Die Blutbestie
von Günther Herbst scanned b y : horseman kleser: Larentia Version 1.0
Die Ballade vom hölzernen Pferd...
24 downloads
235 Views
407KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Die Blutbestie
von Günther Herbst scanned b y : horseman kleser: Larentia Version 1.0
Die Ballade vom hölzernen Pferd, dem die sagenhafte Stadt Troja zum Opfer fiel, ward schon von zahllosen Sängern vorgetragen. Die Ballade vom hölzernen Weinfaß hingegen ist weniger bekannt. Und doch handelt auch sie von Geschehnissen, die reich sind an Heldenmut und Heimtücke, an erbittertem Kampf und arger List, an hehrer Liebe und bitterstem Leid. Dem berühmten Minnesänger Volker vom Hohentwiel blieb es vorbehalten, diese Geschehnisse in Reime und Musik zu fassen ...
Die vier Männer paßten zusammen wie Feuer und Wasser. Der eine war ein feiner Herr von bestem Stande. Sein Wams aus edlem Linnen hatte Aufschläge aus Hermelin, die Reitstiefel wurden durch silberne Nieten verziert, und an seinem Hut prangten zwei herrliche Pfauenfedern. Die hochgewachsene Gestalt und die aristokratischen Gesichtszüge vervollkommneten das Bild eines Adligen, der geboren war, um zu befehlen und zu herrschen. Die drei anderen waren Männer von ganz anderem Schlage. Ihre grobe, schmucklose Kleidung wies Löcher und Flicken auf. Überall an ihnen nistete der Schmutz, an Wams und Hose, an den Händen, selbst in den rohen, grobschlächtigen Gesichtern. Wirre Haare und wildwuchernde Bärte ließen sie mehr Tieren als Menschen gleichen. Und doch waren sie ein Herz und eine Seele, der vornehme Adlige und die drei wüsten Gesellen, bei deren Anblick jeder anständige Christenmensch sofort die Beine in die Hand genommen hätte. Friedlich vereint lagerten sie am Waldrand unter dem schattigen Blätterdach einer mächtigen Buche und gaben sich gemeinschaftlichem Vergnügen hin. Der Würfelbecher und eine mit Wein gefüllte Lederflasche machten die Runde. Der blonde Riese, der auf den Namen Sven hörte, schüttelte den Becher und ließ die Würfel dann auf die Satteldecke rollen, die als Unterlage diente. »Hohoho«, lachte er dröhnend, »zweimal die Sechs und einmal die Fünf. Mach mir das erst einmal nach, Felix!« Derb und kumpelhaft schlug er dem Mann im Hermelinwams auf die Schulter, ganz so, als würde der augenfällige Standesunterschied mitnichten bestehen. Den mit Felix Angesprochenen schien es nicht im mindesten zu stören. Er erwiderte das Lachen und griff seinerseits nach den Würfeln. »Siebzehn ist ein guter Wurf«, sagte er. »Aber ich fürchte, es wird nicht reichen.« Er nahm sich Zeit, bevor er die Würfel aus dem Becher trudeln
ließ. »Was habe ich gesagt?« triumphierte er. »Dreimal die Sechs! Damit ist der Sieg wiederum mein, Sven.« Der Blonde stieß einen gotteslästerlichen Fluch aus, der die Vögel auf den Zweigen beim Singen innehalten ließ. »Du mußt mit dem Teufel im Bunde sein!« »Aber nein, aber nein. Ich habe lediglich das Glück gepachtet, das ist alles.« »Nicht umsonst heißt er Felix, was in der Sprache der geistlichen Herrn der >Glückliche< bedeutet«, knurrte der schwarzbärtige Friedrich ärgerlich. »Oder aber er versteht es, die Würfel nach seinem Belieben zu drehen und zu wenden«, warf der vierte Mann ein. Er hieß Waldemar und war ein kräftiger, untersetzter Bursche mit stetig rot angelaufenem Gesicht, das von einer dicken Knollennase verunziert wurde. Felix stemmte die Arme in die Hüften. »Willst du damit sagen, daß ich betrüge?« Waldemar hielt seinem bösen Blick stand. »Und wenn ich genau das meine, was ich sage?« »Dann sähe ich mich gezwungen, dich für dein beleidigendes Geschwätz gebührend zu bestrafen!« Noch während er sprach, sprang Felix auf die Füße und nahm eine drohende Haltung an. Dadurch ließ sich Waldemar nicht einschüchtern. Schon war er ebenfalls aufgesprungen. »Komm nur her, glücklicher Felix«, stieß er hervor. »Aber wundere dich nicht, wenn du nachher ziemlich unglücklich bist!« Der schwarzbärtige Friedrich gab einen Knurrlaut von sich. »Setzt euch hin, ihr Narren! Die Zeit, aufeinander loszugehen, ist noch nicht gekommen. Dazu habt ihr nachher noch reichlich Gelegenheit. Also zügelt euch gefälligst!« Die beiden Streithähne nahmen wieder Platz, nicht ohne vorher noch ein paar bitterböse Blicke auszutauschen.
»Gib mir den Wein«, sagte Felix. »Ich muß meinen Zorn hinunterspülen.« Der blonde Sven wollte ihm die Lederflasche reichen, aber das ließ der Schwarzbärtige nicht zu. »Genug des Weins«, sagte er entschieden. »Du hast schon viel zuviel getrunken, Felix. Was ist das für ein Freigraf, der schwankend auf seinem Roß sitzt?« »Ich werde nicht im Sattel sitzen, sondern zerschunden am Wegesrand liegen«, erwiderte der Mann im Hermelinwams. »Wer also würde sich wundern, wenn ich schwanke?« »Auch ein Freigraf, der lallend seine Trunkenheit bekundet, ist gewiß nicht nach dem Geschmack des Güldenburgers!« »Pah«, machte Felix, »wissen wir denn, ob der Graf wirklich des Weges kommt? Seit zwei Tagen warten wir schon vergebens.« »Er muß hier entlangkommen, wenn nicht heute, dann spätestens morgen. Die Feierlichkeiten im Schloß des Herzogs sind zu Ende. Und vom Schloß zur Güldenburg führt nur dieser eine Weg.« Alle vier Männer blickten hoch zur Kuppe des gegenüberliegenden Hügels. Dort hatte ihr Gefährte Notker Posten bezogen. Wenn er den Güldenburger und seine Begleiter im Tal sah, würde er unverzüglich Zeichen geben. Aber Notker meldete sich nicht. Folglich konnte vom Nahen des Grafen auch noch keine Rede sein. »Würfeln wir weiter«, schlug Felix vor. »Dann wird uns die Zeit nicht gar so lang.« Aber den anderen dreien stand der Sinn nicht mehr nach dem Würfelbecher. Felix' nicht abreißende Glückssträhne hatte ihnen gründlich die Lust daran verdorben. Dennoch gerieten die vier Männer nun nicht in Gefahr, an Langeweile zu sterben. Der Augenblick, auf den sie zwei Tage lang gewartet hatten, kam schließlich doch. Dreimal kurz hintereinander ertönte der Schrei des Eichelhähers. Das verabredete Zeichen! Notker hatte den Grafen von Güldenburg und seine Begleiter gesehen und Alarm geschlagen.
Die vier Männer sprangen unverzüglich auf die Füße. Keine Sekunde hatten sie jetzt zu verlieren. Es würde nicht lange dauern, bis der Güldenburger oben auf der Bergkuppe auftauchte. Dann mußten sie bereit sein, ihm das Schauspiel zu bieten, das er sehen sollte. Während Sven, Waldemar und Friedrich im Handumdrehen die Spuren des Rastlagers beseitigten, eilte Felix zwischen die Bäume, wo die Pferde angeleint waren. Er machte seinen schwarzen Rappen los und schwang sich auf den Rücken des Tieres. »Macht eure Sache gut«, rief er den drei anderen zu, als er wieder bei ihnen war. »Worauf Ihr Euch verlassen könnt, Herr Freigraf«, erwiderte Waldemar und grinste breit. Felix gab seinem Pferd die Sporen und ritt den Waldweg in entgegengesetzter Richtung entlang. Als er sich noch einmal umblickte, war von den drei anderen schon nichts mehr zu sehen. Nach etwa hundert Ellen machte der Weg eine Biegung. Hier hielt Felix an und wendete seinen Rappen. Nun konnte er die Kuppe oben auf dem Hügel wieder sehen. Er wartete. Nicht lange jedoch, denn kaum zwei Minuten später bereits erschien oben auf dem Berg eine Gruppe von Reitern. Acht bis zehn Männer mochten es sein. Ihre genaue Zahl konnte Felix aus seinem Blickfeld nicht bestimmen, weil sie hintereinander ritten. Auch wer die Männer waren, konnte er noch nicht erkennen. Aber das betrübte ihn nicht. Notker, der nicht nur rufen konnte wie ein Eichelhäher, sondern auch die scharfen Augen eines Raubvogels sein eigen nannte, hatte sie erkannt. Das genügte vollauf. Die Männer dort waren der Graf von Güldenburg und seine Getreuen, da gab es für Felix gar keine Frage. Und gewiß hatten die Männer ihn ebenfalls gesehen. Der Waldweg führte in gerader Linie zur Bergkuppe empor. Kein Strauch, kein Baum standen dazwischen, die die Sicht verdecken konnten. Mit einem kräftigen Schenkeldruck setzte Felix seinen Rappen in
Bewegung, ritt dem Güldenburger und seinen Begleitern entgegen. Aber eine ganze Weile bevor es zur Begegnung auf halbem Wege kam, fand der Überfall statt. Ganz plötzlich brachen sie aus dem Gebüsch am Wegesrand hervor - drei wüst aussehende Gesellen, denen im Gesicht geschrieben stand, daß sie es ernst meinten. Zwei von ihnen hielten lange Jagdmesser in der Hand, der dritte einen Spieß, mit dem man drei Bären auf einmal durchbohren konnte. »Runter vom Pferd, hoher Herr, sonst geht es Euch schlecht!« brüllte der schwarzbärtige Friedrich mit einer Stimme, die selbst ein Murmeltier geweckt hätte. Dabei fuchtelte er so wild mit seinem Spieß in der Luft herum, daß auch dem Tapfersten angst und bange geworden wäre. Aber Felix, furchtlos, wie es sich für einen edlen Freigrafen geziemte, ließ sich nicht beeindrucken. »Aus dem Weg, räuberisches Gesindel«, herrschte er den Schwarzbart und seine Kumpane an. »Sonst reite ich euch über den Haufen wie ein paar tolle Hunde!« Die markigen Worte verfehlten ihre Wirkung. Die Räuber lachten nur laut und dröhnend. Dann gingen sie zu dritt gegen ihr Opfer vor. Friedrich packte die Zügel des Rappen, während Waldemar und der blonde Sven nach den Beinen des Ritters griffen. Felix wehrte sich aus Leibeskräften, aber den gemeinschaftlichen Anstrengungen seiner drei Gegner war er nicht gewachsen. Sie zerrten ihn aus dem Sattel, so daß er schwer auf den zum Glück weichen Waldboden stürzte. Aber der tapfere Freigraf gab sich noch nicht geschlagen. »Hinterhältiges Pack«, ließ er wütend seine Stimme erschallen. »Nun sollt ihr erleben, wie ein wahrer Ritter zu kämpfen versteht!« Obwohl er am Boden lag, gelang es ihm, sein Schwert aus der Scheide zu ziehen. Auf die Füße kam er jedoch nicht wieder, und deshalb konnte er auch mit dem Schwert nicht viel anfangen. Einen Hieb, den er führte, parierte Waldemar mit seinem Jagdmesser, hatte aber große Mühe dabei.
»Bist du von Sinnen?« knurrte er halblaut. »Fast hättest du mir den Arm abgeschlagen!« »Ein Ritter verteidigt sich, so gut er kann«, gab Felix zurück, während er nur mit einiger Anstrengung ein schadenfrohes Lächeln unterdrückte. Waldemar zahlte es ihm heim. Gemeinsam mit Sven hielt er Felix' rechten Arm fest und entwand ihm das Schwert. Dann drosch er gar heftig auf den Gegner ein. »Aufhören!« keuchte Felix. »Wollt... Wollt ihr mich vielleicht umbringen?« »Ein Räuber ist nicht wählerisch in der Wahl seiner Mittel«, erklärte Waldemar heiter und versetzte Felix einen Hieb auf den Mund, durch den sich mindestens ein Zahn lockerte. Wahrscheinlich hatte er bei seiner Gemeinheit an drei Würfel gedacht, die stets so gefallen waren, wie Felix das wollte. »Das büßt du«, stieß der hervor. Er spürte den süßen Geschmack von Blut auf der Zunge. »Beim Herrgott, das wirst du noch bitterlich bereuen. Wenn ich wieder ...« Ein neuerlicher Schlag verschloß ihm den Mund. Der schwarzbärtige Friedrich hatte die ganze Zeit über den Weg im Auge behalten. Jetzt erkannte er, daß der Güldenburger und seine Gefolgschaft nicht mehr fern waren. Die Männer hatten ihren Reittieren die Sporen gegeben und kamen schnell näher. Er tat so, als sei er erst in diesem Augenblick auf die Reiter aufmerksam geworden. »Ritter«, rief er scheinbar erschrocken aus. »Wir müssen das Weite suchen!« Sven und Waldemar blickten auf. Auch sie gaben sich völlig überrascht. »Weg hier!« stieß der blonde Sven hervor und ließ sofort von dem am Boden Liegenden ab. »Laß es dir wohl ergehen auf der Güldenburg«, raunte Waldemar Felix zu. Er versetzte dem vermeintlichen Opfer noch schnell einen Fußtritt und hastete seinen beiden Gefährten nach, die bereits mit
Felix' Pferd zwischen den Bäumen untergetaucht waren. Felix schickte den dreien noch eine böse Verwünschung hinterher. Dann streckte er sich lang im Buchenlaub aus. Er tat nicht nur so, als fühle er sich kraftlos und zerschunden. Er war es wirklich. * Seit mehreren Tagen weilte Roland auf Camelot, und es drängte ihn eigentlich gar nicht sonderlich, das Schloß so schnell wieder zu verlassen. Der Herrschaftssitz von König Artus war der Mittelpunkt des höfischen Lebens. Die edelsten Ritter, die schönsten Frauen gaben sich hier ein Stelldichein, und die Prachtentfaltung suchte ihresgleichen in allen Landen. Noch war Roland nicht in den erlese nen Kreis der Ritter der Tafelrunde aufgenommen worden. Fünfzig gefahrvolle Aufgaben mußte er im Auftrag des Königs erfüllen, dann würde ihm diese große Ehre zuteil werden. Aber der außerordentliche Mut und die Geschicklichkeit, die er bei der Bewältigung der bisherigen Aufgaben an den Tag gelegt hatte, machten ihn trotz seiner Jugend bereits jetzt zu einem Mann, der von den anderen Rittern hochgeschätzt und von den Frauen geliebt wurde. War es da verwunderlich, daß es Roland genoß, sich in der Sonne seines jungen Ruhms zu sonnen? Jetzt befand er sich auf dem Weg zum Zimmer einer Schloßschönen, die ihn eingeladen hatte. Roland wäre nicht Roland gewesen, hätte er diese Einladung ausgeschlagen. Einem galanten Abenteuer war er niemals abgeneigt. Hurtig eilte er durch die Wandelgänge des königlichen Schlosses. Schon der Gedanke an die Liebesfreuden, die ihn erwarteten, erhitzten sein ungestümes Blut. Bevor er jedoch das Zimmer des Fräuleins erreichte, wurde er aufgehalten. »Ritter Roland, auf ein Wort!« Roland blieb stehen, wandte sich um. Der Mißmut über die Störung stand ihm im Gesicht geschrieben. In der Tür des Zimmers, an dem er gerade vorbeigekommen war,
stand ein Mann, mit dem Roland bisher nur flüchtige Bekanntschaft geschlossen hatte. Sir Ector! Er war ein Jugendgefährte von Artus und besuchte ihn ab und zu. Roland hatte große Achtung vor Sir Ector. Die hochgewachsene Gestalt des Mannes, die edlen, würdigen Gesichtszüge, das weiße Haupthaar und der lange weiße Bart - dies alles war schon dazu angetan, ein Gefühl der Ehrfurcht hervorzurufen. Selbst bei Roland, der normalerweise auch den Großen dieser Welt mit der Unbeküm mertheit der Jugend gegenübertrat. »Ja, Sir Ector?« Der weißhaarige Mann lächelte. »Habt Ihr einen Augenblick Zeit für mich?« »Alle Zeit der Welt.« Das schöne Burgfräulein mußte warten. »Dann tretet näher, Roland.« Sir Ector machte eine einladende Handbewegung, der Roland unverzüglich Folge leistete. Er war leicht enttäuscht, als sich der Raum, in den ihn Sir Ector gebeten hatte, als gewöhnliches Gästezimmer entpuppte, das üblicherweise Besuchern von Camelot vorbehalten war. Insgeheim hatte er gehofft, in die Privatgemächer Sir Ectors geführt zu werden. Man munkelte am Hofe, daß sich der weißhaarige Mann insgeheim mit Alchimie beschäftigte, wovon Roland gerne etwas mehr gesehen hätte. Aber Sir Ector wollte ihm seine Geheimnisse wohl nicht offenbaren. Vor dem brennenden Kamin standen zwei hochlehnige Sessel, in denen die beiden Männer Platz nahmen. Als jeder von ihnen einen irdenen Becher mit köstlichem Honigwein vor sich stehen hatte, begann der Vertraute des Königs das Gespräch. »Artus gedenkt, Euch als nächstes ins Frankenland zu senden, wo ihr einen Aar zur Strecke bringen sollt.« »Einen Aar?« wunderte sich Roland. »Ist dazu nicht auch ein einfacher Bauernbursche mit einer Steinschleuder in der Lage?«
»So einfach dürfte die Aufgabe nicht sein. Dieser Aar hat es bisher verstanden, Steinen und Pfeilen zu widerstehen. Es geht das Gerücht um, daß seine Federn so fest gefügt sind, daß ihnen keine Waffe etwas anhaben kann.« »Und warum soll er getötet werden?« »Er ist ein Menschenräuber. Schon manches Kind packte er mit mächtigen Klauen und verschleppte es in seinen Horst.« Roland nickte. Er wußte noch nichts von seinem nächsten Auftrag. Aber wenn Sir Ector es sagte, würde es gewiß stimmen. »Wenn Ihr im Frankenland weilt - würdet Ihr mir eine kleine Gefälligkeit erweisen?« »Alles, was in meiner Macht steht! Sagt mir nur, was ich tun soll, Sir Ector.« »Ihr wißt, daß ich mich ein wenig mit Alchimie beschäftige?« fragte der Vertraute des Königs. »Ich hörte davon, ja.« »Nun, dann wird Euch die Bitte, die ich an Euch richten möchte, nicht merkwürdig vorkommen.« »Äußert sie, Sir Ector.« »Kennt Ihr die Güldenburg?« »Nein«, mußte Roland gestehen. »Die Güldenburg liegt am Lauf des unteren Mains. Sie hat keine besondere Bedeutung im großen Weltgeschehen, obwohl es Dinge gibt, die sie von den meisten anderen Burgen unterscheidet. Zum ersten gilt sie auf Grund ihrer Lage als völlig uneinnehmbar. Und zum zweiten dient sie einem Mann als Wohnstatt, der mein Interesse erweckt hat. Ist Euch der Name Thegan ein Begriff?« »Es gab einst einen berühmten Bischof ...« »Den meine ich nicht«, unterbrach ihn Sir Ector lächelnd. »Ich spreche von Thegan, dem Goldmacher. Es heißt, er sei in der Lage, einfache Steine in Gold zu verwandeln. Ich würde Thegan gerne kennenlernen, um ein bißchen über die Kunst der Alchimie mit ihm zu plaudern. Würdet Ihr ihm meine Einladung überbringen?« Roland nickte eifrig. »Wenn es weiter nichts ist...«
»Unterschätzt die Aufgabe nicht«, sagte Sir Ector »Thegan gilt als sehr menschenscheu. Er soll sich hartnäckig weigern, seinen Fuß vor die Tore der Güldenburg zu setzen. Ihr braucht also gewiß Euer ganzes Geschick, um Thegan zu einer Reise nach Camelot zu bewegen.« »Der Mann ist schon so gut wie hier«, sagte Roland im Brustton der Überzeugung. Und was er sagte, das meinte er auch. * An der Spitze seiner Getreuen sprengte Graf Heribert von Güldenburg heran. Unmittelbar vor dem Überfallenen zügelte er sein Pferd. Er tat es so heftig, daß der Hengst in der Hinterhand hochging und laut wieherte. »Seid Ihr verletzt, Herr?« Der Mann am Wegesrand stöhnte zum Herzerweichen. Man sah ihm an, wie er sich mühte, tapfer und mannhaft zu sein. Aber die Schmerzen und die Verletzungen, die man ihm zugefügt hatte, ließen dies ganz offensichtlich nicht zu. Immerhin, er lebte noch. Graf Heribert schmeichelte sich, daß der Mann dies nur ihm verdanken konnte. Wenn er und seine Gefolgschaft nicht zufällig im rechten Augenblick des Weges gekommen wären, hätte es gewiß ein übles Ende mit ihm genommen. Graf Heribert wandte sich an seine Begleiter. »Ritter Lothar, nehmt ein paar Männer, und verfolgt die Meuchler!« »Wie Ihr befehlt, Graf Heribert!« Sogleich scharte der angesprochene Ritter vier, fünf Männer um sich und drang mit ihnen in den Wald ein. Unterdessen wies der Graf zwei andere Getreue an, sich um den am Boden Liegenden zu kümmern. Auch diese Weisung wurde sofort ausgeführt. Der Fremde schien es wert zu sein, daß man sich um ihn bemühte. Er war gewiß kein hergelaufener Kerl, wie sie in großer Zahl durch das Land zogen. Allein seine vornehme Kleidung, wiewohl jetzt arg
in Mitleidenschaft gezogen, wies ihn als einen Mann von Stande aus. Und auch die wilde Entschlossenheit, mit der er sich gegen die Übermacht seiner Gegner gewehrt hatte, ließ auf seine ritterliche Gesinnung schließen. Heribert zweifelte nicht im mindesten daran, daß adliges Blut in den Adern dieses tapferen Mannes floß. Mit Unterstützung der beiden Helfer konnte sich der Überfallene jetzt langsam in eine sitzende Stellung aufrichten. Seine verzerrten Züge gaben zu erkennen, daß er dabei große Schmerzen verspürte. Blut, das aus Mund und Nase hervorquoll, machte sein edel geschnittenes Gesicht zu einer Maske des Schreckens. »Könnt Ihr sprechen?« erkundigte sich Graf Heribert mit teilnahmsvoller Stimme. Der Fremde nickte, brachte die ersten Worte aber erst hervor, nachdem er einen Mund voll Blut ausgespuckt hatte. »Habt Dank dafür, daß Ihr mir das Leben gerettet habt«, sagte er mit einiger Mühe. »Wenn Ihr nicht gekommen wärt, hätte mich dieses Gesindel fraglos umgebracht.« »Wer waren die Kerle?« erkundigte sich der Graf. »Feinde von Euch, die Euch aus bestimmtem Grunde überfielen?« Der Fremde schüttelte den Kopf. »Ich habe die Hundsfotte nie in meinem Leben gesehen. Es waren gemeine Räuber, die es auf Leib und Gut abgesehen hatten. Sie nahmen mein edles Pferd, mein Schwert und mein Gold. Mögen sie für diese ruchlose Tat eines Tages im grellsten Höllenfeuer braten!« Der Graf lächelte. Die Leidenschaft, die aus dem Überfallenen sprach, gefiel ihm. Und wie es schien, war er doch nicht so schwer verletzt, wie es zuerst ausgesehen hatte. »Wer seid Ihr, Herr?« fragte er. »Freigraf Felix von Leubus, wenn's beliebt.« Fragend runzelte Heribert die Stirn. »Von Leubus? Ich bedaure, aber das Geschlecht ist mir nicht bekannt. Ihr tragt mir dies nicht nach, hoffe ich.« »Gott bewahre! Hierzulande bedeutet mein Name nichts. In meiner Heimat jedoch, dem Herzogtum Schlesien, ist er wohlangesehen und
von jedermann gut gelitten.« »Aus Schlesien kommt Ihr? Dann liegt eine weite Reise hinter Euch!« »Das kann man sagen. Um so zorniger macht es mich, daß mir kurz vor dem Ziel meiner Reise dieses Mißgeschick widerfahren mußte.« »Und was war das Ziel Eurer Reise?« »Mir wurde die Ehre zuteil, dem Herzog dieses schönen Landes eine Freundesbotschaft meines Landesherrn zu überbringen. Aber natürlich kann ich in meinem Zustand kaum vor die Augen des Fürsten treten!« Betrübt blickte Felix von Leubus auf seine zerfetzte Kleidung und das Blut an seinen Händen. Bevor Graf Heribert etwas erwidern konnte, krachte und knackte es im Unterholz. Der Ritter Lothar und seine Begleiter kamen aus dem Wald zurück. Ohne die Räuber! Mit einem ungnädigen Stirnrunzeln nahm es der Graf zur Kenntnis. Aber Ritter Lothar hatte eine gute Rechtfertigung. Das unwegsame Waldgelände, in dem die Pferde kaum vorwärts kamen, begünstigte die Räuber so sehr, daß an eine sinnvolle Verfolgung nicht zu denken war, zumal Lothar und seinen Männern auch die erforderliche Ortskenntnis fehlte. »Ich bedaure dies sehr«, versicherte Graf Heribert dem Adligen aus Schlesien. »Zu gern hätte ich Euch die Genugtuung gegönnt, den Schurken eigenhändig das Henkerseil um den Hals zu legen. Darf ich Euch zum Trost auf meine Burg einladen? Dort sollt Ihr Gelegenheit bekommen, zu gesunden und anschließend dem Herzog Eure Aufwartung in würdiger Art und Weise zu machen.« Dankend nahm Felix von Leubus die Einladung an. * Zum wiederholten Mal an diesem Tag trat Freiherr Ingolf von der
Klosterburg ans Turmfenster und blickte erwartungsvoll in die Ferne.
