Die Dunklen Seiten ...
des Alltags
Mein Konversationsbedürfniss bewegt sich ungefähr auf dem Level eines Mönches mit S...
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Die Dunklen Seiten ...
des Alltags
Mein Konversationsbedürfniss bewegt sich ungefähr auf dem Level eines Mönches mit Schweigegelübde, wenn ich bei 37 Grad im Schatten, bis unter die Achselhaare bepackt mit Einkaufstüten, aus der Rathauspassage in die Innenstadt-Fußgängerzone torkele. Shopping mündet bei mir in sprachlose Aggression, hart an der Grenze zur Psychose. Deswegen ist das ganz, ganz gefährlich für den flyerbepackten jungen Mann, mich in dieser Situation stärkster physischer Anspannung mit den Worten an zu sprechen: „Glauben Sie eigentlich an ein Leben nach dem Tod ?“ „Guter Mann“, antworte ich genervt freundlich, „im Augenblick bin ich mir nicht einmal sicher, ob es ein Leben vor dem Tod gibt.“ Für meine persönliche Sichtweise zu elementaren Fragen scheint mein ständig lächelnder Gegenüber allerdings wenig Interesse zu zeigen, denn unbeirrt fährt er fort: „Unsere spirituelle Gemeinschaft bietet Ihnen Lebenshilfe, Entlastung und Neuorientierung in einer orientierungslosen Zeit.“ Das klingt vernünftig und so frage ich: „Das heißt, wenn ich eurem Verein beitrete, stellt sich einer für mich samstags stundenlang an Fleisch-, Wurst- und Käsetheken an, verplempert seine Zeit in endlosen nach Schweiß und billigem Deo müffelnden Kassenschlangen und schleppt das Zeug in meine Wohnung ?“ „Nein eigentlich nicht.“ „Dann kommen wir nicht ins Geschäft.“ will ich den kleinen Dialog beenden, rechne aber nicht damit, daß mein Gesprächspartner nicht nur hartnäckig, sondern auch recht flink ist, denn hurtig hüpft er in meinen beabsichtigten Gehweg und bietet an: „Darf ich Ihnen denn unsere Informationsbroschüre in die Hand drücken ?“ Meine linke Augenbraue beginnt zu zucken. Das tut sie immer dann, wenn ich das dringende Bedürfnis verspüre, spontan zu töten. Ich habe mich unter Kontrolle, ich habe mich unter Kontrolle, ich habe mich unter Kontrolle ... noch. „Sagen Sie, Ihre spirituelle Gemeinschaft glaubt nicht zufällig an die indische Göttin Kali ?“ „Nein,“, so die verblüffte Antwort, „wie kommen Sie darauf ?“
Ich erkläre es ihm: „Sehen Sie, Kali ist die Gottheit mit den vielen Armen. Wenn diese, wie ich gerade – fünf schwere Einkaufstüten zu transportieren hätte, wäre die Chance groß, bei ihr noch eine freie Hand für eine Infobroschüre zu finden. Da ich aber nur über zwei obere Extremitäten verfüge, und Sie offensichtlich keine nähere Verbindung zu Kali pflegen, halte ich Ihren Vorschlag mit der Broschüre für nicht akzeptabel.“ Den letzten Satz artikuliere ich bereits sehr scharf. Außerdem zuckt nun auch meine rechte Augenbraue. Doch der Bursche läßt nicht locker: „Ich könnte Ihnen die Broschüre doch in eine Tüte legen.“ Jetzt schreie ich: „Wenn ich hier auch nur einen Zettel Ihres Vereins auf meinem Frischkäsebecherchen finde, dann werden Sie sich –eher als Ihnen lieb ist – selbst davon überzeugen können, ob es ein Leben nach dem Tod gibt.“ Ich habe mich selbst schon einmal im Spiegel beobachtet. Daher weiß ich, wie ich aussehe, wenn tiefrote Äderchen das Weiß meiner weit aufgerissenen Augen durchziehen, mir der Aggressionsseiber aus den Mundwinkeln tropft, die Stirn meines hochroten Kopfes pulsiert und meine Stimmgewalt selbst Placido Domingo auf das Lautstärke - Niveau eines Wiener Sängerknaben reduziert. Der junge Mann zerbröselt innerlich. Jetzt kriegt er den Rest. „Los, zeigen Sie mir Ihre linke Hand !“ herrsche ich ihn an. Widerspruchslos zitternd reicht er sie. „Verbietet Ihre Glaubensgemeinschaft die Benutzung von Wasser aus religiösen Gründen oder betreiben Sie unter den Fingernägeln Ackerbau ?“, lege ich nach. Er kann nur noch den Kopf schütteln. „So, ich werde Ihnen jetzt aus der Hand lesen. Sehen Sie diese drei Linien ?“ Völlig verschüchtert nickt er. Das macht Spaß. „Die mittlere ist Ihre Lebenslinie. Hoppla, was muß ich da sehen, die endet ja in 30 Sekunden !“ Während der junge Mann in Richtung südliches Stadttor davon rennt, verliert er ein paar seiner Flyer. Ich fühle mich jetzt schon viel besser. Vielleicht kaufe ich mir noch ein paar Schuhe.
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Liebster Schatz, ich weiß, ich weiß, es ist selten geworden, daß ich noch einen Brief an Dich schreibe. Doch der Anlaß, zu Papier und Tintenstrahldrucker zu greifen, scheint mir ohne jeglichen Zweifel angemessen. Es ist ja keine alltägliche Frage, die Du an mich gerichtet hast. Ich wage sogar zu behaupten, Deine Frage ist von gewisser existenzieller Bedeutung für uns beide. Schließlich wolltest Du ja wissen, ob ich Dich heirate. Nun wie Du sicherlich sofort bemerkt hast, hat jede Faser meines Herzens, jede Facette meiner Seele laut „JAAA“ geschrien. Du spürst ja sicherlich, wie sehr mir an Deiner Nähe liegt, und daß ich – trotz meiner vielfältigen Verpflichtungen, die mich mehrere Abende in der Woche binden – immer stetig bemüht bin, möglichst viel Zeit mit Dir zu verbringen. Das ich dennoch nicht sofort geantwortet und mir Bedenkzeit ausgebeten habe, liegt ausschließlich daran, daß ich nicht wollte, daß Du glaubst, eine spontane Zustimmung sei nur eine momentane Laune, begründet in einer temporären emotionalen Aufwallung. Ich hatte Angst, Dich dadurch ungewollt zu kränken. Aber auch jetzt, nach reiflicher Überlegung, bin ich der felsenfesten Überzeugung, daß ich Deinem Vorschlag in weiten Teilen tendenziell durchaus positiv geneigt gegenüber stehen könnte. Sicher, wir beide sind noch sehr jung für einen solchen Schritt, vor allem ich. Und auch die finanziellen Konsequenzen einer Fusion, die ja weit über ein rein körperliches Arrangement hinaus geht, wollen bedacht sein. Toni, der Wirt meiner Stammkneipe, in der ich mich drei mal wöchentlich mit meinen Freunden treffe, glaubt beispielsweise, daß eine Ehe bei meinem Gehalt möglicherweise schon Einschränkungen in meinem Konsumverhalten nach sich ziehen könnte. Auch Gerhard, der Mechaniker aus der Werkstatt, zu der ich immer meinen Sportwagen zur Reparatur bringe, meinte, daß dann aber zukünftig nicht mehr zwei neue Reifensätze mit Felgen pro Jahr drin wären. (Die neuen Felgen, die mir Gerhard jetzt montiert hat, sind übrigens ganz zauberhaft. Ich finde der Wagen hat jetzt auch viel mehr Grip und bringt seine 178 PS nun richtig auf die Straße.) Natürlich, Toni und Gerhard werden wissen worüber sie reden, beide sind ja schließlich verheiratet, Toni sogar mehrfach. Doch ich dachte
immer nur an Deine schönen, großen, prallen Augen und sagte mir: Papperlapapp – was zählt der schnöde Mammon, wenn es doch um höheres, um die Liebe geht ?! Liebe – dies ist genau das Stichwort, worüber es sich noch einmal nachzudenken lohnt. Liebe, das ist ja erst einmal nur so ein Wort. Kann diese eine, winzige, nichtssagende Wort denn wirklich all das beschreiben, was ich tief in mir für Dich empfinde ? Ich denke, nein. Doch überlege selbst, wie oft hast Du schon jemandem gesagt „Ich liebe Dich !“. Ich selbst kann mich gar nicht mehr erinnern, wie vielen Frauen ich das ins Ohr geflüstert habe. Aber haben Du oder ich deswegen immer gleich geheiratet ? Siehst Du, Liebe kann, nein sie darf kein Grund sein um in ein voreiliges Eheversprechen einzuwilligen. Es bliebe noch der Sex als mögliche Begründung für eine Heirat. Oft, wenn wir wieder einmal verschwitzt in Deinen durchgewühlten Bettlaken nebeneinander lagen, habe ich Dir gesagt, wie sehr ich diese Beziehungen ablehne, in denen die Körperlichkeit so indiskret und schmutzig im Vordergrund steht. Diese schnellen, seelenlosen Paarungsakte, von denen einer den nächsten jagt, bevor ich erschöpft zur Arbeit oder zum Fußballspiel muß, sind mir zutiefst zuwider. Ich weiß, das ist mein persönliches Problem. Ich möchte Dich damit auch nicht belasten, damit werde ich ganz alleine klarkommen müssen. An diesen Zeilen spürst Du, wie sehr mich Deine Frage prinzipiell innerlich berührt hat. All diese Gedanken und meine – kleinen unwesentlichen Bedenken – führen mich im Rückblick auf Deine Frage unausweichlich zu einer für alle Beteiligten annehmbaren Antwort, die – getragen von tiefstem Respekt und unglaublicher Zuneigung zu Dir – nur lauten kann: JA ! Du solltest heiraten, aber muß ausgerechnet ich es sein ?
Dein Hasi
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Es ist bereits der 5. Anlauf, wie bei den vieren zuvor, hält die Raufaserbahn auch diesmal nur etwa eine Minute an der Wand um sich dann mit einem dezent schmatzenden Geräusch talwärts Richtung Auslegeware zu verabschieden. Der glitschige Tapetenschal bekommt diesmal einen leichten Linksdrall uns landet deshalb mit der Butterseite auf meiner Briefmarkensammlung. Egal, Münzen finde ich ohnehin viel spannender. Von Anfang an steckte in dieser – meiner ersten – Tapezieraktion der Wurm. Beispielsweise gibt es keine Tapetenlänge, die exakt der Deckenhöhe meiner Wohnung entspricht. Wenn ich die Rollen allerdings quer anbringe, sind sie zu kurz. Ein Teufelskreis. Da ich Kleister sowohl in seiner Konsistenz als auch geschmacklich eklig finde, habe ich versucht die ersten Bahnen zu tackern. Geht, sieht aber scheiße aus. Also habe ich doch Kleister genommen. Die erste Mischung geriet zu dünnflüssig, so daß die klebrige Suppe hinter die Tapete die Wand hinunter floß. Der zweite Eimer war zu sämig. Der Quast blieb schon beim Bestreichen der Tapetenrückseite kleben. Erst nachdem ich beide Eimer in die Badewanne goß, etwas Wasser zugab und vermengte, wurde das Klebe- und Fließverhalten akzeptabel. Der Preis dafür ist allerdings hoch, denn der Abflußstöpsel der Wanne hat hervorragend mit dem Kleister abgebunden und läßt sich nicht mehr herausziehen. Egal. Duschen ist ohnehin viel hygienischer. Bei Klebeversuch Nummer sechs lasse ich die negativen Erfahrungen aus den fünf gescheiterten Anläufen einfließen: Die dick eingekleisterte Tapetenbahn tackere ich zunächst einmal direkt unterhalb der Decke fest. Unten, an der Fußleiste, fixiere ich den Schal mit einigen Heftzwecken. Dann klettere ich die Treppenleiter wieder hinauf und glätte die Raufaser von oben nach unten mit meiner Gemüsebürste. Klappt gut. Zumindest bis zur Mittelstation der Leiter. Dort bürstend angekommen, löst sich die getackerte RaufaserWand-Verbindung wieder. Als ich aufwärts schaue, sehe ich eine glibbrige weiße Masse auf mich zukommen. Ich gewinne einen Eindruck davon, wie sich Lawinenopfer fühlen, kurz bevor es düster wird.
