K L E I N E
B I B L I O T H E K
D E S
Vi l S S E N 3
LUX-LESEBOGEN N A T U R - U N D K U L T U R K U N U L I C II E...
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K L E I N E
B I B L I O T H E K
D E S
Vi l S S E N 3
LUX-LESEBOGEN N A T U R - U N D K U L T U R K U N U L I C II E H E V T E
K A R L H E I N Z
D O B S K Y
DIE FUGGER
Signature Not Verified
Manni
VERLAG
SEBASTIAN
Digitally signed by Manni DN: cn=Manni, c=US Date: 2006.05.18 17:32:15 + 01'00'
LUX
M L R N AU • M Ü N C H E N • I N N S B R U CK -BASEL
D I E STADT ,Nun segne dieh Gott, du liebes Augsburg, und alle frommen Bürger darinnen! Wohl haben Wir manchen guten Mut in dir gehabt — nun werden Wir dich nicht mehr sehen . • • „ . . . mit diesen Worten wandte Kaiser Max — am Morgen des 4. Oktober 1518 — sich nochmals um und schlug das Kreuz über die Stadt. Aus welchen recht zärtlichen Ausdrücken denn leichtlich zu schließen ist, welche besondere Gnade dieser Herr für besagte Stadt gehabt hat." So berichtet der Ritter Paul von Stetten, der dabei war, in seiner Chronik vom Abschied und letzten Ausritt Kaiser Maximilians aus der Lech- und Wertachstadt, die zu seiner Zeit schon eineinhalb Jahrtausende glanzvoller und tragischer Geschichte erlebt hatte. Stadtgeschichte und Weltgeschichte sind hier untrennbar ineinander verwoben zu einem farbenglühenden, golddurchwirkten Teppich, der in unzähligen Gestalten, in Zunftzeichen und Kaiserwappen, in gotischen Lettern und im üppigen Schnitzwerk der Renaissance vom Werden des Abendlandes kündet, von Bürgertum und Kaisertum. Kaiserlich ist auch der Name. Mehr als zwanzig Städte wurden in römischer Zeit zu Ehren des großen Kaisers Augustus Augusta genannt, so daß ein unterscheidender Zusatz notwendig war. Augusta Taurinorum ist das heutige Turin, aus Augusta Suessionum wurde Soissons, das alte Trier hieß Augusta Trevirorum und aus Caesarea Augusta wurde das spanische Saragossa. Einige Städte aber tragen heute allein noch den ehrenden Zusatz als Stadtnamen, so das schweizerische Angst, Aosta in Italien — und unser liebes Augsburg, als Augusta Vindelicorum einst die Hauptstadt der römischen Provinz Raetia-Vindelicia. 2
Die keltischen Stämme, die hier zwischen Donau und Alpen siedelten, unterlagen im Jahre 15 v. Chr. den nordwärts stürmenden Legionen des Augustus, dessen Stiefsöhne Nero Claudius Drusus und Tiberius das ganze Voralpenland dem Römischen Weltreich Untertan machten. Noch im Jahre 15 ließ Drusus bei Wertach und Lech ein riesiges befestigtes Etappenlager für seine Truppen errichten und wurde damit zum eigentlichen Gründer der Stadt Augsburg. Eine uralte Überlieferung berichtet, daß die Dritte Syrische Legion, die zu Christi Lebzeiten in Jerusalem stationiert war, unmittelbar nach dem Kreuzestod des Heilands nach Augusta Vindelicorum verlegt worden s e i . . . Historisch beglaubigt ist, daß ein kaiserlich römischer Provinzgouverneur mit dem Amtssitz in Augsburg, ein gewisser Claudius Paternus Clementianus, nach dem Fall von Jerusalem im Jahre 70 n. Chr. in der zerstörten Heiligen Stadt der Juden das Statthalteramt übernahm, das einst Pontius Pilatus innegehabt hatte. Aus dem Etappenlager Augusta Vindelicorum entwickelte sich rasch eine kleine Stadt, die noch an Bedeutung gewann, als der für Rom ungünstige Ausgang der „Hermannsschlacht" im Jahre 9 n. Chr. im Zuge der Frontverkürzung umfangreiche Truppenverschiebungen und Umgruppierungen brachte. Die planvolle Anlage Augsburgs als Knotenpunkt wichtiger Heeres- und Handelsstraßen förderte das Aufblühen der jungen Siedlung — schon der römische Geschichtsschreiber Tacitus rühmt Augusta Vindelicorum als „die überaus blühende Hauptstadt Raetiens" an der Via Claudia, der großen römischen Straße, die Tiber und Donau verband. Funde und Ausgrabungen lassen erkennen, daß das römische Augsburg sich über den nördlichen Teil der heutigen Altstadt, vom Obstmarkt-Mauerberg bis zum Steilabfall im Norden und Osten erstreckte und im mittleren Teil von einem Kastell beschirmt war. Da gab es zahlreiche öffentliche Gebäude; ein Forum und mehrere Tempel, welche dem Mars und der Viktoria, Pluto und der Proserpina geweiht waren — und natürlich auch einen Tempel des Merkur. Noch gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts fand man in den Gärten von St. Stephan Rinnen römischer Thermen und kunstvolle Mosaikfußböden mit Darstellungen von Wagenrennen und Faustkämpfen; und beim Stadtgraben steht 3
noch immer -das romische Relief mit den „sieben Kindein", wie der Volksmund die Figuren nennt, weil es ein Denkmal sein soll für einen im Lech ertrunkenen Knaben, gestiftet von seinen überlebenden Geschwistern. „Ein Spiel von Kindern siehst du hier — nimm auch das Alter nur als Spiel . . ." kündet die römische Inschrift. Früh öffnete sich die Stadt dem Christentum; im Jahre 304 n. Chr. erlitt hier die heilige Afra, die Schutzpatronin Augsburgs, am Ende der Diokletianischen Verfolgung den Feuertod. Sie starb auf dem Lechfelde als Blutzeugin des neuen Glaubens, den Bischof Narzissus von Gerona den Menschen in der römischen Siedlung verkündet hatte. Die römische Herrlichkeit der Augusta Vindelicorum war im Sturm der Völkerwanderung verweht, aber schon am Ende des achten Jahrhunderts wurde Augsburg zum christlichen Bistum erhoben. Während der „Ungarnschlacht auf dem Lechfelde" am 10. August 955 •— die allerdings nicht auf dem Lechfeld, sondern unmittelbar nordwestlich von Augsburg stattfand — rief der Reichsfürst Ulrich von Dillingen als Bischof von Augsburg die Bürger der belagerten Stadt unermüdlich zum Ausharren und zum Widerstand auf, bis die Heilige Lanze König Ottos I. den Sieg erfochten hatte. Bei dieser entscheidenden Schlacht zeichneten sich die Augsburger Weber besonders aus, und Otto I. verlieh ihnen für ihre Tapferkeit einen erbeuteten ungarischen Schild, den sie seitdem bei Umzügen und festlichen Veranstaltungen in der Stadt stolz vor sich hertrugen. In dem Dorfe Graben, nordwestlich des Lagers Lechfeld, schaffen schon im dreizehnten Jahrhundert die ehrsamen Fugger auf eigenem Grund und Boden, als freie Bauern und Weber. Sie leiten ihren Familiennamen, der in den ältesten erhaltenen Urkunden in verschiedener Schreibweise vorkommt, von dem lateinischen fuccare ab, was „färben" bedeutet. Die Bauernarbeit erlernen die Fuggersöhne vom Vater; am Webstuhl werden sie von der Mutter angeleitet, und was da an Gewebtem und Gesponnenem über den Eigenbedarf der Familie hinaus erzeugt wird, das wird ins nahe Augsburg zum Verkauf gebracht, denn die Fugger wissen um den Wert des Geldes. Die Münzen häufen sich in der eisenbeschlagenen Truhe, es sind auch einzelne römische Goldmünzen mit dem Bilde des Kaisers Augustus darunter, von der klirrenden Pflugschar der Bau4
Bischofswappen St. Ulrichs. Seine Heiligsprechung im Jahre 993 war die erste formelle Kanonisation.
