Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 537 All‐Mohandot
Die Friedensmission von Hubert Haensel
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 537 All‐Mohandot
Die Friedensmission von Hubert Haensel
Mit der SZ‐2 in Flatterfeld
Seit Dezember des Jahres 3586, als die SOL unter dem Kommando der Solgeborenen auf große Fahrt ging und mit unbekanntem Ziel in den Tiefen des Sternenmeeres verschwand, sind mehr als zweihundert Jahre vergangen, und niemand hat in der Zwischenzeit etwas vom Verbleib des Generationenschiffs gehört. Schließlich ist es jedoch soweit – und ein Mann kommt wieder in Kontakt mit dem verschollenen Schiff. Dieser Mann ist Atlan. Die Kosmokraten entlassen ihn, damit er sich um die SOL kümmert und sie einer neuen Bestimmung zuführt. Gegenwärtig schreibt man an Bord des Schiffes den Oktober des Jahres 3791, und der Arkonide hat trotz seines relativ kurzen Wirkens auf der SOL bereits den Anstoß zu entscheidenden positiven Veränderungen im Leben der Solaner gegeben – ganz davon abgesehen, daß er gleich nach seinem Erscheinen die SOL vor der Demontage im Mausefalle‐System rettete. Trotz Atlans unleugbarer Verdienste um das Schiff herrscht zwischen der Führungsspitze der SOL und dem Arkoniden nach wie vor ein angespanntes Verhältnis. Allerdings kann der High Sideryt nicht umhin, Atlan mit der SZ‐2 eine Expedition in die Kleingalaxis Flatterfeld zu gestatten. Der Arkonide versteht diese Expedition, die das Geheimnis der Nickeldiebe klären soll, als FRIEDENSMISSION …
Die Hauptpersonen des Romans: Chart Deccon ‐ Der High Sideryt veranstaltet eine Meinungsumfrage. Atlan ‐ Der Arkonide unterwegs in einer friedlichen Mission. Palo Bow, Brooklyn, Sternfeuer, Sanny und Breckcrown Hayes ‐ Einige von Atlans Begleitern. Ganter Pleehs und Baster Minn ‐ Angehörige des Volkes der Pluuh.
1. »… und ich sage nein. Was du vorhast, ist nichts anderes als eine leichtsinnige Gefährdung kostbaren Materials. Du solltest wissen, wie unersetzlich alle Rohstoffe im Moment noch für uns sind.« Um Chart Deccons Mundwinkel zuckte es heftig. Mit dem Handrücken wischte er sich den Schweiß aus seinem massigen, rot angelaufenen Gesicht. »Ich habe keineswegs die Absicht, die SOL den Fremden in die Hände zu spielen«, lächelte Atlan. Gerade seine offen zur Schau gestellte Ruhe war es, die Deccon reizte. Vielleicht deshalb verfiel er in eine polternde, mürrische Art, um jedes Argument von vornherein abzuwehren. »Wir haben eine Korvette auf mysteriöse Weise verloren …« »… was bei einiger Umsicht sicherlich zu vermeiden gewesen wäre.« Atlan winkte heftig ab. »Kein Vergleich ist zu diesem Zeitpunkt unangebrachter.« »Du willst mir deshalb Vorwürfe machen?« fragte Deccon lauernd. »Noch bestimme ich, was an Bord geschieht, und ich bin überzeugt, du würdest es verdammt schwer haben, deinen Willen durchzusetzen.« Atlan hatte gehofft, die seit kurzem anklingende Nachgiebigkeit des High Sideryt nutzen zu können. Leider sah es so aus, als habe Deccon seine Meinung in den letzten fünf Tagen wieder geändert. »Es geht hier nicht um das, was ein einzelner will«, sagte der
Arkonide. »Es geht zweifellos um mehr, möglicherweise um Dinge, deren wirkliches Ausmaß uns bisher verborgen bleibt. Eine Gefahr, die man kennt und infolgedessen richtig einschätzen kann, verliert bereits dadurch einen Großteil ihres Schreckens. Außerdem vermag ich mir nicht vorzustellen, daß du wirklich ruhig zusehen kannst, wie ganze Sonnensysteme in Trümmerhaufen verwandelt werden.« »Ich bin für die SOL verantwortlich. Solange das Schiff nicht wirklich gefährdet ist, sehe ich keine Veranlassung mehr, irgendeiner Expedition zuzustimmen. In der augenblicklichen Phase des Aufbaus gibt es wahrhaft Wichtigeres zu tun. Wenn es dir wirklich um das Wohl der Solaner geht, solltest gerade du das längst erkannt haben.« Deccon weiß genau, daß du recht hast, bemerkte der Logiksektor. Aber er sträubt sich mit Händen und Füßen gegen diese Erkenntnis. »Ich beginne zu begreifen, daß ich dich bisher falsch einschätzte«, meinte Atlan. »Immerhin hielt ich dich für einen Mann, der fähig ist, vorausschauend zu planen, und sich nicht bloß hinter seinem eigenen Schatten verbirgt. Gib mir das Kommando über einen Teil der SOL, und ich werde versuchen, das Rätsel der Nickeldiebstähle aufzuklären. Vergiß nicht, daß uns schon morgen dasselbe Schicksal ereilen kann, das heute noch einem vielleicht von Milliarden Lebewesen bewohnten Planeten zugedacht ist, der Dutzende von Lichtjahren entfernt seine Sonne umkreist.« »Du gibst nie auf …?« »Nicht, wenn ich von der Richtigkeit meines Standpunkts überzeugt bin.« »Was du von mir verlangst, ist nicht weniger, als daß ich den Platz des High Sideryt mit dir teilen soll.« »Wenn du das fürchtest, Chart: zum einen habe ich keine Ambitionen, mich zum Diktator aufzuschwingen, zum anderen hätte ich es längst tun können, als wir das Kristallungeheuer bekämpften.« Deccon zuckte merklich zusammen, blieb aber ruhig. Zögernd, als
müsse er nachdenken, ließ er seinen Blick durch die Klause schweifen. Schließlich starrte er das Schaltpult an, mit dem eine direkte Verbindung zu SENECA hergestellt werden konnte. »Über einen solchen Schritt muß ich mich mit der Biopositronik beraten.« »Bitte«, sagte Atlan. »Ich verstehe deine Bedenken, obwohl ich sie keinesfalls teile.« Chart Deccon hatte sich aus seinem thronähnlichen Sessel erhoben und bemühte sich, die Verbindung zu SENECA herzustellen. Aber die Biopositronik hüllte sich in Schweigen. »Meine Anfrage unterliegt der Dringlichkeitsstufe, da sie die Einheit der SOL betrifft«, sagte Deccon endlich. Trotzdem gelang es ihm nicht, das Schweigen der Hyperinpotronik zu brechen. »Es ist aussichtslos«, stellte er dann fest. »SENECAS Reaktion hast du dir selbst zuzuschreiben«, behauptete Atlan. Deccon sah ihn erstaunt an. »Ich wüßte nicht, in welcher Hinsicht.« »Du hast mehrfach versucht, meine Maßnahmen zu sabotieren. Ist das nicht Grund genug.« Jetzt lachte der High Sideryt. Aber es klang gekünstelt. »Du meinst also, daß SENECA sich aus den Vorgängen an Bord ein eigenes Bild gemacht und sich auf deine Seite gestellt hat. Kannst du diese Behauptung beweisen?« »Leider nicht«, gestand Atlan ein. »Es ist mehr ein Gefühl, das mir verrät …« »Ein Gefühl …« Deccon verzog seine wulstigen Lippen zu einem hämischen Grinsen. »Und SENECA schweigt ausgerechnet dann, wenn er dir mit seiner Antwort beistehen könnte.« »Du hast keine Ahnung, wie empfindsam eine Biopositronik mitunter sein kann. Unsere besteht aus rund 125.000 Kubikmeter Plasma, einer Konzentration also, die längst echte Intelligenz erzielt und dadurch zu entsprechenden Reaktionen fähig ist.«
»Willst du behaupten, SENECA sei womöglich beleidigt?« Atlan nickte. Was er Deccon gegenüber nicht anklingen ließ, war seine Meinung über den derzeitigen Zustand der Biopositronik. Immerhin schien dieser sich seit seinem Eintreffen auf der SOL gebessert zu haben, was nicht zuletzt an den veränderten Verhältnissen an Bord liegen mochte. Ob dieser Vorgang irgendwie auch mit mir zu tun hat? fragte sich der Arkonide. Sicher gibt es viele Möglichkeiten, die bisher weder von Lyta Kunduran noch von Joscan Hellmut ernsthaft in Erwägung gezogen wurden. Auszuschließen ist es sicher nicht, daß das Plasma sich nicht nur an frühere Zeiten erinnert, sondern gar eine positive Einstellung dazu entwickelt. »Du siehst selbst«, unterbrach Deccon seine Gedanken, »eine Entscheidung zu treffen, noch dazu die richtige, ist alles andere als einfach. Man muß in Ruhe das Für und Wider abwägen.« Mit anderen Worten: der High Sideryt war Atlans Gesellschaft überdrüssig und wollte allein sein. Deutlicher hätte er dies dem Arkoniden kaum zu verstehen geben können. Atlan zögerte allerdings. »Du trägst die Verantwortung«, mahnte er. »Vergiß das nicht. Es besteht die Gefahr, daß man wegen eines Teils das Ganze aus den Augen verliert.« »Willst du mir drohen?« »Nur helfen, Chart. Gib mir die SZ‐2, und ich werde herausfinden, welcher Art die Gefahr ist.« »Du verlangst verdammt viel.« Der High Sideryt stützte den Kopf auf beide Handflächen und stierte den Arkoniden schräg von unten herauf an. »Keineswegs mehr als du geben kannst«, erwiderte Atlan. »Ach was.« Deccon war nahe daran, aufzuspringen, verharrte dann aber halb aufgerichtet. »Geh jetzt! Ich muß allein sein, um nachzudenken.« Minutenlang starrte der Bruder ohne Wertigkeit noch auf das
Schott, nachdem es sich hinter dem Arkoniden geschlossen hatte. Atlans Worte hatten ihm zu denken gegeben; er war schwankend geworden. Insgeheim mußte Deccon sich sogar eingestehen, daß der Arkonide recht hatte. Aber wenn er sofort nachgab, würde es bald wieder so sein, würde Atlan das zweifelsohne als Zeichen von Schwäche werten und schon bei der nächstbesten Gelegenheit erneut seine Forderungen vortragen. »High Sideryt Atlan«, zischte Deccon wütend. »Darauf läuft letzten Endes alles hinaus.« Heftig ließ er sich im Sessel zurücksinken. Die Sensoren reagierten entsprechend und paßten die Stellung der Lehne seinen veränderten Sitzbedürfnissen an. Aber Deccon fühlte sich trotzdem nicht wohl. Ein seltsames Prickeln machte sich bemerkbar. Schweiß brach dem High Sideryt aus allen Poren. Wieder spürte er die Einsamkeit, die überall auf ihn lauerte – eine Einsamkeit, die schon Tineidbha Daraw, seine Vorgängerin, gekannt haben mußte. Eine Weile schien er unschlüssig, was weiter zu tun sei, dann erhob er sich umständlich und stellte nach kurzem Zögern eine Interkomverbindung zur eigentlichen Zentrale im Mutterschiff her. Ursula Grown nahm den Anruf entgegen. »Wer ist anwesend?« fragte Deccon, ohne sie erst zu Wort kommen zu lassen. »Lediglich Palo, Gallatan und Curie haben dienstfrei. Warum?« »Stelle eine Konferenzschaltung zu ihren Kabinen her – ich will, daß alle hören, was ich zu sagen habe.« »Sie werden schlafen«, bemerkte Ursula. »Immerhin waren sie mehr als zwanzig Stunden lang ununterbrochen mit der Übernahme von Zellulose befaßt.« »Und wenn du alle drei ins All schießen mußt, um sie wach zu bekommen. Hast du nicht gehört?« Die aufgedonnerte Frau mit der blau gefärbten Haarpracht verschwand aus dem Erfassungsbereich der Optik. Augenblicke
später veränderte sich das Bild auf Deccons Schirm und zeigte nicht nur das Innere einer geräumigen Kabine, sondern auch Gallatan Hertsʹ ungehalten dreinblickendes, mürrisches Gesicht. »Welcher Idiot reißt mich aus dem schönsten Tiefschlaf?« brüllte er lauthals los. »Wofür habe ich ohne Pause geschuftet, wenn man mir nun keine Ruhe gönnt?« »Ich«, sagte Deccon betont leise, »habe es veranlaßt.« Rumpelstilzchen, der in diesem Augenblick seinem Spitznamen alle Ehre machte, seufzte ergeben. »Schieß schon los, und dann laß mich schlafen.« »Du wirst es erwarten können«, brummte der High Sideryt. »Schließlich bist du nicht der einzige, mit dem ich zu reden habe.« »Worum geht es?« meldete sich Palo Bow. Der zur Fettleibigkeit neigende Farbige lag angezogen auf seinem Bett. Allem Anschein nach hatte er gelesen, denn erst jetzt schob er das Mikrofilmgerät zur Seite. Deccons interessierten Augenaufschlag bemerkend, sagte er: »Ein Werk über das Vorhandensein hypergravitationeller Strahlungen im Schnittpunkt zwischen den Massezentren einander ähnlicher Galaxien. Interessant.« »Pah«, machte Curie van Herling. »Belästige uns nicht damit. Ich will endlich hören, was Chart mitzuteilen hat.« »Es geht um Atlan«, erklärte der Bruder ohne Wertigkeit nach einer kurzen Pause. »Dachte ich mirʹs doch«, platzte Wajsto Kölsch heraus. »Was will er? Eine weitere Expedition nach Flatterfeld unternehmen?« »Warum läßt du Chart nicht ausreden?« ereiferte sich Ursula Grown. »Wajsto hat schon recht«, fuhr der High Sideryt fort. »Atlan bat mich darum, ihm die SZ‐2 zur Verfügung zu stellen.« »Das ist wirklich alles, was er will …« Curie van Herling vollführte eine ausschweifende Geste. »Ich hätte nicht gedacht, daß er so genügsam ist.« »Du wirst zynisch«, warf Lyta Kunduran ein. »Atlan hat das
bestimmt nicht verdient.« »Was verstehst du davon? Kümmere dich lieber um die Positronik.« »Schluß damit!« Chart Deccon schlug mit der flachen Hand auf die Bildschirmkonsole. »Ich habe euch nicht gerufen, damit ihr untereinander in Streit geratet, sondern um eure Meinung zu hören. Tatsache ist, daß Atlan mit einer Solzelle losfliegen will, um zu klären, was in Flatterfeld geschieht.« »Und was hast du ihm geantwortet?« »Nichts – vorerst jedenfalls. Aber er ist hartnäckig, er wird eine Entscheidung verlangen.« »Er steht allein gegen uns alle«, bemerkte Gallatan Herts. »Wieso gegen alle?« rief Brooklyn aus. »Du scheinst die Tatsachen zu verkennen.« »Ich kann einen solchen Wahnsinn nicht gutheißen. Die SOL nahezu der Hälfte ihrer Schlagkraft berauben … Weißt du, was das bedeutet?« »Auf jeden Fall ist es besser, als tatenlos abzuwarten.« »Wenn Atlan erneut losfliegt, wird es nicht bei einer bloßen Erkundung bleiben, und damit macht er die Ysteronen auf uns aufmerksam. Niemand weiß, wie stark sie sind. Vielleicht sind sie uns überlegen. Was dann?« »Wenn und Aber führen nicht weit. Fest steht jedenfalls, daß wir über kurz oder lang eine zusätzliche sinnvolle Aufgabe benötigen, um die Solaner zufriedenzustellen. Andernfalls wird sich sehr bald Unmut ausbreiten.« Nach Zustimmung heischend, blickte Ursula Grown in die Runde. Curie van Herling winkte heftig ab. »Das ist die alte Leier, mit der bisher keiner von euch weit kam. Was versprichst du dir davon?« Völlig überraschend ergriff Wajsto Kölsch Partei zugunsten der Fortschrittlichen: »So abwegig ist es nicht, was Ursula sagt. Hat der Arkonide nicht
schon mehrfach eine Umsicht bewiesen, deren mancher aus der SOLAG nie fähig sein wird? Ich denke, Chart ist ebenfalls der Meinung.« Der High Sideryt nickte. »Dann kommen Atlans Wünsche unseren Plänen sogar entgegen«, überlegte Palo Bow. »Nur im ersten Moment wirken sie abschreckend, bei näherer Betrachtung hingegen könnte ich mich sogar mit dem Gedanken anfreunden, die SZ‐2 abzukoppeln.« »Ist es das Abenteuer, das dich reizt?« fuhr Arjana Joester auf. »Vernünftige Argumente hast du nicht, die für Atlans Vorhaben sprechen.« »Soll ich dir aufzählen, was alles an Bord …?« »Ach, wozu. Wir kennen euren Starrsinn zur Genüge, wenn es darum geht, der SOL ein Ziel oder gar eine Bestimmung zu geben, die diese niemals brauchen wird.« »Als Starrsinn bezeichnest du eine zwingende Notwendigkeit.« Brooklyn seufzte. »Die Ereignisse sollten dich inzwischen eines Besseren belehrt haben. Aber wenn man einer längst antiquierten Anschauung huldigt, die uns in absehbarer Zeit den völligen Zusammenbruch bescheren wird …« »Hör auf!« warf Palo Bow ein. »Es hat keinen Sinn, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Anstatt unsere Zeit damit zu vertun, sollten wir wirklich abwägen.« »Treffender kann man es kaum ausdrücken«, pflichtete Wajsto Kölsch bei. »Wenn ihr mich fragt, meinetwegen gestatten wir es Atlan, mit der SZ‐2 aufzubrechen.« Lyta Kunduran ließ sich schwer in einen Sessel fallen, nachdem sie eben noch unruhig vor den Bildschirmen auf und ab gelaufen war. »Und warum ausgerechnet er?« brauste Curie van Herling auf. »Wenn jemand den Ruhm einstreicht, dann einer von uns.« »Ich habe genug gehört«, ließ Chart Deccon sich wieder vernehmen. »Leider jedoch nichts, was mir die Entscheidung
erleichtern würde. Einige von euch drücken sich mit Phrasen um eine konkrete Aussage herum.« »Wie Lyta, habe auch ich nichts einzuwenden«, sagte Palo Bow. »Was wirst du machen?« »Ich weiß es noch nicht«, sagte der High Sideryt. »Abwarten, bis Atlan sich wieder meldet, und Zeit gewinnen.« »Du wirst zustimmen«, behauptete Arjana Joester. »Wahrscheinlich stand deine Entscheidung schon von Anfang an fest. Nur die Rückendeckung, die du dir verschaffen wolltest, konnten wir dir nicht geben. Schade, nicht? Aber wenn du nun ja sagst, trägst du allein das volle Risiko.« Deccon verzog das Gesicht. »Du erfährst meinen Entschluß, wenn es soweit ist – und du wirst ihn akzeptieren wie alle anderen.« Verbittert wandte Deccon sich um, nachdem er die Verbindung unterbrochen hatte. Nach zwei Schritten blieb er stehen und schüttelte leicht den Kopf. Er spürte immer stärkere Zweifel in sich aufsteigen, ob das, was er in der Vergangenheit getan hatte, wirklich richtig gewesen war. * Der Arkonide hatte sich mehr von seinem Besuch bei Deccon versprochen. Andererseits war er auch von SENECA enttäuscht, der ihm offenbar jede Zustimmung verweigerte. Ohne daß Atlan sich dessen zunächst bewußt geworden wäre, führte sein Weg unmittelbar an der Kugelschale aus zwei Meter starken Panzerstahlwänden vorbei, hinter denen die Biopositronik hermetisch abgeriegelt war. Es gab nur zwei Zugänge in deren Inneres, die heute gesperrt waren. In Gedanken versunken, blieb der Arkonide plötzlich stehen. Er sah sich um. Aber niemand folgte ihm. Dieser Teil des Mutterschiffs
schien wie ausgestorben. Du willst mit SENECA reden? Weshalb nicht, gab Atlan in Gedanken zurück. Wenn einer den High Sideryt von der Notwendigkeit meines Vorhabens überzeugen kann, dann er. – Ich habe das Gefühl, daß in Flatterfeld eine weitere Aufgabe unser harrt. Gefühle können oftmals trügen, besonders dann, wenn sie nur aus Vermutungen geboren wurden. Atlan ging weiter, und sein Ziel war nun die Beta‐Zentrale, von der aus jederzeit Anfragen an die Biopositronik gerichtet werden konnten. Wenn er Glück hatte, würde Deccon nicht einmal erfahren, daß er mit SENECA redete. Im Gegensatz zur Alpha‐Zentrale lag dieser Raum außerhalb der Kugelschale. Atlan war überrascht, den Eingang unbewacht vorzufinden. Wahrscheinlich hielt der High Sideryt es nicht für erforderlich, da ohnehin kein Solaner SENECA in irgendeiner Weise beeinflussen konnte. Und wenn hier gestern noch Vystiden oder Pyrriden gestanden hatten, so gab es inzwischen Wichtigeres für sie zu tun. Ein elektronisches Schloß sicherte das Schott. Für den Arkoniden bedeutete es kein ernstzunehmendes Hindernis. Innerhalb weniger Minuten konnte er den Raum betreten, in dem sich kaum etwas verändert hatte. Fast alles war wie früher, und Atlan fühlte sich wehmütig an vergangene Zeiten erinnert. Atlan ließ das Schott hinter sich zugleiten und verriegelte es. Nun konnte er sicher sein, ungestört zu bleiben, selbst wenn sein Eindringen bemerkt worden war. »SENECA«, sagte er nach einer Weile der Ruhe, während er sich über sein weiteres Vorgehen klargeworden war, »ich muß mit dir über Dinge reden, die für die SOL, ihre Besatzung und nicht zuletzt für dich lebenswichtig sind.« Abermals trat Stille ein. Irgendwo flackerte eine Reihe von Kontrollen als einzige erkennbare Reaktion.
