Geisterfänger Band 16 Die Bancroffs im Dilemma von John Blood Der Fluch des lebenden Toten erfüllt sich.
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Geisterfänger Band 16 Die Bancroffs im Dilemma von John Blood Der Fluch des lebenden Toten erfüllt sich.
Ein kalter Wind pfiff über das Land, fing sich zwischen den kahlen Bäumen und jaulte eine schaurige Melodie. Wolkenfetzen verdeckten bisweilen den Mond, dessen geisterhaftes bleiches Licht den sturmzerzausten Büschen zu einem gespenstischen Leben verhalf. Schwarz und drohend ragten einige Felsen zwischen den Bäumen hervor. Ein leises Ächzen und Knistern erfüllte die wie mit Energie aufgeladene Luft. Fledermäuse segelten lautlos vor dem Wind, gespenstisch wie Sendboten aus dem Jenseits. Modergeruch schlug dem Mann entgegen, der jetzt zögernd den Schritt verhielt. Sein Atem ging keuchend. Es schien, als würde eine unsichtbare Hand nach seinem hämmernden Herzen greifen und es ihm aus der Brust reißen zu wollen. Sein bizarres Schattenbild fiel riesengroß auf die gewaltigen Felsquadern. Der Wind zerrte an seinen Haaren. Die immer stärker werdende Erregung ließ sein Blut rascher durch die Adern strömen. Kalter Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Von irgendwoher kam der klagende Ruf eines Käuzchens. George Bancroff verweilte noch immer wie erstarrt. Schweißperlen rieselten ihm übers Gesicht und tropften vom Kinn auf den modrigen Boden. Seine Hände verkrampften sich so fest ineinander, dass die Knöchel weiß schimmerten. Grauenvolle Angst funkelte in den tief liegenden Augen des Mannes, der jetzt tief Luft holte und sich dann wieder zögernd in Bewegung setzte. Seine Kehle war wie ausgetrocknet. Er schluckte wie ein Fisch auf dem Trockenen. Bancroff ging weiter. Das Ächzen und Raunen in der Luft wurde immer stärker. Grabeskälte strömte von den dunklen Felsen aus. 4
George Bancroff erschauerte und stockte mitten im Schritt. Sein hageres Gesicht schimmerte bleich und geisterhaft. Ein heiseres Stöhnen kam von seinen bebenden Lippen. Seine Augen verengten sich, starrten in die bodenlose Dunkelheit zwischen den gewaltigen Felsblöcken. Wieder fühlte er ein nie gekanntes Grauen in sich aufsteigen. »Ich muss weiter«, murmelte George Bancroff monoton. »Ich muss es endlich wissen. Ich darf jetzt nicht aufgeben, denn sonst ist alles umsonst gewesen.« Der hagere Mann setzte langsam Schritt vor Schritt. Seine Beine schienen zentnerschwer geworden zu sein. Er schwankte an den dunklen Felsen vorbei. Es wurde plötzlich heller. Bleiches Mondlicht zauberte phantastische Figuren auf den Boden. Dann sah Bancroff die halbzerfallene Ruine. Dunkle Fensteröffnungen starrten ihn wie leere Augenhöhlen an. Die uralte Kapelle war vom Gestrüpp fast überwuchert. Er vernahm das Rascheln und Tappen von kleinen Füßen. Ratten suchten quietschend das Weite. George Bancroffs Lippen pressten sich hart aufeinander. Ein leichtes Schwindelgefühl ließ ihn taumeln. Wie hilfesuchend lehnte er sich gegen den schwarzen Felsen, fuhr jedoch augenblicklich erschrocken zurück. Die Eiseskälte des Gesteins ließ ihn erschauern. Seine Nackenhaare stellten sich. Er taumelte vorwärts, erreichte den halb verschütteten Eingang der Kapelle. Sein Blick fiel auf feuchte Steinquadern und große Spinnen, die auf langen haarigen Beinen davon tippelten. Der Wind war stärker geworden. Es schien, als raunte er dem Mann zu: »Komm nur, komm nur, komm nur.« Wieder zögerte George Bancroff. Pfeifend sog er die Luft in seine Lungen. Der Geruch von Verwesung stieg ihm in die Nase. »Komm nur, komm nur«, sang noch immer der Wind. 5
Der Mann griff zögernd in die Tasche seines Mantels und zog eine Taschenlampe hervor. Bleich fiel der Lichtstrahl in das Innere der Kapelle, huschte über wucherndes Efeu, glänzende Steine und zersplittertes Holz. Der Lichtkegel der Lampe fraß sich weiter in die Dunkelheit hinein. Zitternd blieb er auf einem dunklen Sarkophag hängen, der von Efeu überwuchert war. Der verwitterte Steinsarg war an einigen Stellen abgesplittert. Wieder griff eine eisige Hand nach George Bancroffs Herz. Ein heiseres Stöhnen kam von seinen zuckenden Lippen. »Komm nur, komm nur«, raunten unsichtbare Stimmen. »Komm nur, komm nur!« Bancroff schob sich vorwärts. Wenige Schritte vor dem Sarg blieb er stehen. Er bebte am ganzen Körper. Vergebens versuchte er seine Selbstbeherrschung zurück zu gewinnen. Der Sarkophag war verschlossen. Eine zolldicke Steinplatte verhinderte einen Blick ins Innere. Zaudernd näherten sich Bancroffs Hände dem Stein. Nochmals schien der hagere Mann zu zögern, doch dann packte er entschlossen zu. Mit großer Kraft stemmte er sich gegen den Steindeckel, der aber um keinen Zentimeter weichen wollte. Die Schlagader am Hals des Mannes begann heftig zu pulsieren. Sein sonst bleiches Gesicht war tief gerötet. Wieder versuchte George Bancroff mit aller Kraft den Sargdeckel zu heben. Knarrend bewegte sich die Steinplatte um einige Millimeter. Der Mann verstärkte seine Anstrengungen. Plötzlich rumpelte die Platte zurück, bekam das Übergewicht und polterte mit einem dumpfen Schlag zu Boden, wo sie krachend zerbarst. George Bancroff wich erschrocken zurück. Seine Hände pressten sich auf den Mund. Die hervorquellenden Augen richteten sich auf die dunkle Öffnung des Sarges. Nichts geschah. Sekunden verstrichen und kamen dem hageren Mann wie eine Ewigkeit vor. 6
Von außerhalb der Kapelle drang das orgelnde Geräusch des immer stärker werdenden Windes herein. Ein Steinbrocken löste sich von der Decke und klatschte dumpf zu Boden. Staub wirbelte auf. George Bancroffs Gesicht verzog sich zu einer angstgepeitschten Grimasse. Das Blut gefror ihm in den Adern. In dem dunklen Sarkophag bewegte sich etwas. Schabende Geräusche klangen hohl aus dem Innern heraus. Irgendetwas raschelte. George Bancroff wich noch mehr zurück. Seine Augen glänzten fiebrig. Dann zerfetzte sein gurgelnder Aufschrei die Stille. Eine knochige Hand schob sich über den Rand des Sarges. Spinnenförmige Finger krallten sich um den verwitterten Stein. Ein Körper schwankte hoch. Tote Augen saßen in einem geisterhaft bleichen und blutleeren Gesicht, das von einer pergamentartigen Haut überzogen war. Eine lange silbergraue Haarflut fiel bis auf die Schultern der schwarzen Kutte, die den knochigen Körper umschlotterte. Spinnen, Käfer und anderes Getier krochen aus den Haaren und aus dem zerschlissenen Stoff der Kutte. Ein heiseres Stöhnen brach aus Bancroffs Mund. Fahrig wischte er sich übers Gesicht. Er starrte auf den lebenden Toten, der sich jetzt vollends aufgerichtet hatte. Ein sanftes Leuchten umflirrte die Gestalt. Bancroff hatte nicht mehr die Kraft, seine Taschenlampe zu halten. Dumpf schlug sie zu Boden und zerbrach klirrend. Dunkelheit hüllte den hageren Mann ein. Der lebende Tote begann noch intensiver zu leuchten. Seine knochigen Hände hoben sich langsam und richteten sich auf George Bancroff, der jetzt gellend zu schreien begann. Er wollte davonlaufen, doch seine Muskeln gehorchten ihm nicht mehr. Er verharrte bewegungslos und starrte auf den toten Mann in der verschlissenen Mönchskutte, der jetzt mit eckigen Bewegungen dem Sarg entstieg. 7
Bancroff streckte beide Arme wie abwehrend von sich. Wieder begann er gurgelnd zu schreien. In seinen Augen brannte Wahnsinn auf. Zwei Meter vor Bancroff verhielt der Tote. Die leeren Augenhöhlen begannen plötzlich in einem verzehrenden Feuer zu glühen. Die breite Kerbe des Mundes öffnete sich zu einem klaffenden Spalt. George Bancroff starrte in die zahnlose Öffnung. Ein teuflisches Lächeln umspielte die welken und ausgetrockneten Lippen des Toten. Eine fremde, hasserfüllte Stimme stand plötzlich in George Bancroffs Gehirn. »Bancroff, auch du kannst meinem Fluch nicht mehr entrinnen. Du hast mich zwar gefunden, doch du wirst nun in das Zwischenschattenreich eingehen. Auch du bist für alle Ewigkeiten verloren!« Die hagere Gestalt von Bancroff bäumte sich auf. Schaum stand in seinen Mundwinkeln. Die vor Grauen geweiteten Augen traten fast aus den Höhlen. Er versuchte zu sprechen, doch seine Zunge war wie gelähmt. Bancroff fühlte, dass etwas Unbekanntes von seinem Gehirn langsam Besitz ergriff. Irgendetwas Fremdartiges und Böses schob sich in seine Gedanken, begann ihn zu lahmen und den Willen zu nehmen. Der hagere Mann kämpfte vergeblich dagegen an. Die toten Augenhöhlen des lebenden Toten begannen immer stärker in einem teuflischen Feuer zu flackern. Lodernde Flammen umspielten die hoch aufgerichtete Gestalt des Toten in der Mönchskutte. Beißender Schwefelgeruch ging von ihm aus. Vor Bancroffs Augen begann allmählich alles zu verschwimmen. Gleißende Helligkeit ließ ihn zusammenzucken. Brennender Schmerz fraß sich in sein gemartertes Gehirn. George Bancroff stürzte zu Boden. * 8
Der ungefähr dreißigjährige Mann lag regungslos unter dem weißen Laken. Nur sein blasses und eingefallenes Gesicht schaute hervor. Kanülen waren in Mund und Nase eingeführt. Ein halbes Dutzend Maschinen und Messgeräte umstanden das Krankenbett von John Bancroff. Viele Leitungen und Schläuche verschwanden unter dem weißen Betttuch. Der Mann lag wie tot auf der Intensivstation der Londoner Mertens-Klinik. Kein Atemzug hob und senkte seine Brust. Die Augen waren geschlossen. Susan Bancroffs Hände verkrampften sich ineinander. Die zweiundzwanzigjährige Frau wandte sich an Professor Mertens, der neben ihr stand und ebenfalls durch das kleine Fenster in den Raum starrte, in dem sich John Bancroff befand. »Immer noch keine Änderung seines Befindens«, sagte Susan und konnte ein Zittern in ihrer Stimme nicht unterdrücken. »Seit vier Wochen hält nun dieser Zustand an. Ist denn noch immer kein Ende abzusehen?« Professor Mertens griff nach der Hand der jungen Frau. Seine Augen blickten irgendwie hilflos. »Wir tun was wir können, Susan. Doch wir stehen vor einem großen Rätsel. Dein Bruder John ist zwar klinisch gesehen, tot, aber dann ist er doch wieder nicht tot. Wir können keinen Herzschlag mehr feststellen und auch seine Gehirnschwingungen sind nicht mehr messbar. Und doch...« Der weltberühmte Arzt fuhr sich gedankenverloren übers Gesicht. Wieder war dieser hilflose Ausdruck in seinen Augen. »Ich kann es dir nicht anders erklären, Susan. Ich weiß selbst nicht, was mit John los ist. Die Leichenstarre ist nicht eingetreten. Die künstliche Nahrung, die wir ihm verabreichen, wird jedoch von seinem Organismus angenommen. Ein weiteres Rätsel. Er ist tot und doch nicht tot.« Susan schluckte mehrmals trocken. Ein dicker Kloß würgte sie in der Kehle. Dicke Tränen kullerten ihr plötzlich über die bleichen Wangen. 9
»Professor Hamilton aus New York wird in den nächsten Tagen herüberfliegen und sich John ansehen. Hamilton ist ein alter Studienfreund von mir. Die Krankheit, wie ich es einmal bezeichnen möchte, deines Bruders interessiert ihn sehr. Vielleicht weiß Hamilton einen Rat. Ich selbst bin am Ende meiner Weisheit angelangt.« Professor Mertens sah die junge Frau nachdenklich an. »Was macht dein Bruder George?«, versuchte er abzulenken. »Ihn beschäftigt diese Sache sehr stark. Er scheint irgendeinen Verdacht zu haben, doch auf meine Fragen hin wich er mir aus. Er fragte mich, ob ein derartiges Phänomen schon einmal in der Bancroff-Familie aufgetreten sei.« Susan blickte den Professor erstaunt an. »Das verstehe ich nicht, Professor. Unsere Eltern kamen bei einem Autounfall ums Leben. Und sonst...« Die junge Frau zuckte mit den Achseln. »Dein Urgroßvater starb vor fünfzig Jahren eines sehr plötzlichen Todes, der nie richtig aufgeklärt werden konnte. Dein Vater erzählte es mir einmal. Auch bei deinem Urgroßvater soll keine Leichenstarre aufgetreten sein.« Es schien Susan, als strich eine eiskalte Hand über ihren Rücken. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. »George hat sich in den letzten vier Wochen auch irgendwie verändert«, murmelte Susan. »Er befasste sich intensiv mit irgendeinem Problem. Auf Morgans und meine Fragen hin gab er keine Auskunft. Sollte es vielleicht etwas mit Johns Krankheit zu tun haben?« Professor Mertens lächelte, seine Augen blickten ernst. »Ich bin seit vielen Jahren ein Freund eurer Familie, Susan. Ihr könnt immer zu mir kommen, egal, was es auch sein mag. Und ich verspreche dir, dass ich mich um John kümmern werde, so als wäre er mein eigener Sohn.« Susan Bancroff schaute den Professor dankbar an, der sich jetzt über sein silbergraues Haar strich und ihr aufmunternd zunickte. »Grüß mir George und Morgan. Ich muss jetzt weiter. Ich habe Patienten, die auf mich warten.« 10
Er verabschiedete sich schnell von Susan. Sie blickte nochmals durch das kleine Fenster und starrte traurig auf die regungslose Gestalt unter dem weißen Laken. Wieder fühlte sie eine heiße Angst in sich aufsteigen. Schnell ging sie davon, durchquerte einige Korridore und verließ die Klinik. Eine gute Stunde später erreichte sie die Villa der Familie Bancroff, die von einem großen Park umgeben war. Susan Bancroff betrat das Wohnzimmer und strich sich eine Strähne ihres langen blonden Haares aus der Stirn. Ihr ovales Gesicht mit den ernst blickenden blauen Augen verzog sich unwillig, als ihr Bruder Morgan sofort auf sie zukam. »Wie geht es John?«, fragte er nervös und fuhr sich mit dem Zeigefinger zwischen Hemdkragen und Hals. Susan lächelte bitter. »Sein Zustand ist nach wie vor unverändert, Morgan. Die Ärzte tun alles nur Menschenmögliche, doch sie stehen noch immer vor einem Rätsel.« Susan ließ sich in einen bequemen Sessel fallen und schlug die schlanken Beine übereinander. Ihre vollen Brüste zeichneten sich deutlich unter der dünnen Bluse ab. Morgan Bancroff setzte sich ihr gegenüber. Er griff nach dem halbvollen Glas mit Whisky und trank es leer. Mit der Zunge fuhr er sich über die feuchten Lippen. Dann rückte er nervös seine Brille zurecht. »Vielleicht sollten wir es doch in Amerika versuchen«, bemerkte er plötzlich. »In New York soll es eine Spezialklinik geben. Bestimmt kann man John dort...« Susan unterbrach ihn kopfschüttelnd. »Der Fall unseres Bruders hat großes Aufsehen erregt. Das ist so ein richtiges Fressen für die Regenbogenpresse und für gewisse Illustrierte gewesen. Sogar in New York ist man darauf aufmerksam geworden. Ein gewisser Professor Hamilton hat für die nächsten Tage seinen Besuch angekündigt. Doch ich glaube nicht daran, dass er John helfen kann.« Die beiden schwiegen und hingen ihren düsteren Gedanken nach. 11
»John ist tot und doch nicht tot«, murmelte Morgan. »Das soll nur einer verstehen. Seit Wochen versuchen die Ärzte vergeblich, ihn wieder der Bewusstlosigkeit zu entreißen. Wie soll das nur weitergehen?« Susan Bancroff zündete sich eine Zigarette an. Sie inhalierte tief und stieß den Rauch in Form von kleinen Ringen wieder aus. »Ich verstehe es ja auch nicht«, antwortete sie dann. »Ein lebender Toter!« Morgan sah seine Schwester vorwurfsvoll an. »Rede nicht solch einen Unsinn«, erwiderte er schärfer als beabsichtigt. »Lebender Toter? Es muss doch eine ganz natürliche Erklärung für dies alles geben. Doch die Ärzte und auch Professor Mertens weichen aus, verschanzen sich hinter irgendwelchen medizinischen Ausdrücken, die kein normaler Mensch versteht.« »Wo ist George?«, fragte Susan unvermittelt und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. Sie wollte ihr einfach nicht schmecken. Die Aufregungen der vergangenen Wochen waren an der jungen Frau nicht spurlos vorübergegangen. »George hat geschäftlich in Schottland zu tun. Er wollte heute Abend zurück sein. Er wird wohl bald auftauchen.« Jetzt schwiegen sie wieder. Langsam und träge verging die Zeit. Irgendwo schlug eine Kirchturmuhr. Susan fuhr zusammen. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Dann blickte sie zu Morgan hinüber, dessen Kopf auf die Brust gesunken war. Röchelnde Schnarchlaute kamen aus seinem weit geöffneten Mund. Susan erhob sich lächelnd. Sie hielt Morgan die Nase zu. Das Schnarchen brach ab und der junge Mann schreckte hoch. »Was ist?«, fragte er und fuhr sich über seine geröteten Augen. Gähnend richtete er sich auf. »Was, schon so spät?«, murmelte er und warf einen Blick aus dem Fenster. Die Sichel des Mondes stand geisterhaft bleich am Firmament. 12
»Ich wollte eigentlich mit Jane in das neue Musical gehen«, sagte er und gähnte erneut. »Doch wenn ich es mir so recht überlege, habe ich überhaupt keine Lust dazu.« Susan lächelte nur. »Seit, deinem Unfall vor einem Jahr scheint nicht mehr viel los mit dir zu sein«, bemerkte sie und zwinkerte Morgan spöttisch zu. »Vielleicht sollte ich einmal deine Braut fragen.« Morgan verzog seine Mundwinkel und zupfte sich nachdenklich an seinem kurz gestutzten Schnurrbart. In seinen dunkelbraunen Augen begann es zu funkeln. »Willst du vielleicht Einzelheiten wissen, Schwesterherz?«, grinste er und fuhr Susan über ihr langes blondes Haar, das ihren Kopf voll und weich umwogte. Doch dann wurde sein Gesicht ernst. Große Sorgenfalten kerbten seine Stirn. »Die Nachwirkungen meines Autounfalls machen mir immer noch zu schaffen«, murmelte er heiser. »Hin und wieder verspüre ich diese verdammte Silberplatte in meiner Schädeldecke. Hauptsächlich wenn das Wetter umschlägt. Doch in den letzten Tagen und Wochen ist es besonders schlimm geworden. Ich habe oft das Gefühl, dass mein Schädel bersten würde. Mir ist manchmal so, als versuchte jemand mein Gehirn zu zerstückeln.« Er winkte hilflos ab und zuckte mit den Achseln. Susan musterte ihn besorgt. »Ich kann es dir nicht besser erklären, Susan«, fuhr Morgan Bancroff fort. »Es ist so, als versuchte jemand in meine Gedanken einzudringen. Eine Art von Hypnose. Ich finde einfach keine vernünftige Erklärung.« Schweigend starrte Morgan Bancroff vor sich hin. Fast tonlos fuhr er dann fort: »Ich bin schon bei Professor Mertens gewesen, doch der konnte nichts feststellen. Sonderbar ist es aber auch, dass George ebenfalls unter ähnlichen Erscheinungen leidet.« Susan Bancroff war aufgesprungen. Ruhelos ging sie in dem großen Raum auf und ab. Plötzlich blieb sie vor ihrem Bruder stehen. In ihren Augen war Bestürzung. 13
»Ich habe Angst, grässliche Angst«, flüsterte sie. »Auch ich habe manchmal so einen Druck im Kopf. Ich kann kaum noch schlafen und habe schreckliche Alpträume.« In diesem Moment klangen Schritte draußen in der Vorhalle auf. Jemand machte sich an der Garderobe zu schaffen. Morgan und Susan verließen das Zimmer und blickten auf den hageren Mann, der gerade seinen verschmutzten Mantel über einen Kleiderbügel hing. »Hallo, George«, rief Morgan und ging auf seinen Bruder zu. George Bancroff drehte sich langsam um. Seine Augen lagen tief in den Höhlen und strahlten in einem verzehrenden Feuer. Das Gesicht war bleich, die Lippen hart aufeinander gepresst. Er starrte seine Geschwister an, so als hätte er sie noch nie gesehen. Susan stieß einen unterdrückten Schrei aus und presste eine Hand vor den Mund. Morgan verhielt mitten im Schritt. Seine Augen wurden vor Erstaunen ganz groß. »Hallo, George«, wiederholte er freundlich lächelnd. »Was ist mit dir? Was ist geschehen?« George Bancroffs Gesicht verzog sich zu einer furchteinflößenden Grimasse. Langsam kam er auf Morgan zu. Seine Bewegungen waren irgendwie unkontrolliert. Dicht vor seinem Bruder blieb er stehen. Ein unangenehmer, strenger Geruch ging von ihm aus. Sein Anzug war verschmutzt und an einigen Stellen zerrissen, die rechte Hand war aufgeschunden und blutverkrustet. Morgan wich langsam zurück. Sein Gesicht wurde blass. »Was ist los, George?«, fragte er nochmals. »Hattest du einen Unfall, oder bist du vielleicht betrunken?« Es schien, als verstünde ihn sein Bruder überhaupt nicht. In dessen Augen stand ein irres Leuchten. 14
Plötzlich setzte George sich in Bewegung. Morgan konnte gerade noch zur Seite springen, sonst hätte ihn der Bruder einfach umgerannt. Morgan Bancroff warf Susan einen hilfesuchenden Blick zu. Sie starrten George hinterher, der mit eckig wirkenden Schritten die Vorhalle durchquerte und dann langsam die Treppe zu dem oberen Stockwerk emporstieg. »Rufe Professor Mertens an«, ordnete Morgan mit sich überschlagender Stimme an. »Los, Susan! Der Professor soll sofort kommen. Mit George stimmt etwas nicht. Es muss etwas Grauenhaftes geschehen sein!« Er eilte George hinterher, der das obere Stockwerk in diesem Moment erreicht hatte. Morgan hastete die Treppe hoch und sah den Bruder gerade noch in sein Arbeitszimmer verschwinden. Dumpf fiel die Tür ins Schloss. Knirschend drehte sich der Schlüssel. George hatte sich eingeschlossen. Panikartig aufwallende Angst ließ Morgan Bancroff erschauern. Er spürte sein Herz wild gegen seine Rippen pochen. Ein leichtes Schwindelgefühl erfasste ihn, er taumelte, fing sich aber gleich wieder. Er erreichte die Tür zu Georges Arbeitszimmer und stockte mit keuchendem Atem. Aus dem Zimmer drangen polternde Geräusche. Morgan rüttelte an der Türklinke, doch sein Bruder öffnete die Tür nicht. Morgans Gedanken überschlugen sich. Heiße Angst tauchte seinen bebenden Körper wie in starke Fieberschauer. Schweiß rann ihm über das gerötete Gesicht. Dann warf sich Morgan Bancroff entschlossen gegen die Tür. Federnd prallte er zurück. Ein greller Schmerz zuckte in seiner Schulter auf. Wieder warf er sich gegen die Tür, die nicht nachgeben wollte. Zitternd und ächzend vibrierte das Holz. Wieder warf sich Morgan mit seinem ganzen Körpergewicht dagegen. Diesmal sprang die Tür nach innen auf. Morgan taumelte in das Zimmer und stürzte schwer zu Boden. Keuchend kam er wieder hoch. 15
