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IN JEDES HAUS GEHÖRT DIESES WERK das ist das überzeugende Urteil von Presse und Rundfunk über die große, spannend geschriebene Weltgeschichte „Bild der Jahrhunderte" des Münchner Historikers Otto Zierer. Von ungeheurer Dramatik sind die Bände dieses neuartigen, erregenden Geschichtswerkes erfüllt. Hier sind nicht, wie in Lehrbüchern alter Art, die historischen Ereignisse mit trockener Sachlichkeit aneinandergereiht: die Vergangenheit wird vor dem Auge des Lesers in kulturgesdiichtlichen Bildern zu neuem Leben erweckt. Menschen wie Du und ich schreiten über die wechselnde Bühne der Geschichte und lassen den Ablauf der Jahrhunderte, das Schauspiel vom Schicksal der Menschheit, ergriffen miterleben. Zierers „Bild der Jahrhunderte" ist ein Werk für die Menschen unserer Zeit, für die Erwachsenen wie für die Jugend. DER
KAUF
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„Schüler, deren Eltern das Bild der Jahrhunderte zu Hause haben, sind die besten Geschichtskenner in meinen Klassen", schreibt ein bekannter Erzieher. Der Verlag hat die Beschaffung der Bücherreihe leicht gemacht. Um jeder Familie den Kauf dieses prächtig ausgestatteten Standardwerkes zu ermöglichen, werden günstige Zahlungserleichterungen eingeräumt. Das „Bild der Jahrhunderte" kann auf Wunsch bei sofortiger Lieferung ohne Anzahlung gegen zwanzig Monatsraten erworben werden.- DM10,90 für die RotleinenAusgabe, DM 13,75 für die Lux-Luxus-Ausgabe. Das Werk besteht aus zwanzig Doppelbänden, dem Band 41/44 und dem Historischen Lexikon; es umfaßt rund 8000 Seiten. 189 ausgewählte Kunstdrucktafeln, 500 Lexikonbilder und 124 historische Karten ergänzen den Text. Jeder Band enthält Anmerkungen, ausführliche Begriffserklärungen und Zeittafeln. SCHREIBEN
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VERLAG
SEBASTIAN
LUX
MURNAU • MÖNCHEN • INNSBRUCK • ÖLTEN (SCHWEIZ)
K L E I N E
B I B L I O T H E K
D E S
W I S S E N S
LUX-LESEBOGEN NATUR- UND KULT URKUNDLICHE HEFTE
Signature Not Verified
Mannfred Mann
Digitally signed by Mannfred Mann DN: cn=Mannfred Mann, o=Giswog, c=DE Date: 2005.01.25 16:15:19 +01'00'
VERLAG S E B A S T I A N LUX MURNAU • M Ü N C H E N - I N N S B R U C K • O L T I N
In einem armseligen Kramladen in einem mecklenburgisdien Städtchen schafft ein schmächtiger Junge, füllt den Kunden die Tüten und fegt abends den Schmutz hinaus, den sie von der Straße hereingetragen. Neunzehn Jahre ist er alt, aber seinem schwächlichen Körper sieht man es nicht an. Eines Tages verhebt er sich an einem schweren Faß, und nun ist es ganz aus, der Kranke kann nicht mehr arbeiten.
In St. Petersburg, in dem mäditigen Kaiserreich Rußland, sitzt ein geschäftiger Großkaufmann, kauft und verkauft in aller Welt und läßt sein Millionenvermögen arbeiten und sich vermehren. Er ist gebürtiger Deutscher, aber Bürger der freien Vereinigten Staaten ' von Amerika und gleichzeitig erblicher russischer Ehrenbürger, Richter am St. Petersburger Handelsgericht und Direktor der kaiserlichen Staatsbank zu St. Petersburg. Auf lthaka in Griechenland steht ein Fremder mitten unter den Hirten und Bauern der kleinen Insel und liest ihnen, selber ergriffen, in der klangvollen altgriechischen Sprache aus Homers Odyssee die Heimkehr des Odysseus nadi lthaka vor, bis die Männer ihn unter Tränen umarmen und küssen. — Derselbe Europäer hockt nachts am Ufer des Nils beim Schein des Feuers im Kreise von Arabern und trägt ihnen in ihrer Sprache feierlich die Suren des Korans vor.
Und wieder in einer anderen Ecke der Welt, in der Troas, der großen Ebene im Hordwesten von Kleinasien: da kniet ein Sechzigjähriger im Schutt und liest behutsam ein paar jahrtausendealte Topfscherben auf, um sie zu bergen. Unter brennender Sonne, bei 42 Grad im Schatten, und bei eiskaltem Nordostwind, wenn die Pfützen sich mit Eis bedecken, leitet er hundert Arbeiter an und schreibt in glühender Abendhitze oder winters mit klammen Fingern nieder, welche Ausbeute der Tag ihm gebracht hat. Vier so verschiedene Mensdten — und doch eine Person, ein Leben. Wer ist dieser seltsame, scheinbar so wandlungsfähige Mann?
Heinrich Schliemann Fern der großen Welt, in Neubuckow, einem Städtchen in Mecklenburg-Schwerin, wurde Heinrich Schliemann, von dem wir hier sprechen, am 6. Januar 1822 als Sohn eines Pfarrers geboren. Die ersten Jahrs seiner Kindheit verlebte er in dem Dorfe Ankershagen, wohin sein Vater versetzt worden war. Es lag ebenfalls in Mecklenburg. In dieser Zeit deutete nichts darauf hin, daß in dem kleinen Pfarrerskind ein großer Weltmann schlummerte. Und kein Umstand seiner Jugend erleichterte ihm den Weg dahin. Die dörfliche Umwelt lenkte seine Gedanken nicht auf ferne Ziele; auch die Dorfschule, die er besuchte, und das Wissen, das sie ihn lehrte, waren zu eng, als daß sie ihn in die Weite entführt hätten. Aber die Geschichten von der „goldenen Wiege" im nahen Hünengrab, von ungeheuren Schätzen und geheimen Gängen in dem mittelalterlichen Schloß und von den Untaten des „Henning Bradenkirl", eines alten Raubritters, erregten die starke Phantasie des Jungen. Der Vater Heinrich Schliemanns war ein eigenartiger Mann. Er war wenig seinem Berufe, um so mehr aber der Wissenschaft und dem Leben zugewandt. Er erzählte gern Geschichten aus dem Altertum, mit besonderer Vorliebe berichtete er von den Ausgrabungen in Pompeji und von dem Kampf um Troja. Als er dem Achtjährigen eine „Weltgeschichte für Kinder" schenkte, in der sich ein Bild des Äneas befand, wie er aus dem brennenden Troja flieht, kam der Junge nicht mehr los von dem Schicksal der sagenhaften Stadt. Fünfzig Jahre später schrieb er in seiner kleinen „Selbstbiographie" darüber: „,Vater', sagte ich, ,wenn solche Mauern einmal dagewesen sind, s>o können sie nicht ganz vernichtet sein, sondern sind wohl unter dem Staub und Schutt von Jahrhunderten verborgen.' Nun behauptete der Vater wohl das Gegenteil, aber ich blieb fest bei meiner Ansicht, und endlich kamen wir überein, daß ich dereinst Troja ausgraben sollte." — Der Vorgang mag aus dem Abstand eines halben Jahrhunderts rückblickend in romantischer Verklärung gesehen sein. Doch muß er sich doch ungefähr so abgespielt haben, wie Schliemann ihn in der Erinneiung sah. Denn Heinrich Schliemann hat das Kinderbuch, das den Anlaß dazu gab, bis an sein Lebensende in seinem Archiv aufgehoben, und seit dieser Zeit beherrschte Troja seine Gedanken. Vierzig Jahre später erst stand er tatsächlich vor dem Schuttberg, der Troja barg, und setzte den Spaten zu einer der erregendsten Ausgrabungen der Geschichte an. Zunächst aber ging es bergab, und die Ruinen von Ilion wichen immer weiter zurück in den Nebel des Unerreichbaren.
Als Heinrich neun Jahre alt war, starb seine Mutter. Das war für die sieben Kinder ein sehr harter Schlag, denn sie war die Seele der Familie gewesen. Da sie so früh aus dem Leben ging, wissen wir nur wenig von ihr, doch muß sie ein feiner, zartfühlender Mensch gewesen sein. Von ihi hat Schliemann geerbt, was er an Anständigkeit und Pflichtbewußtsein ins Leben mitnahm. Der Vater gab den Jungen aus dem vereinsamten, umdüsterten Elternhause zu einem Oheim in Pflege, der in dem Dorfe Kalkhorst in Mecklenburg Prediger war. Da aber schwere Geldsorgen über die Familie hereinbrachen, mußte der junge, äußerst begabte Schliemann die eben begonnenen humanistischen Studien wieder aufgeben. Er wurde vom Vater als Lehrling in einen kleinen Krämerladen im nahegelegenen Städtchen Fürstenberg gesteckt. Ein grauer Alltag hielt für fünfeinhalb Jahre den Jungen in seinem Bann. Der von Griechenland geträumt hatte, stand nun hinter dem abgenutzten Ladentisch einer bescheidenen Warenhandlung, in die nur das ärmste Volk eintrat, wog Salz und Zucker ab, bereitete Kartoffeln für die Branntweinbrennerei und fegte den Laden. Eine feste Verkaufszeit gab es damals noch nicht, von fünf Uhr morgens bis elf Uhr abends war er tätig. Keine freie Minute blieb ihm zum Lernen und kein ruhiger, ungestörter Gedanke für die Wissenschaften. Doch die Liebe zu ihnen starb in seiner Seele nicht. Was für ein erschütterndes Ereignis muß es für ihn gewesen sein, als eines Abends ein wandernder Müllergeselle in den Laden trat und in griechischer Sprache Homer vorzutragen begann! Gierig sog Heinrich Schliemann den Klang der fremden, unverstandenen Sprache in sich ein. „Dreimal mußte er mir die göttlichen Verse wiederholen, und ich bezahlte ihn dafür mit drei Gläsern Branntwein, für die ich die wenigen Pfennige, die gerade mein ganzes Vermögen ausmachten, gern hingab. Von jenem Augenblick an hörte ich nicht auf, Gott zu bitten, daß er in seiner Gnade mir das Glück gewähren möchte, einmal Griechisch lernen zu dürfen." Wahrlich, ein bescheidener Wunsch! Was andere junge Menschen auf der Schule in leichter Qual sich zwangsweise einfüllen lassen, darum betet hier einer, der nach Wissen hungert. Und auch dieses Begehren wird er sich aus eigener Kraft, wenn die Zeit gekommen ist, in rauschartiger Begeisterung erfüllen, mögen auch noch sechzehn oder achtzehn Jahre darüber vergehen. Aber noch steckte er in Fürstenberg, und niemand war da, ihn aus seiner niedrigen Stellung zu erlösen, in der er nichts lernte und Zeit und Kraft fast nutzlos vergeudete. Und selbst dieser Arbeit war er körperlich kaum gewachsen. Schließlich fiel die Entscheidung über seine Zukunft: an einem schweren Faß verhob er sich und zog sich ein Brustleiden zu.
