zugestanden, daß Magie prinzipiell auch zum Nutzen der Menschen angewandt wurde und nicht allein zu ihrem Schaden - ein Gesichtspunkt, der bei der späteren Welle der Hexenprozesse schon gar kein Gehör mehr fand. Das Konzil von Paris 829 bekräftigte den kirchlichen Vernichtungswillen: Es bezeichnet in einer Entschließung der versammelten Kleriker unter anderem Magie, Astrologie, Zaubersprüche und Traumdeutung als "Vermächtnis des Heidentums" und fordern die strengste Bestrafung jener, die sich mit diesen Praktiken befassen - gleich ob es sich um Männer oder Frauen handele. In die Praxis wurde das z.B. im Jahre 847 umgesetzt, als bei den Sachsen eine Seherin namens Thiota auftrat, die mit der Verkündung des bevorstehenden Weltuntergangs großen Widerhall im Volk fand. Sie wurde von einer Bischofsversammlung wegen ihrer unchristlichen Lehren zum Staupenschlagen verurteilt (Jung, S.463). So können wir immer wieder feststellen, daß nicht nur die Bekehrungswut sondern auch der heidnische Widerstand massiv waren - entgegen allen kirchlichen Behauptungen einer freiwilligen Annahme des Christentums. Karl der Kahle sagte im Jahre 873 den in letzter Zeit in seinem Reich zahlreich aufgetretenen Zauberern und Hexen den Kampf an und bedrohte sie mit der Todesstrafe. Einzelne Beispiele aus jenen Machwerken bezeugen dennoch immer wieder, wie vergeblich und fern aller wirklichen Bedürfnisse des Volkes die Christianisierungsbemühungen wirklich waren. Burkhard von Worms (gest. 1024) fühlte sich noch bemüßigt, seine "Schäfchen" anzuweisen, "man soll ausreißen und verbrennen die den Unholden geweihten Bäume, die das Volk anbetet und in solcher Verehrung hält, daß es keinen Ast abzureißen wagt." Ein Bischof Unwan von Bremen war dafür bekannt, daß er bei den abgelegenen Bewohnern seines Bistums heilige Wälder, in denen noch den Göttern geopfert wurde, zerstören ließ, um von dem dabei erbeuteten Holz neue Kirchen zu bauen. (Golther, S.593) Es ruft schon eine etwas seltsame Stimmung hervor, wenn wir bedenken, daß die Männer, deren Untaten wir in diesem Kapitel geschildert haben, die Grundlagen des "Heiligen römischen Reiches" gelegt haben. Da stellt sich schon die Frage, ob so etwas unseres Stolzes wert ist oder ob es nicht besser gewesen wäre, wenn sich das Europa des Mittelalters als eine Konfiguration von freien Stämmen entwickelt hätte. Künstlerischen und literarischen Reichtum gab es auch in den vorchristlichen Kulturen. Es gibt sehr zu denken, wenn ein christlicher Autor, Erwin Rudert, hämisch bemerkte, "daß um des Reiches willen" der heidnische Widerstand gebrochen werden m u ß t e. Und er weist auch darauf hin, daß erst unter den christlich gewordenen Germanen der "Gedanke des Reiches" überhaupt erst entstand (E. Rudert in: Brennende Gegenwartsfragen, Hrsg. Helmut Kern, Neuendettelsau 1934, S.61 f). In der Tat sollte also die katholische Kirche, bevor sie sich über angeblichen deutschen Chauvinismus mokiert, darüber meditieren, inwiefern sie selbst historisch an seiner Entstehung mitgearbeitet hat.
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V. Osteuropa - eine Kultur wird eliminiert
Es waren aber nicht nur der sächsische und friesische Stamm, der dem System der Zwangschristianisierung und Vernichtung der altheidnischen Religion ausgesetzt war. So wurden die Slowenen bereits im 8. Jhdt. von Salzburg aus missioniert , ebenso auch etwa zur gleichen Zeit die Main- und Regnitzwenden, die Karantanen(Kärnten) und Tschechen. Im Jahre 863 begeben sich Cyrillus und Methodius zu den Mähren, denen sie ein künstliches, selbst ersonnenes Alphabet sowie Bibel und Liturgie aufdrängten. Die im Gebiet Pannoniens (z.T.Territorium des heutigen Jugoslawien) lebenden Stämme, die vermutlich von Ostgoten abstammten, wurden erst gegen 798 durch Bischof Arn von Salzburg christianisiert. Da wird von einem Fürst namens Ingo berichtet, der sich weniger physischer Gewalt als vielmehr raffinierter sozialpsychologischer Mittel bediente, um das Christentum bei seinem Volk einzuführen. Beispielsweise lud er Herren mit ihren Sklaven zu sich ein, wobei er die bereits getauften Sklaven zur Tafel bat, an der sie vornehm mit goldenem Geschirr bewirtet wurden. Deren Herren jedoch wurde das Essen vor der Tür in tönernen Gefäßen auf die Erde gestellt. Als sich die Sklavenhalter über die herablassende Behandlung beschwerten, antwortete ihnen Ingo: "Nicht seid ihr würdig mit ungewaschenem Leibe mit den aus dem heiligen Quell Wiedergeborenen an der gleichen Tafel zu sitzen. Euch ziemt es gleich Hunden vor dem Hause euere Speisen zu verzehren..." Natürlich machte ein solches "Apartheidsystem" keine Schule, aber es war doch wohl kennzeichnend für die christliche Einstellung gegenüber Menschen eines anderen Glaubens. Auch den Stämmen im östlichen Einzugsgebiet Mitteleuropas (Wenden, Obotriten, Liutizen) erging es nicht anders: Wie wir noch aus der Missionierungsgeschichte erfahren, hingen die Wenden offenbar sehr an ihrer einheimischen Religion mit einer ähnlichen Zähigkeit wie die Sachsen oder die Isländer. Sie wurden erst wesentlich später als andere osteuropäische Stämme und auch die meisten Germanenstämme christianisiert, nachdem Heinrich I. und Otto d. Große ihr Siedlungsgebiet dem Deutschen Reich unterworfen hatten. Erst 948 wurden die Bistümer Havelberg und Brandenburg, sowie 968 das Erzbistum Magdeburg eingerichtet, ohne daß man damit hinsichtlich der Zwangschristianisierung schon sehr viel erreicht hätte. Im sogenannten Wendenaufstand der Liutizen 983 zeigt sich die unversöhnliche Abneigung der wendischen Heiden gegenüber dem fremden, aufgezwungenen Glauben. Die Obodriten zählten ebenso zu den erbitterten Gegnern des Christentums, sie wandten sich im Jahre 1018 gegen die Mission, 1066 sogar mit vernichtender Wirkung, wie katholische Geschichtsschreiber trübselig vermerken (Die mittelalterliche Kirche , S.271). Der gleiche Autor führt als maßgeblichen Grund für den langanhaltenden religiösen Widerstand der Liutizen an, daß sie keine eigentlichen Stammesfürsten und eine pluralistische Bundesverfassung besaßen ! Im Jahre 1108 war von Adelgot von Beltheim, Erzbischof von Magdeburg, der Aufruf zu einem ersten Kreuzzug gegen die Wenden erlassen worden. Er endete zwar mit einem Mißerfolg, dennoch dürfte es interessant sein, sich einmal zu veranschaulichen, an welche "christlichen" Instinkte der geistliche Herr dabei apellierte: "Stehe auf, du Braut Christi, und komme ! Jene Heiden sind ganz schlecht, aber ihr Land ist überreich an Fleisch, Honig, Getreide, Geflügel und, wenn es erst bebaut wird, voll angefüllt mit aller Art von Früchten, so daß keines mit ihm verglichen werden kann. So sagen jene, denen es bekannt ist. Auf denn, ihr Sachsen, Franken, Lothringer, Flandrer, auf, ihr hochberühmten Weltbezwinger, hier könnt ihr beides: eurer Seele Heil erwirken und das fruchtbarste Land in Besitz nehmen zur dauernden Wohnstatt, so es euch beliebt".
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Über die Folgen derartiger Hetztiraden lesen wir beiläufig in örtlichen Volkssagen, daß es so heftige Schlachten zwischen Wenden und Deutschen gegeben soll, daß noch in der Gegenwart die Erde vom Blut der Opfer rot gefärbt sein soll. Um Mitternacht würden die Wenden vom Schlachtfeld auferstehen um um das Schicksal ihres Volkes weinen ( Drewitz, S. 278). Die Dörfer im Landkreis Lüchow-Dannenberg, im sog. Wendland, haben noch heute Kirchen mit festungsartigem Charakter, die sich außerhalb der Orte befinden: Ausdruck der militanten Anwesenheit einer unerwünschten Missionierung. Die Sorben blieben ebenfalls noch bis ins 13. Jhdt. heidnisch (Kompendium d. Kirchengesch., 55). Nach Helmut v. Glasenapp wurden die Saale-, Elbe- und Ostseeslaven erst im 11. und 12. Jahrhundert bekehrt, d.h. noch wesentlich später als Polen und Russen. Es wird sogar behauptet, daß noch im 14. Jahrhundert im Bereich der Saalequelle lebende Heiden getauft wurden ! (Nach H. Gradl, Gesch. d. Egerlandes, 1893, erwähnt bei Erich Jung, S. 194) Besonders verdient machten sich um diese Aufgabe die Orden der Zisterzienser und Prämonstratenser. Letztere wurden 1126 durch Norbert von Xanten, Erzbischof von Magdeburg zur Slawenmission aufgerufen. Dieses Bekehrungswerk wurde auf die gleiche fanatisch-intolerante Weise betrieben, wie auch in andern Teilen Europas: König Waldemar von Dänemark inszenierte zusammen mit Erzbischof Askel und Bischof Absalon von Roskilde im Jahre 1147 einen neuen Wendenkreuzzug, den die Verantwortlichen unter das unmißverständliche Motto "Ausrottung oder Bekehrung !" stellten. Auf diesem Raubzug wurden von den "geistlichen Herrn" u.a. Brandschatzungen größten Ausmaßes verübt und 60 Schiffe mit Gütern erbeutet. Nach Angaben der Knytlingasaga wurden allein in Rügen 300 000 Menschen getötet, bei Garz 1100 und in Jomsburg/Steinborg 6000 Menschen ! Der Bischof Geroldus zerstörte z.B. den heiligen Hain des Gottes Prowe in Stargard durch Brandstiftung. Heinrich der Löwe zerstörte zahlreiche Tempel wie z.B. in Rhetra, einer Hauptstätte des obotritischen Heidentums (1150). Arkona, das zentrale Heiligtum der Ranen auf der Insel Rügen wurde von Waldemar I.(König v. Dänemark)1168, wie auch von Bischof Absalon dem Erdboden gleichgemacht und geplündert, wobei der Tempelschatz zum Kirchenbau verwendet wurde. Außerdem ließ er die Statue des dort verehrten Gottes Svantevit stürzen und verbrennen. Bei Leipzig gab es eine heilige Linde des wendischen Gottes Flins, die von Bonifatius zerstört wurd (Vulpius, S. 143). Und ferner berichtet Vulpius an gleicher Stelle: "In der Lausitz liessen sein Bild der Kaiser Lothar und der Erzbischof Adelgot zu Magdeburg vernichten, zerbrechen und zerstören." Niemand wird es deshalb dem mythischen wendischen Held Plusso übelnehmen, daß er aus Wut über jenen christlichen Hochmut den missionierenden Bischof Johannes von Mecklenburg eigenhändig enthauptete (zu Rhetra). Die Unterwerfung der Obodriten durch Heinrich d. Löwen erfolgte erst im Jahre 1160. Auf besonders raffinierte und schäbige Weise vollzog sich die Bekehrung der Pommern. Diese waren durch die Großmachtsbestrebungen des polnischen Fürsten Boleslaw schon um ihre Eigenständigkeit gekommen, doch sollte der bisherige Pommernherzog seine Stellung um den Preis der Übernahme des Christentums behalten. Da Boleslaw selbst nicht dazu in der Lage war, bat er den wegen seines guten Geschäftssinnes im Immobilienbereich bekannten Otto v. Bamberg, den Pommern das Christentum zu bringen. Während zweier Missionsreisen, 1124 und 1128 bemühte sich Otto um diese Aufgabe mit Erfolg. Zuerst taufte er den Herzog der Pommern, Wratislaw, der daraufhin erst einmal alle seine Nebenfrauen entließ und auch sonst die Einhaltung "christlicher Sitten" versprach. Als sich der Bischof jedoch nach Wollin begab, kam es zu erheblichem Widerstand der einheimischen Bevölkerung: Es kam zu einem wüsten Handgemenge, Otto v. Bamberg wurde geschlagen und von einem Bootssteg aus ins Wasser geworfen. Verhandlungen waren dann nur noch durch den Austausch von Kundschaftern möglich. Von diesen erfuhr Otto, daß sie eventuell das Christentum annehmen würden, wenn es die Bewohner von Stettin auch täten.
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Kaum dort eingetroffen merkte der Bischof, daß er auch hier auf Granit biß: Trotz wochenlanger Verhandlungen blieben die Stettiner hart und weigerten sich standhaft, ihre einheimische Religion aufzugeben. Also "überzeugte" Otto die Stettiner mit einem anderen "Argument". Er teilte ihnen kurzerhand mit, daß er eine Botschaft an den polnischen Herzog Boleslaw senden müsse, um sich nach möglichen weiteren Schritten zu erkundigen. Entweder also eine Unterwerfung unter den fremden Glauben oder ein kriegerischer Überfall durch die Polen: Das waren die Alternativen, die der missionierende Kirchenfürst dem kleinen unabhängigen Stamm an der Ostseeküste anzubieten hatte. Die Pommern versuchten nun ihrerseits, die Initiative in der Hand zu behalten und wandten sich mit einer eigenen Botschaft an den polnischen Herzog: Sie wären bereit, das Christentum anzunehmen, wenn ihnen ein großer Teil der jährlichen Tributzahlungen erspart bliebe. Diese Regelung konnte Boleslaw akzeptieren und so beugte man sich zähneknirschend. Vier heidnische Tempel gab es in Stettin, die Otto mit seinem Gefolge dem Erdboden gleichmachte. Bei dem bedeutendsten Heiligtum, dem Tempel Triglavs, griff er angeblich selber zur Axt, um das Vernichtungswerk auszuführen. Die Statue des dreiköpfigen Gottes Triglav, wurde gestürzt. Die drei abgehackten versilberten Köpfe wurden Papst Calixt II. als Zeichen erfolgreicher Mission übersandt. Das Schwarze Roß Triglavs, daß von den Priestern für ihre Orakel benutzt worden war, ließ Otto außer Landes führen und verkaufen. In der Nähe des einstigen Triglavtempels wurde dann schließlich eine Kirche des heiligen Adalbert gebaut. Das Pamphlet von Ottos Biograph, eines Prüfeninger Mönches, strotzt nur so vor haßerfüllten Anspielungen: Vom "Schmutz des Götzendienstes" und "dem dummen Heidenvolke" ist die Rede, und daß das Holz der Götterbilder besser zum "Feuermachen und Kohlkochen" diente als zur vorherigen Verehrung (zit. Dr. Anton Mayer,R. Oldenbourgs geschichtl. Quellenwerk, Berlin u. München o.J.). Was Otto mit physischer Gewalt und diplomatischem Raffinement begonnen hatte, setzte er mit Umerziehung zu neuen gesellschaftlichen Maßstäben fort. So wurde besonderer Wert darauf gelegt, daß die Pommern anstelle der bisherigen Polygamie die konsequente Monogamie praktizierten und wandte sich auch mit Vehemenz gegen die Ehe zwischen Blutsverwandten. Auch in Wollin vollzog sich das gleiche Trauerspiel, wurden Kirchen gebaut und Massentaufen durchgeführt. Doch, wie der Katholik Dr. Georg Beck mit bitterer Miene mitzuteilen weiß, "die finstere Macht der heidnischen Götzen und Dämonen war noch nicht völlig gebrochen. Sie nistete in manchen trotzigen Seelen wie die heimlich geborgenen Götzenbilder in hohlen Baumstümpfen und anderen Verstecken." (Dr. Georg Beck, der heilige Otto v. Bamberg, Bamberg 1962). Schon zweieinhalb Jahre später hatten sich die Pommern wieder ihrer alten Religion zugewandt, stellten ihre im Geheimen bewahrten Götterbilder auf die christlichen Altäre und begannen sich auf eine kriegerische Auseinandersetzung um die Erhaltung ihres Glaubens vorzubereiten. Ihr eigener Herzog Wratislaw ließ sein Volk im Stich und schrieb angsterfüllte Bittbriefe an Otto, doch seine fehlgeschlagene Mission zu retten. Und so trat dieser zu einem neuen "Kreuzzug" an, diesmal mit ausdrücklicher Unterstützung des deutschen Kaisers, der gerade den Stamm der Liutizen bekriegte. Auf der Insel Usedom hielt Otto dann eine eindringliche Hetzpredigt vor dem versammelten pommerschen Adel, worauf dieser auch klein beigab. Doch das Volk hätte Otto und seine Sendboten am liebsten ermordet, was bei den beiden Missionaren Udalrich und Albuin um ein Haar geschehen wäre. In dem Ort Gützkow leisteten das Volk gemeinsam mit der Priesterschaft Widerstand gegen die Zerstörung ihres Heiligtums. Unter anderem gab es hier einen Nußbaum von wunderbarer Schönheit, den Otto abholzen ließ, was beinahe zu seiner Ermordung führte. Dr. Beck vermerkt genüßlich, daß auch dieser Kampf gegen die neue "Religion" so endete, wie überall in Europa: Die Tempel wurden mit Äxten und Hacken zerschmettert, den Götterbildern Hände und Füße abgehackt und diese in Scheiterhaufen verbrannt. All das änderte nichts an der Tatsache, daß Otto noch mehrmals auf seiner Missionsreise von erbosten Heiden angegriffen wurde. Nun, über die Stärke der mit ihm ziehenden bewaffneten Streitmacht schweigen sich die Chronisten aus.
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Noch ein halbes Jahrhundert nach Ottos Tod brachte der pommersche Herzog Boguslaw I. die Demütigung seines eigenen Volkes damit sinnfällig zum Ausdruck, daß er für jeden Bauern eine Tributlieferung von Wachs an das Kloster Michelsberg in Bamberg festsetzte für die Kerzen am Grabe Ottos. Jedenfalls beteiligte er sich zur vollen Zufriedenheit des Papsttums an einer Aufgabe, die Kaiser Heinrich in der Frankfurter Stiftungsurkunde des Bistums Bamberg bereits im Jahre 1007 festgelegt hatte:"das Heidentum unter den slawischen Völkern zu vernichten" (zit. b. Beck, S.33). Man kann sich nur an den Kopf fassen, wenn man aus dieser geschichtlichen Perspektive eine regelrechte Lobeshymne begutachtet, die Bischof Karl Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, im Oktober 1989 auf Otto von Bamberg ausbrachte: Er sei ein Brückenbauer zwischen Deutschen und Polen gewesen, hätte sich für ein gedeihliches Miteinander von Kirche und Staat eingesetzt und die Caritas gefördert (s. Tagesspiegel/Berlin v. 8. 10. 89). Wir haben wohl das Allerschlimmste von dieser Kirche zu befürchten, wenn sie noch nicht einmal heute den Mut aufbringt, ihre zahhlosen geschichtlichen Verbrechen realistisch zu sehen, sondern diese sogar noch schönfärbt. Es wäre bei all diesen Untaten erstaunlich, wenn es nicht doch den einen oder anderen Missionar gegeben hätte, dem sein schlechtes Gewissen Magenschmerzen bereitete. In der Tat gibt es eine Volkssage aus Magdeburg, die belegt, daß sich manche Kirchenfürsten der Unanständigkeit ihres Handelns durchaus bewußt waren. In der Nähe Magdeburgs unweit des Dorfes Salpke lag ein großer und dichter Eichenwald, der sogenannte Kreuzhorst. Einst soll sich Erzbischof Norbert (um 1126) in diesem Wald verirrt haben, wobei er auf einer Lichtung plötzlich auf eine besonders kolossale Eiche stieß. Erschöpft von seiner Wanderung schlief er ein und erwachte durch einen mächtigen Sturmwind. Vor ihm erschien ein greisenhafter Mann, der sich als heidnischer Gott zu erkennen gab und ihm Vorwürfe wegen der Verfolgung der noch heidnisch gebliebenen Landesbewohner machte. Gleichzeitig erteilte er ihm verschiedene Ratschläge und Warnungen. Nachdem er verschwunden war, fand Norbert unter der Eiche einen langen weißen Stab, der wie eine Kerze leuchtete und es ihm ermöglichte, wieder den Weg aus dem Wald heraus zu finden. Bevor er sich aber auf den Weg machte, segnete er den Baum, worauf es angeblich noch lange Zeit danach niemand möglich gewesen sein soll, ihn mit einer Axt oder Säge anzutasten (Grässe, Sagenbuch d. preussischen Staates, Bd.1, S.274). Wyberti III., Bischof von Merseburg zerstörte im Jahre 1008 einen heiligen Hain des Gottes Zuttiber. Recht vordergründige materielle Interessen waren es auch, die zur Christianisierung des bulgarischen Volkes geführt hatten. Bei kriegerischen Auseinandersetzungen mit Byzanz waren wichtige Territorien Bulgariens in Nordthrakien annektiert worden. Damit hatten die Bulgaren ein Gebiet verloren, das gewissermaßen als Kornkammer des Landes galt, wodurch es zu grausamen Hungersnöten in der Bevölkerung kam. Der byzantinische Herrscher Michael III. versprach nun dem bulgarischen König Boris (852- 889), die Gebiete wieder zurückzugeben: Unter der Bedingung, daß jener sich taufen ließe. Die alte Erpressungsstrategie funktionierte und am 25. 5. 866 beugte Boris der Priestermacht sein Haupt - und damit das seines ganzen Volkes. Auch die Alanen, die nördlich des Kaukasus lebten, glaubte man in Byzanz durch die Taufe ihres Herrschers bekehrt, welche zwischen 915 und 920 stattfand. Doch bereits 932 wurden die griechischen Geistlichen von der Bevölkerung vertrieben, da sie sich ihre polygame Lebensweise nicht von christlichen Moralvorstellungen zerstören lassen wollten. Diese Auseinandersetzung muß so gründlicher Natur gewesen sein, daß Alanien bis zum Jahre 959 überhaupt nicht mehr in den Bistumsverzeichnissen der byzantinischen Kirche auftauchte. Immer wieder vollzog sich die Schändung heidnischer Sinnbilder auf drastische Art und Weise: Als sich z.B. der Herrscher Wladimir (978-1015) 988 in Cherson (Krim) hatte taufen lassen, ließ er nach seiner Rückkehr die Statue des Donnergottes Perun an den Schweif eines Pferdes binden, unter Verabreichung von Geißelhieben durch 12 Männer durch die Stadt schleifen und schließlich in den Dnjepr werfen ( v. Glasenapp, s. 286).
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Auch hier wurde die alte Religion aus ganz vordergründigen, egoistischen und dynastischen Ursachen preisgegeben: Die Taufe Wladimirs war der Preis gewesen für die Heirat der byzantinischen Prinzessin Anna. Ursprünglich hatte ihn Byzanz um militärische Hilfe gegen einen Aufstand kleinasiatischer Großgrundbesitzer gebeten und Wladimir hatte dafür die Hand der Prinzessin gefordert. Wladimir wartete ebenso wenig wie die anderen Herrschergestalten Europas auf die freiwillige Einsicht seiner Untertanen, sondern "zwang dem russischen Volke das Christentum auf" (Karl Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte, Tübingen 1981). Mit Nachdruck befahl er, alle Götzenbilder zu zerschlagen und erließ ein Gebot, nach dem sich alle Untertanen der Taufe zu unterwerfen hätten. Im Falle einer Weigerung drohte ihnen Verfolgung, da man sie als Feinde Gottes und des Großfürsten betrachten würde. Mit ebensolcher Brutalität vollzog sich die Christianisierung der Pruzzen, um die sich Adalbert v.Prag (997) und Brun v. Querfurth (1001) bemühten. Beide bezahlten ihre Aktivitäten mit dem Leben, was nicht so sehr Rückschlüsse auf die Agressivität der zu Bekehrenden als vielmehr die Methoden der Bekehrer zuläßt. Schließlich hatte sich Brun v. Querfurth für die Führung indirekter Missionskriege eingesetzt, falls friedliche Versuche fehlschlagen sollten. Im Falle der Liutizen etwa plädierte er für eine bewaffnete Unterwerfung, da diese ihr ursprüngliches Taufgelübde gebrochen hätten . Kirchlicherseits bezeichnete man dieses "Verbrechen" als Apostasie. Auf offene Arme können die Bekehrer auch in Böhmen nicht gestoßen sein: Die Ermordung von Herzog Wenzel(929) und seiner Großmutter Ludmilla(921) soll selbst aus kirchenhistorischer Sicht auf dem Hintergrund heidnischer Opposition erfolgt sein. Dafür spricht u.a. schon die anschließende Glorifizierung der beiden als Märtyrer und Heilige (Die mittelalterliche Kirche, S.272). Schließlich wurde aber der Fürst Boleslav doch durch Otto den Großen dazu genötigt, sowohl die deutsche Lehnshoheit anzuerkennen, als auch das Christentum anzunehmen. Wie wenig derartige Christianisierungspraktiken wirklich die Mentalität des Volkes ändern konnten, zeigt die Mitteilung von Usener über einen Bericht des Presbyters Alsso. Dieser schildert noch aus der Zeit um 1400 die Verehrung des Gottes Beel durch die böhmischen Heiden. Diese hätten noch um diese Zeit seine Idole umhergetragen und mit Gesängen gefeiert (s. Jung, S. 465/Anm.). Desgleichen war es im Königreich Polen. Obwohl Mieszko I. im Jahre 990 sein Reich dem heiligen Petrus schenkte, wahrscheinlich auch unter anderem, um den Papst zur Begründung einer eigenen Kirchenprovinz zu gewinnen, wirkte das nicht besonders überzeugend auf das polnische Volk. Der Kirchenhistoriker berichtet noch von einem "zähen Weiterleben" des Heidentums um 1034-40 (Die mittelalterliche Kirche,S.275). Erst von 1231-1283 wurden die Pruzzen durch den deutschen Ritterorden zwangschristianisiert, was man unter dem Einfluß katholischer Geschichtsfälscher als Germanisierung eines slawischen Stammes verstanden hat. Im Grunde genommen war der deutsche Ritterorden kein Ausdruck deutscher Kultur sondern eher eine paramilitärische Hilfstruppe zur Sicherung römisch-katholischer Missionserfolge, ähnlich der Funktion des Templerordens. Volkssagen schildern in ungeschminkter Weise die brutale Vorgehensweise der Johanniter : Nachdem Friedrich von Alvensleben in der Schlacht am Mohriner See das "heidnische" Heer vernichtet hatte, blieben noch die Frauen und Kinder übrig. Sie baten um Schonung, versanken dann angeblich auf übernatürliche Weise im See. Eine sehr dezente Umschreibung für einen Massenmord an Wehrlosen ! (S. Drewitz, S.236 ff.) Daß es auch in diesem Falle um einen religiösen Ausrottungskrieg ging, zeigt die Vorgehensweise des finnischen Bischofs Anselm, der gegen 1249 eine heilige Eiche des pruzzischen Gottes Curche(Gorcho) kurzerhand umhauen ließ. Nachdem ein dazu beauftragter Christ sich dabei mit seinem eigenen Beil tödlich verwundet hatte, versuchte es Anselm selbst. Er führte nur einige Schläge und ließ den größten Teil des heiligen Baumes verbrennen. Das Instrument seiner Freveltat ließ er in einer vor Ort gebauten Kirche als Reliquie unterbringen. Auch die Altäre und Götterbilder jenes Heiligtums im ehemaligen Schwentomir (nunmehr Heiligenbeil) wurden vernichtet (Vulpius, S. 107).
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In dem Ort Romove (Rikaito) befand sich eines der wichtigsten Heiligtümer der alten Pruzzen: Eine riesige alte Eiche, unter deren Zweigen die Götter Pikollos, Potrimpos und Perkunos verehrt wurden. An dieser Stelle verehrten die Preußen noch nach der Christianisierung ihre alten Götter und brachten ihnen Opfer. Aus diesem Grunde bat der Bischof von Ermland den Hochmeister des Deutschen Ordens, Winrich von Kniprode, die Eiche umzuhauen. Winrich beauftragte seinen Marschall Heinrich Schindekopf mit dieser Schandtat, worauf Petrus Nugol von Sohr an jener Stelle ein Kloster zur Heiligen Dreifaltigkeit erbauen konnte. Der Chronist Hennenberger berichtete im Jahre 1595, "darinnen sind recht versoffene Mönche gewesen", womit die Segnungen "abendländischer Kultur" als Resultat der Christianisierung trefflich dokumentiert sein dürfte. Der Missionar Adalbert, der sich offenbar die Bekehrung der Preußen zum Ziel gesetzt hatte, wurde nicht besonders freundlich aufgenommen. Schon bei der Überfahrt über den Fluß Ossa versetzte ihm der Fährmann einen Ruderschlag über den Schädel. Am Ostseeufer wurde er schließlich von heidnischen Preußen erschlagen und "in unzählige Stücke zerhackt". So desinteressiert war man bei den alten Pruzzen gegenüber der neuen Religion. Was den Bekehrern individuell nicht gelang, erreichte der Deutsche Orden durch gezielten militärischen Terror: Elftausend Pruzzen wurden 1247 von einem Ordensheer unter Leitung von Heinrich von Weida niedergemetzelt. Im Jahre 1233 erschlug der Orden am Fluß Sirgune fünftausend Preußen. Dabei erhielt er Schützenhilfe von zahlreichen polnischen und pomerellischen Fürsten. 1262 tobte unweit von Königsberg eine Schlacht zwischen Kreuzfahrern und heidnischen Preußen, bei der über 3000 Preußen sterben mußten. Dennoch hielt sich das Heidentum überaus lange. Volkssagen berichten, daß noch im Jahre 1520 ein Freibauer namens Valtin Supplit der geheime oberste Waidelotte (Priester) gewesen sein soll. Da zu jener Zeit die Gefahr einer polnischen Invasion bestand, akzeptierte der (christliche) Albrecht von Brandenburg sogar altheidnische Opferriten als "Schutzzauber". So führte Supplit an der samländischen Küste ein Stieropfer durch, wodurch die Invasoren einem Blendwerk erlagen, d.h. die Küste teils als Abgrund, teils als Kette unüberwindbarer Berge wahrnahmen, so daß es ihnen unmöglich war, an Land zu gehen. Immerhin gab es für diese und ähnliche Aktivitäten des heidnischen Priesters eine Anzeige des örtlichen Pfarrers. Dennoch hatte zunächst einmal wieder das dynastische Zweckdenken gesiegt. Eine andere Sage kündet in dramatischer Weise von Auseinandersetzungen zwischen der alten und der neuen Prinzessin Jaunina nahe bei dem Dorf Jauninen wurde von verfolgt. Als sie vor ihm einen Berg hinauf flüchtete, verwandelte in eine Linde, so daß der Verfolger das Nachsehen hatte.
der Gewalttätigkeit der Religion: Die heidnische einem christlichen Ritter sie die Glücksgöttin Laima
Auch andere Überlieferungen machen keinerlei Hehl aus der Grausamkeit der Bekehrer und müssen dafür als umso authentischer gelten: So berichtet eine Sage aus dem Kreis Stallupöhnen, daß zwei Heiden auf einer Ordensburg jegliche Nahrung verweigert wurde, es sei denn, sie würden sich taufen lassen. Die christlichen Priester ließen sogar eine schwerbeladene Tafel auffahren, so daß die hungernden Heiden den schlemmenden Pfaffen zuschauen mußten. Schließlich soll sich der Berg, auf dem die Ordensburg stand, aufgetan und alles verschlungen haben, Christen und Heiden. Von Markgraf Dietrich von Meißen heißt es, daß er 1272 zusammen mit den Ordensbrüdern alles verheerte und totschlug, was er bei den heidnischen Natangern(Ein Stamm der Pruzzen) fand. Durch dieses außergewöhnliche Maß an Brutalität wurden viele zur Annahme des christlichen Glaubens veranlaßt. Die tiefenpsychologischen Folgen der Bekehrung zeigen sich in den Halluzinationen des pomesanischen Fürsten Macko, dem nach seiner Taufe sogleich der Teufel erschien, um ihn zu erwürgen. Nur mit Hilfe eines unsichtbaren Kreuzes konnte er sich des Dämonen erwehren.
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Ein ähnlicher Fall, hier aber gleich in Form einer kollektiven Hysterie, ereignete sich 1247 bei den Pomesanen. Und zwar handelte es sich um lüsterne Dämonen (Incubi und Succubi), die den pomesanischen Frauen zu schaffen gemacht haben sollen. Als man den obersten Priester(Kriwe) fragte, woher das käme und wie sich das Problem lösen ließe, antwortete dieser: Die erkennbaren Formen von Besessenheit kämen von den eigenen Göttern, da die Preußen den Glauben ihrer Väter verleugnet und eine fremde Religion angenommen hätten. Erst wenn sie zu ihren alten Göttern zurückgekehrt wären, würde es damit besser werden. Da schworen sich die Menschen, "sich eher alle erwürgen zu lassen, als künftig einen anderen Gott annehmen und die neuen Herren samt ihrem Gott mit Hilfe der alten Götter ganz aus dem Land treiben, auch keinen Christen, dessen sie mächtig würden, leben lassen." Die Geschichte ist mit grausamer Konsequenz über dieses Bekenntnis hinweggegangen. Auch bei den Galindern, einem Stamm in der Nähe von Masuren mangelte es nicht an Entschiedenheit und Widerstand gegen den neuen Glauben. Ihre "Wahrsagerin" d.h. also Seherin teilte ihnen mit, daß es der Wille der Götter sei, in das Land der Christen einzufallen und sie zu berauben, jedoch ohne Zuhilfenahme von Waffen. Die Galinder richteten sich nach diesem Ratschlag, mußten ihn aber mit ihrer Vernichtung bezahlen. Weniger glimpflich liefen Gewissenskomplikationen bei den Bekehrern selbst ab. Als ein Graf von Nassau am Gründonnerstag 1374 an einem Abendmahl im Ordenshaus Brandenburg teilnahm, packte es ihn plötzlich: Er stieß den Priester vom Altar, warf die Hostie zu Boden und trampelte darauf herum. Man kerkerte ihn ein, worauf er schließlich wahnsinnig wurde. Die Sage interpretiert dies natürlich als Folge teuflischer Anfechtungen. Die "Bekehrungsgeschichte" der Ungarn zeigt ein ganz ähnliches Bild, wie jene der germanischen Stämme. Politische und dynastische Interessen brachten einheimische Fürsten dazu, sich der Religion des Volkes entgegenzustellen. Der Fürst Stephan erhielt als Belohnung für seine Taufe von Kaiser Otto III. und Papst Sylvester II. gleichzeitig die Königswürde. Seine Gesetze zum Bau von Kirchen, zur Heiligung der Sonn- und feiertage und bzgl. des Fastens waren eine Initiative, "die vorerst noch von weiten Kreisen des ungarischen Volkes abgelehnt wurde" (Die Mittelalterliche Kirche, Freiburg 1966,S.281). Das zeigte sich deutlich nach seinem Ableben(1038), als es zu blutigen Aufständen kam, in deren Gefolge auch Bischof Gerhard, Stephans wichtigster Christianisierungsgehilfe getötet wurde. Statt auf theologische Argumente setzte man dann wieder auf die Tötung Andersgläubiger: Stephans Nachfolger Andreas I. (1046-61) verbot die Ausübung heidnischer Religion bei Androhung der Todesstrafe(Die mittelalterliche Kirche, S.281). Bela I. (1061-63) setzte seine Ausrottungspolitik so konsequent fort, daß vom ungarischen Heidentum nichts mehr übrigblieb. Bei den Litauern bediente sich der römische Klerus des gleichen schäbigen Spiels mit"kleinen Gefälligkeiten", wie auch im Falle Ungarns. Der litauische Fürst Mindaugas (Mindowe)(ermordet 1263) erhielt von Papst Innozenz IV. die Königskrone, nachdem dieser versprochen hatte,sich tauen zu lassen. Doch sollte das Christentum in Litauen noch lange keine Wurzeln schlagen. Denn noch Fürst Gedimin (1315-1341) lehnte den Übertritt zum Christentum entschieden ab und blieb Heide. Erst im Jahre 1387 konnte das Christentum mit der Begründung des Bistums Wilna durch den 1386 katholisch gewordenen Fürsten Jogaila feste Wurzeln fassen. Damit kommt dem litauischen Volk das geschichtliche Verdienst zu, noch wesentlich länger als alle anderen europäischen Völker an seiner altheidnischen Kultur festgehalten zu haben ! Wir mußten insbesondere auf die Bekehrungsgeschichte der osteuropäischen Stämme und Völker so detailliert eingehen, weil der religiöse und damit künstliche Gegensatz zwischen Deutschen und Osteuropäern zu einem rassisch-kulturellen hochstilisiert wurde. Und zwar von chauvinistischen Historikern unter massiver Inspiration durch katholische Interessen ! Noch im Jahre 1981 sind sich anerkannte Kirchenhistoriker nicht zu blöde, um diesen künstlich geschürten Gegensatz zu einem "beispiellosen Rassengegensatz" zu machen, der die "Begründung der deutschen Herrschaft und des Christentums" ungemein erschwert hätte (Karl Heussi i. Kompendium der Kirchengeschichte, 55, Tübingen 1981).