Die feucht-kalte Masse drapiert sich um mein Haupthaar. Egal, Gelfrisuren sind ohnehin hip. Ein vergeblicher Abwehrversuch führt dazu, daß die Leiter kippt. Wäre nicht so tragisch, würde ich nicht auf ihr stehen. Kurz nachdem ich in unauflöslicher Ehe mit der Raufaser verbunden auf dem Couchtisch aufschlage, klopft es. Ich sage: „Herein“, merke dann aber, daß niemand vor der Tür steht, sondern die fallende Leiter Halt an meiner Stirn gefunden hat. Die Kleistermischung scheint mir ausgezeichnet gelungen, denn diesmal bindet sie schnell ab. Leider brennt sie dabei unglaublich in den Augen. Noch völlig vom Tapetenschal bekränzt, und die Pupillen tief im Kleber versenkt, taste ich mich blind stolpernd ins Bad. Ich muß die Tapete vom Kopf bekommen und die Augen ausspülen, oder ich werde als Erfinder einer WimpernEnthaarungscreme in die Kosmetikgeschichte eingehen. Mir gelingt es, ins Badezimmer zu kriechen und mich vor den Rand der Badewanne zu knien, den Wasserhahn zu ertasten und den Temperaturregler auf „körperwarm“ zu stellen. Ich höre und fühle das Wasser plätschern und halte den Kopf tief unter den Strahl. Das Kurzzeitgedächtniss läßt in meinem Alter schon nach. Noch vor wenigen Jahren hätte ich mich bestimmt daran erinnert, daß die Wanne noch mit Kleister gefüllt ist. Egal. Ich wollte ohnehin schon immer wissen, wie sich Frauen mit Make-Up fühlen und außerdem gefällt mir bemalter Wandputz sowieso besser als Tapete.
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Was auch immer sie ihren Kindern und Ehemännern erzählen mögen, ich weiß ganz genau, warum sich sonntags nachmittags vor dem Hengstgehege des Tierparks unseres kleinen Städtchens Frauen jeglicher Altersstruktur mehrreihig so dicht gepackt vor dem groben Holz des Gatters drängen, als ob Dior dort erstmalig einen Winterschlußverkauf anbieten würde. Die ‚Ahhhs‘ und ‚Ohhhs‘ der Schauenden, ihr ganzes pervertiertes Interesse gilt einzig und allein dem Teil, das den Tierpark-Hengst zu eben jenem macht. Das ist widerwärtig. Um so mehr, da uns menschlichen Männern frauenseitig immer wieder beteuert wird, daß die Größe überhaupt keine Rolle spiele. Zugegeben, auch aus der Sicht des bekennenden Mannes, komme ich nicht umhin der Natur Respekt zu zollen für die beachtlichen Ausmaße dessen, was dem Tier in aller Unübersehbarkeit zwischen Bauch und Hufeisen baumelt. Ich gebe auch zu, daß ich mich vermutlich ebenso geschmeichelt fühlen würde, stünden jeden Sonntag feminine Heerscharen vor meinem Gartenzaun, nur um mal zu schauen, was sich bei mir südlich des Bauchnabels abspielt. Aber zu mir kommt ja keine ! Also halte ich das auch für eine Riesensauerei, was da zwischen Ententeich uns Wildschweinsuhlen abgeht. Ich bin völlig entrüstet. Über die unverhohlene Neugier der Frauen sowieso, über des ausgeprägten Exhibitionismus meines vierbeinigen Geschlechtsgenossen aber auch. Statt daß sich dieser Vorstadt-Fury peinlich berührt im Halbdunkel seines Junggesellenstalles den Blicken der Naturforscherinnen entzieht, zottelt er
stundenlang im leichten Trab an seinen Zuschauerinnen vorbei, betont dabei nicht nur permanent seine hervorstechenste Eigenschaft, sondern wackelt auch noch tuntig-provokant mit dem Hintern bei seiner Freiluft-Peepshow. Dieses Pferd ist eine echte Sau – zumindest aus der männlich-solidarischen Sichtweise. Wer mir aber wirklich leid tut, sind die Ehegatten, Lover, Verlobten, Seitensprünge, Hausfreunde und Ex-Männer der Bewunderinnen des ‚einzigen Machos, der wiehern kann‘ in Town. Ich meine, was müssen sich die armen Kerle im Bett anhören ? Wahrscheinlich solche Sachen wie: „Huch, jetzt hätte ich ihn beinahe übersehen.“ oder „Wenn das eine Erektion sein soll, dann heißt der Küchenchef von Burger King Bocuse.“ oder Sollen wir nicht lieber warten, bis er groß ist?“. All diese Erniedrigungen, weil ein Zosse seine Libido nicht artgerecht in den Griff bekommt. Ich glaube, es ist das erste Mal, daß auch Männer aus unserer Stadt unter Penisneid leiden. Wir reden untereinander natürlich darüber. Da, wo uns keine Frau hören kann. Am Tresen, auf dem Sportplatz, im Sexshop, im VHS-Kurs oder beim Abwasch. Doch tun können wir nichts. Natürlich würden wir unseren Freundinnen und Frauen am liebsten verbieten in den Tierpark zu gehen, oder wenn überhaupt, dann zum Vogelgehege. Doch das käme sehr uncool. Deswegen sagen wir Dinge wie: „Selbstverständlich habe ich nichts dagegen, wenn Du in den Tierpark gehst. Ich finde es gut, daß Du Dich so für die Natur interessierst.“, oder wir demütigen uns selbst mit Lügen, wie: „Ja, klar, für mich wäre es auch eine tolle Erfahrung, wenn ich beim Sex einmal einen Sattel tragen dürfte.“.
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Selbstverständlich weiß ich, daß ich zwischen dem 31.Oktober und dem 6. Januar die Haustür auf gar keinen Fall öffnen sollte, wenn es unangemeldet klingelt. Ich tue es trotzdem. Reflexiv. Vor mir Stehen der Tod, vier Monster, sechs Pokemon, ein Dinosaurier sowie Schneewittchen mit einem Messer im Rücken – alle in der Legoland-Version, also etwa hüfthoch. Süßes oder Schabernack, fordert Gevatter Tod. Okay, Halloween hat sich in unseren Breiten durchgesetzt. Schnorren allerdings nicht – zumindest soweit es mich betrifft. Mit einem gut meinenden „Verpfeift Euch, Zwerge!“ will ich über den drohenden Hausfriedensbruch hinwegsehen und die Tür schließen. Aber die Miniaturausgabe des Sensenmannes steht bereits im Türrahmen und droht: „Wir spielen Dir einen wirklich sehr, sehr bösen Streich.“. Jetzt erkenne ich ihn an der Stimme. Es ist der siebenjährige Bastard von gegenüber. Eine beinharte Sau. Ich habe ihn einmal beobachtet, wie er mit einem Rasiermesser aus der Katze vom Nachbarn den ersten vierbeinigen Skinhead machte – ohne Schaum. Ich beuge mich zu ihm herunter und zische in sein Ohr: „Paß gut auf ! Ich weiß, wo Du wohnst, kenne Deinen Schulweg und den Parkplatz Deines Mountainbikes. Also mach einen Abgang.“. Er flüstert zurück: „Und ich weiß, welche Filme Du Dir aus der Videothek ausleihst und morgen weiß es die ganze Straße.“. „Hoffentlich haben wir im Sommer oft Ozonalarm. Ozon sammelt sich nämlich in Bodennähe. Genau dort, wo man in Deiner Größe atmet, „raune ich dem Rädelsführer der bettelnden Nervensägen zu, bevor es mir gelingt, die Tür zuzuschlagen. Wenig später höre ich auf der Straße – ziemlich genau von der Stelle, an der mein Wagen steht – ein Geräusch von dumpfen Splittern. Ich werde der Versicherung erzählen, meine Windschutzscheibe sei auf der Autobahn durch Steinschlag kaputtgegangen. Immerhin, ich bin die kleine Schnorrerbande los geworden, ohne meine beträchtlichen Vorräte an Schokoriegeln oder gar meine Geldbörse angreifen zu müssen. Allerdings fürchte ich, daß meinem
strategischen Erfolg nur sehr kurze Dauer beschieden ist. In Kürze werden sie wieder vor meinem Haus stehen, bewaffnet mit Tüten und Laternen und gröhlen: „Hier wohnt ein reicher Mann ... „. Daß es sich bei dieser Tatsachenbehauptung um eine freche Lüge handelt – wie ich im übrigen auch meinem, für mich zuständigen Finanzamt im Rahmen meiner Steuererklärung jedes Jahr glaubhaft darlegen kann – geht dieser minderjährigen Straßengang gepflegt am verlängerten Rückgrad vorbei. Doch selbst wenn ich die sanktmartinliche Ruhestörung schadlos überstanden habe, ist der Terror nicht vorbei. In abenteuerlicher Verkleidung werden sie bald wieder betteln und drohen: als Sternsinger. Und selbst wenn sie größer sind kommen sie wieder. Als Müllmänner, Schornsteinfeger, Postboten, Feuerwehrleute oder was sich sonst noch so mit ausgestreckter, nach oben offener Hand um die Neujahrszeit vor dem Eingang meines Domizils versammelt. Sie glauben jetzt, ich sei kaltherzig und geizig ? Falsch ! Ich bin Realist. Sowohl was meine Einkommensverhältnisse angeht, als auch meinen Erziehungsauftrag betreffend. Halloween, Sankt Martin, Neujahr und andere Ausreden sind die besten Gelegenheiten, um dem heranwachsenden Kinde zu verdeutlichen, daß es im Leben nichts geschenkt bekommt – ganz besonders nicht von mir. Falls ich spende, dann Applaus, Blut oder Mitleid. Aber nichts, was ich selbst essen oder ausgeben könnte.
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Autofahren macht Spaß. Essen macht Spaß. Am meisten Spaß macht Essen im Auto. Deswegen besitze ich diese erhöhte Affinität zu Drive-inSchaltern, speziell in meinem Lieblings-Fast-FoodRestaurant.
Ob die nächste verknarzte Meldung aus dem Lautsprecher nun „Aber sicher doch“ oder „Du Arschloch“ lautet, kann ich nicht exakt heraus hören. Deutlich verstehe ich hingegen: „was dazu ?“.