Dann, nach mehr als einer Minute, kam die überraschende Frage: »Wer spricht?« »Atlan«, erwiderte der Arkonide schnell. »Ich bin autorisiert.« »Danke.« SENECAS Stimme war wohlklingend und freundlich. Nichts deutete auf die unerklärliche Störung hin, die sich in letzter Zeit immer wieder offenbart hatte. »Ich benötige deine Hilfe«, sagte Atlan. Bevor er weitersprechen konnte, wurde er aber von der Biopositronik unterbrochen. »Im Augenblick ist es mir unmöglich, in den Machtkampf zwischen dir und Chart Deccon einzugreifen.« »Wieso?« platzte der Arkonide überrascht heraus. Er erkannte, daß SENECA trotz seines jüngsten Schweigens die Vorgänge an Bord genau verfolgte. »Ich habe eigene Probleme, die einer Lösung harren«, fuhr die Positronik leise fort. »Du, Atlan, solltest versuchen, wenigstens einige davon aus der Welt zu schaffen. Alle wirst du ohnehin nie lösen können.« »Was für Probleme?« Schweigen. Nur ein leises Raunen erfüllte den Raum. Es war nicht erkennbar, ob diese Geräusche von SENECA stammten oder allein in der Einbildung des Arkoniden existierten. »Kann es sein, daß unsere Interessen einander überlappen?« fragte Atlan schließlich. »Ich weiß keine andere Erklärung für dein seltsames Verhalten. Sage mir, ob es zweckmäßig ist, die nahe Zwerggalaxis, der wir den Namen Flatterfeld gaben, mit einem Teil der SOL zu erkunden. Immerhin geschehen dort Dinge, die unter Umständen eine große Gefahr bedeuten. Nicht nur für ungezählte bewohnte Planeten, sondern auch für uns.« »Denke nach, Atlan«, stieß die Biopositronik kurz hervor. »Wieso?« »Kennst du die Antwort nicht längst selbst?« erklang es verstört. In dieser Hinsicht war SENECA wie ein Mensch; nicht nur, daß seine Stimme völlig normal klang und beinahe eine gewisse Wärme
ausstrahlte, auch Empfindungen vermochte das Plasma auszudrücken. Du weißt nicht, ob du dich deshalb freuen sollst oder ob noch immer eine gesunde Skepsis angebracht ist, bemerkte das Extrahirn. Für den tatsächlichen Zustand der Positronik kann deren Stimme jedoch nur ein unbefriedigender Gradmesser sein. Atlan verzichtete auf eine Erwiderung und sagte statt dessen laut: »Ich hoffte, von dir eine Antwort zuerhalten.« »Nein«, stieß SENECA hastig hervor. »Ich kann sie dir nicht geben. Ich …« Er wurde leiser und brach ab. »Warum nicht? Was hindert dich daran?« »Es – sind – innere Konflikte.« Beinahe weinerlich klang die Stimme. »Du wirst – mich nicht verstehen …« Atlan war verblüfft. »Was bedrückt dich? Vielleicht kann ich dir helfen; zumindest will ich es versuchen.« »Schöne Worte; aber du scheinst wirklich nicht zu wissen, wovon du sprichst.« Meine Güte, dachte Atlan erstaunt. Es dauert nicht lange, und SENECA weint tatsächlich. »Ich stehe zu dem, was ich sage«, rief er aus. »Was muß ich tun?« Doch die Biopositronik schwieg. Sie war durch nichts .mehr zu einer Antwort zu bewegen. Sie kapselte sich ab und ließ Atlan die Ungewißheit, die jetzt bedrückender war als zuvor. Der Arkonide konnte nur Vermutungen über den Grund für dieses Verhalten anstellen. Auch sein Extrasinn schwieg sich aus. War SENECA nicht einverstanden damit, daß er einen Teil der SOL abkoppeln wollte? Überaus nachdenklich geworden, verließ Atlan die Beta‐Zentrale und machte sich auf den Weg zur Unterkunft der Molaaten.
2. Die Nacht vom 15. auf den 16. Oktober war angebrochen. In den Korridoren und Gängen der SZ‐1 brannte nur eine spärliche Beleuchtung. Vor kurzem noch von hektischer Betriebsamkeit beherrscht, kehrte nach und nach Ruhe ein. Viele Solaner waren erschöpft von der Arbeit des Tages. Sie hatten ihr Bestes gegeben, um aus dem Schiff wieder das zu machen, was es einmal gewesen war. Verdreckte Decks, Berge von Unrat und Gerumpel, die man gedankenlos aufgetürmt hatte … all dem galt nun der Eifer der zu neuen Initiativen angespornten Menschen. Auch die Bordmutanten, soweit sie zwischenzeitlich in die Gemeinschaft integriert waren, packten kräftig mit an. Vereinzelt waren noch Unermüdliche am Werk, um Arbeiten abzuschließen, die keinen Aufschub duldeten, oder um ganz einfach zu beweisen, daß sie schneller waren als andere, die möglicherweise fünf oder sechs Hauptdecks tiefer dasselbe Problem zu bewältigen hatten. Gruppen, deren Einflußbereiche einander schon immer berührt und dadurch Anlaß zu Zwistigkeiten gegeben hatten, versuchten sich nun im offenen, durchaus friedlichen Wettstreit. So auch auf den Ebenen unterhalb der Hauptzentrale. Hier lagen Farmen, die einen Großteil der SZ‐1 mit Nahrungsmitteln versorgt hatten. An ihrer Stelle waren echte hydroponische Anlagen im Entstehen begriffen, während die weitflächigen Anbaugebiete, die wirklichen Feldern ähnelten, Zug um Zug verschwanden. Helle Scheinwerferbatterien beleuchteten ein Areal von mehreren zehntausend Quadratmetern. Männer, Frauen und sogar Kinder waren bemüht, Schicht um Schicht der Bodenbedeckung abzutragen, um Platz zu machen für effektivere Arten der Nahrungsmittelgewinnung. Auf einer kniehohen Schicht aus Plastikschaum, der den Wurzeln sämtlicher Pflanzen den für ihre Entwicklung nötigen Halt verschaffte und nach unten keine Flüssigkeit durchsickern ließ,
schwammen noch die Reste ursprünglicher Nährlösungen. Darüber lag, je nach Art der gezüchteten Gemüse und des sonstigen Grüns verschieden, Sand oder Erde – beides reichlich durchnäßt. Jemand hatte zwei Antigravplattformen aufgetrieben, auf denen nun organische und anorganische Substanzen getrennt verladen wurden. Der Plastikschaum konnte nach entsprechender Reinigung jederzeit zu Flocken verarbeitet werden, die dann in den neuen Tanks als Unterboden für die Nährlösungen dienten, in denen ertragreichere Ernten zu erzielen waren. Dieses Verfahren hatte sich inzwischen an Bord der SOL bewährt, und man ging dazu über, es allgemein anzuwenden. Hank Milium bediente eine der beiden Antigravplattformen. Als ehemaliger Rostjäger verstand er es ausgezeichnet, damit umzugehen. Die Brüder der sechsten Wertigkeit hatten ihn als Heranwachsenden seinen Pflegeeltern abgekauft. Zehn oder zwölf Jahre lag das inzwischen zurück, Hank wußte es nicht so genau, und es interessierte ihn auch herzlich wenig. Da das Leben als Mitglied der SOLAG nicht nach seinem Geschmack war, hatte er die erste sich bietende Möglichkeit genutzt, unbemerkt zu seinen Leuten zurückzukehren. Das war während der letzten Ereignisse um Osath gewesen, und die weitere Entwicklung hatte ihm bewiesen, daß er diesen Entschluß nicht zu bereuen brauchte. Die Ferraten kümmerten sich nicht um ihn. Wahrscheinlich nahmen sie an, Phanos hätten ihn auf ihren Planeten verschleppt. Hank Milium besaß sogar eine Waffe – ein langes Vibratormesser, das er verborgen unter seinem Hemd trug. Denn lieber würde er kämpfen, als sich wieder dem alten Zwang unterzuordnen. Er war müde und hätte eigentlich schon vor Stunden eine längere Ruhepause einlegen sollen. Doch das zählte für ihn nicht, denn die Arbeit machte ihm Spaß. Auf dem Rückweg von einem der in den Außenbezirken gelegenen Lagerräume beschleunigte er sein Gefährt beinahe bis auf Höchstwerte und jagte durch die verlassenen Hauptkorridore.
Die neu erlangte Freiheit war berauschend. Zum erstenmal in seinem Leben glaubte Hank Milium, wirklich tun und lassen zu können, was er wollte. Im Lastenantigravlift schwebte die Plattform nach oben – viel zu langsam für jemanden, der nichts als Ungeduld verspürte. Endlich konnte Hank den Antrieb wieder aktivieren. Das leise Summen, mit dem das Prallfeld arbeitete, war Musik in seinen Ohren. Der Gang beschrieb eine Biegung, dennoch wurde die Plattform nicht langsamer. Im nächsten Moment erkannte Hank einen Mann vor sich, der mitten auf dem stilliegenden Transportband lief. Dieser wurde ebenfalls aufmerksam, wandte sich um und – erstarrte. »Weg!« brüllte Milium. »Geh aus dem Weg!« Vielleicht noch zwanzig Meter trennten sie voneinander. Der andere schien zu begreifen, sein Gesicht verzerrte sich. Er stieß einen heiseren Aufschrei aus und hastete zur Seite. Aber das würde nicht genügen, denn das Fahrzeug nahm hier nahezu die gesamte Gangbreite ein. Hank erkannte dies, kaum daß der Mann den ersten Schritt getan hatte. Ihm blieb keine Zeit, um nachzudenken. Rein instinktiv schlug er auf die Sensortasten des kleinen Kontrollpults, verstärkte das Prallfeld und riß gleichzeitig die Plattform hoch. Hart stieß sie gegen die rechte Wand, schrammte kreischend einige Meter weit daran entlang und begann zu schlingern. Hank hatte genug damit zu tun, den heftigen Stoß abzufangen, der ihn beinahe von den Beinen riß. Noch einmal bäumte das Gefährt sich auf, vollführte einen zweiten Sprung, der es bis dicht unter die Decke brachte und schlug dann auf den Boden. Wimmernd erstarb der Antrieb, während eine wütende Schimpftirade laut wurde. Nur um Haaresbreite war der Mann einem folgenschweren Zusammenprall entgangen, indem er sich flach auf den Boden warf. Jetzt rappelte er sich bereits wieder auf, bemüht, seine in Unordnung geratene Kleidung zu glätten.
Hank, der mit weichen Knien von der Plattform herabsprang, wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte. In einer weniger ernsten Situation wäre er vielleicht lauthals herausgeplatzt. So aber breitete er nur die Arme aus und murmelte: »Es tut mir leid!« »Davon habe ich nichts«, schimpfte sein Gegenüber und wischte pedantisch einige Stäubchen von seinen Schultern. »Ich sollte dich …« Flüchtig hatte es den Anschein, er würde eine Waffe unter seiner Kombination hervorziehen, und Hank versteifte sich innerlich – aber dann kam die Hand, die blitzschnell unter den Magnetsaum gefahren war, leer wieder zum Vorschein. Milium unterzog den Mann einer näheren Musterung. Sein Alter war schwer zu schätzen: vierzig, möglicherweise sogar fünfzig. Das Gesicht wirkte hart. Nicht nur die vorstehenden Wangenknochen und die tief eingegrabenen Falten über der Nasenwurzel waren es, die diesen Eindruck entstehen ließen, sondern auch die grauen, stechenden Augen. Mit einem gereizten Knurren reagierte er auf Hanks fordernden Blick. »Warum starrst du mich so an?« Seine Stimme war leise und klirrend wie Eis. »Ich weiß nicht«, erwiderte Milium wahrheitsgemäß. Von dem Mann ging etwas aus, das er sich nicht erklären konnte. »Wo hast du gelernt, mit kostbaren Geräten so umzugehen?« Der Spott war unüberhörbar, und das brachte Hank wieder auf andere Gedanken. »Faß mit an«, sagte er und wandte sich der Antigravplattform zu. »Wer bist du überhaupt?« »Nenne mich Logan.« »Das werde ich. Hier nimm die Abdeckung. Ich denke, der Umwandler hat den Schlag nicht vertragen. Wir werden es gleich sehen.« »Du kennst dich mit dem Antigrav aus?« »Sicher. Übrigens, du kannst Hank zu mir sagen. Woher kommst du? Du siehst nicht gerade aus, als wärst du ein Farmer.«
»Das erkennt man?« »Deine ganze Art, Logan. Du bist einer von den Besseren, oder?« »Wenn du meinst …« »Sicher. Da, die vermaledeite Verteilerplatte ist gestört.« Hank zog einen Steckkontakt hervor und ließ ihn in einer Tasche seiner Kombination verschwinden. »Der Defekt läßt sich überbrücken, allerdings ist die Plattform dann kaum noch schneller als ich zu Fuß.« »Macht nichts. Hauptsache, wir kommen überhaupt voran.« »Wir?« machte Hank verblüfft. »Selbstverständlich«, nickte Logan. »Ich suche Arbeit, und ich glaube, du kannst mir welche verschaffen.« »Hm, meinetwegen. Steig auf.« Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander. Hank Milium fühlte sich unbehaglich in der Gegenwart des anderen. Aber er ließ es sich nicht anmerken. »In den letzten Tagen wurde viel geschafft«, sagte Logan unvermittelt. Hank nickte. »Jetzt herrschen andere Verhältnisse an Bord.« »Andere? Nur die Lebensqualität hat sich gebessert. Aber solange die …« Milium biß sich auf die Unterlippe und starrte wieder stur geradeaus. »Sprich ruhig weiter«, grinste Logan. »Du meinst die SOLAG, nicht?« »Manchmal haben selbst die Wände Ohren. Ich will niemanden herausfordern.« »Du klingst wie jemand, der schlechte Erfahrungen gemacht hat.« Hank Milium zuckte die Schultern. »Mir gegenüber brauchst du nicht schweigsam zu sein«, fuhr Logan fort. »Man mag alles über mich sagen können, aber keinesfalls, daß ich nachtragend sei. Ich glaube, ich kann dich sogar sehr gut verstehen. Immerhin geht es mir ähnlich.« »Meinst du …«
»Seit ich den Namen Atlan zum erstenmal gehört habe.« Hank wandte sich kurz zu seinem Begleiter um. »Weißt du mehr?« »Leider nur das, wovon jeder spricht. Der High Sideryt scheint einen schweren Stand zu haben.« »Ja, Atlan hat innerhalb kürzester Zeit viel erreicht. Die Solaner hungern nicht mehr, es gibt wieder Kleidung, wenn auch noch nicht in ausreichender Menge. Aber man sieht wenigstens, daß etwas geschieht. Vor wenigen Monaten hätte es das niemals gegeben.« »Du hältst die SOLAG für unfähig.« »So kraß würde ich es nicht ausdrücken. Auf jeden Fall haben die Magniden und der Bruder ohne Wertigkeit keine Ahnung, wie es dort aussieht, wo die Solaner in engen, schmutzigen Quartieren leben. Sie können aus dem Vollen schöpfen, was kümmert sie da die Not der anderen.« »Atlan gehört jetzt zu ihnen.« »Aber er legt auf seinen Status keinen Wert.« »Kennst du ihn? Weißt du, wie ein Mensch sich verwandelt, wenn er zum Magniden erhoben wird?« »Atlan als Bruder der ersten Wertigkeit – ist das wirklich wahr?« »Es gehen Gerüchte um.« »Nicht bei den Farmern. Sie haben Vertrauen zu ihm.« »Du vergißt die Schlappe, die der Arkonide auf Chail erlitten haben soll. Das hat seinem Ansehen großen Schaden zugefügt.« »Ach.« Hank Milium vollführte eine abwürfige Geste. »Niemand hat eine Ahnung, was wirklich geschehen ist. Der High Sideryt läßt Propaganda machen, um einen unbequemen Mahner loszuwerden, so sehe ich es. Und du? Bist du nun für oder gegen Atlan? Mir scheint, du bist überaus wankelmütig.« Logan wurde einer Antwort enthoben, weil sie ihr Ziel erreicht hatten: eine weitläufige Halle, in der noch immer eifrig gearbeitet wurde. Im Hintergrund zeichneten sich schon die ersten Algentanks ab.
»Hier kannst du beweisen, daß du nicht nur mit Worten eine Veränderung willst«, meinte Hank. Er winkte einem der Männer, die in der Nähe damit beschäftigt waren, den Boden abzutragen. »Mircas, das ist Logan«, sagte er. »Nimm dich seiner an und zeige ihm, was er zu tun hat.« Der mit Mircas Angesprochene zeigte ein Grinsen. »Jeder ist uns recht, der zupacken kann. Komm mit.« Hank Milium hörte noch, daß sein nächtlicher Begleiter abermals das Gespräch auf Atlan brachte, dachte sich aber nichts dabei. * Mit bloßem Auge war von Flatterfeld nicht viel mehr als ein verschwommener milchiger Fleck in der endlosen Schwärze des Alls auszumachen. »Dort draußen liegt unsere Bestimmung.« Dieter Machon stand am Rand der geöffneten Hangarschleuse und vollführte eine umfassende Handbewegung. »Das ist es, was unsere Vorfahren vor über zweihundert Jahren erreichen wollten. Ihre Sehnsucht galt dem Leben zwischen den Sternen – und wahrlich, dieser Anblick belohnt alle Mühe.« »Was ist besonderes daran?« Die leise Stimme in seinem Helmlautsprecher veranlaßte Dieter, sich umzudrehen. Norgad stand mehrere Meter hinter ihm; ihn schien das alles nicht sonderlich zu bewegen. »Kannst oder willst du nicht begreifen? Der Weltraum, unendlich in seiner Ausdehnung und doch gleichzeitig begrenzt, ist er nicht das Symbol unserer Existenz? Geburt, Vergänglichkeit und Wiedererstehung liegen hier eng beieinander, obwohl solche Vorgänge Jahrmillionen umfassen.« »Mit uns hat das kaum zu tun.« »Dave, du enttäuscht mich. Wie kann man angesichts der
Unendlichkeit so ruhig bleiben? Ich würde die Hälfte meines Lebens opfern, könnte ich wie ein Buhrlo dort draußen schweben. Sie benötigen keinen Raumanzug, keine künstliche Hülle, die Träume und Sehnsüchte einschließt.« »Wann bist du zum Philosophen geworden?« Dieter Machon stutzte. Am Tonfall seines Freundes war etwas, das ihm nicht recht gefiel. Dave Norgad schien sich über ihn lustig zu machen, und das wiederum hatte er überhaupt nicht gern. Allerdings verbiß er sich die rauhe Bemerkung, die ihm schon auf der Zunge lag, denn vor ihm, scheinbar zum Greifen nahe, schien ein neuer Stern aufzuflammen. »Das muß sie sein.« »Wird auch höchste Zeit«, brummte Norgad. »Ich habe keine Lust, länger hier herumzustehen. Komm zur Seite.« Aber Machon schüttelte den Kopf. »Sie ist noch weit entfernt. Was ich gesehen habe, waren die Emissionen der ersten Korrekturschübe.« Wieder starrte er in die Schwärze hinaus. Nachdem er einige Einstellungen an seinem Funkempfänger geändert hatte, konnte er den Sprechverkehr zwischen der anfliegenden Korvette und der SOL verfolgen. Es war ein mehr oder weniger belangloses Hin und Her mit Koordinaten und Frachtdaten, die einem Unbeteiligten nicht sehr viel sagten. Dieter Machon hielt Ausschau nach dem sechzig Meter durchmessenden Beiboot der SZ‐2, aber es blieb verschwunden. Erst als es noch ungefähr dreitausend Meter entfernt war, flammten Scheinwerfer auf. Die Korvette schwebte schnell herein. Es war das erste Mal, daß Machon die Landung eines Raumschiffs unmittelbar miterlebte. Der Pilot verstand sein Handwerk. Er fuhr die Teleskopstützen erst aus, als er schon halb in den Ringwulsthangar eingeflogen war. Alles geschah in völliger Lautlosigkeit.
Dann, keine zwei Minuten später, setzte die Korvette fast zentimetergenau auf den Markierungen ihres Standplatzes auf. Eine kaum merkliche Erschütterung durchlief den Boden. Das Schleusenschott schloß sich. Dieter Machon erhaschte einen letzten Blick auf den freien Weltraum, dann schritt er langsam auf das Beiboot zu. Wenig später konnte er gefahrlos den Helm zurückschlagen und die Bordluft atmen. »Wieviel werden sie geladen haben?« fragte Norgad. Machon zuckte die Schultern. »Wahrscheinlich ist auch dieses Schiff bis in den letzten Winkel vollgestopft.« Während sich die Bodenschleuse der Korvette öffnete, schwebte von der anderen Seite des Hangars ein kleiner Lastengleiter heran. »Wir bekommen Verstärkung«, bemerkte Dave Norgad zynisch. »Noch ein Unermüdlicher, der sich die Nacht um die Ohren schlägt, nur um einige hundert Bäume rasch auszuladen. Als ob das nicht bis morgen Zeit hätte.« Eine Lautsprecherstimme ertönte: »Achtung, mit der Entladung der unteren Stauräume wird begonnen.« Noch immer ließ sich keiner der 20köpfigen Besatzung sehen. Mächtige Stämme schwebten, von Fesselfeldern gehalten, aus dem Rumpf der Korvette hervor. Es mußte sich um wahre Urwaldriesen gehandelt haben, die ein einzelner Mann längst nicht mehr umfassen konnte. Obwohl sie auf eine einheitliche Länge von fünf Metern gebracht worden waren, haftete ihnen noch immer ein Hauch von Monstrosität an. Dieter Machon schüttelte den Kopf. »Auf einer solchen Welt könnte ich nicht leben«, murmelte er leise. »Man muß sich wie ein Zwerg vorkommen. Und stell dir vor, du siehst immer nur die eine Sonne, um die sich dieser öde Planet dreht.« »Hast du jemals ein Gestirn anders gesehen als über die
Bildschirme?« erwiderte Dave Norgad heftig. »Nein – aber ich fühle die Freiheit. Die SOL ist nirgendwo gebunden, sie kann heute hier sein und morgen schon Lichtjahre weit entfernt. Das ist es, was ich will, alles andere ist mir herzlich egal.« »Vagabunden des Kosmos.« Norgad zuckte die Schultern. »Manchmal frage ich mich, was wir davon haben. Könntest du jemals die SOL verlassen? Nein. Und du wirst es auch nie tun, weil du unbewußt Angst davor empfindest. Die Leere schreckt dich ab, obwohl du sie gleichzeitig liebend gern durchmessen würdest. Der Mensch ist nicht für das geschaffen, was du dir vorstellst, allein die Buhrlos bilden eine Ausnahme. Wir brauchen die schützende Hülle des Raumschiffs wie andere den Himmel ihres Planeten. Wo ist da der Unterschied?« Krachend polterten einige der Stämme auf den Boden des Hangars, als die Fesselfelder erloschen. Der zweite Lastengleiter war inzwischen neben dem Fahrzeug der beiden Männer zum Stillstand gekommen. »He«, wurde eine gereizt klingende Stimme laut, »wollt ihr nicht endlich anfangen?« Dieter Machon drehte sich halb um und musterte den Neuankömmling, der soeben den Gleiter verließ. Er kannte das Gesicht nicht, hatte es zumindest in seiner Gruppe nie zuvor gesehen. »Du wirst es erwarten können«, rief er zurück. »Und wenn nicht?« »Hier liegt bald genug Holz herum, an dem du deine Kräfte austoben kannst.« Eine zweite Ladung schwebte aus der Höhe herab. »Was sollʹs«, brummte Norgad. »Wir haben lange gewartet. Und weg muß das Zeug schließlich ‐je schneller desto besser.« Der Fremde war inzwischen heran und klopfte ihm jovial auf die Schulter.
