Broschiert - 78 Seiten - Fischer (Tb.), Frankfurt Erscheinungsdatum: November 1992 ISBN: 3596114268
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Broschiert - 78 Seiten - Fischer (Tb.), Frankfurt Erscheinungsdatum: November 1992 ISBN: 3596114268
Personen PAULINA Salas, ca. 40 Jahre alt GERARDO Escobar, ihr Mann, ein Anwalt, ca. 45 Jahre alt ROBERTO Miranda, ein Arzt, ca. 50 Jahre alt Zeit: Gegenwart Ort: Ein Land, wahrscheinlich Chile, aber auch jedes andere Land, das sich zu einer demokratischen Regierung bekennt, kurz nach einer langen Zeit der Diktatur
1.Akt 1.Szene Meeresgeräusche. Nach Mitternacht. Das Strandhaus der Escobars. Eine Terrasse und ein großzügiger Wohn-Eß-Bereich. Der Tisch mit zwei Stühlen ist für das Abendessen gedeckt. Auf einer Kommode stehen ein Kassettenrekorder und eine Lampe. Große Glaswände trennen die Terrasse von dem Zimmer. Die Vorhänge flattern im Wind. Eine Tür führt von der Terrasse zum Schlafzimmer. Paulina Salas sitzt auf einem Stuhl auf der Terrasse. Es sieht aus, als würde sie im Mondlicht einen Drink nehmen.
Die Geräusche eines herannahenden Autos sind zu hören. Sie steht schnell auf, geht in das Zimmer, schaut aus dem Fenster. Das Auto bremst, der Motor läuft noch. Die Lichter blenden sie. Sie geht zu der Kommode, nimmt eine Pistole heraus, hält inne; als der Motor ausgeschaltet wird, hört sie Gerardos Stimme. GERARDO off Wollen Sie wirklich nicht kurz mit reinkommen? Auf einen Drink? Murmelnde Antwort aus dem Auto ... Also gut, dann holen wir das aber bald nach... Muß Montag wieder zurück sein. Wie wär's mit Sonntag? Murmelnde Antwort aus dem Auto ... Meine Frau macht Margaritas, das haut Sie vom Hocker... Ich muß Ihnen noch mal sagen, wie sehr ich zu schätzen weiß... Murmelnde Antwort aus dem Auto Also, dann bis Sonntag. Er lacht. Paulina versteckt schnell die Pistole. Sie steht hinter dem Vorhang. Das Auto fährt weg, und die Scheinwerfer gehen noch einmal durch das Zimmer. Ge-rardo betritt den Raum. Paulie? Paulina?
Er sieht Paulina versteckt hinter dem Vorhang. Er knipst ein Licht an. Sie kommt langsam hinter dem Vorhang hervor. Was ist mir dir, was machst du denn da? Tut mir leid, daß ich so spät bin... Ich... PAULINA versucht, nicht auf geregt zu wirken Wer war das? GERARDO Ich hatte nur... PAULINA Wer war das? GERARDO ... es war nur - kein Grund zur Aufregung, nichts Schlimmes - ich hatte lediglich einen - zum Glück hat ein Mann gehalten und einen ganz ordinären Platten, und... Paulina, man sieht hier ja kaum die Hand vor Augen... Er macht eine weitere Lampe an und sieht den gedeckten Tisch. Mein armer kleiner Liebling. Es muß inzwischen ja alles kalt geworden... PAULINA sehr ruhig bis zum Ende der Szene Das kann man aurwärmen. Das heißt, falls wir etwas zum Feiern haben. Kurze Pause Du hast doch was zum Feiern, Gerardo, oder? GERARDO Das hängt von dir ab.
Pause. Er zieht einen riesigen Nagel aus der Jackentasche. Weißt du, was das ist? Dieses Miststück hat sich in meinen Reifen gerammt. Und weißt du auch, was jeder normale Mann mit einem platten Reifen macht? Er geht zum Kofferraum und holt seinen Ersatzreifen, das heißt, falls der nicht genauso platt ist. Falls seine Frau zufällig daran gedacht haben sollte, den Ersatzreifen flicken zu lassen, ja? PAULINA Seine Frau. Klar, wer sonst, es ist immer die Frau, die sich um alles kümmern muß. Dabei war der Reifen deine Sache. GERARDO Ich habe wirklich keine Lust zu streiten, aber es war ausgemacht... PAULINA Daß du dich darum kümmerst. Ich mache alles im Haus, und du kümmerst dich... GERARDO Erst verzichtest du auf jede Hilfe, aber dann... PAULINA ... zumindest um das Auto. GERARDO ... dann beklagst du dich. PAULINA Ich beklage mich überhaupt nicht.
GERARDO Das ist doch alles absurd! Worüber streiten wir eigentlich? Ich hab schon vergessen, was... PAULINA Wir streiten überhaupt nicht, Liebling. Du hast mir vorgeworfen, daß ich deinen Ersatzreifen nicht hab flicken lassen... GERARDO Meinen Ersatzreifen? PAULINA ... und ich habe dir vorsichtig zu verstehen gegeben, daß GERARDO Halt, einen Moment! Laß uns das ein für allemal klarstellen: Du hast den Reifen, gut, unseren Reifen, nicht flicken lassen, das ist die eine Sache, aber da ist noch eine Kleinigkeit. Der Wagenheber. PAULINA Was ist mit ihm? GERARDO Genau. Was ist mit ihm? Was hast du mit dem Wagenheber gemacht? Du weißt, dieses Ding, um den Wagen hochzu PAULINA Du brauchst einen Wagenheber? Und wozu hast du so starke Arme, mein Lieber? GERARDO sie umarmend Damit ich dich besser umarmen kann. Kurze Pause, während sie sich umarmen
Trotzdem. Was zum Teufel hast du mit dem Wagenheber gemacht? PAULINA Ich habe ihn meiner Mutter gegeben. GERARDO sie loslassend Deiner Mutter? Du hast ihn deiner Mutter gegeben? PAULINA Geliehen. Ja. GERARDO Und darf ich fragen, warum? PAULINA Darfst du. Weil sie ihn brauchte. GERARDO Und ich - das heißt, wir, wozu sollten wir schon... Du kannst nicht einfach immer Liebling, das geht einfach nicht. PAULINA Mama ist in den Süden runtergefahren und hat ihn wirklich gebraucht, während du... GERARDO Wahrend ich in den Mond gucken kann. PAULINA Nein. GERARDO Doch. Ich kriege ein Telegramm, muß auf der Stelle zum Präsidenten in die Stadt, für mich wohl das wichtigste Treffen in meinem ganzen Leben überhaupt, und... PAULINA Ja.
GERARDO ... und da hegt dieses Miststück von Nagel auf der Lauer, wartet auf mich, ich kann von Glück sagen, nicht auf dem Hinweg - und dann steh ich da, mitten auf der verdammten Straße, ohne Ersatzreifen und ohne Wagenheber. PAULINA Ich wußte, daß du jemanden finden würdest, der dir beisteht da draußen. War sie wenigstens hübsch? Sexy? GERARDO Ich hab doch gesagt, es war ein Mann. PAULINA Gar nichts hast du. GERARDO Warum mußt du immer gleich denken, eine Frau sei im Spiel... PAULINA Ja, warum eigentlich? Ich komme einfach nicht drauf. Kurze Pause War er nett? Der Mann, der... ? GERARDO Netter Kerl. Aber selbst wenn Graf Dracula zu meiner Rettung angehalten hätte, mir wäre er wie Mutter Theresa erschienen. Ich hatte jedenfalls Glück, daß er... PAULINA Da siehst du's. Ich habe keine Ahnung, wie, aber du schaffst es immer, aus allem gut rauszukommen... Während Mutter, da kannst du sicher sein, wenn sie irgendwo mit einem Platten liegenbliebe, bestimmt würde irgendeine völlig durchgeknallte Person anhalten und - du weißt ja,
wie sie die verrücktesten Leute anzieht, sie ist wie ein Magnet... GERARDO Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie glücklich es mich macht, daß deine Mutter mit meinem Wagenheber den Süden durchstreift, bar aller Probleme, während ich da draußen stundenlang PAULINA Nun übertreib mal nicht... GERARDO Immerhin funfundvierzig Minuten. Exakt fünf-undvierzig Minuten. Weißt du, was ich gemacht habe? Ich habe wie eine Windmühle mit den Armen gerudert, in der Hoffnung, daß - nicht eine Menschenseele hat angehalten. In diesem Land hier haben wir vergessen, was Solidarität heißt. Glück gehabt, daß dieser Mann - Roberto Miranda heißt er - ich hab ihn eingeladen, um PAULINA Ich hab's gehört. GERARDO Wie wär's mit Sonntag? PAULINA Sonntag klingt gut. Kurze Pause GERARDO Da wir ja Montag zurück müssen. Ich zumindest. Und ich dachte, du möchtest vielleicht mit mir kommen, die Ferien abbrechen...
PAULINA Also hat der Präsident dich ernannt, was? Kurze Pause GERARDO Er hat mich ernannt. PAULINA Der Höhepunkt deiner Karriere. GERARDO Ich würde nicht sagen Höhepunkt. Aber immerhin, ich bin der Jüngste von allen, die ernannt worden sind. PAULINA Gut. Wenn du in einigen Jahren Justizminister bist, wird das dann der Höhepunkt sein, was? GERARDO Das hangt sicher nicht von mir ab. PAULINA Hast du es ihm erzählt? GERARDO Wem? PAULINA Deinem guten Samariter. GERARDO Du meinst Roberto Miranda? Ich kenne den Mann kaum. Außerdem, ich hab mich noch gar nicht entschieden, ob ich... PAULINA Du hast dich entschieden.
GERARDO Ich habe ihm gesagt, daß ich mich bis morgen entscheiden würde, daß ich mich äußerst geehrt fühlte, aber noch mal... PAULINA Dem Präsidenten? Du hast das so dem Präsidenten gesagt? GERARDO Ich habe dem Präsidenten gesagt, ich brauchte noch ein wenig Bedenkzeit. PAULINA Ich sehe nicht, was es da zu bedenken gibt. Du hast dich entschlossen, Gerardo, das weißt du auch, während all dieser Jahre hast du darauf hingearbeitet, warum also so tun, als... GERARDO Weil zuerst noch - zuerst mußt du ja sagen. PAULINA Also: Ja. GERARDO Dieses Ja genügt mir nicht. PAULINA Ein anderes Ja habe ich nicht. GERARDO Ich hab schon andere gehört. Kurze Pause Falls ich annehmen sollte, muß ich wissen, daß ich auf dich zählen kann, daß du nicht das Gefühl hast... Angenommen, du hättest so was wie... einen Rückfall, ich wäre... PAULINA Blockiert, du wärst wieder blockiert. Angreifbar. Und müßtest dich wieder um mich kümmern.
GERARDO Das ist nicht fair. Kurze Pause Wirfst du mir vor, daß ich mich um dich kümmere? PAULINA Und du hast also dem Präsidenten erzählt, daß deine Frau Probleme haben könnte, wenn... Pause GERARDO Er weiß nichts. Niemand weiß etwas. Nicht einmal deine Mutter. PAULINA Es gibt Leute, die es wissen. GERARDO Ich rede nicht von denen. Jedenfalls weiß niemand in der neuen Regierung etwas. Ich rede davon, daß wir es nie publik gemacht haben, da du nie - da wir nie Anzeige erstatten, wenn... PAULINA ... es nicht tödlich endet, was? GERARDO Paulina, tut mir leid, ich PAULINA Die Kommission, in die du berufen bist. Die untersucht doch nur Fälle mit Todesfolge, oder? GERARDO Unsere Aufgabe ist die Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen mit tatsächlicher oder wahrscheinlicher Todesfolge. PAULINA Also nur die schwersten Fälle?
GERARDO Wenn wir es schaffen, die schlimmsten Verbrechen aufzuklären, kommen andere Vergehen dann auch ans Licht, das steht dahinter. PAULINA Also nur die schwersten Fälle? GERARDO Laß es uns so sagen, die Fälle, die jenseits -Sagen wir so: die nicht mehr zu heilen sind. PAULINA Nicht mehr zu heilen. Irreparabel, was? GERARDO Ich will darüber nicht reden, Paulina. PAULINA Meinst du, mir macht es Spaß, darüber zu reden. GERARDO Andererseits müssen wir darüber reden, oder nicht? Ich werde die nächsten Monate damit verbringen, Beweismaterial zu sichten. Verwandte, Augenzeugen und Überlebende anzuhören - und dann komme ich nach Hause und - du würdest auch gar nicht wollen, daß ich das alles für mich behalte. Und was, wenn du... wenn du... Er nimmt sie in die Arme. Wenn du wüßtest, wie sehr ich dich liebe. Wenn du wüßtest, wie sehr mir das immer noch weh tut. Kurze Pause
PAULINA ihn heftig umklammernd Ja. Ja. Ja. Ist es das Ja, das du hören wolltest. GERARDO Das Ja wollte ich. PAULINA Finde heraus, was passiert ist. Finde alles heraus. Versprich mir, daß du alles herausfindest, das ...GERARDO Alles. Alles, was in unserer Macht steht... Wir gehen so weit wie... Pause Wir sind... PAULINA Gebunden. GERARDO Es gibt Grenzen, laß uns lieber von Grenzen sprechen. Aber im Rahmen dieser Grenzen können wir sehr viel erreichen... Wir werden unsere Ergebnisse veröffentlichen. Es wird einen offiziellen Bericht geben. Was geschehen ist, wird präzise und objektiv festgehalten, und niemand wird es mehr leugnen können, nie wieder wird unser Land diese Exzesse durchleben müssen, die... PAULINA Und was dann? Gerardo schweigt. Du hörst die Verwandten der Opfer an, du prangerst die Verbrechen öffentlich an, und was passiert mit den Verbrechern?
