Nr. 431
Die Galionsfigur In den Fesseln der DARIEN von Hans Kneifel
Nachdem Atlantis-Pthor, der Dimensionsfahrstuhl, ...
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Nr. 431
Die Galionsfigur In den Fesseln der DARIEN von Hans Kneifel
Nachdem Atlantis-Pthor, der Dimensionsfahrstuhl, in der Peripherie der Schwarzen Galaxis zum Stillstand gekommen ist, hat Atlan die Flucht nach vorn ergriffen. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zu kommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreicht das sogenannte Marantroner-Revier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wird. Dort, von Planet zu Planet eilend und die Geheimnisse der Schwarzen Galaxis ausspähend, haben Atlan und seine Gefährtin schon so manche tödliche Gefahr ge meinsam bestanden – bis der Planet Dykoor zu Thalias Grab wurde. Doch auch nach Thalias Tod geht für den Arkoniden die kosmische Odyssee wei ter – und zwar von Säggallo zum Planeten Ghyx und von dort zum Stern der Läute rung, wo Atlan in eine nahezu ausweglose Situation gerät. In der äußersten Bedrängnis nimmt der Arkonide die einzige Chance wahr, die ihm noch verbleibt. Er wird DIE GALIONSFIGUR …
Die Galionsfigur
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Arkonide flieht in die absolute Versklavung.
Cembergall-Flyrt - Atlans Freund auf Xudon, dem Marktplaneten.
Gink Nik Meus - Ein Noder.
Gridersold-Herp - Ein Barbar von Trimor.
1. Ärterfahl, der schreckliche Werftplanet, bildete die drohende Kulisse vor den Organ schiffen der Suchkommandos. Jede Bewe gung der Scuddamoren-Schiffe zeigte dem Fremden die Gefahr, in der er sich befand. Binnen kurzer Zeit würden sie ihn gefunden haben. Er konnte nicht fliehen, denn die DARIEN war ohne Galionsfigur wie die an deren, unbeweglich im Pulk schwebenden Schiffe. Er hatte Ärterfahl als Produktions stätte für Organschiffe weitestgehend ausge schaltet. Wenn ihn die Scuddamoren fingen, würden sie grausame Rache nehmen. Er konnte nichts anderes tun als innerhalb der relativ kleinen DARIEN hin und her zu ren nen. Rund hundertzehn Meter war der läng ste Schiffskorridor, von der Luke im hochra genden Heckteil bis zur transparenten Kup pel im zylindrischen Teil des leeren Schif fes. Die DARIEN hatte sich in eine tödliche Falle verwandelt. Der Fremde blieb an der Schnittlinie zwischen Schiffswandung und Galionsfigur-Kuppel stehen. Innerhalb der DARIEN war es dunkel; nicht die kleinste Beleuchtungseinheit war von ihm aktiviert worden. Noch drei größere Schiffe schweb ten zwischen der DARIEN und den aus schwärmenden Kommandos, die zwischen den dunklen, genarbten Rümpfen mit star ken Scheinwerfern suchten, in die Schiffe eindrangen und Raum um Raum absuchten. Soviel Zeit, wie die Scuddamoren brauch ten, um die drei Organschiffe zu durchsu chen, blieb noch bis zur Entdeckung. In rund fünfzehn Minuten würden die Beiboote an docken. Dann war die letzte Chance vertan. Und der Extrasinn schwieg hartnäckig! Atlan starrte die verwirrenden Anschlüsse der Regler an, die unzähligen Schalteinrich
tungen und den Sitz, der einmal die Galions figur aufnehmen sollte. Er berührte hier einen Kontakt, drehte dort einen Schalter und versuchte, einen Sinn zu erkennen. Es war so gut wie unmöglich, selbst für einen erfahrenen Raumfahrer wie ihn, dieses Or ganschiff auf herkömmliche Weise zu steu ern. Diese Erkenntnis war für ihn keines wegs neu. Aber hier fand er sie wieder einmal bestä tigt. Die gesamte Raumfahrt in der Schwar zen Galaxis und in deren kosmischer Umge bung hing von der Existenz der versklavten Galionsfiguren ab. Ein Lichtstrahl wanderte durch die Kuppel und ließ Schalter und schlangenartige Leitungsbündel aufleuchten. Hinter einem durchsuchten Organschiff, ebenfalls ohne Galionsfigur, kam das Scud damoren-Boot hervor und driftete langsam auf das nächstschwebende Schiff zu. Wieder waren einige Minuten vergangen, ohne daß es Atlan gelungen wäre, die DARIEN in Be trieb zu setzen. Er mußte flüchten! Es gab keine andere Chance. Die Alternative war der Tod. Oder ein Schicksal, das noch grau enhafter war. Atlan schloß die Augen, ver suchte eine innerliche Haltung der Abge klärtheit und Entschlossenheit einzunehmen und setzte sich dorthin, wo der definierte Platz der Galionsfigur war. »Ich kann nicht anders!« sagte er leise. Das Material des Sitzes reagierte augen blicklich. Es wuchs nach allen Seiten aus einander und bot seinem Körper die ideale, weiche Unterlage. In einem zweiten Schein werferstrahl, der ohne Ziel durch das durch sichtige Material der Kanzel schlug, leuchte te diesmal das Goldene Vlies auf. Der Sitz schmiegte sich um Atlans Körper und mil derte den ersten Schock, den der Arkonide erwartet hatte. Aber ebenso schnell kam ein gespenstisches Leben in das Schlangennest
4 vielfarbiger Kabel. Es waren Hunderte verschiedener An schlüsse. »Mit diesem Schicksal habe ich niemals rechnen können«, flüsterte Atlan und unter drückte die panische Furcht, die er immer stärker empfand. Die Fortsätze an den En den der Kabel ähnelten Saugnäpfen. Jetzt verhielten sie sich tatsächlich wie die Köpfe langsam zustoßender Kobras. Zwei von ih nen trafen Atlans Schläfen und hefteten sich absolut schmerzlos an die Haut. Schon in der nächsten Sekunde verging das Gefühl, von Fremdkörpern berührt zu werden. Andere Anschlüsse trafen seine Handrücken, hefteten sich an seine Finger, schoben sich unter dem goldglänzenden Ma terial des Anzugs der Vernichtung über die Haut und klebten irgendwo fest. Atlan verlor vorübergehend das Zeitge fühl. Je mehr Saugnäpfe, Drähte, Sensoren oder chemoelektrische Adapter seinen Kör per an das Schiff fesselten, desto mehr ver änderte sich seine Einstellung zu dem schrecklichen Problem. Seine Angst schwand dahin. Sein Bewußtsein veränderte sich. Er akzeptierte sein Los. Seine Identität löste sich teilweise auf, der Verlust wurde ergänzt durch das Empfinden, Teil des Schiffes zu sein, und der Verlust wurde er setzt durch die Überzeugung, daß das Or ganschiff Teil seines Körpers und seines Be wußtseins wurde. Als der Mann von Pthor-Atlantis die erste Phase der Verschmelzung hinter sich hatte und wieder glaubte, klar denken zu können, sagte er sich: Vor ernsthaften Verletzungen wird mich der Anzug der Vernichtung schützen. Und vor anderen Angriffen auf meine Gesundheit schützt und bewahrt mich der Zellschwin gungsaktivator. Nur der Logiksektor oder der Extrasinn beschützt und warnt mich nicht mehr, denn er schweigt oder ging … verloren? »Ich bin also der Motor des Organ schiffs«, sagte Atlan halb resignierend, halb
Hans Kneifel noch immer in der Angst, von den Scudda moren ergriffen zu werden. Die DARIEN erwachte. Maschinen, die er nicht kannte, schalteten sich ein. Leichte Vi brationen durchliefen den Rumpf des Organ schiffs. »Und zum Zentrum des Schiffes wurde ich wohl auch«, murmelte Atlan und spannte seine Muskeln. Die unzähligen Kabel und Sensoren hatten sich beruhigt und bewegten sich nicht mehr wie Schlangen oder seltsame Fäden, die in einer unsichtbaren Strömung trieben. Aber noch schwebte das Schiff ru hig an seinem Platz, im Orbit und im Ver band der anderen, regungslosen Organkon struktionen. Ein anderes Gefühl durchdrang Atlan. Ohne daß er es gelernt hatte, wußte er, wie jede einzelne technische Zelle der DARIEN funktionierte. Sie funktionierte nur, wenn er es wollte. Gedankliche Befehle genügten; sie mußten nicht einmal scharf formuliert werden. Er begriff: das Schiff lehrte ihn binnen Sekundenbruchteilen, wie es beherrscht werden wollte. Atlan wußte mit absoluter Sicherheit, daß es einem Or ganschiff unmöglich gemacht wurde, ohne Galionsfigur längere Strecken im Gebiet der Schwarzen Galaxis zurückzulegen. »Ich bin jetzt der Steuermann der DARI EN!« Sein Verstand schien sich auf zwei Ebe nen zu befinden. Einerseits hatte er das Be wußtsein seiner eigenen Persönlichkeit nicht verloren. Entscheidende Teile fehlten zwar, aber er konnte nicht definieren, um welche es sich handelte. Andererseits fühlte er im mer mehr, wie er zu einem integrierten Be standteil der DARIEN wurde. Er erkannte, daß er sich selbst an ein Lebenserhaltungs system angeschlossen hatte. Binnen rund zehn Minuten war der gesamte Vorgang der Integrierung abgeschlossen. Die DARIEN und Atlan gehörten zusammen. Sie waren untrennbar. Atlan ahnte, daß die geistige und verstan desmäßige Verarbeitung dieser Verschmel zung noch lange nicht beendet war.
Die Galionsfigur
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Noch konnte er nach seinem freien Willen handeln. Er mußte fliehen, ehe jenes Schiff dort vorn sich wieder in Bewegung setzte und versuchte, an der DARIEN anzulegen. Die neue Galionsfigur dachte eine Reihe ziemlich exakter Befehle …
* Der Kommandant des Schiffes deutete nach vorn und sagte: »Der Saboteur versteckt sich mit größter Sicherheit in der DARIEN. Steuere dort hin.« Die Galionsfigur, ein grünschillerndes Quallenwesen mit einem weichen Fell, ge horchte wortlos. Galionsfiguren hatten kei nen eigenen Willen; sie gehorchten demjeni gen, der die Befehle gab. Ihr persönlicher Sinn für Freiheit war ihnen spätestens in dem Augenblick abhanden gekommen, an dem sie mit dem Schiff auf Gedeih und Ver derb verschmolzen waren. Das gerundete Organschiff schwenkte halb herum und nä herte sich langsam dem kleineren Schiff. »Scheinwerfer an!« Eine Batterie von Lande und Suchschein werfern wurde aktiviert. Fünfzig riesige Lichtquellen schleuderten Helligkeit in die Richtung des anderen Schiffes. Scuddamo ren schwebten durch das Licht, das sich kreisförmig und grell auf der Außenhaut der DARIEN abzeichnete. »Durchsucht dieses Schiff!« ordnete der Scuddamore mit dröhnender Stimme an. Die Galionsfigur besorgte auch die Verteilung des Funkverkehrs zwischen den Zentralen und den schwebenden Kommandos. »Verstanden.« Hinter seinem Schattenschild zuckte der verantwortliche Scuddamore zusammen. Er starrte an dem kantigen Schädel der Galions figur vorbei durch die Kanzel. Die relativen Bewegungen der Schiffe zueinander … et was stimmte nicht. Die DARIEN zeigte An zeichen eigener Bewegung. Unmöglich! Sie konnte sich gar nicht bewegen! Sie bewegte sich!
Das kleinere Schiff glitt hinter den schwe benden Scuddamoren, den kleinen Raum booten und den Kreisen des Scheinwerfer lichts nach links. Die Bewegung wurde schneller, verlief aber nach wie vor geradli nig. Dann war das Schiff aus dem Bereich der Suchscheinwerfer verschwunden und nahm Fahrt auf. Der Scuddamore stand wie erstarrt vor Verwunderung und Schrecken da. In seinem Kopf überschlugen sich die Ge danken. Er und seine Untergebenen hatten versagt, aber diesen Umstand hatte niemand selbst in den kühnsten Überlegungen ahnen können. Ein Schiff flog ohne Galionsfigur! Der Fremde hatte es geschafft, ein Schiff auf eine Weise zu steuern, die es einfach nicht gab. »Den Kurs des Schiffes feststellen und die Richtung extrapolieren!« befahl er unsicher. Auf den Schirmen der Ortungsanlagen sah er, wie sich der Impuls der DARIEN in rasender Geschwindigkeit aus dem Orbit um Ärterfahl entfernte und dann in den freien Raumflug überging. Die Kommandanten der anderen Suchschiffe hatten eine Spur schneller reagiert und versuchten, mit den Ferngeschützen die DARIEN zu treffen, aber die zu hastigen Zielmanöver führten zu keinem Erfolg. Das Ortungsecho verschwand, noch ehe die Schiffe sich in Bewegung gesetzt hatten, hinter der Krümmung des Planeten. Der Sa boteur war entkommen und hatte auch noch ein Schiff gestohlen. Chirmor Flog würde seine Wut über die Verantwortlichen aus schütten.
* Ein wildes Gefühl der Freiheit flackerte in Atlan auf. Aber schon nach kurzer Zeit ver ging diese Hochstimmung wieder und mach te einer melancholischen Sicht der Probleme Platz. »Ich weiß«, sagte er zu sich, »daß eine Galionsfigur zusammen mit dem Schiff lebt – und stirbt.«
6 Ein Versuch, Schiff und Steuermann von einander zu trennen, endete unweigerlich mit dem Tod des Steuermanns. Auch dies wußte Atlan aus früheren Wochen und Mo naten. Noch besaß er das Bewußtsein seiner Identität und freien Willen. Er sagte sich – und noch immer meldete sich der Logiksek tor nicht –, daß er seinen freien Willen ver lieren würde, wenn es an Bord jemanden gab, der Befehle erteilte. Dann würde er ebenso gehorchen wie die anderen Galions figuren. Es gab keine große Plejade mehr, die ihm half, wie sie anderen Galionsfiguren geholfen hatte, frei zu werden. Er hatte sein Leben gerettet. Dafür hatte er seine Freiheit wieder ein mal verpfändet. Gab es, wenigstens für diesen Flug, ein Ziel? Vorläufig konzentrierte er sich noch im mer darauf, aus dem Sonnensystem des schauerlichen Planeten zu entkommen. Alle anderen Probleme wurden zweitrangig: Pthor und Razamon, die ferne Erde, der Ver such, die Schwarze Galaxis und deren Machthaber zu besiegen, der Verlust vieler Freunde, die keinerlei Ähnlichkeit mit ihm gehabt hatten, und der Verlust Thalias, sei ner Geliebten und Kampfgefährtin. Er war völlig auf sich selbst gestellt. Seine Einsam keit begann ihn zu lähmen. Er hatte sich selbst zu einem Leben in Sklaverei verur teilt, das er nicht mehr beherrschen konnte. Er war auf Leben und Tod mit dem Schicksal der Organmasse hinter sich ver bunden. Er sagte sich, daß immer noch so lange Hoffnung war, wie Leben herrschte. Aber diese Hoffnung war nur ein winziger Funke, der kleiner wurde, je länger Atlan die Galionsfigur der DARIEN bleiben würde. Atlan stieß hervor: »Mein Logiksektor! Der Extrasinn hätte einen Ausweg gefunden. Ich habe mich in diese Situation nur bringen können, weil ich halb von Sinnen war. Es gab nichts und nie manden, der mich gewarnt hätte! Leichtsinn, bodenloser Leichtsinn, gepaart mit Todes angst, hat mich in diese Situation gebracht.«
Hans Kneifel Das Organschiff wurde schneller und schneller. Atlan spürte die Bewegung mit seinem Körper. Er war bereits ein vollkom men selbständiger Steuermann des Schiffes und richtete den Flug auf ein erstes, vorläu figes Ziel aus: auf einen Stern, den er gese hen hatte, und dessen Spezifikationen er ei nem Bordspeicher entnehmen konnte. Die DARIEN verließ die Einflußzone des Plane ten, ohne verfolgt und entdeckt zu werden. Sie befanden sich in trügerischer Sicherheit. Sie, das waren ATLANDARIEN, oder DARIENATLAN – die Galionsfigur und das Organschiff. »Meine Odyssee beginnt jetzt«, sagte At lan dumpf. Eine längst verdrängte Erinnerung breitete sich aus und wurde deutlicher. Immerhin hatte er im Bereich des Marantroner-Reviers einen Freund. Oder er kannte zumindest ein Wesen, das nicht nur sein Leben, sondern womöglich auch seinen gesellschaftlichen Aufstieg seiner, Atlans, Hilfe verdankte. At lan erinnerte sich auch an die Abmachung, die zwischen ihnen getroffen worden war. Sein perfektes Gedächtnis hatte offensicht lich noch nicht gelitten. Half der Zellaktiva tor? Das Schiff raste auf dem neuen Kurs da hin. Einen Moment lang spielte Atlan mit dem Gedanken, nach Pthor zu suchen und dort zu landen. Dann aber verwarf er diese Überle gung wieder: seit langer Zeit waren dort ebenfalls die Scuddamoren, und der »König von Atlantis« als integrierter Bestandteil ei nes Raumschiffes …? Es würde die Pthorer bis zur Bewegungslosigkeit deprimieren. At lan begann einzusehen, daß er seine nackte Existenz um einen viel zu hohen Preis er kämpft hatte. Seine Gedankenbefehle aktivierten, die Speicher eines Bordrechners. Langsam betrachtete er die Daten und Ko ordinaten der verschiedenen Planeten und Sonnensysteme, die in Flugrichtung lagen. Immer wieder suchten Anfälle von Hoff nungslosigkeit die Galionsfigur heim. Sein
Die Galionsfigur eigener Wille schrumpfte zusammen. Atlan ertappte sich, daß er auf Befehle und Anord nungen wartete. Aber es gab keine Mann schaft, die ihm sagte, was zu tun war. Dann wieder raffte er sich auf und jagte das Schiff durch einen Strom konstruktiver Gedanken vorwärts. Ein letztes Aufbäumen seines ei genen Willens. »Nein! Es wird nicht das letztemal sein!« suggerierte er sich und hetzte das Schiff weiter. Das Triumphgefühl, allein durch ge dankliche Impulse ein Raumschiff souverän zu lenken, hielt nicht lange an. Er hatte nur sich selbst, konnte nur Selbstgespräche füh ren. Darüber hinaus gab es innerhalb des Schiffes zahllose Arbeiten, die nur von wirklichen Raumfahrern ausgeführt werden konnten; ATLANDARIEN konnte landen, starten, die Luken öffnen und alles schalten, aber er konnte nicht mehr herumgehen oder gar das Schiff verlassen. Langsam versuchte er, sich über die Kon sequenzen seines überstürzten Handelns klar zu werden. Die Sterne des noch immer fremden Kos mos lagen vor ihm. Das Schiff raste geradeaus. Das erste Ziel der Flucht hieß Noderzerf und war ein klei ner, unbewohnter Sauerstoffplanet. Atlan wußte selbst nicht genau, was er dort wollte. Vielleicht fand er jemanden, der seine Ein samkeit teilte. Scuddamoren oder andere Schergen, Mit arbeiter oder Agenten des Neffen Chirmor Flogs hatten allerdings in seinen Überlegun gen keinen Platz. Er brauchte für die Zeit, während der er an die DARIEN gefesselt war, echte Freunde. Rechne ich damit, fragte er sich, daß ich mich von der DARIEN befreien kann? Der Schock der Erkenntnis, sich in eine ausweglose Lage manövriert zu haben, rief diesen Trotzeffekt hervor. Atlan rechnete damit, irgendwann von diesem Schiff freizu kommen. Er sah diesen Vorgang jetzt noch als ein technisches Problem an. Sicher schaffte er es nicht, sich sämtliche Saugnäp fe und Sensoren aus der Haut und dem Ge
7 hirn zu reißen – es würde ihn verbluten las sen und umbringen. Aber wenn es gelang, irgendwann, einen Strang nach dem anderen zu kappen … Die DARIEN reagierte. Das Schiff schränkte seinen Willen aber mals ein. Er vergaß diese Art Gedanken so fort. Im nachfolgenden hellen Moment sagte er sich, daß die Kombination Goldenes Vlies und Zellschwingungsaktivator ihn sicherlich vor den schlimmsten Folgen der Willenlo sigkeit und der Abhängigkeit bewahren wür den. Gibt es eigentlich überhaupt eine Mög lichkeit, daß ich mich vom Organismus des Schiffes lösen kann, ohne augenblicklich zu sterben? »Ich kenne keine!« sagte er niederge schlagen. Der Flug ging weiter. Atlan kontrollierte die Parameter des Kurses. Das System No derzerf mit seiner kleinen Sonne lag voraus. Atlan entlockte dem Speicher weitere Infor mationen. Er erinnerte sich nicht daran, aus welchem Grund er Noderzerf anfliegen wollte. Es gab etwas, zweifellos! Irgend et was suchte er dort. Aber die Verbindung mit dem Organschiff beeinträchtigte das hervor ragende Funktionieren seines perfekten Ge dächtnisses. Er wußte es noch immer nicht, als er die DARIEN durch die Lufthülle jag te, einen Landeplatz aussuchte und das Schiff vorsichtig im Zentrum einer großen, von Urwald umgebenen Lichtung landete.