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VI. Nordeuropa im Schatten des Kreuzes
Wenden wir uns nun der Methodik der Missionare im Norden, in England und Skandinavien zu, wo das klare Bewußtsein einer eigengearteten heidnischen Religiosität noch um die Jahrtausendwende ganz deutlich vorhanden war, was wir an den in dieser Zeit entstandenen Götter- und Heldenliedern der Edda klar erkennen können. In England hatte die Angelsachsenmission bereits im Jahre 596 auf Initiative Gregors des Großen begonnen. Aber hier war es für die Kirche gar nicht so einfach, zum Zuge zu kommen. Einmal deswegen, weil es eine ausgesprochene Konkurrenzsituation zwischen einer direkt von Rom ausgehenden Mission und der Mission der irischen Kirche gab. zum andern war England in eine ganze Reihe von Kleinkönigreichen zersplittert, was die Missionare ebenso zermürbt haben muß, da sie ja in jedem Fall ein "Spinnennetz" zur Umgarnung jedes Monarchen, seiner Familie und seines Hofes schaffen mußten. Der Abt Augustin bekam diese Aufgabe übertragen und wurde damit auch erster Erzbischof von Canterbury. Doch zuerst bereitet man sich kirchlicherseits etwas pragmatisch auf die gewaltige Aufgabe vor: Gregor erteilt im Jahre 595 dem Verwalter des römischen Kirchenvermögens in Gallien den Auftrag, junge anglische Sklaven zu kaufen, "damit sie, Klöstern übergeben, Gott zu Nutze sein mögen". Der Monarch Aethelberht ist der erste, der die Taufe über sich ergehen ließ. Sogleich forderte ihn Gregor der Große auf, die Bekehrung seines ganzen Volkes zu beschleunigen, den "Götzendienst" zu verfolgen und die heidnischen Heiligtümer zu zerstören. Als wenn jener Papst geahnt hatte, daß er sich mit derartigen Haßtiraden doch etwas zu weit vorgewagt hatte, schob er gleich noch ein etwas abgemildertes Schriftstück hinterher. In diesem räumte er ein, daß man ja notfalls auch heidnische Tempel in Kirchen umwandeln und heidnische Opfermahlfeste in Kirchweih- und Märtyrerfeste transformieren könne. Wie liebenswürdig ! Das Schreiben des Papstes aus dem Jahre 601 schlägt unter anderem Folgendes vor: "Keineswegs sollen die Heiligtümer der Götzen bei diesem Volke niedergerissen werden; nur die Götzenbilder selbst, die darinnen sind, sollen vernichtet werden...das Volk braucht nicht zu sehen, daß man seine Heiligtümer zerstört, nein, es soll im Herzen den Irrtum ablegen und mit umso vertraulicherer Liebe zu den altgewohnten Stätten eilen, nunmehr den wahren Gott erkennend und anbetend. Und wenn sie gewohnt sind, beim Opfer für ihre Dämonen viele Rinder zu schlachten, so soll auch hierfür ihnen eine Festfeier zum Ersatz werden...sie sollen nicht mehr dem Teufel ihre Tiere opfern, sondern ihre Tiere zum Lobe Gottes bei ihrem Mahle schlachten und dem Spender aller Güter für ihre Sättigung danken, so daß sie, während man ihnen einige äußere Freuden läßt, leichteren Herzens zu den inneren Freuden ihre Zustimmung geben können. Denn zweifellos ist es unmöglich, bei harten Gemütern alles auf einmal abzuschneiden" (Historia ecclesiastica gentis Anglorum des Beda Venerabilis, I,30., zit. in: R. Oldenbourgs geschichtliches Quellenwerk, S. 112 f.). Wir müssen beim Lesen solcher Darlegungen feststellen, daß die Kirche zumindest in Gestalt dieses Oberhirten über ein bemerkenswertes psychologisches Feingefühl verfügte. Um so mehr muß den Geistlichen bewußt gewesen sein, was es für einen Heiden bedeutete, seinen Tempel in Flammen aufgehen zu sehen oder seinen heiligen Baum zersplittert am Boden zu erblicken. Und umso schwerer wiegen bei einer solchen zumindest in Teilbereichen der Kirchenhierarchie vorhandenen Einsicht die begangenen Verbrechen. Leider hielt sich Aethelberhts Nachfolger Eornceuberht (640-664) nicht an diese "liberale" Lesart, sondern ordnete die gänzliche Zerstörung aller Heiligtümer an. Aber Beda hat in seiner Geschichte der englischen Kirche noch weitere interessante Dinge zu berichten: So sollte sich der ostanglische König Raedwald (gest. 625) ebenfalls taufen lassen, verweigerte
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jedoch diesen Bekehrungsakt letztendlich, da er mit gewissen Elementen der christlichen Theologie nicht ganz klar kam. Er war nämlich der festen Überzeugung, daß Christus im Verhältnis zur heidnischen Götterwelt doch durchaus den gleichen Rang einnehmen könnte. Solche Art von Pluralismus widerstrebte den Bekehrern aufs Ärgste. In Goodmanham, einem Flecken bei Market Weighton in East Riding (Yorkshire), gab es ein großes, für die ganze Landschaft zentral gelegenes Heiligtum. Beda berichtet, daß es angezündet wurde, nachdem der heidnische Oberpriester Coifi es angeblich selbst profaniert hatte. Anschließend gab es mit König Edwin von Northumbrien (617-634) und dessen Hofstaat eine Massentaufe in York. Doch auch bei dieser Gelegenheit kann es nicht mit rechten Dingen zugegangen sein, da Edwins Söhne erst später getauft werden. In Sussex vollzog sich die Christianisierung auf Initiative König Aethelwealhs (gest. 685) mit Hilfe staatlicher Druckmittel, wie selbst der Geistliche Aeddi Stephanus in seiner Vita Wilfridi berichtet. Auch anderwärts war die Kirche den englischen Fürsten als Steigbügelhaltern der Zwangsbekehrung zu tiefstem Dank verpflichtet. Caedwalla, ein Angehöriger des westsächsischen Königshauses eroberte die Insel Wight und übertrug anschließend ein Viertel des gesamten Inselterritoriums dem Missionar Wilfrith. Beiläufig läßt uns Beda wissen, daß jener Caedwalla auch verantwortlich zeichnete für die Ausrottung eines Teils der heidnischen Bevölkerung Jütlands, die er durch Bewohner aus Wessex ersetzte. Doch alle Christianisierungsmaßnahmen blieben zunächst einmal kosmetische Makulatur. Theodor von Tarsus, der im Jahre 690 starb, führte die erste geschlossene und umfassende Organisation der englischen Kirche durch. Wie Knut Schäferdiek für eben diese Zeitspanne seines Ablebens und danach feststellt, "sind allenthalben heidnische Praktiken lebendig und werden es auch noch Jahrhunderte bleiben." Im 9. Jahrhundert wurde das Christentum in Schweden durch den Missionar Ansgar (801865) eingeführt, der aus Frankreich stammte. Hier war es allerdings äußerst schwierig für die Kirche, Fuß zu fassen. Weder Ansgar, noch der spätere König Olaf Skautkonung (1. Hälfte des 11. Jahrhunderts) konnten sich an den zentralen Tempel des Landes in Upsala heranwagen, obwohl sie an anderen Orten Kirchen bauen durften. Der Tempel in Upsala soll noch in der 2. Hälfte des 11. Jhdts. bestanden haben. Der englische Mönch Wulfred versuchte es wieder einmal mit Gewalt, vergriff sich an einem Götterbild und wurde dafür auf der Stelle totgeschlagen. Im Norden Schwedens soll das Christentum endgültig erst gegen 1160 Fuß gefaßt haben (Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 1, S. 1555, Tübingen 1927). Jedenfalls war Schweden auch der Ausgangspunkt für die Christianisierung Finnlands (1154-1293) und Lapplands (14. Jhdt.). In Norwegen war es bereits König Hakon der Gute(um 950), der den Plan gefaßt hatte, nach genügender Festigung seiner politischen Macht "das Christentum durch Gesetz einzuführen" (s. Heimskringla, Hakonsaga, Th.15, c. 13.). Doch die allgemeine Stimmung und viele öffentliche Meinungsäußerungen auf dem Frostathing zeigten, daß das norwegische Volk überhaupt nicht mit diesen Plänen einverstanden war. Und so blieb Hakon nichts anderes übrig, als klein beizugeben. Des weiteren fällt unser Blick auf den berüchtigten norwegischen König Olaf Tryggvason(950- 1000), der 994 in England Christ wurde. Von diesem König ist es verbürgt, daß er einige widerspenstige Heiden persönlich zu Tode quälte, da sie sich nicht taufen lassen wollten, so z.B. Thorir Hirsch und Raud. Auf Thorir Hirsch hetzte er bei einer Verfolgungsjagd seinen Hund, um ihn schließlich eigenhändig mit einem Speer zu durchbohren. Raud ließ der König an einen Baum binden, um anschließend eine lebende Otter in seinen geöffneten Mund kriechen zu lassen, die ihn von innen heraus zerfraß.
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Die ältere Olafssaga helga berichtet, daß er beim Thorstempel von Hunthorp alle Heiden der Umgebung zusammenrufen ließ, um dann vor ihren Augen das Bildnis des Gottes zu zerschlagen. Anschließend wurden sie, durch die brutale Entschlossenheit des Königs eingeschüchtert, dazu gezwungen, das Christentum anzunehmen (Golther, S.620). Den Tempel in Lade im Drontheimer Fjord plünderte er, um ihn anschließend zu verbrennen. Als er hörte, daß man in Norwegen wieder zum Heidentum zurückgekehrt war, unternahm er eine Heerfahrt dorthin und "verwüstete alles Land", wie die Quellen berichten, so daß das Volk in die Berge und in die Wälder flüchten mußte. Olaf Tryggvason unternahm dutzende von Kriegsfahrten nur mit dem Ziel der Christianisierung.Dabei drohte er stets mit Feuer, Schwert und Verwüstung, ließ die heidnischen Gegner töten, verbannen und sogar verstümmeln. Bei einer Gelegenheit lud er den unbeugsamen Heiden Eywind Quelle und dessen Gefolgschaft zu einem großen Fest. Nachdem sich alle in der prächtig geschmückten Halle versammelt hatten, ließ er Feuer an die Halle legen und diese mit allen darin befindlichen Menschen verbrennen. Eywind Quelle, der mit einigen Männern entkommen war, ließ er später gefangen nehmen und auf eine Schäre bringen, wo sie bei herannahender Flut ertrinken mußten. Eyvind Backenspalter, einer der zauberkundigsten Männer und ein standhafter Gegner des Christentums wurde von Olaf zu Tode gefoltert, in dem dieser ihm ein glühendes Kohlenbecken auf den Bauch setzen ließ. Aber auch nachdem ihm der Bauch geplatzt war, weigerte er sich auf Olafs Befragen, den Glauben an Christus anzunehmen. Doch dieser König bediente sich nicht nur der Methoden physischen Terrors. Bei bestimmten Gelegenheiten wurde er "feinsinniger" : So lud er vor dem großen heidnischen Winteropfer zu Märi die bedeutendsten Häuptlinge der Gegend zu einem Gelage ein. Er erklärte den Anwesenden dann, daß er, falls man ihn zu einer Umkehr zum Heidentum bewegen wolle, zur Versöhnung der beleidigten Götter ein großes Menschenopfer veranstalten müßte. Dabei nannte er die Namen von sechs Anwesenden, die bei einer solchen Gelegenheit auf jeden Fall ihr Leben lassen müßten. Verständlicherweise zogen es nun die Betreffenden vor, sich zur Religion des Königs, dem Christentum zu bekehren, statt auf Konfrontationskurs zu gehen. So scheute Olaf noch nicht einmal davor zurück, alte heidnische Bräuche (in diesem Fall das Opfer des Fürsten für die Fruchtbarkeit und Wohlfahrt des Landes) für seinen Christianisierungsterror zu mißbrauchen. Mit gleichen Methoden, nur noch wesentlich grausamer und brutaler ging auch sein Nachfolger, Olaf der Dicke(1000-1033) vor. Der Dänenkönig Harald Gormssohn ließ in seinem Reich die Taufe per Dekret vorschreiben und wandte Gewalt und harte Strafen an, wie die Heimskringla berichtet. Auch Island, auf das sich die letzten skandinavischen Heiden geflüchtet hatten, blieb vor dem Christianisierungsterror nicht verschont. Besagter König Olaf sandte Stefnir als Gesandten dorthin, und dieser versuchte die Isländer zum Christentum zu bekehren. Als er damit auf Unverständnis stieß, fing er an, Tempel und Opferstätten zu beschädigen und Götterbilder zu verbrennen. Darauf kam es prompt zu einer heidnischen Zusammenrottung, der Stefnir nur mit knapper Not entkommen konnte. Noch im gleichen Jahr wurde Stefnir von seinen eigenen Verwandten aufgrund seiner christlichen Einstellung verklagt, denn Christentum galt als eine Art von Sippenschändung. Der frühere Hofpriester des Königs Olaf Dankbrand machte sich mit seinen Plünderungen einen Namen. Später als Missionar auf Island eingesetzt, ermordete er mehrere wehrlose Männer, die als besonders überzeugte Heiden bekannt waren. Es handelte sich um drei Totschläge unter anderem an Männern, die Spottstrophen auf ihn gedichtet hatten. Diese Vorgänge führten schließlich zur Ächtung Dankbrands. Sein Begleiter war Gudleif, von dem die Njalssaga berichtet: "Gudleif war berühmt für seine Totschläge, handfest wie wenige...".
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Deshalb berührt es natürlich auch seltsam, wenn anläßlich der Begegnung Dankbrands mit einem Berserker berichtet wird, dieser hätte ihn zum Zweikampf herausgefordert und wäre dabei "gestorben", als der Missionar sich mit dem Kreuzzeichen verteidigte. Um das geistige Niveau dieser "Mission" zu illustrieren, vergegenwärtige man sich eine Spottstrophe, die der von Dankbrand getaufte Hjalti Skeggison dichtete: "Ich will die Götter nicht lästern: eine Hündin dünkt mich Freya". Daß er darauf von dem Goden Runolf wegen Gotteslästerung verklagt und verurteilt wurde, dürfte uns kaum verwundern. Schließlich gelang es durch Bestechung des Gesetzessprechers Thorgeir, auf dem Allthing des Jahres 1000 eine positive Abstimmung zur Einführung des Christentums herbeizumanipulieren. Aris "Isländerbuch" schildert, daß es beinahe zu einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Heiden und Christen gekommen wäre, da sich beide Gruppen gegenseitig die Rechtsgemeinschaft aufgekündigt hatten. Der von den Christen beauftragte Hall steckte nun Thorgeir ganz einfach ein paar Silbermünzen zu, so daß er auf dem Thing auch das christliche Gesetz vortrug. Die Njalssaga spricht von drei Mark Silbers, die Kristnisaga von einem halben Hundert. Diese Strategie war besonders geschickt, weil Thorgeir im Gegensatz zu Hall noch nicht getauft war und deshalb beim Volk der Eindruck vorherrschen mochte, daß Thorgeir in der Lage wäre, ein objektives Urteil zu fällen. Es war in dem von ihm vorgetragenen Gesetz vorgesehen, daß sich alle noch ungetauften Isländer taufen lassen sollten, daß alle Tempel und Götterbilder unheilig, das heißt ohne Buße verletzbar sein sollten und daß jedem, der noch öffentlich beweisbar den Göttern opferte, die dreijährige Landesverweisung angedroht wurde. Heimliches Opfern sollte also durchaus noch zulässig sein, was allerdings die soziale Bedeutung der Opferfeste völlig zerstörte. Auch die Praxis der Kindesaussetzung und das Essen von Pferdefleisch durfte noch weiterhin geübt werden. Die isländischen Heiden wurden mit diesem Geschehnis Opfer ihrer eigenen Konsequenz im Verständnis des Rechtswesens. Hatten sie erst einmal einen bestimmten Schiedsrichter eingesetzt, und das war in diesem Falle eben Thorgeir, so mußten sie das verkündete Urteil auf Biegen oder Brechen erfüllen. Und im Übrigen stand für sie auch im Vordergrund, daß Friede und Harmonie der Gemeinschaft erhalten bleiben mußten. Thorgeir stellte fest, daß das Volk von Island nur ein Gesetz und eine Sitte haben sollte. Welchen Ungeist sich die Isländer da aufhalsten, war ihnen in diesem Augenblick nicht klar. Nur wenige Jahre dauerte es, bis auch noch die wenigen verbliebenen Privilegien der isländische Heiden gesetzlich abgeschafft wurden. Wenn wir nun einen Sprung ins 17. Jahrhundert machen, so zeigen sich die Folgen jener naiven Bereitwilligkeit mit ganzer Schärfe: Zur Zeit der Hexenprozesse wurde auf Island im Jahre 1626 ein Mann verbrannt, weil sich unter seinen Schriften ein einziges Runenzeichen angefunden hatte ! (Bernhard Reiß: Runenkunde, Leipzig o.J., S. 63). Von den Färöern berichtet uns Olrik über eine Ballade, deren heidnischer Charakter so eindeutig war, daß es selbst im 19. Jahrhundert noch unter Strafe verboten war, sie öffentlich vorzutragen (zit. b. Dumezil, Loki, S. 46, Darmstadt 1959). Gerade die Bekehrungsgeschichte Islands ist ein besonders tragisches Kapitel, da die isländischen Siedler hauptsächlich norwegische Dissidenten waren, die vor dem Terror Harld des Schönen (Königsherrschafft 983) die Flucht ergriffen hatten. Welch massiver Eingriff in die Seele der Menschen die Zwangsbekehrung verursachte, zeigt eine Geschichte aus der Kristnisaga, die in etwas anderer Version auch in der Thorvaldssaga erzählt wird (zit. b. Golther, S.131): Ein Bischof kommt zu einem Bauern, um ihn zur Taufe zu bewegen. Doch dieser verehrt einen heiligen Stein, in dem sich ein
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dienstbarer, weissagender Geist befindet. Daraufhin begießt der Bischof den Stein mit Weihwasser, worauf der Geist dem Bauern im Traum erscheint: Er klagt ihm sein Leid, daß dieses Wasser für ihn und die seinen wie siedendes Wasser wäre, daß den ihm anvertrauten Wesen schmerzhafte Verbrennungen zufüge. Der Bischof setzt sein schwarzmagisches Tun fort und noch mehrmals erscheint der Geist dem Bauern in seinen Träumen: zuletzt in ganz abgerissener, zerlumpter Gestalt, zornig und verbittert, daß dieser seine Vertreibung zulasse, obwohl er ihm durch all die Jahre treu gedient habe. In einer anderen Version erreicht der Bischof durch einen Gesang, daß der Stein in Stücke zerspringt, was den Bauern ohne weiteres von der größeren Macht des Christentums überzeugt, so daß er sich und seine ganze Familie taufen läßt. Wir haben hier einen exemplarischen Fall vor uns, auf welche Weise Bekehrungslegenden sich über die kolossale seelische Zersplitterung und Zerrissenheit jener Menschen hinwegsetzen, die mit der Christianisierung konfrontiert sind. Wesentlich für die Christianisierungsgeschichte Nordeuropas ist das eindeutige Zeugnis der Sagas, daß die Nordgermanen ihre alte Religion bewußt gepflegt und geliebt haben und daß es deshalb für sie eine außergewöhnliche Zumutung darstellte, sie einfach zu vergessen und zu ersetzen durch eine völlig neue, ungewisse Heilslehre. Der Historiker Herrman Schneider beispielsweise muß zugestehen, daß "glaubensferne Gründe", "Gründe der Staatsklugheit" bei der Bekehrung offensichtlich überwogen haben (Germanische Altertumskunde, Kptl. Bekehrung,1938, S.299ff.) . Und daß für viele germanische Fürsten eine Art erfolgsmagisches "Auf die Probe stellen" in vielen Fällen der entscheidende Grund für die Bekehrung gewesen sein muß. Das heißt, daß sie sich zu Christus bekannten, wenn er ihnen statt Odin oder Thor Glück in der Schlacht geschenkt hatte. Darin zeigt sich aber eben kein wirklich inneres Verhältnis zu dem theologischen Brimborium, bei dem es in der christlichen Heilslehre wirklich geht. Damit war das Christentum, neben seiner vordergründig kulturzerstörenden Wirkung zugleich auch ein trojanisches Pferd, eine Art geistige Zeitbombe, die ihre verheerende Wirkung in anderen Bereichen (Naturverständnis, Demokratie, Frauenfrage, Sexualität) erst viel später erweisen sollte, als es niemand mehr ernsthaft in Frage stellen konnte. Einen ganzen Strauß an Absurditäten als plausible Erklärung für die Bekehrungsgeschichte präsentiert Prof. Hanns Rückert in seiner "Christianisierung der Germanen" (1934). So versucht er die Annahme der fremden Religion in erster Linie durch Defizite in der germanischen Religion zu erklären, so daß ihnen hier das Christentum angeblich etwas brachte, was sie geistig-religiös noch nicht besaßen. Da ist etwa der christliche Glaube an e i n e n Schöpfer Himmels und der Erde. Nun ist die germanische Religion in der Tat pluralistisch, aber sie entbehrt deshalb trotzdem nicht der Ganzheitlichkeit. Die Göttinnen und Götter des Nordens umfassen in ihrer natursymbolischen Bedeutung alle Aspekte des Lebendigen und des Kosmos. Warum hätten die Germanen diese allesumfassende Vielfalt durch den blinden Totalitarismus einer Einheitsgottheit ersetzen sollen ? Im Übrigen hatten die noch heidnischen Römer eben dies schon sehr früh getan - und waren trotzdem dem Christentum zum Opfer gefallen. Des weiteren spricht Rückert von der "Sinndeutung der Geschichte" und der "christlichen Zukunftshoffnung", die so bestechend für die Bekehrungsstrategie gewesen sei. Hier stellen wir uns ernsthaft die Frage, welche Zukunftshoffnung Menschen gehabt haben können, denen man gerade eingewurzelte Traditionen brutal zerstört und die man zugleich in das unbarmherzigste System der Sklaverei (Leibeigenschaft) gepreßt hatte. Die sogenannte Sinndeutung einer solchen Geschichte war etwas für philosophierende mönchische Parasiten. Im Leben und Erleben des germanischen Bauern konnte das tatsächliche politische Geschehen eigentlich nur dumpfe Verzweiflung bewirken. Und vergessen wir nicht die Panik und Hysterie, die die Vorstellung eines definitiven Endpunktes der menschlichen Geschichte, nämlich des sogenannten jüngsten Gerichts, noch bis zum heutigen Tag bei zahllosen Menschen hervorruft ! Gänzlich zum Narren macht sich Rückert mit seinem dritten Argument, daß nämlich die heidnischen Germanen keine Vorstellung vom Leben nach dem Tode gehabt hätten, weshalb sie die Angst vor dem "Danach" vom Christentum überzeugt hätte. Offensichtlich kennt
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Rückert nicht die zahlreichen Darstellungen aus den Sagas, aus der Älteren Edda, aus den teilweise bis in die Zeit des Megalithikums zurückgehenden Volkssagen, die in farbigster Weise das Leben der toten Ahnen schildern! Und zwar ein Leben ohne Höllenfeuer, Peinigung durch Teufel und ähnlichen christlichen Schwachsinn. Eigentlich ist das, was wir den Quellen entnehmen können, eindeutig genug. Natürlich besaßen die unterworfenen Stämme zum größten Teil keine ausgeprägte Schriftkultur (Mit Ausnahme der Runenschrift natürlich !). Deshalb sind diese Quellen überwiegend christlichen Ursprungs. Aber gerade das verleiht ihnen eine besondere Beweiskraft hinsichtlich des Verbrecherischen der Missionierung. Denn die Bekehrer brüsten sich ja darin ihrer Untaten oder stellen sie als selbstverständlich und notwendig hin. Würden wir nicht die Identität der Autoren kennen, könnten wir angesichts vieler Schilderungen fast von typischer Greuelpropaganda sprechen. So aber ist die Schande der Missionare um so größer, die den Heiden eine Religion der "Nächstenliebe" bringen wollten. Im Grunde war der Marquis de Sade ein Stümper gegen jene Art von literarischem Sadismus.
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VII. Christliche Umerziehung als Belastung im kollektiven Gedächtnis der Unterworfenen
Noch im Jahre 1603 führte die Bevölkerung in Hildesheim ein Ritual durch, das man geradezu als schwarzmagischen Haß-Kult katholischer Fanatiker bezeichnen muß: Auf dem Hildesheimer Domhof wurde jedes Jahr, am Sonnabend nach Laetare ein Gestell aus zwei Hölzern aufgerichtet, auf das man zwei Kegel stellte. Auf diese Kegel veranstalteten die Jugendlichen ein Wettwerfen mit Steinen oder Stöcken. "Unter diesen Kegeln sind die heidnischen, teuflischen Götzen zu verstehen, welche die christlich gewordenen Sachsen niedergeworfen haben" (zit. b. Jacob Grimm, Dt. Mythologie, Bd.I, S.158). Nach der selben Quelle soll es auch in der Schweiz einen ähnlichen Brauch gegeben haben, bei dem man flache Kieselsteine auf dem Wasser tanzen läßt. Es hieß "Heiden werfen". Vom Anfang des 16. Jahrhunderts wird uns aus Halberstadt berichtet, daß die Domherren selbst am Montag Laetare "hölzern Kegel an stat des abgots aufsetzen und darnach allesamb werfen" . Ähnliches berichtet auch eine Paderborner Chronik aus Westfalen, wobei hier wieder Kinder dazu aufgefordert sind, ihren Spott mit dem fremden Gott zu treiben. Noch bis zum Jahre 1811 gab es neben der Klosterkirche St. Matthias zu Trier einen zeitweise angeketteten Marmortorso einer Venus-Statue, die von Jugendlichen und Wallfahrern regelmäßig mit Steinen beworfen wurde. In Antweiler (Kreis Euskirchen) stand eine alte heidnische Figur, die von jedem zur Erstkommunion ausersehenen Kind auf Weisung des Pfarrers "gesteinigt" werden mußte (Alle Angaben n. HdA, Bd.3, S.1653). Die volkskundliche Forschung weist übrigens auch darauf hin, daß es diverse Volkssagen gibt, die den Übergang vom Christentum zum Heidentum mit heftigen Schlachten in Verbindung bringen, bei denen es zwischen 3000 und 13 000 Tote gegeben haben soll. In Schwaben, im Kreis Bergheim, in Tirol und Kärnten gibt es mindestens ein halbes dutzend Orte, an denen solche Schlachten stattgefunden haben sollen (s. HdA, Bd.3, S.1645). Solche kollektiven Erinnerungen beweisen in jedem Fall, daß die Christianisierung als heftiger und einschneidender Bruch mit der religiösen Vergangenheit empfunden worden sein muß. Auch in zahlreichen Äußerungen des volkstümlichen Aberglaubens manifestiert sich nicht etwa die Dummheit des Volkes, sondern die Spannung, die mit den Ansprüchen der Bekehrer in die Seele der Menschen getragen wurde: Einige Volkssagen berichten davon, daß beispielsweise Ehen zwischen Christen und Heiden unfruchtbar bleiben müßten. In vielen deutschen Landschaften wird berichtet, daß die hilfreichen Mächte des ländlichen Lebens wie die Zwerge oder auch Wassergeister in Scharen davonzogen, als die Bewohner sich zum Christentum bekehrt hatten. Sie sollen die Geräusche der Kirchenglocken als störend, ja beleidigend empfunden haben. Diverse Sagen und Märchen berichten sogar von Bekehrungsversuchen christlicher Geistlicher an Zwergen und Hausgeistern. Am perversesten wird es dort, wo ein jedes neugeborene Kind als "Heidenkind" gilt, das durch die Taufe überhaupt erst einmal zum "Christenkind" gemacht werden muß. So pflegten die Hebammen in Westböhmen kurz vor dem Gang zur Taufe zu sagen: "Einen Heiden tragen wir fort, einen frommen Christen bringen wir wieder." Hatte eine Mutter ihr eigenes Kind noch vor der Taufe ein Stück getragen, galt sie nicht mehr als richtige Christin: Es bedurfte eines Extrasegens von seiten des Priesters, um sie wieder zu "reinigen". In all diesen volkstümlichen Bewußtseinsinhalten wird die tendenzielle Minderwertigkeit erkennbar, die man den "Ungläubigen" zuschrieb. Und es wird deutlich, wie selbst noch Jahrhunderte nach der Christianisierung eine Art ritualisierte Unterwerfung die Bereitschaft zur Unterordnung fördert und tief in den Seelen der Menschen verfestigt.
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VIII. Der ewige Kampf gegen die Häresie
Es ist verständlich, daß es irgendwann einmal in bestimmten Regionen Europas überhaupt keine sichtbaren Monumente heidnischen Glaubens mehr gab - was nichts daran änderte, daß die Menschen ihre Religion nach wie vor im Herzen trugen. Die heiligen Steine hatte man zerschlagen, Tempel verbrannt, heilige Haine gerodet, Götterbilder zerstückelt. Wesentlich langwieriger und schwieriger war die Zerstörung von Gedanken und Empfindungen. Die Beschlüsse der Kirchenkonzile und die staatlichen Gesetze in den Jahrhunderten nach der offiziellen Einführung des Christentums legen Zeugnis ab von einem komplexen System der Gehirnwäsche, die wie ein roter Faden die ganze frühmittelalterliche Kultur Europas durchzieht. Verdächtigungen, Verbote, Strafandrohungen bis hin zur physischen Vernichtung waren die Mittel, mit denen das Christentum mühsam den passiven Widerstand der noch heidnisch gebliebenen bäuerlichen Bevölkerung zu ersticken versuchte. Beispielsweise verbot der englische König Knut (1014- 1035) die Verehrung jeglicher Waldbäume, wie etwa die "eitlen Gebräuche mit Hollunder" (zit. b. Herrmann, S.502) Der Historiker Hansen listet für die Zeit von 1258-1526 siebenundvierzig päpstliche Erlasse auf, die sich ausschließlich gegen Zauberei und Hexerei richten. In den Jahren 1270-1540 erschienen allein sechsundvierzig Bücher, in denen gegen das gleiche "Delikt" zu Felde gezogen wird (zit. i. Vorwort zum Hexenhammer, S.XIII). Es ist also völlig abwegig, wenn manche Historiker der Hexenverfolgung so tun, als wenn die Verfolgung mit der Publikation des berüchtigten "Hexenhammer" im Jahre 1487 überhaupt erst begonnen hätte. Das Gegenteil ist der Fall: Das ganze Mittelalter über herrschte ein andauernder Grabenkampf der Kirche gegen altheidnische Anschauungen und Praktiken im Volke, erst mit Beginn der Neuzeit setzte allerdings wieder die Strategie des unmittelbaren physischen Terrors gegenüber der bisherigen psychoterroristischen Methodik ein. So hatte sich z.b. das Konzil von Toledo aus dem Jahre 633 gegen direkte Zwangsbekehrung oder Zwangstaufe entschieden. Dennoch sollte nach den gleichen Beschlüssen Zwang gegen Menschen angewandt werden, die sich nach ihrer Bekehrung wieder vom Christentum abwenden wollten. Die zivile mittelalterliche Rechtsordnung sah die brutalsten Strafen für "Abtrünnige" vor: Pfändung von Nutztieren, vollständige Vermögenseinziehung, Landesverweisung und in besonderen Fällen sogar das Skalpieren (Zit. bei Kahl, S. 56). Ein ganz wesentlicher Grund für die Festigung der christlichen Herrschaft war aber der große Kompromiß mit Elementen des unterworfenen Heidentums. Im kirchlichen Heiligenkult lebte der differenzierte Polytheismus des heidnischen Europa wieder auf. In priesterlich gesegneten Flurumgängen und Prozessionen erstanden alte heidnische Fruchtbarkeits- und Gestirnrituale neu. Und auch die alten Kultstätten wurden als Wallfahrtsstätten in den christlichen Kult integriert. Wir brauchen dies hier nicht im Einzelnen darzulegen: Die Volkskundeforschung hat schlagende Beweise in Hülle und Fülle für solche Benutzung heidnischer Ritualistik in der volkstümlichen christlichen Frömmigkeit gefunden. Es handelte sich dabei um die tiefenpsychologisch geschickteste Strategie zur Köderung der Unterworfenen. Allerdings wirft gerade diese Tatsache ein geradezu "tödliches" Licht auf den Maßstab kirchlicher Wahrheitsliebe. War es doch den Missionsbischöfen darum gegangen, heidnisch-teuflische Irrtümer durch die christliche Wahrheit zu ersetzen. Nun aber gab man die Wahrheit sogar um der absoluten Macht willen preis ! Wie sinnlos die Blutopfer der getöteten Heiden, wie erbärmlich das absurde Theater der Bekehrer mit ihrer perversen Teufelsfurcht ! Und obwohl nun die christliche Religion mit heidnischen Elementen wie ein Flickenteppich durchsetzt war, wurde trotzdem ein Feldzug nach dem andern gegen Häretiker, Ketzer und Zweifler in den eigenen Reihen geführt. So verteidigte die Kirche etwas, das sie selbst gar nicht mehr besaß: Konsequente Reinheit einer ursprünglichen Lehre. Ein
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zusammengeschustertes Chaos aus allen religiösen und philosophischen Zerfallsprodukten der mediterranen und mitteleuropäischen Welt - das war die "Ekklesia" in den Tagen ihres Glanzes. Den ersten Hinweis darauf, daß jegliche Art von Häresie im Grunde nicht ein innerkirchliches Phänomen sondern ein Rückfall in offenkundiges Heidentum darstellt, verdanken wir Dietmar v. Merseburg (975-1018).
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IX. Im Zeitalter der Hexenjäger
Wenngleich es durch all diese Aktivitäten der Zwangsmissionierung kaum noch einen Ort in Europa gab, wo man heidnisches Brauchtum offen und ungestört praktizieren konnte, so kam doch dadurch das geistige Leben des Heidentums nicht zum Verlöschen. In der Stille der Nacht, in geheimen Hainen dunkler Wälder versammelten sich die Heiden zur Anbetung der alten Göttinnen und Götter nach wie vor. Und besonders in den weiblichen Priesterbünden Germaniens konzentrierte sich der Widerstand des Volkes, war doch j e d e r Frau von vornherein die geistig-religiöse Arbeit in der kirchlichen Priesterschaft verwehrt. Die einzige Ausnahme bildete eine sklavische Existenz als Nonne hinter den undurchdringlichen Mauern eines Klosters. Durch diese besonders betonte Frauenfeindschaft des Klerus bildete sich in den Bünden der Hag-Idisen, auch Hexen genannt, ein besonders aktiver Gegenpol zur Kirche heraus. Sowohl im Bereich der Weitergabe alter Mythen und Legenden an die Kinder als auch in ihrer heilkundlichen Tätigkeit als Kräuterfrauen und Hebammen machten sich die Frauen unentbehrlich. Das stellte eine massive Konkurrenz für den "Seelsorger" dar, der auf diese Weise seinen Einfluß auf die Menschen mit den alten Priesterinnen teilen mußte. Und wenn wir den Erzählungen der Märchen als verdeckten geschichtlichen Quellen Glauben schenken, waren sie in allen Lebensbereichen präsent: Bei der Geburt eines Kindes erschienen sie als "Feen", die das Kind segneten und ärztlich versorgten. Am abendlichen Herdfeuer machten sie die Kinder und Heranwachsenden mit den alten Legenden des Volkes vertraut. Damit waren sier auch im Geistig- Seelischen ebenbürtige Kontrahenten der Priester, die nun versuchen mußten, in der sonntäglichen Predigt den "heidnischen Unflat" wieder auszubügeln. Natürlich ist die Existenz derartiger kultischer Frauenbünde von interessierter Seite öfter bestritten worden. Doch es gibt durchaus Hinweise, die so deutlich sind, daß wir dabei über bloße Vermutungen hinausgehen können. So polemisiert z.B. Burkhard von Worms (gest. 1025) in seinen Bußbüchern gegen den Glauben, "es könnten Weiber bei geschlossenen Türen ausfahren und reitend auf Bestien hoch in den Wolken einander Kämpfe liefern, Wunden austeilen und empfangen" (zit. b. Erich Jung, S. 210). Die isländische Edda und die Sagas sind voll von Erzählungen über Frauenbünde, die in der Luft reitend oder mit Schwanen- bzw.Falkengewändern fliegend die Toten ins Jenseits geleiten. Zugleich wird immer wieder deutlich, daß diese Frauen auch recht irdischer Natur sind und sich mit lebenden Männern verbinden können. Weiterhin bekannt sind Überlieferungen von Bünden priesterlicher weiser Frauen, die auf den Gipfeln heiliger Berge sitzen, wobei die Neunzahl eine herausragende Rolle spielt. Überall treffen wir dieses Bild an: Bei den griechischen Musen, bei den römischen Vestalinnen, bei den neun Müttern Heimdalls oder etwa bei den neun heiligen Frauen auf dem "Lyfjaberge", der im eddischen Fjöllswinnsmal von einem einsamen Helden erstiegen wird. Es sind zwei Merkmale, die wir bei all diesen Überlieferungen antreffen: Einmal die Unabhängigkeit und Abgeschlossenheit dieser Bünde und zum anderen ihre Konzentration auf die Pflege bestimmter Wissenschaften und Künste, wie etwa der Dicht- oder Heilkunst. Johannes Agricola (1494-1566) bringt die germanische Göttin Holda mit den Hexen in Zusammenhang, von denen er schreibt: "die auff dem mantel / bocke / rocken / dachtrogen vnd ofengabbeln zu frawen Unhulden farren". Und Erasmus Alberus erwähnt in seinem "Buch der Tugend und der Weisheit" im Jahre 1550 von einer Ansammlung von Frauen, "fraw Hulda" habe sie ausgesandt. Stephanus Lanzkranna, Propst von St. Dorotheen in Wien, veröffentlichte 1484 erstmals das Werk "Hymelstraß". Darin brandmarkt er als üble Abgötterei den Glauben an "der tyer begegnung, an gefunden ding, an die frawen bercht oder an die frawen holt, an herodiasis, an dyana, die heidenisch goettin oder tewfelin, an die nachtuarenden, an die bilweyß...". Ein Prediger namens Johannes Herolt hetzt in seinen sermones dominicales gegen jene, "die glauben, daß Diana, welche man in deutscher Sprache Frau Percht nenne, mit ihrer Schar des Nachts herumzustreifen pflege". Im
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Thesaurus pauperum von 1468 ist davon die Rede, daß viele an eine Ankunft mehrerer Weiber in den heiligen zwölf Nächten glauben, deren Anführerin die "Herrin Perchta" sei. Auch in einem hessischen Hexenprozeß von 1630 wird "fraw Holt" erwähnt. Die Belege im letzten Absatz verdanken wir dem Volkskundeforscher Peuckert, der in seinem Werk noch eine Fülle von Belegen zum Zusammenhang zwischen dem Hexenkult der beginnenden Neuzeit und volkstümlichen Geistwesen wie Holda, Percht und der sogenannten Bilwisfrau bringt (S. Peuckert, S.100-118). Warum diese ausführlichen Auszüge ? Es geht einfach darum, der kirchenamtlichen Geschichtslüge die Spitze abzubrechen, daß das Hexentum auch als heutiger zeitgenössischer Kult illegitim sei, da es eine reine Angstprojektion der Verfolger darstellte, oder ganz einfach nur auf Denunziation beruhte. Die geschichtlichen Grundlinien laufen aus der germanischen, keltischen und slawischen Religion direkt bis ins 15. Jahrhundert und münden hier in das Phänomen des "Hexenkults" ein. Letzterer beweist überdeutlich, daß es noch in dieser Zeit gleichsam eine unterirdische heidnische Religiosität gegeben haben muß, deren Träger geheime Frauenbünde waren. Wobei der Gesichtspunkt der Geheimhaltung nicht im Wesen der Sache, sondern in der Intoleranz jenes Zeitalters begründet liegt. Eine besondere Spur hinsichtlich eines authentischen Hexenkults ergibt sich aus der sogenannten "Rockenphilosophie". Hierbei handelt es sich um umfangreiche Sammlungen über Vorstellungen und Praktiken der einheimischen Volksmagie. Die diesbezüglichen Werke, deren erstes gegen 1475 zu Brügge gedruckt wurde, verstanden sich als Niederschrift von Gesprächen zwischen Frauen und Mädchen in den Spinnstuben oder Rockenstuben. Ausgaben entsprechender Bücher erschienen u.a. 1520 in Antwerpen, 1537 in England, 1537 in Deutschland ("Der alten Weiber Philosophey") bis hin zu einem Werk von Prätorius aus dem Jahre 1662. (Angaben nach dem HdA, Bd. 7, S.761). Eine Fülle von Angaben über Sympathie-Magie, Traum- und Sterndeutungsregeln sowie Verhaltensmaßregeln für die Jahresfeste können z.B. der 1987 in Leipzig nachgedruckten Ausgabe von Schmidts "Rockenphilosophie" von 1718/22 entnommen werden. Es handelt sich um insgesamt 600 Regeln und Weisheiten magischer Art, die zu belegen scheinen, daß die Versammlungen der Frauen während des Spinnens wirklich ein "Konservatorium" uralten Volkswissens darstellten. So konnte es nicht lange ausbleiben, daß die Kirche irgendwann einmal in massiver Weise gegen diese Form aktiven Volkswiderstandes vorgehen mußte, um nicht ihre eigene Existenz zu untergraben. Besonders scharf setzte die Verfolgung gegen Beginn des 15. Jahrhunderts ein - um diese Zeit beginnt sich auch in Südeuropa, in Italien der Geist des Heidentums neu zu regen: In der Renaissance wendet man sich wieder den alten Gottheiten der antiken Welt zu: Eine geistig-religiöse Revolution ! Es war eine Zeit, in der die Kirche sich in der Gefahr wähnte, ihre bisherige gesellschaftliche und politische Macht völlig einzubüßen - nur so kann man sich die heftige Reaktion ihres systematischen Mordterrors erklären. Schließlich hatte man ein halbes Jahrtausend lang, von punktuellen Aktionen wie den Kreuzzügen einmal abgesehen, in erster Linie mit theologischer Propaganda, Verordnungen, Konzilsbeschlüssen und Predigten sowie der Beichtpraxis gegen die alte Religion gekämpft. Doch das 15. Jahrhundert schien den Überlebenstrieb der Kleriker zu heftiger Gegenwehr anzuregen. Es entstehen neue gesellschaftliche Klassen in den Städten, die ein relativ eigenständiges und unabhängiges Individualbewußtsein entwickeln. Es entstehen mit dem Buchdruck neue intellektuelle Verständigungsmittel, die völlig außerhalb der üblichen Vermittlungswege (Kanzel und theologisches Seminar, Klosterschulen) existieren konnten. Es bricht mit dem Interesse der Akademiker an der antiken Metaphysik eine Sturzwelle magisch-esoterischer Praktiken über das Abendland herein, die sich ohne weiteres zu einer Ersatzreligion für die geistig Selbständigen hätten entwickeln können (Agrippa v. Nettesheim, Paracelsus, Pico della Mirandola, der Faust-Mythos). Das Zeitalter der Entdeckungen beweist den Menschen, daß die Welt viel größer, farbiger und unberechenbarer ist, als es die mittelalterlichen Scholastiker erkennen konnten oder
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wollten. In dem Augenblick, als sich die Horizonte sichtbar auf neue Kontinente richten, verliert die dumpfe Enge des mittelalterlichen Ständesystems und das absolute Patronat der Kirche an Bedeutung. Es schrumpft zu einem nahezu wesenlosen Nichts zusammen ! Sicher hat die Kirche mit dem ihr eigenen Machtinstinkt erkannt, wie überflüssig sie nun im Laufe der kommenden Jahrhunderte werden würde. Mit den Mitteln der Denunziation und systematischer Folter wurden Millionen von Frauen auf den Scheiterhaufen gebracht. Nach vorsichtigen Schätzungen Voltaires waren es ca. 20 Millionen Menschen, die durch den Terror der Kirche ihr Leben lassen mußten, wobei Kriege nicht berücksichtigt worden sind. Ungefähr 8 Millionen getöteter Hexen sind darunter, wobei sicher viele davon nur aufgrund von Denunziation getötet wurden, ohne eine bewußte Beziehung zur alten Religion zu haben. Nach Angaben von Gerlinde Schilcher müssen es etwa 9-11 Millionen Opfer gewesen sein (Rez. Heinsohn/Steiger, in: Alternativ-Magazin 5/85, Steinbach/Linz 1985, S.9) Manche aber wurden getötet, weil sie auf ganz naive Art und Weise ihre religiösen Erlebnisse schilderten: So berichtet Vulpius von dem Fall einer Frau in Großbritannien namens Talico-Peason, die bekannt hatte, mit der Elfenkönigin in Verbindung zu stehen. Sie gab an, an ihrem Hofe gewesen zu sein und dort geraubte Verwandte besucht zu haben. 1586 wurde sie für diese "Untat" verbrannt. Es ist einer der üblichen Irrtümer, den Protestanten besondere Toleranz und Menschenfreundlichkeit zuzuschreiben. Das es sich hier um reine Propaganda handelt, beweisen drei Fälle aus dem protestantischen Skandinavien: Im Jahre 1691 bekannte ein zweiundzwanzigjähriger Mann aus Markhärad, daß er an die volkstümlichen Legenden zwischen Menschen und "Waldfrauen" (eine Art Vegetationsgeist) glaube. Darauf legte ihm das Häradsgericht sträflichen Umgang mit einem solchen Geistwesen zur Last und schickte ihn aufs Schafott (Spiesberger, Elementargeister-Naturgeister, Freiburg i. Br. 1961, S.139). Wegen des gleichen Vergehens wurde noch 1701 einem anderen "Delinquenten" der Prozeß gemacht. In Island wurden im Jahre 1626 zweiundzwanzig Personen wegen Zauberei lebendig verbrannt. Das erste Opfer dieses christlichen Massenmordes war ein Mann, in dessen Besitz man ein einziges Runenzeichen gefunden hatte ! (zit. b. Arntz, Handbuch der Runenkunde). Noch 1781 wurde in Spanien eine Hexe getötet, 1782 in der Schweiz und 1783 in Polen. Mitten im Zeitalter der Aufklärung ! Dabei ist zur Unehre des Christentums zu bemerken, daß sich Protestanten ebenso eifrig an der Hexenverfolgung beteiligten, wie die römischen Priester. Das verwundert uns auch deshalb kaum, weil die Protestanten als besonders bibeltreue Christen in gehorsamer Nachfolge des Apostels Paulus eine betont frauenfeindliche Anschauung verteten mußten. Über die Geschichte der Hexenverfolgungen sind mittlerweile zahlreiche dickleibige Werke erschienen, die das historische Detail genauer schildern, als ich es in diesem Kapitel vermag. Hier ging es aber in besonderer Weise um den Zusammenhang mit der Geschichte der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends: Die Behauptung einer freiwilligen Aufnahme des Christentums bei den Stämmen und Völkern Europas wird umso unglaubwürdiger, wenn wir die Intensität der heidnischen Renaissance 200 bis 300 Jahre später bedenken ! In der Tat waren ja Pruzzen und Litauer gerade erst bekehrt worden, als im Westen Europas bereits die ersten Hexenfeuer flackerten. Gerade diese historische Kontinuität beweist eindeutig, daß das Christentum immer nur von einer relativ dünnen Schicht von Adligen, Klerikern und später (im Protestantismus) Bildungsbürgern vertreten wurde. Das Volk, insbesondere in entlegeneren Gegenden, war eher bereit gewesen, den alten Göttern treu zu bleiben.