»Wir werden uns schon vertragen. Immerhin helfen wir Atlan mit unserer Arbeit. Er erwartet bestimmt, daß jeder Solaner zupackt, wo immer es möglich ist.« »Hört man denn nichts anderes mehr?« fuhr Machon auf und musterte den Mann, der fast einen Kopf kleiner war als er. »Bist du auch einer von diesen Weltverbesserern, die der SOL unbedingt eine neue Bestimmung geben wollen?« »Und wenn dem so wäre?« Machon spie aus und begann, nervös auf seiner Unterlippe zu kauen. »Das ist deine Sache. Aber du tust mir schon heute leid. Wie kann man nur so verblendet sein und nicht erkennen, was auf uns zukommt. Dieser Arkonide hilft uns bestimmt nicht aus purer Menschlichkeit. Niemand darf vergessen, daß er einst Rhodans engster Vertrauter war. Er hat nie diesem falschen Leben abgeschworen, das unser Volk in Kriege stürzte und nur noch tiefer in die Abhängigkeit des planeterlgebundenen Daseins. Jetzt ist er wahrscheinlich gekommen, um uns zurückzuholen wie verlorene Kinder.« »Hör nicht auf ihn«, sagte Norgad. »Mit seiner Meinung steht er ziemlich allein da.« Der Fremde lächelte. »Vielleicht hat dein Freund nicht einmal so unrecht.« »Oh«, ließ Machon erstaunt vernehmen. »Du scheinst vernünftiger zu sein als Dave und die anderen.« »Ich versuche nur, realistisch zu denken.« »Eben das ist es. Man sollte sich nicht blenden lassen von schönen Worten und Verbesserungen, die auch die Magniden früher oder später durchgesetzt hätten. Atlans Verdienst ist es, daß einige tausend Solaner nach Osath ausgewandert sind – auf einen Planeten. Kannst du dir überhaupt vorstellen, Dave, was das für die Betroffenen bedeutet, auch wenn sie überwiegend Monster waren oder Bordmutanten, wie man jetzt sagt? Wann sind wir an der
Reihe? Nächste Woche, nächsten Monat vielleicht .. ? Ich weiß so ziemlich, was vor rund zwei Jahrhunderten geschah. Terra‐ Idealisten haben mich darüber aufgeklärt. Sie werden wohl die ersten sein, die dem Arkoniden zujubeln.« »Dann befürwortest du, was der High Sideryt unternimmt?« Der Fremde ließ sich von Machons Hektik nicht anstecken. Nach wie vor sprach er leise und akzentuiert. »Selbstverständlich. Und jeder, der dies nicht tut, ist ein Narr in meinen Augen.« »Darüber könnte man streiten«, murmelte Norgad leise. »Ich denke, wir haben anderes zu tun, als uns über Dinge den Kopf zu zerbrechen, die ohnehin keiner von uns beeinflussen kann.« Machon erwiderte nichts darauf, sondern hielt dem Fremden seine Rechte hin. »Schlag ein, Freund«, sagte er. »Wir werden nicht davor zurückscheuen, unsere Meinung kundzutun. Niemals dürfen wir vergessen, daß der High Sideryt und die Magniden wie wir Solgeborene sind.« In dem Moment, in dem der Mann die ihm dargebotene Hand ergriff, ließ Norgad einen erschreckten Ausruf hören. Durch die rasche Bewegung klaffte die Kombination des Fremden leicht auf. Dave war erstaunt, darunter hellblauen, wallenden Stoff erkennen zu können. Und nicht nur das … Sein Gegenüber trug ein bronzefarbenes Atomsymbol. »Verräter!« stieß Norgad hervor. Die Haltung des Mannes versteifte sich ruckartig. Machon, der in diesem Augenblick nicht verstand, was geschehen war, wirbelte herum. »Da ist einiges faul«, klagte Dave an. »Wie kommst du an das Abzeichen der Ahlnaten?« Schweigen antwortete ihm, das seine Vermutung bestätigte. »Dann ist es, wie ich geahnt habe. Der Bruder ohne Wertigkeit läßt
Stimmung machen. Fürchtet er, es könnte ihm an den Kragen gehen?« Aus dem Stand sprang Norgad den Ahlnaten an. Doch schien dieser den Angriff vorausgesehen zu haben und wich blitzschnell zur Seite. Plötzlich hielt er einen Paralysator in der Hand. Er löste die Waffe aus, als Dave ihn mit geballten Fäusten anging. Sofort wandte er sich dann Machon zu und bedrohte ihn ebenfalls. »Bleib stehen, wo du bist, oder ich muß auch dich niederschießen.« Der Bruder der dritten Wertigkeit zog sich langsam zurück. Wenige Minuten später hatte er mit seinem Lastengleiter den Hangar verlassen. Dave Norgad litt noch nach Stunden an den Folgen des Lähmschusses aus nächster Nähe. Was geschehen war, hatte ihn in seiner Meinung bestärkt und Machon zumindest nachdenklich werden lassen. Für die Menschen und Extras an Bord der SOL brach ein neuer Tag an. Sie hatten sich schnell an das Neue, das Angenehme gewöhnt, das ihr bisheriges Leben mitunter recht einschneidend veränderte. Fast niemand trauerte Vergangenem nach. Eine hektische Betriebsamkeit war kennzeichnend für die derzeitige Lage an Bord des Fernraumschiffs. Mitunter sah man nicht nur Solaner, sondern auch SOLAG‐Leute Seite an Seite mit Bordmutanten und Fremdwesen. Wo mehrere Menschen zusammen waren, gab es meist nur ein Gesprächsthema, einen Namen, um den alles sich drehte: Atlan! Man sprach mit Achtung von dem Arkoniden, aber auch andere Töne klangen an, von deutlicher Zurückhaltung über eine gesunde Skepsis bis hin zum klar geäußerten Mißtrauen. In beschränktem Umfang stand die SOL nun immerhin für alle offen. Manche nutzten dies, um ihre Neugierde zu befriedigen. Sie, die bisher nicht über einen eng abgegrenzten Bereich hinauskamen,
erfuhren allmählich, welche Ausdehnung das Raumschiff besaß, das sie sicher durch die Unendlichkeit brachte. »Atlan hat ein Ziel«, wußte mancher zu berichten. »Ein Raumsektor namens Varnhagher‐Ghynnst.« Aber auf die Frage »Was erwartet uns dort?« hatte jeder nur ein Schulterzucken. »Fest steht, daß Aktionen wie die geplante den Wiederaufbau nicht nur unserer Fabrikationsanlagen erheblich verzögern.« Der Mann, der auf der SZ‐2 immer mehr Zuhörer um sich scharte und sie zu widersprüchlichen Äußerungen geradezu herausforderte, war von unbestimmbarem Alter. Sein aufgedunsenes Gesicht wurde von einem dicken grauen Vollbart umrahmt, der dunkle, fast schwarze Strähnen aufwies. Er war von massiger Gestalt, ein Hüne von einem Mann, der mit grollender Stimme redete. Sein schütteres Haupthaar hing ihm wirr in die Stirn und minderte auf diese Weise den stechenden Ausdruck seiner Augen. »Wir haben warten gelernt«, rief jemand. »Weshalb sollten wir plötzlich alles haben wollen?« »Sehr richtig«, pflichtete ein anderer bei. »Ich habe nichts dagegen einzuwenden, wenn die SOL ein Ziel erhält.« Der Bärtige schüttelte den Kopf. »Haben wir nicht erst vor kurzem erlebt, was geschehen kann, falls wir in Kontakt zu anderen Völkern kommen? Mausefalle VII und Chail waren doch deutliche Beispiele.« »Und die Zustände an Bord; die Angst, die man Tag für Tag empfand; der Hunger, von dem wohl nur die SOLAG verschont blieb – hast du bereits vergessen, wem wir es zu verdanken haben, daß all dies besser geworden ist? Ich finde, wir müssen gerade jetzt zusammenhalten und dem den Rücken stärken, der uns geholfen hat.« »Ich glaube nicht, daß Atlan es ehrlich meint. Wieso sollte er sonst mit der SZ‐2 aufbrechen wollen, wenn nicht, um sich in Sicherheit zu bringen?«
»Mit nur einer Zelle …?« Der Sprecher nickte. * »Du irrst dich – das kann nicht möglich sein.« »Ich weiß, was ich gehört habe. Die SOL läßt sich teilen.« In dem folgenden Durcheinander war es schwer, sein eigenes Wort zu verstehen. Jeder schien die anderen an Lautstärke übertreffen zu wollen. Nur derjenige, der dieses Durcheinander angestiftet hatte, blieb stumm. Das spöttische Grinsen in seinem Gesicht konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß er ein überaus genauer Beobachter war, dem keine Regung der Solaner entging. Nach einer Weile schien er allerdings genug gehört zu haben, denn er begann sich langsam zurückzuziehen. »Du«, rief ihm jemand hinterher. »Warte!« Der Bärtige blieb stehen, während die heftige Diskussion abebbte. »Du sprichst Dinge gelassen aus, von denen selbst die SOLAG keine Ahnung zu haben scheint.« »Ich verstehe euch nicht«, platzte ein junges Mädchen heraus, das kaum älter als zwanzig war. »Es ist doch nur logisch, daß beide Kugeln jeweils ein in sich geschlossenes Lebenserhaltungssystem bergen. Folglich muß jede Zelle ein eigenes Raumschiff darstellen und die Verbindung zwischen ihnen ebenfalls.« »Glaubst du diesen Unsinn?« wurde ihr entgegengehalten. Sie nickte heftig. »Ich bin keineswegs die einzige, die sich damit befaßt. Wenn wir eines Tages, der hoffentlich nicht mehr fern ist, zur Erde zurückkehren …« »Eine Terra‐Idealistin«, stöhnte mancher. »Keiner von uns will auf einem Planeten leben.«
»Merkt ihr denn nicht was hier gespielt wird?« Eine ältere Frau reckte drohend die Fäuste empor. »Die beiden gehören zusammen.« »Irgendwie kommt er mir bekannt vor«, sagte der Mann, der den Bärtigen vorhin zurückgehalten hatte. »Mir ist, als hätte ich ihn schon einmal gesehen. Normalerweise kann ich mich auf mein Personengedächtnis verlassen.« »Du hast recht«, kam es aus der Menge. »Diese Augen sind unverkennbar.« Einige der Umstehenden nahmen drohende Haltungen an. Sie fühlten sich verunsichert. »Was verbirgst du unter deiner Kombination?« wurde der über 1,90 Meter große Hüne plötzlich gefragt. »Es sieht aus wie ein kleines Kästchen.« Bevor er reagieren konnte, griffen zwei Hände zu. Er stieß den Mann zurück, der ihm auf diese Weise zu nahe getreten war. Doch der schien keineswegs gewillt, klein beizugeben, sondern warf sich sofort wieder nach vorn. Seine Rechte fuhr in den dichten Vollbart … Ein wütender Aufschrei. Der Angegriffene ließ seine Fäuste vorschnellen. Aber als der Solaner ächzend in die Knie ging, hingen zwischen seinen Fingern Büschel ausgerissener falscher Haare. »Bei allen Raumgeistern … der High Sideryt.« Einige erkannten den Bärtigen schlagartig, wußten plötzlich, weshalb sein Konterfei ihnen vertraut erschienen war. In den vergangenen Tagen hatten sie ihn oft auf den Schirmen zu sehen bekommen. Chart Deccon wartete nicht, wie die Stimmung umschlagen würde. Er warf sich herum, bahnte sich mühelos einen Weg durch die Umstehenden, die noch zu keiner Reaktion fähig waren, und eilte davon. Er hatte bereits die nächste Biegung des Korridors erreicht, als es hinter ihm laut wurde. »Haltet ihn auf!«
Hastige Schritte folgten dem High Sideryt. Doch er kannte sein Schiff besser als jeder andere und war gleich darauf für die Verfolger spurlos verschwunden. 3. Stunden später weilte Chart Deccon wieder in seiner Klause. Der Vorfall hatte ihn tiefer getroffen, als er es sich eingestehen wollte. Wenn er früher mit Solanern geredet hatte, war er stets unerkannt geblieben. Aber die Zeiten hatten sich eben geändert, und die Vorzeichen waren inzwischen andere. Deccon hatte dies mehrfach erkennen müssen. Von einer seltsamen inneren Müdigkeit erfüllt, fragte er sich, ob nicht alles eine Farce war. Die Entwicklung, einmal in Gang gesetzt, ließ sich kaum noch aufhalten. Wollte er das überhaupt? Chart Deccon wußte es selbst nicht. Selten zuvor hatte er sich so schlecht zu etwas entschließen können. Das Summen des Interkoms schreckte ihn aus seinen Gedanken auf – wie schon mehrere Male während der letzten halben Stunde. Es war jetzt kurz nach 13:00 Uhr Bordzeit, bald sollten alle sich gemeldet haben, die in seinem Auftrag unterwegs waren. Der Bildschirm blieb dunkel, als Deccon das Gespräch entgegennahm. »Logan«, meldete sich eine leise Stimme. »Mein Bericht betrifft die SZ‐1.« »Ich höre.« Der High Sideryt schaltete auf Aufzeichnung, um das Gesagte später jederzeit wieder abrufen zu können. Aber wahrscheinlich würde es dessen nicht bedürfen. Schon jetzt zeichnete sich der Trend ab, den er insgeheim befürchtet hatte. Seine Absicht war es gewesen, ein repräsentatives Stimmungsbild der Menschen in allen Teilen der SOL zu erstellen. Er war selbst
unterwegs gewesen und hatte außerdem zwölf Ahlnaten, denen er bedingungslos vertrauen konnte, damit beauftragt, unauffällig die Lage zu sondieren. Keiner der Brüder und Schwestern der dritten Wertigkeit würde je das Ergebnis erfahren. Deccon hatte außerdem dafür gesorgt, daß sie nicht voneinander wußten. Er wollte die Erkenntnis für sich allein. Selbst die Magniden waren in dieser Hinsicht ahnungslos. Das Resultat allerdings fiel wenig erfreulich aus. Etwa 40 Prozent aller Solaner befürworteten Atlans Aktivitäten, nur 20 Prozent die des High Sideryt und der übrigen Schiffsführung. Alle anderen hatten sich in ihrer Meinung schwankend gezeigt. Trotzdem wußten sie die Annehmlichkeiten des neuen Lebens zu schätzen, was letztlich ausschlaggebend sein mochte. Für Chart Deccon bestanden keine Zweifel, daß der Arkonide schon bald mehr als die Hälfte der Solaner auf seiner Seite haben würde. Es hatte so kommen müssen. Womöglich war Atlan wirklich derjenige, der es besser verstand, die Geschicke der SOL zu lenken. Die Erfolge, die er bis jetzt erzielt hatte, schienen ihm recht zu geben. »Was sollʹs«, brummte Deccon schließlich aufgebracht vor sich hin. »Niemandem ist geholfen, wenn wir aneinander vorbei reden. Er soll es mir selbst sagen, und einer von uns wird sich eben mit der Wahrheit abfinden müssen.« Er stellte eine Verbindung zur Kabine des Arkoniden her. Wenn es ihn überraschte, daß Atlan zu dieser Zeit anwesend war, so ließ er sich nichts anmerken. »Ich muß mit dir reden«, sagte Deccon. »Unter vier Augen.« Atlan nickte nur kurz. »Gut«, fuhr Deccon fort. »Dann erwarte ich dich in zwei Stunden in meiner Klause.« »Ich werde pünktlich sein«, versprach der Arkonide. Nachdem er die Verbindung wieder unterbrochen hatte, ließ der
High Sideryt sich seufzend in seinen Sessel fallen. Er schloß die Augen und dachte an all das, was ihn bewegte. * Chart Deccon saß noch genauso da, als der Arkonide vom Hauptkorridor her die Klause betrat. Ein Ausdruck angespannter Erwartung lag auf seinen Zügen, und er winkte Atlan zu sich heran, ohne ihm jedoch einen Platz anzubieten. »Lange Reden führen zu nichts und stiften nur Verwirrung«, sagte er. »Wann also gedenkst du, das Amt des High Sideryt zu übernehmen?« Atlans Blick suchte den seinen. Deccon fühlte förmlich die Überraschung des Arkoniden. »Nie!« Die Antwort verblüffte Deccon seinerseits. »Ich sagte bereits vor kurzem, daß ich kein Interesse habe. Als High Sideryt kann ich meine Aufgabe nicht erfüllen, jedenfalls nicht so, wie es vielleicht von mir erwartet wird.« Deccon wollte darauf etwas erwidern, doch Atlan schnitt ihm das Wort mit einer heftigen Handbewegung ab. »Du hast mich direkt gefragt, und ich will dir klar und unmißverständlich antworten. Die Schiffsführung braucht tatkräftige Leute. Ich zweifle nicht daran, daß du der geeignete Mann wärst, würdest du nur endlich von deinen diktatorischen Maßnahmen mit der Struktur der SOLAG ablassen.« »Das ist wirklich deine Meinung?« »Ich stehe zu dem, was ich sage.« Auf den gezielten Seitenhieb hinsichtlich der SOLAG reagierte Deccon nicht. Als ihm auffiel, daß Atlan versuchte, in seiner Mimik zu lesen, reagierte er mit einem spöttischen Grinsen. Der Arkonide lächelte flüchtig.
»Wir könnten uns besser verstehen …« »Sicher.« »Es geht mir nicht darum, gewachsene Traditionen abzuschaffen – nur um mehr Menschlichkeit an Bord, auch vor allem gegenüber Andersdenkenden und Angehörigen von Fremd‐Völkern.« »Diese Entwicklung ist bereits im Gang«, sagte Deccon. »Sie wird sich nicht mehr aufhalten lassen; im Grunde genommen will ich es auch nicht. Ich bin sogar froh darüber, endlich wirklich geordnete Zustände anzutreffen. Nur – wie stellst du dir die künftige Rollenverteilung vor. Wer bestimmt, welche Ziele die SOL anfliegt, wo sie verweilt? Einer allein oder die Mehrheit der Magniden? Ich nehme an, du willst dich auch nicht als Bruder der ersten Wertigkeit bezeichnen, obwohl du praktisch einer der Ihren bist.« »Es ist gut, daß du darauf zu sprechen kommst.« Atlan sah sich nach einer Sitzgelegenheit um und ließ sich dann an einem kleinen Tischchen nieder. Überraschenderweise stand Chart Deccon auf und setzte sich ihm gegenüber. »Wir sollten uns endlich über unsere Beziehungen zueinander klar werden.« »Du kennst meine Ziele«, fuhr Atlan fort. »Für mich geht es in erster Linie darum, einen Auftrag zu erfüllen. Ich werde versuchen, einen bestimmten Raumsektor anzufliegen, um dort eine Fracht aufzunehmen. Die SOL erhält damit ein Ziel, was letztlich auch deinen Wünschen entgegenkommen dürfte.« »Wenn diese Aufgabe erfüllt ist, was geschieht dann?« »Diese Aufgabe benötigt eine lange Zeit. Wahrscheinlich können die Solaner danach über ihr weiteres Schicksal selbst bestimmen.« »Wie schon einmal …?« »Nur mit dem Unterschied, daß jeder aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben dürfte und daß Ähnliches kaum wieder vorkommen wird.« »Also entscheidet die Masse.« »Nur wenn es um solch schwerwiegende Dinge geht wie die
Zukunft aller. Selbstverständlich soll der High Sideryt auch weiterhin der Kommandant der SOL bleiben, der jeweils seinen Nachfolger selbst bestimmen und in einem geheimen Speicher SENECAs festlegen kann.« »Das habe ich schon getan«, ließ Deccon wissen. »Um so besser. Was mir vorschwebt, ist die Rolle eines beratenden Gastes an Bord oder auch die eines Freundes, der alle Bemühungen, das Schiff einer sinnvollen Verwendung zuzuführen, in jeder Hinsicht unterstützt. Mir geht es wirklich nicht um die Kommandogewalt.« »Das kommt ein wenig überraschend für mich. Ich werde darüber nachdenken.« Chart Deccon war noch immer argwöhnisch, zweifellos brauchte er Zeit, um seine bisherige Einstellung neu zu überdenken. Aber sein Verstand sagte ihm schon jetzt, daß die vorgeschlagene Lösung für beide Seiten sicherlich die beste war, wenngleich sie weitere Reibereien und Meinungsverschiedenheiten nicht ausschloß. Doch welcher Kompromiß konnte das überhaupt? »Versuchen wir es miteinander …« Atlan streckte ihm die Hand entgegen. Deccon zögerte einen kurzen Moment, bevor er einschlug. Für eine Weile glaubte jeder zu spüren, daß der andere es ehrlich meinte. Sie wußten, daß damit der Anfang für ein besseres gegenseitiges Verständnis gemacht war. »Ich denke, das ist nicht alles, was du von mir erwartest«, meinte der High Sideryt schließlich. »Ja. Ich beabsichtige nach wie vor, mit der SZ‐2 Flatterfeld anzufliegen.« »Selbst diese Kleingalaxis ist groß genug, daß du mit Sicherheit monatelang unterwegs sein würdest.« »Ich habe ein Ziel, Chart. Jenen Ort, den die Molaatin Sanny aus Chybrains merkwürdigem Hinweis berechnet hat.« »Bleibt mir eine andere Wahl, als zuzustimmen?«
»So plötzlich«, machte Atlan erstaunt. »Was ist geschehen, daß du deine Meinung innerhalb eines einzigen Tages grundlegend änderst?« »Vielleicht habe ich die Notwendigkeit eines solchen Vorgehens eingesehen.« »Ja«, murmelte Atlan leise, »vielleicht.« Die angespannte Atmosphäre, die zwischen beiden bestanden hatte, wollte noch immer nicht völlig weichen. »Ich kann also über die SZ‐2 verfügen, wie ich es für richtig halte?« »Unter einer Bedingung.« »Die wäre?« »Bringe das Schiff heil zurück. Du übernimmst eine große Verantwortung, immerhin können wir niemals alle Besatzungsmitglieder umquartieren.« »Dessen bin ich mir durchaus bewußt«, sagte Atlan. »Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um jede kriegerische Auseinandersetzung zu vermeiden.« * Nachdem der Arkonide gegangen war, um die nötigen Vorbereitungen einzuleiten, stellte Deccon eine Verbindung zur eigentlichen Zentrale der SOL her. Lyta Kunduran nahm seinen Anruf entgegen. »Atlan wird übermorgen mit der SZ‐2 losfliegen«, sagte der High Sideryt knapp. »Ich habe in sein Vorhaben eingewilligt. Unterrichte die anderen davon. Sie sollen nichts unternehmen, was den Arkoniden in irgendeiner Weise in der Ausführung seines Planes behindern könnte.« »Das habe ich erwartet«, nickte Bit. »Ich bin sogar froh, daß du diese Entscheidung getroffen hast.«
»Sie war alles andere als leicht.« »Das glaube ich dir. Was sagt SENECA dazu?« »Ich habe ihn nicht befragt. Als ich zum erstenmal um Auskunft nachsuchte, schwieg er.« Unvermittelt erschien Curie van Herling im Aufnahmebereich der Bilderfassung. Ihr rundliches, volles Gesicht war noch stärker mit Makeup unterlegt als sonst. »Das kannst du nicht machen«, fauchte sie. »Ich habe mich mit dem Problem beschäftigt, ohne einen einzigen positiven Aspekt daran zu entdecken. Wir sollten Atlan festsetzen, bevor er nicht mehr gutzumachenden Schaden anrichtet.« »Curie«, schnaufte der High Sideryt. »Mein Entschluß steht fest.« »Du hast uns übergangen und vergißt nun, daß die Mehrheit anderer Meinung ist. Wenn du glaubst, das täte nichts zur Sache, irrst du dich gewaltig.« »Es spielt keine Rolle, solange ich der Bruder ohne Wertigkeit bin. Vielleicht habe ich euch in letzter Zeit zuviele Freiheiten gelassen. Das könnte sich jedoch sehr schnell wieder ändern.« Curies schwarze Augen waren eine einzige stumme Drohung. »Selbstverständlich informiere ich die anderen. Du wirst sehen, Chart, was sie von deinem Handel mit dem Arkoniden halten.« »Weniger Überheblichkeit stünde dir entschieden besser, Schwester«, warf Lyta Kunduran ein. Ihr Tonfall lag irgendwo zwischen bissig und zynisch. »Du solltest es lieber an den Fingern abzählen, wer zu dir hält, bevor du von falschen Tatsachen ausgehst.« Betont langsam wandte die Traditionalistin sich zu der um etliches jüngeren Frau um. »Daß du auf seiner Seite stehst, ist allen klar. Sei nicht so naiv, anzunehmen, es wäre uns entgangen, daß du hinter Chart her bist. Auch wenn du dich in dieser Beziehung gerne als kalt präsentierst.« »Lügnerin«, fuhr Bit auf. »Sobald du erkennst, daß deine Argumente nichts fruchten, wechselst du das Thema. Palo, Ursula,
Brooklyn und ich stehen voll zu Deccon. Sogar Wajsto hat inzwischen erkannt, wie die SOL geführt werden muß. Das sind fünf gegen vier, Atlan noch nicht einmal mit eingerechnet.« Curie van Herling wandte sich abrupt ab. »Ich werde alles veranlassen«, sagte Lyta. »Sonst noch etwas?« »Nein«, erwiderte Deccon. »Ich fühle allerdings, daß es Ärger geben wird.« Damit schaltete er ab. Curies offener Widerstand hatte die Zweifel an seiner Entscheidung erneut aufbrechen lassen, und er verfiel ins Grübeln. Unterschwellig, das mußte Deccon sich eingestehen, hatte er Vertrauen zu Atlan empfunden. Andernfalls hätte er nie gehandelt, wie er es schon vor der letzten Unterredung mit dem Arkoniden getan hatte. »Du willst es nicht anders«, murmelte er leise vor sich hin, während er die direkte Verbindung zu SENECA aktivierte. »Ich hatte mich fast schon damit abgefunden. Aber wenn du wirklich keinen Wert darauf legst …« »Chart Deccon«, meldete sich die Biopositronik mit sanfter Stimme. »Du sprichst den Sonderspeicher an, in dem dein Nachfolger namentlich festgehalten ist. Wünschst du eine Korrektur?« »Man könnte meinen, du wärst voll funktionsfähig«, stellte Deccon überrascht fest. »Warum ist das nicht auch in anderen Bereichen so?« Aber SENECA schwieg. Erkannte er seine Störung nicht oder wollte er lediglich nichts davon wissen? »Also gut«, sagte der High Sideryt. »Lösche den Namen des Arkoniden. Ab sofort ist nicht mehr Atlan als mein Nachfolger vorgesehen, sondern wieder jene Person, deren Daten zuvor gespeichert waren. Bitte bestätige das.« SENECA wiederholte und nannte den betreffenden Namen. Chart Deccon nickte zufrieden.
