Carsten G. Ullrich Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
Carsten G. Ullrich
Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates Präfer...
11 downloads
529 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Carsten G. Ullrich Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
Carsten G. Ullrich
Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates Präferenzen, Konflikte, Deutungsmuster
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Fritz-Thyssen-Stiftung.
. 1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Monika Mülhausen Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15702-3
Abbildungsverzeichnis
5
Inhalt
Abbildungsverzeichnis........................................................................................... 7 Vorbemerkung ...................................................................................................... 11 1
Einleitung .................................................................................................... 13
2
Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen ................................................................................................ 19 Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates.................................................................................. 19 2.1.1 Was ist Akzeptanz? Annäherungen an ein »amorphes« Konzept ........... 19 2.1.2 Wohlfahrtsstaatsakzeptanz............................................................................. 28 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates........................ 33 2.2.1 Funktionalistische Ansätze ............................................................................ 33 2.2.2 Konflikttheoretische Ansätze........................................................................ 36 2.2.3 Wohlfahrtskulturelle Ansätze ........................................................................ 46 2.2.4 Institutionentheoretische Ansätze ................................................................ 50
2.1 2.2
3 3.1 3.2
Ergebnisse und Defizite der wohlfahrtsstaatlichen Akzeptanzforschung ..56 Hintergründe und zentrale Ergebnisse der Akzeptanzforschung............................ 56 Akzeptanzmessung und Akzeptanzerklärung: Defizite und Aporien ..................... 61
4 4.1 4.2 4.3
Zur Operationalisierung und Erklärung von Akzeptanz ............................68 Angaben zur Umfrage »Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates«.............................. 68 Indikatoren der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz ................................................................ 69 Erklärungsfaktoren für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme ........................ 82
5
Höhe und Verteilung der Akzeptanz in der Bundesrepublik Deutschland.................................................................................................93 Akzeptanz des »Status quo« ........................................................................................... 93 Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit....................................................................... 103 »Erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit« und allgemeine Wirkungen des Wohlfahrtsstaates........................................................................................................... 115 Zusammenfassung: Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates und der Wohlfahrtsstaatlichkeit in Deutschland ..................................................................... 124
5.1 5.2 5.3 5.4
6
Inhalt
6
Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«: Mögliche Erklärungsfaktoren von Akzeptanzurteilen und Akzeptanzunterschieden ........................................................................... 128 Klassen, Parteien und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates ................................. 131 6.1.1 Einleitung........................................................................................................ 131 6.1.2 Arbeiter und »Mittelklassen«: Unterschiede zwischen sozialen Klassen bei der Beurteilung sozialer Sicherungssysteme ....................................... 138 6.1.3 Politisierte Gegensätze? Zum Einfluss der Parteiaffinität auf die Akzeptanzurteile...................................................................................... 146 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (I): Versorgungsklassen ......................... 153 6.2.1 Einleitung........................................................................................................ 153 6.2.2 Versorgungsklassenstatus und subjektive Interessendefinitionen .................................................................................. 158 6.2.3 Fazit ................................................................................................................. 168 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (II): Generationenkonflikte .................. 171 6.3.1 Zur Möglichkeit von Generationenkonflikten im Wohlfahrtsstaat.............................................................................................. 171 6.3.2 Generationenkonflikte um die Gesetzliche Rentenversicherung? ..................................................................................... 177 6.3.3 Generationsunterschiede bei der Beurteilung von Familienleistungen......................................................................................... 186 6.3.4 Fazit ................................................................................................................. 188 Eine Frage der Moral? Zum normativen Fundament der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz........................................................................................... 190 6.4.1 Wohlfahrtsstaatliche Prinzipien und normative Orientierungen........... 190 6.4.2 Die Bedeutung von Gerechtigkeitsüberzeugungen und grundlegender Sozialorientierungen für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme .......................................................................... 198 6.4.3 Fazit ................................................................................................................. 208 Die Bedeutung des »Leistungsempfängerbildes« für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme........................................................................................... 212 6.5.1 Einleitung: »Deservingness« und Akzeptanz ............................................ 212 6.5.2 Die Wahrnehmung der Leistungsempfänger............................................ 224 6.5.3 Der Einfluss der Leistungsempfängerwahrnehmung auf die Akzeptanzurteile ............................................................................................ 229 6.5.4 Fazit ................................................................................................................. 238
6.1
6.2
6.3
6.4
6.5
7
Zusammenfassung: Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates und ihre Bestimmungsgründe .......................................................................... 241
Literaturverzeichnis ............................................................................................ 252 Anhang................................................................................................................ 265
Abbildungsverzeichnis
7
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 2.1 »Akzeptanzrelevante« Beziehungskonstellationen und Entscheidungen ...... 24 Abbildung 2.2
Konfliktwahrscheinlichkeiten in unterschiedlichen Wohlfahrtsregimen ...... 45
Abbildung 2.3
Wohlfahrtsstaatstheorie und Wohlfahrtsstaatsakzeptanz ............................... 55
Abbildung 4.1
Hauptindikatoren zur Messung der Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme und -bereiche ........................................................................ 76
Abbildung 4.2
Systemmerkmale der einzelnen wohlfahrtsstaatlichen Akzeptanzobjekte .... 81
Abbildung 4.3
Mögliche Erklärungsfaktoren der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz ...................... 86
Abbildung 4.4
Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen: allgemeines Orientierungsschema ............................................................................................ 92
Abbildung 5.1a Gesetzliche Krankenversicherung: Institutionenakzeptanz (Häufigkeiten)...... 95 Abbildung 5.1b Gesetzliche Rentenversicherung: Institutionenakzeptanz (Häufigkeiten)........ 96 Abbildung 5.1c Arbeitslosenversicherung: Institutionenakzeptanz (Häufigkeiten) ................. 97 Abbildung 5.1d Sozialhilfe: Institutionenakzeptanz (Häufigkeiten)............................................ 97 Abbildung 5.1e Leistungen für Familien: Institutionenakzeptanz (Häufigkeiten).................... 98 Abbildung 5.1f Positive Beurteilungen des »gesellschaftlichen Wertes« (Institutionenakzeptanz) im Vergleich (Häufigkeiten).............................................................. 99 Abbildung 5.2a Systemvertrauen (Häufigkeiten) ........................................................................101 Abbildung 5.2b Positive Vertrauenswerte im Vergleich (Häufigkeiten)...................................102 Abbildung 5.3a Gesundheitsversorgung: gewünschte staatliche Zuständigkeit (Häufigkeiten) .......................................................................................................105 Abbildung 5.3b Alterssicherung: gewünschte staatliche Zuständigkeit (Häufigkeiten) .........105 Abbildung 5.3c Unterstützung Arbeitsloser: gewünschte staatliche Zuständigkeit (Häufigkeiten) .......................................................................................................106
8
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 5.3d Armut: gewünschte staatliche Zuständigkeit (Häufigkeiten) .........................107 Abbildung 5.3e Hilfe für Familien: gewünschte staatliche Zuständigkeit (Häufigkeiten) .....107 Abbildung 5.3f Befürwortung einer überwiegend staatlichen Zuständigkeit im Vergleich (Häufigkeiten) .....................................................................................108 Abbildung 5.4a Gesetzliche Krankenversicherung: »Leistungsbewertung« (Häufigkeiten).....110 Abbildung 5.4b Gesetzliche Rentenversicherung: »Leistungsbewertung« (Häufigkeiten) .......111 Abbildung 5.4c Arbeitslosenversicherung: »Leistungsbewertung« (Häufigkeiten).................112 Abbildung 5.4d Sozialhilfe: »Leistungsbewertung« (Häufigkeiten) ...........................................113 Abbildung 5.4e »Leistungsbewertung«: Präferenzen für Leistungserhöhungen und Leistungskürzungen im Vergleich (Häufigkeiten) ...........................................114 Abbildung 5.5a Erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit: »Arbeitsplätze« (Häufigkeiten) .............116 Abbildung 5.5b Erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit: »Verringerung der Einkommensunterschiede« (Häufigkeiten) ..............................................................................117 Abbildung 5.5c Erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit: »mehr finanzielle Unterstützung von Familien« (Häufigkeiten) .............................................................................118 Abbildung 5.5d Erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit: »Kinderbetreuungseinrichtungen« (Häufigkeiten) .......................................................................................................119 Abbildung 5.6
Zustimmung zu wohlfahrtsstaatlichen Wirkungen (Häufigkeiten)...............122
Abbildung 6.1.1 »Leistungsbewertung« von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe nach sozialen Klassen (Häufigkeiten).............................................................................138 Abbildung 6.1.2 Befürwortung staatlicher Zuständigkeit: »Arbeitsplätze« und »Abbau von Einkommensunterschieden« nach sozialen Klassen (Häufigkeiten).....140 Abbildung 6.1.3 »Leistungsbewertung«: Arbeitslosengeld – Klassen, soziale Lage (OLS-Regressionen) ............................................................................................142 Abbildung 6.1.4 »Leistungsbewertung«: Sozialhilfe – Klassen, soziale Lage (OLS-Regressionen) ............................................................................................143 Abbildung 6.1.5 Staatliche Zuständigkeit: »Arbeitsplätze« und »Einkommensunterschiede« – Klassen, soziale Lage (Ordinale logistische Regressionen) ........................144 Abbildung 6.1.6 »Leistungsbewertung« von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe nach Parteiaffinität (Häufigkeiten) ..............................................................................147 Abbildung 6.1.7 Befürwortung staatlicher Zuständigkeit: »Arbeitsplätze« und »Abbau von Einkommensunterschieden« nach Parteiaffinität (Häufigkeiten)..........149
Abbildungsverzeichnis
9
Abbildung 6.1.8 »Leistungsbewertung«: Arbeitslosengeld und Sozialhilfe; Einfluss der Parteiaffinität (OLS-Regressionen) ............................................................150 Abbildung 6.1.9 Staatliche Zuständigkeit: »Arbeitsplätze« und »Abbau von Einkommensunterschieden«; Einfluss der Parteiaffinität (Ordinale logistische Regressionen) ....................................................................................................... 151
Abbildung 6.2.1 Wahrscheinlichkeit von Versorgungsklassengegensätzen .............................156 Abbildung 6.2.2 »Leistungsbewertung« nach Versorgungsklassen: Arbeitslosengeld und Sozialhilfe (Häufigkeiten)............................................................................160 Abbildung 6.2.3 »Leistungsbewertung«: Höhe des Arbeitslosengeldes und der Sozialhilfe – Versorgungsklassen und subjektive Interessendefinitionen (OLSRegressionen) .......................................................................................................161 Abbildung 6.2.4 Institutionenakzeptanz: Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe – Versorgungsklassen und subjektive Interessendefinitionen (OLSRegressionen) .......................................................................................................163 Abbildung 6.2.5 Erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit: »Arbeitsplätze« – Versorgungsklassen und subjektive Interessendefinitionen (Ordinale logistische Regressionen) ..164 Abbildung 6.2.6 »Leistungsbewertung« (Rentenhöhe) und Institutionenakzeptanz (GRV) – Versorgungsklassen und subjektive Interessendefinitionen (OLSRegressionen) .......................................................................................................166 Abbildung 6.2.7 Institutionenakzeptanz: Gesetzlichen Krankenversicherung – subjektive Interessendefinitionen (OLS-Regressionen) .............................168
Abbildung 6.3.1 Wahrnehmung einer »Benachteiligung Jüngerer« und eines Generationenkonflikts in der Gesetzlichen Rentenversicherung (Häufigkeiten) ...............178 Abbildung 6.3.2 Anspruchserwerb durch Rentner nach Alterskategorien (Häufigkeiten) ........180 Abbildung 6.3.3 Anspruchserwerb durch Rentner (Ordinale logistische Regressionen).......181 Abbildung 6.3.4 Mögliche Konfliktlagen im Kontext wohlfahrtsstaatlicher Sicherung .......182 Abbildung 6.3.5 Institutionenakzeptanz der Gesetzlichen Rentenversicherung nach Altersgruppen (Häufigkeiten).............................................................................183 Abbildung 6.3.6 Gesetzliche Rentenversicherung: Institutionenakzeptanz und Leistungsbewertung« (OLS-Regressionen).......................................................................184 Abbildung 6.3.7 Einschätzung der eigenen Absicherung im Alter (Ordinale logistische Regressionen) .......................................................................................................186 Abbildung 6.3.8 Staatliche Unterstützung für Familien und für die Kinderbetreuung (Ordinale logistische Regressionen)..................................................................187
10
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 6.4.1 Wohlfahrtsstaatliche Bereiche und inkorporierte Gerechtigkeitsprinzipien ..193 Abbildung 6.4.2 Institutionenakzeptanz der Gesetzlichen Rentenversicherung (OLS-Regressionen) ............................................................................................200 Abbildung 6.4.3 Institutionenakzeptanz der Sozialhilfe (OLS-Regressionen).........................202 Abbildung 6.4.4 »Leistungsbewertung« – Renten (OLS-Regressionen) ...................................203 Abbildung 6.4.5 »Leistungsbewertung« – Sozialhilfe (OLS-Regressionen)..............................204 Abbildung 6.4.6 Erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit: »Bereitstellung von Arbeitsplätzen« und »Abbau von Einkommensunterschieden« (Ordinale logistische Regressionen) .......................................................................................................206
Abbildung 6.5.1 Mögliche Zielgruppen- und Leistungsempfängerbilder.................................214 Abbildung 6.5.2 Verteilung der untersuchten »deservingness«-Kriterien ...............................219 Abbildung 6.5.3a Wahrnehmung der Leistungsempfänger: »positive« Eigenschaften (Häufigkeiten) ...........................................................................................................225 Abbildung 6.5.3bWahrnehmung der Leistungsempfänger: »negative« Eigenschaften (Häufigkeiten) ............................................................................................................227 Abbildung 6.5.4 Staatliche Zuständigkeit für Gesundheitsversorgung und »Leistungsbewertung« (GKV-Leistungen) (OLS-Regressionen) ...................................230 Abbildung 6.5.5 Staatliche Zuständigkeit für die Alterssicherung und »Leistungsbewertung« (Rente) (OLS-Regressionen).........................................................232 Abbildung 6.5.6 Staatliche Zuständigkeit für die Unterstützung von Arbeitslosen und »Leistungsbewertung« (Arbeitslosengeld) (OLS-Regressionen) ...................234 Abbildung 6.5.7 Staatliche Zuständigkeit bei Armut und »Leistungsbewertung« (Sozialhilfe) (OLS-Regressionen) ......................................................................235 Abbildung 6.5.8 Staatliche Zuständigkeit für Familien (OLS-Regressionen) ..........................236 Abbildung 6.5.9 Präferenzen für höhere Ausgaben für Familien (Ordinale logistische Regressionen) .......................................................................................................237
Vorbemerkung
Diese Arbeit befasst sich mit der Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates in der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist aus einem umfangreichen Forschungsprojekt hervorgegangen, dass ich von 2002 bis 2005 an der Universität Mannheim geleitet habe. Das hier vorliegende Buch stellt die geringfügig überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift dar, die im Juni 2006 von der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim angenommen wurde. Wie immer bei umfangreichen Forschungsvorhaben wäre ihre Realisierung ohne die Unterstützung vieler Kolleginnen und Kollegen nicht möglich gewesen. An erste Stelle ist hier Johannes Berger zu nennen, dem ich gleich dreifach zu danken habe: als Co-Projektleiter, als Gutachter meiner Habilitationsschrift sowie als langjähriger Inhaber des Lehrstuhls, an dem ich den notwendigen Freiraum hatte, mich dieser intensiven Forschung zu widmen. Ohne Einschränkung kann ich dies auch für Bernhard Ebbinghaus sagen, der Johannes Berger als Lehrstuhlinhaber nachfolgte. Er hat mir nicht nur in Zeiten hoher Lehrstuhlbelastung ein relativ »druckfreies« Beenden meiner Forschungen ermöglicht, sondern unterstützte mich auch darüber hinaus in vielerlei Hinsicht. Die Zusammenarbeit mit Bernhard Ebbinghaus werde ich als ausgesprochen konstruktiv und solidarisch in Erinnerung behalten. Mein besonderer Dank gilt auch Bernhard Christoph, der als mein langjähriger Projektmitarbeiter für die Durchführung des Forschungsprojekts unverzichtbar war. Fast alle Aspekte der vorliegenden Arbeit sind in intensiver Zusammenarbeit und anregenden Diskussionen mit Bernhard Christoph entstanden. Ihm gebührt dabei das Verdienst, mich ein ums andere Mal vor vorschnellen Interpretationen gewarnt zu haben (und sofern es diese dennoch geben sollte, ist dies bestimmt nicht seine Schuld). Wichtige Anstöße gingen auch vom Kollegenkreis am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) aus, insbesondere im Rahmen der dort regelmäßig abgehaltenen Kolloquien. Als sehr wertvoll für die Projektarbeit erwies sich auch die Unterstützung durch das Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA). Patrick Sachweh und Valentin Eck haben über einen langen Zeitraum als studentische Hilfskräfte wertvolle und engagierte Projektarbeit geleistet. Beide haben zudem herausragende Diplomarbeiten zu Teilfragen des Forschungsprojekts verfasst. Auch ihnen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Zu erwähnen sind hier auch
12
Vorbemerkung
Tim Müller, Nadine Reibling, André Schaffrin und Sebastian Koos, die mich als studentische Hilfskräfte des Lehrstuhls in unterschiedlicher Form bei meiner Arbeit unterstützt haben. Im Rahmen des wissenschaftlichen Austausches haben auch viele Kolleginnen und Kollegen durch Anregungen und Kritik Einfluss auf mein Forschungsvorhaben genommen; ihnen sei hier kollektiv gedankt. Zuletzt sei auch der Fritz-ThyssenStiftung und dem Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung für die Finanzierung des Forschungsprojektes sowie dieser Publikation gedankt. Mannheim, im Juli 2007
1
Einleitung
Diese Arbeit befasst sich mit der Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen in der Bundesrepublik Deutschland. Es wird untersucht, auf welches Maß an Akzeptanz der Wohlfahrtsstaat stößt, welcher Art diese Akzeptanz ist und wie die Akzeptanzurteile gegenüber sozialen Sicherungssystemen und sozialpolitischen Zielen erklärt werden können. Grundlage für diese Analysen sind die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage zur Wohlfahrtsstaatsakzeptanz in Deutschland, die im Sommer 2004 durchgeführt wurde. Diese Umfrage ist die erste für die Bundesrepublik Deutschland durchgeführte Primärerhebung, in der Aspekte der wohlfahrtsstaatlichen Akzeptanz in größerem Umfang und in detaillierter Form thematisiert wurden. Die Frage, wie der Sozialstaat insgesamt, einzelne Sicherungssysteme sowie spezifische Teilaspekte und Regelungen von der Bevölkerung beurteilt werden, ist von großer Bedeutung für die Ausgestaltung des Systems der sozialen Sicherung. Dies gilt zum einen in legitimatorischer Hinsicht: Soziale Rechte und individuelle Sicherungsbedürfnisse bilden die Grundlage zumindest im Kern legitimer Ansprüche und Erwartungen der Sozialbürger an den Staat. Sie sollten insofern ein zentrales Anliegen staatlicher Politik sein und sich zumindest restringierend auf (sozial)politische Entscheidungsspielräume auswirken. Aber auch für den Erhalt, die Funktionstüchtigkeit und die Umgestaltung sozialer Sicherungsinstrumente ist die Frage ihrer Akzeptanz von entscheidender Bedeutung. Denn nur soweit die in ihnen inkorporierten Handlungserwartungen – an die Solidaritätsbereitschaft, Eigenverantwortung oder auch »compliance« – bei einer Mehrheit der wohlfahrtsstaatlichen Adressaten grundsätzlich auf Zustimmung stoßen und insofern von einer supportiven Wohlfahrtskultur getragen werden, können soziale Sicherungssysteme ihren vielschichtigen Anforderungen gerecht werden. Als reine Zwangsapparate – so zumindest die weit geteilte Auffassung – lassen sich derart anspruchsvolle Institutionen wie die Gesetzliche Rentenversicherung oder die Sozialhilfe in einem demokratischen Rechtsstaat jedenfalls nicht aufrechterhalten. Gerade in Zeiten intensiver Bemühungen um eine grundlegende Umgestaltung des Wohlfahrtsstaates gewinnen Fragen der sozialen Akzeptanz daher zunehmend an Bedeutung und angesichts des Ausmaßes des notwendigen – oder auch nur als notwendig erachteten – Reformbedarfs im Bereich der sozialen Sicherung auch an Dringlichkeit.
14
1 Einleitung
Trotz ihrer zentralen Bedeutung hat die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme jedoch sowohl im politisch-öffentlichen als auch im wissenschaftlichen Diskurs bisher eher wenig Beachtung gefunden. Ein entscheidender Grund für die Vernachlässigung von Fragen der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz ist in der lange Zeit vorherrschenden Auffassung zu sehen, der Wohlfahrtsstaat der Nachkriegszeit generiere durch die Gewährung von Leistungsansprüchen seine Unterstützung gewissermaßen selbst. Doch bereits in der Hochphase der wohlfahrtsstaatlichen Expansion mehrten sich die Zweifel an einer unverbrüchlichen Unterstützung sozialpolitischer Programme in der Bevölkerung. Die Richtungen, aus denen diese Zweifel geäußert wurden, waren denkbar unterschiedlich – so wechselten sich im Gefolge der politischen Großwetterlagen neomarxistische, neokonservative und neoliberale Krisenszenarien ab. Gemeinsam sind ihnen die eher politisch-weltanschauliche Sichtweise und eine meist völlige Abstinenz gegenüber womöglich irritierenden Fragen tatsächlicher (empirischer) Akzeptanz. Ihre skeptischen Annahmen über vermeintliche Legitimationsdefizite des Wohlfahrtsstaates sind daher wesentlich ideologischer Natur. Wie die Bevölkerung das System der sozialen Sicherung beurteilt und wie sie möglichen Reformalternativen gegenübersteht, ist jedoch eine empirische Frage und kann nicht einfach aus theoretischen Axiomen abgeleitet werden. Eine positive Akzeptanz der wohlfahrtsstaatlichen Institutionen ist dabei alles andere als selbstverständlich. Sie ist, im Gegenteil, äußerst voraussetzungsvoll, setzt sie doch beim Gros der Beitrags- und Steuerzahler in erheblichem Maße ein Verzicht auf unmittelbare Konsuminteressen voraus. Die vorliegende Arbeit verfolgt daher ein doppeltes Ziel: Zum einen soll ein repräsentatives Bild über den Grad der Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen in der Bundesrepublik Deutschland sowie über Akzeptanzunterschiede zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen gewonnen werden. Darüber hinaus zielt sie auf die Erklärung positiver und negativer Akzeptanzurteile mittels multivariater Erklärungsmodelle. Entsprechende Analysen werden für insgesamt fünf Leistungsbereiche bzw. Sicherungssysteme durchgeführt: für die Bereiche Alterssicherung/Gesetzliche Rentenversicherung, Gesundheitsversorgung/Gesetzliche Krankenversicherung, Arbeitslosigkeit/Arbeitslosenversicherung, Armut/Sozialhilfe sowie für Leistungen für Familien. Angesichts der Vielschichtigkeit der für die Beurteilung sozialer Sicherungssysteme infrage kommenden Bezüge – wie u.a. unmittelbare und langfristige Interessen, gegensätzliche Wertorientierungen und unterschiedliche Situationseinschätzungen – und der institutionellen Komplexität und Widersprüchlichkeit des Wohlfahrtsstaates ist jedoch für beide hier zentralen Fragen – nach dem Art und Umfang der Akzeptanz sowie nach den möglichen Erklärungsfaktoren – nicht mit »einfachen« Antworten zu rechnen. Insgesamt gliedert sich die Untersuchung in zwei Teile. Der erste Teil, der die Kapitel 2 bis 4 umfasst, behandelt zunächst verschiedene theoretische und konzep-
1 Einleitung
15
tionelle Fragen der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz. Im Hauptteil dieser Arbeit (Kapitel 5 und 6) werden dann die einzelnen empirischen Analysen zu den im ersten Teil entwickelten Annahmen über die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen vorgestellt. Im folgenden Kapitel (Kapitel 2) werden zwei grundlegende theoretische Aspekte diskutiert. Im ersten Abschnitt stehen Bemühungen im Vordergrund, den Akzeptanzbegriff genauer zu bestimmen (Abschnitt 2.1). Dabei sind Antworten auf zwei Fragen zu finden: Zum einen ist zu klären, wie Akzeptanz allgemein definiert werden und von vordergründig ähnlichen Phänomenen wie Toleranz oder Legitimität sinnvoll unterschieden werden kann. Auf dieser Grundlage werden dann die spezifischen Akzeptanzbedingungen erörtert, die im Kontext der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung bestehen. Ein anderer theoretischer Zugang zur Wohlfahrtsstaatsakzeptanz wird im zweiten Abschnitt (2.2) gesucht. Hier werden die dominanten Richtungen der Wohlfahrtsstaatstheorie danach befragt, welchen Stellenwert sie Akzeptanzfragen beimessen und vor allem, welche Annahmen sie über die allgemeine Beschaffenheit der Akzeptanz und über mögliche Erklärungsfaktoren treffen bzw. welche Hypothesen über die Wohlfahrtsstaatsakzeptanz sich aus ihnen ableiten lassen. Dieser Abschnitt dient der Gewinnung noch eher allgemeiner Annahmen über die Akzeptanz von Wohlfahrtsstaaten insgesamt sowie über die spezifischen Akzeptanzbedingungen des deutschen, »konservativen« Wohlfahrtsstaatsmodells. Das dritte Kapitel gibt einen kurzen Überblick über den internationalen Forschungsstand zur Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates. In einem ersten Schritt werden die gebräuchlichen Formen der (wohlfahrtsstaatlichen) Akzeptanzmessung dargelegt und die zentralen Befunde zusammengefasst, wobei sich die Darstellung vor allem auf vergleichende Untersuchungen stützt (3.1). Daran anknüpfend wird verdeutlicht, worin die Probleme und Defizite der Akzeptanzforschung zum Wohlfahrtsstaat bestehen und welche Alternativen sich anbieten (3.2). Die Kritik an der Akzeptanzforschung zum Wohlfahrtsstaat bildet den Ausgangspunkt für die Entwicklung der Akzeptanzindikatoren und die Bestimmung möglicher Erklärungsfaktoren für die Akzeptanzurteile (Kapitel 4). Nach einigen allgemeinen Angaben zur Datenbasis (4.1) erfolgt zunächst eine detaillierte Darstellung der Akzeptanzindikatoren (4.2). Dabei geht es nicht nur um allgemein-methodische und messtechnische Fragen, sondern vor allem um die Angemessenheit der verwendeten Indikatoren im Hinblick auf die in Abschnitt 2.1 herausgestellten Besonderheiten wohlfahrtsstaatlicher Akzeptanz. Die Vor- und Nachteile verschiedener Formen der Akzeptanzmessung sowie methodologische »Aporien« werden hier ausführlich diskutiert. Da sie nur analytisch von der Frage der Angemessenheit von Akzeptanzindikatoren zu trennen ist, erfolgt in diesem Abschnitt schließlich auch die nähere Festlegung des »Akzeptanzobjekts Wohlfahrtsstaat«. Dabei wird deutlich, dass nur
16
1 Einleitung
einzelne Sicherungssysteme, Leistungen und Aufgabenbereiche die Analyseeinheiten bilden können. Im dritten Abschnitt dieses Kapitels (4.3) werden die Erklärungsfaktoren erläutert, die im Rahmen dieser Untersuchung zur Erklärung der Akzeptanzurteile über soziale Sicherungssysteme herangezogen werden. Auch hier gilt es, die Kritik an der traditionellen Akzeptanzforschung produktiv für die Erweiterung des Spektrums möglicher Erklärungsfaktoren zu nutzen. Neben in der politischen Einstellungsforschung häufig verwendeter Indikatoren der sozialen Lage und politischer Präferenzen werden hier zudem subjektive Interessendefinitionen, grundlegende Wertorientierungen und spezifische Deutungsmuster hinsichtlich ihres möglichen Erklärungswerts diskutiert. Im fünften Kapitel werden die allgemeinen (deskriptiven) Befunde zur Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates in der Bundesrepublik Deutschland dargelegt. Dabei werden zwei kategoriale Dimensionen unterschieden: In einem ersten Abschnitt (5.1) wird die Akzeptanz der bestehenden wohlfahrtsstaatlichen Institutionen bzw. Leistungsbereiche betrachtet. Dazu werden das Systemvertrauen und die allgemeine Beurteilung der Wohlfahrtsinstitutionen für insgesamt fünf Bereiche analysiert (Gesetzliche Rentenversicherung, Gesetzliche Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Sozialhilfe und Leistungen für Familien). Zusätzlich zum wohlfahrtsstaatlichen Status quo wird auch die Akzeptanz der »Wohlfahrtsstaatlichkeit«, des gewünschten Umfangs und der gewünschten Intensität der sozialen Sicherung, untersucht (Abschnitt 5.2). Im Vordergrund stehen dabei die Frage einer staatlichen Zuständigkeit für sozialpolitische Aufgaben sowie die Beurteilung des Niveaus der für den deutschen Wohlfahrtsstaat zentralen Leistungsarten (gesetzliche Rente, Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung, Arbeitslosengeld und Sozialhilfe). Ergänzend wird schließlich auch die Akzeptanz von sozialpolitischen Zielsetzungen und Aufgaben untersucht, die nicht zum Kanon der institutionalisierten wohlfahrtsstaatlichen Funktionen zu rechnen sind (Abschnitt 5.3). Im zweiten und umfangreicheren Teil der empirischen Analysen (Kapitel 6) werden unterschiedliche und zum Teil konkurrierende Annahmen über die maßgeblichen Erklärungsfaktoren der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz eingehend analysiert. Dies erfolgt abschnittsweise anhand von insgesamt fünf thematischen Schwerpunkten. Dabei werden die im zweiten Kapitel aus den Theorien der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung abgeleiteten, noch allgemeinen Annahmen über die Wohlfahrtsstaatsakzeptanz und über Unterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen in den einzelnen Abschnitten zu spezifischen Hypothesen weiterentwickelt und ausführlich erläutert. Im ersten Abschnitt dieses analytischen Teils (6.1) steht zunächst die klassische Frage im Mittelpunkt, ob sich traditionelle Klassengegensätze, die gerade auch in der Arena der sozialstaatlichen Sicherung ausgetragen wurden, in den Akzeptanzurteilen über den Wohlfahrtsstaat wieder finden lassen. Demnach müssten vor allem Arbeiter und Personen in ähnlichen sozialen Positionen das System der sozialen Sicherung
1 Einleitung
17
mehr unterstützen und ein höheres Absicherungsniveau präferieren als andere Bevölkerungsteile, insbesondere wenn diese dem Lager der traditionellen Wohlfahrtsstaatsgegner zuzurechen sind (wie vor allem Selbständige). Neben dem zentralen Aspekt traditioneller Klassengegensätze wird in diesem Abschnitt geprüft, inwiefern sich gegenläufige Annahmen über die Integration der Mittelklassen in den Wohlfahrtsstaat mit Akzeptanzurteilen belegen lassen. Schließlich wird hier auch der Frage nachgegangen, inwiefern bei der Beurteilung der sozialen Sicherung Gegensätze zwischen Personen mit unterschiedlicher parteipolitischer Orientierung zu erkennen sind. In Abschnitt 6.2 wird untersucht, in welchem Maße Interessengegensätze bei der Beurteilung der sozialen Sicherung bestehen, die sich unmittelbar aus den redistributiven Wirkungen des Wohlfahrtsstaates ergeben. Das wichtigste Kriterium sind hierbei Versorgungsklassenpositionen, die vor allem bei Sicherungssystemen mit existenzoder lebensstandardsichernden Leistungen (Renten, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe) deutlich sichtbar sind und ein spezifisches Interesse gegenüber den entsprechenden Sicherungssystemen und Leistungen konstituieren. Neben der objektiven sozialpolitischen Interessenlage wird in diesem Abschnitt zudem die Bedeutung subjektiver Interessendefinitionen für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme untersucht. Die Möglichkeit eines wohlfahrtsstaatlichen Generationenkonflikts ist das dritte Thema dieses Kapitels (6.3). Ähnlich wie bei den Versorgungsklassen handelt es sich hier um einen latenten Gegensatz, der erst durch die Form der sozialen Sicherung selbst mitbedingt ist und angesichts eines schrumpfenden »Kuchens« virulent zu werden droht. An besonders lebensphasenspezifischen Leistungen wird daher untersucht, ob sich aus Akzeptanzunterschieden zwischen Altersgruppen ein Potenzial für intergenerationelle Konflikte ablesen lässt und wie die Befragten selbst die Möglichkeit eines wohlfahrtsstaatlichen Generationenkonflikts einschätzen. Kreisen die bisherigen thematischen Schwerpunkte vor allem um Erklärungen von Akzeptanzurteilen und Akzeptanzunterschieden, die letztlich auf vom Wohlfahrtsstaat unabhängige oder durch ihn strukturierte Interessen rekurrieren, so befassen sich die beiden letzten Abschnitte des analytischen Teils mit Erklärungsversuchen, die Akzeptanzurteile durch Einflüsse jenseits des unmittelbaren Eigeninteresses motiviert sehen. Zunächst wird in Abschnitt 6.4 die Bedeutung unterschiedlicher Handlungs- und Wertorientierungen für die Erklärung von Akzeptanzurteilen betrachtet. Dabei wird nicht nur gezeigt, dass sich normative Überzeugungen auf die Wohlfahrtsstaatsakzeptanz auswirken können; vielmehr wird auch den spezifischen, kontextabhängigen Einflüssen der einzelnen Handlungsorientierungen nachgegangen. Denn Wertorientierungen, so die hier zugrunde gelegte Annahme, wirken sich nur in dem Maße auf die Akzeptanzurteile über soziale Sicherungssysteme aus, wie sie auch im jeweiligen Sicherungskontext relevant erscheinen. Dabei wird vor allem für Orientierungen an grundlegenden Normen der Verteilungsgerechtigkeit (u.a. Bedarfsgerechtigkeit) eine ent-
18
1 Einleitung
sprechende Wirkung auf die Beurteilung sozialer Sicherungssysteme angenommen. Ein ähnlicher Einfluss auf die Akzeptanzurteile wird aber auch von allgemeinen »Sozialorientierungen« (z.B. einer Befürwortung von Eigenverantwortung) erwartet. Im abschließenden Analyseabschnitt (6.5) werden schließlich institutionalistische Überlegungen zur Akzeptabilität sozialer Sicherungssysteme überprüft. Diesen ist die Vorstellung gemeinsam, dass die Chancen einer Institution auf Akzeptanz auch durch deren institutionelle Spezifika geprägt werden. Die Untersuchung dieser institutionalistischen Grundüberzeugung erfolgt hier für einen wichtigen Teilbereich, und zwar für die Wahrnehmung und Beurteilung der Leistungsempfänger. Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, dass ein positives Bild der Leistungsempfänger sich verstärkend, ein negatives dagegen abträglich auf die Akzeptanz der entsprechenden Sicherungssysteme auswirkt. Hierzu werden Beurteilungen der Leistungsempfänger anhand mehrerer Eigenschaften erfasst und hinsichtlich ihres Einflusses auf die Akzeptanzurteile untersucht. Abschließend werden die wichtigsten Ergebnisse der empirischen Analysen zusammengefasst und ihre Implikationen diskutiert (Kapitel 7). In einem Anhang findet sich eine ausführliche Darstellung der verwendeten Akzeptanzindikatoren und Erklärungsfaktoren nebst Itemformulierungen und Antwortskalen.
2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen
Dieses Kapitel führt in die allgemeine Thematik dieser Arbeit ein. Dazu wird dargelegt, auf welche soziale Phänomene und Problemlagen das Konzept der Akzeptanz reagiert und welche Erklärungen unterschiedliche Wohlfahrtsstaatstheorien für die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen anbieten. Im ersten Teil (2.1) wird zunächst näher erläutert, was unter »Akzeptanz« zu verstehen ist. Im Vordergrund stehen dabei begriffliche und theoretische Präzisierungen. Diese erfolgen zunächst in allgemeiner Form (2.1.1). In einem zweiten Schritt wird dann verdeutlicht, was man im Kontext der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung mit Akzeptanz meint und wo sich hier Akzeptanzprobleme stellen können (2.1.2). Der zweite Teil diese Kapitels (2.2) befasst sich dann eingehend mit den einzelnen Annahmen über die Bedeutung und die Ursachen der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz, die sich aus konkurrierenden Ansätzen der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung ergeben. 2.1 Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates 2.1.1
Was ist Akzeptanz? Annäherungen an ein »amorphes« Konzept
»Akzeptanz« ist ein schwieriges, empirisch wie theoretisch nur schwer zu fassendes Phänomen. Die Thematik sozialer Akzeptanz weist dabei zahlreiche theoretische Bezüge auf; eine allgemeine und umfassende Theorie der Akzeptanz steht aber noch aus. Auch sind – etwa im Unterschied zum Begriff der politischen Unterstützung, der aus dem Kontext der kybernetischen Systemtheorie hervorgegangen ist – kaum spezifische Affinitäten zu einzelnen Theorierichtungen auszumachen. Entsprechend heterogen und theoretisch unbestimmt erscheint daher auch oft die Verwendung des Akzeptanzbegriffs. Eingang in wissenschaftliche Diskussionszusammenhänge fand das Konzept der Akzeptanz in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts (vgl. Kneer 2000). Eine wichtige Rolle spielte der Akzeptanzbegriff dabei zunächst in der Techniksoziologie im Zusammenhang mit der Einführung neuer Technologien und der damit verbundenen Risiken (vgl. u.a. Dierkes 1986; Jaufmann 1999; Kistler/Jaufmann 1990), wobei eine theoretische Reflexion des Akzeptanzphänomens – wie etwa bei Rammert (1990) –
20
2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen
jedoch eher die Ausnahme blieb. Eine gewisse Verbreitung hat er aber auch in der Verwaltungssoziologie (Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen; Kneer 2000) und vor allem in der Rechtssoziologie gefunden (Akzeptanz von Gesetzen und richterlichen Entscheidungen; vgl. u.a. Limbach 1998; Würtenberger 1999). Schließlich hat der Akzeptanzbegriff auch in der deutschsprachigen Wohlfahrtsstaatsforschung seit den 90er Jahren immer mehr Verwendung gefunden und ältere Terminologien zunehmend verdrängt (s. hierzu 2.1.2). Grundsätzlich liegen jeder Form von Akzeptanzforschung zwei allgemeine Prämissen zugrunde: So wird zum einen angenommen, dass ein bestimmtes Mindestmaß an (positiver) Akzeptanz eine Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit sozialer Institutionen ist. Nur mit Protest, Ablehnung oder Desinteresse – so diese integrations- und stabilitätstheoretische Prämisse – lässt sich keine gesellschaftliche Ordnung aufrechterhalten. Zum anderen wird das empirisch feststellbare Maß an Akzeptanz als Kriterium für die Legitimität insbesondere von Herrschaftsverhältnissen angesehen (legitimitätstheoretische Prämisse), ohne dass jedoch (empirische) Akzeptanz und (normative) Legitimität gleichzusetzen wären. Die Akzeptanzthematik gewinnt zudem durch die Annahme an Brisanz, dass Fragen sozialer Akzeptanz immer häufiger gestellt werden. Sowohl als gesellschaftliches Phänomen als auch als theoretisches Konzept steigt demnach die Bedeutung von Akzeptanz. Für einen wachsenden Bedarf an sozialer Akzeptanz lassen sich dabei mindestens zwei theoretische Argumente anführen (vgl. a. Lucke 1995, 1996): In modernisierungstheoretischer Sicht kann von einer stärkeren und weiter wachsenden Demokratisierung bzw. Partizipation ausgegangen werden. Dies bedeutet, dass immer mehr Bürgern immer mehr Partizipations- und Mitbestimmungsrechte eingeräumt werden und dass diese gleichzeitig immer mehr willens sind, diese Rechte auch wahrzunehmen. Dadurch werden vor allem politische Entscheidungen im steigenden Maße von Akzeptanz abhängig – sei es tatsächlich oder nur im Sinne eines Anspruches auf »Akzeptanzbeachtung«.1 Auch systemtheoretische Überlegungen legen einen steigenden Akzeptanzbedarf nahe, wenn man der grundlegenden Annahme einer »thematischen Reinigung« der Funktionssysteme und ihrer »legitimen Indifferenz« (Tyrell 1978) gegenüber systemfremden Belangen folgt. Denn aufgrund dieser Eigenschaften produzieren Funktionssysteme permanent »Systemexternalitäten«, die – allerdings weniger in einer system- als in einer akteurstheoretischen Perspektive – Akzeptanzprobleme aufwerfen. Durch Inklusionsprozesse und wachsende Interdependenzen werden zudem immer mehr Menschen zu Beteiligten und Betroffenen unterschiedlicher Funktionssysteme, was zugleich zu einem gesteigerten Kontingenzbewusstsein führt. Mit modernisierungs- und systemtheoretischen Überlegungen lässt sich also die Vermutung begründen, dass immer mehr Menschen von einer wachsenden Zahl 1
Nach Lucke (1995) leben wir bereits in einer »Abstimmungsgesellschaft«.
2.1 Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
21
von Entscheidungen anderer betroffen sind, dass ihnen immer häufiger ein »Anspruch auf Akzeptanz« zugestanden wird und dass parallel die Erwartung und Bereitschaft steigt, diesen Anspruch einzulösen und vor allem negative Akzeptanz mittels öffentlicher Proteste und anderer Formen des Widerstands (z.B. rechtliche Klagen) zum Ausdruck zu bringen. Für die Annahme eines gestiegenen Akzeptanzbedarfs gibt es insofern gute theoretische Gründe. Entsprechende empirische Nachwiese dürften dennoch schwer fallen (vgl. aber die Beiträge in Lucke/Hasse 1998). Dies gilt vor allem für die aus dem gestiegenen Akzeptanzbedarf und einer vermeintlich gesunkenen Zustimmungsbereitschaft abgeleitete Annahme einer grundlegenden Akzeptanzkrise. Angesichts der unterschiedlichen und oft eher unspezifischen Verwendungsweisen scheint es fraglich, ob Akzeptanz sinnvoll als eigenständiges, vom jeweiligen Akzeptanzobjekt unabhängiges Phänomen aufzufassen ist und zum Gegenstand einer allgemeinen Akzeptanztheorie gemacht werden kann. So kommt Lucke (1995; vgl. a. 1998) in ihrer umfassenden begriffsanalytischen Arbeit, in der sie auch die unterschiedlichen Verwendungszusammenhänge des Akzeptanzbegriffs untersucht, trotz des offensichtlichen Bemühens, »Akzeptanz« als eigenständigen, von konkreten Akzeptanzkontexten unabhängigen Untersuchungsgegenstand zu begründen, nicht zu einer allgemeinen Theorie der Akzeptanz. Ihr Vorschlag für eine kontextunabhängige Definition von Akzeptanz läuft schließlich auf eine enge Anbindung an den Weberschen Herrschaftsbegriff hinaus (Lucke 1995: 104).2 Die Möglichkeit einer »allgemeinen Theorie der Akzeptanz« ist also eher skeptisch zu beurteilen. Es ist jedoch auch zu fragen, ob es einer solchen allgemeinen Theorie (Theorie im engeren Sinne) überhaupt bedarf und ob nicht vielleicht allgemeinere Plausibilisierungen eines gestiegenen Akzeptanzbedarfs bzw. einer wachsenden Akzeptanzabhängigkeit von Entscheidungen und Institutionen ausreichen – sowie natürlich jeweils konkrete, auf die spezifischen Akzeptanzanforderungen zugeschnittene Hypothesen. Auch hier kann keine abschließende Antwort auf die Frage gegeben werden, was Akzeptanz denn ganz allgemein sei. Wohl aber soll im Folgenden versucht werden, mehr theoretische Klarheit über das Phänomen Akzeptanz zu erlangen. Dazu sollen einige begriffliche Erörterungen dienen, mit denen Akzeptanz besser von zumindest vordergründig ähnlichen Sachverhalten unterschieden werden kann. Dadurch sollte es auch möglich sein, einem zu ungenauen und ausufernden Gebrauch des Akzeptanzkonzepts entgegenzuwirken. 2
Kneer (2000), der das Theoriedefizit der Akzeptanzforschung beklagt, unternimmt den Versuch, das Akzeptanzphänomen systemtheoretisch zu fassen. Er geht davon aus, dass sich »von Akzeptanz sprechen lässt, wenn die Annahme einer Kommunikation kommuniziert wird« (2000: 97). Eine solche Definition unterstreicht jedoch nur, dass mit spät- bzw. postluhmannianischen Theoriestrategien vordem durchaus substantielle Konzepte jeglicher theoretischen Prägnanz beraubt und zu semantisch verklausulierten Trivialitäten herabgewürdigt werden.
22
2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen
In ihrer allgemeinen Form kann Akzeptanz als Bewertung (und Reaktion) auf Handlungen und Entscheidungen anderer definiert werden. Fragen der Akzeptanz stellen sich immer dann, wenn Entscheidungen und Handlungen, auch in »institutionalisierter« Form, Auswirkungen auf Akteure haben, die am Zustandekommen dieser Entscheidungen nicht (maßgeblich) beteiligt waren. (Individuelle) Akzeptanz kann insofern als der Grad bezeichnet werden, in dem intendierte und nicht-intendierte Wirkungen von Entscheidungen und Handlungen anderer – bzw. diese Entscheidungen oder Entscheidungsträger selbst – bei einer Person oder einem Personenkollektiv auf Zustimmung (positive Akzeptanz) oder Ablehnung (negative Akzeptanz) stoßen.3 Diese Definition hat eine Reihe von Implikationen und zwei grundlegende Voraussetzungen; zunächst zu den beiden Voraussetzungen: (1) Die erste ist die »Entdinglichung« der Akzeptanzobjekte. Akzeptanzprobleme können nur insoweit auftreten, wie man sich der grundsätzlichen Kontingenz von Entscheidungen und institutionellen Arrangements bewusst ist. Dinge, die uns natürlich oder zumindest unabänderlich (weil funktional notwendig und zugleich alternativlos) erscheinen, können wir nicht »akzeptieren«, jedenfalls nicht im Sinne der hier zugrunde gelegten Begriffsverwendung. Dies gilt nicht nur für primär natürliche Phänomene wie das Wetter, die eigene Sterblichkeit oder die Schwerkraft, sondern auch für viele »soziale Tatsachen« sowie für das eigene Handeln (man kann die eigenen Entscheidungen zwar später bereuen, aber nicht ablehnen).4 Ungleich komplizierter ist die Situation bei vielen sozialen Phänomenen, die oft zum Teil, aber fast nie ausschließlich, auf Entscheidungen zurückgeführt werden können – und wenn, dann womöglich auf mehrere Entscheidungsträger, die ihre Entscheidungen unkoordiniert oder gar mit entgegengesetzten Zielsetzungen treffen. Ein Beispiel hierfür ist Arbeitslosigkeit, die – je nach wirtschaftspolitischem Handeln – vielleicht höher oder niedriger sein könnte, deren vollständige Beseitigung durch staatliches Handeln aber nicht ernsthaft erwartet werden kann (auch wenn manche dies – entgegen gut fundierter systemtheoretischer Einsichten – dennoch tun). (2) Die zweite grundlegende Voraussetzung besteht darin, dass alternative Reaktionsmodi bekannt sind. Das heißt, die Beziehung der »Entscheidungsbetroffenen« zum Entscheidungsträger ist nicht durch bedingungslosen Gehorsam (Gehorsamspflicht) und Unterwürfigkeit gekennzeichnet. Neben der Zustimmung muss daher auch deren Verweigerung (bzw. eine Ablehnung) als Beurteilungsoption zur Verfügung stehen.
3
4
Durch diese »bipolare« Bestimmung unterscheidet sich dieser Definitionsvorschlag vom häufigeren Sprachgebrauch, der den Begriff auf Zustimmung beschränkt (Lucke 1995; Kneer 2000). Dass sich in diesen Fällen keine Akzeptanzfragen stellen, hat selbstverständlich unterschiedliche Gründe: Beim eigenen Handeln ist man selbst Entscheidungsträger (Kriterium der passiven Betroffenheit); das Wetter und andere natürliche Phänomene sind dagegen überhaupt nicht von Entscheidungen abhängig.
2.1 Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
23
Als Reaktionsform auf Entscheidungen anderer, von denen man betroffen ist, unterscheidet sich Akzeptanz z.B. von »Anerkennung« (Honneth 1992; Nullmeier 2003). Gesellschaftlich oder individuell anerkannte Ansprüche, z.B. eine besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern oder der Anspruch von Kriegs- und Gewaltopfern auf Versorgung, können zwar eine wesentliche Quelle positiver Akzeptanz sein (im umgekehrten Fall einer Nicht-Anerkennung der Ansprüche von negativer). Akzeptanzfragen stellen sich aber erst in dem Moment, in dem derartige Ansprüche zur Grundlage politischer Entscheidungen gemacht werden. Erst diese Entscheidungen und ihre unmittelbaren, zurechenbaren Folgen können »akzeptiert« werden. Von »Toleranz« unterscheidet sich Akzeptanz demgegenüber durch die Betroffenheit der Urteilenden. Andere Lebensstile, Geschmäcker, Karrieren usw., aber z.B. auch politische Entscheidungen, von denen man nicht betroffen ist, können »toleriert« werden, müssen aber nicht »akzeptiert« werden. Anders formuliert: Man toleriert etwas so lange, wie man davon nicht betroffen ist. Erst durch die »Betroffenheit« wird die Toleranz- zur Akzeptanzfrage. (3) Die erste Implikation der vorgeschlagenen Akzeptanzdefinition betrifft die Art der sozialen Beziehungen, in denen Akzeptanzprobleme entstehen können. So sind »Herrschaftsbeziehungen« sicherlich ein besonders wichtiger Typus sozialer Beziehungen, bei denen sich Akzeptanzfragen stellen, denn bindende und sich auf die Situation der »Beherrschten« in vielfacher Weise auswirkende Entscheidungen stellen hier den Normalfall dar. Dennoch wäre es m.E. wenig sinnvoll, Akzeptanzfragen auf Herrschaftsbeziehungen zu beschränken, selbst wenn man diese im weiteren, Weberschen Sinne definiert. Denn auch innerhalb horizontaler sozialer Beziehungen und Interaktionen können zahlreiche Probleme auftreten, die sich nicht grundlegend von der Akzeptanz von »Befehlen« und politischen Entscheidungen unterscheiden. So können etwa Entscheidungen des Ehepartners (z.B. berufliche wie die Aufnahme einer Berufstätigkeit in einer anderen Stadt oder eine Kündigung) beim jeweils anderen durchaus auf Zustimmung oder Ablehnung stoßen, sofern dieser nicht an der Entscheidung beteiligt war. Ebenso können die Handlungsweisen kaum bekannter Nachbarn mit erheblichen Externalitäten verbunden sein (z.B. Ruhestörung). Wichtig ist zudem die Unterscheidung von intendierten und nicht-intendierten Folgen. Die Frage, ob die Folgen von Entscheidungen von Handelnden beabsichtigt waren oder nicht, mag sich in vielen Fällen erheblich auf die Akzeptanzurteile auswirken. Aber auch nicht-intendierte Folgen und Handlungsexternalitäten – sogar solche, die den Handelnden selbst im Nachhinein nicht bewusst werden – sind prinzipiell genauso »akzeptanzrelevant« wie Entscheidungen, deren Folgen beabsichtigt sind. Entscheidend ist allein die prinzipielle Zurechenbarkeit der Handlungen und Handlungsfolgen. Insgesamt ergeben sich damit vier grundlegende »Beziehungskonstellationen«, in denen sich Akzeptanzprobleme entwickeln können (Abbildung 2.1).
24
2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen
Abbildung 2.1
»Akzeptanzrelevante« Beziehungskonstellationen und Entscheidungen intendierte Folgen
nicht-intendierte Folgen (inkl. Externalitäten)
Herrschaftsbeziehung
(a) politischer Entscheidungen: z.B. geringere Steuerlast (infolge einer Steuersenkung) (b) nicht-politischer Entscheidungen: z.B. größere Mitarbeiterloyalität (infolge einer Gehaltserhöhung)
(a) politischer Entscheidungen: z.B. Steuerhinterziehung (infolge einer Steuererhöhung) (b) nicht-politischer Entscheidungen: z.B. sinkende Arbeitsmoral (infolge der Ablehnung einer Gehaltserhöhung)
horizontale Beziehung
z.B. psychische Schäden (infolge von »Mobbing« oder Ehebruchs)
z.B. Lärmbelästigung (durch feiernde Nachbarn)
Auch auf Marktbeziehungen lässt sich der Akzeptanzbegriff in der hier vorgeschlagenen Definition anwenden5 – nämlich immer dann, wenn nicht alle Marktbedingungen vollständig erfüllt sind. So kann man von Entscheidungen monopolistischer oder quasi-monopolistischer Anbieter in ähnlicher Weise betroffen sein wie etwa in Herrschaftsbeziehungen (z.B. wenn Bahnstrecken stillgelegt oder Portogebühren erhöht werden). Erst unter optimalen Marktbedingungen, bei vollständiger Konkurrenz, macht es keinen oder doch nur sehr wenig Sinn, von Akzeptanz zu sprechen: Zwar sind Zustimmung (z.B. Kauf) und Ablehnung (Nicht-Kauf) die gängigen Optionen im Marktgeschehen, jedoch ohne dass es hier zu Akzeptanzproblemen kommt. Wird der Preis für eine Ware nicht »akzeptiert«, kommt es eben nicht zum Verkauf. Der Marktpreis ist in diesem Sinne immer der »Akzeptanzpreis«.6 Nicht für die Frage, ob Entscheidungen anderer akzeptiert werden, wohl aber dafür, dass zustimmende oder ablehnende Akzeptanz eine soziologische oder normative Bedeutung erlangen, ist schließlich maßgeblich, dass auf Seiten der Entscheidungsbetroffenen, eines neutralen Beobachters oder sogar der Entscheidungsträger ein moralisch begründeter Anspruch auf »Akzeptierung« besteht – egal welcher Art dieser ist und woraus ein solcher Anspruch abgeleitet wird. Ein moralisch begründeter Anspruch besteht z.B. nicht (oder zumindest nicht unumstritten) in totalen Institutionen (Gefängnisse, psychiatrische Anstalten etc.) oder bei Vormundschaftsverhältnissen, z.B. bei Entscheidungen von Eltern, die Auswirkungen auf ihre Kinder haben. (4) Eine weitere Implikation der vorgeschlagenen Definition ist, dass sich Akzeptanz immer auf Entscheidungen und ihnen unmittelbar zurechenbare Folgen be5
6
Hiermit ist allerdings nicht die im Marketing verbreitete Benutzung des Akzeptanzbegriffs im Sinne von Produktakzeptanz gemeint. Bei dieser geht es um die »Annahme« eines (neuen) Produkts auf dem Markt, die sich an der Entwicklung der Verkaufszahlen ablesen lässt. Dies gilt allerdings nur für »reine« Marktbeziehungen. Sobald moralökonomische Aspekte (etwa eines »gerechten Preises«) berücksichtigt werden (müssen), kann es sehr wohl auch im Bereich wirtschaftlicher Transaktionen zu Akzeptanzproblemen kommen.
2.1 Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
25
zieht. Wie oben am Beispiel der Arbeitslosigkeit bereits angedeutet wurde, kommen die Folgen von Entscheidungen und Handlungen nur insofern als Akzeptanzobjekt in Frage, wie sie auf diese Entscheidungen zurückgeführt werden können. Nicht allgemeine Folgen (oder »outcomes«), sondern nur die als Ergebnisse (oder »outputs«) von Entscheidungen und Handlungen identifizierbaren Folgen sind akzeptanzrelevant. Davon unbenommen können von spezifischen Folgen Betroffene diese in sehr unterschiedlichem Maße Entscheidungen und Entscheidungsträgern zurechnen. Zumindest in Herrschaftsbeziehungen können auch Entscheidungsträger Akzeptanzobjekte sein. Dies jedoch nicht als Person (Personen sind schließlich keine Entscheidungen), sondern nur insoweit, wie Entscheidungen dieser Entscheidungsträger akzeptanzrelevant waren bzw. sind oder solche akzeptanzrelevanten Entscheidungen sinnvollerweise erwartet werden können. Zudem können Entscheidungsträger als Ergebnis von Entscheidungen, an denen man nicht beteiligt, von denen man aber betroffen ist, akzeptanzrelevant sein. Auch in diesem Fall können wir aber nicht die Person selbst akzeptieren (ihr »zustimmen« oder sie »ablehnen«), sondern nur die Entscheidung, die diese zu einem Entscheidungsträger gemacht hat. Auch gesellschaftliche Institutionen (wie die Gesetzliche Rentenversicherung, das Rechtsfahren oder die Bundesversammlung) können Akzeptanzobjekte sein. Wenn diese auch häufig »historisch gewachsen« sind, so beruhen sie doch auf zurechenbaren Entscheidungen (einschließlich der Entscheidungen, sie nicht zu verändern oder abzuschaffen), sind gewissermaßen »geronnene Entscheidungen«. Dies schließt auch die Leistungen oder Ergebnisse mit ein, die gesellschaftliche Institutionen produzieren. (5) Aus der allgemeinen Definition von Akzeptanz folgt auch, dass Akzeptanz ein Einstellungsphänomen ist. Verhaltensweisen wie die bekannten, von Hirschman (1974) untersuchten Optionen der »Abwanderung« (exit) und des »Widerspruchs« (voice) lassen zwar Rückschlüsse über die Akzeptanz zu (und insofern kann man hier auch von Akzeptanzverhalten sprechen), sie sind aber keine Akzeptanz.7 Zudem wäre es voreilig, aus bestimmten Verhaltensweisen oder aus dem Ungenutztlassen von Handlungsoptionen direkt auf bestehende Akzeptanz zu schließen. Denn weder folgt aus der Zustimmung oder Ablehnung zwangsläufig ein bestimmtes Verhalten, noch dürften Akzeptanzurteile i.d.R. der einzige Grund für die Entscheidung für eine bestimmte Handlungsweise sein. Für die Analyse sozialer Akzeptanz sind Verhaltensweisen, die etwas über Akzeptanz verraten, dennoch von großer Wichtigkeit. Grundsätzlich ist dabei jedoch von einer systematischen Schieflage auszugehen: Handlungsweisen, die auf Ablehnung schließen lassen (wie Protestverhalten), sind wahrscheinlicher und besser beobachtbar als ihre »positiven« Gegenstücke. So bestehen selbst bei Herrschaftsbeziehun7
Dies ist ein weiterer Punkt, durch den sich die hier vorgeschlagene Definition von Akzeptanz von der Luckes unterscheidet. Nach Lucke (1995: 394) hat Akzeptanz (immer?) »von außen beobachtbare, wenn auch nicht immer kurzfristige und unmittelbar eintretende Handlungskonsequenzen«.
26
2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen
gen mehrere Handlungsalternativen bei negativer Akzeptanz: Die naheliegendste ist gewiss der öffentliche und private Protest. Aber auch Abwanderung (Emigration; Kündigung) ist, wenn auch mit mehr Kosten verbunden und daher weniger verbreitet, eine mögliche Reaktionsweise. Darüber hinaus bestehen jedoch auch Möglichkeiten, die in Hirschmans (1974) Analysen nicht vorkommen. Hierzu können Ausweichund Vermeidungsverhalten (z.B. Rollendistanz, »innere Emigration«, »Rückzug ins Private«; Nichtwählen) oder Defektion (Missbrauch; shirking) gezählt werden. (6) Aus der vorgeschlagenen Definition ergibt sich ferner, dass Akzeptanz weder als Zustimmung noch als Ablehnung spezifische Akzeptanzmotive erfordert. Sie präjudiziert auch keine Annahmen über die generelle Art der Akzeptanzmotivierung. So kann Akzeptanz gleichermaßen auf (unterschiedlichen) moralischen Überzeugungen von der Richtigkeit von Entscheidungen und der Legitimität von Institutionen beruhen oder auf subjektiven Eigeninteressen. Positive Akzeptanz setzt aber immer eine »echte« Zustimmung voraus (sowie negative »echte« Ablehnung). Hierdurch unterscheidet sich Akzeptanz u.a. von Fatalismus, Desinteresse, »Teilnahmslosigkeit« oder auch »blindem Gehorsam«. (7) Akzeptanzfragen stellen sich nur für »Betroffene«. Akzeptanzprobleme können nur bei Akteuren auftreten, die durch Handlungen und Entscheidungen (an denen sie nicht unmittelbar beteiligt waren) direkt oder indirekt betroffen sind. Hierdurch unterscheidet sich Akzeptanz vom Urteil der »Öffentlichkeit« (vgl. u.a. Habermas 1962; Merten 1987). Die Öffentlichkeit beurteilt nur politisches und anderes, »öffentlich gemachtes« Geschehen, ohne dass damit eine Form der Betroffenheit verbunden wäre. Dies gilt im Übrigen auch für »veröffentlichte Meinungen« in Form von Meinungsumfragen.8 Aber was heißt, »von Entscheidungen betroffen sein« oder »Auswirkungen haben«? Eine Möglichkeit wäre eine subjektive Bestimmung (»betroffen ist, wer sich betroffen fühlt«). So kann man sich z.B. auch von den Kriegsopfern in entfernten Regionen betroffen fühlen (wenn diese Auswirkungen auf das eigene psychische Wohlbefinden haben). Ganz abwegig ist eine rein subjektive Festlegung also nicht. Hierbei besteht jedoch die Gefahr, dass der Bereich individueller Betroffenheit beliebig ausgedehnt wird und dass sich infolgedessen die Grenze zwischen Toleranz und Akzeptanz völlig verwischt. Um diesen »konstruktivistischen Dilemma« zu entgehen, muss der »Kreis der Betroffenen« (bzw. der Kreis derjenigen, die sich legitimerweise betroffen fühlen könnten) begrenzt werden. Für eine solche Begrenzung kann es keine allgemeine Regel geben; sie muss aus den jeweiligen Kontextbedingungen ab-
8
Sofern hier unterschiedslos alle Bevölkerungsteile befragt werden, werden nicht Akzeptanzurteile von Betroffenen, sondern nur Meinungen erhoben. Dies ist jedoch dann nicht der Fall, wenn – wie bei vielen politischen Fragen – die gesamte (erwachsene) Bevölkerung als »betroffen« gelten kann.
2.1 Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
27
geleitet und für diese begründet werden. Dabei scheint es angemessen, unterschiedliche Grade und Arten der Betroffenheit zu unterscheiden.9 Grundsätzlich können sowohl die Entscheidungsträger als auch die Entscheidungsbetroffenen, bei denen sich ein Akzeptanzproblem stellen kann, ebenso individuelle wie kollektive oder korporative Akteure sein. Akzeptanzforschung kann sich also auch auf soziale Gruppen und korporative Akteure erstrecken. Dies gilt insbesondere für Organisationen, die von den jeweiligen Entscheidungen unmittelbar betroffen sind und ein entsprechendes Organisationsinteresse ausbilden, und für solche, die sich als kollektive Interessenorganisationen und/oder als »advokatorische Interessenvertreter« verstehen und in dieser Funktion individuelle Interessenlagen zu bündeln und artikulieren versuchen (z.B. Selbsthilfeorganisationen von Betroffenen, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, Krankenkassen).10 (8) Aber ab wann kann man von positiver Akzeptanz sprechen, wenn mehrere Akteure von Entscheidungen betroffen sind? Ähnlich wie bei der Frage der »Betroffenheit« kann es hierfür keinen allgemeinen Algorithmus geben, sondern nur mehr oder weniger kontingente Lösungen, die sich – wie etwa Armutsgrenzen oder Äquivalenzskalen – nicht unmittelbar aus einem materiellen Substrat ableiten, sondern als Konventionen vor allem der Vereinfachung der Kommunikation dienen. Die einfachste »Aggregationsregel« wäre hier, dass eine positive Akzeptanz nur dann vorliegt, wenn alle Betroffenen zustimmen. Dies scheint aber nur bei einer relativ kleinen Zahl von Betroffenen angemessen. Für alle anderen Kontexte wird man zu weniger »anspruchsvollen« Regelungen greifen müssen.11 Zudem scheinen weitere Differenzierungen (z.B. »hohe« positive Akzeptanz) möglich und sinnvoll. Ein weiterer Klärungsbedarf besteht hinsichtlich des Umgangs mit »Akquieszenz«.12 Damit soll hier das Phänomen »neutraler« Akzeptanz bezeichnet werden,
9
10
11
12
Als ein Beispiel kann hier die Gesetzliche Rentenversicherung dienen: Von Reformentscheidungen sind bei dieser nicht nur die unmittelbaren Adressaten (Rentenversicherte) betroffen, sondern auch deren Familienangehörige und evtl. sogar Personengruppen, die selbst nicht rentenversichert sind. Zudem bestehen auch zwischen den unmittelbaren Adressaten Unterschiede: So sind z.B. aktuelle Rentner unmittelbarer und vermutlich stärker von Rentenkürzungen betroffen als rentenversicherte Beitragszahler. Insbesondere bei politischen Entscheidungen können sich also auf mehreren gesellschaftlichen Ebenen Akzeptanzprobleme ergeben. Von positiver sozialer Akzeptanz kann man daher im Grunde nur sprechen, wenn auf allen diesen Ebenen (oder den meisten) zustimmende Einstellungen dominieren. In jedem Fall aber ist positive soziale Akzeptanz nicht mit der Summe positiver individueller Akzeptanzurteile gleichzusetzen. Als Kriterien zur Bestimmung positiver Akzeptanz bieten sich u.a. eine einfache absolute Zustimmungsmehrheit (über 50 Prozent der Betroffenen), eine relative Zustimmungsmehrheit (mehr Zustimmung als Ablehnung) oder auch eine absolute Mehrheit der Nicht-Ablehnung (Ablehnung geringer als 50 Prozent) an. »Akquieszenz« ist ein vor allem in der Surveymethodologie gebräuchlicher Ausdruck und bezeichnet dort die Zustimmungs- oder Jasage-Tendenz. International findet »acquiescence« jedoch eine breitere Verwendung, u.a. in der Motivationspsychologie, im Versicherungswesen und in den Rechts-
28
2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen
also alle Akzeptanzurteile, die sich nicht als Zustimmung (positive Akzeptanz) oder Ablehnung interpretieren lassen. Akquieszenz gewinnt dabei vor allem dadurch an Brisanz, dass eine »Zustimmung durch Schweigen« als ausreichend für die Legitimierung politischer Entscheidungen angesehen werden kann. Ein offenes und wohl nie wirklich befriedigend lösbares Problem ist schließlich auch die Gewichtung unterschiedlicher Akteure.13 2.1.2 Wohlfahrtsstaatsakzeptanz In den 90er Jahren hat sich der Akzeptanzbegriff auch in der Wohlfahrtsstaatsforschung zunehmend durchgesetzt. Üblicherweise werden damit Einstellungen zu wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen (oder zum gesamten Sozial- oder Wohlfahrtsstaat) bezeichnet (vgl. Ullrich 2000a). Er verdrängte ältere Terminologien wie »Unterstützung«, »Ansprüche an den Wohlfahrtsstaat« (z.B. Gangl 1997) oder schlicht »Einstellungen zum Wohlfahrtsstaat« (Roller 1992). Diese Entwicklung ist allerdings auf den deutschsprachigen Raum beschränkt; im internationalen Sprachgebrauch ist – neben »attitudes« – »support« die übliche Bezeichnung für die Gesamtheit der Einstellungen zum Wohlfahrtsstaat geblieben, evtl. noch als »political«, »public« oder »popular support« qualifiziert. Mit den verschiedenen Begriffsverwendungen sind jedoch nur selten explizite theoretische Vorstellungen verknüpft.14 Als Akzeptanz werden dabei meist ganz allgemein Einstellungen und Präferenzen gegenüber wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen bezeichnet (z.B. Dehlinger/Brennecke 1992; Klein/Schilling 1994; Norden 1986). Kommt in diesen eine zustimmende Haltung oder der Wunsch nach »mehr« Wohlfahrtsstaatlichkeit (z.B. nach höheren Leistungen) zum Ausdruck, spricht man meist von positiver Akzeptanz (zur Problematik der Akzeptanzmessung im sozialpolitischen Kontext vgl. Kapitel 3). Wie alle politischen Entscheidungen und Institutionen handelt es sich auch im Bereich Sozialpolitik/Wohlfahrtsstaat vor allem um Herrschaftsbeziehungen: Sozialpolitische Entscheidungen und Institutionen zeitigen dabei primär intendierte Folgen (z.B. Erhöhung oder Senkung des Renteniveaus), haben aber auch eine Reihe nicht-intendierter Wirkungen. Die Beurteilung staatlicher Politik durch die Be-
13
14
wissenschaften. In allgemeiner Form lässt sich »acquiescence« als »Zustimmung durch Schweigen« (durch ausbleibenden Widerspruch) übersetzen. So scheint klar, dass z.B. bei politischen Entscheidungen, die die Ärzte betreffen, die Akzeptanz des Ärzteverbandes nicht nur tatsächlich mehr Einfluss hat als die eines einzelnen Arztes, sondern dass sie auch für die Beurteilung der sozialen Akzeptanz dieser Entscheidung ein höheres Gewicht haben muss. Ungleich schwieriger ist es dagegen, diese Akzeptanz auch nur einigermaßen zufriedenstellend zu gewichten. Dies gilt im Übrigen auch für die »politische Unterstützung«, obwohl die Entstehung dieses Konzepts eindeutig auf die politische Systemtheorie Eastons zurückgeführt werden kann (Easton 1965).
2.1 Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
29
völkerung sowie deren normative und tatsächliche Bedeutung für den politischen Prozess werden dabei meist unter dem Begriff der Legitimität diskutiert. Der Unterschied zum Akzeptanzbegriff, so wie er hier verwendet wird, besteht vor allem darin, dass Legitimität in erster Linie15 ein normatives Konzept ist. Fragen der normativen Legitimität und solche der empirischen Akzeptanz unterscheiden sich also kategorial. So ist Akzeptanz gewiss ein wichtiger Aspekt bei der Beurteilung der Legitimität staatlicher Politik.16 Dennoch ist es sehr wohl möglich, dass politische Entscheidung mehrheitlich akzeptiert werden, aber dennoch nicht legitim sind (und umgekehrt).17 Ein enger Zusammenhang besteht auch zwischen Akzeptanz und Legitimierung (oder Legitimation). Als Legitimierung werden dabei im Anschluss an Weber (1922) und Berger/Luckmann (1980 [1966]) meist jene Prozesse umschrieben, mit denen Herrschende (oder Entscheidungsträger) versuchen, ihre Herrschaft (oder einzelne Maßnahmen) zu rechtfertigen, sie als legitim erscheinen zu lassen. Sofern ihnen dies gelingt und ein entsprechender »Legitimitätsglaube« besteht, ist mit hoher Akzeptanz zu rechnen. Legitimierungsstrategien sind aber nur eine Möglichkeit der Erklärung von Akzeptanz, die auch andere Ursachen haben kann. Daher ist sowohl positive Akzeptanz ohne Legitimierung als auch negative Akzeptanz trotz des Versuchs einer Legitimierung möglich. Zudem werden keineswegs alle Entscheidungen oder Institutionen (auch nicht alle politischen) explizit legitimiert. In der empirischen Forschung sind Legitimität und Legitimierung vor allem im Konzept der politischen Unterstützung umgesetzt worden. Dieses auf die politische Systemtheorie Eastons zurückgehende Konzept (Easton 1965; vgl. a. Fuchs 1989: 12ff. und Westle 1989) unterscheidet bekanntlich zwei Unterstützungsdimensionen, die diffuse und die spezifische Unterstützung. Während die spezifische Unterstützung sich aus (kurzfristigen) Nutzenüberlegungen bezüglich der herrschenden Au15 16
17
Der Legitimitätsbegriff wird allerdings alles andere als einheitlich verwendet (vgl. u.a. Mandt 1996). In allgemeiner Form können politische Entscheidungen und Entscheidungsträger bereits als »legitim« (oder »legitimiert«) gelten, sofern die Entscheidungsträger durch ein legitimes Verfahren in ihre Position gekommen sind und ihre Entscheidungen nicht gegen Verfassungsgrundsätze verstoßen. So ist z.B. eine gesetzlich verordnete Beschränkung der Ausgaben im Gesundheitsbereich sicher politisch »legitim(iert)«, wird bei den davon Betroffenen deshalb aber nicht unbedingt auch auf Zustimmung stoßen. Positive und negative Akzeptanz sind also auch bei (prinzipiell) legitimierten Entscheidungen möglich und wahrscheinlich. Zunächst waren es jedoch nicht die Legitimität und Legitimation der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung, die von Theoretikern des Wohlfahrtsstaates als gefährdet oder auch nur problematisierungswürdig empfunden wurden – zu offensichtlich schienen in den ersten Nachkriegsjahrzehnten die »segensreichen Wirkungen« des Sozialstaates. Vielmehr stand lange Zeit die Legitimierungsleistung, die das System der sozialen Sicherung für das politische System erbringt, im Vordergrund. Bekannt wurden hier insbesondere neomarxistische Ansätze, die die Funktion des Wohlfahrtsstaates in der Erzeugung bzw. Gewährleistungen von Massenloyalität sahen (Narr/Offe 1975; Offe 1984). Der Wohlfahrtsstaat erzeuge demnach durch seine Sozialleistungen in der Bevölkerung Massenloyalität, die vorwiegend im Interesse an den erhaltenen Leistungen begründet ist und sich dadurch von echter Legitimität unterscheide (vgl. a. Ullrich 2006).
30
2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen
toritäten speist (und damit z.B. für Wahlentscheidungen maßgeblich ist), ist die diffuse Unterstützung unabhängig von unmittelbaren Nutzenkalkülen. Neben der Identifikation mit einer »politischen Gemeinschaft« umfasst sie sowohl ein generalisiertes Vertrauen in den langfristigen Nutzen von »Autoritäten« und »Regimen« als auch den Glauben an deren Legitimität. Akzeptanz weist also viele Berührungspunkte mit Konzepten politischer Legitimierung und Unterstützung auf.18 Ein wichtiger Unterschied besteht jedoch auch darin, dass sich »Legitimität« und »politische Unterstützung« explizit auf politische Herrschaft – und insbesondere auf die Herrschaftsstabilisierung – beziehen, während »Akzeptanz« auf ein größeres Spektrum sozialer Beziehungen bezogen ist und Fragen der Stabilität und Legitimität von Herrschaft hier von nachgeordneter Bedeutung sind.19 Akzeptanzprobleme können bei jeder Einzelentscheidung auftreten. Im Bereich politischer Herrschaft ist dies aber eher die Ausnahme bzw. auf das »tagespolitische Geschäft« der Reformen und Einzelmaßnahmen beschränkt. Von grundlegender Bedeutung ist dagegen die Akzeptanz allgemeiner Sturkurmerkmale und Funktionsprinzipien. Dies gilt auch für die Wohlfahrtsstaatsakzeptanz. Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates ist daher im Wesentlichen die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen. Daraus dass Institutionen die Akzeptanzobjekte sind, ergeben sich einige Besonderheiten. Vor allem kann Akzeptanz nicht im unmittelbaren Sinne als Zustimmung oder Ablehnung erfasst werden, weil dies weder sprachlich noch »konzeptionell« die typischen Reaktionsweisen auf Institutionen sind. Einer Institution wie der Gesetzlichen Rentenversicherung oder dem Subsidiaritätsprinzip stimmt man nicht einfach zu, und nur sehr wenige werden sie pauschal ablehnen. Notwendig sind hier zugleich differenzierte und umfassende Formen der Akzeptanzmessung, die es erlauben, so verschiedene Aspekte wie das Institutionenvertrauen, die wahrgenommene allgemeine Nützlichkeit von Institutionen oder auch deren aktuelle Performanz zu erfassen (vgl. hierzu Abschnitt 4.2). Eine weitere Besonderheit der Institutionenakzeptanz besteht darin, dass institutionelle Teilregelungen (insbes. Strukturprinzipien wie das Solidarprinzip in der Gesetzlichen Krankenversicherung, das Subsidiaritätsprinzip oder das Äquivalenzprinzip) maßgebliche Faktoren der Gesamtbeurteilung des Wohlfahrtsstaates sein können. Entsprechen z.B. die grundlegenden Organisationsformen der Sicherungssysteme den allgemeinen Interessen und Wertüberzeugungen der »Betroffenen«, so 18
19
Man kann Akzeptanz auch durchaus als »empirische Legitimität« bezeichnen. Zur Vermeidung empiristischer Fehlschlüsse halte ich es jedoch für ratsamer, den Begriff Legitimität für die Beurteilung von Herrschaft unter ethischen Gesichtspunkten zu reservieren. Vor allem zum relativ »ausgearbeiteten« Konzept der politischen Unterstützung bestehen noch weitere Unterschiede: So schließt dieses auch Handlungsformen ausdrücklich mit ein (Easton 1965: 163f.). Zudem ergeben sich hier einige theoretische Unklarheiten und Inkonsistenzen sowie Schwierigkeiten bei der Übersetzung in empirische Forschungsfragen (vgl. hierzu Westle 1989: 165ff.).
2.1 Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
31
kann dies zu einer höheren Gesamtakzeptanz des Wohlfahrtsstaates führen, als wenn die gleichen Ziele auf anderen Wegen erreicht werden. Bei der theoretischen Beurteilung der Akzeptanzchancen des Wohlfahrtsstaates in der Bundesrepublik wird dabei oft von einer besonders hohen Akzeptabilität des deutschen Wohlfahrtsstaates (bzw. des konservativen Wohlfahrtsstaatsmodells) ausgegangen (vgl. u.a. Mackscheidt 1985; Offe 1990). Dieser sei – u.a. infolge der großen Bedeutung des Versicherungsprinzips und des Subsidiaritätsgedankens – in besonderem Maße »moralisch anspruchslos« und daher besser als andere Wohlfahrtsstaaten gegen moralische und interessenbasierte Anfeindungen gefeit.20 Die in der Akzeptanzforschung zum Wohlfahrtsstaat erhobenen Beurteilungen und Präferenzen beziehen sich meist jedoch nicht auf die wohlfahrtsstaatlichen Institutionen selbst. Typisch sind eher Einstellungen zu einzelnen Maßnahmen (z.B. höhere Selbstbeteiligungen bei Arzneimitteln) oder Präferenzen zu spezifischen Aspekten wie der Leistungs- oder Ausgabenhöhe und der staatlichen Zuständigkeit für Bereiche der sozialen Sicherung (vgl. hierzu Kapitel 3).21 Da Akzeptanz ein Einstellungsphänomen ist, stellt sich hier auch nicht das Problem der Handlungsrelevanz von Akzeptanzurteilen. Zwar gibt es auch im Bereich der sozialen Sicherung Handlungsformen, die man als Akzeptanzverhalten bezeichnen kann, weil sie Rückschlüsse über die Akzeptanz erlauben (z.B. der Wechsel von einer gesetzlichen in eine private Krankenversicherung). Gegenüber direkten Akzeptanzurteilen sind sie aber sekundär. Wohlfahrtsstaatsakzeptanz kann daher mittels standardisierter oder qualitativer Interviews erhoben werden, in denen die Beurteilung wohlfahrtsstaatlicher Institutionen und Regelungen zum Thema gemacht wird. Die Frage, wer von sozialpolitischen Entscheidungen und wohlfahrtsstaatlichen Institutionen betroffen ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Es kann jedenfalls nicht umstandslos vorausgesetzt werden, dass bei allen wohlfahrtsstaatlichen Akzeptanzfragen jeweils die gesamte Bevölkerung »betroffen« ist. Denn die meisten wohlfahrtsstaatlichen Institutionen sind auf spezifische Adressaten ausgerichtet und haben insofern auf viele Bürger keine unmittelbaren Auswirkungen. Gleichzeitig bestehen aber auch bei Nicht-Adressaten unterschiedliche Möglichkeiten mittelbarer Auswirkungen.22 20
21
22
Ob sich dies auch in einer entsprechend höheren Akzeptanz niederschlägt, kann nur durch vergleichende Untersuchungen geklärt werden. Erste Ergebnisse scheinen die Annahme einer besonders hohen Akzeptabilität des deutschen Wohlfahrtsstaates allerdings nicht zu bestätigen (vgl. Ullrich 2001). Nur sofern mit dem Begriff Wohlfahrtsstaat eine bestimmte staatliche Entwicklungsstufe (und nicht ein Politikbereich) bezeichnet wird, kann mit »Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates« auch mehr als nur die wohlfahrtsstaatlicher Leistungen und Institutionen gemeint sein. Das Akzeptanzobjekt wäre in diesem Fall eine bestimmte Form staatlichen Selbstverständnisses, die u.a. durch ein hohes Maß an Interventionen gekennzeichnet ist (so etwa bei Klein/Schilling 1994). So sind etwa Arbeitslose und der sozialversicherungspflichtige Teil der Erwerbsbevölkerung die unmittelbaren Adressaten der Arbeitslosenversicherung, die diese entweder mit Leistungen versorgt
32
2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen
Die fast immer sehr weitreichenden Wirkungen vor allem der zentralen wohlfahrtsstaatlichen Leistungsbereiche rechtfertigen es jedoch in gewissem Maße, bei der Frage der Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates zumindest solange von der Gesamtbevölkerung als »akzeptanzrelevanter Grundgesamtheit« auszugehen, wie keine Gründe für eine engere Definition der »Betroffenheit« vorliegen. Notwendig scheint es dann aber, unterschiedliche Arten und Grade von Betroffenheit zu unterscheiden und bei der Beurteilung der Gesamtakzeptanz zu berücksichtigen. Im Einzelfall wird allerdings oft nur schwer zu entscheiden sein, welches Gewicht man den unterschiedlichen »Betroffenengruppen« beimisst. Dennoch dürfte zumindest grundsätzlich klar sein, dass z.B. die Beurteilung der Leistungshöhe durch einen Leistungsempfänger eine andere Bedeutung hat als bei Personen, die nicht einmal zur Gruppe der potenziell Leistungsberechtigten gehören, und dass das Vertrauen, das erwerbstätige Rentenversicherte der Gesetzlichen Rentenversicherung entgegenbringen, anders zu beurteilen ist als das von Rentnern oder von Beamten. Wichtig ist hier vor allem die differenzierte Betrachtung und Behandlung von Leistungsempfängern (und ihren Angehörigen), Leistungsfinanzierern (Steuer- und Beitragszahler) sowie der nur mittelbar Betroffenen. Wie bereits bei der allgemeinen Bestimmung von Akzeptanz betont wurde, ist soziale Akzeptanz nicht per se identisch mit der Gesamtheit der individuellen Akzeptanzurteile. Diese sind jedoch der vielleicht wichtigste und am besten erfassbare Indikator sozialer Akzeptanz. Zudem basieren individuelle Akzeptanzurteile auf sozialen Deutungsmustern, die Teil der allgemeinen Wohlfahrtskultur sind, und bieten insofern einen privilegierten Zugang zum Phänomen sozialer Akzeptanz. Individuelle Akzeptanzurteile zum Wohlfahrtsstaat können insofern als Ausdruck und Indikator sozialer Akzeptanz aufgefasst werden.23 Schließlich gilt auch für die Erforschung der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz, dass die Motive, die den Akzeptanzurteilen zugrunde liegen, in keiner Weise präjudiziert werden. Aufgrund welcher Überlegungen und anhand welcher Kriterien Akzeptanzurteile über wohlfahrtsstaatliche Institutionen gefällt werden, ist keine definitorische Frage, sondern eine, die es empirisch zu klären gilt. Eigeninteressen, die sich aus der allgemeinen sozialen Lage, der »Versorgungsklassenlage« (z.B. Leistungsempfänger) oder allgemeinen subjektiven Interessendefinitionen (z.B. Risikoneigung) ergeben, kommen
23
oder zur Finanzierung dieser Leistungen heranzieht. Indirekt sind aber weit mehr Personen von der Arbeitslosenversicherung betroffen, z.B. Ehepartner und Kinder von Arbeitslosen. Erweitert man die Perspektive, wird schnell deutlich, dass die Arbeitslosenversicherung Auswirkungen auch auf Personengruppen hat, die nicht zu den Adressaten der Arbeitslosenversicherung zählen, wenn sicher auch in anderer, weniger unmittelbarer Form. So werden Arbeitgeber durch die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung belastet und selbst Beamte und Rentner können zu den Nutznießern arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen gerechnet werden (z.B. durch die Entlastung der anderen Sozialversicherungen bei geringerer Arbeitslosigkeit). Das Problem des Verhältnisses von individueller und sozialer Akzeptanz stellt sich dabei vor allem bei der Interpretation bzw. Bewertung der Akzeptanzurteile auf der Individualebene.
2.1 Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
33
als Ursachen individueller Akzeptanzurteile gegenüber wohlfahrtsstaatlichen Institutionen daher ebenso in Betracht wie z.B. allgemeine Handlungsorientierungen und grundlegende Wertüberzeugungen.24 2.2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates Der folgende Abschnitt befasst sich mit dem Verhältnis von Wohlfahrtsstaatstheorie und der Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen. Dabei stehen zwei Fragen im Vordergrund: Zum einen soll geklärt werden, welche Bedeutung die einzelnen Ansätze der Wohlfahrtsstaatstheorie Problemen der sozialen Akzeptanz beimessen. Zum anderen soll die Beschäftigung mit den unterschiedlichen Ansätzen zur Erklärung der Entstehung und Entwicklung von Wohlfahrtsstaaten dazu dienen, zunächst noch allgemeine Annahmen über die soziale Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen und vor allem über ihre Bestimmungsfaktoren zu entwickeln. Neben der zu erwartenden Höhe der Akzeptanz (bzw. dem Vorhandensein positiver Akzeptanz) sollten sich aus den unterschiedlichen wohlfahrtsstaatstheoretischen Ansätzen begründete Vermutungen über Akzeptanzunterschiede zwischen Wohlfahrtsstaatstypen und Sicherungsformen, über die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme in den einzelnen Bevölkerungsteilen sowie darüber, welche Beweggründe (Interessendefinitionen, Deutungsmuster, Wertüberzeugungen etc.) den Akzeptanzurteilen zugrunde liegen, gewinnen lassen. Die Vielfalt wohlfahrtsstaatlicher Erklärungsansätze kann dabei zu vier grundlegenden Paradigmen verdichtet werden (vgl. Ullrich 2005b), die sich sowohl hinsichtlich der Relevanzzuschreibung als auch möglicher Erklärungen von Akzeptanz zum Teil deutlich unterscheiden. Dies sind funktionalistische (2.2.1), konflikttheoretische (2.2.2), wohlfahrtskulturelle (2.2.3) sowie institutionalistische Ansätze (2.2.4) zur Erklärung der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung. 2.2.1 Funktionalistische Ansätze Funktionalistische Ansätze erklären die Entstehung und Entwicklung von Wohlfahrtsstaaten mit gesellschaftlichen, sozialen oder ökonomischen Notwendigkeiten. Auch wenn dabei zum Teil ganz unterschiedliche Erfordernisse angenommen werden, so teilen sie doch die Grundidee, dass die Einführung umfassender sozialer Sicherungssysteme ab einem bestimmten Punkt der gesellschaftlichen Entwicklung unvermeidbar war. Insgesamt können mindestens drei grundlegende Varianten des funk24
In diesem Punkt unterscheidet sich das hier vorgeschlagene Akzeptanzkonzept von der von Claus Offe vorgeschlagenen terminologischen Unterscheidung von Akzeptanz und Legitimität, bei der Akzeptanz auf interessenrationale (und »routinemäßige«) Unterstützung beschränkt ist (Offe 1990).
34
2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen
tionalistischen Ansatzes unterschieden werden: der sozioökonomische, der modernisierungstheoretische und der neomarxistische. Sozioökonomische Ansätze sehen im wirtschaftlichen Wandel des 19. Jahrhundert die Ursache für die Entstehung des Wohlfahrtsstaates. So habe die Industrialisierung mit ihren Begleiterscheinungen – hierzu sind vor allem die soziale Mobilisierung, die Urbanisierung und die demografischen Veränderungen zu zählen – zu einer Überforderung traditioneller Sicherungsformen geführt (u.a. Wilensky 1975). Dementsprechend waren alle Gesellschaften, die sich mit Problemen der Industrialisierung konfrontiert sahen (und sehen), früher oder später dazu gezwungen, wohlfahrtsstaatliche Sicherungssysteme einzuführen. Hinsichtlich der weiteren Entwicklung von Wohlfahrtsstaaten wird angenommen, dass das Niveau der wohlfahrtsstaatlichen Absicherung (meist an der Höhe der Sozialausgaben abgelesen) vom wirtschaftlichen Entwicklungsstand bestimmt wird und mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit steigt.25 Eine Erweiterung dieser »Industrialismusthese« stellen modernisierungstheoretische Ansätze dar (u.a. Flora et al. 1977). Ebenfalls in einer funktionalistischen Perspektive erweitern diese das Spektrum der Wohlfahrtsstaatsursachen um kulturelle und politische Modernisierungsprozesse, in denen ebenso wie in der wirtschaftlichen Entwicklung ein Grund für die Notwendigkeit neuer Sicherungsformen gesehen wird. Die wohlfahrtsstaatliche Sicherung wird zudem oft als Voraussetzung für die weitere gesellschaftliche Modernisierung verstanden (vgl. z.B. Huf 1998). Gegen funktionalistische Ansätze wurden verschiedene Einwände geltend gemacht. Neben der grundlegenden epistemologischen Kritik an funktionalistischen Erklärungen wurde vor allem auf mehrere Unzulänglichkeiten und »blinde Flecken« der funktionalistischen Perspektive hingewiesen. So sehr das generelle Argument, dass (irgend)eine Form der kollektiv-staatlichen sozialen Sicherung im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert unabdingbar geworden war, auch zutreffen mag, so wenig sind funktionalistische Erklärungen der Entstehung und Entwicklung von Wohlfahrtsstaaten in der Lage, die konkreten wohlfahrtsstaatlichen Erscheinungsformen auf spezifische funktionale Erfordernisse zurückzuführen. Unterschiede zwischen Wohlfahrtsstaaten, die ein ähnliches sozioökonomisches Niveau und einen ähnlichen Modernisierungsgrad aufwiesen, aber zu unterschiedlichen Zeitpunkten soziale Sicherungssysteme implementierten oder unterschiedliche Sicherungsformen entwickelten, vermögen funktionalistische Ansätze im Allgemeinen ebenso wenig zu erklären wie die sozialpolitische Pionierrolle von wirt25
Den sozioökonomischen Erklärungsmodellen sehr ähnlich sind neomarxistische Ansätze (u.a. Narr/Offe 1975; O'Connor 1974), die das Erfordernis sozialpolitischer Interventionen ebenfalls aus wirtschaftlichen Faktoren ableiten, nun jedoch nicht aus der industriellen Wirtschaftsform, sondern aus der kapitalistischen Produktionsweise. Dem Wohlfahrtsstaat komme dabei primär die Aufgabe zu, das kapitalistische Wirtschaftssystem vor seinen selbstzerstörerischen Tendenzen zu schützen (»saving capitalism from itself«).
2.2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
35
schaftlich und politisch eher rückständigen Ländern wie Deutschland und Österreich.26 Die Akzentuierung funktionaler Erfordernisse und die dezidiert makrosoziologische Perspektive verhindern, dass Fragen der sozialen Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Sicherungssysteme eine höhere Relevanz beigemessen wird. Denn wenn Umfang und Form der sozialen Sicherung zumindest im Wesentlichen den jeweiligen funktionalen Imperativen folgen, sind die Zustimmung oder Ablehnung wohlfahrtsstaatlicher Politik bestenfalls erfreuliche, schlechtestenfalls störende Begleiterscheinungen im Prozess der kontinuierlichen Anpassung an sich wandelnde Anforderungen.27 Annahmen über die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme lassen sich aus funktionalistischen Ansätzen daher nur in sehr allgemeiner Form ableiten. So kann vermutet werden, dass z.B. das wohlfahrtsstaatliche Anspruchsniveau – die Erwartungen, die bezüglich des Umfangs und der Generosität der Absicherung bestehen – zumindest grob am sozioökonomischen Entwicklungsstand und dem Modernisierungsgrad (also den funktionalen Erfordernissen) orientiert ist. So wie die Menschen des 19. Jahrhunderts geringere Erwartungen (oder Hoffnungen) bezüglich einer sozialen Absicherung hegten, als dies im 21. Jahrhundert der Fall ist, so werden die Wohlfahrtsansprüche in Entwicklungsländern auch weit geringer sein als in hochindustrialisierten Ländern. Eine mögliche, dieser Logik eines parallelen Wachstums von Wirtschaft und gesellschaftlicher Modernisierung auf der einen Seite und wohlfahrtsstaatlichem Leistungsumfang auf der anderen zum Teil entgegengesetzte, aber ebenso funktionalistische These könnte etwa lauten, dass ab einem bestimmten (hohen) wirtschaftlichen Entwicklungsstand oder Modernisierungsgrad eine wohlfahrtsstaatliche Absicherung immer weniger zwingend ist und dass sich dies in einer sinkenden Akzeptanz insbesondere umfassender, egalitärer und etatistischer Sicherungssysteme auswirkt. Als Gründe für einen sinkenden Bedarf an einer wohlfahrtsstaatlichen Absicherung ließen sich dabei neben dem hohen Wohlstandsniveau auch das gestiegene Bildungsniveau und eine entsprechend wachsende Vorsorgebereitschaft und -fähigkeit anführen. Zwischen der sozioökonomischen Entwicklung und den »Wohlfahrtsansprüchen« bestände demzufolge ein kurvlinearer (umgekehrt U-förmiger) 26
27
Auch die jüngere wohlfahrtsstaatliche Entwicklung, die vor allem durch den Abbau wohlfahrtsstaatlicher Leistungen gekennzeichnet ist, lässt sich zumindest mit den »alten« funktionalistischen Argumenten nicht erklären. Denn weder die sozioökonomische Entwicklung (insbes. das Wirtschaftswachstum) noch die gesellschaftliche Modernisierung sind stagnierende oder gar rückläufige Prozesse. Immerhin aber war es einer der prominentesten Vertreter des sozioökonomischen Funktionalismus in der Wohlfahrtsstaatstheorie, Harold Wilensky, der auf das in manchen Wohlfahrtsstaaten zu beobachtende Phänomen des »welfare backlash«, einem wachsenden Widerstand in den Mittelschichten gegen expandierende Wohlfahrtsstaatlichkeit, aufmerksam gemacht hat (Wilensky 1975). Dies ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass derartige Phänomene innerhalb des funktionalistischen Paradigmas nicht befriedigend erklärt werden können. (Zum »welfare backlash« s.a. Abschnitt 2.2.2).
36
2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen
Zusammenhang: Mit dem Entwicklungsstand würde zunächst das Bedürfnis nach wohlfahrtsstaatlicher Absicherung steigen, dann aber einen Scheitelpunkt erreichen und schließlich wieder abnehmen.28 Aus funktionalistischen Überlegungen lassen sich insofern durchaus Annahmen über Akzeptanzunterschiede zwischen Wohlfahrtsstaaten und im historischen Vergleich ableiten –nämlich solche, die den gesellschaftlichen Entwicklungsstand reflektieren. Für die hier zentrale Frage der Erklärung von Akzeptanz und Akzeptanzunterschieden innerhalb eines Wohlfahrtsstaates und zu einem Zeitpunkt bietet eine funktionalistische Perspektive dagegen kaum Anhaltspunkte; sie soll hier daher nicht weiter verfolgt werden. 2.2.2 Konflikttheoretische Ansätze Die vielleicht einflussreichsten Ansätze in der Wohlfahrtsstaatsforschung sind diejenigen, die zur Erklärung der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung auf Interessen und Interessenunterschiede, deren Bündelung durch unterschiedliche Formen der Organisation sowie auf die Konfrontation zwischen unterschiedlichen Interessengruppen rekurrieren. Sie werden unter anderem als Machtressourcen-, Parteienstärke-, interessentheoretische oder konflikttheoretische Ansätze bezeichnet. In ihnen ist zum Teil auch eine Reaktion auf die vermeintlichen Unzulänglichkeiten funktionalistischer Erklärungen, die vor allem den Unterschieden zwischen Wohlfahrtsstaaten nicht gerecht werden, zu sehen. Diese im Einzelnen sehr unterschiedlichen und zum Teil von gegensätzlichen Annahmen ausgehenden Ansätze versuchen, wohlfahrtsstaatliche Entwicklungen auf den Einfluss gesellschaftlicher Interessengruppen und politischer Machtkämpfe zurückzuführen. Den größten Einfluss hatte hierbei die Sozialdemokratie-These, die ihre moderne Ausdeutung vor allem in der skandinavischen Wohlfahrtsstaatstheorie erhalten hat (vgl. u.a. Castles 1978; Korpi 1983).29 In ihrer allgemeinen Form geht diese These davon aus, dass das System der sozialen Sicherung umso stärker ausgebaut wird, je größer das relative politische Gewicht sozialdemokratischer Parteien ist. In Ländern, in denen die Sozialdemokratie über einen längeren Zeitraum einen hegemonialen Status erlan-
28
29
Ein solcher Zusammenhang erscheint allerdings vor allem für die im engeren Sinne sozioökonomische Entwicklung plausibel. In modernisierungstheoretischer Sicht kann angesichts von Individualisierungs- und Destandardisierungstendenzen auch für die Zukunft ein wachsender Bedarf an sozialer Sicherung angenommen werden Ein Vorläufer bzw. früher Vertreter der Sozialdemokratie-These ist Eduard Heimann (1980 [1929]), der im reformistisch orientierten Teil der Arbeiterbewegung die treibende Kraft bei der Entstehung und vor allem beim weiteren Ausbau der sozialen Sicherung sah.
2.2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
37
gen konnte (z.B. in Schweden), sei der Wohlfahrtsstaat daher auch am weitesten entwickelt.30 Gegen die Annahme, dass die Stärke der (sozialdemokratischen) Arbeiterparteien und ihrer Verbündeten (insbes. der Gewerkschaften) entscheidend für die sozialpolitische Entwicklung war, spricht vor allem, dass wichtige Sozialgesetze oft bereits eingeführt worden waren, bevor sozialdemokratische Parteien überhaupt einen größeren parlamentarischen Einfluss gewinnen konnten (vgl. Alber 1982: 127ff.). Zudem wurden soziale Sicherungssysteme auch in Ländern ausgebaut, in denen Arbeiterparteien nie einen hegemonialen Status innehatten.31 Eher geeignet, die Entwicklung in nicht von sozialdemokratischen Parteien dominierten Wohlfahrtsstaaten zu erklären, sind daher Ansätze, die in christlichen bzw. christdemokratischen Parteien die maßgeblichen Antreiber sozialpolitischer Reformen sehen (z.B. van Kersbergen 1995). Die Christdemokratie-These kann insofern als wichtige Ergänzung des Parteienstärkeansatzes angesehen werden.32 Eine etwas andere Erklärung bietet die »Mittelklassenthese« (u.a. Baldwin 1990; Goodin/Le Grand 1987), die davon ausgeht, dass auch Angehörige mittlerer Schichten, die traditionell eher zu den Wohlfahrtsstaatsgegnern gerechnet werden, in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ein stärkeres Interesse an einer umfassenden sozialen Sicherung entwickelt haben. Diese Annahme wird vor allem damit begründet, dass Angehörige der Mittelschichten in vielen Wohlfahrtsstaaten in erheblichem Maße von Sozialleistungen profitieren, insbesondere wenn diese, wie häufig im Gesundheits- und Bildungsbereich, universalistisch ausgerichtet sind. Dabei wird oft ein »Matthäuseffekt« (Deleeck 1984) angenommen, demzufolge Angehörige der Mittelschichten überproportional viele Sozialleistungen erhalten. In konflikttheoretischer Perspektive stellen sich Akzeptanzfragen nur bedingt. Anders als funktionalistische Ansätze wird jedoch davon ausgegangen, dass bezüglich wohlfahrtsstaatlicher Präferenzen erhebliche Unterschiede bestehen. Dabei wird 30
31
32
Als neomarxistische Variante der Sozialdemokratie-These kann die »Pazifizierungsthese« gelten. Nach dieser stellen sozialpolitische Programme Konzessionen der bürgerlichen Eliten an die aufbegehrenden Arbeiter (bzw. andere deprivierte Schichten) dar. Sozialpolitik soll daher vor allem die Ausgebeuteten und Benachteiligten beruhigen und diene damit den langfristigen Interessen der herrschenden Klassen (vgl. u.a. Piven/Cloward 1977). Angesichts dieser Erklärungsnot verwundert es nicht, dass es schnell zu Modifizierungen der ursprünglichen These kam. Als eine Weiterentwicklung der Sozialdemokratie-These können dabei Ansätze gelten, die in spezifischen sozialreformerischen Koalitionen unter Führung sozialistischer und sozialdemokratischer Parteien – im Fall Schwedens etwa von sozialdemokratischer Arbeiterbewegung und Bauern – als entscheidend für die expansive Dynamik von Wohlfahrtsstaaten ansehen. Wenn solche Parteienkoalitionsthesen auch eine gewisse empirische Plausibilität haben, so vermögen sie die Entwicklung in nicht sozialdemokratisch geprägten Wohlfahrtsstaaten ebenso wenig zu erklären wie die Sozialdemokratie-These. Ähnlich wie die Sozialdemokratie-These ist aber auch die Christdemokratie-These vor allem für Wohlfahrtsstaaten plausibel, in denen entsprechende Parteien über längere Zeiträume politisch dominant waren (wie in den Niederlanden, Deutschland und Italien).
