DÄMONENJÄGER
FRANK MACLACHLAN
Prospero
Die Dämonenwelt
Prolog Das Einzige, was sie hörte war neben ihrem eigenen ...
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DÄMONENJÄGER
FRANK MACLACHLAN
Prospero
Die Dämonenwelt
Prolog Das Einzige, was sie hörte war neben ihrem eigenen Atem das Rumpeln des Karrens, der von einem Pferd über die Straße gezogen wurde. Die höl zernen Gitter ermöglichten ihr nicht, sich aufrecht hinzustellen. Ihre Hände krallten sich um die Stäbe und die Kälte des anbrechenden Tages fuhr ihr in die Glieder. Elendes Bauernpack, dachte sie als ihr Blick auf die hassverzerrten Gesich ter fiel. Plötzlich platschte etwas neben ihre nackten Füße. Als wäre das faule Ei das Signal gewesen, prasselten jetzt Dreckklumpen und anderer Unrat in ihren Käfig. Sie wehrte sich nicht dagegen. Schließlich stoppte der Karren. Bis zum Scheiterhaufen waren es nur wenige Schritte. Ein Soldat der Stadtwache schwang sich zu ihr hinauf, schloss ihr Gefängnis auf, rümpfte hörbar seine Nase. Sie ließ sich wehrlos von ihm mitzerren. Der Weg zum Scheiterhaufen war kürzer als sie dachte. Ihr Blick glitt erneut über die derben Gesichter. Etliche erwiderten ihn, andere wichen ihm aus, blickten zu Boden. Sie verzog keine Miene, als der Priester auf sie zukam. ·Bleib fort von mir, kuttentragender Heuchler“, knurrte sie nur. Die Menge murmelte gefällig. Es schien, als würde ihr doch noch etwas geboten wer den. Der Priester mit seiner dünnen Stimme vermochte das Gemurmel
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kaum zu übertönen. ·Hexe. Selbst in der Stunde deines Todes willst du nicht bereuen?“ ·Bereuen?“, spuckte sie hervor. ·Soll ich bereuen, dass ich in meinen Nächten den empfing, der mehr Freude an mir hatte als je einer von euch?“ ·Gotteslästerin!“, rief jemand aus der Menge. ·Hexe!“ ·Führt sie ab“, sagte der Priester. ·Sie ist es nicht wert, die Absolution zu erhalten.“ Die Soldaten ergriffen sie und ketteten sie an den Baumstamm. Der Holzstapel reichte ihr bis zur Hüfte. ·Wenn ihr klug sein, dann lasst mich auf der Stelle gehen,“ zischte sie dem Henker entgegen, der in seiner Amtstracht mit einem flammenden Holz scheit auf den Scheiterhaufen zu kam. Das Feuer griff gierig nach den tro ckenen Stämmen, umzüngelte die dürren Reiser und binnen weniger Sekun den nahm es vom Scheiterhaufen Besitz. Noch waren die Flammen nicht hoch genug, um sie zu gefährden. Und es schien, als hätte sie keine Angst vor ihnen. Selbst jetzt drückte ihr Körper eine Gewissheit aus, die manche der Zuschauer eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließ. Rauch stieg auf, nahm der Menge teilweise die Sicht. Schließlich kamen die ersten Flammen in die Nähe ihrer Beine. Bisher hat te sie kein weiteres Wort gesagt, doch jetzt, als die Flammen bedrohlich nahe waren, öffnete sie den Mund und rief etwas in einer Sprache, die keiner der Umstehenden je zuvor gehört hatte. Kehlige, abgehackte Laute waren es. Wenige Sekunden später brach die Hölle über die Erde herein...
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Köln, 1634 Unter einem Himmel ohne Sterne zu stehen – das erzeugte in Mescanti immer noch Unbehagen. Obwohl er schon seit einiger Zeit innerhalb der Dunklen Sphäre ein und aus ging wurde ihm schwindlig, wenn er den Blick zum Himmel richtete. Ein Gefühl, das er längst überwunden zu haben glaubte. Dazu kam noch die Tatsache, dass die Sphäre nicht nur das Son nenlicht aussperrte, sondern auch alles andere, was man mit der Natur in Verbindung bringen konnte. Sogar die Luft, die andere Kreaturen der Nacht unbedingt brauchten, erzeugte die Sphäre selbst. Im Angesicht dieser Magie kam sich Mescanti klein und unbedeutend vor. Zielsicher steuerte Mescanti die Mitte des gigantischen Gebäudekomplexes an. Die Zeit drängte, die Rebellen sollten schon heute Abend versuchen, in
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die Sphäre einzudringen. Er hätte ihnen das mit der Aura vielleicht schon jetzt erzählen sollen, aber besser, er brachte das Ganze morgen kurz und knapp hinter sich. Bevor er sterben würde. Der flackernde Schein der Feuer enthüllte eine Geschäftigkeit, die Mescan ti Sorgen bereitete. Seit einiger Zeit schon schien der Fürst der Finsternis wild entschlossen zu sein, das, was man bei der Schlacht um den Dom ge funden hatte, endlich unter seine Kontrolle zu bekommen. Was das jedoch war, wusste niemand. Die Gerüchteküche brodelte. Wenigstens in dieser Hinsicht hatten Menschen und Dämonen etwas gemeinsam, dachte Mescan ti und stieg die breiten Treppen zum Fürsten-Palast empor. Die Wächter, grimmige Gargoyls mit scharfen Schwertern bewaffnet, lie ßen ihn anstandslos passieren. Zwar konnte niemand, der nicht die Aura besaß, in die Sphäre eindringen, aber der Fürst war misstrauisch. Zu Recht, wie Mescanti fand. Er hatte keinerlei Ambitionen, Fürst der Finsternis zu werden. Jedoch: Macht war verführerisch ... Auch im Inneren des Palastes, der eine Pracht und Herrlichkeit besaß, für die die Sterblichen teuer bezahlt hatten, wimmelte es vor Wachen. Mescanti runzelte die Stirn. Stadtwachen, Palastwachen, Söldner – ein Heer gut aus gebildeter Soldaten erfüllte die Räume des Palastes mit chaotischem Leben. Was in aller Welt...? ·Angelotti Mescanti?“ Der Vampir drehte sich auf der Stelle um. Eine Bewegung, die in dem Prachtkostüm und dem Seidenmantel nicht ganz einfach war, er vollbrachte es dennoch elegant und stilsicher. Vor ihm stand ein finster dreinblickender menschlicher Söldner in voller Montur. ·Was ist Euer Begehr, werter Herr?“, fragte der Vampir. ·Mitkommen“, brummte der Söldner und lotste den Vampir durch das Gewühl. Was in aller Welt soll das denn jetzt?, dachte Mescanti. Irgendetwas war im Gange, aber was? Er, der immer dachte, über alles informiert zu sein fragte sich jetzt, ob ihm vielleicht doch etwas ent gangen war. Etwas, das ihn betraf. Seinen Status. Schließlich, nach einigen Treppenfluchten und Korridoren öffnete der Söldner eine Tür, die in einen kleinen, intimen Raum führte. Mescanti schritt über die Schwelle. Der Söldner begleitete ihn nicht, schloss die Tür hinter ihm. Der Vampir trat nun tiefer in den Raum, sah den Kamin, be merkte die schlichte, aber elegante Ausstattung und erst als ihn die wohl bekannte Stimme des Fürsten ansprach kam ihm die Erkenntnis, dass er sich in den Privaträumen des Fürsten befand. Und das war besorgniserre gend. ·Nehmt Platz, Mescanti.“ Ohne eine sichtbare Regung ließ sich Mescanti in den Sessel am Kamin gleiten. Es dauerte eine Weile, ehe er die Umrisse des Fürsten ausmachte. Er
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hatte bisher durch ein Fenster auf den Innenhof geblickt und drehte sich jetzt zu Mescanti um. ·Ab und an bringen die Menschen bemerkenswerte Dinge zustande.“ ·Man sollte sie nicht unterschätzen, Herr“, gab Mescanti trocken zurück. ·In der Tat, in der Tat“, murmelte der Fürst und setzte sich dem Vampir gegenüber. Seine Augen schienen Mescanti zu durchbohren. ·Wie diese Rebellen zum Beispiel, die uns seit einiger Zeit in unseren Bemühungen empfindlich stören. Man könnte fast meinen, jemand aus unseren Reihen würde Informationen an sie weiterleiten.“ Worauf wollte der Fürst hinaus? Hatte er etwa... Mescanti tastete sich be hutsam vor. ·Wer würde es denn wagen, sich gegen Euch zu stellen, Herr?“ ·Vielleicht jemand, der nichts mehr zu verlieren hat?“ ·Und wer könnte das sein?“ ·Auf diese Frage habe ich noch keine Antwort gefunden. Deswegen seid Ihr hier.“ Der Vampir entspannte sich. ·Und wie kann ich Euch zu Diensten sein?“ ·Seid meine Augen und Ohren.“ Der Fürst erhob sich und trat wieder ans Fenster. ·Das Ziel ist in erreichbare Nähe gerückt, noch wenige Tage, dann wird der Schirm in Neu-Frankreich kein Hindernis für unsere Truppen sein.“ Deswegen also die Soldaten im Palast. ·Eine Störung können wir unter keinen Umständen mehr dulden. Deswegen sollt Ihr, Signore Mescan ti, der Ihr gute Kontakte zu den Menschen besitzt, nachforschen, was die Rebellen wollen, wer sie sind und wie sie gestoppt werden können.“
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New York, Detektei MacLachlan, Oktober 1998 ·Mr. Witherspoon, Sie sehen ja, momentan können wir Sie einfach nicht dazwischen schieben“, sagte Jack Claim. Er hatte den potentiellen Kunden bis ins Vorzimmer begleitet und wies jetzt auf Donna, die geschäftig auf der Tastatur herumklimperte und den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt hatte. ·Wir haben ja Ihre Email und melden uns dann.“ Witherspoon, ein bulliger Mann dem der elegante Anzug nicht recht zu passen schien, nickte verständnisvoll. ·Natürlich. Ich würde es nur zu schät zen wissen, wenn Sie mir so bald wie möglich einen Termin verschaffen könnten“, meinte er seelenruhig und verließ dann das Büro.
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Kaum hatte Mr Witherspoon die Tür hinter sich geschlossen, legte Donna den Hörer auf die Gabel und ließ die Computertastatur Computertastatur sein. Frank öffnete die Zwischentür und grinste. ·Gott sei Dank sind wir den Kerl los“, meinte Jack und zog einen Stuhl heran. ·Ein Poltergeist in einem Landhaus in New Jersey. Was Langweiligeres kann ich mir nun wirk lich nicht vorstellen.“ ·Na ja“, meinte Frank nachdenklich. ·In der letzten Zeit hatten wir Aufre gung genug.“ Er spielte damit auf die Ereignisse rund um die alte Oper in Paris an. Dort hatten sie Bekanntschaft mit dem Hexenmeister aus der Höl le, Julian Summers, gemacht und Jane Cardigan sterben sehen. Aber Jane war noch nicht verloren. Julian persönlich hatte eine Art Handel vorge schlagen – würden die Dämonenjäger drei Prüfungen bestehen, würde er dafür sorgen, dass Jane Cardigan wieder zu den Lebenden zurückkehrt. Die erste Prüfung, bei der ein Greif sowie eine alte Bekannte, Sara Dyke, eine Rolle gespielt hatten, lag schon etliche Wochen hinter ihnen. Nachdem Julian sie sehr abrupt wieder in die reale Welt entlassen hatte und ohne jeden weiteren Kommentar verschwunden war, hatten Frank, Donna und Jack achselzuckend den normalen Betrieb aufgenommen. Wenn die nächste Prü fung bevorstand würde sich Julian bestimmt melden, auf welche Weise auch immer. Soviel stand fest. ·Was allerdings auch nichts an der Tatsache än dert, dass ich erstens nirgendwo einen Eintrag über einen Witherspoon gefunden habe – weder im Telefonbuch, noch in irgendwelchen anderen Registern - und es zweitens kein Landhaus in New Jersey gibt, das auf den Namen Witherspoon eingetragen ist“, riss Donna Frank aus seinen Gedan ken. ·Und somit werden wir diesen Witherspoon bestimmt nicht kontaktieren und auch alle weiteren Anfragen seinerseits ignorieren“, sagte Jack. ·Je mand, der seinen wahren Namen verbirgt, hat sicherlich Dreck am Stecken – und Dreck kann sich selbst eine Detektei wie die unsrige kaum leisten. Habe ich Recht, Frank?“ Frank wollte eben zustimmen, als die Vorzimmertür aus den Angeln flog.
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Köln, 1634 Die Dämmerung brach herein, eine Zeit, in der man möglichst nicht mehr auf den Straßen der Stadt sein sollte. Außer, man hatte einen Schutzvertrag
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mit den Ingrams geschlossen. Oder man hoffte, schnell genug zu sein, um den Stadtwachen entkommen zu können. Für den ersten Fall brauchte man viele Dirqs, für den zweiten Fall junge Beine. Da Thorsten Grams als Bauer nicht viel verdiente, vertraute er auf seine Jugend. Und auf die Tatsache, dass er nicht der Einzige war, der in dieser Nacht durch die Stadt schlich. Instinktiv suchte sein Blick die Dunkle Sphäre, die das Stadtbild regierte seit er denken konnte. Das waren immerhin zwanzig Winter, die nächsten fünf würde er vielleicht noch überstehen. Aber nicht mehr. Das Leben unter der Knute der Dämonen war kurz und schmerzvoll. Ein Scharren erklang in seiner Nähe. Dann klangen Gesprächsfetzen zu ihm hinüber. Er hielt abrupt inne, handelte ohne nachzudenken. Sie waren zum Greifen nah. Vier Stadtwachen, zwei davon Ingrams, die sich offenbar über irgendetwas uneinig waren. Er hielt den Atem an. Sein Versteck war perfekt. Es war unwahrscheinlich, dass die Stadtwache auf die Idee kam, den leeren Weinfässern einen mehr als zufälligen Blick zu wid men. Und das hatten sie wohl auch nicht vor. Die Ingrams mit ihren Klauen und gefletschten Zähnen diskutierten lauthals miteinander. Die beiden menschlichen Stadtwachen waren schon einige Schritte voraus, drehten sich um, wussten anscheinend nicht so recht, was sie tun sollten. Einerseits waren die Ingrams ihre Kameraden, andererseits hieß ein Sprich wort: ·Mische dich nicht in die Angelegenheiten der Ingrams, du könntest mehr als nur deinen Kopf verlieren.“ Thorsten hoffte, dass sie bald weitergehen würden. Viel Zeit hatte er nicht mehr, um zum Treffpunkt zu kommen. Und wenn er zu spät kam – nein, daran mochte er nicht denken. Bisher hatte er nicht verstanden, was es hieß, wenn einem etwas unter den Nägeln brennt. Jetzt tat er es. Wenn sie jetzt noch länger hier bleiben, was sollte er dann tun? Schließlich, nach einer kleinen Ewigkeit, setzten sich die Ingrams in Bewe gung. Zwar schien der Streit nicht geschlichtet, sie fletschten immer noch ihre Zähne, aber immerhin trabten sie jetzt ihren menschlichen Kollegen hinterher. Die schienen enorm erleichtert zu sein. Thorsten kam erst aus seinem Versteck hervor, als er sicher war, dass die Stadtwachen schon etliche Ellen entfernt waren. Jetzt hatte er keine Zeit mehr zu verlieren, er musste die Beine in die Hand nehmen und den Treff punkt erreichen. Der Mond war über der Dunklen Sphäre aufgegangen, sein Licht versank in ihrer Finsternis. Hoffentlich hält mich jetzt nichts mehr auf, dachte Thorsten und jagte die Gassen entlang, immer auf der Hut und immer bereit, hinter dem nächst möglichen Versteck in Deckung zu gehen. Schließlich, in Sichtweite der ehemaligen Kirche St. Maria am Capitol, glitt Thorsten in den Eingang eines
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Bürgerhauses und klopfte dreimal in unregelmäßigem Rhythmus an die Holztür. Es dauerte einen Augenblick, dann wurde diese geöffnet. ·Na endlich, was hat dich so lange aufgehalten?“ ·Wäre ein ‡Schön, dass du da bist‘ zuviel verlangt?“, gab er bissig zurück und setzte sich auf einen Schemel. Das Feuer im Kamin reichte gerade aus, die Wohnstube einigermaßen zu erhellen, aber Thorsten wusste auch so, wer sich da im Haus des Händlers van Euwen versammelt hatte. Mit dem Rücken zum Kamin saß, wie immer sehr gelangweilt wirkend, Gottfried Wagner. Direkt neben ihm auf den Boden hatte Asmus seinen Platz gefun den, den Nachnamen hatte Thorsten nie erfahren. Die bissige Bemerkung war aus dem Mund der zwei Jahre jüngeren Kathrein gekommen. Und wie immer saß jemand von van Euwens Gesinde in einer Ecke, Mund und Ohr des Händlers. Niemand hatte van Euwen je von Angesicht zu Angesicht gesehen. Keiner wusste, wie viele Gleichgesinnte es in der Stadt oder im Land oder über haupt gab, Menschen, die sich nicht länger von den Geschöpfen der Hölle knechten lassen wollten. Menschen, die wieder frei über ihre Schicksal ver fügen wollten. Thorsten wollte es auch nicht wissen – wenn die Ingrams einen erwischten war es besser, so wenig wie möglich zu wissen. Er hatte schon oft gemutmaßt, dass der Händler Kontakte bis ins Welschland oder ins Frankenreich hatte. Beweise dafür gab es nicht und die Reisen, die der Händler unternommen hatte, hatte er vor kurzem erst vollständig eingestellt. Jedenfalls offiziell. ·Wenn du einmal pünktlich sein würdest...“, fuhr Kathrein fort, ließ das Thema dann aber wieder fallen. ·Warum sind wir eigentlich schon wieder hier?“, murrte Asmus. ·Was kann schon in zwei Tagen so wichtiges vorgefallen sein, dass van Euwen uns wieder ruft?“ Der Mann, der an diesem Abend den Händler vertrat, stand auf und trat mitten unter die Jugendlichen. ·Ich denke, das werde ich gleich beantworten können. Thorsten, du hast etwas für mich?“ Thorsten nickte, kramte hastig die Botschaft aus seiner Hosentasche her vor und gab sie dem Mann. Der besah sich das unbeschädigte Siegel, nickte dann und legte die Botschaft auf den Eichentisch. Irgendwann würde Thorsten eine Antwort bekommen. Welche Nachricht er befördert hatte, wusste der Bote nicht. Nur, dass es diesmal wirklich wichtig gewesen war. Wichtiger als sonst, dachte Thorsten, oder warum hatte ihm sonst Michael eingeschärft, sich auf gar keinen Fall erwischen zu lassen? Das tat er sonst nie.