4. In den späten Nachmittagsstunden des 19. Oktober 3791 löste sich die SZ‐2 vom Mutterschiff und nahm langsam Fahrt auf. Viele Buhrlos wohnten dem Schauspiel bei, das für sie etwas völlig Neues, Atemberaubendes bedeutete. Aus sicherer Entfernung beobachteten sie, wie der zweieinhalb Kilometer durchmessende Koloß mit flammenden Ringwulsttriebwerken in der Unendlichkeit des Leerraums verschwand. Vielen war klar, daß damit eine neue Epoche begonnen hatte, daß die Zeiten unwiederbringlich vorbei waren, in denen die SOL nur manchmal einzelne Sonnensysteme angeflogen hatte, um vor allem Wasser, aber auch Rohstoffe aufzunehmen. Ein Teil der Besatzungsmitglieder sah die Notwendigkeit ein. Auf Dauer konnte selbst eine so eigenständige Zivilisation wie die ihre sich nicht völlig abkapseln. Schon nach wenigen Minuten war die SZ‐2 mit bloßem Auge nicht mehr auszumachen. Das anfängliche Interesse der Solaner legte sich bald wieder. Über Interkom hatte die Schiffsführung bekannt gegeben, wo Atlans Ziel lag. Manch einer wünschte sich, jetzt an Bord der SZ‐2 zu sein. Aber wohl nur der High Sideryt und die Magniden würden in den nächsten 29 Tagen, vielleicht sogar Wochen erfahren, was dort draußen geschah. * Während der Trennung vom Mutterschiff waren alle in der Zentrale versammelt. Atlan hatte darauf verzichtet, das Kommando über die SZ‐2 zu führen, und so war es der Magnide Palo Bow, der in der ihm eigenen Ruhe die Befehle gab. Ihm zur Seite stand Brooklyn.
Beide hatte Chart Deccon in die wichtigsten Teile seiner Unterredung mit dem Arkoniden eingeweiht. »Die Solaner werden erst nach und nach begreifen, was geschieht«, sagte Bow nach einem flüchtigen Blick auf die Bildschirme, die das Mutterschiff in seiner vollen Größe zeigten. »Kaum einer von ihnen dürfte wirklich geahnt haben, daß die SOL aus mehreren Einheiten besteht. Selbst die Ahlnaten wurden von dieser Tatsache überrascht.« Die SZ‐2 flog mit minimalster Beschleunigung. Palo Bow programmierte einen Kurs, der sie in weitem Kreis einmal um die SOL herumführte. Es sollte eine Abschiedsgeste sein. »Die Traditionalisten werden es als Provokation ansehen«, gab Bjo Breiskoll zu verstehen. Der Katzer hatte sich ebenso spontan bereit erklärt, Atlan auf seiner Reise zu begleiten, wie die Zwillinge Sternfeuer und Federspiel und auch Argan U. Joscan Hellmut war zurückgeblieben, um sich weiterhin mit SENECA befassen zu können. Es war klar, daß ihn die rätselhafte Störung der Biopositronik mehr interessierte als ein Flug ins Ungewisse. Zugleich wollte er als Ansprechpartner Atlans auf dem Mutterschiff fungieren. Das technische Personal der SZ‐2 bestand überwiegend aus Ahlnaten und Ferraten. Ihr Ausbildungsstand befand sich auf einem Niveau, das erwarten ließ, daß man mit eventuell auftretenden Schwierigkeiten tatsächlich fertig wurde. Außerdem verfügte die SZ‐2 natürlich über eine eigene Positronik, die zwar bei weitem nicht an SENECAs Fähigkeiten heranreichte, dafür aber funktionsfähig war. »Wie die Traditionalisten es auffassen, ist mir im Augenblick herzlich egal«, erwiderte Palo Bow auf Breiskolls Einwurf. Breckcrown Hayes lachte leise. »Ich kann dich sogar verstehen«, meinte er, »Das Gefühl ist überwältigend, zum erstenmal selbst für ein Raumschiff
verantwortlich zu sein. Da macht es keinen Unterschied, ob es sich nur um eine Space‐Jet oder um einen Kugelriesen handelt.« Hayes, durch seine Einsatzbereitschaft, sein Können und seine Umsicht inzwischen zum Chefpiloten avanciert, verdankte es vor allem diesem Umstand, daß er den Flug der SZ‐2 mitmachen durfte. Die Fähigkeiten eines Emotionauten besaß er allerdings nicht. »Wir sollten die Linearetappen jeweils nicht zu lang wählen«, wandte Atlan sich an den Magniden. »Auf diese Weise gewinnen wir Zeit, um uns mit den Verhältnissen in Flatterfeld ausführlicher zu befassen. Nur dann lassen sich aufschlußreiche Ortungsergebnisse erzielen.« Palo Bow nickte kurz. »Ich schlage einen ersten Orientierungsaustritt im östlichen Bereich von Bumerang vor. Der zweite Flugabschnitt könnte über ungefähr dreißig Lichtjahre führen und uns auf halben Weg zwischen die Galaxis und die vorgelagerte Sternenballung bringen. Eventuelle Störfaktoren und Gravitationseinflüsse dürften in diesem Bereich am geringsten sein.« »Damit bin ich einverstanden«, sagte Atlan. »Über das weitere Vorgehen entscheiden wir an Ort und Stelle.« Zwei Stunden später glitt die SZ‐2 in den Linearraum hinüber. Während der kurzen Flugdauer kam es zu keinerlei Zwischenfällen. Zumindest in den Randgebieten von Bumerang blieb alles ruhig. »Unser Vorhaben verspricht ereignislos zu werden.« Breckcrown Hayes gab sich zuversichtlich. »Du solltest es nicht herausfordern«, erwiderte Bow. »Ganz andere wurden schon eines Besseren belehrt.« Atlan folgte zwar den hin und wieder aufflackernden kurzen Gesprächen, mischte sich aber nie ein. Er hing seinen eigenen Gedanken nach. Es war ruhig an Bord der SZ‐2. Jeder, selbst die Buhrlos, schien der Dinge zu harren, die da kommen würden. Schließlich wurden die zirka 100 Sonnen von Bumerang deutlich
sichtbar. Von einem Augenblick zum anderen riß ihr Widerschein die Hülle des Raumschiffs aus der samtenen Schwärze des Alls. Gleichzeitig, fast auf die Sekunde genau, betrat die Molaatin Sanny die Zentrale. Ihr auf dem Fuß folgten die anderen vier. Aller Augen leuchteten vor angespannter Erwartung. »Wir haben soeben Bumerang erreicht«, sagte Atlan. »Ich weiß«, nickte Sanny lächelnd. »Deshalb sind wir hier.« »Du weißt …« »Es war leicht, die betreffenden Berechnungen vorzunehmen.« Sanny stemmte ihre zierlichen Fäuste in die Hüfte und funkelte Atlan herausfordernd an. »Wir wollen die Sterne sehen. Irgendwo dort leben sicher noch Angehörige unseres Volkes.« »Dann komm!« Der Arkonide bückte sich und nahm die zierliche Paramathematikerin auf den Arm. Sofort schmiegte sie sich an ihn, legte ihre kurzen Ärmchen um seinen Nacken. Bjo Breiskoll, der in der Nähe stand, zwinkerte Atlan kurz zu. Er hatte erkannt, daß die Molaatin Zuneigung empfand. »Gib eine Vergrößerung von Bumerang auf den Hauptschirm«, bat der Arkonide. »Selbstverständlich.« Palo Bows Grinsen hätte anzüglicher kaum sein können. Atlan überging es geflissentlich. Viele der Sonnen mochten Planeten haben, aber das war nicht zu erkennen. Dazu hätte es eines Computerdiagramms bedurft, das sämtliche Ortungsergebnisse in sich vereinte. Sanny spitzte die Lippen. »Nicht wahr, Atlan, du wirst verhindern, daß die Unheimlichen mit ihrer Schattenstation weitere Zerstörungen anrichten. Wir liebten unsere Heimat.« »Ich kann dich nur zu gut verstehen«, erwiderte der Arkonide. »Schon deshalb werde ich es versuchen.« »Du gibst bestimmt dein Möglichstes.« »Was in meiner Macht steht …« Völlig überraschend für Atlan griff die Molaatin mit beiden
Händen nach seinen Schläfen, zog sich auf seinem Arm in die Höhe und hauchte ihm einen Kuß auf die Stirn. Das war ihre Art, danke zu sagen. »So macht ihr Solaner es doch, wenn ihr jemanden gern habt.« wisperte sie, sich gleichzeitig mit der Rechten den dünnen Fellumhang zurechtrückend. »Oder?« Atlan ergriff sie wieder unter den Achseln und hielt sie mit ausgestreckten Armen von sich. Sanny lächelte verlegen. »Hast du das auch berechnet?« wollte er wissen. Sie schüttelte ihren kugelförmigen, haarlosen Kopf. Der Blick ihrer großen, hellblauen Augen ruhte weiter auf ihm. »Diese Erkenntnis beruht ausnahmsweise auf eigenen Beobachtungen«, erklärte sie. »Ich hatte inzwischen genügend Möglichkeiten, das Verhalten von euch Menschen zu studieren.« Um Breiskolls Mundwinkel begann es verhalten zu zucken, selbst Breckcrown Hayes zeigte ein Grinsen. Sternfeuer und Federspiel flüsterten miteinander. Ihren Gesichtern war jedoch anzusehen, was sie dachten. Sanny entging das alles in keiner Weise. »Habe ich etwas falsch gemacht?« fragte sie. »Es täte mir leid.« Tatsächlich wirkte sie ein wenig zerknirscht. »Nein«, sagte Atlan schnell, »es ist alles in Ordnung. Meine Freunde freuen sich nur mit mir.« »Ich freue mich auch«, lächelte Sanny. »Laß mich bitte wieder hinunter.« Das mußte ja geschehen, meldete sich der Extrasinn. Du hast es doch kommen sehen. Machst du dich ebenfalls über mich lustig? gab Atlan lautlos zurück. Daß er keine Antwort erhielt, irritierte ihn. »Ich habe die nächste Linearetappe eingeleitet«, verkündete Palo Bow. »Wenn am Ziel alles in Ordnung ist, sollten wir dort die Ruheperiode abwarten und gleichzeitig weitere Daten sammeln.«
»Einverstanden«, nickte Atlan. »Ich nehme an, Brooklyn führt während dieser Zeit das Kommando.« Die irreguläre Form von Flatterfeld war auch aus relativer Nähe noch gut zu erkennen. Die entlang der längsten Querlinie nur 3.600 Lichtjahre durchmessende Kleingalaxis besaß keinen ausgeprägten Kern und war keinem bekannten Typ zuzuordnen, unter anderem wegen ihrer unregelmäßig verlaufenden, allen Gesetzmäßigkeiten widersprechenden Ausläufer. »Normal‐ und Hyperortung zeigen negative Ergebnisse«, meldete Palo Bow schon kurz nach dem zweiten Linearaustritt. »Von einigen herumschwirrenden Felsbrocken abgesehen, sind wir im Umkreis von zwanzig Lichtjahren allein.« Die nächste Sonne, ein kleines, gelbes Gestirn von nur geringer Helligkeit, stand knapp dreißig Lichtjahre voraus. Die Hyperortung ergab, daß sie über mehrere Planeten verfügte. Hinter der SZ‐2 lag Bumerang und in gerader Verlängerung dieser Linie, um ein Mehrfaches entfernt, die SOL. »Gibt die Energiemessung weitere Aufschlüsse?« wollte Atlan wissen. »Eventuelle Aktivitäten der Ysteronen können nicht unbemerkt bleiben.« Brooklyn, die inzwischen die Schiffsführung übernommen hatte, forderte weitere Auswertungen über die Positronik an. Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie das Ergebnis in Form eines kurzen Datenstreifens vorliegen hatte. Während sie ihn überflog, weiteten sich ihre Augen in sichtlichem Erstaunen. Dann knüllte sie die Folie zusammen und warf sie mit unwilliger Bewegung in den Abfallvernichter. »Das ist unmöglich«, murmelte sie und schickte sich an, eine erneute Auswertung abzurufen. Atlan fiel ihr jedoch in den Arm. »Was?« fragte er. Sie wandte sich langsam zu ihm um. »Bitte«, sagte sie. »Laß mich aus.«
Der Arkonide lockerte seinen Griff zwar, zog die Hand aber nicht ganz zurück. »Ich will die Daten wissen, Brooklyn, auch wenn du sie offensichtlich für falsch hältst.« »Flatterfeld ist hyperenergetisch tot«, stellte die Frau fest. »Selbst aus der unmittelbaren Nähe unseres augenblicklichen Standorts läßt sich keine andere Aussage treffen. Es sei denn, die Meßwerte werden irgendwo auf dem Weg zwischen den Antennen und der Positronik beeinflußt.« »Hm.« »Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?« »In der Tat ergeben sich Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellung.« »Nichts anderes habe ich behauptet«, meinte Brooklyn. »Kann ich nun eine Überprüfung einleiten?« »Es tut mir leid, daß ich dich daran gehindert habe«, sagte der Arkonide. Sie winkte großzügig ab. »Ich habʹs schon vergessen, Atlan. Du dürftest genug Gründe haben, uns Magniden zu mißtrauen.« »Keineswegs allen«, erwiderte er. »Lieber jetzt die Mißverständnisse ausgeräumt als später, wenn es vielleicht darauf ankommt, daß wir uns sofort verstehen.« Die zweite Auswertung lag vor. Brooklyn nahm den Streifen, überflog ihn flüchtig und reichte ihn dann an Atlan weiter. Noch während er las, stieß er einen leisen Pfiff aus. »Aufgrund dieser Daten könnte man meinen, Flatterfeld bestünde aus einer Ansammlung längst erkalteter Sonnenmassen.« »Da ist absolut nichts«, pflichtete Brooklyn bei. »Nicht einmal ein lumpiger Radiostern tritt im Diagramm hervor. Auch hyperphysikalisch ist diese Galaxis unbedeutend.« »So etwas habe ich noch nicht erlebt«, sagte Atlan. »Allerdings muß dieses Phänomen noch lange keine Gefahr bedeuten.
Vergleichbares war auch in den Speichern der Positronik nicht vorhanden.« »Die Entscheidung liegt bei dir, Atlan«, ließ Brooklyn schließlich wissen. »Wir fliegen weiter«, nickte er. »Weshalb sollten wir uns aufhalten lassen?« * Zwei kurze Linearflüge brachten die SZ‐2 in die Randzone von Flatterfeld. Die wenigen Sonnen vor dem Raumschiff standen jeweils mehrere Lichtjahre weit auseinander. Es war wie immer, wenn man in unbekannte Regionen vordrang. Ein Hauch von Abenteuer machte sich bemerkbar, den alle Technik nicht zu verdrängen vermochte. Mit einem Drittel unter der Lichtgeschwindigkeit flog die SZ‐2 in ein Sonnensystem ein. Zwei von insgesamt fünfzehn Planeten waren bereits mit dem bloßen Auge als helle Scheiben zu erkennen – zur Leblosigkeit erstarrte Eiswelten auf exzentrischen Bahnen. Gleich Kometen kamen sie ihrem Muttergestirn bis auf wenige Lichtminuten nahe, um dann für mindestens fünfzig Jahre terranischer Zeitrechnung weit in den interstellaren Raum vorzudringen. Aber nicht allein diese Besonderheit hatte Brooklyn bewogen, ausgerechnet dem roten Riesenstern ihr Augenmerk zu schenken. Die Hochrechnung hatte nämlich ergeben, daß siebzehn Planeten vorhanden sein mußten. Zwischen der dritten und vierten, sowie der siebten und achten Welt klafften Lücken, die durch Berechnung der Bahnradien deutlich wurden. Es war am Morgen des 20. Oktober, als Atlan nach wenigen Stunden Schlaf die Zentrale betrat. Brooklyn hatte es nicht für
erforderlich gehalten, ihn von der Entdeckung zu verständigen. Dem Arkoniden genügten einige kurze Worte, um die Lage zu erfassen. »Gibt es Anzeichen für Schiffsbewegungen innerhalb dieses Systems oder seiner unmittelbaren Umgebung?« wollte er wissen. »Nichts, was darauf hindeutet«, antwortete die Magnidin. »Ein heftiger Sonnenwind und starke Protuberanzen machen es jedoch schwer, Fehlerquellen auszuschließen. Es scheint, als gäbe es zur Zeit ein Maximum an Sonnenflecken, was auf gewisse Unregelmäßigkeiten im Energiehaushalt des Gestirns schließen läßt.« Palo Bow, der fast gleichzeitig mit Atlan die Zentrale betreten hatte, horchte auf. »Gibt es Anzeichen für eine Tätigkeit der Ysteronen?« »Nichts Direktes. Aber irgendwann hat sich eine Katastrophe ereignet, welche die beiden äußeren Planeten aus ihren bisherigen Umlaufbahnen warf.« »Eine Eingrenzung des Zeitraums ist nicht möglich?« vermutete Bow. »Es können ebenso hundert Jahre sein wie tausend oder mehr. Am wahrscheinlichsten ist letzteres, da eine Stabilisierung der Verhältnisse bereits stattgefunden hat.« »Asteroiden …? Größere Ansammlungen von Materie …?« »Nichts davon – auch auf den Bahnradien der vermutlich verschwundenen Planeten.« »Vielleicht irren wir uns, wenn wir annehmen, daß die Ysteronen hier waren«, warf Atlan ein. »Hast du die Werte des roten Riesen?« Brooklyn schüttelte den Kopf. »Über kurz oder lang werden wir auf die Spuren der Nickeldiebe treffen, falls Chybrain uns wirklich einen entsprechenden Hinweis geben wollte«, fuhr der Arkonide fort. »Funkkontakt!« rief einer der diensttuenden Ahlnaten. »Ich empfange unverständliche Symbolgruppen.«
Brooklyn wirbelte herum. »Ausgangspunkt feststellen! Liegt er innerhalb dieses Systems?« Der Funker zuckte die Schultern. »Es sind ungewöhnlich kurze Hyperimpulse, noch dazu verstümmelt. Eine Dechiffrierung ist in der Kürze der Zeit nicht möglich. Was den Standort des Senders anbelangt, so ist eine konkrete Aussage leider ebenfalls …« »Mann …« Palo Bow reagierte mürrisch. »Du sollst keinen Roman erzählen. Stehen Empfänger oder Sender auf einem der Planeten oder im Raum zwischen ihnen?« »Weder noch. Um die genaue Entfernung festzustellen, wäre eine Peilung von verschiedenen Standorten aus erforderlich. Immerhin dürfte sie bei mehreren hundert Lichtjahren liegen. – Es handelt sich um keine gerichtete Sendung«, fügte er erklärend hinzu. »Wie groß ist die Eingangsleistung?« Der Ahlnate nannte mehrere Zahlen, bei denen Palo Bow aufhorchte. »Die Werte könnten denen einer Raumstation oder eines größeren Raumschiffs entsprechen.« »Dann sollten wir uns an Ort und Stelle davon überzeugen«, verlangte Brooklyn. »Ich habe gehofft, daß du das vorschlagen würdest«, sagte Atlan. »Wir müssen miteinander auskommen«, nickte Palo Bow. »Weshalb also nicht danach handeln. Ich denke, wenn wir ungefähr alle zwanzig Lichtjahre einen Orientierungsaustritt vornehmen, ist ein Zielanflug mit nur geringer Abweichung möglich.« »Einige Meßsonden sind noch draußen«, gab Brooklyn zu bedenken. »Lassen wir sie zurück …?« »Hast du den Impuls zur Rückkehr bereits gegeben?« »Ja. Aber eine gute Stunde wird vergehen, bis wir sie wieder an Bord nehmen können.« »Solange warten wir«, bestimmte Atlan. »Vielleicht ergeben sich in der Zwischenzeit neue Erkenntnisse.«
Für jemanden, der zur Untätigkeit verurteilt ist, können sechzig Minuten mitunter schier endlos lang werden. Selbst für einen Zehntausendjährigen. Zeit ist etwas, das der Mensch nie zu begreifen lernen wird, wisperte der Extrasinn mit deutlicher Ironie. Du bist ungeduldig, Freund Atlan, und je mehr du dich dagegen sträubst, desto schlimmer wird es. Nur die Ungewißheit setzt mir zu, erwiderte der Arkonide in Gedanken. Nenne du es Ungewißheit, ich bezeichne es als Erwartungsangst. Du grübelst viel zu viel – aber gerade jetzt nutzt es dir am wenigsten. Versuche, die Superintelligenzen zeitweise zu vergessen und wühle nicht länger in deinen Erinnerungen. Was hinter den Materiequellen geschah, wirst du so nicht ergründen können. Vielleicht nahm man dir die Erinnerung zu deinem eigenen Schutz. Du weißt etwas … Nein, kam es knapp zurück. Ich bin ausschließlich auf Vermutungen angewiesen. Was also soll ich tun? Nicht anders handeln, als du es aus eigenem Antrieb heraus tun würdest. Nur so hilfst du dir selbst. Atlan seufzte lautlos. Er versuchte, sich zu entspannen, aber die erhoffte Ruhe wollte nur langsam eintreten. Der Arkonide hatte die Molaaten in die Zentrale gebeten, weil er sich von ihnen nähere Aufschlüsse erwartete. Sanny war natürlich die erste, die kam. »Was gibt es zu berechnen?« fragte sie mit ihrer leisen, melodischen Stimme. Der Blick ihrer hellen Augen ruhte auf Atlan. Als er jedoch keine Anstalten traf, sie auf den Arm zu nehmen, huschte etwas wie Enttäuschung über ihr Gesicht. »Wir hoffen, daß ihr uns in anderer Weise weiterhelfen könnt«, sagte der Arkonide. Auf einen Wink hin schaltete der Ahlnate den Funkempfang auf Lautsprecher. Sanny legte den kugelförmigen Kopf schief und lauschte.