Er mußte die Stellung aufgeben und stand mit neunzehneinhalb Jahren krank und arbeitslos unter fremden Menschen. Doch dieses Unglück, der körperliche Zusammenbruch, der ihn seine Stellung kostete und ihm, wie es schien, den letzten festen Halt seines Daseins nahm, war in Wirklichkeit für ihn die Befreiung, das Wunder, das sein Leben wendete. Nicht den festen Halt nahm er ihm, sondern nur die harte Fessel, die seine Kräfte an Niedrigkeit und Enge band. Den festen Halt trug er in sidi selber. So zog er im Jahre 1841 hinaus aus der Heimat, fort aus der falschen Lehre, für die Augen der Menschen nichts als ein stellenloser Handlungsgehilfe, aber genug für seinen Willen: sein eigner Herr.
Flucht aus der Enge Über das Ziel war Heinrich Schliemann sich durchaus nicht im klaren, nur darüber, daß er aus der Enge herauswollte. Er wußte, daß er bisher nichts Rechtes gelernt und das wenige, was er aus der Kindheit mitgebracht hatte, längst wieder vergessen hatte. Und er wußte auch, daß man ein festes Wissen brauchte, wenn man im Leben vorwärtskommen wollte. Jetzt nahm er sich selber in die Lehre. Sein erster Aufenthalt war Rostock. Vom Morgen bis zum Abend saß er in seiner elenden Kammer und lernte. Nach wenigen Monaten schon beherrschte er die gesamte doppelte Buchführung. Dabei zeigte sich zum erstenmal, wie schnell er zu arbeiten und aufzunehmen imstande war, wenn er frei und selbständig lernte. Und schon ging es weiter nach Hamburg. In dieser Stadt suchte er Fuß zu fassen, um seine kaufmännische Ausbildung fortzusetzen, und freilich auch, um etwas zu verdienen, denn er hatte buchstäblich keinen Taler mehr, seine Miete zu bezahlen. Mit dem besten Willen ging er ans Werk, doch er war ja kein gesunder Mann. Blutspeien und Brustschmerzen machten ihm die schwere Arbeit unmöglich, und so verlor er jede Stellung schon nach wenigen Tagen. Seine Not wuchs. Hamburg war nicht das, was er erhofft hatte; die Stadt verschloß sich ihm. Er mußte wohl noch weiter gehen, über Deutschlands Grenzen hinaus. Jetzt erwachte seine Sehnsucht in die Ferne. Ein Schiffsmakler, der mit seiner Mutter zusammen aufgewachsen war, half ihm schließlich und vermittelte ihm eine Stelle in Venezuela. Als Passagier an Bord einer kleinen Brigg trat er am 28. November 1841 die Überfahrt nach Amerika an. Doch es war ihm anscheinend bestimmt, daß er seine Pläne nie verwirklichen konnte. Kaum war das Schiff auf See, da setzte Sturm aus Norden ein. Mit Kurs Nordwest
steuernd, trieben sie westwärts. Von Tag zu Tag verschlechterte sich das Wetter. Am 11. Dezember riß das einzige Segel, das sie führen konnten und das allein dem Schiff noch etwas Steuerdruck verlieh. Führungslos waren sie nun dem immer noch wachsenden Sturm ausgeliefert. Bei 6 bis 8 Grad Kälte, während die Wellen über das Deck fegten und dazwischen Schneeböen die ermüdeten Menschen peitschten, trieben sie vor dem Orkan durch die Nacht. Die Mannschaft kam nicht mehr von Deck, der Kapitän suchte verzweifelt an Hand der Seekarte den Schifisort festzustellen, und die armen Passagiere riefen alle Heiligen an. Nur einer verlor in all dem tollen Durcheinander dieser Sturmnadit nicht die Nerven. Schhemann hatte sich zur Ruhe gelegt. Daß sie Schiffbruch erleiden könnten, erschien ihm einfach unmöglich. Muß einem Menschen; der mit solcher Zuversicht und inneren Sicherheit die Reise ins Leben antritt, nicht alles sich zum Heile wenden? Vorerst freilich, als das Schiff auflief, das Wasser in die Kajüte drang und sie sich mit knapper Not an Deck retten konnten, in diesem Augenblick, da er, fast nackt, von Bergen eiskalten Wassers Übergossen und hingeschleudert, sich endlich festbinden konnte, da schien auch sein Lebensstern unteizugehen. Eine Stunde lang kämpfte er verzweifelt, jede Hoffnung auf Rettung schien sinnlos. Dann kehrte seine Entschlossenheit, ja „eine nie gefühlte Todestollkuhnheit" zurück. Als das Schiff vollends zerschlagen wurde, trieb er noch mehrere Stunden, an eine leere Tonne angeklammert, in den Wogen, bis er halb besinnungslos an die Küste der holländischen Insel Texel geworfer, wurde. Von der Kälte wie gelähmt, mit eingeschlagenen Zähnen, Wunden im Gesicht und am Körper, ohne Geld und ohne Besitz: so wurde er aufgefunden. Kein guter Anfang im fremden Land! Aber die Schiffbrüchigen wurden freundlich aufgenommen und unterstützt. Nur als sie nach Hamburg zurückgeschickt werden sollten, machte er nicht mit. Wieder nach Deutschland zu gehen, wo er so unglücklich gewesen war, das lehnte er ab. Er vertraute der Fremde — und seinen Kräften. Mit zwei Gulden, die der Konsul in Texel ihm gab, fuhr er nach Amsterdam.
Die rechte Lehre Amsterdam! Was die Fremde bedeutet, spürte der zwanzigjährige Kaufmannslehrling, als er ohne Stellung, ohne Geld und sogar ohne Rock im Winter durch die Straßen der reichen Handelsstadt wanderte. Es kam so weit, daß er, um nicht zu verhungern, sich krank stellen mußte, damit er ins Hospital aufgenommen wurde. Doch das Glück, das ihn durch sein Leben begleitete, stand ihm auch hier zur Seite. Das erste Merkwürdige war, daß er nach seiner erzwungenen Wasserkur in der
Mauerwerk Trojas in der Nähe des Südwesttores
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winterlichen Nordsee von seinem Brustleiden völlig geheilt war und sein Körper seitdem gesund und widerstandsfähig blieb bis in sein Alter. Das zweite Glück in seinem Unglück kam von dem Hamburger Schiffsmakler, der ihm schon einmal geholfen hatte.' Dem hatte er von der mißglückten Amerikareise und dem Schiffbruch berichtet. Und dieser Brief erreichte jenen gerade bei einem Festmahl im Kreise von Freunden, und unter allgemeiner Teilnahme begannen sie zu sammeln. Die 240 Gulden halfen Schliemann aus der wirtschaftlichen Not, und durch die Empfehlung des Maklers bekam er Anfang 1842 eine Stellung und damit festen Boden unter den Füßen. Kaum aber hatte er Wurzel schlagen können, als er zu wachsen begann. Seine bescheidene Tätigkeit als Kassenbote ließ ihm genug Zeit und Gelegenheit zu eigener geistiger Arbeit. So klein sein Gehalt zunächst war, die Hälfte davon verwendete er für seine Studien. So blieb für den Lebensunterhalt wenig genug. Man muß es mit seinen Worten vernehmen, wie er lebte: „Meine Wohnung, für die ich monatlich acht Frank bezahlte, war eine elende, unheizbare Dachstube, in der ich im Winter vor Frost zitterte, im Sommer aber unter der glühendsten Hitze zu leiden hatte. Mein Frühstück bestand aus Roggenmehlbrei, da? Mittagessen kostete mich nie mehr als 16 Pfennig. Aber nichts spornt mehr zum Studieren an als das Elend und die gewisse Aussicht, sich durch angestrengte Arbeit daraus befreien zu können." Schliemann begann ganz planmäßig auf der untersten Stufe, dort, wo viele andere gar nicht suchen: bei der eigenen Muttersprache, die er nach seinen Worten jetzt erst „richtig zu sprechen und zu schreiben lernte". Dann nahm er zwanzig Stunden Unterricht in guter Handschrift. Und nach diesen Vorarbeiten erst fing er an, fremde Sprachen zu studieren. Er war aber kein Dutzendmensch, der sich mit dem Herkömmlichen begnügte. So entwickelte Schliemann sofort eine Methode des Sprachstudiums, die seinen Fähigkeiten angepaßt war. Auf seinen Gängen hatte er stets ein Buch bei sich und benutzte jede leere Minute, etwas auswendig zu lernen. Sobald er nachts wachte, wiederholte er, was er am Abend gelesen hatte. „Da das Gedächtnis bei Nacht viel konzentrierter ist als bei Tage, fand ich auch diese nächtlichen Wiederholungen von größtem Nutzen; ich empfehle dies Verfahren jedermann." Nach einem halben Jahre beherrschte er die englische Sprache fließend in Wort und Schrift, nach einem weiteren auch die französische. Die folgenden Sprachen Holländisch, Spanisch, Italienisch und Portugiesisch erforderten nur noch jeweils sechs Wochen. Einem Mann mit diesen Kenntnissen genügte die Tätigkeit eines Bürodieners nicht. Und er hatte wirklich das Glück, am 1. März 1844
bei dem Amsterdamer Exporthaus B. H. Schroeder als Korrespondent und Buchhalter angestellt zu werden. Sein Eifer verdoppelte sich. Sein Chef ' bemerkte das und steigerte sein Gehalt. Doch er erkannte nicht nur den Eifer, sondern auch die besonderen kaufmännischen Fähigkeiten des jungen Korrespondenten. Er betraute Schliemann mit immer neuen Aurgaben, und mit jeder Aufgabe wuchsen seine Kraft und Umsicht, seine Fachkenntnis und sein kaufmännisches Geschick. Noch ehe zwei Jahre vergangen waren, war er bereits erster Buchhalter über fünfzehn Angestellte und erhielt Handelsvollmacht. Inzwischen begann er, um sich seinem Chef für sein Entgegenkommen dankbar zu erweisen, auch noch die russische Sprache zu lernen. Da er in Amsterdam keinen Lehrer dafür find, ging er auf eigene Faust und mit bestem Erfolg an diese Aufgabe heran, so daß er schon nach wenigen Wochen den ersten Brief für sein Handelshaus schreiben und sich bald auch mit den russischen Geschäftsfreunden fließend unterhalten konnte. Alle diese Umstände zusammen ließen in kaum fünf Jahren den kleinen Handlungsgehilfen zum erfahrenen Großkaufmann reifen. Seine Lehrzeit war beendet, die Zeit der Bewährung begann. Im Januar 1846 schickte Schroeder Schliemann als seinen Vertreter nach St. Petersburg.