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IX. Globale Mission - Weltweite Kulturzerstörung
Die Christianisierung Europas mag manchem zeitgenössischen Kosmopoliten von heute nur mehr ein müdes Lächeln abgewinnen. Wen interessieren schon diese geschichtlich abseitigen "Problemchen" angesichts der Ausbeutung und Verelendung in der dritten Welt ? Doch sollte man sich einmal mit aller Deutlichkeit klar machen, daß die Verknüpfung der wirtschaftlichen Gegebenheiten in Afrika, Südamerika und Asien mit den Vampiren des internationalen Kapitals nur der Endpunkt einer Versklavungsstrategie war, die im geistigreligiösen Bereich begann. Und auch die geistige Knebelung durch die Mission war überhaupt nur möglich, weil ganz Europa das Opfer einer menschenverachtenden, absolutistischen und feudalistischen Ideologie geworden war. So gesehen wurde Europa der Infektionsherd, von dem aus die ganze Erde in einen Strudel sadistischen Machtmißbrauchs gezogen wurde. Wir wollen natürlich nicht behaupten, daß alle nichtchristlichen Kulturen und Gesellschaftsordnungen Ausdrucksformen reiner Menschlichkeit gewesen seien. Das wäre zweifellos naiv. Und dennoch bleibt es festzustellen, daß durch das Christentum um Verstand und Instinkt gebrachte Europäer die prachtvollen Kulturen der Inkas, Mayas und Azteken zerstört haben. Daß sie zahllose, in paradiesischer Harmonie lebende, wahrhaft noch naturverbundene Stämme knechteten und der Vernichtung preisgaben. So bleibt letztlich die Überzeugung zurück, daß eine gerechte Weltordnung nur verwirklicht werden kann, wenn auch die Europäer aus dem Zustand ihrer religiösen Unmündigkeit in einen Zustand der naturreligiösen Befreiung treten. Solange auch wir noch an den "Großen Bruder" im Jenseits glauben, der jede unserer Regungen beobachtet, werden wir nicht den Menschen in anderen Erdteilen die ihnen gebührende Freiheit zurückgeben können. Denn die global-autoritäre Aufsicht über die Völker, wie sie z.B. der internationale Währungsfond und die Weltbank ausüben, entspricht genau diesem "Gottvater-Modell", ist also eine permanente angebliche Hilfestellung auf der Grundlage vorgetäuschter Nächstenliebe. Als Christoph Kolumbus 1492 in Amerika landete, tat er es nicht nur als goldgieriger Abenteurer, sondern auch als Abgesandter der spanischen Königin Isabella, die in ihrem Lande Schutzherrin der Heiligen Inquisition geworden war. Die Tatsache, daß die einheimischen Bewohner des neuen Kontinents keine Christen waren, führte zu der Betrachtungsweise, daß man sie eben eigentlich auch nicht als Menschen betrachten konnte. Bereits drei Jahre nach seiner famosen "Entdeckung" führte Columbus persönlich einen Feldzug mit einigen Rittern, zweihundert Fußsoldaten und dressierten Bluthunden gegen die Eingeborenen von Santo Domingo. Über fünfhundert von ihnen wurden nach Spanien verschifft und in Sevilla als Sklaven verkauft. Da es gegen diese Art von Behandlung auch theologische Proteste gab, rückversicherten sich die Eroberer auf theologischer Basis: Es bestand, zumindest juristisch gesehen die Möglichkeit für die Indianer, der Versklavung um den Preis des Bekenntnisses zum Katholizismus zu entgehen. Also auch hier, wie bei den alten europäischen Stämmen, eine Aufforderung zum Glaubenswechsel mit gezogenem Schwert. Dabei wurde ihnen (in spanischer Sprache, ohne Dolmetscher !) folgender Aufruf vorgelesen, der an Deutlichkeit und Entschlossenheit kaum zu überbieten ist: "Wenn ihr es nicht tun solltet oder es bösartig verzögert, bestätige ich euch, daß ich mit Gottes Hilfe machtvoll bei euch einziehen und Krieg gegen euch führen werde, wo immer und wie immer ich könnte, und daß ich euch dem Joch und der Gehorsamkeit zur Kirche und zu seiner Majestät unterwerfen, eure Frauen und Kinder nehmen und sie zu Sklaven machen und als solche verkaufen und über sie verfügen werde, wie seine Majestät es befehlen, und daß ich eure
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Güter nehmen und euch alle Übel und Schäden zufügen werde, die ich könnte..." (Galeano, S.34). Und Galeano meint auch: "Das Epos der Spanier und der Portugiesen in Amerika verknüpfte die Verbreitung des christlichen Glaubens mit der unrechtmäßigen Inbesitznahme und der Plünderung des Reichtums der Eingeborenen" (S. 36). Die Eingeborenen, die von den goldgierigen katholischen Konquistadoren zu unmenschlicher Zwangsarbeit gezwungen wurden, töteten ihre eigenen Kinder und begingen reihenweise Selbstmord. Sicher wäre es ungerecht, wenn wir das Christentum verantwortlich für die Goldgier von Cortez und Pizarro machen würden. Wenn es in den Tempeln der Inkas und Mayas massenhafte Zerstörung von Götterbildern und Kultgegenständen gab, so hatte dies vordergründig ökonomische Gründe, da man dem Gold eine handliche Barrenform geben wollte. Und dennoch muß man sich die Frage stellen, ob es nicht die mitreisenden Geistlichen auch von sich aus getan hätten, nur um der fremden Religion Abbruch zu tun. In jedem Fall erhebt sich widerum das Problem der "christlichen Nächstenliebe", von der wir in der ideologisierenden Rechtfertigung des millionenfachen Völkermordes nicht das Geringste verspüren. Man schätzt, daß es vor dem Einfall der Europäer bei Azteken, Inkas und Mayas eine Gesamtbevölkerung von mindestens siebzig bis neunzig Millionen gab. Innerhalb von anderthalb Jahrhunderten war diese Bevölkerung auf nur dreieinhalb Millionen zurückgegangen ! Die Ursachen: Kriege, Seuchen europäischer Herkunft, Zwangsarbeit und Hunger durch Vertreibung. Schließlich mußten die ausgerotteten Eingeborenen Süd- und Mittelamerikas ersetzt werden durch Sklaven des afrikanischen Kontinents. In dem kolumbianischen Hafen Cartagena wurden die schwarzen Neuankömmlinge zuallererst getauft, um anschließend an die Meistbietenden verschachert zu werden. So gingen Christentum und Menschenhandel Hand in Hand über Leichen. Gab es für dieses Verbrechen wirklich eine offene Rechtfertigung ? Nun, der Graf von Buffon bezeichnete die Indianer als kalte und schwache Tiere, bei denen "keinerlei Anzeichen von Seele festzustellen seien". Sogar Voltaire vertrat noch die Überzeugung, daß die Indianer faul und dumm seien. Im 17. Jahrhunert vertrat Pater Gregorio Garcia die Auffassung, daß die Indianer aufgrund eines angeblich jüdischen Ursprungs "faul seien, nicht an die Wunder Jesu Christi glaubten und den Spaniern nicht für all das Wohl, das diese ihnen erwiesen hätten, dankbar seien". Zwar hatte Papst Paul III. im Jahre 1537 eine Bulle erlassen, in der die Indianern großzügigerweise zu "echten" Menschen erklärt wurden. Doch erstens gab es zahlreiche Theologen, die dieser Aussage nicht zustimmten. Und außerdem zeigt ja schon die bloße Erörterung eines solchen Themas, daß es einen theologisch motivierten Rassismus g a b, der die Indianer nur aufgrund ihrer andersartigen religiösen Tradition zu Untermenschen machte. So bemerkte im Jahre 1557 ein Mitglied des (spanischen) Königlichen Rates, daß sich die Indianer auf einer so tiefen Stufe der menschlichen Entwicklung befänden, daß sie unfähig seien, der Gnade des Glaubens teilhaftig zu werden. Noch im Jahre 1957 waren in Paraguay Restbestände dieser Einstellung vorhanden: Eine Umfrage der Universität Asuncion ermittelte, daß von zehn Paraguayanern acht der Meinung wären, daß "die Indios wie Tiere" seien. Das, was die portugiesischen und spanischen Kanonen nicht im ersten Anlauf erreichten, nämlich die intensive Erschließung und Durchdringung verborgenster Winkel in Bergregionen und Regenwäldern - dies leisteten die Jesuiten mit ihrem schlauen diplomatischen Vorgehen. Sie lernten die Sprachen der Stämme, lebten mit ihnen zusammen, gründeten landwirtschaftliche Gemeinschaften und Schulen. Es wäre ein tödlicher Fehler, darin eine Manifestation christlicher Nächstenliebe zu sehen, "...denn erst wenn die mißtrauischen und scheuen Eingeborenen für die Kirche gewonnen waren, wurden sie damit auch zu brauchbaren und verläßlichen Sklaven der Europäer" (FülöpMiller, S. 343).
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Ein besonders zweischneidiges Schwert war der "Jesuitenstaat" in Paraguay, wo die Jesuiten zu Beginn des 17. Jahrhunderts ein "kommunistisch" anmutendes Gemeinwesen aufbauten. Zwar schützten sie damit die Eingeborenen vor dem Terror der iberischen Sklavenhändler, zerstörten aber zugleich deren unbeschwertes Leben als frei schweifende Jäger und Waldbewohner. Man führte die Indios in die Zivilisation ein, das heißt, sie wurden in landwirtschaftliche und handwerkliche Produktionsprozesse eingespannt, die ihren bisher ungebundenen Lebenswandel einem genau organisierten Reglement unterwarf. Und das alles hatte begonnen unter Ausnutzung naturmenschlicher Naivität mit musikalischen Darbietungen, mit denen die ersten Missionare die Einheimischen angelockt hatten ! Wen sollte es nicht aufhorchen lassen, wenn selbst ein um Objektivität bemühter Autor wie Fülöp-Miller schreibt, die "angeborene Arbeitsscheu" der Indianer sei durch das unaufdringliche jesuitische Wirken zielgerichtet überwunden worden, wodurch "eine regelrechte Industrie" entstanden sei. Nun, in den Zwanziger Jahren konnte man solchen Schwachsinn noch schreiben. Heute ist uns viel stärker bewußt, welche kollektiven seelischen Zerstörungen und vernichtende Einflüsse auf die Natur die Industrialisierung hervorgebracht hat. Auch in Nordamerika sah es nicht sehr viel menschenfreundlicher aus. Die englischen Puritaner, die 1620 in Massachusetts eingewandert und der Liquidation in der alten Heimat um ein Haar entronnen waren, begannen alsbald, ihre besonders stark am alten Testament orientierte Einstellung in die Tat umzusetzen: Der theologisch motivierte Historiker spricht von "greuelvollen Kämpfen", "Glaubenskriegen", mit denen die Christianisierungsarbeit der Pilgerväter unter den nordamerikanischen Indianerstämmen einherging (Rel. i. Gesch. u. Gegenwart, S.1556, Tübingen 1927). Es wäre etwas großzügig, würde man die nahezu vollständige Zerstörung einer eigenständigen indianischen Kultur als Ergebnis einer "üblichen" kulturellen Auseinandersetzung betrachten, wie sie sich bei Völkerwanderungen größten Ausmaßes oft einstellen. Gerade dies ist eben aufgrund der spezifischen Ideologie der Mayflower-Emigranten nicht der Fall. Es war gerade ihre vom Alten Testament her geschulte Ausrottungsstrategie, die das Fremde nicht verstehen oder ergründen wollte sondern es als bedrohliche, heidnische Verführung um jeden Preis vernichten mußte. Der eindeutige Beweis für die biblisch- christlich begründete Ursache der Ausrottungspolitik zeigt sich in der Einstellung der katholischen Franzosen im Mississippi-Gebiet, deren Einstellung den Indianern gegenüber weitaus weniger verbohrt, wesentlich liberaler und eher auf Zusammenarbeit als auf Ausrottung ausgerichtet war. Schließlich wissen wir eben auch, welchen wesentlich größeren Stellenwert das Alte Testament für die protestantischen Puritaner im Gegensatz zu den Katholiken der Neuzeit hatte. Aus all dem können wir, im Zusammenhang mit den Erkenntnissen aus Kptl. II (Ideologische Grundlagen) die Schlußfolgerungen ziehen. Allerdings war der späteren Ausrottungspolitik der Puritaner noch eine andere Phase vorangegangen, bei der in erster Linie mit der Methode arglistiger Täuschung gearbeitet wurde. Die Neuengland-Kolonie Virginia mit der Hauptstadt Maryland war zunächst eine katholische Gründung gewesen. Mit Angelgeräten und Zuckerwerk hatten sich die Jesuiten hier an die örtlichen Häuptlinge herangemacht, und sie mit derart lächerlichen Lockmitteln zur Annahme der fremden Religion und zur Aufgabe ihrer einheimischen Lebensformen, wie z.B. der Polygamie veranlaßt. Auch bei der späteren Bekehrung der kanadischen Huronen brach man polygame Lebensformen, indem man die christliche Eheschließung mit einem verlockend prachtvollen Ritus versah: So human diese jesuitischen Praktiken auch erscheinen mögen, so verbrecherisch ist doch an ihnen der Mißbrauch des sensiblen Gemüts der Eingeborenen, ihrer natürlichen Naivität. Bald gerieten die katholischen Neuengland-Siedler dann aber in eine Minderheit gegenüber den protestantischen Farmern. Und diese setzten zur "Lösung der Heidenfrage" eher auf offenen Terror als auf indirekte Täuschungsmanöver.
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In der praktischen Realität spielte sich die Behandlung der Ureinwohner durch die Kolonisatoren als eine Art Menschenjagd ab, getreu dem Grundsatz: "Jeder Indianer ist ein schlechter Indianer, nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer." Was sollte man auch von Menschen erwarten, die in ihrem Staat Massachusetts Hexen verbrannten und öffentliche Küsse zwischen Verheirateten unter Strafe stellten ! So wurden auch behördliche Kopfpreise für erlegte Indianer festgesetzt, bei hundertstückweiser Ablieferung von Köpfen Getöteter begnügte man sich schließlich auch mit dem "Skalp". Im Jahre 1689 erhielt ein Kolonist 8 Pfund für den Skalp eines indianischen Kriegers, ein Gesetz vom 7.März 1707 legte sogar einen Preis von 100 Pfund pro Skalp fest. Alles zur höheren Ehre Gottes. Bis zum Jahre 1849 war das Kriegsministerium in Washington die eigentlich zuständige behördliche Instanz für Indianerfragen. 1890 führte man einen Ausrottungskrieg gegen die Sioux, in dem es zu dem mörderischen Gefecht von Wounded Knee in South Dakota kam. Zweihundert fliehende Frauen, Kinder und Säuglinge wurden bei dieser Gelegenheit von amerikanischen Soldaten brutal abgeschlachtet. Auch in Indien, Ostasien und Afrika strebte man eine umfassende Zwangschristianisierung an, die im britischen Kolonialismus von puritanischer Frömmigkeit und im französischen Imperialismus vom Katholizismus getragen wurde. Selbst Kirchenhistoriker müssen zugeben, daß man es "an Gewalt und Bestechung der Häuptlinge nicht fehlen ließ, um Taufen herbeizuführen" (Die Religion in Geschichte u. Gegenwart, S.1556, Tübingen 1927), hier als Anmerkung zur Tätigkeit der "OstindischenKompanie"-Handelsgesellschaft. Louis Jacolliot weist in seinem Werk "Bibel in Indien" darauf hin, daß jesuitische und franziskanische Missionare in Indien jedes Manuskript und Sanskritwerk, das ihnen in die Hände fiel, sofort den Flammen übergaben. Dabei fiel ihre Wahl insbesondere auf solche Werke, die berechtigten Anspruch auf höchstes Altertum und unanfechtbare Echtheit erheben können. Angeblich hätte auch jeder neue Missionar den Befehl von seinen Ordensoberen erhalten, alle Schriften auf diese Weise so zu behandeln, die ihnen auch nur in die Hände fallen würden (zit. b. N. Chidambaram Iyer, Das große Buch der Nativitätslehre, übersetzt v. Wilhelm Wulff, Hamburg 1925, S.6). In der nie auch nur in Ansätzen gelungenen Missionierung Indiens ging man ganz ähnlich vor, wie im alten Europa. Es wurden politische und militärische Streitigkeiten ausgenutzt, die man geschickt zur Überredung verwendete. Die Portugiesen hatten bereits Anfang des 16. Jahrhunderts in Indien Fuß gefaßt und auch prompt mit der Christianisierung begonnen, wobei zunächst noch ein gewisses Nebeneinander zwischen einheimischen Religionen wie dem Hinduismus und dem Christentum herrschte. Das Land war einfach zu groß und unergründlich, um es in einem Atemzug zu "schlucken". Also mußte man behutsam, Schritt um Schritt vorgehen. Da gab es zum Beispiel den winzigen Volksstamm der Paraver, der an der indischen Südküste lebte und nur rund 20 000 Menschen zählte. Sie wurden von mohammedanischen Kriegern bedrängt und baten deshalb die Portugiesen um militärische Hilfe. Sie wurde auch gewährt - um den Preis des Übertritts zum Christentum. Es wurde eine Massentaufe mit für die Eingeborenen unverständlichen lateinischen Formeln durchgeführt, und die fremden Eroberer konnten das Volk der Paraver als "christlich" verbuchen. Dem Jesuiten Franz Xavier (1506-1552) war diese Art des Vorgehens natürlich viel zu oberflächlich. Er "vertiefte" die Arbeit seiner Vorläufer, indem er sich zunächst einmal an die paravischen Kinder heranmachte. Diesen wurde in spielerischer Weise Katechismus und Ave Maria beigebracht, wobei sich als erster Erfolg registrieren ließ, daß sie unter seiner Anleitung die Statuen der Götter zerschlugen und zertraten. Überall, wo der Missionar von neuen "Götzendienereien" hörte, versammelte er die Kinder des Ortes um sich, um sie anschließend aufzuhetzen. "Die Verunglimpfungen, die der Teufel von den Kindern erfährt,
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sind größer als die Ehren, welche die erwachsenen Heiden ihm erweisen". So Xavier in einem seiner "Erfolgsberichte". Den Bewohnern der Insel Homoro erzählte er, die dort zahlreich vorhandenen Vulkankrater seien die Schornsteine der Hölle und "weiter unten" würden die Götzenanbeter bis in alle Ewigkeit gesotten. In Candy auf Ceylon stiftetete Franz Xavier wiederum die Kinder dazu an, buddhistische Reliquien zu verstecken und eine alte Kultstätte mit der Fußspur Buddhas zu zerstören. Man sollte meinen, daß vielleicht doch irgendwann Unmut über das dreiste Treiben des Jesuiten entstehen würde. Doch die einheimischen Fürsten fühlten sich viel zu sehr angewiesen auf die teilweise auch für örtliche Aufstände angeforderte militärische Hilfe, die Portugal ihnen angedeihen ließ. Nach nur sechs Jahren hatte die Kirche Roms dank Xavier und seinen Jesuiten mehr als zwanzig gut organisierte Stützpunkte in ganz Indien, von denen aus er die Verdummung des Subkontinents zu organisieren gedachte. Bald aber eröffnete sich ihm ein noch interessanteres Missionsfeld: Er lernte einen Mann namens Anjiro kennen, der aus Japan kam und dort wegen eines von ihm begangenen Mordes die Flucht ergreifen mußte. Reumütig und zerknirscht sog er die christlichen Mären von Schuldvergebung und Sündenerlaß in sich auf und wurde damit ein williges Objekt jesuitischer Beichtpsychologie. Xavier erfuhr von ihm eine Menge über die Mentalität der Japaner und erlernte von ihm auch die japanische Sprache. Kaum in Japan gelandet, erweckte Xavier sofort die Aufmerksamkeit eines regionalen Fürsten, des Daimyo Schimatsu Takahisa. Dieser erblickte in dem Jesuiten und seiner portugiesischen Gefolgschaft einen willkommenen Lieferanten der damals in Japan noch unbekannten Gewehre. Und gegen diese exzellente Gabe zwecks Befestigung seiner Herrschaft ließ er sich ganz im Sinne des üblichen Kuhhandels auf die Übernahme der fremden Religion ein. Seine Beamten und viele seiner Untertanen folgten ihm darin nach. Als problematisch empfand es Xavier allerdings, daß die Japaner recht skeptische Zuhörer waren, die zahlreiche, überaus kritische Fragen stellten. So wollte es ihnen beispielsweise einfach nicht einleuchten, daß es eine ewige Verdammnis gebe und warum Gott nach christlicher Auffassung das Böse zulasse. Als nun die versprochenen portugiesischen Handelsschiffe mit der erhandelten "Ware" ausblieben, wurde der Daimyo mißtrauisch: Nachdem Xavier durch gewandte Dialektik in endlosen Predigten und Diskussionen neue Anhänger gewonnen hatte, wurde ihm bei Todesstrafe jede weitere Bekehrung Einheimischer zum Christentum verboten. Doch bemühte er sich auch andernorts, Anhänger für seine Lehre zu finden, wobei er sich mit Hilfe portugiesischer Händler mit einer ungeheuren Prachtentfaltung und gespieltem Luxus an die mächtigsten Fürsten heranmachte. Bei diesen Gelegenheiten beschenkte er sie mit Uhren, Augengläsern, Musikinstrumenten, also den damals neuesten und gängigen Konsumobjekten der europäischen Zivilisation, was meist Neugier und Erstaunen hervorrief. Dafür erhielt er dann die Möglichkeit, Edelleuten und Hofbeamten das Christentum zu predigen. Dabei bediente er sich mitunter einiger kleiner Tricks. So hatte er auf Anraten seines Bekannten Anjiro seinen eigenen Gott mit dem japanischen Begriff für Gott "Dainitschi" bezeichnet. Erst später fiel ihm auf, daß sich für die Japaner dahinter eine völlig andere Vorstellung verbarg, so daß er von nun ab nur noch von "Deus" sprach und "Dainitschi" öffentlich als Ausgeburt Satans diffamierte. Solcherlei Ausführungen führten zu spürbaren Rückzügen der zunächst so freundlich Gesonnenen und trugen ihm erbitterte Gegnerschaft ein. Als Xavier spürte, daß er hier nicht weiterkam, wandte er seinen Blick nach China. Ihm wurde klar, daß Japan in vielerlei Hinsicht von den Chinesen abhängig war. So berichtete er in einem seiner Briefe nach Portugal: "Wenn die Chinesen einmal das Christentum
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angenommen haben werden, wird dies auch für die Zerstörung der japanischen Sekten von großem Vorteil sein...China muß gewonnen werden wie einst das römische Reich: Mit der Bekehrung des Königs wird auch das Volk nachfolgen." Es blieb bei den großen Plänen. Als ihn ein chinesischer Schmuggler gegen die Bestechungssumme von zwanzig Zentnern Pfeffer heimlich nach Kanton geschleust hatte, wartete Xavier dort vergeblich darauf, daß ihn dieser wieder abholte, um ihn weiter ins Landesinnere zu leiten. Schließlich wurde er krank, fiel in Delirien und wurde daraufhin vermutlich wahnsinnig. Wie soll man sich sonst erklären, daß er in seinen letzten Tagen plötzlich wahllos in verschiedenen Sprachen vor sich hin predigte, bis er letztendlich, sprachlos geworden, verstarb ? Vermutlich konnte er es nicht verwinden, daß ihm die Krönung seiner Missionarskarriere verwehrt blieb. Ein Größenwahnsinniger, dem die listenreiche und fanatische Propaganda für seinen Glauben zur unstillbaren Sucht wurde. Was Xavier anfangs bei seiner Indienmission völlig übersehen hatte, war die herausragende Bedeutung der brahmanischen Priesterkaste für die hinduistische Gesellschaft und Religion. Deshalb war einem seiner Nachfolger, dem italienischen Jesuiten Robert de Nobili klar geworden, daß hier der Schlüssel zur Bekehrung Indiens liegen mochte. Also hüllte er sich in brahmanische Gewänder und kreuzte eines Tages in der südindischen Stadt Madure auf, um den dort lebenden Brahmanen weiszumachen, er sei ein Brahmane aus dem fernen Rom und hätte das Bedürfnis gehabt, seine Brüder im fernen Indien kennen zu lernen. Da de Nobili sich in den heiligen Schriften der Brahmanen, den Veden, in ihrer Sprache und auch Musik hervorragend auskannte und mit ihnen ausgiebig und mit großer Sicherheit disputieren konnte, erwarb er bald das größte Vertrauen. Er soll es soweit gebracht haben, daß die Brahmanen ihn als ihresgleichen betrachteten. Unmerklich aber beharrlich ließ er schließlich in seine gelehrten Unterredungen Bemerkungen dergestalt einfließen, daß es doch manche Übereinstimmungen zwischen den heiligen Schriften Indiens und den christlichen Lehren gäbe. Doch gäbe es eben einige christliche Ideen, die die Wahrheit noch weitaus klarer und überzeugender darstellten, als die brahmanische Lehre. Und auf diese Art und Weise brachte er eine ganze Reihe von führenden Brahmanen dazu, sich taufen zu lassen. Offensichtlich ohne daß sie merkten, wie de Nobili sie verkohlt hatte. Vielleicht fehlte ihnen auch nur jede Vorstellung von derartiger Verstellungskunst und Raffinement. Eine andere Gruppe von Jesuiten wies er an, sich als Yogis zurechtzumachen, um in diesem Aufzug auch die niederen Kasten bis hin zu den Parias missionieren zu können. So hatten es schließlich sieben als Yogis und zwei als Brahmanen kostümierte Jesuiten erreicht, in jenem Landstrich über vierzigtausend Menschen zu "bekehren". Als sich in Japan die politischen Verhältnisse zugunsten einer stärkeren Zentralmacht zu wandeln begannen, witterten die Jesuiten auch hier Morgenluft. Der Daimyo Oda Nobunaga hatte seine Macht so stabilisiert, daß er die verfallene Stadt Miako zu einer prunkvollen Residenz machen konnte. Bei seinen Machtkämpfen hatte er sich die Feindschaft verschiedener buddhistischer Würdenträger zugezogen. Das bot den Jesuiten natürlich einen exzellenten Anknüpfungspunkt für ihre schäbigen Intrigen. Besagter Daimyo muß von den jesuitischen Bemühungen derartig fanatisiert gewesen sein, daß er umfangreiche Konzessionen für neue Kirchen und Missionshäuser mit dem Niederbrennen buddhistischer Klöster verband. Dieser christliche "Kultivierungsprozeß" wurde noch dadurch ergänzt, daß er persönlich seine eigenen Götterbilder zertrat und buddhistische Priester einkerkern ließ. Als dieser Herrscher schließlich durch einen anderen abgelöst wurde, wendete sich das Blatt drastisch: Einige spanische Händler hatten ausgeplaudert, daß die Entsendung von Priestern der erste Schritt für die Unterwerfung eines Landes unter die spanische Krone sei.
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Dieses Bekenntnis wirkte auf den Daimyo Toyotomi Hideyoshi so schockierend, daß er die Ausrottung des Christentums beschloß. Sein Nachfolger erließ noch strengere Maßnahmen gegen die nunmehr als gefährlich empfundene Religion, ließ die katholischen Kirchen verbrennen und sogar einige Jesuiten kreuzigen. Damit war Japan um das Jahr 1600 für die christliche Mission erledigt. Mit der alten Masche, dem kostümierten Etikettenschwindel, eröffnete der Jesuit Matteo Ricci eine neue Missionsoffensive in China. Verkleidet als ein vornehmer Mandarin namens Li gaukelte er den Chinesen vor, ein Gelehrter der Naturwissenschaften zu sein, was die diesbezüglich sehr interessierten Chinesen sofort anzog. Seinen missionarischen Stützpunkt in Kanton stattete Ricci im Stil eines naturwissenschaftlichen Kabinetts aus. Die zahlreich bei ihm verkehrenden chinesischen Gelehrten wurden mit den Erkenntnissen der europäischen Mathematik, Geographie und Astronomie konfrontiert. Nur hin und wieder einmal, so ganz beiläufig, ließ Ricci eine Bemerkung über die "europäische Religion" fallen, ließ irgendwo in seinem Kabinett ein Muttergottesbildchen herumliegen, was die Neugier der chinesischen Gäste anregte und beflügelte. Und so gelang es ihm in zäher Kleinarbeit, einige wenige Chinesen zum Christentum zu bringen - in erster Linie angeregt durch scheinbare Übereinstimmungen und Parallelen zwischen alten chinesischen Weisheitslehren und christlichen Dogmen. Natürlich war es klar, daß ein dauerhafter Missionserfolg nur eintreten könnte, wenn man den Herrscher des Reiches der Mitte bekehren würde. Ricci ging auch dieses Problem mit einer unfaßbar dünkenden Dreistigkeit an: Er ließ dem Kaiser von China eine kunstvolle Uhr zukommen, deren Funktionsweise von einer umfassenden technischen Beratung abhängig war: Auf diese Weise verschaffte er sich Zutritt zum kaiserlichen Palast. Und bald war der Sohn des Himmels so erbaut von Riccis naturwissenschaftlichen Plaudereien, daß dieser sich regelrecht unentbehrlich machen konnte. Mit europäischen Kinkerlitzchen aus der Welt der Technik folgten dann Reliquienschreine und Heiligenbilder - und so funktionierte auch hier, im Zentrum der Macht, der jesuitische Bekehrungsrummel. Kleinlaut geäußerte Kritik hoher Würdenträger an der enormen Machtstellung der neuen fremden Priester wurde mit Hinweis auf die Unfehlbarkeit kaiserlicher Erkenntnis im Keim erstickt. So wurden die Jesuiten mit einer Kalenderreform beauftragt, lehrten das Gießen von Kanonenkugeln zur Abwehr tatarischer Invasionen und bauten ganz nebenbei hunderte von Kirchen. Der nächste Kaiser Kang-hi, der die Mandschu-Dynastie begründete, brachte den Patres ein ähnlich großes Vertrauen entgegen. Wieder erwiesen sie sich als unentbehrlich, indem sie diplomatische Verhandlungen mit dem Zarenhof für den Kaiser führten und ihn mit Heilmitteln aller Art versorgten. In der kaiserlichen Familie gab es Taufen am laufenden Bande und zuguterletzt wurde dem wegen einer Lungenentzündung sterbenden Kaiser noch ein Glas des besten Meßweins als "Blut Christi" eingeflößt. Die nächsten beiden Mandschu-Kaiser waren der christlichen Botschaft weitaus weniger aufgeschlossen. Im Gegenteil ! Nun wurden wieder die Kirchen niedergerissen und über dreihunderttausend chinesische Christen zur Abschwörung gezwungen. Den einheimischen Zeremonienmeistern war aufgefallen, daß die christliche Lebensweise ihre eigenen Gesetze hatte und meist mit einem totalen Bindungsverlust an die alten Bräuche einherging. Doch gelang es den tückischen Brüdern der Societas Jesu erneut, sich in die Gunst der Herrschenden einzuschmeicheln. Einmal waren sie als diplomatische Unterhändler mit Rußland tatsächlich vollkommen unabkömmlich. Und schließlich hatten sie entdeckt, daß der augenblickliche Kaiser Kien-long einen besonderen Spleen hatte: Er liebte über alles Dekorationsmalerei, Gartenbau und Kunsthandwerk. Und so schulten sich die Jesuiten intensiv zu Landschaftsgärtnern, Malern und Kupferstechern um, damit sie die luxusorientierten Bedürfnisse des Kaisers unverzüglich befriedigen konnten. Auf diese Weise gewannen sie auch wieder Zutritt zum Palast, konnten dann auch schon hin und wieder einmal ein Bittgestell zugunsten verfolgter Christen loswerden, wenn ihnen ein Porträt oder Historiengemälde gut gelungen war.
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Mit welchem Raffinement die Jesuiten bei ihrer Christianisierungsarbeit vorgingen, zeigt allein die Tatsache, daß sie ihren Konvertiten sowohl die Kreuzigung Christi verheimlichten, als auch den chinesischen Ahnenkult weiterhin bei Neubekehrten zuließen. Der Kreuzigungstod eines Gottes wäre nach chinesischer Auffassung etwas Schändliches gewesen und konnte deshalb unter keinen Umständen Anknüpfungspunkt für eine Bekehrung sein. Und der Ahnenkult schließlich war so verwurzelt im chinesischen Volk, daß ein Kampf dagegen gleichbedeutend mit Identitätszerstörung gewesen wäre. Als diese Art taktischer Maskierung der fernöstlichen Mission in Europa bekannt wurde, gingen ultradogmatische Kräfte, wie die Dominikaner, auf die Barrikaden. Man glaubte allen Ernstes, daß es auch in China möglich sein würde, das Christentum wie bei den europäischen Stämmen zur Macht zu bringen. Als schließlich ein päpstlicher Legat an den Hof des Kaisers Kang-hi kam, um dort ein Verbot des Ahnenkultes zu erwirken, erhielt er logischerweise eine ärgerliche Abfuhr. Das 19. Jahrhundert, das den Europäern durch die unbegrenzte Technisierung und Industrialisierung den umfassendsten Seelenmord bescherte, riß gleichzeitig auch alle anderen Kontinente in einen gigantischen Vernichtungsstrudel. In der Tat: Wenn es so etwas wie Karma wirklich gibt, müßten wir uns vor seinen Folgen für unser Tun noch wesentlich mehr fürchten, als vor einem Weltuntergang. Dieses Jahrhundert, das als Zeitalter des Imperialismus in die Annalen der Geschichte einging, wurde noch in den Zwanziger Jahren als "Jahrhundert der Weltmission" gefeiert (Rel. i. Gesch. u. Gegenw.,S.1557,Tbg.1927). Der selbe Autor ist aber ehrlich genug, um schließlich zuzugeben: "Leider hat man auch im 19.Jhdt. noch hier und da staatliche Gewalt in Anspruch genommen, um das Werk der Christianisierung zu stützen und zu fördern." Dieser Versuch ist im Großen und Ganzen mißlungen, dennoch hat sich an der Haltung der Kirche nicht das Geringste geändert. Und der Drang nach weltweiter Verbreitung der Technik und der europäischen Vorstellung von Wirtschaft und Gesellschaft hat mächtige Impulse aus der Überzeugung erhalten, die wahre Religion zu besitzen, was die Vernichtung der stammesbezogenen Autonomie noch beschleunigte. Zur Zeit ist unter anderem das Papsttum die geistige und gesellschaftliche Weltmacht, die eine vernünftige Lösung der Probleme in Afrika, Asien und Lateinamerika ständig unterminiert, indem beispielsweise die Empfängnisverhütung zur natürlichen Familienplanung verhindert wird. Während der Katholizismus dergestalt die Menschen an der Wahrnehmung von Naturgesetzen hindert, tut es der protestantische Fundamentalismus der im IWF und der Weltbank vertretenen Funktionäre auf seine Weise: In biblisch- protestantischer Zwanghaftigkeit zwingt man die außereuropäischen Länder dazu, ihren eigenen Bedürfnissen westliche Wirtschaftsstrukturen überzustülpen. Der Ausgangspunkt dieser ganzen Denkweise ist das Nützlichkeitsstreben und die geforderte Selbstdisziplinierung im Rahmen des protestantischen Arbeitsethos. Eine Bewältigung der hier nur grob skizzierten Probleme ist nicht in Sicht - vielmehr scheint es, als wenn nur eine apokalyptische Katastrophe den Ausblick auf eine neue Welt eröffnen würde. Ist das Christentum damit Verursacher einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung ?