»Was ist das?« »Das wollte ich von euch wissen«, erklärte Atlan. »Zweifellos Funkzeichen«, stellte Oserfan fest. »Können sie von Ysteronen stammen?« »Ich habe Ähnliches nie gehört«, meinte Pina. »Aber möglich wäre es schon.« »Kommen die Symbolgruppen aus Flatterfeld?« fragte Filbert. Atlan nickte. »Es tut mir leid«, sagte Oserfan. »Doch weshalb sollten wir dir etwas vormachen?« »Schon gut. Wir werden auch so herausfinden, was die Signale zu bedeuten haben.« »Sie kommen aus dem Ostteil der Galaxis, oder zumindest aus der Nähe jener Sternenballung, die ohnehin unser Ziel ist«, vermutete Sanny. »Die Wahrscheinlichkeit, daß dort wichtige Dinge geschehen, ist sehr hoch. Ich gebe sie mit fünfundneunzig Prozent an.« Atlan wußte, daß die Bordpositronik auch kein anderes Verhältnis errechnen würde. Immerhin hatte die zierliche Molaatin ihn schon mehrfach mit ihren besonderen Fähigkeiten verblüfft. Kurz darauf kehrten die ersten beiden Sonden nach einigen Planetenumkreisungen zurück. Brooklyn versäumte es nicht, ihre gespeicherten Daten abzurufen. Demnach gab es zumindest auf den Welten vier und sechs, die innerhalb der ökologischen Zone des roten Riesen lagen, keinerlei Anzeichen für organisches Leben. Es war wirklich nur eine Stunde, meldete Atlans Extrahirn später, als die SZ‐2 Fahrt aufnahm, um das System zu verlassen. Und es war bestimmt nicht die längste in deinem Leben. * Rund dreihundert Lichtjahre tief war die Solzelle‐2 inzwischen in
Flatterfeld eingedrungen, ohne daß es zu erwähnenswerten Ereignissen gekommen wäre. Noch folgte man den rätselhaften Hyperimpulsen, die in unregelmäßigen Abständen zu empfangen waren. Es stimmte nachdenklich, daß sie aus jener Richtung kamen, in der ohnehin Atlans Ziel zu suchen war. Vor dem Schiff lag ein offener Sternhaufen – sofern eine Zusammenballung von fünfzehn Sonnen überhaupt diese Bezeichnung verdiente. Manche der Sterne standen nur wenige Lichtwochen voneinander entfernt. Falls sie Planeten besaßen, mußten diese sich auf völlig irrsinnigen Umlaufbahnen bewegen. »Flatterfeld scheint voller Rätsel«, sagte Palo Bow. »Sieh dir die Spektralanalysen an, Atlan.« Tatsächlich gab es deutliche Phasenverschiebungen, die darauf hindeuteten, daß alle fünfzehn Sonnen unterschiedliche Fluchtgeschwindigkeiten besaßen. Auch bewegten sie sich nicht einheitlich vom fiktiven Zentrum der Kleingalaxis fort, sondern zum Teil sogar darauf zu. »Sie werden nur noch einige Jahrhunderte lang diese Konstellation einnehmen«, meinte der Magnide. »Danach hat der Haufen sich aufgelöst.« Ein hell strahlender Stern von etwa dreißig Sonnenmassen war dominierend und selbst ohne Vergrößerung auszumachen. Daneben gab es zwei weiße Zwerge, die um ihren gemeinsamen Schwerpunkt kreisten – noch, solange sie nicht in den unmittelbaren Einflußbereich des Hauptsterns gerieten. Alle anderen Sonnen entsprachen dem Durchschnittstyp mit Oberflächentemperaturen zwischen 3.000 und 9.000 Grad. »Wenn die Funksignale nicht wären, würden wir nur das statische Hintergrundrauschen empfangen«, sagte Breckcrown Hayes, der sich seit einiger Zeit an der Funkortung zu schaffen machte. »Aber auch das ist merklich abgeschwächt. Irgend etwas stimmt nicht mit Flatterfeld.«
»Was du sagst, klingt wie eine Warnung«, stellte Bow fest. »Ich weiß selbst nicht, was ich davon halten soll«, gestand Hayes. »Ein merkwürdiges Phänomen …« »Solange wir keine Schwierigkeiten haben, uns zurechtzufinden, kann es doch egal sein«, bemerkte Argan U, der bislang nur zugehört hatte. Der bärenhafte Extra mit den großen, traurigen Augen hantierte an seiner Destillieranlage herum, die er fast ständig mit sich schleppte. Er benötigte die besondere Art von Zuckerwasser dringend als Nahrung. Atlan warf ihm einen nachdenklichen Blick zu, wandte sich dann aber wieder an Hayes. »Liegen inzwischen Ergebnisse vor?« »Die Impulse könnten aus dem Sternhaufen stammen«, meinte Breckcrown zurückhaltend. »Möglich ist aber auch, daß sie ihren Ausgang Lichtjahre weit dahinter haben, von unserem Standort aus gesehen.« »Die Auswertung macht kaum Fortschritte«, stöhne Palo Bow. »Das einzige, was die Positronik bis jetzt dazu ausspuckte, ist, daß es sich wahrscheinlich um technische Daten handelt, die mehrfach gerafft und verschlüsselt wurden.« »Auf jeden Fall haben wir es mit Intelligenzen zu tun, die seit längerem die Raumfahrt beherrschen. Eine Kontaktaufnahme dürfte für beide Seiten Vorteile bringen.« »Ich warne vor voreiligen Schlüssen«, rief der Magnide. »Wer sagt uns, daß es nicht die Ysteronen sind?« »Ich.« Argan U grinste. »Ich fühle es.« Palo Bow winkte ab. »Schleck lieber dein Zuckerwasser auf. Und mische dich nicht in Dinge ein, die du nicht verstehst.« Der orange geschuppte Bär stemmte die Fäuste in die Hüften und baute sich breitbeinig vor dem Magniden auf. »Seit 19 Jahren bin ich an Bord der SOL. Weißt du überhaupt, was das bedeutet? Nein, das kannst du nicht wissen. Schließlich bist du
einer von denen, die nur ihr eigenes Wohl im Auge hatten.« Palo Bow nahm den Vorwurf gelassen hin. Er erkannte, daß Argan U es nicht allzu ernst meinte. An Atlan gewandt, fragte er: »Fliegen wir den Sternhaufen an?« Der Arkonide nickte, ohne zu zögern. 5. Die beiden weißen Zwerge wurden nur von einem einzigen Planeten umkreist, dessen Bahn infolge der verschiedenen Schwerkrafteinwirkungen die Form einer unregelmäßigen Acht beschrieb. Diese Welt besaß in etwa die Größe von Luna, wirkte jedoch am Äquator plattgedrückt, während die Pole sich weit aufwölbten. In doppelter Bewegung rotierte sie zum einen längs ihrer Nord‐Süd‐Achse, zum anderen, um achtzig Grad versetzt, von Ost nach West. Ihr Antlitz verbarg sie unter einer überaus dichten Wolkendecke, durch die hin und wieder grelle Blitze zuckten. »Ein ungemütlicher Ort«, stellte Breckcrown Hayes fest. »Die Kruste des Planeten ist solchen Spannungen ausgesetzt, daß sie immer wieder aufbricht und Magma sich auf die Oberfläche ergießt. Wahrscheinlich wird er irgendwann auseinanderbrechen.« »Wie die zweite Welt dieses Doppelsterns.« Trümmerstücke, von denen viele die Größe der Solzelle besaßen, folgten dem Planeten auf unterschiedlichen Bahnen. Schon in wenigen Jahrzehnten würden sie verschwunden sein, verglüht, weil die Sonnen sie zu sich herabgezogen hatten. Im ersten Moment hatte Atlan die Asteroiden dem Wirken der Nickeldiebe zugeschrieben. Aber mit einiger Wahrscheinlichkeit war diese zweite Welt den unterschiedlichen Gravitationskräften zum Opfer gefallen. Die SZ‐2 beschleunigte und trat nach Erreichen der erforderlichen Geschwindigkeit für wenige Minuten in den Linearraum ein.
Zielstern war die nächststehende gelbe Sonne vom Soltyp. Inzwischen schrieb man den 21. Oktober. Atlan fühlte, wie ihm die Zeit zwischen den Fingern verrann. Andererseits wollte er nicht die nötige Umsicht außer acht lassen. Dem von Sanny errechneten Gebiet in der Ostseite von Flatterfeld war man schon beträchtlich nahe gekommen. Die Bezeichnung »Osten« war willkürlich gewählt worden, ausgehend vom Standort der SOL. Linker Hand lag demnach Westen. »Einfallende Impulse werden stärker«, meldete Breckcrown Hayes, kaum daß die SZ‐2 den überlichtschnellen Flug beendet hatte. »Und da ist noch etwas …« Er zögerte, schien seine Feststellung erst zu überprüfen, bevor er sie bekannt gab. »Dreiergruppen im normalen Funkverkehr«, platzte er schließlich heraus. »Die Sonne vor uns besitzt keine Planeten«, erwiderte der Magnide. »Woher also sollten sie kommen?« »Das kann ich dir sofort sagen.« »Ich warte darauf.« Ganz so mürrisch, wie er sich gab, meinte Bow es allerdings nicht. Etliche Minuten verstrichen. »Sofort …«, grinste Argan U. »Darunter verstehe ich etwas anderes.« »Der Hauptstern kommt als Ausgangspunkt in Frage«, stellte Breckcrown dann fest. »Die Entfernung beträgt immerhin knapp zwei Lichtjahre.« Es klang beinahe wie eine Entschuldigung. »Also – fliegen wir hin.« Argan U fuchtelte mit seinen kurzen Armen in der Luft herum. »Ich kann es kaum erwarten, endlich wieder einen richtigen Planeten aus der Nähe zu sehen. Vielleicht können wir landen. Es muß ja nicht gerade Terra sein, wenn ich auch eingestehe, daß mir das wesentlich lieber wäre.« »Du bist einer von den Terra‐Idealisten«, stöhnte Bow. »Halte bloß mit deinen Ansichten zurück. Außerdem begreife ich nicht, weshalb
ausgerechnet ein Extra zur Erde will – du hast sie nie in deinem Leben gesehen.« »Du auch nicht«, konterte der Puschyde. * Der Gedanke an Sol, die Sonne unter deren gelbem Licht er zehntausend Jahre seines Lebens verbracht hatte, stimmte Atlan wehmütig. Sie war zu seiner eigentlichen Heimat geworden, und er hoffte, sie und Terra irgendwann wiederzusehen. Der Zielstern, der nun unmittelbar vor der SZ‐2 lag, war ein Überriese vom 200fachen Radius Sols. Trotz seiner gleichzeitig großen Masse war seine Dichte um ein Vielfaches geringer. Das Raumschiff stand an der äußeren Grenze des Planetensystems. Achtunddreißig Welten waren bisher geortet worden, und es hatte den Anschein, daß noch mindestens ein halbes Dutzend hinter der Sonne verborgen stand. Aufgrund der Bahndaten und Abstände der anderen Welten zueinander, ließ ihre Existenz sich leicht berechnen. Aber das allein hätte Atlans Aufmerksamkeit nicht so stark erregt wie die Tatsache, daß es sechs gewaltige Asteroidenschwärme gab, von denen erst die Hälfte geschlossene Kreisbahnen innehatte. Die anderen mußten folglich in jüngerer Vergangenheit entstanden sein, denn sie bewegten sich noch mehr oder weniger dicht geballt um ihr Muttergestirn. »Das sollten wir uns aus der Nähe ansehen«, sagte Bjo Breiskoll und sprach damit aus, was der Arkonide dachte. »Dann brauchen wir einen Namen für diesen Riesen«, erklärte Sternfeuer. »Bluewhite«, schlug ihr Zwillingsbruder vor. »Sehr sinnig«, lächelte sie und blickte von Atlan zu Palo Bow hinüber.
»Eine Bezeichnung ist so gut wie die andere«, sagte der Magnide. »Warum nicht?« Immerhin handelte es sich um einen bläulichweißen Stern der Spektralklasse B, eine relative Seltenheit in dieser Größenordnung, Sein kontinuierliches Spektrum wies zahlreiche Absorptionslinien auf, darunter auch die von neutralem Helium und Wasserstoff. Die äußersten Planeten waren leblose Eiswelten mit gefrorener Atmosphäre. Wie winzige Diamanten funkelten sie im Licht der Sonne. Ein Bild von atemberaubender Schönheit, das jeden in seinen Bann schlug. Wie oft hast du Ähnliches schon gesehen, bemerkte Atlans Extrahirn. Und doch fasziniert es dich immer wieder von neuem. Das gesamte Universum ist ein Wunder, gab er lautlos zurück. Es zu erleben heißt sicherlich, alle Eindrücke bewußt in sich aufzunehmen. »Ich weiß nicht, ob es ratsam ist, mit der Solzelle tiefer in das System einzufliegen«, warf Bjo Breiskoll ein. »Spürst du etwas?« »Bitte frage mich nicht danach, Atlan. Ich bin mir selbst nicht schlüssig, ob da etwas ist.« Breiskoll war nicht nur Telepath, sondern besaß auch ein ausgeprägtes Gespür für seine kosmische Umgebung. Viele Solgeborene verfügten über ähnliche Fähigkeiten, wenngleich sie diese nicht einzusetzen verstanden. Wie ein Kind Schritt für Schritt seine Welt, kennenlernt und sich schließlich allein darin zurechtfindet, so schien es den Solanern zu ergehen, die nur eine dünne Wand aus Metall von der Unendlichkeit der Schöpfung trennte. »Sternfeuer?« Der Arkonide wandte sich an die junge Frau, die sich mit einer fahrigen Bewegung durch ihr weißblondes, kurzgeschnittenes Haar fuhr. »Ich weiß nicht mehr als Bjo«, erwiderte sie. »Möglich, daß es auf einigen der Planeten intelligentes Leben gibt. Wenn jedoch
Ysteronen hier wären, hätten wir sie längst geortet.« »Nicht unbedingt«, warf Palo Bow ein, »wenn sie ihre Station im Ortungsschatten der Sonne verbergen. Die heftigen Protuberanzen von Bluewhite wirken sich deutlich aus.« »Dann schlage ich vor, daß wir mit einer Space‐Jet losfliegen«, rief Breckcrown Hayes. »Die SZ‐2 kann im Orbit über der nächsten Welt warten.« »Was ist mit dem Funkempfang?« »Die Symbolgruppen sind deutlicher geworden, wenngleich von Störungen überlagert. Auf keinen Fall stammen sie von den Gesuchten – es handelt sich wahrscheinlich um eine Art Morsecode, wie er auch in der Frühzeit terranischer Entwicklung Verwendung fand.« »Bleibt die Frage, ob wir auf ein Volk stoßen, das sich in den Anfängen der Raumfahrt befindet oder abermals auf Überlebende eines Angriffs der Nickeldiebe.« »Wir begleiten dich, Atlan.« Sternfeuer sah den Arkoniden bittend an. »Eigentlich wollte ich, daß Bjo mit mir kommt.« »Wir waren lange nicht mehr draußen«, sagten die Zwillinge wie aus einem Mund. »Meinetwegen«, stimmte Breiskoll zu. »Ich kann ja mit euch in Verbindung bleiben.« Der nächste Planet in Flugrichtung vor der Solzelle war der zweiunddreißigste des Systems. Obwohl von doppelter Erdgröße, besaß er keinerlei Lufthülle. Seine Oberfläche war pockennarbig aufgeworfen. Mächtige, schroffe Gebirgszüge türmten sich bis in dreißig Kilometer Höhe. Wasser gab es auf dieser Welt nicht. Brooklyn, die Palo Bow turnusmäßig ablöste, brachte das Schiff in eine Kreisbahn in rund viertausend Kilometer Höhe. »Ich denke«, begann Argan U, »die Buhrlos würden sich freuen, endlich wieder in ihr Element zu kommen. Bestimmt liegen wir hier für längere Zeit fest.«
Brooklyn stimmte spontan zu. Wahrscheinlich dachte sie dabei an das E‐kick, das die Gläsernen von einem längeren Weltraumaufenthalt mitbringen würden. Atlan, Bjo Breiskoll, Hayes und die Zwillinge hatten die Zentrale verlassen und befanden sich auf dem Weg zu einem der Hangars im Ringwulst. Die Reparaturarbeiten am Schiff waren weiter fortgeschritten. Viele Transportbänder funktionierten inzwischen wieder. Die Ansammlungen von Schmutz und Unrat waren verschwunden – etliche der Korridore, durch die man kam, funkelten, als wäre die SZ‐2 erst vor kurzem in einer Werft überholt worden. Atlan wählte den Weg durch die verschiedensten Lagerräume und über ein relativ unbedeutendes Zwischendeck. So traf man nur wenige Solaner und ging den immer wieder gestellten gleichlautenden Fragen aus dem Weg. Nicht daß der Arkonide sich verschlossen gezeigt hätte, aber ihm lag ganz einfach daran, schnell voran zukommen. Als sie dann die innere Kugelschale verließen und unterhalb der Hallen des Dimesextatriebwerks weitergingen, geschah es. Niemand war darauf vorbereitet. Hinter ihnen wurden Schritte laut, die rasch näher kamen. Das war kein Mensch, es konnte nur eine Maschine sein. Atlan und seine Begleiter blieben stehen. Ein Arbeitsroboter bog in denselben Gang ein. Seine Sehzellen richteten sich auf sie, die Geschwindigkeit verlangsamte er allerdings nicht. Keine zehn Meter entfernt, begann plötzlich sein Drehkranz mit den verschiedenen Werkzeugen und Handlungsarmen zu rotieren. Spätestens jetzt hätte er jedoch, seiner Programmierung folgend, anhalten müssen. »Aufpassen!« schrie Hayes. »Der dreht durch!« Bevor er seinen leichten Thermostrahler hochreißen konnte, war der Roboter heran. An den Zwillingen und auch an Breiskoll, die sich eng an die Wand drückten, stampfte er vorbei, ohne sie zu
beachten. Seine Greifarme zuckten vor und griffen nach Atlan. Der Arkonide wollte zurückweichen, war aber nicht schnell genug. Einen Tentakel schlug er mit den Fäusten beiseite, der andere indes umklammerte seine Hüfte und riß ihn vom Boden hoch. Breckcrown konnte nicht feuern, ohne Atlan zu gefährden. Ein wenig hilflos wirkte er, wie er so dastand, die entsicherte Waffe in der Hand haltend. Atlan rang nach Luft. Er focht einen verzweifelten lautlosen Kampf aus; nur sein gequältes Röcheln war zu hören. Breiskoll wollte sich mit bloßen Fäusten auf den Roboter stürzen. Aber trotz seiner geradezu unheimlichen Körperbeherrschung und obwohl er in seinen Bewegungen schneller war als jeder Mensch, wischte ein Arm der Maschine ihn unbarmherzig zur Seite. Breckcrown Hayes schoß. Der Energiestrahl brachte den Plastikbelag vor den Füßen des Roboters zum Aufwallen, richtete sonst jedoch keinen Schaden an. Atlan zerrte noch immer mit beiden Händen an den ihn umschlingenden Tentakeln. Manch anderer an seiner Stelle hätte längst das Bewußtsein verloren. Wahrscheinlich war es der Zellaktivator, der ihm die Kraft verlieh. Plötzlich hielt die Maschine inne. Das Summen aus ihrem kegelförmigen Rumpf wurde lauter. Ein Stöhnen vermischte sich mit den Geräuschen überbeanspruchter Mechanik. Es kam von Sternfeuer, die mit dem Rücken an der Gangwand lehnte und aus weit aufgerissenen Augen den Roboter anstarrte. Sie zitterte. Federspiel stand bei ihr und stützte sie. Er redete leise auf sie ein, aber sie schien ihn nicht wahrzunehmen. Erneut krachte es. Ein Greifarm der Maschine machte sich selbständig, zeigte zur Decke hoch und riß Augenblicke später aus dem Gelenk. Atlan bekam wieder Luft. Gleichzeitig ließ er seine Fäuste mit Wucht auf die Sehzellen des Roboters herabsausen.
Der zweite Arm, der ihn noch umklammert hielt, lockerte sich ebenfalls. Aus etwas mehr als einem Meter Höhe fiel Atlan zu Boden, rollte sich ab und kam federnd auf die Beine. »Danke!« rief er Sternfeuer zu. Die Frau schien ihn nicht zu hören. Kurz und heftig ging ihr Atem, der Schweiß rann ihr von der Stirn. In einer hilflosen Geste breitete ihr Zwillingsbruder die Arme aus. »Sie ist wie in Trance. Ich weiß nicht, was sie hat.« Der Roboter wurde indessen von seinen eigenen Tentakeln zu Fall gebracht. Seine fast schon verzweifelt zu nennenden Versuche, wieder hoch zu kommen, muteten grotesk an. Über Sternfeuers Gesicht huschte ein Lächeln. Mehrere Werkzeuge machten sich selbständig, stiegen senkrecht in die Höhe und krachten dann auf die Hülle des Roboters herab. Das Resultat waren nicht nur beträchtliche Beulen sondern auch aufgerissene Verkleidungsstücke. Aus der Lautsprecheröffnung drangen abgehackte Laute: »Krrrch … At – lan ent – führ … en …« Breckcrown Hayes machte einige Schritte auf die Maschine zu. »Wer hat dir den Befehl dazu erteilt?« Schweigen. »Wer?« brüllte Hayes. »Antworte, oder ich werde dich bis zur letzten Schraube auseinandernehmen.« »Ich – kann – nicht … Es war …« Eine Stichflamme beendete die mechanische Existenz. Der Robotkörper brach entzwei. Sternfeuer stöhnte auf und wäre wohl gestürzt, hätten Federspiel und Breiskoll sie nicht festgehalten. »Das war ganze Arbeit«, meinte der Katzer anerkennend. »Selbst ich möchte mich nicht mit einer solchen Arbeitsmaschine anlegen.« »Meine Pflicht«, preßte die Frau hervor. Federspiel lachte. Irgendwie wirkte er plötzlich ungezwungener als eben noch.