Sprung nach Rußland und den USA Schliemann fing das neue Leben gleich in dem ihm eigenen Tempo an. In einer Geschwindreise fuhr er von Amsterdam nach St. Petersburg, besuchte Geschäftsfreunde und Behörden und war sieben Tage später schon weiter unterwegs nach Moskau. „Wahrlich, nichts Grausameres als eine Reise von 100 starken Meilen im offenen Schlitten, 46 Stunden lang, bei einer fortwährenden Kälte von 32—35 °R und beständigem, ins Gesicht wehendem Winde. Das Quecksilber gefriert auf den Stationen." So schrieb er an den Vater. Das Agenturgeschäft für Schroeder und Co. in Amsterdam und die sechs Zweigfirmen in verschiedenen Ländern erforderten schon eines Mannes ganze Kraft. Daneben schloß er mehr und mehr auch Geschäfte auf eigene Kosten ab. Erst ein Jahr wirkte er in Petersburg, als er bereits in die Gilde der Großhändler aufgenommen wurde. Das war geschäftlich für ihn von großer Bedeutung, denn es sicherte ihm einen hohen Bankkredit, machte ihn also finanziell unabhängig und freizügig in seinen Unternehmungen. Im Frühjahr 18 50 machte Heinrich Schliemann sich plötzlich auf nach Amerika. In jener Zeit nach den ersten Goldfunden im Jahre 1848
griff der Goldrausch von Kalifornien auf die Welt über Heinrich Schhemann stellte die großen Möglichkeiten ganz nüchtern, in seine Rechnung Er wollte verdienen, um frei von den Menschen zu werden und' um mi* dem Geld seine Aufgabe m Troja zu losen Aber wieder drohte der Ozean ihm den Zutritt zum Lande der Hoffnung zu versagen Sem Schiff, diesmal cm Dampfer, geriet in schwerste Wintersturme Mitten im Atlantik, halbwegs zwischen Europa und Amerika, zerschlug eine riesige Welle die Maschmenanlage Sie schienen hoffnungslos verloren, doch es gelang, mit Notsegeln nach Irland zurückzukehren Abergläubisch war Schhemann nicht Fr veisuchte es sofort ein zweites Mal und erreichte im Februar endlich wohlbehalten New York Er war nicht zum Vergnügen hinübergegangen, sondern um zu wirken Sechs Tage nach seiner Ankunft in Amerika war ei bereits m Washington, wohnte den Veihandlungen des Kongresses bei und meldete sich beim Präsidenten Er brachte den Abend bei ihm und im Kreise semer Familie zu und wurde mit den leitenden Mannern des Staates bekannt Und war doch nur achtundzwanzig Jahre alt und erst sechs Tage im Lande Diese Sicherheit des Auftretens und die Fähigkeit, sich die Adenschen, die ihm nutzlich sein konnten, zu verbinden, halfen ihm oft in seinem leben Wenige Tage nach dem Besuch in Washington leiste er über Panama nach San Franzisko und traf im April endlich in Sacramento cm Bevor ei ein eigenes Geschäft eröffnete, reiste er mehrere Wochen duich die Minenbezirke und das Land Meikwurdig wo etwas Besonderes geschah, war Schhemann dabei Als am 4 Juni ]8 5O in San Franzisko ein Riesenbrand ausbrach befand er sich natürlich in der Stadt Wie das Wasser konnte ihm aber auch das Feuer nichts anhaben, im letzten Augenblick entrann er dem Tode Und als am 4 Juli 18 50 Kalifornien zum Staat erhoben wurde, weilte er selbstverständlich im Lande und wurde auf diese Weise ohne eigenes Zutun amen karischer Staatsburger, was ihm spater manches Mal von großem Nutzen war Inzwischen hatte er in Sacramento ein Bankhaus zum Ankauf von Goldstaub eröffnet Da er alle Sprachen verstand und auf semei Reise di'ich das Land auch die Menschen studiert hatte, vermochten auch die „schlauesten der schlauen Schinken nicht, ihn zu betrugen So dehnte sidi sein Geschäft gewaltig aus, und sein Verdienst war groß Aber er sehnte sich doch aus dieser Umgebung fort Die Unzufriedenheit mit seiner Tätigkeit und die Umwelt veranlaßten ihn, das Unternehmen wieder aufzugeben Mit 50 000 Reichstalern war er in die Neue Welt ausgefahren, mit 100 000 Talern kehrte er nach Moskau zuruüc und war nur achtzehn Monate unterwegs und da\ on noch viele Monate ^uf Reisen gewesen Wahihch, hatte er Gold gegraben, er hatte auch rnt viel Gluck kaum mehr erwerben können
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Die Arbeit ging weiter In Moskau, wo er seine ersten großen geschäftlichen Erfolge errungen hatte, errichtete Schliemann ein eigenes Geschäft In der Folgezeit reichten seine Verbindungen weit in die Alte und Neue Welt, und er führte seinen geschäftlichen Briefwechsel selbei in allen Sprachen Trotzdem fand er noch Zeit, Slowenisch, Danisch und Norwegisch zu leinen Dann jedoch nahm die sich häufende Arbeit ihn ganz in Anspruch, und er mußte seine Sprachenliebhaberei für einige Zeit beseite lassen Doch schon im übernächsten Jahre kamen wieder zwei Sprachen hinzu, Schwedisch und Polnisch, die er beide zusammen in 24 Tagen bewältigte Dabei vergaß er das Frühere nicht, sondern alle einmal gelernten Sprachen waren ihm jederzeit gegenwartig Noch immer aber hatte er sich nicht an die Sprache herangewagt, die lbm als eine heilige erschien, die griechische, die „die Gotter im Olymp sprachen", und nach der er sich am stärksten sehnte Eine Scheu hielt ihn davor zuiuck, denn er fühlte es deutlich, daß , der machtige Zauber dei herrlichen Sprache' ihn zu stark von semer Verdiensttatigkeit ablenken wurde Deshalb stürzte er s ch zunächst noch einmal mit alle Kiaft in den Handel Der Knmkiieg, der in diesem Jahre, 1854, ausbiach, bot ihm gute Gelegenheit, seine Fähigkeiten als Großkaufmann zu bewahren Auch hieibei wieder stand das Gluck ihm zur Seite Da die russischen Hafen gesperrt waren, gingen alle für ihn bestimmten Sendungen über Memel Auf dem Ruckwege von einer Auktion m Amsterdam fuhr Heinrich Schliemann ebenfalls nach Memel, um nach seinen Waren zu sehen mußten doch zwei ganze Schiffsladungen n:ut besonders wertvollen Gutern doit eingetroffen sein Am Morgen des 4 Oktober kam Schliemann in Memel an und fand die Stadt als einen rauchenden Trümmerhaufen vor In der Nacht \orher war in dem Speicher seines Agenten ein Feuer ausgebrochen, das auf die ganze Stadt ubeigegriffen hatte Schliemann schien mit einem Schlage v leder ein armer Mann zu sein In den eingelagerten Waren steckte der Wert seines ganzen Vermögens Erst am Abend erfuhr er, daß er der einzige war, der nichts verloren hatte Pur seine Guter war m dem großen Speicher kein Platz mehi vorhanden gewesen, deshalb wuidcn sie m einem hölzernen Schuppen gesondert gelagert Und obwohl der Schuppen nur wenige Schritte von dem Brandherd entfernt lag. war er allem verschont geblieben, weil der scharfe Sturm die Flammen nach der entgegengesetzten Seite getrieben hatte Mit gleichem Glucke verliefen seine Geschäfte, je nach den Umstanden in Indigo, Salpeter, Schwefel und Blei, Baumwolle oder Tee Er wagte, wo andere verzichteten Da es aber auf Grund einer genauen Kenntnis der Lage und des Marktes geschah, hatte er keine Ruckschlage,
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und innerhalb \ erdoppeln
eines
Jahre«;
konnte
er
sein
Vermögen
mehr als
185 5 endlich, nach dem Ende des Knmkneges, tat Heinrich bchliemann den ersten Schritt geradenwegs auf sein Lebensziel zu er lernte Griechisch In sechs Wochen beherrschte er das Neugriechische in drei Monaten das Altgriechisdie und damit insgesamt fünfzehn Sprachen Dann las er sich zwei Jahre lang durch die ganze altgriechische Literatur und faßte zum erstenmal den Plan ins Auge, das Geschäft nunmehr gan' aufzugeben und mit dem erworbenen großen Vermögen sich als freier Mann semei Lebensaufgabe zu widmen Schhemann machte ernst mit seinem Plan Er lernte im Sommci 185 8 noch schnell Latein und begab sich dann auf längere Reisen auf denen er jahrelang in einem weiten Bogen über drei Erdteile hm die Statten seines künftigen Wirkens umkreiste Schweden, Danemark Deutschland und Italien waren Vorstufen Grundlicher schaute er sich m Ägypten um Auf einer Nilfahrt bis zum zweiten Katarakt hinauf krnte er rasch Arabisch weil der Schiffsfuhrer den Sprachunkundigen übervorteilt hatte, und im weiteren Verlauf der Reise auch noch Persisch Von Kairo ritt er durch die Wüste nach Jerusalem und besuchte die Felsenstadt Petra und alle heiligen Statten in Palastina, ertrank beinahe in den reißenden Fluten des Jordans, den er durchschwamm, und ver voUkommnete sich in dieser Zeit zugleich immer mehr im Gebrauch des Arabischen Im Vertrauen auf die Kenntnis der arabischen Sprache pilgerte er eines Tages nach Mekka, und seine weltgewandte Art ließ ihn ohne Fahrms das tollkühne Wagnis bestehen, bei dem angesichts des fanatischen Glaubenseifers der Mohammedaner in jedem Augenblick sein Leben in Gefahr war Durch Syrien und Kleinasien und über die Inselbrucke der Kykladen kam er im Sommer 1859 zum eistenmal nach Athen Dann ging es nach Petersburg zurück, und wieder nach Ägypten China, Japan, Mexiko waren die nächsten Ziele Nach der Rudckehr wurde Paris Schhemanns neue Heimat Dei vierundvierzigjahnge Millionär scheute sich nicht, sich noch einmal wie ein junger Student hinzusetzen und zu lernen Daß er sich gerade die Archäologie, die Altertumskunde, wählte, kann uns nicht mehr wundern, da wir seine Liebe zur Antike und besonders zum Griechentum kennen Die Eindrucke seiner Reisen, die er in ausfuhrlichen Tagebuchern niederlegte, hatte Heinrich Schhemann schnell in sich verarbeitet und in mehreren Buchern veröffentlicht Eines dieser Bucher, „Ithaka,
