Die Bergdämonen
Ein packender Geister-Western von Dan Ferguson
Nebelschleier hingen über dem Wasser. Die Gipfel der...
12 downloads
378 Views
447KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Die Bergdämonen
Ein packender Geister-Western von Dan Ferguson
Nebelschleier hingen über dem Wasser. Die Gipfel der BoulderFelsen waren wolkenverhangen. Auf der gegenüberliegenden Sei te des Laramse-Rivers sah es nicht anders aus. Die Zinnen und Kegel des Medicine-Bow-Gebirges wurden gleichfalls von Wolken verdeckt. Es waren dunkle Wolken, die Regen ankündigten. Doch die Luft roch nach Schwefel! Das war es, was den alten Moses an diesem frühen Morgen stutzig machte. Er ließ die Netze am Ufer liegen und spähte angestrengt über das Wasser. Ein kalter Schauer wanderte ihm über den Buckel. Sein Nackenhaar sträub te sich. Er wollte weglaufen, sich auf sein Muli schwingen und in die Stadt zurückreiten, um die Leute dort zu warnen und zu alar mieren. Aber da kamen sie schon angeritten! Die Bergdämonen aus dem Medicine-Bow-Gebirge, die Geister der Brodniks, die in ihren Grä bern keine Ruhe finden konnten. Daß sie im Morgengrauen ka men, daß sie sich bei Tage aus ihren Höhlengräbern wagten, war für den alten Moses das schlimmste Zeichen. Das Entsetzen schnürte ihm die Kehle zu. Wie ein eiserner Ring würgte die Angst seine Brust, daß er kaum noch Luft holen konn te. Eiskalter Schweiß brach ihm aus. Sie trugen grüne Röcke über den verwesten Knochengerippen. Hohl grinsten die beinernen Gesichter. Geradezu riesig wirkten die Augen- und Mundöffnungen der kahlen Schädel. Die Mähren, auf denen sie saßen, sahen nicht anders aus. Es knirschte und knackte, als sie dort drüben hielten und ange strengt über den Fluß spähten. Die meisten waren mit geradege bogenen Sensen bewaffnet, aus denen sie Blitze und Verdammnis schleudern konnten. Sausen und Wimmern hing plötzlich in der Luft. Der alte Moses drehte sich ächzend um. Da kamen die anderen! Die Geister der Malcolms. Auch sie hat ten bei Tageslicht ihre Höhlen in den Boulder-Felsen verlassen. Rote Jacken hatten sie an. Wie viele sie waren, vermochte der alte Moses nicht zu zählen. Doch nicht wegen seiner Angst. Die Geisterschar aus den Boulder-Felsen wirkte wie eine kompakte schwarze Masse, aus der Köpfe, Sensenspitzen und wirbelnde, funkensprühende Hufe ragten. Sie flogen nicht durch die Luft. Die 2
knöchernen Hufe ihrer Schindmähren berührten den Boden, daß es hätte klirren und krachen müssen. Doch nichts war davon zu hören. Dann standen sich die verfeindeten Geisterhorden an den Ufern gegenüber. Grüne Blitze züngelten an den Sensen der Medicine Bow-Geister. Die fleischlosen Kiefer der Mähren knirschten und knackten. Fauler und schwefliger Gestank erfüllte das ganze Tal. So kam es Moses jedenfalls vor, der sich in Todesangst einzure den versuchte, alles nur zu träumen. Auf seinem Ufer krachten die Schlagstöcke und Sensen der Boulder-Bergdämonen gegeneinander. Blitze zuckten empor, und grüner Qualm stieg auf. Moses duckte sich. Heulen und Brausen drang auch vom ande ren Ufer über den Fluß. Die gefiederten Weiber der verfeindeten Sippen kamen angeflogen. Wie riesige Geier sahen sie aus. Geier, auf deren nackten Hälsen Altweiberköpfe gewachsen waren. Brüs te schienen vorn das schwarze Gefieder aufzubauschen. Sie begannen fürchterlich zu kreischen, als sie hoch über dem Wasser aufeinander stürzten. Der Kampf begann! An beiden Ufern trieben die Reiter die knö chernen Schinder vorwärts. Das Wasser gischtete dampfend auf. Es sah mit einem Mal ganz schwarz aus. Moses wußte, daß der Fluß an dieser Stelle mindestens fünfzehn Fuß tief war, und das Wasser über einem Reiter zusammenschla gen mußte, wenn das Pferd nicht schwamm. Doch vor der Höllenbrut schien das Wasser zu verdampfen und sich zu teilen. Es reichte den Pferdeskeletten nicht einmal bis an die mächtigen Rippenknochen. Moses krallte die Fäuste in die Jacke, weil er glaubte, einen Herzschlag zu bekommen. Die kämpfenden Satansgeier erzeugten einen wahren Orkan. Flügelschlagend hackten sie aufeinander ein, rissen sich Federn und ganze Flügelfetzen herunter. Ihr Gekreisch war ohrenbetäu bend. Unter ihnen aber gerieten die Höllenreiter aneinander. Blitzbün del zuckten aus den aufeinanderschlagenden Sensen und Schlag stöcken. Es donnerte und krachte. Das Jüngste Gericht schien sich anzukündigen. Knochen und Holz knackten und barsten. Auch die Pferdeskelette bekämpften sich. Mit ihren langen Zähnen schlugen sie aufeinander ein und schmetterten sich die Hufe in 3
die Gerippe. Der Himmel war schwarz geworden! Ein gewaltiger Orkan tobte. An den Ufern bogen sich die Wipfel der mächtigen Sykomoren und Erlen unter seinem Druck bis ins Gras hinab. Moses flog der Hut davon. Der Himmel war schwarz. Doch das Gewitter tobte im Flußbett. Es wurde noch einmal Nacht. Moses fiel auf die Knie und bekreuzigte sich. Schädel, Knochenteile und Federn schwammen den Fluß hinab. Woher fand er Mut und Kraft? Er wußte es nicht. Er machte kehrt und stürzte zu seinem Muli. Doch das brave Tier war weg. In Panik davongerannt! Nein! Er träumte nicht. Daß ihm das Muli davongerannt war, galt als si cherstes Zeichen. Rund um die Uhr hielt es das brave Tier vor Skinners Saloon aus, wenn dem alten Moses der Sinn danach stand, sein Geld zu vertrinken. Nach jedem guten Fang war das der Fall. Er rannte nicht, er stürzte den schmalen Trampelpfad entlang zur Straße vor. Grasbüschel, Blätterhaufen und ganze Äste, die vom Sturmwind weggetragen wurden, begleiteten ihn. Er rannte um sein Leben, und der alte Mann schaffte die beiden Meilen in seiner Angst, ohne auch nur eine Sekunde verschnaufen zu müssen. Wie ein Kastenteufel, dem einer den Schwanz ausgerissen hat te, oder eben wie ein Mensch, der Geistern begegnet war, rannte er nach Glendevey hinein. Die Stadt schlief noch. Es war ja noch früh am Morgen. Erst vor dem Bäckerladen begegnete er Leuten. »Die Bergdämonen sind da!« brüllte er. »Die Höhlengeister sind wieder erwacht. Sie kämpfen am Fluß gegeneinander.« Die Leute sahen ihn an, als wäre er selbst ein Geist, oder ein Narr, der böse war und des Mitleids nicht bedurfte. Moses schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Leute, rettet euch!« schrie er. »Ihr wißt ja nicht, wie es früher hier schon mal war.« Ein paar Häuser weiter trat der Sheriff aus dem Office. Auch er war einer von den Alten. Jedoch nicht von den ganz Alten. Als sie damals hatten Glendevey – das alte Glendevey – verlassen müs sen, war er noch ein kleiner Junge gewesen. »Rod!« rief Moses und rannte zu ihm. »Sie sind wieder da! Sie 4
sind wieder erwacht.« Der Sheriff musterte ihn schlechtgelaunt und riß ein Streichholz an der Hauswand an. Er hatte seine Pfeife gestopft, und während er sie anzündete, sagte er: »Sie sind erwacht! Ist ja auch Zeit dazu.« Moses stolperte die beiden Stufen hinauf und stützte sich an ei nem Pfosten. »Ich rede von den Bergdämonen, Rod!« krächzte er. »Sie sind wieder da. Sie sind aus ihren Höhlen gekommen. Beide Sippen! Die Malcolms und die Brodniks. Ein Gewitter! Ein Orkan! Es ist furchtbar.« Der Sheriff paffte. »Die Sonne scheint, Moses!« Moses schaute nach oben. Die Sonne war aufgegangen. Stahl blau und wolkenlos war der Himmel über der Stadt. Der Sheriff grinste. »Skinner sollte dir nicht soviel zu saufen ge ben«, sagte er, machte kehrt, ging ins Office hinein und knallte die Tür hinter sich zu, um Moses klarzumachen, daß er sich nicht schon am frühen Morgen mit einem Verrückten unterhalten woll te. Um die Leute anzuhören, dazu war er ja da. Auch die Verrück ten besaßen ein Recht darauf, sich mit ihm zu unterhalten. Doch nicht schon am frühen Morgen. Ohnehin war der Sheriff von Glendevey als großer Morgenschweiger bekannt. Moses ließ die Schultern sinken. »Aber Rod! Du weißt doch noch! – Damals!« Die Tür gähnte ihn an. Er sah sich um. Im Norden, wo die Bergdämonen gekämpft hat ten, schien der Himmel zu brennen. Ein gewaltiges flammendes Morgenrot stand über den Zinnen und Kegeln der beiden Gebirgs züge, die der Laramie-River von Süden nach Norden zerschnitt und voneinander trennte. Skinner war schon wach. Er fegte den Saloon aus. Moses traute seinen Augen nicht. Sein Muli stand dort am Hitch rack vor dem Saloon. Skinner sprach auf das Tier ein. Moses ging langsam hinüber. »Hei!« lachte Skinner. »Wo kommst du her? Als ich das Muli sah, habe ich schon geglaubt, eine Ecke in meiner Bude nicht erwischt zu haben.« »Skinner, du kennst doch die Geschichte von den Bergdämo nen.« 5
»Willst du einen Whisky?« »Antworte doch erst einmal!« krächzte Moses. Skinner schüttelte den Kopf. »Du kennst mich doch! Lange ge nug, meine ich. Wer bei mir nichts trinkt, mit dem kann ich mich auch nicht unterhalten. Das Geschäft geht immer voran. Vor al lem in den Zeiten, in denen alles teurer wird. Von einem Tag zum anderen. Du kennst mich doch! Lange genug, meine ich.« »Deswegen will ich ja mit dir sprechen!« sagte Moses. »Weil wir uns solange kennen.« »Willst du einen Whisky? dann komm ’rein!« »Ja! Ich will einen Whisky!« stöhnte Moses verzweifelt. »Ich kann einen anständigen Schluck vertragen. Du weißt ja gar nicht, was ich erlebt habe.« Skinner nickte und lief in den Saloon. Moses folgte ihm. »Wenn es eine lange Geschichte ist, mußt du zwei trinken«, sagte Skinner, als er hinter dem Tresen stand und einschenkte. »Zeit ist Geld. Die ruhigen Tage sind lange vorbei.« Er schob das Glas über den Tresen, und Moses trank. »Noch einen?« fragte Skinner mißtrauisch. Moses nickte und schob ihm das Glas wieder zu. »Danach noch einen!« Skinner schenkte nach und musterte ihn argwöhnisch. »Mit wem hast du denn heute morgen schon Ärger gehabt?« »Das will ich dir ja erzählen«, sagte Moses und kippte auch das zweite Glas. Skinner füllte sofort wieder nach. »Die Bergdämonen sind wieder erwacht«, keuchte Moses. »Die Höhlengeister! Ich habe sie selbst gesehen. Oben am Fluß. Vor ein paar Minuten.« Skinner musterte ihn wieder und nickte. »Well! Und einer hat dir die Hand geschüttelt. So siehst du mir jedenfalls aus.« »Laß doch die Witze!« Skinner grinste. »Wieso ich? Ich dachte, du machst welche.« Moses trank auch den dritten Whisky. »Noch einen?« fragte Skinner geschäftig. »Meinetwegen!« knurrte Moses. Skinner sah ihn erstaunt an. »Wieso meinetwegen? Die mußt du alle bezahlen.« »Klar! Ist ja schon gut«, sagte Moses und winkte ab. »Was soll denn das schon wieder? Ich habe ein Geschäft hier«, 6
sagte Skinner beleidigt. Moses nahm das Glas diesmal nur in die Hand. »Du kennst doch die Geschichte von den Malcolms und den Brodniks?« »Klar! Bei mir wird doch viel erzählt.« Moses lächelte erleichtert und nippte an dem Glas. »Sie sind wieder da. Ich habe sie gesehen! Die Höhlengeister, wegen denen wir damals die Stadt da oben räumen mußten.« Skinner gähnte. »Wegen denen? Ich dachte immer, Glendevey lag damals einfach zu weit im Norden.« »Ach was!« sagte Moses und kippte den vierten Whisky hinun ter. Als er das Glas auf den Tresen setzte, bekam er wieder Far be, die er dort am Laramie-River vollkommen verloren hatte. Skinner goß sofort wieder ein und strich die Drinks auf seiner Kladde an. »In der Steinzeit, in grauer Vorzeit, so vor dreißig oder vierzig Jahren haben sich die Malcolms und die Brodniks hier am Lara mie-River gegenseitig umgebracht«, sagte Moses mit schwerer Zunge. »Die Geschichte kennst du doch?« Skinner nickte ernst. »Ja! So etwas habe ich mal gehört.« »Aber sie können in ihren Gräbern keine Ruhe finden.« »Und da heißt es immer, verdammt noch mal, zur Letzten Ruhe, Amen!« Moses starrte ihn an. »Weiter!« sagte Skinner. »Von Zeit zu Zeit steigen die Malcolms und die Brodniks aus ih ren Gräbern und gehen aufeinander los. Aber das ist ja nicht das Schlimme!« »Nicht?« fragte Skinner irritiert. »Ach was! Hör nur zu!« sagte Mose? und trank das Glas wieder mit einem Zug leer. »Was stört es denn dich und mich und ande re Leute, wenn Geister mit Blitz und Donner aufeinander ein schlagen?« Skinner wedelte mit der Hand. »Mit so etwas sollte man lieber nicht spaßen«, meinte er ernst, und das war seine wahre Über zeugung. »Genau!« sagte Moses und streckte die Hand vor. Er mußte sich blitzschnell mit der anderen am Handläufer festhalten, um auf den Beinen zu bleiben. »Daß die Geister der Malcolms und der Brodniks aufeinander eindreschen mag ja noch angehen. Aber das Fürchterliche dabei ist, daß sie Verluste erleiden. Beide Par 7
teien! Und dann kommen sie in die Stadt. Wie Menschen sehen sie da aus. So wie du und ich! Und dann locken sie die Leute in die Berge. Die Malcolms schicken dich in das Gebiet der Brodniks, und die Brodniks schicken dich in die Felsen, in denen die Mal colms hausen, und jeder weiß, daß du erschlagen wirst, und dann sollst du selbst als Geist zu ihnen zurückkehren, damit sie wieder einen Krieger mehr haben.« Skinner verzog das Gesicht. Moses trank, und er schenkte wie der ein und machte einen neuen Strich. »Deshalb haben wir ja damals Glendevey dort oben aufgege ben«, lallte Moses. »Nicht, weil die Stadt zu weit im Norden er richtet worden war. Wegen der Geister haben wir sie geräumt! Die Sheiners haben damals drei Söhne verloren, die dann andere als Geister mit den Malcolms gegen die Brodniks haben reiten sehen. Von den Brodniks und den Malcolms sind ja gar nicht mehr viele da. Beide Sippen bestehen fast völlig aus anderen Leuten, die sie auf diese schaurige Weise angeworben haben.« »Jetzt redest du von Leuten!« sagte Skinner. »Hast du nicht e ben gesagt, alle wären Geister.« »Genau das meine ich!« sagte Moses und trank wieder. Skinner füllte nach und machte auch sofort einen Strich. »Und jetzt sind sie alle wieder da«, fuhr Moses fort. »Heute morgen als ich fischen wollte, habe ich sie gesehen. Die Weiber als Geier! Wie die Teufel haben sie gegeneinander gekämpft. Feuer und Rauch und Blitz und Donner, sage ich dir. Viele Leichen sind den Fluß hinabgeschwommen, in dem gar kein Wasser gewe sen ist. Und deshalb werden sie nun in die Stadt kommen, um neue Geister anzuwerben.« Der alte Mann berichtete ausführlich und trank dazu. Skinner goß nach, machte seine Striche und hörte geduldig zu. Bis der alte Moses umkippte. Skinner fluchte und blickte auf seine Kladde. Dann lief er um den Tresen, um den Oldtimer wieder auf die Beine zu bringen. In diesem Augenblick trat der Sheriff ein. »Was ist denn mit dem Moses los?« brummte der Sheriff verd rossen. »Besoffen!« »Warum gibst du ihm schon am Morgen so viel zu trinken?« polterte der Sheriff. Skinner zuckte die Schultern. »Da bin ich völlig schuldlos. Er 8
kam schon stockbetrunken zu mir herein. Bis eben hat er noch von Geistern und Gespenstern erzählt und von Leichen, die den Fluß hinabgeschwommen sind, obwohl nicht ein Tropfen Wasser im Fluß gewesen sein soll. So blau war er! Aber schon, als er he reinkam. Das kann ich beschwören. Ich weiß gar nicht, weshalb ich mir die ganze Zeit sein besoffenes Geschwätz angehört habe. Ich sollte ihm um jeden Preis glauben, daß die Geister jetzt nach Glendevey kommen werden, um hier für ihren Kampf Leute an zuwerben.« Der Sheriff furchte die Brauen. »Das hat er erzählt?« »Aber ja! Heute morgen will er die Geister am Fluß gesehen ha ben. Dieser alte Spinner! Hast du eine Ahnung, wo er sich so be trunken hat? Er war so blau, daß er den Bierhahn, an dem er ge sessen hat, mit dem Laramie-River verwechselte.« »Er ist heute morgen am Fluß gewesen!« sagte der Sheriff düs ter. Skinner starrte ihn an, grinste dann aber. »Säuft er denn jetzt heimlich?« »Als er zu dir kam, war er stocknüchtern! Kennst du denn die Geschichte nicht? Das alte Glendevey lag mal viel weiter im Nor den. Ich bin damals noch ein ganz kleiner Junge gewesen.« Skinner klappte den Mund auf und schloß ihn wieder, ohne et was gesagt zu haben. Sie bückten sich, hoben den Oldtimer auf und legten ihn auf ei ne Bank. »Wenn in den nächsten Tagen mal einer in den Saloon kommt und behauptet, daß er Gold in den Boulder-Felsen oder in dem Medicine-Bow-Gebirge gefunden haben will, hör ihm zu und schi cke jemanden zu mir. Aber sofort, verstehst du?« »Warum denn?« Der Sheriff zeigte auf Moses. »Weil die Geschichte damals so angefangen hat.« Skinner starrte ihn an. »Welche Geschichte?« »Hast du ihm denn nicht zugehört?« »Ja, aber…« »Dann weißt du doch Bescheid«, sagte der Sheriff, machte kehrt und ging hinaus. Skinner streckte die Arme vor, als wollte er ihn zurückholen, und ließ sie wieder sinken. Er drehte sich um und blickte auf den alten Moses. »Heiliger 9
Bimbam!« murmelte er und fuhr sich ratlos über das Gesicht. Er ging zum Tresen zurück, beugte sich über die Kladde und zählte die Striche nach. Wütend warf er den Bleistift auf den Tre sen. »Sonst hat er doch immer viel mehr vertragen!« murmelte er und schaute zur Bank hinüber. Da erstarrte er. Der Oldtimer war nicht mehr da. Er wollte zur Tür gehen. Doch ein schauriges Gelächter nagelte ihn förmlich an den Fleck. Er sah sich verwirrt um. Das Geräusch nahm an Heftigkeit zu. Es war der alte Moses, der lachte! Das hörte er deutlich. Das dröhnende Gelächter hämmerte durch den Raum und war so schmerzhaft laut, daß er die Hände auf die Ohren preßte. Rauch stieg plötzlich vor dem Tresen auf. Ein Schatten wuchs darin. Entsetzt riß Skinner die Augen auf. Der Rauch verflüchtigte sich und die Gestalt nahm rasch Konturen an. Es war der alte Moses! Doch wie sah er aus! Er saß auf einem Muli ohne Haut und Fleisch, und er selbst sah aus, als habe er Wochen in einem Grab gelegen. »Ich bin jetzt auch ein Geist, Skinner!« sagte er mit einer Stimme, die wie scharrendes Blech klang. »Ich reite für die Mal colms. Ihnen hat meine Sympathie schon immer gehört.« Er riß das Muliskelett um die Hand und galoppierte davon. Ein fach durch die Wand. Skinner sauste um den Tresen und stürzte hinaus auf die Stra ße. »Hilfe!« schrie er. »Hilfe!« Er stolperte, fiel und blieb liegen. * Der Sheriff bahnte sich einen Weg durch die Menge. Lähmendes Entsetzen hatte alle befallen. Der Doktor erhob sich gerade. »Tot!« sagte er mit würgender Stimme. »Skinner ist tot.« Der Sheriff blickte auf die Gestalt am Boden und erbleichte. Skinner war ein Mann von dreißig Jahren gewesen. Der Tote aber sah viel älter aus. Wie siebzig oder achtzig. Skinner hatte pech schwarzes Haar gehabt. Das war nun schlohweiß. Schmutzig und bärtig war das Gesicht. Aber die Züge und auch die Kleidung wie sen ihn als Skinner aus. Er war es. Da gab es keinen Zweifel. Der Blick des Sheriffs glitt in die Runde. Die Leute starrten ihn 10
an. Aber er hatte ja auch keine Erklärung. Jedenfalls keine glaubwürdige. Er betrat den Sideway und ging in den Saloon hin ein. Ein Blick auf die Bank genügte ihm. Er machte kehrt und ging sofort wieder hinaus. »Hat einer von euch den alten Moses gesehen?« Keiner antwortete. Alle schauten sich um, ob nicht ein anderer etwas von dem alten Fischer wußte. »Der alte Moses hat die Stadt doch schon vor drei Tagen verlas sen«, sagte da einer am Straßenrand. Alle schauten ihn an. Der Sheriff machte schmale Augen. »Wer sind denn Sie?« krächzte er. Es handelte sich um einen jungen Burschen. Der Sheriff hatte ihn noch nie in der Stadt gesehen. »Ich bin sein Enkel!« sagte der Mann und lächelte. »Deshalb weiß ich es auch.« Der Sheriff zückte den Revolver. »Sie sind verhaftet!« sagte er. Geraune hub an. Die Leute wunderten sich über das Gebaren des Sheriffs. Der junge Mann hob die Arme. »Darf man in Glendevey nicht der Enkel eines alten Fischers sein?« fragte er und lächelte, Zu stimmung heischend, in die Runde. »Sie nicht!« bellte der Sheriff und ging auf ihn zu. »Ich tue, was Sie sagen, Sheriff!« erklärte der junge Mann spöt tisch. »Aber erschießen Sie mich nicht gleich.« »Ja!« meinte der Doktor, scharfen Vorwurf in der Stimme. »Ge hen Sie jetzt nicht zu weit, Sheriff?« Woran war ein Geist zu erkennen, der sich in einen Menschen verwandelt hatte? Er hatte es mal gehört, aber wieder vergessen, weil er nicht daran geglaubt hatte. Doch nun gab es für den She riff nicht den geringsten Zweifel darüber, daß dieser junge Bur sche einer der Höhlengeister war. Das meinte er schon an dem stechenden Blick des Mannes zu erkennen. »Verhaftet!« sagte er, ohne sich um die Proteste der Menge und des Doktors zu kümmern. »Kommen’ Sie mit ins Office, junger Mann.« Er schob ihn vor sich her, und der Bursche dachte nicht daran, Widerstand zu leisten. »Sorgt dafür, daß Skinner von der Straße kommt!« rief er den Leuten zu. »Der Totengräber soll kommen.« Der junge Mann lachte, als sie das Office betraten. 11
»Name?« knurrte der Sheriff gereizt und schob ihn bis zur Zelle. »Lucy Dalton!« Der Sheriff nickte und trieb ihn in eine der Zellen. »Ich protestiere!« rief der junge Mann entschieden, der das bis zu diesem Zeitpunkt alles ganz unterhaltsam gefunden hatte. »Sie haben kein Recht, mich einzusperren.« Der Sheriff starrte ihn an. »Befrei dich doch!« Lucy Dalton schwieg und wich zurück. »Na, los!« brummte der Sheriff. »Befrei dich! Du kannst das doch!« Der junge Mann schluckte. »Was ist mit Ihnen, Sheriff? Haben Sie die Absicht, mich umzubringen? Sie sind ein Killer-Sheriff, was?« Der Sheriff warf den Zellenschlüssel auf den Tisch und trat nä her an die Tür. »Was suchst du in unserer Stadt? Woher kommst du? Ich habe dich in der ganzen Gegend noch nie gesehen. Und den alten Mo ses habe ich gut gekannt. Einen Enkel hat er nie erwähnt. Nie, verstehst du, du verdammter Hundesohn!« Der junge Mann ließ Furcht erkennen. »Ich komme aus Denver! Heute morgen bin ich angekommen. Vor einer Stunde.« »Und was willst du hier?« »Ich will nach Gold suchen!« »Wo?« bellte der Sheriff. »In den Medicine-Bows!« erwiderte Luke Dalton. »Ich habe in Denver von riesigen Goldfunden gehört. Nicht nur gehört! Ich habe das Gold von Leuten auch gesehen, die hier oben reich ge worden sind.« Der Sheriff erstarrte. Das war einer von den Geistern! Daran gab es keinen Zweifel. Aber jetzt mußte er schnell handeln. Wenn der Hundesohn bemerkte, daß er ihn durchschaut hatte, würde er sicher versuchen, ihn zu töten. Blitzschnell griff er nach dem Jagdmesser, das er im rechten Stiefelschaft stecken hatte und schleuderte es mit Wucht zu Luky Dalton hinein, der zurückwich, aber der Klinge nicht entgehen konnte. Er brach zusammen und rührte sich nicht mehr. Der Sheriff glitt geduckt zurück und zog den Colt. »Ihr verfluchten Höhlengeister!« zischte er. »Fahrt zum Teufel! Verflucht seid ihr! Dreimal verflucht!« Er wartete nicht, bis sich der Kerl verwandelte. Er riß die Tür 12