GERARDO Das ist Sache der Justiz. Die Gerichte erhalten eine Kopie der von uns gesammelten Beweise, und ausgehend davon kann die Justiz PAULINA Die Justiz? Die gleiche Justiz, die in siebzehn Jahren Diktatur nichts unternommen hat, um nur ein einziges Leben zu retten? Die alle Fälle von Verschleppung geleugnet hat? Jener Frau, die ihren vermißten Mann suchte, hat Richter Peralta gesagt, der sei ihrer wahrscheinlich überdrüssig geworden und mit einer anderen Frau durchgebrannt. Meinst du diese Justiz? Justiz? Justitia? Gerechtigkeit? Wahrend sie spricht, beginnt Paulina erst leise, dann immer hysterischer zu lachen. GERARDO Paulina. Paulina, laß es gut sein. Paulina. Er nimmt sie in seine Arme. Sie beruhigt sich langsam. Dummes Madchen, mein dummes Kleines, du. Kurze Pause Und was, wenn dir das mit dem Platten passiert wäre? Du, alleine auf der Straße da draußen. Die Autos rauschen vorbei, eine undurchdringliche Kette von Scheinwerfern, gleißende Lichtkegel, und niemand hält. Hast du daran gedacht, was alles hatte passieren können, wenn du alleine da draußen auf der Straße gewesen wärst...
PAULINA Jemand hätte angehalten. Wahrscheinlich auch dieser - Miranda? GERARDO Wahrscheinlich. Nicht jeder ist ein Hurensohn. PAULINA Nein... Nicht jeder. GERARDO Ich habe ihn für Sonntag auf einen Drink eingeladen. Was meinst du? PAULINA Sonntag klingt gut. Kurze Pause Ich hatte Angst. Ich horte ein Auto. Ich hab nachgeschaut, es war nicht deins. GERARDO Aber es war doch keine Gefahr. PAULINA Nein. Kurze Pause Gerardo. Du hast dem Präsidenten bereits zugesagt, nicht wahr? Die Wahrheit, Gerardo. Oder willst du die Arbeit in der Kommission mit einer Lüge beginnen? GERARDO Ich wollte dich nicht verletzen. PAULINA Du hast dem Präsidenten also zugesagt? Bevor du mich gefragt hast? So ist es doch? Die Wahrheit, Gerardo. GERARDO Ja. Ich hab ihm gesagt, ich würde es machen. Ja. Ohne dich vorher zu fragen. Dunkel
2. Szene Eine Stunde später. Niemand ist auf der Bühne, nur das Mondlicht, schwächer als zuvor, scheint durch die Fenster. Der Tisch ist abgeräumt. Meeresgeräusche. Motorengeräusche eines sich nähernden Autos. Die Scheinwerfer gehen durch das Zimmer. Sie werden ausgeschaltet, eine Autotür öffnet sich und wird zugeschlagen. Jemand klopft an der Tür. Zuerst vorsichtig, dann härter. Eine Lampe geht im Off an und gleich wieder aus. Das Klopfen an der Tür wird stärker. Gerardo kommt im Schlafanzug aus dem Schlafzimmer. GERARDO zu Paulina im Schlafzimmer Es ist nichts. Was? Schon gut. Liebes, schon gut, ich bin vorsichtig. Er knipst die Lampe an. Ich komme, ich komme! Er geht zur Tür, öffnet. Roberto Miranda steht davor. Sie sind's! Haben Sie mir einen verdammten Schrecken eingejagt!
ROBERTO Bitte entschuldigen Sie vielmals diesen - Überfall, ich dachte, Sie sind sicher noch beim Feiern. GERARDO Verzeihen Sie mein - bitte, kommen Sie doch herein. Roberto betritt das Haus. Wir haben uns einfach immer noch nicht daran gewöhnt. ROBERTO An was gewöhnt? GERARDO An die Demokratie. Daran, daß es um Mitternacht an deiner Tür klopft und draußen ein Freund steht und nicht... Paulina schleicht auf die Terrasse. Von dort kann sie die Männer hören, aber nicht sehen oder von ihnen gesehen werden. ROBERTO Und nicht diese Hurensöhne, was? GERARDO Meine Frau, sie... sie ist ein bißchen nervös und... Sie werden verstehen, daß - Sie müssen entschuldigen, wenn sie nicht... Vielleicht sollten wir etwas leiser sprechen... ROBERTO Aber natürlich, mein Fehler, ich dachte nur... GERARDO Bitte, setzen Sie sich doch...
ROBERTO ... ich schaue ganz kurz herein... Gut, aber nur für eine Minute, nicht länger - Sie müssen sich fragen, warum dieser plötzliche Besuch... Also, ich bin zu meinem Strandhaus weitergefahren. GERARDO Verzeihung, aber möchten Sie einen Drink? Sonntag bekommen Sie einen der berühmten Margari-tas meiner Frau, jetzt kann ich Ihnen einen Cognac aus dem Duty-free anbieten, den ich Paulina rückt etwas näher und lauscht. ROBERTO Nein, danke, ich... Na ja, vielleicht einen klitzekleinen. Also, ich hatte das Radio an und... plötzlich, es traf mich wie der Blitz, hörte ich Ihren Namen in den Nachrichten, es war die Namensliste der Männer, die den Untersuchungsausschuß des Präsidenten bilden, und plötzlich sagen sie Gerardo Escobar, und ich sag mir, der Name kommt dir bekannt vor, aber wo zum - Ich hab ihn nicht mehr aus dem Kopf gekriegt, und als ich zu Hause ankam, da kam es mir plötzlich. Und gleichzeitig fiel mir ein, daß wir Ihren Reifen in meinen Kofferraum geladen haben und daß Sie ihn ja morgen flicken lassen müssen und... Also, die volle, reine Wahrheit ist... Wollen Sie die Wahrheit hören? GERARDO Ich kann's kaum erwarten.
ROBERTO Ich sagte mir - dieser Mann hat eine so bedeutende Aufgabe, entscheidend für die Ehre der Nation -damit das Volk die Spaltung überwinden und dem Haß der Vergangenheit den Rücken kehren kann. Ich dachte mir, das ist sein letztes Wochenende, frei von all den Sorgen und Problemen - für, wer weiß, wie viele Monate, richtig? - was ist, hab ich recht? Sie werden kreuz und quer durch dieses Land ziehen. Tausende von Menschen anhören... Erzählen Sie mir nicht, daß GERARDO Das ist sicher wahr, aber ich würde nicht so weit gehen zu ROBERTO Und da hab ich mir gedacht, das Mindeste, was ich tun kann, ist, hinfahren und ihm den Reifen bringen, damit er nicht auch noch ein Taxi oder einen Wagen von der Werkstatt rufen muß - wer hat schon Telefon hier draußen. GERARDO Sie geben mir wirklich das Gefühl, als ob ich ROBERTO Nein, ich sage Ihnen, und das kommt mir aus dem Herzen, diese Kommission wird uns helfen, ein äußerst schmerzhaftes Kapitel unserer Geschichte zu schließen, und hier bin ich, sowieso alleine dieses Wochenende, wir müssen alle anpacken - es ist nicht mehr als eine klitzekleine Geste, aber GERARDO Morgen wäre auch noch Zeit gewesen.
ROBERTO Morgen? Sie kommen zu Ihrem Auto kein Ersatzreifen. Also müssen Sie sich auf die Suche nach mir machen. Nein, mein Lieber - dann hab ich mir gedacht, ich kann mich gleich anbieten. Ihnen morgen zur Hand zu gehen mit meinem Wagenheber - dabei fällt mir ein -was ist jetzt eigentlich mit Ihrem Wagenheber, haben Sie herausgefunden GERARDO geliehen.
Meine
Frau
hat
ihn
ihrer
Mutter
ROBERTO Ihrer Mutter? GERARDO Wie Frauen nun mal so sind... ROBERTO lachend Weiß ich nur zu gut. Das letzte Geheimnis. Wir sind zwar dabei, die letzten Winkel der Erde zu erforschen, mein Lieber, doch die weibliche Seele bleibt unergründlich. Wissen Sie, wie Nietzsche es einmal ausdrückte - ich glaube, es war Nietzsche. Daß wir diese weibliche Seele niemals vollständig besitzen können. Vielleicht war er es doch nicht. Allerdings können Sie sicher sein, der alte Nietzsche hätte es geschrieben, wenn er ohne Wagenheber auf nächtlicher Straße herumgestanden wäre. GERARDO Und ohne Ersatzreifen. ROBERTO Und ohne Ersatzreifen. Womit wir wieder beim Thema wären - ich werde also
mitkommen, und dann haben wir die Operation an einem Morgen hinter uns...
ganze
GERARDO Ich habe das Gefühl, ich bürde Ihnen da etwas auf ROBERTO Ich will nichts mehr hören. Ich helfe gerne anderen. Ich bin Arzt - ich glaube, das sagte ich schon, oder? - Aber denken Sie jetzt nicht, daß ich nur bedeutenden Leuten helfe. GERARDO Wenn Sie geahnt hätten, was da auf Sie zukommt, hätten Sie das Gaspedal wahrscheinlich voll durchgedrückt, was? ROBERTO lachend Allerdings. Nein, im Ernst, ist überhaupt kein Problem. Ist eine Ehre für mich. Wenn Sie die volle, reine Wahrheit wissen wollen, dann bin ich heute nacht nur rübergekommen, um Ihnen zu gratulieren, Ihnen zu sagen, daß... Sie sind genau das, was dieses Land braucht, es muß die ganze Wahrheit kennen, ein für allemal... GERARDO Was unser Land braucht, ist Gerechtigkeit. Aber wenn es uns gelingt, wenigstens einen Teil der Wahrheit ans Licht zu bringen... ROBERTO Genau, was ich sagen wollte. Selbst wenn wir diese Leute nicht vor Gericht stellen können, selbst wenn sie unter den Schutz der Amnestie fallen, die sie selbst angeordnet haben -
zumindest ihre Öffentlichkeit...
Namen
kommen
an
die
GERARDO Ihre Namen müssen geheim bleiben. Die Kommission darf die Urheber der Verbrechen nicht identifizieren ROBERTO In diesem Land kommt alles irgendwann ans Licht. Ihre Kinder, ihre Enkel, sie werden kommen und fragen, ist es wahr, daß du das getan hast, du hast also getan, was sie dir vorwerfen? Und sie werden lügen müssen. Sie werden sagen, alles Verleumdung, eine kommunistische Verschwörung oder irgend etwas anderes Unsinniges. Aber die Wahrheit wird ihnen im Gesicht geschrieben stehen, und ihre eigenen Kinder und Enkelkinder werden für sie Trauer empfinden, Verachtung und Trauer. Es ist nicht, als würde man sie ins Gefängnis stecken, aber... GERARDO Eines Tages vielleicht... ROBERTO Wenn die Bürger dieses Staates genug Wut und Zorn entwickeln, werden wir vielleicht sogar die Amnestie widerrufen können. GERARDO Sie wissen, das ist nicht möglich. ROBERTO Ich bin dafür, die ganze Bande umzubringen, aber ich kann auch sehen, daß...
GERARDO Da muß ich leider widersprechen, Roberto, aber meiner Meinung nach hat die Todesstrafe noch nie irgendein Problem gelöst ROBERTO Dann sind wir unterschiedlicher Meinung, Ge-rardo. Es gibt Leute, die es einfach nicht verdienen, am Leben zu sein. Aber worauf ich eigentlich hinauswollte, es wird da durchaus ein Problem auf Sie zukommen... GERARDO Mehr als eines. Erst einmal wird die Armee die Kommission in allem bekämpfen. Sie haben dem Präsidenten bereits mitgeteilt, daß sie diese Untersuchung für eine Beleidigung halten und für gefährlich, ja, für gefährlich, da die neue Regierung nur alte Wunden aufreißen würde. Aber der Präsident hat keinen Rückzieher gemacht, Gott sei Dank, eine Zeitlang dachte ich, er würde kalte Füße bekommen, aber uns allen ist natürlich klar, beim kleinsten Fehler werden sich diese Leute auf uns stürzen... ROBERTO Nun, das ist genau mein Punkt. Wenn Sie sagen, die Namen werden nicht bekanntgegeben, wenn Sie -Vielleicht haben Sie recht, vielleicht werden wir nie erfahren, wer diese Leute wirklich waren, sie bilden eine Art von... GERARDO Mafia. ROBERTO Mafia, Geheimbund, niemand gibt Namen preis, und sie decken sich gegenseitig. Die Armee wird gar nicht zulassen, daß ihre Männer
vor eurer Kommission aussagen, und wenn eure Leute sie vorladen, dann ignorieren sie das einfach, sagen: »Ihr könnt mich«... Vielleicht haben Sie ja recht, und die Sache mit den Kindern und den Enkelkindern ist nur ein schöner Traum. Es ist vielleicht nicht so einfach, wie ich dachte, darauf wollte ich eigentlich nur hinaus. GERARDO Aber auch nicht so schwierig. Der Präsident hat mir gesagt - das bleibt natürlich unter uns ROBERTO Natürlich. GERARDO Er hat mir gesagt, es gibt Leute, die bereit sind, auszusagen, geheim natürlich, so lange ihnen Vertraulichkeit garantiert wird. Und wenn die Leute erst einmal angefangen haben zu reden, wenn das große Bekennen beginnt, dann werden die Namen nur so aus ihnen heraussprudeln. Wie Sie schon sagten: In diesem Land wird man letztendlich alles wissen. ROBERTO Ich wünschte, ich könnte Ihren Optimismus teilen. Doch fürchte ich, einiges werden wir nie erfahren. GERARDO Es gibt Grenzen, aber so enge auch wieder nicht. Mindestens können wir eine Art moralischer Bestätigung erwarten, das ist das Mindeste... Da wir von den Gerichten keine Gerechtigkeit zu erwarten haben ...
