Klaus Schlichte
Der Staat in der Weltgesellschaft Politische H~rrschaft in Asien, Afrika und Lateinamerika
Campus Verlag Frankfurt/New York
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Inhalt
Vorwort ....................................................................................................................... 7
Einleitung .................................................................................................................. 10
1. Kritik der Internationalen Beziehungen ..................................................... 20 1.1 Die Entwicklung der Theorie in den Internationalen Beziehungen .... 22 1.2 Ausgangspunkte einer Theorie globaler Vergesellschattung ................ 32 1.2.1 Die Geschichtlichkeit der Politik in der Weltgesellschaft .......... 33 1.2.2 Die Gesellschaftlichkeit der Politik in der Weltgesellschaft ....... 37 1.2.3 Zum Begt.-iff der Weltgesellschaft .................................................. 40 1.2.4 Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen .................................... 45 1.2.5 Methodische lmplikationen ............................................................ 47 1.3 Macht und Herrschaft in der Weltgesellschaft ....................................... 58
2. Zur Theorie staatlicher Herrschaft .............................................................. 62 2.1 2.2 2.3 2.4
Begriffe der Macht und Begriffe der Herrschaft .................................... 65 Die moderne Staatsidee und ihre Genese ............................................... 84 Zur Dynamik des Staates ......................................................................... 102 Die Formation des Staates in der Dritten Welt .................................... 111
3. Dynamiken der Gewalt .................................................................................. 126 3.1 Militär und Polizei- zur Dialektik von Gewalt und Organisation .... 129 3.1.1 Das Militär ....................................................................................... 131 3.1.2 Die Polizei ........................................................................................ 137 3.2 I
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4. Das Geld des Staates ...................................................................................... 182 4.1 Staat und Steuern - zur Theorie ............................................................. 186 4.2 Die Befunde .............................................................................................. 192 4.3. Die Einnahmen der postkolonialen Staaten das lose fiskalische Band ........................................................................ 197 4.4 Einnahmearten und ihre Dynamiken..................................................... 200 4.5 Privatisierung und Informalisierung -die jüngeren Entwicklungen 215 5. Die Semantik des Staates .............................................................................. 222 5.1 Mythos und Legitimität............................................................................ 228 5.2 Die Nation und die Religion ................................................................... 236 5.3 Das Recht des Staates .............................................................................. 242 5.3 .1 Zum theoretischen Ort des Rechts ............................................. 245 5.3.2 Das Recht als Staatsprojekt ......................................................... 248 5.3.3 Die Wirklichkeit des Rechts ......................................................... 251
Exkurs: Musevenis Dilemmata ............................................................................ 261 6. Macht und Herrschaft in der Weltgesellschaft ....................................... 276 6.1 Zur Realität staatlicher Herrschaft in der Weltgesellschaft ................. 277 6.2 Zur Architektur des globalen Regierens ................................................ 284 6.2.1 Staatszerfall und Intervention ....................................................... 284 6.2.2 Das Problem derglobalgovernance ................................................... 289 6.2.3 Die Herrschaft der Intermediäre ................................................. 292 6.3. Zur Theorie: Von der Internationalen Beziehungen zur politischen Soziologie der Weltgesellschaft ............................................................. 296 Verzeichnis Q.er Tabellen und Schaubilder .......................................................... 300 Literatur ................................................................................................................... 301
Vorwort
Dieses Buch hat mehrere Ursprünge. Es ist hervorgegangen aus einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojekt mit dem Titel ))Staatsbildung und Staatszerfall in der )Dritten Welt«<, das von 1997 bis 2001 an der Universität Harnburg und dem Deutschen Orient-Institut, ebenfalls in Hamburg, durchgeführt wurde. Wissenschaft kostet Geld. Der DFG gebührt daher zunächst Dank für die Fördetung des Projektes, das sich, wie die Welt auch sonst, schnell internationalisiert hat. Der zweite Ursprung dieses Buches ist das sich aufstauende Ungenügen des Verfassers an der Beschränkung der Politikwissenschaft auf Phänomene westlicher, vor allem europäischer Politik. Die F01-derung, Europa »Zu provinzialisieren«, die die postcolom"al studi'es hervorgebt-acht haben, ist auch ein Antl"ieb für dieses Buch gewesen. In der Weltgesellschaft, um die es in diesem Buch geht, ist Europa eine Provinz unter anderen. Der dritte Ursprung dieses Buches ist theoretischer Natur. Dabei geht es um die Überzeugung des Verfassers, dass die Gehalte der klassischen Soziologie bis heute unabgegolten sind. Vieles von dem, was in den vergangeneu fünfzehn Jahren in den Sozialwissenschaften unter Stichworten wie ))Konstruktivismus« oder ))Kulturwissenschaft<< als vermeintlich Neues re-impot-tiert wurde, sind in Wahrheit alte Bekannte. Den Wert dessen, was Max Weber, Norbert Elias aber auch schon Karl.Mat:x über moderne und sich modernisierende Gesellschaften gesagt haben, noch einmal zu prüfen, ist ein weiterer Antrieb dieses Buches gewesen. Wie jedes Buch, so beantwortet auch dieses weniger Fragen als es aufwirft. Seine Absichten sind wahrscheinlich größer als der faktische Ettrag. Im Zentrum jedenfalls steht die Frage nach Macht und Herrschaft in der Weltgesellschaft, und zwar bezogen auf die staatliche Ordnung außerhalb dessen, was gewöhnlich »der Westen« oder )>die OECD-Welt« genannt wit-d. Diese Zone ist bisher der eindeutige Fokus der sozialwissenschaftliehen Arbeit, zumal in Deutschland. Vier Fünftel der Menschheit aber leben woanders, und doch in derselben Welt. Seit mehr als 500 Jahren spannen sich politische Zusammenhänge über den ganzen Erdball. Zu einer Theorie, die diese Zusammenhänge
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umfassend behandeln würde, kann auch dieses Buch nur ein Beitrag sein. Eine solche 1heorie wäre heute wohl nur noch in einem mehrbändigen Werk oder als kollektives Unternehmen möglich, zu komplex und zu vielfaltig sind wohl mittlerweile die Vermitdungen, Schichtungen und Dynamiken geworden, die diesen universalen historischen Prozess ausmachen. Die Weltgesellschaft, der globale soziale Zusammenhang, ist dennoch nicht nur eine mitzudenkende regulative Idee aller theoretischen Bemühungen um das Politische, sondern auch ihr realexistierender Grund. Auch dieses Buch ist also bloß ein Versuch, einiges Allgemeines zusammenzutragen. Das Problem staatlicher Herrschaft darf aber beanspruchen, für eine Vielzahl von aktuellen politischen Fragen zentral zu sein. Das betrifft nicht nur den Alarmismus über >>globale Risiken«, die sich faktisch eben doch nicht allen Weltbürgern in gleicher Weise stellen. Sondern diese Bedeutung resultiert vornehmlich aus der Frage nach der Lösung von Problemen überhaupt, für die die Politik überall auf der Welt Generalkompetenz beansprucht. Politik nun aber ohne Staat zu denken, scheint uns heute nicht mehr möglich. Im Westen behauptet der Staat seine Zuständigkeit für alle Lebensbereiche, und tatsächlich ist er überall präsent, vom Mutterschutz bis zur Friedhofsordnung. Im größten Teil der Welt ist das nicht so. Gesundheit, Erziehung, soziale Sicherheit überhaupt sind keineswegs überall Sache des Staates, weil dort politische Herrschaft fragmentiert, zufällig, erratisch w1d widersprüchlich ist. Oft ist sie nur lose mit dem Staat verbunden. Spätestens mit dem Export westlicher Modelle staatlicher Herrschaft im Zuge der europäischen Expansion lassen sich aber überall auf der Welt Versuche der Durchsetzung staatlicher Herrschaft, der Verstetigung staatlicher Macht, beobachten. Das Thema dieses Buches nun s:Od die widersprüchlichen Dynamiken dieser Versuche. Wissenschaft ist gottseidank auch inlmer sozial!!s Geschehen. Und schon entstehen Verpflichtungen und kollektive Gespinste des Geistes. Dank gebührt zunächst den Kolleginnen und Kollegen, deren Argumente und Gedanken an vielen Stellen in dieses Buch eingeflossen sind, auch wenn ilmen dabei nicht inlmer Gerechtigkeit widerfuhr. Der Diskussionszusammenhang, der sich zwischen Seattle, Bordeaux, Paris und Harnburg entsponnen hat, ist für die hier entwickelten Überlegungen :zentral geworden. Beatrice Hibou, Joel Migdal, Tom Lewis, Jean-Louis Rocca, Jean-Francrois Medard und Francrois Prkic haben seit 1997 mit Widerspruch, Zustinlmung und Ergänzung mein Denken über den Staat wesentlich bereichert. Kollegen aus Hamburger Zusammenhängen haben nicht nur Teile des Manuskripts kritisch kommentiert, sondern ebenfalls formierend gewirkt. Das gilt für Jens Siegelberg, Dietrich Jung, Andreas Reckwitz und Boris Wilke, ebenfalls Mitarbeiter im genannten Projekt. Klaus Jürgen Gantzel und Udo
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Steinbach haben diesem Projekt übrigens mit wahrhaft hanseatischer Liberalität vorgestanden. Dejan Arsenijevitsch und David Kihikyo möchte ich stellvertretend für all jene in Serbien und Uganda danken, die während meiner Feldforschungen in den vergangeneo Jahren meine naiven Fragen mit Geduld und Zeit beantwor- l~. •·
tet haben. Aus diesen Gesprächen habe ich gelernt, dass. man die Dinge auch anders sehen kann, als es die Lehrbücher auf Deutsch, Englisch und Französisch behaupten. Ein weiterer wichtiger Diskussionszusammenhang für diese Arbeit war die »Nachwuchsgruppe Mikropolitik bewaffneter Gruppen« an der Humboldt-Uttiversität zu Berlin, der in Gestalt ihrer »informellen Sprecherin« für Widerspruch Wld Unterstützung gedankt sei. Kristin Lähnemann und Barbara Lernherger haben mir nicht nur viele Wege erspart, sandem auch auf einiges abseits Liegendes hingewiesen. Meike Westerkamp, Teresa Kaioma Beck und Alexander Veit danke ich für die kritische Durchsicht letzter Versionen. Schließlich ist dieses Buch in einer älteren Fassung auch eine Habilitationsschrift an der Johann Wolfgang von Goethe-Universität zu Frankfutt am Main gewesen. Der Betreuer der Arbeit, Lothar Bmck, und die beiden weiteren Gutachter, Gert Krell und Wolfgang Fach, haben mit ehrlicher Kritik stark zur Verbesserung dieses Textes beitragen. Für alletrotzdieser Einbettungen dennoch entstandenen Irrtümer und Unzulänglichkeiten übernehme ich gern selbst die vollständige Verantwortung. Berlin im April2005
Einleitung
In diesem Buch geht es um Macht und Herrschaft. Im Gegensatz zu den meisten anderen Büchern, die dieses Thema behandeln, bezieht es sich jedoch nicht auf einen einzelnen »nationalen« Zusammenhang, auf einen Staat, und es behandelt dieses Thema auch nicht bloß begrifflich-theoretisch. Im Zentrum dieser Betrachtung steht vielmehr der Staat in Asien, Afrika und Lateinamerika. Dass sich diese Staaten verändern, wie die des Westens übrigens auch, ist seit langem bekannt. Doch darüber, warum und wie sich diese Veränderungen vollziehen, weiß man nicht viel. Ein theoretischer Entwurf, der es sich zur Aufgabe gemacht hätte, Bestimmungsgründe, interne Momente und Geltungsbedingungen staatlicher Herrschaft in ihrer historischen Ausbreitung als globales Grundmodell des Politischen umfassend darzulegen und zu erklären, liegt bis heute nicht vor. Fast alle Versuche der vergleichenden Forschung über den Staat beziehen sich auf Geschichte und Gegenwart des Staates der OECD. Die weit überwiegende Mehrheit der Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas kommt in ihnen nicht oder nur am Rande vor. Diese Zentralität des Staates für das Politische und die wissenschaftlichen Formen der Auseinandersetzungen mit dem Politischen stehen damit noch immer in einem eigenartigen Kontrast zum Stand der theoretischen Bemühungen um den Staat. Die Politikwissenschaft, ein Projekt des Westens, beschäftigt sich überwiegend mit den politischen Formen ihres Entstehungszusammenhanges. Die Debatten um den Staat außerhalb der OECD sind, so scheint es, abgebrochen. Es ist das zentrale Anliegen dieser Arbeit, diese Debatte wieder aufzunehmen und zugleich mit anderen Diskussionen zu verknüpfen. Zwar ist >xier Staat der Dritten Welt« Gegenstand einiger Debatten gewesen, doch Aufwand, theoretisches Niveau und wissenschaftliche Akribie der politikwissenschaftlichen Forschung zu diesem Thema können mit den Ergebnissen der wissenschaftlichen Bemühungen um die staatlichen Organisationen der OECD-Welt nicht konkurrieren. Die Debatten um den Staat der Dritten Welt können auch nicht als Ergebnis zusammenhängender Forschungen betrachtet werden, deren Ergebnisse sich in der theoretischen Diskussion gleichsam verdichten. Das Material fW:
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solche theoretischen Bemühungen ist lückenhaft, verstreut und nicht einheitlich organisiert. So liegen vergleichende, regional übergreifende Arbeitet~ zur politischen Herrschaft in der Dritten Welt, die sich auf dem aktuellen Stand der Sozialtheorie bewegen, bis auf wenige Ausnahmen nicht vor. Zahlreiche Aspekte staatlicher Herrschaft, die für die Staaten des Westens GegenS'tand gan?.er Forschungsbereiche darstellen, sind in der Politikwissenschaft kaum je auf die Dritte Welt bezogen worden: Vergleichende Untersuchungen zur Fiskalpolitik, zu Steuersystemen, Verwaltung oder Polizei sind ausgesprochen selten. Monographische Arbeiten kommen in der Regel ohne methodische Explikationen und theoretische VerortwJgen aus. Ursächlich für die Lückenhaftigkeit und den Mangel an Zusammenhang der politikwissenschaftlichen Dtitte-Welt-Forschung dürften vor allem Hintergtundeinstellungen des wissenschaftlichen Forschungsbetriebes sein, die ihren Grund nicht in der Sache haben. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Staat ist fast ausschließlich auf den Staat des Westens konzent1iert. Aus der Genese und den Formen des bürgerlichen Staates hat sie ihre Kategorien und Problemstellungen gewonnen, während die in den Sozialwissen- · schaften marginale Auseinandersetzung mit staatlicher Herrschaft außerhalb; Europas und Nordamerikas vor allem von einem normativen Motiv gespeist. ist, nämlich dem Ziel der »Entwicklung«. Die Formeln und Konzepte intelnationaler Agenturen, die technischen Debatten um die »richtigen Strategien« zur Erreichung des schimärenhaften Fernziels »Etttwicklung«, haben die Versuche, davon unabhängig theorftisch zum Staat der Dtitten Welt zu arbeiten, fast vollständig verdrängt. Zu Beginn der achtziger Jahre lief in der deutschen Politikwissenschaft die Debatte um den Charakter des Staates in den Regionen der Dritten Welt aus, um erst in den neunziger Jahren, in Zusammenhang mit Diskussionen neuer Arrangements politischer Institutionen; eine Wiederbelebung zu erfahren. Schlag- und Stichworte wie global governattce, der »Rückzug des Staates« oder p11blicptivate pattnership machen auch den Staat wieder zum Thema: In der ganzen Periode davor ist ))der Staat der Dtitten Welt« fast Anathema der deutschen Politikwissenschaft. Hmtmut Elsenhans' Beitrag (1981) setzt den Schlusspunkt uttter eine Diskussion, deren vorige Heftigkeit ein solches Ende nicht hatte vermuten lassen. Selbst das einschlägige, von Politikwissenschaftlern veranstaltete Hmrdbllch der Dritten W"elt (Nohlen/Nuscheler 1993), dessen erster Band Gmndprobleme, Theorim, Strategien betitelt ist, enthält keinen Beitrag zum Staat oder politischer Herrschaft allgemein, setzt sich aber typisch für das Paradigma des Developmentalismus - ausführlich mit sustarirable devdopment, dem Verschuldungsproblem und Migrationsbewegwtgen auseinander.
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In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Staat in der Dritten Welt sind zudem große Unterschiede der Konjunkturen zwischen Sprachräumen zu beobachten. Während die Debatte in Deutschland Mitte der 1980er Jahre abebbt, beginnt sie in den USA erneut (vgl. Evans et al. 1985; Migdal 1988). Der in Frankreich wenig später einsetzende Versuch, unter Rückgriff auf neuere sozialtheoretische Entwicklungen wie den Poststrukturalismus den developpmmtalis1ne hinter sich zu lassen (vgl. Latouche 1986; Bayart 1989) erreichte erst in den letzten Jahren die deutsche w1d US-amerikanische DiskusSion.
Der überwiegende Teil der Beiträge zum Staat in der Dritten Welt jedoch befasst sich bis heute in normativer Absicht mit Entwürfen über zukünftige Arrangements, in denen eben auch der Platz staatlicher Institutionen zu bestimmen ist. Die empirische, vergleichende Analyse der Entwicklung konkreter Formen staatlicher Herrschaft dagegen ist dadurch nicht wieder belebt worden. Nach dem Ende der Kontroverse zwischen klassischer Modernisierungstheorie und Dependenztheorie fehlt eine Sprache, mit der die Wandlungsprozesse staatlicher Herrschaft außerhalb Europas beschrieben werden könnten. Wie sich dort politische Herrschaft etabliert und wie sie sich verändert, ist in der wissenschaftlichen Behandlung in die Untersuchung unzähliger einzelner Zusammenhänge zerfallen. Theoretische Versuche, diese Wandlungen begrifflich zu fassen, sind vereinzelt und unzusammenhängend oder sie beschränken sich auf einzelne >>Regionen«. Die vorliegende Arbeit soll diesem Missstand abhelfen. Sie stellt einen theoretischen Ansatz vor, mit dem die Wandlungen und Bestin1mungsgründe staatlicher Herrschaft außerhalb der OECD nach 1945 beschrieben und erklärt werden können. Zum andem versucht sie, wesentliche Elemente der Erklärungen dieser Dynamiken an zentralen Aspekten staatlicher Herrschaft in der ))Dritten Welt« selbst herauszuarbeiten. Die Bezeichnung ))Dritte Welt« ist nun selbst problematisch. Denn sie suggeriert eine Einheitlichkeit der Verhältnisse, die nicht gegeben ist.1 Die Kritik an Vorstellungen, wonach sich die Welt aufteilen ließe in soziale Räume, die der Gliederung von Staaten folgen, ist ein zentrales Anliegen dieser Arbeit. Davon unberührt bleibt, dass es politische Gebilde gibt, die sich Staaten nenI Die Geschichte der Gesellschaften Afrikas, Lateinamerikas und Asiens und die Geschichte ihrer politischeil Formen bilden zwar einen notwendig zu berücksichtigenden Hintergrund für die Analyse der Prozesse der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit, doch die Histmizität staatlicher Herrschaft, die sich in jedem Fall konkret machen lässt, wird in dieser Arbeit zugunsten allgemeiner Thesen vemachlässigt. Im Folgenden wird auch auf An- und Abführungen bei der Benutzung des Begriffs Dritte Welt verzichtet.
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nen, deren empirische Wirklichkeit aber in einem eigenartigen Kontrast zur Vorstellung von Staatlichkeit steht, die diese Redeweise gemeinhin begleitet. Mit Staaten der Dritten Welt sind jene Staaten gemeint, in denen der moderne Kapitalismus nicht als umfassende Lebenswirklichkeit entfaltet ist, wie in Nordamerika, Westeuropa und Japan, in denen sich nicht Kapital und Arbeit organisiert gegenüberstehen, und deren politisches Hauptmerkmal nicht bürokratische Herrschaft ist. Moderne Staaten sind in jedem Lebensbereich ihrer Bürger präsent, sie haben die Gesellschaft durchstaatlicht. Zugleich hat sich ihnen über Recht und Öffentlichkeit eine Kontrolle der Herrschaft etabliert, also eine die Verstaatlichung der Gesellschaft komplementäre Vergesellschaftung des Staates ergeben. Das ist, so ein zentraler Befund dieses Buches, au- \ ßerhalb der »OECD-Welt« in weitaus geringerem Umfang der Fall als in 1 Nordamerika oder Westeuropa. Nun sind auch die Staaten der Dritten Welt gesellschaftlich eingebettet. Deshalb muss eine Theorie staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt ihren Ausgangspunkt dort suchen, wo auch der Staat beginnt: in der Gesellschaft. Weil aber die »Externität« staatlicher Institutionen im Verlauf der Ausbildung staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt so bedeutsam ist, sind The01ien, die sich allein mit dem Innenleben des Staates befassen - wie etwa das Staatsrecht und weite Teile der Staatstheorie- dafür nicht geeignet. Stattdessen dient hier die Theorie der Weltgesellschaft als Ausgangspunkt. Worin nun eine solche Theorie besteht und wie sie sich zu den geläuftgen Positionen der Theorie der Internationalen Beziehungen und des Staates verhält, ist das durchgängige Thema des ersten Teils dieser Arbeit. Darin wird diese Theorie zunächst ins Verhältnis gesetzt zu den gängigen Auffassungen der >>Internationalen Beziehungen«. Im selben Teil wird dann die Idee staatli-~ eher Herrschaft historisch und ideengeschichtlich eingebunden und in eine Auffassung des Staates eingebettet, die es erlauben soll, die konkrete Dynamik I des Staates zu erfassen, ohne durchweg dessen Sprache zu sprechen. In einem) zweiten Teil wird die Bedeutung staatlicher Herrschaft in den gesellschaftlichen Bereichen untersucht, in denen dem Staat, allen gängigen theoretischen Auffassungen zufolge, eine besondere Bedeutung zukommt. Dabei beziehen sich die Analysen dieser Arbeit nur auf den Zeitraum nach 1945. Der Versuch der theot-etischen Behandlung staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt muss daher kombinieren und fortentwickeln. Denn die fachinternen, auf diesen Gegenstand bezogenen Diskurse reichen dafür nicht aus. Die wesentlichen Elemente für den hier vorgelegten Entwurf speisen sich aus zwei Quellen. Die >>Klassiker« der deutschen Sozialtheorie, von Hegel, Marx, Weber f und Elias sind eine Hauptquelle der hier eingenommenen theoretischen Posi-
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rion und Ausarbeitungen.2 Besonders die lange unterbliebene Zusammenführung von Karl Marx und Max Weber ist für diese Perspektive essentiell. Viel zu lange haben äußere Umstände der Wissenschaft die Gemeinsamkeiten des Blicks von Weber und Marx auf den modernen Kapitalismus und seine Vorgeschichte versperrt. Außerdem wurden Elemente der Sozialtheorien von Pierre Bourdieu und ivlichel Foucault flir die Analyse der Dynamik von Macht und Herrschaft aufgenommen. Die grundlegenden OrientierWigen dieser theoretischen Position lassen sich demnach so umreißen: Die Theorie globaler VergesellschaftWlg speist sich aus einem Verständnis der kapitalistischen Modeme als einem distinkten Ensemble von Formen der Vergesellschaftung. Kapitalistische Produktion, moderne Staatlichkeit und die symbolischen Welten der Modeme unterscheiden sich von den Formen vorgängiger gesellschaftlicher Welten. Die historische VerankeiWlg der Theorie globaler VergesellschaftWlg bezieht sich vor allem auf ein Verständnis von Geschichte als Strukturgeschichtc. Die Ausbildung der heute in entwickelten kapitalistischen Gesellschaften gültigen VergesellschaftWlgsformen, aber auch ihre konfliktive Begegnung mit traditionalen Formen, bilden das Grundgerüst dieses Verständnisses von Geschichte. Der Begriff der Weltgesellschaft bezeichnet das Resultat dieses Prozesses, das Ganze des globalen sozialen Raumes. Ihre Herausbildung, die mit der europäischen Expansion ihren Ausgang nahm, hat zur Einbindung aller zuvor geschiedenen Geschichten und gesellschaftlichen Räume in denselben Funktionszusammenhang geführt. Dabei ist die Auflösung, Integration und Transformation älterer sozialer Formen ein bis heute unabgeschlossener Prozess. Dieser Prozess der globalen VergesellschaftW1g ist das Ganze des Sozialen, auf den alle Einzelheiten bezogen bleiben. Zwar lassen sich einzelne Geschichten, Teilprozesse, Ereignisse und Aktionen analytisch scheiden und untersuchen. Ihre theoretische Bedeutung liegt indes immer in ihrem Bezug auf das Ganze. Das Hauptinteresse nun einer politischen Soziologie der Weltgesellschaft, die sich auf diese theoretische Sichtweise bezieht, gilt der Dynamik von Macht und Herrschaft. Die InstitutionalisierWigen von Machtbeziehungen zu staatlicher Herrschaft, aber auch il1re Auflösung, sind der Gegenstand dieser Arbeit. Zum Aufbau dieses Buches: Innerhalb der Politikwissenschaft sind traditionell die »Internationalen Beziehungen« für alles zuständig, was über die Grenzen von Staaten hinweg passiert. Deshalb enthält Kapitel 1 zunächst eine Skizze der theoretischen Entwicklung der »Internationalen Beziehungen«, die :! Die •.Ubeit knüpft damit an ein Forschwtgsprogramm an, das in den \'ergangenen zwölf J:thre•l als »Hamburger Ansatz« der Kriegsursachenforschwtg entwickelt wurde, vgl. Jung/Schlichte/Siegelberg (2003); Schlichte (1996, l998a, b, c,);Jwtg (l99S, 1998) wtd Siegelberg (1994).
sich in der Soziologisieroog ihres Gegenstands, ihrer Methoden und Leittheorien als eine Konvergenzbewegung bezeichnen lässt. Mehr ood mehr hat diese politikwissenschaftliche Subdisziplin ihre klassische Beschränkung auf zwischenstaatliche Beziehoogen hinter sich gelassen. Diese Debatten, so eine erste These dieses Buches, drängen auf den Begriff der Weltgesellschaft. Um diesem neuen, erweiterten Gegenstand gerecht zu werden, sind indes zwei wichtige Voraussetzoogen in der Theorie zu berücksichtigen: Die Gescbicbtlichkeit ood die Gese//schaftlichkeit der Politik in der Weltgesellschaft werden deshalb in diesem Kapitel einschließlich ihrer methodischen Konsequenzen in aller gebote- { nen Kürze diskutiert. Das zweite Kapitel behandelt die zentralen Begriffe Macht, Herrschaft und Staat. Die Machttheorien von Max Weber, Norbet"t Elias, Pierre Bourdieu ut1d Michel Foucault dienen zooächst dazu, das theoretische Vokabular zu etablieren, das fortan in dieser Arbeit Verwendung f111det. Dies gilt besonders für die Begriffe Macht und Herrschaft, wobei, so eine zweite These, bei den anderen Autoren ein zu den Webersehen Definitionen analoges Verständnis gefunden werden kann: Herrschaft ist immer institutionalisierte Macht. Für die Verstetigoog von Machtbeziehungen, wie sich in der Geschichte des europäischen Staates beobachten lassen, decken sich bei diesen vier Autoren die Befunde. Modeme Staatlichkeit ist demnach immer angewiesen auf die Verregeloog der Gewalt, sie beruht auf langfristigen Wandlut1gsprozessen utld der Differenzierung von eigengesetzlichen Handlungsfeldem, und sie bedeutet die Ausbildoog eigener Apparate ood einer eigenen Semantik. Der Begriff des Staates ist schwietiger zu bestimmen. Zum einen dient in Kapitel 2 eine Rekonstruktion der deutschen Begtiffsgeschichte dazu, Kernelemente des modernen Staatsvet-ständnisses zu destillieren, die ut1serem stets schwankendem Verständnis doch immer zugrunde liegen. Demnach sind das Gewaltmonopol, Souveränität, Territmialität und Apparatscharakter diese Kemmerkmale. Ein solches Verständnis ist jedoch für die Analyse· konkreter empirischer Staatlichkeit nur eingeschränkt nützlich, denn es kann· inu_ner nur Grade der Abweichung benennen, aber das, was Staat empirisch ist, tlicht recht erfassen. Deshalb ist ein wesentlicher Gehalt des zweiten Kapitels eine neue Deftnition des Staates, die diesen-als ein Machtfeld begreift, auf dem das mit den Kernmerkmalen erfasste Ideal von Staatlichkeit beständig durch Praktikm staatlicher wie nicht-staatlicher Akteure umkämpft ist. Diese Dy1.1amik ist der zentrale Gegenstand dieses Buches. Ein kurzer Abriss der vorkol01ualen und kolonialen Geschichte des Staates in Afrika, Asien und Lateinamerika schließt das Kapitel 2 ab. Die drei folgenden Kapitelootersuchen zentrale Fooktionen von Staatlichkeit und die Dynamik, die sich um diese Aufgaben der Staaten in Afrika, Asien
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und Lateinamerika in der nachkolonialen Zeit ergeben hat. In Kapitel 3 geht es um das Grundproblem der Verregelung der Gewalt in den nachkolonialen Staaten. Polizei und Militär, die eigentlichen »Hüter« der Gewalt, haben sich dort nicht von Partikularinteressen emanzipiert oder sie haben sich soweit verselbständigt, dass sie sich politischer Kontrolle entziehen. In den nachkolonialen Staaten konnte der massive soziale Wandel deshalb auch nicht durch Institutionen aufgefangen werden. Phänomene physischer Gewalt, vor allem innerstaatliche Kriege, durchziehen deshalb diese Geschichte. Dabei zeigen sich unterschiedliche Phasen der Internationalisierung dieses Geschehens, einst über den Export von Expertise und Organisationsformen von Gewalt, dann durch den geopolitischen Wettbewerb des Ost-West-Konflikts und nunmehr durch »humanitäre Interventionen« und den »Krieg gegen den Terrorismus«. Die Chancen einer Monopolisierung der Gewalt durch die Staaten scheinen demgegenüber eher zu sinken. Was ausgreift, ist die Internationalisierung von Herrschaft. Staatliche Herrschaft braucht aber auch Geld, und dem Fiskus, genauer den staatlichen Einnahmen, ist Kapitel 4 gewidmet. Nach einer kurzen Übersicht über die Begrifflichkeilen und die Geschichte der Staatseinnahmen beginnt das Kapitel mit einer groben Übersicht über die Formen und Strukturen der Einnahmen der nachkolonialen Staaten. Das zentrale Ergebnis dieses Kapitels ist, dass die Möglichkeiten der Einnahmen der Staaten Afrikas, Asiens und L1teinamerikas in erster Linie erstens von den historisch gewachsenen Einbindungen in den Weltmarkt abhängen und zweitens von politischen Präferenzen. Auch hier lässt sich eine wachsende Internationalisierung von Herrschaft beobachten. Denn es waren nicht allein die Vorstellungen nationaler Eliten oder 'Bevölkerungen, sondern Machtkonstellationen im politischen System der Weltgesellschaft, die über diese Präferenzen bestimmten oder diese erst formierten. Allerdings setzen auch lokale Praktiken und Entscheidungen der Fiskalität Grenzen, so vor allem bei der Besteuerung von Vermögen und Einkommen. In fast allen nachkolonialen Staaten ist deshalb das enge Band zwischen steuerzahlenden Staatsbürgern und leistendem Staat nicht entstanden. Stattdessen hat die Politik der Liberalisierung und Privatisierung seit den 1980er Jahren die Informalisierung der Wirtschaft und die Kriminalisierung der Politik befördert. In Kapitel 5 geht es um ein ~eiteres zentrales Aufgabenfeld des Staates, nämlich um seine Kompetenz, als souveräne Instanz Regeln zu setzen und durchzusetzen. Die grundlegende Idee dieses Kapitels ist dabei die »Semantik des Staates«. Die Autonomie staatlicher Instanzen muss sich auch in Formen der Sprache und des Wissens ausformen, um schließlich als staatliches Recht Geltung zu erlangen. Differenzen zwischen dem Ideal des Staates und beob-
achtbaren Praktiken zeigen sich nun schon bei diesen Fotmen der Sprache w1d der Organisation des Wissens. Sie setzen sich in der teilweise widersprüchli- \ chen Überlagerung von Legitimitätsformen fort. Dynamiken, die sich hier beobachten lassen, betreffen zun1 Beispiel die Versuche patrimonialer Figura- J tionen, staatliche Herrschaft durch die symbolische UmJ?eidung klientelistischer Bünde zu festigen. In den Erzählungen der Staaten von sich selbst, in Gründungsmythen, nationalen und religiösen Symboliken, in Nationalismus und auch in Formen des religiösen Fundamentalismus äußern sich diese Dynamiken von Versuchen, die Macht staatlicher Agenturen durch Symbolstrategien in Herrschaft zu verwandeln. Eben deshalb sind diese Symbolwelten politisch so umstritten. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch erklären, warun1 die Verstaatlichung des Rechts und seine soziale Verwirklichung in Afrika, Asien und Lateinamerika erst begonnen haben. Weite soziale Räun1e sind nach wie vor nicht bloß von Formen des Rechtspluralismus gekennzeichnet, sondern sie zeigen große Ungleichzeitigkeiten der moralischen Codes. Diese Konflikte betreffen also nicht nur Interessen, sondern hier steht der Rechtspositivismus moderner Staatlichkeit materialen Rechtsauffassungen gegenüber und muss sich mit diesen vermitteln. Der sich anseWiessende Exkurs über die Dilemmata des ugandischen Präsidenten Yoweri Museveni soll einem Mangel abhelfen, der allen Versuchen eigen ist, über eine große Zahl von politischen Gebilden etwas Allgemeines sagen zu wollen, nämlich der Mangel an Anschauung. Der Exkurs ist ein Versuch, die konstatierten Widersprüche und Dynamiken staatlicher Herrschaft noch einmal aus einer anderen Perspektive darzustellen. Dazu dient der hermeneutische Kunstgriff, aus der Sicht des Präsidenten Ugandas, dem man mit Recht eine »realpolitische« Haltung unterstellen darf, die Probleme der Staatsbildung in einem internationalisierten Kontext zu analysieren. Diese Dynamiken staatlicher Herrschaft in drei verschiedenen Feldern werden im Schlußkapitel noch einmal resümiert. Die Befunde über die Dynamik staatlicher Herrschaft, so die zentrale Ergebnisthese der Untersuchung, sind uneindeutig. Der Prozess der Institutionalisierung staatlicher Macht, ilire Umwandlung in Herrschaft, ist in Afrika, Asien und Lateiname~1ka unabgeschlossen. Überall lassen sich Unzulänglichkeiten, Brüche und Prekru:itäten staatlicher Herrschaft· ftnden, und oft löst sich bei näherer Betrachtung die behauptete Herrschaft in bloße Machtbeziehungen auf. Doch daraus kann, wie eine Reilie von Dynamiken zeigen, nicht geschlossen werden, dass das Projekt der Annähetw1g an das Ideal des modernen Staates endgültig gescheitert ist. Diese Befunde machen aber auch deutlich, dass die Politik des Interventionismus un1 das Problem der failed states ebenfalls problematisch ist. Eine kurze
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Analyse der damit zusammenhängenden Probleme leitet den zweiten Teil dieses Schlusskapitels ein, der der Zukunft des Regierens und den diesbezüglichen Lehren dieser Untersuchung gewidmet ist. Ein kurzes Resümee ihrer theoretischen Erträge und Herausforderungen steht am Ende dieses Schlusskapitels. Grundlage für die hier vorgenommenen theoretischen Ausarbeitungen ist ·: die Überzeugung, dass die vorliegenden Theorien Internationaler Beziehungen : wegen ihrer überwiegend ahistorischen und auf westliche Verhältnisse fixierten ! Orientierung für die Erklärung der Dynamik staatlicher Herrschaft ebenso ~ungeeignet sind, wie staatstheoretische Konzeptionen, die sich allein auf ent: wickelte moderne Verh.'il.tnisse beziehen und die Internationalität der Prozesse von Herrschaftsbildung nicht thematisieren. Die Theorie globaler Vergesellschaftung soll diese Mängel überwinden, indem sie Brauchbares und Gültiges aufgreift \llm ausarbeitet. Der vorliegende Entwurf will zunächst an seiner ~·eigenen Zielsetzung gemessen werden, einen theoretisch zusammenhängen·:. den, empirisch plausibilisierbaren und logisch konsistenten Erklärungsrahmen Uür die Dynamik staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt formuliert zu ha.f;ben. Gleichwohllassen sich einige weitere Kriterien nennen, die für die theoretische Arbeit gelten. Dazu zählt erstens die Frage nach der Reichweite der empirischen Plausibilisierbarkeit. Jeder theoretische Beitrag tritt in dieser Hinsicht in Konkurrenz zu seinen Alternativen. Er muss das verfügbare Material in seiner 1beoriesprache plausibel interpretieren können, und diese Plausibilisierungen müssen gegenüber anderen in Reichweite und in theoretischem Ertrag überlegen sein. Zweitens gilt das Kriterium des theoretischen Zusammenhangs. Nicht allein die erklärende Kraft einzelner allgemeiner Sätze, sondern auch der logische und systematische Zusammenhang dieser Sätze ist ein Kriterium der Qualität theoretischer Beiträge. Zwar muss dieser innere Zusammenhang nicht die F01m einer rigiden Hierarchie annehmen, er sollte aber die Unterscheidung verschiedener Angerneinheitsgrade und die Erkennung von Vorrangigkeiten erlauben. Annahmen über die Existenz großer geschichtlicher Prozesse sind etwas anderes als Aussagen über die politische Rolle des Militärs in bestimmten Weltgegenden zu bestimmten historischen Zeiten. Schließlich ist die Frage des äußeren Zusammenhangs, der Anschlussfahigkeit an bewährte theoretische Bestände ein weiteres Kriterium der.Kritik theoretischer Beiträge. Theorien gleicher Erklärungskraft bzw. gleicher Reichweite der Plausibilisierbarkeit lassen sich danach wertmäßig unterscheiden, ob sie Vokabular und Konstruktionsweise an etablierte theoretische Bestände anknüpfen können und in welchem Maße dies der Fall ist.
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Die Gepflogenheiten moderner Wissenschaft machen es üblich, die Wahl des Materials wissenschaftlicher Betrachtungen und Analysen offen zu legen und zu begründen. Für den Fall dieser Arbeit ist das kein einfaches Unterfangen. Zu vielfältig, zu lückenhaft und gelegentlich zu erratisch sind die Materialien, die in diese Arbeit Eingang gefunden haben. 3 Themenspezifische Literatur ist besonders in die Kapitel 3 bis 5 behandelten Aspekten der Staatlichkeit in der Dritten Welt eingeflossen. Dabei sind vorrangig allgemeine, zusammenfassende Darstellungen berücksichtigt worden, Einzelstudien nur in einer n.icht systematisch begründeten Auswahl. Die Einarbeitung aller fallspezifischen Befunde für über 150 Staaten durch eine Einzelperson ist heute nicht mehr zu leisten. Ergebnisse eigener Feldforschungen sind direkt nur in den Exkurs eingeflossen. Sie bilden darüber hinaus aber auch eine kontinuierlich mitbetrachtete Kontrollmasse bei der Behandlung allgemeiner Aspekte. Durch das Material haben sich allerdings auch einige Beschränkungen ergeben. So hätten die theoretischen Ausarbeitungen eigentlich eine Analyse der Verwaltung in den untersuchten Staaten erforderlich gemacht. Die Suche nach einschlägiger, soziologisch auskunftsreicher Literatur verlief indes ausgesprochen fruchtlos. Hier wie in vielen anderen Feldern bleibt das Wesentliche noch zu leisten.
3 Unterblieben ist in dieser Arbeit vor allem eine eingehende Auseinandersetzung mit den Strukturen und Entwicklungen in der VR China, die vom Umfang der zur Kenntnis genommenen Literatur nahezu unberücksichtigt ist. Sie ist folglich nur mit Abstrichen unter die 'Thesen der Kapitel 3 bis 6 zu subsumieren.
1. I
Die Theorie der sozialwissenschaftliehen Disziplin, die sich mit Weltpolitik vorrangig beschäftigt, hat erst vor wenigen Jahren begonnen, die unterschiedlichen Gestalten des Staates und die unterschiedlichen Formationen des internationalen Systems zu berücksichtigen. Bis in die 1990er Jahre hinein dominierte hier ein Verständnis, wonach Weltpolitik eben Politik zwischen Staaten oder sogar nur Regienu1gen sei. Erst in den vergangenenJahren haben sich die Stimmen gemehrt, die nicht nur auf die Bedeutung nicht-staatlicher Akteure hinweisen, sondern außerdem auch den Begriff des Staates auf seine historischen und sozialen Voraussetzungen untersuchen. Dass Staatsverständnisse und Verständnisse von Weltpolitik nicht beliebig sind, sondern sich in allgemeine sozialtheoretische Haltungen und Positionen einfügen und diese zugleich mitbegriinden, ist auch die Grundüberzeugung, auf der die Positionienmgen in diesem ersten Teil beruhen. Ihr Ziel ist es, zu einer theoretisch reflektierten Auffassungsweise des Staates zu gelangen, die es zugleich erlaubt, die Dynamik staatlicher Herrschaft mit in den Blick zu nehmen. Dazu sind neben den Beiträgen aus dem Bereich der Internationalen Beziehungen 'und der Staatstheorie auch jene Arbeiten der Politikwissenschaft und der Soziologie zu betrachten, die sich explizit auf den Staat außerhalb der OECD beziehen. Dieser erste Hauptteil gliedert sich entsprechend in drei größere Kapitel. Kapitel (1) ist der Kritik der »Internationalen Beziehungen<~ gewidmet. Wesentlicher Hauptinhalt dieses Kapitels ist die kritische Rekapitulation der Lücken und Verdienste der theore~schen Entwicklung in dieser politikwissenschaftlichen Subdisziplin Internationale Beziehungen. Dabei werden auch jene Punkte der theoretischen Diskussion offen gelegt, an die der hier verfolgte Ansatz einer Theorie globaler Vergesellschaftung anknüpfen kann. Im zweiten Teil dieses Kapitels steht der Begriff der Weltgesellschaft im Mittelpunkt. Ausgehend von dieser zentralen Kategorie der Theorie globaler Vergesell-
4 Im Folgenden wird dem Brauch gefolgt, mit der Großschreibung die soziabiwissenschaftliche Disziplin, mit der Kleinschreibung ihren Gegenstand zu bezeichnen.
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schaftung werden einzeh1e theoretische und methodische Orientierungen skizziert. Das Kapitel endet mit einer Hinführung zur Konzeptionalisietung von Macht und Herrschaft als den zentralen Kategorien der politischen Soziologie der Weltgesellschaft. Mit den Begriffen von Macht und Herrschaft, wie sie bei Weber, Elias, Foucault und Bourdieu konzeptionalisier:t sind, beginnt das zweite Kapitel, das den Titel »Zur Theorie staatlicher Herrschaft« trägt. Dieses Kapitel bezieht macht- und herrschaftssoziologische Betrachtungen in zweierlei Weise auf den Staat. Zum einen geht es darum, die Genese des Ideals des modernen Staates und seine Einflüsse auf die theoretischen Behandlungen des Staates kritisch zu rekonstruieren. Zum andem fließen die Reflektionen zur Soziologie staatlicher Herrschaft im Abschnitt 2.3 in eine Fassung des Staatsbegriffs ein, die es erlauben soll, die Dynamiken staatlicher Herrschaft auch außerhalb des Entste5 hungskontextes des modernen Staates zu untersuchen. Theorie und Kritik setzen einen Standpunkt voraus. 6 Diesen Standpunkt zu explizieren, seine Abgrenzung gegenüber anderen Positionen und seine Gemeinsamkeiten mit verwandten Einsichten und Einschätzungen aufzuzeigen, ist die Funktion dieses Kapitels. Bevor die zentrale Kategorie, der Begriff der Weltgesellschaft, näher erläutert und die G11Jndzüge des Programms einer 5 Bei der Behandlung und kritischen Durchsicht vorliegender Entwürfe gilt indes eine wichtige Einschränb.-ung: Im Grunde ist der Staat als Form der politischen Organisation das zemrale Thema aller politischen Literatur, der politik-wissenschaftlichen zumal. Niemand kann beanspruchen, die Gesamtheit der Beiträge zu diesem Thema zu überblicken. So kann auch hier nur eine Auswahl dieser Beiträge behandelt werden. Zwei Prinzipien waren fiir diese Auswahl leitend: Einerseits mussten jene Beiträge berücksichtigt werde11, die die Dynamik staatlicher Herrschaft explizit in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen rücken, und andererseits sind solche Beiträge bevorzugt aufgenonunen worden, die bei der Konstruktion der theoretischen Linie dieser Arbeit a!s hilfreiche Vorleistung eingegangen sind. 6 Eine theoriegeschichtliche Rekonstruktion der »Internationalen Beziehungen«, die wissenschaftsgeschichtlichen Standards genügen würde, steht nach wie vor aus. Alle vorliegenden Versuche in dieser Richtung sind ausgesprochen mangelhaft: Knutsen (l 992) skizziert nur einige Grundzüge der »Verstlindnisweisenu von Theoretiken1, o!Ule diese mit real- oder geistesgeschichtlichen Prozessen ins Verhältnis zu setzen. Auch die Darstellungetl von Gollwitzer (1972/1981) Pijl (1999) genügen, trotzaller Verdienste, nicht den Standards modemer ideengeschichtlicher Methodik. Ältere deutschsprachige Dars tellw1gen der theoretischen Entwicklung der Disziplin finden sich bei Behrens/Noack (1984), Calarnaros (1974) und Meyers (1981). Übersichtsaufsätze zu den jüngeren theoretischen Entwicklungen finden sich in Groom/Light (1994), Kegley (1995), Booth/Smith (1995), Burchili et al. (1995) Schmidt (2002) und Smith/Booth/Zalewsk-y (1996). Die deutsche Theoriediskussion lässt sich zuverlässig an den Beiträgen der seit 1995 erscheinenden »Zeitschrift fiir Internationale Beziehungen« erkennen, vgl. auch Hellmann et al. (2003). Zur Diskussion in Frankreich vgl. Sernarclens (1998), Roche (1997) und Smouts (1998). Keine der genannten Publikationen setzt die theoretische Entwicklung auf nachvollziehbare Weise in Beziehung zu jeweiligen sozialen w1d politischen Entstehungskontexten.
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politischen Soziologie der Weltgesellschaft näher umrissen werden, ist indes eine kritische Rekonstruktion der Theorie-Entwicklung der Internationalen Beziehungen nötig. Diese Kritik ist keine leere Übung, sondern eine notwendige Voraussetztlllg, um einerseits Defizite einzugrenzen, und andererseits, um zu verdeutlichen, wo und wie sich der hier vorgelegte Beitrag in die theoretischen Diskussionen der Internationalen Beziehungen einfügt. Die Hauptpunkte dieser Kritik betreffen die unangemessene Berücksichtigung der Geschichtlichkeit und Gesellschaftlichkeit der Gegenstände der Internationale Beziehungen.
1.1 Die Entwicklung der Theorie in den Internationalen Beziehungen Theorien sind an Zeiten gebunden. Sie erhalten ihre Plausibilität und ihre Verbreitung in bestimmten historischen Umständen, sie verlieren mit veränderten Bedingungen ihre Überzeugungskraft und ihre Eignung als Muster der Selbstinterpretation einer Epoche. In der Epoche der europäischen Weltordnung, die mit dem Ersten Weltkrieg ihr Ende fand, ließen sich die Strukturen des internationalen Systems noch in der Sprache der Konkurrenz der Mächte beschreiben. Das internationale System und damit alle Gegenstände der internationalen Beziehungen wurde im Wesentlichen als die ewige Konkurrenz zwischen staatlich verfassten Akteuren aufgefasst, deren endloses Streben nach territorialer Expansion und Machtzuwachs über das Spiel der Bündnisse und Allianzen den Gegenstand internationaler Politik ausmachte. Im Realismus hat diese Sprache der Mächte ihre prägnanteste Fassung gefunden.? Dieses Paradigma prägt nach wie vor die alltäglichen, publizistischen Redeweisen über die internationale Politik. Auch in weiten Teilen der akademischen Diskussion über die »internationale Politik«, in denen die Beziehungen zwischen Staaten im Mittelpunkt stehen, ist diese Grundvorstellung in der Form des Realismus präsent. Diese Vorstellung von der Staatlichkeit des Politischen hat ihren realgeschichtlichen Entstehungszusammenhang: Die Verstaatlichung des sozialen Lebens in den entwickelten kapitalistischen Gesellschaften ist der eine Grund für die Verbreitung der Vorstellung, Politik sei ohne den Staat nicht zu denken, dieser gebe nicht nur den Rahmen für alle politischen Prozesse ab, sondern sei darüber hinaus selbst der Hauptakteur des politischen Geschehens. 7 Grundlegend für diese Sichtweise sind die Arbeiten von Morgenthau (1973) und Waltz (1979).
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Das zweite Moment, das diese Vorstellungen festigte, ist in der Verallgemeinerung der staatlichen Form in der Weltgesellschaft zu ftnden. Die europäische Expansion und die lnstitutionalisierung von Machtbeziehungen im kolonialen Staat haben die nachkolonialen Gesellschaften als Staaten hinterlassen. Politisch erscheint die Welt heute als eine Welt der Staaten. So stellen es jedenfalls die Lehrbücher der Politikwissenschaft dar, so mal'kieren es Weltkarten mit farbig unterschiedenen Flächen, und so präsentiert sich die internationale Politik selbst mit ihren Konferenzen von Staatsoberhäuptern und Beamten, ihren Staatsbesuchen und Verträgen. Einen weiteren empirischen Grund hat der Realismus in der Praxis der »Staatsmänner«, die sich gemäß der Logik des Staates verhalten. Diese Staatsräson, die das Handeln gegenüber anderen Staaten leitet, ist jedoch selbst eine historische Form, mit Entstehungsbedingungen und Geltungsgrenzen. Sie ist keine transhistorische Logik des Politischen, zu der der Realismus sie hypostasiert. Im Realismus und in der gängigen Auffassung internationaler Politik gel1t nur eine Vorstellung über dieses Verständnis der Staatlichkeit des Politischen hinaus, nämlich das Konzept des internationalen Systems, das sich jenseits der einzelnen Staaten als Handlungszusammenhang herausgebildet hat. Machtgefille zwischen Staaten entscheiden nach dieser Vorstellung über die konkrete Struktur des internationalen Systems. Nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte sich etwa der Ost-West-Konflikt als übergreifende Struktur, und alle Staaten, so die gängige Auffassung, fügten sich in ihrem Außenverhalten dieser Konfliktlogik. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts kann der Realismus nur die Multipolarität als einzigen Wandel erkennen, wie seine Fassung des internationalen politischen Geschehens überhaupt nur das ewige Auf und Ab der Mächte kennt, die alle staatlich verfasst sind. Für die Zeit nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, so wird auch in den populären Auffassungen zugestanden, hat der Einfluss internationaler Konstellationen auf Gestalt, Inhalte und Grenzen staatlicher Politik und Organisation weiter zugenommen. Nun, nachdem die verengende Betrachtung globaler Konstellationen in sicherheitspolitischen Begrifflichkeiten aufgegeben wurde, ist in der Tat die ganze Breite der politischen und sozialen Interdependenzen sichtbar geworden, die zuvor nur von Außenseitern der Theorie der internationalen Beziehungen thematisiert worden war. Phänomene wie Migration, die Konstituierung transnationaler Akteure, das ungeklärte Verhältnis staatlicher Außenpolitik und innerer Verhältnisse ebenso wie globale Ausbreitung bestin1mter politischer Ideen und Programme - all diese historisch nicht ohne Vorläufer auftretenden Erschein~gen sind erst jüngst in den Gesichtskreis der Disziplin getreten. Realistische wie liberale Theotiepositionen, die sich
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nicht immer wirklich trennscharf gegenüber stehen,8 können diese Phänomene nicht erklären, olme auf andere theoretische Bestände zurück zu greifen. Damit aber verlieren sie an theoretischer Prägnanz. Auch für liberale Theoriepositionen gilt mithin, dass sie den Wandel, der sich mit der Globalisierung von Vergesellschaftungsfoanen ergeben hat und ergibt, nicht selbst erklären können. In diesem Theorieprogramm beschränkt sich das Verständnis von Wandel nämlich auf die Neuformulierung des alten liberalen Arguments, demzufolge Interaktion Konununikation erzwingt und deshalb Verständigung auch zwischen politischen Einheiten ermöglicht, wenn nicht notwendig macht.9 Eine weitergehende Theoretisierung sozialen und politischen Wandels ist damit nicht verbunden, so wie liberale Ansätze der lnternatio11alen Beziehungen sich lange gleichsam nur nebenher mit Phänomenen jenseits der Politik zwischen Staaten beschäftigten. Die Kooperation ist ihr Gründungsthema gewesen, ihr gilt nach wie vor ihr Hauptinteresse. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts begannen sich die theoretischen Positionen weiter zu diversifizieren und die Dominanz des machtpolitischen Realismus zu brechen. Die Einsichten in die Vielfalt der internationalen Beziehungen, auch und gerade jenseits der staatlichen Verhältnisse, äußerte sich auch in den gegenwärtigen Debatten um Realität und Alter der sununarisch als »Globalisierung« titulierten Phänomene, ohne dass damit die Veränderungen d~s Verhältnisses zwischen Staat und internationalem System schon auf den Begriff gebracht wären.IO Diese Veränderungen in den theoretischen Diskussionen der Internationalen Beziehungen sind aber auch Beleg für eine in der Disziplin weithin übersehene Eigenschaft: Die theoretischen Auffassungen, die Kategorien, Begriffe und Grammatiken der wissenschaftlichen Sprache, die Weisen der Gegenstandsbeschreibung und die mit der wissenschaftlichen Arbeit verknüpften Erkenntnisinteressen unterliegen selbst einem historischen Wandel. In den Veränderungen der Wissenschaft schlagen sich soziale und politische Verände-
8 Das Werk von Robert 0. Keohane (1984) steht etwa für solch einen Liberalismus mit starken realistischen Einschlägen. Zut Debatte zwischen Neorealisten und Liberalen vgl. a. die Beiträge in Baldwin (1993). 9 Dieser Gedanke wird im liberalen Programm nur stets neu formuliert (vgl. Risse 2000), weicht aber im Kem nicht von dt.n Gehalten ab, die sich schon in der Kantischen Geschichtsphilosophie fmden lassen (vgl. Kant 1784/1973). 10 Die Literatur zum Themenkreis »Globalisierung<< ist kaum noch übersehbar. Im Mittelpunkt der politikwissenschaftlichen Diskussion steht stets die Frage, welche Chancen staatliche Politik unter den Bedingungen der Globalisierung hat, bzw. welche alternativen Regierungsformell zu entwickeh1 wären, vgl. Albert (2000), Camilleri/Falk (1992); Beck (1998), Züm (1998), Held (1995), Jones (2000), Messner (1998) sowie die Beiträge im Sonderheft der »Zeitschrift für lntemacionale Beziehwlgen« (Heft 2, 2000).
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rungen nieder, deren Einflüsse auf die Wissenschaft selbst keiner systematischen wissenschaftlichen Kontrolle unterliegen. Wie der Umstand der Historizität der Erkenntnis und ihrer wertenden Implikationen theoretisch zu behandeln ist und welche Konsequenzen er für den tatsächlichen »Betrieb« der Wissenschaft hat, ist bis heute eine in den Internationalen Beziehungen fast unbeachtete Frage.ll Die Geschichtlichhit der Wissenschaft selbst ist undiskutiert geblieben. Auf die Gegenwart bezogen lässt sich diese Historizität auch als Gese/1scha.ftlichkeit der Disziplin auffassen. Gerade in der jüngeren theoretischen Diskussion der Disziplin gibt es nun jedoch eine Reihe von Anknüpfw?gspunkten, die für die Reformulierung eines Programms brauchbar sind, das der Gesellschaftlichkeit und Geschichtlichkeit des Gegenstands Rechnung tragen kann. Wenn einzelne Verfasser zwar die Gesellschaftlichkeit der Theorie-Entwicklung einräumen, so bedeutet dies gleichwohl nicht, dass die Disziplin eine kritische Betrachtung ihrer eigenen Entwicklung hervorgebracht hätte, um sie zur Verbesserung ihrer eigenen Standa1-ds zu nutzen. Auch an dieser Stelle können diese bisher ausgebliebenen Ausarbeitungen nicht geleistet werden, schon weil eine solche Auseinandersetzung nur als kollektive Anstrengung auf fundierte Weise zu leisten wäre. Dennoch lassen sich zwei Merkmale der theoretischen Entwicklung der Disziplin herausstellen, die für eine solche Auseinandersetzung zentral wären. Das erste Merkmal betrifft die unvollständige Emanzipation der Disziplin von ihrem Gegenstand. Begriffe, Themenstellungen und ErkenntQisinteressen sind nicht, wie offizielle Darstellungen es wollen, von innerwissenschaftlichen Gründen bestimmt, sondern von Politik durchtränkt. Besonde1-s die Nähe zu staatlichen Projekten hat die Disziplin stark geprägt. Das zweite Merkmal betrifft das dominante Wissenschaftsvel-ständnis der Disziplin. Die vorbensehenden Orientierungen leiten sich nicht aus einer Reflektion des Gegenstands und des Selbstverständnisses des Faches ab. In ihnen drückt sich ein unhistarisches Wissenschaftsideal aus, dessen Dominanz sich nur aus äuße1-en Gründen erklären lässt. Beide Kritiken, der Vorwurf der fehlenden Emanzipation vom Gegenstand wie der des unhistarischen Wissenschaftsideals, bedürfen der Erläuterung.
11 Vgl. hierzu die »Zwischenbetrachtungen« in Schlichtc/Siegelberg (2000). Vagts (1979) und Walker (1993), die sich der Genese der Gnu~d\>orstellungen der internationalen Beziehungen widmen, sind seltene Ausnahmen. Nicht der Historizität des Gegenstandes im umfassenden Sinn (s.u.) aber der Geschichte des internationalen Systems haben sich eine Reihe von Autoren angenommen, vgl. etwa Krippendorff (1987; 2000), Schroeder (1994), sowie die bei Schlichte/Siegelberg (2000) genannte Üteratur, vgl. a. Conze et al. (2004).
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Die Wissenschaft der Internationalen Beziehungen verdankt ihre Entstehung einem politischen Willen - nämlich der nach dem Ersten Weltkrieg vorherrschenden Idee, durch die wissenschaftliche Erforschung der Beziehungen zwischen Staaten könnten Katastrophen wie Kriege verhindert werden. Die direkte Anhindung der Disziplin an zeitgenössische politische Fragen und Themen ist seitdem einer ihrer deutlichsten Grundzüge geblieben. Fast immer behandelt die Disziplin ihre Themen aus der Sicht des modernen Staates. Dieser ist ihr nicht nur gegenstandskonstituierender Begriff, sondern unhinterfragte Denkvoraussetzung und implizite normative Orientierung. Für diese dominante Ausrichtung der 1neorien und der Forschungspraxis sind mutmaßlich mehrere Gründe entscheidend. Es wäre oberflächlich, dienational stark unterschiedlichen - personellen und institutionellen Verflechtungen zwischen politischer Sphäre und der akademischen Welt als Hauptgrund der ausgebliebenen Emanzipation der Disziplin zu bezeichnen. Doch die Vielzahl der halb wissenschaftlich, halb politischen Institutionen und Verbände, der politischen Stiftungen, parteinahen Institute, Vereinigungen und Medien schafft eine breite Übergangszone zwischen dem - im engeren Sinne politischen System und der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Politik. Diese Zo~e, in der immer eher die Transmission politischer Impulse in die wissenschaftliche Arbeit geschieht als dass Einflüsse in anderer Richtung hergestellt werden, ist der Ort einer vielgestaltigen Verschränkung politischer und wissenschaftlicher Diskurse. Der Zusammenhang von politischer Amtsmacht, themensetzender Initiative privater Stiftungen und universitärer Forschung scheint, soziologisch gespmchen, längst zu einem einzigen Feld verschmolzen. So bedeutsam diese Milieus für die Konstituierung von Themen und Fragestellungen sein mögen, der Hinweis auf sie genügt nicht, um die Weite der Konvergenzen zu erklären. Das gilt ebenso für individuelle Motive der beteiligten Einzelforscher. Sicher greifen auch die legitimatorische Indienstnahroe der wissenschaftlichen Arbeit durch den Staat und das Verlangen nach Anerkennung und sozialer Ehre der beteiligten Wissenschaftler ineinander: So wie das politische System ein Bedürfnis nach Figuren, Thesen und Papieren besitzt, so belebend mögen die Ausflüge in die ))wirkliche Politik« auf die aus dem universitären Alltag Flüchtenden wirken. Doch auch die Summe dieser engen einzel11en Zusammenhänge kann die begriffliche und theoretische Deckung von Politik und ihrer Beschreibung noch nicht erklären. Grundlegender für diese Konvergenzen sind lebensweltliche Prägungen. Politische Haltungen w1d Wissenschaftsauffassungen formieren sich vor Beginn der wissenschaftlichen Tätigkeit, sie werden nicht restlos argumentativ ausgehandelt, und sie sind auch nicht durchgängig das Resultat von Reflexion. Dadurch ragen in die Themenwahl wie in den intellektuellen Habitus die sozi-
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alen und politischen Konfliktlinien der politischen und sozialen Gegenwart und ihrer Vergangenheit hinein. Eine Untersuchung der Zusammenhänge zwischen der Formierung der politikwissenschaftlichen Forschung, ihrer theoretischen Arbeit und der politischen Sphäre müsste sich auf diese Konstitutionsprozesse konzentrieren, in denen wechselseitige Plausibilisierungen zwischen ganz unterschiedlichen Lebensbereichen aufgedeckt werden könnten.1 2 Der Einfluss politischer Haltungen und Kontroversen auf die akademische Diskussion wird gleichsam geftlrert von den institutionellen Eigenlogiken des wissenschaftlichen Feldes, von den Bemühungen um intellektuelle Redlichkeit und den wissenschaftsinternen Rationalisierungen. Weil sich diese Einflüsse überlagern und immer vermittelt sind, lassen sich genuin politische Entwicklungen und gleichzeitige wissenschaftliche Interferenzen in ihren Wtrkungen auf das dominante Selbstverständnis und das Geschäft der Forschung nie genau voneinander scheiden. An der Geschichte der Internationalen Beziehungen lässt sich dies mehrfach erkennen. Die in den fünfzigerJahrenaufbrechende Kontroverse zwischen »Behavioralisten« und Traditionalisten etablierte das positivistische Ideal als Maßstab der Wissenschaftlichkeit in der Disziplin, das zur gleichen Zeit auch in anderen sozialwissenschaftliehen Fachgebieten eine Vorrangstellung erhielt. Das dominante Verständnis von >>Empirie« als dem selbst theoriefreien Kot'felat von »Theorie((, aber auch der Theoriebegriff selbst und die wesentlichen Elemente der Methodik der Disziplin wurden in diesen Kontoversen etabliert. Doch auch diese Kontroverse war nicht innerwissenschaftlichen Diskussionen, einer bewussten Auseinandersetzung mit Problemen, Ergebnissen und Beschränkungen der Disziplin im Umgang mit ihrem Gegenstand geschuldet. Der Impuls entstammte vielmehr dem Übergreifen der behaviof'al f'evolution auf die Disziplin, wodurch eine Loslösung von ehemals stärker historischen und rechtswissenschaftliehen Herangehensweisen in der Disziplin befördert wurde (vgl. Meyers 1981: 68). Dies fiel mit Veränderungen im internationalen System selbst zusammen, nämlich der Staatsgründw1gswelle der Dekaionisation und dem Ende des Kalten Krieges, beides Entwicklungen, für die das Paradigma des Realismus keine hinreichenden Erklärungen zu liefern imstande war. Aus der Zusammenführung dieser Ansätze ergab sich nun immerhin die methodische Innovation, dass die Internationalen Beziehungen systematisch empirische Gegenstände erforschten, und sich von der vorher dominierenden
12 Musterhaft fiir ein solches Vorgehen sind immer noch Alfred Vagts Überlegungen zur Chi· män du e~tropäüchtn Gleicb,g;widJIJ anhand des Begriffspaars ))Bilanz..und Balance« aus dem Jahre 1942 (vgl. Vagts 1979: 131-160).
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Vorgehenswcise, die überwiegend diplomatiegeschichtlich und rechtswissenschaftlich dominiert war, emanzipierten. Gleichwohllassen sich weder die theoretische Entwicklung der Internationalen Beziehungen noch die Masse ihrer konkreten Forschung als direktes Resultat realgeschichtlicher Entwicklungen lesen. Es sind vielmehr die Uneindeutigkeit der historischen Erfahrung, die Persistenz von Denkmustern und impliziten Ontologien, die für eine Grundstabilität theoretischer Haltungen sorgen. Deshalb sind die »Produkte des Theoriebildungsprozesses im Fach« nicht einfach zu verstehen als »je bestimmte realhistorische Epochenkontexte gebundene Antworten der >scientific community< auf außerwissenschaftliche sozioökonornische und/oder soziapolitische Krisenerscheinungen der eigenen Gesellschaft und des internationalen Systems« (Meyers 1993: 54). Soziale und politische Vet-änderungen setzen sich nicht einfach in Theorie um, denn die geistige Bearbeitung des Weltgeschehens ist selbst reflexiv und hat ihre eigenen Gesetze. Die Entwicklung der Theorie ist offenbar weder eindeutig noch rein rational. l\1it deimethodischen Umorientierung in der Disziplin ging jedoch nur ein begrenzter Wandel der Auffassung des Gegenstandes einher. Insbesondere in der OS-amerikanischen Theoriegeschichte lässt sich eine breite Kontinuität der gegenstandskonstituierenden Auffassungen konstatieren: Thema der Internationalen Beziehungen war und blieb bis in die 1990erJahre das Verhältnis zwischen Staaten, die, als ttnits gefasst, selbst nicht Gegenstand eingehender Analyse wurden. Als Aufgabe der Disziplin wurde es allgemein angesehen, auf der Grundlage differierender Rationalitätsbegriffe Strategien und Handlw1gsoptionen staatlicher Akteure in unterschiedlichen Situarionslogiken bezogen auf unterschiedliche Problemlagen herauszuarbeitenP Diesem Ziel blieb die deutliche Mehrheit der Wissenschaftsgemeinde der Internationalen Beziehungen verpflichtet, ohne dass die damit verbundenen politischen und sozialen Bedingtheiten dieser Unternehmung diskuriert oder gar durch eine plurale Orientierung ausbalanciert worden wären. Bis in die jüngere Vergangenheit hinein ist das Verhältnis zwischen der Entwicklung des Faches Internationale Beziehungen und staatlicher Politik ungemein eng, wie sich nicht nur an den Inhalten, den Themen und Fragestellungen, ablesen lässt, sondern auch an der Methodik. Inhaltlich bilden die Fragen der Sicherheit der Einzelstaaten, vor allem der westlichen Welt, den n
l\Ian muss sich nicht der Charakterisierung wenigstens der deutschen aktuellen Politikwissenschaft als »Betriebswirtschaftslehre politischer Regime« (Greven 1999: 110) :mschließen, um zu erkennen, dass die Internationalen Be2iehungen zu weiten Teilen einfach »Staatswissenschaft« und damit Teil der staatlichen Projekts sind, der aktuellen gouvemementaliti im Sinne Foucaults, (s.u., Kap. 2.1).
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Hauptgegenstand der Disziplin. In methodischer Hinsicht zeigt sich dies im szientifischen Ideal der Forschung als Korrelat des sozialtechnologischen Staats, für den Wissenschaft eine notwendige Grundlage seines auf Steuemng ausgelegten Selbstverständnisses und Betriebes ist. Wiederum nicht frei von außerhalb der Disziplin wirkenden Veränderungen und Dominanzen hat sich in den Internationale Beziel1ungen ein Wissenschaftsideal-etabliert, das sich an naturwissenschaftlichen Konzeptionen orientiert.l4 Kennzeichen dieser Grundhaltung sind das Bekenntnis zum Vorrang der formalen Logik, die Annahme einer beobachtungsunabhängigen Realität, die Ausrichtung an einem deduktiv-nomologischen Erklärungsbegriff und die Zielsetzung einer Theoriebildung im Sinne einer systematischen Sammlung allgemeiner Gesetze. Diese gleichsam offizielle Orientierung steht jedoch in offenem Kontrast zum tatsächlichen wissenschaftlichen Geschehen in der Disziplin. Dies gilt für alle genannten Eckpunkte des positivistischen WlSsenschaftsideals. Weder dient die Sprache der formalen Logik faktisch als Korrektiv der Verknüpfung von Aussagen innerhalb der theoretischen Konstruktionen der Disziplin, noch zeichnet sich die Disziplin durch große Bemühungen der Quellenkritik aus, um eine distanzierte und reflektierte Beziehung zu ihren Gegenständen aufzubauen. Auch ist die Zahl der »Gesetze«, die deduktiv-nomologischen Erklärungen dienen könnten, in den Internationalen Beziehungen ausgespt"Ochen gering. Die theoretische Entwicklung folgt insgesamt keineswegs einer kohärenten, strikt an der Untersuchung des Gegenstands orientierten und kumulativ arbeitenden Forschung. Viehnehr konturiert, wie sich an allen theoretischen Debatten der Internationalen Beziehungen der letzten Dekaden nachweisen lässt, eine Reihe von außerwissenschaftlichen Einflüssen und theoretischen Bewegungen in Nachbardisziplinen die Linien und Themen der theoretischen Diskussion der Internationalen Beziehung~n. In den gängigen Strömungen der Internationalen Beziehw1gen sind dagegen Grundeinsteilungen erhalten geblieben, die nur teilweise explizit werden. Der Gegenstand der Disziplin wird nach wie vor als »ßeziehungslehre von Staaten« aufgefasst, deren Geschichte in der Regel keine Bedeutung beigemessen wird. Der Sonderfall des westlichen 11ation-state ist darin zum Allgemeinmodell der Analyse geworden. Die Akteure des aus staatlichen Verbänden und 14 Entsprechende Charakterisierungen der wissenschaftstheotetischen Grundlagen der Internationalen Beziehungen oder der Politikwissenschaft allgemein fmden sich etwa bei Züm (1992), King/Keohane/Verba (1994) oder bei Scharpf (2000). Die Orientierungen wld die Kritik dara.11 haben sich seit dem Positivismusstreit in der deutschen Soziologie offenbar nicht verändert vgl. Adon10 (1987) und, bezogen auf die jüngeren Entwicklungen in den Internationalen Beziehungen, Smith (1996).
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ihren organisierten Untereinheiten konstituierten internationalen Systems handeln, so die gängige Auffassung, gemäß einer utilitaristischen Rationalität. 15 Aufgabe der Theorie ist es dieser dominanten Vorstellung zufolge, gesetzesälmliche Aussagen über die Interaktionen zwischen diesen Akteuren zu generieren und am empirischen Material zu »prüfen«. Ein Ort der Kritik wird in diesen Darlegungen des wissenschaftlichen Selbstverständnisses nicht mehr angegeben. In den 1970er und frühen 1980er Jahren bleibt der Konsens weitgehend erhalten. In der Diskussion zwischen Neorealisten und Neoliberalen, die sich um die Möglichkeit von Integration und Kooperation zwischen Staaten dreht, zeigen sich dieselben hergebrachten Gnmdelemente: die Verwendung einfacher Rationalitätsmodelle (vgl. Keohane 1984) und eine positivistische Methodologie und Staatszentriertheit (vgl. Smith 1995:23). Erst in den 1980er Jahren häufte sich die Kritik an dieser Dominanz- die Soziologisierung der Internationalen Beziehungen begann. Neue Gegenstände und neue Positionen dieser Soziologisierung haben sich als »dritte Theoriedebatte« bemerkbar gemacht. Im deutschen Sprachraum als die Kontroverse zwischen »konstruktivistischen« und traditionellen Ansätzen charakterisiert, gilt die Debatte im englischsprachigen Raum als die zwischen traditionellen und »post-positivistischen« Positionen (Lapid 1989). Insgesamt verbirgt sich hinter der Vielzahl der Charakterisierungen das Aufkommen von Positionen, die unter Selbstkennzeichnungen wie »kritisch«, »post-strukturalistisch<<, »postmodern«, oder »reflexiv« oder >>konstruktivistisch« fit:mieren, und die eine grundlegende Kritik der hergebrachten Fassung der Theorien intetnationaler Beziehungen versuchen. Aus der Kritik der das Fach dominierenden positivistischen Position ist zwar noch kein einheitlicher Gegenentwurf im Sinne einer positiven Theorie hervorgegangen. Die Orientierungen unterscheiden sich stark in ihren erkenntnistheoretischen Grundhaltungen ebenso wie in ihren bevorzugten Themenstellungen und methodischen Orientierungen (vgl. Smith 1996). Die neuen Beiträge teilen aber das Bemühen, eine andere, diesmal gesellschaftstheoretische Grundlage der Internationalen Beziehungen zu finden. Durchweg fmden neuere, theoretisch innovative Beiträge ihren Ausgangspunkt in det Kritik der vermeintlichen Gewissheiten der Disziplin. Zu ihren 'Themen gehören die Konstruktion von Realitäten und Identitäten in der Außenpolitik (Campbell 1992), die Genealogie von Grundbegriffen wie Staatlichkeit (Devetak 1995) und Souveränität (Bartelson 1995) oder der gender-biasvon
I:; In der Konzeptionalisierung von Akteuren entlang der utilitaristischen Anthropologie treffen sich sich sonst so Wlterschiedlichen Positionen wie die von Waltz (1993), Züm (1992), Scharpf (.2000: 74, I 10-122) oder Keohane (1984:8).
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'Themen und Fragen der Internationalen Beziehungen (Sylvester 1994) und die Rolle transnationaler Akteure (Risse 1995, 2002). Vereinzelt fmden sich auch Bezüge oder bewusste Positionierungen zur ))Frankfurter Schule«, mit der die dort schon früher geleistete Kritik des Positivismus, etwa die Kritik der Korrespondenztheorie der Wahrheit, der Idee der Einheitswissenschaft und des Postulats der Wertfreiheit, ebenso geteilt wird wie das »Interesse an Emanzipation«.16 Die »postmodernen« Beiträge zur Theoriediskussion der Internationalen Beziehungen lassen sich drei Feldern zuordnen (vgl. Albert 1994). Neben von der Foucaultschen Genealogie inspirierten Arbeiten, die sich vor allem der Kritik des Neorealismus widmen, sind dies poststrukturalistische Beiträge, die semiotische Elemente einführen, und schließlich solche, die sich im Gefolge der Arbeiten von Jean Beaudrillard und Paul Virilio mit Simulationen und Inszenierungen der internationalen Politik beschäftigen. Alle diese Beiträge zeichnen sich durch ihre kritische Haltung gegenüber der Standardversion d~r Internationalen Beziehungen aus: Sie versuchen entweder die Konstruktionsprinzipien der gedachten Ordnung der lnten1ationale Beziehungen offen zu legen, oder aber sie stellen der Selbstbeschreibung des Politischen, die in vielen Beiträgen der Internationale Beziehw1gen durchscheint, eine andere Beschreibung, eine andere Ontologie gegenüber. Wenn auch nicht alle diese Versuche überzeugen, so zeugt die mittlerweile erlangte Breite der Diskussion doch von einer allgemeinen Unzufriedenheit mit der Standardauffassung des Fachs. Dennoch ist aus den Beiträgen, die sich an den Referenzautoren des Poststrukturalismus orientieren, kein Programm geworden, teils, weil dies nicht intendiert wurde, teils vielleicht auch, weil die Strömung insgesamt zu schwach ist, um die Ressourcenflüsse auszubilden, die nötig sind, um sich zu einer solchen Programmbildung zu sedimentieren (vgl. Ruggie 1998, Finnemore/ Sikking 2001 ). So hat zwar innerhalb der Internationalen Beziehungen eine selbstreflexive Bewegung eingesetzt. Doch die jüngeren theoretischen Beiträge haben die alten Orientierungen noch nicht durch alternative Entwürfe ersetzt. Zudem hat die theoretische Unruhe nur Randbereiche der Disziplin ergriffen, eine wirkliche theoretische Umwälzw1g hat in den Internationalen Beziehungen nicht stattgefunden.
16 Dabei wird indes nie zwischen der älteren Kritischen Theorie und der von Jürgen Habennas vollzogenen kommunikationstheoretischen Wende unterschieden - typisch hier etwa Neufeld (1995). Bislang ist aber keine auf einen konkreten Gegenstand bezogene »Anwendung« der älteren Denkrichtung in den Internationale Beziehungen entstanden. Die Beiträge dieser Richtung beschränken sich auf so genannte metatheoretische Punkte der Theoriedis!,:ussion.
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An diese Kritiken kann hier dennoch angeknüpft werden. Die Themen dieser Diskussion - die Ontologie des Sozialen als Grundlage der Politik, das Problem des Verstehens sowie Begriffe von Rationalität - sind sämtlich Punkte von Debatten, die in der Sozialtheorie bereits früher ausgetragen wurden. Erinnert sei nur an die Methodenstreits der deutschen Geschichtswissenschaft und der frühen Soziologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts oder den Positivismusstreit (Adorno et al. 1987) in der deutschen Soziologie. Eine DistanzienJng der dominanten Positionen kann also auf ältere wieneuere theoretische Diskussionen und Einsichten aufbauen. Sie muss zugleich nicht in postmoderne Progranunverweigerung münden. Der Begriff der Theorie wäre seines modernen Sinns entkleidet, wenn damit die Ansprüche auf Systematik und auf Referenz auf Nicht-Theoretisches aufgegeben würden. So ist der Begriff der Theorie der Gesellschaft mit dem Ziel verbunden, soziale Phänomene in ihrem systematischen - aber auch vermittelbaren - Zusammenhang darzustellen. Die Negierung der Zusammenhänge und der Verzicht auf positive Konstruktion verstärkt nur die ohnehin überwiegende Tendenz der Vereinzelung der Forschung und der Segmentierung der Theorie. Eine synthetisierende Theorie wie die Theorie globaler Vergesellschaftung setzt positive Formulierungen voraus, sie kann sich nicht auf negative Bestimmungen beschränken.
1.2 Ausgangpunkte einer Theorie globaler Vergesellschaftung Über den realen Anfang der Wissenschaft von den Internationale Beziehungen weiß man, dass er stattfand, als aus internationalen Beziehungen globale wurden (Krippendotff 1987: 25). Globalität und Interdependenz erzwangen das Denken in internationalen Zusammenhängen seit dem Beginn der europäischen Expansion. Aus dieser Entwicklung ist die Wissenschaft der Internationalen Beziehungen historisch het-vorgegangen, darin hat sie ihren realen Anfang. Damit ist indes das logische Anfangsproblem noch nicht überwunden, die Frage nämlich, worin eine Theorie ihren Anfang nehmen soll, wenn ihr Gegenstand sich als historisch erweist. Dieses Problem lässt sich auch radikal formulieren: Kann eine Theorie der Internationalen Beziehungen mehr sein als ihre Geschichte? Diese Frage lässt sich auch auf die Gegenwart bezogen reformulieren. Denn wenn das Vergangene in der Politik lebendig ist, dann gilt dies auch für das Gesellschaftliche. Geschichte und Gesellschaft umgreifen und durchdringen das Politische. Der Anfang einer Theorie der Weltpolitik
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kann also nur in einem historisch infonnierten Begriff der Weltgesellschaft liegen.
