Freder van Holk Die Diamantenklippe
SUN KOH-Taschenbuch erscheint vierwöchentlich
im Erich Pabel Verlag KG, Pabelha...
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Freder van Holk Die Diamantenklippe
SUN KOH-Taschenbuch erscheint vierwöchentlich
im Erich Pabel Verlag KG, Pabelhaus, 7550 Rastatt
Neu bearbeitet von Heinz Reck
Copyright © 1979 beim Autor und Erich Pabel Verlag, Rastatt
Agentur Transgalaxis
Titelbild: Nikolai Lutohin
Alle Rechte vorbehalten
Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck
Vertrieb: Erich Pabel Verlag KG
Verkaufspreis inkl. gesetzl. MwSt.
Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen
und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden;
der Wiederverkauf ist verboten.
Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich:
Pressegroßvertrieb Salzburg, Niederalm 300
A-5081 Anif
Abonnements und Einzelbestellungen an
PABEL VERLAG KG, Postfach 1780, 7550 RASTATT,
Telefon (0 72 22) 13-2 41
NACHDRUCKDIENST:
Edith Wöhlbier, Burchardstraße 11, 2000 Hamburg 1,
Telefon (0 40) 3 01 96 29, Telex 02 161 024
Printed in Germany
Dezember 1979
Scan by Brrazo 03/2006
1.
Rio de Janeiro, die schönste Küstenstadt der Erde. In das azurblaue Wasser schieben sich in reizvol ler Abwechslung flache Landzungen und steile Vor gebirge. Inseln steigen phantastisch auf, von gewalti gen Granitkegeln gekrönt. Da ist der turmartige Zuk kerhut, über dreihundertundachtzig Meter hoch, von oben bis unten glattpoliert, als wäre er mit einer Gla sur überzogen. An der Küste selbst reckt sich die spitze Nadel des Corcovado in die Wolken hinein, weiter landeinwärts grüßen über den malerischen Gipfeln des Tijuca die steilen Felsen des Orgelgebir ges. Zwischen den Hügeln und Bergen wuchert und blüht tropische Vegetation wie in Treibhäusern. Überreich in Formen und Farben schieben sich die Pflanzen der heißen Breitengrade an die Buchten heran, in die weißleuchtende Millionenstadt hinein, königlich überragt von den Palmen des botanischen Gartens. Rio de Janeiro ist schön. Wie ein Geschmeide legt sich die Stadt um den halbkreisförmigen Hafen mit seinen mehrere Kilometer langen Kais. Türme, Kup peln und Paläste überragen sie. Aus dem Häusermeer stoßen sanfte Hügel und steile Felsen heraus, die wiederum mit Klöstern, Kirchen oder Riesenstatuen 5
gekrönt sind. Malerisch wechseln Häuser und freie Plätze, auf denen zwischen Bassins und tropischen Baumgruppen üppigster Blumenschmuck gedeiht. Hoch über den Häusern fahren auf zierlichen Via dukten elektrische Bahnen über die Stadt den bewal deten Bergen zu. Am schönsten aber ist das villenreiche Botafogo, die Vorstadt von Rio de Janeiro. Der Polizist Macejo fand das nicht besonders. Er stens schwitzte er in der drückenden Hitze, die über der Kreuzung zur Mittagsstunde lag, und zweitens kannte er die Stadt von Kind auf, so daß ihm selbst verständlich schien, was diese verrückten Fremden in wilde Schreie des Entzückens ausbrechen ließ, wobei sie gewöhnlich die einfachsten Verkehrsregeln miß achteten. Und drittens hatte er alle Hände voll zu tun und brauchte seine Augen zu anderen Dingen, als Häuser, Bäume und Berge zu bewundern. Macejos Augen gingen ständig über die Passanten hinweg. Es war sein Ehrgeiz, Unfälle an der Kreu zung zu verhindern. Deshalb versuchte er schon vor her durch einen Blick auf die Gesichter, die gedan kenlosen Narren zu erraten, die mit aller Gewalt sei nen Zeichen zum Trotz in ein Auto hineinlaufen wollten. Da – das war so ein Kerl. Zehn Meter war er noch von der Kreuzung entfernt, aber Macejo hatte ihn bereits aus dem Augenwinkel heraus entdeckt. Die 6
anderen, die an ihm vorbei oder neben ihm liefen, fanden natürlich nichts an ihm, aber er, der für die Kreuzung verantwortlich war, wußte Bescheid. Wie steifbeinig er ging. Wahrscheinlich war er lange krank gewesen und hatte sich von seinem letz ten Unfall noch nicht richtig erholt. Aber sein Gesicht sieht gesund aus, sehr gesund sogar. Es ist braun, dieses Gesicht, wie bei jedem anständigen Brasilianer, aber man sieht fast das Blut unter der braunen Haut schimmern, die sich über die vollen Backen spannt. Ein Puppengesicht, so gleich mäßig glatt. Macejo grübelte, warum er an Puppen denken mußte, während er herumschwenkte und die andere Richtung sperrte. Ja, es waren die Augen. Hatte der Mann nicht die leeren glänzenden Augen einer Pup pe, die nicht nach rechts und nach links sehen kön nen? Gleich ist er an der Kreuzung. Er wird was zu hö ren bekommen, wenn er einen Fuß über den Strich setzt. Sicher, er ist ein Caballero, seine Kleidung ist genau so, wie man sie in den großen Schaufenstern sieht. Vielleicht ist es besser, ihn höflich zu behan deln und dem Señor ein Trinkgeld abzunehmen als eine Strafgebühr. Ist denn der Kerl blind? Tatsächlich, er läuft ein fach weiter, und schon kommt das unvermeidliche Auto. 7
Macejo brachte es mit einem heftigen Wink zum Stoppen und lief die paar Schritte zu dem Mann hin. »Ai virgen!« schrie er ihm halb zornig, halb höf lich ins Gesicht. »Können Sie Ihre Augen nicht auf machen? Um ein Haar wären Sie überfahren wor den.« Der andere sah ihn teilnahmslos an. Kein Muskel in seinem Gesicht rührte sich, und in seinen Augen schimmerte keine Spur von Verständnis. »Bueno«, sagte er hart, wobei sich seine Lippen um keinen Millimeter bewegten. »Ich danke dir, amigo.« Damit drehte er sich um. Der Polizist Macejo stutzte etwas bei dieser har ten, farblosen Stimme. Er fand, daß schließlich eine Höflichkeit die andere wert sei und daß man nicht gern umsonst die Hand ausstreckt. Aber dann siegte die Gewohnheit seines Berufes, und er faßte den Mann beim Arm, um ihn sicher zurückzugleiten. Teufel, was hatte der Señor für feste Arme! Macejo griff unwillkürlich fester zu. Die Muskeln unter dem Rockärmel waren nicht wie Fleisch, son dern fest und starr wie Eisen. Plötzlich stand ein anderer Mann neben Macejo, löste bestimmt und entschieden die Hand des Polizi sten und drückte zugleich zwanzig Milreis hinein. »Der Señor ist mein Freund«, sagte er dabei, und es klang so geschmeidig und so warnend wie das 8
sanfte Fauchen eines Jaguars. »Kehren Sie auf Ihren Posten zurück.« Macejo sah einen eisgrauen Spitzbart und ein gelbliches Gesicht, das sich nach oben zu immer mehr verbreiterte, er fühlte in seiner rechten Hand den Schein und klappte bereitwillig die Hacken zu sammen. »Si, si, Señor.« Damit eilte er an seinen Posten zurück. Während er die Fahrt frei gab, beobachtete er, wie die beiden Herren in einen Wagen stiegen, der kurz vor der Kreuzung gehalten hatte. * Ein paar Tage später. Der Polizist Aracaty ging seine Runde. Gedankenversunken schlenderte Aracaty durch die nächtlichen Villenstraßen. Es war dunkel in diesem Viertel von Botafogo, alles schlief, auch die Vorge setzten. Eine ruhige Gegend, hier hatte sich seit Jah ren nichts ereignet. Die wenigen Leute, die nach Mit ternacht noch unterwegs waren, hörte man von wei tem kommen. Jetzt nahte die Kreuzung mit der durchgehenden breiteren Straße. Fast geräuschlos rollte eine elegante Limousine über das freie Stück zwischen den Häusern hinweg. 9
Als sie bis auf zwanzig Meter an die Kreuzung he rangekommen war, wurde sie von einem nächtlichen Wanderer überschritten. Merkwürdig steifbeinig lief der Kerl. Er war sicher betrunken und hielt sich nur mit Mühe aufrecht. Plob. Wie angewurzelt stand Aracaty auf einmal. Was war das für ein Geräusch gewesen? So ähn lich, als ob der Pfropfen aus einer Champagnerfla sche herausspringt, hatte es in der Instruktionsstunde geheißen, als die Schalldämpfer vorgeführt wurden. Patsch. Das klang, als ob man einen Sack Mehl zur Erde staucht. Aracaty rannte plötzlich. O nein, er war kein Feig ling und wußte, was seine Pflicht war. Er rannte auf die Kreuzung los, bog scharf herum. Da lag ein Mann am Boden, und ein anderer stand über ihn gebückt und leerte ihm die Taschen aus. Auf ihn! Aracaty dachte in diesem Augenblick nicht an sei ne Pistole, sondern stürzte sich auf den Mörder. Natürlich war das Torheit. Der Mann bemerkte ihn im letzten Augenblick, ruckte auf und warf ihm seine Faust entgegen. Schmetternd krachte sie in das Ge sicht des Polizisten. Caramba, das war ein Schlag. Aus den Augen spritzten Funken, und der Kopf dröhnte auf einmal 10
wie ein leeres Faß. Aracaty taumelte nach vorn und stürzte über den Mann, der am Boden lag. Im Fallen nahm er wie durch einen Schleier hindurch das Gesicht des Man nes wahr, der ihn niedergeschlagen hatte. Die Augen glänzten starr, unter ihnen wölbten sich glatte Backen. Das ganze Gesicht war bewegungslos. Eine Maske, dachte Aracaty flüchtig, dann schlug er auf. Der harte Schmerz in seinem linken Handgelenk, das sich später als gebrochen erwies, riß ihn aus der nahenden Ohnmacht. Während er am Boden lag, zog er seine Pistole heraus. Der Mann rannte. Heilige Jungfrau! Konnte man das noch rennen nennen? Die Beine wirbelten mit rasender Geschwindigkeit, so daß man sie nicht mehr unterscheiden konnte. Der Mann flog förmlich die Straße hinunter. Das war die mittlere Geschwindigkeit eines Autos. Aracaty schoß, so sinnlos es ihm auch vorkam. Dann stützte er sich mit der Hand auf, ließ seine Waffe liegen und bekreuzigte sich. Der Fremde war schon längst dort unten um die Ecke herum verschwunden. Bis dahin waren es aber fast hundert Meter, und der Mann hatte höchstens fünf Sekunden gebraucht. Während Aracaty sich langsam hochrappelte, 11
wurde es allmählich ringsum lebendig. Menschen, die der Schuß alarmiert hatte, eilten herbei, Polizi sten kamen im Laufschritt. Nunmehr war es für Ara caty an der Zeit, eine Besinnungslosigkeit nachzuho len. Als er wieder aufwachte, war die Untersuchung bereits in vollem Gange. Auf der Straße standen die Wagen der Mordkommission, das Publikum war weit zurückgedrängt, der Fotograf stellte seinen Apparat zurecht, der Scheinwerfer lag blendend auf der Sze ne. Eben richtete sich der Arzt auf. »Der Mann ist tot«, erklärte er laut. »Es handelt sich um einen Brustschuß mit schräger Einschußöff nung. Der Verlauf läßt sich noch nicht feststellen, aber es sieht nicht ganz hoffnungslos aus. Er muß sofort ins Krankenhaus.« Der Krankenwagen war schon zur Stelle. Aracaty durfte nach einer kurzen Untersuchung gleich mit fahren. Der Arzt stellte fest, daß das Nasenbein ge brochen war, was Aracaty keinen schlechten Schreck einjagte. Eine krumme Nase und noch nicht einmal eine an ständige Belohnung. Der Mörder war ja über alle Berge. *
12
Pahyda hieß der dritte Polizist, der in diesen Tagen ein seltsames Erlebnis hatte. Er machte am späten Vormittag seine Runde durch den Zentralpark, wie er es seit einiger Zeit gewöhnt war. Als er in die lange Querallee einbog, die sich schnurgerade bis zum Ausgang hinzog, fiel ihm ein Pärchen auf. Die beiden kamen ihm entgegen, so daß er sie genau sehen konnte. Der Mann war groß und kräftig, dabei elegant ge kleidet. Seltsam schien sein steifer, stechender Schritt. Er hob den Fuß immer ungewöhnlich hoch, und man hatte das Gefühl, daß seine Kniegelenke nicht so beweglich seien wie bei anderen Menschen. Ungleich merkwürdiger aber wirkte sein Gesicht. Eigentlich entsprach es völlig dem Durchschnitt, war glatt rasiert, gut genährt und wies weder Narben noch sonstige Eigentümlichkeiten auf. Man konnte es ausgesprochen harmlos nennen. Aber war es nicht zu harmlos, zu ausdruckslos – ja, es fehlte ihm etwas, was sonst auf den Gesichtern lag? Pahyda kam erst dahinter, als er schon dicht heran war. Die Bewegung fehlte, das fortwährende feine Spielen von Muskeln, ohne das kein menschli ches Gesicht zu denken ist, solange es lebt. Das Ge sicht dieses Mannes war völlig starr. Pahyda beo bachtete während der halben Minute auch nicht die leiseste Regung. 13
Er empfand das noch stärker bei den Augen des Mannes. Sie blieben gleichmäßig weit geöffnet, ob wohl die Sonne gelegentlich auf ihnen lag. Nicht ein einziges Mal zuckten die Wimpern, um die glänzen den und leeren Augäpfel zu verdecken. Eigenartig. Und dazu die Señorita? Sie war jung, hübsch und gut gekleidet. Pahyda er innerte sich dunkel, sie schon einmal mit einem älte ren Herrn irgendwo gesehen und ihren Namen gehört zu haben. Wenn er sich nicht irrte, war sie die Toch ter eines angesehenen Bürgers der Stadt. Sie hatte sich bei dem Mann eingehängt, aber es sah fast so aus, als hielte der ihren Arm gewaltsam fest. Sie ging neben ihm, doch Pahyda hatte den Ein druck, als würde sie gegen ihren Willen vorwärts ge zogen. Vielleicht war das Gesicht an diesem Eindruck schuld? Pahyda sah noch nie soviel grauenvolle Angst und panische Furcht wie in der verstörten und verzerrten Miene der Frau. Wurde sie verschleppt? Warum schrie sie nicht, obgleich sie ihn doch sah? Und würde ein Mensch, der ein schlechtes Gewissen hatte, es wagen, eine Señorita so an einem Polizisten vorbeizuziehen? Als Pahyda sich auf einer Höhe mit den Entgegen kommenden befand, grüßte er flüchtig und erkundig 14
te sich höflich: »Fühlt sich die Señorita etwa nicht wohl?« Der Mann blieb nicht stehen, sondern knurrte: »Meine Schwester ist krank.« Gleichzeitig blickte ihn aber die junge Frau mit ei nem unbeschreiblichen Blick an und flüsterte kaum vernehmbar: »Retten Sie mich.« Es war selbstverständlich, daß Pahyda ohne Zö gern den Arm des Mannes packte und entschieden sagte: »Warten Sie, Señor, ich …« Weiter kam er nicht. Es zuckte gerade erstaunt in ihm auf, wie merkwürdig hart sich doch der Arm des Mannes anfühlte, als dieser sich auch schon losriß und ihm die Brust zukehrte. Stechender Schmerz schoß wie ein glühender Pfeil zwischen Brust und Arm. In Bruchteilen von Sekunden rasten Gedankenket ten durch Pahydas Gehirn. Er handelte instinktiv, nebenher kamen ihm überraschende Dinge zu Be wußtsein. Das war ein Schuß gewesen, der ihm unter der Achselhöhle durchgefahren war. Der Mann hatte aber keine Pistole in der Hand. Doch dort, wo der oberste Jackenknopf saß, puffte ein kleines Wölkchen nach. Schoß der Mann aus der Brust heraus? Seltsam, daß seine Augen und seine Miene immer noch keine Spur von Bewegung zeigten. 15
Während Pahyda sich das überlegte, warf er sich über die zusammensinkende Frau hinweg gegen die Schulter des Mannes. Er hatte das Gefühl, gegen Stein zu stoßen, aber der Stein gab wenigstens nach. Der andere taumelte schwerfällig zurück. Pahyda stürzte von der Gewalt seines Ansturms zu Boden. Komisch, der andere fiel nicht. Seine Füße standen fest auf dem Boden, seine Knie waren durchge drückt, und der ganze Körper lag schräg nach hinten. Und trotzdem fiel er nicht? Eine unsichtbare Kraft riß den schrägliegenden Körper wieder hoch und stellte ihn senkrecht auf die Füße. Rätselhaft. Pahyda stammte aus der jungen Generation, die lieber einmal die Muskeln bewegt als zweimal denkt oder dreimal die Heiligen anruft. Er schnellte sich sofort wieder hoch und sprang auf den Rücken des Mannes. Maria Purissima – ebensogut hätte er das steinerne Standbild hinten im Rondell anspringen können. Der Mann wandte nicht einmal den Kopf. Er holte in aller Ruhe aus und schlug mit seiner Faust über den Nacken hinweg gegen Pahydas Hals. Wie von einem Hammer kam der Schlag, so hart, so erbarmungslos, daß Pahyda glaubte, die Nacken wirbel brächen ihm weg. Instinktiv löste er seinen 16
klammernden Griff und warf sich zur Seite. Dadurch entging er der vollen Wucht, flog aber wie ein abge schnipptes Insekt auf den Weg. Wütend riß er die Pistole heraus, aber schon be gann der Mann davonzulaufen. Er behielt dabei seine gerade Haltung, nur die Beine bewegten sich in im mer schnellerem Stechschritt unter ihm und trugen ihn mit einer Geschwindigkeit fort, die Pahyda nach träglich in Staunen versetzte. Nachträglich, denn einstweilen schoß er drauflos, was die Kammer hergab. Pahyda war als guter Schütze bekannt, und er wußte auch ganz genau, ob er traf oder vorbeischoß. Der Mann war noch nicht weit, als ihn die erste Ku gel traf. Mitten im Rücken saß sie, und Pahyda glaubte, sie einschlagen zu sehen. Aber der Mann lief weiter, als sei nichts gesche hen. Es war unheimlich. Acht Schüsse knallte Pahyda hinaus, und alle acht trafen diesen seltsamen Menschen, aber trotzdem lief er mit seinem geisterhaften, unwirklichen Stech schritt in rasendem Tempo weiter, bis er zwischen den Torpfeilern des Zentralparks verschwand. Seufzend steckte Pahyda seine Waffe weg und be kreuzigte sich. Die Menschen kamen auf die Allee gerannt, doch Pahyda kümmerte sich nun um die junge Frau. 17
Sie lag oder besser kniete auf der Erde, so wie sie zusammengerutscht war. Ihre Augen standen weit offen. Sie würde ihm die Vorgänge bezeugen können. Er faßte sie behutsam bei den Schultern und zog sie hoch, wobei er höflich sagte: »Verzeihen Sie, Se ñorita, daß ich Sie durch die Schüsse erschreckt ha be, aber ich hoffe, Ihnen einen Dienst erwiesen zu haben.« Sie stand auf, begann dann aber so haltlos zu wei nen, daß er sie schleunigst zur nächsten Bank führte. Die Besucher des Parkes drängten sich neugierig heran, doch glücklicherweise erschien auch ein Kol lege von Pahyda von der Straße her, der die Aufre gung beschwichtigte und mit wortreicher Höflichkeit Platz schaffte. Nach einer Weile hatte sich die Frau gefaßt. Sie reichte ihm die Hand und sagte: »Ich danke Ihnen. Er wollte mich entführen. Oh – wie schrecklich!« »Darf ich fragen, ob der Señor ein Bekannter von Ihnen ist?« »Nein, nein, ich kenne ihn nicht. Er überholte mich, faßte meinen Arm und befahl, ich solle unauf fällig mitkommen, sonst werde er mich erschießen. Was konnte ich tun? Sein Arm war wie der Kno chenarm des Todes, so hart und so kalt. Ich glaubte, vergehen zu müssen.« Pahyda stellte noch verschiedene Fragen und er 18
fuhr unter anderem, daß er es mit der Tochter des Bankiers Mattina zu tun habe. Nachdem sie sich ei nigermaßen erholt hatte, brachte er sie in einem Taxi nach Hause und meldete sich dann bei seinem Vor gesetzten, um Bericht zu erstatten, der allgemeines Kopfschütteln erregte. * In der Nähe von Villa Nueva-Argentinien hatte Don Felipe Quiero seine Besitzungen. Man kannte ihn im weitesten Umkreis, war er doch einer der wenigen Männer, die sich mit einem gewissen Recht als »Kö nige der Pampas« bezeichnen durften. Das Gebiet, das ihm gehörte, war größer als manches europäische Land, und wenn es auch vorzugsweise aus Weiden bestand, so bot es doch Raum für die Hunderttausen de von Rindern, die von den Gauchos Don Felipes betreut wurden. Felipe Quiero war über seine Berühmtheit hinaus auch beliebt, was bei Leuten dieses Schlages eine ganze Menge besagen wollte. Seitdem die geizige Donna gestorben war, machte er es sich und anderen gemütlich und versuchte, nach besten Kräften einen Teil seines Einkommens in edlen Rotwein, guten Zi garren, auserlesenen Leckerbissen und ähnlichen Dingen anzulegen. Das verschaffte ihm den Ruf ei nes Mannes, bei dem man gern zu Gast war. 19
Don Felipe war ungern allein. Er liebte es, seinen Wein in Gesellschaft zu trinken. Gestern hatte er sich einen Gast aus der Pampas geholt. Verrückt und doch ganz einfach. Der Hausverwalter hatte ihm gemeldet, daß drau ßen am Vorwerk Santa Maria ein Flugzeug nieder gegangen sei und daß sich die Insassen anschickten, dort die Nacht zu verbringen. Don Felipe war aufge fahren: Wer wagte ihn so zu beleidigen, daß er weni ge Kilometer von der Hazienda entfernt auf freiem Feld übernachten wollte? Höchstpersönlich war Don Felipe hinausgefahren, um für diese Schmach Sühne zu fordern. Es war ihm vollkommen gelungen. Der Fremde setzte sich lä chelnd mit seinen beiden Begleitern in seine Maschi ne und landete mitten auf dem Hof der Hazienda. Was für ein Gesellschafter! Sun Koh hieß er, sah aus, als ob königliches Blut in ihm flösse und kam direkt aus den Eisfeldern Südpatagoniens, die er sich so im Vorübergehen einmal angesehen hatte. Was für ein Mensch und welch ein Abend. Noch nie war der Wein so köstlich und die Zigarre so edel gewesen. Heute wollte er schon weiter. Unmöglich. Felipe Quiero wurde zum Beschwörer und erreichte es auch endlich, daß sein Gast einen Tag zulegte. Man mußte die Gelegenheit ausnützen. Nie wieder würde die Hazienda solchen Gast beherbergen. Trotzdem wollte Don Felipe an diesem Abend 20
nicht recht froh werden. Er blieb geistig etwas abwe send, so daß Sun Koh sehr bald den Versuch machte, sich zurückzuziehen. Damit war Quiero aber nicht einverstanden. »Bleiben Sie bitte«, beschwor er nachdrücklich. »Es ist unverzeihlich von mir, mich meinen Gedan ken zu überlassen, aber dieser Brief …« »Sie haben schlechte Nachrichten erhalten?« er kundigte sich Sun Koh höflich. Don Felipe wiegte bekümmert den Kopf hin und her. »Eigentlich nicht. Juan Belmonte schreibt, daß es ihm gut geht, aber es ist alles so merkwürdig. Er ist mein einziger Freund, und ich habe plötzlich das Ge fühl, daß ich mich nach ihm umsehen müßte. Wenn ich nicht fürchten würde, Sie mit meinen Sorgen zu belästigen, dann…« »Erzählen Sie ruhig«, sagte Sun Koh. Quiero zog mit erleichtertem Aufatmen einen Brief aus der Tasche. »Juan war immer sehr eigensinnig«, sagte er. »Wenn etwas seinen Trotz reizte, dann gab er nicht eher Ruhe, bis er seine Anschauung durchgesetzt hat te. Wir sind vielleicht deshalb so gute Freunde ge blieben, weil es nicht meine Art war, ihm groß zu widersprechen. Er hat in seiner Jugend ziemlich wild gelebt. Später ist er im Diamantenhandel reich ge worden. Jetzt lebt er als Privatmann in Rio de Janei 21
ro. Dort vertreibt er sich die Zeit mit allerlei Spiele reien. Ich halte ihn für einen klugen Kopf, aber es gibt sicher eine ganze Masse Leute, die einen Son derling in ihm sehen. Er besitzt jedenfalls genügend Geld, um sich nicht darum zu kümmern.« »Sie sehen ihn nicht oft?« Don Felipe seufzte. »Ich sah ihn vor zwei Jahren zum letztenmal. Der Weg bis Rio ist weit. Ich hätte ihn vielleicht trotzdem wieder einmal aufgesucht, wenn er es mir nicht fast verboten hätte. Als wir damals auseinandergingen, schwor er mir, daß er mich nicht eher wiedersehen wolle, als bis er mir bewiesen habe, daß sein Stand punkt richtig sei.« »Sie hatten einen Streit mit ihm?« »Leider. Ich war unklug genug, ihn nicht zu ver meiden. Aber es kam ganz plötzlich, und ich reizte ihn, ohne es recht zu wollen. Was halten Sie eigent lich von künstlichen Menschen?« Sun Koh sah ihn überrascht an. »Sie sprechen von Robotern?« Don Felipe nickte. »Ja. Was halten Sie von der Sache?« Sun Koh lächelte. »Der Roboter ist noch ein Sensationsprodukt, eine gewaltige Überspitzung.« »Ganz meine Meinung«, pflichtete Quiero lebhaft bei. »Ich sprach damals von Hirngespinsten, aber 22
gerade das hätte ich nicht sagen sollen. Juan Belmon te versteifte sich darauf, daß die Idee ausführbar sei.« »Vielleicht hat er nicht so unrecht.« »Aber…« »Man müßte den Wortlaut Ihrer Unterhaltung ken nen«, erwiderte Sun Koh. »Das ist eine Angelegen heit, bei der man aneinander vorbeireden kann. Der eine stellt sich nämlich unter dem Roboter eine ver vollkommnete Maschine vor, deren Konstruktion in groben Zügen den Bau eines Menschen nachahmt. Der andere denkt jedoch an einen künstlichen Men schen, dem zum Menschen gewissermaßen nur die Seele fehlt.« »Juan Belmonte sprach nicht von solchen Robo tern, die nur eine Maschine in besonderer Form dar stellen, sondern er sprach von der anderen Sorte. Er hielt es für möglich, einen künstlichen Menschen zu schaffen.« Sun Koh schüttelte den Kopf. »Ich hätte das nicht ernst genommen. Man kann einem Automaten keine Seele einhauchen.« »Das nicht, aber – gut, ich will Ihnen erzählen, wie wir darauf kamen. Wir sprachen vom Roboter. Ich tat die Sache ziemlich kurz ab und sagte vor allem, daß man willenlose und besser funktionierende Arbeits kräfte haben könnte, ohne sie erst künstlich zu schaf fen und viel Geld dafür auszugeben. Sie müssen wis sen, daß ich früher einmal einige Zeit am Amazonas 23
lebte. Dort habe ich noch eingeborene Sklaven ken nengelernt, Burschen, die den Strick um den Hals tragen und stumpfsinnig alles tun, was ihnen die Peitsche ihres Aufsehers befiehlt. Das sind gedan kenlose Maschinen ohne Seelen und ohne Leben, aber ihre Körper sind bessere Werkzeuge, als es die Roboter jemals sein können. Diese Unglücklichen erwähnte ich, und sie hatte Belmonte im Kopf, als er sich schwor, künstliche Menschen zu schaffen. Sie sollten aussehen und handeln wie Menschen, herum gehen, sprechen und alles Mögliche, aber doch nur Puppen sein, Puppen, die über eine verwickelte Ap paratur hinweg ihrem Herrn gehorchten.« »Schreibt Ihr Freund denn, daß er sein Ziel er reicht hat?« »Ja«, sagte Don Felipe und blickte in seinen Brief. »Er schreibt, daß ich mich sicherlich unseres letzten Gespräches entsinnen würde und daß es Zeit wäre, ihn wieder einmal zu besuchen, damit er mir ein überraschendes Erzeugnis zweijähriger Arbeit vor führen könne.« »Darin sehe ich aber keinen Grund zur Beunruhi gung«, meinte Sun Koh etwas verwundert. »Selbst wenn Ihr Freund einen solchen automatischen Men schen geschaffen hat, liegt doch darin nichts Tragi sches.« Quiero seufzte. »Schon, schon, aber hören Sie weiter. Er fährt 24
nämlich fort: ,Es wäre nicht schlecht, wenn du bald kämest. Ich werde von unglücklichen Ahnungen ge plagt. Man soll der Schöpfung lieber nicht ins Handwerk pfuschen, selbst das künstliche Gebilde raubt ein gutes Stück der Seele. Auf alle Fälle ist mein jetziger Assistent ein ausgezeichneter Techni ker, aber auch ein ausgezeichneter Schuft, der ganz so aussieht, als warte er nur darauf, mir altem Narren einen Streich zu spielen. Dies als Wink, falls die Geister, die ich entfesselte, mir einen Fußtritt geben sollten. Komm jedenfalls sobald wie möglich. Sagen Sie selbst, klingt das nicht wie düstere Ahnungen? So schreibt doch nur ein Mensch, der mit seinem Tod rechnet!« »Nicht unbedingt«, beruhigte Sun Koh. »Ihr Freund wird überarbeitet und infolgedessen gelegent lich gedrückter Stimmung sein.« »Hoffentlich. Aber für alle Fälle werde ich morgen schon die Reise nach Rio de Janeiro antreten. Sie dauert ohnehin lange genug.« »Einen halben Tag«, sagte Sun Koh. »Wenn Sie ohne weitere Begleitung reisen wollen, würde ich Sie in meinem Flugzeug mitnehmen. Ich fliege ohnehin nach Rio de Janeiro.« Don Felipe sprang erregt auf. »Das wäre … Aber nein – es geht nicht. Ich bin noch nie geflogen und würde unterwegs vor Angst sterben.« 25
Sun Koh redete ihm diese Bedenken erfolgreich aus. So kam es, daß Don Felipe Quiero bereits am nächsten Tag in der Hauptstadt Brasiliens landete und schneller Gelegenheit bekam, nach seinem Freund zu sehen, als er sich hatte träumen lassen. 2. Don Felipe Quiero wurde blaß, als er nach seiner Ankunft in Rio de Janeiro die Zeitungen und ihre Schlagzeilen zu Gesicht bekam. Schwer atmend gab er sie nach kurzem Überfliegen an Sun Koh weiter. »Was sagen Sie dazu?« Sun Koh überflog die Artikel ebenfalls und erwi derte nachdenklich: »Das ist ein tragischer Kommen tar zu unserer gestrigen Unterhaltung. Die Andeu tungen weisen auf einen vollkommenen und äußerst menschenähnlichen Apparat hin, der im Auftrag ei nes andern die verbrecherischen Handlungen aus übt.« Quiero nickte zerschmettert. »Mein Gedanke. Dieser verrückte Juan Belmonte hat sein Wort wahr gemacht. Aber er ist kein Verbre cher und würde auch nicht Verbrechen ausführen lassen. Es ist unmöglich.« »Vorläufig wissen Sie ja nicht, ob das ein Werk Ihres Freundes ist«, beruhigte Sun Koh. Don Felipe erhielt recht bald Gewißheit. Er ließ 26
sich ältere Zeitungen geben. In einer davon fand er den Bericht des Polizisten Macejo, der nachträglich den Zwischenfall an der Kreuzung gemeldet hatte. »Das ist er«, stellte Quiero erschüttert fest. »Die ser Mann, der dem Polizisten das Geld in die Hand drückte, ist Juan Belmonte. Die Beschreibung ist un verkennbar. Ich werde ihn sofort aufsuchen.« »Seien Sie vorsichtig«, warnte Sun Koh. »Wenn Ihr Freund Verbrechen begeht oder duldet, dann ist Ihre persönliche Sicherheit stark gefährdet. Sie sind der vielleicht einzige Mensch, der der Polizei den entscheidenden Fingerzeig geben könnte.« »Ich will nichts mit der Polizei zu tun haben und werde Juan auch nie anzeigen. Das weiß er so gut wie ich. Aber ich muß ihn sprechen und ihm den Kopf zurechtsetzen.« Sun Koh konnte seinen Entschluß nicht ändern. Quiero nannte zwar die Adresse seines Freundes, lehnte aber entschieden jede Begleitung ab. Juan Belmonte bewohnte draußen in Botafogo, wo sich die Ausläufer der Stadt den Berg hinaufschie ben, ein zweistöckiges, villenartiges Gebäude, das Reichtum und Geschmack verriet. Don Felipe mußte eine ganze Weile am Tor war ten, bevor sich jemand zeigte. Das setzte ihn nicht weiter in Erstaunen. Belmonte hatte viel Personal, und das pflegte meist etwas anderes zu tun, als an der Tür auf Gäste zu warten. 27
Nach geraumer Zeit erschien ein jüngerer Mann, dessen gelbliches Gesicht mit den tiefliegenden Au gen auf gelegentliche Malariaanfälle schließen ließ. Besonders sympathisch fand Quiero dieses Gesicht nicht, aber das konnte eine persönliche Angelegen heit sein. »Was wünschen Sie?« erkundigte sich der Mann leise und höflich, nachdem er an das Tor herange kommen war. »Ich möchte Señor Belmonte sprechen.« »Das tut mir unendlich leid, er ist nicht anwe send.« Quiero zog mißtrauisch die Brauen zusammen. »Nicht anwesend? Wer sind Sie?« »Pedro Macalla, Sekretär Señor Belmontes.« Don Felipe betrachtete den Mann mit neuer Auf merksamkeit. Das also war der Kerl, dem Juan alle Schurkereien zutraute. »So?« brummte er. »Darf man erfahren, wo er sich jetzt aufhält?« »Gewiß«, sagte Macalla höflich. »Er ist nach Ar gentinien gefahren, um seinen einzigen Freund Feli pe Quiero zu besuchen.« »Was?« Quiero riß Mund und Augen auf. »Mich will er besuchen? Ich bin nämlich Felipe Quiero.« Der Sekretär konnte seine Überraschung nicht ganz verbergen. »Ah«, sagte er langsam, »welch unglückliches Zu 28
sammentreffen. Señor Belmonte wird untröstlich sein, Sie verfehlt zu haben. Er wird sich gerade jetzt in Villa Nueva aufhalten.« Wenn Quiero nicht schon mißtrauisch gewesen wäre, hätte er noch einige höfliche Redensarten ge wechselt und wäre dann gegangen. So aber fielen ihm jetzt der Brief und die Zeitungsberichte ein. »Wann ist er abgereist?« fragte er kurz. »Vor nahezu zwei Wochen.« »Dann müßte er bereits seit einigen Tagen in Villa Nueva sein.« »Gewiß, aber leider waren Sie wohl schon unter wegs, denn man braucht ja fast eine Woche, um Ihre Hazienda zu erreichen, wie mir gesagt wurde.« »Stimmt auffallend, aber ich habe mich gestern noch dort befunden. Ich bin mit dem Flugzeug ge kommen.« Macalla zuckte merklich zusammen. »Das ist allerdings – vielleicht hat sich Señor Bel monte verzögert.« »Meinen Sie?« erwiderte Quiero spöttisch. »Wie kommt es dann, daß mein Freund mit keiner Silbe von seiner Reiseabsicht sprach, als er mir den Brief schrieb? Diesen Brief erhielt ich gestern, und er wur de erst vor einer Woche geschrieben, ist aber von hier aus datiert. Wie erklären Sie sich das?« Das Gesicht des anderen wurde scharf und hart. »Er hat Ihnen einen Brief geschrieben? Nun, das 29
ändert natürlich die Sache. Señor Belmonte ist anwe send, er wünschte aber, daß das verheimlicht würde.« Quiero besaß ein argloses Gemüt und wurde sofort freundlicher. »Dabei hat er sicher nicht an mich gedacht«, mein te er, während er durch die Pforte schritt. »Er wird doch seinen alten Freund nicht aussperren. Er wird sich zwar denken können, daß ich wegen dieser ver brecherischen Puppe von ihm Erklärungen …« »Verbrecherische Puppe?« zischte es hinter ihm. Don Felipe wandte sich schnell um, aber die Ge sichtszüge des Sekretärs hatten sich noch schneller ge glättet. Trotzdem war seine Erregung unverkennbar. »Sie wissen wohl, was ich meine«, knurrte Quiero teils drohend, teils voller Genugtuung. »Ich möchte stark hoffen, daß Sie mir helfen, meinen Freund zur Vernunft zu bringen.« »Gewiß, gewiß«, entgegnete der andere farblos. »Bitte, folgen Sie mir.« Don Felipe folgte durch die ihm vertrauten Räu me. Im Vorzimmer zum Arbeitsraum wurde er gebe ten, einen Augenblick zu warten. Es dauerte kaum eine Minute, als sich die Tür öff nete. Juan Belmonte erschien jedoch nicht, sondern ein hochgewachsener Mensch mit ausdruckslosem Gesicht, starrenden Augen und steifem Schritt. Don Felipe sprang entsetzt auf. Das war der künst liche Mensch. 30
»Herzlich willkommen, Don Felipe Quiero«, sagte das unheimliche Wesen hart und leicht kratzend, wo bei es mit ausgestreckter Hand auf Quiero zuschritt. Dieser wehrte mit beiden Händen ab. »Teufel«, knurrte er wild, »fort mit diesem Spuk. Laß den Unfug, Juan, sonst sind wir geschiedene Leute. Stell den schrecklichen Apparat weg.« Der künstliche Mensch, der nur allzusehr einem natürlichen glich, lachte spöttisch auf, bewegte blitz schnell den Arm und versetzte Quiero einen Schlag gegen die Schläfe, der ihm sofort das Bewußtsein nahm. Es beruhigte Don Felipe außerordentlich, als er beim Erwachen seinen Freund Juan Belmonte neben sich sitzen sah. Dieser bemühte sich, den Angeschlagenen wieder auf die Beine zu bringen. »Streng dich nicht an, Felipe«, sagte er, »es eilt nicht. Und es ist besser, wenn du ruhig liegen bleibst, da du möglicherweise eine kleine Gehirnerschütte rung haben kannst. Aber das ist ja nicht das Schlimmste, und ich bin froh, daß du so weggekom men bist. Halt den Mund, du brauchst gar nichts zu sagen. Ich kann mir denken, was geschehen ist. Ma calla hat dich hereingelockt und dich dann durch den Automaten niederschlagen lassen. Nicht wahr, das stimmt? Na, also. Und jetzt steckst du wie ich im Kellergewölbe meines Hauses, in dem wir uns die 31