* ATLANDARIEN wartete rund eine Stun de. Seine inneren Zustände wechselten mehr mals. Zuerst überschwemmte ihn eine Woge von Zorn und Selbstmitleid. Dann versuchte er, seinen eigenen Willen zurückzuerhalten, denn das Schiff beeinflußte ihn mehr und mehr. Schließlich beschäftigte er sich, nach dem er die Luken des Schiffes weit geöffnet hatte, mit dem Inhalt der vielen Speicher des Schiffes. Sie enthielten, wie nicht anders zu
8 erwarten, eine gewaltige Menge von Infor mationen, aber die Impulse waren nur das Basisprogramm, wie es für jede Galionsfigur entwickelt und gespeichert worden war. Nach dieser Zeit wußte er, warum er hier ge landet war. Es schien ein Notwehreffekt ein getreten zu sein. Er versuchte, sich selbst und seine geistige Gesundheit zu retten, in dem er ein Wesen ins Schiff lockte, das sei ne Einsamkeit teilte und sich mit ihm be schäftigte. Atlan aktivierte die Schiffslaut sprecher, deren Klang weit über die Lich tung und in den Wald hineinreichte. Er pfiff eine einfache, lockere Melodie und rief »Komm herein, Kleiner!« Die Informationen deckten sich mit sei nen bisherigen Beobachtungen. An einem Baum in der Nähe turnte ein feuerroter Wür fel herum. Die Kantenlänge betrug etwa zwanzig Zentimeter, und das Wesen sah aus, als könnte es tatsächlich je nach Bedarf ver schieden lange und unterschiedlich geformte Gliedmaßen produzieren. Mit der Geschick lichkeit eines Flugaffen sprang es hinüber auf eine Liane und beobachtete das Schiff aus unzähligen großen Augen. »Ich lade dich ein!« rief Atlan schmei chelnd. Er beobachtete das possierliche Wesen durch das Material der Galionsfigurenkuppel und über die Linsen in der Außenhülle und in den Schleusenhangars. Er hatte einen Dia logpartner gesucht. Die Informationen be sagten, daß die Noder halbintelligent waren und ein verblüffendes, reproduzierendes Sprachvermögen hatten. Die Scuddamoren interessierten sich nicht für diese Tiere, an der Schwelle zur Intelligenz, aber Atlan hat te die Noders in wenigen Exemplaren schon an anderen Stellen gesehen. Sogar auf Xu don hatte man sie verkauft. »Komm! Ich habe es zwar nicht eilig, aber …«, rief Atlan. Der Noder sprang auf federnden, langen Froschbeinen von glühend roter Farbe über die Gräser und niedrigen Gewächse der Lichtung und näherte sich ohne Mißtrauen der Luke im zylindrischen Hauptkörper der
Hans Kneifel DARIEN. Mit zwei langen Armen, die er aus den Seitenflächen des Würfelkörpers ausfuhr, balancierte er seine Sprünge aus, an deren Ende er auf der Rampe landete. Riesi ge Augen – wie die Augen eines Spielwür fels, dachte der Pthorer – blickten sich um. »Hierher! In die Kuppel. Zu mir, ganz nach vorn!« sagte Atlan und blinkte mit ei nigen Scheinwerfern der Korridorbeleuch tung. Er ertappte sich dabei, daß er sich auf die Anwesenheit dieses Wesens kindisch freute. Der rote Würfel änderte jetzt seine Fortbe wegungsart und stolzierte würdevoll wie ein großer Vogel in den Korridor hinein. Atlan dirigierte ihn bis in die Kuppel. Dann schloß er die Luken. Er drehte müh sam den Kopf und sah das kleine Wesen an, das auf einem Geräteschrank Platz genom men hatte. »Willst du mit mir kommen?« fragte er halblaut. »Mitkommen«, sagte der Noder. »Eingeladen?« »Ja. Du, das Schiff und ich«, erwiderte Atlan. »Lange Reise, ja?« Der Noder hatte eine angenehme, absolut menschenähnliche Stimme. Atlan wußte, daß er nahezu jede Stimmhöhe perfekt nach ahmen konnte, wenn er einmal über einen genügend großen Wortschatz verfügte. Bis dahin würde es noch einige Zeit dauern. Ob der Noder ihn jetzt schon richtig verstand, war fraglich. Atlan starrte in die beiden großen Augen des Tieres, die sich unabhän gig voneinander bewegten und jede winzige Einzelheit der Geräte innerhalb der geräumi gen Kuppel musterten, einschließlich des ans Schiff gefesselten Steuermanns. »Lange Reise«, sagte der Noder. »Ich mit kommen. Irgendwann zurückbringen.« »Ja«, antwortete Atlan und startete das Schiff. Beim geringsten Zeichen des Tieres, falls es erschrecken und hinausstürzen wür de, wollte er die DARIEN wieder aufsetzen. Aber der Noder fühlte sich offensichtlich wohl. Er winkelte einen langen, dünnen Arm ab und deutete mit einem von vier schlanken
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Fingern auf Atlans Kopf. »Name?« fragte er mit einer tiefen, hal lenden Baßstimme. »Atlan«, sagte der Arkonide erstickt. Er hatte einen Freund in seiner gräßlichen Ein samkeit gefunden! »Ich Gink Nik Meus.« »Wie?« Der Noder wiederholte seinen Namen in einer fistelnden Stimme. Atlan ließ die DARIEN senkrecht nach oben schweben und beschleunigte das Schiff. Er hatte den Eindruck, daß jeder technische Vorgang, der einigermaßen bemerkbar ablief, das starke Interesse von Gink Nik Meus hervorrief. At lan programmierte eine Wiedergabe über Bild und Ton, die sich mit den Eigenschaf ten des Schiffes beschäftigte, um den Wort schatz von Gink zu erweitern, dann suchte er in den Speichern und fand die Kursdaten, die ihn interessierten. Während der langen Wartezeit auf der Lichtung Noderzerfs hatte er sich entschlossen, nach Xudon zu fliegen und dort seinen Freund zu suchen. Sein Ex trasinn hätte ihm hohnlachend versichert, daß er die dümmste und riskanteste Ent scheidung getroffen hatte, die überhaupt möglich war. Die DARIEN raste los. Der offene Markt von Xudon in Danjitter-Tal war das Ziel.
2. Cembergall-Flyrt kratzte sich an seinem Rauchhorn, deutete dann mit seinen drei Krallenfingern auf den Camagur und sagte ruhig: »Du weißt ganz genau, daß deine Art, Handel zu treiben, nicht der Marktordnung entspricht. Wir haben Gesetze, und jeder mann befolgt sie. Oder fast jedermann.« Der riesige, fledermausähnliche Camagur vollführte mit vielen seiner Arme eine kom plizierte Geste. »Herr der Marktsumme«, sagte er ent schuldigend. »Oberster aller Objektiven! Ich bin kein Verbrecher. Ich habe mich lediglich geirrt.«
»Dein Irrtum ist verzeihlich«, meinte Cembergall-Flyrt trocken. »Er wäre auch verständlich, wenn es nicht das sechstemal wäre.« »Das fünftemal!« beharrte der Camagur. Er handelte mit hochprozentigen Geträn ken und hatte mindestens achtmal die Marktsumme zu bestechen versucht. Die Marktsumme vergab die Konzessionen und die Mengen und war bis zum Erscheinen des riesigen Organschiffs HORIET korrupt und verbrecherisch geführt gewesen. Dieser Zu stand hatte sich drastisch geändert, aber das Begreifen ging langsam vor sich. Der Ge tränke-Camagur hier hatte es jedenfalls noch nicht begriffen. Oder jedenfalls tat er so. Cembergall-Flyrt, der Noot aus dem alten Geschlecht der Fumarolier von Trimor, hin gegen war unbestechlich. Seine Drohung, die HORIET oder ein anderes Organschiff des Neffen Chirmor Flog würde auf seinen Ruf hin wieder erscheinen und eine grausa me Strafexpedition durchführen, wirkte her vorragend. »Wir streiten nicht um Kleinigkeiten«, sagte der Noot und bewegte die breiten Schultern unter der hellblauen Haut harter Schuppen. Die großen, vorstehenden Augen musterten unbarmherzig den Camagur. »Heute und hier hattest du deine letzte Chance. Du kannst wählen, Reaapar-Daas. Noch kannst du wählen.« Der Camagur hob drei Armpaare und fuchtelte aufgeregt damit herum. »Meine Existenz steht auf dem Spiel! Ich muß eine große Familie und viele Diener versorgen.« Ungerührt erwiderte der Angehörige der »neuen Marktsumme«: »Deine Familie besteht aus vier Mitglie dern. Du hast zwei Diener und einen Um satz, der besser ist als der vieler anderer Händler. Außerdem hast du nur neun Zehn tel deiner Einnahmen aus dem Verkaufsla den versteuert. Auch das wäre eine drakoni sche Strafe wert, aber davon sehen wir ab, weil es Kleinigkeiten sind.« »Deine Gnade, Noot, ist sprichwörtlich!«
10 »Mit Schmeicheleien erreichst du nichts. Ich mache eine Aufzeichnung, und dann wirst du genau wissen, was du zu tun hast. Der nächste Verstoß gegen die Gesetze von Danjitter-Tal wird dein letzter sein. Die an deren elf Mitglieder der Marktsumme sind ebenso unbestechlich und unnachsichtig wie ich.« Er schaltete Linsen, Aufnahmegerät und die verplombte Zeitdokumentation ein und sprach den in solchen Fällen vorgesehenen Text. Datum, Zeit und Personen, Tatbestand und die Verwarnung wurden knapp und prä zise geschildert. Cembergall-Flyrt schloß: »Dies war die letzte Verwarnung, die ich im Namen und voller Verantwortung für die Gesetze der Marktsumme gegenüber Reaa par-Daas ausgesprochen habe. Der nächste Verstoß führt zum Entzug der Händlerkon zession gegenüber diesem Camagur und dessen Familienangehörigen Ersten und Zweiten Grades. Der Beschluß wurde nach insgesamt fünf offiziell notierten Ermahnun gen ausgesprochen. Ende.« Klick. Die Geräte schalteten ab. Der Noot stand auf und ging zu einem der Fenster des Marktsumme-Turms. Er lehnte sich gegen die Brüstung und sagte: »Fast alle Händler und jeder, der hier lebt, hat die Änderung begrüßt, Daas. Es ist für uns alle besser, in Frieden und Ruhe handeln und verdienen zu können. Erinnere dich an den Tag, an dem die Schwarze Loh ver brannte. Aus diesem Grund sind wir so un nachsichtig. Ich würde mich freuen, wenn du niemals wieder wegen eines Verstoßes hier sitzen würdest. Sind wir uns einig?« Auch der Händler stand auf. Er schien endgültig begriffen zu haben, trotzdem ver suchte er es mit einer Floskel. »Seit du der Marktsumme angehörst, Cembergall-Flyrt, ist alles viel angenehmer. Du hast uns vom Druck des Zweifels be freit.« »Zweifel?« fragte ernsthaft verwundert der Noot und blickte durch das Fenster auf den offenen Markt hinunter.
Hans Kneifel »Zweifel darüber, an wen wir wieviel … Höflichkeitsbeträge zu zahlen haben.« Die Stimme des Noot, sonst halblaut und bestimmt, wurde lauter und ausgesprochen schneidend, als er entgegnete: »Richtig. Diese Zweifel gibt es nicht mehr. Niemand besticht niemanden. Merke es dir gut. Danke für deinen Besuch – ich habe zu arbeiten.« Mit Verbeugungen und einigen kompli zierten Dankesgesten der sechs Arme zog sich der Camagur zurück. Er schien nach denklich zu sein. Auf jeden Fall, dachte Cembergall, hatte er begriffen, daß seine Existenz als wohlbestallter Handelsmann von seiner Ehrlichkeit abhing. Es war zutreffend, daß sich seit dem Brand der Loh und den Tagen unmittelbar nach dem Chaos vieles geändert hatte. Im mer dann, wenn Cembergall-Flyrt, der an gebliche unmittelbare Vertraute von Chirm or Flog, Selbstzweifel hegte, erinnerte er sich an den Fremden und dessen Freundin. Und er erinnerte sich an das Gerät, das ihm Atlan gegeben hatte. »Wenn du mich brauchst, sende folgen den Kode«, hatte Atlan gesagt und ihm ge zeigt, wie das Gerät zu bedienen war. »Und wenn ich in der Nähe bin und dir helfen kann, werde ich nicht zögern, dies umge hend zu tun. Glaube mir. Es ist mir ernst.« Heute hatte Cembergall-Flyrt keine Selbstzweifel. Er wußte, daß für die nächste Zeit der Markt den neuen Gesetzmäßigkei ten gehorchen würde. Die Zerstörungen wa ren längst beseitigt. Die geschwärzten Mau ern waren neu gemalt, die Lager waren auf gefüllt, der Handel lief geräuschlos ab, und niemand hatte jemals wieder die Absicht ge äußert, diesen oder jenen umzubringen, nur weil er der angeblich bessere Händler war. SIE ALLE HATTEN ANGST. SIE FÜRCHTETEN DIE STRAFEXPEDITION DES NEFFEN. »Wenn sie wüßten!« murmelte der Noot und verzog seinen breiten Reptilienmund zu einem sarkastischen Grinsen. Hin und wieder dachte der Noot daran,
Die Galionsfigur daß Atlan mit seiner Aufforderung ihn nur moralisch aufrichten wollte. In Wirklichkeit rechnete der Fremde damit, daß der Noot auch ohne seine Hilfe mit den Problemen fertig werden würde. Aber trotzdem trug Cembergall-Flyrt das kleine Funkgerät stän dig an seinem muskulösen Oberarm. Es be deutete ihm soviel wie ein Talisman. Er verließ den Bereitschaftsraum der Marktsumme. Die zwölf Vertreter aus den Reihen der vier vorherrschenden Marantro ner-Völker waren ausgewechselt worden. Die neue Marktsumme, also das höchste Verwaltungsorgan, entstand danach durch eine demokratische Wahl, an der alle Händ ler beteiligt waren. Und diese neue Markt summe hatte ihrerseits auch die meisten der Objektiven ausgewechselt. Jeder, von dem man wußte, daß er bestechlich war, wurde erbarmungslos gefeuert. Cembergall-Flyrt, dessen Erlebnisse wäh rend der dramatischen Auseinandersetzung jedermann gut bekannt waren, hatte durch die Wahl eine gewaltige Menge Macht er halten. Er war in die Marktsumme gewählt worden. Seit er Verantwortung zu tragen hatte, verlief das Leben und der Handel in Danjit ter-Tal in ruhigen, geordneten Bahnen. Reaapar-Daas war einer der hartnäckigsten Händler, die die Zeichen der neuen Zeit nicht wahrhaben wollten. Cembergall-Flyrt trat hinaus auf die breite Gasse vor dem Marktsumme-Turm. Jetzt, am frühen Mittag, hatten sich die Stufen und die Geschäfte be völkert. Das Summen der Unterhaltungen, Gelächter und Geschrei, das Klingeln der Waagen und das Knarren der Stimmen aus den Funkgeräten bildete die akustische Ku lisse zu der Szene der Betriebsamkeit. »He, Cembergall! Komm herein, nimm einen Schluck!« rief ihm ein Camagur-Wirt zu. »Ich habe neuen Dharf hereinbekom men.« Der Noot bewegte seinen Schwanzansatz, klopfte auf seine Halbrüstung und rief zu rück: »Heute abend! Jetzt habe ich keine Zeit.«
11 »Schade.« Die Objektiven, die Polizeitruppe des Marktes, waren wieder objektiv. Sie berieten die Händler und ahndeten unnachsichtig jeden Verstoß, der Ärger bringen konnte. Bei Kleinigkeiten drückten sie die Augen zu. Der Noot ging weiter, spähte hier in einen Laden hinein, kontrollierte dort die Preise eines Ausstellungsraumes, beantwortete die Fragen einiger Händler und befand sich schließlich vor dem großen Gebäude, in dem die Krejoden ihre Verkaufsausstellung hat ten. Er hatte der durstigen Gryta verspro chen, sich um die überlebenden KrejodenFamilien zu kümmern. Er hob grüßend die Hand, als er in den Schauraum hineinglitt. Die Erzeugnisse der Marmorbrüche umga ben ihn. Sie waren schön, teuer und ge schmackvoll wie immer. Aus dem Hinter grund kam eine zweieinhalb Meter große Gestalt. Cembergall-Flyrt erkannte die Zit ternde Arren. »Es geht dir gut?« fragte er. Der schlanke, dunkelrotborkige Körper bewegte sich schwankend. »Wir erwarten für heute einen sehr fi nanzkräftigen Interessenten. Angeblich soll er Gegenstände für den Neffen einkaufen. Aber das kann auch ein Gerücht sein, um die Preise zu drücken.« »Möglich. Wenn er sich nicht unseren Preisvorstellungen unterwirft, verständige die Marktsumme. Wir sind interessiert, daß diese herrlichen Erzeugnisse nicht ver schleudert werden. Klar?« Die Sprechblase der Krejodin vibrierte, als sie knarrend antwortete: »Die zusammengeschlossenen Familien der bleichen Marmorberge danken dir, Noot.« »Ich werde von euch bezahlt, also stehen euch allen meine Dienste zur Verfügung.« »Das war nicht immer so«, beharrte die Krejodin und bewegte grüßend den Greif kranz ihrer Hand. Als Cembergall-Flyrt die gewundene Treppe hinunterging, die zum Fuß eines der Hügel führte, hörte er ein merkwürdiges Ge
12 räusch. Es war ein schnarrendes Summen. Er identifizierte es erst nach der dritten Wie derholung – es kam von dem kleinen Funk gerät! Er reagierte sofort. Mit einigen Sätzen war er zwischen den Stämmen eines kleinen, sorgfältig gepfleg ten Wäldchens. Er zog das Armband herun ter und überlegte, ob er nicht träumte. Atlan rief ihn! Er drückte die kleinen Hebel hinein und sagte heiser: »Hier Cembergall-Flyrt auf Xudon, im Danjitter-Tal.« Augenblicklich, trotz der schlechten Wie dergabe des kleinen Gerätes, erkannte er die Stimme Atlans wieder. »Hier Atlan. Ich brauche dich!« Stockend antwortete Cembergall-Flyrt: »Nach so langer Zeit. Ich erkenne deine Stimme, Atlan. Du … du brauchst mich?« »Kannst du sprechen, ohne daß dich je mand hört? Ich bin in einer schlimmen La ge!« sagte der Fremde zwischen dem Pras seln und Knistern ferner Störungen. »Ja. Niemand hört zu. Wo bist du?« »In einem Schiff, hoch über Xudon.« »Warum landest du nicht hier? Du wirst mit Ehrerbietung empfangen werden.« »Schwerlich«, erwiderte Atlan zu seinem Erstaunen. »Wenn ihr mich sehen könntet. Das alles sage ich dir später. Ich brauche einen Freund, und deshalb rufe ich dich. Dir geht es gut?« Wahrheitsgemäß antwortete der Noot: »Es ging mir niemals besser. Dasselbe gilt für den offenen Markt von Xudon.« Er versuchte, zu erkennen, warum Atlan sich so merkwürdig verhielt. Er fand keine Erklärung. »Kannst du mir helfen?« bat Atlan. »Ich brauche dich wirklich. Wenn du mich sehen könntest, würdest du erkennen, daß ich mir selbst nicht mehr helfen kann.« Cembergall-Flyrt überlegte einige Sekun den lang, dann fragte er zurück: »Um welchen Einsatz handelt es sich? Ich meine, dauert es lange, wohin geht der Flug, wozu, frage ich, brauchst du mich?«
Hans Kneifel Seine Augen durchforschten die Umge bung. Niemand war bisher auf ihn aufmerk sam geworden. Erregt zitterte sein Rauch horn. Atlan antwortete, und seine Stimme wurde immer drängender. »Ich bin an ein Organschiff gefesselt. Ich habe niemanden, der mit mir spricht, abge sehen von einem Bewohner des Planeten Noderzerf. Ein Tier. Ich brauche einen Freund und eine kleine Mannschaft von Raumfahrern. Nimm einen Raumgleiter der Marktsumme und komme zu meinem Schiff.« Eine Reihe von Überlegungen und Emp findungen lief im Verstand des Objektiven ab. Er erinnerte sich daran, daß vor Atlans Eingreifen zwar eine versteckte Form von Anarchie geherrscht hatte, daß das Leben insgesamt aber aufregender gewesen war. Heute lief alles glatt, und von Tag zu Tag re gelten sich die Dinge ohne Dramatik. Er selbst kannte beide Zustände mehr als ge nau; wenn er sich jetzt entschloß, Atlans Schiff anzufliegen, entschloß er sich wieder für das Abenteuer. Wenn er Xudon verließ, das ahnte er, würde es für lange Zeit oder für immer sein. »Ich verspreche es!« sagte er entschlos sen. »Wann?« fragte Atlan. Cembergall-Flyrt warf einen Blick auf die Uhr an der nächsten Mauer. »In neun, zehn Stunden etwa. Ich muß die Nacht abwarten.« »Ich verstehe. Ich werde dein kleines Schiff leicht finden; die Ortungsgeräte der DARIEN sind sehr gut.« »Ich komme. Aber ich muß alles in völli ger Geheimhaltung betreiben. Dank deiner Hilfe bin ich hier in Danjitter-Tal eine wich tige Persönlichkeit geworden. Du hast recht: auch darüber können wir später sprechen. Ich komme und werde sehen, ob ich dir hel fen kann, Freund Atlan.« »Ich danke dir. Ich warte auf dich. Er schrick nicht, wenn du meinen Zustand siehst«, schloß Atlan. Der Noot schaltete das winzige Gerät ab
Die Galionsfigur
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und trat aus dem Schatten der Baumkronen hervor. Über DanjitterTal schwebten zwei Tamater-Schiffe ein und näherten sich auf der gewohnten Einflugschneise dem Raum hafen. Tief nachdenklich machte der Noot seine tägliche Runde und sah, wie immer, nach dem Rechten.
* Bei Anbruch der Dunkelheit hatte Cem bergall-Flyrt seine Vorbereitungen beendet. Nahrungsmittel, Ausrüstungsgegenstände und zusätzliche Kleidung fanden in drei Säcken Platz. Seiner Frau hatte CembergallFlyrt fast die Wahrheit gesagt, aber so viele Einzelheiten verschwiegen, daß niemand auf seine Spur kommen konnte. Der Name At lan oder der Begriff eines Organschiffs wa ren nicht gefallen. Cembergall warf die Säcke über seine Schultern und ging hinunter zu seinem Glei ter. Es war ein neues, aber kleines Gerät. Langsam schwebte er hinaus zum Raumha fen und bemühte sich, niemanden zu sehen, der ihn erkannte. Die Zeichen der Markt summe hatte er auf seiner Uniform über klebt. Am Rand des Raumhafens hielt der Noot den Gleiter an. Zwischen den vielen abge stellten Fahrzeugen, teilweise noch voller Güter aus den Raumschiffen, standen Raum gleiter und andere Schiffe, die innerhalb des Systems verkehrten. Dahinter lag dunkel die Kulisse der großen Organschiffe. In den transparenten Bugkuppeln brannten schwa che Lichter in verschiedenen Farben. Cem bergall stieg aus, hob seine Ausrüstung hoch und vergewisserte sich, daß er seine Waffe einstecken hatte. Langsam, als sei es ein Ab schied für immer von einem vertrauten Platz, sah er sich um. Er entschied sich für einen älteren Raum gleiter, der das Zeichen der Marktsumme trug. In seiner Eigenschaft als Mitglied die ser Institution durfte er dieses Fahrzeug be nutzen. Er schleppte die Ausrüstung hinein, park
te den Gleiter an einer Stelle, an der man ihn leicht finden würde und grinste über sich selbst. Irgendwie fiel es ihm schwer, über seinen Schatten als Objektiver, als Ord nungshüter, zu springen. Er startete den Raumgleiter. Der Wachhabende im Turm nahm seine Abmeldung entgegen. Cember gall-Flyrt sagte ihm, daß er einen kurzen In spektionsflug unternehmen wollte, und daß er sich wieder zurückmelden würde. Der Gleiter schraubte sich hoch, wurde schneller und jagte schließlich durch die Lufthülle hinauf in den Weltraum. Erst dort schaltete der Noot Atlans Funkgerät ein und sagte: »Hier bin ich, Atlan. Hast du das Schiff bereits entdeckt?« Augenblicklich kam die Antwort. »Ich befinde mich im Anflug auf deinen Gleiter. Soeben habe ich dein Funksignal einpeilen können. Du solltest den eben ge wählten Kurs beibehalten. Hast du einen Raumanzug an Bord?« »Ja.« »Ziehe ihn an.« Die Gleiter der Marktsumme waren mit Einheits-Raumanzügen für die vier verschie denen Mitgliedsrassen ausgerüstet. Der Noot schaltete den simplen Autopiloten ein und zog den Raumanzug an. Er war eine Spur zu groß für ihn, aber es störte ihn nicht im min desten. Als er sich wieder in der Steuerkan zel befand, sah er voraus die hammerähnli che Silhouette des anderen Schiffes. Einige Landescheinwerfer blinkten. »Ich sehe dein Schiff, Atlan!« meldete sich der Noot, bremste den Gleiter ab und programmierte, während sich das große Or ganschiff näherte, den Rückkehrkurs des Gleiters zum Danjitter-Raumhafen. »Ich bereite alles für ein Schleusenmanö ver vor. Hoffentlich hast du nicht allzu viel Gepäck mitgebracht«, sagte Atlan. Ganz deutlich hörte Cembergall-Flyrt aus Atlans Stimme eine ungewöhnlich starke Sorge heraus. Atlans Sicherheit schien gänz lich verschwunden zu sein. Er verhielt sich so, als hinge sein Leben von der Anwesen heit des Noots ab. Cembergall schloß den
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Hans Kneifel
Raumanzug, nahm seine Ausrüstung und schwebte hinüber in die hell erleuchtete Schleuse, nachdem sich Atlans Schiff dicht neben das Raumboot geschoben hatte. Das winzige Gleiterboot würde in kurzer Zeit selbständig zum Raumhafen zurückkeh ren. Hinter dem Noot schloß sich die Luke. Pfeile leuchteten auf, Scheinwerfer beleuch teten seinen Weg ins Schiffsinnere. Wo blieb Atlan? Ein Lautsprecher knisterte, dann sagte die Stimme des Freundes: »Du kannst den Anzug öffnen. Die Luft im Schiff ist für uns beide hervorragend atembar. Du findest mich in der Bugkuppel der Galionsfigur.« »Wie? In der Kuppel?« fragte der Noot verwundert und öffnete den Helm des An zugs. Die Ausrüstung lehnte er in eine Ecke und stapfte in die Richtung, die Atlan ihm vorgab. Kurze Zeit später stand CembergallFlyrt schweigend im Rahmen der Kanzel und sah seinen Freund im goldenen Anzug, verschmolzen mit dem Raumschiff. Atlan und der Noot starrten sich wortlos an. Atlan begriff, daß er in Cembergall wirk lich einen Freund hatte, denn nur ein Freund würde dieses Wagnis eingehen. Der Noot hingegen erkannte, in welch irrwitziger Si tuation Atlan steckte. »Ich sehe«, brachte er leise und stockend hervor, »daß deine Situation schrecklich ist. Ausgerechnet du als Galionsfigur! Ich werde an Bord bleiben und versuchen, dir zu hel fen. Ich habe allerdings nicht die geringste Ahnung …« »Ich noch weniger. Aber ich habe bereits einen Plan«, sagte Atlan.