1.2.1 Die Geschichtlichkeit der Politik in der Weltgesellschaft Bis heute beschränkt sich die Thematisierung der Geschichte innerhalb der Internationalen Beziehungen meist auf den Gebrauch historischer Ereignisse und des historischen Wandels als Beispielmasse fiir die IDustration von lbeorien, die die Historizität des Gegenstandes selbst nicht theoretisch berücksichtigenP Auch aus der Geschichtswissenschaft, die das Problem der Historizität seit jeher theoretisch bewegt, liegen bisher nur wenige Beiträge vor, die sich dem Gegenstand der Internationalen Beziehungen unter diesem Gesichtspunkt in theoretischer Absicht widmen. 18 Historiker sind überwiegend an einer dem Realismus nahe kommenden Theorie orientiert. So fehlt den meisten Darstellungen der Geschichte des internationalen Systems ein theoretischer Bezugsrahmen, der über die Zyklizität von Mächten hinausginge. 19 Die vergessene Geschichtlichkeil der internationalen Beziehungen und die theoretische Vernachlässigung gesellschaftlicher Prozesse ist auch ein Gt"Und dafiir, dass die etablierten Theorien internationaler Beziehungen an Überzeugungskraft verloren haben und neue theoretische Richtungen in den vergangenen Jahren einen großen Aufschwung erlebt haben (vgl. Gaddis 1992). Unter der Sammelbezeichnung »Konstruktivismus« entwickeln sich theoretische Ansätze, von denen viele historischen Wandel im internationalen System mit in den Blick nehmen. 20 So begrüßenswert diese Ansätze sind, so bieten sie doch noch keine hinreichende Antwort auf die Frage nach der Geschichtlichkeit des Gegenstandes. Denn die für den Gegenstand der Internationalen Beziehungen als Wissenschaft eigentlich konstitutiven Fragen, nämlich die nach den Ursprüngen und Wandlungen des internationalen Systems, nach den Veränderungen des Verhältnisses zwischen ökonomischen, politischen und kulturellen Strukturen, sind aus diesen theoretischen Perspektiven bisher nicht behandelt worden~ In den Internationalen Beziehungen wie in anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen dominiert der »Rückzug auf die Gegenwart«
17 Dns gilt für die Werke, die sich aus realistischer Sicht mit dem Wechselspiel der »großen Mächte« beschäftigen (vgl. z.B. I<ennedy 1987), aber auch fl.ir reflektiertere Positionen, die sich mit strukturellem Wandel im intemationalen System beschäftigen, vgl. Buzan/Little (2001), Little (1994) und Wendt (1999). 18 Diese DisJ..:ussion hat jedoch begonnen, vgl. Osterhammel (2003) und Conze et al. (2004). 19 Das gilt etwa für I<ennedy (1987) ebenso wie für Kleinschmidt (1998). 20 Vgl. die Übersichtsartikel vonJachtenfuchs (1995) und Adler (1997, 2002).
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(Elias 1983b). Die Gnmdfrage, wie die Geschichtlichkeit des Gegenstands der Internationalen Beziehungen theoretisch angemessen zu berücksichtigen sei, ist damit nach wie vor offen. Idee, Aufgabe und Inhalt einer Theorie der Internationalen Beziehungen, die der Geschichtlichkeit ihres Gegenstandes gerecht würde, lassen sich wenigstens umreißen. Zunächst würde die Anerkennung der Geschichdichkeit des Gegenstandes nicht bedeuten, dass die Einheit des Gegenstandes in eine . Vielzahl von unverbundenen Geschichten zu zerlegen wäre. Die Vorstellung von einer Vollständigkeit der Erklärung der Genese und des Funktionszusammenhanges des internationalen Systems muss vielmehr eine regulative Idee bleiben, um diese Einheit zu gewährleisten. Ohne diese Vorstellung zerfiele der Gegenstand >>in ein planloses Aggregat menschlicher Handlungen« (Kant 1784/1973: 18). Die Idee der Einheit des Gegenstandes ist auch ein notwendiges Regulativ um den Gegenstand vor der fachwissenschaftliehen Zerfaserung zu retten, denn ohne das akkumulierte Wissen der Geschichtswissenschaft und den begrifflichen Reichtum der Soziologie ist eine Analyse der historischen Konstitution von Herrschaft im internationalen System nicht möglich. Eine historisch orientierte Wissenschaft der internationalen Beziehungen hätte weder die Aufgabe, das Ganze der Geschichte resdas zu ergründen, noch historische Differenzierungen im Interesse einer glatten Darstellung einzuebnen oder aber in eine Sammlung unendlicher Verschiedenheiten aufzulösen. Ihr nächstes Ziel wäre vielmehr, Globalität und Staatlichkeit in ihrer Entwicklung zu rekonstruieren und damit die wesentlichsten Etappen und Fmmen des Wandels politischer Organisation begrifflich differenziert zu fassen. So wenig dies ohne Verbindung zu den aus geschichdicher Forschung geronnenen Sozialtheorien möglich sein dürfte, so unverzichtbar wird dafür der Blick in das Innere der zu geschlossenen Einheiten verdinglichten Staaten und Gesellschaften sein, denn Staat und internationales System stehen in einem wechselseitigen Konstitutionsverhältnis und beide sind in den Kontext breiterer sozialer Entwicklungen eingebettet. Die Genese und die konstituierenden Zusammenhänge des internationalen Systems in konkreten Analysen auseinanderzulegen, wäre der vordringliche Inhalt einer historisch orientierten Forschung in den Internationalen Beziehungen. Sie müsste von allgemeinen Begriffen hinabsteigen in die Untersuchung konkreter Zusammenhänge und Entwicklungen und bereichert um diese aus Konkretionen gewonnenen Einsichten zur Synthese theoretischer Aussagen zurückkehren, die sich dann weder im Banalen erschöpfen würde, noch mit Begriffen ungewissen Inhalts operierte. An einzelnen Gegenständen wie den Prozessen der frühen Institutionalisierung zwischenstaadicher Beziehungen, der Genese und semantischen Bewegung zentraler politischer Termini
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oder der Intemationalisierung von Herrschaftszusanunenhängen in lokalen Vettnittlungen lassen sich Ungleichzeitigkeiten, funktionale Zusanunenhänge und die Genese von widersprüchlichen Geltungen samt ihrer konfliktiven Bedeutung rekonstruieren. Der Gewinn einer historischen Perspektive erschöpfte sich nicht in der größeren Trennschärfe der Einsichten und in einer größeren Differenziertheit der Begriffe. Ihr Gewinn wäre es auch, zu ermöglichen, dass Epochen und Geltungsräume von theoretisch formulierten Zusanunenhängen bestimmt und abgegrenzt werden könnten. Eine Theorie der internationalen Beziehungen? die die Historizität ihres Gegenstandes etnst nimmt, braucht folglich nicht in einen undifferenzierten H~lismus zu münden. Die Analyse der Zusanunenhänge zwischen staatlicher Verfasstheit und den formenden Kräften und Konstellationen des internationalen Systems würde in die Bestinunung der Entstehungs- und Geltungszusanunenhänge des Vokabulars seiner Bescht-eibung münden. Dass dies auch den Geltungsbereich allgemeiner theoretischer Aussagen einschränken wfu:de, muss nicht als Verlust empfunden werden. Mit einer bloßen Chronologie der internationalen Beziehungen oder einer bloßen Erzählung des Geschehenen wäre es folglich nicht getan. Die chronologische Reihung von Ereignissen ruht nicht auf einer theoretischen Position auf, sondern hat bloß den Formalismus der gleichen Einheiten übemonunen (vgl. Kaselleck 2000: 306ff} Ebenso wenig kann eine Erzählung, die ihre leitenden Konstruktionsprinzipien theoretisch nicht begründet, als angemessener Umgang mit der Geschichtlichkeit des Gegenstandes angesehen werden. Eine theoretisch reflektierte Form muss Kriterien für die Beurteilung von Dauer und Wandel, für Kontinuität und Umbruch entwickeln, um die Mannigfaltigkeit der Empirie ordnen zu können. Die Theorie globaler Vergesellschaftung beansprucht, für eine angemessene Betiicksichtigung der Geschichtlichkeit des Gegenstandes der Internationalen Beziehungen hinreichende Voraussetzungen zu bieten. Die Grundelemente dieser theoretischen Konzeptionierung lassen sich folgendetmaßen umreißen: Erstens lässt die Geschichtlichkeit des Gegenstands der Internationalen Beziehungen sich in der Auffassung der U'7e/tge.rellscbaft alr Prozess begt-ünden. Dieser Prozess besteht vor allem im globalen Ausgreifen der Formen bürgerlich-kapitalistischer Vergesellschaftungsformen über ihren Entstehungskontext hinaus. Die erste dieser Einheiten, die sich in unterschiedlichem Tempo und in jeweils unterschiedlicher Form hergestellt haben, ist der Weltmarkt. Es war die Zirkulation von Gütern, über die sich Weltgesellschaft zuerst verwirklicht hat. Die Zusammenführung von Produktionen und Diensten ·ist demgegenüber eine jüngere Erscheinung. Sie ist gegenwärtig noch nicht abgeschlossen, son-
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dern bildet den Haupthintergrund der Debatten, die gegenwärtig unter dem Schlagwort der ))Globalisierung« geführt werden. Die Epochen des Imperialismus und Kolonialismus haben dieser Einheit auch eine politische Prägung gegeben. Der Export des europäischen Staatsmodells ist der wichtigste Vektor politischer Weltordnung. Mit den Verbindungen des Weltmarkts und über die politischen Projekte ging der Zusammenschluss auch der symbolischen Welten einher. Das Hauptresultat dieser Prozesse ist die Verbindung der zuvor getrennten oder nur lose verbundenen sozialen Räume zu einem globalen Zusammenhang. Dabei sind die Zeitpunkte und Temporalitäten dieser Verbindungen nicht in allen Zonen der Weltgesellschaft einheitlich. Zweitens ist das in dieser Theorie hervorgehobene Kernmerkmal der Gleichifiligkeit des Ungleichifiligen zugleich ein wichtiges heuristisches Prinzip seiner Analyse. Denn der Zusammenschluss des zuvor nur lose verknüpften Geschehens äußert sich in vielf.iltigen Überlagerungen und widerstreitenden Geltungen. Diese fmden sich in den sozialen, politischen und ökonomischen Formen ebenso wieder wie in Habitus und Mentalitäten der Akteure.21 Eine Hauptaufgabe ist daher die Aufdeckung und Entschlüsselung der Gemengelagen, die sich aus der Überlagerung historischer Schichten ergibt. Drittens erlaubt es die Theorie globaler Vergesellschaftung, Epochen mit unterschiedlichen Logiken abzugrenzen. Solche Abgrenzungen haben immer idealtypischen Charakter. Sie reduzieren unterschiedliche soziale und politische Wirkungszusammenhängen und unterschiedliche Diskurse, indem sie Fomiationen unterscheidet, die sich nach ihren Funktionsprinzipien differenzieren lassen. Viertens hat die Geschichtlichkeit des Gegenstandes auch Konsequenzen für das Vokabular der Analyse und Beschreibung. Die Bedeutung von Begriffen wandelt sich mit historischen Zeiten. Solche semantischen Verschiebungen müssen im theoretischen Gebrauch mitreflektiert werden. Die Trennung von Epochen und die Analyse der Bedeutungswelten und der unterschiedlichen sozialen Logiken ermöglichen es, die Grenzen der Geltung und Verwendung von Begtiffen offen zu legen. Voraussetzung für das Erkennen dieser Grenzen ist jedoch die Kenntnis der übergreifenden Zusammenhänge, die sich nur aus
21 Die erste Berücksichtigung des sozialen G1'U11dsachverhalts der »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen<< findet sich wohl im Werk von Karl Marx, um dann in allen großen Sozialtheorien immer wieder aufzutauchen. So durchzieht die Trennung unterschiedlicher Geltungslogikcn - gemeinhin ausgedrückt als Differenz von »Tradition und Modeme<< - die Werke von Ferdinand Tönnies, Max Weber, Emile Duckheim bis Nildas Luhmann in unterschiedlicher theoriesprachlicher Prägung (vgl. a. Jung 1995: 4>-52). Konzeptionell erstmals geformt wird dies zuerst im Werk von Ernst Bloch (1931), eine eingehende Analyse findet sich bei Dietschy (1988).
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dem Horizont des Verstehens der globalen Geschichte ergeben können. 22 Die Theorie globaler Vergesellschaftung erlaubt es, unter Rückgriff auf Max Webers Methodologie der verstehenden Soziologie, fremde Sinngehalte und Bedeutungen zu erschließen, ohne sich in ihrem analytischen Vokabular auf einen utilitaristischen Rationalismus zu beschränken. Geschichte ist nur als Wandel von Konstellationen denkbar, der die konstituierenden Elemente mit umfasst. Deshalb sind alle durchgängigen Subjekte der Geschichte verdächtige Konstruktionen. Weder eine abstrakt-summarisch titulierte »Menschheit« noch das als Individuum gefasste Subjekt sind theoretisch haltbare historisch durchgängige Formen. Gegenstand der historischen wie der gegenwartsbezogenen Sozialwissenschaft ist vielmehr eigentlich der Wandel von Formen, der sich in unterschiedlichem Fachvokabular und aus verschiedenen analytischen Perspektiven formulieren lässt. Die Funktion einer politischen Soziologie der Weltgesellschaft in diesem allgemeinen Unternehmen ist die Analyse und Theoretisierung des Wandels politischer Fotmen, einschließlich ihrer ursächlichen Zusanunenhänge und globalen Einbettung. Die Einflechtung einer solchen historischen Perspektive, wie sie in der Theorie globaler Vergesellschaftung erfolgt, führt zu einer genaueren Trennschärfe bei der Bestimmung der Bedeutung von Veränderungen. Diese Perspektive erlaubt es, die Zeitgebundenheit theoretischer Auffassungen und ihrer begrifflichen Fonnungen zu erkennen und einer kritischen Revision zuzuführen und gleichwohl den theoretischen Zusanunenhang zu wahren, ohne Differenzen, die sich nach historischen Zeiten und Räumen ausgeprägt haben, zu Lasten der empu:ischen Plausibilisierbarkeit zu nivellieren.
1.2.2 Die Gesellschaftlichkeit der Politik in der Weltgesellschaft Häufiger als die Historizität des Gegenstandes ist die Gesellschaftlichkeit der internationalen Beziehungen Thema in der Disziplin geworden. Dies gilt besonders für ein oberflächliches Verständnis dieser Eigenschaft, nämlich als »Problem«, »Ebene« oder »Dimension« derjenigen politischen Zusammenhänge, denen das Interesse der Internationalen Beziehungen traditionell gilt:
22 In der hermeneutischen Tradition ist dieser Zusammenhang ebenfalls betont: »Der. welrgesduchtliche Zusammenhang, in dem sich die Einzelgegenstände der historischen Forschung, große wie kleine, in ihrer wahren relativen Bedeutung zeigen, ist selbst ein Ganzes, von dem aus alles Einzelne in seinem Sinn erst voll verstanden wird, und das umgekehrt erst von diesen Einzelheiten aus voll verstanden werden kann.« (Gadamer 1990: 181)
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nämlich der Staaten.23 Hier wird ein weitergehender Standpunkt vertreten: Politisches Geschehen ist soziales Geschehen. Weil Politik im sozialen Raum abläuft, weil politische Akteure zunächst soziale Akteure sind und weil politische Strukturen, in denen dieses Handeln geschieht, vor allem sozial bestimmt sind, ist das Politische dem Sozialen nachgeordnet. Zwar wirkt politisches Handeln auf das Gesellschaftliche zurück, aber die entscheidenden konstituierenden Verhältnisse des Politischen sind, je geringer die lnstitutionalisierung von Macht in eine Organisation staatlicher Herrschaft gelungen ist, um so stärker von sozialen Bedingungen, Institutionen und Verhaltensmustern geprägt. Aber auch in entwickelten bürgerlich-kapitalistischen Verhältnissen sind die Sinnbezüge und Strukturen des Politischen und des Sozialen unauflöslich ineinander verwoben. Eine Wissenschaft des Politischen, die sich nicht von vornherein auf den Standpunkt des Staates stellen will, muss die soziale Konstituierung des Politischen allgemein in den Blick nehmen, von der der Staat immer nur ein Teil ist. 24 Die Trennung von Staat und Gesellschaft, die dem gängigen Verständnis des Politischen als Dichotomie zugrunde liegt, ist daher nur eine mögliche, aber noch nicht für alle Verhältnisse zureichende analytische Unterscheidung. Weitere begriffliche Differenzen sind notwendig, um das Politische im Sozialen und das Soziale im Politischen aufzufinden. Das gilt auch für hochgradig differenzierte Verhältnisse. Der moderne Staat und die moderne Gesellschaft sind zugleich auch dadurch gekennzeichnet, dass der Prozess der Verstaatlichung der Gesellschaft und der der Vergesellschaftung des Staates weit fortgeschritten sind. Es gibt in modernen Verhältnissen keinen Bereich der Lebens23 Liberale A'nsät2e etwa betonen den Einfluss von sozialen Gruppen und Verbänden auf die Prozesse der internationalen Politik zwischen Staaten (Moravcsik 1992). Für eine formale, auf di~: Logik der Verhandlungen zwischen Staaten konzentrierte Richtung der Internationale Beziehungen resultiert daraus das Problem der »Politik auf zwei Ebt.~1en<< (Zangl 1994), in der der Staat zur vermittelnden Instanz zwischen nationaler und internationaler Politik wird. Ein tieferes Verständnis entwickelt Cox (1993), der den Wandel internationaler Beziehwtgen auf sozial<.~ Wandel insgesamt zurückbindct. Die das internationale System konstituierenden Staaten könnten nicht auf ihre institutionelle Ausfom1ungen oder ihre Apparate reduziert werden, cine angemessene Theorie der internationalen Politik müsse ihre »Soziale Basis« immer mitreflektieren (Cox 1993: 59). 24 Die der I.uhmannschen Systemtheorie eigene Tendenz; Politik in der Modeme an den Staat zu koppeln, der scinerseits nur als Resultat funktionaler Differenzierung gedacht werden kann, unterscheidet die Theorie globaler Vergesellschaftung trotz vider Gemeinsamkeiten von diesem Entwurf. Im Spätwerk scheint indes eine Absetzung von dieser Position bemerkbar zu sein (vgl. Luhrnann 2000: 196). Darüber hinaus ist die bei Luhmann schon vorausgesetzte funktionnie Differenzierung bezogen auf die Weltgesellschaft eine unbegründete, wenn nicht falsche Annahme (vgl. Luhmann 1997, 1: 146ff.). Das Theorem der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ist geeigneter, zentrale Widersprüche der Weltgesellschaft zu erhellen (vgl. Abschnitt 1.2.4).
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welt, in den der Staat mit seinen Maßnahmen und seinen Institutionen nicht hineinreicht, wie umgekehrt auch kein Bereich des Staates frei ist vom Druck sozialer Interessen und Ideale. Staat und Gesellschaft stehen sich auch hier nicht unvermittelt gegenüber, sondern durchdringen sich gegenseitig. In anderen Konstellationen ist die analytische Brauchbarkeit der Unter-~ Scheidung Staat-Gesellschaft hingegen deshalb eingeschränkt, weil dort staatliche Institutionen sich von der Logik des Sozialen kaum emanzipiert haben (vgl. Abschnitt 2.2.4). In den Räumen neopatrimonialer Herrschaft etwa ist die 1 Logik der Redistribution aus traditionalen Verhältnissen nur transformiert. Eine eigenständige, der Funktionsweise des legal-rationalen Anstaltsstaates entsprechende autonome Logik staatlicher Herrschaft ist dott hingegen nur in Ansätzen gegeben oder beschränkt sich auf einzelne Segmente der staatlichen Institutionen. Erhebt man das Verständnis de.r Unterscheidung Staat-Gesellschaft jedoch zur begrifflichen Leitdifferenz fiir die Analyse nationalstaatlicher Ensembles, so geraten auch jene Überwölbungen staatlicher Herrschaft nicht in den Blick, die sich jenseits dieses sozialen Raumes längst etabliert haben. Das gilt fiir jene intergouvernementalen Arrangements, die das Ergebnis von Integrationsprozessen darstellen, aber auch für jene älteren sozialen und ökonomischen Beziehungsmuster, die sich seit langem über die Grenzen von Staaten hinweg herangebildet haben. Der Weltmarkt und die Netzwerke der Migration, die politischen Diskurse und die Systeme der Kommunikation sind solche Zusammenhänge, die eine Reduktion der sozialen Einbettung politischer Herrschaft auf »nationale« Zusammenhänge als unzureichende analytische Perspektive erkennbar machen. Diese wenigen Andeutungen verdeutlichen bereits, dass mit einer Fixierung der Begrifflichkeiten und Konzepte auf den Staat allein kein hinreichendes Verständnis der laufenden globalen Prozesse mehr zu entwickeh1 ist. Der Staat, ehedem - wenigstens der Theorie nach - die unangefochtene politisch souveräne Institution, ist relativiert. Seine Einbettung in grundlegendere soziale Dynamiken lässt sich aber nicht mehr zureichend im Rahmen des »nationalen« Paradigmas erfassen. Die Vorstellung von der »Politik in einem Land« ist unf:ihig, die übergreifenden Prozesse, die Prozesse der Herrschaftsbildung begrenzen, beeinflussen - und auf die diese auch zurückwirken - angemessen zu erfassen. 25 Die Gesellschaftlichkeit des Gegenstandes der Internationalen Beziehungen drängt zum Begriff der Weltgesellschaft. 25 Vgl. a. Schlichte (1998b). Dieser Mangel hat seine Ursachen nicht allein in der bisherigen Konzentration der internationalen Beziehungen auf die Gesellschaften der OECD, auf die Institutionen und politischen Zusammenhänge Westeuropas und Nordamerikas. Auch andere sozialwissenschaftliche Disziplinen, die Ökonomie ebenso wie die Soziologie w1d die
1.2.3 Zum Begriff der Weltgesellschaft Die Kategorie der Gesellschaft, die in den Theorien der Internationale Beziehungen bis vor kurzem kaum vorkam, hat nun in den Diskussionen um den Begti.ff der Weltgesellschaft einen prominenten Platz erhalten.26 Nicht nur im deutschen Sprachraum, sondern auch in den das Fach dominierenden englischsprachigen Diskursen wird die Kategorie in den Erweiterungen world socie!J•, international society oder global socie!J diskutiert. Der Begriff der Weltgesell-· schaft und die mit ihm verbundene Perspektive auf die· internationale Politik werden im Folgenden in Umrissen dargelegt. Die Auseinandersetzung mit anderen theoretischen Fassungen wird dabei nur als Nebengeschäft betrieben, denn eher als im abstrakten theoretischen Streit kann bei der Analyse realer Prozesse über den heuristischen Wert der um diesen Begriff zentrierten theoretischen Perspektiven entschieden werden. Im Folgenden werden zunächst einige zentrale theoretische und dann von diesen nicht wirklich trennbare, methodische Ausgangspunkte der Theorie globaler Vergesellschaftung benannt und erläutert. Die theoretischen Ausgangspunkte beziehen sich auf den Begriff der Gesellschaft, dessen hier verwendeter Wortsinn näher zu bestimmen ist. Weiterhin grundlegend für die Theorie globaler Vergesellschaftung ist der Ort, der der Temporalität des Geschehens eingeräumt wird. Dies gilt auch für ein drittes Prinzip der Theorie globaler Vergesellschaftung, die »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« (1.2.4), dessen theoretische Begründungen wie methodischen Implikationen zu benennen sind. Deshalb beziehen sich die weiteren Erläuterungen eher auf Methodisches, eine Differenzierung von Begriffen, die Auffassung von Erfahrung und eine kurze Behandlung der mit diesem Programm verbundenen Erkenntnisinteressen und Fragenfelder. Sie schließen die Kritik der Theorien der Internationalen Beziehungen konstruktiv ab. Der Begriff der Gesellschaft ist selbst schon vieldeutig und fügt sich nicht dem formalwissenschaftlichen Ansinnen, ihn nach genus proximHm und di.fferentia specifica zu definieren. Großbegriffe wie der der Gesellschaft müssen expliziert werden. Die sich zu Prozessen verdichtenden Bewegungen einer Gesellschaft Geschichtswissenschaft sind bei der Auswahl ihrer Gegenstände überwiegend ihren eigenen Gesellschaften verhaftet und machen die Perspektive des Staates zu ihrer eigenen. Eine Soziologie der WeltgeseUschaft, die dieses »Landkartenbewusstsein« (Luhmarm 1997, 1: 150) übe,..",mdet und politische, ökonomische und soziale Dynamiken dennoch konkret fassen kann, ist noch ein Desiderat. 26 Der Begriff der Weltgesellschaft wird vermehrt Geg..-nstand theoretischer Bemühungen. Vgl. Gantzel (1975), Jung (1998, 2001a) und Luhmann (1997,1: 145-171; 2000: 220ff.), Brock (2000), die »Forschungsgruppe Weltgesellschaft« (1996), Meyer et al. (1997) und Stichweh (2000).
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sagen mehr über sie aus als eine Liste von Merkmalen, die ihr vetmeintliches Wesen ausmachen. Um das hier zugrunde gelegte Verständnis des Begriffs der Weltgesellschaft zu verdeutlichen, sind allerdings Abgrenzungen von theoretisch formulierten wie auch bloß impliziten Verständnissen des Begt-iffs der Gesellschaft notwendig. Dazu wird zunächst eine formale Deftn.i.tion der Gesellschaft vorgestellt, die es dann erlauben soll, den spezifischen Gehalt des Begriffs der Weltgesellschaft so einzugrenzen und auszudifferenzieren, dass die meisten Missverständnisse, die aus anderen Verwendungsweisen des Begriffs der Gesellschaft resultieren, vermieden werden können. Der Begriff der Gesellschaft bezieht sich auf BeY(jehungen zwischen Menschen. Diese Beziehungen zeigen repetitive Muster, und sie unterliegen zugleich einem Wandel. Die Gesellschaft ist nicht bloß die Summe von monadischen Einzelnen, sondern ragt in diese hinein. 27 Die Gesellschaft ist das Ensemble von Bedeutungen, von Praktiken und Regeln, die sich zu Institutionen verdichten, die diese aber auch wieder auflösen können. Soziale Beziehungen, die Grundelemente von Gesellschaft, sind indes nicht als solche beobachtbar, sie müssen aus den Praktiken der Akteure durch den Beobachter erschlossen werden. Das ist das Geschäft der ·empirischen Forschung, die immer auch Interpretation, immer auch Sinnverstehen ist. Viele soziale Beziehungen bilden repetitive Muster aus und werden dann als regelmäßige Praktiken beobachtbar, wieder andere Beziehungen beruhen auf Vereinbarungen, auf Regeln, uhd sind den Akteuren als solche bekannt. Beide, Regeln und Regelmäßigkeiten, gelten uns als Strukturen. Sprache und Geld etwa sind Sanunelbezeichnungen, die eine Vielzahl von Praktiken bezeichnen, die sich zu Beziehungsmustern verdichtet haben. Weil diese repetitiven Muster Regeln und Sinnzusammenhänge konstituieren, sind sie nicht bloße Kommunikationsakte, sondern sie bilden Strukturen. 27 Zu einem hier kompatiblen Verständnis des Begriffs »soziale Beziehung« vgl. § 3 der Soziologischen Grundbegriffe Webers. \Vährend Weber den Begriff der Gesellschaft gar nicht verwendet, lassen sich in klassischen Texten der Sozialtheorie eine Reihe von Ausführungen zum Begriff fmden, die der hier vorgestellten Definition nicht weit entfernt sind. Die Betonung der Relationen haben sie mit Weber gemeinsam: »Die Gesellschaft besteht nicht aus Indi,>iduen, sendem drückt die Summe der Beziehungen, Verhältnisse aus, worin diese Individuen zueinander stehL'Il« (Marx 1939/1983: 189). Für Georg Simmel ist kein einheitlicher, fest umgrenzter Begriff der Gesellschaft sinnvoll zu formulieren, weil der Wandel und die Vielfalt der WechselbeziehWlgen zwischen Individuen dem entgegenstehen. Deshalb ist Gesellschaft »nur der Name für die Summe dieser Wechselbeziehungen« (1892/1989: 134). Norbert Elias kennzeichnet Gesellschaft als 1Kias von den Individuen gebildete Interdependenzgeflecht selbst« (1939/1988a: LXVIII). Auch Adomo lehnt mit Bezug auf Nietzsches Diktum, dass sich nur definieren lasse, was keine Geschichte habe, eine formale Definition des Begriffs der Gesellschaft ab, um ihn stattdessen zu entfalten. Dabei fallt die Bestimmung der Gesellschaft als»... universaler Block, um die Menschen und in ihnen,....« (1965/1979: 10).
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Soziale Beziehungen reichen in die Subjekte hinein. Deshalb ist der Begriff der Gesellschaft dem des Individuums vorgeordnet. Im sozialen Habitus, in den Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata der Akteure sind soziale Beziehungsmuster sedimentiert. Über den Habitus stellt sich die Anschlussfähigkeit individueller Akteure an die von ihnen unabhängig gegebenen sozialen Strukturen her. Gleichwohl unterliegen auch solche Strukturen einem Wandel. Durch den Habitus sind den Akteuren nicht immer alle Entscheidungen abgenommen. Ungewissheit, die durch habituell nicht vertraute Situationen entsteht, verlangt nach Anpassungen und Entwicklungen von Strategien. Aus dem steten Wechselspiel von bewussten Anpassungen und von zufälligen Veränderungen im Strom der sich zunächst gleich bleibenden Handlungsmuster entsteht sozialer Wandel. Ein solcher Gesellschaftsbegriff verträgt sich mit vielen Erweiterungen, jedoch nicht mit allen. Er besitzt zwei logische Merkmale, die zu Missverständnissen einladen, nämlich das Moment der Totalität und das des Systems: Jeder Gesellschaftsbegriff, so auch der hier verwendete, bezieht sich notwendig auf eine Totalität. Damit ist nicht impliziert, dass der Einzelne in dieser Gesellschaft im Bewusstsein dieser Totalität lebt und handelt. Wenn jedoch -wie sozialwissenschaftlich ebenso üblich wie fragwürdig - von der Gesellschaft »eines Landes« die Rede ist, so ist auch dann diese Gesellschaft als Ganze gemeint. Zur Gesellschaft gehören auch jene, die mit ihrem sozialen Kontext nur lose verbunden sind. Deshalb kann von Gesellschaft nur noch als von Weltgesellschaft gesprochen werden. Ähnlich verhält es sich mit dem Merkmal der Systemizität: Gesellschaft lässt sich immer nur als System denken. Der Zusammenhang zwischen ihren Teilen, wenigstens in der Form einer losen Interaktion, ist immer eine begleitende Vorstellung jeder Verwendungsweise des Begriffs. Damit ist nicht notwendig ein geordnetes funktionalistisches Verständnis von Gesellschaft verbunden, ebenso wenig wie die Vorstellung der Gliederung einer Gesellschaft in funktionale Subsysteme, weil die Strukturprinzipien einer Gesellschaft auch andere sein können. Auch muss sich mit dem oben skizzierten Gesellschaftsbegriff nicht die Vorstellung einer Norm- und Wertegemeinschaft der Mitglieder verbinden. Diese Auffassung, die für das Gesellschaftsverständnis weiter Teile der Sozialwissenschaften traditionell prägend gewesen ist, hat utopischen Charakter: Sie hat keinen Ort in der Realität, in der sich soziale Beziehungen in jedem Kontext immer auch in der Differenz über Werthaltungen konstituieren. Die konfliktfreie Glaubensgemeinschaft der Mitglieder einer Gesellschaft
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ist eme Fiktion. 28 Der Konflikt, die Bewegung der Widersprüche, ist der Gesellschaft eigen. Der historisch reale Prozess, der dem Begriff der Gesellschaft zugrw1de liegt, ist die Entstehung und Ausbreitung der bürgerlichen Gesellschaft. Ihr theoretischer Komplementärbegriff ist der der Gemeinschaft. 29 Mit der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft als gesellschaftlicher Formation entwickelte sich auch erst die Terminologie zu ihrer begrifflichen Fassung. Das Kapital, der »sich selbst verwertende Wert« (Marx 1983: 231) ist die Signatur dieser Formation. Die mit ihm verbundenen ökonomischen Formen, die freie Lohnarbeit, die Formentwicklung des Geldes vom Tauschmittel zum Kapital, der Warencharakter der Produkte und das Privateigentum sind für die bürgerliche Gesellschaft konstitutiv.3° Politisch strukturiert die bürgerliche Gesellschaft sich als Staat und drängt zugleich über diesen hinaus. Historisch ist der Weltmarkt die erste Sphäre dieses Übergreifens der bürgerlichen Gesellschaft über den Rahmen des Staates. Weil jedoch diese den Staat übergreifenden Prozesse nicht auf ökonomische Zusammenhänge beschränkt blieben, ist der Begriff der Weltgesellschaft der bessere Begriff, unter dem diese Prozesse thematisiert und theoretisch zusammengeführt werden können. Historisch-real verbirgt sich hinter dem formalen Begriff der Gesellschaft deshalb schon der Begriff der Weltgesell28 Kritik am Begriff der Weltgesellschaft entzündete sich immer darnn, dass der Begriff der Gesellschaft nach Parsons häufig im Sinne einer Normengemeinschaft aufgefasst wurde (vgl. Shaw 1994: 9). Darnn, dass die Weltgesellschaft keine Wertegemeinschaft ist, begründet sich auch die Ablehnung des Begriffs durch Czempiel und andere, die stattdessen von der »Gesellschaftswelt<< sprechen (Czempiel 1991: 88). Aber man muss Gesellschaft nicht in der Parsonscben Tradition begreifen. 29 Diese an Hege!, Marx, Tönnies und spätere sozialtheoretische Arbeiten aufgreifende Leitdifferenz von Gemeinschaft und Gesellschaft ist im Rahmen des »Hamburger Ansatzes« bereits umfassend ausgearbeitet worden und spielt in der Argumentation dieser Arbeit fortlaufend eine grundlegende Rolle. Statt erneuter ausführlicher Erläuterungen kann aber hier auf vorliegende Arbeiten verwiesen werden, vgl. Siegelberg (1994), Jung (1995, 1998) und Schlichte (1996: 34-39). Die langen Linien dieser Grundunterscheidung in der theoretischen Entwicklung etwa der deutschen Sozialwissenschaften sind in Ringer (1987) und Berking (1984) dargelegt. Zum Begriff der bürgerlichen Gesellschaft vgl. Riede! (1975) und Haltenl (1985). 30 Dies bedeutet gleichwohl nicht, dass sie auch für die Weltgesellschaft allgernein gelten. Wie zu zeigen sein wird, ist eines der konfliktiven Momente der Weltgesellschaft die noch andauernde Durchsetzung dieser Formen. Diese Auffassung teilt die Theorie globaler Vergesellschaftung mit älteren Autoren wie etwa Wallerstein, dem allerdings die Mängel anhaften, nicht nur die Formentwicklung des Kapitalismus zu vernächlässigen, in einem anti-szientistischen Reflex auch die Theorie der Rationalisierung und universale Begriffe abzulehnen (198;4: 65ff.) und schließlich die Dominanz der »Zentren<<, an deren Konzeptionierung mit Recht gezweifelt werden darf, zu Lasten der Historizität und Eigendynamik der »Peripherie« zu überschätzen. Eine ähnlich unangemessene Axiomatik ist systemtheoretischen Ansätzen eigen, die von der Weltgesellschaft als von einem bereits funktional differenzierten System sprechen.
schaft. Er erst erlaubt die theoretische Fassung der Globalität dieser Zusammenhänge. Die inhaltliche Hauptaussage des Begriffs der Weltgesellschaft besteht eben darin, dass in Abgrenzung zu den in den Sozialwissenschaften nach wie vor dominanten Sichtweisen, Gesellschaft nicht mehr als nationalstaatlich verfasst gedacht werden kann, sandem nur noch als globaler so~akr Zusammenhallg. Der Begriff der Weltgesellschaft richtet sich also zentral gegen die traditionelle Vorstellung der gleichzeitigen Existenz einer bestimmten Zahl von Gesellschaften, die sich entlang staatlicher Grenzen unterscheiden ließen. Zwar wird in laufenden Diskussionen, die sich nach wie vor überwiegend an dieser Vorstellung orientieren, zugestanden, dass Migrationen, Markttausch und Massenmedien Zusammenhänge hergestellt haben, die diese nationalstaatliehen Formen übergreifen. Gleichwohl erhält sich die Redeweise von »der französischen Gesellschaft«, die von »der chinesischen Gesellschaft« getrennt gedacht und behandelt werden könne. Diese Trennung hat in den tatsächlichen Differenzen sozialer Räume aber nur eine begrenzte und zudem schwindende Berechtigung. Sie beruht auf der Annahme, dass nüt unterschiedlicher Ausprägung staatlicher Institutionen auch unterschiedliche Lebensverhältnisse und jeweils andere historische Verläufe verbunden sind. Mit dem Begriff der Weltgesellschaft soll die Realität dieser Unterschiede nicht bestritten werden. Er lenkt jedoch die Aufmerksamkeit auf den Umstand, dass nicht politische Institutionalisierungen soziologisch die entscheidenden Differenzen abgeben müssen, denn die Grenzen der Staaten sind mit den Grenzen des Sozialen nicht durchgehend identisch. In der Organisation und in den Themenstellungen der Sozialwissenschaften ist das Paradigma der nationalen Gesellschaft indes bis heute tief verankert. Gesellschaftsanalyse meint darin immer Analyse einer Gesellschaft innerhalb der Grenzen eines Staates, Gesellschaftsgeschichte immer die historische Betrachtung des Wandels eines staatlich umgrenzten sozialen Raumes. In der Soziologie, in der Politikwissenschaft, aber auch in der Geschichtswissenschaft dominiert diese Sichtweise der »Gesellschaft in einem Staat«. Auch wichtige Bereiche der jüngeren Politikwissenschaft beschränken sich auf diese Perspektive, wie sich an der Transf01mationsforschung erkennen lässt (vgl. Schlichte 1998b). So ist auch der Blick derjenigen Forschungen, die sich Integrationsprozessen als Verschmelzungen einer Zahl von Staaten widmen, an den territorialen Grenzen dieser neuen Formen politischer Herrschaft ausgerichtet. Die Internationalen Beziehungen fassen ihre Gegenstände auch dort nach der Unterscheidung von Innen und Außen, wo im Formwandel der politischen
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Herrschaft die Unangemessenheit der alten Differenzen längst zum Ausdruck gekommen ist. 31 Die nationalstaatliche Perspektive hat auch den sozialwissenschaftliehen Begriffsapparat geprägt, dessen Eignung für die Analyse weltgesellschaftlicher Prozesse daher immer zu überprüfen ist. Diese Überprüfung kann hier nur unvollständig geleistet werden. Lediglich in Ansätzen werden hier einige Kategorien eingefl.ihrt, die der Ausdifferenzierung der theoretischen Perspektive zugrunde liegen. Wichtig sind in diesem Zusanunenhang zunächst zwei grundlegende Auffassungsweisen, die sich mit der Perspektive einer politischen Soziologie der Weltgesellschaft verbinden: der Prozesscharakter globaler Vergesellschaftung und die Ungleichzeitigkeit als ihr allgemeines Strukturmerkmal. Diese theoretischen Ausgangspunkte markieren eine andere Ontologie, eine andere Form der Organisation von begrifflichen Differenzierungen, die die Theorie globaler Vergesellschaftung~ Unterschied zu anderen theoretischen Positionen fundiert.
1.2.4 Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen Der Blick in die Geschichte der Weltgesellschaft ermöglicht nicht nur die Vergewisserung über die Entstehungsbedingungen der heute gültigen Verhältnisse. Er eröffnet der Analyse auch Einsichten in die Gegensätzlichkeiten der sozialen und politischen Strukturen, die in anderen Erdteilen das Leben der Menschen prägen. Unter dem Ausdruck der »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« lässt sich der fundamentale Charakter jener widersptiichlichen Geltungen subsumieren, die sich in strukturähnlichen, immer aber in auf ihre Weise besonderen Modernisierungen zeigen. Die Behandlung dieser Prozesse in Kontexten, die andere sind als der der Entstehung der beschreibenden Kategorien, stößt auf die fundamentale Schwierigkeit, dass sich begtiEfliehe Konzepte und grundlegende Annahmen nicht umstandslos auf politische Prozesse in anderen Kontexten übertragen lassen. Eine historische Perspektive ist hier hilfreich, weil sie es ermöglicht, im Fremden das vergangene Eigene zu erkennen und zu isolieren. Phänomene wie die Persistenz des Personalismus, die Schaffung kollektiver Selbstverständnisse, die Erfindung von Traditionen oder 31 Die Sozialwissenschaften insgesamt zeigen» ... in diesem Punkt c::ine nach Dauer und Intensität so ungewöhnliche wie folgenreiche Selbstbefangenheit, weil sie unbeirrt an ihrem Konzept der Gesellschaftsgeschichte festhält, das vielleicht dem fortschrittsgläubigen 19. )ahrhu11dert mit seinen souveränen Staaten als das A und 0 der Geschichte gelten ko1mte, aber seither Schritt ffu: Schritt durch die Tatsachen und Zwänge weltgeschichtlicher Vorgänge u11d Zusammenhänge überholt worden ist, ...• (Tenbruck 1989: 419).
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die Paradoxien der Formation politischer Parteien sind aus den Ungleichzeitigkeiten der westlichen Geschichte geläufig. In der Gegenwart lasse·n sich analoge Elemente in doch verschiedenen Prozessen erkennen. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ist ein grundlegendes Merkmal der Weltgcsellschaft. Denn weder hat sich in ihr eine kapitalistische Modeme gleichmäßig entfaltet, noch sind die Ergebnisse der kapitalistisch induzierten Prozesse überall strukturgleich. In endlosen Vermittlungen und Brüchen schieben sich in der politischen Realität unterschiedliche Geltungen und Logi( ken ineinander. Der historische Blick ist der einzige Weg, die Elemente und }Schritte dieser Vermittlungen, die Linien dieser Gemengelage zu erkennen. Un~leichzeitig~eiten wirken au~~ bei der ~onstituierung staa~cher Herr\ 1 schaft tn allen Regtonen als dynamtsterendes Element fort. Selbst 10 den west- · \ Iichen Staaten spielen Elemente wie der Patriarchalismus, Religion und Tradi1 tionalisierungen für die Reproduktion der Muster staatlicher Herrschaft eine !wichtige Rolle. Sie sind dort aber, im Unterschied zu anderen Regionen, nicht dominant. Der säkulare Prozess der Rationalisierung hat im Westen die legal\ rationale Legitimitätsform als vorherrschende Norm der Beurteilung politii scher Vorgänge etabliert. Wirkliche Ungleichzeitigkeiten sind in westlichen ' Kontexten rudimentär. In anderen Weltgegenden aber ist das Traditionale in allen gesellschaftlichen Bereichen noch stärker vorherrschend geblieben. In politischen Werthaltungen, in Praktiken und Ritualen des Politischen dominieren charismatische und traditionale Elemente. Sie sind für die politische Legitimation vielfach entscheidend geblieben, auch wenn sich im Zuge der globalen Ausbreitung bürgerlicher Politikverständnisse Erwartungsmuster des legal-rationalen Typs ausbreiten. Diese Strukturen sind jedoch keine Defekte, sondern ebenso historische Resultate wie die politischen Haltungen und Bewertungs! muster des Westens. In ihnen kommen tiefer liegende soziale Logiken zum ~ Ausdruck, die sich nicht auf formal rationale Kalküle reduzieren lassen. Desi halb ist in Afrika, Asien und Lateinamerika auch der rationale Anstaltsstaat als Apparat auf Enklaven begrenzt. Die Mehrzahl der sozialen Beziehungen, die den Staat durchlaufen, ist von personalen Elementen und von Konstruktionen 1 der Tradition und überlieferten Formen bestimmt. Ungleichzeitigkeiten in der Weltgesellschaft sind deshalb nicht einfach räumlich aufzufassen, sondern sie können als unterschiedliche Geltungslogiken in allen sozialen Bereichen und auf allen Ebenen wirken. Ungleichzeitigkeiten \ durchziehen ganze Kontexte wie aber auch den sozialen Habitus von Akteul ren. Sie äußern sich nicht notwendig konfliktiv. Sie sind aber insgesamt kriseni haft, vor allem dann, wenn alte habituelle Formen auf neue Konstellationen treffen, wenn die alten Muster und Schemata der Wahrnehmung und Bewer-
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tung nicht mehr hinreichen, um Strategien zu entwerfen, kurz, wenn biographisches- Scheitern geschieht, etwa wenn der Konflikt zwischen tradietter Moral und modernen Verhältnissen auftritt, wenn »das Alte stürzt« (Achebe 1983).
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Deshalb ist die Differenz von Tradition nnd Modeme, die der Redeweise / von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen zugrunde liegt, auch nicht als personal oder institutionell nachweisbare Dichotomisierung zu verstehen. • Tradition und Modeme stehen sich nicht als historische Epochen trennscharf gegenüber, l.md auch nicht als Personen oder Institutionen, sondern sie verschränken sich in unterschiedlichen Gestalten in den Vorstellungswelten, den handlungsleitenden Sinngehalten, im sozialen Habitus der Akteure, ebenso wie in den Logiken von Institutionen. Es ist immer die konkrete Gewichtung und der relative Anteil moderner w1d tt-aditionaler Logiken, die über das Verhalten von Menschen und die Funktionsweise von Institutionen entscheiden. Die analytische Unterscheidung traditionaler und moderner Formen erlaubt es, diese zu erkennen. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ist der summarisch Ausdruck, die Chiffre für das gleichzeitige Nebeneinander von unterschiedlichen Temporalitäten. Nicht der lineare Fortschritt, aber auch nicht die ewige Wiederkehr des Immergleichen kennzeichnet die Geschichte der Weltgesellschaft. Ihr Prozess ist viehnehr von Brüchen Wld Überlagerungen, von langen Kontinuitäten und abrupten Wechseln geprägt. Diese Eigenschaften der Weltgesellschaft haben Konsequenzen für die Methoden ihrer Analyse. Sie sollen im Folgenden umrissen werden.
1.2.5 Methodische lmplikationen Der Begriff der Weltgesellschaft bezieht sich auf einen t-ealen Prozess, nämlich den Zusammenschluss der vormals nur lose verbWldenen Geschichten, Konstellationen w1d Kontexte zu einem globalen sozialen Raum. Die Totalität der Gesellschaft ist mit diesem Prozess, der mit der europäischen Expansion einsetzte, zu einer globalen geworden. Dieser Zusammenschluss beschränkt sich nicht auf einzelne funktionale Zusammenhänge. Über die allgemeinen sozialen Universalien, wie sie sich etwa in den Begrifflichkeiten der von Norbert Elias' Elementarfunktionen (1983b) darlegen lassen, haben sich im Zuge der globalen Vergesellschaftung neue Strukturen verallgemeinett, die mit den lokalen Gegebenheiten zu der Vielzahl der Differenzen der Weltgesellschaft verschmolzen sind. In der auf den Weltmarkt zenttierten Form des Waren- { tauschs, in der globalen Ausbreitung der Form staatlicher Herrschaft und der
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Konstituierung eines globalen Kommwllkationsrawns sind Sinnbezüge des Handels global verallgemeinert, die sich lokal zwar in unterschiedlichen Praktiken ausprägen, die aber zugleich gemeinsame allgemeine Merkmale aufweisen.32 Dieser Zusammenschluss der lokalen sozialen Kontexte zu einem sich innerlich bedingenden Ganzen ist rucht abgeschlossen, sondern ein noch andauernder Prozess, der sich nur als globaler begreifen lässt. In der Redeweise vom Prozess der globalen Vergesellschaftung ist somit der Begriff der Weltgesellschaft verzeitlicht. Es ist für das Verständnis dieses Prozesses wichtig, die üblichen begrifflil\ chen Leitdifferenzen hintanzustellen. Globale Vergesellschaftungsprozesse · halten sich nicht an die Innen-Außen Differenz, die die Staatenordmmg repro' duziert und den meisten Theorien internationaler Beziehungen zugrunde liegt.· Sie fügen sich auch nicht einer einfachen Hierarchisierung von »lokalen«, »nationalen« und »transnationalen« Vorgängen. Fruchtbarer lassen sich globale Prozesse ohne Rückgriff auf diese Register begreifen und analysieren, weil »Innen-Außen«, >>lokal-national-global« längst ineinander geschoben sind. Denn globale Prozesse, neue Ideale und veränderte Opportunitäten äußern sich immer in Veränderungen konkreter, lokaler Verhältnisse. Die internationale Umgebung des Staates ist so längst in »seine« Gesellschaft eingebaut, weil grenzüberschreitende soziale Zusammenhänge den Staat zugleich unterlaufen ; und überspannen. Deshalb wirken Veränderungen selbst im internationalen i Staatensystem nicht bloß abstrakt als >>externe Faktoren«, sondern sind als t Verschiebungen von Wahrnehmungen, Bewertungen und Organisation des Politischen lokal konkret. Dieser soziale Wandel lässt sich im Paradigma der Staatenwelt nicht mehr zureichend erfassen. Diese Einsichten über den Prozesscharakter globaler Vergesellschaftung haben nun Konsequenzen für die Analyse der Weltgesellschaft. Nicht die unverbundene Untersuchung des Verhältnisses zwischen vereinzelten »Variablen« ist die entscheidende wissenschaftliche Leistung, sondern erst die Verf bindu11g der so gewonnenen Einsichten im prozesssoziologischen Denken. Dieses prozesssoziologische Denken kann sich auf unterschiedliche Ebenen und unterschiedliche Reichweiten erstrecken. Es kann sich auf die Erklärung langfristiger, ungeplanter Prozesse beziehen, die das ausmachen, was »Geschichte« genannt wird (vgl. Elias 1977: 127). Marx' Werk, in dem die Entfaltung und das Ausgreifen kapitalistischen Tauschs zentrales Thema sind, ist 32 In diesem Buch werden solche Zusammenhänge - bezogen auf das Problem der Dynllffiik staatlicher Herrschaft- genauer bestimmt. Die erste Untersuchung wird sich auf die Frage der Gewaltkontrolle als Kernmerkmal staatlicher Herrschaft, die zweite auf die Frage der materiellen Grundlage von Staadichkeit und die dritte auf die Frage der Sinnordnungen beziehen.
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dafür ebenso ein Beispiel wie Elias' Beschäftigung mit der Sozio- und Psychogenese des Staates, Webers Analyse des Prozesses der Rationalisierung oder das Theorem der funktionalen Differenzierung. In diesem Sinne ist die Theo-, rie globaler Vergesellschaftung erst einmal Strukturgeschichte, die sich mit dem Formwandd von ökonomischer Reproduktion, politischer Herrschaft und symbolischer Orientierung befasst. Innerhalb dieser großen Strukturgeschichte lassen sich analytisch aber auch kleinere Prozesse isolieren. Ohne ihre Einbettung in große, weiter reichende Prozesse zu vergessen, sind einzelne Phänomene analysierbar und vergleichbar. Darunter fällt die Dynamik einzdner Institutionen ebenso wie etwa die Verselbständigung eines Krieges als eines Handlungsfeldes, das sich von seinen ursprünglichen Ursachen emanzipiert. Solche Analysen offenbaren, dass kleine Prozesse ebenso wie die große Strukturgeschichte weder auf Willensakte reduzierbar sind, noch mechanistisch ablaufen (Elias 1977: 131). Beide Ebenen der Prozesssoziologie sind zudem aufeinander angewiesen. Der Abgleich kleiner Prozesse mit dem »großen Ganzen« macht es möglich, diejenigen Bedingungen zu isolieren, die für das Handeln der Akteure handlungsbestimmend werden. Nur so können die Fragen gefunden werden, die auf die zentralen sozialen Mechanismen lenken, die die Vermittlungsarbeit etwa zwischen großen sozialen Umbrüchen und politischem Handdn leisten.33 Die prozesssoziologische Herangehensweise offenbart damit einen besonderen heuristischen Wert: Durch eine genetische Betrachtung wird erst verstehbar, welche Einstellungen und Wahmehmungsweisen Institutionen ausmachen, wie sich Widersprüche in den Bewegungen des Sozialen äußern, oder wie sich fw'lktionale Zusammenhänge gegenseitig bedingen. Eine statische Sichtweise kann all dies nicht in den Blick bekommen. Natürlich stehen solche aus historischen Längsschnitten gewonnen Einsichten unter dem Generalvorbehalt, dass die Zusammenhänge der Gegenwart nicht mehr mit denen der Genese identisch sein müssen. Die konstituierenden Bedingungen können durch andere abgelöst worden sein. Doch wiederum erst das prozesssoziologische Denken erlaubt es, diese Unterschiede zu erkennen, und die aus dem Widerstreit historischer Imperative und neuen Anfordenmgen entstehenden Konflikte aufzudecken, um die Differenzen zwischen Entstehungs- und Gel.tungszusarnmenhängen aufzudecken. Die prozesssoziologische Herangehensweise erlaubt darüber hinaus die Relativierung der Bedeutung einzelner kausaler Beziehungen: Nur aus dem
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33 Zu der Bedeutung, die ä!Ulliche Überlegungen in der Geschichtswissenschaft erlangt haben, "gl. Meier (1990).
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Vergleich analytisch geschiedener Prozesse können einzelne Zusammenhänge gewichtet und die Bedeutung besonderer Kontexte abgeschätzt werden. Dies ist nicht zuletzt wichtig, weil die Möglichkeit politischen Handeins genau auf diese Feinbestimmungen angewiesen ist, und nicht auf die Formulierung übergreifender Gesetze, deren Abstraktheit sie für den Gebrauch in konkreten 1 Situationen unbrauchbar macht. Gleichwohl ist sie einem offenen Kausalitäts\konzept zugeneigt, nicht einseitiger Variablenarithmetik. Einsichten über einzelne Zusammenhänge erhalten ihr Gewicht nur in der Zusammenschau von Wechselwirkungen und Konstellationen.34 In dieser prozesssoziologischen Herangehensweise lassen sich auch die Methodiken Karl Marx' und Max Webers vereinen. Die vergleichende Betrachtung der Werke von Max Weber und Karl Marx offenbart nämlich, dass unüberbrückbare Differenzen zwischen den beiden Autoren gar nicht vorliegen. Sie waren immer schon eher das Resultat der politischen lndienstnahmen der Werke.35 Keineswegs unterliegt der Marxschen Methode eine »Identität von Sein- und Denkkategorien« (Kocka 1966: 351). Marx' Methode steht der neukantianisch geprägten Methodologie Webers auch nicht unvermittelbar gegenüber. 36 Die bestehenden Differenzen zwischen beiden Werken betreffen nicht den Kern, nämlich die wissenschaftliche Methode, sondern lassen sich auf jeweils zeittypisch im Vordergrund stehende philosophische Traditionen zurückführen. Bei Weber stellt sich die Wirklichkeit als »heterogenes Kontinuum«, dem sich der Wissenschaftler mit einem Vorverständnis des Ganzen nähert (1922/1988: 554), und das er mit der Formulierung kausaler Zusammenhänge begrifflich zu ordnen versucht. Begriff und Wirklichkeit fallen auch für Weber niemals zusammen (Schluchter 1991: 51). Immer bleibt die Erkenntnis Partialerkenntnis. Eine »Substanzeinsicht« kann es für Weber nicht geben (Kocka 1966: 339). Der Aufbau bestimmter Kausalketten hängt zwar in der Webersehen Wissenschaftsauffassung von den jeweils den Forscher leitenden Wertgesichtspwlkten ab (1922/1988: 259 et passim), die tiefe Einsicht in die wechselseitigen Bestimmungen zwischen Subjekt und Objekt der Erkenntnis wie in der Marxschen Auffassung fmden sich indes bei Weber nicht. Die von Marx vorgenommene »Sozialisierung des transzendentalen Subjekts« (Kocka 1966: 344)
34 Das deckt sich mit Webers methodelogischen Vorstellungen (Weber 1922/1988: 174), d.ie im OS-amerikanischen Konstruktivismus erst wieder entdeckt werden mussten (vgl. Ruggie 1998). 35 Viele Autoren haben immer wieder gegen d.iese politisch induzierte Verirrung protestiert, unter ihnen schon in den dreißiger Jahren der französische Soziologe Raymond Aren (1965: 130ff.), vgl. a. Schumpeter (1987: 27). 36 Vgl. hierzu d.ie Ausführungen in den »Grundrissen« (Marx 1939/1983: 34-42).
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beschränkt sich bei Weber auf die Einsicht in die Problematik der Wettgebundenheit von Wissenschaft. Überwogen werden diese auf unterschiedliche philosophische Traditionen rückführbaren Differenzen von den durchaus vereinbaren begrifflich-methodologischen Vorstellungen. Weber hat wiederholt Marx' Begrifflichkeiten als den »für uns weitaus wichtigsten Fall idealtypischer Konstruktionen« hervorgehoben (1922/1988: 204), w1d die von Weber entwickelte Methode der »kausalen Adäquanz« steht in frappierender Nähe zu Marx Methode der »Reproduktion des Konkreten im Wege des Denkens« (1939 /1983: 35, vgl. a. Schlichte 1996: 47-55). Die modellhafte Verkürzung der Logik des Sozialen und des Politischen auf Kategorien wie Akteure, Interesse, Zweckrationalität und Nutzenorientierwlg, wie sie für utilitaristische Konzeptionie=gen einer empirischen Theorie des Politischen typisch ist, ist ungeeignet, die soziale und politische Wirklichkeit von Ungleichzeitigkeiten in der Weltgesellschaft begrifflich zu fassen. Sie kann sie deshalb auch nicht erklären. Sie orientiert sich am Grenzfall des rational abwägenden, sich als Individuum begreifenden Akteurs. In dieser Funktion ist sie sinnvoll zu gebrauchen. Die Modellvorstellung ist aber nicht die Wirklichkeit selbst, an deren Interpretation sie rasch ihre Grenze findet (vgl. Greven 1999: 13). Eher scheint das Programm der verstehenden Soziologie, wie es Max Weber in einschlägigen Aufsätzen entworfen hat,3 7 geeignet, eine methodische Grundorientierung anzubieten, mit der Prozesse, Akteure und Konstellationen der Weltgesellschaft analysiert und erklärt werden können. Für die Unterscheidung und Analyse von Praktiken ist dieses Programm unmittelbar anwendbar, weil Webers Unterscheidungen von affektuellem, zweckrationalem und wertrationalem Handeln, von formaler und materialer Rationalität und seine Abgrenzung von sirmhaftem Handeln von bloßem Sichverhalten es erlauben, die empirische Fülle sozialer Praktiken interpretativ zu erschließen.
37 So in den »Soziologischen Grundbegriffen« und in den Aufsätzen >>Objektive Möglichkeit und adäquate Verursachung in der historischen Kausalbetrachtung«, »Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie« und >>Die >Objektivität< sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis«, vgl. Weber (1922/1988). Wie alle informierten Beiträge zur Entwicklung der Sozialtheorie hervorheben, reichen die Traditionen, in denen Webers Methodologie entstand, weit zurück, so wie die neueren Diskussionen um >>Kulturtheorien« und dgl. auf die Traditionen der seit der deutschen Klassik entwickelten Ideen und Theoreme zurückgteifen. Allein in der Theoriedisb:ussion der Internationale Beziehungen sind diese theoriegeschichtlichen Zusammenhänge weniger bekannt. So tauchen viele Elemente der verstehenden Soziologie-gerade auf die Hermeneutik Diltheys u.a.zurückgehende -in den Beiträgen der »Konstruktivisten« in der Theoriedisb:ussion der Inten1ationalen Beziehungen als Innovation wieder auf, vgl. z. B. Adler (1997, 2002).
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Das Vordringen bürgerlich-kapitalistischer Vergesellschaftungsformen lässt sich in der Weberscher Terminologie als das Vordringen formaler Rationalität formulieren. Rein rechenhaftes, also formal zweckrationales Handeln gewinnt gegenüber wertrationalem oder material zweckrationalem Handeln an Gewicht und dominiert die sozialen Praktiken. Am deutlichsten wird dies in den Praktiken im Umgang mit Geld: Nicht Ehre, Pflicht oder eingelebte Gewohnheit dominieren in kapitalistischen Verhältnissen, sondern die >>formale >Rationalität< der Geldrechnung« (Weber 1985: 58). Im Abwägen der Zwecke gegeneinander liegt das C..harakteristikum des zweckrationalen Handelns. Nicht die Orientierung an der Übereinstimmung einer Handlung an Pflicht, Würde oder Pietät wie beim wertrationalen Handeln gibt das Entscheidungskriterium für die Richtigkeit der Mittel ab, sondern nur die rational gegeneinander abgewägten, von der Tradition möglicherweise völlig freistehenden Zwecke. Am Markt etwa wird das Interesse an Erwerbschancen zum Zweck. Deshalb bildet dieser Typus den polaren Gegensatz zur bloß eingelebten Sitte. Rationalisierung des Handeins besteht also wesentlich im >>Ersatz der inneren Einfügung in eingelebte Sitte durch die planmäßige Anpassung an Interessenlagc:n« (Weber 1985: 15). Zweckrationales Handeln ist indes keine allein in bürgerlichen Gesellschaften vorfindliehe Handlungsform. Auch in anderen Figurationen ist zweckrationales Handeh1 beobachtbar. Aber der kapitalistische Tausch kennt keine ihm angemessenere Handlungsform. Zugleich gibt es in bürgerlichen Gesellschaften nicht-zweckrationale Praktiken. Doch erst in der bürgerlichen Gesellschaft taucht das Problem der Freiheit der Zwecke, der Entscheidung zwischen Wertordnungen auf.38 Der Mythos kennt keine Freiheit der Zwecke, die traditionale Gemeinschaft kein frei~s, nur für seine persönlichen Zwecke tätiges Individuum. Die Rekonstruktion von Sinnbezügen ist elementarer Bestandteil einer prozesssoziologischen Verfahrensweise, die sich nicht bloß auf äußerlich Beobachtbares beschränken kann. Für die unvermeidlich zu erfüllende Aufgabe, die Praktiken der Akteure auch zu interpretieren, den ilinen beigelegten Sinn nachzuvollziehen und diese Thesen abwägend für die Erklärungen des Geschehens einzusetzen, ist die verstehende Soziologie ein unverzichtbares Verfahren. l'vlit diesem Programm, das einerseits eine reflektierte Typologie der Sinnbezüge sozialen Handeins und andererseits eine reflektierte Position hinsichtlich der Methodik sozialwissenschaftlicher Begriffsbildung und Erkenntnis
38 Das ist ein altes Thema der Sozialtheocic, vgl. Kants llWillkür« (1797/1986~ 17); Hegels "zweckcc (1807 /1987: 294ff.), Tönnies »Kürwille« (1887 /1991: 73ff.).
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bietet, sind eine Reihe von weiteren sozialtheoretischen und methodologischen Beiträgen kompatibel, von denen in dieser Arbeit Gebtauch gemacht wird. Auf dieser Grundlage ist es möglich, Gesellschaft und Politik als historische Phänomene aufzufassen, deren Konstituierung nicht allein mit dem Rekurs auf die Figur des rationalen Akteurs zu erklären ist. Zugleich kann damit ein verdinglichender Strukturalismus überwunden werden, der der Spontaneität der Akteure ebenso wenig Rechnung trägt, wie dem höchst unterschiedlichen Charakter dessen, was in diesen Positionen »Struktur« genannt wird. Die »Arbeit des Begriffs« steht im Mittelpunkt der med1odischen Orientterungen von Marx und Weber, an die hier angeknüpft wetden soll. Denn nur das, was begrifflich erfasst ist, kann als Gegenstand des Wissens gelten. Der Begriff als sprachlicher Ausdruck setzt die Bedeutung eines Wortes mindestens vorübergehend fest, und nur auf diese Weise ist es möglich, über Dinge, über Klassen von Dingen, über Eigenschaften und schließlich über die Zusammenhänge von Phänomenen Urteile zu bilden. Diese wirklichkeitsstiftende Funktion von Begriffen ist jedoch historisch kontextabhängig, ebenso wie die Regeln der Begriffsbildung und ihrer Verwendung. Weil sich in den Sozialwissenschaften die Sprache von Beschreibung und Erklärung nicht auf die formale Logik reduzieren lässt und auf materiale Ausdrücke angewiesen ist, müssen die Adaption und der Gebrauch der Begriffe kontrolliert geschehen. Den Humanwissenschaften stellen sich dabei besondere Probleme. Sie sind ständig versucht, die Sprache ihres Gegenstandes zu übernehmen. Die Nähe des semantischen Feldes der Politik zwingt zu rigider Kontrolle politikwissenschafdicher Konzepte. Am Problem der wissenschaftlichen Sprache wird zugleich deudich, wie sehr Wissenschaft selbst sozial ist. Sie kann sich von der Gesellschaft nicht wirklich ablösen. Wortschatz, Grammatik und Semantik der wissenschafdichen Sprache sind nicht restlos rationalisierbar. Die formale Logik und ihre Ausprägung in Begriffs- und Urteilslogik ist immer nur ein Hilfsmittel für den Gebrauch der wissenschafdichen Sprache, sie konstituiert sie aber nicht. Die Auseinandersetzw1g mit Begriffen ist in diesem Sinne auch immer Sprachkritik, weil sie logisch inkonsistente Utteile aufdecken hilft (vgl. Gadamer 1970/1993: 79). Doch auf formale Logik lässt sich die Sprache nicht reduzieren. Die sozialwissenschafdiche Begriffsbildung bleibt auf den ganzen semantischen Reichtum der ganzen Sprache angewiesen. Nur aus dem kontrollierten Zusammenspiel der Sprache ihres Gegenstands, der Sprache der Gesellschaft, und der Rigidität der Logik kann die Wissenschaft vom Sozialen eine sinnvolle und wissenschaftliche Redeweise entwickeln. Eine Reduktion jedoch auf die formal möglichen Beziehungen würde die Sprache zur Technik machen, der die Geschmeidigkeit fehlte, ihrem Gegenstand zu folgen. Metaphorische Ausdrücke wie »Charaktermaske« und
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zwar auch einen sinnvollen Gebrauch von nominalen Definitionen und formalen Bestimmungen. Die Fonnalisierung wird zur Tllusion, wenn sie benutzt wird, wenn sie mit der Vorstellung einhergeht, etwas Festes, Bestehendes und Beständiges in die Sprache einzuführen. Die unscharfen Grenzen w1d die langsamen Verschiebungen der Begriffe werden damit nicht zum Verschwinden gebracht, sondern nur verschwiegen, um an anderer Stelle wieder zwn Ausdruck zu kommen. Theorien konstituieren Gegenstände. Ihre Begriffe, die Logiken ihrer Verknüpfung und die methodischen Implikationen, die mit allen Theorien verbunden sind, haben einen direkten Einfluss auf die Auffassungsweisen von Gegenständen und nur scheinbar unvermittelten ))Tatsachen«. Auch Erfahrung und WahrnehmWlg geschehen immer theorieimmanent. Diese 'flleorieauffassung, die die naive Gegenüberstellung von reflektierter Theorie und beschreibungsunabhängiger Wirklichkeit hinter sich lässt, hat weiter reichende methodische Konsequenzen. Denn sie bedeutet faktisch, dass der Streit zwischen Theorien als ein Streit zwischen Sprachspielen aufzufassen ist, der nicht einfach mit »empirischen Tests« entschieden werden kann. 40 So gibt es keine Rebellenbewegung, die nicht zunächst von ihren- meist staatlichen - Gegnern als »Bande«, als kriminelle Organisation, dennnziert worden wäre. In der Logik des jeweils herrschenden Systems und seiner sprachlichen Register gedacht, ist diese Charakterisierung auch zutreffend. Ist die Rebellion jedoch erfolgreich und führt sie zu einem Systemwechsel, so beginnt die Restrukturierung der Semantik unverzüglich. Aus Attentätern werden Märtyrer, aus Regierungssoldaten reaktionäre Hilfskräfte, aus )>Überflillen« werden ))Befreiungsschläge«. Die Sprache der Beschreibung ist selbst ein Politik.um.41 Damit stehen die Internationalen Beziehungen. vor dem gleichen Problem wie alle anderen Wissenschaften, die Abhängigkeit des Gegenstandes von seiner sprachlichen Fassung einräumen: Wie ist Erfahrung möglich? Wenn die Welt nicht nur Text ist, und wenn die Disziplin Internationale Beziehungen nicht nur über Texte etwas sagen will, dann muss sie der aussersprachlichen 40 Erfahrung und Wahrnehmung sind dw:ch Sprache schon immer geformt (Gadamer 1970/1993: 80). Das gilt nicht nur in dem Sinne, dass jede Sachaussage immer von einem Sprecher in einer Sprache an einen anderen gerichtet ist. Die viel grundlegendere hermeneutisehe Einsicht betrifft den fundamentalen Charakter von Sprache überhaupt: Sprache ist die »allumfassende Vorausgeleglheit der Welt« (Gadamer 1970/1993: 79). Keine wissenschaftliche Beschreibung ist so reflektiert, dass sie aus dieser Zeitbedingtheit gleichsam aussteigen könnte. 41 An der Geschichte der politikwissenschaftlichen Behandlwtg und Beschreibung von »Befreiungsbewegungen« lässt sich studieren, wie wenig diese Zusammenhänge in der Forschw~ mitlaufend reflektiert wurden. -
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Realität einen systematischen Ort zuweisen- sie muss die Gegenstände ihrer Erfahrung benennen und darlegen, wie diese Erfahrung sich konstituiert. Nur die Kontrastierung einer Vielzahl von Beschreibungen kann dem Problem der Sprachabhängigkeit der Erfahrung begegnen. Der ganze Reichtum der wissenschaftlichen Sprache kann dabei ins Spiel gebracht werden. Die Fachvokabulare der Ökonomie, der Geschichtswissenschaft und der Soziologien sind für solche Beschreibungen ebenso geeignet wie die abstrakte Sprache der Systemtheorie. Selbst naive Fassungen, die nicht auf etabliertes wissenschaftliches Vokabular rekurrieren, können geeignet sein, das Aussetsprachliche zu seinem Recht kommen zu lassen. Auf der Grundlage solcher unterschiedlichen Fassungen kann die Kritik der Begriffe und ihrer Verknüpfungen beginnen. Entstehung, semantische Grenzen und Bedeutungsverschiebungen eines Begriffs, seine temporale Struktur und die Weisen seines Gebrauchs geben über seine Brauchbarkeit ebenso Auskunft wie seine Reichweite und Verbindungsfähigkeit mit anderen Termini einer theoretischen Sprache. Gegenüber diesen beiden grundlegenden Kontrollverfahren zur Bestimmung dessen, was ehedem »Empirie« hieß, treten Experiment und Prognose als Testverfahren zurück, zum einen weil sich zwischen konkurrierenden Versionen nicht mehr einfach entscheiden lässt, und zum zweiten, weil selbst durch die eingestandene »Widerlegung« im »empirischen Test« nicht entschieden werden kann, welche Teile einer theoretischen Konstn1ktion zu opfern wären. Eine weitere forschungspraktische Konklusion aus dieser Fassung des Problems der Erfahrung ist die Notwendigkeit der Kombination einer großen Bandbreite, von Herangehensweisen. Jede Herangehensweisen hat ihre spezifischen Verdienste, aber eben auch blinde Flecken. Der Nutzen, der sich aus reflektiertem Gebrauch und der Kombination unterschiedlicher Herangehensweisen ergeben kann, ist in den meisten Forschungsgebieten der Internationalen Beziehungen nicht voll ausgeschöpft. Bisher stehen Fallstudien, vergleichende Analysen und quantitative Makroforschung sich noch relativ unvermittelt gegenüber. 42 Die quantitative Makroforschung ist unverzichtbar, um die übergreifenden Trends zu erkennen und die Reichweite von Thesen über allgemeine Zusammenhänge zu überprüfen. Die Ergebnisse dieser Forschungsrichtung werden aber nicht mehr bet-eitstellen können als grobe Orientierungen. Die statistische Analyse, die sich an einzelnen Theoremen abarbeitet, ist ungeeignet, um kon-
42 An der »Kriegsforschung« der Internationalen Beziehungen lassen sich diese Probleme exemplifizieren (vgl. Schlichte 2002).
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krete Zusammenhänge aufzuklären und kausale Verbindungen herzustellen. Quantifizierende Methoden finden aber ihre Grenzen nicht nur in Umfang,, Validität und Zuverlässigkeit des Daterunaterials, sondern auch an der Schranke der Gesellschaftlichkeit des Gegenstandes, der nicht restlos formali-. sierbar ist. Für die Erkenntnis einzelner Zusammenhänge, der konkreten K.onstellati-~ onen, werden Fallstudien zu den wie auch immer theoretisch konstituierten Gegenständen der Internationalen Beziehungen unverzichtbar bleiben. Solche Einsichten sind nicht nur für die politikberatende Seite der Forschung von hoher Relevanz, indem sie es erlauben, die Wirkung politischer Maßnahmen in konkreten Kontexten abzuschätzen. Nur aus Fallanalysen lassen sich außerdem Hypotl1esen generieren, deren Allgemeinheit und Geltungsweite dann durch andere Verfahren und den Abgleich mit Ergebnissen aus anderen Einzeluntersuchungen genauer bestimmt werden kann. Eine zentrale, vermitteh1de Position kommt fallvergleichenden Analysen zu. Der theoretisch informierte, systematische Vergleich erlaubt es übergreifende Regelmäßigkeiten, »social mechanisms<(l 3, einerseits von einzelnen Besonderheiten zu isolieren, und andererseits solche Allgemeinheiten herauszuarbeiten, deren Geltung mit quantitativen Methoden genauer überprüft werden kann. Eine solche am Gegenstand orientierte Forschung würde zudem fachwissenschaftliche Departementalisierungen und methodischen Vereinseitigungen hinter sich lassen können. Einer solchen Konzeption von Erfahrung in der Forschung kommt zugute, dass in den Sozialwissenschaften zwar alles Material sein kann, aber nicht alles Material den gleichen Methoden zuführbar ist. Nur eine allgemeine methodische Anforderung muss an alle sozialwissenschaftliche Forschung herangetragen werden: Sie muss immer Erklärung - im alten deduktiv-nomologischen Wortsinn - und Verstehen umfassen. Nur aus dem Zusammenspiel von kausaler Zurechnung nach Regeln und Regelmäßigkeiten und deutendem Verstehen ist eine angemessene Auffassung eines Gegenstandes möglich. Aus der Perspektive einer Theorie der globalen Vergesellschaftung sind viele Fragen möglich. Aber diese Fragen lassen sich nach Bezugsebenen und Bereichen ordnen. Auf einer allgemeinen Ebene richten sich Fragen nach der Genese und Geltung von Zusammenhängen. Sie zielen auf die Rekonsttuktion von Verläufen und Formen der Verbindungen zwischen einzelnen Prozessen, auf die Struktur von Konstellationen und Situationen, auf die Genese von Widersprüchen usf. Auf einer niedrigeren Ebene lassen sich Fragen nach »kleinen Prozessen«, nach einzelnen Ereignissen und Beziehungen formulie43 Vgl. zu diesem BegriffElster (1997) und die Beiträge in Redström /Swedberg (1998).
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ren. Diese Fragen wie die Versuche, sie zu beantworten, machen weitere theoretische Anstrengungen nötig. Das gilt auch für die Fragestellungen dieser Arbeit, die auf die Dynamik staatlicher Herrschaft in der Weltgesellschaft gerichtet ist. Zu den Fragen nach Macht und Herrschaft in der Weltgesellschaft sind auch begriffliche Ausarbeitungen nötig, die Teil einer Theorie globaler Vergesellschaftung sind.
1.3 Macht und Herrschaft in der Weltgesellschaft Für eine politische Soziologie der Weltgesellschaft ist die Frage nach Macht und Herrschaft in der Weltgesellschaft zentral. Neben der Entstehung des kapitalistischen Weltmarktes ist der Prozess der Verstaatlichung der Welt sicher das greifbarste und evidenteste Ergebnis globaler Vergesellschaftung. Bisher ist dieser Prozess jedoch nicht auf methodisch einheitliche und theoretisch konsistente Weise erforscht. Die Kenntnis von ihm zerfällt in eine unendliche Vielzahl von einzelnen Geschichten und Aspekten, die auf vielfältigen theoretischen Grundlagen bearbeitet wurden. Für die Entwicklung und Ausbreitung staatlicher Herrschaft ist die Transformation von Macht in Herrschaft, also der Prozess der Institutionalisierung, von zentraler Bedeutung. Die Analyse der Dynamik einzelner Staaten ist mit dem traditionellen Verständnis der Staatstheorie, das sich vor allem auf innere Prozesse der Machtbildung konzentriert, nicht in angemessener Weise möglich. Gerade bei Prozessen der Staatsbildung, mit denen die Differenz InnenAußen von politischen Räumen erst konstituiert wird, ist das Denken in Konstellationen sinnvoller, die die gängigen Unterscheidungen übergreifen, und in denen diese Prozesse als Momente des übergreifenden Zusammenhangs globaler Vergesellschaftung begriffen werden. 1 Auch die Behandlung des Staates kann deshalb nicht mehr ohne Einbet\ tung in den internationalen gesellschaftlichen Kontext geschehen. Längst greifen soziale Dynamiken weit über die einzelnen Staaten hinaus. Ohne Bezüge auf globale soziale Dynamiken, die ihrerseits von staatlicher Politik mitgeformt werden, kann nicht mehr angemessen über den Staat gesprochen werden. Die Ausbreitung der staatlichen Form als globales Modell ist darüber hinaus selbst Teil dieser Entwicklung. Die sozialen Zusammenhänge, in die die politischen Prozesse eingebettet sind, haben sich genau in der Periode als Weltgesellschaft konstituiert, als sich in Buropa die für das heutige Staatsverständnis maßgebliche Form politischer Herrschaft heranbildete, so dass über die Weltregionen
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hinweg phasenverschoben der Export der europäischen Form in historisch unterschiedlichen Stadien in unterschiedliche Gegenden stattfand. Staatliche Herrschaft und die Weltgesellschaft haben sich seither weiter ausdifferenziert. Dies gilt auch für die Zeit nach dem Ende des Ost-WestKonflikts, in der das Verhältnis von Staat und internationalem System unter dem Terminus »Globalisierung« diskutiert wird. Die Epochen übergreifende Stabilität der »Westfälischen Ordnung« neigt sich, so scheint es, ihrem Ende zu. Die sich verändernden Verhältnisse innerhalb und zwischen den Staaten werden neue, differenzierte Begriffe zu ihrer Beschreibung hervorbdngen müssen. Berücksichtigt man die oben betonte Historizität des Gegenstandes, und baut sie in ein wissenschaftliches Programm der Internationalen Beziehungen ein, das sich auf die Kategorien Macht und Herrschaft konzentriert, dann tückt das gegenseitige Konstitutionsverhältnis von Staat w1d internationalem System als ein Zentralthema der Disziplin ins Zentrum der Rekonstruktion der Genese von Herrschaftsverhältnissen. Dabei kann an zahllose Vorarbeiten angeknüpft werden. Die histot1sche Soziologie etwa hat sich mit der ganzen Breite der Prozesse beschäftigt, die gemeinhin als >>Staatsbildung« in Europa bezeichnetwerden. Ein Zweites rückt sogleich in den Blick, nähert man sich aus der Perspektive der Theorie globaler Vergesellschaftung der Dynamik staatlicher Herrschaft, nämlich die Internationalisierung dieser Herrschaftszusammenhänge. Auch die Staaten außerhalb Europas werden in mindestens ebenso starker Weise von sozialen Prozessen dynamisiert wie die des Westens. Denn der globale Transformationsprozess setzt auch dort vielfaltige politische Reaktionen auf den Wandel von Lebenswelten frei. Die damit verbundene Politisietung von vordem sinnhaft anders eingebundenen Fragen bleibt nicht ohne Konsequenzen für den Staat. Immer zeigen sich so globale Prozesse und die neuen Ideale und veränderten Opportunitäten, die sie mit sich bringen, als Veränderungen der lokale11 Kontexte. Aus dem globalen Kom.mwlikationsraum, der durch Medien und Migration an Dichte und Weite gewonnen hat, diffundieren Lebensideale und Erwartungen in die untet'Schiedlichsten Kontexte und vermischen sich dort mit lokalen Traditionen und Haltungen. Damit wächst der Dtuck, der auf den staatlichen Akteuren lastet, die aus veränderten Haltungen resultierenden gesellschaftlichen Erwartungen zu bedienen, um Gefolgschaft und Legitimität herzustellen. So wie für Regierungen ihre internationale Legitimität ähnlich wichtig wird wie die politische Akzeptanz im lnnem, so steigt auch die Bedeutung der international erhältlichen Machtmittel: Der Zugang zu Krediten, die Anteile an Weltmärkten, wenigstens aber die Gelegenheiten, an den über
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internationale Organisationen und staatliche Programme verteilten Mittelflüsse zu partizipieren-alldies wird zur Chance der Absicherung bestehender Herrschaftsordnungen und damit auch für die Stabilität von staatlicher Ordnung relevant. Die internationale Umgebung des Staates ist damit gewissermaßen längst in seine Gesellschaft eingebaut. Denn grenzüberschreitende soziale Zusammenhänge unterlaufen und überspannen den Staat seit langem. Deshalb äußern sich Veränderungen im internationalen System nicht bloß abstrakt als »externe Faktoren«. Sie sind immer schon lokal wirkmächtige Verschiebungen in den Bewertungen und Organisationen des Politischen. Dies gilt für die Staaten des Westens ebenso wie für die außerhalb der OECD. Der soziale Kontext jeder einzelnen staatlichen Form ist immer ein und derselbe: die Weltgesellschaft Eine Trennung von Innen und Außen ist ebenso wenig möglich, wie die binäre Unterscheidung von »lokal« und »global« noch analytischen Nutzen verspricht. Der Prozess der Konstituierung von Macht und Herrschaft ist intenutionalisiert. Dieser Befund lässt sich nicht nur an den Verschränkungen von Kompetenzen ablesen, die nationale staatliche, internationale und national-soziale Agenturen in den verschiedenen Feldern des Regierens eingehen. Die Internationalisierung von Herrschaft zeigt sich auch in der globalen Konvergenz der Debatten um die Aufgaben des Staates, deren Argumentationen sich in den unterschiedlichsten Kontexten wieder finden lassen. In den Debatten um die Reichweite internationaler Vereinbarungen und in der wachsenden Kompetenz internationaler Organisationen drücken sich diese Veränderungen staatlicher Politik bereits aus, sie betreffen aber auch die überlieferte Form des Staates. Selbst sein Kerrunerkmal, die Institution des Gewaltmonopols, ist davon nicht ausgenommen. Sie war auch immer auf die Anwendung von Gewalt in den Außenbeziehungen des Staates bezogen. Das Ende der Westfälischen Ordnung ist in dieser Hinsicht am deutlichsten zu erkennen, denn nicht auf die Wiederaneignung des Rechts auf Gewaltgebrauch durch den Einzelstaat weist die historische Tendenz, sandem auf eine Einbettung der Entscheidung in kollektive Institutionen koordinierter Politik zwischen Staaten. Die wachsenden internationalen gesellschaftlichen Interdependenzen erzwingen in zunehmenden Maß die Verregelung der staatlichen wie nicht-staatlichen internationalen Politik. Umgekehrt lässt sich, wie im dritten Kapitel zu zeigen sein wird, eine Unvollkommenheit des Gewaltmonopols beobachten, die zu anderen Dynamikengeführt hat. Nicht die Konsolidierung des staatlichen Monopols, sandem seine Auflösung in kommerzialisierte und kommunalisierte Formen der Sicherheit lassen sich in den meisten Weltgegenden beobachten.