ROBERTO Ich hoffe bei Gott, Sie behalten recht. Aber es ist schon spät. - Guter Gott, es ist zwei Uhr. Wie wär's, ich hol Sie morgen früh hier ab, sagen wir, gegen neun? GERARDO Warum bleiben Sie nicht gleich hier? Es sei denn, jemand erwartet Sie... ROBERTO Kein Mensch. GERARDO Nun, wenn Sie alleine sind. ROBERTO Das nicht. Meine Frau und die Kinder sind verreist, Disneyland und so - aber da ich es hasse zu fliegen und auch gerade ein paar Patienten habe, die GERARDO Aber doch wohl nicht in Ihrem Strandhaus. Also, warum bleiben Sie nicht -? ROBERTO Wirklich sehr nett von Ihnen, aber ich bin ganz gerne für mich, schaue den Wellen zu, höre meine Musik. Ich bin hergekommen, um Ihnen zu helfen, und nicht, um Ihnen Umstände zu machen. Ich werde morgen so gegen GERARDO Davon will ich nichts hören. Sie bleiben. Sie sind wie weit? Eine halbe Stunde entfernt? ROBERTO Es sind ungefähr vierzig Minuten auf der Küstenstraße, aber wenn ich -
GERARDO Kein Wort mehr. Paulina wird sich freuen, und Sie werden sehen, was sie uns morgen für ein Frühstück machen wird... ROBERTO Das klingt überzeugend! Frühstück! Ich glaube, wir haben nicht mal Milch in unserem Strandhaus. Und die volle und reine Wahrheit ist, ich bin schrecklich müde... Paulina zieht sich schnell über die Terrasse in ihr Schlafzimmer zurück. GERARDO Wenn Sie noch irgendwas brauchen... ? Eine Zahnbürste ist das einzige, was ich Ihnen nicht anbieten kann... ROBERTO Es gibt zwei Dinge, die ein Mann nie verleiht, mein Freund, eins ist seine Zahnbürste. GERARDO Genau. ROBERTO Gute Nacht. Gerardo und Roberto gehen in verschiedene Richtungen zu ihren jeweiligen Schlafzimmern. Eine kurze Pause: Schweigen und Mondlicht GERARDO off Paulina, Liebes... Dieser Doktor, der mir geholfen hat, der übernachtet hier. Liebes? Er übernachtet hier, weil er mir morgen mit dem Auto hilft. Liebling, hörst du?
PAULINA off, wie im Halbschlaf Ja, Liebster. GERARDO off Er ist ein Freund. Daß du nicht erschrickst, ja? Du könntest uns doch morgen ein schönes Frühstück machen... Nur die Geräusche des Meeres sind noch zu hören.
3.Szene Etwas später. Eine Wolke schiebt sich vor den Mond. Das Meeresrauschen wird lauter und dann langsam zurückgenommen. Stille. Paulina kommt angezogen ins Zimmer. Im Mondlicht kann man sie zur Schublade der Kommode gehen sehen, sie nimmt die Pistole heraus. Sie sucht in einer anderen Schublade in ihren Kleidungsstücken und hat offensichtlich Nylonstrümpfe gefunden. Sie hält kurz inne, glaubt Gerardo im Schlafzimmer zu hören. Sie ist angezogen. Sie geht zur Tür von Robertos Schlafzimmer. Sie wartet einen Moment, lauscht, sie geht hinein. Ein paar Minuten vergehen. Konfuse Geräusche, wie Schläge auf einen Kopf, gefolgt von einem unterdrückten Schrei. Dann Stille. Im Halbdunkel kommt Paulina aus Robertos Schlafzimmer und geht zu ihrem eigenen Schlafzimmer. Sie öffnet die Tür, zieht den Schlüssel von innen ab und verschließt die Tür von außen. Sie geht zu Robertos Zimmer. Nach kurzer Zeit tritt sie wieder auf und schleppt offensichtlich einen Körper auf die Bühne. Sie setzt den scheinbar Leblosen auf einen Stuhl und bindet ihn mit den Nylonstrümpfen daran fest. Sie geht
wieder in das Gästezimmer und kommt mit einer Jacke zurück, nimmt aus der Jackentasche einen Schlüsselbund. Sie geht zur Wohnungstür, dreht sich noch einmal zu Roberto Miranda um. Sie zieht ihren Slip aus und knebelt ihn damit. Sie verläßt das Haus. Geräusche der Autotür, Anlasser etc. Das Auto wendet wieder, und die Scheinwerfer gehen durch das Zimmer, das Publikum sieht jetzt deutlich Roberto Miranda gefesselt an den Stuhl, bewußtlos mit einem Slip im Mund. Das Auto fährt weg. Dunkel
4. Szene Kurz vor dem Morgengrauen. Roberto Miranda öffnet die Augen. Er versucht, aufzustehen, und bemerkt, daß er gefesselt ist. Er versucht verzweifelt, sich zu befreien. Paulina sitzt vor ihm und hält die Pistole in der Hand. Roberto schaut sie mit entsetzt geweiteten Augen an. PAULINA sehr ruhig Guten Morgen, Doktor... Miranda, so war's doch? Doktor Miranda. Sie zeigt ihm den spielerisch auf ihn.
Revolver
und
richtet
ihn
Eine meiner besten Freundinnen an der Universität hieß Miranda, Ana Maria Miranda. Sie sind nicht zufällig mit den Mirandas in San Esteban verwandt, oder? Sie hatte ziemlich was drauf, unglaubliches Gedächtnis, wir haben sie immer unser kleines Lexikon genannt. Keine Ahnung, was aus ihr
geworden ist, wahrscheinlich hat sie ihren Doktor in Medizin gemacht, gerade so wie Sie. Ich habe nie mein Staatsexamen gemacht, ich bin nicht sehr weit gekommen mit meinem Studium, Doktor Miranda. Und jetzt bin ich neugierig, ob Sie eine Idee haben, warum ich mein Medizinstudium nie abgeschlossen habe, ich bin mir ziemlich sicher, es wird Ihnen gar nicht so wahnsinnig schwerfallen, sich auszumalen, warum. Zum Glück gab es Gerardo. Er hat -nun, ich kann nicht behaupten, daß er auf mich gewartet hat - aber immerhin hat er mich noch geliebt, so daß ich mein Studium nicht wieder aufnehmen mußte. Glück für mich, denn ich hatte eine Art - Phobie stimmt nicht ganz - gewisse Bedenken gegen mein Medizinstudium. Aber, wie es so schön heißt, man weiß nie, was das Le ben noch bringt, und manchmal frage ich mich, ob ich mich nicht vielleicht doch wieder einschreiben, die Wiederzulassung beantragen sollte. Vor kurzem habe ich gelesen, daß - jetzt, wo das Militär dort nicht mehr am Drücker ist - die Studenten, die an den Universitäten rausgeschmissen wurden, ihre Wiederaufnahme beantragen können. Aber ich verplaudere mich, wo ich doch eigentlich Frühstück machen sollte, ein schönes Frühstück. Also, Sie mögen - Rührei mit Schinken, war's nicht so? Rührei mit Schinken, Tomaten und Brötchen, ja, so war's. Wir haben keine Eier, aber Schinken ist da, den mag Gerardo genauso. Was Sie sonst noch mögen, werde ich bald herausfinden. Tut mir leid mit den Eiern. Ich hoffe, es stört Sie nicht, daß dies, vorerst jedenfalls, ein Monolog bleiben muß. Sie kommen
schon noch dran, Doktor, seien Sie unbesorgt. Sie kommen noch dran. Nur im Moment möchte ich Ihnen das ungern abnehmen, diesen - Maulkorb, so nannten Sie das doch, oder? Jedenfalls nicht, bevor Gerardo wach ist. Aber ich sollte ihn wecken. Habe ich schon gesagt, daß ich von der Telefonzelle aus die Werkstatt angerufen habe? Sie müssen bald kommen. Sie geht zur Schlafzimmertür, schließt auf, öffnet sie. Die volle und reine Wahrheit ist, Sie sehen leicht gelangweilt aus. Sie zieht eine Kassette aus der Tasche. Ich hab das aus Ihrem Auto - ich nahm mir die Freiheit -, während ich Frühstück mache, ein schönes Frühstück, können wir doch ein bißchen Schubert hören, Doktor? >Der Tod und das Mädchen Sie legt eine Kassette ein. Wir hören den Anfang von Schuberts Quartett >Der Tod und das Mädchen<. Wissen Sie, wie lange ich dieses Quartett schon nicht mehr gehört habe? Sie spielen es im Radio, und sofort schalte ich aus. Ich vermeide es sogar, viel auszugehen, obwohl Gerardo all diese sozialen Verpflichtungen hat, und wenn sie ihn je zum Minister machen sollten, wird unser ganzes Leben
darin bestehen, Hände schüttelnd umherzugehen und völlig fremde Menschen anzulächeln, aber jedes Mal bete ich, daß sie keinen Schubert spielen. Es ist noch nicht lange her, wir waren zum Dinner bei - es waren sehr wichtige Leute, und dann passierte es, die Gastgeberin legte Schubert auf, eine Klaviersonate, und ich dachte noch, schalte ich es einfach aus oder verlasse ich den Raum, mein Körper hat für mich entschieden, ganz plötzlich wurde mir entsetzlich schlecht, und Gerardo mußte mich nach Hause bringen, und die anderen blieben zurück und hörten Schubert, und niemand wußte, weshalb mir schlecht geworden war, und deshalb bete ich, sie mögen ihn nie spielen, wohin ich auch gehe, keinen Schubert, seltsam, nicht wahr, wo er mir doch lange Zeit, eigentlich immer noch, ja, immer noch ist er mir der Liebste aller Komponisten, so traurig und voller Wehmut für das Leben. Doch ich habe nur immer gelobt, einmal würde die Zeit kommen, ihn wiederzuentdecken, ihn auferstehen zu lassen sozusagen, und einfach hier zu sitzen und ihn gemeinsam mit Ihnen zu hören, zeigt mir, daß ich recht hatte, zeigt mir, daß - so vieles wird sich von nun an ändern, nicht wahr? Zu denken, ich hätte fast meine ganze Schubert-Sammlung weggeworfen, verrückt, was? Mit lauter Stimme in Gerardos Richtung Ist dieses Quartett nicht großartig, mein Liebster? Wieder zu Roberto
Und jetzt werde ich ihn wieder hören können, meinen Schubert, werde sogar wieder in Konzerte gehen, wie wir es früher immer getan haben. Haben Sie gewußt, daß Schubert homosexuell war? Aber natürlich, Sie waren es doch, der mir das immer wieder gesagt hat, so viele Male haben Sie es mir ins Ohr geflüstert, besonders wenn Sie >Der Tod und das Mädchen< spielten. Ist das noch dieselbe Kassette, Doktor, oder kaufen Sie jedes Jahr eine neue, damit der Klang rein bleibt? Gerardo kommt - immer noch verschlafen - aus dem Schlafzimmer. Guten Morgen, mein Liebling. Tut mir leid, das Fron-stück ist noch nicht fertig. Als er Gerardo erblickt, macht Roberto verzweifelte Bemühungen, sich zu befreien. Völlig überrascht betrachtet Gerardo die Szene. GERARDO Paulina! Was ist hier los? Was zum... Roberto ... Doktor Miranda. Er geht auf Roberto zu. PAULINA Finger weg. GERARDO Was? PAULINA ihn mit dem Revolver bedrohend Finger weg.
GERARDO Was zum Teufel geht hier vor? Welcher Irrsinn ist hier PAULINA Er ist es. GERARDO Leg sofort den Revolver weg. PAULINA Er ist es. GERARDO Wer? PAULINA Der Doktor. GERARDO Welcher Doktor? PAULINA Der Doktor, der Schubert gespielt hat. GERARDO Der Doktor, der Schubert gespielt hat? PAULINA Jener Doktor. GERARDO Woher weißt du -? PAULINA Die Stimme. GERARDO Aber waren dir nicht - du hast gesagt, dir waren in all den Wochen... PAULINA Die Augen verbunden, ja. Aber ich konnte doch hören. GERARDO Du bist krank.
PAULINA Ich bin nicht krank. GERARDO Du bist krank. PAULINA Also gut, dann bin ich krank. Aber ich kann krank sein und trotzdem eine Stimme erkennen. Außerdem, wenn wir einen unserer Sinne verlieren, dann gleichen die anderen das aus, sie werden schärfer. Ist doch so, Doktor Miranda? GERARDO Eine verschwommene Erinnerung an eine Stimme ist kein Beweis für irgendwas, Paulina, es ist anfechtbar PAULINA Es ist seine Stimme. Ich habe sie sofort erkannt, als er letzte Nacht hereinkam. Es ist die Art, wie er lacht, die Worte, die er benutzt. GERARDO Aber das ist doch kein... PAULINA Vielleicht ist es nur eine winzige Spur, aber für mich ist es genug. In all diesen Jahren hat es nicht eine Stunde gegeben, in der ich sie nicht gehort habe, immer diese Stimme neben mir, nah an meinem Ohr, ganz nahe, diese Stimme, vermischt mit Speichel, und du denkst, ich vergesse eine Stimme wie seine? Sie ahmt Robertos Stimme nach, dann die eines anderen Mannes.