38
2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen
jedoch implizit unterstellt, dass diese Unterschiede von der sozialen Position abhängen und dass allgemeine Interessenorganisationen und politische Parteien diese gruppenspezifischen Interessen an der sozialen Sicherung adäquat zum Ausdruck bringen. Eine Ausnahme ist hier die neomarxistische »Pazifizierungsthese«: Sollen Sozialleistungen Massenloyalität sicherstellen, so muss gewährleistet sein, dass diese auch gewollt werden. Gemeinhin wird dabei jedoch davon ausgegangen, dass die Sicherstellung der politischen Unterstützung durch wohlfahrtsstaatliche Leistungen und deren Erhöhung unproblematisch ist (dass die »Massen« also Sozialleistungen wollen und dass mehr Leistungen auch zu mehr politischer Unterstützung oder Akquieszenz führen). Erst vor dem Hintergrund eines zumindest in Teilen der Bevölkerung wachsenden Widerstandes gegen den weiteren Ausbau der sozialen Sicherung wurde dieser Automatismus – mehr Sozialleistungen bedeute mehr politische Unterstützung – zunehmend hinterfragt. Abgesehen von der »Pazifizierungsthese« ergeben sich aus konflikttheoretischen Ansätzen aber insgesamt nur wenig unmittelbare Impulse für die theoretische Reflexion des Akzeptanzphänomens. Dessen ungeachtet üben sie einen erheblichen Einfluss auf die wohlfahrtsstaatliche Akzeptanzforschung aus, wenn auch eher über den »Umweg« politikwissenschaftlicher »cleavage«-Ansätze, die als maßgebliche Quelle für die Hypothesenbildung im Bereich der wohlfahrtsstaatlichen Akzeptanzforschung gelten können (vgl. z.B. Roller 1992). So sind traditionale Klassen- und Schichtunterschiede der vielleicht am häufigsten verwendete Prädiktor sozialpolitischer Einstellungen. Unterschiede hinsichtlich der wohlfahrtsstaatlichen Präferenzen und entsprechend differente Akzeptanzurteile können in mehrfacher Hinsicht durch die soziale Positionierung bedingt sein. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Bedeutung sozialstruktureller Unterschiede auch von der institutionellen Ausgestaltung der Sicherungssysteme abhängt. Ob und wie sich soziale Unterschiede in Akzeptanzunterschieden niederschlagen, hängt auch davon ab, in welchem Maße sich die sozialen Sicherungssysteme an sozialstrukturellen Unterschieden orientieren und z.B. nur Leistungen für bestimmte soziale Gruppen bereitstellen. Insgesamt können vier zentrale Konfliktlinien ausgemacht werden, die zu entsprechend unterschiedlichen Urteilen über den Wohlfahrtsstaat bzw. über einzelne Sicherungssysteme führen können. (1) Zunächst gilt dies natürlich für den traditionalen Klassenkonflikt, dessen Niederschlag in konträren wohlfahrtsstaatlichen Interessenpositionen der »Sozialdemokratie-These« zugrunde liegt. Für die einzelnen Wohlfahrtsregime können hier unterschiedliche Annahmen abgeleitet werden. So ist zum einen zu vermuten, dass der Konflikt zwischen »Arbeitnehmern« und »Arbeitgebern« im konservativen Modell besonders stark auf die wohlfahrtsstaatliche Sicherung durchschlägt, weil hier die Unternehmer durch die so genannte paritätische Finanzierung unmittelbar belastet
2.2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
39
werden. In liberalen Wohlfahrtsstaaten sollte der Konflikt zwischen Unternehmern und Beschäftigten dagegen schwächer ausgeprägt sein. Die unmittelbare Belastung der Unternehmen entfällt hier und die Leistungshöhen sind vergleichsweise gering.33 In sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten ist dagegen wiederum von einer etwas höheren Wahrscheinlichkeit von Klassenkonflikten im Bereich der wohlfahrtsstaatlichen Absicherung auszugehen. Zwar ist auch hier die direkte Belastung der Unternehmen im Vergleich zum konservativen Wohlfahrtsstaatsmodell eher gering; das hohe Leistungsniveau und entsprechende Steuersätze dürften hier aber dafür sorgen, dass der »Klassencharakter« der sozialen Sicherung deutlicher hervortritt. Innerhalb der einzelnen Wohlfahrtsstaaten sollten sich – unabhängig vom konkreten Wohlfahrtsstaatstyp – bei der Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme deutliche Unterschiede ergeben: nicht so sehr bei der Beurteilung von Sicherungsformen, sondern vor allem bei der der Leistungshöhe. Abhängig Beschäftigte (insbes. Arbeiter) sollten demnach eher Präferenzen für ein hohes Leistungsniveau haben, Selbständige (und Freiberufler) dagegen für ein deutlich geringeres. Weiter kann angenommen werden, dass die Präferenzen der abhängig Beschäftigten für höhere Leistungen desto ausgeprägter sind, je stärker der Leistungsbezug an Erwerbstätigkeit gebunden ist und je höher daher die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein »Arbeitnehmer« diese Leistungen im Rahmen einer »Normalerwerbsbiografie« erhält. Grundsätzlich ist zu vermuten, dass sich der traditionale kapitalistische Klassengegensatz in entsprechenden politischen Orientierungen auswirkt und dass die Anhänger unterschiedlicher Parteien entsprechend gegensätzliche Vorstellungen über die soziale Sicherung haben. Zumindest was die beiden »großen Volksparteien« betrifft, widerspricht dem allerdings die Christdemokratie-These. Sowohl christlichkonservative als auch sozialdemokratische Kräfte haben sich maßgeblich an der Ausgestaltung der Sozialpolitik in Deutschland beteiligt. Insofern wären keine grundlegenden Unterschiede zwischen den Anhängern der beiden »Volksparteien« zu erwarten – vielleicht mit der Einschränkung, dass die sozialdemokratische Anhängerschaft weitergehende Erwartungen hat: so z.B. bei typisch sozialdemokratischen Zielen und Werten wie der Verringerung sozialer Ungleichheit und der Sicherung von Arbeitsplätzen.34 (2) Neben den Selbständigen (und historisch vor allem auch den selbständigen Landwirten) gilt der »alte Mittelstand« als Hort wohlfahrtsstaatsfeindlicher Einstellun33
34
Zudem gibt es in liberalen Wohlfahrtsstaaten nicht zuletzt wegen des geringen Leistungsniveaus naheliegendere Konfliktarenen zum Austragen der Interessengegensätze zwischen »Kapital« und »Arbeit«. Deutlichere Unterschiede können dagegen bei den Anhängern der kleineren Parteien erwartet werden: bei FDP-Anhängern eine kritischere Haltung gegenüber dem Wohlfahrtsstaat, bei Anhängern der PDS eine starke Unterstützung für eine umfassendere Wohlfahrtsstaatlichkeit und eine entsprechende Unzufriedenheit mit dem Status quo und bei den Anhängern der Grünen eine eher kritische Beurteilung klassischer sozialpolitischer Zielsetzungen (z.B. Alterssicherung) und womöglich eine stärkere Unterstützung (oder zumindest Aufgeschlossenheit) für »weiche«, nicht-erwerbsarbeitszentrierte Sozialpolitikbereiche (Familie, Ausländer, Grundeinkommen etc.).
40
2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen
gen, was sich u.a. mit dem Distinktionsbedürfnis gegenüber der Arbeiterschaft erklären lässt. Die massiven sozialstrukturellen Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg haben jedoch zu einem Aufstieg der Angestellten und zu einem immer geringeren Anteil des alten Mittelstandes und der Landwirte an der Erwerbsbevölkerung geführt, sodass das Lager traditionaler Wohlfahrtsstaatsgegner deutlich zusammengeschrumpft ist. Durch die sukzessive Ausweitung sozialer Sicherungssysteme erwarben zudem auch Angestellte und Beamte, zum Teil auch Selbständige und Freiberufler, zunehmend wohlfahrtsstaatliche Ansprüche. Die Veränderungen in der Erwerbsstruktur und die Ausweitung der wohlfahrtsstaatlichen Adressatendefinition bilden die Grundlage für die Mittelklassenthese, nach der der Wohlfahrtsstaat mit einer breiten Unterstützung durch die »neuen« Mittelschichten rechnen kann.35 Für die Frage der Akzeptanz bedeutet dies, dass wohlfahrtsstaatliche Sicherungssysteme bei Angehörigen der Mittelschichten auf Zustimmung stoßen, sofern diese aufgrund der Art ihrer Erwerbstätigkeit auf kollektive Absicherung angewiesen sind und insoweit sie davon ausgehen können, dass die Sozialleistungen auch ihnen selbst zugute kommen (können). Auf der Ebene der Wohlfahrtsregime würde dies zunächst bedeuten, dass konservative Wohlfahrtsstaaten wegen der weitreichenden Geltung des Äquivalenzprinzips (wer mehr Beiträge zahlt, erhält auch höhere Geldleistungen) und durch die institutionelle Aufrechterhaltung von Statusunterschieden auf hohe Akzeptanz in den Mittelschichten stoßen. Verstärkend könnte hier der in vielen konservativen Wohlfahrtsstaaten, und gerade auch in Deutschland, vergleichsweise früh erfolgte Einbezug der Mittelschichten in das System der sozialen Sicherung wirken. Liberale Wohlfahrtsstaaten sind dagegen durch eine misslungene (oder nie angestrebte) Integration der Mittelschichten gekennzeichnet. Hier ist bei Angehörigen der Mittelschichten daher auch mit einer geringen Akzeptanz, wenn nicht Ablehnung sozialstaatlicher Programme zu rechnen, weil »welfare«, so lautet die Vermutung, aufgrund der geringen Wahrscheinlichkeit eines eigenen Bezugs vorwiegend als (steuerliche) Belastung wahrgenommen wird. Entgegen einer verbreiteten Selbstwahrnehmung vieler skandinavischer Sozialpolitikforscher sollten sozialdemokratische Wohlfahrtsstaaten bei der Frage nach dem Rückhalt des Wohlfahrtsstaates in den Mittelklassen eher eine mittlere Position einnehmen. Für eine Mittelklassenunterstützung spricht die hohe Verbreitung universalistischer Leistungen (die auch Angehörigen der Mittelschichten zugute kommen) – ein Effekt, der aber durch die hohe steuerliche Belastung zumindest stark
35
Mit Papadakis (1993: 257ff.) können drei Arten von Interesse unterschieden werden, die das Verhältnis der Mittelschichtangehörigen zum Wohlfahrtsstaat prägen können: Dies sind die beiden »positiven« Interessen als »Konsument« von Leistungen und als Leistungsanbieter (z.B. im Gesundheitswesen), dem das »negative« Interesse als Beitrags- und Steuerzahler entgegensteht.
2.2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
41
relativiert werden könnte, zumal hier (im Unterschied zu konservativen Wohlfahrtsstaaten) wohlfahrtsstaatliche Privilegien gegenüber den Arbeitern weitgehend fehlen. Argumente für eine eher hohe Akzeptanz sozialer Sicherung in den Mittelschichten in sozialdemokratischen und konservativen Wohlfahrtsstaaten scheinen der These eines »welfare backlash« (der Mittelschichten) zu widersprechen. Als »welfare backlash« wird die ablehnende Haltung gegenüber dem Wohlfahrtsstaat in Teilen der Bevölkerung, die sich zu anti-wohlfahrtsstaatlichen Bewegungen steigert, bezeichnet (Wilensky 1975). Vor allem in konservativen Wohlfahrtsstaaten mit ihrer Dominanz von Sozialversicherungen (Äquivalenzprinzip) und dem Festhalten an »ständischen« Organisationsprinzipien ist die Wahrscheinlichkeit eines solchen »welfare backlash« sehr gering – und in der Tat gibt es bisher auch kaum einen solchen Fall (vgl. Wilensky 2002: 380f.).36 Aufgrund der universalistischen Grundstruktur (bzw. soweit diese reicht) gilt dies im Grunde auch für die sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten. Die Lage scheint hier jedoch weniger eindeutig, denn wie der Fall Dänemarks zeigt (vgl. Wilensky 2002: 377f.), kann es wegen der hohen Finanzierungslasten gerade der mittleren Einkommensschichten durchaus zu »welfare backlash«-Phänomenen kommen. Die Mittelklassenthese und die Annahme eines »welfare backlash« stehen mithin also nicht in einem Widerspruch, sondern beleuchten einen ähnlichen Sachverhalt aus unterschiedlicher Richtung: Dort wo die Integration der Mittelschichten in den Wohlfahrtsstaat gelungen ist, ist die Wahrscheinlichkeit eines »welfare backlash« gering. Klassische »welfare backlash«-Länder sind daher auch nur liberale Wohlfahrtsstaaten, denn hier sind direkte und selektive Transferleistungen für Bedürftige typisch, während weite Teile der Mittelschichten nur in geringem Maße wohlfahrtsstaatliche Leistungen erhalten (können). Ein einfacher Umkehrschluss (keine breite Unterstützung der Mittelschichten, also »welfare backlash«) wäre jedoch voreilig. So ist selbst für liberale Wohlfahrtsstaaten die Wahrscheinlichkeit eines »welfare backlash« eher gering, wie die insgesamt geringe Zahl von historischen Beispielen zeigt (vgl. Wilensky 2002: 363ff.). Denn ob aus einer fehlenden Unterstützung offener Widerstand wird, hängt noch von einer Reihe weiterer Faktoren ab, u.a. von der steuerlichen Belastung, die aber gerade in liberalen Wohlfahrtsstaaten eher gering ist. (3) Interessengegensätze bei der sozialen Sicherung können sich aber nicht nur aus der allgemeinen sozialen Lage ergeben, sondern auch aus Interessenlagen, die erst durch das System der sozialen Sicherung selbst gebildet werden. So konstituieren viele Sicherungssysteme dauerhafte Versorgungsklassenlagen, die zu sehr unterschiedlichen Präferenzen bezüglich des Wohlfahrtsstaates führen können. Als (positiv privilegierte) Versorgungsklassen werden nach Lepsius (1979) Bevölkerungsgruppen bezeichnet, die ihren Lebensunterhalt vorwiegend aus Sozialtransfers 36
Die stärksten »welfare backlash«- Phänomene eines konservativen Wohlfahrtsstaates stellt Wilensky für Frankreich fest (2002: 365f.), das auf der von ihm entwickelten »welfare backlash«-Skala immerhin einen Wert von 3 (max. 5) erhält (2002: 381).
42
2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen
bestreiten (also insbesondere Rentner, Arbeitslosengeldempfänger und Sozialhilfeempfänger). Dabei können zwei grundsätzliche Formen möglicher »Versorgungsklassenkonflikte« unterschieden werden: Interessengegensätze zwischen Leistungsempfängern (bzw. Nettoempfängern) und Leistungsfinanzierern (oder Nettozahlern37) und Verteilungskämpfe zwischen den verschiedenen (»positiv privilegierten«) Versorgungsklassen (also z.B. zwischen Rentner und Arbeitslosengeldempfängern). Angesichts des enormen sozialpolitischen Verteilungsaufwands scheint insbesondere ein Konflikt zwischen Leistungsbeziehern und Leistungsfinanzierern wahrscheinlich. Aber auch das zweite Konfliktszenario ist zumindest insofern plausibel, als es wegen zunehmend begrenzter Mittel für einzelne Gruppen von Leistungsempfängern (z.B. Rentner) durchaus nahe liegend sein kann, ihre Interessen auf Kosten anderer Versorgungsklassen und Leistungsempfängergruppen (z.B. Arbeitslose) durchzusetzen. Dass aus solchen Interessengegensätzen manifeste Konflikte werden, setzt allerdings die Organisation dieser Interessen voraus, was selbst bei den größeren Leistungsempfängergruppen bisher nur in Ansätzen zu beobachten ist (für Rentner vgl. z.B. Wolf/Kohli 1998). Die Möglichkeit von Konflikten zwischen Versorgungsklassen wurde für die Bundesrepublik schon früh von Jens Alber (1984) untersucht. Alber findet insgesamt jedoch nur wenig Anhaltspunkte für Verteilungskonflikte, die sich aus der Versorgungsklassenposition ableiten, auch wenn die Zahl der Leistungsempfänger und damit auch die Abgabenlast offensichtlich gestiegen sind. Das Ausbleiben von Versorgungsklassenkonflikten führt er u.a. darauf zurück, dass die meisten Steuer- und Beitragszahler in der einen oder anderen Form auch Leistungsempfänger sind (oder sein werden). Daher sieht Alber die »mittlere Masse der Einkommensbezieher (...) fest in den Wohlfahrtsstaat integriert« (1984: 233). Mithin gebe es nur wenige »strukturelle Anknüpfungspunkte für eine Widerstandsbewegung gegen den Wohlfahrtsstaat« (1984: 233). Auch für Konflikte zwischen einzelnen (positiven) Versorgungsklassen sieht Alber wenig Anzeichen. Er führt dies auf die Heterogenität der einzelnen Versorgungsklassen zurück sowie auf die Schwierigkeit, eine individuelle Bilanz von Leistungen und Belastungen zu erstellen. Auch die spezifische institutionelle Struktur des deutschen Wohlfahrtsstaates (u.a. die Einkommensabhängigkeit der Leistungen) trage zu einem insgesamt geringen Konfliktpotenzial bei (1984: 234, 246). Auch über 20 Jahre nach Albers Analysen scheint sich an dieser Situation kaum etwas geändert zu haben. Die potenzielle Konfliktträchtigkeit der wohlfahrtsstaatlichen Umverteilung besteht unverändert. Dass Verteilungskonflikte zwischen Versorgungs- und »Finanzierungsklassen« bisher aber nicht virulent wurden, unter37
Als Nettozahler und Nettoempfänger werden »sozialpolitische Verteilungspositionen« bezeichnet, die durch eine Parallelität von Finanzierung und Leistungserhalt gekennzeichnet sind (wie insbes. in der Gesetzlichen Krankenversicherung). Die entsprechenden wohlfahrtsstaatlichen Adressaten können dann eine aus ihrer Sicht positive (Nettoempfänger) oder negative (Nettozahler) »BeitragsLeistungs-Bilanz« ziehen.
2.2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
43
streicht die Vermutung, dass der deutsche (konservative) Wohlfahrtsstaat gegen die Gefahr solcher Verteilungskonflikte gut gerüstet ist. Entscheidend dürfte hierfür die starke »Mittelschichtorientierung« des deutschen Wohlfahrtsstaates sein, und dass vertikale Umverteilungen entsprechend gering sind. Auch manifeste Verteilungskonflikte zwischen unterschiedlichen (positiv privilegierten) Versorgungsklassen (etwa zwischen Rentnern und Sozialhilfeempfängern) sind bisher bestenfalls in Ansätzen zu erkennen. Angesichts eines großen, aber immer kleiner werdenden »Kuchens« werden solche Verteilungskonflikte jedoch wahrscheinlicher und sollten für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden. Sozialdemokratische Wohlfahrtsstaaten weisen bei der Anfälligkeit für Versorgungsklassenkonflikte viele Ähnlichkeiten mit denen des konservativen Typs auf. Wie schon bei der Diskussion des »welfare backlash« deutlich wurde, sind hier aber aufgrund der geringeren Erwerbsabhängigkeit der Leistungen, der Nivellierung von Statusunterschieden durch die universalistische Leistungsstruktur und der direkten und hohen Finanzierungslasten Konflikte zwischen Finanzierungs- und Versorgungsklassen zumindest wahrscheinlicher als in konservativen Wohlfahrtsstaaten. Wegen des geringen Leistungsniveaus kann demgegenüber für liberale Wohlfahrtsstaaten angenommen werden, dass Interessenkonflikte zwischen den positiven Versorgungsklassen eher unwahrscheinlich sind. Aufgrund der hohen »Sichtbarkeit« der Transferleistungen müssen liberale Wohlfahrtsstaaten dagegen als anfällig für manifeste Interessenkonflikte zwischen Leistungsempfängern und Leistungsfinanzierern gelten – auch wenn diese möglicherweise »einseitig« in Form eines »welfare backlash« der Mittelschichten ausgetragen werden. Unabhängig von der Frage, ob solche Konfliktlagen auch virulent werden, ist davon auszugehen, dass sich auch latente wohlfahrtsstaatliche Interessengegensätze in entsprechenden Unterschieden bei den Präferenzen hinsichtlich der sozialen Absicherung sowie bei der Beurteilung bestehender Sicherungsinstrumente niederschlagen. Die grundlegende Annahme lautet daher, dass die »Grenzen der Versorgungsklassen« auch Demarkationslinien wohlfahrtsstaatlicher Akzeptanz sind. Die Zugehörigkeit zu einer Finanzierungs- oder Versorgungsklasse wird dabei in erster Linie die Akzeptanzurteile über die jeweiligen Sicherungssysteme maßgeblich bestimmen, darüber hinaus aber auch die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates insgesamt. Die Bewusstheit dieser wohlfahrtsstaatlichen Interessengegensätze – wenn man so will: das »Versorgungsklassenbewusstsein« – wird sich dabei vermutlich verstärkend auswirken. Grundsätzlich ist aber davon auszugehen, dass die Akzeptanzurteile durch die individuelle sozialpolitische Verteilungsposition und weniger durch spezifische Konkurrenz- und Missgunstbeziehungen geprägt sind, dass relevante Akzeptanzunterschiede zwischen Versorgungsklassen also auch bereits ohne ein entsprechendes Konfliktbewusstsein bestehen. (4) Versorgungsklassenkonflikte sind Konfliktlagen, die erst durch das System der sozialen Sicherung entstehen. Im weiteren Sinne trifft dies auch für Interessen-
44
2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen
gegensätze zwischen »Generationen« zu, die im wohlfahrtsstaatlich relevanten Sinne zum Teil erst durch die Regelungen der Sicherungssystemen (z.B. Rentenalter) geschaffen werden. Der Begriff »Generationenkonflikt« gehört dabei zu den zahlreichen, sowohl in der öffentlichen Diskussion als auch in der Soziologie verwendeten Begriffen mit mehrdeutigem und normativ aufgeladenem Gehalt. Im Kontext der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung sind damit meist strukturelle Konfliktlagen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Alterskohorten bzw. Generationslagen gemeint. Ähnlich wie bei den Versorgungsklassen kann angenommen werden, dass durch die Art der wohlfahrtsstaatlichen Absicherung und der durch sie bedingten Verteilung von Lasten und Leistungen Interessenlagen entstehen, die sich an die Zugehörigkeit zu einer Generation oder Altersgruppe knüpfen. Demgemäß ergäbe sich also ein (latenter) Generationenkonflikt bereits aus dem objektiven Interessengegensatz zwischen »altersstrukturierten« sozialpolitischen Lagen. Das große Volumen intergenerationeller Umverteilungen und sich daran anschließende Fragen der »Generationengerechtigkeit« bilden dabei das materielle Substrat für Generationenkonflikte in Wohlfahrtsstaat, die durch die hohe Aufmerksamkeit, die diese Fragen in den Massenmedien erfahren, zunehmend ins öffentliche Bewusstsein gerückt sind. Generationenkonflikte auf der Ebene der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung können völlig unabhängig von der spezifischen Ausgestaltung der sozialen Sicherung auftreten. So führt der demografische Wandel in allen Wohlfahrtsstaaten zu Finanzierungsproblemen; gleichzeitig gibt es in allen Wohlfahrtsstaaten viele alters- bzw. lebensphasenspezifische Leistungen, die eine Grundlage für wohlfahrtsstaatliche Generationenkonflikte bieten. Unterschiede zwischen Wohlfahrtsstaaten ergeben sich aber daraus, wie sehr kollektive Sicherungssysteme für Schwankungen in der Bevölkerungsentwicklung anfällig sind. Dass Sicherungssysteme unterschiedlich stark durch den Bevölkerungsrückgang belastet werden, wird vor allem an der umlagefinanzierten Rentenversicherung deutlich, auch wenn kapitalgedeckte Verfahren alles andere als eine vollständige Immunisierung gegen den demografischen Faktor sind (vgl. Wagner et al. 1998).38 Die Anfälligkeit für demografische Veränderungen wird schließlich auch durch die unterschiedlich starke Altersorientierung der Wohlfahrtsstaaten beeinflusst (vgl. Lynch 2001). So stellt der Bevölkerungsrückgang insbesondere solche Wohlfahrtsstaaten vor Probleme, die einen sehr hohen Anteil an Leistungen für Ältere vorsehen wie insbesondere die mediterranen Wohlfahrtsstaaten. Wie Lynch (2001) betont, fol-
38
Ein instruktives Beispiel sind hier auch die unterschiedlichen Finanzierungskonzepte der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherungen. Während letztere aufgrund des Fehlens eines sozialen Ausgleichs von demografischen Entwicklungen weitgehend unabhängig sind, kommt es in der Gesetzlichen Krankenversicherung infolge des Solidarprinzips zu intergenerationellen Umverteilungen und somit zu einer stärkeren Belastung der (zahlenmäßig) schwächeren Alterskohorten.
2.2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
45
gen diese Unterschiede in der Altersorientierung insgesamt jedoch nicht dem Muster der Wohlfahrtsstaatstypen. Die meisten Beobachter stimmen wohl darin überein, dass der deutsche Wohlfahrtsstaat vor allem wegen seiner umlagefinanzierten Rentenversicherung, der großzügigen Vorruhestandsregelungen und der Erwerbsarbeitszentrierung (das Gros der Leistungen wird durch lohnabhängige Beiträge finanziert) besonders »demografieanfällig« ist (vgl. a. Kaufmann 1997: 69ff.). Noch mehr als andere hat der deutsche (konservative) Wohlfahrtsstaat ein stetiges Bevölkerungswachstum unterstellt und kann daher mit dem alten sozialpolitischen Instrumentarium nicht angemessen auf den Bevölkerungsrückgang reagieren. Wohlfahrtsstaatliche Generationenkonflikte sollten unter diesen Bedingungen eher auftreten als in Wohlfahrtsstaaten mit einem geringeren Ausmaß an intertemporalen und intergenerationellen Umverteilungen. Da aber alle Wohlfahrtsstaaten einen hohen Anteil altersspezifischer Programme aufweisen, besteht auch in allen die Möglichkeit von Generationenkonflikten; Unterschiede zwischen Wohlfahrtsstaaten sind hier eher gradueller Natur. Abbildung 2.2:
Konfliktwahrscheinlichkeiten in unterschiedlichen Wohlfahrtsregimen liberaler Wohlfahrtsstaat
konservativer Wohlfahrtsstaat
sozialdemokratischer Wohlfahrtsstaat
gering-mittel (selektive Leistungen)
eher hoch (Arbeitgeberbeiträge)
mittel (universale Leistungen)
»welfare backlash«Wahrscheinlichkeit (vs. Mittelklassenunterstützung)
mittel (geringes Leistungsniveau); aber nur geringe Mittelklassenunterstützung wegen selektiver Leistungen
gering (Statusprinzip)
mittel (universale Leistungen; hohes Leistungsniveau); mittlere bis hohe Mittelklassenunterstützung
Konflikte zwischen: (a) Versorgungs- und Finanzierungsklassen (b) positiven Versorgungsklassen
(a) hoch (hohe »Sichtbarkeit«) (b) eher gering (geringes Leistungsniveau)
(a) gering (Statusprinzip) (b) mittel (hohes, aber sinkendes Leistungsniveau)
(a) mittel (universale Leistungen) (b) mittel (hohes, aber sinkendes Leistungsniveau)
eher gering (?)
eher hoch
eher gering (?)
traditioneller Klassenkonflikt
Generationenkonflikt(e)
Wie bei den Versorgungsklassenkonflikten gilt auch für wohlfahrtsstaatliche Generationenkonflikte, dass sie nicht manifest sein müssen, um sich auf die Akzeptanzurteile auszuwirken. Sofern die Annahme strukturell angelegter Interessengegensätze zwischen Altersgruppen richtig ist, müssten sich zwischen den Generationen bzw. Altersgruppen deutliche Unterschiede bei der Beurteilung der sozialen Sicherung ergeben – zumindest bei lebensphasenrelevanten Sicherungssystemen wie der Kranken- und der Rentenversicherung. Anzunehmen wäre etwa eine höhere Akzeptanz der
46
2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen
Rentenversicherung bei den Älteren als bei Jüngeren. Aber auch umgekehrt müssten bei jüngeren Personen stärkere Präferenzen für Ausbildungshilfen und Familienleistungen vorhanden sein (vgl. hierzu auch Kapitel 6.3). Die Wahrscheinlichkeiten der verschiedenen Konfliktformen im Kontext wohlfahrtsstaatlicher Absicherung sind der folgenden Tabelle zusammengefasst (Abb. 2.2). Dabei ist zu beachten, dass die jeweils zugewiesenen Konfliktwahrscheinlichkeiten notwendig nur sehr grobe Annäherungen sein können und dass nicht alle »Gegenthesen« aufgeführt werden konnten. 2.2.3 Wohlfahrtskulturelle Ansätze Untersuchungen, die zur Erklärung der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung auf unterschiedliche kulturelle Aspekte rekurrieren, können zusammenfassend als wohlfahrtskulturelle Ansätze bezeichnet werden (vgl. a. Ullrich 2003). Wohlfahrtskulturelle Ansätze können sich jedoch hinsichtlich der vermuteten Erklärungsfaktoren und der Analyseebene erheblich unterscheiden. Darüber hinaus sind Aussagen über die Ursachen und Kausalmechanismen der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung gemeinhin vager und seltener, als dies bei funktionalistischen und konflikttheoretischen Ansätzen der Fall ist. Zu den wohlfahrtskulturellen Arbeiten sind alle Arbeiten zu rechnen, die die Bedeutung von Ideologien und Werten für die Entstehung und Entwicklung von Wohlfahrtsstaaten betonen. Der Einfluss politischer Ideologien auf die Entstehung und institutionelle Struktur von Wohlfahrtsstaaten sowie auf den Umfang der Absicherung wurde vor allem in historisch-vergleichenden Studien verdeutlicht (z.B. Rimlinger 1971). Auch religiöse Orientierungen (wie Katholizismus oder Pietismus) sind als mögliche Erklärungsfaktoren wohlfahrtsstaatlicher Entwicklungen herangezogen worden (vgl. u.a. Kaufmann 1988; Manow 2002). Insgesamt besteht eine weit geteilte Überzeugung, dass die Entstehung und die Expansion der sozialen Sicherung eine Reihe kognitiver und moralischer Entwicklungen zur Voraussetzung hatten. So habe es umfangreicher kollektiver Lernprozesse bedurft, um den Wohlfahrtsstaat sowohl den bürgerlichen Eliten als auch der revolutionären Arbeiterbewegung als »historischen Kompromiss« zwischen einem ungezügelten, auf soziale Problemlagen keine Rücksicht nehmenden Kapitalismus einerseits und einer radikalen sozialistischen Umgestaltung andererseits »schmackhaft« zu machen (vgl. u.a. Heclo 1974; De Swaan 1988).39 39
Zu den wichtigsten »moralischen Lernschritten« werden hier die Einsicht, dass die freiwilligen Selbsthilfeorganisationen der Arbeiter den Sicherungsbedarf in industrialisierten Gesellschaften nicht mehr decken können, eine breite Sensibilisierung für die Risiken der modernen Lohnarbeiterexistenz sowie die Überzeugung, dass die Absicherung dieser Risiken eine kollektiv-staatliche Lösung erfordere, gerechnet (vgl. De Swaan 1988).
2.2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
47
Den wohlfahrtskulturellen Ansätzen zuzurechnen sind auch Beschreibungen nationaler Wohlfahrtskulturen (vgl. z.B. für Frankreich: Bode 1999) sowie Vergleiche zwischen Ost- und Westdeutschland (Roller 1997). Eher selten sind dagegen explizite Versuche einer Typisierung von Wohlfahrtskulturen.40 Für Arbeiten, die von wohlfahrtskulturellen Annahmen ausgehen, ist allgemein aber die Befassung mit einzelnen kulturellen Aspekten und spezifischen Fragestellungen eher typisch. Dies gilt für so unterschiedliche Arbeiten wie Richard Titmuss Studie über Blutspenden (1970), Arbeiten zu wohlfahrtsstaatlichen Ideologien von Eliten (z.B. George 1998) oder auch solche im Rahmen des »culture of poverty«-Ansatzes (Lewis 1968). Wohlfahrtskulturelle Ansätze verfolgen insgesamt also kein klar umrissenes oder gar einheitliches Forschungsprogramm. Sie sind eher als »sensitizing concepts« zu verstehen, die die Bedeutung kultureller Aspekte für die Entstehung und Entwicklung von Wohlfahrtsstaaten betonen. Eine eindeutige theoretische Verortung von Fragen der Akzeptanz sozialer Sicherungsleistungen und die Zurechnung eines entsprechenden Stellenwerts des Akzeptanzaspektes können daher kaum erwartet werden. Wohlfahrtskulturelle Ansätze interessieren sich jedoch in besonderem Maße für Deutungsmuster, Ideologien und Diskurse – und somit auch dafür, welche Erwartungen an die soziale Sicherung bestehen und welche sozialpolitische Vorstellungen dominant sind. Zu letzteren gehören u.a. »Armutsbilder« (Ursachenattribution bei Armut; Armutsdefinition etc.), Ungleichheitssemantiken oder auch Deutungsmuster von Leistungsempfängern (soziale Wertschätzung/Sympathie, Victimisierung etc.). Die Akzeptanz der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung und insbesondere deren kulturelle Hintergründe können daher als ein zentraler Themenbereich der Wohlfahrtskulturforschung angesehen werden (vgl. Ullrich 2003: 14). Aus wohlfahrtskulturellen Überlegungen lassen sich drei grundlegende und zu einem guten Teil gegenläufige Annahmen über die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates ableiten: (1) Arbeiten, die die Bedeutung kollektiver Lernprozesse für die wohlfahrtsstaatliche Entwicklung untersuchen (z.B. De Swaan 1988), legen zunächst die Annahme einer »supportiven« Wohlfahrtskultur als Voraussetzung für die Entstehung von Wohlfahrtsstaaten (insbesondere aber wohl für die »entwickelter« Wohlfahrtsstaaten) nahe. Von besonderer Bedeutung ist hier das Konzept der Moralökonomie (Thompson 1980), das vor allem von Kohli (1987, 1989) für wohlfahrtsstaatliche Fragestellungen fruchtbar gemacht wurde. Moralökonomisch argumentierende Studien gehen meist 40
So unterscheidet Zijderveld (1986) drei grundlegende Formen eines nationalen »Ethos«, von denen er annimmt, dass sie in einem direktem Verhältnis zur Ausgestaltung der jeweiligen Wohlfahrtsstaaten stehen. Das für die USA und Japan typische »moralische Ethos« betone etwa die individuelle Verantwortung und wirke sich daher restringierend auf die Expansion wohlfahrtsstaatlicher Einrichtungen aus. Umgekehrt verhalte es sich beim »immoralischen Ethos« (z.B. in Deutschland), während das »amoralische Ethos« (z.B. Italiens) gegenüber wohlfahrtsstaatlicher Politik indifferent sei.
48
2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen
davon aus, dass sich im Zuge der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung allgemeine Normen entwickelt haben, die wohlfahrtsstaatliche Leistungsansprüche, Zahlungsbereitschaften und Umverteilungen legitimieren und sie dadurch von der unmittelbaren Notwendigkeit entbinden, eine Mehrheit allein interessenmotivierter Unterstützer zu sichern. Dies impliziert jedoch nicht, dass diese Normgenese der Institutionalisierung wohlfahrtsstaatlicher Regelungen und Ansprüche vorausgegangen sein muss. (2) Die Vermutung, dass die wohlfahrtsstaatliche Entwicklung an entsprechende kulturelle Veränderungen gebunden war, bedeutet jedoch keinesfalls, dass das Verhältnis von Wohlfahrtsstaat und Wohlfahrtskultur grundsätzlich unproblematisch ist. Es muss im Gegenteil von einem latent spannungsreichen Verhältnis ausgegangen werden: Wohlfahrtsstaatliche Institutionen müssen sich nicht nur an Veränderungen auf der Ebene der Wohlfahrtskultur anpassen; auch können (funktional womöglich notwendige) wohlfahrtsstaatliche Entwicklungen durch eine »resistente« Wohlfahrtskultur gebremst wenn nicht gar blockiert werden. Selbst wenn man also die grundlegende Annahme eines wechselseitigen Bedingungsverhältnisses von Wohlfahrtsinstitutionen und Wohlfahrtskultur akzeptiert, besteht durchaus noch die Möglichkeit eines erneuten Auseinanderdriftens von institutioneller und wohlfahrtskultureller Entwicklung. Je nachdem, welche Seite sich hier »bewegt«, kann dies dazu führen, dass die Bevölkerung entweder die bestehende Form der sozialen Sicherung immer weniger unterstützt oder aber sich (notwendigen) Reformen verweigert. Beide Szenarien werden von Wohlfahrtsstaatstheoretikern unterschiedlicher Provenienz beschworen. Insbesondere der schon ältere Diskurs um die von einigen Beobachtern vermutete »Legitimitätskrise« des Wohlfahrtsstaates (vgl. u.a. Moran 1988; Ringen 1987) hat hier Bedeutung erlangt. Der empirische Teil der Legitimitätskrisenthese besteht in der Annahme, dass wohlfahrtsstaatskritische Einstellungen in der Bevölkerung dominieren und dass es daher für den Wohlfahrtsstaat keine unterstützende Mehrheit (mehr) gebe oder dass diese zumindest gefährdet sei. Neben den hohen Finanzierungslasten in Form von Beiträgen und Steuern können als Ursachen für einen solchen Legitimationsentzug gestiegene und zunehmend schwerer zu erfüllende Erwartungen an den Wohlfahrtsstaat, die Zunahme interessenrationaler Einstellungen, aber auch allgemeine Entwicklungen, wie die Verschlechterung der ökonomischen und sozialstrukturellen Rahmenbedingungen und der allgemeine Wertewandel, angeführt werden (vgl. u.a. Offe 1987: 527ff.; Ringen 1987: 47ff.; Schmidt 1988: 183ff.).41
41
Der Annahme einer Legitimitätskrise sind schon früh Entwicklungen entgegengehalten worden, die in die entgegengesetzte Richtung einer höheren Unterstützung des Wohlfahrtsstaates weisen. Doch unabhängig von der Frage ihrer empirischen Plausibilität ist für den hier interessierenden Zusammenhang entscheidend, dass von der Legitimitätskrisenthese unmittelbare Impulse – wenn nicht gar der entscheidende Anstoß – zur Erforschung der Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates ausgingen.
2.2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
49
In jüngerer Zeit ist die These einer Auseinanderentwicklung von Wohlfahrtsinstitutionen und Wohlfahrtskultur – wenn auch vor einem ganz anderen Hintergrund und mit ganz anderen Zielsetzungen – von neoliberalen Wohlfahrtsstaatskritikern erneuert worden. Demnach brauchen und wollen »mündige Staatsbürger« keine bevormundenden staatlichen Regelungen. Auf der politischen Ebene finden diese Vorstellungen in Forderungen nach mehr Wahlmöglichkeiten, einem Abbau von Zwangsregelungen und einer Förderung privater Vorsorge oder auch einer aktivierenden Sozialpolitik ihren Ausdruck. Eine dem entgegengesetzte Situationseinschätzung (bei gleicher politischer Stoßrichtung) liegt der Annahme einer reformunwilligen Bevölkerung zugrunde. Dieser zufolge erweist sich eine als »unzeitgemäß« empfundene Wohlfahrtskultur als entscheidender Hemmschuh für die als notwendig erachteten sozialpolitischen Reformen. Vertreter dieser Position verweisen insbesondere auf empirische Untersuchungen, die eine mangelnde Reformbereitschaft (im Sinne einer Privatisierung der Absicherung) nahe legen (z.B. Föste/Janßen 1997). (3) Die Vermutung einer zunehmenden Spannung zwischen wohlfahrtsstaatlichen Institutionen und Wohlfahrtskultur kann schließlich noch durch die Behauptung »radikalisiert« werden, dass dieser Entwicklungsprozess durch das System der sozialen Sicherung selbst, also endogen, erzeugt wird: Fehlallokationen von Mitteln, Leistungsmissbräuche, bürokratische Auswüchse und andere Missstände, vor allem aber die hohe Beitragslast, haben demnach dazu geführt, dass sich immer mehr Menschen vom Wohlfahrtsstaat zumindest in seiner »anspruchsvollen« Form abwenden. In ähnlicher Weise können auch die vermeintlich gestiegenen und zunehmend unerfüllbaren Erwartungen der Bevölkerung auf reale oder nur unterstellte wohlfahrtsstaatliche Leistungsversprechungen zurückgeführt werden. Ihre dramatisierende Form erhält diese Variante der Wohlfahrtsstaatskritik in der Metapher einer »Anspruchsspirale«, bei der sich die wohlfahrtsstaatlichen Leistungsversprechen und die Erwartungshaltungen und Mentalitäten der Adressaten wechselseitig verstärken (und dadurch das Leistungsniveau, das für eine Befriedigung der Wohlfahrtsansprüche ausreicht, immer höher schrauben). Wie sehr man solchen Diagnosen im Einzelnen auch immer folgen mag: Aus ihnen lassen sich allgemeine Annahmen über die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates gewinnen. Dazu ist jedoch zunächst zu klären, wie plausibel die einzelnen Vermutungen für die Situation des deutschen Wohlfahrtsstaates sind. Allgemein kann hier zunächst vermutet werden, dass die Ausbildung einer supportiven Moralökonomie vor allem für »starke« Wohlfahrtsstaaten eine Voraussetzung war und dass in erster Linie auch nur diese durch die Möglichkeit eines Auseinanderdriftens von wohlfahrtsstaatlichen Institutionen und Wohlfahrtskultur vor größere Probleme gestellt werden: Je höher das Leistungsniveau und je stärker die redistributiven und dekommodifizierenden Wirkungen, desto mehr werden Wohlfahrtsstaaten auf eine kulturelle Verankerung angewie-
50
2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen
sen sein und desto weniger können sie sich auf vordergründige Interessenkalküle ihrer Adressaten verlassen. Folgt man der ersten, allgemeinen Annahme einer supportiven Wohlfahrtskultur ist für die Akzeptanz sozialer Sicherungssystemen in Deutschland vor allem eine zumindest (grobe) Korrespondenz von Wohlfahrtsinstitutionen und Wohlfahrtskultur zu erwarten, d.h. eine starke normative und mentale Verankerung der grundlegenden Prinzipien der sozialen Sicherung. Neben etatistischen und paternalistischen Orientierungen schließt dies auch eine hohe Solidaritätsbereitschaft und eine gewisse »Permissivität« gegenüber Leistungsempfängern sowie eine geringe Neigung zu deren Victimisierung42 ein. Schließlich sollten Präferenzen für eine umfangreiche Absicherung und für ein hohes Leistungsniveau ausgeprägt sein. Demgegenüber sollten z.B. in liberalen Wohlfahrtsstaaten u.a. individualistische und victimisierende Einstellungen sowie Präferenzen für ein geringes Leistungsniveau vorherrschen. Aus der »skeptischen« wohlfahrtskulturellen Annahme, dass Wohlfahrtskultur und Wohlfahrtsinstitutionen nicht (länger) im Einklang sind, lassen sich entsprechend gegenläufige Vermutungen über die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates ableiten. Die generelle Annahme ist hier, dass die Akzeptanz in allen »starken« Wohlfahrtsstaaten zurückgeht, weil sich die Wohlfahrtskultur »liberalisiert«. Dies müsste sich u.a. in einem Wunsch nach mehr Wahlfreiheit und der Ablehnung eines Staatspaternalismus, in einer generell stärkeren Bedeutung des Eigeninteresses, in einer kritischeren Sicht der Leistungsempfänger sowie in einer kritischeren Beurteilung der wohlfahrtsstaatlichen Performanz niederschlagen. Welchem Entwicklungsszenario man aber auch immer zuneigt: Die grundsätzliche Annahme zur Wohlfahrtsstaatsakzeptanz lautet in jedem Fall, dass eine hohe Kongruenz von Wohlfahrtskultur und Wohlfahrtsinstitutionen zu einer hohen Akzeptanz des bestehenden wohlfahrtsstaatlichen Arrangements führt. Dies gilt auch für Unterschiede zwischen Bevölkerungsteilen: Je stärker die allgemeinen Ideologien oder spezifische Wertorientierungen (z.B. Gerechtigkeitsüberzeugungen) einer Person mit der normativen Logik eines sozialen Sicherungssystems übereinstimmen, desto positiver wird sie – ceteris paribus – dieses beurteilen. 2.2.4 Institutionentheoretische Ansätze Die Grundidee institutionalistischer Ansätze besteht in der Annahme, dass die gesellschaftlichen Institutionen selbst, wenn sie erst einmal implementiert sind, sowohl die Interessen der betroffen Akteure (hier also gegenüber der sozialen Sicherung) prägen als auch ihre moralischen Überzeugungen. 42
Als Victimisierung (victim blaming) wird allgemein die Auffassung bezeichnet, dass Leistungsempfänger selbst dafür verantwortlich sind, in eine Abhängigkeit von Sozialleistungen geraten zu sein.
2.2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
51
In der Wohlfahrtsstaatstheorie haben in jüngerer Zeit vor allem Erklärungsversuche besonderes Interesse hervorgerufen, die auf die Historizität wohlfahrtsstaatlicher Institutionen und auf Rückkoppelungseffekte rekurrieren. Oft liegt ihnen die aus Modellen der »Pfadabhängigkeit«43 entlehnte Annahme zugrunde, dass die wohlfahrtsstaatlichen Entwicklungsmöglichkeiten maßgeblich von der bereits bestehenden institutionellen Struktur eines Wohlfahrtsstaates bestimmt werden. Frühere sozialpolitische Entscheidungen erweisen sich dann rückblickend als entscheidende Weichenstellungen. Wohlfahrtsstaatliche Rückkoppelungseffekte sind alle durch den Wohlfahrtsstaat ausgelösten Veränderungen in der Umwelt, die wieder auf den Wohlfahrtsstaat zurückwirken. Solche Rückwirkungen können verstärkend oder destruktiv sein. Als positive Rückkoppelung (Verstärkung) kann z.B. die durch den Wohlfahrtsstaat mit verursachte Veränderung der Beschäftigungsstruktur in Richtung einer Zunahme abhängig Beschäftigter gelten. Diese hat dazu geführt, dass immer mehr Menschen auf eine sozialpolitische Absicherung angewiesen sind, während gleichzeitig die Zahl der klassischen Wohlfahrtsstaatsgegner (Selbständige, Landwirte) zurückging.44 Eine typische negative Rückkoppelung besteht dagegen, wenn wohlfahrtsstaatliche Programme durch die Veränderung der individuellen Opportunitätsstrukturen Verhaltensweisen begünstigen, die zu einer Belastung der sozialen Sicherungssysteme führen. Hierzu gehören u.a. die oft beklagte »Anspruchsmentalität« und die Verteuerung der Arbeitskraft durch Sozialabgaben. Aber auch im »welfare backlash« (vgl. Abschnitt 2.2.2) ist eine destruktive Rückwirkung auf den Wohlfahrtsstaat zu sehen, zumindest soweit diese Ablehnung auf die hohe finanzielle Belastung durch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zurückzuführen ist. Die Frage der Akzeptanz wird in der institutionentheoretischen Perspektive in »umgekehrter Richtung« zum Thema: Nicht die Bedeutung der sozialen Akzeptanz für die Stabilität und Performanz sozialer Sicherungsinstitutionen ist in dieser Sichtweise zentral, sondern der Einfluss, den diese auf die Präferenzen und Einstellungen der Wohlfahrtsstaatsbürger und auf die gesamte Wohlfahrtskultur haben (können). Die grundlegende Vorstellung besteht darin, dass sich die Unterschiede, die bei der Akzeptanz zwischen sozialen Sicherungssystemen deutlich werden, maßgeblich auf die divergenten institutionellen Strukturen der Sicherungssysteme zurückzuführen lassen. Die weitergehende Hoffnung lautet dann, dass man mit einer »geschick43
44
Zur Anwendung von Modellen der Pfadabhängigkeit auf den Wohlfahrtsstaatskontext vgl. u.a. Ebbinghaus (2005); für einen Überblick über unterschiedliche Pfadabhängigkeitskonzepte Beyer (2005). Als Rückkoppelungseffekte, die zu einer Verfestigung der bestehenden wohlfahrtsstaatlichen Strukturen geführt haben, werden u.a. auch die Wohlfahrtsstaatsbürokratie und die durch den Wohlfahrtsstaat gebildeten »Versorgungsklassen« angesehen, die jeweils, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen, ein starkes Interesse am Bestand des Wohlfahrtsstaates bzw. am Ausbau wohlfahrtsstaatlicher Leistungen haben.
52
2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen
ten« Ausgestaltung der sozialen Sicherung – und nicht nur mit einer möglichst »generösen« Leistungsgestaltung – deren Chancen auf Akzeptanz (ihre »Akzeptabilität«) erhöhen kann (vgl. Ullrich 2001). Institutionalistische Annahmen über die Akzeptabilität sozialer Sicherungssysteme werden typischerweise auf zwei Ebenen gemacht: auf der wohlfahrtsstaatlicher Regime und auf der Ebene spezifischer Systemeigenschaften. (1) Auf der Regimeebene wird angenommen, dass die Wohlfahrtsstaatstypen in unterschiedlichem Maße in der Lage sind, Akzeptanz zu generieren. Dabei werden jedoch ganz konträre Positionen vertreten. So wird einerseits schlanken, also vor allem liberalen, Wohlfahrtsstaaten eine hohe Akzeptabilität attestiert, weil das Umverteilungsvolumen gering ist und Leistungen vergleichsweise zielgenau den Bedürftigen (und nur diesen) zugute kommen (vgl. hierzu kritisch: Greenstein 1991). Andererseits werden aber auch dem sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaatstyp privilegierte Akzeptanzchancen nachgesagt. Dies wird mit fast entgegengesetzten Argumenten begründet. So sei der Rückhalt sozialdemokratischer Wohlfahrtsstaaten in der Bevölkerung gerade aufgrund des hohen Leistungsniveaus und des Umstands, dass fast jeder in der einen oder anderen Form Leistungen erhält oder darauf hoffen kann, Leistungen zu erhalten, besonderes stark (Rothstein 1998: 134ff.; 156ff.). Schließlich wird auch dem konservativen Wohlfahrtsstaat eine hohe Akzeptabilität zugeschrieben. Die Gründe werden dabei im geringen Maß interpersoneller Umverteilungen und in der engen Bindung der Leistungsberechtigung an Vorleistungen (insbes. Beitragszahlungen) gesehen. (2) Diese Annahmen über die Akzeptabilität unterschiedlicher Wohlfahrtsregime basieren letztlich auf der Unterstellung, dass bestimmte, für die einzelnen Wohlfahrtsstaatstypen typische Systemmerkmale akzeptanzförderlich oder -abträglich sind. Zu den akzeptanzförderlichen Eigenschaften sozialer Sicherungssysteme werden u.a. die Zahl der potenziellen Leistungsempfänger, das (Sozial)Versicherungsprinzip bzw. die Bindung von Leistungsansprüchen an vorherige Beitragszahlungen, die Restriktivität des Leistungszugangs (z.B. Karenzzeiten) und das Ausmaß interpersoneller Umverteilungen gezählt (vgl. u.a. Esping-Andersen 1997; Karl et al. 1998; Mackscheidt 1985; Offe 1990; Ullrich 2001; Skocpol 1991). Im weiteren Sinne können aber auch die zugeschriebenen Eigenschaften von Leistungsempfänger sowie die »normative Kompatibilität« der Sicherungssysteme mit der Wohlfahrtskultur als Akzeptabilitätskriterien gelten. Für den deutschen Wohlfahrtsstaat wurde insbesondere wegen des hohen Anteils von Sozialversicherungen eine höhere Akzeptabilität angenommen. Claus Offe sieht hier ein »ausgeklügeltes Ensemble vertrauenssichernder Vorkehrungen« (1990: 182) am Werk, das vor allem vor zwei Dingen schütze: dass Unberechtigte Leistungen erhalten und dass Leistungsberechtigte keine Leistungen erhalten (1990: 181f.). Zu den Strukturmerkmalen, durch die dies erreicht werde, zählt er u.a. die Pflichtversicherung, die Staatsaufsicht, das Äquivalenzprinzip und die Unabhängigkeit vie-
2.2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
53
ler Leistungen von der Bedürftigkeit (1990: 182ff.). Diese und weitere Merkmale setzen laut Offe »die moralischen Anforderungen in puncto Solidarität (...) so weit herab (...), dass rational begründete Vorbehalte gegen das Sicherungssystem selbst nicht leicht aufkommen können«. Das System der sozialen Sicherung sei daher »in geradezu idealer Weise kognitiv und moralisch anspruchslos« (1990: 185; Hervorhebungen d. O. sind weggelassen). Wenn die allgemeine Akzeptabilitätsvermutung im Grundsatz zutrifft und die institutionelle Struktur für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme bedeutsam ist, so gilt dies nicht nur für die Höhe der Akzeptanz, sondern auch für den »Inhalt« der wohlfahrtsstaatlichen Präferenzen und Einstellungen. Das heißt, die Einstellungen und Präferenzen der wohlfahrtsstaatlichen Adressaten müssten weitgehend den Strukturmerkmalen folgen bzw. sich an ihnen orientieren. Im Fall des »konservativen« deutschen Wohlfahrtsstaates wäre etwa eine hohe Akzeptanz von Sozialversicherungen, ein Befürwortung paternalistischer Staatseingriffe und eine hohe Solidaritätsbereitschaft im Bereich der Gesundheitsversorgung zu erwarten; andererseits aber auch eine geringe Akzeptanz von Umverteilungen und steuerfinanzierter, von Vorleistungen unabhängiger Leistungen. Wie wohlfahrtskulturelle legen also auch institutionalistische Ansätze eine hohe Kongruenz der Präferenzen und Einstellungen mit den institutionalisierten Wohlfahrtsstaatsstrukturen nahe. Die Erwartungen hinsichtlich der Akzeptanz und der Akzeptanzmotive unterscheiden sich daher nicht grundsätzlich von denen der in Abschnitt 2.2.3 dargelegten wohlfahrtskulturellen Perspektive. Wodurch sich die beiden Ansätze unterscheiden, ist primär die vermutete Kausalrichtung: Während wohlfahrtskulturelle Ansätze davon ausgehen, dass bestimmte Präferenzen und Einstellungen auf Seiten der (späteren) Adressaten eine Voraussetzung für die Durchsetzung und den Bestand wohlfahrtsstaatlicher Institutionen sind, sind es in der institutionalistischen Perspektive die wohlfahrtsstaatlichen Institutionen, die sich erst eine konforme Wohlfahrtskultur schaffen (oder diese zumindest zu entsprechenden Anpassungsleistungen zwingen). Inwiefern solche und weitere Annahmen über die Akzeptabilität und Akzeptanz von Wohlfahrtsstaaten zutreffen, ist bisher jedoch kaum untersucht worden. Dies dürfte wesentlich darauf zurückzuführen sein, dass für eine systematische Überprüfung insgesamt zu wenige Vergleichsmöglichkeiten bestehen. Unterschiede zwischen Wohlfahrtsstaaten (vgl. hierzu Kap. 3.1) und einfache Vergleiche von Systemtypen (Ullrich 2001) bestätigen aber zumindest den »Generalverdacht«, dass die institutionelle Form der Absicherung einen Einfluss auf die soziale Akzeptanz haben kann. Darüber hinaus finden sich Hinweise, dass die Beurteilung sozialer Sicherungssysteme sich auch als Folge sozialpolitischer Reformen verändert (vgl. Hills 2002; Smith/Wearing 1987). Eine fundierte Einschätzung institutionalistischer Annahmen über die Akzeptabilität sozialer Sicherungssysteme würde jedoch eine genaue empi-
54
2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen
rische Überprüfung der Bedeutung einzelner Systemeigenschaften (z.B. Bedürftigkeitsprüfungen) für die Gesamtbeurteilung eines Sicherungssystems erfordern.45 Die kursorische Darstellung der wichtigsten wohlfahrtsstaatstheoretischen Paradigmen hatte den Zweck zu prüfen, welche grundlegenden Annahmen über die Wohlfahrtsstaatsakzeptanz sich aus den unterschiedlichen Ansätzen der Wohlfahrtsstaatstheorie ergeben. Dabei ging es zum einen um den Stellenwert, der »Akzeptanzfragen« beigemessen wird, und zum anderen um Vermutungen über Akzeptanzursachen und -unterschiede. Diese grundlegenden Annahmen stellen das Bindeglied zwischen der allgemeinen Wohlfahrtsstaatstheorie und der in Kapitel 6 erfolgenden Entwicklung und Begründung spezifischer Hypothesen zur Erklärung der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz dar. Insgesamt wurde deutlich, dass sich vor allem aus konflikttheoretischen Ansätzen allgemeine (und zum Teil gegensätzliche) Annahmen über die Wohlfahrtsstaatsakzeptanz und insbesondere über Akzeptanzunterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen entwickeln lassen. Eine wichtige Ergänzung stellen wohlfahrtskulturelle und institutionalistische Konzepte und Überlegungen dar, die zu durchaus ähnlichen Annahmen über die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates und über mögliche Erklärungsfaktoren führen. Dagegen erwiesen sich funktionalistische Erklärungen des Wohlfahrtsstaates, obwohl sich aus ihnen durchaus Annahmen über die Akzeptanz von Wohlfahrtsstaaten ableiten lassen, für die hier interessierenden Fragen der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz (in einem Wohlfahrtsstaat und zu einem Zeitpunkt) als nicht weiterführend. Die zentralen Befunde dieses kurzen Durchgangs durch die Hauptströmungen der Wohlfahrtsstaatstheorie und der Diskussion möglicher Implikationen für Fragen der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz sind in Abbildung 2.3 festgehalten. Die aus den einzelnen Erklärungsansätzen gewonnenen Annahmen über die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates werden in Kapitel 6 eingehender untersucht.
45
Zumindest für die Eigenschaften von Leistungsempfängern konnte eine entsprechende Wirkung zumindest in einem Fall (Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates in den USA) nachgewiesen werden (Cook/Barrett 1992). Die »deservingness« der Leistungsempfänger nimmt unter den Akzeptabilitätskriterien allerdings einen Sonderstatus ein (vgl. hierzu ausführlich: Kapitel 6.5).
55
2.2 Wohlfahrtsstaatstheorie und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
Abbildung 2.3:
Wohlfahrtsstaatstheorie und Wohlfahrtsstaatsakzeptanz
funktionalistischer Ansatz
konflikttheoretischer wohlfahrtskultureller institutionalistischer Ansatz Ansatz Ansatz
allgemeine Merkmale; Varianten
- wohlfahrtsstaatliche - wohlfahrtsstaatliche - Analyse der kulturelEntwicklung folgt Entwicklung ist Folge len Voraussetzungen funktionalen Erforsozialer Interessenvon Wohlfahrtsstaatdernissen konflikte lichkeit - sozioökonomische, - u.a. Sozialdemokratie-, - historische LernproMittelklassen- und zesse; Deutungsmusmodernisierungstheoretische und neomarVersorgungsklassenter- und Diskursanaxistische Ansätze these lysen
Bedeutung von Akzeptanzfragen
- gering: Akzeptanz folgt funktionalen Notwendigkeiten (oder muss ignoriert werden)
- Akzeptanz passt sich dem Entwicklungsniveau an - evtl.: sinkende Funkallgemeine tionalität der AbsiAnnahmen cherung o sinkende über AkzepAkzeptanz tanz
- keine spezifischen Annahmen über die Akzeptanz des deutschen Wohlfahrtsstaates
- Akzeptanz wichtig, gilt als abhängig von der sozialen Position, insbes. der Versorgungsklassenlage
- Akzeptanz zentrales Thema; akzentuiert kulturelle Faktoren
- wohlfahrtsstaatliche Institutionen schaffen Bedingungen für weitere Entwicklung (Pfadabhängigkeiten)
- Akzeptanz wichtig, wird als Folge institutioneller Strukturen aufgefasst (»Akzeptabilität«)
- Akzeptanzunter- relativ hohe Kongruenz zwischen Wohlschiede zwischen fahrtskultur und Wohlfahrtsinstitutionen Klassen, Versor- Unterschiede zwis- institutionell bedingte gungsklassen und chen WohlfahrtsUnterschiede zwiGenerationen staatstypen bei schen Wohlfahrts- unterschiedliche Akzeptanzmotiven staaten (konkurrie»Konfliktanfällig- Möglichkeit eines rende Annahmen) keiten« je nach WohlAuseinanderdriftens fahrtsstaatstyp von Wohlfahrtskultur und Wohlfahrtsinstitutionen - geringe Wahrscheinlichkeit größerer Akzeptanzunterschiede zwischen Klassen und Versorgungsklassen - höhere Wahrscheinlichkeit eines Generationenkonflikts
- spezifische Akzeptanzmotive (z.B. »Paternalismus«) - evtl.: sinkende Akzeptanz infolge kulturellen Wandels
- hohe Akzeptabilität des deutschen Wohlfahrtsstaates aufgrund relativer »moralischer Anspruchslosigkeit«
3 Ergebnisse und Defizite der wohlfahrtsstaatlichen Akzeptanzforschung
3.1 Hintergründe und zentrale Ergebnisse der Akzeptanzforschung Lange Zeit bestand in der politischen Öffentlichkeit und in der sozialwissenschaftlichen Forschung kein kontinuierliches und systematisches Interesse an Fragen der Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen. Dieses Desinteresse kann auf mindestens drei Gründe zurückgeführt werden. Zum einen schienen die Vorteile einer sozialen Absicherung offenbar zu »selbstverständlich«. So wurde der weitere Ausbau des Sozialstaates nicht nur im Interesse der wohlfahrtsstaatlichen Adressaten vorangetrieben, sondern auch – so die im Nachkriegsdeutschland lange vorherrschende Lehrmeinung – zum Nutzen der gesamten Volkswirtschaft. Zweitens fehlte es in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs an exogenen Anreizen, die wohlfahrtsstaatliche Expansionsdynamik zu begrenzen. Steigende Sozialversicherungsbeiträge konnten lange durch entsprechende Produktivitätssteigerungen und eine daran angepasste Lohnentwicklung kompensiert werden. Die Vernachlässigung der Frage, ob die Sozialbürger eine umfangreiche soziale Sicherung und die bestehende und sich weiter entwickelnde Form der Wohlfahrtsstaatlichkeit überhaupt wollen, ist schließlich auch darauf zurückzuführen, dass sich die aus der amerikanischen Politische Kultur-Forschung stammende (und im amerikanischen Demokratieverständnis verwurzelte) Auffassung, nach der die politische Unterstützung ein entscheidender Faktor für die Stabilität politischer Systeme und Regierungen sowie vor allem auch für deren Legitimierung ist, nur langsam durchgesetzt hat. Die USA, in denen politische Meinungsumfragen eine längere Tradition haben als in den europäischen Ländern, sind daher auch das einzige Land, für das Umfrageergebnisse für weiter zurückliegende Zeitpunkte vorliegen (vgl. Coughlin 1979; Schiltz 1970). In Deutschland blieben Studien aus dem Bereich Sozialpolitik, die sich zumindest mit Teilaspekten sozialer Akzeptanz befasst haben, dagegen selten und waren meist mit sehr spezifischen Fragen befasst (vgl. Braun 1972; von Friedeburg/Weltz 1958; Schmaltz 1969), sodass bis in die 1970er Jahre nur äußerst wenig über die Akzeptanz der sozialen Sicherung in Deutschland bekannt ist. Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates als eigenständiger Erkenntnisgegenstand hat erst seit Ende der 1970er Jahre vermehrt Aufmerksamkeit in der politisch inter-
3.1 Hintergründe und zentrale Ergebnisse der Akzeptanzforschung
57
essierten Öffentlichkeit und im wissenschaftlichen Diskurs erlangt. Den wissenschaftshistorischen Hintergrund für diese Hinwendung zu Akzeptanzfragen im Bereich Sozialpolitik bilden der durch den »Ölschock« (1973) ausgelöste Abschied von einem geradezu »naiven« Wachstumsoptimismus und der damit verbundenen Einsicht, dass die expansive Dynamik der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung nicht ungebremst bleiben kann. Bestimmend war dabei zunächst der »linke« Diskurs um eine mögliche Legitimitätskrise des Wohlfahrtsstaates bzw. des »Spätkapitalismus«. Für diesen war die Annahme grundlegend, dass sich kapitalistische Wohlfahrtsstaaten (denen »echte« Legitimität verwehrt sei) durch umfangreiche sozialpolitische Zugeständnisse zumindest eine »Massenloyalität« sicherten (Narr/Offe 1975) – und dass gerade die Erfüllung dieser Funktion der Loyalitätsherstellung angesichts wachsender Finanzierungsprobleme durch das System der sozialen Sicherung zunehmend weniger erfüllt werden könne. Durchaus ähnlich argumentierend, wenn auch mit umgekehrtem politischem Vorzeichen, diagnostizierte später die »Unregierbarkeitsthese« eine Dynamik wachsender Wohlfahrtsansprüche, die zu einer Überforderung – und in der Konsequenz zur Handlungsunfähigkeit – demokratisch gewählter Regierungen führe (vgl. u.a von Beyme 1984; Heidorn 1982). Gestützt sahen sich derartige Krisenszenarien insbesondere durch empirische Beobachtungen wie die als »welfare backlash« bekannt gewordenen Proteste gegen hohe Steuerbelastungen (vgl. Wilensky 1975: 28ff., 2002: 363ff.; vgl. a. Kap. 2.2.2). Die Auseinandersetzung um die legitimatorische und, im engen Verbund damit, um die stabilitätsbildende Funktion der sozialen Sicherung wurde zunächst jedoch von theoretischen Argumenten und eher alltagsweltlichen Beobachtungen (etwa über eine vermeintliche »Anspruchsmentalität« der Bürger) bestimmt. Nur allmählich setzte sich die Einsicht durch, dass die Frage der Akzeptanz oder Unterstützung sozialer Sicherungssysteme (wie auch des gesamten Politischen Systems) nicht theoretisch deduziert werden kann, sondern – bei allen damit verbundenen Schwierigkeiten – empirisch untersucht werden muss. Seit den 1980er Jahren liegen mittlerweile einige Untersuchungen zur Akzeptanz westlicher Wohlfahrtsstaaten vor. Der Anteil vergleichender Studien ist dabei erheblich, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass seit Mitte der 1980er Jahre mit dem International Social Survey Programme (ISSP)46 und dem Eurobarometer47 deutlich bessere Möglichkeiten für vergleichende Untersuchungen zur Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme bestehen. Dass dabei in den einzelnen Untersuchen oft andere und unterschiedliche Begriffe (insbes. den der »politischen Unterstützung«) verwendet werden, ist grund46 47
Zentral sind hier die Module »Role of Government« I-III und »Social Inequality« I-III. Akzeptanzindikatoren finden sich in vielen Eurobarometerumfragen, z.B. im Eurobarometer 40 »Poverty and Social Exclusion« (1993).
58
3 Ergebnisse und Defizite der wohlfahrtsstaatlichen Akzeptanzforschung
sätzlich unproblematisch (vgl. 2.1.2). Unbefriedigend ist hingegen, dass auch mit der stärkeren Hinwendung zu Akzeptanzfragen eine theoretisch-konzeptionelle Präzisierung weitgehend ausblieb. »Akzeptanz« und die alternativ verwendeten Terminologien bleiben meist undefiniert und werden unbestimmt mit einer nicht näher spezifizierten Zustimmung oder positiven Bewertung gleichgesetzt. Die Akzeptanzforschung zum Wohlfahrtsstaat ist zudem »räumlich« ungleich verteilt: Sie hat vor allem in den USA und in Großbritannien eine längere Tradition, während in jüngerer Zeit viele Arbeiten aus den skandinavischen Ländern und vor allem aus den Niederlanden kommen. Obwohl Roller immerhin schon 1992 ihre umfangreichere Arbeit vorgelegt hat, kann Deutschland weder zu den Vorreitern einer wohlfahrtsstaatlichen Akzeptanzforschung gezählt werden noch zu den Ländern, die sich in den letzten Jahren durch eine besonders intensive Bemühung um Akzeptanzfragen ausgezeichnet haben. Neben der Akzeptanzforschung i.e.S. gibt es weitere Forschungsarbeiten, die zwar überwiegend an spezifischeren Fragestellungen interessiert sind, deren Ergebnisse aber dennoch Rückschlüsse über die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Systeme und Regelungen zulassen. In erster Linie ist hier an meist von Ökonomen initiierte Studien zu denken, die die Reformbereitschaft und -fähigkeit der Bürger bzw. die Akzeptanz (stärker) marktförmiger Absicherungsformen und entsprechender Steuerungsmittel (z.B. Selbstbeteiligungen) untersuchen (vgl. u.a. Boeri et al. 2000; Bulmahn 2003; Föste/Janßen 1997; Wasem 2000; Zok 2003) oder auf die Beurteilung konkreter Reformalternativen zielen (u.a. Börsch-Supan et al. 2004; Hallauer et al. 1996; Pappi/Shikano 2005; Ullrich/Christoph 2006). Zweitens sind hier empirische Studien zur Akzeptanz sozialer Ungleichheit (z.B. Haller 1986, 1987; Kluegel/Smith 1986; Mau 1997; Svallfors 1993) sowie Arbeiten aus dem Bereich der Gerechtigkeitssoziologie zu nennen, die im weiteren Sinne sozialpolitische Fragen zum Gegenstand haben (u.a. Kluegel/Miyano 1995; Marshall et al. 1999; Lewin-Epstein et al. 2003). Beide Forschungsrichtungen haben einen engeren Interessenfokus als die Akzeptanzforschung – im ersten Fall hinsichtlich der abhängigen Variable (soziale Ungleichheit), im zweiten hinsichtlich des Spektrums möglicher oder als zentral angesehener Erklärungsfaktoren. Das Ziel der Verringerung sozialer Ungleichheit gehört jedoch ebenso zum Bereich der wohlfahrtsstaatlichen Aufgaben wie Gerechtigkeitsorientierungen Akzeptanzurteile gegenüber dem Wohlfahrtsstaat motivieren können. Auch aus der »Steuerwiderstandsforschung« lassen sich Einsichten über die Akzeptanz der sozialen Sicherung gewinnen (vgl. u.a. Brook et al. 1996; Confalonieri/Newton 1995; Edlund 1999; Hadenius 1986; Sanders 1988). Sie ist jedoch nicht mit der Akzeptanz sozialer Sicherung gleichzusetzen, da der Erkenntnisgegenstand, die Frage der gewünschten staatlichen Aktivität, einerseits weiter gefasst ist (nicht auf den
3.1 Hintergründe und zentrale Ergebnisse der Akzeptanzforschung
59
Bereich der Sozialpolitik begrenzt), zugleich aber auf das Verhältnis Staat – Bürger fokussiert. Als vierter Forschungszweig, der der Akzeptanzforschung zum Wohlfahrtsstaat wichtige Einsichten vermitteln kann, können Arbeiten angesehen werden, die sich mit »Armutsbildern« befassen. Hier liegen mittlerweile einige Arbeiten zur Wahrnehmung von Armen bzw. von Sozialhilfeempfängern vor, die vor allem an die bekannte Unterscheidung von »deserving« und »undeserving poor« anschließen (vgl. u.a. Cook/Barrett 1992; van Oorshot/Halman 2000; Will 1993). Selten sind dagegen Untersuchungen des »Leistungsempfängerbildes« in anderen Sicherungsbereichen (zur Arbeitslosenversicherung vgl. Brenke/Peters 1985). Einen spezifischen Beitrag zur Erklärung der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz leisten schließlich auch qualitative Arbeiten, die sich mit Akzeptanzaspekten befassen (vgl. hierzu a. Ullrich 2002). Allgemein kann von einer qualitativen Akzeptanzforschung die Erfassung eines differenzierteren Akzeptanzbildes und insbesondere ein Ausloten der »Grenzen des Akzeptablen« (z.B. die Solidaritätsbereitschaft gegenüber »stigmatisierten« Adressatengruppen), die »Entdeckung« neuer Erklärungsfaktoren und vor allem auch die Beschreibung und Analyse komplexer Handlungsmotive und ihrer Verwendungskontexte erwartet werden (vgl. u.a. Hamann et al. 2001; Ullrich 2000b). Die folgende Darstellung allgemeiner Forschungsergebnisse konzentriert sich auf die wohlfahrtsstaatliche Akzeptanzforschung im engeren Sinne sowie auf einige zentrale und allgemeine Befunde. Eingehendere Darstellungen zu spezifischen Teilfragen erfolgen in den einzelnen empirischen Abschnitten von Kapitel 6. Bei aller Zurückerhaltung, die ein so allgemeiner Überblick erfordert, können vier zentrale Ergebnisse der internationalen Akzeptanzforschung festgehalten werden: (1) Das wohl übergreifende Ergebnis fast aller Untersuchungen zur Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen und Programmen ist das einer insgesamt hohen Zustimmung zu Systemen der sozialen Sicherung und sozialpolitischen Zielen. Im Grundsatz gilt dies für alle entwickelten Wohlfahrtsstaaten. So erwies sich die gemessene Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme nicht nur in Arbeiten zur Akzeptanz des deutschen Wohlfahrtsstaats meist als groß (vgl. u.a. Andreß et al. 2001; BMAS 1980, 1983; Dehlinger/Brennecke 1992; Gangl 1997; Krüger 1999; Roller 1992, 2000). Eine eher hohe Akzeptanz wurde z.B. auch für Großbritannien (Taylor-Gooby 1982, 1985, 1991, 1995; Whiteley 1981), Österreich (Bacher/Stelzer-Orthofer 1997; Norden 1986), die Niederlande (van Oorschot 2000a, 2000b; van Oorschot/Halman 2000), Schweden (u.a. Svallfors 1995, 1999, 2004), Finnland (u.a. Ervasti 2001; Forma 1997; Pöntinen 1988; Sihvo/Uusitalo1995), Norwegen (Pettersen 2001), Dänemark (Andersen 1993, 1999), Italien (Ferrera 1997), Israel (Cnaan 1989), Tschechien (Sirovatka 2002), Australien (Papadakis 1993; Smith/Wearing 1987) und – wenn zum Teil auch mit widersprüchlichen Ergebnissen – für die USA (vgl. u.a. Cook/Barrett 1992; Coughlin 1979; Feldman/Steenbergen 2001; Shapiro/Young 1989) festgestellt.
60
3 Ergebnisse und Defizite der wohlfahrtsstaatlichen Akzeptanzforschung
Auch vergleichende Untersuchungen haben immer wieder die allgemein hohe Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen bestätigt (vgl. Bonoli 2000; Evans 1996; Mau 1998; Newton 1995; Papadakis/Bean 1993; Pettersen 1995; Roller 1995; Svallfors 2003). Darüber hinaus werden mittlerweile über einen recht langen Zeitraum hohe Akzeptanzwerte festgestellt, sodass von einer recht hohen zeitlichen Stabilität positiver Akzeptanz auszugehen ist (Andreß et al. 2001: 146ff.; Evans 1996). (2) Neben einer insgesamt eher hohen Akzeptanz werden aber auch sehr große Unterschiede zwischen den einzelnen Wohlfahrtsstaaten festgestellt. So zeigt sich immer wieder, dass die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates in den USA deutlich geringer ist als in fast allen europäischen Ländern (vgl. u.a. Papadakis 1993; Ringen 1987; Shapiro/Young 1989; Svallfors 2003). Darüber hinaus sind aber nur schwer einheitliche Muster auszumachen. Dies gilt insbesondere für Versuche, Akzeptanzunterschiede zwischen den von Esping-Andersen (1990) unterschiedenen Typen von Wohlfahrtsregimen nachzuweisen. Hier sind die Ergebnisse (bzw. deren Interpretation) zwar nicht übereinstimmend (vgl. u.a. Arts/Gelissen 2001; Bonoli 2000; Evans 1996; Linos/West 2003; Mau 1997; Mehrtens 2004; Papadakis/Bean 1993; Svallfors 1993, 1997, 2003). Insgesamt scheinen aber die »Binnenvariationen« innerhalb eines Wohlfahrtsstaatstyps zu groß und die Unterschiede zwischen den Regimetypen zu gering, um von stabilen Mustern wohlfahrtsstaatlicher Akzeptanz zu sprechen, die den von Esping-Andersen vorgeschlagenen Typen (oder alternativer Typenvorschläge) entsprechen. (3) Weitgehende Übereinstimmung scheint dagegen darüber zu bestehen, dass es Akzeptanzunterschiede zwischen Leistungssystemen gibt und dass die Alterssicherungssysteme, dicht gefolgt von den Gesundheitssystemen, in den meisten Wohlfahrtsstaaten die stärkste Zustimmung erfahren. Die Akzeptanzwerte für Arbeitslosenversicherungen und vor allem für Mindestsicherungs- und Fürsorgeleistungen zur Armutsbekämpfung (wie die Sozialhilfe) sind dagegen deutlich niedriger. Von einer hohen Akzeptanz des gesamten Wohlfahrtsstaates kann daher nicht gesprochen werden. Ein breiter gesellschaftlicher Konsens ist in den meisten Wohlfahrtsstaaten nur für einzelne, besonders »beliebte« Sicherungssysteme festzustellen. Zudem bleiben bei diesen Unterschieden zwischen Sicherungssystemen wichtige Fragen offen: Zum einen sind hier einige »Anomalien« zu beobachten, zu denen u.a. die ungewöhnlich geringen Akzeptanzwerte der Rentenversicherung in Deutschland im ISSP-Modul »Role of Government III« (vgl. Ullrich 2005b: 218) und die relativ großen Schwankungen im Zeitverlauf (etwa in Großbritannien) zu zählen sind. Vor allem fehlt es an überzeugenden Erklärungsangeboten für die beobachteten Akzeptanzunterschiede. Einer schlüssigen Erklärung am nächsten kommen dabei wohl Versuche, diese entweder auf spezifische Systemmerkmale (z.B. Universalität, Beitragsprinzip) oder auf die Wahrnehmung und die »Popularität« der jeweiligen Leistungsempfänger zurückzuführen (vgl. u.a. Cook/Barrett 1992; Gevers et al. 2000; Gelissen 2001; Ullrich 2001). Akzeptanzunterschiede zwischen den einzelnen
3.1 Hintergründe und zentrale Ergebnisse der Akzeptanzforschung
61
Sicherungsbereichen könnten aber auch auf unterschiedliche Sicherungsbedarfe bzw. Risikowahrnehmungen zurückzuführen sein oder schlicht auf ein stärkeres Eigeninteresse einer »größeren Zahl« potenzieller Leistungsempfänger. (4) Eher geringe Übereinstimmung zwischen einzelnen Untersuchungen herrscht hinsichtlich der Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme in den einzelnen Bevölkerungsteilen. Eindeutig, wenn auch wenig überraschend, scheint hier nur die höhere Akzeptanz bei den jeweils begünstigten Versorgungsklassen. Widersprüchlich sind dagegen die Ergebnisse hinsichtlich der Unterschiede zwischen verschieden sozialen Lagen (wie Schicht und Klasse, Einkommen, Alter und Geschlecht) sowie zwischen Anhängern unterschiedlicher Parteien. Der alles in allem aber scheinbar so eindeutige (und »positive«) Befund einer hohen Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates wird schließlich dadurch relativiert, dass Leistungskürzungen und alternative, insbes. private Absicherungsformen nicht in gleichem Maße abgelehnt werden, wie den wohlfahrtsstaatlichen Sicherungsformen zugestimmt wird. Denn von einer alternativlosen Befürwortung der bestehenden Regelungen kann – soweit man dies aus den eher spärlichen empirischen Ergebnissen ablesen kann – nicht die Rede sein: Offenbar können sich viele Befragte ganz unterschiedliche und gleichermaßen »akzeptable« Absicherungsformen vorstellen, auch wenn ein Teil der Autoren eine nach wie vor geringe Reformbereitschaft der Bürger beklagt. Eine Bereitschaft, auch andere Formen der sozialen Sicherung zu akzeptieren, scheint dabei jedoch nicht nur gegenüber privaten – und wenn so man will: weniger solidarischen – Formen der Absicherung zu bestehen. Auch für Aufgaben, die zumindest in liberalen und konservativen Wohlfahrtsstaaten nicht zum wohlfahrtsstaatlichen Selbstverständnis gehören (wie Mindestsicherungen, die Reduzierung von Einkommensungleichheit oder die staatliche Arbeitsbeschaffung) wurden in Umfragen wiederholt eine mehr oder weniger deutliche Zustimmung in der Bevölkerung festgestellt (vgl. u.a. Roller 2000). Schwerer als diese hier nur angedeuteten Relativierungen des »positiven« Akzeptanzbildes wiegen jedoch methodische Einwände, die selbst beim allgemeinen Ergebnis einer hohen Akzeptanz Anlass zu massiven Zweifeln geben. Diese methodischen Einwände beziehen sich zum einen auf die Art, wie die Akzeptanz sozialer Sicherungsleistungen gemessen wird, und zum anderen auf die Faktoren, die zur Erklärung der gemessenen Akzeptanz herangezogen werden. 3.2 Akzeptanzmessung und Akzeptanzerklärung: Defizite und Aporien Probleme der Akzeptanzmessung Die Akzeptanz oder Unterstützung sozialer Sicherungssysteme wird vorwiegend mit zwei Akzeptanzindikatoren gemessen, die mit Roller (1992) als Extensität und In-
62
3 Ergebnisse und Defizite der wohlfahrtsstaatlichen Akzeptanzforschung
tensität wohlfahrtsstaatlicher Politik bezeichnet werden können.48 Mit »Extensität« ist die gewünschte staatliche Zuständigkeit für sozialpolitische Ziele gemeint. Dabei gilt ein hohes Maß an gewünschter staatlicher Zuständigkeit als hohe Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates. Wird von den Befragten also der Staat als primär zuständig für die Absicherung im Alter, bei Krankheit usw. wahrgenommen, wird dies als hohe Akzeptanz der bestehenden sozialpolitischen Renten- und Gesundheitssysteme interpretiert. Als »Intensität« wird dagegen die Beurteilung des Leistungsniveaus bezeichnet, wobei eine Befürwortung von Leistungserhöhungen (genauer: höherer Ausgaben der Regierung) als positive Akzeptanz interpretiert wird. Während der Extensitätsindikator die gewünschte staatliche Zuständigkeit misst, geht es hier also um den gewünschten Grad dieser Zuständigkeit. Intensitätsindikatoren sind daher eher geeignet, die Akzeptanz oder Beliebtheit einzelner Sicherungssysteme – und entsprechende Unterschiede zwischen den Sicherungssystemen – zu erfassen. Betrachtet man jedoch etwas genauer, worauf diese Akzeptanzindikatoren zielen (und vor allem: worauf nicht), kommen schnell Zweifel auf, ob hier auch tatsächlich die Akzeptanz bestehender Wohlfahrtsinstitutionen gemessen wird:
48
49
So wird die staatliche Zuständigkeit (oder Verantwortung) meist »absolut« erhoben, nur selten dagegen relativ, nämlich im Vergleich mit Alternativen, insbes. betrieblichen und privaten Absicherungsformen. Dadurch kann der falsche Eindruck entstehen, dass die entsprechenden Aufgaben nur vom Wohlfahrtsstaat übernommen werden können. Vor diese falsche Alternative gestellt (entweder der Wohlfahrtsstaat erfüllt diese Funktion oder sie bleibt unerfüllt), wird manch ein Befragter einer staatlichen Zuständigkeit eher zustimmen als dies der Fall wäre, wenn ihm weitere Alternativen (z.B. betriebliche Vorsorge oder karitative Leistungen) angeboten worden wären.49 Fraglich ist zudem, ob mit der gewünschten Extensität sozialpolitischer Absicherung auch die Akzeptanz des bestehenden Wohlfahrtsstaates erfasst wird. Denn die gewünschte Zuständigkeit gibt ja zunächst nur Auskunft über den »idealen« Wohlfahrtsstaat; über die Akzeptanz des bestehenden Wohlfahrtsstaates kann man nur indirekt – nämlich über einen Soll-Ist-Vergleich – Vermutungen anstellen. Ähnlich verhält es sich bei der Intensität. Auch bei der gewünschten Veränderung der Ausgabenhöhe (die Regierung sollte mehr oder weniger für eine Aufgabe ausgeben) darf bezweifelt werden, ob tatsächlich Akzeptanzurteile über Seltener werden auch Indikatoren des Institutionenvertrauens (vgl. u.a. Dallinger 2003; Wendt 2003) und die Zufriedenheit mit der eigenen Absicherung (Bulmahn/Mau 1996) zur Beurteilung der Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme herangezogen. Eine Ausnahme ist hier die im Wohlfahrtssurvey (1984, 1988) gewählte Form der Frageformulierung (vgl. Roller 1992: 113).
3.2 Akzeptanzmessung und Akzeptanzerklärung: Defizite und Aporien
50 51
52
53
63
bestehende Sicherungssysteme erfasst werden. Beide Akzeptanzindikatoren messen Idealvorstellungen oder ein »gewünschtes Maß an Wohlfahrtsstaatlichkeit«, nicht aber die Akzeptanz des wohlfahrtsstaatlichen Status quo.50 Man muss daher davon ausgehen, dass durch diese Art der Akzeptanzmessung ein zu positives Bild der Unterstützung bestehender Wohlfahrtsstaaten gezeichnet wird.51 Insbesondere in älteren Umfragen wurden beide Akzeptanzindikatoren zudem häufig ohne eine Verknüpfung mit den entsprechenden Kosten verwendet. Zu diesen Kosten gehören in erster Linie die direkten Belastungen der Adressaten in Form von Steuern und Beiträgen. Für die meisten Befragten dürfte es aber wohl außer Frage stehen, sich einen möglichst umfangreichen Sozialstaat mit hohem Leistungsniveau zu wünschen, solange damit keine Kostenerhöhungen verbunden sind. Wenn Leistungserhöhungen also »kostenlos« erscheinen, liegt der Verdacht nahe, dass vor allem Fragen nach dem gewünschten Ausgabenniveau zu einem viel zu positiven Bild der Akzeptanz sozialer Sicherungsleistungen führen.52 Kritisch kann gegen die Akzeptanzforschung zum Wohlfahrtsstaat schließlich auch eingewendet werden, dass die Bewertung der Extensität und Intensität wohlfahrtsstaatlicher Leistungen durch das »framing« der Fragen beeinflusst wird (Kangas 1997: 486ff.; Smith 1987). Zudem finden sich Belege für die »These der abnehmenden Zustimmung bei steigender Konkretisierung der Ziele« (Dehlinger/Brennecke 1992: 234). Demzufolge ist die Akzeptanz immer dann hoch, wenn Zielsetzungen sehr allgemein formuliert werden, aber zumindest deutlich geringer (oder gar »negativ«), wenn nach spezifischen Aufgaben oder Leistungsempfängergruppen gefragt wird (Kangas 1997: 483ff.).53
Zur Unterscheidung dieser beiden grundlegenden Akzeptanzdimensionen vgl. Abschnitt 4.2. So ist etwa nicht einzusehen, warum die Befürwortung von Leistungserhöhungen eine positive Akzeptanz einer Leistungsart anzeigen soll. Vielmehr kann hierin ein Ausdruck von Unzufriedenheit mit dem bestehenden Leistungsniveau gesehen werden. Dies verdeutlichen auch die durchgehend hohen Extensitäts- und Intensitätswerte in den osteuropäischen Wohlfahrtsstaaten, die im Durchschnitt deutlich über denen westlicher Wohlfahrtsstaaten liegen. Aufschlussreich ist, dass, wenn die Kosten in Form von Beitragserhöhungen in der Frageformulierung berücksichtigt werden, die Akzeptanzwerte deutlich niedriger sind. So sprachen sich in der Untersuchung von Cook und Barrett (1992: 63ff.) 73 Prozent der Befragten gegen Kürzungen von Sozialversicherungsleistungen aus, aber nur 58 Prozent erklärten sich zu höheren Steuern bereit, wenn dadurch Kürzungen vermieden werden. Die hier nahe liegende Annahme einer besseren Qualität der Antworten auf spezifische Fragen und einer entsprechend »positiven« Verzerrung des Akzeptanzbildes bei allgemeinen Frageformulierungen ist jedoch voreilig. So kann eine höhere Zustimmung zu allgemeinen Zielen auch allein darin begründet sein, dass die Zahl der potenziellen Leistungsempfänger bei einer weiten Zieldefinition größer ist und daher mehr Befragte ein Eigeninteresse an den entsprechenden Leistungen haben.
64
3 Ergebnisse und Defizite der wohlfahrtsstaatlichen Akzeptanzforschung
Insgesamt zeigt sich somit, dass die zumeist verwendeten Indikatoren der Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme sehr vorsichtig interpretiert werden müssen. Wenn überhaupt, so sind »Extensität« und »Intensität« Indikatoren der Wohlfahrtsstaatlichkeit. In jedem Fall wäre es voreilig, aus der relativ großen Zustimmung für umfangreiche sozialpolitische Aktivitäten des Staates eine hohe Akzeptanz der bestehenden Sicherungssysteme oder gar einen latenten öffentlichen Widerstand gegen sozialpolitische Reformen abzuleiten, die auf einen Rückbau des Sozialstaates hinauslaufen. Kritik der Akzeptanzerklärung Ganz in der Tradition der politischen Einstellungsforschung werden zur Erklärung wohlfahrtsstaatlicher Akzeptanz sowohl Interessenindikatoren als auch kulturelle Faktoren herangezogen (vgl. u.a. Andreß et al. 2001; Roller 1992). Individuelle Interessen werden dabei überwiegend aus der allgemeinen sozioökonomischen Lage und soziodemografischen Merkmalen (u.a. Alter, Schichtzugehörigkeit, Einkommen und Bildung) abgeleitet. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die individuelle soziale Position bereits grundlegende Interessen gegenüber den sozialen Sicherungssystemen bestimme (z.B. das Alter bei der Rentenversicherung). Zudem werden spezifische, erst durch das System der sozialen Sicherung definierte Interessenlagen herangezogen, vor allem das Eigeninteresse als Leistungsempfänger (Rentner, Arbeitsloser etc.). Vergleichsweise selten sind dagegen Versuche, Akzeptanzurteile auf »subjektive Interessendefinitionen« wie Reziprozitätserwartungen (Bowles/Gintis 2000) oder den individuellen Sicherungsbedarf zurückzuführen. Andere Erklärungsansätze stellen bei der Erklärung wohlfahrtsstaatlicher Akzeptanz demgegenüber zusätzlich auf grundlegende kulturelle Orientierungen ab. Dies können allgemeine, meist nationale, Ideologien wie (anglo-amerikanischer) Individualismus und (kontinentaleuropäischer) Kollektivismus sein (Coughlin 1979) oder aber spezifische Wertdimensionen mit individuell unterschiedlichen Ausprägungen wie politische Orientierungen, Postmaterialismus/Materialismus (Roller 1992) oder Gerechtigkeitsorientierungen (u.a. Kluegel/Miyano 1995; Marshall et al. 1999). Sowohl die Interessenindikatoren als auch die kulturellen Orientierungen, die zur Erklärung sozialpolitischer Akzeptanzurteile herangezogen werden, weisen jedoch meist keinen spezifischen Bezug zu wohlfahrtsstaatlichen Aspekten auf. Die von ihnen erwarteten Kausalwirkungen sind entsprechend unspezifisch, wenn sie nicht sogar völlig unklar bleiben. Dies wirkt sich abträglich auf den Erklärungswert der einzelnen Erklärungsfaktoren aus. Entsprechend unbefriedigend sind die Ergebnisse der Akzeptanzforschung zum Wohlfahrtsstaat, wenn man die Befunde der Akzeptanzforschung in ihrer Gesamtheit betrachtet. Denn auch wenn in vielen Untersuchungen kausale Zusammenhänge gefunden werden, sind die Ergebnisse insgesamt sehr widersprüchlich.
3.2 Akzeptanzmessung und Akzeptanzerklärung: Defizite und Aporien
65
So konnte z.B. in einigen Untersuchungen ein Einfluss von Einkommens-, Bildungs-, Berufs- und Klassenunterschieden aufgezeigt werden (vgl. u.a. Dehlinger/Brennecke 1992; Gangl 1997; Svallfors 1995, 2004), in anderen gelang ein solcher Nachweis jedoch nicht (vgl. u.a. Cook/Barrett 1992: 155ff.; Roller 1992; Taylor-Gooby 1991).54 Dieser scheinbare Widerspruch könnte zum Teil auf die unterschiedlichen nationalen Voraussetzungen zurückzuführen sein. So haben Esping-Andersen (1990) und viele andere die These vertreten, dass nur in liberalen Wohlfahrtsstaaten Klassengegensätze in stärkerem Maße bestehen (bleiben), während ihre Bedeutung für die Unterstützung konservativer und sozialdemokratischer Wohlfahrtsstaaten zumindest abnimmt. Eindeutig scheint dagegen, dass sich das unmittelbare Eigeninteresse als Leistungsempfänger positiv auf die Beurteilung des entsprechenden Leistungssystems auswirkt (vgl. u.a. Blekesaune/Quadango 2003; Cook/Barrett 1992, Dehlinger/Brennecke 1992; Gangl 1997; Gelissen 2000; Roller 1992; Svallfors 2003). Dies kann jedoch kaum überraschen, insbesondere wenn Akzeptanz als Befürwortung höherer Ausgaben gemessen wird. Überraschend(er) ist vielmehr, dass die Akzeptanz der meisten Sicherungssysteme auch bei Befragten hoch ist, die keine Leistungen erhalten und (z.B. aufgrund ihrer ökonomischen Situation oder ihres Berufes) auch nicht damit rechnen können, innerhalb eines überschaubaren Zeithorizonts Leistungen zu erhalten. Auch für den Einfluss von Ideologien, politischen Orientierungen und Wertüberzeugungen ergeben die Forschungsarbeiten kein einheitliches Bild. So konnten in mehreren Untersuchungen Zusammenhänge zwischen spezifischen Wertorientierungen und Einstellungen zum Wohlfahrtsstaat nachgewiesen werden (vgl. u.a. Blekesaune/Quadango 2003; Gangl 1997; Gelissen 2000; van Oorshot 2000). Häufig werden aber auch keine oder nur schwache Zusammenhänge gefunden (vgl. u.a Coughlin 1979, Feldman/Zaller 1992; Roller 1992; Taylor-Gooby 1983). Ein möglicher Grund für diese widersprüchlichen Ergebnisse ist, dass unterschiedliche Wertedimensionen verwendet werden. So lässt sich zumindest vermuten, dass für Wertorientierungen mit einem relativ engen Wohlfahrtsstaatsbezug (wie Solidaritätsvorstellungen und egalitaristische Gerechtigkeitsüberzeugungen) eher ein Einfluss auf Akzeptanzurteile gegenüber der sozialen Sicherungssystemen nachgewiesen werden kann. Dagegen lässt sich ein solcher Einfluss für allgemeine Wert-
54
Eine Ausnahme ist hierbei die Altersvariable, für die zumindest in einigen Untersuchungen ein relativ konsistenter Einfluss auf die Beurteilung »altersspezifischer« Programme (z.B. Rentenversicherung, Bildungsausgaben) gefunden werden konnte (vgl. Cook/Barrett 1992: 154; Dehlinger/Brennecke 1992; Taylor-Gooby 1983), wobei das Alter hier jedoch deutlich mit dem Interesse als Leistungsempfänger kovariiert.
66
3 Ergebnisse und Defizite der wohlfahrtsstaatlichen Akzeptanzforschung
haltungen (z.B. Postmaterialismus) und für politische Orientierungen, wie insbesondere für die Parteiaffinität, offenbar nicht bestätigen.55 Ingesamt ist zu konstatieren, dass der Kenntnisstand über die Bedeutung von Interessen- und Wertorientierungen für die Akzeptanzurteile gegenüber sozialen Sicherungssystemen unbefriedigend ist. Übereinstimmung hinsichtlich der Einflussfaktoren besteht zwischen den einzelnen empirischen Untersuchungen nur bei Variablen, deren Erklärungswert – wie beim Eigeninteresse als Leistungsempfänger – nahezu selbstevident ist. Eine Änderung dieser Situation scheint nur dadurch möglich, dass diese Erwartungen über spezifische Kausalwirkungen jeweils explizit formuliert werden und dass nur solche Variablen zur Erklärung von Akzeptanzurteilen herangezogen werden, für die ein entsprechender Einfluss theoretisch begründet werden kann. Darüber hinaus erfordert eine adäquate Erklärung der Akzeptanzurteile die Entwicklung kontextspezifischer Erklärungsfaktoren wie die subjektive Risikoeinschätzung oder spezifische normative Orientierungen. Die hier nur kursorisch dargelegten Probleme und Aporien der Akzeptanzforschung zum Wohlfahrtsstaat56 verdeutlichen, dass die Untersuchungen in ihrer Gesamtheit kaum eindeutige und zuverlässige Aussagen über das Ausmaß und über die Ursachen der Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme zulassen. Zu kritisieren ist aber vor allem, dass aufgrund einseitiger Operationalisierungen (der Wohlfahrtsstaatlichkeit) ein wahrscheinlich unrealistisch »positives« Ergebnis erzeugt wird. Der wichtigste Grund für die unbefriedigenden Ergebnisse der Forschungen zur Akzeptanz sozialer Sicherung ist vor allem das Fehlen geeigneter Indikatoren. Gezielte und umfassende Primärerhebungen wie von Cook und Barrett (1992) oder wie die niederländische TISSER-Studie (vgl. u.a. van Oorschot 2000a, 2000b; van Oorschot/Halman 2000) sind nach wie vor die Ausnahme. Arbeiten auf der Basis von Primärdaten liegen daher auch nur für wenige Wohlfahrtsstaaten vor und fehlen praktisch völlig für den Wohlfahrtsstaatsvergleich. Gerade hier ist man ausschließlich Einstellungsmessungen im Rahmen des Eurobarometers, des International Social Survey Programme und anderer Umfrageprogramme (z.B. der European Values Study) angewiesen. Die dort verwendeten Fragen sind jedoch meist zu unspezifisch und vor allem zu spärlich, um hinreichenden Aufschluss über die Art und die Ursachen der sozialen Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen geben zu können. Die erste Voraussetzung für eine tragfähige Akzeptanzforschung im Bereich der sozialen Sicherung ist daher die Erhebung von Primärdaten. Denn nur dies er55
56
Ähnlich wie bei der sozialen Position (bzw. Klassenlage) ist jedoch auch hier denkbar, dass der Einfluss von politischen Orientierungen in den einzelnen Wohlfahrtsstaaten sehr unterschiedlich ist. Entscheidend dafür, ob die Parteiaffinität die Akzeptanzurteile beeinflusst, dürfte dabei sein, wie sehr pro- und anti-wohlfahrtsstaatliche Haltungen durch parteipolitische Gegensätze geprägt sind. Für eine ausführlichere Auseinandersetzung vgl. insbes. Ullrich (2000a).
3.2 Akzeptanzmessung und Akzeptanzerklärung: Defizite und Aporien
67
laubt eine differenzierte Erfassung von Akzeptanzurteilen durch die Verwendung von Akzeptanzindikatoren, die die unterschiedliche Aspekte oder Dimensionen von Akzeptanz erfassen. Auf eine solche gezielte Primärerhebung zur »Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates« stützen sich die empirischen Analysen in den Kapiteln 5 und 6. Eine kurze Beschreibung der Studie und eine ausführliche Erläuterung der verwendeten Akzeptanzindikatoren und Erklärungsfaktoren erfolgt im nächsten Kapitel.
4 Zur Operationalisierung und Erklärung von Akzeptanz
Dieses Kapitel befasst sich mit den allgemeinen technischen und konzeptionellen Voraussetzungen der empirischen Analysen in den Kapiteln 5 und 6. Im ersten Abschnitt werden zunächst einige Rahmendaten der Umfrage »Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates« vorgestellt. Im folgenden Abschnitt werden dann die Indikatoren erläutert, mit denen die Wohlfahrtsstaatsakzeptanz erfasst wird (4.2). Zugleich wird hier das »Akzeptanzobjekt Wohlfahrtsstaat« näher bestimmt. In Abschnitt 4.3 werden schließlich die wichtigsten Faktoren dargelegt, die zur Erklärung der sozialen Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen herangezogen werden. 4.1 Angaben zur Umfrage »Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates« Die Datengrundlage für die empirischen Analysen in den Kapiteln 5 und 6 bildet eine Umfrage zur Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen in der Bundesrepublik Deutschland, die im Rahmen des Forschungsprojektes »Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates« durchgeführt wurde.57 Diese Umfrage war direkt auf die Erfassung von Akzeptanzurteilen zu Systemen der sozialen Sicherung ausgerichtet. Zum einen sollte dadurch ein repräsentativeres Bild über die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen in der Bundesrepublik Deutschland ermöglicht werden. Darüber hinaus zielte diese Umfrage auf die Erfassung eines breiten Spektrums möglicher Einflussfaktoren für die Erklärung der Akzeptanzurteile. Die Erhebung fand im Sommer 2004 statt. Ingesamt wurden 1534 standardisierte face-to-face-Interviews im paper&pencil-Verfahren durchgeführt (davon 1218 in West- und 316 in Ostdeutschland).58 Das Erhebungsgebiet war die Bundesrepublik Deutschland, die Grundgesamtheit bildete die deutschsprachige erwachsene Wohnbevölkerung in privaten Haushalten. Der Befragung lag ein umfangreicher
57
58
Hierbei handelt es sich um ein von der Fritz Thyssen-Stiftung gefördertes Eigenprojekt, das von Herbst 2002 bis Ende 2005 am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) durchgeführt wurde. Die Erhebung wurde durch ein externes Forschungsinstitut im Random-Route-Verfahren (vgl. hierzu Diekmann 1999: 332ff.) durchgeführt.
