KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
ERNST
HEFTE
SAMHABER
DIE ENTDECKUNG DE...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
ERNST
HEFTE
SAMHABER
DIE ENTDECKUNG DER ERDE VON D E R E R D S C H E I B E ZUR E R D K U G E L
V E R L A G S E B A S T I A N LUX MURNAU - M Ü N C H E N • I N N S B R U C K . BASEL
Die Erde ist kugelrund Gegen Ende des sechsten Jahrhunderts v. Chr. ging ein großes Klagen durch die griechischen Kolonialstädlc im westliehen Mittelmeer. „Nie weiden wir diesen Schlag überwinden!" — „Unser Handel ist endgültig vernichtet!" So klangen die Rufe auf den Märkten und in den Häfen der hellenischen Handelsplätze. Schnell rudernde Boote hatten die Nachricht überbracht, daß die alten Handelsgegner der Griechen, die Karthager, sich an dem Westtor des Mittelmeeres festgesetzt und es für alle nichtkarthagischen Schiffe gesperrt hätten. Die Durchfahrt durch die „Säulen des Herkules", durch die Straße von Gibraltar, wie wir heute sagen, blieb künftig allen Fremden verschlossen. Die Griechen, die von der Balkanhalbinsel aus immer weiter nach Westen vorgedrungen waren und einen immer größeren Anteil des Welthandels an sich gerissen hatten, wurden mit einem Male auf das enge Mittelmeer beschränkt. Woher sollten sie in Zukunft die kostbaren und unentbehrlichen Waren erhalten, die aus der Welt des Ozeans, der Welt jenseits der Säulen des Herkules, gekommen waren: Kupfer, Blei, den wundervollen Bernstein aus dem hohen Norden und vor allem Zinn? Es gab im gesamten Mittelmeerraum fast kein Zinn, und ohne Zinn konnte das Kupfer nicht zu Bronze umgeschmolzen werden. Seit vielen Jahrhunderten, vielleicht seit Jahrtausenden, hatten die Kaufleute der Mittelmeerländer — die Bewohner von Kreta und dann die Phönizier — Zinn in dem Sagenlande Tartessos eingehandelt, dem heutigen Andalusien an der Ozeanseite der spanischen Halbinsel. Tharsis nennt die Bibel dieses Land: „Tharsis hat mit dir (Tyrus) seinen Handel gehabt und allerlei W a r e : Silber, Eisen, Zinn und Blei auf deine Markte gebracht", schreibt der Prophet Hesekiel. Was sollten die Griechen tun? „Den Riegel der Karthager können wir nicht sprengen", sagten die Kaufleute in Massilia, dem heutigen Marseille, das damals die bedeutendste griechische Kolonialstadt im Westen war. „Aber können wir ihn nicht umgehen? W i r müßten nur wissen, ob die Waren, die wir in Thartessos eingekauft haben, Zinn und Blei und all das andere, aus Spanien selbst stammen, oder, wie die Kaufleute dort stets behaupteten, aus hoch im Norden liegenden Ländern. Und wie sieht es in diesen Ländern aus?", o
Die Länder des Zinns Man beschloß endlich nach den hitzigen Besprechungen, einen Mann auszusenden, der Antwort auf die Fragen bringen sollte; es ist der erste wirkliche Forschungsreisende, von dem wir Kunde haben. Pytheas, auf den die Wahl fiel, war ein erfahrener Kaufmann, der zudem eine ungewöhnlich gründliche Ausbildung in Mathematik und Philosophie genossen hatte, ein Mann mit offenen Augen, der vieles sah, was flüchtigen Besuchern fremder Landstriche entging, zugleich ein wirklicher Denker, der aus seinen Beobachtungen Nutzen zu ziehen verstand. Nur bruchstückweise können wir heute seinen Heisebericht verfolgen. Das Buch selbst, das er verfaßte, ist verlorengegangen. Wir kennen jedoch andere Bücher, die seine Beobachtungen enthalten und — teilweise leider entstellt — wiederholen, griechische und römische Schriftsteller aus späteren Jahrhunderten. Dennoch erkennen wir,' daß Pytheas unter Umgehung der Straße von Gibraltar über das heutige Frankreich an die Atlantikküste gereist ist, die er wohl an der Loiremündung erreicht haben mag. Dann segelte er der Küste entlang in den Ärmelkanal. Dort fand er die sonderbaren Boote der Einheimischen, die das Zinn von England her über den Kanal brachten, merkwürdige Fahrzeuge: Gestelle, die mit Leder bespannt waren, also keine eigentlichen Schiffe, wie Pytheas sie aus dem Mittelmeer kannte, sondern leichte Boote, die wir vielleicht mit unseren Faltbooten vergleichen können, nur daß sie sehr viel größer waren. Dieser Schiffstyp hat sich noch Jahrhunderte gehalten: Als Cäsar Gallien eroberte und bis zum Kanal vordrang, fand er im Norden die gleichen Boote vor, die Pytheas als erster beschrieben hat. Dann allerdings hat sich das Schiff des Mittelmeerraumes auch im Norden durchgesetzt. Eigentlich hatte Pytheas damit seinen Auftrag erfüllt. Er hatte den Platz gefunden, wo das Zinn umgeschlagen wurde, das die Bewohner von Tartessos in Barren einkauften: Es war die kleine Insel Ictis, das heutige Saint Michael an der nordfranzösischen Küste. Das Zinn wurde von England hierhin gebracht. Durfte Pytheas sich jedoch mit dieser Entdeckung begnügen? Zum erstenmal stand ein Grieche, ein gebildeter, seiner Sendung bewußter Grieche am Kanal, England gegenüber, dem sagenumwobenen Lande, wo der Zinnstein gebrochen oder aus dem Flußgeröll gesammelt wurde. Pytheas zögerte nicht lange, dann 3
entschloß er sich, dieses Land zu umsegeln, um einmal genau festzustellen, wie groß es wirklich war. Er nahm also eines dieser lederbespannten Boote und umschiffte England, oder wie er es nannte, die britannische Insel Albion (das keltische Wort bedeutet: Weißes Land, wohl so genannt wegen der Kreidefelsen von Dover). Zur linken Hand lag eine andere große Insel, (die er nicht mehr besuchen konnte, die die Schiffer Hierne — Irland — nannten. Vierzig Tage brauchte Pytheas, um ganz Britannien zu umsegeln, keine allzulange Zeit, wenn wir an das schwanke Boot denken. Er hörte von anderen Inseln, den Orkney- und den Shelland-Inseln im Norden Britanniens. Besonders merkwürdig aber waren die Erzählungen von einer geheimnisvollen Insel, Thule genannt. Er ließ es sich nicht nehmen, dieses Land aufzusuchen. Lange Zeit haben die Gelehrten angenommen, Thule sei das heutige Island oder die Shetland-Inseln. Wahrscheinlich aber besuchte unser griechischer Reisender Norwegen, und zwar das Gebiet von Drontheim, denn auf diese Gegend passen am besten alle seine Beschreibungen. W a r u m wurde dieser Besuch im hohen Norden bahnbrechend für die Erdkunde? Zu seinem Erstaunen stellte Pytheas fest: Je weiter er nach Norden gelangte, desto tiefer senkte sich die Sonne am Horizont. Die Tageszeiten veränderten sich: Im Sommer blieb es länger hell, im Winter dauerte die Nacht fünfzehn, zwanzig und mehr Stunden. Ja, es erzählten ihm vertrauenswürdige Fischer, im Norden gebe es ein Land, da gehe im Sommer die Sonne eine Zeitlang überhaupt nicht mehr unter, ebenso wie es dort im Winter überhaupt nicht mehr hell werde. Wie war das nur möglich? Die Sonne blieb also auch mittags unter dem Horizont, oder hielt sich auch um Mitternacht über der Horizontlinie. Immer wieder bestätigten ihm die Einheimischen diese Tatsache. Sie stimmte auch mit den eigenen Beobachtungen des Reisenden überein: Je weiter er nach Norden gefahren war, desto mehr hatte sich die Sonne am Himmel gesenkt. Für einen geübten Mathematiker, wie es Pytheas war, konnte es nicht schwer sein, auszurechnen, wann sie unter dem Horizont verschwunden sein mußte. An Hand seiner Aufzeichnungen glaubte Pytheas sogar sagen zu können,' wie weit im Norden die „ I n s e l " Thule — er wußte nicht, daß Skandinavien und damit auch Norwegen auf einer Halbinsel lag — zu suchen war: 11500 Stadien nördlich des Schwarzen Meeres. Großartig dieser Rechner, der den 4
Bogen vom Schwarzen Meer bis hinauf nach Norden, nach Skandinavien, zu schlagen wußte! Was die Kaufleute seiner Vaterstadt Massilia mit den Ergebnissen der Entdeckungsreisen angefangen haben, wissen wir nicht. Um jene Zeit war der ganze Mittelmeerraum in Bewegung geraten. Der große Alexander war mit seinem Griechenheer aufgebrochen und besiegte das alte Perserreich; er drang weit nach Norden bis in heute südrussische Gebiete vor und dann tief hinein nach Indien. Für die Griechen öffnete sich dort in Asie» eine neue Welt, die die Aufmerksamkeit vom Westen und vom Nor-
Das Weltbild der Griechen umfaßte im 8. Jahrhundert v. Chr. nur die Länder um das Mittelmeer und das Schwarze Meer. Sie waren bis zu den Säulen des Herkules (Herakles) vorgedrungen. Die Erde war in ihrer Vorstellung eine vom Okeanos (Ozeanstrom) umflossene Scheibe
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den ablenkte. Wir wissen jedoch,' welche ungeheure Wirkung die Reiseberichte des Pytheas auf die großen Geister seiner Zeit ausübten.