»Gib ihr etwas mehr. Die Hure kann ruhig etwas mehr vertragen. Los, gib's ihr.« »Sind Sie sicher, Doktor? Was, wenn die Fotze uns wegstirbt?« »Sie ist noch nicht mal am Umkippen. Gib's ihr, ruhig einen Zahn mehr.« GERARDO Paulina, ich bitte dich, leg diesen Revolver weg. PAULINA Nein. GERARDO Solange du ihn auf mich richtest, ist kein Dialog möglich. PAULINA Im Gegenteil, wenn ich ihn nicht auf dich richte, wird es mit dem Dialog sofort vorbei sein. Wenn ich ihn weglege, wirst du mit Gewalt deinen Standpunkt durchsetzen. GERARDO Paulina, dir muß klar sein: Was du da tust, kann schwerste Folgen haben. PAULINA Schwerste, ah so? Irreparabel, was? GERARDO Ja, genau das könnte es sein irreparabel. Doktor Miranda, ich muß Sie um Verzeihung bitten - meine Frau war -
PAULINA Wage es nicht! Wag es nicht, dieses Stück Scheiße um Verzeihung zu bitten. Siehst du seine Hand, diese Hand dort GERARDO Bind ihn los, Paulina. PAULINA Nein. GERARDO Dann werde ich es tun. Er geht auf Roberto zu. Plötzlich ein Schuß aus Paulinas Pistole. Es ist offensichtlich, daß sie nicht weiß, wie man eine Waffe abfeuert, denn sie ist genauso überrascht wie die beiden Männer zurückgewichen. Gerardo geht einen Schritt zurück. Roberto schaut verzweifelt. Nicht schießen, Paulie, nicht noch mal schießen! Gib mir den Revolver. Schweigen Das kannst du nicht machen. PAULINA Wie lange willst du nrit noch erzählen, was ich kann und was nicht. »Tu das nicht, tu das, tu das nicht.« Ich hab's getan. GERARDO Du hast es diesem Mann angetan, dessen einziger Fehler es wohl war - das einzige, dessen du ihn vor einem Richter beschuldigen könntest -
Paulina lacht spöttisch. - ja, vor einem Richter, und sei er noch so korrupt, käuflich und feige - das einzige, was du ihm vorwerfen kannst, ist, daß er auf der Landstraße angehalten hat, um jemandem in Not zu helfen, daß er mich heimgefahren hat und sich sogar noch erboten hat PAULINA Ich hab's fast vergessen. Der Mann von der Werkstatt muß jede Minute hier sein. GERARDO Was? PAULINA Als ich heute früh das Auto deines guten Samari-ters in Sicherheit gebracht habe, da hab ich von einer Telefonzelle aus angerufen und gesagt, daß wir sie dringend brauchen. Also zieh dich an. Es muß gleich jemand hier sein. GERARDO Bitte, Paulina, können vernünftig sein, können wir nicht wie -
wir
nicht
PAULINA Du kannst vernünftig sein. Dir haben sie nie was getan. GERARDO Natürlich haben sie, natürlich - aber wir wollen uns doch nicht in persönlichen Horrorgeschichten übertreffen, verdammt - laß uns versuchen, vernünftig zu sein. Selbst wenn dieser Mann jener Doktor wäre - er ist es nicht, es gibt überhaupt keinen Grund, warum er es sein sollte, aber angenommen, er ist es - selbst in diesem Fall,
was gibt dir das Recht, ihn so zu fesseln, mein Schatz, schau doch, was du damit anstellst, Paulina, denk an die Folgen Das Geräusch eines LKW ist draußen zu hören. Paulina rennt zur Tür, öffnet sie halb und ruft. PAULINA Er kommt schon, er kommt! Sie schließt die Tür, schiebt den Riegel vor, zieht die Vorhänge zu und schaut Gerardo an. Schnell, zieh dich an. Der Mann von der Werkstatt. Der Ersatzreifen liegt draußen. Ich habe auch seinen Wagenheber genommen. GERARDO Du stiehlst seinen Wagenheber? PAULINA So kann Mutter unseren behalten. Kurze Pause GERARDO Hast du daran gedacht, daß ich zur Polizei gehen könnte? PAULINA Bezweifle ich. Da glaubst du viel zu sehr an deine eigene Überzeugungskraft. Und außerdem weißt du genau, sobald die Polizei hier ihre Nase reinsteckt, kriegt dieser Mann eine Kugel in den Kopf, klar? Das weißt du doch, oder? Und dann stecke ich mir den Revolver in den Mund und drücke ab.
GERARDO Oh, mein Schatz, mein Schatz. Du bist - nicht wiederzuerkennen. Wie kommt es, daß du so sein kannst? PAULINA Erklären Sie meinem Mann, Doktor Miranda, was Sie mit mir gemacht haben, daß ich so - so verrückt geworden bin. GERARDO Paulina. Ich will, daß du mir genau sagst, was du vorhast. PAULINA Nicht ich. Du und ich. Wir werden ihm den Prozeß machen, Gerardo, diesem Doktor. Genau hier. Heute. Du und ich. Oder meinst du, deine berühmte Untersuchungskommission wird es tun? Das Licht geht langsam aus.
2. Akt 1.Szene Mittag. Roberto sitzt noch in der gleichen Position gefesselt auf dem Stuhl. Paulina sitzt mit dem Rücken zu ihm und sieht aus dem Fenster auf das Meer. Ihr Körper wiegt sich hin und her, während sie zu ihm spricht. PAULINA Und als sie mich laufen ließen - wissen Sie, wohin ich da ging? Zu meinen Eltern konnte ich nicht - zu der Zeit hatte ich alle diplomatischen Beziehungen zu ihnen abgebrochen, sie waren so promilitärisch, Mutter sah ich nur hie und da. Ist es nicht grotesk, daß ich Ihnen das alles erzähle, wie einem Beichtvater, sogar Dinge, die ich nie Gerardo erzählt habe, auch nicht meiner Schwester und bestimmt nicht meiner Mutter - sie würde tot umfallen, wenn sie wüßte, was wirklich in meinem Kopf vorgeht -, aber Ihnen kann ich erzählen, was ich fühle, was ich damals gefühlt habe, als sie mich laufen ließen. In jener Nacht war ich... nun, ich muß Ihnen meinen Zustand nicht beschreiben. Sie selbst haben mich ja einer gründlichen Untersuchung unterzogen, bevor ich entlassen wurde. Wir haben es richtig heimelig hier, nicht? Wie zwei alte Rentner, die zusammen auf einer Bank in der Sonne sitzen. Roberto macht eine Bewegung, sprechen oder sich losbinden.
als
wolle
er
Hungrig? Wird schon nicht so schlimm sein. Sie müssen sich lediglich gedulden, bis Gerardo zurück ist. Sie imitiert die Stimme eines Mannes. »Hunger? Willst was essen? Ich geb dir was zu essen, du süße kleine Fotze, gleich kriegst du was, so groß und dick, daß dir der Hunger vergeht.« Mit ihrer Stimme Sie wissen nichts von Gerardo, oder? Sie haben nie etwas von ihm gewußt. Sein Name ist mir nie über die Lippen gekommen. Ihre - Ihre Kollegen, die fragten mich natürlich: »Mit der Möse, Kleine, erzähl uns doch nicht, daß du keinen hast, der dich fickt, was? Na, los, spuck's aus, wer fickt dich, Kleine.« Aber ich bin nie mit Gerardos Namen herausgerückt. Seltsam, wie die Dinge sich fügen. Wenn ich Gerardo auch nur erwähnt hätte, dann säße er jetzt nicht in der Untersuchungskommission, statt dessen würde ein anderer Anwalt Nachforschungen über ihn anstellen. Und ich würde vor die Kommission treten und ihnen erzählen, wie ich Gerardo getroffen habe - es war gleich nach dem Militärputsch, als wir Leuten geholfen haben, Asyl in Botschaften zu finden -, wie es war, gemeinsam mit Gerardo Leben zu retten, Menschen außer Landes zu schmuggeln, um sie vor dem Tod zu bewahren. Ich war wild entschlossen, bereit, alles zu tun, kaum zu glauben, aber ich habe zu jener
Zeit nicht das kleinste bißchen Furcht verspürt. Aber ich schweife ab. In jener Nacht also kam ich bei Gerardos Haus an, und ich klopfte an die Tür, immer wieder, genau wie Sie letzte Nacht, und als Gerardo endlich öffnete, wirkte er erregt, sein Haar war durchwühlt und er Das Geräusch eines Wagens draußen. Dann Öffnen und Schließen einer Autotür. Paulina geht zum Tisch, nimmt den Revolver in die Hand. Gerardo kommt herein. Wie ging's? War der Platten leicht zu reparieren? GERARDO Paulina, du wirst mir jetzt zuhören. PAULINA Aber sicher werde ich dir zuhören. Habe ich dir nicht immer zugehört? GERARDO Ich möchte, daß du dich hinsetzt und mir wirklich zuhörst. Paulina setzt sich. Du weißt, ich habe einen guten Teil meines Lebens damit verbracht, das Gesetz zu verteidigen. Wenn es etwas gab, das mich gegen das alte Regime rebellieren ließPAULINA Sag ruhig Faschisten... GERARDO Unterbrich nicht. Was mich so aufbrachte, war, daß sie so viele Männer und
Frauen angeklagt haben, daß sie Beweise fälschten und Beweise ignorierten und dem Angeklagten keine Chance zur Verteidigung gaben, selbst wenn dieser Mann jeden Tag Völkermord begangen hätte, so hat er doch das Recht, sich zu verteidigen. PAULINA Aber ich habe nicht die Absicht, ihm dieses Recht zu verwehren, Gerardo. Ich gebe dir alle Zeit, die du brauchst, um mit deinem Mandanten zu sprechen, allein. Ich habe lediglich auf deine Rückkehr gewartet, damit alles seinen ordentlichen und offiziellen Gang gehen kann. Sie gibt Gerardo ein Zeichen, Roberto den Knebel abzunehmen. Dann deutet sie auf den Kassettenrekorder. Sie sollten wissen, Doktor, daß alles, was Sie sagen, hier aufgezeichnet wird. GERARDO Mein Gott, Paulina, hör auf! Laß ihn sagen, was er... Kurze Pause. Paulina stellt den Kassettenrekorder an. ROBERTO hustet, dann mit rauher, kratziger Stimme Wasser. GERARDO Was? PAULINA Er möchte Wasser, Gerardo.
Gerardo beeilt sich, ein Glas mit Wasser zu füllen und esRoberto zu bringen. Er gibt ihm zu trinken. Roberto trinkt es laut schlürfend aus. Es geht nichts über gutes, frisches Wasser, was? Schlägt sogar die eigene Pisse. ROBERTO Escobar. Das ist unverzeihlich. Das werde ich Ihnen nie verzeihen, solange ich lebe. PAULINA Mal langsam, einen Moment, Doktor! Erst mal sehen, ob dieses Ding funktioniert. Sie drückt einige Tasten, und wir hören Robertos Stimme. ROBERTO Stimme vom Kassettenrekorder Escobar. Das ist unverzeihlich. Das werde ich Ihnen nie verzeihen, solange ich lebe. PAULINA Stimme vom Kassettenrekorder Mal langsam, einen Moment, Doktor! Erst mal sehen Paulina stoppt den Kassettenrekorder. Fertig. Nimmt großartig auf. Wir haben bereits ein Statement zum Thema Vergebung. Nach Doktor Mi-randas Meinung ist es unverzeihlich, - er könnte es nie verzeihen, solange er lebt -, jemanden ein paar Stunden lang gegen seinen Willen zu fesseln und dieser Person für ein paar Stunden das Recht auf Sprache zu rauben. Ich stimme zu. Noch was?
Sie drückt auf eine Taste des Kassettenrekorders. ROBERTO Ich kenne Sie nicht, Madame. Ich habe Sie noch nie in meinem Leben gesehen. Aber ich kann Ihnen soviel sagen: Sie sind sehr krank, fast prototypisch schizoid. Aber Sie, Escobar, Sie sind nicht krank. Sie sind Anwalt, ein Verteidiger der Menschenrechte, ein Mann, der von der alten Militärregierung verfolgt wurde, genau wie ich auch, bei Ihnen ist es etwas anderes. Sie sind verantwortlich für das, was Sie tun, und was Sie tun müssen, ist, mich sofort losbinden. Sie sollen wissen, jede Minute, die verstreicht, macht Sie mehr und mehr zu einem Komplizen dieser Mißhandlung, und Sie werden zu zahlen haben für die Folgen dieserPAULINA hält den Revolver an seine Schläfe Wem wollen Sie hier drohen? ROBERTO Ich habe nicht PAULINA Gedroht, doch. Sie haben gedroht. Lassen Sie uns eines klarstellen, Doktor, die Zeit der Drohungen ist vorbei. Da draußen mögt ihr Schweine immer noch Befehle geben, über unsere Leben entscheiden, aber hier und jetzt bestimme ich. Ist das klar? ROBERTO Ich muß auf die Toilette. PAULINA Pissen oder Scheißen?
GERARDO Mein Gott, Paulina! Doktor Miranda, solche Worte hat sie noch nie in den Mund genommen PAULINA Der Doktor ist an diese Art Sprache gewöhnt... Was ist jetzt, Doktor, vorne oder hinten? ROBERTO Im Stehen. PAULINA Bind seine Füße los, Gerardo. Ich bring ihn raus. GERARDO Aber nein, ich mach das. PAULINA Ich mach's. Schau mich nicht so an. Es ist wahrhaftig nicht das erste Mal, daß er seinen Schwanz vor mir rauszieht, Gerardo. Los, Doktor. Aufstehen. Ich will nicht, daß Sie auf meinen Teppich pissen. Gerardo bindet ihn los. Langsam, mit offensichtlichen Schmerzen, hinkt Roberto, von Paulina, die die Pistole in seinen Rücken gebohrt hat, begleitet, zur Toilette. Gerardo schaltet den Kassettenrekorder aus. Paulina geht mit Roberto hinaus. Nach kurzer Zeit hören wir das Geräusch des Urinierens und dann die Spülung. Währenddessen geht Gerardo nervös auf und ab. Paulina kommt mit Roberto zurück. Bind ihn wieder fest.
Gerardo beginnt, Robertos Füße festzubinden. Fester, Gerardo! GERARDO Paulina, das ist auszuhalten. Ich muß mit dir reden.
nicht
mehr
PAULINA Und wer hält dich davon ab? GERARDO Allein. PAULINA Warum? Der Doktor hat immer alles vor mir besprochen, er GERARDO Liebe, liebe Paulie, bitte mach es mir doch nicht so schwer. Ich will mit dir alleine und in Ruhe sprechen. Gerardo und Paulina gehen auf die Terrasse. Währendihrer Konversation gelingt es Roberto allmählich, seineFußfesseln zu lockern. Was hast du bloß vor? Was bezweckst du mit diesen Wahnsinns-Geschichten ? PAULINA Hab ich doch schon gesagt - ihm den Prozeß machen. GERARDO Ihm den Prozeß machen - was heißt das denn, ihm den Prozeß machen? Wir können uns nicht ihrer Methoden bedienen. Wir sind nicht wie sie. Auf diese Art Rache üben, das ist nicht -
PAULINA Es ist nicht Rache. Ich gebe ihm alle Garantien, die er mir nie gegeben hat, nicht eine, er und seine - Kollegen. GERARDO Und seine - Kollegen, willst du die jetzt auch kidnappen und herbringen und fesseln und... PAULINA Dazu müßte ich ihre Namen wissen, oder nicht? GERARDO ... und danach... PAULINA Sie töten? Ihn töten? Da er mich nicht getötet hat, wäre es wohl nicht fair, ihn GERARDO Es ist gut, das zu wissen, Paulina, denn dann müßtest du mich ebenfalls töten, ich warne dich, wenn du vorhast, ihn umzubringen, dann mußt du mich zuerst umbringen. PAULINA Würdest du dich bitte wieder beruhigen? Ich habe nicht die geringste Absicht, ihn umzubringen. Und ganz bestimmt nicht dich... Aber wie gewöhnlich glaubst du mir nicht. GERARDO Aber was hast du dann mit ihm vor? Was? Du willst ihn - was? Was hast du vor - und alles, weil vor fünfzehn Jahren jemand... PAULINA Jemand was?... Was haben sie mit mir gemacht, Gerardo. Sag es. Kurze Pause Du hast es nie sagen wollen. Sag es jetzt. Sie...