Er sah seinen Bruder George, der vor seinem wuchtigen Schreibtisch stand und irgendwelche Papiere aus den Schubladen zog. Er warf sie achtlos auf den Boden. Von seinem Bruder nahm George überhaupt keine Notiz. Immer größer wurde der Papierberg am Boden. Plötzlich griff George ein Gasfeuerzeug vom Tisch. Er bückte sich und wollte den Papierhaufen in Brand setzen. Morgan eilte auf ihn zu. Noch ehe die ersten Flammen aufzüngeln konnten, schlug er George das Feuerzeug aus der Hand. George Bancroff richtete sich auf. Ein Schrei, der nichts Menschliches mehr an sich hatte, kam aus seinem weit aufgerissenen Mund. Schaum stand vor seinen Lippen. Seine funkelnden Augen starrten Morgan an. Er streckte plötzlich beide Hände nach vorn und kam drohend auf seinen Bruder zu. Seine Finger waren gekrümmt und erinnerten Morgan an die Klauen eines Raubvogels, der sein Opfer greifen wollte. Morgan wich entsetzt zurück. Das Blut gefror ihm in den Adern. Georges Gesicht war jetzt nichts anderes als eine teuflische Fratze, die kaum Ähnlichkeit mit ihm hatte. Ein fauchender laut entrang sich seiner Kehle. Modergeruch und beißender Schwefelgestank schienen seinem Mund zu entweichen. Morgan wich immer weiter zurück. Er hörte sich gellend schreien. Plötzlich stieß er mit dem Rücken gegen die holzgetäfelte Wand. George Bancroff kam immer näher. Er murmelte dabei sinnlose Worte, die wie eine Art Beschwörung klangen. Jetzt hatte er seinen Bruder fast erreicht. Seine gekrümmten Finger zuckten nach vorn, wollten Morgan an die Kehle fahren. Blitzschnell fuhr Morgan zur Seite. Mit einem behänden Sprung gelangte er hinter George, dessen Hände gegen die Holzwand schlugen. Morgans Gedanken verwirrten sich. Alles kam ihm wie ein grässlicher Alptraum vor. 16
George drehte sich mit eckigen Bewegungen langsam um. Seine blutunterlaufenen Augen glühten. Wie ein Roboter wankte er auf seinen Bruder zu. Morgan stolperte beim Zurückweichen gegen einen Stuhl und fiel schwer zu Boden. Wieder war dieses Schwindelgefühl in ihm. Feurige Zangen schienen sein Gehirn zu peinigen. Ihm war, als versuchte jemand sein Gehirn lahm zu legen, ihm den Willen zu nehmen. George hatte ihn erreicht. Er bückte sich und wollte erneut nach Morgans Kehle greifen, doch der rollte sich zur Seite. George bekam das Übergewicht und stürzte zu Boden. Keuchend kam er wieder auf die Beine und griff erneut Morgan an. Susan Bancroff erschien in diesem Moment in der Zimmertür. Ihr ängstlicher Schrei zerriss die eingetretene Stille. Ungläubig starrte sie auf ihre kämpfenden Brüder. »George! Morgan!«, rief sie wie in tiefer Not. Ihre Stimme überschlug sich. Und immer wieder: »George! Morgan!« Doch George reagierte überhaupt nicht. Wieder rückte er seinem Bruder auf den Leib. Morgan begann sich jetzt zu wehren. Wieder tauchte er unter Georges vorgestreckten Händen hindurch, gelangte hinter dessen Rücken und schlug mit der geballten Faust auf seinen Bruder ein. Morgan meinte einen Felsen zu treffen. Der Schmerz zuckte seinen Arm entlang bis in die Schulterblätter und lahmte für einen Sekundenbruchteil seinen Körper. Aufschreiend taumelte er zurück. George setzte sofort nach. Es schien, als würden seine Reflexe immer besser werden. Geduckt wie ein Raubtier lauerte er seinem Bruder auf. Morgan wich bis zum Schreibtisch zurück, während George ihm in drohender Haltung folgte. Sein Mund war weit aufgerissen. In seinen Augen verstärkte sich das teuflische Feuer. Fauchende Laute drangen aus seinem Mund. 17
Morgans Hand tastete über den Schreibtisch. Er bekam den schweren Aschenbecher zu fassen. Er schwang ihn hoch und ließ ihn auf Georges Kopf niedersausen. Ein dumpfes Geräusch entstand. Eine kalte Hand schien über Morgans Rücken zu gleiten. Mit hervorquellenden Augen starrte er auf seinen Bruder. George stand einige Augenblicke wie erstarrt. Das gespenstische Glühen in seinen Augen erlosch von einer Sekunde zur anderen. Dann brach er mit einem tiefen Seufzer zusammen und blieb regungslos liegen. Morgan lehnte immer noch mit bebendem Körper gegen den Schreibtisch. Sein Blick war noch immer auf den niedergeschlagenen Bruder gerichtet, dann wanderte sein Blick zum Aschenbecher, den er noch immer in der Hand hielt. Mit einem heiseren Aufschrei ließ er ihn fallen. Susan kam aufschluchzend näher. Sie beugte sich über George, der bewegungslos am Boden lag und mit starren Augen zur Decke blickte. »Er ist tot«, weinte Susan. »Er ist tot!« Morgans Gesicht überzog sich jetzt mit einer dicken Schweißschicht. Er biss sich auf die Lippen. Ein dünner Blutfaden sickerte über sein Kinn. Dann beugte er sich ebenfalls zu seinem Bruder hinunter. Er konnte keinen Herzschlag feststellen. Aus Georges Schädel, dort wo ihn der große Aschenbecher getroffen hatte, sickerte Blut aus einer großen Wunde. Susan richtete sich wimmernd auf. »Er ist tot«, flüsterte sie. »Du hast ihn erschlagen. George ist tot!« Die Beine versagten ihr plötzlich den Dienst. Bewusstlos sackte sie zusammen. Morgan schloss die Augen. Er zitterte am ganzen Körper. Panik wallte in ihm hoch, spülte alle vernünftigen Überlegungen zur Seite. Wie gehetzt schaute er sich nach allen Seiten um. 18
»George«, kam es stöhnend von seinen Lippen. »Was ist nur geschehen? Was ist nur mit dir los?« Schritte hasteten die Treppe empor. Morgan blickte mit wirren Augen um sich, dann richteten sie sich angsterfüllt auf die Tür. Professor Mertens trat ins Zimmer. »Die Tür stand offen«, entschuldigte er sich. Dann zuckte er zusammen. Er sah George und Susan bewegungslos am Boden liegen. »Professor«, stöhnte Morgan gequält. »Professor, helfen Sie mir. Ich habe George erschlagen.« Professor Mertens fuhr sich entsetzt über sein silbergraues Haar und trat fast zögernd näher. Er beugte sich über Susan, die in diesem Moment wieder die Augen aufschlug und einen tiefen leidvollen Seufzer ausstieß. Mertens half ihr auf die Beine. Dann beugte er sich über George Bancroff. Er prüfte Herzschlag und Puls und schüttelte dann sorgenschwer den Kopf. Er untersuchte die immer noch blutende Wunde am Hinterkopf von George. »Ist er tot?«, fragte Morgan mit heiserer Stimme. »So geben Sie doch endlich Antwort!«, brüllte er plötzlich. Professor Mertens richtete sich auf. Ein hilfloser Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Er starrte auf den Aschenbecher, der neben George lag. Blut und Haare klebten an seinem Rand. »Du hast ihn nicht getötet, Morgan«, klang die nervöse Stimme des Professors auf. »Der Schlag mit dem Aschenbecher war nicht tödlich. Außer der Platzwunde und vielleicht einer Gehirnerschütterung hat George nichts abbekommen. Doch klinisch gesehen ist George tot. Es ist wie bei euerem Bruder John!« Susan begann hysterisch zu weinen. Sie taumelte zu einem Sessel und ließ sich hineinfallen. Morgan stand wie erstarrt. 19
Sekundenlang glaubte er, dass sein Herzschlag aussetzen würde. Er fühlte sich müde und zerschlagen. Eine furchtbare Leere entstand in seinem Kopf. Professor Mertens ging zu seiner schwarzen Tasche, entnahm zwei Spritzen und bereitete sie mit sachkundiger Hand zur Injektion vor. »Nur zur Beruhigung«, bemerkte er und versuchte zu lächeln. Susan und Morgan ließen die Prozedur über sich ergehen. Bald spürten sie die Wirkung, die Hysterie fiel von ihnen ab. »Rufe einen Krankenwagen, Morgan«, nickte der Professor und deutete auf George. »Wir bringen ihn zur Klinik. Ich will sehen, was ich für ihn tun kann. Doch ohne ein großer Prophet sein zu wollen, kann ich jetzt schon mit hundertprozentiger Gewissheit sagen, dass er von dem gleichen Phänomen befallen ist wie John.« Morgan schluckte mehrmals trocken. Er griff in seine Jackentasche und brachte eine zerdrückte Zigarettenpackung hervor. Mit zitternden Fingern zündete er sich eine Zigarette an. Susan nahm sie ihm aus dem Mund und tat einige tiefe Züge. Morgan schien es überhaupt nicht wahrzunehmen. Er ging zum Telefon auf dem Schreibtisch und wählte die Nummer der Klinik. Er bekam eine Verbindung und beorderte einen Krankenwagen herbei. »Was ist geschehen?«, wollte Mertens wissen und ließ sich in einen Sessel fallen. Sein trauriger Blick fiel auf Morgan, der sich ebenfalls setzte. Morgan begann mit sich überstürzenden Worten zu berichten. Der Blick des Professors wurde immer ungläubiger. Dann deutete er auf den Papierberg vor dem Schreibtisch. »Diese Schriftstücke wollte George verbrennen? Um welche Papiere handelt es sich hierbei, Morgan?« Der zuckte nur mit den Achseln. Über sein Gesicht huschte plötzlich ein Anflug von Neugierde. Er ging zu dem Papierhaufen und zog einige Blätter hervor. 20
Morgan zeigte sich ziemlich verwirrt. Ungläubig schüttelte er immer wieder den Kopf. Professor Mertens hielt es nicht länger in seinem Sessel. Er trat zu Morgan und blickte ihm über die Schulter. »Das sind Aufzeichnungen von George«, murmelte Morgan. »Vielleicht finden wir hier des Rätsels Lösung. Diese Stelle handelt von Johns Krankheit.« Er zog ein weiteres Papier aus dem Papierwulst. »Hier wird von einer Kapelle in Schottland berichtet. George schreibt von irgendeinem Teufelsmönch, von einem Fluch, der über der Bancroff-Familie seit Jahrhunderten liegt.« Professor Mertens ging zum Sessel zurück. Große Sorgenfalten ließen sein Gesicht um Jahre gealtert erscheinen. Sein Blick traf Susan, die ungläubig auf Morgan starrte. »Ich ahnte es«, flüsterte Mertens plötzlich. »Ihr Vater machte vor Jahren einmal irgendwelche Andeutungen in diese Richtung, als wir uns über Geister und Derartiges unterhielten. Doch ich habe seine Worte nicht für bare Münze genommen.« Morgan Bancroff ließ das eng beschriebene Papier sinken. So etwas wie Feindseligkeit funkelte aus seinen Augen. »Was soll dieser Unsinn«, fuhr er den Professor an. »Teufelsmönch! Fluch seit Jahrhunderten! Das ist doch alles dummes Gerede. Glauben Sie vielleicht an Geister und Gespenster, Professor? Wir leben doch im 20. Jahrhundert. Glauben Sie wirklich, dass da nur ein einziges Wort wahr davon ist?« Professor Mertens lächelte bitter. Er nickte und deutete auf George. »Dort liegt dein Bruder, George und in meiner Klinik liegt dein Bruder John. Willst du noch mehr Beweise? Ich würde dir vorschlagen, diese Papiere genau zu studieren. Vielleicht sehen wir dann alle klarer.« Morgan schüttelte skeptisch den Kopf. »Sie glauben an diesen Unsinn«, sagte er kopfschüttelnd. »Geister, Gespenster. Da kann ich doch nur lachen!« Mertens erhob sich. 21
»Lache nur ruhig, wenn du dich dann besser fühlst, Morgan. Doch ich glaube mit hundertprozentiger Sicherheit, dass du nach dem Studium der Papiere nicht mehr lachen wirst.« Er nickte Susan zu und griff nach seiner schwarzen Tasche. Draußen ertönten die Sirenen des Krankenwagens. Einige Minuten später waren Susan und Morgan allein. Stumm saßen sie sich gegenüber. Nervös zog Susan an der Zigarette, die sie zwischen den zitternden Fingern hielt. Morgan erhob sich, trat an einen Wandschrank und kam mit einer Whiskyflasche und zwei Gläsern zurück. Er schenkte ein und reichte seiner Schwester ein Glas. Susan sah ihn über den Rand des Glases an. »Ich habe Angst«, flüsterte sie. »Schreckliche Angst, Morgan. Auch uns wird etwas passieren. Ich fühle es ganz deutlich. Auch wir werden bald in Professor Mertens Klinik liegen.« Morgan stellte sein leeres Glas ab, dass es klirrte. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. »Keine Angst, Schwesterchen«, murmelte er heiser. Sein Blick fiel auf den Papierberg. »Ich werde Georges Aufzeichnungen ordnen und dann lesen. Vielleicht steckt doch mehr dahinter. Du gehst jetzt am besten schlafen. Für mich wird es wohl eine lange Nacht werden.« Susan erhob sich müde. »Ich fürchte mich, Morgan. Ich bleibe hier und lege mich dort drüben auf das Sofa.« Morgan Bancroff nickte. Dann begann er Georges Papiere zu ordnen. Noch wusste er nicht, welches grauenhafte Geheimnis er in ihnen finden würde. * Der Morgen dämmerte grau. Mühsam kämpften sich die ersten Sonnenstrahlen durch den dichten Nebel, der schwer auf London lastete. 22
Morgan Bancroff gähnte und rieb sich die müden und geröteten Augen. Das fahle Licht der Schreibtischlampe mischte sich mit dem hereinsickernden trüben Schein des beginnenden Tages. Er gähnte erneut und blickte zu seiner Schwester Susan hinüber, die auf dem kleinen Sofa lag und sehr unruhig schlief. Immer wieder wälzte sie sich von einer Seite auf die andere. Leises Stöhnen und Wimmern kam öfters über ihre Lippen. Morgan erhob sich und machte ein paar Schritte, um seine verkrampften Muskeln zu lockern. Er kehrte zum Schreibtisch zurück und starrte mit finsterem Gesicht auf das dicke Papierbündel, das die eigenwillige Handschrift seines Bruders George trug. Er ließ sich wieder auf den Stuhl sinken und stützte seinen Kopf in beide Hände. Die Buchstaben vor seinen Augen begannen zu verschwimmen. Eine nie gekannte Müdigkeit hatte von seinem Körper Besitz ergriffen. Wieder starrte er auf Georges Aufzeichnungen. »Vernichte sie. Vernichte die Papiere!«, raunte eine Stimme in seinem Gehirn. »Vernichte sie!« Morgans Finger tasteten über das Papier, das sich sonderbar kalt anfühlte. »Vernichte die Papiere und vergiss, was du gelesen hast!« Die Stimme in seinem Gehirn wurde fordernder und drängender. Schweißtropfen perlten über das bleiche Gesicht des jungen Mannes. Die Buchstaben begannen zu tanzen, verwandelten sich plötzlich in grinsende Skelette. »Nimm das Feuerzeug«, raunte die unsichtbare Stimme. »Verbrenne die Aufzeichnungen!« Morgan Bancroffs Augen begannen unruhig zu flackern. Seine Bewegungen wurden unkontrolliert. Seine Hände zuckten, die aufgesprungenen Lippen bebten. Das Feuerzeug. Magisch zog es seinen Blick an, schien immer größer zu werden und auf ihn zuzukommen. Zögernd tastete er mit den Fingerspitzen darüber. 23
»Nimm es! Nimm es! Nimm es!« Dieser Gedanke hämmerte in seinem Gehirn. »Nimm es und verbrenne die Aufzeichnungen. Du wirst dich dann freier und leichter fühlen. John und George werden wieder gesund werden. Nimm es!« Morgans Finger krampften sich um das schwere Gasfeuerzeug. Es kam ihm leicht wie eine Feder vor. Er zog es heran und knipste es spielerisch mehrmals an und aus. »Verbrenne die Unterlagen. Verbrenne sie!« Morgan Bancroff war jetzt wie in Schweiß gebadet. Eine gähnende Leere war in ihm. Wieder knipste er das Feuerzeug an. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er in die lodernde Flamme, die ein gespenstisches Licht über sein bleiches Gesicht zucken ließ. Langsam kam die Flamme den Aufzeichnungen näher. Schon versengte die Hitze die Seitenränder einiger Papierstücke. »Was ist los mit dir, Morgan?« Susan Bancroffs angsterfüllte Stimme stand im Zimmer. Sie legte ihre Hand schwer auf die Schulter des Bruders, der zusammenschreckte, das Feuerzeug fallen ließ und aus dem Stuhl hochfuhr. »Susan, du?« »Wer denn sonst«, antwortete die junge Frau und strich sich eine Strähne ihres langen Haares aus der Stirn. »Was ist los mit dir? Wolltest du die Papiere verbrennen?« Morgan fuhr sich über die Stirn. Er blickte auf die angesengten Blätter, starrte auf das Feuerzeug und dann auf Susan. »Was ist geschehen?«, fragte er und konnte ein Zittern in seiner Stimme nicht unterdrücken. »Wollte ich vielleicht die Blätter anzünden?« Susan Bancroff nickte. »Ich bin wohl gerade noch zur rechten Zeit gekommen«, sagte sie ernst. »Warum wolltest du das tun?« Morgan zuckte hilflos mit den Achseln. 24
»Ich wollte nichts tun. Scheinbar bin ich eingeschlafen und wollte...« Er brach ab. »Es war der Teufelsmönch«, stieß er dann heftig hervor. »Er versuchte mich dazu zu bringen, die Unterlagen von George zu vernichten. In meinem Kopf war eine Stimme, die es mir befahl. Der Teufelsmönch, Susan!« Die junge Frau wich zurück. Aus zusammengekniffenen Augen starrte sie den Bruder an. »Rede keinen Unsinn, Morgan. Teufelsmönch? Was soll das denn wieder sein?« Morgan Bancroff deutete auf die eng beschriebenen Blätter. Eine furchtbare Angst loderte in seinen Augen. »Lies es selbst, Susan. Lies selbst, was George da alles aufgeschrieben hat. Es ist furchtbar und grauenhaft. George ist sonst ein so nüchterner Mensch. Er würde niemals derartige Dinge erfinden. Auf uns allen lastet ein grauenhafter Fluch. John und George sind ihm schon zum Opfer gefallen. Wir werden die nächsten Opfer sein. Schon seit Jahrhunderten liegt der Fluch des Teufelsmönches auf unserer Familie. Viele Mitglieder der Bancroff-Familie mussten in den vergangenen dreihundert Jahren durch den Fluch sterben. Lies alles selbst, Susan!« Susan setzte sich in einen Sessel. Ihr Gesicht war bleich und schimmerte geisterhaft. Mit einem lauten Aufstöhnen griff sie sich an den Kopf. Die Augen begannen ihr aus dem Kopf zu quellen. Dann begann Susan zu schreien. Sie schrie wie ein weidwund geschossenes Tier. Dann taumelte sie hoch. Ein irres Leuchten glitzerte in ihren Augen. Mit eckigen Bewegungen kam sie langsam auf Morgan zu, der erschrocken zurückwich. »Wie bei George«, murmelte er leise und wich den zupackenden Händen seiner Schwester aus. Es gelang ihm, sie von hinten zu packen und ihre Arme auf den Rücken zu drehen. 25
Doch Susan schien plötzlich über übermenschliche Kräfte zu verfügen. Sie riss sich los, drehte sich um und fasste Morgan an der Kehle. Morgan wollte ihre Hände herunterreißen, doch er schaffte es nicht. Sein Hals wurde wie von einem Schraubstock umklammert. Keuchend entwich die Luft aus seinem weit aufgerissenen Mund. Sein Gesicht nahm eine leicht bläuliche Färbung an. Die Zunge schwoll an. Morgan Bancroff begann keuchend zu würgen. Nebelschleier wirbelten vor seinen Augen. Der stahlharte Druck von Susans Fingern wurde immer stärker. Das verzerrte Gesicht seiner Schwester kam ihm riesengroß vor. Ihre Augen leuchteten in einem rötlichen Feuer. Ein beißender Schwefelgeruch ging von ihr aus. Fauchende Laute entfuhren ihrer Kehle. Morgan Bancroff war am Ende seiner Kräfte angelangt. Er schaffte es nicht, Susans klammernde Hände von seiner Kehle zu lösen. Er ließ sich plötzlich nach hinten fallen und stürzte mit Susan auf den Boden. Für den Bruchteil einer Sekunde lockerte sich der würgende Griff von Susans Hand. Das genügte Morgan, um sich zu befreien. Er taumelte hoch und machte einige schwankende Schritte. Er holte tief Luft und füllte seine Lungen mit Sauerstoff. Doch Susan war schon wieder heran. Ihre Hände krallten sich in seine Jacke. Morgan erschauderte vor der enormen Kraft seiner Schwester, die ihn mühelos herumwirbelte. Er duckte sich blitzschnell und konnte so den zupackenden Händen von Susan entgehen. Morgan schlug zu. Seine Faust knallte der Schwester hart gegen den Kinnwinkel. Sie wich aufschreiend zurück. Morgan setzte nach. Wieder schlug er zu. Wieder traf er sie voll am Kinn. Susan fiel auf den Rücken. Blut sickerte über die aufgeschlagenen Lippen und netzte ihre Bluse. Nochmals versuchte sie aufzustehen, doch sie schaffte es nicht. Mit einem gurgelnden Laut blieb sie liegen. Ein Beben durchlief ihren 26
Körper, der plötzlich schlaff wurde und sich nach einem letzten Zucken streckte. Susan Bancroff rührte sich nicht mehr. Morgan stand keuchend über sie gebeugt. Er sah in die starren Augen seiner Schwester. Aufstöhnend wich der junge Mann zurück und wankte zum Schreibtisch. Der Telefonhörer entfiel beinahe seinen zitternden Fingern. Nur mit Mühe wählte er die Nummer der Mertens-Klinik und ließ sich mit dem Professor verbinden. »Susan«, schnaufte Morgan. »Auch Susan ist von der Krankheit befallen, Professor. Kommen Sie bitte sofort und schicken Sie einen Krankenwagen.« Morgan legte den Hörer auf. Er zog eine Zigarette aus der zerknautschten Packung und zündete sie an. Vor seinen Augen flimmerte es. Er bekam beinahe das Übergewicht, als er sich über Susan neigte und ihre verrutschte Bluse zurechtrückte. Einen Herzschlag konnte er nicht feststellen. Morgan begann ruhelos im Zimmer auf und ab zu gehen. Die Aufregungen der letzten Minuten hatten seine Müdigkeit wie weggeblasen. Als es klopfte, fuhr er herum. »Guten Morgen, Mr. Bancroff«, begrüßte ihn Mrs. Moore, die schon ältere Hausangestellte. Ihr Blick fiel auf die wie tot am Boden liegende Susan und sie stieß einen erschrockenen Schrei aus. »Guten Morgen, Mrs. Moore«, erwiderte Morgan mit seltsam ruhiger Stimme. »Susan ist ohnmächtig geworden. Ich habe bereits Professor Mertens benachrichtigt. Er und der Krankenwagen werden wohl jede Minute eintreffen. Keinen Grund zur Besorgnis. Bitte, machen Sie mir einen starken Kaffee.« Mrs. Moore blieb zögernd an der Tür stehen und warf einen scheuen Blick auf Susan. Doch dann nickte sie und eilte mit schnellen Schritten davon. 27