Die Erdoberfläche ist gekrümmt Aristoteles, der große Lehrer des Alexander, sah die vage Ansicht mancher Gelehrten, daß die Erde Kugelgestalt habe, durch die Berichte aus dem hohen Norden unwiderlegbar bestätigt. Die meisten Menschen glaubten zu seiner Zeit noch, sie lebten auf einer mächtigen Scheibe, deren Größe niemand abzuschätzen vermochte. Wenn dem aber so wäre, schloß Aristoteles, dann müßte die Sonne, wenn sie beim Umlauf um die Erde sich einmal über den Horizont erhebt, überall gleichmäßig über dem Horizont sichtbar sein. Die Tatsache, daß sie sich aber zur gleichen Stunde, da sie in Griechenland hoch am Himmel stand, in Thule kaum über den Horizont erhob, ließ sich nicht anders erklären als durch die Annahme, daß die Erdoberfläche gekrümmt war. Mindestens vom Süden nach Norden. Eine einseitige Krümmung nach Norden aber paßte in keine mathematische Überlegung hinein. Lange vor Aristoteles hatte ein anderer großer griechischer Philosoph und Mathematiker von der Kugelgestalt der Erde gesprochen, Pythagoras, aber seine Überlegungen waren von 'den anderen Gelehrten als Spielerei zurückgewiesen worden. Wie seltsam war auch seine „Begründung". Über die Erde wölbt sich, so sagte er, die ,,Himmelskugel". Niemand bezweifelte, daß der Himmel eine Kugel sei, auf der die Sonne täglich einen Bogen bei ihrer Reise um die Erde macht. W a r u m sollte dann picht auch die Erde eine Kugel sein, ganz entsprechend dem Himmel, in den sie eingebettet Hege? Aber war das ein Beweis? Zu solchen Gedanken konnten sich die einfachen Menschen nicht durchringen. Der täglichen Anschauung widersprach zunächst die Lehre von der Kugelgestalt, aber wie sollten die Beobachtungen des Pytheas anders erklärt werden? Lag da nicht eine unbestreitbare Erfahrung vor? Kaum war der Gedanke von der Erdkugel Gemeingut der Gelehrten, zuerst des westlichen Mittelmeers, dann der gesamten griechischen Welt geworden, als auch alte Beobachtungen eine neue Deutung erfuhren. Mehr als ein Jahrhundert vor Pytheas war ein anderer Grieche,' Herodot, bis zu den Ufern des Schwarzen Meeres gereist, um be6
gierig Nachrichten aus fremden Ländern zu sammeln. Da wurde ihm erzählt, hoch im Norden gebe es Menschen, die sechs Monate lang schliefen. Bedeutete das nicht richtiger, daß es dort sechs Monate lang Nacht wäre? Stimmte das nicht mit dem überein, was Pytheas von Thule berichtete? Und wenn das der Fall war, so mußte auch eine der merkwürdigsten Angaben richtig sein, die Herodot erzählt hatte: Einst entsandte Pharao, König von Ägypten, eine kleine Flotte phönizischer Schiffe durch das Kote Meer mit dem Befehl, Afrika zu umschiffen. Sie sollen diese Fahrt zurückgelegt haben, wobei sie, wie Herodot zweifelnd berichtet, bei der Westfahrt „die Sonne zur Rechten gehabt hätt e n " . Für den Menschen des Mittelmeeres, der die Sonne stets zu seiner Linken hat, wenn er gen Westen segelt, war diese Behauptung völlig unglaubwürdig. Nur wenn die Erde eine Kugel war, lösten sich alle Zweifel; denn dann stand die Sonne auf der südlichen Halbkugel im Norden. Eine Wahrheit brach sich Bahn. Eine großartige Zeit der Erderforschung begann.
Die Länder der Seide Im Westen stieg Rom zur Weltmacht auf. In der Hauptstadt am Tiber häufte sich unendlicher Reichtum; ein fast märchenhafter Luxus machte sich am Kaiserhof breit. Die reichen Römer waren bereit, jede Summe für die Schätze des Ostens zu bezahlen. Zu gleicher Zeit dehnte sich das Chinesische Reich zum ersten Male in seiner Geschichte weit nach Mittelasien aus. Fast schien es, als würden die beiden Kaiserreiche, das römische und das chinesische, sich irgendwo in weiter Ferne begegnen. Einst hatte das Volk der Yue-tschis an der Grenze Chinas gelebt, dann waren sie von den Hunnen vertrieben worden. J3ie neuen Nachbarn Chinas waren eine ständige Bedrohung. Um sich ihrer zu erwehren, schaute sich Kaiser Wu-ti nach Bundesgenossen um. Er rief den Gesandten Tschang-Kien zu sich. „Ziehe nach Westen", befahl er ihm, und sieh zu, daß du die vertriebenen Yue-tschis wiederfindest. Dann biete ihnen meinen Gruß und meine Freundschaft. Wir wollen gemeinsam die Hunnen besiegen, ich von Osten her, sie sollen vom Westen kommen." Kaum hatte der Gesandte die schützende Große Chinesische Mauer verlassen, sali er sich inmitten wilder Reitervölker, Hirten und Jäger. Sie nahmen den Fremdling sehr bald gefangen. Zwei Jahre saß er
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in der Steppe fest, bis ihn seine Herren gnädig freigaben. Kaum war Tschang-Kien wieder frei, zog er weiter nach Westen, auf der Suche nach den Yue-tschis. Endlich fand er sie, aber schon nicht mehr in Zentralasien, sondern weit im Westen, in Gebieten, die einst Alexander der Große erobert hatte. Die Yue-tschis zeigten keine Lust mehr, noch einmal in die alte Heimat in Zentralasien zurückzukehren und noch einmal gegen die gefürchteten Hunnen zu kämpfen. So endete die Mission des Gesandten mit einem diplomatischen Mißerfolg. Dennoch verlor er nicht den Mut. W a r er schon so weit nach Westen gezogen, wollte er Weiterreisen, um zu sehen, was für Länder hinter dem Horizonte lägen. Vor allem wollte er das merkwürdige Volk der Griechen kennenlernen, von dem man ihm viel erzählte. Am Kaspischen Meer aber schreckten ihn die Fischer von seiner Weiterreise ab. Hinter dem Meere weiter im Westen sei alles dunkel. Die Fahrt über das Wasser sei unmöglich, Stürme zerschlügen die Boote, die sich zu weit hinauswagten. Schreckliche Ungeheuer lauerten in der Tiefe. Nur die Geister fänden den Weg zur jenseitigen Küste! So kehrte TschangKien um. Dafür erschienen bald chinesische Kaufleute in Europa und tauschten ihre Waren aus. Mühsam, auf unendlich weiten Wegen, brachten die Chinesen einen wunderbaren, märchenhaften Stoff nach Westen, die Seide, während der Westen vor allem die Kunstwerke der griechischen Meister anbot. Zu einer politischen Berührung ist es jedoch nicht mehr gekommen: Die römischen Heere waren von den Parthern, den Nachfolgern der Perser, besiegt worden, ein neues Reich, das Parthische, schob sich zwischen Rom und China. Das hinderte die Kaufleute jedoch nicht, in Austausch zu treten, sie gaben die Waren jeweils an der Grenze an die Mittelsleute ab, die sie weiter verfrachteten. Der Handel zwischen Ost und West belebte sich auch weiter im Süden, auf dem Indischen Ozean. Schon bald nach dem Tode des großen Alexander wagten sich die Araber von der arabischen Halbinsel aus bis nach Indien vor, allerdings noch vorsichtig die Küste entlang segelnd. So gefährlich war der Wasserweg wegen der Stürme nach der Windstille, daß die meisten Waren aus Indien nicht durchs Rote Meer befördert, sondern bereits an der arabischen Südküste ausgeladen wurden. Man brachte sie lieber über die uralten Handelswege auf den Straßen, von denen bereits die Bibel erzählt, über den Jemen hinweg nach Syrien, als daß sie den schwankenden Schiffen anvertraut wurden. Da 8