An solchen Webstühlen saßen auch die Fugger in Graben und Augsburg.
ern aus fruchtbarer Ackerkrume zutage gebracht. Was bot die nahe Stadt nicht alles für klingende Münze! Die Fugger erleben es bei jeder Verkaufsreise aufs neue, und sie erwägen die Vorteile, die sich der Familie bieten, wenn einer der ihren in Augsburg Wohnung, Werkplatz und Bürgerrecht erwerben könnte. Meister Widolf, einer der angesehensten Weber der Reichsstadt, erklärt sich bereit, den jungen tüchtigen Hans Fugger als Gesellen in seine Werkstatt aufzunehmen. Im September 1367 vermeldet das Steuerbuch Augsburgs: „Hans Fugger in die Stadt gezogen . . ." Die Gebühr für die „Zuzugsgenehmigung" hat er in bar auf den Tisch gezählt. Das feine Widolfsche Tafeltuch nach der neuesten italienischen Mode ist bald in ganz Augsburg berühmt; und man weiß auch, daß nicht der Meister selbst es so kunstvoll zu weben versteht, sondern der junge Dörfler aus Graben. Auch Klara, des Meisters bildhübsche 5
Tochter, weiß es wohl; sie hat den stillen, versonnenen Gesellen vom ersten Tage an gut leiden können und sagt von Herzen ja als er ihr die Hand zum Ehebunde bietet. Drei Jahre nach seinem Einzug in Augsburg wird Hans Fugger als Meister Mitglied der Weberzunft und Bürger der Stadt — ein wohlangesehener Bürger und gewichtiger Steuerzahler. Nach dem Tode des Schwiegervaters erbt er die Widolfsche Werkstatt, und als kurz darauf auch die Gattin stirbt, verbindet Hans Fugger sich in zweiter Ehe mit der Tochter des reichen Webers und Zunftmeisters Gfattermann, die ihm zwei Söhne schenkt: Andreas und Jakob. Dem ersten Augsburger Fugger sind zweiunddreißig Jahre emsigen und erfolgreichen Schaffens beschieden, sein stattliches „Haus vom Rohr" zwischen Judenberg und Perlach kündet mit ihrer farbenprächtig bemalten Fassade von Bürgerreichtum und Bürgerstolz. „Glücksweber" nennen die Leute den schlichten, strebsamen Mann aus Graben, der bei seinem Ableben im Frühsommer 1408 den Söhnen ein Barvermögen von über dreitausend Goldgulden hinterläßt, was damals nicht nur Wohlstand, sondern Reichtum bedeutete. Hans Fuggers Witwe Elisabeth übernimmt nun für die Söhne die Leitung der Firma mit Energie und Umsicht; sie schickt Andreas, ihren Ältesten, auf weite Handelsreisen bis nach Italien, während Jakob zuhause die sausenden Webstühle beaufsichtigt und sorgsam darauf achtet, daß nur beste, gediegenste Wertarbeit geleistet wird. Doch das Verhältnis zwischen den Brüdern ist nicht sehr herzlich; oft kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen und schließlich — am 1. September 1454 — zur Trennung, einer Trennung nicht nur im Geschäftlichen, sondern auch in den Weltanschauungen und Lebenszielen. Jakob bleibt der seßhafte Kaufmann und Handwerker, für den zeitweilig bis zu tausend Webstühle in Augsburg und in der Umgebung beschäftigt sind — Andreas aber wird zum vornehmen Weltmann und erzieht seine Kinder in Gesellschaft junger Adeliger zu einem glanzvollen Herrenleben. Seine Söhne sind auch die ersten, die durch Waffenhilfe und durch geldliche Unterstützung kaiserlicher Pläne die Verbindung mit dem Hause Habsburg suchen und finden; bald nach dem Tode des Andreas Fugger verleiht ihnen Kaiser Friedrich III. Rang und Würden „Kaiserlicher Herren und 6
Maria von Burgund gilt als „die beste Partie" des Abendlandes, würdig und fähig, Macht und Ansehen Habsburgs zu mehren im Sinne von Kaiser Friedrichs klangvoller Devise AEIOU, deren Bedeutung AUSTRIAE EST IMPERARE ORBI UNIVERSO sich auch in der Verdeutschung noch recht erfreulich anhört: „Alles Erdreich ist Österreich Untertan . . ." Man ist gut habsburgisch gesinnt im Aügsburger Fuggerhause, in dem seit Väter Jakobs Tod (1469) dessen Sohn Ulrich regiert. Sein Bruder Markus ist Kleriker und erfreut sich als Beamter der vatikanischen Registratur in Rom der Gunst des Heiligen Vaters, auch Jakob, der jüngste der Brüder, bereitet sich für den geistlichen Stand vor und studiert im Benediktinerkloster Herrieden. Aus Anlaß des Kaiserbesuches darf er im Augsburger Vaterhaus die festlichen Tage miterleben und freundet sich rasch mit Prinz Maximilian an. Stolz zeigt er dem Kaisersohn seine Bücher, kostbare Erzeugnisse der noch jungen Schwarzen Kunst. Entzückt neigt sich Maximilian über einen herrlichen Kalender, den der Augsburger Drucker Erhardt Ratdolt als erster mit kunstvoll geschnitzten Holzstöcken in praktvollem Mehrfarbendruck hergestellt hat, während die Erzeugnisse der anderen zeitgenössischen Drucker noch in mühsamer Handarbeit farbig ausgemalt werden müssen. (Erhardt Ratdolt gründete nach langem erfolgreichem Wirken in Venedig in seiner Vaterstadt Augsburg eine der ersten und bedeutendsten Druckereien Deutschlands, die noch heute besteht und auf ihren modernen Maschinen auch diesen Lesebogen gedruckt h a t . . .) Während sich die beiden Knaben im weiten Hof des Fuggerhauses mit Ballspiel vergnügen und wechselseitig ihre lateinischen Kenntnisse prüfen, verhandelt oben in der „Guten Stube" der Reichskanzler Hans Rebwein mit Ulrich und Georg Fugger über die Lieferung von Gold- und Silberstoffen, von glänzender Seide und flauschiger Wolle an den Kaiser und sein zahlreiches Gefolge. Nach Habsburgerart bezahlt der Kaiser nicht mit barem Gelde, sondern mit einem zierlich verschnörkelten Wappenbrief: Im geteilten gotischen Felde steht eine blaue und eine goldene Lilie, gekrönt von einem Helm mit mächtigen Büffelhörnern, „. .. damit Unsere und des Reiches getreue Ulrich, Markus, Peter, Jörg und Jakob Gebrüder Fugger vor Unserer Kaiserlichen Majestät gerühmt 8
sind . . . " Die Fugger, gewissenhaft und genau rechnende Kaufleute, sind über die kaiserliche „Zahlungsweise" ein wenig erstaunt — später haben sie sich daran gewöhnt. Vom Tage dieser Wappenverleihung, vom 9. Juni 1473 an, nennt sich der Jakobsstamm zur besseren Unterscheidung von den „Fuggern vom Reh" die Fugger „von den Lilien". Die Augsburger Bäcker, Metzger, Sattler, Schneider und Schmiede aber sind nicht allzu begierig auf Wappenbriefe und kaiserliche Huld; sie wollen ebenso wie die Goldschmiede und Gastwirte, die Gemüse- und Fischhändler Bargeld sehen für all das, was sie dem hohen Herrn und seinem anspruchsvollen Gefolge geleistet und geliefert haben. Und als sich herumspricht, daß keine Rede sein kann von Bargeld, da sperren sie die kaiserlichen Ställe und lassen die Römische Majestät nicht eher Weiterreisen, bis mit Hilfe einiger Patrizier endlich alles geregelt und bezahlt ist. Aufs feinste neu eingekleidet, mit glitzerndem Zaumzeug, ziehen Friedrich III., sein Sohn Maximilian und ihre Herren weiter nach Trier; dort warten schon sehnsüchtig die Burgunder, die ihren Herzog von dem Habsburger zum burgundischen König krönen lassen wollen und im reichgeschmückten Dom bereits eine funkelnagelneue, kostbare Krone bereitgestellt haben. Als sich aber die Unterzeichnung des Ehevertrages zwischen Maximilian und Maria infolge der übersteigerten Forderungen Herzog Karls immer wieder verzögert, entweicht Kaiser Friedrich mit seinem Sohne eines Nachts heimlich in einem Fischerkahn nach Köln, die geprellten Burgunder dem Gespött Europas überlassend. Vier Jahre später erst, nach dem abenteuerlichen Ende Karls des Kühnen gibt seine Tochter dem ritterlichen Maximilian ihr Jawort, und sie gibt es gern und ohne langwierige diplomatische Verhandlungen. Immer weiter erstrecken sich die Fuggerschen Handelsbeziehungen. Die neu entstandenen Lagerhallen und Kaufgewölbe sind zum Bersten angefüllt mit den Erzeugnissen der Augsburger Weber und mit der köstlichsten Importware aus aller Herren Ländern. Da gibt es Samt aus Venedig, Seide aus Lyon, englisches und luxemburgisches Tuch, Nördlinger Loden und Frankfurter Arras, Damast und Seide, Pleiehtuch und Baumwolle. Mutter Barbara sitzt unverdros9