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der Peloponnes und Troja", reichte er seiner Heimatuniversitat Rostock ein und bewarb sich damit um den Doktortitel, der ihm auch verliehen wurde In diesem Werk, das die Ergebnisse einer Forschungsreise zu den Statten der homerischen Helden, Ithaka, Mykena und Troja zusammenfaßte, bezog Heinrich Schliemann bereits seine Stellung m der homerfrage und in dem Streit um Troja, um dessen Losung er bis zu seinem Tode rang Sein Leben gehorte fortan dem Lande Homers Seine Zeit und sein Vermögen wandte er daran, die Geschichte der homerischen Sagen aufzuhellen
Wo lag Troja? Auf einer Erkundungsfahrt, die ihn im Jahre 1868 nach Kleinasien gefuhrt hatte, war Heiniich Schliemann sich klar geworden, wo er Iroja zu suchen hatte Seit neunzig Jahren stritten sich die Gelehrten über die Lage dieser altgriechischen Stadt Scharfsinnig verfocht jeder von ihnen seinen Standpunkt, aber zu dem einfachsten und dem einzig zuverlässigen Beweismittel, dem Spaten, griff keiner von ihnen * Dau 7u tun, blieb Schliemann vorbehalten Die meisten Forscher, die die trojanische Ebene besucht hatten, stimmten dann uberein, daß Troja auf einer steilen Hohe bei dem türkischen Dorfe Bunarbaschi gelegen haben müsse, unmittelbar am Skamander, der sich dort den Austritt aus den Bergen in die große Ebene erzwingt Auch Moltke hatte diese Ansicht vertreten und entschieden, daß jeder kundige Taktiker nur an dieser einen Stelle eine Burg anlegen wurde Das Urteil des militärischen Fachmannes gab der Gelehrtentheone eine noch größere Festigkeit Nur ganz wenige Stimmen verwiesen auf den flacheren Hügel bei dem Dorfe Hissarlik, der zwei Stunden naher zum Meere lag Einer dieser Wenigen war der amerikanische Konsul „in den Dardanellen", Frank Calvert, dem ein großer Teil des Hügels gehorte Calvert hatte in Versuchsgrabungen festgestellt, daß der Platz in griechischer und romischer Zeit immer wieder besiedelt und mit Tempeln und großen Bauwerken geschmückt worden war, und hatte Schliemann über die Ergebnisse seiner Spatenarbeit unterrichtet Schliemann war nicht Soldat und nicht Gelehrter, er prüfte zwar die alteren Ansichten nahm sie aber nicht unbesehen hin Er vertraute vielmehr den eigenen Augen und seinem Homer, dessen Schilderungen er bis in jede Einzelheit im Kopfe trug Nach Homer mußte Troja in der Ebene liegen, das Dorf Bunarbaschi aber lag noch in den Hügeln Die Ihas berichtete, daß der Kampf zwischen Trojanern und Griechen an einem Tage mehrmals zwischen dem Schiffslager und der Stadt hin und her
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An der Ausgrabungsstätte von Tro:a zur Zeit Schliemanns
gewogt habe, das aber war hier, drei Stunden von der Küste entfernt, nicht möglich. Achilles hatte Hektor dreimal rings um die Stadt verfolgt; der Hügel von Bunaibaschi fiel aber steil in den Skamander ab, und ein Läufer hätte auf der Flußseite kaum Halt gefunden. Diese Anforderungen der „Dias" erfüllte aber der genannte Hügel von Hissarlik, und auch sonst entsprach er in jeder Weise den Berichten des Dichters. Um ganz sicherzugehen, setzte Schliemann in Bunarbaschi versuchsweise an vielen Stellen den Spaten an, doch nichts deutete hier auf die gesuchte Stadt. Für Schliemann gab es deshalb keinen Zweifel, daß nur Hissarlik — das türkische Asarlyk, die „Trümmerstätte" — Troja bergen konnte. Er war bereit, für diese Überzeugung die Millionen seines Reichtums herzugeben.
Die Homerfrage Schliemann setzte ein fast unbedingtes Vertrauen in den Dichter der Ilias und der Odyssee. Er sah in Homer gewissermaßen den Stammvater der Griechen, die er gern als die „Nachkommen Homers" bezeich14
nete. Und noch eins kam dazu: Der scharfe Beobachter erkannte'mit feinem Verständnis, daß die Landschaftsschilderungen Homers nicht Phantasieerzeugnisse waren, sondern einer sehr genauen Einrelkenntnis der dargestellten Gegenden entsprachen. Das gab ihm die Sicherheit, aus der heraus er bei einer Erkundung an Ort und Stelle sich von den Angaben des Dichters leiten ließ. Mit dieser Einschätzung Homers stand er nun in seiner Zeit ganz allein. Den Glauben an einen persönlichen Homer hatte man allgemein längst aufgegeben. Friedrich August Wolf hatte 1795 ein Buch: „Prolegomena ad Homerum" (Bemerkungen zu Homer) veröffentlicht, in dem er die Ansicht verfocht, daß an jedem der Gedichte nacheinander mehrere Dichter gearbeitet hätten. Seitdem durchforschte die Wissenschaft das Werden der homerischen Gedichte, ohne Licht in das Dunkel bringen zu können. Die Nachfolger Wolfs versuchten, die Frage mehr als dem Werk selber zu beantworten. Der Inhalt, die verschiedenen Kulturstufen, einzelne sachliche Widersprüche, Wiederholungen, auch Sprachform und Stil gaben Anhaltspunkte für die frühere oder spätere Entstehungszeit einzelner Stücke; aber solche Einzelfcststellungen genügten nicht, um diese Teile aus dem Zusammenhang herauslösen zu können. Unversöhnt standen die Gegner sich gegenüber: die Wolfianer, die behaupteten, ein letzter Bearbeiter habe die Teile nur zusammengestellt, und die Unitarier (Einiger), die behaupteten, ein echter Dichter habe zuletzt aus eigenschöpferischem Können dem Werk eine einheitliche Fassung gegeben. Der Streit ist auch heute noch nicht entschieden. Alle Gesichtspunkte sind in den anderthalb Jahrhunderten bereits so genau geprüft worden, daß die Homerfrage auch künftig keine vollständige Lösung mehr finden wird. So bildet der heutige Stand zugleich einen gewissen Abschluß der Untersuchung: die homerischen Gedichte setzen eine lange Entwicklung epischer Dichtung voraus. Inhalt und Form zeigen Merkmale verschiedener Zeiten, doch ist alles so fest miteinander verschmolzen, daß alle Versuche, die ursprünglichen kürzeren Gedichte herauszusondern, mißlangen. Zwischen 900 und 700 mögen die Epen ihre endgültige Fassung erhalten haben, die Odyssee vielleicht ein Jahrhundert später als die Ilias. Daß ein und derselbe Diditer abschließend beide Werke geschaffen oder bearbeitet hat, ist demnach ausgeschlossen. Daß aber jedes Epos jeweils von einem echten Dichter seine letzte, einheitliche künstlerische Form erhalten hat, ist nicht mehr zu bezweifeln. Schliemann schien der Gedanke, Homer habe gar nicht gelebt, sei selber nur eine Sagengestalt, einfach widersinnig. Die beiden Gedichte offenbarten ihm so viel menschliche Wärme, so viel echte Charakter-
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Schilderung und eingehende Landschaftsdarstellung, daß für ihn nur eine große Persönlichkeit das Werk geschaffen haben konnte. Alle kritischen Sonderfragen erschienen ihm daneben belanglos. Und da der Dichter ihm gleichsam zur Seite stand, ihn zu den richtigen Stellen und zu bedeutsamen Funden führte, schien ihm das ein Beweis mehr zu sein für die Richtigkeit seiner Auffassung von Homer, dem er traute wie einem persönlichen Freunde.