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·Es gibt Nachrichten von jenseits der Grenze“, fuhr der Mann fort und beachtete nicht die aufgeregten Gesichter und das Tuscheln, das auf einmal einsetzte. ·Gott, meine Freunde, hat die Menschen nicht verlassen. Er, der seinen eigenen Sohn gab, sollte der sich verleugnen lassen? Nein. Gott ver weigert seine helfende Hand nicht, auch wenn die Menschheit für ihre Sün den und ihre Gräuel bestraft wurde. Die Zeit der Prüfung scheint vorbei zu sein – es sind Engel gesehen worden, wie zur Zeit Seiner Geburt.“ Thorsten blickte in Kathreins Gesicht, sah Freude, Zweifel und zugleich Hoffnung darin. Vermutlich sah er jetzt genau so drein. Es war Gottfried, der sie auf den Boden der Tatsachen zurückbrachte. ·Und, was soll uns das bringen?“ ·Wie kannst du nur so – gefühllos sein. Das bedeutet doch, dass wir in un serem Kampf nicht alleine sind“, fuhr Kathrein auf. Und dann etwas ruhi ger, fragte sie: ·Stimmen die Berichte?“ ·Mir liegen handschriftliche Zeugnisse vor“, sagte der Mann, der van Eu wens Mund und Ohr war. ·Und nicht nur ich, auch andere haben unabhän gig von mir Zeugnisse von den Engeln erhalten – teilweise lange bevor ich selber von ihnen wusste.“ ·Dann gibt es Krieg?“, fragte Thorsten. Der Mann schüttelte den Kopf. ·Das weiß ich nicht. Bisher existieren nur vereinzelte Engelsichtungen, und die Engel scheinen sich auch nur immer kurz auf der Erde aufgehalten zu haben. Mag sein, dass Gott in seiner Weis heit beschlossen hat, erst die Herzen der Menschen zu erkunden, mag sein, dass in den oberen Sphären die Vorbereitungen für den letzten Krieg getrof fen werden, ich weiß es nicht. Aber eines weiß ich: Wir müssen den Boden für die Engel vorbereiten.“ ·Die Dunkle Sphäre“, murmelte Thorsten. Alle starrten ihn an. Er zuckte mit den Schultern. ·Seien wir doch ehrlich, seit unserer Geburt existiert die Dunkle Sphäre dort, wo vor Jahren der Dom stand. Und wir wissen nicht, wozu sie da ist, noch, was in ihrem Innern geschieht.“ ·Und du meinst“, sagte Gottfried scharf, ·dass wir das jetzt mal eben so herausfinden sollten?“ Er sprang auf. ·Ich weiß ja nicht, was in euch gefah ren ist, aber das ist reiner Wahnsinn. Selbst das Sonnenlicht vermag die Sphäre nicht zu durchdringen, wie sollen wir denn dort hineinkommen?“ ·Mit Hilfe eines Verbündeten“, sagte van Euwens Stellvertreter knapp und öffnete eine Tür, die weiter ins Haus führte. Die Köpfe der Rebellen fuhren herum, mit offenen Mündern starrten sie das Wesen an, das dort lässig an den Türrahmen gelehnt stand. ·Oh mein Gott“, hauchte Kathrein.
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New York, Oktober 1998 ·Was zum...“ Weiter kam Jack nicht. Eine Gruppe Männer in schwarzen Kampfanzügen, die Gesichter von Masken bedeckt, stürmte in den Raum. ·FBI! Keiner rührt sich.“ Tatsächlich war auf den Rückseiten der Anzüge der breite, gelbe Schriftzug des FBI zu sehen. ·Wer sind sie?“, fragte Jack scharf, bekam aber keine Antwort. ·Los, an die Wand!“, bellte jemand. Innerhalb weniger Sekunden fand sich das Team mit gespreizten Beinen an der weißen Bürowand wieder. ·Natürlich, der Boss muss in der Mitte sein“, murmelte Frank. Aus den Augenwinkeln konnte er rechts von sich Donna erkennen, links wurde Jack von einem Agenten nach Waffen durchsucht. ·Hey, Mr FBI, ich will ihren Namen, ihren Rang und ihre Dienstnummer wissen“, forderte Frank. ·Schnauze halten.“ ·Na schön, na schön – aber Sie wissen, dass Sie verpflichtet sind, diese In formationen auf Verlangen mitzuteilen?“ Statt einer Antwort erhielt Frank einen leichten Schlag in den Rücken. Jetzt wurde auch Frank durchsucht, dann war Donna an die Reihe. ·Die sind sauber, Boss“, sagte eine Stimme. ·Glaubst du wirklich, dass das FBI-Agenten sind?“, fragte Jack flüsternd. In derselben Lautstärke gab Frank zurück: ·Kein Name, kein Rang, keine Dienstnummer – nach dem Ausweis frag ich erst lieber gar nicht. Und sieh dir mal die Waffen an.“ Jack wagte einen verstohlenen Blick. ·Scheiße. Seit wann trägt das FBI Maschinenpistolen?“ ·Reizende Gesellen“, murmelte Donna. ·Falls ich das hier überlebe erin nern Sie mich bitte daran, dass ich einen Selbstverteidigungskurs absolviere. Tragen Sie eigentlich keine Waffe, Mr. MacLachlan?“ ·Liegt in der Schublade in meinem Schreibtisch. Jack?“ ·Hätte ich geahnt, dass ich sie brauchen würde, hätte ich sie umgeschnallt. Sorry, Partner.“ Einige Minuten lang hörte man nichts weiter, als die Schritte schwerer Stie fel. Offenbar sahen die Männer nach, ob noch jemand in den Büroräumen war. Dann unterdrückte Donna einen Fluch, als quietschend die Schubladen
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ihres Schreibtisches geöffnet wurden und Papier achtlos auf den Boden geworfen wurde. Was in aller Welt suchen die?, fragte sich Frank. Eine Frage, auf die der ehemalige UPO-Agent nie eine Antwort erhalten würde. Urplötzlich erhellte ein grelles, grünes Licht den Raum. Geblendet schloss Frank die Augen, hörte noch, wie die Agenten Verwünschungen und Schreie ausstießen und dann, von einem Moment auf den anderen - Stille.
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Köln, 1634 Der Mann, der elegant gegen den Türrahmen lehnte, besaß langes, weißes Haar, klauenartige Fingernägel sowie blutrote Augen ohne Pupillen. Sein Kopf war ein lebendiger Totenschädel, pergamentartige, blasse Haut spann te sich über die Knochen. Als er jetzt lächelte, blitzen weiße Eckzähne auf. ·Ein Vampir“, flüsterte Asmus. Das Lächeln des Mannes wurde breiter. Als er näher an den Kamin trat, konnte Thorsten die Kleidung sehen, die der Vampir trug. Sie war elegant und gepflegt. Die lange, braune Lederhose steckte in derben Reitstiefeln. Er trug ein prachtvolles, weißes Hemd, be stickt mit fremdartigen Mustern, darüber eine grüne Weste. Auf einmal wurde sich Thorsten seines zerrissenen, dreckigen Hemdes bewusst und der groben Wollhose, die er trug. ·Ein illustrer Kreis“, meinte der Vampir. ·Blutsauger“, zischte Kathrein. Der Vampir hob spöttisch die Augenbrau en, setzte zu einer Antwort an, sagte aber nichts. ·Aber meine Freunde, wir werden uns doch nicht streiten“, meinte das Auge und das Ohr van Euwens. ·Wir brauchen Herrn Mescanti. Und er braucht uns.“ ·Warum sollte uns ein Vampir brauchen?“, fragte Gottfried. Skepsis lag in seinem Blick. ·Ich bin nicht willens, meine Gründe zu diesem Zeitpunkt preiszugeben,“ gab Mescanti selbstbewusst mit einer Spur Arroganz zurück. ·Sagen wir, ich habe einige Rechnungen zu begleichen.“ ·Und wer sagt uns, dass der da vertrauenswürdig ist?“, fragte Kathrein. ·Vertraut ihr dem Wort van Euwens nicht?“, stellte der Mann die Gegen frage und fiel damit erstmals aus seiner Rolle. Wenige Sekunden später hatte er sich wieder in der Gewalt. ·Ich hätte Herrn Mescanti nicht ausgesucht,
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wenn er sich nicht zuvor bei unzähligen Gelegenheiten bewährt hätte. Ohne ihn ist das Eindringen in die Dunkle Sphäre unmöglich.“ Thorsten ließ den Blick über die Gesichter der anderen schweifen. Gott fried hatte wieder seine übliche Miene aufgesetzt, Asmus starrte den Vampir immer noch ungläubig an und in Kathreins Augen lagen Wut und Angst dicht nebeneinander. ·Sieht so aus, als würdet ihr mich brauchen“, meinte der Vampir und setzte sich auf einen Stuhl. Kathrein rückte sofort von ihm ab. ·Keine Angst, ich beiße nicht“, spöttelte Mescanti. ·Noch nicht“, gab Kathrein zurück. ·Ich habe erst vor wenigen Stunden gegessen.“ ·Und ich kann mir lebhaft vorstellen, was.“ Die Feindseligkeit zwischen den beiden war beinahe greifbar. Thorsten fragte sich, woran das lag. Sicher, Vampire ernährten sich von Blut, aber im Gegensatz zu den Ingrams ließen sie ihre Opfer nicht unnötig leiden. Nun ja, auch hier mochte es Ausnahmen geben. Und Kathrein hatte ihm bisher nicht verraten, welche Gründe sie dazu bewogen, bei der Gruppe mitzumachen. ·Wir wissen nicht“, fuhr der Stellvertreter van Euwens fort, ·wozu die Dunkle Sphäre dient, warum sie gerade am ehemaligen Standort des Doms auftauchte, kurz nach der verlorenen Schlacht. Die Hölle bereitet dort etwas vor und es hat mit den Engeln zu tun, denn parallel zu den Berichten über die Sichtungen sind dort verstärkt Ingrams und andere Wesen gesehen wor den. Herr Mescanti?“ ·Signore Mescanti“ korrigierte der Vampir. ·So viel Zeit muss sein. Auch ich habe in letzter Zeit die Dinge bemerkt, die rund um die Sphäre vor sich gehen. Leider bin ich nicht so ranghoch, wie es sich einige von euch denken. Deswegen muss ich zugeben, dass mir die Geheimnisse der Sphäre nicht offenbart worden sind – aber ich habe den unschätzbaren Vorteil, Leute zu kennen, die uns unbehindert in die Sphäre schleusen können.“ ·Ich verstehe immer noch nicht, was Sie dazu bewegen sollte, uns zu hel fen“, gab Asmus zu bedenken. ·Niemand tut was umsonst. Am allerwenigs ten Dämonen.“ Mescanti lächelte. ·Ich habe schon einmal höflicherweise erwähnt, dass meine Gründe nur mich etwas angehen. Van Euwen ist ein Mann, mit dem ich bisher nur beste Erfahrungen gemacht habe.“ ·Ich bedanke mich für das Lob, Signore. Doch je eher wir erfahren, was in der Sphäre passiert, desto eher werden wir die himmlischen Heerscharen unterstützen können.“ ·Gut“, sagte Mescanti und stand auf. ·Ich denke, wir werden uns bestens verstehen. Nicht wahr, Rebellen?“ Die Antwort auf seine Frage blieben ihm die Vier schuldig.
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Irgendwo, irgendwann ·Ich befürchte, wir sind nicht mehr in Kansas, Toto”, murmelte Frank, als die bohrenden Kopfschmerzen allmählich abklangen und sich sein Sichtfeld verbesserte. ·Sagte ich es nicht, Frank MacLachlan wird bald wieder unter den Leben den weilen“, sagte eine bekannte Stimme und half ihm auf die Beine. ·Julian. Wer auch sonst. Wo sind die anderen?“ ·Falls du Donna und Jack meinst, die bewundern gerade die Landschaft. Übrigens – willkommen in meinem trauten Heim“, sagte der Hexenmeister. Frank tat zögernd ein paar Schritte, zuerst noch etwas wankend, fing sich jedoch rasch. Überrascht registrierte Frank, dass Julian vom förmlichen ·Sie“ bei ihrem letzten Aufeinandertreffen nun zum ·Du“ gewechselt war. Was Julian als Heim bezeichnete, war eine gewaltige Höhle. Ein breiter Streifen Sonnenlicht, der vom Eingang hereinfiel, riss einige Einzelheiten aus der Dunkelheit. Der Boden war künstlich geglättet worden, Frank ver meinte, Spuren von magischen Kreidekreisen auf ihm zu sehen. Die Wände waren unbearbeitet, eine Ansammlung von grauem Stein, durchsetzt von Vorsprüngen, Ecken und Kanten. Ab und an rannen kleine Wasserströme von ihnen hinab, versickerten im Boden oder flossen durch kleine Rillen im Boden gelenkt zum Eingang. Wie hoch die Höhle war oder wie weit sie sich in die Dunkelheit hinter ihm erstreckte, dass konnte Frank unmöglich sagen. ·Komm jetzt, die Anderen warten auf dich, Frank.“ Während beide zum Ausgang gingen fragte Frank: ·Irre ich mich oder ha ben Sie... hast du in Faible für Höhlen?“ Julian lächelte. ·Wenn du denkst, die Höhle, die du während der ersten Prüfung gesehen hast sei mein Zuhause, dann hast du dich geirrt. Das war nur eine Art...Wochenendhaus.“ Frank wollte eine bissige Bemerkung loswerden, aber da waren sie schon am Ausgang der Höhle und die Aussicht verschlug ihm die Sprache. Es war wirklich ein atemberaubender Blick, der sich ihm bot. Rechts und links waren die Dämonenjäger von steilen Felswänden umschlossen, schrof fe Klippen erschwerten es eventuellen Gegnern, den Berg zu erstürmen. Vor ihnen wichen die Felsen zurück und gaben den Blick auf ein Tal frei.
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Ein befestigter Weg begann am Plateau und endete an einem See. ·Wunder schön“, murmelte Donna, in den Anblick vertieft. ·Ja, das ist es in der Tat. Leider ist die Idylle getrübt.“ ·Und wir sollen sie wiederherstellen, richtig?“, fragte Jack. ·Vielleicht darf ich daran erinnern, dass Jane Cardigan erst wieder unter den Lebenden weilen wird, wenn ihr meine Prüfungen bestanden habt?“ Mistkerl, dachte Frank. Als ob wir das vergessen hätten... ·Okay“, sagte er betont forsch, ·was sollen wir also tun?“ Julian trat an den Rand des Plateaus und bedeutete den Dämonenjägern, ihm zu folgen. ·Den See dort habt ihr sicher schon bemerkt. Er ist sehr fischreich und sein Wasser versorgt ein kleines Dorf, das dort hinter den Wäldern liegt. Die Bewohner stehen unter meinem Schutz. Doch seit einiger Zeit lebt ein Geschöpf in ihm, dass nicht in diese Welt gehört.“ ·In diese Welt?“, hakte Frank nach, aber Julian überging ihn. ·Das Geschöpf stammt aus dem Arsenal eines Wesens, mit dem ihr schon Bekanntschaft gemacht habt – Skylla.“ Bei der Erwähnung von Skylla fuhr Franks Hand automatisch zu Zorks Dolch, der ihm damals in Skyllas Arena das Leben gerettet hatte, fand ihn jedoch nicht. Diesmal auf dem Lake Cor rib, ein anderes Mal auf einem anderen See eurer oder anderer Welten, wa ren ihre Worte gewesen. Jetzt ergaben sie einen Sinn. Julian fuhr fort: ·Viele Dorfbewohner sind ihm schon zum Opfer gefallen. Es muss aufhören. Deswegen seid ihr hier.“ ·Warum beseitigst du das Geschöpf denn nicht selbst?“, wandte Jack ein. ·Ich kann es nicht.“ ·Du kannst es nicht? Tut mir Leid, das nehme ich dir nicht ab.“ ·Schweig, Jack!“, donnerte Julians Stimme. Frank stieß Jack verstohlen in die Seite. ·Hör auf damit“, flüsterte er. ·Wir können es uns nicht leisten, ihn zu verärgern. Denk an Jane.“ ·Verdammt, du hast Recht“, presste Jack mit zusammengebissenen Zäh nen hervor. ·Aber erinnere mich daran, dass ich dem Hexenmeister eine Abreibung verpasse, wenn wir sie wiederhaben.“ ·Eure Prüfung besteht darin, das Geschöpf im See zu vernichten. Seht euch vor. Die erste Aufgabe war dagegen fast ein Kinderspiel.“ Mit diesen Worten warf ihnen Julian ihre Waffen zu – jeder bekam seine Pistole, Frank zusätzlich Zorks Dolch, der in einer kunstvoll verzierten Scheide steckte. ·Und ihr müsst alle gehen – auch du, Donna.“ Die Sekretärin nickte und Schloss sich den beiden Männern an. Das Trio hatte schon fast das Plateau verlassen, als Julian ihnen hinterher rief: ·Im übrigen habe ich euch einen großen Gefallen getan.“
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·Als ob wir das nicht wüssten“, knurrte Jack, aber das konnte Julian nicht mehr hören.
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New York, Oktober 1998 “Verdammt, wo sind sie hin?“ ·Vor einer Sekunde waren sie doch noch da...“ ·Ruhe!“ Der Mann, der sich den Dämonenjägern als Mr Witherspoon vor gestellt hatte, sorgte für Ordnung im Chaos. ·Sichert die Gegend ab. Sorgt dafür, dass es keine Zeugen gibt. Vernichtet sämtliche Daten, sowohl die Papierakten, als auch die auf den Festplatten. Und wenn ich sage, alle Daten, dann meine ich alle Daten. Was den Rest von euch angeht – ihr wisst, was ihr zu tun habt.“ Die Männer nickten und taten, was Mr Witherspoon ange ordnet hatte. Dieser verließ das Büro der Dämonenjäger. Als er die Treppe hinunterging, kamen ihn drei Männer mit einem Benzinkanister entgegen. Er nickte ihnen kurz zu. Kurze Zeit später bestieg er eine Limousine. ·Zum UPO-Hauptquartier“, befahl er dem Chauffeur. Dann holte er aus der Seitentasche seines Anzuges ein Handy, tippte eine längere Zahlenfolge ein und wartete, bis jemand ab nahm. ·Leider hat jemand unseren Plan vermasselt. Nein, ich weiß nicht, wer es war. Aber ich habe eine Vermutung. Die weitere Vorgehensweise klären wir dann persönlich. Und machen sie sich um die Männer keine Sor gen...“
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Köln, 1634 ·Ich freue mich, Euch wiederzusehen, Signore Mescanti.“ ·Das Vergnügen liegt ganz auf meiner Seite, geehrter van Euwen. Eure Taschenspielertricks zaubern immer noch ein Lächeln auf meine Lippen.“ ·Nehmt Platz.“ Mescanti sah sich suchend im Zimmer um, entdeckte dann einen bequemen Sessel und ließ sich in ihn hineingleiten. Der Raum strahlte eine Atmosphäre von gepflegtem Reichtum aus. Weiche Teppiche lagen auf dem Parkettboden, Gardinen aus schweren Stoffen hingen vor den Fens
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tern. Ein großes Wandgemälde beherrschte den Raum, eine Darstellung der Schlacht um den Dom. Mescanti konnte ein leichtes Unbehagen wegen der doch recht deutlich dargestellten Kruzifixe nicht unterdrücken. Den Blick an die Decke, direkt über ihm befand sich eine Darstellung der Kreuzi gungsszene, unterließ er lieber ganz. Sicher war sicher. Unterdessen war van Euwen zu einem kleinen Kabinett getreten und hatte zwei Gläser sowie eine Karaffe Rotwein hervorgeholt. Hätte Mescanti den Kaufmann beschreiben sollen, es wäre das Bild eines jovial wirkenden, zu rückhaltenden und sehr eleganten Herrn entstanden, der seine besten Jahre ein klein wenig überschritten hatte. Van Euwen trug nur einen schlichten Hausrock, dazu passend weiche Lederschuhe. ·Es mögen Taschenspieler tricks sein, Signore, aber unterschätzt nicht ihre Wirkung“, sagte van Euwen während er den Wein einschenkte. ·Ein Rotwein aus der neuen Welt, ange baut in Neu-Frankreich.“ ·Neu-Frankreich“, wiederholte Mescanti gedehnt. ·Ich dachte, die Kolo nien stünden unter dem Schirm des Papstes?“ ·Es gibt Mittel und Wege, diesen zu unterlaufen.“ ·Es wundert mich nicht im Geringsten, dass Ihr diese kennt“, meinte Mes canti, hielt das Weinglas gegen das Licht des Kronleuchters, führte es dann an seine Nase und nahm einen kleinen Schluck. ·Ihr hättet einen steilen Aufstieg in den Reihen der Dunkelheit machen können, van Euwen.“ Ein bitterer Ausdruck legte sich auf das fleischige Gesicht des Kaufmanns. ·Steil wäre er gewesen, ja. Aber ebenso rasch zu Ende.“ ·Vielleicht, vielleicht auch nicht. Jedenfalls verdankt ihr den Freiraum, den ihr habt, nur der Tatsache, dass mein Fürst immer noch hofft, euch für die – sagen wir – gerechte Sache gewinnen zu können. Eine unbegründete Hoff nung, gewiss, aber mein Fürst ist jemand, der Herausforderungen liebt.“ ·Wenn ich es nicht besser wüsste...“ Der Kaufmann stand auf und trat an das Fenster. ·Ich habe Euch nie nach den Gründen gefragt, und ich werde es auch jetzt nicht tun, aber manchmal frage ich mich wirklich, was hinter Eurer Hilfe steckt.“ ·Ihr seid ein kluger Mann“, meinte der Vampir und lächelte. ·Warum fragt Ihr nicht endlich, was Euch auf dem Herzen liegt? Ob ich mit den Kindern in die Dunkle Sphäre eindringen kann? Ob es mir gelingt, das Geheimnis zu ergründen?“ ·Und, werdet Ihr es?“ ·Manche Fragen sollten besser nicht beantwortet werden, findet Ihr nicht, Herr van Euwen?“ Der Kaufmann drehte sich um und sah in das uner gründliche Gesicht des Signore. In dessen Augen funkelte es ironisch, wäh rend er an seinem Weinglas nippte.