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Auch wenn die Fonn staatlicher Herrschaft für die Herausbildung der Weltgesellschaft sicher eine zentrale Achse der Betrachtung abgibt, so kann sich die Analyse von Macht- und Herrschaftsbildungsprozessen also nicht mehr auf die Fonn des Staates beschränken. Die Dynamik von Macht w1d J Herrschaft kann nicht auf den Staat reduziert werden. Zwar ist der Staat in f seiner- gelegentlich bloß behaupteten- Funktion als Schaltstelle wld Filter t zwischen einem konkreten sozialen Kontext und seiner weiteren weltgesell- { schaftliehen Umgebung fast immer der geeignete analytische Ausgangspunkt. ': Eine politische Soziologie muss jedoch seine Einbettungen und Bedingtbeiren mit untersuchen. Denn die Suprematie des Staates ist, wie in den folgenden Kapiteln zu zeigen sein wird, keineswegs unbesttitten. Nicht allein die Konkurrenz zwischen Staaten, sondern auch die Herausforderungen durch andere Machtträger und Herrschaftsgebilde sorgen für die Dynamik des Staates, die das Thema dieses Buches ist.
2. Zur Theorie staatlicher Herrschaft
Nicht nur die Disziplin der Internationalen Beziehungen, sondern auch viele andere Teile der Sozialwissenschaften haben sich bislang die Welt als eine Welt der Staaten vorgestellt. Zwischen Staaten ist die Welt, so die gängige Vorstellung, flächendeckend aufgeteilt, und Staaten regieren diese politischen Innenräume. Sie sind durch Grenzen getrennt, sie haben Regierungen, die sich besuchen und Verträge über Verfahren und Verteilungen zu den Fragen machen, die über ihre Grenzen hinaus von Bedeutung sind. Der politische Raum der Weltgesellschaft wird, so die gängige Auffassung, von Staaten ausgefüllt. . Zugleich zeigt sich in vielen Bereichen, die dem gängigen Verständnis nach :als Zuständigkeiten staatlicher Herrschaft aufzufassen sind, dass staatliche Institutionen nicht die einzigen politischen Instanzen sind, und dass sie diese ;Felder vielfach auch nicht dominieren. Staatliche Herrschaft wird nicht nur ' :durch andere Instanzen eingegrenzt, sondern sie ist in vielen räumlichen und funktionalen Zonen anderen Formen untergeordnet. Diese Einschränkungen und Abhängigkeiten staatlicher Herrschaftsinstanzen sind in den vergangeneo Jahren unter der summarischen Bezeichnung »Globalisierung« umfassend thematisiert worden. Dass staatliche Institutionen die Strukturen und Flüsse der Weltmärkte zwar mit beeinflussen, sie aber nicht dominieren, sondern dass umgekehrt weltwirtschaftliche Vorgänge staatlicher Politik neue Grenzen setzen, ist in dieser Diskussion fast schon ein Gemeinplatz geworden. Aus anderen Diskussionen kann man noch mehr über Einschränkungen • des Staates erfahren. In der staatstheoretischen Debatte ist bekannt, dass die Legitimität staatlicher Herrschaft eingebettet ist in symbolische Ordnungen, · die teils ergänzende, teils überlagernde und teils gegensätzliche Geltungen zu den Ansprüchen staatlicher Instanzen begründen. Tatsächlich lassen sich politische Prozesse nicht allein im Rekurs auf die Sprache und Praxis der staatlichen Institutionen beschreiben. Traditionale wie moderne Politik erschöpft sich nicht in den Institutionen und Handlungsfeldern, in denen der Staat das prägende Prinzip ist. Die Dynamik von Macht und Herrschaft in der Weltgesellschaft übergreift und unterläuft den Staat, und zuweilen konsolidiert sie ihn auch.
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Veränderungen von Staatlichkeit lassen sich nun auch in jenen Bereichen erkennen, die den gängigen Politikverständnissen zufolge eher Kernbereiche staatlicher Herrschaft sind. An Veränderungen in Gewaltordnungen lässt sich sehen, dass neben das staatliche Gewaltmonopol - dem klassischen Verständnis von Staatlichkeit zufolge Kernmerkmal staatlicher Herrschaft - andere Organisationsprinzipien treten. Entwicklungen wie in Somalia, Liberia oder auch in Afghanistan gelten als Extremfalle solcher Veränderungen. Sie werden mit Begriffen wie »Staatszerfall« und »Anarchie« gekennzeichnet. Auch ohne tiefer gehende Analyse wird in diesen Fällen deutlich, dass der Staat hier nicht das oberste politische Organisationsprinzip ist. Die Fragwürdigkeit oder die Grenzen einer Beschreibung in Begrifflichkeiten des Staates zeigen sich aber auch in jenen Regionen, die als tbJrchstaatlichte Gesellschaften aufgefasst werden können. Für die Europäische Union etwa lässt sich ein Prozess der Aufhebung des staatlichen Monopols der äußeren Gewalt konstatieren. Es ist heute nicht mehr vorstellbar, dass ein einzelner Staat dieses politischen Verbundes gegen den Widerstand der anderen seine Streitkräfte einsetzt. So mächtig die staatlichen Gewaltapparate in den Staaten der OECD sind, so bedeutsam die Staatsorgane Militär und Polizei auch in anderen Weltgegenden für das politische Geschehen sein mögen, die Analyse des Gewaltgeschehens zeigt, dass sich dessen Dynamik nicht allein mit Rekurs auf die analytische Untersuchungseinheit »Staat« beschreiben lässt. All diese Befunde müssen nicht dazu führen, den Begriff des Staates zu opfern und seine Realität und die Bedeutung staatlicher Herrschaft in der Weltgesellschaft zu ignorieren. Trotz der summarisch als »Globalisierung« titulierten Phänomene und trotz aller den Staat umgebenden Dynamiken ist Staatlichkeit nach wie vor das wichtigste politische Organisationsprinzip der Weltgesellschaft. Der Staat ist aber nicht das ein~ge dieser Prinzipien, nicht die einzige Form des Politischen. So bleibt der Begriff des Staates zwar eine zentrale analytische und theoretische Kategorie. Doch was ist mit dem Begriff gemeint? Um die Antwort auf diese Frage geht es in diesem Kapitel. Die Untersuchung der Semantik des Staatsbegriffs und die Entwicklung einer Deftnition, die die Dynamiken des Staates in den Blick nehmen kann, setzt allerdings einige generelle Bemerkungen darüber voraus, wie sich Begriff und Wirklichkeit des Staates zum Programm einer politischen Soziologie der Weltgesellschaft verhalten. Dabei geht es zunächst um die Frage, welches Verständnis der Begriffe Macht und Herrschaft für eine Analyse und für theoretische Bemühungen um eine politische Soziologie der Weltgesellschaft nutzbar gemacht werden kann (2.1 ). Hierfür wird vor allem auf Elemente der Soziologien Max Webers, Pierre Bourdieus und Michel Foucaults zurückgegriffen. Auch wenn diese Autoren in ihren Werken die Behandlung von Macht und Herrschaft wesentlich am Ge-
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genstand der Entstehung des europäischen neuzeitlichen Staates behandelt haben, so sind ihre soziologischen Analysen wegen ihrer allgemeinen Begrifflichkeit dennoch nützlich, um die Dynamiken von Macht und Herrschaft allgemein und über die Fragen der Dynamik staatlicher Herrschaft hinausgehend zu fassen. Nun sind solche soziologischen Analysen des Staates wie sie von Weber bis Foucault entwickelt wurden, nicht die Basis der allgemein verbreiteten Staatsbegriffe.44 Die Theorie des Staates muss deshalb der Tatsache Rechnung tragen, dass andere Staatsbegriffe- juristische, ökonomische, alltagsweltlicheals Ideale von moderner Staatlichkeit politisch unmittelbar wirklich und wirk, sam sind. Deshalb wird in diesem Kapitel auch dieses »Ideal« des Staates, seine Geschichte und seine wesentlichen Merkmale zusammenfassend dargestellt (2.2). Dies ist aus zweierlei Gründen notwendig. Zum einen gilt es, das hier verwendete Staatsverständnis klar genug abzugrenzen, um den Gewinn der Historisierung des Begriffs zu verdeutlichen. Zum anderen sind jene Merkmale und Konnotationen des Begriffs genauer herauszustellen, die sein Entstehungszusammenhang-dieGeschichte staatlicher Herrschaft in Europa- ihm eingeprägt haben. Der Wandel und die Besonderheit dieser Merkmal~ des Begriffs sind deshalb herauszustellen, weil sie für die anschließende Skizze der theoretischen Auseinandersetzungen um den Staat der Dritten Welt einen unverzichtbaren, aber in den relevanten Diskussionen nicht immer expliziten Hintergrund bilden. Vier Vorstellungen vom Staat stehen im Kern dieses Ideals: der Staat als Gewaltmonopolist, als überlegene Instanz, der Staat als räumliche Einheit und als bürokratischer Apparat. Dieses aus der europäischen Erfahrung geronnene Ideal von staatlicher Herrschaft hat sich global als Norm verallgemeinert und ist als solche politisch wirksam. Im realen politischen Geschehen steht das Ideal des Staates in einer steten Spannung zu dem, was staatliche und nicht-staatliche Akteure tatsächlich tun. Diese Widersprüchlichkeit soll in einer Auffassungsweise des Staates erfasst werden, die in Abschnitt 2.3 als Dynamik von Praktiken und Idealen dargelegt wird. Diese Auffassung mündet in eine Definition, die den Staat als ein Macht' feld begreift, auf dem um die Geltung des Ideals von Staatlichkeit gestritten 1 1wird. Die Grundthese, die in dieser Definition enthalten ist, besagt, dass der . empirisch vorfindliehe Staat immer das Ergebnis dieser Auseinandersetzungen zwischen dem glo.bal ver~rei~eten Ide~l von .Staatlichkeit und den Praktiken \ der Akteure, staatlichen wte mcht-staatlichen, 1St.
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44 Zu den Disk"Ussionen um den Staat vgl. die Übersichten von Krasner (1984), Almond (1988), B:~die/Bimbawn (1994) und Reinhard (1999).
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Heute wird die Beschäftigung mit staatlicher Herrschaft nicht mehr von der Unterstellung genährt, die politischen Formen in allen Erdteilen würden sich, wenn auch mit Verzögerungen so doch unausweichlich, der im Weste11 entwickelten politischen Form des Staates annähern. Diese Skepsis gegenüber naiven Modernisierungs- und Entwicklungserwartungen ist einer differenzierteren Einschätzung von Entwicklungspfaden und der Akzeptanz unterschiedlicher Wege und Schicksale in das moderne Weltsystem gewichen. Die Historizität der Staaten lässt sich nicht auf ein Grundmodell reduzieren. An der Formation staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt soll dies näher erläutert werden (2.4). Dabei kann indes nicht die ganze Komplexität und Differenziertheit der Entwicklungen abgebildet werden, sondern die Darstellw1g muss sich auf eine knappe Skizze von Grundzügen beschränken. In diesem Sinne leitet sie bereits über auf die Darstellungen der Kapitel 3 bis 5, die sich einzelnen Feldern der Dynamik staatlicher Herrschaft widmen.
2.1 Begriffe der Macht und Begriffe der Herrschaft Macht wird bei Max Weber verstanden als >>die Chance, den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen«. Sie ist deshalb »soziologisch amorph«. Der kaum überwindbare Nachteil einer politischen Soziologie oder jeder Sozialtheorie, die den Machtbegriff ohne Gegenbegriff zentral setzt, ist die Ubiquität der Macht. Jeder Unterschied kann Macht begründend wirken. Macht kann viele Formen annehmen. Immer beruht sie auf Ungleichheit. Ungleichheit in Chancen, in Ausstattung, in Zeitverftigung, in Beweglichkeit, in Eigenschaften und Bindungen. Macht wohnt in Sprache und Ausdruck, in Wissen und Fähigkeiten. Nicht immer ist sie präsent w1d transparent. Sie kann ebenso gut nur potentiell sein und durch Antizipation wirken. Entsprechend weit reichen die Versuche in der Theorie des Sozialen und Politische11, den Begriff der Macht stärker zu differenzieren. Die Rede ist von Verfügungsmacht, Definitionsmacht, Organisationsmacht und Aktionsmacht. 4S Weil Macht ubiquitär ist, weil sie sich aus vielen Quellen speisen kann, weil sie viele Formen kennt, und weil man sie oft schlechter erkennen kann, ist es' sinnvoller, eine politische Soziologie der Weltgesellschaft vom Begriff detJ Herrschaft her zu konstruieren und von der Analyse von Herrschaft auszuge~
45 Solche Unterscheidungen fmden sich etwa bei Popitz (1986), bei Trotha (1994) oder bei Sofsky und Paris (1994). Marut (1986 ff.) hat eine andere Differenzierung VOl1 Machtbegriffen vorgelegt, die sich auf »Quellen der Macht« bezieht.
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hen. Es ist analytisch sinnvoller, in einem ersten Schritt nach sichtbaren Formen, nach institutionalisierter Macht, also nach Herrschaft zu suchen, um über Veränderungen vo11 Herrschaft etwas über Veränderungen und Orte der Macht zu erfahren. Damit rückt der Staat, so eingeschränkt seine Herrschaft auch immer sein mag, zunächst wieder in den Mittelpunkt. Denn im Gefüge von Herrschaft in der Weltgesellschaft nehmen die meisten Staaten eine 'Schaltposition ein. Doch über und unter dem Staat laufen andere Machtbah:nen, sie konstituieren und macliftzieren andere Herrschaftsbeziehungen. In diesem Buch soll das Begriffspaar Macht und Herrschaft dazu dienen, die Prozesse der Institutionalisierung des Politischen, in den Blick zu nehmen. Für eine politische Soziologie der Weltgesellschaft, die sich für Institutionali-sierungsprozesse interessiert, die also die Übergänge von Macht in Herrschaft untersuchen will, sind Webers begriffliche Bestimmungen ein geeigneter Ausgangspunkt, weil in ihnen die Reflektion der europäischen Erfahrung der Her!anbildung staatlicher Herrschaft gleichsam kondensiert ist. \, Nun liefert Webers Herrschaftssoziologie zwar wichtige Elemente, weil sich in der Geschichte der europäischen Staatsbildung sicher einzelne Zusam·menhänge und Phänomene flnden, deren Bearbeitung durch Weber Begriffe hervorgebracht hat, die auch in anderen historischen Zeiten und Räumen fruchtbar angewandt werden können. Für eine Analyse gegenwärtiger Prozesse scheinen diese Erträge indes nicht ausreichend zu sein. Eine Anreicherung der Perspektive und eine Erweiterung der begrifflichen Sprache zur Analyse dieser Prozesse bieten die Soziologien Michel Foucaults und Pierre Bourdieus. Für Max Webers politische Soziologie sind die Begriffe Macht und Herrschaft bekanntlich von fundamentaler Bedeutung. Macht ist von Herrschaft ..durch das Fehlen von lnstitutionalisierung unterschieden, Herrschaft ist institutionalisierte Macht. It1 Webers Herrschaftsdeftnition kommt das durch das Wort »Befehl« zum Ausdruck. Herrschaft, so definiert Weber, »ist die Chance, auf einen Befehl bei einem angehbaren Personenkreis Gehorsam zu fmden«. Die Ausdrücke »Befehl«, »Gehorsam« und >>angebbarer Personenkreis« machen unmissverständlich deutlich, dass Weber hier über Institutionen spricht. Denn ein »Befehl« ist eine sprachliche Außerung, die sich von anderen Außerungsarten durch ein bereits etabliertes hierarchisches Gefalle zwischen den Kommunizierenden unterscheidet. »Gehorsam« bezieht sich auf diese bereits etablierte Regelhaftigkeit der Beziehung, und der »anggebbare Personenkreis« ist eben jener, den die Institution umfasst. Die begriffliche Differenz von Macht und Herrschaft ist auch für Webers Staatsverständnis zentral, denn alle von Weber behandelten Staaten setzen die Institutionalisierung von Macht als Herrschaft voraus. Doch bisher ist es weniger die theoretische Reflektion über die Genese von Staatlichkeit oder den
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theoretischen Ort des Staatsbegriffs in Webers Werk, die etwa in den lntemationalen Beziehungen den Bezugspunkt zu Webers Werk bilden, als vielmehr die schon fast rituelle Erwähnung der Webersehen Definition, die das tenitorial abgegrenzte, legitime Gewaltmonopol als typisches Mittel zum konstituierenden Merkmal von Staatlichkeit macht. Weitaus weniger zahlreich und in der Regel weniger ausführlich sind die Versuche, den theoretischen Gehalt des Webersehen Werkes bezogen auf seine Auffassung vom Staat genauer zu analysieren. Die Interpretation der Webersehen Soziologie und damit auch der Staatssoziologie folgt verschiedenen Pfaden. Die weitaus überwiegende Zahl der Interpreten stellt das Thema der »Rationalisierun~< als das Zentralthema des Webersehen Werkes in den Mittelpunkt.46 Der Fluchtpunkt der historischvergleichenden wie analytischen Betrachtungen in Webers politischer Soziologie ist jedoch der moderne ralionak Anstaltsstaat und dessen Charakteristika Bürokratie, Fachbeamtenturn und rationales Recht. In politischer Hinsicht ist der moderne Anstaltsstaat damit der vorläufige Endpunkt des vom Okzident ausgehenden kapitalistischen Modernisierungsprozesses. Diese »Rationalisierung des Staates<< (Breuer 1994: 33ff.) unterscheidet sich in ihrem Wesen nicht von Rationalisierungsprozessen, die sich in anderen gesellschaftlichen Bereichen beobachten lassen: das Vordringen zweckrationaler Handlungsformen, die Routinisierung von Handlungsabläufen, das Zurückdrängen personal differenzierter Geltungen und die zunehmende interne Ausdifferenzierung von korliftzierten Regelwerken und Handlungsrollen. Max Webers Analyse der Genese des modernen Staates ist folglich Teil seiner umfassenderen Theoretisierung der Modeme als säkularem Rationalisierungsprozess. In der ))Herrschaftssoziologie« verdeutlicht Weber die Ausprägungen dieser Prozesse im Bereich der politischen Herrschaft, indem er historisch-vergleichend vorgeht, um die Entwicklung des modemen rationalen Anstaltsstaates zu rekonstruieren. Die Aspekte seiner Vergleiche sind neben den geltenden Vorstellungen vom Charakter der Herrschaft auf Seiten der Herrschenden wie der Beherrschten der Aufbau und die Verfahrensregeln des Verwaltungsstabes, die Rekrutierungsmechanismen desselben, das Verhältnis der Herrschaft zum Recht und zur »Wtrtschaft« (vgl. Käsler 1979: 164ff.). Mit diesen Kategorien und Fragestellungen lassen sich, so Weber, die Charakteristika des modernen Staates in Abgrenzung von älteren, staatlichen wie nicht-
46 Eine prominente Stellung in dieser Interpretationsrichtung nimmt zweifellos Jürgen Haber· mas (1987,1: 225-366) ein. Ähnliche Einschätzungen finden sich aber u.a. schon bei Aron (1965) und Bendix (1968).
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staatlichen Herrschaftsformen erkennen. Entpersonalisierung und Rationallsierung sind die beiden Hauptmerkmale des Formwandels politischer Herrschaft zum modernen rationalen Staat. Diese Entwicklung fand in der europäischen Geschichte in zwei großen Etappen statt. Sie begann auf der Grundlage der feudalen Ordnung, die sich als Vielfalt von Personenverbänden charakterisieren lässt. Der erste Schritt ,dieser Entwicklung war die Monopolisierung des Gewaltgebrauchs und die Idamit einhergehende politische Enteignung anderer Autoritäten.47 Nicht mehr der ei11zelne Feudalherr ist in der VerfUgung über Gewaltmittel zur Erzwingung der Erfüllung seiner partikularen Interessen, sondern der Gewaltgebrauch wird von der Zustimmung einer zentralen Instanz abhängig, die zw1ächst, inl europäischen Kontext, die eines mehr oder weniger absoluten Herrschers ist. . In einem zweiten Entwicklungsschritt wird diese zentralisierte Gewalt I :»subjektlos« (Gerstenberger 1990). Das Monopol des legitimen Gewaltgebrauchs wird entpersonalisiert, indem es nun der alleinigen Verfügung eines absolutistischen Herrschers entrissen und einem verfassungsmäßigen Regelwerk unterworfen wird. Diese Entpersonalisierung politischer Herrschaft wird in Webers Darstellung auf verschiedenen Ebenen sichtbar. Sie bedeutet zunächst das Zurückdrängen von personal bestinlmten Herrschaftsansprüchen und ihren institutionellen Ausformungen als ständische Privilegien oder patrimoniale Sonderrechte. Der moderne Staat ist »ein anstaltsmäßiger Herrschaftsverband, der innerhalb eines Gebietes die legitinle physische Gewalt als Mittel der Herrschaft zu monopolisieren mit Erfolg getrachtet hat und zu diesem Zweck die sachlichen Betriebsmittel in der Hand seiner Leiter vereinigt, sie sämtlichen eigenberechtigten ständischen Funktionären aber, die früher zu Eigenrecht darüber verfügten, enteignet und sich selbst ·in seiner ~9chsten Spitze an deren Stelle gesetzt hat« (Weber 1920/1985: 824) . .~'>·· Die Entpersonalisierung der Geltungsgründe politischer Herrschaft geht ~udem einher mit der Entstehung und allgemeinen Verbreitung des modernen ·Beamtmt11ms (vgl. Weber 1920/1985: 551ff.). Aufbau und Verfahrensregeln des Verwaltungsstabes unterscheiden sich im rationalen Staat radikal von früheren Formen. Die Herausbildung des Betriebscharakters der Behörden bedeutet vor allem eine Zunahme von formal rationalen Zusanunenhängen. Für sie ist kennzeichnend, dass es sich um Vorgänge handelt, bei denen »Handlungen
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47 Hier zeigt sich die Parallele der Entwid
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oder Ordnungen kognitiv durchstrukturiert, logifiziert und systematisiert werden, so dass jeder Schritt sicher und berechenbar ist« (Breuer 1994: 41). Das Beamtenturn des modernen rationalen Staates zeichnet sich folglich aus durch feste Kompetenzhierarchien, die Verteilung der Pflichten und Befehlsgewalten zwischen Beamten, aber auch Ämtern und Behörden, dut'Ch Fachschulung und Aktenmäßigkeit der Vorgänge. In dieser modernen Bürokratie ist der Beamte ernannt, aber nicht von seinem unmittelbaren Vorgesetzten abhängig, die Lebenslänglichkeit der Stellung ist ebenso wahrscheinlich wie die Versorgung durch ein hinreichendes Gehalt in Geld und die Statuschancen der »Laufbahn«. Personalverwaltung und Rekrutierung des bümkratischen Verwaltungsstabes erfolgen im modernen rationalen Staat nach Leistungs- und Qualiflkationskriterien, ohne Rücksicht auf soziale Abkunft und sozialen Status. Die Zunahme der Bedeutung formaler Rationalität prägt sich aber auch als Rationalisierung des Rechts aus, ein Prozess, der von weltlicher wie von geistliehet Seite betrieben wurde, der aber zugleich mit der Herausbildung kapitalistischer Wirtschaftsformen eng verknüpft ist. Denn der moderne Kapitalismus erforderte nach Weber auch eine Rationalisierung des sozial verbindlichen Regelkanons. Der. Kapitalismus braucht, so Weber, ein berechenbares Recht, also eines, >>das sich ähnlich berechnen lässt wie eine Maschine« (1920/1985: 817). Als realen Gegensatz zu dieser rationalen Rechtspraxis sieht Weber den Typ der Qädi-Justiz, in der das höhere Ausmaß der persönlichen Willkür insofern institutionalisiert ist, als dass darin das verbindliche Regelwerk insgesamt Wlbedeutend ist. Im Okzident, so Weber, waren die am römischen Recht geschulten Beamten als Verwaltungstechniker allen andet-en überlegen (1985: 817), so dass sich fur die Entwicklung des modernen Staates ein »Bündnis zwischen Staat und formaler Jurisprudenz« (1920/1985: 817) als fördernde Bedingung ergab. Schließlich ist die rationale Bürokratie das Ergt;bnis des Zusammenwirkens dieser beiden Momente. Sie ist insofern rationalen Charakters als Regel, Zweck, Mittel sachliche Unpersönlichkeit ilu Gebaren beherrschen (1920/1985: 578), sie wirkt »revolutionär<<, wie dies der Vormarsch des Rationalismus überllaupt auf allen Gebieten zu tun pflegt (1920/1985: 579). Voraussetzungen der bürokratischen Ordnw1g des modernen Anstaltsstaates sind nach Weber indes die allgemeine Verbreitung der Geldwirtschaft, ein festes Steuersystem, die Konzentration der sachlich..e~(!.t.ti_e~!~ttc{in der Hand des~ Herrn und nicht zuletzt die Nivellierung der ökonomischen und sozialen Unterschiede in ihrer Bedeutung für die Innehabung von Ämtern und die Befrie-dung des Territoriums. Erst unter diesen Bedingungen kann »Vergesellschaftung der Herrschafts beziehune:en« (1920 I 1985: 570) l!eline;en. , ,.. ;.L ~
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J.l;r . _:·} Entpersonalisierung und Rationalisierung lassen sich schließlich in den bekannten Gründe legitimer Geltung politischer Herrschaft wiederfmden, von denen Weber bekanntlich drei unterscheidet, nämlich die Geltung aus »Sitte~<, gefasst im Typus traditionaler Legitimität, der Geltung aus Glauben an eine Gnadengabe, gefasst im Typus der charismatischen Legitimität und schließlich drittens, der Geltung aus Glauben an die Legalität einer gesatzten Ordnung. In der Realität, so Weber, vermischen sich zwar diese drei möglichen, idealtypisch unterschiedenen Legitimitätsgründe.48 Im Übergang vom personengebundenen Charisma als Legitimitätsquelle hin zur verfahrensorientierten Legitimität legalrationaler Art zeigt sich die Entpersonalisierung politischer Herrschaft erneut. '· In der Geschichte des modernen Staates gab es Weber zufolge eine zweite ~~:{>arallele zur Entstehung des kapitalistischen Betriebes: die gesamthistorische Tendenz des rationalen Staates zur Enteignung der neben ihm stehenden Träger der Verwaltungsmacht. An dieser Sicht auf den Staat wird Webers These von der Analogie wirtschaftlicher und politischer Institutionalisierung am anschaulichsten: Der Staat hat, wie eine Fabrik, Betriebscharakter, der an Trennung von Mitteln und Produzenten am deutlichsten wird, dessen Wirkung aber bis in die biographische Gestalt der am politischen Prozess Beteiligten hineinreicht. Webers Unterscheidung des Berufspolitikers vom Typus des Honoratioren ist mit der Ausbildung des Betriebscharakters innerhalb und im Umfeld des Staates eng verbunden: Leben »von« der Politik kann nur, wer über die staatlichen Pf1ünde oder Parteiapparate seinen Unterhalt sichert, Leben »für« die Politik ist dem möglich, der unabhängig von seiner politischen Position über hinreichende Einkommensquellen verfügt. Je weniger diese Differenzierungen des Staates als Betrieb erkennbar sind, desto stärketist ein politischer Verband vom Idealtyp des rationalen Anstaltsstaates entfernt. An der Position und den tatsächlichen Praktiken wird dies .:d_eutlich: Der bürokratischen Logik zufolge soll der echte Beamte nicht >>kämp.•~fen«, sondern, so Weber, verwalten (1985: 833). Er ist nicht Teil der politischen Auseinandersetzungen, sondern steht ihnen neutral gegenüber. Er handelt unabhängig von konkreten Personen auf »Fall«-Basis, persönliche Beziehungen spielen als handlungsleitende Gesichtspunkte ebenso wenig eine Rolle wie eigene politische Überzeugungen. In dem Maße nun, in dem ein Beamter diesen Regeln nicht entspricht, wird sein Verhalten entweder zum Skandalon, oder aber der Staat als solcher weist keinen Betriebscharakter auf. Zum Skandal wird ein nicht dem idealtypischen 48 Tatsächlich beruht die Stabilität einer Herrschaft, wie Weber immer betont, nicht auf diesen Gründen allein. Zu den >>Glaubenselementen« treten Furcht, Hoffnung und die Interessen verschit:denster Art, die ebenso Fügsamkeit bedingen (1920/1985: 822), darunter sind besonders wichtig: materielles Entgelt und soziale Ehre (1920/1985: 823).
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Regeh1 entsprechendes Verhalten dann, wenn die Ausnahme nicht schon zur Regel geworden ist. Die mindestens geglaubte Seltenheit des Vorkommnisses macht seinen besonderen Rang aus. Die Abweichung vom bürokratischen Ideal wird jedoch dann nicht als Skandal empfunden, wenn eine 01ientierung am Ideal des rationalen Fachbeamten gar nicht erwartet wird. Das ist besonders dann der Fall, wenn der Grad der Autonomisierung des Staates als Feld mit eigener Regelkompetenz gering ist, wenn also die Geltung staatlicher Eigenlogik deutlich überlagert wird von anderen, dazu in Gegensatz stehenden sozialen Logiken. Der moderne rationale Staat ist für Weber demnach vor allem eines: »legale Herrschaft mit bürokratischem Verwaltungsstab mit seinen Kernmerkmalen gesatztes Recht, unpersönliche Ordnung, regelgebundener Betrieb, Amtshierarchie und feststehende Kompetenzen der beteiligten Amter« (vgl. Weber "1920/1985: 124ff.). Diese moderne Herrschaftsform ist der beg1iffliche und ~~?r:etis.che .Zi_e}p~t der Weber.scllC:n . . Herr~Sh~ftssoziologie. Ihm gilt die eigentliche Aufmerk~~cit .in d~r historischen Rekonsnuktion der politischen Geschichte vor allem Europas. Diese idealtypisch verfahrende Begriffsbildw1g k_!!!!?.. zwar. Endpw1kte ~eflnieren und erlaubt damit Hypothesen über Arten ~d Grade der Abweichung, sie sagt aber nichts über die Gründe der Abweichung oder gar über Formen politischer Herrschaft, die nicht den von Weber a~S<:arbeite.te~ Typen e~tsprechen. . · - Zwar finden sich in der Webersehen Herrschaftssoziologie weitere Bestimmungen, die sich auf die Vorformen politischer Herrschaft vor der Aus-· bildung des modernen Staates beziehen. Weil die Geschichte anderer Weltgegenden jedoch nicht eine einfache Wiederholung der europäischen Erfahrung ist, sind diese Typen zwar wichtige Vergleichspunkte, sie können aber nicht ohne weiteres für die Bestimmung politischer Dynamiken in anderen Kontexten benutzt werden. Das schließt den selektiven Gebrauch von Begl"iffen nicht aus. Mit Elementen wie der Depersonalisierung von Macht, der Legitimität von Herrschaft, der Rationalisierung der Herrschaftspraxis, und der analytischen Unterscheidung von Herrscher - Stab - Beherrschte und dem Augenmerk auf die Verwendungsweisen der Herrschaftsmittel sind in Webers Soziologie zunächst einmal eine Reihe von Anknüpfungspunkten gegeben, die für eine : politische Soziologie der Weltgesellschaft allgemein, und auch flir die Zwecke: dieses Buches nutzbar sind. Außerdem bietet Webers Behandlung des Themas Herrschaft in ihrem· historischen Reichtunl wichtige Anhaltspunkte dafür, auf welche Zusammenhänge fUr die Dynamik von politischer Herrschaft besonders zu achten ist. Nicht nur die innere Logik des Apparates, die Regeln zwischen Herrscher und
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Stab etwa, sind hierfiir wichtig, sondern die Perspektive richtet sich zugleich auf die Schnittstellen politischer Herrschaft mit anderen Sphären. Besonders das Verhältnis der Herrschaft zwn Recht- das keineswegs immer nur staatlichen Ursprungs ist - und zur Wu:tschaft, die vor allem über die Frage der ))Bedarfsdeckung des politischen Verbandes« bedeutsam witd, sind in Webers historischen Analysen als für die Dynamik von Herrschaft zentrale Analyseebetlen herausgearbeitet. Damit stellt die Webersehe Herrschaftssoziologie ein erstes geeignetes Vokabular und wichtige Perspektiven für die nähere Bestimmung der Prozt:sse der lnstitutionalisierung von Macht und die Dynamik von Herrschaft zur Verfügung Eine zeitgemäße Analyse von Staatlichkeit kann sich indes nicht auf dieses Vokabular beschränken. Denn so brauchbar Webers Begrifflichkeiten für die Abgrenzung unterschiedlicher Funktionsweisen politischer Organisationsweisen sein mag, sie bilden noch keinen hinreichenden begrifflichen Fundus für die Ausarbeitung einer Theorie der Dynamik zeitgenössischer staatlicher Herrschaft. •.. Außerdem legt Webers Ansatz eine beschränkte, »nationale<< Betrachtungsweise nahe. Jenseits der Konkurrenz zwischen Nationalstaaten als ,Machtzentren werden externe Kontexte der Staatsgeschichte in Webers Werk ·nicht thematisiert. Die Ausbreitung von polirischen Vorstellungen, die Rolle · von l'vfigrationen oder die Art der Weltmarkteinbindung sind jedoch für die institutionelle Gestalt von Staaten von so offensichtlicher Relevanz, dass dies als wirklich gravierende Lücke der Herrschaftssoziologie Webers erscheinen muss. Ein hinreichend differenzierendes Vokabular für die Beschreibung der Dynamik staatlicher Herrschaft unter den Bedingungen internationalisierter Politik isi: damit noch nicht gewonnen. Anknüpfen an diese theoretischen Grundhaltungen lässt sich mit Pierre Bourdieus Sozialtheorie. Die Grundkategorien dieser Theorie- Feld, f!a..Pi~s · u_::~.~~..:..~l;l~~(f.~~~~~~.:~~)~li:P~t~!J.c::~ff- sind vor allem dort geeignetere Kategorien für die Analyse von Staatsdynamiken, wo ökonomische und politische Herrschaft, private und öffentliche Sphäre, Staat und Gesellschaft nicht in gleicher Weise geschieden sind, wie dies in entfalteten kapitalistischen Gesellschaften der Fall ist.49 Jeder soziale Gegenstandsbereich kann Bourdieu zufolge als Feld aufgefasst werden, auf dem die Akteure in Beziehung zueinander stehen und agieren. Verteilungsmuster und Transferformen von ökonomischem, sozialem und 49 Rourdieu hat in jüngeren Arbeiten explizit auf den Staat als Gegenstand Bezug genommen, j<.-doch ohne aus seinem soziologischen Denken eine explizite Theorie des Staates zu entwerfen, Die folgenden Ausfuhrungen sind deshalb auch als Theoretisierungsversuch auf der Gnu1dlage der Sozialtheorie Bourdieus zu sehen, nicht als deren bruchlose Anwendung.
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kulturellem Kapital5° und das relative Gewicht unterschiedlicher Kapitalsorten in diesen Beziehungen sind die eigentlichen Strukturen eines sozialen Feldes. In Bourdieus Soziologie betuht Macht auf Unterschieden in der Verteilung von ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital. Heil'schaft hingegen ist bei Bourdieu mit einer spezifischen Kapitalform verbunden: dem symbolischen Kapital. Grundlegend für dessen Wtrkung ist der Mechanismus der1 Anerkennung. Die Transformation von Macht in Herrschaft gelingt nur dann, wenn die an sichkontingentenUnterschiede der Verteilung dut-ch symbolische Strategien verdeckt und durch weitere Strategien legitimiert werden können. Ein prägnantes Beispiel bietfür sind die von Bourdieu (1997a) im Rahmen seiner Behandlung der Staatsbildung hervorgehobenen Juristen, denen es in Kontinentaleuropa gelungen ist, eine spezifische Wissensform mit einem symbolischen Nimbus zu umkleiden, der den Besitz dieses kulturellen Kapitals unhinterfragt macht. Bei Bourdieu sind also symbolische Strategien zentral für Prozesse der Herrschaftsbildung. Sprachspiele, die Bourdieu zufolge immer zu; verstehen sind als soziale Kämpfe, sind ein zentraler Austragungsort dieser Legitimationsversuche. Der Zugang zur theoretischen Fassung von Macht und Herrschaft ergibt sich in Bourdieus Soziologie folglich aus seiner Konzeptionalisietung von sozialer Ungleichheit. Bourdieu ko11struiert ein Modell des sozialen Raumes,· das Klassen- und Schichtungstheorien integriert. Aus dem Zusammenspiel dreier Merkmale, nämlich Kapitalvolumen, Kapitalstruktur und soziale Laufbahn, ergeben sich die Positionen innerhalb des sozialen Raumes. Mit Kapjtg(110/umen ist der Umfang an ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital g'eiiiant, über das eine soziale Gruppe - statistisch gesehen - verfügt. Die Kapitalsfrllk!ttr betrifft das relative Verhältnis dieser unterschiedlichen KapitalsÖrt-;;;;:··;~;htander. Unter dem Aspekt der.!!3if11etz__I.:=!_Ifi!?!!_hn wird schließlich der Auf- oder Abstieg ganzer sozialer Gruppen in einem gegebenen Untersuchungszeitraum darstellbar. Für die Charakterisierung der Positionen von Gruppen im sozialen Raum, die anhand dieser drei Kriterien vorgenommen wird, hält Bourdieu am Begriff der K1'lsse fest. Sein Klassenbegriff bezieht aber, wie am Begriff des Habitus zu zeigen ist, kulturelle Merkmale der abgegrenzten Gruppen mit ein.st 50 Ökonomische~__!5.apital entspricht dem gängigen Kapitalbegriff: Kapital, das direkt in Geld umgewandelt werden kann; kulturelles Kapital dagegen ist inkorporiertes Kapital, wie schulische Bildung oder erlemte kommunikati~-Komperenz; s~~~E_~l besteht in persönlichen BeziehWlgen und Kontakten, die ebenso wie kulturelles Kapital in ökonomisches umgesetzt werden können (vgl. Bourdieu 1982). 51 An Bourdieus (1982) umfangreicher Analyse der Konsum- und Lebensgewohnheiten unterschiedlicher Klassen der französischen Gesellschaft in den 1960/70er Jahren wird die vielfal-
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lVfit diesen Begrifflichkeiten teilt Bourdieu also den sozialen Raum auf, in dem Gruppen unterschiedliche Positionen zueinander einnehmen. Diese Gruppen unterscheiden sich nach der Größe und Zusammensetzung des ihnen zur Verfügung stehenden Kapitals. Die Brücke zwischen dem ökonomischen Klassenbegriff und dem »bürgerlichen« Schichten-Konzept stellt Bourdieu durch die Kategorie des sozialen Habitus her. Die Verteilung und Zusanunensetzung des Kapitals hat einen Einfluss auf die Wahrnehmungsweisen und Bewertungen der Individuen. Klassenangehörige teilen bestimmte ,\Vahmehmungen und Bewertungsmuster, die im Habitus verankert sind. . • ; Die Analyse der Kapitalverteilungen reicht daher nicht aus, um ein soziales Feld zu vermessen und seine Funktionsweise zu bestimmten. Sie muss um eine Analyse der Subjektivität der Akteure ergänzt werden, die Bourdieu mit dem Begriff des Habitus theoretisch einführt. Allen sozialen Akteursgruppen ist ein jeweils spezifischer sozialer Habitus eigen. Er ist definiert als System von Dispositionen, als das Ensemble der Schemata der Wahrnehmt.mg und Bewertung, die gewährleisten, das Akteure ihre Umgebung überhaupt interpretieren können und Kategorien haben, um sich zu entscheiden und zu verhalten. Deshalb umfasst der Habitusbegriff mehr als nur die Präferenzen und das rationale Kalkül von Akteuren. Er ist das System von Dispositionen, von unbewussten Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmustern. Diese Muster bestimmen die Praktiken der Akteure, also auch jene, die nur halb- oder ganz unbewusste Teile des Verhaltens sind. Der Habitus hat nun die Tendenz, die Kapitalverteilung, die ihn hervorgebracht hat, zu reproduzieren und dadurch zu stabilisieren. Die im Habitus sedimentierten Erfahrungen von Akteuren entscheiden darüber, welche Handlungen innerhalb eines strukturierten Feldes gewählt werden, wie diese Handlungen genau aussehen und warum so und nicht anders gehandelt wird. .Piese Verknüpfung von habitusbestimmten Sinnbezügen und beobachtbarem Verhalten nennt Bourdieu »Praxis«, und deshalb steht dieser Begriff auch Pate für den Namen seines theoretischen Entwurfs. Die Kategorien des Habitus und die Differenzierungen des Kapitalbegriffs lassen nun die Abgrenzung von »Feldern« zu, als die Bourdieu zufolge alle einzelnen sozialen Gegenstandsbereiche aufgefasst werden können. Akteure nehmen innerhalb dieses Feldes Positionen ein, die von ihrer Ausstattung mit Kapitalsorten bestimmt sind. Weil die Akteure in Beziehungen zueinander S\_ehen, berühren die Handlungen und das Verhalten des einzelnen auch inuner ~ie der anderen: Verändert ein Akteur seine Position, zum Beispiel durch den
rige Verwendungs· und Erklärungsreichweite dieser Begrifflichkeiten wohl am eindrucksvollsten aufgezeigt.
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Gewinn oder Verlust von Kapital, dann verände1t sich damit auch inuner die relative Lage der anderen Akteure. Mit der Beförderung eines Angestellten verändert sich tendenziell sowohl die soziale Position seiner Angehörigen in anderen Feldern als auch die seiner Kollegen, die im gleichen bürokratischen Feld agieren. An Bourdieus Skizze der Herausbildung der modernen Bürokratie (1997b), Kernmerkmal des modernen Staates auch in dieser Interpretation der Modeme, lässt sich die Anwendung dieser Theorie auf die Dynamik von Macht und Herrschaft illustrieren. Die Geschichte des europäischen Staates beginnt in dieser Interpretation mit dem Bestreben des »Haushalts des Königs«, gegenüber den konkurrierenden Feudalverbänden eine speziflsche Legitimation auszubilden. Um sich vom symbolischen Code des dynastischen Staates, in dem die Logik der Verwandtschaft, also Genealogie, das strukturierende Prinzip ist, bedurften diejenigen, die ihre Vorrangstellung dauerhaft als Herrschaft absichern wollten, einer eigenen, besonderen Ressource, neben den typischen Ressourcen, über die herausragende Fürsten bereits verfügten, nämlich Geld und Boden. Sie entstand über den Stab der Herrscher, über die Schaffung von Berufsständen, die ein Interesse am Fortbestand der Institution ausbildeten. Insofern- ist die Genese des Staates untrennbar verknüpft mit der Genese von Gruppen, die ein Interesse an Wirken und Wtrklichkeit des Staates haben. Minister und andere Hofbeamte waren die ersten Träger von »Titeln«, verdinglichtem symbolischem Kapital, das über die anwachsenden staatlichen Institutionen - Universitäten und Schulen - bald systematisch produziert wurde. Sukzessiv ve'rdrängte die Bedeutung dieses speziflschen symbolischen Kapitals, das exklusiv an die staatlichen Institutionen gebunden war, die Dominanz der symbolischen Kapitalsorten, die für den dynastischen Staat typisch waren, nämlich Abkunft und Verwandtschaft. Die »Staatsräson« des modernen: Staates ist in dieser Theorie nichts anderes als die über staatliche lnstitutione~ und Apparate geschaffene und in Gang gehaltene Eigenlogik eines neuro Machtfeldes, das den Namen Staat bekam. ·• Gemäß dieser theoretischen Konzeption beruht die Existenz des Staats, d.h. die Geltungskraft der Institution auf einer Inkorporierung seiner Strukturen in den subjektiven Denk- und Wahrnehmungsschemata sozialer Akteure: Der Staat muss in den Köpfen, im Habitus der Akteure existieren (Bourdie~ 1998: 99), denn das spezifische symbolische Kapital des Staates beruht auf sozialer Anerkennung. Dass der Staat sich als ein solches teil-autonomes Feld herausbildet, ist jedoch das Resultat eines langen historischen Prozesses. Im Falle des idealtypisch gedachten Entwicklungsweges westlicher Staaten sind auch bei Bourdieu der Prozess der Monopolisierung politischer Herrschaft durch den monarchischen Hof und der von Max Weber bereits eingehend
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Malysierte Prozess der Bürokratisierung die entscheidenden Momente dieser Entwicklung (vgl. Bourdieu 1997a). Historisch lässt sich der Prozess der Staatsbildung in Europa zunächst als kausal zirkulär begreifen: Die Entwicklung der bewaffneten Kräfte des Staats setzt die des ·Steuersystems voraus und umgekehrt: Aus Kriegsabgaben werden unbefristete, regelhafte Abgaben, die Ausbildung eines wirklich regelhaften und regelmäßigen Steuersystems steht am Ende eines inneren Kl:ieges.52 Die Monopolisierung physischer Gewalt vollzieht sich über die Einführung des Steuersystems, die ihrerseits nicht von der Einigung eines ökonomischen Raumes zu trennen ist (Bourdieu 1998: 102). Die historische Voraussetzung für diese Konvergenz ist die Entstehung einer leistenden Bürokratie, die ein Interesse am Fortbestehen des erreichten lnstitutionalisierungsgrades bewirkt: Beamte, vor allem Juristen, arbeiten an der notwendigen Akkumulation bürokratischen Wissens und der Kodifizierung einer Ordnung, die im Resultat als die des Staates erscheint. Die Geltung dieser Ordnung beruht dann Bourdieu zufolge auf spezifischen symbolischen Kapitalformen, die sich über Praktiken und ihre habituellen Verankerungen reproduzieren. Damit der Staat also im Habitus verankerte Form, im Luhmannschen Sinne mitlaufende Sinnverweisung aller Operationen sein kann, die Anspruch darauf erhebt, als Elemente des politischen Systems ·zu fungieren, muss der Staat als rechtsfahig, als juristische Zurechnungseinheit konstituiert werden. Die Existenz eines Staates lässt sich dann, systemtheoretisch gesprochen, daran erkennen, dass Fremd- und Selbstreferenz simultan prozessiert werden: Der Staat wird für das gehalten, als was er sich selbst versteht. Diese Simultanität kann zur Identifikation werden, wenn »... wir von einem Staat gedacht werden, den wir zu denken meinen,...« (Bourdieu 1998: 93). Der Staat, wird ein eigenes Feld. Macht und Herrschaft werden in der begrifflichen Fassung Bourdieus ljgleichwohl nicht auf staatliche Formen reduziert, sie sind noch nicht einmal !lauf allein politische Zusammenhänge beschränkt. Diese Universalität der An#wendbarkeit teilen sie mit den Webersehen Kategorien. Sie erlauben aber darljüber hinaus die Verbindung weiterer Sozialphänomene mit der Dynamik von Macht und Herrschaft: Auch soziale Ungleichheit, Unterschiede in EinstellunI gen und als Praktiken beobachtbare Ausprägungen des Habitus werden für die. Analyse von Machtbeziehungen und Herrschaftsformen relevant. Dabei bleibt es in der Bourdieuschen Konzeption möglich, das staatliche Feld unterscheidbar von anderen Herrschaftszusammenhängen zu halten.
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52 Bourdieu bezieht sich hier auf den erstmals von Norbert Eüas zenttalgesetzten Zusammenhang der Genese von Gewalt- und Steuermonopol.
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Auch in Norbert Elias' Theorie der Zivilisation (1988a, b) wird die Entstehung der europäischen Staaten in einen übergreifenden Prozess eingebettet. Die Strukturierung dieses Prozesses ist eine unintendierte Folge intendierter Handlungen: Aus den im Zuge funktionaler Differenzierung sich verdichtenden Interdependenzen resultiert die Verdichtung politischer und ökonomischer Bezüge und zugleich der strukturelle Wandel aller Elemente dieses Prozesses. Denn der Prozess der europäischen Staatsbildung lässt sich Eliasl zufolge nur als eine Parallelität psychogeneciseher und soziogenetischer Pro-1 zesse begreifen. In Elias Entwurf ist der Prozess sozialen Wandels, der zur: Ausbildung moderner Staatlichkeit führt, zugleich ein Prozess des Verhältnisses zwischen Individuum und Gesellschaft und damit nur Teil eines fundamentalen sozialen Wandels. Im Verlauf dieses Prozesses, so fundiert Elias seine Theorie mit Freudschen Figuren, verstärken sich Ich-Kontrollen des Individuums. Ehemals von außen an das Individuum herangetragene Fremdzwänge werden internalisiert und im kontrollierenden Über-Ich zu Selbstzwängen. Den Etappen der Monopolisierung der Gewalt durch den »Königsmechanismus« (Elias 1988b: 143ff.), der »Verhöflichung des Kriegeradels« und der »Veröffentlichung des Gewaltmonopols« entsprechen in Elias Theorie Verschiebungen in den psychischen Strukturen. Mit der Soziogenese des Staates verschränkt sich die Psychogenese des Staates. Während Elias n~ darauf verzichtet, die tieferen Kausalitäten dieses Prozesses weiter zu theoretisieren, sind zwei Momente für diese Entsprechungen kausal wirksam: Zum einen ist dies der aus der entstehenden neuen Figuration sich ergebende Zwang auf den einzelnen Teilnehmer, sich den -neuen Gegebenheiten und Regeln anzupassen und damit die allgemeine Tendenz zu verstärken. Prozesse der Umbildung von Herrschaft besitzen eine kumulative Selbstläufigkeit, die sich aus dem »Zwang der veränderten Situation« erklären ließe. Zum anderen wirkt das Bedürfnis nach Distinktion und sozialer Anerkennung darauf hin, den Symboliken und Verhaltensmustern des Machtzentrums zu folgen, ein Mechanismus, den Elias für die Verhöflichung des 1<1-iegeradels ebenso konstatiert wie für die kulturellen Vorstellungen des Bürgertums. Schon in diesem Werk ftndet sich darüber hinaus der bereits erwähnte Zusammenhang der Herausbildung von Gewalt- und SteuermonopoL Zwar mündet bei Elias die Entdeckung dieses Zusammenhangs noch nicht in die Gleichsetzung von Staatsbildung und organisierter Kriminalität, wie später bei Charles Tilly (1985), aber Elias sieht in der Finanzierung der organisierten Gewalt in Gestalt des königlichen Heeres gleichwohl bereits einen zentralen kausalen Mechanismus der Formation des europäischen Staates.
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Auch in Elias Konzeption ist die Entstehung des modemenStaatesalso in bestimmte vorgängige Prozesse eingebunden, nämlich an soziale Differenzierung und an die Monopolisierung - und das heißt zunächst: Zentralisierung politischer Chancen. Gleichzeitig kann die Veränderung der politischen Organisationsform nicht losgelöst von der Veränderung der Bewusstseinsformen der unter ihr befassten Menschen verstanden werden. Dies betrifft nicht nur die generelle Anpassung der psychischen Apparate an die neuen sozialen Gegebenheiten, bzw. ihre parallele Wandlung, sandem ebenso die Ausbildung . neuer politischer Codes, deren Relevanz weit in das Alltagsleben hineinragt i1Etikette, höfische Lebensform und die späteren Formen des Codes der Dis~ itinktion sind nicht nur allgemein sozial anerkannt, sondern deshalb auch Teil i:ler legitimen Ordnung. Eine weitere Erweiterung der Webersehen Kategorisierungen von Macht und Herrschaft erhält man, wenn man sie um Elemente aus Michel Foucaults Werk ergänzt.53 Auch im Werk Michel Foucaults ftndet sich die Differenzierung von Macht und Herrschaft. Sie leidet jedoch gegenüber den Bestimmungen bei Weber und Bourdieu an begrifflicher Unterbestimmtheit, die sich Grundeinstellungen dieses theoretischen Programms verdankt. Foucaults Machtbegriff ist einerseits eng mit seinem Wissensbegriff verknüpft, wenn nicht mit diesem identisch. In historischen Analysen untersucht Foucault einerseits die Konstruktion von Macht-Wissen-Komplexen. Diese sind nicht allein Grundlage staatlicher Herrschaft, sondern wirken überhaupt erst diskurskonstituierend. Der Machtbegriff wird bei Foucault damit desubjektiviert. Macht ist nicht mehr, wie bei Elias eine »Struktureigentümlichkeit aller menschlichen Beziehungen«, sie wohnt nicht in den Beziehungen zwischen Einzelmenschen oder Gruppen, sondern sie eine jeweils spezifische Eigenschaft der kognitiven Ordnung und damit auch der sozialen Praktiken. Eine gewisse Unentschiedenheit erhält Foucaults Machtbegriff jedoch durch den im Gesamtwerk nicht einheitlich bestimmten Ort des Subjekts. Wahrend im Frühwerk Foucaults das Subjekt fast ganz als Resultat von Herr·schaftspraktiken erscheint, spielt in den herrschaftssoziologischen Schriften das Subjekt als Akteur eine größere Rolle.54 Machtbeziehungen sind hier durchaus von handelnden Subjekten beeinfluss bar. Sie beruhen auf ihrem Kal-
53 Zum Verh~ltnis der WehetSehen Herrschaftsso
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kill, Freiheiten und Gelegenheiten auszw1utzen (vgl. Lemke 1997: 305). Machtverhältnisse sind offen und unabgeschlossen, sie determinieren Handeln nicht, sondern erlauben Modifikationen und Veränderungen von Verhältnissen. Deshalb begreift Foucault Machtbeziehungen auch als »strategische Spiele«, in denen alle Beteiligten einen - wenn auch begrenzten - Einfluss auf das Ergebnis und die zukünftige Gestalt der Beziehung haben. Im Spätwerk Foucaults tritt dann eine Abgrenzung von Herrschaft gegenüber diesen allgemeinen Bestimmungen von Machtbeziehungen auf. Mit den Verständnissen von Bourdieu und Weber über den Unterschied zwischen Macht und Herrschaft trifft sich Foucault dann in der Betonung des institutionellen Charakte1'S von Herrsehaft (1987: 260f.): Herrschaft bezieht sich auf Zustände (ilat.s de thmination), in denen Macht gleichsam gerinnt. Nur dem Machtüberlegenen sind in einem Herrschaftsverhältnis ge1i.nge Freiheitsräume geblieben, im Grunde aber sind die Beziehungen statt und verfestigt. V<' Ursache dieser Verfestigungen sind »Regie[)Jngstechniken« oder »Techniken der Macht«, deren Einsatz auf die Verstetigung von Machtverhältnissen zielt. Auch bei Foucault werden diese Entwicklungen nicht als durchweg intendierte Prozesse begt:iffen, wenn sie sich auch als gerichtete auffassen lassen. Der modeme Staat ist damit nicht das Resultat eines durchweg reflektiert durchgeführten Projekts >>
( ~~~ 55 Das Konzept ist, so wie Foucault es formuliert, kein Begriff im strengen Sinn, sondem eine summarische Bezeiclulung für ein Ensemble von »Institutionen, Verfahren und Reflektionen« und zugleich der Ausdruck fiir das Resultat dieses Prozesses.
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sembles von Vorstellungen über Sinn, Ziele und Mittel von Regierung, oder, in vereinfachter Redeweise, auf politikleitende Großprojektionen von Herrschenden, die sich indes ihre Entsprechungen in den regierten Subjekten schaffen. Als solcher bezieht er sich zugleich auf Praktiken wie auf Strukturen und erinnert in dieser vermittelnden Funktion an die Bourdieusche Kategorie des Habitus. Bisher haben die theoretischen Perspektive Bourdieus und Foucaults noch kaum Anwendung auf Gegenstände der internationalen Beziehungen gefunden, 56 was sicher auch auf die Zugangsschwierigkeiten der Werke zurückzuführen ist. Entsprechend sind auch Versuche ausgeblieben, ihre sozialtheoretischen Beiträge für die Theoriebildung der Internationalen Bezie.hungen in Wert zu setzen.57 Foucaults Begrifflichkeiten werden auch in dieser i Arbeit nicht einer einfachen Operationalisierung zugeführt, sandem sollen Izusammen mit den Webersehen und Bourdieuschen Bestimmungen für einen \hinreichend bestimmten und dennoch weiten Begriff des Staates einfließen. Dieser neue Begriff des Staates soll es erlauben, sowohl die Dynamiken im Feld des Staates selbst wie auch die ihn beeinflussenden analytisch in den Blick zu nehmen. Doch zunächst sind die Themen zu resümieren, die sich aus den . theoretischen Beiträgen Webers, Elias', Bourdieus und Foucaults für die Ana:lyse der Dynamiken von Macht und Herrschaft bezogen auf den Staat ergeben. Zunächst zum Gemeinsamen: Bei diesen Autoren werden Macht und Herr1schaft durchgängig gegenübergestellt als zunächst unbestimmte Unterschiede \in den Beziehungen von Menschen auf der einen Seite und als lnstitutionalisie!rung, also Versteti.gung solcher Machtbeziehungen auf der anderen Seite als ;Charakteristikum von Herrschaft. Über die Elemente und Mechanismen dieser Verstetigungen finden sich unterschiedliche Theoreme in unterschiedlichen Begriffssprachen. Dennoch assen sich hierzu allgemeine, zusammenfassende Angaben machen. Sie betreffen die Verregelung der Gewalt (a), die Einbettung der Dynamik von :t-.facht und Herrschaft in größere strukturelle Wandlungsprozesse (b), die Differenzierung von Handlungsfeldern (c), die Herausbildung von Herrschaftsapparaten (d), und die symbolische Seite der Herrschaft (e). Das grundlegende Phänomen des Übergangs von Macht zur Herrschaft ist der von allen relevanten Autoren bestätigte Vorgang der Ven~gelmrg der Gewalt. 56 Vgl. jedoch z.B. die Arbeiten von Bigo (1996), Hansen (2002) und Bayart (2004). 57 Es gibt lediglich Arbeiten, die auf Foucaults älteres Konzept der DisJ..'U!Sgeschichte eingehen, vgl. Bartelsen (1995). Wendt (1992) fordert zwar die Berücksichtigung von Bourdieus Theo· rie, \lntemimmt es aber nicht selbst (1999). Auch Norbert Elias 'lbeoreme werden in den Intematiotlalen Beziehungen kaum disJ.."Utiert, vgl. jedoch Senghaas (1989; Kap.l); Gantzel (1997) und Devin (1995).
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Die besonderen Eigenschaften der Gewalt als Machtmittel machen eine Einhegung ihres Gebrauchs für jede Herrschaft notwendig. Ob in der Form der Blutrache, in der Verregelung von Razzien oder über große Apparate - alle Formen der Herrschaft sind darauf angewiesen, Gewaltdynamiken w1ter Kontrolle zu bringen, um Organisation aufzubauen. In der Geschichte des europäischen Staates ist die Antwort auf dieses Problem die Monopolisierung des Gewaltgebrauchs durch den Staat gewesen. Die Dauerhaftigkeit staatlicher Herrschaft ist auf die Stabilität dieser Funktion rückfi.ihrbar. Dabei zeigen sich in der staatlichen Fotm der Verregelung der Gewalt zwei grundlegende Vorgänge, nämlich zum einen die Befriedung der »Gesellschaft« als das Objekt des Staates, und zum andem die Disziplinierung derselben Gesellschaft im Sinne der dauerhaften Einübung von Verhaltensmustern, die die Ausübung und Innehabung des Gewaltmonopols routinisieren. Beide Vorgänge sind, wie an Elias' und Foucaults Analysen erkennbar wit-d, untrennbar miteinander verknüpft. Beide Seiten zeigen sich auch in dem allgemeinen Muster aller Lösungen der Gewaltproblematik durch Herrschaft. Immer ist es ein Apparat, ein abgesonderter Personenkreis, in dessen Zuständigkeit die Ausübung der Herrschaftsgewalt fällt. Die Gewaltapparate entwickeln regelmäßig eine eigene Lebenswelt, sie erhalten im sozialen Feld der Heuschaft eine Sonderstellung und sind durch besondere Grenzen vom sonstigen sozialen Raum geschieden. Die Gewaltspezialisten unterliegen einer besonderen Disziplinierung, üben aber zugleich disziplinierende Funktionen aus. Die hier nur kurz zusammenfassend behandelten theoretischen Beiträge. heben bezogen auf die Frage nach den Wegen der Institutionalisierung vofi..1 Macht auf die Bede1111111g langfristiger Wandlung.rprozesse ab. Unter den Stichworten wie Rationalisierung, Bürokratisierung, Individualisierung usf. werden die prägenden Wirkungen langfristiger Strukturveränderungen für den Bereich politi- • scher Herrschaft thematisiert. Auch die Dynamik staatlicher Herrschaft ist also eingebettet in größere Zusammenhänge. Sie ist in der europäischen Geschichte Teil der Entstehung der modernen kapitalistischen Gesellschaft, deren Gesamtzusammenhang durch Staatswerdw1ge.t1 in einzelne, institutionell geschiedene politische Räume geteilt wird. Die Staatsbildung in Europa ist folglich ein Teilprozess der Entstehung des modemen Kapitalismus. An verschiedenen Stellen zeigen sich die kausalen Zusammenhänge und gegenseitigen Bedingtheiteil dieser Einbettung. Während der Zerfall der mittelalterlichen Ordnw1g etwa die Voraussetzung zur Ausbildung zentralstaatlicher Herrschaft schuf, und während allein über den Bedarf der neuen politischen Verbände über den Merkantilismus w1d spätere Formen der »Wirtschaftspolitik(< zu einer Rückwirkung der politischen Gestalt auf die
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Formen des Wirtschaftens und der sozialen Organisation insgesamt führte, lässt sich in anderen Fällen eine Gleichgerichtetheit des strukturellen Wandels erkennen, ohne dass kausal eindeutige Zurechnungen möglich wären. Die Ausformung der Bürokratie und des Betriebscharakters etwa sind solche Entwicklungen, die sich gleichzeitig auf verschiedenen Feldern vollzogen, ohne dass sich dabei ein wirkendes Zentrum bestimmen ließe. Ein ähnlich übergreifender Charakter ist der Individualisierung zuzuschreiben, die sich einerseits als Resultat von Regierungstechniken auffassen lässt, andererseits aber ein notwendiges Moment des Vordringens bürgerlich-kapitalistischer Vergesellschaftung ist. Das reflexive Subjekt ist einerseits geformt durch institutionalisierte Praktiken, die es zum Staatsbürger, zum Rechtsträger, zum Schüler und zum Soldaten machen, andererseits aber auch heraus getrieben aus alten Sozialverbänden, deren Reproduktionseinheit durch kapitalistische Inwertsetzung aufgelöst wurden. \.' · Teil dieser strukturellen Wandlungsprozesse ist die Dtfferm~m~ng von Htmdlrmgsjeldern, die zwar auch den Staat, diesen jedoch nicht allein betreffen. Das i\useinandertreten von »Politik« und »Wirtschaft« oder »Ökonomie« tritt bei Weber und Bourdieu jedoch stärker in den Vordergrund als bei Foucault, für den beide integrale Teile desselben Konstitutionsprozesses von Herrschaft sind. Damit behaupten weder Bourdieu noch Weber oder Foucault eine Verselbständigung von Subsystemen, sondern nur ein Auseinandertreten von Handlungsfeldern, das sich vor allem in sprachlichen Formen, in Codes und Praktiken verfestigt. Die neuen Differenzen, wie zwischen »Politik und Wirtschaft«, aber auch zwischen »legal und kriminell« oder »öffentlich und privat« unterscheiden sollen, sind gegenüber den faktisch fortdauernden Zusammenlhängen und gegenseitigen Bedingungen sekundär. Nicht in der Praxis der Akteure, sondern nur der abstrakt behaupteten Geltung nach sind diese Diffe·~enzierungen Teil des Prozesses der Herausbildung staatlicher Herrschaft. Die wirklichen Grenzen bestimmen sich über die Praxis der Herrschaft. Die Tauschmuster unterschiedlicher Kapitalsorten, quasi-patrimoniale Praktiken und das Ineinandergreifen der »Techniken des Selbst« mit den Techniken des Regierens - all dies sind praktische Verschiebungen dessen, was Herrschaft ausmacht, denn sie sind Veränderungen der in ihr verwendeten MachtmitteL Der Übergang von Macht zu Herrschaft und die Dynamik von Herrschaft selbst gehen also offenbar einher mit der Entstehung und Erweiterung von weiteren Differenzen. d) Die Institutionalisierung von Macht zur Herrschaft geht mit der Ent:wicklung von Apparaten einher. Für den Bereich der politischen Herrschaft gehen zudem alle vier Autoren von der Herausbildung eigener Apparate aus, deren Funktionsweise und Bedeutung sie gleich wohl in unterschiedlicher Sprache
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und mit unterschiedlichen Interessen analysieren. Gemeinsam ist ihnen jedoch das Augenmerk für die Ausbildung von Eigenlogiken dieser Apparate. In diesem Prozess verschränken sich unterschiedliche Elemente, nämlich die Ausbildung von berufsständischen Eigenethos, professionellen Habitus, das einfache zweckrationale Interesse an der Fortdauer der Laufbahn und schließlich die Ausbildung übergreifender Projekte der Herrschaft als Gouvemementalitäten, in die sich Handlungen und Funktionslogiken einzdner Elemente des staatlichen Apparates einfügen. Damit ist keineswegs ausgeschlossen, dass die Teile des Apparates untereinander in Wettbewerb treten oder Überschneidungen und Überlappungen von Hierarchien auftreten. Die Ausweitung der Handlungskontexte staatlicher Herrschaft und das bloße Wachstum der staatlichen Apparate machen solche Phänomene sogar wahrscheinlich. e) Ahnliebes gilt für die Ausbildung einer spezifischen S]mbolik der Hen-· schaft. Jede institutionalisierte Macht, die nicht nur für den Augenblick existieren will, sondern auf Dauer ausgerichtet ist, bedarf jenseits der Zwangsgewalt zusätzlicher Bindw1gen an die Objekte der Herrschaft. Auch das materielle oder sonstige Interesse, selbst im Verein mit der »Übereinstimmung« mit der Sitte, ist nach Webers Herrschaftstheorie nicht zureichend, eine entsprechende Bindung het-zustellen. Staatliche wie nichtstaatliche Herrschaft ist darauf angewiesen, eine spezifische Symbolik zu entwickeln, in der die Ansprüche der Herrschaft formuliert und als berechtigt dargestellt werden können. Historisch hat wohl jede konkrete politische Herrschaft dabei zunächst auf andere, vornehmlich religiöse Symbolbestände, Ideen und Vorstellungen zurückgegriffen. Die Symbolik der Herrschaft erschöpft sich jedoch nicht in den drei von Weber unterschiedenen Idealtypen von Legitimität. Im Falle staatlicher Herrschaft umfasst sie ebenso die Ft;lder Recht und Wissen und lässt sich als Ver= staatlichung der Semantik beschreiben. Die Kodifizierung von Regeln W: Recht, die Schaffung von Katastem und Archiven und die simple Schaffung von Begriffen, mit denen Dinge und Verhältnisse bezeichnet werden, si11d Teil dieser neuen Semantik, die den Staat nicht nur als fremde Entität erscheinen lässt, sondern in tief in Alltagspraktiken und die Weisen ihrer Vergegenwärtigung einsenkt. Diese Theoreme und Begriffe sind ein erstes Rüstzeug für die Analyse von Macht und Herrschaft, im und um den Staat. Damit ist ein soziologisches Verständnis des Staates möglich, das sich nicht auf dessen Sdbstbeschreibl.U1g und auch nicht auf verbreitete populäre Vorstellungen stützen muss. Mit den Begrifflichkeiten und analytischen Kategorien, die aus den herrschaftssoziolo: giseben Arbeiten von Weber, Bourdieu, Elias und Foucault gewiJ.lnen lassen, ist es möglich, Prozesse der Machtdynamik und der Institutionalisie111ng von
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Macht zu Herrschaft näher zu beschreiben, ohne sich auf die Sprache des Staates selbst einzulassen. Die Vorstellungen, die mit dem Begriff des Staates gängigerweise verknüpft sind, beziehen sich jedoch nicht auf dieses soziologische Verständnis des Staates. Weder das Selbstbild des Staates noch die populären Redeweisen berufen sich auf soziologische Kategorien. Ihnen liegt vielmehr eine idealisierte Vorstellung des Staates zugrunde, die im Folgenden näher analysiert werden muss. Diese An~lyse ist keine leere Übung, sondern sie ist zugleich Teil der Untersuch1.mg des Gegenstands. Denn das Ideal des modernen Staates, das auf historischen Erfahrungen aufruht und dann für weite Bereiche politischen Handeins leitend geworden ist, hat sich global verallgemeinert. Ganz unabhängig von den konkreten Gestalten, die staatliche Heuschaft annimmt, von den Differenzen in Zuständigkeiten und Aufgabenzuschreibungen von empirischen Staaten, lassen sich die Elemente des Ideals moderner Staatlichkeit in den Äußerungen und Diskursen und fast immer auch in den Praktiken der staatlichen wie nicht-staatlichen Akteure nachweisen. Die begriffsgeschichtliche Analyse dieses Ideals (2.2) ist deshalb Teil der Analyse des Gegenstands. Wie anschließend zu erläutern sein wird (2.3), ist die Spannung dieses Ideals zu den von den Akteuren tatsächlich eingeübten Praktiken die zentrale Dynamik staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt. Diese Dynamik ist ein Erbe der Geschichte des Staates in der Dritten Welt, die in diesem Kapitel abschließend resümiert wird (2.4).
2.2 Di~ moderne Staatsidee und ihre Genese Für seine Penon war Se. Erlaucht, der reichsunmittelbare Graf, >lnichts als Paniot«. Aber der Staat besteht nicht nur aus der Krone und dem Volk, dazwischen die Verwaltung, sondern es gibt in ihm außerdem noch eins: den Gedanken, die Moral, die Idee!
RDbertlvlnsi4 Der Mann ohne Eigens•'hajien
Das Bild moderner Staatlichkeit wie auch seine Genese ist nicht homogen. Im Ideal selbst, das hier vereinfachend gezeichnet wird, sind zahllose Widersprüche und Gegensätze eingelagert, weil sich die realen Konflikte um politische Geltungsansprüche in die Welt der Vorstellungen und Theorien hinein verlängern. Die Unschärfe des Staatsbegriffs hat ihre Ursache in dieser Mehrdeutigkeit der realen Verhältnisse.
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Das Problem, dass mit dem Wort Staat höchst Unterschiedliches gemeint sein kann, ist nicht neu. Jede Epoche der deutschen Sprachgeschichte hatte mit dem Wort Staat ihr spezifisches Multivalenzproblem (Weinacht 1968: 241). In den Abspaltwlgen und Entwicklungen der Bedeutungsvarianten spiegeln sich jeweils geschichtliche Wandlungen und ihre interpretatorische Verarbeitung. Über diese allgemeinen, an einzelsprachliche Kontexte gebundenen Wandlungen der Bedeutungen legten sich vor allem nach der Französischen Revolution politisierende Aufladungen des Vokabulars. Sie sind in die Geschichte der einzelsprachlichen Bedeutungszuweisungen der Worte »Staat«, Etat und state eingegangen (Koselleck 1990: 2). Mit den »national« geschiedenctt, durch spezifische historische Erfahrungen und institutionelle Formen unterschiedlich ausgeformten Bedeutwlgen des politischen Vokabulars verschränken sich also politische Ideen und Haltungen, die sich über transnationale Diskurse in Europa herausgebildet haben. Diese Ideen und Haltungen und die theoretischen Versuche, Formen, Gründe und Praktiken politischer Herrschaft auf den Begriff zu bringen, stehen also in einem Verweisungszusammenhang, der sich nicht national eingrenzen lässt. In der folgenden Skizze der wesentlichen Elemente der Idee des modemen Staates kann kein wirklich umfassender Überblick geboten werden. Die Darstellung muss sich auf solche Themen konzentrieren, die für die fortlaufende Diskussion in dieser Arbeit von besonderer Bedeutung sein werden. Methodisch wird dabei versucht, ideengeschichtliche Einsichten mit Erkenntnissen über die reale Entwicklung von Staatlichkeit, vor allem in der europäischen Neuzeit, zu verbinden. Und dieses Verfahren erlaubt die distanzierte Rekonstruktion des Ideals moderner Staatlichkeit. Diese Rekonstruktion ist nötig, weil nur so eine Selbstverständigung über die Entstehungs- und Geltungsbedingungen dieses Ideals möglich ist. Das Ideal moderner Staatlichkeit, das sich in diesem historischen Kontext ausgebreitet hat, hat sich mittlerweile global verallgemeinert. Es dient überall als Maßstab für die Ambitionen der Herrschenden, es ist die leitende Vorstellung für die externen und internen Beobachter, die das »Zurückbleiben<< und die »Defizite« wirklicher Staaten konstatieren, und es ist mittlerweile auch die Folie der generalisierten Erwartungen, die populär an politische Herrschaft herangetragen werden. Das Ideal des Staates hat seine Wurzeln in der europäischen Geschichte. Diese Ursprünge sind nicht allein in politischen Formationsprm:essen zu suchen, sondern ebenso in den ökonomischen und sozialen Wandlungsprozessen, die im neuzeitlichen Europa für eine weitreichende Umgestaltung der Vorstellungswelten nicht nur des Politischen sorgten. Aus dem Wandel politischer, ökonomischer und sozialer Strukturen ergab sich erst der Erfaluungs-
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raum, der das notwendige Korrelat für den Aufstieg von neuen Vorstellungen lieferte. Die Differenzierung der politischen Systeme in der europäischen Geschichte ist auch an der Sprache, mit der das einzelne Geschehen in diesen Systemen beschrieben, analysiert und kommentiert wurde, nicht spurlos vorüber gegangen. Hatten sich schon vor der Französischen Revolution unterschiedliche Verständnisse der später zentral werdenden Begriffe wie Staat, Souveränität, Gesellschaft oder Nation herausgebildet, so differenzierten sich diese Semantiken in national unterschiedliche Ontologien des Politischen aus (vgl. Hättich 1987). Doch so wie die Institutionen der Herrschaft und die Diskurse über das politische Geschehen nicht losgelöst voneinander stattfinden, sondern vielmehr in einem gegenseitigen Verweisungszusammenhang stehen und aus übergeordneter Perspektive eine Geschichte bilden, so stehen auch die Bedeutungszuweisungen und -zuschreibungen der zentralen politischen Begriffe in den europäischen Kontexten nicht unvermittelt nebeneinander. Weil sie also neben allen einzelnen Unterschieden eine Reihe von zentralen Elementen teilen, ist es dennoch gerechtfertigt, von einem Ideal des Staates zu sprechen, dessen Geschichte die Reflektion der europäischen Erfahrung der inneren und äußeren Expansion politischer Herrschaft ist. Im Folgenden sollen diese Elemente in aller Kürze rekapituliert werden, um dann die Weisen und Effekte ihrer Übertragungen in Umrissen zu skizzieren. Wie die Worte Status und Stand ist das Wort »Staat« rückführbar auf die indogermanische Wurzel sta, die sich auf Vorstellung des Stehens und Stellens bezieht (Weinacht 1968: 233ff.). Bis ins 16. Jahrhundert orientierte sich im Deutschen die Wortbedeutung am Lateinischen, denn zuerst wurden mutmaßlich volkssprachliche Derivate die Träger von Bedeutungsverschiebungen. Im 14. Jahrhundert bereits trat neben die ständische Bedeutung die Verwendung im Sinne von »Rechtszustand«, wie etwa in den Korrespondenzen der Hansestädte.58 l'vfit den politischen Umbrüchen der Frühen Neuzeit ergeben sich weitere Bedeutungsverschiebungen des Wortes. Der »Hofstaat« meint nun die Umgebung des Landeshertn, das Wort wird nun aber auch im Sinne von »Kammer« und »Regiment« verwendet. Seit sich im Zuge der frühneuzeitlichen Monopolisierungsprozesse der fürstliche Staat aus älteren Bindungen und Amtsver-
58 Die Verwendungsweise des Wortes im Sinnen von »Stand«, »Status« und höfischem Aufwand wurde jedoch nicht ganz ausgelöscht. Die durch äußerlichen Aufwand markierte Prätention wird im Deutschen nach wie vor mit dem Wort »Staat« bezeichnet. In Wendungen wie »keinen Staat mit etwas machen« oder im Ausdruck »Sonntagsstaat« zeigt sich dies. Mundartlich hat sich dies ebenso erhalten. In Köln heißt der stattliche Mann »Staatsen Kähl«, in Holstein gilt »Wer Geld inne Tesch hätt, brukt keen Staat to maken«.