Aber wieder einmal wurden seine Erwartungen enttäuscht. Weit und breit war von den Männern, die er so sehnlichst zurückerwartete, nichts zu sehen. Warum, beim Barte des Königs, kamen sie nicht? War irgend etwas dazwischengekommen? Hatten seine vier Getreuen am Ende sogar versagt? Der Gedanke an letzteres versetzte ihm einen Stich in die Brust. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn sie den Männern des Grafen in die Hände gefallen waren und ein Geständnis abgelegt hatten. Dann war sein eigenes Leben keinen Pfifferling mehr wert. Heribert kannte keine Gnade mit denjenigen, die danach trachteten, ihm das zu nehmen, was er sein eigen nannte. Schnell verscheuchte Ingolf die düsteren Gedanken. Noch bestand ja Hoffnung. Noch durfte er davon ausgehen, daß alles nach Plan verlaufen war und sich zum Besten wenden würde. Und das war auch bitter nötig, denn Ingolf war mit seinen gegenwärtigen Lebensumständen alles andere als glücklich. Ein Mann wie er verdiente mehr, verdiente zumindest ebensoviel wie Graf Heribert von Güldenburg. Zumindest! Die Klosterburg gab nicht viel her. Im Grunde genommen war sie gar keine richtige Burg. Sie war das, was der Name schon erkennen ließ: ein Kloster. Ein Kloster, das die Mönche während der Großen Pest verlassen hatten und in das sie niemals zurückgekehrt waren. Lange Jahre hatte es leergestanden. Dann aber war er, der Ritter Ingolf, gekommen und hatte das Kloster in seinen Besitz genommen. Er hatte dem Grafen seine Dienste angeboten und war von ihm auch mit einigen Ländereien belehnt und mit dem Titel eines Freiherrn versehen worden. Die meisten Männer an seiner Stelle wären nun zufrieden gewesen mit dem, was sie erreicht hatten. Er jedoch nicht. Er strebte nach Höherem, nach Reichtum und Macht, die ja bekanntlich Hand in Hand gingen. Und nun hatte er die Maßnahmen ergriffen, die ihm den Reichtum sichern sollten. Wenn alles so ablief, wie es geplant war! Ungeduldig wartete Ingolf eine weitere Stunde. Dann endlich sah
er am Horizont eine Staubwolke. Die Staubwolke lichtete sich bald, gab die Gestalten von vier Reitern frei. Vier? Ingolf ballte die rechte Hand zur Faust. Wenn alle vier zurückkehrten, dann war das Unternehmen zu einem Fehlschlag geworden. Der so fein ersonnene Plan war nicht aufgegangen. Oder doch? Ingolf kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, um besser sehen zu können. Und dann erkannte er auch, daß er sich geirrt hatte. Nicht vier Reiter waren es, die dort kamen, sondern doch nur drei. Das vierte Pferd trug keinen Reiter, wurde von einem der anderen nur am Zügel mitgeführt. Heiß wie siedendes Wasser stieg der Triumph in Ingolf auf. Jetzt sah es doch danach aus, als hätten seine Getreuen die ihnen gestellte Aufgabe erfüllt. Es dauerte nicht mehr lange, bis die drei Männer heranwaren. Da es weder einen Schutzgraben noch eine Burgmauer gab, konnten sie gleich auf den Hof reiten. Dort standen nahezu alle Burgbewohner zu ihrem Empfang bereit - die übrigen Getreuen Ingolfs, die Frauenzimmer und das Gesinde. Nur der Freiherr fehlte. Er zügelte seine Ungeduld und wartete in seinen Privatgemächern. Seine Geduld wurde auf die Probe gestellt. Es verging noch geraume Zeit, bis endlich an die Tür geklopft wurde. »Herein!« Friedrich Schwarzbart trat ein. Er machte eine Verbeugung, die gerade noch tief genug war, um nicht unehrerbietig zu erscheinen. »Ihr kommt spät«, sagte Ingolf rügend. Der Schwarzbärtige zuckte die Achseln. »Es war nicht unser Verschulden, Herr Baron. Graf Heribert hatte sich mehr Zeit auf dem herzoglichen Schloß gelassen, als wir ahnen konnten.« »Nun denn, so berichte! Wurde euer Vorhaben von Erfolg gekrönt?« Friedrich lachte laut und dröhnend. »Und ob, Herr Baron! Wir haben den Gräflichen eine Posse vorgespielt, wie sie keine
Schaustellertruppe besser hätte bieten können. Felix wurde ehrenvoll in den persönlichen Schutz des Grafen genommen und dürfte sich jetzt längst auf der Güldenburg befinden.« Auch Ingolf lachte jetzt, erleichtert und mit sich und der ganzen Welt zufrieden. »Trefflich, trefflich«, sagte er. »Ich wußte doch, daß ich mich auf euch verlassen konnte. Euch drohte keine Gefahr?« »Mitnichten. Zwar versuchten die Gräflichen, uns zu verfolgen. Aber sie erkannten sehr schnell, daß es ihnen eher gelingen würde, die Strahlen der untergehenden Sonne einzufangen als uns.« Ingolf rieb sich die Hände. »So kommt nun alles auf Felix an! Aber ich glaube schon, daß wir ihm vertrauen dürfen.« »Das glaube ich auch«, stimmte ihm der Schwarzbärtige zu. »Wer so viel Glück hat wie er, dem kann nichts mißlingen.« Alles stand also gar prächtig. Die Gefahr, daß man auf der Güldenburg herausfand, wer der Ritter Felix wirklich war, durfte als äußerst gering eingeschätzt werden. Felix, Friedrich, Sven und Waldemar waren erst vor wenigen Wochen in die Dienste Ingolfs getreten. Die Güldenburger kannten keinen von ihnen. Allenfalls bestand die Möglichkeit, daß einer der Getreuen Heriberts früher einmal eine Begegnung mit Felix gehabt hatte, aber das wollte er nicht hoffen. Von der Vergangenheit seiner vier neuen Paladine wußte Ingolf wenig. Ihm war nicht einmal bekannt, ob sie wirklich fahrende Ritter waren, wie sie sagten. Vielleicht hatten sie auch als Räuber ihr Leben gefristet. Dies jedoch kümmerte den Freiherrn wenig. Für ihn galt nur, daß sie ihm treu ergeben waren. Nicht, weil sie ihn aufrechten Herzens liebten, sondern weil sie in seinen Diensten ihr eigenes Fortkommen zu fördern gedachten. Und diese Rechnung, davon war Ingolf jetzt vollkommen überzeugt, würde zweifellos aufgehen. Die Weinfässer für Graf Heribert standen schon bereit. *
Die Güldenburg klebte an den Felsen wie ein Schwalbennest an der Turmwand. Von drei Seiten war sie vollkommen unzugänglich, und der Weg, der zum Burgtor führte, war so schmal, daß ein normales Pferdefuhrwerk Mühe hatte, sich zwischen den Felsen hindurchzuwinden. Ein breiter, tiefer Burggraben sorgte für zusätzliche Sicherheit. Felix sah die Güldenburg zum ersten Mal in seinem Leben. Als die Zugbrücke nach unten gelassen wurde, wußte er, warum der Sitz Graf Heriberts als uneinnehmbar galt. Ein Sturmangriff war vollkommen ausgeschlossen. Allenfalls kam eine Belagerung in Frage. Diese aber würde so langwierig werden und so viel Zeit in Anspruch nehmen, daß selbst der mächtigste Heerführer Schwierigkeiten haben würde, seine Getreuen bei der Stange zu halten. Und so, wie niemand ohne das Einverständnis des Grafen in die Burg hineinkam, so kam auch niemand hinaus, wenn Heribert das nicht wollte. Felix, der bisher die Pläne seines Dienstherrn für reichlich umständlich gehalten hatte, sah nunmehr ein, daß der Baron wohl doch auf dem richtigen Weg war. »Eine gar prächtige Burg habt Ihr da, Graf«, sagte er, als er an der Seite Heriberts über die Zugbrücke ritt. Er saß etwas schief im Sattel des Pferdes, das ihm der Graf zur Verfügung gestellt hatte. Einmal gehörte das zu seiner Rolle. Und zum zweiten hatte er tatsächlich unangenehme Schmerzen in der rechten Seite, genau dort, wo ihn der letzte Fußtritt Waldemars getroffen hatte. Bestimmt waren eine oder gar mehrere Rippen gebrochen. Waldemar würde dies noch bitterlich zu büßen haben. Graf Heribert fühlte sich geschmeichelt von den lobenden Worten. Lächelnd sagte er: »Wartet, bis Ihr die Burg von innen seht. Dort werden Euch die Augen übergehen.« Und die Augen gingen Felix in der Tat über. Bislang hatte er die Beschreibungen, die ihm Baron Ingolf vom Reichtum der Güldenburg gegeben hatte, für übertrieben gehalten. Und auch die Worte des Grafen selbst waren ihm mehr als Prahlerei erschienen. Aber von Prahlerei konnte gar keine Rede sein. Die Güldenburg
verdiente ihren Namen zu Recht. Sie war eine goldene Burg, im wahrsten Sinne des Wortes. Niemals zuvor hatte Felix soviel Gold gesehen. Goldene Standbilder, goldenen Bilderrahmen, goldene Kandelaber, goldene Becher und Teller. Selbst die Beschläge mancher Türen erstrahlten im matten rötlichen Glanz des Goldes. Und auch das übrige Interieur der Burg ließ kaum Wünsche offen. Da gab es feinen weißen Marmor aus den Landen jenseits der Alpen, erlesen geschliffene Glasarbeiten, die nur von begnadeter Künstlerhand stammen konnten, herrliche Teppiche, wie man sie sonst nur im Morgenland antreffen konnte. Felix konnte sich kaum ein herzogliches oder königliches Schloß vorstellen, das es an Prachtentfaltung mit der Güldenburg aufzunehmen vermochte. Felix war sich vollkommen im klaren darüber, wem Graf Heribert all diesen Reichtum und schwellenden Luxus verdankte: niemand anderem als Thegan, dem Goldmacher, natürlich. Solange sich Heribert der unermüdlichen Schaffenskraft des Alchimisten erfreute, konnte ihn niemand an Reichtum übertreffen. Wenn der Goldmacher aber dereinst nicht mehr in seinen Diensten stand ... Felix konnte nicht vermeiden, daß ihm bei diesem Gedanken ein sattes Lächeln über die Züge huschte. Das Gästezimmer, das ihm zugewiesen wurde, paßte voll und ganz in den Rahmen der Burg. Nie zuvor hatte sich Felix so wohl gefühlt, und er sah bereits jetzt mit Mißbehagen dem Augenblick entgegen, in dem er die Güldenburg wieder verlassen mußte. Allein die Aussicht darauf, daß er bald selbst im Luxus schwelgen konnte, machte ihm das Abschiednehmen etwas leichter. Noch nahm er aber keinen Abschied. Zunächst mußte er seine Verletzungen auskurieren, die ihm die vermeintlichen Räuber zugefügt hatten. Daß diese im Grunde genommen nicht der Rede wert waren, verstand er gekonnt zu verschleiern. Der Bader des Grafen hatte in der Tat eine gebrochene Rippe bei ihm festgestellt. Diesen Umstand nahm er zum Anlaß, seinen Aufenthalt in der Güldenburg geziemend zu verlängern. Und er nutzte seine Zeit gut. Bald schon kannte er die Güldenburg
fast so gut wie die Klosterburg seines Dienst -herrn Ingolf. Er kannte die Privatgemächer des Grafen, die Quartiere seiner bewaffneten Getreuen, das Gesindehaus. Er wußte Bescheid über die Kontrollgewohnheiten der Burgwächter, die Gepflogenheiten der Köche und Mundschenke, die ihn ganz besonders interessierten, kurz und gut, er wußte bis ins kleinste Bescheid, wie das Alltagsleben auf der Burg ablief. Nur eins war ihm nicht gelungen: die Bekanntschaft des Goldmachers Thegan zu machen. Thegan war ein Einzelgänger, war ein Mann, der sich offensichtlich ganz bewußt von den anderen Burgbewohnern absonderte und nicht an ihrem Leben teilnahm. Ein paarmal hatte Felix ihn gesehen, ohne die Möglichkeit zu erhalten, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Der Goldmacher schien nur glücklich zu sein, wenn er sich in seiner Alchimistenküche aufhalten konnte. Wo sich diese befand, das hatte Felix bereits herausgefunden. Schließlich kam die Stunde, in der es dann doch hieß, Lebewohl zu sagen. Graf Heribert ließ es sich nicht nehmen, persönlich Abschied von ihm zu nehmen. »Es war mir ein großes Vergnügen, Euch in der Stunde der Not helfen zu können«, versicherte ihm der Burgherr. »Und ich will hoffen, Ihr haltet die Güldenburg in gutem Angedenken.« »Dies ist so gewiß wie das Amen in der Kirche«, erwiderte Felix. »Niemals werde ich vergessen, was Ihr für mich tatet. Und komme ich auch aus dem fernen Schlesien, so soll mich doch die Entfernung nicht daran hindern, Euch meinen Dank in gebührender Weise abzustatten. Wie ich feststellen konnte, seid Ihr ein großer Freund erlesener Tropfen.« »So ist es«, bestätigte der Graf. »Ein guter Wein ist nicht mit Gold aufzuwiegen.« Das kann nur jemand sagen, der genug von letzterem hat, dachte Felix nicht ohne Neid. Laut sagte er: »Wußtet Ihr schon, daß auch wir in Schlesien einen vorzüglichen Wein anbauen?« »Wirklich?« wunderte sich der Graf. »Ich dachte immer, in
Schlesien sei es so kalt, daß keine Rebe gedeihen kann.« »Ein Irrtum, Herr Graf, ein großer Irrtum. Herb ist er, unser Wein, bei Kennern jedoch hochbeliebt. Ich bin mir ganz sicher, daß ein Feinschmecker wie Ihr ihn zu schätzen wüßte.« »Gern würde ich eine Kostprobe nehmen.« Auf diese Worte hatte Felix gewartet. »Wenn es weiter nichts ist«, sagte er. »Es soll mir ein Vergnügen sein, Euch ein paar Fässer zu schicken. Und wer weiß, vielleicht bringe ich Sie Euch sogar selbst, denn ich muß gestehen, daß ich Eure schöne Burg liebgewonnen habe.« »Ihr seid mir stets willkommen, Freigraf Felix von Leubus. Überbringt dem Herzog Eure Botschaft. Und dann, wenn Ihr nichts Besseres zu tun habt...« Nach diesen einladenden Worten Heriberts zweifelte Felix nicht mehr daran, daß der Plan des Barons tatsächlich aufgehen würde. Er verabschiedete sich und verließ die Güldenburg. Schon sehr bald aber würde er wiederkommen. * Wie nicht anders erwartet, gab König Artus Roland tatsächlich den Auftrag, den mörderischen Aar im Frankenland zur Strecke zu bringen. Gemeinsam mit seinen beiden Knappen, dem dicken, gemütlichen Pierre und dem drahtigen, feurigen Louis, verließ Roland Camelot und machte sich auf den Weg zu dem fränkischen Bergdorf Mainsfeld, wo der Aar sein Unwesen trieb. Die Dorfbewohner empfingen den Ritter mit großer Freude. Rolands Ruhm war auch schon bis zu ihnen gedrungen, und sie waren nun voller Hoffnung, daß der geflügelten Bestie endlich der Garaus gemacht wurde. Roland besprach sich zunächst mit dem Schultheiß von Mainsfeld, einem braven, alten Mann, der den Ankömmlingen auch gleich Quartier in seinem Haus anbot. Das jedoch lehnte der Ritter mit dem Löwenherzen von vornherein ab.
»Wir werden unsere Zeit im Freien verbringen«, machte er dem Alten klar. »Dort, wo das bevorzugte Jagdgebiet des Aars liegt.« »Da käme am ehesten die Voglerweide in Frage«, sagte der Schultheiß nach kurzem Nachdenken. »Dort selbst ist die Bestie schon mehrmals auf Raub ausgegangen.« »Die Voglerweide also«, nickte Roland. Mehrere Dorfbewohner brachten Roland und seine Knappen zu der Weide hinaus. Es war eine sanft abfallende, ziemlich hoch gelegene Wiese. Oben auf dem Kamm wuchs eine Gruppe von Haselnußsträuchern. »Besser hätten wir es nicht antreffen können«, sagte Roland befriedigt. »Zwischen den Sträuchern können wir uns verbergen.« Louis machte ein zweifelndes Gesicht. »Glaubt Ihr wirklich, der Vogel kommt vorbei, während wir hier warten, Ritter Roland?« »So ohne weiteres wohl kaum«, meinte der Ritter mit dem Löwenherzen. »Wir müssen ihn anlocken.« »Und wie?« Roland erkundigte sich bei den Dorfbewohnern, was den Aar in der Vergangenheit besonders gereizt hatte. Er erfuhr, daß es vor allem leuchtende Farben waren, für die der teuflische Vogel eine Vorliebe zu haben schien. Einmal hatte er einen kleinen Jungen mit flammendrotem Haar gepackt und in seinen Hort verschleppt. Ein anderes Mal war ihm ein junges Mädchen, das ein himmelblaues Kleid trug, zum Opfer gefallen. »Dann weiß ich, mit welchem Köder wir den Aar aufmerksam machen können«, sagte Roland. »Mit einer Puppe!« So geschah es. Eine Dörflerin, die sich besonders gut auf das Nähen und Schneidern verstand, fertigte aus Stroh und rosafarbenem Leinentuch eine kindsgroße Puppe an. Die Enkeltochter des Schultheiß opferte einen Teil ihres prächtigen flachsblonden Haars und dazu ein flammendrotes Kleidchen. Nun sah die Puppe einem echten Kind zum Verwechseln ähnlich. Dann machten sich Roland, Louis und Pierre wieder auf zur Voglerweide. Sie legten die Puppe ein gutes Dutzend Schritte von
den Haselnußsträuchern entfernt ins Gras und zogen sich dann in das Unterholz zurück. Sie waren darauf vorbereitet, unter Umständen eine ganze Weile warten zu müssen. Deshalb schlugen sie ein kleines Zelt auf, in dem sie auch die Nacht verbringen konnten. Geduld war nun die höchste Tugend. Der erste Tag verging, ohne daß sich der Riesenvogel blicken ließ. Die Nacht brach an. Wechselweise hielten die drei Männer Wache, denn die Dorfbewohner hatten ihnen gesagt, daß der Aar gelegentlich auch des Nachts auf Raub auszog. Die erste Nacht verging jedoch ereignislos. Auch der nächste Morgen verlief nicht anders. Am Nachmittag jedoch sahen sie den Aar ... Ganz plötzlich war er da. Stolz und majestätisch schwebte er am Himmel. Selbst aus der noch beträchtlichen Entfernung konnten Roland und seine Knappen erkennen, wie groß er war. Seine Flügelspannweite betrug mehrere Ellen, und seine Klauen hielten jeden Vergleich mit einer starken Männerhand aus. Sein Gefieder war schwarz wie die Nacht. Es glänzte, als die Strahlen der Sonne darauf fielen. »Fürwahr ein prächtiges Tier«, stellte Louis fest. »Leider hat es einen bösen Sinn«, gab Roland zurück. »Und deshalb ...« Die Hoffnungen der Männer, daß es sich auf die Puppe stürzen würde, erfüllten sich jedoch nicht. Zwar zog es seine Kreise über der Voglerweide, Kreise, die immer enger wurden. Kein Zweifel, es hatte die Puppe gesehen. Aber es schien argwöhnisch zu sein. Ganz plötzlich stieg es wieder in die Höhe und flog davon, ohne zurückzu kehren. Und am anderen Morgen war es tatsächlich wieder da. Ein schwarzer Punkt erschien am strahlend blauen Himmel, ein Punkt, der immer größer wurde und schließlich die mächtige Vogelgestalt erkennen ließ. Aber es schien nach wie vor mißtrauisch zu sein. Es zog seine Kreise, machte jedoch keine Anstalten, sich dem Wiesengrund zu nähern.
Roland und seine Getreuen verhielten sich ganz ruhig, wagten kaum zu atmen. Eine hastige Bewegung, ein unbedachter Laut konnten den Aar endgültig vertreiben. Und dann geschah etwas gänzlich Unerwartetes. Ein Schaf erschien plötzlich auf dem Kamm der Voglerweide, kurz darauf noch eins. Weitere folgten, und schließlich gesellte sich ein junges Mädchen mit blondem Haar zu den leise blökenden Tieren. Eine Schäferin mit ihrer Herde! Das Mädchen wußte wohl nichts von der Falle, die Roland errichtet hatte. Es sah die Puppe und trat neugierig näher. Roland murmelte eine Verwünschung und blickte zum Himmel empor. Der Aar war noch immer da. Das Mädchen ging neben der Puppe in die Knie, streckte die Hand danach aus. Verwunderung spiegelte sich in seinem hübschen Gesicht wider. Und da geschah es ... Einem Pfeil gleich schoß der Aar nach unten. Er kam so plötzlich, daß Roland und die Knappen völlig überrascht wurden. Niemals hätten sie es für möglich gehalten, daß ein Vogel so schnell fliegen konnte. Und der mächtige Vogel packte nicht die Puppe. Er packte das Mädchen. Gellend schrie die junge Frau auf. Der mörderische Aar hatte seine gewaltigen Fänge in die Schultern des Mädchens gekrallt, wo sie im Kleid festen Halt fanden. Er machte ein paar kräftige Flügelschläge und ... schwebte nach oben. Schon verloren die Füße der jungen Frau den Kontakt mit dem Boden. Erneut gellte ihr Schrei durch die blaue Morgenluft. Ein Schrei des Entsetzens und der Angst. Alles war bisher so schnell gegangen, daß Roland und die Knappen gar nicht zum Eingreifen kamen. Nun aber faßte sich der Ritter mit dem Löwenherzen. Er sprang auf und stürzte aus dem Gesträuch hervor. Mit langen, mächtigen Sätzen jagte er auf die Weide. Wieder machte der Aar einen Flügelschlag. Das Mädchen schwebte jetzt bereits mehrere Ellen über dem Erdboden.