GERARDO Wenn du es nicht mal gesagt hast, wie hätte ich es dann sagen können? PAULINA Sag es jetzt. GERARDO Ich weiß nur, was du mir in jener ersten Nacht erzählt hast, als... PAULINA Sie... GERARDO Sie... PAULINA Sag es mir, sag es mir. GERARDO Sie - haben dich gefoltert. Sag du es jetzt. PAULINA Sie haben mich gefoltert. Und was noch? Was haben sie noch mit mir gemacht, Gerardo? Gerardo geht zu ihr, nimmt sie in die Arme. GERARDO flüsternd Sie haben dich vergewaltigt. PAULINA Wie oft? GERARDO Mehr als einmal. PAULINA Wie oft? GERARDO Du hast es nie gesagt. Ich habe nicht gezählt, sagtest du.
PAULINA Das ist nicht wahr. GERARDO Was ist nicht wahr? PAULINA Daß ich nicht gezählt habe. Ich habe gezählt. Ich weiß, wie oft. Kurze Pause Und in jener Nacht, Gerardo, als ich zu dir gekommen bin, dir davon erzählt habe, als ich angefangen habe zu erzählen, was hast du mir da geschworen, was du mit ihnen machen würdest, an dem Tag, an dem du sie findest? »Eines Tages werden wir diese Schweine vor Gericht stellen. Dann, meine Liebe, lasse deine Augen schweifen« - ich erinnere genau den Wortlaut, weil es mir so... poetisch klang »lasse deine Augen schweifen über jedes einzelne ihrer Gesichter, während sie deine Geschichte hören. Wir werden es tun, du wirst sehen, genau so.« Und jetzt, mein Liebling, sag mir, wohin soll ich gehen, um-? GERARDO Das ist fünfzehn Jahre her. PAULINA Sag mir, wer soll meine Anklagen gegen diesen Doktor anhören, wer, Gerardo? Deine Kommission? GERARDO Meine Kommission? Welche Kommission? Dank dir werden wir wahrscheinlich gar nicht mehr in der Lage sein, all die anderen Verbrechen zu untersuchen, - und ich werde sowieso zurücktreten müssen.
PAULINA Immer so melodramatisch. Deine Stirn zieht sich in Falten und läßt dich zehn Jahre älter aussehen. Die Leute werden dein Foto in der Zeitung sehen und nicht glauben können, daß du das jüngste Mitglied der Kommission bist. GERARDO Bist du taub? Gerade habe ich gesagt, ich muß zurücktreten. PAULINA Ich sehe nicht ein, warum. GERARDO Du siehst nicht ein, warum, aber alle anderen in diesem Land werden es einsehen und besonders diejenigen, die sowieso gegen jede Erforschung der Vergangenheit sind, werden es einsehen. Ein Mann aus der Kommission des Präsidenten, der beispielhaft Mäßigung und Selbstbeherrschung PAULINA Wir ersticken Selbstbeherrschung!
noch
an
so
viel
GERARDO - und Objektivität beweisen sollte, genau dieser Mann hat zugelassen, daß in seinem Haus ein unschuldiger Mensch gefesselt und gequält wurde, ohne daß gegen ihn auch nur die kleinste Spur von Beweis vor Gericht PAULINA Vor welchem Gericht? GERARDO Nicht vor unseren Gerichten, die nur buckeln und sich die Knie wundscheuern - vor jedem erdenklichen Gericht in der Welt, Paulina.
Kannst du dir vorstellen, wie all die Zeitungen, die der Diktatur hörig waren, wie sie diesen Vorfall benutzen werden, um unsere Kommission zu untergraben und sie letztendlich möglicherweise auszuschalten? Kurze Pause Willst du diese Leute zurück an der Macht? Willst du sie in Angst und Schrecken versetzen, damit sie zurückkommen, um sicherzugehen, daß wir ihnen nichts tun können - du willst die Zeiten zurück, wo diese Leute über unser Leben und über unseren Tod bestimmten? Wenn du das willst - das kannst du haben, glaub mir, das kannst du haben. Laß den Mann frei, Paulina. Entschuldige dich für das Versehen und laß ihn frei. Ich hab mit ihm geredet, politisch scheint er ein Mann zu sein, dem wir vertrauen können, also PAULINA Ach, mein kleiner Junge, du fällst aber auch auf jeden alten Trick herein. Gerardo - ich verspreche dir hoch und heilig, dieser private Miranda-Prozeß wird dir und der Kommission nicht schaden. Denkst du wirklich, ich wäre imstande und würde die Kommission in Bedrängnis bringen, dich davon abhalten, herauszufinden, wo die Leichen all der vermißten Gefangenen liegen, wie sie ermordet wurden und wo sie verscharrt sind? Aber die Kommission kümmert sich nur um die Toten, und die können nicht mehr sprechen. Doch ich kann sprechen - Jahre ist es her, daß ich ein einziges Wort auch nur gemurmelt, nicht einmal der kleinste Gedanke ist mit dem Atem meinem Mund entwichen, Jahre der Angst und des Schreckens... aber ich bin nicht tot, ich dachte es
nur, aber ich bin es nicht, und ich kann sprechen, verdammt noch mal, und um alles in der Welt laß mir dieses Sprechen - und du mach weiter mit deiner Kommission und glaub mir, wenn ich dir versichere, nichts von allem hier wird an die Öffentlichkeit dringen. GERARDO Es dringt nur dann nichts an die Öffentlichkeit, wenn der Mann da drinnen sich gütigst entschließen sollte, nichts zu erzählen, sowie du ihn freigelassen hast. Falls du ihn freiläßt. Kurze Pause Und selbst dann müßte ich zurücktreten, und zwar je eher, je besser. PAULINA Du willst zurücktreten, selbst wenn kein Mensch davon erfährt? GERARDO Ja. PAULINA Wegen deiner verrückten Frau, die zuerst verrückt war, weil sie im Schweigen versank, und die nun verrückt ist, weil sie sprechen kann? GERARDO Unter anderem, Wahrheit wissen willst.
ja,
falls
du
die
PAULINA Die volle, reine Wahrheit, was? Kurze Pause Wartest du einen Moment? Sie geht in den Raum zurück und entdeckt Robertos »Be-freiungsaktion«. Als er sie sieht, hört
er sofort auf. Paulina fesselt ihn wieder und sagt mit männlicher Stimme. »Hey, dir gefällt wohl unsere Gastfreundschaft nicht? Willst schon gehen, Hure? Da draußen hast du's lange nicht so gut wie mit mir. Süße. Sag, daß du mich vermissen wirst. Sag's mir.« Paulina beginnt mit den Händen über Robertos Körper zu fahren, als würde sie ihn streicheln. Dann geht sie zurück zur Terrasse. Es ist nicht nur die Stimme, an die ich mich erinnere, Gerardo. Ich erkenne seine Haut wieder. Und seinen Geruch. Gerardo. Ich erkenne seine Haut. Kurze Pause Angenommen, ich könnte, ohne daß ein Hauch von Zweifel bliebe, beweisen, daß dein Doktor schuldig ist? Würdest du dann immer noch wollen, daß ich ihn freilasse? GERARDO Ja. Falls er schuldig ist, erst recht. Schau mich nicht so an. Stell dir vor, jeder würde so handeln wie du. Du befriedigst deine eigenen persönlichen Gelüste, bestrafst auf eigene Rechnung, während alle anderen Menschen in diesem Lande, die einen Berg anderer Probleme haben und jetzt vielleicht die Chance, ein paar davon zu lösen, die bleiben auf der Strecke - der ganze Demokratisierungsprozeß kann zum Teufel gehen. PAULINA Niemand bleibt Niemand wird es je erfahren!
auf
der
Strecke!
GERARDO Um da absolut sicherzugehen, mußt du ihn umbringen, und dann bist du diejenige, die auf der Strecke bleibt, und ich mit dir. Laß ihn gehen, Paulina. Zum Wohle unseres Landes, zu unserem eigenen Wohl. PAULINA Und ich? Wo bleibe ich? Schau mich an, schau mich an! GERARDO Ja, schau dich an, Liebes! Du bist immer noch gefangen, du bist immer noch bei ihnen, eingeschlossen in jenem Keller. Fünfzehn Jahre hast du nichts mit deinem Leben gemacht. Absolut nichts. Schau dich an, gerade wenn wir die Chance haben, von vorne zu beginnen, fängst du an, in alten Wunden zu wühlen... Wird es nicht langsam Zeit zu -? PAULINA - vergessen? Du verlangst von mir, daß ich vergesse. GERARDO Mach dich frei von ihnen, Paulina, das ist's, was ich verlange. PAULINA Und laß ihn frei, damit er in einigen Jahren zu-rückkommen kann? GERARDO Laß ihn frei, zurückkommt, nie wieder.
damit
er
nicht
PAULINA Und wir treffen ihn bei >Tavelli's<, und wir lächeln, und er stellt uns seine reizende Frau vor, und wir lächeln, wir schütteln uns alle die
Hände und sagen, wie warm es doch ist für diese Jahreszeit und GERARDO Wir brauchen nicht zu lächeln, doch, ja, im Grunde ist es das, was wir tun müssen. Und anfangen zu leben. Kurze Pause PAULINA Schau, Gerardo, ich schlage vor, wir finden einen Kompromiß. GERARDO Ich habe keine Ahnung, wovon du redest. PAULINA Ein Kompromiß, eine Übereinkunft, eine Einigung. Alles in diesem Land funktioniert mit allseitiger Zustimmung, ist es nicht so? Darum geht es doch in dieser Übergangszeit, oder nicht? Sie geben uns Demokratie, behalten aber die Kontrolle über die Wirtschaft und das Militär? Die Kommission kann die Verbrechen untersuchen, aber niemand darf dafür bestraft werden. Du hast die Freiheit, alles, was du willst, zu sagen, solange du nicht alles sagst, was du willst? Kurze Pause Damit du siehst, daß ich nicht völlig verantwortungslos, nur emotional oder krank bin, schlage ich vor, wir kommen zu einer Einigung. Du willst, daß dieser Mann unverletzt freikommt, und ich will - möchtest du wissen, was ich will? GERARDO Unbedingt will ich wissen, was du willst.
PAULINA Letzte Nacht, als ich seine Stimme hörte, da war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoß, - all die Jahre schon male ich es mir in Gedanken aus, immer dann, wenn du mich mit einem Ausdruck ertappst, den du abwesend und flüchtig nennst, - weißt du, woran ich dann gedacht habe? Daß ich ihnen genau das gleiche antue, was sie mir angetan haben, systematisch, Minute für Minute, Instrument für Instrument. Und ganz besonders ihm, dem Doktor... Die anderen, die waren so primitiv - aber er, er spielte Schubert, er sprach über Wissenschaft, einmal hat er sogar Nietzsche zitiert. GERARDO Nietzsche. PAULINA Ich war entsetzt über mich selbst. Über diesen Haß, den ich in mir habe, - aber nur dank dieses Gedankens konnte ich einschlafen, war es mir überhaupt möglich, mit dir auf Cocktailparties zu gehen, wo ich nie aufhören konnte, mich zu fragen, ob nicht vielleicht einer der Anwesenden nicht unbedingt dieselbe Person, aber doch einer von denen war... und um nicht völlig durchzudrehen und um nach außen weiterhin dieses Stewardessen-Lächeln abliefern zu können, das du von mir erwartest, malte ich mir aus, wie ich ihren Kopf in einen Kübel voller Scheiße und Urin tauchen oder Elektroschocks durch ihren Körper jagen würde, manchmal auch, wenn wir uns liebten - ich spürte den Orgasmus nahen, doch dann, schon der Anflug einer Welle, die durch meinen Körper lief, erinnerte mich... - und ich
mußte ihn vortäuschen, vortäuschen, damit du nicht merkst, was ich denke, damit du nicht das Gefühl hast, es sei deine Schuld - ach, Gerardo. GERARDO Oh, Liebes, mein Liebes. PAULINA Und als ich seine Stimme hörte, da dachte ich, das ist das einzige, was ich will: ihn vergewaltigt sehen. Ich will, daß jemand ihn fickt, einmal wenigstens soll er erfahren, wie es ist, wenn... Und da ich ihn nicht vergewaltigen kann dachte ich, es wäre ein Urteil, das du vollstrecken mußtest. GERARDO Nicht weiter, Paulina. PAULINA Aber dann sagte ich mir, es könnte schwierig für dich sein, dabei mit mir zusammenzuarbeiten, denn schließlich braucht man ein gewisses Maß an Begeisterung, um überhaupt GERARDO Hör auf, Paulina! PAULINA Also habe ich mich gefragt, ob wir nicht einen Besen benutzen könnten. Ja, einen Besen, Gerardo, verstehst du, ein Besenstiel. Aber dann ist mir langsam klargeworden, es ist nicht wirklich das, was ich will, nicht etwas so Physisches. Und weißt du, worauf ich gekommen bin, was letztlich das einzige ist, was ich wirklich will? Kurze Pause Ich will, daß er gesteht. Ich will, daß er vor diesem Kassettenrekorder sitzt und mir erzahlt, was er
getan hat - nicht nur, was er mir angetan hat, sondern jedem, alles -, und dann soll er es eigenhändig niederschreiben und es unterzeichnen, und ich hatte für immer eine Abschrift - mit allen Informationen, mit Namen und Daten, allen Einzelheiten. Das ist es, was ich will. GERARDO Er gesteht, und du läßt ihn gehen? PAULINA Ich laß ihn gehen. GERARDO Und mehr brauchst du nicht von ihm? PAULINA Nicht mehr. Kurze Pause Mit Mirandas Geständnis in meiner Hand bist du sicher, du kannst weiterhin der Kommission angehören, und er würde es nicht wagen, uns einen seiner Meuchelmörder zu schic-ken, denn er wußte, sollte mir oder dir etwas zustoßen, wäre am nächsten Tag sein Geständnis in allen Zeitungen. GERARDO Und ich soll dir glauben, daß du ihn freiläßt, nachdem er gestanden hat? Du erwartest, daß er dir glaubt, daß du ihn nicht abknallen würdest, sobald er gestanden hat? PAULINA Ich sehe für keinen von euch eine Alternative. Paß auf, Gerardo, du mußt diesem Abschaum Angst einjagen. Sag ihm, ich hätte sein Auto versteckt, weil ich ihn töten wolle. Er könne mich nur davon abbringen, wenn er gesteht. Sag ihm das. Sag ihm, niemand wisse, daß er letzte Nacht gekommen sei, und niemand könne ihn je
finden. Um seinetwillen hoffe ich, daß du ihn überzeugen kannst. GERARDO Ich muß ihn überzeugen? PAULINA Ich würde meinen, es ist immer noch sehr viel angenehmer, als ihn zu ficken. GERARDO Es gibt da ein Problem, Paulina, an das du vielleicht nicht gedacht hast. Was, wenn er nichts zu gestehen hat? PAULINA Sag ihm, wenn er nicht gesteht, dann bring ich ihn um. GERARDO Aber was, wenn er gar nicht schuldig ist? PAULINA Ich habe keine Eile. Sag ihm, ich kann Monate warten, bis er gesteht. GERARDO Paulina, du hörst nicht richtig zu. Was kann er gestehen, wenn er unschuldig ist? PAULINA Wenn er unschuldig ist? Dann ist er wirklich am Arsch. Das Licht geht aus.