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pflichtungen zu lösen beginnt, hat sich die neue politische Rationalität um diese Gebilde mehr und mehr auf das Wort »Staat« bezogen. Auch die »Staatsräson«, die als Begriff im deutschen Sprachraum ab dem friÜ1en 17. Jahrhundert auftaucht (Münkler 1987b: 201 ), gewinnt ihre politische Relevanz erst mit der Verselbständigung der Geltung und Funktionsweise fürstlicher Herrschaft. Neben diesen nach innen gerichteten Ansprüchen, die mit der neuen Herrschaft verknüpft werden und in den Verwendungsweisen zum Ausdruck kommen, tritt dann die Verwendungsweise des Wortes im Sinne von »Gebiet«, als eines .von außen zu respektierenden Machtbereichs, w1d schließlich im Sinne von »Apparat«. Innere und äußere Souveränität werden zu den tragenden normativen Konnotationen, die mit dem Begriff des Staates verknüpfen. Die Vieldeutigkeit des Wortes Staat nimmt im Verlauf des 17. Jahrhunderts jedoch ab, weil der Gebrauch des Wortes reflektierter wird. Diese Reflexion pflückt >>die in der Sprachpraxis gereifte Frucht« und beginnt die Bedeutung des Wortes auf innere, dann äußere Einheit politischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge hin zu konzentrieren (Weinacht 1968: 172), wie etwa im Ausdruck »Staatswesen« der Ordnung von Institutionen und Gewohnheiten eins Landes gefasst werden. Nur v01übergehend entwickelte sich im deutschen Sprachraum eine Verwendungsweise des Wortes, die dem alten Verständnis von societeas ciuilis nahe kommt. Diese »gesellschaftliche Komponente wird von den Ausdrücken Volk, Nation, Gesellschaft aufgesogen<<; für den Staat bleibt fast nutmehr das anstaltliche Moment zutück (Weinacht 1968: 238). Lediglich in den Konnotationen, die die Komposita Staatsbürger und Staatsgesellschaft transportieren, erhalten sich im Deutschen Reste dieser Sozialisierung des Staatsbegriffs. Erst nach der Französischen Revolution wurde der Begriff des Staates in Deutschland zu einem Leitbegriff der politischen Sprache (Koselleck 1990: 25). Zuvor hatten die Vielzahl und Diversität der zuvor existierenden politischen Fotmen die Verwendungen des Begriffs unbestimmt und uneindeutig gelassen hatten. Für die sich im 19. Jahrhundert verfestigende Gebrauchsweise des Begriffs sind vor allem drei Züge bemerkenswert, die ihre Spuren bis in heutige Verwendungsweisen und Semantiken des Begriffs behalten haben: die Hypostasierung des Staates zum autonomen Subjekt, die Verzeitlichung des Staates als »Projekt« und schließlich die unvollständige Säkularisienu1g des Staatsbegriffs. In der deutschen politischen Sprache avanciert der Staat im Verlauf des 19. Jahrhunderts zum »wlableitbaren Handlungssubjekt« (Koselleck 1990: 26), zu einem durch viele Einzelbestimmungen aufgeladenen Kollektivsingular. Der Staat wurde zum unverzichtbaren Komplementärbegriff zum »sich selbst ent-
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deckenden Subjekt« (Bennbach 2000: 124) und wie dieses als zusanunenhängendes, funktional gegliedertes, lebendes Individuum gedacht. Realgeschichtlicher Hintergrund dieser Subjektivierung des Staates ist die Herausbildung der Monarchien als territoriale politische Verbände. Die Personalisierung des Staates im »absoluten« Herrscher ist die Voraussetzung für die Verdichtung des: Vos:stellung vom Staat als eines nicht bloß verbundenen, sondern einheitlichem, mit sich identischem Subjekt. In diese Phase fallt auch die Entstehung der Vorstellung des Staates als Leiter eines Projekts. Die Herausbildung der Gouvemementalität (Foucault 1991; 2004) fällt in diese historische Phase: »Der Staat« übernimmt Aufgaben, er betreibt die Entwicklung des Handels und >>der Wirtschaft«. Diese Maßnahmen, die in Wahrheit der realen Machterweiterung der Fürsten dienten, verdichten sich in den Vorstellungen. gleichsam zum »Auftrag« des neuen geschichtlichen Subjekts, des Staates. Dies ist im deutschen Sprachraum zugleich die Entstehungsphase der »PoliceyWissenschaft«, mit ihrem karitativ ausgerichteten Ordnungsdenken (vgL Bennbach 2000: 132). Noch bevor diese Auffassung in der Metapher des »Organismus« ihren popularisierten Ausdruck findet, erfahrt der Begriff des Staates außerdem eine Temporalisierung, für die nach KoseHeck die Gegenüberstellung des »idealen Staates« mit dem empirischen Staat typisch ist. Der »Staat als Idee« ist theoretischer Vorgriff und somit auch Maßstab kritischer Bestandsaufnahme bei der Beurteilung empirischer Staatlichkeit. Diese Ambiguität des Staatsbegriffs durchzog im 19. Jahrhundert sowohl das liberale wie das konservative Lager und ftndet sich selbst bei den Frühsozialisten. Zugleich wurden dem Staat Aufgaben zugeschrieben, die weit übes: die Inhalte bisperiger Regies:ungspraxis hinausweisen. Bei Fichte wird der Staat auch Erziehungsstaat, Schillers »ästhetisches: Staat« wird das Modell des deutschen Bildungsbürgertums. Orientierten sich diese Entwürfe an den Traditionen und an den Idealen ihrer Zeit, so nahm erst Hegel dann die empirischen Staaten in seine Theorie des Staates mit auf. Seine Argumente versuchen der historischen Relativierung des Staates ebenso zu entkommen wie der rein nonnativen Betrachtung möglicher, wünschenswerter Staatsauffassungen. Hegel gründet seinen Staatsbegriff >>in der sich selbst legitimierenden Organisationsleistung«, »die Freiheit sosehr voraussetzt wie absichert« (Koselleck 1990: 39). In der Folge wird der Staatsbegriff zunehmend demokratisiert, aber er wird auch geschichtsphilosophisch aufgeladen: Dem Staat wachsen >>Erlösungsqualitäten« zu (Koselleck 1990: 40). Diese Aufladung des Staatsbegriffs gilt nach zwei Seiten, sie erfasst die fortschrittliche Kritik der gesellschaftlichen Verhält-
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nisse genauso wie die konservative Sakralisierung des Staates?9 Emat1Zipation wird fortan im Rahmen des Staates gedacht. Die Transzendierung der politischen Ordnung verlässt nicht den Rahmen der staatlichen Ordnung. Die bürgerliche Bewegung des Konstitutionalismus bezieht sich auf einzelstaatliche politische Räume, so sehr ist die Staatlichkeit als konstituierendes Prinzip des Politischen überhaupt auch im Deutschland in der Mitte des 19. Jahrhunderts bereits sedimentiert. Die »Befreiung« meinte nicht das Ende der staatlichen Form, sondern nur deren Umbildung zu einer anderen institutionellen Ausgestaltung. Auf der konservativen Seite des politischen Spektrums wurden Ordnungsvorstellungen und -ideale in gleicher Weise an die Form des Staates gebunden, wobei in Deutschland ·das Milieu des protestantischen Bildw1gshürgertums über Titel und Pensionen eng mit der staatlichen Ordnung verknüpft - den Hauptteil dieser gedanklichen Arbeit leistete. Dies waren nicht nur die Beamten und Juristen mit ihren Interessen am Staat und ihren Fachterminologien, sondern auch die Akademiker wie die Historiker, die sich ptimär am Handlungssubjekt »Staat« orientieren (Koselleck 1990: 44). Weit über das 19. J abthundert hinaus bleibt die Staatssemantik im deutschen Sprachraum »theologisch intoniert«, bis hin zur Salcralisierung des Staates etwa bei Heinrich Treitschke (vgl. Langer 1998; Daniel2000). In der politischen Sprachpragmatik zeigt sich gleichwohl ein durchaus schwankender Stellenwert. In der Lexikographie wird der Begriff zw1ehmend mit Volkssouveränität und Rechtsstaatlichkeit in Verbindung gebracht, aber auch mit »Kulturstaat« und »Volk«. Schließlich tritt die Organismusmetaphot-ik ihren Siegeszug an (vgl. Oertzen 1974: 170ff.), weil sie elastisch genug war, um die Grenze zwischen Staat und Gesellschaft zu verwischen und um lexikalisch einen liberal-konservativen Kompromiss zu ermöglichen. Für die historische Rechtsschule des 19. Jahrhunderts war der Staat noch eine Naturtatsache. Im Verständnis des Staatsrechtiers Caspar Bluotschli etwa zeigten Staaten Leben, Wachstum, innere Gliederung und Entwicklm1g »von Innen heraus«. Sie besaßen eine »Einheit von Geist und Leih<(, sie wurden konzipiert als Gipfelpunkte der menschlichen Entwicklung, denn im Staat kämen »das Volk oder die Menschheit erst zu ihrem Selbstbewusstsein als zu einer Darstellung ihres Gesamtlebens«. Die »Anlage zum Staat« sei von Gott in die menschliche Natur gelegt (1865: 616).
59 Der Begriff des Staates ist in Deutschland deshalb nicht zum Kampfbegriff geworden. Der empirische Staat wird Wlter anderen Bamtem herausgefordert. Von der breit~~l Masse der Bevölkerung wird der Begriff nicht benutzt, Wld wenn, dann pejorativ (Koselleck 1990: 51).
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Im 19. Jahrhundert nahmen in Deutschland die Auseinandersetzungen über die innere Ausgestaltung des Staates an Schärfe zu. Im Mittelpunkt stand dabei - Ausdruck des .bürgerlichen Emanzipationssttebens - die Frage der Verfassungsstaatlichkeit (vgl. Mommsen 1998). Dabei standen sich Auffassungen gegenüber, in denen die Geschichtlichkeit politischer Ordnungen eine stark unterschiedliche Rolle spielt. Für den naturrechtliehen Kontraktualismus spielte das Alter, die Tradition, keine legitimierende Rolle, für den an ständischen Prinzipien orientierten Konservatismus hingegen war das Recht eine historische Kategorie, dem das Vernlmftrecht keine alternativen Geltungsquellen entgegenzusetzen hätte. Die Verfassungsstaatlichkeit setzte sich in Deutschland erst im 19. Jahrhundert durch, und entsprechend vielfältig sind die Begründungsstrategien für diese Abweichung von der allgemeinen historischen Tendenz. Diese »Ersatzformen des Verfassungsstaates« (Haverkate 1990: 69) reichten von der bürgerlichen Gesetzgebung als alternative Kodifikation über die Behandlung der Rechtsstaatsidee als bloßes moralisches Postulat bis hin zu der Vorstellung des sich aus dem Ethos seines Personals modernisierenden »Beamtenstaats«. Keine dieser Vorstellungen stellt das Prinzip der Staatlichkeit noch in Frage, wieder geht es nur um die Frage der institutionellen Ausgestaltung des Staates, um die Frage, auf welche Geltungsgründe staatliche Herrschaft zurückzuführen sei und welche konkreten Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft zu denken und politisch ins Werk zu setzen seien. Das 19. Jahrhw1dert ist auch in Deutschland eine Phase beträchtlichen Staatswachstums. Nicht nur die militärischen Apparate, sondern auch Verwaltung und ein sich stetig erweiterndes Repertoire von »Staatsaufgaben« führen zu'einer häufigeren Thematisierung des Staates auch jenseits der wissenschaftlichen Diskurse. Die Apparate werden gedanklich mit dem Staat identifiziert Nicht mehr nur die territoriale Einheit und der rechtliche Anspruch oder die herrschenden Personenkreise, sondern die sich rasch ausdifferenzierenden Apparate, in denen die staatliche Macht gerinnt, werden fortan zum wesentlichen Kernelement der Vorstellungvom Staat. Mit dem Anwachsen des Staates wächst aber auch die Zalu seiner Kritiker. Nietzsches Ablehnung des säkularen demokratischen Staates, der ohne religiöse Grundlage als bloßer Interessenverein keine Zukunft habe (1878/1988: 306),60 ist dafür ebenso ein Beispiel wie für Marx Kritik des »politischen Staa60 Nietzsche ist aber vorsichtig: »So wird ein späteres Geschlecht auch den Staat in einzelnen Strecken der Erde bedeutungslos werden sehen,- eine Vorstellung, an welche viele Menschen der Gegenwart k.'!um ohne Angst und Abscheu denken können. An der Verbreitung und Verwirklichung dieser Vorstellnng zu arbeiten, ist freilich ein ander Ding; man nmss sehr anmaassend von seiner Vernunft denken nnd die Geschichte kaum halb verstehen, um schon
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tes« in dem bloß eme formale, politische Emanzipation erreicht werden könne. 61 Die Demokratisierung des Staates geht aber auch einher mit seiner Soziologisierung. Dem Staat wird, auch in Deutschland, die bürgerliche Gesellschaft entgegengestellt. Lorenz von Stein und andere erkennen die Brisanz der sozialen Frage und räumen in ihren Argumentationen für eine staatliche Antwort auf diese Dynamik ein, dass nicht die politische Instinttion, sondern der gesellschaftliche Raum, in dem diese sich bewegt, das kausal vorgängige Moment ist. Mit den Appellen, die den Staat dazu drängen, auf soziale Lagen zu reagieren, entwickelt sich die Vorstellung des sozial steuernden, des in großem Maßstab intervenierenden Staates. Zwei Strömungen treffen sich hier offenbar: Einerseits entwickelt sich der staatliche Interventionismus auf der konservativen Seite als Reaktion auf die als politisch gefährlich empfundene »soziale Frage«. Diese Vorstellung knüpft zwar an Ideen und Prakti.ke11 des Staates als Instanz sozialer Kontrolle an (vgl. Dülmen 1998: 321ff.), erweitert sie jedoch zu einem flächendeckenden Großprogramm mit gesamtgesellschaftlicher Planung und, die Geburt der Sozialwissenschaften, akademischer Begleitung. In den frühen, noch vor-liberalen, naturrechtlich inspirierten Fassungen des »Policey«-Staates mit Vorsorge und Erziehungsauftrag hatte diese Konzeption in Deutschland ältere Vorläufer. Der andere Strang entwickelte sich aus der ALbeiterbewegung selbst, vor allem aus ihrem reformistischen Flügel. Auch Lasalle und Kautsky sind Programmatiker eines expansiven Staates. Die Expansion des Staates in die Wirtschaft62 und seine Rolle als Fürsorger galten ihnen aber gleichzeitig als
jetzt clie Hand an den Pflug zu leben, - während noch Niemand die Samenkön1er aufzeigen kann, welche auf das zerrissene Erdreich nachher gestreut werden sollen. Vertrauen wir also >der Klugheit und dem Eigennutz der Menschen', dass jetzt nrxh der Staat eine gute \'\'eile bestehen bleibt und Zerstörerische Versuche übereifriger und voreiliger Halbwisser abgewiesen werden!« (1878/1988: 306f.). 61 »Der politische Staat verhält sich ebenso spiritualistisch zur bürgerlichen Gesellschaft wie .der Hin1mel zur Erde. Er steht in dem~elben Gegensatz zu ilir, er überwindet sie in derselben Weise wie die Religion die Beschränktheit der profanen Welt, d.h., indem er sie ebenfalls wieder anerkennen, herstellen, sich selbst von ilit· beherrschen lassen muß. Der Mensch in seiner nächsten Wirklichkeit, in der bürgerlichen GeseUschaft, ist ein profanes \1(1esen. Hier, wo er als wirkliches Inclividuum sich selbst w1d andem gilt, ist er eine unwahre Erscheit1tu1g. In dem Staat dagegen, wo der Mensch als Gattungswesen gilt, ist er das imaginäre Glied eit1er eingebildeten Souveränität, ist er seines wirklichen inclividuellcn Lebens ber-aubt und mit einer unwirklichen Allgemeinheit erfüllt.« (Marx 1856/1963: 445). 62 Auch für den Appdl, der Staat müsse in »die Wirtschaft« intervenieren, kann bereits in1 19. jahrhw1dert auf eine lange Kontinuität verwiesen werden, wie Lasalle es auch tat: Agr:uprogramme, Straßenbau und Bankenförderung sit1d seit langem etablierte Bereiche staatlicher Wirtschaft (Haverkate 1990: 86).
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Vorstufen zu einer Verwandlung des bürgerlichen in einen sozialistischen Staat. Daneben riss der autoritäre Strang der Staatsauffassungen indes nicht ab. Im Gedanken des Machtstaats findet er einen neuen Ausdruck. Im Mittelpunkt dieser Konzeption, für die etwa Treitschke als Vertreter angesehen werden kann, steht die Gehorsamserzwingung durch den Staat, der allein Recht setzen und sprechen darf, und dessen Gesetze zwingend sind. In unterschiedlichem Grade prägte sich diese Staatsvorstellung als nationalistisches I)rogramm aus. Ihre historische Radikalisierung erhielt diese Strömung in der Theoretisierung des »totalen Staats«, eine Linie der Interpretation des Staatsgedankens, die sich von Ludendorff bis in die Ideologieproduzenten des Nationalsozialismus ziehen lässt (vgl. Schulze 1994: 286ff.). Hier galt der Staat als Ausdruck einer völkischen Substanz. Entsprechend autoritär und unbeschränkt hatte er auf Herausforderungen von Innen und Außen zu reagieren. Die bürgerlich-liberale Auffassung des Staates als Rechtsstaat hat auch der Nationalsozialismus nicht auslöschen können. Seit Kant, für den der Staat sich aus der Notwendigkeit von Rechtsverhältnissen zwischen Subjekten ergeben hatte, war diese Denktradition um die Frage der Ausgestaltung der rechdichen Ordnung zentriert, wobei, ganz der liberalen Tradition entsprechend, keine völlige Ineinssetzung von Staat, Nation und Gesellschaft gedacht wurde, sondern der Staat selbst als Produkt rechtlichen Einschränkungen zu unterliegen hatte. Die gleichzeitige Existenz dieser Staatsauffassungen kommt etwa in Fraenkels Theorie des »Doppelstaats« (1984) zum Vorschein:· Neben dem »empirischen« nationalsozialistischen Staat existiert gleichzeitig - und darüber hinaus - ein Staat als Corpus des Rechts. Als Rechtskörper konnte der deutsche Staat über das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft hinaus existieren. In der juristischen Disziplin der Staatslehre hat sich die Multivalenz des Staatsbegriffs am augenfalligsten erhalten. Die dort dem Begriff zugrunde gelegte »Einheit« von Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt wirkt heute mythisch. Mehrere Traditionen des Denkens über den Staat scheinen sich in diesem Staatsbegriff zu überlagern. Zunächst gelten das einzelne Subjekt und die Gesellschaft als Gegenbegriffe des Staates. Gesellschaft wird dabei in liberaler Tradition verstanden als »Selbstregulierungsautomatismus« (Herzog 1971: 132) dem der Staat als »permanente Organisation und Herrschaftsträger« (ebd.: 118) gegenüberstehe. Dem Staat vorgängig als Souveränitätsträger ist in dieser Vorstellung jetzt das »Volk<<, das nicht mehr biologische Merkmale unterschieden wird, sondern sich durch »Kulturtatsachen« wie Gemeinsamkeit der Sprache, Geschichte und weltanschaulichen Überzeugung (ebd.: 42) definieren lassen soll. Das >>Staatsvolk« kann gleichwohl aus mehreren Nationen beste-
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hen. Rechtstheoretisch wird der Staat die Gemeinschaft derer, die ei.t1 und derselben »wirksamen rechtlichen Normenordnung« w1terliegen (Zippelius 1999: 48), deren Reflexivität und demokratische Kontrolle den Rechtsstaat ausmachen. Dass diese Vorstellungen sozial und politisch so ungemein verbreitet und wirksam wurden, hängt indes mit der empirischen Bedeutung des Staates zusammen. Im organisierten Kapitalismus (Dobh 1966; Winkler 1974) werden die staatlichen Regulierungen und die staatlichen Anstalten lebensweltlich so bedeutsam, dass der Staat zum »Teil der Landschaft« wird (Migdal 2001: 168). Die Institutionalisierungen der Realgeschichte verfestigen sich i.t1 der Vorstellungswelt und im Habitus- die Vorstellung, es könne vielleicht einmal keinen »deutschen Staat« geben, wird unmöglich. So wie die Lebensbewältigung ohne den Staat nicht meht vorstellbar ist, so wird es auch zunehmend schwierig, sich das Politische ohne den Staat zu denken. Die zunehmende Staatstätigkeit, das Gedankenwerk der Juristen, das Ausgreifen der staatlichen Großanstalten, in denen die Staatslehre unterrichtet und praktiziert wird - dies alles reproduziert die Wirklichkeit des Staates in Praktiken und sein Ideal in den Köpfen. Die Hauptergebnisse des Zusammenspiels von Real- und Begriffsgeschichte, die hier nur seht kursorisch vorgenommen werden konnte, lassen sich so zusammenfassen: E1'stms werden die Hauptlinien und Themen der Diskussion durch soziale Prozesse bestimmt, nicht durch die Eigendynamik politischer Herrschaft oder gar einen Logizismus des Rechts. Man kann dies erkennen am Aufkommen der Repräsentationsdebatte, die auf dem Anwachsen der Macht ständischer Interessen beruht, oder am Aufkommen der >>sozialen Frage«, in der sich Forderungen und die Sorge wn Wandel zu Debatten wn die Umgestaltung des Staates verbinden. Der Staat ist an diesem Wandel freilich zunehmend beteiligt. Zweitens gibt es in den Debatte11 um den Staat ei.t1e historische Tendenz der zunehmenden Abstraktion: die Konzepte werden immer »eigendiskursiver<<, die Referenzen entstammen mehr und mehr dem semantischen Feld, das sich als »Politik« herausschält. Drittms: Diese Diskussionen sind nicht national geschieden. Die Bilder und Meinungen von den Ereignissen und Reformen der jeweils anderen Staaten werden mit zunehmender Aufmerksamkeit und abnehmender Verzögerung zur Kenntnis genommen, beobachtet und kommentiert. Sie schlagen sich zwar vermittelt, aber wirksam in den Debatten (und dann Taten) um jeweils konkrete einzelne »eige11e« Staaten nieder. Vierlens lässt sich in den Debatten eine wachsende Bedeutung des Rechts und der Binnengliederung des Staates beobachten. Je mehr der Staat wächst, desto mehr wird er zum Thema, und diese Thematisierungen sind nicht auf nationale Kontexte beschränkt. In der europäischen Geschichte fanden die
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Debatten um die Aufgaben des Staates, über seine Grenzen und Rechte gegenüber anderen Institutionen übergreifend statt. Fünftens ist schließlich ein politischer Diskurs ohne Bezug zum Staat nicht mehr möglich. Der Staat wird zum unhinterfragten, in der Theorie Politik erst konstituierenden Subjekt. Die Hypostasierung des Staates, trotz seiner empirischen Unabgeschlosssenheit, zum ontischen unit der Internationalen Beziehungen wirkt damit gleichsam natürlich (vgl. Devetak 1995). Vier Vorstellungen prägen fortan das Ideal des Staates, das sich aus den Selbstbeschreibungen dieser politischen Herrschaft und den konkreten Erfahrungen ergibt. Der Staat als GelllfJ/tmonopolist, als überlegene Instan~ der Staat als räumliche politische Einheit und der Staat als Apparat sind jene Merkmale, die sich im global verallgemeinerten Staatsideal wieder ftt1den lassen. Die realhistorische Entwicklung dieser Merkmale und die sozialtheoretische Fassung dieser Entwicklung werden im Folgenden noch etwas näher betrachtet. Die Frage der Gewalt gilt als der Grund des Staates- in einem doppelten Sinne. Einerseits liefert sie seit Thomas Hobbes »Leviath.·m« in der politischen Theorie die existentielle Begründung für die Zentralisierung der politischen Herrschaft im Staat. Für Hobbes ist das Gewaltmonopol Teil der Rechte des Souveräns, die »unübertragbar und unteilbar<< sind (1640/1986: 142). Seither ist dieses Monopol in allen neuzeitlichen Staatstheorien verankert. Andererseits ist die Monopolisierung der Gewalt Teil der realgeschichtlichen Konsolidierung staatlicher Herrschaft. Max Weber zufolge war die »Enteignun~< der vormaligen Inhaber der Gewaltmittel - also im europäischen Kontext: die der feudalen Herrschaften- die notwendig zu erfüllende Vorbedingung für die Ertichtung des modernen Staates. Erst auf dieser Grundlage wurde die Ausweitung und Potenzierung staatlicher Herrschaft, »die Verfügung über die gesamten politischen Betriebsmittel« möglich (1920/1985: 824). Das Gewaltmonopol nach innen war zugleich die Voraussetzung der Sicherung staatlicher Herrschaft nach außen. Die Geschichte der europäischen Staatsbildung ist deshalb auch die Geschichte von inneren und äußeren Kriegen.63 Norbert Elias hat die Entstehung zentralstaatlicher Gewalt als Resultat der Ausscheidungskämpfe zwischen feudalen Gewalten nach dem Modell des »Königsmechanismus« beschrieben (1988b) und dabei stets betont, da.~s die Überführung dieses Monopols unter eine demokratische Kontrolle, seine >>Veröffentlichung«, eine viel spätere Errungenschaft gewesen sei. Sie ging
63 »Alle Staatsverfassung ist zugleich Kriegsverfassung, Heeresverfassung; das darf man wohl als ein gesichertes Resultat der vergleichenden Völkergeschichte betrachten.« Diese Einsicht Otto Hintzes (1906: 53) ist von der späteren Forschung immer wieder bestätigt worden.
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einher mit der Verinnerlichung von Fremdzwängen, der Herausnahme der Gewalt aus den zwischenmenschlichen Beziehungen im Prozess der Zivilisation. Die Konsolidiemng des Gewaltmonopol im Staat beruht folglich auf einer Reihe von Einzelprozessen, reichend von der Abschaffung des Fehdewesens, der Entwicklung einer modernen Staatsverwaltung bis zur Ausdifferenzierung effizienter Agenturen und der Entwicklung entsprechender »ziviler« Mentalitäten bei Regierenden und Regierten. Doch die Ergebnisse dieser Prozesse sind in der Interpretation umstritten geblieben. Während die eine Theoriefraktion in der neuzeitlichen Staatenbildung die notwendige Voraussetzung der massenhaften Gewalt der Neuzeit sieht, betonen andere die pazifizierende Wirkung des Staates.64 Tatsächlich scheinen die übergreifenden historischen Untersuchungen zu belegen, dass die Etabliemng modetner Staatlichkeit wenigstens einen massiven Rückgang der inneren Gewalt bedeutet hat, die die Staaten selbst als »Kriminalität« verstanden.6S Zur Geschichte des staatlichen Gewaltmonopols gehören indes auch die Exzesse des staatlichen Termrs, der Systeme der Lager und der Kriege zwischen den Staaten. Die Verstaatlichung der Gewalt und die Errichtung eines Gewaltmonopols ist ganz offensichtlich ein »unselbstverständlicher Prozess« (Trotha 1995: 17). Die innere Konsolidierung des Staates ist in der europäischen Geschichte durch die Konkurrenz der Staaten zwar immer von außen gestützt. Denn die Interaktionen des internationalen Systems machen eine Adresse notwendig, es gibt von außen die Erwartungshalturig, einen Staat und eine Regierung vorzufinden. Die internationale Politik drängte auf die Verwirklichung des Ideals des Staates. Doch die Eroberung einer Position, die den Ansptuch auf lnnehabung dieser »Adresse« tatsächlich glaubhaft macht, trifft immer auf Widerstände, so wie einmal errichtete Monopole auch gewaltsam entwunden werden können oder sich wieder auflösen können. Das Ergebnis der Auseinandersetzungen um die Ausf01mung von Staatlichkeit ist nicht vorbestimmt. Der Prozess der Monopolisietung des legitimen Gewaltgebrauchs ist nicht nur nie zur gänzlichen Auflösung gewaltgeladenen Rechtsreservate - etwa in der bürgerlichen Familie - gekommen, sondern die
64 Vgl. hierzu die Kontroverse zwischen Krippendorff (1985) w1d Münkler (1987a) sowie Joas (2000). 65 Eine verlässliche Antwort auf die Frage der langfristigen Kriminalitätsentwicklung ist schon wegen der Unzuverlässigkeit der Daten ein eigentlich unmögliches Unterfangen. Überblicke beschränken sich auf das 19. und 20. Jahrhundert (vgl. Chesnais 1981 und Gurr 1979). Diese »Lücke« ist darauf zurückzuführen, dass die Statistik der Kriminalität ein direktes Korrelat der Staatsbildung ist, denn Staaten definieren, welche Handlungen als kriminell gelten.
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Monopolisierung ist insgesamt an bestimmte begleitende Bedingungen gebunden. Diese betreffen zunächst den Staat selbst. Denn damit die staatlich geordnete Gewalt nicht ihrerseits wieder umschlägt in Gewaltherrschaft, ist die politische Unterordnung der Gewaltapparate eine notwendige Voraussetzung. Auch in der europäischen Geschichte ist der Abschluss dieses Prozesses in einigen Fällen erst in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts erfolgt, so etwa in Spanien, Griechenland und Portugal. Erst wenn die Sicherheitsagenturen des Staates entpolitisiert sind, wenn sie sich ziviler Amtsautorität fügen, ist die Chance gegeben, dass die Monopolisierung des Gewaltgebrauchs durch den Staat dauerhafte Akzeptanz fmdet. Diese Veröffentlichung des Gewaltmonopols ist integraler Bestandteil der Legitimitätsordnung des modernen Staates. Die Errichtung und Verwaltung des Gewaltmonopols setzt nicht allein einen hinreichend qualiftzierten und disziplinierten Stab voraus, der selbst Gewaltkompetenz aufweisen muss. Das Gewaltmonopol des Staates ist auch an soziale Voraussetzungen außerhalb des Staates selbst gebunden. An der Geschichte der Disziplinierung kann man rekonstruieren, dass die Erfassung der »Bevölkerung« als Objekt des Regierens, die Formung der Subjekte und die Verinnerlichung der Fremdzwänge als langfristige und ihrerseits voraussetzungsreiche Pl'Ozesse das notwendige soziale Korrelat des staatlichen Monopolisierungsbestrebens sind. Der große Prozess der Sozialdisziplinierung, die Formung der Körper und Gemüter in staatlichen Anstalten ist offenbar ein weiteres Moment, dass mit der Durchsetzung des Gewaltmonopols verbunden ist. Nur wenn der Staat seinen Anspruch bekannt macht und zugleich seine Präsenz unter Beweis stellt, hat ?te Monopolisierung Chancen. Insofern reicht die Disziplinierung oder, in Elias'scher Formulierung, die Zivilisierung - der Subjekte allein nicht aus, um dem staatlichen Anspruch auf Monopolisierung der Gewalt zur Wirklichkeit zu verhelfen. Anerkennung fmdet der Anspruch nur dann, wenn er mit Leistungen einhergeht. Darunter ist die der Sicherheit vor Übergriffen physischer Gewalt die basale. Das zweite konstitutive Element des modernen Staatsverständnisses ist die Idee der Souveränität. Hervorgegangen aus dem Bemühen, der sich verselbständigenden politischen Macht des absolutistischen Fürsten eine säkulare Begründung zu geben, die zugleich eine Entpolitisierung der konfessionellen Unterschiede etmöglichen sollte, hat sich die Idee der Souveränität mit der von Staatlichkeit zur Vorstellung der Suprematie staatlicher Herrschaft verschmolzen. In ihr drückt sich der Anspruch staatlicher Herrschaft aus, nach Innen nötigenfalls mit Gewalt andere Agenturen sozialer Kontrolle sich unterzuord-
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nen und nach außen als gleichrangiger Akteur unter gleichartigen anderen akzeptiert zu werden. Das SHbjekt der Souveränität indes verändert sich im Verlauf der Fonnation des westlichen Staates, Der Anspruch souverän zu sein, bezieht sich zunächst auf den Fürsten, dann auf den Monarchen, und überträgt sich im Zeitalter der bürgerlichen Revolutionen auf»das Volk« als Kollektivsingular. Über diese ganz allgemeine Tendenz hinaus prägten sich wiederum Unterschiede der historischen Konstellationen als nationale Besonderheiten in diesen Vorstellungen aus. In Frankreich wurde aus dem monarchischen Subjekt die republikanisch verfasste nation, in England hingegen ist die Übertragung der Souveränität als Kntg-in-Parliament als ein zusammengesetztes Ganzes ein inkrementaler Prozess, in Deutschland entwickelt sich aus der Konkurrenz der Vorstellungen von fürstlicher Souveränität versus Volkssouveränität im 19. Jahrhundert die Idee der >>Staatssouveränität<<, zeitgleich mit der Vorstellung des Staates als Rechtssubjekt. Im Gegensatz zum Subjekt der Souveränität verändern sich die bilmlte des Begriffs nur wenig. Sie bezeichnen ein »Bündel von Regeln« (vgl. Krasner 1999: 220ff.), die sich sowohl auf das Verhältnis von Subjekt und Objekt von Herrschaft wie auch auf die Verhältnisse zwischen Herrschaften beziehen. Die Analogien zur Ausbildung der neuen Formen marktförrniger Vergesellschaftung sind so evident, das sie schon den Begründen1 der Lehren der Souveränität auffielen: Eigentum und Vertrag als juristische Formen der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft sind zugleich Grundmuster der Vorstellungen von Staaten und ihren Beziehungen (vgl. Macpherson 1967: 113ff.). Insofern ist der Begriff der Souveränität Ausdruck einer neuen Epoche: »... ; Souveränität aber ist das Wesen jedes bürgerlichen Staates. Denn Entstehung der Souveränität bedeutet die Loslösung des Staatsamts vom feudalen Eigentum, das Verschwinden aller unaufhebbaren Rechte gegen den Staat, die Möglichkeit, das Recht jeder7..eit entsprechend der stets revolutionären kapitalistischen Entwicklung zu revolutionieren, die durchgehende Einheitlichkeit und Übermacht der zentralistischen Verwaltung über ständische und lokale Sonderrechte, mit einem Wort, den politischen Teil der Entstehung der kapitalistischen Gesellschaft« (Borkenau 1971: 441). Der Begriff der Souveränität wurde Merkmal wie Anspruchstitel für übergeordnete Herrschaft sowohl im Innem des sich zunehmend räumlich klar abgegrenzten Staates wie auch als ständige Referenz der Argutt1entationen über Ansprüche zwischen Staaten. Im allgemeinen populären Bild des Staates wird das »Staatsoberhaupt« als Kopf des als Organismus gedachten Staates, als head of state zum Träger der Souveränität (Boldt 1990: 144). So überlappen sich
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die Vorstellungen der unteilbaren, an der monarchischen Figur orientierten Ideals mit der organizistischen Idee des Staates. Die semantische Verfestigung, die mit der Verwendung des Begriffs einherging, war jedoch nur von kurzer Dauer. Trotz der andauernden Benutzung des Begriffs lässt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs seine empirische Aufweisbarkeit deutlich nach.66 Der Begriffwar nie eine analytische Kategorie, und verliert nun auch an Evidenz als referentielle Norm in den Argumentationen der zwischenstaatlichen Beziehungen. Zwar dauert im Völkerrecht und in der Rhetorik des Staates seine Verwendung fort. Und aus diesen Erwähnungen speist sich die populäre Vorstellung von der Vielzahl der souveränen Entitäten, die als Staaten die Gemeinschaft der politischen Subjekte des internationalen Systems bilden. Faktisch aber, in den Praktiken des einzelnen Staates wie in den realen Verhältnissen zwischen Staaten werden die Normen der Souveränität zur Fassade, zur »organisierten Heuchelei« (Krasner 1999). Einerseits gerät die Vorstellung von der unitären und unteilbaren Souveränität in Widerspruch mit föderativen und pluralistischen Staatskonzeptionen (vgl. Boldt 1990: 153), andererseits wird die Behauptung, Souveränität als ein Bündel von Prinzipien sei ein Strukturprinzip des internationalen Systems, immer unglaubwürdiger. Das dritte Merkmal der Idee moderner Staatlichkeit besteht in einer spezifischen Form der Politisierung des Raumes, in der Vorstellung von Territorialität. Territorien sind- demnach geschlossene Gebiete, deren Grenzen eine Unterscheidung zwischen Intern und Extern bilden und damit politische Herrschaften voneinander trennen. Der moderne Staat wird gedacht als eine abgrenzte Fläche, deren Grenzen Kontrollen unterliegen und in deren Inneren staatliche Hertschaft gilt: Staatliche Rechtssetzung und -durchsetzung beziehen sich einheitlich auf dieses Territorium und enden an dessen Grenzen. Territorialität ist aber nur eine speziftsche Kodiftzierung und Politisierung des Rawnes. Sie ist als Vorstellung ein Resultat der Transformation der komplexen Rechtsverhältnisse des Feudalismus im mittelalterlichen Europa. Nicht notwendig ist politische Herrschaft territorial verfasst, und territoriale Herrschaft muss nicht unbedingt auf eine distinkte, exkludierende Einheit hinauslaufen (Ruggie 1993: 149). Die mit der Idee des modernen Staates gedachte territoriale Form mitallihren Implikationen ist die Abstraktion einer besonderen historischen Form. Als der weltgeschichtliche Normalfall darf wohl mit Recht eher die mittelalterliche Raumordnung aus überlappenden Rechtsräu-
66 In der Literatur wird dies weitaus früher sichtbar, als die meisten Darstellungen über >Kias Ende des Staates« glauben lassen, vgl. Czempiel (1969).
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men gdten, die nur Grenzzonen kennt, keine trennscharfen Linien (vgl. Badie 1995: 31ff.). Die semantischen Veränderungen und ihre Gründe, die zur Entstehw1g des modernen Territorialitätsbegriffs geführt haben, sind nicht systematisch erforscht. Der deutsche Begriff des »Landes« jedenfalls ist in der Frühen Neuzeit noch nicht zu trennen von Gemeinde und Recht, konstitutiv für die Gliederung des Reiches ist die Rechtsgenossenschaft (Brunner 1965: 194f.). Wie in anderen feudalen Ordnungen ordnet sie nach sozialem Status, nach Verwandtschaft und Abstammung, und korreliert nur lose mit räumlich eindeutigen Grenzen. Diese Umformung von te"a in tenitoritnn lässt sich als Schließung ökonomischer Chancen interpretieren, denn mit der Konsolidierung und Fixierung räumlicher Grenzen ging die Aneignung ökonomischer Machtmittel einher. Die administrativen Vorleistungen der Kirche, die bereits übergreifende Gebietsgliederungen kannte, ist ebenso eine histot"ische Voraussetzung der Ausbildung des territorialen Prinzips, als dessen eigentliche Geburtsstunde der Westfilische Friede gilt (Badie 1995: 35-52). Schließlich berührt auch der Wandd der materiellen Reproduktionsformen die Weisen des Umgangs mit dem Rawn: Mit der Entstehung der gewerblichen Produktion wächst auch das Bedürfnis nach genauer und standardisierter Messung von Flächen und Distanzen, mit der Zunahme des Handels auch das Bedürfnis nach flächendeckendem Schutz vor Gewalt (vgl. Gutiewitsch 1989: 90). Die Gründe für die Evidenz und Gdtung der Tenitmialität als Teil der Idee des Staates liegen indes tiefer. Erst mit der Entstehung der »subjektivanthropologischen Perspektive« (Gurjewitsch 1989: 86ff.), die sich am Ende des Mittelalters herausbildet, wird die Wahmehmw1g der politischen Welt als aus Flächen zusammengesetztes Ganzes möglich. Diese Perspektive des si11gle point of view (Ruggie 1993: 159) ist eingebettet in einen grundlegenden Wandel der sozialen Episteme (ebd. 157), der Auffassung von Gesellschaft und Politik. Die Vorstellung eines homogenen, aber aufteilbaren Rawnes ist Teil dieses Wandels. Auf ihr beruht auch die sich im Mittelalter ereignende Tendenz der »Erdung« gesellschaftlicher Beziehungen (Gurjewitsch 1989: 91). Landbesitz und politische Kontrolle von Landrechten sind in der politischen Wahrnehmung kawn weniger wichtig geworden. »Tenitmiale« Konflikte, also Konflikte, in denen es wn die Erweiterung von Staatsgebiet geht, sind nach wie vor weltpolitischer Alltagserscheinungen. Nicht nur die politischen Akteure übernehmen die Linien und Flächen der Karten als Gliederungsprinzipien in ihre Wahrnehmung politischer Zusammenhänge, auch weite Teile der wissenschaftlicheil Beschäftigung mit gesellschaftlichen und politischen Vorgängen sind seitdem vom »Landkartenbewusstsein« (Luhmann 1997, 1: 150) geprägt.
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Die Geschichte des neuzeitlichen Staates, die Verstaatlichung der Gesellschaften, verdichtet Territorialität zu einer immer feiner differenzierteren Ordnung in unterschiedliche Gebietskörperschaften und in eine immer genauere Erfassung des Raumes. Grundbücher und Kataster sichern Eigentumstitel und sind zugleich staatliches Wissen über den Raum, seine Nutzung und die ihn bevölkernden Menschen. Die Evidenz des Territorialitätsgedankens beruht deshalb auch auf Praktiken und wirklichen Erfahrungen. Pässe und Grenzkontrollen, Landrechte und Fluchtbewegungen verdeutlichen die Verbindung von rechtlichem Status und Raum. Die Praktiken, die sich mit diesen Regelungen verknüpfen, lassen die territoriale Ordnung zum Bestandteil der modernen Idee des Staates werden. Die vierte Vorstellung, die sich mit dem Ideal moderner Staatlichkeit verbindet ist die eines Apparats. Der Staat erscheint darin als eine Bürokratie, die Aufgaben wahrnimmt, die den politischen Willen der »Staatsspitze« ausführt. Das leitende Ideal kommt dabei Max Webers Idealtyp der bürokratischen Herrschaft im rationalen Staat nahe. Zwei Merkmale sind darin für das Bild des modernen Staat prägend: Der rationale, moderne Staat, Weber zufolge eine nur im Okzident entwickelte Form, beruht auf Fachbeamtenturn und rationalem Recht (1920/1985: 815). Die Vorstellung vom Staat als Apparat ist indes viel älter als Webers Herrschaftssoziologie. Die Parallele zwischen wirtschaftlichem Unternehmen und staatlicher Bürokratie hatte schon seit dem 18.Jahrhundert die Redeweise vom »Staat als einer Maschine« zur gängigen Metapher gemacht (vgl. Anter 1995: 210ff.). Diese Metaphorik bezieht sich natürlich auf die Elemente der Arbeitsteilung, der nicht mehr reflektierten Betriebslogik des Staates, die in ihrer starren Rationalität und Selbstläufigkeit an mechanische Einrichtungen gemahnt. Mit der Ausdehnung der Staatsaufgaben ergab sich auch die Notwendigkeit, den »Stab« des politischen Verbandes flir den »Alltagsfall von Herrschaft«, die Verwaltung, zu entwickeln. In den Gebäuden der Verwaltung, in Gerichten, Schulen und Kasernen wurde der Staat als Apparat anschaulich und durch die Schul- und Wehrpflicht für die Mehrheit der Bevölkerung zur unvermeidbaren Erfahrung (vgl. Raphael2000: 186ff.). Die Präsenz des Staates in immer mehr Lebensbereichen, seine öffentliche Zurschaustellung in Paraden und Bauten veranschaulichten die Ansprüche des Staates auf Suprematie und zugleich seine Raumkontrolle. Diese Ausdrücke staatlicher Ansprüche wurden gleichwohl nicht irrtümlich nur für Realität genommen, sondern sie hatten ihren realen Grund. Denn der Staat als Apparat war zugleich Medium des sozialen Aufstiegs und soziales Sicherungssystem. In dem Maße wie Ämterkauf und Patronage verschwanden (vgl. Reinhard 2000: 189ff.), öffnete sich der Apparat. Der enorme Personal-
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bedarf des expandierenden Herrschaftsapparates war damit zugleich eme Achse der Verschränkung von Staat und Gesellschaft, die sich mit der Entwicklung zum Wohlfahrts- und Sozialstaat noch einmal verstärkte (vgl. Rosanvallon 1990: 184ff:). Die Masse derer, die über Arbeit und Lohn direkt mit dem Staat verknüpft waren, wurde zugleich zur Trägerschicht all jener Bestrebungen, das symbolische Kapital zu generieren, mit dem staatliche Herrschaft gestützt werden konnte. Das Ideal des Staates verdankt seine Verbreitung also nicht einer abstrakten geistigen Bewegung, sondern es ist in Europa durch Erfahrungen und Lebenslagen tief in den sozialen Habitus der Beherrschten wie der Herrschergruppen eingesenkt. Vorstellungen über den Charakter politischer Herrschaft sind nicht kontingent, sondern in der Entwicklung der Vorstellungen von Staatlichkeit überlagern sich hergebrachte Vorstellungen aus anderen Zusammenhängen mit Ideen und symbolischen F01men, die aus neuen sozialen Konstellationen und Konflikten henühren. Aber auch die institutionelle Ausgestaltung hat einen Einfluss auf die Verbreitung und die »Härte« von Vorstellungen und Ideen politischer Herrschaft. Wenn sich so auch resümieren lässt, dass die Versuche staatlicher Institutionen in der europäischen Geschichte erfolgreich darin waren, auch die Gemüter zu verstaatlichen, so ist dieser Prozess gleichwohl nicht abgeschlossen und nicht irreversibel. Auch in westlichen Gesellschaften ist die Dynamik um Macht und Herrschaft um den Staat nicht zum Stillstand gekommen. Auch hier lassen sich Praktiken beobachten, die dem Ideal des Staates widersprechen. Nicht nur die als Kriminalität vom Staat selbst als Regelabweichung denunzierten Praktiken, sondern auch solche, die einfache, vom vorgesehenen Zweck abweichende Formen des Gebrauchs sind, lassen sich dazu zählen. Korruption, Regelüberschreitungen und Herausforderungen der staatlichen Herrschaft, die gar keine gesatzte Regel betreffen, gibt es auch dort, wo staatliche Herrschaft gwße Legitimität besitzt und fest in der sozialen Realität verankert ist. In anderen Teilen der Weltgesellschaft ist diese Differenz weitaus größer. In vielen Regionen und in vielerlei Hinsicht steht das Ideal moderner Staatlichkeit trotz seiner Verbreitung und seiner Geltungsansprüche in scharfem Kontrast zu sozialen Praktiken, die anderen Normen gehorchen und anderen Loyalitäten folgen. Um die Dynamik von Macht und Herrschaft, die sich mit dieser Unterscheidung von Ideal und Praktiken fassen lässt, näher zu untersuchen, wird im Folgenden eine Auffassungsweise des Staates vorgestellt, die dieses Konzept umgreift.
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2.3 Zur Dynamik des Staates Wer nach dem Begriff des Staates sucht, wird schnell enttäuscht und verliert sich dann im Vielen. So variierend die Formen, Funktionen und Strukturen dessen sein können, was mit dem Wort Staat bezeichnet wird, so zahlreich sind auch die theoretischen Perspektiven, die gegenüber dem Staat eingenommen werden. Aus völkerrechtlicher Sicht ist das Merkmal der Souveränität zentral, die sich aus der mysteriösen Einheit von Staatsgebiet, Staatsgewalt und Staatsvolk ergeben soll. Aus politikwissenschaftlicher Sicht interessiert der Staat gegenwärtig vor allem als Ort von Verhandlungssystemen, für den Ökonom wiederum ist der Staat die Vielzahl öffentlicher Wirtschaftssubjekte. Aus allgemeiner systemtheoretischer Sicht ist der Staat die Selbstbeschreibung des politischen Systems, ein semantisches Artefakt. Für die vergleichende Analyse der Veränderungen politischer Herrschaft in zeitgenössischen nicht-westlichen Kontexten ist keine dieser Auffassungen sonderlich hilfreich. Denn sie gehen von begrifflichen Differenzen aus, die den Staat schon als abgrenzbare Sphäre voraussetzen. Die meisten theoretisch fundierten Staatsbegriffe sind für eine vergleichende Analyse untauglich, weil jdort, wo der Staat als politische Form nicht wirklich etabliert ist, sich Staat und \Gesellschaft einander nicht gegenüberstehen, so das sich die Geltungsbereiche \von Öffentlichem und Privatem, von Formellem und Informellem, von Lega~em und illegalem auch nicht voneinander abgrenzen lassen. In den Prozessen der europäischen Staatsbildung kam der bürgerlichen Gesellschaft die Aufgabe zu, einen bereits etablierten Territorialstaat zu mo' '· dernisieren. Die gegenseitige Verschränkung von Staat und Gesellschaft war ~~~r ein späteres Resultat. In den Gesellschaften der Dritten Welt ist die bür~ '·'-~' gerliehe Gesellschaft, als die Differenz, welche zwischen die Familie und den ·.~~<~{~; 1Staat .tritt (~~gel1840/1986: 3:9), hinge~en nur in ~sätzen ~twi~kelt. J?es~ 1halb 1st polinsehe Herrschaft 1n der Dntten Welt e1ngebettet 1n e1n soztales !Gefüge, das anderen Logiken folgt, als denen der bürgerlichen Gesellschaft. 'Aus begrifflichen Konzeptualisierungen, die diesen entscheidenden Unterschied nicht berücksichtigen, lässt sich nicht ableiten, wonach gesucht werden soll, wenn man die Formierung eines Staates analysieren oder auch nur be-
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weisung bei allen Operationen, die sich auf Politisches beziehen, wie dies etwa die Theorie sozialer Systeme postuliert. Die Analyse der Formierung politischer Herrschaft kann ihre Kategorien also nicht von einem Resultat auf andere Prozesse übertragen, sondem ihre Sprache muss zu dem Feld passen, das sie beobachtet. Die Beschreibung und die Analyse dieser Prozesse müss~n auch die Paradigmen verlassen, die die bisherigen Bemühungen kontrollierten, Herrschaft in der Dritten Welt zu theoretisieren. Weder die Teleologie der frühen Modernisiemngstheorie noch der deterministische Strukturalismus der Dependenztheorie, noch jene funktionalistischen Auffassungen, die den Staat als notwendige Erfüllung bestimmter Zwecke ableiten wollen, können für die vergleichende Betrachtung von Staatsdynamiken hinreichende Kategorien anbieten. 67 Zugleich sind Staaten und andere Formen nicht identisch. Kein Staat istl dem anderen vollkommen gleich. »Geschichte« w1d »Kultur« sind Großbegriffe ftir diese Ensembles von eingelebten Praktiken, die einen Kontext als besonderen definieren. Unabhängig davon, für welche kulturtheoretische Fassung des grundlegenden Zusammenhangs von Daseieodem und Werdendem man sich entscheidet: Eine zeitgemäße, das heißt sich auf der Höhe der theoretischen Entwicklung sich bewegende Theorie des Staates muss Aussagen zu diesem Zusammenhang formulieren können, ohne in historischen Relativismus zu verfallen oder die nicht in Zweck-Mittel-Relationen beschreibbaren Elemente begründender Lebenswelt konzeptionell auszublenden. Staatlichkeit wird immer von unterschiedlichen Kräften gefotmt. Die vor-·. gängigen Formen, die Art der Einbindung in Weltmärkte und regionale Kons- . tellationen ebenso wie die Figuration von Gruppen mit ökonomischer Macht und politische Allianzen entscheiden über die konkrete Form politischer Herrschaft mit. Für die Methode der Untersuchung der Dynamik staatlicher Herrschaft bedeutet dies, dass der Historizität der einzelnen F01m Rechnung getragen werden muss. Die hier eingenommene Perspektive soll eine soziologische sein, die Dynamiken von Macht und Herrschaft am Gegenstand des Staates in der Dritten Welt interpretiert, historisiert und kontextualisiert. Ein solches soziologisches Staatsverständnis kann sich auf alte Traditionen besinnen und beziehen: Nicht allein die Erklärung des Staates, sondern die Erfassung der ihn konstituierenden sinnhaften Handlungen ist nach Auffassung der nicht ganz so alten deut67 Zur Kritik von Modemisierongs- w1d Dependenztheorie vgL Menzel (1991), auch schon Migdal (1988: tOff.), zur Kritik des Fnnktionalismus vgl. Giddens (1981). Die Kritik dieser Positionen muss jedoch clie darin enthaltenen Themen nicht verwerfen. Sowohl clie Disl..l.JSsion um säk-ularen Wandel wie um die Außenabhängigkeit politischer Institutionen haben ihren Sinn bewahrt.
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sehen Theoretisierungsbemühungen vorrangiges Ziel der wirklichkeitswissenschaftlichen Staatslehre (Heller 1983: 58). Diese Interpretation als Aufgabe einer wirklichkeitswissenschaftlichen Staatslehre bezieht sich jedoch nicht auf eine unbestimmte empathische Einfühlung in ein reif1Zierten Gemeinwesens, sondern ist den Regeln der verstehenden Soziologie unterworfen. 68 Der Staat ist dabei nur Teil einer umfassenderen Analyse, denn die Totalität, aus der heraus allein der Sinn des Staates wirklichkeitswissenschaftlich verstanden werden kann, ist »das wirkliche menschliche Zusammenleben, die Produktion und Reproduktion des wirklichen Lebens« (Heller 1983: 58). ' Nur aus dem sozialen Kontext also, aus seiner Einbettung in andere soziale Institutionen und Praktiken, wird die Dynamik staatlicher lnstitutionalisierung tatsächlich erkennbar. Zu dieser kontextualistischen Orientierung der Methode einer Staatsanalyse auch die methodische Berücksichtigung seiner Geschichtlichkeit. Den Staat im Sinne seines Ideals als zeitlose objektive Dinghaftigkeit aufzufassen, ist nur einer unvermittelten und naiven Anschauung möglich. Wird jedoch diese starre Dingwelt als Geschichte erkannt, als konkrete Akte wirklicher Menschen in realen Verhältnissen, dann verliert auch der Staat seinen statischen Charakter - und gibt den Weg zu Fragen nach den Bestimmungsgründen seiner Entstehung und seines Wandels frei. Jede wissenschaftliche Behandlung des Staates und schon gar die Versuche seines theoretischen Begriffs sind, so Heller mit Verweis auf Marx, darauf verpflichtet, ihre begrifflichen Formulierungen am konkreten menschlichen Handeln nachweisen zu können: »Wir dürfen in ihr (der gesellschaftlichen Wirklichkeit, d. Verf.) keine außerhalb und unabhängig vom Menschen existierenden Produktivkräfte oder gar N erhältnisse< annehmen; alles Überpersönliche ebenso wie alles Unterpersönliche muss, um gesellschaftlich wirksam zu sein, persönlich-menschlich IJ.ktualisiert werden« (Heller 1983: 83). Die Soziologisierung des Staates bedeutet also neben einer Zuschaltung der historischen Perspektive und der Einbettung der theoretischen Schau in die soziale Totalität auch die Selbstverpflichtung, Aussagen über den Staat auch im flandein von Menschen nachzuweisen. Diese theoretischen und methodischen Vororientierungen entheben nicht der Notwendigkeit, den Begriff des Staates näher zu bestimmen. Nun sind die Versuche, den Staat zu »definieren«, ungezählt. Deftnitionen sind jedoch nicht beliebig, sondern von Erkenntnisinteres68 ... und daher theoretisch auch mit methodologischem Individualismus kompatibel: »Begriffe wie >Staat<, >Genossenschaft<, >Feudalismus< und ähnliche bezeichnen für die Soziologie, allgemein gesagt, Kategorien für bestimmte Arten menschlichen Zusammenhandelns, und es ist also ihre Aufgabe, sie auf >verständliches< Handeln, und das heißt ausnahmslos: auf Handeln der beteiligten Einzebnenschen, zu reduzieren<< (\Veber 1922/1988: 439).
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senund theoretischen Haltungen abhängig. Die Konkurrenz oder auch gegenseitig ignorante Vielzahl von Staatsbegriffen ist dieser Theorieabhängigkeit geschuldet. Eine vielleicht gängige, auf jeden Fall analytisch trennscharfe Möglichkeit bestünde in der voraus greifenden Bestimmung des Staates, etwa im Sinne des Webersehen rationalen Anstaltsstaates, um bei der Betrachtung empirischen Materials über eine politische Vergesellschaftung dann in Graden der Abweichung etwas über den jeweils betrachteten Staat auszusagen. Nun konzentrierte Webers idealtypische Methode sich auf den Zweck, Hypothesen über kausale Zusammenhänge zu generieren. Im Falle der Staatsdefinitionen wird dabei das Ideal des in der westlichen Geschichte dominanten Typs des legalrationalen Anstaltsstaates übersteigert, in dem gerade dessen typische Merkmale hervorgehobe11 werden. Dies erlaubte es, Aussagen über Grade der Abweichung und den Zusammenhang der einzelnen Momente zu treffen. Einer vergleichende Anlage einer Untersuchung, die sich auf Dynamiken von politischen Organisationen bezieht, die nur in höchst unvollständiger Weise die Merkmale eines rationalen Anstaltsstaates aufweisen, ist mit solch einer idealtypischen Herangehensweise allerdings nur eingeschränkt geholfen. Denn die Erfahrung der europäischen oder okzidentalen Staatsbildung bildet zwar einen wichtigen Teil der Interpretationsfolie. Prozesse der Bürokratisierut1g, die Rolle einer rechtlichen Kodifizierung, das Auseinandertreten von Geltungssphären etc. - all dies sind Momente politischer Entwicklungen, die für die Ausformung von Staadichkeit von besonderer Bedeutung sind. Jede Analyse der Formierung politischer Organisationen muss sie deshalb mit in den Blick nehmen. Eine vergleichende Betrachtung von politischen Prozessen, die in einer anderen historischen Phase und unter anderen Voraussetzutlgen stattfmden, muss jedoch ein gegenüber dem Ideal des modemen Staates erweitertes Verständnis des Staates verwenden, um die Elemente der Prozesse der Staatsbildung und der Entstaatlichung überhaupt zu beschreiben. Auch eine noch so präzise begriffliche Fassung des Resultats des Staatsbildungspwzesses in Europa bietet kein hinreichendes lnstrun1entarium für die Beschreibung und Analyse anderer Prozesse in anderen Kontexten. Für einen solchen Zweck bedarf es einer Auffassung, die der Offenheit dieser Prozesse gerecht wird und die zugleich möglichst wenig über die konkreten Formen präjudiziert. Dennoch muss sich eine Untersuchung der Dynamik staatlicher Herrschaft auf Identisches beziehen, das in der Redeweise vom Staat zum Ausdruck kommt. Sie muss das Allgemeine, das in den Verwendungsweisen des Wortes aufscheint, auf den Begriff bringen, ohne dabei illre Verwendbarkeit für die empirische Analyse einzubüssen.
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Diese Funktion übemi.mmt das Ideal des Staates, das im vorangegangenen ß.bschnitt herausgearbeitet wurde. Im Zuge der globalen Ausbreitung des westlichen Staatsverständnisses haben sich gewisse Vorstellungen von Herrschaft und von der besonderen Form staatlicher Herrschaft verbreitet, die für eine wachsende Zahl von Akteuren zu Referenzen geworden sind. Aus diesem globalen Prozess, nicht aus der Ubiquitär von Herrschaft, ergibt sich der allgemeine, übergreifende Bezugspunkt dieser Untersuchung. Es hat seine reale Entsprechung in der globalen Annerkennung dieses Ideals, vor allem auf Seiten derer, die »im Staat<< agieren. Dieses Ideal des Staates als einer kohärenten, territorialen Organisation steht jedoch in beständigem Widerstreit zur Wirklichkeit staatlicher Herrschaft, die, wie alle Indizien zeigen, eben nicht umfas1send, nicht sozial durchgreifend ist. Diesen Widerspruch gilt es im Begriff des Staates zu fassen. So lässt sich defmieren:
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r-Eilz Staat i.rt ein Machtfeld, über dessen Grenzen mit Mitteln der Gewalt entschieden wird, und dessen Dynamik vom Ideal einer kohärenten, kontrollierenden, territorialen Organisation und von den Praktiken so:daler Akteure geprägt 1 wird. L..,_
Die zentralen Begriffe dieser Auffassung bedürfen der Erläuterung, bevor auf die in dieser Perspektive auf den Staat enthaltenen Vorstellungen von der Dynamik staatlicher Herrschaft näher eingegangen werden soll. Die politische Wirklichkeit von Staaten- Staaten als Machtfelder- wird also einerseits vom »Ideal« des Staates und andererseits von den Praktiken der Akteure bestimmt, seien sie nun Teil staa~ Agenturen oder nicht. - Der Begriff des Udealspezieht sich dabei auf die Vorstellungen von der Form des' Staates, di~eute als Repräsentation allgemein global verbreitet ist. Dieses Ideal des Staates entspricht im Grunde der Selbstbeschreibung des modernen westlichen Staates, mit Merkmalen wie Organisation, Souveränität und Gebietskontrolle. Wenigstens seinem Ideal nach ist der Staat die höchste Regeln setzende Instanz innerhalb des von ihm kontrollierten Territoriums. Staatlichkeit in diesem Sinne ist zu einem globalen Maßstab geworden. Die »Verstaatlichung der Welt« hat so mindestens die Köpfe der politischen Akteure erfasst. , \n Diese Idee ist auch empirisch wirkmächtig. Denn zu Regieren bedeutet ~em impliziten Etatismus dieses Verständnisses nach, eine Gesellschaft zu gestalten. Überall hängen die Agenten des Staates, aber durchaus nicht nur sie, qer Idee an, »nationale« Gesellschaften seien auf den Territorien in Staaten ~rganisiert, deren Grenzen die Binnengliederung der politischen Welt - einer Staatenwelt - sei. Staatliche Akteure betrachten »ihre« Gesellschaften als Obfekte, die entwickelt, kontrolliert, unterstützt oder bewahrt werden müssen.
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./ Auch außerhalb Europas haben sich solcle, der europäischen Gouvememend talität vergleichbaren Vorstellungen ver:ffigemeinert, etwa in der Idee des E11t-· wicklungsstaates. ------·-
Das Ideal des Staates ist jedoch nicht nur unter seinen Agenten verbreitet. Auch außerhalb der staatlichen Appat-ate 'wird der Staat zumeist als einheitliche, zusammenhängende Agentur begriffen. Dass dieses Ideal des Staates so geläufig ist, bedeutet jedoch keineswegs, dass es WlW~stritten bliebe und wirklich überall anerkannt wäre. Innerhalb des Ideals markieren Grenzen die Zu-' ständigkeiten des Staates, und diese Zuständigkeiten sind umkämpft. Außerhalb des Staates stehen andere Machtbeziehungen und l-Ierrschaftskomplexe,, die die Suprematie des Staates nicht anerkennen, Teile des Staates gegeneinan-: der ausspielen, den Staat im Sinne eigener Logiken instrumentalisieren oder andere Codes in seit1em Innem zur Geltung bringen. Die Praxis des Staates entspricht deshalb seinem Ideal in aller Re~mE:-ht..,_ Mit dem Rekurs auf die Kategorie d~~~~~)vi.rd es möglich, mit dieser Vorstellung zu brechen, weil sie es erlaubt, die Unterschiede zwischen dem Bild, dem Ideal des Staates und seiner praktizierten Wirklichkeit zu thematisieren. Praktiken sind beobachtbares Verhalten, nicht nur intentionales Handeln. Praktiken, die die staatliche Handlungslogik unterlaufen, sie an ihrer Entfaltung hindem oder sie wnkehren, müssen nicht notwendig intentional gegen den Staat gerichtet sein. Bloße Gewohnheit, bloßes Sichverhalten kann die gleichen Effekte haben ..Mit dem Begriff der Praktiken wird dabei auf einen jüngeren sozialtheoretischen Theoriestrom verwiesen, der sowohl die Rigiditäten des formalen Rationalismus zu vermeiden sucht wie die Paradoxien des kulturellen oder historischen Relativismus (vgl. Reckwitz 2002). Nicht nur staadiche Akteure »praktizieren« den Staat, aber in ihrem Handeln w1d Verhalten werden die Grenzen des Staates unmittelbar sichtbar. Denn staatliches Handeln, Herrschaft, ist im Alltag Verwaltungshandeln. An den Möglichkeiten und Beschränkungen der staatlichen Agenten wird erkennbar, wieweit die Macht des Staates reicht, welches Maß an Wirklichkeit seine Ansprüche erlangt haben. Zugleich sind aber auch die Praktiken der nichtstaatlichen Akteure für den Staat konstitutiv. Ihr Beitrag zu der Wirklichkeit des Staates beschränkt sich dabei nicht auf ihre Interaktion mit den Agenten des Staates. Auch und gerade ihr Handeln und Verhalten, das sich gegen den Staat richtet, ihn oder seine Ansprüche ignoriert, bezeichnen die Grenze staat-, licher Herrschaft. Schmuggel und Steuerhinterziehung etwa sind Praktiken, die die Grenzen des Staates deutlich werden lassen, weil sie ihre Existenz gleichzeitig anerkennen und umgehen. J-V' >! ·' '·'· · · !/ ". Die meisten Praktiken wirken subtil. Ihre Wirkungen auf die Verläufe der Grenzen, die den Staat bestimmen, sind nicht einfach abzuschätzen. ;\lle Be-
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teiligten stellen außerdem ihre Handlungsweisen aufeinander ein: Als Reaktion ;ttuf die Praktiken der Staatsakteure entwickeln Individuen und soziale Gruppen ihre eigenen »Taktiken und Strategien« (de Certeau 1988: 23), um neue Be"schränkungen zu umgehen, oder um aus den neuen Regulierensversuchen Vorteil zu ziehen. Das Register der Reaktionen auf die Versuche des Staates, seine Machtposition zu verstärken und als Herrschaft zu institutionalisieren, reicht also von Widerstand und Vermeidung bis zur Appropriation für eigene Zwecke. Mit diesem dynamischen Verständnis des Staates ist eine Theoretisierung möglich, die die Dynamik staatlicher Herrschaft besser erfasst als jeder statische Begriff des Staates. Diese Dynamik erschöpft sich nicht in den bewussten Politiken staatlicher und nicht-staatlicher Akteure. Denn die Grenzen des Staates resultieren nicht allein aus dem Spiel der Entscheidungen und den Tätigkeiten der Organisationen, die Verantwortlichkeiten fesdegen und Zuständigkeiten aufteilen. Der Staat als ein Machtfeld wird umgrenzt von unzähligen Praktiken und sich langfristig verschiebenden Idealen. Diese lnteraktioen bestimmen den Verlauf der Grenzen des Staates. Die Zahl der Arten und Weisen, wie sich diese Grenzen verschieben, ist unbegrenzt. Es gibt deshalb auch keine universale, lineare Tendenz der Staatsbildung. Es gibt nur eine globale Verdichtung der Zusammenhänge von Praktiken und Idealen, die die Gestalt politischer Herrschaft prägen. Praktiken lassen sich, wie angedeutet, nach Akteuren unterscheiden, etwa zwischen denen der staatlichen Akteure und denen sozialer Akteure. Der .Wandel von Praktiken bildet den Kern des Wandels von Herrschaft. Beide, staadiche wie nicht-staatliche Akteure, haben unterschiedliche Motive und ·Anreize, ihre Handlungs- und Verhaltensmuster zu verändern. Diese Verände\tungen können sich unterschiedlich auf die Gestalt von Herrschaft auswirken, sie., können sie festigen, sie können sie aber auch w1terminieren. Sie können die ~trbktur des Staates als Machtfeld seinem Ideal als mächtige Institution näher bringen, sie können aber auch die Bindungen schwächen, die politische Macht mit dem sozialen Raum unterhält, der sie umgibt. ~.Q 1 · Praktiken können also in Widerspruch zum Ideal des Staates stehen. Wäh' das Ideal des Staates eine einzige . rend wahre Moralität behauptet, nämlich die, ··llie sich in Einklang mit dem Kanon staadicher Regelungen befindet, befindet sich diese in Wahrheit in stetigem Widerstreit mit anderen moralischen Kodizes. Aus diesem Widerstreit, aber auch aus zweckrationalen Erwägungen, die auf einfache Vorteile abzielen, entstehen Praktiken, die den Absichten des Staates entgegenstehen können, weil sie Verteilungen, Hierarchien und Beziehungen begünstigen und errichten, die sich nicht den Regeln des Staates fügen. Diese Abweichungen vom Ideal Staates sind nicht notwendig das Werk nicht-
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staatlicher Akteure. Gerade der Gebrauch der Instrumente des Staates für andere Zwecke ist auch eine Praxis der Staatsagenten. Die »Praktik des Umfunktionie.rens« (de Certeau 1988: 69ff.) kann das Werk der Beamten selbst sein. Praktiken können aber auch in Einklang mit dem Ideal des Staates stehen und die institutionalisierung von Macht, das Ausgreifen staatlicher Herrschaft begünstigen. Getreu einer alten Einsicht, das die Idee sich immer blamiert, wenn sie mit dem Interesse in Streit gerät, das sie aber geschichtsbildend wirkt, wenn sie sich im Einklang mit ihm befindet, wird das Ideal des Staates dann wirkmächtig, wenn sich Interessen an seiner Verwirklichung heranbilden.G 9 Die Veränderungen von Praktiken berühren also den Staat. Sie können im Extremfall bis zu seiner Negation führen. Dann nämlich, wenn sich die Praktiken generalisieren, die in offenem Gegensatz zu den Regeln des Ideals des ' Staates stehen. Das Verhältnis zwischen dem Ideal des Staates und den Praktiken kann also unterschiedlich ausfallen, von der annährenden Konvergenz bis zum offenen Widerspruch. Zwar hat sich spätestens mit der zweiten Staatsgründungswelle, der Ära der Dekolonisation von den vierzigerbis sechziger Jahren eine bestimmte Gestalt von Staatlichkeit als Ideal global verallgemeinert, dieses Ideal ist jedoch nicht unverändert geblieben und hat sich überdies in verschiedenen Kontexten zu nicht ganz identischen Formen ausgebildet. Die Besonderheiten dieser Gestalten und ihre historische Entwicklung werden Thema der späteren Kapitel dieser Arbeit sein, so dass hier zunächst nur die allgemeinen, übergreifend gültigen Elemente dieses Ideals skizziert werden. Das Ideal jedes Staates beruht auf der Setzung klarer Grenzen. In der Form des modernen Staates sind mindestens klare teni.toriale Grenzen für den Staat konstitutiv. Dazu kommen eine Reihe weiterer Trennungen, etwa die zwischen der öffentlichen und pt-ivaten Sphäre, die zwischen legalen und illegalen Aktivitäten oder zwischen ökonomischen und politischen Vorgängen. Während sich in der sozialen Wttklichkeit diese Grenzen ständig bewegen, 11 sind sie im Ideal des Staates stabil. Ideale wandeln sich nur langsam. '' Ein weiterer Teil des Ideals des Staates ist seine Autonomie. Der Staat ist, diesem Ideal zufolge, nicht Teil breiter historischer Prozesse und auch nicht Objekt der Interessen sozialer Gruppen. Sein Anspruch ist den Fortnungen der Geschichte und Wirklichkeiten der Gesellschaft gleichsam enthoben. Im Staat entfaltet sich vielmehr eine den sozialen Interessen übergeordnete, eine 69 Diese müssen sich nicht auf den Kreis der Staatsbediensteten besch!'änken. Interessen am Staat, wie an jeder Institution, können bei all jenen entstehen, die in direkter oder indirekter Beziehung zu diesem Staat stehen. Schmuggler können zu eifrigen Vecfechten1 von Zollschranken werden, wenn sich die Zölle ändern.
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transzendente Ivfacht. In dieser Autonomie kommt seine Suprematie gegen·über allen anderen sozialen und politischen Institutionen zum Ausdruck. Sie ve:cwirklicht sich, seinem Ideal nach, als Apparat. Deshalb ist der Staat auch immer eine Organisation. Im Ideal des Staates handeln seine Agenten --~ach festgelegten Regeln. Diese Organisation ist das ausführende Organ des :politischen Willens, der sich in der Autorität des Staates manifestiert. Die Organisation ist klar gegliedert, den einzelnen Teilen sind Kompetenzen zugeordnet. Zwischen den Abteilungen des Staates gibt es weder Konkurrenzen, noch stehen bilden sich in ihnen unterschiedliche, von den allgemeinen Inte- _ -ressen des Staates abweichende Interessen. Diese Kohärenz der Organisation ist ein weiteres Kennzeichen des Staates. Anders als andere Organisationen hat der Staat eine Einheit, die durch in ihm existierende Unterschiede nicht aufgebrochen werden kann. Dem Staat wird ein politisches Zentrum unterstellt, das die verschiedensten Agenturen einem einheitlichen Willen unterordnet.70 Das Verständnis des Staates als ein Machtfeld, das durch das Wirkens eines Ideals und sich verändernder Praktiken konstituiert und begrenzt wird, erlaubt es, die Dynamik staatlicher Herrschaft weiter zu fassen und zugleich genauer· zu beschreiben. Um staatliche Herrschaft zu verstehen, ist deshalb eine doppelte Perspektive nötig: eine, die die Formierung und Wirkung des Ideal des geschlossenen Staates erfasst, und eine zweite, die diese Geschlossenheit aufbricht, um die verstärkenden, schwächenden oder kontradiktorischen Praktiken und Allianzen zu erfassen, an denen erkennbar wird, wie Macht- und . Herrschaftsbeziehungen verlaufen und sich entwickeln. Die Analyse staatlicher Herrschaft muss diese Dynamik immer mitdenken. In jedem Staat ist sein »Ideal« präsent, als eine klar abgegrenzte, einheitliche Organisation, von der, wie in den Meldungen der Zeitungen, im Singular gesprochen wird wie von einem einzelnen zentral koordinierten Akteur, der auf einem klar definierten Territorium situiert werden könnte. Staatliche Herrschaft muss aber immer auch gesehen werden als die unendliche Reihe von Praktiken von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren, die keine Einheit und keine Zusammenhänge besitzen müssen, die innerhalb oder außerhalb der behaupteten Grenzen agieren können, die die Grenzen des Staates beachten oder missachten können, und die untereinander und mit den Regeln des Staates in Konflikt stehen können. 70 Zwar wissen die Politikwissenschaft und die Lehre von den unterschiedlichen Gewalten von den Konflikten zwischen den Teilen des Staates. Diese werden aber immer als in Verfahren regelbar gedacht. Der Vorstellung nach finden sie im Staat selbst ihre Lösung- der Widerspruch zwischen den Teilen des Staates treibt diese nicht über ihn hinaus, sondern die Einheit des Staates wird durch das Verfuhren ~vaprJ- _\,, ,.; ._J.,'\ (. ~
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Nur diese doppelte Perspektive erlaubt es, sowohl der Illusion zu entgehen, die darin besteht, das Ideal der Staatlichkeit schon für ihre Realität zu halten, wie auch dem vorschnellen Schluss zu vermeiden, ein Verlust oder .ein Defizit an organisatorischer Kapazität, eine Einbettung in Zusammenhänge oder selbst gravierende Mängel in der Kontrolle eines Territoriwns indiziere die »Abwesenheit« oder den »Zerfall« eines Staates.
2.4 Die Formation des Staates in der Dritten Welt
rr;::
Übergang von diesen abstrakten theoretischen Erörterungen zur Analyse des Materials über die Entwicklung staatlicher Herrschaft in Asien, Afrika und Lateinamerika ist nicht leic;!!!JDen nachfolgenden drei Kapiteln, in denen einzelne Bereiche postkolonialer Herrschaft näher untersucht werden, ist deshalb ein kurzer Abriß über die Formation dieser Staaten vor und während der Kolonialzeit vorangestellt. Staatliche Herrschaft in ·der Dritten Welt ist bis heute unvollendet geblieben, so wichtig das Ideal staatlicher Herrschaft für die koloniale und postkokloniale Geschichte Asiens, Afrikas und Lateinametikas auch gewesen ist. Bevor die Dynamik dieser Unvollständigkeit in den Kapiteln 3 bis 5 näher ' dargelegt ,werden soll, ist eine grobe historische Situienu1g dieser Prozesse nötig. Denn auch die Prozesse der Staatsbildw1g und des Staatszerfalls in den Regionen der Dritten Welt lassen sich nur durch den Rekurs auf ihre globale Geschichte erklären. Die Anfänge, Transformationen und Krisen staatlicher Henschaft sind auch außerhalb Europas eingebettet in soziale Dynamiken, in Geschichte und Geschichten, die sich nicht auf wenige Bedingungen und formelhafte Zusammenhänge reduzieren lassen. Für die Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas gilt zunächst, dass die konkrete politische Logik ihrer politischen Felder nicht allein auf der Geltung nicht-westlicher, »traditionale« oder »primordialer« Politik beruht, ebenso wenig wie sie sich einfach mit den Geltungsgefügen des Ideals moderner Staatlichkeit gleichsetzen lässt. Wie insbesondere im zweiten Hauptteil dieser Arbeit zu zeigen sein wird, sind die Bestimmungsgtünde der Entwicklung staatlicher Herrschaft weitaus vielschichtiger, als dies die Redeweisen von »Unterentwicklung« oder der Entgegensetzung von »Tradition und Modeme« nahe legen. Die enttäuschten Erwartungen rascher Modernisienmg, die die ersten Jahrzehnte postkolonialer Staatlichkeit begleitet haben, sind mittlerweile der Einsicht gewichen, dass die Erfahrung des Kolonialismus noch nicht die soziale
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Verallgemeinerung mode.mer Formen bedeutet hat und diese auch nicht selbstläufig in Gang setzte. In dieser Ernüchterung zeigt sich auch, zu welchen Fehleinschätzungen eine Herangehensweise führt, die der Geschichtlichkeit ihres Gegenstandes nicht Rechnung trägt. Bevor im zweiten Hauptteil dieser Arbeit nähere Dynamiken staatlicher Herrschaft in den Regionen der Dritten Welt untersucht werden, sind daher e~$_per!!lle BesJimm~I.L.fu_Q~ .~l:!ic.bilicl.lk~h. 4i~-~! . !?Y.~.~l11lk~n-~ötig. Sie bilden den Inhalt dieses Unterkapitels.71 In allen ehemaligen Kolonialgesellschaften hatte es bereits vor der europäischen Expansion Machtbeziehungen und Herrschaftsformen gegeben, die sich nicht durchweg einfach als natürliche und unstrukturierte Anarchie denunzieren lassen.72 Die Vielgestaltigkeit und historische Prägekraft der Reichsbildungen in Asien, Afrika und Lateinamerika ebenso wie die Symboliken segmentärer und stratifizierter politischer Formen sind für die konkreten Gestalten des Politischen wirksam geblieben, auch wenn sie, wie die Formen und Ideale der europäischen Politik durch die geschichtlichen Verläufe Modifikationen und Wandlungen erfahren haben. Zu den prägenden geschichtlichen Erfahrungen gehören in diesen Erdteilen die teilweise langen Zeiten kolonialer Herrschaft, die sich jedoch uneinheitlich auswirkte. Die koloniale Herrschaft war, wie im folgenden Abschnitt gezeigt wird, nur eine 111wollständige Alljhebung der vorkolonialen Formen. Dies war zugleich die Voraussetzung für die soziale Wiederaneign11ng des Staates, die im Gefolge der Dekaionisation einsetzte. Schon diese Prozesse sind weltgesellschaftliche. Während sich schon die Entwicklung vorkolonialer politischer Formen nicht als die isolierte Eigendynamik einzelner Zusammenhänge begreifen lässt, Wird spätestens mit der Errichtung der kolonialen Aufteilung der Weltzonen die Globalität der Dynamiken politischer Herrschaft unmittelbar anschaulich. 71 Die folgenden, notwendig sehr verdichtenden Ausfiihnmgen beruhen auf den Beiträgen in Mommsen/Osterhammel (1986) ood Albertini (1987), sowie Buisson/Schottelius (1980), Fisch (1984), Marseille (1984) und Coquery-Vidrovitch/Moniot (1974) und nicht zuletzt dem vierbändigen Werk Reinhards (1983ff.) und der in den folgenden Kapiteln aufgeführten regional- und fallspezifischen Literatur, soweit sie die Vorgeschichte staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt behandelt. Ti Die von Jörg Fisch hervorgehobene Teilung der Welt in Zonen der Kultur und Zonen der Unordnung als eines intellektuellen Korrelats der europäischen Expansion hat in den Sozialwissenschaften deutliche Spuren hinterlassen. Während etwa die Politi1:wissenschaft bis heute von nicht-westlichen politischen Formen nur in Negativ-Kennzeichnungen wie »d.,f.,kte Demokratie« und »unvollendetete Staatlichkeit« sprechen kann, hat die Ethnologie es übernommen, die alten Fo=n zu musealisieren. Erst in jüngerer Zeit ist es zu einer analytisch fruchtbaren und der Komplexität des Gegenstandes angemesseneren Veränderung dieser Haltungen gekommen. Vgl. etwa die Beitrilge in Reinhard (1999) und Bayart (1994, 1996).