4.1 Angaben zur Umfrage »Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates«
69
Fragebogen zugrunde, der thematisch ausschließlich auf die verschiedenen Aspekte der sozialen Sicherung und entsprechende Akzeptanzurteile fokussierte. Bei der Entwicklung des Fragebogens wurden in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA) in Mannheim kognitive Pretests59 eingesetzt. Durch gezielte Nachfragen und das Protokollieren von »Spontanreaktionen« konnten die Verständlichkeit und der Schwierigkeitsgrad der Fragen überprüft und etwaige Mehrdimensionalitäten aufgedeckt und eliminiert werden.60 Aufgrund dieses Forschungsdesigns ist das Projekt »Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates« die erste Untersuchung für die Bundesrepublik Deutschland, die sich in größerem Umfang auf gezielt erhobene Primärdaten zur Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Sicherungssysteme stützen kann. Damit kann für den deutschen Wohlfahrtsstaat erstmalig von einer sowohl »dichten«als auch »breiten« Erfassung der Akzeptanz sozialer Sicherungsinstitutionen ausgegangen werden: Sie ist »dicht«, weil jeweils ganze Sätze von Indikatoren, die auf jeweils andere Akzeptanzaspekte zielen, verwendet wurden; und sie ist »breit«, weil sie einen weiten Bereich sozialer Sicherungseinrichtungen abdeckt. Insgesamt wurden zu fünf zentralen sozialpolitischen Bereichen Akzeptanzurteile erhoben. Im Einzelnen sind dies die Bereiche Alterssicherung (vornehmlich Gesetzliche Rentenversicherung), Gesundheitsversorgung und Gesetzliche Krankenversicherung, Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenversicherung, Armut und Sozialhilfe sowie der Bereich familienpolitischer Leistungen. Ergänzt wurden Fragen zu Aspekten der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« (vgl. 4.2). Grundsätzlich müssen zur Untersuchung der Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen drei konzeptionelle Fragen befriedigend gelöst werden: Dies sind die Bestimmung des Akzeptanzobjekts, die Frage der Akzeptanzmessung und die Festlegung der möglichen Erklärungsfaktoren. Die beiden ersten Aspekte, die sich nur analytisch trennen lassen, werden im folgenden Abschnitt, die möglichen Erklärungsfaktoren in 4.3 erörtert. 4.2 Indikatoren der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz Wie in Kapitel 2.1.2 ausgeführt wurde, kann man als Akzeptanz allgemein die Zustimmung (positive Akzeptanz) oder Ablehnung (negative Akzeptanz) von Entscheidungen und institutionellen Regelungen bei den davon als »Objekte« (nicht als Entscheidungsträger) Betroffenen definieren. Die Erfassung von Akzeptanz ist dabei nicht so einfach, wie man vielleicht auf den ersten Blick meinen könnte.
59 60
Zu den Verfahrensweisen in kognitiven Pretests vgl. Prüfer/Rexroth (1996). Für die Entwicklung des Erhebungsinstruments konnte zudem auf umfangreiche Erkenntnisse aus zwei qualitativen Forschungsprojekten zur Akzeptanz einzelner Sicherungsbereiche zurückgegriffen werden (vgl. u.a. Hamann et al. 2001; Karl et al. 2002; Ullrich 2000b, 2004, 2005a).
70
4 Zur Operationalisierung und Erklärung von Akzeptanz
So stellen sich mehrere Definitions- und Messprobleme. Vor allem ist Akzeptanz im Allgemeinen nicht direkt messbar. Gilt dies noch grundsätzlich für alle Akzeptanzbereiche, so steht die Akzeptanzforschung zu wohlfahrtsstaatlichen (und anderen staatlichen) Bereichen vor dem zusätzlichen Problem, dass die jeweiligen Adressaten den Entscheidungen der staatliche Akteure meist ohne »realistische« exit-Möglichkeiten ausgesetzt sind und somit quasi zur »Hinnahme« der entsprechenden Entscheidungen gezwungen werden. Während man also etwa bei der Technik- oder Produktakzeptanz diese anhand der Diffusion (neuer Techniken) oder schlicht am Verkauf eines Produktes zumindest implizit messen kann, steht eine solche Option bei politisch bindenden Entscheidungen nicht zur Verfügung. Zudem ist Akzeptanz – auch dies ging bereits aus der Darstellung in Abschnitt 2.1 hervor – ein mehrdimensionales Phänomen. So ist es zwar grundsätzlich möglich, von »der« Akzeptanz »des« Wohlfahrtsstaates zu sprechen – sinnvoller scheint es jedoch, von unterschiedlichen Akzeptanzdimensionen auszugehen. Wenn diese auch erst in ihrer Gesamtheit ein vollständiges Akzeptanzbild ergeben, so ist zunächst davon auszugehen, dass die einzelnen wohlfahrtsstaatlichen Bereiche und Organisationsprinzipien auf unterschiedliche Akzeptanz stoßen und dass für ihre Akzeptanz zudem jeweils unterschiedliche Erklärungen gefunden werden müssen. In der Umfrage »Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates« wurde dieser Mehrdimensionalität von Akzeptanz dadurch Rechnung getragen, dass mehrere, auf unterschiedliche Akzeptanzaspekte zielende Indikatoren verwendet wurden. Der Auswahl bzw. Konstruktion von Akzeptanzindikatoren und Erklärungsfaktoren lagen zwei Anforderungen zugrunde: Sie sollten möglichst plausibel und gegendstandsnah sein sowie unterschiedliche Akzeptanzdimensionen berücksichtigen. Zugleich sollte ein Höchstmaß an Anschlussfähigkeit an die bisherige Akzeptanzforschung gewährleistet werden. Sich daraus ergebende Zielkonflikte wurden jedoch meist zugunsten der theoretischen Plausibilität entschieden. Dies hat zwei wesentliche Konsequenzen: zum einen, dass »etablierte« Akzeptanzindikatoren zum Teil entscheidend modifiziert wurden, und zum anderen, dass zur Erfassung der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz weitere Indikatoren ergänzt wurden. Von grundlegender Bedeutung ist die Unterscheidung von zwei Akzeptanzdimensionen, der Akzeptanz des Status quo und der Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit. Die Akzeptanz des Status quo bezieht sich auf den Ist-Zustand, auf die konkret existierenden wohlfahrtsstaatlichen Institutionen, und damit auf das »Wie« des bestehenden Wohlfahrtsstaates. Mit der zweiten Akzeptanzdimension, der Wohlfahrtsstaatlichkeit werden alle Präferenzen und Vorstellungen umschrieben, die sich auf das »richtige« Maß der Absicherung beziehen. Dies gilt sowohl für die »Breite« der so-
4.2 Indikatoren der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz
71
zialen Sicherung – die Grenzen des Bereiches, der als wohlfahrtsstaatlich (oder sozialpolitisch) gelten soll – als auch für das »Niveau« der Absicherung.61 Die Berücksichtigung dieser zwei Akzeptanzdimensionen ergibt sich zum einen aus der theoretischen Feststellung, dass Wohlfahrtsstaatsakzeptanz ganz wesentlich die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen ist (vgl. Abschnitt 2.1.2), und zum anderen aus der Kritik an der Akzeptanzforschung. Dieser wurde vorgehalten, dass sie sich zu sehr auf Einstellungen zu wohlfahrtsstaatlichen Zielen stützt, den Institutionenaspekt entsprechend vernachlässigt und aus diesem Grund zu einer Überschätzung der Akzeptanz kommt (vgl. Abschnitt 3.2). Hier wird demgegenüber davon ausgegangen, dass sich ein vollständiges Bild der sozialen Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen erst aus beiden Dimensionen zusammensetzt, also sowohl aus der Akzeptanz bestehender Sicherungssysteme und Regelungen als auch aus den allgemeinen Präferenzen hinsichtlich der Wohlfahrtsstaatlichkeit. Vordergründig weist die Unterscheidung von wohlfahrtsstaatlichem Status quo und Wohlfahrtsstaatlichkeit Ähnlichkeiten mit der von Roller (1992) vorgeschlagenen Konzeption auf. Roller unterscheidet bekanntlich wohlfahrtsstaatliche Ziele, die sie in die wohlfahrtsstaatliche »Extensität« (staatliche Zuständigkeit) und »Intensität« (Leistungshöhe) unterteilt, Mittel (Programme und Institutionen), sowie Folgen (einschließlich der nicht-intendierten Nebenfolgen).62 Vor allem die Unterscheidung der »Extensität« und »Intensität« wohlfahrtsstaatlicher Ziele kann mittlerweile als in der Akzeptanzforschung zum Wohlfahrtsstaat etabliert gelten. Zugleich ist darin aber auch der Ausdruck einer übermäßigen Fixierung auf die Zieldimension zu sehen. Nicht zuletzt wohl den Formulierungsanforderungen in internationalen Umfragen wie dem Eurobarometer und dem ISSP geschuldet, werden vor allem Items verwendet, die sehr allgemein – und das heißt immer auch: unabhängig von den konkreten wohlfahrtsstaatlichen Institutionen – formuliert sind. Dies führt zu einer Verengung der Akzeptanzperspektive auf die Zieldimension und zu einer entsprechenden Vernachlässigung der wohlfahrtsstaatlichen Institutionen (für eine diesbezüglich instruktive Übersicht vgl. a. Andreß et al. 2001: 24). Wie in Abschnitt 3.2 ausgeführt wurde, hat dies zur Folge, dass man in entsprechenden Untersuchungen vergleichsweise viel über Wunschvorstellungen über den Wohlfahrtsstaat, aber kaum etwas über die Beurteilung der wohlfahrtsstaatlichen Wirklichkeit erfährt.63 61
62
63
Bei beiden Akzeptanzdimensionen handelt es sich m.E. nicht um »Einstellungen«, sondern um »Bewertungen« bzw. um »Präferenzen« (vgl. hierzu auch Rohwer/Pötter 2002: 41ff.). Roller (1992) verwendet hier jedoch nicht den Akzeptanzbegriff, sondern lehnt sich eng an die politische Einstellungsforschung an. Konsequenterweise spricht sie daher auch von Einstellungen zum Wohlfahrtsstaat sowie von Einstellungsobjekten. Hier kann nicht weiter erörtert werden, inwiefern neben dem terminologischen auch konzeptionelle Unterschiede bestehen. Es sei jedoch angemerkt, dass es zumindest als fraglich gelten muss, ob man, wie Roller anzunehmen scheint, Einstellungen gegenüber Folgen haben kann. Auch der Versuch von Andreß et al. (2001: 86ff.), Rollers Unterscheidung von Extensität und Intensität mit inhaltlichen Aspekten (Sozialpolitikbereichen) zu verknüpfen, stellt keinen Ausweg aus
72
4 Zur Operationalisierung und Erklärung von Akzeptanz
Aber auch über diese Perspektivenverengung hinaus wird die konzeptionelle Unterscheidung von wohlfahrtsstaatlichen Zielen, Mitteln und Folgen als einzelne Akzeptanzobjekte in der Forschungspraxis schnell problematisch. So sind die in Umfragen erhobenen Ziele – näher betrachtet – im Allgemeinen gar keine Ziele, sondern eher »Aufgabenzuschreibungen« an den Wohlfahrtsstaat (z.B. mehr Geld für etwas auszugeben).64 Entsprechende Präferenzen ermöglichen daher bestenfalls indirekte Rückschlüsse über die Akzeptanz der damit verbundenen Ziele – und dies auch nur mit hoher Unsicherheit, da solche Aufgabezuschreibungen nicht immer einwandfrei allgemeinen sozialpolitischen Zielsetzungen zugerechnet werden können. Bei den Folgen wäre zwischen den unmittelbaren »outputs« sozialer Sicherungssysteme (z.B. Renten) und den weitreichenderen Wirkungen (oder »outcomes«) zu unterscheiden. Dabei stellt sich bei den »outputs« das Problem, dass sie bestenfalls analytisch von der Institutionenebene zu trennen sind. So macht es etwa wenig Sinn, von Renten als einer Folge der Rentenversicherung zu sprechen. In den »outcomes« ist dagegen eher eine Ursache für Akzeptanzurteile gegenüber Sicherungssystemen als ein eigenständiges Akzeptanzobjekt zu sehen. Ein »angemessener Lebensstandard älterer Menschen« ist z.B. eine Wirkung, die zu einer positiven Beurteilung der Rentenversicherung führen kann, aber wohl kaum ein eigenständiges wohlfahrtsstaatliches Akzeptanzobjekt. Akzeptanz der bestehenden wohlfahrtsstaatlichen Institutionen (Status quo) Für die Akzeptanz der bestehenden Form der sozialen Sicherung (des wohlfahrtsstaatlichen Status quo) stehen zwei Typen von Indikatoren zur Verfügung. Der erste zielt auf die Beurteilung des allgemeinen »gesellschaftlichen Wertes« bzw. Nutzens der einzelnen sozialen Sicherungssysteme. Die Frage nach dem gesellschaftlichen Wert kann dabei als »allgemeinstes« Maß der Akzeptanz sozialer Sicherungsinstitutionen gelten, weil hier ohne eine spezifische Bezugnahme (z.B. auf die Wirkungen) zu einer allgemeinen Beurteilung aufgefordert wird. Dieser Indikator wird im Folgenden als allgemeine oder »Institutionenakzeptanz« bezeichnet. Die Institutionenakzeptanz wurde für insgesamt fünf Leistungsbereiche (Gesetzliche Krankenversicherung, Gesetzliche Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Sozialhilfe sowie Leistungen für Familien) erfasst. Der beigemessene »gesellschaftliche Wert« der Sicherungssysteme wurde dabei mit einer endpunktbeschrifteten Skala von 0 (Beurteilung des Sicherungssystems als »sehr schlecht«) bis
64
dieser Verengung der Akzeptanzperspektive auf die Zielebene dar und ist konzeptionell insofern nicht weiterführend. Dass allgemeine sozialpolitische Ziele gemeinhin kein Gegenstand der Akzeptanzforschung sind, dürfte in erster Linie auf die Schwierigkeit zurückzuführen sein, diese zu messen. Ziele wie »soziale Sicherheit«, »Chancengleichheit«, »gesellschaftliche Teilhabe« oder »soziale Gerechtigkeit« sind hierfür wohl auch zu vage und mehrdeutig.
4.2 Indikatoren der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz
73
10 (»sehr gut«) erhoben (zur genauen Frageformulierung und Skalierung s. Anhang A2.1). Die Institutionenakzeptanz war in dieser Form kein Bestandteil früherer Umfragen zur Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme. Anders verhält es sich beim zweiten Indikator, dem Vertrauen in Sicherungssysteme.65 Das Systemvertrauen wurde für vier Sicherungssysteme – für die Gesetzliche Rentenversicherung, die Gesetzliche Krankenversicherung, die Arbeitslosenversicherung und die Sozialhilfe – mittels einer 4er-Skala (mit den Ausprägungen »ja, auf jeden Fall«, »eher ja«, »eher nein« und »nein, auf keinen Fall«) erfasst (vgl. Abbildung 4.1). Wie Dallinger (2003: 5) für die Rentenversicherung hervorhebt, beziehen sich Vertrauensindikatoren im Unterschied zu den sonst meist verwendeten Extensitätsund Intensitätsindikatoren stärker auf die wohlfahrtsstaatlichen Institutionen. Während aber der Institutionenakzeptanz-Indikator – vor allem durch die Art der Frageeinleitung – dabei eher auf eine Beurteilung unabhängig von der individuellen »sozialpolitischen Situation« der Befragten abstellt, zielt der Vertrauens-Indikator zusätzlich auf die Berücksichtigung der individuellen Perspektive.66 Es kann insofern davon ausgegangen werden, dass die beiden Indikatoren der Akzeptanz des Status quo das gleiche Akzeptanzphänomen in leicht veränderter Perspektive und mit einer etwas anderen Akzentuierung erfassen. Akzeptanz von Wohlfahrtsstaatlichkeit Präferenzen hinsichtlich der Wohlfahrtsstaatlichkeit beziehen sich auf »Idealvorstellungen« vom Wohlfahrtsstaat. Dabei ist jedoch davon auszugehen, dass die entsprechenden Präferenzen immer auch an den sozialpolitischen Realitäten orientiert sind, die ihnen gewissermaßen als Ankerpunkt dienen. Häufig werden sie daher auch als Wunsch nach einem »Mehr« oder »Weniger« im Vergleich zum Status quo der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung formuliert. Vor allem wegen ihrer Berücksichtigung in den ISSP-Modulen »Role of Government« können dabei in der wohlfahrtsstaatlichen Akzeptanzforschung Indikatoren als etabliert gelten, die die gewünschte Leistungshöhe und Präferenzen hinsichtlich des staatlichen Engagements in bestimmten Sicherungsbereichen zu erfassen versuchen. Seit Roller (1992) haben sich hierfür die Bezeichnungen »Intensität« (für die gewünschte Leistungshöhe bzw. gewünschte Richtung der Veränderung des Leistungsniveaus) und »Extensität« (für die gewünschte staatliche Zuständigkeit) eingebürgert. Auch in der Befragung »Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates« wur65
66
So enthielt z.B. der Allbus 2000 eine Frage zum Vertrauen in die Gesetzliche Rentenversicherung (vgl. Dallinger 2003). Dies ergibt sich bereits aus der Logik von »Vertrauensfragen«, denn wie sollte »man« vertrauen können, wenn »man selbst« dies nicht tut (und vice versa). Diese allerdings eher feinen Unterschiede wurden im Übrigen auch durch die kognitiven Pretests bestätigt.
74
4 Zur Operationalisierung und Erklärung von Akzeptanz
den diese beiden Dimensionen der Wohlfahrtsstaatlichkeit erfasst, wobei jedoch versucht wurde, die bisher damit zusammenhängenden Probleme (vgl. a. 3.1) soweit wie möglich zu vermeiden. (1) Eine häufige Kritik lautet, dass die gewünschte staatliche Zuständigkeit (»Extensität«) ohne entsprechende Alternativen erfragt wird (also z.B. private Vorsorge oder Hilfe durch karitative Organisationen), sodass der Eindruck entstehen kann, dass die zur Disposition stehenden Aufgaben entweder vom Staat übernommen werden oder aber überhaupt nicht ausgefüllt werden. Die meisten Indikatoren der staatlichen Zuständigkeit sind daher insofern unscharf, als geringe Werte auf der Extensitätsskala ebenso durch eine »anti-etatistische« Orientierung wie durch eine Geringschätzung der jeweiligen sozialpolitischen Aufgabe (oder auf beides) verursacht sein können. Diesem Problem sollte durch die Verwendung eines Indikators entgegengewirkt werden, der die Alternative67 in der Frageformulierung und in den Antwortkategorien explizit anführt.68 Die Beantwortung erfolgt dabei auf einer 11er-Skala, bei der in 10-Prozent-Schritten eine unterschiedliche sozialpolitische Aufgabenverteilung angeboten wird, die von ausschließlich privater bis zu ausschließlich staatlicher Zuständigkeit reicht (vgl. Anhang A2.1).69 Diese Form eines Extensitätsindikators 67
68
69
Hierbei wurden allerdings die unterschiedlichen nicht-staatlichen Akteure zusammengefasst (Absicherung bzw. Fürsorge durch Betriebe, Kirchen und Wohlfahrtsverbände sowie durch die Familie und durch individuelle Vorsorge). Ein weiteres, mit Indikatoren der »Extensität« verbundenes Problem kann durch diese Form der Frageformulierung jedoch nicht behoben werden. So wird eine hohe Zustimmung zur staatlichen Zuständigkeit in der Akzeptanzforschung zum Wohlfahrtsstaat üblicherweise als hohe Akzeptanz interpretiert. Dies scheint jedoch nur insoweit berechtigt, wie man von einer etatistischen Grundhaltung ausgeht, der zufolge Aufgaben desto eher an den Staat verwiesen werden, je größer die ihnen zugeschriebene Bedeutung ist. Durch das Anbieten einer Alternative (private bzw. nichtstaatliche Vorsorge) wird der Schwerpunkt dagegen von der Frage, ob eine sozialpolitische Aufgabe wichtig ist (und daher vom Staat ausgefüllt werden muss), auf die des Anteils des Staates bei der Aufgabenerfüllung verschoben. Eine deutliche Befürwortung staatlicher Zuständigkeit weist bei dieser Fassung des Extensitätsindikators daher immer auch auf eine stark etatistische Orientierung hin – eine Akzentverschiebung, die bei der unterschiedlichen Beurteilung der staatlichen Zuständigkeit durch Ost- und Westdeutsche klarer hervortritt (vgl. hierzu Kapitel 5). Diese »Vermischung« von Etatismus und Bedeutsamkeitszuschreibung sollte jedoch nicht überbewertet werden. Denn die Akzeptanz von Wohlfahrtsstaatlichkeit (wohlfahrtsstaatlicher Aufgaben) setzt beide Aspekte – die Einschätzung einer Aufgabe als wichtig und deren Adressierung an den Staat – gleichermaßen voraus. Streng genommen ist die Bezeichnung »staatliche Zuständigkeit« ungenau, weil hier offen bleibt, in welcher Form eine Zuständigkeit (Regulierung?, Finanzierung?, Leistungsorganisation?) erfüllt wird bzw. ab wann sie als erfüllt gilt. Jedenfalls zeigt die wohlfahrtsstaatliche Vielfalt, dass es sich hierbei nicht um eine Ja-Nein-Frage handelt, sondern dass nicht nur unterschiedliche Grade, sondern auch sehr unterschiedliche Formen einer wohlfahrtsstaatlichen Aufgabenübernahme möglich sind. Zumindest für den deutschen Wohlfahrtsstaat ergibt sich das zusätzliche Problem, dass das Gros der wohlfahrtsstaatlichen Institutionen nicht im eigentlichen Sinne staatlich ist. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Institutionen wie die Gesetzliche Rentenversicherung und die Ge-
4.2 Indikatoren der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz
75
steht insgesamt für sechs (potenzielle) sozialpolitische Aufgabenbereiche zur Verfügung, und zwar für die Bereiche Gesundheitsversorgung, Alterssicherung, Armut, Arbeitslosigkeit, Unterstützung von Studenten sowie für die Unterstützung von Familien und Alleinerziehenden. (2) An der Verwendung von Indikatoren sozialpolitischer »Intensität« (gewünschte Leistungshöhe70) wurde zum einen kritisiert, dass immer dann, wenn mögliche Kosten (höhere Leistungen/Ausgaben bei höheren Beiträgen/Steuern) nicht berücksichtigt werden, aufgrund der vermeintlichen »getting something for nothing«-Logik unrealistisch hohe Akzeptanzwerte regelrecht »generiert« werden (vgl. Abschnitt 3.2). Diese Verzerrung kann noch leicht durch entsprechende Hinweise in der Frageformulierung vermieden werden. Schwerer wiegt dagegen, dass die Art der ItemFormulierungen weder zum tatsächlichen noch zum vom Befragten wahrgenommenen Leistungsniveau einen Bezug herstellt. Dies führt dazu, dass z.B. der Wunsch nach höheren Leistungen sowohl Ausdruck einer hohen Unzufriedenheit mit dem bestehenden (niedrigen) Leistungsniveau sein kann als auch die Folge eines hohen Anspruchsniveaus (im Falle eines hohen Leistungsniveaus).71 Die verbreitete Interpretation, nach der die Befürwortung höherer Leistungen eine höhere Akzeptanz bedeutet, ist daher zumindest im ersten Fall eher abwegig. Diesem Problem ist durch eine getrennte Messung der wahrgenommenen und der gewünschten Leistungshöhe begegnet worden. Beide wurden mit einer endpunktbeschrifteten 11er-Skala von 0 (Beurteilung der Leistungshöhe als »sehr niedrig«) bis 10 (»sehr hoch«) erfasst (vgl. Abbildung 4.1). Dieses Verfahren führt zum einen zu einer »Verankerung« der gewünschten mit der jeweils unmittelbar davor erfragten wahrgenommenen Leistungshöhe, sodass die gewünschte relativ zur wahrgenommenen Leistungshöhe erfasst wird. (Die Befragten können an den ihnen vorliegenden Skalen gewissermaßen »sehen«, wie sehr ihre Wünsche vom wahrgenommen Ist-Zustand abweichen.) Die Differenz zwischen gewünschter und wahrgenommener Leistungshöhe wird in den empirischen Analysen als Akzeptanzindikator verwendet und kurz als »Leistungsbewertung« bezeichnet. Sie kann als Zufriedenheit mit der Leistungshöhe
70
71
setzliche Krankenversicherung zumindest als »parastaatlich« wahrgenommen werden. (Zudem könnten die großen Sozialversicherungen ohne staatliche Rückendeckung bzw. Richtliniensetzung nicht existieren.) In der Befragung wurde diesem Problem dadurch entgegengewirkt, dass in der Eingangsformulierung explizit darauf hingewiesen wurde, dass bei der Aufgabenteilung zwischen privaten Kräften und dem Staat die Sozialversicherungen als staatlich gelten sollen. Genauer müsste es eigentlich heißen: Die gewünschte (Richtung der) Änderung des Leistungsniveaus bzw. – wie in den ISSP-Modulen – die gewünschte (Richtung der) Änderung der Regierungsausgaben, deren Erhöhung sich bekanntlich nicht immer auch in einem höheren Leistungsniveau niederschlägt (ebenso wenig wie eine Kürzung immer zu niedrigeren Beiträgen führt). Der Einfachheit halber soll aber auch im Folgenden die Formulierung »gewünschte Leistungshöhe« verwendet werden. Dies verdeutlichen die hohen Intensitätswerte in Wohlfahrtsstaaten mit völlig unterschiedlichen Voraussetzungen (z.B. Großbritannien und Russland) wie sie im ISSP-Modul »Role of Government III« deutlich werden.
76
4 Zur Operationalisierung und Erklärung von Akzeptanz
interpretiert werden, wobei ein höherer Wert (eine höhere Abweichung) eine größere Unzufriedenheit anzeigt – und zwar unabhängig davon, ob er ein positives oder negatives Vorzeichen hat.72 Wird der Skalenwert der gewünschten Leistungshöhe (Soll-Höhe) vom Skalenwert der wahrgenommenen Leistungshöhe (Ist-Höhe) subtrahiert, bringt ein positiver Wert den Grad der gewünschten Leistungserhöhung, ein negativer dagegen den Grad der gewünschten Leistungskürzung zum Ausdruck.73 Ein so konstruierter Indikator der »Leistungsbewertung« steht insgesamt für vier Sicherungssysteme (die Gesetzliche Krankenversicherung, die Gesetzliche Rentenversicherung, die Arbeitslosenversicherung und die Sozialhilfe) zur Verfügung. Abbildung 4.1: Akzeptanzdimension
Hauptindikatoren zur Messung der Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme und -bereiche
Akzeptanzindikator
»Was meinen Sie: Wie gut oder wie schlecht sind alles in allem die folgenden Bereiche der sozialen Sicherung für unsere Gesellschaft?«
Gesetzl. Rentenversicherung; Gesetzl. Krankenversicherung; Arbeitslosenversicherung; Sozialhilfe; Leistungen für Familien
Systemvertrauen
»Wenn Sie die Situation in Deutschland insgesamt betrachten: Glauben Sie, dass wir uns in Zukunft auf die zentralen sozialen Sicherungssysteme verlassen können? Sagen Sie mir bitte für jedes der Sicherungssysteme auf der Liste, ob wir uns in Zukunft darauf verlassen können.«
Gesetzliche Rentenversicherung; Gesetzliche Krankenversicherung; Arbeitslosenversicherung; Sozialhilfe
staatliche Zuständigkeit
»Wir würden gerne von Ihnen wissen, für welchen Anteil der Staat und die Sozialversicherungen bei den folgenden Aufgaben zuständig sein sollten und welchen Anteil private Kräfte übernehmen sollten.«
Alterssicherung; Gesundheitsversorgung; Arbeitslose, Arme, Familien
»Leistungsbewertung«
Differenz aus: (a) wahrgenommener Leistungshöhe: »Wie beurteilen Sie, allgemein betrachtet, die [Leistungshöhe]?« und (b) gewünschter Leistungshöhe: »Wie hoch sollte [Leistung] Ihrer Ansicht nach sein? Bitte berücksichtigen Sie (...), dass sich Änderungen der [Leistungshöhe] auf [Kosten des Sicherungssystems] auswirken.«
Rente (gesetzliche); Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung; Arbeitslosengeld, Sozialhilfe (»Hilfe zum Lebensunterhalt«)
Wohlfahrtsstaatlichkeit
73 74
Sicherungssysteme und -bereiche
Institutionenakzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Status quo
72
Itemformulierung (Kurzform74)
Gegen die Interpretation der Differenzen zwischen wahrgenommener und gewünschter Leistungshöhe als Präferenzen für Leistungserhöhungen bzw. -kürzungen mag man einwenden, dass hierzu keine expliziten Aussagen vorliegen und die entsprechenden Präferenzen quasi »hinter dem Rücken« der Befragten konstruiert werden. Angesichts der expliziten Berücksichtung möglicher Kosten bei der Frage nach der gewünschten Leistungshöhe, scheint eine solche Interpretation doch nicht sehr riskant: Sie ist nicht mehr als die logische Konsequenz der beiden Teilpräferenzen. Bei der Differenz zwischen Soll- und Ist-Höhe ergeben sich Werte zwischen -10 und +10. Diese Übersicht gibt immer nur die zentralen Frageformulierungen wieder. Die vollständigen Formulierungen (insbesondere auch die einleitenden Erläuterungen) und die Skalierungen finden sich im Anhang A2.1.
4.2 Indikatoren der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz
77
Die Besonderheit dieses Akzeptanzindikators besteht darin, dass die »Leistungsbewertung« aus der Differenz zwischen wohlfahrtsstaatlichem Status quo (wahrgenommene Leistungshöhe) und der gewünschten Wohlfahrtsstaatlichkeit (präferierte Leistungshöhe) gebildet wird und insofern beiden Akzeptanzdimensionen zuzurechnen ist. Durch diese Relationierung der Präferenzen mit dem wahrgenommenen Zustand lässt sich dieser Akzeptanzindikator besonders einfach interpretieren und scheint geeignet, auch kleinere Akzeptanzunterschiede und schwächere Einflüsse auf die Akzeptanzurteile sichtbar zu machen. (3) Der Erfassung der Akzeptanz von Wohlfahrtsstaatlichkeit wären aber zu enge Grenzen gesetzt, beschränkte sich deren Messung auf die bereits bestehenden wohlfahrtsstaatlichen Aufgabenbereiche (wie Alterssicherung und Armutsbekämpfung) und auf die Intensität, mit der der Wohlfahrtsstaat diesen Aufgaben nachkommt. Wünschenswert ist darüber hinaus die Eruierung der Grenzen der gewünschten oder erwarteten Übernahme sozialpolitischer Aufgaben durch staatliche Instanzen durch den Einbezug entsprechender Aufgabenbereiche. Auch wenn der Phantasie hier grundsätzlich keine Grenzen gesetzt sind, so können potenzielle sozialpolitische Aufgabenbereiche doch nur sinnvoll erfasst werden, wenn sie »realitätsnah« sind. In der Studie »Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates« wurden Fragen zu vier solcher Bereiche gestellt. Dabei handelt es sich um die Aufgaben bzw. Ziele »staatliche Sorge für Arbeitsplätze«, »Verringerung der Einkommensunterschiede«, »höhere Ausgaben für Familien und Alleinerziehende« sowie »höhere Ausgaben für Kinderbetreuung«. Die Befragten konnten hier anhand einer endpunktbeschrifteten 6er-Skala äußern, inwiefern sie diese Aufgaben als staatliche ansehen (zur Frageformulierung und Skalierung s. Anhang A2.1). In Abgrenzung zu den Präferenzen hinsichtlich der Kerninstitutionen des Wohlfahrtsstaates können diese Aufgaben zusammenfassend als »erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit« bezeichnet werden. Sie unterscheiden sich dabei erheblich in dem Maße, in dem sie gemeinhin zu den sozialpolitischen Aufgaben gerechnet werden. Darüber hinaus kann vermutet werden, dass über die Ziele »Arbeitsplatzgarantie« und »Verringerung der Einkommensungleichheit« ein weitaus größerer gesellschaftlicher Dissens besteht als über die beiden »familienpolitischen«. Gemeinsam ist allen vier Aufgaben dagegen ihre Randständigkeit (oder »Stiefmütterlichkeit«) in der sozialpolitischen Realität des deutschen Wohlfahrtsstaates. Insgesamt werden in den empirischen Analysen (Kapitel 5 und 6) also vier Hauptindikatoren wohlfahrtsstaatlicher Akzeptanz verwendet75, die jeweils für mehrere Sicherungssysteme bzw. sozialpolitische Aufgaben zu Verfügung stehen: die Institutionenakzeptanz (zugeschriebener gesellschaftlicher Wert), das Systemvertrauen, die gewünschte staatliche Zuständigkeit für wohlfahrtsstaatliche Kernbereiche 75
Im Rahmen der Umfrage »Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates« wurden zudem noch weitere Akzeptanzindikatoren (insbes. zu spezifischen Systemmerkmalen und zu Verhaltensweisen) erhoben, die im Weiteren jedoch nicht verwendet werden.
78
4 Zur Operationalisierung und Erklärung von Akzeptanz
und die »Leistungsbewertung« (Differenz von gewünschter und wahrgenommener Leistungshöhe).76 Sofern dies zur Vervollständigung des Akzeptanzbildes sinnvoll erschien, wurden zusätzlich auch die verschiedenen Aspekte der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« in die Analysen einbezogen. Die Bestimmung des Akzeptanzobjekts »Wohlfahrtsstaat« Bei der Bestimmung des Akzeptanzobjekts geht es im Kern um die Frage, wie »Wohlfahrtsstaat« zu definieren ist und welche Bereiche, Institutionen und Regelungen dem Wohlfahrtsstaat zuzurechnen sind. Dabei besteht immer auch die Gefahr, dass »Wohlfahrtsstaat« und »Wohlfahrtsstaatlichkeit« erst durch das Erhebungsinstrument »konstruiert« werden. Für den Begriff Wohlfahrtsstaat gibt es bekanntlich keine einheitliche und allseits geteilte Definition. Explizite Definitionen sehen sich daher meist sehr schnell einer Übermacht oft berechtigter Kritik ausgesetzt, unter deren Last sie kaum durchzuhalten sind. Vor allem gegen operationale Definitionen lassen sich nur zu leicht Einwände formulieren, da diese notwendigerweise mehr oder minder willkürliche Vereinfachungen erfordern und sich bei der Auswahl der Definitionskriterien zudem auch von forschungspragmatischen Überlegungen leiten lassen müssen. So scheinen viele Definitionsversuche für die Erfassung der wohlfahrtsstaatlichen Wirklichkeit unzureichend, weil sie zu sehr auf einzelne Aspekte fokussieren oder einseitig an einem (nationalen) Wohlfahrtsstaatsmodell ausgerichtet sind. Auf der anderen Seite sind sie wiederum oft zu allgemein und undifferenziert, was insbesondere die Möglichkeiten vergleichender Analysen erheblich einschränkt.77 Diese hier nur angedeuteten Probleme ändern jedoch nichts an der Notwendigkeit einer operationalen Definition, wenn man die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates empirisch untersuchen möchte. Als Wohlfahrtsstaat soll hier daher die Gesamtheit der als wohlfahrtsstaatlich (bzw. sozialpolitisch) definierten Institutionen und Politiken bezeichnet werden. Als »wohlfahrtsstaatlich« können dabei ganz allgemein Institutionen bezeichnet werden, wenn sie, erstens, Funktionen der Existenzsicherung, der sozialen Sicherung und der Gewährung von Chancengleichheit für alle oder einen Teil ihrer Adressaten unmittelbar erfüllen und wenn, zweitens, diese
76
77
Sowohl die Unabhängigkeit dieser vier Akzeptanzindikatoren als auch deren Gruppierung (Akzeptanz des Status quo und Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit) konnte mittels explorativer Faktorenanalysen bestätigt werden. Dies hat dazu geführt, dass Versuche einer exakten Definition des Wohlfahrtsstaates oftmals ganz unterlassen werden. Entsprechend häufig sind daher Klagen über den Mangel an Definitionen, zugleich aber auch über die Vergeblichkeit von Definitionsversuchen (vgl. etwa bereits Kaufmann 1977).
4.2 Indikatoren der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz
79
Funktionen überwiegend (oder zumindest zu einem bedeutenden Teil) von staatlichen oder öffentlichen Instanzen erfüllt werden.78 Grundsätzlich muss davon ausgegangen werden, dass mit dem Begriff Wohlfahrtsstaat in der Bevölkerung häufig »falsche« oder widersprüchliche, oft aber auch gar keine Bedeutungen verbunden werden (vgl. hierzu auch Roller 1992: 68). Ein einheitliches »Akzeptanzobjekt Wohlfahrtsstaat« existiert insofern nicht. Schon hieraus folgt, dass Versuche, eine allgemeine, von den einzelnen Wohlfahrtsinstitutionen unabhängige Akzeptanz des gesamten Wohlfahrtsstaates zu ermitteln, wenig aussichtsreich sind, weil dieser als Akzeptanzobjekt zu diffus ist. Zu einem fundierten Bild der Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates gelangt man nur durch die Erfassung der Akzeptanz der für den Einzelnen »erfahrbaren« wohlfahrtsstaatlichen Institutionen (wie »die Rentenversicherung«). Die Akzeptanz »des« Wohlfahrtsstaates ist allein aus der Summe der Akzeptanzen seiner Teilelemente zu erschließen. Eine empirische Akzeptanzanalyse muss daher bei identifizierbaren Wohlfahrtsinstitutionen ansetzen. Wünschenswert, aber forschungstechnisch ausgeschlossen wäre es, alle wohlfahrtsstaatlichen Institutionen in die Analyse einzubeziehen. Es muss daher das Ziel einer operationalen Definition sein, die zentralen und »repräsentativen« wohlfahrtsstaatlichen Institutionen zu bestimmen. Bereits aus der vorgeschlagenen Definition des Wohlfahrtsstaates ergibt sich die nicht unerhebliche Beschränkung auf materielle Leistungen und die Fokussierung auf relativ »institutionalisierte« (zeitstabile) Sicherungssysteme. Dadurch werden zum einen nicht-materielle, insbesondere rechtliche Interventionsformen (z.B. Arbeits- oder Familienrecht; vgl. Kaufmann 1982) und zum anderen aktuelle und kurzfristige sozialpolitische Maßnahmen und Programme ausgeschlossen. Abgesehen von dieser Fokussierung auf die »ökonomische Interventionsform« (Kaufmann 1982: 75ff.) und dem Ziel, Vergleichsmöglichkeiten mit früheren Untersuchungen zu ermöglichen, lässt sich die im Folgenden dargestellte Auswahl der einzelnen Akzeptanzobjekte von zwei Gesichtspunkten leiten. Beim ersten steht die Frage im Mittelpunkt, welche Kombination von Wohlfahrtsinstitutionen am ehesten den Wohlfahrtsstaat in seiner Gesamtheit repräsentiert, so dass aufgrund von Akzeptanzurteilen gegenüber einzelnen Akzeptanzobjekten auch auf die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates geschlossen werden kann. Als Auswahlkriterien wurden dabei die Zentralität der Leistungssysteme (gemessen am Ausgabevolumen und/oder der Zahl der Adressaten), ihr anzunehmender Bekanntheitsgrad sowie ihre mutmaßliche Bedeutung für die Befragten herangezogen. Dem liegt die einfache Überlegung zugrunde, dass der Einfluss auf die Gesamtakzeptanz des Wohlfahrtsstaates mit der Zentralität und Bedeutsamkeit eines Sicherungssystems steigt. 78
Auch diese Definition ist zugegebener Maßen noch sehr vage und lässt vieles offen, reicht für den hier vorliegenden Zweck jedoch aus.
80
4 Zur Operationalisierung und Erklärung von Akzeptanz
Theoretische Überlegungen zur Akzeptanz und Akzeptabilität von Sicherungssystemen legen zudem eine systematische Berücksichtigung unterschiedlicher Systemmerkmale nahe (vgl. Karl et al. 1998; Ullrich 2001). Bei der Auswahl sollen daher möglichst alle Systemeigenschaften, von denen ein Einfluss auf die Akzeptanzurteile der Befragten erwartet werden kann, mehrfach und in unterschiedlichen Kombinationen vorkommen. Zu diesen Systemmerkmalen sind vor allem die sozialpolitischen Zielsetzungen, die »Adressatendefinition« (wer erhält unter welchen Bedingungen Leistungen) und die Mittel oder Instrumente zu zählen, mit denen die jeweiligen Ziele erreicht werden sollen (z.B. Versicherungsprinzip, Bedürftigkeitsprüfungen).79 Wie bereits aus der Darstellung der Akzeptanzindikatoren hervorging, wurden in der Befragung »Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates« fünf sozialpolitische Bereiche ausgewählt, die jedoch unterschiedlich intensiv im Erhebungsinstrument thematisiert wurden. Von dieser Auswahl wird angenommen, dass sie den oben genannten Kriterien am besten entspricht und insofern beanspruchen kann, für den gesamten Wohlfahrtsstaat »repräsentativ« zu sein. Im Einzelnen wurden folgende Bereiche als Akzeptanzobjekte festgelegt (vgl. Abbildung 4.2): Die drei großen Sozialversicherungen – Gesetzliche Rentenversicherung, Gesetzliche Krankenversicherung und Arbeitslosenversicherung – bilden mit der Sozialhilfe den Kern des deutschen Wohlfahrtsstaates. Zugleich repräsentieren sie zwei sehr unterschiedliche Varianten des Typus Sozialversicherung. So unterscheidet sich die Gesetzliche Krankenversicherung von der Arbeitslosen- und Rentenversicherung u.a. dadurch, dass das Gros der Leistungen nach dem Bedarfsprinzip gewährt wird, während die beiden anderen Sozialversicherungen eher am Äquivalenzprinzip (wer höhere Beiträge gezahlt hat, bekommt auch höhere Leistungen) orientiert sind. Kranken- und Rentenversicherung unterscheiden sich von der Arbeitslosenversicherung wiederum dadurch, dass sie »Mehrheitsprogramme« sind, bei denen (fast) jeder auch Leistungsempfänger ist, während der Empfang von Arbeitslosengeld nur einer Minderheit möglich ist. Bei der Arbeitslosenversicherung und der Gesetzlichen Rentenversicherung ist zudem die »Sichtbarkeit« der Leistungsempfänger hoch. In beiden Fällen sind die Leistungsempfänger (Rentner, Arbeitslose) soweit typisiert, dass von einem eigenständigen sozialen (oder Versorgungsklassen-) Status auszugehen ist.
79
Wegen ihrer hohen Variabilität, aber auch aufgrund kontroverser theoretischer Auffassungen, ist insbesondere eine möglichst breite Berücksichtigung sozialpolitischer Organisationsformen anzustreben. Dies gilt zunächst für die bekannten Unterscheidungen von selektiven und universellen Programmen (bzw. von Minderheits- und Mehrheitsprogrammen) sowie zwischen Sozialversicherungen, Versorgungssystemen und Fürsorgeleistungen. Oft eng verbunden mit diesen grundlegenden Systemtypen sind zudem aber auch viele weitere Merkmale wie das Äquivalenzprinzip, die Versicherungspflicht oder das Bedarfsprinzip (vgl. Ullrich 2001).
81
4.2 Indikatoren der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz
Abbildung 4.2:
Systemmerkmale der einzelnen wohlfahrtsstaatlichen Akzeptanzobjekte sozialpolitischer Aufgabenbereich
Institutionalisierungsgrad
»Sichtbarkeit« der Leistungsempfänger
Mehrheitsprogramm
Kriterien der Leistungsvergabe
Gesetzliche Krankenversicherung
Gesundheitsversorgung
hoch
eher gering
ja
Bedarf80
Gesetzliche Rentenversicherung
Alterssicherung
hoch
hoch (»typisiert«)
ja
Leistung
Arbeitslosenversicherung
Arbeitslosigkeit
hoch
hoch (»typisiert«)
nein
Leistung > Bedarf
Armut
hoch
hoch (»typisiert«)
nein
Bedarf
Besserstellung von Familien
gering
eher gering
?
Gleichheit > Bedarf
Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt) Leistungen für Familien
Bis zur Einführung des »Arbeitslosengelds II« (2005) gehörte auch die »Sozialhilfe« (bzw. »Hilfe zum Lebensunterhalt«81) in Deutschland zu den Kerninstitutionen des Wohlfahrtsstaates. Anders als die Sozialversicherungen wird die Sozialhilfe jedoch aus Steuermitteln finanziert und ihre Gewährung ist von Bedürftigkeitsprüfungen abhängig. Wie die Arbeitslosenversicherung ist die Hilfe zum Lebensunterhalt ein »Minderheitsprogramm«, bei dem die Mehrheit der Beitrags- und Steuerzahler nicht in den »Genuss« eines Leistungserhalts kommt. Die Sozialhilfe stellte im Untersuchungszeitraum somit einen eigenständigen Sicherungstyp dar, der als relativ anfällig für »negative Akzeptanz« gelten muss, zumal die »Sichtbarkeit« der Leistungsempfänger hoch ist.82 Ebenso wie die Sozialhilfe werden Leistungen für Familien (Kindergeld, Erziehungsgeld) aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert. Sie werden jedoch eher nach dem Gleichheitsprinzip als nach Bedarfskriterien vergeben. Leistungen für Familien gehören zudem zu den »weichen« Sozialpolitikbereichen und in Deutschland traditionell nicht zum Kernbereich des wohlfahrtsstaatlichen Selbstverständnis-
80 81
82
Mit Ausnahme des Krankengeldes. Wie durch kognitive Pretests bestätigt werden konnte, werden die Wahrnehmung der Sozialhilfe (als »Institution«) und die der Sozialhilfeempfänger von der Hilfe zum Lebensunterhalt geprägt, auch wenn diese nur einen Teil der Sozialhilfeausgaben ausmacht. In der Befragung wurde zudem explizit gemacht, dass mit Sozialhilfeempfängern Personen gemeint sind, die aufgrund einer materiellen Notlage Sozialhilfe (bzw. Hilfe zum Lebensunterhalt) beziehen. Hieran wird sich auch durch die Umwandlung zum »Arbeitslosengeld II« nichts geändert haben, da wesentliche Strukturprinzipien (z.B. Bedürftigkeitsprüfungen) übernommen oder gar verstärkt wurden.
82
4 Zur Operationalisierung und Erklärung von Akzeptanz
ses. Familienpolitik (oder ihr Unterbleiben) ist in jüngerer Zeit allerdings immer mehr in den Fokus des sozialpolitischen Interesses gerückt. Der geringere Institutionalisierungsgrad und der daraus resultierende Mangel an organisatorisch-institutioneller Präsenz – im Bereich der Familienpolitik fehlen Institutionen, die denen der Arbeitsämter, Krankenkassen oder der Rentenversicherer vergleichbar wären – erschweren hier jedoch die Messung von Akzeptanz: Was institutionell nicht »erfahrbar« ist, kann auch nur schwer zum Gegenstand von Akzeptanzfragen werden. Aus diesem Grund musste bei einigen Indikatoren auf den Bereich der familienpolitischen Maßnahmen verzichtet werden (s. Abbildung 4.1). 4.3 Erklärungsfaktoren für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme So wie die Indikatoren wohlfahrtsstaatlicher Akzeptanz nur vor dem Hintergrund explizierter Vorstellungen über die allgemeine Beschaffenheit von Akzeptanz entwickelt werden können, sind auch Erklärungsfaktoren nicht von den Annahmen über die für die Erklärung der Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen relevanten Kausalbeziehungen zu trennen. Die genaue Begründung des vermuteten Einflusses der einzelnen Erklärungsfaktoren erfolgt daher jeweils erst im Kontext der spezifischen Fragestellungen, die den einzelnen Abschnitten von Kapitel 6 zugrunde liegen. Im Folgenden soll zunächst nur ein erster allgemeiner Überblick über die wichtigsten Variablen gegeben werden, die als mögliche Erklärungsfaktoren zur Verfügung stehen. Die Klassifizierung und Charakterisierung der Erklärungsfaktoren geschieht dabei notwendig in grober und vorläufiger Form. Darüber hinaus wird in vielen Fällen von kontextdifferenten Effekten ausgegangen. Je nach Sicherungssystem und Akzeptanzindikator können von den potenziellen Erklärungsfaktoren unterschiedlich starke (oft auch keine), unterschiedlich gerichtete und unterschiedlich »geartete« (lineare oder nicht-lineare) Einflüsse auf die Akzeptanzurteile vermutet werden. Von einigen wird zudem angenommen, dass sie nur bei sehr spezifischen Fragen als Erklärungsfaktoren in Betracht kommen.83 Der »dichten«und »breiten« Erfassung der Akzeptanz entspricht eine umfangreiche Berücksichtigung möglicher Erklärungsfaktoren. Allgemein können drei Faktorengruppen unterschieden werden, von denen angenommen wird, dass sie die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen erklären können. Alle Variablen dieser Faktorengruppen werden dabei als unabhängige Variablen aufgefasst, die jeweils unmittelbar auf die Akzeptanzurteile einwirken. Neben den soziodemografischen Merkmalen und subjektiven Interessendefinitionen sind dies grundlegende Wert- und
83
Die Erläuterung dieser Variablen erfolgt dann in den jeweiligen Abschnitten.
4.3 Erklärungsfaktoren für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme
83
Handlungsorientierungen sowie die Wahrnehmung der Leistungsempfänger (vgl. Abbildung 4.3). (1) Indikatoren der »sozialpolitischen Lage« (Eigeninteresse) Unterschiedliche Indikatoren der »sozialpolitischen Lage« bilden die größte und vermutlich auch wichtigste Gruppe von Einflussfaktoren, die alle, wenn auch in unterschiedlicher Weise, Formen des Eigeninteresses messen. Für den vorliegenden Zweck der Erklärung von Akzeptanzurteilen können drei Ebenen unterschieden werden, auf denen die »sozialpolitische Lage« der Befragten erfasst werden kann: die Parameter der allgemeinen sozialen Lage, die »objektive« sozialpolitische Lage, wie sie vor allem am Versorgungsklassenstatus abzulesen ist, und schließlich die subjektive Wahrnehmung des Eigeninteresses an Systemen der sozialen Sicherung. (a) Parameter der sozialen Lage Die allgemeine soziale Lage bestimmt ein eher mittelbares Interesse am Wohlfahrtsstaat. Zum einen hat sie einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit des Leistungsbezugs (und, so kann man vermuten, darüber hinaus auch auf die Wahrnehmung dieser Wahrscheinlichkeit): Je besser die soziale und ökonomische Position einer Person, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, auf das System der sozialen Sicherung angewiesen zu sein. Gleichzeitig steigen mit der Höhe der sozialen Position meist auch die Belastungen, die in Form von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen von den sozialen Sicherungssystemen ausgehen. Insbesondere von Klassen- und Schichtmerkmalen kann daher ein genereller Einfluss auf die Wahrnehmung und Beurteilung des Wohlfahrtsstaates angenommen werden. Aber auch vom Alter und der Art der Erwerbstätigkeit kann dies vermutet werden. Der in den späteren Analysen (Kapitel 6) am häufigsten verwendete Indikator der Schichtzugehörigkeit ist die subjektive Einstufung auf einer Oben-Unten-Skala (endpunktbeschriftete Skala von 1 für »Unten« bis 10 für »Oben«; für die Frageformulierung s. Abb. 4.3 sowie Anhang A2.2). Sie hat zwei wesentliche Vorteile: Anders als z.B. beim Einkommen sind Antwortverweigerungen relativ selten und durch den subjektiven Charakter wird dem Umstand Rechnung getragen, dass nicht der tatsächliche, sondern der wahrgenommene soziale Status für die Bildung von Akzeptanzurteilen über den Wohlfahrtsstaat ausschlaggebend ist. Auch das Haushaltsnettoeinkommen steht als in mancher Hinsicht »verlässlichster« Indikator der sozialen Lage zur Verfügung.84 Aufgrund der relativ hohen Zahl an Antwortverweigerungen ergibt sich jedoch bei vielen Fragestellungen ein Problem zu geringer Fallzahlen. Das Haushaltseinkommen wird aus diesem Grund nur selektiv in den Analysen verwendet und meist nur zur Überprüfung und Erhärtung der 84
Gleiches gilt für das allerdings weniger aussagekräftige Bruttoeinkommen.
84
4 Zur Operationalisierung und Erklärung von Akzeptanz
Effekte der Selbsteinstufung auf der Oben-Unten-Skala. Zur Bedarfsgewichtung des Haushaltsnettoeinkommens wurde die alte OECD-Skala verwendet (vgl. Anhang A2.2). Für die Bestimmung der Klassenlage wurde eine modifizierte Version des von Erikson und Goldthorpe (1992: 38ff.) eingeführten Klassenschemas verwendet.85 Insgesamt werden dabei sechs Klassenlagen unterschieden: Dienstklasse (service class), Angestellte mit Routinetätigkeiten (routine non-manual workers), Selbständige (petty bourgeoisie), Facharbeiter und Meister (skilled workers), an- und ungelernte Arbeiter (unskilled workers) sowie selbständige Landwirte und Arbeiter im primären Sektor (farmers & farm labourers). Ein solcher Einfluss kann auch vom Alter86 erwartet werden, jedoch nicht für alle Sicherungsbereiche gleichermaßen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass das Alter nur in dem Maße wohlfahrtsstaatliche Interessenlagen strukturiert, wie die Sicherungssysteme alters- bzw. lebensphasenspezifisch sind. Dafür sind zwei Fragen entscheidend: Ist ein Leistungsbezug erst ab einem bestimmten Alter möglich (z.B. Altersrente) oder ab einem bestimmten Alter ausgeschlossen (z.B. Leistungen der Arbeitslosenversicherung für Rentner)? Und: Wie stark wird man ab oder bis zu einer Altersgrenze zur Finanzierung der Sicherungsleistungen durch Steuern und Beiträge herangezogen? In diesem Sinne sind alle Sozialleistungen mehr oder weniger altersspezifisch, weil keine völlig gleichmäßig über alle Altersgruppen verteilt wird. Sicherungssysteme unterscheiden sich aber im Grad ihrer Altersspezifität. Grundsätzlich kann wohl davon ausgegangen werden, dass insbesondere die Gesetzliche Rentenversicherung und, wenn auch etwas weniger deutlich, die Gesetzliche Krankenversicherung, einen »Altersbias« haben, der zu Umverteilungen von jüngeren zu älteren Versicherten (bzw. zu »intertemporalen« Umverteilungen) führt. In umgekehrter Richtung gilt dies in ähnlicher Weise für Leistungen für Familien (und für den hier allerdings nicht berücksichtigten Bildungsbereich), während Leistungen der Sozialhilfe und 85
86
Das von Erikson, Goldthorpe und Portocarero (1979) entwickelte Klassenschema – oft auch kurz als EGP-Klassenschema bezeichnet – ist ein kategoriales Differenzierungsschema. Grundlage für die Unterscheidung unterschiedlicher Klassen ist dabei eine durch die Ähnlichkeit der beruflichen Tätigkeit begründete Gemeinsamkeit der Marklage und die dadurch bedingte Ähnlichkeit der Lebenschancen. Die ausführliche Version des Klassenschemas besteht aus insgesamt elf Kategorien (Erikson/Goldthorpe 1992: 36), die von Erikson und Goldthorpe (1992: 38ff.) zu sieben Kategorien zusammengefasst wurden. Das hier verwendete 6-stufige Schema entspricht weitgehend dem 7-stufigen Modell von Erikson und Goldthorpe, wobei jedoch die beiden Kategorien »selbständige Landwirte« und »Landarbeiter im primären Sektor« aufgrund der geringen Fallzahlen zu einer Kategorie zusammengefasst wurden (vgl. a. Anhang A2.2). Hier ist natürlich das chronologische Lebensalter gemeint. Klarer lassen sich Kausalvermutungen allerdings beim wohlfahrtsstaatlich (vor allem durch Ruhestandsregelungen und gesetzliche Schulpflicht) »definierten« oder »konstruierten« Alter formulieren. Die wohlfahrtsstaatlichen Altersgrenzen sind jedoch zunehmend aufgeweicht worden (z.B. durch Vorruhestandsregelungen) und haben zu einer allgemeinen Destandardisierung des Lebenslaufsregimes beigetragen.
4.3 Erklärungsfaktoren für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme
85
der Arbeitslosenversicherung vor allem den mittleren Altersgruppen zugute kommen. Das Alter wird daher vor allem dann als Erklärungsfaktor herangezogen, wenn eine durch das Lebensalter bedingte Interessenlage plausibel erscheint. (b) Versorgungsklassenstatus Die individuelle Versorgungsklassenposition des Befragten muss als der wichtigste Parameter des Eigeninteresses am System der sozialen Sicherung angesehen werden, da sie darüber entscheidet, ob man zeitpunktbezogen oder dauerhaft durch die sozialen Sicherungssysteme belastet wird oder Leistungen bezieht. Vielleicht mit Ausnahme der Versorgungsklassenposition »Rentner«, die auch das Gesamtinteresse am Wohlfahrtsstaat in gewisser Weise prästrukturieren dürfte, macht es jedoch wenig Sinn, von einem allgemeinen Versorgungsklassenstatus auszugehen. Vielmehr sollte der Versorgungsklassenstatus systemspezifisch aufgefasst werden, sodass ein Befragter in den einzelnen Sicherungssystemen unterschiedliche Versorgungsklassenpositionen einnehmen kann (privilegierte und nicht-privilegierte) und zu entsprechend unterschiedlichen Akzeptanzurteilen bezüglich der einzelnen Sicherungssysteme kommt. Zur Messung der Versorgungsklassenstatus stehen vor allem zwei Variablen zur Verfügung. Zum einen ist dies der Leistungsbezug des Befragten. Hierzu liegen differenzierte Informationen zu einzelnen Leistungsarten vor, und zwar sowohl über den aktuellen als auch über den früheren Leistungsbezug. Die zweite Variable zur Erfassung der Versorgungsklassenposition des Befragten ist der Erwerbsstatus. Mit diesem können nicht nur relativ dauerhafte Versorgungsklassenlagen erfasst werden (Rentner, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger), sondern auch der »Finanzierungsklassenstatus«, bei dem auch zwischen »Finanzierern« (bei den Sozialversicherungen die beitragspflichtigen Erwerbstätigen) und »Neutralen« (bei den Sozialversicherungen z.B. Beamte) unterschieden werden kann (für eine genauere Darstellung vgl. Anhang A2.2). (c) subjektive Interessendefinitionen Als subjektive Interessendefinitionen können alle Einschätzungen, Erwartungen und Präferenzen der Befragten gelten, die sich auf die eigene sozialpolitische Interessenlage beziehen. Sie können erheblich von der objektiven sozialpolitischen Lage abweichen, sind aber auch dann nicht unbedingt als einfache Fehleinschätzungen aufzufassen. Vielmehr kommen hierin auch grundlegende und legitime Vorstellungen darüber zum Ausdruck, was man als notwendig oder wünschenswert erachtet. In der vorliegenden Untersuchung wird auf zwei solcher subjektiven Indikatoren des sozialpolitischen Eigeninteresses zurückgegriffen. Der erste ist die individuelle Risikoaversion der Befragten. Der Messung der Risikoaversion liegt dabei die Überlegung zugrunde, dass es nicht allein die aktuelle Versorgungsklassenlage und die allgemeine soziale Lage sind, die das Interesse an
86
4 Zur Operationalisierung und Erklärung von Akzeptanz
den sozialen Sicherungssystemen bestimmen, sondern dass dieses auch durch die Erwartungen über den zukünftigen Leistungsbedarf (und eine entsprechende Veränderung der Verteilungsposition) beeinflusst wird. Abbildung 4.3: Faktorengruppe
Eigeninteresse (a) Soziale Lage
Mögliche Erklärungsfaktoren der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz Erklärungsfaktoren
Erläuterungen/Beispiele
Oben-Unten-Skala
wird als Schichtindikator verwendet
Haushalts(netto)einkommen
dient vor allem der Kontrolle der Oben-Unten-Skala
Alter des Befragten
insbes. bei stärker altersstrukturierten Sicherungssystemen
soziale Klasse
vereinfachtes EGP-Schema
(b) Versorgungsklassen
Versorgungsklassenposition des Befragten
(positive, konkurrierende) Versorgungsklassen sowie Versorgungs- vs. Finanzierungsklasse(n)
(c) subjektive Interessendefinitionen
»Risikoaversion«
setzt sich aus subjektiver Wahrscheinlichkeit und Bewertung eines längeren Leistungsbezugs zusammen
Reziprozitätserwartungen
misst ein stark generalisiertes (subjektives) Interesse
Gerechtigkeitsüberzeugungen
drei Items: Gleichheit (egalitaristische Gerechtigkeitsüberzeugung), Bedarfsgerechtigkeit und Leistungsgerechtigkeit
allgemeine Handlungsund Sozialorientierungen
hier drei Items: Eigenverantwortung, Solidarität und Reziprozitätsverpflichtung
»Leistungsempfängerbild«
zugeschriebene Leistungsempfängereigenschaften
fünf Eigenschaften: Bedürftigkeit, Anspruchsberechtigung, Unterstützungswürdigkeit, Missbrauch und Victimisierung
Kontextabhängige Erklärungsfaktoren, für die je nach Teilfragestellung unterschiedliche Erwartungen bestehen
Geschlecht
-
Bildung
drei Bildungsniveaus nach modifizierter CASMINKlassifikation; Interessen- oder kultureller Indikator
Landesteil
Ost-/Westdeutschland (nach Erhebungsgebiet)
Handlungs- und Wertorientierungen
Die individuelle Risikoaversion wird anhand von zwei Variablen gemessen: der subjektiven Wahrscheinlichkeit eines Leistungsbezugs bzw. eines »Schadens«, der zu einem Wechsel der Verteilungsposition führen würde, sowie der subjektiven Bewertung dieses Schadens« (zur Verknüpfung vgl. Anhang A2.2). Zur Messung der subjektiven Wahrscheinlichkeit eines Leistungsbezugs wurden die Befragten gebeten, auf einer endpunktbeschrifteten 11er-Skala (von »sehr unwahrscheinlich« bis »sehr wahrscheinlich«) für die Risiken chronische Erkrankung, Arbeitslosigkeit und Sozialhilfebezug anzugeben, für wie wahrscheinlich sie es halten, dass diese »Ereignisse« sie in den nächsten Jahren treffen. Die Bewertung der entsprechenden »Schä-
4.3 Erklärungsfaktoren für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme
87
den« erfolgte ebenfalls auf einer endpunktbeschrifteten 11er-Skala, die von »sehr schlimm« bis »überhaupt nicht schlimm« reichte. Ein weitaus generalisierteres Interesse wird durch Reziprozitätserwartungen erfasst. Hier werden die Befragten danach gefragt, ob sie der Meinung sind, dass auch primäre Beitragszahler (Finanzierungsklasse) auf lange Sicht vom System der sozialen Sicherung profitieren. Aufgrund der Geltung von Reziprozitätsnormen und daran anknüpfender Verpflichtungen bewegen sich Reziprozitätserwartungen im Grenzbereich zwischen (reinen) Interessenorientierungen und normativen Überzeugungen. Durch ihre Eigenart, »anfällig« für stärkere Generalisierungen zu sein (und zwar sowohl in zeitlicher als auch in sozialer und sachlicher Hinsicht), ermöglicht eine Orientierung am Reziprozitätsprinzip zudem eine auch längere Zurückstellung unmittelbarer Eigeninteressen. Wie ich an anderer Stelle verdeutlicht habe (Ullrich 1999), sind das Reziprozitätsprinzip und an soziale Sicherungssysteme geknüpfte Reziprozitätserwartungen nicht zuletzt wegen dieser Eigenschaft für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme zentral (für ähnliche Argumentationen s.a. Mau 2002 und Lessenich/Mau 2005). Die Messung der Reziprozitätserwartungen erfolgte mit einem Indikator, der die soziale Sicherung gerichtete Reziprozitätserwartungen in generalisierter Form erfasst. Diese bestehen dann nicht hinsichtlich konkreter Leistungen oder auch nur einzelner Sicherungsbereiche, sondern beziehen sich auf einen sowohl sachlich als auch zeitlich vagen Ausgleich im Rahmen der sozialen Sicherung (zur Frageformulierung s. Abb. 4.3). Die Reziprozitätserwartung wurde mittels einer endpunktbeschrifteten 6er-Skala von »stimme überhaupt nicht zu« bis »stimme voll und ganz zu« erfasst. (2) Handlungs- und Wertorientierungen Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Akzeptanzurteile gegenüber sozialen Sicherungssystemen nicht nur von objektiven und subjektiven Eigeninteressen bestimmt werden, sondern auch von Wertüberzeugungen und allgemeinen Handlungsorientierungen. Schon bei den zuvor erläuterten generalisierten Reziprozitätserwartungen kann strenggenommen nicht mehr von einem reinen subjektiven Eigeninteresse ausgegangen werden. So gehört es geradezu zu den Wesensmerkmalen der Reziprozität, unterschiedliche, wenn nicht gar widersprüchliche Handlungsorientierungen zu kompatibilisieren (vgl. Gouldner 1960). Neben Reziprozitätserwartungen, die aber zumindest der Form nach zu den subjektiven Interessendefinitionen zu rechnen sind, werden zur Erklärung der Akzeptanzurteile zwei weitere Arten allgemeiner Handlungs- und Wertorientierungen herangezogen. Zum einen sind dies Gerechtigkeitsüberzeugungen, die an unterschiedlichen Kriterien der Verteilungsgerechtigkeit orientiert sind. Dass sich Gerechtigkeitsüberzeugungen auf die Akzeptanzurteile über wohlfahrtsstaatliche Institutionen auswirken
88
4 Zur Operationalisierung und Erklärung von Akzeptanz
können, scheint naheliegend. Denn soziale Sicherungssysteme berühren in vielfältiger Form Verteilungsfragen – und dies nicht nur bei der Leistungsgewährung, sondern auch bei der Verteilung der Finanzierungslasten. Die Stärke des Einflusses auf die Akzeptanzurteile und vor allem, welche Gerechtigkeitsüberzeugungen einen Einfluss ausüben, wird dabei vermutlich variieren. Entscheidend dürften hierfür das Umverteilungsvolumen und die jeweilige »Gerechtigkeitsstruktur« der Sicherungssysteme sein, die unterschiedlichen Verteilungslogiken folgen. Zur Erfassung der Gerechtigkeitsüberzeugungen wurden drei Items verwendet, die jeweils die Orientierung auf eines der drei zentralen Kriterien der Verteilungsgerechtigkeit »Gleichheit«, »Bedarf/Bedürftigkeit« und »Leistung« (vgl. a. Miller 1976) messen. Bei der Formulierung der Items wurde darauf geachtet, dass mit diesen grundlegende, allgemeine Gerechtigkeitsorientierungen und nicht konkrete Einstellungen erfasst werden.87 Die Orientierung an Gerechtigkeitskriterien wurde mit einer endpunktbeschrifteten 6er-Skala (von »stimme überhaupt nicht zu« bis »stimme voll und ganz zu«) gemessen. Bei der zweiten Gruppe von grundlegenden Handlungsorientierungen handelt es sich um allgemeine Vorstellungen und Regeln über den Umgang mit anderen bzw. über das Verhältnis zu einem größeren Kollektiv. Sie bewegen sich im Bedeutungsfeld der Dimensionen »Individualismus – Kollektivismus« und »Egoismus – Solidarität« und werden im Folgenden zusammenfassend als Handlungs- und Sozialorientierungen bezeichnet. Ingesamt werden drei allgemeine Handlungs- und Sozialorientierungen in den späteren Analysen verwendet. Hierbei handelt es sich um die Betonung von Solidarität (»Solidaritätsorientierung«), die Anerkennung des verpflichtenden Charakters von erhaltenen Leistungen (»Reziprozitätverpflichtung«) und die Befürwortung von »Eigenverantwortung«. Auch die Handlungs- und Sozialorientierungen wurden jeweils mit einer endpunktbeschrifteten 6er-Skala erfasst, die von »stimme überhaupt nicht zu« bis »stimme voll und ganz zu« reicht. Die Items wurden wiederum so formuliert, dass grundlegende Handlungsorientierungen erfasst werden, die keinen Bezug zur Akzeptanzthematik aufweisen. Wie für die Gerechtigkeitsüberzeugungen kann auch für die allgemeinen Handlungs- und Sozialorientierungen angenommen werden, dass sie einen erheblichen Einfluss auf die Akzeptanzurteile gegenüber sozialen Sicherungssystemen ausüben können. Ebenso gilt aber auch hier, dass dieser Einfluss unterschiedlich stark sein kann und sowohl akzeptanzverstärkend oder -mindernd sein kann. So ist z.B. anzunehmen, dass eine starke »Solidaritätsorientierung« vor allem bei Sicherungssystemen, die stärker am Solidarprinzip orientiert sind (Gesetzliche Krankenversicherung, Sozialhilfe), zu einer höheren Akzeptanz führt. 87
Zur Unterscheidung von (grundlegenden) Gerechtigkeitsurteilen und (spezifischen, kontextnahen) Gerechtigkeitseinstellungen vgl. Liebig (2002).
4.3 Erklärungsfaktoren für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme
89
(3) Eigenschaften der Leistungsempfänger Neben den unterschiedlichen Parametern des Eigeninteresses und allgemeinen Wertund Handlungsorientierungen wird in dieser Untersuchung noch eine dritte Gruppe von Variablen als mögliche Erklärungsfaktoren wohlfahrtsstaatlicher Akzeptanz herangezogen. Hierbei handelt es sich um die Eigenschaften, die bei Leistungsempfängern wahrgenommen werden bzw. die ihnen zugeschrieben werden.88 Dass die Wahrnehmung von Leistungsempfängern einen Einfluss auf die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen hat, ist nicht nur theoretisch plausibel, sondern konnte bereits auch empirisch nachgewiesen werden (vgl. u.a. Cook/Barrett 1992). Unzweifelhaft scheint, dass sich ein positives Empfängerbild akzeptanzförderlich, ein negatives dagegen akzeptanzabträglich auswirkt. Weniger klar ist dagegen, welche wahrgenommenen oder zugeschriebenen Eigenschaften der Leistungsempfänger für deren Beurteilung und für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme entscheidend sind. Aufgrund der vorliegenden empirischen Befunde sowie allgemeiner theoretischer Überlegungen, wurden zur Erfassung des Leistungsempfängerbildes folgende Eigenschaftsdimensionen einbezogen:
die allgemeine soziale Wertschätzung (Unterstützungswürdigkeit) der unterschiedlichen »Leistungsempfänger-Grundgesamtheiten« (ältere Menschen, Kranke, Arme etc.); die Bedürftigkeit der Leistungsempfänger (Gelten diese als »wirklich« bedürftig?); die Frage der Anspruchsberechtigung (z.B. ein Anspruchserwerb durch Beitragszahlungen); die »Missbrauchsvermutung« (Vorkommen von Leistungsmissbrauch); die Victimisierung der Leistungsempfänger (Wird diesen eine Mitschuld an ihrer Situation gegeben?).
Mit Ausnahme des Bereichs »Familie«89 stehen für alle Sicherungssysteme Indikatoren für mindestens vier dieser Eigenschaftsdimensionen zur Verfügung. Dazu 88
89
Allgemein betrachtet nehmen Leistungsempfängereigenschaften bei der Erklärung der Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme einen Sonderstatus als intervenierende (oder endogene) Variablen ein. Sie sind nicht nur wichtige Erklärungsfaktoren der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz, sondern selbst ein erklärungsbedürftiges Phänomen. Hier wird jedoch davon ausgegangen, dass die Wahrnehmung der Leistungsempfänger einen von den anderen Erklärungsfaktoren unabhängigen Einfluss auf die Akzeptanzurteile ausübt. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Familien (und Alleinerziehende) als Leistungsempfängertyp deutlich weniger in Erscheinung treten bzw. weniger typisiert sind als die Leistungsempfänger anderer Sicherungsbereiche. Wesentlich ist hierin auch eine Folge des geringeren Institutionalisierungsgrads familienpolitischer Leistungen zu sehen.
90
4 Zur Operationalisierung und Erklärung von Akzeptanz
wurden den Befragten Aussagen über die Leistungsempfänger vorlegt, zu denen sie auf einer endpunktbeschrifteten 6er-Skala (von »stimme überhaupt nicht zu« bis »stimme voll und ganz zu«) Stellung nehmen konnten (zu den Itemformulierungen s. Anhang A2.2). Variablen, die »proxy« für unterschiedliche Erklärungsfaktoren sind Neben den bisher genannten Faktoren werden zur Erklärung der Akzeptanzurteile gegenüber dem Wohlfahrtsstaat drei soziodemografische Merkmale herangezogen, die als »proxy« für unterschiedliche Einflussgrößen angesehen werden und daher in Abhängigkeit von der jeweiligen Fragestellung unterschiedlich interpretiert werden. Das erste dieser Merkmale ist die formale Bildung. Die Höhe der formalen Bildung kann zum einen als Indikator für kulturelle Eigenschaften wie Toleranz, Empathiefähigkeit, Permissivität und soziales Bewusstsein angesehen werden (vgl. u.a. Bobo/Licari 1989; Coenders/Scheepers 2003). Die allgemeine Vermutung ist hier, dass diese Eigenschaften positiv mit dem Bildungsniveau korreliert sind und dass sie mit einer höheren Solidaritätsbereitschaft verbunden sind, die nicht durch das Eigeninteresse motiviert ist. Eine hohe Bildung sollte daher zu einer höheren Akzeptanz von Sicherungssystemen und Leistungsempfängergruppen führen, bei denen kein direktes Eigeninteresses (an den Empfang von Leistungen) besteht (z.B. bei Beamten und der Sozialhilfe). Andererseits ist Bildung aber in erster Linie eine Variable des Humankapitals. Höhere Bildung sollte daher zum einen mit besseren Kenntnissen über sozialpolitische Zusammenhänge und zum anderen mit einem höheren Selbsthilfepotenzial verbunden sein. Im ersten Fall würde dies bedeuten, dass mit höherer formaler Bildung bessere »Einsichten« über sozialpolitische Realitäten und Machbarkeiten einhergehen; der zweite bedeutet, dass mit dem Bildungsgrad auch die »Marktfähigkeit« steigt und dass daher Angehörige der Bildungsunterschichten ein stärkeres Interesse am Festhalten an wohlfahrtsstaatlichen Absicherungsformen haben müssten. Unabhängig von anderen Schichtungsfaktoren wie dem Einkommen sollten beide Bildungskorrelate – bessere Kenntnisse sozialpolitischer Zusammenhänge und das größere Selbsthilfepotenzial – dazu führen, dass bei höherem Bildungsniveau ein hohes staatliches Engagement kritischer beurteilt wird und dass parallel dazu eine höhere Aufgeschlossenheit gegenüber »marktlichen« Elementen besteht als bei einem geringen formalen Bildungsgrad. Zur Bestimmung des Bildungsgrads wurde eine aktualisierte Version der CASMIN-Klassifikation90 verwendet (vgl. Brauns/Steinmann 1999). Insgesamt werden 90
Die CASMIN-Bildungsklassifikation wurde zur internationalen Vergleichbarkeit von Bildungsabschlüssen entwickelt (vgl. König et al 1987). Mittlerweile liegt eine aktualisierte Fassung der CASMIN-Klassifikation vor, in der neuere Veränderungen in den Bildungssystemen berücksichtigt werden (vgl. Brauns et al. 2003).
4.3 Erklärungsfaktoren für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme
91
dabei neun Bildungsgradkategorien unterschieden, die hier zu analytischen Zwecken zu drei Kategorien zusammengefasst wurden. Diese entsprechen der übergeordneten Gliederungsebene der CASMIN-Klassifikation und werden als hohe, mittlere und niedrige Bildung bezeichnet (vgl. Anhang A2.2). Die zweite Variable, für die die Eingangsbemerkungen zutreffen, ist der »Landesteil« mit den beiden Ausprägungen Ost- und Westdeutschland. Zunächst gilt hier wie bei der Bildungsvariable, dass Unterschiede zwischen ost- und westdeutschen Befragten auch auf die unterschiedliche sozialstrukturelle Zusammensetzung der beiden Landesteile zurückzuführen sind. Sofern diese sozialstrukturellen Unterschiede durch den Einbezug von Interessenindikatoren, wie vor allem dem Versorgungsklassenstatus, kontrolliert werden können, lassen sich verbleibende Unterschiede zwischen ost- und westdeutschen Befragten am besten als kulturelle Unterschiede erklären. So wurde bereits auf die unterschiedlichen sozialpolitischen Traditionen in den beiden Landesteilen hingewiesen (Roller 1997). Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen sind demnach insbesondere bei der Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit (gewünschter Umfang der wohlfahrtsstaatlichen Absicherung) anzunehmen. Vor allem etatistische Neigungen, die im Staat den Hauptadressaten einer Risikoabsicherung sehen, sollten sich eher bei ostdeutschen Befragten finden lassen. Ähnliches lässt sich für die »erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit« vermuten, nämlich dass Ostdeutsche im stärkeren Maße als Westdeutsche eine Ausweitung des Wohlfahrtsstaates auf Bereiche präferieren, die nicht zum Kernbestand des (westdeutschen) Sozialversicherungsstaates gehören.91 Die dritte Variable, die als proxy für unterschiedliche Einflussfaktoren gelten kann, ist das Geschlecht der Befragten. Vor allem aufgrund der geringen Eingebundenheit in den Arbeitsmarkt und durch die stärkere Belastung mit den Aufgaben der Kindererziehung unterscheiden sich die sozialpolitischen Interessenlagen von Männern und Frauen oft deutlich. Dabei sollten sich die geringere Arbeitmarktnähe und eine schwächere »Erwerbsbiografieorientierung« von Frauen insbesondere bei der Beurteilung erwerbsarbeitsabhängiger Leistungen auswirken. Komplementär können für Frauen auch eine »Familienorientierung« angenommen werden und entsprechende Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei der Beurteilung familienpolitischer Leistungen. Männer und Frauen unterscheiden sich aber nicht nur in ihren allgemeinen sozialpolitischen Interessenlagen. Durch geschlechtsspezifische Sozialisationserfahrungen und Rollenerwartungen können sich auch geschlechtstypische Wertmuster entwickeln. Nach verbreiteten Vorstellungen sind Frauen z.B. eher an Werten wie »Fürsorge« und »Toleranz« orientiert, Männer demgegenüber an Werten wie »Ge91
Der »Landesteil« wurde durch das Bundesland erfasst (Ost- und Westberlin getrennt), in dem das Interview durchgeführt wurde.
92
4 Zur Operationalisierung und Erklärung von Akzeptanz
rechtigkeit« und »Leistung«.92 Solche geschlechtstypischen Unterschiede bei grundlegenden Wertorientierungen sind umstritten und oft nur schwer nachzuweisen. Ohne hieraus spezifische Hypothesen ableiten zu wollen, sollte aber die Möglichkeit, dass sich geschlechtstypische Wertmuster auf die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Sicherungssysteme auswirken, in Betracht gezogen und entsprechend »kontrolliert« werden. Mit der differenzierten Erfassung der verschiedenen sozialpolitischen Interessenparameter, allgemeiner Handlungsorientierungen sowie der wahrgenommenen (bzw. zugeschriebenen) Eigenschaften der Leistungsempfänger sollten hinreichend viele potenzielle Erklärungsfaktoren für eine tragfähige Erklärung der Akzeptanzurteile gegenüber den wohlfahrtsstaatlichen Institutionen zur Verfügung stehen. Bei der Behandlung spezifischer Fragen werden zudem selektiv weitere Erklärungsfaktoren ergänzt (für eine vollständige Übersicht der verwendeten Erklärungsfaktoren s. A2.2 und A2.3) Alle hier beschriebenen Erklärungsfaktoren, und dies gilt ausdrücklich auch für die wahrgenommenen Leistungsempfängereigenschaften, werden dabei in den späteren Analysen zur Erklärung von Akzeptanzurteilen (Kapitel 6) gleichberechtigt als unabhängige Variablen verwendet. Die in Abbildung 4.4 dargestellte Gesamtstruktur ist dabei weniger im Sinne eines expliziten Erklärungsmodells, sondern als übergreifendes Orientierungsschema zu verstehen.
Abbildung 4.4:
Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen: allgemeines Orientierungsschema
sozialpolitische Interessenlage (allgemeine soziale Lage; Versorgungsklassenstatus; subjektive Interessendefinitionen)
allgemeine Handlungs- und Wertorientierungen
Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates (1) Akzeptanz des wohlfahrtsstaatlichen Status quo (2) Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit
Wahrnehmung der Leistungsempfänger
92
Ein bekanntes Beispiel ist hier die Kritik Gilligans (1982) an Kohlbergs Theorie der Moralentwicklung.
5 Höhe und Verteilung der Akzeptanz in der Bundesrepublik Deutschland
Das Ziel der folgenden Abschnitte besteht darin, ein möglichst genaues und umfassendes Bild über die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates in Deutschland zu gewinnen. Zu diesem Zweck werden beide Akzeptanzdimensionen (vgl. Kap. 4.2), die Akzeptanz des bestehenden wohlfahrtsstaatlichen Arrangements (oder auch des »wohlfahrtsstaatlichen Status quo«) und die Präferenzen bezüglich der Wohlfahrtsstaatlichkeit – analysiert. Beide Akzeptanzdimensionen werden für die fünf unterschiedlichen Sicherungssysteme bzw. -bereiche (vgl. 4.1) untersucht. Darüber hinaus werden allgemeinere Akzeptanzurteile und Präferenzen bezüglich der Wohlfahrtsstaatlichkeit, die nicht einzelnen Aufgabenbereichen zugerechnet werden können, analysiert. In Abschnitt 5.1 wird zunächst die Beurteilung der bestehenden wohlfahrtsstaatlichen Institutionen betrachtet. Der zweite Abschnitt (5.2) befasst sich dann mit der Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit, wiederum unterteilt nach den unterschiedlichen Sicherungsbereichen. Allgemeinere, über den bereits institutionalisierten Kernbestand hinausgehende Präferenzen hinsichtlich der Wohlfahrtsstaatlichkeit werden zusammenfassend in Abschnitt 5.3 erläutert. Mit diesen auf drei Ebenen angelegten Akzeptanzanalysen sollte es gelingen, ein differenziertes Bild der Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates in Deutschland zu gewinnen. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschen. Es wird untersucht, inwiefern bei der Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates Trennungslinien zwischen den beiden Landesteilen bestehen und ob man (immer noch?) von zwei unterschiedlichen Wohlfahrtskulturen in Deutschland auszugehen hat. Andere Unterschiede oder gar Gegensätze zwischen Bevölkerungsteilen und sozialen Kategorien werden – wie beim Erwerbsstatus, der Schichtzugehörigkeit und dem Alter – in gesonderten Abschnitten (in Kapitel 6) behandelt. 5.1 Akzeptanz des »Status quo« Wie in Kapitel 4.2 dargelegt wurde, kann bei der Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates zwischen zwei grundlegenden Dimensionen unterschieden werden: der Akzeptanz der bestehenden wohlfahrtsstaatlichen Institutionen und der gewünschten Wohlfahrtsstaatlichkeit. Im Folgenden soll zunächst die Akzeptanz der bestehenden wohl-
94
5 Höhe und Verteilung der Akzeptanz in der Bundesrepublik Deutschland
fahrtsstaatlichen Institutionen untersucht werden. Dies geschieht für die Bereiche Alterssicherung (bzw. Gesetzliche Rentenversicherung), Gesundheit (Gesetzliche Krankenversicherung), Arbeitslosigkeit (Arbeitslosenversicherung), Armut (Sozialhilfe) und Familie (u.a. Kindergeld und Erziehungsgeld). Die Akzeptanzanalyse stützt sich in erster Linie auf die Verteilung der Häufigkeiten bei der Beurteilung der Sicherungssysteme, wobei in den Grafiken die Häufigkeiten für Ost- und Westdeutsche jeweils getrennt dargestellt werden. Für den Vergleich zwischen den einzelnen Sicherungssystemen werden die »positiven« Akzeptanzwerte herangezogen. Ergänzend wird bei der Interpretation der Ergebnisse auch auf Mittelwerte und Mittelwertdifferenzen zwischen Ost- und Westdeutschen zurückgegriffen. Zur Beurteilung der Akzeptanz des Status quo der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung stehen zwei Arten von Indikatoren zur Verfügung. Wie in Kapitel 4.2 erläutert wurde, handelt es sich dabei um Fragen nach dem gesellschaftlichen Wert der einzelnen Sicherungssysteme (Institutionenakzeptanz) und zum allgemeinen Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme. Institutionenakzeptanz Zunächst zur Institutionenakzeptanz der sozialen Sicherungssysteme. Betrachtet man die Beurteilung des gesellschaftlichen Wertes der Gesetzlichen Krankenversicherung, fällt bei der Verteilung der Häufigkeiten (vgl. Abb. 5.1a) zunächst auf, dass die Institutionenakzeptanz – zumindest in ihrer groben Struktur – annähernd »normalverteilt« ist. Dies bedeutet, dass die Gesetzliche Krankenversicherung bei diesem, die allgemeine Akzeptanz eines Sicherungssystems am besten erfassenden Indikator eher »durchschnittlich« beurteilt wird: Positive und negative Beurteilungen halten sich in etwa die Waage, wenn auch bei einem leichten Übergewicht der positiven Einschätzungen. 48,3 Prozent der Befragten beurteilen den gesellschaftlichen Wert der GKV als gut, aber immerhin 35,2 Prozent sind der gegenteiligen Ansicht; und nur 9,2 Prozent der Befragten beurteilen die Gesetzliche Krankenversicherung als »sehr gut« (Werte 9 bis 10 auf Skala von 0 bis 10). Der Mittelwert93 beträgt 5,35 für Gesamtdeutschland und liegt damit nur wenig über dem theoretischen Mittelwert (5,00). Die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen sind dabei sehr gering. Die Mittelwertdifferenz beträgt nur 0,11 Skalenpunkte, wobei die Ostdeutschen die Gesetzliche Krankenversicherung insgesamt weniger günstig beurteilen als die Westdeutschen. Schon dieses erste Ergebnis zeigt, dass die Akzeptanz der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht sehr hoch ist. Denn auch wenn es keine objektiven »Akzeptanz(wert)grenzen« gibt, so lässt sich eine im Durchschnitt nur knapp positive Beurteilung des gesellschaftlichen Wertes der Gesetzlichen Krankenversicherung kaum 93
Sofern nicht anders angegeben, ist hiermit immer das arithmetische Mittel gemeint.
95
5.1 Akzeptanz des »Status quo«
als »überragende« Akzeptanz interpretieren. (So sind immerhin 4,5 Prozent der Bevölkerung sogar der Meinung, dass die Gesetzliche Krankenversicherung für die Gesellschaft »sehr schlecht« ist.) Dieses Ergebnis steht damit in einem deutlichen Kontrast zu den Ergebnissen früherer Untersuchungen, die für soziale Krankenversicherungen und nationale Gesundheitsdienste überwiegend eine hohe bis sehr hohe Akzeptanz feststellen (vgl. Kap. 3). Abbildung 5.1a:
Gesetzliche Krankenversicherung: Institutionenakzeptanz (Angaben in Prozent) 19,8
20
18
15,8
15,7 16
13,4
14
12,8
12
12,4
12,1
11,9 11,6
11,2
10,5 10
9,3
8
Westdeutsche Ostdeutsche
7,0 6,4
5,7
6
4,8
4,5
4,1 4
1,3
2
0
3,9 3,2
2,7
Sehr schlecht
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Sehr gut
N=1519
Auch bei der Institutionenakzeptanz der Gesetzlichen Rentenversicherung fällt zunächst auf, dass die Häufigkeiten relativ gleichmäßig verteilt sind (vgl. Abb. 5.1b). Es besteht somit unter den Befragten alles andere als ein Konsens über den gesellschaftlichen Wert der Rentenversicherung. Die Beurteilung des gesellschaftlichen Wertes fällt hier insgesamt sogar noch etwas schlechter aus als bei der Gesetzlichen Krankenversicherung, sodass der Gesamtmittelwert (4,64) sogar unter dem theoretischen Mittelwert liegt. Insgesamt gibt sich nur wenig mehr als ein Drittel der Befragten (37,2 %) vom gesellschaftlichen Wert der Gesetzlichen Rentenversicherung überzeugt, während immerhin 47 Prozent meinen, dass die Gesetzliche Rentenversicherung eher »schlecht« für die Gesellschaft sei.94 Im Unterschied zur Beurteilung der Gesetzlichen Krankenversicherung veranschlagen die westdeutschen Befragten dabei den gesellschaftlichen Wert der Rentenversicherung noch etwas geringer als die ostdeut94
Wie anhand der weiteren Akzeptanzindikatoren noch deutlich wird, ist diese kritische Sicht der Rentenversicherung als Institution vermutlich auf die Wahrnehmung eines Leistungsdefizits zurückzuführen, nicht aber auf Zweifel an der Notwendigkeit einer »staatlichen« Rentenversicherung.
96
5 Höhe und Verteilung der Akzeptanz in der Bundesrepublik Deutschland
schen, wobei der Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschen wiederum unbedeutend ist (Mittelwertdifferenz: 0,19). Abbildung 5.1b:
Gesetzliche Rentenversicherung: Institutionenakzeptanz (Angaben in Prozent)
20
18,2 18
16
15,1
14
13,0
12,7 11,4 11,4
12
13,0 11,3
11,0 10,5
9,8
10,1
9,4
10
Westdeutsche Ostdeutsche
8,1 7,2
8
5,8
5,8
6
3,6 3,5 3,2
4
3,2 2,6
2
0
Sehr schlecht
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Sehr gut
N=1483
Ein ähnliches Bild ergibt sich für die Institutionenakzeptanz der Arbeitslosenversicherung (Abb. 5.1c). Wiederum liegt der Gesamtmittelwert (4,85) unter dem theoretischen. Auch hier sind also mehr Befragte von einer »schlechten« Wirkung der Arbeitslosenversicherung überzeugt (41,3 %) als von einer positiven (40,9 %), auch wenn der Unterschied hier sehr gering ist. Auffällig ist zudem der relativ große Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschen. Die ostdeutschen Befragten schätzen dabei den gesellschaftlichen Wert der Arbeitslosenversicherung deutlich niedriger ein. Nur knapp ein Drittel der ostdeutschen Befragten (33,1 %) ist von einer positiven Wirkung überzeugt (bei den Westdeutschen sind es immerhin noch 42,9 Prozent). Für die Sozialhilfe (Abb. 5.1d) ergibt sich eine ähnliche Verteilung wie bei der Arbeitslosenversicherung. Während 40,7 Prozent der Befragten ihr einen positiven Wert zubilligen, sind immerhin 41,3 Prozent vom Gegenteil überzeugt. Bei der Einschätzung der Sozialhilfe ist zudem eine noch größere Differenz zwischen ostdeutschen und westdeutschen Befragten festzustellen. Bei einem insgesamt etwas höheren Mittelwert (4,91) beträgt die Mittelwertdifferenz zwischen Ostdeutschen (4,26) und Westdeutschen (5,08) immerhin 0,82 Skalenpunkte. Der Sozialhilfe wird also etwas eher eine positive Funktion zuerkannt als der Renten- und der Arbeitslosenversicherung. Wie die Ergebnisse zu den anderen Akzeptanzindikatoren zeigen (s.u.),
97
5.1 Akzeptanz des »Status quo«
wäre es jedoch voreilig, hieraus auf eine größere Akzeptanz der Sozialhilfe zu schließen. Offensichtlich scheint aber, dass insbesondere die Unzufriedenheit mit der Rentenversicherung größer ist. Abbildung 5.1c:
Arbeitslosenversicherung: Institutionenakzeptanz (Angaben in Prozent)
20
18,4 18
15,9 15,5
16
14,9
14
13,1 12,1
12
11,3
10,7
10,3
10
9,2
8
Westdeutsche Ostdeutsche
8,6
8,5
8,2 7,2
7,2 6,5
6,2
6
4,2 3,3 3,1
4
3,4 2,1
2
0
Sehr schlecht
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Sehr gut
N=1421
Abbildung 5.1d:
Sozialhilfe: Institutionenakzeptanz (Angaben in Prozent)
20
19,1
18
16
13,4
14
11,7
11,3
11,7
12
11,3
11,5 11,3 10,9
10,6
10,0
9,8
10
8,5
Westdeutsche Ostdeutsche
8,5
8,3
8
6
5,0
5,3
5,0
5,1 3,9
4,2 3,5
4
2
0
Sehr schlecht
N=1373
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Sehr gut
98
5 Höhe und Verteilung der Akzeptanz in der Bundesrepublik Deutschland
Die Leistungen für Familien sind neben der Gesetzlichen Krankenversicherung der einzige Bereich, bei dem die positiven Einschätzungen die negativen überwiegen (Mittelwert: 5,68); und nur hier gibt es sogar eine »absolute Mehrheit« der Befragten (53,5 %), die von einem positiven gesellschaftlichen Wert ausgeht (vgl. Abb. 5.1e). Die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen sind wiederum recht deutlich, wenn auch geringer als bei der Institutionenakzeptanz der Sozialhilfe oder der Arbeitslosenversicherung. Sie zeigen, dass mit Ausnahme der Gesetzlichen Rentenversicherung durchgehende Muster einer kritischeren Einschätzung durch ostdeutsche (Mittelwert 5,46) als durch westdeutsche Befragte (5,73) zu erkennen sind. Abbildung 5.1e:
Leistungen für Familien: Institutionenakzeptanz (Angaben in Prozent)
18
16,3 16
15,3 14,2
14,2
14,0
14
12,5 12
11,4 10,4
10
8,8
9,7
9,7
9,2 Westdeutsche Ostdeutsche
8,1 7,6
8
6,9
6
5,2
5,6
5,4
5,6
4,8 4
2,9 2,1 2
0
Sehr schlecht
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Sehr gut
N=1444
Das Auffälligste an den Ergebnissen zur Institutionenakzeptanz ist zweifellos die äußerst geringe Einschätzung des gesellschaftlichen Wertes für alle hier erfragten Sicherungssysteme. Bei drei der fünf Akzeptanzobjekte (Gesetzliche Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe) ist die Institutionenakzeptanz sogar negativ, d.h. eine relative Mehrheit der Befragten ist hier jeweils der Ansicht, dass diese Sicherungssysteme für die Gesellschaft »schlecht« sind. Dieses Ergebnis ist zumindest überraschend (und wenn man so will: auch »schockierend«). Gewiss spricht einiges dafür, die negativen Urteile nicht wörtlich zu nehmen und »schlecht für die Gesellschaft« im Sinne von »geringer Wert für die Gesellschaft« zu interpretieren. Aber nicht einmal dann kann angesichts des Umstandes, dass mit Ausnahme der Leistungen für Familien weniger als die Hälfte der
99
5.1 Akzeptanz des »Status quo«
Befragten vom Wert der Sicherungssysteme überzeugt ist, nicht von einer hohen Akzeptanz der wohlfahrtsstaatlichen Institutionen gesprochen werden. Abbildung 5.1f:
Positive Beurteilungen des »gesellschaftlichen Wertes« im Vergleich (Angaben in Prozent)
Gesetzliche Krankenversicherung
48,3
37,2
Gesetziche Rentenversicherung
40,9
Arbeitslosenversicherung
40,7
Sozialhilfe
53,5
Leistungen für Familien
20
25
30
35
40
45
50
55
60
Auch die Unterschiede zwischen den Sicherungssystemen (Abb. 5.1f) entsprechen nicht den Erwartungen auf der Basis früherer Forschungsergebnisse. Überraschend ist dabei vor allem die sehr geringe Institutionenakzeptanz der Gesetzlichen Rentenversicherung, wo Alterssicherungssysteme sonst doch als besonders beliebt gelten (vgl. Ullrich 2000a).95 Auf der anderen Seite sind die Akzeptanzwerte für die Sozialhilfe – sonst erfahren vergleichbare Sicherungssysteme die geringste Unterstützung (und dies meist mit deutlichem Abstand) – im Vergleich zu den anderen Sicherungssystemen eher hoch. In beiden Fällen könnte eine mögliche Erklärung lauten, dass hier – ganz im Sinne der Intentionen bei der Entwicklung der Akzeptanzindikatoren (vgl. 4.2) – tatsächlich die konkreten wohlfahrtsstaatlichen Institutionen beurteilt werden und nicht Wunschvorstellungen vom Wohlfahrtsstaat; und deren Beurteilung fällt womöglich umso schlechter aus, je weiter Wunsch und Wirklichkeit auseinander klaffen.
95
Als Hinweis auf eine skeptische Wahrnehmung der Gesetzlichen Rentenversicherung kann aber die gerade im internationalen Vergleich geringe Zustimmung für höhere Ausgaben bei der Alterssicherung angesehen werden, die in den ISSP-Modulen »Role of Government I und II« (1990 und 1996) festzustellen ist.
100
5 Höhe und Verteilung der Akzeptanz in der Bundesrepublik Deutschland
Mit Ausnahme der Gesetzlichen Rentenversicherung, die ohnehin die schlechtesten »Noten« bekommt, urteilen Ostdeutsche über die zentralen Wohlfahrtsinstitutionen stets kritischer als die Westdeutschen. Über die Gründe hierfür kann an dieser Stelle nur spekuliert werden. Denkbar sind u.a. enttäuschte Erwartungen, kulturelle Traditionen und eine größere Abhängigkeit von Sozialleistungen. Zu beachten ist jedenfalls auch bei den Unterschieden zwischen ost- und westdeutschen Befragten, dass es bei der Institutionenakzeptanz um die Beurteilung des wohlfahrtsstaatlichen Status quo geht und nicht um allgemeine Präferenzen hinsichtlich der sozialen Sicherung. Systemvertrauen Wie unterscheiden sich diese Ergebnisse nun von denen zum Vertrauen in soziale Sicherungssysteme, das für die vier hoch institutionalisierten Sicherungssysteme (Gesetzliche Krankenversicherung, Gesetzliche Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe) erfragt wurde? Zunächst zum Vertrauen in die Gesetzliche Krankenversicherung. Beim Blick auf die Häufigkeitsverteilung (Abb. 5.2a) fällt hier auf, dass das Misstrauen das Vertrauen offenbar überwiegt. Nur 42,6 Prozent der Befragten sind von der Zuverlässigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung überzeugt; entsprechend (da es keine Mittelkategorie gibt) haben 57,4 Prozent kein Vertrauen in die Gesetzliche Krankenversicherung. Noch deutlicher wird dieses »Misstrauensvotum«, wenn man die Extremwerte betrachtet: So beantworten die Frage, ob man sich in Zukunft auf die Gesetzliche Krankenversicherung verlassen könne, nur 6,7 Prozent der Befragten mit »Ja, auf jeden Fall« und immerhin mehr als doppelt so viele (15,8 %) mit »Nein, auf keinen Fall«. Damit sind die Vertrauenswerte hier noch niedriger als bei der Beurteilung der Institutionenakzeptanz. Waren dort immerhin noch mehr von einem solchem Wert der Gesetzlichen Krankenversicherung überzeugt als vom Gegenteil, überwiegen bei der »Vertrauensfrage« ganz eindeutig die skeptischen Einschätzungen. Die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen sind hier dagegen praktisch bedeutungslos. Angesichts der kritischen Beurteilung des gesellschaftlichen Wertes der Rentenversicherung kann es nicht mehr sehr überraschen, dass auch das Vertrauen in die Gesetzliche Rentenversicherung überaus gering ist. Insgesamt bejaht nur ein knappes Viertel der Befragten die Frage, ob man sich auf die Gesetzliche Rentenversicherung verlassen könne (und nur 4,6 Prozent zeigen sich davon sehr überzeugt). Damit ist das Vertrauen in die Rentenversicherung noch deutlich geringer als das in die Gesetzliche Krankenversicherung. Das Vertrauen (bzw. Misstrauen) ist dabei in Ostund Westdeutschland ungefähr gleich groß.
101
5.1 Akzeptanz des »Status quo«
Abbildung 5.2a:
Systemvertrauen (Angaben in Prozent)
Gesetzliche Krankenversicherung
Gesetzliche Rentenversicherung
55
46,9
50
50
41,8 40,9
45
45
36,6 40
40
33,1 35
35
30
30
25 20
29,5 26,6 19,4
25
15,2 17,9
17,9 20
15
15
6,4
10
8,1
4,2
10
5 0
49,7
55
5,8
5
nein, auf keinen Fall
eher nein
eher ja
ja, auf jeden Fall
N = 1498
0
Westdeutsche
nein, auf keinen Fall
eher nein
eher ja
ja, auf jeden Fall
Ostdeutsche
N = 1494
Arbeitslosenversicherung
Sozialhilfe
52,2 55
55
47,4
50
50
42,5 43,1
45
45
40
40
31,4
35
23,7
30
30
21,6
21,6
25 20
35,9
35
27,1
25
17,2
20
15
15,8
15
4,0
10
4,7
5,7
10
5
6,0
5
0
nein, auf keinen Fall N = 1439
eher nein
eher ja
ja, auf jeden Fall Westdeutsche
0
nein, auf keinen Fall Ostdeutsche
eher nein
eher ja
ja, auf jeden Fall N = 1423
Die Vertrauenswerte für die Arbeitslosenversicherung liegen zwischen denen der Gesetzlichen Rentenversicherung und denen der Gesetzlichen Krankenversicherung. Ungefähr ein Drittel der Befragten meint, dass man sich in Zukunft auf die Arbeitslosenversicherung verlassen könne, zwei Drittel dagegen misstrauen auch der Arbeitslosenversicherung. Anders als bei der Renten- und der Krankenversicherung gibt es beim Vertrauen in die Arbeitslosenversicherung jedoch deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen. Während immerhin 35,4 Prozent der Westdeutschen der Arbeitslosenversicherung vertrauen, ist es in den östlichen Bundesländern nur ein gutes Viertel der Befragten (26,2 %). Für die Sozialhilfe ist ähnliches festzustellen. Das Vertrauen in die Sozialhilfe (39,8 %) ist dabei geringfügig größer als das in die Arbeitslosenversicherung – und erreicht damit den »höchsten« Wert nach der Gesetzlichen Krankenversicherung. Die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen sind hier insgesamt am stärksten ausgeprägt (vgl. Abb. 5.2a). So »vertrauen« der Sozialhilfe immerhin noch 41,6 Prozent der Westdeutschen, aber nur ein Drittel der Ostdeutschen (33,1 %).