auf, sprang auf die Straße und warf die Tür ins Schloß. Der Schmied kam gerade vorbei. Er war ein alter Mann, älter als der Sheriff. Schon im alten Glendevey hatte er als Schmied gear beitet. Damals noch in der Werkstatt seines Vaters. Nach dem großen Umzug war sein Vater auf noch unerklärliche Weise ver schwunden. »He, Rod!« brummte er grinsend. »Gehst du jetzt der Fliegenplage mit dem Colt zuleibe?« Der Sheriff drehte sich um. »Heiliger Rauch, David!« krächzte er, »Sie sind wieder da. Es geht wieder los. Ich habe einen hier drin. Das heißt, er war es. Bis eben noch.« Der Schmied kniff die Augen zusammen. »Ich verstehe kein Wort! Du hältst mir die Kanone vor den Bauch, Junge.« Der Sheriff blickte auf die Waffe und schob sie in die Halfter. »Die Bergdämonen, David!« stöhnte er. »Von denen ist die Re de.« Das Gesicht des alten Mannes erstarrte. »Wer… wer hat sie ge sehen?« »Moses!« »Du lieber Himmel!« sagte der Schmied heiser. »Das ist doch nicht wahr? Wo ist Moses?« »Fort! Weg!« Der Schmied schluckte. Sein Blick bestand aus einer Mischung von Furcht und Zweifel. »Weg? Wie soll ich das verstehen?« »Keine Ahnung!« krächzte der Sheriff und wies mit dem Dau men auf die Tür. »Vor einer Stunde habe ich Moses noch drüben im Saloon gesehen. Aber der Kerl, den ich da festgesetzt habe, behauptet doch glatt, Moses wäre vor drei Tagen schon abgereist. Dabei habe ich diesen Bastard hier noch nie gesehen. Aus Denver will er sein, und weißt du, was er dort gehört haben will?« Der Schmied schüttelte den Kopf. »Daß es im Medicine-Bow-Gebirge Gold gibt!« krächzte der Sheriff. »Gesehen haben will er das.« »Er will die Leute verrückt machen!« keuchte der Schmied er schrocken. »Das mußt du verhindern. Rod!« »Ich bin dabei«, sagte der Sheriff. »Aber wie fange ich es richtig an? Ich war doch damals noch ein Kind. Ich kann mich nicht mehr erinnern.« »Vor allem dürfen die jungen Leute, die das damals nicht miter lebt haben, nichts erfahren.« 13
»Das ist mir schon klar«, murmelte der Sheriff. »Aber wie krie ge ich den Geist aus der Stadt?« Der Schmied blickte auf die Tür und sah den Sheriff fragend an. Der Sheriff zuckte die Schultern. »Laß uns nachsehen, ob er noch drin ist«, krächzte der Schmied. Der Sheriff schaute sich um. Passanten gingen vorüber. Keiner nahm von ihnen Notiz. Nur hin und wieder grüßte jemand flüch tig. Verstohlen nahm er den Colt in die Faust, öffnete die Tür und trat über die Schwelle. Der Schmied folgte ihm. Luky Dalton lag noch in der Zelle. Daß er tot war, sah man mit einem Blick. Der Sheriff drückte die Tür zu und lief mit dem Schmied zur Zel le. »Ich habe ihm mein Messer in den Bauch gejagt«, keuchte der Sheriff und sah den Schmied erschrocken an. »Warum ver schwindet er nicht? Weshalb hat er sich nicht in Rauch aufgelöst und ist durch das Dach entwichen?« »Rod!« stöhnte der Schmied. »Das ist gar kein Geist!« »Was?« Der Schmied schüttelte den Kopf, blickte auf den Toten in der Zelle und sah den Sheriff wieder an. »Das ist ein Mensch, Rod! Ein junger Mann ist das. Er ist tot!« »Aber David!« Der Sheriff erbleichte und ließ den Colt sinken. »Ich bin doch kein – Mörder! Ich habe doch gedacht…« Er legte den Colt auf den Tisch und schlug die Hände vor das Gesicht. »Himmel! Kein Mensch wird mir glauben, daß ich ihn für einen Geist gehalten habe.« »Ist das denn alles wirklich wahr?« fragte der Schmied mit Kummermiene. »Moses hat vielleicht gesponnen? Du kennst doch den alten Säufer. Er hat dich nur verrückt gemacht.« Der Sheriff ließ die Hände sinken. »Moses gelogen?« Er schüt telte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Und Skin ner? Ihn haben wir vorhin auf der Straße gefunden. Auch tot! Aber ihn müßtest du gesehen haben!« Stöhnen drang aus der Zelle. Sie blickten beide hinüber. Der junge Mann bewegte sich. Er rollte sich langsam auf die Seite. »Himmel, er lebt!« rief der Sheriff, suchte den Schlüssel auf 14
dem Schreibtisch und warf dabei alles durcheinander. Als er ihn gefunden hatte, stürzte er zur Zelle und schloß auf. »Lauf zum Doc, David! Rasch! Vielleicht können wir ihn retten. Ich muß…« Er verharrte, die geöffnete Tür in der Hand. Der große Blutfleck war auf einmal nicht mehr zu sehen. Luky Dalton drehte sich her um, stützte sich auf die Ellenbogen und lachte. Die beiden Männer erstarrten. Das Grauen saß ihnen im Na cken. Der Kerl dort am Boden lachte und meckerte wie der Satan selbst, und dabei begann er sich zu verwandeln. Das Messer, dieses schwere Jagdmesser des Sheriffs, das ihm tief in den Leib gedrungen war, fiel heraus. Wo hätte es auch ste cken bleiben können? Er verfiel förmlich vor ihren Augen. Seine Kleidung bestand auf einmal nur noch aus morschen ver blichenen Fetzen. Er sah nicht mehr Weiß sondern dunkelbraun aus. Das Fleisch, seine Haut und Muskeln schrumpften. Hell schimmerten Knochen durch, traten rasch stärker zum Vorschein, und durch die Rippenbögen konnten die beiden alten Männer se hen, daß da drinnen nichts war. Statt der Augen besaß er glühen de Löcher und aus seinen bleckenden Kiefern entwich der letzte menschliche Atem als grüner Rauch. Diese Verwandlung vollzog sich in Sekunden. Beide, der Sheriff und der Schmied wurden in dieser knappen Spanne vor Furcht und Entsetzen um zehn Jahre älter. Es klapperte und rasselte, als sich der Knochenmann erhob. Und er lachte weiter sein höhnisches, teuflisches Gelächter, daß es den beiden in den Ohren gellte. Der Schmied fiel auf die Knie und bekreuzigte sich. Einem Herz schlag nahe, glitt der Sheriff von der Tür und prallte gegen die Wand. Der unheimliche Kerl trat aus der Zelle. Er trug keine Stiefel, aber an seinen Fersenknochen befanden sich große Sporen, die mächtig klirrten und über den Boden scharrten. »Himmel hilf!« stöhnte der Sheriff, griff zum Revolver und feu erte. Er jagte die Trommel einmal herum. Er schoß, bis die letzte Patrone durch den Lauf war. Und er traf. Mit jedem Schuß. Aber die Bleistücke pufften nur in gähnendes schwarzes Nichts hinein, das sich in diesem schauerlichen Skelett befand. Der Höllensohn grinste mit bleckendem Gebiß. »Ich bin ein Malcolm!« tönte es aus dem beinernen Brustkorb. 15
»Einer der letzten. Aber ich werde dafür sorgen, daß alle Bewoh ner von Glendevey auf unserer Seite gegen die Hurensöhne dort in den Medicine-Bows kämpfen. Und das werdet ihr nicht verhindern, ihr verdammten Narren!« Es krachte und dröhnte. Flammen zuckten um ihn empor und schlugen für ihn eine Bresche in das Dach. In Rauch und Feuer gehüllt entwich er nach oben. Der alte Schmied brach stöhnend zusammen. Der Sheriff sah noch, wie sich das Dach wieder schloß. Dann fiel auch er auf das Gesicht, ein letztes Krachen und Donnern in den Ohren. Irgend etwas war explodiert! Das meinten auch die Passanten auf der Straße, die erschro cken zur Seite gesprungen waren, als die Officetür aus den An geln flog und bis auf die Fahrbahn krachte. Eine dunkle Rauch wolke schoß hinterher. Auch das Fenster ging in Trümmer. Ent setzt blickten die Einwohner von Glendevey, die sich in unmittel barer Nähe befanden, auf das Office. Der Donnerschlag der Explosion brachte die ganze Stadt auf die Beine. Im Handumdrehen drängten sich die Leute zuhauf. Es dauerte eine ganze Weile, bis die ersten Männer Mut faßten und in das Office gingen. Allen voran der Bürgermeister. Betroffen blieb er gleich an der Tür stehen. Der Sheriff und der alte Schmied lagen tot am Boden, schlimm zugerichtet von der Explosion, die nur sie ausgelöst haben konnten. Im Office sah es wie auf einem Schlachtfeld aus. »Sprengstoff!« meinte einer der Männer. »Schwarzpulver, wür de ich sagen.« Der Bürgermeister sah ihn an. »Ja! Aber was ist geschehen? Wie konnte das passieren?« Der Doktor bahnte sich draußen einen Weg durch die Menge und kam herein. »Nichts mehr zu machen, Doktor!« sagte Hardy, der Gehilfe des Futtermittelhändlers. »Die beiden alten Männer hier haben sich gegenseitig umgebracht.« »Weshalb sollen sie sich umgebracht haben?« fragte der Doktor und schüttelte den Kopf. Er ging von einem zum anderen und stellte fest, daß keiner mehr lebte. »Ein Unglücksfall, gewiß!« »Dem stimme ich schon eher zu«, sagte der Doktor. »Aber ich ziehe auch das in Zweifel. Der Sheriff war ein erfahrener Mann.« 16
»Unglücksfall, Selbstmord! Wir brauchen einen neuen Sheriff. Das ist sicher«, sagte ein Mann an der Tür. Sie drehten sich nach ihm um. Lucy Dalton war es, der das ge sagt hatte. Der Bürgermeister machte schmale Augen. »He, Sie! Hat Sie der Sheriff nicht vorhin vor Skinners Saloon verhaftet und mit ins Office genommen?« Der junge Mann lächelte. »Er war wohl nur schlecht gelaunt o der über den Tod des Mannes erschüttert. Er hat mich noch an der Tür wieder laufen lassen.« Der Doktor musterte den jungen Mann. Er hatte blondes Haar und besaß durchaus sympathische Züge. Doch die Augen gefielen dem Doktor nicht. Sie waren grün, und tief drinnen schimmerte und gleißte es. »Ich bin in Denver Gehilfe des Town-Marshals gewesen«, sagte Lucy Dalton. »Ich habe das schriftlich und empfehle mich hiermit der Stadt als neuen Sheriff.« Der Bürgermeister wandte sich dem Doktor zu, der im Stadtrat ein Wort mitzureden hatte. »Mister Lucy Dalton«, sagte er. »Der Enkel des alten Moses.« Er lächelte ein bißchen. »Nicht zu glauben, was?« »Well!« sagte der Doktor gedankenverloren, den Blick auf den jungen Burschen gerichtet. »Ähnlich sieht er ihm gar nicht. Aber darüber wollen wir jetzt nicht hier sprechen.« Lucy Dalton machte kehrt, drängte die Neugierigen draußen zu rück und bahnte dem Bürgermeister und dem Doktor eine Gasse. »Macht Platz, Leute!« rief er in die Menge. »Eine Explosion! Ein Unglücksfall. Der Sheriff und der Schmied sind umgekommen. Holt einer den Totengräber. Er soll mit dem Karren in die Stadt kommen. Es sind gleich zwei Leichen wegzubringen. Nun geht schon nach Hause!« Die Passanten wichen zurück. Die Hüte in den Händen, kamen der Bürgermeister und der Doktor aus dem Office. Sie blieben stehen und schauten sich würdevoll um. Schließlich setzten sie ihre Hüte wieder auf und nickten der schweigenden Menge zu. »Der junge Mann hat recht!« sagte der Bürgermeister. »Geht nach Hause! Räumt den Platz, damit der Totengräber mit seinem Karren heranfahren kann.« Sie entfernten sich. Der Bürgermeister warf noch einen Blick 17
über die Schulter und beobachtete, wie Lucy Dalton die Leute mit höflichen, aber bestimmten Worten weiter zurückdrängte. »Wenn er Deputy-Marshal gewesen ist, so sollten wir ihn viel leicht als Sheriff in Betracht ziehen«, meinte er zum Doktor. »Als der Enkel des alten Moses wäre er ja unter uns kein Fremder.« Der Doktor nickte.’ Widerwillig nur stimmte er zu. Er wußte nicht, weshalb er den jungen Mann nicht mochte. Daß es sich bei ihm um den Quartiermeister der Bergdämonen handelte, konnte auch er nicht wissen, ja nicht einmal ahnen. * Der Mond stand bleich über den Zinnen und Kegeln der BoulderFelsen. Wind war aufgekommen. Er trieb dünne Wolken von Sand und Staub über den Hof des abseits gelegenen Anwesens der Carson-Brüder. Slim und Homer waren Stellmacher. Sie hatten Holz geschlagen und Bretter geschnitten. Es roch nach Harz und Wald. Howard, der jüngste der Carsons, der vor einer Woche fünfund zwanzig Jahre alt geworden war, ritt durch das Tor zum Sattelplatz und saß dort ab. Er hatte nichts gelernt und ging auch kei ner geregelten Arbeit nach. Er half gelegentlich seinen Brüdern, die ihn sehr mochten und ihm alle Freiheiten ließen. Hin und wie der arbeitete er auch auf einer der umliegenden Ranches. Doch meistens tat er nichts. Und zwar aus dem simplen Grund, weil ihm dieses Leben am besten gefiel. Am Haus ging die Tür auf. Homer, der älteste der Brüder blickte heraus. »Howy?« »Natürlich!« antwortete Howard seinem um zehn Jahre älteren Bruder. »Wer soll es denn sonst sein?« Er führte das Pferd in den Stall, nahm den Sattel auf die Schul ter, warf ihn ein paar Schritt weiter auf den Balken und stapfte zum Haus, wo Homer ihm die ganze Zeit die Tür aufhielt. Slim stand am Herd. Er sah sich kurz um und musterte Howards Gesicht. »Den ganzen Tag nichts tun und am Abend diese Sauerteigmie ne!« knurrte er verärgert. »Wo bist du gewesen? Wir haben dich überall gesucht. Die Millers brauchen einen Helfer. Da könntest 18
du dir wieder mal etwas verdienen.« »Laß den Jungen doch erst einmal essen!« meinte Homer mit fühlend und schloß die Tür. Slim lachte gereizt und kam mit drei Tellern zum Tisch, die er wütend auf die Platte knallte. »Natürlich! Wenn das Kind vor dem Essen von der Arbeit spricht, könnte ihn das ja aus den Stiefeln schlagen.« »Laß ihn trotzdem erst essen!« sagte Homer. Howard störte das Gerede seiner Brüder nicht. Es war ja immer das gleiche. Sie wa ren ständig bemüht, für ihn Arbeit zu finden, die er dann meist doch nicht nahm. Er schwieg dazu und setzte sich an den Tisch. Homer ging seinem Bruder zur Hand. Sie deckten den Tisch und brachten das Essen heran. Da drang Hufschlag von draußen herein. Homer schaute zur Tür. »Wer könnte das sein?« Er sah Slim an. »Hast du jemanden eingeladen?« Slim schüttelte den Kopf. »Nein! Es sind zwei. Wahrscheinlich Leute, die Howy die Arbeit nachtragen.« »Die Millers?« fragte Homer, stand rasch auf und ging zur Tür. Da öffnete Howard zum ersten Mal den Mund. »Ich bin die nächsten Tage besetzt«, sagte er mürrisch. »Die Millers! Auf die habe ich gewartet! Fünfundzwanzig Cents den Tag und Plagerei von morgens bis abends.« Howard zündete eine Laterne an und öffnete die Tür. Er verzich tete darauf, den Karabiner mit hinauszunehmen, der über der Tür an der Wand hing. Banditen und Spitzbuben hatte es in dieser Gegend seit Jahr und Tag nicht mehr gegeben, und die Indianer, die sich hin und wieder blicken ließen, waren friedfertige Leute. Zudem war er sich auch ziemlich sicher, daß es sich um Leute handelte, die Miller geschickt hatte. Es waren jedoch Fremde. Sie kamen bis zu ihm geritten und saßen ab. »Hallo Nachbar!« sagte der eine. »Dieses einzelne Haus, das ist doch nicht Glende vey?« »Nein!« erwiderte Homer Carson lachend. »Da habt ihr euch verritten. Ihr seid zu weit nach Westen geraten.« »Würden Sie es uns erlauben, die Pferde zu tränken? Die Tiere sind seit dem Morgengrauen in Bewegung. Ich bin Bück Cimarron. Das ist mein Freund der Socco.« »Verwandt mit dem Friedensrichter Jocker Cimarron?« fragte 19
Homer. »Ja, er ist mein Onkel«, erwiderte der Mann. Homer ging zu ihm, hob die Laterne und gab den Männern die Hand. Sie waren beide noch jung. Er schätzte sie in Howys Alter. »Ihr könnt in der Scheune übernachten«, sagte Homer Carson. »Morgen früh wird Ihnen mein Bruder den Weg zur Stadt zeigen. Tränkt die Pferde und kommt ins Haus. Eßt noch einen Teller Suppe mit uns. Nach Glendevey ist es nicht weit. Doch der Weg führt von hier aus durch felsiges Gelände, in dem Ihre Pferde ab stürzen könnten.« Sie bedankten sich beide und nahmen an. Er ging mit ihnen zum Tränketrog, und während Per Socco bei den Pferden blieb, zeigte er Bück Cimarron die Scheune und den Stall. Er überließ ihm dann die Laterne und ging zum Haus zurück. Slim stand in der Tür. »Mister Cimarrons Neffe aus Laramie?« fragte er. »Ja! Mit einem Freund. Ich habe sie zum Essen eingeladen«, erwiderte Homer. »Schütte eine Kelle Wasser nach und laß den Topf noch mal aufkochen.« Sie kehrten in den Raum zurück und ließen die Tür offen. »Besuch?« fragte Howard schlechtgelaunt. »Nicht die Millers!« sagte Homer und klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. »Ein Neffe des Friedensrichters aus Laramie mit seinem Freund. Sie haben sich verritten.« »Von mir aus!« brummte Howard. Er wollte weiteressen. Doch Slim nahm ihm den Teller weg, schüttete die Suppe wieder in den Topf, setzte den Teller hart ab und trug den Topf zum Herd zurück. Howard strich sich über den Magen. »Hoffentlich reißt es nicht ein, und solche Leute kommen jeden Tag. Der Neffe des Friedens richters! Ich habe gar nicht gewußt, daß der sehr ehrenwerte Mis ter Cimarron einen Neffen hat.« »Wenn du dich ein bißchen mehr um alles kümmern und zum Beispiel mal eine Bürgerversammlung besuchen würdest, wüßtest du das«, sagte Slim. »Wenn ich dort nichts weiter erfahre!« maulte Howard. Nach einer Weile kamen die beiden jungen Männer herein. Ho mer machte sie mit seinen Brüdern bekannt, und Slim trug das Essen noch einmal auf. Er aß dann aus dem Topf, weil sie nur vier Teller besaßen. 20
»Aus Laramie?« fragte Howard, während er löffelte. Bück Cimarron und Per Socco nickten. »Die Strecke an einem Tag herunter zu reiten!« staunte Slim. »Das ist beachtlich.« »Wir wollten nicht zu spät kommen«, sagte Bück Cimarron, wo bei er kräftig kaute. Homer sah auf. »Zu spät kommen?« Die beiden sahen sich an. Schließlich legte Bück Cimarron den Löffel aus der Hand und lehnte sich zurück. »Wir haben vor, meinen Onkel zu besuchen und uns von ihm Geld zu leihen, um eine Ausrüstung zu kaufen«, sagte Bück Ci marron. »Wie viele Leute hat es denn schon in das Medicine-BowGebirge getrieben?« Die Brüder sahen sich nun ebenfalls an und grienten. »In die Medicine-Bow-Berge?« lachte Homer. »Wen sollte es da hin treiben? Da gibt es doch nichts.« »Gold ist gefunden worden!« meinte Bück Cimarron überrascht von ihrer Ahnungslosigkeit. »Wißt ihr das nicht? In Laramie spre chen die Leute von nichts anderem.« Die Brüder sahen sich wieder an. »Der Vater meines Freundes hat einen Claim abgesteckt und ist schon kräftig an der Arbeit«, behauptete Bück Cimarron. »Aber es fehlt ihm so ziemlich an allem.« Howard blickte gebannt von einem zum anderen und aß schnel ler, um fertig zu werden. Bück Cimarron aß weiter. »Wir haben befürchtet, daß in Glen devey schon gar keiner mehr ist. In Laramie rüsten ganze Famili en zum Aufbruch. Häuser werden verkauft, um Geld für Pferde und Wagen und die Ausrüstung zu haben.« »Davon haben wir hier nichts gehört!« sagte Slim und schüttel te den Kopf. Per Socco lächelte schlau. »Klar! Jeder wird eben nicht darüber sprechen.« »Wir sagen es euch nur, weil ihr uns gastfreundschaftlich auf genommen habt«, meinte Bück Cimarron. »Das ist doch selbstverständlich!« sagte Slim mit heiserer Stimme. Howard betrachtete Slim gespannt. Für ihn stand sofort fest, daß er gleichfalls versuchen wollte, reich zu werden. Er erkannte, daß Slim wohl dasselbe dachte. – Nur Homer zeigte sich mäßig 21
interessiert. »Gold! Ich weiß nicht«, meinte er. »Einer findet etwas, tausend andere pflügen die ganzen Rocky Mountains um und finden nur Dreck.« »In diesem Gebirgszug ist es etwas anderes«, erklärte Per Soc co den drei Brüdern. »Ich habe eine Ader gesehen!« »Und das ist die Wahrheit!« warf Bück Cimarron ein. Per Socco hielt die Hände einen halben Yard weit auseinander. »So dick ist sie gewesen, und sie hat sich durch eine ganze Höhle gezogen.« Slim nickte. »Ja, Höhlen gibt es dort oben.« Howards Gesicht begann zu glühen. Unentwegt blickte er zu Slim. »Man kann in den Medicine-Bow-Bergen sein Glück machen«, sagte Bück Cimarron. »Man kann!« meinte Homer. »Aber nichts ist sicher.« Per Socco streckte die Faust vor. »Man kann alles gewinnen. Wer nichts findet, verliert wenigstens nichts.« »Stimmt!« sagte Slim. »Man verliert nicht viel.« Er stand auf und räumte den Tisch ab. Danach servierte er den Gästen und seinen Brüdern einen Drink. Schließlich erhoben sich Bück Cimarron und Per Socco. Homer reichte Bück Cimarron die Laterne. Der junge Mann gab ihm die Hand. »Zögern Sie nicht, Mister Carson«, sagte er und lächelte. »Sie könnten sonst eines Tages feststellen, auf gute Freunde nicht gehört zu haben.« Sie verließen den Raum, und Slim ließ sie zur Tür hinaus. Er blieb auf der Schwelle stehen, bis sie drüben in der Scheune ver schwanden. »Ich denke, daß wir auch alles stehen und liegen lassen und un ser Glück versuchen«, sagte er, als er zu den Brüdern zurück kehrte. Howard brannte schon vor Begeisterung. »Das ist die Chance, auf die ich schon immer gewartet habe.« »Ich finde daran ganz und gar keinen Geschmack«, meinte Ho mer verdrossen. »Du hast doch gehört, was die beiden gesagt haben!« rief Howard leidenschaftlich. »Spinner!« sagte Homer. 22
»Du hast die Männer ins Haus gelassen«, sagte Slim. »Gefallen sie dir auf einmal nicht mehr?« »Ich weiß nicht!« sagte Homer düster und betrachtete seine Rechte. »Eiskalt ist seine Hand gewesen.« »Vielleicht hat er Fischblut in den Adern!« sagte Slim und lach te. »Aber das ändert nichts an der Tatsache.« Homer starrte plötzlich zu Boden. »Seht her!« krächzte er. Die Brüder sahen ihn überrascht an und schauten danach auf den Boden Fußspuren führten vom Tisch bis zur Tür. Wie einge brannt sahen die Stiefelabdrücke aus. »Da hat einer von denen aber ziemliche Mistlatschen ange habt«, meinte Slim verärgert. Er führte ja den Haushalt. Homer hockte sich nieder Und strich vorsichtig über den Abdruck. Nack tes Entsetzen stand in seinen Augen, als er sich erhob. »Eingebrannt!« krächzte er. Slim winkte ab. »Die Spuren sind seit eh und je im Boden.« »Das glaubst du doch selbst nicht!« stöhnte Homer und hob die Rechte. »Fischblut sagst du! Überhaupt kein Blut hatte der Kerl in den Adern.« »Siehst du Gespenster?« fragte Slim gereizt. Howard blickte verwirrt und verständnislos von einem zum an deren. Homer sah Slim an. »Ja, ich habe Gespenster gesehen. Und zwar gleich zwei Stück.« Er stapfte zur Tür und nahm den Karabiner von dem Haken. Slim trat ihm rasch in den Weg. »Was willst du?« »Mir die Kerle noch einmal ansehen!« bellte Homer. »Aber nicht mit dem Gewehr in der Faust!« erwiderte Slim wü tend. »Sie müssen ja glauben, du willst sie ausrauben. Den Nef fen des Friedensrichters!« Homer ließ das Gewehr sinken. Slim nahm es ihm aus der Hand und legte es auf seinen Platz zurück. »Sie genießen unsere Gastfreundschaft! Du kannst ja morgen an Howys Stelle mit ihnen nach Glendevey reiten, um zu sehen, ob es sich um Gespenster handelt. Abergläubisch! Das kenne ich gar nicht von dir.« »Mein Gefühl sagt mir, daß den Kerlen nicht zu trauen ist!« krächzte Homer. Slim schob den schweren Holzbalken vor die Tür. »Vor denen 23
fürchten wir uns doch nicht. Wenn sie kommen, gibt es ein Feu erwerk. Aber dein Mißtrauen ist völlig unbegründet.« Homer wies auf die Brandspuren. »Laß mich damit in Ruhe. Die Bude ist dicht gemacht. Hier kann keiner rein«, erwiderte Slim gereizt. »Machen wir uns nun auf den Weg in die Medicine-Bow-Berge oder nicht?« wollte Howard wissen. Slim warf einen ärgerlichen Blick auf seinen älteren Bruder und schlug Howard auf die Schulter. »Wir versuchen unser Glück.« »Wir beide?« »Homer wird uns schon nicht sitzen lassen.« »Wie stellst du dir das vor?« begehrte Homer auf. »Der Wagen, den die Millers in vierzehn Tagen geliefert haben wollen, ist noch nicht einmal angefangen.« Slim legte Howard den Arm um die Schulter. »Wir werden Gold finden!« sagte er zuversichtlich. »Ich habe das im Gefühl! Wenn es im Medicine-Bow-Gebirge Gold gibt, so finden wir drei das auch. Verlaß dich mal auf mich, Homer! Und dann, zum Teufel, können sich die Millers ihren Wagen selbst bauen. Nie mehr fasse ich dann einen Hobel oder eine Säge an. Doch nicht als reicher Mann! Wie stellst du dir das vor?« Er und Howard lachten, fielen sich in die Arme und schlugen sich auf die Schultern, daß es nur so klatschte. Homer sah verständnislos zu. »Ich werde den beiden morgen früh den Weg in die Stadt zei gen«, erklärte er, als sie zu Bett gingen. Weder Howard noch Slim hatten etwas dagegen. * Als Homer am anderen Morgen in aller Herrgottsfrühe die Scheu ne betrat, waren Bück Cimarron und Per Socco schon verschwun den. Er machte auf dem rechten Absatz kehrt und rannte zum Stall hinüber. Auch ihre Pferde waren weg. Mißtrauisch betrachte te er den Boden. Doch seine Befürchtung, weitere Brandspuren zu finden, erfüllte sich nicht. Vorsichtshalber sah er noch einmal in der Scheune nach. Doch auch dort konnte er keine neuen Abdrü cke finden, die einer hinterlassen hatte, der mit glühenden Sohlen umher ging. 24