Da machte Roland einen verzweifelten Sprung. Er renkte sich fast die Arme aus den Gelenken. Aber es gelang ihm im allerletzten Augenblick, den Fuß des Mädchens zu packen. Für einen Moment schien es so, als würde der gewaltige Raubvogel nun auch ihn mit in die Luft zerren. Dann aber wurde ihm das Gewicht doch zu schwer. Er ließ das Mädchen los. Gemeinsam mit der jungen Frau stürzte der Ritter mit dem Löwenherzen zu Boden. Und nun geschah das Ungeheuerliche. Der Vogel flüchtete nicht. Er griff an! Mit gespreizten Flügeln schoß die Blutbestie auf Roland hinunter. Sein mächtiger, dunkler Schnabel sah aus wie eine Sichel. In seinen großen Augen glitzerte es teuflisch. Roland warf sich zur Seite. Keinen Augenblick zu früh. Der mörderische Schnabel hackte dorthin, wo der Ritter gerade noch gelegen hatte. Sofort war Roland wieder auf den Füßen. Und nun ging er zum Angriff über. Blitzschnell griff er zu und bekam den Hals des Raubvogels zu packen. Er hatte das Gefühl, eine Bohle aus Eichenholz zu umklammern. So hart, so unnachgiebig war der Hals des riesigen Tieres. Der Aar schüttelte sich, versuchte, den Griff zu lockern. Aber Roland hielt unerbittlich fest, gab seinem unheimlichen Gegner keine Gelegenheit, erneut mit dem mörderischen Schnabel zuzuhacken. Nun aber nahm die Blutbestie ihre Krallen zu Hilfe. Wie scharfe Messer bohrten sie sich in Rolands Rücken und fetzten ihm ein Stück Haut aus dem Nacken. Louis und Pierre waren herbeigeeilt. Aber sie wußten nicht so recht, was sie machen sollten. Ritter und Aar waren zu einem scheinbar unentwirrbaren Knäuel verschlungen. Roland aber wußte, was er jetzt zu tun hatte. Mit der freien Hand griff er nach seinem Schwert und riß es aus dem Gehenk. Dann befreite er sich mit einem gewaltigen Ruck aus den Krallen des Vogels. Daß er dabei abermals mehrere Hautfetzen verlor, kümmerte
ihn nicht. Dann hieb er mit dem Schwert zu, einmal, zweimal, dreimal. Wieder hatte er das Gefühl, auf einen massiven Eisenklotz einzuschlagen. Aber dieser Eindruck täuschte. Der riesige Vogel zeigte Wirkung. Seine Flügelschläge wurden matter. Ein heiseres Krächzen kam aus seiner Kehle. Roland hatte den Hals des Tieres nach wie vor umklammert. Ganz plötzlich ließ er jetzt los. Und schlug im gleichen Augenblick mit dem Schwert zu. Das war das Ende des Kampfes. Sein Streich hatte eine solche Wucht, daß der Blutbestie der Kopf vom Rumpf getrennt wurde. Entseelt stürzte das mächtige Tier ins Gras. Jubelnd eilte der Knappe Pierre auf ihn zu. »Ihr habt es geschafft, Ritter Roland, Ihr habt es geschafft. Nun wird man Euch landein, landaus nicht nur den Drachentöter, sondern auch noch den Adlertöter nennen!« * Das Mädchen Thilde zuckte zusammen, als sie das Kettenrasseln an der Tür hörte. Angstvoll richtete sie sich auf ihrem erbärmlichen Strohlager auf. Wer kam um diese Zeit in ihr düsteres Kellerverlies? Brot und Grütze hatte sie erst vor wenigen Stunden bekommen. Und auch der Wasserkrug war noch wohlgefüllt. Speis und Trank konnte man ihr also kaum bringen. Nur eins hatte der unerwartete Besuch demnach zu bedeuten ... Thilde konnte ein tiefes Aufstöhnen nicht vermeiden, als sie an das dachte, was ihr wahrscheinlich bevorstand. Gott gebe, daß es nicht wahr ist, flüsterte sie innig. Aber schon während sie die frommen Worte sagte, wußte sie, daß sie sinnlos waren. Gott würde ihr nicht helfen. Er hatte ihr nie geholfen, hatte vielmehr zugelassen, daß man ihr alles Üble antat, was man einer Frau nur antun konnte. Ihr Glaube an den gütigen, barmherzigen Gott war längst verloren gegangen.
Mit einem quietschenden Knarren öffnete sich die schwere Eichentür. Zitternd vor banger Erwartung und Furcht versuchte Thilde, die Dunkelheit ihres engen Verlieses mit ihren Augen zu durchdringen. Licht zeigte sich jetzt an der Tür, der flackernde Schein mehrerer Fackeln. Vier Männer traten ein. Drei der Folterknechte und ... ihr Vater. »Thilde, mein Kind!« Ihr Vater wollte auf sie zustürzen, wollte sie in seine Arme ziehen. Aber dazu ließen es die anderen nicht kommen. »Hiergeblieben, Alter«, sagte der eine und hielt ihn an beiden Armen fest. Der Mann war groß und stark. Ihr Vater konnte nicht das geringste gegen ihn ausrichten. Sosehr er auch versuchte, sich dem Griff zu entziehen, er schaffte es nicht. Thilde wollte etwas sagen, aber die Angst verschloß ihr den Mund. Sie wußte, warum die Männer gekommen waren, wußte, daß sich ihre Ahnungen bewahrheiteten. Sie preßte sich eng gegen die steinerne Wand in ihrem Rücken, versuchte regelrecht, in die Wand hineinzukriechen. Aber das war natürlich nicht möglich. Die anderen beiden Männer traten jetzt auf sie zu, blieben vor ihrem Strohlager stehen. Der eine leuchtete ihr mit seiner Fackel genau ins Gesicht. »Steh auf, Frauenzimmer!« Thilde hatte nicht die Kraft, der Aufforderung nachzukommen. Sie zitterte so sehr, daß sie kaum in der Lage gewesen wäre, auf ihren eigenen Füßen zu stehen. Die beiden Männer rührte das nicht. Der eine beugte sich zu ihr nieder, packte sie an den Schultern und riß sie hoch. Wütend schüttelte er sie hin und her. »Es zahlt sich nicht aus für dich, wenn du meinen Zorn erregst, Frauenzimmer«, fuhr er sie an. Dann schleifte er sie in die Mitte des Raums, wo in der niedrigen Decke ein eiserner Haken in die Decke eingelassen war. Mit einem Strick band er ihr die Hände zusammen und befestigte den Strick
anschließend an dem Deckenhaken. Er ließ das Mädchen los. Thilde konnte jetzt nicht mehr hinfallen. Mit hochgereckten Armen hing sie mehr da, als sie stand, gehalten durch den Strick. Sie bot ein Bild des Jammers und der Hilflosigkeit. Das harte Herz des Folterknechts ließ sich dadurch jedoch nicht erweichen. Eher war das Gegenteil der Fall. Mit einem genüßlichen Lachen fetzte ihr der Mann, der sie an den Haken gefesselt hatte, die Kleidung vom Leib: Vollkommen nackt war sie jetzt. Der Fackelschein zauberte verwirrende Muster auf ihre weiße Haut. Dann holte der Mann eine Peitsche mit dünnen, geflochtenen Lederriemen hervor. »Nein!« schrie Thildes Vater mit gellender, überschnappender Stimme. »Ich flehe Euch an, laßt meine Tochter in Ruhe. Schlagt mich statt dessen!« »Dich, Alter?« grinste der Mann mit der Peitsche. »Kommt überhaupt nicht in Frage! Du weißt recht gut, wie sehr uns dein Wohlergehen am Herzen liegt. Peitschenhiebe könnten deiner kostbaren Gesundheit Schaden zufügen.« »Bitte«, wiederholte der alte Mann, »schont meine Tochter. Ich tue doch alles, was in meinen Kräften steht.« »Das tust du eben nicht, Alter! Unser Herr führt Klage darüber, daß deine Arbeit sehr zu wünschen übrig läßt. Darum bedarfst du eines kleinen Ansporns!« Der Mann wandte sich wieder dem unglücklichen Mädchen zu. Schon zischten die Lederriemen durch die Luft. Die Schreie von Vater und Tochter kamen wie aus einem Mund. Der alte Mann wollte sich losreißen, wollte dem Folterknecht die grausame Peitsche entreißen. Aber der andere hielt ihn unerbittlich fest. Er gestattete auch nicht, daß der alte Mann den Kopf abwandte, um das Schreckliche nicht mit ansehen zu müssen. »Sieh hin, Alter«, sagte er roh, »sieh gut hin. Dies alles geschieht schließlich nur, um dir die Flausen der Unbotmäßigkeit gründlich auszutreiben!« Fast brach dem alten Mann das Herz. Aber ihm blieb nichts
anderes übrig, als dem grausamen Schauspiel bis zum bitteren Ende beizuwohnen. * Eigentlich hätte Roland nach Camelot zurückkehren können. Die Aufgabe, die ihm König Artus gestellt hatte, war erfüllt. Aber da war immer noch die Bitte, die Sir Ector geäußert hatte. Und diese Bitte nahm der Ritter mit dem Löwenherzen nicht weniger ernst ; als den Auftrag des Königs. Er würde dafür sorgen, daß der Goldmacher Thegan nach Camelot kam. Auf zur Güldenburg! Natürlich war der dickliche Knappe Pierre davon alles andere als begeistert. Er schätzte das Bequeme, das Gemütliche, schätzte ein Leben, in dem er seinen Magen füllen und seinen Körper auf weichem Lager lang ausstrecken konnte. All dies konnte er auf Schloß Camelot, während draußen in der Fremde Gefahr und Mühsal warteten. Aber was sollte er machen? Wo sein Herr hinzog, da mußte auch er hinziehen. Ganz anders Louis. Der ehemalige Räuber hielt nicht viel von Muße und süßem Nichtstun. Er liebte das Abenteuer, liebte den Kampf, bei dem er seine ganze Geschicklichkeit und Geschmeidigkeit einsetzen konnte. Die Reise zur Güldenburg war ganz nach dem Geschmack des Knappen Pierre. Gute und sichere Wege führten durch das Maintal. Überall gab es Herbergen, die für das leibliche Wohl der Reisenden sorgten. Und auch die Menschen, das einfache Volk und die Leute vom Stande gleichermaßen, waren freundlich und den Fremden wohlgesinnt. Ohne unterwegs irgendwelchen Mißhelligkeiten ausgesetzt worden zu sein, erreichten Roland und seine Knappen die Güldenburg. Der Empfang, der ihnen zunächst zuteil wurde, entsprach allerdings nicht so ganz ihren Erwartungen. Die Torwächter auf der Burg waren auch dann noch nicht bereit,
die Ankömmlinge einzulassen, nachdem sich Roland als Sendbote von König Artus zu erkennen gegeben hatte. »Wartet«, wurden sie kurz und knapp beschieden. Mindestens eine Viertelstunde verging, bis endlich die Zugbrücke hinuntergelassen und ihnen Einlaß gewährt wurde. Kaum waren sie auf dem Burghof angelangt, zogen die Wächter die Brücke auch schon wieder hoch. Gleichzeitig wurden Roland und seine Gefährten von mehreren anderen Getreuen des Grafen umringt. »Seid uns gegrüßt, Ritter!« Sie klangen nicht unfreundlich, diese Worte. Aber es mangelte ihnen doch an echter Herzlichkeit. Ein gewisser Argwohn sprach aus den Mienen der Burgbewohner. Roland, Pierre und Louis stiegen von ihren Pferden, die sofort vom gräflichen Gesinde in Obhut genommen und weggeführt wurden. Die Einladung, die eigentliche Burg zu betreten, blieb jedoch noch aus. »Gebt mir Euer Schwert, Ritter«, verlangte einer der Paladine Graf Heriberts. »Mein Schwert?« echote Roland verwundert. »Was, in des Königs Namen, wollt Ihr mit meinem Schwert?« Wie von selbst legte sich seine rechte Hand auf den Knauf der Waffe, so, als wolle er sie vor fremdem Zugriff schützen. »Es ist Sitte auf der Güldenburg, daß keine Waffen getragen werden«, bekam er Bescheid. Roland blickte die Männer an, einen nach dem anderen. Kein einziger von ihnen war unbewaffnet. Augenscheinlich galt die Sitte der Waffenlosigkeit nur für ihn. »Sie gilt für alle Fremden«, unterrichtete ihn der Sprecher der Gräflichen, nachdem ihm Roland entsprechende Vorhaltungen gemacht hatte. »Auch für Sendboten des Königs der Könige?« »Auch für die!« Noch immer hielt Roland den Knauf seines Schwertes umklammert. Einst hatte er sich vorgenommen, sich niemals von der Waffe zu trennen. Auch wenn er sich zum Schlafen niederlegte,
befand sich das Schwert stets in seiner Reichweite. Er war immer gut mit dieser Angewohnheit gefahren und sah keinen Grund, nun davon abzugehen. »Und wenn ich mich weigere?« fragte er. »Dann müssen wir Euch als einen Mann ansehen, der es auf die Schätze unseres Herrn abgesehen hat. Und wer ein besitzergreifendes Auge auf diese wirft, ist des Todes!« Das waren unmißverständliche Worte, deutlich ausgesprochen. Roland zögerte. Wenn er sich jetzt hartnäckig weigerte, sein Schwert abzugeben, würde man ihn vielleicht nicht töten, ganz gewiß aber wieder vor die Burgtore setzen. Und das konnte auch nicht in seinem - und Sir Ectors - Sinne sein. »So sei es denn«, antwortete er, immer noch leicht widerstrebend. »Nehmt mein Schwert.« Er konnte es sich allerdings nicht verkneifen, noch hinzuzufügen: »Hoffen kann ich also nur, daß es nicht auch Sitte ist, waffenlose Gäste nächtens zu meucheln, auf daß ihre Schätze die Schätze der Güldenburg mehren.« Heiterkeit erhob sich darob unter den Getreuen des Grafen. Kein Ärger wegen seiner deutlichen Worte. »Macht Euch dieserhalb keine Sorgen, Ritter«, meinte der Sprecher, während das Vergnügen noch immer seine Lippen kräuselte. »Die Güldenburg hat andere Mittel, ihren Besitz zu mehren, als Gäste ihrer Habe zu berauben.« Da hatte er wohl recht, mußte Roland zugeben. Wer einen Alchimisten in seinen Diensten hatte, der es verstand, Dreck in Gold zu verwandeln, konnte getrost darauf verzichten, Raub und Diebstahl auf. sein Banner zu schreiben. Er übergab den Güldenburgern sein Schwert und bat auch Louis und Pierre, sich von ihren Waffen zu trennen. Louis war das gar nicht recht. Er bedachte Roland mit einem mißbilligenden Blick, erhob aber kein Wort des Widerspruchs. Nur zu gut wußte er, daß es sich nicht für einen Knappen geziemte, seinen Herrn mit herber Kritik zu behelligen, noch dazu in der Gegenwart Fremder. Glücklich fühlte er sich im Augenblick indes ganz bestimmt nicht. Roland
konnte es ihm nachempfinden. Auch er kam sich ohne sein Schwert geradezu nackt vor. Wie dem auch war, in jedem Fall hatte man sie als Gäste auf der Güldenburg aufgenommen. Und Heribert war auch gleich bereit, den Ritter mit dem Löwenherzen gebührend zu empfangen. * Mit mürrischem Gesicht saß der Knappe Justus auf seinem Schemel und starrte gelangweilt auf die eiserne Tür, die er hüten sollte wie seinen eigenen Augapfel. Die Aufgabe, die man ihm übertragen hatte, gefiel ihm ganz und gar nicht. Viel lieber hätte er sich mit den anderen im Schwerterkampf geübt oder einem störrischen Gaul die Bockigkeit ausgetrieben. Dies waren Taten, bei denen sich ein angehender Ritter bewähren konnte. Aber was tat er? Er saß hier und hielt Maulaffen feil. Aber er hatte keine andere Wahl. Graf Heribert hatte ihm befohlen, hier Wache zu halten. Aus gutem Grunde wohl, denn hinter der eisernen Tür lag die Schatzkammer der Güldenburg. Und diese Schatzkammer war, wie der Graf sagte, bestohlen worden. Nun galt es, den frechen Dieb zu entlarven, falls dieser es abermals wagen sollte, sich am Besitz des Burgherrn zu vergreifen. Wie es der Übeltäter bewerkstelligt hatte, seinen dreisten Raub auszuführen, war bislang unerklärlich. Die Schatzkammertür wurde durch sieben Schlösser gesichert. Und die Schlüssel zu diesen Schlössern befanden sich im ausschließlichen Besitz des Grafen. Dennoch war die Tat geschehen, ohne daß der Dieb des Grafen Schlüssel an sich gebracht hatte. Dafür gab es eigentlich nur eine einzige Erklärung: Der Dieb mußte mit dem Teufel im Bunde sein. Allerdings hatte Justus nie so recht an den Teufel geglaubt. Und Graf Heribert auch nicht. Deshalb spielte er also nun den Aufpasser, gut verborgen hinter ein paar ausgemusterten Ritterrüstungen, durch
deren aufgeklappte Visiere er sehen konnte. Zwei Tage saß er nun schon in seinem Versteck. Der Dieb war nicht wiedergekommen. Und das würde er wohl auch in absehbarer Zeit nicht tun, denn gewiß hatte er sich bei seinem jüngsten Raubzug so reichlich eingedeckt, daß er sich eine Wiederholung des risikoreichen Bubenstücks sparen konnte. Da der Graf jedoch anderer Meinung gewesen war ... Justus gähnte. Der Knappe denkt, der Herr aber lenkt. Damit mußte er sich abfinden. Dann aber, Justus wollte es zuerst kaum glauben, kam doch jemand ... Der Graf selbst vielleicht, der sich davon überzeugen wollte, ob sein Getreuer auch wachsam genug war? Nein, der Mann, der dort näher und näher kam, konnte nicht Graf Heribert sein. Der Burgherr war hochgewachsen und breitschultrig. Der Ankömmling jedoch war nur mittelgroß und von schmaler Statur. Fast schlurfend bewegte er sich vorwärts. Die Beleuchtung im Gang war schwach. Lichtschein fiel nur von einer entfernten Wandfackel ein. Deshalb konnte Justus noch immer nicht mit Gewißheit bestimmen, wen er da vor sich hatte. Aber er hatte eine ganz bestimmte Ahnung. Und als der Mann dann unmittelbar vor der Schatzkammertür stehenblieb, bestätigte sich diese Ahnung. Ja, er war es! Justus hielt den Atem an, um seine Anwesenheit nicht vorzeitig zu verraten. Noch war nicht klar, ob der Ankömmling tatsächlich beabsichtigte, in die Schatzkammer einzudringen. Wenig später jedoch stand es fest. Der Mann blickte sich vorsichtig und sorgsam nach allen Seiten um. Bestimmt nahm er dabei die mehrere Klafter von ihm entfernten Ritterrüstungen wahr. Aber er maß ihnen offensichtlich keinerlei Bedeutung zu. Jedenfalls griff er unter seine Kleidung und holte ein voluminöses Schlüsselbund hervor. Wieder warf er hastige Blicke nach links und rechts. Dann steckte
er den ersten Schlüssel in eins der Schlösser. Justus haderte mit sich. Sollte er eingreifen oder nicht? Eigentlich hatte ihm der Graf aufgetragen, nur zu beobachten. Vielleicht, weil er fürchtete, daß der Dieb ihn überwältigen und somit sein Geheimnis bewahren könne. Nach einigem Überlegen kam Justus zu einem Entschluß. Ja, er würde eingreifen! Die Gefahr, überwältigt zu werden, sah er nicht. Mit diesem Dieb würde er auch fertig werden, wenn er einen großen Krug Met ganz allein ausgetrunken hätte. Außerdem machte es auf den Grafen auch einen viel besseren Eindruck, wenn er ihm den Übeltäter am Schlawittchen gepackt vorführte - am besten noch mit einem gestohlenen Kleinod in der Tasche. Sechs Schlösser hatte der Dieb jetzt bereits geöffnet. Gerade machte er sich am siebten und letzten zu schaffen. Justus ließ ihn gewähren. Jetzt hatte es der Dieb geschafft. Alle Schlösser waren für ihn kein Hindernis mehr. Schon machte er die Tür auf und schlüpfte flugs in die Schatzkammer. Nun hielt es Justus für angebracht, auf den Plan zu treten. Er gab seinen Beobachtungsposten auf und schlich auf leisen Sohlen zur Tür. Ruckartig riß er sie auf. Lichtschein drang ihm entgegen. Der Dieb schien sich sehr sicher zu fühlen, hatte eine Fackel entzündet. Justus blinzelte. Aber es war nicht allein das Licht, das ihn blendete. Dafür sorgte auch die einzigartige Pracht der Schatzkammer. Wo auch immer der Knappe hinblickte, glänzte und gleißte es, als würden in dem Raum tausend kleine Feuer lodern. Es fiel ihm schwer, den Blick von den Kostbarkeiten zu lösen und seine Aufmerksamkeit dem Dieb zu widmen. Dieser war völlig überrascht, starrte ihn mit großen Augen an. Die unvermutete Entdeckung war ihm sichtlich auf Herz und Magen geschlagen. In den Händen hielt er einen goldenen Stab, den er wohl gerade in dem mitgeführten Sack verschwinden lassen wollte. Dazu sollte er jedoch keine Gelegenheit mehr bekommen.
»Habe ich dich, Halunke«, sagte Justus triumphierend. »Wer hätte schon gedacht, daß ausgerechnet du der Schatzräuber bist?« Der ertappte Dieb antwortete nicht. Bleich und stocksteif stand er da, wie gelähmt. »Komm her«, befahl Justus. Der Dieb blieb, wo er war. Langsam wurde der Knappe ärgerlich. »Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Herkommen sollst du!« Zögernd und zaudernd setzte sich der Dieb jetzt in Bewegung. Mit schleppenden Schritten trat er auf Justus zu, ein gebrochener Mann, der ganz genau wußte, welche Bestrafung er nun zu gegenwärtigen haben würde. Fast tat er dem Knappen ein bißchen leid. Eine Körperlänge waren die beiden Männer jetzt noch voneinander entfernt. Und plötzlich wurde der Dieb schnell. So schnell, wie es Justus niemals für möglich gehalten hätte. Die rechte Hand, die immer noch den goldenen Stab umklammert hielt, schoß nach vorne wie der Kopf einer zuschnappenden Kreuzotter. Justus hatte damit in keiner Weise gerechnet. Er kam nicht mehr dazu, zur Seite oder nach hinten auszuweichen. Und spät, viel zu spät erkannte er, daß es kein einfacher Stab war, den der Dieb in der Hand hatte. Erst als die Klinge siedendheiß in seine Brust eindrang wurde ihm klar, daß es sich um einen goldenen Dolch handelte. Aber diese Erkenntnis nutzte ihm jetzt nichts mehr. Entseelt sank er zu Boden. Sein Blut färbte die weißen Marmorplatten der Schatzkammer rot. »Tut mir leid, mein Junge«, murmelte der Dieb. Wenig später hatte er den Toten in eine leere Truhe gepackt und seinen Sack mit Gold gefüllt. Dann verließ er die Schatzkammer, schloß die Tür wieder sorgfältig ab und verschwand im Halbdunkel des Ganges. * Graf Heribert lachte. »Thegan soll die Güldenburg verlassen?