Das Vergnügen an der Self-Service-Version des Essens auf Rädern wird allerdings erheblich durch die Qualität der Gegensprechanlage gemindert. Ich bin der Überzeugung, daß sie ihren Namen deshalb bekommen hat, weil sie völlig gegen das Sprechen ausgelegt ist.
„Doch ja. Ich hätte gerne diese gesalzenen frittierten Kartoffelstäbchen.“ „Also Pommes ?“ „Von mir aus auch die.“ „Groß, mittel, klein ?“ „Gemischt. Und zwar genau zu einem Drittel große, mittlere und kleine.“ „WOLLEN SIE MICH EIGENTLICH VERARSCHEN ??!?“ Diese, wiederum sehr laut formulierte, Frage verstehe ich klar und deutlich. Sie verlangt eine ehrliche Antwort: „Falls das Bedingung ist, hier etwas zu essen zu kriegen: Ja. Also, machen wir weiter ?“ „Gut, gut. Etwas zu den Pommes ?“ Ein schönes Entrecote, blutig, und ein Glas 1997er Chianti.“ „ICH KOMM‘ DIR GLEICH RAUS UND GEB‘ DIR BLUTIG !!!“ „Machen Sie das, aber verschlabbern Sie den Chianti dabei nicht.“ „SCHLUß JETZT ! Schalter zwei. Sechsmarkfünfundvierzig.“
„Hiere Bechelun hippe,“ knarzt es mir aus dem Lautsprecher entgegen – der übrigens ein lebender Beweis für die Haltbarkeit von Vorkriegsware ist. Heiliger McDonald ! Investment wäre hier angebracht. Als erfahrener Drive-In’er weiß ich allerdings, daß der Herr am anderen Ende des Dosentelefons sich gerade nach meiner Bestellung erkundigt hat. Ich eröffne das Spiel klassisch mit einer Gegenfrage: „Haben Sie etwas vom Huhn ?“ Aus der Gegensprechanlage tönt ein schwer verständliches Wort, daß allerdings eindeutig mit „...icken“ endet. Deshalb antworte ich: „Gute Idee, junger Freund, aber zunächst möchte ich etwas essen.“ Etwas lauter tönt es zurück ! „TSCHIKKEN !“ „Ach so, Sie meinen Chicken. Nö, lieber doch nicht. Haben Sie vielleicht Presskuh mit Tomatentunke in Röstbrötchen ?“ „Hamburger ?“, fragt mein unsichtbarer Gegenüber zurück. Wahrheitsgemäß erwidere ich: „Nein, ich bin Einheimischer. Aber wieso ist das so wichtig für meine Bestellung ?“ „WOLLEN SIE EINEN H-A-M-B-U-R-G-E-R !?“ „Jetzt beruhigen Sie sich mal. Ja ich nehme einen.“ „Schieß“ „Stimmt, hatte ich nach der letzten Mahlzeit hier. Mittlerweile ist meine Darmflora allerdings wieder wohlauf, so daß ich denke, ich kann es erneut riskieren.“ „OB SIE KÄÄSE ZUM HAMBURGER MÖCHTEN !!!?“ „Netter Vorschlag. Ja, ich glaube ich nehme einen mittelalten Pyrenäen-Bergkäse, nicht zu dick geschnitten, von einer Seite leicht angeröstet.“
Schon vorbei. Gerade wo es anfängt lustig zu werden. Aber ich habe noch ein Ass im Ärmel. Ich zahle mit einem 500-Mark-Schein: „Tut mir leid, aber ich hab’s nicht größer.“ Scheißfreundlich werde ich ausgekontert: „Kein Problem,“ und mit kaltem Blick ausbezahlt, klappert mein Wechselgeld auf dem Stahltresen. Doch nicht mit mir ! Ich will den totalen Triumph: „Kann ich ne Quittung haben ? Ist ein Geschäftsessen.“
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Seit zwei Stunden liege ich bereits auf dem Bauch. In Badehose. Am städtischen Badesee. Ohne Sonnenmilch, obwohl der Stern auf die Erde kachelt, wie die Heizspirale aufs Döner. Ich spüre, wie sich der Sonnenbrand bis in die Achselhöhlen einflammt. Müffelt’s schon nach Grillfleisch oder halluziniere ich schon ? Leider kann ich nicht aufstehen oder mich wenden, denn dann würde die junge Dame mir gegenüber sofort sehen, daß ich Übergewicht habe. Schlimmer noch: sie würde auch sofort merken, was ich denke, denn sie ist oben-ohne. In der Phase der ersten Annäherung wäre es fatal auf hervorstechende Schwächen aufmerksam zu machen. Vor allem, wenn es derer gleich zwei sind. Ich weiß bereits, daß sie Ilona heißt, in Köln lebt und studiert und ab und zu zum See kommt. Sie weiß bereits, daß ich nicht Ilona heiße, weder in Köln lebe noch dort studiere, aber auch ab und zu im See schwimme – vor allem im Sommer. Außerdem ist ihr bekannt, daß ich auf Grund einer Sportverletzung, die ich mir bei den internationalen deutschen Golfmeisterschaften zugezogen habe, zur Zeit nicht auf dem Rücken liegen kann. Eine bessere Lüge ist mir nicht eingefallen. Daher bete ich, daß sie vom Golfen genau so wenig Ahnung hat wie ich. „Soll ich Dich mal eincremen ? Du bist ja schon ganz rot auf dem Rücken ?“ Diese Frau kann Gedanken lesen. Ja, ja creme mich ein – überall. „Muß nicht sein, aber wenn Du möchtest, bitte,“ antworte ich rollengerecht. Der Schmerz durch die Hände auf meiner verbrannten Haut ist deutlich stärker, als das erotische Empfinden, außerdem verbreitet die Creme auf meiner flammenden Rückseite das unangenehme Odeur von angebrannter Milch. „Findest Du nicht, daß es hier unangenehm nach angebrannter Milch riecht ?“ fragt sie. „Stimmt, ist
schon erstaunlich, was die Leute so zum Picknick mit an den See bringen.“. Als ihre Hände meinen Rücken verlassen, endet die Tortur. Sie hat nicht gespart mit der Sonnencreme. Sah meine Rückseite vor kurzem noch aus, wie Boris Becker auf dem Kopf, so wirkt sie jetzt wie eine Michschnitte ohne die Schnitten. „Danke“ murmele ich pflichtbewußt. Ich kann nicht anders, ich starre permanent auf ihre entblößte Oberweite. Aber ich muß jetzt irgendwas sagen, sonst bin ich hier der Depp und für meine Flirtshow fällt der Vorhang.: „Du hast ja zwei unglaublich große ..... blaue Augen. Sind die echt ???“ „Sie sind grün.“ „Dachte ich mir. Beide ?“ „Ich fürchte, die Sonne hat auch Dein Hirn verbrannt.“ „Ich hoffe nicht, denn das Hirn ist mein zweitliebstes Körperteil.“ Verdammt, da ist mir ein uralter, abgestandener Woody Allen-Witz rausgerutscht. Hoffentlich kennt sie seine Filme nicht. Doch sie lacht. Welch weiße Zähne und so viele ! Jetzt gilt es die Gunst der Sekunde zu nutzen: „Ich finde, wer so schöne Zähne hat wie Du, müßte sie auch beschäftigen. Sollen wir nicht essen gehen ?“ „Klasse Idee. Magst Du italienisch ?“, fragt sie. „Ist der Papst katholisch ?“, erwidere ich. „Fein. Ich kenne da einen ganz schnuckeligen Italiener. Mein Freund arbeitet dort als Oberkellner. Er wird Dich bestimmt auch ganz drollig finden.“ Na gut, ist ja auch egal. Eigentlich mag ich sowieso lieber Chinesisch.
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Es ist Samstag Morgen und bereits um 10.30 Uhr klingelt mein Telefon. „Hallo hier spricht Uwe.“ „Uwe ! Bist Du wahnsinnig. Es ist Samstag Morgen und bereits um 10.30 Uhr klingelt mein Telefon ! Ich schlafe noch.“ „Spiel Dich nicht so auf und hör mir zu. Es ist ernst. Es geht um Benno.“ „Was soll mit Benno sein ? Bestimmt ist er gestern Nacht wieder durch die Kneipen gezogen und liegt ebenfalls noch völlig hinüber zu Bette, wird aber offensichtlich nicht durch Deine Anrufe terrorisiert.“ „Ich kann Dir versichern, daß Benno gestern nicht durch die Kneipen gezogen ist und das auch nie wieder tun wird.“ „Wieso diese drastische Maßnahme ?“ „Benno ist von uns gegangen.“ „Was meinst Du damit ? Bitte verarsch mich jetzt nicht. Du willst doch nicht sagen, er ist ...“ „... ich fürchte, genau das will ich sagen. Ich bin auch noch völlig geschockt.“ „Aber warum ? Was ist passiert ? Wie hast Du es erfahren ?“ „Heute morgen mit der Post kam die Einladung zur Kirche. Ich hab sofort seine Mutter angerufen.“ „Und, was sagt sie ?“ „Es war das Herz. War wohl nichts mehr zu machen.“ „Unmöglich. Vor nicht einmal drei Wochen haben wir doch alle zusammen mit ihm gefeiert und gesoffen. Da war doch alles völlig normal.“ „Offensichtlich nicht. Er wußte es wohl schon länger, hat aber nie darüber gesprochen. Auch seine Eltern haben es erst ganz zum Schluß erfahren.“ „Typisch Benno. Nie wollte er irgend jemanden mit seinen Problemen belasten. Aber er hätte doch mit uns, seinen Kumpels reden können. Vielleicht hätten wir jemanden gefunden, der ihm helfen kann. Wäre es eine finanzielle Schwierigkeit gewesen, hätten wir ihm Geld gepumpt. Von mir aus auch eine Auslandsaufenthalt gezahlt, wenn er dort Hilfe gefunden hätte.“
„Es ist zu spät. Benno hat gewußt, daß nichts mehr zu machen ist. Seine Mutter erzählte, daß er vorher noch alles rechtlich geregelt hat. Sogar seine Wohnung hat er noch gekündigt. Er war ja immer so penibel in diesen Dingen.“ „Wir hätten es erkennen müssen. Jetzt gibt das alles einen Sinn: Erinnere Dich, als er vor ein paar Monaten das Rauchen aufgab. Er wirkte immer so ermattet, blaß und ist oft früher nach Hause gegangen als wir. Mein Gott – und wir haben nicht gemerkt, was mit ihm los ist.“ „Mach Dir keine Vorwürfe. Das würde Benno jetzt auch nicht wollen.“ „Weißt Du: Wenn es Dich oder mich erwischt hätte; okay. Wir beide haben unser Leben gelebt. Immer vorne mit dabei, immer am lautesten. Wir hätten‘s verdient. Aber ausgerechnet Benno ! Unser ruhiger, ein bisschen schüchterner Benno. Der hat die Welt doch noch gar nicht erlebt. Das ist doch ungerecht. Das ist zum Heulen.“ „Aussuchen kann sich das niemand. Daß wir, als seine Freunde jetzt trauern, ist verständlich. Aber wir sollten uns auch dankbar für die schöne Zeit zeigen, die wir mit ihm verbringen durften.“ „Du redest schon wie ein Priester. Wann ist eigentlich die kirchliche Feier ?“ „Schon in drei Tagen. In Sankt Michael“ „Gehst Du hin ?“ „Natürlich, daß sind wir ihm doch nun wirklich schuldig !“ „Gut. Dann komme ich selbstverständlich auch. Ich bringe ein paar Blumen mit und Du besorgst Bennos Hochzeitsgeschenk und den Reis !“
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Natürlich verliert mein Wagen Öl. Wenn er das nicht täte, müßte ich nicht immer neues kaufen. Wurde ich nicht immer neues kaufen, würden viele kleine arabische Kinder - und von denen hat der Scheich jede Menge -Hungers sterben. Also; was will der Mensch vom TÜV mit seiner Mängelliste? Eine Hungerskatastrophe im vorderen Orient provozieren ? "Nur weil ein bißchen Öl tropft wollen Sie mir die Prüfplakette nicht geben ?" "Tropft ist gut, sprudeln wäre wohl treffender. Machen Sie die Dichtung neu, dann kriegen Sie das Ding." "Was heißt hier Dichtung neu machen? Sehe ich aus wie Goethe ?" "Jetzt versuchen Sie 'mal nicht, hier den Intelektuellen raushängen zu lassen. So wie Ihr Auto sifft, sollten Sie bei jeder Fahrt die Feuerwehr alarmieren, damit die hinter Ihnen gleich die Straße abstreut. Haben Sie überhaupt schon einmal etwas von Umweltschutz gehört ?" "Meine zweiter Vorname ist ´Öko´. Außerdem muß der Wagen Öl verlieren, daß ist nämlich ein Auslaufmodell." "Der Witz ist so alt wie Ihre Öldichtung. Es wäre Zeit, beides zu erneuern." "Guter Mann, nun seinen Sie doch nicht so stur. Ich brauche das Fahrzeug für meine Arbeit mit der ich sieben Frauen und ein Kind ernähre "Wenn Sie soviele Menschen ernähren müssen, dann sollten Sie ihnen auf jeden Fall fritierte Gerichte auftischen. Öl dazu haben Sie ja reichlich." "Ich geben Ihnen ja recht, aber Sie wissen doch, wie kostspielig diese Kfz-Reparaturen sind. Mein Girokonto sieht zur Zeit aus wie der Kühlschrank eines Weight-Watchers von innen." "Heißt das auf dem kleinen Schildchen da an ihrem Anzug ´Armani´ ?" "Sie wären also ohne jeglichen Gewissensbiß bereit, wegen einiger lächerlichen Tropfen Öls einen Menschen bis an den existentiellen Abgrund zu treiben ?"
