Die Diebeskaravelle Der Haß tobte in seinem Inneren. Bilalama hob die Arme: Die Ketten rasselten laut. „Ich bringe dich...
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Die Diebeskaravelle Der Haß tobte in seinem Inneren. Bilalama hob die Arme: Die Ketten rasselten laut. „Ich bringe dich um, Istaran!" keuchte er in hilflosem Zorn. „Du und ich, auf einem Schiff. Ich erwürge dich mit dieser verfluchten Kette." Istaran hörte es nicht. Er war eben den Niedergang abgeentert, blinzelte und versuchte, im Halbdunkel des stinkenden Decks die Galeerensträflinge zu erkennen. Er blickte zwar in Bilalamas Richtung, aber seine Augen suchten die Fremden, die Männer der Schebecke, die das Gold leichtfertig dem Falschen übergeben hatten. Als er sich umdrehte, hörte er den Fluch und den gekrächzten Schrei: „Für alles wirst du bezahlen, Istaran! Sei verflucht, du Sohn einer Hündin!"
Die Hauptpersonen des Romans: Luis de Xira - der Kapitän der portugiesischen Karavelle „Cabo Mondego" glaubt, mit den „Turbanaffen" leichtes Spiel zu haben. Sultan von Golkonda - verfolgt die „Cabo Mondego" und braucht die Hilfe der Arwenacks. Bilalama - ist von Rachedurst erfüllt, denn er fiel einer Intrige zum Opfer und muß jetzt als Rudersklave dienen. Istaran Nawab - hat gegen Bilalama intrigiert und zittert jetzt um sein Leben. Philip Hasard Killigrew- findet endlich eine Möglichkeit für seine Arwenacks und sich, vom Frondienst als Rudersklaven befreit zu werden.
„Dieser verdammte Hund", sagte der Seewolf nach einiger Zeit. „Ihm Kapitän Philip Hasard Killigrew haben wir dieses schöne Geschenk zu hatte längst aufgehört, bei jeder An- verdanken." Bis auf Clinton, den Moses, Big Old strengung leise oder laut zu fluchen. Aber weder er noch der Rest seiner Shane, den Segelmacher Will Thorne, Crew hatten sich mit ihrer kläglichen Old Donegal O'Flynn und Mac Pellew Rolle abgefunden - als angekettete war die gesamte Crew, wie auch er Rudersklaven, ausgerechnet auf ei- selbst, an die Ruderbänke gekettet. Hasard hatte Sichtkontakt zu fast ner Galeere türkischen Ursprungs. einem Drittel seiner Leute. Die erste „Shastri, ich kriege dich", flüsterte Nacht war vorüber. Fast pausenlos Hasard, spannte wieder seine Mushatten die Gefangenen unter Deck gekeln und zog das Griffende des pullt. Jetzt hatte der Wind aufgeschweren Riemens durch. frischt, und wahrscheinlich würden Der ausgemergelte Inder neben die schuftenden Gefangenen endlich ihm hing schweißüberströmt über eine Pause einlegen können. Hasards dem Riemenschaft und führte nur Wut war beträchtlich, aber er hatte noch schwach die Bewegungen aus. Dudu, so nannte er sich, war völlig er- sich seinen Zorn sozusagen von der schöpft, aber in den vergangenen Seele gepullt. Jetzt dachte er nur Stunden hatte er getan, was er noch daran, wie sie sich befreien konnten. konnte. Seit etwa vier Stunden war es taSeit drei Stunden, schätzte Hasard geshell. heulte der Morgenwind in der TakeDas Licht sickerte, zusammen mit lage. Wellen türmten sich auf. Im Deck der Ruderer klirrten die Ketten. frischer Luft, durch längliche, Ununterbrochen knirschten Holz, Le- schmale Luken über ihnen. Unablässig bewegten sich knirschend die under und nasses Tauwerk. 1.
5 terarmdicken Riemen. Immerhin wurden die unfreiwilligen Galeerensträflinge von den Leuten des Sultans einigermaßen rücksichtsvoll und anständig behandelt. Sie hatten genug zu trinken empfangen, und auch das Essen war gar nicht übel gewesen. Die schmalbrüstigen Inder, die neben den Seewölfen angekettet waren, wunderten sich noch jetzt über die ungewöhnliche Behandlung. Die angeblich bessere Behandlung war nicht mehr als eine schäbige Entschädigung, das dachten alle Seewölfe. Auch die Inder, die man wegen aller denkbaren Verfehlungen und Verbrechen auf die Duchten verbannt hatte, waren erschöpft. Der Seewolf schätzte, daß das erbarmungslose Pullen und der Wind die „Stern von Indien" weit nach Nordnordosten gebracht hatten. Eine Reihe hinter Hasard ächzte Ben Brighton, der Erste. Seine Stimme war heiser vor Müdigkeit und Wut. „Sir? Wie zeigen wir's den indischen Teufeln?" Hasard blickte über die Schulter und erwiderte mürrisch: „Keine Ahnung, Ben. Ich zermartere mir den Kopf. Mir fällt nichts ein." Sie brauchten nicht zu befürchten, daß jemand in diesem Deck ihren Cornwall-Dialekt verstand. „Die mageren Kerle hier sehen auch nicht gerade so aus, als würden sie sich mit Gebrüll auf ihre Peiniger stürzen!" rief der Profos von einer der hinteren Bänke. ,,Die sind halbtot", erklärte Higgy sachlich.
Don Juan schien seine gute Laune zeitweilig wiedergefunden zu haben, denn er rief: „Vor Angst und Müdigkeit, Señores!" Über ihnen, an Deck, polterten Schritte. Stimmen wurden laut, unverständliche Worte waren zu hören. Dann schrie der Taktschläger einige Befehle. Die Riemen gelangten zum Stillstand und wurden langsam eingezogen. Die Geschwindigkeit der Galeere nahm nicht ab, der Wind war kräftig genug geworden. „Die Ketten sind nicht aufzubrechen", sagte Ferris Tucker. „Jedenfalls nicht mit bloßen Händen." „Und anderes Werkzeug haben wir nicht", antwortete ihm mißmutig Jack Finnegan. „Abwarten", meinte Batuti und wischte sich den Schweiß von den Schultern. „Wir haben es noch immer geschafft." „Diesmal sieht es besonders schlimm aus", sagte Dan O'Flynn. Jeder von ihnen hatte seit den ersten Minuten ihrer Gefangenschaft immer wieder überlegt, was sie tun konnten, um sich von den Ketten zu befreien. Aber die Bewacher würden schon die ersten Versuche vereiteln. „Endlich gibt's Tee und Rum!" Roger Brighton versuchte einen grimmigen Scherz, als die indischen Seeleute mit kleinen Tonnen und langstieligen Kellen auftauchten. Die Ruderer erhielten ihre erste Wasserration. „Die ,Stern' geht nach Nordnordost", erklärte Dan O'Flynn nach einer Weile. Er hatte einen Ärmel seines Hemdes mit dem Frischwasser durchnäßt und sich flüchtig Gesicht und Brust gesäubert. Vor den Luken zog
6 die Küstenlandschaft hinter der Brandungswelle vorbei. Die Sonne stand an Steuerbord. „Klar, der Sultan will seinen Vetter schnappen, ehe der sich mit dem Gold davonstehlen kann", sagte Matt Davies. „Aber das alles haben wir schon zehnmal durchgekaut." „Richtig. Hat auch nichts gebracht", stimmte Al Conroy zu. Die „Stern von Indien" bohrte ihren Rammsporn in die Bugwellen und wurde mit größtmöglicher Geschwindigkeit nach Norden, auf Madras zugesegelt. Die Crew der Seewölfe war auf beide Ruderdecks verteilt worden. Die meisten Arwenacks befanden sich auf dem Deck, in dem auch der Seewolf angekettet war. Die Spuren der Schlägerei waren vergessen, es gab nur noch unwesentliche Schmerzen und Prellungen. Der richtige Sultan von Golkonda vermutete, daß Shastris Bande versuchen wollte, das Gold auf dem Landweg wegzuschaffen und nach Gudur zu bringen. Die schnelle Fahrt der „Stern von Indien" hatte bisher dicht unter Land nach Norden geführt, und darin würde sich in den nächsten Stunden nichts ändern. Schweigend und müde schlangen die Gefangenen und ihre indischen Leidensgenossen das kalte Essen und den warmen Brei herunter. „Was bleibt uns übrig?" fragte Ferris Tucker laut. „Abwarten und die beste Gelegenheit abpassen", erwiderte Hasard. „Wir kriegen unsere Chance, früher oder später." „Wahrscheinlich später. Oder viel zu spät", sagte Don Juan. „Ich habe
schon einen Splint halbwegs gelokkert." „Laß dich ja nicht erwischen, Juan", warnte der Seewolf halblaut. „Ganz sicher nicht. Auch mein Nachbar, dem mein Mitleid gilt, hat nichts bemerkt." Das Selbstbewußtsein des Spaniers schien unerschütterlich zu sein. Er wirkte geradezu herausfordernd fröhlich. „Mitleid", sagte Hasard und zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich sind es Mörder, Diebe und Halsabschneider, die zu Recht an den Riemen sitzen müssen, bis der Tod sie erlöst." „Wenn wir nicht bald den falschen Sultan finden, kann uns das ebenfalls blühen", murmelte Higgy. „Jedenfalls schuften wir weiter", sagte der Seewolf grimmig. An vielen Stellen unter Deck waren noch die Spuren der früheren Pracht zu erkennen. Offensichtlich war die „Stern von Indien" von geschickten Handwerkern zusammengesetzt worden. Der ehemalige Glanz und der Prunk waren hier unten verblichen, dafür nisteten überall Schmutz und Salzkristalle. Aus der Bilge stank es, die Duchten und Grätings waren abgetreten, voller Risse und an vielen Stellen besudelt. Aber die Seeleute, die Aufseher und das Gefolge des Sultans trugen saubere Kleidung und wirkten sehr gepflegt. Einige trugen auffälligen Schmuck, die meisten waren gut und ausreichend bewaffnet. Sie sahen so aus, als wüßten sie ihre Waffen richtig einzusetzen. Die Wellen schlugen klatschend
7 und dröhnend gegen die Planken. Die harten Schläge hallten durch den Schiffskörper. Jedesmal, wenn sich der scharfe Rammsporn aus dem Wasser hob, ertönte ein langgezogenes Zischen. * Hasard junior hatte seine Arme über das Griffende des Riemens gehängt und entspannte seine verkrampften Muskeln. Er schlief nicht, aber er döste mit halbgeöffneten Augen. Sein Blick heftete sich auf Bilalama, der zwischen ihm und Philip junior saß. Die Ketten klirrten leise bei jeder Bewegung des Schiffes. „Lohnt sich nicht, zu schlafen. Wir müssen gleich wieder schuften", sagte der junge Inder halblaut. „Stimmt. Ich versuch's trotzdem", entgegnete Hasard. „Auch wenn's nicht viel hilft." Bilalama sah aus, als habe er schon bessere Tage gesehen. Er sprach ein klar verständliches, erstklassiges Hindi. Beide Seewölfe hatten keine Schwierigkeiten, ihn zu verstehen, obwohl ihr Wortschatz noch lange nicht für eine richtige Unterhaltung ausreichte. „Was hat dich hierher verschlagen?" erkundigte sich Philip junior und stieß den Mann mit dem nackenlangen, fast blauschwarz schimmernden Haar und den Bartstoppeln an. „Dort oben an Deck spaziert er herum. Istaran, der Leibwächter des Sultans. Er hat die Schuld an meinem Unglück, schätze ich." „Wieder mal ein Unschuldiger an
den Riemen, so wie wir", sagte Hasard und grinste. „Ihr und ich: Wir sind unschuldig. Eine lange, böse Geschichte", sagte Bilalama. „Wir haben Zeit", antwortete Philip junior. „Erzähl's uns." Etwa ein Drittel der Seewölfecrew befand sich auf diesem Ruderdeck, also nicht bei den Männern um ihren Vater. Bis auf wenige Ausnahmen schienen die angeketteten Inder arme Teufel zu sein, ausgemergelte, verschwitzte Männer mit verfilztem Haar und den frischen Striemen von Peitschenhieben. Ihre Gesichter, von Bärten überwuchert und seit langer Zeit nicht mehr gewaschen, waren verschlagen und bösartig. Bilalama wirkte hingegen wie ein Mann von hervorragender Ausbildung und guten Umgangsformen, verglichen mit dem Rest seiner Landsleute in der halben Dunkelheit des Decks. „Wir haben zusammen im Palast gearbeitet", sagte Bilalama halblaut. In der kurzen Pause hatten es die meisten Ruderer dieses Decks geschafft, in tiefen Schlaf zu fallen. Die schweren Atemzüge und das rauhe Schnarchen übertönten für kurze Zeit die Geräusche der Wellen und das Knarren der Planken und Verbände. „Du und dieser Istaran?" fragte Hasard junior schläfrig. „Ja. Er als Anführer der Palastwachen. Ich führte die Reiter des Sultans an. Und ich war für die Elefanten verantwortlich." Philip und Hasard nickten verständnisvoll. Sie ahnten, wie die Geschichte weitergehen würde.
8 „Istaran wollte mehr Macht, mehr dieser Istaran, bei allen kalten und Geld und deinen Posten, nicht heißen Höllen." wahr?" fragte Hasard und gähnte. „Schließlich erfuhr der Sultan von „Du hast recht. Woher weißt Golkonda von deinen angeblichen du . . . ? " fragte Bilalama und riß die Schurkereien?" fragte Hasard schläfAugen auf. rig. Er sehnte sich nach einem langen „Die alte Geschichte. Immer das heißen Bad, einem Becher Wein und gleiche", sagte Hasard. Die Anstren- einem traumlosen, tiefen Schlaf. gungen des vergangenen Tages und „Ja. Er war rasend vor Zorn. Ich der Nacht waren an allen Stellen sei- konnte sagen, was ich wollte, es half nes Körpers spürbar. „Und schließ- nichts. Niemand glaubte mir mehr. lich kriegte er, was er wollte." Die Zeugen logen schamlos. Ich „Sonst wärst du nicht hier, Bila", wurde festgenommen, alle Ämter verergänzte der Zwillingsbruder leise. lor ich, mein Häuschen, meine Frau Jeder einzelne Mann der Crew war rannte davon. Niemand weiß, wo sie voller schwarzer Gedanken. Es be- ist. Dann brachte man mich hierher, stand wahrscheinlich noch keine Ge- und seitdem rudere ich dieses verfahr für ihr Leben, sagten sie sich, fluchte Schiff." aber die Lage war schlimmer als hoff„Es wird dir kein Trost sein", benungslos. Die Gefahr, daß der falsche merkte Philip und überlegte, wie die Sultan mit dem echten Gold längst Seewölfe den berechtigten Haß Bilaüber alle indischen Berge war, belamas auf Istaran ausnutzen könnten. stand unverändert. „Wie du siehst, bist du nicht allein. Die fünf Mann, die als kümmerliWir haben ähnliche Gefühle, was deiche Wache die Schebecke hüteten, nen Herrn, den Sultan, betrifft." würden ebensowenig ausrichten kön„Nutzt uns das?" grollte Bilalama nen wie ein einzelner Seewolf, dem es und zog die Schultern hoch. Auch ihn gelang, seine Ketten zu lockern. beherrschten die Lebensangst und Schon der Versuch, zusammen mit die Aussicht, elend auf der rissigen, den anderen Galeerensträflingen einen Aufstand, eine erfolgsverspre- harten Holzducht zu enden, zwischen chende Meuterei anzufangen, war den stinkenden Grätings und inmitselbstmörderisch und daher sinnlos. ten von verwahrlosten Indern, die we„Istaran hat viele Männer besto- gen wirklicher Untaten hier angeketchen. Mit dem Gold unseres Herrn. tet waren. „Wir sollten anfangen", sagte HaSie sagten gegen mich aus", berichtete Bilalama weiter. Während er er- sard junior, „darüber nachzudenken, zählte, blitzten seine Augen, und sein wie wir unsere Freiheit wieder gewinGesicht verzerrte sich vor Wut. „Ich nen können. Mit List, mit Gewalt, auf wurde, obwohl ich meine Arbeit gut jeden Fall mit Erfolg. Hilfst du uns, ausführte, zum Schurken abgestem- dann helfen wir dir wegen Istaran." pelt. Alle Beweise sprachen gegen „Einverstanden", antwortete der mich. Ein unheimlich schlauer Kerl, Inder. „Ich denke an den falschen
9 Sultan, an Drawida Shastri. Wenn tief treibenden Gewitterwolken schwere Regengüsse auf die „Stern wir ihn finden, gibt es Kampf." „Wenn es Kampf gibt, gibt es ein von Indien" nieder. Süßwasser lief Durcheinander", versicherte Philip dampfend über die Stufen der Nieim Tonfall eines Mannes, der darüber dergänge hinunter, wusch einen Teil des Drecks weg und versickerte zwigenau Bescheid weiß. „Und eine solche Wuhling kann uns schen den aufquellenden Kanthölnur helfen", murmelte Hasard, bevor zern auf dem Weg in die stinkende er endgültig in einen kurzen, ab- Bilge. Die Dünung hob und senkte den grundtiefen Schlaf sackte. „Aber nur dann, wenn wir einen guten Plan ha- langgezogenen Rumpf. Kräftige Böen trieben die „Stern" durch die ben." Die Antwort seines Bruders hörte Wellen. In dieser Jahreszeit drohten zu allem Überfluß auch noch Wirbeler nicht mehr. Philip junior sagte: „Einen Plan, stürme. Auch die Strömung führte der durchführbar ist. Schließlich sind nach Norden und verlieh dem Schiff zweieinhalb Dutzend Arwenacks an eine beträchtliche Geschwindigkeit. Bord." Die wenigen Landmarken, die Dan Bilalamas Gesicht drückte einen O'Flynn von seinem Platz aus erkenersten, vorsichtigen Hoffnungsschim- nen konnte - die Sterne hatte er seit mer aus, als er sich vornüber sinken rund zwei Nächten nicht mehr geseließ und ebenfalls die Pause aus- hen -, schienen ihm zu beweisen, daß nutzte, um sich ein wenig zu erholen. die „Stern" nördlich von Madras in etwa sieben Seemeilen Abstand von * der Küste segelte. Oft war der Blick auf die KüstenliDie Küste nördlich der Hafenstadt nie durch Dunst versperrt. Zwischen Madras war niedrig und fast aus- dem Schiff und der ufernahen Brannahmslos von Wald bedeckt. Dan dung schien es viele Untiefen zu geO'Flynn hatte erfahren, daß sich hin- ben, denn auch dort stand starke ter der Brandung und der sandigen Brandung. Die Inder vor ihm, hinter Küstenlinie riesige Binnengewässer ihm und auch seine braunhäutigen ausdehnten, die aber nur von Booten Nachbarn hatten einige Namen gemit wenig Tiefgang befahren werden murmelt. Es mochten Bezeichnungen konnten. von Orten oder von Buchten sein, die Die Luft in diesem Seegebiet war Dan aber nicht sehen konnte: Pulicat, unverhältnismäßig heiß. Unter Deck Armagon und Kottapatnam. herrschte tagsüber feuchte Hitze, verAuch Dan O'Flynn fieberte dem bunden mit einem ekelerregenden Augenblick entgegen, an dem sich die Gestank, den der Wind, der aus Süd- Lage ändern würde. Er hoffte wie jesüdwesten wehte, nicht vertreiben der der Seewölfe, daß sie dann ihre konnte. Chance haben würden. Hin und wieder prasselten aus den Bis zu diesem Zeitpunkt beschäf-
10 tigte er sich weiterhin unablässig mit verschiedenen Plänen, die entweder nichts taugten oder nur beim Zusammentreffen vieler günstiger Umstände zum Erfolg führen konnten. Nichts schien sicher. Lautlos, aber in steigender Wut und Verbitterung verfluchte er die Koromandelküste. Schließlich ließ sich auch Dan O'Flynn zur Seite kippen, lehnte sich halb gegen den Ruderschaft und halb an die Schulter eines Inders, der regungslos wie ein Toter schlief. Spätestens dann, wenn die Brise sich abschwächte, würden die Seeleute des Sultans wieder peitschenschwingend und schreiend die eingeschlafenen Männer an die schweißtreibende Arbeit zwingen. 2. Die unzähligen Geräusche, die vor dem Beginn der Dunkelheit den Wald erfüllten, waren für Kokoka wie das beruhigende Summen von emsigen Bienen. Nichts anderes half ihm, tief zu schlafen und nicht ängstlich auf den Angriff eines Raubtiers zu warten. Je gleichmäßiger dieses Summen und Kreischen, die vielen Schreie und das leise Zwitschern nachtjagender Vögel in seinen Ohren klangen, desto sicherer war er selbst. Kokoka langte nach einer Liane, bog sie zur Seite und führte mit dem unterarmlangen Haumesser einen schnellen Schnitt durch das weiche Holz. Er hielt den weit geöffneten Mund in den dünnen Wasserstrahl und trank. Das Wasser war herrlich