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Gegenüber dieser Einheit sind aber auch Differenzen zu betonen: So wie sich in Europa die Strukturen und Entwicklungswege von Staaten unterscheiden, weil sich geschichtliche Erfahrungen, soziale Differenzen und verschiedene Traditionen in ihnen eingelagert haben, so haben sich auch in Afrika, Lateinamerika und Asien Eigentümlichkeiten der politischen Herrschaft aus-. gebildet, die sich nicht leicht unter einfache Formeln subsumieren lassen. Der Begriff der Dritten Welt ist deshalb immer schon problematisch gewesen, weil die Einheit, die er suggerierte, wichtige Differenzen der sozialen und politischen Formen überdeckt hat (vgl. Sylvester 1999). So sind auch die dortigen Prozesse der Staatsbildung, und ebenso die Erosion staatlicher Herrschaft komplexer als es die populären Vorstellungen transportieren. Auch die Geschichte der staatlichen Form i.n Europa wird ja in langfristige Prozesse, in Einbruche, Konjunkturen und Entwicklungswege zerlegt, um den Bestimmungsgründen ihrer Herausbildung näher zu kommen. Noch heute stehen die Namen »Frankreich«, »Deutschland« oder »Großbritannien« als Synonyme für u.nterschiedliche Geschichten u.nd Ergebnisse der Institutionalisierung von politischer Macht, für unterschiedliche kollektive Erfahrungswelten und für »nationale« Werte. Jeder dieser Staaten ist mit seinen Besonderheiten ein Gewordenes. Nimmt man die Historizität der Form des europäischen Staates ernst, so L~p.uss sie gleichermaßen für die Analyse der Staaten der Dritten Welt gelten_,. Mit der notwendigen Bereitschaft, das Bemühen um Generalisierung mit einer Aufmerksamkeit für Besonderheiten auszutarieren, werden Einsichten möglich, die einige der gängigen Auffassungen über Form und Entwicklung staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt überwinden helfen, ohne die Zusammenhänge deshalb in eine Rhapsodie von unverbundenen Geschichten und Einzelheiten aufzulösen. Erst wenn man diese Unterschiede zur Kenntnis nimmt, lassen sich für die Entwicklung politischer Herrschaft in der Dtitten Welt einige gemeinsame Strukturmerkmale formulieren, die ihrerseits auf Historisches verweisen. Denn diese gemeinsamen Merkmale haben ihre Ursachen sämtlich in der geschichtlichen Erfahrung der europäischen Expansion, die für die Gesellschaften außerhalb Europas mit der endgültigen Einbindung in die Wttkungszusammenhänge des internationalen Systems und des Weltmarkts gleichkam. Die sozialen Dynamiken, die mit dieser Integration in Gang kamen, sind dann auch für die Formen und Grenzen staatlicher Herrschaft bestimmend geworden. Der St~ll.t dl!r Dritten Welt ist also beides: Ergebnis externer ~J:!lp~se...~~ B:~~~i~t: S()_z.i*.r.. P.~zesse im l11nern. Im Folgenden sollen einige Grundzüge der Geschichte dieses Verhältnisses von Staatsbildung und der Dynamik des internationalen Systems herausgestellt werden. Dabei ist zw1ächst auf die Erfahrungen und Resultate des Kolonialis-
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mus einzugehen, denn diese historische Phase hat die politischen Formen in Afrika, Asien, Lateinamerika und im Orient entscheidend mitgeprägt. Noch in den postkolonialen Staaten, deren Grundzüge im darauf folgenden Abschnitt geschildert werden, lassen sich koloniale Muster wieder ftnden, nunmehr aber eingebettet in die sich um dieses Erbe rankenden Strukturen. Auch deren Entwicklung ist von internationalen Entwicklungen mit geformt worden, wie ~h auch in den jüngeren Prozessen der Erosion staatlicher H~rrschaft die_ Fauflösliche Verbindung globaler Verschiebungen und lokaler Dynamik~ zeigenlässt (vgl. Schlichte 1998c). Gemeinhin wird unter Staatsbildung in der Dritten Welt die Entwicklung der dortigen politischen Strukturen während der Dekaionisation und nach Erlangung der Eigenstaatlichkeit verstanden. Doch auch die dem Kolonialstaaten vorgängigen Formen politischer w1d - davon in der Regel nicht zu trennender - wirtschaftlicher und religiöser Macht haben auf die Gestalt und Funktionsweisen der nachkolonialen Staaten einen erheblichen Einfluss behalten. Auf die ganze Bandbreite dieser unterschiedlichen Entwicklungen kann hier nicht eingegangen werden, so dass an dieser Stelle nur einige zusammenifassende Bemerkungen über die komplexe Verschränkung von traditionalen I :politischen Formen und Kolonialismus und deren Wirkung auf die Gestalt staatlicher Herrschaft in den Regionen der Dritten Welt möglich sind. • · Gängigerweise werden die politischen Entwicklungen in der Dritten Welt nach Regionen getrennt betrachtet. Mit einer solchen Unterscheidung bleiben wichtige Vergleiche häuftg ausgeschlossen, weil sie Parallelen und Überschneidungen der sozialen und politischen Geschichte verdeckt. Diese Unterscheidung hat indes ihre Berechtigung darin, dass sie historische Phasenverschie1bungen in den Blick geraten lässt. Sie offenbart zum Beispiel gemeinsame Merkmale der Regionen Lateinamerika und des Vorderen Orients: Beide wurden vergleichsweise früh in die Wirkungszusammenhänge des europäischen kapitalistischen Dynamik einbezogen. Daraus resultierten bestimmte Eigen\heiten ihrer politischen Geschichte, nämlich die frühe Entstehung nationalisti' scher Bewegungen und die der Abhängigkeit staatlicher Finanzen von Verbindungen zu Weltmärkten. So kam es in vielen Teilen des Vorderen Orients relativ früh zu Kontakten und Vermittlungen mit den sozialen, technischen und politischen Entwicklungen Europas. Direkte Unterstellung unter europäische Herrschaft reichen bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück. Eine noch frühere und noch tief greifendere Integration in das von Europa her ausgreifende Weltsystem hat Lateinamerika erfahren. Die Unmittelbarkeit der in Lateinamerika von Europa aus etablierten Herrschaft und ihre frühe Verselbständigung durch die Erlangung der Unabhängigkeit dieser Staaten zu Beginn des 19.
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Jahrhunderts findet allenfalls in den Siedlerkolonien Afrikas eine späte Parallele. In Afrika südlich der Sahara, Süd- und Südostasien fand die Einbindung lokaler Zusammenhänge in die Wtrkungszusammenhänge der entstehenden Welteinheit gleichsam phasenverschoben statt: Die Prozesse der politischen Unterwerfung und der weltmarktinduzierten lnwertsetzung durch den Kolonialismus setzten hier im allgemeinen deutlich später ein als im Gebiet des Osmanischen Reiches oder gar in Lateinamerika. Zwar gab es frühe Ausnahmen wie die Siedlerkolonie auf dem Gebiet des heutigen Südafrika oder die portugiesischen und holländischen Eroberungen in Südostasien. In Afrika und Asien traf die koloniale Expansion außerdem auf die vielleicht größte Diversität politischer Formen. Auf dem Gebiet des späteren Indien etwa fand sich die Form des hochentwickelten Mogulreiches ebenso wie tribale Sttukturen. In Aft1ka standen die losen politischen Verbände des Nomadismus im Sahel neben zentralisierten Königreichen etwa in Zentral- und Ostafrika, die längst über geregelte Abgabensysteme und stehende Heere verfügten. Die koloniale Geschichte wirkt auch darin fort, dass die vermeintliche Einheitlichkeit der kolonialen Erfahrung zu Vereinfachungen in der gängigen Wahrnehmung der politischen Entwicklung der nicht-westlichen Gesellschaften geführt hat. Die kolonialen Landkarten und ihr Fortleben in den Grenzen und Sprachräumen der Welt überdecken die Vielfalt und Überlagenmgen der einzeh1en Entwicklungen bis heute. Der Eindruck der Einheitlichkeit täuscht vor allem in Hinblick auf viele Resultate und Politiken des Kolonialismus. Die Entscheidungen und Politiken aus der Ära des europäischen Kolonialismus und Imperialismus leben zwar im Verlauf der Grenzen von Staaten, in ihren Amtssprachen und Verfassungsformen fort. Auch haben die Art und Weise der Anhindung an die Weltmärkte, die sozialökonomischen Gefälle zwischen Landesteilen und die Stereotypen, die Bevölkerungsgruppen voneinander aufbauten, ihre historischen Wurzeln in zahllosen Fällen in der Epoche des europäischen Kolonialismus. Doch weder waren die kolonialen Politiken überall identisch, noch trafen sie überall auf dieselben sozialen w1d politischen ForPlen (vgl. Albertini 1987). Bereits während der Kolonialzeit, aber erst recht in der Geschichte der postkolonialen Staaten gaben die lokalen sozialen Kontexte den Projekten der Kolonialherrschaft ilu je spezifisches Gepräge. Die Logik der kolonisierten Gesellschaft hat den »importierten Staat« (Badie 1992) ebenso geformt wie die Strategien und Überlegungen der europäischen Mächte. Keine Kolonialmacht hat es vermocht - wenn es denn je intendiert war- die kolonisierten Gesellschaften vollständig nach ihrem Bilde umzugestalten. Viele soziale Formen und politische Traditionen aus der vorkolonialen
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Geschichte existierten auch nach der Dekolonisation, weil sie sich mit den importierten Gehalten der kolonialen Herrschaft vermengten. Das wichtigste Resultat dieser kolonialen Integration in das internationale , System ist diese in sich widersprüchliche »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen«: Die europäische Expansion bedeutete die bescheunigte Entwicklung , moderner Formen, die jedoch ältere Machtbeziehungen und Herrschaftszu1 sammenhänge nicht wirklich verdrängen konnten. Personale Loyalitäten und 1 partikulare Interessen, die Praxis der Reziprozität und materiales Recht·spielen !deshalb im Gefüge auch der staatlichen Herrschaft der Dritten Welt bis heute 1eine ungleich größere Rolle als in den Staaten der OECD, deren formal-ratio1.naler Betriebscharakter weit ausgeprägter ist.ts"o gibt es in den Staaten der Dritten Welt ein auffälliges Nebeneinander etwa von Industriekapitalismus und Nomadismus, von mythischen und zweckrationalen Denkmustern, von uneingeschränkter personaler Loyalität und abstrakter juristischer Form. Diese innere Widersprüchlichkeit ist zum Grundmerkmal der Gesellschaften geworden und hat auch ihre politische Form, die Staatlichkeit, entscheidend geprägtJ; - In unterschiedlichen Graden und Abstufungen bedeutete die koloniale Herrschaft so nur eine unvollständige Azifhebuttg der vorkolonialen Formen. Neben dem Extrem der nahezu umfassenden Auslöschung der vorgefundenen staatlicher Herrschaftsformen etwa in Mittel- und Südamerika finden sich in der Geschichte des Kolonialismus ebenso Formen der häufl.g weitgehenden Integration vorkolonialer Ma_~;htbe:,.;iehungen und ganzer Heuschaftszusammenhänge im Modell der(t'~dJ'rect n;le)und auch die Modifikation und Innovation von Herrschaftsfo1m~e-s-onclers anschaulich etwa in der Errichtung der cpieftaincies in segmentären Gesellschaften. ~:.> Staatliche Herrschaft in der Dritten Welt ist deshalb hybrid, denn die !:Strukturen nachkolonialer Herrschaft bauen eben nicht nur auf das koloniale Erbe auf, sondern auch auf jene älteren politischen und sozialen Traditionen, die weit in die Zeit vor der kolonialen Herrschaft zurückreichen. Die Varianz ~der Resultate dieser historischen Konstellationen ist deshalb beträchtlich. Sie Iunterscheiden sich je nach dem, mit welcher Art von Gesellschaft der Koloni1alismus sich verband und wie lange und intensiv der colonial impact die vorge!fundenen Strukturen umformte. An zwei Beispielen lässt sich das veranschaulichen: r-·'1'\ . , Die britische Eroberung des heutigen ~igerijstieß in den letzten Jahren ~des 19. Jahrhunderts ganz im Norden des GeBietes auf eine hoch entwickelten ,•islamischen Staat, das Kalifat von Sokoto. Statt nun dieses politische Gebilde aufzubrechen, stellte man den lokalen Machthabern britische Berater zur Seite, .. die das Gebiet im Laufe der Jahrzehnte in einen Teil der Kolonie überführten. pie politischen Strukturen wurden so nach ).md nach verformt, aber nicht
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aufgelöst. Entsprechend spielen die traditionellen Herrschaftsformen im Norden Nigerias noch heute eine bedeutsame Rolle. Sie bilden die entscheidenden Strukturen der lokalen Politik. Nicht die zentralstaatliche Bürokratie, sondern die Erben der traditionellen Machthaber beherrschen die Verwaltung der Städte in Nordnigeria (vgl. Kanya-Forstner 1994). Eine militärische Eroberung und Absetzung aller traditionalen Autoritäten in den neuen Kolonien hätte auch die Ressourcen des Britischen Empire schnell erschöpft. Die Integration dieser Strukturen in das System kolonialer Herrschaft war unve1meidbar und musste zur Folge haben, dass ein Großteil der vorkolonialen Strukturen modifiziert bis in die nachkoloi.J,i,ale, unabhängige Staatlichkeit erhalten blieb. Im späteren.:~~dvietn~)iingegen führte die koloniale Unterwerfung zu einer viel tiefer ~~ifende;;:- Umwälzung der sozialen und politischen Verhältnisse. Die Kolonialmacht Frankreich schuf in der Dekade zwischen 1887 und 1897 die Union Indochinoise, zu der auch die Region Cochinchina gehörte .. Die Kolonialmacht unterstützte eine schon ältere Migrationswelle aus dem Norden und befördette aus protektionistischen Erwägungen den großflächigen Reisanbau. Eine ganze Bürokratie und eine neue Großgrundbesitzerschicht wurden im Süden geschaffen, während die Mehrheit der Bevölkerung in Schuldknechtschaft geriet (vgl. Albertini 1987: 159-183). Die neue soziale und politische Konstellation war also vor allem das Ergebnis der massiven kolonialen Intervention, die sich eine vorgefundene Dynamik zunutze gemacht hatte. Die erheblichen sozialen Verwerfungen, die diese Veränderungen mit sich brachten, wurden schließlich mit ursächlich für einen der blutigsten Dekolonisationskriege, der unter den Bedingungen des Ost-West-Konflikts eine ganze Region für Jahrzehnte politisch prägte (vgl. Frey 1998). Der vietnamesische Staat jedenfalls war weitgehend ein Pmdukt des französischen Kolonialismus. Möglich war diese Kreation, weil der Kolonialismus in diesem Fall eine völlige Umwälzung der vorigen Lebensverhältnisse bedeutete und die sich neu formierende politische Klasse diese Dynamik zu ihrem Vorteilnutzen konnte. Doch nicht die Frage, welche Kolonialmacht das jeweilige Ten:itoti.um eroberte und umzugestalten versuchte, ist für die Verschärfung oder Neuschaffung von Unterschieden und die Art der in Gang gesetzten Dynamik entscheidend gewesen. Andere Faktoren waren hier weitaus bedeutsamer. Besonders' die Art der Weltmarktintegration spielte eine viel größerer Rolle als die Natio-,1 nalcharaktere der Kolonialmächte. Die Einführung der großflächigen Plantagenwirtschaft etwa in Ceylon oder in der Kati.bik hat für die dortigen sozialen und politische Entwicklung eine viel größere Bedeutung gehabt als die Frage, ob die dazugehörige Metropole Paris oder London hieß. In anderen Regionen sind die ökonomischen Umbrüche durch den Kolonialismus eher gering ausgefallen. In der Sahara etwa, aber auch in weiten
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Teilen des tropischen Afrika ist während der Kolonialzeit kein Generalschema der wirtschaftlichen Inwertsetzung verwirklicht worden (vgl. Iliffe 1997: 285ff.). Die koloniale Umwälzung der ökonomischen Verhältnisse beschränkte sich auf die enklavenartige oder selektive Förderung bestimmter Agrarprodukte wie Kaffee, Kakao, Tee oder Baumwolle. Zu einer umfassenden Umgestaltung der afrikanischen Ökonomien fehlten den Kolonialmächten schlicht die Mittel. Häufig mündete die koloniale Unterwerfung, wie im Fall des »Kongostaats« Leopolds II., lediglich in eine ungeregelte Raubwirtschaft (vgl. Gann /Duignan 1979). , Trotz aller philanthropischen Rhetorik und aller politischen Maßnahmen ~~r der Kolonialismus dennoch vorrangig ein Projekt der wirtschaftlichen Erschließung. Ob es um die Eroberung von Siedlungsgebieten, die Extraktion mineralischer Vorkommen oder die Inwertsetzung von Ländereien durch agrarische Produktion im großen Maßstab ging, immer diente die Errichtung des Kolonialstaats, sein Gewaltmonopol ebenso wie seine Infrastrukturmaßnahmen, der Beförderung der mise en valeur, der Inwertsetzung. Dies gilt, a Ia longue, auch für jene Kolonialsysteme, die wie das deutsche, ihren ursprünglichen Impuls nur aus den partikularen Interessen von Handelshäusern und dem diffusen Gefühl der Konkurrenz zu anderen imperialistischen Mächten bezogen (vgl. Westphal1991: 100ff.), in denen also die politische Macht zunächst einzelnen politischen Interessen, nicht gesamtwirtschaftlichen Motiven folgte. Die europäische Kritik des Kolonialismus auf Seiten der Lieberalen und Sozialisten führte indes schnell dazu, dass sich Haltung durchsetzte, Kolonien dürften »nichts kosten«. Dieser Beschluss zur fiskalischen Selbstversorgung der eroberten Gebiete erzwang ein lVIindestmaß an kapitalistischer Inwertsetzung. Hinzu trat dann das Vorhaben, aus den Kolonialreichen »arbeitsteilige«, protektionistisch geschützte Wirtschaftsräume zu formen. Ein solches Projekt setzte die Verschränkung von Fremdherrschaft mit lokalen Institutionen voraus, und so wurde in den meisten Kolonialgebieten der Einfluss der stljets, der Kolonisierten, auf die Struktur des kolonialen Staates größer als der der Regierungen in den europäischen Metropolen. Beide, die soziale Logik der Kolonialmacht wie die der Kolonisierten, haben deshalb den :E,Colonialstaat von Anfang an geprägt. Die koloniale Unterwerfung produzierte ein paradoxes Resultat: Denn der Versuch der Etablierung und Aufrechterhaltung kolonialer Herrschaft führte zu weitreichendem sozialen Wandel, der die soziale Ordnung und die Stabilität des kolonialen Staates stets aufs Neue in Frage stellteP Die koloniale Herr-
73 Eine musterhafte Studie zu der im Kolonialstaat einsetzenden Dynamik und den daraus resultierenden Dilemmata für die Herrschaft liefert Middleton (1971).
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schaft unterminierte ihre Voraussetzw1gen, indem sie lokale Herrschaftsfmmen aufhob, die für sie zugleich notwendige Vermittlw1gsglieder waren. Nur dadurch, dass in1 kolonialen System neues Personal in Herrschaftszusanunenhänge rekrutiert wurde, ließ sich dieser Widerspruch vorübergehend still stellen. Vorübergehend deshalb, weil gerade aus dem Milieu der Akkulturierten die bedeutsamste politische Opposition der kolonialen Ordnung erwuchs. Selbst dort, wo der Kolonialismus sozial ein oberflächliches Phänomen geblieben ist, hat er die weitere Entwicklung nachhaltig geprägt. Denn inlmer hat sich die koloniale Erfahrung tief in die Symboliken und Vorstellungswelten der Kolonisierten eingesenkt. Durch ihn haben die politischen Ideen und religiösen Bekenntnisse des Westens in den unterworfenen Gesellschaften Einzug gehalten und sich mit lokalem Erbe vermengt. Das Ergebnis war inuner etwas Neues: synkretistische Kirchen, auf Verwandtschaft und regionale Abkunft gegründete politische Parteien mit nationalistischer Ausrichtung, die Akkultu- , ration der kolonialen Elite an den westlichen Lebensstil. All dies sind Erschei~ ' nungen, die die Verschiebungen, aber auch die Anpassungs- und Rezeptions- , fähigkeit der kolonisierten Gesellschaft gegenüber global dominanten: Symboliken und Inhalten demonstrieren. Entsprechend komplexe Mischungen lagen den;;__f'()!~Pen .der LegiJ:imität; zugrunde, die der antikoloniale Widerstand für sich in Anspruch nehmen' konnte: Die Berufung auf das westliche Konzept der »Selbstbestinlmung der Völker« spielte darin ebenso eine wichtige Rolle wie die »Wiedererfmdung der Tradition« (Hobsbawm/Ranger 1983) vergangener Reiche und Dynastien. Gerade aus jenen Kreisen, die in das koloniale System integriert worden waren, aus den lokalen Eliten des Kolonialismus, den Beamten des Kolonialstaats und den neureichen Schichten der Kolonialökonomien, formierte sich der entscheidende Widerstand gegen die Fremdherrschaft. Eben diese vom kolonialen System geformten Gruppen sollten den dekaionisierten Staat übernehmen. Die Mischungen unterschiedlicher Logiken prägten schon den kolonialen Staat. Sein hybrider Charakter sollte über das Ende der Koloniall1errschaft hinaus existieren: Die Solidarverbände, die inmitten staatlicher Bürokratien entstanden, erschienen Außenstehenden als »Vetternwutschaft« oder »Klientelismus«. Sie lassen sich nur begreifen als Transformationen traditionaler verwandtschaftlicher Zusammenhänge in den Kontext moderner Anstaltsstaatlichkeit. Aber nicht nur in den politischen Strukturen und wirtschaftlichen Formen, sondern auch in den Lehren, Ideologien und Weltsichten haben sich lokales Erbe und kolonialer Import vermischt. Diese Vermengwig der politischen Strukturen des Kolonialstaates mit lokalen politischen Verhältnissen lässt sich in allen Regionen beobachten; in den feudalen Strukturen auf den Philippinen ebenso wie an den Handelsnetzen Westafrikas oder auf dem indi-
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sehen Subkontinent. Die Strukturen des indischen Staates zum Beispiel sind nicht eine reine britische Erfmdung, aber auch mehr als eine rein il1digene Struktur: Neben das traditionale Element des dynastischen Prinzips, das sich noch heute in der indischen Politik wiederfmdet - zu denken wäre an die Bedeutung der Familie Nehru/Gandhi (vgl. Brass 1994) -,treten dort eine differenzierte staatliche Bürokratie und eine moderne Armee, eine l\fischung also, die sich weder nur aus dem Kolonialismus noch allein aus der indischen Tradition erklären lässt. Diese hybri.de11 Formen sind auch nicht notwendig konfliktiv, sandem diese Gleichzeitigkeit kann legitime Staatlichkeit auch konstituieren. Der koloniale Staat war ein Staat mit einer externen Machtbasis. Die Notwendigkeit, lokale Machtbeziehungen aufzubauen oder bestehende in den kolonialen Zusantmenhang zu integrieren, fand ihre Grenze in der Möglichkeit, auf den extern verankerten Erzwingungsstab zurückzugreifen, auch wenn dieser nur punktuell einsetzbar war. Sein eigentümliches Herrschaftsmodell, die Verknüpfung bürokratischer Elemente mit lokal-personalen Instanzen, blieb deshalb unvollendet. Immer war es das in lokalen Beziehungen eingelagerte Wissen, das das Rückgrat der Macht und der Möglichkeiten ihrer Institutionalisierung bot. An diesem Verhältnis fanden die Realisierungen der kolonialen Gouvemementalität der Modernisierung, ein Imitat europäischer Gestaltungen, ihre Grenzen, hier öffneten sich Möglichkeiten für die Manipulationen und schließlich die Übernahme des kolonialen Projekts durch Einzelinteressen. _. Der postkoloniale Staat ist deshalb nur eingeschränkt das geworden, was das Ideal moderner Staatlichkeit verheißen hatte: ein Handlungsfeld mit dominanter'Eigengesetzlichkeit. Er wurde anderen Imperativen untergeordnet. Q._er postkoloniale Staat. ist eine so~le W'iederaneignung. Die nachkolonialen Staaten ..... -..... .. . ... sind also weder bloße Kreationen der Kolonialmächte noch lediglich an der Oberfläche modern erscheinende Fonnungen vormoderner Verhältnisse. In den Regionen der Dritten Welt fmdet sich vielmehr eine Vielzahl von politischen Organisationsweisen, deren spezifischer gemeinsamer Charakte~ eben darin besteht, dass sich büro~ratisch-moderne und lokal-tra~itic>nale Momente in ihnen verschränkt .............. haben. Die Ungleichzeitigkeiten, die sich durch die Integration dieser Gesellschaf~n in das internationale System ergaben, wirkten in den Staatsbildungsprozessen nach dem Ende des Kolonialismus fort. Auf der Basis dieser aus der Kolonialzeit erfahrenen Modifikationen ihrer traditionellen Strukturen haben die Staaten ein~_Eigenleben entwickelt. Dieses Eigenleben ist indes nicht weniger ~-~eltgesellschaftliche Zusammenhänge eingebunden als die koloniale Herrschaft es war. So wie der Kolonialismus bei den Kolonisierten immer beide Reaktionsformen hervorbrachte,
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Kooperation und Widerstand, so durchzieht auch die Epoche der Dekaionisation und die Beziehungen zwischen den nachkolonialen, unabhängigetl Staaten und den ehemaligen Kolonialmächten eine Uneindeutigkeit: Mit der Dekaionisation verschwanden nicht alle Bande. Über Kirchen, Handelsverbindungen, Migrationen, Organisationen der Entwicklungshilfe und klassische lnstiturü): nen der Beziehungen zwischen Staaten blieben viele Beziehungen erhalten und setzten teils neue Verbindungen in Gang. Die Dekaionisation bedeutete deshalb nur eine neue Differenz, aber keine Trennung. Sie lässt sich am ehesten auffassen als das Ende »einer Form der Kooperation« (Wesseling 1997: 119, Hervorh. i. Org.). Sie hat die lange Kontinuität der durch die europäische Expansion ins Werk gesetzten Integration anderer Erdteile in ein sich verdichtendes internationales System nicht unterbrochen, sondern nur in eine neue Form überführt.74 Wie stark interne Dynamiken sich mit Umbrüchen im internationalen System verschränken und zu umfangreichen Verschiebungen der politischen Ordnungen führen können, wird im Phänomen der Dekaionisation selbst vielleicht am deutlichste11. Die Schwächung der europäischen Kolonialmächte durch den Zweiten Weltkrieg, das Drängen der neuen Hegemonialmacht CSA auf Öffnung der protektionistisch geschützten Wirtschaftsräume, aber auch der sich radikalisierende Antikolonialismus und die Demonstrationseffekte der ersten, teils gewaltsam erlangten Dekolonisationen bildeten den Hintergrund der formellen Staatsgründungen, die sich von den vierzigerbis in die siebziger Jahre hiiizogen. Wie bedeutsam gleichzeitig die internationale Entwicklung ftir die Prozesse staatlicher I Ierrschaft in Afrika und Asien gewesen ist, zeigte sich in den Zielen und Gestalten der neu geschaffenen Institutionen: Die Ptojekte der nachkolonialen Staatsbildung in der Dritten Welt fanden, im Unterschied zur europäischen Geschichte, mit bekannten Vorbildem statt. Das Ideal des Staates war durch die koloniale Erfahrung bereits präsent und wurde von den Führern der Unabhängigkeitsbewegung auch nicht in Frage gestellt. Ihr Ziel war nicht die Rückkehr zu traditionalen Formen, sandem der Anschluss an die Moderne. Die Ära der Dekaionisation in den 1950er und 60er Jahren war zugleich die Zeit, in der in Europa und anderswo eine enorme "Ausweitung der Staatsaufgaben stattfand und zunächst unwidersprochen blieb. Kontinuitäten lassen sich also auch in den Gouvemementalitäten fmden. Das erweiterte Verständnis der 74 In dieser Allgemeinheit gilt diese Aussage fiir alle Dekolonisationen, die gcnau genommen mit dem nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg beginnen tmd über die Zwischenetappen der Verselbständigung Lateinamerikas und die Loslösung der britischen Kolonien in Asit!tl in den vierziger Jahren bis ans Ende der großen Dekolonisationswelle in den SOer tmd 60er Jahren reichen.
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:~~des Staates reichte bis in die Kolonialzeit zurück, denn seit dem Zweiten -·Weltkrieg waren zahlreiche kolonialstaatliche Agenturen entwickelt worden, die den Ausbau der Infrastruktur, des Bildungs- und Gesundheitswesens bek~~~ern sollten. >.~.'~<~.Die wissenschaftliche, aber auch die offizielle politische Diskussion um Zielsetzungen und Programme der Staatsbildung und Ausgestaltung von Staatlichkeit blieb auch nach der Dekaionisation von zeitgebundenen Staatsverständnissen geprägt und orientierte sich im Wesentlichen an Idealen aus anderen Kontexten. Nicht nur der westliche, kapitalistische Weg in die Modeme hatte solch eine Vorbildfwlktion, sondern auch die sozialistische Varij ante, für die die Sowjetunion und die VR China noch junge, aber erfolgreich anmutende Beispiele boten. Industrialisierung, Entwicklung der Landwirt\ schaft, Bildung und Gesundheit wurden überall als politische Großaufgaben l !aufgefasst, in denen der Staat wenn nicht Generaluntemehmer, so doch we\sentlicher Akteur sein sollte. ;, .,_.__ Dieses Generalprogramm der »EntwicklungOrdnung integriert werden. Die Akkomodation innerhalb des Staates bedeutete Gehälter, Karrieren und sozialen Aufstieg. In Kontexten jedoch, in denen politische Herrschaft personal vermittelt blieb, in denen also die persönlichen Beziehungen den Zugang zu diesen Möglichkeiten eröffneten, bestand die ;erwartete Gegenleistung in politischer Unterstützung. Insofern bedeutete die /Expansion des Entwicklungsstaates eine Transformation der althergebrachten l Klientelbeziehungen, aber eben nicht ihr Ende. r In den nachkolonialen Gesellschaften lebt das Erbe des Kolonialismus folglich in vielfaltiger Form weiter. Von den europäischen Koloniahnächten wurden die territorialen Grenzen, die geschriebenen Verfassungen, die Büro-
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75 Unter dem Konzept des »Entwicklungsstaats(( sind diese Prozesse Gegenstand breiter wissenschaftlicher Kontroversen geworden. An der Debatte lässt sich übrigens die Rolle historischer Vorbilder für staatliche Politik anschaulich demonstrieren. Zur Übersicht über die Diskussion vgl. Simonis (1985) sowie die Beiträge in Woo-Cummings (1999).
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kratien, aber auch die Struktur der Ökonomien wenn nicht gänzlich bestimmt so doch entscheidend mitgeprägt. In manchen Kontexten mag_.Q.~ Eigendynat?Jk. de~ nachkolonialen Staaten dies~ Pr~~ger:;. -~~fgelöst haben. Oft aber haben sie sich verstärkt. Gerade am Beispiel der ökonomischen Strukturen~ zeigt sich, dass die großen extetnen Einflüsse auf die Staatsbildung in der Dritten Welt mit der Dekaionisation nichtvorbei waren.· i Zugl~ch-~b~r 'f~~d·in de~ n~chkolonialen Staaten eine Vergesellschaftung des Staat~; statt, die vom Modell dieses Vorgangs in der ~~~päischen Ge- , schichte abwich. Hatten dort seit dem 19. Jahrhundert die Öffnung der staatli-. chen Apparate und die Schübe der Demokrati.sierung auf einem wirtschaftlich erstarkenden Bürgertum und einer rasch ausgreifenden sozialen Differenzierung beruht, so fand in den postkolonialen Staaten die Vergesellschaftung des Staates auf informelle Weise statt. Von wenigen demokratischen Fällen abgesehen, ereignete sie sich in der Art des langsamen Wirksamwerdens sozialer' Logiken innerhalb der staatlichen Apparate. Soziale Praktiken, die ihren Ur-' sprung in Verwandtschaftssystemen, feudalen Abhängigkeiten oder vorkolonialen Herrschaftsform.en hatten, h.ielten in modifizierter Fmm in den Staat .J Einzug. Die Verges'!.J!~chaftung des Staates fand in der nachkolonialen Gcs.c_~~ht~.l!lso nicht d~ch\Terbfum~~-durch »Zweckvereine« in Wc:~rsc~e.r Ii Diknon, statt, sondert1 ~urch yergememschaftete Gruppen. 1t1! ( (, l ·. ' ' : Dernachkoiöß.1äi~ Staat wird also nicht von einer bürokratischen Eigenlogik dominiert (vgl. Bourdieu 1997a), sondern ist verschiedenen sozialen Logik.en untergeordnet. So lässt sich trotz aller Verschiedenheiten der Entwicklungspfade für nachkoloniale Staaten übergreifend formulieren, dass ihnen Vlj~~~.!:t:tteme Differenzie~!?-gen. feh}en: Staat und Gesellschaft, Privat und Öffentlich, politische und ökonomische Herrschaft sind nicht wirklich distinkte Sphären mit verschiedenen Geltungslogiken. Staaten der Dritten Welt zeigen aber W1terschiedlich . starke Ansätze zu solchen Differenzierungen,. Endang des Ausmaßes dieser Ausprägungen ist eine grobe Typisierw1g det·( nachkolonialen Staaten möglich.7 6 . ·· · . Der erste dieser Typen ist deüroße Entwicklu11gsstaat71 Wie ~~~_ien, ~lgerien, Mexiko, Brasilien, -~~~~-~~-J:~~c:i.:~·Seiii' "Mei:'kinal ist. die im Vergleich fortgeschrittene Institutionalisierung des Staates: Es gibt eine flä~_hendeckende Verwa1tung und einen großen öffentlichen Sektor, weil der Staat sich als Haupt-
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76 Zugrunde liegt den folgenden Ausfiihrungen die Annahme, dass den Ähnlichkeiteil der institutioneUen Form höhere Bedeutung :.ukorrunt als die räumliche Nachbarschaft von Staaten, Für eine detailliertere Darstellung, die Unterschiede in der Dynamik staatlicher Herrschaft entlang~ folgenden Typologie behandelt, vgl. Schlichte {1998c). 77 Die Ausprägung und Problematik der politischen Ökonomie dieser Entwicklungsstaaten wird am schlüssigsten von Waterbury {1993) behandelt.
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agent der Entwicklung begreift. St~~~h~ ~11teiilehmen beschäftigen eine große Zahl von Arbeitnehmern, aber Patr<>.na~, das heißt persönliche Beziehungen im weitesten Sinne, spielt für Anstellungen oder öffentliche Aufträge eine entscheidende Rolle. Zugleich gibt es einen bedeutsamen Binnenmarkt ; und eine vergleichsweise etablierte Position im_ intern~ti"o~~en Wirts~hajt~ge , füge. Der Staat mag zwar von den Einkünften aus dem Export we~e; Güter . abhängig sein, er hat aber eine im Vergleich zu anderen Staaten der Dritten 'Welt enge Beziehung zu den ökonomischen Aktivitäten seiner Bürger. :Zugleich finden sich hier bedeuts~e M!l~htg:ruppen, die ~~6hä.ngig vom S~_aat agieren. Sie sind auch die Träger einer politischen Ö_f.fe_I:!~C::hkeit, ht der der Staat und seine Politik thematisiert werden können. Grundlage dafür ist [das er~~!>.M~J:!:~--~~srnaß sozialer Differenzierung: In diesen Entwicklungsstaa! ten konkurrieren Inlands- und Auslä~dskapital, das l\filit~r als korporativer Akteur und ande~_Statusgruppen um Machtchancen, die über den Staat vermittelt werden, so dass sich in diesem Wettbewerb eine gewiss'?. ..~ta_atliche ,:{\l.l~~.f.lomie herausbilden konnte. / . Diese Teilautonomie ist im zweiten Typ, de~trimonialen__-!_!~qynicht entwickelt.78 Alles hängt hier vom Staat ab oder aber 1St vonliiillvöllig losgelöst. Beispiele hierfür sind die überwiegende Mehr~~_!_d~J; ... S!aaten...Af.rikas südlich d~r. S@~a, aber auch Staaten in anderen Regionen wie die _Philippinen, N_i~lil::~g\:1~ .U.Vt~t: Somoza ode!.. H~-t~-~t~r d.~J:..J:!~rrschaft der Duvaliers. In diesen Staaten fand die s~~i.a!~. Wie~er,~11eign:1.1t1g des Staates als Patrimonialisierung der kolonialen Hinterlassenschaften statt. Auch bei diesem Typ ist der 1\öf~~11~c-~~ S_e~t()r von großer ökonomischer Bedeutung. Nur ist hier all~s dem Pr~s!~C:l1t.~t:_l-~-~erge()~t:_let. Der nachkoloniale S!~ll:~. ist ZWI1 .. P~~qqjum seines Inhaöers geworden. Der Präsident macht keinen Unterschied zwischen '~etttem Piivätkonto und dem Staatshaushalt, er entscheidet über die großen pffentlichen Investitionen, und - typisch für diese Staatsform - auch über die jgeringsten Details. Po.g!lk wird üJ:,eJ:. kliet}telis~ische r\[e~erke betrieben, und die Hauptaufgabe des Präsidenten besteht darin, den Ressourcenfluss des Staates so zu lenken, dass er die konkurrierenden Netzwerke ausbalancieren kann. Ökonomisch sind diese Staaten von ihren Bevölkerungen relativ abgeschnitten: Direkte Steuern spielen in den Einnahmen cles Fiskus k~!1:!~.. !?:enne~s;:erte. Roll~;· ~~~wärtige Hilfe und die Einnahmen aus der Besteuerung ~~~ I;-p~~ ~d Export bilden die Haupteinkünfte des Staates. Das hat zur Konsequenz, dass weite Teile det: Bevöl.kenw.g,_gerade in peripheren Gebieten, von staatlichen Instihitionen und staatliche~ Politik kaum ~!~~ic~t-~c:~en.
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78 Zur inneren Struktur neopatrimonialer Staaten vgl. Eisenstadt (1973), Medard (1991), und die Beiträge in Clapham (1982).
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Der ddtte Typ schließlich ist de{petiphere soxjaf!f!i_s:.k~ :!ta_q,t/Ru~~~~~t~•. Albanien, aber auch manche Teil~~!?~ -~e~ __ früheren S<;>wjetunion lassen sich . iliesei: Form zuordnen.79 Gemeinsam ist ihnen, dass es in diesen Staaten in der Ära des so genannten Sozialismus eine weitreichende Regulierung gab. Der Staat besaß ein faktisches Monopol des Außenhandels und kontrollierte alle bedeutsamen wirtschaftlichen Institutionen. Diese Rigidität wurde aber ausgeglichen durch die Flexibilität paralleler Institutionen wie den Schwarzmärkten und der Patronage im politischen Bereich. In diesen Staaten sind vor allem die achtziger Jahre eine Zeit der Stagnation gewesen, so dass auch hier die ökonomische Krise der Staaten einsetzte, die mit dem Ende der Sowjetunion in einer politischen Wende kulminierte. Die Dynamiken um die Formen und Grenzen staatlicher Herrschaft sind - in all diesen Staaten noch nicht zum Ende gekommen. Die soziale Dynamik in diesen Staaten, aber auch die Projekte staatlicher Herrschaft selbst liefem [ fo " end Impulse, die die Strukturen des Politischen verändern. Zugleich ve~dichte sich die weltgesellschaftlichen Zusammenhänge, in die die Staaten der Dritten Welt eingebettet sind. Es ist die Aufgabe der folgenden KapitelL, diese Dynamiken und ihre bisherigen Resultate unter drei Aspekten zu untersuchen. Dabei geht es nicht um ein lückenloses Bild all dessen, was der Fall ist, sondern vor allem um den Aufweis, dass die Theode globaler Vergesellschaftung und die Art und Weise, in der hier Macht, Herrschaft und Staat konzeptionalisiert wurden, eine überzeugende Möglichkeit sind, diese Dynamiken zu erfassen und abzuschätzen.
79 Die Lage der vergleichenden Fotschung zu dieser Gruppe ist besonders prekär, weil die regionale Aufgliederung der Wissenschaft hier besonders ausgeprägt ist. Zur Entwicklung in Albanien vgl. Hensell (1999), zur Kaukasus-Region Gordadze/Mouradirul (1999), zu Zetltralasien Roy (1995) w1d zu Jugoslawien Allcock (2000) und Woodward (1995). Zum patrimonialen Sozialismus allgemein vgl. Hensell (2004).
3. Dynamiken der Gewalt
Im Frühjahr 1925 ist die Stadt Shanghai in Aufruhr: Schon seit Februar streiken Arbeiter in den Baumwollfabriken eines japanischen Konzerns. Als bei Demonstrationen ein chinesischer Arbeiter von japanischen Vorarbeitern erschossen wird, spitzen sich die Dinge zu. Die junge Kommunistische Partei Chinas gewinnt an Unterstützung, sie organisiert weitere Demonstrationen. Am 30. Mai 1925 erschießen chinesische Polizisten und indische Sikhs, die unter britischem Kommando stehen, weitere vier Demonstranten. Dieser Vorfall wird zu Geburtsstunde der Chinesischen Revolution (vgl. Osterhammel1997). Zwanzig Jahre nachdem das brasilianische Militär den Weg zu einer Demokratisierung des Landes freigab, ist es in gewissem Sinne immer noch in einer privilegierten Position. Während die Verschuldung Brasiliens auch 2005 noch schwindelerregende Höhen erreicht, gelingt es dem Militär auch weiterhin, Erhöhungen seines Budgets durchzusetzen. Brasilien hat seit mehr als 130 ] ahren keinen Krieg geführt. Seine Armee ist dennoch über 300.000 Mann stark und konsumiert drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der Armeeführung ist es auch gelungen, die Beschaffung von Rüstungsgütern ohne Ausschreibung auf der Grundlage präsidentieller Dekrete durchzusetzen (Flemes 2004). >>Apac-Mob tötet Soldaten« meldet die ugandische Tageszeitung New Vision am 23. März 1999 und berichtet: »Ein wütender Mob steinigte am 19. März in Inomo-Subcounty einen Soldaten zu Tode, der verdächtigt wurde, den Hausmeister der Abolo Primary School ermordet zu haben. Der Gefreite Jimmy 0., der bei der Brigade 503 in Pajule im Distrikt Kitgum stationiert war, wurde gelyncht, weil er angeblich] .C. Ogwang am 6. März erschossen hatte. Polizeiquellen zufolge wurde 0. angegriffen, während er in Polizeigewahrsam war.« Kriminelle oder politische Gewalt erscheint immer als Gegenteil des Staates. Ganz so eindeutig liegen die Dinge aber meist nicht: Aus der Guerilla kann, wie im Falle der Kommunistischen Parteien Chinas, eine Regierung werden, und Lynchjustiz wird von staatlichen Organen oft toleriert. Dennoch: Die Monopolisierung des legitimen Gewaltgebrauchs ist wohl das unumstrit-
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tene Kerrunerkmal moderner Staatlichkeit. Die Apparate des Staates siche1'11 den i.tmeren und den äußeren Frieden, und diese basale Ordnung ist zugleich Bedingung der Möglichkeit jeder weiteren politischen Gestaltung dut-ch den Staat. Die Gewalt ist im doppelten Sinne der Grund des Staates. Die Frage danach, inwieweit der Anspruch auf Monopolisierung des legi- · timen Gewaltgebrauchs durch den Staat tatsächlich erreicht wird, gilt deshalb als Gradmesser jeder Staatlichkeit. Dem Ideal des Staates nach ist diese Monopolisierung flächendeckend erreicht. So wie das Militär erfolgreich die territoriale Integrität des Staates sichert, so verfolgt die Polizei erfolgreich jede Herausforderung des staatlichen Gewaltmonopols im lnnem. Die Realitäten in den Staaten der Dritten Welt sind andere. Die Praktiken entsprechen diesem Ideal nicht. Wie in diesem Kapitel gezeigt werden soll, sind die Befunde über den Grad der Monopolisierung der Gewalt durch die Staaten der Dritten Welt uneinheitlich. Die wesentliche Absicht ist dabei, die Dynamiken offen zu legen, die über die Chancen der Gewaltmonopolisierung durch den Staat entscheiden.so In den meisten Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas ist der Anspruch des Gewaltmonopols als Kernelement staatlicher Herrschaft wesentlich ein Erbe des Kolonialismus. Zwar wiesen auch die vorkolonialen politischen Verbände ihnen eigene Formen der Gewal~erwaltung auf, die sich, soweit sie staatliche Form annahm, dem Anspruch nach ebenfalls als Gewaltmonopole ausbildeten. Die der Idee moderner Staatlichkeit inhärente Vorstellung einer alle außerhäusliche Gewalt monopolisierenden Institution entstanunt jedoch der Geschichte des neuzeitlichen europäischen Staates. Die globale Ausbreitung dieser Staatsauffassung ist historisch zunächst mit dem europäischen Kolonialismus identisch. Als Ergebnis der europäischen Expansion legte sich über die lokalen Herrschaftszusammenhänge eine neue, weitere Herrschaftsidee, die der Monopolisierung der Rechtmäßigkeit des Gewaltgebrauchs durch staatliche Organe. Die Durchsetzung staatlicher Herrschaft wird in den nachkolonialen Staaten überall konflikriv, weil die Monopolisierung der Gewaltmittel eine notwendige Voraussetzung und das reale Korrelat zentralstaatlicher Suprematie ist. Sie ist jedoch nur gegen den Widerstand anderer sozialer und politischer Organisationsformen durchsetzbar.
80 Nicht alle für diese Abschätzung wichtigen Aspekte der Gewaltordnungen in den Staaten der Dritten Welt können hier überblicksartig dargestellt oder untersucht werden. Diese Einschränl..-ung ist einerseits einem Mangel an Material geschuldet. Über wesentliche Aspekte dieses Themas liegen keine oder nicht hinreichend aufgearbeitete Info,mationen vor. Dies gilt etwa für die Praxis der Strafverfolgung und die Wirklichkeit de1· polizeilichen Arbeit in den Regionen außerhalb der OECD.
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Dabei traten die »Agenten<< der Staatlichkeit wie auch in der europäischen Geschichte nicht als Idealisten auf. Ihre Teilnahme an der Machtkonkurrenz war immer an andere konkrete Interessen geknüpft. Überall vermengten sich Bruchstücke und Abwandlungen der Idee moderner Staatlichkeit mit den einzelnen Interessen der konkreten Personen, die staatliche Herrschaft gegen Widerstände durchzusetzen versuchen. Karriereabsichten, der Antrieb, militärisches Charisma zu erlangen, die Verbesserung der Ressourcenlage für den ,eigenen verwandtschaftlichen Verband oder das technokratische Ethos, als ,»Modernisieret<< zur Verbesserung der Verhältnisse beizutragen, sind solche ·Motive, mit denen sich der allgemeine Glaube an die Idee der Staatlichkeit auch in Afrika, Asien und Lateinamerika verknüpft hat. Solche Gemengelagen in den Motivationen lassen sich an Kämpfen innerer Monopolisierung überall erkennen - in den Auseinandersetzungen zwischen dem Königtum Buganda und der nachkolonialen Regierung des ehemals britischen Protektorats Uganda ebenso wie bei lokalen Herrschern im nachkolonialen Indien oder den Gegenbewegungen zur Zentralisienmg im Argentinien des 19. Jahrhunderts (vgl. Riekenberg 1999). Auf die Frage nach den jüngeren Dynamiken von politischer Gewalt und. staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt sind den gängigen Auffassungen nach zwei verschiedene Antworten möglich: Staatsbildung oder Staatszerfall. Die traditionelle, im weitesten Sinne »modernisierungstheoretische Sicht« interpretiert zwischen- wie innerstaatliche Gewalt als notwendiges Korrelat von Staatsbildungsprozessen. Diesem »Hintze-Tilly-Theorem«8 1 zufolge ist Staatsbildung historisch identisch mit dem Prozess der Monopolisierung der Gewalt nach innen und außen. Die Errichtung der Apparate, die Findung der Grenzen 'Und das Austarieren der Verhältnisse zwischen Staaten sind gewaltgeladene Prozesse, die integraler Bestandteil der Staatsbildung sind. Eine andere Interpretation sieht im Vorkommen von Kriegen und politischer Gewalt eher Zeichen der Krise, wenn nicht des Zerfalls. Militärische Staatsstreiche, innerstaatliche Kriege und die allgemeine Verbreitung politischer Gewalt werden demnach als Zeichen des Legitimitätsmangels und des Zusammenbruchs staatlicher Herrschaft verstanden. Vor allem in den 1990er Jahren hat diese Wahrnehmung der »kommenden Anarchie« (Kaplan 1994), des »Wegfalls effektiver Staatsgewalt« (Tetzlaff 1999) an Prominenz gewonnen.
81 Charles Tilly hat diesen Zusammenhang durch seinen Aufsatz Stale Maki11g as Üfl!.alrif?!d CTime (1985) wieder prominent in die smatstheoretische Debatte eingebracht. Der Gedanke des Ursprungs des Staates aus dem Krieg ist indes älter und fmdet sich -wie bereits erwähnt- bei Otto Hi.ntze bereits als allgemein formulierte Beobachtung: »Alle Staatsverfassung ist ursprünglich Kriegsverfassung« (1906: 53).
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Wie im Folgenden gezeigt werden soll, ist es nicht einfach, die Wirklichkeit politischer Gewalt in der Dritten Welt einer dieser beiden Interpretationen gefügig zu machen. Denn so augenfällig die Legitimationsdefizite staatlicher Herrschaft durch die Vielzahl innerstaatlicher gewaltsamer Konflikte und durch die Persistenz der politischen Gewalt sind, so wenig bedeuten diese Phänomene eine Infragestellung des Prinzips der Staatlichkeit selbst. An der Geschichte und den Bestimmungsgründen der staatlichen Gewaltapparate -Polizei und Militär- lässt sich dies ebenso zeigen (3.1) wie an den verschiedenen Erscheinungsformen kriegerischer Gewalt in den Regionen der Dritten Welt (3.2). Betrachtungen zum F01mwandel der Gewalt und zu den Zukunftsaussichten des Gewaltmonopols schließen das Kapitel ab (3.3).
3.1 Militär und Polizei - zur Dialektik von Gewalt und Organisation Für jeden politischen Verband bleibt die physische Gewalt ein Problem, weil sie eine spezifische Machtform ist. Als »Aktionsmacht« (Popitz 1986: 68) ist sie kurzfristig allen anderen Machtpraktiken überlegen. Denn die Verletzlichkeit des Menschen, die Unmittelbarkeit ihrer Wirkung, ihre Existenzialität geben der Gewalt als Praxis einen besonderen, gegenüber allen anderen Machtpraktiken herausgehobenen Charakter. Wegen dieses besonderen Charakters ist potentiell jede politische Form durch Dynamiken der Gewalt bedroht, denn sie kann Institutionen ebenso zersetzen wie sie losere soziale Zusammenhänge mit Leichtigkeit auflöst. Um dieses Potential einzuhegen, entwickeln Gesellschaften Institutionen der Gewaltordnung. Der Kontrolle der Gewalt dienen in modemen Staaten besondere Stäbe: Militär und Polizei. Ihre Aufgabe ist es, die außerhäusliche Gewalt zu verhindern, ihre Verbreitung zu unterbinden und Vergehen gegen dieses Verbot zu ahnden. Während die Armee dieser Aufgabe im Verhältnis des Staates zu anderen Staaten nachkommt, ist die Polizei auf die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols nach innen gerichtet. Doch a':'s der potentiellen Ubiquität physischer Gewalt ergibt sieb eine Dialektik von Gewalt und Organisation, der auch die Institutionen des Staats nicht entkommen. Auch wenn Staaten Apparate zur Ordnung der Gewalt ausbilden, schafft diese Lösung ein neues Problem. In der Geschichte nahe7.u jeden Staates haben dessen gewaltkompetente Stäbe irgendwann ilue Eigendynamik entfaltet.
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Denn das Personal der Sicherheitsapparate erlangt nicht nur eine besondere Expertise in der Ausübung und Organisation von Gewalt. Es zeichnet sich darüber hinaus durch ein besonderes berufsständisches Eigenethos aus und entwickelt bedingt durch seine soziale Sonderstellung ))Korpsgeist«. Es ist zugleich durch Hierarchie, geregelte Kommunikation und Einübung gegenüber den meisten sozialen Akteuren in einem OrganisationsvorteiL Die Militarisierung des Politischen, in Form der direkten Übernahme der politischen Macht durch die militärischen Apparate oder in Form der extralegalen Sonderstellung des Militärs, ist deshalb ein häufiges Resultat dieser Dialektik und eine typische Erscheinung im Prozess der Staatsbildung. Die machtvolle Verselbständigung der militärischen Apparate muss nicht notwendig durch Staatsstreiche offiziell werden. Sie kann sich auch einfach durch Straflosigkeit der Übergriffe· von Militärs und Polizisten äußern, durch Praktiken der Folter und einfache Willkür, durch Drohung und Einschüchterung von politischen Oppositionellen. Die Berichte der internationalen Organisationen, die sich dem Schutz der Menschenrechte verschrieben haben, belegen die lange Kontinuität und bedrückende Realität solcher Praktiken für die weitaus meisten Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas in der Gegenwart. Die Dialektik von Gewalt und Organisation wirkt aber auch umgekehrt. Denn immer braucht die Gewalt Organisation. Kein gewaltsamer Akteur, dessen Aktivität auf Dauerhaftigkeit angelegt ist, kommt ohne Organisation aus. Je komplexer das soziale Umfeld und je dauerhafter die Herrschaft der Gewalt ist, desto stärker prägt sich die Organisation der Gewalt aus. Jede Militarisierung der Politik hat deshalb auch immer wieder ihr Gegengewicht gefunden, weil 'funktionale Notwendigkeiten der Willkür Grenzen setzten. Beide, Gewaltherrscher wie ihre Herausforderer, unterliegen denselben Zwängen dieser Dialektik der Gewalt. Der moderne demokratische Staat ist der historische Ausweg aus diesen Zwängen. Nur wenn !1.-f.ilitär und Polizei, die Gewaltapparate des Staates, ebe.t1so der öffentlichen Regelung und Kontrolle unterliegen, wie dies für andere Teile des Staates, aber auch für seine Bürger gilt, und wenn diese öffentliche Kontrolle der Gewaltapparate im Berufsethos ihres Personals verankert ist, kann die Dialektik von Gewalt und Organisation eine Stillstellung erfahren.S2 Die Veröffentlichung des Gewaltmonopols, wie sie in der europäischen 82 An den Debatten und Verfuhren wn die Verfolgung von Vergehen seitens staatlicher Gewaltbeauftragter, Polizisten und Soldaten, auch in modernen westlichen Staaten, kann man erkennen, wie prekär dieses historische Resultat noch ist. Es wird permanenter Anstrengungen bedürfen, um der Zivilisierung der Gewaltapparate auch in der westlichen Welt ihre Geltung zu sichern.
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Geschichte im bürgerlichen Staat erreicht wurde, etweist sich damit als wesentliche Voraussetzung aller weiteren Expansion staatlicher Herrschaft. Olu1e diese Veröffentlichung verursacht der staatliche Gewaltgebrauch stetige Legitimationsprobleme, ohne ihn neigen die staatlichen Gewaltapparate zur Verselbständigung und Usurpation des ganzen Staates. Wie der Blick auf die Geschichte staatlicher Gewaltapparate, aber auch auf ihre Gegenwart, erkennen lässt, ist die demokratische öffentliche Kontrolle der staatlichen Gewaltstäbe jedoch der historische Ausnahmefall. In den meisten existierenden Staaten hat die Veröffentlichung des Gewaltmonopols nicht wirklich stattgefunden oder aber sie ist nicht abgeschlossen. Zwar gibt es auch außerhalb der OECD eine Reihe von Staaten, in den ein faktisches Gewaltmonopol existiert oder in denen wenigstens das repressive ; Potential des Staates so groß ist, das gewaltsame Herausforderungen unterblei- ; ben.83 Die Legitimität dieser Ordnungen ist jedoch fragil, und politische Ge- ' walt ist auch in diesen Fällen weit verbreitet. Ihre Erscheinungsformen reichen von Anschlägen und Attentaten, städtischen Unruhen bis hin zu den staatlichen Praktiken der Folter, den dirtY lncks gegenübet Oppositionellen und dem 1· .< Einsatz paramilitärischer Verbände. · ,(! ,' 7Y1' I 3.1.1 Das Militär Mit der Institution des Militärs als Teil des nachkolonialen Staates verbanden sich in der Phase der Dekaionisation in Asien und Afrika große Hoffnungen. Das Image des Militärs, eine stabile hierarchische Organisation mit hohem symbolischen Status und gemeinsamen professionellem Ethos zu sein, noch dazu mit dem entscheidenden politischen Vorteil, über das Waffenmonopol zu verfügen (vgl. Finer 1988: Sf.}, weckte die Erwartung, hier den 1{1-istallisationskem einer modernen Staatlichkeit zu haben, der zugleich das für die weitere Entfaltung nötige wirtschaftliche Wachstum bewerkstelligen würde. Diese Einschätzung teilten, einig in der Idee moderner Staatlichkeit, US-ame11kanische Modemisierungslehren mit der »Theorie der nationalen Revolution« sowjetischer Provenienz (B1·zoska 1987: 347). Diese Erwartungen wmden enttäuscht, als die Politisierung des Militärs in den Regionen der Dritten Welt zwar eine Fülle von Interventionen in die Geschäfte des Staates mit sich brachte, jedoch ohne einen erkennbaren Unterschied in der Effizienz der staatlichen Leistungen oder in der Wohlfahrt der betreffenden Länder zu be-
83 Zu den·~n ist )lier etwa, an autoritäre Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, wie Jordanien,
~_Ägyp~- iinq··Marokkc?.···~ ......._,... ·
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wirken.S4 Das Militär der neuen Staaten lässt sich eher als verselbständigter, eigeninteressierter Rest des Kolonialstaats charakterisieren denn als Modernisierungselite. Sieht man von den Besonderheiten der Entwicklung in Lateinamerika ab, dann sind die militärischen Apparate der postkolonialen Staaten nämlich durchweg ursprünglich Kreationen der Kolonialmächte. Nur in Ausnahmefällen hatten diese ausschließlich auf eigenes, nationales militärisches Personal zurückgegriffen, sondern sich meist schon zu Beginn der kolonialen Eroberung lokale Konkurrenzen zunutze gemacht, um bereits bestehende militärische Verbände für ihre Zwecke einzusetzen. Ähnlich wie die zivile Verwaltung haben auch die militärischen Organisationen der ehemals französischen oder britischen Kolonien Fachsprache, Ränge und Prinzipien der inneren Gliederung von den Kolonialmächten übernom, men. In ihrem Innern jedoch zeigt sich in jedem einzelnen Falle, dass die au: ßerhalb des Militärs geltende soziale Logik ebenso im Innern des militärischen 'Apparates ihre Geltung entfalten konnte, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Dies gilt nicht nur für das offensichtliche Moment des Patriarchatismus und das Prinzip der Seniorität, die auch in den Armeen westlicher Staaten bis heute maßgebliche soziale Struktutprinzipien sind. Auch regionale Herktmft, ein spezifischer ethnischer »Ethos«, Verwandtschaft und andere traditionale Formen, die in der sozialen Umgebung des Militärs bestimmend sind, ragen fast immer weit in die innere Funktionsweise des Militärs als sozialem Feld hinein. Auch in jenen Staaten, die im 19. und 20. Jahrhundert keine Kolonien der europäischen Mächte waren oder es nie gewesen sind, ist es zu einem enormen Wachstum der militärischen Apparate und damit auch ihrer politischen Bedeutung gekommen. Auch hier war die Ausbildung der »Stäbe« stark internationalisiert. Preußen und Frankreich exportierten militärisches Lehrpersonal seit dem 19.Jahrhundert nach Lateinamerika (Rouquie 1987), preußische Offtziere dienten im Osmanischen Reich und in China als Militärberater (vgl. Moltke 1979; Ostet·hammel1999: 150). In den Institutionalisierungen der militärischen Bündnisse des Ost-West-Konflikts, aber auch in nachkolonialen Verbindungen fand diese Internationalisierung des Militärischen ihre Fortsetzung. Trotz des Bestrebens um die Professionalisierung der militärischen Apparate und den von den Armeen sicher selbst in Gang gehaltenen Modernisierungsbestrebungen, sind die Gesellschaften der Dritten Welt der Militarisie-
84 Dieser Befi.tnd ist in der Forschung unbestritten, vgl. Büttner et al. (1976: 176); Brzoska (1987); Finer (1988) und Wilke (2005).
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rung des Politischen nicht entgangen. Die Entwicklung eines korporatistischen Eigenverständnisses ist Teil dieser Dynamik. Die Loslösung der Binnensoziologie des Militärs von den sie umgebenden vergesellschaftenden Formen ist immer an die Etablierung von Eigenwelten gebunden, die in den meisten Armeen durch gesonderte Siedlung und andere Maßnahmen der sozialen Isolation betrieben werden. Aber nur wenn zu diesen Maßnahmen der Kontrolle und Sozialdisziplinierung auch die Erwartungssicherheit und Verlässlichkeit der Karrierechancen w1d des Lebensw1terhalts hinzutreten, kann sich die lose, steter personeller Fluktuation unterlegene Organisation in eine Armee mit »K01psgeist« verwandeln, in der Ziige der Vergemeinschaftung neben den rein formalen Hierarchien und Machtmitteln für den Zusammenhalt sorgen. Es versteht sich, dass gemeinsam erlebte militärische Aktionen fW: diese mythologischen Kreationen des Zusammenhalts von großer Bedeutung sind. Diese einfachen Prinzipien der internen Zusammenführung sich zunächst fremder Individuen verschränken sich im Militär mit Formen, die unter allen Armeen der Welt gleich sind. Dazu gehören das strikte Befehls-GehorsamsPrinzip, die strenge hierarchische Ordnung, die Trennung von OffiZieren und niederen Dienstgraden, Uniform, Regimentseinteilung und l>berufliche« Spezialisierung. Allein wegen dieser Institutionalisierungen hat das 1\filitär der jungen Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas lange den Ruf genossen, ein besonders geeigneter Agent der politischen und sozialen Modemisierung zu sein (vgl. Huntington 1968). Geteilte Bewertungen der politischen Entwicklungen sind in vielen Fällen die wesentlichen Grundlagen für die Militarisierung des Politischen, die nicht immer die Form der offenen Machtübernahme angenommen hat. In der Geschichte Lateinamerikas, aber auch in Algerien oder in der Türkei gibt es lange Perioden, in denen der Einfluss des Militärs über arretierte Etwartungen und informelle Machtmechanismen gesichert wurde. Ein Hauptmotiv für den In: terventionismus des Militärs blieb neben den subjektiv empfundenen »politischen Krisen« auch immer die Wahrung des eigenen Status, die Abwehr des drohenden Verlusts der eigenen Privilegien. Häufig ist das letztgenannte Motiv· der unmittelbare Anlass für Usurpation der politischen Macht gewesen. Von der Form der offenen Militärherrschaft ist nach Erlangung der Unabhängigkeit kaum ein Staat der Dritten Welt verschont geblieben. Befördert auch durch die Militarisierung der internationalen Politik in den Zeiten der Blockkonfmntation übernahm das Militär in nahezu allen Staaten der Dritten Welt mindestens für einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte die politische Macht. Allein wegen seines Gewichts als korporativer Akteur und seiner Gewaltkompetenz wurde
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der militärische Apparat - und nicht die polizeiliche Überwachung - z~ Rückgrat der staatlichen Herrschaftsansprüche in der Dritten Welt. Die faktische Übernahme von Regierungsfunktionen erfolgte aber durchaus nicht immer in der Fonn eines offenen Putsches. Auch die Übertragung von Fachministerien an Offiziere, der Einsatz der Streitkräfte zur Bekämpfung städtischer Unruhen oder bei Naturkatastrophen bis hin zur Abwicklung des Grenzverkehrs gehört zu den Formen der Militarisierung staatlicher Herrschaft (Kukreja 1991: 48ff.). Die korporativen Interessen des Militärs können auch durch Fonnen der indirekten Herrschaft zur Geltung gebracht werden, indem zivile Regierungen durch die konstante, gar nicht explizit zu machende Drohung ihrer Absetzung auf die Beachtung dieser Interessen verpflichtet werden (Finer 1988: 149ff.). Ebenso sind Mischformen möglich, indem Staatsoberhäupter, die ihre Position einer militärischen Intervention verdanken, ihre Herrschaftsposition durch die Schaffung einer politischen Partei legitimieren, gleichzeitig jedoch erhebliche Aufmerksamkeit auf die Kontrolle der Dynamik in den gewaltkompetenten Staatsteilen verwenden. Der offene militärische Putsch ist dagegen eine bes ndere Form der Intervention, die an eine Grenze stößt. Einmal ist die Üb rnahme wirklich aller staatlichen Funktionen durch das Militär auch in Extr mfällen nicht zu denken. Immer bleiben die Interventen auf die Zuarbeit d Loyalität der zivilen Teile des Staates angewiesen. Mit zunehmender Ausdi ferenzierung nicht nur des Inneren des Staates, sondern auch seiner sozialen Umwelt, erhöhen sich die Anforderungen, die an militärische Entscheidunigsäger gestellt werden. Die Abgabe der Macht an eine erneute zivile Regie ng ist deshalb häuf1g genug von der Sicherstellung des erreichten Bestandes . korporativer Interessenerfüllung und dem Entzug des unmittelbaren poli sehen Drucks diktiert, der sich in komplexer werdenden Konstellationen einst t. Die Internationalisierung der Herrschaftszusammenhänge, die sich etwalim Gefolge der »Verschuldungskrise« einstellte, ist dafür ein prominentes Bfispiel. Die häufig von außen durch Kredite fm~zierte Militarisierung schuf 9amit zugleich eine Bedingung ihres Endes, als nach dem Ende des Ost-West-1<-onfl.ikts vor allem die Höhe der Militärausgaben in die Kritik der internation:llen Finanzorganisationen geriet, die gerade wegen des hohen Schuldenstand+ einen so großen Einfluss auf »nationale« politische Prozesse nehmen konntf. Wie aus den gängigen Statistiken über die Größe ~-d Kosten der militärischen Apparate erkennbar wird, ist es fast überall in dep nachkolonialen Staaten zu einem enormen Wachstum der Gewaltappara!f gekommen. Nahezu überall haben sich sowohl die Anteile der Militärausgaren an den staatlichen Gesamtausgaben wie auch der Umfang der Streitkräftelvervielfacht. Ende der 1980er Jahre waren die Ausgaben in allen Regionen !ln ihren Höhepunkten
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angekommen, in vielen Fällen hat ihr Anteil an den Staatsausgaben danach nachgelassen. Doch überall ist das Militär einer der großen staatlichen Apparate geblieben. Selbst einnahmenschwache w1d kleine Staaten wie Uganda oder Albanien unterhalten Armeen von mehreren zehntausend Mann Stärke. Eine nennenswerte Rückführung des Umfangs der Streitkräfte ist die seltene Ausnahme. Nicht inlmer sind militärische Auseinandersetzungen die Triebkräfte dieser Militarisierung gewesen. Eher, so scheint es, ist es die Verfügbarkeit der 1\
85 Zu den Gründen hierfür, die wohl eher in den Problemen der Besteuerung als in organisierten politischen Widerständen gegen das Wachstum des Militärsektors z~ suchen sind, vgl. das folgende Kapitel. 86 Dieser Effekt beruht darauf, dass die für den Import von Rüstungsgütem aufgewendeten Mittel ja nicht mehr für wachstumsgenerierende lnvestionen auf dem eigenen Territorium zur Verfügung standen. Die Wachstums- und Beschäftigungseffekte der Rüstungsproduktion kamen anderswo zustande, in den USA w1d der Sowjetw1ion, in Ost- und \Vesteuropa.
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Einbettung, statt die staatliche Handlungsautonomie zu befördern, nicht zuletzt, weil den Machthabern in Uniform die Notwendigkeit stärkerer Weltmarkteinbindung und· der Primat der Industrialisierung wegen der hohen Kosten ihrer Apparate durchaus bewusst war (Brzoska et al. 1994: 318). Ein eigenes Projekt staatlicher Herrschaft hat das Militär nur selten entwickelt. Nur in einigen Fällen hat sich aus der Entwicklung des Militärs tatsächlich eine Entwicklung in Richtung des Ideals staatlicher Herrschaft ergeben. Viel häufiger war die Delegitimierung staatlicher Apparate das Ergebnis der fast immer offen repressiven Militärherrschaft. In den großen Entwicklungsstaaten Lateinamerikas, auf dem indischen Subkontinent, in Nordafrika und in der Türkei ist aus der langen Tradition militärischer Institutionalisierung und aus den Modernisierungsschüben ein korporatistischer Zusammenhalt erwachsen. Umgekehrt zeigt sich in zahlreichen anderen nachkolonialen Armeen eine Reil1e von Bruchlinien, die sich mit den Erfahrungen der inneren Kriege und den damit einhergehenden Stereotypisierungen verfestigt haben. Weil in vielen Armeen keineswegs alle Bevölkerungsgruppen vertreten sind, haben sich die Armeen auch nicht ins allgemeine Bewusstsein als »nationale« Institutionen eingesenkt. Ihr öffentliches Ansehen ist daher weiterhin von Willkür, Selbstprivilegierung und politischer Anmaßung geprägt. Die Jahre der Militärherrschaft haben zugleich die Integration in globale Zusammenhänge befördert: Der Import kostenträchtiger Rüstungsgüter und der allgemeine Mittelverbrauch durch die militärischen Apparate zwangen alle Staaten, in denen das Militär eine politisch herausragende Rolle spielte, nach Möglichkeiten erweiterter Exporte zu suchen oder aber durch die Aufnahme von Krediten eine höhere externe Verschuldung einzugehen. Beide Lösungen zogen eme stärkere politische Einbindung in externe Zusammenhänge nach sich (vgl. Brzoska et al. 1994: 311f.). Im Unterschied zur europäischen Geschichte, in der die Kosten von Krieg und Militarisierung zu einem großen Teil von der jeweils »eigenen« Bevölke.rung finanziert wurden, etwa in der Form von Kriegs- und Staatsanleihen, sorgte die Militarisierung in den Regionen der Dritten Welt nicht automatisch , zu einer engeren Verschränkung von Staat und Gesellschaft, sondern die Folge iwar vor allem ein Autonomieverlust des Staates gegenüber externen Agentu1 ren. Die Außenfmanzierung eines großen Teils dieses Militarisierungsprozesses äußert sich bis in die Gegenwart in horrenden Auslandsverbindlichkeiten, die ·iluerseits die Legitimation internationaler Finanzorganisationen sind, die ökonomischen und politischen Programme staatlicher Agenturen in Asien, Afrika und Lateinamerika wesentlich mitzugestalten. Die Internationalisierung von Herrschaft, die sich in der Gegenwart beschleunigt, hat hier eine ihrer frühesten Wurzeln.
3.1.2 Die Polizei Weniger beachtet, doch der Staatstheorie zufolge als Apparat für die Aufrechterhaltung und Durchsetzung staatlicher Herrschaft nicht weniger bedeutsam, ist die Polizei. Sie ist die Agentur des modernen Staates zur Regulierung der »außerhäuslichen Gewalt«. Dem Ideal des modernen Staates nach fallen die Überwachung der Einhaltung staatlicher Normen, die Durchsetzung ihrer Geltung und die Verfolgung von Normverletzung in ihre Zuständigkeit. Sie gehorcht dabei, dem Ideal nach, den Regeln bürokratischen Betriebes w1d der militärischen Hierarchie. Sie genießt wohl gesonderte Regelungen, schon durch die ihr zugesprochene Gewaltkompetenz; sie unterliegt aber, im Ideal des modernen, demokratischen Staates, ebenso dem Gesetz wie alle anderen staatlichen Institutionen. Wie das Militär ist also auch die Polizei eine Bürokratie mit Gewaltkom-' petenz und eine Institution mit Eigenlogik und eigener Kultur. Doch im Un-I terschied zum Militär, dessen soziale Einbettung über weitaus weniger Schnitt-! stellen zustande kommt, ist der Kontakt der Polizei mit ihrer sozialen Umwelt[ unmittelbarer, direkter und regelnläßiger. Als Agentur, die zwischen der kon-f kreten gesellschaftlichen Wirklichkeit und der abstrakten legalen Ordnung vermitteln soll, ist die vertiefte Kenntnis der lokalen sozialen Zusammenhänge die wesentliche Voraussetzung ihrer Arbeit. Die Kenntnis der Bevölkerung als, Aufgabe und Projekt hat die Polizei in der europäischen Geschichte zu einem der Hauptvektoren der Verstaatlichung der Gesellschaft gemacht. Die Generierung, Formalisierung und Zentralisierung dieses Wissens wurde zu ei.t1em Kerngeschäft staatlicher Herrschaft (vgl. Shearing 1995). Die Voraussetzung dieser polizeilichen Arbeit, der enge Kontakt mit der lokalen Bevölkerung, ist zugleich ein Risiko für sie als Organisation. Denn neben den allgemeinen Problemen, die die Polizei als Organisation zu bewältigen hat, wie etwa Hierarchie und Kommunikation zu institutionalisieren, zu formalisieren und zu verstetigen, stellt sich der Polizei gegenüber dem Militär das Problem der Abgrenzung von ihrer Umwelt in größerer Schärfe. Die engere Beziehung zum sozialen Leben induzie1t nicht nur stärkere Loyalitätskonfli.kte, sandem sie erschwert die Befolgung des dienstlichen Regelcodes i.t1 , zahllosen Hinsichten. Für sie ergibt sich daher zusätzlich zu den Problemen, die aus der Dialektik von Gewalt und Organisation entstehen, ein weiteres Dilemma: Die Polizei muss möglichst viel über die Bevölkerung wissen, sie darf aber nicht zu eng mit der Bevölkerung verbunden sein, weil sie sonst allen sozialen Einflüssen ausgesetzt ist. Das ginge zu Lasten ilirer Eigenlogik. Die Polizei sucht die Nähe der Gesellschaft, weil sie möglichst viel Wissen über das soziale Feld
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braucht, in dem sie agiert. Zugleich aber darf dem Ideal nach diese Nähe nicht dazu führen, dass die soziale Logik des Umfelds die Imperative des Dienstes •überlagert. Viel häuftger als die Armee ist daher die Polizei unterschiedlichen, widerstreitenden Loyalitäten ausgeliefert. Entweder gelingt es deshalb der zentralstaatlichen Gewalt nicht, die Polizei aus der Unterordnung lokaler Herrschaft herauszulösen. oder aber die Polizei fallt in die Einbindungen ihr eigent7 lieh fremder sozialer Zusammenhänge zurück- der Fall, der als Korruption oder Kriminalisierung der Polizei bekannt ist. Auch in den entwickelten kapitalistischen Staaten ist die Flächen deckende Gebietskontrolle durch die Polizei ein spätes Ergebnis der Verstaatlichung des gesellschaftlichen Raumes. Auch hier war die Entwicklung der polizeilichen Apparate ungleichzeitig und uneinheitlich, so dass sie sich bis heute in unterschiedlichen institutionellen Formen und Organisationsweisen ausprägt.87 Lange wurde auch in der europäischen Geschichte das Militär für Aufgaben eingesetzt, die nach modernem Verständnis genuin polizeiliche Aufgaben sind. In vielen Fällen blieb die Polizei lokalen Herrschaftsverhältnissen unter- oder allenfalls beigeordnet und stellte demzufolge kein Instrument der Durchsetzung zentralstaatlicher oder gar öffentlich kontrollierter Gewalt dar. Ihr eigentlicher Ausbau ist zudem eng verbunden mit der kapitalistischen Industria.lisierung, denn fast überall ist der Ausbau der modernen Polizei die herrschaftliche Antwort auf die >>Soziale Frage« der organisierten Arbeiterbewegung und den Einsatz ihres Kampfmittels, des Streiks, gewesen. Die Auffassung der Polizei als Diensdeister im Auftrag des Bürgers, als »Risikomanager in Notsituationen« (Schneider 2000: 292) ist erst eine späte Umformung und neue Interpretation eines Apparates, dessen Schaffung fast immer der sozialen Kontrolle neuer, als politische Risiken eingeschätzter Beivölkerungsgruppen geschuldet war. Ihre historische Hauptaufgabe war die 1soziale Disziplinierung, vor allem im städtischen Raum. So verbreitet und legitim die Indienstnahme der Polizei in den entwickelten kapitalistischen Staaten mitderweile sein mag, so unbekannt ist diese Art des Verhältnisses in anderen Weltgegenden. Die Polizei bei der Regelung sozialer Konflikte um Hilfe zu bitten, ist etwa in Lateinamerika eine unbekannte Praxis (Waldmann 2002: 121). In den Staaten der Dritten Welt wird die Polizei nicht als dienstleistende Agentur des Staates zur Sicherung der persönlichen Freiheiten der Bevölkerung wahrgenommen, sondern als unzuverlässige und läs-
I
87 Zur Geschichte der Polizei vgl. z.B. clie umfassende Stuclie von Knöbl (1995) zu England, Preußen und USA, Emsley (1996) zu England und Reiss (1992) zu den USA. Vergleichbare Analysen der Geschichte und der gegenwärtigen Praxis polizeilicher Apparate in anderen Weltgegenden liegen nicht vor oder konnten trotz umfangreichen Rechercheaufwands nicht aufgetan werden.
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tige Eimichtung, deren willkürliches Agieren die Legitimität der politischen Ordnung mindestens ebenso oft gefährdet wie erhöht. Nicht der hierarchisch strikt geordneten Ausführung von Programmen der Kriminalitätsbekämpfung und der Vorbeugung von Delikten widmen sich die Apparate, sondern lokale Konstellationen sowie persönliche Ambitionen und in den Stäben selbst generierte Anliegen bestimmen über den Einsatz der Polizei und den Umfang der Maßnahmen. So nimmt die Polizei vielfach det~· teils selbst gestellten Auftrag wahr, vor allem im städtischen Raum zu disziplii nieren. Die Vertreibung von Marginalisierten aus dem städtischen Raum durch gewaltsame Mittel- einschließlich der Tötung- ist in weiten Regionen gängige polizeiliche Praxis. 88 Gleiches gilt für den Einsatz von Foltermethoden für die ))polizeiliche Aufklärung« (vgl. Huggins 2000), für die kaum strafrechtliche Konsequenzen drohen. In fast allen Staaten der Dt1tten Welt agiert die Polizei mit extralegalen Praktiken, ohne dass die Apparatur staatlicher Herrschaft diese Übergriffe sanktionierte.S9 Ihr Charakter erinnert eher an den der europäischen Polizei des 19. Jahrhunderts, der die Unterdrückung der Besitzlosen durch Zwangsmittel oblag, ohne dass der durch bürgerliche Schichten erzwungene Prozess der Veröffentlichung des Gewaltmonopols eine Kontrolle der Praktiken bereits institutionalisiert hatte. Dennoch ist die Polizei in der Dt1tten Welt nicht immer bloß ein Instrument der Klassenherrschaft. In ihr wirken viele Logiken. Nur lückenhaft ist in vielen Staaten der Dritten Welt der Versuch gelungen, das polizeiliche Personal über Maßnahmen wie Karrieresicherheit w1d Kasemierung von der sozialen Logik ihrer Umgebung zu isolieren. Wo die Polizei nicht direkt mit lokalen Gewalten verbunden ist und für ptiv:ate Machthaber agiert, ist sie in vielen Fällen direkt mit der kriminellen Sphäre verbunden. Diese summarisch ))Korruption« genannte Verschmelzung mit kriminellen Sphären ist oft detat'l: stark, dass polizeiliche Aufgaben von Armeen übemommen werden. 90
88 Zu Lateinamerika vgl. Waldmann (2002: 13Sff.), zu Afrika vgl. Schlichte (200Sb). Zur These, dass diese Praktiken nicht der Sozialdisziplinierung dienen, sondern nur Exklusion manifestit:ren sollen, vgl. Stanley (2000). 89 Eine Quantifizicrung dieser Praktiken ist nicht möglich, weil eine wissenschaftliche Forschtulg hierzu nicht existiert und die Datenlage völlig unzureichend ist. Die alljährlichen Berichte von amneJ!J i1Jttnlationa4 die sich nahezu ausschließlich auf politische Gefangene beziehen, machen jedoch die Annahme plausibel, dass jene Delinquenten, die als gewöhnliche Kriminelle gelten, kaum schonender behandelt werden. 90 Hier zeigt sich der chronisch defizitäre Forschungsstand zur Polizei außerhalb Europas und der USA vielleicht am klarsten und ist zugleich am bedauerlichsten, weil es Anzeichen genug gibt für ein starkes Wachstum dieser und anderer Formen der Kriminalisiemng des Staates. Für Beispiele hierzu vgl. Bayart et al. (1997), Lopez-Montiel (2000) und Schlichte (200Sb).
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DER STAAT IN DER WELTGESELLSCHAFT
Offenbar sind die Apparate der Polizei immer ein Stiefkind des Staates. Den Regierungen gilt die Armee als das prestigeträchtigere Objekt, und auch von der Bevölkerung ist die Polizei in der Regel ungeliebt. Die extralegalen Praktiken der Polizei, ihre geringe Zuverlässigkeit und die Häufigkeit der Vernetzung der Polizei mit kriminellen Milieus sind der Hintergrund dieser Defizite, sowie umgekehrt schlechte Besoldung, mangelhafte Ausstattung und Personalknappheit die Polizei daran hindern, dass sich in ihrem Innem andere Mentalitäten und am legal-rationalen Staatsideal orientierte Verhaltensmuster ausbilden, die die Handlungsmuster und das Selbstverständnis des autoritären Staates ablösen könnten.9t So lückenhaft das Wissen über die Realität polizeilicher Praxis außerhalb der OECD ist und so bescheiden die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem fundamentalen Bereich staatlicher Herrschaft in ihrem Umfang und ihrem Anspruch auf systematisch geordnetes Wissen einzuschätzen ist, so plausibel ist es dennoch davon auszugehen, dass die Polizei als c:;:>rgan der Rechtsdurchsetzung und Rechtspflege im überwiegenden Teil der Regionen der Dritten Welt nicht funktioniert. Die Polizei ist den Logiken lokaler Herrschaft entweder nicht entkommen oder ihre Eigengesetzlichkeit steht in offenem Widerspruch zu den Idealen legal-rationaler Herrschaft. Ihre Praktiken folgen nicht dem Ideal der Staatlichkeit, und ihre Praktiken tragen nicht zu dessen Akzeptanz bei.