Lunge aus dem Hals schreien können, ohne daß uns jemand hört. Willst du …« »Quatsch«, brummte Quiero energisch und richte te sich auf. »Mir fehlt nichts. Pfui Teufel, hättest du deinen Keller nicht ein bißchen gemütlicher einrich ten können?« Belmonte hob ihn hoch. »Ich sehe, dein Humor kehrt zurück. Die man gelnde Einrichtung ist sicher ein unverzeihlicher Fehler, aber ich konnte ja nicht wissen, daß ich mich längere Zeit hier unten aufhalten würde.« Jetzt fiel Quiero alles wieder ein. Bekümmert mu sterte er das hagere, verwahrloste Gesicht seines Freundes. »Juan, Juan«, seufzte er, »wie hast du dich verän dert. Ich glaube, ich hätte eher kommen müssen, um dich vor alldem zu bewahren. In welche Lage bist du geraten!« Belmonte lächelte. »In die Lage eines Kindes, dem man die Puppe weggenommen hat, auf die es sich gefreut hat. Ich habe mir immer vorgestellt, wie ich dich bei deinem nächsten Besuch mit meinem Wunderautomaten in Erstaunen setzen könnte, und nun, wo es soweit ist, hat mir der Halunke das Spielzeug weggenommen. Du hast wohl schon inzwischen gemerkt, daß ich mich an unser Gespräch von damals gehalten habe. Ist es so, daß Macalla den Automaten, den Roboter, 32
auf dich losgelassen hat?« »Ja, aber wieso kann er das eigentlich?« Juan Belmonte hatte nicht viel Lust. »Es ist kein Geheimnis dabei, alles nur bekannte technische Einrichtungen, die hier eine etwas unge wohnte Anwendung gefunden haben. Aber ich finde, daß es jetzt besser wäre, wenn wir uns mit unserer Zukunft beschäftigen.« »Beschäftige dich. Von mir kann der Kerl eine Million bekommen, das fällt mir noch leichter, als meinen guten Rotwein für immer ungetrunken zu lassen.« »Eine Million!« knurrte Belmonte bissig. »Das ist genau das, was er will.« * Um diese Zeit stand Sun Koh schon vor Pedro Ma calla und fragte nach Quiero. »Bedaure sehr«, gab Macalla höflich Auskunft. »Ein Herr war allerdings hier und fragte nach Señor Belmonte, der verreist ist.« »Interessant!« sagte Sun Koh kühl, während er den Sekretär fixierte. »Ich habe das Haus und Señor Quiero beobachten lassen. Señor Quiero wurde von Ihnen eingelassen und befindet sich seitdem im Haus. Genügt Ihnen das?« Macallas Augen verengten sich. 33
»Polizei?« fragte er leise. »Nehmen Sie es an.« »Dann – nun gut, ich werde die Herren verständi gen. Bitte, gedulden Sie sich einige Minuten.« Er ging. Sun Koh wartete. Wenn der Sekretär ver suchen würde, zu verschwinden, würden sich Nimba und Hal bemerkbar machen. Fast eine Viertelstunde verging, dann kam Pedro Macalla zurück. Mit ihm kamen Belmonte und Quie ro. Auch der Automat kam mit herein und hielt sich neben dem Sekretär. »Sie müssen mich für einen schrulligen Kauz hal ten«, sagte Belmonte aufgeräumt nach der Vorstel lung. »Ich mußte aber unbedingt einige Experimente durchführen, bei denen ich nicht gestört werden durf te. Inzwischen mußte mein Sekretär – übrigens kön nen Sie mir jetzt den Leitapparat für unseren Roboter wieder zurückgeben, Macalla.« Macalla zögerte. Er blickte auf Sun Koh und dann auf die beiden anderen Männer. Belmonte grinste ihn belustigt an. Endlich entschloß sich Macalla und zog einen flachen Apparat aus der Tasche. Belmonte nahm ihn und steckte ihn ein. Sun Koh beobachtete die Gruppe vor sich mit größter Aufmerksamkeit. Irgend etwas war an der Szene merkwürdig. Belmonte war aufgeräumt und sah zugleich zu vernachlässigt aus. Macalla war be stimmt ein Mann mit Hintergründen, fühlte sich nicht 34
wohl und verriet andererseits deutlich eine feindseli ge Verbissenheit. Immerhin kannte Sun Koh die bei den nicht. Dafür kannte er jedoch Quiero, und es gab nicht den geringsten Zweifel, daß Quiero reichlich ratlos war, unter einem starken Unbehagen stand und die Stimmung seines Freundes nicht teilte. »Nett von Ihnen, daß Sie sich nach mir umgesehen haben«, sagte er eben. »Manchmal kann man so et was brauchen. Wenn Sie mich mit ins Hotel zurück nehmen können …« »Selbstverständlich«, sagte Sun Koh. »Ich …« Ein Geräusch lenkte seine Aufmerksamkeit auf den Roboter. Er sprang im nächsten Augenblick zu und warf sich gegen den Automaten, aber er kam ei ne Kleinigkeit zu spät. Der Automat hatte plötzlich den Arm gehoben und dann seine Blechfaust blitz schnell auf den Kopf des Sekretärs krachen lassen. Während der Automat unter dem Anprall Sun Kohs gegen die Wand kippte, brach Macalla zusam men. »Oh!« sagte Belmonte erschreckt. »Er muß die Skala umgeschaltet haben.« Sun Koh warf ihm einen Blick zu, dann kniete er neben Macalla nieder. Der Sekretär sah übel aus. Die Schädeldecke schien geborsten zu sein. Sun Koh wagte nicht, ihn anzurühren. »Einen Arzt!« »Sofort«, murmelte Belmonte und hastete hinaus. 35
Sie hörten ihn nebenan telefonieren. Quiero trat zu Sun Koh und flüsterte hastig: »Wir stecken in einer Schweinerei. Das war absichtlich. Ich weiß nicht, was los ist, aber ich habe mich entweder in Belmonte getäuscht, oder er hat sich in Dinge eingelassen, mit denen ich nichts zu tun haben möchte. Tatsächlich hatte der Sekretär ihn und mich eingesperrt. Vorhin haben die beiden unter vier Augen verhandelt, und plötzlich spielten sie ein Herz und eine Seele. Hier stimmt etwas nicht.« »Scheint so«, sagte Sun Koh und beugte sich wie der über den Sekretär. Macalla schlug eben die Au gen auf. Er blickte klar und schien bei Verstand zu sein. Das war ein schlechtes Zeichen bei einer derar tigen Schädelverletzung. »Er hat mich erwischt«, flüsterte Macalla. »Das war Mord. Lassen Sie mich sprechen, ich weiß, daß es nicht mehr lange dauert. Verhaften Sie Belmonte. Er ist ein Verbrecher.« »Er könnte das gleiche von Ihnen sagen. Er be hauptet auch, Sie hätten die Apparatur umgestellt.« »Das ist nicht wahr. Er hat mich reingelegt. Er ist der Chef der Tibagy-Bande. Wo ist er?« »Er telefoniert nach einem Arzt.« »Sprechen Sie leise, damit er uns nicht hört. Sie kommen hier nicht lebend heraus, wenn er erfährt, daß ich noch gesprochen habe. In meiner Tasche ist eine Schußwaffe. Nehmen Sie die heraus und …« 36
»Danke, ich bin – aber gut.« Er zog vorsichtig die Pistole aus der Tasche des Schwerverletzten und reichte sie Quiero. Pedro Ma calla redete inzwischen hastig und mit flachem Atem weiter, als wollte er keine Zeit versäumen. »Er hat meinen Bruder auf dem Gewissen«, flü sterte er. »Er und seine Bande. Deshalb bin ich hinter ihm her, und es hat lange gedauert, bis ich ihn gefun den habe. Der ehrsame Diamantenhändler, der sich zur Ruhe gesetzt hat! Ich wollte mich rächen. Und er sollte das Vermögen wieder herausgeben, das er meinem Bruder abgenommen hatte. Deshalb wollte ich ihn mit dem Roboter in die Klemme bringen. Er konnte es nicht riskieren, vor der Polizei die Verant wortung für den Roboter zu übernehmen. Wissen Sie am Tibagy Bescheid?« »Nein.« »Dort sitzt seine Bande. Der Tibagy ist ein Dia mantenfluß, und immer, wenn ein Garimpeiro einen ordentlichen Fund gemacht hat, legt ihn die Bande um und beraubt ihn. Und die Steine kommen alle zu Belmonte. Er ist vom Fach und kann die Bande dek ken. Er hat Dutzende von Morden auf dem Gewis sen. Mein Bruder …« »Phantasiert er?« fragte Belmonte von der Tür her. Sun Koh blickte forschend auf. »Er spricht vom Tibagy.« »Ein verdammter Verleumder!« sagte Belmonte. 37
»Mörder!« keuchte Macalla. »Bitte, legen Sie den Schaltkasten für den Auto maten auf den Tisch«, bat Sun Koh ruhig. »Die Poli zei wird sich dafür interessieren, ob die Schaltungen verändert sind und der Roboter ohne Ihren Willen zuschlagen konnte.« »Die Polizei?« fragte Belmonte und grinste häß lich. »Die Polizei wird sich für überhaupt nichts in teressieren. Nehmen Sie die Hände hoch. Du auch, Felipe. Tut mir leid, aber …« Er brachte die Waffe, die er bisher hinter dem Rücken gehalten hatte, zum Vorschein, aber er fühlte sich wohl zu sicher und nahm sich Zeit. Quiero war schneller. »Lump!« sagte er und schoß. Belmonte blickte ihn überrascht an, faßte nach seiner rechten Schulter und brach zusammen. »Oh, ich wollte doch gar nicht…«, setzte Quiero bestürzt an. »Der Sekretär ist tot«, stellte Sun Koh nach einem Blick auf Macalla fest, erhob sich und ging zu Bel monte hinüber. Die Untersuchung war kurz. Nur ein Schulterschuß. Juan Belmonte kam nach dem ersten Schreck schon wieder zu sich. Draußen klingelte es Sturm. Quiero ließ den Arzt herein. Mit ihm kam Hal, und der war noch zehn Schritte vor ihm am Ziel. »Was ist, Sir?« fragte er aufgeregt. »Wenn Sie uns 38
brauchen – Nimba steht am Fenster.« »Die Polizei«, sagte Sun Koh knapp. »Nicht die Polizei!« keuchte Belmonte. »Wir müs sen uns erst in aller Ruhe …« »Das Telefon ist nebenan«, ergänzte Sun Koh, und Hal verschwand. »Er hat phantasiert«, drängte Belmonte. »Glauben Sie mir – alles nur Phantasie. Ich habe meine Auf käufer am Tibagy, aber das ist ein ganz legales Ge schäft. Sie kaufen die Diamanten auf, die aus dem Fluß geholt werden, und …« »Am Tibagy?« unterbrach Quiero schwerfällig. »Wir sprachen einmal vor einigen Jahren darüber, als diese großen Funde am Tibagy gemacht wurden und üble Geschäfte begannen. Damals hast du mir aus drücklich versichert, daß du mit dem Tibagy nichts zu tun hast.« »Jeder hat seine Geschäftsgeheimnisse«, erwiderte Belmonte schulterzuckend. »Du kannst nicht erwar ten …« »Was ist denn hier vorgefallen?« fragte der Arzt und beugte sich auf einen Wink von Sun Koh hin über den Toten. Juan Belmonte schwieg. Er machte keinen neuen Versuch, Sun Koh oder Quiero zu überreden. Minuten später kam die Polizei. Sun Koh und Quiero berichteten, was sie wußten. Juan Belmonte benahm sich wie ein mißverstandener Staatsbürger 39
und setzte eine Geschichte vor, die sich gut und glaubwürdig anhörte. Pedro Macalla zeichnete für die Untaten des Roboter verantwortlich und war ein Erpresser, der versucht hatte, in letzter Minute alle Schuld von sich abzuwälzen. Für die Polizei reichte die Geschichte offenbar aus, denn sie verzichtete vorläufig darauf, Juan Bel monte in Haft zu nehmen. Sun Koh las am nächsten Tag in der Zeitung, daß Belmonte verschwunden war und von der Polizei gesucht wurde. Es war das letzte, was er von ihm hörte. Selbst am Tibagy wurde nie sein Name erwähnt. Sun Koh un ternahm einen Abstecher in jene Gegend, um den Diamantenfluß kennenzulernen, von dem in Rio Ge rüchte umgingen, ohne daß jemand wirklich etwas zu wissen schien, aber er fand am Tibagy keine Spur von Belmonte. Dafür fand er Goya. 3. Die Landschaft zwischen der Sierra do Mar und dem Parana, zwischen Iguassu und Paranapanema ist so wild, daß nur verhältnismäßig wenige Menschen die sen Landstrich im südlichen Brasilien kennengelernt haben, obgleich er die paradiesischsten Flecken der Erde mit umschließt. 40
Man mag über die Jesuiten – je nach der Glau benseinstellung – sagen, was man will: An Mut und Unternehmungslust hat es ihnen nicht gefehlt. Sie waren es, die bereits im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert in dieses Gebiet am Knie des Parana vordrangen und es europäischer Kultur erschlossen. Sie schufen zahlreiche Missionen, bauten herrliche Kirchen und Klöster, errichteten Schulen und An siedlungen, bekehrten die Eingeborenen zum Chri stentum und gründeten nicht zuletzt einen eigenen Staat, eben Misiones. Im achtzehnten Jahrhundert zerstörten allerdings Portugiesen und Spanier das meiste wieder, Ansiedlungen, Kirchen und Klöster, Straßen und Wege verschwanden als Ruinen im Dschungel üppiger Tropenvegetation, und die India ner kehrten in den Urwald zurück und wurden wieder Indianer. Wenn dem Reisenden nach einer langen Fahrt die dünne Verbindung mit der Welt beim Verlassen des winzigen Dampfers bei Poujade abreißt, dann mag er am Iguassu aufwärts reiten, sofern ihm der kaum zu ahnende, durch den Urwald geschlagene Pfad nicht allzustarkes Mißbehagen bereitet, immer dem stärker werdenden Donner entgegen. Er wird zu den Wasser fällen gelangen, den gewaltigsten der Erde, was ihre Ausdehnung und Großartigkeit betrifft. Der Parana ist mit seinen dreieinhalbtausend Ki lometern einer der bedeutendsten Ströme der Erde. 41
Er entspringt in der Nähe von Rio de Janeiro und schlägt einen gewaltigen Bogen nach Westen über das Hochland hinweg. An der Grenze von Paraguay stürzt er über die Guaira, einen großartigen Wasser fall, hinweg in die tiefe Schlucht, die er sich unter halb gegraben hat. Diesen Sturz müssen alle seine zahlreichen Nebenflüsse früher oder später mitma chen, daher ist diese Gegend so zahlreich an Wasser fällen und Stromschnellen wie keine andere. Der Iguassu kommt aus der Nähe von Curityba, also auch vom Küstengebirge her. Er vollzieht seinen wichtigsten Absturz erst kurz vor der Einmündung in den Parana, nämlich durch die Viktoria-Fälle, die selbst die des Sambesi in Afrika noch übertreffen, obwohl sie fast unbekannt sind. Die Niagara-Fälle werden ihnen gegenüber win zig. Der Iguassu stürzt in der Regenzeit das Sieben fache des Niagara über einen Absturz von siebzig Meter Höhe, nämlich nicht weniger als hundertvier zig Millionen Tonnen Wasser in der Stunde. Hundertvierzig Millionen Tonnen pro Stunde. Wenn also der Reisende diesen König aller Was serfälle bewundernd erblickt, wenn seine Augen den Arbol misanthrope, den Menschenfeindbaum, auf der einsamen Höhe des Felsturmes sehen, wenn er end lich oberhalb oder unterhalb der Fälle über den rei ßenden Fluß hinwegsetzt, dann steht er an der Pforte jenes wilden, ursprünglichen Gebietes, wo zwischen 42
weiten sonnenlachenden Camps und düsteren Ur wäldern die Männer mit Pistole und Messer im Gür tel einhergehen und wie in Urzeiten die primitiven Gebote der Selbsterhaltung zu Gesetzen erheben. * Durch den Urwald rauschte und strudelte der Fluß, brach sich wütend an den zahlreichen Felsbrocken, die sich ihm spitz entgegenstemmten, spielte mit den Dorados, den riesigen Goldfischen, und hastete gur gelnd einem fernen Donner entgegen. Auf der linken Seite wich der Urwald plötzlich zu rück, bog zu einer grünen Lichtung zur Seite, um sich erst nach einigen hundert Metern wieder den Ufern des Flusses zu nähern. In der Nähe des Was sers stand eine halbverfallene Hütte, deren luftige Wände aus gerissenen Pinienbrettern und deren Dach aus Palmblättern bestand. Etwas seitlich von ihr la gen unvermittelt ein paar Kieshaufen, als sei ein ver rückter Eingeborener auf den Gedanken gekommen, das Bett des Flusses auszubaggern. Noch etwas wei ter seitlich stand ein Flugzeug, ein Modell modern ster Konstruktion mit Schraubflügeln an Stelle der Tragflächen. Neben dem Kieshaufen bereitete ein riesiger Ne ger eine Frühstückstafel. Mit fast zärtlich leichten Bewegungen stellte er alles zurecht, was für einen 43
leckeren Imbiß erforderlich war. Er deckte für drei Personen, die beiden anderen waren jedoch nicht zu sehen. Obgleich sich Nimba Zeit nahm, war er doch sehr schnell fertig. Da er nichts anderes mehr zu tun wuß te, strolchte er ein bißchen in der Gegend herum. Ein winziges Blitzen in dem Kieshaufen erregte seine Aufmerksamkeit. Er stocherte nach und griff den Stein heraus, von dessen abgesprungener Kante die Sonne so strahlend zurückgeworfen wurde. Er untersuchte flüchtig mit Fingernagel und Mes serspitze. Zweifellos war das, was er in der Hand hielt, ein Diamant. Ein Diamant von beträchtlichem Gewicht, wenn auch roh. Ausgerechnet in einem Kieshaufen? Er legte den Edelstein zur Seite und begann, den Kieshaufen auseinanderzuwühlen. Er hatte Glück. Nachdem er ein Loch von einem halben Meter Tiefe herausgegraben hatte, fand er einen zweiten Diamanten, der allerdings beträchtlich kleiner war als der erste. Kurz darauf entdeckte er einen dritten. Er stocherte weiter, aber bevor er weitere Funde machen konnte, riß ihn ein Ruf herum, der vom Fluß herkam. Ein Kanu kam in dem Wasser herange schossen. Zwei Männer saßen darin. Der eine lenkte mit schnellen, geschickten Bewegungen das zer 44
brechliche Boot an den gefährlichen Stellen vorbei, der andere kniete vorn und schrie unverständliche Worte zu dem Neger herüber, während er gleichzei tig die rechte Hand am Pistolenkolben hielt. Nimba sah neugierig zu ihnen hinüber. Er verstand die Aufregung des Mannes nicht ganz. Jetzt schwenkte das Kanu scharf und stieß an das Ufer heran. Im Nu waren die beiden Leute heraus gesprungen, banden das Boot an einem Felsbrocken fest und kamen hastig auf Nimba zu. Es waren wilde Gestalten. Sie trugen beide lange gestreifte Hosen, die vor Jahrzehnten einmal im La den eines Kleiderhändlers gehangen haben mochten und seitdem sicher durch allen Dreck und Speck der Weltgeschichte gezogen worden waren. Von den Fü ßen aufwärts bis zu den Knien stellten sie genau ge nommen überhaupt nichts anderes dar als eine falten reiche Kruste von Schmutz. Über den Hüften wurden sie von Ledergürteln gehalten, in denen Messer und Pistolen steckten. Darüber bauschten sich schmut ziggraue Hemden, deren Ärmel bis über die Ellbogen aufgerollt waren. Die Kopfbedeckungen bestanden aus breitrandigen verwitterten Hüten. Obwohl die Kleidung der beiden Männer fast völ lige Übereinstimmung aufwies, zeigten die Männer selbst starke Gegensätze. Der eine war schwer, breit schultrig und stämmig, sein dichter heller Bart, die rote Haut und die blauen Augen verrieten die nordi 45
sche Abstammung. Sein Gesicht wirkte bei aller Derbheit gutmütig und anständig. Sein Begleiter besaß einen schlanken, geschmeidi gen Körper, der in seinen Bewegungen an die eines Raubtieres erinnerte. Das hagere gelbliche Gesicht mit dem koketten Schnurrbärtchen, die dunklen ste chenden Augen und das schwarze Haar ließen in Verbindung mit den vorstehenden Backenknochen und der leicht eingedrückten Nase auf einen Misch ling schließen, in dessen Adern Indianerblut zusam men mit dem Blut von Spaniern und vielleicht auch Negern floß. Die beiden Leute schrien heftig auf Nimba ein, wobei sie abwechselnd auf den Kieshaufen und auf die drei Diamanten wiesen. Ihre Haltung war dro hend, aber Nimba hob nur die Schultern und schüt telte den Kopf. Er verstand nicht, was sie sagten. Da er sich das erstemal in dieser Gegend befand, war ihm das Guarani, die Verkehrssprache dieser Gebie te, unbekannt. Der größere der beiden wechselte schließlich auf die englische Sprache über. Er beherrschte sie sehr gut, im Gegensatz zu seinem Begleiter. »Verdammter Dieb«, schrie der Blonde den Neger an, »haben wir dich endlich erwischt? Du hast dir wohl eingebildet, hier in aller Ruhe unsere Haufen ausplündern zu können? Wir schuften wie die Ver rückten und kriegen unsere Piqua niemals voll, wäh 46
rend du Schwein uns heimlich um unseren Erfolg betrügst. Dafür werden wir dich hängen.« »Einfacher, wenn wir ihn über den Haufen schie ßen«, meinte der andere gehässig. »Da, Tob, was er für Steine aus deinem Haufen herausgeholt hat. Das ist ein Fund, wie er lange nicht da war am Tibagy.« Er griff den großen Diamanten auf und hielt ihn dem Blondbärtigen hin. Fast eine Minute lang starrten die beiden darauf. In ihren Augen glitzerte es eigenartig. Der Mann, der von dem Mischling Tob genannt wurde, steckte den Edelstein schließlich ein. »Das ist ein Fund«, murmelte er leise und fuhr dann mit plötzlich ausbrechender Heftigkeit fort: »Und wer weiß, wie viele solcher Funde wir schon gemacht hätten, wenn uns dieser Kerl nicht die Hau fen durchsucht hätte. Mit dem Flugzeug kommt er und raubt uns die Steine. Feines Geschäft, nicht wahr, Bursche? Eine Ralle oder eine Bateia hast du wohl nie in der Hand gehabt und bist trotzdem reich geworden, reich genug, um mit dem Flugzeug auf Raub auszugehen. Aber das werden wir dir versal zen, so wahr ich hier stehe.« Jetzt begann Nimba zu sprechen. »Ihr verdächtigt mich zu unrecht. Ich bin das er stemal hier.« »Ha«, zischte der Mischling dazwischen, »das ist nicht der erste Haufen, der durchstöbert und beraubt worden ist.« 47
»Es ist mir auch nicht eingefallen, euch zu berau ben«, fuhr Nimba fort. »Ich habe ganz zufällig einen Diamanten zwischen den Steinen aufblitzen sehen und ihn daraufhin herausgeholt. Selbstverständlich war ich neugierig, ob sich noch mehr von der Sorte finden würde. Deshalb habe ich nachgegraben. Ich konnte doch nicht ahnen, daß ihr eure Diamanten hier in dem wertlosen Kieshaufen versteckt.« Tob reckte ihm drohend die Faust hin. »Mensch, willst du uns auch noch verhöhnen? Stellst dich dumm, als ob du keine Ahnung hättest, was diese Kieshaufen bedeuten.« »Weiß ich auch nicht«, wehrte sich Nimba. »Unverschämtheit!« wütete der Mischling. »Sprich dein letztes Gebet!« »Langsam, Corro«, hielt ihn Tob zurück. »Wir werden ihn nicht niederschießen, sondern ihn vor das Gericht der Garimpeiros stellen. Er soll ordnungs gemäß abgeurteilt werden, wie es sich für solche Herrschaften gehört. Gar so leicht soll ihm das nicht gemacht werden.« Nimba grinste. »Ich glaube, ihr nehmt euch ein bißchen viel vor. Es wäre besser, ihr würdet mir erst einmal erzählen, was mit diesem Steinhaufen los ist.« »Er stellt sich dumm, um seinen Kopf zu retten«, spöttelte Corro. Tob trat dicht an den Neger heran. 48
»Was mit diesem Steinhaufen los ist, willst du wissen?« sagte er grimmig. »Nun, das will ich dir genau erzählen. In diesem Steinhaufen steckt die ta gelange lebensgefährliche Arbeit, die ich und mei nesgleichen auf dem Grund dieses verrückten Flusses verrichtet haben. Wie die Hunde schuften wir, um diesen Dreck von unten heraufzuholen, Säckchen für Säckchen. Und dann schuften wir wieder, um mit der Ralle und mit der Bateia diesen Dreck auszuwa schen, damit wir schließlich, wenn es gut geht, ein paar von den Diamanten finden, die der Tibagy mit sich führt. Wir sind Diamantensucher, die sich das bißchen Verdienst sauer werden lassen, und wir kön nen nichts weniger vertragen, als wenn ein hergelau fener Schuft uns um den Lohn unserer schweren Ar beit bringt. Wenn wir so einen erwischen wie dich, dann gibt es nur eins, den Tod.« »Hm, ich kann das schon verstehen, aber ihr müßt mir doch andererseits glauben, wenn ich euch sage, daß ich keine Ahnung von den hiesigen Verhältnis sen hatte. Ich bin jedenfalls das erstemal hier und habe auch nicht die Absicht, mich lange hier aufzu halten. Nehmt eure Diamanten, meine Entschuldi gung und laßt mich in Frieden!« »Das könnte dir so passen«, knurrte Tob. »Auf die Märchen fällt ein Garimpeiro nicht rein. Du wirst dich schon damit vertraut machen müssen, noch heu te zu baumeln. Nimm deine Hände hoch! Corro, lauf 49
zum Kanu und hol den Strick her!« »Es ist besser, ihr geht alle beide zum Boot und fahrt weiter«, erwiderte Nimba. »Ich denke gar nicht daran, mich von euch fesseln und wegschleppen zu lassen.« »Ha, du bildest dir wohl etwas auf deine Muskeln ein. Hände hoch, oder ich schieße dir ein Loch in den Bauch.« Tob hatte seine Pistole noch nicht ganz aus dem Gürtel heraus, als Nimba schon seine Waffe aus der Tasche hervorgezaubert hatte und sie den beiden un ter die Nase hielt. Die Hände der beiden Männer schossen unverzüg lich in die Höhe. »Viel zu langsam«, sagte Nimba grinsend, »viel zu langsam! Eure Arme sind reichlich steif. Aber mit gutem Wind! Wenn ich euch in drei Minuten noch in Schußweite sehe, werdet ihr es bereuen. Und wenn einer von euch etwa zu dicht an meine Pistole kom men sollte, dann wird er es erst recht bereuen. Ich kann euch versichern, daß ich so leicht kein Ziel ver fehle.« Die Männer murmelten eine Verwünschung, starr ten den Neger eine Weile an und liefen dann stumm zu ihrem Boot zurück. Sie machten tatsächlich nicht den Versuch, ihre Pistolen zu benutzen. Vermutlich hatte ihnen die Schnelligkeit, mit der Nimba die Waffe gezogen hatte, allerhand erzählt. Sie wußten, 50
daß ihnen der Mann augenblicklich überlegen war, obwohl sie ihm zu zweit gegenüberstanden. Sie sprangen ins Boot und ruderten mit voller Kraft stromaufwärts. Nimba blickte ihnen nach, bis sie hinter den Bäumen verschwanden. * Ungefähr eine halbe Stunde später wurde Nimba un ruhig. Er hielt Umschau, spähte flußabwärts, aber er konnte Sun Koh nicht entdecken. Sun Koh war mit Hal Mervin nun schon fast zwei Stunden unterwegs. Sie hatten nur eine kleine Wan derung am Fluß hinunter geplant und sollten eigent lich schon lange zurück sein. Er bekam auch auf ein Rufzeichen über seine Sprechdose keine Antwort. Er versuchte sich mit der Möglichkeit zu beruhi gen, daß sie sich in unmittelbarer Nähe eines herab donnernden Wasserfalles befänden und dadurch das Rufzeichen überhörten. Aber es war kein rechter Trost, er vermutete insgeheim Schlimmeres. Nachdem er einige Male vergeblich versucht hatte, die Verbindung zu erhalten, stieg er in das Flugzeug ein und setzte sich an den Fernseher. Aber die Landschaft lag unter der Decke eines un durchdringlichen Waldes. Nur die silberne Linie des Flusses schnitt hindurch. Schmale Ränder freien Landes konnte man hier und da beobachten, aber im 51
übrigen zeigte das Bild auf der Mattscheibe nichts anderes als Baumkronen. Nichts verriet, was sich unter dem grünen Dach ereignete. Nimba hielt von neuem draußen Umschau und setzte sich dann weiter an den Fernseher. Zwischen durch versuchte er es mit der Sprechdose. Darüber vergingen Stunden. Er hatte lange nicht auf seine nähere Umgebung geachtet, so daß er einigermaßen überrascht war, als er sich plötzlich förmlich umzingelt sah. Auf dem Fluß waren vier Boote voller Männer gerade im Be griff anzulegen. Von der entgegengesetzten Waldsei te kam ein halbes Dutzend andere Männer. Das Ziel beider Gruppen war unverkennbar das Flugzeug. Als Nimba in einem der Boote das Gesicht jenes Corro entdeckte, wurde ihm unbehaglich zumute. Die beiden Diamantensucher erschienen mit ihren Kameraden, die sie in der Zwischenzeit alarmiert zu haben schienen. Die Männer am Wald waren noch nicht unmittel bar zu fürchten, da sie noch einige Zeit brauchen würden, um genügend weit heranzukommen. Die in den Booten mußten jedoch sofort gestellt werden. »Hallo«, rief er ihnen zu, als sie angelegt hatten, »was wollt ihr?« »Das werden wir dir erzählen, wenn wir bei dir sind!« schrie ihm einer der Männer zu. »Dazu genügt einer«, gab der Neger zurück. 52
»Bleibt wo ihr seid, sonst muß ich euch mit der Pi stole fernhalten. Einer von euch kann herkommen und mir sagen, was ihr mir zu sagen habt.« Die Männer blieben am Ufer stehen. Nur einer kam mit ruhigen, schweren Schritten auf das Flug zeug zu. Der Mann besaß ein Gesicht, zu dem man Ver trauen haben konnte. »Hallo«, grüßte er zurückhaltend, »ich bin Paul Lancour, Garimpeiro wie jene Männer dort. Die An gelegenheit, die wir mit Ihnen zu regeln haben, ist ernst genug, um vorher ein paar ruhige Worte dar über zu wechseln. Es ist nicht Sitte hier im Land, mit einem Dieb langes Federlesen zu machen, aber mei ne Kameraden und ich sind auch nicht die Leute, blind drauflos zu schießen. Ich sage Ihnen gleich, es geht um Ihr Leben, und ich will Ihnen nicht die Mög lichkeit nehmen, vorher noch etwas zu Ihrer Recht fertigung zu sagen.« »Ich heiße Nimba«, entgegnete der Neger ebenso ruhig. »Kommt ihr wieder wegen dieses Kieshaufens und der Diamanten, die ich gestohlen haben soll? Ich kann Ihnen nichts anderes sagen als den beiden Männer, von denen der eine mit dort unten steht. Ich wußte nichts von der Bedeutung des Haufens und grub die Diamanten aus, ohne mir etwas dabei zu denken. Ich war nie vorher im Land und habe mich daher auch nie an einem anderen Haufen vergriffen, 53
wie mir das vorgeworfen wurde.« Der Garimpeiro blickte ihn forschend an. Beson ders freundlich war seine Miene nicht, und in seiner Stimme schwang ein drohender Unterton, als er schwer und langsam erwiderte: »Es ist vielleicht möglich, daß Sie uns das beweisen können. Aber – wir kommen weniger wegen der Diamanten als we gen einer anderen Sache. Sie werden beschuldigt, einen Mord begangen zu haben.« Nimba prallte zurück. »Einen Mord?« Lancour nickte. »Aha, Ihr Erschrecken spricht nicht gerade von ei nem reinen Gewissen. Machen Sie es kurz und geben Sieden Mord zu!« »Ich denke nicht daran«, erklärte Nimba wütend. »Soll man da nicht erschrecken, wenn einem ein Mord auf den Kopf zugesagt wird? Ich habe mich nicht von der Stelle gerührt und bin keinem Menschen begegnet, seitdem mich die zwei Männer verlassen haben. Wer ist denn eigentlich ermordet worden?« »Der Garimpeiro Tobias Berger, genannt Tob, der gleiche, dem dieser Haufen gehörte.« »Der Mann, mit dem ich gesprochen habe?« »Ja.« »Aber – ich verstehe nicht…« Lancour schnitt mit einer kurzen Handbewegung ab. 54
»Tob und Corro sind von Ihnen weg stromauf wärts zu unserem Campamento gefahren, mußten jedoch kurz hinter der Waldgrenze noch einmal an legen, weil das Boot eine undichte Stelle zeigte. Während sie die Reparatur vornehmen, wurde Tob durch einen Schuß in den Rücken ermordet.« Nimba schüttelte mehr verwundert als entrüstet den Kopf. »Und das soll ich gewesen sein?« »Nur Sie kommen als Täter in Frage. Niemand zweifelt daran, obgleich wir sonst keinen Grund ha ben, dem Mischling Corro übermäßig viel zu glau ben.« »Dieser Corro will mich gesehen haben?« »Nein. Er hat sich nach seinen Schilderungen über das Boot gebeugt, während Tob ein Stück zwischen die Bäume ging, um eine Liane abzufasern. Er hörte dann einen Schuß. Ursprünglich nahm er an, daß Tob geschossen habe, da dieser aber nicht antwortete, machte er sich auf die Suche und fand ihn nicht weit entfernt in seinem Blut. Der Täter hatte den großen Diamanten an sich genommen, also glatter Raub mord. Was haben Sie dazu zu sagen?« Nimba lachte kurz auf. »Daß es der größte Unsinn ist, ausgerechnet mich für den Mörder zu halten. Wenn jener Corro mich beschuldigt, dann lassen Sie ihn nur herkommen und ihn seine Behauptung mir ins Gesicht wiederholen.« 55
»Der Wunsch soll Ihnen erfüllt werden«, antwor tete Lancour und wandte sich dem Ufer zu. »Hallo, Corro, komm her!« Der Mischling kam heran. »Der Mann will deine Beschuldigung hören«, un terrichtete ihn Lancour. »Er behauptet, von der gan zen Sache nichts zu wissen.« Der Mischling blies sich wie eine giftige Kröte auf. »So, dann streitet er wohl ab, daß Tob und ich ihn überraschten, als er den Haufen ausplünderte?« »Als ich ahnungslos die Diamanten fand«, verbes serte Nimba. »Nein, ich streite nicht ab, dich und den anderen schon gesehen zu haben, aber hier ist von einem Mord die Rede.« Corro lachte häßlich auf. »Von dem hast du natürlich auch wieder keine Ah nung, was? Du scheinst nicht zu wissen, daß die Men schen hier nicht haufenweise herumlaufen. Jeder von uns kann dir sagen, wer in der Gegend ist und was er getrieben hat, als der Schuß auf Tob fiel. Du bist der einzige Fremde, und wenn ich dich auch nicht gese hen habe, so wette ich doch meinen Hals, daß du ver fluchtes Schwein den armen Kerl niedergeschossen hast, um doch zu deinem Diamanten zu kommen.« »Das ist die erbärmlichste, aus der Luft gegriffene Beschuldigung, die ich je gehört habe«, knurrte Nimba. »Ich habe mich nicht von der Stelle gerührt.« 56
»Das kann jeder sagen«, höhnte Corro. »Tatsache ist, daß du der einzige Fremde in der Nähe warst und daß du von dem Diamanten wußtest.« Nimba kniff die Augen zusammen. »So, und wie steht’s mit dir? Gilt für dich nicht das gleiche?« »Verdammt«, zischte der andere auf, »willst du etwa mich beschuldigen?« »Mit mindestens dem gleichen Recht, mit dem ich beschuldigt werde. Ich habe den Mann nicht ermor det.« Lancour mischte sich wieder ein. »Können Sie einen Beweis dafür erbringen?« Nimba zögerte. »Nein, nicht so ohne weiteres, aber …« »Das genügt«, schnitt ihm Lancour das Wort ab. »Alles andere, was Sie noch erzählen wollen, können Sie vor den versammelten Garimpeiros vorbringen. Wollen Sie sich freiwillig unserem Gericht stellen?« »Nein«, lehnte Nimba scharf ab. »Man wird Ihnen das zuungunsten anrechnen«, warnte Lancour. »Das wird wohl kaum etwas ausmachen, denn en den wird die Gerichtssitzung ja doch nur damit, daß ihr mich hängen wollt. Sie werden es mir wohl kaum ver denken, wenn ich unter diesen Umständen verzichte.« Lancour nickte finster. »Wie Sie wollen, kriegen werden wir Sie doch. Sie 57
sollen zwar sehr schnell mit der Waffe sein, wie ich hörte, aber das wird Ihnen so wenig nützen wie Ihr Flugzeug. Bevor Sie es aufsteigen lassen können, wird der Fall erledigt sein. Sie nehmen sich nur die Chance, doch noch Ihre Unschuld zu beweisen.« Nimba holte tief Atem. »Sie scheinen ein vernünftiger Mann zu sein, Mr. Lancour, und es tut mir leid, daß Sie mich für einen Verbrecher halten, aber ich muß mir schon auf meine Weise helfen. Ich brauche Sie wohl nicht zu bitten, die Hand von der Waffe zu lassen. Gehen Sie zum Ufer zurück, dann können Sie machen, was Sie wollen.« Lancour drehte sich schweigend um, nahm Corro beim Arm und ging mit ihm zusammen zum Fluß. Er hatte ihn kaum erreicht, als Nimba bereits am Steuer der Maschine saß. Es blieb ihm nichts übrig, wenn er nicht einen Kampf ausfechten wollte, bei dem eine Reihe von Menschen ganz unnütz getötet werden mußten. Das durfte er nicht, und ein Ausweg fiel ihm nicht ein. Es blieb ihm nichts übrig, als den Schauplatz zu räumen. Lancour unterrichtete noch seine Kameraden, als sich die Maschine plötzlich in die Luft hob. Mit überraschten Ausrufen nahmen die Garimpeiros da von Kenntnis und knallten dann ihre Pistolen los. Unberührt und unbeschädigt flog das Flugzeug dem Wald zu. 58
4.