Er kehrte ins Haus zurück. Slim war inzwischen aufgestanden und hantierte am Herd. »Schlafen die Compadres noch?« wollte er wissen, als Homer den Raum betrat. »Sie sind schon weg!« Slim drehte sich nach ihm um. »Hast du ihnen den Weg bloß beschrieben? Aber du wolltest doch prüfen, ob es sich um Ge spenster handelt oder nicht«, erinnerte er voller Spott. Homer blickte ihn düster an. »Sie sind verschwunden! Als ich in die Scheune kam, waren sie schon fort. Aber eins tue ich jetzt! Ich reite nach Glendevey und erkundige mich beim Friedensrich ter, ob die Burschen dort auch angekommen sind.« »Das wirst du nicht tun!« erklärte Slim mit fester Stimme. »Und weshalb nicht?« »Weil wir in einer halben Stunde aufbrechen!« erwiderte Slim gelassen. »Wir nehmen den Farmerwagen. Was wir benötigen, haben wir im Haus. Werkzeug, Proviant – alles ist vorhanden. Irgendwo im Schuppen muß sogar noch ein Goldgräber sieb hän gen.« »Und unsere Arbeit?« krächzte Homer. »Die lassen wir sausen!« sagte Slim. »Von Arbeit ist noch keiner reich geworden«, stimmte ihm Howard zu, der gerade zur Tür herein kam. Homer staunte ihn an. »Was ist denn mit dir los? Aus dem Bett gefallen?« »Wenn es ans Reichwerden geht, hat es sogar Howy mal eilig!« sagte Slim grinsend. »Wir bleiben hier!« sagte Homer. »Du vielleicht!« erwiderte Slim. »Wir nicht, Howy und ich. Stimmt’s Howy?« »Du wirst uns doch nicht sitzenlassen!« sagte Howard. Homer blickte wütend von einem zum anderen. »Diese beiden Hundesöhne!« schimpfte er. »Wie ich sie verfluche. – Ich schiebe den Farmerwagen vor die Tür.« Er machte kehrt und stapfte wild hinaus. Slim und Howard grinsten. »Den haben wir wieder mal geschafft, Howy!« lachte Slim. »Wenn er sich jetzt auch ärgert, er wird sich eines Tages glück lich preisen.« »Ja! Aber geh und hilf ihm! Wir haben es nämlich wirklich eilig. 25
Die Burschen werden vermutlich auch in Glendevey den Mund nicht halten, und deshalb verfluche ich sie ebenfalls. Der Erste kann man nicht immer sein, aber den Letzten abzugeben, sollte man sich hüten. Los, bewege dich!« Howard zog die Jacke an, setzte den Hut auf und lief hinaus. Eine Stunde später schloß Homer das Haus ab. Slim und Howard saßen schon auf dem Farmerwagen, der mit all den Dingen vollgepackt war, von denen sie glaubten, daß sie die in den Ber gen benötigten. Sogar ein altes Armeezelt hatten sie aufgeladen. Homer sah sich noch einmal in dumpfer Vorahnung wehmütig um. Es fiel ihm nicht leicht, das Haus zu verlassen. Dann ging er zum Wagen und stieg zu den Brüdern hinauf. »Hoffentlich wird das keine Pleite geben«, meinte er beküm mert, als er sich von Slim Zügel und Peitsche reichen ließ. Die Pferde zogen sofort an und liefen auf das Tor zu, ohne daß er etwas gesagt oder an den Zügeln geruckt hatte, und draußen schlugen sie auch von selbst den Weg nach Norden ein. Homer sah Slim überrascht an. Doch Slim lachte. »Die wissen, wohin es geht! Ich wette, daß sie von dem Reichtum auch schon etwas riechen. Genau wie ich!« Homer ließ die Peitsche knallen und trieb die beiden Braunen zu einer schärferen Gangart an, nur um zu spüren, ob sie ihm auch gehorchten. Sie trabten sofort los. »He!« rief Howard. »Nicht so schnell, Homer! Wir verlieren ja alle Klamotten.« Homer stemmte sich ein, um die Tiere etwas zurückzuhalten. Doch der Teufel schien in sie gefahren zu sein. Sie wurden schneller und schneller. »He!« rief schließlich auch Slim. »Langsamer, Homer! Uns flie gen die Räder weg.« »Sie sind nicht zu halten!« Slim fluchte und griff mit in die Zügel. Aber das nützte nichts. Die Braunen galoppierten und wurden immer schneller. Auf ein mal schienen sie Flügel zu besitzen. Der Wagen raste donnernd und krachend über das Land. Bäume und Büsche flogen förmlich vorüber. Howard bekam es mit der Angst zu tun. Er hielt sich krampfhaft fest. Slim und Homer gaben so rasch nicht auf. Sie rissen an den Zü geln und stemmten sich ein. 26
»Halt!« rief Homer. »Brrr! Stehn! Stehn, ihr verdammten Bö cke!« Beide wurden von der Fahrerbank gezogen. Doch plötzlich krachten sie hart zurück. Homer mußte die Zügel loslassen und sich festhalten, um nicht vom Wagen zu fallen. Slim starrte ihn entsetzt an. Die Zügel waren gerissen! »Homer!« krächzte er. Homer biß sich auf die Lippen und starrte auf die Pferde, die den schwer beladenen Farmerwagen nur so vorwärts rissen. Der Wagen hüpfte und sprang. Manchmal fuhr er nur auf zwei Rädern und krachte dann hart auf alle vier zurück. »Das hält der Wagen nicht aus!« stöhnte Slim. Er ließ die nutz los gewordenen Zügel aus den Händen gleiten, damit er sich e benfalls festhalten konnte, und schaute zurück. Die jagenden Pferdehufe und die wild rasenden Räder rissen ei nen dichten Staubschleier aus dem Boden. Ihr Anwesen war schon nicht mehr zu sehen. »Himmel!« stöhnte Homer. »Der Wagen geht zu Bruch!« »Was ist nur mit den Pferden los?«, schrie Slim. Der Fahrtwind sauste ihnen in den Ohren, und der Wagen, der wahre Bocksprünge vollführte, krachte in allen Fugen und ratterte wild. Die Brüder mußten sich mit allen Kräften anklammern, um nicht vom Bock geschleudert zu werden. Hinter ihnen leerte sich der Wagen. Der Fahrtwind wütete wie ein Sturm und riß Säcke und Kisten aus dem Wagenkasten. Wie Geschosse flogen die Dinge, die für die Brüder so wertvoll waren, in den Staubschleier hinein und verschwanden. Aber dafür besaßen alle drei keine Augen. Todesfurcht und das blanke Entsetzen hielt die drei Männer gepackt. Dieses Höllen tempo konnten weder der Wagen noch die beiden Pferde lange durchhalten. Das war jedenfalls ihre einhellige Meinung, und das riefen sie sich auch immer wieder zu. Doch die Tiere hielten die sen jagenden Galopp mühelos durch. Über Meilen hinweg, Stunde um Stunde. Homer versuchte abzuspringen. Aber er konnte sich nicht rüh ren. Wie festgebacken saß er auf der Fahrerbank. Slim und Howard erging es nicht anders. Auf einmal befanden sie sich am Ufer des Laramie-River, den sie selbst mit den besten und schnellsten Pferden frühestens am anderen Tag erreicht hätten. Die Pferde rasten zu einer Furt und 27
jagten durch den Fluß. Kurz darauf donnerten ihre Hufe und krachten die eisenbereiften Räder des Farmerwagens über die Felsplatten des Medicine-Bow-Gebirges. Mit rechten Dingen ging das nicht zu. Und alle drei dachten an die nächtlichen Besucher und hatten die Dielenbretter vor Augen, in die sich die Stiefel des einen Schurken förmlich hineingebrannt hatten. Die Pferde rasten mit dem Wagen in eine Schlucht hinein und dabei gerieten sie zu nah an die Felswand. Es krachte und split terte, und Homer spürte, wie er vom Bock flog, und während er sich über den Pferden überschlug sah er, daß auch Howard und Slim durch die Luft gewirbelt wurden. Howard stieß einen ver zweifelten Schrei aus. Homer krachte auf den Rücken. Er überschlug sich noch ein paarmal und landete an der Felswand, stieß sich den Schädel ein und verlor das Bewußtsein. Das letzte Gefühl, das er hatte war, daß er in bodenlose schwarzgähnende Tiefe stürzte. Und das un aufhaltsam. Himmel hilf! war sein allerletzter Gedanke. Dann wußte er nichts mehr. * Sam Miller erwachte mitten in der Nacht, weil draußen die bei den Hunde fürchterlich bellten. Seine Ranch befand sich zwei Mei len südlich von Glendevey und etwa sechs Meilen westlich vom Anwesen der drei Carson-Brüder entfernt. Er stand auf und stapfte schlaftrunken zum Fenster. Auch seine Frau war wach geworden. »Sam! Was ist mit den Hunden?« fragte sie erschrocken. »Ein Wolf! Was wird’s sein, Alte!« brummte der Rancher, wäh rend er das Gesicht an die Scheibe preßte. »Warum bringt sie keiner der Cowboys zum Schweigen? Willi hat sich um sie zu kümmern. Das weiß er doch ganz genau. Mor gen früh soll er mir bloß nicht erzählen, daß er dieses Höllenspek takel nicht gehört hat. – Nun geh schon hinaus!« »Du, Alte!« stöhnte der Rancher. »Das sind nicht unsere Hun de.« »Was ist denn das für ein Unsinn?« schimpfte die Frau und ver 28
ließ gleichfalls das Bett. »Wie spät ist es? Es muß doch gleich Tag werden.« Sie ging zu ihm ans Fenster und erschrak. Draußen sah sie zu nächst gar nichts. Sie bemerkte nur, daß ihr Mann eiskalt war und wie Espenlaub am ganzen Körper zitterte und schlotterte. »Sam!« rief sie entsetzt. »Still, Alte!« keuchte der Rancher. »Oder sie holen uns!« Da entdeckte sie draußen die Schatten. Hunde und Reiter, schwärzer als die finstere Nacht und dazu noch riesenhaft groß, jagten hinter dem Korral über die Weide und hetzten die Rinder vor sich her. Zu Tode erschrocken versteckte sie sich hinter ihrem Mann, schloß die Augen und klammerte sich an ihn. »Geister! Gespenster, Sam!« jammerte sie. »Still, Alte! Still!« krächzte der Rancher leise. Nach einer Weile richtete er sich auf. Es war nichts mehr zu se hen. Aber er wußte, daß er nicht ein Rind mehr besaß. Nun drang ängstliches Jaulen der eigenen Hunde herein. »Mein Gott!« stammelte er. »Sind sie fort?« »Ja! Ich… ich habe das doch nur geträumt, Alte. Wo bist du?« Sie ließ ihn erschrocken los. »Sam! Hinter dir.« Er zuckte her um. Plötzlich fiel Mondlicht herein. Er starrte ihr ins Gesicht. Die Hunde wurden lauter. Sie hörten, daß die beiden Tiere an den Ketten zerrten. Er drehte sich um und wollte das Fenster öffnen, damit er sie zur Ruhe bringen konnte. Doch er hielt erschrocken ein. »Du lieber Himmel!« stöhnte er verzweifelt. »Du meine Güte! Geister und Gespenster haben meine Rinder gestohlen.« »Was wollen sie damit, Sam?« »Verkaufen!« Er stutzte bei diesem Wort. »Verkaufen?« fragte sie. Die Angst wich von ihm und machte langsam dumpfer Wut Platz. Er ballte die Hände zu harten Fäusten, starrte in das nun vom Mond beschienene Land hinaus und schaute seine Frau wie der an. »Rustler!« stieß er mit knirschender Stimme hervor. »Gemeine Viehdiebe, die uns irgendwie hereingelegt haben.« »Aber das waren doch keine Menschen!« stöhnte sie. »Quatsch nicht, Alte!« knurrte er wütend. »Bist du draußen auf 29
der Weide gewesen und hast diese Unholde aus nächster Nähe gesehen?« Sie sank bei diesem Gedanken vor Furcht auf die Knie und be kreuzigte sich. »Wir haben uns von der Dunkelheit und ihren Umhängen narren lassen. Das war es!« Er machte kehrt und wollte das Fenster aufreißen. Doch sie fiel ihm in den Arm. »Nein, Sam!« schrie sie entsetzt. »Lass das Fenster zu. Ich fürchte mich. Warte, bis es Tag ist. Von unseren Cowboys läßt sich doch auch niemand blicken. Die Männer müssen den Lärm gehört haben. Aber sie wissen, weshalb sie sich versteckt hal ten.« Wütend befreite er sich aus ihrem Griff und stapfte entschlossen zum Bett. In aller Hast zog er sich an. Sie kam zu ihm. »Willst du hinausgehen? Tu es nicht! Hölle und Verdammnis werden über uns kommen.« »Über uns!« knirschte er zornig. »Da glaube ich wohl eher, daß Hölle und Verdammnis über die Hundesöhne kommen werden, die mir das angetan haben. Weit werden die nicht kommen. Das schwöre ich dir. Ich reite ihnen mit den Männern sofort nach. In den Boden stampfen wir die Schurken.« Er war restlos entschlossen, sich sein Eigentum zurückzuholen und die Banditen zu bestrafen. Zornig schwang er sich zum Schluß den Coltgurt um die Hüften und stapfte zur Tür. »Sam!« stöhnte da die Frau. »Sieh nur!« Die Hand schon auf der Klinke, hielt er ein und blickte zum Fenster hinaus. Und da packte ihn das Grausen von neuem! Mitten im Hof stand ein Reiter im Mondlicht. Ein Geisterreiter! Ein Kerl, der nur aus Knochen bestand. Auch sein Pferd sah so aus. Um den Halswirbel gebunden trug er einen schwarzen Um hang, und auf dem kahlen Schädel saß ein Zylinderhut, unter dessen schmaler Krempe die Augenhöhlen des Totenschädels dunkelrot glühten. Der Rancher zog den Colt und ging langsam zum Fenster, vor bei an seiner Frau, die auf die Knie gefallen war und betete und ein Kreuzzeichen nach dem anderen schlug. Er hob die Waffe, zielte und schoß einfach durch die Scheibe. Glas spritzte ihm ins Gesicht. Das war zunächst alles, was er mit dieser Schießerei bewirkte. Schuß auf Schuß jagte er hinaus. 30
Die Waffe dröhnte und blitzte und die Echos hallten in den nahen Hügeln wider. Der Höllenhund mitten im Hof verharrte reglos. Nur sein Um hang bewegte sich unter den Einschlägen der Bleistücke. Nachdem der letzte Schuß gefallen war, ließ der Rancher den Colt sinken. Daß er die Waffe nachladen konnte, hatte er völlig vergessen. Der Verstand schien ihm vor Schreck stillzustehen. Plötzlich geriet der Bastard in Bewegung. Die Mähre ging vorn steil hoch und er riß eine Sense empor. Von der Sensenspitze zuckten grelle Blitze zur großen Winterscheune hinüber, die von einem Augenblick zum anderen in hellen Flammen stand. Der Rancher zitterte wieder. Kalter Schweiß tropfte von seinem bärtigen Gesicht. Der Satansknecht galoppierte an. Direkt auf die lichterloh bren nende Scheune zu. Mit wehendem Umhang raste er hinein. Der Hund kommt in seinem eigenen Feuer um! dachte der Ran cher, und das war seit langem sein erster Gedanke. Doch das Grauen lähmte ihn schon wieder. Der Höllenreiter kam auf der anderen Seite aus dem Feuer ga loppiert und verschwand in der Nacht. Deutlich war das Trommeln der Hufe zu hören. Trotz dem Fauchen und Prasseln der Flam men. Allmählich verlor sich das Geräusch der hämmernden Hufe in der Ferne. Reglos sah der Rancher zu, wie seine Scheune zusammenstürz te und restlos herunterbrannte. Inzwischen war es Tag geworden. Er wandte sich ab und ging zur Tür. Seine Frau lag vor dem Bett, dem Wahnsinn nahe. Sie betete immer noch. Irr und schrill klang ihre Stimme. Sam Miller lief hinaus in den Hof. Der Wind hatte in der letzten Nachtstunde aus einer für ihn günstigen Richtung geweht. Sonst wären ihm sämtliche Gebäude abgebrannt. Das war das einzige Quentchen Glück gewesen, das er in dieser Teufelsnacht gehabt hatte. Aus dem Bunkhouse traten die Cowboys. Schweigend und mit bleichen Gesichtern. Miller lief zum Stall. Die Pferde waren verstört und nervös. Er holte seinen Rappen aus der Box, führte ihn ins Freie und sattelte ihn. Der Vormann näherte sich zögernd. »Wer hat Sie verflucht, 31
Rancher?« fragte er, als er stehenblieb. »Die Leute wollen Sie verlassen. Auf einer Geisterranch will schließlich keiner freiwillig bleiben.« Sam Miller starrte ihn kurz an. Also hatten alle die Spukgestal ten und den Geisterreiter gesehen. Er schwang sich in den Sattel und ritt zur Stadt, ohne ein Wort zu verlieren. Die Angst packte ihn wieder, als er so mutterseelenallein auf der Poststraße entlang ritt. Er spornte den Rappen an und galop pierte. Dabei sah er. sich gehetzt um. Er galoppierte bis in die Stadt hinein, in der das. Leben und Treiben schon begonnen hatte. Erst am Glockenturm ließ er den Rappen im Schritt gehen. Er zog die Bandana vom Hals und wischte den Schweiß aus Gesicht und Nacken. Dabei betrachtete er die Passanten, die arglos die Sideways entlang gingen und mit nichts weiter als mit sich selbst beschäftigt waren. Etliche Be kannte kamen ihm entgegen. Er wollte halten, um ihnen zu be richten. Doch er begriff, daß ihm seine Geschichte nicht einer glauben würde. Völlig mutlos stieg er vor dem Office ab. Wenn Sheriff Rod ihm auch nicht glaubte, er wollte es ihm wenigstens berichtet haben. Er klopfte an und trat ein, und beim Anblick des jungen Mannes, der da auf Rods Stuhl saß, verließ ihn der Mut völlig. Er hatte die sen Mann nie gesehen, und dieser kannte ihn nicht. Da würde er erst recht nichts von dem glauben, was er zu erzählen hatte. Der junge Mann erhob sich. Er trug Rods Stern. Das sah Miller sofort. »Lucy Dalton ist mein Name!« stellte er sich vor. »Ich bin ges tern abend vereidigt worden.« »Wo ist denn Rod?« krächzte Miller. Der junge Mann musterte ihn erstaunt. »Sheriff Rod ist tot! Ein Unglücksfall! Hier im Office. Wissen Sie das nicht?« »Nein! Woher?« stammelte der Rancher. »Miller heiße ich. Mir gehört die Ranch südlich der Stadt.« Der neue Sheriff lächelte. »Ah, Mister Miller! Ja, von Ihnen habe ich schon gehört. Womit kann ich Ihnen dienen?« Miller drängte es, das Office wieder zu verlassen. »Na?« fragte der Sheriff amüsiert. »Sie haben doch etwas auf dem Herzen. Das sehe ich Ihnen doch an.« »Mir sind letzte Nacht sämtliche Rinder gestohlen worden.« 32
Das Gesicht des jungen Mannes verschloß sich. »Heute nacht? Wann? – Warum, um Himmels willen, kommen Sie dann erst jetzt? Ich werde sofort Leute zusammentrommeln und die Kerle verfolgen. Wieviel Männer haben Sie?« »Ich bin allein!« krächzte Miller. »Was? Sie bewirtschaften doch Ihre Ranch nicht ohne Cow boys!« Miller schluckte. »Meine Leute haben heute morgen gekündigt! Alle!« »Erklären Sie es doch!« verlangte der Sheriff. Miller schluckte wieder. »Ich bin von Gespenstern überfallen worden!« würgte er förmlich hinaus. Der Sheriff verzog das Gesicht. »Mögen Sie ein Glas Wasser?« »Ich weiß, es klingt seltsam!« stöhnte Miller. »Aber es ist die Wahrheit. Ich kann es beschwören. Die Reiter hatten Hunde da bei, die größer als Büffel gewesen sind. Und einer, der nur aus Knochen bestand, hat mit Blitz und Donnerschlag meine Scheune angebrannt, die jetzt nur noch ein Aschehaufen ist.« »Wollen Sie einen Irrtum wirklich ausschließen, Miller?« »Ja!« keuchte der Rancher. »Sie haben doch gehört! Meine Leu te… sie glauben, ich sei verflucht. Deshalb verlassen sie mich doch.« »Hören Sie mal zu, Miller! Ich will Ihnen helfen. Dazu bin ich ja von Amts wegen verpflichtet. Aber allein kann ich die Rinderdiebe nicht verfolgen, schon gar nicht würde es mir gelingen, denen allein die Herde wieder abzunehmen. Und die Rinder wollen Sie doch wieder haben?« Miller nickte lebhaft. »Ich kann mir schon vorstellen, wohin die Schurken mit Ihren Rindern gezogen sind. Nach Norden! In die Medicine-Bow-Berge. Da gibt es viele Verstecke, schlecht zugängliche Schluchten, in denen man auch eine größere Herde verschwinden lassen kann. Doch allein bin ich machtlos. Ich muß also Männer anwerben. Ich bin sicher, daß ich zwanzig oder dreißig Bürger von Glendevey für eine Posse in den Sattel bekomme. Doch was glauben Sie, wie viele sich melden, wenn wir verlauten lassen, daß Sie von Ges penstern überfallen worden sind?« Miller biß sich auf die Lippen und nickte. Der Sheriff kam zu ihm und klopfte ihm auf die Schulter. »Mut, Miller! Ich glaube Ihnen ja. Aber die Leute hier sind komisch und 33
voller Aberglauben. Wollen wir das von den Geistern nicht lieber verschweigen? Rinderdiebe sind es gewesen. Fertig! Oder?« Miller nickte abermals. »Sie haben ja recht!« Lucy Dalton lächelte zufrieden. »Wir werden die Kerle schon er wischen. Das wäre doch gelacht. Mögen es Gespenster gewesen sein! Ihre Rinder sind keine und die können sich also auch nicht in Luft auflösen.« Das leuchtete Miller ein. Der Sheriff trat an den Tisch, band sich den Coltgurt um und setzte den Hut auf. »Haben Sie schon mal überlegt, was Gespenster mit Rindern anfangen, und wozu sie die benötigen?« Miller schluckte wieder. »Natürlich! Aber…« »Sehen Sie!« erwiderte der Sheriff lächelnd, kam zu ihm und klopfte ihm auf den Arm. »Geister essen und trinken nicht, und zum Reiten nehmen diese Burschen Rinder todsicher zuletzt.« Er lachte, und Miller lachte mit. Es war ja alles so einleuchtend, was der neue Sheriff da sagte, vor allem war er entschlossen, ihm zu helfen. Und seine Rinder mußte er wiederhaben, ob sie nun der Tod oder der Teufel geholt hatte, sonst war er ruiniert. Er ging mit dem Sheriff hinaus, der sofort damit begann, Män ner für eine Posse anzuwerben. Und jedes Mal, wenn einer zusag te, leuchtete es in seinen grünen Augen gleißend auf. Doch das beachtete niemand. Nicht einmal Miller nahm es wahr, und auch nicht den Schwefelgestank, den der Kerl hin und wieder um sich verbreitete. * Als Homer Carson zu sich kam, dauerte es eine ganze Weile, ehe er die Erinnerung wieder hatte und wußte, was geschehen war. Als er sich aufrichtete, sah er Slim an der Felswand sitzen. Er war ebenfalls zu sich gekommen, aber noch völlig benommen. Howard lag auf dem Bauch vor den Pferden, alle vier von sich gestreckt. Die Pferde standen ruhig wie Lämmer. Sie mahlten nur leise auf den Gebißketten. Dem Wagen war nicht viel passiert. Sie konnten ihn noch gebrauchen. Nur die Ausrüstung fehlte. Doch die Ab sicht, nach Gold zu suchen, hatte Homer schon aufgegeben. 34
Er wankte zu Howard und drehte ihn auf den Rücken. Da schlug auch er die Augen auf. »Mein Gott, Homer! Wo sind wir denn?« »Komm erst einmal richtig zu dir«, sagte Homer und half ihm auf die Beine. Er mußte ihn stützen, als sie zu Slim gingen. Slim schaute ihnen entgegen und lächelte enttäuscht und un sagbar müde. »So eine verdammte Pleite!« sagte er langsam. »Bist du verletzt?« wollte Homer wissen. Slim schüttelte den Kopf. »Aber was machen wir jetzt?« Sein Blick fiel auf die Pferde. »Denen muß ja einer Pfefferstangen hin ten hineingeschoben haben.« Homer sah sich spähend um. Die Sonne war schon weg. In der Schlucht wurde es dämmrig. »Ihr könnt sagen, was ihr wollt! Mir ist verdammt unheimlich zumute. Die Kerle, die uns besucht und auf das Gold wild ge macht haben! Diese Höllentour!« »Wir sollten froh sein, daß wir so schnell an Ort und Stelle ge lang sind«, meinte Howard. Die Brüder sahen ihn an. »Schnell an Ort und Stelle gelangt?« krächzte Homer. »Mach dir mal klar, mein Junge, daß wir vierzig Meilen schneller als Blitz und Donner bewältigt haben. – Seht euch die Pferde an! Sie sind jetzt noch nicht müde. Und der Braune mit dem Stern, Slim, der hat einen ganz bösen Blick.« Er fror. Seinen Brüdern erging es nicht anders. Howard rieb sich fröstelnd die Oberarme, Slim stand auf und schlug den Jackenkragen hoch. »Hier können wir nicht bleiben. Die Nacht bringt allerhand Kälte mit.« Homer sah sich wieder spähend um. »Sind wir denn auf einmal in einem Eiskeller hier?« Sein Atem wehte wie eine weiße Fahne aus Mund und Nase, als er das sagte. Die Brüder starrten ihn an. »Hauen wir ab!« keuchte Homer. »Mit diesen Pferden?« krächzte Slim. »Diese Biester sind im stande, uns in die Hölle zu tragen, ohne daß wir etwas dagegen unternehmen können.« »Willst du zu Fuß gehen?« fragte Howard. »Ich verstehe euch 35
nicht. Und das Gold?« »Den Tod kannst du hier finden, aber kein Gold!« zischte Homer wütend. »Die Kerle, die uns besucht haben, hat uns der Teufel geschickt. Begreifst du das nicht?« Sein Blick fiel auf die Pferde. »Geht mal zur Seite!« sagte er raunend. »Jetzt hat auch der andere einen ganz tückischen Blick. Gleich werden sie wieder losrasen.« Die Schlucht war etwa zwanzig Yard breit. Sie gingen alle drei zur anderen Felswand hinüber, preßten sich an den Fels und starrten auf die Pferde. Die Tiere zogen auch plötzlich an. Aber nicht von selbst. Auf dem Bock saß eine Gestalt und knallte mit der Peitsche. Die zer fetzten Zügel waren auf einmal wieder ganz. Homer stöhnte. Der Kerl sah aus wie ein Farmer. Aber unter dem weiten Schlapphut grinste ein Totenschädel. Howard drängte sich zitternd an Homer. Slim stand neben ihm, als wäre er zur Steinsäule erstarrt. In langsamer Fahrt rollte der Wagen an ihnen vorüber. Den Rü cken gekrümmt, hockte der teuflische Bruder auf dem Kutschbock und schwang die Peitsche. Von den drei Männern nahm er über haupt keine Notiz. Slim griff stöhnend nach dem Colt. Blitzschnell legte ihm Homer die Hand auf den Arm. »Nicht!« raunte er. Gebannt schauten sie dem Wagen nach, den die Pferde, die Schlucht hinaufzogen. Die Nacht kam, und bald konnten sie den Wagen nicht mehr sehen. »Ich bin doch nicht wahnsinnig!« keuchte Slim wild. Noch im mer hielt ihn Homer fest. Wütend riß er sich los. »Warum hast du mich den Hund nicht vom Bock schießen lassen?« »Bist du auch sicher, daß du ihn getroffen hättest?« Slim suchte in der Dunkelheit seinen Blick. »Auf diese Entfer nung? Seinen Knochenschädel hätte ich ihm vom Hals geschos sen. Gleich dreimal hintereinander.« »Still!« raunte Howard erschrocken. Sie hörten Glockenläuten! Eine Weile lauschten sie gebannt. Allmählich wurde das Ge räusch lauter. »Zum Teufel, wo steht denn hier eine Kirche?« flüsterte Homer. Das Läuten nahm zu. Es wurde lauter und lauter. Riesige Glo 36