kühl und schmeckte nach frischen Pilzen. Kokoka wartete, bis sich das Innere der Liane geleert hatte. Er lehnte ruhig am moosbedeckten Stamm eines Baumriesen und betrachtete prüfend seine ledernen Säcke und die Netze mit den feinen Maschen. Erst die Hälfte war prall gefüllt. Er mußte noch viele Fallen stellen, noch lange war seine Jagd nicht beendet. Diesmal würde er nicht für wenig Geld seine Beute hergeben müssen. Er hatte einen Auftrag und die Zusicherung, daß ihm alle seine Federn für viele schöne Rupien abgekauft werden würden. Das Sonnenlicht fiel in breiten, schrägen Balken durch die Lücken der Baumkronen. Kokoka schulterte die Kalebasse, packte seine Säcke und Netze und schob sich weiter über einen kaum sichtbaren Pfad, den Dschungeltiere getreten hatten. Er wußte, daß fast jeder dieser Pfade zu einer Wasserstelle führte, und dort gab es auch meist eine Lichtung, an deren Rand der Jäger übernachten und seine Fallen aufstellen konnte. „Für heute brauche ich nichts mehr zu tun", murmelte er und sprang über einen modernden Baumstamm. Hoch über ihm ertönte wieder das Geräusch des Nath-Vogels. Es war ein metallisches Geräusch, als ob jemand mit einem spitzen Messer gegen einen Messinggong hämmerte. „Gutes Zeichen", sagte Kokoka, während er sich zwischen den riesigen Stämmen und dem dichten Buschwerk hindurchwand und den Kopf hob. Er glaubte, das Wasser eines Tümpels oder eines Flüßchens zu
11 riechen. An seinem breiten Gürtel hingen die ausgenommenen Körper von etwa zehn Vögeln, die er im Lauf der letzten Stunden gefangen und mit größter Sorgfalt gerupft hatte. „Keine Tiger in der Nähe." Langsam trottete er nach Osten. Hinter ihm sank die Sonne tiefer und färbte sich rot. Sriharikotra war das Ziel von Kokokas langer Wanderung. Dort erwartete ihn der Aufkäufer für den Hof des Mogulkaisers. Der Pfad wurde breiter, dort, wo zwei weitere Tierspuren, tief im feuchten Boden eingetreten, von links und rechts aus dem Dickicht heranführten und mit dem Morast verschmolzen. Kokoka versank bis über die Knöchel, als er so leise wie möglich weiterging. In anderen Teilen des Küstenwaldes, weiter nördlich, waren es die Elefanten, die breite Pfade durch das Gebüsch bahnten. Hier hatte Kokoka noch nie Spuren dieser großen Dickhäuter gesehen. „Schneller, Koko", sagte er zu sich selbst. „Du mußt noch ein Feuer in Gang bringen." Kokoka, ein sehniger, schlanker Mann, vierundzwanzig Jahre alt, war in der Binnensteppe und im Wald aufgewachsen. Auch sein Vater war Jäger gewesen. Eine Schlange hatte ihn vor zwei Jahren getötet. Seit diesem Tag trug Kokoka lederne Stiefel, die bis unter die Knie reichten. Er hörte nach weiteren dreißig Schritten das leise Plätschern und Rauschen von Wasser, und als er eine Reihe flacher Steine fand, folgte er dieser natürlichen Treppe und sah im letzten Licht des Tages eine kleine
Lichtung, durch die ein Bach schäumte. „Sehr gut", sagte er zufrieden. Rechts von seinem Standort gab es einen grasbewachsenen Vorsprung. Kokoka ging hinüber und suchte nach Spuren. Kein Tier hatte diesen Platz aufgesucht, jedenfalls kein größeres, das ihm gefährlich werden konnte. Er setzte seine Lasten ab, zog das Haumesser aus dem Gürtel und schnitt in das Gras einen großen Kreis. In dessen Mitte schob er das Gras zusammen und lief ein paarmal um die freie Fläche herum. Seine Schritte und die Schläge der Waffe sollten die Schlangen vertreiben. Kokoka schichtete seine Bündel zu einem Windwall, rollte die Decke aus und holte aus dem Lederbeutel Zunder und Feuerstein. Mit einem Ruck löste er den Knoten des Holzbündels, das er seit Mittag mit sich schleppte. Er schlug Funken, entzündete den Schwamm, blies darauf, und die trokkenen Grashalme fingen zuerst Feuer. Einige Atemzüge später hatte der Vogeljäger eine winzige Pyramide aus Blättern, Gras und dünnem Holz aufgeschichtet. Kleine Flammen züngelten in die Höhe, ein dünner Rauchfaden kräuselte sich. Kokoka betrachtete seine schlammbedeckten Stiefel, zog die Rinde von einem langen, geraden Ast und spießte sorgfältig die Vogelkörper auf. Aus zwei anderen Ästen schnitzte er, während sich über ihm der Himmel dunkel färbte, zwei Gabeln. „Wird eine gut Nacht werden", murmelte der Jäger. Als das Feuer zuverlässig brannte,
12 rückte er seine Beute in die Nähe der Hitze und huschte fast lautlos hinunter zum Bach, um seine Stiefel zu reinigen. Sein Schatten tanzte über die dunkle Mauer aus Buschwerk und Lianen auf der anderen Seite des Baches. Sorgfältig beobachtete der Jäger die Umgebung. Die vielen Laute aus den Baumkronen und dem schwer zu durchdringenden Buschwerk klangen jetzt, als das Tageslicht endgültig geschwunden war, ganz anders. Aber Kokoka konnte keine Anzeichen von Warnrufen oder Aufregung heraushören. Er ging zurück zum Feuer, setzte die beiden Astgabeln um und streute etwas von dem kostbaren Salz über die heißen Fleischstücke, aus denen zischend einzelne Fetttropfen fielen. Er setzte sich auf die Decke, lehnte sich gegen die Ledersäcke und steckte das Messer und das Haumesser griffbereit neben sich in den Boden. Die ersten Sterne wurden im Ausschnitt zwischen den Wipfeln sichtbar. Große Vögel huschten, fast unhörbar, über dem Bachlauf dahin. Grillen und Käfer zirpten in den Gräsern, die Frösche fingen mit ihrem Lärm an. Von den bratenden Vogelkörpern drang ein Geruch heran, der dem Jäger das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Kokoka knotete das Tuch aus dem langen Haar, warf es zur Seite und band sein Haar, nachdem er es mit dem hölzernen Kamm sorgfältig durchgestriegelt und von Insekten, Blattresten und Schmutz gesäubert hatte, im Nacken zu einem Knoten zusammen. Als er nach seinem hölzer-
nen Bratspieß griff und ihn zu drehen versuchte, erstarrte er. Aus dem Wald ertönte ein langes, wütendes Trompeten. Ein unverkennbarer Laut. „Elefanten", flüsterte er und hielt den Atem an. Er konnte keinen zweiten Schrei hören und drehte den Spieß über der roten Glut am Rand der Flammen. Kokoka zuckte mit den Schultern. Was in dieser verlassenen Gegend ein Elefant zu suchen hatte, wußte er nicht. Flüchtig dachte er an eine Karawane oder an Holzfäller. Der Schrei war von weither erklungen, aber mühelos durchdrang er sämtliche anderen Geräusche der Nacht. Wo Elefanten waren, nahmen die anderen Tiere meist Reißaus. Selbst der hungrige Tiger fürchtete den Elefanten. Kokoka nahm noch einmal eine Prise Salz, streute sie über die braune Kruste der Fleischstücke und verschloß den Beutel mit großer Sorgfalt. Er wartete geduldig, bis die Vogelkörper von allen Seiten knusprig gebraten waren, dann hob er den hölzernen Spieß aus der Hitze, ließ das Fleisch abkühlen und fing zu essen an. Aber unablässig lauschte er nach einem verräterischen Knacken oder nach Tierschreien, die ihn warnten. Er konnte, ohne daß er unterbrochen wurde, in Ruhe seine Beute verzehren. Schließlich, nach mehr als einer Stunde, als das Feuer heruntergebrannt war und nur noch als grellroter Glutkreis leuchtete, ging der Jäger wieder zum Wasser, trank in Ruhe, wusch sein Haar und den Körper und rieb den Schmutz mit feinem
13 Sand von der Haut. Er wickelte sich halb in die Decke, schob die Glut zusammen und achtete darauf, daß sie sich nicht weiterfressen konnte. Unter einem weit herausragenden dicken Ast, zwischen seiner Beute an Federn und Vogelbälgen, fühlte er sich sicher und schlief ein. Vor seinen Füßen färbte sich die rote Glut, bis sie nur noch ein schlackenhaftes schwarzrotes Häufchen war, ein schläfriges Auge, das ihn zu bewachen schien. *
Plötzlich war er hellwach. Er richtete sich blitzschnell auf, packte den Griff des Haumessers und schlug mit der Stirn gegen den Ast. Er blinzelte. Das Feuer strahlte zwar noch Wärme aus, aber eine dicke Ascheschicht bedeckte den winzigen Rest der Glut. . Der Mond hatte sich über den Rand des Waldes geschoben, hing über den Wipfeln und strahlte in den schmalen Einschnitt der Lichtung. Die Frösche hatten mit ihrer nächtlichen Musik aufgehört. Mit angehaltenem Atem lauschte der Vogeljäger. Als der nächste, kurze Schrei durch den Dschungel hallte und die Tiere aufschreckte, wußte der Jäger, was ihn eben geweckt hatte. Jetzt hörte er auch das Brechen von Ästen. „Bei der schwarzen Kali", sagte er verwundert. „Es sind doch Elefanten hier." Er war gut versteckt. Er kauerte sich im Schutz der Dunkelheit unter dem Ast zusammen und wartete. Hier, weit entfernt von jeder An-
siedlung, mehr als zwei lange Tagesmärsche vom Meer entfernt, schoben sich einige der großen Tiere durch den Wald. Kokoka hatte keinen Zweifel daran, daß sich eine Herde Elefanten auf sein Versteck zubewegte, und zwar aus der Richtung, aus der auch das Wasser des Baches floß. Die Tiere setzten ihre Sohlen leise auf, aber ihre Körper schoben Äste und Buschwerk zur Seite. Für eine Weile trompetete keiner der sich nähernden Elefanten mehr, aber das Plätschern des Wassers wurde lauter, und schließlich tauchte zwischen den Baumstämmen das flackernde Licht einer Fackel auf. „Es wird aufregend, Kokoka", sagte er im Selbstgespräch und duckte sich noch tiefer in den Schutz seines Versteckes. Das Mondlicht strahlte auf die Gräser entlang der Bachufer und auf die kleinen Wellen. Das Licht wurde heller. Kokoka unterschied mehrere Männer und die Körper von zwei erwachsenen Tieren. Jetzt waren sie einen guten Bogenschuß weit entfernt und folgten dem Wasserlauf. Eine zweite Fackel wurde sichtbar. „Also doch eine Karawane." Das Mißtrauen des Vogeljägers war geweckt. Wenn sich eine Kette aus Menschen und den kräftigen Tieren ausgerechnet um Mitternacht durch den Wald bewegte, konnte das nichts Gutes bedeuten. Am Tag war ein solcher Marsch müheloser und viel weniger gefährlich. Also wollten die Treiber nicht, daß man ihre Tiere und sie sah. Hoffentlich riecht keiner mein Feuer, dachte Kokoka und wartete
14 mit angespannten Muskeln, die Finger um den Griff des Haumessers verkrampft. Ein breitschultriger Mann mit einem Turban aus hellem Stoff hielt die erste Fackel in die Höhe. Hinter ihm folgten drei Elefanten, auf deren Rücken Seile, Gurte und Tragekörbe befestigt waren. Der Mahout saß im Nacken des ersten Tieres, das lange Stoßzähne trug. Mit schaukelnden Rüsseln stapften die Tiere heran, in der Dunkelheit waren sie nur als massige schwarze Schatten zu erkennen. Über ihre Rükken zuckten die Lichter der Fackeln. Das Tier an der Spitze blieb stehen, drehte den kantigen Schädel hin und her und sog Luft durch den Rüssel. Dann schnellte der Rüssel in die Höhe, und der Leitbulle tappte weiter, an Kokokas Versteck vorbei, einige Mannslängen entfernt. Der Jäger schloß die Augen. Eine Welle von Furcht schoß durch seinen Körper. Aber auch der zweite und der dritte, kleinere Elefant stapften durch das Wasser und folgten dem Licht der Fackel. Zwischen den Tieren gingen ein paar Männer, auf den nächsten Elefanten saßen mehrere Gestalten, die halbwegs zu schlafen schienen. Schließlich näherte sich der letzte Elefant dieses Zuges. Auf seinem Rücken saßen drei Männer. Einer hielt eine blakende Fackel. Kokoka sah Werkzeuge und Waffen, die an den Tragegurten festgebunden waren. Er wagte erst wieder laut zu atmen, als der letzte Elefant mit pendelndem Rüssel und dem lauten Rumoren seiner Eingeweide an dem
Versteck des Jägers vorbeigestapft war. „Blutige Kali", stöhnte Kokoka. „Bewaffnete Männer! Nach Osten sind sie unterwegs." Vielleicht kannten die Anführer der Lastelefanten den Wald und die wenigen Wege. Er kannte ihn auf jeden Fall besser, denn er jagte seit Jahren hier. Was war das Ziel der Karawane? Ein Überfall? Nein, denn dafür waren zu wenige Männer mit den Tieren gegangen. Kokoka gab es auf, darüber nachzudenken und legte sich wieder zurück. Der Lärm brechender Äste und knirschender Steine im Bach wurde leiser, und schließlich verschwand auch der letzte Lichtschein der Fackeln hinter den Baumstämmen. Kokoka war wieder allein und schlief weiter, bis ihn das erste Tageslicht und das höllische Lärmen und Kreischen der Vögel weckten. Eine Horde Affen turnten hinunter zum Wasser und bespritzten sich gegenseitig mit dem kalten Wasser. * Gary Andrews zog das Griffende des Riemens mit mäßiger Kraftanstrengung zu sich heran und sagte halblaut: „Also, Sten, wie die ,Stern' unter den Decksplanken aussieht, wissen wir jetzt genau, wie?" Stenmark nickte einige Male und sprach über den schmächtigen Inder mit den verschorften Wunden auf den Schultern hinweg mit Gary. „Und was soll uns das nutzen, mein Guter?" fragte er sarkastisch. „Wir wissen, in welche Richtungen
15 wir laufen und springen müssen. Und aufentern, wenn wir die herausgeputzten indischen Soldaten entwaffnen wollen." „Deine verrückten Ideen möchte ich haben", antwortete Stenmark. Sie pullten schon mehr als sieben Stunden ununterbrochen. Inzwischen war es wieder Nacht, und in beiden Decks pullten die Inder und die Seewölfe schweigend und verbissen. „Hasard hat die Hauptkette gelokkert und den Splint aus dem Holz gezerrt", sagte Don Juan zu seinem Vordermann. „Ich bin auch bald so weit. Dauert nur noch ein paar Stunden", erwiderte Jack Finnegan. Feuchte Luft drang durch die Luken und die Grätings. Der Nachtwind war kraftvoll. Er hatte fast bis zum Sturm aufgefrischt. Außerhalb des Schiffes gab es kein Licht. Wenn sie der Kurs noch immer entlang der Kür ste nach Norden führte, dann fuhren sie an einer menschenleeren Küste vorbei, an der es weder Dörfer noch einzelne Feuer gab, schon gar nicht einen größeren Hafen. Mehr war auch jetzt nicht zu erkennen. „Mir ist schleierhaft, wie und wo der Sultan seinen Vetter erwischen will", meinte Hasard junior zu seinem Bruder. „Abgesehen davon, daß er annimmt, das Gold würde nach Gudur gebracht." „Er denkt, daß irgendwo vor Gudur jemand wartet, der das Gold übernimmt." „Von der Elefantenkarawane?" fragte Philip, der Bilalama erstaunt von der Seite musterte. „Die Elefan-
ten sind doch keine Rennpferde, Mann." Bilalama schüttelte den Kopf und sagte, während er tüchtig am Riemen zog: „Das Gold wurde in Madras auf die vielen Elefanten verladen, nicht wahr?" „Stimmt, elf Tonnen von dem Zeug", antwortete Hasard junior und dachte an die lange Kette von Zwischenfällen und Abenteuern, die sie wegen des Silbers und Goldes durchgestanden hatten. „Wahrscheinlich haben die Diebe das Gold von den schönen grauen Elefanten in ein schönes schnelles Schiff umgeladen und sind losgesegelt. Bei dem herrlichen Wind sind sie längst irgendwo bei Gudur. Dort gibt's eine Menge Buchten, in denen sie sich verstecken und umladen können." „Woher weißt du das alles so verdammt genau?" fragte Philip den Inder, nachdem er über die Möglichkeit nachgedacht hatte. „Ich kenne das Land hier an der Küste. Eine schlechte Gegend für Elefantenrennen, Engländer." Seit sie angefangen hatten, ihre Ketten straff durchzuholen und an den Splinten rissen und zerrten, sie zu drehen versuchten, schien auch der Lebensmut des Inders wieder neu erwacht zu sein. Seine Müdigkeit war wie verflogen. Die beiden Seewölfe nannte er nur „Engländer", vielleicht hatte er Schwierigkeiten bei der Aussprache ihrer Namen. „Du meinst tatsächlich, unser Gold und Silber ist auf einem Schiff weggebracht worden?" fragte Jung Hasard. Was der Inder hier zu bedenken gab, schien recht vernünftig zu sein.
16 Je länger er darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher wurde diese Möglichkeit. Der Inder sprach abgehackt, zwischen einzelnen Anstrengungen: „Das meine ich. Und vom Schiff wird es wieder umgeladen. Vielleicht wieder auf Elefanten. Die großen Tiere können große Lasten schleppen. Und dann ist das Gold weg, irgendwo im Land hinter dem Wald versteckt, und wir Galeerensklaven können die Diebe ja nicht verfolgen." Bilalama führte mit Kopf und Schultern eine Bewegung aus, die seine Ratlosigkeit ausdrücken sollte. „Die meisten würden die erste Seemeile nicht schaffen", bekräftigte Philip und grinste kurz. „Kaum einer würde es durchhalten. Und den Gardisten des Golkonda-Kerls traue ich auch nicht zu, daß sie sich gegen die Elefanten stellen. Ich glaube, du hast recht, Bila." „Natürlich habe ich recht", erwiderte der Inder selbstbewußt. „Es kann gar nicht anders sein." „Wenn du das alles weißt", fragte nach einer Weile Hasard, „was weiß dann der Sultan selbst?" „Das gleiche, Engländer." „Glaube ich auch", sagte Philip. „Wahrscheinlich denkt der Sultan auch nur daran, welchen Weg die Diebe genommen haben." „Bei so viel Gold, bei einem solchen Schatz - er denkt an nichts anderes", bestätigte Bilalama. Wieder stemmten sie sich schweigend und keuchend gegen die harten Kanten der Duchten in ihren Kniekehlen. An Deck heulte der Wind um
die Masten und zerrte an der Takelage. Der Bug der Galeere hob und senkte sich und setzte hart in die aufspritzenden Wellen ein. Die „Stern von Indien" bahnte sich ihren Weg durch die Nacht, weiter nach Nordnordosten. An Backbord war die Küste in der Finsternis verschwunden. * Gegen Mittag hatte Kokoka den letzten von sieben Reihern gefunden, die er mit Schlingen und Pfeilen gefangen und erlegt hatte. Reiherfedern waren selten und brachten deswegen einen guten Preis. Sorgfältig wusch er im Bach die Federn und steckte sie in den trockenen Sand, damit die Sonnenwärme wirken konnte. Unzählige Ameisen verließen ihren Bau und wimmelten auf dem Kadaver, den er in die Nähe der ersten Ameisen gelegt hatte, die drüben am Waldrand zu sehen gewesen waren. Der Schrecken des nächtlichen Erlebnisses war vorbei, aber der Vogeljäger hatte nichts vergessen. „Der Tag hätte gar nicht besser anfangen können, bei Shiva", sagte Kokoka. Seine Bündel füllten sich mehr und mehr mit Federn: winzige Daunen in allen schillernden und leuchtenden Farben, metallisch funkelnde, größere Federn, die leierartig gebogenen Kiele, die sich über den Köpfen der Krummschnäbler in die Luft drehten und zu Schmuckkronen bei Dorffesten verarbeitet wurden, und jetzt die schleierartigen Reiherfedern, lang und strahlend weiß.