"Zweifellos." "Was würde Ihre Mutter sagen, wenn sie erführe, wie gefühllos Sie denken und handeln ?" "Sie wurde versuchen, mich in den Ortsvorstand der GRÜNEN, deren Vorsitzende sie ist, zu holen." "Ach daher weht der Wind. Es geht gar nicht um wenige Milliliter Schmiermittel. Hier soll auf meine Kosten an meinem Auto ein ideologisches Exempel statuiert werden." "Das einzige Exempel, daß mit diesem Wagen zu statuieren läßt, wäre eines für Fahruntüchtigkeit. Werfen Sie einmal einen Blick auf Ihre Reifen. Die haben ja noch weniger Profil als Sie." "Werden Sie bitte nicht persönlich. Außerdem handelt es sich bei den Pneus um Trockenslicks..." ".. und bei Ihrem Motor um, eine Ölpresse. " "Wußten Sie eigentlich, daß Öl ein reines Naturprodukt ist ?" "Na, dann können Sie ja versuchen, die TÜVPlakette im Bio-Laden zu beantragen, bei mir bekommen Sie sie auf jeden Fall nicht." "Ich appelliere an Ihre Menschlichkeit." "Und ich an Ihre Kfz-Werkstatt." "Keine Plakette ?" "Keine Plakette !" „Schade !“
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Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, daß 96 Meter, wenn man sie flach - beispielsweise als Ausschnitt einer Straße - vor sich sieht nicht annähernd so bedrohlich wirken im Vergleich zu 96 Metern die steil abfallen? Mir ist dieser Unterschied bisher auch noch nie bewußt geworden, allerdings stand ich auch noch nie auf dem äußersten Absatz eines Brückengeländers. Genau genommen stehen meine Fußspitzen sogar über jenem Brückengeländer. Ganz genau genommen stehen sie auch nicht, sondern vibrieren. Lustig zittern sie hin und her, obwohl es gar nicht kalt ist. Kurz nachdenken: Warum könnten sie bloß so schlackern? Ach ja, stimmt. Jetzt fällt es mir wieder ein. Angst. Ich habe gerade urintreibende, herz-im-halseklopfende, mama-schreiende, unkontrollierbare Angst. „Spring endlich!“, raunzt mich grobschlächtig jener Mensch mit der T-Shirt-Aufschrift „Bungee-Team“ an, der mich eben noch nahezu liebevoll in einer Art SM für Einsteiger in Sicherheitsgurte und Gummiseile verpackt hat. „Spricht man so mit zahlenden Kunden“, herrsche ich ihn an. „Wenn sich die Kunden als Weichei entpuppen schon“, meint der Vielflieger, führt dann aber versöhnlich fort: „Denk' einfach an Batman.“ „Moment,“ erwidere ich,“ Batman konnte nicht fliegen.“ „Siehst du, genau wie Du,“ klingt es schon wieder weniger versöhnlich. „,Ich kann nicht springen.“ „Warum?“ „Ich habe eine wichtige medizinische Entdeckung gemacht, die ich sofort publizieren muss.“ „Um welche Entdeckung handelt es sich?“ „Ich habe gerade festgestellt, daß der Halteapparat der unteren menschlichen Extremitat nicht aus Knochen, Knorpel, Sehnen und Muskeln, sondern einer gallertartigen, stark vibrierenden Masse besteht. Fast puddingförmig.“ „Wenn Du nicht binnen drei Sekunden den Adler machst, wirst du feststellen, daß auch Deine Freßleiste aus eine puddingformigen Masse besteht.“ Dieser Tiefpunkt abendländischer Kommunikationskultur stammt diesmal nicht aus dem berufenen Munde meines Bungee-Betreuers, sondern aus Reihen der hinter mir anstehenden anderen Flugwilligen. Ich bin also gezwungen,
mich verbal zu positionieren und brülle zurück: „Noch so eine Bemerkung und deine Zahnbürste greift morgen früh ins Leere!“ Die Drohung ist ziemlich blöde. Um zuschlagen zu können, müßte eine meiner Hände das Brückengeländer loslassen, das sie seit etwa fünf Minuten verkrampft umklammert. Dadurch würde ich nach vorne kippen und dort warten bekanntlich 96 Meter grauenhaften Abgrundes. Ich muß also meine Gesprächstaktik andern und gebe mich soft: „Sorry, war nicht so gemeint. Ich wollte Deinem berechtigten Einwand nicht aggressiv begegnen. Laß uns in Ruhe darüber sprechen.“ Das war die Situation die ich brauchte, um ohne Gesichtsverlust wieder auf die sichere Seite des Geländers zu klettern. Fast wäre es gelungen. Doch eine gewisse Beinsteifigkeit einerseits sowie ein ziemlich rüder Schubser des Bungee-Menschen andererseits lassen mich meine Planungen kurzfristig ändern. Mit den Worten „Du linke Sau!“ verabschiede ich mich von meinem ursprünglichen Gesprächspartner Richtung abwärts. Die Landschaft um das Brückengeländer hat es plötzlich ziemlich eilig. Auch ist es extrem zugig hier. Ich höre, daß meine Großtante zu mir spricht. Das freut mich, denn der Kontakt zu ihr war immer ziemlich dürftig, vor allem, seitdem sie tot ist. Mein gesamtes junges Leben zieht in vielen, vielen Bildern an meinem inneren Auge vorbei. Außerdem ist es recht laut hier. Warum nur? Weil jemand furchtbar schrill schreit. Ich glaube, daß bin ich selbst, bin mir aber nicht ganz sicher, denn mein ganzes Interesse gilt jener riesigen Mauer, die auf mich zurast. An was erinnert sie mich nur ? Ach ja, an die kleine Fläche, die ich unterhalb des Absprungplatzes am Fuße der Brücke sah - nur ist diese, die ich jetzt sehe, sehr viel größer und sie hat ein unglaubliches Tempo. Bevor ich ins Koma falle, glaube ich noch einen Ruck zu spüren. Als ich Hände an meinen Schultern spüre, beschließe ich, die Konversation dezent zu beginnen und frage daher zunächst einmal: „Mama?“ Nein, daß ist nicht Mama. Meine Mutter trägt weder T-Shirts mit der Aufschrift „Bungee-Team“ noch einen Bart. Der freundliche junge Mann, der mich entgurtet meint: „Na, das sah doch gar nicht schlecht aus.“ Beruhigend fügt er hinzu: „Und wegen Ihrer Hose machen sie sich keine Gedanken, das bekommt jede Wäscherei wieder raus.“
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Frauen duschen anders. Unsereiner tritt unverzagt unter den Duschkopf, dreht den Hahn auf und erträgt mannhaft, daß der erste Schwall Wassers noch kühl - um nicht zu sagen: kalt - Haupthaar und Oberarmmuskulatur benetzt. Männer finden das erfrischend. Frauen hingegen stecken erst einmal von außen eine Hand hinter den Duschvorhang, drehen den Wasserhahn auf und ... warten, warten bis die Temperatur einen Wärmegrad erreicht, bei dem auch in Mitteleuropa Apfelsinen gedeihen würden. Wahrscheinlich ist Orangenhaut deshalb ein rein feminines Problem. Außerdem fließt literweise kaltes und laues Wasser ungenutzt kanalwärts und mit ihm jede vernünftige Ökobilanz. Wehe jedoch, Mann wirft einmal versehentlich einen Kronenkorken der Bierflasche in den BioMüll und Frau bemerkt's: Ein Gezeter, als hätte man gerade Brennstäbe aus Tschernobyl im Mülleimer zwischengelagert. Doch zurück ins Bad. Während unsereins lustige Lieder pfeifend mit Kernseife den Schmutz und mit Aldi-Shampoo die Schuppen Richtung Abfluß treibt, türmen sich in ,,ihrer" Dusche Gels, Shampoos, Pflegespüler, Lotions, Parfümseife und natürlich diese Schwämme, die so unglaublich kratzen. Warum stellen sich Frauen zum Waschen nicht gleich zwischen zwei Regalreihen eines Drogeriemarktes und nehmen dazu einen Eimer Wasser mit ? Wäre auf jeden Fall viel einfacher, als die ganzen Flaschen und Tuben vom Einzelhändler mit nach Hause zu schleppen. Typisch für richtige Kerle ist auch der kalte Strahl zum Abschluß des Reinigungsprozesses. Das unterscheidet das Weichei vom Strammen Max. Außerdem stählt das kühle Finale die Gesundheit, belebt den Geist und macht die Brustbehaarung ganz kuschelig. Frauen meiden dies - nicht das Brusthaar, sondern den kalten Strahl. Sie lassen das Duschbad deftig dampfend ausklingen, geben dem Kreislauf und der hausinternen Öko-Bilanz den Rest um sich dann ermattet statt erblüht dem Abtrocknen zu widmen.