102
5 Höhe und Verteilung der Akzeptanz in der Bundesrepublik Deutschland
Abbildung 5.2b:
Positive Vertrauenswerte im Vergleich (Angaben in Prozent)
Gesetzliche Krankenversicherung
42,6
Gesetzliche Rentenversicherung
23,6
33,5
Arbeitslosenversicherung
39,8
Sozialhilfe
0
10
20
30
40
50
60
Auffälligstes Ergebnis ist hier gewiss das äußerst geringe Vertrauen, das allen Sicherungssystemen entgegengebracht wird. Bei allen Sicherungssystemen, für die das Vertrauen gemessen wurde, überwiegt das Misstrauen. Selbst im »besten« Fall, der Gesetzlichen Krankenversicherung, sind weit über die Hälfte der Befragten nicht davon überzeugt, dass man sich in Zukunft auf sie verlassen könne (Abb. 5.2b). Welche Relativierungen man dabei auch immer für dieses »Misstrauensvotum« konzedieren mag: Über den Gesamteindruck, dass das Vertrauen in die zentralen wohlfahrtsstaatlichen Institutionen in Deutschland als zutiefst erschüttert erscheint, kann dies nicht hinwegtäuschen. Zwischenresümee: Die Akzeptanz der bestehenden wohlfahrtsstaatlichen Institutionen Auch wenn die beiden bisher untersuchten Akzeptanzindikatoren schon aufgrund der unterschiedlichen Skalierungen nur begrenzt vergleichbar sind, so fällt doch auf, dass die Vertrauenswerte offenbar noch geringer sind (in allen Fällen überwiegt das Misstrauen) als die bei der Institutionenakzeptanz (Beurteilung des gesellschaftlichen Wertes).96 Wichtiger als dieser eher graduelle Unterschied ist aber, dass beiden Akzeptanzindikatoren zufolge die Akzeptanz der bestehenden wohlfahrtsstaatlichen Arrangements auch bei einer zurückhaltenden Interpretation als zumindest mäßig zu bezeichnen ist. Beim Vergleich der beiden Akzeptanzindikatoren des wohlfahrtsstaatlichen Status quo wird zudem deutlich, dass das »Ranking« der Sicherungssysteme in beiden Fällen gleich ist. So sind die Akzeptanzwerte der Gesetzlichen Krankenversicherung in 96
Dieses geringe Systemvertrauen mag zudem auch ein Grund für die geringe Institutionenakzeptanz der Sicherungssysteme sein.
5.1 Akzeptanz des »Status quo«
103
beiden Fällen die höchsten, gefolgt von denen der Sozialhilfe, der Arbeitslosenversicherung und der Gesetzlichen Rentenversicherung. Dies spricht für die Stabilität der Messung und für die Annahme (vgl. 4.2), dass beide Akzeptanzindikatoren mit leicht unterschiedlichen Akzentuierungen die Akzeptanz des Status quo der wohlfahrtsstaatlichen Absicherung erfassen. Auffällig ist dabei vor allem der erhebliche Unterschied zwischen den beiden großen Sozialversicherungen. Wird die Gesetzliche Krankenversicherung noch einigermaßen gut (d.h. hier also »durchschnittlich«) beurteilt, muss die Gesetzliche Rentenversicherung nicht nur als das Sicherungssystem mit der relativ geringsten, sondern auch als das mit einer besonders geringen Akzeptanz gelten.97 Dagegen sind die Werte der Sozialhilfe vergleichsweise hoch: Sowohl beim Vertrauen als auch beim gesellschaftlichen Wert genießt sie eine höhere Akzeptanz als die Arbeitslosenversicherung und die Rentenversicherung. Mögliche Erklärungen hierfür könnten insgesamt geringere Erwartungen (vgl. 5.2) und eine geringere potenzielle Angewiesenheit auf Sozialhilfe sein (vgl. hierzu 6.2). Auffällig sind schließlich auch die Parallelitäten bei den Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschen. So besteht sowohl beim Institutionenvertrauen als auch bei der Einschätzung des gesellschaftlichen Wertes weitgehende Übereinstimmung bei der Kranken- und bei der Rentenversicherung. Da die Unterschiede zwischen Ostund Westdeutschen hier eher gering sind, könnte man von einem »gesamtdeutschen Konsens« bei der noch »respektablen« Beurteilung der Gesetzlichen Krankenversicherung wie bei der äußerst skeptischen Wahrnehmung der Rentenversicherung sprechen. Demgegenüber unterscheiden sich ost- und westdeutsche Befragte erheblich bei der Beurteilung von Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe, die von den Ostdeutschen sowohl beim Vertrauensindikator als auch bei der Institutionenakzeptanz deutlich schlechter beurteilt werden als von den Westdeutschen.98 5.2 Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit Auch zur Erfassung der Präferenzen hinsichtlich der Wohlfahrtsstaatlichkeit stehen je zwei bereichsspezifische Indikatoren zur Verfügung. Wie in Abschnitt 4.2 ausgeführt wurde, handelt es sich dabei zum einen um die »gewünschte staatliche Zuständigkeit« für sozialpolitische Aufgaben (oder »wohlfahrtsstaatliche Extensität«), zum anderen um den aus der Differenz von gewünschter und wahrgenommener Leis97
98
So sehr dieses »schlechte« Ergebnis für die Rentenversicherung auch überraschen mag, so bestätigen vor allem die geringen Vertrauenswerte doch frühere Forschungsergebnisse (vgl. Dallinger 2003: 6; Krüger 2001: 161). Diese Konstanz bei den Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschen bestätigt erneut, dass mit den beiden Akzeptanzindikatoren des Status quo tatsächlich das gleiche Akzeptanzobjekt gemessen wird.
104
5 Höhe und Verteilung der Akzeptanz in der Bundesrepublik Deutschland
tungshöhe gebildeten Indikator »Beurteilung der Leistungshöhe« (oder »wohlfahrtsstaatliche Intensität«).
Gewünschte staatliche Zuständigkeit (wohlfahrtsstaatliche Extensität) Der Akzeptanzindikator »gewünschte staatliche Zuständigkeit« für sozialpolitische Aufgaben, bei der die Befragten gebeten werden, die ihrer Meinung nach richtige Aufgabenteilung zwischen einer staatlichen und einer nicht-staatlichen Zuständigkeit anzugeben, weist keinen unmittelbaren Bezug zu konkreten Sicherungssystemen auf. Wie in Abschnitt 4.2 erläutert wurde, ist die »gewünschte staatliche Zuständigkeit« daher vor allem ein Indikator für die Wichtigkeit, die die einzelnen Sicherungsaufgaben für die Befragten haben. Bei der Frage, wie die Verantwortung zwischen Staat (inkl. Sozialversicherungen) und »privaten Kräften« bei der Finanzierung der Gesundheitsversorgung verteilt sein soll, wird deutlich, dass eine überwiegend staatliche Zuständigkeit von den meisten Befragten präferiert wird (vgl. Abb. 5.3a). Zwei Drittel der Westdeutschen und sogar drei von vier Ostdeutschen wünschen sich, dass sich der Staat zu mindestens 60 Prozent um die Finanzierung der Gesundheitsversorgung kümmern soll. Und immerhin 14,1 Prozent der Westdeutschen und 26,8 Prozent der Ostdeutschen sind sogar der Ansicht, dass die Gesundheitsversorgung ausschließlich in staatlicher Hand liegen sollte. Der Gesamtmittelwert liegt mit 6,82 deutlich über dem theoretischen Mittelwert (5,00). Die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen sind beim Wunsch nach einer staatlichen Zuständigkeit bei der Gesundheitsversorgung recht groß. Ostdeutsche (Mittelwert: 7,58) neigen weit mehr zur Befürwortung einer staatlichen Zuständigkeit als Westdeutsche. Die Mittelwertdifferenz beträgt immerhin 0,97 Skalenpunkte. Bei der Frage der Alterssicherung fällt das Votum für einen hohen Staatsanteil noch deutlicher aus (Abb. 5.3b). 86,6 Prozent der Ost- und 72,8 Prozent der Westdeutschen sprechen sich dafür aus, dass der Staat den überwiegenden Teil der Alterssicherung übernimmt. Und fast jeder dritte Ostdeutsche (30,6 %) und immerhin noch jeder fünfte Westdeutsche (21,5 %) ist der Meinung, dass die Alterssicherung eine rein wohlfahrtsstaatliche Aufgabe ist. Die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen sind hier etwas geringer als bei der Gesundheitsversorgung, weisen aber in die gleiche Richtung eines ausgeprägteren »Etatismus« in Ostdeutschland.
105
5.2 Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit
Abbildung 5.3a:
Gesundheitsversorgung: gewünschte staatliche Zuständigkeit/ Aufgabenteilung (Angaben in Prozent)
30 26,8 25
20
18,3 17,6
16,9 15
14,3
13,7
6,1 5
4,0
3,4 3,8
1,3
0,6
Westdeutsche Ostdeutsche
5,8 3,2
2,3 0,3
14,1
9,9
9,4
10
0
13,7
13,7
0,6
nur private 100% Kräfte private Kräfte
Staat und 50% private Kräfte Staat/ gleich 50% private Kräfte
nur Staat 100% Staat
N=1469
Abbildung 5.3b:
Alterssicherung: gewünschte staatliche Zuständigkeit/ Aufgabenteilung (Angaben in Prozent)
35 30,6 30
25 22,0
21,5
20,6 20
18,2
14,1
15
12,2 11,1
Westdeutsche Ostdeutsche 10,9
10 7,6
3,9 3,5
5 1,5 0
0,6
nur private Kräfte
2,1 2,2
1,3
5,1
4,2
4,8
1,6
0,3 50% Staat und Staat/ private Kräfte 50% gleich private Kräfte
nur Staat
N=1485
Auch für die finanzielle Unterstützung von Arbeitslosen ergibt sich ein ähnliches Bild (vgl. Abb. 5.3c): Fast zwei Drittel aller Befragten befürworten eine überwiegend staatliche Zuständigkeit; und immerhin noch 15,4 Prozent vertreten die Auffassung, dass
106
5 Höhe und Verteilung der Akzeptanz in der Bundesrepublik Deutschland
die finanzielle Unterstützung von Arbeitslosen ausschließlich eine staatliche Aufgabe sei. Die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen sind hier wieder beträchtlich, wenn auch etwas geringer als bei der Alterssicherung und der Gesundheitsversorgung. Die Mittelwertdifferenz beträgt aber immerhin noch 0,76 Skalenpunkte (bei einem Mittelwert für Westdeutsche von 6,39). Insgesamt befürworten 74,4 Prozent der Ostdeutschen (Westdeutsche: 61,8 %) eine überwiegende und 21,1 Prozent (Westdeutsche: 13,9 %) eine ausschließliche staatliche Zuständigkeit bei der finanziellen Unterstützung von Arbeitslosen. Abbildung 5.3c:
Unterstützung Arbeitsloser: gewünschte staatliche Zuständigkeit/Aufgabenteilung (Angaben in Prozent)
25
21,1 20 17,6 16,3 15,0
15,3
14,4
15
13,9
13,4 11,8 10,8 9,9
Westdeutsche Ostdeutsche
10 7,8
7,4 6,6 4,8 5
3,5
3,2 2,0 1,4 1,3
1,9
0,6 0
nur private Kräfte
Staat und 50% private Kräfte Staat/ gleich 50%
nur Staat
private Kräfte
N=1473
Besonders stark ist die Präferenz für eine staatliche Zuständigkeit bei der »finanziellen Absicherung bei Armut« (Abb. 5.3d). So sprechen sich 72,6 Prozent aller Befragten für eine überwiegend staatliche Zuständigkeit aus und jeder fünfte (20,8 %) sogar für eine alleinige Zuständigkeit des Staates. Die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen sind hier – mit Ausnahme der alleinigen staatlichen Zuständigkeit, die immerhin von 27,1 Prozent der Ostdeutschen befürwortet wird – vergleichsweise gering. Die Mittelwertdifferenz liegt bei 0,68 Skalenpunkten (bei einem Mittelwert der westdeutschen Befragten von 6,95) und ist damit niedriger als bei den drei bisher dargestellten Aufgabenbereichen.
107
5.2 Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit
Abbildung 5.3d:
Armut: gewünschte staatliche Zuständigkeit/Aufgabenteilung (Angaben in Prozent)
30 27,1
25
19,1
20 17,9
17,2
15,1
14,6 14,1 13,1
15
Westdeutsche Ostdeutsche
11,1 9,7 10
9,8
8,3 5,5 4,1
5 2,8 0,3 0
3,5 2,5
1,9
1,3 0,5 0,3
Staat 50%und private Kräfte Staat/ gleich 50% private Kräfte
nur private Kräfte
nur Staat
N=1472
Abbildung 5.3e:
Hilfe für Familien: gewünschte staatliche Zuständigkeit/Aufgabenteilung (Angaben in Prozent)
35 30,6 30
25 21,6 20
18,5 18,2 16,6
15
14,0 13,4
12,7
8,9
10
Westdeutsche Ostdeutsche
13,0
9,0 7,6
5
0,3 0
nur private Kräfte
0,0
3,8
2,8
2,1
1,3
1,2
1,0
2,5 1,0 Staat und 50% private Kräfte Staat/ gleich 50% private Kräfte
nur Staat
N=1475
Auch bei der finanziellen Unterstützung von Familien (Abb. 5.3e) fällt die Präferenz für eine staatliche Zuständigkeit besonders deutlich aus. Gut drei Viertel aller Befragten
108
5 Höhe und Verteilung der Akzeptanz in der Bundesrepublik Deutschland
(78,2 %) plädieren für eine überwiegende und ein knappes Viertel (23,5 %) sogar für eine ausschließliche staatliche Zuständigkeit. Der Mittelwert liegt mit 7,41 deutlich über dem theoretischen Mittelwert (5,00), wobei der Unterschied zwischen Ostund Westdeutschen vergleichsweise moderat (0,73 Skalenpunkte), wenn auch insbesondere bei der alleinigen staatlichen Zuständigkeit gut erkennbar ist. Abbildung 5.3f:
Befürwortung einer überwiegend staatlichen Zuständigkeit im Vergleich (zusammengefasste Werte in Prozent)99 78,2
75,8
80
72,6 68,5 64,5
70
60
54,7
52,4
50
51,8 51,7 überwiegend staatlich nur staatlich
49,1
40
30
20
23,4 10
0
16,8
Gesundheit
20,8
23,5
15,4
Alterssicherung
Arbeitslosigkeit
Armut
Familien
Schon dieser kurze Durchgang durch die wichtigsten Befunde macht deutlich, dass sich bei der Frage der staatlichen Zuständigkeit für sozialpolitische Aufgaben ein ganz anderes Bild ergibt als bei den zuvor betrachteten Akzeptanzindikatoren. Zumindest für die Frage der »wohlfahrtsstaatlichen Extensität« gilt insofern, dass die Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit offenbar weit größer ist als die der konkreten wohlfahrtsstaatlichen Institutionen. Bei allen Aufgabenbereichen wird von einer Mehrheit der Befragten eine überwiegend staatliche Zuständigkeit befürwortet. Dass die Werte insgesamt dennoch niedriger sind als in früheren Untersuchungen100, dürfte in erster Linie auf die veränderte Frageformulierung zurückzuführen sein, die stärker auf die
99
100
Als »überwiegend staatliche Zuständigkeit« sind hier alle Aufgabenteilungen zusammengefasst, die eine staatliche Zuständigkeit zwischen 60 und 90 Prozent befürworten (zur Skala vgl. Anhang A2.1). So sprachen sich im ISSP (1996) 80,4 Prozent der westdeutschen Befragten bei Arbeitslosigkeit, 96,6 Prozent bei der Finanzierung der Gesundheitsversorgung und 96,0 Prozent bei der Alterssicherung für eine staatliche Zuständigkeit aus.
5.2 Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit
109
Aufgabenverteilung und entsprechend weniger auf die Frage, ob der Staat überhaupt zuständig sein soll, zielt (vgl. 4.2). Ein Vergleich der Aufgabenbereiche macht deutlich, dass die Unterschiede bei der gewünschten staatlichen Zuständigkeit nicht unerheblich sind (vgl. Abb. 5.3f): Die Gesamtmittelwerte bewegen sich hier zwischen 7,41 (Unterstützung von Familien und Alleinerziehenden) und 6,55 (Unterstützung von Arbeitslosen). Das »Ranking« der Sicherungssysteme bei der Frage der staatlichen Zuständigkeit reflektiert dabei vermutlich zweierlei: zum einen die Einschätzung der Wichtigkeit der Aufgaben, zum anderen aber auch die sozialpolitischen Realitäten bzw. »Machbarkeiten«. Die zugeschriebene Bedeutung eines Ausgabenbereichs könnte z.B. für die hohen Werte für die Alterssicherung und für die Unterstützung von Familien ursächlich sein. Eng damit verbunden ist auch ein möglicherweise stärkeres Eigeninteresse, insbesondere bei der Alterssicherung. Insgesamt dürfte das potenzielle Eigeninteresse bei der gewünschten staatlichen Zuständigkeit aber wenig ins Gewicht fallen. Hierfür sprechen schon die vergleichsweise geringen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen bei der Arbeitslosigkeit und Armutsvermeidung (zur Bedeutung des Eigeninteresses vgl. a. Kapitel 6, insbes. die Abschnitte 6.1. und 6.2). In der im Vergleich zur Unterstützung von Arbeitslosen und zur Gesundheitsversorgung größeren Präferenz für eine staatliche Zuständigkeit bei der Armutsvermeidung ist dagegen wohl kein Ausdruck einer besonders hohen Wertschätzung dieses Aufgabenbereichs zu sehen (und schon gar keiner, die auf subjektiven Interessendefinitionen beruht). Sie ist auf die eher geringen Möglichkeiten einer nichtstaatlichen Armutsvermeidung zurückzuführen und einer entsprechenden »Alternativlosigkeit« staatlicher Armutspolitik. Deutlich sind hier wiederum die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen. Letztere plädieren durchgehend für eine etwas geringere staatliche Zuständigkeit als die Ostdeutschen, wobei die Mittelwertdifferenz bei der Gesundheitsversorgung fast einen Skalenpunkt beträgt. Dies könnte zum einen auf die höheren Bedarfe in Ostdeutschland zurückzuführen sein. Durchaus komplementär zur kritischeren Sicht des gesellschaftlichen Wertes und des geringeren Vertrauens wird von den Ostdeutschen ein starkes staatliches Engagement und – so darf man spekulieren – ein stärkeres als bisher gewünscht. Gegen eine solche Interpretation spricht jedoch die relative Konstanz der OstWest-Unterschiede bei der gewünschten staatlichen Zuständigkeit, die bei allen Aufgaben relativ hoch ist. Wenn das stärkere Eigeninteresse der Ostdeutschen für deren höhere Befürwortung einer staatlichen Zuständigkeit ursächlich sein soll, müsste sich dies vor allem in Unterschieden in den Bereichen Armut und Arbeitslosigkeit auswirken – aber gerade hier sind die Unterschiede zwischen ost- und westdeutschen Befragten geringer als z.B. bei der Gesundheitsversorgung. Daher ist zu vermuten, dass dieses Ergebnis auch auf grundlegende Handlungsorientierungen zurückzuführen ist, dass also etatistische Haltungen im Osten Deutschlands verbreite-
110
5 Höhe und Verteilung der Akzeptanz in der Bundesrepublik Deutschland
ter sind als bei den Westdeutschen. Aber auch insgesamt wird in den Ergebnissen zur gewünschten staatlichen Zuständigkeit ein ausgeprägter Etatismus deutlich. Dabei ist allerdings zu beachten, dass sich zwar die meisten Befragten eine überwiegend staatliche Aufgabenübernahme in allen Sicherungsbereichen wünschen, andererseits aber auch jeweils nur eine Minderheit eine alleinige staatliche Zuständigkeit präferiert. Den »privaten Kräften« (u.a. jeder Einzelne, Betriebe und Kirchen) wird somit zumindest eine ergänzende Funktion zugebilligt. Leistungsbewertung (wohlfahrtsstaatliche Intensität) Wie in Abschnitt 4.2 erläutert wurde, ist die »Leistungsbewertung« ein aus der Differenz von gewünschter und wahrgenommener Leistungshöhe konstruierter Akzeptanzindikator, wodurch das gewünschte Niveau der Absicherung mit der wahrgenommenen Leistungshöhe relationiert wird. Aus diesem Grund scheinen Akzeptanzunterschiede hier besonders aussagekräftig. Abbildung 5.4a:
Gesetzliche Krankenversicherung: »Leistungsbewertung« (zusammengefasste Werte in Prozent101)
50
45
Die Leistungen der GKV sollten sein:
41,8
40 35,6 35
30 26,0 25
Westdeutsche Ostdeutsche
21,8 19,6 19,1
20
15
11,2 9,5
10 5,2 5 0,7 0
1,9
5,1
2,2
0,3
sehr viel geringer
viel geringer
etwas geringer
genau gleich
etwas höher
viel höher
sehr viel höher
N=1494
Bei den Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. Abb. 5.4a) wird eine Befürwortung von mehr Leistungen deutlich. Zwei Drittel der Befragten (66,3 %) haben eine Präferenz für höhere Leistungen, wenn auch nur eine Minderheit (5,2 %) der 101
Als »sehr viel höher/mehr« werden hier alle Skalenwerte von 7 bis 10 (auf einer Skala von -10 bis +10) bezeichnet (als »viel höher« die Werte von 4 bis 6 und als »etwas höher« die Werte von 1 bis 3).
111
5.2 Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit
Ansicht ist, dass die Leistungen der GKV sehr viel höher sein sollten. Die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen sind dabei verschwindend gering (Mittelwertdifferenz: 0,21 Skalenpunkte). Auch bei der Beurteilung der Rentenhöhe wird offensichtlich, dass die Mehrheit der Befragten diese als zu niedrig ansieht (vgl. Abb. 5.4b). Hier befürworten sogar 71,4 Prozent höhere Leistungen, 20,5 Prozent meinen, die Höhe der Rente sollte so bleiben, wie sie ist, und nur 8,1 Prozent sind für niedrigere Renten. Der Anteil der Befragten, die sehr viel höhere Leistungen präferieren, ist mit 6,6 Prozent allerdings hoch geringer. Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen sind bei der Frage der Beurteilung der Rentenhöhe gering.102 Abbildung 5.4b:
Gesetzliche Rentenversicherung: »Leistungsbewertung« (zusammengefasste Werte in Prozent)
48,3
50 45
42,7
Die Rente sollte sein:
40
35 30
Westdeutsche Ostdeutsche
25
21,3
20,8
20,9
17,5
20 15 10
7,3
5 0,2 0
0,0
sehr viel geringer
0,8
6,9
6,3
5,6
1,3
viel geringer
etwas geringer
genau gleich
etwas höher
viel höher
sehr viel höher
N=1444
Im Vergleich zu den beiden großen Sozialversicherungen fällt die »Mehrheit« für ein höheres Arbeitslosengeld etwas schwächer aus (Abb. 5.4c). Hier präferieren »nur« 53,5 Prozent der Befragten ein höheres Arbeitslosengeld (3,2 Prozent ein sehr viel höheres) und immerhin 19,4 Prozent ein niedrigeres. Auffällig ist zudem die hier sehr starke Befürwortung des Beibehaltens der aktuellen Leistungshöhe. Über ein Viertel aller Befragten (27,1 %) sind offenbar der Ansicht, dass sich bei der Höhe des Ar102
Dies gilt im Übrigen nicht nur für die Differenz von gewünschter und wahrgenommener Rentenhöhe, sondern auch für das »Prätentionsniveau«, also das Niveau, auf dem diese Differenz besteht.
112
5 Höhe und Verteilung der Akzeptanz in der Bundesrepublik Deutschland
beitslosengeldes nichts ändern sollte. Anders als bei den GKV-Leistungen und der Rentenhöhe sind hier die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen wiederum relativ groß: Die Mittelwertdifferenz beträgt 1,20 Skalenpunkte. Die ostdeutschen Befragten (67,9 %; westdeutsche: 49,6 %) sind also weit häufiger der Ansicht, dass das Arbeitslosengeld höher sein sollte. Dies gilt insbesondere für den Anteil derjenigen, die meinen, das Arbeitslosengeld sollte viel oder sehr viel höher sein (29,9 % der Ostdeutschen; 13,1 % der Westdeutschen). Abbildung 5.4c:
Arbeitslosenversicherung: »Leistungsbewertung« (zusammengefasste Werte in Prozent)
50
45
Das Arbeitslosengeld sollte sein:
40
36,5
38,0
35 29,1 30
26,1
Westdeutsche Ostdeutsche
25 19,9 17,4
20
15
11,1 10,0
10
0,8 0
3,1
3,2
5 0,0
sehr viel geringer
3,8
1,0 viel geringer
etwas geringer
genau gleich
etwas höher
viel höher
sehr viel höher
N=1332
Auch bei der Sozialhilfe überwiegt der Wunsch nach einem höheren Leistungsniveau (Abb. 5.4d). Im Unterschied zu den drei anderen Sicherungssystemen gibt es hier aber keine »absolute Mehrheit« für Leistungserhöhungen. Denn nur 47,0 Prozent aller Befragten wünschen sich ein höheres Sozialhilfeniveau (4 Prozent ein sehr viel höheres), während immerhin 31,2 Prozent ein niedrigeres Leistungsniveau präferieren. Anders als bei den Sozialversicherungen kann hier also nicht von einem breiten »Erhöhungskonsens« gesprochen werden. Ebenso sind die Unterschiede zwischen ostdeutschen und westdeutschen Befragten hoch. Die Mittelwertdifferenz beträgt hier 1,56 Skalenpunkte, wobei der Mittelwert der Westdeutschen (0,20) nur knapp über dem theoretischen Mittelwert (0,00) liegt.
113
5.2 Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit
Abbildung 5.4d:
Sozialhilfe: »Leistungsbewertung« (zusammengefasste Werte in Prozent)
50
45
Die Sozialhilfe sollte sein:
40 32,4
35 29,7 30
24,4
Westdeutsche Ostdeutsche
23,6
25
21,7
20
16,7 15,3
15 9,6
9,9 10
6,9 3,2
3,6 2,4
5
0,7 0
sehr viel geringer
viel geringer
etwas geringer
genau gleich
etwas höher
viel höher
sehr viel höher
N=1276
Die Beurteilungen der Leistungshöhen machen vor allem deutlich, dass die Zufriedenheit mit dem bestehenden Leistungsniveau insgesamt gering ist. Die Leistungsbewertungen sind zugleich die Akzeptanzindikatoren mit dem höchsten Werten für die Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit. Denn in ihnen kommen gleichermaßen die Unzufriedenheit mit dem bestehenden Leistungsniveau und die grundsätzliche Befürwortung einer umfangreichen wohlfahrtsstaatlichen Absicherung zum Ausdruck. Deutliche Unterschiede bestehen dabei allerdings zwischen den Sicherungssystemen (Abb. 5.4e). Denn die starke und weitgehend konsensuelle Befürwortung höherer Leistungen beschränkt sich auf die Rente und auf die Leistungen der Krankenversicherung. Da mit der »Leistungsbewertung« die Distanz zwischen Präferenzen hinsichtlich des Leistungsniveaus und der Wahrnehmung des wohlfahrtsstaatlichen Status quo erfasst wird, lässt sich der Unterschied zwischen den beiden großen Sozialversicherungen auf der einen und der Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosengeld) und der Sozialhilfe auf der anderen Seite am besten als Unterschiede in der Bedeutung und »Beliebtheit« dieser Sicherungsleistungen interpretieren. Die offenbar große Unzufriedenheit mit der Rentenhöhe bietet zudem eine Erklärungsmöglichkeit für die geringen Akzeptanzwerte der Rentenversicherung bei den beiden Akzeptanzindikatoren des Status quo.
114
5 Höhe und Verteilung der Akzeptanz in der Bundesrepublik Deutschland
Abbildung 5.4e:
»Leistungsbewertung«: Präferenzen für Leistungserhöhungen und Leistungskürzungen im Vergleich (Angaben in Prozent)
80 70 60 50 40 30 20 10 0 GKV
GRV
Arbeitslosenversicherung
Ostdeutsche: Erhöhung Ostdeutsche: Kürzung
Sozialhilfe
Westdeutsche:Erhöhung Westdeutsche: Kürzung
Wenn also so etwas wie ein nationaler »Erhöhungskonsens« besteht, so ist dieser auf die GKV-Leistungen und die Rentenhöhe begrenzt. Die Präferenzen hinsichtlich der Höhe von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe sind – im Unterschied zur Frage der staatlichen Zuständigkeit – offenbar deutlich divergenter als bei den beiden großen Sozialversicherungen. Auffällig sind zudem die großen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen beim Arbeitslosengeld und bei der Sozialhilfe. Dabei zeigt ein Vergleich der Einzelvariablen (gewünschte Leistungshöhe und wahrgenommen Leistungshöhe), dass sich diese Differenz fast ausschließlich aus Unterschieden bei der Wahrnehmung der aktuellen Leistungshöhe, die von den ostdeutschen Befragten deutlich niedriger eingeschätzt wird, erklärt und nicht auf ein höheres Anspruchsniveau der Ostdeutschen zurückzuführen ist. Zwischenresümee: Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit Die empirischen Befunde zur Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit ergeben ein anderes Bild als bei der Beurteilung der bestehenden Wohlfahrtsinstitutionen. Insgesamt sind die Präferenzen für eine staatliche Zuständigkeit für sozialpolitische Aufgaben und für höhere Leistungen sehr deutlich. Diese Einschätzung ist nur für die Präferenzen bezüglich der Sozialhilfehöhe einzuschränken. In der hohen Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit muss kein Widerspruch zur geringen Akzeptanz des wohlfahrtsstaatlichen Status quo gesehen werden. Im Gegenteil: Die geringe Akzeptanz der bestehenden Wohlfahrtsinstitutionen kann zu
5.2 Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit
115
einem guten Teil auf die starken Präferenzen für höhere Leistungen zurückgeführt werden. Hierfür sprechen vor allem die Ergebnisse für die Gesetzliche Rentenversicherung. Diese weist einerseits die geringste Akzeptanz auf (Institutionenakzeptanz und Systemvertrauen); andererseits sind hier die Präferenzen für höhere Leistungen am stärksten (wie auch für eine staatliche Zuständigkeit bei der Alterssicherung). Ein Vergleich der beiden Akzeptanzindikatoren der Wohlfahrtsstaatlichkeit zeigt kaum Übereinstimmungen bei den Unterschieden zwischen den Sicherungssystemen. Nur für die Rentenversicherung bzw. Alterssicherung bestehen in beiden Fällen jeweils die stärksten Präferenzen. Während aber z.B. bei der Gesetzlichen Krankenversicherung ebenfalls ein deutlicher Wunsch nach höheren Leistungen zum Ausdruck kommt, ist der Anteil der gewünschten staatlichen Zuständigkeit für die Gesundheitsversorgung im Vergleich zu anderen Sicherungssystemen eher gering. Für die Frage der staatlichen Zuständigkeit für die soziale Sicherung sind offenkundig andere Kriterien ausschlaggebend als bei der Beurteilung der Leistungshöhe. Die Vermutung, dass dabei die bestehende Aufgabenteilung eine Rolle spielt, wird zumindest durch eine Übereinstimmung der Präferenzen mit den sozialpolitischen Realitäten gestützt. Eindeutig sind schließlich die Unterschiede zwischen ostdeutschen und westdeutschen Befragten. Ostdeutsche präferieren in stärkerem Maße als Westdeutsche sowohl eine höhere staatliche Zuständigkeit als auch höhere Leistungen. Auffällig ist dabei vor allem die deutliche Diskrepanz bei der Leistungsbewertung von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld. 5.3 »Erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit« und allgemeine Wirkungen des Wohlfahrtsstaates Wie in Kap. 4.2 erläutert wurde, ist der Wohlfahrtsstaat als Ganzes ein diffuses Akzeptanzobjekt. Eine unmittelbare Messung der Akzeptanz »des« Wohlfahrtsstaates und entsprechende Operationalisierungsversuche scheinen daher nicht möglich bzw. nicht sinnvoll. Zumindest in vager Form erfahr- und erfassbar ist der gesamte Wohlfahrtsstaat jedoch in seinen allgemeinen Wirkungen (»outcomes«), sofern diese nicht einzelnen Sicherungssystemen zugerechnet werden können. Sie lassen daher, wenn auch nur in begrenzter Form, Rückschlüsse über die Akzeptanz des bestehenden wohlfahrtsstaatlichen Arrangements zu. Zur Vervollständigung des Akzeptanzbildes tragen auch die verschiedenen Optionen einer »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« bei. Wie die in Abschnitt 5.2 untersuchten Indikatoren der gewünschten Wohlfahrtsstaatlichkeit zielen sie auf allgemeine Präferenzen bezüglich der sozialen Sicherung. Sie unterscheiden sich von diesen jedoch dadurch, dass sie nicht auf institutionalisierte Sicherungsformen bezogen werden können.
116
5 Höhe und Verteilung der Akzeptanz in der Bundesrepublik Deutschland
Beide Aspekte einer allgemeinen Wohlfahrtsstaatsakzeptanz – die wahrgenommenen Wirkungen des Wohlfahrtsstaates und die Akzeptanz der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« – werden im Folgenden untersucht. Akzeptanz »erweiterter Wohlfahrtsstaatlichkeit« Indikatoren »erweiterter Wohlfahrtsstaatlichkeit« erfassen die Akzeptabilität von sozialpolitischen Aufgabenbereichen, die im bestehenden Wohlfahrtsstaat nicht oder nur in einem sehr geringen Maße umgesetzt sind und für die kein allgemeiner öffentlicher und politischer Konsens unterstellt werden kann (vgl. 4.2). Zu insgesamt vier dieser Bereiche einer potenziellen wohlfahrtsstaatlichen Aufgabenübernahme liegen Einschätzungen der Befragten dazu vor, ob diese Aufgaben vom Staat übernommen werden sollten oder nicht. Abbildung 5.5a:
Erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit: »Arbeitsplätze« (Angaben in Prozent)
70
70,1
60
50
45,5
40
Westdeutsche Ostdeutsche 30
18,9 20
15,9 12,9 9,1 7,6
6,0
10
4,8
3,8
2,9
2,5
0
Stimme überhaupt nicht zu
2
3
4
5
Stimme voll und ganz zu
N=1512
Zunächst zur Frage der »Arbeitsplatzgarantie« bzw. zur Beurteilung der Aussage, der Staat solle »einen Arbeitsplatz für jeden bereitstellen, der arbeiten will«. Diese klassisch-sozialdemokratische Forderung erfährt eine überraschend hohe Zustimmung (80,1 %). Sogar etwas mehr als die Hälfte der Befragten stimmt dieser Aussage »voll und ganz« zu (vgl. Abb. 5.5a). Aber trotz dieses insgesamt eindeutigen Votums für eine »Arbeitsplatzgarantie« gibt es noch deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen. Die Mittelwertdifferenz beträgt hier 0,74 Skalenpunkte, bei einem Mittelwert für Ostdeutsche von 5,37. Insgesamt befürworten über 90 Prozent der
5.3 »Erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit« und allgemeine Wirkungen des Wohlfahrtsstaates
117
Ostdeutschen (Westdeutsche: 77,3 %) eine staatliche Zuständigkeit. Dass der Staat für jeden, der arbeiten will, einen Arbeitsplatz bereitstellen soll, wird also in Ostund Westdeutschland so gesehen, aber im Osten Deutschlands doch noch etwas entschiedener. Abbildung 5.5b:
Erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit: »Verringerung der Einkommensunterschiede« (Angaben in Prozent)
70
60
53,2
50
40
29,3 30
Westdeutsche Ostdeutsche
20,5
18,8 18,6 20
13,4 11,0
7,7
10
2,6 0
13,1
8,8
Stimme überhaupt nicht zu
2,9
2
3
4
5
Stimme voll und ganz zu
N=1498
Die Verringerung von Einkommensunterschieden gehört noch weniger als die Bereitstellung von Arbeitsplätzen zum Selbstverständnis »konservativer« Wohlfahrtsstaaten. Insofern muss es auch hier als überraschend gelten, dass mehr als zwei Drittel der Befragten (71,0 %) es als eine staatliche Aufgaben ansehen, »Einkommensunterschiede zwischen Arm und Reich ab(zu)bauen« (Abb. 5.5b). Die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen sind hier noch größer als bei der »Arbeitsplatzgarantie« (Mittelwertdifferenz: 0,93 Skalenpunkte). So meinen 86,9 Prozent der Ostdeutschen, aber nur 66,8 Prozent der Westdeutschen, dass der Abbau von Einkommensunterschieden eine staatliche Aufgabe sei, und über die Hälfte der Befragten in Ostdeutschland stimmt dieser Aussage »voll und ganz zu« (aber nur 29,3 Prozent der Westdeutschen). Angesichts der Ergebnisse bei diesen beiden ersten Aufgabenbereichen kann man insgesamt also von einer breiten Verankerung des sozialdemokratischen Sozialpolitikverständnisses sprechen. Neben der anderen inhaltlichen Ausrichtung der Fragen ist bei den »familienpolitischen« Aufgaben zu beachten, dass die beiden Items nicht die generelle staatliche Zuständigkeit zur Disposition stellen, sondern danach fragen, ob der Staat Fa-
118
5 Höhe und Verteilung der Akzeptanz in der Bundesrepublik Deutschland
milien und Alleinerziehende finanziell stärker unterstützen und mehr Mittel für die Kinderbetreuung bereitstellen soll. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Items besteht darin, dass im ersten Fall eher eine traditionale Form von Familienpolitik angesprochen wird, die dem »konservativen« Wohlfahrtsstaatstyp mit seiner Orientierung am »male breadwinner«-Modell entspricht. Die Forderung nach mehr Mitteln für die Kinderbetreuung (»so dass jedes Kind einen Betreuungsplatz erhalten kann«) steht dagegen eher für eine Familienpolitik, die vor allem den Interessen berufstätiger Frauen bzw. von Doppelverdienerhaushalten entgegenkommt und eher für »sozialdemokratische« Wohlfahrtsstaaten charakteristisch ist. Abbildung 5.5c:
Erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit: »mehr finanzielle Unterstützung von Familien« (Angaben in Prozent)
70
60
48,2 50
39,7 40
25,6
30
Westdeutsche Ostdeutsche
26,1
19,6 17,6 20
8,1 10
3,5
0
4,6
3,6 2,0
1,6
Stimme überhaupt nicht zu
2
3
4
5
Stimme voll und ganz zu
N=1484
Beiden Anforderungen an wohlfahrtsstaatliches Handeln wird von einer deutlichen Mehrheit der Befragten zugestimmt (vgl. Abb. 5.5c und 5.5d). Der Grad der Zustimmung ist hier sogar noch etwas höher (86,3 % bzw. 89,7 %) als bei der »Arbeitsplatzgarantie« und bei der Verringerung der Einkommensunterschiede. Die Unterschiede bei der gesamten Zustimmung sind bei den familienpolitischen Zielen gering und nur bei der höchsten Zustimmungskategorie (51,4 Prozent bei Kinderbetreuung, 41,4 Prozent bei finanzieller Unterstützung von Familien) und – hier wiederum vor allem bei den Ostdeutschen (61,7 % zu 48,2 %) – sind deutlichere Unterschiede erkennbar. Anders als bei den beiden »sozialdemokratischen« Zielen sind die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen hier jedoch insgesamt moderat, wobei sich die ostdeutschen Befragten noch etwas häufiger ein stärkeres staat-
119
5.3 »Erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit« und allgemeine Wirkungen des Wohlfahrtsstaates
liches Engagement bei der Unterstützung von Familien und bei den finanziellen Mitteln für die Kinderbetreuung wünschen.103 Abbildung 5.5d:
Erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit: »Kinderbetreuungseinrichtungen« (Angaben in Prozent)
70
61,7 60
48,7 50
40
Westdeutsche Ostdeutsche
30
24,0
24,1
15,6
20
9,0 5,5
10
3,4
2,7
0
Stimme überhaupt nicht zu
2,9
1,6
0,6 2
3
4
5
Stimme voll und ganz zu
N=1485
Insgesamt ist die Akzeptanz der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« überaus hoch. Sie liegt nicht nur deutlich über der des wohlfahrtsstaatlichen Status quo, sondern übertrifft auch die in Abschnitt 5.2 dargelegte Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit in den Kernbereichen. Dies spricht erneut dafür, dass die Unzufriedenheit mit den bestehenden Wohlfahrtsinstitutionen zwar groß ist, aber nicht mit einer Abkehr vom Prinzip der Wohlfahrtsstaatlichkeit einhergeht. Mehr noch: Die Ergebnisse zur »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« zeigen, dass auf der Akzeptanzseite viel Spielraum für einen weiteren Ausbau der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung besteht. Ostdeutsche präferieren dabei in allen vier Aufgabenereichen eine höhere Wohlfahrtsstaatlichkeit als Westdeutsche. Insbesondere bei den Zielen »Abbau von Einkommensunterschieden« (Mittelwertdifferenz: 0,93) und »Bereitstellung von Arbeitsplätzen« (Mittelwertdifferenz: 0,74) sind die Unterschiede sehr groß. Man kann insofern folgern, dass Ostdeutsche stärker als Westdeutsche an sozialdemokratischen Sozialpolitikmustern orientiert sind. Angesichts der unterschiedlichen Erfahrungen und Traditionen in den beiden Landesteilen sind die Unterschiede bei den »Mitteln für Kinderbetreuung« demge103
Die Mittelwertdifferenzen liegen hier bei 0,30 bzw. 0,39 Skalenpunkten.
120
5 Höhe und Verteilung der Akzeptanz in der Bundesrepublik Deutschland
genüber überraschend gering. Dass dies so ist, liegt jedoch nicht an einer geringen Akzeptanz dieser Aufgabe bei den ostdeutschen Befragten, sondern an der sehr hohen Unterstützung in den westlichen Bundesländern. Die auch im Westen hohen Zustimmungswerte machen offensichtlich, dass die sozialpolitischen Realitäten bei der staatlichen Sorge für die Kinderbetreuung auch im Westen immer weniger den Präferenzen in der Bevölkerung entsprechen. Beurteilung allgemeiner Wirkungen des Wohlfahrtsstaates Bei den allgemeinen Wirkungen des Wohlfahrtsstaates wurde um die Beurteilung von insgesamt vier möglichen Folgen gebeten. Zwei davon sind positiver (weniger soziale Konflikte; mehr soziale Gerechtigkeit) und zwei negativer Art (höhere Arbeitslosigkeit; sinkende Hilfsbereitschaft). Die Auffassung, dass der Wohlfahrtsstaat durch redistributive und vor allem durch seine Sicherungsfunktion soziale Konfliktlagen (insbes. Klassenkonflikte) abschwäche und dadurch zum »sozialen Frieden« beitrage (wenn nicht gar eine Voraussetzung für die Integration moderner Gesellschaften sei104), gehört wohl zu den ältesten und zugleich am wenigsten ausformulierten Theoremen der wohlfahrtsstaatlichen Apologetik. Wenn diese Sichtweise auch etwas aus der Mode gekommen ist, ihre Vertreter der Gefahr ausgesetzt sind, als »Wohlfahrtsstaatskonservative« abgestempelt zu werden, und ein entsprechender Wirkungszusammenhang ohnehin nur schwerlich nachweisbar sein dürfte: In der vermeintlichen Integrationsfunktion des Wohlfahrtsstaates ist dennoch ein nach wie vor zentraler Legitimationsgrund für den Wohlfahrtsstaat zu sehen. »Integration« ist ein abstraktes Konzept und daher für eine direkte Erfassung denkbar ungeeignet. Einer in der Soziologie bereits seit Durkheim (1988 [1893])] verbreiteten Auffassung zufolge kann Integration (bzw. Desintegration) jedoch indirekt an der Existenz bzw. dem Ausbleiben sozialer Konflikte und anderer Desintegrationserscheinungen abgelesen werden.105 In der Befragung »Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates« wurde daher auch danach gefragt, ob die soziale Sicherung dazu führe, dass es »weniger Konflikte zwischen Armen und Reichen«106 gibt. Die Häufigkeitsverteilung zeigt hier für Gesamtdeutschland zunächst keine positive Beurteilung (Abb. 5.6). Nur 47,6 Prozent der Befragten halten die Aussage für richtig, dass das System der sozialen Sicherung zu »weniger Konflikten zwischen Armen und Reichen« führe (52,4 Prozent der Befragten teilen diese Auffassung also 104 105
106
Vgl. hierzu insbes. Kaufmann (1997b). Auf diese Weise operationalisieren auch Goodin et al. (1999: 187ff.) die Integrationsfunktion des Wohlfahrtsstaates. Diese Konkretisierung und zugleich Verengung auf die »vertikale Konfliktlinie« erwies sich aufgrund der Ergebnisse der kognitiven Pretests als notwendig. Angesichts der redistributiven Intentionen des Wohlfahrtsstaates scheint hiermit aber auch die wesentliche Konflikt- bzw. Integrationslinie benannt.
5.3 »Erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit« und allgemeine Wirkungen des Wohlfahrtsstaates
121
nicht). Die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen sind allerdings beträchtlich: So ist immerhin über die Hälfte der Westdeutschen (51,0 %) von der konfliktreduzierenden Wirkung des Wohlfahrtsstaates überzeugt, aber nur wenig mehr als ein Drittel der ostdeutschen Befragten (34,8 %). Die Mittelwertdifferenz beträgt 0,53 Skalenpunkte (bei einem Mittelwert für Ostdeutsche von 2,95 und für Westdeutsche von 3,48). Auffällig ist auch, dass viele der ostdeutschen Befragten der Aussage, dass das System der sozialen Sicherung Konflikte zwischen Armen und Reichen reduziere, »überhaupt nicht« zustimmen (31,6 %). In vielerlei Hinsicht ähnlich sind die Ergebnisse zur möglichen Folge (höherer) »sozialer Gerechtigkeit«. Wie die Verringerung sozialer Konflikte ist auch die soziale Gerechtigkeit eine der klassischen wohlfahrtsstaatlichen Legitimationsressourcen, war jedoch in weit stärkerem Maße Gegenstand theoretischer Reflexionen und politischer Auseinandersetzungen (vgl. u.a. Döring et al. 1995; Kersting 2000; Leisering 2004). Auch die Aussage, dass das System der sozialen Sicherung zu mehr sozialer Gerechtigkeit führe, ist für etwa die Hälfte (49,5 %) der Befragten richtig (Abb. 5.6). Die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen sind erneut groß: Während immerhin noch eine knappe Mehrheit der Westdeutschen der Ansicht ist, dass das System der sozialen Sicherung zu mehr sozialer Gerechtigkeit führe, ist dies nur bei 38,4 Prozent der Ostdeutschen der Fall. Offensichtlich bestehen bei diesen beiden ersten Folgen deutliche Parallelen: Ostdeutsche sind hinsichtlich der positiven Wirkungen des Wohlfahrtsstaates weit skeptischer als die Westdeutschen. Möglicherweise ist dies darauf zurückzuführen, dass Ostdeutsche mit dem bestehenden Leistungsniveau unzufriedener sind (vgl. Abschnitt 5.2). Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass auch grundsätzliche Zweifel hinsichtlich des Konfliktreduzierungspotenzials und der »Gerechtigkeitsrelevanz« des Wohlfahrtsstaates in den östlichen Bundesländern verbreiteter sind. Eine mögliche negative Folge des Wohlfahrtsstaates, die insbesondere von neokonservativen Kritikern betont wird, ist das Absterben lebensweltlicher Solidaritäts- und Hilfsantriebe (»crowding out«-Hypothese). Demnach untergrabe der Wohlfahrtsstaat durch sein umfangreiches Leistungsangebot nicht nur die Selbsthilfefähigkeit und -bereitschaft der Leistungsempfänger, sondern auch die Unterstützungsbereitschaft im sozialen Umfeld.
122
5 Höhe und Verteilung der Akzeptanz in der Bundesrepublik Deutschland
Abbildung 5.6:
Zustimmung zu wohlfahrtsstaatlichen Wirkungen107 (zusammengefasste Werte in Prozent)
47,6
weniger soziale Konflikte
49,5
mehr soziale Gerechtigkeit
64,4
sinkende Hilfsbereitschaft
53,1
höhere Arbeitslosigkeit
20
25
30
35
40
45
50
55
60
65
Die Ansicht, dass das System der sozialen Sicherung zu einer sinkenden Hilfsbereitschaft führe, wird von fast zwei Dritteln der Befragten (64,4 %) geteilt (vgl. Abb. 5.6). Die Unterschiede zwischen ost- und westdeutschen Befragten sind hier wiederum groß. Im Westen neigen 67,3 Prozent zu dieser Ansicht; in den östlichen Bundesländern sind es dagegen nur 53,9 Prozent. Die Mittelwertdifferenz beträgt hier 0,52 Skalenpunkte (Mittelwert für Westdeutsche: 4,08). Auch bei der negativen Folge »sinkende Hilfsbereitschaft« sind Ostdeutsche also von der Wirkung des Wohlfahrtsstaates weniger überzeugt als Westdeutsche. Am häufigsten wird die Forderung eines Abbaus wohlfahrtsstaatlicher Leistungen wohl damit begründet, dass sie die mit dem System der sozialen Sicherung verbundenen Belastungen die Arbeitskosten in die Höhe treiben und dadurch zu höherer Arbeitslosigkeit führen. Zusätzlich wird behauptet, dass die als großzügig bewerteten Leistungen der Sozialhilfe und der Arbeitslosenversicherung sowie der vermeintlich 107
Die möglichen wohlfahrtsstaatlichen Wirkungen wurden mittels einer endpunktbeschrifteten 6erSkala erhoben (zur Itemformulierung s. Anhang A2.3). Als »Zustimmung« wurden hier die Skalenwerte von 3 bis 6 zusammengefasst. Aufgrund des Fehlens einer Mittelkategorie ergeben sich die zusammengefassten Prozentwerte der ablehnenden Einschätzungen aus der Differenz von Gesamtzahl und den Werten für die »Zustimmung«.
5.3 »Erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit« und allgemeine Wirkungen des Wohlfahrtsstaates
123
leichte Zugang zu diesen Leistungen falsche Anreize setzen. Dieser als disincentiveThese bekannten Annahme zufolge bleiben Arbeitlose freiwillig arbeitslos, weil sie eine komfortable, wohlfahrtsstaatlich abgefederte Arbeitslosigkeit der Erwerbstätigkeit vorziehen. Dass sich die Vorstellung, die soziale Sicherung führe zu höherer Arbeitslosigkeit, auch bei den wohlfahrtsstaatlichen Adressaten durchgesetzt hat, wird durch die Beurteilung der entsprechenden Aussage bestätigt. Ihr stimmt die Mehrheit der Befragten (53,1 %) zu (Abb. 5.6). Die Verhältnisse sind hier jedoch weniger eindeutig als noch bei der »sinkenden Hilfsbereitschaft«. Denn auch der Anteil der Befragten, der die Behauptung, das System der sozialen Sicherung führe zu mehr Arbeitslosigkeit, ablehnt, ist hoch. Zudem gibt es mehr Befragte, die dieser Aussage »überhaupt nicht« zustimmen, als solche, die ihr »voll und ganz« zustimmen, so dass der Gesamtmittelwert (3,52) dem theoretischen Skalenmittel fast genau entspricht. Hinsichtlich der Frage, ob der Wohlfahrtsstaat zu mehr Arbeitslosigkeit führt, besteht also keine eindeutige Tendenz unter den Befragten. Auch die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen sind wiederum sehr groß. Nur 36,3 Prozent der Befragten aus Ostdeutschland, aber 57,5 Prozent der Westdeutschen sind der Meinung, dass das System der sozialen Sicherung zu einer höheren Arbeitslosigkeit führe. Dass der Wohlfahrtsstaat den Arbeitsmarkt stark belaste, ist also vor allem eine »westliche« Vorstellung. Insgesamt fällt bei der Wahrnehmung allgemeiner Wirkungen der wohlfahrtsstaatlichen Absicherung auf, dass die negativen Wirkungen mehr Zustimmung finden als die positiven. Im Kern entspricht dies den kritischen Beurteilungen der bestehenden wohlfahrtsstaatlichen Institutionen (vgl. 5.1) ebenso wie den Präferenzen für höhere Leistungen und den dabei zu beobachtenden Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschen. Die Einschätzungen der allgemeinen Wirkungen des Wohlfahrtsstaates bestärken damit den Gesamteindruck einer insgesamt mäßigen Akzeptanz des bestehenden Systems der sozialen Sicherung. Bei der Beurteilung der weiterreichenden Wirkungen gehen – mit Ausnahme der »sinkenden Hilfsbereitschaft« – die Meinungen aber offenbar weit auseinander. Weder bei den »Segnungen« des Wohlfahrtsstaates, noch bei seinen »perversen Effekten« besteht also ein Konsens in der Bevölkerung.108 Eine Besonderheit ist hier, dass die ostdeutschen Befragten sowohl von den negativen als auch den positiven Wirkungen des Wohlfahrtsstaates weniger überzeugt sind als die westdeutschen. Man könnte daher fast den Eindruck gewinnen, dass im Osten Deutschlands die Skepsis hinsichtlich der wohlfahrtsstaatlichen Gestaltungsund Wirkungsmöglichkeiten generell größer ist. Wahrscheinlicher ist aber wohl eine andere Interpretation: nämlich dass die geringere Zustimmung zu den positiven 108
Bei dieser Einschätzung ist allerdings zu berücksichtigen, dass hier nicht das ganze Spektrum aller denkbaren direkten und indirekten Wirkungen des Wohlfahrtsstaates erfasst werden konnte.
124
5 Höhe und Verteilung der Akzeptanz in der Bundesrepublik Deutschland
Wirkungen von einer größeren Unzufriedenheit mit dem wohlfahrtsstaatlichen Status quo herrührt, während die geringere Zustimmung bei den Negativfolgen ihre Ursache in der höheren allgemeinen Präferenz für Wohlfahrtsstaatlichkeit hat. 5.4 Zusammenfassung: Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates und der Wohlfahrtsstaatlichkeit in Deutschland Die hier dargelegten Befunde zur Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates in der Bundesrepublik Deutschland ergeben insgesamt ein zwiespältiges Bild. Einerseits sind die Akzeptanzwerte überraschend niedrig, wenn es um die Beurteilung konkreter wohlfahrtsstaatlicher Institutionen geht. Anderseits bestehen deutliche Präferenzen für eine umfangreiche soziale Sicherung und sogar für »mehr Wohlfahrtsstaat«. Dass in der Akzeptanzforschung zum Wohlfahrtsstaat oft wohl überzeichnete Bild einer hohen Akzeptanz muss entsprechend zurechtgerückt werden: Nicht die Akzeptanz des bestehenden wohlfahrtsstaatlichen Arrangements ist hoch, sondern die der Wohlfahrtsstaatlichkeit. Wie immer man dabei die Ergebnisse für die Institutionenakzeptanz und das Systemvertrauen im Einzelnen einschätzen mag109: Sie lassen sich jedenfalls nicht als ein überzeugendes Votum für die bestehende Ausgestaltung der sozialen Sicherung deuten. Aber auch für eine grundsätzliche Abkehr vom Wohlfahrtsstaat gibt es keine Anzeichen. Die kritischen Beurteilungen sind vielmehr weitgehend auf die konkreten wohlfahrtsstaatlichen Institutionen beschränkt. Es bestehen fundamentale Zweifel an deren Funktionserfüllung, nicht aber am generellen Sinn der Wohlfahrtsstaatlichkeit. In den unterschiedlichen Ergebnissen zur Akzeptanz der bestehenden wohlfahrtsstaatlichen Institutionen und der Wohlfahrtsstaatlichkeit ist kein Widerspruch zu sehen. Beide Ergebnisse ergänzen sich durchaus und können sich zum Teil sogar wechselseitig erklären. Grundsätzlich gilt dabei: je größer die Differenz zwischen Präferenzen und wahrgenommener »Performanz«, desto kritischer die Beurteilung des wohlfahrtsstaatlichen Status quo.110 Dieses allgemeine Ergebnis zur Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates steht in einem zum Teil deutlichen Kontrast zu den Befunden vieler früherer Untersuchungen, die vorwiegend auf Indikatoren der Wohlfahrtsstaatlichkeit basieren.111 Sofern hier aufgrund der Verwendung unterschiedlicher Indikatoren ein Vergleich möglich ist, sind 109
110
111
Bereits in Abschnitt 5.1 wurde deutlich gemacht, dass die »negativen« Bewertungen nicht unbedingt wörtlich zu interpretieren sind. So kann z.B. die im Vergleich zu anderen Sicherungssystemen relativ hohe »Institutionenakzeptanz« der Sozialhilfe damit plausibilisiert werden, dass vergleichsweise geringe Leistungsdefizite wahrgenommen werden (was wiederum womöglich auf ein gegenüber den Sozialversicherungen geringeres Anspruchsniveau zurückzuführen ist). Beim Vertrauen in die Sicherungssysteme und bei der Zufriedenheit mit der eigenen Absicherung sind jedoch auch schon frühere Untersuchungen zu skeptischeren Einschätzungen gekommen (vgl. u.a. Bulmahn 1997; Dallinger 2003).
5.4 Zusammenfassung
125
allerdings auch bei der gewünschten Wohlfahrtsstaatlichkeit die festgestellten Präferenzen nicht ganz so stark, wie dies insbesondere auf der Basis von ISSP- und Eurobarometer-Daten wiederholt festgestellt worden ist. Diese Unterschiede sind vermutlich gleichermaßen auf eine tatsächlich sinkende Akzeptanz der Wohlfahrtsinstitutionen und auf die andere – und wie wir meinen realistischere – Art der Akzeptanzmessung zurückzuführen. Dieser »Realismus« besteht zum einen in der stärkeren Fokussierung auf Akzeptanz der bestehenden wohlfahrtsstaatlichen Institutionen (Institutionenakzeptanz, Systemvertrauen) und zum anderen in der Relationierung der beiden Indikatoren der Wohlfahrtsstaatlichkeit durch die Berücksichtigung von Sicherungsalternativen (staatliche Zuständigkeit) und durch die Verknüpfung mit der wahrgenommenen Leistungshöhe (»Leistungsbewertung«). Bei den einzelnen Akzeptanzindikatoren wurden bereits Unterschiede zwischen ostdeutschen und westdeutschen Befragten deutlich, die sich als überaus konstant und konsistent erwiesen. Diese Unterschiede lassen sich zu zwei Mustern zusammenfassen. Das erste besteht beim gewünschten Umfang der staatlichen Zuständigkeit. Hier wird von den ostdeutschen Befragten nicht nur in höherem Maße als von westdeutschen eine staatliche Zuständigkeit für die als Kernbereiche definierten sozialpolitischen Aufgaben präferiert. Entsprechende Differenzen sind vielmehr auch bei der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« festzustellen: Auch hier wünschen sich Ostdeutsche bei allen zur Disposition gestellten Aufgaben eher als Westdeutsche ein starkes staatliches Engagement. Dass diese Unterschiede auf eine stärkere tatsächliche Angewiesenheit auf soziale Leistungen oder auch auf die größere Bedrohung durch die zentralen Risiken zurückgeführt werden kann, ist eher unwahrscheinlich. Dagegen sprechen vor allem die vergleichsweise geringen Ost-West-Unterschiede bei der Frage der »wohlfahrtsstaatlichen Intensität« sowie die Gleichförmigkeit der Unterschiede bei der staatlichen Zuständigkeit, die schließlich auch bei Aufgabenbereichen bestehen, bei denen nicht von einem stärkeren Eigeninteresse der ostdeutschen Befragten auszugehen ist (Gesundheitsversorgung, Alterssicherung). Plausibler ist es hier daher, von wohlfahrtskulturellen Unterschieden auszugehen. Wie erwähnt bietet sich hier insbesondere ein bei Ostdeutschen deutlich stärkerer Etatismus als Erklärung an. Hierin kann wiederum ein »sozialistisches Erbe« gesehen werden, das auch der Grund für die geringe Akzeptanz von Einkommensunterschieden sein dürfte.112 Das zweite grundlegende Muster bei den Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschen sind die differenten Beurteilungen von Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe. Ostdeutsche unterscheiden sich in diesen beiden Bereichen von den 112
Dies bestätigen im Übrigen auch Forschungsergebnisse von Roller (1997). So führt Roller (1997: 138) Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen bei der Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen vor allem auf »Sozialisationsfaktoren« zurück, während sie für »ökonomische Einflussfaktoren« keine signifikanten Effekte feststellen kann.
126
5 Höhe und Verteilung der Akzeptanz in der Bundesrepublik Deutschland
westdeutschen Befragten durch eine geringere Institutionenakzeptanz, ein geringeres Systemvertrauen sowie durch Präferenzen für eine höhere wohlfahrtsstaatliche Extensität und Intensität. Noch mehr als bei den allgemeinen Präferenzen bezüglich der Wohlfahrtsstaatlichkeit erscheint es hier nahe liegend, diese Unterschiede auf eine höhere Betroffenheit von Arbeitslosigkeit und eine stärkere Angewiesenheit auf diese beiden Sicherungssysteme zurückzuführen. Auch die stärkere Präferenz der ostdeutschen Befragten für eine »Arbeitsplatzgarantie«, ließe sich so erklären. Erneut kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass auch unterschiedliche kulturelle Traditionen und landesteilspezifische Sozialisationserfahrungen dazu beitragen, dass sich Ost- und Westdeutsche bei ihren Akzeptanzurteilen über die Sozialhilfe und die Arbeitslosenversicherung und bei den entsprechenden Präferenzen unterscheiden.113 Neben den zwischen Ost- und Westdeutschen bestehenden Unterschieden sind auch allgemeine Unterschiede bei der Akzeptanz der einzelnen Sicherungssysteme zu erkennen. So ist bei der Gesetzlichen Rentenversicherung die Unzufriedenheit offenbar am größten. Sie weist die niedrigste Institutionenakzeptanz aller Sicherungssysteme auf und ihr wird das geringste Vertrauen entgegengebracht. Gleichzeitig bestehen hier die stärksten Präferenzen für höhere Leistungen und für eine staatliche Zuständigkeit für die Alterssicherung. Die Gesetzliche Krankenversicherung steht demgegenüber am anderen Ende des Spektrums, wenn man die Ergebnisse für die Institutionenakzeptanz und das Systemvertrauen zugrunde legt. Wie gezeigt schließt dies jedoch nicht aus, dass auch hier deutliche Präferenzen für ein höheres Leistungsniveau bestehen. Ganz ähnlich fällt auch die Beurteilung der Leistungen für Familien aus, für die allerdings weniger Akzeptanzindikatoren vorliegen. Auch hier wird trotz einer vergleichsweise hohen Institutionenakzeptanz ein deutlich stärkeres finanzielles Engagement des Wohlfahrtsstaates gewünscht. Die Beurteilung dieser beiden wohlfahrtsstaatlichen Bereiche macht deutlich, dass auch eine Parallelität von gewünschter Wohlfahrtsstaatlichkeit und Akzeptanz der bestehenden Wohlfahrtsinstitutionen möglich ist. Leistungen für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger nehmen im Vergleich zu den anderen Sicherungsbereichen eine mittlere Position ein. Weder ist die Unzufriedenheit mit der bestehenden Form der Sicherung so groß wie bei der Gesetzlichen Rentenversicherung, noch sind die Forderungen nach höheren Leistungen so ausgeprägt wie bei den beiden großen Sozialversicherungen. Die Sozialhilfe und das Arbeitslosengeld sind zudem die einzigen Leistungsarten, bei denen sich ein bedeuten113
Dass sich die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen in der Tat nicht auf Unterschiede in den sozialpolitischen Interessenlagen reduzieren lassen, zeigen die entsprechenden Analysen in den Kapiteln 6.1 und 6.2. In diesen erweisen sich die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen als weitgehend stabil, wenn die soziale Lage und insbesondere der Versorgungsklassenstatus kontrolliert werden.
5.4 Zusammenfassung
127
der Teil der Befragten auch für ein geringeres Leistungsniveau ausspricht. Bei der Sozialhilfe kann sogar von einem »Patt« zwischen Befürwortern einer höheren Sozialhilfe und solchen, die eine Absenkung des Leistungsniveaus präferieren, ausgegangen werden. Diese Unterschiede zwischen den einzelnen Sicherungssystemen und Leistungsarten lassen sich dabei nicht ohne weiteres in ein »Beliebtheitsranking« übersetzen. Wohl aber zeigen die starken Präferenzen für höhere Renten und umfassendere GKV-Leistungen, dass die beiden großen Sozialversicherungen bzw. die entsprechenden sozialpolitischen Aufgabenbereiche von besonderer Bedeutung für das Sicherheitsempfinden sind. Hierüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass dies sehr unterschiedliche und vor allem kritische Beurteilungen der konkreten Wohlfahrtsinstitutionen nicht ausschließt.
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«: Mögliche Erklärungsfaktoren von Akzeptanzurteilen und Akzeptanzunterschieden
Schon bei der Darstellung der wohlfahrtsstaatstheoretischen Ansätze (Kapitel 2.2) wurde deutlich, dass sich aus den konkurrierenden Erklärungen der Entstehung und Entwicklung von Wohlfahrtsstaaten auch unterschiedliche Annahmen über die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen gewinnen lassen. In den folgenden Abschnitten sollen mehrere dieser Annahmen einer genaueren empirischen Prüfung unterzogen werden. Dies geschieht in fünf Abschnitten, wobei in jedem dieser Abschnitte eine übergreifende Fragestellung verfolgt wird, die sich zum Teil wieder in mehrere Einzelfragen unterteilt. Vor allem in einer konflikttheoretischen Perspektive (vgl. Abschnitt 2.2.2) lassen sich mehrere Hypothesen über Akzeptanzursachen und -unterschiede entwickeln: Die klassische Annahme vor allem interessen- und machttheoretischer Ansätze ist hier, dass der Klassengegensatz zwischen »Kapital« und »Arbeit« auch und gerade in der sozialpolitischen Arena ausgetragen wird. Dementsprechend wird in Kapitel 6.1 zunächst untersucht, inwiefern bei der Beurteilung der sozialen Sicherungssysteme und sozialpolitischen Aufgaben Hinweise auf traditionale Klassengegensätze zu finden sind. Neben der Frage, ob diese klassischen »cleavages« im Bereich der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz (noch) nachweisbar sind, wird in Anlehnung an die »Mittelklassenthese« auch untersucht, ob, soweit dies an Akzeptanzurteilen abgelesen werden kann, die Integration der Mittelklassen in den Wohlfahrtsstaat gelungen ist oder ob sich die mittleren Schichten – im Sinne der Annahme eines »welfare backlash« – durch eine kritischere oder gar ablehnende Haltung gegenüber dem Wohlfahrtsstaat auszeichnen. Schließlich wird in diesem ersten Kapitel untersucht, in welchem Maße die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme durch die parteipolitischen Orientierungen erklärt werden kann. Hierzu wird der Einfluss der Parteiaffinität114 auf die Akzeptanzurteile analysiert.
114
Als »Parteiaffinität« wird hier eine Operationalisierungsvariante des Konzepts der »Parteiidentifikation« bezeichnet (vgl. Anhang A2.3), ohne dass dessen theoretischen Implikationen hier übernommen werden (zur »Parteiidentifikation« vgl. a. Schoen/Weins 2005: 206ff.).
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
129
Als eine besondere Form von Konfliktpotenzial können Interessengegensätze gelten, die sich erst aus der umfassenden sozialen Absicherung und vor allem infolge der damit verbundenen redistributiven Wirkungen ergeben. Denn vor allem zeitpunktbezogen, aber auch in der »Lebenslaufbilanz« begünstigt und benachteiligt der Wohlfahrtsstaat einzelne Bevölkerungsgruppen. Offensichtlich wird dies insbesondere dann, wenn soziale Sicherungssysteme zur Herausbildung von Versorgungsklassen führen. Im zweiten Abschnitt (6.2) wird daher vor allem der Frage nachgegangen, wie sich der Versorgungsklassenstatus bzw. die sozialpolitische Verteilungsposition auf die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme auswirkt. Dies geschieht in einer doppelten Perspektive: zum einen für die unterschiedlichen »positiv privilegierten« Versorgungsklassen (Rentner, Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose), zum anderen für mögliche Gegensätze zwischen positiven Versorgungsklassen und »Finanzierungsklassen«. Da davon auszugehen ist, dass die Akzeptanzurteile nicht nur von den objektiven, durch die Klassen- oder sozialpolitische Verteilungsposition bestimmten Interessenlagen beeinflusst werden, wird zusätzlich untersucht, welche Bedeutung subjektive Interessendefinitionen für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme haben. Die Möglichkeit einer neuen Konfliktlinie ergibt sich aus den intergenerationellen Verteilungswirkungen des Wohlfahrtsstaates. Ob ungleiche Belastungen und Begünstigungen durch soziale Sicherungssysteme wahrgenommen werden und wie sie gegebenenfalls beurteilt werden, wird in Kapitel 6.3 untersucht. An den Beispielen der Gesetzlichen Rentenversicherung und von Leistungen für Familien und Alleinerziehende wird vor allem der Frage nachgegangen, inwiefern sich in den Akzeptanzurteilen zu diesen beiden Sicherungsbereichen Gegensätze zwischen unterschiedlichen Generationen oder Altersgruppen widerspiegeln, aus denen auf einen latenten Generationenkonflikt geschlossen werden kann. Im Gegensatz zu interessen- und konflikttheoretischen Wohlfahrtsstaatstheorien betonen wohlfahrtskulturelle Ansätze (vgl. Abschnitt 2.2.3) die Bedeutung, die Ideologien, Deutungsmuster und Wertorientierungen sowie die öffentlichen Diskurse, in denen konkurrierende Deutungen durchgesetzt und verändert werden, für die wohlfahrtsstaatliche Entwicklung haben. Dazu gehören zum einen hier nicht zu behandelnde Aspekte nationaler Ideologien und nationalstaatlicher Diskursverläufe, zum anderen aber auch kulturelle Unterschiede und »Verwerfungen« auf der Mikroebene der wohlfahrtsstaatlichen Adressaten. Insofern ist zu vermuten, dass sich auch normative Orientierungen auf die Beurteilung sozialer Sicherungssysteme auswirken. Aus diesem Grund wird in Abschnitt 6.4 untersucht, welche Bedeutung normative Orientierungen für die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates haben. Hierzu wird der Einfluss betrachtet, den Gerechtigkeitsüberzeugungen und grundlegende Handlungs- und Sozialorientierungen auf die Akzeptanzurteile haben. Sowohl auf wohlfahrtskulturelle als auch auf institutionalistische Überlegungen (vgl. Abschnitt 2.2.4) stützen sich Erklärungen, die die Unterschiede zwischen Wohl-
130
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
fahrtsstaaten und die offenkundige Variabilität wohlfahrtsstaatlicher Institutionen auf moralökonomische Faktoren zurückführen. Ein wichtiger Bestandteil der »wohlfahrtsstaatlichen Moralökonomie« sind Vorstellungen eines »legitimen« Leistungsempfangs sowie daraus abgeleitete Wahrnehmungen und Be- bzw. Verurteilungen der unterschiedlichen Leistungsempfängertypen. Zentral ist hierbei die Kategorie der »deservingness«. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass die »Leistungsempfängerbilder« einen erheblichen Einfluss auf die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme haben. Im abschließenden Kapitel des analytischen Teils (6.5) wird daher untersucht, wie sich Typisierungen von Leistungsempfängern auf die Akzeptanz der korrespondierenden Sicherungssysteme auswirken. In den detaillierten Analysen zur Bedeutung, die die unterschiedlichen Faktoren für die Erklärung der Akzeptanzurteile über wohlfahrtsstaatliche Institutionen haben, werden für die einzelnen Themenbereiche jeweils unterschiedliche Sicherungssysteme und unterschiedliche Akzeptanzindikatoren verwendet. Bereits aufgrund rein pragmatischer Erwägungen ist klar, dass nicht alle Akzeptanzindikatoren für alle Sicherungsbereiche und für jeden Schwerpunkt untersucht werden können. Angesichts der großen Zahl möglicher Kombinationen – allein für den Kernbereich wären 90 Einzelanalysen erforderlich – würde die Darstellung schnell ins Uferlose gehen. Welche Akzeptanzindikatoren und Sicherungsbereiche im Einzelnen herangezogen werden, ergibt sich dabei aus der Relevanz für die jeweilige Fragestellung. In einigen Fällen ist eine solche Auswahl fast »selbstevident«115, in anderen muss sie nach genauer Abwägung der einzelnen Vor- und Nachteile – und bei einem gewissen Maß an unvermeidbarer Kontingenz – getroffen werden.116 Eine genaue Erläuterung der Auswahl findet sich in den jeweiligen Kapiteln (für eine Gesamtübersicht über die verwendeten Akzeptanzindikatoren und untersuchten Sicherungssysteme vgl. Anhang A1).
115
116
So kann z.B. die Bedeutung von Versorgungsklassen (6.2) nur für Sicherungssysteme untersucht werden, in denen es auch zur Herausbildung derart stabiler Verteilungslagen kommt. Der Frage, ob sich ein Generationenkonflikt um die soziale Sicherung abzeichnet (6.3), wird dagegen am Beispiel der Sicherungssysteme nachgegangen, bei denen ein Gegensatz zwischen Altersgruppen am wahrscheinlichsten ist (Rentenversicherung und Leistungen für Familien). Ganz verzichtet wird auf das Systemvertrauen. Der Grund hierfür ist denkbar einfach: Zum einen haben die Häufigkeitsanalysen gezeigt, dass die Unterschiede zwischen dem Systemvertrauen und der Institutionenakzeptanz immer nur gering sind. Da das Systemvertrauen zudem ein niedrigeres Skalenniveau aufweist als die Institutionenakzeptanz, scheint es gerechtfertigt, bei der Akzeptanz des Status quo ausschließlich auf die Institutionenakzeptanz zurückzugreifen. Darüber hinaus ist Systemvertrauen ein vergleichsweise enges Konzept und daher für einige Fragestellungen weniger geeignet als die Institutionenakzeptanz.
6.1 Klassen, Parteien und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
131
6.1 Klassen, Parteien und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates 6.1.1 Einleitung Der Wohlfahrtsstaat ist wesentlich ein Produkt von Klassenauseinandersetzungen und die verschiedenen Wohlfahrtsstaatstypen können entsprechend als unterschiedliche Versionen eines »Kompromisses« der gegensätzlichen Klasseninteressen zwischen Unternehmern und Arbeiterbewegung angesehen werden – oder aber auch als Erfolg einer sozialreformerisch ausgerichteten Arbeiterbewegung (vgl. u.a. Baldwin 1990; Esping-Andersen 1990; Heimann 1980). Arbeiter – zumindest alle in nicht-revolutionären Arbeiterparteien jeglicher Couleur organisierten Arbeiter – und ihnen nahe stehende Bevölkerungsgruppen gelten daher auch als Hauptunterstützer des Wohlfahrtsstaates und der sozialreformerische Teil der Arbeiterbewegung als wichtigster Motor des weiteren Ausbaus der sozialen Sicherung. Als traditionale Wohlfahrtsstaatsgegner standen ihnen vor allem die Unternehmerschaft, der »alte Mittelstand« und die selbständigen Landwirte gegenüber. Die Gründe für eine wohlfahrtsfeindliche Haltung dieser Bevölkerungsgruppen sind dabei durchaus unterschiedlich; hauptsächlich dürfte sie aber durch die materiellen Nachteile (Belastung der Unternehmer durch Sozialversicherungsbeiträge) und durch die Distinktionsbedürfnisse von Angestellten und Beamten gegenüber der Arbeiterklasse motiviert (gewesen) sein. Die Vermutung einer höheren Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme bei Arbeitern basiert weniger auf der gewiss zutreffenden Überlegung, dass wohlfahrtsstaatliche Prinzipien in der »Arbeiterkultur« stärker verankert sind als in anderen sozialen Milieus. Ihr liegt vielmehr die allgemeine Annahme zugrunde, dass die Akzeptanz bei den Bevölkerungsgruppen am höchsten ist, die den größten Risiken (vor allem denen des Arbeitsmarktes) ausgesetzt sind und in geringem Maße über die materiellen und kognitiven Ressourcen für eine private Vorsorge verfügen; kurz: die am stärksten auf eine staatlich organisierte und garantierte Absicherung angewiesen sind. Demzufolge müssten u.a. Arbeiter und Bezieher niedriger Einkommen den Wohlfahrtsstaat stärker unterstützen als insbesondere Selbständige (inkl. Freiberufler) und abhängig Beschäftigte in privilegierten Positionen (Beamte, leitende Angestellte). Die sozialstrukturelle Entwicklung hat insbesondere nach 1945 zu einer Veränderung des Kräfteverhältnisses zwischen Unterstützern und Gegnern des Wohlfahrtsstaates geführt. So ist die Zahl der traditionellen Wohlfahrtsstaatsgegner (Landwirte, kleine Selbständige) deutlich zurückgegangen. Parallel haben die neuen »Mittelklassen« (oder Mittelschichten) zunehmend an Gewicht gewonnen. Im Unterschied
132
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
zum »alten Mittelstand« setzen diese sich in erster Linie aus Angestellten und Beamten zusammen, von denen ein großer Teil im öffentlichen Sektor beschäftigt ist.117 Die Angehörigen der neuen Mittelschichten sind den Risiken der modernen Arbeitsmarktexistenz meist in ähnlicher Weise ausgesetzt wie die Arbeiter, unterscheiden sich von diesen jedoch durch die im Durchschnitt günstigere ökonomische Lage und eine dadurch bedingte größere Selbsthilfefähigkeit. Anders als beim »alten Mittelstand« kann bei ihnen daher ein grundsätzliches, wenn auch im Vergleich zu den Arbeitern schwächeres Interesse an einer wohlfahrtsstaatlichen Sicherung vorausgesetzt werden. Wie in Kapitel 2.2 dargelegt wurde, gehen die Einschätzungen darüber, wie Angehörige der »neuen Mittelkassen« über den Wohlfahrtsstaat denken, auseinander. Während Vertreter der »Mittelklassenthese« (Baldwin1990; Goodin/Dryzek 1987) deren erfolgreiche, vor allem durch die Berücksichtigung spezifischer Mittelklasseninteressen gelungene Integration in den Wohlfahrtsstaat annehmen, sehen andere Beobachter in den Mittelklassen das größte wohlfahrtsstaatsfeindliche Protestpotenzial. Einiges spricht jedoch dafür, dass die Evidenz für diese gegenläufigen Annahmen mit den nationalen wohlfahrtsstaatlichen Rahmenbedingungen variiert (vgl. Abschnitt 2.2.2). Die Zweifel daran, ob sozialstrukturanalytisch relevante Klassenunterschiede (noch) bestehen bzw. inwieweit sie grundlegende politisch-weltanschauliche Demarkationslinien darstellen (Rokkan/Lipset 1967), sind jedoch immer lauter geworden, ohne dass die Kontroverse über den Nutzwert von Klassenbegriffen für die soziologische Forschung und Theoriebildung in irgendeiner Weise als abgeschlossen gelten könnten (vgl. zusammenfassend: Berger 1998). Unterschiedliche Einschätzungen der jetzigen und zukünftigen Bedeutung von Klassenunterschieden wirken sich dabei auch auf Annahmen über klassenbasierte Unterschiede bei der Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen aus (vgl. a. Svallfors 2004). So nimmt ein Teil der Beobachter an, dass Klassenunterschiede schon deshalb zunehmend weniger auf die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates durchschlagen, weil mit steigendem Wohlstand die Angewiesenheit auf eine wohlfahrtsstaatliche Absicherung in allen Bevölkerungsgruppen dramatisch zurückgegangen sei und die mit dem Wohlfahrtsstaat verbundenen Nachteile (Steuer-/Beitragslast; staatliche Bevormundung) gleichzeitig immer mehr in den Vordergrund gerückt seien. Entsprechend wird ein allgemeiner Rückgang der Akzeptanz angenommen (vgl. u.a. Inglehart 1990; Offe 1997).
117
Aufgrund ihrer zahlenmäßigen Stärke, aber auch wegen der strategisch günstigen Position als »Mehrheitsbeschaffer« wird häufig angenommen, dass den Mittelschichten für den Ausbau des Wohlfahrtsstaates entscheidende Bedeutung zukam. Sofern deren Einbezug erfolgreich gelungen war, konnte das System der sozialen Sicherung deutlich stärker ausgebaut werden als dort, wo sich die Mittelklassen in einer latenten oder offenen Opposition zum Wohlfahrtsstaat befanden.
6.1 Klassen, Parteien und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
133
Diese auch als »Sättigungsthese« bekannte Annahme findet jedoch wenig empirische Unterstützung (vgl. explizit: Ervasti 2001; Evans 1996): Weder schwinden bei der Beurteilung des Wohlfahrtsstaates die Unterschiede zwischen den Klassen völlig, noch sind sie in Wohlfahrtsstaaten mit hohem Wohlstandsniveau besonders gering. Auch die »Mittelklassenthese«, nach der die Klassenunterschiede bei der Unterstützung des Wohlfahrtsstaates zurückgehen, weil die Abhängigkeit von sozialen Sicherungssystemen aller Erwerbstätigen sehr hoch ist bzw. sich die Risikolagen klassenübergreifend angeglichen haben, wird in diesem Sinne (einer Angleichung der Akzeptanzwerte auf hohem Niveau) kaum durch die Ergebnisse der Umfrageforschung gestützt (vgl. a. Papadakis 1993; Svallfors 1999). Gleiches gilt jedoch auch für die gegenläufige und nur selten vertretene Auffassung einer zunehmenden Bedeutung von Klassenunterschieden bei der Unterstützung des Wohlfahrtsstaates. So geht z.B. Breen (1997) von einer »Rekommodifizierung« (erneut wachsenden Marktabhängigkeit) und einem entsprechenden Anwachsen von Klassengegensätzen im Kontext der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung aus.118 Wie sich die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates in einzelnen Klassen und Schichten verändert hat, kann im Folgenden nicht geklärt werden. Vielmehr soll untersucht werden, ob sich überhaupt Auswirkungen der Klassenpositionen auf die Akzeptanzurteile nachweisen lassen. Wie schon in Abschnitt 3.2 betont wurde, ergeben die Befunde der Akzeptanzforschung hier in ihrer Gesamtheit für Klassen-, Schicht- und Einkommenseffekte kein einheitliches Bild. Während einige Autoren eine höhere Unterstützung des Wohlfahrtsstaates bei Arbeitern insbesondere im Verhältnis zu Selbständigen feststellen (u.a. Evans 1996; Gangl 1997; Svallfors 1995, 2004), schätzen andere die Akzeptanzunterschiede zwischen Klassen- und Schichtpositionen als eher unerheblich ein (u.a. Cook/Barrett 1992; Roller 1992; Papadakis 1993). Häufig wird daher auch vermutet, dass Klassendifferenzen bei der Beurteilung der sozialen Sicherung in den einzelnen Wohlfahrtsstaatstypen unterschiedlich stark »durchschlagen«. Nach Esping-Andersen (1990) ist der stärkste Klassengegensatz in liberalen Wohlfahrtsstaaten zu erwarten, während er in sozialdemokratischen allmählich verschwinde und in konservativen zunehmend durch die Trennlinie zwischen »Insidern« (voll gesicherten Lohnabhängigen) und »Outsidern«, die nicht oder nur teilweise durch den Sozialstaat erfasst werden, ersetzt werde. Auch die Gefahr
118
Alle diese Vermutungen über sinkende oder wachsende Klassenunterschiede bei der Unterstützung des Wohlfahrtsstaates basieren auf Annahmen über Veränderungen in der Abhängigkeit von der sozialen Sicherung. Denkbar ist aber auch, dass klassenspezifische Präferenzen bestehen, die nicht auf das kollektive Sicherungsinteresse zurückzuführen sind, etwa wenn Arbeiter auch angesichts einer geringeren Angewiesenheit auf staatliche Absicherungsformen an wohlfahrtsstaatlichen Prinzipien und Überzeugungen festhalten und sich aus diesem Grunde hinsichtlich der Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen von anderen Bevölkerungssegmenten unterscheiden.
134
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
eines »welfare-state backlash« der Mittelklassen sieht er nur für die liberalen Wohlfahrtsstaaten.119 Die empirischen Anhaltspunkte für derartige Unterschiede zwischen Wohlfahrtsstaatstypen sind allerdings gering. Schon Evans (1996) konnte in seinem Vergleich von acht Wohlfahrtsstaaten nur eher allgemeine Unterschiede zwischen anglo-amerikanischen und europäischen Wohlfahrtsstaaten feststellen; die Akzeptanzunterschiede zwischen den sozialen Klassen ergeben dabei kein konsistentes Muster (1996: 200ff.). Auch Svallfors (2004) findet Esping-Andersens Annahmen nicht bestätigt. So stellt er z.B. in seinem Vergleich von Schweden, Deutschland, den USA und Großbritannien für Schweden die größten Unterschiede zwischen sozialen Klassen fest. Für die anschließenden Analysen soll daher auch an den in Abschnitt 2.2.2 skizzierten Annahmen festgehalten werden. Demnach ist für den »konservativen« deutschen Wohlfahrtsstaat durchaus davon auszugehen, dass sich der Konflikt zwischen »Kapital« und »Arbeit« auch in Einstellungen zum Wohlfahrtsstaat wiederfinden lässt. Dies wurde in erster Linie auf die zentrale Bedeutung der Sozialversicherungen zurückgeführt, bei denen die »Arbeitgeber« unmittelbar an der Finanzierung beteiligt sind. Ein »welfare state backlash« der Mittelklassen ist aufgrund der starken Mittelschichtorientierung der sozialen Sicherung (Beitragsfinanzierung; Äquivalenzprinzip; Aufrechterhaltung von Statusunterschieden) dagegen unwahrscheinlich. Zwar sind Unterschiede zwischen Arbeitern und Angehörigen der Mittelklassen insbesondere bei der Akzeptanz von Leistungen zu erwarten, die traditionell durch eine gewisse »Mittelklassenferne« gekennzeichnet sind (z.B. Sozialhilfe)120, durchaus vorstellbar – nicht jedoch eine grundlegende Abkehr der Mittelklassen vom Wohlfahrtsstaat. Für die Frage, wie sehr sich politische Orientierungen auf die Beurteilung der sozialen Sicherung auswirken, ist ähnlich wie für die sozialen bzw. Klassenpositionen festzustellen, dass die Ergebnisse der Akzeptanzforschung hierzu bisher uneinheitlich und insgesamt unbefriedigend sind.121 Einerseits ist davon auszugehen, dass sich Unterschiede in der Parteipräferenz in dem Maße auswirken, wie wohlfahrtsstaatliche Leistungen Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzungen sind oder waren.122 Je nachdem, ob und wie der grundsätzliche strukturelle Gegensatz von »Kapital« und »Arbeit« gelöst bzw. institutionalisiert wurde, wurde auch die soziale 119
120
121 122
»The risks of welfare-state backlash depend not on spending, but on the class character of welfare states. Middle-class welfare states, be they social democratic (as in Scandinavia) or corporatist (as in Germany), forge middle-class loyalties. In contrast, the liberal, residualist welfare states found in the United States, Canada and, increasingly, Britain, depend on the loyalties of a numerically weak, and often politically residual, social stratum« (Esping-Andersen 1990: 33). Grundsätzlich gilt dies auch für den umgekehrten Fall von »mittelklassennahen« Leistungen z.B. für Bildung und Kultur, die hier jedoch nicht untersucht werden. Zu unterschiedlichen Einschätzungen für die Bundesrepublik vgl. u.a. Roller (1992) und Gangl (1997). Hier ist dann allerdings die Frage von Ursache und Wirkung nicht mehr genau zu klären.
6.1 Klassen, Parteien und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
135
Sicherung zum Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzungen zwischen Linksparteien auf der einen und liberalen und konservativen Parteien auf der anderen Seite. Vor allem in liberalen Wohlfahrtsstaaten bzw. in zwischen liberalen und sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaatsmodellen changierenden Wohlfahrtsstaaten des »lib-lab-Pfades« (Hicks et al. 1995; vgl. a. Borchert 1998) ist daher ein deutlicherer Niederschlag parteipolitischer Präferenzen auf die Beurteilung der sozialen Sicherung zu erwarten. In konservativen Wohlfahrtsstaaten ist dagegen eher von einem breiten parteipolitischen Konsens auszugehen – nicht zuletzt auch aufgrund des großen Einflusses christlicher und christdemokratischer Parteien auf die wohlfahrtsstaatliche Entwicklung (vgl. u.a. Kaufmann 1988, van Kersbergen 1995). Auch für Deutschland scheint die Annahme eines breiten Konsenses über den Wohlfahrtsstaat zutreffend: Der Wohlfahrtsstaat (oder nach einem in der alten Bundesrepublik verbreiteten Verständnis: der Sozialstaat) wurde, zumindest was seine Kerninstitutionen betrifft, lange von einem parteiübergreifenden Konsens getragen. Andererseits hat sich die wohlfahrtsstaatliche Agenda dramatisch gewandelt und es ist alles andere als klar, ob in Zeiten des wohlfahrtsstaatlichen Rückbaus weiterhin von einem parteiübergreifenden Konsens bezüglich der wohlfahrtsstaatlichen Basisinstitutionen ausgegangen werden kann. Es ist daher durchaus möglich, dass sich die Bedingungen für eine »Politisierung« der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung verändert haben. Erste »Auflösungserscheinungen« des (westlichen) Nachkriegskonsenses sind seit den 1990er Jahren zu beobachten, wofür vor allem die »Neoliberalisierung« der FDP und die Erweiterung des Parteienspektrums (PDS) Anhaltspunkte sind.123 Ein Einfluss von Parteiaffinitäten auf die Akzeptanzurteile ist aber wohl vor allem bei nicht institutionalisierten Leistungsarten und Absicherungsformen zu erwarten sowie bei konkreteren Reformvorhaben, die zumindest in Teilen Parteien und Parteiblöcken zugerechnet werden können (vgl. z.B. Ullrich/Christoph 2006). Für den deutschen Wohlfahrtsstaat ist daher allgemein anzunehmen, dass die Unterschiede zwischen den Anhängern verschiedener Parteien bei der Beurteilung des Kernbereichs der sozialen Sicherung insgesamt gering sind. Größere Unterschiede können dagegen bei Fragen der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« erwartet werden. Zur Untersuchung der Frage, ob bei der Beurteilung der sozialen Sicherung Unterschiede zwischen Klassen bzw. sozialen Positionen sowie nach Parteiaffinität bestehen, wird in den folgenden Analysen auf zwei Arten von Akzeptanzindikatoren zurückgegriffen (für eine ausführliche Beschreibung vgl. Abschnitt 4.2): Zum einen sind dies die Beurteilungen der Leistungshöhe von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe, zum 123
Inwiefern sich hier aber ein grundlegender wohlfahrtsstaatlicher Dissens zwischen den Parteien abzeichnet (oder schon besteht), ist nur schwer zu beurteilen. Zumindest scheinen – wie u.a. die Diskussion um Grundeinkommen und Bürgergeld zeigt – die »Binnenvariationen« oftmals größer als die Differenzen zwischen den Parteien.
136
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
anderen die staatliche Zuständigkeit für Arbeitsplätze und für die Verringerung der Einkommensunterschiede, zwei sozialpolitische Zielsetzungen, die der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« zugerechnet wurden, weil sie nicht zum institutionalisierten Kernbestand des deutschen Wohlfahrtsstaates gehören. Das Arbeitslosengeld und die Sozialhilfe sind die zwei Leistungsarten des Kernbereichs der sozialen Sicherung, die bei der Wahrscheinlichkeit einer Angewiesenheit die größten Unterschiede zwischen Klassen- und Einkommenslagen aufweisen. Im Gegensatz zur Renten- und zur Krankenversicherung sind sie zudem Minderheitsprogramme. Es ist daher anzunehmen, dass bei der Beurteilung dieser Sicherungsbereiche eher Klassenunterschiede zu finden sind. Grundsätzlich ist jedoch auch für die Arbeitslosenversicherung und die Sozialhilfe von einem eher hohen Konsens über die generelle wohlfahrtsstaatliche Absicherung dieser Ziele auszugehen (vgl. auch Sachweh et al. 2006). Nennenswerte Unterschiede zwischen sozialen Lagen oder nach Parteiaffinität sind daher erst bei der Frage nach dem Umfang der Absicherung (Präferenzen bezüglich der Leistungshöhe) zu erwarten. Auch hinsichtlich der Ziele »staatliche Sorge für Arbeitsplätze« und »Abbau von Einkommensunterschieden« ist eher als bei anderen wohlfahrtsstaatlichen Aufgaben und Bereichen von einem Einfluss der sozialen Lage und der Parteiaffinität auf die Beurteilung auszugehen – zum einen, weil die Vorteile (und zumindest, was die Frage der Reduzierung von Einkommensunterschieden betrifft, auch die Nachteile) sozial sehr unterschiedlich verteilt sind, und zum anderen, weil es sich um nichtkonsensuelle Ziele handelt. Diese Auswahl von Akzeptanzindikatoren und Sicherungsleistungen stellt somit den Versuch einer Fokussierung auf die Bereiche dar, bei denen am ehesten mit Klassenunterschieden zu rechnen ist. Sollten selbst hier keine Unterschiede zwischen Angehörigen unterschiedlicher sozialer Klassen und Lagen zu finden sein, so kann dies auch für andere Sicherungsziele und -bereiche ausgeschlossen werden. Von der allgemeinen, der Auswahl der Akzeptanzindikatoren zugrunde liegenden Annahme ausgehend, dass sich Unterschiede zwischen sozialen Klassen und Lagen sowie zwischen Anhängern unterschiedlicher Parteien vor allem dann finden lassen müssten, wenn es um den Umfang der sozialen Sicherung (Höhe der Leistungen) oder um Leistungen geht, bei denen der potenzielle Nutzen (etwa die Chancen eines Leistungsbezugs) klassen- oder lagespezifisch ungleich verteilt sind, werden den nachstehenden Analyen (6.1.2) folgende Annahmen zugrunde gelegt: Wegen der höheren potenziellen Angewiesenheit auf Arbeitslosengeld und Sozialhilfe wird bei Arbeitern eine stärkere Präferenz für höhere Leistungen erwartet (H1). Dabei sollte der Unterschied zu den Selbständigen, die beim Arbeitslosengeld noch zusätzlich durch die Arbeitgeberbeiträge belastet werden, besonders deutlich sein. Solche durch die soziale Lage und die Art der Erwerbstätigkeit bestimmten Unterschiede sind grundsätzlich zunächst einmal unabhängig vom Einkommen. Ent-
6.1 Klassen, Parteien und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
137
sprechend wird daher angenommen, dass Unterschiede zwischen sozialen Klassen auch bei Kontrolle des Einkommens bestehen bleiben (H1.1). Die Unterschiede entlang von Klassen- und Einkommensgrenzen sollten beim beitrags- bzw. einkommensabhängigen Arbeitslosengeld stärker sein als bei der Sozialhilfe (H2). Bei der Sozialhilfe ist zu vermuten, dass zusätzlich eine Trennlinie zwischen Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen – bzw. zwischen Personen in »Normalarbeitsverhältnissen« und solchen in prekärer Beschäftigung und mit diskontinuierlichen Erwerbsbiografien – verläuft (vgl. hierzu auch Abschnitt 6.2). Die Akzeptanz der traditional-materialistischen Aspekte der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« (»Arbeitsplätze« und »Abbau von Einkommensunterschieden«) sollte bei Arbeitern (Facharbeiter und ungelernte) und den unteren Einkommensgruppen größer sein (H3). Die wichtigsten Gründe für diese Annahme sind der höhere potenzielle und unmittelbare Nutzen (höheres Arbeitslosigkeitsrisiko und geringeres Einkommen). Aufgrund der starken »Mittelschichtorientierung« des deutschen Wohlfahrtsstaates, wird – trotz Unterschieden im Vergleich zu den Arbeiterklassen – insgesamt eine positive Akzeptanz der »Mittelklassen« erwartet (H4). Wegen der vergleichsweise hohen Befürwortung von Leistungskürzungen bei der Sozialhilfe (vgl. Kap. 5; Abb. 5.4e) und aufgrund der für Angehörige der Mittelkassen deutlich geringeren Sozialhilfewahrscheinlichkeit wird diese allgemeine Annahme jedoch für die Höhe der Sozialhilfe relativiert. Wenn es zumindest so etwas wie »Ressentiments« (wenn vielleicht auch keinen »welfare backlash«) der Mittelklassen gegen die soziale Sicherung gibt, dann sollten sich diese bei der »Leistungsbewertung« der Sozialhilfe nachweisen lassen (H4.1). Im Unterschied zu Wohlfahrtsstaaten, in denen die soziale Sicherung in stärkerem Maße Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzungen war (oder ist), ist für Deutschland ein geringer Einfluss der Parteineigung auf die Beurteilung des Wohlfahrtsstaates anzunehmen. Aufgrund des lange Zeit breiten, parteiübergreifenden Konsenses sollten sich die Anhänger unterschiedlicher Parteien bei der Beurteilung sozialer Sicherungssysteme insgesamt nicht allzu sehr unterscheiden, wenn für sozialstrukturelle Faktoren kontrolliert wird (H5). Dies gilt jedoch nur für die Kerninstitutionen der sozialen Sicherung (hier also für die Beurteilung der Leistungshöhe von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe). Deutlichere Unterschiede sollten dagegen bei der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« erkennbar sein. Denn sowohl bei der staatlichen Sorge für Arbeitsplätze als auch beim Abbau von Einkommensunterschieden handelt es sich um klassische »sozialdemokratische« Ziele (vgl. a. Roller 2002). Ihre Akzeptanz sollte unter den Anhängern der SPD (und der PDS) größer sein als bei denen anderer Parteien (H6).
138
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
6.1.2 Arbeiter und »Mittelklassen«: Unterschiede zwischen sozialen Klassen bei der Beurteilung sozialer Sicherungssysteme Ein erster Blick auf die Häufigkeitsverteilungen bei der Beurteilung der Leistungshöhe von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe macht für die Frage von Unterschieden zwischen Angehörigen unterschiedlicher soziale Klassen – hier wird ein auf sechs Klassen verdichtetes Klassenschema nach Erikson und Goldthorpe (1992) verwendet (im Folgenden auch als EGP abgekürzt; vgl. 4.3) – zweierlei deutlich (vgl. Abb. 6.1.1): Erstens sind bereits auf der deskriptiven Ebene Unterschiede erkennbar, die den allgemeinen Erwartungen zumindest grob entsprechen. Angehörige der Dienstklassen und Selbständige befürworten deutlich häufiger ein geringeres Arbeitslosengeld und eine niedrigere Sozialhilfe als Arbeiter.124 So sprechen sich nur 40,8 Prozent der Angehörigen der Dienstklassen für eine höhere Sozialhilfe aus, aber immerhin 57,4 Prozent der ungelernten Arbeiter. Die Unterschiede zwischen »Facharbeitern« und »an- und ungelernten Arbeitern« bei der Befürwortung höherer Leistungen sind allerdings jeweils relativ groß. Abbildung 6.1.1: »Leistungsbewertung« (Präferenzen für Leistungskürzungen und -erhöhungen) von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe nach sozialen Klassen (Häufigkeiten in Prozent)125 Arbeitslosengeld 80
74,1
70 57,0
64,5
60 53,1 53,1
Dienstklasse 50
Nichtmanuelle Routinetätigkeit
43,5
Selbstständige 40 31,5 30
Facharbeiter, Techniker, Meister Un- und angelernte Arbeiter
25,0 18,5
25,0 21,9
19,9
17,0
20
Landwirte, Landarbeiter
29,0
29,8
14,0 15,6 7,4
10
0
Kürzung
Niveau beibehalten
Erhöhung
N=1151 124
125
Die »selbständigen Landwirte und Arbeiter im primären Sektor« werden aufgrund der (trotz des Zusammenlegens der beiden Klassen) insgesamt geringen Fallzahl nicht in die Analysen einbezogen. Für den Zweck der Darstellung wurden die Werte der Variablen zusammengefasst. Als »Erhöhung« wurden dabei alle positiven Werte der Differenz von gewünschter und wahrgenommener Leistungshöhe definiert, als »Kürzung« entsprechend alle negativen.