Endlos langsam vergingen die Minuten. Immer wieder blieb Morgan vor den Aufzeichnungen seines Bruders George stehen und immer wieder schien es ihm, als versuchte etwas in sein Gehirn einzudringen. Der junge Mann erschauerte. Er atmete erst auf, als Professor Mertens das Zimmer betrat. Der Arzt begann Susan zu untersuchen und nickte mehrmals. »Wie bei John und George«, stellte er dann erschüttert fest. »Wie ist es geschehen?« Morgan erzählte es ihm. In der Zwischenzeit hatten zwei weißgekleidete Männer Susan auf einer Bahre fortgeschafft. »Georges Zustand, wie auch der von John, sind unverändert«, berichtete Mertens dann und setzte sich in einen Sessel. »Was haben die Aufzeichnungen deines Bruders ergeben?« Morgans Lippen pressten sich hart aufeinander. Darin griff er sich verzweifelt an den Kopf. Weder hatte er das peinigende Gefühl, dass jemand mit einer glühenden Zange in seinem Gehirn wütete. Professor Mertens sprang auf und trat auf ihn zu. Er hob Morgans Augenlider und eilte dann zu seiner schwarzen Tasche. Nach wenigen Augenblicken verabreichte er ihm eine Spritze. Die Schmerzen in Morgans Schädel ließen sofort nach. »Jemand versucht dich gedanklich zu beeinflussen«, sagte der Professor. »Durch eine Art Fernhypnose. Jemand versucht, sich deinen Willen Untertan zu machen.« Morgan nickte. Ein verzerrtes Lächeln spielte um seine zuckenden Mundwinkel. »Der Teufelsmönch«, stieß er dann hervor. Dann deutete er auf die Aufzeichnungen. »Dort steht alles geschrieben. George hat in wochenlanger Arbeit alle Daten und Fakten zusammengetragen.« Der Professor blickte ihn erstaunt an. »Erzähle mir alles, Morgan. Du hast die Unterlagen also studiert. Ich bin fast sicher, dass sie mit der Krankheit deiner Geschwister im Zusammenhang stehen.« Morgan Bancroff nickte düster. 28
»Und ich werde das nächste Opfer sein. Auch ich bin verloren. Es gibt keine Rettung. George hat es wohl versucht und ist ebenfalls gescheitert.« »Los, erzähle«, brummte Mertens. »Noch ist nichts verloren. Ich möchte alles wissen.« Morgan trank einige Schlucke von dem heißen Kaffee. Der Professor wartete geduldig, obwohl man ihm deutlich die Neugier an den Augen ansah. Morgan begann zu berichten: »Georges Aufzeichnungen handeln von unserer Familie, Professor. Sie gehen bis ins siebzehnte Jahrhundert zurück. Damals lebte unsere Familie in Schottland. Forrester Bancroff hatte dort ein großes Schloss. Er war beliebt und geachtet. Doch eines Tages ließ er einen Mönchsorden schließen. Es hatte sich herausgestellt, dass die Mönche dem Satan Menschenopfer darbrachten.« Professor Mertens Augen wurden groß. Er schluckte mehrmals trocken. »Weiter, Morgan«, knurrte er. »Erzähl schon weiter und mach es nicht so spannend!« »Mein Urahne griff eisern durch. Die Teufelsmönche wurden gefangen genommen, verurteilt und hingerichtet. Anschließend wurden sie verbrannt, alle - bis auf eine Leiche, die in der Nacht vor der Verbrennung gestohlen wurde. Sie wurde niemals gefunden.« Morgan Bancroffs Stimme klang heiser. Er strich sich über die Stirn. Wieder fühlte er starke Kopfschmerzen, die ihm große Schweißperlen auf die Stirn trieben. Dann berichtete er weiter. »Forrester Bancroff ließ verzweifelt nach dem Leichnam suchen. Er musste ihn unbedingt haben, damit der Fluch des Teufelsmönches sich nicht erfüllen konnte. Vor dem Tode hatten die Mönche die Familie Bancroff verflucht. Forrester Bancroff starb einige Jahre später eines rätselhaften Todes. Und immer wieder starben Mitglieder der Bancroff-Familie auf rätselhafte Art und Weise - bis zur heutigen Zeit. George scheint das Grab des verschwundenen Teufelsmönches gefunden zu haben, das geht wenigstens aus den Aufzeichnungen hervor. Doch scheinbar konnte er dem Fluch nicht entrinnen.« 29
Morgan hatte sich erhoben und schenkte sich einen Drink ein. Der Professor lehnte dankend ab. »John, George und Susan sind nun dem Fluch zum Opfer gefallen. Ich bin der einzige, der bislang verschont wurde, obwohl der Teufelsmönch auch schon mich zu beeinflussen versuchte.« Professor Mertens erhob sich und stellte sich vor Morgan. Schwer senkte sich die rechte Hand des Professors an des jungen Mannes Schulter. »Vielleicht liegt es an der Silberplatte in deiner Schädeldecke«, versuchte Mertens eine Erklärung zu finden. »Irgendwie schirmt es dich gegen die teuflischen Einflüsse dieses Wesens ab, denn sonst hättest auch du keine Chance gehabt. Was willst du unternehmen?« Morgan zuckte mit den Schultern. »Ich muss nach Schottland.« Seine Stimme klang tonlos. »George hat das Grab des Teufelsmönches genau beschrieben. Es muss mir gelingen, es zu finden. Vielleicht kann ich dann diesem teuflischen Fluch ein Ende bereiten.« »Soll ich mit dir kommen?«, fragte Professor Mertens. Starkes Interesse funkelte in seinen Augen. Morgan schüttelte den Kopf. »Sie werden hier in London gebraucht, Professor«, antwortete Morgan ruhig. »Kümmern Sie sich um meine Geschwister. Vielleicht erwachen sie wieder - wenn ich diesen Unhold besiegt habe.« Der Professor senkte den Blick. »Ich werde dir eine Pistole und geweihte silberne Kugeln besorgen, Morgan. Damit bekommst du eine kleine Chance, um gegen den lebenden Toten zu bestehen. Ich habe mich vor Jahren einmal mit diesen Dingen beschäftigt. Außerdem solltest du ein silbernes Kreuz mit dir tragen.« Morgan Bancroff nickte. »Besorgen Sie mir die Pistole, Professor. Vielleicht wird sie mir helfen.« Der Professor wühlte gedankenverloren in seinem silbergrauen Haar. In seinen Augen blitzte es auf einmal auf. 30
»Hör zu, Morgan«, sagte er dann und konnte kaum die Erregung in seiner Stimme unterdrücken. »Ich habe zu Hause eine ganze Menge Unterlagen über schwarze Magie, Teufelsunwesen und andere Dinge. Ich habe vieles bis jetzt für baren Unsinn gehalten, glaube nun aber, dass da einiges dran sein könnte. Ich entsinne mich an irgendeine Sache, die den Fluch des Teufelsmönches brechen könnte. Gib mir einige Stunden Zeit und besuche mich heute Nachmittag in meiner Wohnung. Dann schauen wir uns alles gemeinsam an. Einverstanden?« Morgan Bancroff nickte. »Ich komme, Professor«, versprach er. »Jetzt muss ich mich einige Stunden hinlegen. Ich hoffe nur, dass man mich nicht wieder hypnotisch zu beeinflussen versucht.« Professor Mertens entnahm seiner schwarzen Tasche eine kleine Schachtel. Er reichte sie Morgan. »Du nimmst alle acht Stunden eine Tablette, Morgan. Niemand wird dich dann hypnotisch beeinflussen können. Die Silberplatte in deiner Schädeldecke wird das übrige dazu tun. Du brauchst keine Angst zu haben. Wir schaffen das schon.« Der Professor packte seine Tasche und eilte zur Tür. Er winkte dem jungen Mann nochmals kurz zu und verschwand. Morgan setzte sich auf einen Stuhl. Er starrte auf die graue Packung und öffnete sie. Sie enthielt ein kleines Röhrchen, in dem sich ungefähr fünfzig weiße Tabletten befanden. Zögernd entnahm er eine Tablette und berührte sie mit der Zungenspitze. Ein gallenbitterer Geschmack breitete sich in seinem Mund aus. Morgan rümpfte die Nase. In diesem Moment schien es, als wollte wieder diese glühende Zange in sein Gehirn vordringen. Der grelle Schmerz nahm ihm den Atem. Seine Augen weiteten sich. »Lass die Tabletten fallen«, forderte eine Stimme in seinen Gedanken. »Lass sie fallen!« Morgan Bancroff taumelte hoch. 31
Das Röhrchen mit den Tabletten fiel zu Boden. Das splitternde Geräusch ließ den jungen Mann zusammenzucken. In diesem Bruchteil einer Sekunde konnte er dem hypnotischen Einfluss nochmals entrinnen. Er schob die Tablette in den Mund und schluckte sie hinunter. Mit schnellen Schritten eilte er zur kleinen Bar, schenkte sich ein Glas Sodawasser ein und trank es in einem Zug leer. Wieder griffen die gierigen Hypnosefinger nach Morgan Bancroff. Vergebens wehrte sich der junge Mann. Doch dann schien die Wirkung der Tablette einzusetzen. Er fühlte sich befreit. Morgan war auf einmal wieder hellwach. Die Stimme in seinem Gehirn verstummte. Er glaubte zwar noch ein höhnisches Gelächter zu vernehmen, das jedoch rasch verwehte. Der junge Mann hob die aus dem Röhrchen heraus gefallenen Tabletten auf und steckte sie in seine Rocktasche. Rastlos wanderte er im Zimmer auf und ab. Schließlich fand er die innere Ruhe, um sich mit den auf ihn zukommenden Problemen vertraut zu machen. * Tote Augen saßen in einem pergamenthaft wirkenden Gesicht. Eine lange silbergraue Haarflut fiel auf die lange schwarze Kutte, die bis auf den staubigen Fußboden reichte. Ächzend stieg der lebende Tote aus dem großen und verwitterten Sarkophag. Ein Raunen und Wispern erfüllte die mit Energie aufgeladene Luft. Unter den tapsenden Schritten des Teufelsmönches wirbelte Staub auf. Schwankend verließ er die nach Moder und Verwesung stinkende Gruft. Draußen war es dunkel. Bleiches Mondlicht sickerte zwischen dunklen Wolken vom Himmel. Von den großen Felsen strömte Eiseskälte aus, die der Teufelsmönch aber nicht wahrzunehmen schien. Irgendwo schrie ein Käuzchen. 32
Der lebende Tote bewegte sich auf einem Pfad zwischen den Felsen und näherte sich einem schroffen Felsabhang. Einige hundert Meter tiefer brandete das Meer gegen steile Klippen. Sprühender Gischt wirbelte meterhoch auf. Der Teufelsmönch breitete beide Arme aus. Ein beschwörender, monotoner Gesang entrang sich dem klaffenden Spalt seines Mundes. Die toten Augen begannen in einem verzehrenden Feuer zu glühen. Das Raunen und Stöhnen des Windes verstärkte sich. Die silbergrauen Haare des gespenstischen Wesens wehten wie eine Fahne. Nach einigen Minuten verneigte sich der Teufelsmönch und trat auf eine dunkel gähnende Öffnung zu, die in den großen Felsen hineinführte. Um ihn herum wurde es stockdunkel. Zielsicher lief der lebende Tote weiter. Fledermäuse surrten aufgeschreckt an ihm vorbei. Irgendwo quietschten Ratten. Plötzlich wurde es hell. Von den Wänden ging ein unheimliches Leuchten aus, das bizarre Schatten zauberte. Der Gang verbreitete sich zu einer großen Höhle. Auch hier flammten die Wände in einem teuflischen Feuer. Der Teufelsmönch verhielt seinen Schritt. Wieder kam ein beschwörender Singsang aus der klaffenden Kerbe seines Mundes, öfters verneigte sich das unheimliche Wesen. Das Leuchten an den Wänden nahm an Intensität zu. An einer Stelle bildete sich ein großes Rechteck. Es glänzte wie geschmolzenes Silber. Starr richteten sich die toten Augen des Teufelsmönches darauf. Seine beschwörende Stimme wurde noch lauter, übertönte das Raunen und Wispern, das in der Luft lag. Der silberne Fleck glättete sich langsam und erinnerte jetzt an einen großen Spiegel. Sich immer wieder verneigend ging der lebende Tote darauf zu. Doch plötzlich begann der silberne Spiegel zu brodeln und zu kochen. Der Teufelsmönch wich zurück. 33
Er warf sich zu Boden und kauerte lange Minuten in dieser Stellung. Als er sich schließlich erhob, war der silberne Fleck verschwunden. Der Teufelsmönch machte kehrt und verließ mit taumelnden Schritten die Höhle. Der Zugang zum Reich der Finsternis war ihm versperrt gewesen. Doch Hooros, der Teufelsmönch, würde es wieder und wieder versuchen. * Professor Mertens sah unwillig hoch, als es an seiner Zimmertür klopfte. Sein Gesicht entspannte sich jedoch gleich darauf und er ging Morgan Bancroff entgegen, der auf der Türschwelle stehen geblieben war. »Komm rein, Morgan«, forderte er den jungen Mann freundlich auf. Dann deutete er auf einen Stuhl. »Setz dich. Ich bin in wenigen Minuten soweit. Habe einige interessante Dinge herausgefunden.« Der junge Mann setzte sich und zündete sich eine Zigarette an. Sein nachdenklicher Blick ruhte auf dem Professor, der sich jetzt wieder über irgendwelche Bücher gebeugt hatte und sich eifrig Notizen machte. Der Professor erhob sich nach einigen Minuten. Triumphierend schwang er einen eng beschriebenen Zettel in seiner Hand. Er setzte sich neben Morgan in einem der schweren Ledersessel. »Ich habe es gefunden«, knurrte er zufrieden. »Vorher hatte ich das zwar alles für Phantastereien und Hirngespinste gehalten, doch die Vorkommnisse der letzten Tage haben mich eines anderen belehrt.« Seine grauen Augen richteten sich zwingend auf Morgan. »Ich habe sogar Unterlagen über diesen Teufelsmönch gefunden. Hooros, so ist sein Name, hat in den letzten Jahrhunderten immer wieder versucht, seine Herrschaft auf der Welt zu festigen. Es ist ihm bisher nicht gelungen. Doch in diesen alten Büchern dort steht einiges über ihn. Es wurde auch von deinem Urahn Forrester Bancroff berichtet - und auch von dem grauenhaften Fluch.« 34
Morgan drückte nervös die Zigarette im Aschenbecher aus. Er machte einen zerfahrenen Eindruck. »Hast du schon einmal etwas vom Kelch des heiligen Feuers gehört?«, fragte der Professor. Morgan Bancroff schüttelte verneinend den Kopf. »Natürlich nicht«, lachte Mertens. »Mit dem Kelch des heiligen Feuers bannte damals Forrester Bancroff die Teufelsmönche und konnte sie vernichten. Doch irgendwann wurde der Kelch des heiligen Feuers gestohlen. Kurz darauf starb auch Forrester Bancroff. Der Kelch ist niemals wieder aufgetaucht. In dem Buch steht, dass er sich im Reich der Finsternis befinden soll.« Morgan Bancroff hatte sich erhoben. Mit nervösen Schritten lief er im Arbeitszimmer des Professors auf und ab. Er zündete sich erneut eine Zigarette an und inhalierte tief. »Setz dich wieder hin, Junge«, bat Mertens. »Sei nicht so nervös. Das bringt dich auch nicht weiter. Doch lass mich fortfahren.« Morgan setzte sich. »Du müsstest dich also in den Besitz des Kelches bringen, Morgan, dann könntest du diesen Teufelsmönch besiegen.« Morgan Bancroff schluckte mehrmals. »Ganz einfach, was, Professor?«, fragte er sarkastisch. »Ich begebe mich also ins Reich der Finsternis und klaue den Burschen den Kelch des heiligen Feuers. Ganz einfache Sache. Können Sie mir vielleicht detailliert berichten, wie ich das anstellen soll?« Der Professor zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, Morgan. Das steht auch in keinem der Bücher. Hast du keinerlei Angaben darüber in Georges Aufzeichnungen gefunden?« »Die beziehen sich nur auf diese verfallene Kapelle in Schottland, wo sich das Grab dieses Teufeismönches befinden soll. Vielleicht finde ich ja dort weitere Hinweise.« Professor Mertens biss sich auf die Lippen. Er rückte seine Brille zurecht und tupfte sich mit einem großen, bunt karierten Taschentuch über die Stirn. Dann stand er auf und holte aus einer Schreibtischschublade eine Pistole hervor. Er reichte sie Morgan. 35
»Kannst du mit so einem Ding umgehen?«, fragte er besorgt. Morgan lächelte. »Sicher, Professor. Sie vergessen, dass ich einige Jahre bei der Armee gedient habe.« Mertens atmete auf. »Hier sind Silberkugeln, Morgan. Damit kannst du dich gegen Untote, Dämonen und andere teuflische Bestien wehren. Frag mich jetzt nur nicht warum!« Morgan grinste und wog die Pistole spielerisch in seiner offenen Hand. Anschließend überprüfte er das Magazin und schob die Waffe in seine Jackentasche. »Ich habe es mir überlegt, Morgan«, teilte ihm Mertens bündig mit. »Ich komme mit dir. Hier in der Klinik läuft alles seinen gewohnten Gang. Dr. Snider, mein Stellvertreter, ist ein ausgezeichneter Mann. Außerdem habe ich seit vielen Jahren keinen Urlaub mehr gemacht. Keine Widerrede, mein Junge, ich komme mit. Vielleicht schaffen wir es gemeinsam, den Teufelsmönch zu besiegen und diesen grauenhaften Fluch von der Bancroff-Familie zu nehmen.« Morgan nickte bedächtig. »Einverstanden«, murmelte er dann leise. »Wann geht es los, Professor?« »Heute Nacht noch, Morgan. Wir nehmen den Zug und mieten uns dann einen Wagen.« »Okay«, schnaufte Morgan Bancroff. Er wirkte gerührt und irgendwie erleichtert. »Haben Sie auch von diesen Antihypnose-Tabletten genommen?«, fragte er lächelnd den Professor. Mertens nickte. »Sicher, mein Junge. Ich kann kein Risiko eingehen.« Morgan berichtete mit wenigen Worten von dem Zwischenfall vor wenigen Stunden. Das Gesicht des Professors verlor an Farbe. »Dieser Hooros hält uns unter Beobachtung«, überlegte er dann. »Bestimmt ist er längst über jeden unserer Schritte informiert. Er weiß, was wir vorhaben und das könnte für uns gefährlich werden.« 36
Morgan Bancroff fuhr sich unruhig durch die Haare. Dann zuckte er nur hilflos mit den Achseln. »Können wir etwas dagegen unternehmen?« »Diese Tabletten werden ihn nicht nur daran hindern, uns gedanklich zu beeinflussen, er wird auch unsere Gedanken nicht mehr lesen können. Wir dürfen nur eins nicht vergessen - die Tabletten regelmäßig zu nehmen!« Die beiden altersmäßig, aber auch charakterlich so ungleichen Männer sahen sich lange an. Professor Mertens nickte Morgan dann beruhigend zu. »Wir schaffen es schon, mein Junge. Du musst nur fest daran glauben.« »Wir treffen uns um acht Uhr am Bahnhof«, schlug Morgan vor. »Ich muss mich noch von meiner Braut verabschieden. Außerdem werde ich im Betrieb kurz nach dem Rechten sehen. Good bye, Professor. Dann bis heute Abend.« Professor Mertens blickte dem jungen Mann nachdenklich hinterher. * Jane Mabel war eine junge, schöne und attraktive Frau. Ihr blondes Haar war sehr kurz geschnitten. In ihrem dunkel gebräunten Gesicht funkelten zwei hellblaue Augen, die sich jetzt auf Morgan Bancroff richteten, der sich nervös eine Zigarette anzündete. »Mehr kann ich dir auch nicht erzählen, Jane«, sagte er zu seiner Braut. »Es ist alles furchtbar und schrecklich. Du kommst auf keinen Fall mit. Schlag dir das nur aus deinem hübschen Köpfchen.« Jane warf Morgan einen ernsten Blick zu. Sie erhob sich, trat auf den Verlobten zu und setzte sich auf seinen Schoß. Zärtlich streichelte sie seine bleichen Wangen und fuhr ihm dann durch sein gewelltes Haar. »Ich habe Angst«, murmelte sie. »Schreckliche Angst um dich, Morgan. Ich kann doch nicht hier herumsitzen, während du dich in ein 37
Abenteuer einlässt, das dich vielleicht das Leben kosten wird. Nimm mich mit, Darling!« Morgan schüttelte entschlossen den Kopf. »Es geht nicht, Jane. Bitte, sei doch vernünftig. Der Professor und ich schaffen es schon. Du hältst hier die Stellung.« Morgan Bancroff erhob sich. Jane Mabels Gesicht war bleich. In ihren Augenwinkeln begann es verdächtig zu glitzern. Der junge Mann nahm seine Braut in die Arme. Sie umklammerte ihn fest, so als wolle sie ihn nie mehr loslassen. Morgan presste seinen Mund auf die zuckenden Lippen von Jane. Er fühlte die Wärme der jungen Frau durch den dünnen Stoff ihres Kleides. Seine Hand streichelte sanft über den bebenden Rücken. Sie drängte sich noch enger an ihn. Tränen rannen über ihre Wangen und netzten sein Gesicht. Und wenn Morgan etwas nicht ausstehen konnte, dann waren es die Tränen einer Frau. Hilflos schob er die weinende Frau sachte von sich. »Begleite mich zum Bahnhof«, flüsterte er. »Wir müssen uns beeilen. Es ist bereits höchste Zeit.« Jane Mabels nickte und wischte sich die Tränen von den Wangen. Einige Minuten später verließen sie die Villa, die von einem herrlichen Park umgeben war. Professor Mertens wartete bereits ungeduldig, denn bis zur Abfahrt des Zuges verblieben nur noch wenige Minuten. »Mach's gut, Jane«, lächelte Morgan und hauchte seiner Braut einen Kuss auf den Mund. Sie wollte noch etwas sagen, doch Morgan war bereits in das Abteil gestiegen. Der Zug fuhr gleich darauf los. Mertens und Bancroff saßen sich gegenüber. »Alles klar, mein Junge?«, fragte der Professor nach einigen Minuten des Schweigens und lächelte Morgan zuversichtlich an. Bancroff nickte und lehnte sich in die weichen Polster zurück. Der Schnellzug jagte durch die hereinbrechende Nacht. Schemengleich 38
huschten die Häuser eines Londoner Vorortes an den erleuchteten Zugfenstern vorbei. Professor Mertens zog den Daily Mirror aus seiner Manteltasche und begann ihn intensiv zu studieren. Morgan Bancroff schloss die Augen. Er verspürte eine heiße Angst, die aus seinem tiefsten Innern zu kommen schien. Seine Hände bewegten sich unruhig, während er in sich hineinlauschte. Öfters glaubte er den Willen des Teufelsmönches in seinem Gehirn zu spüren, doch die Wirkung der Anti-Hypnose-Tablette schirmte ihn ausreichend ab. Morgan Bancroff schlief schließlich ein. Auf seinem bleichen Gesicht lag noch immer ein ängstlicher Zug. * Es war wie ein sanftes Schweben. Susan Bancroff fühlte sich plötzlich von allen irdischen Beschwernissen befreit, fühlte sich leicht und frei. Sie versuchte sich an die letzten Stunden zu erinnern, doch es wollte ihr nicht gelingen. Das Erkennen kam plötzlich und traf Susan wie ein Schock. Sie gewahrte, dass sie ihren Körper verlassen hatte. Ihr Geist schwebte wie eine kleine weiße Wolke in der seidenen Bläue des Firmaments. Unter sich sah sie Häuser, Wiesen und Wälder. Sie nahm Menschen, Fahrzeuge und Straßen wahr. Angst stieg in Susan auf, die seltsam wirkte, weil sie körperlos war. »Was ist nur los?«, fragte sie sich. »Was ist mit mir geschehen? Bin ich vielleicht tot? Sollte das das Jenseits sein?« Der Geist der jungen Frau fand keine Antwort. Plötzlich vernahm sie eine Stimme in ihren Gedanken. »Keine Angst, Susan. Hier spricht dein Bruder John. George wird auch bald kommen. Nur keine Angst oder Panik. Wir haben dich aus deinem scheintoten Körper befreit. Wir haben dir geholfen, so wie du uns auch helfen sollst.« 39