Was heißt überhaupt ,,Abtrocknen"? Männer trocknen sich ab, rubbeln, polieren; Frauen frottieren. Das bedeutet: Sie mümmeln sich solange ins überdimensionierte Badelaken, bis auch ohne jegliche Eigenbewegung nach Stunden die Trocknung einsetzt. Das wiederum führt dazu, daß sie Fett- und andere glibberige Cremes benötigen, damit ihre Haut - trotz gerade erfolgter Wasserzufuhr - nicht komplett die Konsistenz der nördlichen Sahara einnimmt. In Folge der Cremes kann man Frauen nach dem Duschen stundenlang nicht festhalten oder anfassen, weil sie ganz glitschig und ölig sind. Männer sind nach dem Duschen sehr entspannt und der Feuchtigkeitsgehalt ihrer Haut ist völlig in Ordnung. Männer lieben es zu duschen, weil wir damit auch im Dachgeschoß des Plattenbaus das Gefühl der Urkraft des schäumenden Wasserfalls spüren können, weil das Rauschen und Prasseln uns daran erinnert, daß wir eigentlich für das Leben in der wilden Natur und nicht für 70 Quadratmeter KDB konzipiert sind. Frauen lieben es zu duschen, weil sie in der Duschkabine wenigstens ein paar Minuten Ruhe vor ihren Männern haben. Frauen glauben, duschen macht schön. Männer wissen: es macht nur sauber.
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In Ihrem Alter sollten Sie das vielleicht auch lassen!" Höre ich da so etwas wie Kritik in den Worten des Arztes, der mir noch vor wenigen Stunden die Reste meiner Achillessehne wieder zusammen genäht hat? Ein Sportunfall. Na und? Kann doch jedem passieren. ,,Sie sind eben keine Zwanzig mehr," erklärt mir der Sadist in Weiß.
gibt, sondern vielmehr andere Körperteile, mit denen ich immer viel Spaß hatte, und die plötzlich nur noch punktuell ein Lebenszeichen geben. Immer häufiger bleiben auch meine Augen an Produktanzeigen für,,Senior Pampers" oder ,,Granofink" haften und ab und zu höre ich im Autoradio schon WDR 2 statt Einslive und schaue im Fernsehen lieber Viva 2 als MTV.
Das ich kein Twen mehr bin, weiß ich selbst. Was mich restrict, ist, daß man es mir offenbar ansieht. Dabei bin ich nicht alt. Gerade einmal Mitte Ende 30; also mehr Ende Mitte 30; genau genommen 40. Aber so wie es bei der Temperatur eine gemessene und eine gefühlte gibt, verhält es sich auch mit den Jahren. Ich fühle mich maximal 39. Okay: Samstagsmorgens, wenn ich nach Hause komme, ist das gefühlte Alter bisweilen auch jenseits der 70, aber im Durchschnitt auf jeden Fall unter 40.
Ganz offensichtlich beginne ich zu verkalken. Dabei hätte ich es schon vor zwei Jahren merken müssen. Damals, als ich meinen neuen Wagen kaufte, habe ich den Autohändler meines Vertrauens erstmals nicht nach den Pferdestärken des Motors und der Leistungsstärke des Kassettenradios befragt, sondern nach beheizbaren Rückenlehnen. Zudem hat sich seit dieser Zeit mein üppiger Haarwuchs zu Ungunsten des Haupthaares zunehmend ich Richtung Nasenlöcher verlagert. Grauenhaft.
Doch muß ich zugeben, daß sich die Zeichen beginnender Senilität mehren. Stehe ich doch erst vor zwei Tagen Einlaß begehrend vor den Pforten einer statdtbekannten Discothek. Der sprechende Kleiderschrank mit dem Lederjöppchen und dem kuhimitierten Nasenring, dessen Aufgaben sich auf die Bewachung der Tür und das Halten eines Bierglases erstrecken, mustert mich und konstatiert: ,,Falls Sie nur Ihre Tochter abholen wollen, können Sie kurz rein." Ich bin Humanist, deswegen haue ich ihm nicht auf die Fresse. Außerdem bin ich nicht lebensmüde. Daher erkläre ich ihm. ,,Lieber Torwart oder wie immer Dein Job heißt -, ich bin nicht in diese Disco gekommen, um eine Tochter abzuholen, sondern um die Grundlagen zu legen, eine zu zeugen." Mein hoch gewachsener Gegenüber erwidert: ,,Mein Gott, wie können Ärzte nur so verantwortungslos beim Verschreiben von Viagra sein."
Doch gibt es auch die Momente, in denen ich das Altsein genieße. Beispielsweise wenn ich am Tresen stehe, umzingelt von jungen Taschengeldabhängigen und BAfög-Junkies. Wenn sie in ihren KunstlederGeldbörsen die letzten Groschen zusammen klauben um zu schauen, ob es denn wenigstens noch fur ein Bier oder eine Cola reicht, dann liebe ich es, dem Kellner laut zu zurufen:
Ich fürchte, ich muß mich der Realität stellen - oder besser: setzen, denn jüngst, im überfüllten Bus, bot mir eine etwa gleichaltrige Studentin ihren Sitzplatz an. Ein sicheres Zeichen dafür, daß es allmählich Bergab geht. Ich spüre es ja selbst. Es ist nicht nur die Achillessehne, die plötzlich reißt und mir zu denken
,,Bring was du hast. Kohle spielt keine Rolle."
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Es Frühling. Ich habe es nur noch nicht bemerkt. Warum habe ich es noch nicht bemerkt? Well ich noch keine Sonne gesehen habe. Warum habe ich noch keine Sonne gesehen? Weil meine Fensterscheiben seit zweieinhalb Jahren nicht mehr geputzt wurden. Von wem auch? Lederlappen, lauwarmes Wasser, ein Tropfen Spüli und ab geht's. Das Lederläppchen entgleitet allerdings bei offenem Fenster im ersten Stock meinem Griff. Es landet auf dem Dach eines gehsteigparkenden Benz. Ich laufe hinunter. Mein Lederlappen fährt gerade ab, als ich aus der Haustür schieße. In der Abstellkammer finde ich einen Fensterabzieher. Daß er keinen Gummistreifen mehr besitzt, sehe ich erst an der zerkratzten Glasscheibe. Ich wechsle zum ordinären Spültuch. Das Fenster sieht danach noch schmutziger aus als zuvor. Zurück in die Abstellkammer. Der Glasreiniger, den ich für meinen Fernseher sowie für das Gästeklo benutze, sollte auch beim Fenster helfen. Außerdem organisiere ich im Supermarkt fünf Küchenrollen. Ich sprühe die Scheiben satt ein. Das Nebenfenster öffnet sich, meine ökologisch motivierte Nachbarin, Frau Meissner, peilt die Lage und grüßt freundlich mit: ,,Sie Umweltschwein!" Ich erwidere höflich: ,,Zieh' doch in den Krötentunnel, Öko-Schlampe." Danach sprühe ich noch ein wenig von meinem Glasreiniger auf ihre Brunnenkressezucht auf dem Fensterbrett. Ihr Naturhaarbesen erwischt mich am Hinterkopf. Ich muß mich um das Gleichgewicht zu halten - mit beiden Händen an den Fensterrahmen klammern. Dadurch verabschiedet sich der Glasreiniger talwärts und schlägt auf dem Bürgersteig neben einem jungen Vater und seinem bebrillten Sprößling auf. ,,Paß doch auf, Du Idiot," brüllt's von unten. ,,Ein Geschenk des Hauses," rufe ich zurück, ,,beim Brillenformat ihres Sohnes, werden sie die Flasche Glasreiniger gut gebrauchen können." ,,lch komm' gleich nach oben und verpaß Dir einen Lageplan für Deine Brille"
tönt es von unten. ,,Wenn Du Dich traust, Dann klingel doch bei Meissner und komm' rauf," provoziere ich. Bin ja mal gespannt, wie die Nachbarin mit ihm klar kommt. Die verdammten Scheiben sind immer noch nicht sauber und jetzt ist auch noch mein Glasreiniger hinüber. Aus Versehen trete ich den Eimer mit dem Spüli. Den hatte ich total vergessen. Wenigstens ist jetzt ein Socken gewaschen. Aus dem Altkleidersack angele ich ein Hemd und tauche es in den Rest Flüßigkeit im Eimer. Ich wische damit über die Scheiben. Die werden zwar nicht klar, aber das Hemd sieht danach wieder recht gepflegt aus. Ich werde es noch eine Saison tragen. Es klingelt an der Tür. Wahrscheinlich haben sich Frau Meissner und der Jungvater von der Straße zusammen getan und ziehen marodierend durchs Haus. Ich öffne nicht. Bin ja nicht blöde. Die Fenster sind immer noch schmutzig. Ich versuche es mit einer Kombination aus Akopads und Terpentinersatz. Riecht gut, hilft aber nicht. Jemand hämmert an meine Wohnungstür und brüllt: ,,Mach auf, Du intrigante Sau!" ,,Sie sind falsch. Fielmann ist gegenüber", schreie ich durch die verschlossene Tür zurück. In meinen Spülieimer kippe ich noch Essigessenz, den Rest Terpentinersatz sowie Antischuppenshampoo und verteile die Suppe mit einem Handtuch auf die Scheiben. Hilft nichts, zieht nur Schlieren. Dafür wird mir furchtbar übel. Ich muß schnell an die frische Luft, sonst passiert ein Unglück. Ich reiße die Wohnungstür auf. Davor steht der kleine bebrillte Junge und sein Jungvater mit hochrotem Kopf. Ich erbreche mich letzterem über das Schuhwerk. ,,Sorry, ist nicht persönlich gemeint", entschuldige ich mich noch schnell, bevor ich die Tür von innen zuschlage. Ich beschließe, die Geschichte mit den Fenstern für dieses Jahr zu lassen. Lohnt eh nicht: nächsten Monat soll es eine partielle Sonnenfinsternis geben.
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Ich besitze ein Buch uber das Leben der Eule. Dagegen ist nichts zu sagen, außer, daß ich es nie lesen werde. Mein Interesse an Eulen ist gleich Null. Mir gehören auch eine Keksdose mit Weihnachtsmotiven, ein Schlüsselanhänger in Herzchen-Form sowie eine rosafarbener Standbilderrahmen - allesamt Terroranschläge auf den guten Geschmack. Wie ich in den Besitz des Zeugs gekommen bin? Wichteln. Ich weiß nicht, wer diese Seuche nach Mitteleuropa eingeschleust hat, ich wünsche ihm - oder wahrscheinlicher: IHR - die Beulenpest an den Hals. Es gibt keine private Party oder betrieblich verordnete Adventsfeier, bei der du nicht aufgefordert bist, ein verpacktes Geschenk im Wert von zehn Mark mitzubringen, es zu einem Berg anderer zu legen und zum Höhepunkt der jeweiligen Festlichkeit aus diesem Stapel ein anderes Präsent im Gegenwert von 1,40 Mark herauszuziehen. Oft besteht dessen Inhalt aus nicht näher spezifizierbarer, möglicherweise alkoholischer, Konsistenz die den Verdacht nahe legt, daß der Vorbesitzer durch das Wichteln den Gang zum Schadstoffmobil oder die Gebühren für die Giftmülldeponie sparen wollte. Flaschenöffner mit Werbeaufdruck, Bücher die, so verrät der Stempel, der katholischen Pfarrbücherei entwendet wurden, Eieruhren und immer wieder Grauen erregender Christbaumschmuck: Wichteln ist Weihnacht ganz unten. Geschmacklicher Tiefpunkt der laufenden X-Mas-Saison: Eine Plaste-Zitronenpresse aus dem VEB ‘Freundschaft’, Karl-Marx-Stadt. Und dann muß man sich kollektiv mit den anderen Wichtelfrauen und -männern in blödsinnigen Dialogen freuen: “Ach, wie schön! Ich habe einen Mokkalöffel gezogen - und Sie diese hübsche Küchenhilfe für Südfrüchte.” “Es ist eine Zitronenpresse aus DDR-Zeiten.” “Na, dann können Sie Ihre Speisen ab jetzt immer mit frischem Zitronensaft abschmecken.” “Ich esse nur Fertiggerichte. Aber Zitronensaft brauche ich trotzdem, um darin mein Crack und Heroin aufzukochen. Brauchen Sie übrigens Ihren Mokkalöffel ?” “Polizei. Sofort holt jemand die Polizei.”