cken schienen über der Schlucht zu’ schwingen. Die Brüder hiel ten sich die Ohren zu und sanken auf die Knie. Die Schlucht schien die Glocke zu sein. Sie schrien alle drei vor Schmerz. Pechschwarze Schatten tauchten über der Schlucht auf. Es schienen Geier zu sein. Ein Blitz zerschnitt die Dunkelheit für den Bruchteil einer Se kunde. Das Glockenläuten brach jäh ab. Dafür erfüllte das rau schende Flügelschlagen der mächtigen schwarzen Vögel die Luft. Wieder riß ein greller Blitz die Dunkelheit auf. Er kam jedoch nicht von oben, sondern zuckte aus der Erde. Und in diesem Licht, das die Schlucht nur für den Bruchteil einer Sekunde erhell te, sahen sie, daß diese übergroßen Geier Frauenköpfe besaßen. Es waren die Gesichter von steinalten Frauen. Die Brüder preßten sich aneinander und gegen die Felswand, duckten sich tiefer und tiefer und wären am liebsten in den Erd boden versunken, wenn das in ihren Kräften gestanden hätte. Howard schluchzte, von Todesangst und Grauen geschüttelt. Nun folgte ein Blitz dem anderen. Donnerschläge drohten die Schlucht auseinanderzureißen. Sie wetterten die Schlucht hinauf und hinab. Darüber kreisten die furchtbaren Geier, deren Gekrächze die massiven Donnerschläge noch übertönte. Es dröhnte wie auf einem Schlachtfeld. Ganze Batterien schie nen auf einmal zu feuern. Doch plötzlich glitten Schatten durch die Schlucht. Es handelte sich aber nicht um Geier, die von oben herabgeschwebt waren. Diese Brut kreiste noch immer über der Schlucht. Jene Schatten aber nahmen keine Konturen an. Große massige Flecken waren das, deren Formen und Gestalten sich laufend veränderten. In jedem dieser Schatten glühten Augenpaare. Doch keines dieser gierig grinsenden Augenpaare befand sich am gleichen Fleck. Einer dieser Schatten sah wie ein großer Ball aus, der wie von Furien getrieben hin und her rollte. Doch seine Augen blieben tief unten am Boden. Dahinter zitterte und tanzte ein massiger schwarzer Fleck, dessen Figur sich ständig wandelte. Seine Augen glühten tiefgrün, stärker als alle anderen, und sie befanden sich genau im Zentrum, nach welcher Seite der Schatten sich auch streckte und reckte, zu zerfließen schien und neue Gestalt an nahm. Von diesem Höllenspuk war die Schlucht voll! 37
Zudem erfüllte häßliches und drohendes Gelächter die Luft. Doch plötzlich standen die Schatten ruhig, das unheimliche Glü hen der Augen verstärkte sich. Stille herrschte auf einmal, und aus dieser tiefen Stille drang das Rollen und Poltern ihres Wagens zu ihnen. Dem Wahnsinn nahe, blickten die drei Männer die Schlucht em por. Es dauerte nur Augenblicke, da sahen sie ihn wieder auf sich zukommen. Der Satansknecht kutschierte den Wagen immer noch. Unter seiner Knochenhand benahmen sich die beiden Pfer de so, wie es die Brüder zu Hause von ihnen gewohnt waren. Über der Schlucht rissen die Wolken auf. Mondlicht fiel herab, direkt auf den Wagen, und es wanderte mit ihm. Als der Wagen mit seinem grausigen Kutscher nähergekommen war, sahen sie, daß jemand den Wagen mit Kisten und Fässern bepackt hatte. Auf einmal lag die gesamte Schlucht in silbriges Mondlicht ge taucht. Die unheimlichen Schatten, die nur die Hölle ausgespien haben konnte, und auch die mächtigen schwarzen Vögel waren verschwunden. Der Wagen hielt direkt vor den drei Männern. Nun aber wandte sich der Kerl mit dem Totenschädel ihnen zu. Er glitt vom Bock und dabei nahmen die Brüder wahr, daß es sich um ein Skelett handelte, das in viel zu weiter Farmerkleidung steckte. Sein Gebiß bleckte und die Augenhöhlen funkelten boshaft, als er sie anstarrte. Dann bewegten sich die fleischlosen Kiefer des Burschen, und eine blechern klingende Stimme drang aus seinem Innern. »Euch habgierige Hundesöhne haben die Geister der Malcolms geschickt, damit wir euch töten und ihr Fluch eure Leichen zu Geistern verwandelt, die an ihrer Seite gegen uns kämpfen. Doch wir haben euch euer Leben gelassen, denn ihr sollt als Menschen für uns kämpfen. Nehmt den Wagen und fahrt in das Höhlenrevier der Malcolms. Bei Tage, sage ich euch! Sprengt dort die Höhlen zu. Was ihr benötigt, findet ihr auf dem Wagen. Die Hölle wird sich euch auftun, wenn ihr uns diesen Dienst nicht leistet.« »Sie werden sich auf uns verlassen können, Sir!« stammelte Homer, der als erster ein Wort über die Lippen brachte, obwohl ihm die Glieder zitterten und die Knie so weich wie Pudding wa ren. »Wir tun, was Sie verlangen, Mister!« Der Blick des Geistes traf ihn wie ein Blitz. Homer mußte unwill 38
kürlich einen Moment die Augen schließen, um nicht geblendet zu werden. »Verruchter Hund!« klirrte der Geist. »Ich sehe deine Absicht! Du willst nur erst einmal unseren Gewalten entfliehen und hoffst auf den Tag. Aber hüte dich! Wir, die Geister der Brodniks, die in ihren Gräbern keine Ruhe finden, solange das elende Höllenge zücht der Malcolms drüben in den Boulder-Felsen haust, wir wer den euch überall finden und euch töten. Langsam und qualvoll! Die Erde wird sich auftun und unsere Blitze werden euch hinein schleudern und der Kot riesiger Totenvogelscharen wird euch be decken für alle Ewigkeit. Niemand wird euch finden. Mit Feuer und Schwefel werden wir euch vernichten.« »Aber wir tun, was ihr von uns verlangt!« sicherte nun auch Slim stotternd zu. Homer fuhr sich über das Gesicht. Wie Bachwasser floß ihm der Angstschweiß über den Körper. Als er aufsah, war der fürchterli che Kerl verschwunden. Keiner der Brüder verlor ein Wort. Sie liefen zum Wagen und kletterten hinauf. Howard kroch auf allen vieren hinüber. Homer half ihm empor, Zügel und Peitsche schon in den Fäusten. Furcht sam hielten sie sich alle drei fest und blickten gebannt auf die Pferde und warteten darauf, daß diese verhexten Biester wieder wie der Leibhaftige selbst mit ihnen davon sausen würden. Doch sie rührten sich nicht. »Hüa!« krächzte Homer. Die Braunen hoben nur die Köpfe. Homer nahm sich zusammen, ließ das Leder durch die Luft flie gen und ruckte an den Zügeln. »Hüaaa!« sagte er laut. Da setzten sie sich in Bewegung. Langsam! Schritt für Schritt. Nun benahmen sie sich, wie es die Brüder von ihnen gewohnt waren. Homer mußte sie fortgesetzt treiben, damit sie in Gang blieben. Der Wagen war schwer beladen. Doch noch schaute sich keiner der Brüder nach den Kisten und Fässern um. Gebannt und an den Sitz geklammert, bis auf Homer, der ja Zügel und Peitsche halten mußte, starrten sie über die Köpfe der Pferde hinweg nach vorn in die mondhelle Schlucht. Erst am Ende der Schlucht wagte es Homer, einen Blick zurück zuwerfen. »Nichts ist hinter uns!« sagte er mit heiserer Stimme. Da wagten es auch Slim und Howard, sich umzudrehen. 39
»Du meine Güte!« murmelte Slim. Howard bekreuzigte sich ein paarmal hintereinander. Das Mondlicht verblaßte, der Tag kam. Grau hoben sich die Fel sen, Bäume und Sträucher ringsum aus dem Schwarz der Nacht. Irgendwo heulte in der Ferne ein Kojote, klagte den Mond an. Das war seit vielen mit Höllenqualen durchlittenen Stunden das erste ihnen bekannte und vertraute Geräusch. Slim holte tief Luft und grinste zerfahren. »Ein Kojote, Jungs!« murmelte er. »Aber der meint nicht uns!« sagte Howard und lächelte schüch tern. »Nein!« krächzte Homer. Zwei Stunden später stießen sie auf den Laramie-River. Sie hiel ten am Ufer, weil die Pferde reichlich erschöpft waren. Alle drei sprangen ab. Homer ging nach vorn zu den Pferden. Slim und Howard blieben stehen. Howard schob die Hände in die Taschen und sah sich herausfordernd um. »Wir schmeißen den Mist vom Wagen, gleich ’rein in den Fluß, damit die Höllenhunde was zu suchen haben«, sagte Howard trot zig. Slim rieb sich das Kinn und schaute sich um, Zweifel und Be denken im Blick. »Helft mir, die Pferde ausschirren!« rief Homer. »Oder könnt ihr euch noch immer nicht rühren?« Slim und Howard traten zu ihm. Sie sahen sich alle drei an. Howard spie schließlich aus. »Ich habe es nicht geträumt, nicht wahr?« »Nein! Das hast du nicht«, erwiderte Homer. »Ich habe die ganze Zeit gedacht, ich verlier den Verstand«, krächzte Slim. »Hauen wir doch ab!« raunte Howard. »Werfen wir die Kisten ins Wasser, und fahren wir nach Hause zurück. Oder gehen wir in die Stadt zum Sheriff.« »Zum Sheriff!« knurrte Homer. »Willst du dich von ihm für ver rückt halten lassen?« »Aber er muß uns beschützen!« meinte Howard. Homer lachte gereizt. »Wenn er uns auch nur eine halbe Minute zugehört hat, wird er das Gespräch beenden und uns erklären, daß der Doktor der richtige Mann für uns ist. Aus! Willst du dich 40
auslachen lassen? Was wir erlebt haben, das glaubt uns kein Mensch. Nicht einmal einer Sau kannst du so etwas erzählen. Nicht mal die würde zuhören.« »Und wie geht es weiter?« fragte Slim und erbleichte. »Wir haben gar keine Chance, als das zu tun, was sie von uns verlangen!« sagte Homer entschlossen. »Und ich würde vorschla gen: steht nicht ’rum, damit wir unsere Arbeit bei Tageslicht ver richten und bei Tageslicht die Boulder-Felsen auch wieder verlas sen können.« Slim wies zurück. »Da in den Medicine-Bow-Bergen die Geister der Brodniks!« Er zeigte über den Fluß auf die Boulder-Berge. »Und da drüben die Geister irgendwelcher Malcolms. Da habe ich den Höllenbruder doch richtig verstanden, oder nicht?« Homer nickte. Slim starrte ihn wild an. »Willst du denn das alles noch einmal mitmachen? Nur drüben auf der anderen Seite? Ich bin nicht ver rückt! Ich nicht!« »Es wäre mein Tod!« sagte Howard. Homer blickte zornig von einem zum anderen. »Verdammt noch einmal! Ihr habt mich in die Berge getrieben, und jetzt verlange ich von euch, daß ihr mich nicht sitzen laßt. Bück Cimarron – er ist auch ein Geist ge wesen. Diese Hunde sitzen also überall. Vor denen sind wir nicht mehr sicher.« »Aber du hast doch gehört!« erinnerte Slim. »Die Geister der Brodniks sitzen in den Medicine-Bow-Bergen und die Hundesöhne, die Malcolm heißen, haben ihr Revier in den Boulder-Felsen. Jeder Geist sitzt in seinem Revier fest. Das kannst du überall lesen.« »Wo Hast denn du so etwas schon mal gelesen?« knurrte Ho mer wütend. »Aber meinetwegen! Versuchen wir es.« »Dann los!« rief Howard wild und trat an den Wagen, um mit dem Abladen zu beginnen. »Halt!« donnerte da Homer. »Wartet gefälligst ab, bis die Pferde Wasser aufgenommen und sich wenigstens etwas erholt haben. Jeder Anfänger von einem Geist ist schneller als das schnellste Pferd. Das müßtest du aber auch gelesen haben, Slim. Außerdem vergeßt nicht, daß wir bei Tag die Stadt nicht mehr erreichen. Wir sind viel zu weit von Glendevey entfernt. Die Nacht wird uns also einholen. Und dann?« »Dann befinden wir uns doch schon lange nicht mehr in diesem verfluchten Geisterrevier!« zischte Slim. 41
Homer zuckte die Schultern. »Also gut! Ihr wollt es versuchen. Versuchen wir es! Aber beklagt euch nicht bei mir, wenn sie uns die Hölle auf den Hals schicken.« Er schirrte die Pferde aus, und Slim und Howard gingen ihm da bei zur Hand. Sie führten die Tiere ans Wasser und ließen sie trinken. Dabei schauten sie sich spähend, mißtrauisch und voller Furcht um. Was Homer gesagt hatte, stimmte Howard und Slim nachdenk lich. Was sollten sie tun? Doch die Furcht, die ihnen noch immer in den Gliedern steckte, überwog. Als sie die Pferde wieder vor den Wagen spannten, wa ren sie nach wie vor entschlossen, die Flucht zu wagen. Aber sie waren auf einmal nicht mehr allein. Als sie die Kisten und Fässer abladen wollten, ohne auch nur einen Blick hineinge worfen zu haben, trat plötzlich ein Mann hinter dem Wagen her vor, dessen Anblick ihnen so in die Knochen fuhr, daß sie zu Tode erschraken. Es war ein Mann, ein Mensch! Das war deutlich zu sehen. Doch seine weite Farmerkleidung, der dunkle Schlapphut und auch die Gesichtszüge erinnerten sie an den gespenstischen Fuhrknecht der vergangenen Nacht. Es war ein alter Mann mit dunklem, stechenden Blick und ver bittert wirkendem Gesicht. »Hallo, Nachbarn!« sagte er. »Geht es nicht weiter?« Homer nickte. »Doch! Wir haben nur die Pferde etwas ruhen lassen.« Slim holte tief Luft. Ihn packte plötzlich die Wut. »Wer bist du?« brüllte er und zog den Colt. Homer wollte eingreifen. Doch er war nicht schnell genug. Der Oldtimer hob die Hände, und trotzdem feuerte Slim. Sein Revolver krachte und rauchte. Das schwingende Peitschen der Schüsse hallte über das Wasser. Getroffen zuckte der Mann hin und her, drehte sich um die Achse und brach zusammen. »Slim!« krächzte Homer. Slim streifte ihn mit einem wilden Blick und stapfte durch das feuchte Ufergras zu dem Mann. Er lag auf dem Bauch. Slim schob ihm den rechten Fuß unter den Körper und warf ihn auf den Rü cken. Der Schlag traf ihn fast! 42
Augenhöhlen grinsten ihn an. Der Kerl mit dem Totenschädel! Slim stöhnte und hielt die Hände vor das Gesicht. Homer und Howard kamen zu ihm und prallten entsetzt zurück, als sie die Gestalt im Gras liegen sahen. Homer faßte sich wieder als erster. »Los, kommt!« keuchte er. »Nichts wie weg hier!« Sie machten alle drei kehrt, rannten zum Wagen und kletterten hinauf. Während Homer wie wild auf die Pferde einschlug und der Wagen zum Wasser polterte, blickten Howard und Slim zurück, die Augen vor Entsetzen geweitet. Der höllische Fuhrknecht blieb liegen und rührte sich nicht. »Er ist tot!« stöhnte Slim wild. »Ich habe den Hund erschos…« Der Wagen schwankte bedrohlich. Slim starrte erschrocken nach vorn und hielt sich fest. Sie befanden sich bereits in der Flußmitte. Das Wasser war nicht tief, doch die Strömung drohte den Wagen fortzuschwemmen. Homer trieb die Pferde fluchend vorwärts und Heß die Peitsche krachen. Die Tiere stemmten sich mächtig ein, und es gelang Homer, den Wagen noch rechtzeitig aus der Strömung zu brin gen. Fast im Galopp jagten die Pferde die steile Böschung hinauf. Oben angekommen, blieben sie erschöpft stehen. Die Brüder warfen sich herum und schauten über das Wasser. Alle drei erstarrten. Howard begann zu zittern und zu jammern. Der Hundesohn stand drüben am Ufer und winkte ihnen. »Aber Homer!« krächzte Slim. »Ich habe ihn doch erschossen. Er hat doch tot im Gras gelegen.« Homer sah ihn an. »Bestimme jetzt du die Richtung. Aber dann nimm auch die Zügel. Ich schlage vor, daß wir in die BoulderFelsen fahren, ein paar Höhlen in die Luft jagen, wie es der Bas tard da drüben von uns verlangt, und dann versuchen zu ent kommen. Wenn es ein paarmal gekracht hat, gibt er vielleicht Ruhe.« »Meinetwegen, Homer!« krächzte Slim. So behielt Homer Peitsche und Zügel in den Fäusten. Er brachte die Pferde in Gang und lenkte sie auf die Boulder-Felsen zu, deren erste Kegel sich nur wenige hundert Yard vom Ufer entfernt erho ben. Es war ein heller, sonniger Tag. Klar und scharf zeichneten sich die Zinnen und zerklüfteten Türme der Boulder-Felsen gegen den stahlblauen Himmel ab. Doch dafür hatten die Brüder keine Augen. Sie schauten zum 43
Fluß zurück, wo das mit Farmerkleidern umhüllte menschliche Gerippe aufrecht am Ufer stand und schaurig lachte, daß es ihnen nur so in den Ohren gellte. Doch auf einmal war es nicht mehr da! * An das Sitzbrett geklammert, hockten Howard und Slim neben Homer, der das Gespann langsam in die Felsen führte. Steil rag ten die Wände auf. Es war verwittertes, rissiges Gestein. Homer fuhr weiter. Sein Blick glitt über die Felswände. Als er die erste Höhle erspähte, machte er die Brüder mit der Peitsche auf merksam. »Gleich hier?« stöhnte Howard. Homer nickte nur. Er fuhr weiter. Hinter der ersten Höhle weite te sich die Schlucht zu einem großen Becken, und als sie den Höhleneingang erreichten und, hielten, entdeckten sie weitere Eingangslöcher in der Felswand. Sie stiegen ab. Homer nahm den Colt in die Faust. »Wartet!« raunte er. »Wohin?« krächzten Slim und Howard wie aus einem Mund. »Nachsehen! Ich will wissen, ob es in den verdammten Felsenlöchern etwas zu sehen gibt. Schaut inzwischen in den Kisten nach, ob wir auch alles haben.« Howard zitterte wieder vor Angst. Aber Slim war auch reichlich beklommen zumute, als sich Homer von ihnen entfernte. Homer lief dicht an der Felswand entlang bis zu dem ersten Ein gang. Er preßte sich gegen den Fels, holte ein paarmal tief Atem und wagte sich dann noch einen Schritt weiter vor. Die Höhle war so groß, daß ein Fuhrwerk darin Platz gefunden hätte. Aber tief im Inneren führte ein kleiner Stollen weiter. Mod riger, feuchter Geruch schlug ihm aus der Höhle entgegen. Er faßte Mut und ging weiter, passierte den Eingang und glitt an der Felswand entlang zur nächsten Höhle. Dort bot sich ihm das glei che Bild: Ein gewaltiges Loch und hinten führte ein Gang tiefer in den Fels hinein! Er rieb sich das Kinn und biß sich auf die Lippe. Doch er brachte es einfach nicht fertig, die Höhle zu betreten und in den Stollen zu schauen oder zu horchen. 44
Plötzlich vernahm er Schritte hinter sich. Er flog herum wie ein Panther und hätte um ein Haar geschossen. Es waren seine Brü der. Beide waren aschgrau im Gesicht. »Was ist denn?« stöhnte er, während ihm das Herz bis zum Hals schlug. Slim zeigte hinaus in das Becken. »Da sind sie schon!« »Wer?« krächzte Homer und schaute in die gewiesene Richtung. Am gegenüberliegenden Rand des Beckens verharrten drei Rei ter. Die Entfernung betrug fast eine Meile. Viel war von ihnen nicht zu erkennen. In der Felswand hinter ihnen klaffte eine schmale Schlucht. Dort mußten sie herausgekommen sein. »Sie beobachten uns!« stöhnte Howard verzweifelt. »Das muß ja nichts heißen!« raunte Homer wütend und sah sei nen jüngsten Bruder zornig an, für den er immer Verständnis ge habt hatte. »Reiß dich zusammen! Versetz dich an ihre Stelle! Würdest du nicht auch dort halten, um .zu sehen, was wir hier treiben?« »Was tun wir jetzt?« fragte Slim. Homer wies mit dem Kopf in Richtung des Wagens. »Ist alles vorhanden? Pulver, Zündschnur, Streichhölzer?« Slim nickte zornig. »Die Hurensöhne haben an alles gedacht. Sogar ein Bündel Pechfackeln liegt auf dem Wagen.« »Soweit wagen wir uns nicht hinein!« sagte Homer entschieden. »Los, wir nehmen die beiden Löcher! In jede Höhle ein Faß oder eine Kiste. Und dann ab! Nichts wie weg von hier!« Er halfterte den Colt, und sie rannten alle drei zum Wagen zu rück. Die Reiter ließ nicht einer von ihnen aus den Augen. »Wenn wir uns beeilen, können sie gar nicht vorher hier sein«, meinte Homer, als sie zur ersten Höhle zurückkehrten. Er trug eine Rolle Zündschnur. Howard und Slim hatten jeder ein Faß Pulver auf die Schulter genommen. Slim betrat die Höhle als erster. Howard blieb draußen stehen. Slim setzte das Faß in der Höhle ab und drehte sich nach Homer um. »Du lieber Himmel! Wenn wir das hinter uns haben…« stöhnte Slim. Homer trat heran, den Blick auf den Stollen gerichtet, zog den Colt und rammte das Spundloch auf. Während er die Zündschnur hinein schob und sich nach etwas Lehm bückte, um sie damit zu befestigen, sagte er: 45
»Howard soll die Reiter nicht aus den Augen lassen!« Slim drehte sich um und fluchte. »Howy ist weg!« Homer ließ alles fallen, machte kehrt und rannte hinaus, den Colt in der Faust. Slim kam ihm nachgehastet. Doch Howard war noch da. Er hatte das Faß neben dem Höh leneingang abgesetzt und lehnte an der Felswand, den Blick auf die drei Reiter gerichtet. Er fuhr erschrocken zusammen, als die Brüder wie vom Teufel gejagt aus der Höhle kamen. Homer fegte wütend herum. »Slim, du verdammter Idiot!« brüllte er. Er zitterte vor durchlittener Angst und Wut, und am liebsten hätte er Slim mit einem Fausthieb zu Boden geschlagen. »Was ist denn?« stotterte Howard. »Nichts!« sagte Homer gereizt und kehrte in die Höhle zurück. Slim folgte ihm wie ein geprügelter Hund. Homer war in einer Zeit von Null Komma nichts fertig und rollte die Zündschnur aus. Rückwärtsgehend verließ er die Höhle. Slim kam ihm nach, und er war sichtlich froh und erleichtert, als sie ins Sonnenlicht traten. »Zur nächsten Höhle!« sagte Homer. »Wo ist Howy?« krächzte da Slim. Homer blieb fast das Herz stehen. Das Faß stand noch da. Aber der Junge war weg. Sie sahen sich beide wild nach ihm um. Ihre Blicke fegten hin und her. »Da!« stöhnte Slim. »Auch die Reiter sind verschwunden.« Homer holte tief Luft. »Diese verfluchten Hunde!« Er ließ das Ende der Zündschnur fallen, zog den Colt und drehte sich wütend im Kreis und blickte in alle Richtungen. Er schaute auch die Fels wand hinauf. Doch dort oben befand er sich auch nicht. »Howy!« rief Slim zaghaft. »Zum Wagen!« zischte Homer. Und dann brüllte er: »Howy!« Es war ein Schrei, der durch das Becken hallte und von allen Seiten zurückgeworfen wurde. Doch Howard meldete sich nicht. Homer packte die Wut. Er ging zu dem Faß, das der Junge ne ben den Höhleneingang gesetzt hatte, stieß es mit dem Fuß um und versetzte ihm einen Tritt, daß es hineinrollte. »Streichhölzer, Slim!« rief er. »Nicht!« ertönte da Howards Stimme. »Nein, Homer! Nicht sprengen! Ich bin hier!« 46
Wie Donnerschläge hallten die Worte von Howard durch das Be cken. Slim, der den Wagen fast erreicht hatte, fiel vor Schreck hin. Homer drehte sich um die Achse und blickte erschrocken in die Runde. »Hier!« tönte Howards Stimme wieder. »Hier oben, Homer!« Homers Blick glitt die Felswand über dem Höhleneingang em por. Da sah er Howard stehen, dreißig Fuß hoch in der Wand, und neben ihm hielten die Reiter. Er schaute sich um, blickte über das Becken zur anderen Fels wand hinüber, wo die Reiter zuvor zu sehen gewesen waren. Nein! Dort befanden sie sich nicht mehr. Geister! Geister der Malcolms. Er machte schmale Augen. Der eine war Bück Cimarron, der Neffe des Friedensrichters. »Wir waren in den Medicine-Bow-Bergen!« rief Homer. »Aber wir sind den Brodniks in die Hände geraten. Laßt Howard herun ter. Howard komm!« Die Reiter schwiegen, keiner rührte sich, sie blickten starr her unter. Nur die Schweife der Pferde bewegten sich. Mochte der Satan wissen, wie diese Biester sich dort oben halten konnten. Vor allem, wie sie hinaufgekommen waren. »Komm ’runter, Howard! Sie werden dich nicht anrühren. Wenn sie uns töten, holen uns die Brodniks, und wir gehören zu de nen.« Howard schaute nach links und rechts auf die Reiter. Dann machte er kehrt und begann herabzuklettern. Homer stöhnte und kniff die Lider zusammen. Die drei Reiter sahen plötzlich grau aus. Zum Henker, das waren gar keine Rei ter. Die Kerle waren weder Menschen noch Geister. Sie waren aus Stein! Pferde und Reiter. Drei in den Fels gehauene Standbilder waren das. Howard kam schnell herunter. Die letzten zehn Fuß ließ er sich fallen. Homer war mit einem Satz bei ihm. Er half ihm auf die Füße und rannte mit ihm zum Wagen. »Die Streichhölzer, Slim!« rief er krächzend. Slim hatte die Schachtel in der Jackentasche. Er warf sie ihm zu. Homer machte auf dem Absatz kehrt, stürzte zum Ende der Lunte, ließ sich auf die Knie fallen, riß ein Streichholz an und steckte das Ende der Lunte in Brand. Er hielt den Hut davor, da mit ihm der Wind das Streichholz nicht ausblasen konnte. Dabei 47