3.2
I~ege
in der Weltgesellschaft
Gleichsam als Index des Legitimitätsmangels des nachkolonialen Staates zieht sich durch Afrika, Asien und Lateinamerika die Spur organisierter Gewalt, die zwar staatliche Herrschaftsansprüche in Frage stellt, die aber dennoch nicht eindeutig als »Entstaatlichung« gesellschaftlicher Zusammenhänge interpretiert werden kann. Denn nicht die Auflösung der staatlichen Form ist das Resultat dieser Kriege, sondern in ihnen vermengen sich immer Fragen der politischen Ordnung mit der Konkurrenz um Chancen der Akkumulation politischer und ökonomischer Machtmittel.92
91 Vgl. hierzu Waldmann (2002: 143); Carter/Mare.-lin (1980: 247) und Meliala (2001: 421). 92 Deshalb ist diese Gew:~lt niemals unpolitisch. Die Redeweise von den »neuen Kriegen« (Kaidar 1998; Münkler 2002) ignoriert diese lange Kontinuität der ursächlichen Prozesse und der D)namik innerstaatlicher Gewalt nach 1945, vgl. Kahi/Teusch (2004), Chojnacki (2004), Schlichte (2005b) und auch schon Kalyvas (2001).
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Immer oszilliert die h-ieget-ische Gewalt um den Staat. Die Gewalt zerstört' Institutionen und Biographien, sie löst soziale Zusammenhänge auf. Unter dem Druck organisierter Gewalt wachsen aber :mgleich auch neue Zusammenhänge, vor allem in Gestalt gewaltkompetenter Verbände. Wo diese durch den Krieg Machtpositionen erobern, bedeutet dies immer zunächst eine einge- · schränkte Zirkulation der Eliten und neue Muster der Exklusion. Die Gewalt des Krieges modifiziert damit Gestalt und Chancen staatlicher Herrschaft, sie bedeutet aber weder ihr Ende noch verändert sie die wesentlichen Bestimmungsgründe der Entwicklungschancen institutionalisierter politischer Macht. Aus der rückblickenden Schau auf die Wirkungen der Kriege nach 1945 lassen sich vielmehr zwei Hauptmerkmale bezüglich der Dynamik des Staates erkennen: a) Die Kontin11ität der Strukturen: So massiv kriegerische Gewalt in soziale Zusatmnenhänge eingegriffen hat, so wenig haben die Großereignisse an den Bedingungen der Institutionalisierung politischer Macht verändert. Sie haben weder die politische Ordnung der Weltgesellschaft- das internationale System - dauerhaft verändert, noch konnten sie an den grundsät:dichen Bedingungen staatlicher Herrschaft, an Mentalitäten und weltwirtschaftliehen Einbindungen wesentliche Veränderungen bewirken. b) Die fortschreitende Internationa!isiemng. Das zweite Merkmal ist die fortschreitende Internationalisierung der Kriege selbst, aber auch der politischen i Fmmen nach ihrem Ende. Diese Internationalisierung hat sich zunächst durch~ die globale Konstellation des Ost-West-Konflikts ergeben, der nicht nur zur Militarisierung zahlreicher Konfliktlagen beigetragen hat, sondern der Tendenz nach auf die Unterordnung lokaler und regionaler Konflikte unter seine globale Codierung drang, ohne dies indes jemals vollständig zu erreichen. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts erfolgte die Internationalisierung des Kt-iegsgeschehens und besonders der Nachkriegsordnungen durch die Politik der Intervention: Um jeden größeren gewaltsamen Konflikt auf der Welt legt· sich seitdem ein Kranz von externen Akteuren, die die Steuerung des Gcsche-' hens versuchen. Das Ende der Kriege führt seitdem immer zu einer Internationalisierung der Herrschaftsfiguration, deren endliche Form noch nicht absehbar ist. Spätestens seit Otto Hintze (1906) gilt der Zusammenhang zwischen organisierter Massengewalt und Staatsbildung den Historikern der europäischen Geschichte als anerkannt. Für den Zeitraum nach 1945 ist dieser Zus;unmenhang nicht gleichermaßen offensichtlich. Denn weder korrespondieren die Wellen der Staatsgründungen mit Phasen intensiver gewaltsamer Konfrontationen zwischen Staaten, noch weist die Zahl und Verteilung der inneren Kriege einen offenen Zusammenhang mit der Expansion staatlicher Hcrr~chaft auf.
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Das anhaltend hohe Niveau kriegerischer Gewalt in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg hat in den Regionen der Dritten Welt jedoch keine eindeutige Tendenz zum Wachstum der Bedeutung des Staates ausgelöst. Die Erkenntnis aus der europäischen Geschichte, dass die Konkurrenz zwischen Staaten und die Gefahren des inneren wie äußeren Krieges den Staat wachsen lassen, hat sich hier nicht erneut bewahrheitet. Wie ist das zu erklären? Dass die Disziplin der Internationalen Beziehungen zu diesen Fragen so wenig sagen kann, mag neben den oben (Kap. 1) konstatierten theoretischen Mängeln mit begrifflichen Unklarheiten zu tun haben. So bezeichnet in den Internationalen Beziehungen, für die bewaffnete Konflikte zwischen Staaten ein Gründungsthema sind, in der dominanten US-amerikanischen Fachsprache der Ausdruck war den klassischen zwischenstaatlichen Krieg, von dem civil war und rebellion sowie revolution unterschieden werden. Die meisten politikwissen,schaftliehen Ansätze, die sich mit Kriegen beschäftigen, nehmen das Merkmal der Staatlichkeit mindestens eines Akteurs als Abgrenzungskriterium, um den Krieg von anderen Formen organisierter Massengewalt zu unterscheiden. Es ist ein erster aus der jüngeren Forschung resultierender Befund, dass die kritischen Stellungnahmen gegenüber solchen Definitionen zugenommen haben.93 Doch nicht erst in der Phase der »Entstaatlichung des Krieges« (Creveld 1991; Münkler 2001), sondern schon weit davor war die Unterscheidung von zwischenstaatlichen und innerstaatlichen Kriegen begründungsbedürftig geworden94, weil auch sie, etwa im Falle von Sezessionskriegen, eine politische Kennzeichnung und damit eine Stellungnahme ist. Noch deutlicher wird der politische Charakter der Kennzeichnungen, wenn Kriege von Revolutionen und R~bellionen unterschieden werden. Hier ist es in der Regel der Ausgang des Konflikts, der über die Zuschreibungen entscheidet. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die gegenwärtigen Zeiten des großen internationalen Engagements auf dem Balkan und der vermehrten internationalen Bemühungen um die Einhegung, Vermeidung und Verregelung innerstaatlicher Kriege nicht von früheren. Vor dem Hintergrund dieser begrifflichen Probleme mutet es erstaunlich an, dass es in der quantitativen »Kr:iegsvorkommensforschung« in den vergangenen Jahren zu einem gewissen Konsens über die beobachtete Realität gekommen ist, trotz verschiedener operationalisierter Definitionen sowie unterschiedlicher beobachteter Zeiträume und Arbeitsweisen. Lässt man die immer etwas unterschiedliche Nomenklatur einmal außer Acht, dann lassen sich aus 93 Krieg ist hier als bewaffneter Massenkonflikt mit staatlicher Beteiligung definiert, formaloper.uional wird der Definition der AKUF gefolgt, vgl. Schreiber (2001). 94 .\n da Fmge der Zusprechung von Eigenstaatlichkeit bei den Akteuren der Kriege in Jugosla'lriat zu Beginn du neunziger Jahre wurde dies unmittelbar deutlich.
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den Arbeiten ganz verschiedener Autoren und Arbeitsgruppen folgende Befunde festhalten:95 1. Die Zahl der pro Jahr weltweit geführten Kriege hat seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs deutlich zugenommen. Ihren vorläufigen Höhepunkt.. fand diese Entwicklung Anfang der neunziger Jahre, seitdem hat sich die Zahl der pro Jahr geführten Kriege wieder auf einem etwas niedt-igeren Niveau eingependelt. 2. Die weit übel"wiegende Zahl der Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg sind innerstaatliche Kriege. Die Zahl zwischenstaatlicher Kriege, die in einem laufenden Jahr durchschnittlich geführt werden, ist dagegen konstant geblieben. Im Vergleich zu früheren Zeiträumen und im Verhältnis zur stark gewachsenen Zahl der Staaten ist die Bedeutung zwischenstaatlicher Kriege also erheblich zurückgegangen. 3. Mehr als 90 Prozent aller nach 1945 geführten Kriege fanden in den Regionen der so genannten Dritten Welt statt. Andere Regionen wie Nordamerika, weite Teile Europas und seit etwa 1960 auch Ostasien sind dagegen von kriegerischen Ereignissen verschont geblieben. 4. Innerstaatliche Kriege zeichnen sich durch eine deutliche längere durchschnittliche Dauer und größere Schwierigkeiten bei der ft-iedlichen Regelung aus. Innerstaatliche Kriege sind außerdem weniger häufig durch Vermittlungen dritter Parteien, insbesondere internationaler Organisationen, beendet worden. 5. Unter den am häufigsten kriegsbeteiligten Staaten rangieren neben den Regionalmächten China, Indien, Israel, Syrien, Irak und Südaft-ika auch die USA, Großbritannien und Frankreich, ilie vor allem als Interventen an Kriegen in diesem Zeitraum teih1ahmen.
Das Kriegsgeschehen nach 1945 wird demnach durch innerstaatliche I
95 Diese Befunde fu1den sich - Wlterschiedlich stark erläutert Wld differenziert - bei Holsti (1996: 20-25), Gantzei/Meyer-Stamer (1986) und Gantzei/Schwinghammer (1995), Henderson/Singer (2000), Singer (1991), Wallensteen (2000), vgl. a. Pfetsch (1991) und Pfetsch/Rohloff (2000). Hier findet die Nomenklatur der »A.r.b~ii:Sge~utschaft I
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während die klassische Form, der Krieg zwischen Staaten, an Häufigkeit und Bedeutung in der internationalen Politik nachgelassen hat. Zwar bleibt auch bei diesen Befunden zu bedenken, dass sie nur notdürftig das eine Extrem eines Kontinuums politischer Gewalt zeigen, dass die Prozesse der Institutionalisierung und De-institutionalisierung von Macht in den Regionen der Dritten Welt charakterisiert. Doch selbst für diesen bekannten und viel beachteten Ausschnitt gilt, dass die Beiträge aus den Internationalen Beziehungen zur Erklärung dieser empirischen Befunde bisher ausgesprochen beschränkt geblieben sind. Am Grundproblem, wieso die verbreiteten und häufigen Kriege der Dritten Welt nicht eine vergleichbare Stärkung staatlicher Herrschaft ausgelöst haben, wie seinerzeit in Europa, ändert all dies jedoch nichts. Im Folgenden werden daher nach einigen Bemerkungen zur Historizität des Kriegsgeschehens nach 1945 ~ die Haupttypen der Kriege in der Dritten Welt unter der Fragestellung nach der Dynamik staatlicher Herrschaft betrachtet. Dabei wird zwischen sechs Typen unterschieden, weil die Ursachen, Verläufe und auch die Ergebnisse von Kriegen sich nicht auf einfache transhistorische Formeln bringen lassen. Sie sind nach den strukturellen Bedingungen zu differenzieren, die sich historisch als ihre Entstehungsbedingungen herausgebildet haben und die nachfolgend Grenzen und Möglichkeiten der Akteure bestimmen. Eine Behandlung der Frage des Verhältnisses zwischen politischer Herrschaft und kriegerischer Entwicklung ist nun wiederum nur aus einer Perspek' tive möglich, die der Geschichtlichkeit und der Gesellschaftlichkeit des Krieges gerecht wird. Die Historizität des Krieges muss einerseits durch die Unterscheidung' der Geschichte des Krieges nach historischen Epochen97 berücksichtigt. Epochengebunden lassen sich Kriege dann nach den konkretspezifischen Strukturen, Situationen und Handlungslogiken der Akteure unterscheiden. Für alle Phasen der globalen Vergesellschaftung ist dies gleichermaßen gültig. Auch das Kriegsgeschehen vor 1945 lässt sich in seinen sozialen und politischen Bedeutungen nur angemessen erfassen, wenn die spezifischen Konstellationen der internationalen Politik und die jeweils gültigen Logiken des Zusammentreffens von moderneren, kapitalistischen Vergesellschaftungsformen mit vorgängigen Formen den theoretischen Hintergrund der Analyse bilden. 97 Vgl. hierzu Siegelberg (1994), der nach EntwicklWlgsphasen der kapitalistischen Modeme Wlterscheidet, sowie die auf einzelne »bellizist:ische Logiken<< bezogenen Arbeiten von Kunisch (1992) oder Diesner (1984). Die meisten Autoren differenzieren indes lediglich'nach militärtechnologischen GesichtspWlkten (Parker 1988; McNeilll984; Howard 1981).
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Das gilt vor allem für jene Phasen des Ausgreifens kapitalistischer Vergesellschaftung, die sich politisch als die Epochen und Politiken des Imperialismus und Kolonialismus ausprägten. Auch innerhalb der »langen« europäischen Expansion sind wiederum Phasen abzugrenzen, weil die sie betreibenden Mächte nicht über Jahrhunderte identisch waren, w1d auch die verfolgten kolonialen Projekte sich in ihren Gehalten und sozialen wie politischeil Folgen unterscheiden. So führte der frühe iberische Kolonialismus nur zur bloßen Imitation der heimischen feudalen Verhältnisse an anderen Orten, während die bereits der »Entwicklungsidee« verpflichtete koloniale Praxis der 1920er bis 1940er Jahre wesentlich bürokratische Elemente und eine kapitalistische In-· wertsetzung beförderte. Historisch zu unterscheiden von diesen Imperialkriegen außerhalb Europas sind auch jene Kriege zwischen Staaten ilmerhalb Europas in der Phase der ))Politik der großen Mächte«. In dieser Pha.c;e noch nicht durchgängig moderner Politik war das Mittel der Gewalt akzeptierte Praxis. Aus solch einer historischen Perspektive werden auch die Ungleichzeitigkeiten erkennbar, die das Kriegsgeschehen der Gegenwart prägen. Denn diese Logik des zwischenstaatlichen Krieges wiederholt sich gegenwärtig in anderen Regionen, allerdings unter der Einschränkung, dass die internationale Politik als »Weltöffentlichkeit« den Gewaltgebrauch moralisch verurteilt und mitderweile üblich sanktioniert. In der Geschichte des Kriegsgeschehens lassen sich so immer epochenspezifische Bedingungen und allgemeinere Momente finden, die über längere Zeiträume gelten, denen aber nichts Transhistorisches anhaftet. Eine strukturgeschichtliche Perspektive erlaubt es aber, die Entwicklungsgeschichte gesellschaftlicher Formationen w1d politischer Institutionen mit den Formen der Gewalt in Beziehung zu setzen (vgl. Siegelberg 1994). Kriege sind soziales Geschehen, und deshalb muss jede theoretische Behandlung des Krieges eine sozialtheoretische Verankerung haben, denn nur der Theorie ist synthetische Kraft eigen, nicht der Anarchie der »Fakten«. Diese FWlktion übernimmt die Theorie globaler Vergesellschaftung. Demnach sind die ursächlichen Prozesse von Kriegen, ihre Verläufe ebenso wie die Dynamiken nach dem Ende der offenen Gewalt als Teile eines globalen Zusammenhangs interpretieren. Kriege finden in der Weltgesellschaft statt, so unterschiedlich die Grade und Arten ihrer Internationalisierung auch immer sein mögen. Kriege müssen aber zugleich analytisch als einzelne Prozesse betrachtet werden. Ihre Logiken unterscheiden sich, auch wenn sich in ihnen gemeinsame Merkmale finden, die sich mit identischen Begriffen kategorisieren lassen. Die formale Sprache findet jedoch an den Besonderheiten der Vorstellungswelten
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der Akteure, ihrer Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster, an ihren institutionellen Einbindungen und konkreten Machtkonstellationen eine Grenze. Es sind aber diese Besonderheiten, die über Eskalationsdynamiken sozialer Konflikte und konkrete Verläufe von Kriege entscheiden. Der Prozesshaftigkeit des Krieges wird deshalb nur eine Herangehensweise gerecht, deren Kategorien die Berücksichtigung dieser Besonderheiten erlauben, ohne den theoretischen Zusammenhang aufzulösen. Die historische Anlage und der analytische Zugriff der Theorie globaler Vergesellschaftung soll es erlauben, den Übergang von Strukturen in Prozesse ebenso zu fassen, wie umgekehrt die Sedimentierungen und Verhärtungen von Prozessmustern zu Strukturen.98 Die Kategorie der Wdtgesellschaft ist schon deshalb für diese Analyse notwendig, weil sich weder die ursächlichen Prozesse der Kriege nach 1945, noch ihre Verläufe und auch nicht die Modi ihrer Beendigung auf allein »nationalstaatlicher« Ebene sinnvoll beschreiben lassen. Der gesellschaftliche Kontext der Kriege ist also nicht nur der jeweilige einer »nationalstaatlichen Gesellschaft«, so wichtig der Staat als primärer Adressat und als handlungsbegrenzendes und -eröffnendes Gefüge von Institutionen auch im Einzelfall sein mag. Für all jene Kriege, die Teil imperialistischer Expansion und kolonialer Unterwerfung waren, ist dies unmittelbar einsichtig. Ebenso gilt für die nach 1945 einsetzenden Dekolonisationskriege, dass sie ihrem Wesen nach internationale I
98 Mit der »Grammatik des Krieges« wurde im »Hamburger Ansatz« der Kriegsursachenforschung solch eine Methodologie vorgelegt, vgl. Siegelberg (1994: 179-193),Jwtg (1995: 208252), Schlichte (1996: 55--59, 205--210).
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sind die Gewaltstäbe der postkolonialen Staaten durchweg in internationale Sicherheitsarrangements eingebunden gewesen. Diese waren teils formalisiert, etwa in der Gestalt von Militärbündnissen und Sicherheitsabkommen. IYiindestens gleich bedeutend ist aber die infotmelle Diffusion von militärischer Expertise, von Ausrüstung, Material und Gewaltpraktiken, die sich über die· Internationalisierung des Kriegsgeschehens bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nnd davor ergeben hatte. Andererseits haben sich im Zuge der kolonialen Erfahrung, aber auch vor dieser und über diese hiri.aus, die politischen Ideen und Vorstellungen des Okzidents mit lokalen Gehalten und Symboliken verbunden. Überall in den postkolonialen Staaten lassen sich in den Symboliken und Programmen auch der nicht-staatlichen Akteure enge Bezüge zu den Normen der Rechtsgleichheit, der Freizügigkeit, der nationalen Selbstbestimmung und anderer bürgerlicher Politiknormen aufweisen. Ebenso haben sich die Formen militärischer Organisation, die Lehren und Vergehensweisen der Herausforderer staatlicher Macht internationalisiert. In den sozialrevolutionären Kriegen zeigt sich dies in der Strategie der Guerilla, in anderen Kriegstypen hingegen in der Art und Weise der politischen Strategie, die sich auch längst an ein internationales Forum wendet. An diesen Phänomenen werden Zusammenhänge sichtbar, die histot1sch weitaus tiefer zurückreichen. Die europäische Expansion hatte auch Folgen, die im impet1alen oder kolonialen Projekt nicht vorgesehen waren, die sich gleichsam unintendiert einstellten, aber nicht weniger folgenreich waren. Zwei für das Kriegsgeschehen wesentliche Entwicklungen hängen mit dem Zusammenschluss der verschiedenen Arenen zu ei11e111 globalen politischen Raum zusammen. Erstens war es durch die Herstellung der Welteinheit möglich geworden, dass Ideen »Wandern«, dass trotz der Verschiedenartigkeit der Lebensverhältnisse und lokalen I Iistorizitäten politische Ideen und Leitvorstellungen aus anderen Ursprungskontexten zur Interpretation der eigenen Lebensumstände dienen und zur Mobilisierung und Organisation politisch genutzt werden. Dies betrifft die politischen Ideen der bürgerlichen Freiheiten und des Ptivateigentums ebenso wie den Kontraktualismus insgesamt, aber auch die sozialistische Emanzipation oder die Vorstellungen nationaler und organisatorischer Geschlossenheit sowie die für die Legitimierung moderner staatlicher Herrschaft wie für ihre Herausforderer zentralen Ideen der Volkssouveränität, der Demokratie nnd der Rechtsgleichheit. Zweitens hat auch die gegenseitige Wahrnehmung der sozialen und politischen Dynarniken in anderen Teilen der Weltgesellschaft eine Internationalisierung bedeutet. An den Dekaionisationsbewegungen wird dies besonders dcut-
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lieh. Ihnen dienten nicht allein die Pioniere der Dekolonisation, China, Indien oder Ghana, zwn Vorbild, sondern auch die Rückerinnerungen an die Französische Revolution und die Verselbständigungen der Siedlerkolonien in Nordund Südamerika, Australien oder Südafrika. Prozesse der sozialen und politischen Umgestaltung in anderen Erdteilen und zu anderen Zeiten wurden so zwn Vergleichsmaßstab und zwn Anknüpfungspunkt ftir soziale Bewegungen, 'ftir ihre politischen Strategien, aber auch ftir die Legitimationen gewaltsamen Konfliktaustrags. Der mit der europäischen Expansion einhergehende Aufschluss der einzelnen Geschichten und Schicksale zu einem global verfügbaren Erfahrungsrawn bedeutete folglich die Etablierung eines allgemein verfügbaren Vorrats für die Sinnstiftung und Legitimierung eigener politischer Zwecke. Für die Kommunizierbarkeit des je eigenen politischen Programms ist der Anschluss an die 'global verbreiteten Begrifflichkeiten und politischen Argwnentationsfiguren seitdem eine notwendige Voraussetzung. Nur so können externe Unterstützung oder wenigstens Duldung erreicht werden, auch wenn diese Erzählungen, die inner- wie zwischenstaatliche Konflikte gleichermaßen erforderten, die eigentlichen Motive und Hintergründe häufig eher verdecken als offenbaren. Diese Adaptionen tmd Amalgamierungen machten die Interpretation der unterschiedlichen lokalen und regionalen Entwicklungen als Teile einer übergreifenden Konstellation erst möglich, wie sie etwa zu Zeiten des Ost-West-Konflikts die Wahrnehmung politischer Konflikte an anderen Orten beherrschte. Die Internationalisierung des Kriegsgeschehens ist also gleichsam in die einzelnen Geschichten und Kontexte der Kriege nach 1945 eingebaut und zeigt sich nicht mehr in jedem einzelnen Fall als personaler Gegensatz von »EinheimiSchen« und »Eroberern«. Im Gegensatz zu früheren Epochen werden gewaltsame Massenkonflikte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs aber in erster Linie im Innem der staatlich wngrenzten Räwne ausgetragen, während die äußere Form von außen durch die internationale Ordnung garantiert scheint. Die sich verallgemeinemde Gültigkeit des territorial verfassten Nationalstaats als politische Norm, als Adressat der internationalen Politik, die zentrale Rolle des Staates als Distributionsort von Ressourcen und die Heterogenität der Übergangsgesellschaften haben Prozesse wn die Konsolidierung vorausgesetzter Staatlichkeit transregional zwn dominanten Kriegstyp nach 1945 werden lassen. Für alle Regionen der Dritten Welt lässt sich außerdem übergreifend beo' bachten, dass nach 1945 kein Staat durch gewaltsame Annexion seine Existenz verloren hat. Kein einziger der relativ wenigen zwischenstaatlichen Kriege nach 1945 hat dieses in der europäischen Geschichte häufige Phänomen hervorgerufen. Selbst territoriale Veränderungen sind eine seltene Ausnahme
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geblieben. Sie hingen nach dem Ende der Dekaionisationskriege fast ausschließlich mit dem hist01-ischen Ereignis des Endes der Sowjetunion zusammen.99 Der Zerfall staatlicher Institutionen in lang andauernden Kriegen, die Auflösung einzelner Staaten in mehrere Nachfolgestaaten, mit oder ohn~ · Krieg, ja selbst die friedliche lnkorporierung eines anderen völkerrechtlich unabhängigen Staates - all dies sind in der Geschichte nach 1945 bekannte Phänomene. Gleichwohl belegt auch die Geschichte der innerstaatlichen Kriege wenigstens die fotmale Persistenz des staatlichen Organisationsmodells.' In keinem einzigen Fall hat sich eine bewaffnete Bewegung in einem der über zweihundert Kriege nach 1945 gegen die Vorstellung staatlicher Herrschaft überhaupt gewandt. Und selbst dort, wo größere staatliche Zusammenhänge · sich in kleinere aufgelöst haben, wie im Fall der Sowjetunion und Jugoslawiens, wurde das Prinzip staatlicher Herrschaft jedenfalls formal nicht in Frage gestellt. Hinter diesem allgemeinen Bild des Zusammenhangs von staatlicher Herrschaft, kriegerischen Konflikten und internationaler Ordnung verbirgt sich jedoch eine komplexere Wirklichkeit. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, lassen sich die ursächlichen Prozesse der Kriege nach 1945 und ihre Wirkungen auf die Gestalt politischer Herrschaft in der Dt1tten Welt besser differenzieren. Dafür ist ein Blick auf einzelne Prozesse nötig. Die Gestalten der Kriege nach dem Zweiten Weltkt1eg unterscheiden sich erheblich. Schon eine einfache regional verfahrende Analyse offenbart große l Unterschiede in den Konfliktgegenständen, in den ursächlichen Prozessen und ; in den Resultaten der kriegerischen Konflikte. So übetwiegen in Lateinamerika j Kriege mit sozialrevolutionärer Zielsetzung, die sich auch in Asien .häufig flnden.IOO In Afrika und Asien sind dagegen Kriege um Autonomie und Sezession sowie nicht auf Systemwandel ausgerichtete Anti-Regime-Kriege dominante Kriegstypen. In solchen Differenzen kommen historisch unterschiedliche Verläufe und Ergebnisse zum Ausdruck, denn abhängig von der vorkolonial ausgebildeten Formation, von der Dauer, Art und Intensität der kapitalistischen Durchdringung haben sich in den Regionen der Weltgesell99 Zu anderen Ausnahmen vgl. die Arhc:i.!.Y-Ofl·~,tick (1997) der sich mit den Verlinderungen des territorialen Status von Algerien tlQd Israel b3!;chäftigt. 100 Im nachfolgenden Textteil werden aucllrnesen referiert, die vor allem aus den Arbeiten des kollektiven Zusammenhangs der »Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschw1g<< (AKUFJ an der Universität Harnburg entstanden sind. Die wesentlichen Befunde über das regionale Kriegsgeschehen fußen auf den in Jung/Schlichte/Siegelberg (2003) zusammengetragenen Forschungsergebnissen. Dort ist auch die Literatur dokumentiert, auf der diese Befunde beruhen. Dort finden sich auch wnfangreiche Belege, auf die hier zugw1sten der Lesbarkeit des Textes verzichtet wird.
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schaft teils unterschiedliche, teils gleichartige politische und soziale Strukturen ergeben. Sie verlängern sich in die Unterschiede der Kriegsverläufe, der Konstellationen von Akteuren und der Institutionen, die für die Austragung und Beendigung der Kriege bedeutsam werden. Aus einer strukturgeschichtlichen Perspektive wird jedoch auch deutlich, dass die Unterschiede innerhalb der gemeinhin getrennt behandelten Regionen bisweilen weitaus größer sind als zwischen einzelnen Teilen verschiedener Regionen. Eine nach Regionen trennende Analyse verdeckt daher wesentliche Grundzüge der Kriegsentwicklung, weil die geographische Nähe nicht fW: Gleichartigkeit der Kriegsursachen und -verläufe bürgt. . Durch einen strukturgeschichtlich orientierten Vergleich, der sich nicht an die übliche regionale Differenzierung hält, werden Entwicklungstendenzen des ;obalen Kriegsgeschehens erkennbar, die im Folgenden skizziert werden sollen. Der Formwandel kriegerischer Gewalt ist wesentlich ein Resultat des Zusammenspiels von Veränderungen des internationalen Systems und der sozialen und politischen Formen, die sich aus dem Transformationsprozess der Übergangsgesellschaften ergeben haben. Zwei Hauptprozesse der koloni.alen und nachkolonialen Geschichte nämlich prägen auch das Kriegsgeschehen :nach 1945: das Ausgreifen kapitalistisch induzierter Modernisierung und die .damit verbundene Auflösung traditionaler Formen der Vergesellschaftung !sowie die Verstaatlichung der Gesellschaften, die in der vorkolonialen und kolonialen Vergangenheit anhebt, aber bis in die Gegenwart hinein unvollstän.dig geblieben ist. "'~ Im Zusammenspiel mit den Veränderungen im internationalen System und in den globalen politischen Diskursen lassen sich in der Entwicklung des 1<1-ie'gsgeschehens deutliche Verschiebungen erkennen. Dieser Formwandel kriegerischer Ko_D:J:lil<,.~~j!t_~r Weltgesellschaft nach 1945 soll im Folgenden anband vott:,sechs.~~-~~p~l)_:::erläutert werden.tot Diese Typen stehen in der realen EntwtclUung des Kriegsgeschehens zwar in einer groben zeitlichen Folge. Sie überlagern und vermischen sich in dieser Folge jedoch deutlich. Die beiden Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind zunächst von Dek.olonisationskriegm geprägt gewesen. In ihnen ging es durchweg um die Bee~dig;;~g·d~~ eW:op.äischetl Kolonialherrschaft. Dabei sind jedoch unterschiedliche Modelle und Vorstellungen politischer Emanzipation wirksam geworden, so dass die zugleich global wirksam werdende Konfrontation zwischen bürgerlichen und sozialistischen Vorstellungen sich in diesen Konflikten 101 Die folgende zur Grundlage der Darstellung gemachte inhalt!IOfisrhe Typologie unterscheidet sich von der AKUF-Typologie, die sich reinjof'fNal begründet, vor allem dadurch, dass sie innerstaatliche Kriege in den Übergangsgesellschaften, die den Hauptteil des Kriegsgeschehens nach 1945 ausmachen, in der Erklänmg weiter differenziert.
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einlagerte. Damit war auch die Anknüpfl111gsmöglichkeit des Ost-West-Konflikts an diese Konflikte gegeben, die vor allem in Judochina eine weit reichende Internationalisierung des Kriegsgeschehens bedeutete. Das politische Hauptresultat dieser Kriege war die zweite Staatsgründungswelle: In Afrika und Asieri erlangten zahlreiche vormals kolonial regierte Gebiete die Eigeh~ staatlichkeit. Auch die Kriege des zweiten Typs, des SO!{jalrei!Oilltion!!'!!!..~!..{eg~s, der - mit Vorläufern in Europa in den vierziger Jahren - ab den 1960er Jahren die Wahrnehmung des globalen Kriegesgeschehens prägte, waren nahe;;u alle stark in die internationale Logik des Ost-West-Konflikts eingebunden. Ihre Ursachen sind jedoch immer lokaler Natur gewesen: Aus gan7. unterschiedlichen Milieus und in ganz unterschiedlichen Weltgegenden fonnierte sich in diesen Kriegen militanter Widerstand gegen in Krisen geratene Oligarchien. Die sozialen Wandlungsprozesse, die sich in politischen Konflikten um die Ausgestaltung von Staatlichkeit äußerten, wurden in der wissenschaftlichen Betrachtung dieser Kriege häufig übersehen. Der Ost-West-Konflikt, und' nicht die ursprünglich ursächlichen lokalen Prozesse, haben die Wahmehmung und Bewertung der sozialrevolutionären Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt. Die Hauptveränderung staatlicher Herrschaft, die diese Kriege induzierte, war neben dem Wechsel ein;;elnet Herrschaftskonstellationen generell ein Wachstum der von außen gestützten Militarisierung. Der weit überwiegende Teil des Kriegsgeschehens nach 1945 ist jedoch dem Typ des Krieges im Entwickbmgsstaat zuzuordnen. In diesen Kriegen, die · sich seit dem Ende detKolonialzeit bis fn die Gegenwart et-strecken, sind es die vielfaltigen Verwerfungen und politischen Gegensätze, die mit den Versuchen der Konsolidierung staatlicher Herrschaft in den Übergangsgesellschaften, in Zusammenhang stehen. Neben den Kriegen im neopattimonialen Staat, der' hiervon einen Untertypus darstellt, sind auch die zaltlreichen um regionale Autonomie wtd Eigenstaatlichkeit kämpfenden innerstaatlichen Bewegungen diesem Typus zuzuordnen. Diese I<.J.1ege haben in den vergleichsweise »star-' ken« Entwicklungsstaaten wie etwa Indien wtd Pakistan nicht nur eine Proliferation der Sicherheitsinstitutionen, sondern eine allgemeine Militarisierung des Politischen bewirkt, die die schwache Legitimität des postkolonialen Staates weiter gefährdet hat. Ähnliches gilt für den Typ des Krieges i'!!... ~~opa_'-J~monia(tl!_5_~aa:. In diesen politischen Konstellationen, die durch das Feluen der Trennung zwischen öffentlicher und privatet Sphäre im Bereich des Politischen, durch die dominierende Logik klientelistischer Politik und die vollständige Personalisierung der Politik durch patrimoniale Herrscher geprägt sind, haben bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen den staatlichen Gewaltapparaten und politischen Herausfor-
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derern die grundlegende Funktionsweise staatlicher Herrschaft kaum beeinflusst. Die mit den inneren Konflikten einhergehenden kollektiven Erfahrungen haben indes immer ein Erbe aus Stereotypisierungen von Bevölkerungsgruppen und eine Kontinuität der politischen Gewalt bewirkt. Der fünfte hier behandelte Typ, der Kf!e,gJfJ'J_P~P.htteJJ. .. PP~t.-.sq:rj(l_li'stischen Staat, vereint Elemente der anderen Typen. Er ähnelt einerseits Dekolonisationskrl~gen und kann insofern auch als ein Nachhinken der Auflösung der Kolonialreiche interpretiert werden, denn die Auflösung der Sowjetunion ist mit der Auflösung des territorialstaatlichen Resultats des russischen Imperialismus identisch. In diesen Kriegen zeigen sich allerdings auch zahlreiche Parallelen zu den Konstellationen und politischen Logiken der Kriege im Entwicklungsstaat. Auch hier äußern sich Verteilungskonflikte über spärlichere Ressourcen als Autonomie- und Sezessionsbestrebungen. Im Resultat führten diese Kriege nicht nur, wie auch im Falle Jugoslawiens, zu einer weiteren Staatsgründungswelle, sondern auch zu einem weiteren Schub der Internationalisierung von Herrschaftszusammenhängen. Im Kriegsgeschehen nach 1945 kommt schließlich, wenn auch in konstant untergeordneter Häufigkeit, der Typus des ~sch!.!!I!flg!/ifb!!L.Kli!I!J vor. Ihre Eddärung finden diese Kriege in einer staatlichen Handlungslogik, die sich von der der Staaten Europas des 19. und frühen 20.Jahrhunderts nicht unterscheidet: Die machtstaatlichen Ambitionen nationaler Eliten in den postkolonialen Staaten sowie die arretierten Interessenkoalitionen von Militärs und Rüstungsindustrien in den meist nicht demokratisch kontrollierten Systemen bilden dabei den Hintergrund der Kriege um regionale Suprematie und territori!ale Fragen. Diese Kriege bewirkten zwar eine Verstärkung der Identifikation 'd'er Akteure mit einer staatlichen Handlungslogik, nicht jedoch eine stärkere Vergesellschaftung des Staates, denn die mit ihnen verbundene Militarisierung wurde überwiegend aus externen Quellen finanziert.
3.2.1 Dekolonisationsktiege Von den vierzigerbis in die siebziger Jahre hinein bildete ein Fortwirken der europäischen Expansion den allgemeinen Rahmen zahlreicher Kriege: die Auflösung der Kolonialreiche. Zwar ist die Dekaionisation Afrikas, Asiens und des Nahen und Mitderen Ostens insgesamt überraschend friedlich verlaufen. In einigen Fällen aber entwickelten die Auseinandersetzungen zwischen Kolonialmächten, Siedlergemeinschaften und autochthonen Bevölkerungsgruppen eine große Gewaltsamkeit. Die Dekolonisationskri.ege in Indochina, Algerien
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und den portugiesischen Kolonien im südlichen Afrika gehören 7.u den opferund folgenreichsten des Kriegsgeschehens nach 1945. 102 In diesen Kriegen standen sich Kolonialgesellschaft tu1d kolonisierte Gesellschaft nicht als homogene soziale Verbände mit eindeutigen Haltungen gegenüber. Vielmehr lassen sich auf beiden Seiten zahlreiche Bruchi'inien, unterschiedliche Fraktionen und Haltungen zu der Frage der Erlangung der Eigenstaatlichkeit der Kolonien fmden. Die Formierung lokaler Widerstände in den Kolonien geschah - im Gegensatz zum »primären Widerstand« bei der kolonialen Unterwerfung- in modernisierter Form. Nicht nur in den politischen Argumenten, sondern auch in der Organisation und in der Sicherheit ihres Agierens auf dem Feld der internationalen Politik lassen sich die modernen Züge dieser politischen Bewegungen erkennen. Doch ergaben sich innerhalb der antikolonialen Bewegungen auch Gegensätze, etwa zwischen traditionalen Autoritäten und radikaleren Gruppierungen. Auf der anderen Seite waren fast alle Kolonialmächte innenpolitisch über die koloniale Frage zerstritten. In Frankreich wie in Portugal kam es über diese Konflikte zu Umbri.ichen in den politischen Systemen. An den schweren innenpolitischen Erschütterungen, die die Dekolonisationskriege in den Mutterländern auslösten, zeigt sich die tiefe Verschränkung der kolonialen Situation mit den politischen Konstellationen in Europa. Verständlich werden Dekaionisationskriege nur aus der Dynamik, die der . Kolonialismus selbst in Gang gesetzt hat: Durch die sozialen und politischen Umwälzungen, die aus der kolonialen mise en valelf1", aber auch aus der Begegnung mit anderen Leitbildern und der allgemeinen sozialen Mobilisierung hervorgingen, entwickelten sich in den Kolonien Machtgruppen, deren Interesse an der Gleichstellung mit der weißen kolonialen Elite sich mit dem aufblühenden Nationalismus und dem Widerstand gegen die Erfahrung von Repression und Benachteiligung verband. In den Dekaionisationskriegen zeigte sich die Unauflösbarkeit des kolonialen Dilemmas, nämlich eine ökonomische und soziale Modernisierung in Gang zu setzen und zugleich eine politische zu verhindern. Die Aufrechterhaltung der kolonialen Exklusion erwies sich i.n dem Maße als zunehmend schwierig, in dem mehr und mehr lokales Personal in die Betriebe und Behörden des Kolonialsystems integriert werden musste,
102 Bei den Dekaionisationskriegen handelt es sich um die Kriege in Indonesien (1945-49). Indoclllna (1946-54), Madagaskar (1947-48); .Malaya (1948-60), Kenia (1952-56), Marokko (1952-56), Algerien (1954-62), Kmnenm (1955-63), Zypern (1955-59), Jemen, (1963-67) Spanisch-Marokko (1957-58), Tunesien (1961), Angola (1961-1975), Guinea Biss~u (196374), Mosambik (1964-74), Westsahara (1975-91). Vgl. hierzu Gantzci/Schwinghammer (1995: 121f.).
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um deren Wachstum und Funktionieren zu gewährleisten. Die Rigidität des rassisch geschlossenen kolonialen Staates wurde zunehmend disfunktional. So entstand der politische Gegensatz, der allen Dekolonisationskriegen zugrunde lag. Auf der einen Seite stand die an Herrschafts- und Privilegiensicherung interessierte »weiße« koloniale Elite, die sich auf die an internationalem Prestige interessierten Regierungen in den Mutterländern stützen konnte. Auf der anderen Seite formierte sich eine Koalition von lokalen, die im Kolonialsystem Akkulturierten und die traditionalen Autoritäten, die durch den kolonialen Wandel ihre Machtposition eingebüßt hatten und denen entscheidende Partizipationschancen verwehrt blieben. Damit gab der soziale und politische Wandel der Kolonialgesellschaften den allgemeinen Hintergrund der Dekaionisationskriege ab: Die Dislokationen und Umbrüche in den Formen der Sozialintegration, die durch die koloniale Inwertsetzung und Zwangsherrschaft hervorgebracht wurden, sorgten in allen Kolonien für politische Konflikte. Sie eskalierten aber vorzugsweise dort kriegerisch, wo diese Konfrontation einen gleichsam personalisierten Ausdruck fand, wo etwa eine koloniale Siedlergemeinschaft die in den wenig differenzierten Gesellschaften entscheidende Ressource Boden und auch sonst alle bedeutsamen ökonomischen Chancen wie den Handel wie auch die politisch wichtigen Ämter für sich zu monopolisieren trachtete. Gegen diese Monopolisierungen formierte sich in allen »Überseeischen Besitzungen<< zwischen dem späten 19. Jahrhundert und den 1930er Jahren politischer Protest. In religiösen Begriffen oder in moderner nationalistischer Sprache formulierten diese Bewegungen, die ihre Anhängerschaft unter den kleinen städtischen Mittelschichten und unter den traditionellen Notabeln und Honoratioren fanden, die Forderung nach politischer Gleichstellung und wirtschaftlicher Entfaltungsfreiheit. Eine Radikalisierung dieser politischen Bewegungen ~setzte überall. dort ein, wo die Antwort der Kolonialmächte repressiv ausfiel. :'Anders als noch zu den Zeiten der kolonialen Eroberung, des »primären Widerstandes<<, war nun aber auch die Gegenseite, die Autochthonen, nicht mehr rein traditional verfasst, sondern hatten sich längst Sprachen, Ideen, Organisationsprinzipien und Weltläufigkeit der Kolonialmächte zu eigen gemacht und mit ihren lokalen kulturellen Ausdrücken verbunden. Aus dieser Gemengelage erklärt sich die Vielzahl der Erscheinungsformen der Befreiungsbewegungen. Sie reichen von einfachen bäuerlichen Bewegungen mit wenigen intellektuellen Führern bis zu städtischen Guerillas und politischen Parteien, die teils - etwa in den französischen Kolonien - mit den Parteien der Metropolen verschmolzen. Auf Seiten der Kolonialmächte haben wirtschaftliche und militärische Interessengruppen sicher auf das Festhalten an der kolonialen Machtposition hin-
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gewirkt. Besonders die Bedrohungsvorstellungen europäischer Siedler trugen in der Spätphase des Kolonialismus zu einer Verschärfung der politischen Konflikte bei. Den entscheidenden legitimierenden Zusammenhang für das militärische Engagement bildete jedoch die koloniale Mentalität: Die einfache Gewährung der Eigenstaatlichkeit hätte auch die Negation der gesamten vffrmals vertretenen Auffassungen über die technische Notwendigkeit und den weltgeschichtlich zivilisatmischen Auftrag der Kolonialmächte bedeutet. So war es in Frankreich und Portugal vor allem das »Beharrungsvermögen des kolonialistischen Habitus« (Siegelberg 2000:42), das die Loslösung erschwerte. In den Dekaionisationskriegen wird bereits ein auch weiterhin prägender Grundzug des Kriegsgeschehens nach 1945 evident: sein internationaler Charakter. Die politischen Zusammenhänge, aber auch die militärischen Organisationsformen und die Wirkungen der Kriege lassen sich nicht mehr auf ihren ursprünglichen Kontext reduzieren. Selbst in der Konstellation zwischen europäischen staatlichen Apparaten und autochthonen Bewegungen kommt diese Internationalisierung, zu der der Kolonialismus eine konstitutive Vorstufe war, klar zum Ausdruck. Seine historisch prägende Kraft bewies der Kolonialismus jedoch auch in!i der staatlichen Form: Der Nationalismus der Befreiungsbewegungen kapri-;{ zierte sich auf junge Objekte. Immer bezogen sich die kolonialen Befreiungs-{ bewegungen auf politische Grenzen, die von den Kolonialmächten vorgegebet~· waren. Und auch in ihren Lehren zeigt sich die Internationalisierung der politi- i sehen Gehalte: So sehr das Interesse an materieller Besserstellung und am Ende der politischen Repression konkret für die Teilnahme am antikolonialen Widerstand entscheidend gewesen sein mögen, ihre internationale Legitimität zogen die Herausforderer der Kolonialmächte durch den Verweis aufNormen der Volkssouveränität, der nationalen Selbstbestimmung und der sozialen Emanzipation, also auf politische Ideen okzidentalen Ursprungs - w1d nicht, zuletzt auf die Idee der Staatlichkeit selbst, die sich mit Erlangung der Unab-; hängigkeit fest in den Mentalitäten verankerte. Die Ankoppelung der Kolonialsysteme an die Rhythmen und Themen der internationalen Politik ergab sich indes nicht nur durch den Rekurs auf diese globalen Nonnen, sondern auch durch die wirtschaftlichen lnteressenkonstellationen, die der kolonialen Abschließung von Wirtschaftsräumen zuwiderliefen, und die für die Neuordnung des internationalen Systems nach 1945 mitbestimmend wurden. Die Internationalisierung dieser Kriege ist aber auch erkennbar an den Wirkungen, die zwischen den politischen Prozessen in unterschiedlichen Kolonien entstanden. Hatte die Unabhängigkeit w1d Teilung des indischen Subkontinents Signalwirkung auf alle politischen Eliten in den Kolonien, so hatten die militärischen Erfolge der Kolonisierten in Vietnam und Algerien Vorbild-
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funktion für andere Befreiungsbewegungen, die sich unter der nur zögerlich zu Zugeständnissen bereiten Kolonialherrschaft formierten. Die Reihe der Ereignisse in den noch kolonial verfassten Gebieten oder den schon unabhängigen Staaten verdichtete sich so zu einem Verweisungszusammenhang, aus dem heraus die Vorgänge im jeweils eigenen nationalen politischen Kontext interpretiert wurden. Am deutlichsten zeigte sich die Internationalisierung dieser Kriege indes an ihrer Aufladung durch den Ost-West-Konflikt, der sich in Algerien wie in Indochina oder im südlichen Afrika wie in Lateinamerika an die lokalen Konfliktkonstellationen anlagerte und sie teils zu dominieren begann. Die Funktion des Ost-West-K~nflikts, lokale Konflikte mit den Konjunkturen und Akteuren der Weltpolitik zu verschmelzen, machte ihn gleichermaßen für einen andere11 Typ von innerstaatlichen Kriegen bedeutsam, der sich realgeschichtlich mit Dekolonisationskonflikten überschneidet und von den 1950er bis in die 1980er Jahre einen großen Teil des weltweiten Kriegsgeschehens ausmachte, nämlich den sozialrevolutionären Krieg. Das Ergebnis der Dekolonisationskriege war immer die formale Eigenstaatlichkeit, die aber in vieler Hinsicht Wesensmerkmale und Funktionen des kolonialen Staates bewahrte. Nicht zuletzt durch die kolonial bewerkstelligte Einbindung in die Weltmärkte waren für die Möglichkeiten der nachkolonialen Staatenbildung wichtige Pfadentscheidungen getroffen worden. Der Weg des kriegerischen Wandels bedeutete aber in allen fällen auch einen »militärischen Überhang«. Nicht nur, weil die Kampfgenossen in der Nachkdegslösung versorgt werden mussten, sondern auch, weil die Legitimität der Gewalt durch den Erfolg des bewaffneten Widerstandes besiegelt schien. In vielen fällen nahnt die altbekannte Dynamik vom Zerfall der siegreichen Partei deshalb gewaltsame Züge an.l03 ~fit dem Chadsma des Sieges gegen die koloniale Herrschaft war die Legitimität staatlicher Herrschaft in den Gebieten der Dekaionisationskriege schon auf ihrem Höhepunkt. Das Abklingen des Charismas und die Schließung der sozialen Beziehungen im staatlichen Feld der Macht werden in fast allen Fällen durch Folgekriege um die lnnehabung der Staatsgewalt indiziert. Aus keiner kriegerisch befreiten Kolonie ist unmittelbar ein demokratisches System hervorgegangen.
103 In Hegels Worten, bezogen auf die Französische Revolution: »Die siegende Faktion nur heißt Regierung, und eben darin, dass sie Faktion ist, liegt unmittelbar die Notwendigkeit ihres Untergangs; ... « (1807 /1986: 437).
3.2.2 Sozialrevolutionäre Kriege In der historischen Realität vermengten sich die Auseinandersetzungen um die Erlangung der Unabhängigkeit der Kolonien in Afrika und Asien vielfach mit einer weiteren Konfliktlinie, die sich entlang der Antinomie der bürgcrlicheri' Werte von Freiheit und Gleichheit bescht-eiben lässt: In ihrem Bemühen, zu der Ideologie der westlichen Kolonialmächte eine Altemative zu formulieren, die gleichwohl die Versprechungen der Moderne nicht preisgab, begannen zahlreiche Befreiungsbewegungen, den von der Sowjetw1ion und dem revolutionären China eingeschlagenen Weg des »Sozialismus« mindestens ideologisch zu verfolgen. Auch in den schon lange formal unabhängigen Staaten Lateinamerikas wurde diese Orientierung für jene Bevölkerungsteile attraktiv, die zu den traditionellen Oligarchien in Gegensatz geraten waren. 104 Kriege, in denen eine bewaffnete Gruppe gegen elll herrschendes Regime mit dem Ziel kämpfte, nicht nur dieses Regime zu stürzen, sondern mit der Machtübernahme auch einen grundlegenden Wandel der gesellschaftlichen Ordnung herbeizuführen, bilden daher einen zweiten großen Teil des Kriegsgeschehens von den fünfziger bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Der weit überwiegende Teil der Kriege, die nach 1945 in Lateinamerika stattfanden, lassen sich diesem Typus des sozialrevolutionären Krieges zuordnen. Aber auch im südlichen Afrika und in Indochina entwickelten sich noch im Kontext der Dekaionisation analoge Frontstellungen, teils weil die anti-kolonialen Bewegungen, die anfangs nur eine linksnationalistische Otientierung zeigten, durch die repressive Reaktionen in das Lager der Sowjetunion hineingedrängt und die Konflikte entsprechend kodiert wurden. Die et'Sten Fälle dieses Typs nach 1945 finden sich in Europa mit dem Bürgerkrieg in Griechenland (vgl. Diner 1999: 269-278), doch die Verschmelzung lokaler Konflikte mit dem Ost-West-Konflikt wird im Korea-Krieg (1950-1953) erst wirklich real (Diner 1999: 279). In dem als Dekolonisationskrieg Vietnams beginnenden Kriegskomplex in Indochina vollzieht sich dann die Übertragung der Kolonialkonflikte in eine neue ideologische Dimension (Diner 1999: 291 ), die dann ihrerseits auf andere regionale Geschehnisse übertragen wird, etwa auf die in den sechziger Jahren einsetzenden Kriege gegen den portugiesischen Kolonialismus im südlichen Afrika und auf die in Lateinamerika, dem »Stammgebiet« der USA, stattfindenden Kriege mit sozialrevolutionärer Zielsetzung. 104 Zu diesem Typ sind allein 24 der 30 Kriege in Lateinamerika 7.U 7.ählen. Der Typ fmdet sich aber auf allen Erdteilen, im griechischen Bürge,·krieg (1944/ 45 und 1946-1949) ebenso wie in Südafrika (1976-1994), aufden Philippinen (seit 1970), im Jemen (1962-1969) oder in Laos (1975-1979).
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DER STAAT lN DER WELTGESELLSCHAFT
Der Ost-West-Konflikt legte sich als verstärkendes und militarisierendes Bedingungsnetz über alle diese Konflikte. Doch nur in Südostasien und in Lateinamerika ist es auch zu direkten Kriegsbeteiligungen der USA gekommen. Auch die Sowjetunion intervenierte lediglich in Ungarn (1956) und Afghanistan (1980-88) direkt als Kriegsakteur. Im Bewusstsein ihrer Schwäche verfolgte sie eine Politik der »defensiven Kompromisslosigkeit« (Hobsbawm 1995: 295). Statt sich durch eine direkte Intervention in die Gefahr einer Eskalation zu begeben, unterstützten beide Supem1ächte eher lokale Akteure, die sie jedoch meist nicht vollständig kontrollieren konnten. . n Doch die binäre globale Semantik überdeckt die konkreten, vielfach kom'-·· plexeren Realitäten. Die Kriege in Korea, Vietnam und Afghanistan, in denen wenigstens die Rhetorik eines Teils der Akteure sozialrevolutionär war, bestimmten mit ihren direkten Interventionen der Supermächte das generelle Bild, die Kriege in der Dritten Welt wären ))Stellvertreterkriege« der Supermächte. Doch die konkrete Analyse ihrer Genese und Konstellationen führen zu dem Befund, dass diese Kriege nicht auf ihre internationale Dimension reduziert werden können. Immer sind es Prozesse der internen sozialen Differenzierung bis hin zu wirklichen Klassengegensätzen, die sich in den Figurationen der Konfliktparteien ausprägen. Während die Führungsgruppen der Guerillabewegungen meist aus mittelständischen städtischen Milieus entstammten, rekrutierte sich ihre Gefolgschaft in vielen Fällen aus den tmteren sozialen Schichten, aus landlosen oder verarmten Bauern und dem städtischen Proletariat. Ihnen gegenüber standen inllner die am Erhalt des Status Quo interessierten Herrschaftsgruppen, wie Land besitzende Oligarchien, das städtische Besitzbürgertum und staatliche Agenturen wie die mit auswärtiger Hilfe hochgerüsteten Armeen. 105 Die Anhindung der lokalen Kriege an die globale Logik des Ost-WestKonflikts hat überall zu einer Milita1i.sierung der inneren Konflikte und zu einer Verselbständigung des l'vlilitärs aus irmenpolitischen Bündniszwängen geführt, denn der breite Strom von Militärhilfe und sonstiger Unterstützung erlaubte den Gewaltspezialisten innenpolitische Kräftekonstellationen nur eingeschränkt zu berücksichtigen. Nicht mit ihren Bevölkerungen, sondern mit ihren externen Bündnispartnern verhandelten Militärs in El Salvador, Liberia oder Athiopien über die Höhe ihrer Etats. Dieser Zusammenhang galt noch nach dem Sieg einer sozialrevolutionären l(!i.egspartei. In Nicaragua, Kuba,
lOS In vielen Fällen zog sich der politische Gegensatz jedoch auch durch diese Milieus hindurch, denn in den Regierungsarmeen waren nicht nur bürgerliche Schichten und Oligarchien vertreten.
DYNAMIKEN DER GEWALT
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Angola, Kambodscha, Mosambik und Afghanistan endete die westliche Unterstützung der unterlegenen K.t-iegsparteien - meist durch die USA - auch nach dem vorläufigen Ende eines Krieges nicht. Der Ost-West-Konflikt als neue ))Semantische Codierung des Weltges~he hens« (Diner 1999: 251) erlaubte die verbindende Interpretation lokalen (~e schehens in den Begriffli.chk.eiten der übergeordneten globalen Dichotomisierung, die in der Truman-Doktrin ihre erste Formel gefunden hatte. In vielen Fällen wurden die lokalen Akteure in die Logik des Ost-West-Konflikts hineingetrieben. Dies gilt etwa für die Kriege in Kuba und Nicaragua, in denen eine anfanglieh lediglich linksnationalistische Bewegungen durch die Reaktionen der USA in Bündnisse mit der Sowjetunion gedrängt wurden (Ehrke 1986: 82). In der westlichen Hemisphäre bot sich allein das am Emanzipationsgedanken zentrierte revolutionäre Pathos als Programm der Abgrenzung und Emanzipation an, während die an der Aufrechterhaltung des Status quo interessierten konsetvativen Herrschaftsgruppen auf den »Anti-Kommunismus(( zurückgreifen mussten, weil nur diese Ideologie ihnen zur Mobilisierung externer Untet-stützung dienen konnte. Mitte der achtziger Jahre klang die Phase sozialrevolutionärer Kriege aus, soweit diese Kriege nicht mittlerweile eine Verstetigung erfahren hatten, die selbst den Fortfall des Ost-West-Konflikts als verstärkende Bedingung überstand, wie dies etwa in Kambodscha, Burma oder Angola der Fall war. In den achtziger Jahren setzte mindestens in Lateinamerika eine Welle von Friedensprozessen ein, die bis zum Ende des Jaluhunderts lediglich die Kriege in Kolumbien nicht einhegen konnte. Und so häufig die Insignien des revolutionären Kampfes in Reden, Texten und Symbolen bewaffneter Gruppen noch auftauchen, so hat der Verlust des globalen Vorbilds, die institutionalisierte Revolution in der Sowjetunion, auch die Attraktivität dieser politischen Ausdrucksform beschädigt. Nicht nur in den Kommeiltaren westlicher Beobachter änderte sich die Beschreibungssprache der politischen Vorgänge in anderen Weltgegenden, sondern auch in den Begrifflichkeiten der Gewaltakteure selbst, mit denen diese soziale Kosten, desintegrative Tendenzen und Ungleichheiten thematisierten. Die Effekte der sozialrevolutionären Kriege auf soziale und politische Ordnungen waren vor allem indirekter Art. Nur selten gelang den Revolutionären der militärische Sieg. Besonders das Modell der fokistischen Guerilla ist . überwiegend gescheitert. So bewirkten diese Kriege, bedingt durch die Ver·•· knüpfung mit dem Ost-West-Konflikt, in erster Linie eine Militarisierung des >Politischen. Sie unterstützten aber durch ihre Logik der Konzentration auf die . nationalen Zentren auch die Logik der Staatlichkeit. Denn trotz aller Realität ,des sozial-revolutionären lntemationalismus und trotz der noch größeren
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DER STAAT IN DER WELTGESELLSCHAPT
Rhetorik: Sozialrevolutionäre Kriege haben die Fokussierung des Politischen auf einzelstaatliche Handlungsrahmen verstärkt. lnuner war die Perspektive der »Politik in einem Land« die grundlegende Ontologie dieser Konflikte - für alle Seiten.
3.2.3 Kriege im Entwicklungsstaat Seit der Ära der Dekaionisation hat sich das globale Kriegsgeschehen weitgehend in die Innenräume der postkolonialen Staaten verlagert. So gab es seit den 1960er Jahren eine große Zahl von Kriegen und kleineren bewaffneten Konflikten zwischen einzelnen Staaten und Teilen ihrer Bevölkerungen, die mit unterschiedlichen Symboliken und legitimatorischen Diskursen eine gesonderte rechtliche Stellru1g, die Einhaltung bestimmter rechtlicher Standards oder Teilhabe an der Macht bis hin zur Eigenstaatlichkeit einforderten, weil die Prozesse der Modernisierung zu sozialen und politischen Verwerfungen geführt hatten, die im gegebenen politischen Handlungsrahmen nicht prozessiett werden konnten.t06 / Hintergrund dieser Konflikte ist immer das Bestreben der postkolonialen Staaten nach Verstetigung und Institutionalisierung staatlicher Herrschaft. Teil !dieser Konsolidierungsbemühungen ist der Versuch mit einer flächendeckenlden Verwaltung staatliches Recht gegen andere Norminstanzen durchzusetzen !und einen großen öffentlichen Sektor als Hauptagenten der vor allem witt; schaftlieh begriffenen Entwicklung einzusetzen. Umsiedlungsprogramme, staatlich gestützte Migrationen nnd die Inwertsetzung des Bodens sind deshalb diesen Kriegen häufig vorgängige Prozesse. Soziale Konflikte können in Entwicklungsstaaten jedoch in der Regel nur über Inklusion in de11 staatlichen Apparat abgefedert werden. Deshalb beschäftigen staatliche Unternehmen eine große Zahl von Arbeitnehmern. Staatliche Herrschaft war nnd ist in diesen Staaten gleichwohl nicht durchweg nach den legal-rationalen Prinzipien des Webersehen Anstaltsstaates organisiert. Patronage, das heißt persö11liche Beziehungen im weitesten Sinne, spielt für Anstellungen und die Verteilung öffentlicher Mittel eine entscheidende Rolle. J Die postkolonialen Staaten sind zugleich in unterschiedlichem Maß in ! Weltmärkte integriert. Die Formen dieser Integration reichen von reinen Ren1
106 Der Typ ist nicht trennscharf. Gerade Kriege in neopatrimonialen Staaten, aber auch solche in peripher-sozialistischen teilen viele seiner Merkmale. Dennoch können etwa die Kriege in Mexiko (1994/95), Äthiopien (Oromo 1976-1993), Türkei (1984-2001), in lndonesien (\ll'estlrian, 1965-1993; Aceh 1990-1993), in Indien (Assam, seit 1990; Bodos seit 1997), im Irak (Schüten, 1991-1995; Kurden 1974-1998) als relativ typenrein geiten.
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tenökonomien bis hin zur diversifizierten Einbindungen über die Rücküberweisungen von Arbeitsmigranten oder eine eigene industrielle Exportwirtschaft.107 Abhängig vom Grad der ökonomischen und sozialen Differenzierung finden sich in einigen postkolonialen Staaten bedeutsame Machtgruppen, die unabhängig vom Staat agieren. Sie sind auch die Träger ~iher politi..,chen Öffentlichkeit, in der der Staat und seine Politik thematisiert werden können. Grundlage dafür ist das teils erhebliche Ausmaß sozialer Differenzierung: In diesen Entwicklungsstaaten konkurrieren Inlands- und Auslandskapital, das Militär als korporativer Akteur und andere Statusgruppen um Machtchancen, die über den Staat vermittelt werden, so dass sich in diesem Wettbewerb im Gegensatz zu neopatrimonialen Staaten eine gewisse staatliche Autonomie herausbilden konnte (vgl. Evans 1995). In den Entwicklungsstaaten vollzog sich der wechselseitige Prozess einer Verstaatlichung der Gesellschaft >>von oben«, nämlich durch die R.'ltionalisierung w1d Bürokratisierung von Herrschaft, und einer Vergesellschaftung des Staates »von unten«, durch wachsende Demoktatisierung und Partizipation, nur unvollständig. Politische Herrschaft blieb personal vemuttelt und erlaubte damit nur eine selektive Inklusion. In diesen politischen Konstellationen gibt es keine Institutionen, die große soziale Konflikte hätten vermitteht könnetl. Nur in begrenztem Umfang ist es in den Entwicklungsstaaten möglich gewesen, soziale Integration über staatliche Patmnage und klientelistische Politik herzustellen. Deshalb sind in diesen Staaten regionaliscische Bewegungen mit Bestrebungen um Autonomie oder Eigenstaatlichkeit so häufig gewaltsam eskaliert. Der entscheidende so~ale Prozess, der den Konflikten im Entwicklungsstaat ursächlich zugrunde liegt, ist der rapide soziale Wandel, der zur Auflösung traditionaler vergesellschaftender Formen führt, ohne indes die integrative Seite der bürgerlich-kapitalistischen Moderne zur Entfaltung zu bringe11. . Die Krise der Reproduktion in familialen Zusammenhättgen, Prozesse der Urbanisierung, die Inwertsetzung von Grund und Boden und aufbrechende :. soziale Gegensätze lassen sich in Indien wie in Indonesien, in Nordafrika wie ~::im Mittleren Osten als Momente des sozialen Transformationsprozesses iden.:. ti.fizieren, der als existenzielle Verunsicherung w1d Erfahrungsraum den le•"ben.sweltlichen Hintergrund der aufbrechenden Konflikte abgibt. :;: Der zentrale politische Zusammenhang dieser Konflikte ist immer der Wij._Cierstand gegen die Durchsetzung staatlicher Herrschaftsansprüche. Die [\-fili~''tanz dieses Widerstands ist dabei auch eine Funktion der Idetltifizierung von
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DER STAAT IN OER WELTGESELLSCHAFT
Staat und Modeme: Je stärker staatliche Agenturen selbst als Betreiber nnd ihre Amtsträger als Profiteure dieser Prozesse wahrgenommen wurden, desto rigider war auch der politische Widerstand nnd desto unversöhnlicher die Haltung gegenüber Regulierungs versuchen. Die Ausrichtnng der Konflikte auf die staatlichen Machthaber hat ihren Grnnd auch darin, dass in den postkolonialen Staaten der Staat selbst in vielfacher Hinsicht als autoritärer Hauptagent der Modernisiernng aufgetreten ist. Große Infrastrukturprojekte, die Umsiedlnng beträchtlicher Bevölkernngsgruppen, das Vordringen staatlichen Rechts gegen traditionale Sitte und Brauch - all dies sind staatliche Maßnahmen, die häufig in eine direkte Konfrontation bestimmter Bevölkerungssegmente mit den Innehabern der Staatsmacht und den Organen des Staates mündeten. Für die Frage, ob diese Konflikte gewaltsam eskalierten, war es dabei znnächst meist unerheblich, ob das Ressentiment sozial tief verankert war oder ob der Konflikt eher auf den Am~i!;ionen exkludierter Herrschaftsgruppen beruhte. ·\ · Der Grundkonflikt zwischen den Ansprüchen moderner Staatlichkeit auf Monopolisierung der Gewaltmittel nnd Suprematie der Regelsetzung hat sich ! aber in einer Reihe von Fällen noch dadurch verschärft, dass sich staatliche Akteure, der Ideologie des Entwicklungsstaates folgend, selbst zu Modernisierem aufgeschwnngen haben. In der Regel haben gerade die Bemühungen staatlicher Agenturen, die ursprüngliche Akkumulation selbst vorzunehmen, nnmittelbar zu kriegerischen Konflikten geführt, weil die Vertreibungen, Enteignungen nnd direkten Zerstörungen der Reproduktionsbedingungen zu besonders klaren nnd eindeutigen Zuordnungen geführt haben. Aus diesen gewaltträchtigen lnwertsetzungen resultierten Antiregime- und Sezessionskriege, weil die Umbrüche und ihre Folgen direkt den jeweiligen Zentralregierungen zugeschrieben wurden. Staatlich induzierte Umsiedlungsprogramme, Bodenreformen und großflächlge Enteignnngen zu Zwecken der Extraktion mineralischer Rohstoffe haben in lndonesien und Papua-Neuguinea soziale Verwerfungen hervorgerufen, deren gewaltsame Unterdrücknng die Eskalation in kriegerische Konflikte nahezu nnausweichlich machte. 108 In diesen Projekten staatlicher Modernisietung, in denen sich Entwicklungsideologien nnd die persönlichen Bereicherungsinteressen des staatlichen Personals zusammenfanden, wiederholten sich ~~-~-~-~~ ~er__ursp~glichen ~kkum~~~?n: 109
108 Vgl. Young (1998), Böge (1998), und die Ausführungen zu den Kriegen in Indonesien in Jung/Schlichte/ Siegelberg (2002)109 Das ist kein neues Prinzip: »Aber alle (Spanien, Portugal, Holland, Frankreich und England, K.S.) benutzten die Staatsmacht, die konzentrierte und organisierte Gewalt der Gesellschaft,
OYNAMIKEN DER GEWALT
163
Gerade in der zweiten Hälfte des hier betrachteten Zeitraums nahmen die. Reaktionen gegen diese Modernisierung vielfach neo-traditionale Züge an. Im ideologischen Rückzug auf eine imaginierte ideale Vergangenheit oder im Heilsversprechen religiöser Bewegungen verbinden sich die unerfüllten Erwartungen gegenüber der Moderne w1d die Revitalisierung tradition~l'er Symboliken und Vorstellungen. Das Recht auf nationale Selbstbestimmtmg verdrängte dabei nach dem Ende des Ost-West-Konflikts die zuvor ebenso prominente symbolische Inwertsetzw1g anderer politischer Ideen, wie die der auf soziale Emanzipation zielenden Revolution. Damit äußern sich die Veränderungen im internationalen System und in den internationalen politischen Diskursen auch in den symbolischen Bezugnahmen und Rheto11ken der Rebellionen. Bis in die 1970er Jahren hatte es in den Entwicklungsstaaten kein Beispiel für eine erfolgreiche militante Bewegung mit neo-traditionaler Ideologie gegeben (Hobsbawm 1995: 255). Der religiöse Fundamentalismus erlangt seine Militanz erst in den letzten Dekaden des 20. Jahrhunderts (vgl. Mamdani 2004). Den Hintergrund dieser Verschiebung bildete nicht nur die Situation der »blockierten Entwicklung« und der damit einhergehende Verlust der Patronagemöglichkeiten des Staates, sondern auch das Verblassen anderer Symboliken, die für die Artikulation des Protests geeignet gewesen wären. Gerade in den 1990er Jahren erlebte die Norm nationaler Selbstbestimmung und der Wahrw1g kultureller Eigenständigkeit einen erneuten globalen Geltungsaufschwung, den zahllose bewaffnete Gruppen nutzten, um ihre Ansprüche zu untermauern. So wie die Verläufe der Kriege im Entwicklw1gsstaat kein einheitliches Muster zeigen, so sind auch ihre Resultate ausgesprochen uneinheitlich. In diesen Kriegen spielen Verhandlungen erst in Spätphasen eine prominente Rolle, besonders unter internationalem Druck, weil die relativ starke Staatlichkeit eine frühe Internationalisierung dieser Konflikte in der Regel verhindert. In den ersten Phasen jedoch überwiegt in diesen Kriegen der massive repressive Einsatz der Sicherheitsapparate, die meist stark korporativ verfasst sind, sich als Hüter der nationalen Einheit begreifen und entsprechend resolut agieren. Die Unterschiedlichkeit der Ergebnisse drückt sich vor allem in den formellen und informellen politischen Ordnungen aus, die aus diesen Kriegen resultieren. In einigen Fällen gelang die Reintegration der Kämpfer über den Modus der Patronage, in anderen erreichten Herausforderer ein Autonomiestatut oder gar die Eigenstaatlichkeit, meist ohne dass damit die den Konflik-
um den Verwandlungsprozess der f~-udalen in die kapitalistische Produktionsweise treibhausmäßig zu fördern wtd die Übergänge abzuJ"iirzen.« (Marx 1867/1962)
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DER STAAT IN DER WELTGESEI.LSCHAI'T
ten zugrunde liegenden sozialen Prozesse in geregeltere Balmen hätten gelenkt werden können. An Phänomenen wie der zunehmenden Ausdifferenzie11.1ng der innerstaatlichen Gliederung in Indien oder Nigeria kann die Arithmetik solcher Befriedungsversuche studiert werden. In wieder anderen Fällen, wie im Konflikt zwischen den Schiiten und der irakiseben Regierung, hat hingegen die massive staatliche Repression jede Verregelung des Krieges ersetzt. In den meisten Fällen indes haben innerstaatliche Kriege im Entwicklungsstaat zur Fragmentierung der Herrschaft geführt, weil die Zusammenführung der politischen und sozialen Gegensätze im Rahmen einer zusammenhängenden staatlichen Herrschaft nicht gelang. Weitere Resultate dieser Kriege waren wiederum eine Verstetigung der Legitimationskrisen staatlicher Herrschaft und eine nach innen gerichtete Militarisierung. Aus den Kriegen im Entwicklungsstaat sind vor allem zwei politische Resultate hervorgegangen: In vielen Fällen haben sie einerseits tatsächlich zur Gründung neuer Staaten geführt, oder doch zu einer Neuaufteilung der politischen Rechte innerhalb eines Staatswesens, etwa in Autonomieregelungen. :Andererseits hat sich durch einige Kriege im Entwicklungsstaat das Projekt ~aatlicher Herrschaft verschoben. Das gilt insbesondere für jene Kriege, in j~enen religiöse Lehren und Symboliken eine besondere Rolle gespielt haben. iln diesen Fällen haben sich auch die Inhaber staatlicher Herrschaftspositionen ,aus Legitimitätsgründen diesen religiösen Diskursen angepasst, 110 olme dass freilich damit die Dynamik der Konflikte hätte abgefangen werden können.
3.2.~
Kriege im neopatrimonialen Staat
In mehr als einer Hinsicht stellen Kriege in neopatrimonialen Staaten einen Untertypus des Krieges im Entwicklungsstaat dar. Kriege dieses Typs, der vor allem - aber keineswegs exklusiv - das Kriegsgeschehen im subsaharischen Afrika prägte, fmdet in politischen Kontexten statt, in denen staatliche Herrschaft vergleichsweise schwach institutionalisiert ist und in denen die Merkmale patrimonialer Herrschaft (vgl. Weber 1920/1985: 580ff.) deutlich hervortreten.''' Das wesentliche Merkmal der sozialen Kontexte, in denen sich die Dynamik dieser Konflikte entwickelt, ist der geringe Grad sozialer Differenziel1lng. Politische Partizipation läuft vor allem über die Mitgliedschaft in
...~~ .
110 Zur Rolle religiöser Symbolik für die Legitimierung staatlicher Macht vgl. a. Kapitel 5. 111 Vgl. hierzu Schlichte (1996; 1998a). Zu diesem Typ ist die große Mehrheit der innerstaatlichen Kriege im subsaharischen Afrika zu zählen, etwa in Nigeria (1966-1969), im Tschad (1966196), in Mali (1990-1996) usf. Aber auch in anderen Erdteilen lassen sich solche Konstellationen finden, wie auf den Philippinen (Mindanao, seit 1970) oder in Afghanistan (seit 1978).
DYNAMIKEN DER GEWAI.T
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klientelistischen Bünden, die nach flexiblen ethnischen Symboliken oder pragmatisch organisiert sind. Oie traditionalen Elemente des ethnischen Bewusstseins, wie sein mythischer Geltungsanspruch, die Vorrangigkeit der sozialen Ve1-pflichtetheit, bilden zugleich die Bewertungsmuster des politischen Geschehens. So wird nachla:'S". sende Staatstätigkeit und mangeh1de Integration als Verletzung des Re?.iprozi-' tätsprinzips aufgefasst. Die Personalisierung des Politischen führt zu einer I eindeutigen Zuordnung von Verantwortung: Dem für die entgegengebrachte Loyalität zum Schutz verpflichteten Präsidenten werden empfundene Statusverschlechterungen oder verwehrte Chancen als Person angelastet. Umgekehrt wird politische Opposition in der Terminologie des Ethnischen begriffen und die vermeintliche Abstammungsgruppe in Sippenhaftung genommen. Durch das Zusammenspiel dieser Zuschreibungen werden entstehende kollektive ; Identitäten verstärkt. Zu Akteuren eines Konflikts werden die Träger clieser Wertungen und Wahrnehmungen e1'St, wenn sie sich organisieren: Solche Organisationen kristallisieren sich um Bruchstücke alter klientelistischer Verbände und um traditionale Beziehungsmuster wie Altersklassen, Bruderschaften und Velwandtschaftsgruppen. Solange die etablierten Mechanismen und die Ressourcenlage neopatrimonialer Herrschaft hinreichen, die konkurrierenden Ansprüche dieser Gruppen zufrieden zu stellen, können diese Konflikte ohne Gewalt auskommen. Die Wah1'Scheinlichkeit gewaltsamen Konfliktaustrags im neopatlimonialen Staat steigt aber in dem Maße, in dem der Konflikt nicht mehr über · bestehende klientelistische Einbindungen ausgetragen werden kann, wie dies insbesondere in Zeiten ökonomischer Rezession oder abnehmender auswärtiger Unterstützung der Fall ist. Der Rückgang der Renten aus dem Export mineralischer und agrarischer Rohstoffe ist hier ebenso zu nennen wie das Nachlassen militärischer Unterstützung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Die schwache Institutionalisierung und der autoritäre Charakter neopatrimonialer Herrschaft reichen dann nicht aus, die entstehenden Konflikte zwischen klientelistischen Verteilungskoalitionen zu vermitteh1. Die endgültige Legitimation der Gewalt als Mittel zumindest für einen Teil der Akteure ergibt sich aus der repressiven Reaktion neopatrimonialer Regime auf politische Oppositionen. Diese Reaktionen legitimieren den Gewalteinsatz auf der Gegenseite und verknüpfen sich mit Werten wie der traditionalen Kriegerehre oder dem auf die kol01uale Vergangenheit bezogenen Widerstandsethos. Oie Schwelle zum Krieg wird in aller Regel dadurch überschritte11, dass die undifferenziert repressive Reaktion des Regimes immer größere Bevölkerungskreise vor den Wahlzwang zwischen Flucht, Opferschicksal oder Teilnahme an den bewaffneten Auseinandersetzungen stellt.
166
DER STAAT IN DER WELTGESELLSCHAFT
In keinem Fall haben Kriege in neopatrimonialen Staaten am grundlegenden Charakter dieses Typs staatlicher Herrschaft eine Veränderung bewirken können, sieht man vom Zerfall staatlicher Wld sozialer Institutionen vor allem in langjährigen Kriegen ab. So beschränken sich die Resultate dieser Kriege auf ,Effekte, die einem Ausgreifen staatlicher Herrschaft eher im Wege stehen, wie die Generalisierung der Stereotypisierungen von BevölkerWlgsgruppen, der ZWlahme repressiver Praktiken Wld dem Ausbau der Sicherheitsapparate. Dieses Wachstum des Staates hat indes die Verklammerung von Staat Wld Gesellschaft nicht befördert, weil die Finanzierung dieses Wachstums nicht über die direkte Besteuerung der Bevölkerung erreicht wurde, sondern durch Militärhilfe Wld Renteneinkommen erzielt wurde. 112 Die bewaffneten Konflikte in neopatrimonialen Staaten sind vielleicht die prägnantesten Beispiele für die Dauerhaftigkeit der Strukturen, aus denen diese Kriege hervorgingen, über eben deren Beendigung hinaus. Denn nirgendwo hat sich in einem dieser Kriege an der Gestalt und Funktionsweise politischer Herrschaft durch die bewaffnete Gewalt etwas geändert. Immer noch dominieren die Formen der EinbindWlg in den Weltmarkt über die Chancen und Grenzen politischer Macht. Zugleich lässt sich der andere, eingangs dieses Kapitels behauptete Zug des Kriegsgeschehens nach 1945 hier klar erkennen: die zunehmende InternationalisierWlg der politischen Zusammenhänge, besonders nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Es sind vor allem Kriege dieses Typs~ die in jüngerer Vergangenheit die Einschätzung befördert haben, kriegerische Gewalt sei anomisch geworden. Dabei zeigen die zumeist genannten Referenzfalle - Liberia, Somalia, Afghanistan, DR Kongo, Sierra Leone - bei näherer BetrachtWlg, dass die tiefge,hende Krise der neopatrimonialen Systeme nicht das Ende von Staatlichkeit, ;Wld schon gar nicht das Ende von politischer Herrschaft bedeutet. Zwar :schwächen die zentrifugalen Tendenzen der Kriege im neopatrimonialen Staat die Annäherung an das Ideal moderner Staatlichkeit. In ihnen lassen sich aber durchaus Merkmale einer stärkeren DurchdringWig des gesellschaftlichen Raumes durch staatliche oder staatsähnliche Agenturen beobachten (vgl. Marchal/Messiant 1997). Und selbst in Fällen wie Afghanistan oder Somalia, in ,denen bisher selbst die Wiedererrichtung staatlicher Zenttalgewalt ausblieb, ist die Gesellschaft nicht anomisch. Staatlichkeit, oft in einfachsten Forme11 polifscher Herrschaft, hat sich dort delegiert. Gebietskontrolle Wld VerwaltWlg , aber gibt es damit nach wie vor.