Susan wurde zwei winzige weiße Wölkchen inne, die heranschwebten und dicht vor ihr in der Luft hängen blieben. »Wir sind es, Susan«, klang Georges Stimme in ihren Gedanken auf. »Wir wurden alle drei vom Fluch des Teufelsmönches gebannt. Doch es gelang diesem Teufelswesen, nur unsere Körper unter Kontrolle zu bekommen. Unser Geist wurde freigesetzt. Ehe nicht der Fluch des Teufelsmönches gebrochen wird, können wir in unsere Körper nicht mehr zurückkehren.« Langsam verlor sich die ungeheure Angst, die Susans Geist beherrscht hatte. Wie eine Feder schwebte sie auf ihre beiden Brüder zu. »Wir befinden uns im Zwischenschattenreich, Susan«, meldete sich jetzt John zu Wort. »Wir können uns zwar frei bewegen, sehen auch alles was sich auf der Erde abspielt, doch wir können nichts unternehmen. Wir befinden uns in einer anderen Dimension.« Susans Geist verstand es nicht. Wieder stieg eine panische Angst in ihr hoch. »Bange dich nicht, Susan«, beruhigte sie George. »Du brauchst wirklich keine Bange zu haben. Wir haben jetzt die Möglichkeit, unserem Bruder Morgan zu helfen. Er befindet sich mit Professor Mertens auf der Reise nach Schottland. Er will dort das Grab des Teufelsmönches aufsuchen. Wir werden immer in Morgans Nähe bleiben. Vielleicht können wir ihn gegen Hooros teuflische Einflüsse abschirmen.« Auch jetzt verstand Susan nicht alles. »Folge uns, Susan«, klang es in ihrem Gehirn. »Du brauchst dir nur selbst den Befehl zu geben und dann geht es schon.« Die beiden winzigen Wölkchen schwebten davon, wurden schneller und immer schneller. Und plötzlich war es Susan möglich, ihnen zu folgen. Sie hatte sich nur gewünscht, bei ihren beiden Brüdern zu sein und schon gehorchte ihr neuer, vergeistigter Körper. Bald verloren sich die drei Geisterwesen in der unendlichen Weite des Firmaments. * 40
Mertens und Bancroff verließen den Zug. Ein wenig steifbeinig schritten sie den Bahnsteig entlang. Vor dem Bahnhofsgebäude wartete eine große Anzahl von Taxen. Morgan wandte sich an einen der Fahrer. »Kann man hier irgendwo einen Wagen mieten?«, fragte er. Der Taxifahrer nickte freundlich. »Da sind Sie bei mir an der richtigen Adresse, Sir. Neben meinem Taxi betreibe ich auch noch einen Mietwagenverleih. Steigen Sie ein, ich fahre Sie zu meinem Anwesen. Dort können Sie sich einen geeigneten Wagen aussuchen. Tourist?«, fügte er noch hinzu. Morgan nickte. Lächelnd und stieg in die Droschke. Professor Mertens folgte ihm. Eine halbe Stunde später saßen die beiden in einem metallblauen Bentley neueren Baujahrs. Morgan war zufrieden. Er fuhr los, während Mertens neben ihm auf dem Beifahrersitz saß und eine Straßenkarte studierte. »Vorerst immer geradeaus«, wies er an. »Wir werden wohl noch einige Stunden fahren müssen.« Der Bentley lag ausgezeichnet. Der junge Mann fuhr zügig. Die Sonne lachte vom blauen Himmel und hatte längst die dichten Nebelschwaden verdrängt. Sie kamen gut voran. Je tiefer sie in das wildromantische schottische Hochland eindrangen, desto geringer wurde der Verkehr auf den Straßen. Auf einigen Hügeln zeichneten sich die Ruinen verfallener Burgen und Schlösser ab. »Es muss bald eine Querstraße kommen«, gab Professor Mertens an. »Sie führt zur Küste. Die letzten Meilen werden wir dann wohl zu Fuß zurücklegen müssen.« Morgan nickte nur und verringerte die Geschwindigkeit. Trotzdem wäre er beinahe an dem schmalen Weg vorbeigefahren. Mit pfeifenden Pneus hielt der Bentley. Der junge Mann setzte das Fahrzeug zurück und bog dann in die unbefestigte Straße ein. Tiefe Schlaglöcher schüttelten die beiden 41
Männer durch. Morgan hatte Mühe, nicht die Gewalt über das Fahrzeug zu verlieren. Die Dämmerung senkte sich über das Land. Nebelschwaden lagerten dicht über dem feuchten Boden. Manchmal sickerte bleiches Mondlicht vom Himmel und tauchte die Umgebung in ein fahles Licht. Längst hatte Morgan Bancroff die Scheinwerfer des Bentleys eingeschaltet. Wie bleiche Geisterfinger versuchten sie, sich einen Weg durch das wallende Nebelgespinst zu bahnen. Bald war die Sicht nur noch wenige Meter weit. Morgan fuhr immer langsamer. Längst hatte er und auch der Professor die Orientierung verloren. Plötzlich setzte der Motor des Autos aus. Vergebens versuchte Morgan es erneut zu starten. Der Wagen sprang nicht mehr an. Nervös fiel der junge Mann in das weiche Polster zurück. Sein Blick traf Mertens. »Verdammt«, murmelte Morgan. »Wir sitzen fest. Wie weit mag es noch bis zu der verfallenen Kapelle sein?« Der Professor rückte seine Brille zurecht. Dann strich er sich über sein Haar. »Wir sind schon sehr nahe heran. Der Weg müsste sowieso bald enden. Vielleicht warten wir eine Weile. Könnte ja sein, dass sich diese verdammte Nebelsuppe da draußen bald verzieht.« Morgan lächelte gequält und begann nachdenklich an seiner Unterlippe zu nagen. Plötzlich griff er sich an den Kopf. Sein Gesicht wurde bleich. Angst loderte in seinen Augen auf. »Der Teufelsmönch«, flüsterte er. »Er versucht, mich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ohne die Tabletten wären wir längst verloren.« Professor Mertens nickte beklommen. Er strich, sich nervös über die Stirn. Auch er spürte einen starken Druck auf seinem Gehirn. »Keine Bange, Morgan«, flüsterte er dann. »Die Tabletten wirken noch ein paar Stunden. Wir dürfen nur nicht vergessen sie regelmäßig zu nehmen.« 42
Endlos langsam verging die Zeit. Zwei Stunden vor Mitternacht begann sich der Nebel zu lichten. Innerhalb weniger Minuten war er wie aufgesaugt. Mertens zuckte zweifelnd mit den Schultern, während Morgan den Bentley erneut zu starten versuchte. Es war vergebens. Der junge Mann gab es schließlich auf. »Wir gehen zu Fuß weiter«, schlug Mertens vor. »Vergiss deine Pistole nicht. Dieser Hooros versucht uns bestimmt anzugreifen. Wir müssen uns da auf einiges gefasst machen.« Morgan Bancroff überzeugte sich, dass die Pistole in seiner Jackentasche war. Er öffnete die Tür und stieg aus dem Wagen. Mertens folgte ihm. Ein kühler Wind umstrich die beiden Männer. In den nahen Bäumen jaulte und ächzte es. Es schien, als verneigten sie sich vor Mertens und Bancroff, die ihre Mäntel fester um sich zogen und die Kragen hochstellten. Der junge Mann fror. Er grub beide Hände tief in die Taschen. Das kalte Metall der Pistole beruhigte seine aufgepeitschten Nerven. Die Straße stieg leicht an. Rechts und links standen Büsche und Bäume. Ein paar schwarze Felsbrocken ragten drohend aus einem seichten Tümpel heraus. Das abgestandene Wasser stank. Beide Männer beschleunigten ihre Schritte. »Dort auf den kleinen Hügel müssen wir rauf«, rief der Professor. »Dort können wir uns orientieren.« Ein paar Minuten später standen sie oben. Die Sicht war nicht besonders gut, der Mond hatte sich hinter einer großen schwarzen Wolke verborgen. Morgan begann zu fluchen, was ihm einen abweisenden Blick des Professors eintrug. »Und jetzt?«, fragte der junge Mann. In seinem bleichen Gesicht zuckte es. »Siehst du die großen Felsen dort drüben?«, fragte Mertens. Morgan nickte und der Professor fuhr fort: »Nach Georges Beschreibung müsste die verfallene Kapelle ganz in der Nähe sein. Los, mein Junge, versuchen wir unser Glück!« 43
Morgan schluckte und folgte Mertens, der mit langen Schritten vor ihm herging. Der Boden war glitschig und manchmal versanken sie bis zu den Knöcheln im Morast. Der Wind war noch stärker geworden und heulte jetzt eine schaurige Melodie. Irgendwo schrie klagend ein Käuzchen. Manchmal suchten dicke fette Ratten raschelnd das Weite. Die Entfernung hatte vor wenigen Minuten getäuscht. Die großen Felsen waren doch weiter weg, als es den Männern anfangs erschienen war. Morgan stolperte über einen kleinen Felsbrocken und schlug sich sein Schienbein an. Er stieß ein paar Verwünschungen aus und taumelte wieder hoch. Der Professor blieb stehen und musterte den jungen Mann missbilligend. »Du darfst jetzt die Nerven nicht verlieren, Morgan«, mahnte er ihn mit fester Stimme. »Willst du vielleicht lieber zurückgehen und im Auto warten?« Morgan Bancroff machte eine abweisende Handbewegung. Dann schüttelte er trotzig den Kopf. »Kommt nicht in Frage, Professor!«, knurrte er ungehalten. »Ich komme mit. Diese verdammte Erregung wird sich schon legen. Ich schaffe das schon.« Sie gingen weiter und vernahmen schon bald das Rauschen des Meeres. Donnernd brachen sich die Wogen an den hohen Klippen. Die schwarzen und bedrohlich wirkenden Felsen waren plötzlich greifbar, nahe. Professor Mertens stockte mitten im Schritt. Sein Atem ging keuchend. Er presste eine Hand gegen seine Brust und schnappte wie ein Ertrinkender nach Luft. »Ich bin nicht mehr der Jüngste«, stöhnte er. »Eine kleine Pause wird mir gut tun.« Morgan nickte. Sein Blick fiel über die vom bleichen Mondlicht übergossene wildzerklüftete Landschaft. Zwischen den schwarzen Felsen glaubte er plötzlich eine schemenhafte Gestalt zu erkennen. Das Blut gerann in seinen Adern. 44
»Dort - dort drüben, Professor«, stieß er hervor. »Dort bewegt sich etwas!« * Hooros, der Teufelsmönch, wankte mit taumelnden Schritten aus der Gruft. Der Wind zerrte an seinen langen Haaren. In seinem knochigen Gesicht leuchteten die Augen in einem verzehrenden Feuer. Die schwarze Kutte wurde gegen seinen skelettförmigen Körper gepresst. Der klaffende Spalt seines Mundes öffnete sich. Fauchende Laute drangen aus seiner Kehle. Hooros verharrte. Er fühlte die Nähe der beiden Eindringlinge. Er wusste auch, um wen es sich handelte. Er verstand nur nicht, warum es ihm nicht gelang, den beiden Männern seinen Willen aufzuzwängen. Hooros wankte weiter. Er erreichte einen kleinen Hügel und stapfte empor. Deutlich konnte er jetzt Morgan Bancroff und Professor Mertens erkennen, die sich ihm langsam näherten. Der Teufelsmönch breitete beide Arme aus. Monotoner und beschwörender Gesang drang von seinen welken Lippen. Sein feuriger Blick saugte sich an den beiden Gestalten fest, die jetzt anhielten und in die Nacht zu lauschen schienen. Es gelang ihm nicht, in die Gehirne der beiden Männer vorzustoßen. Plötzlich zuckte der Teufelsmönch zusammen. Sein Körper krümmte sich wie unter furchtbaren Schmerzen. Ein gellender Schrei hallte durch die Dunkelheit. Er sah nicht die drei Geisterwesen, die sich ganz dicht in seiner Nähe aufhielten. Susan, John und George Bancroff versuchten, Hooros zu beeinflussen. Wie abwehrend fuchtelte der lebende Tote mit seinen dürren Armen um sich. Dann konzentrierte er sich auf den neuen Feind. 45
Er stieß ein triumphierendes Gelächter aus, als seine Bemühungen Erfolg zeigten und die drei Geisterwesen von der Kraft seiner Beschwörungen davon gewirbelt wurden. Wieder starrte er auf die beiden Männer, die sich längst wieder in Bewegung gesetzt hatten und weiter auf ihn zuschritten. Hooros verließ den Hügel. Er wankte zwischen den schroffen Felsen, fand die dunkel gähnende Öffnung und betrat den Gang. Bald stand er in der großen Höhle, deren Wände wieder in einem teuflischen Feuer glühten. Es war wie beim ersten Mal. Auch diesmal bildete sich ein großes Rechteck, das wie geschmolzenes Silber glänzte. Hooros begann sich zu verneigen. Seine gellende Stimme klang immer beschwörender. Hooros näherte sich dem silbernen Spiegel. Doch als er dicht vor ihm stand, begann der silberne Fleck wieder zu brodeln und zu kochen. Der Teufelsmönch wich zurück. Enttäuschung ließ seine Stimme noch schriller klingen. Fast fluchtartig verließ er den Höhlenraum. Draußen wurde er von dem noch sturmartigen Wind fast mitgerissen. Es knackte schauerlich, als der Teufelsmönch gegen die schwarzen Felsen gedrückt wurde. Er fand sein Gleichgewicht und wankte weiter. Dann blickte er die Gestalten der beiden Männer, die sich ihm bis auf wenige Schritte genähert hatten. * »Ich sehe nichts«, klagte Morgan. Mertens begann umständlich seine Brille zu putzen. »Die Nerven haben dir einen Streich gespielt, mein Junge«, beruhigte er den jungen Mann mit väterlicher Stimme. Morgan Bancroff hielt die Pistole in seinen zitternden Fingern. Hart hämmerte das Herz gegen seine Rippen. 46
Mertens schien sich erholt zu haben. Er atmete jetzt wieder in gleichmäßigen Zügen. »Vorwärts«, mahnte er. »Bis zur Gruft kann es nicht mehr weit sein. Bin gespannt, ob uns dieser Hooros über den Weg läuft.« Morgan versuchte zu lachen, doch schon der erste Ton blieb ihm in der Kehle stecken. Er folgte dem Professor, der leicht gebeugt seinen Weg fortsetzte. Die dunklen Felsbrocken waren jetzt greifbar nahe. Die Brandung des Meeres dröhnte in ihren Ohren. Morgan biss sich auf die Unterlippe. Er konnte kaum noch seiner Erregbarkeit Herr werden. Immer noch hielt er die Pistole schussbereit in seiner Faust. Jetzt hatten sie die Felsen erreicht. Eine eisige Kälte schien von ihnen auszustrahlen. Mit zusammengekniffenen Augen starrten sie in die Dunkelheit und tasteten sich zwischen den Felsblöcken hindurch. Mertens' Schritt stockte plötzlich. Morgan rempelte den Professor leicht an. Dann sah auch der junge Mann die halbzerfallene Ruine. Die dunklen Fensteröffnungen glichen leeren Augenhöhlen. Aus Morgan Bancroffs Mund entwich ein leises Stöhnen. Er spürte einen ziehenden Schmerz an seiner Schläfe, der sich jedoch nach wenigen Augenblicken wieder verlor. Die beiden Männer starrten sich an. Das Gesicht des Professors glich einem weißen Fleck, der sich deutlich gegen die feucht schimmernden Felsquadern abhob. Professor Mertens zog nun ebenfalls aus seiner Tasche eine Pistole. Sie wirkte übergroß in seiner zerbrechlichen Hand. Dann rückte er seine Brille zurecht. Die beiden Männer liefen langsam los, sie näherten sich schnell der halbzerfallenen Kapelle. Sie stolperten über geborstene Steine, zwangen sich durch Sträucher und Dornengestrüpp. Der Atem des Professors entwich pfeifend seinen Lungen. Er taumelte und griff sich an den Kopf. Die Augen schienen ihm aus den Höhlen zu quellen. 47
Er begann am ganzen Körper zu zittern. Morgan warf Mertens einen besorgten Blick zu und wollte den wankenden Gefährten stützen. Doch der Professor winkte ab. Er versuchte zu lächeln, doch es wurde nur eine verzerrte Grimasse daraus. »Es geht schon wieder«, flüsterte er. Hohl klang es von den Felsen. Die Vorhölle könnte so aussehen, ging es Morgan durch den Kopf. Sie hatten jetzt ihr Tempo verlangsamt. Dann gewahrten sie die gähnende Öffnung des Eingangs zur Kapelle. Eine große schwarze Spinne saß in ihrem Netz, das sich quer über den Eingang spannte. Es raschelte am Boden, als ob allerlei Getier das Weite suchte. »Die Taschenlampe«, murmelte der Professor. Morgan holte sie aus seiner Manteltasche. Der gleißende Strahl fraß sich in die Dunkelheit. Die beiden Männer betraten die uralte Kapelle. Im Dunkeln hob sich undeutlich ein verwitterter Sarkophag ab. Neben ihm lag der zersplitterte Deckel. Der Lichtstrahl der Taschenlampe wanderte durch die zerfallene Kapelle, huschte über glänzende Steine, wuchernden Efeu und zersplittertes Holz. Sonst war nichts zu sehen. Von Hooros, dem Teufelsmönch, keine Spur. Für lange Zeit blieb der fliegende Atem der beiden Männer das einzige Geräusch. Morgan trat entschlossen an den verwitterten Steinsarg heran. Modergeruch legte sich schwer auf seine Lungen. Er warf einen Blick in den Sarkophag. Er war leer! Bancroff zuckte mit den Achseln. Er wandte sich dem Professor zu, der nur kurz nickte und sich wieder in Richtung des Ausganges in Bewegung setzte. Morgan eilte hinter ihm her. Aufatmend sog er die kühle Nachtluft in seine Lungen. Er wollte Mertens etwas zurufen, als der tastende Lichtkegel der Taschenlampe sich auf eine hagere Gestalt legte. 48
Bleich leuchtete ein skelettartiges Gesicht. Lange silbergraue Haare, die seidenen Spinnfäden glichen, fielen bis auf eine schwarze Kutte, die bis zum Boden reichte. Hooros! Hooros, der Teufelsmönch! Morgan Bancroff schrie mit weit aufgerissenem Mund. Er taumelte einige Schritte zurück. Beinahe wäre ihm die Taschenlampe aus den zitternden Fingern gefallen. Sekundenlang irrte der Lichtstrahl durch die Finsternis. Wieder traf der Lichtschein die hoch aufgerichtete Gestalt des Teufelsmönches. Ein höhnisches Gelächter klang aus dem klaffenden Spalt seines Mundes. Beißender Schwefelgeruch lag in der stickig gewordenen Luft. Morgan begann nach Atem zu ringen. Er stieß gegen Professor Mertens, der mit hervorquellenden Augen auf Hooros stierte. Der Teufelsmönch setzte sich in Bewegung. Wie ein Roboter schwankte er heran. Dumpf klangen seine Schritte durch die Nacht. Mertens und Bancroff wichen zurück. Wieder wehte das dämonische Gelächter des Teufelsmönches durch die Nacht. Morgans Nackenhaare stellten sich. Seine Hand, die die Taschenlampe hielt, zitterte so heftig, dass es ihm fast unmöglich war sie zu halten. Professor Mertens behielt die Ruhe. Er zielte mit der Pistole auf Hooros. Der lebende Tote hatte sich auf eine handbreite Entfernung vor ihm aufgebaut. Mertens drückte ab. Die Feuerlanze raste auf den Teufelsmönch zu und die geweihte silberne Kugel fuhr dem unheimlichen Wesen in die Brust. Hooros taumelte zurück. Sein Lachen ging in einen Aufschrei über. Der Körper glühte auf und verlosch wieder. Der gellende Schrei verhallte. 49
Mertens schoss noch einmal. Wieder traf er die zusammenzuckende Gestalt des Teufelsmönches. Wieder taumelte der lebende Tote einige Schritte zurück. Doch dann schien sich Hooros gefangen zu haben. Mit weit nach vorn gestreckten Händen stampfte er auf die beiden Männer zu. seine Augen funkelten wie kochende Lava. »Zurück«, rief Mertens. »Wir müssen fort, Morgan. Die Kugeln können ihm nichts anhaben. Los!« Er packte den jungen Mann am Arm und zog ihn mit sich fort. Morgan stolperte. Die Taschenlampe polterte zu Boden und zerschellte klirrend auf dem felsigen Boden. Hinter sich vernahmen sie das brüllende Toben des Teufelmönches, der sich jetzt in Bewegung setzte. Geifernder, warmer Atem traf die Männer im Nacken. Sie beschleunigten ihre Schritte. Doch Hooros, der Teufelsmönch, blieb ihnen dicht auf den Fersen. * Jane Mabel, Morgan Bancroffs Verlobte, legte den Telefonhörer auf und zündete sich nervös eine Zigarette an. Mit unruhigen Schritten lief sie in ihrem geräumigen und modern eingerichteten Appartement auf und ab. Sie dachte an Morgan und fühlte die heiße Angst um den Verlobten wieder in sich aufsteigen. Sie drückte die halbgerauchte Zigarette im Aschenbecher aus, nahm einen Schluck aus dem vor ihr stehenden Glas und trat erneut ans Telefon. Noch bevor sie den Hörer abnehmen konnte, klingelte es. Die junge Frau meldete sich und begann zu lauschen. »Okay«, sagte sie mehrmals und schrieb etwas auf einen bereitliegenden Zettel. »Vielen Dank.« Ein erleichtertes Lächeln legte sich um ihren vollen Mund. Sie nahm ihren Mantel vom Haken und schlüpfte hinein. Einige Minuten 50
später saß sie in ihrem kleinen Morris und fuhr in Richtung des Central-Bahnhofes. Bald saß sie in einem Schnellzug, dessen Ziel in Schottland lag. Jane legte sich entspannt ins Polster zurück. Bald werde ich bei Morgan sein, dachte sie immer wieder. Viel-
leicht kann ich ihm helfen. Die Adresse habe ich ja nun endlich. Irgendwie werde ich ihn schon finden. Das monotone Rattern des Zuges schläferte die junge Frau ein. Sie hatte in der letzten Nacht aus Sorge um Morgan kein Auge zugetan. Plötzlich vernahm sie eine leise Stimme in ihren Gedanken: »Kehre um, Jane. Komm nicht nach Schottland! Kehre um, wenn du Morgan helfen willst. Kehre um!« Jane Mabel schreckte hoch. Mit großen Augen schaute sie sich im Abteil um. Außer ihr befanden sich noch zwei ältere Mitreisende im Zugabteil, die sich ihr jetzt zuwandten. »Ist etwas, Miss?«, erkundigte sich der eine lächelnd. »Sie sind ja ganz blass um die Nase herum. Ist Ihnen nicht gut?« Jane holte tief Luft. Als sie antwortete, spürte sie einen dumpfen Druck in der Kehle. »Es ist nichts«, sagte sie und versuchte zu lächeln. »Ich habe nur etwas Unangenehmes geträumt.« Die beiden Männer grinsten, nickten und setzten ihr Gespräch wieder fort. Jane schloss erneut die Augen. »Kehre um, Jane. Hier spricht Susan Bancroff. Verlasse den Zug an der nächsten Station und kehre nach London zurück. Sonst bringst du dich und Morgan in große Gefahr. Bitte, kehre um!« »Aber ich kann doch nicht«, begann Jane und erst jetzt kam ihr voll zum Bewusstsein, dass sie laut gesprochen hatte. Die beiden Männer starrten sie wieder an. »Können wir wirklich nichts für Sie tun?«, fragte sie der andere und beugte sich leicht vor. 51
Die junge Frau schüttelte den Kopf. Ihr Gesicht hatte sich mit einer leichten Röte überzogen. Die beiden Männer müssen mich wohl für verrückt halten, dachte sie ärgerlich. Sie stand auf und verließ das Abteil. Im Speisewagen fand sie einen freien Tisch und bestellte einen Kognak. Der Alkohol beruhigte sie etwas. Susan hat zu mir gesprochen, dachte die junge Frau. Mein Gott,
das gibt es doch gar nicht. Sie liegt doch im Krankenhaus. Ich verstehe das nicht.