Schlagt Euch das aus dem Kopf, Ritter Roland!« Dem Ritter mit dem Löwenherzen wurde auf einmal klar, daß er den Herrn der Güldenburg eigentlich nicht so recht mochte. Sein erster Eindruck von dem breitschultrigen Mann mit dem kantigen Gesicht war durchaus vorteilhaft gewesen. Zweifellos strahlte Heribert eine gewisse männliche Freundlichkeit aus. Während des Gesprächs merkte Roland jedoch immer deutlicher, daß diese Freundlichkeit mehr eine Gönnerhaftigkeit war, das Gehabe eines Mannes, der sich seiner Macht bewußt war und im Grunde genommen auf alle anderen Menschen herunterblickte wie Gottvater von seinem Himmelsthron. Da er dabei keineswegs die natürliche Würde ausstrahlte, wie das etwa bei König Artus der Fall war, fühlte man sich in seiner Gegenwart bald irgendwie unwohl. Roland ließ sich dadurch aber nicht verdrießen. Nach wie vor war es seine erklärte Absicht, den Alchimisten abzuwerben. Und wenn er dabei dem Grafen ein bißchen auf die Füße trat, dann konnte er es auch nicht ändern. »Wenn man Euch so reden hört, Graf Heribert, dann könnte man meinen, Ihr verwehrt Thegan das Verlassen der Güldenburg«, sagte er recht respektlos. Ein ärgerliches Funkeln, das Roland nicht entging, trat in die Augen des Burgherrn, verflüchtigte sich allerdings sofort wieder. Er lachte. »Ich will nicht leugnen, daß ich Thegan nur ungern scheiden sehen würde. Aber daß ich ihn gegen seinen Willen hierbehalte ... Wirklich, Ritter Roland, Ihr unterstellt mir da Dinge, die geradezu ehrenrührig sind. Manchen anderen würde ich dafür unverzüglich aufs Rad flechten lassen. Ihr habt Glück, daß Ihr ein Paladin des Herrn von Camelot seid!« Zweifellos konnte man aus diesen Worten eine unterschwellige Drohung heraushören. Aber Roland hatte sich noch nie durch Drohungen einschüchtern lassen, ganz gleichgültig, ob diese nun versteckt oder ganz unverblümt daherkamen. »Würde es Euch etwas ausmachen, wenn ich selbst mit Eurem Alchimisten spräche, um ihm die Einladung von Camelot
vorzutragen?« fragte er, ohne auf die vielsagenden Worte des Grafen einzugehen. Heribert zögerte zunächst, nickte dann. »Gewiß, warum auch nicht? Es ist ja wohl eine hohe Ehre für Thegan, daß der hochberühmte Sir Ector das Gespräch mit ihm sucht. Dennoch, Ritter Roland, ich kann Euch schon jetzt versichern, daß Thegan die Einladung mit aller Entschiedenheit ablehnen wird.« »Wir werden sehen.« Graf Heribert zog an einer Schnur, worauf eine Glocke hell zu läuten begann. Eine goldene Glocke, verstand sich. Ein Bediensteter betrat den Empfangsraum. »Herr Graf befehlen?« »Bring mir den Goldmacher her!« Der Bedienstete machte eine tiefe, ehrerbietige Verbeugung und zog sich wieder zurück. Während der folgenden Minuten bemühte sich Roland, die leicht gereizte Atmosphäre wieder zu entkrampfen. Er tat dies, indem er lauter lobende Worte für die Güldenburg fand. Er ging dabei sogar so weit, daß er Vergleiche mit Schloß Camelot anstellte. Dies war zwar stark übertrieben, aber doch nicht ganz von der Hand zu weisen. Zumindest was die Präsenz puren Goldes anging, konnte man in der Tat von echten Parallelen sprechen. Seine launigen Worte verfehlten ihr Ziel nicht. Heribert fühlte sich sichtlich geschmeichelt und wurde wieder ausgesprochen freundlich. Selbst das Gönnerhafte trat jetzt nicht mehr so aufdringlich zutage, wie das vorhin der Fall gewesen war. Eine ganze Weile verging, bis der Bedienstete zurückkehrte - mit dem Goldmacher. Die äußere Erscheinung Thegans entsprach nicht so ganz den Vorstellungen, die sich Roland von ihm gemacht hatte. Thegan war ein recht kleiner Mann, der beinahe zerbrechlich wirkte. Von Würde und Macht keine Spur. Der Alchimist vermittelte vielmehr den Eindruck eines Wurms, der sich ständig krümmt, weil er getreten wird. In dem schmalen, fast ausgemergelten Gesicht saßen die Augen
tief in den Höhlen. Augen, die wie hilflos in die Welt blickten. Dies also war der Mann, von dem Sir Ector mit Achtung gesprochen hatte. .Roland vermochte es kaum zu glauben. Und doch war es so. Der Bedienstete verschwand wieder, ließ den alten Mann allein an der Tür stehen. »Tritt näher, Thegan«, forderte Heribert ihn auf. Der Alchimist tat es unsicheren Schrittes und zögernd. Der Graf bot ihm einen freien Lehnstuhl an und schob ihm auch noch einen Becher hinüber, den er eigenhändig aus dem bereitstehenden Krug füllte. »Trink, Thegan«, sagte er. »Es ist ein ganz ausgezeichneter Tropfen, der dir gewiß munden wird.« Zuerst sah es so aus, als ob der alte Mann den Wein ablehnen würde. Das tat er dann aber doch nicht. Er hob den Pokal, trank einen kleinen Schluck daraus und setzte ihn dann wieder auf die Tischplatte zurück. Dies alles tat er mit völlig ausdruckslosem Gesicht, ohne den Grafen oder Roland dabei anzusehen. Komischer Heiliger! fuhr es dem Ritter mit dem Löwenherzen durch den Kopf. Heribert räusperte sich, ergriff wieder das Wort. »Thegan, ich möchte dich mit dem edlen Ritter Roland bekannt machen. Du siehst in ihm einen Abgesandten von König Artus, der nur hierhergekommen ist, um mit dir zu sprechen.« Wenn der Alchimist beeindruckt war, dann verstand er es vorzüglich, dies zu verbergen. Nach wie vor zeigte er keine Gemütsregung, sondern fuhr fort, schweigend auf die Tischplatte zu starren. »Genauer gesagt«, erläuterte Roland, »komme ich nicht als Sendbote des Königs. Es war vielmehr Sir Ector, der mich zu Euch schickte. Er ist Euch ein Begriff, Meister Thegan?« Zum ersten Mal blickte der alte Mann auf. »Sir Ector?« »Ja«, bestätigte Roland. »Sir Ector ist mir ein Begriff!«
»Er bittet Euch, nach Camelot zu kommen«, sagte der Ritter mit dem Löwenherzen. »Er...« Thegan bekam ganz große Augen. Seine Lippen zitterten. Keine Frage, er war so beeindruckt, daß ihm regelrecht die Stimme versagte. »... bittet Euch, nach Camelot zu kommen, ganz recht«, wiederholte Roland mit Nachdruck. »Ich kehre umgehend an den Hof König Artus' zurück. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mich begleiten.« Ein Leuchten trat in die müden Augen des alten Mannes. »Ich ...« Er sprach nicht weiter, blickte statt dessen zu Graf Heribert hinüber. Der Burgherr lächelte. »Frage nicht mich, mein lieber Thegan. Du entscheidest ganz allein. Wenn du glaubst, auch außerhalb der Mauern von Güldenburg glücklich und zufrieden werden zu können, dann geh mit dem Ritter. Natürlich würde ich dein Scheiden zutiefst bedauern, denn du warst mir stets ein treuer Untertan. Aber wenn es dich wirklich von dannen zieht ... Ich wäre der letzte, der dich zum Bleiben auffordert. Sag selbst, wie könnte ich dich auch zwingen?« Sekundenlang sagte der Alchimist kein Wort, dann schüttelte er langsam den Kopf. Das Leuchten in seinen Augen erlosch wie eine Fackel, die der Wind ausgeblasen hat. »Ich kann nicht mit Euch gehen«, sagte er zu Roland. »Der Herr Graf hat vollkommen recht: Nur auf der Güldenburg fühle ich mich glücklich und zufrieden.« Tat er dies? Roland hatte nicht den Eindruck, daß er besonders glücklich und zufrieden war. Er spürte ganz deutlich, daß der alte Mann liebend gerne mit ihm nach Camelot kommen würde. Aber es mußte irgendwelche Gründe geben, die ihn gegen seine eigentliche Überzeugung handeln ließen. Welche Gründe? Roland wußte es nicht, hatte auch nicht die Möglichkeit, es jetzt an Ort und Stelle herauszufinden. Eins aber wußte er: Seine Mission drohte zu scheitern. Wie es aussah, würde er nicht imstande sein, das Sir Ector gegebene Versprechen einzulösen. Noch aber wollte er es
sich nicht eingestehen. »Die Trennung von der Güldenburg soll ja nicht für immer sein, Meister Thegan«, sagte er zu dem Alten. »Ihr stattet Sir Ector einen Besuch ab und kehrt dann zurück. Nun?« Wieder blickte der Alchimist den Burgherrn an. Und wieder schüttelte der den Kopf. »Nein«, antwortete Thegan. »Ich möchte die Güldenburg nicht verlassen. Auch nicht vorübergehend.« Roland ballte die Fäuste. Er mußte sich beherrschen, um nicht wütend auf den Tisch zu schlagen. Um seinen Zorn etwas abzukühlen, griff er nach dem Weinbecher und leerte ihn mit einem einzigen Schluck. Thegan erhob sich. »Werden meine Dienste noch benötigt?« fragte er mit einer Stimme, die dem Ritter mit dem Löwenherzen merkwürdig brüchig vorkam. »Ritter Roland?« lächelte der Graf. »Nein. Es ist wohl alles gesagt worden, was zu sagen wäre.« Heribert nickte dem Alchimisten zu. »Dann kannst du wieder gehen, mein lieber Thegan. Ich danke dir übrigens für die Treue, die du mir erwiesen hast. Und ich könnte mir vorstellen, daß ich nicht der einzige bin, der dir dafür dankt!« Da war ein Unterton in der Stimme des Grafen, der Roland zu denken gab. Seine abschließenden Worte hatten sicherlich mehr zu bedeuten, als er heraushören konnte. Der alte Mann drehte sich um und verließ den Raum. Graf Heribert war die Zufriedenheit in Person. »Nun, was habe ich Euch gesagt, Ritter Roland?« Der Ritter mit dem Löwenherzen zwang sich zu einem Lächeln. »Mir scheint, Ihr kennt Eure Getreuen eben doch besser als ich.« »So ist es«, nickte Heribert und wirkte jetzt wieder sehr, sehr gönnerhaft. *
Noch gab sich Roland nicht geschlagen. Wenn er herausfand, warum sich der Alchimist so hartnäckig weigerte, die Güldenburg zu verlassen... Vielleicht schaffte er es doch noch, Thegan mit zum Hof König Artus' zu nehmen. Graf Heribert hatte nichts dagegen, daß er noch blieb. Ein paar Schmeicheleien über die Einzigartigkeit der Güldenburg, und schon hatte er seine Einladung sicher. Daß diese auch für seine beiden Knappen galt, verstand sich nach ritterlicher Sitte von selbst. Roland blieb nicht lange der derzeit einzige Gast des Burgherrn. Als sich die Sonne langsam anschickte, jenseits des Mains unterzugehen, liefen oben auf der Burgmauer die Wächter zusammen. Ein Meldegänger eilte ins Innere der Burg und kehrte kurz darauf zurück. Daraufhin wurde die Zugbrücke hinuntergelassen und das Tor geöffnet. Roland, der sich gerade bei den Ställen aufgehalten hatte, um sich vom Wohlergehen der Pferde zu überzeugen, schlenderte herbei. Ein mit zwei Zugpferden bespanntes Fuhrwerk rollte auf den Burghof. Zwei Männer saßen auf dem Kutschbock. Der eine von ihnen war an seiner einfachen Kleidung leicht als Mann aus dem Volk zu erkennen. Der andere jedoch gehörte fraglos dem Adelsstand an. Hermelin, Pfauenfedern, elegante, fast stutzerhafte Beinkleider, der Mann stellte etwas dar, da gab es gar keine Frage. Er schien bekannt zu sein auf der Güldenburg, dieser Mann. So gut bekannt, daß es sich Graf Heribert nicht nehmen ließ, höchstpersönlich auf dem Burghof zu erscheinen. Der Ankömmling kletterte vom Kutschbock. Würde man ihn jetzt ebenfalls auffordern, sein Schwert abzugeben? fragte sich Roland. Dies erwies sich als überflüssig. Der Besucher zog seine Klinge ganz von selbst aus der Scheide und überreichte sie einem der gräflichen Getreuen. Wahrscheinlich war er damit der Peinlichkeit entgangen, sich gegen seinen Willen entwaffnen zu lassen. Graf Heribert trat herbei. »Freigraf Felix, welch eine freudige Überraschung!«
»Auch ich freue mich, wieder auf Eurer prächtigen Burg weilen zu dürfen, Graf Heribert.« Nach ritterlicher Sitte verbeugten sich die beiden Männer und legten ihre Unterarme aneinander. »Ich habe Euch das versprochene Gastgeschenk mitgebracht«, sagte der Ankömmling. »Köstlichen Wein aus meiner Heimat!« Mit einer großartig wirkenden Armbewegung deutete er auf die Ladefläche des Wagens, auf der fünf, sechs große Fässer festgezurrt waren. Der Burgherr freute sich sichtlich über das Gastgeschenk. »So ist der heutige Abend also gerettet«, sagte er heiter. »Wir werden Euren Wein kosten. Und wenn er gar so köstlich mundet, wie Ihr sagt, dann soll uns erst der Schrei des Hahns aufs Lager treiben!« Während die Fässer unter Aufsicht des Gastes abgeladen und in den Weinkeller gebracht wurden, wandte sich Roland an einen der Güldenburger Ritter. »Sagt mir, wer ist der Besucher?« erkundigte er sich. »Euer Herr scheint ihn ja regelrecht in sein Herz geschlossen zu haben.« »Felix von Leubus«, bekam er zur Antwort. »Ein Freigraf aus den schlesischen Landen. Vor Wochen rettete Graf Heribert ihn aus der Hand einer mörderischen Räuberbande. Und nun ist der Freigraf gekommen, um seinen Dank abzustatten.« »Aus Schlesien?« wunderte sich Roland. »Ist der Weg nicht ein wenig weit, nur um ein paar Fässer Wein zu überbringen?« Der Ritter zuckte mit den Schultern. »Fragt nicht mich, fragt den Freigrafen.« So begierig war Roland nun auch wieder nicht darauf. Wenn er allerdings gewußt hätte, was es mit den Weinfässern tatsächlich auf sich hatte, wäre sein Interesse sicherlich größer gewesen. * Auch Roland als Gast der Güldenburg wurde zum Schlesischen
Weinfest eingeladen, das am Abend stattfand. Er hatte nichts
dagegen, denn wenn es etwas Gutes zu trinken gab, war er stets gern dabei. Nach allem, was er gehört hatte, sollte es der Wein aus Schlesien ganz besonders in sich haben. Die Aussichten, einem zünftigen Gelage beiwohnen zu können, standen also gut. Das Besäufnis fand in der großen Festhalle der Güldenburg statt. Alle Ritter, die in den Diensten des Grafen standen, waren zugegen. Und auch die holde Weiblichkeit fehlte nicht. Die Burgdamen kamen zahlreich, und es waren ein paar darunter, die Roland sehr gut gefielen. Er war zuversichtlich, den Abend mit Wein und Gesang beginnen und mit Weib beenden zu können. Graf Heribert und seine Gemahlin, ein häßliches, mageres Frauenzimmer, das der Burgherr dem Vernehmen nach nur des Goldes wegen genommen hatte, saßen an der Stirnseite der großen Tafel. Die beiden Ehrenplätze waren an die Gäste vergeben worden. Rechts saß Felix von Leubus, links der Ritter Roland. Die anderen reihten sich ihrem Stande nach an. Auch an Unterhaltung würde es nicht mangeln. Ein Fiedelspieler war da, um Ohren und Tanzbeine mit seinen Weisen zu erfreuen. »Wohlan denn«, sagte Graf Heribert, als alle versammelt waren, »so wollen wir denn beginnen. Rollt das erste Faß herein!« Unter großem Hallo aller Anwesenden brachten zwei Bedienstete das Faß. Der Fiedler spielte und sang dazu ein Trinklied, bei dem Roland einen leichten Magenschmerz bekam. Was die Musik anging, war er durch seinen Freund, den berühmten Minnesänger Volker vom Hohentwiel, verwöhnt. Im Vergleich zu Volkers kunstvollen und melodiösen Balladen war das Spiel des Güldenburger Musikus die reinste Stümperei. »Schlagt das Faß an«, befahl Heribert launig. Der gräfliche Mundschenk waltete seines Amtes. Dann ging er hin und füllte reihum alle Gläser und Becher. Der Burgherr stand auf und prostete Felix von Leubus zu. »Trinken wir auf das Wohl unseres Gastes, der es sich nicht hat nehmen lassen, eine weite und beschwerliche Reise zu unternehmen, nur um uns diesen Abend zu bescheren!«
Von allen Seiten schallten dem Schlesier die Hochrufe der Tafelnden entgegen. Felix von Leubus nahm sie lächelnd hin und hob ebenfalls seinen Becher. »Genug der Worte«, ließ er sich vernehmen. »Genießen wir nun endlich den Wein!« Alle führten ihre Pokale zum Mund. Alle tranken und ließen den Rebensaft durch ihre Kehlen rinnen. Alle stutzten. Dann begann ein Husten, Keuchen und Röcheln, wie man es wohl selten an einer festlichen Tafel erlebt hatte. Die Gesichter der Trinkenden verzerrten sich zu gequälten Grimassen. Münder öffneten sich und würgten und spuckten und schimpften und fluchten. »Der pure Essig!« »Elende Pferdepisse!« »Der Kerl will uns vergiften!« »Verdammt sei die Erde, die solchen Wein wachsen läßt!« Roland konnte all diesem nur voll und ganz zustimmen. Der Wein war eine einzigartige Zumutung für Zunge und Gaumen. Niemals in seinem Leben hatte er Übleres getrunken als diesen Wein aus den schlesischen Landen. Die Empörung an der Tafel war einhellig. Nein, nicht ganz! Ein Mann war nicht empört: Freigraf Felix von Leubus. Der Schlesier hatte seinen Wein mit sichtlichem Behagen getrunken und war nun ob des allgemeinen Aufruhrs sichtlich verstört. Den Becher mit dem widerwärtigen Gebräu noch in der Hand, funkelte der Graf ihn an. »Sprecht, Freigraf, war es Eure Absicht, uns alle zu vergiften?« »Ich ... verstehe nicht, was diese Aufregung hervorgerufen hat«, gab der Schlesier zurück. »Der Wein doch nicht etwa?« »Wollt Ihr uns veralbern? Was sonst als Euer sogenannter Wein sollte uns den Ekel in den Leib gejagt haben?« »Noch immer weiß ich nicht, was Euch so verdrossen hat. Der
Wein ist doch köstlich!« »Köstlich?« Heribert lachte laut und böse. »Wie gerade jemand schon sehr trefflich bemerkte... Es ist Pferdepisse!« »Die Pisse eines kranken Pferdes«, pflichtete Roland dem Burgherrn bei. »Eines sehr, sehr kranken Pferdes!« »Aber nein, aber nein«, verwahrte sich der Schlesier gegen diesen Vorwurf. »Der Wein ist ganz vorzüglich.« Er griff wieder nach seinem Becher und leerte ihn bis zur Neige. Helles Entzücken spiegelte sich dabei in seinen Zügen wider. »Seht Ihr? Wirklich ganz vorzüglich! Probiert noch einmal, Graf Heribert. Nehmt einen tiefen Schluck, laßt ihn auf der Zunge zergehen und ...« »Schluß mit den Faxen!« fuhr ihm der Burgherr wütend über den Mund. »Zweifellos wollt Ihr uns veralbern. Oder aber Ihr leidet an Geschmacksverirrung und solltet Euch schnellstens bei einem Bader in Behandlung begeben. Am liebsten würde ich Euch in das Faß tauchen lassen und Euch zwingen, so viel von dem Zeug zu saufen, bis Euch Mund und Nase übergehen. Da Ihr aber mein Gast seid und ich die Gebote der Gastfreundschaft stets hochgehalten habe, sollt Ihr ungeschoren davonkommen. Packt Euren sogenannten Wein wieder auf den Wagen, und macht, daß Ihr davonkommt. Spätestens morgen mittag will ich Euch nicht mehr auf der Güldenburg sehen. Haben wir uns verstanden, Freigraf?« Der Schlesier hatte erkannt, daß es Heribert ernst meinte. Er nickte nur stumm und stellte ansonsten eine beleidigte Miene zur Schau. Das Trinkgelage war beendet, kaum daß es begonnen hatte. * Als Felix in seinem Gästezimmer anlangte, hatte er immer noch die größte Mühe, sich ein lautes Auflachen zu verbeißen. Diese Dummköpfe! Er hatte sie alle an der Nase herumgeführt. Kein einziger von ihnen ahnte, was tatsächlich hinter der lächerlichen Weinposse steckte. Und was den Wein selbst anging ... Wie gut, daß er auf der
Klosterburg seinen Gaumen schon an das scheußliche Gesöff gewöhnt hatte.. Bestimmt wäre es ihm sonst nicht gelungen, das Zeug mit scheinbarem Behagen in sich reinzuschlürfen. Wein durchsetzt mit Sauerampfersaft - in der Tat, etwas Übleres konnte man sich kaum vorstellen. Glück hatte er trotzdem gehabt. Der Graf war so zornig gewesen, daß er ihn am liebsten sofort aus der Güldenburg gejagt hätte. Nun stand ihm aber doch die Frist zur Verfügung, die er brauchte, um auch den letzten Teil von Baron Ingolfs verwegenem Plan Wirklichkeit werden zu lassen. Morgen früh würde er die Güldenburg dann so schnell verlassen, wie es nur eben möglich war. Noch aber war es nicht soweit. Noch stand ihm ein schweres Stück Arbeit bevor. Zunächst jedoch konnte er sich ein paar Stunden aufs Ohr legen. Und wenn dann auf der Burg alles schlief ... Felix ließ sich auf seinem Nachtlager nieder. Er wußte die wohlige Wärme und Weichheit des Lagers zu schätzen. Wenn er daran dachte, daß man es auch viel, viel unbequemer haben konnte... Es dauerte nicht lange, dann war Felix tief und fest eingeschlafen. Gut vier Stunden verbrachte er im Land der Träume. Dann, ganz so, als habe ihn ein Alarmsignal in seinem Inneren geweckt, erwachte er wieder. Er erhob sich von seinem Lager und trat an das Fenster des Gästezimmers, das zur Hofseite hin lag. Es war stockdunkel draußen. Die Morgendämmerung würde noch eine Weile auf sich warten lassen. Ruhig und verlassen lag der Burghof da. Und dasselbe traf auch auf alle Gebäude der Burg zu. Mit Fug und Recht durfte Felix davon ausgehen, daß alle Bewohner und Gäste - noch im tiefen Schlaf lagen, mit Ausnahme der Wächter auf der Mauer. Er verlor jetzt keine Zeit mehr. Friedrich würde sonst vielleicht unruhig werden. Eilig kleidete er sich an und huschte zur Tür. Lautlos öffnete er sie und lauschte hinaus auf den Gang. Es gab nichts zu sehen und nichts zu hören. Die Gefahr, daß