2. Szene Mittagessen, Gerardo und Roberto sitzen am Tisch. Ro-berto ist immer noch gefesselt, die Hände nach
vorne. Gerardo serviert die Suppe. Paulina beobachtet sie von der Terrasse. Sie kann sie sehen, aber nicht hören. Roberto und Gerardo schauen eine Weile schweigend auf das Essen. GERARDO Haben Sie keinen Hunger, Doktor Miranda? ROBERTO Roberto. Ich heiße Roberto. Und bitte, behandeln Sie mich doch mit der gleichen Vertrautheit wie... bitte. GERARDO Ich würde lieber mit Ihnen sprechen, als wären Sie ein Mandant, Doktor Miranda. Das würde mir helfen. Sie sollten etwas essen. ROBERTO Ich habe keinen Hunger. GERARDO Warten Sie, ich... Er nimmt einen Löffel Suppe und füttert Roberto wie ein Baby. Während des folgenden Gespräches füttert er Roberto und ißt selbst. ROBERTO Sie ist wahnsinnig. Sie müssen entschuldigen, daß ich das sage, Gerardo, aber Ihre Frau... GERARDO Brot? ROBERTO Nein, danke. Kurze Pause Sie sollte sich einer psychiatrischen Behandlung unterziehen, um -
GERARDO Hart Therapie, Doktor.
gesagt,
aber
Sie
sind
ihre
Er wischt Robertos Mund mit einer Serviette ab. ROBERTO Sie wird mich umbringen. GERARDO Wenn Sie nicht gestehen, ja. ROBERTO Aber was kann ich gestehen? Was kann ich gestehen, wenn ich... ? GERARDO Sie wissen vielleicht, Doktor, daß die Geheimpolizei der alten Regierung Ärzte benutzt hat, um - als Berater bei Folterungen... ROBERTO Der Ärztebund hat nach und nach von solchen Vorkommnissen erfahren und, soweit möglich, Ermittlungen eingeleitet. GERARDO Sie ist überzeugt, daß Sie jener Doktor sind, der... Und, es sei denn. Sie finden eine Möglichkeit, sie zu entkräften... ROBERTO Wie denn? Soll ich etwa meine Stimme ändern, beweisen, daß das nicht meine Stimme ist? - Wenn es doch nur meine Stimme ist, die mich verurteilt, kein anderer Beweis, nichts, das GERARDO Und Ihre Haut. Sie erwähnte Ihre Haut. ROBERTO Meine Haut?
GERARDO Und Ihren Geruch. ROBERTO Phantasien eines kranken Geistes. Sie hätte sich auf jeden stürzen können, der durch diese Tür kommt... GERARDO Unglücklicherweise sind Sie durch diese Tür gekommen. ROBERTO Schauen Sie, Gerardo, ich bin ein friedlicher Mensch. Jeder kann sehen, daß ich zu Gewalt überhaupt nicht fähig bin - Gewalt jeder Art macht mich krank. Ich komme in mein Strandhaus, ich wandere am Strand entlang, beobachte die Wellen, suche nach Kieseln, höre meine Musik... GERARDO Schubert? ROBERTO Schubert, kein Grund, sich dafür zu schämen. Ich mag Vivaldi und Mozart und Telemann genauso. Und gestern hatte ich die blödsinnige Idee, >Der Tod und das Mädchen< mit an den Strand zu nehmen. Aber noch blödsinniger war es, wegen Ihnen anzuhalten. -Gerardo, ich stecke in dieser Scheiße, weil mir ein Irrer leid tat, der neben seinem zusammengebrochenen Auto stand und wild mit den Armen ruderte. - Sie müssen mich hier rausholen. GERARDO Ich weiß.
ROBERTO Meine Knöchel tun weh, meine Hände, mein Rücken. Könnten Sie mich nicht ein bißchen losbinden, damit GERARDO Roberto, ich will ehrlich mit Ihnen sein. Es gibt nur eine Möglichkeit, Ihr Leben zu retten... Kurze Pause Ich denke, wir müssen - uns fügen. ROBERTO Uns fügen? GERARDO Ihr nachgeben, sie besänftigen, ihr das Gefühl geben, daß wir - daß Sie willens sind zu kooperieren... ROBERTO Ich sehe wirklich nicht, wie ich da kooperieren könnte, und das in Anbetracht meiner ziemlich absonderlichen Lage... GERARDO Geben Sie ihr nach. Sie müssen sie glauben machen, daß Sie... ROBERTO Sie glauben machen, daß ich... GERARDO Sie hat mir versprochen, wenn Sie gestehen, dann wäre sie bereit ROBERTO Ich habe nichts zu gestehen! GERARDO Dann werden Sie wohl etwas erfinden müssen, denn sie wird Ihnen nur vergeben, wenn -
ROBERTO hebt seine Stimme, entrüstet Sie hat mir überhaupt nichts zu vergeben. Ich habe nichts getan, und es gibt nichts zu gestehen. Ist das klar? Wenn Paulina Robertos Stimme hört, steht sie von ihrem Stuhl auf und bewegt sich in Richtung Zimmer. Statt mir unsittliche Lösungen vorzuschlagen, sollten Sie diese Wahnsinnige da draußen überzeugen, mit ihren verbrecherischen Methoden aufzuhören, bevor sie Ihre brillante Karriere ruiniert und selbst im Gefängnis oder im Irrenhaus endet. Sagen Sie ihr das. Oder sind Sie nicht in der Lage, im eigenen Haus ein wenig Ordnung zu schaffen? GERARDO Roberto, ich Paulina kommt herein. PAULINA Ärger, Liebling? GERARDO Kein Ärger. PAULINA Du sahst gerade etwas... erregt aus. Kurze Pause Ich sehe, Sie haben beide Ihre Suppe aufgegessen. Niemand soll sagen, ich sei keine gute Köchin. Oder keine ideale Hausfrau. Sollte diese ideale Hausfrau vielleicht noch einen klitzekleinen Karfee servieren, Doktor? Obwohl, ich glaube, unser Doktor trinkt keinen Kaffee. Doktor,
ich rede mit Ihnen. Hat Ihnen Ihre Mutter nicht beigebracht, daß man ROBERTO Lassen Sie meine Mutter aus dem Spiel. Ich verbiete Ihnen, den Namen meiner Mutter in den Mund zu nehmen. Kurze Pause PAULINA Tut mir leid, Ihnen beipflichten zu müssen. Sie haben vollkommen recht. Ihre Mutter ist nicht verantwortlich für das, was Sie tun. Eigentlich verstehe ich nicht, warum Männer immer so beharrlich die Mütter attackieren, statt Warum sagen sie immer Hurensohn, warum Hure, wo es doch in erster Linie der Vater war, der ihnen beigebracht hat, so zu GERARDO Paulina, würdest du mir bitte den Gefallen tun und uns unser Gespräch weiterführen lassen? Tust du mir den Gefallen? PAULINA Den und viele andere. Ich überlasse es euch Männern, die Welt in Ordnung zu bringen. Sie geht, dreht sich noch mal um. Oh, falls er pissen muß, Liebling, schnipse nur mit dem Finger, und schon komme ich gerannt. Sie geht zu ihrem alten Platz auf der Terrasse zuruck und schaut von dort zu.
ROBERTO Sie ist total wahnsinnig. GERARDO Wenn Wahnsinnige an der Macht sind, muß man sich ihnen fügen. Was sie betrifft, würde ein Geständnis ROBERTO Aber was könnte ein Geständnis -? GERARDO Vielleicht würde es sie von ihren Gespenstern befreien, woher soll ich wissen, was in den Köpfen von Leuten vorgeht, nachdem sie aber ich glaube, ich kann verstehen, daß sie das braucht, weil es dem entspricht, was unser ganzes Volk braucht: in Worte fassen, was passiert ist. ROBERTO Und Sie? GERARDO Was ist mit mir? ROBERTO Sie. Was werden Sie danach tun? GERARDO Nach was? ROBERTO Sie glauben ihr, nicht wahr? GERARDO Wenn ich Sie für schuldig hielte, würde ich dann so verzweifelt versuchen, Sie zu retten -? ROBERTO Von Anfang an steckten Sie mit ihr unter einer Decke. Sie spielt den bad guy und Sie den good guy und GERARDO Was meinen Sie damit -
ROBERTO - Rollen spielen, sie ist die Böse, und Sie sind der Gute, und so wollen Sie mich dazu bringen zu gestehen. Und wenn ich erst gestanden habe, dann sind Sie es, der mich umbringt, und nicht sie, jeder Mann würde das tun, jeder richtige Mann, dem sie die Frau vergewaltigt haben, ich würde es tun, wenn jemand meine Frau vergewaltigt hätte. Ihm die Eier abschneiden. Also sagen Sie schon: Sie denken doch, ich bin der verdammte Doktor, oder? Pause. Gerardo steht auf. Wo gehen Sie hin? GERARDO Ich hol den Revolver und blase dir dein verdammtes Hirn aus dem Schädel. Kurze Pause. Immer wütender Aber zuerst, du Hurensohn, folge ich deinem Rat und schneid dir die Eier ab, du Faschist. Das ist's doch, was ein richtiger Mann macht, oder? Der wahre Macho pustet Leuten das Hirn raus und fickt Frauen, die auf Pritschen gefesselt sind. Nicht wie ich. Ich bin ein idiotischer, weicher, weibischer Schwächling, denn ich verleidige den Hurensohn, der meine Frau gevögelt und ihr Leben ruiniert hat. Wie oft hast du sie gevögelt? Wie oft, du Sau? ROBERTO Gerardo, ich...
GERARDO Gerardo, den Schwächling, gibt es nicht mehr. Es gibt nur noch mich. Und Auge um Auge, Zahn um Zahn, richtig? Das ist doch unsere Philosophie... ? ROBERTO Es war nur ein Scherz, es war GERARDO Aber wenn ich darüber nachdenke, warum soll ich mir die Finger schmutzig machen an so einem Stück Scheiße wie dir ROBERTO -nur ein Scherz. GERARDO - noch dazu, wo Jemand anderes sehr viel mehr Vergnügen an deinem Leid und deinem Tod finden wird? Warum ihr dieses Vergnügen nehmen? Ich hol sie her, und sie kann dir selbst das verdammte Hirn rauspusten. ROBERTO Geh nicht. Hol sie nicht. GERARDO Ich hab's satt, den Mittler zu machen zwischen euch beiden. Komm du selbst mit ihr klar, überzeuge du sie. ROBERTO Gerardo, ich hab Angst. Kurze Pause GERARDO dreht sich um, wechselt den Ton Ich auch.
ROBERTO Laß nicht zu, daß sie mich umbringt. Kurze Pause Was willst du ihr sagen? GERARDO Die Wahrheit. kooperieren wollen.
Daß
Sie
nicht
ROBERTO Ich muß wissen, was ich getan haben soll, verstehen Sie, ich weiß doch gar nicht, was ich gestehen muß. Wenn ich der Mann wäre, dann wußte ich jedes - Detail, aber ich weiß nichts, also... Wenn ich einen Fehler mache, dann wird sie denken, ich - Ich brauche Ihre Hilfe, Sie mußten mir erzählen, was ich - damit ich weiter erfinden kann, ausgehend von dem, was Sie mir erzählen. GERARDO Sie verlangen, ich soll meine Frau betrügen? ROBERTO Ich verlange von Ihnen, das Leben eines unschuldigen Menschen zu retten, Escobar. Sie glauben mir doch, daß ich unschuldig bin, oder nicht? GERARDO Ist es Ihnen so wichtig, was ich glaube? ROBERTO Aber natürlich. Sie ist nicht die Stimme der Zivilisation, Sie sind es. Sie ist kein Mitglied der Kommission des Präsidenten, Sie sind es. GERARDO bitter, traurig Nein, sie ist es nicht... Wer schert sich schon darum, was sie denkt. Sie ist nur...
Er will gehen. ROBERTO Warten Sie. Wohin gehen Sie? Was wollen Sie ihr sagen? GERARDO Ich werde ihr sagen, daß Sie pissen wollen. Das Licht geht aus.