17 Er würde zwar nicht gerade reich werden, aber mit dem Geld konnte er sein Haus vergrößern, einige Lehmziegelmauern hochziehen und den Brautpreis für eine Frau zahlen. Er grinste und zuckte mit den Schultern. Mit der Frau sollte er besser noch eine Weile warten. In seinem Dorf gab es genügend Töchter, die ihn auch dann nehmen mußten, wenn er den Eltern weniger gab. Behutsam legte er die Federn nebeneinander auf ein großes Blatt und rollte es zusammen. Dann knüpfte er einen langen Grashalm darum und schob die grüne Röhre in den Ledersack. Direkt in seinem Blickfeld, drei Stunden Marsch von seinem nächtlichen Versteck bachabwärts, hing ein abgebrochener Ast vom Stamm. Während ihrer Wanderung hatten die Elefanten die Blätter von vielen. Ästen gefressen und nicht wenige Äste abgebrochen. Die Spur, der er folgte, war nicht nur durch die riesigen Kotballen der Grauhäuter unverkennbar deutlich. „Sie wissen nicht, daß ich sie verfolge. Was wollen sie am Meer?" rätselte er mit halblauter Stimme und suchte seine Ausrüstung zusammen. Hinter dem Wall aus Lianen und Büschen stritten sich kleine Aasfresser um einen anderen Reiherkadaver. Die großen Vogel waren zwar eßbar, aber ihr Fleisch schmeckte nicht besonders und war meist zäh wie das Leder seiner nassen Stiefel. „Wenn ich mich erinnere", murmelte Kokoka und nahm sein Stirnband vom Zweig, an dem es, nachdem er es gewaschen hatte, trocknete,
„dann habe ich den letzten Elefanten zwischen hier und dem Strand vor einem Jahr gesehen. Und das war ganz woanders." Der Elefant hatte Holzfällern geholfen, ein mächtiges graues Tier mit, klugen, alten Augen, und die Männer hatten fünf Bäume von großer Länge gesucht. Man brauchte dicke, lange Balken für eine Palastdecke - oder das Dach eines Tempels, so genau wußte Kokoka die Einzelheiten auch nicht mehr -, die eine Ewigkeit hielten und schwere Lasten tragen konnten. Zuerst packte er die Federn ein, dann wickelte er den ausgeweideten Körper eines jungen Affen in ein feuchtes Tuch, schließlich hob er das Netz voller Pilze aus dem Wasser. Er wand das Tuch um den Kopf, knotete es an der Schläfe zusammen und griff nach Messer und Haumesser, nach dem Köcher und dem kaum armlangen Bogen. Bevor er die großen, aber leichten Bündel über die Schulter warf, suchte er den letzten Lagerplatz ab. „Nichts vergessen", sagte er und schaute nach dem Stand der Sonne. In zwei Stunden würde sie den höchsten Punkt erreicht haben. In dem spaltartigen Ausschnitt zwischen den Baumwipfeln konnte er nur blauen Himmel sehen, aber sein Instinkt sagte ihm, daß die Zeit der schweren Stürme angefangen hatte. Vielleicht schickten die Götter in den nächsten Tagen einen solchen Sturm. Im Wald war er sicherer als an einem beliebigen Stück des flachen Ufers, aber gleichzeitig sehnte er sich danach, ein langes Bad im
18 Als der Pfeil die Sehne verließ und Meer zu nehmen. Der lange Aufenthalt im Dschungel und Uferwald durch die Luft strich, breitete das hatte den Nachteil, daß er sich Tier die Flügel aus, wollte schräg aufschmutzig und klebrig fühlte, obwohl wärts davonflattern. Nach dem zweier sich sooft wie möglich in einem ten Flügelschlag bohrte sich der Pfeil Rinnsal oder Tümpel reinigte. durch den Körper, das Tier stieß eiKokoka folgte der Spur der Elefan- nen krächzenden Schrei aus und fiel ten, und das bedeutete, daß er dem senkrecht hinunter, ins flache Wasser, zwischen die Ufergräser. Bach folgte. Mit langen Sätzen sprang Kokoka Sechs Stunden lang schlich er so leise wie möglich an einem der Ufer auf die Stelle zu, packte den zuckenentlang oder mitten im seichten Was- den Körper und brach mit der rechser, wenn der Weg zwischen den ten Hand dem Vogel das Genick. Das Stämmen und durch das verfilzte Un- Tier erschlaffte in seinen Fingern. terholz zu beschwerlich wurde. „Besser als die ganze Jagd bisher", Die Spur der nächtlichen Kara- sagte Kokoka erleichtert, lachte und wane war und blieb so auffällig, daß hängte den toten Vogel in eine Astgabel. er sie nicht ein einzigesmal verlor. Dann holte er seine Ausrüstung „Recht so", sagte er gutgelaunt und versteckte sich im Halbdunkel unter und schlitzte mit der Messerspitze moosüberwucherten Nebenwurzeln. den Körper auf, weidete ihn aus und Langsam tastete er nach einem Pfeil wusch ihn immer wieder im Bach. und nahm mit vorsichtigen Bewegun- Von allen Seiten schossen winzige gen, ohne jedes Geräusch, den Bogen Fische heran und bildeten schäuvon der Schulter. Direkt vor ihm, in mende Wirbel um das Blut und die bester Entfernung, saß ein riesiger Eingeweide. Jetzt hätte er viel Salz geVogel, dessen Gefieder in allen Far- braucht, aber er würde sich am Laben schimmerte und leuchtete. gerfeuer zu helfen wissen. „Ein Paradiesvogel. Der größte, Er knotete ein dünnes Lederbändden ich seit einem Jahr gesehen chen um den Hals des Vogelbalges, habe." befestigte das andere Ende an seinem So nannten die Weißen diesen gro- Federnetz und ging weiter den Spußen Vogel mit dem stumpfen Schna- ren der Elefanten nach. bel. Sie waren ganz verrückt nach eiAm liebsten hätte er vor Freude genem ausgestopften Balg, den sie in ih- sungen oder laut gepfiffen, aber das rer fernen Heimat mit viel Gewinn hätte die Beute verscheucht. verkauften, so sagten sie. Seine Angst vor einem Tiger war Kokoka setzte den dünnen Pfeil auf völlig verflogen. die Sehne, streckte den linken Arm * zwischen den Zweigen und Lianen hindurch und hoffte, daß der Vogel noch ein paar Herzschläge lang auf Als der Schiffsjunge, ein halbnackdem wippenden Ast bleiben würde. ter Inder mit einem übertrieben gro-
19 ßen, feuerroten Turban auf dem schmalen Kopf, die am weitesten achtern liegende Ducht erreicht hatte, drehte sich Philip Hasard Killigrew ächzend um und blickte Ben Brighton in die Augen. „Wenn ich will, habe ich den Splint in einer Stunde herausgebrochen oder abgebrochen, Ben", sagte er in mühsam erzwungener Ruhe. Mittlerweile sahen sie genauso ungepflegt aus wie die Inder. Selbst Dan O'Flynns Gesicht war vom Gestrüpp eines Dreitagebartes überwuchert. „Glaube ich, Sir", antwortete der Erste. „Ich bin auch bald soweit mit meiner Kette. Dann wären wir schon sechs Mann, zusammen mit den Jammergestalten hier." Er deutete kurz auf die schlafenden Inder. Es roch betäubend nach kaltem Schweiß aus allen Richtungen. „Ich frage mich, ob wir schnell genug sind", murmelte Hasard. „Wir beide richten nicht viel aus. Sie passen viel zu gut auf und wechseln sich ab. Die gehen richtiggehend Wache." „Ein gut geführtes Schiff", sagte der Erste und grinste sarkastisch. „Wenn wir alle gleichzeitig losschlagen könnten - wenn!" „Ein Drittel von uns sind auf dem anderen Deck festgekettet", sagte der Seewolf. „Du meinst, wir sollten noch warten?" „Auf jeden Fall. Und natürlich weiter an den Ketten drehen und die Splinte bearbeiten." Der Profos war noch nicht eingedöst und rief unterdrückt: „Brauchst du Hilfe, Sir? Ich bin gleich losgeschäkelt." „Warte, Ed", Hasards Stimme
wurde schärfer. „Ist noch zu früh. Entweder wir alle oder keiner, klar?" „Aye, aye, Sir", entgegnete Carberry, und es war deutlich zu hören, wie schwer ihm diese Antwort fiel. 3. Istaran Nawab starrte schweigend auf seine rechte Hand. Im Licht der Ölfunzel blitzten und schimmerten das Gold und die Steine der kostbaren Ringe. Aber die Finger zitterten. Istaran schloß die Finger zur Faust und drohte in die Dunkelheit hinein. „Die Pest über ihn", flüsterte er. „Wir müssen ihn finden, diesen Shastri." Die Gardisten des Sultans und die Seeleute an Deck der „Stern von Indien" starrten Tag und Nacht mit brennenden Augen zum Ufer hinüber, suchten die Fläche des Meeres ab, und versuchten eine Spur zu finden. Sie wußten nicht genau, wonach sie suchen sollten: ein Zug schwer beladener Elefanten konnte sich ebenso leicht verstecken wie eine Karawane, deren Tiere oder Träger die Goldlasten schleppten. Oder sollten sie nach einem Schiff Ausschau halten? Die Masten eines Schiffes würden sie an Backbord erkennen können. „Aber nicht in der Nacht", murmelte der Anführer der Wachtruppen. Er saß im Schutz der Heckbalustrade auf dem knarrenden Faltstuhl, dessen Ledergurte von weichen Dekken bedeckt waren. Der Nachtwind peitschte die Wellen und heulte im Rigg. Die Segel standen prall, mono-
20 ton klapperten einige der eingezogenen Riemen unter den Decksplanken. „Nicht ein einziges, winziges Licht. Kein Feuer!" Seine Sorgen drohten ihn zu überwältigen - und Ischwar Singhs Gold, die Wut des Sultans von Golkonda und sein Feind, der noch immer nicht über der Ruderbank zusammengebrochen war. Solange Bilalama lebte, war Istaran Nawab gefährdet. Seit er sich mit einem Teil seiner Männer auf der Galeere befand, zitterte er vor der Rache, die in Bilalama brannte. Er kannte ihn gut, seinen Feind. Bilalama haßte ihn, solange einer von ihnen noch lebte. Es hieß: er oder Bilalama. Kapitän Rameshand trat in den Bereich des Lichtes aus der Hecklaterne. Er blinzelte, als ein Schauer salziges Wasser über das Schanzkleid geweht wurde. „Niemand und nichts zu sehen", sagte er unwillig. „Ich denke, wir werden bald umkehren, Istaran?" Istaran hob die Hand und antwortete kurz: „Nicht vor morgen abend, Rameshand. Auf keinen Fall." Er deutete auf die Decksplanken. Darunter befanden sich die Kammern des Sultans. „Der Sultan hat's befohlen. Deine Geschütze sind feuerbereit?" Istaran hob den Kopf und rückte den Turban zurecht. Rameshand nickte und hielt sich am Schanzkleid fest. „Alle zwanzig Kanonen, Herr. Aber du weißt selbst, daß unsere Kanoniere nicht so gut treffen wie die Fremden, die ,Stückmeister' zu den Männern sagen." „Das wird sich zeigen. Ihr werdet
euer Bestes tun, Rameshand", sagte Istaran finster und zupfte an den Bartspitzen. „Du weißt, was der Sultan verlangt hat." „Das weiß jeder auf dem Schiff", antwortete leise der Kapitän. Sie starrten schweigend in die Dunkelheit. Schwach zeichneten sich die Schaumkämme der Brandungswellen ab. Die Küste war nichts anderes als ein dicker schwarzer Streifen vor den Sternen und den hellen Nachtwolken. Mondlicht spiegelte sich in einer breiten, zerrissenen Bahn auf. dem Wasser. Vom Bug her drang das laute Klatschen und Zischen bis zum Heck. Der wuchtige Rammsporn hob sich aus den Wellen und schlug schwer wieder in die See zurück. „Ein paar von den Seeleuten haben mit mir gesprochen. Ich kenne, wie du weißt, dieses Stück der Küste nicht", sagte der Kapitän. „Auf der Höhe von Gudur gibt es viele Buchten. Auch solche, die hinter dem Uferwald liegen." „Ich weiß das, Rameshand", entgegnete Istaran und schlug mit der Faust in die Handfläche. „Bei Tageslicht gehen wir näher ans Ufer. Jetzt ist es zu gefährlich." „Das sagen die Seeleute auch", stimmte Rameshand zu. Die Seeleute hatten sich über das gesamte Deck verteilt. Ein Teil der Männer suchte das dunkle Ufer nach Lichtern ab. Einige kauten auf ihren Chapattis herum, andere hockten auf den Planken und warteten auf Zurufe oder Kommandos. Aus den Luken der beiden Rudererdecks wehten feuchte Luft und Gestank zum Bug der „Stern von Indien". Seit einer
21 Stunde hatte sich die Stärke des Windes nicht verändert. Istaran winkte einen halbnackten Inder herbei. „Herr?" fragte Nath. „Was wünschst du?" „Suche Sonder. Sage ihm, er soll zu mir kommen. Sofort." „Ich habe ihn vor dem Mast gesehen." Der Mann rannte mit klatschenden Sohlen über die Decksplanken bugwärts. „Wozu brauchst du den Unterführer?" fragte Rameshand verwundert. „Es ist alles ruhig unter Deck." „Damit es ruhig bleibt", antwortete der Vertraute des Sultans. „Ich habe keine ruhige Stunde, solange die Fremden dort unten angekettet sind und pullen. Es sind listige Teufel." „Hast recht, Herr", brummte Rameshand und zupfte an dem Segeltuch, das um das Rohr des Geschützes gebändselt war. „Man kann ihnen nicht trauen. Besonders deswegen, weil sie nicht ganz freiwillig auf unserem schönen Schiff sind." Er kicherte hohl. Istaran erlaubte sich ein fadendünnes Grinsen. Sonder tauchte neben dem Steuerbordschanzkleid aus dem Halbdunkel unter dem Segel auf. Drei Männer mit Säbeln und Dolchen in den Gürteln folgten dem Unterführer. „Hier bin ich. Ich habe keinen einzigen Meuterer gesehen, Istaran", sagte Sonder und schob die Daumen hinter den breiten Gürtel. „Was ist los?" Istaran stemmte sich aus dem Stuhl in die Höhe und antwortete: „Hoffentlich ist nichts los. Unten ist es ruhig, wie es scheint. Nimm ein paar Lampen und sieh nach, ob die Gefan-
genen alle angekettet sind. Besonders die Männer von der Schebecke." „Du fürchtest, daß sie sich losreißen? Die Ketten der ,Stern' sind von den besten Handwerkern geschmiedet." Sonder nickte und drehte sich zu seinen Leuten um. Er schien keine große Lust zu haben, in das stinkende Halbdunkel der Galeerendecks abzuentern. Istaran wagte sich erst recht nicht dorthin, wo sein entmachteter Rivale angekettet war. Er hatte geglaubt, Bilalama niemals in seinem Leben wiederzusehen. Das Urteil, in einer Galeere angekettet zu werden, war in Wirklichkeit fast immer ein Todesurteil. „Ich gehe schon. Besorgt euch ein paar Lampen", sagte Sonder zu seinen Bewaffneten. „Ich komme gleich nach." „Jawohl, Herr." Sie waren froh, daß der Sultan schlief oder sich jedenfalls nicht an Deck zeigte. Je weniger sie sich von ihm beobachtet fühlten, desto zufriedener waren die Männer. Den Seeleuten, dem Steuermann und dem Kapitän der „Stern von Indien" war die Anwesenheit des Sultans ziemlich gleichgültig. Sie taten ihre Pflicht und sollten das Schiff sicher wieder zurückbringen, nicht mehr und nicht weniger. „Ich scherze nicht, Sonder", sagte Istaran schließlich. Er ging vor der Balustrade hin und her und schien den Mann am Ruder nicht zu sehen. „Schau genau nach. Natürlich halten die Ketten. Aber ich will nicht überrascht werden, von niemandem, klar?"
22 „Bei Shiva", sagte Sonder und griff nach der langen Waffe. „Du sollst ruhig schlafen, Herr." Sie hatten laut sprechen müssen, um sich durch Wind, die vielen Geräusche des Schiffes und die ruhelosen Wellen verständigen zu können. Sonder federte die nächste Bewegung des Decks in den Knien ab und ging zum Niedergang. Auf den Stufen standen seine Männer und entzündeten die Öllampe. Mit den Handflächen schirmten sie die Flammen ab. „Wir sehen nach. Zieht an jeder einzelnen Kette", sagte Sonder im Befehlston. „Ihr könnt euch vorstellen, was passiert, wenn sich dreißig riesige Fremde auf euch stürzen. Keine Nachlässigkeiten." „Beim Zorn des Sultans. Wir werden auf alles achten", antwortete der Bewaffnete und enterte in den übelriechenden Raum ab. Sonder griff nach dem Handlauf und folgte ihm. In dem langgestreckten Deck brannten nur drei trübe Funzeln und verbreiteten karge Helligkeit. Jetzt schwankten und zitterten vier fast handgroße Flammen aus den Dochten der ölgefüllten Lampenkännchen. Ein Chor aus Schnarchlauten schlug den Palastwachen entgegen, zusammen mit einer Mischung übler Gerüche. Die Lampen wurden auf dem Mittelgang abgestellt. Die Männer verteilten sich nach links und rechts und prüften die klirrenden Ketten. Sie rissen an den Fußfesseln und vollführten einen Lärm, der einzelne Schläfer aufweckte. Inder schrien fürchterliche Flüche, die Fremden sahen, daß die Soldaten ihre Waffen
stecken ließen und schliefen weiter, als die Männer die kurzen und langen Ketten wieder klirrend auf die Grätings zurückfallen ließen. „Die Ketten sind gut und neu", sagte Sonder nach einer Weile. „Und sie halten so gut wie die Schlösser." Nachdem sie etwa die Hälfte des Decks abgesucht hatten, wandten sich die Soldaten an ihren Anführer und führten ratlose und aufmunternde Gesten aus. Sie schienen nicht ein einziges Anzeichen dafür gefunden zu haben, daß die Sträflinge einzeln oder in einer Gruppe einen Ausbruch planten. „Keiner kann seinen Platz verlassen, Herr." „Jede Kette hält!" rief ein anderer. „Niemand kann sie aufbrechen." „Ich hab auch nichts anderes gedacht", sagte Sonder zufrieden. „Macht weiter!" Die Soldaten schwankten mit den Bewegungen des Schiffes hin und her, die Flammen zuckten und brannten flackernd, wenn ein Windstoß in den Raum fuhr. Ständig rasselten und klirrten die dickeren und dünneren Ketten, und jeder Verschluß, an dem Sonder prüfend rüttelte, hielt zuverlässig. Die Unruhe, die sich von Istaran auf Sonder übertragen hatte, wurde geringer, und er wünschte sich, diesen Gestank und den Radau der Gefangenen schnell hinter sich lassen zu können. Als er das Heckende des Decks erreicht hatte, stemmte er die Hände in die Seiten und betrachtete die vielen gekrümmten Rücken der Ruderer. Der Lärm und die Eingriffe der Wa-
23 chen hatten sie nur kurz aus dem Schlaf der Erschöpfung gerissen. Sie lagen und kauerten in allen möglichen Stellungen und schliefen weiter. Sonder winkte seinen Männern, bückte sich nach der flackernden Lampe und schwankte in Richtung des Niederganges, der ins tiefer gelegene Deck führte. Hier stank es noch schlimmer. * Ein böser Traum, in dem es von Schlangen und wilden Hunden wimmelte, hatte Kokoka noch vor dem Morgengrauen aufgeschreckt. Er gähnte, streckte seine verkrampften Muskeln und packte seine Stiefel. Er drehte sie herum und hieb sie mehrmals gegen die knorrigen Wurzeln, zwischen denen er sein Nachtlager aus Moos und Blättern bereitet hatte. Tatsächlich fielen einige kleine Skorpione aus den Schäften und krochen mit hochaufgekrümmten Schwänzen blitzschnell in den Schutz von Steinen und Blättern. „Weg mit euch", brummte der Jäger. Er fühlte, daß er zu wenig geschlafen hatte. Er wackelte mit den Zehen, stocherte mit dem Messer zur Sicherheit noch einmal in den Schäften der taufeuchten Stiefel und zog sie an. Er spürte einen dumpfen Schmerz der Müdigkeit in seinen langen, braunen Beinen, aber der Schmerz würde vergessen sein, wenn er das Meer erreichte. „Heute abend, sage ich, schlafe ich im warmen Sand." Vor Kokokas innerem Auge zog die
flache Uferlandschaft vorbei, das herrlich warme grüne Wasser, die Brandung und ein kleines Feuer am Strand, in dem er einen großen Fisch briet. Er wickelte ein paar Handvoll Beeren, die er gestern gesammelt hatte, aus einem nassen, grünen Blatt, aß sie langsam und trank Wasser aus dem Bach. Er glaubte, schon das Meerwasser riechen zu können. Die zweite Hälfte des vergangenen Tages hatte ihm viel Arbeit, aber auch reiche Beute gebracht. Bald würde er die Beute nicht mehr schleppen können, nicht deshalb, weil die Federn plötzlich schwer geworden wären, sondern weil die Netze und Ballen so gefüllt waren, daß er zwischen ihnen nahezu verschwand. „Es wird Zeit, daß ich aufhöre", sagte Kokoka, sammelte seine Lasten und die Ausrüstung wieder zusammen, schulterte seine Bündel und duckte sich unter tiefhängenden Ästen. Zwischen den Bäumen hing ein schwacher Dunst, den erst die Sonnenwärme auflösen würde. Die Spuren der Elefanten und der Männer waren mittlerweile so deutlich geworden, als wäre die Karawane vor wenigen Stunden vorbeigetrampelt. „Wahrscheinlich treffen wir uns am Ufer", meinte Kokoka und folgte den Spuren mit weiten, aber keineswegs hastigen Schritten. Bald war er wieder zwischen den Gewächsen verschwunden, folgte dem Bach oder schlich auf einem schmalen Pfad nach Osten, turnte über umgestürzte Baumriesen, die
24 moderigen Geruch ausströmten, um- Tief sog Kokoka diesen salzigen Geging große Flecken, auf denen grünli- ruch ein. Er ging auf engen Spuren che, giftige Pilze wuchsen und ver- zwischen den Strandgräsern auf eisuchte den Schwärmen der summen- nen winzigen Hügel zu. Es war seiner den Mücken und den schrill surren- Meinung nach eine seit langem bewachsene Düne. den Stechmücken auszuweichen. „Noch eine Stunde", sagte der VoStunde um Stunde verging, während der Jäger schweigend seinen geljäger. „Höchstens zwei Stunden." Er näherte sich dem Hügel, auf desWeg fortsetzte. Die Sonne brannte inzwischen fast sen Spitze einige Bäume standen, und senkrecht zwischen den Baumkronen kletterte im Zickzack zwischen Ranhernieder. Der Bach hatte sich einen ken und dürren Gräsern in den Schatwinzigen Spalt, wie eine enge ten der tiefhängenden Zweige. NachSchlucht zwischen grünen, zerklüfte- dem er seine Bündel abgesetzt hatte, ten Wänden, im Wald geschaffen. versuchte er, seine Umgebung genau Überall dort, wo Sonnenlicht auf den zu durchforschen. Boden traf, schienen Schlamm, GräIm Osten, eine halbe Stunde Fußser oder Schilf zu leben, denn überall marsch entfernt, sah er die riesige bewegten sich winzige Tiere. Fischad- Fläche des Meeres. Er grinste breit ler kreisten über diesem Teil des Wal- und drehte sich langsam herum, wähdes, und die Umgebung des schmalen rend er das durchschwitzte Band vom Wasserlaufes wurde von Stunde zu Kopf streifte. Stunde schlammiger. Im Norden erstreckte sich eine Ein Zeichen, sagte sich Kokoka, große, von Büschen und Schilfstreidaß der Bach an der Stelle seiner fen ausgefüllte Fläche. Sie bedeckte Mündung in eine Bucht oder das ein Gelände, das zwischen dem sandiMeer bald nicht mehr zu sehen sein gen Ufer und der sumpfigen Bachmündung bis zu einem Durchbruch würde. Kokoka hielt sich am südlichen vorsprang. Westlich dieses LandvorTeil dieser Grenze auf, fand einen sprungs breitete sich eine runde, neuen Pfad, verlor ihn wieder, und nicht sonderlich große Bucht aus. um ihn herum wurde es, obwohl die Als Kokokas scharfe Augen die Sonne auf dem Weg nach Westen Mitte der Bucht erreichten, erstarrte war, immer heller. er. „Ein Schiff!" stieß er hervor. „Ein Die Bäume wurden niedriger, die Stämme standen in immer größeren Schiff der Fremden. Aus Goa etwa?" Abständen, und das Buschwerk verEr zählte drei Masten. Die Persokümmerte. Unter den Stiefelsohlen nen auf dem Deck waren winzig des Jägers knirschten Sandkörner. klein, er konnte nicht viele EinzelheiEs wurde heißer, gleichzeitig kam ten unterscheiden. von Osten her eine leichte Brise auf, Aber zwischen dem Schilf, im modie tatsächlich den unverkennbaren rastigen Teil der trichterförmig ausGeruch des Meeres mit sich brachte. einanderstrebenden Bachmündung,
25 sah Kokoka einen einzelnen Elefanten. Er hob den Rüssel und schien bis zum Bauch im Wasser zu stehen. Einen Atemzug später hörte der Jäger das aufgeregte Trompeten des großen Tieres. Als er, beide Hände über den Augen, um das grelle Licht der Sonne abzuschirmen, genauer hinschaute, entdeckte er noch einige Tiere, die halb hinter einer Mauer aus Grünzeug versteckt waren. „Dort also steckt die Elefantenkarawane", sagte er verblüfft. „Warten die Treiber auf das Schiff? Oder warten die Fremden auf die Tragetiere?" Die Tiere und ihre menschliche Begleitung waren weit genug von Kokoka entfernt. Sie bedeuteten keine Gefahr für ihn. Er blickte nach Westen und Süden und sah nichts anderes als Wald, den Wald, den er verlassen hatte. Schließlich, nach langem Überlegen, packte er wieder seine Bündel und ging auf der östlichen Seite des Hügelchens hinunter. Niemand sah ihn, keiner schrie hinter ihm her oder verfolgte ihn. Der Jäger summte leise vor sich hin, als er das vorläufig letzte Stück seiner langen Wanderung begann. Endlich hatte er wieder freien Himmel über sich, eine endlose blaue Fläche, in der große, weiße Wolken aus Süden herantrieben. Sein Schatten wanderte schräg vor ihm und wurde immer länger, je weiter er sich dem weißen Streifen näherte, der die Brandung kennzeichnete. Schließlich hatte er die letzten Büsche hinter sich gelassen, und seine Stiefelsohlen knirschten zwischen Strandgräsern und Sandhafer.