Sun Koh und Hal Mervin wanderten hintereinander am Flußufer entlang. Sie hatten es manchmal nicht leicht, denn der Urwald trat stellenweise an das Was ser heran. Die beiden dehnten ihren Spaziergang unmerklich weiter aus, als sie ursprünglich geplant hatten. Der immer stärker werdende Donner des nahen Wasser falles reizte und zog vorwärts. Die Ufer des Flusses traten etwas enger zusammen, das Wasser schoß schneller dahin. Hier und dort quirlte es in weißschäumenden Trichtern, die wie die offenen Rachen gefräßiger Ungeheuer wirkten. Jetzt wurde der Flußlauf für eine längere Strecke fast schnurgerade und somit übersehbar. Weit vorn wölbte sich eine weiße Kante auf – ein Absturz. Einige hundert Meter vor ihnen entdeckten sie mitten im Wasser einen Mann. Er stand auf einer Felsklippe, die sich quer fast über die Hälfte des Flußlaufes hinzog. Er war nur mit einer Badehose bekleidet. Jetzt sprang der Mann mit einem Hechtsprung in das Wasser und verschwand darin. Unwillkürlich beschleunigten sie ihr Tempo und hielten Ausschau nach dem Menschen, der inmitten dieser quirlenden Wassermassen sein Bad nahm. 59
Da kam er wieder hochgeschossen, fast an der gleichen Stelle, an der er untergetaucht war. Die Strömung trieb ihn sofort gegen die Klippe. Ge schickt turnte er an den vorspringenden Zacken hin auf. Der Mann war ein Weißer, der von der Sonne braun gebrannt war. Sein Haar leuchtete trotz der Nässe hell auf. Jetzt bemerkte er die beiden, die sich ihm am Flußufer näherten. Er legte die Hand über die Augen und blickte zu ihnen hinüber, dann formte er die Hände zu einem Sprachrohr und rief etwas. Aber das Brausen des Wassers und das Dröhnen des nahen Falles übertönten seine Stimme. Sun Koh winkte ihm zu und gab ihm durch Gesten zu verstehen, daß er ihn nicht hören könne. Da nickte der Mann und begann mit erstaunlicher Geschwin digkeit auf der schmalen Klippe entlang dem Ufer zuzulaufen. Als die Klippe einbrach, warf er sich ins Wasser, fing sich an einer hervorstehenden Felszacke auf, gab sich neuen Schwung und erreichte mit kräf tigen Schwimmstößen das Ufer ein Stück oberhalb von Sun Koh. Dann kam er mit schnellen elastischen Schritten heran. »Hallo!« grüßte er freundlich. »Fremde in dieser Gegend? Das ist eine Seltenheit. Wollen Sie Ihr Glück ebenfalls am Tibagy versuchen? Ich bin Eddie Pound.« 60
»Sun Koh«, kam es ebenso freundlich zurück. »Das ist Hal Mervin. Haben Sie kein Schwimmbad gefunden, das weniger gefährlich ist als dieses?« Pound lachte erstaunt auf. »Schwimmbad? Wieso? Das ist meine Arbeitsstel le.« Nun stutzte Sun Koh. In dem energischen und recht sympathischen Gesicht des anderen zeigte sich zwar eine gute Portion Humor, aber die Behauptung hatte nicht so geklungen, als ob sie ein Witz sein sollte. »Arbeitsstelle?« fragte er. »Darf man fragen, was Sie da arbeiten?« Der junge Mann schüttelte leicht den Kopf. »Du lieber Gott, man merkt, daß Sie von den Ver hältnissen am Tibagy keine Ahnung haben. Hat man Ihnen auf der Fahrt hierher nicht erzählt, was es mit diesem Fluß für eine Bewandtnis hat? Er ist aus zwei Gründen berühmt. Erstens wimmelt es geradezu von Stromschnellen und Wasserfällen, deswegen heißt er ja auch Tibagy. Diese Bezeichnung stammt aus der Indianersprache und bedeutet soviel wie ›Ort der vie len Stromschnellen‹. Zweitens aber – und das ist für unsereinen die Hauptsache – führt er Diamanten.« »Ah, ein Diamantenfluß?« »Ja, und nicht der schlechteste. Es gibt hier eine ganze Masse guter blauweißer Steine, ebenso Carbo nados, die man sonst nur bei Bahia findet. Man muß sie nur vom Grund heraufholen.« 61
»Sie haben also dort drüben nach Diamanten ge fischt?« »Gewiß«, bestätigte Pound, »nur dürfen Sie sich das nicht so einfach vorstellen, als ob man die Edel steine bloß vom Grund heraufzuholen braucht. Das ist ein mühsames Geschäft. Heraufholen kann man nur den Grundkies, soweit er locker ist. Sehr oft ist er auch das nicht einmal, sondern durch Eisenoxyde verkittet, so daß man ihn erst mit der Brechstange lockern muß. Dann kann man natürlich nicht mehr einfach hinabtauchen und eine Minute unten bleiben. Wenn Sie den Fluß hinauf oder hinunter wandern, werden Sie eine ganze Reihe von Gesellschaften fin den, kleine Gruppen von Garimpeiros, die gemein sam arbeiten. Die Leute gehen mit Taucheranzügen hinunter und brechen sich den Kies erst los, bevor sie ihn in die Säcke schaufeln. Man muß sich die Stellen schon suchen, an denen man sich den Sack mit der Hand füllen kann.« »Und Sie haben wohl eine Stelle entdeckt?« »Ja, man kann es so nennen. Genau genommen wissen natürlich auch andere, daß hier in unmittelba rer Nähe des Falles der Kies lockerer ist als anders wo, aber es ist nicht jedermanns Sache, in diese Strudel hineinzuspringen und wohlbehalten wieder hochzukommen.« Sun Kohs Augen schweiften über das wilde Was ser. 62
»Das glaube ich Ihnen gern. Sie können doch aber unmöglich so lange unten bleiben, um einen Sack voll Kies zu füllen?« Pound lachte. »Natürlich nicht. Man muß schon zehn- oder zwanzigmal hinunter, um ihn voll zu bekommen. Mehr als ein paar Hände voll kann man auf einmal nicht hineinwerfen.« »Sie müssen ein vorzüglicher Taucher sein, daß Sie jedesmal sofort Ihren Sack wiederfinden und Ihre Sekundenarbeit fortsetzen können.« »Gott, das lernt sich. Wer das Geschick nicht dazu hat, arbeitet eben lieber in der Kolonne oder kehrt dem Tibagy wieder den Rücken. Für Schwächlinge, Faulpelze und Leute mit zwei linken Händen sind keine Diamanten gewachsen, wenigstens hier am Fluß nicht.« »Lohnt sich denn die Arbeit wenigstens?« Pound hob die Schultern. »Wie man es nimmt. Der Fleck hier scheint nicht der schlechteste zu sein, wenn ich nach den ersten Proben urteilen kann. Vermutlich hat sich hier an der Klippe im Lauf der Zeit allerhand angeschwemmt. Aber ob es sich wirklich lohnt, weiß ich heute noch nicht. Vorläufig tue ich ja weiter nichts, als einen Haufen Kies zu sammeln und an das Ufer zu schaf fen. Wenn Sie ein Stück weiter gehen, werden Sie meinen Haufen liegen sehen.« 63
»Sie durchsuchen dann den Kies nach Diaman ten?« »Wir waschen ihn aus. Zuerst wird er durch ein Sieb geworfen, durch die Ralle, und dadurch vom Sand gereinigt. Dann kommt er in die Bateia. Das ist eine flache Holzschüssel, die kreisförmig im Wasser geschwenkt wird. Das Schwenken will gelernt sein. Es ist ein kleiner Kniff dabei. In der Bateia sammeln sich schließlich unten die schwersten Stoffe an. Sie werden dann nach Diamanten durchsucht. Sie sehen, es ist gar nicht so einfach, Edelsteinbesitzer zu wer den.« »Ein umständlicher Weg«, gab Sun Koh zu, »aber immerhin muß doch der Fluß genügend Diamanten hergeben, denn sonst würde man ganz auf die Arbeit verzichten. Wenn nach Ihren Andeutungen eine gan ze Menge Menschen hier tätig sind, dann …« »Sie dürfen das nicht mißverstehen«, unterbrach Pound. »Gewiß leben einige hundert Männer am Ti bagy, aber das will nicht unbedingt sagen, daß sich die Ausbeute lohnt. Viele der Garimpeiros sind Abenteurer, die auf diesen Fluß gesetzt haben und alles von ihm erhoffen wie Spieler, die beim Roulette immer auf eine Zahl setzen oder bei der Lotterie ihr Los halten, obgleich sie jahrelang nichts gewinnen. Sie leben unter größten Entbehrungen und hoffen ständig auf den großen Fund, der sie reich machen soll. Deswegen halten sie hier aus, und vielleicht 64
auch noch, weil diese Gegend ihrer Abenteurernatur am besten entspricht. Es gibt eine ganze Menge unter ihnen, die in Monaten und Jahren ihre Piqua noch kein einziges Mal richtig voll gesehen haben.« »Was ist eine Piqua?« »Ein kleiner Behälter, ein Röhrchen aus Baumrin de, Bambus oder Horn, in dem die gefundenen Edel steine gesammelt werden. Wenn die Händler am Fluß entlang ziehen, leert man sie aus und macht die Steine zu Geld, damit man eine Zeitlang weiterleben kann.« »Aber die Garimpeiros sind doch nicht nur Aben teurer?« »Das allerdings nicht. Ein großer Teil von ihnen arbeitet am Fluß und taucht nach Diamanten, wie andere ihre Felder bestellen. Für sie ist das Diaman tensuchen ein ernsthafter Beruf, dem sie sachlich und gewissenhaft nachgehen. Sie sind es auch, die hier am Fluß einigermaßen Ordnung halten. Ohne sie würde sich dieses ganze Gesindel aus aller Herren Länder vermutlich noch viel mehr gegenseitig aus plündern und abschlachten, als es gegenwärtig der Fall ist. Am Tibagy leben genug Verbrecher, um ein ganzes Zuchthaus zu füllen. Sie leben von denen, die ehrlich arbeiten, und hoffen im übrigen, bei einem großen Fund mit zuerst an der richtigen Stelle zu sein.« »Und zu welcher Gruppe zählen Sie sich?« 65
Eddie Pound zeigte ohne Empfindlichkeit zur Klippe hinüber. »Sie haben doch gesehen, daß ich arbeitete. Ich gehe nur gern meine eigenen Wege, vermutlich, weil mir eben auch ein guter Schuß Abenteuererlust in den Adern fließt. Die gleichförmige handwerkliche Arbeit Tag für Tag ist nicht das Richtige für mich. Ich muß ein Risiko und eine Chance dabei haben. Vielleicht arbeite ich jetzt wochenlang umsonst, aber vielleicht stecken dort in meinem Kieshaufen auch schon mehr Contos, als ich mir träumen lasse.« »Ein Conto ist die hiesige Münze?« »Tausend Milreis. Wenn man aus seinem Kieshau fen einige Contos herausholen kann, ist das keine schlechte Sache.« »Das kommt vor?« Pound lachte kurz. »Wenn man nicht schon große Funde gemacht hät te, gäbe es keinen einzigen Abenteurer am Tibagy. Die sind alle erst hergekommen, seitdem man damals bei Cachoeirao innerhalb kurzer Zeit fünfzehntau send Karat Diamanten aus dem Fluß herausgeholt hat.« Sun Koh nickte nachdenklich. »Das macht vieles verständlich. Doch nun wollen wir Sie nicht länger von Ihrer Arbeit abhalten.« Eddie Pound winkte ab. »Auf eine Stunde Ruhepause kommt es wahrhaftig 66
nicht an. Den ganzen Tag über kann ich ohnehin nicht ununterbrochen tauchen. Wenn es Ihnen Spaß macht, zeige ich Ihnen gern einmal, wie man die Diamanten mit Ralle und Bateia aus dem Kies her ausholt.« »Das wäre nett von Ihnen.« »Bitte, bitte. Ich freue mich, mich wieder einmal mit jemand vernünftig unterhalten zu können. Gehen Sie noch ein Stück weiter am Ufer entlang zu mei nem Kieshaufen. Ich will inzwischen noch einmal zur Klippe und meinen Sack herüberholen. Er ist ge rade voll.« »Sie haben ihn im Wasser liegen?« »Ja, auf dem Grund, er ist an ein Seil gebunden, an dem er heraufgezogen wird, wenn er voll ist. Also gehen Sie voraus, ich komme gleich wieder.« Sun Koh und Hal Mervin gingen flußabwärts. Da bei beobachteten sie, wie der junge Mann geschickt und kraftvoll durch die reißende Flut steuerte und die Klippe erreichte. Sie sahen ihn seinen Kiessack am Seil heraufziehen und mit diesem beladen den Rückweg antreten. An der Felsspitze, die Pound vorhin als Prellbock benutzt hatte, ereignete sich etwas, das wohl kaum in sein Programm gehörte. Der verwegene Diamanten fischer war im Begriff, sich am Felsen hochzu schwingen, als er plötzlich wieder zurücksank und im Wasser verschwand. 67
Sun Koh blieb stehen. Eddi Pound tauchte nicht wieder auf. Doch da – ein ganzes Stück unterhalb der Felsspit ze – das war sein Kopf, der für einen Moment auf tauchte. Daneben bewegte sich ein Arm, als wollte er winken. Und durch das Grollen des Wassers schien entfernt ein Hilfeschrei zu klingen. »Da ist etwas passiert!« schrie Hal auf. Sun Koh rannte in weiten Sätzen am Ufer entlang und warf dabei seine Jacke ab, die Hal hinter ihm auflas. Immer wieder beschleunigte er sein Tempo mehr, bis er mit der Geschwindigkeit eines flüchtenden Wildes die schnellen Wasser überholte, ihnen Vorsprung abgewann und damit dem treibenden Menschen näher kam. Offensichtlich war Pound verunglückt. Immer wieder kam sein Kopf hoch. Er kämpfte gegen das Wasser und gegen die Strömung, aber zweifellos war er nicht imstande, gegen diese Gewalt aufzukommen. Und dort vorn donnerte der Wasserfall! Wenn es bis dahin nicht gelang, den Mann aus dem Fluß herauszuholen und ihn ans Ufer zu brin gen, stürzte er über die glatte Kimme hinab auf die starrenden Felsen. Jetzt warf sich Sun Koh in den Fluß hinein und stieß mit kraftvollen Bewegungen schräg zur Mitte vor. Fast sah es aus, als werde er auch willenlos ge trieben, fast sah es aus, als sollte er den Verunglück 68
ten verfehlen, aber dann war er doch genau an der Stelle, an der das wirbelnde Wasser den halbbetäub ten jungen Mann eben wieder hochspie. Mit siche rem Griff packte er ihn und begann, zum Ufer zu rückzuschwimmen. Es war ein schweres Stück, zwischen den zahlrei chen Klippen hindurchzusteuern und sich vor allem gegen die jetzt fast pfeilschnellen Strömungen zu halten. Der Wasserfall befand sich schon in beäng stigender Nähe und sog mit gewaltiger Kraft. Die Rettung gelang. Naß, zerkratzt, zerschunden und etwas verkrampft in seinen Bewegungen trug Sun Koh den geretteten Mann aus dem Wasser her aus. Eddie Pound brauchte eine Weile, um wieder zur Besinnung zu kommen. Er hatte eine ganze Menge Wasser geschluckt und war mit seinem Kopf hart an einige Felsen angeschlagen. Sun Koh untersuchte ihn sofort. Der linke Knöchel war stark geschwollen und blutunterlaufen. Er war entweder gebrochen oder verzerrt. Genaues ließ sich nicht feststellen. Endlich schlug Pound die Augen wieder auf. »Danke«, sagte er leise, nachdem er seine Lage überblickte. »Ich hätte nicht geglaubt, daß ich wieder herauskommen würde.« »Ihr Knöchel ist beschädigt«, sagte Sun Koh. »Wie ist das passiert?« 69
»Ich rutschte ab, als ich an dem Felsen hoch woll te. Wahrscheinlich habe ich mir dabei den Knöchel gebrochen. Ich hatte jedenfalls das Bein nicht mehr in der Gewalt. Mit zwei Armen und einem Bein kommt man aber gegen den Tibagy nicht an. Deswe gen schloß ich gleich ab. Erst als ich sah, daß Sie mir helfen wollten, habe ich mich gewehrt. Nochmals meinen Dank!« Sun Koh schüttelte ihm die Hand. Es gefiel ihm, daß der andere keinen dicken Wortschwall losließ, um seinen Dank zu bezeugen. »Gebrochen ist er nicht, aber herausgesprungen war er. Es wird wohl einige Wochen dauern, bevor sich das gelegt hat.« »Das alte Pech«, flüsterte Pound leicht erbittert. »Ich habe anscheinend ein besonderes Geschick, im ungeeignetsten Moment daneben zu treten.« »Der Knöchel kommt wieder in Ordnung. Nur nicht mutlos werden!« »Nein, das natürlich nicht. Umwerfen wird mich so leicht nichts, da müßten schon ganz andere Dinge passieren. Aber ärgern tut’s einem doch, wenn man immer wieder von vorn anfangen muß. Wenn’s der Teufel will, holt sich der Nächste an dieser Stelle ein Vermögen aus dem Wasser, und ich liege in der Hüt te und mache kalte Umschläge.« »Sie brauchen doch den Platz nicht aufzugeben?« Pound lachte kurz. 70
»Eigentlich nicht, aber uneigentlich. Der Tibagy ist für alle da. Ich muß in den nächsten Campamento und mich dort wohl oder übel ein bißchen pflegen lassen. Damit ist die Klippe frei. Niemand wir einen Garimpeiro hindern, von der Klippe aus zu tauchen, vorausgesetzt, daß er den nötigen Mut dazu hat. Vor läufig wüßte ich niemanden, aber ich wette hundert zu eins, daß sich nun doch plötzlich jemand findet, der meinen Platz ausräumt.« »Auch damit müßten Sie sich abfinden. Der Knö chel muß erst heilen. Und hier können Sie nicht lie gen bleiben. Ich werde Sie in die nächste Ansiedlung schaffen. Wo ist sie?« »Zwei gute Stunden flußaufwärts. Wenn es Ihnen nicht zuviel Mühe macht, die Leute dort zu benach richtigen, wäre ich Ihnen recht dankbar.« »Es wird einfacher sein, wenn ich Sie gleich hin bringe.« Pound blickte bedenklich drein. »Hm, das könnte gehen, wenn wir uns Zeit neh men. Das eine Bein ist ja gesund.« »Ich werde Sie tragen.« Pound winkte ab. »Nein, nein, stellen Sie sich das nicht so einfach vor! Ich wiege schon meine anderthalb Zentner.« Sun Koh lachte. »Ich denke, dazu wird es schon noch reichen. Wollen Sie noch etwas mitnehmen?« 71
»Ja, verschiedene Kleinigkeiten schon, vor allem meine Sachen. So bloß in der Badehose kann ich nicht gut im Campamento einziehen. Sie müßten mich erst einmal zu meiner Hütte bringen. Aber sie liegt ja fast am Weg, ein Stückchen abseits von mei nem Kieshaufen.« »Dann wollen wir aufbrechen.« Sun Koh bückte sich, nahm den Mann auf die Ar me und machte sich dann, gefolgt von Hal, auf den Weg. Sie erreichten die Hütte bald. Die Bezeichnung Hütte war eigentlich schon eine Schmeichelei. Pound hatte sich unter Verzicht auf alle Bequemlichkeit ein besseres Schutzdach gebaut, unter dem er seine Nächte verbrachte. Wie er versicherte, genügte es aber vollkommen für seine Zwecke. Er hatte nicht viel mitzunehmen, trotzdem dauerte es eine Weile, bevor sie weiter kamen. Sie waren vielleicht eine halbe Stunde flußauf wärts marschiert, als ein feines gleichmäßiges Sum men an ihr Ohr drang. Sun Koh blieb stehen und lauschte. »Das Flugzeug? Unternimmt Nimba etwa Spazier fahrten auf eigene Faust? Ruf ihn an, Hal!« Hal hatte die Sprechdose bereits in der Hand und hob jetzt die eine Hälfte zum Mund, die andere zum Ohr. »Hallo, Nimba!« 72
Er lauschte eine Weile, dann sagte er: »Nimba hat in der Zwischenzeit einen Zusammenstoß gehabt, der ihn zwang, aufzusteigen. Er will uns schon lange vergeblich angerufen haben und sucht uns nun.« »Wir werden ihn am Wasserfall überhört haben. Er soll herkommen und landen. Dort am Ufer, wo die Bäume etwas zurückweichen, wird es gerade gehen. Er wird uns im Fernseher dort entdecken können.« Hal Mervin gab den Bescheid weiter. Sun Koh schritt inzwischen an das Ufer hinunter. Dicht am Wasser setzte er Pound vorsichtig ab. »Wir müssen schon etwas warten«, sagte er. »Mein Begleiter wird gleich mit dem Flugzeug er scheinen. Ich bringe Sie dann mit der Maschine zur Siedlung.« »Sie wollen doch nicht etwa hier eine Landung vornehmen lassen?« »Der Platz genügt«, beruhigte Sun Koh. »Die Ma schine kann senkrecht niedergehen.« Obgleich sich Nimba eigentlich nichts vorzuwer fen hatte, fühlte er sich doch nicht besonders wohl, als er Sun Koh Bericht erstatten mußte. Er war froh, als er fertig war. Sun Koh war wenig erbaut. »Das ist unangenehm«, sagte er. »Du giltst nun vorläufig als der Mörder jenes Mannes und zugleich als Diamantenräuber.« »Ich wußte doch nicht«, murmelte Nimba betreten, 73
»daß die Kieshaufen hier besondere Bedeutung ha ben.« »Ich mache dir keinen Vorwurf«, entgegnete Sun Koh. »Aber nach dem, was ich über den Tibagy ge hört habe, ist es verständlich, wenn die Diamanten sucher in diesem Punkt sehr empfindlich sind.« Er ging zu Pound hinüber und setzte sich neben ihn. »Ich muß Ihnen erzählen, was mein Begleiter er lebt hat. Vielleicht können Sie mir einen Rat geben.« »Gern, soweit ich dazu imstande bin.« Sun Koh wiederholte, was er von Nimba gehört hatte. »Das sieht böse aus«, meinte der junge Mann. »Ein Kiesraub und ein Mord aus dem Hinterhalt – das sind zwei todeswürdige Verbrechen. Tob war allgemein beliebt, und ich denke, daß sie nicht so leicht Ruhe geben werden und alles tun, um den Mörder zu bestrafen.« »Der Neger ist unschuldig, dafür verbürge ich mich unbedingt.« Pound nickte zustimmend. »Das genügt mir vollkommen. Sie müssen ja Ihren Mann kennen. Mit dem Mord hat er wohl nichts zu tun, aber daß er die Diamanten aus dem Kies heraus gewühlt hat, gibt er ja selbst zu.« »Aus Neugier und in Unkenntnis der Verhältnis se.« 74
»Gewiß, aber Sie müssen sich die Sache vom Standpunkt der Garimpeiros aus ansehen. Nehmen Sie an, Sie würden plötzlich einen Fremden am Steu er Ihrer Maschine finden, wie er gerade den Motor anlaufen läßt. Wenn Ihnen der Mann nun sagen wür de, er habe die Maschine für herrenlos gehalten und nur sehen wollen, ob sie überhaupt liefe, dann wür den Sie ihn doch glatt auslachen.« »Das ist richtig.« »So muß auch der Garimpeiro die Entschuldigung Ihres Begleiters für eine faule Ausrede halten. Für ihn ist der Mann ein ertappter Dieb. Und einem Men schen, der am Tibagy Kieshaufen anrührt, unterstellt man ohne weiteres auch einen Mord.« Sun Koh blickte nachdenklich zu Boden. »Hm, das ist begreiflich. Was würden Sie mir ra ten?« Der junge Mann wies auf das Flugzeug. »Der Rat liegt eigentlich auf der Hand. Steigen Sie in Ihre Maschine und fliegen Sie weiter!« Sun Koh schüttelte den Kopf. »Diese Lösung ist zu bequem, um annehmbar zu sein. Der Vorwurf gegen meinen Begleiter trifft auch mich. Es widerstrebt mir, einfach wegzufliegen und die Schuld auf Nimba beziehungsweise auf mir sit zen zu lassen. Ich muß versuchen, das Gericht der Garimpeiros von seiner Unschuld zu überzeugen.« »Das hat nur Zweck, wenn Sie Beweise für seine 75
Unschuld erbringen können. Gerade das wird Ihnen aber schwerfallen. Die Sache mit dem Kieshaufen wird nicht bestritten. Man wird Ihrem Mann viel leicht zubilligen, daß er in Unkenntnis der Verhält nisse handelte, aber bestimmt nicht bevor er dem Verdacht des Mordes enthoben ist. Sie können aber nicht beweisen, daß er es nicht gewesen ist.« »Dann muß ich Nimbas Unschuld dadurch bewei sen, daß ich den wirklichen Mörder ausfindig mache.« »Das wäre eine Möglichkeit«, erwiderte Pound. »Sie würden damit gleichzeitig den Garimpeiros ei nen großen Dienst beweisen. Ob Sie allerdings Er folg haben werden?« Sun Koh hob leicht die Schultern. »Man muß es versuchen. Nach der gegebenen Schilderung würde ich den Täter zunächst in dem Begleiter des Ermordeten vermuten.« »Corro? Ja, das ist schon ein übler Bursche. Er ge hört zu der Kolonne, die oberhalb des Campamento arbeiten. Ich persönlich würde auch auf ihn tippen. Wir gehen diesem Gesindel möglichst aus dem Weg. Sie sind schnell mit dem Revolver bei der Hand, fan gen Schlägereien an, wenn sie sich in der Überzahl wissen, sind feige und hinterlistig und laufen lieber herum, anstatt zu arbeiten. Nun, Sie werden ja das Vergnügen noch haben. Überhaupt, wie haben Sie sich denn das gedacht, den Mörder ausfindig zu ma chen?« 76
»Ich muß natürlich eine Weile hierbleiben. Nimba schicke ich mit dem Flugzeug weg.« »Das wollte ich Ihnen raten. Es ist leicht möglich, daß Sie längere Zeit brauchen, um den Schuft aus findig zu machen. Wer weiß, ob Sie ihn überhaupt herauskriegen. Der Mann ist ja gewarnt, wenn Sie gewissermaßen in aller Öffentlichkeit auf die Suche nach ihm gehen.« »Das wäre natürlich wenig zweckmäßig. Vorläufig weiß niemand, daß ich mit Nimba in Verbindung stehe. Ich werde mich also als neu zugewanderter Diamantensucher ausgeben.« »Das gibt mal einen eleganten Garimpeiro«, sagte Pound lachend. »Das läßt sich leicht ändern«, sagte Sun Koh. Pound wurde ernst. »Es ist nicht so einfach, wie Sie sich das denken. Sie sind dann ein Neuling, ein Greenback. Sie kom men natürlich immer dann und wann an den Tibagy, denn letzten Endes fängt ja jeder einmal an. Aber der Neuling hat es eben nicht leicht. Erstens muß er sich ganz anders seiner Haut wehren, bevor er anerkannt wird, und zweitens sind die Arbeitsstellen mit losem Kies selten geworden. Der Garimpeiro arbeitet heute meistens in der Kolonne. Die bestehenden Kolonnen sind nicht so leicht zusammengestellt. Man muß erst einen Unternehmer für sie finden.« »Wieso Unternehmer?« 77
»Die Kolonne braucht eine Tauchermaschine, da zu Taucheranzüge. Zur Anschaffung dieser Sachen gehört ein gewisses Kapital. Die Garimpeiros haben sich nun zu Gruppen zusammengetan und die Tau chereinrichtungen von den Unternehmern geliehen. Die versorgen ihre Gruppe außerdem auch mit Le bensmitteln und sonstigen Dingen und erhalten dafür einen bestimmten Prozentsatz, meist die Hälfte aller Funde. Sie könnten vielleicht in Bobs Kolonne un terkommen, da er ja nun ausfällt, es ist aber auch leicht möglich, daß die anderen keinen Ersatz auf nehmen wollen. Dann bleibt Ihnen nichts übrig, als Ihr Glück aufs Geratewohl zu versuchen.« »Das wäre nicht schlimm. Schließlich will ich ja keine Diamanten finden, sondern den Mörder. Aber – wäre es nicht am einfachsten, wenn ich gleich Ih ren Arbeitsplatz einnehmen würde? Sie anerkennen mich als Stellvertreter und schützen sich gleichzeitig davor, daß ein anderer an dieser Klippe nach Dia manten sucht.« »Kein schlechter Gedanke«, meinte Pound nach denklich. »Offengestanden wäre mir das sogar sehr lieb. Zu tauchen brauchen Sie ja nicht, denn dort ha ben Sie wenig mit Beobachtung zu rechnen. Sie hal ten meinen Platz und können sich trotzdem am Fluß bewegen. Nur Sie wären dann von der verdächtigen Kolonne etwas weit entfernt.« »Ich würde schon die nötige Tuchfühlung auf 78
nehmen. Außerdem möchte ich den Jungen im Cam pamento lassen. Wenn Sie ihn gewissermaßen als Ihren Pfleger unter Ihren Schutz nähmen, wäre mir schon gedient.« »An mir soll’s nicht liegen. Im übrigen sieht er so aus, als ob er sich seiner Haut wehren könnte. Ist er immer so still?« Sun Koh lächelte. »Sie werden ihn bald von der anderen Seite ken nenlernen. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich gele gentlich an Ihrem Platz tauche? Ich möchte wenig stens einmal versuchen, Garimpeiro zu spielen.« »Da wird Ihnen die Lust bald vergehen. Ich habe selbstverständlich nichts dagegen, im Gegenteil, ich wünsche Ihnen viel Glück.« »Ihnen«, sagte Sun Koh lachend. »Ich würde für Sie tauchen.« »Dann holen Sie mir nur ein paar tausend Contos vom Grund hoch«, sagte Pound belustigt. »Das Ar beitszeug kann dann dableiben. Lassen Sie es ruhig hier am Stand liegen, es wird niemand wegnehmen, bis Sie zurückkommen.« Sun Koh erhob sich. »Gut, dann ist wohl alles klar. Ich werde Sie jetzt zum Campamento tragen, ich will aber erst noch ein paar Worte mit meinem Begleiter wechseln.« Er ging zum Flugzeug hinüber, wo Hal und Nimba auf ihn warteten. 79
Minuten später stieg Nimba mit dem Flugzeug auf. Sun Koh nahm Pound wieder auf seine Arme und setzte den Weg zum Campamento fort. 5. Jenseits der Lichtung trafen sie auf den ersten Trupp Garimpeiros. Es waren Männer, die unter der Füh rung jenes Paul Lancour arbeiteten, der auf Corros Nachricht hin die Verfolgung des Mörders aufge nommen hatte. Es waren sieben Mann, die da am Fluß arbeiteten. Quer über den Strom war ein Drahtseil gespannt. An diesem lief eine Art Floß, zwei Kanus, die man durch Bretter miteinander verbunden hatte. Auf den Brettern war eine Taucherpumpe aufmontiert. »Dieses Floß ist die eigentliche Arbeitsstätte des Garimpeiro«, erklärte Eddie Pound. »Die Maschine, die Sie dort stehen sehen, ist eine Pumpe. Sie sehen, wie einige Mann dauernd an ihr beschäftigt sind. Ei ner von der Kolonne ist augenblicklich unten auf dem Grund des Stromes, bricht den Kies los und füllt ihn in Säcke. Dort wird eben einer hochgezogen. Sein Kamerad, der mit dem Kanu am Floß liegt, schafft die Säcke dann zum Ufer und leert sie auf einen Haufen aus. Er gehört dem, der unten auf dem Grund arbeitet. Nach einer Weile wird er von einem anderen abgelöst. Er stellt sich nun mit an die Pumpe 80
oder fährt Kies, während sich der andere seine Porti on vom Grund losbricht. So kommt jeder einmal dran. Es ist Gemeinschaftsarbeit, die schon durch die Anschaffungskosten für die Maschine und für den Taucheranzug bedingt wird.« »Die Garimpeiros tragen eine regelrechte Tau cherausrüstung?« »Halbkörper-Anzüge. Der Unterkörper ist ge wöhnlich nur leicht bekleidet.« »Das Drahtseil ist wohl nötig, damit das Floß nicht fortgetrieben wird?« »Gewiß, die Strömung ist ja ziemlich stark. An manchen Stellen müssen sogar erst noch Remansas eingebaut werden, das sind Wehre, durch die man die Strömung schwächt. Übrigens hat man uns jetzt be merkt.« Die Garimpeiros machten sich durch Zurufe auf die Ankömmlinge aufmerksam. Die Leute auf dem Floß unterbrachen ihre Arbeit natürlich nicht, da ja der Taucher noch unten war. Bevor Sun Koh mit dem Verletzten jedoch die Arbeitsstätte ganz erreicht hatte, kam der tauchende Garimpeiro hoch. Nun ruh te die Pumpe, die Männer stiegen in die Kanus, die am Floß angebunden waren, und kamen dann zum Ufer. Eddie Pound war allgemein bekannt. Zurufe flo gen auf. Die Garimpeiros drängten heran. »Legen Sie mich ruhig für eine Weile ab«, sagte 81
Pound. »Ein paar Worte muß ich schon mit meinen Landsleuten wechseln, damit sie Bescheid wissen.« Paul Lancour machte sich zum Wortführer seiner Kameraden. »Hallo, Eddie«, sagte er, »was ist denn mit dir pas siert?« Pound schüttelte ihm die Hand. »Tag, Paul. Nicht schlimm, bloß ein bißchen langwierig. Ich habe mir den Knöchel verzerrt, als ich von der Klippe aus zum Ufer schwamm.« »Hättest bei der Kolonne mitarbeiten sollen«, brummte Lancour besorgt. »Ein Wunder, daß dich der Tibagy wieder losgelassen hat.« Pound wies auf Sun Koh. »Dieser Fremde, der zufällig den Fluß heraufkam, hat mich herausgeholt. Er heißt Sun Koh und will sich ebenfalls am Tibagy versuchen.« Lancours Augen gingen forschend über Sun Koh hin. Er streckte die Hand aus. »Willkommen am Tibagy! Das war ein gutes Werk, daß Sie den Jungen herausgeholt haben. Es wäre schade um ihn gewesen. Ich heiße Paul Lan cour. Es freut mich, wieder einen anständigen Kerl mehr am Strom zu sehen. Sie wollen ebenfalls nach Diamanten fischen?« »Ja«, sagte Sun Koh, »ich will es wenigstens ver suchen.« »Er soll meine Vertretung übernehmen«, erklärte 82
Pound, »damit niemand die Klippe besetzt. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dort einen an ständigen Fund zu machen.« Wieder prüfte Lancour den Fremden. »Hm, wenn Sie sich da als Neuling nur nicht gleich zuviel vorgenommen haben. Sie scheinen ja nicht gerade in schlechter Verfassung zu sein, sonst hätten Sie meinen Landsmann nicht aus dem Wasser geholt und bis hierher getragen, aber jene Klippe ist eine der gefährlichsten Stellen, die ich kenne.« »Ich bin ein geübter Schwimmer und Taucher«, erwiderte Sun Koh. »Ich denke, es wird schon ge hen.« »Können Sie auch schießen?« »Ja.« »Das scheint nämlich fast so nötig wie das ande re«, erläuterte Lancour. »Es scheint wieder mal recht unruhig am Tibagy zu werden, und Sie könnten dar auf angewiesen sein, Ihre Ausbeute mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Tob ist erschossen worden, Eddie.« Pound zeigte Erstaunen, obwohl er schon Be scheid wußte. Lancour erzählte von dem Zwischen fall mit Nimba, natürlich so, wie er ihn sah. Die Flucht des vermutlichen Mörders galt als Schuldbe weis. Sun Koh enthielt sich zuerst jeder Stellungnahme, dann sagte er: »Eigentlich müßten Sie mich dann 83