schaute er unverwandt nach oben zu den Standbildern. Er hatte entsetzliche Furcht, daß sich die Kerle wieder in Menschen oder in Geister verwandelten. Darüber vergaß er fast die Lunte. Das Pulver war zundertro cken. Die kleine grüne Flamme raste förmlich über den Boden. Slim stürzte heran, riß ihn hoch, und gemeinsam rannten sie in Deckung. Howard hatte den Wagen gedreht. Doch bis dahin kamen sie nicht mehr. Sie warfen sich an der Felswand zu Boden, und da krachte es auch schon. Der Donnerschlag der Explosion schien die Erde aufzureißen. So hörte es sich an. Ein greller Blitz schoß aus der Höhle. Er schien den schwarzen Qualmpilz, der ihm folgte, mitzureißen. Die nach folgende Druckwelle fegte Staub und Steine vor sich her. Die ge ballte mörderische Kraft der Ladung von zwei Fässern verpuffte größtenteils im Freien. Doch der Rest davon reichte aus, um den Fels über der Höhle von der Wand zu trennen. Tonnen von . Ge stein wurden emporgeschleudert, und die Erschütterung, die die Explosion verursachte, brachte den gesamten Berg in Bewegung. Homer und Slim sprangen auf und rannten weg. Die Pferde ris sen sich frei und galoppierten in Panik in die Schlucht hinein. Howard sprang vom Wagen und rannte den Brüdern nach. Hundert Yards weiter ließen sich Homer und Slim erschöpft gegen die Felswand fallen. Howard sank ihnen in die Arme. Sie schauten zurück. Zu sehen, war nicht viel. Staub und Rauch hüllten vor ihnen alles ein und nahmen ihnen die Sicht. Das Kra chen und Donnern in diesem mächtigen Rauchschleier nahm kein Ende. »Fahrt zur Hölle!« schrie Slim. »Zum Teufel mit euch Geistern!« Er zog den Colt und feuerte auf den Wagen. Einmal, zweimal – der dritte Schuß saß. Es blitzte! Flammen schossen aus dem Wagen und rissen ihn auseinander. Das war das letzte, was die Carson-Brüder von ihm sahen. Die nachfolgende Druckwelle schleuderte sie weg. Staub und Rauch schössen an ihnen vorbei, und sie hörten, wie die Felswände dort vorn am Eingang der Schlucht zusammenstürz ten. Homer krachte gegen den Fels, und wie schon zuvor in den Medicine-Bow-Bergen, nahm ihm der Anprall das Bewußtsein. Ho 48
ward fiel auf ihn, und dann wurden sie beide von Sand- und Erd massen zugedeckt. Das war das Letzte, das er wahrnahm. * Lucy Dalton hob die Hand und hielt den Grauen an. Sein Hand zeichen war überflüssig. Die Possereiter hatten bereits gehalten und blickten auf den schwarzen Rauchpilz, der zwischen den Zin nen und Felstürmen der Boulder-Felsen emporstieg und sich in den Himmel wölkte. Alle saßen ab. Miller stapfte zu Dalton. »Sheriff!« sagte er. »Was hat diese gewaltige Explosion zu bedeuten? Sie rechnen doch damit, daß die Viehdiebe meine Rinder auf die andere Seite des Flusses in die Medicine-Bow-Berge getrieben haben. Das aber sind die Boul der-Felsen.« »Ich schätze, da hat einer die Höhlengräber der Malcolms ge sprengt, um nach Gold zu suchen«, sagte Hardy, der Gehilfe des Futtermittelhändlers. Lucy Dalton und Miller drehten sich nach ihm um. »Schweigen Sie, Mann!« zischte Lucy Dalton. »Wir sollten nachsehen, was es dort gegeben hat«, meinte ein anderer. »Wir sind ausgezogen, um meine Rinder zu suchen«, warf Miller sofort ein. »Aber diese Explosion muß doch etwas zu bedeuten haben«, sagte der Mann wieder. »Nicht für uns!« rief der Sheriff mit scharfer Stimme. »In den Boulder-Bergen gibt es vielleicht Gold!« sagte ein ande rer. Lucy Dalton war mit einem Schritt bei ihm. »Wer sagt das?« donnerte er. Der Mann hieß Jeff Sumner. Er sah den Sheriff betroffen an. »Ich verstehe nicht! Gehört habe ich das. Aber…« »Von wem?« zischte Lucy Dalton. »Deshalb müssen Sie mich doch nicht so anstarren, als wollten Sie mich fressen«, erwiderte Jeff Sumner. »Sie sollen mir antworten!« verlangte Lucy Dalton. »Ihr Vorgänger, Sheriff, ist mit seinen Possereitern so nicht 49
umgesprungen!« »Mein Vorgänger ist tot!« sagte Lucy Dalton wütend. »Ich bin jetzt der Sheriff, und ich schmeiße den Laden auf meine Art.« »Dann nehmen Sie zur Kenntnis, daß ich Ihre Art nicht mag«, erwiderte Jeff Sumner wild. »Adios!« Er wollte zu seinem Pferd gehen, um augenblicklich umzukeh ren. Doch Lucy Dalton ergriff ihn am Arm und riß ihn wütend her um. »Sie haben zugesagt, und jetzt bleiben Sie auch!« brüllte er. Die Männer kamen näher und beobachteten die beiden stumm. Mit den Blicken gaben sie freilich zu erkennen, daß sie alle auf Jeff Sumners Seite waren. Bis auf Miller. Aber der Rancher vertrat die Seite des Sheriffs nicht, weil er diesen Mann besonders schätzte. Ihm ging es um seine Rinder. »Lassen Sie mich los, Mister!« sagte Jeff Sumner eisig. »Ich bin ein freier Bürger. Kein Mensch kann mich zwingen, etwas zu tun, was ich nicht will.« »Erst beantworten Sie meine Frage? Woher haben Sie die Weis heit, daß es in den Boulder-Felsen Gold geben soll? Wer hat das behauptet?« Jeff Sumner zuckte die Schultern. »Keine Ahnung, wer das war. Ich war in Skinners Saloon. Ich glaube, der neue Keeper hat das erzählt.« »Ist das denn so wichtig?« brummte Miller verdrossen. »Wir müssen weiter. Seht euch die Spuren an. Die Rustler haben mehr als zwölf Stunden Vorsprung.« Der Sheriff ließ Jeff Sumner los. »Wir reiten weiter!« sagte er. »Nicht mit mir, Mister«, erklärte Jeff Sumner. »Einer hilft dem anderen!« sagte Miller wütend. »So haben wir das immer gehalten.« Jeff Sumner ging zu seinem Pferd. »Ich besitze nur eine Ziege! Wird die mir mal gestohlen, verlange ich von niemandem, daß er sein Leben deswegen einsetzt.« »Aufsitzen!«, rief Lucy Dalton scharf. Die Männer gehorchten. Weiterzureiten, war für sie selbstver ständlich. Doch Jeff Sumners Protest gefiel ihnen. Dem neuen Sheriff sollte ruhig mal einer zeigen, daß seine herrische Art nicht jedermann paßte. Sie saßen auf. Auch Jeff Sumner schwang sich in den Sattel. Er drehte das Pferd sofort um die Hand, um zurückzureiten. 50
Die Männer ritten an. Dichtgedrängt. Sie hörten Jeff Sumner fluchen, und schauten sich nach ihm um. Sein Pferd hatte einen Kreis vollführt und kam ihnen nach, obwohl er das nicht wollte. Er riß an den Zügeln und drückte mit den Schenkeln, um den Brau nen noch mal um die Hand zu bekommen. Aber er wurde mit dem Tier nicht fertig. »Du verdammter Bock!« brüllte er wütend. Er gab ihm die Spo ren und riß die Zügel rechts scharf an. Der Braune trabte in die Posse hinein, den Kopf fast an der rechten Schulter. Der Sheriff galoppierte los. Auch die Männer trieben die Pferde zum Galopp. Jeff Sumner stemmte sich fluchend in die Bügel und nahm den Braunen hart ans Gebiß. Aber das nützte nichts. Er galoppierte mit. Sie verließen den Laramie-River und wandten sich den Medici ne-Bow-Bergen zu. Im fliegenden Galopp jagten sie auf der Fähr te von Millers Rindern entlang. Jeff Sumner kämpfte noch eine Weile gegen sein Pferd an, gab dann aber wütend auf. Keiner der Männer wunderte sich darüber, daß sein Pferd plötzlich so störrisch war und dem Reiter nicht mehr gehorchte. Die meisten glaubten daran, daß der Braune einfach nur bei den anderen Artgenossen bleiben wollte. Nur Miller fiel auf, daß sich Lucy Dalton hin und wieder umdreh te und Jeff Sumners Braunen kurz fixierte. Doch er schwieg dazu. Schließlich wollte er seine Rinder wiederhaben. * Homer Carson und Howard klopften sich den Staub von den Sa chen. Dabei schauten sie nach vorn. Durch diese Schlucht war das Becken nicht mehr zu erreichen. Massen von Gestein blo ckierten den Schluchtausgang. Von ihrem Wagen war nicht ein Brett mehr zu sehen. Aber auch von Slim nicht. Ein dichter Staubschleier hing in der Schlucht und über den Fel sen. Und aus dieser Staubglocke sahen sie ihn herausgewankt kom men. »Slim!« stöhnte Howard. »Gott sei Dank!« Sie liefen ihm entgegen. 51
»Bist du verletzt, Slim?« rief Homer. Slim antwortete nicht. Wie blind tastete er sich an der Felswand entlang. Homer blieb plötzlich stehen und hielt Howard fest. »Sheriff Rod!« krächzte Homer. Howard erbleichte. »Himmel hilf! Wo kommen Sie denn her?« Beiden sträubten sich die Haare. Der Sheriff wandelte wie im Traum. Er hielt die Augen offen. Aber darin war nur Weißes zu sehen. Daß er sich hier zufällig aufgehalten und ihn die Sprengung so zugerichtet hatte, war Homers erster Gedanke. Von seinem Ende hatten die Brüder ja keine Ahnung. Daß ein neuer Sheriff in Glen devey sein Amt übernommen hatte und sie vor Rod’s Geist stan den, konnten sie gar nicht wissen. »Wo kommen Sie her, Mister Rod?« stammelte Homer, als er stehenblieb. »Aus der Hölle!« erwiderte der alte Mann mit klirrender Stimme. »Ich gehöre nicht mehr zu euch. Ich bin einer von den Mal colms.« Du lieber Himmel! dachte Homer entsetzt. Die Explosion hat ihm nicht nur das Augenlicht genommen, sondern ihm auch den Geist verwirrt. »Wir nehmen Sie mit in die Stadt«, krächzte Homer und ging auf ihn zu, um ihn zu stützen. Sheriff Rod aber glitt zurück, er schien zu schweben. Ohne die Beine zu bewegen, entfernte er sich blitzschnell fünf Yard. »Rührt mich nicht an!« sagte er mit einer Stimme, die seltsam hohl klang. »Slim wartet auf euch. Hinter dem Felsen. Faßt euch ein Herz und reitet über den Fluß in das Medicine-Bow-Gebirge.« Homers Augen weiteten sich. »Da kommen wir her! Sie wissen nicht, was wir dort erlebt haben. Das können Sie von uns nicht verlangen.« »Ihr müßt die Männer retten, die einer der Malcolm-Geister in die Medicine-Bow-Berge führt. Er hat in der Stadt mein Amt an getreten, um Männer zu den Geistern der Brodniks zu führen. Denn wer von den Brodniks getötet wird, muß als Geist für die Malcolms gegen die Brodniks kämpfen. Rettet die Männer. Sie werden sonst alle umkommen. Malcolm-Geister haben Miller die Rinder abgetrieben, deren Spuren die Posse folgt. Der Sheriff ist ein Geist. Schlagt ihn in Stücke, und er ist erledigt.« 52
»Aber…« keuchte Howard. Homer bekreuzigte sich. »Ihr tut es für Glendevey!« rasselte der alte Sheriff. »Die Stadt wird sonst ein zweites Mal untergehen.« Homer und Howard wichen entsetzt zurück. Der Junge schrie vor Entsetzen. Eine schwarze Rauchwolke wehte heran, hüllte den alten Sheriff ein und wirbelte wieder davon. Von einem Augenblick zum anderen war von Sheriff Rod nichts mehr zu sehen. Die Brüder starrten sich an, die Gesichter vor Furcht entstellt. Ohne ein Wort zu verlieren, machten sie kehrt und rannten die Schlucht zurück. In langen Sätzen. Das Grauen hatte sie gepackt. Sie liefen wie ums Leben. Als sie am Ende der Kräfte waren und einfach nicht mehr weiter konnten, entdeckten sie drei Pferde, die an der rechten Felswand standen und dösten. Davor saß Slim auf einem Stein und rauchte. Sie blieben stehen und lehnten sich gegen die Felswand. Sie waren restlos erschöpft und klatschnaß vom Schweiß. Slim sah sie, warf die Zigarette weg und erhob sich. »Verdammt noch mal! Wo bleibt ihr denn?« schimpfte er. »Los, kommt schon! Vater wartet doch.« Homer schluckte. Howard ergriff ihn am Arm und stöhnte. »Das halte ich nicht aus!« krächzte er. »Halte mich fest, oder ich ver liere den Verstand.« Homer packte die Wut. Wilder Zorn befiel ihn. Er stieß Howard zur Seite und stapfte schnell zu Slim, der sich in den Sattel eines der Pferde schwingen wollte. Er packte ihn an der Schulter und riß ihn herum. Slims Anblick traf ihn wie ein Keulenhieb. Seine Augen waren weiß wie die von Sheriff Rod. Es gab keine Pupillen. Nichts. Die Augäpfel gleißten im grellen Weiß. »Wir haben es eilig!« sagte Slim. Homer schluckte. »Vater ist doch tot!« »Wie kommst du denn darauf? Er sitzt drüben in den Medicine Bow-Bergen und wartet auf uns. Seit zwanzig Jahren.« »Slim, was ist mit dir?« »Was soll mit mir sein?« fragte Slim unwillig. »Los kommt! Der alte Herr wird sonst vor Langeweile noch einen Herzschlag krie gen.« »Du hast ihn doch nie gekannt!« stöhnte Homer. »Er ist damals 53
in Arizona gestorben.« »Du bist von uns schon immer der Schlaueste gewesen!« ant wortete Slim gereizt. »Howard, komm! Der alte Herr wartet!« Er stieg aufs Pferd und ritt los. Homer war nicht mehr imstande ihn zurückzuhalten. Slim saß auf und ritt weg. Das Pferd befand sich sofort im vollen Galopp. Den Bruchteil einer Sekunde später war Slim verschwunden. Nur ein Rest von Staub hing noch in der Luft, den das Pferd aufgewirbelt hatte. Die Brüder sahen sich an. »Hast du… seine Augen gesehen, Homer?« krächzte der Junge. Homer konnte nur nicken. »Ist Slim auch ein Geist?« »Ich weiß nicht!« stöhnte Homer verzweifelt. »Wenn das alles so stimmt, dann ist Slim hier bei den Malcolms ums Leben gekommen. Wir werden ihn drüben in den Medicine Bow-Bergen bei den Brodniks finden und ihn gegen uns haben!« Howard schrie diese Worte wild hinaus, packte Homer an den Schultern und versuchte, den großen und schweren Mann durch zuschütteln. »Was tun wir denn jetzt, Homer?« Homer starrte ihn an. »Ihr mit eurer verfluchten Idee, hier Gold zu finden!« »Aber das haben wir doch nicht gewußt!« Homer befreite sich aus Howards Griff und trat an eines der Pferde. »Wir können Slim nicht einfach so wegreiten lassen!« Howard war mit einem Schritt bei ihm, klammerte sich an ihn und schrie: »Aber er ist doch ein Geist! Einer war Sheriff Rod! Hast du nicht seine Augen gesehen? Ich habe Angst, Homer! Mir ist hundeelend zumute. Laß uns zu rückkehren. Schnell!« Homer sah sich um. Kalt kroch es ihm den Rücken hinab. Er nickte Howard zu. »Gehen wir zu Fuß«, meinte Howard. »Ich habe Furcht vor die sen Pferden.« Homer starrte auf den Braunen, packte ihn dann an der Kinnkette und sah ihm in die Augen. »Was ist?« krächzte Howard, der sein Tun gebannt verfolgte. Homer zuckte die Schultern. »Nichts zu erkennen.« »Hast du Slim nicht fortjagen sehen?« krächzte der Junge, dem das Grauen in den Gliedern steckte. »Ich werde ihn probieren!« sagte Homer und schob Howard zu 54
rück. »Wenn er losfegt, springe ich ab.« »Homer – nicht!« schrie Howard. Homer griff nach dem Zügel, hielt sich an der Sattellehne fest und stellte ein Bein in den Bügel, den Blick auf die Ohren des Braunen gerichtet. Er hielt sie nach hinten gerichtet. Aber das war das Übliche, sobald sich der Reiter näherte. Kurz entschlos sen schwang er sich in den Sattel, nahm dabei aber den Fuß so fort wieder aus dem Bügel, um sich fallen lassen zu können. Un willkürlich hielt er den Atem an. Howard starrte gehetzt auf das Tier. Doch der Braune blieb brav stehen. Er setzte sich erst in Bewegung, als ihn Homer antrieb. Homer ritt ein paar Pferdelängen und kam wieder zurück. »Es ist nichts mit ihm!« sagte er. »Er gehorcht! Es ist ein ganz normales Pferd.« Howard zögerte. , Homer hielt neben ihm. »Los! rauf! Laß die Füße aus den Bü geln. So bald sie losrasen, springen wir ab.« Howard bis sich auf die Lippen. Er zitterte am ganzen Leib, als er sich dem anderen Pferd näherte. Er schaute sich noch einmal nach seinem Bruder um. Dann saß er auf. Die Beine gespreizt, die Zügel in der Linken und den rechten Arm hoch gereckt, saß er im Sattel und blickte gebannt auf den Kopf des Tieres. Homer drehte seinen Braunen. »Los, Howy! Bring ihn in Gang!« So zögernd, wie er das Pferd in Bewegung versetzte, so zögernd lief das Tier auch los. Seite an Seite ritten die Brüder aus der Schlucht, und als sie den Laramie-River sahen, steckten sie die Füße in die Bügel. Die Boulder-Felsen im Rücken, den Fluß vor sich, faßte Howard wieder Mut. »Stinknormale Pferde, Homer!« sagte er. Homer nickte nur. Sie ritten bis ans Wasser und ließen die Pfer de trinken, ohne dabei abzusteigen. Sie schauten indessen auf die Silhouette der Medicine-BowBerge, und ihre Gedanken galten Slim. Schließlich trieb Homer sein Pferd ins Wasser. »Homer!« krächzte Howard. »Um Himmels willen, Homer!« »Wir müssen sehen, was aus Slim geworden ist«, sagte Homer. Sie durchfurteten den Fluß und als sie am anderen Ufer den ers ten Höhenzug überquerten, erblickten sie unten im Tal zwanzig 55
Reiter, die den Medicine-Bow-Bergen zustrebten. Sie hielten und starrten sich an. »Hölle! Die Männer, von denen Sheriff Rod gesprochen hat!« sagte Howard verzweifelt. »Sie werden von einem Geist angeführt!« rasselte Howard. »Das hat Rod selbst gesagt.« Homer nickte abermals. Doch entschlossen und wütend. Er nahm die Winchester aus dem Scabbard und packte die Waffe am Lauf. »In der Mitte auseinander schlagen werde ich den Hund«, sagte er mit grollender Stimme. »Das hat Sheriff Rod nämlich auch ge sagt.« Er brachte das Pferd in Gang, und Howard folgte ihm. Zum ers ten Mal wagten sie es, die Pferde in Galopp zu bringen. Die Tiere gehorchten, und sie änderten auch die Richtung, als sie ihnen in die Zügel fielen. Die Posse hielt plötzlich, als sie die Brüder den Hang herunter galoppiert kommen sahen. Die Brüder kannten die Leute. Sie waren aus Glendevey. Als sie vor den Männern hielten, glitt Homers Blick über die Gesichter. Er suchte einen Unbekannten, der Rod’s Stern trug. »Wer ist der neue Sheriff?« fragte er. »Lucy Dalton heißt der Mann«, sagte Miller, der Rancher. »Ban diten haben mein Vieh gestohlen. Wir sind hinter den Hundesöh nen her. Der Sheriff hat sich vor ein paar Minuten von uns ge trennt, um die Täler im Westen abzusuchen. Wir folgen der Fähr te.« Er wies auf den Boden, der vor den Reitern von Rinderklauen zerstampft worden war. »Geister haben Ihnen die Rinder gestohlen«, sagte Homer. Miller starrte ihn an. »Ja! Aber woher wissen Sie das, Mister Carson?« Geraune hub an. »Redet nicht solchen Quatsch!« rief einer der Possereiter. Homer hörte nicht darauf. »Ich habe es von Sheriff Rod«, sagte er zu Miller. »Aber Rod ist doch tot!« versetzte Miller. »Der neue Sheriff ist auch ein Geist«, sagte Homer. »Ein Mal colm-Geist. Wie die Rinderdiebe! Sie haben Ihnen die Rinder nur weggetrieben, um genug Männer in die Medicine-Bow-Berge zu 56
locken. Sie wollen, daß ihr alle hier von den Brodnik-Geistern er schlagen werdet, damit ihr als Geister aus Rache auf der Seite der Malcolms kämpft.« »Sie sind verrückt!« rief einer. »Betrunken ist er!« stimmte ein anderer zu. Einige fluchten. Andere verlangten, weiterzureiten oder umzu kehren, um sich das Narrengeschwätz nicht anhören zu müssen, wie sie sich unverblümt ausdrückten. Nur Miller protestierte nicht. Er wußte ja Bescheid. Mehr als je der andere. Da vernahmen sie Hufschlag. Ein Reiter näherte sich von Wes ten her. Alle sahen sich um. Miller schaute die Brüder sofort wie der an. »Lucy Dalton, der neue Sheriff!« krächzte er. Augenblicke später war der Stern auf der Weste des Reiters zu erkennen, das junge Gesicht und der gleißende Blick. Er stoppte kurz darauf, streifte die Carson-Brüder mit einem flüchtigen Blick und hob die Faust. »Wir müssen weiter, Leute!« rief er. »Tiefer in die Berge hin ein!« Homer ritt an seine Seite. Sie starrten sich in die Augen. »Wer sind Sie?« knurrte Lucy Dalton wütend. Homer riß das Gewehr hoch und schlug zu. Der Kolben krachte gegen den Kopf der Sheriffs. Ein dumpfer Laut war zu hören. Dann kippte der Dämon vom Pferd. Etliche Männer zogen die Colts, um auf Homer Carson zu schie ßen, als er den Sheriff angriff. Doch sie hielten jäh ein und starr ten betroffen und entsetzt auf das, was von Lucy Dalton übrig geblieben war. Homers Pferd scheute. Er spornte es an, damit es das Skelett zertrat. Wütend glitt er aus dem Sattel und schlug das Gerippe kurz und klein. Die Colts in den Fäusten, sahen die Männer dem grausigen Schauspiel zu. Keiner rührte sich. Jeder glaubte, das alles nur zu träumen. Keuchend und naßgeschwitzt ließ Homer die Winchester sinken. »Bin ich immer noch der Spinner, für den ihr mich eben noch gehalten habt?« wandte er sich an die Posse. »Das ist doch…« sagte einer. Aber nach diesen drei Worten war 57
er schon wieder ruhig. Niemand rührte sich. Die Blicke der Männer zuckten hin und her. Nicht einmal die Kleidung war von Lucy Dalton übrig geblie ben. Nur ein Haufen Knochen, die Homer zerschlagen hatte, und der Stern, der zwischen den Knochen im Sand funkelte. Miller faßte sich als erster. Er saß ab, lief hin und hob den Stern auf. »Und jetzt, Carson? Wollen Sie vielleicht den Stern nehmen?« Homer schüttelte den Kopf. »Reitet nach Hause. Ihre Rinder ho len wir später. Irgendwann. Reitet nach Glendevey zurück und schlagt jedem den Kopf mit einem Hammer ab, der euch in die Boulder-Felsen oder in die Medicine-Bow-Berge locken will. Schlagt auf der Stelle auf ihn ein.« »Was sind das für verrückte und wahnsinnige Geschichten!« rief ein alter Mann mit heiserer Stimme. »Ich stimme nur in einem zu! Daß wir kehrtmachen. Alles andere ist wirres Zeug.« Der größte Teil der Possereiter war der gleichen Meinung. Aber nach Meinungen, Ansichten und Ratschlägen ging es schon nicht mehr. Wind kam auf, Wolken standen plötzlich am Himmel, pech schwarze Wolken, die den Himmel verdunkelten. Von einem Au genblick zum anderen dämmerte es. Erschrocken und furchtsam schauten sich die Männer um. Sie drehten die Pferde, um heimzureiten. Doch der Wind, der rasch an Heftigkeit zunahm, blies ihnen in die Gesichter. Die Pferde wurden nervös und schnaubten und wieherten, gin gen vorn hoch und wollten dem Wind ausweichen, der sich rasch zu einem handfesten Sturm mauserte und Wolken von Sand und Staub heranwehte. Äste und Zweige wirbelten durch die Luft. Etlichen Männern wurden die Hüte vom Kopf gerissen. Der erste Blitz zuckte vom Himmel. Der Donnerschlag versetzte die Pferde in Panik. Homer duckte sich. Große Schatten befanden sich über ihnen. Sie segelten mühelos gegen den Sturm durch die Lüfte, anderen Scharen von schnell herangleitenden Schatten entgegen. Augen blicke später fielen sie schon übereinander her. Blitz auf Blitz zuckte nun vom Himmel. Die Donnerschläge wet terten durch die Felsen und Berge. Doch das Gekrächze der riesi gen Geier da oben übertönte alles. Geister der Malcolms und der Brodniks kämpften in den Lüften 58