brachte eine Entdeckung die Wende. Ein griechischer Steuermann, Hippalos, sah, daß die Winde im Indischen Ozean alle halbe Jahre regelmäßig ihre Richtung wechselten und einmal von Südwesten nach Nordosten, später wieder von Nordosten nach Südwesten wehten. Das Geheimnis des Monsuns war gelüftet. Mit dem neuen Winde, dem Hippalos-Winde, segelten nun ganze Flotten vom Roten Meer nach Indien, und sobald er sich gedreht hatte, von Indien ins Rote Meer zurück. Sie führten auf dem Hinwege zunächst Gold- und Silbermünzen, später Flachs aus Ägypten mit sich, sie brachten auf dem Heimwege die indische Baumwolle sowie Edelsteine und Gewürze mit, aber auch seltsame Tiere. Leider waren die Handelsfahrer nicht allzu gesprächig, so < daß die Geographen von ihnen nur wenig erfahren konnten. Die vorsichtigen Kaufleute scheuten sich, zuviel auszuplaudern, zuviel zu erzählen, am Ende gar Wettbewerber in die fremden Gewässer zu locken. Nur ein Seefahrer machte eine Ausnahme. Er verfaßte eine Segelanweisung und eine genaue Beschreibung seiner Fahrt, die ihn weit hinunter nach Süden an der ostafrikanischen Küste entlang bis Sansibar, im Osten bis zur Insel Ceylon, dann weiter nach Osten bis zur Gangesmündung geführt hatte. Nur unklar lauteten die Nachrichten, die er dort von den Ländern weiter im Osten, von Hinterindien, erfuhr. Dort gehe das Meer an irgendeinem Punkte zu Ende und dort läge das große Land China! Es sei nicht so leicht, in das Land China zu gelangen, fügte der Verfasser hinzu. Nur selten kämen einzelne Leute von dort. So weitete sich der Blick immer tiefer nach Osten. Es war um das Jahr 100 v. Chr. Unruhevoll schritt der große griechische Gelehrte Marinus von Tyrus in seinem Studierzimmer auf und ab. Wenn er nur die Möglichkeit hätte, selbst in die fernen Länder zu reisen, selbst zu schauen, selbst nachzuprüfen! W ä h r e n d er noch grübelte, meldete sich bei ihm sein Freund. »1er große Handelsherr Maes aus Makedonien. Er allein konnte Antwort geben, denn seine Agenten reisten bis weit nach Asien, bis in das Land, woher die Seide kam. Zwar war den Griechen und den Römern die Durchreise durch das Land der Parther verwehrt, dafür übergaben sie ihre Waren den einheimischen Persern, die durch ganz Zentralasien bis zur Großen Chinesischen Mauer zogen, wo sie dann ihre Geschäfte mit den Chinesen abschlössen, um von dort in die Heimat zurückzukehren. „Du willst also wissen, wie es in Villen diesen Ländern aussieht, durch die meine Leute ziehen? Nichts einfacher, ich werde sie 10
beauftragen, mir einen genauen Bericht zu geben, den ich dir bringen werde." Marinus wollte kaum an sein Glück glauben. Aber ein Jahr später hielt er den Bericht wirklich in den H ä n den. Und was für einen Bericht! Er hätte nicht besser sein können. Wieder waren die Agenten des Maes mit den schwerfälligen Kainclkarawanen vom Euphrat her durch ganz Persien bis zum Hindukusch-Gebirgc gezogen. Hier aber begannen erst die Abenteuer. Hinauf ging es in die Berge, über die tiefen Ströme hinweg bis zu dem Grenzort des chinesischen Reiches, dem „Steinernen Turm", wie er bei den reisenden Kaufleuten jener Zeit hieß. Dann allerdings schützte die Macht des chinesischen Kaisers die Handelskarawanen. Großartig war die Einrichtung der chinesischen Verwaltung hier in Mittelasien. In allen größeren Handelsplätzen saßen kaiserliche Beamte, die für den Schutz der Kaufleute verantwortlieh waren, die ihnen Schutz gegen räuberische Angriffe gewährten und Hecht sprachen, falls sich Schwierigkeiten unter ihnen selbst oder zwischen ihnen und den Einheimischen ergaben. Diese Beamten stammten aus dem eigentlichen China, aus den Stammgebieten des Reiches östlich der Großen Chinesischen Mauer, Tausende von Kilometern weiter im Osten. Um ihnen die Arbeit in den fremden Gebieten zu erleichtern, hatte der Kaiser ein Handbuch verfassen lassen. Da stand alles verzeichnet, was der Verwaltungsbeamte wissen mußte: die genaue Beschreibung des Landes und seiner Bewohner, die Handelsbräuche und die politischen Richtlinien für die Behandlung der strittigen Fragen. Ein findiger Verwaltungsbeamter war auf den guten Einfall gekommen, aus diesem Handbuch, das auf chinesisch abgefaßt war, einen Auszug zu machen und ihn ins Parthische zu übersetzen, damit die fremden Kaufleute sich besser unterrichten konnten. Als nun die Agenten des Maes sich erkundigten, wie sie den Auftrag ihres Hindelsherrn erfüllen könnten, erhielten auch sie den Reiseführer ausgehändigt. Stolz brachten sie ihn zurück, und so gelangte er in die Hände des großen Gelehrten Marinus von Tyrus. Welch eine Entdeckung! Da war nicht mehr in allgemeinen Worten von unendlichen Wüsten, von zahlreichen angesehenen Städten die Rede: Ganz genau, wie es dem sorgsamen chinesischen Verwaltungsbeamten zukam, waren die Wege angeführt, die von Stadt zu Stadt reichten, mit genauen Angaben der Entfernungen, der genauen Himmelsrichtungen, der Zahl der Bewohner, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung. 11
Nur eines fehlte darin noch: die Schilderung des eigentlichen chinesischen Reiches jenseits der Großen Mauer. Nach China durften Fremde nicht einreisen. Es lag deshalb auch keine Veranlassung vor, ihnen eine genaue Schilderung des Reiches zu geben, die sie zu einem räuberischen Einfall gereizt hätte. Nun konnte Marinus endlich an die große Aufgabe gehen, die er sich seit langem gestellt hatte, die erste wirkliche Karte der bisher bekannten Welt zu entwerfen. Endlich besaß er die Unterlagen, die allen seinen Vorgängern gefehlt hatten. Aber mitten in der Arbeit stellte er einen furchtbaren Mangel in dem Reiseführer fest, der dessen Benutzung fast unmöglich machte: alle Entfernungen waren in einem unbekannten Maß angegeben. Die Folgen für die wissenschaftliche Erdkunde, darüber hinaus für unser Weltbild und für die gesamte Erforschung der Erde waren schwer.
Die erste Weltkarte Wie groß ist die Erde? Diese Frage beschäftigte die großen griechischen Denker ganz außerordentlich. Sie kannten nur einen Ausschnitt, aber immer wieder fragten sie sich: Was liegt hinter dem Horizont? Wo steigt die Sonne auf, wo geht sie unter? Solange die Menschen der Meinung waren, die Erde sei eine richtige Scheibe, umflossen von einem unendlichen Ozean, war die Frage nicht zu beantworten. Niemals, so schien es zu jener Zeit, würden die Sterblichen jemals an das Ende des Weltmeeres gelangen, dorthin, wjo nur die Toten wohnten. Als sich jedoch die Erkenntnis durchsetzte, die Erde sei eine Kugel, also seit dem dritten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, da blitzte im Kopf eines hervorragenden Denkers, des Geographen Eratosthenes, der zwischen 273 und 192 v. Chr. lebte, ein großartiger Gedanke puf. „Es genügt", sagte er sich, „ d a ß ich einen winzigen, aber genau bestimmten Teil eines Kreises kenne, um seine Größe berechnen zu können. Der Kreis wird in 360 Grad eingeteilt. Weiß ich, wie groß ein einzelner Grad ist, so läßt sich mit Sicherheit sagen, wie groß der Kreis und, auf die Erde übertragen, wie groß der Umfang der Erdkugel ist. Gibt es jedoch ein Mittel, irgendwie auf dem Erdball die Größe eines Grades festzustellen?" Eratosthenes lebte in Alexandrien in Ägypten. Er kannte im Süden bei Assuan einen Brunnen, von dem berichtet wurde, daß an einem bestimmten Tag im Jahre die Sonne senkrecht darüber stand, so daß sie sich im tiefen Brunnenwasser spiegelte. Am glei12