sen rechnend und prüfend über den schweren Kontobüchern, Ulrich und Georg teilen sich in Geschäftsführung und Herstellungsleitung — doch sie schaffen beim besten Willen nicht die wachsende Fülle der Arbeit und Pflicht. Jakob, der jüngste der Brüder, ist eben Kanonikus in Herrieden geworden, als ihn die Familie bitten muß, im Interesse der Firma auf das geistliche Amt zu verzichten. Er fügt sich, wie sich die Fugger des Jakobsstammes immer gefügt haben, wenn es galt, sich zwischen eigenem Wunsch und Begehren und den übergeordneten Interessen des „Hauses" zu entscheiden. Er soll sich am „Fondaco dei Tedeschi", dem Sitz der deutschen Kaufherrenschaft in Venedig, auf seine künftigen Aufgaben vorbereiten. Mit Segenswünschen entläßt der Abt von Herrieden seinen jungen Chorherrn, der nun in weltlichem Gewand zusammen mit Bruder Ulrich die erste große Reise seines Lebens antritt. Die Fugger reiten über Innsbruck, über die Brennerstraße, die uralte Sehnsuchtsstraße der Deutschen, auf der vor über zweihundelft Jahren der königliche Knabe Konradin seinem Untergang entgegengezogen war. In Florenz betrachten die Brüder die goldene Lilie der Medici und vergleichen sie lächelnd mit den beiden Lilien, mit denen die Satteldecke und das Zaumzeug ihrer Pferde geschmückt ist; in Rom beten sie am Grabe ihres Bruders Markus, des Domherrn und päpstlichen Registrators, der wenige Wochen vor ihrer Ankunft gestorben war und in Santa Maria dell' Anima, der Kirche der deutschen Gemeinde in Rom, die letzte Ruhestätte gefunden hatte. Dann wenden sie sich wieder nach Norden, nach Venedig. Auf einem Empfang der Signorie für die deutschen Kaufleute der Lagunenstadt erleben sie den Pomp einer aristokratischen Republik, die Wirtschafts- und Staatsgeschäfte auf das kunstvolle ineinander zu verflechten gewohnt ist. Für zwei wohlgenutzte Jahre wird das deutsche Handelshaus „Fondaco dei Tedeschi" dem jungen Jakob Fugger zu einer Hohen Schule kaufmännischen und finanzpolitischen Wissens. Fugger hat viel zu berichten, als er Ende des Jahres 1480 nach Augsburg heimkehrt; Mutter Barbara und die Brüder hören ihm aufmerksam zu. Jakob kann auch zwei neue Schwägerinnen begrüßen: die Patriziertochter Veronika Lauginger, seit einem Jahre Ulrichs Gemahlin, und die ritterbürtige Regina Imhof, die sich 10
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mit Georg vermählt hat. Mit Wohlgefallen betrachten die jungen Frauen den Heimkehrer in der eleganten Kleidung eines venezianischen Nobile; sie hängen an seinen Lippen, wenn er von südlichen Gondelnächten berichtet, vom Goldglanz Venedigs und von prunkenden Palästen. Die Brüder aber interessieren sich mehr für Jakobs Berichte aus dem „Fondaco", aus Innsbruck und Salzburg, und sie erschrecken fast vor der Fülle von kühnen Plänen, Ideen und Vorschlägen, mit denen ihr Benjamin sie überfällt. Da ist von Tiroler Silber die Rede, von der Gründung einer Fuggerbank in Rom, vom Rechnen mit arabischen Ziffern anstelle der umständlichen römischen Zahlzeichen, von der italienischen Doppelten Buchführung, von der lebenswichtigen Bedeutung eines rasch und zuverlässig funktionierenden Nachrichtendienstes. Was Jakob Fugger hier der Mutter und den Brüdern vorträgt — er wird es alles verwirklichen, langsam und bedächtig, nach F u g g e r a r t . . . Während Ulrich weiterhin im Fuggerhause herrscht, übernimmt Jakob — wie man heute sagen würde — den „Außendienst". Er reist viel umher und kontrolliert die Niederlassungen. Die in Venedig erworbenen weltmännisch-großzügigen Umgangsformen erleichtern ihm das Anknüpfen wertvoller neuer Geschäftsverbindungen. Man verhandelt gern mit diesem Herrn Giacomo Fugger aus Augsburg, der nie laut wird, der niemals droht oder lockt — und hinter dem doch die wirtschaftliche und politische Macht eines der bestfundierten deutschen Handelshäuser steht. Selbst Kaiser Friedrich besitzt in dieser Zeit nicht die gleiche politische Macht; der von Sterndeutern, Alchimisten und anderen Scharlatanen umgebene Herrscher ist in einen Krieg mit Matthias Corvinus, den König von Ungarn, verwickelt worden und irrt seit seiner Niederlage als Flüchtling im Reiche umher. Seinen Sohn Maximilian setzen die aufständischen Niederländer zeitweilig in Brügge gefangen und geben ihn erst nach Zahlung eines reichlichen Lösegeldes wieder heraus. Die Fugger schicken dem jungen Habsburger fünfzehntausend Gulden zur Niederwerfung des Aufstandes in den Niederlanden, und auf dem Frankfurter Reichstag dankt Maximilian, der inzwischen zum König gekrönt worden ist, dem anwesenden Jakob Fugger — seinem Jugendgespielen — für die geleistete Hilfe, die nicht die letzte sein wird. 11
Maximilian, wie alle Habsourger mit einem überdurchschnittlichen Gedächtnis begabt, erinnert sich sogleich der einstigen Begegnung in Augsburg, wenn er auch im ersten Augenblick in dem eleganten, selbstsicheren Kaufherrn den Klosterknaben von damals nicht wiedererkannt hat. Er erinnert sich auch des schönen Ratdoltschen Kalenders, den Jakob ihm damals gezeigt hat; die Leidenschaft für schönes Druck- und Zeichenwerk wird ihm bleiben sein Leben lang. Doch zunächst einmal reist er mit Jakob Fugger nach Tirol, läßt sich in Innsbruck von den begeisterten Tirolern als König huldigen und entwindet so nebenbei — in einem unblutigen Staatsstreich — seinem Oheim, dem hochverschuldeten Herzog Sigmund, die Herrschaft über das Land. Sigmund behält großzügigerweise das Recht, auf der Burg Tirol zu wohnen und im ganzen Lande zu jagen und zu fischen, in diesem Land, dessen Menschen dem jungen Fürsten voller Hoffnung auf endlich bessere Zeiten zujubeln. Maximilian übernimmt die Schulden des abgesetzten Oheims mit einem Wechsel über einhundertzwanzigtausend Gulden „an Unseres und des Reiches getreuen Ulrich Fuggern von Augsburg und seinen Gesellschaftern". Jakob ist damit zum Bankier des Habsburgers geworden. Der erste seiner in Venedig gesponnenen Pläne ist verwirklicht: Mit dem Vertrag von Innsbruck ist ihm ein kostbarer Schatz in die Hand gekommen — das Tiroler Silber und das Tiroler Kupfer. Aber über allen Bergwerksunternehmungen, über Erzhandel und Geldgeschäften vergessen die Fugger doch nie die Webstühle, an denen der Aufstieg des Hauses begonnen hat. Jakob vor allem, den man mit gutem Recht „den Reichen" nennt, ist immer darauf bedacht, das Familienvermögen zusammenzuhalten. Die Schwestern werden großzügig abgefunden und „ausbezahlt", sie sind nicht Teilhaber der Handelsgesellschaft, die seit 1480 in den Gerichtsbüchern Augsburgs unter dem Namen „Ulrich Fugger und seine Gesellschaft" erscheint und als Handelszeichen die einem Dreizack ähnliche Forke führt. (Siehe Umschlagseite 1, rechts unten.) Ulrich, unternehmerisch längst von dem jüngeren Bruder Jakob überflügelt, bleibt bis zum Tode Leiter des Stammhauses, Bruder Georg wird zur Führung der Nürnberger Niederlassung bestellt.