139
6.1 Klassen, Parteien und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
Sozialhilfe 80
70
57,4
60 51,9 50,8 48,3
50 40,8 40
42,6
Dienstklasse Nichtmanuelle Routinetätigkeit Selbstständige
34,6 32,9 34,5 29,6
Landwirte, Landarbeiter
28,3
30
26,1
Facharbeiter, Techniker, Meister
24,7 24,4 18,5 17,2
20
20,9
Un- und angelernte Arbeiter 16,5
10
0
Kürzung
Niveau beibehalten
Erhöhung
N=1105
Andererseits kommt in diesen Unterschieden bei der Beurteilung der Leistungshöhe kein grundlegender Gegensatz zwischen den einzelnen sozialen Klassen zum Ausdruck. So befürworten auch Angehörige der Dienstklassen und Selbständige eher höhere als niedrigere Leistungen bei der Arbeitslosenversicherung und der Sozialhilfe, während immerhin ungefähr ein gutes Viertel der Arbeiter sich für Kürzungen bei der Sozialhilfe ausspricht (26,1 und 28,3 Prozent). Ein ähnliches Bild ergibt sich für die staatliche Sorge um Arbeitsplätze und für die Reduzierung von Einkommensunterschieden (Abb. 6.1.2). So überwiegt in allen sozialen Klassen die Zustimmung zu den genannten wohlfahrtsstaatlichen Zielen ganz deutlich. Die zusammengefassten Werte der Zustimmung schwanken zwischen 70,6 Prozent (Selbständige) und 90,1 Prozent (ungelernte Arbeiter) bei der staatlichen Sorge für Arbeitplätze und zwischen 58,5 Prozent (Dienstklasse) und 82,5 Prozent (ungelernte Arbeiter) beim Abbau von Einkommensunterschieden. Andererseits sind jedoch auch hier die Unterschiede im Grad der Zustimmung unverkennbar. Die ablehnenden Haltungen sind insbesondere bei den Angehörigen der Dienstklassen und bei den Selbständigen deutlich häufiger als bei Arbeitern. Insgesamt verdeutlichen die Häufigkeitsverteilungen, dass Unterschiede zwischen sozialen Klassen bei den Präferenzen hinsichtlich des Leistungsniveaus und des Umfangs des Wohlfahrtsstaates bestehen und dass diese Unterschiede der Erwartung entsprechen, dass Arbeiter stärker als Angehörige anderer sozialer Klassen eine umfassende und generöse Wohlfahrtsstaatlichkeit präferieren. Die Unterschiede zwischen den Klassen sind jedoch nicht so groß, dass hier von einem grundlegenden Gegensatz bei der Beurteilung der sozialen Sicherung ausgegangen werden kann. Auch bei den Mittelklassen (vor allem »Angestellte mit Routinetätigkeiten«) ist
140
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
keine grundsätzliche Ablehnung des Wohlfahrtsstaates zu erkennen. Auch hier überwiegt – wie bei allen Befragten – der Wunsch nach einem stärkeren Wohlfahrtsstaat. Abbildung 6.1.2: Befürwortung staatlicher Zuständigkeit: »Arbeitsplätze« und »Abbau von Einkommensunterschieden« nach sozialen Klassen (Häufigkeiten in Prozent) Arbeitsplätze 100
90,1 87,1
90
82,5
80
78,9 70,6
70,7
70
Dienstklasse 60
Nichtmanuelle Routinetätigkeit
50
Selbstständige
40
Landwirte, Landarbeiter 29,3
29,4
Facharbeiter, Techniker, Meister
30
21,1
Un- und angelernte Arbeiter
17,5 20
12,9
9,9
10 0
Ablehnung
Zustimmung
N=1276 Einkommensunterschiede 100
90
82,5 78,1 74,1
80
70
72,4 61,8
Dienstklasse
58,5 Nichtmanuelle Routinetätigkeit
60
Selbstständige 50
41,5
Landwirte, Landarbeiter
38,2 40
30
Facharbeiter, Techniker, Meister
25,9
21,9
27,6
Un- und angelernte Arbeiter
17,5 20
10
0
Ablehnung
N=1267
Zustimmung
6.1 Klassen, Parteien und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
141
Welche Bedeutung diese Unterschiede zwischen den Klassen für die Erklärung der Akzeptanzurteile haben, soll im Folgenden untersucht werden. Dazu werden Regressionsanalysen verwendet, die jeweils drei Modelle umfassen: Im ersten wird nur der Effekt der sozialen Klassen (nach dem EGP-Schema) betrachtet, im zweiten dann auch für weitere sozialstrukturelle Variablen kontrolliert. Im dritten Modell werden schließlich auch das Haushalts(netto)einkommen126 und die Beschäftigung im Öffentlichen Dienst einbezogen. Das Haushaltseinkommen wird dabei als zum Klassenschema konkurrierender Prädiktor der sozialen Lage verstanden.127 Eine Beschäftigung im Öffentlichen Dienst dient hier dagegen als zusätzlicher Mittelklassenindikator, der die »Mittelklassenthese« gewissermaßen zur »öffentlichen Sektor«These zuspitzt.128 Zunächst zur »Leistungsbewertung« von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe. Die im ersten Modell für das Arbeitslosengeld dargestellten Effekte der sozialen Klassen (Abb. 6.1.3) entsprechen zunächst den formulierten Erwartungen und bestätigen damit den Eindruck aus den Häufigkeitsverteilungen. Vor allem Arbeiter, aber auch einfache Angestellte (»nicht-manuelle Routinetätigkeiten«) befürworten im stärkeren Maße als Angehörige der Dienstklassen ein höheres Arbeitslosengeld, während der Effekt für die Selbständigen nicht signifikant ist. Der R²-Wert ist hier jedoch sehr klein, so dass insgesamt von einem schwachen Einfluss der Klassenlage auf die Beurteilung der Höhe des Arbeitslosengeldes auszugehen ist. Dies bestätigt das zweite Modell. Wenn für die Variablen Bildung, Alter, Geschlecht und Landesteil (Ost-/Westdeutschland) kontrolliert wird, reduziert sich der Einfluss der Klassenzugehörigkeit auf die Präferenzen hinsichtlich der Höhe des Arbeitslosengeldes. Hier ergeben sich nur noch für die beiden Arbeiterkategorien (schwach) signifikante Effekte. Sehr deutlich ist dagegen der Einfluss des Landesteils: Ostdeutsche sprechen sich auch unabhängig von der Klassenzugehörigkeit eher für ein höheres Arbeitslosengeld aus als Westdeutsche. Von den anderen soziodemografischen Variablen gehen dagegen keine signifikanten Wirkungen aus. Der R²Wert ist im zweiten Modell dennoch höher (0,066).
126
127
128
Das Haushaltseinkommen wurde hier nach der alten OECD-Skala bedarfsgewichtet (vgl. Anhang A2.2). Da beim Haushaltseinkommen die Anzahl der Antwortverweigerungen relativ hoch ist, wurde auf ein Konstanthalten der Fallzahlen verzichtet, wenn das Haushaltseinkommen zusätzlich in die Regressionsmodelle aufgenommen wurde. Beschäftigte im Öffentlichen Dienst sind zwar überwiegend den Mittelschichten zuzurechnen, weisen aber die für die Frage der Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen wichtige Besonderheit auf, dass sie weniger auf Systeme der sozialen Sicherung angewiesen und in geringerem Maße an ihrer Finanzierung beteiligt sind als andere Angehörige der Mittelschichten. Dies gilt natürlich insbesondere für Beamte, in abgeschwächter Form aber auch für Angestellte.
142
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
Abbildung 6.1.3: »Leistungsbewertung« (Präferenzen für Leistungskürzungen und -erhöhungen): Arbeitslosengeld – Klassen, soziale Lage (OLSRegressionen) Modell 1
Modell 2
Modell 3
0,019 0,012 0,056 0,096* 0,092*
0,041 0,048 0,052 0,133** 0,091
(Ref.Kat.: Dienstklasse129)
Soziale Klassen (EGP) Nicht-manuelle Routinetätigkeiten Selbstständige (ohne Landwirte) selbst. Landwirte/Arbeiter im prim. Sektor Facharbeiter, Techniker, Meister Un- und angelernte Arbeiter Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch Alter des Befragten
0,081* 0,024 0,091** 0,135*** 0,133***
-0,006 -0,070 -0,048
0,021 -0,009 -0,064
Geschlecht: Frau
0,053
0,047
Landesteil: Ostdeutschland
0,188***
0,167*** 0,002
Beschäftigung im Öffentlichen Dienst Haushaltsnettoeinkommen (bedarfsgewichtet; pro 1000 €) R² (korrigiertes R²) N
-0,070 0,024 (0,019)
0,066 (0,057) 1121
0,067 (0,052) 765
* p<0,05; ** p<0,01; ***p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; standardisierte Regressionskoeffizienten
Werden auch die Beschäftigung im Öffentlichen Dienst und das Haushaltseinkommen in die Analyse einbezogen (Modell 3), bleibt nur für die Facharbeiter ein signifikanter Effekt bestehen.130 Dabei weisen das (bedarfsgewichtete) Haushaltseinkommen und die Beschäftigung im Öffentlichen Dienst selbst keine signifikanten Effekte auf. Ihre Aufnahme in das Regressionsmodell stellt insofern keine Verbesserung dar. Die Anhaltspunkte für klassenförmige Akzeptanzunterschiede sind bei der Beurteilung der Höhe der Sozialhilfe (Abb. 6.1.4) noch schwächer als bei der des Arbeitslosengeldes. Bereits ohne die Kontrolle weiterer Variablen kann nur für die un- und angelernten Arbeiter eine im Vergleich zur Dienstklasse signifikant höhere Befürwortung eines höheren Leistungsniveaus festgestellt werden (Modell 1).
129
130
Vor allem aufgrund der geringen Zellenbesetzung bei den Selbständigen wurde(n) hier die Dienstklasse(n) als Referenzkategorie gewählt. Der Effekt für die un- und angelernten Arbeiter ist nur noch auf dem 10 %-Niveau signifikant.
143
6.1 Klassen, Parteien und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
Abbildung 6.1.4: »Leistungsbewertung« (Präferenzen für Leistungskürzungen und -erhöhungen): Sozialhilfe – Klassen, soziale Lage (OLS-Regressionen) Modell 1
Modell 2
Modell 3
0,022 0,029 0,044 0,066 0,105**
-0,001 0,030 0,035 0,055 0,118**
0,001 0,054 -0,019 0,012 0,063
Soziale Klassen (EGP) (Ref.Kat.: Dienstklasse) Nicht-manuelle Routinetätigkeiten Selbstständige (ohne Landwirte) selbst. Landwirte/Arbeiter im prim.Sektor Facharbeiter, Techniker, Meister Un- und angelernte Arbeiter Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch Alter des Befragten
0,079* 0,010
0,085 0,097*
-0,091**
-0,104**
Geschlecht: Frau
0,005
Landesteil: Ostdeutschland
0,192***
-0,007 0,157***
Beschäftigung im Öffentlichen Dienst
-0,053
Haushaltsnettoeinkommen (bedarfsgewichtet; pro 1000 €)
-0,159***
R² (korrigiertes R²) N
0,011 (0,006)
0,070 (0,061) 1067
0,086 (0,071) 722
* p<0,05; ** p<0,01; ***p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; standardisierte Regressionskoeffizienten
Erweist sich dieser Effekt bei Hinzuziehung weiterer sozialstruktureller Variablen noch als stabil (Modell 2), so verschwinden die Unterschiede zwischen den Klassen völlig, wenn auch für das Haushaltseinkommen und die Beschäftigung im öffentlichen Dienst kontrolliert wird (Modell 3). Insgesamt zeigen sich zwar recht deutliche Effekte der sozialstrukturellen Variablen, so dass allgemein davon ausgegangen werden kann, dass die soziale Position die Präferenzen der Befragten hinsichtlich der Höhe der Sozialhilfe beeinflusst. Mit Ausnahme der un- und angelernten Arbeiter gilt dies jedoch nicht für die Klassenlage. Zudem erweist sich das Haushaltseinkommen hier als besserer Prädiktor für die Akzeptanzurteile. Insgesamt zeigt sich, dass die Unterschiede zwischen sozialen Klassen bei den Präferenzen bezüglich der Höhe von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe eher gering oder sogar gar nicht vorhanden sind. Auch Anzeichen für eine besondere Positionierung der Mittelklassen, geschweige denn für einen »welfare backlash«, sind nicht
144
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
zu erkennen. Insofern ist hier, durchaus erwartungsgemäß, eher von einer erfolgreichen Mittelschichtintegration auszugehen. Etwas stärkere Unterschiede zwischen den sozialen Klassen werden bei den beiden hier untersuchten Aspekten der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« deutlich (Abbildung 6.1.5). Sowohl bei der staatlichen Sorge für Arbeitsplätze als auch bei der Verringerung von Einkommensunterschieden sind die Effekte für die einzelnen sozialen Klassen recht deutlich und gehen in die erwartete Richtung (Modelle A1 und B1): Arbeiter und »einfache« Angestellte präferieren eine höhere staatliche Zuständigkeit als die Dienstklasse. Auch der Erklärungswert der Modelle ist hier etwas höher als bei der »Leistungsbewertung« des Arbeitslosengeldes und der Sozialhilfe, wenn auch immer noch auf einem eher geringen Niveau. Abbildung 6.1.5: Staatliche Zuständigkeit: »Arbeitsplätze« und »Einkommensunterschiede« – Klassen, soziale Lage (Ordinale logistische Regressionen) »Arbeitsplätze«
Soziale Klassen (EGP) (Ref.Kat.: Dienstklasse) Nicht-manuelle Routinetätigkeiten Selbstständige (ohne Landwirte) selbst. Landwirte/Arbeiter im prim. Sektor Facharbeiter, Techniker, Meister Un- und angelernte Arbeiter
Modell A1
Modell A2
1,770*** 0,932 1,930 1,709** 2,263***
1,057 0,662 0,901 1,149 1,378
»Einkommensunterschiede« Modell B1
1,893*** 1,106 3,112** 2,080*** 2,436***
Modell B2
1,556** 0,908 1,761 1,556* 1,793**
Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch
0,778 0,378***
0,782 0,579**
Alter des Befragten
0,993*
0,996
Geschlecht: Frau
1,466**
1,014
Landesteil: Ostdeutschland
3,351***
3,282***
Pseudo R² (Nagelkerke) Pseudo R² (McFadden) N
0,029 0,010
0,112 0,039 1256
0,040 0,012
0,106 0,032 1248
* p<0,05; ** p<0,01; ***p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; Odds-Ratios
Bei den Präferenzen für eine staatliche Sorge für Arbeitsplätze sind die Effekte der sozialen Klassen jedoch nicht mehr signifikant, wenn für weitere sozialstrukturelle Variablen kontrolliert wird (Modell A2). Dagegen erweisen sich die Effekte der sozialen Klassen bei der staatlichen Zuständigkeit für die Verringerung von Einkommensunterschieden als stabil (mit Ausnahme des Effekts für Landwirte/Landarbeiter).
6.1 Klassen, Parteien und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
145
Auch bei Einbezug der soziodemografischen Variablen befürworten beide Arbeiterklassen und die Angestellten mit »nicht-manuellen Routinetätigkeiten« stärker als die Dienstklassen eine staatliche Reduzierung der Einkommensunterschiede (Modell B2). Für beide Indikatoren der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« zeigt sich somit, dass andere Parameter der sozialen Lage einen weitaus größeren Einfluss auf die Präferenzen der Befragten haben als die Klassenposition. Besonders stark ist in beiden Fällen der positive Effekt der Herkunft aus Ostdeutschland. Hier zeigt sich erneut, dass die in Kapitel 5 dargelegten Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen nicht (immer) auf sozialstrukturell determinierte Interessenlagen zurückgeführt werden können. Signifikante Effekte hat in beiden Fällen auch das höhere Bildungsniveau (Personen mit hohem Bildungsniveau sprechen sich seltener für eine staatliche Zuständigkeit aus als solche mit niedriger formaler Bildung). Bei der Frage einer staatlichen Sorge für Arbeitsplätze besteht zudem ein positiver Effekt für Frauen131 und ein negativer für das Alter. Insgesamt lässt sich zur Bedeutung sozialer Klassen für die Beurteilung der zur Disposition gestellten Sicherungsleistungen und -aufgaben festhalten: 1. 2.
3.
Der Einfluss der Klassenposition auf die Akzeptanzurteile ist eher gering, aber zumindest in den Modellen ohne weitere Variablen oft nachweisbar. Bei den Indikatoren der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit«, und insbesondere bei der Verringerung von Einkommensunterschieden, ist der Einfluss der sozialen Klassenlage etwas größer und stabiler als bei der »Leistungsbewertung« von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe. Der Einfluss anderer sozialstruktureller Merkmale ist stärker als der von Klassenlagen. Dies gilt insbesondere für das höhere Bildungsniveau und die Herkunft aus den ostdeutschen Bundesländern, die beide bessere Prädiktoren für die hier untersuchten Präferenzen sind als die Klassenposition.
Die eingangs formulierten Hypothesen sind damit nur in geringem Maße bestätigt worden. Zwar bestehen zwischen Arbeitern und privilegierten Klassen (Dienstklassen, Selbständige) bei den sozialpolitischen Präferenzen die erwarteten Unterschiede: Arbeiter präferieren etwas mehr als Angehörige anderer Klassen höhere Leistungen bei Arbeitslosengeld und Sozialhilfe (H1) und sind eher der Ansicht, dass die Bereitstellung von Arbeitsplätzen und die Verringerung von Einkommensunterschieden eine staatliche Aufgabe sind (H3). Diese Unterschiede zwischen Arbeitern und anderen sozialen Klassen sind aber insgesamt eher schwach und erweisen sich bei Kontrolle weiterer Interessenparameter überwiegend als nicht stabil.
131
Dieser Effekt ist vermutlich auf die größere »Arbeitsmarktferne« von Frauen zurückzuführen. Generell höhere Präferenzen für eine staatliche Zuständigkeit lassen sich für Frauen aber auch in anderen Bereichen nachweisen (vgl. Abschnitt 6.5).
146
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
Ein Vergleich von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe zeigt dagegen, dass Klassenunterschiede beim Arbeitslosengeld etwas größer sind als bei der Sozialhilfe. Dies entspricht zumindest der Annahme, dass Unterschiede zwischen den Klassen eher bei erwerbsarbeitsabhängigen Leistungen auftreten (H2). Das Ergebnis bei der Sozialhilfe spricht zudem eher für die These einer Trennung von »Insidern« und »Outsidern« (Exklusion) als für den traditionalen Klassengegensatz zwischen Arbeitern und anderen sozialen Klassen (vgl. hierzu auch 6.2).132 Den Erwartungen entsprechend sind keine Anzeichen für einen »welfare backlash« der Mittelklassen zu erkennen (H4): So ist hier die Akzeptanz zwar immer etwas geringer als bei den Arbeiterklassen, aber stets »positiv«. Aber auch für die Beschäftigung im Öffentlichen Dienst konnten keine (positiven) Effekte festgestellt werden. Die beiden konträren Annahmen über die Mittelklasse (Integrations- vs. »welfare backlash«-These) konnten mit dem EGP-Schema und der Beschäftigung im öffentlichen Dienst allerdings nur in Grenzen untersucht werden. Insgesamt gibt es damit nur wenig Anhaltspunkte für einen stabilen Einfluss der Klassenposition auf die Präferenzen bezüglich der Wohlfahrtsstaatlichkeit. Klassenunterschiede sind zwar vorhanden, aber – mit der Ausnahme der »Verringerung der Einkommensunterschiede« – nicht entscheidend für die hier untersuchten wohlfahrtsstaatlichen Präferenzen. Kurz: Es bestehen Klassenunterschiede; aber aus diesen lassen sich keine Klassengegensätze ableiten. 6.1.3 Politisierte Gegensätze? Zum Einfluss der Parteiaffinität auf die Akzeptanzurteile Bei den Häufigkeitsverteilungen für die Beurteilung der Leistungshöhe von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe (Abb. 6.1.6) fällt sogleich der Unterschied zwischen den Anhängern der PDS und denen der anderen Bundestagsparteien auf. Während sich 69,6 Prozent der PDS-Anhänger für eine höhere Sozialhilfe aussprechen und sogar 72,3 Prozent für ein höheres Arbeitslosengeld, liegen die Werte der Anhänger anderer Bundestagsparteien bei der Präferenz für ein höheres Arbeitslosengeld zwischen 35,6 Prozent (Grüne) und 45,6 Prozent (SPD) und bei der für eine höhere Sozialhilfe zwischen 35,8 Prozent (CDU/CSU-Anhänger) und 43,2 Prozent (Grüne). Bei der »Leistungsbewertung« der Sozialhilfe sieht man zudem, dass das knappe Übergewicht der Befürworter einer höheren Sozialhilfe auf die Anhänger der PDS und der
132
Dieser Unterschied zwischen der Beurteilung der Leistungshöhe von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe entspricht im Übrigen auch Annahmen über einen »Arbeiterkonservatismus« oder -autoritarismus (vgl. u.a. Houtman 2000; Lipset 1959; Svallfors 2004), nach denen qualifizierte Arbeiter mindestens ebenso stark wie die Mittelklassen am Zusammenhang von Erwerbstätigkeit und sozialer Sicherung festhalten, was in einer vergleichsweise kritischen Sicht der Sozialhilfe, von Sozialhilfeempfängern sowie von Grundeinkommenskonzepten zum Ausdruck kommt.
147
6.1 Klassen, Parteien und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
Grünen zurückzuführen ist. Unter den FDP-Anhängern gibt es sogar deutlich mehr Befürworter von Leistungskürzungen. Die Unterschiede zwischen den Anhängern der alten Bundestagsparteien (inkl. der Grünen-Anhänger) sind hier insgesamt vergleichsweise gering. Dies gilt vor allem für die beiden »Volksparteien«. Ein Gegensatz zwischen Anhängern konservativer und liberaler Parteien auf der einen und linker Parteien auf der anderen Seite ist daher nicht zu erkennen. Vielmehr besteht eine gewisse Kluft zwischen den Anhängern der PDS und denen der anderen Bundestagsparteien.133 Abbildung 6.1.6: »Leistungsbewertung« (Präferenzen für Leistungskürzungen und -erhöhungen) von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe nach Parteiaffinität (Häufigkeiten in Prozent) Arbeitslosengeld 80 72,3 70 58,4
60
50
44,7 45,6
31,1 26,0
30
29,3
29,6
SPD 35,6
35,7
40
CDU/CSU 42,9
33,3
B90/Grüne
24,8
PDS
25,6 21,4
FDP
19,1
keine/andere Partei
16,1
20 8,5 10
0
Kürzung
Niveau beibehalten
Erhöhung
N=1151
133
Nur Befragte, die sich kleineren Parteien nahe fühlen oder keine Präferenz für eine Partei angaben, äußern sich annähernd ähnlich unzufrieden mit der Leistungshöhe von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe wie die PDS-Anhänger.
148
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
Sozialhilfe 80 69,6 70
60 52,8
CDU/CSU
50
44,4
43,2
37,9 36,9 40
35,8
34,1
SPD FDP B90/Grüne
27,3
30
26,3
25,1
PDS 18,5 22,7 15,2
20
37,9 37,0
keinei/andere Partei
19,9
15,2
10
0
Kürzung
Niveau beibehalten
Erhöhung
N=1105
Bei den Zielen der staatlichen Bereitstellung von Arbeitsplätzen und vor allem bei der Verringerung von Einkommensunterschieden sind dagegen eher klassische RechtsLinks-Unterschiede zu erkennen (Abb. 6.1.7). So wird das Ziel der Reduzierung von Einkommensunterschieden am stärksten von Anhängern der PDS und der SPD unterstützt (93,9 % bzw. 74,6 %). Am stärksten abgelehnt wird es dagegen von Anhängern der FDP (59,4 %) und der CDU/CSU (39,0 %). Die Anhänger der FDP sind zudem die einzige Gruppe, die den Abbau von Einkommensunterschieden als staatliches Ziel mehrheitlich ablehnt. Bei der Aufgabe der Arbeitsplatzschaffung sind diese Unterschiede zwischen den politischen Lagern weit weniger ausgeprägt, lassen aber das gleiche Grundmuster erkennen.134 Trotz dieser Unterschiede darf nicht übersehen werden, dass mit einer Ausnahme (FDP-Anhänger/Einkommensunterschiede) beide Ziele von einer Mehrheit der Anhänger aller Parteien unterstützt werden. Insgesamt ergeben die Häufigkeitsverteilungen also kein einheitliches Bild. Nur bei den Indikatoren der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« finden sich Hinweise auf gegensätzliche Präferenzen der Anhänger linker und konservativ-liberaler Parteien. Bei der Beurteilung der Leistungshöhe verläuft die Trennungslinie dagegen zwischen den Anhängern der PDS (und von Befragten mit keiner oder »anderer« Parteiaffinität) und denen der »Altparteien« der Bundesrepublik. Aber selbst bei den beiden Indikatoren der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« ist der Abstand zwi-
134
Ausnahme sind hier die Grünen-Anhänger. Die Grüne Partei fügt sich im Bereich Sozialpolitik allerdings auch nicht sehr gut in das Rechts-Links-Schema ein.
149
6.1 Klassen, Parteien und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
schen PDS- und SPD-Anhängern oft größer als zwischen den Anhängern der SPD und denen der »bürgerlichen« Parteien. Abbildung 6.1.7: Befürwortung staatlicher Zuständigkeit: »Arbeitsplätze« und »Abbau von Einkommensunterschieden« nach Parteiaffinität (Häufigkeiten in Prozent) Arbeitsplätze
100
90,0 90
83,1
79,7 76,3 71,9
80
62,3
70
CDU/CSU SPD
60
FDP 50
B90/Grüne
37,7
PDS
40
28,1 30
23,7
keine/andere Partei
20,3 16,9
20
10,0
10 0
Ablehnung
Zustimmung
N=1302 Einkommensunterschiede 100
93,9
90
74,6
80 70
73,7 64,2
61,0
59,4
CDU/CSU
60
SPD 50
40,6 39,0
35,8
40 30
FDP B90/Grüne
25,4
PDS
26,3
keine/andere Partei
20
6,1
10 0
Ablehnung
Zustimmung
N=1289
150
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
Diese Eindrücke aus den Häufigkeitsverteilungen werden durch die Regressionsanalysen weitgehend bestätigt. Bei der »Leistungsbewertung« (Präferenzen bezüglicher Leistungshöhe) sind sowohl beim Arbeitslosengeld als auch bei der Sozialhilfe bereits in den einfachen Modellen, in denen nur die Parteineigungen aufgenommen wurden (Abb. 6.1.8, Modelle A1 und B1), allein für die PDS-Präferenz (und für Befragte ohne oder mit »anderer« Parteiaffinität) signifikante Effekt nachweisbar (Referenzkategorie sind hier die CDU/CSU-Anhänger). Abbildung 6.1.8: »Leistungsbewertung«: Arbeitslosengeld und Sozialhilfe; Einfluss der Parteiaffinität (OLS-Regressionen) Arbeitslosengeld Modell A1 Modell A2 Parteiaffinität (Ref.Kat.: CDU/CSU) FDP SPD B90/Grüne PDS andere/keine Parteiaffinität Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch Alter des Befragten Geschlecht: Frau Oben-Unten-Skala Landesteil: Ostdeutschland R² (korrigiertes R²) N
-0,024 0,011 -0,020 0,128*** 0,156***
-0,023 -0,006 -0,023 0,051 0,083*
Sozialhilfe Modell B1 Modell B2 -0,026 0,011 0,030 0,132*** 0,166***
-0,048 -0,086** -0,029 0,016 -0,163*** 0,131*** 0,034 (0,030)
0,095 (0,084) 1108
-0,036 -0,004 0,013 0,049 0,081* 0,030 -0,011 -0,060 -0,043 -0,167*** 0,126***
0,035 (0,030)
0,088 (0,079) 1064
* p<0,05; ** p<0,01; *** p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; standardisierte Regressionskoeffizienten
Diese werden aber insignifikant, sobald sozialstrukturelle Variablen und vor allem der Landesteil (Ost-/Westdeutschland) einbezogen werden. Der relativ starke Effekt für Ostdeutschland zeigt, dass nicht die PDS-Präferenz, sondern die Herkunft aus den »neuen« Bundesländern für die »Leistungsbewertung« von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe wichtig ist. Ostdeutsche (und nicht nur Anhänger der PDS) präferieren höhere Leistungen beim Arbeitslosengeld und bei der Sozialhilfe.135 Ein starker Effekt geht zudem von der Selbstverortung auf der Oben-Unten-Skala aus. Mithin sind für die hier untersuchten wohlfahrtsstaatlichen Präferenzen die subjektive so135
Zu den Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschen bei der »Leistungsbewertung« von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe vgl. a. Abbildungen 5.4c und 5.4d.
151
6.1 Klassen, Parteien und die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates
ziale Lage und die Herkunft aus Ost- oder Westdeutschland entscheidend, nicht aber Unterschiede in den parteipolitischen Orientierungen.136 Auch bei der Frage, ob der Staat dafür Sorge tragen soll, dass jeder Arbeitswillige eine Arbeit bekommt, ist das Gleiche zu beobachten wie bei der »Leistungsbewertung« (Abb. 6.1.9): Ein anfänglich bestehender Effekt für die Anhänger der PDS (Modell A1) wird durch die Hereinnahme der soziodemografischen Variablen insignifikant (Modell A2). Neben dem starken Effekt für Ostdeutsche, die fast 3,5mal so häufig wie Westdeutsche eine staatliche Arbeitsplatzgarantie befürworten, sind hier auch ein deutlicher (negativer) Einfluss des Bildungsgrads sowie ein positiver Effekt für Frauen festzustellen. Abbildung 6.1.9: Staatliche Zuständigkeit: »Arbeitsplätze« und »Abbau von Einkommensunterschieden«; Einfluss der Parteiaffinität (Ordinale logistische Regressionen) »Arbeitsplätze« Modell A1 Parteiaffinität (Ref.Kat.: CDU/CSU) FDP SPD B90/Grüne PDS andere/keine Parteiaffinität Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch Alter des Befragten Geschlecht: Frau Oben-Unten-Skala Landesteil: Ostdeutschland Pseudo R² (Nagelkerke) Pseudo R² (McFadden) N
Modell A2
0,703 1,063 0,762 2,098* 1,644***
0,686 1,036 0,808 0,867 1,303 0,694** 0,352*** 0,996 1,366** 1,004 3,473*** 0,110 0,038
0,024 0,008 1248
»Einkommensunterschiede« Modell B1 Modell B2 0,562 1,726** 1,319 4,996*** 1,854***
0,635 1,670** 1,585 2,396** 1,512** 0,661** 0,430*** 0,999 1,074 0,939 2,748*** 0,115 0,035
0,043 0,013 1235
* p<0,05; ** p<0,01; ***p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; Odds-Ratios
Für das Ziel der Verringerung von Einkommensunterschieden sind dagegen Unterschiede zwischen Parteineigungen zu erkennen, die dem Rechts-Links-Schema folgen und sich als stabil erweisen (Abb. 6.1.9; Modell B2). Nicht nur Anhänger der PDS, sondern auch die der SPD wünschen sich deutlich häufiger als CDU/CSU136
Eine Ausnahme ist hier der stabile, wenn auch schwache Effekt für die Kategorie »andere/keine Parteiaffinität«. Da es sich hierbei um eine »Restkategorie« handelt, lässt sich dieser jedoch nicht problemlos interpretieren.
152
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
Anhänger, dass der Staat sich um eine Verringerung der Einkommensunterschiede bemüht. Diese Effekte schwächen sich bei Einbezug der soziodemografischen Variablen zwar deutlich ab (PDS), bleiben aber signifikant. Ähnlich wie beim Ziel »Arbeitsplätze« weisen auch der Bildungsgrad (negativ) und die Herkunft aus Ostdeutschland (positiv) signifikante Effekte auf. Bemerkenswert ist zudem, dass hier für die Selbstverortung auf der Oben-Unten-Skala kein signifikanter Effekt besteht. Ähnlich wie für die sozialen Klassen lässt sich auch für politische Orientierungen (Parteineigungen) nur ein geringer Einfluss auf die Akzeptanzurteile feststellen. Beide Hypothesen über die Bedeutung der Parteiaffinität können dabei im Prinzip als bestätigt gelten: Wie erwartet bestehen bei der »Leistungsbewertung« von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe keine Unterschiede zwischen den Anhängern unterschiedlicher Parteien, wenn für sozialstrukturelle Faktoren kontrolliert wird (H5). Die zwischen Anhängern der PDS und denen der anderen Parteien bestehenden Unterschiede können entsprechend auf Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen sowie auf Parameter der sozialen Lage (Bildung, Selbstverortung auf der Oben-Unten-Skala) zurückgeführt werden. Die wohlfahrtsstaatliche Aufgabe »Verringerung von Einkommensunterschieden« findet dagegen bei den Anhängern der Linksparteien (SPD und PDS) größere Unterstützung. Dies entspricht der Annahme eines Rechts-Links-Gegensatzes (H6), der allerdings auch hier von Ost-West-Unterschieden überlagert wird (größere Differenz zwischen PDS- und SPD-Anhängern). Für das Ziel »staatliche Sorge für Arbeitsplätze« konnten entsprechende Unterschiede zwischen Links- und Rechtsparteien jedoch nicht nachgewiesen werden; hier sind ähnliche Effekte wie bei der »Leistungsbewertung« zu beobachten. Von »politisierten« Gegensätzen im Sinne klassischer Schemata kann daher bei den hier untersuchten Akzeptanzindikatoren allgemein nicht gesprochen werden. Dafür sind die Unterschiede zwischen den etablierten Bundestagsparteien trotz einiger Besonderheiten insgesamt zu gering. Die wesentlichen Unterschiede bestehen vielmehr zwischen ostdeutschen und westdeutschen Befragten, wobei sich die Menschen in den neuen Bundesländern – wie auch schon in Kapitel 5.2 gesehen – durchgängig ein größeres Maß an Wohlfahrtsstaatlichkeit wünschen. Zumindest für die »alte« Bundesrepublik gilt daher, dass – mit Ausnahme der »Einkommensunterschiede« – zwischen den Anhängern unterschiedlicher Parteien eher von einem Konsens über das »rechte Maß« der sozialen Sicherung auszugehen ist.
6.2 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (I): Versorgungsklassen
153
6.2 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (I): Versorgungsklassen 6.2.1 Einleitung In diesem Kapitel werden zwei Themenbereiche behandelt. Zum einen wird untersucht, wie sich die erst durch die sozialen Sicherungssysteme konstituierten, relativ zeitstabilen Interessenlagen (Versorgungsklassen) auf die Akzeptanzurteile gegenüber dem Wohlfahrtsstaat auswirken. Parallel dazu wird der Frage nachgegangen, welche Bedeutung subjektive Interessendefinitionen für die Herausbildung sozialpolitischer Präferenzen und allgemeiner Akzeptanzurteile haben. Als Versorgungsklasse (auch als »positive« oder »positiv privilegierte« Versorgungsklasse) bezeichnet man Bevölkerungsgruppen, die ihren Lebensunterhalt vorwiegend und über einen längeren Zeitraum aus Sozialtransfers bestreiten (bzw.: die Transferzahlungen sowie Sach- und Dienstleistungen erhalten, die ausreichend zur Bestreitung des Lebensunterhalts sind).137 Im Wohlfahrtsstaat der Bundesrepublik Deutschland sind Rentner, Pensionäre, Arbeitslose (Empfänger von Arbeitslosengeld) und – im Zeitraum der Untersuchung – Sozialhilfeempfänger (seit 2005 Empfänger von Arbeitslosengeld II) die wichtigsten positiven Versorgungsklassen. Als »Finanzierungsklassen« (auch »negative« oder »negativ privilegierte« Versorgungsklassen) können demgegenüber sozialpolitisch geformte Lagen bezeichnet werden, die vorwiegend oder ausschließlich zur Finanzierung sozialer Sicherungssysteme herangezogen werden. Überwiegend sind dies die sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigen. Bereits in Abschnitt 2.2.2 wurden drei Aspekte deutlich: erstens, dass es in Wohlfahrtsstaaten zu latenten Gegensätzen, wenn nicht gar manifesten Konflikten zwischen Versorgungsklassen kommen kann; zweitens, dass hierbei zwei grundlegende Formen zu unterscheiden sind, nämlich Gegensätze zwischen Versorgungsklassen und »Finanzierungsklassen« und solche zwischen unterschiedlichen »positiv privilegierten« Versorgungsklassen (z.B. zwischen Rentnern und Sozialhilfeempfängern). Schließlich wurde erläutert, warum die Wahrscheinlichkeit von Gegensätzen zwischen Versorgungsklassen in konservativen Wohlfahrtsstaaten insgesamt vergleichsweise gering ist. Darüber wie sich diese möglichen Gegensätze auf die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates auswirken, ist erst relativ wenig bekannt. Als sicher kann aber wohl gelten, dass Angehörige von (positiven) Versorgungsklassen in stärkerem Maße Leistungserhöhungen in »ihren« Sicherungssystemen unterstützen als andere Bevölkerungs137
Vgl. aber auch die zugleich genauere und weitere Ur-Definition von Lepsius: »'Versorgungsklasse' soll eine Klasse insoweit heißen, als Unterschiede in sozialpolitischen Transfereinkommen und Unterschiede in der Zugänglichkeit zu öffentlichen Gütern und Dienstleistungen die Klassenlage, d.h. die Güterversorgung, die äußere Lebensstellung und das innere Lebensschicksal bestimmen« (Lepsius 1979: 179).
154
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
gruppen (vgl. 3.2). Eine systematische Untersuchung von Unterschieden zwischen Versorgungsklassen und Finanzierungsklassen sowie zwischen »konkurrierenden« Versorgungsklassen steht aber bisher noch aus.138 Grundlegend ist davon auszugehen, dass die Haltung gegenüber wohlfahrtsstaatlichen Institutionen nicht nur durch die objektive individuelle Situation – also vor allem durch die soziale Lage (Klasse, Einkommen, Bildung) und durch die Versorgungsklassenposition – geprägt sind, sondern vor allem auch von subjektiven Interessendefinitionen beeinflusst werden. Zwei Aspekte individueller Interessenwahrnehmung scheinen hier besonders wichtig: Dies ist zum einen das individuelle Sicherungsbedürfnis, das auch bei gleicher »objektiver Lage« unterschiedlich stark sein kann. Daneben wird, so ist zu vermuten, die Akzeptanz eines Sicherungssystems und des Wohlfahrtsstaates insgesamt auch durch die Erwartung beeinflusst, auf lange Sicht von einer umfassenden sozialen Sicherung zu profitieren. Das erste Motiv markiert dabei das aktuelle, das zweite das prospektive oder langfristige Interesse an einer sozialen Absicherung. Auf die allgemeine Bedeutung beider Interessenmotive ist in der Literatur wiederholt hingewiesen worden. So ist im Anschluss an Kaufmanns grundlegender Arbeit (Kaufmann 1973) immer wieder hervorgehoben worden, dass ein individuelles Sicherungsbedürfnis eine grundlegende Voraussetzung sowohl für die Legitimierung wohlfahrtsstaatlicher Institutionen als auch für deren Unterstützung durch die Bevölkerung ist (vgl. u.a. De Swaan 1988; Esping-Andersen 1999; Möhle 2001: 129ff.; Schönbäck 1980). Ebenso wurde auf die im Zuge fortschreitender Individualisierung vermeintlich zunehmenden Sicherungsbedarfe hingewiesen (Bonß 1995; Zapf et al. 1987). Im Vergleich zur Sicherheitsthematik ist die theoretische Reflexion des Bedingungsverhältnisses von Wohlfahrtsstaat und Reziprozitätsprinzip noch nicht sehr weit vorangeschritten und erweckt einen eher »sporadischen« Eindruck. Dennoch ist die Bedeutung von Reziprozitätsnormen und -vorstellungen als motivationale und legitimatorische Ressource keineswegs unentdeckt geblieben (vgl. u.a. Lessenich 1999; Lessenich/Mau 2005; Mau 2002; Wynne 1980), wenn ein expliziter Bezug zu Akzeptanzfragen auch selten ist (vgl. aber Bowles/Gintis 2000; Ullrich 1999). Subjektive Interessendefinitionen sind nur selten als mögliche Einflussfaktoren für Akzeptanzurteile gegenüber wohlfahrtsstaatlichen Institutionen in Betracht gezogen worden. Ihre Bedeutung für die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates muss daher als weitgehend unerforscht gelten. In einzelnen Untersuchungen wurden jedoch auch subjektive Interessendefinitionen zur Erklärung von Akzeptanzurteilen herangezogen. In allen Fällen wurden dabei signifikante Effekte der (allerdings unterschiedlich
138
Für einen der äußerst seltenen Versuche, den Zusammenhang von Versorgungsklassenlage und der Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates zu untersuchen, vgl. a. Papadakis (1993), dessen Ergebnisse aber eher skeptisch stimmen (1993: 265f.).
6.2 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (I): Versorgungsklassen
155
operationalisierten) subjektiven Interessendefinitionen festgestellt.139 Dass sowohl individuelle Sicherungsbedürfnisse als auch Reziprozitätserwartungen sich erheblich auf die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme auswirken können, konnte zudem in einer qualitativen Untersuchung zur Akzeptanz der Gesetzlichen Krankenversicherung gezeigt werden (vgl. Ullrich 1999; 2000b). Da positive Versorgungsklassen nur durch drei der hier untersuchten Sicherungssysteme gebildet werden, und zwar durch die Gesetzliche Rentenversicherung, die Arbeitslosenversicherung und durch die Sozialhilfe, werden sich die Analysen im folgenden Abschnitt auch auf diese drei Sicherungssysteme bzw. auf die korrespondierenden Versorgungsklassen (Rentner, Arbeitslose140 und Sozialhilfeempfänger) konzentrieren. Ähnlich wie für die soziale Klassenlage (Abschnitt 6.1.2) wird dabei angenommen, dass Konflikte zwischen Versorgungs- und Finanzierungsklassen als auch zwischen unterschiedlichen Versorgungsklassen in erster Linie bei den Präferenzen für Leistungserhöhungen bzw. für Kürzungen zu erkennen sein müssten. Zur Untersuchung der Unterschiede zwischen Versorgungsklassen141 bei der Beurteilung sozialer Sicherungssysteme sowie des Einflusses subjektiver Interessendefinitionen wird daher vor allem auf die Beurteilungen der Leistungshöhe der gesetzlichen Renten, des Arbeitslosengeldes und der Sozialhilfe zurückgegriffen. Für die Versorgungsklassen »Arbeitslose« und »Sozialhilfeempfänger« wird ergänzend der Indikator »staatliche Zuständigkeit für die Bereitstellung von Arbeitsplätzen« hinzugezogen, da dieses wohlfahrtsstaatliche Ziel einen unmittelbaren Bezug zu den Interessenlagen der beiden Versorgungsklassen aufweist. Der Einfluss der Versorgungsklassenposition sowie subjektiver Interessendefinitionen wird zudem auch für die Institutionenakzeptanz der drei genannten Sicherungssysteme untersucht. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass Angehörige der Versorgungsklassen und Personen mit einem hohen Sicherungsbedürfnis die jeweiligen Sicherungssysteme »in besonderer Weise« – aber nicht unbedingt »besser« – beurteilen (s.u.). Ergänzend wird schließlich auch der Frage nachgegangen, welchen Einfluss subjektive Interessendefinitionen auf die Institutionenakzeptanz der Gesetzlichen Krankenversicherung haben. Je nach Sicherungssystem und Akzeptanzindikator können unterschiedliche Annahmen zur Bedeutung von Versorgungsklassen formuliert werden: Für alle drei positiven Versorgungsklassen (Rentner, Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose) soll zunächst grundlegend angenommen werden, dass sie stärkere Präferenzen für höhere 139
140
141
Vgl. u.a. Taylor-Gooby (1983) für ein »felt interest«, Norden (1986) für die »Erwartung eigener Angewiesenheit«, Gangl (1997) für die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage, van Oorshot (2000) für die Einschätzung der sozialen Sicherung als individuell vorteilhaft oder abträglich und Pettersen (2001) für die Sorge um die eigene Alterssicherung. Als Arbeitslose werden im Folgenden stets die Empfänger von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe bezeichnet, nicht jedoch arbeitslose Sozialhilfeempfänger. Zur Operationalisierung der Versorgungsklassenlage vgl. Abschnitt 4.3.
156
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
Leistungen der jeweiligen Sicherungssysteme haben (H1.1). Für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger wird zudem angenommen, dass sie stärker als andere Bevölkerungsgruppen eine staatliche Zuständigkeit für die Schaffung von Arbeitsplätzen befürworten (H1.2). Interessengegensätze, die sich auf Akzeptanzurteile über soziale Sicherungssysteme auswirken, sind aber sowohl zwischen unterschiedlichen positiven Versorgungsklassen als auch zwischen (positiven) Versorgungsklassen und Finanzierungsklassen unterschiedlich wahrscheinlich. Sie scheinen eher für die Arbeitslosenversicherung und vor allem für die Sozialhilfe plausibel und sollten vor allem zwischen den positiv privilegierten Versorgungsklassen und allen übrigen auftreten (vgl. Abbildung 6.2.1). Aufgrund der starken »Mittelschichtorientierung« der Rentenversicherung, vor allem aber weil auch die meisten Angehörigen anderer Versorgungsklassen (insbes. sozialversicherungspflichtige Erwerbstätige, aber z.B. auch Arbeitslose) zu einem späteren Zeitpunkt selbst der Versorgungsklasse der Rentner angehören werden, ist die allgemeine Hypothese (H1.1) für die Gesetzliche Rentenversicherung zu relativieren. Für die Beurteilung der Rentenhöhe wird daher angenommen, dass die Unterschiede zwischen den Versorgungsklassen (und insbes. zwischen Rentnern und den »Finanzierungsklassen«) gering (oder gar nicht vorhanden) sind und sich bei Kontrolle des Alters des Befragten weiter verringern bzw. verschwinden (H1.3). Abbildung 6.2.1: Wahrscheinlichkeit von Versorgungsklassengegensätzen »konkurrierende« Versorgungsklassen
Versorgungsklassen vs. Finanzierungsklassen
Gesetzliche Rentenversicherung
gering, weil/sofern Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger später auch Rente beziehen (wollen); (Ausnahme evtl. Pensionäre)
gering, weil auch sozialversicherungspflichtige Erwerbstätige später Rentner sind und aufgrund des Statusprinzips
Arbeitslosenversicherung
möglich: Rentner und Sozialhilfeempfänger können selbst kein Arbeitslosengeld erhalten
möglich, wenn die Wahrscheinlichkeit eines eigenen Leistungsbezugs für gering gehalten wird
Sozialhilfe
möglich: Rentner (eigener Bezug unmöglich bzw. unerwünscht142) eher unwahrscheinlich: Arbeitslose (Gefahr zukünftigen Sozialhilfebezugs)
eher hoch wegen der geringen Wahrscheinlichkeit eines eigenen Leistungsbezugs
Spezifische Gegensätze zwischen konkurrierenden Versorgungsklassen sind insgesamt nicht sehr wahrscheinlich (Abb. 6.2.1). Zumindest bei den Präferenzen bezüglich der Leistungshöhe besteht aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass deutliche-
142
Auch eine ergänzende oder aufstockende Sozialhilfe für Rentner bedeutet hier keinen Wechsel der Versorgungsklasse.
6.2 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (I): Versorgungsklassen
157
re Unterschiede zwischen Rentnern auf der einen und Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern auf der anderen Seite auftreten. Zum Nachweis eines solchen Gegensatzes konkurrierender Versorgungsklassen müssten die Rentner allerdings nicht nur weniger stark höhere Leistungen beim Arbeitslosengeld und der Sozialhilfe präferieren als Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, sondern auch weniger als »neutrale« Versorgungsklassen, also als Gruppen, die durch das jeweilige Sicherungssystem weder als Leistungsempfänger noch als (primäre) Finanzierer betroffen sind (z.B. Beamte bei der Arbeitslosenversicherung). Es wird daher angenommen, dass Rentner nicht nur eine geringere Präferenz für ein höheres Arbeitslosengeld und für eine höhere Sozialhilfe haben als Arbeitslose bzw. Sozialhilfeempfänger, sondern dass diese auch geringer ist als die (vermeintlich) nicht betroffener sozialer Gruppen (H2). Für die Rentenhöhe wird jedoch an der zuvor formulierten Annahme (H1.3) festgehalten, nach der sich die Präferenzen von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern von denen der Rentner kaum und von denen der sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigen gar nicht unterscheiden. Hinsichtlich der Institutionenakzeptanz der Sicherungssysteme sind gegenläufige Annahmen ableitbar: Aufgrund ihrer »Privilegierung« kann einerseits angenommen werden, dass die Sicherungssysteme durch die jeweiligen positiven Versorgungsklassen (also z.B. die Rentenversicherung durch die Rentner) besser beurteilt werden. Andererseits ist vorstellbar, dass die Leistungsempfänger »ihre« Sicherungssysteme kritischer beurteilen als andere Versorgungsklassen, wenn sie mit der Systemperformanz – und hierbei mag die Leistungshöhe ein wichtiger, aber nicht der einziger Grund sein – oder aber mit der Situation als Leistungsempfänger insgesamt unzufrieden sind. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, dass beide Wirkungen auftreten und sich gegenseitig aufheben (H3.0). In diesem Fall hätte die Versorgungsklassenlage keine Auswirkung auf die Institutionenakzeptanz. Sofern dies nicht der Fall ist, wird für die Rentenversicherung vermutet, dass diese von Rentnern günstiger beurteilt wird als von anderen Versorgungs- und Finanzierungsklassen (H3.1). Grundlage hierfür ist die Annahme, dass Rentner aufgrund des eher hohen Leistungsniveaus und der geringen Stigmatisierung ihres Status zu einem »positiven Saldo« kommen. Umgekehrt stellt sich die Situation für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger dar, für die weit eher von einer höheren Unzufriedenheit auszugehen ist. Daher wird hier angenommen, dass Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger die Arbeitslosenversicherung und die Sozialhilfe schlechter bewerten als alle anderen Versorgungsklassen (H3.2). Trotz der insgesamt »dünnen« Befundlage zur Bedeutung subjektiver Interessendefinitionen für die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates können aus der grundlegenden Annahme, dass sich subjektive Interessendefinitionen auch unabhängig von der objektiven Interessenlage auf die Beurteilung sozialer Sicherungssysteme auswirken, folgende Annahmen entwickelt werden:
158
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
Grundsätzlich wird angenommen, dass ein hohes Sicherungsbedürfnis zu stärkeren Präferenzen für Leistungserhöhungen (bzw. für ein hohes Leistungsniveau) führt sowie zu einer stärkeren Befürwortung einer staatlichen Zuständigkeit für Arbeitsplätze (H4.1). Demgegenüber kann die Wirkung auf die Institutionenakzeptanz – ähnlich wie bei den Versorgungsklassen – gegensätzlich sein: Je nach wahrgenommener Performanz könnte ein hohes Sicherungsbedürfnis zu einer höheren oder niedrigeren Akzeptanz führen. Da die Zufriedenheit mit den Sicherungssystemen, für die der Einfluss des subjektiven Sicherungsbedürfnisses untersucht werden soll (Arbeitslosenversicherung, Sozialhilfe und Gesetzliche Krankenversicherung), eher gering ist (vgl. Kap. 5.1), wird im Folgenden von einem akzeptanzabträglichen Effekt eines hohen Sicherungsbedürfnisses ausgegangen (H4.2). Von (generalisierten) Reziprozitätserwartungen – der Erwartung, dass man zukünftig in irgendeiner Form vom System der sozialen Sicherung profitieren wird – wird dagegen ein positiver Einfluss auf die Institutionenakzeptanz vermutet (H5). Anders formuliert: Wer derartige Reziprozitätserwartungen nicht hegt, wird soziale Sicherungssysteme entsprechend kritischer beurteilen.143 Den theoretischen Ausführungen folgend werden die subjektiven Interessendefinitionen hauptsächlich mit zwei Indikatoren gemessen: Für das Sicherungsbedürfnis geschieht dies mit der individuellen »Risikoaversion« für die Bereiche Arbeitslosigkeit, Armut/Sozialhilfebezug und Krankheit, die wiederum aus je zwei Variablen, der subjektiven Wahrscheinlichkeit, von einem Risiko betroffen zu werden, und der Beurteilung des »Schadens«, gebildet wird. Generalisierte Reziprozitätserwartungen wurden mit einem allgemeinen, systemunabhängigen Indikator erfasst (vgl. für beide Abschnitt 4.3). 6.2.2 Versorgungsklassenstatus und subjektive Interessendefinitionen Die folgende Darstellung der empirischen Befunde zur »Leistungsbewertung« und zur Institutionenakzeptanz gliedert sich anhand der Sicherungssysteme. Zunächst wird für die Arbeitslosenversicherung (bzw. für das Arbeitslosengeld) und die Sozialhilfe untersucht, welche Unterschiede zwischen Versorgungsklassen zu erkennen sind und wie sich subjektive Interessendefinitionen auf die Akzeptanzurteile auswirken. In diesem Zusammenhang werden auch die Präferenzen bezüglich einer staatlichen Zuständigkeit für die Schaffung von Arbeitsplätzen analysiert. Im Anschluss daran werden die »Leistungsbewertung« und die Institutionenakzeptanz für die Rentenversicherung untersucht. Auch hier geschieht dies parallel für Versorgungsklassen und subjektive Interessendefinitionen. Abschließend wird die Bedeutung subjektiver Interessende143
Der Einfluss von Reziprozitätserwartungen wird im Folgenden nur für die Institutionenakzeptanz untersucht.
6.2 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (I): Versorgungsklassen
159
finitionen für die allgemeine Beurteilung (Institutionenakzeptanz) der Gesetzlichen Krankenversicherung analysiert. Wie dort näher ausgeführt wird, erfordert der Umstand, dass die Gesetzliche Krankenversicherung keine klare Trennlinie zwischen Begünstigten und Nettozahlern zulässt, eine besondere Behandlung der Indikatoren des subjektiven Interesses.
Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosengeld) und Sozialhilfe Bei den Präferenzen für ein höheres oder niedrigeres Leistungsniveau zeigt bereits die Verteilung der Häufigkeiten144 auffällige Unterschiede zwischen den einzelnen Versorgungsklassen145 (vgl. Abb. 6.2.2): Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger befürworten in deutlich stärkerem Maße sowohl ein höheres Arbeitslosengeld als auch eine höhere Sozialhilfe. So sprechen sich 74,0 Prozent der Arbeitslosen und 72,3 Prozent Sozialhilfeempfänger für eine höhere Sozialhilfe aus, aber nur 46,7 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigen und gar nur 38,6 Prozent der Rentner. Sehr ähnlich sind die Werte beim Arbeitslosengeld: Hier präferieren 73,5 Prozent der Arbeitslosen und 69,8 Prozent der Sozialhilfeempfänger ein höheres Leistungsniveau, während dies bei den sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigen nur 53,5 Prozent und bei den Rentnern nur 55,1 Prozent der Befragten tun. Insbesondere bei der Sozialhilfe kann man von einer klaren Zweiteilung zwischen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern auf der einen und den übrigen Versorgungsklassen auf der anderen Seite sprechen: Während die Mehrheiten für eine Leistungserhöhung sonst moderat (Arbeitslosengeld) oder gar knapp (Sozialhilfe) ausfallen, lassen die betroffenen Versorgungsklassen meist keinen Zweifel daran, dass sie das gegenwärtige Leistungsniveau für unzureichend halten. Die Unterschiede zwischen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern sind dabei bei beiden Leistungsarten eher gering. Sowohl beim Arbeitslosengeld als auch bei der Sozialhilfe sprechen sich Arbeitslose etwas stärker als Sozialhilfeempfänger für höhere Leistungen aus. Hinweise auf einen spezifischen Gegensatz zwischen positiven Versorgungsklasssen und Finanzierungsklassen sind hier nicht zu erkennen. So liegen die Werte für die sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigen insgesamt sogar noch etwas über denen der Rentner und der übrigen Gruppen (u.a. Beamte, Pensionäre und Hausfrauen/-männer).
144
145
Die entsprechenden Variablen wurden für den Zweck einer übersichtlichen Darstellung zu drei Werten rekodiert, wobei die Kategorie »kürzen« alle negativen Werte und die Kategorie »erhöhen« alle positiven Werte der Differenz von gewünschter und wahrgenommener Leistungshöhe umfasst (vgl. 4.2). Hier sind nur die Werte für Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose, Rentner und sozialversicherungspflichtige Erwerbstätige aufgeführt. Die übrigen und, was die eigene Interessenlage betrifft, vermeintlich eher »neutralen« Gruppen wurden zur Vereinfachung der Darstellung zu einer »Restkategorie« zusammengefasst.
160
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
Abbildung 6.2.2: »Leistungsbewertung« (Präferenzen für Leistungskürzungen und -erhöhungen) nach Versorgungsklassen: Arbeitslosengeld und Sozialhilfe (Häufigkeiten in Prozent) A r b e its lo s e n g e ld 80
7 3 ,5 6 9 ,8
70
60
5 5 ,1 5 3 ,5
A rb e its lo s e 50 4 2 ,6 40
S o z ia lh ilfe e m p fä n g e r R e n tn e r
3 0 ,1
2 9 ,3
2 7 ,3 2 8 ,1
30
s o z ia lv e rs ic h e ru n g s p flic h tig e E rw e rb s tä tig e
2 2 ,1
1 9 ,1
1 8 ,6
S o n s tig e (in k l. B e a m te , S e lb s ts tä n d ig e , P e n s io n ä re )
1 4 ,9
20
1 1 ,6 10
4 ,4
0
K ü rz u n g
N iv e a u b e ib e h a lte n
E rh ö h u n g
N=1255 S o z ia lh ilfe 80
7 4 ,0 7 2 ,3
70
60
A rb e its lo s e 4 6 ,7
50
4 2 ,2
S o z ia lh ilfe e m p fä n g e r
3 8 ,6 3 6 ,2
40
3 2 ,1
R e n tn e r
3 3 ,7
2 5 ,2
30 1 9 ,1 20
s o z ia lv e rs ic h e ru n g s p flic h tig e E rw e rb s tä tig e
2 4 ,0 2 1 ,2
S o n s tig e (in k l. B e a m te , S e lb s ts tä n d ig e , P e n s io n ä re )
1 4 ,6 8 ,5
1 1 ,5
10
0
K ü rz u n g
N iv e a u b e ib e h a lte n
E rh ö h u n g
N=1203
Wie wirken sich diese Unterschiede nun auf die Akzeptanzurteile aus? Erwartungsgemäß ergeben sich für die Präferenzen hinsichtlich der Höhe des Arbeitslosengeldes zunächst eindeutig signifikante Effekte. Mit Ausnahme der Sozialhilfeempfänger präferieren alle anderen Versorgungsklassen weniger stark ein höheres Arbeitslosengeld als Arbeitslose (Abb. 6.2.3; Modell A1). Zusätzlich sind zum Teil recht deutliche und erwartete Effekte höherer Bildung und der Selbstverortung auf der Oben-Unten-Skala (beide negativ) sowie für ostdeutsche Befragte (positiv) vorhanden. Trotz
161
6.2 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (I): Versorgungsklassen
dieser recht eindeutigen Effekte von Interessenlagen erreicht der R²-Wert (0,084) jedoch nur ein eher mäßiges Niveau. Für die gewünschte Leistungsveränderung bei der Sozialhilfe ergibt sich ein ähnliches Bild (Abb. 6.2.3; Modell B1). Sozialhilfeempfänger präferieren mehr als andere Versorgungsklassen (mit Ausnahme der Arbeitslosen) höhere Leistungen der Sozialhilfe. Wie beim Arbeitslosengeld sind auch hier deutliche Effekte der Selbstverortung auf der Oben-Unten-Skala (negativer Effekt) und für ostdeutsche Befragte (positiver Effekt) festzustellen sowie ein etwas höherer R²-Wert (0,096). Abbildung 6.2.3: »Leistungsbewertung«: Höhe des Arbeitslosengeldes und der Sozialhilfe – Versorgungsklassen und subjektive Interessendefinitionen (OLS-Regressionen) Arbeitslosengeld Modell A1
Modell A2
Sozialhilfe Modell B1
Modell B2
Versorgungsklassen Erwerbstätige (sozialversicherungspflichtige) -0,094* -0,119* Rentner -0,135** -0,173*** Sozialhilfeempfänger -0,017 (Ref.kat) Arbeitslose (Ref.kat) 0,047 Sonstige -0,157*** -0,089 »Risikoaversion« (Arbeitslosigkeit bzw. Sozial0,124** 0,226*** hilfebezug) Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel -0,034 -0,071 0,039 0,008 hoch -0,077** -0,085 -0,015 -0,038 Alter des Befragten -0,002 -0,022 -0,014 -0,014 Geschlecht: Frau 0,018 0,046 -0,039 -0,018 Oben-Unten-Skala -0,143*** -0,093* -0,149*** -0,072* Landesteil: Ostdeutschland 0,135*** 0,114** 0,132*** 0,156*** R² 0,084 0,062 0,096 0,119 (korrigiertes R²) (0,077) (0,052) (0,089) (0,112) N 1275 650 1221 820 * p<0,05; ** p<0,01; ***p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; standardisierte Regressionskoeffizienten
Damit kann für beide Sicherungssysteme festgehalten werden, dass die erwarteten Unterschiede zwischen Versorgungsklassen bestehen; dass die Unterschiede zwischen den beiden (positiven) Versorgungsklassen aber nicht signifikant sind: Arbeitslose sprechen sich selbst bei der Sozialhilfe etwas mehr für ein höheres Leistungsniveau aus als Sozialhilfeempfänger; dass die »Trennlinie« daher nicht zwischen der jeweils positiven Versorgungsklasse und den Finanzierungsklassen (sozialversicherungspflichtige Erwerbstätige) verläuft, sondern zwischen Arbeitslosen (inkl. Sozialhilfeempfängern) und allen anderen Bevölkerungsgruppen; und schließlich
162
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
dass es Anhaltspunkte für einen Gegensatz zwischen Rentnern und Arbeitslosen gibt: Rentner sprechen sich sogar noch deutlich seltener für ein höheres Arbeitslosengeld und für höhere Sozialhilfeleistungen aus als sozialversicherungspflichtige Erwerbstätige.
Auch für die hier als »Risikoaversion«146 operationalisierten Interessendefinitionen ergeben sich die erwarteten Effekte (vgl. Abb. 6.2.3; Modelle A2 und B2): Je mehr man sich von Arbeitslosigkeit oder Sozialhilfebezug bedroht fühlt, desto ausgeprägter sind die Präferenzen für ein höheres Leistungsniveau in den entsprechenden Sicherungssystemen. Bei der Sozialhilfe ist der Effekt der Risikoaversion sogar so stark, dass das Gesamtmodell – die Effekte der Selbstverortung auf der Oben-Unten-Skala und der Herkunft aus Ostdeutschland bleiben auch hier bestehen – insgesamt sogar etwas besser ist als beim Modell mit den Versorgungsklassen (B1). Jenseits der objektiven Versorgungsklassenposition lässt sich hier also ein Einfluss subjektiver Interessendefinitionen nachweisen. Nicht nur der tatsächliche Erhalt von Leistungen, sondern auch die Befürchtung, in Zukunft auf Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe angewiesen zu sein, führt zu stärkeren Präferenzen für höhere Leistungen. Ein anderes Bild ergibt sich bei der Institutionenakzeptanz von Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe (Abb. 6.2.4). Wenn für die sozialstrukturellen Variablen kontrolliert wird, ergibt sich bei der Arbeitslosenversicherung kein Effekt für die positiven Versorgungsklassen: Weder Arbeitslose noch Sozialhilfeempfänger unterscheiden sich bei ihrer Gesamtbeurteilung der Arbeitslosenversicherung signifikant von den anderen Versorgungsklassen; sie beurteilen die Arbeitslosenversicherung also weder »besser« noch »schlechter«. Ausnahme ist hier der (schwach signifikante) negative Effekt für Arbeitslose bei der Beurteilung der Sozialhilfe (B1). Bei den subjektiven Interessendefinitionen ist für die allgemeine Beurteilung der Arbeitslosenversicherung nur für die Reziprozitätserwartungen ein signifikanter (und starker) Effekt festzustellen, nicht jedoch für die Risikoaversion. Bei der Sozialhilfe geht dagegen auch von der Risikoaversion ein Einfluss auf die Gesamtbewertung aus, der jedoch negativ ist. Je bedrohlicher also das Szenario eines eigenen Sozialhilfebezugs erscheint, desto kritischer fällt die allgemeine Beurteilung der Sozialhilfe aus. Reziprozitätserwartungen haben dagegen, wie vermutet, einen positiven Effekt: Wer meint, langfristig nicht durch das System der sozialen Sicherung benachteiligt zu sein oder gar von ihm zu profitieren, dem erscheinen auch die Sozialhilfe und die Arbeitslosenversicherung in einem günstigeren Licht.
146
Die »Risikoaversion« wurde jeweils nur für Befragte erfasst, für die ein realistisches Risiko besteht, arbeitslos zu werden bzw. in den Sozialhilfebezug zu geraten. Nicht einbezogen wurden also vor allem Rentner, Pensionäre, Beamte sowie Befragte, die zum Zeitpunkt des Interviews arbeitslos (nur bei »Risikoaversion Arbeitslosigkeit«) oder im Sozialhilfebezug waren. Dies ist auch der Grund für die geringen Fallzahlen in den Modellen A2 und B2.
163
6.2 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (I): Versorgungsklassen
Abbildung 6.2.4: Institutionenakzeptanz: Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe – Versorgungsklassen und subjektive Interessendefinitionen (OLS-Regressionen) Arbeitslosenversicherung Modell A1 Versorgungsklassen (Ref.Kat.: alle anderen) Arbeitslose Sozialhilfeempfänger »Risikoaversion« (Arbeitslosigkeit bzw. Sozialhilfebezug) allgemeine Reziprozitätserwartungen Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch Alter des Befragten Geschlecht: Frau Oben-Unten-Skala Landesteil: Ostdeutschland R² (korrigiertes R²) N
Modell A2
-0,035 -0,004
Sozialhilfe Modell B1
Modell B2
-0,057* 0,009 -0,024
-0,154***
0,244*** 0,010 0,038 0,042 -0,008 0,097** -0,064* 0,025 (0,019)
0,011 0,031 0,016 -0,092* 0,112** -0,065 0,097 (0,085)
1356
644
0,217*** -0,035 -0,007 0,020 -0,015 0,153*** -0,072* 0,045 (0,039) 1312
-0,011 -0,002 0,023 -0,037 0,115** -0,059 0,117 (0,108) 824
* p<0,05; ** p<0,01; ***p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; standardisierte Regressionskoeffizienten
Noch deutlicher als bei der Beurteilung der Leistungshöhen erweisen sich die subjektiven Interessendefinitionen hier als bessere Prädiktoren der Akzeptanzurteile als die Versorgungsklassenlage, die bestenfalls eine marginale Bedeutung für die Institutionenakzeptanz hat. Auch der Einfluss anderer Interessenparameter ist hier eher gering: Nur für die Selbstverortung auf der Oben-Unten-Skala sind durchgehend stabile (immer positive) Effekte festzustellen. Eine höhere Selbsteinschätzung der eigenen sozialen Lage führt also zu einer höheren Institutionenakzeptanz von Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe. Die Frage, ob der Staat einen »Arbeitsplatz für jeden bereitstellen (soll), der arbeiten will«, berührt die Interessenlagen von Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen unmittelbar. Ähnlich wie bei der Beurteilung der Leistungshöhe von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe sollten sich Versorgungsklassenpositionen daher auf die Beurteilung dieser Frage auswirken. Und in der Tat unterstützen Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger – isoliert betrachtet – diese staatliche Aufgabe mehr als andere Versorgungsklassen (Abb. 6.2.5, Modell 1). Sobald jedoch soziodemografische Faktoren, die mit Ausnahme der Selbstverortung auf der Oben-Unten-Skala alle signifikante Effekte
164
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
aufweisen147, in das Modell aufgenommen werden, verschwinden diese ohnehin eher schwachen Effekte der Versorgungsklassen jedoch wieder (Modell 2). Demgegenüber hat die »Risikoaversion« (Arbeitslosigkeit) der »potenziell Betroffenen« den von ihr erwarteten Einfluss. Befragte, die sich eher von Arbeitslosigkeit bedroht fühlen, sehen in der »Bereitstellung von Arbeitsplätzen« eher eine staatliche Aufgabe als Befragte mit einer geringen Risikoaversion. Abbildung 6.2.5: Erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit: »Arbeitsplätze« – Versorgungsklassen und subjektive Interessendefinitionen (Ordinale logistische Regressionen) Modell 1 Versorgungsklassen (Ref.Kat.: alle anderen) Sozialhilfeempfänger Arbeitslose »Risikoaversion« (Arbeitslosigkeit) Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch Alter des Befragten Geschlecht: Frau Oben-Unten-Skala Landesteil Ostdeutschland Pseudo R² (Nagelkerke) Pseudo R² (McFadden) N
Modell 2
1,977*** 1,784*
Modell 3
1,402 1,403 1,233** 0,702** 0,341*** 0,993* 1,419** 1,018 3,173*** 0,101 0,035
0,012 0,004 1439
0,648* 0,259*** 0,995 1,504** 1,115* 2,813*** 0,118 0,040 714
* p<0,05; ** p<0,01; ***p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; Odds-Ratios
Insgesamt lässt sich für die fünf Akzeptanzindikatoren, bei denen stärkere Präferenzen bzw. eine spezifische Beurteilung seitens der Versorgungsklassen »Arbeitslose« und »Sozialhilfeempfänger« erwartet wurden, festhalten, dass stabile und konsistente Effekte nur bei der Frage der Leistungshöhe nachweisbar sind. Dabei sind aber kaum Unterschiede zwischen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern zu beobachten, die sich in ihren Präferenzen und Urteilen nur unmerklich unterscheiden. Für die beiden subjektiven Interessendefinitionen lassen sich dagegen fast durchgehend Einflüsse auf die Akzeptanzurteile nachweisen. Dies legt den Schluss nahe, dass sie für die Erklärung der Akzeptanz von Sozialhilfe und Arbeitslosenversicherung insgesamt von größerer Bedeutung sind als die Versorgungsklassenlage. 147
Vom negativen Einfluss der Bildung abgesehen lassen sich diese Effekte der soziodemografischen Merkmale aber kaum als interessenstrukturierte Haltung zur Frage der staatlichen Zuständigkeit für die Bereitstellung von Arbeit deuten.
6.2 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (I): Versorgungsklassen
165
Gesetzliche Rentenversicherung Bereits die deskriptiven Befunde (Kap. 5) legten die Vermutung nahe, dass bei der Akzeptanz der Gesetzlichen Rentenversicherung eher von einem breiten gesellschaftlichen Konsens auszugehen ist – und zwar sowohl bei der eher geringen Institutionenakzeptanz (und dem noch geringeren Systemvertrauen) als auch bei den Präferenzen für höhere Leistungen. Unterschiede zwischen den Versorgungsklassen sind daher nicht unbedingt wahrscheinlich. Dies bestätigt auch ein Blick auf die gruppenspezifischen Häufigkeiten bei den Präferenzen für höhere oder niedrigere Renten. Anders als bei der Höhe der Sozialhilfe und des Arbeitslosengeldes sind die Unterschiede zwischen den Versorgungsklassen hier überaus gering. So liegt der Anteil der Rentner, der sich für ein höheres Rentenniveau ausspricht (72,8 %), nur unwesentlich über dem Durchschnitt aller Befürworter höherer Renten (71,2 %). Auch Arbeitslose (72,0 %) und sozialversicherungspflichtige Erwerbstätige (71,2 %) unterscheiden sich hierin kaum von den Rentnern, während der Anteil der Befürworter höherer Renten bei den Sozialhilfeempfängern sogar etwas über dem der Rentner liegt (78,0 %).148 Effekte der Versorgungsklassenposition auf die Akzeptanzurteile sind angesichts dieser Häufigkeiten bei der Rentenversicherung nicht zu erwarten. Dies bestätigen die Regressionsanalysen sowohl für die Präferenzen bezüglich der Rentenhöhe als auch für die Institutionenakzeptanz (Abb. 6.2.6), bei denen neben den Versorgungsklasssen und den soziodemografischen Variablen auch die Gesamtzahl der privaten Vorsorgemaßnahmen für die Alterssicherung149 (als Indikator der individuellen Angewiesenheit auf eine gesetzliche Rentenversicherung) und Reziprozitätserwartungen (nur für die Institutionenakzeptanz) einbezogen wurden.150 So zeigt das Modell A für die Rentenhöhe, bei dem bereits die private Altersvorsorge und die soziodemografischen Merkmale einbezogen sind, keine signifikanten Effekte für die Versorgungsklassen. Nur für die private Altersvorsorge ist ein, wenn auch eher schwacher, Einfluss festzustellen: Je höher die private Altersvorsorge, desto geringer fallen die Präferenzen für eine höhere staatliche Rente aus. Das Gesamtmodell ist dabei allerdings sehr schwach (R²=0,022).
148
149
150
Der Durchschnittswert ist auf die etwas geringeren Werte der übrigen Versorgungsklassen (insbes. der Pensionäre) zurückzuführen, deren zusammengefasster Wert für Rentenerhöhung bei »nur« 68,6 Prozent liegt. Die Variable »private Altersvorsorge« wurde aus der Summe einzelner Vorsorgemaßnahmen (im Einzelnen: »Riester-Rente«; »Betriebsrente/Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes«, »Kapitallebensversicherung«, »sonstige Privatrente«, »Wohneigentum«, »Aktien, Fondsanlagen oder andere Wertpapiere«, »sonstige Ersparnisse« und »Andere (Vorsorgemaßnahmen)«) gebildet (vgl. Anhang A2.3). Für den Kontext der Alterssicherung steht keine »Risikoaversion«-Variable oder ein entsprechendes Äquivalent zur Verfügung. Dies ergibt sich aus dem Charakter des »Risikos« Alter, das – im Unterschied zu den Risiken Arbeitslosigkeit und Armut – gemeinhin nicht als »Schaden« empfunden wird.
166
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
Abbildung 6.2.6: »Leistungsbewertung« (Rentenhöhe) und Institutionenakzeptanz (GRV) – Versorgungsklassen und subjektive Interessendefinitionen (OLS-Regressionen) Rentenhöhe Versorgungsklassen (Ref.Kat.: Rentner) Erwerbstätige (sozialversicherungspflichtige) Arbeitslose Sozialhilfeempfänger Sonstige Private Altervorsorge (Summenindex) allgemeine Reziprozitätserwartungen Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch Alter des Befragten Geschlecht: Frau Oben-Unten-Skala Landesteil: Ostdeutschland R² (korrigiertes R²) N
Institutionenakzeptanz
Modell A
Modell B1
Modell B2
0,044 -0,018 0,016 0,000 -0,080**
-0,115*** -0,075* -0,072* -0,098** 0,010
-0,008 -0,017 -0,046 -0,030 -0,021 0,291***
-0,028 -0,113*** 0,003 -0,005 0,012 -0,011 0,022 (0,014) 1335
0,011 0,025 0,105** -0,027 0,045 0,035 0,117 (0,108)
0,014 (0,010) 1243
* p<0,05; ** p<0,01; ***p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; standardisierte Regressionskoeffizienten
Insgesamt können also für die Gesetzliche Rentenversicherung keine Gegensätze zwischen Versorgungs- und Finanzierungsklassen oder zwischen konkurrierenden Versorgungsklassen festgestellt werden. Es bestätigt sich vielmehr die Vermutung, dass Unterschiede zwischen Versorgungsklassen bei der Rentenversicherung marginal sind (H1.3), was nicht zuletzt auf die allgemeine Unzufriedenheit mit der Rentenhöhe (vgl. 5.2) und auf die insgesamt geringe Institutionenakzeptanz zurückzuführen sein dürfte.
Gesetzliche Krankenversicherung Die Gesetzliche Krankenversicherung unterscheidet sich dadurch von den zuvor betrachteten Bereichen der sozialen Sicherung, dass sie keinen Versorgungsklassenstatus generiert, der denen der Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger und Rentner vergleichbar wäre. Denn die Gesetzliche Krankenversicherung ist so konstruiert, dass es nicht möglich ist, über einen längeren Zeitraum seinen Lebensunterhalt mit Leistungen der Krankenkassen zu bestreiten. Das Krankengeld macht zudem nur einen
6.2 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (I): Versorgungsklassen
167
geringen Teil der Gesamtausgaben aus, die vor allem medizinische Sach- und Dienstleistungen umfassen. Auf der Ebene subjektiver Beurteilungen können sich GKV-Versicherte aber dennoch als durch die Verteilungswirkungen der Gesetzlichen Krankenversicherung Begünstigte oder aber als benachteiligte Nettozahler wahrnehmen. Für eine entsprechende Einschätzung ist die retrospektive »Bilanzierung« des individuellen Verhältnisses von erhaltenen Gesundheitsleistungen und gezahlten Krankenversicherungsbeiträgen entscheidend sowie die Extrapolation dieses Verhältnisses in die Zukunft. Eine solche Gegenüberstellung von Leistungen und Beiträgen ist jedoch allein schon deshalb äußerst schwierig, weil sie genauere Kenntnisse über Behandlungskosten erfordert. Insbesondere die Einschätzung des zukünftigen Verhältnisses bzw. einer Gesamtbilanz im Lebensverlauf dürfte aber mit erheblichen Unsicherheiten verbunden sein und eher auf allgemeinen Orientierungen und Deutungsmustern beruhen als auf rational kalkulierenden Abwägungen. Nichtsdestotrotz kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass sich die Bilanzierung der eigenen Situation als GKV-Versicherter und die Erwartung, ob es im Fall einer negativen Bilanz langfristig zu einem Ausgleich kommen wird, auf die Akzeptanzurteile über die Gesetzliche Krankenversicherung auswirken werden. Im Folgenden soll daher untersucht werden, welchen Einfluss eine solche Bilanzierung151 und die individuelle Risikoaversion auf die Institutionenakzeptanz der Gesetzlichen Krankenversicherung haben.152 Um einen zusätzlichen objektiven Interessenindikator zu gewinnen, wurde auch kontrolliert, ob mindestens eine weitere Person über den Befragten mitversichert ist (dummy-Variable). Da sowohl eine »Bilanzierung« als auch eine Mitversicherung von Familienangehörigen nur Versicherten möglich ist, die selbständig in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert sind, beschränkt sich die folgende Analyse auf diese Teilgruppe, worauf auch die geringen Fallzahlen in den Regressionsmodellen zurückzuführen sind. Sowohl für die »Bilanzierung« als auch für die »Risikoaversion« ergeben sich bei der Institutionenakzeptanz der Gesetzlichen Krankenversicherung signifikante Effekte. Wie zu erwarten war, wirken sich eine positive Bilanz ebenso wie eine negative Bilanz, für die ein Ausgleich erwartet wird, akzeptanzförderlich aus (Abb. 6.2.7; Modell 1). Der Effekt der Erwartung eines langfristigen Ausgleichs ist sogar etwas stärker als der einer positiven Bilanz. Dies ist jedoch nicht wirklich überraschend: Vermutlich ist die zukünftig positive Bilanz (denn nur so kann ein Ausgleich der jetzt negativen erreicht werden) ein »besseres Argument« für die Akzep151
152
Die Variable »Bilanzierung« setzt sich aus mehreren Items zusammen: Zunächst wurden die Befragten dazu aufgefordert, ihr individuelles Verhältnis von Leistungen und Beitragen einzuschätzen und dabei auch etwaige Mitversicherte zu berücksichtigen. Bei einer »negativen Bilanz« wurde dann um die Einschätzung gebeten, ob man langfristig einen Ausgleich erwartet oder nicht. (vgl. Anhang A2.3). Auf eine Analyse der Präferenzen bezüglich der Leistungshöhe (»Leistungsbewertung«) wird hier verzichtet, weil die Effekte der Bilanzierung nur schwer zu interpretieren wären.
168
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
tanz der Gesetzlichen Krankenversicherung als eine bisher positive Bilanz, bei der schließlich offen bleibt, wie sich das Verhältnis von Beiträgen und Leistungen in der Zukunft gestaltet. Abbildung 6.2.7: Institutionenakzeptanz: Gesetzlichen Krankenversicherung – subjektive Interessendefinitionen (OLS-Regressionen) Modell 1 »Bilanzierung« (Ref.Kat.: GKV-Bilanz negativ ohne Ausgleich) GKV-Bilanz positiv GKV- Bilanz negativ; Erwartung eines Ausgleichs GKV-Versicherte mit Mitversicherten (Ref.Kat.: ohne) »Risikoaversion« (Krankheit) Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch Alter des Befragten Geschlecht: Frau Oben-Unten-Skala Landesteil: Ostdeutschland R² (korrigiertes R²) N
Modell 2
0,131** 0,192*** -0,071 -0,114** -0,035 0,014 0,039 -0,037 0,105** -0,004 0,042 (0,030) 743
-0,031 -0,003 0,010 -0,056 0,117** -0,017 0,036 (0,025) 595
* p<0,05; ** p<0,01; *** p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; standardisierte Regressionskoeffizienten
Wie bei der Sozialhilfe (Abb. 6.2.4) wirkt sich die »Risikoaversion« negativ auf die Institutionenakzeptanz aus (Modell 2). Bei höherem subjektivem Sicherungsbedürfnis wird die Gesetzliche Krankenversicherung also kritischer beurteilt. Dagegen hat die Frage, ob ein Befragter weitere Familienmitglieder in seiner Krankenkasse mitversichert hat, keinen nachweisbaren Einfluss auf die Institutionenakzeptanz der Gesetzlichen Krankenversicherung. Damit zeigt sich auch für die Gesetzliche Krankenversicherung, dass subjektive Interessenfaktoren einen erheblichen Einfluss auf die Akzeptanzurteile haben. 6.2.3 Fazit Überwiegend können die für die Versorgungsklassen formulierten Hypothesen als bestätigt angesehen werden. Dies gilt vor allem für die Präferenzen bezüglich der Leistungshöhe, wo sowohl für die Sozialhilfe als auch für das Arbeitslosengeld ent-
6.2 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (I): Versorgungsklassen
169
sprechende Effekte für die spezifischen Versorgungsklassen nachgewiesen werden konnten (H1.1). Drei Relativierungen sind hier jedoch wichtig: Erstens besteht ein solcher Einfluss des Versorgungsklassenstatus nicht für die Präferenzen bezüglich der Rentenhöhe. Wie vermutet wurde (H1.3), sind hier keine nennenswerten Gegensätze zwischen den Versorgungsklassen zu erkennen – und zwar weder zwischen Rentnern und sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigen noch zwischen Rentnern und »konkurrierenden« Versorgungsklassen. Zweitens bestehen keine Gegensätze zwischen Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen, was angesichts der insgesamt doch sehr ähnlichen sozialpolitischen Interessenlagen nicht allzu sehr überraschen sollte. Schließlich konnte, drittens, die Erwartung eines positiven Einflusses der Versorgungsklassen »Arbeitslose« und »Sozialhilfeempfänger« bei der staatlichen Zuständigkeit für Arbeitsplätze überraschend nicht bestätigt werden (H1.2). Entsprechende Effekte erwiesen sich nicht als stabil. Die Gegensätze zwischen den Versorgungsklassen reduzieren sich insofern auf
solche zwischen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern auf der einen und sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigen (Finanzierungsklasse) auf der anderen Seite bei den Präferenzen bezüglich der Höhe von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld; und auf einen Gegensatz zwischen Rentnern einerseits und Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern andererseits (konkurrierende Versorgungsklassen) bei der Höhe des Arbeitslosengeldes, wobei die Anhaltspunkte hier allerdings nur dünn sind (H2).
Damit ergibt sich eine auffällige Asymmetrie zwischen den drei konkurrierenden Versorgungsklassen. Wenn man überhaupt von einem latenten Interessengegensatz sprechen mag, besteht dieser nur zwischen Rentnern und den beiden anderen positiven Versorgungsklassen und nur bei »deren« Sicherungssystemen. Der vermeintliche Interessengegensatz spielt sich damit auch nur in »deren« Arena ab: Es sind die Rentner, die ein signifikant geringeres Leistungsniveau beim Arbeitslosengeld und bei der Sozialhilfe befürworten. Spiegelbildliche Differenzen bei den Präferenzen bezüglich der Rentenhöhe gibt es nicht. In der Trennlinie zwischen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern auf der einen und allen anderen Versorgungs- und Finanzierungsklassen auf der anderen Seite, kann erneut ein Hinweis darauf gesehen werden (vgl. a. 6.1.3), dass es nicht so sehr die allgemeinen Klassenlagen und die sozialpolitisch geformten Interessenlagen sind, die die zentralen Demarkationslinien bei der Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen (und darüber hinaus) bilden, sondern die vielfach vermutete Spaltung zwischen »Insidern« (insbes. Vollerwerbstätigen, Rentnern und Pensionären) und »Outsidern« (Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern) des deutschen Sozialstaatsmodells.
170
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
Bei der Institutionenakzeptanz wurden die skeptischen Erwartungen (H3.0) bestätigt.153 Weder ist die Institutionenakzeptanz der Rentenversicherung bei Rentnern höher (H3.1), noch die der Sozialhilfe und der Arbeitslosenversicherung bei Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen niedriger (H3.2). Eine einzige kleinere Ausnahme ist hierbei der negative Effekt für Arbeitslose bei der allgemeinen Beurteilung der Sozialhilfe. Insgesamt muss der Einfluss der Versorgungsklassen auf die Akzeptanzurteile gegenüber dem Wohlfahrtsstaat als mäßig eingeschätzt werden. Nur dort, wo ein solcher Einfluss nahezu »selbstverständlich« anmutet (bei der Beurteilung der Leistungshöhe), kann auch von einem stabilen Einfluss der Versorgungsklassenposition ausgegangen werden – und auch dann nicht bei allen Sicherungssystemen. Eine nur marginale Bedeutung hat der Versorgungsklassenstatus dagegen bei der allgemeinen Beurteilung der Sicherungssysteme (Institutionenakzeptanz). Für die subjektiven Interessendefinitionen konnten fast alle Hypothesen bestätigt werden. Einzige Ausnahme ist hier der erwartete, aber nicht nachweisbare negative Einfluss der »Risikoaversion« auf die Institutionenakzeptanz der Arbeitslosenversicherung. Für die »Leistungsbewertung« und die Frage einer staatlichen Zuständigkeit für Arbeitsplätze konnte gezeigt werden, dass eine stärkere »Risikoaversion« auch stets zu Präferenzen für höhere Leistungen bzw. zu einer stärkeren Befürwortung einer staatlichen Verantwortlichkeit führt (H4.1). Gleiches gilt für den erwarteten negativen Einfluss auf die Institutionenakzeptanz der Sozialhilfe und der Gesetzlichen Krankenversicherung (H4.2).154 Allgemein kann damit festgehalten werden, dass ein höheres Sicherungsbedürfnis zu Präferenzen für höhere Leistungen und zu einer größeren Unzufriedenheit mit den bestehenden Institutionen führt. Den negativen Effekt der Risikoaversion auf die Institutionenakzeptanz kann man dabei als subjektives Sicherungsdefizit deuten. Reziprozitätserwartungen haben sogar in allen Fällen (Institutionenakzeptanz der Arbeitslosenversicherung, der Sozialhilfe und der Rentenversicherung) den erwartet positiven Effekt (H5). Reziprozitätserwartungen tragen zudem in einem erheblichen Maße zur Erklärung der Akzeptanzurteile bei. Auch für den »Sonderfall« der Gesetzlichen Krankenversicherung ist für die »Bilanzierung« – und insbesondere für die Erwartung eines reziproken Ausgleichs – ein erkennbarer Einfluss auf die Institutionenakzeptanz festzustellen. 153
154
Ob dies, wie vermutet, eine Folge sich gegenseitig aufhebender Wirkungen ist oder ob die Versorgungsklassenposition einfach keine Bedeutung für die Institutionenakzeptanz hat, kann hier nicht entschieden werden. Die zweite Alternative erscheint angesichts der großen (objektiven) Bedeutung, die soziale Sicherungssysteme für ihre Leistungsempfänger haben, aber zumindest unwahrscheinlich. Diese beiden negativen Effekte sind allerdings unterschiedlich zu bewerten, vor allem weil die subjektive Bewertung von »Krankheit« unabhängiger von der sozialen Absicherung ist als bei den Risiken Arbeitslosigkeit oder Armut.
6.2 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (I): Versorgungsklassen
171
Insgesamt können die Ergebnisse zu den subjektiven Interessendefinitionen als Nachweis dafür gelten, dass Interessendefinitionen auch unabhängig von objektiven Interessenlagen einen Einfluss auf die Akzeptanzurteile ausüben. Legt man die Gesamtmodelle (R²-Werte) zugrunde, wird überdies deutlich, dass dieser Einfluss beträchtlich ist und dass Interessendefinitionen insofern oft bessere Prädiktoren der Akzeptanzurteile über den Wohlfahrtsstaat sind als die Versorgungsklassenposition und andere objektive Interessenparameter. 6.3 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (II): Generationenkonflikte In Kapitel 2.2.3 wurde bereits darauf hingewiesen, dass es neben den vermuteten Konflikten zwischen Versorgungsklassen bzw. zwischen Versorgungs- und Finanzierungsklassen auch zur Herausbildungen einer weiteren neuen Konfliktlinie im (und durch den) Wohlfahrtsstaat gekommen sein könnte, nämlich zu der zwischen unterschiedlichen Generationen oder Altersgruppen. Ob und welche Generationenkonflikte im Kontext der wohlfahrtsstaatlichen Absicherung bestehen, wird in diesem Kapitel untersucht. Neben der Wahrnehmung von Generationenkonflikten und der Beurteilung des Konfliktpotenzials im Zusammenhang mit der Gesetzlichen Rentenversicherung werden vor allem latente Interessengegensätze besonders alters- bzw. lebensphasenrelevanter Sicherungsbereiche (Rentenversicherung, Leistungen für Familien) untersucht. Der folgende Abschnitt wird sich jedoch zunächst mit der Frage befassen, welche sozialen Konstellationen man als Generationenkonflikt bezeichnen kann und welche Generationenkonflikte im Wohlfahrtsstaat bestehen können. 6.3.1 Zur Möglichkeit von Generationenkonflikten im Wohlfahrtsstaat Im sozialwissenschaftlichen Gebrauch des Begriffs Generationenkonflikt lassen sich zwei grundlegende Verwendungsweisen ausmachen. Zum einen wird dieser Begriff auf Konflikte bezogen, die sich auf der Mikroebene zwischen den Generationen einer Familie abspielen. Zum anderen werden aber auch – und das scheint die in jüngerer Zeit zunehmend gebräuchliche Verwendungsweise zu sein – Konflikte oder Konfliktlagen auf der Makroebene zwischen Angehörigen unterschiedlicher Alterskohorten bzw. »Generationslagen« als Generationenkonflikte charakterisiert. In Anlehnung an Kaufmann (1993) kann man hier von Generationenkonflikten auf der Ebene der Generationenbeziehungen und von Generationenkonflikten auf der Ebene der Generationenverhältnisse sprechen. Weiterhin können Generationenkonflikte sowohl Interessen- als auch Wertkonflikte sein und – wie alle sozialen Konflikte – den beteiligten Akteuren latent oder ma-
172
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
nifest sein. Lässt man die konzeptionell nicht sehr weit führende Unterscheidung von Interessen- und Wertkonflikten beiseite, ergeben sich immerhin noch vier Typen oder Ausprägungen von Generationenkonflikten: latente und manifeste Generationenkonflikte auf der Ebene der Generationenbeziehungen sowie latente und manifeste Generationenkonflikte auf der Ebene der Generationenverhältnisse. Gegenstand der folgenden Analysen sind primär (mögliche) latente Generationenkonflikte auf der Ebene der Generationenverhältnisse, nämlich im Kontext wohlfahrtsstaatlicher Sicherung. Zusätzlich wird der Frage nachgegangen, inwiefern von wohlfahrtsstaatlichen Adressaten ein offener (manifester) Generationenkonflikt wahrgenommen wird. Warum aber sollte es einen Generationenkonflikt im Bereich der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung geben? Zunächst kann davon ausgegangen werden, dass Generationenkonflikte (auf der Ebene der Generationenverhältnisse) bzw. die Annahme, dass es zu derartigen Konflikten kommen werde, im öffentlichen oder zumindest im massenmedialen Diskurs sehr präsent sind. So wurde, insbesondere seit Veränderungen in der Altersstruktur als »Überalterung« in das öffentliche Bewusstsein gerückt sind, die Befürchtung einer Aufkündigung des Generationenvertrages – wenn nicht gar eines »Krieges der Generationen« – zu einem festen Bestandteil sozialpolitischer Diskurse und öffentlicher Debatten (vgl. u.a. Bäcker/Koch 2003; Schmähl 2001; Wolf 1990). Auch aufgrund »objektiver« oder vermeintlicher Sachzwänge, vor allem infolge von Finanzierungsproblemen, wurde in der wohlfahrtsstaatlichen Absicherung ein zentrales intergenerationelles Konfliktfeld ausgemacht. Entscheidend für die »Konfliktfähigkeit« des wohlfahrtsstaatlichen Generationenverhältnisses dürften aber das beträchtliche intergenerationelle Umverteilungsvolumen sein sowie die dadurch hervorgerufenen Zweifel an der »Generationengerechtigkeit« der sozialen Sicherung. Diesem hier nur angedeuteten Konfliktszenario wurde entgegengehalten, dass es zu einer Stärkung der Generationenbeziehungen gekommen sei (vgl. u.a. Kohli 1994; Wolf/Kohli 1998). So gibt es mittlerweile gute empirische Belege dafür, dass der Umfang und die Intensität privater sozialer Unterstützung (wieder?) gewachsen sind (vgl. u.a. Kohli et al. 2000; Künemund/Hollstein 2000). Ob wohlfahrtsstaatliche Verteilungsverhältnisse durch Transfers und Dienstleistungen auf der Mikroebene der Generationsbeziehungen so weit kompensiert werden können, dass makrostrukturell angelegte Konfliktlagen nicht virulent werden, darf aber wohl bezweifelt werden und muss zumindest als offene Frage gelten. Es bleibt in jedem Fall festzuhalten, dass sowohl objektive als auch »sozial konstruierte« Verteilungsfragen und Interessengegensätze ausreichend Anlass für die Annahme von Generationenkonflikten geben. Die durch Altersgruppen- und Generationszugehörigkeiten bedingten sozialpolitischen Interessenlagen bilden zumindest für einen latenten Generationenkonflikt eine hinreichende Grundlage und sollten sich auch auf die Akzeptanz der sozialen Sicherungssysteme auswirken. Bei der
6.3 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (II): Generationenkonflikte
173
Beurteilung altersspezifischer bzw. lebensphasenrelevanter Sicherungssysteme wie der Rentenversicherung sollten daher deutliche Alterseffekte auftreten. Bisher scheint es jedoch kaum empirische Anhaltspunkte für Generationenkonflikte zu geben, die wohlfahrtsstaatliche Verteilungsfragen zum Gegenstand haben (vgl. u.a. Wolf/Kohli 1998). Zumindest weisen die hohen Akzeptanzwerte, die für den Wohlfahrtsstaat insgesamt und insbesondere für die Rentenversicherung immer wieder festgestellt wurden, in diese Richtung (vgl. Kohl 2002; Ullrich 2000a). Schon die äußerst raren Untersuchungen aus den ersten drei Nachkriegsjahrzehnten unterstützen für den deutschen Wohlfahrtsstaat155 die Annahme einer hohen Akzeptanz der Gesetzlichen Rentenversicherung quer durch alle Bevölkerungsteile und Altersgruppen, wobei vor allem das Prinzip der Pflichtversicherung und die Einkommensabhängigkeit der Renten auf hohe Zustimmung stießen (vgl. Braun 1972; von Friedeburg/Weltz 1958; Schmaltz 1969). Auch jüngere Untersuchungen kommen meist zu ähnlichen Resultaten. So stellt Krüger (2001: 160f.) eine sehr hohe Akzeptanz des Generationenvertrages und ein relativ großes, wenn auch zwischen 1982 und 1994 sinkendes Vertrauen in die Rentenversicherung fest. Kohl (2003) findet in seiner vergleichenden Untersuchung, dass in Deutschland und in anderen EU-Ländern deutliche Bevölkerungsmehrheiten den Generationenvertrag und das Äquivalenzprinzip befürworten. Er stellt darüber hinaus zwar die »Existenz gewisser altersspezifischer Differenzierungen« fest, die aber »erstaunlich gering« seien (2003: 4). Zumindest bis in die 1990er Jahre hinein gibt es auch für die Wahrnehmung eines Generationenkonflikts eher wenig Anhaltspunkte. Zwischen 1980 und 1990 (drei Messpunkte) war sie insgesamt sogar rückläufig (Krüger 2001: 160). Auf der Ebene der Einstellungen zur Rentenversicherung und ihrer grundlegenden Systemmerkmale (Umlageverfahren, Äquivalenzprinzip, Pflichtversicherung) scheint es demnach wenig Hinweise auf einen Generationenkonflikt zu geben. So folgert Dallinger noch 2001 unter Bezugnahme auf unterschiedliche Datenquellen, dass es keinen Grund zur Annahme eines Generationenkonflikts gebe (Dallinger 2001:131). Einer allgemein hohen Akzeptanz der Gesetzlichen Rentenversicherung widersprachen jedoch schon die in Kapitel 5 dargestellten Häufigkeitsverteilungen. Die Gesetzliche Rentenversicherung erwies sich dabei sogar als das Sicherungssystem, das am schlechtesten beurteilt und dem am wenigsten vertraut wird. Anlass zu Zweifeln an der hohen Akzeptanz der Gesetzlichen Rentenversicherung und an bestenfalls marginalen Unterschieden zwischen Altersgruppen geben auch das geringe Vertrauen in die Rentenversicherung und die dabei bestehenden Altersdifferenzen. Aus diesen schließt Dallinger (2003: 7) – im Gegensatz zu ihrer früheren Einschät155
Für entsprechende Untersuchungen für die USA vgl. u.a. Cook/Barrett (1992: 149ff.), Huddy et al. (2001) sowie Silverstein et al. (2000).
174
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
zung (s.o.) – nun auf einen Generationenkonflikt, allerdings ohne hierfür ein Entscheidungskriterium156 anzugeben. Dallinger und Liebig (2004) finden zudem auch deutliche Unterschiede zwischen Altersgruppen bei der wahrgenommenen (Un)Gerechtigkeit der Gesetzlichen Rentenversicherung (2004: 119f.) sowie bei der (insgesamt aber hohen) Akzeptanz des Äquivalenzprinzips (2004: 122). Schließlich wurden auch bei der Beurteilung der eigenen Alterssicherung und der Beitragslast sowie beim Umfang der privaten Altersvorsorge mehr oder minder deutliche Unterschiede zwischen Altersgruppen festgestellt (vgl. Bulmahn 2003; Kohl 2002; Krüger 2001; Lippl 2001; Rinne/Wagner 1996). Insofern könnte also zumindest eine objektive materiale Basis für einen (latenten) Generationenkonflikt bestehen. In den folgenden Abschnitten wird der Frage nachgegangen, ob Generationsbzw. Altersunterschiede bei der Beurteilung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen zu erkennen sind, die auf einen latenten oder gar manifesten Generationen- bzw. Altersgruppenkonflikt schließen lassen.157 Es wird untersucht, ob die generationelle Lastenverteilung und »Begünstigungsstruktur« als problematisch empfunden werden und worauf sich mögliche Unterschiede in der Beurteilung zurückführen lassen. Der Frage nach möglichen Generationenkonflikten wird für zwei Sicherungsbereiche untersucht, von denen angenommen werden kann, dass sie besonders altersspezifisch sind. Als altersspezifisch (oder lebensphasenrelevant) können alle Sicherungsleistungen bezeichnet werden, bei denen der Leistungsempfang maßgeblich durch das Alter bzw. durch die (wohlfahrtsstaatlich oft erst entscheidend mit defi156
157
Für die Diagnose eines Generationenkonflikts reicht die Feststellung von Altersunterschieden (oder deren Vergrößerung) bei der Beurteilung von Alterssicherungs- und anderen wohlfahrtsstaatlichen Systemen allein nicht aus. Für eine Minimaldefinition müsste zumindest angegeben werden, ab welcher Differenz von einem Generationenkonflikt ausgegangen werden kann und welche Altersunterschiede als nicht-konfliktär gelten sollen. Die Begründung eines solchen Grenzwertes dürfte allerdings schwer fallen. Im Folgenden werden die Begriffe Generation/Generationenkonflikt und Altersgruppe/Altersgruppenkonflikt synonym verwendet. Strenggenommen sind Konflikte zwischen Altersgruppen aber nicht mit Generationenkonflikten identisch. Ein Altersgruppenkonflikt kann ein Konflikt zwischen Generationen sein oder aber auch nur ein von immer wieder neuen Generationen ausgetragener Konflikt zwischen unterschiedlichen »Alterslagen«. Bei einer starken Altersorientierung eines Sicherungssystems ist durchaus vorstellbar, dass die jeweils Jungen mit den jeweils Alten in Konflikt geraten und dass eine Generation mit der Zeit quasi »die Fronten wechselt«. Ein Generationenkonflikt i.e.S. besteht dagegen zwischen zwei oder mehreren Generationen, und zwar unabhängig von deren Alter. Ein solcher Generationenkonflikt kann daher im Zeitverlauf von unterschiedlichen Altersgruppen (aber den gleichen Generationen) ausgetragen werden. (Der Variabilität von Alter und Generationen sind allerdings durch die Abhängigkeit von der natürlichen Lebensspanne enge Grenzen gesetzt.) Andererseits ist jedoch jeder Altersgruppen- immer auch ein Generationenkonflikt, weil er (notwendig) zwischen unterschiedlichen Generationen besteht. Für die Beurteilung der folgenden Analysen ergibt sich hieraus die wichtige Einschränkung, dass mit einer Querschnittsbetrachtung natürlich kein Vergleich von mehreren aufeinander folgenden Generationen, wie etwa in Thomsons (1989) Untersuchung zur Generationenungerechtigkeit, möglich ist.