3. Das Organschiff entfernte sich langsam aus dem Bereich des Sonnensystems. Xudon lag unsichtbar weit hinter Atlan und Cem bergall-Flyrt. In den letzten drei Stunden hatte der Noot weitestgehend schweigend zugehört, was ihm Atlan berichtete. Nur hin und wieder unterbrach er Atlan mit gezielten
Fragen. Atlan schloß ermüdet: »Und aus diesen Gründen sah ich keine andere Möglichkeit mehr. Ich weiß, daß ich nur mein nacktes Leben gerettet habe. Als erstes muß ich versuchen, meinen Extrasinn zurückzugewinnen.« »Wenn ich dich richtig verstanden habe, so schweigt dein Extrasinn. Er ist wie eine Maschine ohne Treibstoff, ja?« fragte der Noot bestürzt. »Genauso ist es. Wenn ich herausfinden will, was mit dem Extrasinn passiert ist, brauche ich eine Mannschaft von Raumfah rern.« »Ich bin der erste dieser Mannschaft«, er klärte der Noot und entledigte sich des Raumanzugs. »Aber du brauchst mindestens zwölf Männer. Aber innerhalb des Maran troner-Reviers ist praktisch jeder, der etwas von diesem Geschäft versteht, fest unter Kontrolle der Scuddamoren oder Chirmor Flogs, des Neffen des Dunklen Oheims. Ich bin sicher, daß du dieses Problem nicht an ders siehst als ich, Atlan.« »Ich sehe es ebenso«, pflichtete ihm Atlan bei. Der Unterschied zwischen Erinnerung und unmittelbarer Gegenwart war erschüt ternd. Atlan, als Gefangener in einem Netz werk von Anschlüssen, bewegungsunfähig und hilflos – der Noot schwankte zwischen Mitleid, Wut, Hilfsbereitschaft und Resigna tion. Er fragte: »Woher willst du die Mannschaft bekom men?« »Ich denke an Planeten, die sich bisher weitestgehend dem Zugriff des Neffen ent zogen haben.« Es war nicht mehr als eine flüchtige, un ausgereifte Idee, aber Cembergall-Flyrt sag te plötzlich: »Wie zum Beispiel meine Heimatwelt?« »Trimor, nicht wahr?« »Ja. Unser Urplanet. Aber es wird auf alle Fälle eine gefährliche Reise. Das heißt, die Reise nicht, aber alles, was nach der Lan dung geschieht. Ich selbst kenne viele Be richte aus alter Zeit, aber es sind nur Erzäh
Die Galionsfigur lungen aus dritter oder vierter Hand. In dei nen Speichern wirst du sicher entsprechende Kursdaten finden.« Atlan entgegnete leise: »Ich suche bereits danach.« Sie versuchten, möglichst viele und aktu elle Informationen zusammenzustellen. At lan bedauerte, daß er die große Plejade nicht mehr besaß, denn mit Hilfe dieser Marmor kugel und ihres Widerscheins der Freiheit hätte er kaum Schwierigkeiten, eine schlag kräftige Mannschaft heranzubilden. Trimor war eine Vulkanwelt. Das Rauch horn, das jeder Noot heute noch an der Stirn trug, war während der Evolution entstanden und warnte die intelligenten Lebewesen vor bevorstehenden Vulkanausbrüchen, vor auf reißenden Erdspalten, fauchenden Fumaro len und ähnlichen Aktivitäten unterhalb des Planetenbodens. In der Erinnerung faßte Cembergall-Flyrt an sein eigenes Horn und fragte sich, ob dieses Relikt aus einer ihm unbekannten Vergangenheit ihn noch auf Trimor warnen würde. Er war absolut sicher, daß Atlan das Organschiff auf Trimor lan den würde. »Ich habe alle Kursdaten«, sagte Atlan nach einer Weile. »Dann weißt du ebenso wie ich, daß der Versuch, Trimor anzufliegen, nicht nur ge fährlich, sondern auch verboten ist? Streng stens verboten!« erklärte der Noot. Atlan starrte ihn fragend an. »Wie? Verboten?« »Ich wurde auf Xudon geboren«, antwor tete Cembergall-Flyrt. »Und wie es heute auf Trimor aussieht, weiß ich ebenfalls nicht. Aber es wurde allen lebenden Noots strikt verboten, ihre Entstehungswelt zu be suchen.« Atlan fragte sofort: »Woher kommt dieses Verbot?« »Keine Ahnung«, antwortete der Noot. Noch immer kämpfte er dagegen an, At lan als hilflosen Krüppel anzusehen. Der Verstand seines Freundes war so exzellent, wie er ihn in Erinnerung hatte, aber der Um stand, daß Atlan bis fast zur völligen Bewe
15 gungslosigkeit an das Schiff angeschlossen war, ließ alles in einem ganz anderen Licht erscheinen, reduzierte die Möglichkeiten des bewunderten Fremden auf Null. »Aber dieses Verbot oder Tabu muß doch einen Grund haben«, schränkte Atlan ein. »Was weißt du davon?« »Es kann sein, daß das Verbot vom Nef fen stammt oder vielleicht sogar vom Dunklen Oheim. Ich weiß es nicht, aber ich weiß definitiv, daß wir Noots alle eine unge heure Scheu haben, den Planeten zu betre ten. Ich habe natürlich keine Kontrolle dar über, aber ich glaube nicht, daß es in den vergangenen Jahrzehnten einer von uns ge wagt hat, Trimor zu betreten.« »Also gibt es ein Geheimnis um Trimor?« »Mag sein«, sagte Cembergall-Flyrt. »Aber ich kenne es nicht.« »Dann werden wir es herausfinden. Die ses Schiff wird auf Trimor landen und auch wieder starten können«, sagte Atlan voller Entschlossenheit. »Oder bist du nicht auch neugierig darauf, wie es auf der Welt deiner Ahnen aussieht?« »Ehrlich gestanden«, meinte der Noot und versuchte ein Grinsen, »bin ich ziemlich neugierig. Es ist schon fast ein drängendes Verlangen, Atlan.« »Dann sind es schon zwei Wesen in die sem Schiff, die ein drängendes Verlangen danach verspüren, auf Trimor zu landen und dort eine Crew anzuheuern. Ich habe den Kurs dorthin bereits programmiert. Die DARIEN ist nach Trimor unterwegs, Cem bergall.« Die Galionsfigur hatte sämtliche Informa tionen aus den Speichern geholt und mit dem Noot diskutiert. Viele Einzelheiten wa ren klarer geworden, andere wieder verbar gen sich nach wie vor wie hinter einem Schleier. Trimor, der zweite von acht Planeten der gelben Sonne Trinderpon, in der Sternenin sel namens Marantroner-Revier, war seit Ur zeiten eine Welt aktiven Vulkanismus. Ob es heute noch lebende Wesen auf dem Pla neten gab, war unsicher, aber durchaus
16 wahrscheinlich. Der Flug dorthin dauerte nicht lange, und die Möglichkeit, von einer ScuddamorenPatrouille gefaßt zu werden, konnte ebenfalls als gering eingestuft wer den. »Als wir uns zum erstenmal sahen«, frag te der Noot zurückhaltend, »war deine Freundin bei dir. Mit ihr zusammen hast du den Markt von Xudon besucht.« »Meine Freundin ist tot«, sagte Atlan. »Ihr Tod war vermeidbar und außerordent lich grauenerregend. Auch dafür werde ich versuchen, jemanden zur Rechenschaft zu ziehen. Ich bin völlig allein.« »Nicht mehr ganz«, schränkte der Noot ein. »Immerhin hast du mich … und dieses Wesen, das eben in die Kuppel hineinstol ziert ist.« Seit der Sekunde, da Cembergall-Flyrt das Organschiff betreten hatte, war Gink Nik Meus verschwunden gewesen. Jetzt kam er herein, sprang mit einem eleganten Satz auf seinen »Stammplatz« und richtete ein Auge auf Atlans Kopf, das andere auf den Noot. Mit der zwitschernden Stimme eines erreg ten Tamaters sagte er: »Das Schiff füllt sich. Wir sind drei. Wer ist der Frosch mit dem Horn auf dem Kopf?« Innerhalb verblüffend kurzer Zeit hatte Gink Nik Meus gelernt, mit einem sehr großen Sprachschatz richtig umzugehen. »Ich bin Cembergall-Flyrt«, sagte der Noot. »Und das Horn wird uns vor giftigen Gasen und aktivem Vulkanismus warnen.« »Hier im Raumschiff? Ausgerechnet!« ki cherte Gink und demonstrierte für den Noot seine erstaunliche Fähigkeit, aus fünf Flä chen des Körpers verschieden lange und un terschiedlich geformte Gliedmaßen heraus wachsen zu lassen. »Warte es ab. Jedenfalls sind wir bis jetzt die Mannschaft der DARIEN.« Das Organschiff war bereits auf dem Kurs nach Trimor. Die Sonne Trinderpon war ei ner der vielen Sterne des vorgelagerten Ku gelhaufens. Die DARIEN durcheilte die Di stanzen unaufgehalten und schnell. Kaum
Hans Kneifel hatte sich der Noot daran gewöhnt, in einem Organschiff zu fliegen, tauchte Trinderpon mit seinem Planetensystem auf. Atlan hatte bisher nicht die geringsten Schwierigkeiten gehabt, das Organschiff in perfekter Manier zu steuern. Es war, als habe die gesamte, rie sengroße Apparatur nur darauf gewartet, von einem intelligenten Wesen übernommen zu werden. Die Galionsfigur suchte aus den acht deutlichen Masseechos den zweiten Planeten heraus, steuerte ihn an und dirigier te dann die DARIEN in einen Orbit um Tri mor. Eine leise Durchsage rief den Noot und Gink Nik Meus in die durchsichtige Kuppel. Atlan sagte: »Das ist der Heimatplanet deines Volkes, Flyrt.« Bereits jetzt reagierte der organische Sen sor auf dem runden Reptilienkopf des Noots. Gebannt blickte Cembergall-Flyrt nach un ten, dann ging er an ein Makroskop und suchte nach einzelnen Vergrößerungen cha rakteristischer Oberflächenmerkmale. »Man kann den aktiven Vulkanismus be reits von hier aus feststellen«, sagte er schließlich. »Diese langgezogenen Wolken in der Atmosphäre können nichts anderes sein als Rauchgase und feine Partikel.« Der Planet lag direkt unter ihnen. Die DARIEN hatte sich aus der Richtung des Zentralge stirns genähert. Die Hemisphäre war hell an gestrahlt, und unter einer Wolkendecke sa hen die Insassen des Schiffes die Fläche des dunkelblauen Meeres. Über den Kontinenten und Inseln drehten sich die riesigen Spiralen von Großwetterzonen. An mindestens fünf zig Stellen floß in die weißen Wolkenstruk turen Grau, Braun und Schwarz hinein, als sei es eine dicke Flüssigkeit. Es waren die Materialmengen, die von Vulkanen in die Atmosphäre geschleudert wurden. Immer wieder zuckte und blitzte es in den Schatten unter den Wolken, und gewaltige Rauchwol ken brodelten in die Höhe. Cembergalls Rauchhorn begann sich an der Spitze zu ver färben und zitterte leicht. »So habe ich mir Trimor nach den Erzäh
Die Galionsfigur lungen und Sagen vorstellen müssen«, sagte der Noot gedankenvoll. »Es ist eine chaoti sche Welt. Wie wird es erst auf der Oberflä che aussehen?« »Schrecklicher als aus der Entfernung des Weltraums«, erwiderte Atlan. »Ich habe ein Echo auf dem Schirm … ein Organschiff umkreist den Planeten!« »Scuddamoren? Sie bewachen vielleicht meine Heimat!« stieß der Noot hervor. Die Galionsfigur projizierte die Ein drücke, die sie über die Ortungsinstrumente des Schiffes zuerst rein gedanklich empfan gen hatte, auf einen der Bildschirme. Aus der Dunkelheit jenseits der Planetenkrüm mung tauchte ein Ortungsecho auf, wurde größer und deutlicher und entpuppte sich als ein Organschiff, das aus vier verschieden großen, ineinander hineingeschobenen Ku geln bestand. Das Schiff beschrieb einen seltsamen Kurs und bewegte sich unge wöhnlich. Es überschlug sich langsam über drei Achsen. »Das Organschiff kann nicht bemannt sein!« murmelte Atlan. »Vielleicht ist es ausgebrannt. Ich werde es untersuchen, so gut es möglich ist.« »Das ist wohl das beste«, pflichtete Cem bergall ihm bei. »Oder es ist ein Lockvogel der Scuddamoren.« »Möglich, aber unwahrscheinlich«, ent schied Atlan, steuerte die DARIEN aus dem stabilen Orbit und raste über die Hälfte einer Hemisphäre auf das andere Schiff zu. Bevor er es erreichte, identifizierte er ein zweites Echo, ein zweites Organschiff, das über dem Planeten dahinraste wie ein seltsam geform ter Mond. Atlan verzögerte das Schiff, flog eine Kurve und glich die Geschwindigkeit dem unbekannten Organschiff an. Das frem de Schiff drehte sich voll im grellen Sonnen licht. Deutlich zeichneten sich die Luken ab, die lederartige Struktur der Außenhülle und einige Löcher verschiedener Größe, die wie hineingestanzt wirkten. Jeder Überschlag und jede weitere Dre hung zeigten dem Noot und Atlan, daß die ses Schiff verlassen und offensichtlich sehr
17 alt war. Die Löcher stellten die Spuren von Meteoreinschlägen dar. Die Luken waren weit offen, die Schleusentore glitten auf und zu. Das transparente Material der Galionsfi guren-Kuppel war zerbrochen. Dahinter er kannte man nur noch ein Gewirr von Kabeln und zerstörten Geräten. »Das Schiff wirkt, als würde es schon ei nige Jahrzehnte lang den Planeten umkrei sen«, sagte Atlan und beobachtete scharf je de Einzelheit des kreiselnden Riesenrumpfs. »Es ist verlassen und zerstört, ganz si cher«, stimmte der Noot zu. »Sicher keine Folge des Vulkanismus dort unten.« Sie erkannten, am Organschiff vor beiblickend, in der blauen Fläche eines Uferbezirks plötzlich eine langgezogene Wand aus weißem Dampf. Noch während sie versuchten, Einzelheiten zu erkennen, färbten sich Teile des Dampfes schwarz. Unter dem Wasser hatte sich ein Spalt geöff net, der mindestens fünfhundert Kilometer lang sein mußte. Unterirdisches Feuer und das Ozeanwasser kämpften miteinander; das Magma verwandelte das Wasser in riesige Dampfwolken. »Vermutlich ist auch das andere Schiff zerstört und ohne Leben«, meinte Atlan und steuerte die DARIEN vorsichtig von dem Wrack rückwärts, ließ dann die Kugelkon struktion vorbeiziehen und jagte dann das ei gene Schiff auf das zweite Wrack zu. Irgendwo hoch über der Polgegend trafen die Schiffe aufeinander. Es bot sich fast das selbe Bild. Auch dieses Organschiff war vor langer Zeit aufgegeben worden! Oder etwas Unbekanntes hatte diese Schiffe zerstört und die Mannschaft samt Galionsfigur getötet. Beide Schiffe sahen sehr alt aus. Vor Jahr zehnten mochten sie noch »gelebt« haben. Atlan blickte Cembergall-Flyrt in die Augen und sagte: »Willst du hinüberschweben und das Schiff untersuchen?« »Ich wüßte nicht, was uns dieser Versuch nützen könnte. Ich werde sicher auch nur feststellen können, daß niemand in dem Wrack lebt. Und du … du willst in diese
18 Hölle hinunter?« Atlan ließ die DARIEN um einige tausend Meter absinken und dann wieder geradeaus gleiten. »Ja. Ich rechne nicht unbedingt mit einem Erfolg. Aber mein Problem ist ebenso dring lich wie viele andere. Du wirst binnen kurz er Zeit die endgültige Wahrheit über den Heimatplaneten deines Volkes erfahren.« »Trotzdem: ich bin unsicher und wittere ebensoviel Gefahren wie Rauch und Gase. Sieh genau hin! Auch du, Gink.« Cembergall-Flyrt deutete mit seiner Klau enhand auf seine Stirn. Das Rauchhorn vi brierte unaufhörlich. Die einzelnen Bewe gungen waren so schnell, daß man sie nicht mehr unterscheiden konnte. Von der Spitze abwärts begann es sich zu verfärben. Die winzigen Sensoröffnungen wurden größer und kleiner und pulsierten heftig. Verblüf fenderweise, fand selbst der Noot, denn schließlich roch er noch absolut nichts. Den vulkanischen Planeten konnte er zwar deut lich sehen, aber das war auch schon alles. »Verblüffend! Sieht aus wie eine welken de Pflanze!« stellte Gink Nik Meus mit einer abgrundtiefen Baßstimme fest. Atlan sagte sich, daß dieser neue, verblüffende Schiffs insasse vermutlich jede nur denkbare Stim me im Funkverkehr imitieren konnte, und dies absolut glaubhaft. »Funktioniert aber ganz anders«, gab der Noot mürrisch zurück. »Was denkst du, At lan?« »Ich bin sicher, daß auf Trimor so etwas wie eine geordnete Zivilisation nicht mehr bestehen kann.« »Außerdem werden wir bestenfalls Reste von Vegetation sehen können. Und auch die Fauna existiert vermutlich seit langer Zeit nicht mehr«, meinte Cembergall. »Tut mir leid, aber ich habe nicht einmal eine Vorstel lung davon, wie eine Landkarte von Trimor aussehen könnte.« Atlan sagte kurz: »Wir suchen eine Mannschaft. Wir planen nicht eine planetenkundliche Expedition. Ich hoffe, wir halten uns nur einige Stunden auf dieser bebenden und rauchenden Welt auf.«
Hans Kneifel Wieder einmal mußte er einsehen, daß er nur ein winziges Problem lösen konnte, dann vielleicht das nächste. Alle seine großen Vorhaben waren, sofern er es richtig beurteilte, gescheitert. Jedenfalls befand er sich in einer weit übleren Lage als zu dem Zeitpunkt, da er das erstemal einen Planeten dieses Reviers betreten hatte. Atlan steuerte das Organschiff aus der Äquatorgegend des Planeten hinaus und in die Richtung des Pols. »Es kann sein«, meinte er, »daß Beben, Lavaausbrüche und Ascheregen in Polnähe weniger stark sind. Bereit, Flyrt?« »Meinetwegen.« »Wozu soll das gut sein?« erkundigte sich Gink mit melodischer Stimme. »Damit sich das Schiff mit zwölf ent schlossenen Raumfahrern füllt«, entgegnete Atlan voll bitterem Sarkasmus. »Mit einer Armee aus Noots, mit der wir alle unsere Feinde niederschlagen.« »Aus deinen Worten spricht wenig Hoff nung«, sagte der Noot und kratzte sich am Schaft des Rauchhorns. Das Organ juckte unerträglich. Das Schiff näherte sich der riesigen Wolkenfläche, in der an einigen Stellen riesige Ausbuchtun gen erschienen und sich als die Tromben ebenfalls riesiger Vulkane entpuppten. Noch lag das blendende Sonnenlicht auf der Wol kendecke, aber sofort tauchte das Schiff in die dicke Schicht ein. Um die Insassen der Steuermann-Kanzel wurde es zuerst dunkel, dann völlig nachtschwarz. Sie durchflogen eine Turbulenzzone aus pechschwarzem Rauch. Winzige Partikel prasselten gegen die Hülle der DARIEN. »Es würde mich wundern, wenn es auf Trimor noch intelligentes Leben gibt«, sagte Atlan, als die Dunkelheit langsam wich. Undeutlich zeigte sich eine bizarre Land schaft unter dem Bug des Schiffes. »Hast du die Ortungsgeräte eingeschal tet?« fragte Cembergall-Flyrt drängend. Er klammerte sich an einigen säulenför migen Schaltelementen fest und starrte ab wechselnd auf die vergrößerten Ausschnitte
Die Galionsfigur auf den Schirmen und auf die wirkliche Landschaft. »Ja. Es gab bisher keine Anzeichen für Funkverkehr, starke Energieemissionen und andere Merkmale«, antwortete Atlan. »Draußen stinkt es!« sagte Gink Nik Meus spitz. Im Zwielicht unter einer fast vollständig geschlossenen Wolkendecke lagen verstepp te Täler und geröllübersäte Hänge. Tiefe Erdspalten durchzogen die flachen Wüsten flächen. Aus unzähligen Löchern und Kra tern stiegen Gase und Rauch in fast allen Farben auf. An einigen Stellen hatten sich in den Calderas vorübergehend erloschener Vulkane riesige Seen gebildet. Das Wasser war voller Mineralien, und dort, wo es über die Kraterränder floß, hinterließ es treppen förmige Spuren von leuchtenden Kristallfar ben. Aber auch diese Bäche und Flüsse, an deren Ufern niedrige Vegetation ein küm merliches Dasein fristete, endeten irgendwo in einer Spalte, an deren Boden sich glühende Lava befand. Dort verdampften sie und fauchten als weiße Wolken in die Höhe. Lo kale Sturmwinde rissen sie hoch und in ver schiedene Richtungen. Langsam driftete die DARIEN, genau auf dem Kurs zum Pol, über das zerklüftete und zerrissene Gelände. Schweigend betrachteten die drei Insassen das Inferno. Sogar der exotische Gast schien beeindruckt. Sie überflogen eine Zone niedrigen Buschwerks. Zwischen den Sträuchern und den verkrüppelten Bäumchen lag vulkani sche Asche. Kürzlich schien ein Regen nie dergegangen zu sein, denn der Boden war feucht. Atlan wußte, daß verwitternde Lava einen ungewöhnlich fruchtbaren Boden hin terließ, aber für diesen Effekt schien der Pla net doch viel zu unruhig zu sein. Das Leben hier, pflanzlich und tierisch, überdauerte si cherlich nur kurze Spannen. »Wo willst du landen?« fragte der Noot nach einer Weile. Die Spitze des Rauchhorns hatte sich weiß verfärbt und bebte stärker. Die War
19 nungen, die sich als winzige Schmerzspitzen zeigten, drangen aus allen Richtungen auf Cembergall-Flyrt ein. Xudon und der Markt schienen Jahrhunderte weit hinter ihm zu liegen; er hatte sie völlig vergessen. »Weiß ich noch nicht«, antwortete die Galionsfigur und umrundete einen giganti schen Vulkankegel, an dessen Flanken in zeitlupenhafter Langsamkeit breite Ströme hellroter und dunkelrotschwarzer Lava her unterkrochen. »Jedenfalls nicht gerade hier. Hast du irgendwelche Spuren von Bauwer ken entdecken können?« Cembergall-Flyrt schaltete immer wieder die Bilder auf den Schirmen um. Er suchte förmlich jede interessant erscheinende For mation konzentriert ab. Aber jeder Schatten, jeder mauerähnliche Auswuchs, der auf den ersten Blick wie der Rest eines Gebäudes aussah, entpuppte sich als optische Täu schung und als Ergebnis der zitternden und berstenden Planetenkruste. »Meine Rolle auf Trimor ist wohl klar«, sagte der Noot, während er seinen Oberkör per zur Seite drehte, um eine andere Vergrö ßerung zu studieren. »Ich soll versuchen, un sere Raumfahrer zu rekrutieren.« »Zuerst müssen wir versuchen, jemanden zu finden«, schränkte Atlan ein. »Es wird nicht einfach sein.« »Besonders dort draußen, wo es erbärm lich stinkt«, schloß Gink Nik Meus, zog sämtliche Gliedmaßen ein und rollte seine halbkugeligen Augen hin und her. Die DARIEN überflog gerade eine Wüste aus Sand, Geröll und langgezogenen Dünen aus verschiedenfarbiger Asche. Zwei breite Spalten, die sich terrassenförmig nach unten fortsetzten, grenzten die kleine Wüstenflä che ab. Hellrote Feuerströme zitterten am Grund der Spalten hin und her. Als der un deutliche Schatten des Schiffes über die Aschedünen dahinschwebte, bewegten sich die Dünen sanken zusammen und veränder ten ihre Form. Ein planetares Beben packte die Wüste und schüttelte sie. Augenblicklich fuhren stichflammenartige Feuersäulen aus den Spalten in die Höhe. Breite Bänke aus