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X. Gegner freier Stammeskulturen
Es ist sicher wesentlich, darauf hinzuweisen, daß die Zwangschristianisierung nicht nur ein Problem der Konfrontation eines fremden exotischen Klerus mit einem heimat- und stammeskulturgebundenen Volk gewesen ist. Bei all dem dürfen wir nicht vergessen, welche radikalen Fehlentwicklungen z.B. die germanischen Stämme in ihrer gesellschaftlichen Entwicklung seit Beginn der "Völkerwanderung" durchgemacht hatten. Schließlich war es ursprünglich so gewesen, daß über alle wichtigen politischen Entscheidungen, das heißt in Bezug auf alle Dinge, die die Gemeinschaft betrafen, gemeinsam in der Thing-Versammlung beraten wurde. Es wurden Mehrheitsentscheidungen getroffen und es gab zuvor über das Für und Wider einer Entscheidung freie Aussprachen zur Klärung der Lösungsmöglichkeiten. Sicher war dieses Verfahren für eine friedlich lebende, seßhafte Bauernbevölkerung ohne Nöte praktizierbar. Schwieriger wurde es in Zeiten, in denen einzelne Stammesangehörige wegen Überbevölkerung und dementsprechender Verknappung der Nahrungsgrundlage das Land verlassen mußten. Ebenso schwierig war eine zeitaufwendige Diskussion über anstehendes Probleme auch in Zeiten äußerer Bedrohung, in denen man zur Waffe greifen mußte. Die Lösung war einfach: Wenn schnelle Entscheidungen vonnöten waren, wurde die Entscheidungsbefugnis einem Einzelnen oder einer kleinen Gruppe von Männern oder Frauen übertragen. So lange die Bedrohung oder eine Situation militärischen Drucks anhielt, lag bei Ihnen die Befehlsgewalt, damit eine unverminderte Reaktionsbereitschaft bestand. Zu diesem Zwecke wurden sie von der Thing-Versammlung gewählt. So entstand für die Zeit der Züge nach Süden die Einrichtung des Herzogtums. Aber es gab auch andere, kultische Aufgaben, die man Königen wahlweise übertrug, da sie in dieser Eigenschaft eine wichtige symbolische Bedeutung besaßen. So gab es in Skandinavien ein Königtum, das eine mystisch- symbolische Beziehung zum Land, d.h. zur Erde und ihrer Fruchtbarkeit besaß. Stellte sich eine schlechte Ernte ein, so war erkennbar, daß der König bei seiner Aufgabe versagt hatte und mußte der Erde zum Opfer gebracht werden. Frazer stellt in seinem "Goldenen Zweig" eine ganze Reihe von Beispielen eines solchen spirituellen Königtums vor. Auch hier ist die Wahl des Herrschers nur eine zeitlich befristete, in diesem Fall sogar gebunden an den Rhythmus des Jahres. In dem Augenblick, wo eine belastende Situation von der Ausnahme zur Regel wurde, konnte das urdemokratische Prinzip der Stämme schnell aufgeweicht werden. Und so war es denn auch: Die Züge der "Überflüssigen" nach Südeuropa begegneten dem Widerstand der südeuropäischen Völker. Der Raum um das Mittelmeer war dicht besiedelt und die ausgewanderten Stammesteile wurden in nicht vorhersehbare jahrhundertelange Fehden verstrickt. Was dabei auf der Strecke blieb: Die selbstbestimmte, individuell erfahrbare Gesprächsgemeinschaft der Thing- Versammlung. Was sich immer mehr verfestigte und schließlich zu einer stabilen Einrichtung wurde: Ein befehlsgewohntes Königtum, das nicht mehr nur Entscheidungen zum Überleben des Stammes traf, sondern sich zunehmend hofieren und von Ehrfurcht begeifern ließ. Schließlich wurde das anfänglich nur wahlweise übertragene Amt festgehalten und wie ein Hof oder eine gute Waffe an die Erben der Sippe weitergegeben. Die dynastische Monarchie war geboren und entwickelte sich, erst recht nach dem Verrat der Stammesreligion an die orientalischen Kleriker zu einer selbstverständlichen Einrichtung. Und genau das ist sie tausend Jahre lang geblieben, wobei die Forderung zu einer wirklich demokratischen, d.h. von Volksentscheid und Volksherrschaft bestimmten Ordnung auf die Dauer nicht zu unterdrücken war. Nur daß
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man in den "demokratischen" Staaten des neuzeitlichen Europa und Amerika bemüht ist, den Volkswillen so lange durch repräsentative Elemente zu filtern, bis von ihm eigentlich kaum noch etwas übrig geblieben ist. Es handelt sich gewissermaßen um eine "Homöopathie" des Demokratischen, was nur einen hoffnungslosen Mangel an Vertrauen seitens der Herrschenden in die betroffenen Völker offenbart. Noch ein anderer Grund war bestimmend für die Verfestigung des mittelalterlichen Großkönigtums: Da, wo anfangs die Stammesverbände landschaftsgebunden, d.h. gebunden an bestimmte begrenzte Regionen waren, strebten die Könige nun nach einer Zusammenfassung dieser kleinen Regionen nach größeren räumlichen Einheiten. Die Gier nach Wachstum um jeden Preis erweist sich somit als "Kinderkrankheit" des sogenannten Abendlandes, die im Imperialismus des 19. Jahrhunderts wie auch im Wirtschaftswachstum unseres Jahrhunderts unglückselige Neuauflagen erlebte. Es liegt auf der Hand, daß wirkliche Volksherrschaft im Sinne einer Thing-Demokratie nur dort möglich ist, wo die Zahl an Menschen begrenzt und vor allem überschaubar bleibt. Eine Abstimmung mit einigen hundert Männern und Frauen per Handaufheben durchzuführen, ist an sich schon schwierig genug. Bei einigen tausend oder gar zehntausend Menschen wird sie unmöglich. An diesem Zusammenhang können wir die innere Beziehung zwischen Demokratie und Regionalismus erkennen. Worin bestand nun aber wirklich der Grund für die Errichtung von imperialen Großräumen und deren ständig zunehmender Aufblähung ? Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Missionsbischöfe und Päpste der katholischen Kirche das größte Interesse daran haben mußten. Lag ihnen doch zutiefst der "Missionsbefehl" ihres Religionsstifters am Herzen, der gesagt haben soll: "Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium aller Kreatur" (Markus 16, Vers 15). Dieser Drang zur Mission war die geeignete Begründung für alle Formen von Angliederung, Aneignung und Kolonisation angenzender nichtchristlicher Kulturen. Mit dem "Geschenk" der christlichen Botschaft konnte man alle Greueltaten, alle Ausbeutung, alle Erniedrigung der Heiden entschuldigen - betraf doch dieses "Ungemach" nur die zeitlich-irdische Natur, während die Alternative Erlösung-Verdammnis von grundsätzlicher spiritueller Bedeutung war. Aus diesem Grunde beruhen alle Verbrechen der Franken, der "Großen Kaiser", der Kreuzzügler in Osteuropa wie in Palästina auf einer Interessenkoalition zwischen den Selbstzweck gewordenen Fürsten und den christlichen Geistlichen. Und so wurde aus einem begrenzten mittel-westeuropäischen Königreich der Franken das Deutsche Reich, das die stumpfsinnigen Priesterfürsten des Mittelalters zum festen Fundament eines gesellschaftlichen Versklavungssystems und zum Ausgangspunkt imperialistischer "Ausflüge" in die Randgebiete des nördlichen und östlichen Mitteleuropa machen konnten. Die deutschen Könige und Kaiser, aber auch polnische und russische Monarchen hatten stets gute Argumente bei der Hand, um die Vergrößerung ihrer Territorien zu betreiben: Sie taten damit etwas für ihr eigenes Seelenheil und kamen dem "Missionsbefehl" nach. Ganz "nebenbei" vergrößerten sie ihre politische Macht, ihre Steuereinnahmen, die Zahl ihrer Untertanen, aber eben alles zur höheren Ehre Gottes. Die Geistlichen hingegen, Fürst- und Missionsbischöfe konnten alle Brutalitäten und Greuel ihrer Missionszüge damit entschuldigen, daß dies eben eigentlich auf das Konto der Dynastien ginge. Häufig taten sie, wie z.B. Otto v. Bamberg, so, als ob sie selbst in christlicher Nächstenliebe die administrative und militärische Rücksichtslosigkeit der Herrscher abschwächen würden. In Wirklichkeit rieben sie sich angesichts brennender Heiligtümer und zerschlagener Götterbilder hohnlächelnd die blutbefleckten Hände. Eine andere Frage ist die geschichtliche Reaktion der heidnischen Priester auf den Christianisierungsterror. Hier gab es, entsprechend der sehr unterschiedlichen Organisationsformen der verschiedenen heidnischen Traditionen auch sehr unterschiedliche Verhaltensweisen. In der Welt des römischen Heidentums gab es ein hoch spezialisiertes Priestertum mit besonderen Aufgaben, wie die Pontifices (Führendes Priesterkollegium), die Flamines (Opferpriester), Augures und Haruspices (Orakelpriester) sowie z.B. die Fratres Arvales (Kulttänzer erdhafter Fruchtbarkeit). Je mehr jedoch der römische Staat zu einem straffen, imperialen Gebilde erstarrte, wurde auch das Priestertum in die politischen Intrigen hineinverstrickt und war an die augenblickliche politische Machtsituation gebunden. So war schließlich der Maßstab seines Handelns am Ende die
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Staatsräson und nicht das religiöse Erleben. Von einer derartigen Kaste, die zudem noch mit allerlei Vergünstigungen materiell an ihre Ämter gebunden war, konnte man keinen ernsthaften Widerstand gegen politische Entscheidungen der Herrschenden zugunsten der neuen Religion erwarten. Ursprünglich hatte das römische Priestertum wichtige rituelle Aufgaben für eine bäuerlich orientierte Gemeinschaft übernommen. Je mehr sich jedoch die Herrschaftsverhältnisse brutalisierten und sich einem sinnlosen Menschenkult zuwandten, desto stärker war das staatlich gebundene Priesterwesen damit korrumpiert. Noch heute ist in der Organisationsstruktur und einzelnen päpstlichen Amtsbezeichnungen ("Pontifex Maximus") erkennbar, daß das alte Priestertum in der Priesterkaste des aufsteigenden Christentums aufgesogen wurde und in umgewandelter Weise weiterlebte. Ein solch eigenartiger Kompromiß war bei den Kelten oder Germanen nicht in der gleichen Weise denkbar. Was die "Ariosophen" an scheinbaren Belegen für ein solches Hinüberwachsen der alten Priestertümer in das christliche Mittelalter hinein vorbringen, ist einfach ungenügend. Sicher ist es auffällig, daß die Bauhütten, die die romanischen und gotischen Dome hervorbrachten, autonome Körperschaften ohne Bindung an Kaiser oder Papsttum waren. Aber es ließ sich auch durch eine Fülle archaischer Symbolik in den Kirchenbauten nicht verhindern, daß die Kirchen Brutstätten geistig- seelischer Verneblung des Volkes wurden, in denen gehetzt und gequält wurde. Was halfen da schon die wundervollsten Binderunen am Kircheneingang, die Triskelen und kosmischen Mandalas in den Glasfenstern, die geheimnisvollen Spiralen und Maßverhältnisse der Bodenornamente ? Was half die symbolische Beziehung des gotischen Hallenschiffes zum lichtdurchfluteten heiligen Hain, wenn in eben den gleichen Kirchen die Flucht vor Trieben und Instinkten gepredigt wurde ? So vergingen auch diese Bauhütten, selbst wenn sie jemals eine besondere Aufgabe gehabt haben sollten, bis sie kurz vor der Totalauflösung im 18. Jahrhundert von politischen Ideologen und Finanzaristokraten übernommen wurden ("Freimaurerei"). Als die germanischen Könige und Fürsten das Christentum übernahmen, gab es für die alten Priester keinen Platz mehr. Da, wo es besonders kriegerisch zuging, wie bei der Bekehrung der Sachsen, standen die Priester zum Volk und gingen mit seiner Freiheit unter. Dabei kommt noch hinzu, daß es ein festes priesterliches Amt bei den in Einzelhöfen verstreut lebenden germanischen Stämmen nicht in dieser Form gab. Hausväter und Mütter versahen die priesterlichen Aufgaben für ihre Sippe. Die Menschen waren selbst vertraut mit den Gottheiten und ihrem Kultus, obwohl es für besondere Fähigkeiten etwa magischer Art besondere Menschen gab. Z. B. für das Schauen in die Zukunft die Wala, für den Schutz eines Heiligtums den Harugari oder Parawari. Aber die meisten Goden waren zugleich Bauern, Jäger, Krieger oder Handwerker und mußten sich deshalb nicht aus Gründen finanzieller Abhängigkeit zu einer Kaste von Schmarotzern entwickeln. Nur dort, wo sich während der Völkerwanderungszeit auch bereits starke Dynastien herausgebildet hatten, entstanden daran angebunden Priesterämter, die z.B. bestimmte Orakelmethoden zur Erkundung von Kriegserfolgen und Stammesschicksalen anzuwenden hatten. Natürlich ist gerade die relativ lockere Organisation der priesterlichen Funktionen bei den meisten autochthonen germanischen Stämmen ein wichtiger Grund für mangelnden Widerstand gegenüber den Missionaren. Wenn ein Mensch ausschließlich Priester oder Seher gewesen wäre, hätte er mit der Einführung der neuen Religion seine gesamte Existenz verloren. War er jedoch in der Hauptsache Bauer, so gab er zwar mit der "Bekehrung" einen wesentlichen Teil seines bisherigen Lebens auf, war aber zumindest nicht zum Hungertod verurteilt. Das Nichtvorhandensein einer Priesterschicht, die sich ausgiebig mit Sinn und Zweck der eigenen Religion beschäftigen konnte, brachte aber auch massive Nachteile in der geistigen Auseinandersetzung mit der neuen Religion und in der Verteidigung des Eigenen. Dort, wo der fremde Missionar ein dutzend Gründe aufführen konnte, die scheinbar für das Christentum sprachen, fiel dem philosophisch ungeschulten, lebensnahen Gemüt des germanischen Bauern nichts mehr ein. Es war eben keine abstrakt argumentierendes, spekulatives "Weltbild", das er zu vertreten hatte, sondern eine lebendige Anschauung und intensive Beobachtung der Natur und ihrer Gesetze. Daraus nährte sich der Mythos und dadurch entstanden in der Seele der Menschen plastisch eindringliche Bilder. Doch gerade
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diese relative Naivität machte die Menschen Intellektualismus der römischen Kuttenträger.
hilflos
gegenüber
dem
ätzenden
Etwas anders war die Situation auf Island, wo sich bereits durch die Ausgangsposition der Siedler, die ja aus Norwegen kamen, ein klares Bewußtsein des Verfolgtseins und der Kluft zwischen Heidentum und Christentum entwickelt hatte. Vielleicht war dies mit ein Hauptgrund für die Entwicklung eines klar strukturierten, hierarchischen Systems des Godentums, das trotzdem nicht demokratischer Elemente ermangelte und auch nicht dogmatisierend auf die Religion einwirkte. Es ging dabei offensichtlich nur darum, ein System der "Zuständigkeit" aufzubauen, in dem eben festgelegt war, wer für welches Gebiet der Nordmeerinsel rituelle Funktionen wahrzunehmen hatte. Und auch hier war das leitende Prinzip die Territorialbezogenheit, denn meist war in einem Tal oder an einem Berge derjenige "zuständiger" Gode, der sich dort zuerst angesiedelt hatte oder über den größten Hof verfügte. Im Grunde ist es also doch eine ziemlich starke Verknüpfung von Priesteramt und Volk, das wir hier vor uns haben und nicht eine klassenmäßige Gegenüberstellung, wie sie nach der Missionierung erfolgte. Trotzdem war auch Island nicht vor dem Vorherrschaftsstreben der Christen zu bewahren: Mit der "Judas-Methode" , der finanziellen Bestechung, klappte es auch hier. Eine völlig andere Lage treffen wir bei östlichen Stämmen wie den Wenden oder den Pruzzen an. Gerade die Pruzzen verfügten über eine straff organisierte und zum teil sehr stark spezialisierte Priesterkaste, mit einem Oberpriester und ungefähr zehn verschiedenen Klassen von Unterpriestern. Christliche Chronisten berichten davon, daß die Pruzzen ihren Priestern umfangreiche Abgaben zu leisten hatten und beispielsweise beim Ritual der Bockheiligung auch vom Oberpriester wegen ihrer Sünden gezüchtigt, geschlagen oder an den Haaren gezogen wurden. Ein derart autoritäres Priestertum wird sich natürlich seiner Herrschaft wohl bewußt gewesen sein. So werden wir sicher auch den Berichten vertrauen dürfen, die den heidnischen Priestern eine intensive moralische Unterstützung des um seine Freiheit gegen den deutschen Orden kämpfenden pruzzischen Volkes zuschreibt. In jedem Fall war die zentralistisch organisierte Kirche mit ihren internationalen Verbindungen und geradezu unermeßlichen Hilfsquellen den vorhandenen heidnischen Priesterbünden bei weitem überlegen. Es war eben der Kampf einer "multinationalen", vernichtungsgierigen Streitmacht gegen kleine, stammesgebundene Gruppen weiser Männer, die ihrer Tätigkeit mehr oder weniger gewohnheitsmäßig nachgingen, ohne hochgesteckte Ziele wie etwa "Menschheitserlösung" oder Inszenierung von "Heilsgeschichte". Es fehlte ihnen das Feuer des missionarischen Fanatismus, das die christlichen Gegner beseelte. Die Einheitlichkeit und Geschlossenheit des römischen Religionskonzerns trug dabei den Sieg davon. Wir können anhand der aufgeführten Beispiele erkennen, daß es keine besondere Organisationsform gibt, die ein künftiges Heidentum besser vor seinen Gegnern schützen könnte als eine andere. Haben wir eine komplexe Hierarchie vor uns wie bei den Römern, den keltischen Druiden oder den Pruzzen, so sind diese auch nicht gegen kulturelle Aufweichung, militärische Überlegenheit oder politische Korruption geschützt. Im Gegenteil. Besonders muß uns das römische Beispiel warnen, da ja die Römer auch einmal eine heidnisch-naturreligiöse Kultur besaßen. Und gerade hier treffen wir auf die schlimmsten Entartungszustände im Verhältnis von Religion und Politik. Wenn wir wirklich die Lehren aus der Geschichte ziehen wollen, ist es klar, für welche organisatorische Form sich eine heidnische Bewegung der Gegenwart entscheiden sollte: Gründliche Trennung von allen staatlichen Machtansprüchen aber auch Verzicht auf hierarchische Über- und Unterordnung innerhalb des Heidentums selbst. Denn nur ein heidnischer Mensch, der sich aller wichtigen priesterlichen Aufgaben selbst voll bewußt ist, könnte seine Religion auch durch neue Verfolgungszeiten hindurch retten. Ein neuer Prozeß der Hierarchisierung, wie er derzeit von einigen orthodox- germanischen Gruppen lanciert wird, fördert Größenwahn bei den nun "Führenden" und verantwortungslose Dumpfheit bei den "Geführten", die dabei am Ende nur die Angeführten sein können. Die gleiche Konsequenz ergibt sich auch für den politischen Bereich selbst. Wir haben den Verlust der alten Religion nicht zuletzt den
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egozentrischen, kurzsichtigen "Aristokraten" zu verdanken. Deshalb sollte sich jeder Anhänger eines neuzeitlichen "Führerkultes" oder gar spiritueller Gottkönige sorgfältig überlegen, für was er sich da eigentlich einsetzt: Etwa gar für einen dekadenten Personenkult, dessen Herkunft aus der Verfallszeit mediterraner und orientalischer Stadtkultur ein ungutes Licht auf die gesichtslosen Massen der gehorsam Angeführten werfen ? Ein Hirt und eine Herde ! Das ist nach wie vor die Zauberformel vatikanischer Stabilität. Ihren Einfluß auf die Herrscherfamilien nutzten die römischen Kleriker massiv zu intensiver geistig-seelischer Umerziehung aus. So berichtet Gregor v. Tours von einer Vision des Merowingers Guntram von Burgund, dieser habe darin einen Blick in die Hölle getan. Er habe in dieser Vision gesehen, wie sein eigener Bruder von drei Bischöfen mit Ketten gefesselt zu ihm gebracht, anschließend zerstückelt und in einen Kessel mit siedendem Wasser geworfen wurde (zit. i. HdA, Bd.4, S.239). Es ist doch offensichtlich , wie hier wohl durch Predigten und Beichtgespräche Menschen künstlich geistesgestört gemacht wurden, bis diese am Ende bereit sein würden, alle Wünsche der Kleriker zu erfüllen. Sicher wäre es demnach ungerecht, wenn die Kirche sich von dem Vorwurf der Brutalität ihrer Christianisierungspraktiken reinzuwaschen versuchte, indem sie diese nur auf die Machtgier zeitgenössischer Fürsten zurückführte. Es ist vielmehr offensichtlich, daß diese in dem Augenblick, als sie ständig von "geistlichen Beratern" umgeben waren, nicht mehr wirklich sie selbst bleiben konnten. So war die exklusive Gehirnwäsche der fürstlichen Familie die Vorraussetzung bzw. der erste Schritt für die Bezwingung eines ganzen Volkes oder Stammes. Dazu kommt die bevorzugte Stellung der klerikalen Berater nicht nur allein als Geistliche sondern auch als Botschafter einer fremden, hochdifferenzierten Kultur, die von den Fürsten als überlegen betrachtet wurde. Überlegen in ihrer Fähigkeit, auch in größeren staatlichen Gebilden die Kontrolle über Menschen durch eine ausgefeilte Pädagogik und Bürokratie zu gewährleisten, und z.B. auch in der Überladenheit und vielfältigen Undurchsichtigkeit des Künstlerischen in Schauspiel und Literatur. Alles Erzeugnisse einer Kultur, die nicht mehr schlichte, nüchterne Zweckgebundenheit als Grundlage ihres Wirkens betrachtete, sondern diesen Dingen einen Selbstzweck zubilligte. Diese fremde Welt faszinierte die germanischen und übrigen europäischen Monarchen und veranlaßte sie zu neugierigem und aufmerksamem Lauschen auf die Einflüsterungen der Beichtväter. Es bleibt also schließlich dabei, daß die Undurchsichtigkeit höfischen Treibens unseren Blick für die Notwendigkeit radikaldemokratischer Formen auch in der heutigen Politik geschärft haben sollte. Zumindest eine Forderung aber wäre unsere geringste Erwartung gegenüber einem zeitgenössischen Staat: Radikale Trennung von Kirche und Staat. Das bedeutet, keine Zulassung kirchlicher Repräsentanten als politische Lobbyisten, keine bevorzugten Gelder des Staates für bestimmte Großkirchen oder Eintreibung des Zehnten für diese (Kirchensteuer), keine staatliche Unterstützung kirchlicher Bildungsarbeit und Privatschulen, da diese ja der theologischen Verblödung Heranwachsender dienen, keine diplomatische Anerkennung einer spätfeudalen, absolutistischen Monarchie (Der Vatikan ist der letzte politische Überrest des Mittelalters in Europa !), keine finanzielle Förderung kirchlicher Wohlfahrtsarbeit durch den Staat, da dieser selbst die Pflicht zur Erbringung solcher Arbeit hätte und die Hilfsbedürftigen einer indirekten, erzwungenen Dankbarkeit gegenüber kirchlichem Glaubensgeschwätz aussetzt. Die Tatsache, daß selbst diese bescheidenen Forderungen im Deutschland der Gegenwart noch geradezu exotisch anmuten, beweist auf das Schlagendste die Dauerhaftigkeit klerikaler Gehirnwäsche. Ist das Mittelalter wirklich bereits überwunden ?
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X1. Nachspiel zu Beginn des 3. Jahrtausends: Der Vatikan entschuldigt sich (Der nachfolgende Text ist eine Ergänzung vm 20.09.02)
Wer geglaubt hatte, daß die katholische Krche völlig unempfindlich gegen Kritik von außen ist, durfte am 12.03. im Jahr des Jubels 2000 Zeichen und Wunder erleben. Das erste Mal in ihrer Geschichte gab der "Heilige Vater" öffentlich zu, daß die Kirche in ihrer 2000tausendjährigen Geschichte Verfehlungen und Schuld auf sich geladen hat. In einer heiligen Messe legte der greise Karol Woytila ein Schuldbekenntnis ab und sprach eine Vergebungsbitte aus, nachdem eine "Internationale Theologische Kommission" ein entsprechendes Papier unter der Überschrift "Erinnern und Versöhnen" erarbeitet hatte. Dieses Papier, von dem es am 09.07.2002 noch eine deutschsprachige Version auf der Homepage des Vatikan gab, war am 18.07.2002 bereits "verschwunden", das entsprechende Link führt nunmehr ins Nichts. Der Text konnte jedoch gesichert werden und findet sich unten angeführt... Die Auswertung des Textes der heiligen Messe und eines Drucks jener deutschsprachigen Arbeit ergab nicht gerade ein besonders großes Maß an innerer Bereitschaft, die in diesem Buch dargestellten Verbrechen einzugestehen. Zunächst einmal beinhaltete das Schuldbekenntnis drei Teile: Es geht um die Methoden beim "notwendigen Einsatz zum Schutz der Wahrheit", Vergehen gegen die Einheit der Kirche und um Verbrechen gegen das Judentum. Abgesehen davon, daß nicht an einem einzigen Punkt konkret gesagt wird, welche Art und Praxis von Vergehen gemeint sind, betreffen eigentlich die letzten beiden Punkte interne Auseinandersetzunmgen innerhalb des monotheistischen Paradigmas. Und selbst beim ersten Punkt, unter dem man bei äußerst gespreizter Interpretation davon ausgehen kann, daß die Missionierung gemeint ist, tut der Vatikan so, als wenn die Kirche hier in der Defensive handelte: "Schutz der Wahrheit" impliziert, daß man selbst der Angegriffene war, "notwendiger Einsatz" suggeriert, daß die agressive Grundtendenz des Christentums gegen andere Religionen im Kern unausweichlich ist. In Bezug auf die Verbrechen gegen das Judentum vollzieht sich die ganze Diskussion vor dem Hintergrund der Aussage, daß der jüdische Auswerwähltheitsglaube zutrifft: Eine "geistliche" Frechheit gegenüber den zahllosen säkularistischen Juden, die noch heute von der christlichen Mission wie auch von den Fanatikern innerhalb ihrer eigenen Religion belästigt werden. Immerhin wird im Teil V. die "Feindschaft gegenüber den Anhängern anderer Religionen" kritisiert, und beklagt: "Die Rechte von Stämmen und Völkern haben sie verletzt, deren Kulturen und religiöse Traditionen verachtet". Ich frage mich, ob das nicht eine etwas vornehme Ausdrucksweise für die Massenvernichtung von Menschen und die Vernichtung von Kultstätten, Kultgegenständen und literarischen Gütern darstellt ? An jedem Punkt dieses Schuldbekenntnisses wird die Berührungsangst der Kirche mit der Konkretheit der Geschichte deutlich. Die Lektüre der entsprechenden "theologischren Facharbeit" (s. oben) zeigt das noch deutlicher: In diesem über 50 DINA4 Seiten starken Text benötigt man 40 Seiten, um bezüglich der erwähnten drei Vergehenskomplexe überhaupt zur Sache zu kommen. Da geht es zunächst darum, auf umständliche Weise zu begründen, ob schuldig werden aus biblischer und christlicher Sicht überhaupt denkbar und theologisch begründbar ist. Dann geht es um die Frage, wie eine Kirche, die von Gott inspiriert und geschaffen überhaupt schuldig werden konnte, was schließlich ihren unvollkommenen allzumenschlichen
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Gliedern angelastet wird. Und dann wird zuguterletzt in historischer Hyperkritik sogar noch die Frage nach der historischen Wahrheit berichteter Verbrechen gestellt. Diese ganze theologische Spitzfindigkeit offenbart eigentlich nur zweierlei: Einmal die völlige Losgelöstheit der Autoren gegenüber jeder echten Emotionalität von Reue und zum andern die schwierige Position einer wahrscheinlich liberalen Minderheit, die sich gegen überzeugte Konservative in den eigenen Reihen durchzusetzen gezwungen fühlt. Um die ganze Gequirtltheit und Gespreiztheit theologischer Strategen einmal zu verdeutlichen, hier der Textauzug, der sich mit unserem Thema befasst: Zu diesem Gegenzeugnis der Spaltungen unter den Christen sind verschiedene Vorkommnisse im vergangenen Jahrtausend hinzuzufügen, bei denen zweifelhafte Mittel angewandt worden sind, um gerechte Ziele zu erreichen. Mit diesen rechten Zielen sind gemeint die Verkündigung des Evangeliums und die Verteidigung der Einheit des Glaubens. In Tertio Millennio Adveniente umschreibt der Papst das Problem: Ein anderes schmerzliches Kapitel, auf das die Kinder der Kirche mit reuebereitem Herzen zurückkommen müssen, stellt die besonders in manchen Jahrhunderten an den Tag gelegte Nachgiebigkeit angesichts von Methoden der Intoleranz oder sogar der Gewalt im Dienst an der Wahrheit dar."(78) Es geht also um Formen der Evangelisierung, die ungeeignet sind zur Verkündigung der geoffenbarten Wahrheit. Dazu sind auch Methoden zu rechnen, die das Evangelium ohne Gespür für die kulturellen Werte der Völker propagiert und dabei die innere Hinordnung dieser Werte auf das Evangelium übersehen haben. Zu bedauern ist auch mangelnder Respekt vor dem Gewissen der Personen, denen man den Glauben vorgelegt hat. Verwerflich war jede Form der Gewaltausübung im Kampf gegen Irrtümer. Eine ebenso große Aufmerksamkeit erfordern die möglichen Unterlassungen der Anklage von Ungerechtigkeit und Gewalt, derer sich die Glieder der Kirche in verschiedenen historischen Situationen schuldig gemacht haben können. "Da ist der Mangel an Wahrnehmungsfähigkeit vieler Christen angesichts fundamentaler Verletzungen der Menschenrechte. Die Bitte um Vergebung gilt auch für das Schweigen aus Feigheit oder falscher Lagebeurteilung und für das, was unentschlossen und in wenig geeigneter Weise getan und gesagt wurde."(79) Wie in allen Fällen geht es auch hier darum, die historische Wahrheit durch eine historischkritische Untersuchung herauszufinden. Wenn die Fakten gesichert sind, ist die geistliche und moralische Auswertung möglich. Dann kann man ihre objektive Bedeutung erhellen. Nur mit Hilfe historischer Forschung kann Mythenbildung verhindert werden. Nur ein von historisch-kritischem Bewusstsein geprägtes geschichtliches Gedächtnis ist fähig, im Lichte des Glaubens die Früchte der Umkehr und der Erneuerung zu tragen: "Aus jenen schmerzlichen Zügen der Vergangenheit ergibt sich eine Lektion für die Zukunft, die jeden Christen veranlassen muss, sich ganz fest an das vom Konzil geltend gemachte goldene Prinzip zu halten:
."(80) Quelle:http://www.vatican.va/roman-Curia/congregations/cfaith/cti-documents/rc-concfaith-d(... 09.07.02 Ich tendiere zu der Interpretation, daß die Kirche hier rein opportunistisch handelt, um letztlich ihre Reputation in den teilweise sehr auf ihr kulturelles Erbe bedachten Nationen Asiens und der südlichen Hemisphäre zu verbessern. Und selbst das geschieht eigentlich eher halbherzig.
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Internationale Theologische Kommission ERINNERN UND VERSÖHNEN Die Kirche und die Verfehlungen in ihrer Vergangenheit INHALT Vorwort des Herausgebers Einleitung Erstes Kapitel DAS THEMA: SCHULDBEKENNTNISSE IN VERGANGENHEIT UND GEGENWART 1.1 Die Sichtweise vor dem II. Vatikanum 1.2 Die Aussagen des Konzils 1.3 Die Vergebungsbitten Johannes Pauls II. 1.4 Die zur Beantwortung anstehenden Fragen Zweites Kapitel BIBLISCHE ZUGÄNGE ZUR FRAGE: HEILIGES GOTTESVOLK UND SCHULD 2.1 Altes Testament 2.2 Neues Testament 2.3 Das biblische "Jubeljahr 2.4 Zusammenfassung Drittes Kapitel SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG 3.1 Die Kirche: Zeichen und Werkzeug des universalen Heilswillens Gottes 3.2 Die Kirche ist heilig ... 3.3 ... und als Gemeinschaft aus Menschen stets der Buße und der Reinigung bedürftig 3.4 Die Kirche Gottes ist unser aller Mutter im Glauben Viertes Kapitel HISTORISCHE UND THEOLOGISCHE BEURTEILUNG GESCHICHTLICHER VORGÄNGE 4.1 Die Schwierigkeit, Geschichte zu interpretieren 4.2 Geschichtsforschung und theologische Auswertung Fünftes Kapitel MORALISCHE BEWERTUNG 5.1 Ethische Kriterien und das Problem ihrer Anwendung 5.2 Am Beispiel: Spaltung der Christenheit 5.3 Am Beispiel: Anwendung von Gewalt im Dienst an der Wahrheit 5.4 Am Beispiel: Verhältnis von Christen und Juden 5.5 Wer trägt die Verantwortung für die Mißstände in der Gegenwart? Sechstes Kapitel PASTORALE UND MISSIONARISCHE PERSPEKTIVEN 6.1 Pastorale Zielsetzung 6.2 Ekklesiale Implikationen 6.3 Konsequenzen für den Dialog und für die Mission Siebtes Kapitel ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
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VORWORT DES HERAUSGEBERS Der Aschermittwoch des Heiligen Jahres 2000 der Menschwerdung des Sohnes Gottes wird die Welt in Erstaunen versetzen. In Rom, dem Ort des Martyriums der Apostel Petrus und Paulus, will Papst Johannes Paul II. als universaler Hirte der Kirche Gott öffentlich um Vergebung bitten für die Schuld ihrer Söhne und Töchter. Ist diese Vergebungsbitte Ausdruck ungebrochener Glaubensstärke der katholischen Kirche, oder meldet sich ein Zweifel an ihrer Sendung? Kapituliert sie vor kirchenfeindlicher Polemik, oder handelt es sich gar um einen Propagandatrick, um ihre Kritiker zu beschwichtigen? Diesen Akt der Vergebungsbitte kann man in seinem Sinn und Ziel nur verstehen, wenn man sich einlässt auf das Selbstverständnis der Kirche. Sie versteht sich nicht als eine von Menschen organisierte Gesellschaft, die mit einem von Menschen ausgedachten religiösen und ethischen Programm vor die Welt tritt. Vielmehr ist mit der Kirchenkonstitution des II. Vatikanischen Konzils (21.11.1964) zu sagen: "Das Geheimnis der heiligen Kirche wird in ihrer Gründung offenbar" (Lumen gentium, 4). Die Kirche verdankt sich in ihrem Ursprung und in ihrem Auftrag dem Heilswillen des dreifaltigen Gottes gegenüber der ganzen Menschheit. Seinen universalen Heilswillen hat Gott, der Vater Jesu Christi, in der Menschwerdung seines Sohnes und in der Ausgießung seines Geistes geschichtlich konkret in Raum und Zeit durch Jesus Christus verwirklicht, so dass er allein der von Gott geoffenbarte Mittler zwischen Gott und den Menschen ist (vgl. 1 Tim 2,4f.): "Und in keinem anderen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen" (Apg 4,12). Durch die Gemeinschaft der an ihn Glaubenden führt der von den Toten auferstandene Herr seine Sendung bis ans Ende der Geschichte fort. Er bleibt für immer bei seinen Jüngern, und durch sie ruft er die Menschen zum Glauben und erhellt damit das Rätsel menschlicher Existenz. Im Licht Christi kann jeder Mensch seine höchste Berufung erkennen: die Gemeinschaft mit dem Gott der dreieinigen Liebe und mit allen Menschen, die ihn gesucht und gefunden haben."Jesus Christus, das fleischgewordene Wort, ist das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet" (Joh 1,9.14.18). Er lässt seine Herrlichkeit auf dem Antlitz der Kirche widerscheinen, damit seine Kirche durch die Verkündigung der Botschaft vom ewigen Leben immer neu werde, was sie in ihrer Gründung im Geheimnis Christi ist. "Die Kirche ist ja in Christus gleichsam Sakrament, d.h. Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit" (Lumen gentium, 1). Die Kirche ist heilig, weil sie das Heilsinstrument des heiligen Gottes ist, der im Gang der Geschichte durch die Kirche seinen Heilswillen auf alle Menschen bezieht und in ihr jeden einzelnen persönlich anspricht. Deshalb ist sie unzerstörbar im Bekenntnis der Heilstaten Gottes, in ihrem Glauben, ihrer Lehre und in den sakramentalen Lebensvollzügen, die Christus ihr eingestiftet hat. Weder innerer Zerfall noch Feindschaft von außen, die alle menschlichen Gemeinschaftsgebilde in ihrem Bestand bedrohen, werden sie jemals überwinden (Mt 16,18). Aber die Kirche des dreieinigen Gottes besteht auch aus Menschen, die auf dem Weg ihres Glaubens immer versagen und der Versuchung zur Sünde verfallen können. Zur Kirche als der in der Welt sichtbaren Gemeinschaft der Glaubenden in ihrer sichtbaren Gestalt gehören darum immer auch Sünder. "Die Weg und und
Kirche ist zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den der Buße und Erneuerung. Die Kirche <schreitet zwischen den Verfolgungen der Welt den Tröstungen Gottes auf ihrem Pilgerweg dahin> (Augustinns, Civ. Dei, XVIII, 51,2) verkündet das Kreuz und den Tod des Herrn, bis er wiederkommt (vgl.1 Kor 11,26).
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Von der Kraft des auferstandenen Herrn aber wird sie gestärkt, um ihre Trübsale und Mühen, innere gleichermaßen wie äußere, durch Geduld und Liebe zu besiegen und sein Mysterium, wenn auch schattenhaft, so doch getreu in der Welt zu enthüllen, bis es am Ende im vollen Lichte offenbar werden wird" (Lumen gentium, 8). Somit gehört zum Weg der Kirche auch das Bekenntnis zur Erneuerung und die Bitte um Vergebung (ecclesia semper reformanda). Die Kirche gewinnt damit an Glaubwürdigkeit vor Gott und den Menschen. Sie dient der Einheit der Menschen unterschiedlicher Kulturen, Religionsrichtungen und Weltanschauungen, wenn sie um Vergebung bittet für das Übel, das in der Vergangenheit von Gliedern der Kirche und gerade auch von ihren Repräsentanten den Menschen anderer Gemeinschaften zugefügt worden ist. Zwar gibt es keine Kollektivschuld, deren Zurechnung eine Verletzung der ethischen Verantwortung jeder Person für ihre eigenen Taten wäre. Aber Verantwortung, Schuldübernahme und Bitte um Verzeihung dienen einer "Reinigung des Gedächtnisses", das Menschen und Menschengruppen auch über die Generationen miteinander verbindet oder trennt und gegeneinander aufbringt. Die Formulierung "Reinigung des Gedächtnisses", wörtliche Wiedergabe des italienischen Ausdrucks "purificazione della memoria", bedeutet eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen, von der Sünde entstellten Vergangenheit der Gemeinschaft, der man angehört. Dadurch soll die Möglichkeit der Versöhnung eröffnet werden. Nicht gemeint ist damit ein Sich-Reinwaschen, das auf ein Verdrängen oder bloßes Vergessen von Schuld hinausläuft und einen endgültigen Schlußstrich unter die Vergangenheit setzen will. Ziel ist eine "versöhnte Erinnerung" an die Wunden, die man sich in der Vergangenheit zugefügt hat (vgl. unten 5.1). Das theologische Verständnis von Sein und Sendung der Kirche hat auch unmittelbare Auswirkung auf das Verständnis und die Interpretation ihrer Geschichte. Die theologischwissenschaftliche Disziplin "Kirchengeschichte" hat zwei Extreme zu vermeiden, die bei allem Gegensatz im gleichen falschen Bild von Kirche zutiefst miteinander verbunden sind. Zu vermeiden ist eine Apologetik, die alle Schattenseiten und alles Versagen herunterspielt oder leugnet. Töricht und unfruchtbar wäre auf der anderen Seite aber auch eine fundamentalistische Kritik, der es um den Aufweis geht, dass die Kirche nicht von Gott kommen kann und dass sie im innersten Wesen korrumpiert sei, wenn man sie an ihren Idealen misst. Von dieser Seite her wird der katholischen Kirche eine aus immer den gleichen Punkten bestehende Kurzlitanei vorgehalten: Kreuzzüge Inquisition Hexenwahn Wissenschaftsfeindlichkeit - Intoleranz. Neuerdings sind weitere Elemente hinzugetreten. Man macht das Christentum verantwortlich für den ausbeuterischen Umgang des Menschen mit der Schöpfung. Man bezichtigt die katholische Kirche der Sexualfeindlichkeit und der Behinderung der Emanzipation der Frau. Dieser Kanon der Kritik an allem, was mit der katholischen Kirche zusammenhängt, bleibt dem engen eurozentrischen Horizont der westlichen Welt zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert verhaftet. Er ist markiert von globalen Vorwürfen und Schuldzuweisungen aus der konfessionalistischen Polemik des 17. Jahrhunderts und der folgenden Epoche der Religionskritik, im Rationalismus der Aufklärung, der antikirchlichen Propaganda des Liberalismus sowie der totalitären Ideologien des Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus. Dies beschränkt sich auf das Verhältnis der Kirche zur Gesellschaft und ihren Institutionen. Genau genommen reduziert sich der "Kanon der Kritik" auf die Epoche der abendländischen Christenheit, das sogenannte "Mittelalter", als Kirche und weltliche Gesellschaft fast ununterscheidbar miteinander verflochten waren. Neuere Kritikpunkte sind nur die Nachwirkungen des Bildes, das sich seit dem 18. Jahrhundert im westlichen Europa bei meist klischeehafter und vorurteilsbefrachteter Interpretation des "Mittelalters" verfestigt hat. Geschichte soll nicht möglichst objektiv erforscht werden in ihren kulturellen, sozialen und mentalen Bedingungen und in den Motivationen ihrer handelnden Personen. Kirchengeschichte wird instrumentalisiert, um die Kirche als Gegenmacht zu den Idealen von Freiheit, Autonomie, Wissenschaft und Fortschritt zu desavouieren. Von dieser Seite ist kaum zu erwarten, dass das mea culpa der Kirche mit einem mea culpa der Anhänger dieser Geistesrichtungen für all das beantwortet wird, was im Namen dieser Ideale den Christen und den Menschen anderen Glaubens an Leid zugefügt worden ist. Sie werden sich in ihrer Anklagehaltung bestätigt fühlen und um so lauter der katholischen Kirche entgegenrufen: "Tua sola culpa
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ist seit zweitausend Jahren Christentum die Welt nicht besser geworden". Zu erwarten ist sicher auch, dass gegenwärtige innerkirchliche Spannungen in diese Vergebungsbitte hineinprojiziert werden. Es wäre nur eine weitere Form der Instrumentalisierung der Kirchengeschichte, wenn Christen - Glieder am Leib Christi, der die Kirche ist - den Papst zur Vergebung nötigen wollten für das, was sie für ein Versagen der Kirche angesichts der Herausforderungen der Gegenwart halten, wenn z.B. manche den Zölibat der Priester in der lateinischen Kirche fälschlicherweise für einen Mißstand halten, der mit dem Menschenrecht auf Ehe in Konflikt stehe, oder wenn sie die Lehre von der dem Mann vorbehaltenen Weihe mit den Themen der Vergebungsbitte vermengen, weil sie meinen, dass, ähnlich wie im Fall Galilei, die Tradition der Kirche von falschen naturwissenschaftlichen Annahmen ausgehe. Die Vitalität der Kirche Jesu Christi erweist sich darin, dass sie die Gerechtigkeit des Schuldbekenntnisses für das Versagen in der Vergangenheit nicht zur Bedingung eines neuen Miteinanders machen muss. Sie hat die Kraft, den ersten Schritt zu tun. Die Kirche traut sich dies zu, weil sie um die Gabe der Heiligkeit weiß, aus der sie lebt und die sie ihrer Sendung zum Heilsdienst an den Menschen gewiss macht. Darum kann sie sich auch zu der Tatsache bekennen, dass es im Laufe ihrer Geschichte - gemessen am Evangelium, das sie zu allen Zeiten, auch durch den Mund ihrer sündigen Glieder, verkündet hat, und an den geistigen Erfordernissen der jeweiligen Geschichtsepoche - persönliche Sünden, erschreckendes Versagen, unangemessenes und unverantwortliches Handeln ihrer Glieder und ihrer Repräsentanten gegeben hat. In diesem Sinn kann man auch von Sünden nicht nur der einzelnen Glieder der Kirche, sondern auch von den Sünden der Kirche sprechen, besonders wenn sie von denen begangen wurden, die ermächtigt waren, in ihrem Namen zu handeln. Es geht um das Handeln der Kirche in ihrer Auswirkung auf die zivile Gesellschaft und ihre Institutionen (Staat, Kultur, Wissenschaft, Kunst, Rechtsordnung u.a.). Nicht gemeint ist in diesem Zusammenhang die Infallibilität in der Auslegung der Offenbarung und die Wirksamkeit der sakramentalen Heilsvermittlung, die der Kirche anvertraut sind und die vom Geist Gottes vor Korruption und Zersetzung bewahrt werden (Lumen gentium, 25) Papst Johannes Paul II. wagt als Repräsentant der universalen Kirche diesen Schritt im Dienst an der geschichtlichen Wahrheit, wenn er um Vergebung bittet für Sünden und Fehlleistungen der Kirche und ihrer Glieder in der Vergangenheit. Die Kirche lässt sich führen von Christus, der nicht gekommen ist, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen, der seinen Jüngern mit dem Dienst der Fußwaschung ein Beispiel der Demut geschenkt hat Die kritische Überprüfung der Vergangenheit und die Bitte um Vergebung für die Wunden, die im kollektiven Gedächtnis der religiösen und kulturellen Gemeinschaften zurückgeblieben sind und destruktiv nachwirken, hat als Ziel die Versöhnung unter den Menschen, die heute diesen Gemeinschaften angehören. Die Internationale Theologische Kommission hat den Auftrag erhalten, mit einer wissenschaftlichen Studie diesen Akt der Vergebungsbitte vorzubereiten und in seinem tieferen Sinn zu erläutern. Unter der Leitung von Prof. Dr. Bruno Forte (Neapel) hat eine Subkommission den Text "Memoria e riconciliazione. La Chiesa e le colpe del passato" erarbeitet. Als Mitglieder gehörten ihr an die Professoren Roland Minnerath (Strassburg), Christopher Begg (Washington D.C.), Francis Moloney S.D.B. (Washington), Anton Strukelj (Ljubljana, Slowenien), Thomas Norris (Maynooth, Irland), Jean-Louis Bruguès O.P. (Fribourg) und Rafael Salazar Cardenas M.Sp.S. (Guadalajara, Mexico). Er wurde in zwei Vollversammlungen der Internationalen Theologischen Kommission ausführlich diskutiert, nach Einarbeitung mehrerer Modi in forma specifica gebilligt und ihrem Präsidenten, Kardinal Joseph Ratzinger, Präfekt der Glaubenskongregation, vorgelegt, der ihn für die Veröffentlichung genehmigt hat.