chen Tage stellte Eratosthenes fest, daß die Sonne in Alexandrien nicht unmittelbar senkrecht üher seinem Kopfe stand, sondern um einen Winkel von 7y 2 Grad tiefer geneigt nach Süden. Das war für ihn der Ansatzpunkt zu einer klugen Berechnung. Siebeneinhalb Grad! Das war rund ein Fünfzigstel eines Kreises. Und wie weit war es von Alexandrien nach Assuan? Die Pharaonen hatten auf ihren Straßen genaue Entfernungszeichen aufgestellt, leicht ließ sich diese Strecke nachrechnen: Es waren 5000 Stadien. Nun war die Rechenaufgabe ganz leicht: Der Erdumfang betrug danach fünfzigmal 5000 Stadien! Wir wissen heute, daß in dieser Rechnung verschiedene Fehler stecken. In Wirklichkeit stand die Sonne nicht ganz genau senkrecht über Assuan, diese Stadt liegt auch nicht genau südlich von Alexandrien, die Entfernung war nicht genau 7% Grad und betrug auch nicht genau 5000 Stadien. Aber ein Fehler wog den anderen auf. Eratosthenes berechnete den Erdumfang (das Stadion zu 148,8 m) auf 37 500 Kilometer, während wir den Erdumfang, über die Pole gemessen, mit 40 009 km angeben. W a r die Übereinstimmung nicht überraschend? Der Menschengeist hat damals eine seiner glänzendsten Taten vollbracht! Eratosthenes war damit noch nicht zufrieden. Nun endlich war es ihm möglich, eine Weltkarte zu entwerfen. Er brauchte nur ein Netz von Längen- und Breitengraden zu zeichnen und in dieses die Orte einzutragen, von denen er den Stand der Sonne und die Entfernung von Alexandrien kannte. Immer wieder fragte er bei jedem Ort: Wie lange steht die Sonne im Hochsommer am Himmel, wie lange mitten im Winter. Diese Angaben allein genügten, um den Standort jedes Platzes auf der neuen Weltkarte festzulegen. Leider hatte diese Berechnung einen Mangel: Nach dem Stand der Sonne ließ sich wohl die geographische Breite, also die Entfernung von den Polen und vom Äquator messen, nicht die Länge. Da war der Geograph ganz auf die sehr ungenauen Angaben der Schiffer oder der Reisenden angewiesen, wie lange sie von Alexandrien nach iWesten oder nach Osten unterwegs waren. Je nach Wind und Wellen oder nach dem Zustand der Wege brauchten sie jedoch für die gleiche Strecke unterschiedliche Zeiten. Zudem mußten die Entfernungen zur See geschätzt werden. Das war auch das Problem des großen Geographen Marinus von Tyrus, als ihm die Agenten des Macs den chinesischen Reiseführer mit den an sich recht genauen Angaben über die Entfernungen brachten. Die Chinesen rechneten nach einem unbekann13
Wie Eratosthenes zwischen Alexandria und Assuan (Schema) den Umfang der Erde berechnete
ten Maßstab, nach „ L i " . Li hieß Meile, aber auch bei uns hat die Meile eine sehr verschiedene Größe, je nachdem, ob wir von Seemeile oder Landmeile sprechen. Nach langen Überlegungen, wobei er vor allem die unendlich lange Reisezeit der Kaufleute berücksichtigte, kam Marinus zur Überzeugung: Ein Li muß ich mit sechs Stadien ansetzen. Richtig wäre gewesen, wenn er ein Li gleich zwei Stadien angenommen hätte. Daher wurden alle Entfernungen, die er außerhalb der bekannten Länder in seine Weltkarte eintrug, verdreifacht. Nun rückte China, das ,,Land der Seide'-', riesenhaft nach Osten, weit über die Hälfte des Erdumfanges hinaus. Diese Entfernung 14
erschien einem anderen griechischen Gelehrten, dem Ptolomäus, übertrieben. Ptolomäus hat die chinesische Meile (Li) nur mit vier Stadien angenommen, immer noch das Doppelte dessen, was richtig gewesen wäre. Aber so kamen die Geographen und W e l t fahrer zu einer überraschenden Vorstellung: Von der europäischen Westküste konnte es nach Ptolomäus bis China in der Richtung nach Westen — über den Ozean also — nicht weiter sein als in der Richtung nach Osten. Das war eine interessante Vorstellung; aber in damaliger Zeit hätte niemand mit den geringen technischen Hilfsmitteln eine Fahrt über den unendlich weiten Ozean gewagt. Erst mußte die Schiffahrt weiterentwickelt werden. Neue Völker verbesserten den Schiffsbau und brachten neue Erfindungen: sie wagten sich auf die Meere, die bisher die Seefahrer geschreckt hatten, weil sie als von Seeungeheuern bevölkert und von anderen unheimlichen Gefahren bedroht galten. Erst nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches begann man, großzügig die Meere zu befahren und neue Regionen der Erde zu entdecken; Pioniere waren im Westen die Normannen, im Osten die Araber.
Der große Irrtum des Marinus von Tyrus Festlandes weit nach Osten hinausgerückt, kiiste Asiens und der Westküste Kuropas Atlantischen Ozean
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hat die Grenzen des asiatischen so weit, daß zwischen der Ostnur ein schmaler Raum für den übrigblieb
Die Märchen von Tausend und einer Nacht erzählen uns von Sindbad, dem Seefahrer, wie er immer wieder hinausfuhr auf kleinem Schiff, allen Stürmen, allen Seeungeheuern oder dem riesigen Vogel Roc zum Trotz, der ganze Schiffe in die Luft zu heben vermochte. Wir können seine Wege nachzeichnen bis weit im Süden zur Insel Madagaskar an der afrikanischen Ostküste, weit im Osten bis nach Sumatra und Java. Wir wissen auch, daß die Araber in jenen Jahrhunderten zu Schiff bis nach China gelangten, dem alten Lande der Seide, um dort ihre Waren zu tauschen.
Ein Araber am Normannenhof Lange Zeit behielten die Schilderungen, die von solchen Ausfahrten mitgebracht wurden, das schillernde, zauberhafte, aber recht ungenaue Gewand von Märchenerzählungen. Was war da Wirklichkeit, was war da Seemannsgarn und phantastische Ausschmückung? Im Westen war die Kultur der Römer und Griechen während der Völkerwanderung zusammengebrochen, dort ging die Kenntnis der Erde fast ganz verloren. Selbst das Wissen darum, daß die Erde eine Kugel ist, schwand aus dem Rewußtsein der Menschen. Anders bei den Arabern. Sie herrschten in den alten Kulturzentren, in Alcxandrien wie in Bagdad, auch in Spanien, wo die Völkerwanderung nur geringe Zerstörungen hinterlassen hatte. Sie kannten die alten griechischen Schriften, zumal ein großer Teil ihrer Untertanen noch lange die griechische Sprache verstand. Die Kalifen schickten Gelehrte hinaus, um von ihnen genaue Berichte von Land und Leuten zu erhalten, sie unterhielten sich gern mit weitgereisten Männern. So entstand zum Ausgang des ersten Jahrtausends n. Chr. eine arabische Erdkunde, der der Westen nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hatte. Als die Normannen ihre wilden Raubfahrten aufgaben, sich in den eroberten Gebieten niederließen und feste Reiche in der Normandie und auf Sizilien gründeten, beriefen sie gern arabische Gelehrte, die ihnen eine bessere Kenntnis der fremden Länder vermitteln sollten. Am Hofe des Normannenkönigs Roger IL von Sizilien (1095 bis 1154 n. Chr.) zu Palermo zeichnete der berühmteste arabische Geograph seiner Zeit, Idrisi, auf eine Silberplatte eine neue Weltkarte. Seltsam vermischen sich da genaue Kenntnisse mit unkritisch übernommenen Angaben der klassischen Schriftsteller und den
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phantastischen Erzählungen aus den Märchen oder Seemannsgeschichten. Da taucht etwa hoch im Norden das Land ,,Gog ,und Magog" auf, um das sich später die Gelehrten den Kopf zerbrochen haben, was wohl damit gemeint sei. Am wenigsten scheint Idrisi die Berichte der Normannen selbst ernst genommen zu haben. Er weiß nichts von den kühnen Fahrten der Nordnormannen nach Grönland und nach Amerika zu berichten, die doch eigentlich auch den Normannen auf Sizilien bekannt gewesen sein müssen. Der Araber hat offenbar mehr dem alten Ptolomäus getraut als den nordischen Entdeckern, die doch so viel für die Erkundung der Welt beigetragen haben. Vieles, was in römischer Zeit den Europäern schon bekannt gewesen war, mußte jetzt neu entdeckt werden. Selbst der Vordere Orient, einst eine der reichsten Provinzen des Imperiums, war für diese Menschen des frühen Mittelalters wieder ins Reich der Sage zurückgesunken. Erst in den Kreuzzügen lernten die Abendländer diese Welt wieder kennen, sie sahen den Reichtum, der aus dem Handel der Araber mit dem fernen Asien erwuchs, und so erwachte der Wunsch, selbst einmal hinauszufahren in die fremden Länder, aus denen die verwirrenden Schätze und Kostbarkeiten kamen, die Seide, die Gewürze, die Juwelen, die wertvollen Waffen und die prächtigen Gewebe. Allzu eng war das kleine Europa geworden: Afrika, einst ein Teil des Römischen Reiches, war dem Islam unterworfen. In Kleinasien hielt sich mühsam das Oströmische Reich mit Konstantinopel als Hauptstadt. Die Ufer des Schwarzen Meeres, einst Siedlungsgebiet der alten Griechen, waren von arabischen Reichen beherrscht und gingen dann an die Mongolen verloren, die ihre Macht weit nach Westen ausdehnten. In dieser Zeit stießen unternehmungslustige, unerschrockene Kaufleute aus Venedig auf dem Landwege weit nach Osten vor, weiter als je vor ihnen Abendländer gelangt waren.