auch in Verdacht haben, denn ich befand mich ja zu der Zeit immerhin in der Nähe.« Lancour schüttelte den Kopf. »Ich habe daran schon gedacht, aber nach meinen Berechnungen müssen Sie um die Zeit, als der Mord geschah, mit Eddie zusammengewesen sein.« »Er war seit einigen Stunden immer in meiner Nä he, ebenso sein Begleiter«, warf Pound dazwischen. »Also können Sie mit der Angelegenheit nichts zu tun haben«, stellte Lancour fest. »Aber jetzt wollen wir wieder an unsere Arbeit gehen. Du läßt dich doch zum Campamento bringen, Eddie?« »Ja. Ich muß schon einige Wochen Ruhe haben. Die Hütte neben euch ist doch noch frei?« »Sicher.« »Dann werde ich mich dort einquartieren.« »Das ist recht. Einer von uns wird sich tagsüber mit um dich kümmern.« »Nicht nötig, dieser junge Mann bleibt bei mir.« »Ich kann ihn an der Klippe ohnehin nicht gebrau chen«, ergänzte Sun Koh. »Auch gut«, meinte Lancour. »Wir sehen uns doch heute abend noch, Sie werden doch wohl erst morgen hinausgehen?« »Ja.« Sie schüttelten sich die Hände. Sun Koh nahm Pound auf und ging weiter. Die Garimpeiros sahen ihm noch eine Weile nach und tauschten erstaunte 84
Bemerkungen darüber aus, wie er den schweren Körper mühelos davontrug. Dann setzten sie wieder zum Floß über. * Der Campamento Antamara bestand aus einer Reihe spitzgiebeliger Hütten, die man wild und planlos durcheinander gebaut hatte. Einige lagen dicht bei sammen, andere weit verstreut, einige standen unmit telbar am Fluß, andere duckten sich unter dem Rand des Urwaldes. Die Wände dieser Hütten bestanden aus gerissenen Pinienbrettern, die Dächer aus Palmblättern, soweit man nicht ebenfalls Pinienbretter dazu verwendet hatte. Die Wände waren kaum mehr als mannshoch. Fenster gab es nicht, das Licht fiel durch die Lücken zwischen den Brettern ins Innere. Auch Türen sah man nur an manchen Hütten, und selbst dann hingen sie windschief an den Lianen, die man als Ersatz für die eisernen Angeln benutzt hatte. Antamara galt als eines der großen Campamentos am Tibagy. Es gab nur wenige solcher Flecken, an denen mehrere Gruppen von Garimpeiros zusammen lebten. Für gewöhnlich sonderten sich die Diaman tensucher voneinander ab. Jede Gruppe arbeitete ge trennt und errichtete ihren Rancho innerhalb weniger Stunden in unmittelbarer Nähe ihrer Arbeitsstelle. 85
Wenn sie aufgegeben wurde, blieb der Rancho ein fach leer stehen, bis er zerfiel und zusammensank. Nur hier und dort bildete sich eine größere Siedlung. Das war vor allem dann der Fall, wenn ein bestimm ter Strich des Flusses als besonders ertragreich galt. Dann ballten sich die Gruppen, die sonst viele Kilo meter voneinander entfernt arbeiteten, auf eine kurze Strecke zusammen. Dann wurde auch der günstigste Wohnplatz – das Ufer eignete sich nicht überall zum Hüttenbau – von mehreren Ranchos gleichzeitig be legt. Diese Campamentos bildeten dann die Stütz punkte für alle jene Leute, die nur vorübergehend am Fluß zu tun hatten, zum Beispiel für die Händler, die die Edelsteine aufkauften. Die Campamentos gaben aber auch die Sammelpunkte für jene Elemente, die zu Diamanten kommen wollten, ohne sie aus dem Fluß zu holen und ohne sie zu bezahlen. Antamara war solch ein Campamento, trotz seiner Trostlosigkeit eine Art Metropole für die Garimpei ros flußauf und flußab. Hier lebte sogar ständig ein Händler, der alle die Kleinigkeiten feil hielt, die dem Diamantensucher begehrenswert erscheinen konnten. Sein Laden war harmlos. Weniger harmlos war die andere Hälfte seines Geschäfts, nämlich die Kneipe, die er ebenfalls eingerichtet hatte. Hier holten sich die Garimpeiros schwere Köpfe und wurden ihre Diaman ten los, ohne einen Gegenwert dafür einzutauschen. Der Campamento Antamara war fast menschen 86
leer, als Sun Koh ihn zum erstenmal betrat. Die Diamantensucher waren fast alle unterwegs, und die Männer, die um diese Tageszeit nichts zu tun hatten, saßen wohl in der Kneipe. Niemand bemerkte die Ankömmlinge. Sun Koh brachte Eddie in einer Hütte unter, die sich in unmittelbarer Nähe von drei anderen Ranchos befand und einen verhältnismäßig stabilen und sau beren Eindruck machte, obwohl sie nichts anderes als eine dürftige Zusammenstellung von Brettern und Blättern über festgestampftem Boden war. »Bitte, sehen Sie erst einmal nach, ob sich nicht etwa Spinnen eingenistet haben«, bat Pound. »Soviel Widerwillen gegen Spinnen?« »Ein Puma ist mir lieber. Wir haben hier nämlich eine Sorte Spinnen, die lebensgefährlich ist. Bei der kleineren Art genügt ein Biß, um einen Menschen zu töten. Die größere lähmt nur einzelne Körperteile, aber das genügt ja auch. Auf dieses Viehzeug müs sen Sie hier besonders aufpassen. Sie kommen nicht oft vor, aber . man tut gut, die Augen offen zu halten. Schon mancher ist ihr Opfer geworden.« Sun Koh und Hal fanden in der Hütte zwar keine Spinnen, aber sie hatten eine Weile zu tun, bevor sie Pound hineintragen und auf das vorbereitete Lager legen konnten. Dann tauchte eine wichtige Frage auf. »Zu essen gibt es hier wohl überhaupt nichts?« fragte Hal. 87
»Damit sieht es allerdings böse aus«, gestand Pound. »Meine Vorräte waren zu Ende. Ich habe noch genügend Geld, und bei Goya kann man aller hand kaufen. Wenn Sie von hier aus halbrechts zum Ufer gehen, werden Sie seinen Rancho finden.« »Dann werde ich also einige Einkäufe machen«, sagte Sun Koh. »Geld brauchen Sie mir jetzt nicht zu geben. Wir können ja später abrechnen. Du bleibst hier, Hal.« »Ich könnte inzwischen Wasser holen«, schlug Hal vor. »Draußen liegt ein alter Eimer, der noch ei nigermaßen dicht zu sein scheint. Das Bein muß ge kühlt werden.« »Also gut, hol Wasser.« »Seien Sie bei Goya vorsichtig«, riet Pound. »Dort treiben sich immer ein paar Leute herum, die nichts zu tun haben und gern Unfug anstellen. Sie werden Ihnen als Neuling unter Umständen einen Streich spielen wollen.« »Keine Sorge«, beruhigte Sun Koh. »Ich werde den Leuten möglichst aus dem Weg gehen.« »Das wird Ihnen nicht viel helfen. Achten Sie auf die Hände dieser Kerle und belasten Sie sich nicht mit einem zarten Gewissen. Sie machen sich nichts draus, einen Menschen für nichts und wieder nichts über den Haufen zu schießen. Es gibt nur ein Mittel, um sie sich vom Leib zu halten: Man muß schneller sein als sie.« 88
»Ich werde an Ihren Rat denken«, versprach Sun Koh lächelnd und ging hinaus. Hal verließ gleichzeitig mit ihm die Hütte. An der Seitenwand hing ein alter Marmeladeneimer ohne Griff. Er war verbeult und verdreckt, aber noch dicht genug, um eine Ladung Wasser aufzunehmen. Ge meinsam mit Sun Koh ging er durch den Campamento. »Da sind wir ja in eine feine Gegend geraten, Sir«, meinte er. »Nimba hätte auch etwas Gescheiteres tun können, als in dem Kieshaufen herumzubuddeln.« Sun Koh zuckte mit den Schultern. »Ich wollte mich ohnehin hier einmal umsehen, Hal. Die Siedlung ist nichts wert, aber die Natur ist dafür überraschend großartig und schön. Und die Menschen, die wir bisher kennengelernt haben, sind auch nicht übel.« »Na, in der Kneipe lernen Sie bestimmt die andere Sorte kennen.« »Wahrscheinlich das Gesindel, das sich in allen Erdteilen gleicht.« Ein Stück weiter trennten sie sich. Hal Mervin ging in gerader Linie zum Fluß hinunter, während Sun Koh nach rechts zu einer Gruppe von Ranchos abbog. *
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Goya war ein schmächtiger Mann, der seinen Ober körper leicht nach vorn geneigt hielt und die Füße beim Gehen über den Boden zog. Wenn man ihn von hinten sah, konnte man ihn für einen Mann halten, der eben von einer schweren Krankheit genesen ist. Sah man ihn jedoch von vorn, gab das Gesicht seiner Erscheinung ein ganz anderes Gepräge. Erfahrene Leute wußten dann, daß der eigentümliche Gang so wie die Körperhaltung von einem langen Aufenthalt im Zuchthaus herrührten. Goyas Gesicht wirkte, als wäre es künstlich in die Länge gezogen worden. Rechts und links von seinem Mund standen einige senkrechte tiefe Falten, die un terhalb der Augen ansetzten und sich bis zum Unter kiefer hinunterzogen. Sie schienen aus steifem Leder zu bestehen, denn sie bewegten sich kaum jemals. Die senkrechte Gliederung wurde weiterhin durch langgezogene Koteletten betont, die von vorn gese hen als dicke schwarze Striche vor den Ohren lagen. Die Querlinie des Mundes war dünn und blutleer, während die Nase betont im Gesicht lag. Von der Stirn konnte man nicht viel sehen, da Goya ständig eine tief auf die Augen gezogene Schirmmütze trug. Die Augen selbst waren dunkel, matt und leblos. Er stand wie gewöhnlich hinter dem langen Tisch, der den Innenraum des Ranchos in zwei Hälften teil te. Die linke Seite dieses Tisches diente als Bar. Auf ihr standen Schnapsgläser in kleinen Pfützen und ei 90
ne der Flaschen aus dem Regal an der Wand. Ge wöhnlich lümmelten sich hier einige Männer auf ein fachen Schemeln und zusammengeschlagenen Stüh len herum. Die drei Tische, um die herum ähnliche Sitzgelegenheiten standen, waren nur am Abend be setzt, wenn sich die Spieler eingefunden hatten. Die rechte Hälfte des langen Tisches diente als Ladentisch. Auf ihm standen Blechbehälter und Kä sten, auf die allerlei Gegenstände des täglichen Be darfs herabhingen, die Goya mit Fäden am Hütten dach aufgehängt hatte. Vom Revolver bis zur Ralle war so ziemlich alles vertreten, was ein Garimpeiro gebrauchen konnte. An der Wand dahinter standen rohgezimmerte Regale, die mit den sonstigen Waren beladen waren. Schwarze Bohnen und Trocken fleisch spielten unter ihnen eine erhebliche Rolle. An diesem Nachmittag saßen fünf Männer dicht nebeneinander an der einen Seite des Tisches, wäh rend sich Goya ihnen gegenüber auf seine Ellbogen stützte und gelegentlich eine Bemerkung in das Ge spräch warf, ohne groß die Lippen zu bewegen. Die fünf Männer gehörten zu dem Typ, der in ei ner solchen Kneipe zu erwarten war. In dem einen hätte Nimba sofort den Mischling Corro erkannt. In den Adern der vier anderen floß auch das Blut ver schiedener Rassen, aber immerhin konnte man bei einigem guten Willen zwei von ihnen für Brasilianer spanischer Herkunft halten, den dritten für einen In 91
dianer und den vierten für einen Neger. Als Sun Koh eintrat, verstummte die Unterhaltung. Die Köpfe wandten sich dem Ankömmling zu. Goya schob sich am Tisch entlang in die Gemischtwaren handlung hinein und erkundigte sich, was dem Fremden gefällig sei. Sun Koh wählte unter den vorhandenen Vorräten, was er gebrauchen konnte. Er fühlte die Blicke der anderen Männer auf sich, kümmerte sich aber nicht darum. Er hatte nicht die Absicht, sich an ihnen zu reiben. Goya bediente zunächst stumm, begann dann aber allmählich zu fragen. Sun Koh beantwortete seine Fragen gleichgültig. »Heute erst angekommen?« erkundigte sich Goya. »Ja.« »Neuling am Fluß?« »Ja.« »Wie steht’s mit Handwerkszeug? Bateia gefäl lig?« »Danke, ich bin bereits versorgt. Ich übernehme vorläufig das Zeug von Eddie Pound.« »Ah – hat er aufgegeben?« »Er hat sich den Knöchel verletzt und muß einige Zeit aussetzen. Geben Sie mir das Fleisch dort mit.« »Schon einen Platz ausgesucht?« »Ich arbeite an Pounds Platz weiter.« Goya zog die linke Braue herunter. 92
»Hält er soviel von seinem Platz, daß er einen Neuling hinschickt?« »Vielleicht.« »So, so! Sind Sie ein Freund von ihm?« »Wir lernten uns erst heute kennen.« »Darf man fragen, woher Sie kommen?« »Sie erwarten doch wohl kaum, daß ich Ihnen im Vorbeigehen meine Lebensgeschichte erzähle? So, das wird alles sein. Rechnen Sie zusammen.« »Schon dabei. Ihre Lebensgeschichte interessiert mich überhaupt nicht. Meinetwegen können Sie sein, wer Sie wollen. Hauptsache, Sie haben genug Milreis in der Tasche.« Jetzt mischte sich einer der Männer von der ande ren Hälfte der Tafel ein. »Du sprichst bloß für dich, Goya. Uns interessiert es schon, Fremder, wer Sie sind und woher Sie kommen.« Sun Koh blickte zu ihm hin, zuckte mit den Schul tern und wandte sich wieder ab. »Du bist ihm nicht fein genug«, stichelte der Neger. »Sie sind wohl stumm?« fuhr der Spanier, der ge sprochen hatte, gereizt auf. »Am Tibagy steht man Rede und Antwort. Das können Sie sich merken.« »Der Herr fühlt sich zu vornehm.« »Ist Ihre Rechnung noch nicht fertig«, fragte Sun Koh. »Ich habe den Eindruck, daß sich Ihre Gäste mit Ihnen unterhalten möchten.« 93
»Jetzt wird er unverschämt!« hetzte Corro. »Gib ihm eins drauf, Perez.« Der Brasilianer erhob sich und kam heran. Heraus fordernd und überlegen tippte er Sun Koh auf die Schulter. »Mit Ihnen wollen wir uns unterhalten, Fremder. Ich hoffe, Sie haben Erziehung genug, um nicht ab zulehnen, wenn ich Sie zu einem Glas einlade.« Sun Koh fixierte ihn. »Ich besitze Erziehung genug, um diese Einladung abzulehnen.« Perez legte die Hand um den Pistolenkolben. Das geschah aber nur unwillkürlich. Er war zu verwirrt, um sofort zu handeln. Dafür knurrten die anderen Männer über die Beleidigung und drängten heran. Sun Koh wandte ihnen jedoch kaltblütig den Rücken zu und bezahlte den Betrag, den ihm Goya aufge rechnet hatte. Hinter ihm stießen sich die Männer beim Anblick der Banknoten an und warfen sich verständigende Blicke zu. Sie verhielten sich jedoch still, bis sich Sun Koh mit seinem Pack Waren zum Gehen wen den wollte. Dann übernahm Perez, der sich inzwi schen erholt hatte, wieder den Angriff. »Nicht so schnell, Fremder«, knurrte er und trat Sun Koh in den Weg. »Wenn Sie auch meine Einla dung ablehnen, werden Sie uns doch einige Fragen beantworten.« 94
»Nein«, lehnte Sun Koh kalt ab. »Ich sehe keine Veranlassung.« Corro trat vor. »Aber wir. Am Tibagy ist wieder ein Mord began gen worden. Das kann nur ein Fremder gewesen sein. Sie sind unseres Wissens der einzige Fremde, der sich zur Zeit des Mordes in der Nähe aufgehalten hat.« Sun Koh nickte. »Ich verstehe. Andererseits hat man mir erzählt, daß am Tibagy Männer leben, die für eine Handvoll Milreis jederzeit einen Mord begehen würden. Oder stimmt das nicht?« »Verdammt, soll das etwa uns gelten?« »Ihre Sache, wenn Sie das auf sich beziehen.« Die fünf Männer waren dicht daran, ihre Pistolen zu ziehen. Nur Sun Kohs kühle Sicherheit hielt sie noch zurück. Die beiden Männer, die unmittelbar vor ihm standen, zögerten und die anderen warteten dar auf, daß die beiden handeln würden. »Sie sind ein Mörder!« hetzte Corro. »Auf ihn, Kameraden, wir…« Er griff nach Sun Kohs Brust, aber der wischte den fremden Arm mit einer kurzen Bewegung weg. »Finger weg! Machen Sie Platz.« Jetzt riß Perez seine Pistole heraus. Sun Koh ließ den Packen los und griff blitzschnell zu. Perez brüllte auf und ließ die Waffe aus der ver drehten Hand fallen. 95
Alles Weitere ereignete sich innerhalb von Sekun den. Sun Koh riß mit der freien Hand Corro an sich heran und warf ihn gegen die drei anderen. Gleich darauf schleuderte er Perez gegen sie, so daß sie ver gaßen, von ihren Waffen Gebrauch zu machen. Dann bekamen sie keine Gelegenheit mehr dazu. Gerade noch rechtzeitig bemerkte Sun Koh, daß Goya zur Gefahr wurde. Er kam mit einer Pistole hoch. Sun Koh duckte sich rechtzeitig. Der ihm zuge dachte Schuß fuhr in die entgegengesetzte Hütten wand. Dann flog der Neger über den Tisch und schmetterte Goya mit solcher Wucht gegen die Rega le, daß diese samt ihrer Ladung herunterkamen und die beiden Männer für eine Weile unter sich begru ben. Und nun räumte Sun Koh auf. Einer nach dem an deren flog durch die windschiefe Tür, die jedesmal hinten ankrachte und dann rechtzeitig wieder nach vorn kam, um vom Nächsten in Bewegung gesetzt zu werden. Als vier Männer draußen waren, holte sich Sun Koh den Neger hinter dem Ladentisch hervor und schickte ihn hinter den anderen her. Zum Schluß stellte er Goya auf die Füße. »Von Rechts wegen müßte ich Sie auch hinaus werfen«, sagte er. »Was fällt Ihnen ein, auf mich zu schießen?« 96
Goyas Augen gingen verwirrt und wütend hin und her. Ganz genau schien er noch nicht zu wissen, was oben und unten war. Doch eine Ausrede kam ihm von allein auf die Lippen. »Ich wollte Ihnen doch bloß helfen«, maulte er. »Genau mein Eindruck«, meinte Sun Koh spöt tisch. »Dann sind Sie ja froh, daß ich Ihre Gäste an die Luft gesetzt habe. Ein anständiger Gastwirt dul det solche Leute überhaupt nicht. Das nächste Mal sorgen Sie rechtzeitig dafür, daß harmlose Käufer nicht von solchem Gesindel belästigt werden. Wo sind meine Sachen? Aha, noch alles da. Also auf Wiedersehen.« »Meine Regale?« regte sich Goya auf. »Sie müs sen mir ersetzen, was Sie …« »Wenden Sie sich an die anderen«, sagte Sun Koh und lachte ihn aus. »Das kommt davon, wenn man so schlecht schießt und aus Versehen fast den Falschen trifft. Sonst noch etwas?« »Scheren Sie sich zum Teufel!« murrte Goya. Sun Koh ließ ihn allein. Dreißig Meter vor der Tür saß Hal neben einem vollen Eimer und grinste Sun Koh entgegen. »So ungefähr habe ich mir das gedacht, Sir«, sagte er. »Das war ein Spaß, wie die Kerle der Tür das Pendeln beibrachten.« »Wo sind sie hin?« »Zum Fluß hinunter und weiter stromaufwärts. Sie 97
hatten alle den Hexenschuß im Kreuz. Aber die Mäu ler sind ihnen wie offene Wasserhähne gelaufen. Vor denen müssen Sie sich in acht nehmen, Sir. Sie ha ben blutige Rache und was noch alles geschworen.« Sun Koh hob die Schultern. »Es ist immer eine Ehre, von solchem Gesindel gehaßt zu werden.« Eddie Pound war von dem Bericht, den ihm Sun Koh gab, ebenso begeistert wie bestürzt. »Da hätte ich dabei sein wollen«, sagte er. »Fünf von diesen Kerlen aus Goyas Laden hinausgeworfen – Donnerwetter, ich hätte mir nicht träumen lassen, daß so etwas möglich ist. Diese Lumpen sind ge wöhnlich viel zu schnell mit ihren Revolvern oder Messern bei der Hand. Aber Sie haben sich fünf er bitterte Feinde gemacht. Das nächstemal werden sie bestimmt nicht warten, daß sie in die Reichweite Ih rer Hände kommen.« »Nun, ich schieße nicht schlecht«, meinte Sun Koh. »Immerhin werden sie es Ihnen nicht leicht ma chen«, wandte Pound bedenklich ein. »Ich kann mir schon denken, wer sich da bei Goya herumgetrieben hat. Lauter Gesindel, das uns zwingt, bewaffnet he rumzulaufen. Diese Leute werden jede Gelegenheit nutzen, Ihnen eins auszuwischen. Wir gehen ihnen jedenfalls lieber aus dem Weg, und solange keine großen Funde gemacht werden, lassen sie uns auch in Ruhe. Aber Sie sehen ja an dem Ermordeten, wie 98
leicht sie einen Menschen umbringen, wenn es ihre Habgier verlangt.« »Nun gut, dann werden sie mich an der Klippe wohl vorläufig auch in Ruhe lassen.« »Sagen Sie das nicht! Sehen Sie, man hat wieder holt beobachtet, daß Fremde die Kieshaufen der Ga rimpeiros angehen und Proben nehmen. Das scheint sogar ziemlich planmäßig zu geschehen. Wir haben den Eindruck, daß gewisse Leute planmäßig kontrol lieren, um die Ergiebigkeit der einzelnen Plätze fest zustellen. Und am Tibagy wird die Hölle los sein, falls ein Garimpeiro eine Stelle anbricht, an der sich die Ausbeute reichlich lohnt.« »Sie meinen, daß sich dann die Verbrecher die Fundstelle sichern wollen?« »So ungefähr.« »Hat man Ihrem Haufen schon Proben entnom men?« »Meines Wissens nicht. Das ist kein Wunder. Ich arbeite ziemlich abseits und noch nicht sehr lange, und außerdem habe ich mich Tag und Nacht in der Nähe aufgehalten. Ich vermute aber, daß Sie bald einiges von den Leuten zu spüren bekommen. Ich würde an Ihrer Stelle jedenfalls lieber eine zweite Waffe mit zur Klippe hinausnehmen.« »Gereizte Leute geben sich leicht Blößen«, besch wichtigte Sun Koh. »Jetzt werden Sie erst einmal essen.« 99
Damit wurde die Unterhaltung friedlicher. Später hörte man die Schritte heimkehrender Garimpeiros im Campamento. Dann fiel die Nacht über das Land. Stärker und voller rauschte und gurgelte der Tibagy über die kostbaren Steine auf seinem Grund hinweg dem fernen Donner des nächsten Wasserfalles entge gen. 6. Donnernd und polternd warf der Tibagy seine weiß schäumenden, verspritzten Fluten über die Strom schnelle, sammelte sie unterhalb in schnellen, krei senden Wirbeln und zog geschäftig seine Bahn wei ter. Gischtig brachen sich die Wellen an einer schma len Klippe, die sich quer über die Mitte des Stroms legte. Dicht am Ufer stand Sun Koh bis zu den Knien im Wasser. Sein Oberkörper war gebeugt. Seine Hände umfaßten den flachen Rand der Bateia und schwenk ten sie in eigenartigen, rhythmischen Bewegungen im Wasser kreisförmig herum. Schleifend ging das Gemenge von Kies und Wasser, das die Bateia zur Hälfte füllte, mit. Sun Koh übte. Dieses Schwenken der Bateia wollte wirklich ge lernt sein. Es war ein Trick dabei, der erst richtig be 100
herrscht werden mußte. Sonst setzten sich die schwe ren Gegenstände einfach nicht ab. Jetzt ging die Bateia in seinen Händen mit wie in denen eines erfahrenen Garimpeiro. Eigentlich wäre es ja nicht nötig gewesen, sich damit aufzuhalten, aber es war eine Abwechslung. Mann konnte nicht den ganzen Tag lang drüben auf der Klippe sein und tauchen. Und ganz nebenbei wollte auch Sun Koh erfahren, ob sich diese Arbeit lohnte. Sun Koh untersuchte den Bodensatz der Bateia. Stück für Stück las er die schweren Splitter und Körnchen heraus und legte sie neben sich auf den flachen Stein. Er war überrascht. So reichlich hatte er sich die Ausbeute dieser Diamantenfischerei eigentlich nicht gedacht. Das waren immerhin eine ganze Menge Steine. Viele von ihnen waren winzig klein, aber es gab einige darunter, die die Größe einer Erbse er reichten. Wenn das ein durchschnittliches Ergebnis darstellte, mußten die Garimpeiros schnell zu reichen Leuten werden. Oder war der Fund, den er ausgewaschen hatte, etwa ungewöhnlich groß? Sun Koh konnte das nicht beurteilen, da er die üb lichen Funde nicht kannte. Plötzlich hörte er das Geräusch herannahender Schritte. Er wandte den Kopf. Dicht am Waldrand schlichen zwei Männer. Of 101
fenbar wären sie am liebsten unbemerkt herange kommen. Jetzt lösten sie sich von den Bäumen und gingen auf Sun Koh zu. Er kannte ihre Gesichter nicht. Das hatte jedoch nichts zu besagen, da er bis her nicht viele Garimpeiros zu sehen bekommen hat te. Angenehme Typen waren die beiden jedenfalls nicht. Ihre Kleidung war landesüblich wild und stil los – lange, verschmutzte und zerknitterte Hosen, aufgeschlagene Hemden, Ledergürtel mit Pistole und Messer und schiefgesetzte, abgegriffene Mützen. Die beiden schlenderten wie harmlose Spazier gänger heran, die eine Hand in der Hosentasche, die andere an der unvermeidlichen Zigarette. Ihre ganze Haltung drückte Gleichgültigkeit und Gelassenheit aus. Sie trugen nur etwas zu stark auf, um echt zu wirken. »Hallo, Kamerad«, rief der eine im Herankom men. »Ein gefährlicher Platz, nicht?« Er sprach Guarani, den abgewandelten Indianer dialekt, der am Tibagy gesprochen wurde. Sun Koh antwortete ihm im gleichen Dialekt. »Nicht so schlimm. Man gewöhnt sich an die Ge fahr.« »Du arbeitest für Eddie Pound?« »Ich vertrete ihn einstweilen.« Die Augen der beiden Besucher gingen hin und her. Sie blieben auf den unscheinbaren Steinen, die Sun Koh ausgewaschen hatte, hängen. 102
»Schon Proben gemacht, he?« »Sieht so aus.« Die beiden tauschten einen Blick aus. »Nicht so schlecht, Lay«, brummte der eine. »Ja, nicht schlecht, Ajo«, bestätigte der andere und wandte sich wieder an Sun Koh. »Wie viele Bateias, Freund?« »Eine.« Die beiden ruckten auf. »Eine?« Sun Koh wurde aufmerksam. »Etwas Besonderes?« Lay fixierte ihn mißtrauisch und brummte dann: »Mach keine Witze, Fremder. Solche Witze haben wir hier nicht gern. Wenn das aus einer Bateia he rausgekommen wäre, dann hättest du einen Fund gemacht, wie es ihn am Tibagy noch nie gegeben hat. Aber es genügt auch so schon. Du arbeitest doch erst seit kurzem hier?« »Allerdings.« »Hm, na ja, manche haben eben Glück. Ich habe noch nie einen Platz gehabt, aus dem man in ein paar Tagen so viele Steine herausholen konnte. Und dabei bist du auch noch Anfänger.« »Dem Anfänger hilft Gott.« Die beiden warfen ihm schiefe Blicke zu. »Und einem, der sich abrackert, hilft nicht einmal mehr der Teufel, he?« 103
»Na, na, so abgerackert seht ihr nun auch wieder nicht aus«, meinte Sun Koh belustigt. »Macht ihr ei nen Spaziergang?« »Nee, das nicht. Wir sind auf der Suche nach ei nem neuen Platz. Wie wär’s, Kamerad – kannst du nicht zwei Partner gebrauchen?« Sun Koh winkte ab. »Danke, ich arbeite lieber allein. Außerdem bin ich ja nur Stellvertreter. Ihr müßtet schon mit Pound sprechen.« Die beiden tauschten wieder Blicke aus, dann brummte Lay: »Jedenfalls wäre es besser für dich und auch für Pound, wenn du hier nicht so allein ar beiten würdest.« »Wieso? Habt ihr Angst, wir könnten die Diaman ten nicht fortbringen, die wir hier herausholen?« Lay hob bedeutungsvoll die Schultern. »Der Tibagy ist kein Kindergarten. Die Gegend ist unruhig – wenn du verstehst, was ich meine. Schon mancher Garimpeiro hat nichts von seinen Steinen gehabt, weil er alles für sich allein haben wollte.« »Banditen?« Lay grinste. »Was sonst? Wenn gewisse Leute dahinterkom men, daß du so viele Steine aus dem Fluß geholt hast, werden sie bald hinter dir her sein. Also wie wär’s mit uns? Ich meine es gut mit dir, wenn ich dir vorschlage, uns als Partner zu nehmen.« 104
Sun Koh schüttelte den Kopf. »Ich sagte schon, daß ihr euch an Pound wenden müßt. Im übrigen denke ich, daß ich mich gegen Überfälle ganz gut schützen kann.« »Ach nee? Na, hoffentlich traust du dir nicht zu viel zu.« Sun Koh verstand, daß ihn die beiden abtasten wollten. Er tat ihnen den Gefallen und zog die Pistole aus dem wasserdichten Behälter, den er am Gürtel trug. Dann zeigte er auf einen kleinen hervorragen den Ast, der sich in fünfzig Meter Entfernung an ei nem großen Baum befand. »Den Ast dort.« Der Schuß krachte. Der Ast flog vom Baum zu Boden. »Allerhand!« brummte Ajo. »Wirklich allerhand! Aber manchmal kommt es nicht so darauf an, daß man gut schießt, sondern daß man schnell schießt!« »Wir können ja einmal einen Versuch machen!« schlug Sun Koh vor, aber die beiden wehrten sofort ab. »Wieso, wieso?« wunderte sich Ajo. »Wir wollen dich ja nur vor Schaden bewahren. Wenn du meinst, daß du dir selbst helfen kannst, soll es uns recht sein. Komm, Lay, sehen wir weiter. Vielleicht gefällt uns die Landschaft jenseits vom Wasserfall.« Die beiden tippten abschiednehmend an ihre Müt zen und bummelten weiter am Ufer entlang. Sun Koh 105
blickte ihnen eine Weile nach, während ein Lächeln der Belustigung auf seinem Gesicht lag. Tausend zu eins, daß die beiden ausgeschickt worden waren, um sich nach seinen Ergebnissen umzusehen. Eine Weile später stand er wieder auf der Klippe. Dieses Tauchen war wirklich eine schwere Arbeit. Sun Koh bewunderte Eddie Pound, der ausgerechnet hier dem Fluß seine Schätze abjagen wollte. Das Wasser warf sich mit brutaler Gewalt gegen den tauchenden Körper. Es wütete in einer regelrech ten Brandung an der Klippe hoch und drückte derar tig scharf gegen den Felsen, daß man sich in acht nehmen mußte, nicht zerschmettert zu werden. Und dann war es wirklich nicht so einfach, sich unten auf dem kiesigen Grund zu halten, ein paar Hände voll Kies in den Sack zu scharren und dann wieder nach oben zu stoßen. Die meiste Kraft und die meiste Luft ging im Kampf gegen das wütende Wasser verloren. Wieder einmal kam Sun Koh hoch und schwang sich auf die Klippe. Der Sack war voll. Er bückte sich, um das Seil mit dem auf dem Grund liegenden Sack hochzuziehen. Diese Bewegung rettete ihm das Leben, denn er spürte dicht über seinem Nacken ein Geschoß hinwegbrennen. In blitzschneller Erkenntnis der Gefahr warf er sich nach vorn, in den brandenden Strudel hinein. In Stürzen erfaßte sein Auge zwei Gestalten, die sich hinter den Blöcken am Ufer aufrichteten. 106
Lay und Ajo! »Den habe ich erwischt«, knurrte Ajo befriedigt. »Ein guter Schuß ist ein Vermögen wert.« Lay hatte seine Bedenken. »Hoffentlich hast du ihn wirklich getroffen. Es sah so aus, als ob er sich gerade rechtzeitig gebückt hät te.« Ajo winkte überlegen ab. »Ach was, er ist erledigt worden. Selbst wenn ich ihn nur verwundet habe, kann er sich gegen den Strom nicht halten. Komm, sehen wir einmal nach, wo er seine Steine vergraben hat.« Sie gingen zu der einfachen Hütte hinüber, die Sun Koh für die Nacht benutzte. Dort gab es nicht viel zu sehen. Sun Koh hatte mit solchen Besuchen gerech net und nichts in der Hütte gelassen, was von Wert sein konnte. Die beiden stöberten vergeblich. »Verdammt!« fluchte Ajo nach einer Weile. »Nichts zu finden! Wo mag er die Steine nur ha ben?« »Vielleicht trägt er sie bei sich?« »Wäre schade um sie. Aber ich glaube es nicht. Ich habe ihn doch in die Hütte gehen sehen.« »Wer weiß, was er hier gewollt hat. Die Steine sind jedenfalls nicht hier. Ist aber auch nicht weiter schlimm. Wenn wir uns ein paar Wochen an die Ar beit machen, sind wir reiche Leute. Der Kerl ist auf 107