»Die Fähigkeit hat sie von Gucky übernommen. Der Mausbiber hat früher so manchem Roboter übel mitgespielt. Ich erinnere mich da an verschiedene Episoden, die er uns erzählte, unter anderem muß er ja auf Goszuls Planet Kampfroboter gleich kompanieweise zerstört haben.« »Glaube nicht alles, was der Ilt dir aufgetischt hat«, sagte Atlan. »Mitunter übertreibt er.« Hayes beugte sich über die schwelenden Überreste der Maschine. »Damit ist leider nichts mehr anzufangen«, stellte er fest. »Aber jemand muß das Programm verändert haben.« »Um Atlan auszuschalten?« fragte Sternfeuer verblüfft. Breckcrown nickte. »Wir haben viele Menschen an Bord. Einigen von ihnen mag es nicht gefallen, in welche Richtung die Dinge sich verändern. Sie verachten alles planetengebundene Leben.« »Und du glaubst, sie wären zu einer solchen Lumperei fähig? Ausgerechnet Atlan, dem wir viel zu verdanken haben.« Hayesʹ Schweigen war Antwort genug. »Dir ist natürlich klar«, wandte Breiskoll sich an den Arkoniden, »daß du von jetzt ab besondere Sicherheitsvorkehrungen treffen mußt. Es wird nicht bei diesem einen Angriff auf dich bleiben. Eigentlich habe ich so etwas schon lange kommen sehen. Wer weiß, vielleicht mischt die SOLAG dabei mit.« Atlan winkte ab. »Ich sehe nicht ein, weshalb ich mich daran hindern lassen sollte, mein Vorhaben auszuführen. Das ist wichtiger. Also fliegen wir los.« »… wichtiger als deine Gesundheit? Du wirst mich nicht daran hindern können, nach dem Attentäter zu suchen, sobald du von Bord bist.« »Sei vorsichtig, Bjo.« Der Katzer schüttelte den Kopf. »Du bist ein seltsamer Mensch, Atlan.«
Eine knappe halbe Stunde später drang eine Space‐Jet mit höchsten Beschleunigungswerten tiefer in das ausgedehnte Sonnensystem ein. Bjo Breiskoll aber schlenderte langsam zur Zentrale zurück. Unterwegs begegnete er etlichen Buhrlos, die sich anschickten, das Schiff zu verlassen. Die Freude darüber war ihnen anzusehen. Doch Bjo achtete nicht darauf. Seine telepathischen Sinne sondierten nach und nach unzählige Bewußtseinsinhalte. Er wußte, daß sein Vorhaben nichts anderes war als die berüchtigte Suche nach der Nadel im Heuhaufen, dennoch hoffte er, Erfolg zu haben. Das Rund der Solzelle blieb rasch hinter ihnen zurück und verschwand schließlich in der Schwärze des Alls. Obwohl noch weit entfernt, wirkte Bluewhite bereits gigantisch und drohend. Millionen von Kilometern weit schossen lodernde Gasfackeln in den Raum. Breckcrown Hayes steuerte die Jet an einer saturngroßen Welt vorbei, die mit mindestens zwanzig Monden auf den verschiedensten Umlaufbahnen fast schon ein eigenes Planetensystem bildete. Mehrere Lichtminuten dahinter erstreckte sich einer der noch nicht geschlossenen Asteroidengürtel und daran anschließend ein zweiter. »Die Bruchstücke treiben allmählich auseinander«, stellte Federspiel aufgrund von Ortungsergebnissen fest. »Aber es wird Jahrzehnte dauern, bis sie einen vollständigen Ring bilden.« Das kleine, nur fünfunddreißig Meter durchmessende Raumschiff schoß darauf zu. Auf den Bildschirmen zeichneten sich die größten der Fragmente ab, die zweifellos vor nicht allzu langer Zeit einen Planeten gebildet hatten. »Wie lange mag die Katastrophe zurückliegen?« fragte Sternfeuer. Atlan zuckte die Schultern. »Ohne entsprechende Analysen ist das schwer zu sagen. Einige Jahre vielleicht, möglicherweise auch nur Monate.« »Irgendwo sollte eine Station der Ysteronen sein.«
»Dann verrate mir, wo«, fuhr Breckcrown Hayes Federspiel an. Die Ortungen zeigten nur nackten Fels. Energieemissionen, wie man sie von den Raumforts der Ysteronen kannte, waren nicht festzustellen. »Das muß nicht viel heißen«, sagte Sternfeuer. Die Space‐Jet drang in das Asteroidenfeld ein. Da Hayes die Steuerung des Schiffes nicht dem Bordcomputer überlassen wollte, wurde seine Aufmerksamkeit nun voll beansprucht. Die größten Fragmente durchmaßen vier und fünf Kilometer, die kleinsten knapp zwei Meter, waren aber durchaus in der Lage, das Schiff stark zu beschädigen. Immer schwerer fiel es, die Jet zu manövrieren. Brocken von Meteoritengröße brachten die Schutzschirme häufig zum Aufleuchten. Auf Atlans Befehl hin landete Breckcrown schließlich auf einem der größeren Trümmerstücke, das wegen seiner regelmäßigen Form nur aus dem Innern des zerstörten Planeten stammen konnte. Alle anderen waren mehr oder weniger schroff und trugen die Merkmale verschiedenster Oberflächenformationen. Die fehlende Lufthülle sorgte für ein scharf abgegrenztes Nebeneinander von Licht und Schatten. Der Anblick des Asteroidenschwarms von hier aus war faszinierend. »Ich werde hinausgehen«, sagte Atlan. »Du, Breckcrown, hältst das Schiff in Alarmbereitschaft, während Sternfeuer auf unsere Umgebung achtet.« »Dann begleite ich dich«, rief Federspiel aus. Die Schwerkraft, die draußen herrschte, war überaus gering. Es fiel leicht, Sprünge von zehn Metern und mehr zu machen, aber gerade Federspiel, der damit nicht vertraut war, hatte deshalb Schwierigkeiten. Mehrmals war er gezwungen, sein Rückstoßaggregat zu aktivieren, um nicht hilflos abzutreiben. Erst allmählich lernte er, seine Kräfte richtig einzusetzen. Er fand sichtlich Spaß an dieser Art der Fortbewegung. So weit man sehen konnte, war der Boden leicht gewellt und von unzähligen kleinen Kratern übersät. Sie mochten durch
zerplatzende Gasblasen entstanden sein, als das Gestein noch flüssig gewesen war. Atlan, der einige dieser fast kreisrunden Vertiefungen näher in Augenschein nahm, entdeckte entlang ihrer Ränder winzige Spuren von Einschlägen, die seine Vermutung bestätigten. Eine Stunde später stand unwiderruflich fest, daß der Asteroid große Mengen Nickel barg. Reiche Vorkommen erstreckten sich bis dicht unter die Oberfläche. »Womöglich haben wir die Ysteronen mit unserem Erscheinen gestört«, ließ Breckcrown Hayes von Bord der Space‐Jet hören. »Ein Schiff von der Größe der SZ‐2 müssen sie schon frühzeitig bemerken.« »Ich weiß nicht«, sagte Atlan und schaute sich um. »Je länger wir hier draußen sind, desto mehr habe ich das Gefühl, daß wir uns irren.« »Du meinst, daß die unheimlichen Fremden nicht in diesem System weilen?« »Zumindest erachte ich es als immer weniger wahrscheinlich.« »Dann werden wir mit der SZ‐2 weiterfliegen?« wollte Federspiel wissen. »Nachdem wir uns auch den zweiten Asteroidenschwarm zumindest aus der Nähe angesehen haben«, nickte Atlan. Mit platzgreifenden Sprüngen begaben sie sich zur Jet zurück, die schon kurze Zeit später vor ihnen auftauchte. Hayes sagte nicht viel, sondern startete, kaum daß die beiden sich in der Schleuse befanden. Der Flug nahm eine knappe Stunde in Anspruch. Währenddessen überraschte Sternfeuer mit der Nachricht, daß an Bord der Solzelle abermals jene rätselhaften Impulse im Normalfunkverkehr empfangen wurden. Zweifellos kamen sie von einem der inneren Planeten. Bjo Breiskoll hatte es erst nach mehreren vergeblichen Versuchen geschafft, mit der noch immer geschwächten Mutantin Verbindung aufzunehmen. »Sollen wir den Kurs ändern?« fragte Breckcrown Hayes spontan.
Die Jet hatte sich inzwischen bis auf wenige hunderttausend Kilometer ihrem Ziel genähert. Atlan zögerte zwar zunächst, verneinte dann aber. »Ich denke«, sagte er, »wenn wir auch hier Nickelvorkommen feststellen …« Weiter kam er nicht, weil Alarm ausgelöst wurde. »Anfliegende Objekte in der Ortung«, gab Hayes augenblicklich bekannt. »Zwei, drei … fünf. Es werden immer mehr.« Atlan wirbelte herum und wandte sich den Schirmen zu. »Woher kommen sie?« Breckcrown zuckte mit den Schultern. »Es sieht so aus, als hätten sie sich zwischen den Asteroiden verborgen. Sie fliegen einwandfrei Kollisionskurs.« * Mehr als zehn Tage lag es zurück, daß er zum letzten Mal das Schiff verlassen hatte. Arnd Bellmor genoß die Sekunden, in denen die Schleuse sich langsam öffnete. Er war überzeugt davon, Mitbegründer einer neuen Menschheit zu sein – einer Menschheit, die nicht nur nach den Sternen griff, sondern sogar den Leerraum zwischen den Galaxien zu ihrer Heimat machte. In tausend Jahren würde man vielleicht auch seinen Namen nennen und von ihm als einem der ersten reden, die diesen entscheidenden Schritt vollzogen hatten. Schon jetzt existierten keine Grenzen mehr. Arnd Bellmor wußte, daß Flatterfeld das Ziel der SZ‐2 war. Zum erstenmal sah er die Sternenpracht in einer Vielfalt, die sein ganzes Blickfeld ausfüllte. Dunkelwolken, Nebel und leuchtende Gasschleier wirkten wie eine ferne Verheißung. Unermeßlich war die Schöpfung und der Mensch in seiner Vergänglichkeit nur ein winziges Staubkorn.
Bellmor verharrte beinahe andächtig, bevor er die Schleuse verließ. Er spürte die von der Solzelle ausgehende Gravitation und ließ sich für eine Weile von ihr leiten. Die Außenhülle spiegelte das Licht der fernen Galaxis wider. Arnd Bellmor stieß sich sanft ab und schwebte mit ausgestreckten Armen zum Ringwulst hinauf. Der Schwung war so bemessen, daß der Gläserne nicht fürchten mußte, sich plötzlich in relativem Stillstand zum Schiff zu befinden. Ohne Hilfsmittel hätte er dann in eine prekäre Situation geraten können. Er sah andere Buhrlos in einiger Entfernung, aber sie waren alle mit sich selbst beschäftigt und trafen keine Anstalten, sich ihm zu nähern. Bellmor war das nur recht. Er wollte allein sein, wollte die Freiheit hier draußen genießen. Ihm bot sich ein ungehinderter Blick über das Schiff. Die jetzige Form fand er erschreckend eintönig – er vermißte die Ästhetik der SOL in ihrer Gesamtheit. Die Schwerelosigkeit und das Vakuum brauchte sein Organismus von Zeit zu Zeit. Langsam glitt Bellmor über die Hülle der SZ‐2. Nicht weit vor ihm zeichnete sich das scharf abgegrenzte Viereck eines hell erleuchteten Hangars ab. Grelle Scheinwerferfinger tasteten von dort aus über das Schiff und griffen nach den Buhrlos, von denen viele erst jetzt auf das Geschehen aufmerksam wurden. Bellmor näherte sich weiter. Er erkannte etliche Haematen an ihren blauschwarzen Kombinationen. Einer von ihnen wurde auf den Buhrlo aufmerksam, als dieser an den Ortungsantennen neben einer Geschützkuppel verhielt. Der Bruder der zweiten Wertigkeit hob seine linke Hand und streckte den Zeigefinger aus. Aufpassen, ich will etwas mitteilen, bedeutete dieses Zeichen. Von allen Seiten kamen Weltraumgeborene heran. Manche gestikulierten heftig miteinander. Immerhin war es in letzter Zeit nicht mehr vorgekommen, daß man sie ins Schiff zurückholte – was diesmal der Fall zu sein schien.
Der Haemate zeigte seine gefalteten Hände: Zurück in die SOL! Arnd Bellmor gab zu erkennen, daß er verstanden hatte, fragte aber gleichzeitig nach dem Grund. Der Mann zögerte, dann hob er zwei Finger der rechten Hand. Gefahr! Unwillkürlich sah Bellmor sich um. Er konnte nichts entdecken, was dem Haematen recht gegeben hätte. Der Mann indes drängte zur Eile. Einige Buhrlos stießen sich bereits in Richtung auf den Hangar ab. Bellmor wartete auf eine nähere Erklärung – er verspürte durchaus kein Bedürfnis, schon wieder in die Enge des Schiffes zurückzukehren. Hier draußen fühlte er sich wohler, vielleicht oder gerade weil es stets nur wenige Stunden waren, die dieser Zustand anhielt. Der SOLAG‐Mann zeigte erneut die Geste für Gefahr und winkte heftiger. Bevor Bellmor reagieren konnte, bauten sich die Schutzschirme auf. Er bemerkte es an den geisterhaften Leuchterscheinungen, die vorübergehend die Rundung der SZ‐2 nachzeichneten. Im nächsten Moment schien eine Sonne vor dem Schiff zu entstehen. Ein greller Glutball, der jäh aus dem Nichts heraus aufzuckte, sich ausbreitete und erlöschend verwehte. Zwei weitere, stärkere Explosionen folgten. Arnd Bellmor begriff, wovor der Haemate hatte warnen wollen. Die Solzelle wurde angegriffen. Plötzlich hatte er es eilig, zurückzukommen. Er war einer der letzten, und nach ihm schloß sich der Hangar. Diesmal empfand der Buhrlo sogar ein gewisses Gefühl der Erleichterung und Sicherheit. *
Es waren zigarrenförmige, kaum fünf Meter in der Länge messende schlanke Flugkörper, die sich der Space‐Jet mit beachtlicher Geschwindigkeit näherten. »Auf Ausweichkurs gehen!« befahl Atlan. Breckcrown Hayes handelte ohne viel zu sagen, wie es seiner Mentalität entsprach. In einer weiten Kreisbahn zog er die Jet herum und brachte mehrere Asteroiden zwischen sich und die vermeintlichen Angreifer. Doch diese ließen sich nicht abschütteln. Mittlerweile war ihre Zahl auf mehr als drei Dutzend angewachsen. Von überallher schienen sie zu kommen. Gleichzeitig empfing man wieder jene unverständlichen Symbolgruppen – zweifellos Befehle. »Ich kann nichts feststellen«, erklärte Sternfeuer. »Entweder sind die Dinger unbemannt, oder aber ihre Insassen verstehen es, sich mental abzublocken.« »Wahrscheinlich Erstens«, sagte Atlan. »Ich denke, wir haben es mit ferngelenkten Sprengsätzen zu tun.« »Ob sie uns gefährlich werden können?« »Kaum.« »Wir sollten es trotzdem nicht darauf ankommen lassen«, warf Hayes ein. Abermals änderte er den Kurs, jagte die Space‐Jet in gewagtem Manöver um etliche größere Asteroiden herum. Sternfeuer fand nicht einmal die Zeit, entsetzt aufzuschreien. Nur um wenige Meter vermied Breckcrown eine Kollision. Doch die Angreifer kamen auch von vorn. Schon war abzusehen, wann sie die Jet in einer Kugelschale eingekreist haben würden. »Viele Hunde sind des Hasen Tod«, warnte Federspiel. »Ich weiß zwar nicht, wovon du sprichst«, erwiderte Hayes, ohne sich auch nur einen Augenblick lang ablenken zu lassen, »aber diese Meute werden wir gleich los sein.« Mit fliegenden Fingern aktivierte
er die Feuerschaltung für die starr in Flugrichtung eingebaute Transformkanone. »Wir schießen nicht«, ging Atlan dazwischen. »Hast du vergessen, daß wir in friedlicher Mission nach Flatterfeld gekommen sind?« »Wie du meinst«, nickte Hayes und löschte den programmierten Vorgang mit einem einzigen Tastendruck. »Dann bleibt uns allerdings nur ein Ausweg.« Die Wiedergabe auf dem Bildschirm überschlug sich. Es sah aus, als würde mindestens ein halbes Dutzend Asteroiden auf die Space‐ Jet zustürzen. Schroffe Felszacken schienen das Schiff durchbohren zu wollen, doch plötzlich waren sie wie weggewischt. Die Antriebsaggregate wimmerten. Fünf weitere Angreifer wurden sichtbar. Die Jet schnellte förmlich auf sie zu. Wie versteinert saß Breckcrown Hayes vor den Kontrollen. In diesen Sekunden, die über Leben oder Tod entschieden, konnte er wirklich beweisen, was in ihm steckte. Er tat es auf seine Weise. Im Zickzackkurs suchte er den Verfolgern zu entgehen. Für einen Eintritt in den Linearraum war die Geschwindigkeit noch zu gering. Erneut raste die Space‐Jet auf ein riesig scheinendes Planetenbruchstück zu. Erst im allerletzten Moment kippte sie ab und schrammte fast über die schroffe Oberfläche hinweg. Sekundenlang hielt jeder an Bord den Atem an. Dann flammten neben dem Schiff die Gluten atomarer Explosionen auf. Trotz der vorgeschalteten Filter ergoß sich eine blendende Lichtflut in die Zentrale. »Was … war das?« stammelte Sternfeuer entsetzt. i Breckcrown Hayes grinste. »Einige unserer Verfolger hatten leider Pech. Sie waren so dicht hinter uns, daß sie nicht mehr ausweichen konnten. Nun aber nichts wie weg, bevor es wirklich ungemütlich wird.« Der Beschleunigung der Space‐Jet, als diese in den interplanetaren Raum hinausschoß, hatten die Angreifer nichts Gleichwertiges
entgegenzusetzen. Sie blieben rasch zurück. »Die SZ‐2 wird ebenfalls angegriffen«, sagte Sternfeuer unvermittelt. »Hunderte atomarer Sprengkörper steigen von dem Planeten aus auf, den das Schiff im Orbit umkreist.« Atlan wußte, daß die Frau in diesem Moment mit Bjo Breiskoll in Verbindung stand. Zwanzig Minuten später kam die Solzelle in Sicht. Nun erst setzte Hayes einen Funkspruch ab, der prompt beantwortet wurde. Die Magniden hatten die Jet schon längere Zeit auf den Schirmen. In ununterbrochener Folge explodierten Raketen in den Abwehrfeldern. Sie vermochten der SZ‐2 nicht das geringste anzuhaben. »Bin gespannt, wann die Angreifer aufgeben«, murmelte Hayes vor sich hin. Ab einer Distanz von fünf Kilometern erfaßte ein Traktorstrahl den Diskusraumer und zog ihn durch eine kurzzeitig entstehende Strukturlücke auf das Mutterschiff zu. »Die Ladungen sind zweifellos stark genug, um einen kleineren Planeten in Stücke zu zerreißen«, sagte Federspiel mit einem letzten Blick auf die immer wieder neu entstehenden Glutbälle. »Vor allem in dieser Menge muß ihre Wirkung verheerend sein.« »Ich spüre Haß«, warf Sternfeuer ein. »Das Gefühl von Milliarden Lebewesen hat auf dem Planeten seinen Ursprung.« Die Space‐Jet setzte in einem der Hangars oberhalb des Ringwulsts auf. Atlan verzog das Gesicht zu einem spöttischen Grinsen. »Eine noble Geste.« Er deutete auf den kleinen Transporter, der sich rasch näherte. »Brooklyn scheint Wert auf unsere Anwesenheit in der Zentrale zu legen.« »Worauf warten wir noch?« Sternfeuer war die erste, die von Bord ging. Während sie dann einander gegenüber saßen und das Fahrzeug beschleunigte, gab sie leise wieder, was Breiskoll ihr auf gedanklichem Weg übermittelte.
Demnach schienen in diesem Sonnensystem mindestens zwei Parteien zu leben, die einander feindlich gesinnt waren. Ihre Technologie hatte erst vor kurzem den bemannten planetaren Raumflug ermöglicht. Dank Sannys Rechenkunststücken war es inzwischen wenigstens zum Teil gelungen, die Symbolgruppen zu entschlüsseln. Dabei handelte es sich um nichts anderes als Zieldaten. »Jetzt wissen wir wenigstens, woran wir sind«, stellte Breckcrown Hayes fest. »Nicht Ysteronen haben die Nachbarwelten zerstört …« »Es ist die ewige Unvernunft«, erwiderte Atlan bedrückt. »Ich fürchte, wir werden diesen menschlichen Zug auch dann noch vorfinden, wenn wir bis ans Ende des Universums fliegen.« Sie hatten die Zentrale erreicht, und eine monotone Robotstimme forderte sie auf, auszusteigen. Brooklyn sah dem Arkoniden erwartungsvoll entgegen. Auch Breiskoll und die Molaaten waren anwesend. »Ihr habt erfahren was geschehen ist?« Atlan nickte. Die Magnidin, sonst ganz Dame, charmant und liebenswürdig, wirkte ungeduldig. »Ein einziger Feuerstoß könnte diesem Spuk ein rasches Ende bereiten.« »Das dürft ihr nicht tun«, rief Sanny. »Niemand gibt den Befehl dazu.« Atlan strich ihr sanft über den Kopf. »Wir ziehen uns zurück.« »Du wirst unser ursprüngliches Ziel wieder anfliegen?« wollte sie wissen. »Es ist nicht mehr weit entfernt.« »537 Lichtjahre. Übrigens konnten wir weitere Peilungen vornehmen. Die Ausgangskoordinaten der Hyperfunkimpulse weisen eine verblüffende Ähnlichkeit mit denen auf, die Chybrain uns gezeigt hat.«
6. Zwei Linearetappen brachten die SZ‐2 bis nahe an das bezeichnete Gebiet auf der Ostseite von Flatterfeld heran. Gleichzeitig mit dem Austritt aus dem Zwischenraum sprachen die Ortungen an. »Da haben wir, wonach wir suchen«, rief Brooklyn aus. »Die Energieabstrahlung läßt auf größere Objekte schließen.« »… Raumstationen«, nickte Breiskoll. »Solange uns jedoch keine Auswertung vorliegt, besitzt jede Vermutung rein spekulativen Charakter.« »Du meinst, wir haben es nicht mit Ysteronen zu tun?« »Ich habe nichts dergleichen gesagt. Nur wußten die Nickeldiebe ihr Kugeloktogon besser zu tarnen.« »Gib Alarmbereitschaft«, wandte Atlan sich der Magnidin zu. »Das dürfte vorerst genügen.« Die Massewerte entsprachen denen mittelgroßer Stationen aus molekülverdichteten Metallen. Im Hinblick auf die angemessene Energieerzeugung war die SZ‐2 um ein Mehrfaches überlegen. Von einer Vielzahl dieser Objekte was das nächststehende ziemlich genau zweieinhalb Lichtjahre entfernt. Auf dem Hauptbildschirm verblaßte die Wiedergabe des betreffenden Raumsektors. Statt dessen projizierte die Bordpositronik verschiedene Diagramme. Hochrechnungen aufgrund mehrerer Analyseverfahren ergaben, daß mindestens die doppelte Anzahl von Raumstationen existieren mußte. Eine holografische Abbildung verdeutlichte, daß sie in nahezu gleichen Abständen zueinander die Form einer Halbkugel bildeten, deren Öffnung von der SZ‐2 weg zeigte. Sicher setzte diese Konstellation sich dahinter noch fort. »Die perfekte Überwachung mehrerer Sektoren«, stellte Atlan fest. »Durch dieses Netz kann kaum jemand ungesehen hindurchschlüpfen. Gleichzeitig wird das Gebiet vollkommen
abgeschirmt.« »Ob es das ist, worauf Chybrain aufmerksam machen wollte?« fragte Sanny zögernd. »Auf jeden Fall bekommen wir es mit einem technisch hochstehenden Volk zu tun, das einen Vergleich mit unserer SOL kaum zu scheuen braucht«, sagte Sternfeuer. Ihr Zwillingsbruder nickte zustimmend. »Ich nehme an, Atlan, du beabsichtigst eine vorsichtige Annäherung«, vermutete Palo Bow. Brooklyn, die ebenfalls in der Zentrale weilte, nickte beipflichtend. Bjo Breiskoll deutete auf die Projektion, die inzwischen weiter vervollständigt wurde. Farbige Lichtpunkte zeigten die Sonnen innerhalb der einzelnen Sektoren an. Es waren mehrere Dutzend, von denen die meisten sicherlich über Planeten verfügten. »Nur die Ysteronen können Interesse daran haben, Teile von Flatterfeld so abzuschirmen. Sie fürchten, daß ihr Tun ruchbar wird. Immerhin haben sie mit Sicherheit sehr viel zu verbergen.« Atlan, der bisher schweigend zugehört hatte, erhob sich und ging zu den Ortungen, bei denen Brooklyn und zwei Ahlnaten Dienst taten. »Ist eine gesteigerte Aktivität festzustellen?« wollte er wissen. »Nein«, erwiderte die Magnidin. »Nichts deutet darauf hin, daß man uns entdeckt hat.« »Worauf warten wir dann noch?« Breckcrown Hayes zeigte seine Ungeduld zwar nicht offen, dennoch war ihm anzumerken, daß er am liebsten sofort weiter geflogen wäre. »Auf eine Stunde mehr oder weniger kommt es bestimmt nicht an«, meinte Atlan. »Wir werden versuchen, zwischen zwei der Stationen hindurchzuschlüpfen.« »Sie stehen jeweils nur wenige Lichtjahre weit auseinander«, gab Palo Bow zu bedenken. »Mit einer Jet könnte uns das gelingen, kaum aber mit einem so großen Schiff wie der SZ‐2.« »Wenn sie uns entdecken, werden wir wenigstens erfahren, was
wir von ihnen zu halten haben.« »Ich verstehe«, machte Brooklyn. »Du legst es darauf an, daß sie uns orten.« Atlan schürzte die Lippen und lächelte. »Damit läufst du Gefahr, dich einem überraschenden Feuerschlag auszusetzen«, bemerkte das Extrahirn. * Der 23. Oktober 3791 hatte begonnen. An Bord der SZ‐2 herrschte angespannte Erwartung. Nach einem kurzen Linearflug über nur sechs Lichtmonate Distanz glitt das Schiff antriebslos dahin. Noch blieb alles ruhig. »Allmählich mißtraue ich dem Frieden«, ließ Bow wissen. »Womöglich wollen die Ysteronen uns nur in Sicherheit wiegen, um dann unerwartet zuzuschlagen.« Atlan schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Rein instinktiv halte ich sie nicht für hinterhältig.« Breckcrown Hayes stieß einen erstaunten Pfiff aus, sagte aber nichts dazu. Auf dem Hologramm wurde die Position der SZ‐2 wiedergegeben. Die vermutlichen Feinortungsbereiche der einzelnen Raumstationen waren durch farbige Felder gekennzeichnet, die sich teilweise überlappten. Demnach stand man im Augenblick unmittelbar am Rand eines solchen Bereichs. »Wir fliegen weiter«, bestimmte Atlan. »Und zwar haargenau auf dem bisherigen Kurs. Der nächste Orientierungsaustritt erfolgt nach neun Lichtmonaten.« Er zeigte mit dem Finger eine Stelle in der Projektion. »Dann stehen wir hier.« »… und damit im sicheren Ortungsbereich zweier Stationen«, gab Palo Bow zu bedenken.