Jane Mabel zuckte zusammen. Plötzlich vernahm sie wieder Susan Bancroffs Stimme. Jane wollte schreien, im letzten Augenblick wurde sie gewahr, wo sie sich befand. Sie stieß gegen das leere Kognakglas, das klirrend umfiel. Die junge Frau achtete nicht darauf. »Versuch nicht über das alles nachzudenken, Jane. Verlasse den Zug und kehre nach London zurück. Wenn dieser Teufelsmönch Hooros erst auf dich aufmerksam wird, versucht er, dich in seine Gewalt zu bekommen. Dadurch würdest du Morgan schaden und alles zum Scheitern bringen. Kehre um!« Jane Mabels Gesicht war jetzt weiß wie eine frisch getünchte Wand. Mühsam rang sie nach Atem. »Noch einen Kognak«, bat sie den Kellner, der sie neugierig musterte. Der Mann eilte schnell davon. Jane starrte auf ihre zitternden Hände. Der Kellner brachte das Getränk. Die junge Frau zahlte und trank das Glas leer. In ihrem Zugabteil ignorierte sie die prüfenden Blicke der beiden Mitreisenden. An der nächsten Station verließ sie den Zug. Sie würde nach London zurückkehren. * Eine kalte, knochige Hand krallte sich in Morgan Bancroffs Schulter. Der junge Mann schrie auf und riss sich los. Der Kragen des Mantels ging in Fetzen. 52
Morgan nahm nochmals seine ganze Kraft zusammen und taumelte nach vorn. Professor Mertens lief schwer atmend einige Schritte vor ihm. Hooros, der Teufelsmönch, blieb zurück. Mertens wandte sich in diesem Moment um und schoss an Morgan vorbei auf den lebenden Toten. Das Wesen wurde einige Schritte zurückgetrieben, taumelte und stürzte zu Boden. Mühsam quälte es sich wieder auf die Beine und kam stampfend näher. Die beiden Männer eilten weiter. Plötzlich sahen sie vor sich eine Höhlenöffnung. Ohne zu zögern rannte Mertens hinein. Morgan stutzte einen kurzen Moment und folgte dann dem Professor. Doch nach wenigen Schritten verhielt Morgan Bancroff. Er versuchte seinen keuchenden Atem unter Kontrolle zu bekommen. Er fühlte das kühle Metall der Pistole in seinen Händen, während er auf die Schritte des Teufelsmönches lauschte. Nichts war zu hören. Vorsichtig schlich er sich zum Höhleneingang zurück. Nur wenige Schritte davor stand der Untote. Die schwarze Kutte wurde durch den heftigen Wind gegen den skelettartigen Körper gepresst. Die rot glühenden Augen starrten auf Morgan. Hooros setzte sich zögernd in Bewegung. Morgan hob die Pistole. Doch ehe er abdrücken konnte, verhielt der Teufelsmönch mitten im Schritt. Es schien, als wäre er gegen eine unsichtbare Mauer gerannt. Wieder versuchte Hooros, einen Schritt vor den anderen zu setzen. Doch irgendein unsichtbares Hindernis hielt ihn zurück. Erst jetzt merkte Morgan, dass er das orgelnde Geräusch des Windes und das Donnern der Wogen nicht mehr hören konnte. Der Höhleneingang ist hermetisch abgeschlossen, dachte er. Der junge Mann senkte die Pistole. Noch immer zitterten seine Hände. Schweiß rann ihm von der Stirn. Angst loderte in den weit aufgerissenen Augen. 53
Hooros stand noch immer im wehenden Wind. Er erhob sich wie ein Monument gegen den dunklen Hintergrund. Sein lippenloser Mund bewegte sich, doch Morgan konnte keinen Laut vernehmen. Hinter sich hörte er heranhastende Schritte. Morgan Bancroff wirbelte herum und atmete auf, als er Professor Mertens erkannte, der mit fliegendem Atem neben ihn trat. Morgan deutete stumm auf den Teufelsmönch, dessen ganzer Körper jetzt wie in eine feurige Lohe getaucht war. Die zuckenden Flammen erhellten die dunkle Nacht. »Er kann nicht zu uns herein«, murmelte Morgan. »Irgendein unsichtbares Hindernis hält ihn davon ab. Ich verstehe es nicht, Professor. Haben Sie vielleicht eine Erklärung dafür?« Mertens schüttelte verneinend den Kopf. »Keine Ahnung«, flüsterte er. »Bestimmt kommen wir hier nicht so leicht hinaus. Es ist ein Fehler gewesen, hier in dieser Höhle Schutz zu suchen.« Morgan Bancroff nickte bedrückt. Immer noch hingen seine Blicke an Hooros' unheimlicher Gestalt. Die züngelnden Flammen waren längst erloschen. Auch das rot glühende Feuer in den Augen des Untoten war verschwunden. Reglos wie eine Statue stand der Teufelsmönch im heftigen Wind. Wirr umspielte das lange silberne Haar sein ausgemergeltes Gesicht. Morgan und der Professor wichen immer tiefer in das Innere der Höhle zurück. »Wo befinden wir uns?«, fragte Morgan. »Der Gang wird bald breiter und endet in einer großen Höhle«, antwortete Mertens. »Unheimliche Sache«, fügte er nach einer Weile hinzu. »Komm mit, Morgan, schau es dir selbst an.« Nach kurzer Zeit hatten sie den Höhlenraum erreicht. Vor Staunen blieben sie wie angewurzelt stehen. Die Wände der Höhle glühten in einem verhaltenen Feuer. Bizarre Schatten huschten durch den Innenraum. Morgan steckte die Pistole in seine Manteltasche zurück. 54
Stumm sahen sich die beiden Männer an. Professor Mertens zuckte nervös mit den Schultern. Plötzlich bildete sich ein großes Rechteck, das wie geschmolzenes Silber zu glänzen begann. Mertens und Bancroff wichen zurück. Eine eisige Kälte strahlte von dem Rechteck aus, das jetzt an einen Spiegel erinnerte. »Das Tor zum Reich der Finsternis«, murmelte Professor Mertens plötzlich unter angehaltenem Atem. »Genauso wurde es in einigen Büchern beschrieben. Ohne Zweifel, Morgan, wir befinden uns vor dem Eingang ins Reich der Finsternis.« Morgan Bancroff erschauerte. Sein hilfloser Blick traf Mertens, der leicht lächelnd auf das Silber glänzende Rechteck zutrat. Wenige Schritte davor blieb er stehen. Obwohl die Oberfläche des Rechtecks einem Spiegel ähnelte, konnte sich Mertens darin nicht sehen. Hatte sie vor Sekunden Kälte abgesondert, so strahlte sie jetzt Wärme aus. Der Professor wandte sich Morgan zu, der nervös von einem Fuß auf den anderen trat. »Wir müssen da hindurch«, sagte er entschlossen. »Nur im Reich der Finsternis können wir den Kelch des heiligen Feuers finden. Nun gilt es, mein Junge!« Morgan wich entsetzt zurück. Seine Augen starrten ungläubig Mertens an. Mit einer fahrigen Geste fuhr er sich übers schweißüberströmte Gesicht. »Da hindurch, Professor? Ist das wirklich Ihr Ernst? Wissen Sie überhaupt, was uns dort drüben oder dahinter erwartet?« Mertens schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, Morgan«, antwortete er leise. »Ich glaube nicht, dass sich dorthin schon jemals ein lebender Mensch gewagt hat. In meinen Büchern stehen auch nur Vermutungen. Ich...« Morgan unterbrach ihn mit heiserer Stimme. »Also gut, Professor. Wir haben wohl keine andere Wahl. Der Ausgang ist uns zudem auch versperrt. Und wir brauchen unbedingt den 55
Kelch des heiligen Feuers. Anders gelingt es uns nicht, mit dem Teu-
felsmönch fertig zu werden.« Der Professor schluckte mehrmals trocken. Er richtete sein Augenmerk auf den silberglänzenden Spiegel, dessen Oberfläche noch immer vollkommen glatt war. Morgan trat neben ihn. Gemeinsam näherten sie sich dem Rechteck, das groß genug war, um zwei Menschen bequem hindurch zu lassen. Als sie noch wenige Zentimeter von der glitzernden Fläche entfernt waren, begann sich der silberne Glanz zu verflüchtigen. Es fing an, zu brodeln und zu dampfen. Die beiden Männer wichen erschrocken zurück. Doch gleich darauf zeigte das Rechteck sich wieder glatt und unbewegt. Morgans Hand schraubte sich schmerzhaft um den Arm des Professors. Mertens schien es überhaupt nicht zu bemerken. »Wir müssen es nochmals versuchen«, ordnete Mertens mit rauer Stimme an. »Wir müssen es wagen, wollen wir den Teufelsmönch besiegen und deine Geschwister wieder ins Leben zurückrufen. Los, Morgan! Nimm meine Hand! Wir nehmen einen neuen Anlauf.« Wieder gingen sie auf das silberne Rechteck zu. Erneut begann sich der silberne Glanz zu verflüchten, doch diesmal blieb das Dampfen und Brodeln aus. Eine große schwarze Öffnung tat sich auf und gähnte den beiden Männern entgegen. Morgan und Mertens standen dicht davor. Panische Angst lahmte Morgans Glieder. Er spürte den Hauch des Bösen, er nahm ihn fast körperlich wahr. Professor Mertens erging es nicht anders. Der Professor streckte - alle Vorsichtsmaßregeln missachtend, seine Hand nach vom, die in der schwarzen Öffnung verschwand. Er spürte augenblicklich ein ziehendes Gefühl, das sich über seinem ganzen Körper ausbreitete. Eine kalte Hand schien sich um sein schnell schlagendes Herz zu legen. Er warf erneut einen gefassten Blick auf Morgan Bancroff. 56
Der junge Mann zögerte noch immer. Seine Augen waren vor Grauen geweitet und ein nervöses Zucken lief über sein verzweifeltes Gesicht. Professor Mertens zog seine Hand zurück. Sie kam ihm auf einmal sonderbar fremd und kalt vor, so als gehörte sie überhaupt nicht mehr zu ihm. Dann holte er tief Luft. »Also los, Morgan. Wagen wir den Versuch, in das Reich der Finsternis vorzudringen. Wird schon schief gehen«, lächelte er. Das heißt, seine Lippen lächelten, in seinen Augen aber stand nackte Angst. Die beiden Männer stiegen gleichzeitig in die dunkel gähnende Öffnung. Dann waren sie von einem Augenblick zum anderen verschwunden. * Hooros, der Teufelsmönch, hämmerte mit seinen knochigen Fäusten gegen die unsichtbare Schranke, die ihn daran hinderte, in die Höhle einzudringen. Seine gellende Stimme überschlug sich. Immer wieder stieß er laute Beschwörungen aus, die jedoch im Winde verwehten, ohne die hemmende Barriere beseitigen zu können. Die Beschwörungen gingen in Flüche und Verwünschungen über. Hooros wich zurück. Sein flackernder Blick fiel über das vom bleichen Mondlicht erhellte Land. Er reckte seine dürren Arme gegen den Himmel und schüttelte seine Fäuste. Wieder versuchte er durch die unsichtbare Scheidewand zu gelangen, doch sie hielt auch diesmal seinem Ansturm stand. Hooros kehrte um. Mit schleppenden Schritten trat er den Rückweg zur Gruft an. Er sah nicht die drei Nebelgeister, die in großer Entfernung über ihm schwebten. Er merkte auch nicht, dass in diesem Moment die unsichtbare Energiebarriere in sich zusammenbrach. 57
Die drei Nebelgeister Susan, John und George Bancroff hatten ihre vorläufige Aufgabe erfüllt. Hooros verschwand in der verfallenen Kapelle. Der Morgen begann zu grauen. Eine dichte Nebelwand hüllte die Landschaft ein, machte die bizarre Gegend noch unwirklicher. Der Teufelsmönch legte sich in den steinernen Sarkophag. Als das erste Tageslicht zu den efeuumrankten Fensterhöhlen hereinfiel, erstarrte Hooros' Körper. Erst wenn die dunklen Schatten der Nacht wieder über das Land fielen, würde er erneut zu seinem unheimlichen Leben erwachen. * Ein greller Schmerz durchfuhr Morgan Bancroffs Körper. Jeder Nerv und jede Faser seines Körpers wurden davon betroffen. Morgan wollte seinen Schmerz hinausschreien, doch kein Laut kam über seine Lippen. Um ihn herum herrschte Dunkelheit. Nur langsam ebbte der furchtbare Schmerz ab. Morgans Hände tasteten seine Umgebung ab. Endlich stießen sie auf einen weichen Gegenstand. Eine Hand schloss sich um seinen Arm. Keuchender Atem drang an sein Ohr. Dann vernahm er Professor Mertens' Stimme. Sie klang wie von fern, obwohl er ihn dicht neben sich spürte. Erkennen konnte Morgan immer noch nichts. Vielleicht bin ich blind geworden, dachte er. Dieser schreckliche Gedanke wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf. »Ich kann nichts sehen«, raunte Mertens an seiner Seite. »Ich auch nicht«, klagte Morgan. Beide Männer hielten sich jetzt an den Händen. Mit tastenden Schritten setzten sie sich in Bewegung. Der Boden unter ihren Füßen fühlte sich sonderbar weich, beinahe geschmeidig an. Kein Geräusch war zu vernehmen. Es schien, als befänden sie sich in einer schalldichten Kammer. 58
Langsam liefen sie weiter. Immer noch war diese gnadenlose Dunkelheit um sie herum. Mertens stockte plötzlich. Sein keuchender Atem wollte sich nicht beruhigen. Ein unheimlicher Druck lastete auf seinem Herzen. Ein verzweifeltes Stöhnen drang aus seiner Kehle. Morgan Bancroffs Hand krallte sich um Mertens' Arm. »Was ist, Professor?«, fragte er. Seine Stimme zitterte vor Erregung. »Mein Herz«, ächzte Mertens. »Ich habe mir wohl zuviel zugemutet. Hoffentlich mache ich nicht schlapp.« Sekunden formten sich zu endlos erscheinenden Minuten. Nur langsam beruhigte sich Mertens' Atem. Nach einiger Zeit schritten die beiden Männer weiter in die Dunkelheit hinein. Plötzlich glaubte Morgan einen schwachen Lichtschein zu vernehmen. Er schöpfte Hoffnung. »Da vorn«, stieß er hervor. »Es wird hell, Professor. Können Sie es auch sehen?« Professor Mertens knurrte eine Zustimmung. Die Männer beschleunigten ihre Schritte. Das schwache Licht wurde stärker. Morgan und Mertens standen bald vor einer zuckenden Flamme, die geradewegs aus dem Boden zu schlagen schien. Sie beleuchtete nur den näheren Umkreis. Morgan konnte deshalb nicht viel erkennen. Ihm war aber, als würden sie sich in einer riesengroßen Höhle befinden. Sie starrten wie gebannt auf die lodernde Flamme, die ihre Form zu verändern begann. Sie wurde immer größer, die Hitze, die von ihr ausging, immer intensiver. Morgan und der Professor zogen sich aus ihrem Bereich zurück. Ihre Gesichter waren angstverzerrt. Die zuckende Flamme warf unheimliche Schatten, die über den Boden auf die beiden Männer zu gekrochen kamen. 59
Plötzlich fiel die Flamme in sich zusammen. Rauch begann sich zu bilden und schwebte träge heran. Morgans Hand umklammerte die Pistole, obwohl er ahnte, dass es hier an dieser Stätte kaum einen Wert haben würde, zu schießen. Der weiße Rauch wallte immer stärker. Wirbelnde Schleier bildeten sich, die die beiden Männer umhüllten. Dann formten sich die Rauchschwaden wieder zu einer Einheit. Ein menschenähnliches Wesen bildete sich heraus. Mertens und Bancroff klammerten sich vor Furcht aneinander fest. Sie ahnten das Kommende und fühlten, dass es grauenvoll werden würde. Das Rauchwesen hatte jetzt die Formen eines Menschen angenommen. Der breite Mund öffnete sich. »Willkommen im Reich der Finsternis«, dröhnte eine laute Stimme in ihren Gedanken. »Willkommen ihr Sterblichen. Ich bin Tauurus, der Wächter. Sagt mir eure Wünsche. Ich werde die Entscheidung fällen, ob ihr bleiben dürft, oder in die ewige Verbannung geschickt werdet!« Morgan schnappte wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft. Nur mit Mühe konnte er seine wirbelnden Gedanken zusammennehmen. Doch der Professor hatte sich schon gefangen. »Wir suchen den Kelch des heiligen Feuers«, klang seine nervöse Stimme auf, die sich merkwürdig dünn anhörte. Das Rauchwesen begann zu lachen. Bösartig donnerte seine Stimme dann auf. »Den Kelch des heiligen Feuers sucht ihr. Ihr seid auf der richtigen Spur, doch ihr werdet es niemals schaffen!« Morgan Bancroffs Hände ballten sich zu Fäusten und seine Lippen pressten sich hart aufeinander. Die Enttäuschung war grenzenlos. Das Rauchwesen fuhr fort: »In dieser Welt herrschen andere Gesetze, die ihr euch in den kühnsten Träumen nicht vorstellen könnt. Noch niemals ist es einem Sterblichen gelungen, die fünf Prüfungen zu bestehen, um den Kelch des heiligen Feuers in Besitz zu nehmen. Noch habt ihr Zeit, umzukehren.« Morgan schob sich nach vorn. 60
»Wir müssen den Kelch haben«, beharrte er leise. »Ich muss den Fluch des Teufelsmönches brechen, sonst sind meine drei Geschwister für alle Zeit verloren.« Das Rauchwesen wogte lebhafter. Ein spöttisches Gelächter ertönte in den Gehirnen von Morgan und Mertens. »Ich kenne die Geschichte von Hooros, dem Teufelsmönch«, klang es dann dröhnend auf. »Er versuchte selbst schon mehrmals in unser Reich einzudringen, doch es gelang ihm nicht. Auch er wollte sich in den Besitz des Kelches setzen. Doch Hooros hat einen Pakt mit dem Satan geschlossen, der hier im Reich der Finsternis keine Gültigkeit hat.« Dann schwieg das Rauchwesen eine Weile. Unruhig wogte es vor den beiden Männern auf und ab, hin und her. »Ich habe euch gewarnt. Versucht euer Glück! Wenn ihr die fünf Prüfungen besteht, bekommt ihr den Kelch des heiligen Feuers. Außerdem könnt ihr dieses Reich der Geister und Dämonen wieder verlassen. Der Kelch wird dann innerhalb von zwei Stunden verglühen. Versucht euer Glück!« Tauurus, das Rauchwesen, zerflatterte. Gleich darauf war wieder die lodernde Flamme zu sehen, die geradewegs aus dem Boden zu schlagen schien. Professor Mertens fuhr sich unruhig über sein Haar. Hinter seinen zusammengekniffenen Augen arbeitete es fieberhaft. Er versuchte zu lächeln, doch es blieb bei dem Versuch. »Wollen wir weiter?«, fragte er dann. Große Zweifel klangen in seiner Stimme mit. Morgan nickte entschlossen. »Sie können umkehren, Professor«, bot er Mertens an. »Ich versuche es allein. Vielleicht wäre es mir sogar lieber, Sie kehrten um, Professor.« Mertens lächelte nur schwach. »Gehen wir also weiter, Morgan. Irgendwie schaffen wir es schon. Diese Geister und Dämonen in der Welt der Finsternis scheinen uns wohl gesonnen zu sein, denn sonst hätten sie uns schon längst getötet. Hier in dieser Welt leben gute Geister, im Gegensatz zu der Welt 61
der Verdammnis, wo Dämonen hausen. Wir müssen nur diese fünf
Prüfungen bestehen, die uns Tauurus ankündigte. Nur Mut, Morgan. Noch ist nichts verloren.« Morgan Bancroff lächelte müde. Er starrte auf die lodernde Flamme, die die Umgebung gespenstisch erhellte. Vor und hinter ihnen lag die bodenlose Finsternis, die sich wie ein schwarzer Mantel über alles ausbreitete. Dem jungen Mann war nicht wohl in seiner Haut. Der Professor setzte sich entschlossen in Bewegung. Morgan folgte ihm ebenso zielstrebig. Die lodernde Flamme leuchtete ihnen noch ein Stück des Weges, bis sie endgültig erloschen war. Die Finsternis war wieder absolut und deshalb grauenvoll. Morgan vernahm den keuchenden Atem von Mertens neben sich und das hielt ihn davon ab, aus Panik irgendetwas Irres zu tun. Sonst war kein Geräusch zu vernehmen. Ihre Schritte versickerten in dem elastischen Material des Bodens. Sie wussten nicht, wie lange sie gegangen waren. Sie hatten jegliches Gefühl für Zeit und Raum verloren. Plötzlich breitete sich vor beiden Männern ein gleißender Lichtschein aus, der sich ihnen rasch näherte. Morgan glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Das Wesen war riesengroß, zerfloss immer wieder zu neuen Formen und wogte wie eine gigantische Nebelwand. Bancroff wandte sich an den Professor, der mit bleichem Gesicht auf das Ungetüm starrte, das sich jetzt träge heranwälzte und das im Augenblick an ein vorsintflutliches Reptil erinnerte. Flammen fuhren aus den großen Nasenflügeln. Hitze begann sich auszubreiten. Professor Mertens und Morgan schauten sich um. Vor und hinter ihnen lag eine unendlich erscheinende Ebene, die keinerlei Schutz oder Deckungsmöglichkeiten bot. Das Wesen stieß ein urweltliches Schnauben aus. Wieder brachen große Flammenzungen aus den Nüstern hervor. Die Hitze wurde unerträglich. Sie machte den beiden Männern zu schaffen. 62
Morgan und Mertens begannen zu laufen. So schnell sie ihre Füße trugen, versuchten sie aus der Reichweite der tödlichen Feuerzunge zu kommen. Doch es schien so, als würden die beiden Männer keinen Zentimeter von der Stelle kommen. Hinter ihnen donnerte lautstarkes Gelächter auf. Das Wesen war jetzt nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt. Der junge Mann starrte in die roten und tückisch funkelnden Augen des Ungeheuers. Er hielt den Atem an. Professor Mertens gab das Laufen auf. Seine Brust hob und senkte sich mühsam. Um seine Mundwinkel hatte sich wieder weißer Schaum gebildet. Und noch einmal brandete das höhnische Gelächter der Kreatur auf. Jeden Augenblick konnten aus den breiten Nüstern wieder große Flammenzungen hervor schießen. Dann würde es um die beiden wagemutigen Männer geschehen sein. Sie würden wie lebende Fackeln verbrennen und verglühen. Sekunden vergingen unendlich langsam. Professor Mertens' Mund war weit aufgerissen, doch kein Laut kam über seine zitternden Lippen. Plötzlich veränderte das Wesen seine Gestalt. Aus dem riesenhaften Ungeheuer formte sich die verschwommene Gestalt eines menschenähnlichen Wesens. »Ich bin Zerpuur«, klang es in den Gedanken der beiden Männer auf. »Ich kann euch nicht gestatten, die große Ebene zu überqueren. Kehrt um, dann will ich euch euer erbärmliches Leben schenken!« Morgan schüttelte nachdrücklich den Kopf. Er machte wie ein Kind ein trotziges Gesicht. Nein, dachte er. Nein - wir müssen die große Ebene überqueren.
Wir brauchen den Kelch des heiligen Feuers. Nur er kann meine Geschwister vor Hooros, dem Teufelsmönch, retten!