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Im Auftrag des Vorsitzenden der Internationalen Theologischen Kommission, des Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre, Joseph Kardinal Ratzinger, wird der Text veröffentlicht und hier den Lesern deutscher Sprache vorgestellt. Zu beachten ist das eigene literarische Genus einer solchen Publikation. Man kann von ihr nicht die Geschlossenheit und den einheitlichen Duktus einer wissenschaftlichen Monographie eines Einzelautors erwarten. Die Stufen der Erarbeitung und der Endredaktion sind ebenso zu erkennen wie sich im Text die vielfältigen Perspektiven der Kulturen, der geographischen Räume und der historischen Perspektiven widerspiegeln. Deutlich zeichnet sich der Fächer theologischer Stile ab, in dem sich die Pluralität der Weltkirche präsentiert. Bei dem Text der Kommission handelt es sich nicht um das offizielle Schuldbekenntnis der Kirche, das vom Papst am Aschermittwoch persönlich vorgetragen und das von ihm als Vertreter der universalen Kirche verantwortet wird. Es ist aber auch keine kirchengeschichtliche Spezialuntersuchung zum Thema "Kirche und Schuld in der Vergangenheit". Man wird wohl der literarischen Eigenart dieses Textes am besten gerecht, wenn er als eine Interpretationshilfe betrachtet wird, die von Fachleuten für Exegese, Kirchengeschichte und Ekklesiologie erarbeitet wurde, die - von den Bischofskonferenzen als Repräsentanten der Theologie ihrer Länder vorgeschlagen - sich durch Kompetenz und Treue zum Lehramt der Kirche auszeichnen. Im Licht der hier zusammengestellten theologischen Kategorien und hermeneutischen Prinzipien können sich Sinn und Tragweite dieser in der bisherigen Kirchengeschichte einmaligen Liturgie der Buße und der Vergebungsbitte erschließen und mitvollziehen lassen, die der Heilige Vater zu Beginn der Österlichen Bußzeit des Heiligen Jahres 2000 mit der ganzen Kirche und in ihrem Namen feiern möchte. Liturgie ist immer Lob und Verherrlichung Gottes (confessio laudis), der uns die Sünden vergibt, die zu bekennen er uns die Kraft geschenkt hat (confessio peccati). Von Jesus Christus, dem Sohn Gottes belehrt, sprechen seit 2000 Jahren Christen Gott als ihren Vater an und bitten ihn: "Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir denen vergeben, die an uns schuldig geworden sind" (Lk 11,4). Wer ist mehr zu diesem Schuldbekenntnis im Namen der katholischen Kirche ermächtigt als der Bischof von Rom, der Nachfolger Petri, dem Christus im Abendmahlssaal Verleugnung und Umkehr vorausgesagt hatte? Es ist derselbe Apostel, dem der Herr auch die Verheißung gegeben hat: "Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich einst bekehrt haben wirst, dann stärke deine Brüder" (Lk 22,32). München, den 22. Februar 2000, am Fest Cathedra Petri Gerhard Ludwig Müller
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EINLEITUNG In seiner Ankündigungsbulle des Heiligen Jahres 2000 Incarnationis mysterium (29. November 1998) hebt der Heilige Vater unter den Zeichen, "die in angemessener Weise dazu dienen können, die außerordentliche Gnade des Jubiläums intensiver zu erleben", die "Reinigung des Gedächtnisses" hervor. Eine solche "Reinigung des Gedächtnisses" vollzieht sich als ein Prozess, der auf die Befreiung des individuellen und gemeinschaftlichen Gewissens von allen Formen des Ressentiments und der Gewalt zielt, die historische Schuld und Verfehlung hinterlassen haben. Als Mittel dazu dient eine vertiefte historische und theologische Beurteilung der betreffenden Ereignisse. Wenn dieses Urteil sich als richtig erweist, ermöglicht es eine entsprechende Schuldanerkenntnis und eröffnet einen wirklich gangbaren Weg zur Versöhnung. Dieser Prozess kann sich in spürbarer Weise auch auf die Gegenwart auswirken, besonders da sich die Sünden aus der Vergangenheit in ihren Konsequenzen bis zum heutigen Tag belastend auswirken und auch in der Gegenwart eine Versuchung darstellen. Darum fordert die "Reinigung des Gedächtnisses" "von allen einen mutigen Akt der Demut, nämlich die Verfehlungen zuzugeben, die von denen begangen wurden, die den Namen Christen trugen und tragen". (1) Darauf gründet sich die Überzeugung, dass "wegen des Bandes, das uns im mystischen Leib miteinander vereint, wir alle die Last der Irrtümer und der Schuld derer mittragen, die uns vorausgegangen sind, auch wenn wir dafür keine persönliche Verantwortung haben und nicht den Richterspruch Gottes, der allein die Herzen der Menschen kennt, vorwegnehmen können". Eindringlich fordert der Papst die Christen auf, "vor Gott und den Menschen, die durch ihr Verhalten verletzt wurden, zu den von ihnen begangenen Fehlern zu stehen" und er schließt: "Das sollen sie tun, ohne dafür irgend etwas einzufordern, stark allein durch (Röm 5,5)"(2). Die verschiedenen Vergebungsbitten des Bischofs von Rom, die er in diesem Geist der Ehrlichkeit und Großmut geäußert hat, haben verschiedenartige Reaktionen hervorgerufen. Das unbedingte Vertrauen, das der Papst in die Macht der Wahrheit setzt, hat eine wohlwollende Aufnahme und Anerkennung gefunden sowohl bei Menschen innerhalb wie auch bei Menschen außerhalb der Kirche. Viele haben den Zuwachs an Glaubwürdigkeit der kirchlichen Verkündigung unterstrichen, der auf diesen Umgang mit der eigenen Geschichte folgt. Es hat aber auch nicht an Vorbehalten gefehlt. Manche fürchten, dass in bestimmten historischen und kulturellen Kontexten das Eingeständnis der von Gliedern der Kirche begangenen Schuld als Kapitulation vor den eingefleischten Vorurteilen antikirchlich gesinnter Kreise aufgefasst werden könnte. Angesichts von Zustimmung und Vorbehalt, auf das die Schuldanerkennung stößt, zeigt sich die Dringlichkeit einer umfassenden Reflexion der Gründe und Bedingungen sowie der genaueren Form von Bitten um eine Vergebung der Verfehlungen aus der Vergangenheit. Mit dieser Aufgabe ist die Internationale Theologische Kommission betraut worden. In ihr sind Vertreter verschiedener Kulturen und Mentalitäten in der Mitte des einen katholischen Glaubens versammelt. In dem von dieser Kommission ausgearbeiteten Text wird eine theologische Reflexion der Bedingungen für die Möglichkeit der Akte einer "Reinigung des Gedächtnisses" angeboten. Auf folgende Fragen soll eine Antwort versucht werden: Mit welchem Ziel werden diese zeichenhaften Akte vollzogen? Wer sind ihre adäquaten Träger? Wie sind ihre Gegenstände zu bestimmen, wenn historisches und theologisches Urteil präzis aufeinander bezogen sein
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sollen? Wer sind die Adressaten dieser öffentlichen Vergebungsbitten und Gesten der Versöhnung? Welche moralischen und ethischen Implikationen sind zu beachten? Welche möglichen Auswirkungen ergeben sich daraus für das Leben der Kirche und der Gesellschaft? Das Ziel, das sich die Kommission mit diesem Text setzt, besteht nicht darin, einzelne historische Vorkommnisse zu prüfen und zu bewerten, sondern die Voraussetzungen zu klären, die die Grundlage bilden für die Reue über die Verfehlungen aus der Vergangenheit. Nachdem das besondere Genus der hier vorgelegten Reflexion präzisiert worden ist, muss noch geklärt werden, was im folgenden unter "Kirche" verstanden wird, von der die Vergebungsbitte ausgesprochen wird. "Kirche" soll hier weder allein die historische Institution noch allein die geistlich-unsichtbare Gemeinschaft der Gläubigen bezeichnen. Unter Kirche versteht man immer die Gemeinschaft der Getauften in den beiden voneinander untrennbaren Dimensionen ihres Wesens: Sie ist sowohl sichtbar als handelndes Subjekt in der Geschichte unter der Leitung ihrer Hirten als auch zugleich in der Tiefe ihres Mysteriums geeint durch den Heiligen Geist, der in ihr wirkt und ihr Leben einhaucht. Es ist jene Kirche, von der das II. Vatikanische Konzil erklärt, dass sie "in einer nicht unbedeutenden Analogie dem Mysterium des fleischgewordenen Wortes ähnlich ist. Wie nämlich die angenommene Natur dem göttlichen Wort als lebendiges, ihm unlöslich geeintes Heilsorgan dient, so dient auf eine ganz ähnliche Weise das gesellschaftliche Gefüge der Kirche dem Geist Christi, der es belebt, zum Wachstum seines Leibes (vgl. Eph 4,16)".(3) Die Kirche, die in einer wirklichen und tiefen Gemeinschaft ihre Söhne und Töchter der Vergangenheit ebenso wie die der Gegenwart umfasst, ist die einzige Mutter in der Gnade, die die Lasten auch der Schuld aus der Vergangenheit auf ihre Schultern zu nehmen vermag, um das "Gedächtnis zu reinigen" und die Herzen zur Erneuerung und einem Leben nach dem Willen des Herrn zu bewegen. Die Kirche ist imstande dies zu tun, insofern Jesus Christus, dessen mystischer Leib sie ist und durch den er im Gang der Geschichte sakramental gegenwärtig bleibt, ein für allemal die Sünden der Welt auf sich genommen hat. Im Aufbau richtet sich der Text nach den aufgeworfenen Fragen: Im 1. Kapitel wird ein kurzer historischer Rückblick auf die Entwicklung des Themas gegeben. Im 2. Kapitel sollen die biblischen Grundlagen herausgearbeitet werden, um dann im 3. Kapitel die theologischen Bedingungen der Bitten um Vergebung zu vertiefen. Im 4. Kapitel geht es um eine Abklärung des Verhältnisses von historischer und theologischer Beurteilung kirchengeschichtlicher Vorgänge, um sich angesichts der unterschiedlichen Zeiten, Orte und Umstände ein korrektes und begründetes Urteil über spezifische Geschichtsereignisse bilden zu können. Das 5. Kapitel behandelt die moralischen Implikationen, während im 6. Kapitel die Konsequenzen für das pastorale und missionarische Handeln der Kirche bedacht werden, die sich aus der Vergebungsbitte für die katholische Kirche im Verständnis ihrer Sendung ergeben. Im Bewusstsein jedoch, dass die Forderung, die eigene Schuld anzuerkennen, für alle Völker und Religionen sinnvoll ist, darf man von den hier vorgelegten Überlegungen eine Hilfe erwarten im Fortschritt aller auf dem Weg der Wahrheit, des brüderlichen Dialogs und der Versöhnung. Am Ende dieser Hinführung zum Thema ist es sicher angebracht, das letzte Ziel jedes möglichen Aktes der "Reinigung des Gedächtnisses" anzusprechen. Diese Aufgabe der Gläubigen hat auch die Arbeit der Kommission innerlich bestimmt. Es handelt sich um die Verherrlichung Gottes. Denn ein Leben im Gehorsam gegenüber der Wahrheit Gottes und den Herausforderungen, die von ihr ausgehen, führt hin zu einer Form des Bekennens unserer Sünden und Fehler, die vom Bekenntnis zur ewigen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit des Herrn nicht zu trennen ist.
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Das Bekenntnis der Sünde (confessio peccati), das getragen und erleuchtet ist vom Glauben an die Wahrheit, die frei macht und erlöst (confessio fidei), wird zu einem Bekenntnis des Lobes (confessio laudis), das sich an Gott richtet. Er allein weiß um den Zusammenhang der Sünden in Vergangenheit und Gegenwart. Nur in Jesus Christus, dem einzigen Retter der Welt, können wir uns von Gott und mit Gott versöhnen lassen. Er allein kann uns auch fähig machen, selbst denen Vergebung zu gewähren, die an uns schuldig geworden sind. Dieses Angebot der Vergebung hat eine besondere Signalwirkung, wenn man sich die vielen Verfolgungen vor Augen hält, die die Christen im Laufe der Geschichte erlitten haben. In dieser Perspektive kommen den vom Heiligen Vater schon vollzogenen und in Aussicht genommenen Akten bezüglich der Schuld und der Verfehlungen der Vergangenheit eine exemplarische, ja prophetische Bedeutung zu. Dies betrifft ebenso die Religionen wie die Regierungen und die Völker auch über den Bereich der katholischen Kirche hinaus. Die Kirche kann in ihrer Absicht bereichert werden, wirksamer das Große Jubiläum der Menschwerdung Gottes als ein Ereignis der Gnade und der Versöhnung für alle zu feiern.
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Erstes Kapitel DAS THEMA: SCHULDBEKENNTNISSE IN VERGANGENHEIT UND GEGENWART 1.1 Die Sichtweise vor dem II. Vatikanum Das Jubiläum ist in der Kirche immer als eine Zeit der Freude über die in Christus empfangene Erlösung und als eine besondere Gelegenheit der Buße und der Versöhnung für die gegenwärtigen Sünden im Leben des Volkes Gottes betrachtet worden. Schon seit der ersten Feier des Heiligen Jahres unter Papst Bonifaz VIII. im Jahre 1300 war die Bußwallfahrt zu den Gräbern der heiligen Apostel Petrus und Paulus mit der Gewährung eines außerordentlichen (vollkommenen oder teilweisen) Ablasses verbunden gewesen, der, zusammen mit der Vergebung im Bußsakrament, der Ausheilung und Überwindung der zeitlichen Sündenstrafen dienen sollte, die als negative Auswirkungen der Sünden auf das Verhältnis des Menschen zu Gott und zu den Mitmenschen zu verstehen sind(4). In diesem Kontext wird sowohl hinsichtlich der sakramentalen Vergebung wie im Hinblick auf den Nachlass der Sündenstrafen der personale Charakter der Buße sichtbar. Im Laufe des "Jahres der Vergebung und der Gnade"(5) öffnet die Kirche in außergewöhnlicher Weise den "Schatz der Gnaden", den Christus für das pastorale Wirken hinterlassen hat(6). Allerdings gab es bisher bei keinem Jubeljahr eine Gewissenserforschung über mögliche Verfehlungen der Kirche in der Vergangenheit. Ebensowenig wurde eine Vergebungsbitte an Gott gerichtet für ihr Verhalten in der näheren oder ferneren Geschichte. Man findet in der gesamten Geschichte der Kirche keinen Präzedenzfall einer vom Lehramt selbst formulierten Vergebungsbitte für die Verfehlungen der Vergangenheit. Die Konzilien und die päpstlichen Dekretalien sanktionierten zwar die Missbräuche, derer sich Kleriker und Laien schuldig gemacht hatten, und nicht wenige Hirten der Kirche bemühten sich darum, sie abzustellen. Ganz selten ergab sich die Gelegenheit, dass kirchliche Autoritäten - Päpste, Bischöfe oder Konzilien - öffentlich Schuld und Verfehlungen anerkannt haben, für die sie die Verantwortung trugen. Ein berühmtes Beispiel dafür hat der Reformpapst Hadrian VI. gegeben, der in einer Botschaf t an den Reichstag von Nürnberg am 25. November 1522 aufrichtig bekannte: "Missbräuche in geistlichen Dingen, Übertretungen der Gebote, ja, dass alles sich zum Ärgeren verkehrt hat. So ist es nicht zu verwundern, dass die Krankheit sich vom Haupt auf die Glieder, von den Päpsten auf die Prälaten verpflanzt hat. <Wir alle>, Prälaten und Geistliche, <sind vom Wege des Rechtes abgewichen, und es gab schon lange keinen einzigen, der Gutes tat> (Ps 14,3). Deshalb müssen wir alle Gott die Ehre geben und uns vor ihm demütigen; ein jeder von uns soll betrachten, weshalb er gefallen, und sich lieber selber richten, als dass er von Gott am Tage seines Zornes gerichtet werde."(7) Hadrian VI. beklagte die zeitgenössischen Sünden und Fehler, genaugenommen die seines unmittelbaren Vorgängers Leos X. und seiner Kurie, ohne jedoch damit eine Vergebungsbitte zu verbinden. Erst Papst Paul VI. wird eine Vergebungsbitte an Gott und auch an eine Gruppe von Zeitgenossen richten. Bei der Eröffnungsansprache zur z. Konzilssession bat der Papst "Gott und die getrennten Brüder des Orients" um Verzeihung, und er erklärte sich von seiner Seite aus dazu bereit, die Anfeindungen zu vergeben, denen die katholische Kirche ausgesetzt war. In der Sicht Pauls VI. betrafen die von beiden Seiten vorauszusetzende Bitte um Vergebung und das gegenseitige Angebot der Vergebung allein die Sünde der Spaltung unter Christen.
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1.2 Die Aussagen des Konzils Das II. Vatikanum nimmt die gleiche Perspektive ein wie Paul VI. Die Konzilsväter sagen im Hinblick auf die Verfehlungen gegen die Einheit: "In Demut bitten wir also Gott und die getrennten Brüder um Verzeihung, wie auch wir unseren Schuldigem vergeben."(8) Neben den Sünden gegen die Einheit der Kirche greift das Konzil weitere negative Erscheinungen der Geschichte auf, bei denen Christen eine bestimmte Verantwortung zukommt. "Deshalb sind gewisse Geisteshaltungen, die einst auch unter Christen wegen eines unzulänglichen Verständnisses für die legitime Autonomie der Wissenschaft vorkamen, zu bedauern. Durch die dadurch entfachten Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen schufen sie in der Mentalität vieler die Überzeugung von einem Widerspruch zwischen Glauben und Wissenschaft."(9) Ähnlich beurteilt das Konzil "die Entstehung des Atheismus", bei der auch die Gläubigen "einen gewissen Anteil" haben können, insofern man sagen muss, "dass sie durch Vernachlässigung der Glaubenserziehung, durch missverständliche Darstellung der Lehre oder auch durch Mängel ihres religiösen, sittlichen und gesellschaftlichen Lebens das wahre Antlitz Gottes und der Religion eher verhüllen als offenbaren"(10). Außerdem "beklagt" das Konzil "die Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgend jemandem gegen die Juden gerichtet haben"(11). Dennoch verbindet das Konzil mit diesem Bedauern keine Bitte um Vergebung für die genannten historischen Fakten. Vom theologischen Standpunkt aus unterscheidet das Konzil zwischen der unzerstörbaren Treue der Kirche und den Verfehlungen ihrer Glieder, Klerikern wie Laien, gestern und heute(12), d.h. zwischen sich selbst, insofern sie die Braut Christi ist "ohne Makel und Runzeln, heilig und unversehrt" (Eph 5,27), und ihren Söhnen und Töchtern, die Sünder sind, denen vergeben wurde und die berufen sind zu steter Umkehr und Erneuerung im Heiligen Geist. "Die Kirche, die in ihrem eigenen Schoß Sünder umfasst, ist zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den Weg der Buße und der Erneuerung."(13) Das Konzil hat auch schon einige Unterscheidungskriterien herausgearbeitet hinsichtlich von Schuld oder Verantwortlichkeit der jetzt Lebenden für die Verfehlungen aus der Zeit früherer Generationen. So wurde in zwei unterschiedlichen Zusammenhängen, die einmal das Verhältnis von Juden und Christen, zum anderen das Verhältnis zwischen den getrennten Christen aufgreifen, klargestellt, dass man den Zeitgenossen nicht die Sünden der Vorfahren anlasten kann, nur weil sie Mitglieder derselben religiösen Gemeinschaft sind: - "Obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen haben, kann man dennoch die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen."(14) - "In dieser einen und einzigen Kirche Gottes sind schon von den ersten Zeiten an Spaltungen entstanden, die der Apostel aufs schwerste tadelt und verurteilt; in den späteren Jahrhunderten aber sind ausgedehntere Verfeindungen entstanden, und es kam zur Trennung recht großer Gemeinschaften von der vollen Gemeinschaft der katholischen Kirche, oft nicht ohne Schuld der Menschen auf beiden Seiten. Den Menschen jedoch, die jetzt in solchen Gemeinschaften geboren sind und in ihnen den Glauben an Christus erlangen, darf die Schuld der Trennung nicht zur Last gelegt werden - die katholische Kirche betrachtet sie als Brüder und Schwestern, in Verehrung und Liebe."(15) Für das erste Heilige Jahr, das nach dem Konzil 1975 gefeiert wurde, hatte Paul VI. das Thema "Erneuerung und Versöhnung"(16) vorgegeben, und er präzisierte es dann in der Exhortatio Apostolica Paterna cum benevolentia. Versöhnung muss sich vor allem und zuerst unter den Gläubigen der katholischen Kirche vollziehen".(17) Wie seit seinen Anfängen bleibt das Heilige Jahr eine Gelegenheit zur Umkehr und Wiederversöhnung der
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Sünder mit Gott mittels des Heilsdienstes der Kirche, den sie in ihren Sakramenten ausübt. 1.3 Die Vergebungsbitten Johannes Pauls II. Papst Johannes Paul II. hat das Bedauern über die "schmerzenden Erinnerungen", die die Geschichte der innerchristlichen Spaltungen begleiten, nicht einfach nur wiederholt. Er ist über die Erklärungen seines Vorgängers Pauls VI. wie auch des II. Vatikanischen Konzils hinausgegangen(18) und hat die Vergebungsbitte auf eine Vielzahl von historischen Vorgängen ausgedehnt, in die die Kirche oder einzelne Gruppen von Christen - freilich in jeweils spezifischer rechtlich-politischer Kompetenz - involviert waren(19). In dem Apostolischen Schreiben Tertio Millennio Adveniente (20) kündigte der Papst an, dass das Jubiläum des Jahres 2000 die Gelegenheit biete zu einer "Reinigung des Gedächtnisses" der Kirche "von allen Denk und Handlungsweisen, die im Verlauf des vergangenen Millenniums geradezu Formen eines Gegenzeugnisses und Skandals darstellten"(21). Die Kirche ist eingeladen, "sich stärker der Schuld ihrer Söhne und Töchter bewusst zu werden". "Die Heilige Pforte des Jubeljahres 2000 wird in symbolischer Hinsicht größer sein müssen als die vorhergehenden." Darum kann sie "die Schwelle des neuen Jahrtausends nicht überschreiten, ohne ihre Kinder dazu anzuhalten, sich durch Reue von Irrungen, Treulosigkeiten, Inkonsequenzen und Verspätungen zu reinigen"(22). Auch an die Verantwortlichkeit der Christen für die Übel unserer Zeit wird erinnert(23), wenngleich der Akzent vornehmlich auf der Solidarität der Kirche von heute mit den Fehlhaltungen von gestern liegt, wovon schon die Rede war, wobei etwa an die Spaltung der Christenheit zu denken ist(24) oder an "die Methoden der Intoleranz oder sogar der Gewalt"(25), die für die Verkündigung des Evangeliums herangezogen wurden. Fördern möchte der Papst auch eine theologische Vertiefung dieser bewussten Annahme des historischen Versagens und der möglichen Bitte um Vergebung gegenüber den Zeitgenossenz(26). Im Apostolischen Schreiben Reconciliatio et Paenitentia bekräftigt er den Glauben, dass im Sakrament der Buße "der Sünder sich mit seiner Schuld allein vor Gott gestellt sieht, seiner Reue und seinem Heilsvertrauen. Keiner kann an dessen Stelle oder in seinem Namen um Vergebung bitten." Die Sünde ist daher immer der Person eigen, wenn sie auch die ganze Kirche verletzt und beeinträchtigt, die, vergegenwärtigt durch den Priester als Diener des Bußsakraments, die sakramentale Vermittlerin der Versöhnungsgnade mit Gott ist(27). Auch die Situationen, die innerhalb einer menschlichen Gemeinschaft durch Verletzung der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Friedens die "soziale Sünde" bedingen, "sind immer Frucht, Verknotungen und Zusammenballung von persönlichen Sünden". So sehr sich oft auch die moralische Verantwortung in anonymen Ursachen fast aufzulösen scheint, so sehr muss man dagegen betonen, dass von sozialer Sünde nur in einem analogen Sinn die Rede sein kann(28). Daraus ergibt sich die Einsicht, dass Schuld im eigentlichen Sinne des Wortes den Personen nicht angerechnet werden kann, die nicht freiwillig in Tat, Unterlassung oder Fahrlässigkeit dem schuldhaften Tun zugestimmt haben.
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1.4 Die zur Beantwortung anstehenden Fragen Die Kirche ist eine lebendige Gemeinschaft, die in der Folge der Generationen durch die Geschichte geht. Ihr Gedächtnis ist nicht nur durch die auf die Apostel zurückreichende Tradition geprägt. In ihrem Gedächtnis sind auch die verschiedensten historischen Erfahrungen im positiven und negativen Sinn gespeichert, die sie erlebt und durchlebt hat. Die Geschichte der Kirche bestimmt zu einem großen Teil ebenso ihr Bewusstsein in der Gegenwart. Die Lehrtradition, die Überlieferungen ihres liturgischen, kanonischen und aszetischen Lebens bieten der gegenwärtigen Gemeinschaft der Glaubenden reiche Nahrung. Sie sind gleichsam wie ein unerschöpflicher Katalog von nachahmenswerten Modellen, die für die Gestaltung christlichen Lebens bereitstehen. Aber während ihrer ganzen irdischen Pilgerschaft wird der gute Weizen unentwirrbar mit dem Unkraut zusammenstehen (vgl. Mt 13,24-30. 36-43), d.h. die Heiligkeit steht neben Untreue und Sünde(29) Und so kann die Erinnerung an die Ärgernisse der Vergangenheit das Zeugnis der Kirche von heute behindern, wie umgekehrt das Eingeständnis des Versagens der Söhne und Töchter der Kirche von gestern die Erneuerung und Versöhnung in der Gegenwart begünstigen kann. Die Schwierigkeit, die sich abzeichnet, besteht in einer genauen Beschreibung der Sünden der Vergangenheit im Hinblick vor allem auf die Kriterien einer historischen Urteilsbildung. Man muss genau unterscheiden zwischen der Verantwortung oder der Schuld, die Christen als gläubigen Gliedern der Kirche zukommt, und den Verfehlungen, die mit der christlich geprägten Gesellschaftsform einiger Jahrhunderte (der sogenannten cristianità) zusammenhängen, als die Strukturen der weltlichen und geistlichen Macht ineinander verwoben waren. Ohne eine wirklich geschichtliche Hermeneutik, die zwischen dem Handeln der Kirche als Glaubensgemeinschaft und einer christianisierten Gesellschaft klar zu unterscheiden weiß, kommt hier niemand weiter. Die von Johannes Paul II. unternommenen Schritte auf konkrete Vergebungsbitten hin sind in den verschiedensten Bereichen, im kirchlichen wie auch im nichtkirchlichen Milieu, als Zeichen der Vitalität und Authentizität der Kirche verstanden worden, die sie in ihrer Glaubwürdigkeit nur bestärken können. Damit kann die Kirche auch falsche und nicht akzeptable Vorstellungen über sich relativieren, die in einflussreichen Kreisen gehegt werden, wo man ignorant oder wider besseres Wissen die Kirche mit Obskurantismus und Intoleranz identifiziert. Die Vergebungsbitten des Papstes haben indessen im positiven Sinn einen Wetteifer im kirchlichen Bereich und darüber hinaus ausgelöst. Denn auch höchste Repräsentanten von Staaten und privaten wie öffentlichen Gesellschaften sowie die Führer religiöser Gemeinschaften bitten gegenwärtig um Vergebung für bestimmte geschichtliche Vorkommnisse in Perioden, die von Ungerechtigkeiten gekennzeichnet waren. Diese Handlungen sind das Gegenteil von bloßer Rhetorik, und zwar in einem solchen Ausmaß, dass viele zögern, die Vergebungsbitte zu billigen und mitzuvollziehen aus Angst vor den - nicht nur im gerichtlichen Sinn verstandenen- "Kosten", die eine Anerkennung der Mitverantwortung für die negativen Ereignisse der Geschichte mit sich bringen könnte. Gerade auch unter diesem Gesichtspunkt erweist sich die Bildung eines historischen Urteilsvermögens als vordringlich. Nicht zu übersehen ist auch, dass sich manche Gläubige von dem kirchlichen Schuldbekenntnis vor den Kopf gestoßen fühlen, insofern ihre Loyalität gegenüber der Kirche erschüttert werden könnte. Einige fragen, wie es möglich sein soll, der jungen Generation eine Liebe zur Kirche einzupflanzen, wenn man dieser Vergehen und Sünden anlastet. Andere beobachten mit Sorge, dass das Schuldbekenntnis der Kirche sehr
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einseitig bleiben könnte und eingefleischte Kirchenhasser es als Bestätigung ihrer Vorurteile und als Waffe antichristlicher Propaganda missbrauchen. Andere schrecken davor zurück, die heutigen Generationen der Gläubigen willkürlich für das Versagen in der Vergangenheit zu beschuldigen, vor allem für Taten, denen sie in keiner Weise zugestimmt hätten, obgleich sie sich bereit erklären, Verantwortung zu übernehmen, und zwar in dem Maß, in dem menschliche Gemeinschaften sich auch heute noch von den Nachwirkungen betroffen fühlen, die von den Ungerechtigkeiten herrühren, deren sich ihre Vorfahren schuldig gemacht haben. Andere schließlich halten dafür, dass die Kirche ihr "Gedächtnis reinigen" soll hinsichtlich zweifelhafter Aktionen, in die sie verwickelt war, indem sie einfach teilnimmt an der kritischen Aufarbeitung des historischen Bewusstseins, das sich in unserer Gesellschaft entwickelt hat. So könnte sie gemeinsam mit allen Zeitgenossen all das ablehnen, was das moralische Gewissen zurückweist, ohne sich als die einzige schuldige und verantwortliche Gemeinschaft für alle Übel der Vergangenheit hinzustellen. Dies schließe gleichzeitig den im wechselseitigen Verstehen geführten Dialog mit denen ein, die sich noch heute von Vorgängen der Vergangenheit verletzt fühlen, die Gliedern der Kirche anzukreiden sind. Schließlich ist zu erwarten, dass auch einige andere Gruppen eine vergleichbare Vergebungsbitte reklamieren, analog zu anderen Gruppen oder weil sie glauben, ebenfalls Unrecht erlitten zu haben. Auf jeden Fall ist aber festzuhalten, dass die "Reinigung des Gedächtnisses" nicht den Verzicht der Kirche auf ihre Sendung bedeuten kann, die geoffenbarte Wahrheit in Glaubens- und Sittenfragen zu verkünden, die ihr von Gott anvertraut worden ist. Es kristallisieren sich also verschiedene wichtige Fragestellungen heraus: Kann man das Gewissen heutiger Menschen mit einer "Schuld" belasten, die untrennbar mit unwiederholbaren historischen Phänomenen verknüpft ist, wie z.B. die Kreuzzüge und die Inquisition? Macht man es sich nicht zu leicht, die Protagonisten der Vergangenheit aus der Sichtweise der Gegenwart zu beurteilen, wie es die Schriftgelehrten und Pharisäer taten, die sagten: "Hätten wir in den Tagen unserer Väter gelebt, wären wir nicht wie sie am Tod der Propheten schuldig geworden" (vgl. Mt 23,29-32.30). Kann man ohne Rücksicht auf die Zeitumstände, in die jede Gewissensentscheidung eingebettet ist, die Handlungsweise der Vorfahren von einem (nur scheinbar) übergeschichtlich-reinen Gewissensstandpunkt aus beurteilen? Aber von der anderen Seite her betrachtet kann man sicher nicht leugnen, dass das moralische Urteil immer im Spiel bleibt, schon allein auf Grund der schlichten Tatsache, dass die Wahrheit Gottes und ihre moralischen Forderungen immer Bestand haben. Welche Haltung hier auch immer einzunehmen sein mag, sie muss sich an diesen Fragen orientieren und darf ihr Niveau nicht unterschreiten. Es gilt, Antworten zu suchen, die zutiefst fundiert sind in der Offenbarung und in ihrer lebendigen Weitergabe im Glauben der Kirche. Die vordringlichste Aufgabe besteht in der Beantwortung der Frage, welche Form die Vergebungsbitte für Verfehlungen aus der Vergangenheit haben kann, besonders wenn sie sich an heutige menschliche Gemeinschaften richtet. Entscheidend ist hier das Evangelium von der Versöhnung des Menschen mit Gott und dem Nächsten. Diese Botschaft kann in ihrer tiefsten Bedeutung nur im Horizont eines biblischen und theologischen Horizontes erhellt werden.
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Zweites Kapitel BIBLISCHE ZUGÄNGE HEILIGES GOTTESVOLK UND SCHULD
ZUR
FRAGE:
Man kann das Schuldbekenntnis Israels im Alten Testament theologisch in verschiedener Weise herausarbeiten. Das gilt auch für das Sündenbekenntnis, wie es sich in den Überlieferungen des Neuen Testaments darstellt (30). Die Aufgabe, das Schuldbekenntnis der Kirche theologisch zu reflektieren, legt einen thematischen Zugang nahe, der sich von der Frage führen lässt: In welchem Sinnkontext und Referenzrahmen steht nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift die Einladung Johannes Pauls II. an die Kirche, Sünden und Fehler der Vergangenheit zu bekennen? 2.1 Altes Testament Sündenbekenntnisse und Vergebungsbitten finden sich in der ganzen Heiligen Schrift, in den Geschichtserzählungen des Alten Testaments ebenso wie in den Psalmen, den Propheten und in den Evangelien. Das gilt gleichfalls, wenn auch eher sporadisch, für die Weisheitsliteratur und die neutestamentlichen Briefe. Angesichts der Überfülle der Zeugnisse stellt sich die Frage, wie man die sprechendsten Zeugnisse auswählen und inhaltlich ordnen soll. Man kann die biblischen Zeugnisse in Bezug auf das Sündenbekenntnis mit der Leitfrage untersuchen: Wer bekennt wem welche Sünde? Anhand dieser Fragestellung ergeben sich zwei Hauptkategorien der Sündenbekenntnisse, wozu natürlich diverse Unterkategorien gehören: a) Texte des Bekenntnisses individueller Sünden, und b) Texte mit dem Bekenntnis der Sünden des ganzen Volkes (und der Vorfahren). Angesichts der aktuellen kirchlichen Praxis, der diese Untersuchung dient, empfiehlt sich eine Beschränkung der Analyse auf die zweite Kategorie. In dieser Kategorie des Sündenbekenntnisses des ganzen Volkes lassen sich verschiedene Möglichkeiten unterscheiden: Wer spricht das Bekenntnis der Sünden des Volkes, wer ist miteinbezogen und wer nicht, noch ganz abgesehen davon, ob und inwieweit sich ein Bewusstsein persönlicher Verantwortlichkeit erkennen lässt, das sich erst nach und nach ausgebildet hat (vgl. Ez 14,12-23;18,1-32; 33,10-20). Anhand dieser Kriterien sind folgende Fälle zu unterscheiden, die aber durchaus fließende Übergänge aufweisen: - Eine erste Reihe von Texten zeigt das ganze Volk (das manchmal in einem einzelnen "Ich" personifiziert ist), wie es in einem besonderen Moment seiner Geschichte seine Sünden vor Gott bekennt oder auf sie hinweist, ohne dass irgendein (expliziter) Bezug auf die Sünden und Fehler vorangegangener Generationen hergestellt wird(31). - Eine zweite Gruppe von Texten legt das Bekenntnis der Sünden des Volkes vor Gott auf die Lippen einzelner oder mehrerer (religiöser) Autoritäten, die sich ausdrücklich in das Volk, für das sie bitten, miteinschließen können (oder auch nicht)(32). - Eine dritte Textgruppe stellt das Volk oder einen seiner Repräsentanten vor, wie diese die Sünden der Vorfahren ins Gedächtnis rufen, ohne dabei jedoch die Sünden der gegenwärtigen Generation zu erwähnen(33). - Sehr häufig werden die Sündenbekenntnisse, die die Schuld der Vorfahren erwähnen, ausdrücklich auf die Irrtümer der gegenwärtigen Generation bezogen und mit ihnen in Verbindung gebracht(34).