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DAS H A U S Das „Haus vom Rohr" erweist sich allmählich als zu klein für die wachsende Familie, als zu gering für die gesellschaftlichen Verpflichtungen, die Macht und Reichtum mit sich bringen. Nach dem Plan Burkart Engelbergs ersteht nun am Heu- und Rindermarkt in Augsburg ein neues, großes Fuggersches Handelshaus — ein prachtvoller Doppelbau mit freigewölbten Verbindungsgängen, die in kühnem Bogen einen geräumigen Hof umspannen. Das Zentrum des Hauses bildet die „Goldene Schreibstube", die uns ein zeitgenössischer Besucher anschaulich schildert: „Decken und Wände waren mit reichem Getäfel belegt, dessen dunkles Schnitzwerk wiederum mit blinkendem Golde überzogen war. Die mehr breiten als hohen Fenster zeigten inmitten ihrer kleinen runden Scheiben farbenglühende Glasgemälde; schwere, reich geschnitzte und mit rotgeblümtem Samt überzogene Lehnstühle standen rings an den Wänden und in einer Ecke befand sich ein sehr großer, kunstvoller Schrank mit reichgezierten Flügeltüren, dessen Inneres einen Teil des Fuggerschen Reichtums an Goldrollen, Wechseln und Schuldbriefen barg. Vorne, beim mittleren Fenster, stand Ulrich Fuggers Schreibpult, getragen von vier sitzenden Löwen in schwarzem, geschnitztem Holz und mit Gold und Perlmutter eingelegt. Über dem Tische selbst, dessen Platten von hellgrünem, weiß und schwarz geädertem Marmor war, erhoben sich nach rückwärts kleine Fächer mit Schubladen, welche — meistens halb geöffnet — die an seidenen Schnüren heraushängenden Siegel der kostbaren Urkunden zeigten. Das Ganze war gekrönt von dem Fuggerschen Wappen: die blauen Felder von Lapislazuli und die Lilien aus schwerem, getriebenem Golde. Eine Löwenhaut lag unter dem Tische ausgebreitet; ein großer Lehnstuhl, auf dessen lederne Rücklehne wieder das Fuggersche Wappen in Gold geprägt war, stand davor . . ." Ein wahrhaft königliches Gemach, würdig dieser königlichen Kaufleute! Das farbige Licht der Fenster scheint auf schicksalsschwere Dokumente, das Ahornholz der Wandtäfelung verwehrt unbefugten Lauschern die Teilnahme an den ernsten Verhandlungen, zu denen sich die Brüder Ulrich, Jakob und Georg Fugger hier treffen. Wichtige und 13
entscheidende Dinge sind zu beraten in diesem Jahr 1493, Großes steht auf dem Spiel. Die Heimkehr des Genuesen Christoph Columbus von seiner „Indienfahrt" stürzt Europa in eine Wirtschaftskrise unvorstellbaren Ausmaßes; die Gold- und Silberpreise fallen ins Uferlose, seit der Admiral seiner kastilischen Königin Isabella riesige Schätze von Gold, kostbare Geschmeide und herrliche Edelsteine zu Füßen gelegt hat. Berge von Gold soll es da drüben geben, in der „Neuen Welt". In den Prahlereien der heimgekehrten Seeleute werden die Berge zu Gebirgen, die taubeneigroßen Edelsteine zu Straußeneiern und die sanftmütigen Indianer zu gefährlichen Fabelwesen. Die Geldmärkte reagieren wie immer empfindlich auch auf die törichtesten Gerüchte, in Venedig kommt es zu aufsehenerregenden Bankrotterklärungen, zu Selbstmorden, zur Panik. Auch die Preise für Gewürze, für Seide, Wolle und Linnen geraten ins Schwanken. Jakob Fugger eilt, begleitet von seiner schwerbewaffneten Leibgarde, nach Venedig und gibt dort ruhig und sicher seine Anweisungen. Alle Käufe werden gestoppt, der Seiden- und Wollhandel wird für kurze Zeit unterbrochen, das angesammelte Silber zu eben noch tragbarem Verlustpreis verkauft. Man munkelt schon von ernster Gefährdung, von Zahlungsschwierigkeiten des Fuggerhauses, und Jakob Fugger bemüht sich nicht einmal, diese Gerüchte zu widerlegen: Mit gutem Gewissen kann er so alle Darlehnsgesuche Maximilians höflich ablehnen, als der König nach dem Tode Friedrichs III. nach Rom ziehen will, um sich dort vom Papst zum Römischen Kaiser und zum Kaiser der Christenheit krönen zu lassen. Für derlei Unternehmungen hat Jakob nicht viel übrig, am wenigsten bares Geld, auch wenn Maximilian ihm die Mitgift seiner künftigen zweiten Gemahlin Bianca Maria Sforza zum Pfände vert spricht. Das sind vierhunderttausend Golddukaten — und soviel j! schuldet Maximilian den Fuggern schon längst. . . Bald ist die Panikstimmung der „Columbus-Krise" wieder verflogen, und das | Augsburger Handelshaus übersteht die Wirrnisse jener Tage nicht nur ungeschwächt, sondern mit einem ansehnlichen Gewinn. Diesen Gewinn will Jakob gesichert wissen. Am 18. August 1494 wird auf sein Betreiben die bisherige Fuggersche Handelsgesellschaft in eine „Offene Handelsgesellschaft" umgewandelt. Es ist die 14
erste Offene Handelsgesellschaft in Deutschland — „offen" deshalb, weil sie keine stillen oder ungenannt bleiben wollenden Teilhaber kennt. Auch Barbara Fugger ist ausgeschieden; diese erste „Firma" in Europa besteht nur noch aus den Inhabern, die der Firmenname offen darlegt: „Ulrich Fugger und Gebrüder von Augsburg." Den Gesellschaftsvertrag hat Jakobs Freund Konrad Peutinger aufgesetzt, ein junger Augsburger Rechtsgelehrter, der in der Folgezeit auch zum Berater König Maximilians wird. Die Neugestaltung der „Firma" bringt eine starke Konzentration der Fuggerschen Kapitalkraft mit sich und erleichtert Jakob die Verfolgung seines seit langem gehegten Planes: Die Errichtung eines Welt-Kupfermonopols. Er kommt dem ersehnten Ziel oft nahe, doch er erreicht es nie. In vielen kampfreichen Jahren voller Triumphe und Enttäuschungen wechseln Firmengründung und Kartellverträge, Konkurrenzfehden und Syndikate in bunter Folge einander ab, verbunden mit langwierigen Prozessen. Es geht nicht immer ganz redlich zu in diesem erbitterten Machtkampf — wie so oft stehen Macht und Recht einander feindlich gegenüber. In diesen Jahren schreibt der Florentiner Niccolo Machiavelli in seinem „Fürstenbuch": „Wer unter allen Umständen nach dem Gesetz handeln will, der muß früher oder später zugrunde gehen unter den vielen, die wider die Moral handeln. Daher ist es notwendig, daß ein Fürst — will er sich durchsetzen — auch schlecht zu handeln wissen und im Notfall danach vorgehen muß. Die Erfahrung unserer Tage lehrt ja, daß nur jene mächtig werden, die es mit Treu und Glauben nicht genau nehmen und sich darauf verstehen, andere zu täuschen — während jene, die ihren Verpflichtungen nachkommen, am Ende unterliegen. Mit zweierlei Waffen kann man kämpfen: mit Gesetz und mit Macht. Die eine ist Menschart, die andere die Möglichkeit des Tieres. Ein Fürst muß frei zum Bösen sein, muß die Bestie spielen; er muß Löwe sein, um die Wölfe zu täuschen, oder ein Luchs, um die Wölfe zu täuschen. . . Ein kluger Fürst darf nie sein Versprechen halten, falls er Schaden davon hat. Man beurteilt die Handlungen aller Menschen, vor allem die der Fürsten, welche keine Richter über sich wissen, allein nach dem Erfolg . . . " 15