Zerpuurs zerfließende Gestalt schwebte dicht über dem dunklen Boden. 63
»Dann werde ich euch töten. Ihr werdet in die ewige Verdammnis eingehen. Kehret um! Das ist meine letzte Warnung gewesen. Kehret um!« Professor Mertens schob sich vor Morgan. Seine fiebrigen Augen richteten sich auf das Monstrum. Er griff in seine Tasche und holte einen Gegenstand hervor, den er Zerpuur entgegenhielt. Es war ein geweihtes silbernes Kreuz. Zerpuurs fließende Gestalt begann, sich wie ein Wirbelwind zu drehen und drohte, die Herrschaft über seine jetzige Gestalt zu verlieren. Ein gellender Aufschrei erfüllte die Gedanken der beiden Männer. Der Professor machte mutig einige Schritte auf das Geisterwesen zu. Immer noch hielt er das Kruzifix in seiner geballten Faust. Zerpuur wich zurück. Das Kreuz in Professor Mertens' Faust begann plötzlich wie glühendes Metall zu brennen. Große Schweißperlen standen auf seiner Stirn und rieselten ihm über das Gesicht, das sich zu einer schmerzerfüllten Grimasse verzogen hatte. Der Professor wankte. Doch dann ging ein Ruck durch seinen Körper. Seine Hand umklammerte noch fester das Kreuz. Er gab nicht auf. Das Kruzifix glühte. Ein Wunder war, dass das Silber nicht zerfloss. Mertens' Hand musste in der Innenfläche vollkommen verbrannt sein. Das Wesen bewegte sich in immer schnellerem Wirbel. Ein schrilles Pfeifen lag plötzlich in der Luft. Es steigerte sich zu einer schwindelerregenden Dissonanz. Morgan hielt sich die Ohren zu. Er glaubte, dass eine feurige Zange sich in sein Gehirn bohrte. Mit einem Mal war Zerpuur verschwunden. Zurück blieb ein verwehender Nebelschleier, der sich allmählich ganz auflöste. Professor Mertens stand wie erstarrt. Die Augen waren ihm fast aus den Höhlen getreten. Noch immer hielt er das Kreuz in seiner Hand, das jetzt die rot glühende Farbe verlor und wieder in einem kalten silbernen Glanz erstrahlte. Morgan trat näher. Er rüttelte Mertens an der Schulter. Der Professor zuckte zusammen. Morgan nahm ihm das Kreuz aus der Hand. 64
Mertens blickte auf seine verbrannte und übel aussehende Hand. Doch plötzlich ging eine rasche Veränderung vonstatten. Die grauenhafte Wunde schloss sich innerhalb weniger Augenblicke. Nichts deutete mehr auf die schwere Verbrennung hin. Der Professor schluckte mehrmals. Langsam bekam sein Gesicht wieder eine halbwegs normale Farbe. Er wischte sich mit einer fahrigen Geste übers Gesicht. Sein staunender Blick traf Bancroff. »Die Schmerzen sind verschwunden. Alles scheint wieder in Ordnung zu sein.« Professor Mertens' Stimme klang ganz normal. Immer wieder musterte er seine Hand. Jetzt bemerkten die beiden erst, dass die absolute Dunkelheit in ein sanftes Leuchten übergegangen war. »Die erste Prüfung hätten wir bestanden«, murmelte Mertens. »Wie wird es weitergehen?« Diese Frage stellte sich Morgan Bancroff ebenfalls. Er wusste keine Antwort darauf. * Wieder hatte sich die Nacht über das zerklüftete Land gesenkt. Wild wogten die Wasser gegen die steilen Felsen der Küste. Nebelschwaden wallten überwiesen und Sümpfen. Schwarze dunkle Wolken schoben sich heran und brachten die funkelnden Sterne zum Verlöschen. Hooros, der Teufelsmönch, hatte den Sarkophag und die verfallene Kapelle verlassen. Er wankte zwischen den hohen Felsen hindurch und näherte sich dem dunkel gähnenden Eingang der Höhle. Die Energiesperre war verschwunden. Zufrieden knurrend bewegte der Teufelsmönch sich den schmalen Gang entlang und erreichte den Innenraum der Höhle. Sofort setzte seine beschwörende Stimme ein. Das silberglänzende Rechteck begann sich zu bilden. Die Stimme des lebenden Toten wurde noch schriller. Ein beißender Schwefelgestank ging von ihm aus. 65
Langsam näherte er sich dem funkelnden Spiegel, dessen Oberfläche ruhig war. Hooros schob sich näher und näher heran. Leicht berührten seine knochigen Finger die wie Silber aussehende Oberfläche des Rechtecks. Nichts geschah. Hooros heulte zufrieden auf. Dann versuchte er sich in das Rechteck hineinzuzwängen. Für einen Augenblick lang schien es, als würde ihm das gelingen. Doch plötzlich wurde der Teufelsmönch aus der entstandenen Öffnung zurückgeschleudert. Wild schreiend torkelte er mehrere Meter zurück und krachte schwer gegen die harte Felswand. Der ganze Körper des lebenden Toten brannte in einem teuflischen Feuer. Zuckende Flammen schlugen aus dem Tor, das in das Reich der Finsternis führte. Sie trafen den aufschreienden Teufelsmönch, der jetzt wieder auf die Füße kam und immer noch brüllend die Höhle verließ. Er taumelte den engen Gang entlang und erreichte nach kurzer Zeit den Ausgang. Das Glühen verschwand. Hooros, der Teufelsmönch, lehnte sich gegen die schwarze Felswand. Heisere Beschwörungen kamen aus seinem weit aufgerissenen Mund. Schwefelgelbe Blitze gruben sich in den wolkenverhangenen Himmel. Berstender Donner rollte über das Land. Der lebende Tote breitete beide Arme gegen den Himmel. Seine Worte gingen im jaulenden Wind unter. Dann drehte sich der Teufelsmönch um und wankte zu der halbzerfallenen Kapelle zurück. Gleich darauf war er verschwunden. * Ein sanftes Leuchten umfing sie. Die beiden Männer konnten nicht erkennen, woher dieser Schein kam. Er war einfach da. 66
Sie blickten sich ratlos an. Schließlich setzten sie sich wieder in Bewegung. Der Boden unter ihren Füßen schien fester geworden zu sein. Plötzlich sahen sie eine Gestalt, die aus dem Boden zu wachsen schien. Es war eine Frau. Sie war wunderschön und vollkommen nackt. Langes blondes Haar umwallte ihre makellosen Schultern wie aufgewühlte Wogen eines Sees. In dem ebenmäßigen, ovalen Gesicht saßen zwei verführerisch blickende Augen. Die sinnlichen Lippen strahlten eine starke Anziehungskraft aus. Üppige Brüste, eine schmale Taille und lange wohlgeformte Beine machten sie begehrenswert. Morgan Bancroff und der Professor waren stehen geblieben und starrten staunend auf diese wunderschöne Frau. Mit aufreizenden Bewegungen glitt die Frau langsam näher. Wenige Schritte vor den beiden Männern verhielt sie. Die roten, vollen Lippen verzogen sich zu einem betörenden Lächeln. Sie lockte mit ihren Augen. Morgan gab ihr unbewusst das Lächeln zurück. Er machte einen Schritt auf sie zu. »Willkommen, meine Freunde«, gurrte die Stimme der nackten Frau. »Ich bin Liaasa. Ich habe seit Ewigkeiten auf euch gewartet. Kommt mit mir. Ich verspreche euch alle Herrlichkeiten dieser Welt. Kommt mit mir.« Liaasa streckte beide Arme aus und es schien, als wollte sie Morgan umarmen. Bancroff starrte wie gebannt auf die schöne Frau. Sein Gesicht hatte sich gerötet. Er hob jetzt wie in Trance beide Arme und machte alle Anstalten, der wunderschönen nackten Frau entgegenzugehen. Der Professor hielt ihn am Jackenärmel zurück. »Bleib stehen, du Narr«, grollte er. »Das ist nichts anderes als eine Falle. Sie will uns nur von unserem Ziel abbringen. Bleib hier, Morgan!« 67
Professor Mertens hatte laut gesprochen. Morgan schien ihn aber nicht zu hören. Wie hypnotisiert bewegte er sich auf die Frau zu. Er kam ihr so nahe, dass er sie beinahe berührte. Professor Mertens riss Morgan mit aller Kraft zurück. Bancroff zuckte zusammen. Sein unwilliger Blick traf Mertens, der ihn jetzt hart an der Schulter rüttelte. »So nimm doch Vernunft an, mein Junge«, zischte der Professor. »Es ist nur gut, dass ich schon einige Jahre älter bin. So ein Superweib kann mir nichts mehr anhaben. Denk daran, warum wir hier sind, Morgan!« Morgan schluckte mehrmals. Er konnte den Blick nicht von Liaasa wenden. Er stand in ihrem Bannkreis. Die Frau lachte spöttisch. Wieder reckte sie ihren geschmeidigen Körper. Es war eine einzige Herausforderung an den jungen Mann. »Komm, Morgan Bancroff«, hauchte sie. »Komm, ich werde dir das Paradies zeigen und alle deine geheimsten Wünsche erfüllen. Komm, mein Liebling. Komm.« Wieder riss Mertens seinen jungen Freund zurück, der sich anschickte, Liaasas Lockruf zu folgen. Aus Morgans Kehle kam ein heiseres Fauchen. Einen Augenblick lang schien es, als wolle er den Professor niederschlagen, doch dann sank seine schon zum Schlag erhobene Faust langsam herunter. Morgan biss sich auf die Lippen. Ein dünner Blutfaden sickerte über sein Kinn. Es schien, als habe ihn der Schmerz wieder in die Wirklichkeit zurückgerufen. Mertens schob sich vor Morgan. »Verschwinde«, knurrte er. »All deine Schönheit nützt dir nichts. Wir suchen den Kelch des heiligen Feuers und nichts wird uns davon abhalten können. Lass uns gehen, Liaasa!« Das strahlende und lockende Lächeln in dem ebenmäßigen Gesicht der schönen Frau war verschwunden. In den dunklen Augen begann es gefährlich zu funkeln. Plötzlich ging eine schreckliche Verwandlung mit Liaasa vor. 68
Innerhalb weniger Augenblicke wurde sie zu einem steinalten Weib. Der runzlige Körper bot einen grauenhaften Anblick. Der Kopf erinnerte an einen grinsenden Totenschädel. Skelettartige Hände reckten sich den beiden Männern entgegen. Aus Morgans Kehle brach ein gellender Aufschrei. Der junge Mann taumelte zurück. Mit ungläubigen Augen starrte er auf die jetzt wie eine Mumie aussehende Frau. Auch Professor Mertens wich zurück. »Ich habe es geahnt«, flüsterte er immer wieder. »Ich habe es geahnt. Diese junge, schöne und so begehrenswerte Frau ist nichts anderes als eine Illusion gewesen. Los, komm, Morgan, wir müssen weiter.« Er zog den noch immer stöhnenden Morgan Bancroff mit sich fort. Sie warfen keinen Blick mehr zurück, sahen nicht, wie Liaasa zusammenbrach. Sie zersplitterte wie Porzellan. Gleich darauf blieb nichts mehr von ihr übrig als verwehender Staub. »Das ist die zweite Prüfung gewesen«, keuchte Mertens. »Diese Geister und Dämonen werden alles daran setzen, um uns von unserem Ziel abzubringen. Doch wir dürfen nicht aufgeben. Zuviel hängt davon ab.« Morgan Bancroff nickte verwirrt. Das Erlebnis der letzten Minuten beschäftigte ihn sehr. Immer noch fühlte er die starke Suggestion, die von der schönen Frau ausgegangen war. Die endlos erscheinende Ebene vor ihnen erhellte sich. Doch so weit sie blicken konnten, war niemand und nichts zu sehen. Doch die nächste Prüfung wartete schon auf die beiden mutigen Männer. * Schwerelos schwebten die drei kleinen Wölkchen über den nachtdunklen Himmel. 69
Susan hatte sich endgültig mit ihrer neuen Daseinsform abgefunden. Mühelos konnten sie den vergeistigten Formen ihrer Brüder folgen. Die drei Nebelgeister schwebten nur wenige Meter über der verfallenen Kapelle. Deutlich konnten sie Hooros' teuflische Ausstrahlung spüren. Der Teufelsmönch war außer sich. Nachdem seine Versuche, in das Reich der Finsternis einzudringen, gescheitert waren, versuchte er es mit verschiedenen Beschwörungen, um doch noch sein Ziel zu erreichen. Die drei Nebelgeister wurden unruhig. Langsam senkten sie sich tiefer hinab, versuchten die diabolischen Beschwörungen des Teufelmönches schon im Keime zu ersticken. Doch plötzlich nahm Hooros ihre Gegenwart wahr. Wie welke Blätter im Sturmwind wurden sie davon gewirbelt. Sie konnten der hämischen Wirksamkeit des Teufelsmönches keinen Widerstand entgegensetzen. Fast schmerzhaft verspürten sie Hooros' gellendes Hohngelächter in ihren Gedanken. Die drei Nebelgeister schwebten dicht nebeneinander, als wollten sie einander trösten. Verzweiflung machte sich in ihnen breit. »Seine Macht ist stärker und größer als unsere«, dachte George Bancroff. »Wir werden ihm immer wieder unterliegen.« »Wir haben Morgan schon viel geholfen«, klang es von John auf. »Ohne uns wäre es ihm nie gelungen, in das Reich der Finsternis zu gelangen.« »Er wird es schaffen«, verkündete Susan. »Ich fühle es. Er und der Professor werden mit den Geistern und Dämonen fertig werden. Sie bringen den Kelch des heiligen Feuers mit auf diese Welt und werden Hooros besiegen. Dann wird der Fluch für alle Zeiten von uns genommen werden.« Die drei vergeistigten Wesen schwiegen. Immer noch schwebten sie über der verfallenen Kapelle, obwohl sie sich weit in die Stratosphäre geschwungen hatten, wo Hooros sie mit seiner gnadenlosen und bösen Macht nicht mehr erreichen konnte. 70
Doch sie würden nicht aufgeben und immer wieder gegen den Teufelsmönch vorgehen. * Das Licht schien direkt aus dem Boden zu dringen. Die Helligkeit tat ihren Augen gut. Doch so weit ihr Blick auch reichte, Morgan und Professor Mertens konnten kein Ende der großen Ebene absehen. Die beiden Männer verhielten im Schritt. Mertens lächelte müde und fuhr sich über sein eingefallenes Gesicht. Die letzten Stunden hatten ihm zugesetzt. »Wir sollten die Anti-Hypnose-Tabletten jetzt wieder einnehmen«, mahnte Morgan. »Die acht Stunden sind bald um.« Mertens nickte und zog das Tablettenröhrchen aus seiner Tasche. Die beiden Männer nahmen je eine Tablette. Da sie keine Flüssigkeit zur Verfügung hatten, blieben sie ihnen in der Kehle stecken. Morgan würgte und schluckte mehrmals. Professor Mertens erging es nicht viel anders. Morgan Bancroff blickte über die weite Ebene. »Je näher wir dem Kelch kommen, desto heller scheint es zu werden«, stellte er nach einiger Zeit fest. »Doch ich glaube, dass wir noch lange nicht am Ziel sind.« Der weißhaarige Professor nickte und setzte sich wieder in Bewegung. »Was wird noch alles auf uns zukommen?«, murmelte er bedrückt. »Die Geister und Dämonen hier werden alles daran setzen, um uns von dem gesteckten Ziel abzubringen.« Morgan dachte an Liaasa und fragte sich, welche Illusionen die Geister im Reich der Finsternis ihnen noch vorgaukeln würden. Die beiden Männer stockten mitten im Schritt. Scheinbar war es wieder soweit. Weit in der Ferne bildete sich eine riesengroße Nebelwand, die wild durcheinander wogte. Jetzt wurde sie von schwefelgelben Blitzen 71
zerrissen. Ohrenbetäubender Donner schallte auf und ließ die beiden Männer zusammenzucken. Die immer dunkler werdende Nebelwand schob sich langsam heran. Sie verschluckte das gleißende Licht des Bodens. Es wurde rasch dunkel. Morgan biss sich auf die Lippen. Das Gesicht von Professor Mertens war grau geworden. Wieder zuckten gewaltige Blitze auf, die die Nebelwand durchstießen und auf die beiden Männer zugerast kamen. Nur wenige Schritte von ihnen entfernt fuhren sie in den Boden. Ein bestialischer Gestank machte sich breit. Morgan und der Professor rangen nach Atem. Wieder fuhr ein Blitz aus der Nebelwand hervor. Dicht vor Morgan schlug er ein. Der junge Mann wurde einige Meter zurückgeschleudert. Taumelnd kam er wieder auf die Beine. Mertens stand wie gebannt. Er wurde von einem Blitz getroffen. Seine Gestalt leuchtete wie eine Fackel auf. Sein Schrei übertönte sogar den heranbrausenden Donner. Morgan wankte einige Schritte auf die leuchtende Fackel zu, die einmal Professor Mertens gewesen war. In diesem Moment sah er einen Blitz von gigantischer Größe auf sich zukommen. Abwehrend streckte er beide Hände nach vorn. Doch alles nützte ihm nichts. Ein grauenhafter Schmerz zuckte durch seinen Körper. Überall verspürte er eine ungeheuere Hitze. Die Umgebung verschwand vor seinen Blicken. Morgan schrie und schrie. Seine Stimme klang aber sonderbar dumpf und hohl. Plötzlich sah er vor sich eine schreckliche Gestalt, die einem Alptraum entsprungen zu sein schien. Es war ein Gigant. Die Gestalt ruhte auf riesigen Säulenbeinen, auf denen ein massiger Körper wuchtete. Morgan kam sich im Vergleich wie eine Ameise vor. Aus den Augen des Riesen zuckten wilde Blitze, die Morgan immer wieder trafen. 72
Der junge Mann konnte jedoch keinen Schmerz mehr verspüren. Alles in ihm schien wie abgestorben zu sein. Der Riese schüttelte jetzt seinen gewaltigen Schädel. Seine strähnigen Haare flogen. Der Mund öffnete sich und Worte, die wie Donnergrollen dröhnten, drangen an Morgans Ohren. »Du bist tot, Morgan Bancroff. Dein Körper ist zu Asche verbrannt, die sich längst in alle Winde zerstreut hat. Du wirst niemals den Kelch des heiligen Feuers erreichen. Du und dein Partner haben verloren!« Ein donnerndes Lachen folgte. Morgan wurde von einem wilden Entsetzen geschüttelt. Alles in ihm sträubte sich gegen die Worte des Riesen. »Nein«, hörte er sich sagen. »Nein, ich lebe. Du kannst mich nicht einschüchtern. Ich werde den Kelch erreichen. Ich bin es meinen Geschwistern schuldig. Ich habe dein grausames Spiel längst durchschaut. Ich lebe.« Morgan wunderte sich über seine Stimme, die seltsam gefasst durch die eingetretene Stille schallte. Der Riese lachte wieder spöttisch auf. Er trat einen Schritt nach vorn. Der Boden bebte. Plötzlich beugte er sich zu Morgan herunter, der zurückwich und sich jetzt seines Körpers wieder voll bewusst war. Er verspürte keinerlei Schmerzen. Die gewaltige Hand des Riesen schraubte sich um den jungen Mann und hob ihn hoch. Dicht vor sich sah er die blitzenden Augen des Ungetüms und auch den breiten, mit dolchähnlichen Zähnen ausgestatteten Mund. Der klaffende Spalt des Mundes kam immer näher. Beißender Schwefelgestank nahm Morgan den Atem. Hilflos zappelte er in der Hand des Riesen. Wieder klang dröhnendes Gelächter des Ungetüms auf, zerriss beinahe Morgans Trommelfelle. Dann warf ihn der Riese einfach in die Luft. Sich immer wieder überschlagend, flog Morgan empor. Der Riese wurde kleiner und immer kleiner. Eisiger Wind pfiff dem jungen Mann um die Ohren. 73
Seine gellenden Schreie verhallten ungehört. Dann fiel Morgan Bancroff. Der Sturz wurde schneller. Der Boden kam immer näher. Innerhalb weniger Augenblicke musste der Aufprall erfolgen. Morgan schloss die Augen. Panik ließ seinen Körper erbeben. »Ich will leben«, schrie er. »Leben - leben!« Kurz vor dem Aufprall wurde der rasende Sturz urplötzlich abgebremst und ging in ein sanftes Schweben über. Wohlbehalten erreichte Morgan den Boden. Noch ein wenig unsicher machte er zögernd die ersten Schritte. Er blickte sich um. Von dem Riesen war nichts mehr zu sehen. Die riesige Nebelwand war verschwunden. Dafür entdeckte er Professor Mertens, der wenige Schritte von ihm entfernt am Boden saß, jetzt den Kopf hob und ihn mit einem müden Blick ansah. Morgan taumelte auf ihn zu. Mertens streckte ihm hilfesuchend eine Hand entgegen. Der junge Mann half dem Professor auf die Beine. Die beiden Männer schwiegen. Nur langsam beruhigten sich ihre aufgepeitschten Nerven. Doch noch lange zitterte Morgan am ganzen Körper. »Wieder eine neue Prüfung«, murmelte Mertens. »Diese Dämonen gaukeln uns die Schrecken der Hölle vor. Wir dürfen nur nicht unser Ziel aus den Augen lassen. Diese Kraft wird uns vor diesen Geistern bewahren.« Morgan Bancroff nickte niedergeschlagen. »Gehen wir weiter, Professor. Es ist schrecklich gewesen. Ich habe Angst, dass wir den Verstand verlieren könnten. Kein normaler Mensch kann diese Dinge noch lange verkraften.« Mertens zuckte mit den Schultern. Was sollte er auch darauf antworten? Die beiden Männer setzten sich in Bewegung. Die Helligkeit nahm zu. Doch der Kelch des heiligen Feuers war noch fern. 74
* Die glühende Lohe des Feuers flackerte auf. Hooros, der Teufelsmönch, verneigte sich mit beschwörenden Gesten. Monoton klang seine Stimme auf. Die lodernden Flammen zuckten wie wild. Hooros griff hinter sich und entnahm einer silbern glänzenden Dose eine Handvoll Staub, die er in das Feuer warf. Noch stärker züngelten die Flammen auf. Eine große Rauchwolke begann sich zu bilden. Der Teufelsmönch wich einige Schritte zurück. Dann verneigte er sich erneut. Die weiße Wolke wogte hin und her. Plötzlich bildete sich eine menschenähnliche Gestalt heraus. Das Gesicht war hässlich und erinnerte an einen Frosch. Die funkelnden Augen richteten sich auf den Teufelsmönch. »Du hast mich gerufen«, klang eine flüsternde Stimme auf. »Hier bin ich, Hooros und stehe zu deinen Diensten!« Die Augen des lebenden Toten glühten zufrieden. Ein teuflisches Lächeln legte sich um seine welken Lippen. »Ich gebe dir den Befehl, in das Reich der Finsternis einzudringen. Dort befinden sich zwei Sterbliche, die den Kelch des heiligen Feuers suchen. Du wirst diese beiden Menschen töten. Führe meinen Auftrag aus. Der Lohn der Hölle wird dir sicher sein.« Der Dämon mit dem Froschgesicht verneigte sich, wurde dann wieder zu einer Rauchwolke, die sich innerhalb weniger Augenblicke aus der verfallenen Kapelle verzog. Hooros sank in die Knie. Seine glühenden Augen richteten sich auf die zuckenden Flammen. Wieder klangen monotone Beschwörungen auf. Der Dämon mit dem Froschgesicht befand sich auf dem Weg ins Reich der Finsternis. Würde Hooros' verzweifelte Attacke den gewünschten Erfolg bringen? 75
* Beide Männer erstarrten. Eine weiße Rauchsäule bildete sich nur wenige Schritte von ihnen entfernt. Aus dem wirbelnden Rauch wuchs die übergroße Gestalt eines menschenähnlichen Wesens. Das Gesicht glich dem eines Frosches. Eine grauenhafte Kälte strömte von dem Wesen aus. In den funkelnden Augen blitzte es hasserfüllt auf. Langsam schwebte es näher. Morgan und Mertens wichen zurück. Doch plötzlich waren sie wie gelähmt. Sie konnten keinen Muskel ihres Körpers mehr bewegen. Angst fraß sich in ihre Gehirne. Der Dämon mit dem Froschgesicht verhielt jetzt dicht vor ihnen. Ein unangenehmer Geruch ging von dem Teufelswesen aus. Seine Blicke bohrten sich in die Augen der beiden Männer. Morgan hatte plötzlich das Gefühl, zu einem Eisklotz geworden zu sein. Sein Herzschlag wurde immer langsamer. Ein zunehmendes Schwindelgefühl machte sich in ihm breit. Er starrte in die riesengroß gewordenen Augen des Dämons. Er hatte den Eindruck, als würde ihm das Blut aus den Adern gesogen. Doch in diesem Moment griffen andere Wesen ein, die sich auf den Dämon mit dem Froschgesicht stürzten. Das unheimliche Wesen wich zurück, versuchte sich wieder in seine rauchförmige Gestalt zu verwandeln, doch die Angreifer waren schneller. Der Dämon glühte plötzlich auf. Ein grauenhafter Schrei gellte durch die eingetretene Stille. Dann war der Dämon mit dem Froschgesicht verschwunden, so als hätte es ihn nie gegeben. Morgan und der Professor konnten ihre Glieder wieder bewegen. Morgan holte tief Luft. 76
Ungläubig starrte er auf Zerpuur, Liaasa, Tauurus und den Riesen, die sich jetzt alle leicht verneigten und dann plötzlich verschwunden waren. Morgan fuhr sich über die Augen. Kopfschüttelnd starrte er auf Professor Mertens, der sich hatte einfach fallen lassen. Seine Füße konnten ihn nicht mehr tragen. Der alte Mann hatte die Grenze des Erträglichen erreicht. »Sie haben uns das Leben gerettet«, sagte Mertens und meinte die vier Wesen, die den Dämon mit dem Froschgesicht vernichtet hatten. »Das Monster schien nicht eingeplant gewesen zu sein.« Morgan hockte sich neben Mertens. Seine Knie zitterten, er fühlte sich zerschlagen und auch mutlos. Die beiden Männer leimten Rücken gegen Rücken. Unsagbar langsam verging die Zeit. Keiner sagte ein Wort. Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt. »Gehen wir weiter, Morgan«, murmelte Mertens. Es klang gequält. »Wir wollen es hinter uns bringen. Lange halten unsere Nerven diese Belastung nicht mehr aus.« Sie gingen weiter. Friedlich und in einem immer heller werdenden Licht schimmernd, lag die große Ebene vor ihnen. Die beiden Männer hatten nochmals das Gefühl, keinen Meter vorwärts zu kommen. Immer wieder warfen sie scheue Blicke in die Umgebung, doch es zeigte sich keine Andeutung einer erneuten Prüfung. Der Boden begann sich plötzlich in eine tiefe Mulde hinabzusenken. Zögernd verhielten die beiden Männer, die es als erste Sterbliche gewagt hatten, in das Reich der Finsternis einzudringen. Morgan und der Professor sahen sich leidvoll an. »Wir haben keine Wahl, mein Junge«, sagte Mertens ernst. »Gehen wir also dort hinunter. Bin selbst gespannt, was uns wieder erwarten wird. Doch keine Bange, Morgan. Du hast ja vor wenigen Minuten selbst erlebt, dass uns die Dämonen hier im Reich der Finsternis wohl gesonnen sind.« Beherzt stiegen sie hinab in die Mulde. Staunend starrten sie auf den unermesslichen Schatz, der sich ihren Blicken bot. 77