20 schwarzem Rauch verdunkelten das Bild. Das Raumschiff stieg um einige hundert Meter höher und raste aus dem Chaos hin aus. »Hier steige ich jedenfalls nicht aus. Es wäre reiner Selbstmord«, sagte der Noot ent schlossen. »Hier würde ich nicht einmal das Raum schiff landen«, antwortete Atlan. »Kluger Entschluß!« kommentierte das Wesen von Noderzerf. Die DARIEN schwebte in einer langgezogenen Schlangen linie zwischen Rauchsäulen, gewaltigen Ka tarakten aus Feuer und hochgewirbelten Steinen, Felsen, Lavabrocken und Asche massen, zwischen auseinanderbrechenden Wänden von einstmals aufgetürmter, erkal teter Lava, zwischen Hängen, die langsam auseinanderkippten und neue, massiv er scheinende Lava von greller Weiße zeigten. Die Insassen hörten und spürten, wie harte Partikel unablässig gegen das Schiff häm merten. Dann glitt das Raumschiff aus der großen dunklen Wolke und den Schleiern giftigen Gases hinaus und befand sich plötz lich in der grellen Helligkeit unter einem großen Loch in der Masse der umherwir belnden Wolken und Rauchmassen. »Sieht schon etwas weniger unfreundlich aus«, sagte Atlan und jagte die DARIEN auf eine Bergkette zu, auf der weiße Kuppen zu sehen waren. Entweder handelte es sich um Schnee oder um weiße Asche. »Wenn es noch Noots gibt, hier auf Tri mor, dann finde ich sie vermutlich in einer solchen Gegend!« knurrte Cembergall-Flyrt. Atlan meinte, aus dem Klang der Stimme herauszuhören, daß der Noot stark beein druckt war von dem Zustand seiner Heimat welt, die er zum erstenmal erlebte, bisher al lerdings, ohne Gerüche und ohne Geräusche. »Wir werden lange kreisen und suchen. Vielleicht geht es leichter, und du mußt dich nicht den Gefahren aussetzen«, antwortete die Galionsfigur. »Ich bitte dich darum.« Sie befanden sich zweifellos in unmittel barer Nähe einer planetologisch stabilen Zo-
Hans Kneifel ne und in einem sehr kalten Gebiet. Das Weiß auf den Berggipfeln und in den Tälern war tatsächlich Schnee und Eis. Aber auch hier gab es deutliche Spuren des Vulkanismus. Atlan war sicher, daß das Ende dieser Welt in absehbarer Zeit in ei nem tödlichen Inferno stattfinden würde. Je des Stück der Oberfläche, das sie bisher hat ten sehen können, war zerrissen und zer furcht, und eines Tages würde sich das Mu ster der Zerstörung um den gesamten Plane tenball erstrecken. Vielleicht überlebte der Planet als kosmischer Körper, nicht aber das Leben auf seiner Kruste. Atlan ließ das Schiff auf einer ebenen Flä che aufsetzen, in der riesige Brocken oder Fladen einst glühender Lava riesige Löcher geschmolzen hatten. Die Außenmikrophone wurden eingeschaltet. Augenblicklich erfüll te ein auf und abschwellendes Dröhnen und Grollen die Kanzel. Atlan testete die Atemluft auch hier am Landeplatz. Sie war atembar, aber Gasspu ren darin machten, daß sie nach Schwefel, Rauch und noch schlimmeren Dingen stank. Als der Noot die wenig verheißungsvollen Bilder in sich aufgenommen hatte, sagte er: »Ich ziehe den Raumanzug an. Und ich nehme den kleinen Gleiter, den ich im Han gar gesehen habe.« »Selbstverständlich. Wir beide bleiben ununterbrochen in Funkverbindung.« »Du holst mich heraus, falls ich mich nicht mehr selbst befreien kann. Immerhin muß ich mit jeder Form von Beben und überfallartigen Eruptionen rechnen.« Atlan versicherte: »Ich werde sämtliche Möglichkeiten des Schiffes einsetzen, wenn du um Hilfe rufst. Denke daran: ein Dutzend Raumfahrer! Und versuche, so bald wie möglich wieder an Bord zu sein.« Der Noot lachte grollend. Verblüfft rich tete Gink seine Pupillen auf das Rauchhorn, dessen Basis sich ebenfalls weiß gefärbt hat te. Cembergall-Flyrt konzentrierte sich voll auf seine Aufgabe. Der Anzug bot ihm einen
Die Galionsfigur bescheidenen Schutz, vor allem aber vor gif tigen Gasen in der Luft dieser sterbenden Welt. Mit Hilfe des Gleiters würde er sich schnell fortbewegen können, und die Funk verbindung bot eine weitere Sicherheit. Der Noot hielt sich nicht für besonders mutig, aber diese Aufgabe würde er wohl lösen können. Er rechnete ziemlich fest damit, daß er niemanden finden würde – bestenfalls die zusammengebackenen Reste einstiger Bau werke und einige Spuren einer längst ver gangenen Zivilisation. Er steckte seine eige ne Waffe in den Gürtel, nahm nach kurzem Zögern eine zweite aus einem Vorratsfach des Organschiffs und hielt dann den Gleiter vor der geschlossenen Schleusentür an. Er hob die Hand und blickte durch das Helmvi sier hinauf zu den Linsen und Bildschirmen. Atlan beobachtete ihn genau. »Ich versuche, unseren Plan auszuführen. Du hörst von mir!« »Viel Glück. Ich wäre bei dir, wenn ich mich bewegen könnte«, sagte Atlan. »Ich rechne fest damit, daß du Erfolg hast.« »Abwarten.« Die Luke öffnete sich. Der Gleiter schwebte langsam vorwärts. Da er das Risi ko so klein wie möglich halten wollte, ließ der Noot den Raumanzug geschlossen. Er lenkte das kleine Gefährt über die zerklüfte te, abgeaperte Eisfläche in die Richtung ei ner Zone, die kümmerlichen Bewuchs er kennen ließ, der verblüffenderweise saftig und grün aussah. Skurrile Formen aus blauschwarzem Lavagestein unterbrachen die tundraähnliche Landschaft. »Kannst du etwas erkennen?« fragte At lan aus dem Schiff. Die Funkverbindung war ausgezeichnet. Cembergall-Flyrt schilderte seine Ein drücke und schloß: »Es sieht so aus, als wären in den Lava haufen Löcher. Es könnten Eingänge sein – oder auch etwas ganz anderes.« Der Noot dachte einen Moment lang, daß diese Aufgabe sein Können weit überstieg. Zusammen mit Atlan würde er keine Scheu gehabt haben. Aber irgendwann, falls er eine
21 Mannschaft fand, würden sie den Fremden vom Schiff losschneiden, und dann war der alte Zustand der größeren Sicherheit wieder hergestellt. Dicht über grünen Pflanzen, die voller Beeren waren, schwebte er auf eine Barriere aus nasser Lava zu. Das erkaltete Gestein sah aus wie schimmerndes Erz. Hinter einer schräg aufragenden Spitze stieg ein gelber Rauchfaden in die Höhe und wurde vom Sturm zerfasert.
4. Rund zehn Kilometer nach dem Stück Tundra entdeckte der Noot den Pfad. Er führte in die Hölle aus Rauch, Flammen und Erdspalten. Als sich Flyrt umdrehte, ver mochte er den Rumpf der DARIEN nicht mehr zu erkennen. Der Pfad selbst war schmal und wand sich über die stabil er scheinenden Teile des Geländes. Er verband ein ovales Gebiet aus gewaltigen Trümmern, Lavamassen in allen nur erdenklichen For men und Konstruktionen, aus Spalten und Klüften mit der sogenannten Tundra oder besser der Geröllfläche, die sich zwischen die Trümmer und das Grün gelegt hatte. Cembergall schilderte seine Beobachtungen und hörte, wie Atlan sagte: »Ich glaube, du hast eine vielversprechen de Spur gefunden. Folge ihr. Vielleicht ha ben wir schneller Erfolg, als wir dachten.« »Stinkt's wirklich so schlimm?« kreischte aufgeregt Gink Nik Meus. »Ich habe es noch nicht ausprobiert«, gab der Noot zurück. »Wolltest du nicht mit kommen?« Ein gellendes Gelächter war die Antwort. Vorsichtig folgte Cembergall-Flyrt dem Pfad. Seine Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf drei verschiedene Gefahrenmomen te. Irgendwo konnte plötzlich der Boden aufbrechen, und ein Hagel weißglühender Lava konnte ihn und den Gleiter vernichten. Oder in einer Rauchwolke konnte er gegen eine Wand oder in einen der bizarr geform ten Lavabrocken hineinfliegen. Und schließ
22 lich mochten tatsächlich verzweifelte Noots, die hier versteckt lebten, auf ihn feuern oder ihn auf andere Weise anzugreifen versuchen. Die kaum erkennbare Spur führte über ebene Flächen, entlang schmaler Felsenbänder, über Hänge aus blauschwarzer Lava, durch kleine Senken aus Sand und Asche und um einzelne Inseln aus erstaunlich kräftig wir kenden Gewächsen herum. Aus der Luft rie selte in diesem Moment ein leichter Regen heißer Asche herunter. Etwa eine Stunde lang folgte der Noot dem Pfad. Im Zentrum des zerklüfteten Tales verzweigte sich die Linie, und auch die einzelnen Äste teilten sich mehrmals. Das Gelände veränderte sich jetzt jeden Meter. Außer dem Pfad mit sei nen Verzweigungen, die sich zwischen den aufgetürmten Trümmern verloren, gab es kein einziges Lebenszeichen, keinen Hin weis darauf, daß sich hier etwas bewegte au ßer der Planetenkruste. Es erschienen mehr und mehr Krater, Fu marolen und Geiser, die kochendes Wasser und Dampf hochschleuderten. Hin und wie der gerieten die Blöcke in Bewegung und polterten zu Tal. In den schimmernden La vawänden erschienen Risse und Spalten; wie dickes Glas klirrte, prasselte und krachte das Material auseinander. Ein großer Krater, der aus drei verschiedenen großen Kreisen mit drei unterschiedlichen Zentren bestand, tauchte auf. Rotglühende Lava kochte und brodelte dort und warf riesige Blasen, die mit einem trockenen Donnern platzten. Jede einzelne Aktivität sandte einen kurz en, aber intensiven Schmerz durch das Rauchhorn. Der Noot erlebte dieses Organ zum erstenmal in richtiger Aktion. Der Schmerzeindruck kam von vorn, die Augen Cembergall-Flyrts richteten sich blitzschnell dorthin, und tatsächlich geschah dort etwas: ein Steinbrocken segelte, sich drehend und überschlagend, durch die rauchgeschwän gerte Luft und taumelte auf ihn zu. Er konn te ihm leicht ausweichen. Entsprechende Warnungen kamen von allen Seiten und von oben. Das Horn arbeitete wie ein Kompaß, und die Warnungen kamen stets so rechtzei-
Hans Kneifel tig, daß der Noot bequem ausweichen oder handeln konnte. Bisher war nur Asche auf den Gleiter heruntergerieselt, und einige Schauer winziger Kiesel und Bimsstein brocken hatten das Metall zerkratzt und leicht eingebeult. Cembergall-Flyrt kurvte nach rechts, flog unter einem Torbogen aus gelbem Gestein hindurch, der sich hinter ihm in einer Rauch wolke auflöste und zusammenbrach, dann bremste er den Gleiter ab und sagte ins Mi krophon: »Ausgerechnet hier, wo sich die Natur am wildesten gebärdet, scheine ich Leben ge funden zu haben.« »Einzelheiten, bitte!« wollte Atlan wis sen. »Ich habe zwei Noots gesehen. Sie ver schwanden in einem Hagel von Stein brocken in einem bunkerartigen Eingang.« Links von Cembergall-Flyrt wuchsen in mitten des Infernos große Bäume. Ihre mächtigen Wurzeln breiteten sich wie ein riesiges Netzwerk über die verschieden ge färbten Steine aus und endeten an Hunderten Stellen in Spalten. Dort schien es Erdreich und Feuchtigkeit genug zu geben. Die Stäm me selbst teilten sich im unteren Drittel und bildeten ein System von spiralig geformten Armen, die einige Meter höher wieder zu ei nem Stamm zusammenwuchsen. Sämtliche Vibrationen des Bodens wurden von diesem natürlichen Federelement abgefangen, und tatsächlich schüttelte sich die mächtige Kro ne des Baumes nur ein wenig. Unter den Ästen hatte der Noot soeben zwei seiner Artgenossen gesehen, die in die Öffnung ei ner Art Pergola hineingerannt waren. Die Pergola bestand aus Holz oder einem ähnlichen Material und war von ineinander verkrallten Pflanzen überwuchert. Auf den Pflanzen lagen Steinbrocken und eine dicke Aschenschicht. Der Noot begriff. Das Mate rial war bis zu einem gewissen Belastungs punkt elastisch und fing viele Stöße und Vi brationen ab, ohne nennenswerte Schäden davonzutragen. So also konnte sich das Le ben auf Trimor halten!
Die Galionsfigur Er steuerte den Gleiter bis zum Anfang des Eingangs und setzte ihn im Schutz der überhängenden Bohlen und Pflanzenteile ab. Mit einem Satz, die Klauen im Schutzhand schuh bereits am Griff der Waffe, war er aus dem Gleiter. Jetzt erst registrierte er wirklich, daß er sich seit dem Verlassen des Raumschiffes ununterbrochen durch Knirschen und Don ner, Krachen, Grollen und eine breite Skala fauchender und heulender Geräusche bewegt hatte. Er stand mit beiden Füßen auf dem Boden Trimors, spürte die ununterbrochenen Erschütterungen und hörte bewußt den Lärm, der von den Außenmikrophonen des Anzugs übertragen wurde. Und im gleichen Augenblick fragte er sich, ob die Noots, die ja diese Welt niemals verlassen hatten, Garva-Guva sprachen. Er selbst kannte von der eigentlichen Sprache seines Volkes nicht mehr als eine Handvoll Ausdrücke, und diese waren geschichtlich, wurden also in einer normalen Unterhaltung so gut wie niemals verwendet. Er schüttelte den Kopf, hielt sich an einem Balken fest und tastete sich geradeaus, auf ein gerunde tes Loch in einem feuerroten Lavafelsen zu. Er schilderte Atlan, was er sah. Er sagte auch, daß ununterbrochen der Boden zitter te; einmal stärker, dann wieder schwächer, mit nur unwesentlich kurzen Pausen. Die Noots, die er gleich treffen würde, hatten entweder keine Nerven mehr, und wenn sie sich an das dauernde Beben gewöhnt hatten, dann würde sich dies in ihrem Charakter niedergeschlagen haben. Cembergall-Flyrt begann Furcht zu verspüren. Aber dies teilte er Atlan nicht mit. Er erreichte den Eingang. Etwas warnte ihn, Gefahr kam von gerade aus. Er duckte sich und hob die Waffe. Ein kopfgroßer Felsen zischte dicht über ihn hin weg und wirbelte hinter ihm Asche auf. Gleichzeitig feuerte Flyrt die Waffe ab und zielte auf die Lavawand. Der grelle Glut strahl zeigte ihm einen Höhleneingang. Er glich mehr einem halb unterirdischen Befe stigungsbauwerk mit überdicken Mauern und winzigen Öffnungen. Das Loch war ge
23 rade so groß, daß sich ein einzelner erwach sener Noot hindurchwinden konnte. Eine Metalltür mit wuchtigen Riegeln stand of fen. »Ich bin ein Freund!« dröhnte Cember gall-Flyrts Stimme aus den Außenlautspre chern des Raumanzugs. »Ich bin ein Noot wie ihr.« »Ich höre mit!« wisperte Atlans Stimme an seinen Ohröffnungen. Der Noot gebrauchte die Verkehrssprache des Marantroner-Reviers und hoffte, daß sie auch von diesen Wesen verstanden werden konnte. Aus dem Eingang vor ihm sprangen zwei männliche Noots. Sie trugen Steinbeile in den Klauen. Ihre stumpfgrünen Schuppen waren von Stoffstreifen bedeckt und mit Schnüren oder Leder zusammengehalten. Ih re Augen funkelten angriffslustig. Flyrt blieb stehen und hob die Arme hoch. »Du kommst von einem anderen Bunker«, schrie einer der Vulkanweltler. »Warum bist du hier? Du hast keinen Platz, kein Essen, kein Wasser?« Garva-Guva enthielt einen großen Pro zentsatz von Noot-Begriffen. Beide Partner verstanden sich. Flyrt begriff, daß seine Lan dung nicht beobachtet worden war. Sie glaubten, er käme aus einer anderen Wohn gemeinschaft. »Ich brauche keinen Platz. Ich suche Männer, die mutig sind.« Seine Gegenüber machten einen unverän dert kriegerischen Eindruck. Einige neugie rige Gesichter lugten aus der Höhlenöff nung. Draußen prasselte ein Hagel kleiner Steine auf die Pergola, in den dicken Vulka naschestaub und gegen die Lavablöcke. Der Boden zitterte wieder. Wie die Donnerschlä ge eines schweren Gewitters krachten die Eruptionen des nahen Vulkanschlundes. Die beiden Noots stießen ein grölendes Gelächter aus. »Gibt niemanden hier, der nicht mutig ist. Feiglinge sterben schnell. Gegen wen sollen wir kämpfen?« Die Vorstellung, mit diesen schmutzigen,
24 aggressiven Männern in Atlans Raumschiff zurückzukehren, ängstigte ihn. Er glaubte erkannt zu haben, daß alle, die in diesen schrecklichen Umständen lebten, wild und kämpferisch sein mußten. Jeder Vulkanaus bruch konnte sie töten und die Reste ihrer Zivilisation vernichten. Er fragte, während er sich Schritt um Schritt zum Gleiter zu rückzog: »Wo bin ich? Wer seid ihr?« »Der Bunker heißt ›kalter Vulkan‹. Wir verteidigen unser Leben. Kennst du einen Weg, den Planeten zu verlassen?« »Ich habe gehört«, sagte er vorsichtig, »daß vor geraumer Zeit ein Raumschiff ge landet sein soll. Ich komme von weither, aus dem Süden, aus der Anlage ›finsterer Gei ser‹. Dort kämpfen sie.« »Wir kämpfen um alles, was wir zum Überleben brauchen. Ist bei uns nicht anders als bei euch. Wo hast du den Anzug her?« »Wir haben ein uraltes, versiegeltes Lager gefunden«, log der Noot, dem inzwischen bewußt wurde, daß er sich in Gefahr befand. »Mit wem seit ihr im Kampf?« Er erreichte seinen Gleiter und hoffte, starten zu können, ehe noch mehr Noots aus dem Bunker kalter Vulkan herauskamen. »Mit allen anderen Gruppen im Umkreis. Jeder gegen jeden.« Cembergall feuerte vor den beiden Män nern in den Staub, sprang hinter das Steuer und zog den Gleiter in die Höhe. Die Fels brocken und die beiden Steinbeile, die man ihm nachschleuderte, krachten gegen das Metall des Fahrzeugs. Der Gleiter raste schräg aufwärts und zwischen den Lavawän den außer Sicht. Sofort gab der Noot seine Eindrücke und Vermutungen an Atlan wei ter. Nach einigen Sekunden der Überlegung faßte die Galionsfigur zusammen: »Die Noots auf Trimor sind barbarisiert. Ihr Leben ist kurz und voller tödlicher Ge fahren. Mit Sicherheit kämpfen sie um jeden Fund aus der Vergangenheit. Der Boden verschluckt die Reste und bringt sie, viel leicht, wieder halbzerstört an die Oberflä che. Die Zivilisation ist untergegangen.«
Hans Kneifel Cembergall-Flyrt hatte inzwischen genau begriffen, daß er sich im Zentrum von tödli chen Naturgewalten befand. Daß er darüber hinaus auch noch mitten zwischen NootGruppierungen stand, die einander bekämpf ten, verstand er erst jetzt und auch nur zö gernd. Er ahnte, daß er sich in einer weit schlimmeren Situation befand als auf Xudon an jenem Tag, als die Schwarze Loh brannte und rauchte. »Was soll ich jetzt unternehmen? Wenn ich einen dieser Wahnsinnigen frage«, sagte er ins Funkgerät, »ob er ins Schiff will, rast er mit allen seinen Bunkerinsassen los und demoliert die DARIEN!« »Suche einen kleineren Bunker. Gib dich als Parlamentär aus. Oder versprich ihnen, sie zu einem winzigen Raumschiff zu füh ren. Aber nicht dreihundert wilde, zu allem entschlossene Kämpfer.« »Ich verstehe«, erwiderte CembergallFlyrt niedergeschlagen. »Ich habe es mir einfacher vorgestellt.« »Denke an mich und meine Lage. Nichts ist einfach«, sagte Atlan halblaut. »Du hast nach meinen Berechnungen noch acht Stun den Zeit bis zur Dunkelheit. Das müßte rei chen, um ein rundes Dutzend potentielle Raumfahrer zu finden. Oder betäube einen nach dem anderen!« »Der letzte Vorschlag ist zumindest er folgversprechend«, antwortete Flyrt und wich einer hundert Meter hohen Nadel aus erkalteter Lava aus, die langsam umkippte und von einer dunkelroten Welle aus ko chendem Gestein vorwärtsgeschoben wurde. Die Nadel zerbarst krachend und klirrend in Hunderte Bruchstücke. »Dann versuche bitte, ihn in die Tat um zusetzen. Ich kann dir leider nicht helfen – aber natürlich komme ich sofort mit dem Schiff, wenn du mich rufst. Ich habe deinen Standort ununterbrochen eingepeilt.« »Klar. Ich versuch's!« gab CembergallFlyrt voller Nervosität zurück. Acht Stunden Zeit. Cembergall ließ den Gleiter über eine heranwehende Wolke glü hender Asche steigen und sah sich um. Als
Die Galionsfigur die Wolke vorbei war, sah er verwundert, daß aus einem Loch in einer Lavamasse Noots herausstürmten. Zu seinem Entsetzen erkannte Flyrt, daß es Männer und Frauen waren. Sie waren bewaffnet, aber in Lumpen gekleidet. Die Haut schien von Hitze, Staub und den Spritzern geschmolzenen Gesteins verfärbt und zerfressen zu sein. Die Noots trugen alle Arten von Bewaffnung, die von Steinschleudern bis zu Strahlern archaischer Machart reichten. Sie rannten hintereinander in rasendem Tempo über einen Pfad, über die Kreuzung und durch einen Hagel von Schlackestücken. Einige der Kämpfer wur den von Fetzen herausgeschleuderter Lava getroffen, die größer waren als sie selbst. Die Schreie der Sterbenden drangen bis zu dem Noot, der sich in seinem Gleitersitz schüttelte, von kaltem Entsetzen gepackt. Er steuerte den Apparat aus dem Wirrwarr der Lavamassen, Staubfahnen und Rauch wolken heraus, die sich immer wieder ver formten, veränderten und die Sicht versperr ten. Dann brachte er den Gleiter auf einen anderen Kurs. Er schwebte aus dem Chaos heraus und sah wieder die Gruppe von etwa zweihundert oder zweihundertfünfzig Ech senwesen, die wie die Rasenden sich einem unbekannten Ziel entgegenstürzten. »Ich verfolge sie«, sagte er, nachdem er Atlan geschildert hatte, was er sah. »In Ordnung.« Sie bewegten sich mit einer dramatischen Hektik. Aber je länger der Noot dieses Cha os miterlebte, desto besser verstand er das Bestreben der Übriggebliebenen, um jeden Preis überleben. Sie waren der Rest der Ur bevölkerung, die täglich kleiner wurde. Un gefähr eine halbe Stunde lang folgte er, im mer wieder knapp dem Tod oder zumindest einem Unfall entgehend, den Trimors. Sie hielten kurz an, als in dem Durcheinander der zerrissenen Natur ein Relikt der alten Zi vilisation auftauchte; ein riesiger, narbenzer fressener Gegenstand, der wie eine Maschi ne aussah, wie ein seltsames Wesen aus ei ner ganz anderen Zeit. Dann hasteten die Noots weiter. Jeder Schritt, jede Bewegung