Im Windschatten zweier kleiner Dünen, hinter einem Wall aus Schwemmgut und Treibholz, setzte Kokoka seine Ballen ab und zerrte als erstes seine Stiefel von den Füßen. Dann bereitete er sich auf einen langen, warmen Abend und eine ungestörte und ruhige Nacht vor. 4. Vages Tageslicht sickerte in die Decks. In der Stunde zwischen Dämmerung und hellem Sonnenlicht herrschte fast Windstille. Die Taktschläge, nach denen die Ruderer pullten, hielten längere Abstände als sonst. „Ausgeschlafen, Bilalama?" fragte Hasard junior, nachdem er sich selbst wieder zurechtgefunden hatte. „Schlecht geträumt, wie?" Der Inder neben ihm hatte zweimal im Schlaf so laut geschrien, daß die Zwillinge kurz aufgeschreckt waren. „Bei der blutigen Kali", stöhnte der Inder. „Ich habe von diesem Abschaum geträumt. Istaran. Ich fühle es. Heute geschieht etwas. Ich werde ihn töten." „Viel Glück wünsche ich", sagte Philip. Gemeinsam bewegten sie das lange Griffende des Riemens mit ständig gleichbleibenden Anstrengungen. „Du hast dir für heute viel vorgenommen." „Ich weiß, daß heute etwas passiert. Glaubt mir", entgegnete der Inder mit derselben Hartnäckigkeit, die er bisher an den Tag gelegt hatte. Hasard hob die Schultern.
26 „Vorläufig passiert heftiges Pullen", sagte er. Alle Seewölfe, die sich miteinander verständigen konnten, versuchten weiterhin, sich unbemerkt ihrer Ketten zu entledigen. Aber zwischen den beiden Decks gab es keine Verbindung. Sie hofften, daß jeweils die anderen genau das gleiche unternahmen: Kettenglieder aufbiegen, Splinte lockern oder das Eisen so lange hin und her biegen, bis es schließlich nach einer großen Anstrengung und einem wilden Ruck abbrach. Die Inder auf den Ruderbänken hatten ziemlich verständnislos zugesehen, wie die Fremden immer wieder versuchten, unbemerkt am Metall herumzubiegen. Aber sie hatten nichts unternommen. Bis auf Bilalama. Ihn trieb seine Rachsucht. „Ich brauche ein Messer, Engländer", sagte Bilalama eine halbe Stunde später. Hasard junior lachte kurz. „Wir auch", sagte er. Wieder entstand eine lange Pause. Die Männer pullten. Die „Stern von Indien" glitt durch langgezogene Dünung, die sie hob und senkte, durch niedere Wellen, und der Rudergänger brachte sie näher und näher an die Brandung. In den Wanten und im Ausguck, hinter dem Bugschanzkleid und über dem Rammsporn hingen und hockten die Seeleute, und sie sangen die Tiefe aus. Als durch die Luken die Küste zu erkennen war, konnten die Männer an den Riemen nichts anderes als
Brandung, Sand, Dünen und den Uferwald erkennen. Das Deck hatte sich belebt. Seeleute und Soldaten liefen hin und her und bildeten Gruppen. Die durchdringenden Rufe der Posten im Ausguck mischten sich in die Kommandos, die dem Rudergänger galten. Sonder, Rameshand und Istaran lehnten am Heckschanzkleid und richteten ihre Blicke dorthin, wohin fast jeder an Deck starrte: zum Ufer. „Das Fahrwasser scheint einigermaßen sicher zu sein", bemerkte Istaran laut. „Aber es ist noch immer nichts zu sehen. Dieser Shastri! Die Höllen sollen ihn braten." „Früher oder später finden wir ihn", sagte Sonder. Er trug nach wie vor eine unerschütterliche Ruhe zur Schau. Er und seine Leute wurden erst dann gebraucht, wenn ein Kampf bevorstand. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sie auf der „Stern" ein faules Leben. „Der Sultan", sagte Rameshand und wiegte nachdenklich den Kopf. „Gleich wird er sich aus den weichen Armen seiner Konkubine erheben, an Deck erscheinen und uns seine Wut spüren lassen." „Genau davor fürchte ich mich", entgegnete Istaran grimmig. Die Brandungswellen brachen sich vor einem flachen Sandstrand. Eine Düne reihte sich hinter den Wällen und Haufen des Schwemmguts an die andere. Ein leichter auflandiger Wind ließ die Segel killen und bewegte die Halme des Strandgrases. Von der Bordwand bis zum Land betrug die Entfernung schätzungsweise drei Pfeilschußweiten. Weiter im Landes-
28 inneren hing dünner Nebel vor dem Waldstreifen. Einzelne Palmen ragten über die anderen Baumkronen hinaus. Eine Viertelstunde später sichteten sie einen einzelnen Mann, der hinter einem Feuer aufgestanden war und regungslos zum Schiff hinüberblickte. Nach drei Dutzend Riemenschlägen verschwand er wieder hinter der Kante einer struppig bewachsenen Düne. „Das war bestimmt nicht Drawida Shastri", sagte Istaran. „Bist du ganz sicher, Sonder, daß sich die Gefangenen nicht losreißen können?" Sonders senkte den Kopf. Die Reiherfeder an seinem Turban flatterte hin und her. „Ganz sicher, Herr", antwortete er. „Ich und meine Männer haben jede einzelne Kette, jeden Bolzen und jedes Schloß geprüft. Alles in Ordnung. Niemand kommt frei, wenn wir ihn nicht losschließen." Durch das schwach schäumende Kielwasser hindurch sahen die Männer den Grund. Zwischen kleinen Steinen breiteten sich über dem hellen Sand lange Tangzweige aus, deren spitze Blätter sich in der Strömung schwach bewegten. Bisher hatten sie nicht ein einziges Riff sehen können. Deswegen waren die Seeleute auch so unbekümmert - sie kannten diesen Abschnitt der Küste. Plötzlich packte Sonder seinen Nebenmann am Oberarm. „Da! Ein Schiff! Masten!" stieß er erregt hervor und zeigte über die Landzunge hinweg. „Tatsächlich. Rudergänger! Weiter auf diesem Kurs."
Grinsend bewegte der Rudergänger die Pinne um eine Handbreite nach Backbord. Fast gleichzeitig fingen die Seeleute zu rufen und zu deuten an. Überall ertönten die schrillen Rufe. Unter den drei Männern krachte eine Tür auf. „Der Sultan", murmelte Istaran schicksalergeben. „Jetzt geht es richtig los." Aus den verschiedenen Beobachtungen und Meldungen setzte sich ein erstes Bild zusammen. Der Sultan stieg den Niedergang hoch. Die Männer führten die Ehrenbezeigungen aus und warteten schweigend, bis er die ersten Fragen stellte. „Ist es dieser von Allah Gestrafte? Shastri?" schrie der Sultan mit bleichem Gesicht. „Wir wissen es nicht, Majestät", erwiderte Istaran und zeigte in die Richtung der Masten. Das Gelände sank ein wenig ab, und jetzt sah man, daß es eine jener Karavellen war, die von den Portugiesen aus Goa gesegelt wurden. „Laßt die ,Stern' hinüberpullen", befahl der Sultan erregt. „Die Kanonen sollen feuerbereit sein. Ich werde sie fragen, ob sie Shastri und das Gold verstecken." „Sofort, Herr von Golkonda!" rief Rameshand. „Sofort. Bedenke aber, daß wir uns langsam dem Fremden nähern. Wir wissen nicht, wie das Fahrwasser beschaffen ist." Schweigend verbeugten sich die Männer. Die Galeere bewegte sich weiter in nördlicher Richtung, und aus den Wanten ertönte der nächste Ruf. Die Bucht, in der die Karavelle
29 vor Anker lag, hatte eine breite Einfahrt. Ein Kanal, drei Pfeilschußlängen breit und ein Dutzend lang, führte vom offenen Meer nach Westen, in die Bucht hinein. Rameshand ging hinüber zum Rudergänger, warf einen langen Blick auf die schlaffen Segel und sprach leise mit dem muskelbepackten Inder. „Ja, Herr", wiederholte der Rudergänger mit ernstem Gesicht. „Ich habe verstanden. Wir gehen durch den Kanal und halten uns in Rufweite, nachdem das Schiff gedreht hat." „Wehe dir, wenn wir aufsitzen. Der Sultan läßt dir die Haut abziehen", warnte Rameshand so leise, daß es außer ihm und dem Mann an der Pinne keiner verstand. „Ich weiß es, Herr." Die „Stern von Indien" glitt langsam und majestätisch nach Steuerbord und weiter hinaus auf die offene See. Der Stückmeister und seine Bedienungsmannschaften rannten wie aufgescheuchte Gazellen über Deck und entfernten die Planen, brachten lederne Pützen und Lunten an Deck, lösten die Vertäuung der Geschütze und rannten die schlanken Bronzerohre aus, eines nach dem anderen. Istaran jagte Melder hinunter zu den Ruderdecks und sah zu, wie die meisten Seeleute ihre Plätze verließen und sich an Deck sammelten. Plötzlich war es ruhiger geworden. Die einzelnen Kommandos hallten weit in der Stille des Morgens. Sonder erklärte, nachdem er die fremde Karavelle lange genug gemustert hatte: „Sie führen die Flagge der
Leute aus Goa. Also ist es eine portugiesische Karavelle." „Hoffentlich haben die Fremden etwas mit unserem lieben Shastri zu tun", meinte Rameshand. „Denn diese Bucht können sie nicht verlassen, wenn wir es nicht erlauben." „Ich hoffe es ebenso wie du, Bruder", murmelte Istaran. „Wenn dies so wäre, behalten wir alle unsere Ämter und unsere Köpfe." „Allah ist groß!" rief der Sultan plötzlich. „Wohin steuert ihr?" Im selben Moment drehte der Bug der „Stern von Indien" wieder langsam nach Backbord zurück. Die südliche Huk der Einfahrt lag querab, das Schiff drehte weiter und richtete den Rammsporn auf den Mittelpunkt der Bucht, auf die Karavelle. „Wir gehen nicht näher als auf Rufweite heran, Sultan", antwortete Rameshand und verbeugte sich wieder. „Willst du wirklich selbst mit den Fremden sprechen?" Die Antwort war kalt und klang, als schärfe jemand die Schneide eines Beils. „Es ist schließlich mehr oder weniger mein Gold. Also werde ich mich selbst darum kümmern." „Selbstverständlich, Herr." Die Riemen wurden kräftig, aber langsamer durchgezogen. Der Rudergänger hielt die Galeere genau in der Mitte der Passage. Der Wind hatte völlig nachgelassen, die Wellen waren im Kanal nicht höher als eine Handbreite, und die Galeere glitt mit der langsam einlaufenden Flut. An Deck der Karavelle zeigten sich etwa ein Dutzend Männer. Unter ihnen befand sich nicht ein einziger In-
30 der, ausnahmslos Fremde gingen hin und her, und ein paar Schienen Werkzeuge zu tragen. Die Lunten neben den Bordgeschützen Wurden entzündet und glimmten hinter dem Schanzkleid der Galeere. Aufgeregt gestikulierte ein Ausguck; Istaran Winkte ihn zu sich herunter. Der Mann enterte die Wanten ab und hastete über die Planken. Erregt keuchte er: „Herr! Ich hab's deutlich gesehen. Da ist wohl ein Fluß oder Bach. Es Waren drei Elefanten mit den Mahouts. Wahrscheinlich waren sie an der Tränke." Istaran packte ihn an beiden Oberarmen und schüttelte den Seemann. „Bist du sicher? Elefanten?" Noch während er sprach, hallte über die Bucht und das niedrige Buschwerk des Landvorsprungs das langgezogene, zornige Trompeten eines der mächtigen Tiere. Der Inder grinste breit und sagte: „Glaubst du's jetzt, Herr?" Allah war mit dir", antwortete Istaran voller Erleichterung. Es war wirklich ein Elefantenschrei gewesen. Als er in das Gesicht des Sultans blickte, konnte er ohne Mühe sehen, daß auch seine Majestät begriffen hatte, daß sie dem verschwundenen Gold noch nie so nahe gelangt waren wie eben jetzt. „Elefanten und ein Schiff. Wir wissen, was Wir davon zu halten haben", sagte der Sultan. ,,Auch davon, daß in der Regel die Fremden mit ihren Feuerrohren besser umgehen können als die ruhmreichen Truppen des Sultans von Golkonda." Während der Mann an der Pinne
das Ruder hart legte, pullten nur die Gefangenen an Steuerbord. An Backbord stemmten sie die Riemen ins Wasser, die Blätter erzeugten weithin sichtbare Strudel, und die „Stern" drehte auf einer Strecke von sechzig Schritten um hundertachtzig Grad. Dann ertönten andere Kommandos, und die Riemen Wurden eingeholt. Rameshand deutete, noch während das Heck in einem Weiten Bogen herumschwenkte, zu der Karavelle. „Herr", sagte er. „Wir warten." Dutzende Augenpaare beobachteten jede Bewegung auf der Karavelle. Die Männer im Ausguck versuchten, mehr von den Elefanten am südlichen Rand der annähernd kreisrunden Bucht zu erkennen. Der Sultan hob beide Hände an die Lippen, holte tief Luft und rief in der Sprache der Fremden: „Ich bin der Sultan von Golkonda. Was sucht ihr hier in meinem Land?" In derselben Sekunde erkannte er, daß die Galeere dem Fremden das Heck zeigte. Die Karavelle hingegen richtete ihren Bug nach Süden. Die Backbordseite mit den geöffneten Stückpforten drohte dem eigenen Schiff. Vom Achterdeck ertönte die Antwort: „Der Schiffszimmermann muß einen Schaden reparieren. Das Ruder tut es nicht mehr. Und Wir nehmen Frischwasser auf, Sultan." Rameshand Sagte halblaut: „Wenn die Fremden Wasser aufnehmen wollten, hätten sie ihr Beiboot ausgesetzt, und wir würden sehen, wie sie leere und volle Fässer zwischen der Bachmündung dort drüben und dem Schiff hin und her transportieren."
31 Der Sultan schenkte ihm einen mitleidigen Blick und erwiderte leise: „Selbst ich habe Augen im Kopf, du Wurm. Wie frisches Wasser auf Schiffe gelangt, weiß ich besser als du." „Verzeih, Herr. Ich war vorlaut", murmelte Kapitän Rameshand und zog sich zwei Schritte zurück. ,,Ich sehe niemanden am Ruder arbeiten!" rief der Sultan über das Wasser. „Außerdem kann ich keinen Schaden erkennen, Portugiese. Helfen euch die Elefanten beim Wasserholen und bei der Schiffszimmerei?" Vom Achterdeck der Karavelle, deren Segel aufgegeit, aber nicht festgezurrt waren, konnten die Fremden genau beobachten, daß die Inder ihre Geschütze ausrannten und richteten. Der Mann auf dem Achterdeck, der aussah, als wäre er der Kapitän, brüllte zurück: „Welche Elefanten, Sultan?" „Dort drüben warten sie. Wir suchen die frechen Goldräuber, und wir sind sicher, daß ihr etwas mit ihnen zu tun habt. Ich weiß, es ist ein böser Verdacht. Er ist nur zu entkräften, wenn ich dein Schiff durchsuchen kann, Kapitän der Portugiesen." Einer der Schiffsjungen hastete den Niedergang hinauf, rannte über die Planken und wich den Kanonieren aus. Er näherte sich Istaran und verneigte sich tief. „Herr, eine Botschaft", flüsterte er. Istaran winkte ihn ärgerlich zur Seite, aber der Junge blieb stehen und wiederholte: „Eine Botschaft von dem Fremden, den sie ,Seewolf' nennen. Es sei wichtig, hat er gesagt."
„Was willst du?" Der Junge wiederholte abermals und stotterte: „Der große Fremde und sein Schiffszimmermann sagen, daß die Portugiesen lügen. Das Ruder ist nicht beschädigt. Der Sultan soll sich nicht von ihnen belügen lassen. Wahrscheinlich warten die Elefanten und ihre Treiber auf die Ebbe." Istaran nickte und runzelte besorgt die Stirn. Ab und zu wurden von den Ruderern zwei oder drei Schläge ausgeführt, um die „Stern von Indien" in der leichten Strömung auf derselben Stelle zu halten. „Ich lasse mein Schiff nicht Von jedem durchsuchen, der unglaubliche Behauptungen herüberschreit!" rief der Portugiese wütend zurück. „Du scheinst nicht zu wissen, welche Macht der Sultan von Golkonda hat!" schrie Rameshand. „Das geht dich einen nassen Abfall an, Turbanaffe!" schrie der portugiesische Kapitän. Die Inder zuckten zusammen. Der Sultan und Rameshand wechselten lange schweigende Blicke. Über dem Strand flatterten kreischende Möwen. Die „Stern" lag fast völlig ruhig da. Die Besatzungen der beiden Schiffe starrten jeweils die Mannschaft des anderen an und warteten auf etwas, das die Spannung auflösen würde. Ein unbehagliches Schweigen hatte sich ausgebreitet. „Turbanaffe", sagte Sonder leise. „Kennst du diesen Fremden näher, Rameshand? Oder kennt er dich?" Er grinste breit, seine Finger wühlten im Gestrüpp seines wohlriechenden Kinnbarts.
32 „Er wird uns kennenlernen", erwiderte Rameshand ebenso leise. Der Sultan hatte geschwiegen und lange nachgedacht. Die Männer in seiner Nähe flüsterten ihm ihre Beobachtungen und Ratschläge zu. Mittlerweile hatten sie alle mindestens ein halbes Dutzend Elefanten und mindestens fünfzehn Männer gesehen. Die versuchten zwar, sich zu verstecken, aber die großen Tiere hatten die Deckung zwischen den Büschen und dem Schiff verlassen und schienen das frische Wasser bachaufwärts zu suchen. Wenn die Portugiesen behaupteten, die Elefanten nicht gesehen zu haben, dann logen sie mehr als unverschämt. Schließlich entschloß sich der Sultan und sagte: „Wir können uns leicht zurückziehen. Lasse das Schiff drehen, Rameshand! Wir wollen nicht wehrlos bleiben." „Sofort", erwiderte der Kapitän. „Was hast du vor, Sultan?" „Ich fordere sie heraus. Wenn sie etwas zu verbergen haben, werden sie uns eine Durchsuchung nicht erlauben." „So ist es, Licht von Golkonda." Sonder verließ das Achterdeck der Galeere, hörte mit halbem Ohr auf die Kommandos, die zu den Ruderdecks weitergegeben wurden, und winkte seine Leute zu sich. Sie hatten sich, wie er befohlen hatte, bewaffnet und warteten voller Unruhe. „Was geschieht jetzt, Herr?" fragte ein Unterführer. „Wahrscheinlich haben die Fremden völlig recht. Kein Schaden am Ruder. Niemand arbeitet an den Holzteilen."
„Das hängt vom Sultan ab. Wahrscheinlich gibt es für uns genug zu tun", erklärte Sonder ruhig. „Wir warten." „Lange dauert's nicht mehr." Die Soldaten des Sultans packten ihre Waffen fester. Ihre Augen blieben auf die Karavelle gerichtet. Ein halbes Dutzend Mündungen starrten aus den Stückpforten schwarz und drohend zurück. Die Entfernung war so gering, daß jeder Schuß treffen mußte. Der Sultan holte tief Luft und rief: „Wir gehen längsseits bei deinem Schiff, Portugiese! Wenn sich Shastri und seine Bande von Dieben in deiner Karavelle verbergen, werden wir grausame Rache nehmen. Wenn nicht, dann habe ich mich geirrt, und du wirst meine Entschuldigungen entgegennehmen. Das ist unser Land, und wir haben das Recht, euch zu durchsuchen." Die „Stern von Indien" hatte sich inzwischen halb gedreht. Die Steuerbordseite schwenkte langsam herum, und jeder Mann der Besatzung hörte die Antwort des portugiesischen Kapitäns. Allerdings verstand nur ein Zehntel der Crew die Sprache der Fremden. Die Bedeutung aber war unmißverständlich. „Pullt mit eurer Prunkgaleere davon, möglichst schnell und so weit, wie es geht. Keiner betritt mein Schiff. Schon gar nicht einer von euch!" Der Sultan schluckte auch diese Beleidigung. Sein Gesicht war aschfarben geworden. Er beherrschte sich mustergültig und antwortete mit rau-
33 her, aber lauter Stimme: „Ich bin der Herrscher." Der Portugiese antwortete mit einem wilden Fluch, den lediglich Hasard und ein Teil seiner Crew verstanden. „Verzieht euch!" tobte der Kapitän der Karavelle. Hinter den Geschützen bewegten sich plötzlich die Mannschaften. „Ich zeige euch, wer die richtigen Befehle gibt!" Dreimal blitzten nebeneinander die langen Feuerzungen aus den Mündungen der Culverinen. Die Detonationen verschmolzen zu einem langgezogenen Donnerschlag. Unzählige Vögel flatterten auf, ihr Gekreische ging im schmetternden Lärm der Geschütze unter. Die Geschosse heulten davon, noch ehe der Sultan seine Befehle brüllen konnte. Eine Kugel jaulte zwischen den Masten über die Galeone hinweg, und an zwei Stellen der „Stern" flogen die Trümmer wirbelnd in alle Richtungen. Die Inder hatten sich, bis auf den Sultan, auf die Planken fallen lassen oder tief hinter das Schanzkleid geduckt. Zwei harte, dröhnende Schläge erschütterten die „Stern". Die Einschläge der Kugeln ließen den langen Rumpf erzittern. Die Trümmer des kleineren Bootes, einer Nagelbank und des Schanzkleides prasselten an Deck zurück oder klatschten ins Wasser. Wieder war es der Sultan, der die Ruhe behielt. „Warum schießt ihr nicht?" rief er schneidend. „Brennt ihnen das Schiff nieder! Feuert! Schnell! Auf was wartet ihr?"