jemand auf ihn aufmerksam wurde, bestand kaum. Vorsichtig schloß er die Zimmertür und schlich den Gang entlang. An der nächsten Tür machte er kurz halt und legte das Ohr gegen die Tür. Tiefe Atemgeräusche, begleitet von regelmäßigen Schnarchtönen, waren deutlich zu hören. Felix grinste. Schlaf weiter, Ritter Roland, dachte er und setzte anschließend seinen Weg fort. Er huschte die Treppe hinunter und öffnete dann die Tür, die auf den Hof hinausführte. Wieder blieb er lauschend stehen und blickte aufmerksam zur Burgmauer hinüber. Die schattenhafte Silhouette eines Mannes, der dort oben auf und ab patroullierte, geriet in sein Blickfeld. Aber der Wächter nahm keine Notiz von ihm. Seine Aufmerksamkeit war auf das gerichtet, was außerhalb der Mauer vor sich ging. Trotzdem wartete Felix ab, bis der Wachtposten wieder aus seinem Blickfeld verschwand. Dann setzte er sich abermals in Bewegung und schlich zu dem Gebäude hinüber, in dem die Schlafräume des Gesindes lagen. Auch hier war alles ruhig. »Friedrich«, rief er im Flüsterton. Sofort löste sich aus der Dunkelheit eine Gestalt und trat an seine Seite. »Du kommst spät, Felix«, raunte ihm der Schwarzbart zu. »Ich warte schon länger als eine Stunde.« Den Beinamen »Schwarzbart« verdiente Friedrich gegenwärtig nicht. Um die Rolle des Pferdekutschers besser spielen zu können und um vor möglicher Wiedererkennung geschützt zu sein -, hatte er sich seine Manneszierde abnehmen lassen. Er war alles andere als glücklich darüber, aber Baron Ingolf hatte darauf bestanden. Felix hatte jetzt wahrlich keine Lust, eine Rechtfertigung abzugeben. Es gab wichtigere Dinge zu tun. »Komm«, flüsterte er. Jetzt wurde es etwas schwieriger, weiterhin unentdeckt zu bleiben. Um zum Turm zu gelangen, mußte der ganze Burghof überquert werden. Und wenn der Wächter auf der Mauer seine
Aufmerksamkeit doch mal der anderen Seite zuwandte ... Felix und Friedrich blieb dennoch nichts anderes übrig, als es zu wagen. Und sie hatten Glück. Niemand sah oder hörte sie, niemand rief sie an. Unbemerkt erreichten sie den Turm und schlüpften hinein. Erleichtert atmete Felix auf. »Fürs erste sind wir sicher. Hier wird uns kaum einer entdecken.« Er sprach lauter als bisher, fast im normalen Unterhaltungston. »Das weißt du genau?« raunte Friedrich zurück. »Und wenn uns doch jemand hört?« Felix lachte leise. »Bei meinem letzten Besuch habe ich mich gründlich mit allem vertraut gemacht. In diesem Turm haust niemand außer dem Alten. Und dessen Räume liegen unten im Keller.« »Worauf warten wir dann noch?« Im Turm selbst war Felix bisher noch nicht gewesen. Deshalb hatte er jetzt auch einige Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden. Und die abgrundtiefe Finsternis, die im Turm herrschte, begünstigte dieses Unterfangen auch nicht gerade. »Wir hätten eine Fackel mitnehmen sollen«, knurrte Friedrich. »Lichtschein ist verräterisch«, gab Felix zurück. »Wir schaffen es auch so.« Die abwärts führende Treppe wurde schließlich gefunden. Die beiden Getreuen des Barons von der Klosterburg schritten sie hinunter. An ihrem Ende stießen sie auf eine massive Bohlentür. Die Tür war verschlossen! Felix stieß einen gemurmelten Fluch aus. »Hölle und Teufel, damit habe ich nicht gerechnet. Gewiß, Verliese und Schatzkammern schützt man durch Schlösser. Aber daß jemand seine Schlaf- und Arbeitsräume abschließt ...« »Die Hexenküche des Alchimisten ist eine Schatzkammer«, sagte Friedrich. »Außerdem ist es ja wohl nur zu verständlich, daß der Alte seine Geheimnisse bewahren will - auch vor den eigenen Leuten!« »Dann müssen wir die Tür eben aufbrechen. Hier unten können wir ruhig Lärm machen, ohne befürchten zu müssen, daß uns jemand
hört.« »Aufbrechen, aufbrechen! Womit? Mit der blanken Faust vielleicht? Wenn du so stark bist... Los, versuche dein Glück!« Felix nagte an der Unterlippe und dachte angestrengt nach. »Warum klopfen wir nicht an die Tür?« sagte er dann. »Vielleicht öffnet er uns. Wenn wir behaupten, daß der Graf uns schickt...« »Eine andere Möglichkeit gibt es jawohl nicht, oder?« Friedrich ballte die Faust und hämmerte gegen die Tür. Das Klopfen, das dabei herauskam, war nicht gerade laut. Friedrich setzte deshalb zusätzlich seine Füße ein. So kräftig wie möglich trat er gegen die Tür. Dumpf hallten die Schläge durch den Turmkeller. Schon glaubten die beiden Männer, daß der Alte sie nicht gehört hatte. Das war aber doch der Fall, denn nach einer ganzen Weile wurde auf der anderen Seite der Tür eine Stimme laut. »Wer ist da?« »Sprich du mit ihm«, raunte Felix seinem Kumpan zu. »Er könnte meine Stimme erkennen.« Friedrich räusperte sich, sagte dann: »Öffne, Thegan! Der Graf hat mich geschickt.« »Jetzt mitten in der Nacht?« wunderte sich der alte Mann. »Zu welchem Behufe?« »Er will... äh ... mit dir sprechen.« »Das glaube ich nicht«, antwortete der Alchimist. »Sicher bist du einer von jenen, die sich am Gold vergreifen wollen!« Natürlich, dachte Felix, es war nur menschlich, daß mancher Getreue des Grafen versuchte, seinen eigenen Brei zu kochen und auch ein Stück des üppigen Goldkuchens in seinen Besitz zu bringen. In der Tat war es wenig verwunderlich, daß sich der alte Mann einzuschließen pflegte. »Was soll ich sagen, verdammt?« raunte Friedrich ihm hinter vorgehaltener Hand zu. Felix überlegte fieberhaft. Und dabei kam ihm ein Gedanke, mit dem sich vielleicht etwas anfangen ließ. Während seines ersten Besuchs auf der Güldenburg war ihm zu Ohren gekommen, daß
Thegan eine Tochter sein eigen nannte. Wo sich diese Tochter aufhielt, hatte er nicht herausfinden können. Alle Güldenburger, die er danach gefragt hatte, waren in diesem Punkt merkwürdig zurückhaltend gewesen. Aus welchem Grund, das wußte er nicht. Aber im Augenblick war das auch belanglos. Es galt, den alten Mann aus der Reserve zu locken. Und wenn man ihm dabei einen Bären aufband... »Sag ihm, daß es um seine Tochter geht«, zischelte er. »Oder besser noch: Sag ihm, daß es um das Leben seiner Tochter geht!« Friedrich war klug genug, jetzt keine überflüssigen Fragen zu stellen. Er folgte der Empfehlung Felix', ohne zu zögern. »Gut, Thegan«, sagte er, »wenn dir das Wohlergehen deiner Tochter nicht am Herzen liegt...« Bedeutungsvoll ließ er die Worte in der Luft hängen. Er hatte genau den richtigen Nagel getroffen. »Was ist mit meiner Tochter?« fragte der Alchimist sofort. Aufregung und tiefe Besorgnis sprachen aus seiner Stimme. »Es steht schlecht um sie«, fuhr Friedrich mit Grabesstimme fort. »Sehr, sehr schlecht!« »Warte...« Felix und Friedrich hörten, wie sich ein Schlüssel im Schloß drehte. Im nächsten Augenblick wurde die Tür aufgestoßen. Im Rahmen stand der Alchimist, eine Fackel in der Hand. Ganz verstört sah er aus. Und auch noch leicht verschlafen. »Was ist mit meiner Tochter?« wiederholte er seine bange Frage. Erst jetzt nahm er zur Kenntnis, wen er da eigentlich vor sich hatte. Er kniff die Augen zusammen. »Wer seid ihr? Ich kenne euch nicht!« »Wirklich nicht, Alter?« lächelte Friedrich. Er hatte seinen Fuß zwischen die Tür gestellt, um Thegan daran zu hindern, sie überraschend wieder zuzuschlagen. »Doch, jetzt weiß ich es«, stieß der Alchimist hervor. »Ihr seid dieser Graf aus Schlesien und ...« Er fuhr zusammen. »Es geht gar nicht um meine Tochter! Ihr habt nur einen Vorwand gesucht...« »In der Tat«, bestätigte Felix seine Annahme. »Deine Tochter
kümmert uns einen feuchten Kehricht. Du bist der Mann, dem unser ganzes Interesse gilt!« Tatsächlich wollte der alte Mann die Tür jetzt ganz schnell wieder zumachen. Aber das gelang ihm natürlich nicht. Friedrich versetzte ihm einen Stoß, der ihn mehrere Ellen zurücktaumeln ließ. Dann drangen die beiden Klosterburger in die Behausung des Alchimisten ein. Zuerst kamen sie in einen Raum, der dem Alten offenbar als Schlafstatt diente. Von diesem Raum gingen weitere Türen ab. Die zweite, die Felix öffnete, führte in die Hexenküche Thegans. Selbst im Halbdunkel waren die Bottiche, Flaschen, Tiegel und sonstigen Gerätschaften zu erkennen, die zum Handwerkszeug eines jeden Alchimisten gehörten. »Gib mir doch mal die Fackel, Alter«, verlangte Felix. »Wozu?« fragte Friedrich scharf. »Das dürfte doch wohl klar sein. Ich will mir mal ansehen, was der Alte da so alles zu Gold gemacht hat. Wir nehmen soviel davon mit, wie wir tragen können...« »Nein!« »Nein?« Felix zog die Augenbrauen hoch. »Nichts nehmen wir mit«, sagte dieser entschieden. »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Je schneller wir wieder in unseren Quartieren sind, desto besser. Meinst du, ich habe Lust, einem Frühaufsteher in die Arme zu laufen?« »Aber...« »Kein Aber! Wozu sollen wir jetzt auch Gold mitnehmen? Wenn wir ihn haben ...«, Friedrich deutete auf den Alchimisten, »... haben wir alles Gold der Welt.« Felix mußte zugeben, daß dieser Einwand berechtigt war. Wenn man den Goldesel im Stall hatte, brauchte man nicht seinen Mist aufzuklauben. »Also gut«, sagte er, »lassen wir den Güldenburgern ihre Schätze. Beschränken wir uns auf das Wesentliche!« Er trat entschlossen auf den alten Mann zu.
Thegan machte instinktiv zwei Schritte rückwärts. »Was ... was habt ihr mit mir vor?« »Du hast lange genug für Graf Heribert gearbeitet. Langsam ist es an der Zeit, daß du den Dienstherrn wechselst. Darum kommst du jetzt mit zu uns!« »Ihr wollt mich ... entführen?« »Du hast es erfaßt, alter Freund!« Heftig schüttelte Thegan den Kopf. »Nein, das geht nicht. Ich muß auf der Güldenburg bleiben, versteht ihr? Meine Tochter ...« »Sagten wir dir nicht, daß uns deine Tochter einen Dreck kümmert? Du kommst mit uns, und damit basta!« »Niemals werden euch die Torwächter passieren lassen«, sagte der Alte überzeugt. »Das laß nur unsere Sorge sein!« Der Alchimist wußte jetzt, was die Glocke geschlagen hatte. Aber er wollte sich noch nicht in sein Schicksal ergeben. Überraschend behende riß er den rechten Arm hoch und schleuderte die brennende Fackel auf Felix. Gleichzeitig drehte er sich um und versuchte, mit raschen Schritten die Tür zu erreichen. Es gelang ihm nicht. Genauso schnell wie Felix der Fackel durch geschicktes Abducken auswich, handelte auch Friedrich. Mit einem langen Satz war er bei dem Alten und packte ihn an der linken Schulter. Er wirbelte den Alchimisten herum und versetzte ihm einen wuchtigen Fausthieb mitten ins Gesicht. Thegan stürzte zu Boden, als sei er von einem Blitzschlag getroffen worden. »Hoffentlich hast du ihn nicht totgeschlagen«, sagte Felix, während er sich nach der Fackel bückte. Friedrich beugte sich über den Alten. »Keine Bange, er lebt. Aber er hat das Bewußtsein verloren.« »Um so besser! So bereitet er uns wenigstens keine Schwierigkeiten mehr.« Friedrich holte ein paar Lederriemen hervor, die zur Ausrüstung des Pferdegespanns gehörten. Im Handumdrehen hatte er den alten Mann an Händen und Füßen gefesselt. Wenn Thegan aus der
Bewußtlosigkeit erwachte, würde er nicht in der Lage sein, ein Glied zu rühren. Zum Schluß stopfte Friedrich ihm ein grobes Tuch zwischen die Zähne, daß der Alchimist zu würgen begann. »So, das sollte genügen«, sagte er befriedigt. »Faß mit an!« »Warte noch«, erwiderte Felix. »Ich sehe zuerst mal nach, ob die Luft rein ist.« Er verließ die Räume Thegans und huschte die Treppe hinauf. Durch die spaltbreit geöffnete Turmtür blickte er hinaus auf den Hof. Erleichtert stellte er fest, daß die Lage unverändert war. Noch immer kündigte sich die Morgendämmerung nicht an. Die Wächter auf der Burgmauer machten ruhig ihre Kontrollgänge. Ansonsten regte sich nichts. Niemand ahnte auch nur im geringsten, was im Turm des Alchimisten geschehen war. Felix kehrte zu Friedrich und Thegan zurück. Der alte Mann war weiterhin ohne Bewußtsein und würde das wohl auch noch eine Weile bleiben. Wo Friedrich hinschlug, wuchs längere Zeit kein Gras mehr. Die beiden Klosterburger schlossen die Eingangstür von Thegans Behausung sorgfältig ab und löschten die Fackel. Dann packten sie den Gefesselten und trugen ihn die Treppe hinauf. Schwierigkeiten, ihn zu tragen, hatten sie nicht. Der alte Mann, klein und ausgemergelt wie er war, wog nicht allzuviel. Als der Patrouillengänger auf der Burgmauer gerade nicht in Sicht war, huschten Friedrich und Felix mit ihrer menschlichen Last über den Hof. Ihr Ziel war das niedrige, klobige Gebäude, in dem die Vorratskammern untergebracht waren. Auch der Weinkeller befand sich hier. Wiederum gab es keine Probleme. Da es auf der Güldenburg niemand nötig hatte, Mundraub zu begehen, gab es auch keine besonderen Sicherungsmaßnahmen. Bis in den Weinkeller vorzudringen, war für die beiden Klosterburger ein Kinderspiel. Sie konnten es jetzt sogar wieder wagen, die Fackel anzuzünden. Die Fässer mit dem »schlesischen« Wein standen gleich vornan. Und mit einem dieser Fässer hatte es eine ganz besondere
Bewandtnis. Es war nicht mit gesäuertem Wein, sondern mit einfachem Wasser gefüllt. Außerdem ließ sich der Boden des Fasses abnehmen. Felix und Friedrich stellten das Faß auf den Kopf und lösten mit geschickter Hand den Boden. Dann schleppten sie den Weinbehälter in die äußerste Ecke des Kellers und schütteten das Wasser aus. Zurück blieb nur das Stroh, mit dem die Wandung des Fasses ausgekleidet war. »So, nun rein mit unserem Freund«, sagte Friedrich.
Felix leuchtete dem alten Mann mit der Fackel ins Gesicht.
Thegans Lider zuckten, öffneten sich. Er hatte das Bewußtsein
wiedererlangt. Seine Augen weiteten sich vor Angst. Krampfhaft versuchte er, sich zu bewegen, was ihm jedoch nicht gelang. Die Fesselung saß zu gut und zu fest. »Gib dir keine Mühe, Alter«, sagte Felix. »Je weniger zu strampelst, desto angenehmer hast du es. Sonst schneiden dir die Riemen immer tiefer ins Fleisch.« »Kein überflüssiges Geschwätz«, mischte sich Friedrich ungeduldig ein. »Rein mit ihm und dann weg hier!« Sie packten Thegan an den Schultern, hoben ihn hoch und steckten ihn dann in das Faß. Es schien wie gemacht für ihn zu sein. Arme und Beine waren zwar etwas unglücklich verwinkelt, aber das ließ sich leider nicht ändern. »Den Deckel drauf!« Thegan gab ein paar erstickte Töne von sich. Aber diese waren wegen des Knebels in seinem Mund so leise, daß sie kaum zu hören waren. Die beiden Klosterburger kümmerten sich nicht um sein ohnmächtiges Lamentieren. Sie nahmen den Bodeneinsatz und drehten ihn wieder auf dem Faß fest. »Gehen wir«, drängte Friedrich. »Langsam, langsam. Willst du, daß er erstickt?« »O ja, natürlich, das Spundloch!« Mit Hilfe eines Holzpflocks sorgte Friedrich dafür, daß der Gefangene Luft bekam.
Felix rüttelte an dem Faß. »Hm«, machte er, »fühlt sich sehr leicht an. Gar nicht so, als ob es mit Wein gefüllt sei.« »Na und? Wir müssen eben zusehen, daß keiner der Güldenburger an das Faß herankommt. Wenn wir es morgen früh als erstes nehmen, um es auf den Wagen zu tragen, kann eigentlich nichts schiefgehen.« »Hoffen wir es«, sagte Felix. Er hielt noch einmal das Ohr ganz dicht an das Faß, konnte aber keinen Laut vernehmen. Die Strohverkleidung dämpfte die schwachen Töne, die Thegan von sich gab. Nun traten die beiden Männer den Rückzug an. Sie hofften, daß ihnen das Glück auch weiterhin treu blieb. Das Glück blieb ihnen treu. Unbemerkt erreichten Friedrich und Felix wieder ihr Quartier. * Roland war es nicht gewohnt, lange zu schlafen. Meist war er schon auf den Beinen, wenn die ersten Sonnenstrahlen den Himmel am Horizont rosa färbten. An diesem Morgen war das nicht anders. Mit einem Bottich eiskalten Wassers, das die Güldenburg aus einem Ziehbrunnen bezog, vertrieb er die letzten Fetzen der Müdigkeit und machte sich dann auf den Weg, um auch den Magen an den neuen Tag zu gewöhnen. Es herrschte schon emsiger Betrieb auf dem Burghof. Bedienstete eilten hin und her, die Stallknechte kümmerten sich um ihre Tiere, und auch die ersten Ritter ließen sich bereits blicken. Und noch etwas tat sich auf dem Hof. Das Fuhrwerk des schlesischen Adligen stand mit eingespannten Pferden da und wurde gerade beladen. Roland konnte sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen, als er sah, daß Freigraf Felix gezwungen war, selbst mit Hand anzulegen. Keiner der Burgbewohner rührte einen Finger. So
hatte der Schlesier nur die Unterstützung seines Kutschers. Der vornehmen Kleidung des Mannes bekam das Fässerschleppen gar nicht. Und er tat sich sichtlich schwer, wenn es darum ging, die Fässer auf den Wagen zu wuchten. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlenderte der Ritter mit dem Löwenherzen herbei. Gerade hatten die beiden Schlesier das dritte Faß auf die Ladefläche gehievt. Schweratmend stand Felix von Leubus da und betrachtete mißmutig seine Hände, die voll von unadeligem Schmutz waren. »Ihr tätet besser daran, den Wein auszuschütten und die Fässer dem Grafen zu überlassen«, sagte Roland spöttisch. »So hätte der Burgherr wenigstens ein Geschenk von Euch, mit dem er etwas anfangen kann.« Der Adlige aus den östlichen Landen bedachte ihn mit einem bösen, unfreundlichen Blick. »Kümmert Euch um Eure Angelegenheiten, Ritter«, erwiderte er ausgesprochen unwirsch. Dann wandte er sich ab, um gemeinsam mit seinem Fuhrknecht das nächste Faß zu holen. Roland verlor das Interesse an dem Freigrafen, den er von Anfang an nicht gemocht hatte. Er ging zum Ritterhaus hinüber, wo er hoffte, ein kräftiges Frühstück zu ergattern. Seine Hoffnung war nicht trügerisch. Auf der Güldenburg ließ es sich gut leben. Entsprechend war die Verpflegung. Nicht Hafergrütze und geschmackloses Gemüse, sondern saftiges Fleisch und knuspriges Brot wurden gereicht. Dazu gab es süffigen Wein, den man selbst kelterte. Welche Wohltat war dieser doch im Vergleich zu dem niederträchtigen Gesöff, das der Schlesier zu präsentieren gewagt hatte. Roland nutzte die Gelegenheit, um mit den anwesenden Rittern des Grafen etwas zu plaudern. Wie von ungefähr brachte er das Gespräch auf Thegan, den Alchimisten. Aber er , mußte die Feststellung machen, daß die Güldenburger offenbar gar nicht so gerne über ihren
Goldmacher redeten. Jedenfalls legten sie sich eine geradezu merkwürdige Zurückhaltung auf, wenn der Name Thegan fiel. Roland konnte lediglich in Erfahrung bringen, daß der Alchimist in dem Turm hauste, der dem Burgtor schräg gegenüberlag. Immerhin, diese Auskunft war ja auch schon etwas wert. Roland beschloß, dem alten Mann einen Besuch abzustatten. Er beabsichtigte nicht, Graf Heribert vorher davon in Kenntnis zu setzen. Der Burgherr brachte es glatt fertig, ihm den Besuch bei Thegan zu untersagen. Und darauf wollte er es gar nicht erst ankommen lassen. Als er das Ritterhaus verließ, sah er gerade noch, wie der Wagen des schlesischen Freigrafen über die Zugbrücke rollte. Felix von Leubus schien es ziemlich eilig zu haben, die Burg verlassen zu können. Jedenfalls peitschte sein Kutscher geradezu wild auf die Zugpferde ein. Nun ja, dachte Roland flüchtig, verdenken kann man es ihm nicht. Die Behandlung, die dem Grafen während und nach dem mißglückten Gelage zuteil geworden war, hatte ihm die Güldenburg ganz gewiß gründlich verleidet. Roland vergaß den Schlesier und schlenderte scheinbar ziellos über den Burghof. Er blieb mal hier, mal dort stehen und gelangte auf diese Weise dicht an die Eingangstür des Turms heran. Und als er glaubte, daß niemand auf ihn achtete, schlüpfte er schnell durch diese Tür und befand sich im Inneren des Turms. So, das war erst einmal geschafft! Im Keller des Turms sollte der Alchimist hausen, hatte man ihn wissen lassen. Wohlan denn, sagte er zu sich selbst, steigen wir die Treppe hinab. Dies tat er dann auch. Viel sehen konnte er nicht, denn im Treppenhaus gab es kein Fenster. So war er auf das bißchen Licht angewiesen, das durch die halb offenstehende Hoftür einfiel. Sich an der Wand entlangtastend, ging er nach unten. Eine massive Tür gebot ihm schließlich Halt. Die Tür war verschlossen, sie ließ sich von außen nicht öffnen.
Roland klopfte an, rief dabei halblaut Thegans Namen. Er bekam keine Antwort. Und natürlich wurde die Tür auch nicht geöffnet. Auch alle weiteren Versuche, sich Gehör zu verschaffen, scheiterten. Der Alchimist meldete sich nicht. Achselzuckend gab Roland schließlich auf. Thegan war ein Sonderling, das hatte er längst begriffen. Er mochte die Menschen nicht, hielt sich am liebsten für sich. Wenn er partout nicht aufmachen wollte, dann war dagegen kein Kraut gewachsen. Wie es aussah, würde es sich Sir Ector wohl endgültig aus dem Kopf schlagen müssen, Bekanntschaft mit dem Güldenburger Goldmacher zu schließen. Ärgerlich schritt Roland die Treppe wieder hinauf. Seine Mission war gescheitert, und das verdroß ihn sehr. Er wußte gar nicht, was er Sir Ector sagen sollte, wenn er wieder nach Camelot kam. Ganz bestimmt würde der Vertraute des Königs enttäuscht von ihm sein. Und wenn dann auch noch König Artus davon erfuhr... Himmel, Arsch und Zwirn! Als Roland den Turm verließ und auf den Burghof hinaustrat, hatte er gleich noch einmal Grund zum Fluchen. Drei Güldenburger Ritter traten ihm entgegen. Mit gezückten Schwertern in der Hand... * Ein Graf einst hatte sich geschworen
Zu enden des Herzogs Tyrannei
Mächtig wollte selbst er sein - und frei
Der Graf gab sich auch nicht verloren
Als des Herzogs Knechte gerade ihn erkoren
Sterbend auszustoßen den letzten Schrei
Sie teilten den Leib ihm in der Teile drei
Da ward des Grafen Sohn geboren
Die Jahre vergingen
Der Jüngling reifte zum Mann
Das Schwert packte er als Knabe schon an
Endlich konnte er erringen
Den Sieg, den der Vater erstrebte
Der Herzog sein eigenes Ende nicht mehr erlebte.