Beim Wichteln ist kein Platz fur Sarkasmus, denn das Wichteln an sich, ist sarkastisch genug. Vor allem so wunderbar sinnentleert: Leute rennen los, kaufen für zehn Mark Dinge, die keiner benötigt um dann selbst ein Päckchen im Wert von zehn Mark (...falls man Glück hat) zu erhalten mit einem Inhalt, den man selbst auch nicht braucht. Hat auch überhaupt nichts mit Weihnachten zu tun. Sind etwa die Heiligen Drei Konige zur Krippe gekommen mit den Worten: “Hallo Maria, Tach Josef. Wir führen ein paar stilvolle Präsente mit uns, wenn ihr auch welche habt, legen wir sie alle auf einen Haufen und jeder zieht eines.” Und was hätten die drei Konige vom Wichteln auch erwarten können ? Einen Zimmermannshammer und die Fibel “Kindersegen ohne Sex?” Ich will nicht undankbar scheinen, denn ich habe auch schon davon profitiert. Beispielsweise hilft mir das Wichteln, mich Ende des Jahres häßlicher Krawatten, Kugelschreibersets, Taschenkalender und Sammlungen von Spar-Kondomen zu entledigen. Das ist die Mühe, die das Verpacken macht, durchaus wert. Außerdem habe ich auch schon einmal etwas wirklich nützliches gezogen. Einen Espressokocher. So ein Aluteil fur zwei Tässchen kleinen Schwarzen. Allerdings habe ich ihn selbst gekauft und so im Wichtelhaufen platziert, daß ich ihn auch wiederfinden konnte.
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Mir völlig egal, daß die klebrige Sauce mir die Hände hinunter rinnt und eine unlösbare Ehe mit meinem Uhrarmband eingeht. Ich pfeife auf die Meinung der Leute, die sich angesichts meiner schokoversiegelten Mundwinkel angewidert abwenden. Cremige, sich langsam verhärtende, Streifen auf meiner Herrenoberbekleidung stören mich nicht im geringsten. Es ist Sommer, ich will Eis. Ich will es sofort, ich will es in Massen und ich will es immer. Ich gehöre nicht zur Sorte der Marmeladenfrühstücker, die ihre Zunge in ekelprovozierender Länge und Langsamkeit um jedes Bällchen streichen lassen. Nein: ICH BEISSE ZU. Ich schlage die Zähne tief in Berge von gekühltem Vanillearoma und Schokoladenersatzstoffen. Ich bin Gefriergutjunkie und schrecke keinesfalls davor zurück Gewalt zur Befriedigung meiner Suchverhaltens einzusetzen. Meiner Beschaffungskriminalität werden allerdings zunehmend engere Grenzen gesetzt. Genaugenommen weiß ich gar nicht mehr, was mir meine Eisdealer eigentlich verhökern wollen. Früher, jaaaa, früher, da war's einfach: Vanille, Schoko, Zitrone, Erdbeer - aus die Maus. Da war die Wahl schnell getroffen, da wurde nicht viel überlegt. Doch wenn ich heute vor den Gefriertruhen der ehrenwerten Gesellschaft des Eiseinzelhandels stehe, klappt mir das Gaumenzäpfchen himmelwärts. Was, zum Teufel, sind Sorten wie Malaga, Pralinata, Panna? Wie schmeckt Irish Cherry, Zabbaione oder Zuppa inglese? Ist Cassata eine neue Geschmacksrichtung oder der Name des Inhabers der Eisdiele und Amarena seine Gattin? Wenn ich einen Sprachkurs brauche, gehe ich zur Volkshochschule und nicht zum Eisverkaufer. Vielleicht ist der ganze unbekannte Stoff auch noch gestreckt?
Reden will ich gar nicht von den sogenannten "Toppings". Krümmliges Gekröse - klassifiziert vorzugsweise in die Stilrichtungen Krokant, Streusel und Zahnschmelztod - das dem Konsumenten ungefragt auf die Kugeln gepudert wird. Was kommt als nächstes? Leberwurstsorbet mit einem Senfhäubchen ? Wenn ich vor dem Kühltresen stehe und meinen Fünfer auf die Theke lege, erwarte ich einen Berg Kaltes in einer Größenordnung, an der schon die Titanic scheiterte. Ich erwarte nicht, daß mir der Kreppmützchenträger auf der anderen Seite 125 Sorten, 20 Toppings und sieben Tütengrößen zur Wahl vorschlägt. Die finale Frage "Mit Sahne ?" schafft mich dann vollig. Sahne! Sehe ich aus, als würde ich meine Unterhosen bügeln oder Light-Zigaretten rauchen? Wenn mir nach Sahne ist, bestell ich Torte oder schüttele eine Kuh. Nein, ich will die reine Sommerdroge. Ungepanscht, kalorientriefend, klebend. Ich brauche den Aromaflash für meine Geschmacksnerven, die Rinnsale geschmolzenen Eises, die im Schweiße meiner Arme über den Handrücken ellenbogenwärts fließen. Ich konsumiere in aller Öffentlichkeit, ich stehe zu meiner Sucht. Ist mir gleichgultig, wie die Gesellschaft zu diesem Problem steht. Auf Entzug bin ich allerdings unberechenbar. Wenn Sie mich sehen, stecken sie mir einfach heimlich ein Magnum zu.
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Ich besitze eine Fernbedienung für den Videorekorder, eine für den Satelliten-Receiver, eine für die Stereoanlage, eine für den zweiten CD-Player sowie eine fünfte für den Fernseher. Mein Couchtisch schaut aus wie die Ramschauslage im Elektronikfachhandel und ich werde allmählich meschugge. Ich habe mich daran gewöhnt, daß ich bei Fußballübertragungen im TV automatisch den Ton von WDR 4 höre, während ich meine Klassik-Platten nicht mehr abspielen kann, ohne das zeitgleich das Videogerät anspringt und mir Filme zeigt, dich ich überhaupt nicht sehen will. Da ich aber irrtümlich die Fernbedienung des Videorecorders immer mit der designgleichen des zweiten CD-Players verwechsle, komme ich in den visuellen Genuss der arteNachtdokumentationen, obwohl ich eigentlich die inforrnativen Spät-Filme mit eingeschränkter Tauglichkeit fur Jugendliche unter 16 Jahren aufnehmen wollte. Die Lösung meine Problems, so versichert mir der Fachhändler meines Vertrauens, liegt im Zukauf einer sechsten Fernbedienung, die alle Fähigkeiten der fünf anderen bündelt. Die Programmierung - so wird mir versichert - sei idiotensicher. Sicher bin ich ein Idiot, daß ich das geglaubt habe. Eine Stunde lang tanzen meine Finger auf einer Klaviatur aus Displays und Soft-Buttons. Grüne und rote Lämpchen flackern im munteren visuellen Dialog mit kleinen UV-Strahlern ohne, daß auch nur ein einziges Gerät auf meine neue zentrale Fernbedienung reagiert. Endlich, endlich - als ich den Videoknopf drücke - ein erster Kontakt, eine erste Reaktion. Zwar springt nicht der Rekorder an, jedoch rotzt die Stereoanlage los und erinnert mich an zwei Dinge. Erstens: Der lange verrnißte Sampler ,,Heavy Metal Finest" liegt noch im Player. Zweitens: Der Verstärker hat eine Nennleistung von 280 Watt. Diese bringt das Soundsystem gerade zur vollen Entfaltung, da mein neuelelektronischer Helfer offensichtlich die Standardeinstellung “Wohnungslautstärke” außer Kraft gesetzt hat. Der Prozess läßt sich auch durch drücken aller Knöpfe nicht rückgängig machen. Daher hechte ich zum Verstärker, reiße unterwegs - an einem Stromkabel hängen bleibend - noch das Tapedeck mit runter und drehe erst einmal den Saft ab. Ruhe. Fast - denn noch höre ich ein leichtes Wummern. Ich checke die Boxen. Wummert immer noch. Aha, kommt aus der Wand. Muß der Nachbar sein. Wundert mich nicht, daß er klopft. Er ist Britney Spears-Fan. Intolerantes Pack. Immerhin: Wenn ich die Sammelfernbedienung drücke, passiert etwas. Wenn auch nicht das Gewünschte. Ich drücke mal vorsichtig den Knopf mit der Aufschrift “Sat-Receiver”. Sofort springen der zweite CD-Player und das Fernsehgerät an. Drücke ich “TV” meldet sich das Tape-Deck. Tippe ich den
Button “Tape” an, läuft endlich der Videorekorder. Na also, geht doch ! Ich drücke alle Knöpfe gemeinsam. Daraufhin klingelt die Haustür. Kurios. Ich mache das noch einmal. Klingelt wieder. Ich bin begeistert. Bevor ich ein drittes Mal alle Knöpfe drücken kann, klingelt es nicht nur, es klopft auch und ruft: “Mach endlich auf, Du Hörgeschädigter !” Das tue ich. Mein Nachbar steht vor der Tür und sagt sehr unschöne Dinge über Rockmusik im allgemeinen, sowie meine Stereoanlage im besonderen und vermengt diese Aussagen mit Hinweisen auf Schichtbetrieb und Schlafstörungen. Ich habe immer noch meine Fernbedienung in der Hand und versuche den Mann mit dem “out”-Knopf abzuschalten. Funktioniert leider nicht. Daher erläutere ich ihm meine Theorie in Bezug auf das Krankheitsbild der Hirnerweichung in Zusammenhang mit übermäßigem Abspielen von Britney Spears-Songs. “lch hole die Polizei ins Haus” schlägt das Rumpelstielzchen von gegenüber lautstark vor. “lch glaube, die mögen auch keine Britney Spears”, gebe ich zu Bedenken und schließe die Tür, um mich wieder meinem neuen Spielzeug zu widmen. Es wird mein und das Leben meiner Nachbam bunter und überraschender gestalten. Selbst die Tatsache, daß ich nun sechs statt bisher fünf Fernbedienungen besitze und mein Couchtisch noch weniger Platz bietet, erscheint mir in vollig neuem Licht und die Lösung ist so einfach. Mein Problem sind nicht die vielen Fernbedienungen - mein Problem ist, daß der Couchtisch zu klein ist.