Endlich in Troja Heinrich Schliemann ging mit höchstem Vertrauen daran, Troja bei Hissarlik zu suchen. Im Jahre 1870 nahm er eine Probegrabung vor, aber er brach sie ab, als die türkischen Eigentümer des Bodens Schwierigkeiten machten. Deshalb fuhr er zu Beginn des nächsten Jahres nach Konstantinopel, um den Erlaubnisschein, den Ferman, zu den Grabungen auf dem Hügel Hissarlik persönlich zu erwirken. Im Eiltempo lernte er nach seinem bewährten Verfahren Türkisch, die neunzehnte Sprache, die er sich aneignete. Da die Verhandlungen sich hinzogen, stürzte er sich rasch noch in eines seiner kleinen Abenteuer. Im März reiste er nach Paris, nur um nach seinen Häusern zu sehen. Da der Deutsch-Französische Krieg aber noch nicht beendet und der Waffenstillstand noch nicht abgelaufen war, durfte niemand nach Paris hinein. Kurzerhand besorgte Schliemann sich Paß und Uniform eines Postmeisters, der Erlaubnis hatte, die Stadt zu betreten, und kam unangefochten durch die zahlreichen Sperren und Kontrollen. Wäre der Betrug entdeckt worden, so hätte man ihn vermutlich als Spion erschossen. Im Herbst 1871 erhielt Schliemann seinen Ferman für die Ausgrabung und begann, sich in den Hügel von Hissarlik hineinzuwühlen. In diesem und den beiden folgenden Jahren war er insgesamt elf Monate am Werke. Hundert bis hundertfünfzig Arbeiter, Türken und Griechen aus der Umgebung, mußten die Erde ausheben und in Körben forttragen. Drei Aufseher hatte er eingesetzt; aber bei der großen Ausdehnung des Arbeitsfeldes mußte er selber überall nach dem Rechten sehen. Seine Frau, die junge Athenerin Sophia Engastomenos, die ihn nach Troja begleitet hatte, half ihm in entsagungsvoller Tätigkeit. Schliemann trug nun nicht den Boden von oben schichtweise ab, wie wir es heute erwarten würden, sondern ließ von mehreren Seiten her bis 30 Meter breite, tiefe Gräben in den Berg hineinschneiden, weil nach der Erzählung Homers die Mauern 16
der Burg „von den Göttern Poseidon und Apollon erbaut waren", also die älteste Siedlung umschließen und auf dem gewachsenen Boden ruhen mußten. Wollte er sie wieder auffinden, mußte er also bis auf den Felsboden hinuntergehen. Was darüber lag — mochten auch Trümmer spätgriechischer und römischer Bauten darunter sein —, interessierte ihn nicht. Er suchte nur Homer und seine Zeit. In ein paar einfachen Holzhütten auf der Höhe des Hügels verbrachte er die Wintermonate. „Um sich zu erwärmen, hatten sie weiter nichts als den Enthusiasmus für das große Werk der Aufdeckung Trojas." — „Während ich hier mit dicken Handschuhen schreibe, ist alles Wasser in der Stube mit einer dicken Eisschicht bedeckt, und die Tinte gefriert in meiner Feder." So schrieb er in einem besonders kalten Februar, als trotz erhöhter Löhne nur noch zwölf Mann zur Arbeit kamen. Schliemann aber hielt aus. Im Sommer dagegen lastete eine drückende Hitze über der Ebene, aus den Sümpfen stiegen Fieberdünste und Schwärme von Mücken auf, und nur von See her wehte etwas Kühlung herüber. Schliemann erkrankte oft an Malaria, ließ sich jedoch dadurch nicht beirren. Der Kaufmann Schliemann hatte alles darangesetzt, Geld zu verdienen. Als er sich jetzt als Ausgräber noch größeren Anstrengungen unterzog, ging es ihm nicht mehr darum, Schätze zu gewinnen. „Meine Ansprüche sind höchst bescheiden; plastische Kunstwerke zu finden hoffe ich nicht. Der einzige Zweck meiner Ausgrabungen war ja von Anfang an, nur Troja aufzufinden, über dessen Baustelle von hundert Gelehrten hundert Werke geschrieben worden sind, die aber noch niemals jemand versucht hat, durch Ausgrabungen ans Licht zu bringen." Die gelehrten Fachleute und Forscher mochten ihm das glauben; die türkische Regierung jedoch konnte nicht begreifen, daß ein reicher Mann anderes als Reichtümer in der Erde suchte. Sie entsandte deshalb einen Aufpasser an die Ausgrabungsstätte, der darüber wachte, daß die Hälfte der Funde dem türkischen Staate ausgeliefert wurden. Man kann sich vorstellen, mit welchen Gefühlen Schliemann diesem Mann, dessen Aufsicht er bezahlen mußte, jeden Abend die 2? Piaster aushändigte, die als Lohn vereinbart worden waren. Allmählich wurden Teile einer sehr altertumlichen, wuchtigen, auf dem Felsgrund ruhenden Mauer, eine stattliche Rampe und die Grundmauern eines ärmlichen Wohnhauses freigelegt; Massen von Scherben eines altertümlichen, einfarbigen Tongeschirrs und von steinernen und bronzenen Geräten kamen ans Licht, aber kein Stück von klassischer Schönheit war dabei. So fremdartig waren die Gegenstände und die Zeichnungen darauf, daß auch die besten Archäologen nichts damit 17
anzufangen wußten und s>ogar auf chinesische Inschriften rieten Im dntten Jahr (1873) war Schhemann so verzweifelt, daß er am 15 Juni die Grabungen , auf immer einzustellen gedachte Einen Tag vorher aber, am Morgen des 14 Juni, stieg ein herrlicher Goldschatz ans Licht Heinrich Schhemann befand sich an einer abgelegenen Stelle, nur seine Erau und wenige Arbeiter waren bei ihm als er einen großen kupfernen Gegenstand gewahrte hinter dem es golden aufblitzte Ehe einer der Umstehenden etwas gesehen hatte ließ er, obwohl es erst 7 Uhr war zur Arbeitspause rufen und gewahrte allen einen fieien Tag gegen Fortzahlung des Lohnes damit sie ins, Dorf hmubeigmgen Wenn er den Schatz fui die Wissenschaft retten wollte, mußte er die Arbeiter und auch den Aufseher schleunigst entfernen Dann kiatzte er in muh»ehger Arbeit und unter standiger Lebensgefahr selber die zahlreichen Fundstucke aus der steinharten Erde der Grubenwand Über der Fundstelle lasteten mehrere Meter Erde und eine sechs Meter hohe Mauer aus schweren Steinen Frau Schhemann sammelte die einzelnen Stucke m ihien Schal pfundschwere goldene Bedier, silberne Kannen, vielfaltigen Goldschmuck Glucklich retteten sie alles in ihre Holzhutte, kein Beobachter war zur Stelle Wenige Tage spater befand sich der kostbare Fund in sicherem Verwahrsam in Athen
Die Kritik setzt ein In Athen, wo er fortan wohnte, schrieb Schhemann über die Ergebnisse seiner Ausgrabungen schon im nächsten Jahre erschien sein Buch , Trojanische Altertumer mit einem Textband und einem Bilderatlas Eine scharfe Kritik war das Echo Sie war zum Teil berechtigt, denn Schhemann stellte nicht nur die Tatsachen und einwandfreien Ergebnisse zusammen im Überschwang seiner Entdeckerfreude trug er eine Reihe unbewiesener Vermutungen und völlig willkürliche, phantastische Deutungen der Fundstucke vor Die Zahlenangaben über die Tiefen der Fundstellen waren ungenau, die Photographien auf den über 200 Tafeln wenig deutlich wiedergegeben Aber die Funde waren Tatsachen, die nicht zu widerlegen waren, und Tatsache blieb auch, daß Heinrich Schliemann die Siedlungsstelle einer sehr alten, bisher völlig unbekannten Kultur aufgedeckt hatte, die niemand mit Sicherheit in die Entwicklungsgeschichte der Menschheit einzuordnen wußte Einige verlegten sie in die nachhomensche Zeit, andere in die graue Vorzeit und nannten die entsprechende Epoche die trojanische Kultur" Schhemann aber hielt diese Trojaschicht für die homerische
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Durch seine Veröffentlichung war die türkische Regierung auf den entführten Schatz aufmerksam geworden und erhob Anklage Ein Jahr dauerte der Prozeß, schließlich wurde bchhemann zu 10 000 Franker Fntschadigung verurteilt Statt dessen übersandte er dem türkischen Minister 50 000 Franken zur Verwendung für das kaiserliche Museum Auf diese Weise hielt er sich den Weg für eine gute Zusammenarbeit m der Zukunft offen Nach langen, umständlichen Verhandlungen, zu denen der Forscher zeitweise selber nach Konstantmopel fuhr, erhielt er 1876 einen neuen Ferman Doch nun bereitete der Generalgouverneur in den Dardanellen' ihm solche Schwierigkeiten, daß er die Arbeit wieder abbrechen mußte und nach Athen zurückkehrte Doch kämpfte er hartnackig, auf echt Scbliemannsche Art weiter Er unterbreitete das Verhalten des Gouverneurs in einem Brief an die Times dem Urteil der zivilisierten Welt Der Artikel wanderte durch die Zeitungen aller Lander bis in die Blatter von Konstantinopel, der Gouverneur wurde in einen anderen Wirkungsbereich versetzt Schliemann hatte sich erneut den Weg zu seiner Lebensaufgabe freigelegt