112 Die Geschichte Ugandas ist musterhaft für diese Prozesse und Zusammenhänge, vgl. den Exi.."Urs in dieser Arbeit.
3.2.5 Kriege im peripher-sozialistischen Staat Im Kriegsgeschehen in der ehemaligen Sowjetunion und in den post-sozialistischen Staaten vermengen sich Elemente der bisher geschilderten Realtypen. 11 3 Hier ftnden sich Merkmale von Dekolonisationskriegen sowie des Typs >fKrieg im Entwicklungsstaat«. Das hat damit zu tun, dass die Auflösung der Sowjetunion mit der Auflösung des territorialstaatlichen Resultats des russischen Imperialismus identisch ist. In den Kriegen dieses Typs verbinden sich also die zentrifugalen Effekte einer phasenverschobenen Reichsauflösung mit den Dynamiken einer bürokratisch-autoritären Modernisi.erung. Denn in diesen Staaten gab es in der Ära des so genannten Sozialismus eine weitreichende Regulierung: Der Staat besaß ein faktisches Monopol des Außenhandels und kontrollierte alle bedeutsamen wirtschaftlichen Institutionen ebenso wie er in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens präsent war. Die damit verbundene Rigidität wurde ausgeglichen durch die Flexibilität paralleler Institutionen wie den Schwarzmärkten und der Patronage im politischen Bereich. In diesen Staaten sind vor allem die achtziger Jahre eine Zeit der Stagnation gewesen, so dass auch hier die ökonomische Krise der Staaten einsetzte, die mit dem Ende der Sowjetunion in einer politischen Wende kulminierte. Auch in den Staaten des »real existierenden Sozialismus« hat es regionale Entwicklungsgefälle innerhalb der einzelnen Staaten und Republiken gegeben. Die Zentren der Wertschöpfung verteilten sich nicht gleichmäßig über das ganze Land. Zudem haben sich hier ebenfalls historische Erfahrungen in Form von gegenseitigen Stereotypisierungen erhalten. Dabei spielte die als Fremdherrschaft interpretierte Dominanz der Sowjetunion bzw. die Arbeitsmigration russisch-stämmiger Bevölkerungsteile eine bedeutende Rolle. In der Loslösung von der russischen Dominanz und im Bestreben nach Eigenstaatlichkeit wiederholen sich Elemente der Dekolonisationskriege; sie zielten auf das Ende von Fremdherrschaft und zeigten gleichzeitig, dass der Konsens der Nachfolger nicht zur friedlichen Etablierung einerneuen Herrschaft ausreichte. In den strukturellen Voraussetzungen des I(!i.egsgeschehens der post-sozialistischen Staaten fmdet sich aber auch eine Reihe von Parallelen zu den kriegsursächlichen Prozessen im Entwicklungsstaat. Schon die politischen Stmkturen zeigen klare Parallelen: Große Teile der Bevölkerung waren schon während der Sowjetzeiten nur über klientelistische Netzwerke in Herrschafts113 Dabei handelt es sich um je drei Kriege in Georgien (Südossetien 1990-92; Anti-RegimeKrieg 1991-93; Abchasien 1992-94) und in der Russischen Föderation (lnguschetien 199294, erster Tschetschenienkrieg 1994-96 und zweiter Tschetschenienkrieg seit !999). Aserbeidschan 1990-94, Moldawien 1992, Tadschikistan (1992-98) sowie Usbekistan (s~it 1999).
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zusammenhänge eingebunden. Partei und Staat waren in weiten Gebieten der ' : Sowjetunion von der Logik distributiver Netzwerke dominiert. Der personale Charakter prägte den Stil des Regierens, so sehr er den Rekurs auf die Gewalt des staatlichen Apparats einschloss. Über familiale und lokale Vergemeinschaftungen fanden Partizipation und Redist1-ibution statt. Patriarchale und autoritäre Elemente ergänzten die Praktiken des bürokratischen Regierens. Auch in den staatssozialistischen Gesellschaften nahm der Staat eine ökonomisch zentrale Position ein. Er war auch hier der Ort der Karrieren, der Bildung von Machtallianzen, der Entscheidungen über Investitionen W1d die Basis des Erwerbs jenseits der bloßen Subsistenz. So ist in allen sozialistischen !i Gesellschaften, gerade aber in der Sowjetunion, der Staat als Modernisieret . aufgetreten. Neben der lnwertsetzung von Boden und Arbeit - wenn auch unter »sozialistischen« Bedingungen - gehört in das konfliktträchtige Repertoire des modernisierenden Staates auch hier die Umsiedlung ganzer Bevölkerungsgruppen, die Errichtung von Infrastrukturen und die zwangsweise Integration in die staatlichen Institutionen wie Schule und Militär. 11 4 Im Grad der Verstaatlichung der Gesellschaft zeigen sich jedoch deutliche Unterschiede. Nicht nur an Schulbesuchsraten und dem Umfang von Zwangsdiensten in Militär und sonstigen Einrichtungen, sandem auch im Ausmaß der Kontrolle der sozialen Mobilität lässt sich die starke Präsenz des Staates in den sozialistischen Gesellschaften erkennen. Die Rigiditäten, die durch die Kontrolle und ihre bürokratische Logik entstanden, hatten legitimitätsmindernde Effekte. Staatliche Herrschaft desinstitutionalisierte sich und zerfiel in die bloße Macht, über die DrohW1g mit Repression und Exklusion Fügsamkeit zu erzeugen. Die Basislegitimität, durch ihr Gewaltmonopol Sicherheit vor physischer Gewalt zu bieten, ging ihnen gleichwohl nicht verloren. Parallelen zum Typus Krieg im Entwicklungsstaat lassen sich ebenfalls in den Verläufen konstatieren. Auch in den pet-ipheren sozialistischen Staaten ergab sich, bedingt durch ihre sich verschärfende Position als Vermittler zwischen innerer Dynamik und den äußeren Bedingungen des Weltmarkts, ein nachlassender Fluss von Ressourcen durch zentralstaatliche Kanäle. Die nach.lassende Bedeutung des Staates für die Siche!W1g des Lebensunterhalts bzw. für die Erfüllung der sich differenzierenden Erwartungen waren der Hinter: grund der wirtschaftlichen Informalisierung die ab den 1970er und 1980er ;Jahren in allen sozialistischen Staaten deutlich zunahm.
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114 Diese der Vollzugsform-nicht jedoch ihren Wirk'lmgen nach- andere Modenlisierung und die mit ihr verbundenen Dislozierungen im realexistierenden Sozialismus (vgl. Sapir 1996, Hoffer 1992, Maier 1999) werden in der Betrachtung der kriegsursächlichen Prozesse der Region vielfach unterschätzt (vgl. etwa Snyder 1993).
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Parallelen zum Neopatrimonialismus finden sich bei diesem Ktiegstyp vor allem im Resultat. Analog zu den Akkomodationsproblemen etwa in neopatrimonialen Staaten, die dort seit den 1980er Jahren verstärkt auftraten, entwickelten sich auch in den peripheren sozialistischen Staaten verstärkt Machtkämpfe unter den Patronen und ihren Gefolgschaften. Je weniger die Verteilung und »Unterbringung« im staatlichen Apparat zur Sicherung der eigenen Machtposition dienen konnte, desto wichtiger wurde die Ausnutzung von Chancen der Machtbildung außerhalb dieses Bereichs, zumal sich nun auch in dieser Sphäre Herausforderer staatlicher Herrschaft zu formieren begannen. Nach dem Ende der Sowjetunion 1991 wurde das Personal der Gewaltapparate in diese politischen Konkurrenzen um die Aufteilung der Positionen in den neuen Staaten mit hineingezogen. Der Prozess umfasste die Auflösung von Armeen in lokale Einheiten und Verselbständigungen von Armeeteilen, die Bewaffnung von Milizen, kurz, die ganze Bandbreite der Phänomene der Privatisierung von Gewalt. 115 Viele der besonderen Momente der ehemals staatssozialistischen Gebiete kehren in den Resultaten der Kriege wieder. Überall dort, wo vor kriegerischen Eskalationen ein relativ hoher Grad der Vet-staatlichung der Gesellschaft erreicht worden war, fiel die Demobilisierung und Nachkriegsakkomodation der Gewaltexperten leichter, staatliche Strukturen waren, wie in Kroatien oder Moldawien, auch im Verlauf des Krieges nicht gänzlich zerfallen und ließen sich rekonstruieren. Der einmal erreichte Grad der Bürokratisierung von Herrschaft erleichterte die Reorganisation staatlicher Herrschaft nach den Konflikten des Übergangs. Ebenso kehren nun in den Kulten um Präsidenten und in den Aktivitäten der Regierenden im informellen Sektor Merkmale des Regierens wieder, die bereits in den letzten Dekaden vor dem Zerfall der sozialistischen Ordnung erkennbar waren. In einigen Nachfolgestaaten Jugoslawiens, vor allem aber in den südlichen Staaten der GUS haben sich so Patrimonialisierungsprozesse ereignet, wie sie auch in der Phase im Anschluss an die Dekolonisation in Asien oder Afrika zu beobachten waren (vgl. Dufaux/Gervais-Lambony 1994). In vielen Teilen der ehemals »sozialistischen« Welt markierte diese Entwicklung das Ende der einheitlichen Gebietsherrschaft und den Beginn einer »Refeudalisierung« (Hobsbawm 1995: 598), nämlich die Auflösung des zentralen Herrschaftszusammenhanges und die Patrimonialisierung der lokalen Bestandteile. Mit zunehmendem Abstand zur alten Ordnung nähern sich die Fraktionierungen und Konstellationen denen in anderen Transformationsländern an. 115 Vgl. hierzu Volkov (2000); Bougarel (1996) und Favarei-Garrigues (1999).
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Das Resultat dieser Kriege war wiederum eine Staatsgründungswelle, wobei indes wie im Falle der Dekaionisation in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, die meisten neuen Staaten ihre Unabhängigkeit ohne gewaltsamen Massenkonflikt erlangten. Die kriegerische Staatsbildung, wie sie auf dem Balkan stattfand, führte nun allerdings ein weit höheres Maß an Internationalität mit sich, weil die Instabilität der neuen Staaten in Zeiten des humanitären Interventionismus zu einem wachsenden Engagement internationaler Agenturen, staatlicher wie nicht-staatlicher, führte. l Unter den veränderten weltpolitischen Gegebenheiten zu Beginn der heunziger Jahre zeigen gerade die Kriege in peripher-sozialistischen Staaten 'eine jüngere Dynamik am deutlichsten: die Internationalisierung von Herr1schaft im Gefolge von Kriegen. In Südosteuropa ebenso wie in den Nachfoligestaaten der Sowjetunion hat sich ein Kranz von externen Akteuren um die !Versuche der Staatsbildung gelegt. In einigen Fällen, wie in Bosnien und im iKosovo, ist das internationalisierte Geflecht von Agenturen sogar zum Gravi' :tationszentrum der jüngeren Herrschaftsdynamik geworden. Voraussetzung dieses Internationalisierungschubes ist indes nicht allein die Tatsache, dass nach dem Ende des Ost-West-Konflikts die Bereitschaft der Staaten gewachsen ist, sich auf diese Engagements einzulassen und il1ren eigenen Sicherheitsapparaten auf diese Weise ein neues Aufgabenfeld zu sichern. Mindestens ebenso bedeutsam ist der gestiegene Erwartungsdruck von außen, wie von innen. Die post-sozialistischen Staaten, in denen der Übergang kriegerisch verlief, stehen vor einer dreifachen Transformationsaufgabe: Zur Aufgabe der Demokratisierung und Deregulierung der staatlichen Ökonomien kommt außerdem die Anforderung, die Folgen des Krieges zu überwinden. Das Ausmaß dieser dreifachen Aufgabe lässt den Machtgruppen keine Alternative zur Einbeziehung externer Akteure in die Regulierung dieser Problemlagen.
3.2.6 Zwischenstaatliche Kriege Zwischenstaatliche Kriege nehmen im Kriegsgeschehen nach 1945 nur eine untergeordnete Rolle ein. Die geschilderten politischen Formationen übergreifend traten sie vor allem dort auf, wo tradierte Rivalitäten oder neue politische Gegensätze zwischen postkolonialen Staaten nicht durch den Ost-West-Konflikt eingehegt wurden. In diesen Kriegen setzen sich überkommene Muster politischen Verhaltens fort, die aber an den Institutionalisierungen des internationalen Systems und an der Dysfunktionalität des Staatenkrieges ihre Grenze finden (vgl. Mueller 1989).
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Die Kontinuität zwischenstaatlicher Kriege 116 erklärt sich vor allem durch die globale Verallgemeinerung staatlicher Handlungslogik in den Außenbeziehungen des Staates. Diese »Staatsräson«, deren Genese mit der des neuzeitlichen Staates in Europa einhergeht, und die um die Kateg01'ien Macht, Territorialität und Souveränität zentriert ist, hat die politischen Beziehungen zwischen den Staaten Europas Jahrhunderte lang geprägt. Im Zuge der Verstaatlichung der Welt hat sie sich in allen Erdteilen mit anderen Vorstellungen des Politischen vermengt und sich an ältere Begründungsmuster der politischen Macht angelagert. Die Logik der Staatsräson wurde somit ebenfalls handltmgsleitcnd für die zwischenstaatlichen Kriege der Dritten Welt. In den politischen Habitus der Staatoberhäupter der Weltgesellschaft, in ihren Wahrnehmungsweisen und Vorstellungswelten, finden sich immer komplexe Mischungen traditionaler Werte und moderner Handlungsmodi. Das Ideal des charismatischen Kriegers kommt darin ebenso vor wie die Inszenierung des Staatsmannes als >>Mann der Wirtschaft«. Die Elemente der Staatsräson sind damit vollständig kompatibel, auch sie schließt die Anwendung organisierter Gewalt durchaus mit ein. Zu diesen Elementen 117 gehört die Politisierung des Raumes im Sinne der Territorialität: Die Bedeutung eines politischen Verbandes und damit das Prestige ihrer Herrschaftsführer hängt dieser Logik gemäß direkt von der Größe der kontrollierten Fläche ab. Die Abwehr der Gef.1hrdung territorialer Einbußen ist ebenso ))Aufgabe« des Staates wie die Ausnut7.ung von Chancen zu seiner territorialen Erweiterung. Die zentrale Kategorie dieser politischen · Weltwahrnehmtmg ist gleichwohl der Begriff der Macht: In der Praxis und im Denken der Staatslenker fließen das Interesse am Erhalt der eigenen Position und die auf den Staat übertragene >>Ehre« 118 als Wertorientierung ineinander und verdrängen andere politische Zielsetzungen. In der keineswegs unbegründeten Annahme, die Lenker anderer Staaten würden in ähnlicher Weise denken
116 Dabei handelt es sich um 27 der insgesamt 204 Kriege zwischen 1945 lUld 2000. An 14 dieser Kriege waren die regionalen Großmächte C!Una, Israel und Indien beteiligt, die restlichen verteilen sich n~enswert~ sig;ufikanz auf die Weltregionen. Bedeutsam ist indes auch die Abnahme des Anteils zwischenstaatlicher Kriege an der Gesamtzahl der jährlich geführten Kriege. So war das Jahr 1993 das erste Jahr ohne einen rein zwischenstaatlichen Krieg. Ihre abnehmende empirische Bedeutung steht in gcnau umgekehrtem Verhältnis zu der Aufmerksamkeit, die sie bis in die jüngste Vergangenheit in der Forschung der Internationalen Beziehungen erhalten. 117 Zur Genese und Wirkung dieser Logik vgl. Krippendorff (2000), Ruggie (!993), Badic (1995). Bartelsen (1995), Kunisch (1987) und die Ausführungen zur Idee des Staates im ersten Teil . dieser Arbeit. 118 Zur Rolle der sozialen Ehre in der Modeme vgl. Tenbruck (1989), zur ihrem Wiedereintritt in die staatliche Handlungslogik vgl. die Ausführungen zu la.~loire bei Krippendorff (2000).
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und handeln, wird die Logik der Mächte auch zum Interpretationsrahmen der Beziehungen zwischen Staaten. Nicht das idealistische Streben nach breiter Kooperation, sondern der Versuch, stabile Bündnisse in einem kompetitiven Kontext zu errichten, bestimmt die bilateralen Beziehungen. 119 Ein letztes konstitutives Element der Logik des Staates ist schließlich die 'Idee der Souveränität, der exklusiven Alleinkompetenz des Staates nach innen wie nach außen. Diese Kompetenz erstreckt sich keineswegs nur auf die Frage des Gewalteinsatzes, sondern umgreift die Berechtigung zur Regelsetzung und -durchsetzung ganz allgemein.12o Dass diese Vorstellungen für das politische Handeln in den Regionen der Dritten Welt bedeutsam wurden, hat seinen Grund darin, dass die Sozialisation in den anstaltsstaatlichen Institutionen des Kolonialstaates und ihren postkolonialen Fortsetzungen, in Bürokratie und Militär, auch für die Mentalitäten und Weltwahrnehmungen staatlicher und politischer Akteure prägend wurden. Aufliegend auf den älteren Vorstellungen des Politischen, die um das Konzept der sozialen Ehre zentriet't sind, ist das Ideal der modernen Staatlichkeit auch für das außenpolitische Handeln der postkolonialen Herrschaftsgruppen zur dominanten Orientierung geworden. Eingerahmt und teils eingebunden waren die zwischenstaatlichen Konflikte seit dem Zweiten Weltkrieg jedoch in eine internationale Sicherheitsarchitektl1r · aus Bündnissen und Regimen, die erheblich zur Einhegung dieser Konflikte beigetragen hat. Dieser Effekt kommt unter anderem darin ,zum Ausdruck, dass zwischenstaatliche Kriege nach 1945 sich durch eine signifikant kürzere •Dauer auszeichnen und überaus häufig durch die Vermittlung internationaler Organisationen beendet werden konnten. Diese Rolle spielten indes nicht nur die rein sicherheitspolitischen Zusammenschlüsse, sondern in besonderem Maße auch die regionalen Organisationen wie die OAS oder die OAU. Die Internationalisierung und Militarisierung, die sich in vielen innerstaatlichen Kriegen durch ihre Aufladung durch den Ost-West-Konflikt ergeben hat, ist auch flir zwischenstaatliche Beziehungen relevant geworden. Sicher wird die 119 Es sei daran erinnert, dass die Zivilisierung der zwischenstaatlichen BeziehWlgen, wie sie sich etwa im europäischen Birutenraum, in den transatlantischen BeziehUllgen oder im südamerikanischen Subkontinent ergeben hat, ein junges Ergebnis der Interaktion zwischen Staaten ist. Die sich hierin zeigende ÜberwindWlg der Staatsräson ist aber weder vollständig noch irreversibel. 120 Es ist diese Logik außenpolitischen Handelns, die den Realgrund des Realismus als Theoretisierungsversuch internationaler BeziehWlgen bildet. Mit der historischen Entstehung dieser Logik und ihrer nachlassenden Prägekraft entsteht und vergeht der Zeitkern des Versuchs ihrer VerwissenschaftlichUl\g. Die Plausibilität des Realismus beruht auf der Persistenz der ihm korrespondierenden Praktiken in der internationalen Politik, wie sich etwa im Wettstreit um regionale Vorherrschaften in der postkolonialen Staatenwelt beobachten lassen.
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stets präsente Möglichkeit, dass zwischenstaatliche Konflikte sich durch Bündnisbindungen zu einem globalen Konflikt ausweiten, auf viele Akteure eine disziplinierende Wttkung gehabt haben. Teils aber hat der Ost-West-Konflikt als äußere Bedingung regionale Machtkonflikte aber auch Bündnisdynamiken in Gang gesetzt, wie in det;t siebzigerund achtziger Jahren im Nahen Osten (vgl. Steinbach 1986), die den klassischen Regeln der internationalen Politik zwischen Staaten entsprachen und wesentlich zur Verhärtung der Frontstellungen beitrugen. Ebenso wenig wie das innerstaatliche Kriegsgeschehen lassen sich daher die Kriege zwischen Staaten als Ergebnis der bipolaren Konstellation im internationalen System interpretieren. Nur in wenigen Fällen, wie etwa in Angola oder nach 1980 in Afghanistan, waren regionale Mächte mit mehr oder weniger offener Unterstützung der Supermächte in lang anhaltende zwischenstaatliche Auseinandersetzungen verwickelt. Insgesamt spielten machtpolitische Ambitionen, insbesondere der Wunsch nach regionaler Vorherrschaft als ein Ausfluss staatlicher Handlungslogik eine weitaus bedeutendere Rolle für das Vorkommen und die Dynamik zwischenstaatlicher Kriege nach 1945.
3.3 Die Resultate der Kriege und die Zukunft des Gewaltmonopols Aus der vergleichenden Betrachtung der unterschiedlichen Typen des Kriegsgeschehens nach 1945 wird deutlich, dass ihre Wirkungen auf die Dynamik des Staates uneinheitlich sind. Grob lassen sie sich so zusammenfassen, dass durch die Bedingungen der umgebenden internationalen Politik Staatlichkeit formal geförde11 wurde, dass aber äußere und innere Dynamiken der Ausbildung des aus der europäischen Geschichte bekannten Mechanismus der Verdichtung der Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft durch die Wirkungen des Krieges entgegenstanden. Während die kriegerischen Konflikte zwar eine Militarisierung bewirkten, so hat diese Militarisierung jedoch nicht den Ausbau staatlicher Herrschaft bedeutet. Das Wachstum der staatlichen Gewaltapparate korrespondierte nicht mit einem Ausgreifen des staatlichen Gewaltmonopols, sondern mit der Internationalisierung von Herrschaft. Vier Zusammenhänge standen und stehen der Monopolisie1ung der Gewalt entgegen. Sie lassen sich als vier Mechanismen identifizieren und bett-effen mehrere Themenkomplexe, nämlich die Transformation der bewaffneten Akteure (a), die von Kriegen induzierten sozialen und politischen Veränderun-
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(gen (b), neue sich stabilisierende Gewaltordnungen (c) tmd schließlich die Unternationalisierung von Herrschaft (d). a) Eine Befriedung der Regionen der Dritten Welt wurde bisher nicht erreicht. Abgesehen von Ostasien, einer Region, die nach 1960 keine hiegerische Gewalt mehr erlebt hat, hat sich in den Staaten der Dtitten Welt ein hohes Niveau der politischen und kriminellen Gewalt erhalten. In allen anderen Regionen ist das Niveau politischer Gewalt unverändert hoch, in Einzelfällen, wie im Sudan., in Kolumbien, in Myanmar, in Angola und Afghanistan hat sich die kriegerische Gewalt sogar über Jahrzehnte verstetigt. Die Dynamiken des Krieges haben, so ein genereller Eindruck aus der Übersicht über das Kriegsgeschehen nach 1945, nicht zu einer Verdichtung staatlicher Hen-schaft und zur Festigung staatlicher Gewaltmonopole geführt. Eher scheint ein Prozess der Diffusion der Gewalt beobachtbar zu sein: Wahrend die organisierte Gewalt zwischen Staaten deutlich zurückgeht, wächst das Ausmaß der privatisierten und »kleinen« politischen Gewalt.121 Für diese Persistenz det: Gewalt lassen sich Erklärungen angeben, die sich auf die spezifischen Probleme von Nachkriegssituationen beziehen. Mit dem Ende jedes Krieges ist zunächst einmal unmittelbar das Problem der Tt:ansfonnation von gewaltetfahreneo Gruppen gegeben: Die Beendigung eines Kt.i.eges kann nur dauerhaft sein, wenn die Umwandlung gewalterfahrener Gruppen in reguläre politische Akteure gelingt. Dabei sind die Konfliktlinie zwischen politischem und militärischem Personal., die Wirkungen von Verhandlungen auf innere Verfasstheit bewaffneter Gruppen sowie die Probleme der Integrntion bewaffneter Gruppen in Nachkriegsgesellschaften die zentralen Problemkomplexe der Kt.iegesbeendigung und Friedensregelung. 122 Wo die Eingliedet:ung des politisch-milität.ischen Personals - gerade det: »Leitungsebene«- in zivile Vet:hältnisse nicht gelingt, dort gelingt auch die Monopolisierung der Gewalt nicht. Stattdessen bleibt der Krieg vit:ulent. Das Problem der Zivilisierung betrifft aber nicht nur die Anführer staatliehet wie nicht-staatlicher Gewaltverbäode: Nicht nur das politische Personal, sondern auch die oft in die Tausende gehende Zahl der Kämpfer brauchen Zukunftschancen. Nur wenn die Nachkriegssituation gleiche oder mehr Chancen auf soziale Besserstellung und Realisiet:ung det: Lebensentwürfe bietet, geben die Kämpfet: die Gewalt auf. Sonst bleibt ihnen inunet: noch die Option der Fortsetzung des Krieges, nötigenfalls untet: neuer Leitung. Entwaffnungen bleiben immer unvollständig, große Mengen kleiner Waffen sind auf dem 121 Diese Aussagen sind natürlich in gewissem SUme »impressionistisch<<. Übet die Zunahme der »kleinen Gewalt« gibt es nur Indizien aus wenig verlässlichen staatlichen Statistiken (vgl. Schlichte 2005b; Kurtenbach 2000: 119). 122 Vgl. zu diesem Themenbereich Genschel/Schlichte (1997) und King (1997).
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Weltmarkt ohne Mühen zur Nachlieferung erhältlich. Jede Verschiebung der prekären Machtbalance in der Nachkriegssituation kann den Wiederbeginn des Krieges bedeuten, wie die Beispiele Angola und Kongo belegen. Faktisch ist deshalb jede Nachkriegssituation von einer Kontinuität der Gewalt geprägt. Kriminalität, aber auch gewaltsame Übergriffe in der Politik bleiben an dh. Tagesordnung. Ein effektives Gewaltmonopol ist in Nachkriegssintationen immer erst nach Jahren erreichbar. Die gleichsam natürliche Reaktion gegen diese Erscheinungen ist in Nachkriegssituationen deshalb die Aufblähung der Gewaltapparate, um möglichst viele Gewaltexperten unterzubringen. Weil diese Lösung jedoch langfristig zu kostspielig ist, bleiben Gewaltniveaus in Nachkriegsgesellschaften lange hoch. Die mangelhafte Lösung des Akkomodationsproblems führt deshalb häufig zu Folgekriegen. Die Diffusion der Gewalt als privatisierte und kriminelle Gewalt, das langfristig erhöhte Gewaltniveau und die Militarisierung des Politischen sind deshalb die deutlichsten Wttkungen der innerstaatlichen Kriege auf die Form der politischen Herrschaft in der Dritten Welt nach 1945. b) Jede Kriegsbeendigung ist schon deshalb schwierig, weil sich im Krieg jede Gesellschaft beschleunigt verändert. Im Krieg härten kollektive Fremd- tmd Se/bst~fUChreibttngtll aus, sie werden nach dem Krieg zum Problem bei der Verregelung und zum Hindernis sozialer Mobilität. Auf wohl kaum kalkulierbare Weise werden im Krieg neue Bindungen geschaffen, Versatzstücke alter und neuer Bindungen verbunden, wieder belebt, verformt. Im Krieg, so ließe sich mit Bourdieu formulieren, steigt der Tauschwert von sozialem Kapital, denn nun sind es eher persönliche Beziehungen, die über Chancen entscheiden. Im Krieg kommt es außerdem immer zu großen Umverteilungen von ökonomischem Kapital. In den Augen der Bevölkerung bleiben die kt-iegsbedingten Vermögenszuwächse jedoch fragwürdig, so dass auch diese Umverteilungen die Nachkriegsordnung potentiell delegitimieren. Die Legitimität staatlicher Herrschaft ist nach dem Krieg also schon deshalb schwierig wieder zu erlangen, weil sich in Nachkriegssituationen politische Probleme massieren. So wie viele Ansprüche von Kombattanten auf Laufbahnsicherheit und materielle Besserstellung unbefriedigt bleiben müssen, so verstetigen sich durch die Erfahrungen in innerstaatlichen Kriegen auch Stereotypisierw"tgen zwischen Bevölkerungsgruppen und gegenüber den staatlichen Gewaltapparaten. Innerstaatliche Kriege schaffen zudem keine Schicksalsgemeinschaften, an denen sich kollektive Identifizierungen mit dem Staat ausbilden. 123 Kosten und
123 Eine Ausnahme bilden hierbei natürlich Staatsbildungskriege, wie sie etwa die Dckolnnisationskriege darstellen, aber auch solche Kriege der erfolgreichen Sezession.
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Gewinne sind in innerstaatlichen Kriegen ungleich verteilt und schaffen langfristige Ungleichgewichte zwischen Bevölkerungsgruppen. In innerstaatlichen Kriegen bilden sich immer zum Staat alternative Überlebenseinheiten. Daraus entwickeln sich Erfahrungsräume, die die Ausbildung von Loyalitäten gegenüber staatlichen Institutionen zunächst vermindern. Nicht die als »Patriotismus« auftretende Substantialisierung politischer Zugehörigkeiten oder der Glaube an die Superiorität staatlicher Organisation wirkte loyalitätsbildend, sandem die Zugehörigkeit zu familialen und ethnischen F01men sozialer Organisation, die sowohl vergemeinschaftende wie vergesellschaftende Elemente aufweisen. Diese Loyalitäten sind durch die Erfahrungen der Kriege nicht gleichsam automatisch aufgebrochen, sondern in vielen Fällen eher vertieft worden. Die durch den innerstaatlichen Krieg hervorgerufenen Verwerfungen mögen zwar gelegentlich insofern »zivilisierend« gewirkt haben, als sie die Risiken und Kosten innerstaatlicher Kriege ins kollektive Bewusstsein gerückt haben.t24 In den weitaus überwiegenden Fällen hat die Erfahrung innerstaatli: eher Kriege jedoch weder ein höheres Maß staatsorientierter Loyalität bewirkt, · noch hat sie etwas daran geändert, dass physische Gewalt als Medium des sozialen Aufstiegs und als wenn auch riskante politische Option betrachtet wird. Das staatliche Gewaltmonopol wird deshalb nicht als Errungenschaft und als politisch wünschenswert empfunden, sondern als Verstetigung der Strafe durch die Sieger, zu der nötigenfalls auch bewaffuete Gegenmacht aufgebaut werden muss. Gerade in den Fällen, in denen sich nach langen Kriegsphasen ein Übergang zu friedlicheren Verhältnissen ergeben hat, ist das Ergebnis nur eingeschränkt als Institutionalisierung von Macht, also als Wiedererlangung staatlicher Henschaft zu begreifen. Was dort stattfindet, ist meist entweder die Festschreibung der Machtverteilung am Ende des Krieges, wie nach dem Bür. gerkrieg im Libanon, oder eine Form internationalisierter Herrschaft, in der ;dem Staat nur noch Restbereiche seiner einstigen Zuständigkeiten belassen werden, weil internationale Agenturen sich Aufgaben des Staates aneignen und sich mit staatlichen Agenturen zu einem in sich konfliktiven Herrschaftskomplex verbinden. Demokratisierungen dieser Verhältnisse sind ausgesprochen prekär und meist nur unter auswärtigen Gewaltgarantien herstellbar. iJ\ c) Statt einer Monopolisierung der Gewalt sind in Nachkriegssituationen t~,eute zwei Dynamiken erkennbar, die sich unter dem Oberbegriff der Privati! Simmg der Gewalt summieren lassen. Diese äußert sich einerseits als Kommerzi~· alisierung, etwa durch den Rückgriff auf private Sicherheitsdienste, und ande-
124 Dies wird etwa für die Geschichte Nigerias nach dem Biafra-Krieg behauptet, vgl. HanleitSievers (1992: 21 Off.)
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rerseits als Kommunalisierung der Gewalt, in der Form von mobjustit'e und Vigilantismus. Das öffentliche Gewaltmonopol wird ersetzt - oder besser gesagt, es findet vor seiner Verwirklichung einen Ersatz in anderen Fotmen der Gewaltordnung (vgl. Schlichte 2000b; Schlichte/Wilke 2000). In vielen Staaten lässt sich so eine Bifurkation der Sicherheitssysteme beb~ bachten. Die Kommodifizierung von sozialen Diensten und der Gewaltkontrolle steht die Kommunalisierung der gleichen ehemaligen Staatsfunktionen gegenüber - privatwirtschaftliche Ges1.mdheitsdienste und private Erziehungsinstitutionen für jene, die sich an den oberen Enden der Akkumulationsketten befinden, kommunitäre Selbsthilfe für die Mehrheit der Regierten am anderen Ende. Überspitzt ließe sich formulieren: Private Sicherheitsdiens"te. sichern die ökonomisch bedeutsamen Zonen und die Wohnviertel der politi-1 sehen Klasse gegen kriminelle Übergriffe, mob jJtstice und Sparvereine müssen inl den Armutsvierteln und auf dem Lande die 1\ufgaben erfüllen, deinem traditi-; onellen Verständnis nach dem Staat zufielen. d) Nachkriegslösungen sind immer prekär. Deshalb hat der Problemdruck der Nachkriegssituationen nach 1945 in zunehmenden Maß zur Internotionalisiemng von Hemchqft geführt. Während der Form der Intervention durch fremde Staaten nichts Neues innewohnt, so lässt sich für den Zeitraum nach 1945 doch eine qualitative Veränderung der Internationalisierung bewaffneter Konflikte beobachten. In den Dekolonisationskriegen gab es keine koordinierte internationale Intervention, und auch in den Jahrzehnten des Ost-West-Konflikts waren internationale Organisationen nur marginal an der Verregelung von Kriegen beteiligt (vgl. Bettrand 1995: 40-43). Erst mit dem Ende der OstWest-Konfrontation ergab sich die Möglichkeit, die Lösung von Nachkriegsproblemen als internationales Politikfeld zu etablieren. Diese Praxis hat lange historische Wurzeln. Denn auch die imperialistischen Einzeldoktrinen lassen sich durchaus als frühe Programme der Verbreitung bestimmter politischer Modelle interpretieren. So sind die offene und verdeckte koloniale Expansion und die Sicherung von Einflusssphären mit ihren programmatischen Fassungen, wie etwa in der Monroe-Doktrin, solche Phasen der Internationalisierung gewesen. Sie lassen sich, ebenso wie ihre post-kolonialen Nachklänge, nicht als rein interessegeleitet deuten. 125 Von diesen kolonialen Phasen und ihren Nachklängen ist eine zweite Phase am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts abzugrenzen, die sich als hmnanitärer ln_!~~~~.9~~~us ausgeprägt hat. Auch diese Politik lässt sich nicht durch
125 Vgl. Schlichte (1998b) zur Analyse der französischen Afrikapolitik in diesem Sinne. Die dortige Argumentation ist auch auf andere transstaadiche politische Räume anwendbar, etwa auf die Beziehungen der USA zu Mittelamerika.
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machtpoliti~che Interessen der beteiligten Einzelstaaten erklären (vgl. Hasenclever 2001; Radtke/Schlichte 2004). Denn wenn auch einzelne politische
Absichten, etwa die Vermeidung von Flüchtlingsbewegungen oder die Sicherung von Verkehrswegen und Marktchancen für einzelne Entscheidungen im Rahmen dieser Politik eine Rolle gespielt haben mögen, so lässt sich ihr Zustandekommen w1d ihre Funktionsweise nicht als rein strategisches Handeln erklären. Vielmehr treffen sich auch hier die institutionellen Interessen der Nichtregierungsorganisationen und der Sicherheitsapparate mit dem moralischen Impuls weiter Öffentlichkeiten. Aus diesen Interessen und Odentierongen ergibt sich die »moralische Ökonomie der internationalen Gemeinscl1aft«, in der sich die älteren Ideen der >>Entwicklung<< mit neuen der »Zivilisierung<< zu handlungsleitenden Komplexen verbinden (vgl. Pouligny 2001). Doch dies ist nicht allein das Resultat der Kriege. Nur im Verbund mit anderen Veränderungen verschieben sich die politischen Praktiken im Umgang mit bewaffneten Massenkonflikten. Die Internationalisierung von Herrschaftszusammenhängen ist zugleich ursächlich bedingt durch Veränderungen in der internationalen Politik. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts hat sich auch die Gewaltordnung im internationalen System verändert - die internationale Politik reagiert anders auf zwischen- und innerstaatliche Gewalt. Die dominante liberale Weltsicht macht massive Menschenrechtsverletzungen zum Thema und entzieht mit dem Verweis auf die universelle Geltung der Menschenrechte den Einzdstaaten die alleinige Zuständigkeit für die Setzung und Observanz rechtlicher Standards (vgl. Czempid 1991: 33ff.). Die Beachtung der Weltstaatenordnung und die Durchsetzung der Menschenrechte sind damit zum legitimierenden Argument für einen »humanitären lnterventionismus<< geworden, der sich nicht unbedingt an die gewohnheitsrechtliehen Bestimmungen des Völkerrechts hält (vgl. Weber 2000), und der auch die alten Muster der regionalen Aufteilung der Interventionen westlicher Staaten auflöst. Im Rahmen des neuen Interventionismus fanden auch die ersten US-amel'ikanischen Interventionen statt, die sich zuvor, noch im Kontext des Ost-WestKonflikts, auf die Regionen Lateinan1e1'ika und Südostasien beschränkt hatten.126 Gleichermaßen ist die alte Generalzuständigkeit der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich im subsaharischen Afl'ika nicht mehr in gleicher Weise gültig. Das institutionelle Interesse von Sicherheitsagentureil des Wes-
126 Die Kriegsbeteiligungen der USA verteilen sich wie folgt: in Lateinamerika Guatemala 1954; Dominikanische Repubük 1965; Grenada 1983; Panama 1989; in Südostasien: Korea 19501953; Taiwan 1954; Vietnam 1957-75; lndonesien 1958-1961; Laos 1963-1973; Kambodscha 1968-1975. Im Rahmen des neuen Interventionismus nahmen die USA an den Kriegen in Bosnien, Kosovo, Irak und Somaüa teil.
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tens - die Suche nach neuen Aufgaben zur Legitimierung der Existenz - speist die Bereitschaft des auch militärischen Engagements zusätzlich. An diesen vier Hauptdynamiken, die aus den Transformationsproblemen von Kriegsgesellschaften, aus den politischen Verschiebungen im Krieg und aus der Internationalisierung von Herrschaftszusammenhängen resultier~l't, wird ersichtlich, dass das Ende des Kl.ieges immer seltener der Beginn oder die Wiedereil"ichtung von Staaten ist. Gleichwohl fmden sich zu dieser Behinderung des Ausgreifens staatlicher Herrschaft durch Krieg auch gegenläufige Tendenzen. Die Wirklichkeit des Krieges hat etwa die staatliche Grundordnung der politischen Welt wenigstens in den Augen staatlicher Akteure nicht in Frage gestellt. Überall breiteten sich mit der Idee von Staatlichkeit auch die bekarmten Muster »staatlicher Handlungslogik« aus. In dieser Staatsräson verbinden sich Elemente universal vorfmdlicher Machtpolitik mit den Merkmalen der spezifischen Form des Staates wie Territorialität, der Nationsidee und der. Verfügung über institutionalisierte Gewaltapparate. Die Wahrnehmung von Gefährdungen der jeweils eigenen Machtposition als Systemgefahrdung, die Abwägung von Handlungsoptionen in der staatlichen Logik und ~chließlich auch die Gewaltbereitschaft und Legitimierung des Gewalteinsatzes als »staatliche Ordnungsmacht« - all dies sind Figuren der »Staatsräson«, die sich in ·inner- wie zwischenstaatlichen Kriegen bei nahezu allen staatlichen Akteuren nachweisen lassen. Mit dieser Ideenwelt verbinden sich auch die Vorstellungen und Selbstwahrnehmungen militärischer Akteure als »Hüter der Nation« zu einer analogen, aber gesonderten Logik. Eine weitere, die Idee des Staates stützende Dynamik hat sich mit der Pra- · xis ergeben, im Rahmen der internationalisierten Herrschaft nach lnterventio-' nen in Kriegen klassische staatliche Institutionen zu errichten. Ob aus den durch äußere Macht gestützten Regierungen, Parlamenten und Rumpfbehörden indes eine Dynamik ausgeht, die sich als Eigendynamik staatlicher Herrschaft von ihren Ursprungsbedingungen emanzipieren kann, ist fraglich. Die Verstetigungstendenz der gegenseitigen Abhängigkeiten in den analogen Bereichen der Entwicklungspolitik und dem internationalen Schuldenmanagement lassen das nicht wahrscheinlich erscheinen. Es gibt in diesen Feldern eine Tendenz zur Ar~tierung von Interessenkoalitionen, die von großen internationalen Diskursen gestützt werden. In diesen Interessenkoalitionen verbinden sich die institutionellen Eigenlogiken von Hilfswerken, internationalen Organisationen und lokaler Macht zu einer Figuration, die an der Etablierung eines autonomen Staates eben kein Interesse mehr haben kann. Das Dilemma von Gewalt und Organisation wurde durch die Intenurionalisierung der Kriege in der Dritten Welt nicht gelöst, sondern der Tcndc-!u: nach eher verschärft. Denn eine Konsolidierung staatlicher Ht•rrschair •.>
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gar eine zivile, demokratische Ko11trolle der staatlichen Gewaltapparate ist bisher nicht das Ergebnis dieser Dynarniken. Es erscheint wenig wahrscheinlich, dass sich dies mittel- oder kurzfristig erreichen lässt. Denn die Ausdifferenzierung eines autonomen staatlichen Bereichs, der dann auch die Grundlage bildet für Institutionen, die soziale Konflikte vermitteln können, ist abhängig nicht nur von bereits erreichten Institutionalisierungen innerhalb eines Staatsgebiets und in seiner internationalen Umgebung, sondern auch von Prozessen der sozialen Differenzierungen und der Ausbildung von transnationalen Opportunitäten. Die bürgerlichen Gehalte der kapitalistischen Modeme, zu denetl auch die zivile Kontrolle des staatlichen Gewaltmonopols gehört, resultieren aus politischen Auseinandersetzungen. Sie sind nicht das selbstverständliche Ergebnis ,von Modernisierungsprozessen. Vieles deutet darauf hin, dass es mit der Verwirklichung der bürgerlichen Freiheiten allein nicht getan ist. Die größere Herausforderung ist die Verregelung der sozialen Frage, di~ sich in den Übergangsgesellschaften, genau wie in der europäischen Erfahrung, als der ent[scheidende Motor iru1ergesellschaftlicher Gewalt erweist. Denn nicht die Herstellung von Verfahrenslegitimität allein, sondern die Leistungsf:ihigkeit des modemen Staates als Distributions- und Redistributionsinstanz sind Errw1genschaften, die sich aus der europäischen Erfahrung als notwendige funktionale Korrelate der Gewaltmonopolisierung nach innen und nach außen ableiten lassen. 127 Solange es nicht gelungen ist, diese Frage zu lösen, werden sich auch die Diskussionen um die Architektur einer g/obal!!tJVemance als gegenstandslos el"weisen. Denn die Zusammenhänge internationalisierter Herrschaft reichen nicht hin, um in Bezug auf die pazifizierende Wirkung staatlicher Herrschaft ein funktionales Äquivalent zu bilden. Offenbar ist die Ausbildung eines solchen Gewaltmonopols voraussetzungsreicher. Denn so fundamental der Zusammenhang von regelhaftet Besteuerung und militärischer Organisation, von Bürokratisierung und militärischen Organisationserfordernissen ist, so wenig lässt sich die ganze Entwicklung moderner Staatlichkeit mit diesem einen Zusarnn1enhang erklären. In der europäischen Geschichte war die Monopolisierung der Gewalt auch gebunden an die selbstdisziplinäre Verinnerlichung von Fremdzwängen, an die Genese des bürgerlichen Subjekts. Ihr Korrelat war eine wirkliche Verstaatlichung der Gesellschaft, an der sich entsprechende Mentalitäten ausbilden. Das 'gilt nicht nur für den Stab, also die Angestellten des Staates, die sich regelhaft 127 Dieser Aspekt, die Rolle des Staates als redistribuierende Agentur, ist in den Debatten wn den »demokratischen .::rieden« bisher nicht thematisiert, obwohl sowohl das empirische Material \ . wie theoretische Uberlegungen dies nahe legen. Man könnte den »demokratischen Friedencc ja ' • auch als den ))Frieden der Wohlfahrtsstaaten« interpreileren: --········ ·-- ·--······· -·--···-········ -··
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den Normen und Verfahren legal-rationaler Herrschaft gemäß verhalten müssen. In diesem Sinne ist die Verrechtlichung der Politik Bedingung eines legitimen Gewaltmonopols. Aber auch die Regierten selbst müssen die Suprematie des Staates anerkennen und ihren eigenen Gewaltgebrauch diesen Regelungen anpassen. Die Tendenzen der Diffusion und der Privatisierung der Ge'-"a:it, die sich regional übergreifend in den Übergangsgesellschaften beobachten lassen, zeigen an, dass sich die Entwicklung eher von der Regelung der Gewaltfrage nach westlichem Muster entfernt. Deshalb deutet wenig darauf hin, dass sich eine Monopolisierung der Gewalt durch den Staat in den Regionen der Dritten Welt schnell einstellen wird oder dass sich entsprechende Äquivalente ausbilden. Die Befriedungsmöglichkeiten sind nicht nur davon abhängig, inwieweit es gelingt, die Gewaltapparate des Staates unter ziviler Kontrolle einzuhegen. Das Niveau der politischen: Gewalt ist außerdem abhängig davon, inwieweit es gelingt, über Institutionen'. der sozialen Integration und politischen Partizipation jene Veränderungen, abzufangen und zu prozessieren, die der konfliktive Transformationsprozess:, auch weiterhin hervorrufen wird. In der Geschichte der Dritten Welt ist politi-·' sehe Gewalt neben der Vielfalt der Formen von Kormption und Patronage die'\ kontinuierlichste Praxis der Einklagung dieser Integration und Partizipation. An den Grenzen der Inklusion wird deshalb auch weiterhin die Gewalt andau-. ern. Die internationale Konstellation wird diesen Entwicklungen nicht entgegenstehen, sondern sie befördern, denn die globale Blockkonfrontation hat im »Krieg gegen den Terrorismus« ihre Fortsetzung gefunden, nachdem der »Drogenkrieg<< sich dafiir als unzureichend erwies. Für die Selbstlegitimierung von staatlichen Gewaltapparaten ist diese Situation ideal: Sie liefert eine nahezu beliebig dehnbare Folie der Interpretation politischer Verhältnisse, die ihrerseits als Daseins- und Expansionsgrund militärischer Apparate und Institutionen angeführt werden können. Die schon erreichten Internationalisierungen dieser militärischen und polizeilichen Komplexe werden dal1er eher eine Fortführung als einen Rückbau erleben. Die Internationalisierung von Herrschaft wird sich also auch auf diesem Gebiet fortsetzen.
4. Das Geld des Staates
»Auf der Strasse arbeiten« heißt im Grenzdreieck von Kamerun, Tschad und der Zentralafrikanischen Republik ein coupeur de route sein. Das sind jene jungen Männer, die den legalen und illegalen Handel über die Grenzen mit Waffengewalt besteuern. Nur gelegentlich werden sie von der Polizei verfolgt, denn Zollbeamte, lokale Politiker, auch Minister und Oppositionspolitiker sind in die Netzwerke des Schmuggels und seiner illegalen Besteuerung involviert (Roitman 2005: Kap. 7). Montenegro hat sich im Verlauf der neunziger Jahre, unter den Bedingungen eines internationalen Embargos, zu einem Hauptumschlagplatz des Zigarettenschmuggels entwickelt. Aus Zollfreilagern in der Schweiz, den Niederlanden und Belgien kommend, verlassen große Mengen Zigaretten Montenegro wieder, mit Bestimmungsländern wie Belize oder Malaysia, ohne indes dort anzukommen. Der illegale Absatz auf den Märkten in Frankreich, Griechenland oder Deutschland hat solche Gewinne ermöglicht, dass offenbar auch die politische Klasse Montenegros in diese Geschäfte hineingezogen wurde (Mappes-Niedeck 2003: 49f.). Der' Staat Niger nimmt über die Besteuerung des illegalen Handels über die Grenzen zu seinen Nachbarstaaten so viel ein, wie er an Beamtengehältern in eineinhalb Monaten zu zahlen hat - die Kosten entstehen auf Seiten der Nachbarstaaten, die mit Zölle heimische Industrien zu schützen suchen. Die nigrische Ökonomie - und damit der Staat - profitieren enorm (Gregoire 1998: 100). Diese Geschichten sind keine Einzelfalle, aber sie repräsentieren auch nicht die Gesamttendenz der Finanzierung staatlicher Herrschaft außerhalb der OECD. Sie lassen sich ebenso wenig als Symptome der »Krise« staatlicher Herrschaft interpretieren. Denn auch die Geschichte der europäischen Staaten ist voller Beispiel davon, wie Staatlichkeit sich ausbreitete und konsolidierte, indem sie auf Maßnahmen zurückgriff, die nach heutigen moralischen und juristischen Maßstäben skandalös wirken würden. Was sich an diesen drei Beispielen jedoch erkennen lässt, ist die Differenz zwischen der Praxis der Staatsfinanzierung und dem Bild, das Staaten von sich selbst zeichnen.
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»Herrschaft braucht Sachmittel« konstatierte Max Weber lakonisch in seinen Analysen der Beziehungen des Staates zur Wirtschaft (1920/1985: 114). Doch die Arten und Weisen, in denen politische Verbände ihren Finanzbedarf decken, variieren erheblich. Die Standardvorstellung des Staates geht von einer steuerzahlenden Bevölkerung aus, der die Beschaffung der Mittel durch wirtschaftliche Aktivitäten obliegt. Doch schon die oberflächliche Betrachtung der ftskalischen Grundlagen der meisten Staaten der Welt zeigt, dass diese Vorstellung unangemessen ist. Die dreifache Beziehung, die den aus der europäi-' sehen Erfahrungen geronnenen Theorien nach gilt, ist eine globale Ausnahme: Die Trinität von Wehrpflicht, Bürgerrecht 1.1nd Steuerpflicht (vgl. Bendix 1977) hat sich global nicht verallgemeinert. Die Zurechnung von Einkommen auf Personen w1d die effektive Erhebung von Steuern auf persönlichen Einkommen ist an vieW'iltige Voraussetzungen gebunden. Dazu muss sich staatliche Herrschaft zunächst einmal jenes Maß an Autonomie aneignen, dass es erlaubt, auch Machtgmppen Steuem aufzuerlegen. Zu den Bedingungen gehört auch Geldwirtschaft, das heißt der Vollzug der weitaus überwiegenden Zahl der Werttransfers und Zahlungen in Geldform. Die dritte Voraussetzung besteht in der Akkumulation des notwendigen Wissens des Staates über seine Bürger. Die Registrierung der Existenz des einzelnen, seiner Vermögens- und Einkommensverhältnisse ebenso wie seines gewöhnlichen Aufenthaltsortes sind Teil des bürokratischen Wissens, das Bedingung und Teil moderner staatlicher Herrschaft ist. Die Trinität von Wehrpflicht, Bürgerrechten und Steuerpflicht basiert auf einer Unmittelbarkeit des Verhältnisses zwischen Staat und Individuum, die ihrerseits auch an eine erfolgte Disziplinierung und Individualisierung gebunden ist. Inhalt dieses Kapitels ist es, die Entwicklungen der Finftnzierung der Staa-, ten in der Dritten Welt herauszuarbeiten. Dabei muss wegen einer grundsätz- ' lieh schlechten Materiallage erheblich vereinfacht werden. Anders als im vorhergehenden Kapitel werden dabei nicht Gruppen von Staaten unterschieden - auch wenn einige Charakteristika der Staatsfinanzierung dies nahe legen würden. Stattdessen werden nach theoretischen Betrachtungen und nach einigen historischen Bemerkungen die Revenuequellen der Staaten gesondert auf ilire Rolle in der Dynamik staatlicher Herrschaft untersucht. Die Geschichte der Fiskalität von Staaten der Dritten Welt ist ein nicht sonderlich gut erforschter Bereich. Die Schwierigkeiten bei der Auseinandersetzung mit dem Thema beginnen damit, dass detaillierte Daten über die Staatsfinanzen nur vereinzelt vorliegen, unvollständig und kaum nachprütbar sind. Selbst die internationalen Finanzinstitutionen verstehen ihre Datensätze als Näherungswerte und nicht als exakte Abbildungen der Realitäten.
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Auch die Literatur, die sich mit dem Thema auseinandersetzt, ist ausgesprochen lückenhaft. Sie ist dominiert vom eher entwicklungspolitischen Interesse, eine »optimale« Formel für Steuersysteme in nicht durchweg modernen Gesellschaften zu flnden. Schriften, deren theoretisches Rüstzeug sich auf die gängigen ökonomischen Lehrmeinungen beschränkt, dominieren das Feld. Politische Implikationen ihrer Befunde diskutieren sie nicht. Auch eine nennenswerte vergleichende Forschung zur Fiskalität außerhalb der OECD liegt nicht vor.12s Schon aus diesetri Grund ist es schwierig, über die vermittelten Wirkungen von St~~!~~_s_gaben auf die Dynamik staatlicher Herrschaft Aussagen zu treffen, denen hinreichendes empirisches Material zugrunde liegt. Wegen der umfangreicheren Literatur über einzelne Aspekte wie die Verschuldung, Privatisierung und Renten ist dies für die Seite der Staatsel!1tlahmen deutlich leichter. Die folgenden Ausführungen zur Rolle der Fiskalität in der Dynamik staatlicher Herrschaft stehen also unter dem Vorbehalt, dass eine analoge Betrachtung der staatlichen Ausgaben noch aussteht. Grund für die Schwerpunktsetzung auf die Einnahmen des Staates ist die Überlegung, dass auf diese Weise mehr über die Einflussfaktoren und Bestimmungsgründe staatlicher Herrschaft zu erkennen ist, als in der Analyse der Staatsausgaben, die vielfältigen Einflussmöglichkeiten unterliegt. Zwar sind auch die Ausgaben des Staates für die Dynamik seiner Herrschaft von großer Bedeutung. Fast alle Staaten der Dritten Welt versuchen, über die Streuung und Allokation der Staatsausgaben politische Stabilität zu erreichen. Mittel dazu ist nicht allein die Patronage über Stellenvergabe im öffentlichen Sektor, sondern auch die Subventionierung von Grundnahrungsmitteln und städtischem Wohnraum, sowie die ganz Bandbreite öffentlicher Investitionen, mit den Staaten und Regime ihre Macht sichtbar machen und ihre ))Sorge« um die Bevölkerungen demonstti.eren wollen. Der Aspekt der Fiskalität ist für staatliche Herrschaft überhaupt zentral. Denn mit der Frage der fiskalischen Grundlage entscheidet sich auch die Handlungsfähigkeit staatlicher Agenturen. Neben dem Recht sind die Steuern - und, in Umkehr, die durch sie fmanziertell Redistributionen - ein wichtiger Indikator der Beziehungen zwischen staatlicher und nicht-staatlicher Sphäre. Die gängigen theoretischen Auffassungen über den Charakter von Steuern in Entwicklungsländen1 sind jedoch nicht ausreichend, die spezifische Gestalt und Geschichte der Fiskalität zu erklären. Heute dominante Vorstellungen über Besteuerung, wie sie etwa in Lehrbüchern zu fmden sind, betonen 128 Vor allem internationale Finanzinstitutionen haben ein Interesse an der Besteuerung der Ökonomien in den Staaten, denen sie Mittel zukommen lassen. Schriften aus dem Umkreis von IWF und Weltbank dominieren deshalb die Literatur (vgl. Tanzi 1992, 1999), vgl. jedoch Lieberman (2003).
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durchweg einseitig bestimmte Beziehungen des komplexen Verhältnisses zwischen politischer Macht und Gesellschaft und bedürfen daher in mehreren Hinsichten der Ergänzung. Sie unterstellen in der Regel soziale und politische Konstellationen, wie sie eine liberale Politiktheorie aus der europäischen Er-; fahrung gewonnen hat. Wie zu zeigen sein wird, ist das Verhältnis von »Will-~ kür und Wohltat«, das sich in der Finanzierung politischer Herrschaft in der Dritten Welt ausdrückt, von solch einer theoretischen Position nicht hinrei_ chend zu begreifen. Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen ist der Abgleich des Ideals staatlicher Herrschaft mit den tatsächlich beobachtbaren Praktiken. Die Differenz zwischen diesen lässt sich wiederum als Ergebnis staatlicher Strategien, aber auch populärer Reaktionen auf diese verstehen. Dazu werden zunächst jene theoretischen Ansätze kurz vorgestellt, mit denen Steuern in Staaten der Dritten Welt gegenwärtig diskutiert werden. Unter Rückgriff auf Max Webers Ausführungen über die >>Bedarfsdeckung politischer Verbände« wird dieser Begriffsbestand erweitert und mit einigen allgemeinen Befunden verbunden (4.1). Daran schließt sich ein kurzer Blick auf die aggregierten Daten an, wie sie internationale Finanzinstitutionen über die Staatseinnahmen in der Dritten Welt vorlegen. Dieser Abschnitt soll das Problem der Steuern veranschaulichen und zugleich einen Einblick in die Strukturen der Finanzierung staatlicher Herrschaft liefern (4.2). Den Hauptteil des Kapitels macht eine Skizze derjenigen Dynamiken aus, die mit den unterschiedlichen Einnahmequellen der postkolorualen Staaten verbunden sind: Steuern, Exportrenten, Unternehmensgewinne, Kredite und Zuschüsse sind diese Hauptformen, die jeweils eigene Konsequenzen auf die Ausgestaltung staatlicher Herrschaft haben (4.3). Am Ende des Kapitels stehen einige Betrachtungen über die Wirkungen jüngeret· und gegenwärtiger Veränderungen der fiskalischen Grundlagen staatlicher Herrschaft in Afrika, Asien und Lateinamerika (4.4). Liberalisierung und Privatisierung sind die Schlagwörter, unter denen diese Umgestaltungen bezeichnet werden, auch wenn damit die politischen Konsequenzen der getroffenen Maßnahmen nicht recht getroffen werden. Das zentrale Ergebnis dieses Kapitels ist, dass die Möglichkeiten der Einnahmen der Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas in erster Linie von den historisch gewachsenen Einbindungen in den Weltmarkt abhängen. Die zweitwichtigste Rolle spielen politische Präferenzen. Bei der Setzung dieser Präferenzen lässt sich eine wachsende Internationalisierung von Herrschaft beobachten. Denn es waren nicht allein die Vorstellungen nationaler Eliten oder Bevölkerungen, sondern Machtkonstellationen im politischen System der Weltgesellschaft, die über diese Präferenzen bestimmten oder diese erst formierten. Allerdings setzen auch lokale Praktiken und Entscheidungen der Ein-
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nahmepolitik Grenzen, so vor allem bei der Besteuerung von Vermögen und Einkommen. In fast allen nachkolonialen Staaten ist deshalb das enge Band zwischen steuerzahlenden Staatsbürgern und leistendem Staat nicht entstanden. Stattdessen hat die Politik der Liberalisierung und Privatisierung seit den 1980er Jahren die Infonnalisierung der Wirtschaft und die Kriminalisierung · : der Politik befördert.
4.1 Staaten und Steuern - zur Theorie Sachmittel sind fUr Het"t:schaftsverbände nicht nur erforderlich, l.Un das materielle Interesse des Stabes zu befriedigen, sondetn auch, um die von Weber mit in den Blick genommenen Interessen und Erwartungen der Beherrschten zu erfüllen. An der Etablierung einer gesicherten Grundlage der Hertschaft haben der Idee nach alle ein Interesse: die staatlichen Akteure schon der Verstetigung ihrer Position wegen, die Beherrschten, weil nur ein materiell organisierter Apparat die Erfüllung der Funktionen gewährleisten kann, deretwegen öffentliche Verwaltung existiert. Zur theoretischen Einordnung von Steuern liegen nun verschiedene Ansätze vor. Eine Variante sieht in Steuern wesentlich Gebühren für die Bereitstellung von Gütem. Die Mitglieder eines politischen Verbandes entrichten demnach Steuern, l.Un dafW: gewisse kollektive Güter bereit gestellt zu bekommen. Steuern dienen so der Finanzierung von Personal und Sachaufwendungen, die für den Aufbau von Infrastruktur und die Gewährleistungen staatlicher Grundfunktionen wie Sicherheit und Infrastrukturbau anfallen. Diese Interpretation deckt sich nicht nur mit dem Grundmuster der Selbstbeschreibung vo11 Staaten, wie sie von ] uristen und Staatslebrem niedergelegt wird. Auch die neoklassische Ökonomie ordnet Staat und Steuern in ähnlicher Weise ein. Demnach ist der Staat nichts anderes als eine Institution zur Reduktion von Transaktionskosten (vgl. North 1981). In gegenwärtigen Debatten l.Un die Gestalt von Steuersystemen fmdet sich diese Vorstellung als JreeholderDoktrin wieder, in der naturrechtliche Denkfiguren vorherrschen (vgl. Buchanan 1985: 140ff.). Einer anderen Sichtweise zufolge dienen Steuern der Steuerung. Sie sind nicht reine Gebühren für die Bereitstellung öffentlicher Güter, sondern sie sind absichtsvoll eingesetzte politische Mittel, die die wirtschaftliche w1d soziale Entwicklung eines Landes beeinflussen sollen. Die Gestaltung eines Steuersystems bringt also bestimmte Auffassungen über die Funktionsweisen wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhänge Zl.Un Ausdruck, ebenso wie politi-
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sehe Gestaltungsabsichten. Politische Kräftekonstellationen entscheiden darüber, welche Steuersysteme zu welchen Zwecken installiert, bzw. wie bestehende Steuersysteme modifiziert werden. Über die Brauchbarkeit dieser Sichtweisen fur politische Diskussionen ließe sich streiten. Für die wissenschaftliche Analyse eines Steuersystems siritl beide ungeeignet, weil sie Genese und Funktionsweisen unterschie<.llicher Fiskalstrukturen nicht erklären können. Die Gründe für diese Differenzen sind allererst historisch. Nur aus einer Perspektive, die die Dynamik.en von Macht und Herrschaft in den Blick nimmt, werden Genese und Funktionsweise von Steuersystemen überhaupt erklärbar und verständlich. Denn die unterschiedlichen Formationsprozesse staatlicher Herrschaft in der Weltgesellschaft äußern sich bis hinein in die konkrete Gestalt der fiskalischen Gnmdlagen der Staaten. In der historischen Realität sind fiskalische Strukturen nicht aus Vereinbarungen zwischen Herrschern und Beherrschern hervorgegangen, so stark einzelne Verhandlungen und Konflikte die Gestalt von Fiskalsystemen auch beeinflusst haben mögen, und so wichtig die Figuren des Ko11traktualismus auch für die Legitimierung moderner Staatlichkeit geworden sein mögen. Die ersten Formen von Steuem und Abgaben waren mit Gewalt erpresst, um die Finanzierung fürstlicher Konsumption und ihre gewaltsame Absicherung zu ermöglichen. Zunächst war die Erhebung von Abgaben, wie an der Zollpolitik der deutschen Fürsten ablesbar ist, nicht mit planmäßig gestalteten Absichten, im Sinne einer langfristig gestaltenden Politik, verbunden (Weber 1923/1991: 195). Fiskalische Strukturen sind in erster Linie historische Resultate der l\fonopolisierungsbemühungen von Herrscherw;uppen und schließlich der Eigendynamik staatlicher Herrschaft, der die Tendenz der Durchstaatlichlmg des sozialen Raumes innewohnt. Die Errichtung des Steuermonopols ist in der europäischen Geschichte einhergegangen mit der Zentralisierung der Macht im frühneuzeitlichen Staat und führte über die königlichen Regalien und den Lehensfeudalismus in direkter Linie zu den ausdifferenzierten Systemen in modernen Staaten. Die sich dabei entfaltende Eigendynamik des Vordringens staatlichen Handeins in alle Lebenswelten ist flir die Ausweinmg der Besteuerung komplementär. Das zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch anerkannte}}Gesetz wachsender Staatstätigkeit« (vgl. Wagner 1902) belegt den engen Zu- . sammenhang zwischen dem Ausgreifen der staatlichen Handlungssphäre und der Notwendigkeit, die für die Durchstaatlichung der Gesellschaft nötigen Mittel zu generieren.
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Aus historischer Perspektive ist es also angemessener, Steuern als ein erpresstes Schutzgeld zu verstehen.t29 So ist i.t1 der Geschichte der europäischen Staatsbildung die Genese der Steuern aus der feudalen »Schutz-GehorsamsBeziehung<< lange sichtbar geblieben. Historisch si.tld i.t1 den Formen der Bedarfsdeckung politischer Verbände auch noch andere Motive der beteiligten Akteure und Doktri.tlen der entstandenen Institutionen i.t1 unterschiedlichen ). Gewichtungen inuner vorgekommen. Die Vorstellungen über den »Si.tln« von Steuern unterliegen demselben Wandel wie die Möglichkeiten der Erhebung !derselben und dem Wandel der Vorstellungen des »Si.tlns« von Staatlichkeit jüberhaupt. Auch i.t1 der Geschichte der europäischen Staaten haben sich die dominanten Formen der Staatsei.tlkünfte verschoben. Die Fi.tlanzierung politischer Herrschaft über Steuern ist, wie hervorgehoben wurde, eitle historisch späte Form. Die europäischen Staaten kannten - und kennen - andere Arten fiskalischer Ei.tlnahmen. Die historische Breite der Fi.tlanzquellen politischer Verbände lässt sich nach steten und unsteten Quellen unterscheiden (Weber 1920/1985: 114ff.). Die steten Finanzquellen politischer Verbände si.tld neben dem wirtschaftlichen Eigenbetrieb naturale und geldliche Abgaben - Steuern im weiteren Si.tlne- sowie Kredite, die entweder von den Mitgliedern des Verbandes selbst oder extern gewährt werden können. Zu den unsteten Quellen gehört das Mäzenatentum ebenso wie Spenden und Bettel sowie freiwillige Leistungen der Gefolgschaft, sowie jene Abgaben, die »freiwillig« si.tld, aber unter der Androhung von Gewalt erfolgen, und schließlich gewaltsam angeeignete »Beute«. Die geregelte Fi.tlanzierung des neuzeitlichen Staates begann i.t1 Europa mit der Donlänenwirtschaft der ersten Territorialstaaten der frühen Neuzeit, und entwickelten sich über Grundsteuern und i.tldirekten Steuern i.t1 den europäischen Städten bis hin zu den sich im 20. Jahrhundert i.t1 den modernen bürgerlichen Staaten durchsetzenden Form der Besteuerung von persönlichen Ei.tlkommen (vgl. Kolms 1977).130 Entsprechend wandelten sich Vorstellw1gen über »das Wesen« von Steuern. Die Dienste der feudalen Gefolgschaft w1d später die Kontributionen der Städte und Stände wurden zwar als »Gebühren« für den Herrenschutz legitimiert. Faktisch aber waren sie racktt mon~.
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129 Zu dieser Sichtweise, die sich schon bei Max Weber und Otto Hintze nachweisen lässt, vgl. die umfassende Untersuchung von Tilly (1992). 130 In den USA kam es erst 1913 zur Einfiihrung einer Federal lncome Tax, von der heute fast die Hälfte des Bundeshaushalts abhängt. Im Deutschen Reich wurde 1891 die Einkorrunenssteuer verallgemeinert, in Frankreich war dies erst 1919 der Fall. In allen westlichen Industriestaaten führten die beiden Weltkriege zu enormen Schüben der Steuerbelastung Ulld der Steuerverwaltung (Kolms 1977: l15f.).
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Die Verkniipfung anderer Ziele als die Finanzienmg der Konsumption von Herrschaft und des Unterhalts des Stabes, der zu dieser Erhebung nötig war, ist eine spätere Entwicklung, die schon mit frühkapitalistischen Entwicklungen verbunden ist. Ein- und Ausfuhrzölle galten in England vor der Glorio11s Revolution 1688 vor allem als Gebühren, mit der der Handel für die Sicherung seinet · Wege und Beziehungen aufzukommen hatte (Kennedy 1913: 10). Erst später wurden diese Zölle als Instrumente der - je nach Sichtweise - Protektion bzw. Wirtschaftsförderung angesehen (Laufenberger 1959: 125). Diese »Erfindung der Wirtschaftspolitik<<, deren erste Form der Merkantilismus war (Weber 1920/1985: 820), ist Teil der Genese des modernen Staates und seitdem Bestandteil seines Ideals. Zuvor hatte es nur fiskalische Politik und Wohlfahrtspolitik im Sinne einer »Sicherung des Nahrungsmaßes« gegeben. 131 An diese hier nur angerissene bistmische Entwicklung des Steuerstaates lagern sich andere Zusammenhänge an, die über die Form und Dynamik der Finanzierung eines politischen Verbandes mit entscheiden. Sie betreffen die Finanzverwaltung - also eine innere Dynamik des Staates -, die Rückwirkung der Finanzierung des politischen Verbandes auf die »Wirtschaft«, die historisch verankerte Internationalität der Dynamiken und schließlich das grundlegende Dilemma der Finanzierung des Verbandes. Formen der politischen Herrschaft sind immer an bestimmte soziale und ökonomische Voraussetzungen gebunden. Während segmentäre politische Ordnungen mit einem einfachen System naturaler Redistribution auskommen, benötigt die bürokratische Herrschaft Geldwirtschaft und ein festes Steuersystem (Weber 1920/1985: 556ff.). Aber auch umgekehrt gilt, dass die fiskalischen Grundlagen eines Staates abhängig sind von seiner sonstigen Gestalt. Bürokratisches Wissen etwa ist eine unabdingbare Voraussetzung für die systematische Besteuerung von Einkommen und Vermögen (vgl. Sp~ttler 1980). Wo dieses Wissen nicht existiert, ist die Verstaatlichung der Gesellschaft nicht möglich. Die Finanzierung des Verbandes muss dann auf andet·e soziale tu1d politische Institutionen zurückgreifen. Zwar können alle Abgaben an den Staat, wie auch richtige Steuem, von· diesem in Eigenregie erhoben werden, historisch ist jedoch die Verpachtung', oder Verpfändung des Besteuerungsrechts eine mindestens ebenso häufige Form und bedingt durch die koloniale Praxis eine in der Dritten Welt nach wie · 131 Sinn des Merkantilismus ist Weber zufolge die »Machtstaatsbiklung<<, das heißt die l'vlachr der Staatsleirung nach außen zu stärken, sei es direkt durch Stärkung der fürstlichen EinJ..iinfte, oder indirekt durch Stärh'Uflg der Steuerkraft der Bevölkerung (1985: 818), eine Haltung, die in der in England erfundenen Lehre der Handelsbilanz auch theoretisch gefasst .."·urdc. Der Merkantilisrrrus ist Weber zufolge das erste Bündnis des Staates mit kapitalistischen lnt<::ressen. Ganz ähnlich fasst dies Foucault (2004, II: 82ff.).
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vor lebendige Praxis. Die Vergabe von Steuerrechten an lokale Herrschaft ist immer dann notwendig, wenn der zentralstaatlichen Macht Wissen und Kon: trollkapazität der lokalen Vorgänge fehlen. Dem tqx fmming wohnen indes Gefahren für die Integt:ität der staatlichen Herrschaft inne. Denn Verpfändung ist »fiskalisch irrational«, weil sie keine feste Budgetierung mehr erlaubt. Sie erfolgt durch »finanzielle Notlage« des Staates oder durch »Usutpation des Verwaltungsstabes«, weil ein verlässlicher Verwaltungsstab fehlt (\l"eber 1920/1985: 115). Die >>dauernde Appropriation von Abgabechancen« (ebd.) ist die Basis einer drohenden Refeudalisierung des Staates.m Die Art der Deckung des Bedarfs der politischen Verbände wirkt stark auf die Gestaltung der Privatwirtschaften zurück: Der reine Geldabgabenstaat mit Erhebung in Eigenregie fördert den rationalen, marktfOrmigen Kapitalismus; der Geldabgabenstaat mit Vetpachtung fördert den politischen Kapitalismus, nicht aber die marktorientierte Erwerbswirtschaft; und Vetpfründung hemmt die Entwicklung des Kapitalismus, weil sich sofort Interessen am Ethalt der Abgabequellen heranbilden, der sich andere Zielsetzungen unte1-ordnen. Die wirtschaftlichen Grundlagen des Staates oder politischer Herrschaft überhaupt unterliegen heute in Afrika, Asien und Lateinamerika nicht mehr allein »nationaler Wahl«, sondern sie sind international bestimmt. Die koloniale Vorgeschichte nahezu aller Staaten der Dritten Welt macht dies unmittelbar einsichtig, denn die damals ins Werk gesetzte spezifische Einbindung in den Weltmarkt über den Export von Rohstoffen stellte für die weitere Entwicklung der Finanzierung staatlicher Herrschaft wichtige Pfadentscheidungen dar. Die Einbettung der ökonomischen Vorgänge auf den Gebieten der einzelnen Staaten in intemationale Zusammenhänge hat sich dadurch weiter vertieft. Das gilt selbst für jene staatlichen Kerninstrumente, die als »Regalien« zu den ältesten Rechten staatlicher Herrscher gezählt werden, etwa für das Recht, Geld zu setzen. Nicht nur, dass sich Währungsräume überlappen und internationale Institutionen in vielen Fällen über die Währungspolitik von Staaten entscheiden (vgl. Cohen 1998). Das jeweils nationale Geld ist auch längst über die Währungsmärkte in enge Beziehung zu den anderen nationalen Währungen gesetzt. Global gibt es deshalb eigentlich nur noch ein Geld- nationale Währungspolitiken grenzen keine ökonomischen Räume voneinander ab.m Damit verbunden ist das Problem der Erfassung der wirtschaftlichen Vorgänge auf einem gegebenen Gebiet. !
132 Für die es dne Reihe von historischen Beispielen gibt, etwa die Geschichte des Osmanischen Reichs, vgl. Hourani (1991: 308ff.). 133 Schon allein deshalb wird es immer schw;eriger, in einem sich verdichtenden Weltmarkt wirrschaftliehe Vorgänge einzelnen Staaten zuzurechnen (vgl. Albertet al. 1999: 249ff.).
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Die Frage der Besteuerung lässt sich analytisch unter dem Aspekt der Dynamik von Macht und Herrschaft schließlich noch als Dilemma formulieren: Ein zu hohes Niveau der Besteuerung kann wie ein zu niedriges Niveau die Grundlagen staatlicher Herrschaft geflihrden. Zu hohe steuerliche Belastung kann nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung bremsen, die für die Legitimität und für die Höhe der genetierbaren Mittel eine wichtige Grundlage von Herrschaft ist, sie führt auch zu Legitimitätsverlusten von Regierungen bis hin zu offenem Prostest und bewaffneter Herausfordemng. Umgekehrt gefahrder ein zu niedriges Niveau staatliche Herrschaft insofern, als sie die Möglichkeiten der Inklusion über Patronage und andere distributive Praktiken verringert. Sie vermindert zugleich auch die Gelegenheiten, staatliche Herrschaft auszubauen und konkurrierende Machtfigurationen zu integrieren bzw. sich unterzuordne~ oder aufzulösen. Die Gestalt eines Steuersystems hängt zunächst ab von der Stroktttr ei11er Ökonomie und ihrer internationalen Einbettung. Schon der Grad d·e; Monetari'si~~ung entscheidet mit über die Möglichkeiten, den Staat an der Wertschöpfung teilhaben zu lassen. Doch nicht nur, was und wie produziert wird, spielt für Möglichkeiten und Grenzen der Besteuerung eine Rolle, sandem ebenso, wie das Wirtschaften institutionell geformt ist. Eine formalisierte Wirtschaft, die starke Interdependenzen aufweist und auf formales Rechnungswesen und Bankendienste angewiesen ist, öffnet andere Zugriffsmöglichkeiten, als eine hochmobile, auf wenigen Beziehungen beruhende >>Schattenwirtschaft((. Insofern sind die Möglichkeiten der Besteuerung eine Funktion der formalen Rationalisierung der Wirtschaft. Steuersysteme sind außerdem abhängig von der ;;Stärker< der staatlichm Herr..!f.~(![!:_Nur ein Staat, der über großes bürokratisches Wissen und geschultes, hinreichend entlohntes Fachbeamtenturn mit professioneller Ethik verfügt, kann wirksam Steuern erheben. Die Qualität des Apparates darf sich dabei nicht auf die Finanzbehörden beschränken. Ein efftzientes und kalkulierbares Rechtssystem gehört ebenso dazu, etwa um Forderungen durchzusetzen und Sanktionen glaubhaft machen zu können. Grundvoraussetzung der Besteuerbarkeit ist zudem eine hinreichende Autonomie st.'latlicher Agenturen in der Entscheidung über Form der Steuern und die Bestimmung der betroffenen Personsenlu-eise. Wo die staatliche Macht von einzelnen Gruppen usuqJiert ist oder zu starke politische Einflüsse existieren, ist die Möglichkeit der Besteuerung von vomherein begrenzt: Oligarchen zahlen keine Steuern. Weiterhin haben politische Prlferenzen einen Einflms auf die Gestalt eines Steuersystems. Genereli"donlioierende. Vorstellungen datüber, welche Srcucm und welche Steuersätze geeignet sind, bestimmte Staatsziele zu erreichen. hc· einflussen die konkrete Ausformung eines Steuersystems cbcn~o ..,.,c :,:.~<.:~ ·
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politische Haltungen, etwa über die Berechtigung von Steuern überi haupt. Es sind auch hier die Praktiken der Menschen, die die Wirklichkeit der : Institutionen bestimmen. Nur dort werden Steuern gezahlt, wo entweder min: destens die Stärke des Staates hinreicht, die Zahlung zu erzwingen, oder wo die Bereitschaft, sie zu zahlen, vorhanden ist. Dies ist davon abhängig, ob die staatliche Forderung als legitim e1-achtet wird und ob der Nutzen, die Leistungen des Staates, unmittelbar erkennbar und anerkannt wird. Kurzfristig wird die Steuerbereitschaft freilich auch durch die Leistungen b~. das Versagen .~inzelner Regime beeinflusst. In den meisten Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas reicht die Legi. timität staatlicher Herrschaft nicht aus, oder, in Bourdieuscher Terminologie 'gesprochen, ihr symbolisches Kapital ist nicht hinreichend, um eine so enge Kontrolle durchzusetze11, wie dies die Erhebung personenbezogener Steuern voraussetzen würde. Zugleich fehlen den meisten Staaten der Dritten Welt dafür die bürokratischen Voraussetzungen. Ihre fiskalischen Strukturen sind, bedingt durch Art und Zeitpunkt ihrer Einbindung in die Zusammenhänge des Weltmarkts, stärker von indirekten Steuern, von Renten aus dem Außenhandel, von Kreditaufnahmen und von politisch motivierten Zuwendungen geprägt. Zuschüsse als Entwicklungshilfe stehen neben Naturalabgaben in Form ~'von Arbeits- und Wehrdiensten und der Aufnahme von internen und externen Krediten. Auch der wirtschaftliche Eigenbetrieb ist eine gängige FOl'm der Finanzierung der postkolonialen Staaten. Hierzu gehören nicht nur staatliche Handelsmonopole, mit denen der Staat Zirkulationsgewinne einbehält. In den ehemaligen sozialistischen Staaten, aber ebenso in Mischsystemen wie dem Indiens, !iind auch Betriebe der Produktion in staatlichem Besitz. Die Schwäche des fiskalischen Bandes, so scheint es, liegt darin begründet, dass es zur Besteuerung zu viele Alternativen gab und nach wie vor gibt.