Der Magnide stützte den Kopf auf beide Handflächen. »Du mußt wissen, was du tust, Atlan. Mir persönlich erscheint es gewagt.« Eine halbe Stunde später hatte die Solzelle wieder die erforderliche Geschwindigkeit erreicht, um in den Zwischenraum eintreten zu können. Nach dem Rücksturz in das Einstein‐Universum gellte der Alarm auf. Die Positronik reagierte auf die von außen auftreffenden Ortungsstrahlen. »Damit hast du erreicht, was du wolltest«, war das erste, was Palo Bow sagte. »Und nun?« »Wir warten«, entschied Atlan, »bleiben allerdings auf Fluchtgeschwindigkeit.« Träge tropften die Sekunden dahin, wurden zu Minuten, die sich aneinanderreihten. Brooklyn schwang sich mit ihrem Sessel herum und blickte Atlan durchdringend an. Sie lächelte dabei. »Die schlafen«, stellte sie dann spöttisch fest. »Andernfalls hätte längst etwas geschehen müssen.« Atlan zuckte mit den Schultern. Was sollte er dazu sagen? Er war selbst enttäuscht über das Ausbleiben jeglicher Reaktion. War die SZ‐2 für die Fremden uninteressant? »Abtasterergebnisse!« verlangte er. Das Hologramm erlosch, baute sich aber sofort neu auf. Es zeigte in wesentlich verkleinertem Maßstab die Umrisse einer der Stationen. Auf den ersten Blick war zu erkennen, daß diese mit einem Kugeloktogon nicht das geringste gemeinsam hatte. Eher wirkte sie wie ein überdimensionaler Kinderkreisel. Auf tatsächliche Größenverhältnisse bezogen, durchmaß die mittlere Scheibe etwa tausend Meter und war im Zentrum halb so dick, wobei sie sich den Rändern zu verjüngte. Nach oben und unten ragten aus dem Mittelpunkt zwei jeweils einen dreiviertel Kilometer lange Naben hervor, an deren Enden sich weitere Scheiben mit zweihundert
Metern Durchmesser befanden. »Es scheint verschiedene Typen davon zu geben«, bemerkte Brooklyn. »Die nächste in Reichweite unserer Abtaster weist deutliche Veränderungen auf. Soll ich sie ebenfalls projizieren?« Atlan winkte ab. Eine Viertelstunde war inzwischen vergangen, ohne daß etwas geschah. Zu aller Überraschung verschwanden plötzlich die Ortungsstrahlen. »Wir sind tatsächlich uninteressant für sie«, grinste Bjo Breiskoll. »Das gibt es doch nicht, oder?« »Deutlicher kann man seine Mißachtung kaum zeigen«, stimmte Palo Bow zu. »Mir scheint, Atlan, du hast dich getäuscht. Wir haben in Flatterfeld nichts zu suchen.« »Funkkontakt herstellen!« entschied der Arkonide. »Anfragen, weshalb wir unbeachtet bleiben. Ich will wissen, mit wem wir es zu tun haben.« * Überraschenderweise ließ die Antwort nicht auf sich warten. Keiner der in der Zentrale Anwesenden hatte damit gerechnet. Selbst Atlan war vorübergehend sprachlos. Die Menschen sind Barbaren, spottete das Extrahirn. Du als Arkonide bildest da keine Ausnahme. So ist es doch, oder? Jeder von euch, die ihr jetzt nicht wißt, was ihr sagen sollt, hat im Grunde genommen Angst davor gehabt, daß es zu einem offenen Konflikt kommen könnte. Und nun, da das Gegenteil der Fall zu sein scheint, weigert ihr euch zu begreifen ... Ganz so schlimm ist es sicher nicht, gab Atlan in Gedanken zurück. Sieh sie dir an – die Verblüffung steht in ihren Gesichtern. Und dann schau in einen Spiegel. Die entstandene Stille wurde abermals jäh unterbrochen.
»Weshalb kommt keine Bildverbindung zustande?« Der dem Hyperfunkempfänger vorgeschaltete Translator übersetzte einwandfrei. Bevor Atlan etwas sagen konnte, hatte Palo Bow bereits reagiert und das Mikrophon zu sich herangezogen. »Ausfall mehrerer Schaltungen«, meldete er. »Wir bemühen uns, den Defekt zu beheben.« Dann sah er auf: »Für wen halten die uns?« »Ich weiß nicht«, sagte Brooklyn. »Laß die Aufzeichnung noch einmal hören.« Sekunden später tönte erneut die wohlklingende, akzentuierte Stimme des Fremden durch die Zentrale: »Station Merdot bestätigt Annäherung an den äußeren Sicherheitsbereich. Erbitte Auftragskennung nach dem geltenden Kode.« Was sollen wir tun? fragte Palo Bows Blick. Atlan bedeutete ihm, erneut eine Verbindung zu schalten. Der Magnide nickte kurz. »Mit wem spreche ich?« »Mel Yasgard«, erklang es prompt. »Kommandant der Überwachungsstation Merdot. Ich erbitte Identifizierung.« Auf einem der Schirme zeichnete sich das Abbild eines Menschen ab. Seine stechenden Augen schienen alles zu durchdringen. »Das ist kein Ysterone«, rief Sanny aus. »… aber auch keiner von uns«, bemerkte Bjo Breiskoll, der für einen flüchtigen Moment in den Gedanken der Molaatin las. »Bildübertragung ein!« befahl Atlan. »Ist geschaltet«, nickte Bow. »Du kannst sprechen.« Atlan wußte, daß in diesem Augenblick sein Konterfei etliche Lichtmonate entfernt empfangen wurde. Ob er dem Fremden ebenso als etwas fremdartiger Mensch erschien, wie dieser ihm? Zwar nicht auf den ersten Blick, aber doch nach und nach.
»Ich bin Atlan, Befehlshaber über die SZ‐2…« »Du kennst die Vorschriften, Atlan. Ohne Nennung des gültigen Kodes kann ich eine weitere Annäherung nicht zu lassen.« Die Stimme klang noch immer warm und freundlich, Da war keine Spur von Ungeduld oder Unmut. Dennoch stutzte der Arkonide. Auch ohne den entsprechenden Hinweis seines Extrahirns war er auf etwas aufmerksam geworden, das ihn irritierte, und er wandte sich zu den anderen um. »Schaltet den Translator ab!« verlangte er. »Aber wieso …« »Macht schon!« Der Magnide zuckte mit den Schultern. »Ich kenne den Kode nicht«, sagte Atlan dann wieder zu dem Fremden. Mel Yasgard stutzte, über sein Gesicht huschte ein deutlich erkennbarer Schatten. Er wirkte plötzlich verschlossener. Seine Haltung drückte aus, daß er gewohnt war, alles zu erreichen, was er sich vornahm. »Wer bist du wirklich?« fragte er drohend. Jeder verstand auch ohne das Übersetzungsgerät, was er sagte. »Wieso spricht er Interkosmo?« fragte Hayes überrascht und fuhr, an Atlan gewandt, fort: »Du weißt mehr …« »Ich verstehe es ebenfalls nicht. Aber ich muß wohl annehmen, daß unser Freund irgendwann Kontakt mit Terranern hatte. Das vereinfacht die Sache.« Oder es kompliziert sie. Erinnere dich, wie weit wir von der Milchstraße entfernt sind. »Ich warte«, rief Yasgard ungeduldig. Die kurze Diskussion hatte er nicht mitverfolgen können, da Bow die Übertragung unterbrochen hatte. »Du bedienst dich unserer Sprache«, sagte Atlan, »also glaube ich, daß wir dir vertrauen können. Dann wirst du auch wissen, daß unsere Heimat in einer fernen Galaxis …«
»Fremde!« bellte Mel Yasgard ganz im Gegensatz zu seinem bisher betont freundlichen Auftreten. »Ihr seid keine Pluuh? Ja, jetzt erkenne ich es. Warum dringt ihr in All‐Mohandot ein?« »Was ist All‐Mohandot?« »Dies alles hier«, Yasgard machte eine umfassende Geste, »ist unsere Heimat.« »Wir kommen in friedlicher Absicht«, ließ Atlan wissen. »Ich nehme an, daß dein Volk irgendwann dem der Terraner begegnet ist.« »Ich kenne es nicht«, erwiderte der Fremde. »Aber wir Pluuh sprechen und verstehen alle Sprachen.« »Wo habt ihr Interkosmo gelernt?« »Wir brauchen es nicht zu erlernen, wir beherrschen es.« Atlan erkannte, daß Yasgard bewußt zurückhaltend war. Das anfangs fehlende Mißtrauen schien sich mittlerweile bei ihm eingestellt zu haben. »Was führt euch ausgerechnet in diese Region von All‐ Mohandot?« wollte der Kommandant der Raumstation wissen. »Wir sind auf der Suche nach einem Volk, von dem wir bisher nur eine Statue sahen«, erklärte Atlan ohne zu zögern. »Es gibt viele raumfahrende Rassen in unserer Galaxis und den vorgelagerten Sternhaufen«, behauptete Yasgard. »Vielleicht kann ich dir helfen, dein Ziel zu erreichen. Wer sind sie, und wie sehen sie aus?« »Er will uns rasch wieder loswerden«, flüsterte Bjo Breiskoll. »Ist dir auch aufgefallen, wie er sich inzwischen verändert hat?« Atlan nickte. Zweifellos spürte der Telepath das noch intensiver als er selbst. »Die Skulptur ist fünf Meter groß«, sagte der Arkonide. »Sie hat vier Beine, die zusammen im Quadrat angeordnet sind. Der Körper besitzt zwei unverhältnismäßig kurze Arme …« »Das reicht«, schrie Mel Yasgard auf. »Du beschreibst die Ysteronen. Sie wollt ihr treffen?«
Bevor Atlan antworten konnte, erlosch der Bildschirm. Sekundenlang starrte der Arkonide noch auf die mattgraue Fläche, dann wandte er sich um. Palo Bow zuckte nur mit den Schultern. In seiner flüchtigen Geste drückte sich Hilflosigkeit aus. Gleichzeitig wurde Vibrationsalarm ausgelöst. Distanzortung. Der Magnide wirbelte herum. Auch die anderen nahmen blitzschnell wieder ihre Plätze ein. Die Positronik zeichnete ein Ortungsbild anfliegender Raumschiffe. Fünf Einheiten waren es – jede von ihnen etwa halb so groß wie die Solzelle. Der Abstand betrug noch zweieinhalb Millionen Kilometer und schrumpfte schnell zusammen. »Sie sind verdammt nahe aus dem Linearraum gekommen«, stellte Bow fest. »Das sieht keinesfalls nach bloßem Zufall aus.« Die Annäherung erfolgte mit knapp zehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Unter Berücksichtigung der Eigenfahrt der SZ‐2 und der bereits verstrichenen Zeit mochten noch drei Minuten bis zum Zusammentreffen vergehen. Zangenförmig rasten die Schiffe heran. »Wir müssen weg!« rief Brooklyn. »Nein.« »Aber sie können jeden Moment angreifen.« »Noch tun sie es nicht. – Sanny?« »Es tut mir leid, Atlan, aber ich kenne die Pluuh nicht. Ich kann nicht sagen, wie sie reagieren.« »Distanz bei einer Million«, meldete die Positronik. Jetzt erst verzögerten die anfliegenden Raumer. Allerdings hatten sie die Einkreisung nahezu vollendet und es würde schwerfallen, ihnen noch zu entkommen. »Funkspruch!« befahl Atlan. »Sie sollen sich nicht weiter als bis auf fünfzigtausend Kilometer nähern.« Eine Reaktion wurde damit nicht erzielt. »Wir messen verstärkte energetische Tätigkeit bei den Raumstationen an«, stellte Breckcrown Hayes fest. »Dort scheint
eine Unzahl kleinerer Schiffe zu starten.« Ihr Ziel war offensichtlich. Atlan nickte bedrückt. »Ausweichmanöver!« Palo Bow ließ sich das nicht zweimal sagen. Die Triebwerke liefen auf Vollast, als er die Solzelle in einer engen Spiralbahn herumzog. Die anderen Schiffe machten die Kursänderung mit. Gleichzeitig erschienen die ersten der kleineren Einheiten. »Linearmanöver?« wollte der Magnide wissen. »Warte noch.« Atlan schaltete die Funkkontrolle auf seine Konsole um. »Ich rufe die Pluuh. Wir kommen in friedlicher Absicht und werden uns auf Feindseligkeiten nicht einlassen. Allerdings sind wir jederzeit bereit, mit ihnen klärende Gespräche zu führen und bitten die offensichtlich aggressiven Manöver zu beenden.« Eine Antwort blieb aus. »Was nützen alle Beteuerungen, wenn man dir überhaupt nicht zuhört«, stellte Bow fest. »Ich muß es versuchen«, erwiderte Atlan. »Du siehst, was es einbringt«, meinte Brooklyn. »Nichts.« Mittlerweile standen fünfunddreißig Schiffe der Pluuh im Raum um die SZ‐2 – eine Übermacht, die zu denken gab. »Die Situation wird bedrohlich«, sagte Palo Bow. »Wir müssen Deccon benachrichtigen.« »Er kann uns auch nicht helfen«, fuhr Breiskoll auf. »Aber er weiß dann wenigstens, was geschehen ist.« »Du meinst, wir kommen hier nicht mehr fort.« »Ich versuche nur, uns den Rücken freizuhalten.« Atlan nickte unmerklich, als ihn der Blick des Magniden streifte. Bow versuchte sofort, die Verbindung zum Mutterschiff herzustellen. Es gelang ihm nicht. Lediglich ein Hintergrundrauschen wurde hörbar. Zugleich zeigten sich heftige Ausschläge auf den Skalen der Frequenz regier. »Störfelder«, fluchte Bow. »Die Pluuh müssen energetische
Sperren aufgebaut haben.« »Sie wollen vermeiden, daß wir Verstärkung bekommen«, sagte Atlan leise. »Immerhin müssen sie damit rechnen, daß wir nicht allein in All‐Mohandot operieren.« »Dann ist es wirklich an der Zeit zu verschwinden. Niemand wird uns noch anhören.« »Palo hat recht«, nickte Hayes. »Die Pluuh nähern sich weiter. Sie wollen uns offensichtlich aufbringen.« »Also gut. Ich fürchte nur, wir werden es nicht schaffen. Dieser Yasgard machte einen zu allem entschlossenen Eindruck.« Palo Bow hatte kaum die ersten Schaltungen durchgeführt, als es bei den vordersten Pluuh‐Schiffen grell aufblitzte. Zwei gleißende Strahlbahnen kreuzten den Kurs der SZ‐2 keine hundert Kilometer voraus. Bei der Geschwindigkeit, die sie hatten, war dies eine geradezu lächerlich geringe Distanz. »Warnschüsse«, knurrte der Magnide wütend. »Wenn sie denken, daß wir uns davon beeindrucken lassen.« Er aktivierte den Normalschirm, wich aber nicht eine Gradsekunde vom eingeschlagenen Kurs ab. Die nächste Salve traf und verpuffte wirkungslos. Jedoch schnellte die Belastungsanzeige der Abwehrfelder jäh bis auf neunzig Prozent hoch. »Vorsicht!« schrie Hayes. »Zwei von ihnen scheinen uns rammen zu wollen.« Palo Bow biß die Zähne zusammen. Mit ruckartigen Bewegungen schaltete er, machte den für die nächsten Sekunden programmierten Eintritt in den Zwischenraum rückgängig und zog das Schiff herum. Knapp fünftausend Kilometer vor den Pluuh raste die SZ‐2 vorbei. Durch erneute Treffer ausgelöste Erschütterungen wurden sogar in der Zentrale spürbar. Über die Bildschirme brach eine wahre Lichtflut herein. »Endlich zeigen sie, wie sie wirklich sind«, rief einer der Ahlnaten.
Palo Bow aktivierte HÜ‐ und Paratronschirme. Währenddessen versuchte Atlan erneut, seinen Friedenswillen zu bekunden und bat um eine Fortführung des begonnenen Kontakts. Doch niemand antwortete ihm. »Sieh endlich ein, daß es für ihr Verhalten nur eine Antwort gibt«, fauchte Bow. Der Arkonide preßte die Lippen zusammen. Er schüttelte den Kopf. »Ich will ebenfalls kein Blutvergießen«, sagte der Magnide. »Warum setzen wir nicht die Narkosegeschütze ein?« »Weil ich nicht daran glaube, daß der Angriff wirklich ernst gemeint ist. Für die Pluuh mag er so etwas wie ein Test sein.« »Lächerlich.« In den letzten Minuten hatte Brooklyn viel von ihrer Liebenswürdigkeit verloren. »Welchen Grund sollten sie haben?« »Es bleibt dabei«, bekräftigte Atlan. »Solange die Stabilität der Schutzschirme nicht gefährdet ist, warten wir ab.« Niemand sprach mehr ein Wort. Die Stimmung in der Zentrale war bis zum Äußersten gereizt. Gerade Bjo Breiskoll und Sternfeuer bekamen das zu spüren, sie wußten aber auch, daß es sinnlos war, sich in irgendeiner Weise einzumischen. In steter Folge verließ Atlans Aufruf die Antennen. Der Arkonide hatte ihn auf Endlosband gespeichert. Manchmal schien es, als würde der Angriff der Pluuh abebben, dann jedoch schnellten die Belastungsanzeigen der Schutzschirme erneut in die Höhe. Plötzlich trat Ruhe ein. »Haben sie es wirklich aufgegeben?« fragte Palo Bow schon nach wenigen Sekunden. Mel Yasgard meldete sich über Hyperfunk. In seinen Augen lag ein Ausdruck von Wärme und Zufriedenheit. Atlan stellte das mit Erleichterung fest. Du hast dich also nicht geirrt, bemerkte der Logiksektor. Yasgard begann zu sprechen:
»Wir haben beschlossen, euch Landeerlaubnis für eine unserer Welten zu erteilen. Dort sehen wir weiter.« Er nannte die betreffenden Koordinaten, mit denen weder Atlan noch die Magniden auf Anhieb etwas anzufangen wußten. »Allerdings werdet ihr nicht allein fliegen. Einer meiner Vertrauten, eine Pluuha, kommt zu euch an Bord.« Damit schaltete er ab. »Unser Ziel liegt weit entfernt«, platzte Sanny heraus. »Praktisch im anderen Teil von Flatterfeld.« Ihre Aussage wurde kurze Zeit später von der Positronik bestätigt, die sämtliche Daten in einem Schaubild ausführte. »Und nun?« fragte Brooklyn. »Was wirst du machen?« »Daß wir ihnen nicht trauen dürfen, haben sie selbst bewiesen«, gab Palo Bow zu bedenken. »Hätten wir an ihrer Stelle anders gehandelt? Sei ehrlich.« Der Magnide zögerte. »Ich weiß nicht recht«, gestand er dann. »Bist du sicher, daß sie ihre Waffen wirklich bis zur vollen Stärke ausgespielt haben?« fuhr Atlan fort. »Ich glaube es nämlich nicht, und deshalb bin ich damit einverstanden, eine ihrer Welten anzufliegen. Die Pluuh haben klar genug gezeigt, daß sie uns nicht wirklich vernichten wollen. Andernfalls hätten sie ihre Kräfte weitaus wirkungsvoller einsetzen können.« »Du gibst also nach, weil du Angst empfindest«, zischte Brooklyn. Atlan schüttelte den Kopf. »Nicht deshalb, meine Liebe, sondern weil ich wissen will, was die Pluuh zu verbergen haben. Niemand riegelt ohne besonderen Grund ein solch großes, viele Planetensysteme umfassendes Gebiet ab.« »Ich bin nicht deine Liebe«, brauste die Magnidin auf. Bevor Atlan etwas erwidern konnte, meldete einer vom Ortungspersonal: »Raumfähre im Anflug. Sieht so aus, als wollte jemand an Bord kommen.« »Leitstrahl zur unteren Polschleuse!« befahl Palo Bow. »Wir
werden unsere Besucherin dort empfangen.« Auf ein Fahrzeug hatte Atlan nicht warten wollen. Mit den wenigen inzwischen einsatzfähigen waren SOLAG‐Angehörige im Schiff unterwegs, um die vom Angriff der Pluuh aufgeschreckten Solaner zu beruhigen. In der Peripherie der Solzelle waren Unruheherde entstanden. Atlan, Palo Bow und Bjo Breiskoll benutzten den zentralen Antigravlift. Sternfeuer und Argan U hatten zwar den Wunsch geäußert, sie zu begleiten, waren aber von dem Arkoniden mit stichhaltigen Argumenten belehrt worden, daß es sinnvoller sei, in der Zentrale zu bleiben. Gerade Sternfeuer als Telepathin konnte so eine bessere Hilfe sein. »Hoffentlich holen wir uns nicht einen Kuckuck ins Netz«, befürchtete der Katzer. »Einen was?« Der Magnide verstand nicht, was er meinte. »Vergiß es, das war nur eine Redensart.« Breiskoll. winkte lässig ab. Im nächsten Augenblick schreckte er auf. »Raus hier!« zischte er. »Sofort!« Sekunden später verließen sie den Schacht auf einem unbedeutenden Zwischendeck. Palo Bow packte den Katzer an der Schulter und wollte ihn zu sich heranziehen, doch Breiskoll wand sich blitzschnell aus seinem Griff. »Was soll der Unfug?« fauchte der Magnide. »Wenn es dir lieber wäre, mit zerschmetterten Knochen dort unten zu liegen.« Der Telepath deutete in die Tiefe. »Was hast du bemerkt?« fragte Atlan. »Da weiß jemand, daß wir kommen. Und dieser Jemand ist nahe daran, das Zugfeld umzupolen. Es wird zwar nicht wie ein Unfall aussehen, doch scheint ihm das herzlich egal zu sein.« Palo Bow zog ein kleines Sprechgerät aus der Tasche. »Wo ist der Kerl? Die SOLAG wird ihm einheizen.« Bjo Breiskoll schüttelte den Kopf. »Das hätte keinen Sinn …« Er schwieg unvermittelt, und es hatte
den Anschein, als lausche er in sich hinein. Als er wieder aufsah, lag ein nachdenklicher Zug um seine Mundwinkel. »Dieter Machon heißt der Mann. Er ist derjenige, der den Arbeitsroboter umprogrammierte.« »Dann gilt dieser erneute Anschlag wiederum mir«, sagte Atlan. »Wieso?« »Machon glaubt, genug Gründe dafür zu haben. Für jemanden, dessen Sehnsucht ein Leben lang dem interstellaren Raum galt, ist es schwer, sich plötzlich damit abfinden zu müssen, daß die SOL Planeten anfliegt, und das nicht nur, um Rohstoffe zu fassen.« »Die überwiegende Mehrheit der Solaner mag dieser Meinung sein«, stellte Bow fest. »Aber deshalb werden sie nicht zur Gefahr für andere.« »Machon auch nicht«, schüttelte Breiskoll den Kopf. »Es drängt ihn, etwas zu tun, das die alten Zustände wieder herstellt, gleichzeitig weiß er, daß niemand die Entwicklung aufhalten kann. Im Grunde ist er hin und her gerissen zwischen zwei Welten.« »Vielleicht sollte man ihm helfen«, spottete Bow. Zu seiner Überraschung nickte der Katzer. »Machon ist nicht schlecht, er würde auch nie einen Menschen töten können. Eigentlich versucht er etwas zu tun, wogegen sein Inneres sich mit aller Kraft sträubt – nur um sich selbst zu beweisen, daß er nicht tatenlos zusieht.« »Und?« »Er haßt sich selbst dafür.« »Dann können wir weiter?« »Ja.« »Wo ist er?« »Wir werden ihm begegnen, wenn wir den Schacht verlassen.« Sanft schwebten sie die letzten zweihundert Meter abwärts. Bevor sie in die Nähe der Polschleuse gelangten, trafen sie auf eine Gruppe von Solanern, die lebhaft miteinander diskutierten, bei ihrem Erscheinen aber verstummten.