gegeneinander. Die Geierweiber der Malcolms waren über den Fluß gekommen, um für die Possereiter den Zugang in die Medi cine-Bow-Berge zu erzwingen. Und mit ihnen wehte auch der Sturm. Doch die Geier der Brodniks gewannen die Oberhand. In Sekun denschnelle. Der Sturm drehte sich, weitete sich zum Orkan und blies die Posse förmlich aus den Medicine-Bow-Bergen zum Fluß. Im gestreckten Galopp rasten die Pferde los, und keiner der Männer dachte in seiner Furcht daran, sie zu stoppen oder zu bremsen. Nicht schnell genug konnte es den Männern gehen, dem Geisterland zu entfliehen. Howard und Homer jagten mit. Im wilden Galopp flohen die Pferde dichtgedrängt vor dem Orkan, der ihnen Flügel zu verlei hen schien. Die Reiter hatten Mühe, in den Sätteln zu bleiben. Die Jagd ging nach Süden. Sand und Staub hüllte die Schar ein. Die Männer konnten kaum die Hand vor Augen sehen. Homers Pferd stolperte plötzlich, machte noch einen Sprung und knickte wiehernd vorne ein. Homer ging kopfüber aus dem Sattel. Er überschlug sich mehrmals in der Luft, bis er hart landete. Er rutschte auf dem Rücken liegend durch den Grausand und blieb dann mit ausgebreiteten Armen und Beinen liegen. Er war nicht bewußtlos. Nur ein wenig benommen. Deshalb dauerte es nicht einmal Sekunden, und er befand sich wieder auf den Beinen. Ringsum gab es nur Staub zu sehen. Die Reiter konnte er nicht einmal mehr hören. Er stemmte sich gegen den Sturm und suchte sein Pferd. Vom Sand fast blind und vom Tosen des Orkans und vom Krachen des tobenden Gewitters nahezu taub, stieß er auf einmal gegen Fels. Er tastete sich daran entlang, um eine Kante oder einen Ein schnitt zu finden, hinter dem er Schutz vor dem Orkan finden konnte. Tatsächlich fand er einen Spalt, lief hinein und duckte sich. Die Finsternis war nahezu absolut. Wolken und Schleier von Sand wehten an dem Fels vorüber. Junge Bäume und starke Äste wur den mitgerissen. Eine entwurzelte Espe knallte vor ihm auf den Boden, rollte weiter und wurde wieder emporgeschleudert. Wie ein riesiger Vogel entschwebte sie nach oben und war Augenbli cke später wieder verschwunden. Homer wischte sich den Sand aus den Augen. Er wußte später 59
nicht mehr, wie lange er an dieser Stelle ausgehalten hatte. Als der Orkan nachließ, sah er draußen Sterne. Draußen! Ohne es zu bemerken war er in eine Höhle geraten. Lichtschein ließ ihn sich umdrehen. Hinter ihm brannte auf ein mal ein Feuer, um das Gestalten hockten. Gestalten, die aus blei chen Knochen bestanden. Von Fleisch und Blut schien nur sein Bruder Slim zu sein, der dort mit in der Runde saß – – mit blicklosen Augen. Homer stöhnte vor Schreck und Entsetzen. Er wollte aus der Höhle laufen. Aber dazu fehlte ihm die Kraft. Vor Furcht war er nicht imstande sich zu rühren. Er spürte nur, wie ihm übel wurde und sich ihm die Haare sträubten. Die Spukgestalten erhoben sich auf einmal und entfernten sich. Zehn Yard hinter dem Feuer befand sich der Fels. Dort liefen sie einfach hinein und waren weg. »Komm zu mir, Homer!« rief Slim plötzlich. »Komm zu mir ans Feuer und wärme dich.« Homer fiel vor Schreck auf die Knie. Slim erhob sich, stapfte um das Feuer und kam zu ihm, und als Homer zu ihm aufsah, besaß er wieder seine Augen. »Slim!« stöhnte Homer gequält, als er ihm aufhalf. Slim führte ihn zum Feuer und Homer setzte sich dort auf einen Stein. Nicht ein Wort bekam er mehr über die Lippen. Die Angst schüttelte und würgte ihn. Er starrte über das Feuer hinweg in Slims Gesicht, der nun wieder aussah wie immer, aber trotzdem ein anderer zu sein schien. Slim setzte sich auf seinen Sattel. »Es wird alles vorüber gehen«, sagte der. »Außerdem ist Howy jetzt schon in Sicherheit.« »Ich bin tot«, sagte Slim. »Damit findet euch ab. Du und Ho wy.« »Du bist doch nicht tot!« keuchte Homer. »Hör doch auf, dir das einzureden.« »Du sprichst mit einem Toten, der zum Weiterleben verdammt ist!« erklärte Slim. »Drüben in den Boulder-Felsen bin ich von einem Malcolm erschlagen worden. Als der Wagen auseinander flog, bin ich in eine Höhle gerannt. Plötzlich war ich drin. Und dort stand einer von diesen Hunden. Nun gehöre ich zu den Brodniks. Ein Malcolm hat mich getötet, also muß ich gegen sie kämpfen. Bist du hungrig?« 60
Homer erschauerte und schüttelte den Kopf. »Wir reiten in die Stadt«, sagte Slim. »Die Leute werden dich zum Sheriff wählen, weil du die Posse gerettet hast. Ich werde dir dann sagen, was du dort zu tun hast. – Das ist mein Auftrag.« »Aber Slim!« krächzte Homer. »Ich werde dir helfen. Ich bin stets in deiner Nähe. Ob du mich siehst oder nicht. Verlaß dich nur immer darauf, daß ich da bin.« »Slim, wir können doch nicht…« »Ich bin tot, und ich möchte meine Ruhe finden«, unterbrach ihn Slim. »Willst du mir dabei nicht helfen?« Homer würgte es im Hals. »Das kann doch alles nicht wahr sein!« stieß er verzweifelt hervor. »Ruhe dich aus!« sagte Slim. »Schlaf! Wir reiten morgen früh los, und wir werden auch morgen früh in Glendevey sein.« Homer fuhr sich über die Augen, und als er wieder aufsah, war Slim fort! »Slim!« rief Homer krächzend und sprang auf. »Ich bin in deiner Nähe!« hörte er Slim sagen. Er drehte sich im. Kreis. »Wo bist du? Hilf mir! Ich verliere den Verstand.« »Dann setz dich!« sagte Slim. Homer wankte herum. Slim saß wieder am Feuer. »Es ist so, Homer!« sagte Slim. »Wir müssen uns damit abfin den. Howy ist aus dem Schneider. Der verrückte Junge! Ob er wohl noch mal Gold suchen wird?« Slim lachte. Homer konnte nicht lachen. Die Angst brachte ihn fast um. »Versuche jetzt zu schlafen«, meinte Slim. »Du hast harte Tage vor dir.« Er griff hinter sich und warf Homer ein paar Decken über das Feuer. Homer deckte sich damit zu. Doch schlafen konnte er nicht. – Aber das bildete er sich nur ein. * Als Homer erwachte – als er zu sich kam, ritt er Seite an Seite mit Slim die Poststraße entlang in die Richtung nach Glendevey. Die ersten Häuser waren schon aufgetaucht. Er saß auf dem Pferd, das er drüben in den Boulder-Felsen gefunden hatte und 61
das ihn abwarf, als die Posse in panischer Furcht vor dem Orkan nach Süden geflohen war. Selbst das Gewehr, das er verloren haben mußte, soweit er sich erinnerte, steckte wieder im Scab bard. »Du reitest bis zum Office«, sagte Slim. »Alles andere geschieht fast von selbst.« Der Anblick der Stadt ließ Homer Mut schöpfen. Er lächelte er leichtert. Nun mußte sich ja alles wenden. Slim, mochte er so wirr reden wie er wollte, würde wieder leben und sie würden Howard treffen, um mit ihm zu ihrem Anwesen zurückzukehren. Und dort wollte er weiter nichts tun, als die gesamte Sache so schnell wie nur möglich zu vergessen. Doch was geschehen sollte, stand längst nicht mehr in seiner Macht. »Wir werden doch Howy finden?« fragte er. Darauf erhielt er keine Antwort. Slim hatte sich samt seinem Pferd in Luft aufgelöst. So kam es Homer jedenfalls vor. Er hielt an und sah sich um. »Slim!« rief er mit krächzender Stimme. »Reite weiter!« ließ sich Slim hören. Homer würgte es wieder im Hals. Er schaute nach oben und sah sich nach allen Seiten um. »Wo bist du?« »Mach voran!« rief Slim ungehalten. »Ich bin in deiner Nähe. Das habe ich dir doch versprochen.« Homer ritt weiter. Er ritt auf der Straße entlang in die Stadt hinein. Ein Fuhrwerk kam ihm entgegen. Der Kutscher grüßte ihn. Doch Homer sah durch ihn hindurch. Er beachtete auch die Pas santen nicht, die am Straßenrand stehenblieben, ihn grüßten oder winkten. Als er die Townhall passierte, sah er den Auflauf vor dem Office. Kurz darauf stellte sich heraus, daß die Leute dort auf ihn warte ten. Die Possereiter waren dort versammelt. – Howard kam ihm entgegen. – Der Bürgermeister war da, der Doktor und noch an dere Honoratioren. Auch viele Frauen waren zu sehen. Homer saß ab und leinte das Pferd an den Hitchrack. »Ich bin froh, dich zu sehen«, sagte Howard schluckend. »Bist du verletzt?« Homer legte ihm den Arm um die Schultern und wandte sich den Leuten zu. »Wie geht es dir, mein Junge?« krächzte er, den Blick auf den Bürgermeister gerichtet, der aus der Menge trat und 62
zu ihnen kam. »Was hat es denn nun dort in den Medicine-Bow-Bergen gege ben?« wollte der Bürgermeister nach der Begrüßung wissen. »Sie haben einen Geist erschlagen, und Gespenster hausen in den Bergen?« Stille herrschte. Die Blicke der Leute hingen an Homers Lippen. »Lucy Dalton gehörte zu den Viehdieben!« hörte er da Slim sa gen. Er schien direkt hinter ihm zu stehen. So daß er sich er schrocken umdrehte. Doch Slim war nicht zu sehen, und gehört hatte nur er ihn, wie deutlich zu erkennen war. Homer schüttelte den Kopf. »Dalton gehörte zu den Viehdie ben!« »Du wirst ihn erwischen, du bist sicher«, sagte Slim laut. »Ich werde ihn schon erwischen«, krächzte Homer. »Irgend wann.« »Die Rinder stehen im Norden am Laramie-River!« sagte Slim. »Du hast sie gesehen. Mit ein paar mutigen Burschen bist du im stande, sie zu holen.« Homer wiederholte Slims Worte. Die Leute starrten ihn an. Der Bürgermeister machte schmale Augen. »Sie haben Dalton nicht in Stücke geschlagen?« Slim stieß ihn an. »Lache!« Homer grinste. »Als du gekommen bist, ist Dalton geflohen!« sagte Slim. Homer behauptete auch das. Jeff Sumner und Miller kamen herüber. »Mister Carson!« rief Jeff Sumner. »Sie haben uns doch von Geistern und Gespenstern erzählt.« »Er soll sich ausruhen!« verlangte Slim. »Der Orkan hat, ihnen allen zu^ gesetzt.« »Ruhen Sie sich aus, Mister Sumner. Sie haben sicherlich Schlaf nötig. Es war da oben ein bißchen viel Wind, nicht wahr?« sagte Homer. Sumner starrte ihn an. »Aber…« »Es war ein anstrengender Ritt«, sagte Homer und klopfte ihm auf die Schulter. Der Bürgermeister grinste. Ein paar Leute lachten. Sumner zog sich wie ein nasser Pudel zurück. »Meine Rinder stehen am Laramie-River?« keuchte Miller. »Aber zum Teufel, wo?« 63
»Weit im Norden!« sagte Slim. »Du wirst morgen hinreiten und sie holen.« Homer gab Miller die Zusicherung. »Und die Rustler?« »Du hast keinen gesehen, Homer!« sagte Slim. Homer schüttelte, den Kopf. »Vielleicht ist es denen zu schwie rig geworden. Ich habe nicht einen Mann bei den Tieren gese hen.« »Aber Geister!« krächzte Miller. »Er ist ein Idiot! Ein kompletter Idiot!« sagte Slim gereizt. »Sie spinnen, Miller!« versetzte Homer. »Sie reden wie ein Idi ot!« Miller prallte zurück. Der Bürgermeister reckte sich. »Schluß mit diesen Geschich ten!« rief er den Leuten zu. »Geht jetzt nach Hause. Homer Car son! Wir haben keinen Sheriff mehr. Wollen Sie dieses Amt über nehmen?« Homer spürte Slims Faust im Rücken. Er nickte. Zehn Minuten später war er schon vereidigt und saß auf Sheriff Rods Stuhl. Die Honoratioren und die Neugierigen entfernten sich aus dem Office. Nur Howard blieb bei ihm. – Und Slim! »Schicke den Jungen nach Hause!« verlangte Slim. »Aber Slim!« stöhnte Homer. Howard schaute ihn gespannt an. »Was ist mit ihm?« »Sage dem Jungen, daß ich tot bin!« verlangte Slim. »Vom Ge stein erschlagen. Er soll nach Hause gehen.« »Slim ist tot, Howy!« krächzte Homer. »Es hat ihn dort in den Boulder-Felsen erschlagen.« »Aber wir haben ihn doch wegreiten sehen!« gab Howard zu bedenken. »Das haben wir doch nicht geträumt.« »Doch! Du hast es geträumt«, meinte Homer. »Aber nun geh nach Hause. Ich komme bald nach.« Howard faßte sich an den Kopf. »In meinem Schädel dreht sich alles.« »In meinem auch!« gestand Homer. Und das stimmte durchaus. Howard wandte sich der Tür zu. »Daß Slim nicht mehr da ist! Ich kann es nicht begreifen.« Homer stand auf und begleitete ihn hinaus. Es gelang ihm, Howard zu bewegen, zu ihrem Anwesen zu reiten. Als er in das Of fice zurückkehrte, saß Slim hinter dem Schreibtisch auf seinem 64
Stuhl. »Slim!« keuchte Homer. »Was hat das alles zu bedeuten?« »Die Höhlen in den Medicine-Bow-Bergen gefallen den BrodnikGeistern nicht mehr«, erwiderte Slim. »Sie wollen die Stadt.« »Aber Slim!« röchelte Homer. »Glendevey gehört den Leuten! Den Lebenden!« »Was ist das, ein Lebender?« Homer klopfte sich vor die Brust. »Ich bin einer.« »Ich bin dein Bruder!« »Slim, das ist doch Terror! Und was soll ich tun? Soll ich euch die Stadt vielleicht in die Hände spielen? Slim, ich sage auch, du bist mein Bruder. Aber sage du mir jetzt, daß dies alles nicht wahr ist.« Er ging zu einem Stuhl, setzte sich, nahm den Hut ab und barg das Gesicht in den Händen. »Wir wollen die Stadt, weil die Malcolms bereits im Begriff sind, sie einzunehmen«, sagte Slim. Homer sah erschrocken auf. »Was sagst du da?« Slim nickte. »So ist es.« »Wer ist wir, Slim?« stöhnte Homer verzweifelt, »was meinst du damit?« »Wir, das sind die Brodniks!« »Du bist doch keiner!« »Doch!« lächelte Slim. »Ich bin in den Boulder-Felsen ums Le ben gekommen. Also gehöre ich auf die Seite der Brodniks.« »Du lebst doch! Da sitzt du doch!« Slim lächelte, und dieses Lächeln zog ihm die Lippen von den Zähnen. Stärker und stärker. Die Zähne wurden größer und län ger. Die Lippen wichen noch weiter zurück. Häßlich braune Kie ferknochen wurden sichtbar. Wie Asche fiel es von ihm ab. Auf einmal saß nur ein Skelett noch da. In Slims Kleidung gehüllt. Entsetzt starrte Homer auf den Totenschädel. »Das bin ich!« drang es aus den Kiefern. »So’ sehe ich aus, Homer! Verschaff mir einen Platz, an dem ich in Ruhe bis ans En de aller Tage liegen kann. Ich bin dein Bruder!« Homer stöhnte. Slim verwandelte sich langsam zurück. Dann saß er wieder vor ihm, als wäre nichts geschehen und lächelte. »Wirst du uns helfen? Wirst du mir helfen?« Homer nickte. »Was soll ich tun?« »Mach uns den Weg nach Glendevey frei!« verlangte Slim. 65
»Wie?« »Schlage alle Malcolms in Stücke, die sich in Glendevey aufhal ten.« sagte Slim. »So wie du Lucy Dalton, den Sheriff, in Stücke geschlagen hast.« »Und dann?« rasselte Homer. »Dann nimm alle Männer mit und reite mit ihnen aus der Stadt«, sagte Slim. »Millers Rinder stehen wirklich im Norden. Die Malcolms haben sie zu uns getrieben und stehen lassen. Wir ha ben sie zum Laramie-River gebracht.« »Und wenn wir zurückkommen?« »Wird es Glendevey nicht mehr geben!« Homer starrte ihn an. »Das verlangst du von mir?« »Du bist mein Bruder!« Homer packte die Wut. Er biß sich auf die Lippe, bis er Blut schmeckte. »Jetzt verstehe ich!« krächzte er nach einer Weile. »Jetzt ist mir klar, weshalb wir nicht alle drei dort in den Boulder-Felsen umge kommen sind. Mit deiner Hilfe wollen diese Hurensöhne mich nie derknüppeln. Ich soll eine Stadt, eine lebende Stadt, an Geister verraten. Aber ich bin auch ein Lebender!« »Hast du kein Mitleid mit deinem toten Bruder, der keine Ruhe in seinem Grab finden kann?« »Das ist Terror!« schrie Homer verzweifelt. »In welchen Konflikt treibst du mich?« »Howy würde es für mich tun!« Homer senkte die Lider. Was Sheriff Rod ihm dort in den Boul der-Felsen verraten hatte, fiel ihm ein. Lucy Dalton hatte er ja damit für alle Zeiten ausgeschaltet. Vielleicht hatte er ihm damit sogar die ewige Ruhe verschafft, nach der sich die Geister so sehr zu sehnen schienen. Er stand auf und ging zum Gewehrschrank, um einen Karabiner herauszuholen. Doch soweit kam er nicht. Als er zum Stuhl schaute, war Slim wieder verschwunden. »Du Verruchter!« tönte Slims Stimme. »Ich bin dein Bruder!« »Suchst du nicht den ewigen Frieden?« fragte Homer gereizt. »Ja, aber hier in der Stadt!« »Du befindest dich in der Stadt!« sagte Homer. »Wir alle müssen hier sein!« war Slim zu hören. »Darauf kommt es an. Hole dir den Karabiner, und dann geh durch die Stadt, die voll von Malcolm-Geistern ist. Schau jedem Mann in die Augen. 66
Wenn du einem dieser Hundesöhne gegenüberstehst, wirst du es erkennen. Dann schlag zu! Erschlage sie alle! Tue es für uns. Für mich! Ich bin dein Bruder.« »Ich habe Angst!« sagte Homer. »Was ist, wenn ich nicht schnell genug zuschlage?« »Ich bin bei dir!« »Die Malcolms werden das wissen!« »Nein! Sie haben keine Ahnung. Der alte Brodnik allein ist in der Hölle gewesen und hat erfahren, wie man sich unsichtbar macht. Das haben wir den Malcolms voraus.« »Dann kämpft doch selbst gegeneinander!« schrie Homer. Er schaute mal hier und mal dort hin, weil er ja nicht wußte, wo sich Slim wirklich befand. »Ihre Blitze treffen besser!« sagte Slim. Es hörte sich an, als stünde er hinter Homer. Er drehte sich deshalb um. »Du zwingst mich, als Lebender gegen Tote zu kämpfen.« »Ja!« »Das kannst du nicht verlangen. Es geht über meine Kraft. Du kennst mich, Slim! Du verlangst trotzdem, daß ich eine ganze Stadt opfere.« »Du bist mein Bruder! Du mußt es tun! Für mich!« »Du bist nicht Slim!« brüllte Homer und stürzte an den Gewehr schrank. »Zeige dich!« Er riß einen Karabiner heraus und drehte sich damit wild um. Slim stand an der Tür. Er lächelte und schüttelte den Kopf. »Er hebst du eine Waffe gegen den Bruder?« Homer ließ den Karabiner sinken. »Es ist alles nicht wahr! Sage es mir. Sage mir, daß wir jetzt satteln und zu uns hinausreiten. Howy wartet. Es wird alles wie früher.« »Nichts wird wie früher!« »Slim! Zu was zwingst du mich, nur weil du mein Bruder bist.« »Ich würde es für dich tun, Homer!« »Bist du sicher?« »Aber ja!« lachte Slim und verschwand wieder. Die Tür ging auf. Homer blickte auf die Straße. Die Gehsteige waren voller Passanten. Und von denen wußte keiner etwas von seiner Not. »Mach deinen Rundgang!« war Slims Stimme zu vernehmen. »Als Sheriff bist, du verpflichtet, ein paarmal am Tage durch die 67
Stadt zu gehen. Bei jedem Rundgang wirst du Geister von den Malcolms erwischen. Schlage sie in Stücke.« »Zur Hölle, in was bin ich da geraten!« jammerte Homer. »Du tust alles für mich, für deinen Bruder!« Schwerfällig stapfte Homer aus dem Office. Daß Slim ihm nach kam, hörte und sah er nicht. Er spürte es aber. Und nur ein Ge danke beschäftigte ihn! War das wirklich der Geist seines Bruders, der diese ungeheuer liche Forderung an ihn stellte? Das Gewehr in der Faust, lief er über die Straße und betrat Skinners Saloon. Der Saloon hatte inzwischen den Besitzer gewechselt. Hinter dem Tresen stand ein Mann, den Homer noch nie gesehen hatte. Er war noch sehr jung, und irgendwie hatte er Ähnlichkeit mit Bück Cimarron, diesem Halunken, der Howard und Slim auf Gold so scharf gemacht und den er nie wieder gesehen hatte. Wo mochte sich dieser Kerl herumtreiben? Er nahm sich vor, zum Friedensrichter zu gehen und ihn nach seinem Neffen zu fragen. »Der neue Sheriff!« empfing ihn der Keeper und schob ihm ein Glas zu. »Willkommen, Sir! Der Drink geht auf Kosten des Hau ses.« Homer legte das Gewehr auf den Tresen. Verkehrt herum, da mit er es schnell am Lauf packen und als Schlagwaffe benutzen konnte. »Wer sind Sie?« »Ich bin Perce! Perce Skinner. Mister Older Skinner war mein Bruder!« Homer blickte ihm in die Augen. Tief drinnen loderte es! »Einer von den Malcolms!« zuckte es ihm sofort durch den Schädel. »Mit Skinner verwandt!« sagte er überrascht. »So sehen Sie mir gar nicht aus.« Der Keeper lächelte. »In Afrika gibt es ein Pferd, das besitzt weißes Fell mit schwarzen langen Streifen. Zebra wird es ge nannt. Trotzdem ist es nicht mit unseren Pferden verwandt. Da steht das Wasserschwein unseren Pferden viel näher. Das habe ich jetzt mal gelesen.« Homer grinste kalt und wütend. Dieses verdammte gelbe Fla ckern und Glühen in den Augen des Keepers reizte ihn bis aufs Blut, und drängte ihn danach, endlich einmal gegen die Geister 68
brut vom Leder zu ziehen. »Lebende und Tote haben auch viel miteinander gemein«, sagte er. »Aber die lebenden Toten haben nichts mehr mit den Leben den zu tun.« In den schmalen Augenschlitzen des Keepers blitzte es. »Was Sie nicht sagen!« Homer trank den Whisky und setzte das leere Glas auf den Tre sen. »Ein Bier jetzt?« fragte der Keeper. Homer wies auf das Regal. »Nein! Jetzt einen Bourbon!« Der Keeper machte kehrt und langte nach der Flasche. Homer griff blitzschnell nach dem Karabiner und schlug ihm den Kolben in den Nacken. Es knackte hölzern. Der Keeper brach zusammen, und sein Kopf rollte zur Seite. Alle sahen den bleichen Totenschädel. Im Saloon wurde es sofort still. Die Männer waren von den Stühlen gesprungen und starrten entsetzt auf den Schädel. Homer konnte es selbst nicht fassen. »Gut gemacht, Homer!« vernahm er Slims Stimme. »Aber paß auf! Da ist noch so ein Hundesohn!« Da hörte Homer schon schwere Tritte. Er drehte sich um. Von einem der Tische kam ein untersetzter stiernackiger junger Bursche auf ihn zu, in den schmalen Augenschlitzen gelbes Leuchten. Homer zuckte zurück. An den Tischen hub entsetztes Geraune an. Der Mann schien durch Feuer zu gehen. Um ihn herum blitzte und rauchte es. Homer prallte mit dem Rücken gegen die Wand, den Karabiner als Schlagwaffe am Lauf gepackt. Er wollte die Waffe hochreißen und damit auf den Unheimlichen einschlagen. Doch er spürte, daß er ihm damit nicht gewachsen war, und diese Erkenntnis lähmte ihn. »Slim!« raunte er mit krächzender Stimme. »Slim, wo bist du? Hilf mir!« Da war Slim auch da. Er stand auf einmal hinter dem Kerl, eine Sense in der Faust. Sengende Hitze schlug Homer in das Gesicht. Hinter Slim stürzten die wenigen Gäste, aus dem Raum. Grauen und Entsetzen spiegelte sich in ihren Gesichtern wider. Ob auch sie Slim sehen konnten, vermochte Homer nicht festzustellen. Er 69
wich bis an den Tresen zurück und dort bekam ihn dieser fürch terliche Kerl zu fassen. Mit einem mächtigen Hieb schlug er ihm den Karabiner aus der Faust. Das ging so schnell, daß er nicht einmal die Chance bekam, ihn hochzureißen. Dann würgte ihn der Kerl. Er konnte sofort nicht mehr schreien. Doch da war Slim zur Stelle, den dieser Kerl bislang nicht be merkt hatte. Er ließ sofort von Homer ab und wandte sich Slim zu, von dessen Sense Flammen züngelten. Aber bevor Slim ihn angreifen konnte, schlug er auch ihm die Waffe aus den Fäusten. Sie rangen miteinander. Slim, der Brodnik-Geist und das Ge spenst der Malcolms. Es dröhnte und donnerte in dem kleinen Saloon. Funken sprüh ten Slim und der andere schlugen mit den blanken Fäusten auf einander ein. Homer bückte sich nach dem Karabiner, sprang auf den Dämon zu und ließ den Kolben auf ihn herabsausen. Mit dem Malcolm-Geist war es sofort zu Ende, genau wie vorher mit dem Keeper. Homer ließ den Karabiner sinken. Er keuchte. Schweiß lief ihm das Gesicht hinab. »Slim, das kann doch so nicht weitergehen!« krächzte er. Da fielen auf der Straße Schüsse. Homer lief sofort ans Fenster. Mehrere Männer, allen voran der Bürgermeister, kamen auf den Saloon zu. Homer machte schmale Augen. Sie waren alle bewaff net und trugen die Gewehre oder Colts schußbereit in den Fäus ten. Auf den Sideways stauten sich die Passanten. Homer drehte sich hilfesuchend nach Slim um. Doch Slim war wieder verschwunden. Homer erstarrte. Auch die erschlagenen Dämonen waren nicht mehr da. Er warf, einen Blick auf die Straße hinaus. Die Männer kamen direkt auf den Saloon zu. – Es dämmerte draußen. In Skinners Saloon war niemand dazu gekommen, eine Laterne anzuzünden. Und deshalb sahen sie ihn auch nicht gleich stehen, als sie eintra ten. Er aber erkannte dafür sofort die Malcolm-Geister, die sich in der Gruppe befanden. Es waren acht Mann, und drei von ihnen besaßen jene gespenstisch leuchtenden und glühenden Augen. Er trat vom Fenster weg, und da erkannten sie ihn. »Bleiben Sie stehen, Homer Carson!« rasselte der Bürgermeis ter mit drohender Stimme und richtete den Colt auf ihn. 70