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Irgendwann, irgendwo ·Für diese Gewalttour habe ich einfach die falschen Schuhe an“, seufzte Donna, blieb stehen und massierte ihre Knöchel. ·Überhaupt, warum wollte Julian, dass ich mit euch gehe? Ich bin nur eine einfache Sekretärin.“ Frank, der ebenfalls stehen geblieben war, lächelte Donna aufmunternd zu. ·Keine Sorge, wir kümmern ums schon um das Geschöpf, das im See lebt. Sie bleiben in sichtbarer Entfernung am Ufer und genießen die schöne Ge gend. Und jetzt sollten wir uns beeilen, sonst holen wir Jack nie mehr ein.“ Donna grinste. ·Danke, Frank.“ Jack war einfach weitergegangen, er hatte nicht bemerkt, dass Donna und Frank hinter ihm zurückblieben waren. Zu sehr war er in seine Gedanken versunken. Gedanken, die sich mit der Frage beschäftigten, warum in einer solch idyllischen Landschaft ein Geschöpf von Skylla sein Unwesen trieb. Ein warmer Wind fuhr über sein Gesicht. Schmetterlinge und Bienen flogen über die Wiesen, die beiderseits des Pfades lagen. Zusammen mit dem fremden Blumenduft war dies ein Ort perfekter Harmonie. Kaum vorstell bar, dass der Hexenmeister hier sein Zuhause gefunden hatte. Und doch - in all dieser Harmonie befand sich ein störendes Element, das Wesen, das Skylla hierher geschickt hatte um Julian herauszufordern. Jack seufzte. Er musste sich eingestehen, dass er den Hexenmeister ein klein wenig um die sen Ort beneidete. Erinnerungen wurden in ihm wach, Erinnerungen an seine Kindheit in Boston. Viele Nachmittage hatte er im Garten der Villa verbracht, stets unter den aufmerksamen Augen von Jasper, dem Butler. Natürlich waren auch seine Eltern ab und an da gewesen, er erinnerte sich an einige Nach mittage mit ihnen, aber dennoch - wenn er an diese Zeit zurückdachte, kam ihm zuerst Jasper in den Sinn. Er seufzte erneut. Schon damals hatte er geahnt, dass die Beziehung zwischen ihm und seinem Vater alles andere als normal verlaufen würde. Und er hatte Recht behalten. Irgendwann hatte Jack der Reichtum einge engt, er hatte die Villa fluchtartig verlassen. Seiner Mutter mochte er damit das Herz gebrochen haben, aber er musste einfach raus. Sein eigenes Leben beginnen. Ohne Diener, ohne den bequemen Halt, den das Geld einem gab. Und es war wirklich alles andere als bequem geworden, dieses Leben. Meh
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rere Militär- und Spezialeinheiten hatten ihn rund um den Globus geführt, Angebote von verschiedenen Geheimdiensten waren an ihn herangetragen worden. Die UPO war schneller gewesen. Das ideale Leben, vielleicht. Doch auch die UPO war nur vorübergehend gewesen. Ein wenig bedauerte er seine Kündigung immer noch. Vielleicht war das der Grund, warum er sich so bereitwillig Frank und dem Rest des Teams angeschlossen hatte. ·Einen Penny für deine Gedanken.“ Jack, durch Franks Worte unsanft aus einen Erinnerungen gerissen, wäre beinahe ins Straucheln geraten. ·Für die Gedanken könnte ich weitaus mehr verlangen.“ ·Wir sind da, na endlich.“ Donna klang erleichtert, sie ließ sich auch prompt auf der Wiese nieder und streifte ihre Schuhe von den Füßen. ·Wenn ich nicht wüsste, dass da ein Wassergeist drin lebt, würde ich glatt meine Zehen eintauchen“, meinte sie. Frank und Jack traten näher ans Ufer und betrachteten die ruhige Oberfläche. ·Okay“, sagte Frank. ·Hat jemand eine Idee, wie wir das Wesen hervorlo cken können?“ ·Hmm, normalerweise wäre das eine Aufgabe für Donna. Kreaturen aus dunklen Lagunen bevorzugen doch immer recht junge Frauen“, feixte Jack. ·Nein, wir halten Donna da raus“, meinte Frank bestimmt. ·Sie ist eine hervorragende Sekretärin, wir sollten da kein Risiko eingehen“, ging Frank drauf ein.
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Köln, 1634 Träge schwappten die Rheinwellen gegen das Ufer, führten Treibgut mit sich. Fäkaliengestank lag in der Luft, ab und an glitzerte das Licht des Mon des auf toten Fischkörpern. Das Wasser hatte das Grün der Wiesen ausge waschen und durch ein bleiches Gelb ersetzt. Kathrein hatte sich von Thorsten schon vor einer Weile getrennt, ihr Zu hause lag auf der anderen Rheinseite – auf welchen Wegen sie von dort drüben nach hier gelangte, darüber schwieg sie sich aus. Vielleicht lag ir gendwo ein Boot am schlammigen Ufer, vielleicht ließ sich ein Fährmann für seine nächtlichen Extrafahrten gut bezahlen – möglich war in diesen Zeiten alles.
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Thorsten schlüpfte durch ein Loch in der Stadtmauer. Sein Ziel befand sich etwas weiter flussabwärts. Schon seit einiger Zeit hatte er das Gefühl, dass unsichtbare Augen jeden seiner Schritte beobachteten. Ab und an blieb er stehen und lauschte. Obwohl er niemanden hinter sich hörte, wusste er instinktiv, dass ihm jemand folgte. Unschlüssig, was nun zu tun sei, wand er sich dem Ufer des Rheins zu. Das Gras reichte ihm bis an seine Knie und er tat, als hätte er etwas für ihn ungeheuer Wichtiges verloren, bückte sich – und wirbelte herum, als er eine Bewegung hinter sich spürte. Sein gezielter Handkantenschlag ging jedoch ins Leere. Das Mondlicht umspielte die Gestalt Mescantis, dessen schwarzer Mantel durch eine Windböe aufgebauscht wurde. Ein Lächeln lag auf seinem aris tokratischem Gesicht und spöttisch deutete er eine Verbeugung an. ·Warum folgt ihr mir?“, wollte Thorsten wissen. ·Wir haben annähernd den gleichen Weg, ich dachte, ein wenig Begleitung in diesen Zeiten würde nicht schaden.“ ·Ich brauche keine Begleitung, Blutsauger“, gab Thorsten kalt zurück, be schleunigte seine Schritte, konnte den Vampir jedoch nicht abschütteln. ·Blutsauger – ein sehr unschönes Wort.“ ·Vermutlich hat eure Brut noch nettere Wörter für uns“, knurrte Thorsten. ·Mag sein, mag sein. Wir wären allerdings nicht hier, wenn ihr uns nicht... gerufen hättet.“ ·Für euch war das offene Tor doch eine willkommene Gelegenheit“, sagte Thorsten. ·Jedes Mittel wäre euch Recht gewesen.“ ·Das streite ich natürlich nicht ab. Dennoch, nicht jeder wird als der gebo ren, als der er später erscheint.“ ·Ihr seid nicht geboren worden.“ Mescanti verringerte den Abstand etwas, war jetzt gleichauf mit dem jun gen Rebellen. Sein Blick strich nachdenklich über die dunklen Rheinfluten. ·In gewisser Hinsicht habe auch ich einen Vater.“ ·Wie rührend“, spottete Thorsten. ·Ich breche gleich in Tränen aus.“ Mescanti winkte ab. ·Denkt, was ihr wollt, aber nicht alle Vampire sind böse, ebenso wenig wie alle Menschen gut sind.“ ·Plattitüden, nichts als Plattitüden. Ihr badet im Leid, ihr kostet die Schmerzen der Menschen bis ins Letzte aus.“ Thorsten ballte seine Faust. ·Erzählt mir nichts von Gefühlen, Blutsauger, denn ihr habt keine.“ Noch bevor der Vampir etwas erwidern konnte, war Thorsten im hohen Gras verschwunden. Leicht hätte Mescanti ihm folgen können, doch verzichtete er darauf. Morgen würde alles ein Ende haben. So oder so.
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Irgendwann, irgendwo Donnas Reaktion war bemerkenswert, fand Frank. Jack und er waren, nachdem sie die Sache noch einmal kurz durch gesprochen hatten, zu dem Entschluss gekommen, Donna um ihre Mithilfe zu bitten. Hatte sie vor kurzem noch geäußert, dass sie auf keinen Fall in irgendwelche Aktionen miteinbezogen werden wollte, verzog sie bei Jacks Bitte keine Miene. Ver mutlich sah sie ein, dass die außergewöhnliche Situation ein außergewöhnli ches Vorgehen mit sich brachte. ·Dreht euch um“, bat sie nur und begann sich auszuziehen, nachdem die Beiden dem Befehl Folge geleistet hatten. Ein leises Plätschern verriet ihnen, dass sich Donna jetzt im Wasser be fand. Kommentarlos hielt Frank Jack seine Pistole entgegen und begann ebenfalls, sich auszuziehen. Sie waren überein gekommen, dass Frank sich in Donnas Nähe aufhalten sollte, nicht zuletzt, weil er im Besitz von Zorks Dolch war. Viel wussten sie bisher nicht über diese Waffe, in deren Besitz Frank im Lake Corrib gekommen war. Damals, als er in Skyllas Arena gegen Zork kämpfte. Sie wussten nur, dass sie ein zuverlässiges Werkzeug im Kampf gegen die Dämonen war. Das genügte ihnen vorerst voll und ganz. Als die Wellen Franks Füße umspülten, zuckte er im ersten Moment zu rück: Das Wasser war eiskalt. Wie gelang es nur Donna, im Schmetterlings stil die Wasseroberfläche zu durchpflügen? Vorsichtig watete er in die tiefe ren Bereiche und bemühte sich, den Abstand zu Donna zu verringern, was ihm mit einigen schnellen Zügen auch gelang. Zorks Dolch klemmte zwi schen seinen Zähnen, kein angenehmes Gefühl. Vielleicht, so dachte Frank, hätte er bei der Einwanderungsbehörde bleiben sollen, dann hätte er jetzt schon zwei Beförderungen hinter sich und ein gemütliches Büro in der Ha fengegend von New York. Stattdessen musste er sich in diesem eiskalten Wasser mit Dämonen herumschlagen. ·Und?“, rief Jack vom Ufer. ·Noch kein Wasserdämon zu sehen“, rief Donna in einem lockeren Ton. ·Ich glaube, der mag keine...“ Sie konnte den Rest des Satzes nicht mehr vollenden – plötzlich verschwand ihr Kopf unter Wasser. Frank ergriff so fort die Initiative und brachte sich mit einigen kräftigen Schwimmzügen in Donnas Nähe. Irgendetwas streifte sein Bein, dann spürte er, wie sich dieses Etwas um seine Knöchel wickelte – und bevor er noch rechtzeitig Luft ho len konnte, schlug das Wasser über ihn zusammen.
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Dunkle Schlammwolken trübten Franks Sicht. Das Etwas, das ihn mit dünnen Tentakeln gepackt hatte, wühlte den Grund des Sees auf. Unablässig wurde er in die Tiefe gezerrt. Zorks Dolch befand sich immer noch zwi schen seinen Zähnen – beim Wechsel in die linke Hand versuchte Frank, möglichst kein Wasser zu schlucken. Dann schnitt er mit einer raschen Be wegung die Tentakeln an seinen Knöcheln durch und hielt nach Donna Ausschau. Immer noch stiegen Schlammwolken vom Grund des Sees auf und behin derten Frank bei der Suche nach Donna. Sie musste sich in der Nähe befin den, allerdings wurde ihm langsam die Luft knapp. Es gab zwei Möglichkei ten: Entweder fand er Donna und ertrank oder er tauchte an die Oberfläche und riskierte Donna an den Dämon zu verlieren. Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als das trübe Wasser für eini ge Sekunden Donnas angstverzerrtes Gesicht freigab, um es sofort wieder zu verschlingen. Frank tauchte ihr hinterher und wich dabei einigen Tenta keln aus, die suchend durch das Wasser glitten. Offenbar hatte der Schlamm auch das Sichtfeld des Dämons beeinträchtigt. Die Suche nach Donna dauerte eine Ewigkeit, so schien es. Umgeben von einer Mischung aus Schlamm und tiefschwarzem Dämonenblut, das heftig aus der vom Dock geschlagenen Wunde pulste, tauchte er instinktiv in die Richtung, in der er sie vermutete. Kurze Zeit später konnte er ihren Körper in den Fängen mehrere dünner Tentakeln entdecken. Für Zorks Dolch wa ren diese kein Problem, schnell konnte er diese durchtrennen und Donna war frei. Ohne zu zögern stieß sie zur Oberfläche empor, ihr gefährlicher Auftrag war erledigt, das in Frank gesetzte Vertrauen war erfüllt worden. Diesem wurde langsam die Luft knapp. Er wusste, dass er sich beeilen musste. Entschlossen drang er in die Tiefe vor, bereit, jederzeit das Herz des Dämons mit Zorks Dolch zu durchstoßen. Der Papageienschnabel des Dämons tauchte urplötzlich nur eine Hand breit neben ihm auf. Frank konnte ihm in letzter Sekunde ausweichen. Die kräftigen Kiefern schnappten ins Leere. Das schien den Dämon jedoch nicht weiter zu irritieren, zielstrebig schossen seine Tentakeln auf Frank zu. Dieser wusste, dass er sich beeilen musste, mit Zorks Dolch stieß er blind lings in die Richtung des Schnabels. Ein kreischender Laut malträtierte Franks Trommelfell. Treffer! Sofort setzte er nach. Das Wasser färbte sich schwarz. Tentakel schossen auf ihn zu, umklammerten seine Brust, hefteten sich um Arme und Beine. Immer wieder hieb er mit Zorks Dolch auf das Biest ein. Plötzlich spürte er, dass da noch jemand war. Frank drehte sich, so gut er es konnte Es war Jack, der an den Tentakeln zerrte. Da sich der Dämon
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jetzt auch auf den neuen Gegner konzentrieren musste, gelang es Frank, sich aus den Tentakeln zu winden. Dadurch kam er dem Kopf des Dämons etwas näher. Er zielte er auf eines der tellergroßen Augen, hoffte, dadurch das Gehirn zu treffen und den Dämon somit endlich auszuschalten. Der Wasserdämon kreischte, bäumte sich mehrmals auf. Frank wurde von einem Tentakelhieb nach oben geschleudert, wo er hustend nach Luft rang. Nur wenige Sekunden später schoss auch Jack durch die Wasseroberfläche. Mit Zorks Dolch in der Faust...
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Köln, 1634 Die Stadtmauer trennte die Bauern von den Städtern, schuf eine Grenze, deren Überschreitung einst für viele die Freiheit bedeutet hatte. Ein Jahr musste man innerhalb der Stadtmauern zubringen, bevor man sich Bürger nennen konnte. Die Bauern aus dem Umland waren von den Zünften nicht immer gern gesehen. Thorsten wusste vieles nur aus den Erzählungen seine Großeltern , die vor vielen Jahren eines Nachts zusammen mit seinen Eltern von geflügelten Dämonen verschleppt worden waren. Niemand wusste den Grund. Oftmals hatte er in den Überresten seines Vaterhauses nach Dokumenten durch forscht, nach irgendetwas, das seine quälenden Fragen beantworten konnte. Fündig geworden war er nicht. Erinnerungen verfolgten ihn, auch in den Träumen, und schließlich gab er das Haus auf. Doch der Umzug an das Rheinufer half nicht. Auch weiterhin schlichen sich nachts die Gesichter seiner Eltern in seinen Kopf, erlebte er wieder den schrecklichen Moment, in dem sich die Klauen der Dämonen in deren Schultern bohrten – erinner te er sich an den Moment, als sie für einen winzigen Augenblick zu ihm rübersahen, ihren Mund öffneten und ihm etwas zuriefen – um dann mit einem gewaltigen Ruck in die Höhe gezerrt zu werden. Die Worte drangen an sein Ohr, aber er verstand sie nicht. Lag es am Wind, lag es am Schock? Nacht für Nacht schrak er aus einen Träumen auf und versuchte sich an die Worte zu erinnern. Doch sobald der Tag durch die schmalen Ritzen seiner Hütte drang, verwehten sie, verschwanden aus seinem Gedächtnis. Bis zur nächsten Abenddämmerung, bis zur nächsten Nacht. Kein Vampir konnte daherkommen und behaupten, dass auch er Gefühle hat, dass auch er leidet. Nein, das war nicht möglich – dafür kannte Thors
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ten die Dämonenbrut nur zu gut. Sie gaben sich den Anschein der Mildtä tigkeit und Güte, aber sie beuteten die Menschen gnadenlos aus. Mochte Mescanti auch vorgeben, Gefühle in seinem Inneren zu hegen, Thorsten glaubte ihm kein Wort. Billige Rechtfertigungen, nichts weiter. Ein Schatten senkte sich über ihn. Thorsten blickte nach oben und sah ei nen geflügelten Dämon. Ruhig zog dieser seine Kreise, beobachtete auf merksam die Menschenmassen unter sich. Vor allem achtete er darauf, dass keiner der Dunklen Sphäre zu nahe kam. Eine überflüssige Maßnahme, niemand würde sich freiwillig in die Nähe der Sphäre begeben. Keiner derer die dort Frondienste leisteten, war bereit über die Dinge zu sprechen, die er sah. Thorsten und die anderen Rebellen hatten natürlich alles versucht, um Information zu bekommen. Ihre Fragen waren jedoch an einer Mauer des Schweigens abgeprallt. Van Euwen vermutete, dass ein Bann auf die Menschen gelegt worden war, dass sie einfach nicht erzählen konnten, was dort geschah. Unauffällig fädelte sich Thorsten in die Menge ein, die über den breiten Weg zum Stadttor gelangte. Natürlich war hier auch die Stadtwache präsent. Für einen Moment ruhte der Blick der Ingrams auf Thorsten, ihre Echsen augen schienen ihn durchleuchten zu wollen, doch dann ließen sie ihn an standslos passieren. Für sie war er nicht mehr als ein Bauernlümmel. Man merkte nicht nur an der verstärkten Patrouille der Stadtwache, dass die Dunkle Sphäre in der Nähe war. Ein eisiger Hauch schien von ihr aus zugehen und die Luft roch – anders. Thorsten ließ sich von der Menge mit reißen, so, als hätte er kein bestimmtes Ziel. Ab und an warf er einen prü fenden Blick zur Seite, aber niemand beachtete ihn. Schließlich, als er den Alter Markt erreicht hatte, drückte er sich in eine Gasse, huschte um etliche Ecken und war dann am Ziel. Im Gegensatz zum Haus van Euwens war dieses einfach, schmucklos, auf eine gewisse Weise sogar grob. Die einfache Haustür hing schief in den Angeln. Vorsichtig drückte sie Thorsten auf. Der Korridor lag in einem ungewissen Halbdunkel, Thorsten kannte seinen Weg genau. Rechts führte eine Tür in die Wohnstube, links lag die Küche. Niemand war zu sehen, kein Laut drang an Thorstens Ohren. Am Fuß der Treppe hielt er inne, sicherte sich nochmals nach allen Seiten ab und ging dann langsam Schritt für Schritt nach oben. Die Holzbohlen knarrten unter seinen Füßen aber er achtete nicht mehr darauf. Vor der Zimmertür hielt er inne, sein Herz poch te laut und stürmisch und er klopfte leise an. Nach einer Weile, als niemand ihn herein rief, öffnete er vorsichtig die Tür und trat ein. Sie saß auf der Bettkante und starrte ins Leere. ·Kathrein?“ Seine Frage schien sie nicht zu erreichen. Er versuchte es noch mal: ·Kathrein?“ Dies
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mal hatte sie ihn gehört, sie wandte ihren Kopf in seine Richtung. ·Thors ten. Wenn meine Eltern dich hier erwischen..“ ·Ich musste einfach kommen“, sagte er forscher, als er sich fühlte und setzte sich zu ihr. ·Du warst gestern Nacht so komisch.“ ·War ich das?“ ·Ja.“ Thorsten schwieg. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Seitdem Kathrein den Vampir gesehen hatte, war sie anders als vorher. Hilflos irrten seine Blicke durch den Raum. ·Thorsten?“ ·Ja?“ ·Danke.“ ·Wofür?“, fragte er verwundert. ·Nur fürs hier sein.“ Es schien, als wollte sie noch etwas hinzufügen, doch sie hielt inne. ·Hörst du das?“ Er lauschte. ·Da ist nichts.“ ·Doch“, beharrte sie und stand auf. ·Irgendetwas ist da. Still!“ Thorsten hielt seinen Atem an, versuchte, so still wie nur möglich zu sein. ·Da ist nichts.“ Kathreins Gesicht veränderte sich – es war jetzt entschlossen, beinahe trotzig. ·Und ich sage dir, da ist jemand im Haus.“ Mit einer schnellen Be wegung zog Kathrein einen Dolch aus ihrem Stiefel, bedeutete Thorsten, hinter ihr zu bleiben und gemeinsam schlichen sie zum Rand der Treppe. Flach auf den Boden gepresst sahen sie von dort in das ungewisse Halb dunkel. Thorstens Herz hämmerte gegen seinen Brustkorb. Eigentlich sollte er Kathrein beschützen – jedenfalls schien ihm das irgendwie richtiger zu sein, als dass sie ihn deckte. Nach und nach gewöhnten sich ihre Augen an das Halbdunkel. ·Ein Ingram“, zischte Thorsten. ·Was macht der denn hier?“ ·Keine Ahnung. Ist er dir vielleicht gefolgt?“ ·Mir? Jemand gefolgt? Also hör mal!“, wies Thorsten flüsternd die Anschuldigung weit von sich. Der Ingram, dessen Klauen das schabende Geräusch verursachten, das Kathrein zuerst gehört hatte, hielt plötzlich inne, hob seine Schnauze prü fend empor – und sackte wenige Sekunden später tonlos zusammen. Je mand oder etwas war aus den Schatten gekommen und hatte dem Ingram einen kräftigen Schlag auf den Kopf versetzt. Das war so rasch geschehen, dass die Beiden gar nicht gesehen hatten, wer da eingegriffen hatte. ·Was war das?“, hauchte Thorsten fassungslos. ·Keine Ahnung, aber wir müssen den Ingram hier rausschaffen.“ ·Und wenn er noch bei Bewusstsein ist?“
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·Jemand, dem das Gehirn aus den Kopf läuft, dürfte wohl kaum noch bei Bewusstsein sein, geschweige denn leben.“ Kaltblütig ging Kathrein die Treppe hinunter, hockte sich neben den toten Körper und griff seine Beine. ·Nun komm schon, alleine schaffe ich das nicht.“ Nach einigen Sekunden setzte sich Thorsten ebenfalls in Bewegung. Blaues Blut sickerte in die Holzdielen, schwappte um seine Füße. Ekel stieg in ihm hoch. ·Okay, du greifst ihm unter die Arme.“ ·Und wenn er mir zu schwer ist?“ ·Dann haben wir wirklich ein Problem. Meine Eltern würden mir nicht abnehmen, dass ich den alleine flachgelegt habe.“ Widerwillig hob Thorsten den schweren Körper an. Es gelang ihnen tatsächlich, den Ingram in den verwilderten Garten zu schleppen. Nach dieser Kraftanstrengung kehrten sie ins Haus zurück. Ohne ein Wort miteinander zu wechseln, griff sich Kathrein einen Spaten. Thorsten folgte ihrem Beispiel, packte eine Hacke und folgte ihr in den Garten. Doch der Körper des Ingrams war ver schwunden. Verblüfft starrten sie sich an, legten die Werkzeuge zurück. Thorsten verließ Kathreins Elternhaus ohne ein weiteres Wort. Doch wäh rend er zum Alter Markt zurückging, durch die kleinen Gassen und die nicht so belebten Viertel, drehte er sich ab und an plötzlich um. Aber nie war jemand zu sehen.