Die Fürstengräber von Mykenä Wahrend des jahrelangen Hin und Her der Verhandlungen mit der Türkei war Schliemann nicht mußig geblieben Auf einer ausgedehnten Reise durch das ganze festländische Griechenland besuchte ei alle berühmten Statten bei der gebirgigen Natur des Landes und den schlechten Verkehrsverhaltnissen jener Zeit war das keine ein fache Sache Lange Studienreisen führten ihn dann wieder durch das halbe Europa In England, Deutschland und Italien verglich er überall die Sammlungen für Vorgeschichte mit seinen trojanischen Funden Dazwischen sprach er vor bedeutenden Gelehrten, begab sich einige I age lang zu einer kurzen Versuchsgrabung in die alte phomzische Festung Motye m Sizilien oder er grub, von Konstantmopel kommend, kurze Zeit m der alten griechischen Handelsstadt Kyzikos am Marmarameer Seit 1873 bemuhte er sich auch um die Erlaubnis für größere Ausgiabungen m Griechenland, vor allem in Mykenä der Burg des Königs Agamemnon 1876 konnte er dort an mehreren Stellen in die Erde graben Er befreite das berühmte Lowentor von Mykenä von dem verdeckenden Schutt und stieß unmittelbar hinter dem Tor auf fünf 19
Schachtgraber, die man bisher außerhalb der Mauer vermutet hatte Schliemann jedoch suchte und fand sie auf Grund von Angaben eines griechischen Schriftstellers innerhalb der Mauer selbst Sie waren noch unberührt und enthielten fünfzehn Tote königlichen Geblüts und eine überfülle von reichem Goldschmuck große Gesichtsmasken, Brustplatten, Armspangen, Ohrringe, Diademe, Nadeln und Gemmen, dazu Kruge, silberne und goldene Becher, Schwerter und goldumsponnene Zepter Hier hatte Schliemann echte Komgsgraber eines alten Großreiches entdeckt Die Funde, die er in dem Buch , Mykena" beschrieb, überzeugten weit starker als die trojanischen Das Zeitalter dieser griechischen Frühkultur wurde die Mykenische Penode genannt Die Anteilnahme an diesen Forschungen war groß Heinrich Schliemann wurde einer der be kanntesten Menschen seiner Zeit Seme Erfolge trieben ihn, weiterzuforschen, denn die Fragen um Troja waren durch die Entdeckung der m> kenischen Kultur nur um so geheimnisvoller geworden Es war offensichtlich, daß die neuen Funde in künstlerischer Hinsicht die trojanischen weit überragten In welchem Verhältnis standen die beiden Kulturen zueinander7
Ritt zum Ida Im Herbst 1878 begann Schliemann wieder für mehrere Monate in Froja zu graben Große hölzerne Baracken waren errichtet und ge wahrten mehr Raum und besseren Schutz als die kummerlichen Hütten der ersten Grabungszeit Pferdekarren waren aufgeboten, und die Aibeit ging flott voran Schliemann konnte bereits sieben uberemanderhegende Kulturschichten unterscheiden Wesentlich neue Erkenntnisse ergab die Grabung nicht, nur trat der Gegensatz des bisher in Troja Aufgefundenen gegen die Großartigkeit und die Prunkentfaltung der my kenischen Funde immer augenfälliger hervor Mit erhöhtem Eifer und mit doppelter Freude setzte Schliemann im nächsten Frühjahr das Werk fort, da der beste deutsche Kenner vorgeschichtlicher Fundstatten, der große Chirurg Rudolf Virchow, mit dem er in Freundschaft verbunden war, und der Archäologe und Leiter der franzosischen Akademie in Athen, Emil Burnouf an der Ausgrabungsstatte Anteil an seiner Arbeit nahmen Wenn Schliemann von dem Hügel von Hissarlik über die weite Ebene nach Sudosten zum Bergzug des „Ida' hmuberschaute, erklangen m ihm die Verse Homers „Siehe, da nahm der Kromde die 20
mit Quasten umrandete Agis *), hellumglanzt und hüllte den Ida in dunkele Wolken, blitzte und donnerte laut und schüttelte mächtig die Agis', „und flammend fuhr sein Strahl durch das Heer der Achaer Für den homerglaubigen Schliemann war der Ida nicht irgendeine Er hebung, sondern der Berg des Vaters Zeus und so war es für ihn eine Wallfahrt, als er mit Rudolf Virchow zusammen den weiten Ritt zum fernen Gebirge unternahm Immer noch war in ihm die Enttäuschung über das geringe Verständnis, das man gerade in deutschen wissenschaftlichen Kreisen seiner entsagungsvollen Arbeit entgegenbrachte, abe» mehr als die Verstandmslo«igkeit erbitterte ihn der überhebliche Spott mit dem viele Gelehrten sein Werk abtaten zumal auch die neue Grabung das Problem Troja noch nicht hatte losen können Der Rang unterschied zwischen der bisher zu Tage getretenen trojanischen und der mykenischen Kultur blieb ungeklärt In diesen Tagen da er mit seinem Freunde vielleicht dem einzigen wahren Freunde, den er besaß allem durch die Troas zu dem heiligen Berge ritt, fiel alle Erbitterung von ihm ab Als sie das Idagebirge erreicht hatten, pflückte Vircho* einen blühenden Schlehdornzweig und reichte ihn Schliemann mit den Worten „Das ist ein Strauß aus Ankershagen " Er redete ihm nicht zu, er warf ihm nicht Untreue gegen sein Geburtsland vor, er erinnerte ihn mit diesem schlichten Zweig nur an die Heimat Am gleichen Tage noch überkam Schliemann der Gedanke, seine trojanische Sammlung nach Berlin zu bringen Er hatte sie Griechenland und Frankreich an geboten, hatte an Italien gedacht, sie dann in London ausgestellt und mit Rußland darüber verhandelt Nun aber kam nur noch Deutschland in Frage, das ihm einen Mann wie Rudolf Virchow herubergeschickt hatte Aber er wünschte eine Gegengabe einige Ehrungen und damit eine öffentliche Rechtferti gung seiner Arbeit Als sie ihm zugesagt wurden, überführte er die Sammlungen nach Berlin, schenkte sie im Januar 1881 , dem deutschen Volke zum ewigen Beistze' und stellte sie selber in den Museumssalen auf, die für immer seinen Namen tragen sollten Die Stadt Berlin er hob ihn zu ihrem Ehrenbürger, die Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte ernannte ihn zum Ehrenmitglied Hinter all diesen Ehrungen stand Virchow, der in der gelehrten Welt stets für den Außenseiter und sein Werk eingetreten war Er schrieb auch das anerkennende Vorwort für das neue Buch Ihos das noch in dem gleichen Jahre erschien *) Vom Schmiedegott Hephastos dem Kroniden Zeus geschenktes Ziegenfell, dessen Schuttein die Gewittei erzeugt
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Streit in Tro ja Im Jahre des Rittes zum Ida hatte Schliemann in Athen ein eigenes Haus zu bauen begonnen, das zum schönsten Gebäude der Stadt wurde. So schuf er sich und seiner Familie endlich ein Heim. Gleichwohl wurde sein Leben mit zunehmendem Alter nicht ruhiger. Während er noch wegen der Sammlungen verhandelte, hatte er ein weiteres Buch über Troja geschrieben, das viel sachlicher war als die bisherigen und, mit guten Abbildungen versehen, in der Berichterstattung einen großen Fortschritt bedeutete. Doch konnte auch dieses Buch keinen Aufschluß geben über die Natur der Ruinen und ihre Zeitbestimmung. So begab sich Schliemann im Jahre 18 82 wieder in die Ausgrabungsfelder von Hissarlik und Troja. Diesmal brachte er zwei Architekten mit, die ihm bei der Deutung der Baureste und bei der Aufnahme genauer Pläne der einzelnen Schichten helfen sollten. Doch gerade in diesem Jahre wurden die Arbeiten von türkischer Seite außerordentlich behindert. Es gab jetzt in Troja dauernd Streit mit dem türkischen Kommissar. Die Türkei untersagte jedes Messen und Zeichnen in Hissarlik, weil sie wegen der Nähe der Dardanellen Spionage befürchtete. Die Festungswerke der Meerenge, die sechs Kilometer entfernt lagen, konnten aber von Hissarlik aus gar nicht eingesehen werden. Erst kurz vor dem Ende der Ausgrabungszeit erwirkte der deutsche Botschafter in Konstantinopel die Aufhebung des Verbots. Den beiden Architekten, besonders Wilhelm Dörpfeld, der schon bei den vorbildlichen Ausgrabungen des Deutschen Reiches in Olympia jahrelang mitgearbeitet hatte, gelang es, die älteren und jüngeren Schichten voneinander zu trennen und erste Klarheit in den Plan der Siedlungen zu bringen. Dörpfeld erkannte in dem Gewirr von Grundmauerresten der zweiten Schicht die Grundzüge einer weiträumigen Herrenburg, die den Hügel innerhalb der Mauern ausgefüllt hatte. Schliemann selbst durchsuchte inzwischen in zahlreichen Probeausgrabungen das Plateau hinter dem Hügel und stellte fest, daß dort eine Unterstadt für die Häuser der Bürger bestanden haben mußte. Er war nun noch mehr davon überzeugt, das homerische Troja, Burg und Stadt der Ilias, vor sich zu haben. Das folgende Jahr verlief etwas ruhiger. Schliemann arbeitete in Athen an dem Bericht über die neuen Grabungen in Troja. Im Sommer besuchte er zum erstenmal die Heimat und lebte sechs Wochen in Ankershagen, in dem alten Pfarrhaus. So sehr er Weltmann geworden war, der in jedem Land zu leben und die Menschen für seine Zwecke zu gewinnen verstand, so sehr war er doch in seinem Herzen der alten Heimat verbun22
den geblieben. Sobald er die Mittel dazu erworben hatte, unterstützte er regelmäßig eine Reihe der alten Bekannten dort. In großzügiger Weise sorgte er vor allem für seine Geschwister und besonders -für seinen Vater.