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Mit dem Karneval ist es so wie mit dem Novemberwetter: Richtig Lust habe ich nicht drauf, aber entziehen kann ich mich ihm auch nicht. Ich lehne es ab, an Weiberfastnacht von Frauen gebützt zu werden, in denen sich die Erotik einer Doris Köpf mit der Grazie eines Helmut Kohl paart. Ich finde es wenig witzig, wenn meine 350-MarkDesignerkrawatten von 2,50-Mark-Scheren auf Halbformat gebracht werden, oder wenn sich das maskierte Funkemariechen, mit dem ich den ganzen Tag rumgemacht habe, am Abend mit "Gestatten, Karl-Heinz !" vorstellt. Am meisten aber haße ich es, sechs Tage am Stück so zu sprechen wie Rudolf Scharping, weil meine Artikulationsfähig- und geschwindigkeit in dem Maße abnimmt, in dem mein Alkoholpegel steigt. Aber wie soll ich dem Karneval entkommen ? Urlaub in Australien oder - schlimmer noch - bei den Westfalen ? Für das eine reicht mein Geld nicht, für das andere bin ich nicht schmerzfrei genug. Natürlich: ich könnte mich in meiner Wohnung einschließen und so tun, als existiere die Welt bis zum Aschermittwoch nicht. Aber einerseits existiert sie eben doch und andererseits läuft im Fernsehen auch nur "Mainz, wie es singt und lacht..." Über wen eigentlich ? Es bleibt also nur die selbstverleumdnerische Offensive. So tun, als gehöre man dazu, um inmitten trunkener Pappnasen an überfüllten Tresen bei halbvollen Bieren leiden. Selbstredend hat die Fastnacht auch ihre wirklich komischen Seiten. Beispielsweise, wenn der ganze Saal grölt "lch mööt zo Fooß noh Kölle jonn", sich aber jeder für die 300 Meter bis zur nächsten Gaststätte ein Taxi bestellt. Oder aber wenn das stimmungsvolle Liedchen von den "Echte Fründe", die zusammenstehen in einer zahnspaltenden Massenkeilerei endet. Noch mehr als ich leidet jedoch noch meine Bank. Für sie wurde einst der Titel "Wer soll das bezahlen
?" geschrieben. Allerdings weiß das Geldinstitut meines Vertrauens noch nicht, daß es auf die Frage jenes Gassenhauers mit "Ich !" antworten wird. Nach Weihnachten und somit vor Karneval ist mein Konto leer. Da ich aber gezwungenermaßen sechs Tage ausgehen muß und dabei weder verdursten noch verhungern möchte, wird die Bank wohl in Vorleistung treten und hoffen, daß ich alle Kneipenexzesse auch überlebe, damit ihr jemand das Geld zurückzahlen kann. Ich glaube, ich weiß jetzt, wo der Begriff "Bar"-Kredit herkommt. Doch zurück zum eigentlichen Thema: was treibt klar denkende, aufrecht gehende Mitteleuropäer dazu, sich über mehrere Tage hemmungslosen Vergnügungen hinzugeben und sich dabei auch noch exorbitant zu verschulden ? Gibt der Mensch am Niederrhein punktgenau zum 11.11. sein Him ab ? In gewisser Weise schon, denn Karneval hat mit Rationalität etwa soviel zu tun wie Borussia Mönchengladbach mit der Fußball-Meisterschaft. Gar nichts. Er scheint also eine Sache zu sein, die unerklärbar, einfach so aus dem Bauch heraus passiert. Allerdings jedes Jahr zur gleichen Zeit, etwa wie die Brunft im Tierreich. Eine genetische Besonderheit vielleicht. Beschränkt auf Menschen, die in Köln, Mainz, in Rio de Janeiro, New Orleans oder Venedig zur Welt kommen ? ... na gut, auch in Düsseldorf.
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Das bereits seit Monaten eingeläutete neue Jahrtausend beschäftigt kaum noch einen ZeitungsRedakteur, aber noch bleiben die größten, drängenden Fragen der Menschheit ohne Antwort: Wie bügele ich ein Hemd, ohne das Knitterfalten auf den Ärmeln bleiben ? Warum klebt das erste Blatt einer neuen Rolle Toilettenpapier immer so fest an den folgenden, daß diese einreißen ? Wer weiß, wie ein programmieren ist ?
Videorekorder
richtig
zu
Wann wird eine Nagelschere entwickelt, die es ermöglicht, auch mit der Linken die Fingernägel der rechten Hand zu schneiden? Vielleicht sind wir in weiteren tausend Jahren so weit, daß bemannte Raumschiffe zum Mars fliegen, aber immer noch nicht werden wir es geschafft haben, ein Mars zu essen, ohne daß dabei die Hälfte der Plomben in der Candyfüllung hängen bleibt. Nichts ändert sich wirklich. Was hat es uns denn genützt, daß einer der fernen Vorfahren das Rad erfand, wir aber nicht wissen, wie man es wechselt ? Und so werden sich unsere Nachfahren in tausend Jahren, genau wie wir heute, fragen, wozu es eigentlich Politiker gibt, wieso der Schiedsrichter 1966 das WMTor in Wembley gab, wo die fehlenden Schrauben vom Ikea-Regal sind, oder warum kein Mensch mit dem stadteigenen Mietauto fahren will.
Ich selbst halte aber gerade diese drei Entwicklungen, ebenso wie viele andere, für eher unwahrscheinlich in den nächsten tausend Jahren. Hingegen bin ich sehr sicher, daß es zum Jahreswechsel 2999/3000 keine Probleme mit Computern mehr geben wird, denn die sind schon alle beim Millenniumswechsel auf das Jahr 2000 kaputt gegangen und anschließend nicht mehr neu entwickelt worden, weil es keine Computer mehr dafür gab. Außerdem ist die Jugendarbeitslosigkeit ausgerottet, da das Alter der Volljährigkeit auf 14 Jahre gesenkt wurde. Gleichgeschlechtliche Ehen werden nicht nur erlaubt sondern die Regel sein, weil Wissenschaftler feststellten, daß Männer und Frauen ohnehin nicht zusammen passen. Man wird Biersorten erfunden haben, in denen das Aspirin schon drinnen ist und McDonalds wird seinen schwerelosigkeitsgeblockten Hamburger in seinem "Fly in" auf der Mondbasis anbieten. Weiterhin bin ich überzeugt, daß die deutsche FußballNationalmannschaft die Qualifikation für die EMEndrunde 3000 überstehen wird, obwohl es in der Gruppe gegen die Gegner aus Liechtenstein, Luxemburg, Nord-West Albanien und der Freien Monarchie Bayern ausgesprochen knapp zuging. Doch der Spielführer des deutschen EM-Teams 3000 ist für die Endrunde ausgesprochen optimistisch. Daß ist Lothar Matthäus doch immer.
Ich will nicht dem Pessimismus verfallen. Natürlich kann es theoretisch im Jahr 3000 auch signifikante Änderungen geben. Moglicherweise spielt der 1. FC Koln dann nicht mehr in der zweiten Liga und vielleicht gibt es bis dahin tatsächlich eine definitiven Eröffnungstermin fur das dann komplett eingerichtete Kino-Center in der Fußgängerzone, oder der Solidaritätsbeitrag wird abgeschafft.
(Anmerkung: aus der Ausgabe von 10/1999)
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Ihre Physionomie zeugt nicht von Agressivität. In ihrem Antlitz finden sich keinesfalls Spuren enormer krimineller Energie und, auch das muß ich zugeben - ihre Augen wirken nicht verschlagen. Und doch: Diese Taube ist mein Gegner. Das einzige, was dieses Tier und mich verbindet, ist unser gemeinsames Faible für meinen Balkon. Allerdings nutze ich ihn - im Gegensatz zu meinem gefiederten Feind - so gut wie nie, um dort meine Notdurft zu verrichten. Und das schon gar nicht mit Vorliebe auf meinem Lieblings - Teakholzsessel. Die Frevlerin muß sterben. Lieber einmal eine saubere Exekution, als den ganzen Sommer unsaubere Exkremente. Zunächst erwäge ich Gift. Doch diese Option befriedigt mich nicht. Ich will es selbst tun. Auge in Auge. Und zwar im Augenblick ihres, vermeindlich, größten Triumphes; in der Sekunde, in der sie ansetzt ihren Darminhalt auf meinen Freiluftmöbeln zu platzieren. Als Tatwaffe wähle ich mein Luftgewehr, den tödlichen Schuß werde ich aus dem dichten Blattwerk des Baumes gegenüber des Balkons abfeuern. Ich muß nicht lange in meinem natürlichen Anstand, fünf Meter über Bodenniveau auf sie warten. Sie kommt pünktlich jeden Abend zur gleichen Zeit. Tauben besitzen offensichtlich ein Verdauungssystem, das in seiner Präzision einer Rolex kaum nachsteht. Sie gleitet heran. Sie stellt die Flügel quer. Sie landet. Sie furzt. Tatsächlich; ich habe es deutlich gehört. Darüber habe ich in Brehm's Tierleben nie etwas gelesen ! Egal. Das macht mir die Entscheidung nur noch leichter. Das Gewehr ist gespannt, mein Blut kühl, die Hand ganz ruhig.; Als ich sie im Zielring erfasse, schaut sie zu mir herüber. Wahrscheinlich sieht sie mich sogar. Zu spät für Reue. "Ich kenne da ein todsicheres Mittel gegen Durchfall. Wir Menschen nennen es Blei", zische ich zu ihr, hinüber um mich dann klassisch zu verabschieden:
"Hasta la vista, Baby !"
"Wer ist Karla ?" "Unsere Brieftaube. Sie besucht dich doch jeden Abend." Jetzt weiß ich wenigstens, wie die diarrhöische Flugsau heißt, die mir jeden Tag den Balkon vollkackt. "ICH ? Karla erschießen ?" "Ach du Dummchen. So was würde der Onkel nie tun. Karla und ich sind Freunde. Würde sie denn sonst regelmäßig bei mir vorbeischauen ?" "Falls du vorhast, Karla etwas zu tun, Onkel, wirst du dein Auto nicht mehr wiedererkennen und außerdem werden alle erfahren, dass du mit der Post Zeitungen ohne Absender in blickdichtem Umschlag bekommst." Einerseits fühle ich mich beruhigt, dass die soziale Kontrolle in unserem Viertel noch funktioniert. Anderseits bereitet mir meine Situation, mit einem Luftgewehr im Baum hockend, von einer Sechsjährigen in die Enge getrieben, Unwohlsein.
Platsch! Was Karla da gerade unüberhörbar fallen ließ, war nicht nur einer mitteleuropäischen Wandertaube würdig, es hätte jedem geschlechtsreifen Anden-Geier zur Ehre gereicht - so denn die Fäkalmenge in der Ornithologie eine relevante Größe ist. "Kann das sein, dass deine Karla mir gerade auf den Gartentisch geschissen hat ?", frage ich, mehr rhetorisch, meine kleine Gesprächspartnerin. "Was erwartest du denn, Onkel ? Dass eine Taube sich an einen Baum stellt und das Beinchen hebt ? Oder bei dir klingelt und fragt, ob sie 'mal auf deine Toilette darf ?"
"Was machst du da im Baum, Onkel ?", reißt mich eine Kinderstimme just in dem Augenblick aus meinem Blutrausch als ich den Finger krümmen will. "Ich mache Tierfotografien und habe mir diese moderne Langbild-Kamera gekauft und wollte sie gerade ausprobieren", antworte ich der sechsjährigen Nachbarstochter. "Ist das ein Gewehr ?", bohrt das Cleverchen nach. "Na, so drastisch würde ich das nicht bezeichnen. Es ist eher so eine Art Spielzeug für Erwachsene." "Willst du etwa Karla erschießen ?"