Die „Stern von Indien" hatte ihre Vierteldrehung beendet. Die Inder hinter den Lafetten sprangen auf die Füße und schrien, um sich selbst Mut zu machen. Es gab ein wildes Durcheinander unter den wenigen geübten Männern, aber schließlich rannte der Stückmeister mit rauchender Lunte von einem Geschütz zum anderen und zündete die Rohre. In Abständen von zwei Atemzügen krachten die Schüsse aus den Rohren der Galeerengeschütze. Zwischen den Schiffen breitete sich ein zerrissener Vorhang aus grauem Rauch aus. Durch die Schwaden der Pulvergasse zuckten die Feuerstrahlen, die heulenden und summenden Geräusche der Geschosse gingen im Dröhnen unter. Vor dem Bug und hinter dem Heck der Karavelle sprangen weiße, schäumende Fontänen senkrecht in die Höhe. „Zurück! Pullt aus der Bucht", befahl der Sultan, als er sicher war, daß kein weiteres Geschütz mehr feuern würde. Der Rauch breitete sich aus, und es war auch an Deck der „Stern" nicht mehr viel zu erkennen. Inder rannten hin und her und schrien. Rameshand und Istaran versuchten festzustellen, ob die eigenen Kugeln die Karavelle getroffen hatten. Hinter den Schwaden züngelten an zwei Stellen Flammen, und wildes Gebrüll ertönte aus der Richtung der Karavelle. Aus dem grauschwarzen Gebrodel ragten unversehrt die Masten und die Rahruten heraus. Die langen Riemen hoben und senkten sich. Der Bug der Galeere
34 „Wenig Erfolg, mein Freund", sagte schwang langsam herum und richtete Istaran und zuckte mit den Schultern. sich wieder nach Osten aus. Sonder jagte seine Leute auseinan- „Zuerst sollten wir die Kanoniere ein der und befahl ihnen, die Trümmer wenig auspeitschen. Dann müssen einzusammeln und aufzuklaren, so wir Kugeln und das teure Pulver vergut es ging. Der Rudergänger stellte schwenden und alle diese Meister der Rohre üben lassen. Das war ein bedie Pinne wieder gerade. Der Sultan stand an der unversehr- schämendes Ergebnis für uns." ten Heckgalerie, wischte Rußflecken „Wenn ich an die Laune unseres von seiner Haut und schwieg. Nur Herrn denke, fange ich zu zittern an", sein Gesichtsausdruck ließ erkennen, flüsterte Rameshand. Er blickte auf wie groß die Wut war, die in ihm den breiten Rücken von Sonder, der tobte. einem Schiffsjungen den Niedergang Die Rauchwolken verzogen sich in hinunter folgte. Offenbar ging unter Deck etwas Richtung der Bachmündung. Noch immer flatterten riesige Schwärme vor, das seine Gegenwart erforderte. aufgeregter Vögel über der Bucht, den Sträuchern und Büschen. Jetzt hörten die Männer das schrille Krei5. schen und Schreien der Tiere. An zwei Stellen war die „Cabo Rameshand wußte nicht recht, ob er lachen oder sich über die Kano- Mondego" getroffen worden. Luis de Xira, der Kapitän, rieb sich niere ärgern sollte. „Acht Geschütze haben gefeuert", die Hände. Er grinste zufrieden und murmelte er. „Aus dieser Entfernung sagte zu seinem Ersten: „Wir haben hätten wir den Portugiesen in ein die Kanoniere dieser Prunkgaleere Wrack verwandeln müssen. Was ist richtig eingeschätzt. Sie können vielleicht an Land gut treffen, aber nicht der Erfolg?" Istaran lehnte sich schwer gegen auf den schwankenden Planken." die Heckbalustrade und sah, daß die „Obwohl sie uns aus größter Nähe Karavelle an drei Stellen getroffen beschossen", erwiderte Alvaro Belworden war. Einiges Tauwerk war monte. „Deine Antworten haben sie zerfetzt, ein Loch klaffte im ausein- jedenfalls nicht vertrieben." andergerissenen Segel. Am Bug und „Aber lange genug aufgehalten. Die am Heck fehlten einige Stücke des Culverinen bleiben feuerbereit, NicoSchanzkleides, und die Flammen -ao, klar?" wurden von den Portugiesen mit Püt„Jawohl, Senhor!" rief der Stückzen voll Wasser gelöscht. meister zurück. Die leergeschossenen Der portugiesische Kapitän stand Rohre waren bereits wieder eingeauf dem Achterdeck, stemmte die rannt worden. Fäuste in die Seiten und blickte grinDer Kapitän der „Cabo Mondego" send zu der Galeere, die durch die schob die Teile des Spektivs wieder Passage gepullt wurde. ineinander und versenkte das kost-
35 bare Instrument in der Tasche. De Xira war ein fünfzigjähriger, hagerer Mann mit rasiertem Kinn und einem mächtigen Schnurrbart, dessen Haare einst schwarz gewesen waren. Jetzt mischten sich graue und weiße Strähnen in das schüttere Schwarz. Seine tiefliegenden, dunkelbraunen Augen waren von einem Netz aus tiefen Falten umgeben. Gewöhnlich trug de Xira eine mürrische, in sich gekehrte Miene zur Schau, aber nach dem Wortgefecht und dem kurzen, vernichtenden Schußwechsel war sein Gesicht gerötet. Er fühlte sich als Sieger. Alvaro Belmonte dachte ein wenig anders darüber. „Dir ist klar, daß sie zurückkehren werden?" fragte er vorsichtig. Die Galeere erreichte jetzt das Ende der Passage und hob ihren Bug, als sie die Brandungswellen passierte. „Höchstwahrscheinlich. Wenn wir die Kisten aus den Laderäumen gehievt haben, ist die ,Cabo' leichter. Mit der Nachtflut gehen wir ankerauf. Natürlich sind wir schneller als die Galeere." Der Kapitän hob den Arm und zeigte zur Bachmündung. „Das Versteck für die verdammten Elefanten war schlecht. Man kann die Viecher schon von See aus hören und sehen", sagte er. „Aber sie sind sich nicht sicher, ob Drawida Shastri und seine plattfüßigen Diebe mitsamt dem Schatz an Bord sind." „Sie scheinen es genau zu wissen", sagte Alvaro und strich sein blondes, schweißnasses Haar aus der Stirn. „Sonst würde der Sultan - wenn er es.
war - nicht die Durchsuchung verlangt haben. Wir haben uns, fürchte ich, an dieser Küste nicht gerade Freunde geschaffen." „Shastri ist unser Freund", antwortete der Kapitän. Er beharrte auf seiner Meinung. Mit dieser riesigen Menge Silber und Gold würde sich Drawida Shastri vieles, wenn nicht alles kaufen können mit einiger Sicherheit auch die Staatsgewalt und die Herrschaft über Golkonda. Dann wurden Shastris Freunde zu wichtigen Männern. „Shastri ist jetzt unser Freund", murmelte Alvaro. „Der Sultan ist es nicht. Er kocht vor Wut." Der Schiffszimmermann der „Cabo Mondego" und seine kleine Crew kümmerten sich um die Trümmer im Holzwerk. Seeleute und der Segelmacher waren in die Wanten auf geentert und holten Rahrute und Segel ein. „Natürlich ist er zornig. Wäre ich auch, Alvaro", sagte der Kapitän und winkte dem Schiffsjungen. „Keine Sorge. Wir schaffen es schon. Sprich mit unseren indischen Freunden." „Die sich vorzüglich versteckt gehalten haben", murmelte der Erste. Der Kapitän warf einen langen Blick auf das Deck der Karavelle, dann starrte er in Belmontes Augen, schließlich stimmte er ein lautes, heiseres Gelächter an. Er konnte sich nicht mehr beruhigen und lachte schallend, bis die Tränen in seine Augen schossen. „Sie sind unsichtbar geblieben. Nicht eine verdammte Handbreite braune Haut haben sie gezeigt", sagte er schließlich keuchend. „Shastri hat
36 vor dem Sultan wahrscheinlich noch mehr Angst als vor den Kanonen der Galeere." „Wir haben uns in ein gefährliches Spiel eingelassen." Der Erste überdachte die Lage und fand sie wenig beruhigend. Die Bucht und der Kanal waren zwar ein hervorragendes, gegen den Wind geschütztes Ankergewässer, gleichzeitig wirkte die Umgebung wie ein Gefängnis. Der Erste dachte inzwischen an einen Durchbruch vor dem ablandigen Wind, in der Nacht, und vermutlich aus allen Rohren feuernd. Vor der Segelkunst und den Geschützen der „Stern von Indien" hatte er keine Furcht. „Das Spiel wird nur dann gefährlich, Alvaro, wenn wir leichtsinnig werden. Heute abend sind ihre Elefanten am Schiff, und wir laden um." „Hoffentlich, Luis." Der Schiffsjunge enterte zum Achterdeck auf und goß Wein in zwei Becher. Die Ausbesserungsarbeiten waren in vollem Gang, die Sonne strahlte mit der Kraft der Stunden vor Mittag auf das bräunliche Wasser der Bucht. Über den Wellen tanzten Millionen Mücken. Wären nicht die wartenden Elefanten gewesen und die Galeere draußen vor den Dünen, hätte sich Alvaro Belmonte keinen schöneren Tag zum Faulenzen wünschen können. „Ich rede mit Drawida", sagte er halblaut und ging auf den Niedergang zu. „Vielleicht können die Elefantentreiber auch bei höherem Wasser die Tiere längsseits bringen." „Je eher wir das Gold los sind", bekräftigte der. Kapitän, „desto besser
für uns. Dann kann der Sultan von mir aus die Bilge durchwühlen.". „Alles klar, Capitán", sagte Belmonte und enterte ab. * Die Sonne brannte auf seine Lenden, und zwischen den Zehen und den Fingern knisterten die Salzkörner. Kokoka stand vor dem Gerüst aus Treibholzstangen und betrachtete zufrieden die prallen Vogelbälger. Er hatte die Kadaver im Salzwasser gereinigt, trocknen lassen, mit heißem Sand gefüllt und sorgfältig neben den Grasbüscheln am Dünenrand aufgehängt. Der Jäger hatte eigentlich seinen Heimweg antreten wollen, aber jetzt gefiel ihm seine neue Umgebung ausnehmend gut. Er war völlig nackt, hatte seine Haut gründlich mit Sand und Seewasser gesäubert und dann mit dem Öl aus gepreßten Pflanzen eingerieben. Mit dem Messer hatte er sein Haar geschnitten und sich rasiert, indem er einen Ebbetümpel als Spiegel benutzte. Um sein Feuer herum lagen die Reste großer Fische. Er hatte sie, bis zu den Hüften im Wasser stehend, mit seinen Pfeilen erlegt. Jetzt stand Kokoka auf dem Kamm der niedrigen Düne und schaute zu der Galeere hinüber. Es war ein außerordentlich großes und überaus prächtiges Schiff mit mehr Riemen, als er zählen konnte. Er sah das Sonnenlicht auf den Metallverzierungen glänzen, bewunderte die leuchtenden Farben, den tiefen Glanz des Holzes
37 und die Muster und Färbungen der Segel, die jetzt schlaff hingen. „Ein Schiff, das dem Sultan gehören muß, ein anderes Schiff mit Fremden bemannt, und eine Horde Lastelefanten mit Treibern. Wie paßt das alles zusammen?" murmelte er. Der Jäger hatte tief, traumlos und lange geschlafen, hatte getrunken und war satt. Als er die Beute des langen Jagdzuges durch Dschungel, Steppe und Buschzonen untersuchte, stellte er fest, daß er noch nie soviel Erfolg gehabt hatte. Die Aufkäufer des Sultans würden ihm den Preis geben, den er forderte. Er wußte, daß es viele Rupien sein würden. „Ich warte darauf, was passieren wird." Kokoka grinste breit. Er fühlte sich wie halbwegs neu geboren. „Es wird bald passieren. Ich bleibe hier. Ich habe genug Zeit." Soweit er hatte sehen können, waren die Elefanten nach dem Bad im Schlamm der Bachmündung weiter bachauf wärts gezogen. Auf dem Weg dorthin hatten die Tiere Unmengen von Blättern von den Zweigen gerupft und gefressen. Jetzt tranken sie frisches Wasser und suchten Schutz vor der Mittagshitze im Schatten. „Und es ist schön hier", beendete Kokoka sein Selbstgespräch und stemmte seine Fersen gegen den nachrutschenden Sand, als er die Düne hinunterstieg. Die Fremden auf dem zweimastigen Schiff reparierten Schäden und hatten das Segel an Deck ausgebreitet. Sie schienen keinen Lotsen oder Führer zu haben, der ihnen den Weg wies und sie vor Untiefen warnte.
Kokoka hatte viele Gerüchte gehört. Er war fast sicher, daß dieses große, geruderte Prunkschiff dem Sultan von Golkonda gehörte. Es hieß, das Schiff sei in unzähligen Teilen aus einem Land der Fremden hierher geschleppt und zusammengefügt worden. Jetzt stampfte es in der Dünung. An Deck bewegten sich, winzig klein wie auch die Mannschaft des Fremden in der Bucht, die Seeleute und besserten ebenfalls Schäden aus, die offenbar bei einem Gefecht entstanden waren. Jede Bewegung, die Kokoka erkennen konnte, schien von der Hitze, der Feuchtigkeit und der Faulheit bestimmt zu sein. Niemand rannte, keiner hastete, jeder bewegte sich und schlich daher, als würde er von einer fast tödlichen Müdigkeit geplagt. Der Körper des Jägers hatte sich wieder mit Sand bedeckt. Er hob den Kopf und blinzelte in die Sonne. Dann lief er mit langen Schritten auf die Brandung zu und watete ins Wasser. Nach der Sonnenglut war es wunderbar kühl. Kokoka hatte beschlossen, hierzubleiben und zu beobachten. Er würde von niemandem gesehen werden, aber er sah alles. Wenn die Schiffe und die Elefanten wieder weg waren, würde er seine Bündel packen und weiterwandern, vielleicht sogar zurück nach Madras. Zum Wohlbefinden fehlten ihm nur noch ein paar Krüge Reiswein und eine braunhäutige junge Frau mit schwellenden Hüften. *
38 „Ich bin Sonder", sagte der schlanke, ernst dreinblickende Inder. „Ich habe den Befehl über die Kanonen und einen Teil der Palastwache. Du willst mit mir sprechen, Fremder?" „Das ist richtig", sagte Philip Hasard Killigrew. Sie sprachen Portugiesisch, Hasard besser, der Inder stockend, aber klar verständlich. „Dein Sultan, du und ich mit meinen Männern, wir haben die gleichen Probleme." Die Galeere dümpelte in den Wellen. Planken und Verbänden ächzten und knarrten leise. Es stank wie immer, die Luft war stickig, feucht und heiß. Die angeketteten Gefangenen hatten sofort gemerkt, daß wichtige Dinge vor sich gingen. Sie schwiegen und starrten Sonder und den breitschultrigen, hochgewachsenen Fremden an. „Wie meinst du das, Fremder?" fragte Sonder. „Ich habe nicht alles sehen können", erklärte Hasard und zwang sich zur Ruhe. „Was ich sehen konnte, reicht mir. Eure Schützen sind mehr als nur schlecht." „Stimmt!" Hasard mußte wider Willen lächeln, als er Al Conroys Stimme aus dem Hintergrund erkannte. Der Inder und Hasard musterten einander, schweigend und starr. Beide Männer versuchten festzustellen, was der andere konnte, was er taugte. Der Seewolf brach als erster das Schweigen, das mehrere Atemzüge lang angedauert hatte. „Du weißt, warum wir hier angekettet sind und pullen. Ich habe dir
etwas vorzuschlagen - dir und deinem Sultan." Sonders Finger wühlten in seinem Bart. Er war unschlüssig, aber auch er hatte erkannt, daß die Besatzung der „Stern von Indien" nicht die beste Crew für einen blitzartigen und erfolgreichen Überraschungsangriff war. Er nickte und verlor etwas von seiner Angespanntheit. „Was willst du dem Sultan von Golkonda sagen?" Hasards Augen funkelten, als er antwortete: „Daß wir, die Arwenacks, für ihn und auch für uns die Karavelle der Portugiesen entern und den Goldschatz erobern können. Sonders Gedanken waren seit dem Augenblick, als er wieder an Deck erschienen war, ungewöhnliche Wege gegangen. „Eine merkwürdige Bitte, Kapitän", sagte Sonder. „Keine Bitte", entgegnete Hasard scharf. „Ein Vorschlag. Wir haben einige Erfahrung darin, Schiffe zu entern. Die angeketteten Männer schwiegen und hörten zu. Alle Blicke richteten sich auf Sonder, der im Mittelgang stand und auf Hasard hinuntersah, der ruhig dasaß und dem Inder in die dunklen Augen starrte. „Das würde bedeuten, daß wir dich und deine Männer von den Ketten befreien", sagte Sonder halblaut. „Richtig. Und ein paar von den besten Kämpfern dazu. Inder, die wissen, wie man sich versteckt, und wie man in der Nacht kämpft. Schnell und möglichst leise nämlich." Als sich Hasard bewegte, klirrten
39 die Ketten. Er sprach Weiter: „Meine Bedingungen: wir kommen frei und kämpfen selbständig. Wir erhalten unsere Waffen zurück, denn mit bloßen Fäusten können wir gegen die Portugiesen und gegen Shastries Leute nicht viel ausrichten. Unsere Waffen sind auf der Galeere, das wissen wir." Sonder nickte nur. „Geh zum Sultan und sage ihm, was ich vorgeschlagen habe. Wenn es sich darum handelt, die Galeere nach dem Kampf nach Madras zurückzupullen, so lassen wir mit uns reden. Ohne Ketten, versteht sich." „Ich werde unserem Herrn ausrichten, was du gesagt hast, Kapitän", erklärte Sonder und legte die Hand an die Brust. „Ob er allerdings damit einverstanden ist, auch indische Gefangene loszuketten, weiß ich nicht'' Er drehte sich um und ging mit langen Schritten zum Niedergang. Ben Brighton tippte Hasard auf die Schulter und sagte: „Glaubst du, daß der Sultan damit einverstanden sein wird, Sir?" „Nun", erwiderte der Seewolf nachdenklich, ,,ich bin nicht ganz sicher. An seiner Stelle würde ich einwilligen. Wenn er nicht völlig blind ist, hat er gesehen, Was seine Leute taugen." „Und daß die Portugiesen besser treffen als seine eigenen Kanoniere, nicht Wahr?" „So ist es. Der Portu wird überdies inzwischen alle Pistolen und Musketen geladen haben." Sie wurden unterbrochen Hasard hörte sofort zu sprechen auf, als er den Schmied der Galeere, Sonder und
einige Bewaffnete erkannte, die sich ins Halbdunkel des Decks tasteten und zwinkerten Dann drehte er den Kopf und sagte laut: „Arwenacks! Ihr bleibt alle auf euren Plätzen. Nichts unternehmen, wenn ich es nicht befehle. Klar?" „Aye, aye, Sir", erwiderten die Seewölfe in einem brummigen Chor. Die Inder näherten sich, blieben neben Hasards Sitzplatz stehen, und als sich der breitschultrige Inder, Meißel und Hammer in den Händen, bückte, stand Hasard langsam auf. Er packte seine Kette, grinste Sonder ins Gesicht und straffte die eisernen Glieder. Dann spannte er seine Muskeln und brach mit einem einzigen, harten Ruck den Splint ab. Der Schmied sprang zurück und hob drohend den Hammer. „Früher oder später hätte ich mich selbst beim Sultan gemeldet", sagte Hasard deutlich betont, „und ihm den Vorschlag unterbreitet. Gehen Wir, Sonder?" Die Seewölfe und ein Teil der indischen Galeerensklaven lachten, schrien und grölten. Aber kein zweiter Mann sprang auf. Sonder und seine Männer hielten ihre Säbel in den Händen und blickten überrascht und ratlos hin und her. Hasard lachte breit, winkte ab und ließ die Arme hängen, Die Kette rutschte mit rasselndem Klirren aus den Ringen der Fußfesseln. Sonder faßte sich als erster, aber er schob die blitzende Waffe nicht zurück. „Ich soll dich zum Sultan bringen, Kapitän", sägte er so laut, daß es jeder Gefangene verstehen kennte. „Er
40 will mit dir sprechen - eine Gnade, die nicht gering zu schätzen ist." „Unsere Hilfe ist auch nicht gering", entgegnete Hasard grimmig und ließ sich von den Wachen zum Niedergang führen. Er enterte auf, schloß im grellen Sonnenlicht die Augen und holte mehrmals tief Luft. Sonder ging ihm voraus bis zum Achterdeck der Galeere. An prächtigen Rundhölzern mit goldenen Knäufen war ein Segeltuchbaldachin ausgespannt, in dessen Schatten der Sultan von Golkonda saß. Bevor Hasard den Platz vor der Heckbalustrade erreichte, schaute er sich gründlich um. Seine Augen tränten, und noch immer schwindelte ihm in der frischen Seeluft. Jenseits der Dünen und des niedrigen Uferwaldes waren gerade noch die drei Mastspitzen der Karavelle zu erkennen. Die Portugiesen vermochten also nicht zu sehen, was auf dem Deck der Galeere vor sich ging. Hinter dem Sultan und rechts und links seines fellbedeckten Sessels bildeten die wichtigsten Männer seiner Begleitung einen lockeren Halbkreis. Hasard blieb vor ihnen stehen und beugte den Kopf. Man konnte es auch für ein Nicken halten oder für ein Zeichen von Müdigkeit. „Sultan von Golkonda", sagte Hasard und überlegte sich jedes weitere Wort sehr genau, „ich biete euch an, die Karavelle nach Einbruch der Nacht zu entern. Wir helfen euch auch, das Gold umzuladen. Mein Stückmeister wird deinem Kanonier zeigen, wie gut man auf solch kurze Entfernung treffen kann." „Ich muß zugeben", erwiderte der
Sultan, nachdem ihm Sonder einige Worte übersetzt hatte, „daß meine tapferen Männer nicht erfolgreich waren." „Das würde sich ändern, wenn wir kämpfen", antwortete Hasard. „Du hast mein Wort, daß keiner meiner Männer fliehen wird." Die Hände des Sultans lagen auf seinen Knien. Sonnenlicht funkelte und blitzte von den großen Ringen. Schweigend musterte der Sultan den hochgewachsenen Mann, als wolle er sich vergewissern, ob Hasard seine Versprechungen auch halten würde. „Du bist sicher, daß sich das Gold auf der Karavelle der Fremden befindet, Kapitän Killigrew?" fragte der Sultan schließlich. Hasard nickte. „Ich sage dir, was sie sich ausgedacht haben: Wenn das Wasser in der Bucht sinkt, bei der nächsten Ebbe, werden die Elefanten entweder zum Schiff geführt oder die Seeleute pullen die Lasten mit dem Boot zum Ufer. Dann wird das Gold auf den Rücken der Elefanten verladen, und du siehst es nie wieder. Drawida Shastri kauft sich ein Heer und kämpft so lange, bis dein Thron gestürzt ist. Wenn du die Ketten von meinen Männern aufschließt, holen wir das Gold zurück. Schließlich haben wir es auch bis Madras nicht öfter als ein dutzendmal mit unserem Leben verteidigt." Er übertrieb nur ein wenig. Er fühlte das stechende Sonnenlicht auf seinen Schultern und seinem Rücken. „Was verlangst du, Kapitän?" fragte der Sultan. „Meine Männer und ein paar tüchtige Inder losschließen. Dann etwas
41 zu trinken, ein gutes Essen und ein kurzer Schlaf. Wir brauchen unsere Waffen, und wir werden zwei Gruppen bilden. Mein Stückmeister richtet die Geschütze neu ein, und deine Kanoniere gehorchen seinen Befehlen. Wir brauchen die Beiboote. Und wir pullen, ohne Ketten, die ,Stern' durch den Kanal in die Bucht." „Nachdem es dunkel geworden ist", sagte Istaran halblaut. Hasard nickte ihm zu. „Nicht vorher. Vielleicht müssen wir auch die Elefanten vertreiben. Wir dürfen die Karavelle nicht versenken, bevor das Gold umgeladen ist. Für diese Arbeiten brauchen wir jede Hand an Bord." Auch der Sultan überlegte lange. Zweifellos löste Hasards Vorschlag für ihn manches Problem, aber er erkannte klar den schwachen Punkt der Aktion. „Ihr habt eure Waffen, ihr seid selbständig und frei, und jeder von euch kann fliehen, ohne daß wir etwas dagegen tun könnten. Das ist es, was ich fürchte." Hasard holte tief Luft und erwiderte: „Wir haben den langen, gefahrvollen Weg in dein Land deswegen unternommen, weil unsere Königin mit eurem Land ehrlichen Handel treiben will, mit einfachen Händlern ebenso wie mit Sultanen und anderen Herrschern. Haben wir das Gold von Ischwar Singh unangestastet in Madras abgeliefert oder nicht?" In das Gesicht des Sultans trat ein sarkastisches Lächeln. „Unangestastet, aber an den falschen Sultan abgeliefert", sagte er. „Unsere Verantwortung endet,
wenn der Schatz in deinen Händen ist, Sultan", fuhr Hasard fort. „Deswegen schlage ich das nächtliche Kommando vor." „Ihr werdet nicht fliehen?" fragte der Sultan scharf. „Unser Schiff, unsere Schebecke, . ist unsere Heimat. Wir ziehen vor, nach Madras zu pullen und auf die Schebecke überzuwechseln. Wir sind Seeleute, keine Dschungelläufer. Du hast das Wort von Kapitän Killigrew, daß keiner der Männer davonläuft. Aber es werden nicht alle an Land kämpfen, durch den Schlick waten und die Karavelle entern. Ein Teil hilft deinen Männern an Deck. Bist du einverstanden, Sultan?" Der Sultan stand auf, ging auf Hasard zu und sagte: „Ich bin einverstanden. Denke daran, Sonder", er drehte sich halb herum und hob warnend die Hand, „daß viele Männer angekettet sind, denen man schwere Verbrechen nachgewiesen hat. Diese Halunken flüchten ganz bestimmt. Das Leben im Dschungel ist besser als der Tod auf der Galeere." „Ich weiß, wen ich freischließen kann, Herr", sagte Sonder. „Und wen auf keinen Fall." Rameshand hob die Schultern und blickte Istaran mit einem schwer zu erklärenden Blick von der Seite an. „Wir werden zusammen kämpfen, Kapitän." „Seite an Seite", versicherte Hasard. Er lachte nicht, als er zusammen mit Sonder und dessen Bewaffneten den Niedergang ins stinkende Deck abenterte. Hasard war froh, daß die Ketten fielen. Aber er wußte, daß die Frei-
42 heit für alle Arwenacks noch in weiter Ferne lag. Vor dem Zeitpunkt, an dem sie wieder Herren auf dem eigenen Schiff waren, standen elf Tonnen Silber und Gold und ein Dutzend portugiesischer Culverinen. 6. Hasard junior packte die Kette Bilalamas und hob sie an. Er versuchte, in einem Tonfall zu sprechen, der keinen Widerspruch zuließ. „Dieser Mann wird uns zeigen, wie wir durch den Dschungel vorstoßen können", sagte er. „Mein Vater hat es so bestimmt." Der Schiffsschmied der „Stern von Indien" zuckte gleichmütig mit den Schultern und fuhr mit seiner geräuschvollen Arbeit fort. Hasard packte Bilalama an der Schulter und flüsterte eindringlich: „Wenn du dich jetzt wütend und schreiend auf deinen Feind stürzt, halte ich dich auf. Und zwar mit einem Seewolfhammer." Bilalama stierte ihn aus roten Augen verständnislos an. „Was ist das?" Jung Hasard zeigte dem Inder die Faust und näherte sie langsam dem Kinn des Inders. Jetzt verstand Bilalama. Er flüsterte zurück: „Du weißt, was auf dem Spiel steht. Ich muß diesen Istaran zwingen, die Wahrheit zu sagen." „Er wird flüchten oder lügen, wenn du dich auf ihn stürzt. Warte ab. Wir helfen dir."