25 wirkte, als wäre es die letzte Lebensäuße rung. Ganz eindeutig befanden sich die Noots auf einem Kriegszug. Diejenigen, die Energiewaffen trugen, verhielten sich so, als trügen sie ein unendlich wertvolles Erbe mit sich – was in gewisser Weise auch stimmte. Vor einem dünenartigen Hügel, der von gigantischen Lavablöcken durchsetzt war, schwärmten die Noots nach rechts und links aus. Die Gestalten versteckten sich hinter je der möglichen Deckung. Eine kleinere Gruppe, alle mit Energiewaffen ausgerüstet, rannte in erstaunlicher Eile auf den Eingang dieses anderen Bunkersystems zu. Jeder Schritt der dreizehigen Klauenfüße warf ei ne kleine Wolke vulkanischer Asche in die Höhe. Flyrt beobachtete fasziniert, wie der Keil der Angreifer auf den Eingang des Bunkers zurannte, eine wilde Serie von Schüssen abfeuerte und eindrang. Warum kämpften sie? Oder aus welchem Grund griffen sie ihre »Nachbarn« an? Der Gleiter raste zwischen zwei Feuersäu len hindurch, geriet einen Moment lang in den heulenden Gasstrom einer riesigen Fu marole und kam wieder frei. Er schwankte und bäumte sich auf. Aus dem Eingang des Bunkers schlug den Noots schweres Ab wehrfeuer entgegen. Die Insassen des Bun kers empfingen die Angreifer mit einem dichten Hagel aus Steinen und Lavabrocken. Die Geschosse mit ihren messerscharfen Kanten schlugen furchtbare Wunden. Das Schreien der Angreifer und Verteidiger war so laut, daß es mühelos das Grollen des Vul kans und das Krachen der zusammenbre chenden Steinmassen übertönte. »Atlan!« flüsterte der Noot, von Entsetzen gepackt. »Ich höre?« »Es ist der Weltuntergang. Der Planet zer stört sich selbst. Jedes Lebewesen, das ich bisher gesehen habe, kämpft wie rasend. Sie alle sind so wild wie Wahnsinnige. Sogar die Frauen kämpfen und schleppen Waffen.« »Keine Chance, eine Mannschaft zusam menzubekommen?«
26 »Im Moment nicht die geringste.« Cembergall-Flyrt beobachtete sorgfältig, wie die zwei Gruppen erbittert gegeneinan der kämpften. Er kannte den Grund nicht, aber offensichtlich ging es um Dinge, die das Überleben sicherstellen konnten. Ein Stoßtrupp quoll aus dem Eingang des ande ren Bunkers und machte die Vorhut der An greifer nieder. Einige Noots flüchteten in ei ne ganz andere Richtung und näherten sich der nächsten Abzweigung des schmalen Pfa des. Abermals wich Flyrt einem Hagel von Bimssteinbrocken aus und verfolgte im Tief flug die Männer, die entlang einem breiten Lavastrom vorstießen und vermutlich Schutz bei einer dritten Bunker-Gesellschaft such ten. Es waren etwa dreißig Individuen, die versuchten, der Enge und der Not ihres un terirdischen Quartiers zu entkommen. Flyrt verfolgte diese Kampftruppe etwa zwanzig Minuten lang. In dieser Zeit bewiesen die Kämpfer, daß sie sich auf das Leben zwischen den Vulka nen perfekt eingerichtet hatten. Sie durch querten die gefährlichen Zonen mit einer ans Wunderbare grenzenden Sicherheit. Lang sam kamen sie einem Bauwerk näher, das eine Mischung zwischen alten Mauern und Decken und neuen Lavamassen darzustellen schien. Die Verteidiger tauchten in den Öff nungen der Lavawand auf und zögerten nicht eine Sekunde, als sie die kleine Truppe herankommen sahen. Ein abstoßender Kampf fing an. Die Angreifer hatten um die Läufe und Schäfte der Waffen Stoffetzen gebunden und schwenkten sie in der gasdurchsetzten Luft. Ab und zu riß einer der Noots die Ar me hoch, peitschte mit dem Schwanzrelikt und kippte seitlich vom Pfad. Vermutlich war er von den vulkanischen Gasen bewußt los gemacht worden. Überall waren Dampf wolken, die aus Löchern und Spalten quol len, und Rauchfahnen, die aus der zitternden Tiefe des Planeten kamen. Sind sie alle wahnsinnig? fragte sich Cembergall-Flyrt. Sein Rauchhorn zuckte ununterbrochen
Hans Kneifel unter den unzähligen Warnsignalen. Er steu erte den Gleiter durch eine Qualmwolke hin durch. Als vor ihm ein Noot sichtbar wurde, der mit einer schweren Energiewaffe auf die Eingänge des Bunkers feuerte, betäubte Flyrt den Mann mit einigen Lähmschüssen. Er hielt den Gleiter an, wuchtete den schwe ren Körper auf die winzige Ladefläche im Heck und raste weiter. Er versuchte, ein Ge biet zu erreichen, in dem der Vulkanismus nicht derart stark war. Endlich fand er, in der Richtung auf das Organschiff, eine Sandflä che. Er hielt an und berichtete Atlan, was vorgefallen war. »Richtig. Befrage ihn. Vielleicht ist es un ser erster Beute-Raumfahrer.« »Ich habe es vor.« Cembergall-Flyrt riskierte es, den Raum anzug zu öffnen. Vorsichtig zog er die Luft in die Lungen. Sie war gut zu atmen, aber in ihr mischten sich offensichtlich Spuren sämtlicher Gase des Planeten. Es stank wirk lich. Der Noot nahm aus den verkrampften Klauen des Trimors die Waffe und betrach tete sie sehr genau, während er darauf warte te, daß die Lähmung nachließ. Die Metalltei le waren vorbildlich sauber, die Waffe war mit großer Liebe gepflegt worden. Die be schädigten Teile hatte man trickreich, aber mit Ersatzmaterialien geflickt und zu repa rieren versucht. Der Noot bewegte sich schließlich und stieß eine Frage hervor. »Nein«, sagte Flyrt. »Ich kenne euer Ge biet nicht. Woher bist du?« »Aus dem Bunker ›tote Caldera‹. Wir sind dreihundert.« »Warum kämpft ihr wie die Rasenden ge geneinander?« fragte Flyrt und zielte mit seiner Waffe zwischen die Augen des ande ren. »Wir kämpfen ums Überleben.« »Ihr bringt euch gegenseitig um. Die Vul kane dezimieren euch. Ihr seid in die Barba rei zurückgefallen!« »Wir wissen, daß ein Bunker ein Raum schiff gefunden hat. Wir wollen hier weg. Wir müssen den sterbenden Planeten verlas sen. Warum weißt du das nicht?«
Die Galionsfigur Der andere Noot hatte sich von seiner Lähmung erholt und erkannte jetzt, daß er keineswegs einem Angehörigen einer ande ren Bunkergemeinschaft gegenüberstand. »Weil ich aus einer Gegend komme, die intakt ist. Wir spüren zwar die Erschütterun gen des Bodens …«, sagte Flyrt. »Woher?« »Aus dem Schnee des südlichen Pols. Ich suche ein Dutzend Raumfahrer. Nicht mehr. Das Schiff ist klein.« »Ihr habt ein Schiff? Wir kämpfen um jeden Rest der untergegangenen Zivilisation. Von einer Bunkergemeinschaft heißt es, sie baut ein Schiff. Oder sie setzt es zusammen. Wir pflegen alles, was übriggeblieben ist.« Cembergall-Flyrt verstand jetzt mehr. Er sah ein, daß hier gänzlich andere Gesetzmä ßigkeiten galten. Trotzdem wiederholte er, auch für Atlan und Gink, seine ersten Fra gen. »Warum kämpft ihr gegeneinander?« »Es ist nicht genug Wasser und Essen für Tausende. Nur für ein paar hundert. Wir kennen nichts anderes.« »Bei uns geht es nicht so tödlich zu«, brachte Flyrt hervor. »Auch die Frauen kämpfen und sterben bei euch?« »Sie trinken und essen ebensoviel wie die Männer!« war die lakonische Antwort. Der andere schien zu akzeptieren, daß er sich voll im Status des Gefangenen befand. Noch immer zielte die Waffe auf ihn. Cembergall-Flyrt fragte: »Du willst den Planeten verlassen?« »Nichts lieber als das. Nimmst du mich mit?« »Noch nicht. Ich brauche ein Dutzend männliche Noots. Nicht mehr, nicht weni ger. Bringe sie mir.« »An den Südpol?« »Nein. Siehst du dort die drei kleinen Vulkane?« »Wir nennen sie die verderblichen Dril linge. Wann?« »In ein paar Stunden. Ich warte auf euch. Ich werde euch zum Schiff bringen. Es ist die letzte Chance.«
27 Flyrt ging drei Schritte rückwärts. Atlans Stimme wisperte zustimmend aus den Laut sprechern des zurückgeklappten Helms. Ge genüber dem anderen Noot, der sich jetzt zö gernd von der Ladefläche schob, wirkte Flyrt wie ein Wesen aus einer anderen Welt und aus einer Zeit, in der Trimor noch nicht dem Untergang geweiht gewesen war. Er senkte die Waffe um eine Handbreit und sagte: »Höre zu! Ich werde dich und deine elf Freunde beobachten. Sind es mehr, wartest du vergeblich. Daß es weniger werden, neh me ich nicht an. Geh jetzt zurück zu deinem Bunker und hole sie. Ihr braucht weder Waf fen noch Nahrungsmittel. Schnell! Es eilt.« Er deutete in die Richtung, aus der sie ge kommen waren. Hinter Rauchwolken und zerstäubenden Wasser und Dampffahnen la gen mehrere der unterplanetarischen Bun ker. Als der Noot nach seiner Waffe greifen wollte, feuerte Flyrt einen Warnschuß über seinen Kopf hinweg. »Ich brauche sie!« beharrte der Noot. »Du bekommst bessere Waffen an Bord des Schiffes«, sagte Flyrt schroff zu seinem Gefangenen. »Ich sagte: schnell. Ich möchte starten, bevor es dunkel wird.« »Ausgezeichnet«, meinte Atlan. Der Noot wickelte einen Lappen um seinen Fuß und hob, aufmerksam geworden, den Kopf. Er hatte Atlans Stimme gehört und begriffen, daß zwischen seinem Gegenüber und dem unsichtbaren Raumschiff Funkverbindung bestand. »Ich gehe«, sagte er schließlich und rann te davon. Gedankenvoll starrte CembergallFlyrt ihm nach. Er sah, daß der Noot rannte, als gelte es sein Leben. Ob die Trimor-Noots ihm glaubten, daß er aus einer anderen Ge gend des Planeten kam? Vielleicht, viel leicht auch nicht. Es war nicht so wichtig.
* Gridersold-Herp ließ den schweren Lava brocken achtlos fallen. Er traf einen jungen Noot auf die Klaue, und der Kleine sprang
28 heulend und kreischend durch die Dunkel heit des Bunkers davon. Vor Gridersold lag der Noot, der es gewagt hatte, seine Waffe zu verlieren. Er zuckte mit den Beinen und schrie: »Ich sage dir, ich habe das Geschütz nicht verloren!« »Haben es dir die vom ›Lavasee‹ wegge nommen?« Der Noot stand auf. Der Stein hatte ihn am Kopf getroffen und eine blutende Wunde geschlagen. Gridersold-Herp war der Boß dieses Bunkers. Er stand breitbeinig vor dem Niedergeschlagenen und fluchte. »Ich kann es nur dir sagen. Es ist ganz wichtig. Du mußt mir zuhören!« Um die beiden Männer hatte sich ein dichter Kreis von Bunkerbewohnern aufge stellt. Der Verlust einer solch kostbaren alten Waffe, die zudem noch vorbildlich funk tionierte, war ein todeswürdiges Verbrechen. Einige Lampen, die von vulkanischen Gasen gespeist wurden, erhellten einen Teil des Bunkers »tote Caldera«. Gridersold-Herp riß den Noot hoch, versetzte ihm einen furcht baren Schlag mit der Faust und schrie ihn an: »Ich höre dir zu! Sage es allen, wie du die Waffe weggeschenkt hast. Es werden deine letzten Worte sein!« Der Noot kämpfte mit sich, dann flüsterte er. »Ein Fremder hat mich betäubt. Er steuert einen Gleiter und trägt einen neuen Rauman zug. Er ist ein Noot und hat ein Raumschiff. Er braucht eine Raumfahrer-Besatzung!« »Du lügst!« donnerte Herp. »Ich soll ihn mit elf anderen Männern treffen. Komm mit. Überzeuge dich! Ich lü ge nicht! Er hat alles: Nahrungsmittel, Ge tränke, Kleider und ein neues Schiff. Er sagt, er kommt vom ruhigen Südpol. Aber er funkt unentwegt mit dem Raumschiff. Ich habe es selbst gehört. Außerdem spricht er eine ganz andere Sprache.« Die Noots begannen aufgeregt zu schreien und sich zu unterhalten. Die Aussicht, ein Raumschiff kapern zu können, war nicht nur
Hans Kneifel ein Hoffnungsschimmer, sondern die letzte, ersehnte Rettungsmöglichkeit. Seit den Ju gendtagen hatte jeder Noot auf Trimor nichts anderes als diese Flucht im Sinn. Es war die Verheißung, für die sie alle lebten. »Ruhe!« schrie der Chef. »Du bist zu dumm und kannst eine solche Geschichte nicht erfinden.« »Es ist die Wahrheit! Aber wenn er mehr als zwölf Männer sieht, landet er nicht!« »Aber er funkt mit dem Schiff?« »Ja. Ich schwöre es!« Unbeschreiblicher Lärm brach in dem Bunkersystem aus. Jeder rannte, um sich auszurüsten und zu bewaffnen. Sie glaubten an das Raumschiff. In ihrer Vorstellung nahm es gigantische Dimensionen an; eine Arche, die sie alle von Trimor fortbringen würde auf einen Planeten, auf dem es sich leben ließ. Alles andere war besser als das Leben auf Trimor. In dem allgemeinen Cha os hörten sie nur undeutlich die Stimme des Mannes, der seine Waffe verloren hatte. »Wir sollen uns bei den verderblichen Drillingen treffen. Zwölf Mann. Dann bringt er uns zum Schiff. Nicht mehr als drei oder vier haben auf dem Gleiter Platz.« Jeder von ihnen kannte Gleiter oder ähnli che Maschinen aus Bildern und alten Auf zeichnungen. Gerade das Bewußtsein, nichts von all dem mehr zu besitzen, das es vor Jahrhunderten noch überall für jeden gege ben hatte, machte die Nachkommen der UrTrimorNoots für diese Fundstücke beson ders anfällig. Sie wußten, welch erbärmli ches Leben sie wegen der Selbstzerstörung Trimors führen mußten. Gridersold-Herp lachte bösartig auf. Er kannte das Ausmaß seiner Macht. Die Idee hatte in seinem Hirn gezündet; er würde buchstäblich alles tun, um von diesem Pla neten wegzukommen. Er schrie begeistert: »Ich werde euch sagen, wie wir dieses Schiff entern werden. Schön. Du bist noch einmal mit dem Leben davongekommen, du Lavawurm. Berichte! Nichts auslassen. Erin nere dich an jede Kleinigkeit!« »Ja. Natürlich. Ich will ja mit ins Raum
Die Galionsfigur schiff!« Während sich rund dreihundert Insassen des Bunkers ausrüsteten, von einer namenlo sen Erregung gepackt, berichtete der bluten de Noot dem Chef dieser barbarischen Ge meinschaft, was er wußte, was er sich dachte und welche Schlußfolgerungen zu ziehen waren. Zunächst schweigend, dann mit im mer größerer Begeisterung und breiterem Grinsen, hörte der Chef zu. Schließlich sagte er: »Unter den Gerätschaften, die wir aus der alten Kultur ausgegraben oder in anderen Bunkern erbeutet haben, befindet sich ein Funkpeiler. Weißt du, was das ist?« »Ein Gerät, mit dem man Funkimpulse …?« »Mit dem man bis auf hundert Schritte genau feststellen kann, woher Funksignale ausgeschickt werden. Wenn es dunkel wird, haben, wir das Raumschiff. Wir alle. Drei hundert Insassen werden überleben.« »Du mußt vorsichtig handeln, Herp!« ver suchte sich der Noot durchzusetzen. »Das werde ich. Wart's nur ab!« Er schob den Noot achtlos zur Seite. Eini ge Sekunden lang dachte der Chef darüber nach, daß nun auch die beispiellose Hektik ein Ende haben würde, mit der die TrimorÜberlebenden ihr Überleben betrieben. Aber dann übermannte ihn der Drang, das Raum schiff zu erobern und alle Insassen des Bun kers von dieser planetaren Hölle zu retten. Sein Plan stand in groben Umrissen fest, aber er mußte noch viel arbeiten. Er winkte, und sofort standen mehrere Noots neben ihm. Er gab eine Reihe von Befehlen und An ordnungen. Jede Gruppe erhielt eine besondere Auf gabe zugewiesen. Herp rechnete fest damit, daß es Opfer geben würde. Er wußte, daß er nicht zu ihnen zählen würde. Er hatte keine Sekunde lang geglaubt, daß der fremde Noot in seinem neuen Anzug vom Südpol gekom men war – die einzige Alternative war ein Raumschiff. Woher es kam, und wohin es fliegen woll
29 te, das war völlig unwesentlich. Hauptsache, die Noots brachten es fertig, eine Schleuse zu entern. Alles andere würde sich finden. Einige Stunden später bewegten sich sämtli che Insassen des Bunkers auf schmalen, ge fährlichen Pfaden durch die vulkanische Hölle des sinkenden Abends auf den Treff punkt zu. Gridersold-Herp führte die erste Gruppe an. Sie bestand aus genau zwölf Noots, die alle – vergleichsweise – hervorragend be waffnet waren.
* Cembergall-Flyrt rechnete damit, daß sein Versuch alles andere als normal oder wie geplant verlaufen würde. Seine zwei Waffen waren entsichert. Er schwebte in der ausge zeichneten Deckung zwischen zwei schwan kenden Türmen aus einzelnen Lavasteinen, rund hundert Meter über dem ausgemachten Treffpunkt. In den zwei letzten Stunden hat te er jeden Quadratmeter der Zone unter sich genau beobachtet. Er hatte unzählige Rauch fahnen gesehen, mehrere schwere Planeten beben miterlebt, eine Unmenge von Dampf fontänen hatten die Sicht minutenlang un möglich gemacht. Immer wieder hatte sich die leblose Landschaft aus Stein, Asche und Lava verändert. Der schmale Pfad mit sei nen Gabelungen war jedesmal aus dem Wirrwarr und dem Chaos aufgetaucht und schien unversehrt zu sein. Atlan hatte mehrmals gefragt, ob die zu künftigen Raumfahrer bereits an Ort und Stelle wären. Immer hatte Cembergall-Flyrt antworten müssen, daß er keinerlei Bewegung gesehen hatte. Aber jetzt tauchten hinter den Geröll barrieren einige Noots auf. Sie legten dies mal keine so dramatische Eile an den Tag. Die Planetarier blickten sich suchend um. Der Noot zählte sie. Ein besonders breitschultriger Noot mit großen weißen Stellen auf seiner Schuppen haut ging einer Gruppe von elf Noots voran. Sie bewegten sich auf den Treffpunkt zu, auf
30 die leere Fläche unterhalb der zusammenlau fenden Hänge der drei kleinen pyramiden oder spitzkegelförmigen Vulkane, aus deren Schlünden Feuer und Rauch hochgeschleu dert wurden. »Ich sehe tatsächlich nur zwölf Noots«, sagte Flyrt. »Ich fliege zu ihnen hinunter und bringe drei von ihnen zum Schiff.« »Einverstanden«, erwiderte die Galionsfi gur, und der Noder rief: »Es stinkt also wirklich?« »Ich bringe dir eine Handvoll Staub mit«, versprach der Noot grimmig. »Hoffentlich haben wir keinen Fehler gemacht.« Er blieb mißtrauisch. Aber andererseits sagte er sich, daß es so gut wie unmöglich war, sich unbeobachtet über den Pfad zu be wegen. Er steuerte seinen Gleiter auf den Treffpunkt zu und sah sich unentwegt um. Er konnte weder einen dreizehnten Noot ent decken, geschweige denn eine größere Gruppe von Angreifern. In einer driftenden Dampfwolke schwebte er auf die Sandfläche und traf auf den wuch tigen Noot, der seine Leute aus einer dicken Schicht Rauch herausführte. CembergallFlyrt stellte seine Maschine quer, hob den Strahler und rief: »Drei Mann auf die Ladefläche! Schnell!« »Verstanden. Ich bin Gridersold-Herp«, dröhnte der Anführer. »Ich werde dir dan ken, wenn wir im Raumschiff sind.« »Keine überflüssigen Worte«, entgegnete Flyrt. »Macht schnell. Die Dunkelheit kommt bald.« »Wir kommen.« Drei Noots, schwere Waffen und kleine Säcke mit irgendwelchen Ausrüstungsge genständen in den Armen, schwangen sich auf die Ladefläche. Augenblicklich startete Flyrt den Gleiter und schwebte direkt auf das ferne Raumschiff los. Er brauchte zwan zig Minuten, bis er auf der Schneefläche den Rumpf des Organschiffs sah und vor der Rampe der hinteren Luke landete. »Hinein ins Schiff. Achtet auf die Anord nungen aus den Lautsprechern. In einer Stunde verlassen wir diesen Planeten!« rief
Hans Kneifel er, wendete den Gleiter und jagte davon. Ei ne gewisse Erleichterung überkam ihn; die Mission war doch nicht voller unüberwindli cher Schwierigkeiten. Er rechnete fest da mit, daß Atlan seinerseits die wilden Noots richtig behandeln würde; die Galionsfigur hatte sämtliche Informationen über die Ge schehnisse des letzten halben Tages. Die kleine Maschine raste im Zickzack über die Ausläufer der Berge, über die Grünzone und hinein in das Inferno des Vulkanismus. Cembergall-Flyrt konzentrierte sich darauf, den Gesteinsbrocken und den brennenden Gasfackeln auszuweichen. Neun Gestalten warteten am Rand der Sandfläche. Der Noot lud wieder drei auf seinen Gleiter und brachte sie zum Schiff. Die TrimorNoots verschwanden ebenso schnell in der DARIEN wie die drei ersten. Auch der nächste Flug ging ohne jede Kom plikation vor sich. Als Cembergall-Flyrt mit den letzten drei seiner verwilderten Artge nossen vor dem Organschiff landete, holte einer von ihnen mit einer Steinkeule aus und schmetterte sie gegen Flyrts Schädel. Der Noot war augenblicklich besinnungs los. Der Gleiter rammte gegen die Wand der DARIEN. Ein Noot schaltete den Antrieb aus und feuerte einen Schuß in die Luft ab. Plötzlich wimmelte es ringsum von heran stürmenden Wesen, die aus Erdspalten, hin ter Schneedünen, aus Anhäufungen von Asche und hinter Felsbrocken hervorkamen. Rund dreihundert TrimorNoots stürmten auf das Schiff und die offene Luke zu. Ein halbes Dutzend Klauen griffen zu und rissen Cembergall-Flyrt den Raumanzug vom Kör per. Der Fremde wurde sofort entwaffnet. Eine Noot-Frau erwischte die Anzugflasche, die voller Spezialgetränk war. Gierig trank die Frau einen großen Schluck. Es war das Köstlichste, das sie seit ihrer Geburt jemals getrunken hatte. Ein Noot riß ihr den Behäl ter aus den Fingern und sprang aus dem Gleiter. Die ersten Schüsse krachten, als das Dutzend der zuerst herangebrachten Noots in die Schleusenkammer stürzte und ver
Die Galionsfigur
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suchte, den heillosen Ansturm der dreihun dert aufzuhalten. Atlans Stimme drang aus den Lautspre chern des Raumanzugs, den sich ein junger Noot anzuziehen versuchte. Während sich die anderen um Flyrts Waffen stritten, hatte er den Anzug erbeutet und sich hinter dem Rumpf des Organschiffs versteckt. Vor der Schleuse des Schiffes begann ein erbitterter Kampf.