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Nur eine Handbreit trennte den Fürsten der Finsternis vom Tag. Mühelos hätte seine Hand die Sphäre durchstoßen können, aber damit wäre das gan ze Projekt in Gefahr gewesen. Ein Nachteil, den er damals nicht bedacht hatte. Gewissermaßen war er zur Zeit ein Gefangener – allerdings aus freien Stücken. Trotz der enormen Entfernung spürte er die Hitze dessen, was tief unten in der Erde lag. Er hatte es auf den ersten Blick erkannt, hatte die Dämonen gewarnt, dem Ding nicht zu nahe zu kommen, was natürlich sinnlos gewe sen war. Sie waren bei dem Kampf damals nicht dabei gewesen, sie wussten nicht, zu was das Ding in der Lage war. Zuerst hatte er Respekt gehabt, oh ja. Seine Narben hatte er nicht umsonst erhalten, damals. Dann aber war ihm aufgegangen, welche Chance ihm von seinem Widersacher in die Hand gespielt worden war. Die Energien, die in dem Ding steckten, würden ihn endlich in die Lage versetzen, das Papst-Problem aus der Welt zu schaffen.
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Bis heute war es ihm unklar, wie der Papst es trotz der Belagerung und trotz der Blockade geschafft hatte, aus dem Kirchenstaat nach NeuFrankreich zu entkommen. Fast war er geneigt, an einen Verräter zu glau ben. Doch damals war sein Stern noch strahlend hell gewesen. Dass sein Glanz von Tag zu Tag abgenommen hatte, nun, damit musste er rechnen. Wenn er sich praktisch nie zeigte und aus dem Verborgenen heraus regierte, war es nur logisch, dass sich irgendwann mal eine Front gegen ihn bilden würde. Die kleinen Rebellenspiele des van Euwen zählte er nicht dazu. Doch auch sie waren eine Bedrohung. Gelang es diesen... Kindern... nur einen einzigen Schlag gegen ihn zu führen, würde ihn das um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurückwerfen. Mescanti würde jedoch dafür sorgen, dass dies nicht passie ren würde. Nachdenklich trat der Fürst vom Fenster zurück. Eigentlich war es Zeit, dass der Ingram sich bei ihm meldete.
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·Ihr hier? Am helllichten Tag?“ Van Euwen war sichtlich überrascht, als er Mescanti gegenüberstand. ·Schläft eure Art nicht für gewöhnlich um diese Zeit? Und hat sie nicht eine gewisse Abneigung gegen...“ Er deutete zum Fenster, durch das die Sonnenstrahlen hell und gleißend in den Raum fielen, in dem die Beiden am Abend zuvor zusammengesessen hatten. ·Sagen wir, ich bin älter als ich aussehe und dass mit der Zeit meine Art gegen gewisse Nebenwirkungen immun wird. Seid nur froh, dass ich mo mentan der Einzige bin, der am Tage zu wandeln vermag.“ Van Euwen nahm die Information ungerührt zur Kenntnis. ·Nun gut, was treibt euch zu dieser Stunde zu mir?“ ·Ich hatte eine Begegnung, die alles andere als erfreulich war. Ein Ingram schnüffelte im Haus herum, das diese Kathrein bewohnt.“ Auch jetzt zuckte kein Muskel im Gesicht des Kaufmanns. ·Sind euch die Konsequenzen bewusst, die sich daraus ergeben? Wenn der Fürst seine Ingrams auf mich hetzt, dann...“ ·Unsinn“, fiel ihm der Kaufmann harsch ins Wort. ·Der Fürst hat viel leicht nur einen vagen Verdacht, ein Ingram allein ist keine Gefahr.“ Mescanti schnaubte verächtlich. ·Ihr kennt ihn nicht so, wie ich ihn ken ne.“ ·Das mag sein“, sagte van Euwen weich, ·aber da die Unternehmung heu te Abend stattfindet, solltet ihr euch keine Sorgen darum machen.“
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·Außer, wenn sie misslingt“, knurrte Mescanti. Er wandte sich zum Ge hen. Dann, als ob es ihm gerade noch eingefallen wäre, warf er eine Frage in den Raum. ·Habt ihr ihnen gesagt, was sie heute Abend erwartet? Oder darf ich das tun, bevor wir alle miteinander losziehen?“ ·Wenn ihr es wünscht...“ Der leicht spöttische Ton in van Euwens Stimme war nicht zu überhören. ·Ich sehe die Truppe nicht vor heute Abend.“ ·Ihr hättet Mittel und Wege...“ ·Der Vorschlag kam von euch, ich würde sagen, ihr sagt es ihnen.“ Ohne ein weiteres Wort verschwand Mescanti zur Tür hinaus. Er sah nicht mehr, wie van Euwen zufrieden lächelte.
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Irgendwann, irgendwo Abgekämpft und müde kehrten alle drei zu Julians Höhle zurück. Während sie den Pfad hinaufstiegen, versuchte Frank mehrere Male eine Unterhaltung in Gang zu bringen, aber er hatte keinen Erfolg. Donna war sich wohl erst jetzt bewusst geworden, in was für eine Aktion sie da eingewilligt hatte. Wenn Frank sie ansprach, starrte sie ihn an, als wäre er gar nicht da. Auch Jack war nicht besonders gesprächig. Vielleicht, dachte Frank nachdenklich, war ihnen wieder einmal klar geworden, dass jeder Auftrag ihr letzter sein konnte. Die zweite Prüfung war überstanden – freuen konnten sie sich trotzdem nicht. Julian stand mit verschränkten Armen vor dem Höhleneingang und warte te schon auf sie. ·Der Wasserdämon ist tot“, sagte Jack. ·Eine erfreuliche Nachricht. Die zweite Prüfung habt ihr bestanden. Nur noch eine Aufgabe, dann könnt ihr Jane wieder in eure Arme schließen.“ ·Prima. Könnten wir in der Zwischenzeit vielleicht wieder nach New York zurückkehren?“, fragte Jack. ·Das“, meinte Julian gedehnt, ·das wird, fürchte ich, etwas schwierig sein.“ ·Soll das heißen, der Hexenmeister aus der Hölle hat seine Kräfte verlo ren?“ Jacks Spott prallte an Julian ab. ·Nein, das habe ich nicht. Aber ich be fürchte, zur Zeit ist eine Rückkehr nach New York nicht möglich.“ ·Und warum nicht?“, mischte sich Frank ein. Julian seufzte. ·Wenn ihr darauf besteht, werde ich es euch zeigen, aber ich fürchte, es wird alles andere als erfreulich sein.“ Der Hexenmeister wandte
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ihnen den Rücken zu, fuchtelte mehrmals mit den Händen in der Luft her um und wenige Sekunden später schien die Höhlenwand durchsichtig zu werden. Der Fels wurde nach und nach von einer silberartigen Substanz ersetzt, die schließlich eine große Fläche bildete. ·Taschenspielertricks“, murmelte Jack, verstummte aber, als sich auf der Fläche wie auf einem Fernsehmonitor Bilder abzuzeichnen begannen... Die angeblichen FBI-Agenten stellten die Detektei vollständig auf den Kopf. Es gab keine Ecke, keinen Winkel, den flinke Finger nicht untersuch ten. Während die Einen alle Papiere, alle Akten zu einem Haufen zusam menwarfen, widmeten sich die Anderen Donnas Computer. Sie stöhnte kurz auf, als sie die Ruine des Rechners sah, die herausgerissenen Kabel, die achtlos beiseite gelegten Festplatten. Sämtliche Sicherheitskopien landeten wie die Festplatten schließlich auf dem Papierhaufen. Einer der Männer kam mit einem Benzinkanister aus den hinteren Räumen zurück, schüttete den Rest des Inhalts über den Papierhaufen. Weitere Männer mit Kanistern folgten. Alles geschah in vollkommener Stille, Julians Magie ließ offenbar nur die Bildübertragung zu. Nach und nach verließen die angeblichen Agenten die Detektei, bis nur noch einer übrig blieb. Dieser zog lässig eine Zigarettenpackung aus seiner Hosentasche, zündete sich einen Glimmstängel mit einem Streichholz an und ließ das dann im Gehen zu Boden fallen. Bläuliche Flammen bahnten sich ihren Weg über die Benzinspur, züngelten in die Höhe und als sie den Papierhaufen erreichten, verwandelte sich die ganze Detektei mit einem Schlag in eine Feuerhölle. ·Oh mein Gott“, hauchte Donna, als das Bild verschwand und die Fels wand wieder zu einem normalen Teil der Höhle wurde. Sichtlich erschüttert stützte sie sich auf Franks angebotenen Arm. ·Wer in aller Welt... ?“ Jacks Gesicht war weiß wie eine Kreidewand. Erst nach und nach fand er wieder zu sich. ·Ich weiß es nicht, Donna. Ich weiß es nicht.“ ·Ihr seht, momentan könnt ihr unmöglich nach New York zurück. Die Sache hat eine Menge Staub aufgewirbelt.“ ·Staub ist wohl noch untertrieben“, murmelte Frank. ·Dennoch – wenn wir hier länger in diesen nassen Sachen stehen, holen wir uns alle eine böse Erkältung. Und da noch eine dritte Prüfung auf uns wartet...“ Julian lächelte. ·Was das anbetrifft, das dürfte kein Problem sein.“ Er schnippte mit den Fingern und noch bevor die Drei erkannten, was Julian plante, hatte er sie schon durch das sich vor ihnen bildende Tor gestoßen.
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Neu-Rom, Neu-Frankreich, 1634 Manchmal vermisste er den Tiber, diesen träge dahinströmenden Fluss. Hier an der Küste war das Leben so hektisch, so improvisiert – es würde eine Weile dauern, bis er sich daran gewöhnen würde. In der Nacht, in der die Dämonen den Vatikan gestürmt hatten, war ihm vollends bewusst geworden, wie sehr er an der Stadt und dem Fluss hing. Damals war er noch nicht Papst gewesen, hatte seinen Vorgänger nur be gleitet, zuerst auf dem schmalen, schaukelnden Boot, später dann in der bulligen Galeone. Auf See war er zum Papst gewählt worden und von der See aus war der gigantische Schutzschirm in den Himmel gestiegen, ein Schirm, der dank der Hilfe Gottes die Feinde der Kirche abwehren würde. Der Tag neigte sich seinem Ende entgegen und Gregor fühlte die Kälte, die im Wind mitschlich. Es war Zeit, zurück ins Haus zu gehen. Dinge mussten erledigt werden. Und der Abendsegen musste auch noch erteilt werden an die Wenigen, die aus Rom mit dem alten Papst gekommen wa ren. Ein neues Land, ein neuer Papst – ein raues, ungeschliffenes Land war es. Die dunklen Wälder flößten den Menschen Respekt ein, die fremden Tiere, die durch das Unterholz schlichen und dazu der Schirm, der Schutz und Gefängnis zugleich war: All das war Babylon in seiner ureigensten Form. Avignon, so hatte er in alten Schriften gelesen, war hierzu nur ein kleiner Vorgeschmack gewesen. Obwohl damals zwei Päpste über die Menschen geherrscht hatten, war Avignon immer noch ein Ort der Zivilisation gewe sen, mit festen Straßen, prächtigen Häusern. Dass die Stadt durch den Papst gewonnen hatte, an Einfluss und Macht, das war dem Papst damals nur recht gewesen. Hier aber... Gregor seufzte. Es würde Jahre dauern, bis Neu-Rom annähernd einer Stadt glich, irgendeiner Stadt. Momentan war sie nichts als eine Ansamm lung von einfachen Blockhütten, sein Heim war da keine Ausnahme – wenn es auch das einzige Haus mit einer Art Terrasse war. Er hatte nicht gegen den Vorschlag protestiert, zumal die Kardinäle sich hier zu ihren täglichen Treffen versammeln konnten. Und natürlich gab es da die Kapelle. Dort warteten die Menschen schon auf ihn, warteten auf sein Erscheinen und auf die Zuversicht, die sich aus seinem Gesicht lesen konnten. Eine Zuversicht, die er gar nicht besaß.
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Denn wenn man den Tatsachen ins Auge sah, war dieser Schirm der einzi ge Ort, unter dem die Kirche existierte. Die ganze Welt war in die Hände der Dämonen gefallen, der Fürst der Finsternis regierte jetzt über die Men schen. Für Kirchen, Dome, Basiliken war in dieser Welt kein Platz. Was vermochte das Häuflein der Aufrechten gegen diese Ansammlung von Macht und Bosheit auszurichten? Gar nichts, gestand er sich nicht zum ersten Mal ein. Und dennoch machten die Menschen weiter, als gäbe es eine Hoffnung auf ein Morgen. Wer war er, dass er ihnen diese Hoffnung nahm? Er war der Papst, das Oberhaupt der Kirche. Vielleicht, wenn die Umstände anders gewesen wären, hätte die Hölle nicht den Sieg errungen. Wenn die Kirche nicht zu sehr damit beschäftigt gewe sen wäre, gegen die Protestanten vorzugehen... Der Lübecker Fenstersturz im Jahre 1587 hatte einen Krieg eingeleitet, dessen Ende damals noch nicht abzusehen gewesen war. Tilly, Wallenstein... all die Feldherren und Generäle waren auf einen Schlag zur Nebensache geworden. Die Hexe, die das Tor zur Hölle geöffnet hatte – hatte sie gewusst, dass wenige Wochen später die Welt in Dunkelheit versank? Vermutlich nicht. Während er sich die Tiara auf den Kopf setzte, bemerkte er, dass es in dem einfachen Zimmer heller geworden war. Für einen Moment glaubte er, er hätte einfach nur vergessen, dass er eine Kerze angezündet hatte, aber dieses Licht, das von Sekunde zu Sekunde heller wurde, dieses Licht kam von keiner irdischen Quelle, das spürte er. Er ließ von der Tiara ab und starrte auf das Leuchten. Er vermochte später nicht zu sagen, wie lange das Licht um ihn herum ge wesen war, noch, ob in ihm eine Gestalt zu sehen gewesen war. Zeit und Raum waren unwichtig geworden, wichtig war nur, dass dieses Leuchten Zuversicht vermittelte, Geborgenheit. Dieses Licht war aus einer anderen Welt und es war zu ihm gekommen, das verstand Gregor sofort. Um ihn aufzumuntern, um ihn zu sagen, dass die Zeit der Dunkelheit ihr Ende fin den, das Böse von der Welt vertrieben werde würde. Und neben all diesen Empfindungen, die Gregor durchströmten, war da auch noch eine Bot schaft. Gregor verstand diese nicht sofort, aber später, als er noch vom Licht durchdrungen den Abendsegen gab und die Leute spürten, dass etwas geschehen sein musste, später, als er wieder in seinem Raum war und die Amtstracht ablegte, da befahl er, eine Botschaft für van Euwen auf den Weg zu bringen. Als er die Augen schloss, glaubte er für einige Sekunden, noch einmal dieses Licht zu sehen. Aber das konnte auch nur eine Täuschung gewesen sein.