Ich denke, ich werde mich vom Baum stürzen.
Die dunklen Seiten ...
des Alltags
Endlich Mai! Monat der Feier- und Brückentage, der Biergärten und Fußball-Endspiele, des Spargels und der Exhibitionisten. Und natürlich der Monat, an dem ich die Blumenkästen meiner Freiluft-Loggia bepflanzen muß. Einerseits ist mein Verhältnis zu Pflanzen, die in keinem Kochbuch Erwähnung finden, eher getrübt. Andererseits würde mein Verhältnis zu der Frau, die jeden Morgen mit mir am Frühstückstisch sitzt, ebenfalls sehr getrübt, wenn ich nicht für adäquaten Bewuchs in den Außenbezirken unserer Wohnung sorgen würde. Ich habe keine Ahnung von Blumen und anderen, der Erbauung dienenden, Gewächsen. Zur Vermeidung einer privaten Balkon-Krise Dackel ich dennoch in den Gärtnereibetrieb meines Vertrauens. Schon von weitem zeige ich dem Mann, der im grünen Kittel zwischen den langen Reihen von Pflanzentischen steht, meine Daumen: "Welche Farbe hat dieser Daumen ?", frage ich. "Ziemlich weiß mit einer erdigen Applikation im Nagelbettbereich", erkennt mein Gärtner treffend. "Richtig. Wie Sie bemerkt haben, ist dieser Daumen nicht grün. Meine Freundin aber möchte ...." "... daß Sie die Blumenkästen für den Sommer bepflanzen. Ich dachte es mir schon", überrascht mich der grüngekittelte Wahrsager und fährt fort: "Was darf's denn sein?" "Also", erwidere ich, "genaugenommen suche ich etwas winterfestes, daß ich nie mehr ausbuddeln oder ab Herbst in den Keller schleppen muß. Außerdem muß es unabhängig von jeder Wasserversorgung wachsen. Dies aber möglichst bunt und prachtvoll bei einem nasenschleimhautschmeichelnden Aroma. Es sollte nicht fusseln oder Pollenallergien verursachen. Und falls es im Bedarfsfall auch noch gut schmeckt, würde ich dies sehr begrüßen."
"Haben Sie schon einmal als Alternative an einen Steingarten gedacht?" "Verschonen Sie mich mit Gärtnerwitzen. Was können Sie mir anbieten?" "Spontan fallen mir dazu zwei Sachen ein: Entweder eine Bonsai-Plantage oder Steckrüben." "Klingt gut. Bonsais sind doch der Grund, daß in Japan keine Baumhäuser bekannt sind?" "Exakt." "Wie wäre denn bei acht laufenden Metern Balkonkästen in etwa die Preisdifferenz zwischen Bonsai und Steckrübe?" "Circa 8.000 Euro." Ich glaube, optisch passen Steckrüben besser zu unserem Balkon. Die sind auch wirklich winterfest, wasserresistent, Fusseln nicht und lassen sich notfalls aufessen?" "Das ist richtig. Allerdings die Blütenpracht ...." ".... in diesem Punkt wäre ich zu Einschränkungen bereit." "30 Setzlinge also?" "Moment. Was ist denn das kleine grüne buschige dort." "Buchsbaum." "Fusseln die?" "Ist mir nicht bekannt." "Essbar ?" "Lange abgekocht mit viel Maggi. Durchaus möglich," "Sehr gut. Dann nehme ich lieber 30 davon. Ach ja, und noch einen Strauß frischer Steckrüben für die Freundin."
Die dunklen Seiten ...
des Alltags
Wenn ich die lokalen Zeitungen lese, zerreißt es mir schier die Leber: XXXX Kölsch soll möglicherweise aus unserem Städtchen verschwinden? Verlegt den Rhein, mauert die Altstadt zu oder macht Sankt Martin zur Moschee - aber nehmt uns nicht die Brauerei. An dieser Marke kleben soviel Erinnerungen wie eingetrocknete Kölschgläser am Biertisch. Meinen ersten Vollrausch - für einen jungen Mann prägender (und früher) als der erste Sex - hatte ich mit XXXX Kölsch. Meine erste Freundin hätte ich nie kennen gelernt, wenn ich mir zuvor nicht Mut mit dem Obergärigen aus der Brauereigasse angetrunken hätte. Zugegeben: vielleicht hätte sie mich nicht nach ein paar Wochen wieder verlassen, wenn ich in der Zeit mit ihr einmal aufgehört hätte mir weiteren Mut anzutrinken. Doch auch über den Trennungsschmerz half mir letztlich das Bier hinweg. Unvergessene Erlebnisse hängen an dem Bräu: Noch heute sprechen mich ehemalige Schulkameraden auf jene bewegte Szene unserer Abiturfeier an, bei der ich eine Auswahl erlesener Speisen des von den Müttern zusammengestellten Buffets im vorverdauten Zustand aus den Tiefen meines Magens wieder in die reiche Anzahl Schüsseln und Frikadellenplatten beförderte. Ohne XXXX Kölsch wäre auch dieser großartige Beleg für den Untergang der abendländischen Kultur niemals zu Stande gekommen -obwohl: ein paar Appelkorn und Zinn 40 waren seinerzeit auch mit im Spiel. Doch auch Phasen höchster Kreativität verbinde ich mit XXXX Kölsch, beispielsweise in der Vorweihnachtszeit: Kasten Kölsch mit 24 Flaschen gekauft, quergestellt, auf jede Flasche ein rotes Mützchen und einen Wattebart geklebt, 24 Zahlen
drauf gepappt - fertig ist der Adventskalender. Und gar nicht zu reden vom lustigen Osterflaschensuchen in meiner Stammkneipe. Das soll vielleicht alles vorbei sein ? Wird mich nie wieder eine Frau bitten, ihr eine Flasche jenes Gerstensaftes zu schicken, das "'at so schön geprickelt in meine Aug'apfel" ? Ein furchtbarer Gedanke. Unsere Stadt ohne Kölsch-Brauerei wäre wie Prinz Charles ohne Ohren, Britney Spears ohne Silicon, Frank ohne Furt. Kurz: reizlos. Fast so schlimm wie Düsseldorf. Wir sollten alles tun, um die Marke, um unsere Identitat zu retten. Altbierverbot für das gesamte Stadtgebiet wäre eine erste hilfreiche Maßnahme. Bier auf Krankenschein und Aufhebung der Promillegrenze weitere. Zu letzterem Punkt sah ich kürzlich eine Statistik aus der hervorging, daß rund zehn Prozent aller Autounfälle auf Alkohol am Steuer zurückzuführen sind. Das bedeutet, daß etwa 90 Prozent der Crashs - also erheblich mehr - durch Nüchternheit am Steuer verursacht werden. Ich hoffe sehr, daß der Gesetzgeber aus dieser klaren Zahlenlage bald die richtigen Konsequenzen zieht. Doch zurück in unsere Stadt: Tut alles, um die Brauerei zu halten ! Meine Leber würde den Trennungsschmerz nicht verkraften. Außerdem kann man "XXXX Kölsch" auch im Vollrausch noch ohne Sprühverluste halbwegs lallfrei aussprechen. Versuchen Sie das einmal beispielsweise mit "Schneider's Weiße".
Die dunklen Seiten ...
des Alltags
Ich muß einmal mit einem Gerücht aufräumen. Jenem, nach dem selbst ein Mann mit dem Charisma einer Einwegflasche und dem Aussehen sowie dem Auftreten eines Pavians an Altweiberfastnacht bei den Mädels eine Chance hat. Quatsch ! Bereits seit einigen Jahrzehnten pirsche ich am Altweiberdonnerstag auf Suche nach kurzfristiger aber körperlich intensiver weiblicher Begleitung durch Kneipen, Feten, Faschingszelte. Nie, aber auch nicht ein einziges Mal, habe ich irgendwen abschleppen können. Das einzige Erlebnis, daß sich zumindest tendenziell in Richtung sexuelles Abenteuer entwickelte, hatte ich mit einer Thekenbedienung. Sie kippte mir aus Versehen ein Bier über die Stelle, die besonders empfindlich auf Kälte reagiert. Eigentlich, so sagte sie, würde sie einen verursachten Fleck ja sofort weg rubbeln. Aber in diesem Fall - und dabei schaute sie mir tief und mitleidig in die Augen - käme das wohl einer Entjungferung gleich und sie wolle mich nicht meiner Illusionen berauben. Blöde Bierschnepfe. Selbst der dümmste Dödel schafft es, an Altweiberfastnacht noch irgendeine angeschickerte Hormonbombe auf ehelichem Freigang in die Knutschecke zu manövrieren. Aber mich beachtet noch nicht einmal der Türsteher. Dabei sehe ich nicht schlecht aus. Für meine Größe bin ich sogar schon recht alt. Und Freunde von mir sagen, wenn das Licht etwas rötlich ist und richtig fällt, wenn ich vorher beim Friseur war und ausgeschlafen bin, wenn ich eine große Sonnenbrille trage und einen Hut, der tief ins Gesicht fällt, dann, ja dann wirke ich optisch sogar fast passabel. Ganz besonders übrigens an Karneval, da mein Cowboyanzug und der Drei-Tage-Bart vom
Kostümverleih meinen Chrakter sogar noch unterstreichen: Cool, beherzt, lässig und ... einsam. Ja, einsam. Selbst wenn die ganze Gaststätte mehr Besucher als Küchenwanzen zählt und die maskierten Gäste, die sich alle hier erst kennen lernen, schon nach wenigen Minuten zum kollektiven Ehebruch übergehen - mich finden Sie immer. Und zwar im Mittelpunkt der einzigen freien Stelle, die in der ansonsten vor Menschen schier berstenden Gaststätte auszumachen ist. Vielleicht liegt es auch an den Gesprächsthemen. Ich weiß, daß sich nicht jede für spätmittelalterliche Wandmalereien des oberen Tibet oder den portugiesischen Feldhandball der 50er Jahre interessiert. Aber es sind doch wenigstens Ansatzpunkte, an denen sich mein vielschichtiger kultureller Hintergrund und meine weiten Interessensfelder ablesen lassen. Außerdem will ich ja auch nicht labern, sondern... Wenn ich Karneval aufs Männerklo gehe und den Kondomautomaten sehe, kriege ich Tränen in den Augen. Und die Typen, die davor stehen und "haste ma 'ne Mark für die Kiste" schnorren, könnte ich samt ihrer sexuellen Erregung durch den Münzschlitz trommeln. Es kann doch unmöglich sein, daß ich am Fastnachtsdonnerstag der einzige Mann zwischen Nowosibirsk und Dünkirchen bin, für den sich keine Frau interessiert. Sogar meine Mutter weigert sich mit mir auszugehen, obwohl ich als Kind ihr zu Liebe immer diese merkwürdigen Kleidchen angezogen habe. Doch das ist ein anderes Thema. Dieses Jahr muß es klappen. Und wenn ich zwischen Irish Pub und Willi's Bistro jede Kneipe unsrerer Stadt auf der Suche nach willigen Möhnen auf den Kopf stellen muß. Ich werde mein Cowboykostüm noch ein bisschen enger, muskelbetonter schnüren. Außerdem nehme ich für meinen Revolver vorsichtshalber 'mal eine Knallblättchenrolle mehr mit.