3.Akt 1. Szene Abenddämmerung. Paulina und Gerardo sind auf der Terrasse und schauen aufs Meer. Roberto sitzt gefesselt im Zimmer. Gerardo hat den Kassettenrekorder auf seinem Schoß. PAULINA Ich versteh nicht, warum. GERARDO Ich muß es wissen. PAULINA Warum? Kurze Pause GERARDO Paulina, ich liebe dich. Ich muß es von deinen Lippen hören. Es darf einfach nicht sein, daß nach so vielen Jahren er es sein soll, der es mir erzählt. Das wäre - unerträglich. PAULINA Und wenn ich es erzähle, dann wäre es - erträglich. GERARDO Ertraglicher, als wenn er es als erster erzählt. PAULINA Ich hab es dir schon erzählt, Gerardo, war das nicht genug? GERARDO Vor fünfzehn Jahren angefangen zu erzählen, doch dann...
hast
du
PAULINA Was hast du erwartet? Daß ich weitererzähle? Vor deinem Flittchen? Diesem Flittchen, das halbnackt aus deinem Schlafzimmer gekommen ist und wissen wollte, was du so lange machst, und du erwartest, daß ich GERARDO Sie war kein Flittchen. PAULINA Wußte sie, wo ich war? Natürlich wußte sie's. Ein Flittchen. Einen Mann vögeln, dessen Frau keine Chance hat, sich zu wehren? GERARDO Wir fangen nicht noch mal damit an, Paulina. PAULINA Du hast angefangen. GERARDO Wie oft muß ich noch...? - Zwei Monate lang hatte ich schon versucht, dich zu finden. Sie sagte, sie könne helfen. Sie kam vorbei, wir haben was getrunken. Mein Gott, ich bin auch nur ein Mensch. PAULINA Während ich dem Leben verteidige, wahrend ich deinen Namen in mir bewahrte und meinen Mund versiegelte - frag ihn, frag Miranda, ob ich je deinen Namen auch nur geflüstert, während du... GERARDO Du hast mir doch schon vergeben, du hast mir vergeben, wie oft müssen wir das noch durchkauen? Wir gehen noch zugrunde an der Vergangenheit, an so viel Schmerz und Groll. Laß
es uns zu Ende bringen - laß uns jenes Gespräch von damals zu Ende bringen - laß uns dieses Kapitel ein für allemal schließen und nie wieder darüber sprechen, nie wieder, nie, nie wieder. PAULINA Vergeben und vergessen, was? GERARDO Vergeben ja, vergessen nein. Aber vergeben, damit wir neu anfangen können. Es gibt so vieles, wofür es sich lohnt zu leben, mein... PAULINA Was denkst du dir eigentlich? Hätte ich vor ihr weiterreden sollen? Dir vor ihr erzählen, was sie mit mir gemacht haben, wie sie mich -? Wie oft? GERARDO Wie oft was? PAULINA Wie oft hast du sie gevögelt? GERARDO Paulina... PAULINA Wie oft? GERARDO Mein Liebes... PAULINA Wie oft habt ihr es getrieben? Wie oft, wie oft? Du erzählst mir, ich erzähle dir. GERARDO verzweifelt, schüttelt sie, nimmt sie in seine Arme Paulina, Paulina. Willst du mich kaputtmachen? Willst du das?
PAULINA Nein. GERARDO Aber du machst mich kaputt. Du wirst in einer Welt enden, von der ich ausgeschlossen bin, in der es mich nicht mehr gibt. Willst du das? PAULINA Ich will wissen, wie oft du dieses Flittchen gevögelt hast. GERARDO Tu mir das nicht an, Paulina. PAULINA Es war nicht die erste Nacht, stimmt doch, Gerardo? Du hast sie schon vorher getroffen, stimmt's? Die Wahrheit, Gerardo. GERARDO Auch eine Überdosis Wahrheit kann töten, das weißt du. PAULINA Wie oft, Gerardo? Du erzählst mir, ich erzähle dir. GERARDO Zweimal. PAULINA In jener Nacht. Und vor jener Nacht? GERARDO sehr leise Dreimal. PAULINA Was? GERARDO lauter Dreimal. PAULINA War sie so gut? Es hat dir also so gut gefallen mit ihr? Und ihr wohl auch. Sie muß es
wirklich genossen haben, sonst wäre sie nicht wiedergekommen, um GERARDO Ist dir eigentlich klar, was du mir antust? PAULINA Nicht mehr zu heilen, was? Irreparabel. GERARDO verzweifelt Was willst du eigentlich von mir? Wir haben die Diktatur überlebt, wir haben überlebt, und das, was diese Schweine nicht geschafft haben, das machen wir jetzt selbst. Willst du das? PAULINA ruhig Nein. GERARDO Willst du, daß ich gehe? Ist es das? Willst du, daß ich diese Tür hinter mir schließe und dich nie mehr wiedersehe? Großer Gott, willst du das? PAULINA Nein. GERARDO Aber so wird's sein. Pause Ich bin dir schutzlos ausgeliefert, nackt wie am Tag meiner Geburt. Du willst mit mir genauso umspringen wie mit dem da drinnen... PAULINA Nein. GERARDO Du willst, daß ich... ?
PAULINA murmelt Ich will dich. Dich. Ich will dich in mir, lebendig. Ich will, daß du mit mir schläfst, ohne diese Gespenster neben uns, ich will, daß du in der Kommission die Wahrheit verteidigst, ich will dich in der Luft, die ich atme, und ich will dich in meinem Schubert, den ich jetzt wieder hören kann GERARDO Ja, Paulina, ja, ja... PAULINA ... und ich will mit dir ein Kind adoptieren, und ich will mich um dich kümmern, jede Minute, so wie du dich um mich gekümmert hast nach jener Nacht GERARDO Sprich nie wieder von dem Schreckgespenst jener Nacht. Wenn du immer wieder mit jener Nacht anfängst, wirst du - mich töten. Willst du das? PAULINA Nein. GERARDO Wirst du es mir jetzt erzählen? PAULINA Ja. GERARDO Alles? PAULINA Alles. GERARDO Das ist unsere Chance, nur so kommen wir aus diesem Sumpf - nur gemeinsam und ohne etwas voreinander zu verbergen.
PAULINA Nur so. GERARDO Ich schalte den Kassettenrekorder ein. Du hast doch nichts dagegen, Liebes, wenn ich ihn einschalte? PAULINA Schalte ihn ein. Gerardo schaltet ihn ein. GERARDO Stell Kommission.
dir
vor,
du
stehst
vor
der
PAULINA Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. GERARDO Fang mit deinem Namen an. PAULINA Mein Mädchenname ist Paulina Salas. Jetzt bin ich verheiratet mit Gerardo Escobar, dem Anwalt, aber damals GERARDO Datum... PAULINA 6. April 1975, war ich noch ledig. Ich ging die San Antonio Straße entlang GERARDO Sei so präzise wie möglich. PAULINA - gegen Viertel nach zwei am Nachmittag, und als ich zar Ecke Huerfanos Straße kam, hörte ich hinter mir — wie drei Männer aus einem Auto raussprangen, einer drückte mir einen Revolver in den Rücken: »Kein Wort oder wir
pusten dich weg, Mädchen.« Er spuckte die Worte förmlich in mein Ohr - sein Atem roch nach Knoblauch. Ich war überrascht, daß sich ausgerechnet so etwas Unbedeutendes in mein Gedächtnis prägen sollte, wie das Essen, das er gerade zu sich genommen hatte, ich begann daran zu denken, wie er dieses Essen verdauen würde, mit all seinen Organen, so wie ich es in der Anatomie gelernt hatte. Später machte ich mir Vorwürfe, ich sollte jede Menge Zeit haben, darüber nachzudenken, warum ich nicht laut gerufen hatte, ich wußte, wenn so etwas passiert, dann mußt du schreien, damit Leute erfahren, wer - deinen Namen hinausschreien, ich bin Paulina Salas, sie entführen mich, wenn du nicht im allerersten Augenblick schreist, dann hast du schon verloren, und ich habe mich ihnen zu leicht gefügt, habe ihnen einfach und ohne jeden Widerstand gehorcht. Mein ganzes Leben bin ich viel zu gehorsam gewesen. Das Licht blendet langsam ab. Der Doktor war nicht dabei. Ich habe Doktor Miranda erst drei Tage später getroffen, als... da erst habe ich Doktor Miranda getroffen. Das Licht ist verloschen. Paulina erzählt im Dunkeln weiter, nur der Kassettenrekorder ist vom Mondlicht erhellt. Zuerst dachte ich, er würde mich erretten. Er war so sanft, so - freundlich, nach allem, was die
anderen mit mir gemacht hatten. Und dann, ganz plötzlich, hörte ich Schuberts Quartett. Unmöglich zu beschreiben, was es bedeutet, diese wundervolle Musik zu hören, dort in der Dunkelheit, mit geschundenem Körper, wenn du seit drei Tagen nichts mehr gegessen hast, wenn... In der Dunkelheit hören wir Robertos Stimme, die sich mit Paulinas überschneidet, und den zweiten Satz von >Der Tod und das Mädchen<. ROBERTO Ich legte gerne Musik auf, weil es mir half, meine Rolle zu spielen, die Rolle des good guy, wie sie es nennen, Schubert vor allem, es war ein Mittel, das Vertrauen der Gefangenen zu gewinnen. Aber ich wußte auch, es half, ihr Leiden zu lindern. Sie müssen mir das glauben, es half, das Leiden des Gefangenen zu lindern. Nicht nur die Musik, sondern alles, was ich tat. So sind sie auch anfangs an mich herangetreten. Das Licht wird aufgeblendet, als würde der Mond aufgehen. Es ist Nacht. Roberto sitzt vor dem Kassettenrekorder, er gesteht. >Der Tod und das Mädchen< verklingt. Die Gefangenen starben ihnen weg, erzählten sie mir, sie brauchten jemanden, der sich um sie kümmerte, dem sie vertrauen konnten. Ich habe einen Bruder, der war Mitglied beim Geheimdienst. Du kannst den Kommunisten heimzahlen, was sie Vater angetan haben, hat er eines Nachts zu mir gesagt - mein Vater erlitt einen Schlaganfall an
dem Tag, als die Bauern sein Land bei Las Toltecas besetzten. Der Schlag hat ihn gelähmt - er konnte nicht mehr sprechen, saß stundenlang einfach nur da und schaute mich an, und seine Augen sagten: Tu was. Aber deswegen habe ich gar nicht angenommen. Die volle, reine Wahrheit ist, es war aus humanitären Gründen. Wir sind im Krieg, dachte ich, sie wollen mich und meine Familie umbringen, sie wollen eine totalitäre Diktatur errichten, aber trotzdem, sie haben dennoch ein Recht auf eine Form medizinischer Versorgung. Langsam, fast ohne daß es mir bewußt wurde, fand ich mich mit delikateren Aufgaben betraut, sie holten mich zu Sitzungen, wo es an mir war zu entscheiden, ob der Gefangene so viel Folter, so viele Stromschläge aushalten konnte. Anfangs sagte ich mir, es sei eine Möglichkeit, Leuten das Leben zu retten, und ich tat es auch, viele Male sagte ich ihnen - ohne daß es der Wahrheit entsprach, nur um der gefolterten Person zu helfen -, befahl ich ihnen, aufzuhören, oder der Gefangene würde sterben. Aber dann begann ich zu - nach und nach wandelte sich die Verpflichtung, die ich anfangs fühlte, in eine Art Erregung - nach und nach fiel die Maske der Moral, und mehr und mehr ergriff mich diese Erregung, die mich hinderte zu sehen, was ich eigentlich tat, mich in einen Sumpf von - Zu der Zeit, als Paulina Salas gebracht wurde, war es bereits zu spät. Zu spät... Das Licht wird langsam eingezogen.
... zu spät. Eine Art - Brutalisierung hatte mich ergriffen, ich begann, wirklich und wahrhaftig Gefallen an dem zu finden, was ich da tat. Es wurde ein Spiel. Meine Neugier war teils morbider, teils wissenschaftlicher Natur. Wieviel kann diese Frau aushalten? Mehr als die andere? Wie funktioniert ihre Sexualität? Wird ihr Geschlecht trocken, wenn du Strom durch sie jagst? Kann sie unter solchen Umständen einen Orgasmus haben? Sie ist völlig in deiner Gewalt, du kannst all deine Phantasien ausleben, du kannst mit ihr machen, was du willst. Das Licht geht weiter zurück, während Roberto im Halbdunkel spricht; ein Mondstrahl auf dem Kassettenrekorder. Alles, was sie dir von jeher verboten haben, was immer deine Mutter dir flüsternd und unter Drängen untersagt hat. Du fängst an, sie in deinen Träumen zu sehen, all diese Frauen. Auf, Doktor, pflegten sie zu sagen, Fleisch umsonst, das werden Sie doch nicht zurückweisen, zog mich einer von ihnen immer auf. Sein Name war - sie nannten ihn Stud - ein Spitzname, ich habe nie seinen richtigen Namen herausgefunden. Sie mögen es, Doktor, sagte Stud zu mir - all diese Nutten mögen es, und wenn Sie noch Ihre nette kleine Musik auflegen, dann werden die richtig anschmiegsam. Er sagte das vor den Frauen, vor Paulina Salas sagte er es, und schließlich, nun ja, schließlich - aber nicht eine ist je unter mir gestorben, keine der Frauen und keiner der Männer.
Das Licht wird heller, und es ist Morgen. Roberto, von den Fesseln befreit, schreibt auf ein Blatt Papier seine eigenen Worte vom Kassettenrekorder. Vor ihm viele vollgeschriebene Seiten. Paulina und Gerardo schauen ihm zu. ROBERTOS STIMME vom Kassettenrekorder Soweit ich mich erinnere, habe ich bei Befragungen von vierundneunzig Gefangenen teilgenommen, Paulina Salas eingeschlossen. Das ist alles, was ich sagen kann. Ich bitte um Vergebung. Gerardo schaltet Roberto schreibt.
den
Rekorder
aus,
während
ROBERTO - Vergebung. Gerardo startet den Rekorder wieder. ROBERTOS STIMME Und ich hoffe, daß dieses Geständnis beweist, daß ich wahrhaft Reue fühle und daß, gerade jetzt, wo das Land zu Aussöhnung und Frieden... Gerardo schaltet den Kassettenrekorder aus. GERARDO Haben Sie das? Gerade jetzt, wo das Land zu Aussöhnung und Frieden kommt? Er stellt ihn wieder an. ROBERTOS STIMME - es auch mir erlaubt sein wird, den Rest meiner Tage mit diesem
schrecklichen Geheimnis zu leben. Es gibt keine schlimmere Strafe als die, welche mir die Stimme meines Gewissens auferlegt. ROBERTO während er schreibt — Strafe... meines Gewissens. Gerardo stellt den Kassettenrekorder aus. Ein Moment Schweigen Und was jetzt? Wollen Sie, daß ich unterzeichne? PAULINA Schreiben Sie erst noch, daß das alles aus freiem Willen und ohne jeden Zwang geschrieben wurde. ROBERTO Das ist nicht wahr. PAULINA Wollen Sie wirklichen Zwang, Doktor? Roberto schreibt ein paar Sätze, zeigt sie Gerardo, der nickt bejahend. Roberto unterschreibt. Paulina schaut die Unterschrift genau an, nimmt alle Blätter und die Kassette aus dem Gerat, legt eine andere Kassette ein, drückt eine Taste. Man hört Robertos Geständnis. ROBERTOS STIMME vom Kassettenrekorder Ich legte gerne Musik auf, weil es mir half, meine Rolle zu spielen, die Rolle des good guy, wie sie es nennen, Schubert vor allem, es war ein Mittel, das Vertrauen der Gefangenen zu gewinnen. Aber ich wußte auch, es half, ihr Leiden zu lindern.