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Köln, 1634 Sie standen auf einem Ackerboden, der von tiefen Furchen durchzogen wurde. Ab und an wurden die Felder von dichten Hecken begrenzt. Schlammige Pfade führten zu einem einsamen Hof. Die Luft roch frisch und unverbraucht. Es hätte eine Idylle sein können, aber als Frank den Bau ernhof genauer betrachtete, fielen ihm die Löcher im Dach auf. Weit und breit sah er auch kein Vieh, das er mit einem Bauernhof in Verbindung brachte. ·Ich habe mir erlaubt, euch ein wenig auszustatten“, bemerkte Julian. Frank und die anderen stellten erst jetzt fest, dass sie statt ihrer nassen Sa chen trockene Kleidung trugen. ·Wams und Hemd?!“, stöhnte Frank auf. ·Mit Jeans und Turnschuhen würdet ihr hier nur auffallen.“ ·Fragt sich, wo hier ist“, schaltete sich Jack ein. ·Das werde ich euch zu gegebener Zeit erklären. Folgt mir.“ Der Hexen meister schlug den Weg zum Bauernhof ein. Den Dreien blieb nichts ande res übrig, als ihm zu folgen. Die Zeichen des Verfalls wurden deutlicher, je näher sie dem Gut kamen. Der Garten war verwildert, reife Äpfel verfaulten im Gras. Frank hätte Julian alles zugetraut, auch, dass er sie in eine gute Stube führte, in der mehrere Leichen lagen, doch in dieser Hinsicht hatte er sich geirrt. ·Setzt euch.“ ·Okay, ich nehme mal an, dass das hier schon Bestandteil der dritten Prü fung ist“, wagte sich Jack vor. Julian nickte. ·In der Tat. Ich könnte euch jetzt mit Erklärungen langwei len, aber es ist besser, wenn ihr unvoreingenommen an die Sache herangeht. Nur soviel: Als dritte Prüfung verlange ich, dass ihr mir das Schwert Gab riels bringt.“ ·Was soll das heißen, ·das Schwert Gabriels“?“, fragte Donna spontan. ·Das soll heißen, dass ich von euch erwarte, dass ihr mir Gabriels Schwert bringt“, wiederholte Julian. “Wenn euch das gelingt, bekommt ihr die gute Jane zurück.“ Er lächelte, schnippte mit den Fingern und war binnen einer Sekunde verschwunden. Und ließ das Trio verdutzt und ratlos zurück.
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Der Nachmittag glitt an ihm vorbei, der Abend kam über den Horizont herauf. Thorsten hatte das Gefühl, als würde er die Zeit intensiver als vorher erleben, als würde jede Sekunde unauslöschlich in sein Gedächtnis einge brannt. Langsam, fast gemächlich, schritt er sich diesmal zu van Euwens Haus und traf gleichzeitig mit Asmus ein. Sie begrüßten sich, beide kurz angebunden und in ihren Gedanken versunken. Wenig später traten sie in die Wohnstube, die wie am gestrigen Abend vom Kaminfeuer erhellt wurde. Sie waren die Ersten, wie ihnen van Euwens Stellvertreter versicherte. As mus zog einen Hocker heran, setzte sich und starrte in die Flammen. Überhaupt war die Stimmung an diesem Abend gedrückt. Selbst Kathrein, die als Letzte durch die Tür schlüpfte, hielt ihre spitze Zunge im Zaun – und das kam bei ihr nicht oft vor. Diesmal erschrak niemand, als der Vam pir unerwartet in der Tür stand und in den Raum trat. Er begann ohne Um schweife mit einer, wie es Thorsten schien, vorbereiteten Rede. · Eines sollte euch klar sein: Entweder, es gelingt uns heute Abend, das Ge heimnis der Sphäre zu lüften, oder wir werden heute Nacht dem Fürsten der Finsternis näher sein, als uns lieb ist. Bevor wir aufbrechen, ist da noch eine Kleinigkeit, die erledigt werden muss. Die Dunkle Sphäre kann nur derjeni ge betreten, der die richtige Aura aufweist. Ich besitze diese Aura und kann ungehindert ein- und ausgehen. Euch dürfte das momentan noch schwer fallen. Wer die Aura nicht besitzt, wird von der Dunklen Sphäre abgestoßen. Kein angenehmer Vorgang, wenn ich das nach meinen Beobachtungen feststellen darf.“ ·Und wie kommen wir an diese merkwürdige Aura?“, wollte Gottfried wis sen, der eher gelangweilt an der Wand lehnte. ·Das, mein Freund, ist eine sehr, sehr gute Frage; die Antwort wird euch bestimmt nicht gefallen.“ Mescanti machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: ·Ich muss euch beißen.“ ·Kommt gar nicht in Frage!“, sagte Kathrein mit einer kalten, harten Stim me. Der Vampir zuckte mit den Schultern. ·Wenn Du unbedingt hier bleiben willst, Weib, bitte. Ich habe die Aura, ich kann sie durch meinen Biss auf andere übertragen. Die Wirkung hält etwa zwei Stunden an, dann müsst ihr die Sphäre verlassen haben. Ich glaube, das ist eine leichte Übung für euch.“ Der leise Spott verfing sich nicht bei Kathrein.
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·Ich werde mich unter keinen Umständen von dir beißen lassen. Nie – im – Leben.“ ·Sie fürchtet, ebenso wie der Rest der Truppe, dass sie durch Euren Biss zum Vampir werden könnte“, warf van Euwens Stellvertreter ein. Mescanti zuckte erneut mit den Schultern. ·Wenn es weiter nichts ist – Vampire werden nicht durch den Biss geboren, sondern indem sie das Blut eines anderen Vampirs trinken. Ich könnte euch das Blut aussaugen, aber ich habe schon einen Happen zu mir genommen.“ Er lächelte. Thorsten legte seinen Arm um Kathrein und flüsterte ihr zu, dass es schon nicht so schlimm werden würde. Sie versteifte sich, schüttelte seinen Arm ab. ·Ich werde mich nicht von dem da beißen lassen!“ ·Es gibt keinen anderen Weg in die Sphäre hinein – oder hinaus.“ ·Soll ich den Anfang machen?“, fragte Thorsten sanft. Kathrein gab keine Antwort. Ihre Lippen waren nichts weiter als schmale Striche. Furcht, Angst und Verzweiflung wechselten sich in ihrem Gesicht ab und für eine Sekunde stand eine Fremde neben Thorsten. Dann fing sie sich, trat vor und hielt ihren Hals dem Vampir hin. Dieser fuhr seine Eckzähne aus, strich ihr Haar beiseite und biss dann zu. Kathrein schnappte nach Luft, dann stöhnte sie auf. ·Ruhig, ganz ruhig – schon vorbei.“ Thorsten hätte niemals geglaubt, dass Mescanti so mitfühlend sein konnte. Dann rief er sich in Erinnerung, was er für eine Kreatur war. Ein Vampir schmeichelte, umgarnte sein Opfer. Als Kathrein zu ihm zurück kam, war sie blasser als sonst und wirkte etwas abwesend. Nach und nach versenkte der Vampir sein Zähne in alle Rebellenhälse und Thorsten konnte später nicht sagen, was ein Gefühl in ihm aufstieg, als seine Haut durchstoßen wurde und warmes Blut über seinen Nacken rann. Nach einer Weile war sein Kopf wieder klar und als Mescanti voranschritt, folgte er ihm in die Nacht.
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·Ich hasse den Kerl“, brummte Jack und stapfte missmutig in die Rich tung, die der Pfad ihnen vorgab. ·Meinte der wirklich den Erzengel Gab riel?“ ·Vielleicht gibt es einfach nur jemanden, der so heißt?“, gab Donna zu Be denken. ·Vielleicht ist er hier ein mächtiger Krieger und das Schwert ist...“ Sie bemerkte Jacks Blick. ·Schon gut, schon gut, es hört sich blödsinnig an,
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ich weiß. Vielleicht wären wir weiter, wenn wir wüssten, wo wir eigentlich sind.“ ·Gute Frage“, murmelte Frank. ·Irgendetwas sagt mir, dass wir an keinem angenehmen Ort sind.“ ·Hey, dort vorne scheint eine Stadt zu sein.“ Donna und Frank schlossen zu Jack auf, der auf einem Hügel stand. Von dort aus hatten sie eine gute Aussicht auf die Stadt. ·Sagte ich nicht, dass das kein angenehmer Ort ist?“, meinte Frank. Selbst von dieser Entfernung aus verfehlte die Dunkle Sphäre nicht ihre Wirkung. Bedrohlich hockte sie inmitten der Häuser, saugte das letzte Rest des Son nenlichts auf und es war den Dreien, als streifte sie ein eisiger Hauch. ·Bilde ich mir das nur ein oder färbt das – Ding – den Fluss schwarz?“ Donnas Bemerkung lenkte Jacks Aufmerksamkeit auf den Fluss. ·Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass da unten ist Köln“, murmelte er. Frank sah ihn ungläubig an. ·Köln? Aber ich sehe weit und breit keinen Dom. Und diese Stadtmauer ist doch auch nicht gerade typisch für eine moderne Metropole, oder?“ ·Wer sagt denn, dass das da unten eine moderne Stadt ist?“, gab Jack zu bedenken. ·Das Tor könnte uns wer weiß wohin gebracht haben – eventuell sogar in die Vergangenheit.“ ·Das mit der Vergangenheit stimmt sogar, aber dies ist nicht eure Vergan genheit.“ Die Stimme des Hexenmeisters ließ sie gleichzeitig herumfahren. ·Aha, lässt sich der Herr endlich mal zu einer Erklärung herab? Vielleicht erfahren wir jetzt endlich, was es mit diesem Schwert auf sich hat.“ Jack stemmte die Hände auf die Hüften. Julian ignorierte ihn einfach und ging ein paar Schritte voraus. Dem Team blieb nichts anderes übrig als ihm – mal wieder – zu folgen. ·Diese Stadt dort unten ist wirklich Köln. Allerdings nicht das Köln, das ihr kennt. In eurer Welt würde in dieser Epoche der Krieg wüten, der dreißig Jahre dau ern sollte. Hier jedoch ist alles etwas anders.“ ·Wir sind also auf einer Parallelwelt“, folgerte Frank. Julian nickte und fuhr dann fort: “Bisher bin ich auf meinen Reisen auf hunderte Welten gestoßen. Dieser hier fühle ich mich besonders verbun den.“ ·Was ist nun mit diesem Schwert“, ließ Jack nicht locker. ·Es ist Gabriels Schwert. Einzigartig. Mehr darüber zu wissen steht euch nicht zu.“ ·Und wie sollen wir es finden? Wir wissen ja noch nicht einmal, wie es aus sieht“, sagte Frank.
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·Ihr werdet es erkennen, wenn ihre es seht. Und man sollte dort zu suchen anfangen, wo es vielleicht etwas zu finden gibt.“ Das Team sah zur Dunklen Sphäre hinüber, und als Frank Julian fragen wollte, ob er dieses dunkle Etwas gemeint hatte, war der Magier wieder verschwunden. ·Ich hoffe nur, dass wir diese Prüfung bald hinter uns haben“, grummelte Jack. Er wollte noch etwas hinzufügen, aber dazu kam er nicht mehr: Ein riesiger, dunkler Schatten stieß geradewegs vom Himmel herab...
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Mürrisch streifte van Euwen den Schlafrock über und begab sich in die Wohnstube. Er hatte dem Abzug der Rebellen von seinem Schlafzimmer fenster aus zugesehen und hatte das Gefühl, nur eine halbe Stunde geschla fen zu haben, als ihn sein Dienstbote unsanft weckte. Van Euwen hatte nur die Worte ·Botschaft, Papst, dringend“ verstanden. Er murmelte zum Dienstboten, er solle dem Fremden etwas zu essen bringen, er käme gleich nach. Jetzt, als er die Treppen hinabstieg, fragte er sich, ob er richtig gehört hat te. Eine Botschaft? Vom Papst? Seine Kontakte reichten zwar bis nach o ben, aber so weit nach oben nun auch wieder nicht. Was wollte der Papst von ihm? Der Fremde, der ihn in der Wohnstube erwartete und gerade dabei war, von einem Stück Brot abzubeißen, sah abgehalftert aus. Der Fremde schluckte das Brot hinunter und nickte van Euwen zu. ·Verzeiht die späte Störung, aber es ist dringend.“ Van Euwen winkte nur müde ab. ·In dieser Nacht ist alles dringend.“ Der Fremde zuckte mit den Achseln und langte nochmals zu. Van Euwen warte te. Schließlich, nachdem der Fremde den Käse und das Brot mit einem Schluck Wein hinuntergespült hatte, beugte er sich hinunter und holte aus dem linken Schaftstiefel eine versiegelte Röhre hervor. Van Euwen war auf einmal hellwach. Der Fremde zerbrach das Siegel, holte ein Pergament her aus und reichte es dem Kaufmann. Dieser starrte einen Augenblick lang auf die energisch geschwungene Unterschrift des Papstes, dann setzte er sich ebenfalls. “Wir befehlen hiermit die komplette Auflösung der Gemeinschaft, die zu Köln gegen den Fürsten der Finsternis rebelliert. Wir erwarten, dass sich der
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ehrenwerte Kaufmann van Euwen zu Unserer Verfügung hält, bis wir Köln erreicht haben.“ ·Was soll das bedeuten?“, fragte sich van Euwen und die Reaktion des Fremden machte ihm bewusst, dass er die Frage laut ausgesprochen hatte. ·Ich soll auf eine Antwort warten, Herr.“ ·Natürlich, ihr bekommt sie gleich.“ Hastig kramte der Kaufmann Perga ment, Feder und Tintenfass hervor. Er wusste nicht recht, was er schreiben sollte, war noch halbbetäubt von dem Wortlaut der Papstbotschaft, kritzelte schließlich nur hin, dass er sich für den Papst zur Verfügung hielte und schickte den Fremden in die Nacht hinaus. Immer noch wie betäubt nahm er die Botschaft noch mal in die Hand. Der Papst kam nach Köln? Die Re bellengruppe sollten aufgelöst werden? Wie in aller Welt konnte der Papst das anordnen? Die Rebellen – Mescanti! Mescanti war mit ihnen unterwegs, um sie durch die Sphäre zu bringen. Für einen Moment wirbelten die Ge danken in van Euwens Kopf, dann kam ihm die Erkenntnis, dass er Mes canti nicht mehr aufhalten konnte, selbst wenn er es wollte...
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·Deckung!“, schrie Jack und warf sich in der selben Sekunde auf den Bo den. Er hörte, wie etwas mit hohem Tempo über seinem Kopf hinwegzisch te. ·Jack, alles okay?“, fragte Frank, der Donna beim Aufstehen half. ·Ja.“ Jack stand auf und klopfte den Staub von seiner Hose. ·Was war das?“ ·Ich weiß nicht.“ Donna richtete behelfsmäßig ihr Haar. ·Es war auf kei nen Fall etwas, das ich wiedersehen möchte. Wir sollten schleunigst ver schwinden.“ ·Gute Idee“, meinte Frank und richtete seinen Blick zum Himmel. ·Ich schlage vor, wir tun das jetzt!“ ·Lass mich raten“, keuchte Jack, der ohne zu fragen hinter Frank herrann te. ·Das Ding ist direkt hinter uns?“ Frank nickte und griff nach Zorks Dolch. ·Du willst doch nicht etwa das Flugmonster mit dem Dolch erledigen?“ ·Warum nicht?“, keuchte Frank. ·Weil das Wahnsinn ist. Das Ding ist viel zu groß für dich.“
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·Nicht unbedingt“, sagte Frank und drehte sich abrupt um. Groß und schwarz war das haarige Ding mit den Fledermausflügeln, das rasend schnell auf ihn zukam. Vielleicht hatte Jack doch Recht? Donna schnellte an ihm vorbei, sie rief ihm etwas zu, aber er hörte es nicht. Die Fledermaus mit Fell, langgezogenen Krallen und spitzen Reiß zähnen schoss immer noch mit dem Kopf voran auf ihn zu, doch Frank machte keine Anstalten ihr auszuweichen. Stattdessen hielt er Zorks Dolch stoßbereit in seiner Rechten. Donna und Frank hatten sich einige Meter entfernt postiert und warteten ab, jederzeit bereit, erneut die Beine in die Hand zu nehmen. Näher und näher kam das Fledermausding. Frank spürte jetzt den Wind, den die Flügel produzierten, sah den Staub, den sie damit aufwirbelte. Zorks Spitze zitterte unruhig hin und her, als würde der Dolch es nicht erwarten können, endlich sein Ziel zu finden. Gebannt verfolgten Jack und Donna, wie Frank das Monster an sich heranließ. Gerade als es so schien, als würde Frank vom den Ding zu Boden gewor fen werden, ließ er sich blitzschnell nach hinten fallen und fast in der selben Sekunde stieß er Zorks Dolch in die Brust des Monsters. Ein helles Quieken ertönte, wie das von Schweinen auf dem Schlachthof. Für eine Sekunde wurden die Dämonenjäger von einem Blitz geblendet, dann war das Mons ter verschwunden. Donna atmete geräuschvoll aus. Frank rappelte sich auf und kam auf die Beiden zu. Er steckte den Dolch zurück in die Scheide und zuckte mit den Schultern. ·Ging ja leichter, als ich dachte“, meinte er grin send. Sie ahnten nicht, dass genau in dem Moment, als Zorks Dolch das Herz des Fledermausmonsters durchbohrt hatte, der Fürst der Finsternis in sei nem Thronsaal sich dorthin fasste, wo bei normalen Menschen das Herz liegt. Nachdem er sich wieder gefangen hatte, verlangte er nach seiner Gar de...
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Thorsten spürte immer noch einen Hauch von Euphorie in sich, der je doch rasch verflog. Kathrein schritt an seiner Seite. Irgendwann im Laufe der Zeit fanden ihre Hände wie von selbst zueinander. Die Stadtwachen warfen Mescanti zwar fragende Blicke zu, manche hielten ihn sogar auf. Dann zischte Mescanti etwas, dass die Ingrams furchtsam zurückweichen ließ. Thorsten bemerkte dies mit einer gewissen Genugtuung, freuen konnte
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er sich nicht darüber. Die Möglichkeit, dass sie diese Nacht nicht überleben würden, hatte sich auf die Gemüter der Rebellen gelegt. Es kam Thorsten so vor, als würden sie stundenlang durch die Innenstadt marschieren, obwohl der Weg von van Euwens Haus bis zu Sphäre norma lerweise in einer halben Stunde zurückgelegt werden konnte. Selbst die Ster ne waren an dem wolkenbedeckten Himmel kaum zu sehen. Traumwandle risch folgten die Menschen Mescanti und schließlich erreichten sie ihr Ziel. Als Thorsten die Sphäre sah, dunkel und drohend gegen den Himmel auf türmend, lief es ihm eiskalt über den Rücken. Die Häuser, die einst um den Dom gestanden hatten, waren bis auf die Grundmauern geschleift worden. Ein weiter, öder Platz war so entstanden, ein Platz, der von den Ingrams und den anderen Dämonen leicht überwacht werden konnte. Diese muster ten die Ankömmlinge von ihren Wachtürmen aus. Thorsten verstand nicht, warum sich die Dämonen solche Mühe machten, wenn doch kein Sterbli cher durch die Sphäre kam. Wenigstens nicht ohne die Aura, die sie jetzt alle besaßen. Wenn auch nur für einige Stunden. Von den Wachtürmen löste sich ein geflügelter Dämon, hielt auf Mescanti zu und landete wenige Schritte entfernt. Offenbar gab es einige Unstimmig keiten, die Mescanti auf die Schnelle nicht ausbügeln konnte – jedenfalls hatte Thorsten den Vampir noch nie so aufgeregt und wütend gesehen. Schließlich, nach einigem Hin und Her, gab sich der geflügelte Dämon zu frieden und brach wieder zu seinem Wachturm auf. Mescanti gab den Rebellen ein Zeichen und steuerte direkt auf die Sphäre zu. Er streckte den linken Arm vor und dieser durchbrach die Sphäre, als bestände sie aus reinem Wasser. Der Vampir lächelte, zog den Arm wieder zurück und wartete auf die Anderen. Als Thorsten zusammen mit Kathrein zu ihm gelangten, hatte der Rest bereits problemlos die Sphäre passiert. Thorsten zögerte. Die dunkle Wand war jetzt keineswegs mehr so glatt, wie sie aus der Entfernung gewirkt hatte. Leichte Wellen liefen über die samt schwarze Oberfläche. ·Nun macht schon“, zischte der Vampir. ·Wir haben nicht alle Zeit der Welt.“ Thorsten schluckte, dann streckte er vorsichtig seine Hand aus, die Fingerspitzen berührten die Oberfläche. Ein taubes Gefühl breitete sich in seiner Hand aus und er wollte sie schon vollends zurückziehen, als ihn je mand anrempelte. Als Thorsten durch die Sphäre stolperte, schien es für einen Moment, als würde die Welt vor seinen Augen verschwimmen, dann war er hindurch. Kathrein folgte ihm, schließlich Mescanti. Thorsten brauchte eine Weile, um sich an die veränderten Lichtverhältnisse zu ge wöhnen – und dann starrte er mit offenem Mund auf das, was sich da vor ihnen erstreckte.