* Schweigend und konzentriert beobachtete Atlan die drei Noots, die eben das Schiff be treten hatten. Die Galionsfigur schaltete von einem Linsenaggregat zum anderen und konnte so jeden Schritt und jedes Wort kon trollieren. Die Wesen sahen natürlich so aus wie Cembergall-Flyrt, aber damit endete alle Ähnlichkeit. Sie bewegten sich schneller und aggressiver, ihre Haut war verbrannt und staubig, ihre Kleidung bestand aus Fet zen. Sie hatten das Aussehen hungriger Raubtiere. Leise sagte der Pthorer ins Mikrophon: »Sie sind wild und starren jeden Einrich tungsgegenstand wie ein Heiligtum an. Ich warte ab, bevor ich sie anspreche.« Neben ihm kauerte der würfelförmige Körper Gink Nik Meus' auf dem Schaltbord und beobachtete ebenfalls die drei Gestalten. Es war nicht zu erkennen, ob sich der Noder fürchtete oder nicht. Über Funk erwiderte Flyrt: »Ich lade gerade die zweite Gruppe ein. Du solltest starten, sobald wir mit der letzten Mannschaft an Bord sind. Ich habe ein un gutes Gefühl.« »Hast du etwas besonderes gesehen?« »Nein. Aber sie kämpfen seit undenkli cher Zeit. Sie alle haben nur ein Ziel: von hier wegzukommen.« »Verstehe. Ich mache die DARIEN start fertig.« Die Trimor-Noots begriffen schnell. Die Feststellung deckte sich mit den Vorstellun gen, die Atlan hatte. Mit einiger Sicherheit
erinnerten sie sich an unzählige Maschinen und deren Funktionen, die es früher einmal hier gegeben haben mochte. Ihr unsicheres theoretisches Wissen erfuhr hier eine prakti sche Vorführung. Als sich neun Noots im Schiff befanden und die einzelnen Räume kontrollierten, steckten sie die Köpfe zusam men und unterhielten sich leise und in einer Sprache, von der Atlan kaum etwas ver stand. Plötzlich bewegte sich Gink und er zeugte einen langen Arm mit zwei Gelenken und muskulösen Fingern. Er drückte auf einen breiten Kontaktschalter. Ein schweres Schott schob sich an die Stelle, durch die man eben noch ungehindert die Galionsfi gurKanzel betreten konnte. »Was tust du?« fragte Atlan verwundert. »Wenn einer der Barbaren hier herein kommt«, erklärte Gink Nik mit der Stimme Cembergall-Flyrts, »ist der Teufel los. Du bist verdammt leichtsinnig.« »Du hast recht«, bekannte Atlan und merkte, daß die Anwesenheit fremder We sen im Schiff ihn seltsam berührte. Er warte te förmlich darauf, von ihnen Befehle zu er halten. Seine Eigeninitiative schwand. »Achtung, Atlan«, meldete sich nach ei ner Weile der Noot. »Ich nähere mich dem Organschiff.« »Verstanden. Wir sind startfertig!« war die Antwort. Noch während Atlan sah, daß die neun Noots ihre Waffen packten und auf die Schleuse zuliefen und dabei eine er staunliche Sicherheit zeigten, ertönte ein Ächzen. Nach einer Sekunde Pause donner ten Schüsse auf. Atlan schaltete sofort eine der Außenkameras ein und sah, wie einige Noots seinen Freund aus dem schlingernden Gleiter kippten. Eine Meute stürzte sich auf ihn und riß ihm den Raumanzug herunter. Dann belebte sich das trübe Bild vor der Rampe. Hunderte Noots tauchten plötzlich auf und rannten sternförmig auf die Schleuse zu. Mehrere lösten sich aus der Menge, sprangen in die Schleuse und vereinigten sich dort mit den neun Männern, die ihrer seits sofort auf die Heranstürmenden feuer ten. Die Lautsprecher übertrugen einen Höl
32 lenlärm. Schüsse, Schreie, die Geräusche der Maschinen, das Jaulen eines halbautomati schen Alarms und das Dröhnen der fernen Vulkane mischten sich zu einem akustischen Inferno. Gleichzeitig bebte der Boden unter der DARIEN. Die staubbedeckte Schneeflä che riß an mehreren Stellen auf. Tiefe Spal ten verschlangen mehrere der wildgeworde nen Noots. Atlan sah, wie eine rennende und stolpernde Gruppe Cembergall-Flyrt erneut niedertrampelte. Er hatte sich hochgestemmt und versuchte, auf das Schiff zuzukriechen. Tiefer Schrecken packte Atlan. Er war nicht nur unfähig, sich zu bewegen, sondern er vermochte auch nicht zu reagieren. Sollte er das Schiff starten? Erstens blieb Flyrt auf dem Planeten zurück, zweitens hatte er, At lan, keinen Befehl erhalten. Er war ratlos und wartete. Währenddessen tobte der Lärm aus den Lautsprechern, und die Schreckens bilder wechselten einander ab. Es gab keinen Extrasinn, der ihm war nende Botschaften zuflüsterte oder Verhal tensregeln diktierte! Die erste Welle der neuen Angreifer wur de von den zwölf Verteidigern zurückge worfen. Also schien die erste Gruppe sich entschlossen zu haben, niemanden mehr ins Schiff hineinzulassen. Einige Glutbahnen zuckten auf und bohrten sich in die Rück wand der Schleuse. Lavabrocken wurden durch die Luft geschleudert und verursach ten tiefe Wunden. Außerhalb des Schiffes, mitten in der Masse der Noots, detonierte die Energiekammer einer Waffe und tötete sechs Echsenwesen. Die Verteidiger, die jetzt versuchen mußten, sich durch zwei kleine Schotte aus der großen Schleuse zu rückzuziehen, stolperten rückwärts. Ein rie siger, auffallend breitschultriger Noot schrie mit dröhnender Stimme Kommandos und schoß aus einer stumpfnasigen Waffe auf die Eindringenden. »Du hast mehr Raumfahrer als nötig!« er klärte Gink. »Nur nicht Cembergall.« »Ich sehe keine Möglichkeit, ihn ins Schiff hereinzuzerren«, murmelte Atlan. »Was soll ich tun?«
Hans Kneifel »Keine Ahnung!« sagte der feuerrote Würfel. Der Kampf ging weiter. Die Männer um den Riesen wichen in die beiden Hauptkorri dore aus. Die Menge drängte nach; jetzt be fanden sich bereits etwa fünfzig Noots in der Schleuse. Wieder ließ ein vulkanisches Be ben den Boden und das Schiff zittern und schwanken. Die Auseinandersetzung wurde ohne Erbarmen geführt. Obwohl alle Ein dringlinge oder Angreifer aus einem Bun kersystem stammten, kämpfte jeder gegen jeden. Der Preis war ein Platz im Schiff. Wieder drückte Gink Nik auf einen Schal ter. Heulend schob sich in dem Zentralkorri dor ein schweres Schott zu. Ein Teil des Schiffes war abgesperrt. Aber mit der Rase rei, mit der die Noots kämpften, würden sie auch das Schott zerstören und weiter in die DARIEN vordringen können. Die Noots standen Kopf an Kopf in der Schleuse. Der Rest, der von außen nachdrängte, bildete einen Halbkreis vor der Rampe. Einige jün gere Noots und zwei Frauen zerrten Cem bergall-Flyrt über den Schnee bis an den Rand der weißen Fläche. Der Noot rührte sich nicht. In der Spur, die sein Körper gezo gen hatte, glänzten im Licht der untergehen den Sonne Blutstropfen. Einige Angreifer hatten sich hinter dem halb umgekippten Gleiter verschanzt und schleuderten mit ih ren merkwürdigen Geräten Steine, keilför mige Felsbrocken und glänzende Lavab rocken ins Schiff hinein. Die Geschosse beulten an unzähligen Stellen die Decke und die Wände ein. Scheinwerfer und technische Einrichtungen wurden zertrümmert. Immer wieder sank ein Noot zusammen, kippte aus der Schleuse oder wurde niedergetrampelt. »Einen Fluchtstart!« stöhnte Atlan auf. Aber er war nicht in der Lage, die not wendigen Befehle zu geben, obwohl das Schiff theoretisch jederzeit starten konnte. Hilflos und regungslos sah Atlan, wie sich die Noots gegenseitig dezimierten. Eine kleine Anzahl der Eindringlinge versuchte,
Die Galionsfigur die Schleuse zu verlassen und ins Schiff ein zudringen. Stets vermochten nur zwei Noots gleichzeitig durch das Schott zu schlüpfen. Die Verteidiger, noch immer eine Gruppe von etwa zwölf Echsenwesen, schossen ge zielt zurück. Die sterbenden Noots wurden von denen, die nachdrückten und zurück schossen, nach hinten zurückgerissen und schließlich aus dem Raumschiff gestoßen. Die Energiewaffen wurden rücksichtslos eingesetzt. Riegel und Zuhaltungen von Schotten zerschmolzen, aber ein Hagel aus Geschossen und Energieschüssen schlug die Angreifer zurück. Trotzdem gelang es einer Gruppe von etwa zwanzig Mann, in den Hauptkorridor einzudringen. Schrittweise, sich erbittert wehrend, zogen sich die Noots um den Anführer zurück. Weitere Teile des Korridors wurden verwüstet, aber trotzdem gelang es den Noots nicht, die Informations übermittlung zu Atlans Kanzel zu unterbre chen. Atlan selbst sah ein, daß er paralysiert war. Jeder Gedanke an den Start des Schif fes wurde blockiert, noch ehe er ausgereift war und die DARIEN und ihre Nervenlei tungen erreichte. Das Schiff erhob sich ein mal um einen Meter und fiel dann krachend wieder zurück in den Schnee. Die Masse der Noots, die draußen warteten, schrie so laut auf, daß der Donner der nächsten Eruption in dem Schrei unterging. Die Galionsfigur war, wie alle unbeein flußten Steuermänner, willenlos. Die letzten Lichtstrahlen zeigten Atlan, daß sich tat sächlich eine kleine Gruppe Noots abgeson dert hatte und Cembergall-Flyrt mit sich schleppte. Sie hatten bereits den Rand der Schneefläche erreicht. »Cembergall-Flyrt!« stöhnte Atlan und wußte, daß der Freund verloren war. Ver mutlich lebte er noch. Er war, zumindest in der nächsten Zeit, Gefangener der TrimorNoots. Aus. Atlans absolute, bisher nie ge kannte Hilflosigkeit machte ihn innerlich ra send. Aber er wußte genau, daß er nichts än dern konnte. Die bewaffnete Auseinandersetzung in nerhalb des Schiffes ging weiter. Von den
33 etwa dreihundert Noots war rund die Hälfte verletzt oder tot. Die meisten Toten lagen außerhalb des Schiffes und in der Schleuse. Die Verletzten lehnten außen an der Schiffs wand, krümmten sich im zertrampelten Schnee oder lagen innerhalb des Schiffes. An einigen Stellen zeigten sich schmorende Einschußlöcher, die von der automatischen Anlage mit Spezialschaum besprüht wurden. Im Schiff hallten weiterhin die Schüsse, und die Steine, von beiden Seiten geschleudert, polterten immer wieder gegen die Wände. Hin und wieder berührten die kämpfenden Noots unabsichtlich einen Schalter oder einen Kontakt. Schotte fuhren auf oder zu. Kleine Gruppen wurden abgetrennt und ein geschlossen. Besonders die Gruppe um den riesigen Noot begriff in verblüffender Schnelligkeit die Bordtechnik, die unabhän gig von der Galionsfigur funktionierte. Und schließlich trieb der Riese seine Leu te ein letztesmal an. Sie hatten eine Vielzahl Waffen erbeutet und setzten sie ein. Rücksichtslos gingen sie vor. Der Lärm der Salven aus den Strahlern erfüllte das Schiff und ließ die Luft vibrie ren. Die Angreifer in den Gängen wichen ebenso langsam zurück, wie sie eingedrun gen waren. Zahllose von ihnen starben, wäh rend die etwa zwanzig Trimor-Noots vor rückten und den Rest in die Schleuse zu rücktrieben. Atlan hörte mitten im Lärm des Kampfes einen Schrei. Er verstand die Worte deutlich. Es war eine andere Art von Betonung als das GarvaGuva, das er fließend sprach und ver stand, aber die Bedeutung war klar. »Wann startet das Schiff denn endlich?« Der breitschultrige Noot hatte diesen Schrei ausgestoßen. Atlan registrierte, daß es noch kein Befehl war. Er konnte nicht reagieren. Aber er konnte ein Zeichen ge ben. Er wußte, daß die Noots keine Ahnung hatten, wie ein solches Schiff befehligt wur de. »Los! Starten! Weg von hier!« schrien die Männer um den Anführer. »Weg von Tri mor!«
34 Sie trieben die letzten Angehörigen ihrer Bunkergemeinschaft aus der Schleuse. Der Boden war übersät mit Leichen und Ver wundeten. Einige der blutenden Noots schleppten sich bis zur Rampe und ließen sich in den Schnee fallen. Wieder zuckten lange Energiestrahlen hin und her und zer störten technische Einrichtungen. Das Licht flackerte, als Atlan die DARIEN langsam von der Schneefläche hochsteigen ließ. Die Verteidiger stimmten ein gewaltiges Sieges geschrei an und begannen, die Leichen aus der Schleuse zu werfen. Viel lieber wäre At lan in die Richtung losgeflogen, in der er die Gruppe mit Cembergall-Flyrt vermutete … … aber er hatte keinen Befehl dazu. Er sah ein, daß er in dem Augenblick, da sich ein erkennbarer Befehlsgeber an Bord be fand, zum willenlosen Objekt geworden war. Wie alle anderen Galionsfiguren auch gehorchte er fremden Befehlen. Nur daß hier nicht Scuddamoren die Befehle gaben, son dern wilde und verzweifelte Wesen, von de nen zwanzig ihren Lebenstraum wahr ge macht hatten. Ihr Raumschiff startete aus der Hölle des Vulkanplaneten heraus. »Anhalten! Wir sind noch nicht fertig!« dröhnte der nächste Befehl. Sie begriffen wirklich schnell, wie sie es anzufangen hat ten. In rasender Geschwindigkeit schleppten die Männer die Toten in die Schleuse und kippten sie über den Rand. Einige Schüsse, die von der verzweifelten Menge auf der Schneefläche dem Schiff nachgeschickt wurden, gingen ins Leere oder schlugen in die Außenhülle ein, ohne den geringsten Schaden anzurichten. Sie fanden einen Leichtverwundeten und ließen ihn liegen, nachdem sie eine Kabine aufgerissen und ihn auf eine Liege geworfen hatten. Atlan zählte: es waren einundzwan zig Planetenbewohner. Binnen überraschend kurzer Zeit waren die Steine, die einfachen Waffen und die Körper der Toten eingesam melt und über Bord geworfen. »Ich bin Gridersold-Herp!« schrie der An führer und schüttelte seine Faust, die zwei
Hans Kneifel Energiegewehre hielt, in die Richtung eines Linsensatzes. »Ich habe verstanden«, sagte Atlan unter Zwang. »Ich bin Atlan, die Galionsfigur.« Ein letzter Rest freien Willens verhinder te, daß er freiwillig auch seinen feuerroten Begleiter vorstellte. »Du sollst uns in den Weltraum bringen. Schließe das Schiff. Und bereite zwanzig der schönsten Kabinen vor, mit reichlichem Essen und frischen Getränken!« »Selbstverständlich«, sagten die Lautspre cher mit Atlans Stimme. Die DARIEN wurde schneller, stieg hö her, und sämtliche Schotte schlossen sich. Immer wieder wurde der Lärm der Männer hörbar, die Dinge entdeckten, die sie nur von Abbildungen oder aus Erzählungen kannten. Sie verhielten sich wie Kinder, die jeden Schalter und jede Einzelheit mit begei stertem Jubel ausprobierten. Aber Atlan wußte, daß sie Männer waren, die mit grau samer Wildheit gekämpft hatten. Die Noots ließen sich Zeit. Atlan brachte das Organschiff in einen Orbit um den Pla neten und sah die Landschaft kleiner wer den, erkannte die großräumigen Zeugen der Zerstörung und Auflösung Trimors. Es gab keinen Befehl, der etwas über das Ziel aus sagte. Die einundzwanzig Noots durchsuch ten zuerst fast das gesamte Schiff, bis es ih nen zu langweilig wurde. Schließlich rollte das Schott hinter Atlan zur Seite. Gridersold-Herp stand im Rahmen und musterte den Mann im Goldenen Vlies, sah die unzähligen Anschlüsse und schwieg überrascht. Gink Nik hatte seine großen Au gen geschlossen und wirkte wie ein Bestand teil des Paneels, auf dem er saß. »Du bist der Pilot?« fragte Herp aus druckslos. Atlan sagte sich, daß Gink Nik Meus auch diese tiefe Stimme ohne Schwierigkeiten würde nachahmen können. »Ich bin die Galionsfigur. Ich bin unlös bar mit dem Schiff verbunden«, erklärte At lan. »Es ist mein Tod, wenn man mich los schneidet. Wie lauten deine Befehle?«
Die Galionsfigur »Das mit den Kabinen hast du schon ganz gut gemacht. Bringe das Schiff dorthin, wo wir alles finden, was wir brauchen.« »Alles, was ihr braucht? Ich muß genaue re Angaben haben«, meinte der Pthorer. Gridersold-Herp lachte laut und erwiderte langsam: »Wir brauchen ausgesucht gutes Essen. Ebensolche Kleidung. Alles, was Luxus ist und was es auf Trimor nicht gibt. Übrigens: es gibt so gut wie nichts auf Trimor.« »Verstehe. Ihr wollt also plündern?« Wieder lachte Herp. Hinter ihm tauchten einige seiner bewaffneten Männer auf und ließen sich von ihm erklären, was es mit dem viergliedrigen Wesen inmitten der un zähligen Anschlüsse auf sich hatte. Atlan spürte eine gewisse Befriedigung, endlich eine Aufgabe zugeteilt zu bekommen. Inner halb bestimmter Grenzen war er, auf den In halt der Speicher angewiesen, flexibel. Aber niemals würde er einem Befehl Herps zuwi derhandeln können. Er würde es sofort tun, aber seine eigene Initiative erwachte viel leicht wieder, wenn das Schiff wieder völlig leer war. »Nicht unbedingt plündern.« »Sondern?« »Wir nehmen uns, was wir brauchen. Du sollst uns nur zu einer solchen Stelle brin gen. Natürlich nicht in ein bestens bewach tes Gebiet, wo man das Schiff und uns alle vernichtet.« »Ich glaube, ich kenne einen solchen Platz«, erwiderte Atlan mit halbem Eifer und suchte in den Schiffsspeichern. Einer der wenigen makabren Vorteile seiner Skla verei war es, daß er keine Verantwortung hatte. »Wie lange brauchst du dorthin? Ist das Schiff schnell?« »Etwa zwei Tage eurer Zeitrechnung von Trimor«, entgegnete Atlan. »Es ist so etwas wie eine kleine Werft auf einem einsamen Planeten.« Er verschwieg, daß der Stützpunkt von Scuddamoren kontrolliert wurde. Mit sol chen Namen und Feststellungen konnten je
35 ne Trimor-Noots nichts anfangen, da sie kei nerlei Informationen auf Trimor empfangen konnten – so dachte der Pthorer. »Dann kennst du also unser Ziel. Versu che nicht, uns in eine Falle zu locken!« Atlan antwortete wahrheitsgemäß: »Ich bin nicht in der Lage, einen Befehl negativ oder positiv zu interpretieren. Ich gehorche dem jeweils Mächtigen im Schiff. Das bist nach meiner Ansicht du, Grider sold-Herp. Eine Galionsfigur kann nicht an ders handeln.« »Das höre ich gern. Dein Freund, der her ausgeputzte Noot, hat also die richtigen Schlüsse gezogen. Er hatte nur wenig Glück, weil ich schlauer bin. Inzwischen schmort er wohl irgendwo in der Lava.« Atlans freier Wille war so groß, immer hin, daß er sich nicht zu einer passenden Antwort gezwungen fühlte. Die DARIEN verließ den Orbit um Tri mor. Die Echos von vier Organschiffen er schienen nacheinander in den Ortungsgerä ten. Es waren die ausgebrannten Schiffe, von denen Atlan und Flyrt schon zwei näher untersucht hatten. Atlan legte den Kurs zu dem Depotplaneten der Scuddamoren fest. Der Planet durfte nur in großer Not angeflo gen werden, wenn die Vorräte eines Schiffes zu Ende gingen oder eine Expedition ausge rüstet werden mußte. Die Bewachung war nicht stark, und er lag weit entfernt von dem nächsten Machtzentrum der Soldaten Chirm or Flogs.