Donnernder Applaus brach los, als der Sänger seine Ballade beendete und die Laute aus der Hand legte. »Fürwahr, Ihr seid ein großer Dichter«, sagte Freiherr Ingolf begeistert. »Ihr hättet es verdient, Eure Kunst am Hofe des Königs vorzutragen!« »Oder am Hofe des Herzogs«, sagte der blonde Ritter Sven anzüglich. Lob und Applaus beeindruckten Volker vom Hohentwiel nicht sonderlich. In der Tat hatte er seine Lieder schon an so manchem Königshof vorgetragen und war dafür stets überschwenglich gefeiert worden. Aber er war kein Mann, der viel Aufhebens von seinen Erfolgen machte. Er war zufrieden, wenn seine Weisen gefielen und er sich für die Gastfreundschaft, die man ihm erwies, erkenntlich zeigen konnte. So war es auch hier in der Klosterburg des Freiherrn Ingolf, wo er übernachtet hatte und nun noch die morgendliche Brotzeit zu sich nahm, bevor er weiterzog. Ziel seiner Reise war die Güldenburg, wo er seinen Freund Roland zu treffen hoffte, der dort gegenwärtig weilen sollte. »Kommt, Ritter Volker«, sagte Freiherr Ingolf, »für diese prächtige Weise gebührt insbesondere Eurer goldenen Kehle Dank. Darum trinkt noch einen Becher Wein.« Volker hatte nichts dagegen. Für einen guten Tropfen war er immer empfänglich. Und der Wein, der hier auf der Klosterburg ausgeschenkt wurde, war gut. Einer der Getreuen des Freiherrn wollte Volkers Becher füllen. Aber der große Krug auf dem Tisch war leer. »Einen neuen Krug«, befahl Ingolf. »Oder wollt Ihr, daß unser
Gast verdurstet?« Eine Schankmagd huschte davon und kehrte wenig später mit dem wieder gefüllten Krug zurück. Jetzt endlich konnte Volker seinen Becher zum Mund führen. »Auf Euer Wohl, Baron Ingolf!« Volker trank. Und spuckte sofort wieder aus, was er im Mund hatte! »Pfui, Teufel«, stieß er hervor, während sich Gaumen und Zunge angewidert zusammenzogen. »Seit wann ist es Sitte, seinen Gästen puren Essig zu kredenzen?« Der Freiherr blickte ihn verblüfft an. »Essig? Wie kommt Ihr auf diesen Gedanken, Ritter Volker?« »Probiert selbst«, entgegnete Volker und deutete auf den noch wohlgefüllten Krug. »Gewiß!« Ingolf winkte der Schankmagd und ließ sich seinen eigenen Becher füllen. Dann trank er. Und spuckte ebenfalls. Aber anstatt nun empört oder wenigstens doch peinlich berührt zu sein, brach er in lautes Lachen aus. Ja, er konnte sich gar nicht wieder beruhigen und klatschte sich vor Vergnügen auf die Schenkel. »Das ist gut«, japste er. »Der Fuchs hat sich in seiner eigenen Falle gefangen.« Und wieder wollte er sich vor Lachen schier ausschütteln. Volker war ein Mann, der durchaus Sinn für Scherz und Narretei hatte. Jetzt jedoch konnte er gar nicht lachen. Und das um so weniger, als sich nun auch die anderen Klosterburger von der Heiterkeit ihres Herrn anstecken ließen und in sein Gelächter einfielen. Der Freiherr erkannte, daß sein Gast überaus verärgert war. »Verzeiht, Ritter Volker«, sagte er. »Aber es war gewiß nicht unsere Absicht, uns auf Eure Kosten zu belustigen. Es liegt ein Versehen vor. Die Magd hat lediglich das Faß verwechselt, aus dem sie den Krug abfüllte. Dieser saure Wein war nicht für Euch, sondern
für jemand anderen bestimmt.« Volker rang sich jetzt doch ein Lächeln ab. Wenn es sich tatsächlich nur um ein Versehen handelte, sollte man nicht nachtragend sein. »Für wen war dieses abscheuliche Gebräu denn wirklich bestimmt?« erkundigte er sich. Ganz plötzlich wurde Ingolf ernst. »Darüber wollen wir nicht sprechen«, sagte er ziemlich kurz. Dann wies er die Magd an, einen neuen Krug Wein zu holen. Diesmal aber vom richtigen. Als Volker eine Weile später die Klosterburg verließ, hatte er den Vorfall mit dem sauren Wein fast schon wieder vergessen. Fast... * »Was tut Ihr hier, Ritter?« Drohend standen die drei Gräflichen vor Roland, die Spitzen ihrer Schwerter auf seine Brust gerichtet. Unwillkürlich fuhr Rolands Rechte zur Hüfte, verhielt jedoch auf halbem Wege. Er besaß ja gegenwärtig gar kein Schwert, konnte sich also nicht gebührend zur Wehr setzen. Eingeschüchtert fühlte er sich aber dennoch nicht. »Ich liebe es gar nicht, wenn mich einer mit der blanken Waffe bedroht«, sagte er scharf. »Und wir lieben es gar nicht, wenn einer den Weisungen unseres Herrn zuwiderhandelt«, bekam er zur Antwort. »Was habt Ihr bei Thegan gemacht?« »Nichts«, erwiderte Roland wahrheitsgemäß. »Nichts? Was heißt das?« »Ich habe Euren Goldmacher gar nicht gesprochen. Er hat mir nicht geöffnet. Vielleicht ist er auch gar nicht in seinem Bau.« Die drei Ritter glaubten ihm offenbar nicht. »Davon werden wir uns überzeugen«, sagte der eine. »Und Ihr kommt mit uns!«
»Ganz wie es Euch beliebt.« Eine Fackel wurde entzündet, dann betraten die vier Männer den Turm. Zu Rolands Mißfallen hatten die Güldenburger ihre Schwerter nicht wieder in die Scheiden zurückgesteckt. Ihr Argwohn ihm gegenüber schien sehr groß zu sein. Es stellte sich dann heraus, daß die drei nicht mehr Glück hatten als er. Der Alchimist gab keine Antwort auf ihr Klopfen. Und natürlich öffnete er auch die Tür nicht. »Das hätte ich Euch gleich sagen können«, meinte der Ritter mit dem Löwenherzen anzüglich. Die drei Ritter redeten leise miteinander und kamen zu der Auffassung, daß es ratsam sei, Graf Heribert zu holen. Einer von ihnen entfernte sich, während die beiden anderen gemeinsam mit Roland vor der verschlossenen Tür warteten. Es dauerte gar nicht lange, dann kam der Burgherr. In seiner Begleitung befanden sich noch zwei weitere seiner Getreuen. Wieder wurde an die Tür geklopft, wieder wurde Thegans Name laut gerufen. Aber der Alchimist meldete sich auch jetzt noch nicht, obwohl Graf Heribert höchstpersönlich seine Stimme erschallen ließ. Der Burgherr blickte Roland mit gefurchter Stirn an. »Was habt Ihr mit ihm gemacht - ihn umgebracht?« »Was?« Roland glaubte, nicht richtig gehört zu haben. »Ich meine, was ich sagte!« Roland lachte auf. »Ihr müßt scherzen, Graf Heribert! Warum sollte ich Thegan umgebracht haben?« »Ihr mißgönnt mir meinen Goldmacher!« »Ich mißgönne Euch ... ?« »Nicht Ihr persönlich vielleicht. Wohl aber der Herr von Camelot, in dessen Diensten Ihr steht. Artus kann es nicht ertragen, daß es jemanden gibt, der es an goldener Pracht mit ihm aufnehmen kann.« Wieder mußte Roland lachen. »Verzeiht, Graf Heribert, aber es fällt mir schwer, meine Erheiterung zu verbergen. König Artus ist ein Mann, der über Dinge wie Neid und kleine Eifersüchteleien erhaben ist. Es ist geradezu lächerlich ...«
»Lächerlich?« echote der Graf. »Ritter, Ihr wißt wohl nicht, wen Ihr vor Euch habt?! Was ich sage, ist niemals lächerlich!« Bevor Roland etwas erwidern konnte, wandte er sich an seine Getreuen: »Sucht überall in der Burg nach Thegan. Und wenn ihr ihn nicht findet, dann brecht die Tür auf!« Die Suche, an der sich nahezu alle Burgbewohner beteiligten, war alsbald abgeschlossen. Das Ergebnis war nicht dazu angetan, Rolands Herz vor Freude hüpfen zu lassen. Nirgendwo hatte sich auch nur die kleinste Spur von dem Alchimisten finden lassen. Die Tür wurde aufgebrochen, die Räumlichkeiten des alten Mannes durchsucht. Und noch immer keine Spur von ihm! Drohend trat der Graf auf Roland zu. »Legt ein Geständnis ab, Ritter! Was habt Ihr mit Thegan gemacht? Ihn ebenfalls ermordet und heimlich verschwinden lassen?« »Ebenfalls?« »Noch ein zweiter Mann wird vermißt«, erklärte Heribert. »Ein Mann, der meine Schatzkammer bewachte!« Der Unmut wallte in Roland hoch wie siedendes Wasser. »Nun und, was ficht mich das an? Wie kommt Ihr ernstlich darauf, daß ausgerechnet ich... ?« »Das sagte ich Euch bereits. Ihr neidet mir meinen Reichtum! Und findet Ihr es nicht selbst merkwürdig, daß Thegan und der Wächter gerade in der kurzen Zeit verschwanden, die Ihr auf der Güldenburg weilt?« »Ein dummer Zufall, mehr nicht«, verwahrte sich der Ritter mit dem Löwenherzen gegen die grotesken Vorwürfe. »Dann war es auch ein Zufall, daß Euch meine Getreuen vor der Tür Thegans fanden? Heimlich und im Schutz der Dunkelheit hattet Ihr Euch an ihn herangemacht...« »Reden wollte ich mit ihm, nichts sonst! Und wer etwas anderes behauptet, ist ein Lügner. Eine Ehrabschneidung, wie sie mir hier zuteil wird, nehme ich nicht ungestraft hin.« »So, so«, sagte der Burgherr spöttisch, »wie stellt Ihr Euch denn
eine solche Bestrafung vor?« Der offenkundige Spott des Grafen reizte Rolands heißes Blut noch mehr, als es ohnehin schon der Fall war. »Wenn Ihr Eure ungeheuerlichen Anschuldigungen nicht zurücknehmt, fordere ich Euch zum ritterlichen Zweikampf!« sagte er entschlossen. Heribert lachte. »Ihr lacht?« stellte Roland erbost fest. »Das Lachen wird Euch vergehen, wenn Ihr vor mir im Staub liegt und mich anfleht, Euer Leben zu schonen!« »Ihr müßt toll sein«, erwiderte Graf Heribert kopfschüttelnd. »Glaubt Ihr allen Ernstes, daß sich ein Mann wie ich mit einem hergelaufenen Ritter wie Euch duelliert?« »Hergelaufener ... ?« Vor Empörung versagte Roland die Stimme. »Hergelaufener Strauchritter, ganz recht!« Das war zuviel für den Ritter mit dem Löwenherzen. Als hergelaufenen Strauchritter hatte ihn noch niemand bezeichnet. Und das ließ er sich auch von einem Grafen nicht bieten. Bevor ihn irgend jemand daran hindern konnte, machte er zwei schnelle Schritte nach vorne, holte aus und versetzte dem Burgherrn eine schallende Ohrfeige. »So«, sagte er befriedigt. »Nun werdet Ihr vielleicht doch darauf brennen, Euch mit mir zu duellieren!« Eine Ohrfeige war die größte Beleidigung, die einem Mann von Stande widerfahren konnte. Für diese Schmach gab es nur eine Genugtuung, nur eine Sühne. Blut! Und danach stand jetzt auch der Sinn .des Grafen. Seine Augen funkelten wie glühende Holzkohlen, seine Hände zitterten vor innerer Erregung. »Das zahlt Ihr mit Eurem Blute«, zischte er. »Aber Euer Blut wird nicht im Sand des Gefechtsrings fließen, sondern auf dem Richtblock des Henkers!« Der Graf wandte sich an seine Getreuen, die sich bisher nicht
eingemischt hatten. »Packt ihn, und werft ihn ins Verlies!« Fünf Männer schlossen einen Ring um Roland, den der Ritter mit dem Löwenherzen nicht durchbrechen konnte. Hätte er sein Schwert besessen, wäre er dennoch versucht gewesen, sich mit der Klinge eine Gasse zu bahnen. So jedoch erstickten die Güldenburger seinen Widerstand im Keime. Binnen kürzester Zeit war er überwältigt. * Zwar war Volker vom Hohentwiel schon ein paarmal im Frankenland gewesen. Die Güldenburg hatte er aber noch nie aufgesucht. Deshalb war es ihm ganz recht, wenn er unterwegs jemanden traf, den er nach dem Weg fragen konnte. Ein Pferdefuhrwerk kam ihm entgegen. Der Wagen war mit Fässern beladen, und auf dem Bock saßen zwei Männer, der eine vornehm und würdig gekleidet, der andere in derber Kluft. Ein Herr vom Stande und sein Kutscher, wie es schien. Das Fuhrwerk preschte heran, als gelte es, ein Wagenrennen zu gewinnen. Den beiden Pferden stand der Schaum vor dem Maul. Dennoch drosch der Kutscher mit der Peitsche auf die Tiere ein, um sie zu noch schnellerer Gangart zu bewegen. Als der Wagen fast heran war, zügelte Volker sein Reittier und hob die Hand. »Auf ein Wort ...« Die beiden Männer beachteten ihn gar nicht, jagten mit ihrem Wagen an ihm vorbei, als sei er gar nicht da. Eine Staubwolke hüllte Volker ein, und als sich diese wieder lichtete, war das Fuhrwerk bereits ein ganzes Stück entfernt. Kopfschüttelnd blickte Volker hinterher. Eine solche Unhöflichkeit war ihm höchst selten untergekommen. Eigentlich gab es nur eine Erklärung für die wilde Hast der beiden Männer auf dem Kutschbock: Sie wurden von irgend jemandem verfolgt. Davon konnte jedoch keine Rede sein. Als Volker seinen Weg
fortsetzte, begegnete ihm niemand, der Jagd auf den Wagen machte. Mit einem abermaligen Kopfschütteln ritt er weiter. Bald traf er ein paar Bauern auf dem Feld, die weniger unhöflich waren. Bereitwillig und freundlich beschrieben sie ihm den weiteren Weg zu seinem Ziel. Es war Nachmittag, als Volker schließlich die Güldenburg vor sich sah. Er hatte schon mehr Burgen in seinem Leben gesehen als die meisten anderen Menschen. Der Herrschaftssitz des Grafen Heribert machte auf den ersten Blick keinen besonderen Eindruck auf ihn. Sie lag auf einem kleinen Hügel, der nicht einmal sonderlich steil anstieg. Dennoch konnte man sie mit Fug und Recht als uneinnehmbar bezeichnen. Von drei Seiten fielen die Felsen schroff ab, unmittelbar bis zum Ufer des Mains, der am Fuß des Hügels vorbeifloß. Volker lenkte sein Pferd den einzigen Weg hinauf, der zu der Burg führte. Vor dem breiten Wassergraben hielt er. Zwei Wächter auf der Burgmauer wandten sich ihm zu. »Wer seid Ihr? Und was ist Euer Begehr?« »Mein Name ist Volker vom Hohentwiel. Vielleicht habt Ihr schon einmal von mir gehört.« »Nein«, schallte es zurück. Hohle Tröpfe, dachte Volker. Vom Minnegesang schienen sie keine Ahnung zu haben. Hier im Frankenland hielt man es wohl mehr mit der Völlerei und dem Saufen als mit der hehren Kunst, zu deren hervorragendsten Vertretern er sich zählen durfte. »Euer Begehr?« wurde er abermals gefragt. »Ich suche einen Mann namens Roland, den man den Ritter mit dem Löwenherzen nennt.« »Roland?« »So ist es.« Die beiden Wächter tauschten einen Blick, der Volker gar nicht gefallen wollte. »Seid Ihr etwa ein Freund von diesem Roland?« wurde er gefragt. Etwas in der Stimme des Mannes und der Blick, den er soeben mit
dem anderen getauscht hatte, ließen eine Alarmglocke in Volkers Innerem anschlagen. Normalerweise hätte er keine Sekunde gezögert, Roland als seinen Freund zu bezeichnen, als seinen besten Freund sogar. Jetzt jedoch hielt er Zurückhaltung für das Gebot des Augenblicks. »Ein Freund?« wiederholte er deshalb gedehnt. »So würde ich es nicht nennen.« »Euer Glück, Ritter! Einen Freund dieses Hundsfotts würden wir hier gar nicht gerne sehen.« »Hundsfott!« Das war hart. Wenn ein Ritter einen anderen als Hundsfott bezeichnete, mußten gewichtige Gründe vorliegen. Alles sprach dafür, daß sieh Roland auf der Güldenburg höchst unbeliebt gemacht hatte. Warum? Noch wußte es Volker nicht. Aber er würde alles daran setzen, es alsbald herauszufinden. »Ist jener Roland nun auf der Güldenburg, oder ist er es nicht?« erkundigte er sich. »Ja, er ist hier.« »Gut«, nickte Volker. »Ich habe nämlich noch ein Hühnchen mit dem Kerl zu rupfen.« Während er diese abfälligen Worte sagte, kam er sich ein bißchen wie Jünger Judas vor, der seinen Herrn verraten hatte. Aber in der gegenwärtigen Situation war Roland damit zweifellos am besten gedient. Ein rauhes Lachen der beiden Burgwächter war die Antwort auf seine Worte. »Zum Hühnchenrupfen werdet Ihr wohl nicht mehr kommen. Aber wenn es Euch Vergnügen bereitet, den Kopf Rolands rollen zu sehen, dann seid Ihr auf der Güldenburg gerade richtig!« Wenig später wurde die Zugbrücke heruntergelassen und Volker vom Hohentwiel eingelassen.
*
»Macht Euch noch eine schöne Nacht, bevor Ihr zu den Engelein gerufen werdet!« Das waren die Worte der Güldenburger gewesen, als sie Roland in das Verlies hineinstießen. Zuerst hatte der Ritter mit dem Löwenherzen gar nicht gewußt, was die Worte bedeuten sollten. Sie waren ihm wie blanker, ätzender Hohn vorgekommen. Dann jedoch hatte er gemerkt, daß er nicht allein in seinem Gefängnis war. Es gab einen Leidensgefährten. Genauer gesagt, eine Leidensgefährtin. »Wer seid Ihr?« drang eine schwache weibliche Stimme an sein Ohr. Etwas mühsam richtete sich Roland auf. Die Güldenburger waren nicht sehr zart mit ihm umgegangen und hatten ihn recht roh auf die harten Steinplatten geschleudert. Alle seine Glieder schmerzten miteinander um die Wette. »Roland ist mein Name«, sagte er. »Und wer seid Ihr?« »Ich heiße Thilde.« »Thilde«, wiederholte der Ritter mit dem Löwenherzen. »Das ist ein sehr schöner Name. Er fragte sich, ob das Mädchen genauso schön war, wie ihr Name versprach. Sehen konnte er seine Leidensgefährtin nicht, denn in dem fensterlosen Verlies war es stockfinster. »Was habt Ihr verbrochen, daß man Euch hier eingesperrt hat?« erkundigte er sich. »Nichts«, bekam er zur Antwort. »Hm«, brummte Roland, »dann geht es Euch wie mir. Fragen wir anders: Was wirft man Euch vor?« »Auch nichts!« »Auch nichts?« Roland runzelte die Stirn, was das Mädchen in der Dunkelheit natürlich nicht sehen konnte. »Mein einziges Verbrechen ist es, die Tochter eines Mannes zu sein, den Graf Heribert zwingt, ihm zu Willen zu sein. Wenn sich mein Vater unbotmäßig erweist, muß ich es... bitterlich .. . büßen.«
Die letzten Worte gingen in einem herzzerreißenden Schluchzen unter. Roland konnte es nicht ertragen, wenn eine Frau weinte. Er erhob sich aus seiner sitzenden Stellung und tastete sich in die Verliesecke vor, wo er das Mädchen vermutete. Das Schluchzen war wie ein Wegweiser. Er fand die junge Frau und ließ sich neben ihr nieder. »Nicht weinen«, sagte er leise und streckte die Hand aus. Er berührte den Oberarm des Mädchens und streichelte dann begütigend ihre Schulter. Schon nach wenigen Augenblicken stutzte er. Was war das? Unter dem dünnen Stoff spürte er zarte, samtweiche Haut. Auf dieser Haut jedoch... Rauhe, schorfige Stellen. »Was ist das?« fragte er mit belegter Stimme. »Striemen«, antwortete Thilde, die sich jetzt langsam wieder beruhigte. Genau das hatte Roland schon vermutet. »Woher kommen diese Striemen?« wollte er wissen. »Ich sagte Euch schon, daß der Graf mich als Druckmittel gegen meinen Vater einsetzt. Wenn er mit ihm unzufrieden ist, läßt er mich peitschen. Und mein Vater muß dabei zusehen.« Roland atmete schwer. Er hatte große Mühe, seine helle Empörung zu zügeln. »Das ist... schändlich«, stieß er hervor. »Niemals hörte ich von einer solchen Schurkerei!« »Ja«, sagte das Mädchen, »Heribert ist ein übler Schurke, auch wenn er in den Kreisen der Hochgestellten als ein Mann von vorbildlicher ritterlicher Gesinnung gilt.« Von vorbildlicher ritterlicher Gesinnung konnte wahrlich keine Rede sein. Das hatte Roland bereits am eigenen Leibe verspürt. Was der Graf jedoch diesem bedauernswerten Mädchen antat ... »Wer ist Euer Vater?« fragte er. »Mein Vater heißt Thegan.« »Thegan, der Goldmacher?« »Ja.«
Langsam begann Roland zu verstehen. Graf Heribert zwang den alten Mann, Gold herzustellen, wieder und immer wieder. Und wenn Thegan nicht genug von dem edlen Metall herbeischaffte, dann munterte er ihn auf, indem er seine Tochter grausam quälte. Natürlich war dies auch der Grund, der Thegan veranlaßt hatte, die Einladung nach Camelot abzulehnen. Und nun war Thegan verschwunden! Würde Thilde dies büßen müssen? Wenn Heribert zu der Überzeugung kam, daß sein Goldmacher von der Güldenburg geflohen war, würde er sich gewiß an seiner Tochter rächen wollen. Aber nach Lage der Dinge konnte sich Roland eigentlich nicht vorstellen, daß Thegan wirklich die Flucht ergriffen hatte. Die Sorge um seine hilflose Tochter hätte ihn bestimmt daran gehindert. Roland konnte nur hoffen, daß auch der Graf diese Überlegungen anstellte. Um das Mädchen nicht zu beunruhigen, entschloß er sich, ihr nichts vom spurlosen Verschwinden ihres Vaters zu berichten. Wahrscheinlich würde sie es noch früh genug erfahren. Und zwar unter Umständen, die alles andere als erfreulich sein mußten. »Warum seid Ihr hier, Roland?« übernahm Thilde jetzt ihrerseits die Rolle der Fragenden. Roland sagte es ihr, wobei er es tunlichst vermied, die Person ihres Vaters zu erwähnen. »Oh, Ihr armer Mensch«, sagte Thilde, als er zum Abschluß gekommen war. »Dann seid Ihr ja dem Tode geweiht. Wie ich den Grafen kenne, wird er keine Gnade walten lassen.« Nun war es an ihr, Trost zu spenden. Sie legte den Arm um Roland und drückte ihn an sich. Roland spürte den warmen, weichen Frauenkörper, und trotz der widrigen Verhältnisse merkte er, wie die Erregung in ihm aufstieg. Er wußte nicht, wie Thilde aussah, wußte nicht, ob sie schön war wie eine blühende Rose oder häßlich wie ein Nachtschattengewächs, das das Licht des Tages scheute, aber das spielte jetzt keine Rolle. Sie war eine Frau, vielleicht die letzte Frau, die er in seinem Leben berühren konnte.