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Nach dem Angriff des Fledermauswesens waren die Dämonenjäger wach sam geblieben, weitere Attacken blieben jedoch vorerst aus. Frank fragte sich, ob dies nur die Ruhe vor dem Sturm war. Je näher sie dem Köln dieser Welt kamen, desto bedrohlicher erschien ih nen die schwarze Kuppel. ·Sie steht genau da, wo der Dom in unserer Welt zu finden ist“, murmelte Jack vor sich hin. Frank griff den Gedanken auf. ·Glaubst du, die Dämonen sind hier an die Herrschaft gelangt?“ Jack zuckte mit den Schultern. ·Julians Andeutung lässt so was vermuten, wenn er sich dieser Welt besonders verbunden fühlt.“ ·Ich frage mich immer noch, ob er tatsächlich gemeint hat, wir sollten das Schwert des Erzengels für ihn finden.“ ·Logisch wäre es ja. Julian schwankt zwischen Gut und Böse – momentan scheint seine ·gute“ Phase anzuhalten, aber wie lange noch? Möglich, dass er zwar in seiner guten Phase ein Engelsschwert anfassen kann, aber ich möchte mir nicht vorstellen, was passiert, wenn er plötzlich die Seiten wech selt – und dabei das Schwert noch in der Hand hat.“ Frank dachte eine Weile über Jacks Worte nach. ·Klingt plausibel. Fragt sich, warum wir nie einem Engel begegnet sind.“ ·Vielleicht werden wir das ja noch.“ Frank sah Jack nachdenklich an. Da war ein Ton in Jacks Stimme gewe sen... Der Erbe der Macht hatte seine Geheimnisse und Frank war nicht der Mann, der sich ungefragt in fremde Angelegenheiten einmischte – wenn es an der Zeit war, dann würde Jack schon seine Geheimnisse offenbaren. Da war sich Frank sicher. Donna, die bisher einige Meter vorausgegangen war, wartete auf sie. ·Da kommt jemand.“ ·Sollen wir uns vorsichtshalber in die Büsche schlagen?”, fragte Frank. ·Büsche? Welche Büsche?“, meinte Jack trocken. ·Siehst du irgendwo wel che?“ Rings um die Dämonenjäger erstreckten sich weite, abgeerntete Fel der. Die Hecken, die bisher die Felder abgetrennt hatten, waren nach und nach gewichen. Am Horizont war bereits die Stadtmauer Kölns zu sehen. ·Okay. Donna, Jack, ihr bleibt hinter mir.“ Wie zuvor beim Fledermausmonster wartete Frank scheinbar gelassen auf die Dinge, die da kamen. Das Licht der untergehenden Sonne spiegelte sich auf den glattpolierten Harnischen, die die Gestalten trugen. Ihre Gesichter
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konnte Frank selbst dann nicht erkennen, als sie in greifbarer Nähe waren. Sie verbargen sie hinter eisernen Visieren. Die Helme, mit denen die Visiere verbunden waren, hatten in der Mitte eine Art Kamm. Seine Spitzen verlie hen den Marschierenden zusammen mit dem Rest der Rüstung, den Bein schienen und den schweren Reiterstiefeln, eine bedrohliche Aura. Trotz des vielen Metalls bewegten sie sich absolut lautlos. Frank erwartete unwillkür lich Schwerter oder Dolche an ihren Gürteln hängen zu sehen. Stattdessen trugen sie kleine, handlich aussehende Pistolen bei sich. Pistolen – Frank tastete unbewusst nach der seinen und war erleichtert, als er das schwere Metall an seiner Seite fühlte. Gegen diese Übermacht würden weder ihm noch Jack aber die mit Silberkugeln geladenen Waffen nützen. Dazu waren es zu viele. Wie auf einen geheimen Befehl hin blieben die Personen nun stehen. Dann lichteten sich ihre Reihen und Frank hörte das Geräusch eines Pferdes, das langsam näher kam.
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·Willkommen im Reich des Bösen.“ Mescantis Worte verfehlten ihre Wir kung nicht. Die grauen, groben Klötze, die vor den Rebellen aufragten, waren nach den Maßstäben der Zweckmäßigkeit erbaut. Fenster besaßen sie nicht, noch nicht einmal Türen. Thorsten versuchte, einen Sinn in die Ansammlung der Gebäude zu er kennen, aber es gelang ihm nicht. Fest stand nur, dass der große Turm, der sich in der Mitte der kleinen Stadt erhob, der Sitz des Fürsten der Finsternis sein musste. Flackernde Feuer waren über das Gelände verteilt und erleich terten den Rebellen die Orientierung. Überall herrschte Bewegung. Als die Rebellen Mescanti weiter ins Innere der Stadt folgten, vernahmen sie Kampfgeräusche und waren im ersten Moment alarmiert. ·Nur Waffenübungen, es besteht keine Gefahr“, mur melte Mescanti. Ursprünglich hatte sich Thorsten vorgestellt, dass sie immer in Deckung von einem Ort zum anderen schleichen würden, aber angesichts der Masse von Dämonen, die immer in Bewegung war, brauchten sie sich diese Mühe gar nicht zu machen. Sie fielen nicht weiter auf. Der von Mes canti in ihre Körper gepflanzte Keim musste die Dämonen täuschen. Dann, als sie ein weiteres Gebäude umrundet hatten, stoppte der Vampir. ·Ihr habt jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder, ihr versucht in den Turm des Fürsten einzudringen oder ihr ergründet das, was die Dunkle Sphäre beschützt. Es liegt an euch.“ Mescanti lächelte.
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Sie wussten nicht, dass jede Entscheidung die sie trafen, falsch sein würde. Sie würden es aber bald, sehr bald erfahren. Nachdem sich die Rebellen untereinander beraten hatten, entschieden sie sich, das Geheimnis der Dunklen Sphäre zu ergründen – eine direkte Kon frontation mit dem Fürsten der Finsternis erschien ihnen nicht besonders sinnvoll. Sie hatten zwar ihre üblichen Waffen – Weihwasserampullen, Kru zifixe und geweihte Dolche – bei sich, aber sie waren nicht zu vermessen zu glauben, es damit mit dem Fürsten aufnehmen zu können. Eine Entschei dung, die Mescanti offenbar recht war. ·Ich kann euch nicht direkt in das Zentrum führen. Das, was dort unten liegt, beeinträchtigt leider meine Konstitution, wenn ihr versteht.“ ·Deswegen brauchen die Dämonen wohl die menschlichen Arbeiter, die tagein, tagaus die Sphäre passieren“, murmelte Kathrein. ·Nun gut, führe uns, soweit du es kannst.“ Mescanti verbeugte sich und führte die Rebellen durch das Labyrinth der grobgepflasterten Straßen. Immer noch konnte Thorsten keinen rechten Sinn in der Gestalt der Anlage erkennen. Vielleicht war der menschliche Verstand dazu auch gar nicht in der Lage. Tiefer und tiefer drangen die Rebellen in die Anlage ein, passierten Gebäu de um Gebäude, insgeheim immer noch auf der Hut. Wer wusste schon, ob sich die Situation nicht von einer Sekunde zur anderen änderte? Dass über ihnen kein Stern, noch nicht einmal der Mond zu sehen war, verstärkte das Gefühl der Unsicherheit in ihnen. Schließlich stoppte Mescanti und deutete nach vorn. ·Ab hier müsst ihr alleine weitergehen. Ihr könnt die Grube nicht verfehlen, in ihr befindet sich das, was van Euwen vermutet, aber für das er bisher keine Beweise hatte. Geht. Ich warte hier auf euch“
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Der Reiter verbarg seine Gestalt unter einem langen, kunstvoll bestickten Mantel. Sein Gesicht lag im Schatten der Kapuze verborgen. Frank bezwei felte, dass sie es mit einem menschliches Wesen zu tun hatten. Da war eine Kälte, eine Aura, die das Wesen umgab... Frank schlug sich die Gedanken aus dem Kopf. Der Reiter schien die Dämonenjäger zu mustern, dann trieb es sein Pferd vorwärts. Seine Stimme war ein leises Wispern, dennoch konnten sie klar
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und deutlich die Worte des Wesens verstehen: ·Mein Herr und Meister schickt mich, um euch zu holen.“ ·Dein Herr und Meister?“, fragte Frank mit ruhiger Stimme. ·Wer soll das sein?“ ·Ihr kennt den Herrn und Meister nicht? Und habt dennoch seinen Dolch in der Hand.“ Die Eröffnung brachte Frank aus der Fassung. Zorks Dolch war in dieser Welt der Dolch von – ja, von wem? Das Wesen gab ein zischelndes Geräusch von sich. ·Genug geredet. Die Zeit meines Meisters ist knapp bemessen.“
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Sie standen am Rand der Grube und es war ihnen, als würden sie in die Eingeweide der Erde hinabstarren. Kathrein, die automatisch die Führung der Gruppe übernommen hatte, hatte eine Holztreppe entdeckt, die an der Wand der Grube spiralförmig hinabführte. Am Grund der Grube flammte ab und an ein rotes Licht auf, das die Erde und die Felsschicht, die nach einigen Klaftern begann, in unheimliches Zwielicht tauchte. Ohne zu Zö gern stiegen die Rebellen nach und nach die Treppe hinab. Vielleicht hätten sie misstrauisch werden müssen, als sich ihnen nach und nach zerlumpte Arbeiter anschlossen, aber sie waren zu abgelenkt – zu abgelenkt vom Licht und von dem, was sie auf der Holzplattform, die über dem Abgrund schwebte, sahen. Ein Kran war dort errichtet worden, der für gigantische Lasten geschaffen war. Atemlos starrten die Rebellen auf das Gebilde aus Holz, Eisennägel hielten es zusammen. ·Was in aller Welt...“ ·Das, meine Freunde, werdet ihr bald erfahren“, erklang eine Stimme in ihrem Rücken und noch bevor die Rebellen reagieren konnten, waren sie schon von einer Übermacht menschlicher Arbeiter umstellt...
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·Seid Ihr unglücklich über die Wahl, die ihr getroffen habt?“, wollte Julian Summers wissen. ·Nein“, erwiderte Mescanti. Der Hexenmeister und der Vampir befanden sich in einem zweckmäßig eingerichteten Raum innerhalb des Turms. A
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scheflocken aus dem ungenutzten Kamin umspielten die Füße des Vampirs, sanken dann langsam auf den schäbigen Teppich. Auf den Möbeln lag eine dicke Staubschicht. Wenn es Julian kalt war, zeigte er es nicht. ·Nein, unglücklich bin ich ganz und gar nicht. Allerdings verstehe ich noch nicht so recht, wie sich die Teile eures Plans zusammenfügen sollen.“ ·Alles zu seiner Zeit, Angelotti.“ Der Vampir sah den Magier nachdenklich an. ·Wenn Ihr so mächtig seid, wie ihr es behauptet, warum ergreift ihr dann nicht die Macht?“ Julian zog die Augenbrauen hoch. ·Ihr meint, ich sollte den Fürst der Fins ternis von seinem Thron ... Lächerlich. Was hätte ich denn davon?“ ·Macht. Unendlich viel Macht. Und Ihr scheint kein Mensch zu sein, dem die Macht egal wäre, sonst würdet Ihr nicht nach Gabriels Schwert verlan gen.“ ·Man muss wissen, wann man genug von der Macht besitzt, Angelotti. Zuviel Macht ist gefährlich. Ich dachte, van Euwen hätte euch das gelehrt?“ ·Mit van Euwen habe ich nichts mehr schaffen“, sagte der Vampir und wandte sich brüsk ab. ·Dann sollte die Nachricht, dass van Euwen hohen Besuch erwartet, Euch ja wohl auch egal sein, oder?“ ·In der Tat.“ Julian lächelte. Ihm konnte man so leicht nichts vormachen. ·Nun, wenn Ihr mich jetzt entschuldigen würdet, Angelotti, ich habe zu tun.“ Der Vampir nickte nur und starrte, nachdem Julian verschwunden war, nachdenklich in die Dunkelheit.
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Der Eindruck, den die Dämonenjäger von diesem Köln bekamen, war der von gepflasterten Straßen und jeder Menge Ruinen. Nur ab und an hatte ein Wohnhaus dem Zahn der Zeit widerstanden – oder sollte man besser sagen den Klauen der Dämonen? Denn von Dämonen wimmelte es in diesem Köln. Große, echsenartige Wesen, die offenbar die Funktion einer Stadtwa che übernommen hatten, patrouillierten in den Straßen. Soldaten wie die, die sie zur Stadt eskortiert hatten, waren ebenso vertreten wie mehrere Ex emplare der behaarten, riesigen Fledermäuse, die den Luftraum bewachten. Jetzt sahen sie auch mehr und mehr normale Menschen. Meistens abge
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härmt, in schmutzigen, zerrissenen Kleidern gehüllt. Als Frank einen alten Mann ansprach, zeigte dieser keine Reaktion. ·Grauenhaft“, murmelte Donna. ·Kein Wunder, dass Julian sich dieser Welt verbunden fühlt, wenn hier die Dämonen die Macht ergriffen haben.“
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Das Trio mitsamt seinen Bewachern stoppte unvermittelt. Die Kuppel er hob sich jetzt unmittelbar vor ihnen und über Franks Rücken lief eine Gän sehaut. Kleine Wellen schienen über die schwarze, stabil wirkende Wand vor ihnen zu laufen. Der Reiter glitt ohne geräuschlos von seinem Pferd, wandte sich dann an einen der Soldaten zu seiner Rechten und schien ihm etwas zu befehlen. Langsam kam dieser auf Frank zu und die kalte Aura, die den Dienern des Bösen anhaftete, drang bis auf seine Knochen. Unvermittelt hob der Soldat seine Hand und ein scharfer, kurzer Schmerz rann über Franks Haut. Der Soldat hatte ihn mit seiner scharfen Klauenhand geschnitten. Das warme Blut rann über Franks Finger und automatisch tupfte er es mit seinem Hemdärmel ab. ·Autsch. Musste das sein?“, beschwerte sich Donna hinter ihm. Und auch Jack wurde von dem Schnitt nicht verschont, wie der derbe Fluch Frank verriet. ·Was soll das? Wollen die uns irgendwie kennzeichnen?“ ·Keine Ahnung, aber es geht jetzt auf alle Fälle weiter.“ ·Beeindruckend“, murmelte Jack, als sie den Wachturm passierten, der di rekt vor der Kuppel in den Himmel aufragte. ·Offenbar ist das, was sich dort drinnen befindet, für die Dämonen unglaublich wertvoll.“ Frank konnte ihm nur zustimmen. Die untere Hälfte des Wachturms war in einer Art Zyklopenbauweise zu sammengefügt, ab der Mitte hatten die Dämonen Holz eingesetzt. Oben war auf einer quadratischen Plattform eine Art Hütte aufgebaut worden – und auf deren Dach saß eines der Fledermauswesen, mit denen sie schon Bekanntschaft gemacht hatten. Mit Argusaugen beobachtete es die An kommenden und schien jederzeit bereit, sich mit seinen breiten, ledernen Flügeln aus der luftigen Höhe auf sie zu stürzen. Doch viel Zeit, um sich den Turm genauer anzusehen, blieb ihnen nicht. Bevor sie es sich versahen, gab es einen derben Schlag in den Rücken und mehr stolpernd als gehend durchbrachen sie die dunkle Barriere.
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Die Galeone hatte Schwierigkeiten, sich gegen die starke Strömung des Rheins zu behaupten. Dem Kapitän schien zudem das ungewöhnliche Was ser, tiefschwarz und irgendwie zähflüssig, zusätzliche Kopfschmerzen zu bereiten. Sein Passagier war von dieser Tatsache nicht weiter überrascht. Als der Kapitän mit sorgenvollem Gesicht an ihm vorbeischritt, klopfte er ihm auf die Schulter und nahm ihn beiseite. Sie flüsterten eine Weile miteinan der, dann verschwand der Kapitän mit raschen Schritten zum Bug. Der Passagier, bei dem es sich um niemand anderen als um Papst Gregor han delte, lächelte. Wind blies in sein Gesicht. Die frische Luft tat ihm gut, vertrieb die Zwei fel, die sich während der Reise in ihm angesammelt hatten. Nach dem Be such war eine Weile eine Art von Klarheit in ihm gewesen, die nicht von dieser Welt gewesen war. Aber diese Klarheit entschwand allmählich in die Bereiche der Erinnerung – und die Zweifel stellten sich ein. Van Euwens Antwort war alles andere als beruhigend gewesen und Gregor konnte sich die Überraschung vorstellen, die sein Besuch dem Fürsten der Finsternis bereiten würde. Und das alles tat er, weil – ja, warum eigentlich? Er seufzte. ·Oh Herr, warum hast du uns nur als so unbeständige, zwei felnde Wesen erschaffen?“, murmelte er. Dabei zweifelte er gar nicht einmal an dem, was er erlebt hatte, er zweifelte auch nicht daran, dass irgendein Sinn in der Botschaft enthalten gewesen war – er zweifelte daran, dass er in der Lage war, sich gegen den Fürsten der Finsternis zu behaupten. Im Grunde seine Herzens war er immer noch der einfache Mönch, der sich wünschte, den Rang des Papstes nie erreicht zu haben. Und dennoch würde er sich fügen, würde den Kampf gegen die Mächte des Bösen aufnehmen. Sein Knöchel wurden weiß als er die Reling fester umfasste.
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Dieser verfluchte Hexenmeister hatte es tatsächlich geschafft, dass Mes canti an diesem Abend erneut bei van Euwen auftauchte – und der Vampir hätte schwören können, dass Julian es mit Absicht getan hatte. Der Kaufmann schien von seiner Ankunft nicht weiter überrascht zu sein. Ohne ein weiteres Wort führte er den Vampir in die gute Stube. ·Setzt Euch. Ich vermute, der große Unbekannte hat dich ebenfalls aufgesucht?“
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·Ihr kennt Julian Summers?“ ·Ich habe die ganze Zeit nur in seinem Auftrag gehandelt.“ Mescantis Pupillen weiteten sich. ·Das heißt, wir stehen eigentlich auf der selben Seite?“ Jetzt war es der Kaufmann, der überrascht aussah. ·Waren wir das nicht von Anfang an?“ Für einen Moment war Mescanti geneigt, dem Kaufmann vom Auftrag des Herrn der Finsternis zu erzählen unterließ es aber. ·In dieser Nacht überrascht mich nichts mehr“, murmelte der Kaufmann und holte eine Karaffe Wein hervor. ·Lasst uns auf die Rebellen und auf den Papst anstoßen.“ ·Den – Papst?“ ·Bis vor wenigen Stunden wusste ich es auch nicht, aber Julian scheint ein Faible für dramatische Wendungen zu haben. Ja, Papst Gregor kommt nach Köln. Und soweit ich es Julians Andeutungen entnehmen konnte, wird er dem Herrn der Finsternis gegenüberstehen.“ ·Aber – das wird Gregor nie im Leben lebend überstehen“, sagte Mescanti und wandte sich auf der Stelle zum Gehen. ·Wohin wollt Ihr?“, rief der Kaufmann ihm hinterher, erhielt aber keine Antwort.
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·Verdammt, worauf wartet der denn?“ Die Rebellen befanden sich im Thronsaal des Fürsten der Finsternis und rechneten mit dem Schlimmsten. Kathrein starrte auf den Marmorfußboden. Die Pracht, die sie umgab, ließ sie kalt. Auch Thorsten hatte keinen Blick für die Umgebung. Mescantis Verrat war weder für ihn, noch für die Anderen nachvollziehbar. Kathrein hatte letzten Endes doch Recht behalten. Sie freute sich jedoch nicht im darüber. Es waren Ingrams, die sie bewachten. Sie ließen sie keine Sekunde aus den Augen. Es schien, als würden sie noch auf irgendetwas warten. Bevor Thorsten den Gedanken zu Ende gedachte hatte, schwangen die Tore des Thronsaals auf und zwei Männer und eine Frau wurden in den Raum ge führt. Genau wie die Rebellen waren sie gefesselt. Der Mann, der als erster in den Saal trat, war eine eindrucksvolle Erscheinung. An seiner linken Seite leuchtete etwas. Thorsten kniff die Augen zusammen, er glaubte an eine optische Täuschung. Aber es war Realität. Ein blaues Licht sickerte durch den Stoff.