Homer starrte ihn an. »Was soll das?« »Sie haben Skinners Bruder erschlagen!« rief der Bürgermeister mit scharfer Stimme. »Ihn und noch einen Mann, der sich auf der Durchreise befindet. Haben Sie den Verstand verloren? Wir haben Sie doch hier nicht als Sheriff angestellt, damit Sie Leute umbrin gen.« Einer der Männer riß ein Streichholz an und steckte die Lampen über dem Tresen und den Tischen in Brand. Homer sträubten sich die Haare, als er die niedergeschlagenen Gestalten sah. »Sie haben Ihr Amt mißbraucht, um einen alten Widersacher aus dem Weg zu räumen«, sagte einer der Schurken, der glei ßende Augen besaß. Homer begriff die Zusammenhänge. Die Malcolm-Geister hatten die Stadt praktisch in der Hand, und es hatte begonnen, für sie gefährlich zu werden. Furcht packte ihn. Keiner der Leute von Glendevey hatte eine Ahnung davon, was in der Stadt wirklich geschah. Wo war Slim? Weshalb kam er nicht, um ihm zu helfen oder um ihm zumindest zu raten, was er antworten sollte. Was sollte das jetzt werden? Er ließ den Karabiner sinken und schaute von einem zum anderen. Die drei Schurken mit den glei ßenden Augen wußten Bescheid. Aber wie sollte er sich dem Bür germeister und den anderen vier Männern erklären? »Ich habe zwei Dämonen erschlagen!« krächzte Homer. Was sollte er auch anderes antworten! »Machen wir es kurz«, sagte der Bursche mit dem schrecklich gleißenden Blick. »Er ist überführt. Es gibt genug Zeugen. Sper ren wir ihn ein, und hängen wir ihn morgen früh auf!« Die Tür ging. Der Friedensrichter war geholt worden. Er betrat den Saloon, und hinter ihm erschienen sein Neffe Bück und des sen Gefährte Per Socco. Homer sah sofort, daß auch diese beiden Burschen mit jenem lodernden Geisterblick behaftet waren. Bei ihnen wunderte er sich freilich nicht. »Sie sind des Doppelmordes angeklagt, Homer Carson!« sagte der Friedensrichter, faltete die Hände vor dem mächtigen Leib und betrachtete Homer betrübt. Er hatte seine Leichenbittermiene aufgesetzt, mit der er jedes Mal die Todesurteile aussprach. »Das ist alles verrückt!« sagte Homer. »Ich habe zwei Dämonen getötet. Geister, von denen die Stadt plötzlich voll ist. Ihr Neffe, 71
sein Freund und drei Begleiter des Bürgermeisters gehören auch dazu.« Er wies auf jeden. Der Bürgermeister lachte wütend und gab den Männern ein Zei chen. Sie stürzten sich auf ihn und überwältigten ihn. Sie führten ihn aus dem Saloon und liefen mit ihm rasch die Straße entlang zum Office. Es hatte für ihn keinen Sinn, sich zur Wehr zu setzen. Er wartete auf Slims Hilfe, darauf, von ihm angesprochen zu wer den. Doch Slim ließ sich nicht blicken und nicht hören. Es war zwecklos, sich zur Wehr zu setzen, und es hatte auch keinen Sinn zu versuchen, die Männer umzustimmen. Was sollte er ihnen sagen? Erst Stunden zuvor hatte er sich ja selbst über die Leute lustig gemacht und sie der Lächerlichkeit preisgegeben, als sie von Geistern und Gespenstern berichteten. Er wurde eingesperrt. Der Friedensrichter kündigte ihm den Prozeß schon für den nächsten Tag an. Es war dann bereits dun kel, als die aufgebrachten Männer das Office verließen. Zurück blieben Bück Cimarron und dessen Gefährte Per Socco, die beide Malcolm-Geister waren. Entsetzliche Furcht ergriff von Homer Besitz, als die beiden Schurken zu ihm an die Zellentür traten. »Du brauchst keine Furcht zu haben, daß wir dich umbringen«, sagte Bück Cimarron mit knirschender Stimme. »Wir haben kein Interesse daran, den verfluchten Brodnik-Seelen einen neuen Geist zuzuführen, der dann mit ihnen gegen uns kämpft. Wenn du in diesem Käfig sitzt, sind wir vor dir sicherer. Und morgen wer den sie dich hängen. Da wirst du gleich in der Hölle landen. Die Brodnik-Geister wollen diese Stadt für sich. Warum hilfst du Ih nen? Wüßten die Einwohner das, würden sie dich auf der Stelle erschlagen.« »Ihr habt nichts anderes im Sinn!« zischte Homer. »Auch ihr wollt die Stadt.« Die beiden Höllenbrüder sahen sich an und lachten. In ihren Au gen glühte und blitzte es. Es war ein gräßlicher Anblick, den sie ihm da boten in ihrem Triumph. Sie sahen ihn wieder an, und er riß die Hände vor das Gesicht, um von ihren Blicken nicht geblendet zu werden. »Außerdem haben dich die Brodniks hereingelegt«, sagte Per Socco. »Du hilfst nicht deinem Bruder! Einer dieser Hundesöhne benutzt nur seine Gestalt. Slim liegt oben in den Boulder-Felsen, 72
vom Gestein erschlagen. Ihr selbst habt die Sprengladungen ge zündet. Niemals einer von uns. Zum Geist wird nur der, den wir töten, und dann findet er sich bei den Brodniks wieder.« Homer starrte von einem zum anderen. Ihm wurde hundeelend zumute. Er mußte sich setzen. Die beiden Teufelskerle lachten wieder, daß er es vorzog, die Augen zu schließen. * Howard streute Salz über das Steak, das in der Pfanne brutzel te. Er hatte sich schon ein paarmal die Finger verbrannt und vol ler Wehmut an Slim gedacht, der diese Arbeit stets für sie alle drei verrichtet hatte. Als er sich zum Essen niedersetzen wollte, klapperte draußen Hufschlag. Homer! war sein erster Gedanke! Er nahm die Laterne in die Hand und lief zur Tür, öffnete und trat über die Schwelle. Es konnte nur Homer sein. Drüben am Sattelplatz glitt er vom Pferd und sattelte ab. »Homer!« rief Howard erfreut und überquerte den Hof. Als der Schein der Laterne den Mann traf, erkannte er, daß es sich nicht um Homer handelte – sondern um Slim. Er blieb stehen und bekreuzigte sich. »Slim!« schrie er. Da drehte sich Slim um und grinste. Er breitete die Arme aus und ging auf Howard zu. Sie lachten und drückten sich und Howard weinte dazu. »Ich… und ich habe tatsächlich geglaubt, du bist tot!« stammel te Howard überglücklich. »Mein Gott! Homer wird der Hut davon fliegen, wenn er dich sieht.« Slim ergriff Howard an den Schultern. »Howy! Kid, ich lebe! Das siehst du ja. Homer weiß das schon. Ich komme gerade von ihm.« »Du meine Güte, hat sich der gute Homer nicht auf den Hintern gesetzt?« lachte Howard. »Aber komm ins Haus! Ich habe etwas zu essen gemacht. Das reicht für uns beide.« »Augenblick noch, Kid!« sagte Slim. »Etwas Gräßliches ist pas siert!« »Nein!« stöhnte Howard erschrocken. »Nicht schon wieder!« 73
»Sie haben Howard eingesperrt, Junge! Wir müssen ihm hel fen.« »Aber er ist doch Sheriff!« krächzte Howard. »Ich bin dabeige wesen, als sie ihn dazu ernannt haben.« »Die Geister aus den Boulder-Felsen, die verdammten Mal colms, sitzen in der Stadt und sehen Homer als ihren persönli chen Feind an. Die Schurken sitzen überall. Homer hat in Skin ners Saloon zwei von ihnen erschlagen. Du hast doch erlebt, wie es Homer mit Lucy Dalton gemacht hat.« »Woher weißt du das?« »Homer hat es mir erzählt!« erklärte Slim. »Doch Lucy Daltons Knochen liegen sicherlich jetzt noch da draußen. Malcolm-Geister, die Homer in der Stadt erschlug, haben sich aber wieder zu Men schen verwandelt. Mit eingeschlagenen Schädeln lagen diese. Teufel da, als die Leute in den Saloon kamen. Die verfluchten Malcolm-Geister, die sich in Menschengestalt in Glendevey aufhal ten, haben dafür gesorgt, daß er keine Chance mehr hat. Er soll morgen gehängt werden.« »Nein!« krächzte Howard erschrocken. »Wir müssen ihn befreien, Howy!« bedrängte ihn sein Bruder. »Es ist die letzte Chance. Wenn wir das nicht schaffen, wird Ho mer sterben. Am Galgen! Da er nicht von den Malcolms getötet wird, landet er danach auch nicht bei den Brodniks, sondern in der Hölle. Willst du das?« »Slim! Hör auf damit!« stöhnte Howard verzweifelt. Slim schüttelte ihn. »Wir müssen etwas tun!« Howard nickte. »Natürlich! Aber wollen wir zu zweit gegen die Bürger von Glendevey und gegen die Malcolm-Geister kämpfen? – Slim, ich fürchte mich, wenn von Geistern nur gesprochen wird. Eiskalt läuft es mir den Rücken hinab. Schau, wie meine Hände zittern.« »Du mußt dich beruhigen, Kid!« »Zu zweit sind wir nicht stark genug, um Homer zu helfen!« sagte Howard verzweifelt. »Du kennst doch die Leute von Glen devey. Wenn auch nur ein Schuß fällt, haben wir sie alle auf dem Hals. Das Office wird sicher schwer bewacht.« »Von zwei Malcolm-Geistern!« sagte Slim. »Du kennst die Schurken! Sie sind hier gewesen und haben uns von dem Gold in den Medicine-Bow-Bergen erzählt.« »Der Neffe des Friedensrichters?« krächzte Howard. »Bück Ci 74
marron und Per Socco?« Slim nickte. »Die Brandflecken auf den Dielenbrettern!« keuchte Howard. »Ich habe sie mir vorhin noch mal gründlich angesehen. Homer ist doch kein Spinner. Es handelt sich tatsächlich um Brandfle cken. Also hat dieser Kerl Feuer im Leib. Gegen ihn haben wir doch keine Chance!« »Wir müssen es versuchen.« Howard sah ihn entsetzt an. »Willst du dich ins Office trauen, wo du weißt, daß dich dort Geister erwarten?« »Du wirst erst einmal allein hinein gehen, um sie aus dem Of fice zu locken. Aber das besprechen wir auf dem Ritt. Komm! Wir dürfen nicht eine Minute verlieren. Es geht schließlich um Homers Leben.« »Kommst du aus den Boulder-Felsen?« fragte Howard. »Ja! Ich bin den ganzen Tag unterwegs gewesen.« »Dann nimm dir ein frisches Pferd!« sagte Howard. »Ich schlie ße das Haus ab. Warte!« »Mein Brauner ist ein braver Bursche«, sagte Slim, während es in seinen Augen kurz aufblitzte. »Der läuft einen ganzen Tag, und wenn es sein muß auch zwei!« »Wie du meinst!« rief Howard über die Schulter. Er befand sich schon auf dem Weg zur Tür. Das Steak konnte warten. Homers Leben war wichtiger. Er löschte im Haus die Lampen und schloß dann von außen ab. Als er zum Sattelplatz zurückkehrte, hatte Slim den Braunen für ihn schon gesattelt. Sie saßen auf und ritten sofort los. Hinein in die Dunkelheit. Beide kannten den Weg zur Stadt. Wie üblich benötigten sie eine gute halbe Stunde, bis sie Glendevey erreichten. Es war noch weit vor Mitternacht, als sie in die Mainstreet einschwenkten. Vor dem Sheriff-Office brannte Licht. Auch im Innern brannten Lampen. Das Fenster war hell erleuchtet. Howard rutschte beim Anblick des Offices das Herz ziemlich in die Hosen. Sie hielten vor der Futtermittelhandlung, die schon geschlossen war und in völliger Dunkelheit lag. »Wie willst du jetzt vorgehen?« stöhnte Howard verzweifelt. Slim trat dicht an ihn heran. Seine dunklen Augen blitzten und leuchteten. »Du gehst hinein und erklärst ihnen, daß ich auf sie warte. Wie Teufel werden sie ins Freie stürzen. Schlage sie von 75
hinten nieder, wenn sie an dir vorbeirennen.« »Mit was denn?« »Mit dem Gewehrkolben.« Howard griff über das Pferd hinweg und zog das Gewehr aus dem Scabbard. »Geh jetzt!« befahl Slim. Howard starrte ihn an. »Kommst du nicht mit? Es sind zwei Mann. – Geister noch dazu? Wie soll ich allein mit denen fertig werden?« »Das habe ich dir doch erzählt. Sag ihnen, daß ich draußen war te!« Wie unter einem inneren Zwang setzte sich Howard in Bewe gung. Er erkannte nicht, daß er von Slims Geist dazu getrieben wurde, etwas zu tun, was er gar nicht tun wollte und wozu ihm normalerweise auch glatt der Mut fehlte. Slim kam ihm nach. »Ich bin bei dir, mein Bruder!« Howard schaute sich nicht um. Hätte er es getan, hätte er ge sehen, daß Slim gar nicht mehr da war. »Sie können dir nichts tun!« sagte Slim hinter ihm. »Sie werden sich sofort auf mich stürzen. Schlag sie von hinten nieder. Du brauchst dazu nicht viel Kraft. Du mußt nur den Halswirbel tref fen.« »Ja!« stöhnte Howard. Als er den Sideway vor dem Office betrat, vermochte er kaum noch einen Fuß vor den anderen zu setzen. Die Glieder zitterten ihm. Slims bohrenden Blick im Nacken und der Gedanke an Ho mer trieben ihn weiter. Die Hand auf der Klinke, verharrte er. Einige Passanten gingen vorbei. Keiner erkannte ihn. Die Zähne schlugen ihm aufeinander, als er die Tür öffnete und über die Schwelle trat. Homer saß hinten in der Zelle. Bück Cimarron saß am Schreib tisch. Per Socco hockte davor auf einem Schemel. Alle drei sahen zur Tür. Homer, der auf der Pritsche gelegen hatte, sprang auf und trat an die Zellentür. Bück Cimarron und Per Socco grinsten höhnisch und kalt. »Was willst du?« fragte Bück Cimarron. »Mein Bruder wartet draußen!« sagte Howard. Die beiden sprangen sofort auf und starrten an ihm vorbei durch die offenstehende Tür ins Freie. Diese Ankündigung versetzte die Schurken in Panik. Howard konnte sich nur nicht erklären, wes halb. Er hatte ja keine Ahnung, daß Slim auch ein Geist war, und 76
zwar einer, der auf der anderen Seite, nämlich für die Brodniks kämpfte. Zu seiner Überraschung kam es so, wie es Slim vorausgesehen hatte. Cimarron stapfte um den Schreibtisch und stürzte an ihm vorbei zur Tür hinaus, ohne ihn weiter zu beachten. Howard blick te auf den Boden, um zu sehen, ob Cimarron auch hier Brandspu ren zurückließ. So verpaßte er um ein Haar seine Aufgabe. Auch Per Socco rannte zur Tür. Howard schlug zu. Mit aller Kraft, die er entfalten konnte. Per Socco befand sich bereits auf der Schwelle, als ihn der harte Schlag traf. Draußen stieß jemand einen lauten Schrei aus. Das war Bück Cimarron! Wie vom Teufel getrieben kam er zurückgestürzt. Blitze zuckten aus seinen Augen. Howard riß das Gewehr ein zweites Mal hoch. »Den Hals!« rief Homer aus der Zelle, so daß sich Howard daran erinnerte, wo er treffen mußte. In seiner Angst zielte er auf Bück Cimarrons Kopf. Er drehte sich blitzschnell in den Hüften und schlug von der Seite her zu. Auch dieser Schlag traf voll! Bück Cimarron brach ebenfalls zu sammen und blieb reglos liegen. Howard ließ den Karabiner sinken. Er war vor Furcht und Ent setzen wie gelähmt. Er hatte auf zwei Männer eingeschlagen, sie getroffen und mußte nun erkennen, daß es gar keine Männer wa ren, sondern Geister. Nun tauchte Slim auf. Wie ein Panther kam er hereingesprungen und warf die Tür hinter sich ins Schloß. »Rasch, die Schlüssel!« rief er. »Laß Homer heraus!« Nun erst konnte sich Howard bewegen. Es tat ihm wohl, beide Brüder wieder in der Nähe zu haben. Er machte kehrt und stürzte an den Schreibtisch. Der Zellen schlüssel lag auf der Platte. Er rannte zur Zellentür und ließ Ho mer heraus. Da trommelte es gegen die Tür. Laute Stimmen waren zu hö ren. »Die Hintertür!« zischte Slim, er drehte sich um und blies, und im Office und auch draußen gingen die Lampen aus. Das bemerk te nur Homer, nicht Howard. Sie liefen zur Hintertür. Slim trat sie auf, und sie rannten hin aus. Homer nahm dabei Howard den Karabiner aus der Faust. Noch auf der Schwelle, blieb Howard entsetzt stehen! 77
Seine Brüder befanden sich vor ihm. Deutlich hoben sie sich ge gen den hellen Nachthimmel ab, und er sah, wie Homer das Ge wehr hochriß und Slim niederschlug. »Homer!« stöhnte Howard. Homer war stehengeblieben. Howard konnte Slim nicht mehr sehen. Er war auf einmal weg. Er stürzte zu Homer und krallte ihm die Fäuste in die Jacke. »Um Himmelswillen, was hast du getan! Er war doch dein Bru der!« schrie Howard. »Er war nicht unser Bruder«, sagte Homer. »Slim liegt in den Boulder-Felsen unter den Steinmassen. Dieser Schuft hier hat nur seine Gestalt angenommen. Er war ein Brod nik-Geist.« Howard verstand nichts. Er wußte nur, daß er entsetzliche Angst hatte. Das Grauen schüttelte ihn. Doch sie waren noch lange nicht durch die Hölle. Der Weg dort hindurch begann erst. Höllisches Brausen erfüllte plötzlich die Nacht. Howard schrie auf und ließ sich fallen. Auch Homer ging zu Boden. Er duckte sich nur und ergriff Howard am Arm. Ein Orkan fegte heran. Die Bäume neben dem Office bogen sich unter seinem Druck bis zum Boden. Ringsum flogen etliche Dä cher mit Donnergetöse durch die Luft, stürzten auf andere Häuser oder knallten gegen Hauswände. Homer sprang auf, riß Howard mit hoch und lief mit ihm um das Office zur Straße. Die Mainstreet lag in völliger Dunkelheit. Auch in den Häusern waren sämtliche Lichter erloschen. Menschen liefen schreiend auf den Sideways entlang, um vor dem Unwetter nach Hause zu kommen. Doch es war kein Unwetter, das Glendevey heimsuchte. Geister waren es! Homer konnte nicht feststellen, ob es sich bei der ers ten Geisterschar, die über die Stadt herfiel, um Malcolm oder um Brodnik-Geister handelte. Auf beinernen Mähren galoppierten sie die Straße entlang. Blitze zuckten vom Himmel, der auf einmal pechschwarz war. Nicht ein Stern blinkte mehr am Himmel. Blitz auf Blitz zuckte herab, und die Donnerschläge krachten zwischen den Häuserzeilen der Mainstreet auf und ab. Hoch in den Lüften, vom Orkan getragen, wie es schien, schwebten die riesigen Geis ter der Weiberschar. 78
Doch damit hatte sich das alles noch nicht. Es dauerte nur Au genblicke, und die zweite Geisterschar traf ein. Die Geisterhorden prallten mitten in der Stadt aufeinander, die wohl nur deshalb einigermaßen verschont blieb, weil die Geister miteinander kämpften. Und den Leuten von Glendevey bot sich der gleiche Anblick, den der alte und längst vergessene Moses erlebt hatte. Der alte Moses war längst vergessen! Auch Sheriff Rod und der alte Schmied. Doch im Schein der Blitze, die Glendevey taghell erleuchteten, wenn auch jeweils nur für Bruchteile von Sekunden, waren diese Männer und noch andere unter den Geistern zu er kennen. Vor allem die älteren Einwohner von Glendevey erkann ten viele ihrer ehemaligen Mitbürger wieder, die nun als Geister auf dieser oder der anderen Seite stritten. Die Geister ritten sich gegenseitig in Grund und Boden. Doch wer von ihnen niedergeritten wurde, kam sofort wieder hoch, so bald der andere über ihn hinweg war. Mit Knüppeln und gerade gebogenen Sensen, von deren Spitzen grüne und gelbe Feuerlan zen zuckten, schlugen sie aufeinander ein. Sie spießten sich ge genseitig auf und hoben sich aus den Sätteln. Gestalten krachten in den Straßenstaub oder schlugen donnernd gegen die Hauswände. Doch sie kamen alle wieder auf die Füße, fanden ihre Pferde und reihten sich wieder in dieses Inferno ein. Getroffen von Blitzen oder von dem Höllenfeuer, das von den Lanzen und Sensen zuckte, gerieten etliche Häuser in Brand. Drei Löschkarren befanden sich im Spritzenschuppen neben dem Glo ckenturm. Doch wer von den Einwohnern wagte sich aus seinem Haus? Nicht einer! Viele faßten Mut und nahmen die Geister unter Beschuß. Es blitzte und krachte aus Haustüren und Fenstern. Doch die Höllenbrut war mit Blei nicht zu stoppen. Staubwolken fegten durch die Mainstreet. Sie schienen alles mitzureißen, nur diese höllischen Ausgeburten nicht, von denen jeder Haufen die Stadt für sich erobern wollte. Doch ein Sieg war keiner Partei beschieden. Noch immer waren sich die Malcolm-Geister, die in den Höhlen der Boulder-Felsen hausten, und die Brodnik-Geister, die in den Höhlen der Medicine Bow-Berge ihre Behausungen hatten, völlig ebenbürtig. Auch die gespenstischen Weibervögel die sich hoch über der Stadt in die Haare und in die Federn fielen, vermochten die Ent scheidung nicht zu erzwingen. Als der Morgen graute, gaben die teuflischen Heerscharen auf. 79
Im Schein der letzten Blitze flogen die gräßlichen Schatten davon, und auch die Geisterreiter, die Scharen der knöchernen Satans knechte, lösten sich in Luft auf. Zuletzt beherrschte nur das Toben und Tosen des Orkanes noch die Stadt. Er blies Wolken von Grausand nach Glendevey herein, die gegen Hauswände prallten, zusammensanken und der Sand sich bis zu den Dächern türmte. Doch es wurde zunehmend heller und heller. Die Kraft des Or kans verlor sich. Als die Sonne hochkam, war er nur noch ein säuselnder Wind, der Blätter und dünne Zweige in Bewegung zu setzen vermochte. Nun wagten sich die ersten Männer auf die Straße. Howard und Homer, die all die fürchterlichen Stunden im Freien neben dem Office ausgehalten hatten, erhoben sich und liefen in den Hof. Aber von Slim, von dem Teufelsbraten, der sich die Ges talt ihres Bruders ausgeliehen hatte, war nichts mehr zu sehen. Der Orkan hatte selbst den schweren Totenschädel mitgerissen. Sie machten kehrt, liefen durch das Office, um dort nachzu schauen, ob von den Knochenhaufen etwas übriggeblieben war. Doch der Orkan hatte auch hier ganze Arbeit geleistet und alles hinweggefegt. Geister und Gespenster gab es wirklich! Auch der letzte Ein wohner von Glendevey hatte sie gesehen. Es fiel deshalb Homer nun nicht mehr schwer, den Leuten zu erklären, was sich im Sa loon wirklich zugetragen hatte. Das alles interessierte freilich nur wenige Leute. Die meisten Einwohner von Glendevey packten sofort ihre Habe zusammen, um die unglückselige Stadt zu verlassen. Die Nachricht, daß eini ge entschlossene Männer Glendevey ein drittes Mal neu errichten wollten, machte rasch die Runde. Ebenso die Geschichten von einigen alten Einwohnern, die so etwas vor vielen Jahren schon einmal erlebt hatten. Freilich, nur weiter im Norden. Und diese alten Männer und Frauen waren es, die sich am Office versam melten und um den Bürgermeister scharten. Es hatte in dieser Nacht Tote und Verletzte gegeben. Einige wa ren vor Schreck und Angst umgekommen. Homer Carson war sich mit dem Bürgermeister bald darüber ei nig: Entschlossene Männer mußten her, die Hölle und Teufel nicht fürchteten. Doch wer besaß nach dieser Nacht noch Mut, mit Ho mer in die Berge zu reiten, um dort jeden Schurken der sich zeig 80
te, in Stücke zu schlagen. Die Angst steckte allen zu tief in den Gliedern. Große und lange Reden wurden gehalten. Vorschläge wurden gehört. Einer wollte Truppen anfordern. »Die Armee hat uns früher stets geholfen, wenn sich die India ner bis an die Stadt heranwagten!« rief er wild und leidenschaft lich in die Runde. »Sie wird uns auch jetzt zu Hilfe kommen.« »Gegen Geister und Dämonen?« fragte der Bürgermeister wü tend. »Wer von euch will hinreiten und sich auslachen lassen? Um an Geister zu glauben, muß man sie selbst gesehen haben.« Homer nahm seinen Bruder am Arm und wandte sich ab. Er konnte nicht mehr zuhören, wo doch gehandelt werden mußte, oder Glendevey war verloren. Die ersten vollbeladenen Wagen rollten bereits durch die Mainstreet aus der Stadt. »Slims Schicksal läßt mir keine Ruhe«, erklärte Homer seinem Bruder, als sie wieder im Hof des Offices standen. »Ich muß se hen, ob er wirklich in den Boulder-Felsen liegt.« »Soll ich dich auch noch verlieren?« jammerte Howard. Homer lächelte grimmig. »Hilf mir bei den Vorbereitungen! Ich habe es eilig.« »Wie stellst du dir das vor? Was rechnest du dir aus?« gab Howard zu bedenken. »Ich habe die Satansbrüder zu zählen ver sucht. Ich bin bis hundert gekommen, und das waren noch lange nicht alle.« »Hundert oder zweihundert!« knurrte Homer wütend. »Ich weiß, wie man sie fertigmachen kann. Und zwar mit Sprengstoff! Das haben die Geister uns selbst gezeigt. Nachdem wir in den Boulder-Felsen waren, haben sie nicht einen Menschen dort drau ßen mehr umgebracht.« »Sie sind gescheit geworden!« krächzte Howard. »Jeder Tote hilft nur der anderen Seite.« Homer nickte. Howard wies auf den Karabiner, den Homer noch in der Faust trug. »Wie willst du allein hundert oder zweihundert Geister erschla gen?« stöhnte er. »Homer! Bist du denn auch einer von denen?« »Nein!« zischte Homer wild. »Noch nicht! Vielleicht kriegen sie mich. Aber dann wird es für dieses Satanspack zu spät sein. Das schwöre ich dir!« »Ich kann dir nicht helfen!« jammerte Howard. »Ich bin einfach 81