Er rückte noch ein Stückchen näher heran und zog Thilde in seine starken Arme. Sie leistete keinen Widerstand, ließ es willig geschehen. Ihr Körper wurde noch weicher, noch nachgiebiger. Sanft strich Roland über ihr Haar. Es war lang und fühlte sich an wie Seide. Langsam wanderte seine Hand in ihren Nacken, fand die Knöpfe ihres Kleides. Wie von selbst sprangen die Knöpfe auf, wie von selbst glitt das Kleid über ihre Schultern. Und noch immer leistete Thilde keinen Widerstand. »Oh, Roland«, flüsterte sie mit bebender Stimme. Aber diesmal bebte sie nicht vor Gram und Kummer. Roland zog sie noch näher an sich. Sein Mund fand ihren Mund. Die Lippen verschmolzen miteinander, und die Zungen begannen ihr erregendes Liebesspiel. Sanft glitten Rolands Hände über den Mädchenkörper, die glatten Schultern, die vollen, wohlgeformten Brüste, die vollendet geschwungenen Hüften, das weiche Lockenhaar zwischen ihren Beinen. Und auch Thildes Hände blieben nicht untätig. Mit einer Geschicklichkeit, die ihn erstaunte und entzückte, entkleidete sie ihn, bis er ebenso nackt war wie sie selbst. Dann fanden sich ihre Körper und vereinigten sich. Daß unter ihnen kein weiches Lager, sondern fauliges, granniges Stroh war, störte sie nicht im mindesten. Und auch die Nähe des Todes, der sie beide unerbittlich bedrohte, kümmerte sie nicht. Jetzt waren sie glücklich und fühlten sich wie im siebten Himmel. Wahrscheinlich zum letzten Mal in ihrem noch so jungen Leben ... * »Nein...«, sagte Graf Heribert, »...es wird nicht möglich sein, mit dem Ritter Roland zu reden. Morgen, wenn sein Kopf auf dem Richtblock liegt, sollt Ihr Gelegenheit bekommen, Euer Mütchen an ihm zu kühlen. Ich stelle es Euch frei, dem Kerl noch einmal gar kräftig in den Hintern zu treten!«
»Ich danke Euch für Eure Großzügigkeit«, sagte Volker vom Hohentwiel. Und da er freundlich dabei lächelte, hatte der Graf auch nicht das Gefühl, daß ihn sein Gast ein wenig verspottete. »Darf man fragen, warum Ihr einen solchen Haß auf den Ritter in Eurem Busen nährt?« erkundigte sich Heribert. »Gewiß, gewiß«, antwortete Volker. »Er hat mich zutiefst beleidigt - und das vor dem Angesicht einer hochstehenden Dame.« »Eine gemeine Tat, die ohne Frage Sühne verdient«, nickte Graf Heribert. Wieder kam sich Volker ein bißchen wie Judas vor. Er hatte aber keine Zeit, sein schlechtes Gewissen zu pflegen, denn es fiel ihm noch etwas ein. Bestimmt waren auch Louis und Pierre noch auf der Güldenburg. Und wenn der Burgherr beschlossen hatte, ihren Herrn töten zu lassen, so war nicht auszuschließen, daß er an Sippenhaft dachte und auch den beiden Getreuen Rolands ein böses Schicksal zudachte. »Außerdem«, fuhr Volker deshalb fort, »hat mich dieser Roland noch anderweitig schmählich hintergangen. Er nahm mir mein Pferd, entlistete mir mein Pferd beim betrügerischen Würfelspiel und preßte meine beiden Knappen Pierre und Louis in seine Dienste.« »Ein kleiner Dicker und ein schlanker Schwarzhaariger?« »Eben diese beiden. Sind sie hier auf der Güldenburg?« »Ja.« »Hättet Ihr etwas dagegen, wenn ich die beiden wieder in meine Dienste nehme?« Er bemerkte des Grafen Zögern und fuhr schnell fort: »Nur ungerne sind sie dem Roland gefolgt, denn in Wahrheit waren sie mir stets treu ergeben. Allein wegen des verlorenen Würfelspiels mußte ich sie mit dem Betrüger ziehenlassen.« Zunächst zögerte Heribert wieder, dann jedoch nickte er langsam und bedächtig. »Wenn die Dinge so liegen, so sollt Ihr zurückbekommen, was Euch gehört. Ich habe nichts dagegen.« »Sehr großzügig von Euch«, erwiderte Volker, und diesmal meinte
er es in keiner Weise spöttisch. Anschließend erkundigte er sich dann noch, aus welchem Grund der Graf eigentlich entschieden hatte, daß Rolands Kopf rollen sollte. »Dieser Ritter, den man den mit dem Löwenherzen nennt, hat zwei meiner Getreuen ermordet«, bekam er zur Antwort. »Und darüber hinaus hatte er die Kühnheit, mir eine ... äh ... mich dreist zu beleidigen. Er hat den Tod mehrfach verdient!« Dies bezweifelte Volker vom Hohentwiel auf das entschiedenste. Er kannte Roland gut und wußte genau, daß der Freund gar nicht fähig war, einen Mord zu begehen. Wenn Roland einen Menschen tötete, dann geschah dies entweder im ritterlichen Kampf oder aber, um sein eigenes Leben zu schützen. Er hütete sich jedoch, diese Gedanken, die dem Grafen bestimmt nicht gefallen hätten, laut werden zu lassen. Er empfahl sich dem Grafen und machte sich dann auf die Suche nach Pierre und Louis. Die beiden hatten mittlerweile Kenntnis von seiner Ankunft bekommen und warteten bereits unten im Burghof auf ihn. Als er nach draußen trat, stürmten sie sofort auf ihn los. Der dicke Pierre war so aufgeregt, wie ihn Volker selten erlebt hatte. Von seiner sprichwörtlichen Ruhe und Gemütlichkeit konnte jetzt keine Rede sein. »Ritter Volker, Euch schickt der Himmel«, stieß er hervor. »Habt Ihr schon gehört, daß unser Herr im Verlies schmachtet und morgen geköpft werden soll?« »Und ob ich das gehört habe«, bestätigte Volker. »Ich kann es kaum erwarten, den Kopf des Schmählichen rollen zu sehen!« Pierre wurde blaß. »Ihr könnt es kaum erwarten ... ?« Volker durchbohrte ihn förmlich mit seinen Blicken. Merkte der einfältige Bursche denn nicht, daß es jetzt vonnöten war, den Güldenburgern eine Posse vorzuspielen? Louis, der aufgeweckter und schneller mit den Gedanken war als sein träger Freund, merkte es. Unauffällig hieb er Pierre seinen Ellenbogen in die Rippen und brachte ihn dadurch zum Schweigen.
Schnell sprach Volker weiter. »Wenn der Ritter Roland nicht mehr unter den Lebenden weilt, braucht ihr nicht länger Fronarbeit für ihn zu leisten. Wenn Ihr wollt, nehme ich Euch wieder in meine Dienste. Dann ist alles wieder so, wie es war, bevor mich der Arglistige mit seinen gezinkten Würfeln zwang, Euch in seine Obhut zu geben.« Louis verstand sofort, auf was er hinauswollte. Es gelang ihm sogar, ein hocherfreutes Lächeln auf seine Züge zu zaubern. »Läge der Kopf des Roland doch bereits auf dem Richtblock«, sagte er so laut, daß es jeder, der sich in Hörweite befand, deutlich hören konnte. »Ihr wißt gar nicht, wie sehr wir den Tag bedauert haben, an dem wir aus Euren Diensten scheiden mußten. Wir würden uns glücklich schätzen, wenn wir wieder mit Euch ziehen dürften.« Braver Bursche, dachte Volker. Mit einem Mann wie ihm konnte man ein Herzogtum aus den Angeln heben. Auch Pierre hatte jetzt begriffen, wie die Dinge standen. »Möge der Ritter Roland in der tiefsten Hölle schmoren«, stieß er hervor. »Wenn ich daran denke, wie er mich geplagt hat, indem er mich von einem Abenteuer zum nächsten schleppte ...« Gequält verdrehte er die Augen. Und dabei brauchte er nicht einmal zu schauspielern, denn die Klage kam ihm wirklich aus tiefstem Herzen. * Die Begeisterung auf dem Hof der Klosterburg war groß, als ein ganz bestimmtes Faß vom Wagen gehoben und geöffnet wurde. Der Freiherr Ingolf ließ es sich nicht nehmen, selbst mit Hand anzulegen, als das Faß »entleert« wurde. Thegan, der Goldmacher, nach wie vor geknebelt und an Händen und Füßen gefesselt, war ein erbarmungswürdiges Häuflein Mensch. Aber das nahmen der Burgherr und seine Getreuen gar nicht zur Kenntnis. Für sie zählte nur eins: Sie hatten es geschafft, Graf Heriberts Goldesel zu entführen. »Nehmt ihm den Knebel und die Stricke ab«, befahl der Freiherr.
Seine Anweisung wurde unverzüglich ausgeführt. Aber obwohl der alte Mann jetzt seine Bewegungsfreiheit wiedergewonnen hatte, blieb er im Staub des Burghofs liegen. »Ihr habt ihn doch nicht etwa ersticken lassen?« fragte Ingolf mit einer Stimme, in der sich die schlimmsten Befürchtungen ausdrückten. Der blonde Sven, der die Fesseln des Goldmachers gelöst hatte, schüttelte den Kopf. »Macht Euch keine Sorgen, Herr Baron«, sagte er beruhigend. »Der Alte lebt. Er scheint nur völlig am Ende seiner Kräfte zu sein. Das sollte uns nicht weiter wundern. Wenn einer von uns eine halbe Nacht und einen halben Tag in diesem Faß gesteckt hätte . ..« »Ein Eimer Wasser wird ihn schnell wieder auf die Beine bringen«, schlug Waldemar vor. Sein Vorschlag fand den Beifall des Freiherrn. Er gab Anweisung, einen Bottich zu holen. Der Bottich wurde gebracht und über dem alten Mann ausgeschüttet. Und der Erfolg der brachialen Behandlungsweise blieb nicht aus. Prustend und spuckend fuhr er hoch, blickte sich nach allen Seiten um. Verwirrung prägte sein Mienenspiel. Er schien noch gar nicht richtig zu begreifen, was um ihn herum vor sich ging. Der Freiherr trat auf ihn zu, blieb vor ihm stehen. »Steh auf, Thegan«, befahl er. Mühsam rappelte sich der alte Mann auf. Er hatte große Schwierigkeiten mit den Beinen, die ihm mehrmals wegzuknicken drohten. Schließlich stand er aber doch auf seinen Füßen, wenn auch schwankend und voller Unsicherheit. »Kennst du mich, Thegan?« Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Nun, dann will ich es dir sagen«, fuhr der Burgherr fort. »Ich bin Freiherr Ingolf von der Klosterburg, und du siehst in mir deinen neuen Dienstherrn. Hast du mich verstanden?« »Meinen neuen Dienst... ?«
»So ist es! Ich trete an die Stelle von Graf Heribert. Von nun an wirst du deine Kunst für mich ausüben.« Der alte Mann bekam große Augen. »Ich soll für Euch... Gold machen, Herr?« »Was sonst?« »Aber ...« Unruhig trat Thegan von einem Bein auf das andere. »Aber?« fragte Ingolf scharf. »Ich ... Ich kann doch gar kein Gold machen«, platzte es aus dem alten Mann heraus. Ingolf lachte. »Wirklich nicht? Ich glaube, daß Graf Heribert da ganz anderer Ansicht ist.« Die umstehenden Getreuen des Freiherrn nickten beifällig. »Graf Heribert ist ein ahnungsloser Tropf«, fuhr Thegan fort. »Ich habe ihn seit Jahren getäuscht, habe ihm wieder und immer wieder Sand in die Augen gestreut. Er glaubt, daß er durch mich zu märchenhaftem Reichtum gekommen ist. Dabei hat er in all den Jahren nicht eine einzige Unze Gold von mir erhalten.« Ingolfs Augen verengten sich. »Willst du mich an der Nase herumführen, Alter? Sei gewarnt! Es mag ehrenvoll sein, deinem alten Dienstherrn auch jetzt noch die Treue zu bewahren. Aber du solltest wissen, daß ich auf Ehre pfeife. Du tust, was ich verlange, oder es geht dir schlecht.« »Sehr schlecht«, warf der blonde Sven ein. Und wieder nickten alle übrigen Klosterburger beifällig. Mit zuckenden Augenlidern blickte der Goldmacher von einem zum anderen. Er wollte etwas sagen, ließ es dann aber doch sein. »Gut, daß du keinen weiteren Widerspruch erhebst«, sagte der Freiherr befriedigt. »Alles, was du benötigst, steht bereit. Nur eins mußt du uns noch verraten: Woraus machst du das Gold? Aus Steinen, aus Dreck oder aus den Tautropfen des jungen Morgens, wie ich einst von einem anderen Vertreter deiner Zunft hörte?« »Alles falsch«, sagte Thegan und seufzte. »Ich mache mein Gold aus der Scheiße räudiger Hunde!« Sogleich gab Freiherr Ingolf seinen Getreuen den Befehl, auf Hundejagd zu gehen.
*
Es war wieder Abend geworden auf der Güldenburg. Volker, von Pierre und Louis in alles eingeweiht, was sich abgespielt hatte, wartete geduldig darauf, daß sich die Burgbewohner zum Schlafen niederlegten. Er hatte sich in das Gästezimmer zurückgezogen, das ihm zugewiesen worden war, und dachte über die Launen des Schicksals nach. In der vergangenen Nacht noch hatte Roland auf diesem Lager gelegen. Und nun hockte sein Freund in einem finsteren Verlies und harrte dem Morgen, der ihm den Tod bringen sollte. Dazu jedoch wollte es Volker nicht kommen lassen. Soweit es in seiner Macht stand, hatte er alle Vorbereitungen getroffen, um den Ritter mit dem Löwenherzen zu retten. Wie alle, die die Güldenburg besuchten, war auch er seines Schwertes entledigt worden. Aber er hatte es geschafft, sich heimlich in den Besitz einer anderen Klinge zu bringen. Der betrunkene Güldenburger, dem er sie entwendet hatte, würde den Verlust wohl erst bemerken, wenn er aus seinem Rausch erwachte. Die Stunden vergingen. Langsam wurde es ruhig innerhalb der Mauern. Nach und nach verlöschten die Lichter. Nur vereinzelt wurden noch Stimmen laut, dann ließen sich auch diese nicht mehr vernehmen. Volker wartete zur Sicherheit noch eine weitere halbe Stunde. Mitternacht war längst vorbei, als er sich schließlich von seinem Lager erhob. Er nahm das Schwert, das er unter den Decken verborgen hatte, und schob es in die leere Scheide. Dann verließ er auf leisen Sohlen das Zimmer und schlich hinunter auf den Burghof. Noch immer war und blieb alles ruhig. Bisher war niemand auf ihn aufmerksam geworden. Und so würde es hoffentlich auch bleiben. Volker legte beide Hände vor den Mund und ließ den Ruf eines Uhus erschallen - zweimal kurz hintereinander, dann eine kleine Pause, schließlich noch ein Ruf. Wieder wartete er.
Auf eine große Probe wurde seine Geduld allerdings nicht gestellt. Schon nach wenigen Augenblicken erschien eine schattenhafte Gestalt in seinem Blickfeld. »Ritter Volker?« »Hier bin ich«, antwortete Volker im Flüsterton. Louis, der treue Knappe Rolands, huschte an seine Seite. Auch er hatte sich bewaffnet - mit einem dicken Knüppel, den er schlagbereit in der Faust hielt. Die beiden Männer verloren keine Worte. Sie hatten ihr Vorgehen längst vorher abgesprochen. Und bisher gab es keinerlei Anlaß, ihre Pläne zu ändern. Sie drückten sich eng an die Gebäudewände, um den Wächtern auf der Burgmauer nicht aufzufallen, und schlichen los. Ihr Ziel war der niedrige, wie geduckt dastehende Bau neben dem Gesindehaus. In diesem Bau waren die Verliese untergebracht. Fast hatten sie ihr Ziel erreicht. Da jedoch traten zwei Gestalten aus der Tür des Gesindehauses. »Der Teufel hole sie«, knurrte Louis leise. Er und Volker preßten sich noch dichter gegen die Wand, versuchten regelrecht, mit dem Stein zu verschmelzen. Die beiden Gestalten aus dem Gesindehaus kamen genau auf sie zu. Auch sie bewegten sich vorsichtig und schleichend vorwärts. Was auch immer ihre Absichten sein mochten, ganz offensichtlich hatten sie ebenfalls das Licht zu scheuen. Wenige Körperlängen waren sie jetzt noch voneinander entfernt. Der Schein des Mondes, dessen blasses Gesicht von keinen Wolken verdeckt wurde, kam Volker auf einmal unerträglich hell vor. Wie es aussah, würde es sich kaum vermeiden lassen, daß die beiden anderen Männer sie entdeckten. Und da geschah es auch schon ... Ruckartig verhielten die beiden ihren Schritt. Wie gebannt standen sie da und starrten Volker und Louis an. Bevor sie aus ihrer Erstarrung erwachten, handelte der Knappe. Er machte einen Satz nach vorn, der jeder Katze zur Ehre gereicht hätte. Sein Knüppel schwang durch die Luft wie ein
Dreschflegel. Es gab ein dumpfes Geräusch, als der Knüppel den einen Mann traf. Dieser Güldenburger würde fürs erste nicht mehr in der Lage sein, Alarm zuschlagen. Wohl aber der andere. Schon öffnete er den Mund zum Schrei. Er kam aber nicht mehr dazu, ihn auszustoßen. Schnell wie der Wind war jetzt auch Volker heran. Mit der flachen Seite des Schwertes schlug er zu und traf den Mann seitlich am Kopf. Mit einem erstickten Aufstöhnen sackte der Güldenburger in sich zusammen und blieb neben seinem Begleiter liegen, der ebenfalls zu Boden gegangen war. Volker und Louis gefroren zu Statuen, als sie aufmerksam in die Nacht hineinlauschten. Laut war es nicht hergegangen in dem kurzen Handgemenge, aber auch nicht vollkommen geräuschlos. War jemand aufmerksam geworden - die Wächter auf der Mauer vielleicht? Es sah nicht danach aus. Einer der Posten kam jetzt in Volkers Blickfeld. Er patrouillierte weiter, ohne sich um das Geschehen auf dem Hof zu kümmern. Erleichtert atmete Volker auf. »Das ist gerade noch mal gutgegangen«, sagte er leise. »Fragt sich nur, was wir jetzt mit diesen beiden Burschen hier anfangen.« Eine Falte erschien auf Louis' Stirn. »Ich bin ja kein Freund von unnötigem Blutvergießen. Aber wenn es um meinen Herrn geht, bin ich zu allem bereit. Sollen wir die beiden nicht einfach ... ?« Er sprach nicht weiter, deutete nur auf das Schwert in Volkers Hand. Der Ritter und Minnesänger schüttelte den Kopf. »Wir können sie nicht abschlachten wie Tiere. Sie sind hilflos und ohne Bewußtsein und können sich nicht wehren. Wenn wir sie jetzt töten, wäre das schlimmer als ein gemeiner Meuchelmord.« »Ich gebe Euch recht, Ritter Volker, aber ...« »Wir nehmen sie einfach mit«, entschied Volker. »Dann können sie uns auch nicht verraten.« Gesagt, getan. Volker und Louis warfen sich die beiden
Güldenburger über die Schultern und schlichen dann weiter dem Verlies entgegen. Wenig später hatten sie ihr Ziel erreicht. Und noch immer hatten sie keine weitere Aufmerksamkeit erregt. Unbemerkt konnten sie mit ihren beiden Gefangenen in das Verliesgebäude schlüpfen. In dem Geschoß zu ebener Erde hielt sich nie jemand auf, das hatte Louis längst in Erfahrung gebracht. Unten jedoch, wo die Verliese untergebracht waren, gab es eine Wachstube, die auch ständig besetzt war. Weniger weil der Graf befürchtete, daß seine Opfer ausbrechen könnten. Er tat es mehr, um der guten alten Sitte zu genügen, daß ein Gefängnis nur dann ein Gefängnis war, wenn es bewacht wurde. Bevor sich Volker und Louis nach unten wagten, mußten sie sich ihrer Gefangenen entledigen. Beim Zusammentreffen mit den Wächtern würde es erforderlich sein, die Hände frei zu haben. So rissen sie aus der Kleidung der beiden Güldenburger ein paar Streifen heraus und fesselten die Männer damit. Ein weiterer Stoffstreifen verschloß den beiden den Mund. »Wir lassen sie einfach hier oben liegen«, raunte Volker seinem Gefährten zu. »Nachher können wir uns immer noch überlegen, was wir mit ihnen machen.« »Einverstanden«, gab der Knappe zurück. Wenig später machten sich Rolands Freunde an den Abstieg zu den Verliesen. Tief ging es hinunter, so tief, daß oben niemand zu hören vermochte, was unten geschah. Die peinliche Befragung von Opfern konnte somit das alltägliche Burgleben nicht weiter stören. Schon als Volker und Louis die letzten Stufen noch nicht bewältigt hatten, hörten sie die Wächter. Laute und wütende Stimmen schallten ihnen entgegen. »Pasch? Das war kein Pasch! Das waren eine gottverdammte Sechs und eine gottverdammte Fünf!« »Bist du blind, Johann? Es waren zwei Fünfen! Und wenn du weiterhin das Gegenteil behauptest, dann schlage ich dir deinen hirnlosen Schädel ein!«
Die Wächter stritten sich beim Würfeln. Keine Frage, daß sie für etwas anderes jetzt weder Augen noch Ohren hatten. Volker und Louis sollte es recht sein, mehr als recht sogar. Gänzlich ohne Schwierigkeiten konnten sie sich der Tür der Wachstube nähern. Diese stand spaltbreit offen, ließ einen Streifen flackernden Lichts nach draußen fallen. »Kein Pasch, sage ich«, entrüstete sich die eine Stimme. »Und ich sage zwei Fünfen, sei's getrommelt oder gepfiffen«, lautete die Antwort. »Ich stopfe dir das gottverdammte Lügen ...« Weiter kam der Wächter nicht. Volker hatte ruckartig die Tür aufgestoßen. Schon standen er und Louis im Rahmen, Schwert und Knüppel drohend erhoben. Drei Wächter waren es, die an einem klobigen Holztisch saßen und die Würfel tanzen ließen. Jetzt starrten sie zur Tür, als seien dort zwei leibhaftige Gespenster erschienen. Volker und Louis waren in Sekundenschnelle am Tisch. »Wer Widerstand leistet, hat sein Leben verwirkt«, sagte der Ritter unmißverständlich. Einer der Güldenburger glaubte es nicht. Er sprang auf, versuchte, nach einem langen Messer zu greifen, das er an der Hüfte trug. Louis schlug zu, kurz und trocken. Der Wächter stürzte rücklings von seinem Stuhl und blieb reglos auf den Steinen liegen. Die beiden anderen hatten ihre Lehre bezogen. Sie machten keine Anstalten, sich ebenfalls zur Wehr zu setzen. »Was ... wollt ihr?« preßte der eine hervor. »Den Ritter Roland«, antwortete Volker ohne Umschweife. »Ihr wollt ihn befreien?« Volker lächelte. »Wollen wir das wirklich? Nimm einfach an, wir neiden dem Grafen das Vergnügen, dem Gefangenen den Schädel abzuschlagen. Nimm an, wir hätten selbst Freude daran, ihn einen Kopf kürzer zu machen.« Sein Lächeln verflüchtigte sich. »Kein langes Gerede! Wo steckt der Ritter?«