»Der Rechte ist es«, flüsterte Breiskoll. Atlan ging auf den großgewachsenen, kräftigen Mann zu und streckte ihm die Hand entgegen. »Dieter Machon«, sagte er, »du wirst verstehen lernen, daß es viele Dinge gibt, für die es sich zu leben lohnt. Wir alle müssen irgendwann Opfer bringen, die momentan zwar schwer anmuten, die aber letztlich jedem zugute kommen.« Stumm starrte sein Gegenüber ihn an, dann wandte er sich jäh um und hastete davon. 7. Die Schleusenkammer füllte sich bereits wieder mit Luft, als Atlan, Bow und Breiskoll eintrafen. Keine Minute später standen sie der Pluuha gegenüber. »Mein Name ist Ganter Pleehs«, sagte sie. »Ich denke, wir werden einen angenehmen Flug haben.« »Das hoffe ich«, erwiderte Atlan mit besonderer Betonung. Auf dem Weg zur Zentrale bemerkte er, daß sein Gast sich mit besonderem Interesse umsah. Die SZ‐2 schien sie zu beeindrucken. Ganter Pleehs .sah aus wie viele Frauen an Bord – lediglich ihre Kleidung und das silbern gefärbte Haar, das sie hoch toupiert trug, zeigten, daß sie keine Solanerin war. »Wir Pluuh sind die eigentlichen Beherrscher von All‐Mohandot«, erklärte sie. »Unsere Macht üben wir aber nicht aus, sondern wir bewohnen lediglich einige hundert Kolonialwelten in jenem Bereich, den wir ansteuern werden.« Bjo Breiskoll nickte fast unmerklich. Also stimmt es, was die Pluuha sagte. Sehr geschickt, bemerkte Atlans Extrahirn. Sie spielt gleichzeitig auf ihre Stärke und ihre Friedfertigkeit an. Das heißt, wir dürfen keine Nachsicht erwarten, sollten wir irgendwie ihren Zorn herausfordern.
Ein Pulk pluuhischer Raumschiffe begleitete die SZ‐2 im Abstand von. beinahe hunderttausend Kilometern. Auch während des Fluges durch den Linearraum blieben sie auf dieser verhältnismäßig geringen Distanz. »Das gefällt mir nicht«, gab Palo Bow mehrfach zu erkennen. Doch mußte er sich damit abfinden. »Wenn sie zuschlagen wollten, hätten sie es längst tun können«, beruhigte Atlan die zum Teil erhitzten Gemüter, während Ganter Pleehs eine lebhafte Diskussion mit Sanny führte. Die Molaaten hatten versucht, sie über die Ysteronen auszufragen, doch zeigte sich, daß die Pluuha entweder nicht gewillt oder nicht in der Lage war, ihnen weitgehende Auskünfte zu geben. Eines aber stellte Atlan verblüfft fest: Ganter Pleehs unterhielt sich auf molaatisch ebenso gewandt und allem Anschein nach akzentfrei wie in Interkosmo. Darauf angesprochen, erklärte die Frau, daß es für keinen Pluuh Unterschiede in den Sprachen gäbe, sie verstünden jede auf Anhieb und beherrschten diese dann auch fehlerfrei. Einer solchen Eigenschaft war der Arkonide nie zuvor begegnet. Sie mit PSI‐Fähigkeiten zu umschreiben, hieß wahrscheinlich, es sich zu einfach zu machen. Die Pluuh sahen diese Tatsache als natürliche Eigenschaft an. Nun weißt du, weshalb Yasgard beim ersten Kontakt völlig normal reagierte. Trotzdem liegt darin ein großer Nachteil begründet – die Pluuh können auf Anhieb nicht erkennen, ob sie Fremden gegenüberstehen. Hyperfunkkontakt zur SOL war wieder möglich. Während Atlan und Breiskoll Ganter Pleehs auf deren Bitte hin verschiedene Einrichtungen der Zentrale erklärten, nutzte Brooklyn die Gelegenheit, mit Deccon Kontakt aufzunehmen. Auf dem Mutterschiff hatte man nach dem Abbrechen der Verbindung schon das Schlimmste befürchtet. Der High Sideryt schien erleichtert, daß dem nicht so war. »An Bord breitet sich eine seltsame Unruhe aus«, sagte er. »Manche Solaner scheinen zu befürchten, daß ihr nicht
zurückkehren werdet.« »Keine Angst«, grinste Brooklyn anzüglich. »Uns wird man so schnell nicht los. Wir melden uns wieder.« Einige Zeit hatte Breiskoll damit verbracht, die Gedanken der Pluuha zu sondieren, dann winkte er Atlan beiseite. »Ich möchte sie als Symboldenker bezeichnen«, stellte er fest. »Ihre Überlegungen zeigen sich nämlich in ganz anderer Struktur als ihre Worte. Diese Eigenschaft hat tatsächlich nichts mit PSI oder anderen Kräften zu tun, sie wird ganz einfach durch ein instinktiv arbeitendes Zusatzhirn möglich.« »Und?« machte Atlan. »Sie sind wirklich von Grund auf friedliebend. Jedenfalls denkt die Pluuha nicht im mindesten daran, uns zu verraten oder in eine Falle zu locken. Unsere beiden Magniden waren von Anfang an zu mißtrauisch.« Einen halben Tag dauerte der Flug bereits, ohne daß Ganter Pleehs sich über das geäußert hätte, was am Ziel auf die SZ‐2 wartete. Einen Teil dieser Zeit hatte Sanny im Observatorium zugebracht, und als sie zurückkam, eröffnete sie: »Wir fliegen eine kleine gelbe Sonne an, die über mehrere Planeten verfügt.« Ganter Pleehs musterte die Molaatin erstaunt. »Was weißt du vom Worsian‐System?« Sanny lächelte. Währenddessen erfuhr Breiskoll verschiedenes, was er für durchaus wissenswert erachtete. Die Pluuha dachte nicht im mindesten daran, daß es unter den Solanern Telepathen geben könnte. »Worsian liegt in einer Zone dichter Sternenansammlung«, sagte der Katzer. »Es ist euer Heimatsystem, in dem ihr mehr oder weniger zurückgezogen lebt.« Die Frau nickte – eine Geste, die sie entweder kannte oder instinktiv von den Menschen übernommen hatte. »Wir sind nicht wie viele andere Völker von einem
Expansionsdrang besessen, wir suchen auch nicht unbedingt Kontakte zu ihnen und gehen, wo immer es möglich ist, kämpferischen Auseinandersetzungen aus dem Weg. Meist genügt schon die Andersartigkeit im Aussehen oder in der Mentalität, um die Waffen sprechen zu lassen.« »Davon können wir ein Lied singen«, warf der Arkonide ein. »Nicht das Äußere, die Hautfarbe oder der Körperbau entscheiden, ob jemand gut ist oder schlecht.« »Du teilst unsere Meinung, Atlan. Dann weißt du vielleicht, weshalb wir mit dem zufrieden sind, was wir erreicht haben. Wir betreiben umfangreiche Forschungen und leben von den Erzeugnissen der erschlossenen Siedlungswelten. Außerdem macht niemand uns die Westseite von All‐Mohandot streitig.« Der Widerspruch war offensichtlich, Atlan ging sofort darauf ein. »Die Raumstationen und das von ihnen abgeriegelte Gebiet, sind das nicht Maßnahmen, die auf Verteidigung oder gar gesteigerte Angriffsbereitschaft schließen lassen?« »Sie dienen dem Frieden; All‐Mohandot kennt einen Feind, der erbarmungslos zuschlägt. Die Ysteronen sind seit einer Ewigkeit unterwegs, um Nickel aus Planetenkernen zu rauben, und sie nehmen dabei keine Rücksicht auf die Bewohner dieser Welten.« »Was geschieht mit jenen, deren Systeme zerstört wurden?« wollte Sanny wissen. Sie hatte erlebt, wie Molaaten spurlos verschwanden und hoffte nun, von der Pluuha eine Antwort auf all ihre Fragen zu erhalten. »Ich weiß es nicht«, sagte Ganter Pleehs jedoch. »Da wir keinen offenen Kampf wollen, haben wir schon vor über zweihundert Jahren begonnen, die Ysteronen in ihrem Sektor abzuriegeln. Obwohl sie alle möglichen Versuche starteten und auch heute noch Tricks anwenden, um die Barrikade zu umgehen, hat es seit mindestens fünfzig Jahren keines ihrer Schiffe mehr geschafft, den ihnen zugestandenen Lebensraum zu verlassen.« (Später stellte sich heraus, daß die Zeitrechnung der Pluuh jener auf der SOL und
damit der terranischen nahezu entsprach). »Fünfzig Jahre?« kreischte Sanny auf. »Das kann niemals stimmen. Du lügst.« Sie traf Anstalten, sich wütend auf die Pluuha zu stürzen, wurde aber von Atlan sanft zurückgehalten. Ganter Pleehs erbleichte. »Was willst du damit sagen?« »Daß unsere Welten erst vor kurzem von Ysteronen heimgesucht wurden. Eure Überwachung ist lückenhaft; ihr habt Mitschuld an allem Unheil …« »Nein«, hauchte die Pluuha. »Wir wissen, daß unsere Barrikade keine Dauerlösung sein kann, aber ohne diese Maßnahme würden die Ysteronen ganz All‐Mohandot überfluten.« »Vielleicht weichen sie in die Randbezirke aus, damit ihre Tätigkeit euch verborgen bleibt. Auf jeden Fall rauben sie auch heute noch.« »Ich verstehe dich nicht.« Ganter Pleehs zitterte kaum merklich. »Die Ysteronen können ihr Gebiet nicht verlassen.« Es war die Mentalität der Pluuh, die sie dem Problem hilflos gegenüberstehen ließ. Bjo Breiskoll erkannte es, schwieg aber, weil er die Frau nicht weiter verunsichern wollte. Er war überzeugt davon, früher oder später eine zufriedenstellende Erklärung zu finden. * Das Worsian‐System war erreicht. Die SZ‐2 und die Begleitschiffe verließen den Linearraum nur wenige Lichtminuten vor dem vierten Planeten, der weit von seiner Sonne entfernt war. Es handelte sich um eine sehr kühle Welt. Sie war erdgroß und wurde, wie Pleehs erklärte, als Forschungs‐ und Truppenstützpunkt genutzt. Worsian IV war eine reine Industriewelt, aber keineswegs dicht besiedelt. Es gab durchaus
einsame Landstriche, hohe, eisbedeckte Gebirge und in den Tälern geringen pflanzlichen Bewuchs. Auf Atlan wirkte diese Welt kalt und unfreundlich. Die Solzelle landete auf einem kleinen Raumhafen, neben einigen Frachtern. Kaum jemand schien Notiz von dem mächtigen Kugelraumer zu nehmen, der nur mit Hilfe des Antigravs herabsank und eine Bilderbuchlandung durchführte. Insgeheim rieb Palo Bow sich deswegen die Hände, denn er hatte es darauf angelegt, die Pluuh zu beeindrucken. »Atlan, du und mehrere deiner Leute werden mit mir das Schiff verlassen«, sagte Ganter Pleehs. »Man erwartet uns bereits.« Es war selbstverständlich, daß Bjo Breiskoll mit von der Partie war, ebenso Breckcrown Hayes. Die Molaaten ließen es sich ebenfalls nicht nehmen. Sternfeuer und Federspiel blieben an Bord zurück, um den Kontakt zwischen ihnen aufrechtzuerhalten. Palo Bow und Brooklyn schließlich fügten sich nur widerwillig, aber sie sahen die Notwendigkeit ein, daß das Schiff wenigstens vorerst nicht ohne Führung bleiben durfte. Ihr Interesse an dieser fremden Welt schien durchaus stärker zu sein als der den meisten Solanern eigene Widerwille, einen Planeten zu betreten. »Wenn wir sehen, daß tatsächlich keine Gefahr droht«, stellte Bow in einem Tonfall fest, der keinen Widerspruch duldete, »werden wir nachkommen.« Ein tropfenförmiger Gleiter wartete bereits vor dem Schiff. Der Flug dauerte nur wenige Minuten, aber man genoß den Komfort und die Bequemlichkeit, die geboten wurden. Eine fremd klingende, einschmeichelnde Melodie umfing die Solaner wie der laue Hauch der Frühlingssonne. Darüber vergaßen sie, daß ein eisiger Wind sie eben noch hatte frösteln lassen. Das Fahrzeug überflog die Hafengebäude und näherte sich einer Ansiedlung. Die kühne Architektur paßte sich gut den Gegebenheiten von Worsian IV an – ein harmonisches Nebeneinander modernster Technik und Natur, ohne daß eines von
beiden in seinen Freiheiten eingeschränkt wurde. Landeplatz war das Dach des höchsten Gebäudes. Ein Antigravlift brachte die Pluuha und ihre Begleiter zu einem holzgetäfelten Konferenzraum, wo sie erwartet wurden. Den Anwesenden schien nichts zu entgehen, ihre Blicke brannten sich förmlich in die der Solaner. – Jemand wies ihnen Plätze zu. Ganter Pleehs verneigte sich vor einem etwa fünfzigjährigen, grauhaarigen Mann, der an der Stirnseite des Tisches saß. Sie stellte die Solaner vor und fuhr, an Atlan gewandt, fort: »Baster Minn ist der Sprecher aller Pluuh von Worsian IV. Er ist Wissenschaftler.« Minn schien nicht der Mann zu sein, der sich lange mit Phrasen aufhielt. »Man berichtete mir, daß ihr nach den Ysteronen sucht. Wieso? Diese Wesen können keine Freunde haben.« »Wir wollen herausfinden, welchem Zweck die Nickeldiebstähle dienen, in der Hoffnung, diese unterbinden zu können.« »Du hast dir viel vorgenommen, Atlan, wenn du die Wahrheit sagst. Ihr stammt weder aus All‐Mohandot noch aus einem der vorgelagerten Sternhaufen, und doch wollt ihr euch unserer Probleme annehmen? Ehrlich gesagt, verstehe ich das nicht, denn selbst einige Völker in unserer Nachbarschaft halten es für unter ihrer Würde, sich mit den Ysteronen zu befassen, eben weil sie nie davon betroffen waren. Was erhofft ihr euch?« »Nichts«, sagte Atlan spontan. Baster Minn blickte ihn entgeistert an. »Es tut mir leid«, schnaufte der Pluuh, »aber ich kann dir nicht glauben. Euer Schiff ist groß und vermutlich hervorragend bewaffnet. Obwohl ihr den Test bestanden habt, sagt dies nichts über eure wirklichen Absichten aus. Wie kommt es, daß ihr als Fremde ausgerechnet in unmittelbarer Nähe des Ysteronen‐Sektors auftaucht? Zufall?« »Wir erhielten einen Hinweis auf jene Region.« Jetzt lachte Baster Minn. »Von wem? Niemand außer den Pluuh kennt die genaue
galaktische Position.« Atlan preßte die Lippen zusammen. Wie sollte er die Existenz Chybrains erklären, von dem er selbst nichts wußte, außer, daß es dieses Kristallei eben gab. Die Reaktion darauf konnte er sich nur zu gut vorstellen. Sein Schweigen indes schien der Wissenschaftler auf ähnliche Weise auszulegen. Atlan erkannte es an Breiskolls Mimik. »Ich kann dir keine glaubhafte Erklärung dafür geben«, sagte er. »Wenigstens bist du offen oder versuchst, es zu sein.« »Unsere Absicht ist, den Frieden in All‐Mohandot zu gewährleisten.« »Friede«, machte Minn. »Seit fünfzig Jahren herrscht Ruhe, hat niemand mehr von den Ysteronen gehört.« »Du irrst«, rief Sanny wütend aus. »Mein Volk wurde von ihnen verschleppt, getötet oder … ich weiß es nicht. Und das ist beileibe nicht lange her.« Baster Minn schüttelte den Kopf, als könne er das eben Gehörte nicht glauben. »Vielleicht haben diese … diese Diebe einen Weg gefunden, sämtliche Absperrungen zu überwinden, womöglich halten nicht einmal Energieschirme sie zurück.« Die Molaatin redete sich in Rage. »Jeder Pluuh behauptet, nur das Beste zu wollen, aber in Wirklichkeit rührt ihr keinen Finger. Müssen erst Fremde wie Atlan und seine Freunde kommen, um uns zu helfen? Er verlangt nichts dafür, ihm geht es wirklich nur um den Frieden. Inzwischen kenne ich ihn lange genug, um das beurteilen zu können. Du aber, Minn, was kannst du, außer große Reden schwingen?« Der Pluuh starrte sie entgeistert an. Um seine Mundwinkel begann es vorübergehend zu zucken, doch hatte er sich sofort wieder unter Kontrolle. »Sanny hat ihn fast überzeugt«, flüsterte Breiskoll dem Arkoniden zu. »Dann handelt Atlan in deinem Auftrag?« wollte Baster Minn wissen.
»Wir sind noch fünf unseres Volkes«, wehrte die Molaatin ab. »Wir besitzen nichts, wofür es sich zu kämpfen lohnt.« »Aus freien Stücken heraus tut er das bestimmt nicht.« »Ich bin im Auftrag höherer kosmischer Mächte unterwegs«, erklärte Atlan unverhofft. Baster Minn schwieg betreten; Ganter Pleehs stöhnte leise. »Deshalb wußte dein Freund vom Worsian‐System. Allmählich fange ich an zu verstehen.« Die Pluuh gaben sich mit der eigentlich dürftigen Erklärung überraschend schnell zufrieden. In ihren Gesichtern war nicht zu lesen, was sie bewegte, selbst der Katzer konnte es nicht herausfinden. Irgendwie entzogen sich ihm ihre Gedankengänge. »Keiner von euch kennt die Ysteronen«, stellte Minn fest. »Was würdet ihr davon halten, einen dieses Volkes aus nächster Nähe zu sehen? Girgeltjoff weilt freiwillig auf unserer Welt, und ich bin verantwortlich für ihn, weil ich mich bei meinen jüngsten Forschungen vor allem mit dem Nickelproblem befasse. Leider bin ich dabei noch keinen Schritt weitergekommen.« »Du willst uns zu ihm hinführen?« »Ja«, sagte Baster Minn. Hoffentlich erwartet er nun keine Wunder von dir, bemerkte Atlans Extrahirn spitz. Der Arkonide ging nicht darauf ein. Im Moment jedenfalls sah es so aus, als sei die bloße Erwähnung der »höheren kosmischen Mächte« der Schlüssel zu einem besseren Miteinander gewesen. Eine Eskorte begleitete sie. Das Ziel war ein hoher, außerhalb der eigentlichen Ansiedlung gelegener Kuppelbau. In offenen, gleiterähnlichen Fahrzeugen, die von den Pluuh Luftschlitten genannt wurden, näherte man sich schnell. Allerdings landeten die Piloten bereits ein beträchtliches Stück vor dem Gebäude. Den Rest der Strecke legte man zu Fuß zurück. Noch bevor die Kuppel erreicht war, an der ein hohes Tor ins Auge stach, kam von der SZ‐2 her ein Gleiter. Brooklyn und Palo
Bow waren die Passagiere, und ehe Atlan sie nach dem Grund ihres Erscheinens fragen konnte, startete die Maschine wieder. Der Magnide grinste anzüglich. »Sternfeuer hat uns informiert«, sagte er. »Natürlich sind wir dabei, wenn ihr euch den Ysteronen vornehmt.« Was blieb Atlan anderes übrig, als zuzustimmen? Gerade vor den Pluuh durfte er keine Uneinigkeit erkennen lassen. Irgendwie war es ein seltsames Gefühl, das den Arkoniden beschlich. Der Kuppelbau mochte einst als Lagerhalle gedient haben. Weshalb man ausgerechnet in seinem Innern den Ysteronen gefangen hielt, blieb dahingestellt. Atlan war auf alles vorbereitet, nicht jedoch auf das, was er dann wirklich zu sehen bekam, als endlich das Tor geöffnet wurde. Zuerst fiel sein Blick auf vier mächtige, säulenförmige Beine, die weit in die Höhe ragten. Allein um den Körper dieses riesenhaften Lebewesens erkennen zu können, mußte er den Kopf in den Nacken legen. Einige seiner Begleiter ließen erstaunte Ausrufe hören. Girgeltjoff glich der Statue in der Robotstation aufs Haar, nur war er um ein Vielfaches größer. Atlan schätzte ihn auf zwanzig Meter. Entgegen den Erwartungen aller, wirkte der Ysterone gar nicht gefährlich, als er sich bückte. Eher blickte er ängstlich und verstört auf die Menschen. Auch Scham zeichnete sich in seinen Zügen ab. Dann entdeckte er die Molaaten, die sich hinter den anderen hielten und entsetzt zu dem für ihre Begriffe gigantischen Girgeltjoff hinauf starrten. Der Ysterone schrie auf und sackte förmlich in sich zusammen. Er schlug sich die Hände vors Gesicht und brach in ein lautes Wehklagen aus, das nicht enden wollte. Atlan empfand plötzlich Mitleid mit ihm. ENDE
Atlan und seine Begleiter von SZ‐2 haben Kontakt zu den Pluuh aufgenommen, einem Volk, das den Ysteronen als ungebeten Gäste bei sich hat. Um dieses Wesen geht es auch im Atlan‐Roman der nächsten Woche. Der Band wurde von Kurt Mahr geschrieben und erscheint unter dem Titel: DER YSTERONE