5. Etwa zehn Stunden nach dem Start: Im Schiff herrschte Ruhe. Die beiden kleinen Reparaturrobots hatten die größten Schäden beseitigt. Atlan lag in seinem Sitz und starrte hinaus in die Sterne des Maran troner-Reviers. Das Lebenserhaltungssystem versorgte seinen Körper. Irgendwelche Kei me oder Infektionen wurden vom Zell schwingungsaktivator abgebaut, und auch das allgemeine Befinden schien von der Wirkung dieses wunderbaren Geräts beein
36 flußt zu werden. Er fühlte sich keineswegs unglücklich, weil er den Anordnungen der geflüchteten Noots gehorcht hatte. Immerhin lebte er. Die einundzwanzig Raumfahrer schienen ausnahmslos zu schlafen. Wieder war Gink Nik Meus sein einziger Gesprächspartner. Der rote Würfel lag mit unsichtbaren, eingezogenen Augen auf dem Paneel. Der Noder war ein Wesen von passi ver Intelligenz; er lernte schnell, aber er schien alle Dinge nur betrachtend zu genie ßen. Reines Handeln schien ihm fremd. Je denfalls mußte Atlan dies annehmen, nach den vielen Tagen, an denen er Kontakt mit dem Wesen gehabt hatte. Seine Gedanken gingen zu Cembergall-Flyrt, der entweder tot war oder Gefangener der TrimorNoots. Falls er Gefangener der Leute von der toten Caldera war, würde er sich durchsetzen können? Besaß er das winzige Funkgerät noch? Plötzlich sagte Gink, perfekt die Stimme Cembergalls imitierend: »Das Verhalten der Männer um Grider sold-Herp ist verständlich.« Atlan fuhr aus seinen tristen Überlegun gen auf und fragte: »Wie? Verständlich?« »Klar! Sie haben alles entbehrt, was das Leben lebenswert macht. Der Nachteil ist, daß sie ziemlich genau wissen, was sie ent behrten!« »Richtig.« Die Galionsfigur versuchte zu erraten, was die nächste Zeit dem Schiff bringen würde. Zweifellos würden die Noots das planeta re Lager der Scuddamoren plündern und die Magazine der DARIEN mit nützlichen und unnützen Gegenständen füllen. Die Annah me, daß sich einundzwanzig Nootmänner dem Konsumrausch hingeben würden, war sicherlich nicht falsch. Und dann? Wie ging es weiter? »Gink?« fragte Atlan nach einer langen Weile des Nachdenkens. »Hier. Beim Nachdenken. Du willst si cherlich eine Prognose von mir?« »Ich wollte dich gerade danach fragen«, bekannte Atlan düster. »Wie siehst du unse-
Hans Kneifel re Zukunft?« Das würfelförmige Wesen gab ein Ge räusch von sich, das Atlan als sarkastisches Lachen interpretierte. »Ich sehe sie nicht uninteressant, aber ge fährlich. Wenn das Lager ausgeräumt ist, werden sie immer mehr haben wollen. Al lein der Besitz zählt. Sie werden sich verhal ten wie Vögel, die nur blitzende Gegenstän de stehlen.« »Das Plündern geht also, deiner Meinung nach, weiter?« »Ganz sicher. Bis sie eines Tages mehr abbeißen, als sie kauen können. Dann wer den wir uns etwas einfallen lassen müssen. Warum, glaubst du, bin ich so schweig sam?« »Keine Ahnung. Müde?« »Nein. Ich denke. Ich ziehe es vor, dabei nicht gestört zu werden.« Gink räusperte sich, wieder mit Cember galls Stimme, dann schwieg er für die näch sten Lichtjahre.
* Der riesige Noot stand neben Atlan in der Kuppel und sah, wie sich Cadrai-Tarph zwi schen den Sternen hervorschob und vergrö ßerte. Mit bloßem Auge war bereits die Ku gelform des Kleinplaneten zu erkennen. »Das ist unser Ziel?« fragte er, keines wegs unsicher. »Es ist euer Ziel«, korrigierte Atlan. »Ich führe nur den Befehl aus. Es ist CadraiTarph. Ich habe die Informationen, aber ich war niemals hier. Ich kann euch also nicht helfen.« »Nach Jahrhunderten des Kampfes um ein erbärmliches Leben«, erklärte der Noot plötzlich mit deutlicher Bewegtheit, »ist je der Trimor-Noot ein perfekter und rück sichtsloser Angreifer. Wir haben nichts an deres gelernt als den Kampf. Mit allem, was wir haben.« Er streckte eine Klaue aus und zeigte sie Atlan. Die drei langen Finger besaßen win zige Schuppen. Im Gegensatz zu Flyrts Haut
Die Galionsfigur schienen sie aus Stahl zu bestehen. Atlan sah gräßliche Narben und die Spuren von Lavat ropfen, die kraterförmige Löcher in der Haut hinterlassen hatten. Die Muskeln waren überstark ausgebildet, und die gesplitterten Krallen wirkten wie messerartige Waffen. »Begriffen?« fragte der Noot lakonisch »Ich habe verstanden. Trotzdem ist es alles andere als ungefährlich. Ich weiß, daß es Kämpfe geben wird. Kampf bedeutet Tote. Was aber haben Tote von ihrem Besitz?« Die Antwort Gridersold-Herps war von klassischer Einfachheit. »Sie wissen, wofür sie gestorben sind.« Atlan ließ die DARIEN langsamer wer den. Der Planet war größer geworden, ein zelne Strukturen zeichneten sich ab. Seine linke Hemisphäre wurde scharf von der Son ne ausgeleuchtet. Hinter den Sonnen des Marantroner-Reviers breitete sich wieder die düstere, bösartig erscheinende Kulisse der Schwarzen Galaxis aus. Auf den VorausBildschirmen erschienen die ersten Teilver größerungen. Die grafische Darstellung der Gashüllen-Zusammensetzung ließ deutlich erkennen, daß sie für die Noots eine ange nehme Überraschung sein würde. Ein Teil ihrer augenblicklichen Euphorie war sicher lich dem Umstand zuzuschreiben, daß die Atemluft in der DARIEN frei von jeglichem Geruch und weitaus besser als diejenige der Vulkanwelt war. Atlan versuchte, den Standort der Station zu finden. Das Organschiff schlug einen Or bit um CadraiTarph ein, und die Ortungsein richtungen begannen auf Hochtouren zu ar beiten. Die Galionsfigur verglich die einge henden Beobachtungen mit den Speicherda ten und änderte den Anflugkurs des Schif fes. »Wie lange dauert es noch? Wir haben es verdammt eilig!« rief Gridersold. »Es gibt nur einen winzigen Peilimpuls«, erklärte Atlan geduldig. »Die Station liegt irgendwo in einem Gebirge.« »In welchem?« Der Anführer zeigte auf die Bildschirme. »Der halbe Planet ist voller Berge!«
37 »Das eben versuche ich herauszufinden. Es ist sinnvoller, wenn ihr euch auf die Zeit nach der Landung vorbereitet. Ich kann das Schiff nur landen und starten – plündern müßt ihr selbst.« »Kein Problem«, lachte donnernd der An führer und schlug krachend auf die Rücken teile von Atlans Sessel. »Das besorgen wir auf das beste.« Er und seine zwanzig Männer hatten sämtliche Einrichtungen des Schiffes auch intensiv benutzt. Von einem solchen Luxus schienen sie geträumt zu haben. Sie hatten sich bis zum Exzeß geduscht. Ihre Schup penhaut war eingeölt, und Teile der aufge fundenen Kleidungsstücke waren wild durcheinander verwendet worden. Zwar sa hen die Noots noch immer wild und drohend aus, aber ein relativer Eindruck der Zivili siertheit ging inzwischen von ihnen aus. Im Weltraum um Cadrai-Tarph gab es keine Organschiffe und, falls Atlan seine Kontrollen gründlich durchgeführt hatte, auch keine Warneinrichtungen. Das Schiff schwebte langsam über die endlos erschei nenden Wälder, aus deren dunkelgrüner Flä che lange, scharfzackige Bergketten heraus ragten. Schneeweiße Wolken trieben über das Bild. Die Noots blickten diese Land schaft schweigend und fassungslos an: diese Ansichten und Aussichten schien es nicht einmal in ihren Träumen gegeben zu haben. »Ich habe das Signal«, kam Atlans Stim me über die Lautsprecher in fast allen Räu men des Schiffes. »Dann lande an der günstigsten Stelle!« befahl Gridersold-Herp. Ein großer Felsabsturz zeigte sich. Er war an seiner Oberfläche dicht bewaldet, und di rekt unterhalb der fast senkrechten, zerklüf teten Wand spiegelte sich das Sonnenlicht in der Schleife eines breiten Flußlaufes. Vergli chen mit Trimor strahlte jeder Quadratmeter der Landschaft eine zauberhafte Ruhe aus. Der Schatten der DARIEN huschte über das Wasser, als das Schiff die Felswand entlang schwebte und etwa in der Mitte des Abstur zes anhielt, etwa hundertfünfzig Meter über
38 dem Wasserspiegel. »Wir erkennen keine Wachen, keine Ge schütze, nichts …?« rief Gridersold aus ei nem Raum neben der Schleuse. Er und seine Männer trugen die schwersten Waffen ihrer Ausrüstung. Einige hatten die letzten Raum anzüge der Grundausrüstung angezogen. »Ich habe soeben einen Erkennungsim puls gefunkt«, antwortete die Galionsfigur. »Die Schleusen werden sich in Kürze öff nen.« Die Scuddamoren schienen es für unmög lich zu halten, daß ein Unbefugter aus den Speichern eines Organschiffes Informatio nen holen und ausnutzen konnte. Genau dies hatte Atlan eben getan. Der Name des Schif fes, der Startplanet und das – erfundene, aber glaubwürdige – Ziel waren von den au tomatischen Geräten des Depots akzeptiert worden. »Sie öffnen sich!« stellte Atlan fest. Das Depot schien vor langer Zeit einge richtet worden zu sein. An fünfzehn Stellen öffneten sich schmale Schlitze in der Fels wand. Stumpfe Projektoren kippten hervor, drehten sich und zielten mit ihren Zentral dornen auf das Schiff. Die DARIEN schwebte in voller Breite näher an die Fels wand heran. Etwa gegenüber der Schleuse sank ein riesiges Stück Felswand, in Wirk lichkeit eine hervorragende Tarnung in der Farbe des umgebenden Gesteins, in unsicht baren Schienen abwärts. Ein Einstieg von et wa dreißig Metern Kantenlänge öffnete sich, sofort schalteten sich Batterien von Tief strahlern ein und ließen erkennen, daß der Stollen tief in den Berg hinein reichte. Atlan war in allen seinen weiteren Handlungen an die Ausführung des Befehls gebunden. Eine Galionsfigur versuchte stets, eine Anord nung mit allen Konsequenzen auf das beste auszuführen. »Das Schiff legt an der Felswand an«, gab Atlan bekannt. »Die Rampe wird mit dem Boden des Depoteingangs verbunden. Ihr könnt ungehindert eintreten. Ich habe weder ein Inhaltsverzeichnis noch einen Lagerplan dieses Stützpunkts.«
Hans Kneifel Mit dröhnendem Lachen gab GridersoldHerp zurück: »Wir werden schon finden, was wir su chen.« Die DARIEN berührte fast in gesamter Länge die Felswand. Einige lockere Ge steinsteile lösten sich und prasselten in den Fluß hinunter. Die breite Rampe schrammte über den staubbedeckten Boden, die Schleu se des Organschiffs öffnete sich. Augen blicklich stürmten die Noots hinaus. Atlan sah, daß sie sich verhielten, als ob sie einen feindlichen Bunker stürmen würden; Siche rung nach allen Seiten, keilförmiger Vor stoß, bei dem sich die Männer abwechselten, äußerste Konzentration auf den Vorstoß in ein unbekanntes Gebiet. Binnen Sekunden waren sie in den Tiefen des breiten Haupt stollens verschwunden. Ohne Schwierigkeiten hielt Atlan das Schiff in derselben Position. Er versuchte weder zu fliehen, noch beabsichtigte er, über Funk mit den Noots zu sprechen. Sie würden sich melden, wenn sie etwas brauchten oder neue Befehle geben wollten. Scheinbar geduldig wartete die Galionsfi gur und bewegte ununterbrochen die Anten nen der Ortungsgeräte, um rechtzeitig zu merken, ob ein Scuddamoren-Raumschiff den Planeten anflog.
* Zuerst rannten die Noots etwa dreihun dert, vierhundert Schritt weit in den Stollen hinein. Für jeden von ihnen eine völlig neue Er fahrung! Der Boden bebte nicht. Er war unbeweg lich wie eine Stahlplatte. Die Luft roch rein und frisch. Gerüche, die sie niemals hatten ahnen können, befanden sich in dieser küh len und sauerstoffreichen Luft. Die einund zwanzig Männer schwärmten aus, als die er sten Tore und Schotte rechts und links des Korridors zu sehen waren. Gleichzeitig er kannten sie über sich die riesigen Anlagen von Transporteinrichtungen. Gridersold
Die Galionsfigur Herp gab einen Befehl und deutete auf die zweite der breiten, luftdicht abschließenden Toranlagen. »Dort hinein. Wir werden sehen, was sich in den Kammern verbirgt.« Gridersold selbst war darüber verblüfft, wie sehr einander Wirklichkeit und jene theoretischen Erinnerungen glichen. So und nicht anders hatten sie sich die bessere Welt vorgestellt. Und so war auch die Welt ihrer Ahnen gewesen, die sie nur mosaikhaft kannten. Die Männer hielten in ihrem rasen den Lauf inne und wandten sich nach links. Vor dem kastenförmigen Schloßmechanis mus blieben sie stehen. Der Anführer rief in bester Laune: »Aufschießen!« Zwei Männer hoben ihre Waffen und drückten ab. Zwei Glutstrahlen fraßen sich durch das Metall. Der zerstörte Mechanis mus knarrte, jaulte und winselte auf, dann liefen unsichtbare Maschinen an und scho ben die Platte von etwa zwanzig Metern Breite zur Seite. Wieder schalteten sich Rei hen von Beleuchtungskörpern an. In ihrem Licht sahen die schweigenden Noots das Sinnbild der Überfülle; lange Reihen riesi ger Stapel von tonnenförmigen, kastenför migen und ballenähnlichen Verpackungen, zwanzig Meter hoch und mit nicht weniger Kantenlänge. Jeder Stapel hatte eine andere Kennfarbe. Es waren mindestens dreißig Stapel in einer Reihe, und es gab nicht weni ger als zwölf Reihen. Mit wilden Freudenschreien stürzten sich die Noots auf die Stapel. Mit einigen Tritten brachten sie einige davon zum Einsturz und rissen mit zitternden Klauen die raumfeste Verpackung auf. »Nahrungsmittel! Unbekannte Farbe, aber ein herrlicher Geschmack!« schrie ein Noot. Ein anderer lachte laut und rief: »Irgendwelche Flaschen. Kann Maschi nenöl oder etwas anderes sein.« Ein Klirren ertönte. In die frische Luft mischte sich ein betäubender Alkoholge ruch. Lachend und mit der Fröhlichkeit spie lender Kinder rissen die Noots eine Ver
39 packung nach der anderen auf. Sie waren zweifellos in ein Nahrungsmittelmagazin ge raten. Rund dreihundertsechzig verschiedene Nahrungsmittel oder Getränke. Eine halbe Stunde lang rannten sie hin und her, probier ten von den sorgfältig eingepackten Nah rungsmitteln und den Getränken. »Ladet eine Auswahl von dem Zeug auf dieses Gerät«, schrie Gridersold-Herp. Seine Stimme erzeugte einen langen Nachhall in dem Magazin. »Wir werden schon heraus finden, wie es funktioniert.« »Wird gemacht.« In einer Ecke stand eine Art Plattform mit einem Steuerstand daran. Die Noots schaff ten es mühelos, den Lastengleiter zu beladen und in Gang zu setzen. Sie steuerten ihn la chend und ausgelassen hinaus auf den Korri dor, ließen ihn stehen und rannten weiter. Wieder wurde ein Tor aufgesprengt, wieder fanden sie Dinge, von denen sie meinten, sie wären für ein besseres Leben sinnvoll und notwendig. Auch diese Gegenstände luden sie auf. Dann war der Gleiter überfüllt. Gri dersold befahl zwei Männern, die Fracht ins Schiff zu bringen und dort zu verstauen. Die Noots gehorchten und lenkten den Gleiter in Schlangenlinien zurück in die DARIEN. Die anderen untersuchten das Ma gazin der Scuddamoren weiter. Sie fanden Raumanzüge und Waffen, sie steuerten winzige Raumfahrzeuge für Repa raturzwecke in die DARIEN zurück, sie schleppten Handscheinwerfer ebenso mit sich wie Werkzeuge und alle nur denkbaren technischen Geräte, die sie niemals würden benutzen können. Alles wurde im Schiff ge stapelt. Die Noots entdeckten kleine, gepolsterte Kisten, die voller Barren eines seltsam bläu lich leuchtenden Metalls waren. Auch dieser Fund, mit dem sie nichts anzufangen wuß ten, wanderte in das Schiff. Nach einigen Stunden – sie hatten noch längst nicht alle Teile des Magazins gesehen und deren Inhalt geprüft – wurden sie müde. Einige Laderäume der DARIEN waren über füllt. Gridersold-Herp aber blieb vorsichtig.
40 Eines der ersten kleinen Funkgeräte, die er gefunden hatte, war von ihm aktiviert und nach einem Test auf Atlans Frequenz einge stellt worden. Er ging langsam, den schweren Strahler in einer Klaue, geradeaus in die Tiefe des Hauptstollens hinein. Er wußte, daß ihr er ster Zug ein voller Erfolg gewesen war. Trotzdem war er unzufrieden. Er sagte sich, daß es kein echter Kampf, kein Abenteuer gewesen war. Es fehlte die Befriedigung nach einem spannenden Kampf. Es waren keine Gefahren bei dieser Aktion gewesen. Das Gerät an seinem linken Unterarm summte auf. Er handelte blitzschnell, als wä re er mitten zwischen den Vulkanspalten auf Trimor. Das Gerät wurde eingeschaltet, und er sagte: »Ja. Herp hier.« Die Galionsfigur meldete sich über das Gerät und sagte erregt: »Ihr müßt sofort zurück ins Schiff. Ich ha be zwei anfliegende Objekte geortet. Sie ha ben kein anderes Ziel als das Depot!« »In Ordnung. Wir kommen.« Der Anführer stieß einige Schreie aus, die selbst im letzten Winkel des Depots zu hö ren waren. Aus allen Winkeln kamen seine Männer gerannt. Jede Spur von Müdigkeit war schlagartig weggewischt. GridersoldHerp zählte schnell, kam auf neunzehn und wußte, daß zwei Mann im Schiff waren. Er erklärte seinen Leuten, daß sie flüchten müßten. Augenblicklich rannten sie los und sprangen am Ende eines langen, schnellen Spurts in die Schleuse. In den Korridoren des Schiffes schrillte der Alarm. Gridersold und seine Truppe wurden bereits von den beiden Noots erwar tet. Der Anführer rief in die Richtung des nächsten Mikrophons: »Sofort starten und einen Fluchtkurs ein schlagen. Sie dürfen uns auf keinen Fall er wischen.« »Ich habe verstanden.« Die Galionsfigur führte sämtliche Schal tungen in größter Eile, aber völlig präzise durch. Wenige Sekunden später, als sich der
Hans Kneifel getarnte Eingang gerade wieder hochschob, schwebte das Schiff bereits in steigender Geschwindigkeit über den Planeten und schräg durch die Lufthülle von CadraiTarph. Bisher gab es kein Anzeichen dafür, daß die DARIEN geortet worden war. Das Organschiff raste, während die fremden Or ganschiffe fast senkrecht herunterstießen, über die Krümmung des Planeten hinweg und hinaus in den Weltraum. Die Flucht war geglückt.
* Während der nächsten Tage schienen sich die einundzwanzig Noots im Organschiff zu verändern. Sie lebten im Überfluß. Sie hat ten plötzlich viel Zeit und keine Aussicht auf einen tödlichen Kampf mit der Gemein schaft des benachbarten Bunkers. Sie fingen an, sich zu langweilen. Zuerst betrieben sie bis zum Überdruß et was, das sie als Körperpflege betrachteten. Sie aßen zuviel, tranken zuviel und feilten ihre Krallen, verwendeten Salben und Präpa rate, um ihre vernarbenden Wunden von Tri mor zu versorgen. Sie polierten ihre Rauch hörner, die langsam ihre Farbe wieder beka men. Ihre Langeweile nahm zu. Atlan, der die Zeichen erkannte, war hoff nungslos überfordert, als er versuchte, etwas daran zu ändern. Überall im Schiff befanden sich unnütze und überflüssige Geräte, deren Verkleidungen heruntergerissen worden wa ren. Die Noots hatten fast alle zu testen ver sucht, aber nur mit wenigen war es ihnen ge lungen. Auch in diesem Punkt verhielten sie sich wie spielende Kinder, aber es waren Kinder von teuflischer Intelligenz und ra scher Auffassungsgabe. »Wohin fliegen wir eigentlich?« erkun digte sich völlig zusammenhanglos der Noder. Er war einige Stunden verschwunden gewesen und lag nun wieder an seinem an gestammten Platz. »Wir haben kein Ziel.« »Sondern?« fragte Gink Nik Meus schläf
Die Galionsfigur
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rig. Offensichtlich hatte er die Nahrungsmit telvorräte der Noots geplündert. »Die DARIEN bewegt sich sozusagen in Spiralen durchs All. Der Anführer befahl mir, ein Handelsschiff zu kapern. Bezie hungsweise soll ich alles zur Kaperung vor bereiten.« »Ein reichlich ungenauer Vorschlag«, kommentierte der Noder und stieß einen schrillen Pfiff aus. Bisher hatte ihn noch kei ner der »Raumfahrer« als lebendes Wesen identifiziert. »Eine Anordnung, die der Mentalität die ser Barbaren entspricht«, beklagte sich At lan. »Und ich muß gehorchen.« »Die Scuddamoren, vor denen du soviel Angst hast, werden inzwischen das geplün derte Depot untersucht haben.« »Was sie noch lange nicht auf unsere Spur bringen muß«, antwortete der Arkoni de. »Sie werden trotzdem früher oder später auf die DARIEN aufmerksam. Außerdem wird unser Schiff gesucht. Niemand weiß, daß wir räuberische Noots an Bord haben.« »Das ist richtig. Jedoch – solange nie mand die DARIEN sichtet, kann diese Infor mation nicht weitergegeben werden.« »So ist es.« Die Noots ließen Atlan in Ruhe. Sie be handelten ihn so, als sei er eine besonders gute Steuereinrichtung, der man nur Befehle erteilte. Selten tauchte Gridersold-Herp in der Galionsfigurkuppel auf und sprach di rekt mit dem Mann im goldenen Anzug. Auch ohne Befehle und Anordnungen funk tionierte die technische Ausstattung des Schiffes vortrefflich. Es gab keinen Grund, den Steuermann direkt anzusprechen. »Was wirst du tun, wenn du ein Schiff entdeckst?« erkundigte sich nach einiger Zeit der feuerrote Würfel. »Ich werde, wenn es nicht zu groß ist, den Befehl ausführen«, antwortete Atlan. »Nichts anderes bleibt mir übrig.« »Du tust mir leid«, stellte Gink fest.