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Bei dem zweiten Mann fielen Thorsten gleich die Augen als hervorste chendstes Merkmal auf. Dunkel starrte er in Richtung des Throns. Die Frau wirkte irgendwie verloren. Fast ausdruckslos starrte sie um sich. Die pracht volle Umgebung machte auch auf sie keinen Eindruck. Auf Thorsten wirk ten die drei Neuankömmlinge trotz der aussichtslosen Lage selbstbewusst und gefasst. Einer der Ingrams trat auf den Mann zu, von dem das seltsame Leuchten ausging. Er holte eine Scheide unter dem Wams des Mannes hervor, aus der der Griff eines Dolchs ragte, den er nun herauszog. Von dem Dolch ging das bläuliche Leuchten aus, das sich nun langsam ausbreitete, zu Boden sank und dort seltsame Muster zu ziehen begann. Die Dämonenkreaturen reagierten in einer Art und Weise, die Thorsten verwunderte: Sie sanken ehrfurchtsvoll auf die Knie, senkten ihre Häupter. Was Thorsten aber vollends verwirrte war die Tatsache, dass in dieser Se kunde der Fürst der Finsternis auftauchte und in seiner erhobenen Linken genau den selben Dolch hielt...
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Frank hörte hinter sich Donna und Jack etwas flüstern, aber die Worte er reichten nicht sein Ohr. Er starrte auf die Gestalt, die jetzt langsam, immer noch mit dem Dolch in ihrer Hand, den Thron bestieg. Hätte Frank es nicht besser gewusst, er hätte schwören können, Zorks Dolch dort zu sehen Der Mann, der auf dem Thron Platz genommen hatte, war schön. Dies war das erste, was Frank dachte, als er sich ihn näher betrachtete. Seine Züge waren sehr feingeschnitten, das lange, flachsblonde Haar fiel weich bis zu den Schultern. Wenn da nicht die Augen gewesen wären... Schwarze, unheilvoll glühende Augen, deren Blick bis in Franks Seele zu dringen schien. Wären nicht die Augen gewesen, ein Engel wäre nicht schöner ge wesen. Der Teufel verkleidet sich als Engel des Lichts. Wie treffend Franks Gedanke war zeigte sich, als der Mann auf dem Thron zu sprechen begann. Seine Stimme war samten, einschmeichelnd – aber Frank ließ sich nicht von ihr einlullen. Unter der schönen Oberfläche verbarg sich eine stahlharte Schärfe. ·Sieh an, sieh an – Besuch in meiner bescheidenen Hütte. Euch“, er deute te mit seiner Linken auf die Seite, wo Frank erst jetzt eine Reihe weiterer Gefangenen bemerkte, ·habe ich erwartet. Derjenige, der euch in meine
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Hand gegeben hat, wird bald seinen gerechten Lohn empfangen. Aber das hat Zeit.“ Frank hatte die Zeit genutzt, die anderen Gefangenen in Augenschein zu nehmen. Überrascht stellte er fest, dass es Jugendliche waren, halbe Kinder noch. Aber gleichzeitig haftete ihnen die Ausstrahlung von Erwachsenen an. Vielleicht war das so in einer Welt, in der die Dämonen die Oberhand ge wonnen hatten. Der Mann auf dem Thron wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Dä monenjägern zu. ·Euch dagegen habe ich nicht erwartet, aber es ist mir dennoch ein Vergnügen. Vor allem, da ihr nicht von dieser Welt zu sein scheint.“ ·Das Vergnügen ist ganz auf unserer Seite“, meinte Jack. Der Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören. ·Wir würde uns ja gerne vorstellen, aber dazu müssten wir erst Mal deinen Namen wissen“, fuhr Jack fort. Der Mann lächelte und ein Hauch von Wärme lag auf einmal auf seinem Gesicht. Der Eindruck verflüchtigte sich jedoch so schnell, wie er gekom men war. ·Mein Name? Meinen wahren Namen? Wäre das nicht arg ver messen im Angesicht meiner Feinde?“ Er lächelte erneut. ·Ich meine, dass der Titel des Fürsten der Finsternis vorerst genügen wird. Und nachdem ihr nun meinen Namen wisst, würde ich gern eure erfahren.“ ·Mich nennt man Frank MacLachlan“, machte Frank den Anfang. ·Jack Claim.“ ·Donna Richmond.“ ·Die Namen klingen sehr fremd, ihr stammt nicht von dieser Welt.“ ·Wir könnten auch von dieser Welt stammen von einem anderen Konti nent, den ihr noch nicht entdeckt habt?“ ·Herr Claim, wenn Ihr damit auf den Kontinent jenseits des Ozeans an spielt, so muss ich Euch enttäuschen, dort fühlen wir uns mittlerweile eben so heimisch wie hier in Europa. Nein, ihr stammt aus einer anderen Welt.” ·Wenn ich Julian in die Finger kriege...“, brummte Jack vor sich hin. ·Nun“, sagte der Fürst der Finsternis und legte seine Fingerspitzen anein ander, ·auf welche Weise ihr hierher gekommen seid, interessiert mich zwar brennend, aber leider ist diese Nacht von größter Wichtigkeit für mich und Störungen jedweder Art...“ In diesem Augenblick wurde eine Seitentür aufgerissen und mit fliegenden Schritten kam ein Mann auf den Thron zu. ·Ah, Mescanti. Ich habe Euch schon erwartet.“ Der Mann im schwarzen Mantel kniete nieder. Das lange, weiße Haar, das Gesicht, das einem leben den Totenschädel glich und die langen Krallen verrieten den Dämonenjä gern, dass dies kein Mensch sein konnte. Spätestens, als der Mann aufstand
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und ein Lächeln zwei lange Eckzähne entblößte, wussten sie Bescheid. Ein Raunen der Empörung war unter den Jugendlichen zu vernehmen, als der Name des Vampirs gefallen war. ·Mein Fürst, ich fühle mich geehrt. Ich habe eine dringende Botschaft, die keinen Aufschub duldet.“ ·Wenn Ihr damit die Ankunft des Papstes meint – davon wurde ich schon längst in Kenntnis gesetzt.“ Der Vampir hatte sich erstaunlich gut im Griff. ·Wenn dem so ist, Herr, möchte ich mich mit euerer gütigen Erlaubnis entfernen.“ ·Was ihr möchtet, Mescanti, ist momentan nicht von Belang“, sagte der Fürst der Finsternis nun mit eiskalter Stimme. ·Ich verstehe nicht ganz...“ ·Ich denke, Ihr versteht nur zu gut – Verräter!“ War das Raunen bei den Jugendlichen vorher voller Empörung und Wut gewesen, so war es jetzt voller Verwunderung und Erstaunen. ·Ich wusste schon lange, dass Ihr gegen mich arbeitet, Mescanti.“ ·Wenn ihr es wusstet, warum habt ihr mich nicht...“ ·Schon längst getötet? Das wäre doch zu einfach gewesen. Und zudem – wer hätte mir die Rebellen auf dem Silbertablett präsentiert?“ Angesichts dieser Erkenntnis taumelte der Vampir, fing sich jedoch rasch wieder. ·Dann tut es jetzt, Herr. Tötet mich.“ Frank hielt den Atem an. Er ahnte, dass sie das Finale eines Dramas erleb ten, das vor langer Zeit begonnen hatte. Der Fürst der Finsternis überlegte, dann schüttelte er den Kopf. ·Nein, das wäre ebenfalls zu einfach. Damit käme ich Euch nur entgegen, nicht wahr? Am Anfang habt Ihr das neue Leben in vollen Zügen genossen. Das Sonnenlicht vermisstet ihr nicht, solange es genügend Blut gab. Doch das änderte sich mit der Zeit, nicht wahr? Und dann, dann öffnete die Hexe das Tor und die Sterblichen beugten sich unter unserer Macht. Alles änderte sich, aber nicht eure Gefühle – sofern ihr Gefühle euer Eigen nennen könnt.“ ·Glaubt Ihr etwa, sie wären mit dem Biss verschwunden?“, fragte der Vampir ruhig. ·Nein, sie blieben. Zuerst dachte ich, ich hätte sie verloren, aber sie waren nur eine Weile unterdrückt, weil ich mich mit dem Unleben arrangieren musste. Und als sich das Tor öffnete – damals änderte sich mein Leben aufs Neue. Ich erkannte, dass ich im Laufe der Jahrhunderte unend lich müde geworden war, aber der Durst und das Verlangen nach Blut hielt mich am Leben. Ich konnte weder mich selbst umbringen, noch die Sterbli chen dazu bringen, mich zu töten – dazu hatten sie schon viel zu viel Angst vor den Geschöpfen der Nacht. Hatte ich also eine andere Wahl?“
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·Die hattet Ihr“, erhob Kathrein ihre Stimme. ·Jeden Tag hattet Ihr die Wahl.“ Mescanti schüttelte den Kopf. ·So einfach ist es nicht. Sein Leben wegzu werfen, das scheint in euren Augen recht einfach zu sein, aber Ihr seid zu jung, um das zu verstehen, Kathrein.“ ·Wir werden noch Zeit genug haben, diese Debatte fortzuführen“, schalte te sich der Fürst der Finsternis in das Gespräch ein. ·Doch in der Nacht meines größten Triumphes sind solche Sachen unwichtig. Jede Minute kann Papst Gregor eintreffen und wir wollen ihn doch nicht warten lassen.“ Der Fürst der Finsternis stieg von seinem Thron herab. Diesmal warteten die Wachen, bis Mescanti, die Dämonenjäger und die Jugendlichen beisam men waren und trieben sie dann vorwärts in die ewige Nacht.
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·Wohin führen sie uns wohl?“ Frank war sich nicht bewusst, diesen Ge danken laut ausgesprochen zu haben, deswegen war er überrascht, als der Jugendliche neben ihm antwortete: ·Zum Kran.“ ·Zum Kran?“ Der Jugendliche nickte. Kaum älter als Zwanzig schien er zu sein. ·Wir waren heute schon einmal dort, wurden aber von den Arbeitern gefangen genommen, Herr Mac..?“ ·Nenn mich Frank.“ ·Ich bin Thorsten. Thorsten Grams. Stammt ihr wirklich von einer ande ren Welt?“ Frank nickte, hakte dann aber nach: ·Welchen Kran meinst du?“ ·Den in der Grube. Dort, wo das Feuer der Erde empor leuchtet.“ Der Dämonenjäger dachte über die Worte nach, aber sie machten noch keinen Sinn. Er seufzte. Insgeheim wünschte er sich, jetzt Zorks Dolch bei sich zu haben. Vermutlich befand er sich jetzt in den Händen des Fürsten der Finsternis – kein schöner Gedanke. Die folgende Bemerkung Thorstens, dass wenn Papst Gregor wirklich nach Köln käme, die Welt wohl endgültig verloren sei, weckte Franks Neu gierde. ·Wer ist dieser Papst?“ ·Papst Gregor ist die einzige Hoffnung der Menschheit. Die Dämonen haben vor vielen Jahren den Vatikan erobert, der Petersdom – kennt ihr ihn? – wurde bis auf die Grundmauern geschleift. Ungewiss war es, ob der
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Papst es geschafft hatte. Dann hörten wir von dem Schirm um NeuFrankreich – und davon, dass es einen neuen Papst gab.“ ·Einen Schirm?“ Frank konnte momentan nur die Rolle des Fragenden einnehmen. Thorsten schien es aber nichts aus zu machen, sein Wissen zu teilen. ·Ich habe ihn selber nie gesehen, aber es heißt, der Bereich des Neuen Va tikans soll von einem starken, leuchtenden Schirm umgeben sein. Die Dä monen konnten ihn bisher nicht erobern.“ ·Ich verstehe – ein Pfahl im Fleisch.“ Thorsten nickte. ·Wir vermuten, dass der Papst himmlische Hilfe erhalten hat, um den Schirm errichten zu können.“ ·War der alte Vatikan denn nicht von einem solchen Schirm umgeben?“ ·Nein. Der alte Papst glaubte sich sicher, geschützt vom Grab des heiligen Petrus. Ein Irrtum, wie er bald nach der Schlacht um den Dom erkennen musste.“ ·Dann hatte mein Freund doch Recht, als er sagte, normalerweise müsste hier der Dom stehen“, murmelte Frank. ·Ja. Hier stand er. Die Dämonen haben damals gesiegt, den Dom komplett abgerissen und dann wurde von einem Tag auf den anderen die Dunkle Sphäre errichtet – wir wissen nicht, warum.“ ·Du gehörtest einer Rebellengruppe an, richtig?“ ·Ja. Wir haben Mescanti vertraut, aber er hat uns verraten.“ Sie hatten den Gebäudekomplex längst hinter sich gelassen. Die Wachen schienen etwas nachlässiger geworden zu sein, aber der Eindruck mochte auch täuschen. An Flucht war aber trotzdem nicht zu denken. Vor Frank marschierten Jack und Donna, die ebenfalls mit einigen Jugendlichen im Gespräch waren. Allmählich verlangsamte sich das Tempo des Trosses, sie kamen dem Ziel näher. Und dann standen sie am Rand der Grube und Frank schauderte es, als er hinab in die unendliche Tiefe sah, die sich vor ihm auftat. An den Wänden der Grube schraubte sich eine hölzerne Treppe hinab, die die Gefangenen vorsichtig hinabschritten. Schließlich standen sie auf einer Plattform und Frank sah den Kran, von dem Thorsten erzählt hatte. Ein wuchtiges, höl zernes Ungetüm, am oberen Ende mit einer Seilwinde versehen, gesteuert von einem riesigen Laufrad in dem Dutzende von Menschen schufteten. Der Fürst der Finsternis trat in die Mitte der Plattform. Mit Hilfe seiner schwarzmagischen Kräfte musste er sich hierhin begeben haben, mutmaßte Frank. Siegesgewiss richtete er seinen Blick auf die Gefangenen. Eine ech senartige Wache trat neben ihn und überreichte ihn Zorks Dolch – oder war
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es der Dolch des Fürsten? Einen Dolch hielt er bereits in der Faust. Frank konnte es nicht sagen, welcher seiner war, zu ähnlich waren sie. Er hatte gehofft, dass von Zorks Dolch irgendeine Reaktion erfolgte, ein Blitz, ein magischer Angriff, irgendetwas. Für eine Sekunde hielt der Fürst beide Dolche auf den flachen Handflächen vor sich hin, verglich sie und lächelte dann. ·Wahrlich, die gleiche Kraft wohnt in ihnen. Sie werden noch gute Dienste leisten.“ Frank versetzte das einen Stich ins Herz. Der Fürst übergab die beiden Waffen in die Hände der Wache und begann unvermittelt eine Rede, die er offenbar seit langem vorbereitet hatte. ·In dieser Nacht schreibt die Finsternis erneut Geschichte. Das erste Mal wurde uns der Weg bereitet, diesmal schaffen wir selbst die Grundlagen für die komplette Eroberung der Welt. Der Schirm, der bisher die letzten Reste des Widersachers bedeckte, wird in den nächsten Tagen fallen, restlos besiegt wird der Papst sein. Denn heute wird das in die Dunkelheit gebracht, das seit langem im Schoß der Erde liegt. Wir erinnern uns nur zu gut an die Schäden die das verursachte, was dort unten vor der Welt verborgen lag. Überrascht waren wir, als wir es beim Abriss des Doms in der Erde fanden. Seither bemühen wir uns, es für unsere Zwecke zu nutzen. Und heute, heute sind wird in der Lage, genau dies zu tun. Wir freuen uns, dass Papst Gre gor“, der Fürst deutete in die Höhe und die Gefangenen hielten den Atem an, als sich dort eine Gestalt zeigte, ·der dank der Hilfe meiner Diener un gehindert den Schirm passieren konnte, zu diesem Anlass hergekommen ist. Nicht nur, weil er damit unserer Gefangener ist, sondern auch, weil damit die Dunkle Sphäre überflüssig geworden ist. Schutz und Schirm war sie uns bei unseren Bemühungen, das, was dort in der Erde liegt, zu besitzen und zu benutzen.“ ·Ganz schön theatralisch. Ist das dort wirklich euer Papst?“, fragte Frank flüsternd. ·Ich glaube, ja. Er ist zu weit weg, ich kann ihn kaum sehen. Und ich ken ne sein Gesicht nur von Kupferstichen her.“ Der Fürst gab nun dem Dämon, der die Arbeiter beaufsichtigte, einen Wink und das Rad begann sich zu drehen. Erst langsam, ächzend, dann schneller werdend bis ein konstantes Tempo erreicht worden war. Frank konnte sich nicht mal ansatzweise vorstellen, wie die Arbeiter im Rad leiden mussten. Während sich das Seil in der Winde langsam bewegte und der Flaschenzug seine Arbeit aufnahm, wurde ein Mann in langen, weißen Gewändern von drei Wachen in die Tiefe geführt. Als er auf der Plattform stand, konnte Frank in Thorstens Gesicht Bewunderung und Furcht zugleich erkennen.