Gold, Perlen, Diamanten und kostbares Geschmeide bedeckten, so weit ihr Auge reichte, den Boden. Es schien, als hätte irgendjemand alle Schätze der Welt zusammengetragen und sie hier gehortet. Stumm blickten die beiden Männer auf die glitzernden Kostbarkeiten. Es funkelte und glänzte so sehr, dass sie geblendet die Augen schlossen. Als sie die Augen wieder öffneten, stand ein kleines Männchen vor ihnen. Sein mit Falten überzogenes Gesicht reckte sich Morgan und dem Professor entgegen. Listige Augen funkelten sie an. »Alle Schätze dieser Welt«, klang seine dünne Stimme auf. »Sie gehören euch. Alles gehört euch. Ihr braucht mir nur den Ort zu sagen, wohin ich sie bringen soll. Doch entscheidet euch rasch. Ihr werdet von nun an sehr reich sein und euch alle Wünsche erfüllen können.« Morgan Bancroff blinzelte immer wieder. Er starrte an dem kleinen Männlein vorbei, dann trat er rasch näher. Mit beiden Händen begann er in den Schätzen zu wühlen. Ketten, Ringe und Armbänder von unvergleichlicher Schönheit glitten durch seine Finger. Ein gieriges Funkeln trat in seine Augen. Auch Professor Mertens war herangetreten. Er griff einen besonders großen Diamanten auf, der in allen Farben des Regenbogens funkelte. Er ließ ihn achtlos fallen, als er einen noch größeren Diamanten entdeckte. Morgan stöhnte gequält auf. »Ihr könnt euch ruhig die Taschen voll machen«, klang die Fistelstimme des kleinen, unscheinbaren Männchens mit dem runzligen Gesicht auf. »Alles andere bringe ich euch an den Ort, den ihr mir angebt. Doch überlegt nicht mehr zu lange. Die Frist ist in wenigen Augenblicken abgelaufen!« Morgan wühlte immer noch in den kostbaren Dingen. Triumphierend hob er ein Diadem auf, das von Diamanten übersät war. Der Professor ließ den Diamanten fallen. Er schloss die Augen, während sich seine Hände ineinander verkrampften. Entschlossen trat er auf Morgan zu und rüttelte den jungen Mann an der Schulter. 78
Morgan wandte sich ihm zögernd zu. Immer noch hielt er das kostbare Schmuckstück in den Händen. Er hielt es Mertens vors Gesicht. Der Professor wand es ihm aus den Händen. Morgan knurrte unwillig auf. »Vergiss diese Schätze, mein Junge«, befahl Mertens mit hartem Ton. »Dies soll nur eine weitere Prüfung für uns sein, Morgan. Wir benötigen den Kelch, auch wenn wir alle Schätze dieser Welt dafür haben könnten.« Morgan Bancroff zuckte zusammen. Sein Blick wurde klarer. Er fuhr sich über die Stirn. In diesem Moment schallte die Stimme des kleinen Männchens wieder auf. »Wie habt ihr euch entschieden? Die Frist ist abgelaufen. Wohin soll ich den Schatz bringen lassen?« Morgan Bancroff schüttelte den Kopf. »Wir verzichten, wollen nur den Kelch des heiligen Feuers. Behalte deine Schätze!« Das kleine Männchen wich einige Schritte zurück. Sein runzliges Gesicht wurde noch faltiger. In seinen Augen begann es tückisch zu funkeln. »Ist das euer letztes Wort?« Morgan und der Professor nickten gleichzeitig. Der junge Mann warf den kostbaren Schätzen noch einen bedauernden Blick zu. Doch dann wich er fassungslos zurück. Der riesige Schatz brannte plötzlich lichterloh. Innerhalb weniger Augenblicke verbrannte alles zu Staub. Das kleine Männchen war von einem Augenblick zum anderen verschwunden. Morgan fuhr sich über die Augen. Professor Mertens legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Das Leben deiner Geschwister geht vor, mein Junge. Wir dürfen unser Ziel nicht aus den Augen verlieren. Gehen wir weiter. Nur noch eine Prüfung steht uns bevor. Wenn wir auch diese schaffen, werden wir bald den Kelch in unseren Händen haben.« 79
Beide Männer setzten sich in Bewegung. Weit dehnte sich die große Ebene vor ihren Blicken aus. Die Helligkeit hatte wieder zugenommen. Es war jetzt hell wie an einem klaren Sommertag. So weit ihr Auge reichte, konnten sie nichts entdecken. Nichts rührte oder bewegte sich. Bald schmerzten ihre Augen von dem großen Glanz, der aus dem Boden zu dringen schien. Professor Mertens hielt plötzlich inne. Die letzten Schritte war er nur getaumelt. Morgan stützte den alten Mann, der sich ans Herz griff und keuchend ausatmete. »Ich brauche eine Pause, Morgan«, seufzte der Professor. »Die letzten Stunden sind zu aufregend für mein schwaches Herz gewesen.« Morgan nickte. Beide Männer hockten sich auf den nachgiebigen Boden, der ihnen sonderbar warm vorkam. Erst nach einer geraumen Weile setzten sie ihren Marsch ins Ungewisse fort. * Hooros, der Teufelsmönch, stand wie erstarrt. Er hatte die Niederlage des Dämons mit dem Froschgesicht registriert. Ein wütendes Gebrüll klang aus seinem Mund. Stampfend verließ er die verfallene Kapelle. Bleiches Mondlicht brach sich auf seinem silberglänzenden Haar. Der Wind presste die dunkle Kutte gegen seinen skelettförmigen Körper. Er lief zum gähnenden Eingang der Höhle hinüber. Ungehindert konnte er eindringen. Wieder versuchte er, durch das silberne Rechteck in die Welt der Finsternis einzudringen. Auch dieser Versuch scheiterte. Der lebende Tote war außer sich. Er raufte sich die Haare und murmelte dumpfe Flüche und Beschwörungen. 80
Plötzlich begannen die Wände der Höhle zu flackern. Feuerblitze zuckten auf und trafen die taumelnde Gestalt des Teufelsmönches. Hooros heulte auf. Er versuchte den aufzuckenden Blitzen zu entkommen, doch immer wieder trafen sie die ausgemergelte Gestalt. Dem lebenden Toten blieb keine andere Wahl, als die Flucht zu ergreifen. Immer noch heulend verließ er die Höhle. Die Blitze hatten große Löcher in den dunklen Stoff der Kutte gebrannt, sonst jedoch dem lebenden Toten keinen Schaden zufügen können. Doch Hooros, der Teufelsmönch, gab noch immer nicht auf. Er wusste, dass ihm noch eine letzte Chance geblieben war. * Professor Mertens und Morgan Bancroff hatten sich wieder zum Ausruhen hingesetzt. Der Atem des Professors war ein wenig ruhiger geworden, doch er hatte noch immer das Gefühl, als wollte eine eiskalte Hand ihm das Herz aus der Brust reißen. Mit kundiger Hand massierte er seine linke Brustseite. Morgan warf ihm einen besorgten Blick zu. Mertens versuchte zu lächeln. »Wir können gleich weiter, mein Junge«, krächzte er. »Bald haben wir es ja geschafft. Auch die letzte Prüfung werden wir noch hinter uns bringen. Dann sind wir am Ziel!« Morgan nickte müde. Auch an ihm waren die Ereignisse der letzten Stunden nicht spurlos vorübergegangen. Doch der eiserne Wille, seinen Geschwistern zu helfen, hielt ihn aufrecht. Mertens erhob sich nach einigen Minuten. Morgan wollte ihn stützen, doch der Professor schob den jungen Mann sachte zurück. Wieder machten sie sich auf den Weg. Weit in der Ferne sahen sie ein grelles Licht, das sogar die sonstige Helligkeit überstrahlte. »Dort muss sich der Kelch befinden«, murmelte Morgan. »Wir müssen es schaffen, Professor!« 81
Mertens lächelte. Das Licht wurde immer greller. Jetzt erkannten sie auch ein mächtiges Gebäude, das die Form eines Tempels hatte. Aus diesem Tempel musste das Licht stammen. Beide Männer verhielten ihre Schritte. Plötzlich erblickten sie vier große Statuen, die an jeder Ecke des Tempels standen. Die Gestalten waren menschenähnlich, doch die Gesichter glichen Dämonenfratzen. Unbeweglich verharrten sie auf wohl fünf Meter hohen Sockeln, Sie schimmerten wie dunkles Marmor. »Wir sind am Ziel«, flüsterte Professor Mertens. »Dort im Tempel befindet sich der Kelch des heiligen Feuers. Doch diese vier Statuen, die wohl Wächter sein sollen, bereiten mir Kopfzerbrechen.« Morgan murrte etwas, was Mertens nicht verstehen konnte. In dem jungen Mann brannte eine heiße Ungeduld. Ein harter Zug hatte sich um seine Mundwinkel gebildet. Nervös trat er von einem Fuß auf den anderen. »Gehen wir«, sagte Morgan Bancroff dann entschlossen. Sein Blick saugte sich an der gleißenden Helligkeit fest, die durch die großen Fenster des Tempels fiel. Morgan schritt auf das Gebäude zu. Dem Professor blieb keine andere Wahl, als dem Gefährten zu folgen. Doch sie kamen nicht weit. Ein donnerndes Dröhnen ließ die beiden Männer zusammenfahren. Ihre Blicke fuhren hoch. Ihre Gesichter wurden noch bleicher. Angst funkelte in den weit aufgerissenen Augen. Die vier Statuen bewegten sich plötzlich und stiegen von den Sockeln herunter. Morgan und der Professor schreckten zurück. Die vier steinernen Wächter des Kelches des heiligen Feuers sammelten sich. Ihre Schritte ließen den Boden erzittern. Wie eine steile Bergwand ragten sie vor den Männern in die Höhe. Morgan kam sich erbärmlich klein und ausgeliefert vor. Er warf Mertens einen hilfesuchenden Blick zu. 82
In den Dämonengesichtern funkelten rot glühende Augen, die an rotierende Wagenräder erinnerten. Die klaffenden Münder glichen gähnenden Höhlen, in denen bequem ein Dutzend Männer verschwinden konnten. Kalte Schauer jagten über die Rücken der beiden Männer. Professor Mertens spürte wieder sein Herz, wie es jagte und zitterte und drohte, jeden Augenblick stehen zu bleiben. Die zum Leben erwachten steinernen Statuen stampften heran. Es schien, als brause ein Sturmwind über die weite Ebene. Die gewaltigen Säulenbeine verursachten beim Aufsetzen ein wahres Erdbeben. Morgan kam sich wie eine Ameise vor, die vergeblich dem zutretenden Fuß eines Menschens entfliehen wollte. Seine Hand krampfte sich in Mertens' Mantelärmel fest. Mit grauem Gesicht sah ihn der Professor an. »Was jetzt, Professor?«, fragte Morgan. Seine Stimme zitterte so sehr, dass es ihm schwer fiel, die Worte zu formen. »Diese Monster werden uns zerstampfen!« Professor Mertens schüttelte den Kopf. Er hatte Zuversicht gewonnen. »Wir haben eine Chance, Morgan«, raunte er. »Schau dir nur diese unförmigen und langsamen Kreaturen an. Wir sind schneller und beweglicher. Lass diese Monster nur herankommen. Ehe die uns zermalmen, sind wir an ihnen vorbei.« Morgan schnappte vor Angst nach Luft. Ein dünner Schweißfilm ließ sein Gesicht wie mit Öl eingerieben schimmern. Mit einer fahrigen Handbewegung fuhr er sich über die Stirn. Sein besorgter Blick traf den Professor. »Wir müssen es wohl darauf ankommen lassen«, schnaufte er mühsam. »Versuchen wir also unser Glück. Halten Sie das überhaupt durch, Professor?« Mertens zuckte nur mit den Schultern. Die Erschütterungen des Bodens waren jetzt so stark, dass beide Männer zu taumeln begannen. Sie klammerten sich aneinander fest, um sich gegenseitig zu stützen. 83
Ein unangenehmer Geruch wehte zu ihnen herüber. Es stank nach Schwefel. Es stach den Männern in die Nase, ihre Augen begannen zu tränen. Das Atmen fiel ihnen schwer. Keuchend begannen sie, nach Luft zu schnappen. Jetzt waren die steinernen Ungeheuer nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt. Morgan musste sich weit zurückbeugen, um die Köpfe der Riesen überhaupt sehen zu können. Immer noch funkelten die Augen in einem bösartigen Feuer. Rauch drang aus den weit geöffneten Mäulern. Plötzlich machten die vier steinernen Wächter halt. Das Beben des Bodens lief aus. Eine fast übernatürliche Stille fing an, sich auszubreiten. Sekundenlang schien es, als wären die Monster wieder zu Stein erstarrt. Doch sie holten nur zum letzten tödlichen Schlag aus. Ihre klauenförmigen Hände griffen nach den beiden Männern. Orgelnde Windgeräusche brausten auf. Luftmassen gerieten in Bewegung und wirbelten durcheinander. »Los«, rief der Professor und hastete los. Er konnte gerade noch unter einer zupackenden Hand hinwegtauchen. Er rannte auf die über zwanzig Meter breite Lücke zwischen den Beinen des Monsters zu. Morgans Erstarrung löste sich. Gerade noch rechtzeitig machte er einen gewaltigen Satz zur Seite und konnte so der Klauenhand des Monsters entgehen. Fauchende Laute fuhren aus den weit aufgerissenen Rachen der steinernen Ungeheuer. Morgan Bancroft rannte um sein Leben. Er folgte dem Professor, der jetzt zwischen den Säulenbeinen des einen Ungeheuers angekommen war. Zu langsam reagierte das Monster. Der eine Fuß hob sich im Zeitlupentempo und trat nach dem Professor. Er spurtete weiter, nicht, als wäre er sechzig, sondern sechzehn. Wohlbehalten gelangte er hinter das steinerne und zum Leben erwachte Ungeheuer. 84
Morgan erreichte den Professor einige Augenblicke später. Beide Männer hetzten davon, sie liefen um ihr Leben. Bancroff warf einen Blick zurück. Die Riesenmonster hatten in der Zwischenzeit kehrt gemacht und folgten den Flüchtenden. Morgan machte einen Satz nach vorn und riss Professor Mertens zur Seite. Sich mehrmals überschlagend landeten beide Männer auf dem bebenden Boden. Dicht neben ihnen fuhr der riesige Fuß eines Monsters herunter und knallte hart auf. Morgan und der Professor glichen hilflosen Käfern, die noch einmal von den alles zerstampfenden Füßen eines Menschens entkommen waren. Sie taumelten hoch. Wieder warfen sie sich zur Seite und erneut knallte der Fuß eines der Ungeheuer neben ihnen auf und wieder wurde die Erde erschüttert. Morgan zerrte Mertens hoch. Das Gesicht des alten Mannes war schweißüberströmt. Die Augen quollen ihm fast aus dem Kopf. Nur noch mühsam konnte er sich bewegen. Das gleißende Licht, das aus den großen Fenstern des Tempels fiel, blendete die beiden Männer. Sie glaubten direkt in den flammenden Feuerball einer Sonne zu blicken. Hinter sich vernahmen sie wieder die donnernden Tritte der heranwankenden Kolosse. Von dem grellen Licht ging eine große Hitze aus, die den heranjagenden Männern den Schweiß aus den Poren trieb. Professor Mertens war am Ende seiner körperlichen und seelischen Kraft angelangt. Morgan packte ihn am Arm und schleifte ihn rücksichtslos hinter sich her. Jetzt erreichten sie die ersten Stufen, die zum Tempel hinaufführten. Die beiden Männer schlossen die Augen. Trotzdem verbrannte die gnadenlose Helligkeit beinahe ihre Netzhaut. Beide Männer taumelten blindlings weiter. Die stampfenden Schritte der verfolgenden Ungeheuer waren auf einmal verstummt. 85
Mertens strauchelte und knallte hart auf die wie Marmor aussehenden Treppenstufen. Morgan, der den Professor nicht mehr halten konnte, stürzte ebenfalls. Erschöpft blieben sie liegen. Morgan öffnete die Augen. Der gleißende Schein war in ein sanftes Leuchten übergegangen. Der junge Mann sah sich um. Die vier Monster standen wie vordem wie zu Stein erstarrt auf ihren Sockeln. Mertens kam mühsam auf die Beine. Auch er schaute sich sprachlos um. Nervös rückte er seine Brille zurecht, die beim Sturz von seiner Nase gerutscht war. Dann wandten sie sich dem Tempel zu. Vor ihnen war eine große Tür, die sich geräuschlos von allein öffnete. Beide Männer blickten sich fragend an. Dann ging ein Ruck durch den Körper des Professors. Er griff nach Morgans Arm. »Los, komm mit, mein Junge. Wir sind am Ziel. Hier muss sich der Kelch des heiligen Feuers befinden. Wir haben unser Ziel endlich erreicht!« Morgan Bancroff nickte. Eine heiße Freude wallte in ihm auf. Er spürte den schnellen Schlag seines Herzens. Sie stiegen die letzten Stufen empor und traten durch die Tür ins Innere des Tempels. Der große Raum war bis auf eine Art Altar leer. Der Altar befand sich genau in der Mitte des kreisrunden Gebäudes. In den Tempelwänden waren Schriftzeichen und Bilder eingeritzt, die die beiden Männer jedoch weder deuten, noch entziffern konnten. Ihre Blicke saugten sich an dem Altar fest. Dort stand der Kelch. Ein gleichmäßiges Leuchten ging von ihm aus. Der Kelch des heiligen Feuers war ungefähr dreißig Zentimeter hoch. Auch an ihm erkannten die Männer Bilder und Schriftzeichen. Zögernd, als trauten sie ihrem Glück nicht, traten sie auf den Altar zu. 86
Nach wenigen Schritten jedoch prallten sie gegen eine unsichtbare Barriere und wurden hart zurückgeschleudert. Morgan stöhnte vor Enttäuschung auf. Der Professor tastete sich mit vorgestreckten Händen an die unsichtbare Mauer heran. Er lief an ihr entlang und umrundete dabei den Altar. »Wir kommen nicht an den Kelch heran«, schnaufte er, als er sich wieder Morgan zuwandte. »Zuerst müssen wir diese unsichtbare Barriere überwinden.« Morgan senkte den Kopf. Er hätte vor gescheiterter Hoffnung weinen mögen. »Wir schaffen es nicht«, murmelte er. »Soll denn alles umsonst gewesen sein?« * Professor Mertens stieß ein missvergnügtes Knurren aus und setzte sich neben Morgan auf den harten Steinboden. Immer wieder wanderte sein Blick zum Altar und zum Kelch, von dem immer noch ein gleichmäßiges Strahlen ausging. Mertens federte plötzlich hoch. Bancroff sah den älteren Gefährten verwundert an. Neue Hoffnung begann in seinen Augen aufzuflackern. »Haben Sie eine Idee?«, fragte er unnötigerweise und erhob sich gleichfalls. Mertens nickte und griff in seine Manteltasche. Er zog das silberne Kruzifix hervor. »Vielleicht unsere letzte Chance«, raunte er. Zögernd trat er auf die unsichtbare Barriere zu. Morgan folgte ihm. Der Professor streckte seine Hand nach vom. Jetzt berührte er mit dem silbernen und geweihten Kreuz die unsichtbare Mauer, die sie bisher an dem Vordringen zum Altar gehindert hatte. Zunächst geschah nichts. 87
Dann aber begann der Kelch zu blitzen und zu funkeln. Die beiden Männer schlossen geblendet die Augen. Und auf einmal strahlte der Kelch des heiligen Feuers wieder in seinem natürlichen warmen Glanz. Jetzt fing die Stelle der unsichtbaren Barriere an, sich leicht bläulich zu verfärben, aber nur Professor Mertens' Hand zitterte. Nur mühsam konnte er das Kruzifix halten. Es war, als versuchte eine unsichtbare Macht ihm das Kreuz aus der Hand zu winden. Dieser Kampf dauerte mehrere Sekunden, doch Professor Mertens gab nicht auf. Wie angewurzelt stand er da und drückte das Kreuz immer wieder gegen das unsichtbare Hindernis. Der bläuliche Farbton breitete sich plötzlich weiter aus. Bald nahm er die ganze Fläche vor Mertens ein. Dunkle Rauchschwaden begannen sich zu bilden, die sich träge ausbreiteten. Der Professor wurde von dem beißenden Rauch eingehüllt. Sein krächzender Husten durchbrach die fast unnatürliche Stille. Längst war Morgan neben Mertens getreten. Er packte den Arm des Professors, der das Kreuz umkrampft hielt. Wie ein Stromstoß schoss unvermittelt ein greller Schmerz durch seinen Körper. Morgan Bancroff schnappte keuchend nach Luft. Er vernahm den schnaubenden Atem von Mertens, dessen ganzer Körper noch immer zitterte und bebte. Der dicke Qualm nahm ihnen die Sicht, drang in ihre Luftwege ein und nahm ihnen den Atem weg. Ein schriller Ton ertönte, der immer lauter wurde, in einer scheußlichen Dissonanz zerbrach und verhallte. Die bläulich schimmernde Barriere fiel mit einem Male klirrend auseinander und brach in sich zusammen. Professor Mertens taumelte zurück. Morgan fing ihn kurz vor dem Sturz auf. Innerhalb weniger Augenblicke hatte sich der beißende Rauch verzogen. 88
Beide Männer starrten wie gebannt auf den Kelch des heiligen Feuers, dessen Leuchten an Intensität zunahm. Er glühte rot. Morgan und der Professor schritten gemeinsam, Seite an Seite auf den Altar zu. Kein neues Hindernis stellte sich ihnen in den Weg. Immer noch schwer atmend verhielten die beiden Männer vor dem wuchtigen Altar. »Wir sind am Ziel, Morgan«, sagte der Professor mit schwerer Stimme. »Wir haben es geschafft. Hoffentlich gelingt es uns jetzt, auch wohlbehalten das Reich der Finsternis zu verlassen. Los, Junge, nimm dir den Kelch.« Morgan Bancroff schien zu zögern. Vorsichtig trat er eine Stufe empor. Er stand jetzt dicht vor dem Altar. Seine Hand griff nach dem Kelch des heiligen Feuers. »Nimm ihn«, raunte eine Stimme in seinem Gehirn. »Nimm den Kelch, du hast ihn verdient. Doch denke daran, dass er sich nach zwei Stunden irdischer Zeitrechnung aufzulösen beginnt. Ihr dürft keine Zeit verlieren!« Auch Professor Mertens musste diese Worte vernommen haben. Er nickte Morgan aufmunternd zu. Morgans zitternde Hand schloss sich um den Kelch, der sich warm anfühlte. Langsam holte er ihn vom Altar. Dann wandte er sich Mertens zu. Der Professor lächelte, seine Augen blickten ernsthaft. »Gehen wir«, sagte er. »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Hooros wartet bereits auf uns. Es gilt jetzt, die letzte Barriere zu nehmen!« Der Kelch fühlte sich sonderbar leicht in Morgan Bancroffs Hand an. Der junge Mann folgte Mertens, der zielsicher auf das große Tempeltor zusteuerte. Dort blieb er stehen und starrte auf die vier steinernen Wächter. Morgan trat neben ihn. Die steinernen Monster rührten sich nicht. Die Dämonenfratzen blieben leblos. Langsam setzten sich die beiden Männer in Bewegung. Immer wieder schielten sie zu den unförmigen Kolossen hinüber, die jedoch keine Notiz von ihnen nahmen. 89
Morgan atmete auf, als der Tempel und die Monster hinter ihnen lagen. Vor ihnen erstreckte sich die große Ebene im gigantischen Ausmaß. »Zu Fuß schaffen wir es niemals, wir haben nur eine Frist von zwei Stunden«, bemerkte Mertens. Bancroffs Augen verengten sich vor Sorge. Inständig umfasste er den Kelch des heiligen Feuers. »Hilf uns«, betete Morgan. »Zeig uns deine Macht. Bringe uns wohlbehalten in die Höhle zurück. Führe uns aus dem Reich der Finsternis hinaus in die Welt der Sterblichen!« Nichts geschah. Der junge Mann wiederholte seine Worte. Es klang beschwörend und rührend zugleich. Dunkelheit brach ein. Das unheimliche Leuchten, das aus dem Boden zu kommen schien, verlöschte. Nur der Kelch leuchtete in einem warmen Feuer. »Hilf uns«, rief Morgan. »Hilf uns. Bringe uns zurück. Wir müssen Hooros, den Teufelsmönch, besiegen!« Unheimlich langsam verrannen die Sekunden. Die Gesichter der Männer waren schweißüberströmt. Ihre Augen hingen an dem Kelch. Die Temperatur des Kelches in Morgans Hand begann anzusteigen. Das Leuchten des Metalls verstärkte sich. Bancroff tastete nach Professor Mertens Arm. In diesem Augenblick verschwamm alles vor den Blicken der beiden Männer. Ein ziehendes Gefühl machte sich in ihnen breit. Sie kamen sich plötzlich schwerelos vor. Aber nur für Sekunden hatten sie dieses Empfinden. Dann hatten sie plötzlich wieder festen Boden unter den Füßen. Sie taumelten einige Schritte nach vorn. Morgan hielt den Kelch fest an sich gedrückt. Er hatte Mertens' Hand losgelassen. Die starrten ungläubig auf ein silbernes Rechteck. Sie waren freudig erregt, denn sie waren am Ziel angekommen. Morgan Bancroff atmete erleichtert auf. Sein Blick traf Professor Mertens, der ihn zufrieden lächelnd ansah. 90