„Ich will meine Rache", flüsterte Bilalama. Jetzt packte ihn auch Philip junior am Arm und zog ihn auf die Grätings des Mittelganges. „Kriegst du. Mit unserer Hilfe, Bila. Erst mal an Deck, dann sehen wir weiter." Der Inder senkte den Kopf und ließ sich von seinen jungen Freunden führen. Sie gelangten an Deck, schlossen geblendet die Augen und genossen die frische Brise und die Sonnenwärme. Inzwischen hatte die Sonne ihren höchsten Stand erreicht. Hasard stand neben dem Süll des Niederganges und sah zu, wie alle Seewölfe und fünf junge Inder an Deck gebracht wurden oder selbst aufenterten. In der Gruppe, die zuletzt im Sonnenlicht erschien, waren Hasard und Philip junior. Ihr Vater schlug ihnen aufmunternd auf die Schultern und sagte: „Zufrieden mit der neuen Freiheit, Gentlemen?" „Aye, Sir!" rief Philip. „Was kostet uns dieser schöne Nachmittag?" Hasard deutete in die Richtung der Passage und der Bucht dahinter. „Einige Aufregung, vermute ich. Wir sprechen später über alles. Laßt euch etwas zu trinken und zu essen geben, schlaft ein bißchen, wascht euch oder tut sonstwas. Ich regle alles mit dem Sultan und Sonder. Das ist der Kerl, der die Wachen oder Gardisten befehligt." „Aye, aye, Sir", sagte Hasard junior und zog Bilalama in Richtung des Vorschiffs. Ben Brighton und der Seewolf, Ra-
44 meshand und Sonder kümmerten sich um die Arwenacks, riefen den Schiffsköchen und den Dienern Befehle zu und überwachten die Verteilung. Mac O'Higgins entdeckte eine Jakobsleiter, wuchtete sie über das Schanzkleid und rief Don Juan zu: „Ein Bad, Señor? Wir stinken alle wie verdammte Schiffsratten!" Der Spanier beugte sich über das Schanzkleid, musterte das glasklare Wasser, das gegen den Rumpf plätscherte, und nickte mehrmals. „Tücher und Süßwasser!" rief Sonder. „Der Sultan will es so!" „Wir bringen frische Tücher", antworteten die Diener. Geruch nach Gekochtem und Gebratenem breitete sich aus. Sven Nyberg enterte als erster die Jakobsleiter ab und schwamm neben dem Schiff hin und her. Nils Larsen sprang kopfüber ins Wasser, und Ben Brighton folgte, nachdem er die Fetzen des Hemdes ausgezogen hatte. „Salzig!" rief er. „Aber man wird den Gestank los!" Ed Carberry hockte auf den Decksplanken und lehnte sich gegen das Schanzkleid. Er hatte einen Krug neben dem rechten Knie stehen und balancierte auf dem anderen Knie einen Napf voller Brei, in dem sich Fleischstücke und gebratener Fisch befanden. „Kein Vollbad, Profos?" fragte Ferris Tucker und ließ sich neben ihm stöhnend auf die Planken fallen. „Wir stinken wirklich schlimmer als ein toter Fisch." „Laß mich in Ruhe, Holzwurm", brummelte der Profos mit vollem
Mund. „Eins nach dem anderen. Zuerst hau ich mir den Magen voll. Dann überlege ich mir, wie's weitergeht." Ein Schiffsjunge brachte auch Ferris einen gefüllten Krug und einen Napf, in dem ein Löffel steckte. Schweigend aßen die beiden Männer und hoben nur den Blick, um das Treiben an Deck zu beobachten. Philip Hasard Killigrew saß neben dem Sultan unter dem Sonnensegel. Man hatte ihm einen Stuhl gebracht und aufgeklappt. Das Sitzmöbel war allerdings weitaus weniger prunkvoll. „Unser Sir verklart dem richtigen Sultan, wie man eine Karavelle entert", meinte der Profos und hob den Krug an den Mund. „Die Portus werden sich wundern." Batuti tauchte triefend über dem Rand des Schanzkleides auf und zog einem Diener das Tuch aus der Hand. „Vom Handwerk verstehen sie wohl mehr als vom Kämpfen", sagte er zu Al Conroy, der mit fachmännischen Blicken die eingerannten Geschütze musterte. „Miserable Schützen", brummte der Stückmeister. Er hob den Becher, der noch halb voll Reiswein war. „Ich bring's ihnen schon bei, keine Bange, Gambiamann." „Ich hab keine Bange. Auf mich zielst du ja nicht", entgegnete der schwarzhäutige Hüne. Wachsam vermerkte er, daß sich an Deck der Galeere Spannung und Aufregung ausbreiteten. Nicht nur unter den Indern, sondern auch, trotz aller Müdigkeit, in den Reihen der Arwenacks. Roger Brighton und Dan
45 O'Flynn beendeten ihre Badezeremonie und legten sich lang ausgestreckt in die Sonne. „Bis Sonnenuntergang ist noch lange Zeit", sagte der Kutscher. Er kaute auf einem zusammengerollten Chapatti, aus dem ein Bratenstück hervorsah. „Was hat Hasard eigentlich vor?" fragte Matt Davies und polierte das Metall seiner Hakenprothese am Stoff der weiten Hose. „Den Portus das Gold abnehmen, was sonst! Keiner hier glaubt, daß sie unseren Schatz nicht an Bord haben", antwortete ihm Bob Grey und tippte an die Stirn. „Das glaubt wirklich jeder. Die haben das Gold", brummte Jan Ranse und schob seinen Kopf in den Schatten. Die indischen Seeleute fierten die Beiboote der Galeere ab. Inzwischen war an alle Männer auf und unter Deck Essen ausgeteilt worden, und zwar ungewöhnlich große Portionen. Sie hatten auch genügend Tee oder Reiswein erhalten. Der Sultan schien plötzlich nicht mehr zu befürchten, daß die Arwenacks die „Stern von Indien" besetzen würden. „Also", meinte Luke Morgan sinnierend. „Al Conroy und die Zwillinge an den Geschützen, die Hälfte von uns in den Booten, ein paar Männer von Land aus, und dann pullen wir alle die Galeere längsseits. So würde ich es packen." „Überlaß die Planung ruhig unserem Kapitän", sagte Stenmark und winkte ab. „Natürlich. Ich meine ja bloß", brummte Luke und kratzte mit der
Hand über seine Bartstoppeln. Für die Qual des Rasierens würde vielleicht später Zeit sein. Er streckte sich, legte den Kopf auf die Unterarme und schlief fast augenblicklich ein. * Bilalama sah zu, wie den Zwillingen von Sonders Wachen ihre Messer zurückgegeben wurden, Hasard junior wandte sich an den jungen Inder und hob die Hände in einer beschwichtigenden Geste. „Mann!" sagte er drängend. „Du sollst dich beruhigen. Geduld, etwas anderes brauchst du nicht." „Ich will...", fing Bilalama an, aber Philip sagte kopfschüttelnd: „Deine Rache, ich weiß. Kannst du mit den Geschützen umgehen? Schließlich warst du angeblich der oberste Anführer oder so was." „Ich weiß, wie sie geladen werden und alles andere", antwortete der Inder. „Dort hinten steht der räudige Hund." „Wir sehen ihn genau. Hör zu, du verrückter Rächer", sagte Hasard junior. „Er hat bemerkt, wie du an Deck erschienen bist. Er kann sich denken, daß du mit uns da unten über ihn geredet hast. Stimmt's?" Der Inder nickte. Sie saßen auf dem Backdeck, an das Steuerbordschanzkleid gelehnt. Über die gesamte Länge des Schiffes hinweg konnten sie die Männer im Schatten auf dem Achterdeck sehen. Istaran stand neben dem Sultan und hörte der Unternaltung zwischen seinem Herrn und dem Seewolf zu. Aber immer wieder
46 hob er den Kopf, und seine Augen suchten in der Menge der Gestalten an Deck nach einem bestimmten Mann. Istaran war der Unruhigste von allen. Jung Hasard kratzte schwarzen Schmutz unter dem Daumennagel heraus und zeigte mit der Messerspitze nach achtern. „Istaran wird unsicher und unruhig", sagte er. Bilalama hob beide Arme. Seine Finger zitterten. „Er fürchtet meine Rache!" rief er unterdrückt. „Vermutlich tut er das sogar", stimmte Hasard zu. „Er schmort sozusagen in seinem eigenen Saft. Meinst du, daß dir der Sultan glaubt? Daß er dir heute mehr glaubt als damals?" Stumm und wütend schüttelte Bilalama den Kopf. „Na also. Einer von uns wird in der nächsten Stunde zu Istaran gehen und sagen, daß es Beweise gäbe, die dir helfen. Und zwar so laut, daß es der Sultan hört." „Wem soll das helfen?" „Dir, du Holzkopf", sagte Philip kurz. Sie erklärten ihm, was sie vorhatten. Es dauerte lange, bis er ihren Plan verstand, dann nickte er immer wieder. Schließlich grinste er breit. „Wenn ihr recht habt, dann wird seine Angst größer sein als meine Wut. So wird es klappen. Ihr seid wirklich klug. Vielleicht setzt mich der Sultan wieder in alle meine Ämter ein, wenn er erfährt, was für ein Schurke Istaran ist." „Du brauchst nur zu tun, was wir
dir sagen", wiederholte Hasard junior. „Denke daran, daß wir abends kämpfen müssen, wahrscheinlich helfen wir Al bei den Geschützen. Dad wird sagen, was wir zu tun haben. Klar?" „Natürlich", flüsterte der Inder. „Und jetzt legst du dich in einen Winkel und pennst", sagte Hasard im Befehlston. „Wir sind auch müde." Bevor sich Hasard junior zurücklehnte und die Hände über die Augen legte, konnte er sehen, wie Istaran seinen Platz verließ und langsam zwischen den Männern über Deck ging, den Schlafenden auswich und in tiefe Gedanken versunken zu sein schien. Er wußte, daß sein erklärter Todfeind frei war und schlafend hier in der Sonne lag. Hasard junior fragte sich, ob Istaran wagen würde, in die Nähe Bilalamas zu kommen. * „Sonder", sagte der Sultan und hob die Hand, „laß unseren neuen Freunden ihre Waffen bringen. Du selbst hast sie in die schwere Truhe mit den eisernen Bändern eingeschlossen." „Sofort, Herr", erwiderte der Anführer und verließ das Achterdeck. „Wir werden bei Anbruch der Dunkelheit bereit sein", sagte Hasard und streckte die Beine aus. „Siehst du, Majestät: alle meine Männer liegen in der Sonne, schlafen, sind satt und zufrieden. In der Nacht werden sie sich in Tiger verwandeln." Der Sultan war zufrieden. Er hatte in der letzten Stunde etwas von seiner sonstigen Arroganz verloren. Er fragte: „Zwei Gruppen, sagst du?"
47 „Mindestens. Ich rechne damit, daß die Portugiesen versuchen werden, aus der Falle zu entwischen." „Wir können das verhindern, Kapitän!" rief der Sultan, plötzlich wieder in heller Aufregung. Die „Stern von Indien" hatte ihren Anker in das seichte Wasser vor der Küste geworfen. Das Heck wies zum Land, das Ufer war drei Pfeilschußlängen entfernt. Langsam hob sich der langgestreckte Rumpf in der Dünung und im Schwall der Brandungswellen und senkte sich weich. Südlich von der Galeere, so, daß der buschbewachsene Bereich deutlich zu sehen war, erstreckte sich die breite Passage. Ab und zu hörte man den Schrei eines Elefanten. Die Wellen zischten über den Sand, die Luft war voller Vögel, die von Zeit zu Zeit ihre Sturzflüge ins Wasser richteten und mit Beute in den Schnäbeln wieder auftauchten. Stunden später wachte Al Conroy auf und stieg zu Hasard und dem Sultan aufs Achterdeck. „Sir", sagte er und rieb seine Augen, „ich möchte mich gern um die Kanonen kümmern und um die Kanoniere. Die Zwillinge helfen mir. Wenn der Mister Sultan ein paar Befehle gibt, dann bringe ich alle zwanzig Rohre schnell auf Vordermann." „Was sagt er?" Der Sultan wandte sich an Sonder, der beifällig nickte. Er übersetzte, erhielt einen Befehl und übersetzte ins Portugiesische zurück. „Er sagt, daß ich dem Meister der Geschütze befehlen soll, mit euch zusammenzuarbeiten. Zeige ihm, wie
man trifft. Zwei Rohre sind gezündet worden, gingen aber nicht los. Ich denke, du wirst viel Arbeit haben, Stückmeister." Al Conroy salutierte kurz, murmelte „Aye, aye, Sir!" und ließ es zu, daß Sonder ihn am Oberarm packte, mit sich zog und, nachdem er nach dem obersten Kanonier geschrien hatte, zwischen zwei Geschützen stehenblieb. „Vielleicht brauchen wir sie in der Nacht. Wenn es so weit ist, werden wir besser treffen müssen als zuvor." „Das sollte möglich sein", antwortete der Stückmeister und erklärte in englischer, portugiesischer und den wenigen Brocken der indischen Sprache, die er kannte, dazu mit vielen Handbewegungen, was die Helfer tun sollten. Er selbst ging entlang des Steuerbordschanzkleides bugwärts, um die Zwillinge zu wekken. 7. Plötzlich erschien ihm die Kammer wie ein Gefängnis, wie eine feuchte, kalte Zelle im Gemäuer unter dem Palast. Istaran hockte auf der schmalen Liege, hatte das Gesicht in die Hände gestützt, und der Turban schien so schwer zu sein wie ein Eisenhelm. „Ich weiß keinen Rat mehr", flüsterte er und dachte nur noch an Bilalama und die verdammten Fremden. Bilalama hatte sich mit den beiden jungen Fremden verbrüdert. Mit wichtigen Männern, denn die Zwillinge waren die Söhne des Kapitäns.
48 Was Bilalama wußte, wußten sie, und sie würden es dem. Sultan sagen. Er, Istaran, mußte und würde alles leugnen, aber eine Anklage, vor allen Unterführern und dem Kapitän laut herausgeschrien, hatte die gleichen Eigenschaften wie jene Gerüchte, mit denen er Bilalama zu Fall gebracht hatte. „Zwei Möglichkeiten habe ich noch. Mir bleibt der Tod", murmelte er. „Oder die Flucht." Er meinte den Tod für Bilalama. Wenn der Hundesohn wenigstens versuchen würde, zu flüchten, dann könnte er ihn verfolgen und töten lassen. Aber er dachte nicht daran. Im Gegenteil. Der lange harte Blick, den Bilalama ihm zugeworfen hatte, als er nach dem Halbdunkel der Galeerendecks wieder klar sehen konnte, hatte seine Knie schlottern lassen. Endlich fiel ihm etwas ein, daß eine Spur Hoffnung versprach. Eigentlich waren es zwei Gedanken. Er mußte die Nacht abwarten, den Schutz der Dunkelheit, denn die Galeere würde auf keinen Fall mit brennenden Fakkeln und Lampen an Deck in die Passage gepullt werden. Bilalama mußte sterben. Ein blitzschneller, lautloser Dolchstoß, und niemand würde den Mörder kennen. Und da war noch das Schiff der Portugiesen. Auch Istaran war überzeugt, daß sich dort das Gold und Shastri mit seinen Leuten befand. Notfalls konnte er zu den Fremden und zu Shastri flüchten. Istaran holte tief Luft und fühlte sich eine Spur besser. Er mußte wieder hinauf, an die Seite des Sultans, sonst fiel sein
merkwürdiges Verhalten noch mehr auf. Noch sieben Stunden bis zum Anfang der Nacht. Sieben Stunden zuviel. Er wühlte in dem Wandfach und fand, was er suchte. Es war ein mehr als handlanger, einfacher Dolch mit einer langen, nadelfeinen Spitze. Sorgfältig versteckte er ihn in den Falten seiner weiten Hose und stieß die schmale Tür auf. Er tappte die schmalen Stufen des Niederganges hinauf, und an den Bewegungen des Schiffes spürte er, daß die Wellen höher geworden waren. Vielleicht gibt es einen Sturm, ein Gewitter und Regen, dachte er mit neu erwachter Hoffnung. Im Durcheinander würde es noch leichter sein, Bilalama den Dolch in den Rücken zu stoßen. Aber als er unter dem schlaffen Segel die Decksplanken betrat und die Augen in die Höhe richtete, sah er nur tiefblauen Himmel und ein paar mächtige Wolken, die weiß und langsam auf die Sonne zusegelten. Er fluchte lautlos. * Vier Mann pullten das Beiboot. An der Pinne saß Alvaro Belmonte, der Erste Offizier der „Cabo Mondego", im Bug hockte Nahinda, einer der wenigen Inder, die mehr Mut hatten als Shastri. Der Erste der „Cabo Mondego" stand auf, um besser sehen zu können, wohin er steuerte. „Weiter", sagte er mit mühsam erzwungener Ruhe. „Du kennst den Anführer der Elefantentreiber?" Nahinda breitete die Arme aus und
49 erwiderte in stockendem Portugiesisch: „Mag sein, kann sein, daß nicht. Aber ich werde mit ihm sprechen. Es muß einer sein, dem Shastri vertraut, Senhor." „Will ich hoffen", brummte der Erste und steuerte auf die deutlich erkennbare Lücke im Schilf zu. Dort schien die tiefste Stelle des versumpften Mündungsdeltas zu sein. Diese verdammten Tiere sollten die Mahauts zum Schiff führen, damit die gefährliche Fracht endlich von Bord gebracht werden konnte. Die letzte Ebbe hatte gezeigt, daß die Dreimast-Karavelle gerade noch manövrierbar blieb und mit größter Wahrscheinlichkeit den tiefren Kanal erreichen konnte. Notfalls mußten sie staken oder pullen. Vom Land, in einem weiten Bogen, zog sich eine sandige Untiefe bis fast zum Steuerbordbug der „Cabo" hin. Man sah sie deutlich vom Achterdeck oder von den Wanten aus. Diese blöden Bastarde bei den Elefanten hatten nicht mal nach einer Furt gesucht. Der Kiel des Beibootes scharrte zweimal über den Grund, aber sie kamen leicht wieder frei. Die Portugiesen pullten weiter. Das Schilf teilte sich vor dem Bug. „Siehst du die Biester?" rief der Erste. „Wir werden nicht weit kommen mit der Nußschale." „Warte." Nahinda stand auf, hielt sich am Belegtampen fest und schwankte wie ein Betrunkener. Er deutete mit dem Arm nach rechts, und Belmente bewegte die Pinne um eine Handbreite. Das Boot schob sich an losgerissenen Pflanzen vorbei, die mit der schwa-
chen Strömung trieben. Deutlich zeichnete sich im schlammigen Wasser ein durchsichtiger Streifen ab, der Hauptlauf des Bächleins. „Ich kann sie schon riechen", sagte Nahinda über die Schulter. „Aber nicht sehen." „Ist fast so gut", entschied Alvaro und steuerte weiter nach den Anweisungen des Inders. Inzwischen war er davon überzeugt, in den nächsten Stunden eine Niederlage oder ein schlimmes Erlebnis hinnehmen zu müssen. Sein Unbehagen war seit dem Augenblick gewachsen, an dem sie vergeblich auf die Elefanten, die Treiber und die Helfer gewartet hatten und nichts anderes gehört hatten als das Trompeten der aufgeregten oder hungrigen Tiere. „Vorsicht an Steuerbord", sagte der Erste und versuchte, das Boot zwischen Schwemmholz, Pflanzen und kleinen morastigen Inseln hindurchzusteuern. Er hielt den Bug im Bereich des klaren Wassers und duckte sich, als die ersten niedrig hängenden Äste über seinen Kopf hinwegwischten. Der eigentümliche Geruch nach kalten Feuerstellen, Elefantenkot und Morast wurde schärfer und biß in den Nasen. „Warum haben sie sich versteckt? Weit und breit niemand zu sehen!" rief Alvaro Belmonte wütend. „Weiß nicht, Senhor", antwortete Nahinda unruhig. Die Fahrrinne wurde schmaler, und die Bootsgasten hoben die Riemen aus den Dollen und fingen an, das Boot weiterzustaken. Nahinda hob
50 die Hände an den Mund und rief einige Worte in den dichter werdenden Sumpfwald. Um das Boot gurgelte das Wasser, und nur das Lärmen der Vögel war zu hören, das Geräusch von unzähligen, unsichtbaren Insekten in dem feuchtgrünen Pflanzengeflecht. Ganz plötzlich, nachdem sich das Boot in einem Viertelkreis bachaufwärts bewegt hatte, stand ein Elefant vor ihnen, bis zur Hälfte der Beine im schlammigen Wasser. Im Nacken des Tieres saß ein halbnackter Inder und hob in einer Art Gruß den Stachelstab. Nahinda stieß einen unverständlichen Schwall von Worten aus. Das Boot wurde angehalten, die Riemenenden stemmten sich gegen die schwache Strömung. Belmonte wartete ungeduldig. Nahinda wußte, um was es ging. Er würde die richtigen Fragen stellen und die Antworten übersetzen. Aufgeregt redeten die Inder miteinander. Das Tier, auf dessen Rücken ein Netz aus dicken Tauen lag, pendelte mit dem langen Rüssel, hob ihn immer wieder steil in die Höhe und schien mit den langen Stoßzähnen auf die Männer im Boot zu deuten. Nahinda drehte sich um und versuchte zu übersetzen. „Er sagt, daß sie auf uns gewartet haben. Dann hörten die Tiere den Donner. Die Kanonen haben sie erschreckt. Dann sind sie zurückgegangen und haben sich versteckt." Ungeduldig fragte der Erste: „Sind sie bereit, zum Schiff zu kommen? Wir können die Kisten und Truhen auch mit diesem Boot hierher brin-
gen. Aber das dauert ewig. Sag ihm das." „Ja, Senhor." Der Inder gestikulierte wieder wie wild. Der Elefant hob ein Vorderbein aus dem Schlick, schabte es an einem Stoßzahn und setzte es platschend wieder in den schwarzen Untergrund. Ein Regen aus schwarzen Schlammtropfen ging über die Männer im Boot nieder. Die Bootsgasten duckten sich fluchend. „Sie kommen, wenn die Sonne untergeht. Ich habe ihm gesagt, daß die Tiere und auch die Leute fast bis zum Schiff waten können. Aber wenn wieder die Kanone schießt, werden die Elefanten wild. Sie rennen davon und töten die Mahouts. Die Treiber helfen beim Beladen. Sie schlafen jetzt und waschen die Elefanten, weiter oben im Wasser. Gut so?" Belmonte fühlte, wie der Schweiß aus seinem strähnigen blonden Haar über die Stirn und entlang des Halses über den Rücken lief. Die Stechmükken waren überall, am liebsten hätte er sich fluchend ins Wasser gestürzt. Er seufzte und antwortete mit entsprechenden Gesten: „Wir sind alle bereit, wenn die Sonne eine Handbreite über der Kimm steht. Sie müssen beim Schiff sein, wenn es noch hell genug ist. Wenn wir noch lange warten, passiert ein Unglück. Der Sultan von Golkonda mit seiner Prunkgaleere ankert vor der Passage. Sag ihm das. Wir müssen die Goldladung auf den Elefanten haben, wenn es dunkel geworden ist. Auf keinen Fall später. Shastri tobt schon jetzt, weil er und seine Leute sich verstekken müssen."