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Der hochgewachsene Mann lächelte ihnen zu und ging mit festen Schritten auf den Fürsten der Finsternis zu. ·So sehen wir uns endlich einmal von Angesicht zu Angesicht“, sagte der Papst. Er besaß eine tiefe, volltönende Stimme und im Gegensatz zu der des Fürsten der Finsternis war sie das, was sie zu sein schien: Voller Wärme und voller Freundlichkeit. ·Es war ein Fehler, dass ihr zu mir gekommen seid.“ ·Ein Fehler“, sagte der Papst gedehnt. ·Nein, ich glaube das nicht.“ ·Wir werden sehen.“ Noch war nicht zu erkennen, was aus der Tiefe der Erde hinaufbefördert wurde. Die Dämonenjäger, die jetzt ziemlich Nahe beieinander standen, warfen sich jedoch wissende Blicke zu. Sie wussten, was der Fürst ihnen präsentieren würde. Und sie wussten, sie mussten irgendetwas unternehmen. Doch ihnen waren im wahrsten Sinne des Wortes die Hände gebunden. Zorks Dolch befand sich zudem in der Gewalt des Fürsten. Keine Chance. Ein Leuchten stieg aus der Tiefe hervor, langsam gewann es an Intensität, gewann an Brillanz. Es strahlte Wärme aus, die nicht nur die Haut erreichte, sondern tief in die Seele der Gefangenen drang, Hoffnung und Zuversicht flossen in sie, verbreiteten sich mit jedem Atemzug – bis schließlich das, was dort am eisernen Haken des Flaschenzugs baumelte, jedem Auge sichtbar war: Ein langes, unirdisch gleißendes Schwert mit gewellter Klinge. Der Knauf, an dem sich der Haken verfangen hatte, leuchtete in allen Farben des Regenbogens. Frank hatte das Bedürfnis vor dieser Schönheit und Macht auf die Knie zu fallen. ·Das Schwert Gabriels“, hauchte er. Das, was Frank tun wollte, hatte der Papst schon längst getan. Andächtig war er auf die Knie gegangen und hatte seine Hände zum Gebet erhoben. Die dämonischen Wachen wichen vor dem Glanz des Schwertes bis an den Rand der Plattform zurück. Nur der Fürst der Finsternis war immun gegen diese Macht. Kein Wunder, durchzuckte es Frank, schließlich war er ja sel ber ein Engel gewesen. Wenigstens in dieser Welt. ·Das Licht erhellt die Finsternis“, hörte er neben sich Thorsten murmeln. Und in der Tat war die Macht des Schwertes so stark, dass es die Feuer und Fackeln auf einen Schlag unbrauchbar machte. ·Mein. Endlich mein!“, sagte der Fürst und wies die Dämonen an, das Schwert zu ihm herüberzuschwenken. Sie taten, wie ihnen geheißen war. Das Schwert baumelte nur eine handbreit vom Fürsten entfernt. Zögernd streckte er seine Hand aus, dann jedoch griff er entschlossen zu und hielt das Schwert in seiner Rechten. Er erhob es gegen den Himmel. ·Jetzt kann uns nichts mehr aufhalten.“ ·Doch“, sagte der Papst ruhig und schaute nach oben. ·ER kann es.“
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Frank legte den Kopf in den Nacken und starrte nach oben. Täuschte er sich, oder zeigten sich Risse in der Kuppel? Er legte die Hand vor die Augen und sein Eindruck bestätigte sich. Zuerst nur zart und fein breiteten sich die Sprünge in der Kuppel mehr und mehr aus, immer schneller und schneller. Erste dunkle Bruchstücke rieselten auf ihre Köpfe herab. Irritiert senkte der Fürst das Schwert Gabriels – und Mescanti nutzte seine Chance. Zwar waren seine Hände in Fesseln aus solidem Eisen, aber er stand nahe genug am Fürsten der Finsternis, um sich mit voller Wucht gegen ihn zu stürzen. Das Schwert Gabriels fiel dem Fürsten aus der Hand, schlitterte, nachdem es auf der Plattform aufgekommen war, mit dem Knauf voran bis an den Rand. Panik brach unter den Dämonen aus, sie stoben vor der Macht des Schwertes davon. Frank nutzte seine Chance. Die verwirrten Dämonen registrierten gar nicht, was er vorhatte – vielleicht hatte auch nur Frank gesehen, dass der Dämon, der die Dolche vorhin vom Fürsten entgegen genommen hatte, diese bei der Flucht weggeworfen hatte. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Jack zum Schwert sprintete. Als wäre das Chaos noch nicht vollkommen, begannen nun die ersten grö ßeren Bruchstücke der Kuppel auf sie herabzustürzen – mit einer solchen Kraft, dass sie mühelos die Plattform durchstießen und zwei Dämonen mit sich in die Tiefe rissen. ·Zur Treppe!“, rief Frank und hoffte, gehört worden zu sein. Die Waffen befanden sich jetzt direkt vor ihm. Er kniete nieder, wählte instinktiv eine der Waffen, hob sie auf und rannte dann in Richtung der Treppe. Er war nicht weiter überrascht, als Donna neben ihm auftauchte. Instinktiv griff sie mit ihren gefesselten Händen nach dem Dolch und mit einigen Mühen ge lang es ihr, Frank von seinen Fesseln zu befreien. Wenig später war sie auch die ihren los und rieb sich ihre wundgescheuerten Handgelenke. ·Zur Trep pe“, wiederholte Frank seine Anweisung. ·Wo ist Jack?“ ·Dicht hinter uns – hoffe ich.“ Sie zuckten zusammen, als direkt neben ihnen ein faustgroßes Kuppelstück zitternd in der Plattform steckenlieb. ·Ich hoffe, er denkt an das Schwert“, rief Donna, während sie sich durch die schreiende, panische Menge zur Treppe vorarbeiteten. Erleichtert atmete Frank auf, als Donna die ersten Treppenstufen hinter sich hatte. ·Ihr müsst euch beeilen, der Fürst hat das Schwert beinahe wieder in sei nem Besitz gebracht“, hörte er die Stimme des Vampirs, der neben ihm aufgetaucht war. Sein Gefühl sagte Frank, dass er dem Geschöpf der Nacht zumindest in dieser Situation vertrauen konnte. Er bedauerte, den Vampir nicht von seinen stählernen Fesseln befreien zu können, aber als hätte der
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seine Gedanken erraten, stieß er ihn in die Richtung des Schwertes. ·Beeilt Euch. Kümmert euch nicht um mich – das Schwert ist wichtiger.“ Mit diesen Worten verschwand Mescanti in der Menge. Frank eilte vor wärts, bahnte sich einen Weg durch die verängstigten Menschen, wich den Löchern in der Plattform aus und gelangte schließlich zum Schwert. Leider zu spät. Der Fürst der Finsternis erhob sich gerade, das Schwert in seiner Hand. ·Nun, wollt Ihr etwa mit einem Dolch gegen mich antreten?“, fragte der Fürst und ein spöttisches Grinsen legte sich über seine Lippen. ·Gebt auf!“ ·Die Kuppel bricht zusammen“, entgegnete Frank. ·Wäre es da nicht an der Zeit, sich die Niederlage einzugestehen?“ ·Niederlage? Ich habe das Schwert, ich habe Gregor in meiner Gewalt – ER selbst könnte mich jetzt nicht mehr aufhalten.“ ·Gott vielleicht nicht – aber ich.“ Papst Gregor trat neben Frank hervor. ·Wisst ihr, ich wurde vor einiger Zeit gesegnet.“ Der Fürst lachte höhnisch. ·Und damit glaubt Ihr, bestehen zu können?“ Der Papst lächelte und breitete die Arme aus. ·Van Euwen war ein Narr, als er glaubte, nur mit einer gewaltbereiten Armee gegen Euch bestehen zu können. Und auch der, in dessen Auftrag er handelte, war ein unwissender Tor.“ Diese Mitteilung war dem Fürsten anscheinend neu. ·Wie ich schon sagte“, fuhr der Papst fort, ·ich wurde vor einiger Zeit ge segnet. Der, der das Schwert einst verlor, vermisst es sehr. Seit Jahrhunder ten forscht er nach seinem Verbleib und fand es schließlich – doch er war nicht imstande, es an sich zu bringen. Denn die Menschen hatten ein Haus Gottes über dem Ort errichtet, an dem der Fürst der Finsternis einst zu sammen mit dem Schwert auf die Erde stürzte. Ihr wurdet bis in die tiefsten Klafter der Erde geschleudert. Die Hölle, die Ihr dort errichtetet, war fortan euer Heim. Das Schwert aber blieb auf halber Strecke im Boden stecken und mit seiner Macht versiegelte es den Zugang zu Eurem Reich. Nur auf Umwegen konntet Ihr von da an die Sterblichen verderben – und ihr trach tet danach, das Schwert in die Hände zu bekommen um die Rebellion, die ihr angefangen habt, endgültig zu vollenden. Aber Gabriel selbst hatte ein wachsames Auge auf euch. Und jetzt ist seine Kraft in mir.“ Urplötzlich flammte ein Strahl reinen Lichts aus der Brust das Papstes her vor und traf den Fürst der Finsternis in dessen Brust. Er taumelte nicht, noch scheute er davor zurück – er versuchte, dem Strahl standzuhalten. Eine Weile gelang es ihm auch, aber nach und nach, Schritt für Schritt wur de er an den Rand der Plattform gedrängt. ·Lasst – das – Schwert – los.“ ·Niemals!“
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Frank beobachtete den Kampf der beiden, wollte eingreifen, sah aber schnell ein, dass dies nicht sein Kampf war. Dennoch, er brauchte das Schwert. Wenn er jemals Jane wiedersehen wollte, brauchte er es. Das wür de aber bedeuten, dass er die Waffe der Dunkle Seite zuspielen würde. Er zögerte, dann entschied Schicksal für ihn. Unablässig hatte der Papst den Fürsten gegen den Rand der Plattform ge drängt und schließlich stand dieser bedrohlich nah am Rand - er hielt einen Moment inne, lächelte den Papst an, faste das Schwerte fester an seinem Knauf, breitete die Arme aus und ließ sich nach hinten fallen. Frank schrie auf, sprang nach vorne, seine Finger verkrallten sich in die Hose des Fürsten, der Stoff riss. Frank sah, wie der Fürst mit dem Kopf voran in die Tiefe stürzte, das Schwert immer noch in seiner Rechten. Frank stand auf. Der Papst sah müde aus, erschöpft. ·Wir müssen weg von hier, die Kuppel wird nicht mehr lange genug halten“, brachte Gregor mit größter Anstren gung hervor. Frank starrte ihn immer noch an, aber schließlich drangen die Worte Gre gors in sein Bewusstsein vor. ·Ihr habt Recht. Wir müssen weg.“ Gemeinsam hasteten sie über die Plattform und dann die Treppe hinauf. Der Boden erzitterte unter den permanenten Einschlägen der Kuppelstücke. Inmitten der Dämonen, einer panisch verschreckten Menge, war es nicht einfach, bis zum Rand der Kuppel zu kommen. Schließlich, nach einer für ihn unendlich langen Zeit, erreichte Frank zusammen mit dem Papst den Rand der Kuppel. Er zögerte einen Moment, doch dann durchstieß er die Kuppel, der Papst folgte ihm sofort. Erst am Rhein hielt er inne, wandte sich um, starrte auf die Kuppel – viel mehr auf das, was noch von ihr übrig war. Das war nicht mehr viel, wie er feststellte. Der obere Teil der Sphäre existierte nicht mehr, Bruchstücke mit gezackten Rändern wiesen ins Leere. Löcher waren in den Seiten, nicht mehr lange und alles würde komplett in sich zusammenstürzen. Frank hoff te, dass es Jack und Donna geschafft hatten. ·Ihr macht Euch Sorgen um Eure Freunde“, stellte Gregor fest. Frank nickte nur. Der Papst meinte Jack und Donna, doch Frank musste an Jane denken. Das Schwert Gabriels war wieder in der Tiefe verschwunden. Die Hoffnung, Jane jemals wiederzusehen, verflüchtigte sich mehr und mehr. Gregor verstand den Ausdruck auf Franks Gesicht falsch. ·Ich bin sicher, eure Freunde haben es geschafft.“ ·Das hoffe ich auch“, murmelte Frank jetzt.
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Frank lehnte sich an die Reling und beobachtete, wie die Wellen gegen die Ufer schlugen. Einige Minuten später gesellte sich Jack zu ihm. Es hatte eine Weile gedauert, bis die drei Dämonenjäger sich wiedergefunden hatten. ·Donna schläft noch“, sagte Jack. ·War auch eine lange Nacht.“ ·Und?“, fragte Frank, ·wie geht es jetzt weiter? Wir haben die dritte Prü fung nicht bestanden.“ ·Gute Frage. Vor allem möchte ich auch irgendwann mal zurück nach Hause. Nicht, dass es mir hier nicht gefallen würde, aber...“ ·Darüber braucht ihr euch keine Sorgen zu machen.“ Die Beiden wirbel ten herum, nicht wirklich überrascht davon, Julian vor sich zu sehen. ·Na prima – jetzt, wo alles vorbei ist, taucht der Hexenmeister auf!“ ·Jack“, sagte Frank beschwichtigend, ·ich glaube, er hat einen guten Grund. Sonst hätte er seinen Verbündeten doch schon früher geholfen.“ Jack sah Frank verständnislos an, dann verstand er. ·Der war der Anstifter der Rebellion? Vermutlich, um auf diese Weise zum Schwert zu kommen.“ Julian ging nicht auf Jack ein. ·Schade, dass ihr das Schwert Gabriels nicht in eure Hände bekommen habt, aber in diesem Falle bin ich bereit, die An strengung alleine gelten zu lassen.“ ·So großzügig kennen wir dich ja gar nicht“, giftete Jack. Der Hexenmeis ter ignorierte ihn weiterhin. Frank fragte sich, welche Erfahrungen Jack mit Julian gemacht hatte, dass er ihn derartig ablehnte. Wenn nicht gar abgrundtief hasste. ·Heißt dass, wir können sofort zurück nach Hause?“ ·Natürlich – es sei denn, ihr wollt euch noch von Gregor oder den Rebel len verabschieden.“ ·Vielleicht sollten wir das tun, ja.“ ·Dann tut das. Ich werde hier sein“, versprach der Hexenmeister.
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Der Abschied von Gregor verlief kurz und schmerzlos. Der Papst, der schon eifrig damit beschäftigt war, den Wiederaufbau des Doms zu planen, versicherte ihnen, dass sie jederzeit Willkommen waren, wenn sie irgendwann einmal wiederkommen sollten. Frank fasste das als das auf, das es war: Als reine Höflichkeitsfloskel. Nach einigen weiteren Worten drückte Gregor
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jedem von ihnen eine kleine Goldkette in die Hand. Donna entdeckte als Erste den Anhänger. ·Es ist ein kleines Stück der Dunklen Sphäre. Mein Freund van Euwen war so freundlich, die Ketten zu stiften. Meine Mittel sind zur Zeit begrenzt.“ ·Glücklicherweise sind sämtliche Rebellen heil und sicher in seinem Haus angekommen. Ich hoffe, sie haben alle noch ein glückliches Leben“, sagte Donna versonnen. ·Ich danke Euch.“ Die Drei stiegen die Treppe zum Deck hinauf. Wie versprochen wartete Julian dort auf sie. Mit einer Handbewegung schuf er ein Tor und diesmal gingen die Dämonenjäger ohne Zwang hindurch – und staunten nicht schlecht, als sie sich inmitten eines prächtig ausgestatteten Hotelzimmers wiederfanden. ·Du meine Güte“, hauchte Donna. ·Ist es das, was ich glaube, dass es ist?“ Julian, der wie üblich aus dem Nichts aufgetaucht war, lächelte. ·Da euer Büro leider den Flammen zum Opfer fiel, dachte ich, ihr könntet erst mal eine Pause gebrauchen – und das Waldorf Astoria ist dafür doch sehr geeig net. Von hier aus könnt ihr euch problemlos nach einem neuen Büro umse hen.“ ·Gut und schön, aber wir sind Dämonenjäger, keine Millionäre. Wer be zahlt das Zimmer?“, wollte Frank wissen. · Macht euch darüber keine Gedanken, ich habe mich darum gekümmert, als Stammgast hat man seine Privilegien.“ ·Stammgast?“, fragte Donna. Julian lächelte, ging aber nicht auf die Frage ein. ·Übrigens, ich würde mal einen Blick ins Badezimmer werfen.“ Bevor jemand noch etwas sagen konnte, war Julian bereits wieder ver schwunden. ·Stammgast“, wiederholte Donna, ·wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, das Böse zahlt sich am Ende doch aus.“ ·Psssst“, machte Jack und legte den Zeigefinger auf die Lippe. ·Hört ihr das?“ Das Team lauschte. ·Da singt jemand“, stellte Donna fest. ·Und ich glaube, ich weiß auch schon, wer das ist...“ Schnell fanden die Freunde das Badezimmer. Sie besannen sich rechtzeitig auf ihre guten Manieren und klopften an. Jane Cardigans Stimme drang durch die Tür. ·Einen Moment, ich kom me.“ Das Geräusch von nackten Füßen auf Fliesen war zu hören, ein Schlüssel wurde umgedreht und die Tür öffnete sich. Mit einem flauschigem Bademantel bekleidet stand Jane vor ihnen.
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·Jane“, sagte Jack schlicht und drückte sie dann an sich. ·Hey, ich freue mich auch, euch zu sehen“, meinte Jane lachend, wehrte ihn ab und führte sie in den geräumigen Wohnraum. ·Kannst du dich an irgendetwas erinnern?“, fragte Frank. Jane schüttelte den Kopf. ·Ich weiß nur noch, dass wir in Paris waren – da waren Kanäle ... An mehr erinnere ich mich nicht. Es ist, als hätte ich sehr lange geschlafen. Rund drei Monate, wenn ich dem Kalender trauen darf.“ ·Drei Monate?“ Frank, Donna und Jack sahen sich verblüfft an. ·Moment, ich habe doch eben...“ Donna sprang auf und kam mit einem Kalender wieder zurück. ·Tatsächlich – Januar 1999.“ ·Natürlich war ich auch etwas überrascht, aber was sind schon drei Mona te? Unsere Detektei ist doch nicht davongelaufen, oder?“ Betretenes Schweigen. ·Er hat es dir nicht gesagt?“ ·Was hat er mir nicht gesagt?“, wollte Jane neugierig wissen. ·Was?“, hakte sie nach, als sie keine Antwort erhielt. ·Jetzt rückt schon mit der Sprache raus.“ Frank seufzte. Das würde ein langes, unerfreuliches Gespräch werden. Und darüber hinaus musste er sich selbst noch über eine Sache klar werden – zwar hatte er daran gedacht, Zorks Dolch in die Scheide zu schieben, damals auf der Plattform, aber... war das auch wirklich sein Dolch?
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Epilog ·Glaubst du, dass es endgültig vorbei ist?“ Kathrein legte ihren Kopf auf Thorstens Schulter. Sie saßen am Ufer des Rheins. Majestätisch und ruhig lag die Galeone des Papstes im Wasser. Die Anwesenheit des Papstes erwies sich als Segen für die Stadt. Man munkelte schon, Papst Gregor würde in Köln bleiben wollen. Dies hielt Thorsten für sehr unwahrscheinlich, eher würde wohl Rom wieder aus den Ruinen auferstehen. Die babylonische Gefangenschaft der Kirche, ein Begriff, den der Papst in seiner jüngsten Predigt verwendet hatte, war zu Ende. Doch das Böse war nicht vollends
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vernichtet und der Fürst der Finsternis würde Mittel und Wege finden, wie der an die Macht zu kommen. Wenn sie nicht vorsichtig waren. ·Glaubst du, die drei Fremden sind sicher in ihrer Welt angekommen?“ ·Ich hoffe es“, sagte Thorsten leise. ·Vielleicht finden wir irgendwann einmal heraus, wie sie es geschafft haben, die Grenzen der Welten zu über winden. Immerhin wissen wir jetzt, dass unsere Welt nicht die Einzige ist. Und soll ich dir was sagen?“ ·Was?“, fragte Kathrein lächelnd, sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht zupfend. ·Ich bin froh darüber.“
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Zur gleichen Zeit saß van Euwen am Frühstückstisch. Die Rebellen hatten ihn längst auf den neuesten Stand gebracht, aber obwohl er jeden nach Mes canti gefragt hatte, hatte ihn niemand gesehen. Diese Zeit bot keinen Platz mehr für die Kinder der Finsternis. Was mochte aus dem Vampir geworden sein? War er zusammen mit den anderen Dämonen in die Tiefe gestürzt? Momentan waren die menschlichen Stadtwachen dabei, das Gebiet weit räumig abzusuchen. van Euwen glaubte nicht daran, dass sie Mescanti fin den würden. Nach dem Frühstück begann der Kaufmann, seine Papiere zu ordnen. Die Botschaft des Papstes lag noch ganz oben auf dem Stapel. Er würde sie dem Stadtarchiv übergeben, sofern es neu gegründet worden war. Er legte sie beiseite – und starrte auf eine Nachricht, die unzweifelhaft von Mescanti stammte. Die Schriftzüge waren ihm vertraut. Er las: Mein lieber van Euwen, verzeiht, wenn ich Euch nicht persönlich Adé sagen kann, aber wenn Ihr diese Worte lest, werde ich tot sein. Entweder werde ich wegen meines Verrates vom Fürst der Finsternis getötet worden sein, oder ich selber habe mich in den Abgrund ge stürzt, auf dessen Grund das Schwert Gabriels liegt. Vermutlich wisst Ihr das schon längst.Julian Summers sagte mir, dass die Chance, den Fürsten der Finsternis zu stürzen, gar nicht so unwahrscheinlich sein. Für mich hat all das längst keine Bedeutung mehr.
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Ich möchte jetzt nicht auf schriftlichem Wege wehklagen, des wegen beschränke ich mich darauf, Ihnen auf diese Art und
Weise Adé zu sagen. Lebt wohl. Ich würde gerne schreiben,
wir sähen uns im Himmel wieder doch dieser bleibt mir wohl
leider verschlossen.
In tiefer Demut,
Angelotti Mescanti.
·Herr? Ist alles in Ordnung?“
·Es ist alles gut, Joakim.“
·Ich dachte, ich hätte euch weinen hören.“
Der Kaufmann wehrte erneut ab. ·Nein, es ist alles in Ordnung“.
Als Joakim gegangen war, legte van Euwen die Botschaft Mescantis zur
Seite. An einigen Stellen war die Tinte merkwürdig verschwommen. ENDE Impressum Herausgeber: Atlantis Verlag Guido Latz, Bergstr. 34, D-52222 Stolberg, eMail: guido@atlantis verlag.de, www.atlantis-verlag.de Das © von FML liegt bei Jake T. Magnus Das © der einzelnen Romane liegt bei den jeweiligen Autoren
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