Wenn es um fromme oder wohltätige Werke geht, geben die Brüder Fugger immer gern ihren Beitrag, und sie geben reichlich, so wie es dem Wohlstand des Hauses geziemt. Sie stiften große Summen für Kirchenbauten und gemeinnützige Unternehmen der Stadt. Die Maler und Bildhauer, die Schnitzer und Goldschmiede, die Intarsienleger und Drucker wissen die hochherzige Gesinnung zu rühmen, mit denen die Fugger ihre Arbeit unterstützen. Einmal aber bestellt Jakob Fugger ein Kunstwerk ganz für sich allein: Er bittet — im Jahre 1498 — den Augsburger Maler Thoman Burgkmair um ein Doppelbildnis. Ein Hochzeitsbild! In seinem neununddreißigsten Jahr entschließt er sich als letzter der Brüder, in den heiligen Ehestand zu treten; die Erwählte ist ein kaum neunzehnjähriges schönes Mädchen aus einer der angesehensten Augsburger Patrizierfamilien. Meister Burgkmair hat uns die Erscheinung der Sibylle Arzt auf Jakob Fuggers Hochzeitsbild getreulich überliefert: links der Kaufherr und Bankier in prächtigem Zobelpelz, Rock und Kopfhaube golddurchwirkt nach der Mode der Zeit. Rechts die Braut in prunkvollem Augsburger Festkleid, das reich verziert ist mit Goldstickerei und kostbarem Brokat. Der Schmuck um den feinen, aber kräftigen Hals, die gleißenden Ringe an den schmalen Händen sehen ganz so aus, als habe ein fürstlicher Herr sie einmal in Notzeiten bei Jakob Fugger versetzt und nie mehr einlösen können. Gotisches Rankenwerk umrahmt die beiden Gestalten, zwischen denen ein merkwürdig weiter und leerer Raum uns kühl anweht wie eine betonte Distanz. „In dieser Gestalt kamen wir zusammen — am neunten Januar 1498" kündet eine schmale Schriftleiste am Fuße des Bildes. In diesen heiratsfreudigen Jahren hat Maximilian, der noch immer ungekrönte Kaiser, der sich seit seines Vaters Tod „Imperator" nennt, seinen Sohn Philipp den Schönen mit der spanischen Johanna vermählt, der Tochter der großen Isabella. Die Goldbrokate, die Seidenstoffe und Spitzen der prunkvollen Hochzeitsgewänder sind natürlich wieder von Jakob Fugger geliefert worden. Er legt die Rechnung dafür zu vielen anderen nie bezahlten Rechnungen in Ulrichs großes Schreibpult, das Glanzstück der Goldenen Schreibstube, deren Erker jetzt mit einem Wappenschlußstein geschmückt 16
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Ratgeber" und stiftet ihnen das erste Fuggersche Wappen: ein Goldenes Reh im blauen Felde. Das bedeutet zwar keine Erhebung in den Adelsstand, doch eine besondere Auszeichnung und kaiserliche Gunstbezeigung. Aber den „Fugger vom Reh" ist nur eine kurze Blüte beschieden — schon im Jahre 1586 erlischt das Geschlecht nach einer widerspruchsvollen, von Siegen und Niederlagen gleichermaßen gezeichneten Geschichte. Anders der Jakobsstamm. Andreas Fuggers Bruder hatte Barbara, die Tochter des einflußreichen Münzmeisters und Goldschmiedes Basinger, zur Frau genommen; elf Kinder entsprossen der glücklichen und harmonischen Ehe, wuchsen in strenger häuslicher Zucht heran und wurden von den besten Lehrern der Stadt unterwiesen. Der jüngste Sohn, der am 6. März 1459 geboren wird, soll den Namen des Vaters in die Zukunft tragen: Jakob. Die Böllerschüsse und Freudenfeuer, die am 22. März das Fest seiner Taufe begleiten, gelten allerdings nicht ihm selber, sondern dem Prinzen Maximilian, dem Sohne Kaiser Friedrichs III., der am gleichen Tage auf der Burg von Wiener Neustadt das Licht der Welt erblickt. Um diese Zeit grübelt im kurfürstlichen Mainz der Patriziersohn Johannes Gensfleisch, der sich Gutenberg nennt, über einer Erfindung, mit einzelnen und beweglichen Lettern Bücher zu setzen und zu drucken. Um die gleiche Zeit trifft man im Vatikan die ersten Vorbereitungen zur Wiederaufnahme eines Gerichtsverfahrens, das neunzehn Jahre vorher in Rouen ein unschuldiges Bauernmädchen namens Jeanne d A r c zum Feuertode verurteilt hatte. In Italien hat der Dichter Petrarca vor über hundert Jahren die unter Asche und Trümmern begrabene Antike aufs neue beschworen, und ein gesteigertes Lebensgefühl, eine humanistische Weltbetrachtung leitet nun das abendländische Mittelalter hinüber in das spannunggeladene Kraftfeld der Renaissance. Im Sommer des Jahres 1473 begegnen sich zum erstenmal der Kaisersohn Maximilian und sein Altersgenosse, der vierzehnjährige Kaufherrensohn Jakob Fugger. Friedrich III. weilt mit dem Sohn und Erben in Augsburg zu Gast; er ist auf dem Wege nach Trier, wo er mit Herzog Karl dem Kühnen von Burgund über die Eheschließung ihrer Kinder Maximilian und Maria verhandeln will. 7
„Augsburger Pracht, Venediger Macht, Ulmer Geld geht durch die ganze Welt.'" Im Hafen überwacht der Handelsherr selbst die Beladung seiner Schiffe. \, Über dem „Schoßwams" trägt er einen pelzgefütterten Mantel, an der Seite das Schwert
Handelsgewölbe der Fuggerzeit. Linhs der Kaufherr mit der eisenbeschlagenen Geldtruhe. Im Hof werden die Waren verpackt und verladen,
ist (Siehe Umschlagrückseite). Jakob und Sibylle Fugger, das jungvermählte Paar, sind nicht in das neue Geschäftshaus gezogen; sie bleiben im „Haus am Rohr" — Mutter Barbara zuliebe, der Burgkmairs Hochzeitsbild die letzte große Freude ihres nun bald achtzigjährigen Lebens bedeutet. Doch immer noch läßt sich die alte, still und weise gewordene Frau von Jakob über den Gang der Geschäfte berichten: sie freut sich mit ihm über die ersten mit ungarischem Kupfer beladenen Schiffe, die in Fuggers Auftrag donauabwärts fahren und den metallhungrigen Orient versorgen sollen. Die Halbjahrtausend wende zu erleben ist ihr nicht mehr beschieden; am 23. März 1499, dem gleichen Tage, an dem vor dreißig Jahren ihr treuer Ehegemahl Jakob Fugger der Alte zur Ruhe ging, schließt sie die müden Augen für immer. 17
Das Jahr 1500 bringt die von Maximilian vorangetriebene Einsetzung eines „Reichsregimentes" in Nürnberg; es bringt die Reichssteuer des „gemeinen Pfennigs", deren Erträgnisse in der Folge oft vom Kaiser den Fuggern verpfändet werden, dem Augsburger Handelshaus, das nun zur größten Finanzmacht Europas geworden ist. Im Februar 1500 feiert Europa mit Salutschüssen und Freudenfeuern die Geburt des Prinzen Karl, und Kaiser Maximilian neigt sich in tiefer Bewegung über die Wiege des so lange ersehnten Enkels . .. Auf der Rückreise von Gent kommt er auch nach Augsburg, er ist ja selbst „Augsburger Bürger" und hat sich inmitten der Stadt ein patrizisches Haus gekauft, mit Fuggers Geld natürlich. Oft ist er zu Gast bei dem Stadtschreiber Dr. Konrad Peutinger, der ihm als juristischer Ratgeber und Vermittler in heiklen diplomatischen Angelegenheiten unentbehrlich geworden ist. Peutingers Haus — mit Bedacht auf römischem Grundstein errichtet — bildet mit seinen Kunstschätzen einen Mittelpunkt der gelehrten Welt; hier treffen sich Willibald Pirckheimer aus Nürnberg und Conrad Celtes aus Wien. Die Frau des Hauses, aus dem rühmlidicn Geschlecht der Welser, gilt zu ihrer Zeit als eine der gelehrtesten Frauen Deutschlands. Sie beherrscht das klassische Latein so vollendet, daß sie ihrem Manne bei der Abfassung seines Werkes über römische Inschriften helfen kann, auch eine lateinisch abgefaßte Beschreibung und Deutung römischer Kaisermünzen aus ihrer Feder schmückt die in ganz Europa berühmte Peutingersche Bibliothek, die in reichgeschnitzten Regalen kostbare alte Handschriften, Bücher und Kartenwerke, Münzen und Urkunden birgt. Jakob Fuggers Ehe bleibt kinderlos. Wenn er auch darunter leidet, daß die Vorsehung ihm den erhofften Sohn und Erben versagt — nie kommt ein Wort der Klage oder der Enttäuschung über seine Lippen. Er verwöhnt seine schöne, kühle und elegante Frau, er reist mit ihr nach Innsbruck, nach Rom, nach Basel. Hier bietet ihm der Engere Rat einen Juwelenschatz an, für den als Käufer nur der Fugger in Frage kommt. Es ist der Schatz von Kaiser Maximilians Schwiegervater, dem Burgundischen Herzog Karl dem Kühnen, der 1476 von Schweizern und Lothringern bei Granso und Murten vernichtend geschlagen worden war und nur das nackte Leben hatte 18