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Aus den angeführten Zeugnissen ergibt sich: In allen Fällen, in denen die "Sünden der Väter" erwähnt werden, richtet sich das Bekenntnis ausschließlich an Gott. Alle Sünden, die das Volk bekennt oder die in seinem Namen bekannt werden, sind immer Sünden, die sich unmittelbar gegen Gott gerichtet haben, eher als die Sünden, die man gegenüber anderen Menschen beging (nur im Sündenbekenntnis von Num 21,7 ist eine Auflehnung erwähnt, die sich gegen einen Menschen richtet, nämlich gegen Mose)(35). Somit erhebt sich die Frage nach dem Grund, warum die biblischen Schriftsteller nicht die Notwendigkeit einer an die gegenwärtigen Partner gerichteten Vergebungsbitte für die von den Vätern begangenen Sünden gesehen haben. Dies ist um so bemerkenswerter angesichts des klaren Bewusstseins der generationenübergreifenden Solidarität im Guten wie im Bösen (man denke nur an die Vorstellung der "korporativen Persönlichkeit"). Die verschiedensten Hypothesen wurden als Antwort auf diese Fragen aufgestellt. Als allerwichtigster Umstand ist hier die biblische Theozentrik zu beachten. Sie bestimmt die gesamte Schrift, sie stellt alle individuellen Sünden und Verfehlungen des Volkes in den Horizont Gottes. Darüber hinaus ist zu beachten, dass Gewalttätigkeiten Israels gegen andere Völker, für die man eine Vergebungsbitte Israels an diese Völker und ihre Nachkommen erwarten sollte, als Ausführung des göttlichen Heilsplans mit Israel verstanden wurden (insofern sich diese Völker der Führung Israels durch Gott entgegengestellt hatten). Die Interpretation der kriegerischen Konflikte Israels im Licht der Führungsgeschichte Jahwes findet man etwa im Zusammenhang der Ausrottung der Kanaanäer (Jos 2-11; Dtn 7,2) oder der Vernichtung der Amalekiter (1 Sam 15; Dtn 25,19). In solchen Fällen scheint die Ausführung eines von Gott erhaltenen Auftrags von vornherein jede mögliche Vergebungsbitte auszuschließen(36). Die üblen Erfahrungen mit der Gewalttätigkeit anderer Völker dürften die Idee einer Bitte um Vergebung an diese Völker für das ihnen zugefügte Böse nicht gerade gefördert haben".(37) Aufs ganze gesehen darf aber der bedeutende Beitrag des Alten Testaments zum Thema in der Vergebungsbitte für Unrecht aus der Vergangenheit bestehen. Es ist das Bewusstsein der Solidarität in der Sünde wie auch in der Gnade, die es unter den Generationen gibt, die in der Aufeinanderfolge ein Volk zu einem geschichtlichen Subjekt machen. Es findet seinen Ausdruck im Bekenntnis der "Sünden der Väter vor Gott". Daher konnte Johannes Paul II. die tiefgründigen Worte aus dem Lobgesang Asarjas im Feuerofen aufgreifen und im Blick auf die Gegenwart bekennen: " (Dan 3,26.29). Auf diese Weise beteten die Juden nach dem Exil (vgl. auch Bar 2,11-13), indem sie bewusst die Last der Sünden auf sich nahmen, die ihre Väter begangen hatten. Die Kirche ahmt ihr Beispiel nach und bittet um Vergebung für die vergangenen Sünden auch ihrer Söhne und Töchter."(38) 2.2 Neues Testament Entscheidend für das Verständnis von Schuld und Sünde im gesamten Neuen Testament ist das Bewusstsein von der absoluten Heiligkeit Gottes. Der Gott Jesu ist der Gott Israels (vgl. Joh 4,22), den Jesus anspricht als "Heiliger Vater" (Joh 17,11), der auch schlechthin "der Heilige" (Joh 2,20; vgl. Offb 6,10) genannt wird. Das Dreimal-Heilig der Jesaja-Vision (Jes 6,3) ertönt auch in der himmlischen Liturgie, wie der Seher Johannes bezeugt (Offb 4,8). Deswegen sind die Christen mit apostolischer Autorität (1 Petr 1,16) aufgerufen zur Heiligkeit, "weil geschrieben steht: Seid heilig, wie ich heilig bin" (Lev 11,44f.;19,2). In diesen Aussagen spiegelt sich das alttestamentliche Verständnis der absoluten Heiligkeit Gottes wider. Die spezifisch christliche Sicht ist das Bekenntnis, dass Gottes Heiligkeit in der Person Jesu von Nazaret in die Geschichte eingetreten ist. Damit ist aber die alttestamentliche Sicht nicht aufgegeben, sondern erst in ihrem vollen Sinn ans Licht getreten. Die Heiligkeit Gottes vergegenwärtigt sich in der Heiligkeit des fleischgewordenen ewigen Wortes, des Sohnes Gottes (Mk 1,24; Lk 1,35; 4,34; Joh 6,69; Apg 3,14; 4,27.30; Offb 3,7). An der Heiligkeit des Sohnes haben "die Seinen" Anteil (Joh 17,16-19), da sie
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hineingenommen sind in die Sohnesbeziehung Christi zum Vater. Sie sind Söhne und Töchter Gottes im Sohn Gottes (vgl. Gal 4,4-6; Röm 8,14-17). Doch kann es keinen Anspruch auf die Anteilnahme am Sohnesverhältnis Jesu zum Vater geben, ohne dass es sich auch in der Liebe zum Nächsten auswirkt (vgl. Mk 12,29-31; Mt 22,37f.; Lk 10,27f.). Dieses Motiv, das in der Verkündigung Jesu so entscheidend ist, begegnet im Johannesevangelium als "das neue Gebot": Die Jünger müssen einander lieben, wie er sie geliebt hat (vgl. Joh 13,34f.;15,12.17), und zwar "bis zur Vollendung" (Joh 13,1f .). Der Christ ist darum berufen zu lieben und zu vergeben nach einem Maß, das alles menschliche Maß von Gerechtigkeit übersteigt. Es geht um eine Wechselseitigkeit der Liebe unter den Menschen, welche die Gemeinschaft der Liebe von Vater und Sohn widerspiegelt (vgl. Joh 13,34f.;15,1-11;17,21-26). In dieser Perspektive erhält das Thema der Wiederversöhnung und der Vergebung eine ganz neue Ausprägung. Jesus verlangt von seinen Jüngern, immer zur Vergebung bereit zu sein, wenn sich jemand an ihnen versündigt hat, so wie auch Gott selbst immer Vergebung gewährt: "Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigem" (Mt 6,12.12-15), wie Jesus die Jünger im Gebet des Herrn zu sprechen gelehrt hatte. Wer wirklich seinem Nächsten vergibt, hat verstanden, dass er selber immer der Vergebung Gottes bedarf. Die Jünger sind eingeladen, bis zu "siebenmal siebzigmal" denen zu vergeben, die sie beleidigten, selbst wenn diese sie nicht um Verzeihung gebeten haben sollten (vgl. Mt 18,21f.). Jesus insistiert auf diesem Verhalten des Geschädigten gegenüber seinen Schuldigem. Er ist aufgerufen, den ersten Schritt zu tun. Nur der kann den Teufelskreis der Vergeltung durchbrechen, der "von Herzen" vergibt (vgl. Mt 18,35; Mk 11,25), wohlwissend, dass er selbst Sünder ist vor Gott, der die ehrliche Bitte um Vergebung nie zurückweist. In der Bergpredigt erwartet Jesus von dem, der weiß, dass sein Bruder etwas gegen ihn hat, "dass er hingeht und sich mit seinem Bruder versöhnt, ehe er seine Gabe auf dem Altar opfert" (Mt 5,23f.). Derjenige ist eines Aktes der Verehrung Gottes nicht würdig, der nicht zuvor den Schaden wiedergutmachen will, den er dem Nächsten zugefügt hat. Was zählt, ist Herzensänderung und die Bereitschaft zu wirklicher Versöhnung. Der Sünder, der darum weiß, dass seine bösen Taten seine Beziehung zu Gott und zugleich zum Mitmenschen geschädigt haben (Lk 15,21), kann von niemandem außer von Gott Vergebung erwarten, weil Gott allein immer barmherzig und zur Überwindung der Sünden bereit ist. Darin liegt auch der tiefere Sinn des Opfers Christi, der uns ein für allemal von unseren Sünden erlöst hat (vgl. Hebr 9,22; 10,18). Auf diese Weise sind Menschen, als Täter und Opf er der bösen Taten, in Gott wieder miteinander versöhnt in seiner Barmherzigkeit, in der er alle annimmt und allen seine Vergebung gewährt. Im Kontext dieser Aussagen, die man mühelos mit Hilfe der Paulinischen und der Katholischen Briefe und weiterer neutestamentlicher Schriften noch anreichern und ausbauen könnte, findet man jedoch nirgends ein Indiz dafür, dass die Urkirche ihre Aufmerksamkeit den Sünden der Vergangenheit zugewendet hätte mit der Absicht, für sie um Vergebung zu bitten. Das lässt sich leicht erklären. Die ungeheure Neuheit des Christlichen hat das Bewusstsein der jungen Kirche ganz auf die Zukunft gerichtet. Der Blick in die Vergangenheit tritt zurück. Man trifft jedoch auf eine Einsicht, die in den Evangelien und in den apostolischen Briefen immer neu und mit Nachdruck betont wird: die besondere Ambivalenz der christlichen Hoffnung. Bei Paulus ist die Kirche, das neue Volk Gottes, eine eschatologische Gemeinde, die jetzt schon als die "neue Schöpfung" (2 Kor 5,17; Gal 6,15) existiert. Diese Erfahrung hat ihren Ermöglichungsgrund in Tod und Auferstehung Christi (vgl. Röm 3,21-26; 5,6-11; 8,1-11; 1 Kor 15,54-57). Sie befreit uns aber nicht von der Neigung zur Sünde, solange wir in dieser Weltzeit leben, die noch bis zur Parusie vom Fall Adams geprägt bleibt. Als Ergebnis des göttlichen Eingreifens in die Geschichte durch den Tod Jesu Christi bleiben zwei mögliche Szenarien übrig: die Geschichte in der Konsequenz der Sünde Adams und die Geschichte unter der Macht der Gnade Christi. Diese beiden Grundorientierungen durchziehen die Geschichte und laufen nebeneinander her. Der Glaubende jedoch wird voll und ganz auf Tod und Auferstehung Christi, des Herrn, bauen (vgl. Röm 6,1-11; Gal 3,27f; Kol 3,10; 2 Kor 5,14f .) und so zu der Geschichte gehören, in der die Gnade überreich wurde und alles durchprägt (vgl. Röm 5,12-21).
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Eine ähnliche theologische Relecture des Osterereignisses zeigt, dass die Kirche seit ihren Anfängen ein deutliches Bewusstsein hatte von möglichen Fehlern und Mängeln der Getauften. Ohne weiteres kann man sagen, dass das gesamte paulinische Schrifttum die Gläubigen zur vollen Erkenntnis ihrer Würde führen möchte, indem sie zugleich an die Gebrechlichkeit der menschlichen Existenz erinnert werden. Die Conditio humana et christiana umschreibt der Apostel so: "Zur Freiheit hat Christus uns befreit. Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen!" (Gal 5,1). Eine ähnliche Aussage findet sich besonders auch im Markusevangelium. Zu den Hauptthemen zählen dort die Fehler und Mängel der Jünger Jesu (vgl. Mk 4,40f.; 6,36f.51f.; 8,14-21.3133; 9,5f.32-41; 10,32-45; 14,10f.17-21.27-31.50; 16,8). Dieses Motiv findet sich in unterschiedlicher Schattierung in allen Evangelien. Judas ist der Verräter Christi und Petrus hat seinen Meister verleugnet. Judas verzweifelt angesichts seiner Tat (vgl. Apg 1,15-20), während Petrus bereut (vgl. Lk 22,61f.) und schließlich das dreifache Bekenntnis der Liebe ablegt (vgl. Joh 21,15-19). Bei Matthäus findet sich die Bemerkung, dass bei der letzten Erscheinung des auferstandenen Herrn "einige zweifelten" (Mt 28,17), während die Jünger vor ihm niederknieten. Im vierten Evangelium sind die Jünger diejenigen, die mit einer unvergleichbaren Liebe beschenkt sind, obgleich ihre Antwort verdunkelt ist von Unverständnis, Glaubensschwäche, Verleugnung und Verrat (vgl. Joh 13,1-38). Diese durchgängige Darstellung der Jünger, die in die Nachfolge Jesu berufen sind und die doch unsicher und zur Sünde geneigt bleiben, dient nicht einfach nur einer bloßen Information über historische Vorkommnisse der Anfangszeit. Die biblischen Erzählungen richten sich an alle Jünger Christi, die in schwierige Situationen geraten und das Evangelium als Orientierung für das Leben und als Quelle geistlicher Belehrung ansehen. So ist das Neue Testament voll von Ermahnungen zu einem Leben nach dem Maß des Guten, zur Erkenntnis der eingegangenen Verpflichtungen und zur Vermeidung böser Taten (vgl. etwa Jak 1,5. 8.19-21; 2,1-7; 4,1-10; 1 Petr 1,13-25; 2 Petr 2,1-22; Jud 3-13; 1 Joh 1,5-10; 2,1-11.18-27; 4,1-6; 2 Joh 7-11; 3 Joh 9f.). Es bleibt aber festzuhalten, dass es kein explizites Zeugnis gibt, nach dem die ersten Christen aufgefordert werden, Sünden und Fehler aus der vergangenen Geschichte zu bekennen, auch wenn es bezeichnend ist, dass die Wirklichkeit der Sünde und des Bösen in Erinnerung gerufen wird auch und gerade für das innere Leben der Kirche, deren Glieder, die Christen, zur eschatologischen Existenz berufen sind. Man denke nur an die starken Worte des Tadels, die sich in den Briefen an die sieben Kirchen in der Apokalypse des Johannes finden. Belehrt von ihrem Herrn beten die Christen: "Erlass uns unsere Schuld, wie auch wir jedem erlassen, was er uns schuldig ist" (Lk 11,4; vgl. Mt 6,12). Es besteht kein Zweifel, dass sich die ersten Christen - überblickt man den biblischen Befund - durchaus der Möglichkeit bewusst waren, in ihrem Handeln von ihrer Berufung zum ewigen Leben abzuweichen, das ihnen zuteil geworden war in der Taufe auf den Tod und die Auferstehung Jesu Christi. 2.3 Das biblische "Jubeljahr" Darüber hinaus gibt uns die Bibel einen besonderen Rahmen für eine Versöhnung, die auf eine Überwindung der Altlasten der Geschichte hinzielt: die Feier des "Jubeljahres", wie es im einzelnen im Buch Leviticus geregelt ist (Lev 25). In einer Sozialstruktur, die aus Stämmen, Clans und Großfamilien besteht, entstehen unvermeidlicherweise Situationen der Unordnung, wenn Individuen oder Familien sich genötigt sehen, sich aus unerträglichen Lebensumständen "auszulösen" durch Verzicht auf ihr Eigentum an Land oder Haus oder ihren Knechten und Kindern, die sie an diejenigen abgeben mussten, die ohnehin schon unter besseren Bedingungen lebten. Ein solches System führte dazu, dass einige Israeliten in unerträgliche Formen der Verschuldung, der Armut und Schuldsklaverei gerieten ausgerechnet in dem Land, das ihnen und den Israeliten von Gott selbst zum Nutzen und Formen aller geschenkt worden war, nachdem er
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sie aus der Sklaverei und Knechtschaft Ägyptens befreit hatte. Für eine mehr oder weniger lange Zeit konnten also ein Territorium oder ganze Familien in die Hand weniger Reicher fallen, während sich andere Israeliten in hoffnungsloser Verschuldung und Knechtschaft in totaler Abhängigkeit von den Reichen wiederfanden. Die Gesetzgebung von Levitikus 25 ist der Versuch, diese Ungleichheit und Ungerechtigkeit von Grund auf zu überwinden. Wenn auch Zweifel bestehen, ob der Versuch jemals vollkommen in die Praxis umgesetzt werden konnte, so ist doch die Zielsetzung von großer Wirkung. Die Feier des Jubeljahres alle 50 Jahre hatte zum Ziel, die soziale Grundverfassung des Volkes Gottes zu bewahren und die soziale Unabhängigkeit und Freiheit auch der kleinen Familien des Landes wiederherzustellen. Entscheidend für Levitikus 25 ist die regelmäßige Wiederholung des Glaubensbekenntnisses Israels. Israel bekennt seinen Glauben an Gott, der sein Volk im Exodus aus der Sklaverei befreit hatte: "Ich bin der Herr, euer Gott, der euch aus Ägypten herausgeführt hat, um euch das Land Kanaan zu geben und euer Gott zu sein" (Lev 25,38; vgl. 25,42. 45). Mit der Feier des Jubeljahres war ein Schuldenerlass verbunden und der Versuch der Wiederherstellung einer gerechten Ordnung. Jedes System, das irgendeinen Israeliten zum Fremden machte, der ja einmal Sklave war, dann aber durch die machtvolle Hand Gottes befreit wurde, widerspräche in der Tat direkt dem göttlichen Heilshandeln. Später nehmen die Propheten die Befreiung der Opfer von Gewalt und der unter Ungerechtigkeit Leidenden wieder auf. Es wird geradezu ihr Programm. In den Liedern vom leidenden Gottesknecht (Jes 42, 1-9; 49,1-6; 50,4-11; 52,13-53,12) entwickelt DeuteroJesaja diese Bezüge zur Praxis des Jubeljahres weiter mit seinen großen Themen vom "Lösegeld" und von der Freiheit, der Rückkehr und der Erlösung. Jesaja 58 ist ein Angriff gegen einen bloßen Ritualismus, der nichts zu tun haben will mit sozialer Gerechtigkeit. Es ergeht der Aufruf zur Befreiung der Versklavten (Jes 58,6). Nachdruck wird gelegt auf die Pflichten gegenüber der Verwandtschaft. Es gibt keine eindrücklichere Erläuterung des inneren Sinnes des Jubeljahres, als wenn Jesus am Beginn seines öffentlichen Wirkens, mit deutlicher Anspielung auf Jesaja 58,b und mit Rückverweis auf Levitikus 25, die Aufgabe seines Lebens, seine Sendung und seinen Dienst vorstellt mit den Worten: "Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt; damit ich den Armen das Evangelium verkünde; damit ich den Gefangenen die Entlassung predige und den Blinden das Augenlicht, damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe" (Lk 4,18f.). 2.4 Zusammenfassung Aus den bisherigen Untersuchungen kann man ersehen, dass der Aufruf Johannes Pauls II. an die Kirche, das Jubeljahr zu begehen mit dem charakteristischen Merkmal eines Eingeständnisses der Schuld für alle Leiden und Kränkungen, die die Söhne und Töchter der Kirche in der Vergangenheit anderen zugefügt haben(39), in den biblischen Zeugnissen zwar keinen unmittelbaren Vergleichspunkt hat. Dennoch bietet die Heilige Schrift hierfür eine gute und ausreichende Grundlage, sofern man nur an die Grundaussagen zur Heiligkeit Gottes, zur generationenübergreifenden Solidarität im Gottesvolk denkt, und sofern wir uns immer der Tatsache bewusst bleiben, dass wir Sünder sind. Zudem trifft der Aufruf des Papstes exakt den Geist des biblischen Jubeljahres, das Handlungen und Taten einfordert, wodurch die ursprüngliche Ordnung wiederhergestellt werden soll, wie Gott sie für seine Schöpfung entworfen hatte. Dies verlangt, dass die Proklamation des "Heute" des Jubeljahres, das mit Jesus selbst seinen Anfang nahm (vgl. Lk 4,21 ), sich in die Jubiläumsfeier seiner Kirche hinein fortsetzt. Diese einzigartige Erfahrung der Gnade motiviert das ganze Gottesvolk und jeden einzelnen Getauften, das Gebot des Herrn ganz ernst zu nehmen, nämlich immer bereit zu sein, seinen Schuldigem zu vergeben.
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Drittes Kapitel SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG "Zu Recht nimmt sich daher die Kirche, während sich das zweite christliche Jahrtausend seinem Ende zuneigt, mit stärkerer Bewusstheit der Schuld ihrer Söhne und Töchter an, eingedenk aller jener Vorkommnisse im Laufe der Geschichte, wo diese sich vom Geist Christi und seines Evangeliums dadurch entfernt haben, dass sie der Welt statt eines an den Werten des Glaubens inspirierten Lebenszeugnisses den Anblick von Denk- und Handlungsweisen boten, die geradezu Formen eines Gegenzeugnisses und Skandals darstellten. Obwohl die Kirche durch ihre Inkorporation in Christus heilig ist, wird sie nicht müde, Buße zu tun, sie anerkennt immer, vor Gott und vor den Menschen, die Sünder als ihre Söhne. "(40) Diese Worte Johannes Pauls II. zeigen, dass sich die Kirche von den Sünden ihrer Glieder selbst betroffen weiß. Die Kirche ist heilig, insofern sie vom Vater durch die Vermittlung des Kreuzesopfers des Sohnes in Heiligkeit konstituiert wurde. Sie ist darum nicht ein menschliches Werk, sondern die Gabe des Heiligen Geistes an die Menschen. Doch in einem gewissen Sinn ist diese Kirche auch Sünderin, insofern sie real die Sünden derer, die sie wie eine Mutter in der Taufe als ihre Kinder geboren hat, auf sich nimmt, ähnlich wie Christus, der selbst ohne Sünden war, die Sünden der Welt, d.h. derer getragen hat, die durch Glaube und Taufe zu Gliedern seines Leibes, der Kirche, werden sollten (vgl. Röm 8,3; 2 Kor 5,21; Gal 3,13; 1 Petr 2,24)(41). Es begegnet uns im Tiefenbewusstsein der Kirche in ihrem Gang durch die Geschichte die Überzeugung, dass die Kirche nicht einfach die Gemeinschaft der Heiligen und Prädestinierten ist, sondern dass sie in ihrem Schoß sowohl Gerechte als auch Sünder umfasst. Dies gilt für ihre Vergangenheit wie für ihre Gegenwart. Denn aus ihrer Herkunft und Sendung ergibt sich ihre die Zeiten übergreifende Einheit als Wesenszug ihres Mysteriums. In der Gnade und auch in den Wunden, die ihr durch die Sünde ihrer Glieder zugefügt wurden, sind sich die Getauften von gestern und heute nahe und verbunden. Darum kann man sagen: Die Kirche, die in Christus und im Heiligen Geist geeint ist und darum eine einzige und selbige Gemeinschaft in Raum und Zeit der Menschheitsgeschichte darstellt, ist in Wahrheit "zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig"(42). Dieses Paradox, das das Geheimnis der Kirche charakterisiert, wirft nun die Frage auf, wie man beide Aspekte zusammensehen kann. Denn das Bekenntnis zu Gottes Wirken, aus dem die Kirche hervorgeht, enthält sowohl den Glauben an die Heiligkeit der Kirche und zugleich das Wissen um die immer bleibende Notwendigkeit von Umkehr und Reinigung. 3.1 Die Kirche: Zeichen und Werkzeug des universalen Heilswillens Gottes "Die Kirche steht inmitten der Geschichte, gleichzeitig aber überschreitet sie auch die Dimension des geschichtlich Greifbaren. Nur <mit den Augen des Glaubens> (Catechismus Romanus 1,10,20) vermag man in ihrer sichtbaren Wirklichkeit auch eine geistige Realität wahrzunehmen, die Trägerin göttlichen Lebens ist."(43) Diese innere Vermittlung des sichtbaren und geschichtlich wahrnehmbaren Aspektes zur unsichtbaren Dimension, insofern die Kirche Gabe Gottes an die Menschen ist, kann in Analogie gesehen werden zum gott-menschlichen Geheimnis Jesu Christi. Im fleischgewordenen ewigen Wort Gottes ist die von der Person des Logos angenommene menschliche Natur Christi Zeichen und Instrument des Heilswirkens des Sohnes Gottes in der Welt. Die beiden Dimensionen des Seins und Wesens der Kirche "bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst."(44) Es ist eine Communio, die teilhat am Leben des dreieinigen Gottes. Sie bewirkt, dass sich die Getauften untereinander vereint wissen trotz der Verschiedenheit der Zeiten und Orte ihrer geschichtlichen Existenz.
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In der Kraft dieser alle Zeiten und Geschichtsräume umspannenden Gemeinschaft versteht sich die Kirche als ein einziges Handlungssubjekt und stellt sich als eine einzige Wirklichkeit in der Geschichte der Menschheit dar. So ist sie Trägerin der Gaben Gottes, aber auch der Verdienste und der Sünden ihrer Glieder gestern und heute. Um Missverständnisse zu vermeiden, darf bei der Erwähnung der nicht "unwesentlichen Analogie des Mysteriums der Kirche mit dem Geheimnis des fleischgewordenen Wortes" der Hinweis auf die tiefreichende Grenze dieser Analogie nicht unterbleiben. "Während aber Christus heilig, schuldlos, unbefleckt war (Hehr 7,26) und die Sünde nicht kannte (2 Kor 5,21), sondern allein die Sünden des Volkes zu sühnen gekommen ist (vgl. Hebr 2,17), umfasst die Kirche Sünder in ihrem eigenen Schoß. Sie ist zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den Weg der Buße und der Erneuerung."(45) Das Fehlen jeder Sünde bei Christus, dem fleischgewordenen Wort, kann nicht unmittelbar auf seinen Leib, der die Kirche ist, übertragen werden. Wenn auch jeder einzelne, insofern er Glied ist am ekklesialen Leib Christi und an der von Gott geschenkten Gnade teilhat, so muss er doch stets wachsam sein und bedarf einer lebenslang währenden Buße und Erneuerung. Darin muss er sich auch verbunden wissen mit der Schwachheit seiner Mitchristen. "Alle Glieder der Kirche, auch ihre Diener, müssen bekennen, dass sie Sünder sind (vgl.1 Joh l,8ff.). In allen wächst zwischen der guten Saat des Evangeliums bis zum Ende der Zeiten auch das Unkraut der Sünde (vgl. Mt 13,24-30). Die Kirche vereint sündige Menschen, die zwar vom Heil Christi erfasst, aber noch immer erst auf dem Weg zur Heiligkeit sind."(46) Schon Paul VI. hatte feierlich bekräftigt, dass "die Kirche heilig ist, obwohl sich in ihrer Mitte auch Sünder befinden; denn sie lebt kein anderes Leben als das der Gnade... Darum leidet die Kirche und büßt für die Sünden ihrer Söhne und Töchter. Sie hat jedoch aus dem Blute Christi und aus der Gabe des Heiligen Geistes auch die Vollmacht erhalten, ihre Kinder von den Wunden, welche die Sünde geschlagen hat, zu heilen"(47). In ihrem Geheimnis ist die Kirche also ein ständiges Aufeinandertreffen von Heiligkeit und Schwachheit, von Erlösung und Versagen. Die Kirche bedarf darum immer neu der Erlösungsmacht der Gnade. Die liturgische Praxis weist uns auf eine innere Gesetzmäßigkeit des Glaubens ("lex credendi") hin. Der einzelne Gläubige und die Kirche als ganze flehen Gott an, dass er nicht auf die Sünden der einzelnen schauen möge, sondern auf den Glauben seiner Kirche, denn die Sünden sind eine Negation dieses Glaubens: "Ne respicias peccata nostra, sed fidem Ecclesiae tuae". Nimmt man die Einheit der Kirche in den Blick, die ihr Mysterium in dem einen Raum der menschlichen Geschichtszeit vergegenwärtigt, treten die drei wesentlichen Aspekte ihres Geheimnisses deutlich hervor: Der Aspekt der Heiligkeit, der Aspekt der beständig notwendigen Buße und Reform sowie der Aspekt, wie sich dies im Wirken der Kirche als unserer Mutter ausformt. Diese drei Aspekte sollen im folgenden näher beleuchtet werden. 3.2 Die Kirche ist heilig ... Die Kirche ist heilig, weil sie von Christus geheiligt worden ist. Indem er sich für sie dahingegeben hat aus Liebe bis zum Tod am Kreuz, hat er sich die Kirche als sein Eigentum erworben. Die Kirche wird in dieser Heiligkeit erhalten vom Heiligen Geist, der ihr Leben und Wirken unaufhörlich innerlich durchdringt und formt. So erklärt das II. Vatikanische Konzil: "Es ist Gegenstand des Glaubens, dass die Kirche, deren Geheimnis die Heilige Synode vorlegt, unzerstörbar heilig ist. Denn Christus, der Sohn Gottes, der mit dem Vater und dem Geist als gepriesen wird, hat die Kirche als seine Braut geliebt und sich für sie hingegeben, um sie zu heiligen (vgl. Eph 5,25f.), er hat sie als seinen Leib mit sich verbunden und mit der Gabe des Heiligen Geistes reich beschenkt zur Ehre Gottes. Daher sind in der Kirche alle, mögen sie zur Hierarchie gehören oder von ihr geleitet werden, zur Heiligkeit berufen."(48) In diesem Sinne ist es zu verstehen, dass von den Anfängen der Kirche an ihre Glieder "die Heiligen" genannt wurden (vgl. Apg 9,13; 1 Kor 6,1f.;16,1).
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Man muss hier von Heiligkeit in einem zweifachen Sinne sprechen: einmal von der Heiligkeit der Kirche und zum andern von der Heiligkeit in der Kirche. Die Heiligkeit der Kirche ist begründet in den Sendungen des Sohnes und des Heiligen Geistes. Sie gewährleistet die Kontinuität der Sendung des Gottesvolkes bis ans Ende der Zeiten. Sie motiviert die Gläubigen und hilft ihnen auf dem Weg zur persönlichen subjektiven Heiligkeit. In der Berufung, die jeder einzelne empfängt, ist dagegen die besondere Form der Heiligkeit verwurzelt, die ihm geschenkt wird als Gabe und die von ihm eingefordert wird als volle Erfüllung seiner eigenen Berufung und Sendung. Die persönliche Heiligkeit richtet sich auf Gott hin aus und auch auf die anderen hin. Ihr kommt darum eine wesentliche soziale Bestimmung zu. Es ist eine Heiligkeit "in der Kirche", die sich orientiert am Heil und Wohl aller. Dieser Heiligkeit der Kirche muss die Heiligkeit in der Kirche entsprechen: "Die Anhänger Christi sind von Gott nicht kraft ihrer Werke, sondern aufgrund seines gnädigen Ratschlusses berufen und in Jesus dem Herrn gerechtfertigt, in der Taufe des Glaubens wahrhaft Kinder Gottes und der göttlichen Natur teilhaftig und so wirklich heilig geworden. Sie müssen daher die Heiligung, die sie empfangen haben, mit Gottes Gnade im Leben bewahren und zur vollen Entfaltung bringen."(49) Der Getaufte ist berufen, mit seiner ganzen Existenz zu werden, was er in der Kraft des Taufsakraments schon geworden ist. Dies kann nie geschehen ohne freie Zustimmung des Menschen und ohne die Gnadenhilfe Gottes. Wenn dies im Leben des Glaubenden Wirklichkeit wird, dann tritt in der Geschichte die neue Menschheit ins Licht, wie Gott sie will. Niemand erreicht die Vollkommenheit außer dem, der den Heilsplan Gottes sich zu eigen macht und mit Hilfe der Gnade in seinem ganzen Sein eins wird mit dem Lebensentwurf, den Gott für ihn bereitet hat. In diesem Sinne sind die Heiligen wie ein Licht, das vom Herrn ausgeht und das Christi Licht inmitten der Kirche zum Leuchten bringt. Sie sind prophetische Zeichen für die ganze Welt. 3.3 ... und als Gemeinschaft aus Menschen stets der Buße und der Reinigung bedürftig Ohne diese Heiligkeit einzuschränken, muss man doch zugeben, dass auch die Erneuerung ständig notwendig ist, weil die Sünde immer da ist. Eine fortwährende Umkehr im Gottesvolk ist unerlässlich. "Die Kirche ist schon auf Erden durch eine wahre, wenn auch unvollkommene Heiligkeit ausgezeichnet."(50) Der hl. Augustinns bemerkt gegenüber den Pelagianern: "Die Kirche in ihrer Gesamtheit bittet: Vergib uns unsere Schuld! Die Kirche leidet noch unter dem Makel, den Furchen und Falten. Aber mittels des Bekenntnisses werden die Furchen und Falten geglättet, durch das Bekenntnis wird auch der Makel abgewaschen. Die Kirche verharrt im Gebet, um durch das Bekenntnis ihre Reinigung zu empfangen. Solange Menschen auf der Erde leben, wird es so bleiben."(51) Der hl. Thomas von Aquin führt diesen Gedanken weiter. Die Vollendung der Heiligkeit gehört der eschatologischen Zeit an. Indessen darf sich die pilgernde Kirche nicht vorgaukeln, ohne Sünde zu sein: "Die herrliche Kirche, die keinen Makel und keine Runzeln hat, ist das letzte Ziel, das wir durch das Leiden Christi erreichen sollen. Dieses Ziel liegt aber erst im Leben der Heimat, nicht im Leben der Pilgerschaft, von der Johannes sagt: <Wir betrügen uns selbst, wenn wir sagten, wir sind ohne Sünde> (1 Joh 1,8)."(52) In Wirklichkeit ist es so, wie sich vom Gebet des Herrn her gut zeigen lässt: "In der Bitte, dass sein Name geheiligt werde, haben wir darum gebetet, selbst immer mehr geheiligt zu werden. Obwohl wir das Taufkleid tragen, hören wir nicht auf zu sündigen, uns von Gott abzuwenden. Jetzt, in dieser neuen Bitte, kehren wir wie der verlorene Sohn zu ihm zurück (vgl. Lk 15,11-32) und bekennen uns vor ihm als Sünder, wie der Zöllner es getan hat (vgl. Lk 18,13). Unsere Bitte beginnt mit einer , in der wir zugleich unser Elend und Gottes Barmherzigkeit bekennen."(53)
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Darum bekennt die ganze Kirche mit dem Bekenntnis der Sünden ihrer Glieder immer auch ihren Glauben an Gott und seine unendliche Güte und Vergebungsbereitschaft. Dank des Bandes, durch das der Heilige Geist die Kirche zusammenhält, ist die Zeit und Raum umspannende Gemeinschaft unter den Getauften so geprägt, dass darin jeder einzelne immer eine für das eigene Tun verantwortliche Person bleibt und er doch in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis zu den Mitchristen steht, so dass in einem lebendigen Austausch der geistlichen Güter der Leib Christi und darin auch jedes einzelne seiner Glieder aufgebaut wird. Wenn so die Heiligkeit des einen die anderen in ihrem Wachstum in der Gnade beeinflusst und umgekehrt, dann darf die Kehrseite nicht aus dem Blick geraten. Die Sünde hat nie eine nur individuelle Seite. Wenn in dieser Gemeinschaft durch die Sünde einzelner der Heilsweg aller behindert und verstellt wird, dann ist die Kirche in der Einheit ihres geschichtlichen Weges auch von jeder Sünde, zu welcher Zeit auch immer sie begangen wurde, zutiefst betroffen. Diese Überzeugung veranlasste die Kirchenväter, wie hier den hl. Ambrosius, zu der lapidaren Feststellung: "Seien wir darauf bedacht, dass unser Fall nicht eine Wunde der Kirche wird."(54) Die Kirche, "die auf grund ihrer Inkorporation in Christus heilig ist, wird nicht müde, Buße zu tun. Sie anerkennt immer, vor Gott und den Menschen, dass die Sünder aus ihren Reihen ihre Söhne sind"(55), seien es Christen, die früher gelebt haben oder die heute leben. 3.4 Die Kirche Gottes ist unser aller Mutter im Glauben Die Überzeugung, dass die Kirche sich die Verantwortung für die Sünde ihrer Glieder aufladen kann, ist in einprägsamer Weise ausgedrückt im Gedanken von der "Kirche als Mutter". Dieses Konzept der Ecclesia Mater ist sicher das Herzstück der frühpatristischen Ekklesiologie(56). Mit diesem Bildwort bringen die Väter die Raum und Zeit durchziehende Solidarität aller Glaubenden und Getauften zum Ausdruck, die in der Inkorporation der Kirche in Christus und der einzelnen in der Taufe in der Kirche Christi und im Wirken des Heiligen Geistes begründet ist. Das II. Vatikanum erklärte das Geheimnis der Mutterschaft der Kirche mit Hinweis auf das Geheimnis Marias als Mutter und Jungfrau: "Nun aber wird die Kirche, indem sie Marias geheimnisvolle Heiligkeit betrachtet, ihre Liebe nachahmt und den Willen des Vaters getreu erfüllt, durch die gläubige Annahme des Wortes Gottes auch selbst Mutter: Durch Predigt und Taufe nämlich gebiert sie die vom Heiligen Geist empfangenen und aus Gott geborenen Kinder zum neuen und unsterblichen Leben. Auch ist sie Jungfrau, da sie das Treuewort, das sie dem Bräutigam gegeben hat, unversehrt und rein bewahrt und in Nachahmung der Mutter ihres Herrn in der Kraft des Heiligen Geistes jungfräulich einen unversehrten Glauben, eine feste Hoffnung und eine aufrichtige Liebe bewahrt."(57) Der hl. Augustinus fasste diese reiche Tradition der Idee Ecclesia Mater in die prägnante Formulierung: "Diese heilige Mutter, die aller Verehrung wert ist, die Kirche, gleicht Maria, die geboren hat und Jungfrau geblieben ist, von ihr seid ihr geboren. Sie brachte Christus hervor, denn ihr seid Christi Glieder."(58) Der hl. Cyprian von Karthago sagt es ohne Umschweife: "Der kann Gott nicht zum Vater haben, der die Kirche nicht zur Mutter hat."(59) Und der hl. Paulinus von Nola besingt die Kirche in seinen geistlichen Gedichten: "Wie die Mutter empfängt sie den Samen des ewigen Wortes, sie trägt die Völker in ihrem Schoß und bringt sie in der Geburt zur Welt."(60) Nach dieser Vision verwirklicht sich die Kirche kontinuierlich in der Gemeinschaft des Geistes und im geistlichen Austausch der Glaubenden untereinander. Die Kirche bietet so ein förderndes Umfeld des Glaubens und der Heiligkeit in brüderlicher Gemeinschaft, in der Einmütigkeit des Betens, in der solidarischen Teilnahme an Kreuz und Leiden und im gemeinsamen Zeugnis. Gestärkt von dieser lebensaufbauenden Gemeinschaft kann sich jeder einzelne Getaufte zur gleichen Zeit begreifen als Glied der Kirche, insofern er aus ihr
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geboren worden ist, und als Mutter Kirche, insofern er mit seinem Glauben und seiner Liebe mitwirkt, neue Söhne und Töchter Gottes hervorzubringen. Er ist um so mehr Mutter Kirche, je größer seine Heiligkeit und je brennender sein Eifer ist, die empfangene Gabe an andere weiter zu verschenken. Andererseits aber bleibt er Glied der Kirche, wenn er sich auch durch die Sünde dem Herzen nach von der Kirche getrennt hat. Denn er kann immer von neuem zu den Quellen der Gnade hinzutreten und sich von der Last seiner Schuld befreien lassen, die seine Gemeinschaft mit der Kirche beschädigt hat. Es ist klar, dass sich die Kirche als wahre Mutter von den Sünden ihrer Söhne und Töchter gestern und heute verletzt fühlen muss, aber ebenso klar ist, dass sie wie eine Mutter auch nie aufhören kann, sie zu lieben und die Auswirkungen der Schuld ihrer Kinder mitzutragen. Den Kirchenvätern erschien die Kirche wie eine Schmerzensmutter, nicht allein wegen der äußeren Verfolgung der Christen, sondern in einem noch viel tieferen Sinn wegen des Verrats, des Scheiterns, des Zurückbleibens, der Fehler und Mängel ihrer Glieder. Heiligkeit und Sünde bleiben nie ohne erhebliche Auswirkungen auf díe Kirche als ganze, wenn auch vom Glauben her feststeht, dass die Heiligkeit als Frucht der göttlichen Gnade sich immer als stärker erweist als die Sünde der Menschen. Ein Beweis dafür sind die überzeugenden Gestalten der Heiligen, die ihre Heiligkeit bis zum Tod bewahrt haben und die die Kirche als Beispiel und Hilfe für alle empfiehlt. Zwischen Gnade und Sünde gibt es keine Parallelität, Symmetrie oder gar ein dialektisches Verhältnis, denn der Einfluss des Bösen wird die Macht der Gnade nie besiegen und die Ausstrahlung, die vom oft noch so verborgenen Guten ausgeht, verdunkeln können. In dieser Hinsicht weiß sich die Kirche existentiell heilig in ihren heiligen Männern und Frauen. Während sie sich dieser Heiligkeit erfreut und aus den Wohltaten Gottes Kraft schöpft, bekennt sich die Kirche aber nicht minder als Sünderin. Aber in welchem Sinn versteht sie sich als Sünderin? Sie ist nicht Sünderin in dem Sinn, dass sie selber Subjekt und Täterin der Sünde ist. Die Kirche versteht sich als Sünderin, insofern sie sich in mütterlicher Solidarität die Last der Sünden ihrer Glieder selber auflädt, denn sie möchte in ihrer mütterlichen Liebe mitwirken an der Überwindung der Sünde und dem daraus entstandenen Schaden für den einzelnen und die Gemeinschaft. Darum gewährt die Kirche in der Vollmacht Christi nicht nur die Vergebung der Sünden und die Wiederversöhnung mit der Gemeinschaft. Die Kirche geht selbst den Weg der Buße und Umkehr zur Erneuerung des Lebens in der Gnade mit. Deswegen erkennt es die Kirche als ihre Pflicht, "zutiefst die Schwachheit so vieler ihrer Söhne zu bedauern, die das Antlitz der Kirche dadurch entstellten, dass sie sie hinderten, das Abbild ihres gekreuzigten Herrn als eines unübertrefflichen Zeugen geduldiger Liebe und demütiger Sanftheit widerzuspiegeln".(61) Schuldeingeständnis und Übernahme der Verantwortung können in geeigneter Weise geschehen seitens derer, die durch ihr Charisma und ihr Amt die Gemeinschaft des Gottesvolkes in besonders deutlicher Weise repräsentieren. Im Namen der Ortskirchen können die verantwortlichen Oberhirten ein Schuldbekenntnis und eine Bitte um Vergebung ausdrücken. Im Namen der Gesamtkirche, die eine ist in der Geschichte zu allen Zeiten und an allen Orten, kann dies der Bischof von Rom, der Papst, tun, da er das Amt der universalen Einheit ausübt und der Kirche "vorsteht in der Liebe"(62). Es ist ein besonders eindrückliches Zeichen, dass gerade vom Heiligen Vater diese Einladung an die Kirche ausgesprochen wurde, "sich erneut und vertieft die Sünden ihrer Söhne und Töchter bewusst zu machen" und die Notwendigkeit von Buße und Wiedergutmachung zu erkennen, "indem Christus inständig um Vergebung angerufen wird"(63)
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Viertes Kapitel HISTORISCHE UND THEOLOGISCHE BEURTEILUNG GESCHICHTLICHER VORGÄNGE Betrachtet man die Sünden und Fehlleistungen der Vergangenheit im einzelnen, für die um Vergebung gebeten werden soll, erhebt sich die Frage nach einer exakten historischen Beurteilung. Historische Sachkenntnis muss auch die Grundlage sein für eine Beurteilung der Ereignisse und der handelnden Personen aus der theologischen Sicht der Kirche, die im Glauben als Mysterium anerkannt wird. Es ist immer genau zu fragen: Was hat sich wirklich ereignet? Was wurde verifizierbar gesagt und getan? Erst wenn es auf diese Fragen eine wissenschaftlich korrekte Antwort gibt, kann man auch untersuchen, ob das, was sich wirklich zugetragen hat, mit dem Evangelium in Einklang steht. Im Fall, dass Christen sich wirklich gegen die Forderungen des Evangeliums vergangen haben, muss natürlich auch gefragt werden, ob sie sich in den Bedingungen, unter denen sie lebten und dachten, des Widerspruchs zum Evangelium bewußt waren, ja sich darüber im Klaren sein konnten. Nur wenn man unter diesen Voraussetzungen zu dem moralisch gewissen Urteil kommt, dass sich Glieder der Kirche wissentlich und mit freiem Willen gegen den Geist des Evangeliums verhalten haben und dieses Fehlverhalten, obwohl sie es konnten, nicht unterlassen haben, hat es einen Sinn, wenn die Kirche von heute für die Sünden der Vergangenheit Buße tut und um Vergebung bittet. Die Beziehung zwischen "historischem" und "theologischem Urteil" zu klären ist ebenso kompliziert wie notwendig und entscheidend. Man muss diese beiden Urteilsmaßstäbe in Beziehung zueinander setzen, ohne dieses Verfahren von der einen oder anderen Seite durch Vorurteile von vornherein zum Scheitern zu bringen. Was man auf jeden Fall vermeiden muss, ist die fruchtlose Diskussion entgegengesetzter Einseitigkeiten: auf der einen Seite eine Art von Apologetik, die alles und jedes, was in der Kirchengeschichte vorgefallen ist, um jeden Preis zu rechtfertigen versucht, und auf der anderen Seite eine Beschuldigungsattitüde, die jedes Ereignis, jedes Wort und jede Handlung, ob gerechtfertigt oder nicht, benutzt, um die Kirche auf die Anklagebank zu verweisen. Die Zuweisung historischer Verantwortung hat nur einen Sinn, wenn die betreffenden Vorgänge mit intellektueller Redlichkeit wissenschaftlich fundiert dargestellt werden. Papst Johannes Paul II. hat bezüglich der Inquisition aus einer historisch-theologischen Perspektive folgende Wertung vorgenommen: "Das kirchliche Lehramt kann nicht mit Gewissheit einen moralischen Akt - wie die Bitte um Vergebung - vornehmen, bevor es sich nicht exakt über die Situation dieser Zeit hat ins Bild setzen lassen. Es darf sich aber auch nicht auf die von der öffentlichen Meinung vermittelten Ansichten über die Vergangenheit stützen, denn diese sind oft mit Leidenschaften und Emotionen überladen, die einer ausgeglichenen und objektiven Beurteilung im Wege stehen ... Deshalb besteht der erste Schritt in der Befragung der Historiker, von denen man nicht eine ethische Bewertung erwartet, die außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches läge, sondern vielmehr eine Hilfe zur möglichst präzisen Rekonstruktion der Ereignisse, Gewohnheiten und Einstellungen von damals im Zusammenhang des geschichtlichen Umfeldes der betreffenden Epoche."(64) 4.1 Die Schwierigkeit, Geschichte zu interpretieren Welche Bedingungen einer korrekten Interpretation der Vergangenheit sind für ein reflektiertes historisches Denken zu fordern? Um sie näher zu bestimmen, muss man sich immer der komplexen Korrelation bewusst bleiben, die zwischen dem interpretierenden Subjekt und dem zu interpretierenden geschichtlichen Gegenstand besteht(65). Unter diesen Kriterien ist an erster Stelle die Erfahrung der Fremdheit zwischen dem Betrachter und seinem Gegenstand zu nennen. Bei der Beschäftigung mit der Vergangenheit wird zunächst ein wechselseitiges Befremden ausgelöst. Ereignisse und Aussagen sind zuallererst einmal vergangen und passé. Sie lassen sich niemals auf aktuelle
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Gegebenheiten reduzieren, sondern haben eine objektive Dichte und Komplexität, die ihre schlichte Funktionalisierung für gegenwärtige Interessen ausschließt. Darum kann man sich ihnen nur mittels einer historisch-kritischen Untersuchung annähern. Diese Methode verlangt eine sorgfältige Verwendung aller erreichbaren Informationen zur Rekonstruktion des Umfeldes, der Denkweisen, der Rahmenbedingungen und Entwicklungsabläufe, in denen sich die entsprechenden Ereignisse und Aussagen bewegen. Nur so kann man die Inhalte genau benennen und die Herausforderungen beschreiben, die die Ereignisse bei all ihrer Eigenart und Verschiedenheit für die Gegenwart bedeuten. An zweiter Stelle ist unter diesen Kriterien einer historischen Urteilsbildung ein gewisses Einfühlungsvermögen zu nennen. Zwischen dem heutigen Interpreten und der von ihm behandelten Epoche und ihren handelnden Personen muss es ein gewisses Sympathieverhältnis geben. Diese kommunikative Verbindung gründet in der einfachen Tatsache, dass jeder Mensch, ob er gestern gelebt hat oder heute lebt, sich immer als menschliches Wesen in einer Vielfalt historischer Verflechtungen vorfindet und so zur Sprach- und Denkgemeinschaft der Menschen gehört. Wir alle gehören zur Menschheitsgeschichte! Diese Wechselwirkung zwischen dem Interpreten und dem Interpretandum ist in der gemeinsamen Teilhabe in dem begründet, was die geschichtliche Existenz des Menschen als einzelner und als Glied der Menschheit ausmacht. Im einzelnen muss sich diese Vermittlung auf schriftliche, archäologische oder auch persönliche Traditionszeugnisse stützen. Wem dies bewusst ist, der wird auch die Schwierigkeiten kennen, eine wirkliche Korrespondenz herzustellen zwischen dem Verständniskontext des Interpreten und dem zu verstehenden geschichtlichen Gegenstand. Dies erfordert eine kritische Selbstreflexion über die Frage, welche Motive und Interessen die Forschung leiten und wie sie sich möglicherweise auf das Ergebnis auswirken. Zu bedenken ist auch der Lebenskontext, in dem man tätig ist, und die Interpretationsgemeinschaft, zu der man gehört, in deren Sprachwelt man lebt und von der man verstanden werden möchte. Dazu ist es unerlässlich, sich auf bestmögliche Weise des Vorverständnisses, das in der Tat mit jeder Interpretation einhergeht, bewusst zu werden und es zu reflektieren. Nur so lässt sich seine Auswirkung auf den Interpretationsvorgang beobachten und in Grenzen halten. Schließlich ist klar, dass sich zwischen dem Interpreten und seinem historischen Gegenstand im Durchgang durch die Anstrengung des Erkennens und Auswertens eine Art Osmose und "Horizontverschmelzung" vollziehen wird. Darin besteht ja eigentlich der Akt der Erkenntnis. Darin drückt sich das Urteil aus, die Ereignisse oder Aussagen der Vergangenheit richtig verstanden zu haben. Das bedeutet soviel, wie den Sinn entdecken, den diese Ereignisse für den Interpreten und seine Welt haben. Dank dieser Begegnung lebendiger Welten wird es möglich, das Verständnis der Vergangenheit auf die Gegenwart zu beziehen, so dass auch die Gegenwart im Lichte der Vergangenheit besser verstanden werden kann. So kann man aus der Vergangenheit Lehren ziehen für die Gestaltung der Gegenwart und Zukunft. Diese fruchtbare innere Durchdringung der Geschichte erreicht man mit einigen in sich verschränkten fundamentalen hermeneutischen Operationen, die den genannten Momenten der Fremdheit, des historischen Einfühlungsvermögens und des wahren und eigentlichen Verständnisses entsprechen. In Beziehung zu einem historischen "Text" - der ganz allgemein verstanden sein soll als schriftliches, mündliches, archäologisches oder figürliches Zeugnis lassen sich drei exegetische Grundvollzüge konkret benennen: "1. Das Verstehen des Textes; 2. das Beurteilen, wie zutreffend das eigene Verstehen des Textes ist; und 3. das Ausdrücken dessen, was nach eigenem Urteil das richtige Verständnis des Textes ist."(66) Es geht darum, das Zeugnis der Geschichte in größtmöglicher Objektivität zu sehen mittels aller Quellen, mit deren Hilfe man sie darstellen kann. Die Korrektheit der eigenen Interpretation zu beurteilen bedeutet, mit Ernst und Nachdruck zu verifizieren, in welchem
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Maß sie möglicherweise von einem Vorverständnis geleitet oder welchem Vor-Urteil dieses Urteil abhängt. Die Darlegung der bedeutet, die anderen Beteiligten des komplexen Dialogs miteinzubeziehen, sei es um die Relevanz dieser Interpretation zu mit möglichen anderen Auslegungen zu konfrontieren.