Die wundersamen Reisen des Marco Polo Die Venezianer hatten zu Beginn des 13. Jahrhunderts die Kreuzfahrer bestimmt, in ihren Diensten Konstantinopel zu stürmen und so den Riegel am Eingang zum Schwarzen Meer 2u sprengen. Von Osten her hatten die Mongolen die mohammedanischen Zwischenreiche zertrümmert und einen durch keine Zollgrenzen mehr gehinderten Verkehr vom Schwarzen Meer bis zu den Küsten des Chinesischen Meeres geschaffen. 17
Auf der Halbinsel Krim begegneten sich in dieser Zeit Abendland und Ferner Osten. Hier in den betriebsamen Häfen wurde gefeilscht und getauscht. Unter den europäischen Kaufleuten, die ihre Geschäfte betreiben wollten, ragten an Bedeutung zwei vornehme Venezianer hervor, die Gebrüder Polo, die auf der Krim eine Filiale ihres Handelshauses unterhielten. Bald kamen sie auf den Gedanken, sich in den Ländern der Mongolen selber einmal umzusehen und zu schauen, woher all die kostbaren Waren herkamen, die auf den Schwarzmeer-Märkten feilgeboten wurden. Die beiden Polo, Nicolo und Matteo, machten sich zum Tatarenchan Barka auf, der in Saray an der Wolga seine Residenz aufgeschlagen hatte, nicht weit vom heutigen Stalingrad. Die Venezianer zeigten Mut. Hier im Reiche der Mongolen gab es kein Recht, hier waren die Fremden willenlos jeder Willkür des Herrschers ausgeliefert. Aber die Polo wußten schon, wie man mit einem solch ungefügen Tataren umgeht: Sie unterwarfen sich ihm und „schenkten" ihm alle ihre Waren, all die wertvollen Juwelen und Edelsteine, die sie mitgebracht hatten. Diese großzügige Geste brachte gute Früchte. Der Mongolenherrscher nahm die Fremden wohlgefällig auf, ja, er zeigte sich sogar darüber erfreut, daß einmal zwei „Lateiner" den Weg zu ihm gefunden hatten, und er schenkte ihnen den doppelten Wert ihrer Juwelen zurück. Ein Jahr blieben die Kaufleute an seinem Hofe, sahen sich Land und Menschen an, handelten und verdienten gut; dann rüsteten sie zur Heimreise. Es kam jedoch anders. I h r Gastgeber wurde in einen Krieg mit seinen Nachbarn verwickelt. Die Polo hatten keine Wahl, sie mußten versuchen, weiter nach Osten zu reisen, um dort vielleicht den Weg in die Heimat zu finden. Siebzehn Tage reisten sie durch ein Gebiet, in dem es weder Stadt noch Dorf gab, nur tatarische Viehhirten, die ausschließlich von ihren Herden, vor allem von der Milch ihrer Pferde, lebten, bis sie endlich in die alte Handelsstadt Buchara kamen. Auch dort herrschte Krieg, wieder war an eine Weiterreise nicht zu denken. Drei Jahre saßen die allzu wagemutigen Handelsherren in Buchara und warteten auf eine Reisegelegenheit in die Heimat. Hier sah sie ein Bote des Mongolenchans Ulau, der auf dem Wege zum Großchan Kublai im Fernen Osten war. Als er die gebildeten Fremdlinge traf, die inzwischen fließend mongolisch sprechen gelernt hatten, überredete er sie, mit ihm zum Großchan zu reisen. Welche Versuchung, in amtlicher Begleitung die großen Heerstraßen entlangzureiten, geschützt durch einen Boten 18
des Oberherrn aller Mongolen! Aber auch welches Wagnis, sich noch weiter in die fremde Welt hineinzubegeben, deren Unsicherheit die Venezianer zur Genüge kennengelernt hatten! Aber sie wagten es. Ungeheuer waren die Anstrengungen der Heise. Manchmal mußten die Reisenden monatelang warten, bis der Schnee auf den Pässen geschmolzen war, manchmal tonußten sie großen Überschwemmungen ausweichen. So dauerte die Reise von Buchara bis Karakorum, der Residenz des Kublai Chan in der Mongolei, ein volles J a h r : aber sie machte sich bezahlt. Ehrenvoll wurden die fremdartigen Gäste vom Mongolenkaiser aufgenommen. Kublai Chan trug sich mit großen Plänen. Avis dem wilden Kriegervolk der Mongolen, dessen Heere im Westen bis Schlesien und ;bis an die Küste der Adria, im Süden bis Syrien und die Grenzen Indiens vorgedrungen waren, sollte ein Kulturvolk werden; und er wußte, daß er ohne einen religiösen Untergrund dieses Ziel nie erreichen werde. Aber welche Religion konnte dafür in Frage kommen? Der Islam galt als Feind, seine Reiche in Mittel- und Vorderasien waren in blutigen Kriegen zerstört worden. Viele Vorteile schien das Christentum zu bieten. Der Kaiser selbst neigte ihm zu. Konnten ihm die unerwartet erschienenen Fremdlinge die Unterstützung des Westens vermitteln? Er schickte sie, versehen mit dem großen Staatssiegel, nach Rom zum Papst mit der Bitte, Priester und Gelehrte zu schicken, die ihm das Christentum erklären und begründen sollten. Die venezianischen Handelsherren reisten, wohlversehen mit allem, was die kaiserliche Gunst zur Verfügung stellen konnte, über die alten Heer- und Handelsstraßen nach Westen. Die staatlichen Poststationen standen ihnen zur Verfügung mit allen ihren Pferden und Vorräten. Die kaiserlichen Boten hatten sogar das Recht, Befehle zu erteilen. Sie sollten ein Angebot überbringen, das, wenn es verwirklicht worden wäre, das Gesicht der Vi clt umgestaltet hätte. Doch als Nicolo und Matteo Polo endlieh in Akkon an der syrischen Küste eintrafen, war der Papst seit einem Jahr gestorben und immer noch kein Nachfolger gewählt. Neun Jahre harrten die Polo vergeblich auf einen neuen Papst; dann wollten sie ihren kaiserlichen Freund und Gönner nicht l ä n ger warten lassen. Sie reisten nach Asien zurück; diesmal nahmen sie den Sohn des Nicolo, den siebzehnjährigen Marco Polo, mit. Unterwegs erfuhren sie von der erfolgten Papstwahl, aber die Mönche, die nun zu ihnen stießen, verloren schon bald den Mut und kehrten um. 19
Wieder wirkten die goldenen Tafeln mit der kaiserlichen Empfehlung Wunder; aber die Anstrengungen der Reise waren für den jungen Marco Polo zu groß. Als die Reisenden an der Nordgrenze des heutigen Afghanistan anlangten, erkrankte er so schwer, daß die Reisegesellschaft ein ganzes J a h r ausharren mußte. Erst dann ging es über den Pamir hinweg zur alten Seidenstraße. Nun jagten die Boten voraus, kündigten dem Großchan an, seine Freunde kämen zurück. Er ließ sie feierlich nach Kambaluk, seiner neuen Residenz, geleiten, zum heutigen Peking. Der junge Polo bewunderte den märchenhaften Palast, den der Mongoienkaiser in Peking hatte errichten lassen, die „Verbotene Stadt", wie sie heute noch in ihren Grundzügen besteht. Damals enthielt der Palast die ungeheuren Schätze des Welteroberers, Gold und Silber in Barren und Schalen, Schmuckstücke, Edelsteine und Perlen, fast den gesamten Reichtum der alten Kulturen Asiens. Die sorgfältig gepflegten Gärten belebten in Freigehegen und Käfigen die seltensten Tiere. In dieser fast märchenhaft anmutenden Welt bewegte sich Marco Polo als Freund des Großchans und als hoher Beamter des Mongolenreiches. Er besichtigte die Zollhäuser, in denen täglich fast 5000 Kilo Pfeffer für den örtlichen Gebrauch freigegeben wurden. Hauptsteuerquelle war jedoch das Salz. Nach den Berechnungen des Venezianers erhielt der Großchan allein aus der Salzsteuer jährlich 800000 Dukaten, dazu kamen die Einnahmen aus dem Zucker, den man in der Umgebung anbaute, und aus den Gewürzen, die von Handelsschiffen aus dem Süden, von den Gewürzinseln Indonesiens, herangeschafft wurden. Doch ging das Gerücht, es gebe weiter im Osten noch ein reicheres Land, die Inseln Zipangus, des heutigen Japans, wo der 'Herrscherpalast mit dicken Goldplatten belegt sein sollte. 1300 Meilen weit östlich der chinesischen Küste lägen diese Inseln, unerreichbar für alle Eroberungsgedanken des Mongolenkaisers. So war auch Japan in den Gesichtskreis der Europäer getreten. Siebzehn Jahre diente Marco Polo mit seinem Vater Nicolo und seinem Onkel Matteo dem Kublai Chan, der ihnen immer größeres Vertrauen schenkte. Aber dann reifte in den Venezianern der Entschluß, nach Hause zurückzukehren. Was würde geschehen, wenn ihr kaiserlicher Gönner starb? Würden sie ihre Reichtümer behalten können? Der Großchan aber wollte seine Freunde nicht ziehen lassen. Da ergab sich unerwartet eine günstige Gelegenheit. Der mongolische Unterchan in Persien bat durch eine Gesandtschaft um die Hand einer kaiserlichen Prinzessin, die ihm 20
bewilligt wurde. Aber wie sollte die Braut reisen? Marco Polo erklärte dem Großchan, der Landweg sei für eine Prinzessin viel zu beschwerlich, es komme nur der Seeweg in Frage, er selbst wolle sie in ihre neue Heimat begleiten. Zögernd gab Kublai Chan seine Zustimmung. Die prächtige Flotte von vierzehn Viermastern, die bis zu 60 Kabinen enthielten, nahm von Südchina aus Kurs auf die Insel Java. Wieder kamen die Reisenden aus dem Staunen nicht heraus. Unendliche Mengen von Gewürzen aller Art ließen den H e r r scher von Java, nach Auffassung Marco Polos, zu einem der reichsten Könige auf Erden werden. Fünf Monate hielten widrige Winde die Prinzessin und ihr Gefolge auf Java fest, und es vergingen weitere 18 Monate, bis Marco Polo auf dem Wege über die Insel Ceylon sein Bestimmungsland Persien erreichte. Inzwischen war der Bräutigam in der Schlacht gefallen. Der Sohn und Nachfolger sah die Braut, verliebte sich sofort in sie und heiratete die junge Prinzessin. Sie selbst war wohl über diesen eigenartigen „Tausch" nicht unglücklich. In Venedig stießen die zurückgekehrten Polo auf Unglauben, besonders bei den Verwandten, die längst die Erbschaft der Ver-
Das portugiesische Weltreich zur Zeit seiner größten Ausdehnung
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scliollenen angetreten hatten. Als die Heimkehrer jedoch die Säume ihrer armseligen, zerschlissenen Kleider auftrennten und eine fast unübersehbare Fülle von kostbarsten Edelsteinen hervorquoll, verstummte jeder Zweifel. Einem Zufall verdanken wir den eingehenden Reisebericht. Eine venezianische Kriegsflotte, auf der Marco Polo später Dienst nahm, wurde von den Genuesen besiegt, und der Weltreisende fiel in die Hände des Siegers. In der Gefangenschaft hatte er viel Zeit, seine unwahrscheinlich klingenden Erlebnisse niederzuschreiben, um sie der Nachwelt zu überliefern. Dem eingeengten Abendlande öffnete sich der Blick in die unendlichen Weiten des Ostens. Es erwachte der Wunsch, dorthin zu ziehen und seine Reichtümer zu erschließen. Aber der Weg, den einst die Polo gezogen waren, verschloß sich mit dein Aufkommen der Türkenmacht, die mit dem christlichen Westen und dem mongolischen Osten im Kriege lag. Gab es keinen anderen Weg? Einen über See? Das war das Problem, das von nun an das Abendland beschäftigte.