einen Platz gestoßen, wie es ihn so leicht nicht wie der gibt.« Ajo wiegte den Kopf hin und her. »Scheint so, aber es wird nicht leicht sein, den Kies herauszuholen. Eigentlich schade, daß keiner von uns beiden so gut tauchen kann. Das wäre sonst ein Geschäft!« Lay blinzelte ihn an. »Du meinst, dann brauchten wir den anderen gar nichts zu erzählen? Hm, nicht schlecht. Aber es geht nicht. Sie würden schnell Bescheid wissen.« »Natürlich hat es keinen Zweck«, murrte Ajo. »Der Chef würde uns die ganze Bande auf den Hals hetzen, und wir hätten alle Aussicht, dem Fremden in die Hölle zu folgen.« »Hm, vielleicht doch nicht. So gut wie wir beide schießt keiner von den anderen.« »Corro hat neulich nicht schlecht geschossen.« »Kunststück, aus nächster Nähe. Aber der Chef – das ist etwas anderes. Vor dem muß man sich in acht nehmen.« »Auch nicht so schlimm, sonst hätte der Fremde nicht seine ganze Kneipe ausräumen können. Aber es ist schon besser, wenn wir mit den anderen zusam menarbeiten. Wird schon für alle reichen, was wir hier herausholen. Was erzählen wir im Campamento?« »Darüber sprechen wir lieber erst mit dem Chef. 108
Er kann durch unverdächtige Zeugen feststellen, daß der Platz nicht mehr besetzt ist. Komm.« Sie traten aus der Hütte heraus und blieben wie angewurzelt stehen. Wenige Meter vor der Hütte saß Sun Koh auf ei nem Stein und lächelte sie belustigt an. »Na, habt ihr euch ein bißchen bei mir umgese hen? Hübsch eingerichtet, nicht?« Die beiden Männer würgten. Lay faßte sich als er ster und stotterte: »Donnerwetter, ich dachte – wir dachten – wie bist du auf einmal hierhergekom men?« »Oh, ich habe mich beeilt, als ich sah, daß ich Gä ste bekam.« Ajo faßte sich jetzt ebenfalls und wurde frech. »Verdammt, wir haben uns die Augen nach dir ausgesucht. Wir wollten dich noch einmal sprechen, und da wir dich nicht sehen konnten, dachten wir schließlich, du wärst in der Hütte.« »Nicht möglich!« staunte Sun Koh. »Und ich dachte, ihr hieltet mich für tot!« »Wieso?« wunderte sich Lay. Sun Koh stand auf und trat dicht an die beiden heran. »Einer von euch hat auf mich geschossen.« »Geschossen?« wehrte Ajo entrüstet ab. »Hältst du uns etwa für Banditen?« »Ja.« 109
Das schlug den beiden denn doch ins Gesicht. Sie schreckten zurück. Sekunden später wurden sie wü tend. »Das ist eine Unverschämtheit!« »Das wirst du büßen!« »Ihr habt schlecht geschossen«, sagte ihnen Sun Koh kalt ins Gesicht. »Das nächstemal schieße ich zurück. Und ich treffe besser. Jetzt verschwindet. Sagt eurem Chef, daß der Platz immer noch besetzt ist. Und wenn ich euch oder euresgleichen noch ein mal hier in der Nähe sehe, könnt ihr was erleben. Und nun marsch, marsch!« Die Hände der Männer zuckten nach den Hüften. Sie hatten sich entschlossen, das Versäumte nachzuho len. Schließlich blieb es für sie gleich, ob sie den unbe quemen Gegner hier oder auf der Klippe erledigten. Sun Koh war schneller als sie. Sie konnten seine Bewegungen nicht verfolgen, aber jedenfalls hielt er plötzlich seine Waffe schußbereit in der Hand, wäh rend die beiden noch auf halben Weg waren. Sie hielten klugerweise sofort in der Bewegung inne und brachten ihre Hände ohne Waffen zum Vor schein. »Ihr seid leichtsinnig«, warnte Sun Koh. »Ich habe euch vorhin gesagt, daß ich auch ziemlich schnell bin. Verschwindet!« Die beiden ließen sich das nicht zweimal sagen. Sie liefen eilends davon. 110
Sun Koh steckte die Waffe weg, als sie sich außer Sichtweite befanden. Er war sich über die Situation im klaren. Diese beiden hatte er verjagt, aber lange würde es nicht dauern, dann trat die ganze Bande ge gen ihn an. Es war sehr unruhig am Tibagy. In der letzten Zeit fand man hier und dort Haufen angebrochen. Unruhe und Unsicherheit wanderten den Fluß hinauf und hinunter. Eine Gruppe blickte mißtrauisch auf die andere. Am Fluß befanden sich Männer, die das ungeschriebene Gesetz der Unan tastbarkeit fremder Kieshaufen mißachteten. Man kannte sie nicht, sondern vermutete nur. Man wünschte nichts sehnlicher, als die Kerle zu fassen, aber es gab zu wenige Anhaltspunkte. Dann geschah der erste Mord. Ein Garimpeiro wurde weit oben am Fluß mit durchschossener Brust aufgefunden. Man wußte, daß er monatelang ge taucht und seine Bateia geschwenkt hatte, daß er also eine Piqua voll Diamanten haben mußte. Man fand keinen einzigen Stein bei ihm. Raubmord! Die Garimpeiros traten zum erstenmal zu einer größeren Versammlung zusammen. Sie lief jedoch ohne Ergebnis wieder auseinander. Die Mehrzahl der Diamantensucher war noch geneigt, den Mord für ein einmaliges Ereignis zu halten. Sie wollte durch eine ausgedehnte Fahndung nach dem Täter nicht zuviel Zeit verlieren. 111
Dann geschah der zweite Mord! Er betraf einen Mann, der mit viel Glück gearbeitet hatte und das Diamantensuchen aufgeben wollte, um sich in Curityba eine neue Existenz zu gründen. Er passierte Antamara und erzählte dort von seinen Er folgen und Absichten. Zwei Tage später wurde er von einer Gruppe Garimpeiros aus dem Fluß gefischt. Nun folgte der Mord an Tobias Berger. Er war der erste, bei dem man einen deutlichen Hinweis auf den Mörder bekam. Zweifellos war der riesige Neger, der den Haufen durchwühlt hatte, auch der Mörder. Damit schienen sich alle vorangegangenen Erei gnisse zu klären. Obgleich keiner der Garimpeiros etwas von einem Flugzeug bemerkt hatte, leuchtete es doch jedem ein, daß man mit Hilfe einer solchen Maschine die Untaten begehen und spurlos wieder verschwinden konnte. Und nun geschah der vierte Mord. Zehn Kilometer oberhalb von Antamara arbeitete ein Engländer als Einzelgänger. Am Morgen sprachen noch verschie dene Leute mit ihm. Am Abend wurde er an der Re mansa kurz vor Antamara aufgefischt – durch einen Herzschuß getötet. Am nächsten Tag ruhte die Arbeit am Tibagy. Die Garimpeiros kamen in ihren Kanus den Fluß heruntergeschossen oder stapften mit leichten Booten auf dem Rücken den Fluß aufwärts auf den Campa mento Antamara zu. 112
Es waren rund hundert Männer, die sich um die Kneipe Goyas herum sammelten. Dort bot der freie Platz genügend Raum, und außerdem waren die Ga rimpeiros keine Männer, die an einem solchen Tag einen Schnaps verschmähten. Goya hatte alle Hände voll zu tun. Die Männer standen in Gruppen herum und tauschten ihre Meinungen aus. Endlich machte sich eine allgemeine Bewegung bemerkbar. »Sollen wir denn noch lange hier herumstehen?« riefen einige. »Wer hat die Versammlung eigentlich einberufen?« Die Frage lief durch die Gruppen hindurch. Selt samerweise wurde sie von niemand befriedigend be antwortet. Keiner wußte, wer die Versammlung ein berufen hatte. Als die Unruhe immer größer wurde, sprang Paul Lancour auf einen Stein und rief in die Menge hinein: »Hallo, Kameraden!« Die Männer wandten ihm die Köpfe zu. Lancour war fast allen bekannt. Die ehrlichen Garimpeiros schätzten ihn wegen seiner Ruhe und seiner Hilfsbe reitschaft. Er hatte manchem, der nach ihm an den Fluß gekommen war, gute Ratschläge gegeben. »Ich habe euch nicht zusammengerufen, aber da ihr nun einmal hier seid, können wir uns auch über unsere Angelegenheiten aussprechen. Gestern hat es den vierten Mord im Bereich des Campamento gege ben. Das darf so nicht weitergehen. Wir müssen uns 113
darüber einig werden, wie wir den Verbrecher fangen wollen.« »Du hättest ihn nicht wegfliegen lassen sollen«, rief einer boshaft. »Wir konnten nicht hinter ihm herspringen«, ant wortete Lancour. »Außerdem steht noch lange nicht fest, ob das der gesuchte Mörder war.« »Wer sonst?« rief ein anderer. »Was weiß ich? Es hat wohl auch keinen Sinn, wenn wir uns über weggeflogene Tauben ärgern. Je denfalls dürfen wir nicht ruhig zusehen, wie man un sere Kieshaufen plündert und einen nach dem ande ren abknallt. Ich möchte jetzt vor allem verhüten, daß wir wieder so wie nach dem ersten Mord einfach auseinanderlaufen. Ich schlage vor, daß wir einen Fahndungstrupp bilden, der sich ausschließlich damit beschäftigt, die Ordnung wiederherzustellen und den Mörder zu finden. Ich dachte mir, daß vielleicht von jeder Gruppe einer bestimmt wird, der sich mit auf die Suche macht. Die anderen aus der Gruppe müß ten ihm natürlich seinen Anteil geben.« Allgemeine Zustimmung machte sich bemerkbar. Viele Garimpeiros hatten sich wohl schon unterwegs gedacht, daß ein ähnlicher Vorschlag kommen wür de. »Der Fahndungstrupp würde annähernd zwanzig Mann umfassen«, fuhr Lancour fort. »Das sind ge nug Leute, um einen Dieb und Mörder ausfindig zu 114
machen. Einer von ihnen müßte das Kommando übernehmen, und er müßte entsprechende Vollmach ten bekommen. Das wäre so ungefähr mein Vor schlag. Aber vielleicht weiß einer von euch etwas Besseres?« Er trat von dem Stein herunter. Minutenlang rede ten die Männer durcheinander, dann stand plötzlich Corro oben. »Garimpeiros!« rief er über die Köpfe hinweg. »Lancour hat recht. So kann es nicht weitergehen. Ich war keine zwanzig Schritte entfernt, als Tob er schossen wurde, und ich habe keinen größeren Wunsch, als dem Kerl die Gurgel abzudrehen, der das getan hat. Wir müssen den Schuft fangen und aufhängen. Ich denke mir nur, daß wir ein paar Äste brauchen werden, denn vielleicht handelt es sich nicht nur um einen, sondern um mehrere Leute, die den ehrlichen Garimpeiro um seine Diamanten brin gen wollen.« Er fand allgemeine Zustimmung, die zum Teil sehr lebhaft, zum Teil zurückhaltend kam. Corro war bei vielen Garimpeiros nicht beliebt. Manche fanden so gar insgeheim, daß es ein geschickter Schachzug von ihm war, selbst von Tobs Ermordung zu sprechen. »Wir müssen eine Streife stellen«, fuhr Corro fort. »Von jeder Gruppe einen Mann, und an die Spitze jemand, der alle Vollmachten erhält. Am besten würde sich dazu jemand eignen, der vollkommen 115
neutral ist und Zeit genug hat, um sich der Angele genheit gründlich zu widmen.« »Wie wär’s mit dir?« witzelte jemand, aber Corro ging mit einer verächtlichen Bewegung darüber hin weg. »Es muß ein Mann sein, der sich am Fluß aus kennt, Mumm in den Knochen hat und mit einer Pi stole umgehen kann. Ich schlage Perez vor.« Zustimmung und Ablehnung klangen auf. Corro trat ab. »Lancour soll die Streife führen!« riefen viele Stimmen. Andere Namen wurden genannt, doch nach eini gem Hin und Her konzentrierte sich das Interesse auf die beiden, die zuerst ausgerufen worden waren. Der Ire Mulberry übernahm schließlich die Ab stimmung. Perez wurde mit einem halben Dutzend Stimmen Mehrheit zum Führer der Streife gewählt. Das löste auf der Gegenseite einiges Kopfschütteln aus, aber man nahm die Wahl hin. Man konnte Perez nichts Schlechteres nachsagen, als daß er ein Raufbold war und es mit der Arbeit nicht besonders genau nahm. Anschließend wurde über die Vollmachten ge sprochen, die der Streife und ihrem Führer übertra gen werden sollten. Es gab einen Streit darüber, ob die Streife die volle Gerichtsbarkeit bekommen sollte oder nicht. Die Anhänger von Perez waren dafür. Die 116
Freunde Lancours stellten sich jedoch dagegen und setzten sich diesmal durch. Perez wurde verpflichtet, Angelegenheiten um Leben und Tod der Versamm lung der Garimpeiros zu unterbreiten. Die Versammlung war damit zu Ende. Die Garim peiros verliefen sich allmählich bis auf jene, die den Tag in Goyas Kneipe beschließen wollten. * Sun Koh war bei Beginn der Reden eingetroffen. Er hatte den Verlauf der Versammlung aus dem Hinter grund verfolgt und dabei manche interessante Beob achtung gemacht. Später suchte er Eddie Pound auf. »Fein, daß Sie sich wieder einmal sehen lassen. Ich dachte schon, Sie würden die Versammlung versäu men. Wie war’s?« »Sie haben den Bock zum Gärtner gemacht«, be richtete Sun Koh. »Nach meinem Eindruck ist Perez ein Mitglied der Gruppe, der man die Morde am ehe sten zutrauen kann. Goya hat mit seinem Schnaps fleißig Stimmung für ihn gemacht.« Eddie Pound schüttelte den Kopf. »Ausgerechnet Perez? Er wird den Mörder nie fin den.« »Irgendwen wird er schon finden. Was halten Sie von zwei Männern, die sich Lay und Ajo nennen?« »Lumpenpack! Freunde von Goya. Sind Sie mit 117
ihnen zusammengeraten?« »Sie versuchten, mich von der Klippe herunterzu schießen.« Pound blickte bestürzt auf. »Was, so dreist werden die Burschen schon? Konnten Sie die beiden nicht stellen?« »Das schon, aber ich ließ sie wieder laufen. Ich halte sie für Nebenfiguren und warte lieber auf den Mann, der sie geschickt hat. Was macht Ihr Fuß?« »Oh, dem geht es ausgezeichnet. In einigen Tagen kann ich sicher wieder Gehversuche machen. Aber was war mit den beiden Halunken?« Sun Koh berichtete kurz. Pound wurde daraufhin sehr nachdenklich. »Dreiste Bande! Aber es sieht so aus, als ob sich die Kerle einiges von diesem Platz versprechen.« »Kann sein«, sagte Sun Koh. »Übrigens – hier ha ben Sie die Ausbeute meiner Arbeit.« Er holte einen ledernen Beutel aus der Tasche, der halb gefüllt war, und reichte ihn Pound. Der wog ihn überrascht in der Hand. »Ihre Ausbeute? Hm, ich will Sie natürlich nicht verletzen, aber man muß eben einige Erfahrung ha ben, um die Diamanten von den Kieseln unterschei den zu können. Wenn das alles Diamanten wä ren …« Er brach plötzlich ab. Er hatte inzwischen den Beutel geöffnet und sich einen Teil des Inhalts auf 118
die Handfläche geschüttet. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, ging ihm die Luft aus. Er ruckte hoch, ging mit den Fingern seiner freien Hand durch das Häuf chen, schüttete den Rest aus dem Beutel, wühlte auch darin herum und hob schließlich den Kopf. Sein Gesichtsausdruck hatte sich stark verändert. Er sah geradezu verstört aus. Seine Stirn war in Fal ten gezogen, die Augen brannten, und die Lippen schienen sich nicht mehr ganz in seiner Gewalt zu befinden. Nach einer ganzen Weile fragte er heiser: »Das – das haben Sie an der Klippe ausgewaschen?« Sun Koh legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ja, Halt, sagen Sie nichts. Holen Sie erst einmal tief Atem. Sie sind Mann genug, sich nicht umwerfen zu lassen. Schon mancher hat die Fassung verloren, wenn er sich plötzlich dem Reichtum gegenüber sah, nach dem er lange genug gestrebt hat. Ruhig atmen! Kein Diamant ist es wert, daß ein Charakter darüber aus den Fugen gerät. Ein Mensch, der mit Würde arm gewesen ist, muß auch den Reichtum mit Ruhe und Gelassenheit ertragen können.« In Pounds Gesicht kehrte die Beherrschung zu rück. »Danke. Das hat mich tatsächlich fast umgeworfen. Jetzt ist es vorbei. Mir ist nur noch, als träumte ich.« »Auch das geht noch vorüber.« Pound schüttete geistesabwesend die Steine in den Beutel zurück. 119
»Meine Ahnung!« murmelte er. »Viel Splitter, aber auch eine Menge größerer Steine dabei. Und das alles in ein paar Tagen! Ich dachte mir doch, daß sich an der Klippe allerhand angeschwemmt haben muß. Hier, nehmen Sie.« Sun Koh wies den Beutel zurück. »Die Steine gehören Ihnen. Ich habe sie für Sie aus dem Wasser geholt.« Pound blickte verständnislos. »Wieso? Sie haben sie herausgeholt, und sie gehö ren Ihnen!« »Es ist aber doch Ihr Platz.« »Wenn Sie nicht eingesprungen wären, gehörte er mir wohl schon nicht mehr. Ich mache Ihnen den Vorschlag, daß alles Ihnen gehört, was Sie aus dem Wasser holen, und daß wir dann, wenn ich wieder gesund bin, auf halbpart arbeiten. Einverstanden?« »Nein«, lehnte Sun Koh freundlich ab. »Ich bin nicht zum Tibagy gekommen, um Diamanten zu su chen, und ich werde deshalb auch keinen Tag länger bleiben. Sie haben mir ermöglicht, mich unauffällig in der Nähe des Campamento aufzuhalten. Wenn ich Ihnen dafür ein paar Säcke Kies aus dem Fluß hole, geht das in Ordnung. Die Diamanten gehören Ihnen, auch wenn ich sie ausgewaschen habe.« Das konnte Pound nicht fassen. »Was denn – Sie wollen überhaupt verzichten? Ja, aber – das gibt es doch gar nicht? Sie sind selbstver 120
ständlich mein gleichberechtigter Partner. An der Klippe liegt ein Vermögen für uns beide. Wenn Sie vielleicht auch kein armer Mann sind, werden Sie doch nicht einfach auf Tausende von Contos verzich ten?« Sun Koh lächelte beruhigend. »Nun, das ist schon meine Absicht. Ich bin reich genug und brauche dieses Geld nicht. Reden wir also nicht mehr davon. Sie werden Sorgen genug haben, Ihren Platz zu sichern. Die beiden, von denen ich Ih nen erzählte, haben einen Teil der Steine gesehen.« »Ah, deshalb wollten sie sich als Partner aufdrän gen?« »Sicher. Meinem Gefühl nach kamen die beiden im Auftrag eines Mannes, der sich mehr um die Diamanten am Tibagy kümmert, als den Garimpeiros lieb sein kann. Lay und Ajo wissen zwar nicht, wie reich die Fundstelle ist, aber sie werden den Platz für recht ergiebig halten. Immerhin versuchten sie ja, mich aus dem Weg zu räumen. Aus ihrem Gespräch ging hervor, daß sie im Auftrag eines Dritten handel ten und daß sie mit einer ganzen Bande zusammen arbeiten. Sie werden ihren Chef verständigen. Ich denke, daß der einiges unternehmen wird, um sich Ihren Platz zu sichern.« »Hm, wahrscheinlich. In der nächsten Zeit könnte einiges los sein. Ich fürchte, Sie werden Ihr Leben aufs Spiel setzen, wenn Sie dort draußen weiterarbei 121
ten. Am besten wäre es, wenn Sie mich zurückbrin gen würden. Irgendwie werde ich mit den Kerlen schon fertig werden.« Sun Koh schüttelte den Kopf. »Nein. Ich warte gerade auf diese Leute. Wir wol len einmal überlegen, was sie tun werden. Nach den hiesigen Sitten können sie den Platz wohl erst beset zen, wenn er aufgegeben wurde oder sonst irgendwie frei geworden ist, nicht wahr?« »Ja.« »Also werden sie versuchen, den Platz freizuma chen. Da stehe ich zunächst im Weg. Aber selbst, wenn man mich umbringt, kann man Ihnen noch nicht den Anspruch streitig machen. Man wird also auch Sie beseitigen müssen.« »Mir sollen sie nur kommen.« »Sie haben eine Bande gegen sich und verfügen nicht über Ihre volle Bewegungsfreiheit. Tatsächlich bereitet mir die Gefahr, die Ihnen droht, die meisten Sorgen. Am besten wäre es, wenn Sie bis zu Ihrer Gesun dung verschwinden würden.« »Verschwinden?« »Ja. Sie wissen doch, daß mein Begleiter mit dem Flugzeug unterwegs ist. Ich werde ihn rufen und Sie in das Flugzeug bringen. Sie sind dort wenigstens in Sicherheit.« Eddie Pound schüttelte den Kopf. 122
»Was denn? Ich soll ausreißen, und Sie überneh men die ganze Gefahr? Das kommt nicht in Frage.« »Seien Sie vernünftig. In Ihrem augenblicklichen Zustand sind Sie einfach eine zusätzliche Belastung. Es ist wirklich besser für Sie, wenn Sie den Gefah renbereich für einige Zeit verlassen. Sollte mir wirk lich etwas passieren, dann stehen Sie immer noch zur Verfügung und können Ihren Anspruch verteidigen.« Eddie Pound gab nur zögernd nach, aber auf die Dauer konnte er sich den logischen Gründen Sun Kohs doch nicht entziehen. 7. Nach Mitternacht brannte bei Goya noch immer Licht. In der kleinen Kneipe saßen neun Männer dicht gedrängt um einen Tisch herum und unterhiel ten sich flüsternd. Goya selbst stand hinter einem Stuhl. Er hielt in der rechten Hand ein leeres Glas und hörte scheinbar teilnahmslos zu. Nur gelegent lich bewegten sich die ledernen Falten in seinem Ge sicht etwas, und dann warf er eine Bemerkung in die Unterhaltung ein. Oben auf dem schrägen Dach lag Hal Mervin und spähte durch eine Ritze hinunter, die er sich mit dem Messer erweitert hatte. Er strengte seine Ohren an, um sich kein Wort von dem entge hen zu lassen, was unten gesprochen wurde. Leider wurde das Gespräch jedoch so leise geführt, daß er 123
nur Bruchstücke aufschnappen konnte. Er befand sich in einer gefährlichen Lage. Das Dach war nicht im entferntesten dafür konstruiert worden, einen Menschen zu tragen. Es hatte schon genug Mühe gekostet, hinaufzukommen, ohne Ver dacht zu erregen. Es war aber die einzige Möglich keit gewesen, etwas zu erlauschen. Sun Koh hatte ihn behutsam hinaufgestemmt, und da Hal eine affenar tige Geschicklichkeit besaß, war es ihm gelungen, an dem festeren Firstholz Halt zu bekommen und oben zu bleiben. Unten erreichte das Gespräch seinen Abschluß. Perez, der Führer der Streife, die die Ordnung am Tibagy wiederherstellen sollte, sagte: »Also es bleibt dabei. Vorläufig gehen wir uns aus dem Weg. Es ist nicht nötig, daß die Garimpeiros mißtrauisch werden und mir meinen Posten wieder wegnehmen. Um den Unglücksfall brauche ich mich ja nicht zu kümmern. Ich werde mich mit der Streife um die Aufklärung des neuen Mordes bemühen. Inzwischen habt ihr freie Hand. Wenn man meinen Eifer sieht, wird man mich kaum für das andere verantwortlich machen.« Die anderen Männer grinsten vor sich hin. »Du wirst einen Alkalden abgeben, wie man ihn noch nie gesehen hat«, stichelte einer. »Daß mir Nicco aber keine Dummheiten macht!« warnte Perez. »Wäre eine dumme Geschichte, wenn wir morgen losziehen, und einer von der Streife 124
kommt auf seine Fährte.« Goya bewegte seine Lippen. »Nicco wird keine Dummheiten machen. Hast du den Knopf?« Der Neger nickte. Es war der gleiche, den Sun Koh vor wenigen Tagen hinter den Ladentisch ge worfen hatte. »Ich habe ihn. Wird schon alles klappen. Auf mich könnt ihr euch verlassen.« Goya blickte nach der Uhr, die zwischen den Re galen hing. »Luis, du kannst aufbrechen. Hast du die Schach tel?« »Ja«, antwortete einer der Männer und erhob sich. »Gib acht, daß dich niemand sieht«, mahnte Goya. »Ihr anderen macht noch ein Spielchen. Notfalls be zeugt ihr alle, daß Luis den Tisch nicht verlassen hat.« »Pah!« brummte Lay. »Um den Unglücksfall wird sich niemand den Kopf zerbrechen. Hübsch gedreht von dir, Chef. Pound muß unbedingt erledigt wer den.« Er hatte etwas lauter gesprochen, so daß Hal ihn gut verstanden hatte. Der Schlußsatz bedeutete gera de genug, und dazu sah er, daß sich einer der Männer entfernte. Er entdeckte auch die flache Pappschach tel, die der Mann in der Hand trug. Er wußte nicht, was sie enthielt, aber es war klar, daß hier etwas ge 125
spielt wurde, was Pound ans Leben gehen sollte. Al so zog er lieber die Sprechdose aus der Tasche und hauchte hinein: »Sir, eben geht einer hinaus. Er hat eine Schachtel bei sich. Nach allem, was ich gehört habe, gilt es Pound.« Sun Koh stand nicht weit von der Kneipe entfernt im schwarzen Schatten eines anderen Ranchos. Von seinem Platz aus konnte er Hals dunkle Gestalt beo bachten und notfalls einspringen, wenn es zu einem Zwischenfall kommen sollte. Hals Mitteilung veranlaßte ihn, dem Mann zu fol gen, der eben die Kneipe verließ und in Richtung auf Eddie Pounds Hütte ging. Hal war allein. Er hatte nicht die Absicht, etwas zu unternehmen. Er wollte ruhig liegen bleiben und weiter beobachten, bis Sun Koh zurückkam. Was nützen aber die besten Absich ten, wenn der Mensch Pech hat? Hal verlegte sein Gewicht etwas, um nicht steif zu werden, aber damit unternahm er schon zuviel. Er spürte plötzlich, daß sich das Blätterdach unter ihm senkte. Er kippte schnell herum, tat dabei aber erst recht des Guten zuviel und brach durch. Im nächsten Augenblick lag er wie ein Osterhammel auf dem Tisch, an dem die Männer saßen. Die Männer rings um ihn saßen wie entgeistert. Einigen waren die splitternden Gläser um die Köpfe geflogen, andere waren so heftig zurückgeprallt, daß die Stühle unter ihnen nachgegeben hatten. Goya war 126
so ziemlich der einzige, der seine Fassung nicht ver loren hatte. Er stand einen Schritt zurück, hielt eine Pistole in der Hand und richtete sie auf Hal. Er schoß jedoch nicht, sondern wartete ab. Hal ließ seine Augen herumrollen, strengte in höchster Eile sein Gehirn an und stützte sich dann auf. »So eine Gemeinheit!« schimpfte er los. »So eine elende Gemeinheit! Den Kerl müßte man an einen Baum hängen und so lange baumeln lassen, bis er Wurzeln schlägt. Als ob es nichts Gescheiteres zu tun gäbe. Arme und Beine hätte ich mir brechen können. Wer war der Kerl?« Er setzte sich auf und blickte wütend von einem Gesicht ins andere. Die Männer waren jedoch immer noch zu verblüfft, um die Zusammenhänge zu ver stehen. »Euch hat’s wohl die Sprache verschlagen, was?« schimpfte Hal weiter. »Ihr seid ja eine feine Bande! Einer von euch ist es gewesen. Auf die Köpfe hätte ich euch fallen sollen, dann würdet ihr nicht so dumm aus der Wäsche gucken und den Kerl verdre schen, der sich den Witz gemacht hat. Na, ja, da braucht ihr gar nicht so zu schielen. Los, kommt lie ber mit, damit wir uns den Kerl greifen.« Er sprang vom Tisch herunter und bewegte sich in Richtung der Tür, aber jetzt hielt Goya ihn an. »Warte!« zischte er. »Du wirst uns erst einmal er zählen, wieso du hierherkommst. Du hast auf dem 127
Dach gelegen und gelauscht, he?« Hal tippte unverfroren gegen seine Stirn. »Pah, bilden Sie sich etwa ein, daß Ihr Dach eine Veranda ist? Auf dem Dach gelegen! Schöne Ausre de! Der Kerl, der mir den Streich gespielt hat, ist wohl ein guter Freund von Ihnen?« Goya musterte ihn aus verkniffenen Augen. »Welchen Streich?« Hal verdrehte die Augen. »Auch eine Frage! Hochgeworfen hat er mich. Aufs Dach geworfen! Und dabei hat er gemeint, ich soll die anderen grüßen. Ist das eine Art? Natürlich plumpste ich durch die paar Feigenblätter, die dort oben liegen, glatt durch. Ich hätte mir sämtliche Glieder brechen können. Das ist kein Spaß mehr. Wer war der Mann, der hier herauskam?« Die Männer hatten jetzt wenigstens so weit ihre Fassung zurückgewonnen, daß sie Flüche und Be merkungen austauschen konnten. Sie hielten sich aber zurück, da Goya das Gespräch weiterführte. »So, so? Du behauptest, daß dich jemand aufs Dach geworfen hat?« »Na, wenn euch das noch immer nicht klar ist, könnt ihr mir allmählich leid tun. Denkt ihr etwa, ich bin vom Himmel heruntergefallen?« »Wer hat dich aufs Dach geworfen?« »Der Halunke, der gerade aus der Tür kam, als ich vorbeiging.« 128
»Luis?« bemerkten mehrere der Männer. Goya gab ihnen ungehalten ein Zeichen zu schweigen. »Es ist allerdings einer hinausgegangen«, erwider te er, »aber das klingt wenig wahrscheinlich, daß er dich aufs Dach geworfen haben soll.« Hal stemmte die Hände in die Hüften. »Was wollen Sie eigentlich damit sagen? Bildet ihr euch etwa ein, daß ich zu meinem Vergnügen aufs Dach gesprungen bin, um euch als Weihnachtsbesche rung auf den Tisch zu fallen? Da sind mir meine Knochen denn doch zuviel wert. Aber ich weiß schon Bescheid, ihr wollt euren Kumpan decken.« In der Haltung und der Sprache des Jungen lag so viel Überzeugungskraft und Sicherheit, daß sich Goya bluffen ließ. Er wurde unsicher und ärgerlich. »Ich denke gar nicht daran, jemanden zu decken. Was gehen mich die Leute an, die hier ihren Schnaps trinken. Ich finde es bloß komisch, daß einer dich zum Spaß auf das Dach geworfen haben soll. Was hattest du denn um die Zeit überhaupt hier zu su chen?« Hal Mervin zögerte keine Sekunde. »Hier hatte ich überhaupt nichts zu suchen«, ent gegnete er spitz. »Mich würden keine zehn Pferde in so eine dreckige Kneipe bringen, wie Ihre eine ist. Ich wollte zum Fluß. Das Wasser war mir ausgegan gen, und Eddies Knöchel mußte gekühlt werden. Der 129
hat es heute wieder einmal nicht ausgehalten auf sei nem Lager und ist herumgekrochen, und nun ist der Knöchel von neuem geschwollen und tut ihm weh, und ich kann mir die Nacht um die Ohren schlagen.« »So?« Goya wußte nichts Rechtes zu sagen, und die an deren Männer auch nicht. So entstand eine Pause. Schließlich meinte Hal herausfordernd: »Na, wollt ihr noch mehr wissen? Wenn ihr Kerle wäret, würdet ihr euch den Mann vorbinden und ihm eine gehörige Tracht Prügel verabreichen, damit er sich nicht wie der solche Scherze erlaubt.« »Was gehen uns deine Angelegenheiten an?« brummte Goya. »Vielleicht muß man euch die ganze Bude zu sammenknallen, damit ihr merkt, daß es euch doch was angeht«, erwiderte Hal ärgerlich. Damit ging er hinaus. Weder Goya noch ein ande rer der Männer hielt ihn auf. Vor der Tür zog Hal eine Grimasse. Das hatte er wieder mal fein gedeichselt. Sun Koh folgte unterdessen dem Mann, der ihm von Hal bezeichnet worden war. Der Campamento lag in nächtlicher Ruhe. Die Ga rimpeiros schliefen in den Hütten. Das Rauschen des Stromes übertönte ihr Schnarchen und die sonstigen kleinen Geräusche in und zwischen den Hütten. Der Mann eilte vorwärts. Erst kurz vor Eddies 130
Hütte wurde sein Schritt leiser. Er blieb stehen und lauschte, drückte sich dann an den Ranchos entlang und lauschte dicht an Eddies Hütte von neuem. Sun Koh stand nur wenige Meter hinter ihm. Der andere zog den Deckel von der Schachtel hoch, blickte flüchtig hinein, nickte vor sich hin und legte den Deckel lose wieder auf. Dann schlich er an die Tür heran. Die Tür hing wie bei allen Ranchos in Lianenbän dern und schlug nach außen auf. Man mußte sie also aufziehen, wenn man eintreten wollten. Der Mann horchte noch einmal und zog dann langsam, bis er sie spaltweit geöffnet hatte. Nun hol te er mit dem Arm, der die Schachtel hielt, aus, warf mit einer kurzen Bewegung den Deckel hinunter und setzte zum Wurf an. Da sprang Sun Koh zu. Er mußte über mehrere Meter hinweg und begnügte sich daher damit, ihn umzureißen, so daß er die Tür losließ und nach vorn stürzte. Der Mann stieß einen unbeschreiblichen Schrei aus, der halb wie ein Ausruf des Entsetzens, halb wie Röcheln klang. Sun Koh packte ihn beim Genick und riß ihn schnell in die Hütte hinein. Dann ließ er das weiße Licht der Scheinwerferlampe auf ihn fallen, wobei er zu Eddie sagte: »Beunruhigen Sie sich nicht, ich bin’s. Ich habe hier einen Kerl erwischt, der Ihnen 131
ein nächtliches Geschenk in die Hütte werfen wollte. Bin neugierig, was der Bursche zu erzählen hat.« Der Mann krampfte sich wie unter großen Schmerzen zusammen. »Was soll das?« fuhr ihn Sun Koh an. »Hoch mit dir, so schwer war der Sturz nicht.« Der Mann warf sich wild herum, so daß sein Ge sicht nach oben kam. Seine Hände fuhren durch die Luft, als wollten sie einen Schatten wegreißen. Er gurgelte: »Die Teufelsspinne…« Dann streckt er sich leblos. Jetzt erst bemerkte Sun Koh auf der linken Backe des Mannes einen schwarzen, fast handgroßen Klumpen. Eddie sah ihn gleichzeitig. »Herrgott«, sagte er, »eine Teufelsspinne. Der Mann ist von einer Teufelsspinne gebissen worden.« Sun Koh beugte sich hinunter. Tatsächlich, der dunkle Fleck war der Leib einer häßlichen, halbzer quetschten Spinne von seltener Größe. Sie war noch nicht ganz tot. Als Sun Koh sie mit der Lampe ab streifen wollte, merkte er, daß sie sich ziemlich fest in dem Fleisch verbissen hatte. Sie endete unter Sun Kohs Fuß. Ihr Opfer war tot. »Es ist die schrecklichste Spinne, die es überhaupt gibt«, sagte Eddie. »Ich glaube, ich habe Sie schon einmal vor ihr gewarnt. Wir haben hier zwei gefähr liche Arten von Spinnen im Lande. Die größere kann 132