Als die Wächter zögerten, ließ er die Klinge auf den Tisch niederkrachen. Die Holzplatte zersprang in zwei Hälften, die langsam nach links und rechts wegkippten. »Wenn ich noch lange warten muß, kann dasselbe mit euren störrischen Köpfen passieren«, sagte er beinahe heiter. Diese freundliche Warnung genügte. Die Wächter beeilten sich jetzt, ihm gefällig sein zu dürfen. Augenblicke später standen die Männer zu viert vor einer Verliestür. »Hier ist es«, gab der eine Wächter bekannt. Volker war von Natur aus ein argwöhnischer Mensch. Bevor er etwas blind glaubte, überzeugte er sich lieber erst. Ganz dicht trat er an die Tür heran. »Roland?« rief er dann. »Roland, hörst du mich?« Mehrere Herzschläge lang blieb es auf der anderen Seite der Tür ganz ruhig. Dann wurden drinnen Schritte hörbar. »Volker, bist du es wirklich?« ertönte die Stimme des Ritters mit dem Löwenherzen. »Bist du es, oder spielen mir meine Sinne einen arglistigen Streich?« »Ich bin es«, gab Volker zurück. »Und Ritter Volker ist nicht allein, denn ich bin auch hier«, meldete sich Louis zu Wort. »Potztausend«, sagte Roland mit einem breiten Auflachen. »Wer hätte das gedacht? Thilde, komm schnell!« Volker wußte nicht, wer Thilde war. Aber das würde er wohl gleich erfahren. »Öffnet!« befahl er den beiden Wächtern. Zur Unterstützung seines Befehls hob er drohend das Schwert. Die Wächter bedurften der Drohung nicht. Der eine förderte ein Schlüsselbund zutage und ließ die Schlüssel durch seine Finger gleiten. »Ein bißchen Beeilung, wenn's beliebt!« Im nächsten Augenblick drehte sich ein Schlüssel im Schloß. Die Tür sprang auf. Im Schein der Fackel, die Louis aus der Wachstube mitgenommen hatte, trat Roland nach draußen. An seiner Seite war ein blondes
Mädchen. Die beiden blinzelten in das Licht, als sei es etwas, das ihren Augen Schmerzen bereitete. Schnell aber hatten sich Rolands Augen an das Licht gewöhnt. Bevor er Volker und Louis dankte, blickte er das Mädchen an seiner Seite an. Ein Lächeln zog über sein Gesicht. »Thilde, du bist noch viel schöner, als ich es mir vorgestellt hatte!« rief er aus. Volker wußte nicht, was er sich vorgestellt hatte, aber in jedem Fall hatte Roland recht, wenn er von einem schönen Mädchen sprach. Die junge Frau hatte lockige blonde Haare, die ihr bis weit über die Schultern fielen. Ihr ebenmäßiges Gesicht erinnerte an einen Engel. Unter dem einfachen Kleid, das sie trug, zeichnete sich ein Körper ab, der es jedem Mann heiß in den Lenden werden ließ. Bei ihrem Anblick vergaß man ganz, daß ihr ein Bad recht guttun würde. Auch das Mädchen lächelte. »Du hingegen siehst genauso aus, wie ich mir dich ausgemalt habe. Wenn man so lange wie ich im Dunkeln lebt, lernt man, mit den Händen zu sehen.« Die beiden schienen sich recht gut zu kennen, stellte Volker fest. Jedenfalls gingen sie sehr vertraut miteinander um. Fast sah es so aus, als ob sie die Absicht hatten, sich in die Arme zu sinken. Volker hätte es ihnen gegönnt, aber dazu war jetzt wahrlich keine Zeit. »Verzeiht die Trübung eures stillen Glücks«, sagte er. »Aber ihr vergeßt offenbar, wo ihr hier seid!« Roland war sofort bei der Sache. »Recht hast du, mein Freund, dem ich das Leben verdanke.« »Noch ist dein Leben nicht gerettet, Roland. Du mußt fort. Und zwar auf der Stelle!« Ganz ernst war Roland jetzt geworden. Kein Funken Heiterkeit spiegelte sich mehr in seinem Gesicht wider. »Fort?« echote er. »Weißt du auch, wie ich das anstellen soll, Freund Volker? Niemand kann die Güldenburg betreten oder verlassen, wenn es Graf Heribert nicht will. Es ist völlig unmöglich, die Mauern und den Graben zu überwinden.« »Ich weiß«, nickte Volker. »Und doch gibt es einen Weg. Einen
Weg, den allerdings nur ein todesmutiger Mann, wie du es bist, beschreiten kann.« »So zeige mir diesen Weg!« »Gleich, Roland, gleich. Zunächst aber müssen wir die hier versorgen!« Mit »die hier« meinte er die Wächter. Er deutete auf das Verlies, das Roland und das Mädchen gerade verlassen hatten. »Rein mit euch!« Die beiden kamen der Aufforderung unverzüglich nach. Vorher nahm ihnen Louis noch ihre Waffen ab. »Am besten dürfte es sein, wenn wir die anderen drei ebenfalls hier auf Nummer Sicher bringen«, meinte der Knappe. Diesem Vorschlag konnte sich Volker nur anschließen. Wenig später waren auch der dritte Wächter und die beiden auf dem Hof Niedergeschlagenen in dem Verlies untergebracht. Knirschend drehte Volker den Schlüssel herum und reichte ihn dann an Roland weiter. »Nimm du dieses Ding, Freund Roland«, sagte er. »Es wäre nicht gut, wenn irgend jemand den Schlüssel bei mir oder Louis fände.« Roland nahm den Schlüssel, blickte den Minnesänger dabei jedoch fragend an. »Du fliehst nicht mit mir auf dem Weg, den ich nehmen soll?« »Nein. Ich nicht und deine beiden Knappen auch nicht. Für Pierre wäre der Weg ohnehin nicht gehbar. Und außerdem ... Wollen wir unsere Pferde und sonstigen Utensilien im Stich lassen?« Eine Sorgenfalte furchte Rolands Stirn. »Du spielst ein gefährliches Spiel, Volker. Wenn Graf Heribert feststellt, daß ich geflohen bin ... Wird er nicht sofort wissen, daß du mir geholfen hast? Er braucht nur diese fünf Kerle da drinnen zu fragen ...« »Dazu wird es hoffentlich nicht kommen. Bevor das Verlies geöffnet wird, was ohne den Schlüssel seine Zeit in Anspruch nehmen dürfte, müssen Louis, Pierre und ich die Güldenburg bereits verlassen haben. Mir wird schon ein Grund einfallen, der uns zu frühmorgendlichem Aufbruch drängt.« »Ich hoffe es, mein Freund«, erwiderte der Ritter mit dem
Löwenherzen ernst. »Der Gedanke, daß ihr meinethalben zu Schaden kommt, wäre mir unerträglich. Zeige mir nun den Fluchtweg, den du dir ausgedacht hast. Komm, Thilde.« Volker blieb stehen, wo er gerade stand. »Du willst das Mädchen mitnehmen?« »Aber natürlich! Wenn sie auf der Güldenburg verbleibt, ist ihr Leben keinen abgewetzten Denar mehr wert.« Roland erzählte seinem Freund und dem Knappen, wer die blonde, junge Frau eigentlich war. »Gewiß«, sagte Volker, »auch mich dünkt es vernünftig, wenn sie schnellstens der Güldenburg den Rücken kehrt. Aber auf diesem Weg ...« »Wohin Roland geht, dahin gehe auch ich«, warf Thilde ein und sah Roland verliebt an. Volker verzog den Mund. »Von Geben kann leider keine Rede sein, eher vom Fliegen. Aber überzeugt euch doch selbst!« Die beiden Ritter, der Knappe und die Tochter des Goldmachers verließen den engen Verliesgang und stiegen die Treppe empor. Zur Überraschung Rolands traten sie jedoch nicht auf den Burghof hinaus. Statt dessen wandte sich Volker dem rückwärtigen Teil des Baus zu. Vor einem Fenster, das dort in die Mauer eingelassen war, machte er halt. Er öffnete das Fenster und machte eine einladende Handbewegung. »Dies ist dein Fluchtweg, Roland«, sagte er. * Der Ritter mit dem Löwenherzen trat an das Fenster heran und lehnte sich hinaus. Ein kühler Nachtwind wehte ihm entgegen und brachte seine Haare zum Fliegen. Die Dunkelheit ringsum war wie das Maul eines riesigen Tieres, das nach ihm zu schnappen schien. Tief unter ihm, so viele Klafter, daß er es gar nicht richtig abschätzen konnte, glänzte etwas schwach silbrig im Licht des Mondes.
Der Main! »Nun, Freund Roland?« fragte Volker vom Hohentwiel leise. »Ist es selbst für dich ein zu tollkühnes Unterfangen?« Roland brauchte nicht lange mit der Antwort. »Tollkühn mag es sein. Aber ich sehe ein, daß es der einzige Weg für mich ist, die Güldenburg lebend zu verlassen. Ob ich allerdings noch lebe, wenn ich sie verlassen habe ...?« Er blickte in die gähnende Tiefe und konnte ein unwillkürliches Schaudern nicht unterdrücken. Dann aber gab er sich einen Ruck. »Komm, Thilde«, sagte er. »Blick nicht nach unten, sondern schließ die Augen, und verlaß dich ganz auf mich.« Das Mädchen machte die Augen zu und lächelte. »Ja, mein Ritter, ich verlasse mich voll und ganz auf dich.« Roland nahm sie auf seine Arme und kletterte kurz entschlossen auf die Fensterbrüstung. »Wo sehen wir uns wieder, Freund Volker?« »Eine gute Meile entfernt. Wenn ihr dem Weg in Richtung Osten folgt, findet ihr ein mit Holundersträuchern bewachsenes Dickicht. Wartet dort auf uns.« Roland lächelte. »Es wird sich weisen, wer auf wen wartet. Und ob überhaupt jemand wartet!« Er wandte sich ab und blickte in die Tiefe. Für einen Augenblick tat er es dem Mädchen in seinen Armen nach und schloß ebenfalls die Augen. Dann aber öffnete er sie wieder und stieß sich wuchtig von der Fensterbrüstung ab. Wie ein Stein stürzte er nach unten. Der Wind zerrte an ihm wie die Klauen einer reißenden Bestie, und er hatte das Gefühl, zu einem Spielball der Naturgewalten geworden zu sein. Er fiel und fiel und fiel... Dann, ganz plötzlich, war die Mondsichel, die sich auf der Oberfläche des Flusses spiegelte, unmittelbar unter ihm. Ganz fest schlang er die Arme um Thilde und gab seinem Körper eine schnelle Drehung, um das Schlimmste von dem Mädchen abzuwenden. Im nächsten Augenblick kam der Aufschlag. Roland hatte das
Empfinden, auf eine massive Steinplatte gestürzt zu sein. Niemals hätte er gedacht, daß Wasser so hart sein konnte. Fest war er davon überzeugt, sich sämtliche Glieder gebrochen zu haben. Aber die Oberfläche des Mains war tatsächlich keine Steinplatte. Roland und Thilde sanken, sanken schneller, als ein Fisch schwimmen kann. Tiefer und tiefer ging es hinunter. Die geballte Wucht des Sturzes aus großer Höhe sorgte dafür. Endlich war der Grund des Flusses erreicht. Mit letzter Kraft stieß sich Roland ab, um wieder nach oben getragen zu werden. Nun aber ging es nicht so schnell wie zuvor. Quälend langsam trieb Roland mit dem Mädchen in seinen Armen der Mainoberfläche entgegen. Als er schon glaubte, daß ihm die Lungen platzen würden, durchstieß sein Kopf endlich den Wasserspiegel. Tief atmete er die frische Nachtluft ein, die ihm köstlicher vorkam als alle leiblichen Genüsse dieser Welt. »Thilde?« fragte er. »Thilde, wie geht es dir?« Das Mädchen fand nicht die Kraft, ihm mit Worten zu antworten. Aber der Druck ihrer Hand verriet ihm, daß auch sie den selbstmörderischen Sprung überlebt hatte. Die Flucht aus der Güldenburg, die jedermann für ausgeschlossen gehalten hätte, war gelungen. * Seit Stunden warteten Roland und des Goldmachers Tochter im Dickicht der Holundersträuche. Die Sonne war bereits aufgegangen und schickte sich an, ganz hinter dem Horizont hervorzukriechen. Nun mußten Volker und die beiden Knappen bald kommen. Und sie kamen so selbstverständlich, als sei es ein Kinderspiel gewesen, die Güldenburg zu verlassen. Sie brachten sogar Rolands edles Pferd mit. »Es war in der Tat ein Kinderspiel«, berichtete der Minnesänger. »Noch bevor die Vorbereitungen zu deiner Hinrichtung begannen, empfahlen wir uns. Graf Heribert ließ uns ohne Einwände ziehen.
Vielleicht war er ganz froh darüber, daß wir davonritten. Er mochte sich überlegt haben, daß dein Kopf ohne die Anwesenheit fremder Zeugen leichter vom Richtblock rollen würde.« Roland lachte. »Ob er inzwischen bemerkt hat, daß mein Kopf gar nicht rollen wird?« »Dies steht zu befürchten. Deshalb sollten wir schnellstens dafür sorgen, möglichst viel Land zwischen uns und die Güldenburg zu legen.« Roland nahm Thilde zu sich auf sein Pferd. Dann ritten die Gefährten in flotter Gangart davon. »Wie glücklich wäre ich, wenn mein Vater jetzt bei uns sein könnte«, sagte Thilde sehnsüchtig. Fast hätte Roland den Goldmacher vergessen. So sehr war er mit seiner und des Mädchens Flucht beschäftigt gewesen. Nun aber dachte auch er wieder an den alten Mann und Sir Ectors Wunsch, ihn nach Camelot zu bringen. »Thegan ist während meiner Gefangenschaft im Verlies nicht wieder auf der Bildfläche erschienen?« fragte er den Minnesänger. »Nein«, sagte dieser. »Alle Burgbewohner stehen vor einem Rätsel, das bisher niemand zu lösen vermochte.« »Freiwillig hätte mein Vater die Güldenburg ganz bestimmt nicht verlassen«, warf das blonde Mädchen ein. »Es kann ihn also nur jemand getötet oder ... verschleppt haben.« »Verschleppt?« wiederholte Roland kopfschüttelnd. »Wer sollte das getan haben? Außer uns war kein Fremder auf der Burg.« »Doch«, bemerkte der Knappe Louis. »Ihr vergeßt den Schlesier mit dem essigsauren Wein, Ritter Roland.« Diese Worte veranlaßten Volker aufzuhorchen. »Essigsaurer Wein? Was war mit dem essigsauren Wein?« Roland erzählte ihm die gar lustige Geschichte von dem Freigrafen aus dem Schlesierland und seinem unmöglichen Wein. »Aus Schlesien soll dieser Wein stammen?« lachte Volker. »Das entspricht nicht den Tatsachen.« »Wieso nicht?«
»Weil ich selbst von diesem Wein getrunken habe. Auf einer Burg, die keinen halben Tagesritt entfernt liegt!« »Was sagst du da?« Kerzengerade saß Roland jetzt im Sattel. »Sollte der Schlesier gar kein Schlesier gewesen sein? Aber warum diese Komödie?« »Beschreibe mir das Äußere dieses dubiosen Freigrafen«, verlangte Volker. Roland tat es. Jetzt saß auch der Minnesänger ganz aufrecht auf seinem Pferd. »Diesen Mann habe ich gesehen! Auf einem mit Fässern beladenen Wagen - ganz in der Nähe der Burg, wo man mir versehentlich den sauren Wein in den Becher schüttete! Und wenn ich mir dies alles zusammenreime, wie es des Dichters Art ist.. .« »Dann?« drängte Roland. »... komme ich zu dem Schluß, daß dieser Freigraf dich und die Güldenburger ganz schön an der Nase herumgeführt hat. Die Sache mit dem sauren Wein war nur ein Vorwand, ohne Argwohn zu erwecken, in die Güldenburg hinein- und auch wieder hinauszugelangen. Nur, daß beim Verlassen der Burg nicht mehr alle Fässer mit Wein gefüllt waren!« »Du meinst... ?« »Ja, das meine ich«, nickte Volker. »In einem dieser Weinfässer steckte Thegan, der Goldmacher!« Roland gab seinem Pferd die Sporen, so daß es einen Satz nach vorne machte. »He, wo willst du plötzlich so eilig hin?« rief Volker vom Hohentwiel, der kaum zu folgen vermochte. »Zu der Burg, wo man den Gästen essigsauren Wein ausschenkt«, antwortete Roland grimmig. * Wie ein Sturmwind preschten Roland, Volker und die beiden
Knappen auf den Hof der Klosterburg. Das Mädchen Thilde hatten
sie zurückgelassen. Der sonst so träge Knappe Pierre jedoch hatte ausdrücklich darauf bestanden, mit dabeizusein. Eine Reihe von Burgbewohnern hielten sich auf dem Hof auf, Männer und Frauen, gräfliche Getreue und einfaches Gesinde. Einen dieser Männer erkannte Roland auf Anhieb. Es war niemand anderer als der angebliche Freigraf Felix von Leubus, der die gleichnamige Burg in Schlesien gewiß niemals zu Gesicht bekommen hatte. Das Erkennen war gegenseitig. Auch Felix sah den Ritter, dem er zuletzt auf der Güldenburg begegnet war. Und er konnte sich offenbar denken, was dessen Auftauchen zu bedeuten hatte. Mit einer schnellen Bewegung griff er nach seinem Schwert. Da war Roland bereits heran. Unmittelbar vor dem falschen Grafen riß er an den Zügeln seines Pferdes so heftig, daß das edle Tier in der Hinterhand hochging. Roland war jedoch schon aus dem Sattel, das Schwert in der Faust. Ungestüm drang er auf Felix ein. Er deckte den Gegner mit einer Serie von Hieben ein, die dieser kaum parieren, geschweige denn mit einem Gegenangriff beantworten konnte. Innerhalb weniger Augenblicke hatte ihn Roland zu Boden gestreckt. Auch Volker und die beiden Knappen waren inzwischen in harte Kämpfe verwickelt. Sie schlugen sich so achtbar und mutig, wie es Roland von ihnen gewohnt war. Binnen kürzester Zeit hatten sich alle Klosterburger auf dem Hof eingefunden. Wie Volker wüßte, der die Verhältnisse auf dieser kleinen und recht armseligen Burg von seinem Besuch her kannte, waren nur wenige wehrfähige Männer darunter. Sechs, sieben an der Zahl, mehr nicht. Wäre es anders gewesen, hätten es Roland und seine Gefährten nicht wagen können, diese offene Attacke gegen die Klosterburger zu führen. Der Ritter mit dem Löwenherzen hatte nur einen Mann im Auge: den Freiherrn Ingolf selbst. Und da kam er auch schon aus dem Haus, genauso aussehend, wie Volker ihn beschrieben hatte.
Roland stürmte auf den Burgherrn los, wie nebenbei einen Klosterburger Getreuen niederschlagend, der sich ihm in den Weg stellen wollte. Ingolf kannte den Ritter mit dem Löwenherzen nicht. Aber er erkannte sofort, daß er hier einen Mann vor sich hatte, dem er in kämpferischer Hinsicht nicht das Wasser reichen konnte. Er wollte fliehen, wollte zurück ins Haus. Dazu jedoch ließ es Roland nicht kommen. Mit einem wahren Löwensatz war er bei dem Burgherrn. Ingolf konnte gerade noch sein Schwert hochreißen, um Rolands Hieb abzuwehren. So gewaltig aber war Rolands Streich, daß dem Freiherrn das Schwert aus der Hand fiel. Wehrlos stand er vor Roland, der seine Klinge zum nächsten Schlag hob. »Haltet ein«, schrie Ingolf. »Ich ergebe mich!« Roland war kein Mann, der das Blutvergießen liebte. Wenn der Herr der Klosterburg seine Sache verloren gab, dann sollte es ihm recht sein. »Befehlt Euren Leuten, ebenfalls die Waffen zu strecken«, forderte er Ingolf auf. Der Freiherr zögerte keine Sekunde, dieser Weisung nachzukommen. Sofort fanden alle Kämpfe ein Ende. Mit Genugtuung stellte Roland fest, daß keinem seiner Gefährten etwas zugestoßen war. Er zielte mit der Schwertspitze auf Ingolf s Brust. »Ihr könnt Euch denken, aus welchem Grund wir gekommen sind!« Der Freiherr verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Ihr wollt den... Goldmacher.« »So ist es«, bestätigte er. Und mit einem Lächeln voller Spott fügte er hinzu: »Wie gewonnen, so zerronnen!« Ingolf sah ein, daß ihm keine andere Möglichkeit blieb, wenn er sein Leben retten wollte. Er wies zwei seiner Getreuen an, den alten Mann zu holen. Und Thegan kam. Seine Augen leuchteten, als er den Ritter sah, der ihm eine
Einladung nach Camelot überbracht hatte. Er lächelte. »Ihr seid sehr hartnäckig, wenn es um das Erreichen Eurer Ziele geht, nicht wahr, Herr Ritter?« »Sehr hartnäckig«, nickte Roland. Kurz darauf verließen Roland und seine Gefährten die Klosterburg wieder. Thegan saß mit auf Rolands Pferd. Die Getreuen des Freiherrn machten keine Anstalten, sie zu verfolgen. Ihre Gesinnung war nicht die von Rittern, sondern die von Räubern und Strauch dieben. »Ich habe eine Überraschung für Euch«, sagte Roland. »Eure Tochter wartet auf Euch.« »Meine Tochter? Ihr habt sie aus der Gewalt Heriberts befreit?« »Ja.« Der alte Mann war außer sich vor Freude. Die Tränen rannen ihm über die eingefallenen Wangen, und er schluchzte aus vollem, aus übervollem Herzen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich beruhigt hatte. Dann sagte er mit einer Stimme, die fast kummervoll klang: »Ich habe auch eine Überraschung für Euch, Ritter Roland. Aber es ist eine Überraschung, die Euch wenig Freude bereiten wird.« Roland wußte nicht, was er meinte. »Laßt hören«, sagte er. »Ich kann gar kein... Gold machen!« sagte er mit Grabesstimme. Roland verschlug es die Sprache. »Ihr könnt kein Gold ... ?« »Nein.« Roland verstand es noch immer nicht. »Aber all die goldene Pracht auf der Güldenburg . ..« »Alles nur Schein«, antwortete der alte Mann. »Alles, was Ihr dort für pures Gold gehalten habt, ist nichts als einfaches Eisen mit einem goldenen Überzug. Und das Gold, das ich für diesen Überzug benötigte, habe ich gewonnen, indem ich des Grafen echtes Gold entwendete und insgeheim einschmolz.« Rolands Verblüffung kannte keine Grenzen. »Warum, zum Teufel, habt Ihr Heribert nicht gesagt, daß Ihr gar kein Gold machen könnt? Eurer Tochter wäre vieles erspart geblieben.«
»Graf Heribert hätte mir nicht geglaubt. Deshalb mußte ich die Rolle, die ich spielte, weiter- und weiterspielen. Anderenfalls hätte er Thilde auf grausame Weise töten lassen.« Es dauerte eine ganze Weile, bis Roland so richtig begriffen hatte, was ihm da von dem alten Mann erzählt worden war. Dann lachte er, lachte er so laut, daß sein Pferd fast gescheut hätte. Eigentlich hatte er vorgehabt, Graf Heribert für das zur Rechenschaft zu ziehen, was er Thilde angetan hatte. Aber nun schien es ihm, daß der Güldenburger bereits genug gestraft war. Man mußte ihn nur wissen lassen, woraus seine ganze goldene Pracht in Wirklichkeit bestand ...
ENDE
Ein Engel als Köder
»Liebe mich, Roland!« Es klang wie das zärtliche Schnurren einer Katze, die vom Kater ihres Herzens in den Armen gehalten wird. Nun, es war keine Katze, wenn auch die grünen, funkelnden Augen und die geschmeidigen Bewegungen ihres schlanken Körpers an eine Katze erinnerten. Sie hieß Elisabeth Terciere, und sie war eine heißblütige Comteß aus Burgund, die den Ritter mit dem Löwenherzen um Schutz gebeten hatte - und jetzt um mehr. Roland brauchte keine weitere Aufforderung. Er spürte die Hitze ihres nackten Körpers, der sich verlangend an ihn schmiegte, die weichen, warmen Lippen, die unter seinem Kuß zu erbeben schienen, und ein süßes Prickeln erfaßte ihn ... Wenn Roland aus seinen Träumen aufwacht, wird er merken, daß er in der Falle sitzt. Ob und wie er sich daraus befreit, lesen Sie in 14 Tagen im Ritter-Roland-Band 23. DM 1,60