51 „Ich sage ihm, daß Drawida böse ist, ja? Ich sage, daß er den Zorn der schwarzen Kali auf seinen Kopf herunterflucht. Warte, Senhor." Wieder redeten und schrien die beiden Inder miteinander. Der Elefant wurde ungeduldiger und unruhiger mit jedem weiteren Atemzug. Er hob den Rüssel und trompetete wenige Schritte vor dem Bug des Bootes laut und durchdringend. Es klang wie die Fanfare des Jüngsten Gerichts. Kreischend stob ein Vogelschwarm aus dem Dickicht. „Zurück, langsam! Stakt das Boot wieder zurück!" rief der Erste und nahm, als das Tier den Rüssel senkte, die Hände von den Ohren. „Wie sie versprochen haben. Sie werden kommen, alle Elefanten und alle Männer. Er gleich geht zu ihnen", sagte Nahinda. „Sie werden Shastri und euch Fremden helfen. Ganz sicher." „Die Pest an ihren Hals", brummte Belmonte, stellte das Ruderblatt gerade und zog an einem kräftigen Ast, um mitzuhelfen, daß sich das Boot von diesem verrückten Riesentier entfernen konnte. Schließlich erreichten sie eine Stelle, an der sie wenden konnten und nicht mehr zu staken brauchten. „Zum Schiff", ordnete er an. „Hoffentlich halten die Treiber ihr Wort." Er zuckte mit den Schultern und steuerte das Boot längsseits zur Bordwand, ließ es belegen und enterte die Jakobsleiter auf. Luis de Xira und Drawida Shastri, der sich aus seinem Versteck an Deck hinausgewagt hatte, standen hinter dem Schanzkleid.
Belmonte wischte den Schweiß aus seinem Gesicht und stöhnte. „Sie haben versprochen, etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang am Schiff zu sein." „Das ist gut", antwortete der Kapitän und blickte Shastri von der Seite an. „Dann verladen wir den Schatz, gehen ankerauf und versuchen, an der Galeere vorbeizukommen. Die Kerle haben sich irgendwohin verholt. Nichts zu sehen." „Sehr gut", antwortete der Erste. „Sie haben mehr Geschütze als wir. Und im engen Fahrwasser manövriert eine Galeere auch besser als unsere ,Cabo'. Du kannst deinen Freunden sagen, daß sie, wenn's dunkel wird, eine Menge Arbeit kriegen." Er stieß den Zeigefinger vor und tippte Shastri gegen die Brust. „Es wird ernst, Shastri. Es sind mehr als zweimal zehn Dutzend Kisten und Packen. Jedes Stück ist höllisch schwer." Die Augen des Inders flackerten. Schon früher hatte Alvaro Belmonte über solche Menschen nachgedacht. Im Herzen Drawida Shastris stritten Geldgier und hündische Furcht, in diesem Fall vor der Rache des echten Sultans. Im Moment schien es, als siege die Geldgier, die Gier nach elf Tonnen Silber und Gold. In zwei Stunden mochte es anders sein. „Du hast recht", sagte Shastri heiser. Er starrte auf die Stelle, an der die Bucht in die Passage zum Meer mündete. Dort war nichts zu sehen als Wasser und Vogelschwärme. „Also, an die Arbeit", sagte der Erste. „Ich schlafe ein, zwei Stunden.
52 Ich habe Freiwache. Du weckst mich, wenn sich die Galeere zeigt, Luis?" Der Kapitän erwiderte: „Verlaß dich darauf, Alvaro." Der Erste enterte den Niedergang ab und ließ sich vom Koch eine Pütz Süßwasser geben. Er zog sich in seiner Kammer aus, reinigte sich flüchtig und kramte ein einigermaßen sauberes Hemd aus der Seekiste. Er warf sich auf die dünne Unterlage der Koje, verschluckte einen Fluch und schlief ein. * Luis de Xiro spürte, wie sein Augenlid zuckte. Er musterte die Wolkenbank im Westen und sah nach der Sonne. Als seine Blicke über das Wasser der großen Bucht glitten, sah er die ersten, leichten Windspuren auf den niedrigen Wellen. Ein Streifenmuster zeichnete sich ab, dann erstarb die Brise wieder. „Wind? Westwind brauchen wir. Am besten einen Regensturm", murmelte er und stützte sich auf die Balustrade. Der Stückmeister hatte eben die letzte achterliche Steuerbordculverine geladen und ausgerannt. Nico-ao war ebenso müde wie der Kapitän. „Haben wir Wind, Senhor?" rief er. Schicksalsergeben hob de Xira beide Arme, zeigte zu der weißgrauen Wolkenbank und antwortete: „Keine Ahnung. Ich hoffe es. Wenn das Gold verladen ist, versuchen wir, durchzubrechen." „Gut, Senhor", sagte der Stückmeister und überprüfte die Verzurrung des Geschützes. „Ich werde ihre lau-
sige Prunkgaleere in Fetzen schießen." Wieder warteten sie. Die fünfunddreißig Portugiesen der „Cabo Mondego" blieben ruhig und klarten die Karavelle auf. Sie bereiteten sich und das unersetzliche Schiff darauf vor, bei beginnender Dunkelheit durch die Passage vorzustoßen. Alles hing von den Indern und den verdammten Elefanten ab. Die Inder, allen voran Drawida Shastri, schienen nicht zu wissen, was zu tun war. Natürlich waren sie ebenso hinter dem Gold her wie die Portugiesen. Aber sie bewegten sich, als wären sie von einem seltsamen Fieber angesteckt. Der Kapitän sah das alles mit großem Mißtrauen und sogar einer Spur von Furcht. Er winkte den Stückmeister zu sich heran und sagte: „Nicolao, mein Freund. Wir werden es nicht leicht haben. Die Kanoniere der Galeere sind Armleuchter und Nichtskönner. Hole alle Pistolen und Musketen und lasse sie laden. Es wird nicht leicht werden. Ein oder zwei Stunden nach Sonnenuntergang." „Wir gehen endlich ankerauf?" fragte der Stückmeister hoffnungsvoll. „Wenn das Gold von Bord ist", bestätigte der Kapitän. „Und wenn es mehr als eine Brise gibt. Hinauspullen können wir nicht." „Habe schon verstanden. Viel Glück, Capitán." „Danke." Auch der Stückmeister verholte sich unter Deck, wo die Inder und ein paar Mann der Crew rumorten und in den Laderäumen stöberten. Was die
53 Inder wirklich vorhatten, konnte der Kapitän nicht mal erraten. Er setzte sich auf die oberste Stufe des Niederganges, blinzelte in der Nachmittagssonne und hoffte, daß es schnell tiefe, schwarze Nacht werden möge. * Hasard gähnte, schüttelte sich und drehte sich, ehe er das Achterdeck der „Stern von Indien" verließ, noch einmal halb herum. „Da ist, Sultan, noch eine letzte Frage. Für mich und meine Männer unwichtig. Für dich wahrscheinlich von größerer Bedeutung." Der Sultan hatte nicht jedes Wort verstanden. Kapitän Rameshand übersetzte schnell und hilfreich. „Ja?" „Meine Söhne, die Zwillinge, waren neben einem jungen Mann aus deinem Land angekettet. Sie sprachen viel und lange miteinander." „Über was?" wollte der Sultan wissen. Nur drei Männer standen in unmittelbarer Nähe beieinander: Hasard, der Sultan und der Kapitän. Niemand sonst hörte zu. Der Seewolf hatte diesen Augenblick mit Bedacht gewählt. Istaran befand sich nicht auf dem Achterdeck. „Über Schuld und Unschuld. Über einen Mann, der behauptet, unschuldig, vielleicht dumm zu sein. Aber unschuldig. Das sagt er wenigstens. Weißt du, wen ich meine?" Der Sultan schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern. Hasard sprach weiter und war si-
cher, daß er dabei war, die Geduld des Sultans zu strapazieren. „Ein junger Mann, der alle Ämter und Würden verlor, weil sie ein anderer wollte und auch erhielt. Ich denke, daß Bilalama nicht lügt. Auch ich weiß es nicht. Er wird jedenfalls wie ein rasender Tiger für dich, für uns, für das gestohlene Gold kämpfen." Er drehte sich wieder um und ging auf Al Conroy zu, der zusammen mit einer kleinen Gruppe von Indern und Seewölfen das fünfte Geschütz neu lud und langsam wieder ausrannte. Hasard zwinkerte seinen Söhnen zu und deutete, halb verdeckt, auf Bilalama, der mit wahrer Begeisterung dem Stückmeister half. Auf der Back lümmelte Istaran am Schanzkleid, schrie Befehle und blickte immer wieder in Richtung der Gruppe um Al Conroy. „Der Sultan denkt nach", sagte Hasard leise. „Tu nichts, was dir schaden kann, Bilalama." Der Inder, der eine schwere steinerne Kugel hochstemmte und in Al Conroys Arme rollen ließ, flüsterte: „Danke, Kapitän Killigrew." Die Sonne war gewandert und stand jetzt im Nachmittag. Im Westen hoben sich lautlos große Wolkenmassen. Im Süden verschwamm die Kimm in einem fahlen Dunst. Eine Gruppe indischer Seeleute steckte die Spaken ins Ankerspill und wartete auf den nächsten Befehl. Hasard und der Kapitän der Galeere hatten vereinbart, das Schiff zur Passage zu pullen und dort zu warten. Schließlich lagen elf Tonnen Gold im Mittelpunkt der Bucht. Von
54 hier aus - wo sie sicher vor den Culverinen der Portugiesen waren - war die Karavelle nicht zu sehen. Die Beiboote waren an Steuerbord längsseits belegt. Der Sultan hatte seine Befehle gegeben und war in seiner prunkvollen Kammer verschwunden. Noch immer lasteten Hitze und Schwüle über diesem Küstenstreifen. Ringsum gab es keinerlei Bewegung, keine Fischerboote, keine Anzeichen für Sturm, nicht eine einzige Rauchsäule und nicht mal das Trompeten eines gereizten Lastelefanten. Al Conroy stellte an Deck seine Art von Ordnung her. Wassergefüllte Pützen, kleine Fässer voller nassem Sand, Luntenstäbe und zwei Ölfunzeln waren in den richtigen Abständen zwischen den Lafetten der Geschütze verteilt. Jeder Mann an Bord wußte, an welchen Riemen in den beiden Decks er gehörte, und auch der Rudergänger und dessen Ablösung wußten, wie sich Rameshand die Aktion vorstellte. Hasard zog zum zweitenmal seinen Drehung hinter dem Gurt hervor und prüfte jeden einzelnen Lauf und die Schlösser. „Von mir aus kann es losgehen", murmelte er und ging langsam zum Achterdeck. Rameshand begrüßte ihn mit einem breiten Grinsen, das die weißen Zähne funkeln ließ. „Langweilig, Kapitän?" fragte er. „Nein, unruhig und volle Spannung", erwiderte der Seewolf. Was seine Crew betraf, war er zufrieden und sicher. Alle hatten sich erholt, und jeder wußte, was ihr Kapitän
vorhatte, mit Hilfe der Inder und notfalls ohne ihre Unterstützung. „Ich denke eben daran, daß wir ebensogut in der Passage liegen könnten." Das Grinsen des Inders wurde breiter. Er stieß ein kurzes, rauhes Lachen aus und entgegnete: „Ich werde gleich befehlen, ankerauf zu gehen und genau dorthin - wie sagt ihr? zu pullen, wo die Karavelle sich zeigen sollte." „Darauf habe ich gewartet", sagte Hasard und setzte sich in einen der knarrenden, aber prächtigen Deckstühle. Rameshand sprach kurz mit dem Rudergänger, winkte den Schiffsjungen und gab dann eine Reihe von Befehlen. Hasard erkannte den Sinn, verstand aber die Worte nicht. Er wartete und schwieg. Ein Kommando wurde gebrüllt. Alle Mannen, die nicht an Deck gebraucht wurden, liefen zusammen und enterten die Niedergänge ab. Gleichzeitig knarrte das Ankerspill, und die „Stern von Indien" schob sich langsam seewärts, Handbreite um Handbreite. Polternd bewegten sich die Riemen und wurden in Position gebracht. Zwischen den Indern, die nach wie vor in Ketten lagen, saßen bunt gemischt Arwenacks und Soldaten, Seeleute und Diener und warteten darauf, die Galeere rund zwei Seemeilen weit zu pullen. Hasard grinste. Er mußte daran denken, wie wenig schwer es war, auch auf diesem Schiff binnen weniger Stunden so etwas wie gute Seemannschaft herbeizuführen. Bogenschützen und einige Musketenträger
55 stellten sich hinter dem Schanzkleid auf. Der Anker kam hoch und wurde belegt. „Vorwärts!" schrie Rameshand. Die Riemen hoben sich im Takt, senkten sich und wurden ohne Eile, aber voller Kraft durchgezogen. Binnen weniger Atemzüge gewann die „Stern" an Fahrt und schob ihren Rammsporn durch die aufgischtende Brandung. Der Rudergänger steuerte das Schiff in einen weiten Halbkreis. Es war sinnlos, die Segel zu setzen. Der Wind würde bestenfalls die Segel killen lassen und wahrscheinlich die Geschwindigkeit mindern. Zu den Indern, die nicht pullten und nichts mit den Geschützen zu tun hatten, gesellten sich jetzt einige Arwenacks. Sie trugen ihre Blankwaffen, und ihre Gesichter drückten aus, daß sie diesen Umstand richtig fanden und nicht daran dachten, sich die Waffen wieder abnehmen zu lassen. Es war, als übertrüge sich die Spannung der Männer und ihre Wut auf Shastri auf den schlanken Rumpf, der immer schneller wurde und jetzt den östlichsten Punkt des Halbkreises erreicht hatte. Die Schatten der Masten wanderten wie die Zeiger von Sonnenuhren über die trockenen Decksplanken. Als Hasard den Kopf hob, blendete ihn die Sonne, die vier Handbreiten über der Kimm hing, umgeben von einer rötlichen und weißen Wolkenbank. Die Wolken bedeckten mehr als ein Drittel des Himmels. Die jagenden Vögel waren winzige dunkle Punkte vor der farbensprühenden Kulisse.
„Es ist viel angenehmer, hier zu sitzen und zuzusehen", sagte Hasard zum Kapitän. „Wenn ihr gute und kräftige Ruderer braucht, womit ich nicht uns Seewölfe meine, dann solltet ihr unten etwas mehr Sauberkeit und Platz zum Schlafen schaffen. Sonst sterben euch die Männer weg wie die Fliegen." Rameshand zupfte an den Enden seines Bartes und setzte zu einer längeren Erklärung an. „Kapitän aus fernen Ländern", sagte er fast feierlich. „Bei der Wut der blutigen Kali! Wir sind ein Volk von unzählbar vielen Köpfen. Unter den vielen Männern, jung und alt, reich und arm, gibt es mehr als Sandkörner am Strand, die böse Dinge tun und nicht dabei erwischt werden. Diejenigen, die wir erwischen, und da auch nur die Kräftigsten, ketten wir auf der Galeere fest." Er holte tief Luft, führte einige Gesten aus, die mit der geringen Bedeutung dieser Frage zu tun hatten, und sprach weiter. „Sei ganz unbesorgt, Kapitän, wir finden immer und überall genug Schurken, die für ihre Verfehlungen büßen und dafür dieses schöne Schiff schnell durch die Meere treiben. Bei Shiva und Allah." „Gelegentlich rudern auch weniger schlimme Bösewichte wie der arme Bilalama." Hasard erwiderte das geringschätzige Grinsen des Kapitäns. Die „Stern von Indien" schob Rammsporn und Bug genau auf den Mittelpunkt der Passage zu, und wieder tauchte das Gelände auf, das sie schon kannten. „Man wird sehen, wie die Götter die
56 Wahrheit gestalten", schloß der Kapitän. „Wenden wir unsere Aufmerksamkeit wieder den Dingen zu, die von größerer Wichtigkeit sind." Hasard nickte. „Der Sultan wird's zu schätzen wissen", sagte er trocken. Die Linie zwischen den beiden niedrigen, bewachsenen Landvorsprüngen war nicht mehr als eine halbe Seemeile weit entfernt. Hasard sagte sich, daß vom Bug aus, von der Höhe der Back, die Sicht besser und ungehindert sein würde. Er nickte Rameshand zu und spazierte mit wiegenden Schritten bugwärts. „Alles klar, Freunde?" fragte er, als er im Zickzack zwischen den Geschützen an Al Conroy und den Zwillingen vorbeiging. Istaran lehnte am vorderen Mast und hatte den Kopf gesenkt, als betrachte er die verzierten Spitzen seiner Stiefel. Aber Hasard wußte, daß der Inder seine Blicke unverändert hierher schickte. „Noch nie war es klarer. Ich habe die Kerls herumgescheucht, diese ahnungslosen Rübenschweine", erwiderte Al Conroy zufrieden, „wie unser verehrter Prof os es auszudrücken beliebt. Wo steckt der Kerl eigentlich?" Hasard deutete mit dem Zeigefinger senkrecht abwärts. „Er pullt", sagte er. „Freiwillig." Al Conroy schüttelte einen Stab, an dem sich unangezündete Lunten kreuzten. „Freiwillig?" Er kicherte. „Daß ich nicht lache. Wahrscheinlich will er den indischen Koch bestechen, damit er eine Extraration von diesem läppischen Reiswein erhält."