einem glatt einen Arm oder ein Bein lähmen, die kleine Sorte aber tötet innerhalb weniger Minuten. Ich will lieber zehnmal von einer Schlange gebissen werden, als von einem solchen Vieh, denn gegen den Biß dieser Spinne gibt es kein Gegenmittel. Eigent lich seltsam, daß der Mann ausgerechnet vor meiner Hütte und auch noch in die Backe gebissen wurde. Er muß auf die Spinne gefallen sein.« »Gar nicht seltsam«, erwiderte Sun Koh. »Ich ha be den Mann umgeworfen, als er Ihre Tür öffnete.« »Teuflischer Zufall«, murmelte Eddie. Jetzt lächelte Sun Koh. »Sie haben mich in einem falschen Verdacht. Die ser Mann kam aus Goyas Kneipe. Er trug auf dem ganzen Weg bis hierher eine Schachtel. Erst vor der Tür entfernte er den Deckel. Er war im Begriff, den Inhalt der Schachtel zu Ihnen hineinzuwerfen, als ich ihn ansprang. Ich glaube, wir werden in der Schach tel nur die Spuren dieser Spinne feststellen können.« Eddie schwieg eine Weile. »Verzeihen Sie!« murmelte er leise. »Ich habe tat sächlich angenommen, der Mann hätte nur lauschen wollen und es durch einen unglücklichen Zufall mit dem Tod bezahlt.« »Nein, er war ein Mörder. Er war mitten im Wurf«, sagte Sun Koh nachdenklich. »Sein Arm vollendete die Bewegung nicht, und so stürzte er mit dem Gesicht wohl gerade auf die Spinne. Schneller 133
konnte er seine Strafe nicht haben. Die Frage ist nur, was wir mit ihm machen.« Während sie darüber nachdachten, trat Hal Mervin ein. »Alles in Ordnung, Sir?« erkundigte er sich. »Ich hörte einen Schrei.« Sun Koh wies auf den Mann am Boden. »Er wollte eine Teufelsspinne hereinwerfen, um Eddie aus dem Weg zuräumen. Ich griff ihn an, und dabei wurde er selbst gebissen. Wie kommt es, daß du nicht mehr auf dem Dach liegst?« »Ich habe Pech gehabt. Kurz, nachdem Sie fort waren, fiel ich durch das Dach.« »Na und?« »Ich plumpste mitten auf den Tisch, an dem die Kerle saßen. Ich habe ihnen erzählt, daß mich der Mann hier durch das Dach hindurchgeworfen hat. Sie guckten erst dumm, aber ich habe sie so beschwatzt, daß sie mir schließlich glaubten. Morgen früh wer den sie sich natürlich ihre eigenen Gedanken ma chen, wenn sie den Toten finden. Soll er hier blei ben?« Sun Koh hatte inzwischen einen Entschluß gefaßt. »Nein, ich werde ihn in die Nähe der Kneipe brin gen und dort liegen lassen. Mögen die Leute vorläu fig ruhig an einen Unfall glauben.« Also trug Sun Koh den Toten durch den Campa mento und legte ihn zusammen mit der zerquetschten 134
Spinne und dem Pappkästchen so nieder, daß nicht nur die Garimpeiros, sondern auch die Freunde des Toten am anderen Morgen an einen Unfall glauben mußten. * Am Vormittag des nächsten Tages wanderte Mulber ry, der irische Garimpeiro, vom Campamento aus zu seiner Arbeitsstätte zurück. Er war über Nacht in An tamara geblieben, erstens weil er mit einigen guten Freunden allerlei zu bereden hatte, und zweitens, weil er einen ziemlich weiten Weg hatte und nicht in die Nacht geraten wollte. Sein Platz, an dem er allein arbeitete, lag weit oberhalb des Campamento, so daß er annähernd einen halben Tag brauchte, um ihn zu erreichen. Joe Rudyard, der seinen Platz fast ebensoweit oben hatte, war schon am gestrigen Tag aufgebro chen, weil er bei den unsicheren Verhältnissen seine Haufen dort lieber nicht allein lassen wollte. Selbst verständlich wollte Mulberry im Vorbeigehen we nigstens ein paar Worte mit ihm wechseln. Er sah Rudyard nicht wie gewöhnlich im Fluß und bemerkte ihn auch nicht am Ufer. Das machte ihn stutzig. Er rief, erhielt aber keine Antwort. Als er in der Hütte des Garimpeiro nachsah, stieß er auf Rudyard. Er lag mit verschränkten Gliedern 135
auf der Erde, das Gesicht nach unten. Um seine Brust herum war eine Blutlache in den Boden gesickert. Er war seit mindestens schon ein paar Stunden tot, das konnte Mulberry auf den ersten Blick feststellen. Es dauerte eine ganze Weile, bevor sich der Ire wieder regte. Er war ein rauher Bursche, aber der Tod dieses Mannes ging ihm nahe, um so mehr, als es sich offensichtlich um einen neuen Mord handelte. Unter gewöhnlichen Umständen hätte Mulberry den Toten näher untersucht und ihm wenigstens die Augen zugedrückt. Er wollte es schon tun, da besann er sich aber, daß gerade gestern eine Streife gebildet worden war, die sich mit solchen Sachen zu befassen hatte. Aus der gelegentlichen Lektüre von Kriminal romanen wußte er, daß berufene Leute aus der Lage des Toten allerhand schließen konnten und daß es erste Pflicht für den Laien sei, nichts zu tun. Er ver zichtete also. Nur einen großen Knopf, der deutlich sichtbar neben dem Toten lag, hob er auf und steckte ihn ein. Dann setzte er sein Kanu auf das Wasser, stieg hinein und ließ sich von der Strömung zum Campamento zurücktragen. Die Streife der Garimpeiros hockte vollzählig auf dem freien Platz vor Goyas Kneipe. Perez stand in ihrer Mitte und redete. Er brach ab, als Mulberry vom Ufer heraufkam. Die anderen wandten die Köpfe und blickten dem Iren verwundert entgegen. 136
»Was ist mit dir, Mann?« rief Perez. »Du siehst so ernst aus?« »Ich habe auch allen Grund dazu«, erwiderte Mul berry düster. »Joe Rudyard ist ermordet worden.« »Was?« Die Männer sprangen auf und scharten sich um den Iren. Über Perez’ Gesicht huschte ein flüchtiger Schimmer von Genugtuung, aber das bemerkte nie mand. Die Fragen prasselten auf Mulberry ein, bis er mit der Hand abwinkte. »Laßt mich erzählen! Ich fand ihn dicht bei seiner Hütte mit dem Gesicht auf der Erde. Man hat ihm eine Kugel in den Rücken geschossen. Er war bereits einige Stunden tot. Ich habe ihn nicht angerührt, weil ich mir dachte, die Streife würde ihn so sehen wol len, wie er gefallen ist.« »Das hast du gut gemacht«, lobte Perez. »Ist dir nichts aufgefallen? Hast du nichts von dem Mörder bemerkt?« Mulberry musterte ihn kalt. Er konnte den Brasi lianer nicht ausstehen. »Nein«, sagte er knapp. »Ich schätze, daß sich der Täter nicht noch ein paar Stunden neben sein Opfer setzen wird, bis jemand kommt. Aber diesen Knopf habe ich aufgehoben, er lag neben dem Toten. Ich habe mir gedacht, daß er von dem Mörder stammen könnte, denn Joe selbst pflegte solche Knöpfe nicht 137
bei sich zu tragen.« »Eine wichtige Spur«, murmelten verschiedene. Der Knopf ging von Hand zu Hand. Jeder prüfte ihn aufmerksam, als wollte er den Namen des Mör ders daraus lesen. Plötzlich stieß Lay, der ebenfalls mit zu der Streife gehörte, einen Schrei der Überraschung aus. »Nanu«, sagte er dann, »den Knopf habe ich doch schon gesehen?« »Wo? Wo?« schrien die Stimmen durcheinander. Lay griff sich an die Stirn und dachte nach. »Halt, ich hab’s. Bei dem Fremden habe ich den Knopf gesehen, bei diesem Sun Koh oder wie er heißt, der für Eddie arbeitet.« Die direkte Namensnennung machte die Männer betroffen. Sie schwiegen eine Weile. Perez unter brach die Stille, indem er kopfschüttelnd bemerkte: »Hast du dich auch nicht getäuscht? Ich kann mich an die Knöpfe des Mannes nicht erinnern, aber es ist dir doch hoffentlich klar, daß deine Angabe einen schweren Verdacht auf ihn wirft?« Lay hob die Schultern. Wie ein braver Biedermann erwiderte er: »Das ist eine Sache, die mich zunächst nichts angeht. Wir haben hier einen Knopf, und ich stelle fest, daß ich den Knopf schon einmal gesehen habe. Wenn es wahr ist, daß der Knopf bei dem Toten gelegen hat, dann wird ja der Fremde den Zu sammenhang leicht erklären können.« 138
Perez spielte die Rolle des vorurteilsfreien Rich ters ausgezeichnet weiter. »Hat einer von euch den Knopf schon einmal an dem Fremden bemerkt?« fragte der die anderen. Die Männer blickten sich gegenseitig an, dann knurrten einige: »Wir haben mehr zu tun, als anderen die Knöpfe abzuzählen.« »Dann bleibt nur deine Aussage«, sagte Perez mit strenger Miene zu Lay. »Bei welcher Gelegenheit ist dir der Knopf aufgefallen?« Lay machte ein gekränktes Gesicht. »Ihr tut ja gerade, als wollte ich euch etwas vor schwindeln. Gott sei Dank habe ich einen Zeugen. Ich ging mit Ajo zusammen den Fluß hinunter und traf den Fremden an der Klippe. Ich sah seine Jacke bei seiner Hütte liegen, und da fiel mir diese Art Knöpfe auf. Ich machte noch Ajo gegenüber eine Bemerkung darüber. Frage ihn, er wird es euch be stätigen. Im übrigen braucht ihr euch ja nur an den Mann zu wenden und euch zu erkundigen, was für Knöpfe an seinem Rock sind und ob er sie alle hat.« Die Männer nickten. Einige riefen: »Wir müssen ihn sofort aufsuchen, ehe er von der Sache Wind be kommt.« »Halt!« wehrte Perez ab. »Ich glaube, wir müssen uns erst um den Toten kümmern.« »Wir machen ihn auch nicht wieder lebendig«, murrten einige. »Der läuft uns nicht fort, aber der 139
Mörder.« Jetzt mischte sich Gottfried Hinterschroth, der junge Streifenmann aus Lancours Trupp, ein. »Ihr solltet mit euren Bemerkungen etwas vorsich tiger sein«, sagte er unwillig. »Vorläufig steht noch lange nicht fest, daß Eddies Stellvertreter der Mörder ist. Ich halte das für Unsinn. Ich kenne den Mann und sage euch, daß für ihn bestimmt nicht der ge ringste Anlaß besteht, einen der Garimpeiros zu tö ten. Ich schlage vor, daß wir erst einmal nach Rudy ard sehen und versuchen, noch andere Spuren zu fin den.« Von verschiedenen Seiten kamen unwillige Zurufe. »Jawohl, das könnte dir so passen«, brüllte einer, »damit der Kerl entwischen kann.« »Der ist kein Mörder und wird auch nicht ausrei ßen«, wehrte sich Hinterschroth. »Außerdem besteht für ihn gar nicht die Möglichkeit, zu erfahren, daß wir ihn in Verdacht haben. Er arbeitet draußen an der Klippe.« »So siehst du aus«, höhnte ein anderer. »Der Junge steckt mit ihm unter einer Decke. Tausend zu eins, daß er hinausläuft und ihn warnt, wenn er nicht gar noch oben bei Eddie sitzt und uns von weitem zu hört.« Perez nickte entschlossen. »Der Gedanke kam mir eben auch. Wir wollen dort nachsehen.« 140
Also setzten sich die Männer in Bewegung und eilten auf den Rancho zu, in dem Eddie liegen sollte. An der Tür lehnte Hal Mervin und blickte ihnen interessiert entgegen. Er hatte die Unruhe bemerkt und war gerade im Begriff gewesen, nach der Ursa che zu forschen. »Wo ist Sun Koh?« herrschte ihn Perez an, wartete aber die Antwort gar nicht erst ab, sondern trat durch die Tür in den Rancho ein. Ein paar Männer folgten ihm. Der Rancho war leer. Weder Eddie noch Sun Koh befanden sich darin. Die Männer starrten sich sprachlos an, dann stürz ten sie wieder hinaus. »Wo ist Eddie?« fragte Perez noch drängender als vorhin. Hal Mervin hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich war eine Weile fort, und als ich wiederkam, fand ich ihn nicht mehr in der Hütte. Vielleicht macht er einen Spaziergang.« Perez lachte grimmig auf. »Mit seinem Knöchel? Also, wo ist er?« »Ich sagte euch ja, daß ich’s nicht weiß. Vielleicht hat er auch Angst vor Teufelsspinnen und zieht es daher vor, an einer anderen Stelle zu wohnen.« Der Brasilianer zuckte zusammen, faßte sich aber schnell genug, um nicht aufzufallen. »Alles Lüge«, knurrte einer der Männer. 141
»Man hat Eddie beseitigt!« schrie einer. »Der Fremde hat ihn ermordet!« kam es von einer dritten Seite. »Quatsch! Unsinn!« widersprach Hinterschroth und ein paar andere, aber ihre Stimmen gingen in dem allgemeinen Lärm unter. Die Mehrzahl der Ga rimpeiros versteiften sich auf die Behauptung, daß Eddie ebenfalls ermordet worden sei. Und nun schrie Lay auch noch das Motiv hinaus: »Er hat wahrscheinlich an der Klippe recht viele Diamanten gefunden und wollte seinen Partner los werden.« Das schlug durch. »Wir müssen ihn fangen! Der Schuft muß hän gen!« riefen sie durcheinander. Perez packte Hal Mervin am Kragen. »Erzähle, Bursche, was hier vorgefallen ist!« Hal Mervin war in ernster Verlegenheit. Er durfte nicht erzählen, daß Sun Koh den jungen Mann in Si cherheit gebracht hatte, er durfte nicht erzählen, was er über Perez und seine Freunde wußte, er konnte aber auch keine brauchbare Ausrede finden. So be gnügte er sich damit, sich dumm zu stellen. »Ihr könnt euch Blutblasen fragen, ich weiß gar nichts.« »Sollen wir dir erst das Maul öffnen?« »Laß den Jungen in Ruhe«, forderte Hinterschroth und trat dicht an Hal heran. »Wenn ihr schon den 142
anderen verdächtigt, dann könnt ihr doch wenigstens den Jungen in Ruhe lassen.« »Sie stecken unter einer Decke«, knurrte einer. »Ganz meine Meinung«, sagte Perez. »Aber wir haben ja später Zeit, uns mit dem Jungen zu beschäf tigen. Wichtiger ist der Mörder selbst. Es genügt, wenn wir den hier jetzt fesseln und dann später mit vor Gericht stellen. Also, holt Stricke und fesselt ihn.« Hal Mervins Augen sahen gefährlich aus. Er hatte seine Hand an der Waffe, und es wäre ihm bei seiner Sicherheit und Schnelligkeit im Schießen wahr scheinlich gelungen, durchzubrechen. Aber selbst das durfte er nicht tun, denn dadurch hätte er Sun Kohs Lage noch verschlimmert. Wenn er wenigstens die Sprechdose hätte aus der Tasche ziehen können, um Sun Koh von der Gefahr zu verständigen. Aber das schien angesichts der dro henden Versammlung nicht geraten zu sein. Ein paar von der Streife brachten Stricke. Hal ließ sich widerstandslos fesseln. Man trug ihn in Goyas Kneipe hinunter, legte ihn in eine Ecke und setzte einen Mann als Wache daneben. Außerdem wurde Goya beauftragt, die Augen offenzuhalten. Das brauchte man diesem Mann nicht zweimal zu sagen. Nun sammelte Perez seine Schar um sich. »Ich fürchte fast«, sagte er, »daß wir zu spät kom men. Aber vielleicht weiß der Mann noch nichts von dem Knopf und fühlt sich sicher. Er wird dann an der 143
Klippe sein. Wenn wir aber so einfach auf ihn los ziehen, schöpft er natürlich Verdacht und reißt aus oder fängt eine Schießerei an.« »Das soll ihm schlecht bekommen«, unterbrachen ein paar. Perez winkte um Ruhe. »Er soll nicht schlecht schießen, wie mir gesagt wurde. Es ist jedenfalls nicht nötig, daß erst ein paar von uns daran glauben müssen. Wir müssen versu chen, ihn zu umstellen. Fünf Mann werden über den Fluß setzen und auf der anderen Seite vordringen, damit ihm der Weg über den Fluß versperrt wird. Fünf Mann müssen sich einen Weg durch den Wald schlagen, damit sie unbemerkt auf die andere Seite kommen, so daß er nicht den Fluß hinunterfliehen kann. Wir anderen marschieren dann direkt auf ihn zu. Seid ihr damit einverstanden?« Die Männer waren damit einverstanden. Auch Hinterschroth und seine Freunde hatten keine Ein wände. Sie sahen ein, daß die Sache klargestellt wer den mußte. Diese Klarstellung erforderte aber nun einmal eine Befragung Sun Kohs. Sun Koh arbeitete auf der Klippe, als er merkte, daß er Besuch bekam. Er sah auf beiden Seiten die bewaffneten Trupps heranrücken und erkannte, daß es sich um die Streife handelte. Das veranlaßte ihn, zum Ufer zu schwimmen. Hier erwartete er sie gelas sen. 144
Stumm kam Perez heran. Seine Begleiter zogen einen Halbkreis um Sun Koh. Kein Wort der Begrü ßung fiel. Und nun platzte Perez scharf heraus: »So, jetzt ha ben wir ihn. Falls Sie etwa eine verdächtige Bewe gung nach der Pistole machen, werden Sie einen Au genblick später ein Dutzend Kugeln im Bauch ha ben.« Sun Koh lächelte geringschätzig. »Eine höfliche Vorrede. Wollen Sie mir dazu die Erklärung geben?« »Die Erklärung?« Perez lachte höhnisch auf. »Wer hier Erklärungen geben wird, sind Sie. Wo ist Ed die?« Auf die Frage war Sun Koh nicht vorbereitet ge wesen. Er hatte nicht damit gerechnet, daß man sich so schnell um das Schicksal des jungen Mannes kümmern würde. »Er hat seinen Rancho verlassen«, gab er ruhig zur Antwort. »Das wissen wir selbst. Wissen wollen wir nun, wie er ihn verlassen hat und wo er sich jetzt auf hält?« »Das kann ich Ihnen aus bestimmten Gründen nicht erzählen. Wieso kümmert ihr euch darum?« Perez streckte den Kopf vor. »Wir sind gestern gewählt worden, um den Mör der zu fangen, der den Tibagy unsicher macht.« 145
»Der Zusammenhang ist mir nicht klar.« »Aber uns um so mehr. Ich denke, daß es keinen Mörder mehr am Tibagy geben wird, wenn wir Sie an einen Ast gehängt haben.« Sun Koh sah ihn drohend an. »Sprechen Sie etwas vorsichtiger, sonst könnte ich Ihnen derartige Äußerungen übelnehmen. Wenn Sie mich zum Mörder stempeln wollen, dann müssen Sie schon ein anderes Geschütz auffahren.« Ein Murmeln ging durch den Trupp. Perez ergriff wieder das Wort: »Das werden wir tun, darauf kön nen Sie sich verlassen. Kennen Sie diesen Knopf?« Sun Koh blickte aufmerksam auf den runden Ge genstand. Er war jetzt wirklich etwas überrascht. »Hm, wenn ich nicht irre, trage ich ähnliche Knöp fe an meinem Rock.« »Ah, sehr interessant«, sagte Perez. »Darf man Ih ren Rock sehen?« Sun Koh hob die Schultern. »Gut, wenn Sie unbedingt wollen. Der Rock liegt in meiner Hütte. Kommen Sie mit!« Perez wehrte ab. »Halt, es genügt, wenn einer den Rock holt. Hin terschroth geht und holt ihn!« Der Mann brachte eine Weile später Sun Kohs Rock. Sein Gesicht sprach Bände. Perez wandte das Kleidungsstück unter allgemei ner Aufmerksamkeit hin und her. Jetzt stieß er einen 146
Schrei aus. Die Taschen der Jacke waren zuknöpfbar. An der linken Außentasche fehlte ein Knopf. Alle anderen Knöpfe glichen dem, den Perez in der Hand hielt, aufs Haar. »Das genügt«, erklärte Perez laut. »Wir haben ihn.« Sun Koh beobachtete kopfschüttelnd den Brasilia ner und die anderen Männer der Streife. »Ich glaube«, sagte er nachdrücklich, »es wird Zeit, daß ihr mir erzählt, was das alles bedeuten soll.« »Geben Sie zu, daß das Ihr Knopf ist?« fragte Pe rez. Sun Koh nickte. »Ja, es ist mir allerdings nicht klar, wie er in Ihre Hände kommt. Habe ich ihn etwa im Campamento verloren?« »Nein, aber drei Stunden oberhalb des Campa mento. Dieser Knopf wurde vor einigen Stunden von Mulberry gefunden. Er lag neben Joe Rudyard. Joe ist tot, ein Schuß in den Rücken hat ihn erledigt. Ich frage Sie nun: wie kommt Ihr Knopf neben die Lei che Rudyards?« Mit einem Schlag begriff Sun Koh alles. Die Ban de war schlauer gewesen als er und hatte ihm eine Falle gestellt, mit der er kaum rechnen konnte. Es war ihm nun klar, daß Mitglieder der Bande 147
den Knopf an sich gebracht hatten, um ihn als Be weisstück zu benutzen. Wann das geschehen sein konnte, wußte Sun Koh selbst nicht. Die Lage war sehr ernst. Ein unverdächtiger Mann hatte den Knopf neben dem Toten gefunden. Der Knopf mußte von dem Mörder verloren worden sein. Ihm gehörte der Knopf, folglich war er auch der Mörder. Er mußte seine Unschuld beweisen. Aber wie? Hal Mervin konnte bezeugen, daß er bis zum Morgen im Campamento gewesen war und sich dann bestimmt nicht flußaufwärts begeben hatte. Man würde ihm jedoch nicht glauben. Eddie konnte es auch bezeugen, aber gerade der sollte ja vorläufig aus dem Spiel bleiben. Lancour und seine Kameraden hätten auch manches für ihn sprechen können, aber um ein einwandfreies Alibi zu beschwören, reichte es doch nicht ganz. Nein, es war augenblicklich nicht so leicht, einen Ausweg zu finden. Er durfte nicht vergessen, daß er sich hauptsächlich deswegen am Tibagy aufhielt, um die wahren Mörder zu entlarven. Aus diesem Grund schied auch die nächste Mög lichkeit aus – die Flucht. Sun Koh hatte elf Leute ge gen sich, aber diese elf Leute würden ihn nicht halten können. Sun Kohs Entschluß war gefaßt. »Ich weiß es nicht«, erwiderte er ruhig auf die 148
letzte Frage des Brasilianers. »Ich habe jedenfalls den Mann nicht ermordet und bin auch nicht in die Gegend gekommen.« Perez’ Gesicht verzerrte sich zu einer höhnischen Grimasse. »Natürlich sind Sie so ahnungslos wie ein neuge borenes Kind. Aber das wird Ihnen wenig nützen. Wenn es nach mir ginge, würden Sie in fünf Minuten baumeln. Doch da die Garimpeiros selbst Gericht halten wollen, sollen Sie noch Aufschub haben, bis sie alle versammelt sind. Morgen um diese Zeit wer den Sie Ihre Morde büßen. Und nun nehmen Sie die Hände hoch!« Sun Koh behielt sie unten. »Einen Augenblick noch! Ich komme mit in den Campamento, weil ich sehe, daß der Schein gegen mich ist. Meine Waffen soll der hier nehmen, Hin terschroth heißt er wohl. Meine Hände dürft ihr fes seln, wenn ihr Angst habt, daß ich euch ausreiße, aber darüber hinaus rate ich euch, vorsichtig mit eu ren Bewegungen zu sein. Hier!« Er gab seine Waffen ab und streckte dann seine Hände aus. Perez schnürte einen Strick darum, war aber wohl zu heftig, denn Sun Koh schlenkerte ihm die Fäuste ins Gesicht, daß er ein paar Meter zurücktaumelte. »Ich habe Ihnen gesagt, daß Sie vorsichtig sein sollen. Ich bin sehr empfindlich.« 149
Perez fügte sich. Kurz darauf marschierte der Trupp zum Campamento. 8. Gericht der Garimpeiros. Im Campamento war alles zusammengeströmt, was am Tibagy nach Diamanten suchte und Antama ra in einem halben Tag erreichen konnte. Weit über hundert Männer drängten sich zwischen Fluß und Urwald, zwischen Goyas Kneipe und den Steinblök ken, die Richterstuhl und Anklagebank zugleich bil den sollten. Der rückwärtige Stützpunkt der Versammlung – Goyas Kneipe – wurde stark in Anspruch genommen. Ein Teil der Garimpeiros sprach dem minderwertigen, aber dafür ziemlich scharfen Schnaps eifrig zu. Kein Wunder, daß die Kneipe auch zugleich das Zentrum aller Bewegungen darstellte. Von hier gingen die Er regungen, die lauten Rufe, die Schlagworte und het zenden Schreie aus, die durch die Menge liefen. Die Diamantensucher hatten ihren großen Tag. Vorgestern erst waren an der gleichen Stelle Männer gewählt worden, um den zunehmenden Diebstählen und Morden am Tibagy ein Ende zu machen. Heute sollte über den Täter bereits das Urteil gesprochen werden, ein Urteil, das ganz zweifellos auf Erhängen lauten würde. 150
Es gab über Perez, den Anführer der Streife, nur ein Lob. Er hatte nicht zuviel versprochen und inner halb von vierundzwanzig Stunden den Mörder zur Strecke gebracht. Dicht um Paul Lancour herum standen vierzehn Männer – sein Arbeitstrupp und einige Einzelgänger, gute Freunde von ihm. Sie lauschten gespannt auf das, was er ihnen sagte. »Also, ihr kennt nun eure Posten. Wenn es zum Äußersten kommt, dann jeder an die bestimmte Stel le hinter diesen Steinen. Wir wollen doch mal sehen, ob wir nicht die ganze Versammlung in Schach hal ten können. Die beiden hole ich selbst in Deckung herunter.« Einer der Einzelgänger meinte bedenklich: »Ziem lich viel gewagt, nicht wahr, Paul?« Die sonst so ruhige Stimme des anderen wurde heftig. »Nicht mehr als eine Kugel. Du bist bloß ober flächlich im Bilde, sonst würdest du nicht fragen. Es steht klipp und klar fest, daß wir den Mann nicht vor unseren Augen hängen lassen.« Der andere nickte. »Schon recht, auf mich kannst du dich verlassen. Aber wäre es nicht einfacher, wenn man die Un schuld des Mannes beweisen könnte?« »Natürlich, aber gerade das wird nicht so leicht sein. Die Schufte haben ihm eine Falle gestellt. Ich 151
werde für ihn reden, aber ich fürchte, ein Teil der Garimpeiros hat schon jetzt sein bißchen Verstand verloren. Goya sorgt mit seinem Schnaps gut vor.« »Wie steht’s mit unseren anderen Landsleuten?« fragte einer. Lancour hob die Schultern. »Es ist zu spät, um sie unauffällig zu verständigen. Ich schätze aber, sie werden nicht lange fragen und sich auf unsere Seite schlagen, wenn sie sehen, was wir machen. Die meisten werden sich die Fragen für später aufheben, wie ich sie kenne. Achtung, es geht los.« Aus dem Rancho hinter der Kneipe kam ein Zug Männer. Die herumstehenden Garimpeiros bildeten eine Gasse, durch die der Zug auf die Steinblöcke zuschritt. »Sie kommen! Da ist er!« riefen, murmelten und flüsterten die Diamantensucher und drängten sich heran. Voran schritt Perez, der Führer der Streife. Sein schmales braunes Spielergesicht zeugte von Selbst bewußtsein und Genugtuung. Die dauernde Unruhe seiner Augen beeinträchtigte freilich seine Würde etwas. Ihm folgten die anderen Männer der Streife. In ihrer Mitte schritten die Angeklagten, der Mörder und sein Gehilfe. Sun Kohs Miene war ruhig und verschlossen wie immer, wenn er ernst war. Man konnte aus seinem 152
Gesicht nichts lesen. Hal Mervin dagegen zeigte sei ne Verachtung ziemlich deutlich. Er reckte seine sommersprossige Nase hochmütig hoch und zog die Mundwinkel hinunter wie hundert Jahre Menschen kenntnis. Die Hände der beiden waren vorn zusammenge bunden. Mehr hatte Sun Koh nicht erlaubt, und die Männer hatten den Eindruck gehabt, daß es ratsam sei, sich damit zu begnügen. Sie fürchteten auch nichts, da jeder von ihnen schwer bewaffnet war, während die Gefangenen über keine Waffen verfüg ten. »Hoch, Perez! Bravo, Perez!« riefen anerkennend die Garimpeiros, die die Gasse bildeten. Perez nickte nach allen Seiten wie ein siegreicher Feldherr. Dieser Tag brachte ihm nicht nur Vorteile aller Art, sondern rückte ihn auch endgültig in die Reihe der ehrenwerten Männer. In der Tür seiner Kneipe stand Goya und blickte hinter dem Zug her. Da ihm alle den Rücken zudreh ten, bemerkte niemand, wie sich die tiefen ledernen Falten in seinem Gesicht zu einem Grinsen verzerrten. Perez führte seine Gefangenen auf die Steinblöcke hinauf, so daß sie allen sichtbar wurden. Er selbst blieb neben ihnen stehen, während die Männer der Streife weiter unten einen Kreis bildeten. Die Anord nung verriet einen gewissen Sinn für wirkungsvolle Aufmachung. 153
Jetzt bewegte der Brasilianer feierlich seinen Arm. Unverzüglich schwiegen die Männer ringsum. Nur der Strom brauste sein einförmiges Lied weiter, und in den Randbäumen des Urwaldes kreischten einige zänkische Affen. »Garimpeiros!« begann Perez. »Ihr habt mir die Ehre erwiesen, mich zum Führer der Streife zu wäh len, die die Ordnung am Tibagy wiederherstellen und den verfluchten Mörder fangen soll, der seit einiger Zeit den Fluß unsicher macht. Ich versprach euch, alles daran zu setzen, um meine Aufgabe zu lösen. Das war vor zwei Tagen. Nun – heute darf ich wohl sagen, sie ist gelöst. Dort steht der Mörder.« »Bravo!« tobten die Stimmen auf. »Es lebe Perez! Hängt den Mörder!« Perez gebot Schweigen. »Ihr fordert die gerechte Sühne«, rief er drama tisch. »Wenn es nach mir gegangen wäre, würde die ser Mann seine Verbrechertaten bereits gebüßt ha ben. Doch ihr wolltet selbst über ihn zu Gericht sit zen und ihm Gelegenheit geben, euch etwas von sei ner Unschuld vorzuschwatzen. Nun habt ihr euren Willen. Selbstverständlich ist er unschuldig, oder habt ihr schon einmal einen Verbrecher gesehen, der das nicht von sich behauptet hätte?« Beistimmendes Gelächter quoll auf. Einige schrien: »Was brauchen wir eine Untersuchung?« Der Brasilianer wehrte würdevoll ab. 154
»Geduld, meine Freunde. Niemand soll sagen, daß wir den Mann gelyncht hätte. Sein Recht soll ihm zu gestanden werden, und ihr sollt selbst erfahren, war um wir ihn fingen. Mulberry soll sprechen. Er ist als ehrlicher Mann am ganzen Tibagy bekannt, aber wenn einer von euch behauptet, daß er sein Zeugnis nicht vorurteilslos abgibt, mag er sich selber melden.« Niemand rührte sich. Mulberry genoß tatsächlich einen guten Ruf. Es befand sich wohl keiner unter den Garimpeiros, der ihm ein wissentlich falsches Zeugnis zugetraut hätte. Der Ire schwang sich auf den Felsblock neben Pe rez. Er zeigte zuerst Befangenheit, machte sich aber bald frei davon. Ruhig und ernsthaft sagte er, was er zu sagen hatte. »Kameraden! Ich möchte euch vor allem sagen, daß ich diesen Mann, der Rudyard und die anderen ermordet haben soll, persönlich nicht kenne. Ich würde ihn seinem Gesicht nach für einen anständigen Kerl halten und ihm einen Mord nicht zutrauen, aber – na, ich will erzählen, was ich weiß. Ihr wißt, daß Joe Rudyard ziemlich weit oben, gar nicht weit von mir, gearbeitet hat. Er war vorgestern im Campamento, kehrte aber noch am Abend zurück. Ich verließ den Campamento erst gestern früh und nahm mir Zeit, weil ich keine Angst zu haben brauchte, daß mir einer was mausert. Gegen Mittag kam ich bei Rudyards Stelle vorbei. Ich rief ihn, erhielt aber kei 155
ne Antwort, sondern fand ihn dann kurz vor seinem Rancho. Er lag mit dem Gesicht nach unten auf der Erde und hatte eine Kugel im Rücken. Dicht neben ihm fand ich einen Knopf, der meines Wissens be stimmt nicht zu Rudyard gehörte. Da ich mir dachte, der Mörder könnte ihn verloren haben, nahm ich ihn an mich, setzte mich in mein Kanu und brachte ihn zusammen mit meiner Meldung zu Perez. Das ist so ziemlich alles, was ich weiß. Den Knopf hat Perez.« Mulberry, der sich sehr vorsichtig ausgedrückt hatte, sprang herunter. Perez hob das Beweisstück hoch. »Hier ist der Knopf. Und nun soll Lay sprechen.« Der Genannte schwang sich hoch und berichtete mit vielen Gesten: »Mulberry hat mit seiner Vermu tung schon recht gehabt. Nur der Mann, dem der Knopf gehört, kann der Mörder gewesen sein. Oder glaubt ihr, daß ein Knopf von ganz allein ein Dut zend Meilen stromaufwärts fliegt? Also, als ich mir gestern den Knopf ansah, fiel mir ein, daß ich die Sorte schon einmal gesehen hatte. Vor einigen Tagen bin ich mit meinem Kameraden Ajo zusammen den Strom hinuntergegangen, um einen Platz auszuma chen. Dabei trafen wir auf diesen Mann. Wir unter hielten uns eine Weile, und dabei fiel mir etwas auf, worüber ich mir erst später Gedanken machte. Er hatte nämlich einen ganzen Haufen Diamanten in seiner Nähe liegen, so viele, wie ein ehrlicher Ga 156