6.3 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (II): Generationenkonflikte
175
nierte) Lebensphase bestimmt wird.158 Dies trifft zum einen für den naheliegenden, »klassischen« Fall der Gesetzlichen Rentenversicherung zu, zum anderen aber auch für Leistungen für Familien und Alleinerziehende159, die vor allem mittleren und jüngeren Altersgruppen zugute kommen und bei denen daher vielleicht am besten untersucht werden kann, ob es so etwas wie einen »umgekehrten« Generationenkonflikt gibt. Die Analysen werden sich für beide Bereiche sowohl auf die Institutionenakzeptanz als auch auf die Beurteilungen der Leistungshöhe stützen. Für die Gesetzliche Rentenversicherung werden zudem einige weitere Indikatoren herangezogen, mit deren Hilfe eine etwas bessere Beurteilung der Frage möglich sein sollte, ob in der Bundesrepublik Deutschland ein wohlfahrtsstaatlicher Generationenkonflikt besteht.160 Hierbei handelt es sich um
die Wahrnehmung einer Benachteiligung Jüngerer und eines daraus resultierenden Generationenkonflikts in der Rentenversicherung; die Beurteilung der Frage, inwiefern die heutigen Rentner sich durch frühere Beitragszahlungen einen Anspruch auf Leistungen erworben haben; und um die Einschätzung der eigenen Absicherung im Alter.
Es dürfte bereits deutlich geworden sein, dass den folgenden Analysen die allgemeine Annahme zugrunde liegt, dass bei der Beurteilung alters- bzw. lebensphasenspezifischer Sicherungsbereiche Unterschiede zwischen Altersgruppen erkennbar werden. So wird aufgrund der unterschiedlichen, auch, aber nicht nur interessengeleiteten Perspektiven von Personen unterschiedlichen Alters angenommen, dass Jüngere eher als Ältere davon überzeugt sind, dass »es sich für die jüngere Generation viel weniger als für die ältere (lohnt), in der Gesetzlichen Rentenversicherung zu sein« (H1.1). Für die Wahrnehmung eines dadurch verursachten Generationenkonflikts wird dagegen – wegen der Filterfunktion der »Benachteiligungsfrage« (nur wer dieser Aussage zustimmt, wurde zur Wahrnehmung eines Generationenkonflikts befragt) – kein Alterseffekt erwartet (H1.2). Vielmehr wird hier eine unterschiedslos hohe Zustimmung angenommen (wer eine Benachteiligung Jüngerer wahrnimmt, erwartet auch einen Generationenkonflikt). Bei der Frage der »Anspruchsberechtigung« von Rentnern wird dagegen – ganz im Sinne der generellen Generationenkonfliktsvermutung – von einem recht deutlichen Alterseffekt ausgegangen, und zwar in der Form, dass Jüngere die Legitimationsgrundlage der Rentner eher in Zweifel ziehen als Ältere (H2). 158
159 160
Grundsätzlich sind alle sozialen Sicherungssysteme zu einem gewissen Grad altersspezifisch. Es geht bei der »Altersspezifität« daher immer nur um graduelle Unterschiede, die allerdings erheblich sein können. Im Folgenden immer kurz als Leistungen für Familien oder Familienleistungen bezeichnet. Für den Bereich der Familienleistungen stehen entsprechende Indikatoren leider nicht zur Verfügung.
176
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
Entsprechende Alterseffekte werden auch für die Institutionenakzeptanz und für die Beurteilung der Rentenhöhe erwartet: Ältere sollten die Gesetzliche Rentenversicherung positiver beurteilen als Jüngere (H3.1)161, gleichzeitig aber auch eher Leistungserhöhungen favorisieren (H3.2). Mindestens zwei Gründe sprechen für diese Annahmen, und zwar
die aktuelle sozialpolitische Interessenlage: Ältere sind entweder Rentner und profitieren bereits von den Leistungen der Rentenversicherung oder erwarten, in absehbarer Zeit verrentet zu werden162; und die intergenerationelle Verteilungsposition: Jüngere sind gegenüber den Älteren generationell benachteiligt, weil für sie die Gesetzliche Rentenversicherung eher ein »Verlustgeschäft« sein wird.
Noch klarere Alterseffekte werden für die subjektive Beurteilung der individuellen Absicherung angenommen, die hier als Indikator für einen latenten Interessengegensatz fungiert. Es wird davon ausgegangen, dass Ältere ihre eigene Alterssicherung deutlich positiver beurteilen als Jüngere (H4). Die Erwartungen bezüglich der Familienleistungen sind dagegen zwiespältig. Einerseits werden Leistungen für Familien, wie die Ergebnisse aus Kapitel 5 zeigen, überaus positiv beurteilt, sodass man kaum mit Unterschieden zwischen Altersoder anderen Bevölkerungsgruppen rechnen kann. Nimmt man jedoch die Annahme eines Generationenkonflikts ernst, ist auch hier mit einem »umgekehrten« Alterseffekt zu rechnen, der vor allem bei Fragen nach höheren Ausgaben für Familienleistungen auftreten sollte (H5).163 Wichtig ist schließlich, dass Alterseffekte nicht immer linear verlaufen müssen. Die stärksten und entscheidenden Unterschiede werden nicht in allen Fällen zwischen der jüngsten und der ältesten Altersgruppe bestehen und sie müssen sich auch nicht immer am Versorgungsklassenstatus – der war bereits Gegenstand von Kapitel 6.2. – festmachen.164 Um derartige nicht-lineare Alterseffekte erfassen zu 161
162 163
164
Wie schon im Zusammenhang mit den Versorgungsklassen (Kapitel 6.2.) erläutert wurde, ist auch die gegenteilige Annahme einer geringeren Akzeptanz der Rentenversicherung bei den Älteren denkbar. Voraussetzung hierfür ist aber eine deutliche Unzufriedenheit mit dem Leistungsniveau, die zwar insgesamt besteht, aber kein zwischen Altersgruppen diskriminierendes Merkmal zu sein scheint. Zum engeren sozialpolitischen Interesse als Rentner (Versorgungsklasse) vgl. a. Abschnitt 6.2. Mit einigem Recht könnte man hier sogar stärkere Unterschiede zwischen Altersgruppen vermuten als bei der Beurteilung der Alterssicherung. Während ein junger Mensch noch darauf hoffen kann, später einmal von der Rentenversicherung zu profitieren, wenn vielleicht auch weit weniger als die heutigen Rentner, gilt dies im umgekehrten Fall nicht. Leistungen für Familien oder Bildung sind für die älteren Altersgruppen fast ausnahmslos »Fremdhilfe«. So ist gut möglich, dass z.B. die Sorge um die Rente bei denen, die kurz vor der Verrentung stehen, am höchsten ist, und dass sich dies auf die Beurteilung der Leistungshöhe entsprechend auswirkt. Ebenso könnten kritische (»sozialneidische«) Haltungen gegenüber den jetzigen Rentnern bei den mittleren Altersgruppen ausgeprägter sein als bei den jüngeren, noch nicht voll in den Arbeitsmarkt
6.3 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (II): Generationenkonflikte
177
können, wird in den nachstehenden Analysen auf eine metrische Verwendung der Altersvariable zugunsten von Altersgruppen verzichtet. Die empirische Analyse erfolgt in insgesamt fünf Schritten: In Abschnitt 6.3.2 wird zunächst die Frage im Mittelpunkt stehen, ob und in welchem Maße die Befragten eine Benachteiligung Jüngerer und einen Generationenkonflikt in der Rentenversicherung wahrnehmen. Daran anschließend werden die moralökonomischen Grundlagen des Generationenvertrages untersucht. Dazu werden Altersunterschiede bei der Beurteilung der »Anspruchsberechtigung« von Rentnern analysiert. Die beiden folgenden Abschnitte befassen sich mit Altersunterschieden bei der allgemeinen Beurteilung der Rentenversicherung und der Leistungshöhe sowie mit der subjektiven Einschätzung der eigenen Absicherung. In Abschnitt 6.3.3 wird dann für die Familienleistungen der Frage nachgegangen, ob es Anzeichen für einen »umgekehrten Generationenkonflikt« gibt. 6.3.2 Generationenkonflikte um die Gesetzliche Rentenversicherung? Zunächst zur Frage, ob eine Benachteiligung Jüngerer in der Rentenversicherung wahrgenommen wird und ob die Befragten meinen, dass eine solche Benachteiligung zu einem Konflikt zwischen den Generationen führt.165 Zur Beurteilung dieser Frage stehen zwei Indikatoren zur Verfügung, von denen der eine die Wahrnehmung einer Benachteiligung der jüngeren Generation in der Gesetzlichen Rentenversicherung misst. Das zweite Item zielt direkt auf die Wahrnehmung eines Generationenkonflikts und wurde nur den Befragten vorgelegt, die eine Benachteiligung Jüngerer wahrnehmen (vgl. Anhang A2.3 für die genaue Itemformulierung). Bei der Wahrnehmung einer Benachteiligung Jüngerer in der Rentenversicherung zeigt die Verteilung der Häufigkeiten über die Altersgruppen zunächst (Abb. 6.3.1), dass rund zwei Drittel der Befragten der Aussage, dass es eine solche Benachteiligung gibt, zustimmen und dass ihr immerhin ein knappes Drittel (31,5 %) sogar »voll und ganz« zustimmt. Deutliche Unterschiede zeigen sich bei der Betrachtung nach dem Alter. Erwartungsgemäß nehmen ältere Befragte seltener eine Benachteilung der Jüngeren in der Rentenversicherung wahr als jüngere Befragte. Die Werte für die einzelnen Altersgruppen unterscheiden sich dabei recht deutlich. Bei der jüngsten Altergruppe der bis 35jährigen sind 69,5 Prozent (36,6 % »voll und ganz«) der Meinung, sie wer-
165
integrierten (und daher weniger belasteten) Altersgruppen. Schließlich könnte mit der disengagementThese argumentiert werden, dass die ältesten Altersgruppen sich weniger stark als die etwas jüngeren »exponieren«. Im Folgenden werden die Ergebnisse für alle Befragten dargestellt. Es ergeben sich nur geringfügige Abweichungen, wenn nur Rentenversicherte (inkl. Rentnern) einbezogen werden.
178
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
den in der Gesetzlichen Rentenversicherung benachteiligt. Unter den über 65jährigen teilen diese Sicht dagegen nur 59,9 Prozent (und nur 26,9 % »voll und ganz«).166 Abbildung 6.3.1: Wahrnehmung einer »Benachteiligung Jüngerer« und eines Generationenkonflikts in der Gesetzlichen Rentenversicherung (Zustimmung in Prozent) Wahrnehmung einer Benachteiligung Jüngerer 80
69,5
70,7 65,9
70
61,0
59,9
60
32,9
33,6
50
36,7 35,5
33,0
25,5
26,9
40
30
36,6
20
37,1 29,2
10
0
bis 35 Jahre
36 bis 45 Jahre
46 bis 55 Jahre
eher zustimmen
56 bis 65 Jahre
über 66 Jahre
voll und ganz zustimmen
N = 1279
Wahrnehmung eines Generationenkonflikts 76,9 73,6
80
69,9 70
65,1
64,7
60
47,4 40,5
50
56,1
42,4
49,2 40
30
20
29,5
29,4
22,3 10
15,9
17,5
0
bis 35 Jahre
36 bis 45 Jahre
46 bis 55 Jahre
eher zustimmen zustimmen eher
166
56 bis 65 Jahre
undganz ganz zustimmen vollvollund zustimmen
über 66 Jahre
N = 788
Diese Altersunterschiede bei der Wahrnehmung einer ungleichen Generationenbelastung in der Rentenversicherung bestätigen damit indirekt ähnliche Ergebnisse von Dallinger und Liebig (2004: 118ff.) zur wahrgenommenen »Ungerechtigkeit« des Rentensystems.
6.3 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (II): Generationenkonflikte
179
Die Verteilung der Häufigkeiten zeigt auch bei der Wahrnehmung eines Generationenkonflikts ein relativ deutliches Bild. Auch hier lehnen weniger als ein Drittel der Befragten die Aussage, dass es zu einem Generationenkonflikt kommt, ab. Der Gesamtmittelwert liegt jedoch etwas niedriger als bei der »Benachteiligung«. Da hier nur diejenigen befragt wurden, die eine Benachteiligung Jüngerer wahrnehmen, hätte man eine höhere Zustimmung erwarten können. Aber offenbar gibt es viele Befragte, die zwar eine Benachteiligung der Jüngeren in der Rentenversicherung wahrnehmen, aber dennoch keinen Generationenkonflikt.167 Die Unterschiede zwischen den einzelnen Altersgruppen sind hier insgesamt etwas geringer und vor allem uneinheitlicher als bei der Wahrnehmung einer Benachteiligung Jüngerer (Abb. 6.3.1). So ist z.B. der Unterschied zwischen der jüngsten Altersgruppe (65,1 %) und der ältesten (69,9 %) bei der gesamten Zustimmung nur gering. Aber aufgrund der deutlicheren Unterschiede in der höchsten Zustimmungskategorie (älteste Altersgruppe: 29,4 %; jüngste: 15,9 %) bestehen im Mittel dennoch relativ klare Differenzen zwischen den Altersgruppen. Anders als bei der Wahrnehmung einer Benachteiligung Jüngerer weisen sie jetzt jedoch in die entgegengesetzte Richtung: Ältere Befragte, die eine Benachteiligung Jüngerer wahrnehmen, gehen auch eher davon aus, dass es wegen dieser Benachteiligung zu Konflikten zwischen den Generationen kommt.168 Hinsichtlich der Wahrnehmung eines Generationenkonflikts im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung kann man somit festhalten,
dass ein Großteil der Befragten eine Benachteiligung Jüngerer in der Rentenversicherung vermutet und dass von denen, die eine Benachteiligung wahrnehmen, die meisten auch einen Generationenkonflikt vermuten. Die jüngeren Altersgruppen unter den Befragten nehmen dabei häufiger eine Benachteiligung Jüngerer in der Rentenversicherung wahr als ältere Befragte. Wenn aber ältere Befragte eine Benachteiligung Jüngerer wahrnehmen, sehen oder befürchten sie auch etwas eher einen Generationenkonflikt. Insgesamt sind die Altersunterschiede aber vor allem bei der direkten Generationenkonfliktfrage nicht sehr groß und sollten daher auch nicht überbewertet werden.
Von einer mehr oder minder offenen Problematisierung des Generationenverhältnisses im Kontext der Gesetzlichen Rentenversicherung kann auch dann gesprochen werden, wenn die normative Basis dieses Verhältnisses, der Generationenvertrag, bei Teilen der Bevölkerung auf Ablehnung stößt. Nun besteht dieser Generationenvertrag weder in engeren, juristischen Sinne noch in einer konkreten Ausfor167
168
In abgeschwächter Form gilt dies auch für den umgekehrten Fall: Oftmals wird ein starker Konflikt wahrgenommen, aber nur eine geringe Benachteiligung der Jüngeren. Entsprechende Alterseffekte konnten auch in (hier nicht ausgewiesenen) Regressionsanalysen bestätigt werden.
180
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
mulierung. Es ist aber sicher nicht abwegig, ihn als aus zwei komplementären Elementen bestehend zu definieren: Dies sind zum einen die Verpflichtung der jeweils jüngeren, im Erwerbsleben stehenden Generationen zur Aufbringung der Mittel für die Renten für die nicht mehr erwerbstätigen Generationen und zum anderen »Ansprüche« auf einen Rentenbezug, die sich aus dem Nachkommen eben dieser Verpflichtung ableiten. Die Frage der Anerkennung von Leistungsansprüchen aufgrund von Vorleistungen, die in der Form von Beitragszahlungen erbracht wurden, berührt insofern den normativen Kern der Gesetzlichen Rentenversicherung unmittelbar. Sie soll im Folgenden näher betrachtet werden. Abbildung 6.3.2: Anspruchserwerb durch Rentner nach Alterskategorien (Zustimmung in Prozent) 93,7
100
95,2
96,6
90
97,2
19,8 26,6
80
25,3
95,9
16,3
26,1
70
60
eher zustimmen
50
77,4
40
67,1
69,9
79,6
voll und ganz zustimmen
70,5
30
20
10
0
bis 35 Jahre
36 bis 45 Jahre
46 bis 55 Jahre
56 bis 65 Jahre
über 65 Jahre
N=1501
Die Häufigkeitsverteilung nach Altersgruppen (s. Abb. 6.3.2) zeigt hier zum einen eine geradezu überdeutliche Zustimmung. Rentner gelten offenbar in besonderem Maße als legitime Leistungsempfänger. Zum anderen wird deutlich, dass trotz dieser allgemein hohen Zustimmung geringe, aber erkennbare Unterschiede zwischen den Altersgruppen bestehen. So anerkennen unter den jüngsten Befragten »nur« 67,1 Prozent einen Leistungsanspruch der Rentner »voll und ganz«, während es bei den über 65-jährigen sogar 79,6 Prozent sind.
181
6.3 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (II): Generationenkonflikte
Dass Altersunterschiede bei der Beurteilung der Anspruchsberechtigung von Rentnern bestehen, bestätigen auch die Regressionsanalysen (Abb. 6.3.3). Das erste Modell einer ordinalen logistischen Regressionen, in dem nur die Altersgruppen aufgenommen wurden (Modell 1), zeigt hier eine signifikant geringere Zustimmung zum Anspruchserwerb bei den jüngeren Altersgruppen im Vergleich zu den über 65jährigen (Referenzkategorie). Bei Einbezug der anderen soziodemografischen Variablen bestehen nur noch für die beiden jüngsten Altersgruppen (schwach) signifikante Effekte (Modell 2). Einen nachweisbaren Einfluss auf die Anerkennung eines Leistungsanspruchs von Rentnern haben zudem die Herkunft aus Ostdeutschland (höhere Anerkennung als Westdeutsche) und das mittlere Bildungsniveau (geringere Anerkennung). Der Erklärungswert des Gesamtmodells ist insgesamt aber sehr gering (Pseudo R² [Nagelkerke]: 0,029). Er erhöht sich erst, wenn mit der Orientierung am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit ein Erklärungsfaktor in das Modell aufgenommen wird, der einen engeren Bezug zur »Logik« des Anspruchserwerbs in der Gesetzlichen Rentenversicherung aufweist (Modell 3). Hier ist der Effekt für die zweitjüngste Altersgruppe allerdings nicht mehr signifikant. Abbildung 6.3.3: Anspruchserwerb durch Rentner (Ordinale logistische Regressionen) Alter des Befragten (Ref.Kat.: über 65jährige) unter 36 36 bis 45 46 bis 55 56 bis 65 Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch Geschlecht: Frau Oben-Unten-Skala Landesteil: Ostdeutschland Leistungsgerechtigkeit Pseudo R² (Nagelkerke) Pseudo R² (McFadden) N
Modell 1
Modell 2
Modell 3
0,530** 0,586** 0,616* 0,856
0,606* 0,674* 0,677 0,878
0,650* 0,780 0,732 0,901
0,687** 0,876 0,967 0,959 1,561**
0,702* 0,829 0,988 0,929 1,705** 1,650*** 0,081 0,040
0,014 0,007
0,029 0,014 1423
* p<0,05; ** p<0,01; ***p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; Odds-Ratios
Auch wenn Altersunterschiede bei der Frage des »Anspruchserwerbs« nachweisbar sind, kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch in den jüngeren Altersgruppen eine große Mehrheit der Befragten einen »Anspruchserwerb« der Rentner
182
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
anerkennt. Sofern sie als Indikator für die Akzeptanz des Generationenvertrags gelten kann, zeigen die hohe Zustimmung zum »Anspruchserwerb« der aktuellen Rentenbezieher und der insgesamt breite Konsens in der Bevölkerung, dass diese nicht gefährdet ist. Wenn es also auch gute Anhaltspunkte dafür gibt, dass generationelle Ungerechtigkeiten in der Rentenversicherung und ein daraus resultierender Generationenkonflikt vermutet werden, so bedeutet dies nicht, dass auch die normative Grundlage des Generationenvertrages in Frage gestellt wird. Man könnte also sagen: Als problematisch gilt nicht das Grundprinzip, sondern die konkreten Verteilungswirkungen, die sich aus einer spezifischen und daher kontingenten Ausgestaltung dieses Grundprinzips ergeben. Trotz Unterschieden zwischen den Altersgruppen haben die bisherigen Analysen gezeigt, dass zwar ein hohes Problembewusstsein für eine ungleiche Begünstigung von Altersgruppen in der Rentenversicherung und für mögliche Generationenkonflikte besteht, dass dies aber nicht dazu führt, dass die normative Grundlage der Rentenversicherung in Frage gestellt wird. Insofern kann auf der »manifesten« Ebene zwar eine Sensibilisierung für intergenerationelle Verteilungsfragen festgestellt werden, nicht aber eine Aufkündigung des Generationenvertrages durch die jüngeren Altersgruppen. Davon unbenommen können aber latente Generationenkonflikte oder Interessengegensätze im wohlfahrtsstaatlichen Kontext bestehen. Von einem latenten wohlfahrtsstaatlichen Generationenkonflikt kann man sprechen, wenn signifikante Unterschiede zwischen Altersgruppen oder Generationen bei der allgemeinen Beurteilung besonders altersspezifischer Sicherungsleistungen bestehen bzw. wenn entsprechende Differenzen bei den Interessenlagen und Präferenzen erkennbar sind, die zur Grundlage für einen manifesten Generationenkonflikt werden können. Keine wohlfahrtsstaatlichen Generationenkonflikte wären demnach Konflikte um altersrelevante Regelungen, die zwischen anderen sozialen Kategorien und Gruppierungen (etwa zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern) bestehen, sowie altersgruppenspezifische Differenzen bei der Beurteilung wohlfahrtsstaatlicher Bereiche, die nur eine geringe Altersspezifität aufweisen (s. Abbildung 6.3.4). Abbildung 6.3.4: Mögliche Konfliktlagen im Kontext wohlfahrtsstaatlicher Sicherung
Gegensätze zwischen Altersgruppen Gegensätze zwischen anderen gesellschaftlichen Gruppen
geringe Altersspezifität des Sicherungssystems andere soziale Konfliktlage mit altersgruppenspezifischer Ausprägung andere soziale Konfliktlage
hohe Altersspezifität des Sicherungssystems wohlfahrtsstaatlicher Generationenkonflikt andere soziale Konfliktlage (auch) über intergenerationelle Fragen
183
6.3 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (II): Generationenkonflikte
Latente wohlfahrtsstaatliche Generationenkonflikte können also sowohl auf der Ebene der objektiven Interessenlagen als auch bei den subjektiven Präferenzen und Einstellungen deutlich werden. Im Folgenden soll daher in einem ersten Schritt untersucht werden, ob Alters- bzw. Generationsunterschiede bei der allgemeinen Bewertung der Gesetzlichen Rentenversicherung und der Beurteilung der Rentenhöhe festzustellen sind. Im Anschluss daran wird der Frage möglicher »objektiver« Interessendivergenzen am Beispiel der subjektiven Einschätzung der eigenen Alterssicherung nachgegangen. Wie einleitend erläutert können sich latente Generationenkonflikte sowohl aus der sozialpolitischen Interessenlage als auch der intergenerationellen Verteilungsposition ergeben. Sie sollten sich daher bereits bei der allgemeinen Beurteilung der Gesetzlichen Rentenversicherung (Institutionenakzeptanz) nachweisen lassen. Abbildung 6.3.5: Institutionenakzeptanz der Gesetzlichen Rentenversicherung nach Altersgruppen (positive Werte in Prozent) 46,6
50
45
40,8
40
35
33,8
34,9
31,5
30
37,7 gut
25
20
34,6 26,4
28,7
29,5
5,1
5,4
sehr gut
15
10
5
5,1
6,2
8,9
0
bis 35 Jahre
36 bis 45 Jahre
46 bis 55 Jahre
56 bis 65 Jahre
über 66 Jahre
N=1474
Die Verteilung der Häufigkeiten nach Altersgruppen bestätigt zunächst das aus Kapitel 5 bekannte Bild einer geringen Institutionenakzeptanz der Gesetzlichen Rentenversicherung (Abb. 6.3.5). Darüber hinaus sind hier die bisher größten Unterschiede zwischen den Altersgruppen zu erkennen. So meint unter den bis 35jährigen nur knapp ein Drittel (31,5 %), dass die Gesetzliche Rentenversicherung für die Gesellschaft gut sei, und nur jeder Zwanzigste, dass sie »sehr gut« sei (5,1 %). Dage-
184
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
gen geben sich bei den über 65jährigen 46,6 Prozent, also fast die Hälfte, vom Wert der Gesetzlichen Rentenversicherung überzeugt, wenn auch nur ganze 8,9 Prozent sie für »sehr gut« halten.169 Die Altersunterschiede entsprechen damit den formulierten Erwartungen. Wie die Regressionsanalysen zeigen (Abb. 6.3.6), ist dieser Alterseffekt relativ stabil, allerdings nur für die beiden ältesten Altersgruppen (im Vergleich zur Jüngsten): Zumindest Befragte im Rentenalter und relativ kurz davor beurteilen die Gesetzliche Rentenversicherung also positiver als die jüngste Altersgruppe (Modell A1). Die einzige weitere soziodemografische Variable mit einem nachweisbaren Einfluss ist die Selbstverortung auf der Oben-Unten-Skala: Je höher diese ausfällt, desto höher ist auch die Institutionenakzeptanz der Gesetzlichen Rentenversicherung. Abbildung 6.3.6: Gesetzliche Rentenversicherung: Institutionenakzeptanz und »Leistungsbewertung« (OLS-Regressionen) Institutionenakzeptanz
Leistungsbewertung (Modell B)
Modell A1
Modell A2
Modell A3
Alter des Befragten (Ref.Kat.: unter 36jährige) 36 bis 45 46 bis 55 56 bis 65 über 65
0,053 0,061 0,120*** 0,184***
0,055 0,054 0,108** 0,170***
0,100* 0,111* 0,138** 0,169***
0,002 -0,006 0,005 -0,052
Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch
0,021 0,030
0,032 0,038
0,070 0,037
-0,043 -0,127***
-0,039
-0,045
-0,051
Geschlecht: Frau Oben-Unten-Skala
0,082**
Landesteil: Ostdeutschland
0,054
Wahrnehmung Benachteiligung Jüngerer
0,088*
-0,018
0,046
0,038
0,002
-0,144***
Wahrnehmung eines Generationenkonflikts R² (korrigiertes R²) N
0,004
0,076*
-0,076* 0,038 (0,031)
0,058 (0,050) 1209
0,042 (0,029)
0,017 (0,011)
744
1381
* p<0,05; ** p<0,01; *** p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; standardisierte Regressionskoeffizienten
Der Einbezug der Wahrnehmung einer Benachteiligung Jüngerer in der Rentenversicherung bewirkt keine Veränderung bei den Alterseffekten (Modell A2). Die Wahrnehmung einer Benachteiligung Jüngerer hat dabei selbst einen signifikanten 169
Als »gut« und »sehr gut« für die Gesellschaft werden hier die Werte ab (einschließlich) 6 bzw. ab 9 auf der 11er-Skala bezeichnet.
6.3 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (II): Generationenkonflikte
185
negativen Effekt. Das Erklärungsmodell verbessert sich dadurch deutlich, wenn auch auf einem eher niedrigen Niveau (R²=0,058). Das dritte Modell (A3) bezieht sich nur auf die Befragten, die der Meinung sind, dass Jüngere in der Rentenversicherung benachteiligt sind. Im Unterschied zu den beiden anderen Modellen sind hier jetzt durchgehend signifikante Alterseffekte zu erkennen. Die Wahrnehmung eines Generationenkonflikts ist ebenfalls signifikant und führt wie die Wahrnehmung einer Benachteiligung Jüngerer zu einer geringeren Institutionenakzeptanz. Noch deutlicher als bei der allgemeinen Bewertung der Gesetzlichen Rentenversicherung sollten latente Interessenkonflikte zwischen einzelnen Altersgruppen bei der Beurteilung der Rentenhöhe hervortreten. Wie jedoch die Regressionsanalyse für die Präferenzen für höhere oder niedrigere Renten zeigt (Abb. 6.3.6; Modell B), hat das Alter bei Kontrolle anderer soziodemografischer Faktoren (wie diese überwiegend selbst) keinen signifikanten Effekt. Für die Präferenzbildung bezüglich der Rentenhöhe sind andere Faktoren und Konfliktlinien (z.B. Unterschiede bei den Wertorientierungen und bei der Wahrnehmung der Rentner) offenbar wichtiger (vgl. u.a. Kapitel 6.4 und 6.5). Ausgerechnet beim wohl wichtigsten Indikator für einen zumindest latenten Generationenkonflikt im Sinne eine »Verteilungskampfes« sind also keine Gegensätze zwischen Altersgruppen festzustellen. Da die hier fehlenden Alterseffekte für die Möglichkeit eines Generationenkonflikts als wichtiger einzuschätzen sind als die oft deutlichen Unterschiede zwischen Altersgruppen bei der Institutionenakzeptanz, gibt es auf der Ebene der Akzeptanzurteile eher wenig Anzeichen für eine Generationenkonflikt in der Rentenversicherung. Womöglich bestehen bei der Alterssicherung aber zumindest »objektive« (latente) Interessengegensätze zwischen den unterschiedlichen Altersgruppen. Zur Untersuchung der Frage nach entsprechenden intergenerationellen Interessendivergenzen wird die subjektive Beurteilung der eigenen Alterssicherung170 herangezogen. Die Regressionsanalysen zeigen hier noch deutlichere Altersunterschiede als bei der Institutionenakzeptanz der Rentenversicherung (Abb. 6.3.7). In allen Altersgruppen wird die eigene Absicherung im Alter ungünstiger eingeschätzt als in der ältesten Altersgruppe (Referenzkategorie). Zudem sinkt die Chance, dass die eigene Alterssicherung positiv beurteilt wird, kontinuierlich von den älteren zu den jüngeren Altersgruppen. Diese Unterschiede bleiben auch dann bestehen, wenn für den Umfang der zusätzlichen Altersvorsorge171 kontrolliert wird, die selbst wiederum stark durch das Alter der Befragten beeinflusst wird (Modell 2). Die private Altersvorsorge hat dabei ebenso wie die Selbstverortung auf der Oben-Unten-Skala einen deutlichen und erwarteten Einfluss auf die Einschätzung der eigenen Alterssiche170 171
Für den genauen Wortlaut der Itemformulierung s. Anhang A2.3. Zur Bildung der Variable »private Altersvorsorge« s. Anhang A2.3.
186
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
rung. Eine stärkere zusätzliche Vorsorge und eine hohe Selbstverortung führen beide zu einer optimistischeren Einschätzung der eigenen Alterssicherung.172 Abbildung 6.3.7: Einschätzung der eigenen Absicherung im Alter (Ordinale logistische Regressionen) Alter des Befragten (Ref.Kat.: über 65jährige) unter 36 36 bis 45 46 bis 55 56 bis 65 Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch Geschlecht: Frau Oben-Unten-Skala Landesteil: Ostdeutschland private Altersvorsorge Pseudo R² (Nagelkerke) Pseudo R² (McFadden) N
Modell 1
Modell 2
0,235*** 0,333*** 0,491*** 0,677**
0,263*** 0,286*** 0,415*** 0,626**
0,081 0,024
0,822 0,964 0,854 1,311*** 0,783* 1,209*** 0,172 0,053 1417
* p<0,05; ** p<0,01; *** p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; Odds-Ratios
Zur Interessengrundlage eines Generationenkonfliktes in der Alterssicherung kann damit festgehalten werden, dass einerseits zwar deutliche Altersunterschiede bei der Beurteilung der eigenen Absicherung zu erkennen sind, dass diese sich aber, wie zuvor gesehen, nicht in Interessengegensätzen bei der gewünschten Rentenhöhe niederschlagen. Die alles in allem eher »moderaten« Wünsche nach Leistungserhöhungen bei den älteren Altersgruppen können dabei als eine gewisse Zufriedenheit mit dem Leistungsniveau interpretiert werden – oder auch als Einsicht in »sozialpolitische Realitäten«. 6.3.3 Generationsunterschiede bei der Beurteilung von Familienleistungen Wie einleitend bereits begründet wurde, müssen sich Altersgruppen- und Generationenkonflikte nicht auf Sicherungsbereiche beschränken, die ältere Menschen stärker begünstigen als jüngere. Da viele sozialpolitische Leistungen auch in dem Sinne 172
Die Effekte für die Altersgruppen erweisen sich im Übrigen auch dann als stabil, wenn statt der ObenUnten-Skala das Haushaltseinkommen in das Modell aufgenommen wird (hier nicht ausgewiesen).
187
6.3 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (II): Generationenkonflikte
altersspezifisch sind, dass sie überwiegend den Jüngeren zugute kommen, besteht durchaus auch die Möglichkeit eines »umgekehrten« Generationenkonflikts. Zu den Leistungen, von denen eher die jüngeren Altersgruppen profitieren, gehören vor allem Leistungen für Familien bzw. Kinder. An diesem Beispiel soll daher untersucht werden, ob es Anzeichen für einen »umgekehrten« Generationenkonflikt gibt. Bei der allgemeinen Beurteilung des »gesellschaftlichen Wertes« von Familienleistungen (Institutionenakzeptanz) zeigt sich zunächst eine eher hohe Akzeptanz der wohlfahrtsstaatlichen Leistungen für Familien (vgl. a. Kapitel 5). Dies impliziert auch einen relativen Konsens zwischen den Altersgruppen. So sind z.B. 53,8 Prozent der über 65jährigen und 51,8 Prozent der bis 30jährigen der Ansicht, dass die Leistungen für Familien für die Gesellschaft »gut« sind. Auch die Mittelwertdifferenzen zwischen den Altersgruppen sind überaus gering, so dass bei der allgemeinen Beurteilung von Familienleistungen keine signifikanten Unterschiede beim Alter festzustellen sind. Abbildung 6.3.8: Staatliche Unterstützung für Familien und für die Kinderbetreuung (Ordinale logistische Regressionen) (mehr Geld für)
Familien Modell A1
Alter des Befragten (Ref.Kat.: unter 36) 36 bis 45 46 bis 55 56 bis 65 über 65 Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch Geschlecht: Frau Oben-Unten-Skala Landesteil: Ostdeutschland Kinder Pseudo R² (Nagelkerke) Pseudo R² (McFadden) N
Modell A2
Kinderbetreuung Modell B1
Modell B2
1,049 0,935 0,603** 0,653**
0,948 0,933 0,704* 0,786
0,822 0,809
0,800 0,805
0,688* 0,728
0,720 0,766
0,633*** 0,775 1,119 0,911** 1,514**
0,617*** 0,755 1,092 0,910** 1,547**
0,797 0,993 1,316** 0,945 1,812***
0,790* 0,985 1,306* 0,945 1,828***
0,042 0,014
1,575*** 0,052 0,017
0,033 0,012
1413
1,139 0,034 0,012 1415
* p<0,05; ** p<0,01; *** p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; Odds-Ratios
Ein anderer Befund ergibt sich bei den Fragen, ob der Staat generell mehr Leistungen für Familien bereitstellen soll und ob er mehr für die Kinderbetreuung tun soll (s. Abb. 6.3.8).173 So erwies sich die Zustimmung zu mehr Leistungen für Familien und für die Kinderbetreuung bei allen Altersgruppen als sehr hoch. Im Unterschied zur all173
Zu den Itemformulierungen vgl. Anhang A2.1.
188
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
gemeinen Beurteilung von Familienleistungen lassen sich für diese beiden Indikatoren jedoch teilweise deutliche Unterschiede zwischen den Altersgruppen feststellen. So sprechen sich auch die über 65jährigen (83,9 %) für höhere Familienleistungen aus, aber nicht ganz in dem Maße, wie dies die jüngeren Altersgruppen tun (bis 35jährige: 89,4 %). Ähnlich sind die Unterschiede bei der Kinderbetreuung, bei der sich »nur« 86,9 Prozent der über 65jährigen und 94,1 Prozent der bis 35jährigen für höhere Ausgaben aussprechen. Die Regressionsanalysen (Abb. 6.3.8) zeigen jedoch für beide Variablen, dass diese eher geringen Altersunterschiede zumindest zum Teil signifikant sind. Vor allem die 56-65jährigen sprechen sich demnach seltener für höhere Leistungen für Familien und für die Kinderbetreuung aus als die jüngste Altersgruppe (Modelle A1 und B1). Mit einer Ausnahme werden diese Alterseffekte jedoch insignifikant, wenn zusätzlich noch für die Variable »Kinder«174 kontrolliert wird. Bei den »Leistungen für Familien« hat die Frage, ob Kinder im Haushalt leben, dabei selbst einen deutlichen Effekt. Weitere Einflüsse gehen hier von der Selbstverortung auf der ObenUnten-Skala, vom Landesteil (höhere Zustimmung bei Ostdeutschen) und vom mittleren Bildungsniveau (geringere Zustimmung) aus. Bei den Präferenzen bezüglich staatlicher Leistungen für Kinderbetreuung fällt auf, dass neben den Ostdeutschen vor allem Frauen in diesem Bereich höhere Ausgaben befürworten. Das Alter ist dagegen bei Einbezug der weiteren soziodemografischen Variablen ebenso wenig signifikant wie die Frage, ob im Haushalt des Befragten Kinder leben. Insgesamt gibt es damit für einen »umgekehrten« Generationenkonflikt einige, wenn auch nur schwache Anhaltspunkte. 6.3.4 Fazit Die Analysen unterschiedlicher Variablen, die Hinweise auf manifeste oder latente Generationenkonflikte im Kontext der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung geben können, lassen keine einfachen Schlussfolgerungen zu. Einerseits konnte gezeigt werden, dass von einem erheblichen Teil der Befragten eine Benachteiligung Jüngerer in der Rentenversicherung wahrgenommen und ein daraus resultierender Generationenkonflikt für möglich gehalten wird. Zudem bestehen bei den Akzeptanzurteilen und Interessenlagen häufig Unterschiede zwischen den Altersgruppen, die oft auch recht deutlich ausfallen. Dies trifft insbesondere für die allgemeine Beurteilung der Gesetzlichen Rentenversicherung und für die Einschätzung der eigenen Absicherung zu. In anderen Fällen sind die Unterschiede zwischen den Altersgruppen dagegen gering oder überhaupt nicht signifikant.
174
Diese dummy-Variable misst, ob ein Kind im Haushalt des Befragten lebt (vgl. Anhang A2.3).
6.3 Neue Konfliktlinien im Wohlfahrtsstaat (II): Generationenkonflikte
189
Die meisten der zu Beginn dieses Kapitels formulierten Annahmen können dabei als bestätigt gelten. So hat sich erwiesen, dass die erwarteten Altersunterschiede bei der Frage, ob Jüngere in der Gesetzlichen Rentenversicherung benachteiligt sind, bestehen (H1.1). Nicht erwartet wurden dagegen die Altersunterschiede bei der Wahrnehmung eines Generationenkonflikts (H1.2), der von Älteren etwas häufiger wahrgenommen oder befürchtet wird. Die Unterschiede zwischen den Altersgruppen sind hier allerdings nur gering und verlaufen nicht immer linear. Auch bei der Frage eines Anspruchserwerbs von Rentnern durch die geleisteten Beiträge (H2) und bei der Institutionenakzeptanz der Gesetzlichen Rentenversicherung (H3.1) konnten die erwarteten Alterseffekte nachgewiesen werden. Gleiches kann nicht für die Präferenzen bezüglich der Rentenhöhe (H3.2) und nur zum Teil für Leistungen für Familien (H5) behauptet werden. Deutliche Altersunterschiede bestehen dagegen, wie auch vermutet, bei der subjektiven Einschätzung der eigenen Absicherung (H4). Insgesamt kann also kein Zweifel daran bestehen, dass Personen unterschiedlichen Alters altersspezifische Programme und ihre Wirkungen unterschiedlich wahrnehmen und auch unterschiedlich beurteilen. Die entscheidende Frage ist jedoch: Rechtfertigen diese Unterschiede zwischen Altersgruppen bei den Akzeptanzurteilen über die Rentenversicherung, bei der Einschätzung der eigenen Absicherung und bei der Beurteilung von Leistungen für Familien die Annahme eines Generationenkonflikts (und sei es auch nur eines latenten)? Wohl eher nicht. Vielmehr legen die hier dargelegten Forschungsergebnisse zwar ein gesteigertes Problembewusstsein für intergenerationelle Verteilungseffekte und womöglich auch für eine entsprechende Sensibilisierung für Fragen der Generationengerechtigkeit nahe, lassen aber kaum Anzeichen für einen Generationenkonflikt im Kontext der wohlfahrtsstaatlichen Absicherung erkennen – und schon gar nicht für dessen unmittelbar bevorstehende »Manifestierung«. Für diese Interpretation spricht zunächst vor allem zweierlei: zum einen, dass bei der wichtigsten verteilungspolitischen Frage, der nach der Rentenhöhe, gerade keine signifikanten Altersunterschiede auftreten; und zum anderen, dass trotz signifikanter Altersunterschiede die Anerkennung erworbener Leistungsansprüche von Rentnern auch bei den jüngeren Befragten überaus hoch ist, sodass von einer soliden Verankerung der Generationenvertragslogik im »normativen Haushalt« der jüngeren Generationen auszugehen ist. Schließlich sind die Unterschiede zwischen den Altersgruppen auf der Ebene der Akzeptanzurteile und Präferenzen zwar oft signifikant, aber meist vergleichsweise gering. Insgesamt sollte man bei altersspezifischen Leistungen, die so deutlich auf bestimmte Lebensphasen ausgerichtet sind und entsprechende Interessen strukturieren, weit größere Unterschiede zwischen den Altersgruppen erwarten können. Zumindest sind die eher mäßige Akzeptanz der Gesetzlichen Rentenversicherung in allen Bevölkerungsteilen und die breite Zustimmung zum Anspruchserwerb von
190
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
Rentnern augenfälliger als Unterschiede, die dabei zwischen Altersgruppen auftreten. So kommt es auch in keinem Fall zu gegensätzlichen Einschätzungen. Dies wird insbesondere bei den Fragen nach gewünschten Leistungsänderungen deutlich: Weder wollen die jüngeren Altersgruppen mehrheitlich die Renten kürzen, noch befürworten die älteren mehrheitlich eine Kürzung von Familienleistungen. Auch die recht deutlichen Unterschiede zwischen den Altersgruppen bei der Einschätzung der eigenen Alterssicherung können die Annahme eines zumindest »latent angelegten« Generationenkonflikts nicht wirklich stützen. Denn auch wenn man davon ausgeht, dass diese Selbsteinschätzungen realistisch sind und Ältere tatsächlich über eine bessere Alterssicherung verfügen, so ist die nahe liegende Interpretation dieses Unterschieds, dass es sich hierbei nicht um einen Generationen-, sondern nur um einen reinen Alters- bzw. Lebenslaufseffekt handelt: d.h., die jetzt Jüngeren werden später ebenfalls über eine umfassendere Alterssicherung verfügen, weil sie mit zunehmenden Alter auch mehr Altersvorsorge betreiben werden. Insgesamt führt dies zu dem scheinbar paradoxen Ergebnis, dass es im Kontext der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung mehr Anhaltspunkte für die Wahrnehmung eines Generationenkonflikts als für diesen selbst gibt. Dies allerdings mit einer wesentlichen Einschränkung – nämlich der, dass es bisher keine theoretisch-konzeptionell befriedigende Definition des Generationenkonflikts gibt (vgl. Fußnote 156). 6.4 Eine Frage der Moral? Zum normativen Fundament der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz 6.4.1 Wohlfahrtsstaatliche Prinzipien und normative Orientierungen In diesem Kapitel wird der Einfluss untersucht, den Gerechtigkeitsüberzeugungen und andere normative Orientierungen auf die Beurteilung sozialer Sicherungssysteme haben. Wie in Kapitel 2.2.3 dargelegt wurde, werden die wohlfahrtsstaatliche Entwicklung sowie Unterschiede zwischen Wohlfahrtsstaaten häufig auch auf kulturelle Faktoren wie Ideologien, Werthaltungen und Deutungsmuster zurückgeführt. Für die Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen haben sich dabei vor allem »moralökonomische« Analysen als fruchtbar erwiesen. Ein breiter Konsens kann hierbei darüber unterstellt werden, dass normative Orientierungen einen Einfluss auf die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen haben (können). Wenig Übereinstimmung besteht dagegen darüber, welche normativen Orientierungen hierbei ausschlaggebend sind und wie diese sich auf die Akzeptanzurteile auswirken (förderlich oder abträglich).175 Diese Uneinmütigkeit bei der Frage, 175
Zu den wohl häufigsten Missverständnissen insbesondere im Grenzbereich von sozialwissenschaftlicher Analyse und Politikberatung gehört dabei die irrige Vorstellung, Werte und moralische Grundhaltungen müssten sich immer akzeptanzsteigernd auswirken. Natürlich ist auch das Gegenteil mög-
6.4 Eine Frage der Moral? Zum normativen Fundament der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz
191
von welchen normativen Orientierungen welche Wirkungen auf die Akzeptanzurteile erwartet werden können, ist darauf zurückzuführen, dass es im Fall normativer Orientierungen noch weit schwieriger als bei Interessenparametern ist, einen eindeutigen, möglichst linearen Kausalzusammenhang zu begründen. Dieses Phänomen, das Feldman und Zaller (1992) mit Bezug auf die USA als »political culture of ambivalence« beschrieben haben, ist zum einen darauf zurückzuführen, dass soziale Sicherungssysteme (und erst recht der Wohlfahrtsstaat als Ganzes) strukturell überaus komplexe und daher auch normativ »inkonsistente« Gebilde sind. Zum anderen ist davon auszugehen, dass Menschen (und erst recht Bevölkerungen) gleichzeitig an unterschiedlichen und scheinbar »konkurrierenden« Prinzipien und Werten orientiert sind. Dies kann dazu führen, dass sich die Einflüsse der einzelnen Wertorientierungen gegenseitig relativieren oder gar aufheben.176 In dieser Vielzahl sich überschneidender und in ihren Wirkungen möglicherweise kompensierender Kausalbeziehungen zwischen normativen Orientierungen und der Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen liegt die wesentliche Ursache für die Gefahr einer gewissen »Beliebigkeit« bei der theoretischen Herleitung und empirischen Operationalisierung kultureller Erklärungsfaktoren, auf die bereits in Kapitel 2.2.3 hingewiesen wurde. Ihr ist nur durch eine möglichst präzise und »kontextnahe« Begründung der einzelnen Hypothesen zu begegnen. Im Folgenden wird für zwei Arten von Wertorientierungen untersucht, welche Bedeutung sie für die Erklärung von Akzeptanzurteilen über wohlfahrtsstaatliche Institutionen haben: Zum einen sind dies Gerechtigkeitsüberzeugungen, die sich auf die unterschiedlichen Kriterien der Verteilungsgerechtigkeit (Leistung, Bedarf/Bedürftigkeit und Gleichheit) beziehen, zum anderen allgemeine Handlungs- und Sozialorientierungen (Solidarität, Eigenverantwortung und Reziprozitätsverpflichtung). Die erwarteten Kausaleinflüsse sind dabei unterschiedlich und werden für jede Wertund Handlungsorientierung einzeln begründet.
»Gerechtigkeit« und Sozialpolitik Die wohlfahrtsstaatliche Sicherung berührt an vielen Punkten Fragen der Gerechtigkeit. Denn nicht nur der Wohlfahrtsstaat insgesamt, sondern auch die einzelnen sozialpolitischen Bereiche und Regelungen weisen aufgrund ihrer Verteilungswirkungen zahlreiche Gerechtigkeitsbezüge auf. Einerseits liegen ihnen häufig bestimmte Normen der Verteilungsgerechtigkeit zugrunde; andererseits verletzen sie häufig (und oft notwendig) einzelne Gerechtigkeitsintuitionen, insbesondere solche der Leis-
176
lich, etwa bei einer stark individualistischen und Aspekte der Eigenverantwortung betonenden Orientierung. Die Akzeptanz stark redistributiver Sicherungssysteme kann z.B. trotz einer ausgeprägten Solidaritätsorientierung eher mäßig sein, wenn zugleich die Prinzipien der Leistungsorientierung und Eigenverantwortung befürwortet werden.
192
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
tungsgerechtigkeit. Dass der Wohlfahrtsstaat zu mehr sozialer Gerechtigkeit führe oder zumindest führen solle, ist zudem eine verbreitete Vorstellung, auch wenn dabei meist offen bleibt, welche Art von Gerechtigkeit angestrebt wird oder angestrebt werden sollte. Vor allem aufgrund ihrer Umverteilungswirkungen ist anzunehmen, dass Gerechtigkeitsüberzeugungen die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Sicherungsformen in der Bevölkerung (mit)bestimmen. Sie wird, ceteris paribus, in dem Maße steigen, wie die sozialen Sicherungssysteme für gerecht gehalten werden. Soziale Sicherungssysteme inkorporieren unterschiedliche – und sich scheinbar ausschließende – Gerechtigkeitsprinzipien (oder freundlicher formuliert: stellen einen Kompromiss zwischen konkurrierenden Gerechtigkeitsprinzipien dar). Sie »bedienen« und »verletzten« daher meist zugleich mehrere Gerechtigkeitsprinzipien. So kann man, ohne dass dies hier im Detail ausgeführt werden kann, für alle untersuchten Sicherungssysteme zwischen primären (dominanten) und sekundären Gerechtigkeitsprinzipien unterscheiden (s. Abbildung 6.4.1). Dies kann dazu führen, dass stark ausgeprägte Gerechtigkeitsüberzeugungen auch bei einer Übereinstimmung mit dem dominanten Gerechtigkeitsprinzip zu einer Ablehnung führen, weil die relevanten Gerechtigkeitskriterien als nicht ausreichend erfüllt erscheinen.177 Dass Gerechtigkeitsüberzeugungen einen Einfluss auf die Beurteilung sozialer Sicherungssysteme haben können, scheint unmittelbar einleuchtend, ist aber erst vergleichsweise wenig untersucht worden. Immerhin konnte in mehreren Studien ein positiver Einfluss egalitaristischer Orientierungen auf die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme aufgezeigt werden (vgl. u.a. Blekesaune/Quadango 2003; Dallinger/Liebig 2004), wenn auch häufig nur für Einstellungen zu Umverteilungen (vgl. Kluegel/Miyano 1995; Lewin-Epstein et al. 2003), bei denen ein Bezug zu Gerechtigkeitsvorstellungen besonders naheliegend scheint. Gangl (1997) konnte zudem positive Effekte einer Orientierung am Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit und negative für eine Orientierung am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit nachweisen. Auch in vergleichender Perspektive wurde immer wieder auf die Bedeutung grundlegender Gerechtigkeitsorientierungen im Sinne dominanter nationaler Ideologien hingewiesen (Arts/Gelissen 2001; Mau 1997; Svallfors 1997).
177
So entspricht etwa die Arbeitslosenversicherung dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit eher als anderen Gerechtigkeitsprinzipien und vor allem stärker als z.B. die Sozialhilfe oder die Gesetzliche Krankenversicherung; zugleich enthält die Arbeitslosenversicherung aber auch Elemente anderer Gerechtigkeitsprinzipien (z.B. die Berücksichtigung von Bedürftigkeitskriterien), in denen eine Verletzung des Prinzips der Leistungsgerechtigkeit gesehen werden kann. Daher kann sich also eine Orientierung des Befragten am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit sowohl förderlich als auch abträglich auf seine Akzeptanz der Arbeitslosenversicherung auswirken.
6.4 Eine Frage der Moral? Zum normativen Fundament der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz
193
Abbildung 6.4.1: Wohlfahrtsstaatliche Bereiche und inkorporierte Gerechtigkeitsprinzipien
Gesetzliche Krankenversicherung Gesetzliche Rentenversicherung Arbeitslosenversicherung Sozialhilfe Leistungen für Familien
Dominantes Gerechtigkeitsprinzip
Sekundäre Gerechtigkeitsprinzipien
Bedarf
Leistung, Gleichheit
Leistung
Bedarf, Gleichheit
Leistung
Bedarf
Bedarf
Gleichheit ?
Gleichheit
Bedarf
Zur Messung von Gerechtigkeitsüberzeugungen wurden drei Items verwendet, um die drei zentralen Kriterien der Verteilungsgerechtigkeit – Gleichheit, Bedarf/Bedürftigkeit und Leistung (vgl. a. Deutsch 1975; Miller 1976) – zu erfassen. Bei der Formulierung der Items wurde darauf geachtet, dass mit diesen grundlegende Gerechtigkeitsorientierungen und nicht konkrete Einstellungen erfasst werden (vgl. a. Anhang A2.2): 1. 2. 3.
Bedarfsgerechtigkeit: »Es wäre gerecht, wenn alle Menschen das bekommen, was sie zum Leben brauchen, auch wenn Leute mit höherem Einkommen dafür etwas abgeben müssen«; Leistungsgerechtigkeit: »Es ist gerecht, wenn Menschen, die viel leisten, mehr verdienen als andere«; Gleichheit (Egalitarismus): »Es wäre gerecht, Einkommen und Vermögen so zu verteilen, dass alle den gleichen Anteil erhalten«.178
Grundlegende Handlungs- und Sozialorientierungen Überwiegend geteilt wird auch die Ansicht, dass neben Gerechtigkeitsüberzeugungen weitere normative Orientierungen einen Einfluss auf die Beurteilung der sozialen Sicherung haben können. Darüber welche Eigenschaften und Wertorientierungen hier relevant sind, herrscht dagegen keine Übereinstimmung, geschweige denn so etwas wie konzeptionelle Klarheit.
178
Alle drei Aussagen wurden auf einer endpunktbeschrifteten 6er-Skala von »Stimme überhaupt nicht zu« bis »Stimme voll und ganz zu« beurteilt.
194
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
So wurden die verschiedensten Konzeptionalisierungen normativer Grundorientierungen zur Erklärung von Akzeptanzurteilen über wohlfahrtsstaatliche Programme herangezogen. Hierzu gehören individualistische vs. kollektivistische (z.B. Coughlin 1978), materialistische vs. postmaterialistische (z.B. Roller 1992) sowie solidarische vs. egoistische Orientierungen (z.B. van Oorschot 2000b). Darüber hinaus wurden auch religiöse und politische Orientierungen, der Arbeitsethos (z.B. Williamson 1974), humanitaristische Werte (Feldman/Steenberg 2001) und rassistische Vorurteile (z.B. Gilens 1995) – wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg – zur Erklärung von Akzeptanzurteilen herangezogen.179 Für drei solcher Handlungs- und Sozialorientierungen soll im Folgenden untersucht werden, welchen Beitrag sie zur Erklärung von Akzeptanzurteilen leisten können. Zwei von ihnen ist gemeinsam, dass sie eine prominente Rolle in der öffentlichen wie wissenschaftlichen Diskussion um das moralische Fundament des Wohlfahrtsstaates spielen. Gemeint sind die Betonung der Eigenverantwortung und die Solidaritätsorientierung. Grundsätzlich ist bei einer starken Befürwortung eigenverantwortlichen Handelns eher von einer wohlfahrtsstaatskritischen (bzw. allgemein antietatistischen), bei einer hohen Solidaritätsorientierung dagegen eher von einer wohlfahrtsstaatsfreundlichen Haltung auszugehen – dies allerdings bei wesentlichen Differenzierungen (s.u.). Als dritte Sozialorientierung wird in den folgenden Analysen eine Handlungsorientierung berücksichtigt, die hier als Reziprozitätsverpflichtung bezeichnet wird. Mit ihr soll erfasst werden, wie sehr sich jemand verpflichtet fühlt, aufgrund selbst erhaltener Hilfe eine eigene Hilfsbereitschaft zu zeigen. Allgemein wird vermutet, dass die »normative Kraft der Reziprozität« sich vor allem auf die Akzeptanz von Sozialversicherungen förderlich auswirkt, weil diese stärker als z.B. die Sozialhilfe an (allerdings generalisierte) Reziprozitätsvorstellungen anknüpft (vgl. hierzu auch Ullrich 1999). Zur Messung der drei Sozialorientierungen wurde ebenfalls jeweils ein Item verwendet. Die Formulierungen wurden wiederum so gewählt, dass grundlegende Handlungs- und Sozialorientierungen und keine spezifischen Einstellungen erfasst werden. Wie die Gerechtigkeitsüberzeugungen weisen sie auch keinen direkten Bezug zu Aspekten der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung auf (vgl. a. Anhang A2.2): 1. 2.
179
Eigenverantwortung: »Letztendlich ist jeder selbst für sein eigenes Wohlergehen verantwortlich«; Solidarität: »Der Stärkere sollte dem Schwächeren helfen«;
Aufgrund dieser theoretisch wie konzeptionell unübersichtlichen Lage schien es nicht angeraten, unmittelbar an bestehende Operationalisierungen normativer Orientierungen anzuknüpfen. Bei der Operationalisierung der grundlegenden Sozialorientierungen im Rahmen des Projekts »Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates« sind dennoch Erfahrungen mit älteren Umsetzungsversuchen eingeflossen.
6.4 Eine Frage der Moral? Zum normativen Fundament der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz
3.
195
Reziprozitätsverpflichtung: »Wer Hilfe von anderen erhalten hat, sollte sich verpflichtet fühlen, selbst Hilfe zu leisten«.180
Welche Bedeutung Wertorientierungen für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme haben, wird in erster Linie am Beispiel der Gesetzlichen Rentenversicherung und der Sozialhilfe untersucht. Das Ziel der folgenden Analysen geht dabei über den einfachen Nachweis eines Einflusses normativer Orientierungen hinaus. Vielmehr soll auch geklärt werden, ob die Effekte normativer Orientierungen sich nach der institutionellen Struktur der Sicherungssysteme unterscheiden. Eine Gegenüberstellung von Gesetzlicher Rentenversicherung und Sozialhilfe bietet hier den Vorteil, dass diese beiden Sicherungssysteme in mehrfacher Hinsicht Gegenpole darstellen (vgl. Abb. 4.2 und 6.4.1). So ist die Sozialhilfe vorwiegend am Kriterium der Bedarfsgerechtigkeit orientiert, ein Minderheitsprogramm und das Sicherungssystem mit den geringsten Präferenzen für höhere Leistungen (vgl. Abb. 5.4e). Die Gesetzliche Rentenversicherung ist demgegenüber eher am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit orientiert und ein Mehrheitsprogramm. Bei der Rente ist der Wunsch nach höheren Leistungen am deutlichsten; zugleich erwies sich die Rentenversicherung aber auch als ein Sicherungssystem, dem besonders wenig Vertrauen entgegengebracht wird (Abb. 5.2e). In beiden Fällen (Sozialhilfe und Rentenversicherung) werden die Effekte normativer Orientierungen für die Institutionenakzeptanz und für die »Leistungsbewertung« (Präferenzen bezüglich des Leistungsniveaus) untersucht. Diese Auswahl beruht auf der allgemeinen Überlegung, dass einzelne Wertorientierungen (Bedarfsgerechtigkeit, Solidarität) bei den Leistungspräferenzen sich besonders deutlich auswirken müssten und dass die Effekte hier einfach und linear sein werden. Anders verhält es sich bei der Beurteilung des »gesellschaftlichen Wertes«, für die gegensätzliche Wirkungen der Wertorientierungen und kurvlineare Effekte erwartet werden (zu den einzelnen Hypothesen s.u.). Ergänzend wird auch für zwei Bereiche der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« (»Abbau von Einkommensunterschieden« und »Bereitstellung von Arbeitsplätzen«) die Bedeutung normativer Orientierungen untersucht. Hierfür gibt es zwei Gründe: Erstens konnte schon in früheren Untersuchungen insbesondere für die Akzeptanz von Einkommensungleichheit (bzw. allgemeiner für die sozialer Ungleichheit) ein Einfluss von Gerechtigkeitsüberzeugungen aufgezeigt werden, der nun systematisch für die drei grundlegenden Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit überprüft werden kann. Wichtiger ist aber, dass Aufgaben der sozialen Sicherung, die auch öffentlich kontrovers diskutiert werden, vermutlich weit stärker unter »moralischen« Gesichts180
Auch hier wurden alle drei Aussagen auf einer endpunktbeschrifteten 6er-Skala von »Stimme überhaupt nicht zu« bis »Stimme voll und ganz zu« beurteilt.
196
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
punkten beurteilt werden als solche, die in Deutschland zum mehr oder minder konsensuellen Kernbestand des Wohlfahrtsstaates gerechnet werden können. Neben der »absoluten« Bedeutung von Wertorientierungen dürfte beim »Abbau von Einkommensunterschieden« und bei der »Bereitstellung von Arbeitsplätzen« aber auch das relative Gewicht normativer Orientierungen steigen, da unmittelbare Eigeninteressen (etwa als Leistungsempfänger) hier in geringerem Maße bestehen. Der folgenden Analyse des Einflusses von Gerechtigkeitsüberzeugungen und Sozialorientierungen auf die Beurteilung sozialer Sicherungssysteme liegen drei übergreifende Hypothesen zugrunde: Die erste ist die der Kontextabhängigkeit des Einflusses normativer Orientierungen auf die Akzeptanzurteile (H1). Demnach variiert die Bedeutung der einzelnen Gerechtigkeitsüberzeugungen und Sozialorientierungen bei der Beurteilung sozialer Sicherungssysteme. Dieser Annahme entsprechend müssten normativ unterschiedlich strukturierte Sicherungssysteme anhand unterschiedlicher Gerechtigkeitskriterien beurteilt werden. Es wird also angenommen, dass die Befragten erkennen und anerkennen, dass Sicherungssystemen unterschiedliche Gerechtigkeitsprinzipien zugrunde liegen, und dass sie ihre Akzeptanzurteile entsprechend differenzieren. Ähnlich, wenn auch nur in abgeschwächter Form, sollten sich auch die Handlungs- und Sozialorientierungen unterschiedlich auf die Beurteilung der Sicherungssysteme auswirken. Für die einzelnen Sicherungsbereiche und Akzeptanzindikatoren wird dabei von folgenden Annahmen ausgegangen: Hinsichtlich des Einflusses von Gerechtigkeitsüberzeugungen auf die Akzeptanzurteile wird zunächst erwartet, dass bei der Beurteilung sozialer Sicherungssysteme den jeweils primären (dominanten) Gerechtigkeitsprinzipien (vgl. Abb. 6.4.1) eine besondere Bedeutung zukommt. Es wird daher angenommen, dass bei der Gesetzlichen Rentenversicherung eine Orientierung am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit und bei der Sozialhilfe eine Orientierung am Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit zu einer höheren Akzeptanz führen (H1.1). Zusätzlich werden bei der Beurteilung der Institutionenakzeptanz stärkere Effekte des primären Gerechtigkeitsprinzips erwartet als bei der Beurteilung der Leistungshöhe, die allerdings nicht linear sind. Von einer sehr starken Orientierung an den Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit und der Bedarfsgerechtigkeit werden daher akzeptanzmindernde Effekte für die Institutionenakzeptanz der Gesetzlichen Rentenversicherung bzw. der Sozialhilfe vermutet (H1.2).181
181
Grundsätzlich wird also erwartet, dass eine stärkere Orientierung am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit zu einer höheren Akzeptanz der Rentenversicherung führt, weil diese Kriterien der Leistungsgerechtigkeit erfüllt. Ist die Orientierung aber sehr stark ausgeprägt, kann auch ein entgegengesetzter Effekt vermutet werden: Die starke Orientierung am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit könnte zu einer Ablehnung der Rentenversicherung führen, weil diese Kriterien der Leistungsgerechtigkeit auch verletzt.
6.4 Eine Frage der Moral? Zum normativen Fundament der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz
197
Neben den spezifischen Annahmen über die Effekte der jeweils primären Gerechtigkeitsprinzipien wird für die Gerechtigkeitsüberzeugungen erwartet, dass sich eine starke Orientierung an der Leistungsgerechtigkeit (mit Ausnahme der Rentenversicherung) eher negativ auf die Akzeptanz auswirkt (H1.3), während egalitaristische Gerechtigkeitsüberzeugungen und eine Orientierung am Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit bei allen Akzeptanzindikatoren und Sicherungsbereichen eher zu einer höheren Akzeptanz führen (H1.4). Insbesondere für die beiden Bereiche der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« wird dabei ein starker positiver Einfluss der Bedarfsgerechtigkeit sowie egalitaristischer Gerechtigkeitsüberzeugungen erwartet. Für das Ziel »Abbau von Einkommensunterschieden« ist zudem ein akzeptanzverringernder Einfluss einer Orientierung am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit anzunehmen, während bei der »Bereitstellung von Arbeitsplätzen« hier eher kein oder sogar ein positiver Effekt erwartet werden kann (H1.5). Anders als bei den Gerechtigkeitsüberzeugungen werden für die grundlegenden Handlungs- und Sozialorientierungen vor allem allgemeine, für alle Sicherungsbereiche im Kern gleich lautende Annahmen gemacht. So wird für die Eigenverantwortung ein in allen Fällen akzeptanzmindernder Einfluss erwartet, wobei jedoch angenommen wird, dass sich eine stärkere Befürwortung von Eigenverantwortung auf die Akzeptanz der Sozialhilfe besonders abträglich auswirkt (H1.6). Eine genau entgegengesetzte Wirkung – höhere Akzeptanz und starker positiver Einfluss auf die Beurteilung der Sozialhilfe – wird für eine starke Solidaritätsorientierung vermutet (H1.7). Auch von einer stärkeren Reziprozitätsverpflichtung wird angenommen, dass sie insgesamt zu einer höheren Akzeptanz führt. Eine solche Wirkung wird aber hauptsächlich für die Rentenversicherung erwartet. Der Einfluss auf die Beurteilung der Sozialhilfe und die beiden Bereiche der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« sollte dagegen bestenfalls gering sein (H1.8). Zu den »Kontexten« gehören schließlich auch die beiden Akzeptanzdimensionen. So kann vermutet werden, dass eine Orientierung an der Bedarfsgerechtigkeit und Solidaritätsorientierungen für die gewünschte Wohlfahrtsstaatlichkeit (hier die Leistungshöhe der Rente und der Sozialhilfe sowie die Indikatoren der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit«) eine größere Bedeutung haben als bei der Institutionenakzeptanz (H1.9). Die zweite übergreifende Hypothese kann als Annahme einer grundsätzlichen (wenn auch begrenzten) Kompatibilität bezeichnet werden (H2). Insbesondere von Gerechtigkeitsüberzeugungen wird häufig angenommen, dass sie sich wechselseitig ausschließen. Demgegenüber wird hier davon ausgegangen, dass Gerechtigkeitsüberzeugungen nicht zwangsläufig in einem unversöhnlichen Gegensatz oder Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander stehen (H2.1). Es wird erwartet, dass unterschiedliche Gerechtigkeitsüberzeugungen gleichgerichtete Effekte haben können, dass also z.B. sowohl eine Orientierung an Kriterien der Leistungsgerechtigkeit als auch eine an
198
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
Kriterien der Bedarfsgerechtigkeit zu einer positiven (oder negativen) Beurteilung von Sicherungssystemen führen kann. Zugleich besteht aber auch die umgekehrte Möglichkeit, dass gleichgerichtete Gerechtigkeitsüberzeugungen in Abhängigkeit von der Stärke ihrer Ausprägung zu unterschiedlichen Bewertungen führen. Auch für die drei grundlegenden Handlungs- und Sozialorientierungen wird eine gewisse Kompatibilität angenommen, wenn auch insbesondere für die »Eigenverantwortungs«- und »Solidaritätsorientierungen« ein gewisses Spannungsverhältnis anzunehmen ist (H2.2). Schließlich wird erwartet, dass sich die Einflüsse von Gerechtigkeitsüberzeugungen und Sozialorientierungen zwar in Einzelfällen aufheben, dass hier aber grundsätzlich unabhängige Dimensionen beschrieben worden sind, deren Effekte auf die Akzeptanzurteile auch dann nachweisbar sind, wenn alle sechs Wertorientierungen in die Analysen einbezogen werden (H2.3). Der vielleicht grundlegendste Einwand gegen die Verwendung von Wertorientierungen als Erklärungsfaktoren besteht in der Annahme, bei diesen handele es sich um bloße Rationalisierungen oder »Moralisierungen« von Eigeninteressen (oder um non-attitudes). In abgeschwächter Form läuft dieses meist axiomatisch vorgetragene Argument auf die Behauptung hinaus, dass normative Orientierungen immer nur dann relevant seien, wenn keine stärkeren Eigeninteressen bestehen. Gerechtigkeitsüberzeugungen und grundlegende Sozialorientierungen gewönnen dann in dem Maße an Bedeutung, wie das Eigeninteresse an den Sicherungssystemen gering ist. Entgegen dieser skeptischen Beurteilung des Erklärungswerts normativer Orientierungen wird hier davon ausgegangen, dass es nicht zu einer derartigen Kompensation kommt (H3). Für Gerechtigkeitsüberzeugungen und Sozialorientierungen wird also auch bei Kontrolle unterschiedlicher Interessenparameter ein nachweisbarer Einfluss auf die Akzeptanzurteile erwartet (H3.1). Der Kompensationsthese soll aber insoweit gefolgt werden, als von einer Minderung des relativen Gewichts normativer Orientierungen bei stärkeren Eigeninteressen ausgegangen wird. So müssten z.B. Minderheitsprogramme (wie die Sozialhilfe) stärker als Mehrheitsprogramme (wie die Gesetzliche Rentenversicherung) aufgrund von Wertorientierungen beurteilt werden, weil hier bei den meisten Befragten nur ein geringes (positives) Eigeninteresse (geringere Zahl der potenziellen Leistungsempfänger) besteht (H3.2). 6.4.2 Die Bedeutung von Gerechtigkeitsüberzeugungen und grundlegender Sozialorientierungen für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme Die Analyse der Bedeutung von Gerechtigkeitsüberzeugungen und Sozialorientierungen für die Akzeptanzurteile über wohlfahrtsstaatliche Institutionen und Ziele erfolgt in drei Schritten. Zunächst wird deren Einfluss auf die Institutionenakzeptanz der Gesetzlichen Rentenversicherung und der Sozialhilfe untersucht, an die sich dann entsprechende Analysen für die »Leistungsbewertung« anschließen. Hier-
6.4 Eine Frage der Moral? Zum normativen Fundament der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz
199
zu werden in beiden Fällen OLS-Regressionen verwendet, in denen zur Kontrolle des Einflusses von Eigeninteressen und zur Prüfung der »Kompensationsthese« neben den soziodemografischen Merkmalen auch spezifische subjektive und objektive Interessenparameter berücksichtigt werden. Dies gilt auch für die im dritten Teil dargelegten Analysen für die beiden Bereiche der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit«, für die ordinale logistische Regressionen durchgeführt wurden. Zunächst zur Institutionenakzeptanz der Rentenversicherung (Abb. 6.4.2). Um die Annahme prüfen zu können, dass der Einfluss des primären Gerechtigkeitsprinzips nicht linear verläuft (H1.2), wurde hier neben dem einfachen Effekt der Leistungsgerechtigkeit zusätzlich die Möglichkeit eines quadrierten Effektes berücksichtigt. Sind beide signifikant, besteht ein umgekehrt U-förmiger Zusammenhang. Im ersten Modell sind hier die Effekte für Gerechtigkeitsüberzeugungen dargestellt, wenn für keine weiteren Variablen kontrolliert wird. Mit Ausnahme der Bedarfsgerechtigkeit weisen alle Gerechtigkeitsüberzeugungen signifikante Effekte auf. Dabei bestätigen sich beide Vermutungen hinsichtlich des primären Gerechtigkeitsprinzips: Leistungsgerechtigkeit hat einen positiven Effekt auf die Beurteilung der Rentenversicherung; gleichzeitig ist aber der quadrierte Effekt für Leistungsgerechtigkeit negativ signifikant. Dies entspricht genau der Erwartung, dass sich der grundlegende Zusammenhang (Leistungsgerechtigkeit führt zu einer höheren Akzeptanz der Rentenversicherung) bei einer sehr starken Orientierung am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit umkehrt und zu einer geringen Akzeptanz führt (umgekehrt Uförmiger Zusammenhang). Unerwartet ist dagegen der negative Effekt egalitaristischer Gerechtigkeitsüberzeugungen. Angesichts der doch deutlichen Ausrichtung der Gesetzlichen Rentenversicherung am Äquivalenz- und am Statusprinzip (und einem entsprechenden Ausbleiben redistributiver Wirkungen) scheint eine geringe Institutionenakzeptanz der Rentenversicherung bei einer starken Befürwortung des Gleichheitsprinzips jedoch durchaus folgerichtig. Der Einbezug der Sozialorientierungen im zweiten Modell hat praktisch keine Auswirkung auf die Stärke und die Signifikanz der Effekte der Gerechtigkeitsüberzeugungen. Wie erwartet hat auch die Reziprozitätsverpflichtung einen signifikanten Einfluss auf die Beurteilung der Institutionenakzeptanz der Rentenversicherung. Der Gesamterklärungswert der Wertorientierungen ist allerdings nicht sehr hoch (R²=0,019). Wird dagegen auch für die soziodemografischen Merkmale kontrolliert (Modell 3), so ist der Effekt für die »Gleichheit« nicht länger signifikant (bzw. nur auf einem Signifikanzniveau von 10 %). Die Effekte für die Leistungsgerechtigkeit und die Reziprozitätsverpflichtung bleiben dagegen stabil. Zusätzlich wird die Solidaritätsorientierung (schwach) signifikant. Wie zuvor bei der egalitaristischen Gerechtigkeitsüberzeugung ist der Effekt jedoch negativ, was als Wahrnehmung eines Solidaritätsdefizits der Gesetzlichen Rentenversicherung interpretiert werden kann.
200
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
Abbildung 6.4.2: Institutionenakzeptanz der Gesetzlichen Rentenversicherung (OLS-Regressionen) Gerechtigkeitsüberzeugungen Gleichheit (Egalitarismus) Leistungsgerechtigkeit Leistungsgerechtigkeit (quadriert) Bedarfsgerechtigkeit
Modell 1
Modell 2
Modell 3
Modell 4
-0,067* 0,519**
-0,067* 0,479**
-0,056 0,594**
-0,057 0,552**
-0,539**
-0,520**
-0,654***
-0,632***
(0,052)
Sozialorientierungen Eigenverantwortung Solidarität Reziprozitätsverpflichtung
0,051 -0,006 (-0,050) 0,103***
Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch Alter des Befragten Geschlecht: Frau Oben-Unten-Skala Landesteil: Ostdeutschland allgemeine Reziprozitätserwartungen R² (korrigiertes R²) N
0,044
0,032
0,000 -0,063* 0,095**
0,004 -0,079** 0,077*
0,015 0,035 0,162*** -0,024 0,041 0,026
0,022 0,025 0,124*** -0,032 0,035 0,019 0,297***
0,010 (0,007)
0,019 (0,014) 1331
0,052 (0,042)
0,136 (0,126) 1175
* p<0,05; ** p<0,01; ***p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; standardisierte Regressionskoeffizienten
Mit Ausnahme des Alters weisen die soziodemografischen Merkmale keine signifikanten Effekte auf, führen aber zu einer leichten Verbesserung des Gesamtmodells. Anders ist dies bei den allgemeinen Reziprozitätserwartungen, die hier als subjektive Interessendefinition zusätzlich aufgenommen wurden (Modell 4). Sie haben, wie schon in Kapitel 6.2. erläutert wurde, den erwartet starken Effekt und führen zu einem deutlich höheren R²-Wert. Die Auswirkungen auf die Effektstärken der Wertorientierungen sind aber nur marginal. Für die Institutionenakzeptanz der Gesetzlichen Rentenversicherung lässt sich damit festhalten, dass der erwartete Effekt des primären Gerechtigkeitsprinzips nachgewiesen werden konnte und dass sich dieser auch bei Kontrolle für mehrere Interessenparameter als stabil erweist. Die Bedarfsgerechtigkeit und eine egalitaristische Gerechtigkeitsüberzeugung sowie die Befürwortung von Eigenverantwortung haben dagegen keine signifikanten Effekte. Von den Sozialorientierungen haben die So-
6.4 Eine Frage der Moral? Zum normativen Fundament der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz
201
lidaritätsorientierung und die Reziprozitätsverpflichtung einen nachweisbaren Einfluss auf die Beurteilung der Rentenversicherung. Die Effekte sind hier jedoch deutlich geringer als bei den Gerechtigkeitsüberzeugungen. Die Regressionsanalysen zur Institutionenakzeptanz der Sozialhilfe zeigen beim Einfluss der Gerechtigkeitsüberzeugungen ein zur Beurteilung der Rentenversicherung geradezu komplementäres Bild (Abb. 6.4.3). Schon in den beiden ersten Modellen, in die nur die Gerechtigkeitsüberzeugungen bzw. nur die Wertorientierungen aufgenommen wurden, wird die Annahme über den kurvlinearen Einfluss des primären Gerechtigkeitsprinzips bestätigt: Während eine Orientierung am Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit einen positiven Effekt auf die Institutionenakzeptanz der Sozialhilfe hat, ist der des quadrierten Terms negativ. Eine sehr starke Orientierung an der Bedarfsgerechtigkeit führt also zu einer geringeren Akzeptanz der Sozialhilfe als eine etwas schwächere. Wie bei der Rentenversicherung bestehen auch hier signifikante Effekte egalitaristischer Gerechtigkeitsüberzeugungen (negativ) und der Reziprozitätsverpflichtung (positiv). Eine weitere Parallele besteht darin, dass der Einbezug soziodemografischer Merkmale (Modell 3) und allgemeiner Reziprozitätserwartungen (Modell 4) dazu führt, dass bei den Gerechtigkeitsüberzeugungen nur noch der Effekt für die Bedarfsgerechtigkeit bestehen bleibt. Auf die Sozialorientierungen hat die Kontrolle für Interessenfaktoren dagegen keine Auswirkung. Für die Eigenverantwortung und die Solidaritätsorientierung sind keine signifikanten Effekte festzustellen, während der Einfluss der Reziprozitätsverpflichtung stabil bleibt. Auch bei der Institutionenakzeptanz der Sozialhilfe können damit für die Gerechtigkeitsüberzeugungen die Annahmen der Kontextabhängigkeit im Allgemeinen sowie über den nicht-linearen Einfluss des primären Gerechtigkeitsprinzips als bestätigt gelten. Unerwartet sind dagegen die Effekte der Sozialorientierungen. Überraschender als der Einfluss der Reziprozitätsverpflichtung182 ist dabei das Ausbleiben eines positiven Effekts der Solidaritätsorientierung und eines negativen der Eigenverantwortung.183
182
183
Dass (generalisierte) Reziprozitätsvorstellungen auch auf weitgehend redistributive Sicherungssysteme übertragen werden können, habe ich bereits an anderer Stelle verdeutlicht (Ullrich 1999). Das Fehlen eines positiven Effekts der Solidaritätsorientierung sowie der nicht stabile negative Effekt egalitaristischer Gerechtigkeitsüberzeugungen sind möglicherweise als Wahrnehmung entsprechender Defizite zu interpretieren (Sozialhilfe als nicht oder unzureichend »solidarisch« und »egalitär«). Dagegen ist das Ausbleiben eines Effekts der Eigenverantwortungsorientierung am ehesten mit der Annahme eines kontextabhängigen Einflusses normativer Orientierungen zu erklären: Demgemäß wäre »Eigenverantwortlichkeit« kein Maßstab zur Beurteilung der Sozialhilfe.
202
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
Abbildung 6.4.3: Institutionenakzeptanz der Sozialhilfe (OLS-Regressionen) Gerechtigkeitsüberzeugungen Gleichheit (Egalitarismus) Leistungsgerechtigkeit Bedarfsgerechtigkeit Bedarfsgerechtigkeit (quadriert)
Modell 1
Modell 2
Modell 3
Modell 4
-0,082* 0,019 0,287* -0,343*
-0,086** -0,016 0,333* -0,392**
0,060 -0,044 0,301* -0,353*
-0,065 -0,061 0,291* -0,349*
Sozialorientierungen Eigenverantwortung Solidarität Reziprozitätsverpflichtung
0,046 -0,020 0,091**
Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch Alter des Befragten Geschlecht: Frau Oben-Unten-Skala Landesteil: Ostdeutschland allgemeine Reziprozitätserwartungen R² (korrigiertes R²) N
0,051 0,000 0,104**
0,054 -0,014 0,090**
-0,024 -0,002 0,044 -0,020 0,121*** -0,104***
-0,019 -0,014 0,013 -0,029 0,115*** -0,110*** 0,235***
0,017 (0,014)
0,027 (0,022) 1237
0,066 (0,055)
0,119 (0,107) 1098
* p<0,05; ** p<0,01; ***p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; standardisierte Regressionskoeffizienten
Vor allem die primären Gerechtigkeitsüberzeugungen und die Reziprozitätsverpflichtung haben also einen deutlichen Einfluss auf die Beurteilung des »gesellschaftlichen Wertes« der Gesetzlichen Rentenversicherung und der Sozialhilfe. Der Einfluss der Handlungs- und Sozialorientierungen ist aber insgesamt eher schwach, denn nur von der Reziprozitätsverpflichtung geht ein »positiver« Einfluss aus. Auch für die soziodemografischen Variablen bestehen nur vereinzelte Effekte, während sich die allgemeinen Reziprozitätserwartungen (als subjektiver Interessenindikator) in beiden Fällen deutlich auf die Institutionenakzeptanz auswirken. Wie aber steht es mit dem Einfluss normativer Orientierungen auf die Präferenzen für höhere und niedrigere Leistungen? Betrachtet man die Regressionsmodelle für die Präferenzen bezüglich der Rentenhöhe (Abb. 6.4.4), wird schnell deutlich, dass hier andere Wertorientierungen als bei der Institutionenakzeptanz wichtig sind. Schon das einfache Modell, das nur die Gerechtigkeitsüberzeugungen umfasst, weist allein für die egalitaristische Gerechtigkeitsüberzeugung einen signifikanten Effekt
203
6.4 Eine Frage der Moral? Zum normativen Fundament der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz
auf. Anders als bei der Institutionenakzeptanz ist er jetzt jedoch positiv. Eine stärkere Befürwortung von Gleichheit führt also in der Tendenz eher zu Präferenzen für eine höhere Rente. Die Hereinnahme der Sozialorientierungen hat keine Auswirkungen auf die Effekte der Gerechtigkeitsüberzeugungen (Modell 2). Von ihnen hat nur die Solidaritätsorientierung einen signifikanten Effekt. Den oben formulierten Erwartungen entsprechend ist dieser wie beim Egalitarismus positiv. Abbildung 6.4.4: »Leistungsbewertung« – Renten (OLS-Regressionen) Gerechtigkeitsüberzeugungen Gleichheit (Egalitarismus) Leistungsgerechtigkeit Bedarfsgerechtigkeit
Modell 1
Modell 2
Modell 3
0,119*** 0,047 -0,026
0,125*** 0,045 -0,054
0,115*** 0,066* -0,045
-0,012 0,102*** -0,018
-0,026 0,129*** 0,007
Sozialorientierungen Eigenverantwortung Solidarität Reziprozitätsverpflichtung Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch
-0,034 -0,119***
Alter des Befragten
-0,024
Geschlecht: Frau
-0,001 0,001
Oben-Unten-Skala
-0,029
Landesteil: Ostdeutschland allgemeine Reziprozitätserwartungen R² (korrigiertes R²) N
-0,212*** 0,011 (0,009)
0,021 (0,016)
0,080 (0,070)
1153
* p<0,05; ** p<0,01; ***p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; standardisierte Regressionskoeffizienten
Beide Effekte erweisen sich auch als stabil, wenn die soziodemografischen Variablen und die allgemeinen Reziprozitätserwartungen in das Modell aufgenommen werden (Modell 3). Von den soziodemografischen Merkmalen hat nur das höhere Bildungsniveau einen signifikanten (negativen) Effekt und von den Reziprozitätserwartungen geht wiederum ein deutlicher, jetzt jedoch negativer Einfluss auf die präferierte Leistungshöhe aus (wer Reziprozität erwartet, ist seltener für höhere Renten). Ein zusätzlicher, wenn auch nur schwach signifikanter Effekt besteht nun auch für die Leistungsgerechtigkeit. Damit hat das primäre Gerechtigkeitsprinzip der Renten-
204
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
versicherung also auch auf die Beurteilung der Leistungshöhe einen gewissen Einfluss. Auch für die Präferenzen hinsichtlich der Rentenhöhe kann damit ein Einfluss normativer Orientierungen nachgewiesen werden. Anders als bei der Institutionenakzeptanz erweisen sich hier jedoch eine Solidaritätsorientierung und eine egalitaristische Gerechtigkeitsüberzeugung als entscheidende Einflussgrößen. Unerwartet ist dabei vor allem, dass eine Orientierung am Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit keinen Einfluss hat.184 Im Vergleich zur Institutionenakzeptanz der Rentenversicherung erscheint der Einfluss von Gerechtigkeitsüberzeugungen hier damit als etwas schwächer, was sich auch im geringeren Erklärungswert des Gesamtmodells niederschlägt. Abbildung 6.4.5: »Leistungsbewertung« – Sozialhilfe (OLS-Regressionen) Gerechtigkeitsüberzeugungen Gleichheit (Egalitarismus) Leistungsgerechtigkeit Bedarfsgerechtigkeit
Modell 1
Modell 2
Modell 3
0,157*** -0,085** 0,143***
0,168*** -0,070* 0,086**
0,149*** -0,021 0,069*
-0,075** 0,199*** -0,053
-0,073* 0,179*** -0,056
Sozialorientierungen Eigenverantwortung Solidarität Reziprozitätsverpflichtung Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch
0,030 0,007
Alter des Befragten
-0,070*
Geschlecht: Frau
-0,015
Oben-Unten-Skala
-0,113***
Landesteil: Ostdeutschland
0,103**
allgemeine Reziprozitätserwartungen R² (korrigiertes R²) N
-0,093*** 0,081 (0,078)
0,121 (0,117) 1163
0,159 (0,149) 1035
* p<0,05; ** p<0,01; ***p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; standardisierte Regressionskoeffizienten
184
Dass dies auch ohne Einbezug der Solidaritätsorientierung der Fall ist, zeigt aber zumindest, dass hier kein Kompensationseffekt vorliegt.
6.4 Eine Frage der Moral? Zum normativen Fundament der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz
205
Bei der Beurteilung der Rentenhöhe konnten also nicht alle Annahmen über die Bedeutung von Wertorientierungen bestätigt werden. Unverkennbar ist dagegen der deutliche Einfluss normativer Überzeugungen auf die Präferenzen bezüglich der Höhe der Sozialhilfe (Abb. 6.4.5). Sofern nur Gerechtigkeitsüberzeugungen und Sozialorientierungen einbezogen werden, bestehen für alle drei Gerechtigkeitsüberzeugungen signifikante Effekt in der erwarteten Weise: Eine Orientierung an Bedarfsgerechtigkeit und egalitaristische Gerechtigkeitsüberzeugungen führen zu stärkeren Präferenzen für eine höhere Sozialhilfe, während von einer Orientierung am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit die gegenteilige Wirkung ausgeht. Auch die Eigenverantwortung und Solidaritätsorientierungen haben die erwarteten Effekte (Modell 2). Nur für die Reziprozitätsverpflichtung besteht kein signifikanter Effekt. Der Einbezug der soziodemografischen Faktoren und der allgemeinen Reziprozitätserwartungen (Modell 3) führt zu einer leichten Abschwächung der Effekte (Effektstärke und Signifikanzniveau); der negative Effekt der Leistungsgerechtigkeit ist jetzt sogar nicht mehr signifikant. Zusätzliche Effekte bestehen jetzt für die Selbstverortung auf der Oben-Unten-Skala (negativ), für den Landesteil (höhere Präferenzen bei Ostdeutschen) und für allgemeine Reziprozitätserwartungen. Insgesamt ist damit festzuhalten, dass die Präferenzen bezüglich der Leistungshöhe der Sozialhilfe noch deutlich mehr als die der zuvor betrachteten Akzeptanzindikatoren eine »Frage moralischer Orientierungen« sind. Alle Annahmen über die spezifischen Einflüsse der einzelnen Wertorientierungen – positive Effekte von egalitaristische Gerechtigkeitsüberzeugungen, Bedarfsgerechtigkeit und Solidarität sowie negative einer Befürwortung von Eigenverantwortung und Leistungsgerechtigkeit – konnten dabei bestätigt werden. Der Erklärungswert der Regressionsmodelle ist insgesamt sehr gut und liegt vor allem bei den Modellen, in denen nur die Wertorientierungen berücksichtig wurden, deutlich über den der zuvor dargelegten Analysen. Auch bei der Beurteilung der beiden Aufgaben, die hier zur »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« gerechnet werden, ist vor allem für die Gerechtigkeitsüberzeugungen ein deutlicher Einfluss zu erkennen (Abb. 6.4.6). Die Frage, ob die »Bereitstellung von Arbeitsplätzen« eine staatliche Aufgabe sein soll, wird bei einer Orientierung am Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit und insbesondere bei egalitaristischen Gerechtigkeitsüberzeugungen deutlich stärker befürwortet. Im Modell, in dem nur die Wertorientierungen aufgenommen wurden (Modell 1), ist zudem ein positiver Effekt der Eigenverantwortung zu erkennen. Dieser Effekt ist zwar nur schwach signifikant; er erweist sich aber als stabil, wenn auch die soziodemografischen Variablen und die Versorgungsklassenstatus (Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose) einbezogen werden (Modell A2). Möglicherweise wird in der staatlichen Sorge für Arbeitsplätze eine Voraussetzung für eine »Hilfe zur Selbsthilfe« gesehen. Für diese Interpretation spricht auch, dass im zweiten Modell nun auch eine Orientierung am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit zu einer höheren Präferenz für eine staatliche Zuständigkeit führt.
206
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
Abbildung 6.4.6: Erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit: »Bereitstellung von Arbeitsplätzen« und »Abbau von Einkommensunterschieden« (Ordinale logistische Regressionen) »Arbeitsplätze«
»Einkommensunterschiede«
Modell A1
Modell A2
Modell B1
Modell B2
Gerechtigkeitsüberzeugungen Gleichheit (Egalitarismus) Leistungsgerechtigkeit Bedarfsgerechtigkeit
1,385*** 1,115 1,111**
1,330*** 1,194** 1,106**
1,434*** 0,909 1,283***
1,370*** 0,940 1,277***
Sozialorientierungen Eigenverantwortung Solidarität Reziprozitätsverpflichtung
1,135** 1,084 1,045
1,111* 1,055 1,039
1,014 1,289*** 1,025
1,008 1,270*** 1,014
Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch
0,821 0,430***
0,774* 0,568**
Alter des Befragten
0,993
0,995
Geschlecht: Frau
1,557***
1,118
Oben-Unten-Skala
1,025
0,959
Landesteil: Ostdeutschland
2,522***
2,054***
Arbeitslose (Versorgungsklasse)
1,461
Sozialhilfeempfänger (Versorgungsklasse)
1,298
Pseudo R² (Nagelkerke) Pseudo R² (McFadden) N
0,109 0,038
0,176 0,063 1295
0,218 0,071
0,249 0,083 1285
* p<0,05; ** p<0,01; ***p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; Odds-Ratios
Die anderen Sozialorientierungen haben bereits im ersten Modell keine signifikanten Effekte. Der Erklärungswert des einfachen Modells ist aber bereits vergleichsweise hoch (Pseudo R² [Nagelkerke] = 0,109), erhöht sich durch den Einbezug der Interessenparameter aber noch einmal deutlich (Pseudo R² [Nagelkerke] = 0,176). Während der Versorgungsklassenstatus hier keinen erkennbaren Einfluss hat185, bestehen für die soziodemografischen Merkmale mehrere erwartete Effekte. So befürworten Personen mit dem höchsten Bildungsniveau eine staatliche Zuständigkeit für Arbeitsplätze deutlich seltener, Frauen und vor allem Ostdeutsche dagegen deutlich häufiger. 185
Zur geringen Bedeutung des Versorgungsklassenstatus für die Beurteilung der Frage, ob die Bereitstellung von Arbeitsplätzen eine staatliche Aufgabe sei, vgl. auch Kapitel 6.2. und insbesondere Abbildung 6.2.5.
6.4 Eine Frage der Moral? Zum normativen Fundament der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz
207
Auch für das Ziel der »Verringerung von Einkommensunterschieden« ist vor allem für die Gerechtigkeitsüberzeugungen ein deutlicher Einfluss zu erkennen. In allen Modellen ist zu ersehen, dass Personen mit egalitaristischer Gerechtigkeitsüberzeugung und mit einer stärkeren Orientierung am Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit eine staatliche Politik der Verringerung von Einkommensunterschieden eher unterstützen. Wie erwartet, hat auch eine Solidaritätsorientierung einen stabilen akzeptanzverstärkenden Einfluss. Wie bei den beiden Gerechtigkeitsüberzeugungen erweist sich dieser auch dann als stabil, wenn soziodemografische Variablen einbezogen werden. Die anderen Sozialorientierungen (Reziprozitätsverpflichtung und Eigenverantwortung) haben dagegen keinen erkennbaren Einfluss auf die Beurteilung der Frage, ob der Staat Einkommensunterschiede verringern soll. Bei den soziodemografischen Merkmalen bestehen ein akzeptanzmindernder Einfluss des mittleren und höheren Bildungsniveaus sowie wiederum stärkere Präferenzen bei Ostdeutschen. Bemerkenswert ist hier, dass die Selbstverortung auf der ObenUnten-Skala keinen signifikanten Effekt hat. Dies gilt im Übrigen auch, wenn die Selbstverortung auf der Oben-Unten-Skala durch das Haushaltsnettoeinkommen substituiert wird (hier nicht ausgewiesen). Beide Maße sozialer Ungleichheit haben demnach also keinen nachweisbaren Einfluss auf die Präferenzen hinsichtlich einer staatlichen Reduzierung von Einkommensunterschieden, wenn Gerechtigkeitsüberzeugungen und Sozialorientierungen kontrolliert werden.186 Auffällig ist schließlich, dass bereits die Wertorientierungen allein (Modell B1) einen ausgesprochen hohen Erklärungswert haben (Pseudo R² [Nagelkerke] = 0,218), der sich durch die Aufnahme der soziodemografischen Merkmale dann nur noch moderat erhöht (Pseudo R² [Nagelkerke] = 0,249). Auch für die beiden Bereiche der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« ist insgesamt ein deutlicher Einfluss der Wertorientierungen zu konstatieren, wobei erneut – und hier noch deutlicher als zuvor – den Gerechtigkeitsüberzeugungen eine weitaus größere Bedeutung zukommt. Insbesondere die Beurteilung der Aufgabe der Verringerung von Einkommensunterschieden wird, legt man den Erklärungswert der Gesamtmodelle zugrunde, als eine »Frage der Gerechtigkeit« angesehen – und hat, wenn Gerechtigkeitsüberzeugungen als Erklärungsfaktoren einbezogen werden, scheinbar nur noch wenig mit der eigenen materiellen und sozialen Lage zu tun (vgl. hierzu aber auch Kapitel 6.1.2). Die zentralen Annahmen über den akzeptanzverstärkenden Einfluss egalitaristischer Gerechtigkeitsüberzeugungen, einer Orientierung an der Bedarfsgerechtigkeit und einer stärkeren Solidaritätsorientierung konnten bestätigt werden. Die Effekte dieser drei, sich »positiv« auf die Beurteilung der Ziele einer »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« auswirkenden Wertorientierungen haben sich zudem als stabil erwiesen und 186
Schon in Kapitel 6.1. konnte gezeigt werden, dass dies weitgehend auch für die soziale Klassenlage zutrifft (vgl. Abbildung 6.1.5).
208
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
führen bereits ohne Einbezug von Interessenparametern zu hohen (Arbeitsplätze) bzw. sehr hohen (Einkommensunterschiede) Erklärungswerten der Gesamtmodelle. 6.4.3 Fazit Die dargelegten Analysen lassen keine Zweifel daran, dass normative Orientierungen die Akzeptanzurteile über sozialpolitische Institutionen und Ziele beeinflussen. Insbesondere Gerechtigkeitsüberzeugungen leisten einen wesentlichen Beitrag zur Erklärung der Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme. Für alle Gerechtigkeitsüberzeugungen konnten entsprechende Effekte nachgewiesen werden. Besonders starke Wirkungen gehen dabei von den primären Gerechtigkeitsprinzipien bei der Institutionenakzeptanz und von egalitaristischen Gerechtigkeitsüberzeugungen aus. Die allgemeinen, übergreifenden Hypothesen zur Kontextabhängigkeit, Kompatibilität und Kompensationsfunktion von Wertorientierungen konnten dabei weitgehend bestätigt werden. Für die Annahme einer Kontextabhängigkeit des Einflusses von Wertorientierungen (H1) sprechen vor allem die selektiven Effekte der primären Gerechtigkeitsprinzipien bei der Institutionenakzeptanz, der Leistungsgerechtigkeit (positiver Effekt bei der Beurteilung der Rentenhöhe, negativer bei der Beurteilung der Sozialhilfehöhe) sowie der Reziprozitätsverpflichtung (Gesetzliche Rentenversicherung). Egalitaristische Gerechtigkeitsüberzeugung variieren dagegen nicht mit dem Systemkontext, sondern mit der Akzeptanzdimension (negative Effekte bei der Institutionenakzeptanz, positive bei den Beurteilungen der Leistungshöhe). Wie auch die Ergebnisse zur »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« unterstreichen, führen egalitaristische Gerechtigkeitsüberzeugung vor allem zu höheren Präferenzen bezüglich der Wohlfahrtsstaatlichkeit, können sich aber offenbar negativ auf die Institutionenakzeptanz auswirken. In abgeschwächter Form gilt dies auch für eine Orientierung am Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit. Wie erwartet, gehen von einer Solidaritätsorientierung und von einer Befürwortung von Eigenverantwortung aber auch nahezu kontextunabhängige Wirkungen aus.187 Der Einfluss von Sozialorientierungen variiert damit deutlich weniger mit dem Systemkontext und der Akzeptanzdimension, als dies bei den Gerechtigkeitsüberzeugungen der Fall ist. Hinsichtlich der Annahmen über die einzelnen Kausalzusammenhänge konnte eine besondere Bedeutung der primären Gerechtigkeitsprinzipien (bzw. der entsprechenden Gerechtigkeitsüberzeugungen) für die Institutionenakzeptanz der Gesetzlichen Rentenversicherung und der Sozialhilfe nachgewiesen werden (H1.1). Wie ge187
Der einzige »Ausreißer« ist hier der negative Effekt der Solidaritätsorientierung bei der Institutionenakzeptanz der Rentenversicherung.