Der Königspalast in Tiryns Im nächsten Jahre ging Schliemann nicht nach Troja, sondern in Begleitung Wilhelm Dörpfelds nach Tiryns (neben Mykenä der zweiten großen Stadt der mykenischen Zeit auf dem griechischen Festland). Die beiden Männer kamen hier zu einem neuen großen Erfolg: es gelang ihnen, die vollständige Anlage eines Königspalastes aufzudecken. Endlich hatte man ein genaues architektonisches Muster für die weitere Forschung, mit dessen Hilfe später vor allem die schwierigen Verhältnisse in dem vielschichtigen Troja geklärt werden konnten. In dem neuen Berichtswerk „Tiryns" arbeitete Schliemann endlich als Forscher völlig einwandfrei. Audi dies war ein Erfolg des stillen Einflusses Dörpfelds,
Goldschatz und Gerätschaften aus der Grabungsstätte von Troja
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der auch den Hauptteil des Buches schrieb Langst war Dorpfeld zu Sdihemanns nächstem Mitarbeiter und unentbehrlichen Ratgeber ge worden er war nach Virchow vielleicht der einzige Mensch von dem bchhemann Rat annahm weil er fühlte, daß Dorpfeld ihm auf seinem Gebiet überlegen war Und er war groß genug, sich dem überragenden Wissen eines Freundes der es ehrlich meinte, zu beugen Heinrich Schhemann war damals 62 Jahre alt Er schilderte selber seine Lebensweise wahrend der Ausgrabung«zeit in Tiryns Dieser Bericht be weist zu welcher Starke, Ausdauer und Gesundheit ein willensstarker Mensch einen in der Jugend schwachen Korper zwingen kann Um 3 3 /4Uhr stand er auf, schluckte Chinin um sich gegen das Fieber zu schützen ließ sich in die offene See hmausrudern, schwamm 5 oder 10 Minuten und kletterte am Ruder ms Boot zurück Im Dorfe trank er eine Tasse bitte ren ^diwarzen Kaffee und ritt nach Tiryns hinauf So war er stets schon \or Sonnenaufgang zur Stelle Um 8 Uhr, wahrend der Ruhezeit der Arbeiter, frühstückte er mit Dorpfeld In der Mittagspause lagen sie in der glühenden Sonne den Kopf auf einen harten Stein gebettet, und Sdihemann versicherte, daß sie nie einen erquickenderen Schlaf genossen hatten Eine zweite Mahlzeit nahmen sie erst abends in ihrem Gasthaus ein So lebte ein Mann von über 60 Jahren und ein vielfacher Millionär dem jede Bequemlichkeit erreichbar gewesen wäre Und wahrend er jährlich 100 000 Mark für seine Ausgrabungen auswarf, vergaß er nicht fest zustellen, daß in dem Kaffeehaus der bittere Kaffee, , wahrend alles übrige enorm im Preise gestiegen — hier noch immer zum alten billigen Pieise von 8 Pfennig feil ist Der Weg zum Verständnis Schliemanns fahrt nur über diese scheinbaren Gegensatze Man muß sich klarmachen daß Heinrich Schhemann gerade aus seinen vielfaltigen, oft gegensatzlichen Anlagen seine einheitliche Persönlichkeit geformt und sein Lebenswerk aufgebaut h i t und daß dieser Reichtum an Anlagen seine Starke bildete
Der letzte Kampf um Troja Nadi einigen kleineren Grabungen im griechischen Bereich wurde Schhemann durch seine Gegner gezwungen, noch einmal nach Troja zurückzukehren Seit 1883 war in dem Artillenehauptmann Boetticher ein heftiger Gegner gegen ihn aufgetreten Boetticher war kein Wissenschaftler aber er ging nicht wie Schhemann der ja auch kein zunftiger Gelehrter war, mit dem ernsten Willen zu arbeiten und zu lernen an seine Aufgabe, sondern zog seine Schlüsse wirklich aus der Ferne, ohne dem Staub der Jahrhunderte zu nahe zu kommen das heißt, er schrieb und kämpfte gegen die Behauptung Scbhemanns, der Hügel von Hissarhk 24
berge die Reste des vielschichtigen Troja, ohne von Troja auch nur einen Stein gesehen zu haben Seme Angriffe waren zwar ärgerlich, aber doch kaum gefahrlich Lastig waren sie erst, als Boetticher Schliemann und Doipfeld vorwarf, sie hatten absichtlich Mauern zerstört und Tausend^ von Skeletten verschwinden lassen, und vollends unerträglich wurden sie als einige Wissenschaftler sie ernst zu nehmen begannen Auf dem An thropologenkongreß in Paris 1889 legte Boetticher ein Buch vor, in dem er seine eigenen Ansichten denen Schhemanns entgegenstellte Schlie mann war anwesend und konnte die Behauptungen des Gegners wider legen — aber er überzeugte ihn nicht Deshalb lud er ihn kurzerhand als Gast nach Troja ein und nahm die Ausgrabungen mit größeren Mitteln wieder auf Eine Feldbahn schaffte diesmal den Schutt fort, neue Unterkunftshauser erstanden, und im Dezember trat dann die erste Kon ferenz in Hissarhk zusammen Boetticher hatte zunächst noch einige Ausfluchte versucht, war schließlich aber wirklich erschienen, dazu zwei neutrale Zeugen der Akademien der Wissenschaften in Wien und Berlin die sich tagelang bemuhten, ihn von der Wahrheit zu überzeugen Boet ticher erkannte zwar das Protokoll an, weigerte sich aber, eine Ehren erklarung zu unterschreiben, kaum hatte er Troja verlassen, setzte er seine Angriffe gegen Schliemann und Dorpfeld mit neuen unbewiesenen Behauptungen fort Im folgenden Jahr lud Schliemann deshalb zu einer zweiten großen internationalen Konferenz nach Troja ein, deren Teil nehmer ohne Ausnahme anerkannten, daß die Grabungsstatte von Hissarhk die Statte des alten Troja sei Als die Sommerhitze Schliemann zwang, die Arbeiten einzustellen hatte er die Absicht, sie auch im nächsten Jahre noch fortzusetzen denn dank Dorpfelds sorgfaltigen Aufnahmen schienen die Verhalt nisse sich endlich entwirren zu wollen Dorpfeld hat dann schließlich die trojanischen Ratsei gelost, Schliemann jedoch sollte Troja nicht wiedersehen
Die trojanische Frage Heinrich Schliemann war ausgezogen, um Troja zu suchen Was hatte er gefunden? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir seine über neunzehn Jahre sich erstreckenden Ausgrabungen noch einmal im Zu sammenhang betrachten Nachzuweisen, daß Troja, von dem Homer gesungen hatte, nicht bloße Sage, sondern daß in dem Sagenstoff ein Kern Wirklichkeit gewesen ist, und daß der Hügel bei Hissarhk seine Trümmer baig, schien Schliemann schnell gelungen Doch zugleich mit seinen 25
Fntdeckungen hatte sich das Bild verwirrt Er hatte die homerische Stadt in den untersten Schichten über dem gewachsenen Fels gesucht und deshalb in seinen breiten Suchgraben alles, was darüber gelagert war, fortferaumt Dabei waren gewiß manche Zeugnisse spaterer Kulturen in den oberen Bodenschichten vernichtet worden Aber es hatte sich bestätigt, daß die älteste Siedlung tatsächlich dicht über dem Felsboden gegründet war, daß sich dann mehrere weitere Städte darubergelegt hatten und daß die 20 Meter Erde des Hügels nur der Schutt der im Laufe der Jahrtausende aufeinanderfolgenden Siedlungen waren Wieviele MenschenGeschicke hatte dieser bisher unbeachtete Fleck Asiens gesehen' Um die Schichten, die oft sogar ineinander übergingen und sich durchflochten, nach so langer Zeit voneinander zu trennen, bedurfte es großer Sorgfalt und dnes architektonisch geschulten Blickes, den Schhemann nicht besaß Deshalb hatte er zunächst daran herumgerätselt und auch in seinen ersten Grabungsberichten kein klares Bild vermitteln können und das war ihm \ori seinen Gegnern zum Vorwurf gemacht worden Allerdmgs darf man nicht vergessen, daß es damals noch keine sichere Arbeitsmethode hierfür ?ab Schliemann hatte ja erst die Aufgrabungswissenschaft begründet Dorpreld war es dann gelungen, in Troja Ordnung zu schaffen und nicht nur sieben, sondern sogar neun Schichten zu erkennen Die Kulturgeschichte Trojas konnte av diesen Schichten gleichsam zuruckgeblattert werden Auf eine =ehr alte stemzeitliche Kulturschicht, die also \iele Jahrtausende zurücklag, folgte bereits in der zweiten Schicht im Übergang von der Steinzeit zur Bionzezeit eine hoher stehende Kultur, die sogenannte , trojanische Kultur , mit einer kleinen Burg auf künstlich erhöhtem Hügel und einer starken Mauer aus Steinen und Luftziegelwanden darüber Sie wuide zweimal umgebaut und dabei der Mauernn^ jedesmal erweiteit Sie muß also Jahrhunderte gestanden haben Schließlich ist sie in einem großen Brande untergegangen Diese Burg hatte Schliemann für die homerische gehalten Dodi waren die in der zweiten Schicht gefundenen Gegenstande handgeformte Tongefaße, Waffen und Gerate aus Bronze und Stein und auch der Goldschmuck, der Sdiatz des Pnamos", wie Schliemann ihn nannte, m der Form doch noch primitiv Per Gegensatz dieser primitiven Dinge zu den glanzvollen Schilderungen Homers quälte Schliemann Jahre hindurch, und er starb wohl mit der Ahnung, daß die Stadt Homers gar nicht in dieser Tiefe zu suchen war In der vierten bis fünften Schicht sank Troja wieder zu völliger Bedeutungslosigkeit hinab In der sechsten Schicht strahlte dann aufs neue eine staike und nun wirklich hohe Kultur eines machtigen Herrschergeschlechts hervor Darüber deckten sich nodi eine griechische und eine romische Stadt 26
Gewiß hat Schliemann in den oberen Schichten manches Denkmal unwiederbringlich vernichtet Und doch müssen wir ihm dafür dankbar sein, daß er in die Tiefe vorstieß Was einer der feinsten Kenner der Antike, Eduard Me>er, in seiner „Geschichte des Altertums" darüber sagte, dem dürfen wir gern zustimmen , Für die Wissenschaft hat sich das unmethodische Vorgehen Schhemanns, direkt bis auf den Urboden zu gehen, als höchst segensreich erwiesen, bei einer systematischen Ausgrabung waren die alteren Schichten, die der Hügel birgt, und damit diejenige Kultur, die wir als die eigentlich ,trojamsche' bezeichnen, schwerlich jemals aufgedeckt worden ' — Troja oder wenigstens die trojanische Bergfeste war also gefunden, sogai gleich neunmal übereinander Welches war aber die Stadt Homers, und gab es unter den Bauresten überhaupt eine Burg, die der von Homer geschilderten Heldenzeit angehorte 7 Die Klarung dieser Frage ist Schliemann nicht gelungen, aber er hat durch seine Entdeckungen m Mykena und Tiryns isiehe Seite 19 und 23) die Voraussetzungen zu ihrer Losung geschaffen