nicht der Mann dafür.« »Dann scher dich zum Teufel!« polterte Homer. »Ich jedenfalls tue, was in meinen Kräften steht, um diese Hurenbande zu erle digen. Ich muß einfach wissen, was aus Slim geworden ist.« Er machte kehrt und stapfte zornig zur Mainstreet zurück. Howard sah ihm nach. Schließlich folgte er ihm, weil er ihn nicht allein lassen wollte. Homer überquerte die Straße und betrat einen Store, dessen Besitzer mit seiner Familie im Hof einen Wagen belud, um Glen devey so schnell wie nur möglich zu verlassen. Als die Glocke über der Tür ankündigte, daß sich Kundschaft im Laden befand, kam er angestapft. »Womit kann ich dienen?« fragte er gespannt. Howard sah seinen Bruder fragend an. »Ich benötige Sprengstoff«, sagte Homer. »Soviel Sie davon haben, Jericho.« Jericho starrte ihn an. »Homer Carson! Was wollen Sie damit?« Homer grinste. »Sie vermuten richtig. Ich werde damit die Geis terbrut in die Luft sprengen. Wollen Sie mir dabei helfen?« Jericho sah ihm überrascht und betroffen zugleich in die Augen. »Homer, wissen Sie da auch, was Sie sagen?« Homer grinste düster. »Ich habe Sie gefragt, ob Sie mir helfen .wollen. Ich benötige noch einen Kutscher.« »Sie haben doch Ihren Bruder!« »Howy hat Angst!« »Ich auch!« beteuerte der Storebesitzer. »Haben Sie Sprengstoff?« bellte Homer wütend. »Vier Fässer Schwarzpulver«, sagte Jericho. »Sie können sie haben. Umsonst! Nur damit ich die Fässer loswerde. Heute nacht habe ich tausend Ängste ausgestanden. Ein Blitz hätte hineinfah ren können.« »Ich benötige auch noch Pferde und einen Wagen!« sagte Ho mer. Jericho blickte ihn erschrocken an. »Verlangen Sie das von mir? Ich habe Frau und Kinder! Die muß ich in Sicherheit bringen.« Homer lächelte mitleidig, machte kehrt und verließ den Store. Howard folgte ihm. »Wie willst du denn vorgehen?« krächzte er. »Das ist doch jetzt einfach!« sagte Homer. »Ich fahre mit dem Pulver nach Norden. Bloß nicht am Laramie-River entlang. Da 82
sehen die Höllenknechte mich ja kommen. Ich hole im weiten Bogen nach Osten aus und nähere mich den Boulder-Felsen vom Norden. Dann auch den Medicine-Bow-Bergen. Da befinde ich mich ziemlich weit oben und brauche den Schakalen die Ladun gen nur vor die Höhleneingänge zu werfen. Ist das keine glorrei che Idee?« Das konnte Howard nicht finden. Er schüttelte heftig den Kopf. »Du wirst umkommen!« Homer grinste wütend. »Wer will mich umbringen? Töten mich die Malcolms, so finden sie mich auf der Seite der Brodniks wie der. Und genauso ist es umgekehrt. Das werde ich ausnützen. Kommst du nun mit?« Howard zitterte vor Furcht, nickte aber. * Noch weit vor Mittag verließen die Brüder die Stadt. Eile war ja geboten. Homer fuhr den ersten Wagen. Howard kutschierte den zweiten. Es waren Planwagen. Alte Murphys. Auf den Planen stand in ro ter Farbe das Wort EXPLOSIVES! Die Höhlengeister, die eine ganze Stadt auf grausamste Weise terrorisierten, sollten wissen, was da auf sie zukam. Homer Carson hatte einen festumrissenen Plan. In Frage ge stellt war er einzig und allein durch die Tatsache, daß er und Howard zwei Tage benötigten, um in die richtige Position zu gelan gen. Würden die Höhlengeister das zulassen? Die Nächte waren schließlich ihre Zeiten. Sie fuhren nach Osten aus der Stadt. Homers erstes Ziel war das Plateau über den Boulder-Felsen. Sprengstoff besaß er ge nug. Es kam nur darauf an, daß er die Teufelsknechte auch er wischte, die er treffen wollte. Nach vier Meilen Fahrt schwenkten sie nach Norden ein. Und als es dämmerte, kam ihnen der erste Satansknecht auch schon ent gegen. Es war ein einzelner Reiter. Als er näherkam, erkannten sie ihn. Es war Sheriff Rod! So sah der Kerl jedenfalls aus, der da auf einem pechschwarzen Pferd angeritten kam. Homer hielt das Gespann an. Howard fuhr neben ihm auf. Er 83
griff sofort nach dem Karabiner, den er neben sich auf der Bank liegen hatte. Homer sprang ab und lief dem alten Sheriff ein Stück entgegen. »Fahrt zurück, Muchachos!« verlangte der Dämon, ohne auch nur ein Wort der Begrüßung zu verlieren. »Macht kehrt und fahrt am besten gleich durch Glendevey hindurch. Die Stadt ist für euch ohnehin verloren.« Er war vorsorglich weit genug entfernt stehen geblieben. Den Karabiner in der Faust, stapfte Homer auf ihn zu. Doch der Dämon erkannte das Spiel und wich vor ihm zurück. Homer blieb stehen und starrte ihm in die Augen. »Sheriff Rod, auf welcher Seite stehen Sie?« krächzte er. »Das muß ich wissen!« »Weshalb?« dröhnte die Stimme des Sheriffs. »Sie müssen mir helfen, die Stadt zu retten!« erklärte Homer. Sheriff Rod, oder wer immer es war, der diese Gestalt ange nommen hatte, begann laut und höhnisch zu lachen. Es dröhnte den Brüdern in den Ohren. Und während er lachte, versuchte er Homer zu umgehen, um näher an die Wagen zu kommen. Homer schwang den Karabiner, der eine sichere Waffe war, wie er glaubte. Doch darin täuschte er sich. Unverkennbar wollte der Kerl an den Wagen, um damit selbst weiterzufahren oder um ihn in die Luft zu sprengen, denn grüne Flammenblitze zuckten aus seinen Augen, die aber nicht weit genug zuckten. Fast zu spät bemerkte Homer in seiner Wut, daß der Kerl dabei wuchs und wuchs. Er hielt entsetzt ein, als er das wildverzerrte Gesicht des alten Sheriffs über sich sah. Er starrte in eine schau rige Grimasse. Knochen bleckten ihm entgegen, und die Totenau gen grinsten hohl und feurig zugleich. Homer krachte vor Schreck auf den Rücken. Er wollte zurück weichen, aber die Beine versagten ihm den Dienst. Er fiel lang in den Sand und riß den Karabiner schützend vor das Gesicht. Rauch und Feuer schwelten dem satanischen Burschen aus der Rachenöffnung. Nein! Da war nichts mehr, das an das gütige Old timergesicht des alten Sheriffs erinnerte. »Wurm!« tönte es aus dem Flammenrachen. »Ich zertrete dich!« Seine Hände glichen mächtigen Pranken, und mit zwei schnellen Hieben schmetterte er Homer den Karabiner aus den Fäusten und zertrat ihn in Stücke. Die schweren Stiefel, die er über die Bein 84
knochen gestülpt trug, malmten den Sand. Homer spürte, wie der Boden unter ihm bebte. Zwanzig Fuß hoch war der Höllenbruder schon und er wuchs noch weiter. Er stampfte über Homer hinweg an den Wagen und schlug mit den Knochenfäusten darauf ein. Unter dem ersten Schlag brachen die vorderen Räder sofort in Stücke. Es sah aus, als wäre der schwere Frachtwagen vor dem Geist in die Knie ge gangen. Die Plane ging in Fetzen, und die zolldicken Planken splitterten wie Streichhölzer. Homer wälzte sich erschrocken auf den Bauch. Wenn seine Faust eines der Fässer traf, mußte es explodieren. Wo war Howard? Sein Blick streifte den zweiten Wagen. Doch dort war Howard schon nicht mehr. Die Pferde befanden sich bereits in Panik. Der unheimlich große Kerl und der Höllenlärm, den er verursachte, versetzte auch die Tiere in Angst und Schrecken. Während der Kerl wie ein Berserker wütete, wurde er wieder klein und schrumpfte auf das normale Maß eines Menschen zu rück. Neben Homer klatschte etwas zu Boden. Er zuckte herum. Es war Howard. Furcht und Entsetzen drohten ihn um den Verstand zu bringen. Homer sah den Karabiner in seinen Fäusten, riß die Waffe an sich und flog hoch. Wie ein Panther sprang er den Satan von hinten an und schlug ihm den Karabinerkolben in den Nacken. Von einem Augenblick zum anderen existierte der Malcolm-Geist nicht mehr. Auf einmal war er nur noch ein Knochenhaufen, der vor Homer lag. Homer fuhr sich über das Gesicht und drehte sich um. Howard wankte heran. »Laß uns umkehren, Homer!« keuchte er, das Jungengesicht noch immer vor Furcht und Entsetzen entstellt. Homer zog ihn an sich und lachte erleichtert. »Angst darf man vor diesen Spukgestalten nicht haben, Howy! Das weiß ich jetzt! Eins drauf muß man den Hurensöhnen geben. Das ist genau das, was sie brauchen. – Schade um den Wagen! Aber macht nichts! Die Fässer sind heil geblieben. Der nächste Hund, der uns an greift, kann sich auf was gefaßt machen.« Howard zitterte am ganzen Körper. Ihm war es ein Rätsel, wo her der Bruder den Mut nahm. 85
»Willst du wirklich weiterfahren?« keuchte Howard. »Laß uns umkehren. Himmel, hilf! Genügt es nicht, daß Slim tot ist?« »Sieh dir die Pferde an!« knurrte Homer gereizt. »Die haben ih re Angst schon wieder vergessen. – Los, wir nehmen die Braunen noch vor den anderen Wagen und dann ab wie der Teufel!« Howard wich erschrocken zurück und bekreuzigte sich. »Homer, nimm doch diesen Namen nicht in den Mund.« »Wieso! Einen Verbündeten, der den Bastarden die Hölle heiß macht, müssen wir doch haben. Also los! Bewegen wir uns, damit wir von hier wegkommen, bevor Verstärkung anrückt!« Howard sank fast in die Knie. »Verstärkung!« stammelte er be stürzt. »Glaubst du wirklich…« »Ja!« knurrte Homer, dem gleichfalls mulmig zumute war, wenn er das auch nicht zeigte. Im Gegenteil! Die Höllenhunde sollten glauben, daß er ein mutiger Mann war und sich vor ihnen nicht fürchtete. Er begann die Pferde von dem zertrümmerten Wagen zu schir ren. Howard kam ihm schließlich zu Hilfe. Sie luden die Fässer um, und drei Minuten später donnerte und rasselte der Wagen schon in die Nacht hinein. Homer änderte die Richtung. Er schwenkte noch weiter nach Osten aus, in der Hoffnung, daß die Geister der Malcolms sie nicht finden würden. Kurz vor Mitternacht hielten sie an, um die Pferde ruhen zu las sen. Da vernahmen sie ein fernes Heulen und Brausen. Howard klammerte sich erschrocken an den Bruder. »Homer, sie kommen!« stöhnte er. Homer lauschte angestrengt. Auch ihm war im Hals trocken ge worden, und er saß mit ziemlich weichen Knien auf dem Kutsch bock. Doch das Tosen und ferne Raunen wurde nicht lauter. »Ja, sie gehen um!« flüsterte er. »Aber sie kommen nicht zu uns.« Bis der Morgen graute, blieben sie sitzen. Dann nahm Homer wieder Zügel und Peitsche in die Hände und fuhr weiter. Howard starrte ihn erschrocken aus geweiteten Augen an, als er den Wa gen direkt auf die Boulder-Felsen zulenkte. »Himmel, bist du wahnsinnig!« krächzte er. »Wir sind in zwei Stunden in den Bergen. Die Nacht ist doch noch gar nicht richtig vorbei.« »Sie toben und spuken nicht mehr«, sagte Homer. »Also sind 86
sie müde.« »Ein Geist wird doch nicht müde!« Homer lachte wild und knallte mit der Peitsche, um die Pferde munter zu machen. Das Zentrum der Boulder Felsen war jener Kessel, der nach der Sprengung vom Westen – vom Laramie-River her, nicht mehr zu erreichen war. Doch andere Schluchten führten hinein. Homer verzichtete darauf, auf das Plateau zu fahren. Er ent schied sich dafür, einem Creek zu folgen, der in Jahrtausenden die Boulder-Felsen zerschnitten hatte, um zum Laramie-River zu gelangen. Die Schlucht war breit, der Creek zu dieser Jahreszeit ein schmales Rinnsal. Howard klammerte sich an das Sitzbrett. Doch so richtig packte ihn die Furcht erst, als eine Seitenschlucht auftauchte, die in je nes Becken hinabführte, und Homer sich nicht scheute, wie vom Teufel getrieben, mit, dem Wagen hinabzurasen. Es krachte und polterte in der Schlucht, als der Murphy hinab donnerte und rasselte. Schwärme von Vögeln jagte dieses Ge räusch von den Brutstätten in die Luft. Howard bekreuzigte sich und starrte wie gebannt zu den krei senden Schwärmen empor, die vom Sonnenlicht überflutet den Wagen mit schimpfendem Gekrächze begleiteten. Die Braunen wurden von selbst schneller. Das Gewicht des Mur phys drückte ihnen ins Geschirr. Howard blickte den Bruder ent setzt an. Homer hatte sich eingestemmt. Diese Höllenfahrt erin nerte ihn. daran, wie sie vor Tagen zu dritt in die Medicine-BowBerge hineingerast waren und der Wagen erst an der Felswand zum Stehen gekommen war. Doch diesmal war alles anders. Die vier Pferde folgten seiner Hand. Sie stemmten sich gegen das Wagengewicht und wurden langsamer, so daß er den schweren Murphy am Rand der Fels wand anhalten konnte, nur wenige Yards von der Stelle entfernt, an der die Schlucht in das weite, staubige Becken mündete. Den Karabiner in der Faust, sprang er sofort ab und schaute sich um. Hinter ihnen waren die Vögel zur Ruhe gekommen. Nur ein paar von ihnen befanden sich noch in der Luft. »Siehst du etwas?« flüsterte Howard. »Komm runter!« verlang te Homer. »Aber bleib hier beim Wagen.« Er setzte sich in Bewegung. Dicht an der Felswand lief er ent lang, den Blick überall und den Karabiner zum Schlag bereit in 87
den Fäusten. Nach ein paar Schritten konnte er den gesamten Kessel überbli cken. Er blieb lange stehen und spähte wachsam in die Runde. Dann wandte er sich nach Westen. Die Schlucht, die zum Laramie-River führte, war von herabge stürztem Gestein fast hundert Fuß hoch zugeschüttet worden. Dieser Anblick ließ ihn einhalten, da er unwillkürlich an Slim den ken mußte, der dort ums Leben gekommen war. Wenn er das alles hinter sich gebracht hatte, wollte er seinen Leichnam suchen und ihn auf dem Friedhof der Stadt beerdigen. Er lief weiter und verharrte nach hundert Yards schon wieder. Er hatte eine der großen Felsenhöhlen erreicht, aus denen Stol len und Gänge hinab ins Totenreich führen sollten. Auf der ande ren Seite hatte er solche Stollen ja gesehen. Vorsichtig wagte er sich weiter. Der Eingang war so groß wie die Winterscheune auf der Millerranch. Tageslicht fiel weit hinein, und tief hinten konnte er einen jener Eingänge erblicken, der in das Reich von Geistern und Toten führen sollte. Tief hinab, bis kurz vor den Eingang zur Hölle. Und dort sollten sich die MalcolmGeister aufhalten. Er lauschte gebannt, hörte nichts und wagte sich noch weiter in die riesige Höhle hinein. Schwarz und kalt gähnte ihm hinten in der Wand der Teufels schlund entgegen. Er war so groß, daß gleich drei Mann neben einander in das Schattenreich hinabgehen konnten. Er glitt langsam weiter, obwohl sich ihm die Nackenhaare sträubten. Schwefelgestank wehte ihm kalt aus der Tiefe entge gen. Furcht und Grauen in ihm wuchsen. Er machte kehrt. Schnell verließ er die Höhle und kehrte zum Wagen zurück, auf dem Howard immer noch saß und vor Angst schwitzte. »Da bist du ja wieder!« krächzte er. »Ein Faß und Zündschnur!« verlangte Homer. Howard rührte sich nicht. Die Angst schien ihn auf den Sitz zu leimen. Homer trat an den Wagen und lud zwei Fässer ab. Lange Zünd schnüre hatte er vorbereitet. Damit machte er seine gewaltigen Bomben scharf. Howard stieg vom Wagen und sah ihm zu. Er war bleich und zit terte. 88
Homer nahm dann den Karabiner unter den Arm, ließ sich ein Faß von Howard auf den Arm geben und nahm ein zweites auf die Schulter. Damit rannte er stampfend los. Howard starrte ihm aus geweiteten Augen hinterher. Homer lief rasch, ließ aber die Umgebung nicht aus den Augen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und kaltes Entsetzen würgte ihm in der Kehle. »Himmel und Hölle!« murmelte er immer wieder stöhnend. Am Höhleneingang lehnte er sich für einen Moment gegen den Fels. Er war ein starker Bursche. Trotzdem spürte er die Anstren gung. Bevor er hineinging, ließ er den Blick noch einmal durch das Becken schweifen. Nichts rührte sich da draußen in der Einöde. Er lief hinein – bis hinten an den Stolleneingang, und dort setzte er die Fässer ab. Die Arme zitterten ihm. Er lehnte den Karabiner gegen, den Fels, rollte das erste Faß nach vorn und -riß ein Streichholz an. Die Lunte funkte und sprühte. Die Schnur war lang. Er hatte sie mehrmals um das Faß gewickelt. Grüner Rauch stieg empor. Er gab dem Faß einen sanften Stoß. Es rollte los und wurde rasch schneller. Augenblicke später konnte er es in der Finsternis, die da in dem Stollen herrschte, schon nicht mehr sehen. Nur die Flamme der Lunte tauchte nach jeder Umdrehung sprühend und rauchend auf. Er machte kehrt, riß das nächste Streichholz an der Felswand an und zündete damit das zweite Faß. Zischend und prasselnd fraß sich die Flamme vorwärts. Er rollte das Faß mit den Händen in den Stollen und gab ihm ei nen festen Tritt. Ein paar Sekunden lang schaute er ihm nach. Dann machte er kehrt, um die Höhle so rasch wie nur möglich zu verlassen. Da erstarrte er. Im Eingang der Höhle standen drei Gestalten – Gestalten, die ihm vertraut waren. Slim, sein Bruder, Sheriff Rod und der alte Schmied aus Glen devey! Er wußte, daß sie es nicht waren, ja gar nicht sein konnten. »Hallo, Homer!« rief Slim. »Kommst du endlich zu uns!« Homer schwitzte und fror in einem. Er mußte ’raus, wenn er nicht mit diesen Schuften umkommen wollte. 89
Er nahm den Karabiner in die Fäuste und stapfte ihnen entge gen. Sie blieben sofort stehen. Höhnisches Gelächter schlug ihm ent gegen. »Was suchst du hier, Homer?« fragte Sheriff Rod bissig. Homer hielt ein. Sein Blick zuckte von einem zum anderen. Was er eben getan hatte, schienen sie alle drei nicht beobachtet zu haben. Er riß den Karabiner hoch, um sich Platz zu verschaffen. »Zur Seite!« brüllte er. »Oder ich schlage euch in Stücke.« Sie wichen auch aus. Schließlich wollte es keiner riskieren, von ihm getroffen zu werden. Der Platz, hindurchzukommen, war groß genug. Aber Homer lähmte das Entsetzen. Allen dreien wuchsen gräßliche Mäuler. Ihre Arme verwandelten sich in haarige Spinnenbeine. Sie schrien entsetzlich, daß es Ho mer schmerzhaft in den Ohren gellte. Sie zuckten ihm entgegen und wichen wieder zurück, um ihn auf den Stollen zuzutreiben. Um ein Haar hätte Homer vor Entsetzen und Grauen den Kara biner fallen lassen, der gegen diese Brut doch seine einzige Waffe war. Aus roten und triefenden riesigen Spinnenaugen blickten sie ihn höhnisch und blutgierig zugleich an. Homer blieb wie festgenagelt stehen. Dabei mußten tief unter ihm die letzten Yards der Zündschnüre abbrennen. Sollte er mit in die Luft fliegen, von Gesteinsmassen, die niemals wieder fortzu räumen waren, mit zugeschüttet werden? Zum Teufel, nein! Sein Grab sollte diese Höhle nicht werden. Er stürzte vorwärts und traf mit einem gezielten Hieb eines der Monster auf den Kopf. Doch dieser Schlag blieb ohne Wirkung. Höllisches Gelächter gellte auf. Homer verlor das Gleichgewicht, stolperte über eine Felsleiste und fiel hin. Er rollte sich sofort auf den Rücken und stieß mit dem Karabiner zu. Doch er reichte damit nicht hoch genug. Alle drei schwebten sie über ihm, wie riesige grauenhafte Fledermäuse. Sie wiesen mit ihren spinnenbeinartigen Armen zu dem Stollen. »Dort geht es zu unseren Gräbern hinab!« sagte einer. »Geh! Lauf! Leiste uns in Zukunft Gesellschaft.« Wie Glockengeläut hallte die Stimme in dem riesigen, steiner nen Gewölbe. 90
Homer sprang auf, zuckte herum, da sie sich auf einmal wieder alle drei vor dem Eingang befanden, um ihm den Weg ins Freie zu versperren. Homer hatte nichts mehr zu verlieren. Er stürzte auf sie zu, nahm eine der schaurigen Spukgestalten aufs Korn und schlug und trat nach ihr. Er traf! Mit dem Gewehrkolben und mit dem rechten Stiefelab satz. Doch wieder nicht richtig. Sie tanzten um ihn herum und einer stieß ihn zu Boden. Er schlug so hart auf, daß ihm der Kara biner aus der Hand flog. Aus! schoß es ihm durch den Kopf. Das ist das Ende! Sie lachten dröhnend, als er sich erhob. Sie standen in der Höh le. Er hatte den Eingang, die Freiheit, das Leben und das Sonnen licht im Rücken. Geduckt setzte er sich rückwärtsgehend in Be wegung, um sich hinauszustehlen. Doch wie riesige Schatten flo gen sie über ihn hinweg, daß er entsetzt kehrt machte und in die Höhle zurückwich. Als er stehenblieb, lag der Karabiner neben ihm. Er bückte sich blitzschnell, ließ den Karabiner aber liegen. Entsetzt riß er die Hand zurück. Genau in dem Augenblick als sie den Boden berühr te, begann der Fels unter ihm zu schwanken. Die erste Explosion! Da drang auch schon dumpfes, noch fernes Grollen aus dem Stollen. Die drei Spukgestalten verharrten, sanken zu Boden und nah men die Gestalten seines Bruders, des Sheriffs und des Schmie des wieder an. Doch auch das war nur eine Stufe. Sie verwandel ten sich weiter. Es dauerte nicht einmal einen Atemzug, und da standen drei Skelette vor ihm. Das Grollen nahm zu. Gesteinsbrocken stürzten von oben her ab. Staubwände senkten sich wie Vorhänge vor den Eingang. Eine der Gestalten wurde von Gesteinsmassen getroffen und begra ben. Erneutes Beben lief durch den Fels. Homer spürte, daß die Erde unter ihm wankte. Nun donnerte und dröhnte es aus dem Stollen. Homer stürzte los, vorbei an den Spukgestalten, die ihn völlig vergessen hatten, wie es schien. Nun befanden sie sich selbst in Not. Die Druckwelle der ersten Explosion fegte aus dem Stollen. Ho mer wurde von ihr erfaßt und förmlich ins Freie katapultiert. Er überschlug sich draußen in einer Wolke von Staub und Rauch. 91
Hinter ihm stürzte mit Donnergetöse die Höhle zusammen. Homer raffte sich auf und rannte weiter. Das gesamte Gebirge schien zu beben. Als er aus dem Staub kam, sah er den Wagen in das Becken hineinrasen. Howard saß noch auf dem Bock, hielt aber nicht die Zügel. Die Pferde waren von selbst losgerannt. Homer lief ihm nach. In langen Sätzen. Abermals holte ihn ein Staubschleier ein, der tief über dem Boden hinter ihm herge schossen kam. Der Luftdruck riß ihm die Beine weg, so daß er wieder stürzte. Ringsum krachte und prasselte es. Steine regne ten vom Himmel. So sah es jedenfalls aus. Er sprang auf und rannte weiter. Restlos erschöpft erreichte er den Wagen. Die Pferde waren auf der anderen Seite vor der Felswand stehengeblieben. Howard sah ihn kommen und stieg ab. Homer ließ sich erschöpft zu Boden sinken und blickte hinüber. Über dem Berg stand eine schwarze Wolke, die sich höher und höher in den Himmel türmte. Von der Felswand, in der sich die Höhle befunden hatte, war nichts zu sehen. Dichte Rauchschleier hüllten sie ein. »Ob sie jetzt erledigt sind?« fragte Howard. Homer konnte nicht antworten. »Du hast vielleicht das verkehrte Loch gesprengt!« meinte Howard entsetzt. Doch das wußte Homer besser. Er schüttelte den Kopf. »Dies mal nicht, Howy!« keuchte er. »Ans Tageslicht kommen die Sa tansbrüder nie wieder.« Howard machte schmale Augen und schaute auf die mächtigen Staubschwaden, die auf der anderen Seite noch immer in Bewe gung waren. »Dann hast du ja auch die Brodnik-Geister erledigt«, sagte er nach einer Weile langsam und setzte sich zu ihm. »Wenn die Mal colms nicht mehr an die Oberfläche kommen, bleiben auch die Brodniks, wo sie sind.« Homer nickte. Daß es so sein sollte, hatte er gehört. Doch noch war er sehr skeptisch. Doch es war so! Der Spuk war besiegt! Durch die Tat eines ein zelnen mutigen Mannes. Homer Carson! Die Brüder verbrachten die Nacht am Rande des Kessels. Howard vermochte die ganze Nacht nicht zu schlafen, weil er sich 92
immer noch fürchtete. Doch die Satansknechte kehrten nicht wie der. Nie mehr! Am anderen Tag fuhren sie aus dem Becken, folgten dem Lara mie-River ein Stück und fuhren wieder in die Boulder-Felsen hin ein, in jene Schlucht, in der Slim lag, und den sie auch fanden. Als der Wagen in die Luft geflogen war, hatte ihn ein schwerer Stein erschlagen. Sie wickelten ihn in eine Decke, legten ihn auf den Wagen und kehrten nach Glendevey zurück. Viele Bürger hatten die Stadt verlassen. Doch nach und nach kehrten sie zurück. Die Carson-Brüder begaben sich auf ihr An wesen, und dort nahm Howard den Platz von Slim ein. In Glendevey kam seit diesen Tagen trotzdem niemand mehr ungeschoren davon, der auch nur die Meinung aussprach, daß es in den Boulder-Felsen oder in den Medicine-Bow-Bergen Gold ge ben könnte. Und das war verständlich. Jedenfalls für die Leute, die damals dort gelebt hatten.
ENDE In vierzehn Tagen erscheint der Bastei-Geister-Western Nr. 27:
Schlucht ohne Wiederkehr
von H. S. Sharon
In einem entsetzlichen Inferno von Feuer, Blitz und Donner schlag raste die Baldwin-Lok mit den drei Waggons in den gäh nenden Abgrund, der sich plötzlich vor dem Zug aufgetan hatte. Die Schreie der Sterbenden hallten durch die Schlucht, und dann tauchten die Unheimlichen auf. Die Geistertänzer aus den Medici ne-Bow-Bergen hatten zugeschlagen. Sie verschonten nieman den. Nahmen alles mit, was ihnen irgendwie wertvoll erschien. Und spurlos verschwanden sie wieder in den Bergen. Wer sind diese Unheimlichen? Zwei tollkühne Männer wollen es genau wissen, und sie dringen ein in die berüchtigte
Schlucht ohne Wiederkehr
93