»Wir haben es geschafft«, murmelte er. »Wir brauchen nur durch den silbernen Spiegel hindurch und befinden uns wieder in unserer Welt. Gehen wir, Morgan!« Der silberne Glanz des Rechteckes verflüchtigte sich. Eine drohende Schwärze gähnte den beiden Männern entgegen. Entschlossen traten sie in die dunkle Öffnung. Gleich darauf waren Professor Mertens und Morgan Bancroff darin verschwunden. * Hooros, der Teufelsmönch, zuckte zusammen. Deutlich spürte er die gefährliche Ausstrahlung, die ihn in ihren Bann zog. Er erhob sich aus dem verwitterten Sarkophag und verließ die verfallene Kapelle. Es war kurz vor Mitternacht. Das bleiche Mondlicht brach sich in den silbernen Haaren des Teufelsmönches. Von irgendwoher erklang der klagende Ruf eines Käuzchens. Ein großer schwarzer Vogel erhob sich von einem dunklen Felsen und kreiste lange über dem Kopf des Dämonen. Die donnernde Brandung des Meeres verstärkte sich, je näher Hooros dem großen Felsen kam. Dunkel schimmerte der Eingang der Höhle. Der Teufelsmönch verhielt seinen Schritt. Weit breitete er beide Arme aus. Seine Augen begannen zu glühen. Schwarze Schatten trieben wie lautlose Schemen aus der Schwärze der Nacht heran. Sie sammelten sich hinter Hooros und wirbelten wie wallender Nebel durcheinander. Einige der Schatten nahmen Gestalt an. Grauenhafte Geschöpfe der Finsternis bildeten sich. Ein Raunen und Wispern lag in der Luft. Es roch nach Schwefel und allem Gestank der Hölle. Jetzt formten sich die Geister und Dämonen zu einem weiten Kreis. Alle starrten in Richtung des Höhleneinganges. Sie erwarteten die beiden Sterblichen, denen es gelungen war, ins Reich der Finsternis vorzudringen. 91
Längst war die Kunde zu ihnen gedrungen, dass es den beiden Männern geglückt war, den Kelch des heiligen Feuers in ihren Besitz zu nehmen. Schwarze, drohend wirkende Wolken zogen über den Himmel und verdeckten das silberne Licht des Mondes. Ein starker Wind kam auf, zerrte an der verbrannten Kutte des Teufelsmönches. Hooros stand wie erstarrt. Seine funkelnden Augen starrten auf den Höhleneingang. Beschwörende Worte entrangen sich dem klaffenden Spalt seines Mundes. Das Raunen und Wispern der Dämonen und Geister nahm an Lautstärke zu. Immer mehr der teuflischen Wesen materialisierten sich. Bald stimmten sie alle in die beschwörenden Worte des Teufelsmönches ein. Minuten verrannen im Meer der Ewigkeit. Der Chor der Dämonen setzte ein. Donnernd brach sich der beschwörende Sing-Sang an den umgebenden Felsen. Hooros, der Teufelsmönch und seine diabolischen Freunde waren zum entscheidenden Kampf angetreten. * Als Morgan Bancroff die Augen öffnete, fand er sich in der Höhle wieder, wo ihr Trip ins Reich der Finsternis begonnen hatte. Professor Mertens räusperte sich. »Wir sind wieder in unserer Welt«, schnarrte seine Stimme. Er blickte auf den Kelch, den Morgan wie einen kostbaren Schatz umklammert hielt. Morgan versuchte zu lächeln. Er starrte auf den funkelnden Kelch, der noch immer eine leichte Wärme ausstrahlte und in einem sanften Feuer zu glühen schien. »Hooros wird uns draußen vor der Höhle schon erwarten«, sagte er bedächtig. »Jetzt liegt es am Kelch des heiligen Feuers, nochmals 92
mit dem Teufelsmönch fertig zu werden. Wir haben unser Bestes getan!« Der Professor nickte und lächelte Morgan Bancroff an. »Wir haben es geschafft, Morgan, obwohl ich oft daran gezweifelt habe. Gehen wir! Draußen erwarten uns die Schrecken der Hölle. Doch wir haben keine andere Wahl. Vertrauen wir auf den Kelch und auf die Hoffnung, dass das Gute siegen wird!« Hohl wurden die Worte des Professors von den Felswänden zurückgeworfen. Das silberne Rechteck war verschwunden. Nichts deutete mehr darauf hin, dass sich hier der Zugang zum Reich der Finsternis befunden hatte. Beide Männer setzten sich zögernd in Bewegung. Morgan hielt den Kelch mit beiden Händen von sich gestreckt. Professor Mertens hielt das silberne Kreuz in der rechten Hand. Sie verließen die Höhle und gingen den schmalen und dunklen Gang entlang. Der Kelch verbreitete ein sanftes Leuchten und zauberte bizarre Schatten auf die Wände. Plötzlich wurde das Leuchten des Kelches stärker. Mertens und Morgan spürten, wie sich etwas in ihre Gehirne zu schleichen versuchte. Ein ziehendes Gefühl machte sich in ihnen breit. Morgan traten große Schweißperlen auf die Stirn. Die Hand, die den Kelch hielt, begann zu zittern. Endlos lange kam ihnen der schmale Gang vor. Kalte Nachtluft schlug ihnen plötzlich entgegen. Gleichzeitig rochen sie den beißenden Atem des Bösen. »Sie lauern vor dem Eingang zur Höhle«, flüsterte der Professor. »Jetzt wird es sich gleich zeigen, ob der Kelch dem Teufelsmönch gewachsen ist.« Der Gang verbreiterte sich. Professor Mertens hielt sich dicht an Morgans Seite. Weit streckte er das silberne Kreuz von sich. Die andere Hand umklammerte die entsicherte Pistole. Sie hatten den Ausgang der Höhle erreicht. Abrupt verhielten die Männer ihren Schritt. 93
Sie hatten Hooros entdeckt. Mit geweiteten Augen starrten sie auf den Teufelsmönch, der keine zehn Meter von ihnen entfernt stand. Seine Augen glühten. Wie beschwörend deutete er auf die beiden Männer. Aus seinem Mund brach ein brüllender Aufschrei. Unwillkürlich duckten sich Mertens und Bancroff. Sie spürten den Anprall des Bösen. Jetzt erst erblickten sie das Heer von Dämonen und Geistern, die sich hinter Hooros versammelt hatten. Ein grauenhaftes Gebrüll klang auf, das dem Aufschrei des Teufelsmönches folgte. Der Kelch des heiligen Feuers glühte intensiv. Sein Lichtschein huschte über die Dämonen und blieb dann auf Hooros hängen. Der Teufelsmönch wich leicht zurück. Doch dann setzte er sich unerschrocken in Bewegung und kam auf die beiden Männer zu. Die Geister und Dämonen folgten ihm. Ihr beschwörender Gesang übertönte sogar das Brausen des Meeres. Morgan Bancroffs Gedanken überschlugen sich. Er starrte auf die Teufelswesen und dann auf den Kelch, der zwar noch stärker zu glühen begann, jedoch die herankommenden Dämonen nicht aufhalten konnte. Der Professor drückte in diesem Moment die Pistole ab und jagte Schuss auf Schuss auf die heranstürmende Meute. Die silbernen und geweihten Kugeln richteten aber keinen Schaden an. »Zurück, Morgan, zurück«, gellte Professor Mertens erregte Stimme. Er ließ die Pistole fallen und wollte im Gang verschwinden. Morgan achtete nicht auf ihn. Er machte einen Schritt nach vorn und hielt Hooros den Kelch entgegen. Der Teufelsmönch stieß ein zorniges Knurren aus. Sein knochiges Gesicht mit der pergamentartigen Haut war zu einer teuflischen Fratze verzogen. Immer näher kam er heran. Jetzt trennten Morgan und Hooros nur noch wenige Schritte. Das wogende Heer der Dämonen stand dicht hinter dem Teufelsmönch. In diesem Moment griffen die drei Nebelgeister - Susan, John und Georg - ein. Obwohl sie gegen Hooros und seine diabolischen Gefähr94
ten nicht den Hauch einer Chance hatten, so gelang es ihnen, wenigstens Verwirrung in die Reihen der Angreifer zu bringen. Hooros wurde für wenige Augenblicke abgelenkt. Die drei weißen Wölkchen wirbelten davon. Und in diesem Augenblick zeigte der Kelch des heiligen Feuers seine ganze Macht und Stärke. Ein gleißender Strahl brach aus dem Kelch und fuhr in die Masse der Dämonen. Ein schrecklicher Aufschrei brauste über das Land. Das Licht aus dem Kelch fraß sich in die Dämonen und Geister hinein, ließ sie wie eine Fackel aufglühen - und wieder erlöschen. Sie waren verschwunden. Nichts verblieb von ihnen. Hooros, der Teufelsmönch, schreckte zurück. Sein schriller Schrei ließ Morgan Bancroff die Haare zu Berge stehen. Wieder fuhr ein sonnenheller Strahl aus dem Kelch und traf den Teufelsmönch. Seine Kutte glühte auf und stand sofort in hellen Flammen. Stöhnend wankte der lebende Tote davon. Morgan folgte ihm. Auch Professor Mertens war wieder aus dem Höhlengang getreten. Mit ihren Blicken verfolgten sie den Teufelsmönch, der laut aufheulend und noch immer wie eine Fackel glühend zwischen den Felsen verschwand. Morgan gab immer noch nicht auf, er ging ihm unbeirrt nach. Wie eine große Kostbarkeit trug er den glühenden Kelch vor sich her. Von den anderen Dämonen und Geistern war nichts mehr zu sehen und zu hören. Der junge Mann schritt zwischen den dunklen Felsen hindurch. Bald starrten ihn die an leere Augenhöhlen erinnernden Fenster der verfallenen Kapelle an. Wie unter Hypnose bewegte Morgan Bancroff sich weiter. Zischend bohrte sich ein heller Strahl aus dem Kelch in das verfallene Gemäuer. Wie Wachs zerschmolzen einzelne dicke Quadersteine. 95
Morgan bückte sich und trat in das Innere der Kapelle. Seine Augen versuchten Hooros zu entdecken. Sein Blick fiel auf den verwitterten Sarkophag. In ihm bewegte es sich raschelnd. Ein sanftes Leuchten flimmerte aus dem steinernen Sarg hervor. Morgan blieb regungslos stehen. Hooros tauchte plötzlich empor. Sein Gesicht war zu einer furchtbaren Fratze entstellt. Bösartig leuchteten seine Augen. Er hielt einen schwarzen Stab in der Hand, den er auf Morgan richtete. Von ihm brach ein sonnenheller Strahl hervor und raste auf den Kelch des heiligen Feuers zu. Morgan Bancroff zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Er taumelte einige Schritte zurück. Der Strahl aus dem schwarzen Stab des Teufelsmönches traf mit präziser Genauigkeit den Kelch. Professor Mertens, der hinter Morgan aufgetaucht war und von diesem beinahe umgerempelt wurde, schrie laut auf. Der Kelch des heiligen Feuers schien jedoch den Todesstrahl des Teufelsmönches einfach zu absorbieren. Sein Funkeln verdreifachte sich. Wieder zuckte ein Lichtstrahl aus dem schwarzen Stab von Hooros auf. Und wieder taumelte Morgan zur Seite. Der Strahl verfehlte diesmal den Kelch und stieß auf das verwitterte Mauerwerk der alten halbzerfallenen Kapelle. Die Wand begann zu glühen und strahlte eine unheimliche Hitze aus. Ein höhnisches Gelächter brach von den welken Lippen des Teufelsmönches. Nochmals richtete er den schwarzen Stab auf Morgan. Doch zu einer weiteren Handlung kam der Teufelsmönch nicht. Ein gewaltiger, armdicker Lichtstrahl verließ den Kelch und zuckte auf den lebenden Toten. Hooros, der Teufelsmönch, stand für den Bruchteil einer Sekunde wie erstarrt. Ein fauchender Laut entfuhr seiner Kehle. Er ließ den 96
schwarzen Stab fallen, er schlug auf den Boden auf, wo er innerhalb weniger Augenblicke verglühte. Blitz auf Blitz zuckte aus dem Kelch des heiligen Feuers und traf Hooros. Der lebende Tote schien von innen heraus zu brennen. Wie eine lebende Fackel kletterte er aus dem Sarkophag. Fauchend und schreiend stürzte er sich auf Morgan. Lichtstrahl um Lichtstrahl fuhr auf den Teufelsmönch. Wenige Schritte vor dem jungen Mann brach Hooros dann endlich zusammen. Sein brennender Körper wand sich verzweifelt. Er versuchte nochmals, auf die Beine zu kommen, doch er schaffte es nicht mehr. Ein letzter, verzweifelter Aufschrei gellte durch die alte Kapelle. Nochmals loderten die Flammen in und um den Teufelsmönch grell auf. Dann verloschen sie. Zurück blieb nur ein graues Häufchen Asche, das von einem leichten Wind in alle Himmelsrichtungen verweht wurde. Morgan Bancroff sank in die Knie. Das Feuer im Kelch verglühte langsam. Plötzlich vernahmen die beiden Männer eine sanfte Stimme in ihren Gedanken. »Meine Aufgabe ist erfüllt. Lange habe ich auf diesen Tag warten müssen, um Hooros' Herrschaft zu brechen. Ich danke euch. Ihr habt der Menschheit einen großen Dienst erwiesen.« Morgan stellte mit zitternder Hand den Kelch auf den staubigen Boden. Keuchend richtete er sich auf und lehnte sich gegen die Wand. Professor Mertens trat neben ihn und legte ihm seine feingliedrige Hand auf die Schulter. »Der Kampf ist gewonnen, mein Junge«, knurrte er heiser. »Es hat sich alles zum Guten entwickelt.« Morgan nickte erschöpft. Wieder vernahmen sie eine Stimme in ihren Gehirnen. 97
»Verlasst diesen unheiligen Ort. Hier wird kein Stein mehr auf dem anderen bleiben. In wenigen Minuten wird dieser Ort des Grauens vernichtet werden. Geht!« Die beiden Männer warfen dem Kelch des heiligen Feuers nochmals einen Blick zu. Immer noch glühend stand er auf dem staubigen Boden. Wenn die Prophezeiung von Tauurus, dem Rauchwesen, eintreten würde, dann würde der Kelch des heiligen Feuers sehr bald verglühen. Morgan Bancroff und Professor Mertens verließen die verfallene Kapelle. Auf einem kleinen Hügel wandten sie sich nochmals um. Drohend ragte das dunkle Gemäuer vor ihnen auf. Doch plötzlich flackerte Feuer auf, verbreitete sich. Steine brannten und fielen in sich zusammen. In wenigen Sekunden war von der Kapelle nichts mehr zu sehen. Alles war gespenstisch geräuschlos vor sich gegangen, bis ein donnerndes Krachen die beiden Gefährten herumwirbeln ließ. Dort, wo sich der Eingang zur Höhle befunden hatte, brach der große Felsen berstend in sich zusammen. Staub wirbelte auf und schien die Nacht noch zu verdunkeln. Der Eingang zum Reich der Finsternis war verschlossen. Niemals wieder würde ein Sterblicher dort Zugang finden. Morgan atmete erleichtert auf. Er blickte zum Himmel empor. Die dunklen Wolken zogen ostwärts, verloren sich. Das Licht der Sterne brach durch. Silbernes Mondlicht sickerte zu Boden. »Gehen wir, mein Junge«, murmelte der Professor. Ernst starrte er auf das silberne Kreuz, das er noch immer in seiner geballten Hand hielt. »Wir müssen vergessen, was wir hier erlebt haben, Morgan. Kein Mensch wird uns diese Geschichte abnehmen. Sie würden uns eher für irre erklären. Es sind auch keinerlei Beweise zurückgeblieben, auf die wir zurückgreifen könnten. Vergessen wir es!« Morgan nickte. »Sie haben recht, Professor«, antwortete der junge Mann mit ernster Stimme. »Ich hoffe nur, dass sich unser Einsatz gelohnt hat!« Zweifel klangen in seiner Stimme mit. 98
Professor Mertens nickte Morgan beruhigend zu. Langsam setzten sich die beiden Männer in Bewegung. »Wir werden es bald sehen, Morgan. Deine Geschwister werden es schon schaffen. Ich glaube fest daran. Doch unser gefährlicher Einsatz ist auf keinen Fall umsonst gewesen. Wir haben Hooros, den Teufelsmönch, besiegt. Er wird seine Schreckensherrschaft niemals auf der Erde ausbreiten können. Der Fluch des Teufelsmönches ist für immer gebrochen!« Die beiden Männer setzten ihren beschwerlichen Weg durch das unwegsame Gelände fort. Nach einer guten halben Stunde erreichten sie das Auto. Wohlbehalten stand es an der Stelle, an der sie es verlassen hatten. Morgan begann in seiner Tasche zu kramen. »Jetzt fehlt nur noch, dass du den Zündschlüssel verloren hast«, grinste Mertens und fuhr sich über sein Gesicht. Morgan Bancroff grinste ebenfalls und wühlte weiter in seinen Taschen herum. Endlich fand er den Schlüssel. Der Bentley sprang sofort an. Aufatmend gab der junge Mann Gas und fuhr den holprigen Weg zurück. Ein großes Abenteuer lag hinter den beiden so ungleichen Männern. Sie hatten ihr Leben eingesetzt und hatten gewonnen! * Mühsam kämpften sich die ersten Sonnenstrahlen durch den Londoner Nebel, als Morgan Bancroff und Professor Mertens das Bahnhofsgebäude verließen. Mertens gähnte müde, während Morgan nach einem Taxi Ausschau hielt. »Zur Mertens-Klinik«, sagte der junge Mann und ließ sich müde in das weiche Polster fallen. Der Taxifahrer fuhr los. 99
Morgan Bancroffs Ruhe war nur gespielt. Immer wieder dachte er an seine Geschwister und fragte sich wohl schon zum tausendsten Mal, ob der Fluch des Teufelsmönches von ihnen genommen war. Professor Mertens klopfte ihm verständnisvoll den Rücken. Er selbst war ebenfalls von einer fieberhaften Unruhe befallen. Das Taxi kam nur langsam vorwärts und quälte sich in der endlosen Autoschlange durch Londons Innenstadt. Endlich erreichten sie die Mertens-Klinik. Morgan bezahlte und folgte dem Professor, der schon ungeduldig vorausgegangen war. Mertens nickte dem Portier freundlich zu und steuerte sofort dem Seitentrakt zu, in dem sich die Krankenzimmer der drei BancroffGeschwister befanden. Einige Ärzte und Schwestern kamen Mertens entgegen. Er ließ sich auf kein Gespräch mit ihnen ein, grüßte nur und ging schnell weiter. Als sie das Gebäude erreicht hatten, legte sich ein beklemmendes Gefühl wie ein stählerner Reif um Morgans Herz. Schweiß brach ihm aus allen Poren. Sein Gesicht rötete sich. Sie eilten den weißgekalkten Gang entlang. Professor Mertens war außer Atem, als sie vor der Tür standen, die zu Susan Bancroffs Zimmer führte. Die beiden Männer holten tief Luft. Mertens winkte ab, als sich eine Krankenschwester näherte. Morgans Hände verkrampften sich ineinander. Ein unangenehmer Druck breitete sich in seinem Magen aus. Professor Mertens öffnete die Zimmertür. Die beiden Männer traten geräuschlos ein. Dann standen sie vor Susan Bancroffs Krankenbett. Die Enttäuschung presste ihnen die Kehle zusammen. Der Fluch war immer noch nicht gebrochen! Susan lag mit bleichem Gesicht und bewegungslos in den Kissen. Die Armaturen, an denen sie angeschlossen war, arbeiteten gleichmäßig. Sie war noch immer eine lebende Tote. Morgan wankte in das andere Zimmer hinüber. Dort lag sein Bruder John. 100
Auch er lag in dem totenähnlichen Schlaf. Bei George Bancroff war es nicht anders. Morgan sank in einen Sessel. Er stützte seinen Kopf in beide Hände. Professor Mertens trat langsam neben ihn. Auch in seinem hageren Gesicht zeichneten sich die Strapazen der letzten Stunden, sowie die gescheiterte Hoffnung ab. »Umsonst«, murmelte Morgan fassungslos. »Alles ist umsonst gewesen. Warum nur? Warum nur, Professor?« Mertens zuckte mit den Schultern. Was sollte er darauf auch antworten? * Die drei Nebelgeister schwebten in der Form von drei kleinen weißen Wölkchen am Himmel. Sie hatten Hooros' Vernichtung miterlebt. Ein ungeheurer Druck wurde von ihnen genommen. Sie fühlten sich plötzlich frei und glücklich. »Morgan und der Professor haben gesiegt«, vernahmen sie Susans triumphierende Stimme. »Dem Reich der Hölle und den bösen Dämonen wurde eine empfindliche Niederlage bereitet!« »Hooros wird niemanden mehr verfluchen können. Der jahrhundert alte Fluch ist endlich und für immer gebrochen«, fügte George Bancroff hinzu. Auch in seiner Stimme schwang ein ungeheurer Triumph mit. John Bancroff meldete sich: »Nun können wir zurück. Wir werden das Zwischenschattenreich verlassen und wieder in unsere Körper zurückkehren.« Die drei weißen Wölkchen tanzten einen wirbelnden Reigen, ließen sich über die Weite des unendlich erscheinenden Himmels treiben. Ein nie gekanntes Glücksgefühl hatte sich ihrer bemächtigt. Sie schwebten empor, immer höher und höher. Die Erde wurde immer kleiner und kleiner. Bald schimmerte unter ihnen die bläulich schimmernde Kugel des Planeten Erde. Rasch näherten sie sich dem Mond. 101
»Wollen wir wirklich zurück?«, fragte Susan. »Wir könnten das ganze Universum sehen. Es gibt keine Grenzen mehr für uns. Die Ewigkeit des Alls steht uns offen.« Vor ihnen lag die samtene Schwärze des Weltraums. Sie sahen Tausende und abermals Tausende von Sternen, die lockten und ihnen zuzurufen schienen: »Kommt, kommt doch, wir warten auf euch. Kommt, kommt!« »Zurück?«, klang Georges Stimme auf. »Wollen wir es wirklich? Wir könnten Dinge sehen, die noch niemals ein Mensch vor uns gesehen hat. Auf uns warten Sonnen, Monde, unzählige Planeten. Schaut euch das Universum an! Es scheint unendlich zu sein, doch uns sind keine Grenzen mehr gesetzt. Die Kraft unserer Gedanken reicht aus, um jede Entfernung in Gedankenschnelle zu überbrücken. Die Ewigkeit steht uns offen!« Die Erde blieb immer weiter zurück, das Licht der Sonne verblasste immer mehr. Der Planet Mars zog an ihnen vorbei. Jupiter und Uranus folgten. Bald hatte sie die Grenze des Universums erreicht. »Das dort drüben ist Alpha Centauri«, sagte John. »Das nächstgelegene Sonnensystem. Mich würde interessieren, ob es auch dort Planeten gibt. Vielleicht treffen wir auf Wesen, die dort leben. Wollen wir es nicht versuchen, Freunde?« Sie schwebten durch die Ewigkeit des Universums. Die Erde war zurückgeblieben. »Wie klein und unbedeutend sie doch ist«, dachte Susan. »Ein kleines Staubkorn in der Unendlichkeit. Ein Nichts gegen die Alknacht des Universums. Ein Sandkorn, auf dem Wesen leben, die sich für die Krone der Schöpfung halten. Ein Wassertropfen im Weltraum, erschüttert von Kriegen, Krankheiten und Not.« »Vielleicht kehren wir irgendwann wieder einmal zurück«, dachte George. »Irgendwann. Haben wir nicht alle Zeit der Welt?« Die drei Nebelgeister formten sich jetzt zu einem Wesen. Dann war es von einem Augenblick zum anderen verschwunden. Die Ewigkeit hatte es aufgenommen. 102
* »Wie geht es deinen Söhnen, Morgan?«, fragte Professor Mertens und setzte sich bequemer in seinem Rollstuhl zurecht. Die Last seines Alters von über neunzig Jahren war ihm deutlich anzusehen. Die abgemagerten Hände zitterten. Das schlohweiße Haar bedeckte seine hohe runzelige Stirn. Morgan Bancroff nickte nur und zog an seiner Pfeife. Der wohl jetzt fünfzigjährige Mann erhob sich und schenkte sich einen Whisky ein. »John und George sind schon okay. John arbeitet bereits tüchtig im Betrieb mit und George hat sein Studium bald hinter sich. Er wird bestimmt ein tüchtiger Arzt werden.« Professor Mertens seufzte auf. »Wie schnell die letzten dreißig Jahre vergangen sind«, klagte er mit zittriger Stimme. »Ich stehe bereits mit einem Fuß im Grab. Warum sind sie immer noch nicht zurückgekehrt?« Morgan zuckte mit den Schultern. »Darüber haben wir uns wohl lange genug die Köpfe zerbrochen. Wir kennen die Antwort darauf nicht. Vielleicht werden wir sie niemals erfahren.« Mertens nickte schwach. »Ihre Körper sind noch immer unversehrt, so wie damals, als sie der Fluch des Teufelsmönches traf«, murmelte Morgan. »Sie sind auch nicht gealtert.« Die beiden Männer schwiegen. »Dreißig Jahre lang hängen sie nun an den Armaturen«, fuhr Morgan fort. »Dreißig lange Jahre. Und nichts hat sich an ihrem Zustand geändert. Dreißig Jahre.« Professor Mertens lächelte versonnen. »Wo ihre Seelen wohl sein mögen? Ich würde viel dafür geben, um es noch vor meinem Tod zu erfahren.« »Irgendwo«, murmelte Morgan. »Wir können es uns überhaupt nicht vorstellen. Dafür reicht unser begrenzter Horizont einfach nicht aus. Doch ich bin davon überzeugt, dass sie eines Tages zurückkehren werden. Irgendwann.« 103
Wieder schwiegen die beiden für eine lange Zeit. Draußen senkte sich die Dämmerung über London. »Ich möchte sie sehen«, murmelte Mertens plötzlich. »Ich habe nicht mehr lange zu leben. Mein Herz macht bald nicht mehr mit. Es wundert mich überhaupt, dass es solange geschlagen hat.« Morgan Bancroff erhob sich. Er schob den Rollstuhl des Professors vor sich her. Sie erreichten einen Aufzug und fuhren zu den Kellerräumen hinunter. Vor einer massiven Tür hielt Morgan. Knirschend drehte sich der Schlüssel. Die Tür schwang geräuschlos auf. Sie traten ein. Die Betten standen dicht nebeneinander. In den Kissen lagen die Körper von Susan, George und John Bancroff. Sanft schnurrten verschiedene Apparaturen. Krankenhausgeruch drang den beiden Männern in die Nase. Morgan starrte in die bleichen Gesichter seiner Geschwister, die immer noch in jugendhafter Frische strahlten. Sie waren nicht gealtert. »Mein Sohn George wird sie weiterbetreuen, Professor. Und nach ihm dessen Sohn. Irgendwann werden sie zurückkehren. Irgendwann. Wir werden dann bestimmt nicht mehr leben. Ich gebe jedoch die Hoffnung nicht auf. Sie werden eines Tages zurückkehren. Und ich bin sicher, dass sie alle Wunder und Geheimnisse der Ewigkeit gesehen haben.« Professor Mertens nickte nachdenklich. »Ja, Morgan, irgendwann!« Ende
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