bedingt ist oder gar von erreichten Interpretation mit der Vergangenheit verifizieren, sei es um sie
4.2 Geschichtsforschung und theologische Auswertung Wenn diese Auslegungsprinzipien in allen hermeneutischen Operationen beachtet werden, ergibt sich auch eine Interpretation der historischen und der theologischen Fragestellung. Dies verlangt, dass man an erster Stelle die höchste Aufmerksamkeit den Elementen der Differenzierung und der Fremdartigkeit zuwendet, die es in der Beziehung zwischen Gegenwart und Vergangenheit zu beachten gilt. Wenn also eine mögliche Schuld aus der Vergangenheit anerkannt werden soll, kann dies nicht geschehen, ohne die Verschiedenheit des sozialen und kulturellen Kontextes einer von der Gegenwart so weit entfernten Zeit in Betracht zu ziehen. Wer die Paradigmen und Urteilsmaßstäbe einer Gesellschaft aus einer anderen Epoche unreflektiert oder mit einem moralischen Überlegenheitsgefühl auf eine gänzlich verschiedene Geschichtsphase appliziert, macht sich einer Verfälschung schuldig. Man muss immer die unterschiedlichen Denkweisen und historischen Bedingungen beachten. Dies heißt nicht, die Verantwortung zurückweisen, die die Kirche als ein in der Geschichte einheitliches Subjekt für die Verfehlungen aus der Vergangenheit übernimmt. Es kann aber nicht außer Acht bleiben, dass eben dieses einheitliche Subjekt in den unterschiedlichsten historischen und geographischen Situationen gehandelt hat. Verschieden sind auch die Grade der Repräsentation der Kirche. Es stellt sich die Frage: Hat einer im Namen der Kirche gehandelt oder hat einer in persönlicher Verantwortung als Glied der Kirche, als Geistlicher oder Laie, gehandelt und sich dabei gegen den Auftrag und die Sendung der Kirche verfehlt, wie sie theologisch und unter den gegebenen Mentalitätsstrukturen und den soziokulturellen Bedingungen der Zeit verstanden worden waren? Verallgemeinerungen und Klischeevorstellungen führen hier nicht weiter. Jede Form von gegenwärtiger Erklärung muss situationsbezogen sein und bedarf der Autorisierung durch die zuständigen Repräsentanten der Kirche (als Universalkirche, seitens der nationalen Episkopate und der Ortskirchen, der Bistümer, etc.). Ein zweiter Punkt ist zu beachten. Die Beachtung der Korrelation zwischen historischem und theologischem Urteil ist nicht allein von aktuellen Interessen gelenkt oder nur von dem Wissen um die allgemeine Zusammengehörigkeit aller Menschen und der verschiedenen Formen der Realisierung der einen menschlichen Existenz bestimmt. Die Erkenntnis der inneren Verknüpfung von historischer und theologischer Sicht der Kirche hat einen tiefer reichenden Grund. Wer an die Selbstoffenbarung Gottes glaubt, erkennt, dass die Kirche nicht einfach ein Gebilde ist, das durch menschliche Aktionen bestimmt wird. Die Kirche ist als einheitliches soziologisch fassbares historisches Subjekt als Gemeinschaft der Glaubenden konstituiert durch das einheitsstiftende Wirken des Heiligen Geistes. Kraft dieser Communio, die stets neu hervorgeht aus dem Wirken des Geistes Christi, der die Einheit der Glaubensgemeinschaft in Raum und Zeit stiftet, wird sich die Kirche nie ohne dieses übernatürliche Prinzip verstehen können, das ihr Wesen und ihre Identität ausmacht. Das Wesen der Kirche kann mit bloß soziologischen Mitteln nicht erfasst werden. Dieses vom Wirken des erhöhten Herrn im Heiligen Geist geeinte geschichtliche Subjekt, die Kirche, ist berufen, sich der Geschichte einzuprägen als Antwortgestalt auf die Gabe Gottes, und zwar in unterschiedlicher Form und in verschiedenen geschichtlichen Situationen nach Urteil und Entscheidung ihrer Glieder, ohne dass wir dabei die Mängel und Fehlleistungen vergessen, die ihr Erscheinungsbild in der Geschichte mitprägen. Die Gemeinschaft aller Glaubenden im Heiligen Geist ist nicht nur synchron zu sehen. Es gibt auch eine die Geschichte mit der Gegenwart verbindende diachrone Einheit. In der Zusammenschau beider Aspekte wird die Kirche auch "Gemeinschaft der Heiligen" genannt. Die gegenwärtig lebenden Getauften, die wegen der in der Taufe empfangenen Heiligung auch "Heilige" heißen, sind mit den Heiligen der Vergangenheit, den im ewigen Leben vollendeten Heiligen, verbunden. Sie empfangen von den Wohltaten ihrer Verdienste
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und stärken sich an den Zeugnissen ihrer Heiligkeit. Im Bewusstsein dieser Verbundenheit werden die Gläubigen der Gegenwart aber auch Verantwortung fühlen für die Fehler ihrer Vorfahren im Glauben, die wie sie Glieder derselben Glaubensgemeinschaft waren und sind. Diese Übernahme von Verantwortung setzt aber ein historisches und theologisches Urteil mit einem methodisch geklärten wissenschaftlichen Instrumentarium voraus. Unter Beachtung des objektiven und transzendenten Grundes der Communio des Gottesvolkes inmitten allen geschichtlichen Wandels im Ausdruck seiner geschichtlichen Präsenz erkennt die Interpretation der Kirchengeschichte vom Standpunkt einer gläubigen Sicht der Vergangenheit der Kirche eine entscheidende Bedeutung für die Kirche von heute. Aus dieser inneren Begegnung der Kirche von gestern mit der Kirche im Heute kann sich eine performative Dynamik ergeben, die gar nicht von vornherein berechenbar ist. Gewiss ist immer die Gefahr einer apologetischen oder instrumentalistischen Umgangsweise mit der Geschichte im Auge zu behalten. Dies kann sich leicht nahelegen angesichts der vereinheitlichenden hermeneutischen Perspektive wie auch des theologischen Interpretationsstandpunktes, von dem aus die Einheit der Kirche als geschichtliches Subjekt vorausgesetzt wird. Um so mehr ist Wert zu legen auf eine exakte Anwendung der hermeneutischen Prinzipien, mit deren Hilfe die Vorgänge und Aussagen aus der Geschichte für die Gegenwart erschlossen werden. Die gläubige Lektüre der Geschichte bedient sich zu diesem Zweck aller erreichbaren Beiträge aus der Geschichtswissenschaft und ihrer Interpretationsmethoden. Die Anwendung der historischen Hermeneutik darf jedoch keineswegs die Auswertung im Glauben behindern, der daran gelegen ist, die Texte auf ihren spezifischen Ausdruck des Glaubens zu befragen, die Interaktion zwischen Vergangenheit und Gegenwart in den Blick zu nehmen, insofern sich darin die fundamentale Einheit der Kirche als eines identischen Subjekts im Wandel ihrer historischen Ausdrucksformen widerspiegelt. Damit ist auch die Gefahr eines Historismus gebannt, der alle Lasten historischer Schuld relativiert und meint, die Geschichte rechtfertige alles. Demgegenüber hat Johannes Paul II. zu Recht betont: "Die Berücksichtigung der mildernden Umstände entbindet die Kirche nicht von der Pflicht, zutiefst die Schwachheit so vieler ihrer Söhne und Töchter zu bedauern, die das Antlitz der Kirche dadurch entstellten, dass sie sie hinderten, das Abbild ihres gekreuzigten Herrn als eines unübertrefflichen Zeugen geduldiger Liebe und demütiger Sanftheit widerzuspiegeln."(67) Die Kirche also "fürchtet nicht die historische Wahrheit. Sie ist bereit, die wirklich erwiesenen Fehler anzuerkennen, vor allem wenn sie den schuldigen Respekt vor Personen und Gemeinschaften betreffen. Mit Rücksicht auf die unterschiedlichen geschichtlichen Epochen warnt sie aber auch vor allen Verallgemeinerungen, was Entschuldigung oder Verdammung betrifft. Die Kirche setzt auf eine mit Geduld und Redlichkeit wissenschaftlich erarbeitete Rekonstruktion der Vergangenheit, die frei ist von konfessionalistischen und ideologischen Vorurteilen. Dies betrifft die auf sie gerichteten Anschuldigungen wie auch das von ihr erlittene Unrecht."(68) Im folgenden Kapitel sollen diese Prinzipien exemplarisch auf einige konkrete historische Fälle kirchlichen Fehlverhaltens angewendet werden.
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Fünftes Kapitel MORALISCHE BEWERTUNG Da die Kirche vor Gott eine Erforschung ihres historischen Gewissens unternimmt, um dadurch ihre innere Erneuerung sowie ihr Wachstum in Gnade und Heiligkeit zu fördern, erweist sich eine genaue Kenntnis aller "Formen des Gegenzeugnisses und der Skandale" aus der Geschichte als unerlässlich. Dies gilt vor allem für das vergangene Millennium. Diese Aufgabe kann nur erfüllt werden, wenn die moralische und spirituelle Bedeutung in den Blick kommt. Dazu sind einige Schlüsselbegriffe aus dem Bereich der Ethik genauer zu beschreiben. 5.1 Ethische Kriterien und das Problem ihrer Anwendung Auf moralischer Ebene setzt die Bitte um Vergebung immer die Zubilligung der Verantwortlichkeit voraus, genau gesagt der Verantwortlichkeit für eine an anderen begangenen Schuld. Die moralische Verantwortung erstreckt sich normalerweise auf den Konnex von Tat und Täter. So ergibt sich, dass eine bestimmte Tat immer einer bestimmten Person bzw. mehreren Personen eignet. Die Verantwortlichkeit kann objektiv oder subjektiv sein. Die objektive Verantwortlichkeit bezieht sich auf den moralischen Wert einer Handlung, insofern sie in sich gut oder schlecht ist, und dann auch auf die Zurechnung der Handlung an ihren Träger. Die Verantwortlichkeit in subjektiver Hinsicht meint das Vermögen des individuellen Gewissens, die Gutheit oder Verwerflichkeit der begangenen Handlung festzustellen. Die subjektive Verantwortlichkeit erlischt mit dem Tod ihres Akteurs. So ist klar, dass sie nicht über die Generationen weitergereicht werden kann. Die Nachgeborenen können niemals die subjektive Verantwortlichkeit ihrer Vorfahren erben. Somit setzt die Vergebung immer die Zeitgenossenschaft zwischen Opfer und Täter voraus. Die einzige Form der Verantwortlichkeit, für die es eine geschichtliche Kontinuität gibt, ist die objektive Verantwortung, der man sich freiwillig persönlich stellen oder entziehen kann. Denn es ist eine Tatsache, dass die böse Tat wenigstens in ihren destruktiven Auswirkungen weiterwirkt, die durchaus zu einer schweren Belastung für das Gewissen und das geschichtliche Gedächtnis der Nachfahren werden können. In einem solchen Kontext darf die Solidarität angesprochen werden, die das Bewusstsein einer Einheit und Reziprozität von Vergangenheit und Gegenwart formiert. In gewissen Situationen kann diese Gewissensbelastung eine spezifische Weise des moralischen und religiösen Gedenkens der bösen Tat auslösen, das man seiner Natur nach gemeinsames Gedächtnis nennen kann. Es belegt in eindrücklicher Weise die Existenz einer objektiven Solidarität zwischen denen, die in der Vergangenheit Böses taten, und ihren Erben in der Gegenwart. Somit ist es möglich, von einer gemeinsamen objektiven Verantwortlichkeit zu sprechen. Von einer solchen Art von Verantwortung entlastet man sich vor allem durch die Bitte an Gott, er möge die Sünden der Vergangenheit vergeben. Dazu gehört die "Reinigung des Gedächtnisses", die im wechselseitigen Vergeben der Sünden und Beleidigungen in der Gegenwart kulminiert. "Das Gedächtnis reinigen" ist der Versuch, aus dem persönlichen und gemeinschaftlichen Bewusstsein alle Formen von Ressentiment und Gewalt zu überwinden, die uns die Vergangenheit als Erbe hinterlassen hat. Auf der Basis einer neuen und vertieften historischen und theologischen Bewertung der Geschichte öffnet sich der Weg zur Erneuerung des moralischen Handelns. Dies ereignet sich jedesmal, wenn man zu einer neuen Qualifizierung historischer Ereignisse gelangt, die eine ganz neue und verschiedene Wirkung auf die Gegenwart mit sich bringt, vor allem im Hinblick auf eine entstehende Versöhnung in der Wahrheit, der Gerechtigkeit und Liebe unter allen Menschen und besonders zwischen der Kirche und den verschiedenen religiösen, kulturellen und zivilen Gemeinschaften, mit denen sie in Beziehung steht. Modell eines solchen Wandels der historischen Beurteilung vergangener Ereignisse aus einem neuen Blickwinkel kann etwa die Rezeption der Konzilien sein oder die Aufhebung der wechselseitigen Anathematisierung. Diese Akte sind Sinnbild für das künftige Leben der ganzen Kirche, da sie eine neue Qualifikation der Geschichte wagen, um eine andere Ausgestaltung der in der
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Gegenwart gelebten Beziehungen zueinander zu ermöglichen. Die Erinnerung an die Spaltung und die Konfrontation wird geheilt und transponiert in die Form einer versöhnten Erinnerung. Alle Glieder der Kirche sind eingeladen, sich der versöhnten Erinnerung zu öffnen und sich davon formen zu lassen. Die Kombination des historischen und theologischen Urteils bei der Neuinterpretation der Geschichte verbindet sich hier mit allen moralischen Rückwirkungen, die sie in der Gegenwart auslöst. Nicht zu vergessen sind einige moralische Prinzipien, die der Hermeneutik einer Interferenz von historischer und theologischer Beurteilung entsprechen. Es handelt sich um folgende Prinzipien: a. Das Prinzip des Gewissens. Das Gewissen als "moralisches Urteil" und "moralischer Imperativ" begründet im Angesicht Gottes die letztgültige Bewertung einer Handlung als gut oder schlecht. In der Tat kennt allein Gott den moralischen Wert einer jeden menschlichen Tat, wenn auch die Kirche nach der Lehre Jesu bestimmte Handlungsweisen in Typen klassifizieren und bewerten kann und mitunter bestimmte Handlungsweisen verurteilen und ablehnen muss (vgl. Mt 18,15-18). b. Das Prinzip der Geschichtlichkeit. Wenn es zweifellos zutrifft, dass jeder menschliche Akt seinem Täter eignet, so handelt doch jedes individuelle Gewissen und jede Gemeinschaft innerhalb des ihnen eigenen Horizontes von Raum und Zeit. Um also die sittlichen Akte des Menschen und die mit ihnen einhergehenden Wirkungen richtig zu verstehen, müssen wir in die Lebens- und Kulturwelt derer eintreten, die diese Handlungen begangen haben. Allein auf diese Weise können wir uns ihren Motivationen und ihren leitenden moralischen Grundüberzeugungen nähern. Dies muss man sagen ohne Vorurteil über die Solidarität, die die Mitglieder einer bestimmten Gemeinschaft im Durchgang der Zeiten miteinander verbindet. c. Das Prinzip des "Paradigmenwechsels". Im Raum der abendländischen Christenheit gab es bis zum Zeitalter der "Aufklärung" eine Art Einheit von Kirche und Staat, von Glaube und Kultur, von Moral und Gesetz, die sich aber bekanntlich seit Anfang des 18. Jahrhunderts aufgelöst oder modifiziert hatte. Das Resultat war die Ablösung einer sakralen Ordnung durch eine pluralistische oder säkulare Gesellschaft. Die Grundmodelle des Denkens und Handelns, die sogenannten "Handlungs- und Bewertungsparadigmen" änderten sich nachhaltig. Ein solcher soziokultureller Wandlungsprozess bleibt nicht ohne Auswirkung auf die moralischen Urteilskriterien. Diese Einsicht rechtfertigt freilich in keiner Weise die Idee eines Relativismus moralischer Prinzipien oder der Moralität als solcher. Der gesamte Prozess einer "Reinigung des Gedächtnisses" erschöpft sich nicht in der richtigen Verbindung von historischem und theologischem Urteil und in der korrekten Anwendung der hermeneutischen Prinzipien. Es geht auch nicht darum, Abscheu vor der Vergangenheit oder eine depressive Haltung zu erzeugen, die Selbstgeißelung zur kirchlichen Tugend machen wollte. Vielmehr geht es um das dankbare Bekenntnis zu Gott, der seine Barmherzigkeit "von Generation zu Generation" (Lk 1,50) erweist. Denn Gott will das Leben und nicht den Tod des Sünders, er will die Liebe und nicht Furcht und Angst. Nicht zu unterschätzen sind auch die exemplarischen Wirkungen, die von einer großherzigen Bereitschaft zur Mitverantwortung für die Sünden der Vergangenheit auf die Mentalität in Kirche und Gesellschaft ausgehen. Viele werden auf die Verpflichtung aufmerksam werden, die von der Wahrheit ausgeht, und sie werden sich vom Respekt, von der Würde und den Rechten "des Anderen", besonders des Schwachen, tiefer bestimmen lassen. Mit den zahlreichen Bitten um Vergebung hat Johannes Paul II. ein gutes Beispiel gegeben, das zur Nachahmung einlädt. Die Vergebungsbitten fördern in jedem Fall das Zusammenleben der verschiedenen Gemeinschaften. Eine vorurteilsfreie und großherzige
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Gewissenserforschung ist nur zu begrüßen, weil sie die einzelnen und die Völker auf Wege zur Versöhnung leitet. Im Licht dieser Klärungen der ethischen Urteilskriterien sollen nun einige Vorkommnisse aus der Geschichte dargestellt werden, bei denen das Verhalten von Gliedern der Kirche im ausdrücklichen Widerspruch zum Evangelium Jesu Christi zu stehen scheint. Mehrere dieser Beispiele hat Johannes Paul II. in Tertio Millennio Adveniente bereits angesprochen(69). 5.2 Am Beispiel: Spaltung der Christenheit Die Einheit ist das Lebensgesetz des dreifaltigen Gottes, das er der Welt durch den Sohn geoffenbart hat (vgl. Joh 17,21), der in der Kraft des Heiligen Geistes die Seinen liebte bis zur Vollendung (Joh 13,1) und sie dieses Lebens teilhaftig machte. Diese Einheit ist auch Quelle und Formgesetz der Lebensgemeinschaft der Menschheit mit dem dreifaltigen Gott. Wenn die Christen das Gesetz der wechselseitigen Liebe verwirklichen, sind sie eins, "wie der Vater und der Sohn eins sind", "damit die Welt glaubt, dass der Sohn vom Vater gesandt ist" (Joh 17,21) und "damit die Welt erkennt, dass sie seine Jünger sind" (Joh 13,35). Leider hat sich dies nicht so ereignet, vor allem in dem nun zu Ende gehenden Jahrtausend, in dem große Spaltungen unter den Christen entstanden sind. Diese stehen in offensichtlichem Widerspruch zum ausdrücklichen Willen Christi, so als ob er selbst gleichsam geteilt wäre (vgl. l Kor 1,13). Das II. Vatikanische Konzil beurteilt diesen Tatbestand so: "Eine solche Spaltung widerspricht aber ganz offenbar dem Willen Christi, sie ist ein Ärgernis für die Welt und ein Schaden für die heilige Sache der Verkündigung des Evangeliums vor allen Geschöpfen."(70) Die hauptsächlichen Spaltungen, die im vergangenen Jahrtausend "den nahtlosen Leibrock Christi getroffen"(71) haben sind das Schisma zwischen den Kirchen des Orients und des Okzidents am Anfang des 2. Jahrtausends und dann im Abendland 400 Jahre später der Riss "aufgrund von Ereignissen, die man die Reformation nennt"'(72). Zu beachten ist aber auch: "Indessen sind diese einzelnen Trennungen untereinander sehr verschieden, nicht allein bedingt durch ihre Entstehung und durch die Umstände von Raum und Zeit, sondern vor allem nach Art und Bedeutsamkeit der Probleme, die sich auf den Glauben und die kirchliche Struktur beziehen."(73) Im Schisma des 11. Jahrhunderts haben kulturelle und historische Faktoren eine sehr große Rolle gespielt. Die Lehre von der Autorität des Bischofs von Rom hatte zu dieser Zeit noch nicht die spätere lehrmäßige Abklärung und Ausformulierung gefunden. In der Zeit der protestantischen Reformation wurden dann allerdings Fragen des Verständnisses der Offenbarung und ihre Formulierung in der kirchlichen Lehre zum Gegenstand der Kontroverse. Der Weg, der sich auftut, um diese Differenzen zu überwinden, ist der Dialog über Lehrfragen in wechselseitiger Liebe und Achtung. Beiden Spaltungen scheint ein Mangel an übernatürlicher Liebe (der agape) anzuhaften. Dieser Mangel an Liebe, "ohne die alles andere nur dröhnendes Erz und lärmende Pauke ist" (1 Kor 13,1), muss in allem Ernst vor dem auferstandenen Herrn der Kirche, der auch der Herr der Geschichte ist, gesehen und bekannt werden. In Anerkenntnis dieses schweren Mangels an Liebe hat Paul VI. Gott und die "getrennten Brüder", die sich "von uns" (der katholischen Kirche) beleidigt sehen, um Verzeihung gebeten(74). Im Jahre 1965, in einem Klima, das mit dem II. Vatikanischen Konzil gewachsen war, hat Patriarch Athenagoras in seinem Dialog mit Papst Paul VI. das Thema einer Wiederherstellung (apokatástasis) der wechselseitigen Liebe in den Mittelpunkt gestellt. Es ist eine Geschichte, die belastet ist von Widersprüchen, wechselseitigem Misstrauen und Gegensätzen(75).
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Was sich in der Geschichte abspielte, wirkt durch das Gedächtnis bis in die Gegenwart fort: die Ereignisse des Jahres 1965, die am 7. Dezember 1965 mit der Aufhebung der Anathemata zwischen West und Ost aus dem Jahre 1054 ihren Höhepunkt fanden, stellen ein Schuldbekenntnis für den vorangehenden wechselseitigen Ausschluss dar, aber in einer Weise, dass das Gedächtnis gereinigt wird und ein neues Gedächtnis entstehen kann. Das Fundament dieses neuen Gedächtnisses kann nichts anderes sein als die gegenseitige Liebe, oder besser gesagt, die Verpflichtung, sie zu leben. Dies ist das vordringliche Gebot, das über allem steht (1 Petr 4,8) und das die Kirche im Osten und im Westen verpflichtet. So befreit sich das Gedächtnis von der Gefangenschaft der Vergangenheit. Die Katholiken und Orthodoxen, wie auch die Katholiken und Protestanten sind in diesem Geist eingeladen, Architekten einer neuen Zukunft zu werden, die mit dem neuen Gebot, der Liebe, mehr konform geht. Das Zeugnis Papst Pauls VI. und des Patriarchen Athenagoras für dieses neue Gedächtnis ist exemplarisch. Beim Weg zur Einheit der Christen darf man auf keinen Fall der Versuchung erliegen, sich von kulturellen Faktoren, historischen Konstellationen oder Vorurteilen führen oder gar beherrschen zu lassen, die immer wieder der Trennung und dem wechselseitigen Misstrauen Nahrung geben, obwohl sie gar nichts mit dem eigentlichen Inhalt unseres christlichen Glaubens zu tun haben. Die Glieder der Kirche müssen ihr Gewissen sorgfältig erforschen, ob sie sich vom Gebot zur "inneren Bekehrung" bestimmen lassen, "denn aus dem Neuwerden des Geistes, aus der Selbstverleugnung und aus dem freien Strömen der Liebe erwächst und reift das Verlangen nach Einheit"(76). Der Widerstand gegen diese Botschaft seit dem Abschluss des Konzils bis zum heutigen Tag hat sicher "den Heiligen Geist beleidigt" (Eph 4,30). Die Weise, wie sich einige Katholiken im Verharren in den Spaltungen aus der Vergangenheit gefallen und nicht die geringsten Anstalten machen, die Hindernisse der Einheit aus dem Weg zu räumen, rechtfertigt fast den Vorwurf der "Solidarität in der Sünde der Spaltung" (vgl. 1 Kor 1,10-16). Angesichts dieser Haltungen sind die Worte des Konzils im Ökumenismus-Dekret aktueller denn je: "In Demut bitten wir also Gott und die getrennten Brüder um Verzeihung, wie auch wir unseren Schuldigem vergeben."(77) 5.3 Am Beispiel: Anwendung von Gewalt im Dienst an der Wahrheit Zu diesem Gegenzeugnis der Spaltungen unter den Christen sind verschiedene Vorkommnisse im vergangenen Jahrtausend hinzuzufügen, bei denen zweifelhafte Mittel angewandt worden sind, um gerechte Ziele zu erreichen. Mit diesen rechten Zielen sind gemeint die Verkündigung des Evangeliums und die Verteidigung der Einheit des Glaubens. In Tertio Millennio Adveniente umschreibt der Papst das Problem: "Ein anderes schmerzliches Kapitel, auf das die Kinder der Kirche mit reuebereitem Herzen zurückkommen müssen, stellt die besonders in manchen Jahrhunderten an den Tag gelegte Nachgiebigkeit angesichts von Methoden der Intoleranz oder sogar der Gewalt im Dienst an der Wahrheit dar."(78) Es geht also um Formen der Evangelisierung, die ungeeignet sind zur Verkündigung der geoffenbarten Wahrheit. Dazu sind auch Methoden zu rechnen, die das Evangelium ohne Gespür für die kulturellen Werte der Völker propagiert und dabei die innere Hinordnung dieser Werte auf das Evangelium übersehen haben. Zu bedauern ist auch mangelnder Respekt vor dem Gewissen der Personen, denen man den Glauben vorgelegt hat. Verwerflich war jede Form der Gewaltausübung im Kampf gegen Irrtümer. Eine ebenso große Aufmerksamkeit erfordern die möglichen Unterlassungen der Anklage von Ungerechtigkeit und Gewalt, derer sich die Glieder der Kirche in verschiedenen historischen Situationen schuldig gemacht haben können. "Da ist der Mangel an Wahrnehmungsfähigkeit vieler Christen angesichts fundamentaler Verletzungen der Menschenrechte. Die Bitte um Vergebung gilt auch für das Schweigen aus Feigheit oder falscher Lagebeurteilung und für das, was unentschlossen und in wenig geeigneter Weise getan und gesagt wurde."(79)
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Wie in allen Fällen geht es auch hier darum, die historische Wahrheit durch eine historisch-kritische Untersuchung herauszufinden. Wenn die Fakten gesichert sind, ist die geistliche und moralische Auswertung möglich. Dann kann man ihre objektive Bedeutung erhellen. Nur mit Hilfe historischer Forschung kann Mythenbildung verhindert werden. Nur ein von historisch-kritischem Bewusstsein geprägtes geschichtliches Gedächtnis ist fähig, im Lichte des Glaubens die Früchte der Umkehr und der Erneuerung zu tragen: "Aus jenen schmerzlichen Zügen der Vergangenheit ergibt sich eine Lektion für die Zukunft, die jeden Christen veranlassen muss, sich ganz fest an das vom Konzil geltend gemachte goldene Prinzip zu halten: ."(80) 5.4 Am Beispiel: Verhältnis von Christen und Juden Eines der Felder, wo eine besondere Gewissenserforschung unausweichlich ist, ist das Verhältnis zwischen Christen und Juden(81). "Das Verhältnis der Kirche zum jüdischen Volk ist verschieden vom Verhältnis zu allen anderen Religionen."(82) Dennoch muss gesagt werden: "Die Geschichte der Beziehungen zwischen Juden und Christen ist eine schmerzliche Geschichte ... In der Tat, die Bilanz dieser Beziehungen in zwei Jahrtausenden ist leider negativ."(83) Die Feindseligkeit oder das Misstrauen vieler Christen gegenüber den Juden im Laufe der Zeit ist eine bedrückende historische Tatsache. Es ist Grund zu tiefem Bedauern für alle Christen, die sich klarmachen, dass Christus ein Nachkomme Davids war, dass Maria und die Apostel als Kinder des jüdischen Volkes geboren wurden, dass die Kirche genährt wird von den Wurzeln des guten Ölbaums, in den die Zweige des wilden Ölbaums der Heidenvölker eingepfropft sind (Röm 11,17-24), dass die Juden unsere geliebten Brüder und Schwestern sind und dass sie in einem gewissen aber wahren Sinn "unsere älteren Brüder"(84) sind. Die Schoah, der Judenmord, war freilich das Ergebnis der ganz und gar heidnischen Ideologie des Nationalsozialismus, der, getrieben von einem erbarmungslosen Antisemitismus, nicht nur den Glauben der Juden verachtete, sondern die Menschenwürde des jüdischen Volkes negierte. Dennoch "kann man sich fragen, ob die Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten nicht doch auch von antijüdischen Vorurteilen begünstigt wurde, die in den Köpfen und Herzen einiger Christen lebendig waren. Haben die Christen den Verfolgten und darunter besonders den Juden jede mögliche Hilfe gewährt?"(85) Zweifellos gab es viele Christen, die ihr Leben riskierten, um das Leben ihnen bekannter Juden zu retten und ihnen beizustehen. Auf der anderen Seite aber scheint es auch wahr zu sein, dass "neben all diesen mutigen Männern und Frauen der geistliche Widerstand und die konkrete Aktion anderer Christen nicht diejenige war, die man von einem Jünger Christi erwarten durfte"(86). Diese Tatsache bedeutet für alle Christen von heute einen Appell an das Gewissen zu einem "Akt der Reue (teschva)"(87). Er soll ein Ansporn sein, die Anstrengungen zu verdoppeln, "sich zu wandeln und im Denken zu erneuern" (Röm 12,2) sowie ein "moralisches und religiöses Gedächtnis" angesichts der dem jüdischen Volk geschlagenen Wunden aufrechtzuerhalten. Was in diesem Bereich schon alles getan wurde, kann bekräftigt und vertieft werden. 5.5 Wer trägt die Verantwortung für die Mißstände in der Gegenwart? "Die gegenwärtige Epoche weist neben viel Licht auch nicht wenige Schattenseiten auf."(88) Unter diesen Schattenseiten der Gegenwart muss an erster Stelle das Phänomen der Negation Gottes in den verschiedensten Varianten genannt werden. Es ist bedrückend, dass diese Leugnung von Gottes Sein und Wirken, besonders in ihrer theoretischen Begründung, vom Abendland ausging. Mit dieser "Gottesdämmerung" gehen eine Reihe von negativen Phänomenen einher: religiöse Indifferenz, verbreiteter Mangel an Verständnis für
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die transzendente Dimension des menschlichen Lebens, ein Klima des Säkularismus und ethischen Relativismus, Leugnung des Lebensrechtes der ungeborenen Kinder bis hin zur Legalisierung der Abtreibung und eine Unempfindlichkeit für den Schrei der Armen in allen Bereichen des Lebens der Menschheitsfamilie. Die beunruhigende Frage stellt sich, inwieweit die Christen selbst mitverantwortlich sind für den Atheismus in seiner theoretischen und praktischen Ausprägung. Das II. Vatikanum hat in der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" eine wohldurchdachte Antwort gegeben: "Gewiss sind die, die im Ungehorsam gegen den Spruch ihres Gewissens absichtlich Gott von ihrem Herzen fernzuhalten und religiöse Fragen zu vermeiden suchen, nicht ohne Schuld; aber auch die Gläubigen selbst tragen daran eine gewisse Verantwortung. Denn der Atheismus, allseitig betrachtet, ist nicht eine ursprüngliche und eigenständige Erscheinung; er entsteht vielmehr aus verschiedenen Ursachen, zu denen auch die kritische Reaktion gegen die Religionen, und zwar in einigen Ländern vor allem gegen die christliche Religion, zählt. Deshalb können an dieser Entstehung des Atheismus die Gläubigen einen erheblichen Anteil haben."(89) Seit das wirkliche Antlitz Gottes uns Menschen in Jesus Christus geoffenbart ist, ist den Christen die unermessliche Gnade geschenkt, dieses Angesicht Gottes zu erkennen. Darum fällt ihnen aber auch die Verantwortung zu, so zu leben, dass sie anderen das wahre Antlitz des lebendigen Gottes kund machen. Sie sind berufen, die Wahrheit in der Welt aufleuchten zu lassen, dass Gott Liebe (agape) ist (1 Joh 4,8.16). Weil Gott Liebe ist, ist er auch die Trinität der Personen, deren Leben sich in einem unendlichen Austausch von Liebe vollzieht. Daraus folgt, dass der bessere Weg die wechselseitige Liebe ist, weil die Christen das Licht der Wahrheit, dass Gott Liebe ist, verbreiten: "Daran sollen alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt" (Joh 13,35). Von diesem hohen Anspruch her ist aber auch verständlich, warum das Konzil sagen konnte, dass Christen "durch Vernachlässigung der Glaubenserziehung, durch missverständliche Darstellung der Lehre oder auch durch Mängel ihres religiösen, sittlichen und gesellschaftlichen Lebens das wahre Antlitz Gottes und der Religion eher verhüllen als offenbaren"(90). Wir wollen betonen, dass die Erwähnung dieser Fehler und Mängel der Christen in der Vergangenheit nicht nur als Sündenbekenntnis vor Christus aufgefasst werden soll, sondern auch als Lob und Verherrlichung des Herrn der Geschichte für seine barmherzige Liebe. Die Christen wissen nicht nur um die Existenz der Sünde, mehr noch: sie glauben an die "Vergebung der Sünden". Aber die Sünden der Vergangenheit ins Gedächtnis zurückzurufen, bringt unsere Solidarität mit denen zum Ausdruck, die uns im Guten wie im Versagen auf dem Weg der Wahrheit vorausgegangen sind. Der Gegenwart erwächst daraus ein starker Antrieb, sich zu den Forderungen des Evangeliums zu bekehren und damit ein Vorspiel der an Gott gerichteten Bitte um Vergebung einzuläuten, die uns den Weg ebnet, uns wechselseitig zu vergeben und uns miteinander auszusöhnen.