retten können. Nun ruht der Schmuck seit Jahrzehnten in den festen Kellergewölben des Basler Stadthauses; der Verkauf soll heimlich und ohne Aufsehen vor sich gehen, denn man befürchtet, daß andernfalls Maximilian den verschollen geglaubten Schatz für sich in Anspruch nehmen werde. Jakob Fugger kommt ohne Begleitung zu den Verhandlungen und zur Unterzeichnung des Kaufvertrages. Nur Sibylle darf dabei sein — denn für sie kauft er den herzoglichen Schmuck, für vierzigtausend Rheinische Gulden. Nachdenklich läßt die schöne Augsburgerin die funkelnden Ketten und Diademe durch ihre Hände gleiten, sie versucht den Wappenspruch auf dem Gürtel des Hosenbandordens zu entziffern, sie bewundert die wasserhellen Diamanten und blutroten Rubine der „Drei Brüder" des Johann Ohnefurcht, sie freut sich an der „Weißen Rose", dem Wappenbild des Hauses York. Unter dem Schutz bewaffneter Knechte wird der Schatz nach Augsburg gebracht und in der Goldenen Schreibstube der schweren Truhe anvertraut, die schon gar manches aus ehemals kaiserlichem, königlichem und fürstlichem Besitz birgt. In dieser Truhe liegt auch der Stirndiamant des Sultans von Kairo, den Jakob für Sibylle für dreißigtausend Dukaten erworben hat. Doch sie trägt diesen Schmuck nie. Bei seinen Besuchen in Rom prüft Jakob Fugger die Bücher seiner von Johannes Zink geleiteten „Fuggerbank", die unter anderem auch in päpstlichem Auftrag die Rechnungsführung für das gesamte Ablaßwesen übernommen hat. Der Heilige Stuhl ist mit dem korrekten und zuverlässigen Geschäftsgebaren der Fuggcrbank so zufrieden, daß der gesamte Klerus des Reiches angewiesen wird, alle Zahlungen über dieses Institut zu leiten, das schließlich auch die römische Münzhoheit erhält und fünfzehn Jahre lang das päpstliche Geld prägt. Meist laufen mehrere große Ablaßunternehmen zeitlich nebeneinander; so der Ablaß von St. Peter, der zur Beschaffung von Geldern für den Bau des Zentraldoms der katholischen Christenheit dient, und der „Kreuzzugsablaß" des Deutschen Ritterordens zur Unterstützung des Kampfes gegen die slawische Überflutung des Ostens. Mit Bedauern sehen die Fugger mancherorts das Ablaßwesen in Mißbrauch und eigennütziges Gewinnstreben entarten, denn sie selbst sind fromme, gottesfürchtige Leute. Ihre 19
Grabkapelle wünschen sie sich nicht in der prächtigen St. Ulrichkirche, sondern in der bescheidenen Kirche von St. Anna, die zum Karmeliterkloster gehört. Beim Tode Georg Fuggers im Jahre 1506 ist die Kapelle noch im Bau; auch der Sarkophag von Ulrichs verstorbener Ehefrau Veronika aus dem Geschlechte der Lauginger findet zunächst nur eine provisorische Ruhestätte. Baumeister, Maler und Bildhauer gehen im Fuggerhause ein und aus. Bruder Georg hat sich vor Jahrzehnten in Venedig von dem großen Bellini malen lassen; in Augsburg finden Holbein und Dürer lohnende Aufträge, auch der junge Maler Hans Burgkmair, Thomans Sohn. Auf dem Wege nach Venedig macht der Nürnberger Meister Albrecht Dürer Station im Augsburger Fuggerhaus und wird von Ulrich und Jakob respektvoll aufgenommen. Die Brüder erbieten sich, Dürers Holzschnitte — insbesondere die „Apokalypse", die Ulrich besonders liebt — durch ihre Niederlassungen in ganz Europa zu verbreiten; sie raten dem Meister, auf allen seinen Arbeiten sein AD-Monogramm anzubringen, damit dieses Zeichen eine Schutz- und Wertmarke werde wie das Fuggersche Forkenzeichen. Im Fuggerhaus trifft Albrecht Dürer auch Dr. Peutinger und überbringt ihm Grüße von Willibald Pirckheimer. Auf Peutingers Anraten ist der Augsburger Baumeister Hieronymus von den Fuggern mit dem Bau des neuen „Fondaco dei Tedeschi" in Venedig beauftragt worden, und nun bittet Jakob Fugger den Nürnberger Meister, ihm aus Venedig über den Fortgang der Bauarbeiten zu berichten. Er bittet Dürer auch um ein Gemälde, das er St. Bartholomä, der Kirche der Deutschen in Venedig, stiften will. Einige Monate später steht der Stifter selber in St. Bartholomä vor dem vollendeten Werk: es ist das „Rosenkranzfest", eine von Dürers herrlichsten Schöpfungen. In der Bildmitte knien Kaiser Maximilian und Papst Julius II. vor der Muttergottes und dem Kinde. Neben dem Kaiser sieht man Ulrich und Georg Fugger mit ihren Frauen, zur Seite des Papstes Jakob Fugger und den Erzbischof Matthias Lang, den Berater des Kaisers. Im Hintergrund hat Dürer sich selbst dargestellt, an der Seite seines Freundes Willibald Pirckheimer. Immer wieder muß Jakob Fugger das wunderbare Gemälde betrachten, immer wieder fällt sein Blick gedanken20
voll auf das zarte Marienantlitz, das ihm in aller Hoheit so seltsam vertraut scheint. Endlich wird es ihm klar — es sind die Züge Sibylles, seiner Frau, die der Meister aus Nürnberg hier ins Überirdische verklärt h a t . . . In einem uralten jüdischen Weisheitsbuch hat Jakob Fugger eine Mahnung gefunden, wie man sein Vermögen am sichersten anlegen soll: Ein Drittel lege man in Grundstücken an, ein Drittel in Kostbarkeiten, und ein Drittel verwende man als Geschäftskapital. Grundstücke, ja . . . Das bäuerliche Erbgut in den Fuggern drängt immer wieder nach Grundbesitz, der sich in Krisenzeiten als wertbeständiger erwiesen hat als alles Gold und Geschmeide, von Geschäftsanteilen und Schuldverschreibungen gar nicht zu reden. Als Maximilian sich in Mailand die Kaiserkrone aufsetzen läßt, sind in der „Reichskasse" keine tausend Gulden. Die Fugger zeigen sich wenig spendabel; also bietet man ihnen die Krongüter und Herrschaften südlich von Ulm zum Kauf an: die Grafschaft Kirchberg, die Herrschaft Weißenhorn und die Herrschaft Pfaffenhofen. Und Jakob Fugger kauft — gegen bare fünfzigtausend Gulden. Wenig später übernimmt er noch die kaiserliche Herrschaft Schmiechen am Lech für hunderttausend Gulden und erhält von Maximilian, der sich endlich einmal — wenn auch nur für kurze Zeit — von drückendsten Geldsorgen frei sieht, den persönlichen Adel, Die Krone des Heiligen Römischen Reiches genügt der ewig schweifenden Phantasie Maximilians schon nicht mehr — nun lockt ihn die päpstliche Tiara. Ungläubig und entsetzt vernehmen die Fugger von des Habsburgers Plänen, die sie ihm mit sanftem Nachdruck wieder auszureden verstehen. Ein Kaiser ohne Geld — das kann vorkommen, aber ein Papst ohne Geld — das ginge denn doch zu weit. Wieder einmal erkennt Maximilian, daß er an Jakob Fugger einen klugen und zuverlässigen Berater hat; und als der alte Graf Kirchberg seinem neuen „bürgerlichen" Lehnsherrn Fugger den Eid verweigert, da erhebt ein kaiserlicher Erlaß Jakob Fugger und seinen ältesten Neffen in den erblichen Grafenstand, damit die Herren Rittersleute keinen Anlaß mehr finden zu Widerspruch und frechem Aufbegehren. Jakob Fugger ist der letzte Überlebende der Brüder, denn am 19. April 1510 ist auch Ulrich Fugger gestorben und die Firma heißt jetzt „Jakob Fugger und Gebrüder Söhne". 21
Links: Jahob Fugger der Reiche (stehend) mit seinem Hauptbuchhalter Matthäus Schwarz. An der Wand die Registratur mit den Namen der Hauptniederlassungen: Mailand, Rom, Venedig, Antwerpen usw. Rechts: Kaiser Maximilian im Gespräch mit seinem Feldhauptmann. Hinter dem großen Pult in der Goldenen Schreibstube sitzt Jakob Fugger, auf dem kraftvollen Haupt die golddurchwirkte italienische Haube (siehe Umschlagseite 1). Mit leiser, aber deutlicher Stimme erteilt er seine Befehle, denn aller Lärm ist ihm verhaßt schon von der Herriedener Klosterzeit her. Am liebsten sieht er den Neffen Anton bei sich, einen Sohn seines verstorbenen Bruders Ulrich. Ihn bereitet er behutsam für seine Nachfolge vor. Er nimmt ihn auch mit zu den großen Fest- und Kongreßtagen in Wien, an denen Maximilian die Vereinigung der Kronen von Österreich, Ungarn und Böhmen erreicht. Ohne die Fugger hätte das Fest gar nicht stattfinden können, denn sie brachten — leihweise — das Habsburger Tafelgeschirr und den Kronschatz des Reiches mit, was alles seit langem den Fuggern verpfändet war. 22