rimpeiro sonst nur in einem ganzen Jahr herausholt. Der Fremde hielt sich aber kaum drei Tage am Fluß auf und arbeitete an einer Stelle, an der sein Vorgän ger in ein paar Wochen kaum ein paar Steine gefun den hat. Ich frage, woher kommen plötzlich die vie len Diamanten? Damals dachte ich mir nicht viel da bei, aber heute fällt mir ein, daß die Garimpeiros, die man ermordet aufgefunden hat, alle beraubt waren.« Die Versammlung wurde unter dieser überzeugen den Beweisführung allmählich warm. »Hängt ihn!« schrien zahlreiche Stimmen. »Es wa ren die Steine der Toten!« »Wartet!« übertönte Perez den Lärm. »Lay ist noch nicht fertig.« »Das mit den Diamanten wollte ich nur nebenbei sagen«, fuhr der gerissene Ankläger fort. »Die Hauptsache ist die: Als ich mit Ajo bei ihm stand, sah ich auch seinen Rock. Dabei fiel mir nicht nur auf, wie elegant der Fremde herumspazierte – ich kenne keinen ehrlichen Garimpeiro, der sich so an ziehen kann –, sondern mir fiel auch diese Sorte Knöpfe auf, die man sonst am Fluß nicht sieht. Als dann Mulberry den Knopf vorwies, dachte ich an meine Beobachtung und teilte sie Perez mit. Das wä re alles, aber das genügt auch, um zehn solcher Schurken an den Galgen zu bringen, wenn ihr den Rest erfahrt. Ajo wird euch bestätigen, daß alles so war, wie ich euch sagte.« 157
Perez winkte Ajo, dieser kam hoch und rief: »Wort für Wort stimmt alles, wie Lay es erzählt hat. Ich möchte aber ergänzen, daß uns der Fremde mit der Waffe bedrohte, so daß wir uns um des lieben Friedens willen ziemlich hastig entfernen mußten. Ich glaube, wenn wir nicht zu zweit gewesen wären, würdet ihr einen von uns jetzt nicht hier sehen, son dern ebenfalls nach dessen Mörder forschen oder euch überlegen, ob er wirklich schuldig ist.« Die Unruhe wurde immer stärker. Perez verschaff te sich jetzt wieder Gehör und rundete sie ab. »Garimpeiros! Ihr könnt euch denken, daß ich nicht zögerte, dem Mann ein paar Fragen zu stellen. Ich teilte die Streife ein, ließ das andere Ufer und den Strom unterhalb der Klippe besetzen und kesselte ihn so ein, daß er nicht ausreißen konnte. Wir kamen hin und hielten ihm einfach den Knopf unter die Nase. Er gab zu, daß es sein Knopf sei, weil ihm einfach nichts anderes übrigblieb. Dann sahen wir uns seinen Rock an, und siehe da, eben der Knopf, den Mulber ry bei dem Toten gefunden hatte, fehlte.« »Er ist der Mörder! Kurzen Prozeß!« tobten die Männer los. Perez brachte sie wieder zum Schweigen. »Er ist der Mörder, daran beißt die Maus keinen Faden ab. Wir baten ihn höflich um eine Erklärung, er verweigerte sie jedoch. Aber vielleicht hat er in zwischen eine Ausrede gefunden, Zeit genug hat er 158
ja gehabt.« »Noch etwas anderes«, überschrie Perez die Stim men. »Ihr wißt, daß sich dieser Fremde erst seit kur zem, nämlich seitdem ein Mord nach dem anderen erfolgt ist, am Tibagy aufhält. Er arbeitete als Stell vertreter für Eddie, der ihm sein Handwerkszeug und seinen Platz überließ, um ihm eine Gelegenheit zur Einarbeit zu geben, während er seinen Knöchel aus heilte. Ich weiß nun nicht, ob dem Fremden die paar Diamanten besonders gefallen haben, die er sich her ausgeholt hat, oder ob ihm Eddie sonstwie im Weg war, jedenfalls ist Eddie seit gestern aus seiner Hütte, in der er mit dem Fremden zusammen schlief, ver schwunden. Spazierengegangen ist er sicher nicht, aber wahrscheinlich wird euch dieser Mann erzählen können, an welcher Stelle er die Leiche in den Tiba gy warf. So, nun wißt ihr alles, und nun frage ich euch, ob der Mann schuldig ist oder nicht.« »Schuldig! Schuldig!« raste die Mehrzahl auf und schob sich heran. Plötzlich stand Paul Lancour oben und hob ruhe fordernd die Hand. Die Erregung brandete scharf ge gen ihn an, ließ aber doch allmählich nach, so daß er sich Gehör verschaffen konnte. »Garimpeiros«, sagte er schwer, »wir haben ver einbart, daß wir nicht lynchen, sondern ordnungsge mäß Gericht halten wollen. Bis jetzt haben die An kläger gesprochen, nun aber ist die Verteidigung an 159
der Reihe, und ich verlange von euch, daß ihr sie ru hig anhört und versucht, euch ein gerechtes Urteil zu bilden.« Die Meinung der Versammlung spaltete sich. »Er ist überführt!« schrie die größere Gruppe. »Was soll die Rederei noch?« Die anderen unterstützten Lancour jedoch. Sie wa ren zahlenmäßig unterlegen, standen aber wie ein Wall um die Steine herum, so daß die Garimpeiros von hinten nicht heran kommen konnten und handeln konnten. Es erwies sich jetzt schon, wie klug Lan cour seine Maßnahmen getroffen hatte. Der Lärm ebbte ab. Lancour sprach weiter: »Ich will selbst die Verteidigung des Angeklagten über nehmen. Ich hoffe, ihr kennt mich einigermaßen und wißt, daß ich mir meine Worte überlege. Also zu nächst wird behauptet, er soll Joe Rudyard umge bracht haben. Den Beweis seht ihr in dem Knopf, der an seinem Rock fehlt. Ich behaupte, das ist kein Be weis, durch den man einen unbescholtenen Mann um sein Leben bringen darf. Überlegt euch, Garimpeiros, wenn ihr einen Unschuldigen hängt, macht ihr euch alle zu Mördern. Dieser Mann behauptet, er wisse nicht, wie sein Knopf neben Rudyards Leiche ge kommen sei. Er sieht nicht gerade wie ein Lügner und Mörder aus, das mußte selbst Mulberry anerken nen, warum ihn also gleich des Mordes bezichtigen? Ist es nicht denkbar, daß Rudyard den Knopf vorge 160
stern hier im Campamento fand und ihn an sich nahm? Habt ihr nicht selber schon einmal einen Knopf verloren, ohne es gleich zu merken? Und habt ihr nicht selber schon einmal einen Knopf gefunden und ihn an euch genommen, weil ihr ihn gerade gut gebrauchen konntet? Warum sollte Rudyard das nicht auch getan haben?« Die Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Die mei sten waren jetzt aufmerksam geworden. »Das ist das eine«, sagte Lancour. »Ich will euch eine zweite Möglichkeit andeuten. Es gibt hier am Tibagy mindestens ein Dutzend Leute, denen ich und viele von euch zehnmal eher einen Mord zutrauen als einem Mann, der so aussieht wie dieser. Könnte es nicht sein, daß der wahre Mörder den Knopf im Campamento oder sonstwo am Ufer gefunden hat und ihn dort aus Versehen zurückließ? Vielleicht ließ er ihn auch mit Absicht da, denn ein solches Beweis stück läßt der Mann, den es beschuldigt, doch kaum so vollkommen sichtbar liegen. Wenn dieser Mann der Mörder gewesen wäre, hätte er blind sein müs sen, um den Knopf zurückzulassen. Ich frage dich, Mulberry, lag der Knopf nicht so, daß ihn jeder auch bei flüchtigem Hinsehen bemerken mußte?« »Ja«, bekundete der Ire laut, »er lag sehr auffäl lig.« »Da hört ihr«, rief Lancour befriedigt. »Ist es nicht wahrscheinlich, frage ich euch, daß jemand den 161
Knopf liegen ließ, um den Verdacht auf eben diesen Mann zu lenken? Wer will behaupten, ob nicht der Knopf sogar gestohlen wurde, um ein solches Be weismittel zu schaffen. Ich will niemanden verdäch tigen, kann es nicht, weil mir die Beweise fehlen, aber das sage ich euch, wer diesen Mann um den Knopfes willen für schuldig hält, der irrt sich gewal tig. Der hier ist unschuldig, und es ist unmöglich, ihn auf Grund eines solchen Beweisstückes zu verurtei len.« Die Anhänger von Perez widersprachen heftig. Sie vollführten im Hintergrund einen Heidenlärm, be zeichneten die Verteidigung als überflüssiges Ge quassel und forderten Sun Kohs Tod. Sie waren aber jetzt in der Minderzahl. Die Mitläufer waren von Lancours Ausführungen wirklich betroffen, sahen sich zweifelnd an und machten entsprechende Be merkungen. Es wurde für Perez höchste Zeit, daß er eingriff. »Freunde«, rief er über den Platz, »jetzt ist das eingetroffen, was ich euch sagte. Man kann über eine Sache so viele Worte reden, daß einem davon ganz wirr im Kopf wird. Ich denke, daß ihr nach einer Weile diesen Mann noch fußfällig um Verzeihung bitten werdet. Ich bin kein Advokat, aber für mich liegt der Fall ganz klar. Seitdem der Mann im Land ist, gibt es einen Mord nach dem anderen, endlich, nach langem Suchen, findet man bei einem Ermorde 162
ten einmal ein Beweisstück, das der Mörder liegen gelassen hat, wahrscheinlich, weil er gestört wurde oder weil er es im Weggehen verloren hat. Wie ge sagt, für mich ist alles klar, aber laßt euch nur weiter beschwatzen.« Die Mehrheit schien wieder auf seiner Seite zu sein. Lancour antwortete ihm: »Es ist besser, Perez, wenn du eine ernsthafte Verteidigung nicht als Schwätzerei bezeichnest. Du gerätst damit in Gefahr, persönlich zu werden, und dann könntest du von mir unter Umständen manche unangenehmen Dinge hö ren. Garimpeiros! Ich hoffe euch gezeigt zu haben, daß der Beweis für die Schuld dieses Fremden nicht schlüssig ist. Aber nun hört weiter. Jede Tat hat ihren Grund. Wir sind uns wohl einig darüber, daß einer nicht ein paar Garimpeiros tötet, wenn er nicht einen bestimmten Zweck damit verfolgt. Was meint ihr wohl, welche Veranlassung dieser Mann zu den Morden haben sollte, die ihm untergeschoben wer den?« »Er hat Diamanten geraubt!« schrie es von hinten. Lancour nickte. »Das dachte ich mir. Also man nimmt an, daß er gemordet hat, um sich zu bereichern. Nun, dann will ich euch in seinem Interesse etwas verraten. Dieser Fremde hat an der Klippe ein Diamantenbett gefun den, wie es noch keins am Tibagy gegeben hat. Er 163
wäscht mit einer einzigen Bateia mehr aus, als die ermordeten Garimpeiros alle zusammen bei sich ge tragen haben.« »Schwindel!« brüllte ein Chor von hinten. »Das ist Wahrheit!« widersprach Lancour laut. »Ich habe mich selbst davon überzeugt. Der Mann hat einen Platz, an dem er innerhalb von ein paar Wochen ein reicher Mann sein wird. An der Klippe liegen viele Tausende von Contos, das kann ich euch versichern. Und dieser Mann, der in einer Woche mehr Diamanten aus dem Wasser holt, als ihr alle zusammen, der sollte ein paar arme Garimpeiros we gen ihrer Diamanten berauben und ermorden? Das glaubt ihr wohl selber nicht, das ist vollkommen lä cherlich. Er hat keinen Anlaß zu solchen Morden und hat sie auch nicht begangen.« Ein unbeschreibliches Gewirr setzte ein. Die Ga rimpeiros redeten in fieberhafter Erregung durchein ander. Der sagenhafte große Fund, auf den sie alle seit Wochen, Monaten und Jahren hofften und warte ten, sollte gemacht worden sein. Das war eine Be hauptung, eine Nachricht, die sie hundertmal mehr interessierte als ein Dutzend Morde. Die Versammlung schien sich auflösen zu wollen. Es gab vorsorgliche Garimpeiros, die beiseiteschli chen, um unauffällig den Start nach jener Klippe an zutreten. Da zog Lay die Aufmerksamkeit auf sich. Er 164
schwang sich neben Perez und rief über die Köpfe weg: »Zuhören! Das ist ja alles Schwindel, was euch erzählt wurde.« »Hüte deine Zunge!« gab Lancour zornig zurück. »Was ich sage, ist kein Schwindel. Und daß es mit dem Fund stimmt, ist auch kein Schwindel. Viel leicht glaubt ihr es dann, wenn ich euch sage, daß ich bereits gestern früh mit meinem Trupp die Plätze oberhalb der Klippe belegt habe.« »Das ist eine Gemeinheit!« schrien ein paar erbost. »Ihr habt uns übervorteilt.« »Das sehe ich gar nicht so. Nach altem Recht und Gesetz kann der Entdecker eines Platzes ein paar sei ner Freunde aufmerksam machen, damit sie neben ihm belegen, bevor der Run losgeht.« »Es ist trotzdem Schwindel«, gellte Lay. »Du hast dich beschwindeln lassen, Lancour. Die Diamanten, die du gesehen hast, stammten nicht von der Klippe, sondern es waren die Diamanten, die der Mörder ge raubt hat.« »Quatsch«, lehnte Lancour grob ab. »Ich bin ein paar Jahre länger als ihr am Tibagy und weiß so un gefähr, ob die Diamanten auch von dem Platz stam men, der mir angegeben wurde. Der Mann hat den Fund ehrlich gemacht.« »Deswegen hat er wohl auch Eddie beseitigt!« brüllte einer von hinten her. Das war ein Vorwurf. Alles stutzte. Dann plötzlich 165
kam die gleiche Frage aus Dutzenden von Kehlen. Lancour stand breitbeinig oben und lachte. »Auch diese Behauptung will ich euch widerlegen. Eddie ist durchaus nicht beseitigt worden, sondern hat den Campamento freiwillig verlassen. Dieser Mann hat ihn auf seinen Armen hinausgetragen und in Sicherheit gebracht. Ich selbst habe noch bis zu letzt mit Eddie gesprochen und weiß, daß es seinen eigenen Absichten entsprach. Er fürchtete nämlich – und er hatte allen Grund dazu – daß man ihm ans Leben gehen wollte, um den Platz an der Klippe wieder freizubekommen. Der Mann hier kann sich wehren, Eddie hätte es aber mit seinem verletzten Knöchel nicht gekonnt. Deswegen vereinbarten wir, ihn an eine Stelle zu bringen, wo ihn gewisse Leute nicht erreichen können. Eddie lebt, das beschwöre ich.« Jetzt ergriff Perez selbst wieder das Wort. Sein Gesicht war verzerrt. Man merkte, wie ihn die Wut mitriß. »Dein Zeugnis in Ehren, aber du verläßt dich zu sehr darauf. Du hast Eddie gestern früh noch lebend hier im Campamento gesehen, aber wer will uns be weisen, daß er jetzt auch noch lebt? Du sagst, dieser Mann habe Diamanten gefunden? Aber wer beweist, daß die Diamanten nicht doch geraubt waren? Du erzählst uns hier, daß der Knopf als Beweismittel nichts wert sei. Aber wer beweist uns, daß er tatsäch 166
lich nichts wert ist? Alles Rederei, mit der du die ehrlichen Leute hier verwirrst. Der Tatbestand liegt ganz klar, und wir lassen uns nicht durch irgendwel che Advokatenkniffe den Mörder entwischen. Wohl aber frage ich dich vor diesen versammelten Garim peiros, was du dafür bekommen hast, daß du jetzt für diesen Fremden so eintrittst?« Mit einem Schlag wurde es totenstill in der Men ge. Alles lauschte, was Lancour zu dieser schwer wiegenden Behauptung zu sagen hatte. Lancour war dunkelrot vor Zorn, seine Hand lag an der Pistole. Man merkte, wie er sich mühsam beherrschte. »Lumpenjunge«, knurrte er, »du kannst ehrlichen Leuten einen solchen Vorwurf nicht machen. Du stehst hier als gewählter Führer der Streife in halb amtlicher Eigenschaft. Das ist dein Glück. Sobald dieses Gericht zu Ende ist, werde ich dir die Antwort auf deine Frage mit der Pistole geben.« Perez tat verächtlich. »Man schiebt unbequeme Sachen auf, wenn man hofft, diese später nicht mehr erledigen zu müssen. Aber mir soll’s recht sein, wenn du die Würde des Gerichtes zu sehr achtest. Ich denke mir jedenfalls meinen Teil, jeder vernünftige Mann unter uns wird das gleiche tun.« »Jawohl«, kam der Beifall von hinten. Von vorn brandete es jedoch: »Lancour hat recht. Der Mann darf nicht gehängt werden!« 167
Es ging wieder ziemlich durcheinander, aber für Freund und Feind war klar erkennbar, daß die Mehr zahl der Garimpeiros jetzt auf Lancours Seite stand, und daß es keinesfalls zu einer Verurteilung des Ver dächtigen kommen würde, wenn nicht etwas Ent scheidendes geschah. Und es geschah etwas. Corro ruderte beschwörend mit den Armen, wäh rend er hochstieg. »Garimpeiros«, rief er, »laßt euch nicht bluffen! Er sagt, die Diamanten des Fremden stammen von der Klippe. Nun, ihr wißt, daß Tob ermordet wurde und daß dabei ein erbsengroßer Stein mit ver schwand. Das war ein Stein, wie er nicht alle Tage vorkommt. Man mag mir die Diamanten zeigen, dann will ich euch sagen, ob dieser Stein etwa mit dabei ist oder nicht. Ich werde es auf meinen Eid nehmen, so oder so. Ist der Stein dabei, den ich gese hen habe, dann ist wohl die Schuld des Mannes klar.« »Richtig! Sehr gut! Bravo!« schrien die Stimmen durcheinander. Paul Lancour griff in die Tasche und zog einen Lederbeutel heraus, hielt ihn in die Luft und verkün dete: »Gut, Corro soll seinen Willen haben. Hier sind die Diamanten. Meist sind es kleine Stücke, aber ein paar größere Steine befinden sich auch dabei. Corro soll sie sich ansehen und dann sprechen.« 168
Totenstille. Unter allgemeiner Aufmerksamkeit öffnete Lan cour den Beutel und zeigte Corro die Diamanten. Der blickte einige Sekunden prüfend darauf, dann holte er mit zwei Fingern einen größeren Stein heraus und heulte triumphierend auf: »Das ist er! Das ist Tobs Stein!« Der Lärm wurde unbeschreiblich. Alles drängte heran und brüllte durcheinander. Sun Kohs Schicksal schien restlos entschieden zu sein. Alle waren nun von Sun Kohs Schuld überzeugt und forderten des sen Tod. Mühsam nur verschaffte sich Paul Lancour Ruhe. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich der Lärm soweit gelegt hatte, daß er sprechen konnte. »Corro«, sagte er laut, »du weißt, was deine Aus sage für diesen Mann bedeutet. Du nimmst sie auf deinen Eid?« »Jawohl, ich schwöre bei allen Heiligen, daß das Tobs Stein ist.« »Es besteht für dich nicht die geringste Möglich keit eines Irrtums?« fragte Lancour eindringlich. »Überlege es dir gut, bevor du antwortest.« Corro reckte feierlich die Hand zum Himmel. »Ein Irrtum ist völlig ausgeschlossen. Ich schwöre bei allen Heiligen! Ihr könnt mich auf der Stelle nie derschießen, wenn es nicht die reine und volle Wahrheit ist, die ich spreche.« Lancour holte tief Atem. 169
»Corro«, sagte er, »du bist der erbärmlichste Schuft, der je unter der Sonne gelebt hat. Garimpei ros! Ich habe euch belogen! Das, was ihr hier seht, sind nicht die Diamanten jenes Mannes von der Klippe, sondern das sind die Diamanten, die ich mit meinen Kameraden in den letzten Monaten aus dem Fluß herausgeholt habe. Hier stehen meine Leute. Freunde, sind das unsere Diamanten, die wir uns selbst ausgewaschen haben?« »Ja!« kam es achtstimmig zu ihm hinauf. Der Schlag traf unvorbereitet. Dieser Trupp genoß am Tibagy zuviel Ansehen, als daß die Garimpeiros an eine heimliche Verabredung hätten glauben kön nen. Es war kein Wunder, daß es wie ein Stöhnen durch die Männer ringsum ging. Das, was Corro da getan hatte, war selbst für den Verruchtesten unter ihnen ein unerhörter Frevel, ein Verbrechen, das durch nichts gesühnt werden konnte. Corro selbst begriff die Größe seines Reinfalls. Er wurde bleich und rang nach Atem. Man sah ihm das schlechte Gewissen förmlich an. Bevor die Verhandlung weitergehen konnte, stand Mulberry oben auf den Steinen und sagte weithin vernehmbar: »Corro. Joe Rudyard war mein Freund, und wenn einer Wert darauf legt, daß sein Tod ge sühnt wird, bin ich es. Ich bin aber auch der letzte, der seinen Tod dadurch sühnen will, daß man einen Unschuldigen hängt. Wir stehen hier in einer ernst 170
haften, schweren Gerichtsversammlung. Du hast eine Aussage gemacht, die den Gipfel aller Gemeinheit darstellt. Diese Männer, an deren Wort ich persön lich nicht im geringsten zweifle, stehen gegen dich. Was hast du zu sagen?« Corro stammelte kläglich: »Ein Irrtum – ein Irrtum …« »So?« donnerte ihn Mulberry an. »Ein Irrtum? Na schön, du hast geschworen, daß man dich nieder schießen könnte, wenn du nicht irrtumsfreie, volle Wahrheit sprechen würdest. Zieh, Schuft, sonst knal le ich dich wie ein räudigen Hund über den Haufen.« Ob Corro einsah, daß ihm nun keine Wahl mehr blieb, oder ob er glaubte, im Vorteil zu sein – jeden falls riß er die Pistole heraus und schlug an. Aber Mulberry war schneller als er. Aus seiner Waffe schoß der Feuerstrahl zuerst heraus. Corro ließ die Waffe fallen, warf die Arme hoch, und schlug auf den Boden auf. Eine Weile rührte sich niemand, selbst nicht Cor ros Freunde. Dieser Kampf war eine Angelegenheit, die weder ein Eingreifen duldete noch forderte. Es galt als ungeschriebenes Gesetz am Tibagy, daß sich niemand in den Zweikampf von Männern, die sich offen mit der Waffe gegenübertreten, zu mischen hatte. Und so, wie hier der Fall lag, war es selbst für die Freunde des Gerichteten nicht ratsam, Partei zu ergreifen. 171
Mulberry sprach als erster wieder. Er steckte seine Pistole weg und meinte: »Das wäre wohl in Ord nung. Von mir aus kann die Verhandlung weiterge hen. Aber da ich einmal hier oben stehe, möchte ich noch einmal betonen, daß ich diesen Fremden für unschuldig halte.« Wieder entstand eine Pause des Schweigens. Die Schüsse hatten die Verhandlung so zerrissen, daß man nicht gleich den Faden zur Fortsetzung fand. Schließlich besann sich Perez auf die Rolle, die er zu spielen hatte. »Garimpeiros«, rief er, »ich finde, es ist Corro recht geschehen. Er hat ein gemeines Zeugnis abge legt, dafür wurde er bestraft. Aber das ändert nichts daran, daß alle Wahrscheinlichkeit für die Schuld dieses Mannes spricht. Wir hätten eine Möglichkeit gehabt, seine Schuld durch die Diamanten einwand frei festzustellen. Das hat sich nun erledigt. Aber die anderen Punkte genügen. Alles, was Lancour da sag te, ist seine persönliche Auffassung, sind Vermutun gen, nicht mehr. Der Fremde ist schuldig und muß verurteilt werden. Zumindest sind ihm zwei Morde nachgewiesen worden, der an Rudyard und der an Eddie. Denn daran gibt es keinen Zweifel, daß Eddie ebensowenig wieder auftauchen wird wie Rudyard. Und wenn es stimmt, daß an der Klippe ein guter Platz gefunden wurde, haben wir ja auch die Erklä rung dafür. Eddie mußte sterben, damit der Fremde 172
den Platz allein ausbeuten konnte.« Perez hatte Pech. Plötzlich, wie an einem Faden gezogen, drehten sich alle Köpfe zurück. Hinter Goyas Rancho hervor kam Eddie Pound. Er stützte sich auf einen Knüppel und humpelte müh sam, aber er kam langsam vorwärts. Und als er erst ein paar seiner Freunde erreicht hatte, faßten ihn die se unter den Armen und trugen ihn bis zu den Stei nen. Nach einer lähmenden Stille brandete die ganze Masse der Männer erregt auf. Lancour lachte über das ganze Gesicht. »Da ist er!« rief er. »Da ist er, der ermordet sein soll. Werdet ihr Narren mir nun endlich glauben? Sprich, Eddie, tu den Mund auf, man hält dich näm lich hier schon längst für eine Leiche, und dein Freund Sun Koh soll dich ermordet haben.« Eddie tat den Mund auf. »Das ist der größte Blödsinn, den ich gehört habe. Ich denke, ihr werdet mir nun glauben, daß ich nicht ermordet wurde und daß dieser Mann unschuldig ist.« Das erste Gelächter quoll auf. Die Situation bekam einen komischen Anstrich. Doch dann schrie einer von hinten: »Und Rudy ard? Kommt der vielleicht auch angelaufen? Für den nämlich soll der Mann hängen!« 173
»Jawohl, er hat Rudyard auf dem Gewissen«, hetz ten die Umstehenden. Eddie winkte um Ruhe. »Dazu will ich euch etwas erzählen. Ich war zufäl lig in der Lage zu beobachten, wie Rudyard starb. Ich konnte ihm nicht helfen, da ich mich nicht bewe gen konnte, aber ich sah den Mörder.« »Er sah den Mörder?« brauste es auf. »Seinen Namen!« schrien die Stimmen. Der Neger Nicco drückte sich aus der Menge her aus. Eddie wies mit ausgestreckter Hand auf ihn hin. »Dort geht er. Nicco war es, der Neger!« Die Köpfe fuhren herum. Der Neger rannte in wil den Sprüngen zum Ufer, verschwand hinter den Ran chos. Einen stärkeren Schuldbeweis brauchten die Männer nicht. Die Gruppe, in der er gestanden hatte, rührte sich zwar nicht, aber ein paar andere Männer aus der Nähe machten sich an die Verfolgung. Perez kämpfte auf verlorenem Posten. »Fangt ihn lebendig!« rief er den Verschwinden den nach und zog damit gleichzeitig die Aufmerk samkeit der anderen auf sich. Dann wandte er sich an Eddie. »Du behauptest, daß du Nicco gesehen hast, wie er Rudyard erschoß?« »Jawohl«, bestätigte Eddie. »Ich sah ihn mit eige nen Augen.« 174
»Das muß ein Irrtum sein«, widersprach Perez, »denn soviel ich mich erinnern kann, habe ich den Neger in der fraglichen Zeit immer in meiner Nähe gesehen. Ich glaube, noch mehr Leute können be zeugen, daß er den Campamento nicht verlassen hat.« »Warum ist er denn dann geflohen?« schrien ein paar Männer. »Er wird Angst gehabt haben, daß man ihn auf diese Aussage hin lynchen würde.« Eddie tippte sich an die Stirn. »Mach dich nicht lächerlich, Perez. Was ich gese hen habe, habe ich gesehen. Und mit deiner Aussage würde ich an deiner Stelle recht vorsichtig sein, ich glaube nämlich, den Beweis erbringen zu können, daß er der Täter war. Ich verfolgte den Neger in eini ger Entfernung, wie er flußabwärts fuhr und dann den Campamento wieder betrat. Er ging unmittelbar in seine Hütte und blieb eine Weile darin. Es sollte mich wundern, wenn er die Diamanten, die er Rudy ard abnahm, nicht dort untergebracht hätte. Ich wür de auf alle Fälle empfehlen, ein paar Leute hinzu schicken, damit sie gründlich nachsehen.« Gegen diesen Vorschlag konnte man nichts ein wenden. Perez winkte ein paar Männern im Hinter grund. »Hallo, geht ihr gleich einmal in Niccos Hütte und seht nach, ob dort etwas zu finden ist.« 175
Lancour sprang schnell ein. »Stopp dort. Es ist wohl besser, wenn die Untersu chung durch ein paar Mitglieder der Streife vorge nommen wird. Ich persönlich würde Wert darauf le gen, wenn ein paar meiner Bekannten mit dabei wä ren.« Perez fügte sich mit saurem Gesicht. Er bestimmte zehn Männer der Streife, die Hütte zu durchsuchen. Die Garimpeiros traten in Gruppen zusammen und tauschten ihre Meinungen aus. Zweifellos waren alle mehr oder weniger von Sun Kohs Unschuld über zeugt, ausgenommen natürlich die, die zum engeren Kreis um Perez herum zählten. Mehrere Minuten vergingen, dann kamen die Streifenleute zurück. Einer stieg auf die Steine hin auf, zog eine Piqua aus der Tasche und hielt sie hoch. »Diese Piqua voll Diamanten fanden wir im Bo den von Niccos Hütte vergraben. Ich selbst kenne die Piqua als Rudyards Eigentum.« »Ich auch, ich auch!« bestätigten einige Männer von den verschiedensten Seiten. Damit war alles entschieden. Während Perez stumm, mit verbissenen Lippen und niedergeschla genen Augen dastand, ergriff Lancour wieder das Wort. »Garimpeiros! Unsere Gerichtssitzung ist wohl damit zu Ende. Alles, was hier als Anklage vorge bracht worden ist, hat sich als falsch erwiesen. Eddie 176
lebt, und der Mörder Rudyards ist erwiesenermaßen Nicco. Der Angeklagte wird in jeder Beziehung frei gesprochen. Ich denke, ihr seid mit mir einer Mei nung, daß seine Unschuld völlig einwandfrei und klar erwiesen ist.« »Er ist unschuldig!« rief die Überzahl. Lancour schritt auf Sun Koh zu. »Dann bleibt uns nichts übrig, als diesen Mann um Entschuldigung zu bitten und ihn von seinen Fesseln zu befreien. Geben Sie Ihre Hände, ich will Ihnen die Stricke durchschneiden.« Mit einer einfachen Bewegung nahm Sun Koh seine Hände auseinander. Die Stricke fielen ab. Sie hatten nur lose über den Gelenken gelegen. Staunend wurden sich die Garimpeiros bewußt, daß dieser Mann, den sie des Mordes bezichtigt und mit dem Tode bedroht hatten, ungefesselt und frei diesem Ge richt zugehört hatte. * »Es war reiner Zufall«, berichtete Eddie eine Weile später, »daß ich den Mord beobachtete. Ihr Begleiter erklärte mir die Einrichtungen des Flugzeuges, unter anderem auch den Fernseher, und da drehte ich etwas daran und bekam jenes Stück des Flußes unter die Augen, an dem der Neger eben sein Opfer nieder schoß und beraubte.« 177
»Sie haben die Vorgänge hier ebenfalls beobach tet?« »Ja, und uns wurde sehr ungemütlich dabei zumute. Erstens wußten wir nicht, wie wir uns die Geschichte zurechtlegen sollten, und zweitens befanden wir uns ziemlich weit von hier entfernt. Wenn Ihre Maschine nicht so fabelhaft mit der Geschwindigkeit wäre, wäre ich wohl kaum zur rechten Zeit angekommen.« »Nimba hat Sie bis an den Campamento getra gen?« Eddie nickte. »Er wollte sich nicht sehen lassen, da er dadurch eine Verschlimmerung befürchtete. Er landete außer halb und brachte mich im Dauerlauf bis an Goyas Rancho heran.« Paul Lancour hatte aufmerksam zugehört. Er er kundigte sich jetzt verwundert: »Hier ist von einem Flugzeug die Rede. Haben Sie denn ein Flugzeug in der Nähe?« »Ja«, erwiderte Sun Koh. Lancour schüttelte den Kopf. »Aber – ein Flugzeug? Dann sind Sie doch gar kein Garimpeiro? Ich habe jedenfalls noch nie ge hört, daß sich ein Garimpeiro eine solche Maschine leisten kann.« Sun Koh lächelte. »Ich bin kein Garimpeiro. Sie kennen übrigens die Maschine und meinen Begleiter.« 178
Lancour stutzte. »Donnerwetter, war der riesige Kerl, der den Mord an Tob…« Er zögerte, und Sun Koh vollendete: »Verübt ha ben soll, nicht wahr? Ja, das war mein Begleiter. Und weil er in den Verdacht geriet, ein Mörder zu sein, deswegen blieb ich hier. Ich glaube, es wird Ihnen jetzt auch wahrscheinlicher sein, daß jener Corro sei nen Begleiter ermordete als mein Diener, der keiner lei Interessen an ihm hatte.« Lancour sah sehr nachdenklich aus. »So hängt das alles zusammen? Nun, ich gebe zu, daß wir wahrscheinlich damals Corro aufgesessen sind. Übrigens fällt mir da noch etwas ein. Ich muß doch …« Er entfernte sich. Die herumstehenden Diamanten sucher stießen sich an, als sie seinen suchenden Blick bemerkten. Sie machten ihm willig Platz, und da sie ahnten, wen er suchte, bildete sich eine förmliche Gasse bis zu der Stelle hin, an der Perez stand. Der Brasilianer griff zur Pistole, als er Lancour he rankommen sah. Er ließ sie jedoch wieder los, als ihm ein Mann, der von Goyas Kneipe herkam, etwas ins Ohr zischte. Lancour näherte sich bis auf drei Schritte, dann rief er Perez laut an: »Hallo, Perez, wenn ich mich recht erinnere, hast du mir vorhin eine Frage gestellt. Ich versprach dir, die Antwort nach der Gerichtssit 179
zung zu geben. Erinnerst du dich?« Das Gesicht des anderen war finster, aber seine Stimme klang betont freundlich. »Ich erinnere mich, daß ich in der Hitze des Ge fechts eine große Dummheit gesagt habe. Es tut mir leid, daß ich dich beleidigt habe, und ich bitte dich um Entschuldigung.« Die Umstehenden waren verblüfft und enttäuscht. Sie hatten bestimmt eine kleine Schießerei erwartet. Da Perez weit und breit als guter Schießer galt, schien dieser Rückzug, der stark nach Feigheit roch, einfach unverständlich. Auch Lancour hatte nicht im entferntesten mit ei nem solchen Ausgang gerechnet. Im Gegenteil, als er auf Perez zuging, war er sich darüber im klaren, daß die Chancen gegen ihn standen. Perez schoß nach allem, was er von ihm wußte, zwar nicht besser, aber er zog schneller, und darauf kam es ja vor allem an. Er schwieg verblüfft einige Augenblicke, dann murmelte er kopfschüttelnd: »Du entschuldigst dich? Nun, dagegen ist wohl nichts zu sagen. Das nächste mal achte besser auf das, was du sprichst.« Damit wandte er sich ab und ging zurück. Die Diamantensucher warteten. Jedem einzelnen war die Sekunde ein Vermögen wert. Eine Sekunde vor dem anderen früher in der Nähe der Klippe bedeutete einen besseren Platz in 180