*
Aus der ereignislosen Schwärze des Welt raums tauchte ein kleines, aber starkes Or tungsecho auf. Atlan spürte es zuerst, sozusagen vor sei nem inneren Auge, dann erfolgte die Umset zung auf die Bildschirme. Nach einigen Se kunden, in denen die Galionsfigur die Infor mation auf ihre Zuverlässigkeit überprüfte, schaltete sie sich in die Kabine des NootAnführers. Gridersold-Herp lag ausgestreckt auf einigen Polstern, die er aus Nachbarka binen zusammengetragen hatte. Die Polster befanden sich auf dem Boden der Kabine. Also hatten sich doch noch deutliche Relikte aus der Trimor-Zeit erhalten, durchfuhr es Atlan, als er das Rufsignal auslöste. Schlag artig war der Noot wach. Er hatte die Nacht beleuchtung der Kabine nicht ausgeschaltet. »Ja? Gefahr? Angriff? Zu den Waffen …«, rief er, erinnerte sich blitzartig daran, wo er sich wirklich befand und blickte dann in die Richtung der glimmenden LinsenKontrollampe. »Es spricht die Galionsfigur«, sagte At lan. »Ich habe ein deutliches Echo auf dem Ortungsschirm. Meiner Erfahrung nach ist es ein bemannter Scuddamoren-Frachter. Die Geschwindigkeit spricht dafür, daß eine wertvolle Ladung an Bord ist. Es ist das Schiff, das du mit deinen Männern kapern willst, denke ich.« Gridersold-Herp sprang auf die Beine. In der schwachen Beleuchtung wirkte er wie ein grünäugiges Ungeheuer, das mit seinem breiten Froschmaul diabolisch grinste. »Haben wir echte Chancen?« stieß Herp hervor. »Das weiß ich nicht. Erfahrungsgemäß sind diese Schiffe mit einigen Kampfprojek toren ausgerüstet. Es dürften etwa zwei Dut zend Besatzungsmitglieder an Bord sein. Die Größe entspricht in etwa der DARIEN.« Unschlüssig pendelte der Noot mit seinem gedrungenen Körper vorwärts und rück wärts. »Wie ist die DARIEN bewaffnet?« »Ein Heckgeschütz und je eines steuer bords, backbords, oben und unten, ein klei
42 nerer Kampfstrahlenprojektor unterhalb des Bugs. Einzeln und synchron abzufeuern«, erwiderte Atlan. »Dann kapern wir das andere Schiff. Wecke meine Männer auf. Dann wirst du sämtliche Manöver ausführen. Wenn das an dere Schiff stärker ist, wirst du uns alle auf dem schnellsten Weg in Sicherheit bringen.« »Ich habe verstanden«, sagte sich Atlan und befand sich abermals in einem Gewis senskonflikt, den er nicht lösen konnte. Die bstahl in einem Scuddamoren-Depot war ei ne Sache, der Angriff auf ein fremdes Schiff, auf dem es vielleicht unschuldige Passagiere oder Gefangene geben mochte, war eine ganz andere Sache. Den Scudda moren gegenüber brauchte er keine Rück sicht zu nehmen, obwohl ihm das schauerli che Geheimnis ihrer Herkunft bestens be kannt war. Noch während der Noot seine Anordnun gen erteilte, reagierte Atlan. Die DARIEN schlug einen neuen Kurs ein, der sie genau hinter das Heck des fremden Schiffes brach te. Der Scuddamoren-Organraumer zog un beirrt seinen Weg. Seine Geschwindigkeit war ziemlich groß, aber die DARIEN holte mühelos auf. Der Einfall, sich in diesem toten Winkel hinter das andere Schiff zu set zen, stammte nicht aus den Speichern des Organschiffs, sondern aus der Erinnerung des Arkoniden. Atlan setzte die Energieabgabe des eige nen Schiffes auf einen reduzierten Wert her ab. Auf diese Weise wurde dem Verfolgten die Ortung erschwert, aber nicht unmöglich gemacht. Die DARIEN holte jetzt langsamer auf, aber die Distanz verringerte sich deut lich meßbar. Atlan aktivierte die Projektoren und rich tete sie auf das andere Schiff aus. Immer wieder kontrollierte er die Bild schirme und sah, daß sich die Noots ausrüs teten. Sie handelten mit einer Zielstrebig keit, die ihn immer wieder verblüffte. Jene Reparaturmaschinen, die sie aus dem Depot gestohlen hatten, befanden sich bereits in der Schleuse.
Hans Kneifel Sie stellten schnelle, leicht zu manövrie rende Raumfahrzeuge dar, mit deren Hilfe es mühelos wurde, den Raum zwischen bei den Schiffen zu überbrücken. Ideale Kaper werkzeuge, sagte sich Atlan. Elf Maschinen standen ausgerichtet da, und die Noots schwangen sich in die provisorischen Sättel. Die Echsenwesen waren mit den neuesten Waffen ausgerüstet, und die Anzeigen sag ten der Galionsfigur, daß jeder Noot sich in die gemeinsame Funkverbindung einge schaltet hatte. Trotzdem hörte man aus dem Wirrwarr der leise geführten Unterhaltungen die Stim me des Anführers deutlich heraus. »Steuermann! Ich verlasse mich darauf, daß du im richtigen Augenblick die Schleuse öffnest!« Atlan gab voller Spannung zurück: »Es dauert noch einige Zeit, Herp.« Abermals befand sich Atlan in einer schwierigen Situation. Er wurde gezwungen, Dinge zu tun, die absolut nichts mit seinem Kampf gegen den Dunklen Oheim und seine Neffen zu tun hatten. Die Noots nutzten sei ne Hilflosigkeit aus, in die er sich selbst ge bracht hatte. Seine selbstquälerischen Ge danken nutzten ihm nichts und führten viel leicht im entscheidenden Moment zu seinem Tod, denn nichts anderes würde die Ver nichtung des Organschiffs bedeuten. Durch das geringe Maß an Passivität konnte er mit seinem eingeschränkten Willen einige Vor gänge steuern, indem er nicht reagierte. Aber bereits der nächste, mit mehr Kenntnis und Überlegung gegebene Befehl änderte diesen Umstand drastisch. Die Schiffe hatten sich bis auf eine Ent fernung genähert, die Atlan jetzt getreu dem Befehl zum sinnvollen Handeln zwang. Die DARIEN wurde schneller, raste an das verfolgte Schiff heran und scherte dann seitlich aus. Ein zweites Manöver brachte den Verfol ger an die Seite des zweiten Schiffes. Atlan sah die Bezeichnung deutlich auf den wa benförmigen Elementen des Rumpfes auf schimmern. Neben ihm raste die NAMFOH
Die Galionsfigur dahin. Atlan öffnete die Schleuse. Gleichzeitig feuerte er sämtliche Projekto ren ab. Die dicken Strahlenbündel bildeten vor der Galionsfigur-Kanzel ein grelles Mu ster sich kreuzender Balken. Gleichzeitig funkte die DARIEN: »Sofort anhalten. Im Namen Chirmor Flogs. Die NAMFOH wird kontrolliert und durchsucht!« »Ausgezeichnet. Blendende Idee«, sagte Gridersold-Herp zufrieden. Das andere Schiff wurde langsamer. Die Galionsfigur hatte sich bluffen lassen. Atlan richtete die Projektoren auf die Seitenwand der NAMFOH. Falls er die Strahlengeschüt ze benutzen mußte, würde er am wenigsten Schaden anrichten und vielleicht keinen Un schuldigen treffen. Er wiederholte seinen Anruf und schloß: »Galionsfigur! Hier spricht Kommandant Mänerg. Meine Leute werden das Schiff be treten und durchsuchen. Gib Antwort, oder ich werde nicht zögern, die Waffenstrahlen einzusetzen.« Die NAMFOH bremste stark ab. Dann meldete sich die dünne, zaghafte Stimme der Galionsfigur. »Wir sehen den Grund der Durchsuchung nicht ein. Aber wir haben nichts zu verber gen. Ich öffne die Luken.« »Ich habe mitgehört, Kommandant Mä nerg!« schaltete sich Gridersold-Herp mit grimmiger Ruhe ein. »Ausgezeichnet.« Im selben Augenblick erinnerte sich Atlan daran, daß er unter diesem Tarnnamen zu mindest einigen leitenden Scuddamoren be kannt war. Zu spät! Wieder einmal hätte ihn der Logiksektor gewarnt, wenn er nicht spurlos verschwunden gewesen wäre. Atlans düstere Überlegungen wurden unterbrochen. Er schaltete und steuerte gleichzeitig und setzte das eigene Schiff so dicht an den Rumpf des anderen, daß eine Gegenwehr mit Projektorgeschützen fast sinnlos wurde. Er schaltete eine Serie von Landeschein werfern ein und richtete sie so aus, daß sie die Bordwand des anderen Schiffes beleuch
43 teten. Drüben öffneten sich drei kleinere Schleusenkammern. Die halbrobotischen Maschinen schwebten, von je einem der Noots gesteuert, durch den Zwischenraum und landeten auf den Böden der Kammern. »Kommandant Tarnov spricht. Komman dant Mänerg – wonach wird gesucht? Nicht, daß ich mich dem Befehl widersetze, aber ich muß meinen Vorgesetzten Bericht erstat ten.« Atlan brauchte nicht lange zu überlegen. Diese Frage hatte er bereits erwartet. Er ant wortete mit bewußt harter Stimme: »Aus einem Geheimdepot sind Nahrungs mittel und Ausrüstungsgegenstände gestoh len worden. Ich habe ein Kommando von Noots hinübergeschickt. Es sind willige Hel fer und kennen die Kodenummern der be treffenden Gegenstände. Wir brauchen sie als Beweismittel.« »Verstanden. Aber wir haben nachweis lich keinerlei derartiges Gut an Bord.« »Dann wird unsere Kontrolle diesen Tat bestand bestätigen«, schnappte Atlan zu rück. »Legt den Männern nichts in den Weg. Der Aufenthalt dauert nicht lange. Auch wir haben es eilig.« »Verständlich.« Die Noots verschwanden durch die klei nen Personenschleusen im Schiff. Atlan sah nur einen Teil ihrer Aktionen, aber abermals war er verblüfft über die schnelle Präzision ihrer Bewegungen. Einige Minuten vergin gen. In jeder Schleuse war eine Wache zu rückgeblieben, die mit schußbereiter Strahl waffe zwischen den Maschinen stand und sich wachsam umsah. Atlan hörte über die offenen Funkkanäle die keuchenden Atem züge der Noots, die kurzen Kommandos und dann und wann einen Schuß. Einmal sagte Gridersold-Herp: »Aus dem Weg. Macht keine Schwierig keiten!« Wieder dröhnte ein Schuß auf. Das Ge räusch war charakteristisch. Atlan wartete voller Ungeduld. Auch die Galionsfigur des anderen Schiffes schwieg. Mit geringer Fahrt trieben die Schiffe Seite an Seite da
44 hin. Dann sah Atlan auf dem Umweg der in seiner Schleuse angebrachten Linsen, die auf den Schleusenraum des anderen Schiffes ju stiert waren, wie sich die größere Innen schleuse öffnete; das Schott glitt zur Seite. Sieben Noots und eine Reihe von Scudda moren brachten Kisten, Truhen und faßför mige Behälter in den großen Hangar. Sie legten in rasender Eile um jeden Ballen eine Seilschlinge. Die Seile waren bündelweise an den Robotmaschinen befestigt. Wieder einige knappe Kommandos. Einer der Scud damoren versuchte sich zu wehren und wur de von Gridersold und einem anderen Noot augenblicklich unter Feuer genommen. Der Schattenschild flammte auf, begann zu glühen, dann explodierte er. Die übrigen Scuddamoren schleppten schneller und brachten größere Packen in den Hangar. Die Anzahl der Schlingen und Taue vergrößerte sich. »Bringt die ersten der konfiszierten Ge genstände hinüber ins Schiff!« rief Grider sold plötzlich mit Befehlsstimme. »Verstanden, Chef!« Drei oder vier Maschinen lösten sich vom Boden, drehten sich und schleppten die Bün del hinter sich her. Nur ein Noot lenkte je weils einen Apparat. Wieder gab es, über Funk deutlich zu hören, ein kurzes Gefecht im Innern des Schiffes. Die Schotte öffneten sich und entließen abermals eine Reihe von Noots und Scuddamoren mit gewaltigen Ge päckstücken. Atlan sah voll widerwilliger Bewunderung, daß die Noots mehr als nur rücksichtslose Plünderer waren. Ohne daß sie es gelernt hatten, waren sie professionelle Piraten! »Gruppe zwei«, dröhnte Herp, »Transport ins Schiff. In gewohnter Schnelligkeit.« Während er und einige seiner Piraten die Scuddamoren ins Schiff zurücktrieben, zo gen sich weitere Kommandos zurück. Die Robotgeräte schleppten nicht nur jeweils drei Piraten, sondern eine große Menge zu sammengeschnürter Bündel aller Größen und Farben. Auch aus den zwei anderen Schleusentoren der NAMFOH quollen die
Hans Kneifel Geräte und brachten das Enterkommando und die Beute in die DARIEN. Die Stimme der Galionsfigur war jetzt schrill und klagend, als sie rief: »Kommandant Tarnov will dich sprechen, Mänerg!« »Ich bin empfangsbereit«, antwortete At lan und bereitete das Schiff auf einen schnellen Start vor. Tatsächlich rief Grider sold mitten in seine Antwort einen Startbe fehl hinein. »Hier Tarnov. Ich protestiere! Dein Kom mando hat das Schiff nicht durchsucht, son dern beraubt und beschädigt. Von einer offi ziellen Untersuchung keine Spur! Dein Vor gehen ist strafbar, und ich werde mich be schweren. Das nächste Schlachtschiff, das wir treffen …« »Das alles berührt mich nicht«, wehrte Atlan schroff ab. »Ich habe präzise Befehle, die Chirmor Flog selbst gegeben hat. Wende dich wegen Erklärungen oder Entschädigun gen an die Freunde auf Säggallo, klar?« Gleichzeitig schloß er die Schleuse, rich tete wieder die Projektoren auf die Ziele dort drüben ein und gab volle Kraft auf den An trieb. Starke Vibrationen durchliefen das Or ganschiff, als es sich zuerst seitlich absetzte, dann Fahrt aufnahm und schließlich, wäh rend die Landescheinwerfer erloschen, in ra sendem Flug und auf einem leicht spiralig programmierten Kurs davonraste. Atlan rechnete nicht damit, daß der maß los überraschte Kommandant der NAMFOH schießen würde. Er behielt recht. Die DARI EN erreichte die Höchstgeschwindigkeit und verschwand aus den Ortungsschirmen des geplünderten Schiffes. Die Noots hatten je des Manöver schweigend auf den Bildschir men des Korridors, der Schleuse und ihrer Kabinen mitverfolgt. Jetzt brachen sie, in dem sie die Helme der Raumanzüge öffne ten und halbvolle Flaschen aus den Regalen rissen, in laute Schreie und Gelächter aus. Sie gingen unmittelbar danach an die Arbeit. Die Bündel, die sie herangeschleppt hatten, wurden aufgerissen und aufgeschnürt. Aus ihnen quoll ein Querschnitt durch alles, was
Die Galionsfigur
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in einem Raumschiff vorhanden war. Sie hatten alles mitgenommen, was ihnen in die Klauen gekommen war, wahllos und nach Kriterien, die niemand verstand. Sie hatten ihren Besitz drastisch vermehrt. Mindestens acht Zehntel dessen, was die Piraten geraubt hatten, war für sie praktisch wertlos. Atlan schauderte es, als er ihnen zusah. Er wurde an seine frühesten Abenteuer er innert, in denen barbarische Völker und de ren Heere sengend und plündernd durch das Land gezogen waren. Ihre bösartigkindliche Begeisterung angesichts der funkelnden Beute war nicht anders gewesen als die der Echsenwesen. Später hatten sie sich gegen seitig im Streit um eine Sklavin oder eine Goldkette die Schädel gespalten. Wieder raste das Organschiff schnell, aber ohne ein Ziel durch den Weltraum. Atlan wußte, daß für ihn eine dunkle, böse Zeit an gebrochen war. Er konnte nichts tun, um den Zustand zu ändern oder zu beenden. Es gab niemand, der ihm half. Er selbst vermochte sich nicht zu helfen.
6. Plötzlich, während die anderen Noots sch liefen, kam Gridersold-Herp in Atlans trans parente Kuppel. Er lehnte sich wieder an den Rahmen und sah Atlan an. »Wie ist dein Befinden, Galionsfigur?« fragte er in geradezu gemütlichem Tonfall. »Den Umständen entsprechend«, erklärte Atlan. »Ich lenke das Schiff und weiß nicht, wohin.« »Ich habe mir etwas ausgedacht«, antwor tete der NootAnführer. »Wir brauchen eine neue Heimat, einen Platz, an den wir uns zu rückziehen können.« Sofort antwortete Atlan: »Nach meinen Informationen gibt es in nerhalb des MarantronerReviers keinen Pla neten, der gleichermaßen ideale Lebensbe dingungen bietet und nicht von den Scudda moren kontrolliert wird.« »Es muß nicht unbedingt ein Planet sein.
Auch ein großer Asteroide nützt uns viel. Unser Schiff ist gemütlich, aber wir haben für unsere Beute bald keinen Platz mehr.« »Das trifft zu. Die meisten Räume sind überfüllt. Ihr wart außergewöhnlich schnell und erfolgreich, Herp.« »Wir haben das alles lange genug gelernt. Nur die Bewegung in der Schwerelosigkeit ist uns noch neu. Auch daran werden wir uns gewöhnen.« Atlan durchforschte die Speicher des Schiffes. Er befolgte den Befehl und suchte in den Informationen. Er war ziemlich si cher, daß er das Gesuchte nicht finden wür de und rief alle Daten ab, verglich sie und stieß dann auf den Begriff Tynnarfert. Als er das Stichwort einer näheren Überprüfung unterzog, stellte er fest, daß es ein seit lan gem aufgegebener Stationsasteroid war, der abseits des augenblicklichen Kurses, aber in relativer Nähe durch den Weltraum driftete. Es war laut Beschreibung ein unregelmäßig geformter Felsbrocken mit den technischen Resten der Einrichtung, eine alte Scuddamo ren-Station, die vermutlich nicht ohne Schwierigkeiten reaktiviert werden konnte. Atlan schaltete die Informationen auf den größten Bildschirm seiner Kuppel und sagte: »Ich glaube, ich habe deinen Satelliten gefunden. Er ist groß genug, und hat sogar eine Spur natürliche Anziehungskraft.« »Bewegt er sich?« fragte der Anführer schnell. »Ich meine, zittert das Gestein?« »Nein. Nur, wenn er beschossen wird«, gab Atlan zurück. »Dann bringe uns zu diesem Asteroiden. Er sieht gut aus.« »Sofort.« Schon wurde die Kursänderung durchge führt, und die DARIEN jagte auf das neue Ziel zu. Die DARIEN war nach wie vor ru hig. Nachdem die Noots sich über ihre Beute hergemacht hatten, schienen sie erschöpft zu ruhen. Nachdenklich musterte GridersoldHerp die Bilder des Asteroiden und las den Text. »Das ist genau das, was ich mir vorge stellt habe«, sagte der Anführer endlich.
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Hans Kneifel
Atlan erkundigte sich: »Und was werden deine Männer zu dieser Wahl sagen?« »Meine Männer wissen, daß jeder Tag, den sie länger leben, für sie ein herrliches Geschenk ist. Auf Trimor wäre die Hälfte von ihnen bereits schwer verwundet oder tot.« »Auch eine Sicht der Probleme«, stimmte Atlan zu. Der Noder rührte sich nicht. Das Raumschiff jagte weiter, und Atlan entdeck te bei seinen Kursberechnungen einen be merkenswerten Umstand. Der Satellit Tyn narfert war vom Planeten Xudon nicht allzu weit entfernt; eine Beobachtung, die ihm zwar nicht half, die aber vielleicht irgendwann wichtig sein konnte.
* Vorsichtig umkreiste Atlans DARIEN den Satelliten. Immer wieder suchten die Instru mente den umgebenden Raum ab. Nur zwei mal tauchten winzige Echos auf; sie ent puppten sich als größere Felsbrocken, die im Gefolge von Tynnarfert durch das All zo gen. Scheinwerfer flammten auf und be leuchteten die rissige Oberfläche, von Klüf ten und Vorsprüngen durchzogen. Tynnar fert sah aus wie ein gigantischer Faustkeil, dessen Schneide zu den Sternen wies. »Das ist deine neue Heimat«, sagte Atlan. »Wenn ihr euch dafür entscheidet.« »Die Entscheidung fällt in wenigen Minu ten.« Die Körper der beiden Noots leuchteten im Scheinwerferlicht auf. Sie saßen auf dem Robotgerät, dessen Arbeitsscheren weit nach vorn geklappt waren. Unter einem Stück überhängender Felswand befand sich ein großes, rundes Schott von etwa zwölf Me tern Durchmesser. Handgriffe, Riegel, Tor mechanismen und unbekannte Elemente er schienen im grellen Licht und warfen harte Schatten auf das zernarbte Metall. »Der Asteroid ist verlassen?« fragte der Anführer. »Ja. Meine Speicherinformationen sagen
aus, daß er vor rund zweiundzwanzig Jahren aufgegeben worden ist. Aber ein Vermerk sagt auch, daß er havarierten Schiffen als vorläufige Unterkunft dienen kann, besser: den Besatzungen solcher Schiffe. Deswegen glaube ich, daß es euch gelingt, die wichtig sten technischen Einrichtungen wieder in Gang zu setzen.« »Du wirst uns mit Rat und Tat helfen!« bestimmte Gridersold. »Ich gehorche deinen Befehlen.« Der Asteroid drehte sich langsam über zwei Achsen. Den Noots gelang es, das große Schleusenschott zu öffnen. Ein zwei tes Kommando von besser begabten Techni kern schwebte hinüber. Es gelang ihnen im Verlauf von mehreren Stunden, die Energie erzeuger in Gang zu setzen. Kurz darauf gab es Licht, die Servomotoren liefen, und die Lufterneuerungsanlage begann zu arbeiten. Als der Anführer hinüberschwebte, waren bereits die ersten Stücke der Beute unter wegs, die mit Hilfe von Sicherungsleinen einfach in den Asteroiden gezogen wurden. Die Noots gaben dem Asteroiden sehr bald einen Namen: Glückliche Lava. Die DARI EN schwebte unbeweglich vor dem Ein gang, und zwischen ihrer Schleuse und dem Asteroiden schwebten an einigen langen Tauen ständig die Noots hin und her. Sie leerten bis auf wenige Ausnahmen die DARIEN aus. Der stattfindende Funkver kehr bewies, daß sich die Piraten in den lee ren Räumen einrichteten; begeistert schilder ten sie, daß die Versorgungstechnik von Ty nnarfert-Glückliche -Lava hervorragend funktionierte. Nach einigen Tagen, in denen die Noots mit Hilfe ihrer Robotwerkzeuge wie besessen arbeiteten, kam GridersoldHerp wieder zu Atlan. »Ein neuer Befehl«, sagte er. »Du wirst ihn ebenso umfassend befolgen wie jeden anderen bisher?« »Ich befolge jeden Befehl, der unmißver ständlich ist«, mußte Atlan antworten. »Was ist es diesmal?« »Ein neues Ziel, eine neue und interessan te Aufgabe. Wir suchen eine kleine Noot
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Siedlung. Wir brauchen mehr Männer und vor allem Frauen. Der Satellit ist groß und – viel zu leer.« »Ich gehorche«, sagte Atlan und suchte wieder in seinen Speichern. »Es wird nicht einfach werden.« Schließlich fand er, was Gridersolds Män ner suchten. Er diskutierte mit dem Anführer den Plan des Vorgehens. Knapp einen Tri mor-Tag später befand sich die Mannschaft bis auf eine einzelne Wache im Satelliten Glückliche Lava wieder an Bord. Das Schiff startete, und verglichen mit den beiden er
sten Raubzügen war der dritte Beutezug in Atlans Augen die gefährlichste Mission. Ei nerseits hoffte er, daß die DARIEN den Scuddamoren in die Hände fallen würde, an dererseits zitterte er um sein Leben. Er besaß nicht mehr als das nackte Leben und eine winzige Spur Hoffnung. Je mehr sich das Organschiff dem ausgesuchten Planeten nä herte, desto mehr schwand auch seine Hoff nung.
ENDE
Weiter geht es in Atlan Band 432 von König von Atlantis mit: Piraten zwischen den Sternen von Hans Kneifel