Da auch das Haus mit der Goldenen Schreibstube inzwischen zu klein geworden ist und all die fürstlichen Gäste nicht mehr fassen kann, die bei den Handelsherren vorsprechen, läßt Jakob Fugger am Weinmarkt, im Zentrum von Augsburg, nach Plänen des Engelbergschülers Jakob Zwitzel in den Jahren 1512—1515 einen Palast errichten, wie ihn die Stadt noch nicht gesehen hatte. Der mächtige, dreistöckige Bau umschließt einen zierlichen Frauenhof, der nach italienischer Sitte mit einem säulengeschmückten Laubengang eingefaßt ist. In der Mitte plätschert, umgrünt von seltenen Gewächsen, ein Brunnen. Die äußere Fassade hat Hans Burgkmair mit kostbaren Fresken bemalt, und an Decken und Wänden der hohen Säle künden vergoldete Schnitzereien, Gobelins und Intarsien vom Reichtum und Kunstsinn des Hausherrn. Das Haus soll vor allem höfischen und gesellschaftlichen Verpflichtungen genügen — die Zentrale des weltumspannenden Unternehmens bleibt weiter in der Goldenen Schreibstube. Im neuen Weinmarkthaus aber weilt Kaiser Maximilian mit seinem Gefolge oft zu festlichem Gelage, macht der errötenden Sibylle den Hof und vergnügt sich — ein Bürger unter Bürgern — mit Tanz und Ringelspiel, mit Musik, frohem Umtrunk und heiterem Geplauder, das freilich meistens zum ernsten Gespräch wird, sobald es ums Geld geht. Und wann geht es nicht ums Geld . .. Kaiser Maximilian, der „letzte Ritter" und „des Reiches ewiger Bräutigam", wie ihn der Volksmund liebevoll und vertraulich betitelt, glaubt selbst nicht mehr an die Verwirklichung seines Traumes vom Weltreich, von der vereinigten Papst- und Kaisermacht. Was ihm versagt blieb — seinem Enkel Karl, dem jetzigen König von Spanien, mag es gelingen! Maximilians Schwester Margarete, die Statthalterin der Niederlande, leitet die Erziehung des Jünglings, dessen Vater früh verstorben ist und dessen Mutter als angeblich Wahnsinnige in Spanien in sicherem Gewahrsam gehalten wird. An der Universität Löwen hat Karl zu Füßen der besten Lehrer seiner Zeit gesessen. Er spricht fließend lateinisch, spanisch und französisch, aber von der deutschen Sprache kennt er nur ein paar Worte. Maximilian kränkelt seit langem, die Ärzte geben ihm nur noch eine kurze Lebensfrist. Schon beginnt der heimliche Kampf um die Krone 23
Die Lippen des Kaufherrn werden schmal, als ihm Ende Juni 1519 ein Kurier in die Goldene Schreibstube die Nachricht bringt, daß Karl V. in Frankfurt einstimmig zum König gewählt sei. Der Großkanzler Gattinara habe, so berichtet der Kundschafter, vor dem neunzehnjährigen Habsburger das Knie gebeugt mit den Worten: „Sire, da Euch Gott diese ungeheure Gnade verliehen hat, Euch über alle Könige und Fürsten der Christenheit zu erhöhen zu einer Macht, die bisher nur Euer Vorgänger Karl der Große besessen hat, so seid Ihr auf dem Wege zur Weltmonarchie, zur Sammlung der Christenheit unter einem Hirten." Weltmonarchie . . . Stumm wendet Jakob Fugger sich ab. Er geht — allein — in die Jakobervorstadt. Dort arbeiten seit drei Jahren die Werkleute am Bau einer kleinen Siedlung, deren Stiftung Jakob im Juni 1516 beschlossen und urkundlich festgelegt hat: „Gott dem Allmächtigen zum Lob und zur Förderung des eigenen Seelenheils haben wir für etliche arme bedürftige Bürger und Inwohner zu Augsburg, Handwerker, Taglöhner und andere, welche nicht betteln wollen, etliche Häuser am Kappenzipfel in Bau genommen, und soll der Hauszins ohne besondere Verpflichtung im Jahre einen Gulden betragen .. ." Nun, im Juni 1519, stehen schon vierzig Häuser der „Fuggerei". Jedes Haus enthält zwei Wohnungen mit besonderem Eingang, einer kleinen Küche, deren gemauerter Herd mit einem Rauchfang überwölbt ist. Auch die Einrichtung der Wohnungen werden vom Fugger bezahlt. Über dem Eingangstor zur Siedlung, das über Nacht geschlossen werden soll, kündet eine Tafel, deren Text nach dem Willen Jakobs auch seiner verstorbenen Brüder gedenkt: MDMXIX Die Brüder Ulrich, Georg und Jakob Fugger aus Augsburg, Leibliche Brüder, zum Besten der Stadt geboren, haben aus Frömmigkeit, und da sie ihr Vermögen der Güte Gottes verdanken, zum Vorbild besonderer Freigebigkeit einhundertsechs Wohnungen mit Bau und Einrichtung ihren Mitbürgern, die rechtschaffen, aber von Armut heimgesucht sind, geschenkt, gegeben und gewidmet. 26
DIE WELT Reichstag zu Worms! Die Stadt hat sich — im Frühling 1521 — festlich geschmückt zum Empfang des Kaisers und der Großen .des Reiches. Auch Jakob Fugger ist feierlich eingeladen, er weiß schon, wozu man ihn b r a u c h t . . . Er reist unter dem bewaffneten Schutz des Schwäbischen Bundes. Ein anderer Reichstagsbesucher reist sogar unter dem Schutze des Kaisers nach Worms — der vom Papst gebannte Martin Luther, dem freies Geleit und freie Rede zugesichert sind. Die Menge am Stadttor und in den Straßen gafft und jubelt, wie immer, wenn's was zu sehen gibt. Sie jubelt dem jungen Habsburger Karl V. zu, der sein prachtvolles Pferd nach spanischer Art zügelt und der Gaffer nicht achtet; sie jubelt auch, aber ein wenig verhaltener, dem berühmten und berüchtigten Mönch zu, dem die Knappen mit Spießen und Lanzen einen vergitterten Weg bahnen wie einem gefährlichen Raubtier. Beim Einzug des Fuggers verstummt der Jubel gar, weil den Leuten das Maul offensteht vor so viel Pracht und Aufwendigkeit. Manche flüstern ein böses Wort, das jetzt oft in Deutschland zu hören ist: „Fuggerei — Wucherei . . ." „Gott hat uns ein junges, edles Blut zum Haupte gegeben und damit die Herzen zu großer guter Hoffnung erweckt!" So hat Luther in seinem Sendschreiben an den Christlichen Adel Deutscher Nation den jungen Kaiser begrüßt. Nun steht er vor diesem Kaiser, der sich nicht einmischt in das Streitgespräch zwischen den Kirchenherren und dem Mönch. Er versteht auch kein Wort von dem Gesprochenen, denn man verhandelt in deutscher Sprache. Von seinem Thron herab schweifen die Blicke des Habsburgers gelangweilt durch den Saal: Da steht in der Mitte ein Tisch mit Büchern und Flugblättern, bei denen abwechselnd die päpstlichen Legaten und der Mönch Hilfe und Beweiskraft suchen für ihre Rede. Der Kaiser kann den Vorgang und seine weltgeschichtliche Bedeutung gar nicht erfassen; er hört nur des Mönches „Amen" und wundert sich, daß dieser Luther plötzlich von jubelnden, weinenden, ergriffenen Männern umringt ist. Als man dem Kaiser ins Ohr flüstert, daß der „ketzerische Mönch" den Schutz der Majestät verwirkt habe, da antwortet Karl der Fünfte nur: „Ich will nicht erröten müssen wie Sigismund . . . " 27
Kaiser Sigismund hatte auf dem Konzil von Basel sein Wort gebrochen, mit dem er dem Ketzer Hus Schutz und freies Geleit zugesagt. Des Kaisers Gedanken sind schon bei der bevorstehenden Unterredung mit Jakob Fugger. Seine Räte haben ihm eine Aufstellung seiner Schulden bei dem Augsburger vorgelegt: Es sind 600 000 Gülden (rund vierundzwanzig Millionen Goldmark!), und darin sind die Schulden seines Großvaters Maximilian noch nicht einmal enthalten. Bei den Verhandlungen kommt es — im Beisein Karls —
Der Stich von Jakob Custus zeigt die Huldigung der Stände vor Gtistciy Adolf von Schweden im April 1632 vor dem Fuggerhaus am Augsburger Weinmarkt. 28