6.4 Eine Frage der Moral? Zum normativen Fundament der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz
209
zeigt, gilt dies auch für die zusätzliche Annahme, dass eine sehr starke Orientierung auf die jeweils dominanten Gerechtigkeitsprinzipien zu einer (wieder) sinkenden Institutionenakzeptanz führt (H1.2). Auch die allgemeineren Erwartungen über die Bedeutung von Gerechtigkeitsüberzeugungen wurden überwiegend bestätigt: Dies gilt zum einen für die Annahme einer allgemein akzeptanzerhöhenden Wirkung der Bedarfsgerechtigkeit und egalitaristischer Gerechtigkeitsüberzeugungen (H1.4). Hier besteht nur die »Anomalie« eines negativen Effekts egalitaristischer Gerechtigkeitsüberzeugungen bei der Institutionenakzeptanz, der aber bereits auf die Wahrnehmung entsprechender Defizite zurückgeführt wurde. Eher unerwartet ist auch, dass die Bedarfsgerechtigkeit bei der Beurteilung der Gesetzlichen Rentenversicherung keinerlei Effekte aufweist. Angesichts des starken Einflusses der Leistungsgerechtigkeit (als dominantem Gerechtigkeitsprinzip) scheint dies aber nicht schwerwiegend. Es unterstreicht nur erneut die Kontextabhängigkeit des Erklärungswerts von Gerechtigkeitsüberzeugungen, die – sogar entgegen der Vermutung – auch für die Bedarfsgerechtigkeit gilt. Für die Annahme der Kontextabhängigkeit spricht schließlich auch die insgesamt hohe Bedeutung der Gerechtigkeitsüberzeugungen für die beiden Aspekte der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« (H1.5). Eine akzeptanzmindernde Wirkung einer Orientierung am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit konnte immerhin für die »Leistungsbewertung« der Sozialhilfe aufgezeigt werden; ein entsprechender Nachweis gelang für die Beurteilung des Ziels eines Abbaus von Einkommensunterschieden allerdings nicht (H1.3). Weniger überzeugend sind die Ergebnisse für die Sozialorientierungen. Dies gilt nicht nur für den insgesamt eher schwachen Einfluss auf die Akzeptanzurteile, sondern auch für die erwartete Richtung der Effekte und zum Teil auch für deren Stärke. Vor allem für die Befürwortung von Eigenverantwortung konnte nur selten ein Einfluss nachgewiesen werden. Immerhin gelang dies für den (erwartet) negativen Effekt bei der Beurteilung der Sozialhilfehöhe (H1.6). Unerwartet, wenn auch erklärbar, ist der Einfluss bei der »Bereitstellung von Arbeitsplätzen«. Insgesamt muss aber festgestellt werden, dass die Frage der Eigenverantwortung keine allzu große Bedeutung für die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen und Ziele hat. Solidaritätsorientierungen haben dagegen mehrfach (erwartet positive) Wirkungen auf die Akzeptanzurteile (H1.7). Dennoch ist der nachweisbare Einfluss der Solidaritätsorientierungen schwächer als erwartet. Dies gilt insbesondere für die Institutionenakzeptanz der Sozialhilfe. Für die Reziprozitätsverpflichtung wurde nur ein Einfluss auf die Beurteilung der Gesetzlichen Rentenversicherung erwartet (für andere Bereiche aber auch nicht ausgeschlossen). Dies konnte für die Institutionenakzeptanz bestätigt werden, nicht jedoch für die Rentenhöhe, bei der die Reziprozitätsverpflichtung keinen signifikanten Effekt aufweist (H1.8). Nicht erwartet wurde der positive Effekt bei der Institutionenakzeptanz der Sozialhilfe. Da hier auch allgemeine Reziprozitätserwartungen einen starken Effekt haben, kann vermutet werden, dass Reziprozität sowohl als verpflichtende
210
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
Norm als auch als Horizont für subjektive Interessendefinitionen für die Institutionenakzeptanz aller sozialen Sicherungssysteme von grundlegender Bedeutung ist. Schließlich wurde vermutet, dass eine Orientierung am Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit und eine Solidaritätsorientierung eine größere Bedeutung für die Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit (Leistungshöhe und »erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit«) haben als für die Institutionenakzeptanz (H1.9). Dies kann für die Solidaritätsorientierung als bestätigt gelten. Für die Orientierung am Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit ist der »Systemkontext« aber offenbar wichtiger: Wie erwähnt, ist sie bei der Beurteilung der Gesetzlichen Rentenversicherung nie signifikant, dafür aber bei der Sozialhilfe bei beiden Akzeptanzindikatoren. Die zweite übergreifende Annahme ging davon aus, dass Wertorientierungen insgesamt und insbesondere auch die einzelnen Gerechtigkeitsüberzeugungen sich nicht wechselseitig ausschließen bzw. keine entgegengesetzten Effekte (z.B. bei Leistungsgerechtigkeit geringere und bei Bedarfsgerechtigkeit höhere Akzeptanz) haben müssen (H2). Für die Kompatibilitätsannahme spricht vor allem, dass unterschiedliche Gerechtigkeitsüberzeugungen mehrfach gleichgerichtete Effekte aufweisen (H2.1). Dies gilt für die Leistungsgerechtigkeit und egalitaristische Gerechtigkeitsüberzeugungen bei der Beurteilung der Rentenhöhe, für die Bedarfsgerechtigkeitsorientierung und egalitaristische Gerechtigkeitsüberzeugungen bei den Präferenzen hinsichtlich der Sozialhilfehöhe sowie wiederum für Bedarfsgerechtigkeit und egalitaristische Gerechtigkeitsüberzeugungen bei der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit«. Gegenevidenzen finden sich dagegen bei der Institutionenakzeptanz: Hier haben in beiden Fällen egalitaristische Gerechtigkeitsüberzeugungen einen den jeweils dominanten Gerechtigkeitsprinzipien entgegengesetzten (negativen) Effekt. Insgesamt besteht damit für eine Orientierung am Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit und für egalitaristische Gerechtigkeitsüberzeugungen eine relativ hohe Kompatibilität, während diese beiden Gerechtigkeitsüberzeugungen zur Leistungsgerechtigkeit eher, wenn auch nicht immer und nicht grundsätzlich, in einem Spannungsverhältnis stehen. Für die Sozialorientierungen lässt sich die Kompatibilitätsthese kaum beurteilen, da hier meist nur ein Indikator signifikante Effekte aufweist. Wenn mehrere Effekte nachweisbar sind (wie bei der Institutionenakzeptanz der Rentenversicherung und bei der Beurteilung der Sozialhilfehöhe), sind diese jedoch entgegengesetzt, was gegen die Annahme einer Kompatibilität spricht (H2.2). Ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen der Befürwortung von Eigenverantwortung und einer Solidaritätsorientierung wurde allerdings auch vermutet. Zwischen den Gerechtigkeitsüberzeugungen und den Sozialorientierungen besteht schließlich weitgehende Kompatibilität. Die Aufnahme der Sozialorientierungen in die Regressionsmodelle führt in allen Fällen zu bestenfalls marginalen Verände-
6.4 Eine Frage der Moral? Zum normativen Fundament der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz
211
rungen bei den Effekten der Gerechtigkeitsüberzeugungen.188 Die Annahme, dass es sich bei Gerechtigkeitsüberzeugungen und Sozialorientierungen um zwei weitgehend unabhängige Wert(orientierungs)dimensionen handelt, wurde damit bestätigt (H2.3). Für die Annahme einer (begrenzten) Kompatibilität von Wertorientierungen spricht neben den zum Teil gleichgerichteten Effekten schließlich auch, dass selbst für die beiden normativen Orientierungen, von denen eher eine akzeptanzabträgliche Wirkung anzunehmen ist (Leistungsgerechtigkeit und Eigenverantwortung), in einzelnen Fällen positive Effekte nachgewiesen werden konnten.189 Eine Orientierung am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit und eine Befürwortung von Eigenverantwortung führen also nicht zwangsläufig zu wohlfahrtsstaatskritischen Urteilen. Wie die akzeptanzmindernenden Effekte egalitaristischer Gerechtigkeitsüberzeugungen und einer Solidaritätsorientierung bei der Institutionenakzeptanz (Rentenversicherung) zeigen, gilt dies jedoch auch für die umgekehrte Richtung. Der Einwand, dass es sich bei empirisch nachweisbaren Effekten von Wertorientierungen nur um »Moralisierungen« von Eigeninteressen handele (Kompensationsthese), kann angesichts der vorliegenden Ergebnisse zurückgewiesen werden (H3). Fast alle Effekte der Gerechtigkeitsüberzeugungen und Sozialorientierungen erweisen sich auch dann als stabil, wenn mehrere Interessenindikatoren im Modell kontrolliert werden (H3.1). Wie erwartetet kommt es aber teilweise zu einer Verringerung der Effektstärken. Wertorientierungen haben also einen Einfluss auf die Akzeptanzurteile, der sich nicht auf Unterschiede der sozialen Lage oder der sozialpolitischen (subjektiven wie objektiven) Interessenposition zurückführen lässt. Dieser Einfluss hat sich in den meisten Fällen sogar als stärker und stabiler erwiesen als der sozialstruktureller Faktoren. Schließlich konnte auch die Vermutung, dass Wertorientierungen bei »Minderheitsprogrammen« eine größere Bedeutung zukommt, weil hier Eigeninteressen ein geringeres (relatives) Gewicht haben, weitgehend bestätigt werden (H3.2). Für diese Vermutung sprechen vor allem die Analysen zur präferierten Höhe der Sozialhilfe. Aber auch die starken Effekte der Wertorientierungen bei den beiden Zielen der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« (insbes. bei der »Verringerung der Einkommensunterschiede«) können hierfür angeführt werden. Für die Institutionenakzeptanz der Sozialhilfe war demgegenüber keine im Vergleich zur Beurteilung von Rentenhöhe und Rentenversicherung grundsätzlich höhere Bedeutung von Wertorientierungen festzustellen.
188
189
Dies gilt auch für die umgekehrte Richtung (Veränderung der Effekte der Sozialorientierungen durch Aufnahme der Gerechtigkeitsüberzeugungen). Auch wenn Sozialorientierungen vor den Gerechtigkeitsüberzeugungen in die Modelle aufgenommen werden (hier nicht ausgewiesen), bestehen kaum zusätzlichen Effekte für die Sozialorientierungen. Dies trifft für die Leistungsgerechtigkeit bei der Beurteilung der Rentenversicherung und für die Eigenverantwortung bei der Beurteilung des Ziels »Bereitstellung von Arbeitsplätzen« zu.
212
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
6.5 Die Bedeutung des »Leistungsempfängerbildes« für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme 6.5.1 Einleitung: »Deservingness« und Akzeptanz Gegenstand des abschließenden Teils der empirischen Untersuchungen über die Bestimmungsfaktoren der Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen und von Wohlfahrtsstaatlichkeit sind die Wahrnehmungen der Leistungsempfänger, also das, was man als »Leistungsempfängerbild« bezeichnen könnte. Schon bei der Diskussion institutionentheoretischer Ansätze in der Wohlfahrtsstaatstheorie wurde hervorgehoben, dass die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme auch durch die konkrete Ausgestaltung der Absicherung, ihre Akzeptabilität, beeinflusst werden kann. Unter sonst gleichen Bedingungen (Interessenlagen und Wertüberzeugungen in der Bevölkerung; soziale Problemlagen etc.) können, so lautet die grundlegende Annahme, unterschiedliche Ausgestaltungen der sozialen Sicherung (z.B. Beitrags- vs. Steuerfinanzierung) auch mit einer unterschiedlich starken Akzeptanz in der Bevölkerung rechnen. Für den deutschen Wohlfahrtsstaat kann dabei von eher günstigen Voraussetzungen ausgegangen werden (vgl. Abschnitt 2.2.4). Bei der Akzeptabilität sozialer Sicherungssysteme können zwei grundlegende Dimensionen unterschieden werden: Zum einen sind dies die Systemmerkmale i.e.S., zu denen insbesondere die Form der Finanzierung (z.B. einkommensabhängige Beiträge) und die einzelnen Modalitäten der Leistungsgewährung (u.a. Anwartschaften, Selbstbeteiligungen und Bedürftigkeitsprüfungen) zu rechnen sind, zum anderen die Leistungsempfänger und die ihnen zugeschriebenen Eigenschaften (z.B. Bedürftigkeit). Die Wahrnehmung der Leistungsempfänger wird dabei, vor allem wenn sie wie bei Rentnern oder Sozialhilfeempfängern die Form einer gut »sichtbaren« Versorgungsklasse annehmen, maßgeblich durch die wohlfahrtsstaatlichen Strukturen mit bestimmt. Gelten soziale Sicherungssysteme etwa als »missbrauchsanfällig«, wird sich dies vermutlich auch in einer höheren Unterstellung von Leistungsmissbräuchen seitens der Leistungsempfänger niederschlagen. Daneben bestehen aber auch systemunabhängige Merkmale, die zwar in das Gesamtbild der systemspezifischen Leistungsempfänger einfließen, vom Leistungsempfängerstatus aber grundsätzlich unabhängig sind und gesondert erfasst werden können. »Deservingness« Als ein kritischer Punkt bei der Durchsetzung wohlfahrtsstaatlicher Programme und für deren Akzeptanz in der Bevölkerung gilt seit jeher die Frage, ob die jeweiligen Leistungsempfänger die ihnen zugebilligten Leistungen auch zurecht bekommen, ob
6.5 Die Bedeutung des »Leistungsempfängerbildes« für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme
213
sie – so der verbreitete, aus dem angloamerikanischen Kontext übernommene Sprachgebrauch – »deserving« sind. Der Diskurs um die »deservingness« oder »undeservingness« der Armen und Hilfsbedürftigen begleitet die Sozialpolitik seit ihren Anfängen und lässt sich mindestens bis zum elisabethanischen »poor law« zurückverfolgen.190 Die Legitimität der Leistungsempfänger bzw. Bedürftigen kann damit geradezu als Kardinalfrage früher Formen der sozialen Sicherung bezeichnet werden, die bis heute, wenn auch in wechselnder Gestalt, virulent geblieben ist. Die Gründe hierfür sind vielfältig und sowohl praktischer als auch moralischer und motivationaler Art. So führte z.B. in der frühen Neuzeit eine relativ großzügige Unterstützung von Armen zu Sogwirkungen und stellte für viele Gemeinden einen Anreiz dar, auf eine eigene Versorgung zu verzichten und auf die Abwanderung der eigenen Armen in andere Gemeinden (mit Armenunterstützung) zu hoffen (De Swaan 1988: 13ff.).191 Zudem bestehen vielfältige Möglichkeiten des Ausnutzens jeder Form von »Mildtätigkeit«, die mit dem Grad der Institutionalisierung von Ansprüchen und der Ausweitung des Leistungsumfangs steigen. Insofern kann es nicht verwundern, wenn die Frage der »deservingness« immer wieder (und immer wieder neu) reflektiert und diskutiert wird – und wohl auch diskutiert werden muss, wenn es um qualitative Innovationen wie die wohlfahrtsstaatliche Absicherung eines neuen Risikos geht. Dass die Frage der »deservingness« vor allem im Kontext der Armenunterstützung so zentral ist, kann vor allem auf zwei Ursachen zurückgeführt werden: Zum einen wurde lange Zeit – und für die US-amerikanische Literatur scheint dies zum Teil auch heute noch zutreffend – nicht zwischen unterschiedlichen Formen der Hilfsbedürftigkeit unterschieden: Alle Hilfsbedürftigen waren (erst einmal) arm und nur in zweiter Linie alte Menschen, Behinderte, Kranke oder gar Arbeitslose192. Zum anderen, und das scheint hier wichtiger, sind Leistungen von Sozialversicherungen, Ent190
191
192
Neben der lange bestehenden positiven Besetzung bzw. Funktion von Armen im Rahmen christlicher Ethik und Almosenpraxis war der Umgang mit Armen über viele Jahrhunderte durch Maßnahmen geprägt, für die moderne Bezeichnungen wie Ausgrenzung und »workfare« noch euphemistisch anmuten, die aber genau dies betrieben: nämlich zum einen den Versuch, Arme von der eigenen Kommune schlicht fernzuhalten, d.h. die eigenen Armen möglichst zu vertreiben und den Zuzug fremder Armer zu unterbinden – mit Zöllner (1959: 399ff.) kann man diese Art von Armenpolitik auch als »negative Sozialpolitik« bezeichnen –, zum anderen der vor allem mit dem Protestantismus aufkommende Versuch, Arme durch Arbeitszwang und Internierung in Armen-, Arbeits-, Alten-, Waisen- u.ä. Häuser zu einem »sittlichen« und durch harte Arbeit geprägten Lebensstil anzuhalten oder zumindest deren notdürftigste Versorgung »profitabel« zu gestalten (vgl. u.a. Geremek 1991; Groenemeyer 1999). De Swaan (1988: 21ff.) sieht hierin ein Dilemma kollektiven Handelns und einen Grund für die allmähliche Verlagerung der Armenpolitik auf die nationalstaatliche Ebene. Die Differenzierung von Armut und Arbeitslosigkeit als besondere, eng mit der kapitalistischen Produktionsweise verbundene Form der Hilfsbedürftigkeit, ist erst relativ jungen Datums (vgl. Walters 1994).
214
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
schädigungsprogrammen (z.B. für Katastrophen- und Kriegsopfer) und anderen vorgelagerten Sicherungssystemen moralisch weniger anspruchsvoll als die Armenhilfe, weil sie aufgrund in unterschiedlicher Weise erworbener Ansprüche gewährt werden und daher weder im öffentlichen Verständnis noch in dem der Leistungsempfänger als »Almosen« empfunden werden. In Deutschland spielte die Frage der »deservingness« bei der sukzessiven Einführung und Umgestaltung sozialer Sicherungssysteme im 19. Jahrhundert allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Dominiert wurden die sozialpolitischen Diskurse dagegen von der »Arbeiterfrage« (vgl. u.a. Christoph 2006; Sachße/Tennstedt 1980ff.; Steinmetz 1993). Eigenschaften potenzieller und tatsächlicher Leistungsempfänger wurden aber auch in anderer Form zum Thema sozialpolitischer Auseinandersetzungen. So war im 19. Jahrhundert die Vorstellung verbreitet, dass Krankheiten ganz wesentlich eine Folge moralischen Fehlverhaltens seien, was zu einer Victimisierung vieler Bedürftiger aus den unteren sozialen Schichten führte (vgl. Frevert 1984). Auch Arbeitsunfälle und dadurch bedingte Invalidität wurde lange Zeit den Betroffenen angelastet, die eben besser aufpassen müssten (vgl. Ewald 1989; Rabinbach 1996). Leistungsempfängereigenschaften müssen jedoch nicht immer »negativ« sein und für wohlfahrtsstaatsfeindliche Positionen instrumentalisiert werden. Systematisch ist zudem zwischen systemunabhängigen Eigenschaften der sozialpolitischen Zielgruppe193 und den spezifischen Eigenschaften bereits existenter Leistungsempfängergruppen zu unterscheiden. Anhand dieser beiden Differenzen – »positive« und »negative« Eigenschaften sowie Wahrnehmung »vor« (unabhängig vom) und »nach« dem Wohlfahrtsstaat – lassen sich insgesamt vier Grundvarianten unterscheiden (Abb. 6.5.1): Abbildung 6.5.1: Mögliche Zielgruppen- und Leistungsempfängerbilder Wahrnehmung: positiv negativ
unabhängig vom oder vor dem Leistungsbezug
als Leistungsempfänger
u.a. Wertschätzung des Alters; »Authentizität des Leids« u.a. »unsittlicher Lebenswandel«; falscher Arbeitsethos
»Moralökonomie des Ruhestandes«; »soziales Bewusstsein« moral hazard; disincentives; crowding out
Ein negatives, vom Wohlfahrtsstaat unabhängiges Zielgruppenbild besteht immer dann, wenn stigmatisierende und victimisierende Haltungen gegenüber gesellschaftlichen
193
Als sozialpolitische Zielgruppen werden hier Bevölkerungsteile bezeichnet, die erst durch ein Sicherungssystem zu Leistungsempfängern gemacht werden bzw. die »Grundgesamtheit« potenzieller Leistungsempfänger bilden (z.B. alte Menschen bei der Rentenversicherung; Arme bei der Sozialhilfe).
6.5 Die Bedeutung des »Leistungsempfängerbildes« für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme
215
Teilgruppen wie Armen, Alkoholikern oder Vorbestraften verbreitet sind. Genau dies ist oft auch mit der Bezeichnung »undeserving poor« gemeint. Im Unterschied dazu besteht ein negatives Leistungsempfängerbild, wenn der Wohlfahrtsstaat bei den Leistungsempfängern erst die negativen Eigenschaften »hervorlockt«.194 Dabei können zwei Hauptformen unterschieden werden. Die erste ist als »moral hazard« bekannt und bezieht sich auf die auch in Sozialversicherungen gegebene Situation, dass der Versicherte dazu verleitet wird, ein höheres Risiko einzugehen, oder versucht, seinen Nutzen durch eigentlich nicht notwendige Leistungen zu erhöhen. Die zweite wird häufig als »disincentive«-These bezeichnet und vor allem auf Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger bezogen. Dabei wird die relative Generosität der Leistungen dafür verantwortlich gemacht, dass sich die Leistungsempfänger nicht hinreichend bemühen (oder, in der radikaleren Variante, nicht mehr bereit sind), die für eine Beendigung des Leistungsbezugs notwendigen Schritte zu tun (z.B. die Annahme einer weniger gut bezahlten Arbeit oder der Beginn einer Fortbildung). In allgemeiner Form wird zudem angenommen, dass die als komfortabel eingeschätzte wohlfahrtsstaatliche Absicherung und deren bürokratisch-paternalistische Organisationsform individuelle Eigeninitiative und Selbsthilfefähigkeit sowie familiale und »bürgerschaftliche« Unterstützungsbereitschaft verkümmern lasse (»crowding out«-Hypothese).195 Die Diskussion um die Unterstützung sozialer Sicherungssysteme wird zweifelsohne von den negativen Zielgruppen- und Leistungsempfängereigenschaften dominiert. Es ist jedoch auch gut möglich, dass sich nicht nur negative Eigenschaften, die Leistungsempfängern zugeschrieben werden, abträglich auf die Akzeptanz des dazugehörigen Sicherungssystems auswirken, sondern dass umgekehrt auch positive Zielgruppen- und Leistungsempfängereigenschaften eine akzeptanzsteigernde Wirkung entfalten. Eine positive, vom Wohlfahrtsstaat unabhängige Wahrnehmung von Zielgruppen kann z.B. bei alten Menschen (allgemeine Wertschätzung), bei schwer Kranken und Invaliden (Glaubwürdigkeit und »moralische Qualität« des Leids) sowie bei Kindern (hohe Entwicklungsfähigkeit, geringe Selbsthilfefähigkeit, Chance auf Reziprozität) vermutet werden. Deutlicher ist aber vielleicht, dass der Wohlfahrtsstaat durch seine Regelungen der Finanzierung und Leistungsgewährung auch so etwas wie die Kategorie des »verdienten« Leistungsempfängers generiert. So hat vor allem Kohli (1987; 1989) herausgearbeitet, wie die Gesetzliche Rentenversicherung zur Entwicklung einer »Mo-
194
195
Auch diese Linie der Wohlfahrtsstaatskritik ist keineswegs neu. Schon im frühen Diskurs um die »Arbeiterversicherung« finden sich alle Einwände, die der sozialen Sicherung eine »degenerative« Wirkung unterstellen (vgl. z.B. Zwiedinek-Südenhorst 1913). Wie bereits in Kapitel 5.3. gezeigt wurde, erfreut sich diese Annahme auch in der Bevölkerung einer größeren Beliebtheit.
216
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
ralökonomie des Ruhestandes« geführt hat, in der der Bezug einer Rente allgemein als Ausgleich für Vorleistungen anerkannt wird. Auf einer allgemeineren Ebene hat die sukzessive Einführung und Ausweitung wohlfahrtsstaatlicher Sicherungsformen zudem womöglich kollektive Lernprozesse ausgelöst, die zur Herausbildung eines »sozialen Bewusstseins« (De Swaan 1988) geführt haben, das zugleich eine kollektive Verantwortung für die Absicherung zentraler Risiken umfasst sowie die Erwartung, dass der (Wohlfahrts)Staat sich dieser Aufgabe annimmt.196 Die »deservingness«-Diskussion hat vor allem in den USA eine lange und intensive Tradition, die sich bis zu den Anfängen des amerikanischen Wohlfahrtsstaates zurückverfolgen lässt (Katz 1989) und über die »culture of poverty«- und underclass-Debatten (vgl. u.a. Gans 1995; Jencks 1991; Lewis 1968) bis zum Angriff neoliberaler Wohlfahrtsstaatskritiker in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts reicht (vgl. u.a. Mead 1986; Murray 1984).197 Mittlerweile liegen einige Ergebnisse von Untersuchungen aus verschiedenen Ländern vor, in denen die in der Bevölkerung verbreiteten »Armutsbilder« erfasst und typisiert wurden. Zentral ist hier die Unterscheidung von »individualisierenden« und »sozialisierenden« Auffassungen von Armut und Arbeitslosigkeit (vgl. u.a. Brenke/Peter 1985; Feagin 1972, 1975; Fridberg/Ploug 2000; Kluegel 1987; van Oorschot/Halman 2000; Will 1993). Van Oorschot und Halman (2000) unterscheiden in ihrer vergleichenden Untersuchung von Armutserklärungen anhand der Dimensionen »blame – fate« und »individual – social« sogar vier Erklärungstypen von Armut: individuelle Verursachung/Schuld, individuelles Schicksal, soziale Verursachung/Schuld und soziales Schicksal. Auf der Basis von Daten aus der »European Values Study« kommen sie zu dem Ergebnis, dass die »soziale Verursachung/Schuld« (social blame) in europäischen Bevölkerungen am stärksten und die Erklärung von Armut als individuelles Schicksal am wenigsten verbreitet ist.198 In US-amerikanischen Studien wurde zudem wiederholt festgestellt, dass victimisierende Deutungsmuster von Armen zu einer geringeren Akzeptanz der entsprechenden wohlfahrtsstaatlichen Programme führen (vgl. u.a. Cook/Barrett 1992; Gilens 1995; Kluegel/Smith 1986; Will 1993; für Australien vgl. a. Eardly/Matheson 1999). Für europäische Staaten konnten zumindest für die »Missbrauchswahrneh196
197
198
Als zumindest ambivalent werden dagegen die durch die soziale Absicherung bedingten Prozesse der Sozialdisziplinierung und Pazifizierung der Arbeiterschaft beurteilt (vgl. u.a. De Swaan 1988; Frevert 1984; Rodenstein 1978). »Social policy cannot fully be understood without recognizing that it is fundamentally a set of symbols that try to differentiate between the deserving and the undeserving poor in order to uphold such dominant values as the work ethic and family, gender, race, and ethnic relations« (Handler/Hasenfeld 1991: 11). Nur in einzelnen Ländern (z.B. Tschechien und den USA) ist dagegen das Deutungsmuster des »individual blame« dominant. Im Zeitvergleich stellen van Oorschot und Halman (2000) zudem eine Zunahme von Armutserklärungen fest, die auf gesellschaftliche Ursachen rekurrieren.
6.5 Die Bedeutung des »Leistungsempfängerbildes« für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme
217
mung« akzeptanzmindernde Wirkungen nachgewiesen werden (vgl. Hamann et al. 2001: 200ff.; Mau 2003: 121ff.; Norden 1986: 50). Zur Operationalisierung der Leistungsempfängereigenschaften (»deservingness«) Sofern der Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung der Leistungsempfänger und wohlfahrtsstaatlichen Einstellungen nicht sogar nur einfach postuliert wird, beschränken sich empirische Nachweise eines solchen Zusammenhangs meist auf Einzelaspekte (z.B. Missbrauch), wohlfahrtsstaatliche Teilbereiche oder auf Arme und Sozialhilfeempfänger (bzw. Empfänger äquivalenter armutsvermeidender Leistungen). Für eine Beurteilung des Einflusses der »Leistungsempfängerbilder« auf die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme ist aber zweierlei erforderlich: Erstens die Klärung des Spektrums aller Leistungsempfängereigenschaften (positive wie negative), die für das Leistungsempfängerbild und die Akzeptanzurteile wichtig sein können, und zweitens dessen Verallgemeinerung für alle Typen von Leistungsempfängern. Der vermutlich früheste Versuch, allgemeine und umfassende Leistungsempfängereigenschaften zu definieren und ihre Bedeutung für die Akzeptanzurteile zu untersuchen, stammt von Cook und Barrett (1992; vgl. a. Cook 1997).199 In ihrer Untersuchung zur Akzeptanz von drei US-amerikanischen Sicherungssystemen (Medicaid, AFDC und »Social Security«) unterscheiden sie mit der Bedürftigkeit (»really need money«), dem Wunsch, den Leistungsbezug zu beenden (»want to be independent«), dem sparsamen Umgang mit erhaltenen Leistungen (»spend benefits wisely«), dem selbstverschuldeten Leistungsbezug (»own fault on program«) und dem Fehlen alternativer Unterstützungsmöglichkeiten im sozialen Umfeld (»no other sources«) insgesamt fünf »deservingness«-Kriterien (1992: 37ff.), die allerdings nicht immer trennscharf sind. In ihren Analysen können sie zeigen, dass diese Eigenschaften den Leistungsempfängern der untersuchten Sicherungssysteme in unterschiedlichem Maße zugerechnet werden (1992: 96ff.). Anhand von Regressionsanalysen können sie zudem einen erheblichen Einfluss aller fünf »deservingness«-Kriterien auf die Unterstützung für die drei Sicherungssysteme nachweisen, wobei die vermutete Bedürftigkeit der Leistungsempfänger und ihr Wunsch, den Leistungsbezug zu beenden, die größten Effekte aufweisen (Cook/Barrett 1992: 102ff.). Darüber hinaus machen sie deutlich, dass »deservingness«-Kriterien für die beiden Programme, die sich an sozial Bedürftige wenden (Medicaid und AFDC) von größerer Bedeutung sind als für die Beurteilung der »Social Security« (Sozialversicherung).
199
Vgl. aber auch De Swaan (1988: 15ff.), der auf der Basis historisch-soziologischer Betrachtungen die Kriterien Fügsamkeit (docility), räumliche und soziale Nähe (proximity) und Behinderung/Selbsthilfefähigkeit (disability) als entscheidende Kriterien für die »deservingness« von Armen und anderen Hilfsbedürftigen herausstellt.
218
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
In einer niederländischen Untersuchung legt van Oorschot (2000b) insgesamt fünf Kriterien seiner Analyse der attribuierten »deservingness« von Leistungsempfängern zugrunde. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass vor allem eine geringe Schuld am Leistungsbezug, die soziale Nähe (z.B. gleiche Nationalität wie die Befragten) sowie erworbene Ansprüche (z.B. durch vorherige Beitragszahlung) Leistungsempfänger als »deserving« erscheinen lassen. Anders als Cook und Barrett (1992) unterlässt van Oorschot es jedoch zu untersuchen, wie die Unterschiede in der zugeschriebenen »deservingness« der Leistungsempfänger die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme beeinflussen.200 Im Folgenden geht es jedoch nicht um die Frage, »who should get what, and why« (van Oorschot 2000b), sondern darum, wie sich die Eigenschaften, die den unterschiedlichen Kategorien der Leistungsempfänger zugeschrieben werden, auf die Akzeptanz der jeweiligen Sicherungssysteme auswirken.201 Auch wenn die bei Cook und Barrett (1992) verwendeten »deservingness«-Kriterien zu sehr auf den US-amerikanischen Kontext bezogen sind (und ihre Itemformulierungen für einen europäischen Kontext wohl zu plakativ sind), lassen die von ihnen, von van Oorschot (2000b) und von De Swaan (1988) hergeleiteten Leistungsempfängereigenschaften erkennen, welche Aspekte oder Dimensionen der Leistungsempfänger und ihres Verhaltens nicht nur für deren Beurteilung, sondern auch für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme relevant sind. Auf dieser Basis können insgesamt vier Kriterien der Leistungsempfänger-»deservingness« unterschieden werden. Dies sind: 1. 2.
200
201
die Bedürftigkeit der Leistungsempfänger bzw. die Glaubwürdigkeit und der Grad der Bedürftigkeit (»wirkliche« Bedürftigkeit). das Verhalten vor einem Leistungsbezug, das – in Abhängigkeit von der institutionellen Struktur der Sicherungssysteme – wiederum in zwei Aspekte unterteilt werden muss, nämlich in die Fragen, (a) ob ein Anspruch auf Leistungen aufgrund spezifischer Beiträge erworben wurde oder aufgrund allgemeiner Vorleistungen oder Eigenschaften zuerkannt Dies ergibt sich allerdings bereits aus der Form, wie er die »deservingness«-Kriterien untersucht. Denn van Oorshot (2000b) geht dabei so vor, dass er eine Reihe von Leistungsempfängergruppen einzeln beurteilen lässt, denen er selbst die von ihm unterschiedenen Kriterien zuordnet. Auf der Basis der empirischen Rangskala von Leistungsempfängergruppen beurteilt er dann, welche Merkmale zu einer höheren Unterstützung der Leistungsempfänger führen. Ob die Befragten den jeweiligen Leistungsempfängergruppen aber überhaupt die von van Oorschot angenommenen Eigenschaften zuschreiben, geht aus einem solchen Forschungsdesign natürlich nicht hervor. Mit Ausnahme der bereits in Kapitel 6.3. erfolgten Analyse der wahrgenommenen Anspruchsberechtigung von Rentnern wird hier die Frage, welche sozialen Gruppen Leistungsempfänger in der einen oder anderen Weise wahrnehmen und ob dabei einzelne Interessenparameter oder Wertorientierungen eine Rolle spielen, wiewohl gewiss selbst ein erklärungsbedürftiges Phänomen, nicht behandelt. Vgl. hierzu a. Christoph (2006).
6.5 Die Bedeutung des »Leistungsempfängerbildes« für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme
3.
4.
219
werden kann, und (b) ob bzw. in welchem Grade ein Leistungsbezug durch schuldhaftes Verhalten der Leistungsempfänger verursacht wurde. das Verhalten während des Leistungsbezugs, für das ebenfalls zwei Aspekte unterschieden werden können. Dies sind (a) Verhaltensweisen, die im weitesten Sinne als »Missbrauch« oder Verschwendung von Leistungen angesehen werden können, sowie (b) die Bemühungen, die Leistungsempfänger unternehmen, um ihren Leistungsbezug zu beenden. die allgemeine Wertschätzung sozialpolitischer »Zielgruppen«, die durch unterschiedliche Faktoren (u.a. die soziale Nähe) beeinflusst werden kann.
Auf der Basis dieser Unterscheidung grundlegender »deservingness«-Aspekte wurden im Rahmen der Umfrage »Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates« sechs verschiedene Items entwickelt, die stets für mehrere Leistungsempfängertypen (bzw. Zielgruppen) mit ähnlichen, aber jeweils den institutionellen Settings angepassten Formulierungen verwendet wurden (vgl. Abbildung 6.5.2 für eine Übersicht für die in den einzelnen Bereichen verwendeten Items sowie Anhang A2.2 für die genauen Formulierungen). Abbildung 6.5.2: Verteilung der untersuchten »deservingness«-Kriterien GKV-Versicherte/Kranke
Rentner/alte Menschen
Arbeitslose(ngeldempfänger)
Sozialhilfeemp fänger/Arme
Familien (Kindergeld)
Bedürftigkeit
+
+
+
+
+
Anspruch
+
+
+
+
+
soziale Wertschätzung
+
+
+
+
+
Missbrauch
+
+
+
+
-
Victimisierung (Verbleib) Victimisierung (Eintritt)
-
-
+
+
-
-
-
-
+
-
Das erste erfasst die Bedürftigkeit der Leistungsempfänger bzw., in welchem Maße diese als »wirklich« bedürftig gelten. Die Frage der (Anerkennung von) Bedürftigkeit kann allgemein als zentrales Beurteilungskriterium aller Leistungsempfängertypen angesehen werden. Denn jedes soziale Sicherungssystem steht vor dem doppelten Problem, möglichst allen Bedürftigen Leistungen zu gewähren und gleichzeitig zu verhindern, dass Unberechtigte Leistungen erhalten.
220
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass Bedürftigkeit als Kriterium für den Zugang zu Leistungen unterschiedlich bedeutsam ist. Ganz entscheidend ist sie bei Leistungen für Arme und andere »Bedürftige«; typischerweise werden in den entsprechenden Sicherungssystemen Leistungen auch erst nach einer Bedürftigkeitsprüfung gewährt. Dagegen liegt insbesondere den Sozialversicherungen ein bestenfalls »großzügiger« Bedürftigkeitsbegriff im Sinne des »Versicherungsfalls« zugrunde. Ob die Leistungsempfänger – also z.B. Rentner oder Arbeitslosengeldempfänger – zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts tatsächlich auf die erhaltenen Leistungen angewiesen sind oder ob sie über alternative Mittel, z.B. ein Vermögen, verfügen, spielt hier fast keine Rolle. Die allgemeine Annahme über die »Akzeptanzwirkung« des Merkmals Bedürftigkeit lautet hier dennoch, dass mit dem Grad der wahrgenommenen Bedürftigkeit die Akzeptanz der betreffenden Sicherungssysteme (Präferenzen für höhere Leistungen und eine staatliche Zuständigkeit) steigt. Für die Beurteilung von sozialversicherten Leistungsempfängern scheint das Kriterium der Anspruchsberechtigung wichtiger als Aspekte der Bedürftigkeit. Hierbei geht es um die Frage, inwiefern die Leistungsempfänger sich durch vorherige Beitragszahlungen einen Anspruch auf die erhaltenen Leistungen erworben haben. Da auf diese Weise erworbene Ansprüche nur im Bereich der Sozialversicherungen Sinn machen, wurden für die beiden übrigen Leistungsempfängergruppen jeweils andere Gründe für eine Anspruchsberechtigung formuliert, sodass die Vergleichbarkeit hier nur in eingeschränkter Form gegeben ist.202 Hinsichtlich der Akzeptanz der Sicherungssysteme lautet die allgemeine Vermutung, dass diese mit dem Grad der Anspruchsberechtigung, die den Leistungsempfängern zugeschriebenen wird, steigt. Als dritte Eigenschaft, die einer »deservingness« von Leistungsempfängern zugrunde liegen kann, soll auch die allgemeine soziale Wertschätzung oder »Unterstützungswürdigkeit« der Zielgruppe berücksichtigt werden. Hierbei geht es um die zunächst erst einmal systemunabhängige Beurteilung203 von Bevölkerungsgruppen, die die jeweiligen Zielgruppen der untersuchten Sicherungssysteme bilden (Arme, Arbeitslose, alte und kranke Menschen, Familien). Für die hier interessierende Fragestellung ist dabei unerheblich, worauf die allgemeine Wertschätzung einer Leistungsempfängergruppe und mögliche Unterschiede in der zugeschriebenen Unterstützungswürdigkeit zurückzuführen sind. 202
203
Bei Sozialhilfeempfängern ist dies ein allgemeines (Menschen)Recht auf eine Mindestsicherung, bei Familien der durch die Kindererziehung geleistete »Beitrag für die Gesellschaft« (Anhang A2.2). Es wäre allerdings naiv anzunehmen, dass man z.B. die Wahrnehmung alter Menschen unabhängig und unberührt von der Gesetzlichen Rentenversicherung und der durch sie entstandenen Versorgungsklasse der Rentner erfassen könne, oder dass ein solches Altersbild auch nur existiert. Es wird hier jedoch davon ausgegangen, dass die Wahrnehmung der sozialpolitischen Zielgruppen nicht ausschließlich durch die jeweiligen Leistungsempfängerkategorien bestimmt wird. Von einer vom Sicherungssystem weitgehend unabhängigen Wahrnehmung kann vor allem dort ausgegangen werden, wo der Leistungsbezug nicht zur Herausbildung einer Versorgungsklasse bzw. eines konturierten Leistungsempfängertyps geführt hat (Familien, Kranke).
6.5 Die Bedeutung des »Leistungsempfängerbildes« für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme
221
Für die Akzeptanz der untersuchten Sicherungssysteme wird in allen Fällen angenommen, dass diese hoch ist, wenn die entsprechende »Zielgruppe« als unterstützungswürdig gilt. Zu den »negativen«, akzeptanzmindernden Verhaltensweisen von Leistungsempfängern zählt der Leistungsmissbrauch. Die Möglichkeiten zu Missbräuchen von Sozialleistungen durch Leistungsempfänger sind allerdings in den einzelnen Sicherungssystemen unterschiedlich groß. Im Unterschied zur Arbeitslosenversicherung und vor allem zur Sozialhilfe bestehen in der Gesetzlichen Rentenversicherung kaum Missbrauchsmöglichkeiten und in der Gesetzlichen Krankenversicherung besteht zumindest nur ein geringer Anreiz zu missbräuchlichen Leistungsentnahmen.204 Angesichts der öffentlichen Missbrauchsdiskurse muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die Befragten in jedem der Sicherungssysteme Missbrauchsverhalten vermuten und dass sich dies auf ihre Akzeptanzurteile auswirkt. Mit Ausnahme des Bereichs Familien/Kindergeld wurde daher für alle Bereiche die Wahrnehmung von Leistungsmissbräuchen erfragt.205 Hinsichtlich ihres Einflusses auf die Akzeptanz der Sicherungssysteme wird angenommen, dass eine hohe Wahrnehmung von Leistungsmissbräuchen zu einer geringen Akzeptanz führt. Die beiden weiteren Verhaltensweisen, die Leistungsempfängern zugeschrieben werden können und von denen eine akzeptanzmindernde Wirkung anzunehmen ist, können zusammenfassend als »Victimisierungen« bezeichnet werden. Mit diesem Begriff wird zum Ausdruck gebracht, dass Leistungsempfänger (als »Opfer«) in erster Linie selbst für ihre Situation verantwortlich gemacht werden. Der oben getroffenen Unterscheidung von (Fehl)Verhalten vor und während des Leistungsbezugs entsprechend können dabei zwei Arten unterschieden werden, die sich auf das »Eintritts-« und auf das »Verbleibsrisiko« beziehen. Im ersten Fall verursacht der Leistungsempfänger einen unnötigen Leistungsbezug (z.B. durch freiwillige Arbeitslosigkeit), im zweiten bemüht er sich nicht hinreichend, den Leistungsbezug zu beenden. Die erste Form soll im Folgenden daher auch als »Eintrittsvictimisierung«, die zweite als »Verbleibsvictimisierung« bezeichnet werden. Victimisierende Haltungen machen allerdings nur Sinn, wenn der Leistungsbezug als »eigentlich« unerwünschter Zustand definiert wird, aber infolge falscher An204
205
Im Unterschied zu den zahlreichen Missbrauchsmöglichkeiten der Leistungsanbieter und in Abgrenzung zum Problem der »over-utilization«, das aus der spezifischen Interaktionslogik einer Versicherung mit »third party payment« erwächst und nicht auf eine vom Leistungsempfänger intendierte Nutzenmaximierung zurückzuführen ist. Als nicht oder nur von geringem Belang für die Gesetzliche Krankenversicherung sind auch Missbrauchsmöglichkeiten einzuschätzen, bei denen in erster Linie die Arbeitgeber geschädigt werden (z.B. durch »Krankfeiern«). In der Itemformulierung wurde dabei offen gelassen, welche Verhaltensweisen als »Missbrauch« anzusehen sind (und von welchen Akteuren dieser ausgeht), sodass den Beurteilungen rein subjektive Einschätzungen der Befragten zugrunde liegen. Durch eine »weiche«, auf das jeweilige Sicherungssystem bezogene Formulierung der Items wurde zudem versucht, Effekte sozialer Erwünschtheit zu minimieren.
222
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
reizstrukturen und moralischen Fehlverhaltens der Betroffenen häufiger eintritt oder länger als notwendig anhält. Diese Bedingungen sind bei Rentnern, Familien und Kranken nicht gegeben. Victimisierende Haltungen gegenüber Leistungsempfängern wurden daher nur für Arbeitslose (»Verbleibsvictimisierung«) und für Sozialhilfeempfänger (»Eintrittsvictimisierung« und »Verbleibsvictimisierung«) erhoben.206 Die Darstellung der Leistungsempfängereigenschaften (»deservingness«-Kriterien) und ihrer möglichen Akzeptanzwirkungen lässt sich zunächst zu der grundlegenden Hypothese zusammenfassen, dass die Wahrnehmung oder Zuschreibung positiver Leistungsempfängereigenschaften allgemein zu einer höheren, die negativer Eigenschaften dagegen zu einer geringeren Akzeptanz führt (H1). Darüber hinaus wird angenommen, dass die Effekte der Leistungsempfängerbilder bei besonders »konturierten« und »sichtbaren« Leistungsempfängergruppen am stärksten sind (H2.1). Die größte »Sichtbarkeit« kann für Rentner, Sozialhilfeempfänger und – in einem etwas geringeren Maße – für Arbeitslose angenommen werden, weil diese Gruppen bereits durch ihren Status als dauerhafte Leistungsempfänger (Versorgungsklasse) definiert sind. Es wird daher angenommen, dass die Beurteilung der Rentenversicherung, der Sozialhilfe und der Arbeitslosenversicherung stärker durch die Wahrnehmung der jeweiligen Leistungsempfänger beeinflusst wird als die der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Leistungen für Familien. Aufgrund des Befundes von Cook und Barrett (1992), dass die »deservingness«Kriterien sich bei Programmen für Bedürftige deutlich stärker auswirken als bei der Sozialversicherung, wird auch hier für die Sozialhilfe eine insgesamt größere Bedeutung der Leistungsempfängereigenschaften vermutet als für alle anderen Sicherungsbereiche (H2.2). Diese Annahme steht nicht nur in einer gewissen Konkurrenz zur Hypothese H2.1, sondern wird auch durch die Berücksichtigung des eher auf Sozialversicherungen bezogenen Kriteriums der Anspruchsberechtigung relativiert. Weiter wird davon ausgegangen, dass die einzelnen »deservingness«-Kriterien für die verschiedenen Sicherungssysteme unterschiedlich relevant sind (H3). Im einzelnen wird angenommen, dass
206
die Frage der »wirklichen« Bedürftigkeit der Leistungsempfänger für stärker dem Pol der Bedarfsgerechtigkeit zuzurechnende Sicherungssysteme (Gesetzliche Krankenversicherung, Sozialhilfe) wichtiger ist als für eher am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit orientierte Systeme (Renten- und Arbeitslosenversicherung) (H3.1). Für die wahrgenommene »Anspruchsberechtigung« wird ein stärkerer Einfluss auf die Beurteilung der Sozialversicherungen vermutet, insbesondere jedoch
Bei den Itemformulierungen wurden keine kausalen Bezüge zu den Sicherungssystemen (Fehlverhalten als Folge der Absicherung) hergestellt (Anhang A2.2).
6.5 Die Bedeutung des »Leistungsempfängerbildes« für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme
223
auf die stärker am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit orientierten Sicherungssysteme (H3.2). Bei der sozialen Wertschätzung (Unterstützungswürdigkeit) ist eher ein für alle Sicherungssysteme gleich starker Einfluss zu vermuten. Ähnlich wie beim Merkmal der Bedürftigkeit (und insbesondere, wenn sich die Annahme H3.2 bestätigen sollte207) kann aber auch eine etwas größere Bedeutung bei bedarfsorientierten Sicherungssystemen vermutet werden (H3.3). Für die negativen Leistungsempfängereigenschaften (Missbrauchswahrnehmung und Victimisierung von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern) wird für alle Sicherungssysteme unterschiedslos eine akzeptanzabträgliche Wirkung angenommen (H3.4).
Schließlich können auch für die einzelnen Akzeptanzindikatoren unterschiedliche Einflüsse der Leistungsempfängereigenschaften vermutet werden. Allgemein soll dabei davon ausgegangen werden, dass sich die »deservingness«-Kriterien bei den Indikatoren der Wohlfahrtsstaatlichkeit insgesamt stärker auf die »Leistungsbewertung« (Präferenzen bezüglich der Leistungshöhe) auswirken als auf die Frage einer staatlichen Zuständigkeit (H4). So scheint es z.B. plausibel, dass die Wahrnehmung »negativer« Leistungsempfängereigenschaften zur Befürwortung eines geringe(re)n Leistungsniveaus führt, aber nicht gleich zur völligen Ablehnung einer wohlfahrtsstaatlichen Absicherung. Ebenso wird angenommen, dass sich die »deservingness«-Kriterien stärker auf die gewünschte Wohlfahrtsstaatlichkeit und weniger auf die Institutionenakzeptanz und das Vertrauen in die Sicherungssysteme auswirken. Diese Annahme bleibt hier aber gewissermaßen »vor die Klammer gezogen«, weil sie bereits der Auswahl der Akzeptanzindikatoren für die nachfolgenden Analysen zugrunde liegt.208 Im nächsten Abschnitt wird somit der Einfluss aller genannten Leistungsempfängereigenschaften auf die Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit (Umfang und Grad der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung) untersucht. Dabei wird die Bedeutung der »deservingness«-Kriterien jeweils für alle sozialpolitischen Aufgaben (staatliche Zuständigkeit) und für alle »Leistungsbewertungen« (Präferenzen bezüglich der Leistungshöhe) analysiert.
207
208
In diesem Fall kann eine »Kompensation« angenommen werden: Wenn die »Anspruchsberechtigung« einen starken Einfluss auf die Akzeptanzurteile ausübt, wird sich der der »Unterstützungswürdigkeit« bei den Sozialversicherungen entsprechend verringern. Aufgrund der Tatsche, dass Leistungsempfängerkategorien erst durch die konkreten Sicherungssysteme entstehen, bestehen zudem auch Zweifel, ob die Institutionenakzeptanz in diesem Zusammenhang als abhängige Variable verwendet werden kann. Zumindest bei den klar »sichtbaren« Leistungsempfängertypen wäre keine trennscharfe Abgrenzung von Erklärungsfaktoren und Akzeptanzobjekt mehr möglich, sodass sich etwaige Effekte nicht ohne weiteres als Kausalbeziehungen interpretieren lassen.
224
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
6.5.2 Die Wahrnehmung der Leistungsempfänger Die Häufigkeitsverteilungen zeigen für alle drei Leistungsempfängereigenschaften, von denen angenommen wird, dass sie sich »förderlich« auf die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme auswirken (Bedürftigkeit, der berechtigte Anspruch und die soziale Wertschätzung bzw. Unterstützungswürdigkeit) ein übereinstimmendes Muster (vgl. Abb. 6.5.3a): Rentner und GKV-Versicherte, die Leistungen beziehen, werden – bei nur geringen Unterschieden zwischen diesen beiden Leistungsempfängertypen – offenbar am »positivsten« von den Befragten wahrgenommen. Ihnen wird im höchsten Maße eine Bedürftigkeit attestiert (Rentner: 96,4 % [70,7 % »voll und ganz«]; GKV-Versicherte: 94, 6 % [61,5 % »voll und ganz«]) und ihre Ansprüche auf Leistungen, die sich aus Vorleistungen in Form von Beitragszahlungen ableiten, gelten fast allen als berechtigt (Rentner: 95,5 % [72,7 % »voll und ganz«]; GKV-Versicherte: 94,7 % [62,2 % »voll und ganz«]). Kranke und alte Menschen genießen überdies die höchste allgemeine soziale Wertschätzung. So halten 95,6 Prozent alte Menschen und fast genauso viel, nämlich 94,9 Prozent, Kranke für unterstützungswürdig. Immerhin über die Hälfte der Befragten ist sogar »voll und ganz« der Ansicht, dass alte Menschen (52,3 %) und Kranke (52,1 %) »in besonderem Maße die Unterstützung der Gesellschaft verdienen«. Ähnlich positiv werden auch Familien (als Empfänger von Kindergeld) wahrgenommen. Jeweils eine deutliche Mehrheit der Befragten hält Familien für bedürftig (90,2 % [54,2 % »voll und ganz«]) und ihre Leistungsansprüche (Kindergeld), die sich aus dem »wichtigen Beitrag für die Gesellschaft«, den Familien durch die Kindererziehung leisten, ableiten, für legitim (93,7 % [62,8 %]) und Familien allgemein für unterstützungswürdig (94,1 % [59,8 %]). Ein gewisser Abfall dieser überaus positiven Wahrnehmung der Leistungsempfänger ist bei den beiden verbleibenden Leistungsempfängertypen festzustellen. Dabei ist die soziale Wertschätzung der Armen (86,8 %) nur geringfügig höher als die der Arbeitslosen (85,4 %); nur jeweils ein knappes Drittel der Befragten zeigt sich »voll und ganz« davon überzeugt, dass Arme (32,1 %) und Arbeitslose (30,6 %) die Unterstützung der Gesellschaft verdienen. Auch von der Bedürftigkeit der Sozialhilfeempfänger (82,4 % [33,0 % »voll und ganz«]) und der Arbeitslosen (88,7 % [47,9 % »voll und ganz«]) sind etwas weniger Befragte überzeugt als bei den anderen Leistungsempfängergruppen.
6.5 Die Bedeutung des »Leistungsempfängerbildes« für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme
225
Abbildung 6.5.3a: Wahrnehmung der Leistungsempfänger: »positive« Eigenschaften (zusammengefasste Werte für Zustimmung in Prozent209) Bedürftigkeit 96,4
94,6
100
90,2 88,7
82,4
90
25,7 33,0
80
36,0 40,8
70
49,4
60 50 40
70,7 61,5
30
54,2
47,9
20
33,0
10 0
Rentner
Kranke
Arbeitslose
Sozialhilfeempfänger
Familien
N=1472-1511 Anspruchsberechtigung 95,5
94,7
100
93,7
89,3 83,0
90
22,8 32,6
80
30,8 40,2
70
49,2
60 50 40
72,7 62,8
62,2 30
49,2
20
33,7
10 0
Rentner
Kranke
Arbeitslose
Sozialhilfeempfänger
Familien
N=1486-1511
209
Die unteren Werte geben den Anteil der Befragten an, der den Aussagen »voll und ganz« zustimmt, die oberen Werte den jeweiligen Gesamtanteil der Zustimmenden (s. a. Anhang A2.2).
226
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
Unterstützungswürdigkeit 95,6
94,9
94,1
100
85,4
86,8
90
34,3
80
43,3
42,8
70
54,8
60
54,8
50 40 30
59,8 52,3
52,1
20
30,6
32,1
10 0
Rentner
Kranke
Arbeitslose
Sozialhilfeempfänger
Familien
N=1480-1510
Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Frage der Anspruchsberechtigung, die sich bei den Sozialhilfeempfängern aus einem sozialen Recht und bei den Arbeitslosen (Empfänger von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe) aus den zuvor gezahlten Beiträgen ableitet. Derart begründete Leistungsansprüche werden immerhin von 83,0 Prozent der Befragten den Sozialhilfeempfängern und von 89,3 Prozent der Befragten den Arbeitslosen zuerkannt. Wie bei der »Bedürftigkeit« sind die Unterschiede zwischen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern größer, wenn man nur die Werte der obersten Kategorie vergleicht: So ist bei Sozialhilfeempfängern nur ein Drittel (33,7 %) der Befragten, bei Arbeitslosen aber immerhin fast die Hälfte (49,2 %) »voll und ganz« von der Berechtigung des Leistungsanspruches überzeugt. Weitgehend spiegelbildlich fallen die Wahrnehmungen negativer Leistungsempfängereigenschaften aus (vgl. Abb. 6.5.3b). Unmittelbar vergleichbar sind sie allerdings nur für den Aspekt des »Missbrauchs«.210 Die Häufigkeiten bei der Missbrauchswahrnehmung entsprechen insofern den Erwartungen, als bei der Sozialhilfe (76,2 % [32,9 % »voll und ganz«]) und der Arbeitslosenversicherung (63,2 % [23,0 %]) Missbrauch deutlich häufiger vermutet wird als bei der Rentenversicherung (55,4 % [20,0 %]) und der Gesetzlichen Krankenversicherung (51,7 % [17,4 %]). Dennoch relativiert die Missbrauchswahrnehmung gerade für die Rentner und die GKV-Versicherten das »positive« Leistungsempfängerbild. Denn ungeachtet der Differenz zur Arbeitslosenversicherung und zur Sozialhilfe ist die Missbrauchswahrnehmung auch hier sehr hoch. Offenbar geht die Mehrheit der Befragten davon aus, dass es in allen Sicherungssystemen zumindest in einem gewissen Umfang zu Leistungsmissbräuchen kommt. 210
Allerdings fehlt ein Missbrauchsindikator für das Kindergeld.
6.5 Die Bedeutung des »Leistungsempfängerbildes« für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme
227
Abbildung 6.5.3b: Wahrnehmung der Leistungsempfänger: »negative« Eigenschaften (zusammengefasste Werte für Zustimmung in Prozent; vgl. Anmerkung zu Abb. 6.5.3a) Missbrauch und Victimisierung 76,2 72,8
80,0
65,8 70,0
60,0
63,2 55,4
53,1
51,7 43,3 42,9
50,0
40,2 40,0
40,6
35,3 34,2
41,3
30,0
20,0
10,0
0,0
32,9 20,0
23,0
25,2
29,9
17,4 11,7
GRV: Missbrauch
GKV: Missbrauch
AV: Missbrauch
Arbeitslose: Victimisierung (Verbleib)
Sozialhilfe: Missbrauch
Sozialhilfeempfänger: Victimisierung (Verbleib)
Sozialhilfeempfänger: Victimisierung (Eintritt)
N=1310-1467
Auch den Aussagen, dass Sozialhilfeempfänger bzw. Arbeitslose eine Mitschuld am (längeren) Verbleib im Leistungsbezug haben, stimmen die meisten Befragten zu. Immerhin 65,8 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass »viele Arbeitslose (...) nicht so lange Arbeitslosengeld beziehen (müssten), wenn sie sich mehr Mühe geben würden, einen neuen Arbeitsplatz zu finden«. Bei den Sozialhilfeempfängern sind sogar 72,8 Prozent der Befragten von einer mangelnden »Mitwirkungsbereitschaft« der Leistungsempfänger überzeugt. Und immerhin über ein Viertel ist sogar »voll und ganz« der Meinung, dass Arbeitslose (25,2 %) und Sozialhilfeempfänger (29,9 %) nicht genug dafür tun, um den Leistungsbezug zu beenden. Deutlich geringer ist dagegen die »Eintrittsvictimisierung« der Sozialhilfeempfänger. Nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten (53,1 %) glaubt, dass »viele Sozialhilfeempfänger (...) durch eigenes Verschulden in die Sozialhilfe gerutscht« sind, und nur 11,7 Prozent sind davon »voll und ganz« überzeugt. Der Eintritt des »Sozialhilfefalls« wird damit weit weniger victimisiert als der dauerhafte Bezug von Sozialhilfe. Insgesamt lassen die Häufigkeitsverteilungen eine klare Hierarchie der »Beliebtheit« der unterschiedlichen Leistungsempfängergruppen erkennen: Rentnern (bzw. älteren Menschen), Kranken (GKV-Versicherte) und Familien werden im höheren Maße positive und deutlich seltener negative Eigenschaften zugeschrieben als Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern (bzw. Armen). Die entscheidende Trennlinie ver-
228
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
läuft insofern nicht zwischen sozialversicherungspflichtigen Leistungsempfängern und anderen (Sozialhilfeempfänger, Familien), sondern eher zwischen Mehrheitsund Minderheitsprogrammen (Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger). Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass sich diese Unterschiede alle auf einem »sehr hohen Niveau« bewegen, sofern man die reine (einfache) Zustimmung zugrunde legt. Auch Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern werden also überwiegend positive Eigenschaften zugeschrieben. Die Unterschiede zwischen den unterschiedlichen »positiven Eigenschaften« sind bei den einzelnen Leistungsempfängergruppen jeweils eher gering. Insofern sind die Leistungsempfängerbilder konsistent: Wer eine Leistungsempfängergruppe für bedürftig hält, der hält meist auch ihre Ansprüche für berechtigt und die weitere sozialpolitische Zielgruppe für unterstützungswürdig. Den positiven Eigenschaften nahezu spiegelbildlich sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Leistungsempfängergruppen bei der »Missbrauchswahrnehmung«. In den beiden großen Sozialversicherungen werden weniger Leistungsmissbräuche vermutet als bei der Arbeitslosenversicherung und der Sozialhilfe. Bei den Victimisierungen besteht wiederum ein Unterschied zwischen der Arbeitslosen- und der Sozialhilfeempfängerwahrnehmung (»Verbleibsvictimisierung«), wobei Sozialhilfeempfängern etwas häufiger mangelndes Engagement zur Beendigung des Leistungsbezugs unterstellt wird. Soweit entsprechen diese deskriptiven Ergebnisse den oben formulierten Erwartungen – und gewiss auch allgemein verbreiteten Vorstellungen. Darüber hinaus sind aber drei kleinere »Anomalien« zu erkennen: So entsprechen die alles in allem doch hohen Werte bei der Missbrauchswahrnehmung für die Rentenversicherung und Gesetzliche Krankenversicherung nicht ganz den allgemein positiven Leistungsempfängerbildern.211 So will es nicht so recht zur hohen Anerkennung einer »wirklichen« Bedürftigkeit und eines Leistungsanspruchs der Rentner von jeweils über 90 Prozent der Befragten passen, dass auch mehr als jeder zweite Befragte bei der Gesetzlichen Rentenversicherung Missbrauch vermutet. Umgekehrt sind die Leistungsempfängerbilder der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger – trotz des Abstandes zu Rentnern, GKV-Versicherten und Familien – zu »positiv« angesichts der sehr hohen Missbrauchsvermutung (bei der Sozialhilfe immerhin von drei Vierteln der Befragten) und der ausgeprägten »Verbleibsvictimisierung«. Auffällig ist schließlich auch der relativ deutliche Unterschied zwischen der hohen »Verbleibsvictimisierung« bei Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern und der im Vergleich dazu geringen »Eintrittsvictimisierung« (nur bei Sozialhilfeempfängern).
211
Ein möglicher Grund hierfür könnte in der »weichen« Form der Itemformulierung liegen. Um Problemen der sozialen Erwünschtheit zu begegnen, wurde beim »Missbrauch« kein expliziter Bezug zu Handlungsmotiven der Leistungsempfänger herstellt. Zudem wurde offen gelassen, durch wen (Leistungsempfänger oder andere Akteure) Missbräuche verursacht werden.
6.5 Die Bedeutung des »Leistungsempfängerbildes« für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme
229
6.5.3 Der Einfluss der Leistungsempfängerwahrnehmung auf die Akzeptanzurteile Im Folgenden soll untersucht werden, wie sich die Wahrnehmung der Leistungsempfänger, die »Leistungsempfängerbilder«, auf die Akzeptanz der jeweiligen sozialen Sicherungssysteme auswirkt. Zur Prüfung dieses Einflusses werden für alle fünf Sicherungsbereiche für jeweils zwei Akzeptanzindikatoren Regressionsanalysen durchgeführt: für die Frage der staatlichen (oder privaten) Zuständigkeit und für die Präferenzen für höhere oder niedrigere Leistungen (beim familienpolitischen Bereich durch »mehr finanzielle Unterstützung von Familien« ersetzt). Dabei werden neben den soziodemografischen Variablen zusätzlich auch spezifische Interessenparameter (meist die jeweiligen Versorgungsklassen) in die Modelle aufgenommen. Denn nur so kann angemessen beurteilt werden, inwiefern Effekte des »Leistungsempfängerbildes« unabhängig von sozialpolitischen Interessenlagen bestehen.212 Zunächst zur Gesetzlichen Krankenversicherung bzw. zur »staatlichen Zuständigkeit« für die Gesundheitsversorgung und den Präferenzen bezüglich des Leistungsniveaus (vgl. Abb. 6.5.4). Die insgesamt drei Modelle für die »staatliche Zuständigkeit« machen bereits deutlich, dass wahrgenommene Leistungsempfängereigenschaften einen Einfluss auf die Akzeptanzurteile haben. Im ersten Modell (A1), in dem zunächst nur die Effekte der (zugeschriebenen) Leistungsempfängereigenschaften allein betrachtet werden, haben die Merkmale Missbrauch (negativ), Bedürftigkeit und allgemeine Unterstützungswürdigkeit (positiv) signifikante Effekte (im Fall der Bedürftigkeit aber nur einen schwach signifikanten); der R²-Wert (0,053) ist bereits vergleichsweise hoch. Bei Einbezug soziodemografischer Merkmale (A2), von denen vor allem der »Landesteil« einen größeren Einfluss ausübt, wird der Effekt von Missbrauch jedoch insignifikant, während die beiden anderen Effekte bestehen bleiben. Für die Merkmale Bedürftigkeit und allgemeine Unterstützungswürdigkeit kann daher von einem stabilen Einfluss auf die Präferenzen für oder gegen eine staatliche Zuständigkeit für die Gesundheitsversorgung ausgegangen werden. Im dritten Modell (A3) werden zudem die Interessenindikatoren »Bilanzierung« und »Mitversicherung« einbezogen, die allerdings nur für Befragte erhoben werden konnten, die als Hauptversicherte in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert sind (vgl. Abschnitt 6.2). Hier verschieben sich die Einflüsse. Während für die Bedürftigkeit kein signifikanter Effekt mehr besteht, ist nun neben der allgemeinen Unterstützungswürdigkeit die Anspruchsberechtigung (schwach) signifikant. Für die GKV-Versicherten ist insofern die Frage, ob berechtigte, d.h. auf Beitragszahlungen beruhende Leistungsansprüche bestehen, möglicherweise von größerer Bedeutung 212
Bei einem Verzicht auf die Kontrolle von Interessenparametern bestünde immer die Möglichkeit, dass Unterschiede in der Wahrnehmung der Leistungsempfänger und entsprechende Effekte auf die Akzeptanzurteile nur eine Folge (wenn nicht »Rationalisierungen«) unterschiedlicher Interessenlagen sind, die dann die eigentlich wirkmächtigen Erklärungsfaktoren wären.
230
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
für die Präferenzen bezüglich einer staatlichen Zuständigkeit für die Gesundheitsversorgung, während allgemein das Kriterium der Bedürftigkeit als wichtig(er) erachtet wird. Abbildung 6.5.4: Staatliche Zuständigkeit für Gesundheitsversorgung und »Leistungsbewertung« (GKV-Leistungen) (OLS-Regressionen) staatliche Zuständigkeit Eigenschaften der Leistungsempfänger (Kranke) Bedürftigkeit Anspruchserwerb Unterstützungswürdigkeit der Zielgruppe Missbrauch
»Leistungsbewertung«
Modell A1
Modell A2
Modell A3
Modell B1
Modell B2
0,087** 0,040
0,065* 0,049
0,068 0,147**
0,119*** 0,084**
0,122** 0,107*
0,020
0,064
-0,036
-0,049
-0,060*
-0,055
Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch
-0,096** -0,015
-0,055 0,039
-0,019 -0,109**
-0,011 -0,083
Alter des Befragten
-0,032
-0,032
-0,087**
-0,080
0,154*** -0,057*
0,144***
0,050
Geschlecht: Frau
-0,033
Oben-Unten-Skala Landesteil: Ostdeutschland
0,136***
0,110*
0,121** -0,043 0,081
-0,020
-0,073
-0,094**
-0,121**
-0,023
-0,028
»Bilanzierung« (Ref.Kat.: Bilanz negativ ohne Ausgleich) GKV-Bilanz positiv GKV- Bilanz negativ; Erwartung eines Ausgleichs
0,133*
-0,035
0,129*
-0,117*
GKV-Versicherte mit Mitversicherten (Ref.Kat.: ohne)
0,041
0,050
R² (korrigiertes R²) N
0,053 (0,050)
0,081 (0,073) 1171
0,121 (0,102)
0,068 (0,060)
0,097 (0,078)
621
1191
633
* p<0,05; ** p<0,01; ***p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; standardisierte Regressionskoeffizienten
Bei den Präferenzen bezüglich des Leistungsniveaus verdeutlicht das erste Modell (B1), in dem neben den Leistungsempfängereigenschaften auch die soziodemografischen Merkmale enthalten sind, dass auch hier ein deutlicher Einfluss der wahrgenommenen Leistungsempfängereigenschaften besteht. So sind für die Merkmale Bedürftigkeit, Anspruchsberechtigung sowie Missbrauch (negativ) signifikante Effekte zu verzeichnen, ebenso wie erwartete Einflüsse einiger soziodemografischer
6.5 Die Bedeutung des »Leistungsempfängerbildes« für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme
231
Variablen (negative Effekte höherer Bildung, des Alters und der Selbstverortung auf der Oben-Unten-Skala). Im zweiten Modell (B2) für die GKV-Versicherten, in dem wiederum sozialpolitische Interessenparameter ergänzt wurden, bleiben die Effekte für die Merkmale Bedürftigkeit und berechtigter Anspruch bestehen, nicht jedoch der (allerdings auch in Modell B1 nur schwach signifikante) Effekt für das Merkmal Missbrauch. Auch für das Alter und das höhere Bildungsniveau bestehen nun keine signifikanten Effekte mehr. Auch bei Einbezug soziodemografischer Variablen (sowie sozialpolitischer Interessenparameter für GKV-Versicherte) können also Effekte für Leistungsempfängereigenschaften nachgewiesen werden. Jedoch weist keine Leistungsempfängereigenschaft in allen Modellen einen signifikanten Effekt auf. Die allgemeine Wertschätzung (Unterstützungswürdigkeit) Kranker scheint vor allem für die Frage einer staatlichen Zuständigkeit wichtig, für die Präferenzen bezüglich der Leistungshöhe dagegen vor allem die Anspruchsberechtigung und die (»wirkliche«) Bedürftigkeit der Leistungsempfänger. Die Missbrauchswahrnehmung hat keinen Effekt bei der Zuständigkeit, wenn für weitere Variablen kontrolliert wird, und nur einen schwachen bei der Leistungshöhe. Ein Vergleich der beiden Akzeptanzindikatoren (Modelle A2 und B1) zeigt nur für die »Bedürftigkeit« eine gewisse Übereinstimmung. Sonst sind jeweils andere Eigenschaften signifikant (Unterstützungswürdigkeit bei staatl. Zuständigkeit, Anspruchsberechtigung und Missbrauch bei der »Leistungsbewertung«). Auch ein Vergleich aller Befragten mit den gesetzlich Hauptversicherten lässt kaum systematische Unterschiede erkennen. Auffällig ist nur, dass bei den GKV-Versicherten »Missbrauch« nie und das Merkmal »berechtigter Anspruch« immer signifikant ist. Außerdem sind bei den Modellen für die gesetzlich Versicherten die R²-Werte etwas höher, was aber vermutlich auf den Einfluss der sozialpolitischen Interessenparameter zurückzuführen ist. Bei der staatlichen Zuständigkeit für die Alterssicherung sind die Effekte der Leistungsempfängereigenschaften insgesamt gering (Abb. 6.5.5). Zwar sind auch hier im »puren« Modell ohne weitere Variablen (A1) wie bei der Gesundheitsversorgung Effekte für die Bedürftigkeit, die Unterstützungswürdigkeit der Zielgruppe und der Missbrauchswahrnehmung nachweisbar. Aber von der allgemeinen Unterstützungswürdigkeit abgesehen erweist sich hier keine der Leistungsempfängereigenschaften als signifikant, wenn soziodemografische Merkmale und der Versorgungsklassenstatus (Rentner) kontrolliert werden (A2), wobei von diesen Variablen nur der »Landesteil« (höhere Präferenzen der Ostdeutschen für eine staatliche Zuständigkeit) signifikant ist. Dennoch ist das Erklärungsmodell insgesamt relativ gut (R²=0,107), was auch auf den recht starken Effekt der »Unterstützungswürdigkeit« zurückzuführen ist.
232
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
Abbildung 6.5.5: Staatliche Zuständigkeit für die Alterssicherung und »Leistungsbewertung« (Rente) (OLS-Regressionen) staatliche Zuständigkeit Eigenschaften der Leistungsempfänger (Rentner) Bedürftigkeit Anspruchserwerb Unterstützungswürdigkeit der Zielgruppe Missbrauch
»Leistungsbewertung«
Modell A1
Modell A2
Modell B1
Modell B2
0,066* 0,017 0,254*** -0,062*
0,060 0,014 0,240*** -0,046
0,106** 0,089* 0,104** 0,006
0,101** 0,098** 0,108*** 0,001
Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch
-0,058 -0,039
-0,025 -0,103**
Alter des Befragten
0,007
Geschlecht: Frau
0,051
0,011
-0,032
-0,026
Oben-Unten-Skala Landesteil: Ostdeutschland
N
-0,030
0,108***
Rentner (Ref.Kat.: alle anderen Versorgungsklassen) R² (korrigiertes R²)
-0,050
-0,024 0,089 (0,086)
0,107 (0,099) 1215
-0,018 0,052 (0,049)
0,069 (0,060) 1194
* p<0,05; ** p<0,01; *** p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; standardisierte Regressionskoeffizienten
Bei den Präferenzen für die Leistungshöhe sind dagegen sowohl ohne (Modell B1) als auch mit Einbezug des Versorgungsklassenstatus und soziodemografischer Variablen (B2) signifikante (positive) Effekte der Merkmale Bedürftigkeit, Anspruchsberechtigung und allgemeine Unterstützungswürdigkeit vorhanden, bei nur minimalen Unterschieden in den Effektstärken. Die Missbrauchswahrnehmung hat dagegen keinen signifikanten Einfluss auf die Akzeptanzurteile, was mit Ausnahme des hohen Bildungsniveaus (negativer Effekt) auch für die soziodemografischen Merkmale und den Versorgungsklassenstatus gilt. Der R²-Wert ist trotz der relativ starken Effekte der drei »positiven« Leistungsempfängereigenschaften mäßig und deutlich geringer als bei der staatlichen Zuständigkeit. Die Alterssicherung ist damit der einzige Bereich, bei dem das Erklärungsmodell für die »staatliche Zuständigkeit« besser ist als bei der »Leistungsbewertung«. Auch für die Gesetzliche Rentenversicherung kann damit ein deutlicher Einfluss der »positiven« Leistungsempfängereigenschaften festgestellt werden. Mehr noch als bei der Gesetzlichen Krankenversicherung gilt dies aber vor allem für die »Leistungsbewertung«. Nur die allgemeine Unterstützungswürdigkeit älterer Menschen
6.5 Die Bedeutung des »Leistungsempfängerbildes« für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme
233
ist in allen Fällen signifikant und daher so etwas wie die gemeinsame Grundlage für die Akzeptanz der wohlfahrtsstaatlichen Alterssicherung. Dieses Ergebnis steht in einem gewissen Widerspruch zu den von Kohli (1987) vertretenen Annahmen über die »Moralökonomie des Ruhestandes« (vgl. 6.5.1). Demnach müssten vor allem die erbrachten Leistungen in Form von Sozialversicherungsbeiträgen und lebenslanger Arbeit die Basis für die Akzeptanz des Generationenvertrages sein. Die hier präsentierten Ergebnisse legen demgegenüber nahe, dass die Aspekte der Bedürftigkeit sowie einer allgemeineren sozialen Wertschätzung »des Alters« zumindest ebenso gewichtig sind. Bei der staatlichen Zuständigkeit für die Unterstützung von Arbeitslosen haben, sofern für den Versorgungsklassenstatus (Arbeitslose) und für soziodemografische Variablen kontrolliert wird (Abb. 6.5.6; Modell A2), die Merkmale der Anspruchsberechtigung und der allgemeinen Unterstützungswürdigkeit eine positiven und die »Verbleibsvictimisierung« einen negativen Effekt auf die entsprechenden Präferenzen. Der stärkste Einfluss geht dabei von der allgemeinen »Unterstützungswürdigkeit« aus, während der Effekt der Anspruchsberechtigung nur auf dem 5 %-Niveau signifikant ist. Obwohl die Versorgungsklasse und die soziodemografischen Merkmale (mit Ausnahme des Geschlechts) keine signifikanten Effekte haben, ist der R²-Wert hier recht hoch (0,152). Für die Beurteilung der Leistungshöhe (Arbeitslosengeld) sind bei Einbezug soziodemografischer Merkmale und der Versorgungsklasse (B2) mit Ausnahme der Bedürftigkeit für alle Leistungsempfängereigenschaften signifikante Effekte festzustellen (die auch alle in die erwartete Richtung weisen). Das relative Gewicht der Unterstützungswürdigkeit ist hier im Vergleich zur Frage der staatlichen Zuständigkeit jedoch etwas geringer. Signifikante Effekte bestehen auch für die meisten soziodemografischen Merkmale sowie für den Versorgungsklassenstatus (Arbeitslose). Der R²-Wert ist entsprechend hoch (0,179). Der Einfluss der Leistungsempfängereigenschaften auf die Präferenzen bezüglich einer staatlichen Zuständigkeit für die Unterstützung von Arbeitslosen sowie der Höhe des Arbeitslosengeldes ist offensichtlich noch stärker als bei den beiden zuvor betrachteten Sicherungsbereichen. Neben der allgemeinen Unterstützungswürdigkeit der Zielgruppe erwies sich auch die »Verbleibsvictimisierung« in allen Modellen als hoch signifikant und mit einem relativ starken Einfluss. Auffällig ist zudem, dass das Merkmal der Bedürftigkeit sich hier in keinem Modell als signifikant erwies. Die Unterschiede zwischen den beiden Akzeptanzindikatoren sind dabei insgesamt gering: Neben den drei auch schon bei der »staatlichen Zuständigkeit« signifikanten Effekten (Anspruchserwerb, Unterstützungswürdigkeit und Verbleibsvictimisierung) hat bei der »Leistungsbewertung« nur noch die Missbrauchswahrnehmung einen zusätzlichen Effekt, der aber nur auf dem 5 %-Niveau signifikant ist.
234
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
Abbildung 6.5.6: Staatliche Zuständigkeit für die Unterstützung von Arbeitslosen und »Leistungsbewertung« (Arbeitslosengeld) (OLS-Regressionen) staatliche Zuständigkeit Modell A1 Eigenschaften der Leistungsempfänger (Arbeitslose) Bedürftigkeit Anspruchserwerb Unterstützungswürdigkeit der Zielgruppe Missbrauch Victimisierung - Verbleib
0,055 0,072
»Leistungsbewertung«
Modell A2
Modell B1
Modell B2
0,048 0,076*
0,046 0,105*
0,036 0,107**
0,236***
0,232***
0,127***
0,122***
0,005 -0,149***
0,002 -0,137***
-0,055 -0,180***
-0,064* -0,134***
Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch
-0,057 -0,034
-0,021 -0,089**
Alter des Befragten
-0,017
-0,069* 0,023
Geschlecht: Frau
0,055*
Oben-Unten-Skala
0,011
-0,111***
Landesteil: Ostdeutschland
0,052
0,063*
Arbeitslose (Ref.Kat.: alle anderen Versorgungsklassen)
0,035
0,087**
R² (korrigiertes R²) N
0,144 (0,140)
0,152 (0,144) 1187
0,128 (0,124)
0,179 (0,170) 1104
* p<0,05; ** p<0,01; ***p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; standardisierte Regressionskoeffizienten
Bei der Frage einer staatlichen Zuständigkeit für die Versorgung von Armen (Abb. 6.5.7) wiesen die Merkmale der Anspruchsberechtigung, der Unterstützungswürdigkeit und der Verbleibsvictimisierung (negativ) signifikante Effekte auf, nicht jedoch die Missbrauchswahrnehmung und die »Eintrittsvictimisierung«. Praktisch keine signifikanten Einflüsse gehen von den soziodemografischen Variablen und vom Versorgungsklassenstatus (Sozialhilfeempfänger) aus. Der Vergleich der Modelle A1 und A2 zeigt zudem, dass der Anteil erklärter Varianz durch die Hereinnahme der soziodemografischen Merkmale und des Versorgungsklassenstatus nicht mehr nennenswert erhöht wird. Aufgrund der starken Einzeleffekte ist der R²-Wert aber auch schon beim Modell, das neben den sechs Leistungsempfängereigenschaften keine weiteren Variablen enthält (A1), relativ hoch (0,132).
6.5 Die Bedeutung des »Leistungsempfängerbildes« für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme
235
Abbildung 6.5.7: Staatliche Zuständigkeit bei Armut und »Leistungsbewertung« (Sozialhilfe) (OLS-Regressionen)
Eigenschaften der Leistungsempfänger (Arme) Bedürftigkeit legitimer Anspruch Unterstützungswürdigkeit der Zielgruppe Missbrauch Victimisierung - Verbleib Victimisierung - Eintritt
staatliche Zuständigkeit
»Leistungsbewertung«
Modell A1
Modell A2
Modell B1
Modell B2
-0,001 0,129** 0,201*** 0,040 -0,128** -0,063
-0,009 0,133** 0,198*** 0,041 -0,121** -0,060
0,092* 0,160*** 0,154*** -0,067* -0,124** -0,133***
0,100** 0,149*** 0,157*** -0,074* -0,101** -0,110**
Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch
-0,026 0,011
0,019 -0,023
Alter des Befragten
-0,013
-0,087**
Geschlecht: Frau
-0,006
Oben-Unten-Skala Landesteil: Ostdeutschland Sozialhilfeempfänger (Ref.Kat.: alle anderen Versorgungsklassen) R² (korrigiertes R²) N
-0,018
0,068*
0,132 (0,128)
0,047
0,024
-0,008
0,023
0,139 (0,129) 1140
-0,117***
0,262 (0,258)
0,290 (0,281) 1039
* p<0,05; ** p<0,01; ***p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; standardisierte Regressionskoeffizienten
Für die »Leistungsbewertung« (Präferenzen bezüglich der Leistungshöhe) sind für alle sechs Leistungsempfängereigenschaften signifikante Effekte festzustellen – und zwar sowohl ohne (B1) als auch mit Einbezug des Versorgungsklassenstatus und der soziodemografischen Merkmale (B2): Eine hohe Wahrnehmung von Bedürftigkeit, Anspruchsberechtigung und Unterstützungswürdigkeit führt zu stärkeren Präferenzen für eine höhere Sozialhilfe, die Wahrnehmung von Missbrauch und die Victimisierung von Sozialhilfeempfängern (Verbleibs- und Eintrittsrisiko) dagegen zu einer niedrigeren. Da zudem signifikante Einflüsse des Alters und der Selbstverortung auf der Oben-Unten-Skala (beide negativ) bestehen, ergibt sich ein sehr hoher Erklärungswert des Gesamtmodells (R²=0,290). Der Einfluss der Leistungsempfängereigenschaften auf die Präferenzen bezüglich einer staatlichen Zuständigkeit für die Unterstützung von Armen sowie der Höhe der Sozialhilfe ist noch größer als bei der Versorgung von Arbeitslosen und der Beurteilung der Höhe des Arbeitslosengeldes. Neben der allgemeinen Unterstützungs-
236
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
würdigkeit der Zielgruppe erwies sich dabei auch die »Verbleibsvictimisierung« in allen Modellen als hoch signifikant und mit einem relativ starken Einfluss. Vor allem für die Präferenzen bezüglich der Höhe der Sozialhilfe ist damit eine enorme Bedeutung des Leistungsempfängerbildes zu konstatieren, der auch in dem (im Vergleich zu den anderen Modellen) ungewöhnlich hohen R²-Wert zum Ausdruck kommt. Abbildung 6.5.8: Staatliche Zuständigkeit für Familien (OLS-Regressionen) Eigenschaften der Leistungsempfänger (Familien) Bedürftigkeit legitimer Anspruch Unterstützungswürdigkeit der Zielgruppe
Modell 1
Modell 2
0,048 0,141*** 0,176***
0,036 0,135*** 0,175***
Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch
-0,076* -0,035
Alter des Befragten
-0,069*
Geschlecht: Frau
0,053* -0,025
Oben-Unten-Skala Landesteil: Ostdeutschland
0,087** 0,022
Kinder (Ref.Kat.: keine Kinder) R² (korrigiertes R²) N
0,098 (0,096)
0,117 (0,111) 1356
* p<0,05; ** p<0,01; ***p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; standardisierte Regressionskoeffizienten
Zur Untersuchung des Einflusses der Leistungsempfängereigenschaften auf die Beurteilung familienpolitischer Leistungen stehen nur für die drei »positiven« Leistungsempfängereigenschaften Indikatoren zur Verfügung. Hinsichtlich der staatlichen Zuständigkeit für die Unterstützung von Familien und Alleinerziehenden zeigt sich zunächst (Abb. 6.5.8), dass auch hier für die Merkmale der Anspruchsberechtigung und der allgemeinen Unterstützungswürdigkeit von Familien signifikante Effekte festzustellen sind, die auch bei Kontrolle soziodemografischer Faktoren (inkl. der Variable »Kinder«213) stabil bleiben (Modell 2). Der Erklärungswert dieser beiden Leistungsempfängereigenschaften ist auch schon im »puren« Modell relativ noch (R²=0,098) und erhöht sich durch die Hereinnahme der soziodemografischen Variablen, die oft signifikante Effekte aufweisen, nur noch geringfügig (R²=0,117). 213
Hierbei handelt es sich um eine dummy-Variable, die misst, ob (mindestens) ein Kind im Haushalt des Befragten lebt (vgl. Anhang A2.3).
6.5 Die Bedeutung des »Leistungsempfängerbildes« für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme
237
Abbildung 6.5.9: Präferenzen für höhere Ausgaben für Familien (Ordinale logistische Regressionen) Eigenschaften der Leistungsempfänger (Familien) Bedürftigkeit legitimer Anspruch Unterstützungswürdigkeit der Zielgruppe
Modell 1
Modell 2
1,294*** 1,289*** 1,443***
1,260*** 1,278** 1,464***
Bildung (Ref.Kat.: niedrig) mittel hoch
0,639*** 0,757
Alter des Befragten
0,986***
Geschlecht: Frau
1,080
Oben-Unten-Skala
0,921*
Landesteil: Ostdeutschland
1,251
Kinder (Ref.Kat.: keine Kinder)
1,241
Pseudo R² (Nagelkerke) Pseudo R² (McFadden)
0,151 0,054
N
0,183 0,066 1371
* p<0,05; ** p<0,01; ***p<0,001; ungewichtete Ergebnisse; Odds Ratios
Für die Frage, ob der Staat »Familien und Alleinerziehende finanziell stärker unterstützen (sollte), als er es bisher tut« (Abb. 6.5.9), erweisen sich alle drei »positiven« Leistungsempfängereigenschaften als signifikant und führen zu einer höheren Chance, dass staatliche Mehrausgaben für Familien befürwortet werden. Dieser Einfluss der positiven Leistungsempfängereigenschaften bleibt auch bestehen, wenn soziodemografische Variablen aufgenommen werden. Diese sind oft selbst signifikant (geringere Befürwortung höherer Ausgaben für Familien bei mittlerem Bildungsgrad, höherem Alter und bei einer höheren Selbstverortung auf der Oben-UntenSkala). Der Erklärungswert des Gesamtmodells ist daher eher hoch (Pseudo R² [Nagelkerke] = 0,183). Der Einfluss der zugeschriebenen (positiven) Leistungsempfängereigenschaften ist damit auch im Bereich Familie groß, lässt sich aber aufgrund des Fehlens von Indikatoren »negativer« Leistungsempfängereigenschaften nur bedingt mit den Ergebnissen zu den anderen Sicherungsbereichen vergleichen. Wie bei der Alterssicherung und der Unterstützung von Armen ist jedoch auch hier die Frage, ob die Leistungsempfänger »wirklich« bedürftig sind, nur für die »Leistungsbewertung« wichtig.
238
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
6.5.4 Fazit Insgesamt unterstützen die vorangehenden Analysen die grundlegende Annahme, dass das Bild der Leistungsempfänger, die Wahrnehmung ihrer »deservingness«, einen nachhaltigen Einfluss auf die Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit hat. So führen, wie erwartet (H1), sowohl »positive« Leistungsempfängereigenschaften zu einer höheren als auch »negative« zu einer geringeren Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit. Wie gezeigt, sind die Wirkungen der Leistungsempfängerwahrnehmung auf die Akzeptanzurteile auch dann eindeutig nachweisbar, wenn der Einfluss mehrerer Interessenparameter kontrolliert wird. Dieses Gesamturteil ist jedoch für die einzelnen »deservingness«-Kriterien zu qualifizieren: Die zugeschriebene »Bedürftigkeit« der Leistungsempfänger hat auf die »Leistungsbewertung« (Beurteilung der Leistungshöhe) einen stärkeren Einfluss als bei der staatlichen Zuständigkeit. Insgesamt ist das Merkmal der Bedürftigkeit vor allem für die Bereiche Gesundheit/Krankenversicherung und Alterssicherung/Rentenversicherung wichtig. Den korrespondierenden Leistungsempfängergruppen wird überdies am häufigsten eine »wirkliche« Bedürftigkeit attestiert (vgl. Abb. 6.5.3). Die Annahme, dass das Kriterium der Bedürftigkeit bei einer stärkeren Orientierung der Sicherungssysteme am Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit (Sozialhilfe, Gesetzliche Krankenversicherung) wichtiger ist als bei anderen (H3.1), wurde damit nicht bestätigt (größere Bedeutung für Alterssicherung/Rentenversicherung als für Armut/Sozialhilfe). Auch die Frage, ob Leistungsempfänger einen Anspruch auf Leistungen haben, wirkt sich vor allem auf die Präferenzen hinsichtlich der Leistungshöhe (»Leistungsbewertung«) aus. Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass die »Anspruchsberechtigung« bei Sozialversicherungen wichtiger ist als sonst (H3.2). Entgegen der Erwartung ist der Einfluss der »Anspruchsberechtigung« bei den NichtSozialversicherungen sogar noch etwas höher als bei den Sozialversicherungen. Scheinbar sind durch Beitragszahlungen erworbene Leistungsansprüche (bzw. dass diese Rentnern, gesetzlich Krankenversicherten und Arbeitslosen(geldempfängern) zugeschrieben werden) nicht akzeptanzsteigernder als solche, die den Leistungsempfängern (hier Familien und Sozialhilfeempfängern) aus anderen Gründen zuerkannt werden. Wie der Vergleich der Häufigkeitsverteilungen zeigt (Abb. 6.5.3), kann überdies nicht behauptet werden, dass sozialversicherten Leistungsempfängern in jedem Fall eher als anderen ein berechtigter Anspruch zugebilligt wird.214 Die soziale Wertschätzung (bzw. die zugeschriebene Unterstützungswürdigkeit) der sozialpolitischen Zielgruppen hat insgesamt den größten Einfluss auf die Akzeptanzurteile, was der eingangs formulierten Erwartung eines relevanten Einflusses in allen 214
Zu beachten ist hierbei allerdings, dass die Einzelergebnisse bei diesem Merkmal aufgrund der z.T. abweichenden Formulierungen nur begrenzt vergleichbar sind.
6.5 Die Bedeutung des »Leistungsempfängerbildes« für die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme
239
Sicherungsbereichen durchaus entspricht (H3.3). Die Wirkung dieses Merkmals ist insgesamt sogar etwas größer als erwartet. So sind fast immer signifikante Effekte festzustellen. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Akzeptanzindikatoren und Bereichen sind dabei nur gering und lassen kein Muster erkennen.215 Mit dem durchgehend starken Einfluss des Merkmals »Unterstützungswürdigkeit« ist der Nachweis gelungen, dass nicht nur mehr oder weniger direkt durch die Sicherungssysteme bestimmte Merkmale wie der Anspruchserwerb, sondern auch eher allgemeine Typisierungen sozialer Gruppen für die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen bedeutsam sein können. Obwohl ein Missbrauch von Leistungen in allen Sicherungsbereichen relativ häufig wahrgenommen wird, hat die Wahrnehmung von Leistungsmissbräuchen den insgesamt geringsten Einfluss auf die Akzeptanzurteile. Häufig ist überhaupt kein signifikanter Effekt vorhanden und wenn ein Einfluss nachweisbar ist, dann meist nur auf einem schwachen Niveau. Ein maßgeblicher (negativer) Einfluss kann nur für die Präferenzen hinsichtlich der Höhe der Sozialhilfe konstatiert werden. Da die signifikanten Effekte aber stets negativ sind, ist die in Hypothese H3.4 formulierte Erwartung einer akzeptanzmindernden Wirkung immerhin zum Teil bestätigt worden. Von victimisierenden Wahrnehmungen von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern geht dagegen ein erheblicher (negativer) Einfluss auf die Akzeptanzurteile aus. Offenbar besteht hier aber ein deutlicher Unterschied zwischen der »Eintrittsvictimisierung«, für die nur ein schwacher Einfluss auf die Beurteilung der Sozialhilfehöhe festzustellen war, und der »Verbleibsvictimisierung«, für die in allen Fällen starke und signifikante Effekte nachgewiesen werden konnten. Damit wurde die Erwartung, dass Victimisierungen zu einer geringern Akzeptanz führen (H3.4), für die »Verbleibsvictimisierung« voll, für die »Eintrittsvictimisierung« aber nur zum Teil bestätigt. Über die Gründe für diese Diskrepanz zwischen »Eintrittsvictimisierung« und »Verbleibsvictimisierung« kann hier nur spekuliert werden. Möglicherweise unterbinden ein Bewusstsein für die sozialen und wirtschaftlichen Ursachen eines Sozialhilfebezugs sowie dessen zunehmende »Normalität« eine stärkere »Eintrittsvictimisierung«. Zu klären wäre dann aber, warum sich dies nicht in ähnlicher Weise auf die »Verbleibsvictimisierung« auswirkt. Insgesamt bestätigen diese Ergebnisse, wenn auch nicht immer in der erwarteten Form, die allgemeine Annahme, dass die Leistungsempfängermerkmale in den einzelnen Sicherungsbereichen unterschiedliche Wirkungen haben (H3). Ein Vergleich der Effekte der vier »deservingness«-Kriterien, die für die Mehrzahl der Sicherungsbereiche untersucht wurden, offenbart zudem eine relativ deutliche Hierarchie der Eigenschaften nach ihrem Einfluss auf die Akzeptanzurteile. So hat die soziale Wert215
Als irrelevant erwies sich dagegen die zusätzliche Annahme, dass der Einfluss der »Unterstützungswürdigkeit« auf die Akzeptanzurteile gegenüber den Sozialversicherungen womöglich geringer ist als bei der Sozialhilfe und den Leistungen für Familien: Die Ausgangsvoraussetzung (Bestätigung von Hypothese H3.2) ist nicht gegeben.
240
6 Interessengegensätze, Wertorientierungen und »deservingness«
schätzung (Unterstützungswürdigkeit) den größten Einfluss auf die Präferenzen bezüglich der staatlichen Zuständigkeit und der Leistungshöhe. Gemessen an der Anzahl signifikanter Effekte hat das Kriterium des Anspruchserwerbs den zweithöchsten Einfluss, gefolgt von der dritten »positiven« Leistungsempfängereigenschaft, der Bedürftigkeit. Der Einfluss der Missbrauchswahrnehmung auf die Akzeptanzurteile ist dagegen insgesamt als gering einzustufen.216 Nicht bestätigt wurde die Annahme, dass der Einfluss der Leistungsempfängerwahrnehmung in den Bereichen am stärksten ist, wo die Leistungsempfänger besonders »sichtbar« und typisiert sind (H2.1). Zwar scheint der hohe Einfluss bei der Beurteilung der Sozialhilfe (vor allem bei der »Leistungsbewertung«) für eine solche Annahme zu sprechen (viele signifikante Einzeleffekte; hohe R²-Werte); der eher geringe Einfluss auf die gewünschte staatliche Zuständigkeit bei der Alterssicherung und auf die Präferenzen hinsichtlich der Rentenhöhe widersprechen einer solchen Interpretation aber deutlich. Die Unterschiede in der Bedeutung der Leistungsempfängerwahrnehmung von Sozialhilfeempfängern und Rentnern (und z.T. auch von Arbeitslosen) für die Akzeptanzurteile sprechen damit eher für die konkurrierende Annahme, dass »deservingness«-Kriterien sich vor allem auf die Beurteilung von Programmen für Arme und Bedürftige auswirken (H2.2.). Gerade die starken Effekte der »negativen« Merkmale bei der Beurteilung der Sozialhilfehöhe legen die Vermutung nahe, dass sich für viele Befragte bei der Sozialhilfe und den Sozialhilfeempfängern möglicherweise in weit höherem Maße die Frage der »deservingness« der Leistungsempfänger stellt als in anderen Sicherungsbereichen. Hier mag sich die für den deutschen Wohlfahrtsstaat so grundlegende Trennlinie zwischen Armuts- und Arbeiterpolitik auswirken. Naheliegender scheint aber, in der größeren Bedeutung von »deserving«-Kriterien bei der Beurteilung von Sozialhilfeempfängern und Sozialhilfe nicht mehr und nicht weniger als die Besonderheit eines »Minderheitsprogramms« zu sehen: Die meisten Befragten gehen bei der Sozialhilfe schließlich nicht davon aus, jemals zu den Leistungsempfängern zu gehören; umso mehr scheint es dann geboten, etwas genauer hinzusehen, wer zu welchen Bedingungen Leistungen bezieht. Im Kern bestätigt wurde schließlich auch die Annahme über Unterschiede zwischen den Akzeptanzindikatoren (H4): Die Eigenschaften der Leistungsempfänger haben einen deutlich stärkeren Einfluss auf die Präferenzen für oder gegen höhere Leistungen als bei der Frage der staatlichen Zuständigkeit. Der Unterschied ist jedoch insgesamt nicht immer sehr deutlich, und in einem Fall (Gesundheitsversorgung/Krankenversicherung) besteht sogar kein nennenswerter Unterschied zwischen den beiden Akzeptanzindikatoren.
216
Hieraus auf eine größere Bedeutung »positiver« Leistungsempfängereigenschaften zu schließen, wäre jedoch voreilig, weil von den »negativen« nur für die Missbrauchswahrnehmung Ergebnisse für mehrere Bereiche vorliegen.
7 Zusammenfassung: Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates und ihre Bestimmungsgründe
Wie schon in der Einleitung dieser Arbeit betont wurde, können für die beiden in dieser Untersuchung zentralen Fragen nach der Höhe der Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und nach den Erklärungsfaktoren für die Akzeptanzurteile keine »einfachen« Antworten erwartet werden. Hierfür fehlen nicht nur verbindliche Maßstäbe und Standardisierungen; das Phänomen der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz ist auch selbst zu komplex und vielschichtig, als dass man ihm mit einfachen Erklärungsmodellen oder griffigen Formeln (wie »vorhanden – nicht vorhanden« und »hoch – niedrig«) gerecht werden könnte. Die vorangegangenen Analysen haben jedoch einige grundlegende und stabile Muster erkennen lassen, die zusammengenommen ein durchaus kohärentes Bild der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz in Deutschland und ihrer Bestimmungsgründe ergeben. Abschließend sollen die zentralen Aspekte dieses Akzeptanzbildes noch einmal rekapituliert werden. Auch wenn es hierfür keinen verbindlichen Maßstab gibt, zeigen die deskriptiven Analysen (Kapitel 5) deutlich genug, dass die Akzeptanz der konkreten wohlfahrtsstaatlichen Institutionen nicht übermäßig hoch ist. Zu offensichtlich ist die Unzufriedenheit mit der »institutionellen Wirklichkeit« und hier insbesondere mit der Leistungshöhe. Darin ist jedoch, wie betont wurde, keine Abkehr vom Wohlfahrtsstaat zu sehen, sondern »nur« der Ausdruck einer Unzufriedenheit mit dem aktuellen Zustand des Systems der sozialen Sicherung. So sind die Akzeptanzurteile zur Wohlfahrtsstaatlichkeit (staatliche Zuständigkeit, »Leistungsbewertung« und »erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit«) als ein deutliches Indiz für den Wunsch nach »mehr Wohlfahrtsstaat« zu werten. Dieser Eindruck ist gerade in den Bereichen besonders stark, die nicht unbedingt zum Kernbestand des deutschen Wohlfahrtsstaates gezählt werden können (Reduzierung von Einkommensunterschieden, Arbeitsbeschaffung, Ausgaben für Kinderbetreuung). Die hier dargelegten Untersuchungsergebnisse zeigen somit, dass eine deutliche Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach einer umfangreichen wohlfahrtsstaatlichen Absicherung (hohe Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit) und einer überwiegend kritischen Beurteilung der konkreten wohlfahrtsstaatlichen Institutionen besteht (mäßige Akzeptanz des wohlfahrtsstaatlichen Status quo).
242
7 Zusammenfassung
Diese Unterschiede zwischen der Bewertung des wohlfahrtsstaatlichen Status quo und den Präferenzen hinsichtlich der Wohlfahrtsstaatlichkeit unterstreichen, wie wichtig es ist, bei der Einschätzung der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz zwischen diesen beiden Akzeptanzdimensionen zu unterscheiden. In der Überbetonung wohlfahrtsstaatlicher Ziele und der Gleichsetzung ihrer Befürwortung mit Wohlfahrtsstaatsakzeptanz ist daher auch das zentrale Manko der Akzeptanzforschung zum Wohlfahrtsstaat zu sehen – und der Grund für die irreführende Schlussfolgerung, dass die soziale Akzeptanz der bestehenden wohlfahrtsstaatlichen Institutionen sehr hoch sei. Wie gesehen, ist dies jedoch nicht der Fall. Hoch sind vielmehr die Erwartungen in der Bevölkerung hinsichtlich einer umfassenden wohlfahrtsstaatlichen Sicherung. Weder folgt also aus der kritischen Sicht der wohlfahrtsstaatlichen Institutionen eine Ablehnung des Prinzips der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung, noch führen die starken Präferenzen für eine umfassende soziale Absicherung zu einer »apologetischen« Haltung gegenüber den Kerninstitutionen des deutschen Wohlfahrtsstaates. Ein eingehender Vergleich der Regressionsmodelle zeigt zudem, dass vor allem die Präferenzen bezüglich der Leistungshöhe insgesamt besser mit den hier verwendeten Erklärungsfaktoren erklärt werden können als die Institutionenakzeptanz. Fast könnte man sagen, dass zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Gruppen hinsichtlich der Beurteilung der bestehenden wohlfahrtsstaatlichen Institutionen ein breiter »Konsens in Unzufriedenheit« besteht. Dass einzelne Erklärungsfaktoren für bestimmte Akzeptanzindikatoren und -dimensionen, eine besondere Bedeutung haben, die unabhängig vom jeweiligen Sicherungskontext besteht, ist dabei kaum festzustellen. Nur für einige Variablen der sozialen und sozialpolitischen Lage (Bildung, Versorgungsklasse) lässt sich ein etwas stärkerer Einfluss auf die »Leistungsbewertung« nachweisen. Auch die Unterschiede zwischen Befragten aus den westdeutschen und den ostdeutschen Bundesländern sind vor allem bei der Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit (Leistungshöhe; »erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit«) auffallend. Ostdeutsche wünschen deutlich häufiger als Westdeutsche ein höheres Leistungsniveau und eine staatliche Zuständigkeit; im Vergleich dazu sind die Ost-West-Unterschiede bei der Beurteilung des wohlfahrtsstaatlichen Status quo eher gering. Auch zwischen den einzelnen Sicherungssystemen und -bereichen bestehen z.T. deutliche Akzeptanzunterschiede. Dies ist vor allem bei den Präferenzen hinsichtlich des Umfangs der sozialen Sicherung offensichtlich. So besteht bei den beiden großen Sozialversicherungen eine weitgehende Übereinstimmung (auch zwischen Ost- und Westdeutschen), dass das Leistungsniveau zu niedrig ist. Für die Sozialhilfe und die Arbeitslosenversicherung ist ein solcher Konsens dagegen nicht zu erkennen. Trotz dieser Diskrepanz unterscheiden sich die Sozialhilfe und die Arbeitslosenversicherung bei der Beurteilung als Institution (Institutionenakzeptanz, System-
7 Zusammenfassung
243
vertrauen) eher wenig von den anderen Sicherungssystemen, was, so wurde vermutet, womöglich auf ein geringeres Anspruchsniveau in diesen beiden Bereichen zurückzuführen ist. Die entscheidenden Akzeptanzunterschiede zwischen der Sozialhilfe und der Arbeitslosenversicherung auf der einen Seite und der Gesetzlichen Rentenversicherung, der Gesetzlichen Krankenversicherung und den Leistungen für Familien auf der anderen bestehen also bei der Wohlfahrtsstaatlichkeit (»Leistungsbewertung« und staatliche Zuständigkeit). Zumindest insoweit wird damit die Annahme bestätigt, dass Minderheitsprogramme weniger Unterstützung erhalten als solche, deren Leistungen der Bevölkerungsmehrheit in der einen oder anderen Form zugute kommen. Anhand der in Kapitel 6 durchgeführten Analysen wurde zudem deutlich, dass die Akzeptanzurteile gegenüber der Sozialhilfe, der Arbeitslosenversicherung und den Zielen der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« durch die hier herangezogenen Erklärungsfaktoren besser erklärt werden als die Akzeptanz von Gesetzlicher Rentenversicherung und Gesetzlicher Krankenversicherung. Nur wenig Anhaltspunkte gibt es dagegen dafür, dass den verschiedenen Einflussfaktoren bei der Erklärung der Akzeptanz der einzelnen Sicherungssysteme und -bereiche eine unterschiedliche Bedeutung zukommt. Zwar gibt es selektive »Affinitäten« (wie die höheren Präferenzen von Frauen für Ausgaben für die Kinderbetreuung); konsistente, über mehrere Akzeptanzindikatoren und Erklärungsmodelle stabile Einflüsse sind jedoch eher die Ausnahme. Zu diesen gehört die Wirkung der Gerechtigkeitsüberzeugungen auf die Institutionenakzeptanz (vgl. 6.4). Auch in der größeren Bedeutung einer negativen Leistungsempfängerwahrnehmung für die »Leistungsbewertung« von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld kann ein Hinweis auf spezifische Systemrelevanzen gesehen werden. Nicht bestätigt wurde schließlich die Annahme, dass insbesondere die Sozialhilfe stärker als »Mehrheitsprogramme« wie die Kranken- und die Rentenversicherung anhand moralischer Kriterien beurteilt wird. Dies liegt allerdings nicht an einer geringen Bedeutung von Wertüberzeugungen für die Akzeptanzurteile gegenüber der Sozialhilfe (die ist hoch), sondern daran, dass sie auch einen starken Einfluss auf die Beurteilung der beiden großen Sozialversicherungen haben. Im zweiten Kapitel wurden allgemeine Annahmen über die Bedeutung und die Beschaffenheit der Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen anhand der unterschiedlichen Denkmodelle der Wohlfahrtsstaatstheorie entwickelt. Hierzu wurden funktionalistische217, konflikttheoretische, wohlfahrtskulturelle sowie institutionentheoretische Ansätze der Wohlfahrtsstaatstheorie und -forschung hinsichtlich der sich aus ihnen ergebenden Implikationen für Fragen der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz 217
Da sich, wie gezeigt wurde, aus funktionalistischen Ansätzen der Wohlfahrtsstaatstheorie keine für den Zweck dieser Untersuchung relevanten Annahmen über die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme gewinnen lassen, beschränkt sich die folgende Darstellung auf die drei anderen wohlfahrtsstaatstheoretischen Paradigmen.