der Umgebung des großen Fundes. Eine Sekunde entschied unter Umständen darüber, ob man von dem Diamantenbett noch einen Streifen erwischte oder wieder auf tauben Grund kam. So drängte es jeden, schnellstens stromabwärts zu fahren und Platz zu be legen. Aber sie warteten. Dutzende von Augen prüften die Bewegungen der anderen, damit niemand entwischte. Das ungeschriebene Gesetz bannte alle, das glei che Gesetz, das auf allen Gold- und Diamantenfel dern der Welt galt. Wer einen Platz ausmachte, durfte ihn auf eine be stimmte Strecke hin belegen. Er hatte das Recht, zwei Freunde zu verständigen. Sie durften neben ihm belegen, bevor alle erfuhren. Dann aber kam der Run. Wo eine Gruppe von Garimpeiros zur gleichen Zeit von einem reichen Platz hörte, mußte ein regel rechter Start stattfinden, an dem sich alle unter glei chen Bedingungen beteiligen durften. Niemand durf te voraus, alle mußten zur gleichen Zeit aufbrechen. Wie sie ans Ziel kamen, war ihre Sache. Geschick lichkeit, Kühnheit und Schnelligkeit entschieden dann, jedoch durfte ein Mitbewerber nicht gehindert werden. So hieß das Gesetz, und die Versammelten hielten es ein, ohne groß darüber zu sprechen. 181
Eddie, beziehungsweise sein Stellvertreter, hatten den Platz ausgemacht, er gehörte also ihnen. Sie hat ten die benachbarte Stelle an Lancour und seinen Trupp abgetreten. Das ging in Ordnung, da der Trupp nicht neun Plätze, sondern nur einen belegt hatte. Aber nun waren die anderen an der Reihe. Was hielt sie noch? Nun, ein halbes Dutzend war hinter Nicco herge eilt, um ihn zu fangen. Es wäre eine Schäbigkeit oh negleichen gewesen, diese Leute zum Dank dafür aus dem Wettlauf auszuschalten. Also mußte der Start verzögert werden, bis sie zurückkamen. Es dauerte eine Stunde und länger, bevor sie wie der sichtbar wurden. Sie trugen einen Toten. Nicco. »Er setzte sich zur Wehr«, berichtete einer, »als er sah, daß wir schneller waren als er. Er schoß schlecht.« Damit war der Fall abgetan. Sie legten ihn zu Cor ro in einen leeren Rancho. Heute oder morgen, wenn man Zeit haben würde, konnte man die beiden be graben. Lancour schwang sich wieder auf die Steine hin auf. »Garimpeiros!« rief er über die Köpfe hinweg. »Nach den Sitten des Stroms beginnt jetzt wohl der Wettlauf zur Klippe. So, wie ich euch kenne, werdet ihr wohl die größere Strecke auf dem Fluß zurückle 182
gen wollen. Ich werde als Unbeteiligter das Zeichen geben, indem ich einen Schuß abfeuere. Zunächst aber einen Vorschlag. Ihr seid hier über hundert Mann. Wenn ihr alle zur gleichen Zeit losstürmt, gibt das ein schreckliches Durcheinander auf dem Fluß und unnötig Unglück. Paßt auf. Die meisten von euch gehören doch einem Trupp an. Wäre es nicht richtiger, wenn jeder Trupp seinen besten Mann stell te, um an dem Wettlauf teilzunehmen? Dann haben die Leute genügend Bewegungsfreiheit, und die an deren jagen sich nicht unnötig ab. Außerdem könnt ihr dann einwandfrei starten. Was meint ihr dazu?« »Nicht schlecht!« kam es beifällig zurück. Die Gruppen scharten sich zusammen, dann trat die große Masse der Garimpeiros zurück. Nur knapp zwei Dutzend Männer blieben stehen, die um den Platz kämpfen sollten. »Macht euch fertig!« sagte Lancour. »Jeder nimmt sein Kanu und was er sonst noch braucht auf die Schulter und stellt sich hier in eine Reihe, und zwar schräg aufgestaffelt, weil ihr hier sonst vorne einen Vorteil habt.« Nach fünf Minuten standen die Männer ordnungs gemäß aufgestellt. Der Schuß krachte. Damit begann der Wettlauf oder richtiger die Wettfahrt am Tibagy, von der man noch nach Jahren erzählen sollte. 183
Dreiundzwanzig Männer fuhren vom Campamento los. Fünf kamen nie wieder zum Vorschein. Reste ihrer Boote fand man an herausstoßenden Felszacken und unten jenseits des Falles im ruhigen Wasser. Acht Mann konnten sich an verschiedenen Stellen zum Ufer hinretten, nachdem ihre Boote in Trümmer gegangen waren. Sie schieden natürlich im Endlauf aus. Zehn Mann schossen dicht neben- oder hinterein ander auf die Klippe zu. Hundert Meter vorher muß ten sie zum Ufer, wenn sie nicht über ihr Ziel hin ausgelangen wollten. Drei drückten ihre Boote nicht rechtzeitig aus der Strömung. Sie waren froh, daß sie wenigstens noch auf die Klippe laufen und dort warten konnten, bis sie am nächsten Tage herübergeholt wurden. Sieben kamen zum Ufer und zum Endspurt, je nach Geschicklichkeit etwas früher oder später. Die se sieben belegten die Plätze stromaufwärts vom Zeichen Lancours. Vier dieser Plätze erwiesen sich später noch als recht ergiebig, während die drei ande ren fast taub waren. 9. Wenige Tage später hatte sich die Umgebung der
Klippe verändert. Flußaufwärts standen verschiedene
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Ranchos. Vor allem hatten Sun Koh, Hal Mervin und Eddie Pound eine regelrechte feste Hütte bezogen. In der Nähe stand der große Rancho von Lancour. In einiger Entfernung davon drängten sich die Ranchos der einzelnen Trupps, die weiter oberhalb belegt hat ten, auf dem schmalen Raum zwischen Ufer und Wald. Quer über den Fluß lief ein starkes Drahtseil. Es war hüben wie drüben an starken Stämmen befestigt, und zwar ziemlich weit oben, da es verhältnismäßig stark durchsackte. Auf dem Drahtseil lief eine Dop pelrolle. An dieser hing das Floß. Die stärkeren Beanspruchungen dieses Floßes brachten es mit sich, daß es ungleich stabiler gebaut werden mußte, als die sonst üblichen Flöße. Lan cours Floß bestand aus sechs Kanus, auf die man ei ne regelrechte feste Decke gezimmert hatte. Anderer seits bot es natürlich durch seine Größe dem strö menden Wasser eine viel breitere Angriffsfläche. Es war kein Wunder, daß das Seil in starker Kurven spannung sich flußabwärts ausbauschte und daß das Floß nicht genau darunter hinge, sondern von der Strömung schräg weggepreßt wurde. Es sah ein bißchen gefährlich aus, Aber Tau, Rolle und Floß waren fest, so daß man nichts Ernsthaftes zu befürchten brauchte. Sun Koh stand mit Hal Mervin in der Nähe seines Ranchos am Ufer. Er war gerade von der Klippe zu 185
rückgekehrt, ruhte sich jetzt ein bißchen aus und beobachtete inzwischen die Versuche. »Es scheint ihnen noch nicht recht geglückt zu sein«, bemerkte er halblaut zu Hal Mervin. »Es ist doch alles in Ordnung«, wunderte sich der Junge. »Sie brauchen doch bloß hinunterzutauchen?« »Das wird nicht ganz so einfach sein. So wie der Strom das Floß wegdrückt, wird er auch den Taucher wegdrücken. Ich denke, die Leute werden schwer auf Grund kommen.« »Sie winken.« Es war Lancour, der zum Ufer blickte und Sun Koh Zeichen mit dem Arm gab. Sun Koh schritt am Wasser entlang bis zu der Stelle, an der das Seil quer über den Fluß lief. Lancour winkte immer noch. Offensichtlich wollte er, daß Sun Koh zum Floß käme. »Sie schaffen es vielleicht nicht?« vermutete Hal. »Ich will einmal hinübersehen«, meinte Sun Koh. »Bleib du hier.« Er sprang in die Höhe, griff das Stahlseil und han gelte sich über den tobenden Strom hinweg zum Floß. Hal Mervin blickte ihm erst eine Weile nach, dann wanderte er das ansteigende Ufer hinauf und suchte nach einem Zeitvertreib. Plötzlich fiel ihm eine Bewegung hinter den ersten Stämmen des Urwaldes auf. Es kam ihm fast so vor, 186
als wollte sich dort ein Mensch verstecken. Neugierig trat er näher und blickte hinter den Baum, an dem das Stahlseil befestigt war. Da stand Perez. Hal Mervin wollte eine Frage stellen, aber bevor er noch das erste Wort heraus hatte, schwang der Brasilianer seinen rechten Arm hoch. Ein Beil blitzte auf, fuhr mit mächtigem Schwung durch die Luft und hieb krachend in die Rückseite des Baumes hinein. Blitzschnell und doch zu spät begriff Hal Mervin, daß dieser Hieb nicht dem Baum galt, sondern dem Stahlseil, das dort in zwei Meter Höhe um den Baum herumlief. Der Ton, mit dem die Beilklinge auf schlug, verriet auch, daß sie etwas anderes getroffen hatte als Holz. Stahl klang auf Stahl. Hal Mervin fühlte sich versucht, laut aufzulachen. Er begriff nicht, was der Mann tat. Es war selbstver ständlich Unsinn, eine solche Stahltrosse mit einem Beilhieb durchschlagen zu wollen. Der Gedanke war so unsinnig, daß man noch nicht einmal behaupten konnte, Perez plane etwas Böses. Vorher war be stimmt kein solcher Beilhieb gefallen, denn das hätte man gehört, und daß er nicht dazu kommen würde, einen zweiten Schlag dieser Art zu tun, konnte sich der Brasilianer wohl selber denken. Wie gesagt, Hal fand das Geschehen fast komisch. Er wußte eben nicht, daß dieser Mann, schon eine ganze Nacht damit verbracht hatte, geduldig die Stel 187
le des Stahlseiles im Rücken des großen Baumes zu zerreiben. Daher wußte er nicht, daß dieser eine Beilhieb tatsächlich genügte, um der Stahltrosse den entscheidenden Ruck zu geben. Er hörte nur mit fassungslosem Erstaunen plötz lich ein Reißen, dem unmittelbar ein kurzer harter Knall folgte. Und dann sah er die Trosse, an der das Leben von zehn Menschen hing, wie eine Peitschenschnur da vonzischen. Er sah gleichzeitig – das war sein Glück –, wie Pe rez mit einem tückischen Aufleuchten in den Augen nach seiner Hüfte griff. Da wurde er lebendig. Er hatte nicht umsonst in Arizona gelernt, mit der Pistole umzugehen. Mit schlafwandlerischer Sicherheit wirbelte er die Waffe hoch und schoß. Perez schoß ebenfalls, aber er hatte sich zu sicher gefühlt oder war überhaupt langsamer – jedenfalls feuerte er um den Bruchteil einer Sekunde später. Er hatte Hals Kugel bereits im Körper, als er den Finger krümmte. So schoß er vorbei und brach dann zu sammen. Inzwischen raste das Unheil, das sein Beilhieb ent fesselt hatte. »Es ist nicht so schwierig«, beruhigte Sun Koh eben die Männer. »Ich dachte mir schon, daß die Strömung den Taucher stark wegdrücken würde. Es 188
wird nichts anderes übrigbleiben, als vom Floß aus oder noch besser vom Seil aus eine zweite Trosse auf den Grund hinunterzunehmen und sie dort zu befe stigen, so daß sie dem Taucher als Halteseil dienen kann.« Lancour nickte. »Ich dachte schon an so etwas Ähnliches. Die Schwierigkeit liegt für uns darin, die Trosse über haupt hinunterzubringen.« »Das werde ich für Sie tun«, versprach Sun Koh. »Haben Sie noch ein Stück Tau da?« »Nein, aber am Ufer liegt noch genug.« Sun Koh blickte zum Ufer hinüber. »Gut, dann will ich sie gleich herüberholen und …« In diesem Augenblick gab es einen harten Stoß, der ein paar Mann glatt umwarf. Sun Kohs Augen, die zufällig in die Richtung des Seiles liefen, be merkten, wie es plötzlich von seiner Befestigung los schnellte. Sun Koh dachte blitzschnell nach. Das Seil war gerissen, aus einem unerklärlichen Grund geplatzt. Was würde geschehen? Die starke Strömung nahm das Floß mit furchtba rer Gewalt mit, die Rolle würde immer schneller durch das freie Ende des Seils hindurchrasen, das Floß war dem Strom überlassen, der es in den Ab grund des Wasserfalls mitnahm, wenn es nicht vor 189
her an einer der vorstehenden Felszacken zerschellte. Die Männer auf diesem Floß waren demnach verlo ren. Sie waren gute Schwimmer, aber an dieser Stelle des Stromes reichten ihre Kräfte nicht aus, um das Ufer zu erreichen. Sie würden ertrinken, in den He xenkessel des Absturzes geschleudert werden oder sich die Knochen an den Felsen zerbrechen. Was tun? Sun Koh dachte vielleicht nur in Andeutungen, oder er handelte instinktiv, jedenfalls handelte er sehr schnell. »Trosse gerissen! Festhalten!« brüllte er auf und griff gleichzeitig mit der rechten Hand nach dem Stahlseil, mit der linken in den Haken der Rolle, an dem das ganze Floß hing. Die Rolle war gerade erst in Bewegung gekom men, lief erst langsam an dem schlaffen Seil davon. Wenige Sekunden später wäre das Seil so schnell durchgesaust, daß es den Händen eines Mannes nicht mehr möglich gewesen wäre, es zu ergreifen, ohne sich zu zerfetzen. Schon jetzt schnitt es brennend scharf, wie ein blankes Messer in die Haut hinein, aber Sun Koh konnte seine Finger wenigstens noch stählern fest herumschlagen und die beginnende Bewegung zum Abstoppen bringen. Zwischen Floß und Seil bildete er nunmehr eine lebendige Klammer, von deren Festigkeit das Leben 190
aller Menschen abhing, die sich auf dem Floß befan den. Sun Koh hatte das Gefühl, daß ihm seine Arme durch übermächtige Gewalten herausgerissen wür den. Es war eine entsetzliche Beanspruchung, der selbst seine geübten und gestählten Muskeln nicht lange standhalten konnten. Die Männer starrten sekundenlang wie gelähmt, aber dann handelten sie um so schneller. Lancour und ein anderer griffen gleichzeitig nach dem losen Ende des Taues und rissen es um die Hal teseile des Floßes herum. Einmal zogen sie eine Schlaufe, so wie sie gerade kam, dann noch einmal herum und dann zerrten sie das freie Ende nach. Sun Koh lockerte vorsichtig seinen Griff. Wieder ruckte das Floß, aber es hielt. Es hing jetzt unmittelbar verknotet am Tau, die Rolle konnte nicht mehr weg. Die größte Gefahr war beseitigt. Ungestüm raste der Strom nach seinen Opfern, aber sein Ansturm verpuffte, das Floß schleuderte nur langsam seitlich vorwärts. Dann gab es wieder einen harten Stoß. Es war auf eine Unterwasserklippe aufgefahren, die es seitlich nicht mehr ausweichen ließ. Fast hätte dieser Stoß noch einen der Leute he runtergeworfen. Im letzten Moment griff ein anderer zu und hielt ihn oben. Jetzt lag das Floß verhältnismäßig ruhig, einesteils gehalten durch das Seil, andernteils durch die Barrie 191
re des Felsenstücks, das vom Grund aufragte. Sun Koh massierte die überdehnten Gelenke. Die anderen Männer fanden allmählich die Sprache zu rück. »Donnerwetter«, murmelte einer. »Das wäre um ein Haar schiefgegangen.« »Das Seil ist geplatzt«, stellten einige andere über flüssigerweise fest. Lancour reichte Sun Koh seine Hände. Er begriff, außer Sun Koh vielleicht als einziger, daß diese we nigen Sekunden über das Leben aller entschieden hatten. Als Sun Koh die Überbeanspruchung seiner Mus keln und Gelenke einigermaßen verwunden hatte, nahm er das eingeholte Ende des Taues um seine Hüfte und schwamm auf die Klippe zu, von dort aus dann auf seinem gewohnten Weg zu dem Ufer, auf dem die Ranchos standen. Hier befestigte er das Sei lende an einem Felsblock. Nun konnten sie die Ga rimpeiros am Seil entlang herüberziehen. Das Floß mußte erst einmal aufgegeben werden. Später konnte man immer noch die Schlaufen allmählich nachlassen und so das Floß auf der Rolle herüberlaufen lassen. Als alle in Sicherheit waren, machten sie sich un willkürlich auf den Weg zu jener Stelle, an der das Seil weggeplatzt war. Sun Koh hatte sich inzwischen schon das freie Ende angesehen und einige Bemer kungen darüber zu Lancour gemacht. 192
Hal Mervin kam ihnen ein Stück entgegengelau fen. »Gott sei Dank, Sir, daß alles gut gegangen ist. Sie müssen einen schönen Schreck gekriegt haben. Dort neben dem Baum liegt der Verbrecher.« »Von wem sprichst du?« fragte Sun Koh. »Es war Perez«, erwiderte Hal. »Er hat das Seil durchgeschlagen.« »Aha, daher diese merkwürdige Reißstelle. Wie ist es passiert?« »Ich sah ihn hinter dem Baum und kam näher. Er hieb gerade mit dem Beil auf die Trosse ein. Sie platzte weg, und dann griff er nach der Pistole, wahr scheinlich, weil er mich nicht als Zeugen gebrauchen konnte. Ich war aber schneller als er.« »Schneller als Perez?« wunderte sich Lancour. Sun Koh nickte kurz. »Das wundert mich nicht. Hal ist ein ausgezeich neter Pistolenschütze. Aber du sprichst von einem Schlag? Das Seil ist nach meinen Beobachtungen allmählich durchgerieben worden, von einem Beil hieb sieht man nicht viel. Außerdem halte ich es für unmöglich, dieses Stahlseil mit einem Beilhieb zu kappen.« Hal Mervin hob die Schultern. »Ja, das verstehe ich auch nicht recht. Aber viel leicht gibt er Ihnen selbst Antwort. Er ist bei Be wußtsein. Dort liegt er.« 193
Sun Koh beugte sich zu dem Schwerverletzten hinunter, die anderen Männer bildeten schweigend einen Kreis. Perez atmete röchelnd. In seinen Mundwinkeln stand Blut. Er blickte klar und bewußt und sehr er staunt. »Ihr seid alle davongekommen?« flüsterte er. »Ja«, sagte Sun Koh. »Ihr Anschlag ist glückli cherweise mißlungen.« »Mir auch egal«, röchelte der Sterbende, »mit mir ist es ohnehin zu Ende.« »Wie haben Sie das Seil so plötzlich zerstören können?« Ein fahles Grinsen lief über das Gesicht des Brasi lianers. »Die ganze Nacht – wir haben gearbeitet – Ajo und ich.« Das war die Erklärung. »Warum wollten Sie dieses Verbrechen begehen?« »Die Diamanten. Wir wollten den Platz für uns.« Sun Koh schüttelte den Kopf. »Aber das nützt doch gar nichts. Selbst wenn die Männer alle gestorben wären, hätten Sie die Stelle nicht mehr besetzen können. Sie hätte den Angehöri gen dieser Leute gehört.« Perez hustete, spie Blut und keuchte dann: »Nein – wir haben eine Schenkungsurkunde – sämtliche Un terschriften – gefälscht. Goya versteht so etwas.« 194
Die Männer wechselten betroffene Blicke. »Ein feiner Plan«, bemerkte Sun Koh sarkastisch. »Wer hat ihn ausgeheckt?« »Goya.« »Er ist auch der Anführer der Bande?« »Ja.« »Wer veranlaßte die Morde an den Garimpeiros?« »Alles – im Auftrag Goyas«, röchelte Perez. »Wer hat Tob ermordet?« »Corro. Die Diamanten – er wollte sie haben …« »Sie können beschwören, daß Goya der Anführer ist?« Perez ruckte auf. »Ich schwöre bei…« Ein Blutsturz machte seinem Satz und seinem Le ben ein Ende. * Ein Dutzend Männer hatte die Aussage des Sterbenden gehört, die ihren eigenen Verdacht klar bestätig te. »Jetzt wird es Zeit, mit ihm Schluß zu machen«, brummte Lancour. »Ich schlage vor, daß wir gleich den Campamento aufsuchen.« Sun Koh nickte ihm zu. »Es ist wohl am besten so. Vielleicht finden wir noch Beweise für seine verbrecherische Tätigkeit in 195
seiner Hütte, wenn wir ihn stellen, bevor er erfährt, daß der Anschlag mißglückt ist. Auf jeden Fall brin gen wir ihn vor das Gericht der Garimpeiros.« Der Trupp machte sich fertig. Eine halbe Stunde später marschierte er flußaufwärts nach Antamara zu. Weit vor ihnen hetzte Ajo auf den Campamento zu. Unruhe und Furcht trieben ihn vorwärts. Goya hatte seit einigen Tagen einen Gehilfen, ein junger Bursche namens Fernando. Er hatte vor acht Tagen den Wettlauf nach den Diamanten mitgemacht und dabei den Arm gebrochen. Sein Trupp hatte sich wütend von ihm getrennt, und Goya hatte den jungen Taugenichts zu sich herübergezogen. »Was ist?« fragte Goya. Ajo schwabbte den Schnaps hinunter, hustete wild und schrie dann heiser: »Der Anschlag ist mißglückt. Ich komme, um dich zu warnen.« »Mißglückt?« stieß Goya scharf heraus und stand plötzlich dicht am Tisch. »Ist das Seil nicht…« »Es ist gerissen, aber sie merkten es zu schnell. Dieser Sun Koh hat das Floß mit seinen Händen am Seil festgehalten, bevor es ablaufen konnte, so daß es nur langsam herumschwenkte und sich dann ruhig gegen einen Felsen legte, von dem aus sie ans Ufer kommen konnte.« Goya packte ihn hart an den Schultern. »Du phantasierst! Mit den Händen, sagt du?« »Aber ja«, keuchte Ajo. »Der Mann muß über 196
mehr Kräfte verfügen als drei zusammen. Er hielt es so lange, bis die Männer eine Schlinge herumgewor fen hatten. Alles war umsonst, sie sind wohlbehalten zum Ufer gekommen.« »Unmöglich, das …« »Die Pest über dich, ich schwindle dich nicht an. Wenn du …« »Wo ist Perez?« »Tot oder fast tot. Dieser Junge erwischte ihn, als er eben das Seil kappte. Sie schossen fast gleichzei tig, aber Perez war zu spät dran. Ich habe ihn fallen gesehen.« »Sie kommen hierher?« »Ich weiß es nicht, aber ich rechne damit. Perez war noch nicht ganz tot, denn ich hörte den Jungen auf ihn einsprechen. Die Männer gingen gerade zu ihm hin, als ich fortrannte. Kannst du dir nicht den ken, was jetzt passiert, wenn Perez in seiner letzten Minute noch ein paar Leute um sich herum sieht?« Goyas Gesicht verzerrte sich. »Hölle und Teufel, er hat immer gern geschwatzt. Wir müssen fort. In fünf Minuten sind wir unter wegs. Ihr drei verständigt die anderen. Wir treffen uns an unserem alten Sammelpunkt im Wald.« * Die Nacht löste den Tag ab. 197
Vor Lancours Rancho saß Jim Legg auf einem Stein und starrte in die Finsternis. Er hielt Wache, zwei Stunden lang, dann würde ihn der nächste ablö sen. Lancour hatte das für alle Fälle angeordnet. Jim Legg ruckte plötzlich auf. Bewegte sich dort nicht etwas? Er sprang auf. Das sah doch tatsächlich so aus, als ob… »Halt! – Wer da?« schrie er und riß gleichzeitig seine Waffe aus dem Gürtel. Ein rötlicher Blitz zuckte durch die Dunkelheit. Jim Legg fuhr mit den Armen hoch, taumelte einen Schritt zurück und krachte schwer gegen die Bret terwand des Rancho. »Überfall!« wollte er noch schreien, aber er brach te keinen Laut mehr heraus. Aber Hinterschroth, der Ablöser von Jim Legg, war bereits auf den Beinen. Er hatte unruhig geschla fen und wollte nicht abwarten, bis ihn sein Kamerad herausholte. Er öffnete die Tür im gleichen Augen blick, in dem der Schuß fiel und Jim Legg zurück taumelte. »Überfall!« brüllte er auf, warf sich mit einem Sprung aus der Hütte heraus und schoß in die Nacht hinein. Hinter ihm riß der dunkle Klumpen der Schlafen den blitzschnell auseinander. Die Männer warfen 198
sich noch halb im Schlaf gegen die Wände und an die Plätze, die ihnen Lancour vorsorglich zugewiesen hatte. Dort hatten sie noch am Abend Öffnungen eingeschnitten. Die Schüsse peitschten hinaus. Und hinein! Einer stöhnte auf und kollerte zur Seite. Ein ande rer griff mit einer Verwünschung nach seiner Schul ter und nahm die Waffe in die Linke. Die Männer befanden sich in einer mißlichen La ge. Sie steckten in einem Kessel, der ringsum von Banditen besetzt war. Diese schossen sehr gut und wußten genau, wohin sie zielen mußten. Ihre Kugeln schossen durch die dünnen Bretter glatt durch, wäh rend die Steine, hinter denen sie lagen, ihnen ausge zeichnete Deckung gaben. »Barmherziger Gott!« stöhnte Lancour. »Sie ma chen uns fertig. Wenn das so weitergeht, müssen wir versuchen, durchzubrechen.« Sun Koh wurde vom Knall des ersten Schusses hochgerissen. Er sprang auf, stieß Hal und Eddie Pound an und holte sie damit aus dem Schlaf. Er war gerade im Begriff, zur Tür zu gehen, als diese aufflog. Die Gestalt eines Mannes schob sich schattenhaft in den Rahmen, dann leuchtete die Ta schenlampe auf, die der Mann in der Hand hielt. Den Bruchteil einer Sekunde später stach das wei ße Licht aus Sun Kohs Lampe zurück und zeigte ei 199
nen der Männer, die zu Goyas Bande gehörten. Der Mann hielt eine moderne Schnellfeuerwaffe in der Hand und feuerte. Der Angreifer wurde jedoch durch das Gegenlicht irritiert und schoß vorbei. Und bevor er sich ein schießen konnte, warf ihn Sun Kohs Kugel aus dem Türrahmen heraus. »Höchste Eisenbahn!« rief Hal erleichtert. »Der wollte uns alle drei im Schlaf erledigen. Aber denen wollen wir es jetzt…« Sun Koh riß ihn zurück. »Bist du verrückt? Mitten ins Licht? Warte!« Ringsum knatterten die Salven los. Sun Koh schalte te die Lampe ab und sprang selbst zur Tür. Ein Ku gelhagel begrüßte ihn. Hinter den Steinen lag minde stens ein halbes Dutzend Angreifer. Er rollte schleu nigst von der Tür weg. »Weg von der Tür, sie wird unter Feuer gehalten. Sie liegen hinter den Steinen. Wir brauchen Licht.« Sun Koh holte die Sprechdose aus der Tasche und gab das Rufzeichen. Keine Antwort! Schlief Nimba wieder einmal so fest, daß er nichts hörte? Endlich! »Nimba?« »Sun Koh. Sofort hierher zu den Ranchos. Den Scheinwerfer anstellen. Wir sind im Kampf und brauchen Licht.« »Sofort, Sir.« 200
Nimba hielt sich mit dem Flugzeug rund dreißig Kilometer jenseits des Flusses auf. Das war nicht viel für ein Flugzeug, aber immerhin würde es ein paar Minuten dauern, bevor er kam. Und einige Minuten waren eine lange Zeit, wenn es Kugeln regnete. Es hatte nicht viel Sinn, vor Nimbas Ankunft et was zu unternehmen. Die Banditen lagen so nahe, daß sie jede Bewegung an der Tür wahrnehmen konnten. Wenn aber Licht auf die Landschaft fiel, mußten sich die Chancen umkehren. Dann waren die Männer in der Hütte besser geschützt als jene, die hinter den Steinblöcken lagen. »Nicht mehr schießen«, befahl Sun Koh. »Komm her, Hal.« Er hob Hal hoch. Hal verstand und hängte sich an die Querhölzer, die oben die Wände und das Dach zusammenhielten. Man konnte sie nicht gut als Bal ken bezeichnen, weil sie dazu zu dünn waren, aber sie besaßen immerhin genügend Stärke, um einen Menschen zu tragen. Sun Koh stemmte anschließend Eddie Pound nach oben und half ihm, sicher zu sitzen. »Ruhig verhalten!« sagte er. »Dort oben kommt keine Kugel hin. Sie denken, daß wir am Boden lie gen. Erst schießen, wenn Licht kommt.« »Und Sie?« »Hier ist eine tote Ecke«, sagte Sun Koh, aber in Wirklichkeit fürchtete er, daß die Hütte zusammen 201
brechen würde, wenn er auch noch nach oben ging. Die Kugeln pfiffen und klatschten durch die Bret ter, wenn auch seltener. Die Vorderwand wurde all mählich durchsiebt. Immerhin schwächten die Bret ter wenigstens die Kraft der Kugeln. »Fertig?« fragte Paul Lancour nebenan. »Haltet euch tapfer, Jungens. Kämpft wie die Wilden!« Die sechs Männer, die noch lebten und eine Waffe führen konnten, hockten in zwei Trupps. Der eine befand sich dicht vor der Seitenwand, an der man einige Bretter nur noch wegziehen mußte, um eine genügend große Öffnung zu schaffen. Die andere Gruppe lag neben der Tür. »Fertig!« murmelten die Männer. »Also…« Plötzlich lag das Gelände vor der Hütte in weißem Licht. Fünfzig Meter über dem Fluß raste eine grelle Sonne heran. Sechs Männer brüllten auf: »Da sind sie!« Endlich sahen sie die verhaßten Kerle, die ihnen die Sekunden zu Ewigkeiten und die Hütte zur Hölle gemacht hatten. »Schießt!« schrie Lancour. »Drauf!« Er stürzte hinaus. Aufbrüllend folgten die anderen. Die Banditen hinter den Steinen rissen erschreckt die Köpfe hoch und schlossen geblendet die Augen. Mancher öffnete sie nicht wieder, denn jetzt knatterte es wie aus Maschinenpistolen. Lancours Männer 202
brachen aus und stießen auf verwirrte Gegner. Sun Koh stand in der Tür der Hütte und schoß aus beiden Händen. Hal hatte das Dach durchstoßen und zeigte, was er gelernt hatte, und Eddie Pound half eifrig mit. Dagegen kamen die Banditen nicht auf. Der Schreck über das plötzliche Licht verwirrte sie, die Kugeln trafen, die Toten und Verwundeten sanken hinter die Steine. Nach Minuten gaben die Männer auf. Sie räumten ihre Stellungen und flüchteten in den Wald hinein. Sun Koh jagte ihnen nach. Seine Augen suchten Goya. Wo war Goya? Dort rannte ein kleiner Trupp Männer zum Wald hinauf, gehetzt von den Geschossen ihrer Verfolger. Nein, Goya war nicht dabei. Aber dort hastete ein einzelner Mann zum Wasser. Goya! Sun Koh warf sich herum und sprang in langen Sätzen quer durch das Kampffeld. Goya wußte, daß er verfolgt wurde. Er lief schnel ler. Es half ihm nichts. Vor ihm befand sich der Fluß. Goya mußte plötzlich den Verstand verloren ha ben. Er handelte wie ein Irrer. Er riß ein Kanu hoch, das einer der Garimpeiros dort am Ufer gelassen hat te, schleuderte es in das Wasser und warf sich hinein. Er drückte es mit seinem Körpergewicht in die Strö mung hinein. Donnernd riß der Tibagy das leichte Boot mit und 203
warf es vorwärts. Es jagte nicht weit entfernt von Sun Koh vorbei. Er hätte schießen und treffen können, aber er hob die Waffe nicht. Goya vertraute dem Fluß sein verworfenes Leben an. Gelang es ihm, das jenseitige Ufer zu erreichen, dann sollte er fliehen können. Zweifellos wollte Goya versuchen, noch vor dem Wasserfall hinüberzukommen. In dem grellen Licht konnte man jede Bewegung beobachten. Goya mach te rasende Anstrengungen, um das Boot in seiner Gewalt zu behalten und es zum anderen Ufer zu bringen. Es kam leicht bis zur Mitte des Stroms. Nun mußte sich aber zeigen, ob es die vorwärtsreißende Kraft des Wassers überwinden konnte. Goya kämpfte um sein Leben. Er kämpfte vergeblich. Wenige Sekunden, nach dem er sich auf den Fluß gerettet hatte, war sein Schicksal entschieden. Die Strömung ließ ihn nicht wieder los. Bis zum Wasserfall war es nicht mehr weit. Er konnte es nicht mehr schaffen. Jetzt war er fast an der Klippe. Goya kniete in dem Boot. Er wehrte sich noch immer mit aller Kraft. Plötzlich schien das Boot stillzustehen. Was war das? Sprang Goya plötzlich zurück? Jetzt schoß das Boot weiter. 204
Ohne Goya! Sun Koh begriff, was geschehen war. Das Seil, das auf Goyas Befehl zerschnitten worden war, lief dort quer über den Fluß. Es hing so tief, daß Goyas Kör per dagegengeprallt war. Von dieser Sekunde an wurde Goya nie wieder ge sehen. ENDE
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Als SUN KOH Taschenbuch Band 25 erscheint: Freder van Holk Der steinerne Wald Dr. Canthorpe erzählt zuviel, und ein Einbrecher wird mitten in der Großstadt mit einem Toma hawk erschlagen. Ein Goldsucher findet das Loch, in das Manitu den Mond warf und verdingt sich als Weidereiter. Lewis Holland hat verwe gene Pläne, doch Sun Koh gerät ihm dazwi schen und verhindert, daß die Felsbogen-Ranch in seine Hände fällt. Es geht um eine Ranch und um eine Frau, um Gold und um das nackte Le ben. Ein Mann will in die Vergangenheit zurück, aber es gelingt ihm nicht. ›Einsamer Bär‹ trinkt unter den Totempfählen seiner Ahnen einen Schluck Whisky zuviel und ein gefesselter Ein brecher wird vor Angst verrückt. Hal Mervin aber hält nichts von Rindvieh. Die SUN KOH-Taschenbücher erscheinen vier wöchentlich und sind überall im Zeitschriftenund Bahnhofsbuchhandel erhältlich.