zu einem zähen Ringen zwischen Fugger und den kaiserlichen Räten, man spricht lateinisch und französisch, damit die Majestät airch verstehen kann, worum es geht. Der Kaiser vertröstet Fugger mit der Aussicht auf den Goldschatz des Aztekenkönigs Montezuma, Jen ihm Fernando Cortez angekündigt hat; er verpfändet schließlich die ganze Grafschaft Tirol . . Aus Tirol kommen aber keine Zahlungen nach Augsburg. Es kommen nur dringende Darlehensgesuche des Kaisers, dem Jakob Fugger 1523 in seine spanische Residenz Toledo schreiben muß: „ . . . es ist allgemein bekannt und liegt offen zutage, daß Ew. Kaiserliche Majestät ohne mich die Römische Krone nicht erlangt hätten . . . Inzwischen sind Ew. Kaiserliche Majestät mir die Summe, die Ew. Kais. Majestät mit mir auf dem Wormser Reichstage verrechnet haben, schuldig geblieben . . . Demnach ist meine untertänige Bitte an Ew. Kais. Majestät, sie möge meine untertänigen Dienste, die Ew. Kais. Majestät zu großem Nutzen gediehen sind, gnädig bedenken und veranlassen, daß mir meine ausstehende Summe Geldes samt den Zinsen ohne längeren Verzug entrichtet w i r d . . . " Man einigt sich wieder einmal, und bei dieser Gelegenheit fällt Fugger das spanische Quecksilbermonopol zu. Ein neuer Anlaß für Ulrich von Hütten, in ritterlichem Zorn gegen das „Großbürgerund Kapitalistentum" zu wettern. Es kommt schließlich Zu einem Prozeß vor dem Reichskammergericht, das Jakob Fugger „sträflicher Geschäfte und Handlungen" bezichtigt. Mit Hilfe des Kaisers und des Erzherzogs Ferdinand wird das Verfahren niedergeschlagen. Doch dafür gibt es nun andere Aufregungen und Gefährdungen: Die Bauern rebellieren, die Lutherischen gewinnen immer mehr fanatische Anhänger — es gärt im Volk, im Reich, in der Welt. Man spricht von Kaiser Maximilians Zeit wie „von der guten, alten Zeit" und ersehnt diese Zeit zurück, die in der Erinnerung, wie stets, noch sorgloser, noch glücklicher und noch erlebenswerter erscheint, als sie in Wirklichkeit gewesen war. Auch Jakob Fugger denkt manchesmal wehmütig zurück an die Zeiten wagemutigen Aufstiegs. Der aus tiefer Frömmigkeit sozialgesinnte Mann leidet unter dem gedankenlosen Vorwurf der Wucherei. „Der reiche Fugger ist krank!" So tuschelt's und flüstert's in 29
den Augsburger Gassen, teils mit ehrlichem Mitgefühl, teils mit unverhohlener Schadenfreude. Es ist kein Gerücht — es ist leider bittere Wahrheit. Mit Konrad Peutingers Hilfe hat Jakob sein Testament errichtet, in dem er auch seines liebsten Werkes — der Fuggerei — gedenkt: Jeder mit Kindern gesegneten Familie, die in der Fuggerei wohnt, vermacht er einen Rheinischen Goldgulden; jede kinderlose Familie erhält einen halben Goldgulden . . . Um die Weihnachtszeit des Jahres 1525 kommt Erzherzog Ferdinand, der Bruder Kaiser Karls, mit großem Gefolge nach Augsburg. An den Straßen staut sich die jubelnde Menge, die Ferdinand, der dem Volke vertrauter ist als sein kaiserlicher Bruder, begeistert begrüßt. Die Vivatrufe übertönen das Schmettern der Fanfaren, das Lärmen der Trommeln, Pfeifen und Trompeten. Doch als der festliche Aufzug zum Weinmarkt kommt, vor das Fuggerhaus, da verstummt auf einen Wink Ferdinands die Musik, es verstummt auch der Lärm der Menge. Vor dem Wappen mit den beiden Lilien entblößt der Erzherzog das Haupt, und jeder beeilt sich, es ihm nachzutun. Man weiß: Hinter den buntbemalten Mauern wartet Jakob Fugger der Reiche auf den Tod, und der künftige König der Deutschen grüßt in Habsburgs Namen noch einmal den Mann, der zu Deutscher Kaisermacht und Kaiserherrlichkeit beigetragen hat wie nie ein Bürger zuvor . .. Wenige Tage später, in der vierten Morgenstunde des 30. Dezember, knien Sibylle Fugger und die Neffen an der Bahre des Toten, und Lukas, der treue Diener, schreibt seinem Bruder: „Mein Herr Fugger ist tot und ist in Gott wie ein Kind gestorben." In einem Holzsarg aus rohen, ungehobelten Brettern, so wie er es gewünscht hat, bereitet man ihm in der Grabkapelle von St. Anna die letzte Ruhestätte, neben seinen Brüdern Ulrich und Georg. Die Grabinschrift lautet: „Dem besten und größten Gott! Jakob Fugger aus Augsburg, seines Standes und Volkes Zierde, Reichsgraf und Kaiserlicher Rat Ihrer Majestäten Maximilians I. und Karls V., durch die Erwerbung ungewöhnlicher Reichtümer zu hohen Ehren gekommen, doch an Freigebigkeit und Sittenreinheit und Seelengröße keinem nachstehend: wie er im Leben mit niemand zu vergleichen war, ist er auch nach seinem Tode nicht zu den Sterblichen zu zählen." 30
Augsburger Zeitungskopf mit dem Stadtwappen, das die „Pyr", die Zirbelnuß zeigt, das einstige römische Koloniezeichen. In den folgenden Jahren haben die Augsburger wieder viel zu räsonieren. Hat nicht Sibylle Fugger schon wenige Wochen nach ihres Mannes Tod sich mit Konrad Rehlinger vermählt? Sie hat es getan, unbegreiflicherweise, und hat sich sogar evangelisch trauen lassen! In der Goldenen Schreibstube empfängt nun Anton Fugger, der von Jakob testamentarisch zur Geschäftsführung eingesetzte Neffe, den Kaiser Karl. Man erzählt sich, er habe die Schuldscheine der Habsburger im offenen Kamin vor dem Angesichte der Majestät verbrannt — aber das ist nur eine hübsche Legende. Wenige Wochen zuvor, am 24. Februar 1530, hat Karl V. in Bologna die Kaiserkrone aus den Händen des Papstes empfangen; zum letztenmal zeigten sich die beiden Häupter der Christenheit in vollem Ornate der W e l t . . . Unter den Schlägen des Dreißigjährigen Krieges, unter drei spanischen Staatsbankrotten zerbricht auch das ehrwürdige Handelshaus 31
Fugger, dem Habsburg acht Millionen Gulden — das ist etwa eine halbe Milliarde heutiger Deutscher Mark! — schuldig ist und schuldig bleibt. Nur der Grundbesitz — mit dessen Erwerb Jakob Fugger der Reiche in weiser Vorausschau begonnen hatte — bleibt im Familienbesitz. Die Nachkommen bringen es als Bischöfe, Domherren und Pröpste zu hohen kirchlichen Würden; andere dienen dem Reich als Soldaten oder Beamte. Im Jahre 1803 wird die gräfliche Linie der Fugger-Babenhausen geforstet, 1913 erhalten auch die FuggerGlött den Fürstenhut. Nur die Linie der Fugger-Kirchberg und Weißenborn bleibt gräflich. Im Feuersturm des Zweiten Weltkrieges, in der furchtbaren Walpurgisnacht vom 25. zum 26. Februar 1944, fällt auch Jakob Fuggers geliebte Fuggerei in Schutt und Asche; sie ist heute dank der hochherzigen Neustiftungen der Fürsten und Grafen Fugger wieder aufgebaut und bietet wie vor vierhundert Jahren im Sinne Jakob Fuggers unschuldig in Not geratenen alten Leuten eine behagliche Heimstatt. Und noch immer ist der Mietpreis der gleiche, den Jakob in der Stiftungsurkunde vom Jahre 1516 festgesetzt hatte: ein Rheinischer Gulden im Jahr — das sind in heutigem Gelde eine Deutsche Mark und zweiundsiebzig Pfennig! Wer nach zehn Uhr abends nach Hause kommt, muß am Tor zehn Pfennig bezahlen; wer gar nach Mitternacht erst heimkommt, dem werden zwanzig Pfennig abgenommen. Aber die Bewohner der Fuggerei sind keine Nachtschwärmer. Sie halten sich gern an die viereinhalb Jahrhunderte alte Hausordnung der Fuggerei, deren erster Absatz besagt: „Es soll jeder Mensch, jung oder alt, so es vermag, ein Paternoster, Ave Maria und ein Glauben alle Tag sprechen für die fundatores (die Stifter), dero Eltern, Brüder und andere Geschwistergeth und Nachkommen." Vorsehaltbild: Die Fuggerei • Vignette Seite 2: Türklopfer vom Augsburger Dom. Umsehlaggestaltung: Karlheinz Dobsky. L u x - L e s e b o g e n 3 5 9 (Geschichte) H e f t p r e i s 3 0 P f g . Natur- und kulturkundliche Hefte. —Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1,80) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt. — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig. — Druck: Hieronymus Mühlberger, Augsburg. — Verlag: Sebastian Lux. Murnau vor München. — Herausgeber: Antonius Lux.
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