Der Seeweg nach Indien „Versucht es noch einmal, Kapitän! Es ist möglich, es muß glücken!" Beschwörend wandte sich Prinz. Heinrich von Portugal an den wettergebräunten Seemann, der immer noch unsicher und zweifelnd vor ihm stand. „ W i r haben alles versucht, Herr. Von der Küste springt ein Riff weit hinaus in das offene Meer, es reißt jedes Schiff in den Abgrund." „Weshalb fahrt Ihr nicht auf die hohe See hinaus? Ihr habt ja den Kompaß und die Sterne, um zurückzufinden." „ W a s liegt aber dahinter? Seeleute sagen, daß dort unten das Meer kocht, daß kein Mensch die Hitze ertragen kann." „Laßt euch nicht irre machen! Ich weiß, daß viel weiter im Süden Menschen leben, maurische Gefangene haben mir das erzählt. In den Schriften der Alten steht auch, daß die Phönizier die afrikanische Küste entlang tief hinunter gefahren sind. Habt Mut! Wagt es! Der Dank Portugals ist Euch sicher." Seit zwölf Jahren redete der portugiesische Prinz Heinrich, den die Nachwelt den „Seefahrer" genannt hat, auf seine Schiffskapitäne ein, der Westküste Afrikas entlang nach Süden zu fahren. Keiner wagte es, das gefürchtete Kap Bojador zu umsegeln. 22
Mehr als die wirklichen Schwierigkeiten hielten , eingebildete Schrecken die Seeleute zurück. Das Meer, so sagte man, wimmele dort unten von Seeungeheuern, die Luft sei so heiß, daß jedes Lebewesen verdorren müsse. Aber dann unternahm doch einer der Meerfahrer das Wagnis: Im Jahre 1433 umschiffte Kapitän Gil Eannes das Kap Bojador, und der Bann war gebrochen. Jahr für Jahr drangen seitdem portugiesische Schiffe weiter gen Mittag vor. Prinz Heinrich bildete in der Sceniannsschule von Sagres selber die Seeleute im Gebrauch des Kompasses und der nautischen Geräte aus. Er ließ von seinen Baumeistern neue Schiffstypen entwerfen. Indem er das flache Mittelmeerschiff, die Galeere, mit dem hochbordigen Schiff der nordischen Völker, ,der hanseatischen Kogge, verband, entwickelte er die Karavelle. Darüber hinaus sammelte er sorgfältig alle ihm zugänglichen Nachrichten, nicht nur alte Schriften von den Fahrten der Phönizier, sondern auch die Berichte des Marco Polo und die arabischen Reisebeschreibungen. Eines galt ihm als sicher: Irgendwo in Ostafrika lag das geheimnisvolle Reich eines „Priesterkönigs Johannis", eines christlichen Königs. Ihn wollte er aufsuchen, um ihm die Hand zum gemeinsamen Kampfe gegen den Islam zu reichen, der sich in Marokko gegenüber der spanischen Halbinsel festgesetzt hatte und von dort den christlichen Handel bedrohte. Prinz Heinrich starb 1460, sein W e r k wurde nach seinem Tode weitergeführt. Endlich erschien es so, als sei die Umseglung Afrikas bereits gesichert: Die Küste, die bis dahin sich immer weiter nach Süden erstreckt hatte, bog nach Osten um. Aber dann kam die Enttäuschung. Man hatte den Golf von Guinea erreicht, hinter dem sieh das Land erneut endlos nach Süden erstreckte. Aber das Landschaftsbild hatte sich hier völlig gewandelt. Dem Auge boten sich nicht länger die trockenen Sandflächen der großen Wüste Sahara, sondern eine üppige grüne Landschaft, in der zahllose Schwarze lebten, Menschen, die sich glücklich schätzten, ihr Gold gegen wertlosen Tand zu tauschen. Für die Geographen jener Zeit bildete es keine Überraschung, daß sich der afrikanische Erdteil so viel weiter nach Süden e r streckte. Sie kannten die Berichte der Araber, die bereits auf der Ostseite des Schwarzen Erdteils bis zur Insel Madagaskar vorgedrungen waren. Es fehlte der letzte Anstoß, um den dunklen Erdteil zu umsegeln. Auf der bisher erkundeten Strecke gab es genügend bekannte Häfen und Ländeplätze, die Gelegenheit boten, die Schiffe mit 23
Proviant und frischem Wasser zu versorgen. Den stärksten Rückhalt bot Fort El Mina, das die Portugiesen dort als festen Stützpunkt errichtet hatten, wo heute der Staat Ghana liegt. Afrika zu umschiffen gelang als erstem Europäer dem Portugiesen Bartolomeu Diaz im Jahre 1488. Als er gegen die widrigen Winde längs der Küste nicht mehr vorankam, ließ er sich weit hinaus ins offene Meer tragen. Erst als der Wind nach Osten umschlug, wechselte er den Kurs, aber er stieß jetzt auf kein Land mehr: der afrikanische Erdteil hatte sein Ende gefunden. Und da, wo das Land war, mußte auch der Zugang zum i n d i schen Meer zu finden sein. Nach dieser großen Entdeckung kehrte Diaz längs der Küste heim. Wenn die Portugiesen nun auch wußten, wie sie in den Indischen Ozean zu fahren hatten, so war das keine einfache Angelegenheit; wollten sie doch in das Meer der arabischen Seemacht, in den Mittelpunkt des mohammedanischen Handels eindringen. Es war zu erwarten, daß die Feinde der Christenheit diesen Vorstoß nicht kampflos dulden würden. König Johann II. von Portugal schickte zunächst Kundschafter aus. Als arabische Diener verkleidet, reisten zwei Boten im Gefolge von Kaufleuten nach Alexandrien. Der eine, Alfonso de Paiva, ging von Ägypten nach Indien, sah die Hafenstadt Knlikut und begleitete einen jüdischen Kaufmann zurück bis Ormus am Persischen Golf. Dort starb er, sein Freund aber versprach, die wertvollen Berichte sicher nach Lissabon zu senden. Der andere Bote, Peter von Govilhan, gelangte über Aden bis nach Sofala, der arabischen Handelsstadt an der afrikanischen Ostküste gegenüber der Insel Madagaskar. Als er wieder in Kairo angekommen war, konnte er seinem König die wertvolle Nachricht schicken, es komme vor allem darauf an, Sofala zu erreichen; von dort sei es leicht, genaue Nachrichten über den gesamten Handel im Indischen Ozean zu erhalten. Von Kairo I>egab sich dann Govilhan nach Abessinien, um ein Bündnis gegen die Mohammedaner vorzuschlagen. Der Kaiser nahm den fremden Gast zwar freundlich auf, ernannte ihn zum Grafen und verlieh ihm Land und Amt — nur abreisen durfte er nicht. Er hielt ihn im goldenen Käfig gefangen. Der König von Portugal ließ an Karten alles zusammentragen,' was bekannt geworden war: die Weltkarten des Ptolomäus und des Idrisi, die von den berühmtesten Gelehrten seiner Zeit, dem Florentiner Toscanelli und dem Deutschen Martin Behaim, verbessert worden waren. Umfassend waren die Vorbereitungen für* 24
die Fahrt einer kleinen Flotte, die 1497 unter dem Befehl des Vasco da Gama von Lissabon auslief. Vorher hatte es noch ein denkwürdiges Zwischenspiel gegeben. Da hatte sich ein Genuese, Christoph Kolumbus, der Schwiegersohn eines höheren portugiesischen Hofbeamten, erboten, den Seeweg nach Indien quer über den Atlantischen Ozean in Richtung nach Westen statt nach Osten zu suchen. Portugal hatte den Genuesen abgewiesen. Selbst wenn die Berechnungen des Abenteurers stimmten, daß es höchstens ein Siebentel des Erdumfanges bis zur asiatischen Ostküste, bis zur sagenhaften Insel Zipangu, wäre, so interessierte das die Portugiesen nicht. Sie wollten im Indischen Meer den Mittelpunkt des Gewürzhandels erreichen, von dem Marco Polo sehr klare Berichte gegeben hatte. Was sollte da eine Fahrt um den ganzen Erdball herum nützen? Dazu kam noch eine andere Überlegung. In jahrzehntelanger, mühevoller Arbeit hatten die Portugiesen an der afrikanischen Küste ein ganzes System von Stützpunkten errichtet, das ihnen die Vorrangstellung im Indienhandel sichern mußte. Sollten sie die Früchte dieser Anstrengungen preisgeben, indem sie 'den neuen Seeweg über den Atlantik suchten? Portugal hielt daher unbeirrt daran fest, Afrika zu umschiffen, selbst als der Genuese 1492 wider Erwarten Land westlich des Atlantik entdeckte, angeblich einige dem asiatischen Erdteil vorgelagerte Inseln.