244
7 Zusammenfassung
untersucht. Abschließend sollen die in den einzelnen empirischen Kapiteln weiterverfolgten Fäden wieder etwas zusammengeführt und eine Gesamteinschätzung über die maßgeblichen Erklärungsfaktoren der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz versucht werden. Aus der Diskussion der unterschiedlichen Ansätze in der Wohlfahrtsstaatstheorie ging hervor, dass vor allem die konflikttheoretische Perspektive unterschiedliche Annahmen über die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Sicherungssysteme nahe legt. Insgesamt wurden drei Arten latenter Gegensätze im Verhältnis zum Wohlfahrtsstaat ausgemacht, die sich auch in Akzeptanzunterschieden niederschlagen können: Interessengegensätze zwischen sozialen Klassen, zwischen Versorgungsklassen sowie zwischen unterschiedlichen Generationslagen. Die klassentheoretischen Annahmen wurden in Kapitel 6.1 anhand der »Leistungsbewertung« beim Arbeitslosengeld und der Sozialhilfe geprüft sowie anhand der Präferenzen für eine staatliche Zuständigkeit für die Aufgaben »Arbeitsplatzbeschaffung« und »Abbau von Einkommensunterschieden«. Dabei wurden zwei Fragen verfolgt: Zum einen war zu klären, ob – wie es konflikttheoretische Überlegungen nahe legen – Arbeiter das System der sozialen Sicherung stärker unterstützen als andere Bevölkerungsgruppen. Zum anderen waren die gegensätzlichen Annahmen über das Verhältnis der »Mittelklassen« zur wohlfahrtsstaatlichen Sicherung (gelungene Integration in den Wohlfahrtsstaat vs. »welfare backlash«) zu beurteilen. Insgesamt ergaben sich jedoch nur wenige Hinweise auf Gegensätze zwischen sozialen Klassen. Dies gilt sowohl für die Annahme einer stärkeren Wohlfahrtsstaatsakzeptanz bei den Arbeitern als auch für die »Mittelklassenthese«. Für die Arbeiter ließen sich immerhin noch etwas stärkere Präferenzen für einige wohlfahrtsstaatliche Bereiche (Höhe des Arbeitslosengeldes, »Verringerung der Einkommensunterschiede«) nachweisen. Bei Kontrolle weiterer Interessenparameter erwiesen sich diese jedoch nur selten als stabil. Die Klassenunterschiede bei der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz entsprechen insofern zwar in gewisser Weise den theoretischen Erwartungen; sie sind aber nur gering und werden von anderen Gegensätzen und Erklärungsfaktoren deutlich überlagert. Insbesondere bei der »Leistungsbewertung« der Sozialhilfe waren zudem auch Anzeichen für eine Spaltung zwischen »Insidern« (wohlfahrtsstaatlich Abgesicherten) und »Outsidern« festzustellen. Da selbst in den Bereichen, in denen am ehesten von traditionalen Klassengegensätzen auszugehen ist (Minderheitsprogramme; Präferenzen bezüglich der Leistungshöhe), nur geringe »Klassenunterschiede« bei den Akzeptanzurteilen festgestellt werden konnten, kann davon ausgegangen werden, dass solche Unterschiede in anderen Bereichen (insbes. der Gesetzlichen Rentenversicherung und der Gesetzlichen Krankenversicherung sowie bei der Beurteilung des Status quo) eher noch geringer oder gar nicht vorhanden sind. Die konkurrierenden Annahmen über die Mittelschichten konnten im Rahmen dieser Untersuchung nur zum Teil überprüft werden. Aber zumindest auf der Grund-
7 Zusammenfassung
245
lage der zur Verfügung stehenden Indikatoren konnte keine besondere Positionierung der Mittelklassen im Sinne eines »welfare backlash« festgestellt werden (vgl. Kapitel 6.1). Insgesamt gibt es jedoch einige Hinweise darauf, dass Angehörige der Mittelschichten den Wohlfahrtsstaat etwas weniger unterstützen als Arbeiter. Dies zeigen nicht nur die stärkeren Präferenzen von Arbeitern bei der »erweiterten Wohlfahrtsstaatlichkeit« und bei der Höhe von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe, sondern vor allem die häufig zu beobachtenden Effekte der Bildungsvariable. So fällt auf, dass das höchste formale Bildungsniveau fast durchgängig negative Effekte auf die »Leistungsbewertung« hat: Personen mit hohem Bildungsgrad wünschen sich also meist ein geringeres Leistungsniveau als andere.218 Zudem bestehen zum Teil deutliche Wirkungen des Haushaltseinkommens und der Selbstverortung auf der Oben-Unten-Skala. Zusammengefasst lassen sich diese Differenzen als »Schichtunterschiede« bei der Beurteilung der sozialen Sicherung interpretieren. Schließlich war auch für die Frage, inwieweit unterschiedliche Vorstellungen über den Wohlfahrtsstaat (partei)politisch geprägt sind, ähnliches festzustellen wie für die sozialen Klassen: Die Parteiaffinität hat insgesamt sogar nur einen sehr schwachen Einfluss auf die allgemeine Akzeptanz der sozialen Sicherung. Klassische Rechts-Links-Unterschiede ließen sich in nur sehr geringem Maße und nur beim Ziel der Verringerung von Einkommensunterschieden nachweisen. Auch der Einfluss des Versorgungsklassenstatus erwies sich insgesamt als eher gering (vgl. Kap. 6.2). Hier wurden jedoch zum Teil deutliche Unterschiede zwischen Mehrheits- und Minderheitsprogrammen sichtbar. So hat der Versorgungsoder Finanzierungsklassenstatus fast keinen Einfluss auf die Akzeptanzurteile über die Rentenversicherung, wohl aber auf die Akzeptanz von Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe. Der Versorgungsklassenstatus beeinflusst die Akzeptanzurteile aber vor allem dort, wo ein entsprechender Einfluss auch besonders naheliegend ist, nämlich bei den Präferenzen hinsichtlich der Leistungshöhe: Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger wünschen sich häufiger ein höheres Leistungsniveau als Erwerbstätige und andere Versorgungsklassen. Damit wurde die Annahme, dass sich der Versorgungsklassenstatus vor allem auf die Beurteilung der Leistungshöhe auswirkt, zumindest in der Tendenz bestätigt. Wie bei den sozialen Klassen sind auch die Unterschiede zwischen den konkurrierenden (positiven) Versorgungsklassen sowie zwischen Finanzierungs- und Versorgungsklassen jedoch gering und machen »Konfliktszenarien« eher unwahrscheinlich. Für einen Generationenkonflikt im Kontext der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung gibt es schließlich selbst dort, wo dieser nahe zu liegen scheint, kaum Anzeichen. Zwar sind sowohl bei der Beurteilung der Rentenversicherung als auch bei den Leis218
Für die Institutionenakzeptanz bestehen vergleichbare Bildungseffekte allerdings nicht.
246
7 Zusammenfassung
tungen für Familien Unterschiede zwischen Altersgruppen festzustellen; sie erwiesen sich aber alles in allem als zu gering, um die Behauptung eines wohlfahrtsstaatlichen Generationenkonflikts zu rechtfertigen (vgl. Kapitel 6.3). Insgesamt gibt es damit wenig Anhaltspunkte für sozialstrukturell und sozialpolitisch geprägte Interessenkonflikte um die soziale Sicherung. Zwar sind für alle drei allgemeinen Annahmen über die Wohlfahrtsstaatsakzeptanz – das Bestehen von Akzeptanzunterschieden zwischen sozialen Klassen, Versorgungsklassen und Generationen (Altersgruppen) – empirische Evidenzen zu finden. Sie bestätigen aber nur die Behauptung, dass solche Unterschiede bei der Beurteilung wohlfahrtsstaatlicher Institutionen bestehen. Denn die jeweiligen Unterschiede bzw. Wirkungen sind insgesamt zu gering, und die Bedeutung anderer Erklärungsfaktoren ist zu groß (s.u.), als dass sich mit ihnen die »anspruchsvollere« Annahme von Interessengegensätzen, wenn nicht gar von (latenten) Konflikten im Feld der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung begründen ließe. Ein solches, sich aus materialen Interessenlagen ableitendes Konfliktpotenzial kann bestenfalls für die »Ränder der Wohlfahrtsstaatlichkeit« (wie insbes. für das Ziel einer Reduzierung von Einkommensunterschieden) vermutet werden. Ein deutlich stärkerer Einfluss war dagegen für die Bedeutung subjektiver Interessendefinitionen festzustellen. Beide hier verwendeten Indikatoren – die jeweils spezifische Risikoaversion und die allgemeinen Reziprozitätserwartungen – haben eine deutliche Wirkung auf die Akzeptanzurteile. Dies gilt für beide Akzeptanzdimensionen bzw. -indikatoren (Institutionenakzeptanz und »Leistungsbewertung«) gleichermaßen. Die Akzeptanz der untersuchten Sicherungssysteme wird somit weit besser durch die subjektiven Interessen erklärt als durch die objektive sozialpolitische Interessenlage. So ist selbst für die Selbstverortung auf der Oben-Unten-Skala ein stärkerer Einfluss auf die Akzeptanzurteile festzustellen als für objektive Indikatoren der sozialen Lage. Wie im zweiten Kapitel erläutert wurde, betonen wohlfahrtskulturelle Ansätze die Bedeutung grundlegender Werte, Ideologien und der weiteren »Moralökonomie« als Voraussetzung und Ursache der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung. Für die Wohlfahrtsstaatsakzeptanz legt dies die Annahme nahe, dass die Akzeptanzurteile maßgeblich durch die Handlungs- und Wertorientierungen der sozialpolitischen Adressaten beeinflusst werden. Diese Annahme konnte anhand von zwei Arten von Wert- und Handlungsorientierungen bestätigt werden (Abschnitt 6.4). Insbesondere Gerechtigkeitsüberzeugungen haben einen unverkennbaren und von Interessenparametern unabhängigen Einfluss auf die Akzeptanzurteile über soziale Sicherungssysteme. Dies gilt für beide Akzeptanzdimensionen, also sowohl für die Institutionenakzeptanz als auch für die »Leistungsbewertung«. Dafür, welche Gerechtigkeitsüberzeugungen im Einzelnen bedeutsam sind, ist in erster Linie der »Systemkontext« entscheidend. So konn-
7 Zusammenfassung
247
te u.a. gezeigt werden, dass für die Institutionenakzeptanz der Rentenversicherung andere Gerechtigkeitsüberzeugungen bedeutsam sind als für die der Sozialhilfe. Für die drei untersuchten Handlungs- und Sozialorientierungen (Befürwortung von Eigenverantwortung, Solidaritätsorientierung und Verpflichtung zu Reziprozität) konnte dagegen nur ein sporadischer Einfluss auf die Akzeptanzurteile nachgewiesen werden. Insbesondere von der »Solidaritätsorientierung« (und in etwas geringerem Maße auch von der Befürwortung von »Eigenverantwortung«) war eine größere Wirkung auf die Wohlfahrtsstaatsakzeptanz erwartet worden. Die allgemeinen, aus wohlfahrtskulturellen Überlegungen gewonnenen Annahmen über die Akzeptanzursachen und -unterschiede erfahren zudem durch die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen Bestätigung. Denn wie fast alle Analysen in Kapitel 6 zeigen, bleiben diese Unterschiede auch dann bestehen, wenn die zentralen Interessenparameter und Handlungsorientierungen kontrolliert werden. Die stärkeren Präferenzen von Ostdeutschen für ein höheres Leistungsniveau und eine stärkere staatliche Zuständigkeit können daher nicht auf unterschiedliche Interessenlagen (insbesondere nicht auf eine höhere Arbeitslosigkeit oder ein geringeres Einkommen) zurückgeführt werden. Sie lassen sich vermutlich am besten als Ausdruck einer anderen, nämlich stärker etatistischen Erwartungshaltung gegenüber dem (Wohlfahrts)Staat interpretieren. In der institutionalistischen Perspektive kommt der organisatorischen Ausgestaltung der sozialen Sicherung eine entscheidende Bedeutung für deren »Akzeptabilität« (Chancen auf Akzeptanz) zu. Dies wurde im Rahmen dieser Untersuchung für die zumindest teilweise durch die Sicherungssysteme erst gebildeten Typen von Leistungsempfängern anhand mehrerer »deservingness«-Kriterien untersucht (vgl. Kapitel 6.5). Es konnte gezeigt werden, dass die Wahrnehmung der Leistungsempfänger, das »Leistungsempfängerbild«, einen erheblichen Einfluss auf die Akzeptanzurteile über die jeweiligen Sicherungsbereiche (Wohlfahrtsstaatlichkeit) hat. So wirkt sich eine positive Wahrnehmung von Leistungsempfängern in allen Sicherungsbereichen akzeptanzverstärkend aus. Eine akzeptanzmindernde Wirkung geht zudem von victimisierenden Haltungen gegenüber Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern aus. Zumindest für die »deservingness« der Leistungsempfänger können damit die aus institutionentheoretischen Überlegungen entwickelten Annahmen über die Ursachen der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz als bestätigt gelten. Ein Vergleich der Einzelanalysen (aus Kapitel 6) ergibt insgesamt folgendes Bild: 1.
Den größten Erklärungswert für die Akzeptanzurteile über wohlfahrtsstaatliche Institutionen und sozialpolitische Aufgaben haben subjektive Interessendefinitionen, Gerechtigkeitsüberzeugungen und die Wahrnehmung der Leistungsempfänger (»deservingness«-Kriterien).
248 2.
3. 4.
5.
7 Zusammenfassung
Die Bedeutung sozialstruktureller Unterschiede und sozialpolitisch bestimmter Interessenlagen ist demgegenüber als gering einzuschätzen. Zwar sind insbesondere bei der Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit in mehreren Fällen entsprechende Unterschiede nachweisbar (Präferenzen für höhere Leistungen bei Arbeitern und bei positiven Versorgungsklassen); diese entsprechen aber in keiner Weise der Bedeutung, die aufgrund der dargelegten theoretischen Überlegungen zu erwarten war. Dies gilt gleichermaßen für die Klassenlage wie für die sozialpolitische Verteilungsposition. Subjektive Interessendefinitionen sind für beide Akzeptanzdimensionen wichtig und für die Erklärung der Akzeptanzurteile von größerer Bedeutung als »objektive« Interessenlagen. Wohlfahrtskulturelle und institutionalistische Ansätze der Wohlfahrtsstaatstheorie – bzw. die aus ihnen abgeleiteten Annahmen über den Einfluss von Wertorientierungen und »deservingness«-Kriterien auf die Wohlfahrtsstaatsakzeptanz – werden durch die hier präsentierten Ergebnisse insgesamt deutlich mehr unterstützt als die verschiedenen konflikttheoretischen Annahmen. Es wäre jedoch voreilig, vom relativ geringen Einfluss der sozialen und sozialpolitischen Interessenlagen bei der Beurteilung der Sicherungssysteme auf deren völlige Bedeutungslosigkeit zu schließen. Insbesondere bei den beiden großen Sozialversicherungen ist eher von einer gewissen Interessenkongruenz zwischen unterschiedlichen sozialen und sozialpolitischen Lagen auszugehen.219
Insgesamt kann eines aber nicht übersehen werden: Wenn es im deutschen Modell des Wohlfahrtsstaates jemals stärkere sozialstrukturell geprägte Gegensätze gegeben hat, so sind von diesen nur noch Spurenelemente übrig geblieben. Der Wohlfahrtsstaat ist, wie dies auch aufgrund theoretischer Überlegungen zu erwarten war, längst »in der Mitte angekommen«. Die entscheidenden Verwerfungslinien, so hat es den Eindruck, liegen heute woanders. Nicht »Klassencleavages«, sondern kulturelle Unterschiede, wenn nicht Gegensätze, sind primär für die unterschiedlichen Akzeptanzurteile ursächlich. Vorstellungen vom richtigen Maß und der angemessenen Form der sozialen Sicherung werden dabei durch konkurrierende Deutungsmuster geprägt. Die Auseinandersetzung um die Umgestaltung des Wohlfahrtsstaates wird daher auch wesentlich eine um die »Deutungshoheit« im Kontext der sozialen Sicherung sein. Für die zukünftige Ausgestaltung der Sozialpolitik ergeben sich aus den hier vorgestellten Ergebnissen zur Wohlfahrtsstaatsakzeptanz in Deutschland insgesamt vor allem drei zentrale Implikationen:
219
Die breite Streuung der Akzeptanzurteile und die oft eher geringe Modellgüte der Regressionsanalysen machen deutlich, dass das weitgehende Fehlen sozialstrukturell oder verteilungspolitisch geprägter Gegensätze dennoch nicht als »sozialpolitischer Konsens« zu deuten ist.
7 Zusammenfassung
249
Zunächst sollte deutlich geworden sein, dass jede Reformpolitik, die einen Rückzug staatlicher und parastaatlicher Instanzen aus zentralen Bereichen der sozialen Sicherung zum Ziel hat, im deutlichen Gegensatz zu den Bedürfnissen und Erwartungen der Sozialbürger steht. Inwiefern hieraus Widerstände gegen eine grundlegende Umgestaltung des Wohlfahrtsstaates erwachsen, dürfte auch davon abhängen, in welchem Maße es gelingt (sofern dies überhaupt beabsichtigt ist), die Ansprüche und Präferenzen der Bürger mit veränderten sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Einklang zu bringen. Dabei besteht immer die Gefahr, dass reformpolitische Untätigkeit – etwa infolge einer Neigung zur »blame avoidance« (Pierson 1996) oder aufgrund von »Politikverflechtungsfallen« (Scharpf 1985) – dazu beiträgt, das Vertrauen in die zentralen Wohlfahrtsinstitutionen weiter zu untergraben. Gleichzeitig ist aber auch möglich, dass die anhaltende Reformdiskussion und der nahezu ununterbrochene Strom von Reformen (inkl. Korrekturen und »Nachbesserungen«) in der Bevölkerung Verunsicherung erzeugen und dass dadurch die Institutionenakzeptanz und insbesondere das Systemvertrauen regelrecht »zerredet« (bzw. »de(re)formiert«) werden. Wie die hier vorgestellten Ergebnisse deutlich machen, sind das Vertrauen in die Zuverlässigkeit zentraler Sicherungssysteme und die Zufriedenheit mit ihren Leistungen schon jetzt eher gering. Für den Umbau des Wohlfahrtsstaates liegt hierin, dies ist die zweite Implikation, aber auch eine Chance. Denn die eher geringe Akzeptanz des wohlfahrtsstaatlichen Status quo kann auch bedeuten, dass bei einem Festhalten an den zentralen wohlfahrtsstaatlichen Zielen und an einer staatlichen Verantwortlichkeit durchaus Akzeptanzspielraum dafür besteht, wie diese Ziele erreicht werden und welche Rolle der Wohlfahrtsstaat dabei spielt. In der Bevölkerung scheint zumindest hinreichend »Kontingenzbewusstsein« vorhanden zu sein, um zu erkennen, dass auch andere Formen der sozialen Sicherung zu den gewünschten Ergebnissen (wenn nicht gar zu besseren) führen können. Jenseits einer radikalen Liberalisierung der Vorsorge und Privatisierung sozialer Risiken ist daher ein weites Spektrum wohlfahrtsstaatlicher Alternativen vorstellbar, die durchaus mit einer hohen Akzeptanz in der Bevölkerung rechnen können. Grundsätzlich gilt dies auch für die Rolle des (Wohlfahrts)Staates: So ist keineswegs entschieden, dass etwa ein weitgehender Rückzug des Wohlfahrtsstaates auf eine »Gewährleistungsfunktion« (Sicherung der Finanzierung und Kontrollfunktionen) auf Ablehnung stoßen würde. Hinsichtlich der zukünftigen Wohlfahrtsstaatsakzeptanz sowie der schwierigeren Frage der Akzeptabilität sozialer Sicherungssysteme wird schließlich zum einen entscheidend sein, wie sehr sie den Interessen der wohlfahrtsstaatlichen Adressaten entsprechen. Da individualisierte Lebenslagen und subjektive Interessendefinitionen hierbei immer mehr an Bedeutung gewinnen, wird die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme auch in zunehmendem Maße davon abhängen, wie flexibel diese auf die vielfältigen Sicherheitsbedürfnisse und Gestaltungswünsche reagieren. Der Wohl-
250
7 Zusammenfassung
fahrtsstaat ist aber wesentlich eine normative Institution, der grundlegende Wertentscheidungen zugrunde liegen. Wie die Analysen zur Bedeutung von Gerechtigkeitsüberzeugungen und allgemeinen Handlungsorientierungen gezeigt haben, ist die Wohlfahrtsstaatsakzeptanz daher immer auch – und oft zentral – eine »Frage der Moral«, bei der es im Kern darum geht, wie das Zusammenleben in einer Gesellschaft gestaltet werden soll. Auch sozialpolitisch bedeutsame Wertvorstellungen, die als Ausdruck einer allgemeinen, sich nur langsam verändernden Wohlfahrtskultur aufgefasst werden können, beschränken also die zukünftigen Gestaltungsmöglichkeiten von wohlfahrtsstaatlicher Politik, sofern diese auf die Ressource Akzeptanz nicht verzichten will. So zeigen Bemühungen um eine Akzentuierung der Eigenverantwortung und eine Stärkung der privaten Vorsorge schon heute, dass es oft weniger die »Interessen« und materiellen Ressourcen sind, von denen Widerstand gegen Wohlfahrtsstaatsreformen ausgeht, als vielmehr eine geringe »Bereitschaft«, den politischen Vorgaben Folge zu leisten, bzw. das Fehlen der dazu notwendigen kognitiven und moralischen Ressourcen. Insofern haben auch Klagen über eine mangelnde Reformbereitschaft der Bürger durchaus ihre Berechtigung, greifen aber bei der Ursachendiagnose zu kurz. Gänzlich unangebracht wäre es auch, die wohlfahrtsstaatsfreundliche Haltung weiter Teile der Bevölkerung zu verurteilen. Hier wäre zunächst genau zwischen einer Uneinsichtigkeit in tatsächlich unvermeidliche Reformbedarfe und einer letztlich legitimen Verteidigung sozialer Rechte zu unterscheiden. In diesem Sinne sollten auch die hier vorgestellten Befunde zur Wohlfahrtsstaatsakzeptanz in Deutschland nicht als Ausdruck einer reformunwilligen Borniertheit verstanden werden, sondern als logische Folge eines starken individuellen Sicherungsbedürfnisses und einer gleichzeitig hohen Solidaritätsbereitschaft. Auch für die zukünftige Akzeptanzforschung zum Wohlfahrtsstaat legen die hier präsentierten Ergebnisse zur Wohlfahrtsstaatsakzeptanz in Deutschland zwei zentrale Implikationen nahe. Die erste betrifft das Spektrum der herangezogenen Erklärungsfaktoren. So hat sich gezeigt, dass aus der sozialen Position (Schicht/Klasse, Alter, Geschlecht etc.) abgeleitete Interessenparameter für die Erklärung wohlfahrtsstaatlicher Akzeptanz unzureichend sind. Ähnliches war für den differenziert erfassten Versorgungsklassenstatus festzustellen, also für einen Interessenindikator, der eng auf den Sozialpolitikkontext bezogen ist. Wie auch die im zweiten Kapitel zusammengefassten Überlegungen unterstreichen, ist zwar nicht auszuschließen, dass in anderen Wohlfahrtsstaaten (insbesondere des liberalen Typs) sowohl sozialstrukturell geprägte Gegensätze als auch solche zwischen Versorgungs- und Finanzierungsklassen von größerer Bedeutung sind, als es sich in dieser Untersuchung herausgestellt hat. Viel spricht jedoch dafür, dass die Erklärungsfaktoren, die sich hier als tragfähiger erwiesen haben als sozialstrukturelle
7 Zusammenfassung
251
Variablen, auch in anderen wohlfahrtsstaatlichen Kontexten einen wichtigen Einfluss auf die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen ausüben. Vor allem subjektive Interessendefinitionen, grundlegende Handlungs- und Wertorientierungen sowie institutionelle Variablen und die Leistungsempfängerwahrnehmung sollten daher als wichtige potenzielle Erklärungsfaktoren systematisch in Akzeptanzanalysen berücksichtigt werden. Mehr Beachtung sollte in der Akzeptanzforschung zum Wohlfahrtsstaat aber zukünftig vor allem die Unterscheidung zwischen der Akzeptanz der bestehenden wohlfahrtsstaatlichen Institutionen und der Akzeptanz von Wohlfahrtsstaatlichkeit finden. Denn wie die hier gezeigten Analysen der Akzeptanzurteile verdeutlichen, kann weder von der Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit auf die der bestehenden Wohlfahrtsinstitutionen geschlossen werden, noch in die umgekehrte Richtung. Hier ist sowohl in theoretischer als auch in messtechnischer Hinsicht ein Umdenken erforderlich. So lässt sich die (oft nur) latente Gleichsetzung von Wohlfahrtsstaatsakzeptanz und der Akzeptanz der Wohlfahrtsstaatlichkeit nicht länger aufrechterhalten. Vor allem Frage-Items aus international vergleichenden Projekten (u.a. Eurobarometer und International Social Survey Programme) zielen ausschließlich auf die Dimension der Wohlfahrtsstaatlichkeit. Doch wie auch an den hierbei durchaus ähnlichen Ergebnissen für Wohlfahrtsstaaten abzulesen ist (Ullrich 2005: 218), die sich hinsichtlich ihrer »wohlfahrtsstaatlichen Performanz« deutlich unterscheiden (z.B. Schweden und Russland), wäre es ein Trugschluss, von der hohen Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Ziele oder aus hohen Präferenzen für eine staatliche Form der sozialen Absicherung auf eine hohe Unterstützung der konkreten Wohlfahrtsinstitutionen in den einzelnen Ländern zu schließen. Die zum Teil sehr »optimistische« Einschätzung der Wohlfahrtsstaatsakzeptanz, die in vielen international vergleichenden Untersuchungen zu finden ist, ist daher entsprechend zu modifizieren. Trotz der damit verbundenen methodischen Probleme ist schließlich auch in der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung vermehrt darauf zu achten, dass neben der Wohlfahrtsstaatlichkeit auch die Akzeptanz der in den einzelnen Wohlfahrtsstaaten jeweils bestehenden sozialen Sicherungssysteme erfasst wird.
Literaturverzeichnis
Alber, Jens (1982): Vom Armenhaus zum Wohlfahrtsstaat. Analysen zur Entwicklung der Sozialversicherung in Westeuropa. Frankfurt/New York: Campus. Alber, Jens (1984): Versorgungsklassen im Wohlfahrtsstaat. Überlegungen und Daten zur Situation in der Bundesrepublik. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 36: 225-251. Andersen, Jørgen Goul (1993): Sources of Welfare-State Support in Denmark: Self-Interest or Way of Life? In: Erik Jørgen Hansen; Stein Ringen; Hannu Uusitalo; Robert Erikson (Hrsg.): Welfare Trends in the Scandinavian Countries. Armonk (N.Y.): Sharpe. S. 25-48. Andersen, Jørgen Goul (1999): Changing Labour Markets, New Social Divisions and Welfare State Support: Denmark in the 1990s. In: Stefan Svallfors; Peter Taylor-Gooby (Hrsg.): The End of the Welfare State? Responses to State Retrenchment. London: Routledge. S. 13-33. Andreß, Hans-Jürgen; Heien, Thorsten; Hofäcker, Dirk (2001): Wozu brauchen wir noch den Sozialstaat? Der deutsche Sozialstaat im Urteil seiner Bürger. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Arts, Wil; Gelissen, John (2001): Welfare States, Solidarity and Justice Principles: Does the Type Really Matter? Acta Sociologica 44: 283-299. Bacher, Johann; Stelzer-Orthofer, Christine (1997): Das Ende des wohlfahrtsstaatlichen Konsenses? Eine theoretische und empirische Annäherung. Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 26: 165-178. Bäcker, Gerhard; Koch, Angelika (2003): Die Jungen als Verlierer? Alterssicherung und Generationengerechtigkeit. WSI-Mitteilungen 56 (2): 111-117. Baldwin, Peter (1990): The Politics of Social Solidarity: Class Bases of the European Welfare State 18751975. Cambridge: Cambridge University Press. Berger, Johannes (1998): Was behauptet die Marxsche Klassentheorie – und was ist davon haltbar? In: Hans-Joachim Giegel (Hrsg.): Konflikt in modernen Gesellschaften. Frankfurt/M.: Suhrkamp. S. 29-60. Beyer, Jürgen (2005): Pfadabhängigkeit ist nicht gleich Pfadabhängigkeit! Wider den impliziten Konservatismus eines gängigen Konzepts. Zeitschrift für Soziologie 34 (1): 5-21. Beyme, Klaus von (1984): Unregierbarkeit in westlichen Demokratien. Leviathan 12: 39-49. Blekesaune, Morten; Quadagno, Jill (2003): Public Attitudes Toward Welfare State Policies. A Comparative Analysis for 24 Nations. European Sociological Review 19 (5): 415-427. BMAS (1980): Bürger und Sozialstaat, hrsg. vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Forschungsbericht Nr. 22. München. BMAS (1983): Herausforderungen der Sozialpolitik, hrsg. vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Forschungsbericht Nr. 92. München. Bobo, Lawrence; Licari, Frederick C. (1989): Education and Political Tolerance: Testing the Effects of Cognitive Sophistication and Target Group Affect. The Public Opinion Quarterly 53 (3): 285-308. Bode, Ingo (1999): Solidarität im Vorsorgestaat. Der französische Weg sozialer Sicherung und Gesundheitsversorgung. Frankfurt/New York: Campus. Boeri, Tito; Börsch-Supan, Axel; Tabellini, Guido (2000): Die Reformbereitschaft der Bürger. Umfrage in vier Ländern. Köln: Deutsches Institut für Altersvorsorge.
Literaturverzeichnis
253
Bonoli, Giuliano (2000): Public Attitudes to Social Protection and Political Economy Traditions in Western Europe. European Societies 2: 431-452. Borchert, Jens (1998): Ausgetretene Pfade? Zur Statik und Dynamik wohlfahrtsstaatlicher Regime. In: Stephan Lessenich; Ilona Ostner (Hrsg.): Welten des Wohlfahrtskapitalismus. Der Sozialstaat in vergleichender Perspektive. Frankfurt/New York: Campus. S. 139-176. Börsch-Supan, Axel; Heiss, Florian; Winter, Joachim (2004): Akzeptanzprobleme bei Rentenreformen. Wie die Bevölkerung überzeugt werden kann. Köln: Deutsches Institut für Altersvorsorge. Bowles, Samuel; Gintis, Herbert (2000): Reciprocity, Self-Interest, and the Welfare State. Nordic Journal of Political Economy 26: 33-53. Braun, Hans (1972): Die Einschätzung der sozialen Sicherung durch ältere Arbeitnehmer. Soziale Sicherheit 21: 167-169. Brauns, Hilde; Steinmann Susanne (1999): Educational Reform in France, West-Germany and the United Kingdom: Updating the Casmin Classification. ZUMA-Nachrichten 44: 7-45. Brauns, Hilde; Scherer, Stefani; Steinmann, Susanne (2003): The CASMIN-Classification in International Comparative Research. In: Jürgen H.P. Hoffmeyer-Zlotnik; Christof Wolf (Hrsg.): Advances in CrossNational Comparison. A European Working Book for Demographic and Socio-Economic Variables. New York: Kluwer. S. 221-244. Breen, Richard (1997): Risk, Recommodification and Stratification. Sociology 31 (3): 473-489. Brenke, Karl; Peter, Michael (1985): Arbeitslosigkeit im Meinungsbild der Bevölkerung. In: Michael von Klipstein; Burkhard Strümpel (Hrsg.): Gewandelte Werte, erstarrte Strukturen. Wie Bürger Wirtschaft und Arbeit erleben. Bonn: Verlag Neue Gesellschaft. S. 87-127. Brook, Lindsay; Hall, John; Preston, Ian (1996): Public Spending and Taxation. In: Roger Jowell et al. (Hrsg.): British Social Attitudes: The 13th Report. Aldershot: Gower. S. 185-202. Bulmahn, Thomas (2003): Zur Entwicklung der privaten Altersvorsorge in Deutschland. Vorsorgebereitschaft, Vorsorgeniveau und erwartete Absicherung im Alter. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 55 (1): 29-54. Bulmahn, Thomas; Mau, Steffen (1996): Zufriedenheit und Zukunftserwartungen: Tendenz fallend. Vom Wohlfahrtsklima der 80er Jahre zum Problemklima der 90er Jahre. ISI (Informationsdienst Soziale Indikatoren) 16 (7): 5-8. Cnaan, Ram A. (1989): Public Opinion and the Dimensions of the Welfare State. Social Indicators Research 21: 297-314. Coenders, Marcel; Scheepers, Peer (2003): The Effect of Education on Nationalism and Ethnic Exclusionism: An International Comparison. Political Psychology 24 (2): 313-343. Confalonieri, Maria A.; Newton, Kenneth (1995): Taxing and Spending: Tax Revolt or Tax Protest? In: Ole Borre; Elinor Scarbrough (Hrsg.): The Scope of Government. Beliefs in Government, Vol. III. Oxford: Oxford University Press. S. 121-148. Cook, Fay Lomax (1979): Who should be Helped. Public Support for Social Services. Beverly Hills, CA: Sage. Cook, Fay Lomax; Barrett, Edith J. (1992): Support for the American Welfare State. The Views of Congress and the Public. New York: Columbia University Press. Coughlin, Richard M. (1979): Social Policy and Ideology: Public Opinion in Eight Rich Nations. Comparative Social Research 2: 3-40. Christoph, Bernhard (2006): Wohlfahrtsstaatliche Einstellungen, die Bewertung wohlfahrtsstaatlicher Sicherungssysteme und ihr Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Leistungsempfängern am Beispiel der Arbeitslosenversicherung und der Sozialhilfe. Mannheim: Ms. Dallinger, Ursula (2001): Die Konstruktion des »guten« Generationenverhältnisses. Semantiken und Akzeptanzgrundlagen des Rentensystems. In: Gertrud Backes; Wolfgang Clemens; Klaus R. Schroeter (Hrsg.): Zur Konstruktion sozialer Ordnungen des Alter(n)s. Opladen: Leske & Budrich. S. 119-141.
254
Literaturverzeichnis
Dallinger, Ursula (2003): Die Akzeptanz der staatlichen Alterssicherung. Gibt es einen »Generationenkonflikt«? In: Jutta Allmendinger (Hrsg.): Entstaatlichung und soziale Sicherheit. Verhandlungen des 31. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Leipzig 2002. Beiträge aus Arbeitsgruppen, Sektionssitzungen und Ad hoc-Gruppen (CD-ROM). Opladen: Leske & Budrich. Dallinger, Ursula; Liebig, Stefan (2004): Gerechtigkeit zwischen den Generationen in der wohlfahrtsstaatlichen Alterssicherung. In: Stefan Liebig; Holger Lengfeld; Steffen Mau (Hrsg.): Verteilungsprobleme und Gerechtigkeit in modernen Gesellschaften. Frankfurt/New York: Campus. S. 97-131. De Swaan, Abram (1988): In Care of the State. Health Care, Education and Welfare in Europe and the USA in the Modern Era. Cambridge: Polity Press. Dehlinger, E.; Brennecke, R. (1992): Die Akzeptanz der sozialen Sicherung in der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland. Zeitschrift für Gesundheitswesen 54: 229-243. Deutsch, Morton (1975): Equity, Equality, and Need: What Determines Which Value Will be used as the Basis of Distributive Justice? Journal of Social Issues 31 (3): 137-149. Diekmann, Andreas (1999): Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. Reinbek: Rowohlt. Dierkes, Meinolf (1986): Das Unbehagen um die Technik. Ein Beitrag zur Akzeptanz-Problematik neuer Technologien. In: Friedhelm Gehrmann (Hrsg.): Arbeitsmoral und Technikfeindlichkeit. Über demoskopische Fehlschlüsse. Frankfurt/New York: Campus. S. 215-228. Döring, Diether; Nullmeier, Frank; Pioch, Roswitha; Vobruba, Georg (1995): Gerechtigkeit im Wohlfahrtsstaat. Marburg: Schüren. Durkheim, Emile (1988 [1893]): Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer Gesellschaften. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Eardley, Tony; Matheson, George (1999): Australian Attitudes to Unemployment and Unemployed People. SPRC Discussion Paper No. 102. Sydney: Social Policy Research Centre. Easton, David (1965): A Systems Analysis of Political Life. New York: John Wiley & Sons. Easton, David (1975): A Re-Assessment of the Concept of Political Support. British Journal of Political Science 5: 435-457. Ebbinghaus, Bernhard (2005): Can Path Dependence Explain Institutional Change? Two Approaches Applied to Welfare State Reform. MPIfG Discussion Paper 05/2. Köln: Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. Edlund, Jonas (1999): Progressive Taxation Farewell? Attitudes to Income Redistribution and Taxation in Sweden, Great Britain and the United States. In: Stefan Svallfors; Peter Taylor-Gooby (Hrsg.): The End of the Welfare State? Responses to State Retrenchment. London: Routledge. S. 106-134. Erikson, Robert; Goldthorpe, John (1992): The Constant Flux. A Study of Class Mobility in Industrial Societies. Oxford: Clarendon Press. Erikson, Robert; Goldthorpe, John H.; Portocarero, Lucienne (1979): Intergenerational Class Mobility in three Western European Societes: England, France and Sweden. British Journal of Sociology 30: 415441. Ervasti, Heikki (2001): Class, Individualism and the Finnish Welfare State. Journal of European Social Policy 11 (1): 9-23. Esping-Andersen, Gøsta (1990): The Three Worlds of Welfare Capitalism. Princeton, N.J.: Princeton University Press. Esping-Andersen, Gøsta (1997): Towards a Post-Industrial Welfare State. Internationale Politik und Gesellschaft 3/1997: 237-245. Evans, Geoffrey (1996): Cross-national Differences in Support for Welfare and Redistribution: An Evaluation of Competing Theories. In: Bridget Taylor; Katarina Thonson (Hrsg.): Understanding Change in Social Attitudes. Aldershot: Dartmouth. S. 185-208. Ewald, François (1989): Die Versicherungs-Gesellschaft. Kritische Justiz 22: 385-393.
Literaturverzeichnis
255
Feagin, Joe R. (1972): We Still Believe That God Helps Those Who Help Themselves. Psychology Today 6: 101-129. Feagin, Joe R. (1975): Subordinating the Poor. Welfare and American Beliefs. Englewood Cliffs, N.J.: Prentice Hall. Feldman, Stanley; Steenbergen, Marco R. (2001): The Humanitarian Foundation of Public Support for Social Welfare. American Journal of Political Science 45 (3): 658-677. Feldman, Stanley; Zaller, John (1992): The Political Culture of Ambivalence: Ideological Responses to the Welfare State. American Journal of Political Science 36: 268-301. Ferrera, Maurizio (1997): The Uncertain Future of the Italian Welfare State. West European Politics 20: 231249 Forma, Pauli (1997): The Rational Legitimacy of the Welfare State. Popular Support for Ten Income Transfer Schemes in Finland. Policy & Politics 25: 235-249. Föste, Wilga; Janßen, Peter (1997): Finanzierungs- und Belastungsgrenzen des Sozialstaates im Urteil der Bevölkerung. Bonn: Europa Union Verlag. Frevert, Ute (1984): Krankheit als politisches Problem 1770-1880. Soziale Unterschichten in Preußen zwischen medizinischer Polizei und staatlicher Sozialversicherung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Fridberg, Torben; Ploug, Niels (2000): Public Attitudes to Unemployment in Different European Welfare Regimes. In: Duncan Gallie; Serge Paugam (Hrsg.): Welfare Regimes and the Experience of Unemployment in Europe. Oxford: Oxford University Press. S. 334-348. Friedeburg, Ludwig von; Weltz, Friedrich (1958): Altersbild und Altersvorsorge der Arbeiter und Angestellten. Frankfurt/M.: Europäische Verlagsanstalt. Gangl, Markus (1997): Ansprüche an den Wohlfahrtsstaat in den alten und neuen Bundesländern. In: Walter Müller (Hrsg.): Soziale Ungleichheit: neue Befunde zu Strukturen, Bewußtsein und Politik. Opladen: Leske & Budrich. S. 169-204. Gans, Herbert Julius (1995): The War Against the Poor: The Underclass and Antipoverty Policy. New York: Basic Books. Gelissen, John (2000): Popular Support for Institutionalised Solidarity. A Comparison Between European Welfare States. International Journal of Social Welfare 9 (4): 285-300. Gelissen, John (2001): Old-age Pensions: Individual or Collective Responsibility? An Investigation of Public Opinion Across European Welfare States. European Societies 3 (4): 495-523. George, Vic (1998): Political Ideology, Globalisation and Welfare Futures in Europe. Journal of Social Policy 27 (1): 17-36. Geremek, Bronislaw (1991): Geschichte der Armut. Elend und Barmherzigkeit in Europa. München: dtv. Gevers, Josette; Gelissen, John; Arts, Wil; Muffels, Ruud (2000): Public Health Care in the Balance. Exploring Popular Support for the Health Care Systems in the European Union. International Journal of Social Welfare 9: 301-321. Gilens, Martin (1995): Racial Attitudes and Opposition to Welfare. The Journal of Politics 57 (4): 994-1014. Gilligan, Carol (1984). Die andere Stimme. Lebenskonflikte und Moral der Frau. München: Piper. Goodin, Robert E.; Dryzek, John (1987): Risk-Sharing and Social Justice: The Motivational Foundations of Post-War Welfare. In: Robert E. Goodin; Julian Le Grand (Hrsg.): Not Only the Poor: The Middle Classes and the Welfare State. London: Allen & Unwin. S. 37-73. Goodin, Robert E.; Headey, Bruce; Muffels, Ruud; Dirven, Henk-Jan (1999): The Real Worlds of Welfare Capitalism. Cambridge: Cambridge University Press. Goodin, Robert E.; Le Grand, Julian (Hrsg.) (1987): Not Only the Poor: The Middle Classes and the Welfare State. London: Allen & Unwin. Gouldner, Alvin W. (1960): The Norm of Reciprocity: A Preliminary Statement. American Sociological Review 25 (2): 161-178.
256
Literaturverzeichnis
Greenstein, Robert (1991): Universal and Targeted Approaches to Relieving Poverty: An Alternative View. In: Christopher Jencks; Paul E. Peterson (Hrsg.): The Urban Underclass. Washington, D.C.: The Bookings Institution. S. 437-459. Groenemeyer, Axel (1999): Armut. In: Günter Albrecht et al. (Hrsg.): Handbuch soziale Probleme. Opladen: Westdeutscher Verlag. S. 270-318. Habermas, Jürgen (1962): Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Neuwied: Luchterhand. Hadenius, Axel (1986): A Crisis of the Welfare State? Opinions about Taxes and Welfare Expenditure in Sweden. Stockholm: Almquist & Wiksell. Hallauer, Johannes F.; Kern, Axel Olaf; Beske, Fritz (1996): Erwartungen des Beitragszahlers an eine leistungsfähige Krankenversicherung. Ergebnisse einer Meinungsumfrage zu Beitragssatz und Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung. Kiel: Institut für Gesundheits-System-Forschung. Haller, Max (1986): Die Legitimation sozialer Ungleichheit im Wohlfahrtsstaat. Journal für Sozialforschung 26: 443-468. Haller, Max (1987): Gesellschaftliche Gleichheit als Grundwert des Wohlfahrtsstaates? Die Wahrnehmung und Bewertung unterschiedlicher Formen sozialer Ungleichheit. In: Ders.; Kurt Holm (Hrsg.): Werthaltungen und Lebensformen in Österreich. Ergebnisse des sozialen Surveys 1986. München: Oldenbourg. S. 141-190. Hamann, Silke; Karl, Astrid; Ullrich, Carsten G. (2001): Entsolidarisierung? Leistungen für Arbeitslose im Urteil von Erwerbstätigen. Frankfurt/New York: Campus. Handler, Joel F.; Hasenfeld, Yeheskel (1991): The Moral Construction of Poverty. Welfare Reform in America. Newbury Park: Sage. Hasenfeld, Yeheskel; Rafferty, Jane A. (1989): The Determinants of Public Attitudes toward the Welfare State. Social Forces 67: 1027-1048. Hauser, Richard (1996): Zur Messung individueller Wohlfahrt und ihrer Verteilung. In: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Wohlfahrtsmessung – Aufgabe der Statistik im gesellschaftlichen Wandel. Band 29 der Schriftenreihe Forum der Bundesstatistik. Stuttgart. S. 13–38. Heclo, Hugh (1974): Modern Social Politics in Britain and Sweden. New Haven/London: Yale University Press. Heidorn, Joachim (1982): Legitimität und Regierbarkeit. Studien zu den Legitimitätstheorien von Max Weber, Niklas Luhmann, Jürgen Habermas und der Unregierbarkeitsforschung. Berlin: Duncker & Humblot. Heimann, Eduard (1980): Soziale Theorie des Kapitalismus. Theorie der Sozialpolitik. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Hicks, Alexander; Misra, Joya; Ng, Tang Nah (1995): The Programmatic Emergency of the Social Securtiy State. American Sociological Review 60 (3): 329-349. Hills, John (2002): Following or Leading Public Opinion? Social Security Policy and Public Attitudes Since 1997. Fiscal Studies 23 (4): 539-558. Hirschman, Albert O. (1974): Abwanderung und Widerspruch. Tübingen: Mohr. Honneth, Axel (1992): Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Houtman, Dick (2000): The Working Class and the Welfare State Support for Economic Redistribution, Tolerance for Nonconformity, and the Conditionality of Solidarity with the Unemployed. The Netherlands' Journal of Social Sciences 36 (1): 37-55. Huddy, Leonie; Jones, Jeffrey M.; Chard, Richard E. (2001): Compassionate Politics: Support for Old-Age Programs Among Non-Elderly. Political Psychology 22 (3): 443-471. Huf, Stefan (1998): Sozialstaat und Moderne. Modernisierungseffekte staatlicher Sozialpolitik. Berlin: Duncker & Humblot.
Literaturverzeichnis
257
Inglehart, Ronald (1990): Culture Shift in Advanced Industrial Society. Princeton, N.J.: Princeton University Press. Jaufmann, Dieter (1999): Technikakzeptanzforschung. In: Stephan Bröchler; Georg Simonis; Karsten Sundermann (Hrsg.): Handbuch Technikfolgenabschätzung, Bd. 1. Berlin: Sigma. S. 205-225. Jencks, Christopher (Hrsg.) (1991): The Urban Underclass. Washington, DC: Brookings Institution. Kangas, Olli E. (1997): Self-Interest and the Common Good. The Impact of Norms, Selfishness and Context in Social Policy Opinions. Journal of Socio-Economics 26 (5): 475-494. Karl, Astrid; Ullrich, Carsten G.; Hamann, Silke (2002): Akzeptanz und Akzeptanzunterschiede von Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe. Zeitschrift für Sozialreform 48: 53-76. Karl, Astrid; Ullrich, Carsten G.; Wössner, Ulrike (1998): Akzeptanz und Akzeptabilität wohlfahrtsstaatlicher Institutionen. Überlegungen zur systembedingten Akzeptanz von Leistungssystemen bei Arbeitslosigkeit. Zeitschrift für Soziologie 27: 431-446. Katz, Michael B. (1989): The Undeserving Poor. From the War on Poverty to the War on Welfare. New York: Pantheon Books. Kaufmann, Franz-Xaver (1973): Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem. Untersuchungen zu einer Wertidee hoch differenzierter Gesellschaften. Stuttgart: Enke. Kaufmann, Franz-Xaver (1977): Sozialpolitisches Erkenntnisinteresse und Soziologie. Ein Beitrag zur Programmatik der Sozialwissenschaften. In: Christian von Ferber; Franz-Xaver Kaufmann (Hrsg.): Soziologie und Sozialpolitik. Sonderheft 19 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Opladen: Westdeutscher Verlag. S. 35-75. Kaufmann, Franz-Xaver (1982): Sozialpolitik: Stand und Entwicklung der Forschung in der Bundes-republik Deutschland. In: Joachim Jens Hesse (Hrsg.): Politikwissenschaft und Verwaltungs-wissenschaft. Sonderheft 13 der Politischen Vierteljahresschrift. Opladen: Westdeutscher Verlag. S. 344-365. Kaufmann, Franz-Xaver (1988): Christentum und Wohlfahrtsstaat. Zeitschrift für Sozialreform 34: 65-89. Kaufmann, Franz-Xaver (1993): Generationenbeziehungen und Generationenverhältnisse im Wohlfahrtsstaat. In: Kurt Lüscher; Franz Schultheis (Hrsg.): Generationenbeziehungen in »postmodernen« Gesellschaften. Konstanz: Universitätsverlag. S. 95-108. Kaufmann, Franz-Xaver (1997a): Herausforderungen des Sozialstaates. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Kaufmann, Franz-Xaver (1997b) Schwindet die integrative Funktion des Sozialstaates? Berliner Journal für Soziologie 7 (1): 5-19. Kersting, Wolfgang (Hrsg.) (2000): Politische Philosophie des Sozialstaats. Weilerwist: Velbrück. Kistler, Ernst; Jaufmann, Dieter (Hrsg.) (1990): Mensch, Gesellschaft, Technik. Orientierungspunkte in der Technikakzeptanzdebatte. Opladen: Leske & Budrich. Klein, Thomas; Schilling, Johannes-Georg (1994): Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates. Eine empirische Analyse. Politische Vierteljahresschrift 35: 607-630. Kluegel, James R.; Miyano, Masaru (1995): Justice Beliefs and Support for the Welfare State in Advanced Capitalism. In: James R. Kluegel; David S. Mason; Bernd Wegener (Hrsg.): Social Justice and Political Change. Public Opinion and Political Change in Capitalist and Post-Communist States. Berlin/New York: de Gruyter. S. 81-105. Kluegel, James R.; Smith, Eliot R. (1986): Beliefs about Inequality. Americans' Views of What Is and What Ought to Be. New York: Gruyter. Kneer, Georg (2000): Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen. Ein systemtheoretischer Beitrag am Beispiel der Umweltverwaltung. In: Claudia Rademacher; Peter Wiechens (Hrsg.): Verstehen und Kritik. Soziologische Suchbewegungen nach dem Ende der Gewissheiten. Festschrift für Rolf Eickelpasch. Wiesbaden: WV. S. 93-122. Kohl, Jürgen (2002): Einstellungen der Bürger zur sozialen Sicherung, insbesondere zur Alterssicherung. Ein Überblick über die Forschungslage. Deutsche Rentenversicherung 57 (9-10): 477-493.
258
Literaturverzeichnis
Kohl, Jürgen (2003): Breite Zustimmung für Beibehaltung des Rentenniveaus auch bei steigenden Beiträgen. Einstellungen zur Alterssicherung im europäischen Vergleich. ISI (Informationsdienst Soziale Indikatoren) 29 (1): 1-6. Kohli, Martin (1987): Ruhestand und Moralökonomie. Eine historische Skizze. In: Klaus Heinemann (Hrsg.): Soziologie wirtschaftlichen Handelns, Sonderheft 28 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Opladen: Westdeutscher Verlag. S. 393-416. Kohli, Martin (1989): Moralökonomie und »Generationenvertrag«. In: Max Haller (Hrsg.): Kultur und Gesellschaft, Verhandlungen des 24. Deutschen Soziologentages, des 11. Österreichischen Soziologentages und des 8. Kongresses der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie in Zürich 1988. Frankfurt/New York: Campus. S. 532-555. Kohli, Martin (1994): Von Solidarität zu Konflikt? Der Generationenvertrag und die Interessen-organisation der Älteren. In: Günther Verheugen (Hrsg.): 60plus. Die wachsende Macht der Älteren. Köln: BundVerlag. S. 61-74. Kohli, Martin; Künemund, Harald; Motel, Andreas; Szydklik, Marc (2000): Generationenbeziehungen. In: Martin Kohli; Harald Künemund (Hrsg.): Die zweite Lebenshälfte. Gesellschaftliche Lage und Partizipation im Spiegel des Alters-Survey. Opladen: Leske & Budrich. S. 176-211. König, Wolfgang; Lüttinger, Paul; Müller, Walter (1987): Eine vergleichende Analyse der Entwicklung und Struktur von Bildungssystemen. Methodologische Grundlagen und Konstruktion einer vergleichbaren Bildungsskala. Casmin Working Paper 12. Mannheim. Krüger, Jürgen (1999): Wohlfahrtsstaatliche Entsolidarisierung? Soziologische Diagnosen im Lichte repräsentativer Umfragedaten. Zeitschrift für Sozialreform 45: 269-302. Krüger, Jürgen (2001): Schwindet die wohlfahrtsstaatliche Solidarität? Sozialer Fortschritt 50: 156-163. Künemund, Harald; Hollstein, Betina (2000): Soziale Beziehungen und Unterstützungsnetzwerke. In: Martin Kohli; Harald Künemund (Hrsg.): Die zweite Lebenshälfte. Gesellschaftliche Lage und Partizipation im Spiegel des Alters-Survey. Opladen: Leske & Budrich. S. 212-276. Leisering, Lutz (2004): Paradigmen sozialer Gerechtigkeit. Normative Diskurse im Umbau des Sozialstaats. In: Stefan Liebig; Holger Lengfeld; Steffen Mau (Hrsg.): Verteilungsprobleme und Gerechtigkeit in modernen Gesellschaften. Frankfurt/New York: Campus. S. 29-68. Lepsius, M. Rainer (1979): Soziale Ungleichheit und Klassenstrukturen in der Bundesrepublik Deutschland. Lebenslagen, Interessenvermittlung und Wertorientierungen. In: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.): Klassen in der europäischen Sozialgeschichte. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. S. 166-209. Lessenich, Stephan (1999): Ein (un)moralisches Angebot: Reziprozitätsfiktionen im modernen Wohlfahrtsstaat. In: Claudia Honegger; Stefan Hradil; Franz Traxler (Hrsg.): Grenzenlose Gesellschaft? Verhandlungen des 29. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, des 16. Kongresses der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie, des 11. Kongresses der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie in Freiburg i.Br. 1998. Opladen: Leske & Budrich. S. 153-168. Lessenich, Stephan; Mau, Steffen (2005): Reziprozität und Wohlfahrtsstaat. In: Frank Adloff; Steffen Mau (Hrsg.): Vom Geben und Nehmen. Zur Soziologie der Reziprozität. Frankfurt/New York: Campus. S. 257-276. Lewin-Epstein, Noah; Kaplan, Amit; Levanon, Asaf (2003): Distributive Justice and Attitudes Toward the Welfare State. Social Justice Research 16 (1): 1-27. Lewis, Oscar (1968): The Culture of Poverty. In: Daniel P. Moynihan (Hrsg.): On Understanding Poverty. Perspectives From the Social Sciences. New York/London: Basic Books. S. 187-199. Liebig, Stefan (2002): Gerechtigkeitseinstellungen und Gerechtigkeitsurteile. Zur Unterscheidung zweier Urteilskategorien. In: Stefan Liebig; Holger Lengfeld (Hrsg.): Interdisziplinäre Gerechtigkeits-forschung. Zur Verknüpfung empirischer und normativer Perspektiven. Frankfurt/New York: Campus. Limbach, Jutta (1998): Die Akzeptanz verfassungsgerichtlicher Entscheidungen. In: Jürgen Brand; Dieter Strempel (Hrsg.): Soziologie des Rechts. Festschrift für Erhard Blankenburg zum 60. Geburtstag, Baden-Baden: Nomos. S. 207-219.
Literaturverzeichnis
259
Linos, Katerina; West, Martin (2003): Self-Interest, Social Beliefs, and Attitudes to Redistribution. Re-Adressing the Issue of Cross-National Variation. European Sociological Review 19 (4): 393-409. Lippl, Bodo (2001): Soziale Sicherheit durch den Sozialstaat? Einschätzungen zu Rente, Arbeitslosigkeit und Krankheit in Ost- und Westdeutschland. ISI (Informationsdienst Soziale Indikatoren) 26 (7): 7-11. Lipset, Seymour M. (1959): Democracy and Working Class-Authoritarianism. American Sociological Review 24 (4): 482-501. Lucke, Doris (1995): Akzeptanz. Legitimität in der »Abstimmungsgesellschaft«. Opladen: Leske & Budrich. Lucke, Doris (1996): Grenzen der Legitimation. Zum Strukturwandel der Akzeptanz. In: Lars Clausen (Hrsg.): Gesellschaften im Umbruch. Verhandlungen des 27. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Halle an der Saale 1995. Frankfurt/New York: Campus. S. 473-483. Lucke, Doris (1998): Riskante Annahmen – Angenommene Risiken. Eine Einführung in die Akzeptanzforschung. In: Doris Lucke; Michael Hasse (Hrsg.): Annahme verweigert. Beiträge zur soziologischen Akzeptanzforschung. Opladen: Leske & Budrich. S. 15-35. Lucke, Doris; Hasse, Michael (Hrsg.) (1998): Annahme verweigert. Beiträge zur soziologischen Akzeptanzforschung. Opladen: Leske & Budrich. Lynch, Julia (2001): The Age-Orientation of Social Policy Regimes in OECD Countries. Journal of Social Policy 30 (3): 411-436. Mackscheidt, Klaus (1985): Über die Belastbarkeit mit Sozialversicherungsbeiträgen aus der Sicht der Steuerwiderstandsforschung. In: Winfried Schmähl (Hrsg.): Versicherungsprinzip und soziale Sicherung. Tübingen: Mohr. S. 27-54. Mandt, Hella (1996): Legitimität. In: Dieter Nohlen (Hrsg.): Wörterbuch Staat und Politik. Neuausgabe 1995. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. S. 383-389. Marshall, Gordon; Swift, Adam; Routh, David; Burgoyne, Carole (1999): What is and What Ought to be. Popular Beliefs About Distributive Justice in Thirteen Countries. European Sociological Review 15: 349-367. Mau, Steffen (1997): Ideologischer Konsens und Dissens im Wohlfahrtsstaat. Zur Binnenvariation von Einstellungen zu sozialer Ungleichheit in Schweden, Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland. Soziale Welt 48: 17-38. Mau, Steffen (1998): Zwischen Moralität und Eigeninteresse. Einstellungen zum Wohlfahrtsstaat in internationaler Perspektive. Aus Politik und Zeitgeschichte 34/35: 27-37. Mau, Steffen (2002): Wohlfahrtsregime als Reziprozitätsarrangements. Versuch einer Typisierung. Berliner Journal für Soziologie 12 (3): 345-364. Mead, Lawrence M. (1986): Beyond Entitlement: The Social Obligations of Citizenship. New York: The Free Press. Mehrtens, F. John (2004): Three Worlds of Public Opinion? Values, Variation, and the Effect on Social Policy. International Journal of Public Opinions Research 16 (2): 115-143. Merten, Klaus (1987): Öffentlichkeit. In: Axel Görlitz; Rainer Prätorius (Hrsg.): Handbuch Politikwissenschaft. Grundlagen, Forschungsstand, Perspektiven. Reinbek: Rowohlt. S. 332-337. Miller, David (1976): Social Justice. Oxford: Clarendon Press. Möhle, Marion (2001): Vom Wert der Wohlfahrt. Normative Grundlagen des deutschen Sozialstaats. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Murray, Charles A. (1984): Losing Ground: American Social Policy. New York: Basic Books. Narr, Wolf-Dieter; Offe, Claus (1975): Einleitung. In: Dies. (Hrsg.): Wohlfahrtsstaat und Massenloyalität. Köln: Kiepenheuer & Witsch. S. 9-46. Newton, Kenneth (1998): The Welfare State Backlash and the Tax Revolt. In: Henry Cavanna (Hrsg.): Challenges to the Welfare State. Internal and External Dynamics for Change. Cheltenham, UK: Edward Elgar. S. 98-122.
260
Literaturverzeichnis
Norden, Gilbert (1986): Bestimmungsgründe der Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates. Ergebnisse einer Untersuchung über die Determinanten der Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Maßnahmen in Österreich. Angewandte Sozialforschung 14: 43-54. Nullmeier, Frank (2003): Anerkennung. Auf dem Weg zu einem kulturalen Sozialstaatsverständnis? In: Stephan Lessenich (Hrsg.): Wohlfahrtsstaatliche Grundbegriffe. Historische und aktuelle Diskurse. Frankfurt/New York: Campus. S. 395-418. Offe, Claus (1984): Contradictions of the Welfare State. London: Hutchinson. Offe, Claus (1987): Democracy against the Welfare State? Structural Foundations of Neoconservative Political Opportunities. Political Theory 15: 501-537. Offe, Claus (1990): Akzeptanz und Legitimität strategischer Optionen in der Sozialpolitik. In: Christoph Sachße; H. Tristram Engelhardt (Hrsg.): Sicherheit und Freiheit. Zur Ethik des Wohlfahrtsstaates. Frankfurt/M.: Suhrkamp. S. 179-202. Papadakis, Elim (1993): Class Interest, Class Politics and the Welfare State. British Journal of Sociology 44: 249-270. Papadakis, Elim; Bean, Clive (1993): Popular Support for the Welfare State: A Comparison Between Institutional Regimes. Journal of Public Policy 13: 227-254. Pappi, Franz Urban; Shikano, Susumu (2005): Die gesundheitspolitischen Präferenzen der deutschen Wählerschaft. Arbeitspapier Nr. 87. Mannheim: Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung. Pettersen, Per Arnt (1995): The Welfare State: The Security Dimension. In: Ole Borre; Elinor Scarbrough (Hrsg.): The Scope of Government. Beliefs in Government, Vol. III. Oxford: Oxford University Press. S. 198-233. Pettersen, Per Arnt (2001): Welfare State Legitimacy: Ranking, Rating, Paying: The Popularity and Support for Norwegian Welfare Programmes in the Mid 1990s. Scandinavian Political Studies 24 (1): 27-49. Pierson, Paul (1996): The New Politics of the Welfare State. World Politics 48: 143.179. Pöntinen, Seppo (1988): Stability and Change in the Public Support for the Welfare State. Finland 19751985. International Journal of Sociology and Social Policy 6(1): 1-22. Prüfer, Peter; Rexroth, Margrit (1996): Verfahren zur Evaluation von Survey-Fragen. Ein Überblick. Mannheim: ZUMA. Rabinbach, Anson (1996): Social Knowledge, Social Risk, and the Politics of Industrial Accidents in Germany and France. In: Dietrich Rüschemeyer; Theda Skocpol (Hrsg.): States, Social Knowledge, and the Origins of Modern Social Policies. Princeton, N.J.: Princeton University Press. Rammert, Werner (1990): Telefon und Kommunikationskultur. Akzeptanz und Diffusion einer Technik im Vier-Länder-Vergleich. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 42 (1): 20-40. Rinne, Karin; Wagner, Gert (1996); Einstellungen zur sozialen Sicherung im Vergleich der Generationen. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 29 (6): 446-451. Rodenstein, Marianne (1978): Arbeiterselbsthilfe, Arbeiterselbstverwaltung und staatliche Krankenversicherungspolitik in Deutschland. In: Starnberger Studien 2: Sozialpolitik als soziale Kontrolle. Frankfurt/M.: Suhrkamp. S. 113-180. Rohwer, Götz; Pötter, Ulrich (2002): Methoden sozialwissenschaftlicher Datenkonstruktion. Weinheim/München: Juventa. Rokkan, Stein; Lipset, Seymour M. (1967): Cleavage Structures, Party Systems, and Voter Alignments. An Introduction. In: Dies (Hrsg.): Party Systems and Voter Alignments. New York: Free Press. Roller, Edeltraud (1992): Einstellungen der Bürger zum Wohlfahrtsstaat der Bundesrepublik Deutschland. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Literaturverzeichnis
261
Roller, Edeltraud (1995): The Welfare State: The Equality Dimension. In: Ole Borre; Elinor Scarbrough (Hrsg.): The Scope of Government. Beliefs in Government, Vol. III. Oxford: Oxford University Press. S. 165-197. Roller, Edeltraud (1996): Kürzungen von Sozialleistungen aus der Sicht der Bundesbürger. Zeitschrift für Sozialreform 42: 777-788. Roller, Edeltraud (1997): Sozialpolitische Orientierungen nach der deutschen Vereinigung. In: Oscar Gabriel (Hrsg.): Politische Orientierungen und Verhaltensweisen im vereinigten Deutschland. Opladen: Leske & Budrich. S. 115-146. Roller, Edeltraud (2000): Ende des sozialstaatlichen Konsenses? Zum Aufbrechen traditioneller und zur Entstehung neuer Konfliktstrukturen in Deutschland. In: Oskar Niedermayer; Bettina Westle (Hrsg.): Demokratie und Partizipation. Festschrift für Max Kaase. Wiesbaden: WV. S. 88-114. Roller, Edeltraud (2002): Die Entwicklung der Akzeptanz des Sozialstaats und der Alterssicherung in Deutschland seit Mitte der siebziger Jahre. Deutsche Rentenversicherung 57 (9-10): 510-522. Roller, Edeltraud; Westle, Bettina (1987): Zur Politisierung und Depolitisierung von Wohlfahrtsansprüchen. Soziale Welt 38: 227-251. Rothstein, Bo (1998): Just Institutions Matter. The Moral and Political Logic of the Universal Welfare State. Cambridge: Cambridge University Press. Sachße, Christoph; Tennstedt, Florian (1980-1992): Geschichte der Armenfürsorge, 3 Bde. Stuttgart: Kohlhammer. Sachweh, Patrick; Ullrich, Carsten G.; Christoph, Bernhard (2006): Die gesellschaftliche Akzeptanz der Sozialhilfe. Eine Untersuchung aus moralökonomischer Perspektive. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 58 (3): 489-509. Sanders, Arthur (1988): Rationality, Self-Interest, and Public Attitudes on Public Spending. Social Science Quarterly 69: 311-324. Scharpf, Fritz W. (1985): Die Politikverflechungs-Falle. Europäische Integration und deutscher Föderalismus. Politische Vierteljahresschrift 26: 323-356. Schiltz, Michael E. (1970): Public Attitudes Toward Social Security 1935-1965. U.S. Department of Health, Education, and Welfare. Research Report No. 33. Washington. Schmähl, Winfried (2001): Generationenkonflikte und »Alterslast«. Einige Anmerkungen zu Einseitigkeiten und verengten Perspektiven in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion. In: Irene Becker; Notburga Ott; Gabriele Rolf (Hrsg.): Soziale Sicherung in einer dynamischen Gesellschaft. Festschrift für Richard Hauser zum 65. Geburtstag. Frankfurt/New York: Campus. S. 176-203. Schmaltz, Hans-Jürgen (1969): Belastungseffekte der öffentlichen Alterssicherung. Dissertation. Bochum. Schoen, Harald; Weins, Cornelia (2005): Der sozialpsychologische Ansatz zur Erklärung von Wahlverhalten. In: Jürgen W. Falter; Harald Schoen (Hrsg.): Handbuch Wahlforschung. S. 187-242. Schönbäck, Wilfried (1980): Subjektive Unsicherheit als Gegenstand sozialpolitischer Intervention. Frankfurt/New York: Campus. Shapiro, Robert Y.; Young, John T. (1989): Public Opinion and the Welfare State: The United States in Comparative Perspective. Political Science Quarterly 104: 59-89. Sihvo, Tuire; Uusitalo, Hanno (1995): Economic Crises and Support for the Welfare State in Finland 19751993. Acta Sociologica 38: 251-262. Silverstein, M.; Parrott, T. M.; Angelelli, J. J.; Cook, F. L. (2000): Solidarity and Tensions Between AgeGroups in the United States: Challenge for an Aging America in the 21st Century. International Journal of Social Welfare 9 (4): 270-284. Sirovatka, Tomas (2002): Opinions of Czechs about the Welfare State. Sociologicky Casopis 38 (3): 327-344. Skocpol, Theda (1991): Targeting within Universalism: Politically Viable Policies to Combat Poverty in the United States. In: Christopher Jencks; Paul E. Peterson (Hrsg.): The Urban Underclass. Washington, D.C.: The Bookings Institution. S. 411-436.
262
Literaturverzeichnis
Smith, Rodney; Wearing, Michael (1987): Do Australians Want the Welfare State? Politics 22: 55-65. Smith, Tom (1987): That Which We Call Welfare by Any Other Name Would Smell Sweeter: An Analysis of the Impact of Question Wording on Response Patterns. Public Opinion Quarterly 51: 75-83. Steinmetz, George (1993): Regulating the Social. The Welfare State and Local Politics in Imperial Germany. Princeton, N.J.: Princeton University Press. Svallfors, Stefan (1993): Policy Regimes and Attitudes to Inequality: A Comparison of Three European Nations. In: Thomas P. Boje; Sven E. Olsson Hort (Hrsg.): Scandinavia in a New Europe. Oslo: Scandinavian University Press. S. 87-133. Svallfors, Stefan (1995): The End of Class Politics? Structural Cleavages and Attitudes to Swedish Welfare Policies. Acta Sociologica 38: 53-74. Svallfors, Stefan (1997): Worlds of Welfare and Attitudes to Redistribution: A Comparison of Eight Western Nations. European Sociological Review 13: 283-304. Svallfors, Stefan (1999): The Middle Class and Welfare Retrenchment. Attitudes to Swedish Welfare Policies. In: Ders.; Peter Taylor-Gooby (Hrsg.): The End of the Welfare State? Responses to State Retrenchment. London: Routledge. S. 34-51. Svallfors, Stefan (2003): Welfare Regimes and Welfare Opinions. A Comparison of Eight Western Nations. Social Indicators Research 64 (3): 495-520. Svallfors, Stefan (2004): Class, Attitudes and the Welfare State: Sweden in Comparative Perspective. Social Policy and Administration 28 (2): 119-138. Taylor-Gooby, Peter (1982): Two Cheers for the Welfare State. Public Opinion and Private Welfare. Journal of Public Policy 2: 319-346. Taylor-Gooby, Peter (1985): Attitudes to Welfare. Journal of Social Policy 14 (1): 73-81. Taylor-Gooby, Peter (1991): Social Change, Social Welfare and Social Science. New York: Harvester Wheatsheaf. Taylor-Gooby, Peter (1995): Comfortable, Marginal and Excluded. Who Should Pay Higher Taxes for a Better Welfare State? In: Roger Jowell et al. (Hrsg.): British Social Attitudes: the 12th Report. Aldershot: Gower. S. 1-17. Thompson, Edward P. (1980): Die »moralische Ökonomie« der englischen Unterschichten im 18. Jahrhundert, in: Ders.: Plebejische Kultur und moralische Ökonomie. Frankfurt/M.: Suhrkamp. S. 67-130. Thomson, David (1989): The Welfare State and Generational Conflict. Winners and Losers. In: Paul Johnson; Christoph Conrad; David Thomson (Hrsg.): Workers versus Pensioners. Intergenerational Justice in an Ageing World. Manchester: Manchester University Press. S. 33-56. Titmuss, Richard M. (1970): The Gift Relationship. From Human Blood to Social Policy. London: Allen and Unwin. Tyrell, Hartmann (1978): Anfragen an die Theorie der gesellschaftlichen Differenzierung. Zeitschrift für Soziologie 7: 175-193. Ullrich, Carsten G. (1999): Reziprozität und die soziale Akzeptanz des »Sozialversicherungsstaates«. Soziale Welt 50: 7-34. Ullrich, Carsten G. (2000a): Die soziale Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates. Ergebnisse, Kritik und Perspektiven einer Forschungsrichtung. Soziale Welt 51: 131-151. Ullrich, Carsten G. (2000b): Solidarität im Sozialversicherungsstaat. Die Akzeptanz des Solidarprinzips in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Frankfurt/New York: Campus. Ullrich, Carsten G. (2001): Die Akzeptabilität sozialer Sicherungssysteme. Zur Bedeutung grundlegender Systemmerkmale für die Akzeptanz wohlfahrtsstaatlicher Institutionen. Sozialer Fortschritt 50: 165-171. Ullrich, Carsten G. (2002) Methodische Ansätze der Akzeptanzforschung im Bereich der Sozialversicherung. Deutsche Rentenversicherung 57 (9-10): 523-535.
Literaturverzeichnis
263
Ullrich, Carsten G. (2003): Wohlfahrtsstaat und Wohlfahrtskultur. Zu den Perspektiven kultur- und wissenssoziologischer Sozialpolitikforschung. Arbeitspapier Nr. 67. Mannheim: Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung. Ullrich, Carsten G. (2004): Sozialpolitische Gerechtigkeitsprinzipien, empirische Gerechtigkeitsüberzeugungen und die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme. In: Stefan Liebig; Holger Lengfeld; Steffen Mau (Hrsg.): Verteilungsprobleme und Gerechtigkeit in modernen Gesellschaften. Frankfurt/New York: Campus. S. 69-96. Ullrich, Carsten G. (2005a): Solidarität und Solidaritätsbereitschaft im Wohlfahrtsstaat. Theoretische Anmerkungen und empirische Befunde. In: Johannes Berger (Hrsg.): Zerreißt das soziale Band? Beiträge zu einer aktuellen gesellschaftspolitischen Debatte. Frankfurt/New York: Campus. S. 173-200. Ullrich, Carsten G. (2005b): Soziologie des Wohlfahrtsstaates. Eine Einführung. Frankfurt/New York: Campus. Ullrich, Carsten G. (2006): Massenloyalität und Wohlfahrtsstaat. Anmerkungen zu Claus Offes Thesen zur Funktion des Wohlfahrtsstaates im Spätkapitalismus. In: Karl-Siegbert Rehberg (Hrsg.): Soziale Ungleichheit – Kulturelle Unterschiede. Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München 2004. Beiträge aus Arbeitsgruppen, Sektionssitzungen und Ad hoc-Gruppen. Frankfurt/New York: Campus. CD-ROM. S. 3662-3672. Ullrich, Carsten G.; Christoph, Bernhard (2006) Wahrnehmung von Lastenverteilungen und Ver-teilungskonflikten im deutschen Gesundheitssystem – Ergebnisse einer empirischen Untersuchung. In: KarlSiegbert Rehberg (Hrsg.): Soziale Ungleichheit – Kulturelle Unterschiede. Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München 2004. Frankfurt/New York: Campus. S. 991-1002. van Kersbergen, Kees (1995): Social Capitalism. A Study of Christian Democracy and the Welfare State. London: Routledge. van Oorschot, Wim (2000a): Why Pay for Welfare? A Sociological Analysis of Reasons for Welfare. The Netherlands Journal of Social Sciences 46: 15-36. van Oorschot, Wim (2000b): Who Should Get What, and Why? On Deservingness Criteria and the Conditionality of Solidarity Among the Public. Policy and Politics 28: 33-48. van Oorschot, Wim; Halman, Loek (2000): Blame or Fate? Individual or Social? An International Comparison of Popular Explanations of Poverty. European Societies 2: 1-28. Walters, William (1994): The Discovery of »Unemployment«. New Forms for the Government of Poverty. Economy and Society 23: 265-290. Wasem, Jürgen (2000): Die Zukunft der Gesundheitspolitik. Was erwartet die Bevölkerung? In: Stephan Leibfried; Uwe Wagschal (Hrsg.): Der deutsche Sozialstaat. Bilanzen, Reformen, Perspektiven. Frankfurt/New York: Campus. S. 427-438. Weber, Max (1922): Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen: Mohr. Wendt, Claus (2003): Vertrauen in Gesundheitssysteme. Berliner Journal für Soziologie 13 (3): 371-393. Westle, Bettina (1989): Politische Legitimität. Theorien, Konzepte, empirische Befunde. Baden-Baden: Nomos. Whiteley, Paul (1981): Public Opinion and the Demand for Social Welfare in Britain. Journal of Social Policy 10: 453-470. Wilensky, Harold L. (1975): The Welfare State and Equality: Structural and Ideological Roots of Public Expenditure. Berkeley: University of California Press. Wilensky, Harold L. (2002): Rich Democracies. Political Economy, Public Policy, and Performance. Berkeley: University of California Press. Will, Jeffry A. (1993): The Dimensions of Poverty: Public Perceptions of the Deserving Poor. Social Science Research 22: 312-332.
264
Literaturverzeichnis
Williamson, John B. (1974): Beliefs about the Motivation of the Poor and Attitudes Towards Poverty Policy. Social Problems 21 (5): 734-747. Wolf, Jürgen (1990): Krieg der Generationen? Sozialstaatliche Verteilung und politische Handlungspotentiale Älterer in der »alternden« Gesellschaft. Prokla 20: 99-117. Wolf, Jürgen; Kohli, Martin (1998): Die politische Macht der Älteren und der Generationenkonflikt. In: Wolfgang Clemens; Gertrud M. Backes (Hrsg.): Altern und Gesellschaft. Gesellschaftliche Modernisierung durch Altersstrukturwandel. Opladen: Leske & Budrich S. 147-169. Würtenberger, Thomas (1999): Die Akzeptanz von Gesetzen. In: Jürgen Friedrich; Wolfgang Jagodzinski (Hrsg.): Soziale Integration. Sonderheft 39 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Opladen: Westdeutscher Verlag. S. 380-397. Wynne, Edward A. (1980): Social Security: A Reciprocity System Under Pressure. Boulder (CO): Westview. Zijderveld, Anton C. (1986): The Ethos of the Welfare State. International Sociology 1: 443-457. Zok, Klaus (2003): Gestaltungsoptionen in der Gesundheitspolitik. Die Reformbereitschaft von Bürgern und Versicherten im Spiegel von Umfragen. Bonn: Wissenschaftliches Institut der AOK. Zöllner, Detlev (1959): Entwicklungsphasen der Sozialpolitik. In: Kurt Jantz; Horst Neumann-Duesberg; Dieter Schewe (Hrsg.): Sozialreform und Sozialrecht. Beiträge zum Arbeits- und Sozialversicherungsrecht und zur Sozialpolitik. Festschrift für Walter Bogs. Berlin: Duncker & Humblot. S. 397-423. Zwiedineck-Südenhorst, Otto von (1913): Hat die deutsche Sozialversicherung die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt? Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 13: 273-290.
Anhang
A1
Übersicht über die in Kapitel 6 verwendeten Akzeptanzindikatoren und untersuchten Sicherungsbereiche
Kapitel Grundthema (1) Akzeptanzindikatoren Institutionenakzeptanz Systemvertrauen staatliche Zuständigkeit »Leistungsbewertung« (2) Sicherungsbereiche Alterssicherung/Gesetzl. Rentenversicherung Gesundheitsversorgung/Gesetzl. Krankenversicherung Arbeitslosigkeit/Arbeitslosenversicherung Armut/Sozialhilfe Leistungen für Familien
6.1 Klassen
6.2 Versorgungsklassen
6.3 Generationenkonflikt
6.4 Wertorientierungen
6.5 »deserving ness«
+
+ +
+ +
+ +
+ +
-
+
+
+
+
-
+
-
-
+
+
+
-
-
+
+ -
+ -
+
+ -
+ +
+ -
+
+ + -
-
(3) »erweiterte Wohlfahrtsstaatlichkeit« - Arbeitsplätze + - Einkommensunterschiede + - Familie + Kinderbetreuung -
Anmerkung: + = verwendet/untersucht; - = nicht verwendet/untersucht
266
A2.1
Anhang
Beschreibung der Akzeptanzindikatoren
Akzeptanzindikatoren
Itemformulierungen und Erläuterungen
(1) Akzeptanzindikatoren des Status quo »Auf dieser Liste stehen (...) einzelne Bereiche der sozialen Sicherung. (...) Was meinen Sie, wie gut oder wie schlecht die folgenden Bereiche der sozialen Sicherung für unsere Gesellschaft sind? Beurteilen Sie jeden Bereich auf dieser Liste nacheinander mit Hilfe der Skala. A: Die Gesetzliche Krankenversicherung Institutionenakzeptanz B: Die Gesetzliche Rentenversicherung C: Die Arbeitslosenversicherung D: Die Sozialhilfe E: Leistungen für Familien wie Kindergeld oder Erziehungsgeld« Beantwortung auf endpunktbeschrifteter 11er-Skala von 0 (»sehr schlecht«) bis 10 (»sehr gut«) »Wenn Sie die Situation in Deutschland insgesamt betrachten: Glauben Sie, dass wir uns in Zukunft auf die zentralen sozialen Sicherungssysteme verlassen können? Sagen Sie mir bitte für jedes der Sicherungssysteme auf der Liste, ob wir uns in Zukunft darauf verlassen können. Systemvertrauen
A: B: C: D:
Die Gesetzliche Krankenversicherung Die Rentenversicherung Die Arbeitslosenversicherung Die Sozialhilfe«
Antwortkategorien: »ja, auf jeden Fall«; »eher ja«; »eher nein«; »nein, auf keinen Fall« (2) Akzeptanzindikatoren der Wohlfahrtsstaatlichkeit »Für soziale Aufgaben können neben dem Staat und den staatlich regulierten Sozialversicherungen, also der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung, auch private Kräfte zuständig sein, wie z.B. private Versicherungen, Betriebe, Kirchen, Wohlfahrtsverbände, die Familie oder jeder Bürger selbst. Wir würden nun gerne von Ihnen wissen, für welchen Anteil der Absicherung der Staat und die Sozialversicherungen bei den folgenden Aufgaben zuständig sein sollten. staatliche (vs. private) Zuständigkeit
A: B: C: D: E:
Gesundheitliche Versorgung für Kranke Den alten Menschen einen angemessenen Lebensstandard sichern Den Arbeitslosen einen angemessenen Lebensstandard sichern Finanzielle Absicherung bei Armut gewähren Familien und Alleinerziehende unterstützen«
Beantwortung auf 11er-Skala (mit grafischer Darstellung unterstützt): »100% private Kräfte«; »90% Staat & Sozialversicherungen und 10% private Kräfte«, »80% Staat & Sozialversicherungen und 20% private Kräfte«; (…); »100 % Staat & Sozialversicherungen«
267
Anhang
Differenz aus gewünschter Leistungshöhe (2) und wahrgenommener Leistungshöhe (1): (1) »Wie beurteilen Sie, allgemein betrachtet, die Höhe der [Gesetzlichen Krankenversicherung/Arbeitslosenversicherung/Sozialhilfe/Gesetzlichen Rentenversicherung]?« »Leistungsbewertung«
(2) »Und wie hoch sollten die Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung Ihrer Ansicht nach sein? Bitte berücksichtigen Sie bei dieser Entscheidung, dass höhere Leistungen auch zu einer Erhöhung der Krankenkassenbeiträge führen würden. Entsprechend würden niedrigere Leistungen zu einer Senkung der Krankenkassenbeiträge führen.« (Beispiel für Krankenversicherung; ähnlich lautende Formulierungen für Gesetzliche Rentenversicherung, Sozialhilfe und Arbeitslosengeld)
Beantwortung jeweils auf endpunktbeschrifteter 11er-Skala von 0 (»sehr niedrig«) bis 10 (»sehr hoch«); Skala der »Leistungsbewertung« von -10 bis 10 »erweiterte Wohlfahrts- »Inwieweit würden Sie den folgenden Aussagen über den Staat zustimmen oder staatlichkeit« nicht zustimmen?« Arbeitsplätze »Der Staat sollte einen Arbeitsplatz für jeden bereitstellen, der arbeiten will.« Staat sollte die Einkommensunterschiede zwischen Arm und Reich Einkommensunterschiede »Der abbauen.« Familien/Alleinerziehende »Der Staat sollte Familien und Alleinerziehende finanziell stärker unterstützen, als er es bisher tut.« Kinderbetreuungsplätze »Der Staat sollte mehr Geld zur Verfügung stellen, so dass jedes Kind einen Betreuungsplatz erhalten kann.« Beantwortung jeweils auf endpunktbeschrifteter 6er-Skala von 1 (»stimme überhaupt nicht zu«) bis 6 (»stimme voll und ganz zu«)
268
Anhang
A2.2 Erklärungsfaktoren
Beschreibung der Erklärungsfaktoren Itemformulierungen und Erläuterungen
(1) Soziale Lage220 Erikson-GoldthorpeKlassen (rekodiert zu 6 Kategorien)
bedarfsgewichtetes Haushaltsnettoeinkommen
Oben-Unten-Skala
Bildungsgrad (CASMIN-Klassifikation)
Alter Geschlecht Landesteil
220
Grundlage sind die Erikson-Goldthorpe-Klassen mit sieben Kategorien. »Selbständige Landwirte« und »Landarbeiter und andere Beschäftigte im primären Sektor« wurden wegen der geringen Fallzahlen zusammengefasst. Damit ergibt sich folgende Klasseneinteilung: Dienstklasse (service class), Angestellte mit Routinetätigkeiten (routine non-manuals), Selbständige (petty bourgeoisie), Facharbeiter und Meister (skilled workers), an- und ungelernte Arbeiter (unskilled workers) sowie selbständige Landwirte und Arbeiter im primären Sektor (farmers & farm labourers). »Wenn Sie die Einkommen aller Mitglieder ihres Haushalts zusammenzählen: Wie hoch ist das monatliche Netto-Einkommen ihres Haushalts insgesamt. Ich meine damit also die Summe der Erwerbseinkommen aller Haushaltsmitglieder und aller Sozialleistungen, die nach Abzug der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge übrig bleibt.« Gewichtung nach der alten OECD-Skala: Der Haushaltsvorstand erhält ein Gewicht von 1,0, jedes weitere Haushaltsmitglied, das 15 Jahre oder älter ist, ein Gewicht von 0,7, Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren ein Gewicht von 0,5 (vgl. u.a. Hauser 1996). »In unserer Gesellschaft gibt es Bevölkerungsgruppen, die eher oben stehen, und solche, die eher unten stehen. Wir haben hier eine Skala, die von oben nach unten verläuft. Wenn Sie an sich selbst denken: Wo würden Sie sich auf dieser Skala einordnen?« Beantwortung auf endpunktbeschrifteter 10er-Skala von 1 (»ganz unten«) bis 10 (»ganz oben«) Die neun CASMIN Kategorien wurden hier zu den folgenden drei Kategorien zusammengefasst, wobei jede Kategorie binär mit 0 und 1 kodiert ist: niedrig = kein Abschluss, Hauptschulabschluss ohne Berufsausbildung, Hauptschulabschluss mit Berufsausbildung mittel = Mittlere Reife mit Berufsausbildung, Mittlere Reife ohne Berufsausbildung, Fachhochschulreife/Abitur ohne Berufsausbildung, Fachhochschulreife/Abitur mit Berufsausbildung hoch = Fachhochschulabschluss, Hochschulabschluss Mann = 0; Frau = 1 Westdeutschland = 0; Ostdeutschland = 1
Einige Variablen (insbes. Bildung, Landesteil) sind zugleich proxy für kulturelle Erklärungsfaktoren.
Anhang
269
(2) Versorgungsklassenstatus; subjektive Interessendefinitionen Der Versorgungsklassenstatus wurde auf der Grundlage von drei Variablen geVersorgungsklassenbildet: status (1) Erwerbsstatus, (2) Art der Nichterwerbstätigkeit, (3) Leistungsempfang Insgesamt wurden folgende Versorgungsklassen unterschieden: (1) positive Versorgungsklassen: (2) Finanzierungsklassen: - Rentner - Arbeiter (Vollzeit/Teilzeit) - Pensionäre - Angestellte (Vollzeit/Teilzeit) - Arbeitslose - Beamte - Sozialhilfeempfänger - Selbständige Als Arbeitslose wurden Personen klassifiziert, die Arbeitslosengeld oder –hilfe beziehen. Personen, die nur Sozialhilfe beziehen, bilden den Versorgungsklassenstatus der Sozialhilfeempfänger. Sonstige Erwerbstätige und Nicht-Erwerbstätige wurden als Restkategorie(n) behandelt. Für die Untersuchung spezifischer Fragestellungen wurden einzelne Versorgungsklassen zusammengefasst. »Inwieweit würden Sie der folgenden Aussage zustimmen? Auch wer heute hoallgemeine Reziprozi- he Sozialversicherungsbeiträge zahlt, wird langfristig in der einen oder anderen Form vom System der sozialen Sicherung profitieren.« tätserwartungen Beantwortung auf endpunktbeschrifteter 6er-Skala von 1 (»stimme überhaupt nicht zu«) bis 6 (»stimme voll und ganz zu«) Diese Variable wurde gebildet durch die multiplikative Verknüpfung der »subjektiven Wahrscheinlichkeit eines Risikos« (1) mit der »Risikobewertung« (2): (1) »Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Sie in den nächsten 2 bis 3 Jahren [chronisch krank/arbeitslos/ Sozialhilfeempfänger] werden?« (2) »Und wie schlimm wäre es für Sie, wenn Sie [chronisch krank/arbeitslos/SoRisikoaversion zialhilfeempfänger] würden?« Beantwortung jeweils auf endpunktbeschrifteter 11er-Skala von 1 (»sehr unwahrscheinlich« bzw. »überhaupt nicht schlimm«) bis 11 (»sehr wahrscheinlich« bzw. »sehr schlimm«); Spektrum der Variable »Risikoaversion«: 1 (Minimum) bis 121 (Maximum) (3) Handlungs- und Wertorientierungen »Es gibt unterschiedliche Idealvorstellungen darüber, wie Einkommen und VerGerechtigkeitsmögen gerecht verteilt werden können. Auf dieser Liste stehen einige Aussagen überzeugungen zu diesem Thema. Bitte sagen Sie mir zu jeder dieser Aussagen, ob bzw. inwieweit Sie ihr zustimmen.« Gleichheit (Egalitaris- »Es wäre gerecht, Einkommen und Vermögen so zu verteilen, dass alle den gleimus) chen Anteil erhalten.« Leistungsgerechtigkeit »Es ist gerecht, wenn Menschen, die viel leisten, mehr verdienen als andere.« »Es wäre gerecht, wenn alle Menschen das bekommen, was sie zum Leben braucBedarfsgerechtigkeit hen, auch wenn Leute mit höherem Einkommen dafür etwas abgeben müssen.« Beantwortung jeweils auf endpunktbeschrifteter 6er-Skala von 1 (»stimme überhaupt nicht zu«) bis 6 (»stimme voll und ganz zu«) allgemeine Hand»Auf dieser Liste stehen einige Aussagen über grundlegende Einstellungen dazu, wie lungs- und Sozialman sich verhalten sollte. Bitte sagen Sie mir für jede dieser Aussagen, ob bzw. inwieorientierungen weit Sie ihr zustimmen.« Eigenverantwortung »Letztendlich ist jeder selbst für sein eigenes Wohlergehen verantwortlich.« Solidarität »Der Stärkere sollte dem Schwächeren helfen.« Reziprozitätsver»Wer Hilfe von anderen erhalten hat, sollte sich verpflichtet fühlen, selbst Hilfe pflichtung zu leisten.« Beantwortung jeweils auf endpunktbeschrifteter 6er-Skala von 1 (»stimme überhaupt nicht zu«) bis 6 (»stimme voll und ganz zu«) (4) Leistungsempfängereigenschaften »Auf dieser Liste stehen zunächst einige Meinungen über die Gesetzliche Rentenversicherung und über Rentner. Bitte sagen Sie mir für jede dieser Aussagen, inwieweit Sie ihr zustimmen oder nicht zustimmen.«
270
Bedürftigkeit
Anspruchsberechtigung
Anhang (Diese Stimulusformulierung wurde sinngemäß auch für die anderen Sicherungssysteme verwendet.) »Die meisten Menschen, die [eine gesetzliche Rente/Arbeitslosengeld/Sozialhilfe/Kindergeld] bekommen, brauchen [sie/es] wirklich.« Abweichende Formulierungen für Krankenversicherung: »Die meisten Menschen, die Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung bekommen, könnten sich ohne die Gesetzliche Krankenversicherung keine angemessene Behandlung leisten.« »Wer eine gesetzliche Rente erhält, bekommt sie zu Recht, weil er sich diese durch Beitragszahlungen verdient hat.« (sinngemäße Formulierungen für Arbeitslosengeld und Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung) Abweichende Formulierungen für Sozialhilfe und Kindergeld: »Wer Sozialhilfe erhält, bekommt sie zu Recht, weil jeder Mensch ein Recht auf das Notwendigste zum Leben hat.« »Wer Kindergeld erhält, bekommt es zu Recht, weil er durch die Erziehung von Kindern einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leistet.«
soziale Wertschätzung (Unterstützung swürdigkeit)
»[Alte Menschen/Kranke/Arbeitslose/Arme/ Familien] verdienen in besonderem Maße die Unterstützung der Gesellschaft.«
Missbrauch
»In der [Gesetzlichen Rentenversicherung/Gesetzlichen Krankenversicherung/Arbeitslosenversicherung/Sozialhilfe] kommt es häufig vor, dass jemand Leistungen erhält, obwohl er keinen Anspruch darauf hat.«
Verbleibsvictimisierung nur Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger) Eintrittsvictimisierung (nur Sozialhilfeempfänger)
»Viele [Arbeitslose/Sozialhilfeempfänger] müssten nicht so lange [Arbeitslosengeld/Sozialhilfe] beziehen, wenn sie sich mehr Mühe geben würden, [einen neuen Arbeitsplatz zu finden/wieder auf eigenen Füßen zu stehen].« »Viele Sozialhilfeempfänger sind durch eigenes Verschulden in die Sozialhilfe gerutscht.« Beantwortung jeweils auf endpunktbeschrifteter 6er-Skala von 1 (»stimme überhaupt nicht zu«) bis 6 (»stimme voll und ganz zu«)
271
Anhang
A2.3
Weitere, nur in einzelnen Analysen verwendete Variablen
Variable Folgen des Wohlfahrtsstaates weniger Konflikte Soziale Gerechtigkeit geringere Hilfsbereitschaft höhere Arbeitslosigkeit
Beurteilung der eigenen Alterssicherung
Beschäftigung im Öffentlichen Dienst
Parteiaffinität (Parteiidentifikation)
»Kinder«
»Benachteiligung Jüngerer« (in der Gesetzlichen Rentenversicherung)
Itemformulierungen und Erläuterungen »Das System der sozialen Sicherung kann gute und schlechte Auswirkungen haben. Wir haben hier verschiedene Aussagen zu diesem Thema zusammengestellt. Bitte sagen Sie uns für jede Aussage, inwieweit diese Ihrer Meinung nach stimmt oder nicht stimmt.« »Durch das System der sozialen Sicherung gibt es weniger Konflikte zwischen Armen und Reichen.« »Das System der sozialen Sicherung führt zu mehr sozialer Gerechtigkeit.« »Weil sich immer mehr Menschen zu sehr auf das System der sozialen Sicherung verlassen, sinkt die Hilfsbereitschaft in Familie und Nachbarschaft.« »Die Kosten der sozialen Sicherung belasten die Wirtschaft und führen so zu höherer Arbeitslosigkeit.« Beantwortung jeweils auf endpunktbeschrifteter 6er-Skala von 1 (»stimmt überhaupt nicht«) bis 6 (»stimmt voll und ganz«) »Die zentralen Sicherungssysteme wie insbesondere die Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung und die Sozialhilfe haben ja vor allem die Aufgabe, die Menschen in verschiedenen Lebenslagen abzusichern. Wie beurteilen Sie Ihre eigene Absicherung durch die sozialen Sicherungssysteme?« Beantwortung auf endpunktbeschrifteter 6er-Skala von 1 (»überhaupt nicht gut«) bis 6 (»sehr gut«) Dummy-Variable, die auf 1 kodiert wurde, wenn eine der folgenden beiden Bedingungen erfüllt ist: (a) Die befragte Person ist erwerbstätig und der Betrieb, bei dem sie beschäftigt ist, gehört zum öffentlichen Dienst. (b) Die befragte Person ist nicht erwerbstätig und der Betrieb, bei dem sie zuletzt beschäftigt war, gehört zum öffentlichen Dienst. 0 = Betrieb gehört nicht zum öffentlichen Dienst; 1 = Betrieb gehört zum öffentlichen Dienst »Viele Leute in der Bundesrepublik neigen längere Zeit einer bestimmten politischen Partei zu, obwohl sie auch ab und zu mal eine andere Partei wählen. Wie ist das bei Ihnen. Neigen Sie – ganz allgemein gesprochen – einer bestimmten Partei zu?« (Antwort: Ja/Nein) »Sagen Sie mir bitte noch, welche Partei das ist?« Antwortkategorien: CDU/CSU; SPD; FDP; B90/Grüne; PDS; andere Partei; keine Parteiaffinität Generiert aus der Vereinigungsmenge von »Haushaltstyp« und dem Empfang von Kindergeld. Eine Person wurde auf dieser Dummy-Variable mit 1 kodiert, wenn mindestens eine der drei folgenden Bedingungen erfüllt ist: (a) Der Haushalt, dem die befragte Person angehört, besteht aus einem (Ehe-)Paar mit mindestens einem Kind unter 27 Jahren. (b) Der Haushalt, dem die befragte Person angehört, besteht aus einer Alleinerziehenden oder einem Allerziehenden mit mindestens einem Kind unter 27 Jahren. (c) Mindestens ein Mitglied des Haushalts, dem die befragte Person angehört, erhält Kindergeld. Dummy Variable: 0 = keine Kinder, 1 = Kind(er) »Insgesamt lohnt es sich für die jüngere Generation viel weniger als für die ältere, in der Gesetzlichen Rentenversicherung zu sein.« Beantwortung auf endpunktbeschrifteter 6er-Skala von 1 (»stimme überhaupt nicht zu«) bis 6 (»stimme voll und ganz zu«)
272
Anhang
»Dadurch, dass es sich für die jüngere Generation weniger lohnt, in der Ge»Generationenkonflikt« setzlichen Rentenversicherung zu sein, als für die ältere, kommt es zu Konflik(in der Gesetzlichen ten zwischen den Generationen.« Rentenversicherung) Beantwortung auf endpunktbeschrifteter 6er-Skala von 1 (»stimme überhaupt nicht zu«) bis 6 (»stimme voll und ganz zu«) Summenindex aus allen zusätzlichen Maßnahmen zur finanziellen Absicherung im Alter: »Abgesehen von gesetzlichen Renten oder Pensionen: Haben Sie zusätzliche Maßnahmen zur finanziellen Absicherung im Alter getroffen? Wenn Private Altersvorsorge ja: Welche?« Antwortkategorien: Riester Rente; Betriebsrente/Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes; Kapitallebensversicherung; Sonstige Privatrente; Wohneigentum; Aktien, Fondsanlagen oder andere Wertpapiere; Sonstige Ersparnisse; Andere Generiert aus der Wahrnehmung der eigenen Verteilungsposition (1) und der Erwartung eines langfristigen Ausgleichs bei Nettozahlern (2): (1) »Was schätzen Sie: Inwieweit entsprechen die Leistungen, die Sie und gegebenenfalls bei Ihnen mitversicherte Familienangehörige erhalten haben, den von Ihnen gezahlten Krankenkassenbeiträgen? Bitte berücksichtigen Sie bei Ihrer Einschätzung nur den Zeitraum seit Ihrer ersten versicherungspflichtigen »Bilanzierung« Erwerbstätigkeit.« (der VerteilungsposiBeantwortung auf end- und mittelpunktbeschrifteter 7er-Skala von 1 (»viel wetion in der Gesetzlichen niger gezahlt als erhalten«) über 4 (»ungefähr genauso viel gezahlt wie erhalKrankenversicherung) ten«) bis 7 (»viel mehr gezahlt als erhalten«) (2) »(...) Meinen Sie, dass sich Ihre bisher vergleichsweise hohen Beiträge später in der einen oder anderen Form ausgleichen werden oder wird sich das nicht ausgleichen?« Antwortkategorien: Ja/Nein Ausprägungen der Variable »Bilanzierung«: »mehr erhalten«; »weniger erhalten – wird sich ausgleichen«; »weniger erhalten – wird sich nicht ausgleichen« »Mitversicherte« (GeDummy-Variable, die angibt, ob über den/die Befragte/n weitere Personen in setzliche Krankenver- der Gesetzlichen Krankenversicherung mitversichert sind. sicherung) 0 =keine Mitversicherten ; 1 = mindestens eine Person mitversichert