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Sechstes Kapitel PASTORALE UND MISSIONARISCHE PERSPEKTIVEN Im Licht der bisherigen Überlegungen stellen sich nun die folgenden Fragen: Was sind die pastoralen Ziele der Anerkennung einer Verantwortung der Kirche für die Sünden ihrer Glieder in der Vergangenheit, und warum tut sie hierfür Buße? Welche Implikationen sind damit für das Leben des Volkes Gottes verbunden? Was sind die Auswirkungen auf die Mission der Kirche und ihren Dialog mit den verschiedenen Kulturen und Religionen? 6.1 Pastorale Zielsetzung Unter den unterschiedlichen Aspekten, die das Schuldbekenntnis hat, können unter anderen folgende genannt werden: - Das erste Ziel ist die "Reinigung des Gedächtnisses". Der Prozess einer neuen Erschließung der Vergangenheit ist notwendig, da die Ereignisse der Vergangenheit immer in der Gegenwart nachwirken und als Versuchungen von heute fortbestehen. Wenn in einem geduldigen Dialog ermittelt wurde, wer sich von wem in der Vergangenheit durch Taten oder Worte verletzt sieht, ist es möglich, alle diese Belastungen aufzuarbeiten und in ihrer aktuellen destruktiven Dimension zu tilgen. So kann der negative Einfluss schlimmer geschichtlicher Ereignisse auf das gegenwärtige Zusammenleben der Menschen beseitigt oder wenigstens eingedämmt werden. Die kirchliche Gemeinschaft hat darüber hinaus die Chance zu einem Fortschritt in der Heiligkeit, in die sie durch die Versöhnung und den Frieden im Gehorsam gegenüber der Wahrheit tiefer hineinwächst. In Tertio Millennio Adveniente unterstreicht der Papst diese Aussicht: "Das Eingestehen des Versagens von gestern ist ein Akt der Aufrichtigkeit und des Mutes, der uns dadurch unseren Glauben zu stärken hilft, dass er uns aufmerksam und bereit macht, uns mit den Versuchungen und Schwierigkeiten von heute auseinanderzusetzen. "(91) Das Erinnern der Schuld, der Fehler und des Versagens in der Geschichte ist darum zu begrüßen, auch wenn heute sicher nicht mehr alles in lebendiger Erinnerung präsent ist. Um das Zerrbild der Kirchengeschichte als einer einzigen chronique scandaleuse zu vermeiden, darf man aber nie den Einsatz so vieler Christen bis hin zur Hingabe des Lebens für ihre Treue zum Evangelium und im Dienst der Nächstenliebe aus den Augen verlieren(92). - Zweites pastorales Ziel ist die mit der ersten Zielbestimmung eng verbundene Aufgabe einer ständigen Erneuerung des Volkes Gottes. Mit den Worten des II. Vatikanischen Konzils kann dies so formuliert werden: "Die Kirche wird auf dem Wege ihrer Pilgerschaft von Christus zu dieser dauernden Reform (ad hanc perennem reformationem) gerufen, deren sie allzeit bedarf, soweit sie menschliche und irdische Einrichtung ist; was also etwa je nach Umständen und Zeitverhältnissen im sittlichen Leben, in der Kirchenzucht oder auch in der Art der Lehrverkündigung die von dem Glaubensschatz selbst genau unterschieden werden muss - nicht genau genug bewahrt worden ist, muss deshalb zu gegebener Zeit sachgerecht und pflichtgemäß erneuert werden."(93) Alle Getauften sind aufgefordert, "hierbei ihre Treue gegenüber dem Willen Christi hinsichtlich der Kirche zu prüfen und tatkräftig ans Werk der notwendigen Erneuerung und Reform zu gehen (opus renovationis nec non reformationis)"(94). Das Kriterium einer wahren Reform und einer ehrlichen Erneuerung kann dabei kein anderes sein als die Treue zu Gottes Willen im Bezug auf Sein Volk(95). Dies setzt eine ernsthafte Anstrengung voraus, um sich von all dem zu befreien, was von diesem Willen wegführt, sei es dass es sich dabei um ein Erbe der Vergangenheit oder um Sünden der Gegenwart handelt. - Drittes pastorales Ziel ist das Zeugnis, das die Kirche ablegt für die Barmherzigkeit Gottes und Seine befreiende und heilende Wahrheit, die sie im Lauf ihrer Geschichte immer neu erfahren durfte. Ein weiterer Aspekt des Zeugnisses ist der Dienst, mit dem die Kirche dazu beiträgt, die Übel der Gegenwart zu überwinden. Mit ihrem Gehorsam gegenüber dem Heilswillen Gottes dienen Christen den Menschen, damit alle den Glanz und die Schönheit von Gottes Wahrheit erkennen.
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Der Heilige Vater hat von der von vielen Bischöfen gewünschten Gewissensprüfung gesprochen, die auf die Sendung der Kirche in der Gegenwart gerichtet sein soll: "An der Schwelle des neuen Jahrtausends müssen die Christen demütig vor den Herrn treten, um sich nach den Verantwortlichkeiten zu fragen, die auch sie angesichts der Übel unserer Zeit haben."(96) Was können sie zu ihrer Überwindung beitragen? 6.2 Ekklesiale Implikationen Welche Folgerungen ergeben sich aus dem Schuldbekenntnis für das Leben der Kirche selbst? - Erstens muss sich ein Gespür entwickeln für die unterschiedliche Rezeption der einzelnen offiziellen kirchlichen Akte der Buße. Denn sie weisen eine große Bandbreite auf, unterscheiden sich in den religiösen, kulturellen sowie sozialen Kontexten und betreffen die einzelnen Personen in spezieller Weise. Es ist zu bedenken, dass bestimmte Ereignisse und Aussagen, die einem regionalen Geschichtskontext angehören, nicht einfach auf die universale Kirche bezogen werden dürfen und umgekehrt. In theologischer und pastoraler Hinsicht haben diese Akte erhebliche Konsequenzen für die Verbreitung des Evangeliums. Dabei kann man an die unter sich so verschiedenen Modelle und Konzeptionen einer Theologie der Mission denken. Einkalkulieren muss man auch das Verhältnis von geistlichem Gewinn und dem möglichen Preis, den man dafür zu zahlen hat. Von großer Bedeutung ist auch die Aufnahme und Darstellung dieser offiziellen kirchlichen Erklärungen in den Massenmedien, die oft die Aufmerksamkeit auf Nebensächliches lenken und den Blick auf die zentrale Botschaft des kirchlichen Bekenntnisses zu historischer Schuld verstellen. Nicht zu vergessen ist die Mahnung des Apostels, mit Klugheit und Liebe Rücksicht zu nehmen auf "die Schwachen im Glauben" (Röm 14,1). Große Bedeutung hat in der enger zusammenrückenden Welt eine stärkere Berücksichtigung der Kirchengeschichte aus der Perspektive der orientalischen Kirchen und der jungen Kirchen in den Ländern, in denen Christen nur eine Minderheit sind. - Zweitens muss das adäquate Subjekt genannt werden, das zu diesem Akt der öffentlichen Vergebungsbitte für die Fehler aus der Vergangenheit autorisiert ist. Es sind sowohl die Hirten der Ortskirchen, die als einzelne oder in einem kollegialen bischöflichen Akt diese Bitte aussprechen können. Es ist insbesondere der universale Hirte der Kirche, der Bischof von Rom, der für die Kirche als ganze sprechen kann. Bei dieser Vergebungsbitte und der Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung für die Verfehlungen der Vergangenheit muss man unterscheiden zwischen dem Lehramt der Kirche und der Autorität der Kirche. Nicht jeder Akt kirchlicher Autoritäten hat im eigentlichen Sinn lehramtliche Qualität. Wenn einer oder mehrere Träger der kirchlichen Autorität sich eines Verhaltens schuldig gemacht haben, das dem Evangelium widerspricht, bedeutet das nicht per se, dass darin das Charisma der bischöflichen Lehrvollmacht verwickelt ist, mit dem der Herr die Hirten der Kirche ausgestattet hat. Deshalb kann als Konsequenz der Vergebungsbitte des Papstes und vieler Bischöfe keineswegs die Rücknahme oder Relativierung früherer lehramtlicher Aussagen verlangt werden. - Drittens ist festzustellen, dass zuerst Gott der Adressat möglicher Vergebungsbitten ist. Die in Frage kommenden menschlichen Adressaten, vor allem wenn es sich um Gemeinschaften innerhalb oder außerhalb der Kirche handelt, können nur ganz spezifisch angesprochen werden unter Beachtung einer historischen und theologischen Kenntnis der Zusammenhänge. Dies betrifft sowohl geeignete Akte der Wiedergutmachung wie auch die Möglichkeit, ihnen von seiten der Glieder der Kirche den guten Willen und die Liebe zur Wahrheit zu bezeugen. Den Weg der Versöhnung kann man am besten beschreiten im Dialog und in wechselseitiger Bereitschaft, die Sünden der Vergangenheit zu bereuen. Dies hängt im einzelnen aber von dem religiösen Selbstverständnis des Dialogpartners ab. Die Wechselseitigkeit (Reziprozität) soll daher kirchlicherseits nicht zur absoluten Bedingung gemacht werden. Die Kirche sollte die Haltung zuvorkommender Liebe einnehmen, indem sie die Initiative ergreift und sich dabei nicht von der erhofften Reaktion der anderen Seite abhängig macht.
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- Viertens sind die möglichen Gesten einer Wiedergutmachung ins Auge zu fassen. Sie hängen ab vom Bewusstsein einer die Zeit überdauernden Verantwortung. Sie sind von symbolischem Charakter, können aber auch die Bedeutung einer wirksamen Wiederversöhnung bekommen, wenn man zum Beispiel an die Spaltung der Christenheit denkt. Für die nähere Ausgestaltung dieser symbolischen Gesten ist eine gemeinsame Vorbereitung mit den möglichen Adressaten und die Erwägung ihrer legitimen Wünsche und Vorstellungen in Aussicht zu nehmen. - Fünftens ist der pädagogische Aspekt anzuführen. Ein endloses Weiterschleppen negativer Vorstellungen vom anderen darf keine Zukunft haben. Unerträglich wäre auch die Attitüde einer ständigen Selbstanklage, die das eigene Existenzrecht bezweifelt. Es muss klar werden, dass die Übernahme einer Verantwortung für die Sünden aus der Vergangenheit eine Art von Teilnahme am Mysterium des gekreuzigten und auferstandenen Christus ist, der sich die Schuld aller auf seine Schultern hat legen lassen. In dieser Perspektive, die aus dem Osterereignis hervorgeht, zeigen sich die Früchte sowohl für das Subjekt wie auch für den Adressaten der Bitte um Vergebung. Es sind Befreiung, Versöhnung und Freude, die denen zuteil werden, die diesen Weg aus dem Glauben heraus wagen. 6.3 Konsequenzen für den Dialog und für die Mission Mehrere Auswirkungen auf den Dialog zwischen der Kirche und religiösen und gesellschaftlichen Gruppen wie auch für die Verwirklichung ihrer Mission sind von diesem kirchlichen Schuldbekenntnis zu erwarten. - Auf der Ebene der Mission muss man zunächst beachten, dass diese Akte der Vergebungsbitte nicht den Schwung der Evangeliumsverkündigung hindern, indem man die negativen Aspekte verschärft. Auf der anderen Seite ist aber nicht zu übersehen, dass dadurch auch die Glaubwürdigkeit der Botschaft wachsen kann, wenn nur deutlich wird, dass sie dem Gehorsam gegenüber der Wahrheit entspringen und Früchte der Versöhnung hervorbringen. Die Missionare "ad gentes" wissen sicher, in welchem Kontext sie diese öffentlichen Akte der kirchlichen Autorität ihren Hörern verständlich machen können. Zu beachten ist zum Beispiel, dass viele Christen nichteuropäischer Länder mit bestimmten Aspekten der europäischen Kirchengeschichte möglicherweise nicht viel anzufangen wissen. - In ökumenischer Hinsicht kann das Ziel kirchlicher Vergebungsbitten gar kein anderes als die vom Herrn gewollte Einheit sein. Von einem wechselseitigen Austausch der Vergebungsbitte darf man sich viel erhoffen, wenn es auch manchmal prophetische Gesten geben kann, die eine einseitige und uneingeschränkt großzügige Initiative fordern. - In der interreligiösen Begegnung ist es angezeigt, deutlich herauszustellen, wie das Schuldbekenntnis der Kirche der Fehler der Vergangenheit für die Christgläubigen mit der Forderung der Treue zum Evangelium übereinstimmt und wie sie so ein glänzendes Zeugnis ihres Glaubens an die Wahrheit und Barmherzigkeit Gottes, der sich in Christus geoffenbart hat, ablegen können. Zu vermeiden ist das mögliche Missverständnis dieser Akte der Vergebungs- und Versöhnungsbitten, als übernähme die Kirche selbst damit Vorurteile, die gegen das Christentum gehegt werden. Vielleicht sehen sich die Anhänger anderer Religionen angeregt und motiviert, die Fehler aus ihrer eigenen Vergangenheit einzusehen und anzuerkennen. Die Menschheitsgeschichte ist übervoll von Gewalt, Völkermorden, Menschenrechtsverletzung und Versündigung gegen das Völkerrecht, Ausbeutung der Schwachen und einer Vergötzung der Machthaber. Leider sind nicht wenige Religionen in ihrer Geschichte übersät von Intoleranz, Aberglauben, einem Sicheinlassen mit ungerechten Mächten und mit einer Negation der Würde und Freiheit des Gewissens. Die Christen sehen sich nicht als Ausnahme. Sie sind sich bewusst, wie sehr sie sich alle vor Gott als Sünder zu bekennen haben. - Im Dialog mit den Kulturen ist die Komplexität und Pluralität der verschiedenen Mentalitäten im Auge zu behalten, mit denen ein Dialog über die Idee der Vergebungsbitte
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begonnen werden soll. Hier ist es dringlicher als sonstwo, diese Vergebungsbitte im Licht des Evangeliums und besonders im Hinblick auf das Geheimnis des gekreuzigten Herrn zu verdeutlichen. Es ist zu sagen, dass die Offenbarung der Barmherzigkeit Gottes die Quelle der Vergebung ist und weiter reicht als die Kirche in ihren sichtbaren Grenzen, als die in Raum und Zeit eine und dieselbe Gemeinschaft. Wenn es sicher auch sehr schwierig sein dürfte, die Vergebungsbitte in einer Kultur verständlich zu machen, der diese Idee völlig fremd ist, muss man dennoch eine günstige Gelegenheit wahrnehmen, um die theologischen und spirituellen Gründe im Licht der biblischen Botschaft zu vermitteln und auf ihren kritischen und prophetischen Charakter aufmerksam zu machen. Wo man mit einer von Vorurteilen bestimmten Gleichgültigkeit gegenüber dem Wort des Glaubens zu rechnen hat, muss man sich immer den doppelt möglichen Effekt kirchlicher Vergebungsbitten klarmachen. Die einen fühlen sich bestätigt in ihren negativen Vorurteilen und einer feindseligen Haltung voller Verachtung, während sich die anderen vom Wunder des "gekreuzigten Gottes"(97) angezogen sehen. Im heutigen kulturellen Kontext und besonders in der abendländisch-westlichen Welt bedeutet die "Reinigung der historischen Erinnerung" eine Verpflichtung, die Glaubende und Nicht-Glaubende miteinander verbindet. Eine solche gemeinsame Arbeit ist ein positives Zeugnis für die Lehre, die uns die Wahrheit erteilt. - Im Verhältnis zur weltlichen Gesellschaft ist Wert zu legen auf die Differenz zwischen der Kirche als einem Geheimnis der Gnade und irgendeiner weltlichen Gesellschaftsbildung. Dennoch kann man den exemplarischen Charakter der kirchlichen Vergebungsbitte nicht genug herausstellen. - Es ist zu hoffen, dass sie zu vergleichbaren Schritten ermutigt, eine "Reinigung des Gedächtnisses" und eine Versöhnung zu suchen gerade dort, wo sie sich in ganz bestimmten Zusammenhängen als vordringlich erweist. - Diese Sicht findet ihre Bestätigung in den Worten Johannes Pauls II. in einer Ansprache an die Teilnehmer eines Internationalen Symposiums: "Die Bitte um Vergebung ... betrifft an erster Stelle das Leben der Kirche, ihren Auftrag zur Verkündigung des Evangeliums von der Erlösung, ihr Zeugnis für Christus, ihr Engagement für die Einheit, in einem Wort die Folgerichtigkeit, die das christliche Dasein prägen muss. Doch Licht und Kraft des Evangeliums, aus dem die Kirche ihre Lebenskraft gewinnt, bieten auch reiche Möglichkeiten, die Grundmuster und Aktionen der weltlichen Gesellschaft - unter voller Achtung ihrer Unabhängigkeit - zu erleuchten und zu unterstützen. ... An der Schwelle zum dritten Jahrtausend darf man hoffen, dass die Verantwortlichen in der Politik und die Völker - vor allem jene, die in dramatische, vom Hass und von der Erinnerung an alte Wunden genährte Konflikte verwickelt sind - sich vom Geist des Verzeihens und der Versöhnung leiten lassen, den die Kirche bezeugt, und sich um eine Beilegung der Streitigkeiten durch einen aufrichtigen und offenen Dialog bemühen."(98)
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Siebtes Kapitel ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK Am Ende dieser Überlegungen über das Schuldbekenntnis der Kirche und seine Formen kann nur noch einmal betont werden, dass sich die Kirche in all ihren Äußerungen und gerade auch in diesen Akten der Bitte um Vergebung zuallererst an Gott wendet und ihn in seiner herrlichen Gnade und Barmherzigkeit rühmt und bekennt. Das Lob Gottes ist untrennbar verbunden mit der Würde der menschlichen Person, die ihre Vollendung in der Lebensgemeinschaft mit Gott findet, der den Menschen zum ewigen Leben berufen hat: "Gottes Herrlichkeit ist der lebendige Mensch das Leben des Menschen aber ist die Schau Gottes."(99) Wenn die Kirche in dieser Weise handelt, bezeugt sie auch ihr Vertrauen in die Wahrheit, die frei macht (vgl. Joh 8,32). "Ihre Vergebungsbitte ist kein Trick, der sich mit Demut tarnt. Die Vergebungsbutte ist auch keine Absage an ihre zweitausendjährige Geschichte, die so reich ist in allen Bereichen der Caritas, der Kultur und der Heiligkeit. Die Kirche antwortet jedoch auf eine unwidersprechliche Herausforderung der Wahrheit, dass es neben all den positiven Aspekten auch die menschlichen Grenzen und Schwächen gegeben hat, die in vielen Generationen der Jünger Christi zu verzeichnen sind."(100) Die erkannte Wahrheit ist Quelle der Versöhnung und des Friedens, da "die Liebe zur Wahrheit, die in Demut erforscht wurde, einer der großen Werte ist, der die Menschen von heute inmitten der Vielfalt der Kulturen zusammenführen kann"(101), wie Johannes Paul II. bei einer anderen Gelegenheit erklärte. Aufgrund ihrer Verantwortung vor der Wahrheit kann die Kirche "die Schwelle des neuen Jahrtausends nicht überschreiten, ohne ihre Kinder dazu anzuhalten, sich durch Reue von Irrungen, Treulosigkeiten, Inkonsequenzen und Verspätungen zu reinigen. Das Eingestehen des Versagens von gestern ist ein Akt der Aufrichtigkeit und des Mutes"(102). Wir alle dürfen mit einem neuen Morgen rechnen.
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(1) Johannes Paul II, Incarnationis mysterium, Verkündigungsbulle des Großen Jubiläums des Jahres 2000 (= Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 136), Art, 11. (2) Ebd. Schon in mehreren Stellungnahmen, besonders in Art. 33 des Apostolischen Schreibens Tertio Millennio Adveniente (TMA), hat der Papst die Kirche darauf hingewiesen, sich auf den Weg zu begeben, das "Gedächtnis zu reinigen", und zwar hinsichtlich der Schuld aus der Vergangenheit. Auf diese Weise könne die Kirche den einzelnen und der Gesellschaft ein Beispiel für Reue und Umkehr bieten. (3) Lumen gentium, 8. (4) Vgl. Extravagantes communes, lib. V, tit. IX, c. 1 (A. Friedberg, Corpus iuris canonici, II, c. 1304). (5) Vgl. Benedikt XIV., Brief Salutis nostrae, 30.4.1774, § 2. Leo XIL, Brief Quod hoc ineunte, 24. Mai 1824, § 2, spricht vom "Jahr der Sühne, der Verzeihung und Befreiung, der Gnade, der Vergebung und des Nachlasses". (6) In diesem Sinne ist die Definition des Ablasses zu verstehen, den Clemens VI. bei der Festlegung des alle 50 Jahre wiederkehrenden Jubeljahres gegeben hat. Er sieht im kirchlichen Jubeljahr "die geistliche Erfüllung" des "Jubeljahres der Vergebung und der Freude" aus dem Alten Testament (Lev 25). (7) Zitiert nach Erwin Iserloh, Die protestantische Reformation, in: Handbuch der Kirchengeschichte IV, hg. v. Hubert Jedin, Freiburg / Basel / Wien 1967,111. (8) Unitatis redintegratio, 7. (9) Gaudium et spes, 36. (10) Ebd. 19. (11) Nostra aetate, 4. (12) Gaudium et spes, 43 § 6. (13) Lumen gentium, 8; vgl. Unitatis redintegratio, 6: "Die Kirche wird auf dem Wege ihrer Pilgerschaft von Christus zu dieser dauernden Reform gerufen, deren sie allezeit bedarf, soweit sie menschliche und irdische Einrichtung ist." (14) Nostra aetate, 4. (15) Unitatis redintegratio, 3. (16) Vgl. Paul VL, Apostolisches Schreiben Apostolorum limina, 23. Mai 1974 (Enchiridion Vaticanum 5, 305). (17) Paul VL, Exhortatio Paterna cum benevolentia, 8. Dezember 1974 (Enchiridion Vaticanum 5, 526-553). (18) Vgl. Enzyklika Ut unum sint, vom 25. Mai 1995, Nr. 88: "Für das, wofür wir verantwortlich sind, bitte ich um Verzeihung." (19) Einige Beispiele: Im Rahmen der Heiligsprechung des Jan Sarkander in der Tschechischen Republik am 21. Mai 1995 bittet der Papst "im Namen aller Katholiken um Verzeihung für das von ihnen im Lauf der Geschichte verursachte Unrecht gegenüber Nicht-Katholiken" in Mähren. - In seiner Botschaft an die Indianer Amerikas in Santo Domingo am 13. Oktober 1992 und in der Ansprache zur Generalaudienz vom 21. Oktober 1992 wollte er einen "Akt der Sühne" leisten und die indianische Urbevölkerung von Lateinamerika sowie die als Sklaven deportierten Afrikaner um Vergebung bitten. - Wegen der Versklavung der Schwarzen hatte er schon zehn Jahre zuvor an die Afrikaner eine Bitte um Vergebung gerichtet (Ansprache in Yaoundé am 13. August 1985). (20) Vgl. T'MA, 33-36. (21) TMA, 33. (22) TMA, 33. (23) Ebd. 36. (24) Ebd. 34. (25) Ebd. 35. (26) Dieser letztgenannte Aspekt kommt in T'MA nur in Nr. 33 zum Vorschein, wo von der Kirche gesagt wird: "Obwohl die Kirche durch ihr Einverleibtsein in Christus heilig ist, wird sie nicht müde, Buße zu tun: sie anerkennt immer, vor Gott und den Menschen, die Sünder als ihre Söhne. (27) Johannes Paul IL, Apostolisches Schreiben Reconciliatio et Paenitentia (= Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, 60), vom 2. Dezember 1984, 31. (28) Reconciliatio et Paenitentia, 16. (29) Vgl. Augustinus, De civitate Dei I,35 (CCL 47,33); XI,1 (CCL 48,321); XIX,26 (CCL 48,696). (30) Zu den verschiedenen Methoden der Schriftinterpretation vgl. das Dokument der
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Päpstlichen Bibelkommission Die Interpretation der Bibel in der Kirche (1993). (31) Aus dieser Reihe von Texten sind als Beispiele zu nennen Dtn 1,41: Die Wüstengeneration bekennt, gesündigt zu haben durch die Weigerung, in das verheißene Land hinaufzuziehen; Ri 10,10. 12: Zur Zeit der Richter sagt das Volk zweimal "wir haben gesündigt" gegen den Herrn, da sie den Baalen gedient haben; 1 Sam 7,6: Das Volk zur Zeit des Samuel bekennt: "Wir haben gegen den Herrn gesündigt!"; Num 21,7: Dieser Text unterscheidet sich insofern, als das Volk der Mosegeneration hier zugibt, sich mit seiner Klage über "die elende Speise" der "Sünde" schuldig gemacht zu haben, weil es gegen den Herrn und auch gegen seinen menschlichen Führer, Mose, gemurrt hatte; 1 Sam 12,19: Die Israeliten der Samuelepoche erkennen an, dass sie, indem sie einen König forderten, dies "zu all ihren Sünden hinzugefügt haben"; Esra 10,13: Das Volk erkennt vor Esra, schwer gesündigt zu haben, da man sich mit fremden Frauen verheiratet hatte; vgl, auch Ps 65,2; 90,8;103,10 (107,10-11.17); Jes 59,9-15; 64,5-9; Jer 8,14;14,7; Klgl 1,14.18a. 22 (das "Ich" ist hier die Personifikation Jerusalems); 3,42 (4,13); Bar 4,12-13: Zion ruft die Sünden seiner Söhne wach, die zu seiner Verwüstung beigetragen haben; Ez 33,10; Mi 7,9 ("Ich").18-19. (32) Zum Beispiel Ex 9,27, wo der Pharao zu Mose und Aaron sagt: "Diesmal bekenne ich mich schuldig. Jahwe ist im Recht; ich aber und mein Volk, wir sind im Unrecht."; Ex 34,9: Mose bittet: "Vergib uns unsere Schuld und Sünde"; Lev 16,21: Der Hohepriester bekennt am großen Versöhnungstag die Sünden des Volkes, während er seine Hände auf den Kopf des "Sündenbocks" legt und diesem so die Sünden auflädt; Ex 32,11-13 (vgl. Dtn 9,26-29: Mose); Ex 32,31 (Mose); 1 Kön 8,33ff. (vgl. 2 Chr 6,22ff.): Salomon bittet, dass Gott mögliche zukünftige Sünden vergebe; 2 Chr 28,13: Die Führer Israels beteuern: "Unsere Schuld ist schon groß genug; Esra 10,2. Schechanja sagt zu Esra: "Ja, wir haben unserem Gott die Treue gebrochen; wir haben fremde Frauen aus der Bevölkerung des Landes geheiratet; Neh 1,5-11: Nehemia bekennt die vom Volk Israel begangenen Sünden, sowohl seine eigenen wie auch die des Hauses seines Vaters; Est 4,17n: Esther bekennt: "Wir haben gesündigt gegen dich und du hast uns unseren Feinden ausgeliefert, weil wir ihre Götter verehrt haben"; 2 Makk 7,18. 32: Die jüdischen Märtyrer bekennen, dass sie zu leiden haben wegen "unserer Sünden" gegen Gott. (33) Als Beispiele kann man anführen 2 Kön 22,13 (vgl. 2 Chr 34,21): Joschija fürchtet den Zorn des Herrn, "weil unsere Väter auf die Worte dieses Buches nicht gehört haben; 2 Chr 29,5-7: Der König Hiskija sagt zu den Priestern und Leviten: "Heiligt euch jetzt, und heiligt das Haus des Herrn. Schafft alles Unreine aus dem Heiligtum. Unsere Väter haben treulos gehandelt und getan, was dem Herrn missfiel"; Ps 78,8ff.: Der Beter spricht in Ich-Form: "... damit sie nicht werden wie ihre Väter, jenes Geschlecht voll Trotz und Empörung; zu beachten ist aber auch die sprichwörtliche Rede Jer 31,29f. und Ez 18,2: "In jenen Tagen sagt man nicht mehr: Die Väter haben saure Trauben gegessen, und den Söhnen werden die Zähne stumpf. Nein, jeder stirbt nur für seine eigene Schuld: nur dem, der die sauren Trauben isst, werden die Zähne stumpf. (34) Dies ist etwa der Fall Lev 26,40: Die Exilierten sollen "ihre und ihrer Väter Treulosigkeit eingestehen"; Esra 9,56-15, das Bußgebet des Esra, V. 7: "Seit den Tagen unserer Väter bis heute sind wir in großer Schuld"; vgl. Neh 9,6-37; Tob 3,1-5: In seinem Gebet ruft Tobit zu Gott: "Strafe mich nicht für die Sünden und Fehler, die ich und meine Väter dir gegenüber begangen haben (V. 3). In V. 5 stellt er fortfahrend fest: "denn wir haben deine Gebote nicht gehaltene"; Ps 79,8-9: In diesem Volksklagelied wird Gott angefleht: "Rechne uns die Schuld der Vorfahren nicht an ... Reiß uns heraus und vergib uns die Sünden!"; Ps 106,6: "wir haben gesündigt wie unsere Väter"; Jer 3,25: "Wir haben gesündigt gegen den Herrn unseren Gott ... wir und unsere Väter"; Jer 14,19-22: "Wir erkennen, Herr, unser Unrecht und die Schuld unserer Väter" (V. 20); Klgl 5,7: "Unsere Väter sündigten; sie sind nicht mehr. Wir müssen ihre Schuld tragen"; Klgl 5,16 b: "Weh uns, wir haben gesündigt; Bar 1,15-3,18; Bar 1,17: "wir haben gesündigt vor dem Herrn; vgl. Bar 1,19. 21; 2,5. 24; Bar 3,5: "gedenke nicht der Treulosigkeit unserer Väter; vgl. 2,23; 3,4.7; Dan 3,26-45: Asarja betet: "Ja, nach Wahrheit und Recht hast du all dies wegen unserer Sünden herbeigeführte (V. 28); Dan 9,4-19: "Wegen unserer Sünden und der bösen Taten unserer Väter sind Jerusalem und das ganze Volk zum Gespött für alle geworden, die rings um uns wohnen" (V.16). (35) Das schließt den Mangel an Vertrauen Gott gegenüber ein (wie zum Beispiel Dtn 1,41; Num 14,10), die Idolatrie (wie in Ri 10, 10-15), das Verlangen nach einem Menschen als König (1 Sam 12,9), die Eheschließung mit fremden Frauen im Widerspruch zum Gesetz
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Gottes (Esra 9-10). In Jes 59,13 b sagt das Volk von sich: "Wir reden von Gewalt und Aufruhr, wir haben Lügen im Herzen und sprechen sie aus." (36) Einen vergleichbaren Fall stellt die Verstoßung der fremden Frauen durch die Juden nach Esra 9-10 dar. Die Frage nach einer Bitte um Vergebung für die negativen Konsequenzen, die das für diese Frauen und ihre Nachkommen hatte, stellt sich nicht, da diese Verstoßung als Ausführung des Gesetzes Gottes aufgefasst wurde (vgl. Dtn 7,3). (37) Man kann hier an die ständig gespannten Beziehungen zwischen Israel und Edom denken. Obwohl Edom eigentlich ein "Brudervolk" Israels war, nahm es begeistert an der Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier teil (vgl. Obd 10-14). Angesichts dieser schändlichen Behandlung sah Israel keine Notwendigkeit, für das Blutbad an unbewaffneten edomitischen Gefangenen unter dem König Amazja um Vergebung zu bitten (vgl. 2 Chr 25,12). (38) Johannes Paul II., Ansprache am 1. September 1999, in: L`Osservatore Romano, 2. September 1999, 4 (L`Osservatore Romano dt. vom 10. September 1999, 2). (39) Vgl. TMA, 33-36. (40) T'MA, 33. (41) Man denke hier an das bei den christlichen Autoren verschiedener Epochen stets gegenwärtige Motiv des Tadels an der Kirche wegen ihrer Schuld. Ein besonders repräsentatives Beispiel bietet Maximus Confessor, Liber asceticus; PG 90,912-956. (42) Lumen gentium, 8 (43) Katechismus der Katholischen Kirche (1993), Nr. 770. (44) Lumen gentium, 8. (45) Lumen gentium, 8, vgl, auch Unitatis redintegratio, 3 und 6. (46) Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 827. (47) Paul VL, Credo des Volkes Gottes (30. Juni 1968), Nr.l9 (zitiert in Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 827). (48) Lumen gentium, 39. (49) Lumen gentium, 40. (50) Lumen gentium, 48. (51) Augustinns, Sermo 181,5,7 (PL 38,982). (52) Thomas von Aquin, Summa theologiae III, q. 8, a. 3, ad 2. (53) Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2839. (54) Ambrosius, De virginitate, 8,48 (PL 16,278 D): "Caveamus igitur, ne Lapsus noster vulnus Ecclesiae fiat." Vgl. Lumen gentium, 11: "Die aber zum Sakrament der Buße hinzutreten, erhalten für ihre Gott zugefügten Beleidigungen von seiner Barmherzigkeit Verzeihung und werden sogleich mit der Kirche versöhnt, die sie durch ihre Sünde verwundet haben und die zu ihrer Bekehrung durch Liebe, Beispiel und Gebet mitwirkt." (55) TMA, 33. (56) Vgl. K. Delahaye, La Comunità. Madre dei credenti, Cassano M. (Bari) 1974, 110. Vgl. auch Hugo Rahner, Mater Ecclesia. Lobpreis der Kirche aus dem ersten Jahrtausend christlicher Literatur, Einsiedeln 1944. (57) Lumen gentium, 64. (58) Augustinus, Sermo 25, 8 (PL 46,938): "Mater ista sancta, honorata, Mariae similis, et parit et Virgo est. Ex illa nati estis et Christum parit: nam membra Christi estis." (59) Cyprian von Karthago, De Ecclesiae Catholicae unitate, 6 (CCL 3,253): "Habere iam non potest Deum patrem qui ecclesiam non habet matrem"; ders., Ep. 74,7 (CCL 3C,572): "Ut habere quis possit Deum Patrem, habeat ante ecclesiam matrem"; Augustinus, In Ps. 88, sermo 2,14 (CCL 39,1244): "Tenete ergo carissimi, tenente omnes unanimiter Deum patrem, et matrem Ecclesiam." (60) Paulinus von Nola, Carmen 25,171f. (CSEL 30,243): "Inde manet mater aeterni semine verbi / concipiens populos et pariter pariens." (61) T'MA, 35. (62) Vgl. Ignatius von Antiochien, An die Römer, Proem. (SCh 10,124; Th. Camelot, Paris (2) 1958). (63) Vgl. TMA, 33 und 34. (64) Johannes Paul IL, Ansprache an die Teilnehmer der Internationalen Studientagung zur Erforschung der Inquisition (31. Oktober 1998), veranstaltet von der TheologischHistorischen Kommission des Zentralkomitees des Heiligen Jahres, Nr. 4 (L`Osservatore Romano dt. vom 20.11.1998, 7). (65) Vgl. insgesamt Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer
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philosophischen Hermeneutik, Tübingen 3. erw. Aufl. 1972. (66) Bernard J. F. Lonergan SJ, Methode in der Theologie, übers. u. hg. von Johannes Bernard, Leipzig 1991,162 (67) TMA, 35. (68) Johannes Paul IL, Ansprache am 1. September 1999, in; L`Osservatore Romano, 2. (69) September 1999, 4 (L`Osservatore Romano dt. vom 10. September 1999, 2). (69)Vgl. T'MA, 34-36. (70) Unitatis redintegratio, l. (71) Ebd. 13. In T'MA, 34 heißt es: "Mehr noch als im ersten Jahrtausend hat die kirchliche Gemeinschaft im Verlauf des nun zu Ende gehenden Jahrtausends schmerzliche Trennungen erlebt, die offenkundig dem Willen Christi widersprechen und der Welt ein Ärgernis sind." (72) Ebd. 13 (73) Unitatis redintegratio, 13. (74) Siehe die Eröffnungsansprache zur II. Konzilssession am 29. September 1964 (Enchiridion Vaticanum 1, 106, n.176). (75) Vgl. die Dokumentation des Dialoges der Liebe zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Patriarchal von Konstantinopel im Tómos Agápes: Vatican-Phanar (1958-1970), Rom / Istanbul 1971 (76) Unitaus redintegratio, 7. (77) Ebd. 7. (78) T'MA, 35. (79) Johannes Paul IL, Ansprache vom 1. September 1999, in: L`Osservatore Romano, 2. September 1999, 4 (L`Osservatore Romano dt. vom 10. September 1999). (80) TMA, 35. Das Konzilszitat stammt aus Dignitatis Numanae, l. (81) Das II, Vatikanum hat dieses Thema in der Erklärung Nostra Aetate mit großem Nachdruck behandelt. (82) Johannes Paul IL, Ansprache anlässlich des Besuches der römischen Synagoge (13. April 1986), 4 (AAS 78,1986,1120; L`Osservatore Romano dt. vom 18. April 1986). (83) So das Urteil im jüngsten Dokument der Kommission für die Religiösen Beziehungen zum Judentum Wir erinnern. Eine Reflexion über die Shoah, Rom, l6. März 1998, 3. (84) Ebd. 7. (85) Wir erinnern. Eine Reflexion über die Shoah, 5. (86) Ebd. 6. (87) Ebd. 5. (88) T'MA, 36. (89) Gaudium et spes, 19. (90) Gaudium et spes, 19. (91) TMA, 33. (92) Man denke nur an das Zeichen des Martyriums: vgl. TMA, 37. (93) Unitatis redintegratio, 6. (94) Ebd. 4. (95) Ebd. 6: "Jede Erneuerung der Kirche besteht wesentlich im Wachstum der Treue gegenüber ihrer eigenen Berufung." (96) TMA, 36 (97) Diese starke Formulierung geht zurück auf den hl. Augustinns, De Trinitate I,13, 28 (CCL 50, 69,13); Ep.169,2 (CSEL 44,617); Sermo 342 A,1 (Misc. Agost. 314,22) (98) Johannes Paul IL, Ansprache an die Teilnehmer des Internationalen Symposiums zum Studium der Inquisition (31. Oktober 1998) 5. (99) Irenäus von Lyon, Adversus haereses IV, 20, 7 (N. Brox: FC 8/4, Freiburg 1997, 166): "Gloria enim Dei vivens homo, vita autem hominis visio Dei." (100) Johannes Paul II., Ansprache vom 1. September 1999, in: L`Osservatore Romano, 2. September 1999, (101) Ansprache im europäischen Zentrum für Kernforschung (CERN), Genf am 15. Juni 1982, in: Insegnamenti di Giovannni Paolo II, V,2, Vaticano 1982, 2321 (dt: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 40, 34-40). (102) TMA, 33. Quelle: http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/cti_documents/rc_con_cfaith_doc_20000307_memoryreconc-itc_ge.html
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XI. Benutzte Literatur 1.) Augustinus, De Civitate Dei - Die Gottesbürgerschaft/Herausgeber: Hans Urs von Balthasar, Frankfurt a.M. 1961 2.) Baetke, Dr. Walter, Die Religion der Germanen in Quellenzeugnissen, Frankfurt a.M., 1937 3.) Beck, Dr. Georg, Der heilige Otto von Bamberg, Bamberg 1962 4.) Benoist-Mechin, Jacques, Kaiser Julian oder der verglühte Traum, Gütersloh, o.J. 5.) Celsus, Gegen die Christen, übersetzt aus dem griech. von Th. Keim, München, 1984 6.) Charroux, Robert, Die Meister der Welt, München/Zürich, 1974 7.) Deschner, Karlheinz, Kirche des Unheils, München, 1980 7a.) Drewitz, Ingeborg, Märkische Sagen, Frankfurt a.M./Berlin/Wien 1985 8.) Fülöp-Miller, Rene, Macht und Geheimnis der Jesuiten, Berlin, 1929 9.) Galeano, Eduardo, Die offenen Adern Lateinamerikas, Ost- Berlin, 1974 10.) Glasenapp, Helmuth von, Die nichtchristlichen Religionen, Frnankfurt am Main, 1957 11.) Golther, Wolfgang, Handbuch der germanischen Mythologie, Nachdruck der Ausgabe von 1908, Stuttgart o.J. 12.) Grässe, J.G. Th., Sagenbuch des Preußischen Staates, 2 Bände, Nachdr. , Hildesheim/New York, 1977 13.) Grimm, Jacob, Deutsche Mythologie, Bd. I-III, Nachdruck, Frankfurt a.M.-Berlin, 1981 14.) Hartmann, Karl, Atlas-Tafel-Werk zu Bibel und Kirchengeschichte, Bd. II u. III, Stuttgart 1980/81 15.) Herrmann, Paul, Deutsche Mythologie, Nachdruck, Stuttgart, o.J. 16.) Heussi, Karl, Kompendium der Kirchengeschichte, 16. Aufl., Tübingen, 1981 17.) Hinze, Christa,(Hrsg.), Ostpreussische Sagen, Frankfurt a.M.-Berlin, 1987 18.) Jung, Erich, Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit, München/Berlin, 1939 19.) Keller, Werner, Ost minus West=Null, München/Zürich 1973 19a.)Keller, Werner, Denn sie entzündeten das Licht, München/Zürich 1970 20.) Kern, Helmut, (Herausgeber), Brennende Gegenwartsfragen, Neuendettelsau, 1934 21.) Klee, Ernst, "Die SA Jesu Christi", Die Kirche im Banne Hitlers, Frankfurt a.M., 1989 22.) Marwick, Max, (Herausgeber), Witchcraft and Sorcery, Harmondsworth, Middlesex, England, 1987 23.) Mayer, Dr. Anton, Mittelalter Teil II, R.Oldenbourgs geschichtliches Quellenwerk, Berlin u. München o.J. 24.) Neckel, Dr. Gustav, Das Schwert der Kirche und der germanische Widerstand, Leipzig, 1934 25.) Othegraven, Friedhelm von, Litanei des Weißen Mannes, Struckum, 1986 26.) Papadopoulos, S.A., Das Kloster Johannes des Theologos, Patmos, 1977 26a.)Peuckert, Will-Erich, Deutscher Volksglaube des Spätmittelalters, Stuttgart, 1942 27.) Preradovich, Nikolaus v., u. Stingl, Josef, "Gott segne den Führer"-Die Kirchen im dritten Reich, Leoni, 1986 28.) Reche, Prof. Dr. O., Kaiser Karls Gesetz zur politischen und religiösen Unterwerfung der Sachsen, Leipzig, 1935 28a.) Reik, Theodor, Der eigene und der fremde Gott, Frankfurt am Main, 1972 28b.)Schmidt, Johann Georg, Die gestriegelte Rockenphilosophie, Bd. I u. II, Neudruck der Ausgabe Chemnitz 1718/1722, Leipzig 1987 29.) Schmidt, Kurt Dietrich, Grundriß der Kirchengeschichte, Ergänzungsband Chronolgische Tabellen zur Kirchengeschichte, Göttingen, o.J. 30.) Scholz, Wilhelm, Die Umwertung des germanischen Brauchtums durch die Missionierung, Bensberg 1974 31.) Sprenger, Jakob u. Institoris, Heinrich, Der Hexenhammer, übers. von J.W.R. Schmidt, Nachdruck, 7. Aufl., München, 1987 32.) Steiner, Rudolf, Die Mission einzelner Volksseelen, Dornach, 1983
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