Der Kamp? mit den Arabern Vasco da Gama ließ sich die Erfahrungen des Diaz zur Lehre werden. Er versuchte gar nicht erst, die afrikanische Küste entlang zu segeln, sondern folgte den günstigen Winden und blieb auf hoher See, bis er etwa die Höhe des „Kaps der guten Hoffn u n g " erreicht hatte. Erst da wandte er den Kurs nach Osten. An der afrikanischen Südküste entlang umsegelte er die Südspitze Afrikas, allen widrigen Winden zum Trotz, die die kleine Flotte vier Tage lang nicht vorankommen ließen. Dann ging es die Ostküste entlang nach Norden, in neue, den Europäern bisher unbekannte Gegenden. Die Bewohner, friedliche und freundliche Neger, brachten Lebensmittel und halfen, die durch die lange Seefahrt arg mitgenommenen Schiffe instandzusetzen. Erst als die Portugiesen in den Bereich der arabischen Kaufleute hineingerieten, änderte sich der Empfang. In acht Jahrhunderten hatten die Araber sich eine Handelsmacht aufgebaut, die den gesamten Indischen Ozean be25
herrschte. Sie dachten nicht daran, die fremden Wettbewerber, dazu noch verhaßte Christen, in ihre Welt eindringen zu lassen. Aber alle Anschläge. Überfälle, die Verweigerung von Lebensmitteln und Lotsen halfen nichts. Die Portugiesen setzten sich mit ihren überlegenen Waffen durch. Mit gefangengesetzten Lotsen fuhr Vasco da Gama über den Indischen Ozean nach Nordosten, getragen von den regelmäßig wehenden Winden des Monsuns. Am 20. Mai 1498, einem fast ebenso denkwürdigen Tage wie der 12. Oktober 1492, als Kolumbus Amerika entdeckte, erreichten die Portugiesen die indische Westküste. Die europäische Seefahrt nach Indien war eröffnet. Würde es gelingen, erfolgversprechende Handelsbeziehungen anzuknüpfen? Die Araber lehnten jedes Handelsgeschäft ab. Vasco da Gama konnte froh sein, daß er mit heiler Haut aus dem ungastlichen Hafen entkam. Einige Matrosen, die gefangengenommen worden waren, erhielt er nur zurück, weil er angesehene indische Kaufleute als Tauschgeiseln aufgriff. Es gelang ihm, auf hoher See arabische Handelsschiffe aufzubringen und auszuplündern und auf den Inseln der Angediven die heiß begehrten Gewürze, Pfeffer, Ingwer, Zimt und Nelken, in größeren Mengen zu erwerben. Diese Fracht brachte einen ungewöhnlichen Gewinn, der alle Kosten der Fahrt deckte. Da die Araber keine Konkurrenten im Indienhandel dulden wollten, wurde bereits die nächste Flotte, die von Portugal hinausfuhr, ungewöhnlich stark gerüstet. Es folgte Geschwader auf Geschwader, und bald schon beherrschte die portugiesische Kriegsflotte den Indischen Ozean, den Persischen Golf und das Rote Meer. Schiffe segelten, Händel und Handel suchend, nach Indonesien, durch die Straße von Malakka bis Hinterindien, ja hinauf bis China und selbst bis Japan. Binnen weniger Jahrzehnte schuf sich Portugal ein Kolonialreich, das fast ausschließlich auf seiner Flottenmacht beruhte. Kein fremdes Schiff durfte weiterhin Güter von Indien nach den mohammedanischen Ländern, nach Syrien oder Ägypten bringen. Alle Gewürze mußten über Lissabon verladen werden. Die Folge war eine völlige Umwälzung in Europa. Die Länder fies Mittelmeeres verloren an Bedeutung, die Länder längs der atlantischen Küste blühten auf. Der Glanz Venedigs und Genuas verblaßte, Lissabon, Antwerpen, später Amsterdam und London traten an ihre Stelle. 26
Ausschnitt aus dem Globus des Martin ilehaim. Rechts Europa, links Asien: Amerika ist noch nicht entdeckt. Südlich von Afrika, von dem man annahm, daß es am Colt von Guinea zu Ende sei, erstreckt sich in der Vorstellung der Zeit der Südozean (Oceanus Meridionalis).
Entdeckung der Neuen Welt Wie nach Süden und Osten, so war auch nach Westen die befahrene Welt größer geworden. In Windeseile hatte die Nachricht von der ersten Fahrt des Kolumbus das Abendland durcheilt. Da war ein Mann über das Weltmeer nach Westen gefahren und hatte bisher völlig unbekannte, wundersame Inseln gefunden, bewohnt von seltsamen Menschen und Tieren. Die zweite Reise aber kühlte die Begeisterung stark ab. Was hatte der Genuese schon entdeckt? Er fand nach seinen eigenen Angaben den Ostrand des asiatischen Erdteils, aber was nützte das den Europäern? Inzwischen hatten die Portugiesen den Seeweg nach Indien gefunden, sie waren zu den Ursprungsländern der begehrten Gewürze vorgestoßen, ihre Flotten brachten märchenhafte Schätze mit. Die Spanier aber konnten nur von nackten Wilden auf den neuen Inseln berichten, nichts von dem Gold, das man sich von da erhofft hatte. Inseln aber gab es genug auch an der afrikanischen Küste. Noch trostloser lauteten die Berichte der Engländer über die Gebiete, die Cabot im hohen Norden des Westmeeres entdeckt hatte: endlose Schneewüsten, 2?