Die griechische Frühgeschichte Vor Schhemanns Entdeckungen rechnete man die griechische Kulturentwicklung nur bis 800 v Chr zurück und zahlte die Ereignisse von diesem Zeitpunkte an zur Geschichte Die Dorische Wanderung um das Jahr 1200 reichte noch ms Dunkel der Sagenzeit Nun hatte Schliemann plötzlich aus den Königs grabern in Mykena die Denkmaler einer bisher völlig unbekannten Kultur ans Licht gehoben, die weit vor dem bisherigen Geschichtsbeginn lag und eine Hochblute eikennen ließ, die den Vergleich mit den alten Kulturen Vorderasiens und Ägyptens nicht zu scheuen brauchte Kaum hatte Schliemann den Blick auf diese Kultur gelenkt, als man überall in Griechenland, bald auch auf den Inseln des Agaischen Meeres und in Zypern, spater sogar selbst an den Küsten Siziliens und Irahens Belege der gleichen Kultur aufdeckte Sie war also weit verbreitet und muß lange bestanden haben Sie hat sogar auf Ägypten Einfluß ausgeübt und umgekehrt von Ägypten Waren und Formen kunstlenscher Darstellung übernommen An Hand gleichzeitiger ägyptischer Fmfuhrgegenstande, deren Herstellungszeit bekannt war, konnte man allmählich auch die mykenische Kultur zeitlich einoidnen und kam aur das 16 bis 12 Jahrhundert \ Chr In diese Zeitspanne gehorten also die quadergeturmte Komgsstadt von Tiryns wie auch die Palastbauten in M^kena, sie waren um 1600 v Chr errichtet worden In der Folgezeit hatte man die Palastanlagen durch gewaltige Burgmauern geschützt und 27
Grabhalle („Schatzhaus") des Königs Atreus in Mykena um 1400 innerhalb der neuen riesigen Mauern die Paläste weit und groß ausgebaut. Die Wende vom 15. bis zum 14. Jahrhundert wurde als die Blüte der mykenischen Zeit erkannt. Obwohl im Mittelpunkt dieser mykenischen Kultur Griechen wohnten, war sie doch durchaus international und wurde im Mittelmeer auch von den Völkern ganz anderer Herkunft aufgenommen. Noch vor dem Ende des zweiten Jahrtausends v. Chr. war dann die mykenische Kultur von neu hereinbrechenden Griechenstämmen, die aus dem Innern der Balkanhalbinsel kamen, den Doriern, so gründlich vernichtet worden, daß seit Homer die Griechen und auch die Wissenschaft bis zu Schliemann nichts mehr von dieser großen Zeit gewußt haben. Schliemann und Dörpfeld hatten nach ihren Grabungen in Mykenä und Tiryns sofort erkannt, daß die kleinen Gebäude der zweiten Schicht Trojas nicht den geräumigen Palästen von Tiryns und Mykenä entsprachen und auch die schlichten Gefäße und Schmucksachen nicht aus dieser Zeit stammen konnten, sondern einer früheren Epoche angehören mußten. Schliemann war dadurch selber irre geworden in seinem Glauben, daß das Burggelände der zweiten Schicht die homerische Stadt sei, und hatte sein Augenmerk bereits der sechsten Schicht zugewendet, nachdem dort unter seinen Augen eine mykenische Bugelkanne zum Vorschein gekommen war Aber erst nach seinem Tode hatte Dörpfeld den Nachweis 28
für den tatsächlichen zeitlichen Zusammenhang dieser sechsten trojanischen Stadt mit den griechisch-mykenischen Palaststädten erbringen können. Das sechste Troja war also einst eine der Königsstädte des mykenischen Kulturkreises gewesen; der Boden gab nach Schliemanns Tode weitere Beweise dafür frei. War diese Kultur nun auch die der homerischen Gesänge? Galten die farbigen Schilderungen Homers tatsächlich den Zuständen im mykenischen Großreich, das sich im zweiten vorchristlichen Jahrtausend von Kleinasien bis nach Sizilien und Italien erstreckt und Städte wie Troja VI, Mykenä, Tiryns, Orchomenos in sich eingeschlossen hatte? Es ist das bleibende Verdienst Schliemanns und Dörpfelds, daß wir diese Frage heute bejahen können. Homer, oder vielmehr die Epiker, die sein Name in sich zusammenfaßte, leuchten mit vielen Lichtern in die mykenische Kulturepoche. Sie lag zwar einige Jahrhunderte vor der homerischen Zeit; aber als die großen Epen „Ilias" und „Odyssee" entstanden, war die Überlieferung an die glanzvolle Vergangenheit noch so lebendig, daß man sich ihrer selbst in Einzelheiten erinnerte. Tiryns, so wie es Schliemann freigelegt, entsprach in der Pracht, Ausdehnung und der Anordnung der Räume genau den Herrschaftssitzen, wie Homer sie beschrieben hatte; einzelne Fundstücke, Becher und Waffen, könnten fast nach den Angaben des Dichters angefertigt sein. Der Goldschatz der mykenischen Schachtgräber offenbarte sich fast als das Gegenstück zu den Goldprunkstücken in der Dichtung Homers. Ilias und Odyssee, deren Kulturstoff man bis dahin für reine dichterische Erfindung gehalten hatte, spiegelten also geschichtliche Wirklichkeit. Nicht klar erwiesen blieb immer noch jener Kriegszug, der als der „Trojanische Krieg" den szenischen Inhalt der Ilias ausmacht. Man vermutet aber, daß auch in der Darstellung dieses „männermordenden Krieges" ein historischer Kern steckt, nämlich die Erinnerung an jene Wanderbewegung altgriechischer Stämme, unter deren Ansturm gegen Ende des zweiten vorchristlichen Jahrtausends alle mykenischen Burgen und mit ihnen die Trojaburg der sechsten Schicht in vernichtenden Biänden zerstört worden war. Schliemanns Ausgrabungen haben so mit einem Schlag das für die wissenschaftliche Forschung überschaubare Gebiet der griechischen Geschichte um mehr als ein Jahrtausend erweitert. Er hatte gehofft, letzte Aufschlüsse über manche noch ungeklärten Fragen in Knossos auf Kreta zu finden. Er war nicht mehr dazu gekommen, dort zu forschen. Statt seiner grub der Englander Arthur Evans in Knossos; was dort entdeckt wurde, war eine noch frühere märchenhaftere Kulturepoche der europäischen Frühgeschichte, die man die kretisch-minoische genannt hat; sie 29
reichte ins dritte und zweite Jahrtausend v Chr zurück Ihre kultuieilen und machtgebietenden Erben sind dann die mykenischen Herrscher und Volker gewesen
Die unvollendete Reise Seit Jahren hatte Schhemann an Wucherungen der Ohrenknochen gelitten die schließlich eine Operation notwendig machten Er war im No\ember 1890 nach Deutschland aufgebrochen, und in Halle waren beide Ohren operiert worden Nach knapp einem Monat, noch bevo r alles völlig verheilt war, hatte seine Unruhe den Achtundsechzigjahngen weitergetneben In Berlin besuchte er Virchow, besichtigte mit ihm die Neuaufstellung seiner Sammlungen und war nach zwei Tagen schon in Paus Weil wieder Schmerzen auftraten mußte er einen Arzt aufsuchen, doch er nahm das nicht ernst und fuhr bald nach Neapel weiter, wo ihn die Ausgrabungen in Pompeji und die Neuerwerbungen der Museen lock ten Schon hatte er seiner Familie seine baldige Heimkehr angekündigt, da brach er auf der Straße zusammen Am nächsten Tage, dem 26 Dezember 1890, entschlief er still Heinrich Schhemann, der immer voller Unruhe immer unterwegs war starb auch unterwegs Seme letzte Reise hat er nicht mehr vollenden können Man überführte den Toten nach Athen Im Angesicht der Akropohs steht dort das klassische Tempelgiabmal, das Schliemann sich als bleibende Ruhestatte erbeten hatte
Eines Menschen Leben Vieles im Leben Heinrich Schliemanns klingt wie ein Märchen inmitten einer nüchtern gewordenen Welt Aber er war kein Wundermensch, trotz seiner Spradibegabung «einer kaufmannischen Fähigkeiten und seines traumhaften Aufstieges vom Büroboten zum Millionär, trotz seiner mehrfachen Enettung aus Wasser und Feuer, seines Findergluck« als Ausgraber Er war nur ein Mensch freilich em sehr begabter Mensch Mit unglaublicher Zähigkeit und Instinktsicherheit hat er gegen alle Widerstände eines abseitigen, armseligen Daseins, gegen körperliche Schwache, gegen behördliche Schikanen gegen wissenschaftliche Gegner und ehrgeizige Dilettanten «em Leben nach seinem Willen gestaltet und sein Werk durchgesetzt Immer, wo er ihrer bewußt wurde, bekämpfte er die Unzulänglichkeiten und Mangel seiner Ausbildung, er lernte und nahm Rat und Mitarbeiter an er hatte den Kopf voll romantischer Sagen und erzog sich doch zum nüchternen, kritischen Forscher, er hatte mit wahrer Leidenschaft das Geld errafft, aber mit der gleichen Leidenschaft 30
hatte er Millionen für seine Aufgabe geopfert wie er ihr alles andere seine Bequemlichkeit, seine Gesundheit seine Gedanken seine Zeit und sein ganzes Leben hingab Denn sein Werk hieß, die Vorgeschichte eines hochkultivierten Zweiges der Menschheit, der alten Hellenen aufzudecken Und es gelang ihm in zdher Lebensarbeit Vor Schliemann interessierte die Archäologie sich fast ausschließlich für die klassische Kunst in Italien und Griechenland Er aber stellte sie durch seine Ausgrabungen vor ganz neue Aufgaben, in dem er die Bodenforschmig zur Wissenschalt des Spatens erhob die sich mit allen Lebensaußerungen vergangener Kulturen befaßt die nicht mehr nach einzelnen Denkmalern sucht, sondern die geschichtlichen Zusammenhange erhellen will Er lernte m seinen muhevollen monatelangen Arbeiten in den Schuttbergen wie man aus der Schichtengliederung und aus den Funden an Tongefaßen mochten es auch nur Scherben sein, auf die Folge der Kulturen rudochließen kann Die Vasen", das Tongeschirr, wurden ihm zum Füllhorn aller archäologischen Weisheit er wies auch hier neue Wege Freilich fehlten ihm die Einzelkenntnisse, um in den besonders schwierigen Verhaltnissen allein Klarheit schaffen zu können Doch die Tatsache bleibt bestehen der gewaltsame und gewaltige Anstoß, den die Archäologie durch seine Tat erhielt, hat die Geschichte des Abendlandes um eine lange Wegstrecke in die Vergangen heit hinein erweitert Was hier von Heinrich Schliemanns Leben ei zahlt wurde, ist nicht die Geschichte eines Abenteurers, sondern nur der getreue Bericht wie ein Mann sich in den Stürmen des Lebens bewahrte Als Pfadsucher zog Heinrich Schliemann aus dem Lande der Kindheit in eine fremde Welt hinaus und ruhte nicht, bis er als alter Mann, ein echter Pfadfinder das einst geahnte Ziel erreicht hatte
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Sphinx am Strom Priester und Magier Götter und Helden Die Griechen Die Perserkriege Die Tempel Athens „
7. 8. 9. 10. 11. 12.
Alexanderzug Phyrrhus - der Abenteurer Hannibal Untergang Karthagos Marius und Sulla Kaiser ohne Krone
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Beim Lesen von Zierers abendländischer Geschichte öffneten sich immer wieder Ausblicke in die Räume jenseits der weitgezogenen Grenzen des Abendlandes und ließen die Ausstrahlungen der abendländischen Welt auf die Reiche des Orients-, Asiens, Afrikas und Amerikas sichtbar werden. Diesen außereuropäischen Großräumen ist
eine neue Buchreihe von Otto Zierer gewidmet, die die Geschichte und Kultur der gelben Rasse, des Islams, Indiens, Afrikas, Ostasiens und des amerikanischen Kontinents farbig und anschaulich schildert. Als erstes abgeschlossenes Werk ist erschienen:
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