„Schon möglich." Hasard flüsterte Bilalama zu: „Achtung! Istaran plant etwas." Laut sprach er weiter: „Vielleicht zeichnet dich der Sultan wegen deiner Schießkünste heute abend auch mit einem Krug Wein aus." Die Dünen an Backbord wurden deutlicher. Drei Kormorane flogen auf und wandten sich landeinwärts. „Das ist gut möglich." Etwa dreißig Mann hatten sich am Steuerbord und an Backbord über die gesamte Länge des Schiffes verteilt. Sie beobachteten wachsam und schweigend die näherrückende Küste und, soweit etwas zu erkennen war, das Land dahinter. Die Masten der Karavelle wanderten hinter dem Buschwerk hervor, die ruhige Wasserfläche der kanalartigen Passage näherte sich, dann geriet auch der Schiffsrumpf in Sicht. Hasard schaute Istaran an, ging an ihm vorbei und sprang auf die Back. Er schirmte die Augen mit der flachen Hand ab und hörte, daß sich der Takt verlangsamte. Die Riemen wurden in längeren Abständen durchs Wasser gezogen. Die Karavelle befand sich recht voraus, genau über ihr schwebte der gelbe Riesenball der Sonne. Es war nicht zu erkennen, was an Deck vor sich ging. Aber als die Galeere das erste Drittel des Kanals hinter sich gelassen hatte, sichtete Hasard im Südsüdwesten das sumpfige Bachdelta, denn die Sanddünen blieben an Backbord achtem zurück. Er drehte sich um und rief: „Rameshand! Siehst du, was ich sehe?" Ein paar Männer hatten im selben Augenblick die Elefanten entdeckt,
57 die in einer langen Reihe zwischen den Büschen und den halbhohen Bäumen hervortrotteten. Drei Männer saßen auf jedem Rücken. Das erste Tier hatte sich etwa eine Fadenlänge vom letzten Schilfstreifen entfernt und watete bis zum Bauch im Wasser, den Rüssel hoch in die Luft gekrümmt. „Elefanten!" schrien die Inder. Der Kapitän rief Befehle. Die Riemen tauchten noch zweimal ein, dann wurden sie hochgekippt. Die „Stern" wendete den Bug um einen Strich nach Steuerbord. Ein Schiffsjunge lief auf Hasard zu, als der Seewolf noch die Einzelheiten betrachtete und sich jede Bewegung, jede Bedeutung einzuprägen versuchte. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, daß die Galeere in der günstigsten Schußposition lag und mit Hilfe weniger Ausschläge des Ruders und, im Schwung angehalten durch die träge ablaufende Ebbe, fast auf der Stelle trieb. Hasard sah sieben Elefanten. Vielleicht verbargen sich noch weitere Tiere samt ihren Treibern im Unterholz. Zwischen den Tieren bestand ein Abstand von wenigen Schritten. Deutlich erkannte der Seewolf die hellen Gitter der Netze, die über die Rücken hingen, und deren Enden im Wasser schleiften. Daran waren schmale Bretter und weiteres Tauwerk angebracht. Die Elefanten schienen das Wasser nicht zu scheuen, aber besonders willig bewegten sie sich nicht. Die Treiber setzten die Spitzen ihrer Stachelstöcke ein und traten den Tieren mit den nackten Zehen hinter die Ohren.
Der Schiffsjunge keuchte, verblüffenderweise in Portugiesisch: „Kapitän sagt schießen auf Elefanten." Hasard nickte und antwortete, während er Al Conroy winkte, auf die Backbordgeschütze deutete und darauf zulief: „Verstanden." Al Conroy und die Zwillinge arbeiteten bereits mit Richtstock und den Richtkeilen. Die Schußentfernung war günstig, nicht mehr als gut eine halbe Meile. „Nimm Geschosse, mit denen du die Tiere erschreckst!" rief Hasard. „Aye, aye, Sir. Mit besonderem Vergnügen." Vier Lunten brannten bereits. Nacheinander hoben sich die Rohre von fünf Geschützen. Die „Stern" drehte in der Strömung wieder zurück, und die Männer unter Deck führten schwache Bewegungen mit den Riemen durch. Al Conroy kniete hinter dem ersten Geschütz und visierte am Lauf entlang, hob das Rohr noch um eine Fingerbreite und wartete, bis die Bewegungen des Schiffes wieder aufhörten und die Position günstig war. „Feuer frei, Mister Conroy", sagte Hasard laut und deutlich in die gespannte Stille hinein. Al Conroy nickte nur und berührte mit der funkenknisternden Lunte das Pulver im Zündloch. 8. Die Stichflamme fuhr aus der Mündung, die Explosion dröhnte auf, das Rohr ruckte um eine Fingerbreite in die Höhe und trieb die Lafette zu-
58 rück. Eine gewaltige Wolke verbrannten Pulvers breitete sich vor der Mündung nach allen Seiten aus und kroch über das Wasser. Die Erschütterung des Abschusses lief durch den Schiffskörper, die Masten schüttelten sich leicht, und das laufende Gut begann zu pendeln. Im Lärm und Nachhall des Krachens ging das wimmernde, jaulende Geräusch unter, mit dem das Geschoß durch die Luft flog. Drei Atemzüge später zündete der Meister aller Kanonen, der indische Kanonier, auf Al Conroys Geste hin das zweite Geschütz. Beide Männer hatten sich mit wenigen Worten und vielen Gesten verständigt. Die Mündung und das lange Rohr verdeckten das Ziel, aber das nachdrückliche Nicken des erfahrenen Stückmeisters beruhigte den Inder. Wieder bildeten Feuerstrahl, Detonation, Rauch, der gewaltige Ruck, der die Brooktaue zum Brechen spannte, und dann die Geräusche der geteilten Ladung ein dröhnendes, überlautes Inferno, das die Ohren der Männer zum Klingen brachte. Grauer Rauch wurde über die Kante des Schanzkleides getrieben, sank zu den Decksplanken hinunter und verteilte sich. Istaran verließ seinen Platz neben dem Mast und ging langsam auf die Männer neben dem dritten Geschütz zu. Sein Gang hatte etwas Lauerndes wie das Anschleichen einer großen Katze. Den rechten Arm ließ er an seinem Schenkel hinunterhängen, die Finger schienen nach etwas zu tasten.
Philip Hasard Killigrew war sieben Fuß weit die Wanten auf geentert und versuchte zu erkennen, was die Schüsse anrichteten. Das erste Geschoß war dreißig Fuß vor dem ersten Elefanten eingeschlagen. Eine riesige Fontäne aus Wasser, Schlamm und faulenden Pflanzen schoß zwischen dem Bug und der langen Reihe der grauhäutigen Tiere in die Höhe. Als der Seewolf hinblickte, sank sie gerade in sich zusammen. Gleichzeitig schlugen fast in einer Reihe, noch näher an der Spitze des Zuges, die Trümmer der geteilten Ladung in das flache Wasser. Wieder rasten vier Fontänen senkrecht in die Höhe. Das Wasser war durchmischt mit Schlick und grobem Sand vom Boden der Bucht. Zwischen den Elefanten brach Panik aus. Die Tiere rissen ihre Rüssel hoch, stellten die Ohren nach vorn, trompeteten schrill und drehten sich im Kreis. Ein paar Inder wurden von ihren Sitzen geschleudert, überschlugen sich und landeten im aufklatschenden Wasser. Das große Tier an der Spitze hatte sich umgedreht und tobte mit unglaublicher Geschwindigkeit, gellende Trompetenschreie ausstoßend, auf die Bachmündung zu. Das Tier schien sich in ein seltsames Fabelwesen verwandelt zu haben. Mit der Brust schob es eine schlammige Bugwelle vor sich her, Wasser spritzte nach allen Seiten, die Inder auf dem Tragegerüst klammerten sich verzweifelt fest. Al Conroy ließ nach einigen Sekunden das dritte Geschütz zünden.
59 Der Sultan hatte seine Kammer verlassen, stand neben Rameshand und dem Rudergänger und klatschte fröhlich in die Hände. Durch das Donnern der Geschütze und das Geschrei der Männer an Deck war sein lautes Gelächter nur einige Schritte weit zu hören. Istaran wartete jetzt in der Nähe des Geschützes, das Al Conroy als viertes abfeuern wollte. Die Elefanten brachen vor dem heranstürmenden Bullen nach rechts und links auseinander. Die Tiere gaben schreckerregende Laute von sich und wandten sich zur Flucht vor den stinkenden, gischtenden Wassersäulen, die als grauer Regen wieder niederprasselten. „Sehr gut", sagte Hasard, als er sah, wie der Leitelefant mitsamt der hilflosen Inder wie ein riesiger Rammbock durch Sumpf und Gebüsch preschte. Losgerissene Äste und Schlamm flogen nach allen Seiten. Schrill trompetend verschwand das große Tier zwischen den Büschen. Äste schwankten, aus allen Bäumen und aus Erdnestern flatterten wieder die Vögel auf und bildeten über den durchgehenden Tieren kleine Schwärme. Das vierte Vollgeschoß schlug mitten in einer Gruppe von fünf Elefanten in den Sumpf. Das Heulen des heranorgelnden Geschosses, das Klatschen, mit dem die Steinkugel ins Wasser schlug, die hochspringende Fontäne und die Inder, die vor Angst schrien, versetzten die Tiere in Panik und heillose Flucht.
Sie folgten der Richtung, die der große Bulle eingeschlagen hatte. Sie rannten in ihrem seltsamen Trab, so schnell sie konnten. Es war, als überrolle eine lebendige Brandungswelle aus der Bucht die Bachmündung. Das Schilf wurde niedergetrampelt, Büsche flogen davon und rissen die Wurzeln aus dem Boden, Wasser spritzte nach den Seiten, und ein paar Inder versuchten, halb schwimmend, halb watend, hinter den Tieren den schützenden Dschungel zu erreichen. Die letzte Fontäne sank in sich zusammen, die Wellen eilten in ineinanderfließenden Ringen durch die Bucht. Ein wildes Geschrei, das an Deck der „Stern" wie ein fernes Murmeln klang, ertönte auf der Karavelle. In dem Augenblick, als die Schleier und Wolken des Pulverdampfes am dichtesten waren, bewegte sich Istaran plötzlich blitzschnell. Er riß einen langen Dolch aus den Falten seiner Hose und sprang auf Bilalama zu, der sich gerade aufrichtete. Istaran holte aus und zielte mit dem Dolch zwischen die Schulterblätter des Inders. Hasard drehte den Kopf, weil er am Rand seines Blickfeldes ungewöhnlich schnelle Bewegungen bemerkte. Aber Philip junior war schneller. Hasards Finger griffen noch nach dem Abzug des Drehlings, als Philip das Rundholz hob, blitzschnell zuschlug und das Handgelenk Istarans traf. Im selben Augenblick drehte sich Bilama um. Er hatte seinen Feind nicht jetzt erwartet - und auch nicht gesehen, wie er sich blitzschnell näherte.
60 Istaran schrie auf, ließ den Dolch fallen und warf sich herum. Er blickte in die Gesichter von mehr als sieben Männern. Jeder hatte gesehen, daß er Bilalama von hinten hatte erdolchen wollen. „Du Hund!" schrie Bilalama, als er begriff, daß er knapp dem Tode entgangenn war. Istaran handelte schnell. Er sah, daß sich von allen Seiten Männer auf ihn stürzten, wirbelte herum und rannte in Richtung des Bugs. Sein Turban rutschte ihm vom Kopf. Vor dem nächsten Geschütz bog er nach rechts, packte das Backbordschanzkleid und schwang sich darüber. Einen Herzschlag später klatschte er ins Wasser, tauchte unter und schwamm wie ein Rasender auf den Rand der Passage zu. „Er flieht", murmelte Al Conroy und hustete. Der Seewolf schob den Drehling wieder zurück und enterte aus den Wanten an Deck. Bilalama besann sich nicht lange. Er bückte sich, hob den Dolch auf und schrie zum Achterschiff: „Herr! Sultan! Ich kehre zurück, ich schwör's bei allen Göttern! Ich verfolge diesen Bastard. Wenn ich nicht zurückkomme, bin ich tot, dann hat er mich umgebracht." „Recht so", sagte Hasard junior. „Du wirst von Stunde zu Stünde klüger." „Danke", sagte Bilalama, nahm einen Anlauf und sprang über das Schanzkleid. Istaran hatte einen Vorsprung, der inzwischen an die fünfzig Yards betrug.
Der Seewolf warf einen langen Blick auf die zertrampelte Landschaft an der Bachmündung. Nichts und niemand war mehr zu sehen. Nur weiter im inneren schwankten noch manchmal Äste und Zweige, und die Vögel ließen erkennen, an welcher Stelle sich die fliehenden Elefanten befanden. Der Sultan hatte beide Hände auf die Heckbalustrade gelegt und betrachtete schweigend die beiden Inder im Wasser. Istaran erreichte gerade den Rand der Passage und watete durch Schilf und großblättrige Pflanzen an Land. Hinter ihm erstreckten sich die ersten Ausläufer der Dünen. Er warf einen langen Blick zu seinem Verfolger, richtete sich auf und lief genau in die Richtung, in der die Elefanten verschwunden waren. Der Sultan hob den Arm und rief befehlend: „Wir versuchen heute nacht einen zweiten Angriff! Legt das Schiff vor den Kanal, damit die Fremden nicht ausbrechen können." „Wirklich, eine gute Entscheidung", sagte Hasard, grinste Philip und Al Conroy zu und bewegte sich, während die Riemen wieder eingesetzt wurden und die „Stern von Indien" sich langsam drehte, zum Achterdeck zurück. Sein Gesichtsausdruck ließ erkennen, daß er mit der Entwicklung der Dinge recht zufrieden war. „Sultan", sagte er, „das Gold scheint auf der Karavelle für die nächste Zeit sicher zu sein." Der Sultan lachte und blickte hinüber zu Istaran, der, Strand und Dünen zur Linken, durch die niedrigen Büsche und Sträucher hetzte. Bila-
61 lama tauchte aus dem Wasser und versuchte, auf den Spuren seines Todfeindes aufs feste Land zu klettern. Er rutschte und fiel wieder ins Wasser zurück. „Dein Stückmeister ist wirklich ein Meister", sagte der Sultan. Er schien dieses kleine Zwischenspiel genossen zu haben. „Mir ist nicht bange um den nächsten Kampf." „Darüber wollte ich mit dir sprechen. Mittlerweile verfolgt Bilalama, dem du alle seine Ämter weggenommen hast, den Mann, der, wie er sagt, an seinem Unglück schuld ist. Warum hast du nicht auf Bilalama schießen lassen?" Schlagartig wurde der Sultan ernst. Zusammen beobachteten sie, wie der Mann das Land erreichte und mit neuer Kraft auf der Spur Istarans in südliche Richtung stürmte, den Dolch in der Faust. „Weil ich hoffe, daß Bilalama seinen Feind zurückbringt. Dann werde ich, vielleicht zu spät, die Wahrheit herausfinden. Wenn Istaran gelogen hat, findet er sich schnell unten, festgeschmiedet, wieder." „Einverstanden", sagte der Seewolf. „Eine kluge Entscheidung. Was planst du für die nächsten Stunden?" Hasard setzte in seinen Überlegungen voraus, daß der Sultan, zweifellos ein kluger Mann, die Lage ebenso durchdacht hatte und beurteilte wie er selbst. Daran, daß in absehbarer Zeit die Treiber ihre Tiere wieder in die Nähe der Karavelle führen würden, war nicht zu denken. Der Goldschatz blieb also bei Shastri und den Portugiesen. „Es scheint ganz einfach zu sein",
sagte der Sultan halblaut, während die „Stern" langsam wieder in östlicher Richtung durch die Passage gepullt wurde. „Entweder wagen die Portugiesen einen Ausbruch, oder wir greifen sie an. Wenn Wind ist, laufen sie bei Ebbe oder Flut aus. Per Unterschied beträgt nur soviel." Er zeigte auf seinen Arm, vom Handgelenk bis zur Schulter. Hasard hörte schweigend zu. „Das ist wohl richtig", antwortete er. „Ich denke, die Portugiesen werden versuchen, das freie Meer zu erreichen." Die Sonne stand noch zwei Handbreiten über der Kimm. In kurzer Zeit würden sich die Wolken im Westen vor das Tagesgestirn geschoben haben. Es sah nach Wind aus dem westlichen Sektor aus. Einzelne Brisen waren schon angesprungen. „Und wir?" fragte der Seewolf. Die „Stern" drehte bei. Der Anker fiel zwei Kabellängen vor der Passage aufklatschend ins Wasser. „Wir warten. Wir haben die besseren Trümpfe im Spiel und außerdem zwanzig Kanonen sowie einen Mann, der weiß, wie man trifft." „Auch das ist richtig, Sultan", sagte Hasard und hörte, wie die Riemen eingezogen wurden. „Ich denke wie du, daß die Portugiesen in der Nacht ausbrechen wollen. Mit dem Gold. Und mit deinem Feind Shastri an Bord." „Genau das denke ich auch." Die abgefeuerten Geschütze wurden von mehr als eineinhalb Dutzend Männern wieder geladen. Unter den Befehlen und Ratschlägen Al Conroys arbeiteten Inder und einige Männer der Arwenack-Crew zusammen.
62 Die Leute, die eben noch gepullt hatten, erschienen wieder an Deck. Von fast jedem Punkt aus war deutlich die Karavelle zu sehen, die sich jetzt als schwarzer Schattenriß genau vor der rötlichgelben Sonne befand. „Glaubst du daran, daß Bilalama zurückkehrt?" fragte der Sultan. Schließlich war der Mann einmal der Verantwortliche für alle möglichen Wachen, Soldaten und Reiter gewesen. Hasard nickte nachdenklich und entgegnete: „Er wird es versuchen, meine ich. Ich glaube ihm, und vielleicht glaube ich dem Falschen. Aber ich denke, er hat mehr Ehrgefühl als der andere Kerl mit den vielen Ringen an den Fingern. Es kann sein, daß ich mich irre." „Warten wir ab. Das Schiff ist groß genug, um es wiederzufinden", sagte der Sultan. „Er wird es finden, wenn er will", bestätigte Hasard. „Genau. Wir alle beobachten weiter die Fremden. Wir brauchen nur wenig Zeit, um richtig zu handeln. Es wird nachher Essen geben, und ihr helft mir weiterhin, Kapitän." „Wir tun alles, um unsere Ladung zurückzuholen", sagte der Seewolf grimmig. „Darauf kannst du dich verlassen, Sultan." Er blieb hinter dem Schanzkleid stehen und ließ seine Blicke langsam umhergehen. Die Dünen färbten sich im rötlichen Licht der untergehenden Sonne. Die meisten Vögel waren wieder verschwunden. Ebenso waren Istaran und Bilalama verschwunden. Bilalama setzte seine Verfolgung im schwindenden Licht irgendwo im
Urwald fort, und vielleicht trafen sie beide auf die versprengten Elefanten. * Blickte man in die Richtung der dreimastigen Karavelle, so nahm man nur undeutliche Bewegung war, mehr nicht. Ringsherum waren das Meer und die Ufer so einsam wie in den vergangenen Stunden. Es gab weder kleine Fischerboote noch die Rauchsäulen abendlicher Feuer. Nur die Wolken wuchsen in die Höhe, und die Sonne sah aus, als würde sie flachgedrückt. An Bord der „Stern von Indien" breitete sich eine Ruhe aus, die nichts mit Schläfrigkeit zu tun hatte. Alle Männer wußten, daß der nächste Kampf nicht lange auf sich warten lassen würde. Zwischen den Masten standen einige Arwenacks zusammen, hielten Becher in den Händen und achteten nicht auf das Treiben der Inder um sich herum. „Mir scheint", bemerkte Ben Brighton nachdenklich, „daß heute nacht eine Entscheidung fällt. Der Sultan hat recht damit, wenn wir hier warten. Auf offener See ist es für eine Galeere leichter." „Ich denke an Shastri", sagte Dan O'Flynn. „Vermutlich kriegt er jetzt Ärger mit den Portus." „Davon bin ich überzeugt", sagte der Erste. „Und bestimmt nicht zu knapp." Philip Hasard Killigrew zählte an den Fingern ab: „Erstens, die Kanonen sind feuerbereit, zweitens, in wenigen Minuten sind wir alle wieder an
63 den Riemen, und die ,Stern' kann verholen, wohin sie will. Noch ist der Himmel frei, wir werden also die Karavelle sehen, wenn sie die Passage verläßt." „Und wenn sie das nicht tut?" erkundigte sich mit breitem Grinsen Dan O'Flynn. „Dann wird der Herr dieser prunkvollen Galeere schnell entscheiden. Dann greifen wir an, wie ich das mit ihm besprochen habe. Eine Gruppe vom Land aus, vielleicht mit den Booten, die andere bleibt am Schiff. So wird's ausgeführt." „Mit diesem verdammten Gold haben wir uns wirklich eine Kette von abenteuerlichen Schwierigkeiten eingehandelt", brummelte der Erste. Hasard legte die Hand auf seine Schulter: „Wir tun es für England und die gute alte Queen. Nach Ischwar Singh haben wir schon einen zweiten Freund, nämlich den Sultan von Golkonda. Er wird uns jedes Handelsrecht einräumen, das wir wünschen." Ben Brighton führte eine schwer verständliche Geste aus und richtete seinen Blick auf den Kutscher, der mit einem riesigen Holzlöffel winkte. „Nur dann, wenn wir endlich das Gold zurückhaben", ergänzte Hasard. ,In den nächsten vierundzwanzig Stunden haben wir es wieder. So wahr ich ein Killigrew bin." „Aye, aye, Sir", sagte Hasard junior und lehnte sich ans Schanzkleid. „Morgen sind wir alle klüger oder tot." „So schlimm wird's wohl nicht werden", meinte Vater Hasard. „Du solltest lieber an deinen Freund denken.
Der rennt durch die indischen Wälder und will seinen übelsten Feind einholen." „Ich hoffe, er findet ihn", sagte Hasard junior. „Wenn er wieder in Amt und Würden ist, haben wir am Hof von Golkonda einen echten Freund." „Abwarten", mahnte sein Vater. Ruhig senkte und hob die Galeere Bug und Heck. Der Rammsporn deutete jetzt, nachdem das Schiff um die lange Achtertrosse geschwojt war, wieder genau auf die Karavelle. Leise sprachen die Männer miteinander. Die drückende Hitze des Tages war von einer ablandigen Brise vertrieben worden, aber aus den Luks und Niedergängen stank es nach wie vor. Der Sultan hatte sich wieder in seine Kammer begeben. Der Geruch nach gut gewürztem Essen breitete sich aus. Das Plätschern wurde lauter, und kurz bevor die Sonne in einem gewaltigen farbigen Wolkengebirge unter-
64 ging, enterte eine triefende Gestalt über die Jakobsleiter und zwischen den beiden Beibooten auf und ließ sich erschöpft über das Schanzkleid fallen. „Hier bin ich", sagte Bilalama und nahm vorsichtig den Dolch aus den Zähnen. „Diesen verdammten Bastard habe ich nicht erwischt."
„Was sagt er?" fragte der Profos. Philip junior übersetzte. Carberry hob die Schultern und knurrte: „Sage ihm, er wird noch genug zu kämpfen haben, bis er wieder in Amt und Würden ist." „Und zwar schon in dieser Nacht", schloß Kapitän Killigrew und leerte den Becher.
Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 704
Nächtliches Gefecht von Jan J. Moreno „Vorwärts!" rief der Seewolf halblaut. Die ahnungslosen Portugiesen an Bord der „Cabo Mondego" wußten nicht, wie ihnen geschah, als sie sich plötzlich fast zwei Dutzend „Ar-we-nack!" brüllenden Kerlen gegenübersahen, die sich geschmeidig an Steuerbord über die Verschanzung schwangen. Bis sie sich von dem ersten Schreck erholt hatten, lagen die ersten schon bewußtlos auf den Planken, von eisenharten Fäusten niedergestreckt. Aber dann begannen sie, sich erbittert zur Wehr zu setzen. Den Profos traf von hinten ein Schlag mit einer Spillspake zwischen die Schulterblätter, der jeden anderen sofort gefällt hätte. Der Profos fing sich aber schon nach wenigen Schritten und drehte sich bedächtig nach dem Gegner um. Und dann legte er los...