ein wertloses, unwirtliches Land, undurchdringliche Wälder, windzerzauste Einöden, feindselige Eingeborene. Auch das Interesse der Gelehrten an der Inselwelt jenseits des Atlantik ließ nach. Die führenden Wissenschaftler jener Zeit |wiesen darauf hin, daß eigentlich nur das bestätigt worden sei, was man ohnehin schon längst gewußt habe, daß die Erde eine Kugel sei und daß Asien mit seinen vorgelagerten Inseln sehr weit nach Osten reiche, was die Weltkarten jener Zeit längst angezeigt hätten; die Karte des Toscanelli zum Beispiel, die Kolumbus mit an Bord gehabt habe. Zum dritten Male segelte der Entdecker hinaus. Diesmal nahm er Kurs sehr viel weiter nach Süden. Aber da geriet er in eine Zone von solcher Hitze, daß sie „Menschen und Schiffe zu verbrennen drohte", wie er selber berichtete. Vorsichtshalber lenkte er seine Segel wieder auf Westkurs, um nicht in noch größere Gefahren zu geraten. Wir sehen, daß er viel ängstlicher war als die Portugicesn, die zur gleichen Zeit bis zur Südspitze Afrikas vorstießen. Als Kolumbus schon nach Norden umdrehen wollte, um zu den bereits entdeckten Inseln zurückzukehren, fand er Land, die südamerikanische Küste. Nichts deutete an, hier sei asiatischer Boden erreicht. Es gab keinen Handel, keine Reichtümer, die nach allen Schilderungen des Marco Polo für Asien bezeichnend Waren. Als Kolumbus weiterfuhr, geriet er in die Mündung des Orinoko. Seine Fluten stürzten sich „laut brüllend" in den Atlantik. Wo kamen sie her? Kolumbus h a t sich um diese Frage nicht mehr gekümmert, er segelte nach Haiti zurück, wo er die Gefährten seiner zweiten Reise zurückgelassen hatte. Dort geriet er in Streit mit den Spaniern und wurde, schimpflich in Ketten geschlagen, in die Heimat zurückgeschafft. Das spanische Herrscherpaar hat die weitere Erforschung der Neuen Welt nicht mehr dem Genuesen allein überlassen; sie gaben die Fahrt nach Westen frei. Nun konnte jeder es wagen, in die unbekannte Ferne zu segeln, der den Mut und die Mittel dazu aufbrachte. So rüstete auch Amerigo Vespucci, Vertreter des großen Florentiner Bankhauess der Medici, eine Flotte aus; aber er brachte außer 300 Indianersklaven keine Reichtümer mit. Deshalb begnügte er sich das nächste Mal damit, auf einer spanischen Flotte als Beobachter mitzufahren. Vespucci war ein hochgebildeter Mann,' der die Schriften der führenden Geographen seiner Zeit kannte und in dessen väterlicher Familie der große Toscanelli verkehrt hatte. Er gab sich 28
als erster darüber Rechenschaft, daß da vor seinen Augen wirklich eine „neue" Welt lag und nicht ein Teil Asiens. Denn Asien, das wußte man, reichte nirgendwo so weit nach Süden, wie dieses neue Festland. Vespucci fuhr die Landmasse bis nach Brasilien hinunter ab. Aber auch ihm war es noch nicht möglich, 4en Zusammenhang dieser Landmasse mit den Entdeckungen des Kolumbus weiter im Norden oder gar mit dem Land festzustellen, das die Engländer hoch im Norden, an der Labradorküste, gefunden hatten. Auch der Landriegel war noch unbekannt, den wir heute Mittelamerika nennen. Aber daß all diese Inseln und Küsten nicht zu Asien gehören konnten, davon war Vespucci überzeugt: „Das ist eine neue Welt, ein neuer, bisher unbekannter Erdteil! Kolumbus i r r t ! " Dort jenseits des Ozeans lag grenzenloses Land, das kein Ende nahm, das weiter nach Süden reichte als Afrika, ü b e r die Tropen hinweg erstreckte es sich bis in die gemäßigte Zone, und überall lebten Menschen. Das mittelalterliche Weltbild brach zusammen, das auf der griechischen Einteilung der Erde in die drei Kontinente Europa, Asien und Afrika beruht hatte. Jetzt (erst war Ptolomäus überholt, dessen Karte bis dahin immer noch als Grundlage alles ernsthaften Wissens gegolten hatte. Die Gelehrten vernahmen den Bericht des Vespucci mit größtem Erstaunen. Am eifrigsten wurde der Florentiner in dem kleinen Orte St. Die studiert, wo sich unter dem Schutze des H e r zogs von Lothringen eine Gruppe von Wissenschaftlern zusammengefunden hatte. Dort entwarf 1504 ein deutscher Gelehrter, Martin Waldseemüller, die erste Weltkarte, die die neue Entdeckung enthielt. Noch immer kommt er nicht von Ptolomäus los. Weit streckt er den asiatischen Erdteil nach Osten, ihm lagert er viele Inseln vor, das Zipangu des Marco Polo und Hispaniola, die Entdeckung des Kolumbus. Aber dann zieht er im Süden die Küste der „Neuen W e l t " . Wie sollte sie heißen? Nach dem Entdecker! Und wie hieß er? Nicht Kolumbus, denn der glaubte, nur asiatische Inseln gesichtet zu haben. Und so trug Waldseemüller auf die Karte den Namen ein, der ihm der würdigste zu sein schien: America. Als er der Karte die große Weltbeschreibung folgen ließ, wiederholte er den Namen. Aber dann folgten neue Entdeckungen und Erkenntnisse. Es erwies sich, daß das „Amerika", des Vespucci bis weit nach Norden reichte und sogar mit den englischen Entdeckungen eine Einheit bildete. Als Waldseemüller neun Jahre später seine nächste Weltkarte veröffentlichte, da nahm er den Namen America wie29
der 7.urück. Er sprach nur noch von der „Neuen W e l t " : eine Straßburger Karte jener Zeit enthält nur die Bezeichnung „Terra Incognita", unbekanntes Land. Es war jedoch zu spät. Der Name Amerika saß fest. Er war so einprägsam, daß er nicht mehr ausgelöscht werden konnte. Heute wissen wir, daß Kolumbus schon durch seine überlegte und mutige Tat der Ozeanüberquerung der wirkliche Entdecker war, daß Vespucci nur ein ganz geringes Verdienst bei der Erschließung und Erforschung zukommt. Aber unbestreitbar bleibt, daß er als erster sich über die Bedeutung dessen, was er gesehen, einigermaßen Rechenschaft ablegte! So trägt der Erdteil mit gewissem Recht seinen Namen.
Rings um den Erdball Zwei Probleme blieben zu klären: Wie weit erstreckt sich das Land nach Westen und wie weit nach Süden? Für die Spanier, die annahmen, nur im Süden bilde das Land ein zusammenhängendes Ganzes, im Norden dagegen handle es sich um große Inseln, schien es unmöglich, tiefer in das Land vorzudringen, dichter, undurchdringlicher Urwald sperrte jedem Vorwärtskommen den Weg. Wenige Europäersiedlungen waren nahe an der Küste angelegt worden, und obwohl sie unter dem Schutz der Kriegsschiffe lagen, vermochten sie sich nur mühsam gegen die Gefahren der Wildnis und gegen die Angriffe der Indianer zu wehren. Wenn nicht immer wieder Schiffe Nachschub und neue Menschen brachten, waren die Niederlassungen fast regelmäßig verloren. An der Stelle, wo heute der Panamakanal die Landenge Mittelamerikas durchschneidet, sammelte sich im Jahre 1513 eine Handvoll entschlossener Männer unter der Führung eines Abenteurers, des Baiboa. Indianer hatten ihnen von einem Goldlande berichtet, das jenseits von Bergen und Wäldern an einem unendlichen Meere läge. So brach die kleine Schar auf und durchquerte den Erdteil zufällig dort, wo er am schmälsten ist. Das Meer jenseits der „Neuen W e l t " war gefunden. Die Entdecker nannten es „Südsee". Heute wissen wir, daß dieses Meer sich nicht nur hinter dem Mittel- und Südteil der Neuen Welt erstreckt, sondern vom tiefen Süden bis zum hohen Norden reicht, vom Sechsten Erdteil bis zur Beringstraße. Seinen endgültigen Namen erhielt der Ozean jedoch von dem Manne, dem es als erstem gelang, auf dem Seeweg um den südamerikanischen Erdteil herum in das r.Südmeer" zu segeln, von 30
dem Portugiesen Magellan. Schon auf einer früheren Reise war er um Afrika herum und über Indien bis Indonesien vorgedrungen. Dort hörte er von den märchenhaften Reichtümern der im östlichsten Teile der indonesischen Inselwelt gelegenen Gewürzinseln, der Molukki'.i. Nach den falsch berechneten Karten der Zeit mußten sie bereits in der Erdhälfte liegen, die nach einem spanisch-portugiesischen Erdteilungsvertrag zum spanischen Machtbereich gehörten. Deswegen bot er dem König von Spanien an, er wolle auf dem „nächsten" Wege dahin, d. h. auf .dem Westwege, eine Flotte um Südamerika herum bis dorthin führen. Er ahnte nicht, welche unsäglichen Mühen diese Fahrt bereiten würde. Monate vergingen an der trostlosen Küste im äußersten Südamerika, Wochen dauerten die Anstrengungen, durch die sturmgepeitschte Feuerlandstraße zu segeln, die heute seinen Namen trägt. Dann kam erst das eigentliche Grauen: wochenlange W i n d stillen, die die Schiffe nicht vorwärts kommen ließen, so daß der Reiseproviant aufgezehrt wurde und die Besatzung schrecklichsten Hunger litt. Ein großer Teil erlag den Entbehrungen. Dann endlich, nach 98 Tagen, da kein Land gesichtet worden war und selbst der Trinkwasservorrat nicht aufgefrischt werden konnte, erreichte die Flotte die erste Insel. Kein Wunder, daß der Entdecker dieses Meer den „Stillen Ozean" nannte. Heute wissen wir, daß dieses Erdmeer von schlimmeren Stürmen heimgesucht wird als jedes andere, von den alles vernichtenden Taifunen. Der Name ist jedoch geblieben. Magellan wurde seiner Entdeckung nicht froh. Bei einem Gefecht mit Eingeborenen, in das ihn s.'ine einheimischen Freunde verwickelten, fiel er. Seine Offiziere wurden zum größten Teil meuchlerisch umgebracht, nur wenigen gelang es zu entkommen. Unter seinem Piloten Delcano erreichte ein einziges Schiff der Flotte auf dein Wege um Südafrika herum wieder die Heimat, viel bestaunt und bewundert. Die erste Erdumseglung hat genau drei Jahre gedauert — vom 20. September 1519 bis zum 6. September 1522. Der Beweis war erbracht, daß die Erde wirklich eine Kugel ist und daß sie viel größer war, als es die Karten angezeigt hatten. Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky L u x - L e s e b o g e n 2 5 6 (Erdkunde) — H e f t p r e i s 2 5 P f g . Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte UM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Ppstanstalt — Verlag Sebastian Lux, Murnau (Oberbayern), Scidl-Park — Druck: Buchdruckerei Äuer, Donauwörth
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