GERARDO Paulina. Es ist vorbei. ROBERTOS STIMME vom Kassettenrekorder Sie müssen mir das glauben, es half, das Leiden des Gefangenen zu lindern. GERARDO schaltet den Kassettenrekorder aus Es ist vorbei. PAULINA Fast vorbei, ja. GERARDO Also denkst du nicht, es ist Zeit, daß wir... PAULINA Stimmt. Wir hatten eine Vereinbarung. Sie steht auf, geht zum Fenster, atmet die Seeluft tief ein. Wenn ich mir vorstelle, ich konnte die Stunden damit verbringen, mir bei Morgengrauen all das auszumalen, was die Flut in der Nacht angeschwemmt hat, diese gestrandeten Formen betrachten und mich fragen, was sie einmal waren, ob die See sie wieder verschlingt. Und jetzt... Und jetzt... GERARDO Paulina! PAULINA dreht sich plötzlich um Ich bin froh, daß du noch immer ein Mann von Prinzipien bist. Ich dachte, ich müsse dich erst überzeugen, jetzt, da du weißt, daß er wirklich schuldig ist, dachte ich
schon, ich müsse dich überzeugen, ihn nicht zu töten. GERARDO Ich würde meine Seele nicht mit einem wie ihm beschmutzen. PAULINA wirft ihm den Autoschlüssel zu Okay. Du mußt nur noch sein Auto holen. Kurze Pause GERARDO Und ich kann ihn mit dir allein lassen? PAULINA Meinst du nicht, ich sei alt genug? Kurze Pause GERARDO Schon gut, schon gut, ich hole das Auto... Paß auf dich auf. PAULINA Du auch. Gerardo geht zur Tür. Oh - und vergiß nicht, ihm seinen Wagenheber zurückzugeben. GERARDO versucht zu lächeln Und vergiß du nicht, ihm seine Schubert-Kassette zurückzugeben. Du hast deine eigene.
Er geht hinaus. Paulina geht zum Fenster und schaut ihm nach. Roberto löst seine Fesseln an den Knöcheln. ROBERTO Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gern auf die Toilette gehen. Es gibt wohl keinen Grund, weshalb Sie mich weiterhin begleiten sollten? PAULINA Warten Sie, Doktor. Eine Kleinigkeit noch. Kurze Pause Es wird ein unglaublich schöner Tag werden. Wissen Sie, was als einziges noch fehlt, Doktor, das einzige, das ich noch brauche, um diesen Tag wirklich und wahrhaftig vollkommen zu machen? Kurze Pause Sie töten. Damit ich meinen Schubert hören kann, ohne denken zu müssen, daß Sie ihn auch hören und mir meinen Tag zerstören und meinen Schubert und mein Land und meinen Mann. Das ist's, was ich brauche... ROBERTO Madame, Ihr Mann ist gegangen im Vertrauen, daß Sie - Sie gaben Ihr Wort... PAULINA Aber als ich mein Wort gegeben habe da hatte ich noch Zweifel, einen klitzekleinen Zweifel, ob Sie wirklich jener Mann sind. Denn Gerardo hatte recht, aus seiner Sicht. Beweise, harte Beweise - gut, ich hätte mich irren können. Aber ich wußte, wenn Sie gestehen, - und als ich Sie hörte, schwanden meine letzten Zweifel. Jetzt, da ich weiß, jetzt, da Sie jener Mann sind, könnte ich nicht in Frieden mit mir leben und Sie leben lassen.
Sie richtet den Revolver auf ihn. Sie haben eine Minute, um zu beten, Doktor. Roberto steht vorsichtig auf. ROBERTO Tun Sie's nicht. Ich bin unschuldig. PAULINA Sie haben gestanden. ROBERTO falsch.
Dieses
Geständnis,
Madame...
ist
PAULINA Wie meinen Sie, falsch? ROBERTO Ich habe es erfunden. Wir haben es erfunden. PAULINA Es kam mir sehr echt vor, schmerzhaft vertraut, was mich betrifft... ROBERTO Ihr Mann hat mir gesagt, was ich schreiben soll, einiges habe ich erfunden, einiges war von mir erfunden, aber das meiste, das hatte er von Ihnen, es war Ihnen zugestoßen, nur damit Sie mich gehen ließen, er überzeugte mich, daß es meine einzige Chance sei, nur so würden Sie mich nicht töten, und ich hatte - Sie müssen doch wissen, wie wir - unter Zwang - alles sagen, aber ich bin unschuldig, Frau Escobar, Gott im Himmel weiß, daß -
PAULINA Lassen Sie Gott aus dem Spiel, Doktor, so nahe davor, herauszufinden, ob Er existiert oder nicht. Stud. ROBERTO Was? PAULINA Mehrmals in Ihrem Geständnis erwähnen Sie Stud. Er muß ein großer, muskulöser Mann gewesen sein, er hat Fingernägel gekaut, stimmt's, er hat seine verdammten Nägel gekaut. Stud. ROBERTO Ich habe nie so einen Mann getroffen, wie Sie ihn beschreiben. Den Namen hatte ich von Ihrem Mann. Bei allem, was ich sagte, hat mir Ihr Mann geholfen zu erfinden. Fragen Sie ihn, wenn er zurückkommt. PAULINA Ich brauche ihn nicht zu fragen. Mir war klar, daß er das tun würde, daß er meine Worte für Ihr Geständnis benutzen würde. So ist er nun mal. Er denkt immer, er sei intelligenter als jeder andere, er denkt immer, er müsse jemanden retten. Ich nehme es ihm nicht übel, Doktor. Dafür liebe ich ihn. Wir haben uns belogen, weil wir uns lieben. Er hat mich getäuscht zu meinem Besten. Ich habe ihn getäuscht zu seinem Besten. Aber ich habe diesen Wettstreit gewonnen. Ich habe ihm den Namen Bud gesagt, Doktor, einen falschen Namen, um zu sehen, ob Sie ihn verbessern würden. Und Sie haben ihn verbessert. Sie verbesserten den Namen Bud und ersetzten ihn durch Stud, und wenn Sie unschuldig wären -
ROBERTO Ich sag Ihnen doch, es war Ihr Mann, der - Bitte, hören Sie doch. Er muß gedacht haben, Stud müsse der Name eines solchen Mannes sein, der - ich weiß nicht, warum er - fragen Sie ihn, fragen Sie ihn doch. PAULINA Es ist nicht die einzige Korrektur, die Sie vorgenommen haben, Doktor. Da waren noch andere... Lügen. ROBERTO Was für Lügen, was für Lügen? PAULINA - kleine Lügen, kleine Variationen, belanglose Unwahrheiten, die ich für Gerardo in meine Erzählung einbaute, und die meisten - wie im Fall von Stud - haben Sie korrigiert. Es lief genau nach Plan ab. Sie waren so ängstlich bedacht, alles richtig zu machen... Doch ich bringe Sie nicht um, weil Sie schuldig sind, Doktor, sondern weil Sie überhaupt nichts bereut haben. Ich kann nur jemandem vergeben, der wirklich bereut, der sich vor diejenigen stellt, denen er Unrecht zugefügt hat, und sagt, ich habe das und das getan, und ich werde es nie wieder tun. ROBERTO Was wollen Sie denn noch? Sie haben mehr erreicht, als alle Opfer in diesem Land je erreichen werden. Er geht vor ihr auf die Knie. Was wollen Sie noch?
PAULINA Die Wahrheit, Doktor. Die Wahrheit und ich lasse Sie gehen. Bereuen Sie, und ich lasse Sie gehen. Sie haben zehn Sekunden. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs. Die Zeit läuft aus. Sieben. Gestehen Sie! Roberto steht auf. ROBERTO Nein. Das werde ich nicht. Denn selbst wenn ich gestehe. Sie wären nie zufrieden. Sie bringen mich sowieso um. Also machen Sie schon und töten Sie mich. Ich lasse mich nicht von irgendeiner kranken Frau so behandeln. Wenn Sie mich umbringen wollen, dann tun Sie es. Aber Sie werden einen Unschuldigen töten. PAULINA Acht. ROBERTO Gestern haben die Schreckliches mit Ihnen gemacht, heute tun Sie es mit mir, und morgen dreht sich die Spirale der Gewalt noch weiter. Ich habe Kinder, zwei Söhne, eine Tochter. Sollen meine Kinder die nächsten fünfzehn Jahre damit verbringen. Sie aufzuspüren ? Und dann PAULINA Neun. ROBERTO Oh, Paulina, ist es nicht Zeit, einmal aufzuhören? PAULINA Und warum sind es immer Leute wie ich, die verzichten müssen, warum müssen immer wir die Zugeständnisse machen, wenn Einigung
erreicht werden soll, warum muß immer ich mir auf die Zunge beißen, warum? Nicht dieses Mal. Dieses Mal werde ich an mich selbst denken, an mich allein. Und wenn es nur bedeutet, in einem Fall Gerechtigkeit zu üben, nur in einem. Was verlieren wir? Was verlieren wir, wenn wir einen von ihnen töten? Was verlieren wir? Was verlieren wir? Sie frieren in dieser Position ein, und das Licht wird langsam abgeblendet. Die letzten Takte der Musik von Mozarts Dissonanzen-Quartett erklingen. Vor Paulina und Roberto wird ein großer Spiegel gefahren, der sie jetzt verdeckt und in dem sich nun das Publikum spiegelt. Während das Quartett einige Minuten zu hören ist, gehen langsam Scheinwerfer über das Publikum, suchen sich zwei oder drei Besucher heraus, gehen die Reihen rauf und runter.
2. Szene Ein Konzertsaal. Ein Abend, mehrere Monate später. Gerardo und Paulina treten auf, sehr elegant gekleidet. Sie setzen sich vor den großen Spiegel, mit dem Rücken zum Publikum, vielleicht auf zwei Stühle oder zwei Plätze in der ersten Reihe des Theaters (Zuschauerreihe). Während die Musik spielt, hören wir die typischen Nebengeräusche eines Konzerts: Vereinzeltes Husten oder Räuspern, Blättern im Programmheft etc. Wenn die Musik aufhört, klatscht Gerardo, und wir hören den aufbrausenden Applaus des
unsichtbaren Publikums. Paulina applaudiert nicht. Der Applaus läßt langsam nach und mündet in die typischen Pausengeräusche: mehr Husten und Räuspern, Gemurmel des Publikums, Leute auf dem Weg ins Foyer etc. Paulina und Gerardo erheben sich und machen Anstalten, hinauszugehen, begrüßen Leute etc. Sie gehen von ihren Sitzen zu einem imaginären Foyer, das offensichtlich mit Zuhörern gefüllt ist. Typische Foyer-Pausengeräusche. Gerardo beginnt ein Gespräch mit Zuhörern des Konzerts. GERARDO über dem allgemeinen Gemurmel hören, vertraulich mit verschiedenen Zuhörern warum, danke, vielen, vielen Dank.... Ich etwas müde, aber es war die Sache wert... Ja, denken, der Abschlußbericht der Kommission wirklich außerordentlich...
zu Ja, bin wir ist
Paulina verläßt ihn, geht zu einer kleinen Bar an der anderen Seite. Gerardo setzt seine Gespräche fort, bis sie zurückkehrt. Die Leute handeln unglaublich großmütig, ohne eine Spur von persönlicher Rache... Nun, ich habe immer gewußt, daß unsere Arbeit helfen würde, all die Wunden zu heilen, aber ich war überrascht, als es bereits bei unserer ersten Zusammenkunft anfing. Eine alte Frau kam, um auszusagen. Die Frau war sehr verschüchtert, begann im Stehen zu reden. »Bitte, setzen Sie sich«, sagte der Präsident der Kommission und rückte ihr einen Stuhl zurecht. Sie setzte sich und begann zu schluchzen.
Dann schaute sie uns an und sagte: »Das ist das erste Mal«, sagte sie zu uns - ihr Mann war vor vierzehn Jahren verschwunden, und sie hatte Tausende von Stunden damit verbracht, Eingaben zu machen. Tausende von Stunden des Wartens... - »Das ist das erste Mal«, sagte sie, »in all diesen Jahren, daß mir jemand einen Stuhl angeboten hat.« Das erste Mal in ihrem Leben wurde ihr ein Stuhl angeboten. In der Zwischenzeit hat Paulina einige Süßigkeiten gekauft. Sie ist gerade dabei zu zahlen, als Roberto in einem gespenstischen Mondlicht hereinkommt. Er könnte real sein oder auch nur in der Phantasie von Paulina existieren. Paulina hat ihn noch nicht gesehen. Sie geht zu Gerardo zurück, der gerade seinen Monolog beendet. Roberto bleibt hinten und beobachtet Paulina und Gerardo aus der Entfernung. Und die Mörder, selbst wenn wir ihre Namen nicht wissen oder preisgeben können... Ah, Paulie, gerade noch rechtzeitig. Gut, mein Freund, wir sehen uns sicher bald wieder. Ich hab jetzt wieder ein bißchen mehr Freizeit. Vielleicht können Sie auf ein paar Drinks zu mir nach Hause kommen? Pau macht Margaritas, das haut Sie vom Hocker. Gerardo und Paulina sitzen in ihren Konzertsesseln. Roberto geht zu einem anderen Sessel, er läßt Paulina nicht aus den Augen. Applaus, wenn die imaginären Musiker kommen. Sie stimmen ihre Instrumente. >Der Tod und das Mädchen<
beginnt. Gerardo schaut Paulina an, sie blickt nach vorne. Er nimmt ihre Hand und schaut auch nach vorne. Nach ein paar Sekunden dreht sie sich langsam um und schaut Roberto an. Ihre Blicke treffen sich für einen Moment. Dann schaut sie wieder nach vorne. Die Lichter verlöschen langsam, während die Musik weiterspielt. Ende