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4.2 Die Befunde Zwar ist das statistische Material über die ökonomischen Vorgänge außerhalb der OECD notorisch unzureichend und unvollständig. Es etlaubt jedoch einige grundlegende Einschätzungen über die Praktiken der materiellen Reproduktion der Staaten, die sich auf dem Gebiet, das sie als Territorium zu beherrschen beanspruchen. In diesem Sinne sind die folgenden kurzen Betrachtungen über Staatsquoten und Steuereinkünfte zu betrachten. Sie liefern kein
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wirklich detailgetreues Bild der Verhältnisse, aber sie indizieren Tendenzen und Relationen. Für dtf~lyse der fiskalischen Grundlagen eines Staates ist zunächst die Staatsquot~inthressant. Denn der Anteil der Staatsausgaben am Bruttoin'tm:asprod\ll{t gibt zunächst Auskunft über die ökonomische Bedeutung des Staates in einer als »nationale« Wirtschaft gedachten Ökonomie. Sie liefert aber auch Anhaltspunkte für eine erste Einschätzung der Fähigkeit eines Staates, ökonomische Prozesse innerhalb seiner Grenzen und darüber hinaus insofem zu kontrollieren, als er einen Teil der zirkulierenden Ströme von Werten lenken kann. In der Dritten Welt ergeben sich dabei folgende Befunde (vgl. Tab. 1): Die Bedeutung des Staates in der Gesamtökonomie liegt deutlich unter der in entwickelten kapitalistischen Regionen. Die Höhe der Staatsquoten liegt in den Staaten der Dritten Welt in der Regel um 20 Prozent, während sie sich in den. Staaten der OECD auf rund 50 Prozent beläuft. An der Höhe der Staatsquote hat sich in der ausgewählten Fallgruppel34 im Verlauf der postkolonialen Ge-· schichte in der Regel keine wesentliche Veränderung ergeben. Diese Stagnation gilt für Entwicklungsstaaten mit größeren Binnenmärkten und diversifizierter Wirtschaftsstruktur ebenso wie für jene Staaten, deren Weltmarkteinbindungwesentlich über den Export weniger Rohstoffe verläuft. Nur in wenigen Fällen fmden sich Schwankungen der Staatsquote; die wenigen Zunahmen werden jedoch durch eine Vielzahl von Rückgängen mehr als ausgeglichen. Angaben über die Staatsquote liefern indes noch keine Auskunft über die Quellen der Finanzierung staatlicher Herrschaft. Diese Quellen werden in internationalen Statistiken, ganz entsprechend der Webersehen Unterscheidung der Arten der Bedarfsdeckung von politischen Verbänden (s.u.), nach laufenden und unregelmäßigen Einkünften unterschieden. Dabei sind besonders die laufenden Einkünfte von Interesse, weil sie anzeigen, inwiefern Staaten ihre Finanzierungsquellen organisiert haben. Von besonderem Interesse ist dabei der Anteil direkter Steuern, weil die Erhebung dieser Steuern voraussetzungsreicher ist als die Erhebung solcher indirekter Steuern wie Zölle und Akzisen, für die die Kontrolle von Verkehrswegen und Produktionsstätten hinreichend ist. Die Erhebung direkter Steuern auf persönliche Einkommen I und Gewinne von Unternehmen hingegen erfordert eine enge Kontrollmöglichkeit der gesellschaftlichen Alltagswelt und eine fortgeschrittene Bürokratisierung. Gerade diese Zahlen, so lässt sich vermuten, sind also ein geeigneter Indikator für die Reichweite staatlicher Herrschaft. 134 Diese Fallgruppe wurde so ausgewählt, dass sowohl Repräsentanten der oben dargestellten Realtypen wie unterschiedliche Regionen darin vertreten sind. Die Verfügbarkcit möglichst vollständiger Daten war ein weiterer Gesichtspunkt der Auswahl.
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Tab. 1: Verändemngen der Staatsquote in ausgewählten Dntte-Welt-Staaten (Angegeben in Gesamt1111sgaben der Zmtralregiemng in % des BSP) r-···
Uganda Indien Ghana Thailand Peru Türkei Ägypten Indonesien Mexiko Brasilien Pakistan USA Deutschland Frankreich
1972 21,8 n.v. 19,5 17,2 17,1 21,8 n.v. 16,2 12,1 17,8 n.v. 19,4 24,2 n.v.
1982 27,0 15,0 10,8 19,9 18,0 23,3
1993 n.v. n.v. 21,0 16,3 14,0 259 .. c:::4~J:: ' ( _ 46,6_. ) 23,5 18,9 31,7 n.v. 21,8 25,6 16,1 24,0 25,0 23,8 39,7 31,5 42,1 45,5
1998 n.v. 14,4 n.v. 18,4 16,4 --~~.9
\. 30,4 ......
)
17,9 ., \,,_.,16,2 ,. n.v. 21,3 21,0 33,0 46,6
Q11eUe: World Dmelopment &porf, tJtrsth. Jahre. Die Daten ,gebe11 allth fiir Staateil mli Filkafdderalimms {Delltstblalld, USA) 1111r Bill1ttzh111tll der Ze11trolresjm111g wieder.
Berücksichtigt man, dass die Aufteilung von Steuermitteln unter unterschiedlichen Gebietskörperschaften außerhalb der föderalen Systeme in der OECD eine seltene Ausnahme ist,135 so liegt der Anteil der direkten Steuern in den S,taaten der Dritten Welt deutlich unter dem Niveau, das in entwickelten , kapitalistischen Staaten erzielt wird (vgl. Tab. 2). Der Anteil direkter Steuern an 'l•d.·t,.~ ... _, den Einnahmen des Staates korreliert offenbar direkt mit dem Grad der Kapitalisierung der Gesellschaft und ihrer staatlichen Durchdringung. Nur wenige Staaten wie Indonesien oder Mexiko scheinen Ausnahmen von der Regel zu bilden. In der Darstellung wird indes noch nicht zwischen Unternehmensgewinnen und persönlichen Einkommen als Quellen der Besteuerung unterschieden. Fühtt man diese Differenzierung ein, dann vergrößert sich der Abstand zwi135 Indien und Nigeria sind Beispiele für politisch wirklich bedeutsame fclderale Strukturen in der Dritten Welt. Föderalismus in der politischen Repräsentation ist jedoch nicht gleichbedeutend mit Fiskalföderalismus: Während in Indien ein großer Teil von Abgaben lokal und über die Bundesstaaten erhoben, ist diese Praxis in Nigeria gesamtökonomisch unbedeutend. Beide Staaten zeigen hingegen Tendenzen der Föderalisierung der Staatsausgaben. In den meisten Fallen ist das zentralstaatliche Budget das tatsächliche Zentrwn der Staatsfmanzen. Fiskalfö· deralismus entwickelt sich auch in der VR China (Rocca 2005).
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sehen den Staaten der Dritten Welt zu entwickelten kapitalistischen Staaten noch einmal beträchtlich (vgl. Tab. 3). In Europa liegt der Anteil der personenbezogenen direkten Steuem und Sozialabgaben an den Einnahmen des Staates durchschnittlich bei rund 50 Prozent (Armingeon 1992: 426). Wie aus Tabelle 3 ersichtlich wird, ist der Anteil der. voraussetzungsreichsten Steücr, der personenbezogenen Einkommenssteuer und den ihr vergleichbaren Sozialversicherungsbeiträgen, an den laufenden Einnahmen der Zentralregierung in allen Staaten der Dritten Welt weitaus geringer. In der weit überwiegenden Mehrzahl der Staaten beläuft er sich auf weniger als 20 Prozent, in einer großen Zahl von Fällen liegt er unter zehn Prozent.
Tab. 2: Die Steuerstärke von Staaten (Anteil direkter Stellern mif Einkommm, Gewinne 11nd Kapitalerträge a11 lalljenden Einnahmen der Zentralregimmg in Prozent) ····-·---
r----- ·-UWU~da
Indien Ghana Thailand Peru Türkei -A.;ypten Indonesien r------Mexiko Brasilien Pakistan LLDC LDC DC USA Deutschland Frankreich -------~--
1972 22,1 n.v. 18,2 12,1 17,5 30,8 n.v. 48,5 36,5 18,3 n.v. 21,5 25,5 41,1 59,4 19,7 16,9
-·
1982 -----· --
9,7 18,7 ---28,7 .. 21,4 .. -15,1 51,7 17,1 .. 76,9 30,5 1_3,~
16,5 -- ·--19,5 28,8 _}7,5 -52,7 17,1 ___ }7~9
.........
___
1993 _
..........
n.v. 22,2 16,8 27,9 18,3 35,6 -----·
~2,0
49,3 n.v. 16,5 - !\9 n.v. n.v. n.v. -···--· 50,7 15,0 - ~:?_,3
.. ..
1998 15,1 24,1 n.v. 28,5 ---20,7 39,8 20,9 61,8 (36,1) (20,3) (17,4) n.v. n.v.- n.v.. . . _ (56,7) (14,6) 10.9
Qndle: Filr 1972, 1982 nHd 1993 a1JS: ll?orld Devefqpmenl R.eporl (II?OFid B.mk, ll?asbiJtgfoll Dc:),.flir /998 a11J Got'lmmml Fi11CIIIl1
Stalirtia Yearbook, 2()(}1 {Inlemtllio11al M011etmy Fmu/, ll?os/;iltg/011, DL); Z<1blm iu
Klllfmmrn gehen.ftir onden alt die angegebenen JaiJIV.
l.: ·
In den Staaten der Dritten Welt sind es also- grob verallgemeinert- vor allem Steuern auf Unternehmensgewinne, nicht die personenbezogene Einkorn- j ' menssteuer, die den Hauptanteil der direkten Steuern ausmachen. Aus Tabelle! 4 wird ersichtlich, dass unter jenen Staaten, in denen der Anteil direkter Steu-
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ern an den laufenden Einnahmen der Zentralregierung über 30 Prozent liegt (z.B. Indonesien, Türkei, Thailand, Mexiko) vor allem der hohe Anteil von Steuern auf Gewinne staatlicher Unternehmen dafür verantwortlich ist.
Tab. 3: Staatengruppen nach Steuerstärke a) Staaten, in denen 1998 direkte Sri Lanka, Vietnam_...J
··~
U~nda.
Burkina Faso; Burundi; b) Staaten, in denen 1998 direkte Steuern auf persönliche Einkommen Elfenbeinküste; Lesotho; Marokko; Senegal; Seychellen; Swaziland; Fiji; und Sozialversicherungsbeiträge Indien; Malaysia; Maynmar; Papua~ . zwischen 10 und 20 Prozent der ,N.eugui.n,ef; Thailand; Albanien; Iran? laufenden Einnahmen der <J~r~~; Kuwait;Jamaika; Panama; Zentralregierung ausmachten: Peru; Uruguay. Südafrika; Tunesien; Sambia; c) Staaten, in denen 1998 direkte Steuern auf persönliche Einkommen Simbabwe; Rep. Korea; und Sozialversicherungsbeiträge mehr Aserbeidschan; Weißrussland; Georgie~; Moldavien; Tadjikistan; als 20 Prozent der laufenden . Sytien; Argentinien. ..... ··- .... Einnahmen der Zentralregierung ausmachten: ··-~·--···
AnmerkJ(ngen: UmJOI/ständige Datenlage fiir viek StaatetJ. Q«eUe: Bere&hn~~ng ~~t~cb Govemment Finance Stalistics, 2001, IMF, 117ashing/on DC
An den Strukturen der Finanzierung des Staates hat sich in der Geschichte der nachkolonialen Staaten nach 1970 nichts Wesentliches geändert. Nur wenige Staaten waren darin erfolgreich, Steuersysteme aufzubauen, die eine genauere Erschließung der wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben. Den lückenhaften Daten zufolge sind nur fünf Staaten in der Lage gewesen, innerhalb der letzten 25 Jahre den Anteil personenbezogener Steuern an den staatlichen Einnahmen neru1enswert zu steigern (vgl. Tab. 4). In allen anderen Fällen, zu denen entsprechende Daten vorliegen, ist dieser Anteil entweder gesunken oder auf die stärkere Besteuerung von leichter kontrollierbaren Unternehmen zurückzuführen.
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Tab. 4: Zunahme und Abnahme von Steuerstärken l?}J'}Scben 1972 und 1998 Staaten, in denen zwischen 1972 und Syrien (+27);'Pbilippinen (+26); 1998 der Anteil der direkten Steuern .Thiiilaiid (+17); Nepal(+15); EI Salvaan laufenden Einnahmen der Zentraldor (+14); Atgentinien (+ 13); Indonesien '•. (+13); Guatemala (+12); Malaysia regienmg um mehr als 5 Pro~nt stieg (+11); Zaire/DRK (+7); Senegal (+6); ~ll.r~!dw (+6); Tunesien (+5) Staaten, in denen zwischen 1972 und Vene':(!'ela (-27); Sambia (-16); Rep. 1998 der Anteil der direkten Steuern Kongo (-15); Uganda (-7); Bolivien (-7); an laufenden Einnahmen der Zentralregie- Costa Rica (-6) nmJ!. um mehr als 5 Prozent abnahm --------A/lllterkung: KNrsivse~ng .rok/;er Staaten, i11 dlnen 1998 direleltn Sltueraujkommms ausmachltn
UN/tme/;mtllsgnvim~e
mehr als 50 Pro:zy111 des
Q11eUe: World Drt~tlopment &portf. 1972; Gotllrnmenl Finance Stalislics flir 1998
Aus dieser Übersicht wird deutlich, dass den gängigen internationalen Finam:statistiken zufolge nur fünf Staaten außerhalb der OECD, nämlich Senegal, Marokko, Syrien, Malaysia und Tunesien, in der Lage gewesen sind, den Anteil direkter personenbezogener Steuern innerhalb der letzten dreißig Jahre nennenswert zu erhöhen. Die fiskalischen Strukturen der Staaten der Dritten Welt, so lassen sich diese Befunde zusammenfassen, entsprechen nicht dem Ideal des Staates, demzufolge die Agenturen des Staates die Bevölkerung kontrollieren und die wirtschaftlichen Vorgänge auf ihrem Territorium lenken und steuern. Zwischen dem Anspruch staatlicher Herrschaft und den tatsächlichen Verhältnissen klafft in dieser Hinsicht eine weite Lücke. Vor dem Hintergrund der Befunde der vorangegangenen Kapitels - erinnert sei an das enorme Wachstum der staatlichen Gewaltapparate - stellt sich die Frage, warum eine größere fiskalische Stärke in den Staaten der Dritten Welt nicht erreicht werden konnte. Welche Dynamiken und weltgesellschaftlichen Bedingungen haben dies verhindert? Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, ist ein Blick in das theoretische Angebot vonnöten, dass zum Themengebiet existiert.
4.3 Die Einnahmen der postkolonialen Staaten das lose fiskalische Band Weil kein politischer Verband ohne materielle Grundlage auskommt, hatten auch die vorkolonialen politischen Formen in Afrika, Asien und Lateinamerika
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ihre Revenuequellen. Sie bestanden aus der monetären Abschöpfung des lokalen und des Femhandels, aus staatlichen Handels- und Produktionsmonopolen sowie aus Naturalabgaben und Diensten. In all diesen Fotmen jedoch waren die ökonomischen Verhältnisse der politischen Herrschaft untergeordnet.136 Nicht wirtschaftliche Interessen und Entwicklungen dominietten die politische Form, sondern Produktion und Handel unterlagen der direkten .Kontrolle traditionaler Herrschaft. Die koloniale Erfahrung bedeutete insofern einen Bruch mit diesen Strukturen, als die koloniale »Gouvernementalität« eine kapitalistische Modernisierung vorsah, für die vor allem die Erhebung monetärer Steuern ein bevorzugte.r Hebel war, um die Kolonisietten in die monetatisierten Zirkel der kolonialen Ökonomie einzubinden. 137 Die politische Hauptkonsequenz war die Verpfründung der Abgabenerhebung an lokale MachthaIher. Chiefs, Ca~ques, preftts und nawabs waren die Intermediäre des Kolonialis\mus, die ihre Positionen zur Akkumulation ökonomischen, sozialen und sym1bolischen Kapitals nutzten.t3B Über die Monetarisierung der Abgabensysteme ergaben sich folglich tief greifende Umstrukturierungen der Herrschaftsbeziehungen in den Kolonien, die auch für die Verhältnisse in den unabhängigen Staaten folgenreich wurden. Das imperiale Zeitalter war zugleich der Zeitraum, in dem die Kolonien mit ihren »Mutterländern« zu protektionistischen Wirtschaftsräumen zusammengeschlossen wurden (Hobsbawm 1995: 93). Die darin jeweils organisierte Arbeitsteilung und die kapitalistische Inwertsetzung vor allem von Boden und Arbeit bestimmten über die Formen der Weltmarktintegration und damit auch über die Gestalt der nachkolonialen Staaten. Die Form der Rente aus dem Export von Rohstoffen als Hauptgrundlage der Finanzierung politischer Herrschaft ~t in weiten Teilen der Dritten Welt ein historisches Resultat dieser kolonialen Weltmarktintegration. Ähnliches gilt für die Verschuldung durch die Aufnahme externer Kredite. Die zunehmende Einbindung des Osmanischen Reiches, seiner einzelnen Territorien wie etwa Tunesiens (vgl. Anders011
136 Zur vorkolonialen politischen Ökonomie im subsaharischen Afrika vgl. Hopkins (1973) und Suret-Canale (1966). Die bereits monetatisierten Steuersysteme des indischen Mogulreichs schildert Rothermund (1989: 58ff.). Wolf (1982) liefert einen allgemeinen Überblick über alle Regionen. 137 Diese Praxis wurde indes von Herrschern in Gebieten nachgeahmt, die nicht formelle Kolonien waren, etwa in den nordafrikanischen Teilen des Osmanischen Reiches, vgl. Anderson (1987: SOff.). Auch dort riefen Maßnahmen, die Bevölkerung über Kopfsteuern in die Geldwirtschaft zu zwingen, direkt gewaltsamen Protest hervor. 138 Sofern lokale Machtfigurationen nicht auf vorkoloniale Positionsdifferenzen zurückzuführen sind, sollten diese Ergebnisse der kolonialen Strukturierung des politischen Feldes auch für die nachkolonialen Verhältnisse grundlegend bleiben, vgl. Migdal (1988) und für jüngere Entwicklungen Schlichte/Wilke (2000).
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1987: 84) und Agyptens (Körner et al. 1984: 26ff.), in die Kreditpolitik europäischen Kapitals ist dafür ebenso Zeugnis wie die lange Geschichte der Staatsanleihen südamerikanischer Staaten. Als die Kolonien in Afrika und Asien in den fünfziger tmd sechziger Jahren die Eigenstaatlichkeit erlangten, gab es längst einen entwickelten Weltmarkt und etablierte Strukturen des internationalen Systems, in die diese Staaten jeweils schon auf bestimmte Weise integriert waren. Ihre Stellung auf den Weltmärkten und auch ihre innere ökonomische Verfasstheit stand mit Erlangung der Eigenstaatlichkeit nicht einfach zur Wahl, sondem konnte höchstens das Objekt zukünftiger politischer Maßnahmen sein. In der Tat wurden die »Ökonomien« zum vordringlichen Projekt der Gouvemementalitäten, die sich in den nachkolonialen Staaten, sei es im »marktwirtschaftlichen« oder »sozialistischen« Gewand, der »Entwicklung<< verschrieben. Bis heute ist dies das von den nationalen wie internationalen Agenturen geteilte Gesamtprojekt, an das sich unterschiedliche Interessen und ideelle Vorstellungen anlagem. Die in den Kolonialzeiten etablierten Integrationsformen in die sich liberalisierende Weltwirtschaft haben sich nur wenig modifiziert. Die Strategien des Entwicklungsstaates und der »importsubstituierenden Industrialisierung« hatten nur begrenzte Erfolge. Die Extraktion mineralischer Rohstoffe und der Export von Agrarprodukten waren und blieben für viele nachkoloniale Staaten die Hauptverbindung mit den Weltmärkten. Manche Staaten wie Algerien, Libyen, die Golfstaaten, Nigeria und Mexiko erzielten erhebliche Renteneinkommen durch den Export von Rohöl, eine Veränderung, die nicht ohne Folge für die Gestalt staatlicher Herrschaft geblieben ist. In wieder anderen Fällen, wie in Agypten, Jemen, Pakistan oder den Philippinen erwies sich die Arbeitsmigration als wichtiger Vektor der staatlichen nachkolonialen Integration in die Weltwirtschaft. Für eine Reihe weiterer Staaten schließlich, vor allem im subsaharischen Afrika, wurden die extemen Zuwendungen in Form von Zuschüssen und Krediten zu einer wesentlichen fiskalischen Grundlage. Die durchweg hohe Bedeutung dieser Quellen, Renten, Rückflüsse aus im; Ausland erzielten Löhnen und Gehältem sowie Zuschüsse und Kredite, für die: staatlichen Budgets sind nicht nur ein Hauptgrund der stat·ken Außenprägung staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt. Die Verfügbarkeit dieser Einnahmequellen des Staates hat politische Herrschaft in der Dritten Welt auch zu weiten Teilen von der Notwendigkeit befreit, die politisch konfliktive direkte ' Besteuerung durchzusetzen. Das lose fiskalische Band zwischen den Staaten und ihren Bevölkerungen ist also wenigstens zum Teil auf externe Bedingungen zurück zu führen. Viele Ökonomien der Dritten Welt sind nach wie vor den Mustern der kolonialen Integration in die Weltwirtschaft verhaftet, weil es ihnen nicht gelungen ist,
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bereits vermachtete Märkte zu erobern. Die Renten, die aus dem Export von mineralischen und agrarischen Rohstoffen oder von Arbeitskraft gewonnen werden, sind daher bis heute für viele Staaten die entscheidende Einnahmequelle geblieben.1 39 Veränderungen der Rohstoffpreise und Grundkonflikte im internationalen System hatten und haben für die Staaten in der Dritten Welt wegen solcher in kolonialen Zeiten etablierter Außenabhängigkeiten eine viel höhere Durchschlagskraft besessen als dies in der Geschichte der europäischen Staaten in der Frühen Neuzeit der Fall war, auch weil sich das Netz der internationalen Bindungen und Beziehungen seit dem 17. und 18. Jahrhundert erheblich verdichtet hat. Die Bedeutung externer Veränderungen für die fiskalischen Bedingungen von Staatlichkeit ist aber in den Regionen der Dritten Welt ebenso abhängig vom Grad der internen sozialen Differenzierung. Dort, wo vom öffentlichen Sektor unabhängige wirtschaftlich starke Interessengruppen existieren, wie die Kaffee-Oligarchie Brasiliens oder die Netzwerke der libanesischen Händler, dort haben politische Koalitionen die Formation des nachkolonialen Staates nachhaltig dominiert. Sie verhinderten die Besteuerung ihrer Einkommen und : Vermögen. Neben Großgrundbesitz und Handelskapital spielten in zahllosen i Fällen das Militär und lokale Kapitalfraktionen eine aktive Rolle in der Ausformung und Begrenzung staatlicher Macht. Eine wesentliche Voraussetzung starker Staatlichkeit ist allerdings in Asien, Afrika und Lateinamerika die seltene Ausnahme geblieben, nämlich die Ausbildung nationaler Ökonomien, deren Tauschvorgänge der staatlichen Kontrolle zugänglich sind, und in denen zugleich die Handlungen des Staates der Kontrolle einer breiten bürgerlichen Öffentlichkeit unterliegen.140 Besteuerungen be&chränkten sich auf leicht kontrollierbare ökonomische Vorgänge an den Grenzen, während die von staatlichen Agenturen begleitete Binnenvemetzung der Ökonomien demgegenüber zurückblieb.
4.4 Einnahmearten und ihre Dynamiken An den wichtigsten strukturellen Bedingungen der Finanzienmg des Staates hat sich in den Regionen der Dritten Welt nach den Staatsgründungswellen nichts geändert. 139 Wobei die Art dieser Renten sich auf die inneren Strukturen dieser Staaten jeweils höchst unterschiedlich auswirkte (vgl. Chaudry 1997, Pawelka 1993: 103-110) 140 Eine solche Ausnahme sind die Entwicklungen in Teilen Südamerikas in der Zwischenkriegszeit, vgl. Whitehead (1998).
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Mindestens zwei Gründe sind für diese Verhältnisse ursächlich. Einerseits hat die spezifische Form der Revenuequellen der Staaten die konfliktive Durchsetzung solcher Ansprüche in vielen Fällen bisher erübrigt, und andererseits haben die inneren politischen Machtverhältnisse die Durchsetzung solcher Ansprüche in der Mehrheit der Fälle verhindem können. Die arretierten Verteilungen von ökonomischem und sozialem Kapital, die viele Staaten der Dritten Welt prägen, und die Figurationen, die in der Literatur mit dem Ausdruck der »Staatsklasse« (vgl. Elsenhans 1981) gekennzeichnet werden, haben verhindert, dass sich eine Autonomie des Staates ergeben konnte, die solche konfliktiven Programme politisch mit Erfolg hätte durchsetzen können. 141 Eine Veränderung dieser Verhältnisse hätte Prozesse der sozialen Differenzierung vorausgesetzt, der durch die externe Einbindung der Ökonomien Grenzen gesetzt waren. Zugleich sind die Strukturen dieser wahrhaft »politischen Ökonomie« des postkolonialen Staates die Voraussetzungen für zwei weitere Merkmale politischer Herrschaft in der Dritten Welt, nämlich zum einen der Ubiquität und Persistenz der sozialen Logik der Patronage, und zum zweiten der ausgreifenden Internationalisierung von Herrschaftszusammenhängen. Im Folgenden werden die H~~P.!.r~:ve11u~guell.c:n der postkol9pial_c:o .StaatetJ dargesteU.t..unG-~e Wirk~&.e!l:.!l:~.f_dif! l)y~a.lllik staatlicher Herrs~;haft untersucht. ( Steuern: ~cht..p~rsonenbezoge~e Abgaben, sondern eine Vielzahl von unters'"ehied:liCh gewichteten Quellen dienen der »Bedarfsdeckung des politischen Verbandes«, des Staates. Während in entwickelten bürgerlichen Staaten der Anteil von personenbezogenen Abgaben an den laufenden Einnahmen der Staaten zwischen 50 und 75 Prozent ausmacht, liegt dieser Anteil in den Staaten der Dritten Welt zwischen 3 und 15 Prozent. 142 Wie im folgenden gezeigt werden soll, sind es neben indirekten Steuern, zu denen auch Zölle als Steuern auf den Außenhandel und Akzisen als Konsumsteuern gezählt werden müssen, vor allem Einkünfte aus staatlichen Wirtschaftsaktivitäten und extern aufgenommene Kredite, die die Grundlagen der staatlichen Finanzen bilden. Indirekte Steuern allein machen 40 bis 60 Prozent der laufenden Einnahmen aus. In Fällen wie Indien, Pakistan, den Golfstaaten aber auch Singapur liegt der 141 An ßejspielen der politischen Figurationen auf dem Lande werden diese Zusammenhänge am anschaulichsten. Die Varianten des Feudalismus, die vom Hazienda-System in Lateinamerika bis zu den neuen Formen der Landappropriation der »politischen Unten1ehmercc im subsaharischen Afrika (vgl. Medard 1992) reichen, konstituieren solche lokale Herrschaftsverhältnisse, die auf »nationalercc Ebene zu blockierenden Allianzen verdichten. Der Ausdruck >>StaatskiäS"Sf",Zi~t eh~~-~~"f"Fig;;·~~;;;~~ ~~~g~n,·~ d~~e~ Rent;";eink~~en clirekt über den Stnat distribuiert werden und wo clieser als Machtzentrum nicht durch andere, von ihm ökonomisch unabhängige Machtgruppen ausbalanciert werden kann. 142 Die Zahlen dieses Absatzes entstammen der Übersicht im Govemment Finance Stntistics Yearbook des IMF (2001: 4f.).
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Anteil der Gewinne aus staatlichen Unternehmen an den laufenden Einnahme~9,,ei.I;.~Q"Prozent.
~~1'f1_~'!!!.~--~~)und Kopfsteuer, die einen erheblichen Anteil an den Einnahmen des Kolonialstaates hatten, sanken in der nachkolonialen Periode rasch auf ein erheblich geringeres Niveau, der nur für die Finanzierung schwaeher lokaler Institutionen geeignet war, aber immerhin lokale Gegenmacht ~gegen zentralstaatliche Ambitionen organisierbar machte. Diese fiskalische Strukturen sind Ergebnis der Machtdynamiken, die sich in den nachkolonialen Staaten entfaltet haben. Der geringe Anteil der personengebundenen Steuern ist, wie ausgeführt, in erster Linie ein Resultat der Macht der dominierenden Schichten, die die Besteuerung von Vermögen und hohen Einkommen verhindert oder vermindert hat. Die koloniale Kopfsteuer, deren Abschaffung ein Hauptversprechen vieler antikolonialer Bewegungen war, fiel den neuen Machtverhältnissen in den unabhängigen Staaten zum Opfer. Eine Wiederaufnahme dieser Besteuerungsform war wegen der hohen Konfliktivität der direkten Besteuerung und des Mangels an bürokratischen Voraussetzungen in vielen Staaten Afrikas und Asiens nicht durchsetzbar oder blieb auf einem zu vernachlässigendem Niveau. Auch mit Hilfe internationaler Expertenkommissionen- die ökonomischen Lehrmeinungen der 1960er und 70er Jahre unterstützten die Bemühungen um eine stärkere direkte Besteuerung - konnten keine erfolgreichen Strategien entwickelt und umgesetzt werden. Die Besteue_rung der Begüterten scheiterte regelmäßig (Goode 1993: 42f). f Die Umorientierung der Steuerpolitik auf die Erhebung indirekter Steuern, (vor allem auf Importe, setzte Ende der 1970er Jahre ein. Sie wirkt wie das :Resultat der veränderten Vorgaben durch internationale Finanzorganisationen und der Bemühungen der entscheidenden Machtgruppen in den postkoloniallen Staaten, die finanziellen Grundlagen der Herrschaft zu stabilisieren, ohne 'direkte politische Widerstände zu erzeugen oder die eigenen Wohlfahrt zu i gefahrden. Dieser Politikwechsel hat indes nicht die erhofften Wirkungen gezeigt. Die Vorstellung, mit diesen Maßnahmen eine Senkung des Luxuskonsums zu erzeugen, die Sparquote zu erhöhen und somit einen Mechanismus zu inländischen Kapitalbildung zu erzeugen, hat sich als unrealistisch erwiesen (Due 1988: 208ff.). Indirekte Steuern, vor allem Verbrauchssteuern, sind gleichwohl bis heute 'die dominante Form der Besteuerung in der Dritten Welt geblieben. Ihr offen regressiver Charakter hat allerdings bis heute keinen politischen Protest hervorgerufen. Die Praktiken des Widerstands gegen diese Fiskalregime beschränken sich vielmehr auf Schmuggel, Fehldeklaration importierter Güter und das Unterlassen der Abführung, Praktiken, die sich wegen der nicht 1
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durchgehenden VerschriftlichlUlg der ökonomischen Vorgänge der staatlichen; Kontrolle leicht entziehen können. Das System arretierte Wld erwies sich als stabil, wodurch sich die Möglichkeiten der ErweitetlUlg der Steuerbasis stark venninderten. Der Theorie nach müsste staatliche Herrschaft, die auf indirekten Steuern gerade aus dem Außenhandel beruht, ein gleichsam natürliches Interesse an merkantilistischer Wirtschaftspolitik entwickeln. Nur so wären die Einnahmen zu steigern. Doch dem stehen die Auflagen; der internationalen Finanzorganisationen entgegen. Eine wesentliche Erweite-, IWlg der staatlichen Einnahmen dieser Art wäre also nur durch ein beträchtliches Wachstum des Umfangs der besteuerten Transaktionen zu erwarten. Weil, dies nicht eingetreten ist, gewannen die Alternativen zur Besteuerw1g an AttraktivitätT~
l ~~~jJie für die meisten Staaten der Dritten Welt charakteristische Form deiliifegration in die Weltwirtschaft ist die Angewiesenheil des Staates auf die EinziehWlg einer Rente aus dem Export weniger Rohstoffe. Diese Renten 143 entscheiden über Grundformen der Dynamik staatlicher Herrschaft, denn sie bedeuten eine faktische Umkehrung des Verhältnisses zwischen politischem Verband Wld sozialer Welt: Nicht der Staat lebt von der BesteuerlUlg der Reproduktion »seiner« BevölketlUlg, sondern weite Teile der materiellen Reproduktion werden über die durch den Staat auf den Weltmärkten generierten Renten gesichert.144 Grundlage der internationalen Rente ist die staatliche Verfasstheit des internationalen Systems. Mit der Norm der Souveränität wird das Recht der AneignWlg der auf dem Weltmarkt erzielten Sondergewinne an die InnehablUlg der Staatsgewalt gekoppelt. Zwar entscheiden Machtpositionen der politischen Wld ökonomischen Akteure über den konkreten Spielraum der Rente,l45 wie gerade an den Renten aus dem Export von Rohstoffen erkennbar wird. Damit unterliegt die Möglichkeit staatlicher Akteure, die Renten eigenen VerwendWlgen zuzuführen, sowohl äußeren wie inneren Einschränk.Wlgen. 143 Der Begriff umfasst hier sowohl Grund- wie DifferentialrL'flte, vgl. Marx (1894/1964: 627811). Zur Diskussion verschiedener Rentenbegriffe s.a. Schmid (1991) und Beck et al. (1997). In diesem Sinne resultieren Renten aus einem Monopol oder einer besonderen Verfügungsgewalt über eine vitale Ressource. Die BeschränkungL'fl, die dieses Monopol oder die Sonderstellung ausmachen, beruhen immer auf einer Kombination gesellschaftlicher, politischer und natürlicher Faktoren (vgl. Neelsen 1997: 122). 144 Die hier geschilderten Dynamiken gelten nm:iirlich für den Typus der »Semi-Rentiers« (Pawelka 1992: 126-171) wie Ägypten oder Algerien in abge~chwächter Form. 145 Das schließt Interventionen, auch militärischer Art, ein, um einzelne Regierungen bei ihren Abschöpfungsbemühungen in die Schranken zu weisen. Beispiele hierfür sind militärischen Interventionen in Zaire in den 1970er Jahren, in gewissem Sinne auch die Suezkrise 1956.
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!Der Regelfall ist jedoch die zentrale Bedeutung der Innehabung der Staatsge!walt für die Entscheidung über die Aneignung und Distribution der Rente. ;Diese Konstellation ist mit dem Begti.ff des »Rentier-Staats« gekennzeichnet iworden (vgl. Schmid 1991). · Zu unterscheiden ist dabei vor allem zwischen jenen Renten, die der Staat als Grundeigentümer direkt über den Export erzielt, und jenen Renten, von denen der Staat als Mitder zwischen Weltmarkt und lokalen Produzenten nur einen Teil einbehält. Beispiel für das erste Verhältnis sind etwa die Öltenten Nigerias und Venezuelas (vgl. Boeckh 1980), während die Besteuerung des Export agrarischer Rohstoffe aus privater Produktion für das zweite Verhältnis stehen. Die Abschöpfung dieser Renten durch den Staat ist dort begrenzt, wo die innere soziale Differenzierung so weit fortgesch1itten und der staatliche Apparat zugleich so schwach ist, dass die Aneignung der international erzielten Renten durch bestimmte soziale Gruppen nicht behindert werden kann. Der Weg in den Rentenstaat ist also nicht notwendig. Es kann einzelnen Kapitalfraktionen, die stark genug sind, auch gelingen, die Renten weitgehend für sich zu monopolisieren und die Ausbildung starker Agenturen des Staates zu verhindern, wie dies im Fall des Aufstiegs Argentiniens zum Agrarexportland zwischen 1860 und 1930 der Fall gewesen ist (Boeckh 1980). Auch sind je nach Anteil der Rente an den Staatseinnahmen reine Rentierstaaten, wie etwa Kuwait (Aarts et al. 1991), von Setnirentiers, etwa Ägypten und Algerien, zu unterscheiden. Der Begriff des Rentierstaats verdeckt jedoch auch andere \wichtige Differenzen. Denn die der Kapitalisierung der Produktion votgängi1gen Strukturen und lokalen Eigenheiten der sozialen Organisation des Wirt!schaftens'behalten häufig eine derart prägende Bedeutung, dass die konkreten :Gestalten der »Rentier-Staaten« stark voneinander abweichen können (vgl. [Chaudry 1997: 308ff.). Die koloniale Exportwirtschaft unter einem kolonialen, autoritären Entwicklungsstaat hat nach Edangung der Eigenstaatlichkeit in den Rentenstaaten zu einer Zenttalstellung der politischen Machthaber und des Staates für die , Rentenaneignung geführt. Die Hauptwirkung der Rente für die Form der poli' tischen Herrschaft ist, dass sie die lnstitutionalisierung der staatlichen Macht ' schwächt. Sie führt der Tendenz nach zum Zerfall von Herrschaft in bloße Macht. Rentenstaaten sind im Innern autoritär, weil die Höhe ihrer Einkünfte nicht direkt von der Legitimität ihrer Herrschaft abhängig ist. Die Inhaber der Staatsmacht sind nicht darauf angewiesen, über die Aktivitäten des Staates die innere Ökonomie zu fördern und den Staat in einen leistenden Staat zu verwandeln. Zugleich ist in Rentenstaaten die Eroberung der Staatsmacht attraktiv, weil diese- und häufig nur diese -den Zugang zu Wohlstand bedeutet.
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Die Mi.litarisierung vieler Staaten der Dritten Welt hat hierin ihre tiefere strukturelle Ursache. Eine weitere Wirkung der Rentenf111anzierung des Staates ist, dass sie die ,' Bildung einer Staatsklasse fördert, also einer Schicht, die über Praktiken der ', Patronage von den über den Staat gelenkten Mitteln lebt. Faktisch kommt dies einer Usurpation der lukrativen Position durch klientelistische Netzwerke gleich. Der Rentenstaat bedeutet, dass die Durchstaatlichung der Gesellschaft vermieden werden kann. Denn die Reproduktion politischer Herrschaft ist nun auch ohne eine enge bürokratische Kontrolle möglich. Rentenregime vermeiden die konflik.tive Durchsetzung staatlicher Herrschaftsansprüche, ein Verzicht, der um so leichter fällt, wenn die zu distribuierenden Ressourcen jede Regulation erübrigen, die über die Sicherung der Renten hinausgeht. Eine ' Bürokratie ist dann kurzfristig nur zur Distribution nötig (Chaudry 1997: 313). Nicht die Mittel, die über die ökonomischen Aktivitäten der Bevölkerung erwirtschaftet werden, sind ja die Grundlage der Finanzquellen des Staates, sondern dieser reproduziert sich als Intermediär zwischen den exportorientierten Bereichen der heimischen Produktion und dem Weltmarkt. Wenn die Rente auch den Ausbau bürokratischer Herrschaftselemente vermeiden hilft, so muss sie zugleich hinreichend groß sein, um den Ausbau von Gewaltapparaten - und damit die Instrumente der Repression - zu ermöglichen. Weil diese Investitionen in Rentenstaaten in aller Regel von der öffentlichen Kontrolle ausgeschlossen sind, fallen die Rüstungsbeschaffungen und polizeilichen Aufwendungen von Rentenstaaten in der Regel weit überdurchschnittlich aus (Krause 1996). Zugleich ist die Herrschaft im Rentenstaat vor allem auf das materielle Interesse von Stab und Bevölkerung gestützt. Der damit verbundenen Legitimationsmangel macht die Usurpation durch andere Klientelfraktionen und -spitzen wahrscheinlich. Die Gewaltapparate des Rentenstaates sind deshalb gleichermaßen nach innen gerichtet. 146 Sie einzusetzen wird aus Sicht der Machtinhaber immer dann nötig, wenn die Integration durch Distribution nicht ausreicht, veränderte soziale Konstellationen politisch einzubinden. Rentenstaaten sind aber auch deshalb instabil, weil sich die Höhe der Renten stets änden1 kann. Die Verschiebungen von absoluten und relativen Prei- , sen auf dem Weltmarkt, sowie politische und wirtschaftliche Konjunkturen machen die Herrschaft auf dieser fiskalischen Basis verwundbar. Das Phänomen des »Staatszerfalls«, also die Auflösung staatlicher Herrschaft, ist in eini146 ... ohne indes dadurch fiir das refime in power das Dilenuna von Organisation und Gewalt zu lösen. Die Gewaltstiibe können sich jederzeit gegen die politischen Machthaber richten und verselbständigen. Dies lehrt die Geschichte Ägyptens ebenso wie die Libyens, Iraks, Syriens, Venezuelas oder Nigerias.
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gen Fällen, wie etwa in Liberia oder Sierra Leone, durch den massiven Rückgang von Renteneinkommen und der daraus resultierenden Vermindenmg der Patronagemöglichkeiten mit verursacht worden (vgl. Schlichte 1998c). Die Fragilität der Rentierstaaten liegt im Changieren von Märkten begründet, flir deren Dynamik wiederum viele Dinge eine Rolle spielen...Veränderte Weltmarktpreise schlagen direkt auf die Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Herrschaft durch. Zu den Faktoren der Preise gehört die Entwicklung von Substituten genauso wie die Veränderungen der Nachfrage durch Rezessionen. Zölle und nicht-tarifare Handelshindernisse bestimmen ebenso über die Einnahmen von Rentierstaaten wie Veränderungen in den Pmduktionsbedingungen in den anderen Lieferstaaten. Die Effekte von solchen Veränderungen sind umso dramatischer, als die lose Verbindung zwischen staatlichem Apparat und Bevölkerung die Ausbildung von vermittelnden Institutionen nicht befördert, die in Krisenzeiten der Bewältigung von Konflikten dienen könnten. Instabilität weisen auch jene Rentenstaaten auf, die ihre Sondereinkommen nicht Bodenschätzen und klimatischen Bedingungen, also der ökonomischen Faktorausstattung verdanken, sondern durch politische Umstände in einer herausgehobenen Position sind und deshalb Hilfen und Sonderbedingungen genießen.t47 Besonders das Ende des Ost-West-Konflikts hat die Instabilität solcher »geopolitischen Renten« verdeutlicht. Die Schicksale Südafrikas, der Staaten am Horn von Afrika aber auch einzelner Regime wie in Indonesien und 'Thailand hat die Volatilität dieser politischen Renten verdeutlicht.t48 Renten erlauben besondere Beziehungen des Staates zu seiner Bevölkerung, indern sie von sonstigen wirtschaftlichen Vorgängen auf dem Territorium unabhängige Investitionen und Verteilungen ermöglichen. Typisches Re:.&ultat dieser Konstellation ist daher auch eine Verschärfung des Phänomens ·der »strukturellen Heterogenität«, der gleichzeitigen Existenz hochmoderner und traditionaler Verhältnisse in Gesellschaft und Ökonomie. Renten erlauben einen mindestens teilweisen Verzicht auf die Erhebung von Steuern, sie ermöglichen die Abfederung der aus sozialen Verwerfungen und Modernisierungsprozessen entstehenden Konflikte und vermindern ebenfalls den Partizipationsdruck, der über die Steuerlast der Staatsbürger entstehen würde.
147 Eine Kritik an einer solchen Ausweitung des Rentenbegriffs auf alle Machtdifferenzen, die in monetären Gewiru1 umgemünzt werden können, fmdet sich bei Neelsen (1997: B1ff.). 148 Eine Ersatznische hat sich nur für jene Regime ergeben, die sich glaubhaft als Gegenkräfte gegen den islamischen Fundamentalismus darstellen konnten, wie Marokko, wie Saudi-Arabien, aber auch Uganda. Neuerdings wird die Sonderstellung wohl zunehmend mit einer herausgehobenen Bedeutung inl Kampf gegen den »ggobalen Terrorismus« begründet werden. Regionalmächte dürfen auch so weiterhin mit Unterstützung rechnen (vgl. Ibrahinl1994).
DAS GELD DES STAATES
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Aber die Außenabhängigkeit, die die Weltmärkte bestimmen, macht einzelstaatliche Regelung unmöglich und macht aus dem Staat den zentralen Aneignungsort ökonomischer und politischer MachtmitteL Diese Abhängigkeit1 von äußeren Bedingungen bei gleichzeitiger Unverbundenheit mit der »inneren Ökonomie<< macht deutlich: Rentierstaaten sind eher Kreationen des internationalen Systems als Resultate innerer Prozesse (Neelsen 1997:140). Die politischen Konsequenzen der Rentenbasis erschöpfen sich jedoch nicht im Mangel an Bürokratisierung. Sie zeigen sich gleichermaßen in den Mentalitäten und Praktiken, und zwar sowohl auf Seiten der Herrschenden wie der Beherrschten. Für die Inhaber der staatlichen Macht ist die Sicherung eines Anteils und seine Verwandlung in sichere Anlagen im Ausland eine rationale Strategie, um vor den Wechselhaftigkeiten der Rentenökonomien gefeit zu sein. Zugleich ist für sie der Versuch typisch, durch prestigeheischende Projekte sich dasjenige symbolische Kapital zu schaffen, das ihre Macht in wirkliche Herrschaft verwandeln würde. Vieles von dem, was Herrschergruppen in Rentierstaaten als überzogene Selbstdarstellung und als kriminelle Aneignung nachgesagt wird, ist Teil einer symbolischen Strategie, die den jeweiligen Akkumulationslogiken gehorcht. Damit sind auch diese Praktiken Teil der Dynamik von Macht und Herrschaft. Auf der anderen Seite ergreift auch die Regierten die Logik des Rentierstaates. Zum einen bewirkt er mit der Länge hinreichender Einkommen verfestigte Erwartungshaltungen gegenüber den staatlichen Agenturen. Verminderungen der distribuierten Flüsse sorgen für politische Unzufriedenheit. Zum anderen entwickelt sich gerade in jenen Rentenstaaten, in denen nicht-staatliche Produzenten zuerst über die zu veräußernden Güter verfügen, eine Vielzahl von Praktiken, die die Aneignung durch den Staat unterlaufen. Die Kapitalflucht durch international bewegliche Akteure gehört dazu genauso wie der Schmuggel, der sich zum System ausweiten kann, wenn die vom Staat einbehaltenen Margen große Preisdifferenzen schaffen. 149 Unter dem Druck von starker indirekter Besteuerung und hoher Rentenabschöpfung bilden alle Akteure Praktiken aus, die eine Eigendynamik entfalten können. Wenn Kapitalflucht und Steuerhinterziehung allgemeine Praxis werden, wird die Einhaltung der staatlichen Norm irrational. Nicht bloß »korrupte Eliten« (Tetzlaff 1999: 308) sind deshalb an massiven Mindereinnahmen und Finanzkrisen des Staates ))Schuld«, sondern diese sind das Resultat sich selbst verstärkender Prozesse, die überall auftreten können, wo sich Staatsmentalitäten nicht hinreichend
149 In den Staaten Afrikas führt dies dazu, dass der Großteil des Außenhandels informell abgewickelt wird, vgl. MacGaffey et al. (1991) und Hibou (1996).
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DER STAAT IN DER WELTGESELLSCHAfT
ausgeprägt haben. Nicht bloß die Wenigen in den Herrschaftspositionen, sondem eben:so"di.~elen-ßehel:!:schten verursachen die Krise.1so ( Der Staat als Unterneh'!'_er;_ .iJn beträchtlicher Teil der Finanzmittel der Staaten derDntten--WeifTst"bisher über die wirtschaftlichen Aktivitäten der Staaten selbst erhoben worden. Vermarktungsmonopole des Staates für Rohstoffe, staatliche Industrien und Diensdeistungsuntemehmen wie Banken und Versicherungen gehörten zum Standardbild des Dritte-Welt-Staates. Hintergrund !dieser Verhältnisse war die Vorstellung vom Staat als Hauptagent der wirtschaftliehen und sozialen Entwicklung, wie sie im Konzept des developmental state ihre begriffliche Fassung fand.1s1 Faktisch ging die ökonomische Bedeutung des Staates weit über diese unmittelbar auf Gewinne zielenden Unternehmungen hinaus. In den Dekaden \der fünfzigerund sechziger Jahre prägte der aktive Entwicklungsstaat das Bild Jder Ökonomie viel weitreichender: Importsubstituierende Industrialisierung, ·1Wohnungsbauprogramme, Landreformprojekte, Bildung, Gesundheitsversor1 1gung und die Kontrolle der Weltmarktintegration insgesamt wurden als Auf1gaben des Staates betrachtet. In vielen Fällen, wie etwa in Indien, umfasste die Form des »wirtschaftlichen Eigenbetrieb« zur Bedarfsdeckung des Staates auch die Verstaatlichung der Banken, Versicherungen und Handelsgesellschaften (vgl. Schelkle 1995), oder, wie in den sozialistischen Staaten, nahezu die gesamte formelle Wirtschaft. Mit den Folgen der weltwirtschaftliehen Umbrüche in den siebziger und achtziger Jahren und dem Scheitern der populistischen Antworten auf die aufbrechenden Krisen ist deutlich geworden, wie voraussetzungsreich diese Politik war. Nur in wenigen Fällen hat das Projekt des Entwicklungsstaates zu Erfolgen geführt. Chile und Brasilien in Lateinamerika, Südkorea und Taiwan werden gemeinhin dazugezählt (vgl. Menzel/Senghaas 1986). Immer ist das erreichte Ausmaß »starker Staatlichkeit« mit massiven sozialen Umwälzungen, einer lang
l; I
150 Zu dieser Problematik vgl. Bayarts Analyse der »Politik des Bauches« (1989) und de Sardans (1999) Analyse der als »Korruption« denunzierten moralischen Ökonomie afrikanischer Gesellschaften. 151 In den USA ist dieser Begriff, dessen reale Entsprechungen bis in die koloniale Praxis der 1930er und 1940er Jahre zurückreichen, durch das Werk von Chalmers Johnston (1982) bekannt geworden. In Europa ist diese Vorstellung seit dem 19. Jahrhundert verbreitet (vgl. Cummings 1999: 62). In der Debatte gelten Japans Bemühungen, die preußische Machtstaatsbildung zu kopieren, als erster Fall einer bewussten Einsatzes des Staates als Subjekt der Modemisierung. Historisch ist aber wohl spätestens der Merkantilismus eine solche gommrnementa/ili. Zur Frage, ob sich ob das Modell des dnmlopmental slale erfolgreich war, vgl. Pempel (1999). ' Zur historischen Entwicklung und allgemeinen Problematik von staatlichen Unternehmen in · der Dritten Welt vgl. Waterbury (1993), der den »Idealismus« der nationalen Entwicklung als Entstehungsgrund gegenüber dem Eigeninteresse einer »Staatsklasse« hervorhebt.
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andauernden repressiven Herrschaft und starkem externen Mittelzufluss einhergegangen. Einzelne Erfolge sind auch den besonderen Konstellationen, etwa temporären Allianzen von ökonomischen Machtgruppen und Teilen des staatlichen Apparates, die einen esprit de corps, eben den sozialen Habitus des Fachbeamten, ausgebildet hatten, geschuldet (vgl. Evans 1995). In der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle jedoch zeichnete sich spätestens Mitte der achtziger Jahre die »Krise des Entwicklungsstaates« (Simonis 1985) ab. Zugleich wurde bei internationalen Organisationen das Ideal des »schlanken Staates« dominant. Das im Weltentwicklungsbericht der Weltbank formulierte Ideal des Staates, der sich auf seine core public activities konzentrieren solle (World Bank 1997: IV), ist dabei schon die Reaktion auf die unintendierten Effekte der Verschlankung des Staates, die in der Privatisierungseuphorie der 1980er und frühen 90er Jahre stattgefunden hatte (s.u.). Dieser Wandel der Ideen wurde unterstützt durch die Bestrebungen derer, die an den Verwertungsmöglichkeiten durch Privatisierungen interessiert waren. Der Hauptgrund für das Scheitern des Modells des Entwicklungsstaates lag jedoch darin, dass die Voraussetzung nicht gegeben war: ein Staat, der als wenigstens teilautonome Institution das Programm der Entwicklung hätte umsetzen können. Was sich in den Entwicklungsst~aten entwickelte, war bürokratischer Kapitalismus, dessen Dynamik nicht ausreichte, um die Werte zu generieren, die von der staatlichen Bedarfsdeckung durch Eigenwirtschaft erwartet worden waren. Seine politische Stabilität beruhte auf den Praktiken der Patronage, für die die staatlichen Unternehmen vorzügliche Felder darstellten. Zum wirklich ökonomischen Problem wurde nur die »Vollverstaatlichung der Wirtschaft«, wie sie in fast allen sozialistischen Staaten stattgefunden hatte. Die Einschränkung der Faktorbewegungen, die grobe Verzerrung durch falsche Anreizstrukturen und der technologische Rückstand ließen die staatlichen Gesamtwirtschaften Ende der 1980er Jahre so stark in die Krise geraten, dass 'ej, :·.· 'tätskrise zum Systemwechsel oder zur Entstaatlichung führte:~~ 2 ... ,-;::· -~ di!.~l ie größte öffentliche Beachtung in Wissenschaft und Publizistik hat w · · unter den fiskalischen Grundlagen staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt die Dynamik der externen Verschuldung gefunden. Über die externen Verbindlichkeiten der nachkolonialen Staaten ergab sich die nachhaltigste Wirkung auf die Form politischer Herrschaft. In der »Verschuldungskrise« zu Beginn der 1980erJahre kulminierten die Schulden der Staaten Afrikas, Asiens und vor allem Lateinamerikas zu einer die internationale Politik herausfor-
~
152 Zur Dynamik des Niedergangs der sozialistischen Staaten vgl. Sinn/Sinn (1993: 41ff.), Maie,· (1999) und Sapir (1992; 1996).
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DER STAAT IN DI!R WI!LTGESELLSCHAPT
Uernden Krise. Ihr Ergebnis war eine weitere Verdichtung des Zusammenhangs zwischen monetären Weltmärkten und fiskalischen Sttukturen der betroffenen Staaten und eine lntemationalierung von Herrschaftszusammenhängen. Kredite, ob intern oder extern aufgenommen, dienen Staaten zunächst einmal als Alternative zur Besteuerung der ökonomischen Vorgänge ihrer jeweiligen Bevölkerungen. Sie waren und sind, gemessen an den politischen Kosten, eine einfache Alternative, denn ihr Bezug erspart die nur gegen Widerstände durchsetzbare Verminderung verfügbarer Einkommen und Gewinne. Art, Ausmaß und Konsequenzen der Verschuldung von Staaten sind je~ doch nicht nur ein Resultat der inneren politischen und ökonomischen Verhältnisse, sondern ebenso sehr das Ergebnis der internationalen Umgebung. Die für die meisten Staaten der Dritten Welt kennzeichnende hohe Auslandsverschuldung ist daher nicht als Ergebnis rein der inneren Verhältnisse zu betrachten, sondern auch sie fmdet ihre Erklärung in weltwirtschaftliehen Entwicklungen und ihren politischen Rahmungen. Die Verfügbarkeit und die Konditionen von internationalen Krediten unterliegen nicht der Entscheidung der Staaten, die diese aufnehmen. Eher noch haben diese Teil an der Konstruktion der Zwecke, für die die empfangenen Mittel Verwendung finden. Bereits die Ursachen der Verschuldung verweisen auf internationale Zusammenhänge. Denn es war das Schwanken der Renteneinkommen, der Preisverfall für Rohstoffe auf den Weltmärkten, den Anstieg der Energiepreise und die im Verhältnis zu produktiveren Betrieben in anderen Regionen vielfach unrentable wirtschaftenden Staatsunternehmen, die den Rückgriff auf international verfügbares Kapital zur Finanzierung der staatlichen Herrschaft nötig machte. ' Die Möglichkeit der Geldaufnahme war indes globalen Entwicklungen geschuldet. Am historischen Aufbau der Verschuldung der Dritten Welt lässt sich dies leicht erkennen. Es war vor allem die Zunahme der liquiden Mittel wie der Weltwährungsreserven, die nach dem Ende der Bretton-Woods-Ara Mitte der siebziger Jahre nach Anlagen suchten (Huffschmid 1999: 43). Während bis dahin die öffentliche Finanzierung der »Entwicklung« dominiert hatte, floss den Regierungen der Dritten Welt nun zunehmend von Privatbanken Kapitel zu.m Erst mit dem Ausbruch der Schuldenkrise in den achtziger Jahren begann sich dann wiederum eine prekäre öffentliche, nunmehr 15:!> Die historischen Wurzeln dieser Kreditbeziehungen reichen natürlich viel weiter. Die Geschichte der Verschuldung des Osmanischen Reiches und Ägyptens unter Ali im 19. Jh. ist das bekannteste Beispiel (vgl. Kindleberger 1984: 25lff.). Bei der Auflös1.n1g des Osmanischen Reiches hat die Verschuldung der Hohen, Pforte und der lok.'llen Machthaber, etwa im Maghreb (vgl. Anderson 1987), eine entscheidende Rolle gespielt.
DAS GELD DES STAATES
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internationale Institutionalisierung des Zusammenhangs von Kreditmärkten ' und Staatsfmanzierung zu ergeben, nämlich durch die Weltbankgruppe und : den Internationalen Währungsfond. ' Am Beginn der Verschuldung stand jedoch die politische Rahmenbedingung des Ost-West-Konflikts, die die Konkurrenz zwischen den Supermächten um Unterstützung und Verbündete in den südlichen Erdteilen einleitete. Teil der werbenden Maßnahmen waren auch Kredite und militärische Hilfe (Spero 1990: 161). Eingekleidet in die euphorischen Annalunen der Modernisierungstheorie sollte die Kapitalhilfe zugleich dazu dienen, eine Expansion der Weltmärkte und entsprechende soziale Entwicklung in den gerade dekolonisierten Staaten einzuleiten. Erst in den frühen sechziger Jahren schufen auch jene westlichen Staaten ihre Entwicklungsagenturen, die nicht schon durch die koloniale Tradition über entsprechende, nun umbenannte Institutionen verfügten. Internationale Kredite und Zuschüsse als »Entwicklungshilfe« sind . somit ein Produkt der historischen Situation der Nachkriegsordnung. Die Verteilung und der Fluss der Mittel blieben jedoch ungleichmäßig und erratisch. Neben strategischen Interessen waren es besondere Beziehungen zu ehemaligen Kolonien oder singuläre wirtschaftliche Interessen, die über die Zuweisung von Mitteln und die Gewährung von Krediten entschieden. Das Engagement der USA etwa konzentrierte sich bald auf wenige Länder: In Indien, Südvietnam und Indonesien, später Ägypten, Israel und Zentralamerika (Spero 1990: 163). Einen Generalplan der Entwicklung gab es ebenso wenig wie eine Koordination der eingesetzten Mittel. Vielmehr trafen sich das Angebot an liquidem Kapital, das Interesse an seiner Vexwertung und die Nachfrage nach mindestens kurzfristig günstigen Entlastungen der fiskalischen Probleme in den nachkolonialen Staaten. Ähnlich unabhängig von den konkreten Erfordernissen der »Entwicklung« oder Modernisierung in den Zielländern der Kapitalhilfe entwickelte sich der zunehmend private Kapitalstrom ab den siebziger Jahren. Hintergrund dieser Verschiebung hin zu privaten Krediten waren sowohl durch die Rezession der westlichen Staaten freiwerdende Mittel wie die auflaufenden Vermögen aus den Erdöl exportierenden Rentierstaaten. »Metrodollarsi< und »Petrodollars« suchten Anlagemöglichkeiten und schufen günstige Kredite (Altvater/Hübner 1987: 20). Die unwirtschaftliche Vexwendung der Mittel 154 und das Ausbleiben der erhofften makroökonomischen Effekte führten Anfang der 1980er Jahre zur 154 Es ist ein bis heute unentschiedener Streit, in welchem Verhältnis wessen Großzügigkeiten, Täuschungen, Illusionen und Nachlässigkeiten die »Schuldenkrise<< hervorriefen. Angeführt werden die zu sorglose Vergabe der Mittel, etwa für unrentable Großprojekte. Aber auch Kapitalflucht und rein konsurntive Verwendung der Kreditempfänger werden als Ursache für
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»Verschuldungslo:ise«, als die Zahlungsunfähigkeit einiger Großschuldner die Stabilität des Weltfinanzsystems zu gefährden drohte. Die noch unter leitender Funktion der USA ins Werk gesetzte internationale Reaktion auf diese Entwicklung (Spero 1990: 181) führte vor allem zu einer Internationalisierung del" Regulierung. Die Weltbankgruppe und der Internationale Währungsfond übernahmen die Gestaltung der politischen Maßnahmen zur Eindämmung der 'Schuldenproblematik. Ihre Politik war dabei weniger die Anwendung spezifischer ökonomischer Lehrmeinungen, sondern vor allem geprägt durch einen diffusen Liberalismus, dem Drang nach Vereinfachung komplexer sozial-ökonomischer Verhältnisse, und dem Willen nach Eingrenzung des politischen Bereichs - vor dessen Eirunischung eine an sich funktionsfähige Ökonomie zu schützen sei (Hibou ·1998; Philip 1999). Denn im politischen Raum der Weltgesellschaft müssen i sich die internationalen Finanzorganisationen ihre Legitimität nicht in den Ländern verschaffen, in denen ihre Programme zur Anwendung kommen, sondern dort, wo die Mittel für diese Programme bewilligt werden. Die Krea' tion der liberalen ökonomischen Diskurse dul"Ch diese Institutionen antwortet I Iauf Erwartungshaltungen und Verstehenshorizonte im Westen. Die verordneten Programme waren nicht nur durch die Schaffung neuel" ökonomischer Diskurse über Grenzen der wirtschaftlichen Aktivitäten des Sta~~ond.eJ:u...fiilixt.en zudem zu einer rasch ausgt:~ifend~.n(J~~~~;. Ji;,nalisierung._y:g_QJ:!~.tt~s:.b:.af,t.JNicht mehr nationale .Regierungen allein, son---- .........."":-dem diese in Abstimmung mit den internationalen Finanzorganisationen bestimmten Inhalte und Umfang staatlicher Wirtschaftspolitik, den Umfang der staatlich organisierten sozialen Sicherheit und die Verteilung von staatlichen ' Mitteln überhaupt. Diese Konstellation hat sich seit der Schuldenkrise verstetigt. Nicht das freie Spiel von Angebot und Nachfrage auf den Weltkreditmärkten bestimmt über Kapitalflüsse und alte Verbindlichkeiten, sondern die Verhandlungen zwischen Regierungen und internationalen Organisationen entscheiden über Bedingungen der Kreditvergabe. Die damit einhergehende Beeinflussung der 'einzelstaatlichen Politiken bis hin zur Strukturierung der staatlichen Apparate ubd ihrer institutionellen Gestalt ist mit dem Terminus der Intervention nicht mehf zureichend beschrieben. Auch mit der Kennzeichnung als Verletzung von Souyeränität (vgl Krasner 1999: 127-151) ist diese Konstellation nicht --.~·-
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. ' die Zuspitzw1g der VerschuldW1g bis zur Zah\WlgsW1fiihigkeit einiger Großschuldner
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genannt, ebenso der- moralisch neutral behandelte- Zinsanstieg durch die Verschuldung der USA. Für die häufig rein distributive, loyalitätsheischende Mittelvergabe sind die Beiträge in Brownbridge/Harvey (1999) aufschlussreich.
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benannt. Mit dieser Institutionalisierung der fiskalischen Ordmmg hat sieb Herrschaft vielmehr internationalisiert. Das Schuldenmanagement war ein genuines Politikum, weil bei der Entscheidung über Mittelfreigaben, Kreditverlängerungen und UmschuldungetJ politische Vorstellungen und Erwartungen der in den internationalen Finanzorganisationen hauptsächlich vertretenen Regierungen eine wesentliche Rolle spielten. 155 Gleichwohl können diese neuen politischen Figurationen nicht ab Übernahme der politischen Macht oder als »Neo-Imperialismus« interpt-etier1 werden. Es waren vielmehr, wie in vielen anderen politischen Prozessen, institutionelle Eigenlogiken, angetrieben vom Interesse an Karrieren, Selbstlegitimationen und Agenden, gestützt durch das Bündnisbedürfnis der Amtsinhaber und die globalen Diskurse der ))Entwicklung« in ihren changierende11
tÄ.r~~~tions- und Denkfiguren.
{ ·' H.z~s~samt hat sich in den Staaten der ?ritten Welt durc~ die Ve·r~ S'affi:Itlung, die zwar schwankenden, aber noch fließenden Rentenetnkommen und die Erwirtschaftungen der Staatsbetriebe eine grundsätzlich andere Figuration von politischen Beziehungen, als im klassischen ))Steuerstaat« ergeben: Für die Finanzierung staatlicher Apparate und die Praktiken der Akkomodation durch Patronage und Klientelismus ergaben sich Alternativen zur Besteuerung. Die ))Bedarfsdeckung« politischer Herrschaft über die - notwendig konfliktive - Aneignung von Werten konnte durch die Aufnahme von Krediten und- in wachsendem Masse in vielen Staaten- durch die Ökonomie det ))Hilfe« umgangen werden. Auch diese Praxis ist international eingebettet. Die Möglichkeiten der Finanzierung des Staates werden seit Beginn der Eigenstaatlichkeit auch beeinflusst von einer teils in den Metropolen, teils in den Klientenstaaten generierten und unterstützten Dynamik, dem Markt der Hilfe. Zwar haben Personal, Mittelflüsse und ))Projekte« auf diesem Markt alle eine ökonomische Bedeutung. Dieser Markt ist jedoch seinem Wesen nach politisch. Denn über die Ziele und Maßnahmen, über Verteilungen und Kooperationen entscheide11 nicht in erster Linie wirtschaftliche Erwägungen, sondern die im komplexen Wechselspiel von Geberinteressen und -ideen mit den lokalen Dynamiken det Empfangerkontexte generierten politischen Haltungen und Figurationen. Teils übernimmt die ))Entwicklungszusammena.rbeit« Staatsfunktionen. Sif schafft damit ein Interesse an der Fortdauer dieser )JDelegation<<, bedinb>t alleit~ durch Interesse am Selbsterhalt der beteiligten internationalen Organisationen Damit beeinflusst sie das institutionelle Gefüge- und eben auch die Grenzer
155 Am anschaulichsten wird dies bei der Kredin•ergabe gegenüber der Russischen Föderation vgl. Sap.ir (2000) und Belarus (Neunhöer 2001: 76ff.).
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DER STAAT IN DER WELTGESELLSCHAFT
I
und Reichweiten staatlicher Herrschaft- mit. Das ganze Feld der Akteure der ,,Hilfe ist außerdem an der Konstruktion der Diskurse und an der Definition fvon Problemen beteiligt. D_a.~ ..f.~lq __d.er_ J:::I!l.f«: i~t gle~<:l:l~~i!~g ~x~~~- !!!Jgjp.tem, in ihm verschränken sich Interessen und Ideen des entwickelten Westens mit der distributiven Logik des Südens.
I I
Tab. 5: Entwicklungshi!febezjige (ODA) ausgewählterUinder Empfangen in 2000,in Mio USD
Anteil d. bilateralen Hilfe in%
Anteil ODA anBSP
820
65
13,1
1.487 641 401 325 1.328 1.731 -84 322 703
51 97 91 60 83 92 84
0,3 0,5 0,8 0,2 1,3 1,2 0,0 0,1 1,1
Uganda Indien Thailand Peru Türkei ÄJM>ten Indonesien Mexiko Brasilien Pakistan
··--
72
55
Hauptgeber
IO,GB,DK; USA IO; Japan, GB Japan,D Japan, USA, D USA,F,EU USA;F,EU Japan, USA; D Japan, F, USA Japan,D, F Japan, 10
Q11elle: lliiVIII1.oecd.org/ (/(}(/ images/ aid-rrdpients.htm; 3. AII!JIJI 2002, 1'!}. die dort gegebenen Definitionen der offieial rkwlopnNntal aidff (0DA)
I
Die konkreten Formen und Praktiken der Entwicklungshilfe entwickelten sich , teils aus spezifischen Konstellationen der internationalen Politik, teils als 1 Ii Transformationen der in der Kolonialzeit bereits geformten Projekts der ~))Entwicklung«. Durch Krisen und Konjunkturen auf den lokalen wie intenla1 tionalen Märkten dehnten sich die ursprünglich auf wirtschaftspoli~che Maßl nahmen beschränkten Politiken aus und mündeten in die faktische Übernahme I klassischer Staatsfunktionen wie Bildung und Gesundheitsversorgung. Die Ernährungskrise ebenso wie die Verteuerung der fossilen Energieträger in den siebziger Jahren dramatisierten die ökonomische Lage in vielen Staaten und führten zu umfangreichen Transfers und Stabilisierungsmaßnahmen (Spero 1990: 165), deren Träger schließlich zu Interessenkoalitionen . zusammenfanden. Nicht nur die Nachfrage nach Hilfe bestimmte deren Form ~und Umfang, sondern· ebenso das Angebot der an diesen Transfers als Geber [beteiligten Institutionen. Die Dynamik des institutionellen Selbsterhalts ist Teil \der Erklärung der Kontinuität des ))1-Iilfe-Komplexes« (vgl. Pouligny 2001).
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Die Bedeutung der Hilfsflüsse fällt für die Staaten der Dritten Welt indes sehr unterschiedlich aus (vgl. Tab. 5). Während besonders Nachkriegsstaaten wie Mosambik, Athiopien, Mali und Eritrea Anteile der Hilfe am Bruttosozialprodukt zwischen 15 und 25 Prozent aufweisen, scheint der Anteil in anderen Fällen zu vernachlässigen zu sein. Bedenkt man jedoch die geringe Staatsquote, so ist der Anteil der 1-Iilfsgelder, ob als Kredit oder Zuschuss, an den verfügbaren Mitteln des Staates keineswegs unbeträchtlich.l56 Der Bedeutungszuwachs der Hilfe an den Mitteln des Staates hat indes keinen grundlegenden Wandel der Konstellation herbeigeführt. Die Zuwe~~-; dungen, die nicht regehnäßig eintreffen, sondern immer mit politischen Aufla- • gen nach Verhandlungen neu vergeben werden, sind vielmehr ebenfalls ein I Hauptvektor der Internationalisierung von Herrschaft: Nicht mehr Staaten und Regierungen entscheiden über die politischen Richtungen, sondern die ' konkrete Staatspraxis wird zunehmend mitbestimmt von internationalen Or- . ganisationen und den Vorstellungen einzelner auswärtiger Regierungen. ,
4.5 Privatisierung und Informalisierung - die jüngeren Entwicklungen Die Wandlungen der fiskalischen Grundlagen staatlicher Herrschaft haben seit den ersten Höhepunkten der Schuldenkrise neue Formen angenommen. Zunächst vor allem unter dem Druck der internationalen Finanzorganisationen ist es zu einer Welle der Liberalisie:rungen gekommen, die vor allem den Bereich des Außenhandels betroffen hat. Daneben haben sich Politikmodelle globalisiert, deren Ursprung wiederum im Westen liegen, die durch internationale Organisationen durchgesetzt werden. Die Programme der Privatisierung, aber auch allgemein die Herausnahme des Staates aus ökonomischen Vorgängen, sind dafür das bekannteste Beispiel. Die Konsequenzen dieser Dynamiken, die zwar extem induziert sein mÖ-j gen, deshalb aber nicht ohne lokale Interessenkonvergenzen geblieben sind,\ zeigen sich als für die Zukunft staatlicher Herrschaft ausgesprochen bedenklich. Denn sie bedeuten vor allem eine Verrninderung der Handlungsspiel-
\ ----\
156 Hinzu kommt, dass die vorliegenden Statistiken nur Zuwendungen von staatlichen lUld internationalen Gebern auffUhren, Über den in vielen Fällen nicht unerhcblich<.-n Anteil vun Mitteln, die statistisch nicht erfasst über Nichtregierungsorganisationen und Netzwerke der privaten Hilfe fließen, liegen k-eine verlässlichen Zahlen vor.
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räume staatlicher Agenturen bei der Suche nach Möglichkeiten der Finanzierung. Die sich ankündigende WirkWig der international gestützten VerschlankWlg staatlicher Herrschaft und der als »Liberalisierung« bezeichneten Deregu. lierung der Ökonomien ist eine wachsende lnformalisierung nicht nut der : materiellen Reproduktion der Bevölkerung, sondern auch der Politik. In dem : Maß, in dem offtzieller Politik die Mittel Wld Möglichkeiten entzogen werden, : greifen staatliche Akteure auf inf01melle und kriminelle Praktiken zurück, um ' Herrschaftspositionen zu erhalten. Spätestens mit dem Beginn der so genannten »Strukturanpassungsprogramme« des Internationalen Währungsfonds haben sich die Rahmenbedingungen der Fiskalität der Staaten der Dritten Welt noch einmal gewandelt. Diese Programme, die seit den ersten HöhepWlkten der »VerschuldWigskrise« zu Beginn der 1980er Jahre nahezu allen Staaten Asiens, Afrikas Wld Lateinamerikas auferlegt wurden, beinhalteten vor allem eine rigide Austeritätspolitik, deren Ziel monetäre Stabilität der Währungen und ZahlWigsfähigkeit der Regierungen war (vgL Chahoud 1987: 44ff.). Ihre WirkWigen auf die staatliche Herrschaft bestanden vor allem in einem massiven Legitimitätsverlust, denn die Auflagen der institutionellen Wld privaten Kreditgeber beinhalteten fast 1 inuner auch das Ende der Subventionierung von Grundnahrungsmitteln, die J f Auflösung von ohnehin rudimentären Systemen der sozialen Sicherung und !die Verkleinerung des öffentlichen Sektors. j Mindestens die dann weitergehenden Reformen, die vor allem auf die Pri; vatisierung staatlicher und nicht-staatlicher Unternehmen abzielen, sind nicht allein von internationalen Organisationen gefordert, sondern auch von einheimischen Interessenten gewünscht (Haggard/Maxfield 1996: 61). Hinzu kommt die Generalisierung von Vorstellungen bei den internationalen Finanzorganisationen, die den Staat nicht mehr als alleinigen Lieferanten kollektiver Güter sehen - auch der Bereich der Sicherheit wird davon nicht ausgenommen (World Bank 1997: 5). Am Markt orientierten Unternehmen witd unterstellt, sie könnten Allokationsprobleme besser lösen und eine effiziente Unternehmensfüluung besser gewährleisten, weil sie ohne politische Rücksichtnahme agierten. Nutznießer der Privatisierungen sind neben internationalem Kapi1tall5 7 aber vor allem heimische Machtgruppen, weil die international gestützte
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157 Wie in den Staaten des Westens, allen voran Großbritanniens, waren Investmentbanken und institutionelle Anleger starke Befütworter der Privatisierungen, deren Abwicklung die Banken in der Regel übernahmen (Huffschmid 1999: 75ff.). Um Missverständnissen vorzubeugen: Privatisierungen sind nicht das Resultat einer Verschwörung »des Fin~~nzkapitals«, sonde1n betuhen auch auf veränderten Vorstellungen übet das Politische in politischen Klassen und Bevölkerungen. Sie sind Ausdruck einer veränderten gouvemementalite. Die konkrete
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Politik die Bereicherung derer befördert, die über die politische Macht verfügen, sich die veräußerten Werte unter Preis anzueignen. Für die Erwerbschancen an den Pdvatisierungsobjekten war die Nähe zur politischen Macht überall, ob im subsaharischen Afrika oder in der Russischen Föderation, die entscheidende Vadable. Wo ausländisches Kapital an der Aufteilung teilhabel'l wollte, brauchte es den inländischen Brückenkopf für das jO"int vmture, um in das dichte Geflecht ökonomischer und politischer Macht überhaupt Eintritt zu erhalten. Für die Restrukturie!Wlg der Machtverhältnisse unter Ausnutzung" informeller Praktiken wurde die Politik der Privatisierung daher zu einem · bevorzugten Kampffeld. Zugleich bot die Verteilung dieser ökonomischen. Chancen vielen Staatsoberhäuptern Gelegenheit, neue Machtbalancen im eige- · nen politischen Feld durch die Zuteilung von Pfründen herzustellen. Die Effekte der Privatisierung sind gleichbedeutend mit einer Verminderung der Bereiche, in denen staatliche Herrschaft gestalten kann. Die Transformation derjenigen Agenturen, die ehemals im staatlichen Auftrag für die Versorgung mit öffentlichen Gütern oder für die Produktion und den Handel zuständig waren und nun in »neutrale«, vermeintlich nur dem Markt verpflichtete Unternehmen sind, hat vor allem die Möglichkeiten direkter Patronage eingeschränkt Dort, wo die Staatsunternehmen rentabel waren, hat sie auch den Verlust von ftskalischen Einnahmen bedeutet. Für weite Teile der Bevölke!Wlg sind die Effekte ebenso wenig eindeutig. Die Kommerzialisie!Wlg öffentlicher Güter hat Märkte ergeben, auf denen sich die wohlhabenden Schichten versorgen können, während sie den Vielen, die nicht über hilfreiche soziale Beziehungen verfügen, verschlossen bleiben. 158 Der Verlust an Arbeitsplätzen und an sozialer Sicherheit, der mit der Privati-} sierung immer einherging, äußerte sich indes immer als Klage gegenüber »dem!:· Staat«. Nicht komplexe Prozesse, sondern die regierende Ordnung und ihre; Personifizie!Wlgen wurden für diese Einbußen verantwortlich gemacht. Das Ende des Entwicklungsstaates hat deshalb weitreichende politische Konse- \ quenzen. Der Korparatismus dieser Konstellation bedeutete auch den privile- ~ gierten Zugang bestimmter Gruppen zu den Zentren politischer Macht (Öni~ 1991: 119) - der Abbau der staatlichen Patronage ist deshalb zugleich ein f
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Entscheidung zur Privatisierung ist wie in westlichen Staaten immer eingebettet in solche allgemeinen Veränderungen von Haltungen und in kurzfristige Faktoren wie Führungsprobleme, Groppenstärken und Ressourcenschwund, vgl. zu westlichen Staaten Fcigenbawn et al. (1998: 26) und zur Privatisierungspolitik in Afrika Herbst (1990) und Hibou (1996). 158 Dieser Unterschied betrifft den Zug:mg zur Telekomrnw1ikation genauso wie für die Sicherheit gegenüber krimineller Gewalt. Es muss allerdings angemerkt werden, dass in vielen Fällen auch unter staatlicher Betriebsführung die Güter entweder nicht in hinreichender Menge zur Verfügung gestellt wurden, oder aber auch damals nur »mit Aufpreis«- Prämien der Korl'llp· tion - erhältlich waren.
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Verlust an Partizipation und gleichbedeutend mit einer Distanzierung des Staates gegenüber den ehemals von ihm Versorgten. »Strukturelle Anpassung« bedeutete eben auch die Verarmung und Auflösung von Mittelschichten, den eigentlichen Trägem demokratischer Reform. Die Verarmung der ohnehin Marginalisierteil hat, wie sich an der Entwicklung der Drogenökonomie in Lateinamerika studieren lässt, vor allem die Kriminalisierung befördert (Philip 1999). ~ .. Wegen der negativen und gelegentlich positionsgefährdenden Konsequenzen haben viele Regierungen der Dritten Welt versucht, Liberalisierungs- und Privatisierungsprogramme zu vermeiden oder zu verzögern. Nicht immer aber geschieht die Privatisierung wirklich. Beispiele wie Ägypten verdeutlichen, dass 'sich Regime der stabilisiereilden Bedeutung der staatlichen Betriebe als Institutionen der Patronage selbst bewusst sind (vgl. Ibrahim 1994). Sie wissen um die Risiken, die mit der Auflösung dieses Nexus zwischen Staat w1d Bevölke1ung verbunden ist und versuchen deshalb, dem äußereil Druck auf Privatisierung der staatlichen Betriebe nicht nachzugeben. Eine andere Reaktion der Machtgruppen in der Dritten Welt besteht in formaler Gefolgschaft und informeller Reorganisation. Die Täuschung der externen Kontrolleure, ihre willentliche oder unwillentliche Irreführung gehört zu den Praktiken der Regierenden, weil sie die geforderte Liberalisierung nur durchführen können, indem sie zugleich informelle Arrangements treffen, die die Herrschaftsverluste wieder ausgleichen (Hibou 1996). Die Informalisierung greift durch diesen Mechanismus auf die Politik über. Sie kann so weit gehen, dass nicht die offiziellen Institutionen, sondern shadow states (Reno 1995) das eigentliche Geflecht der Herrschaft bildeil.IS9 In diesem Stadium ist Herrschaft für Desinstitutionalisierung anfallig, denn diese Prozesse indizieren an sich schon Prekarität. Nicht nur aufgrund extern angeleiteter Liberalisierungen, sondern auch wegen Verschiebungen auf den Weltmärkten, wegen nicht hinreichendem Wachstums oder wegeil lokalen Mangels an Gelegenheiten schwinden in den meisten Regioneil der Dritten Welt die Chancen, im formellen Sektor Arbeit und Einkommen in einem Umfang bereit zustellen, dass damit nicht nur Sozialintegration gewährleistet werden kann, sondern auch eine solide Basis für die Finanzierung staatlicher Herrschaft erreicht wird. Mehr und mehr ökonomische Bereiche entgleiten der staatlichen Kontrolle. Diese Entwicklung ist indes nicht allein der gewollten Liberalisierung geschuldet, sondern sie indiziert eine
159 Weil die Mechanik der informeUen Herrschaft weniger sichtbar ist, wird der Mangel an offizieller Staatlichkeit für fehlende Herrschaft überhaupt gehalten. Das ist der Fehler der Redeweise von »Quasi-Stares« (Jackson 1990), die Inrormalität für Anomie hält.
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Zunahme von Praktiken, die auch bei Staatsagenten und in den politischen Klassen gefunden werden können. 160 Ihr Ergebnis ist jedenfalls, dass der ohnehin schmale Bereich der regulierten Ökonomie, die der staatlichen Kontrolle unterliegt, weiter zurückgeht. Damit erhält die »wirkliche Ökonomie«, nämlich die infonnelle, die außerhalb der OECD den größeren Anteil an der gesellschaftlichen Reproduktion einnimmt, auch f!,ine größere ·politische Bedeutung.161 Es gibt nur Indizien_da~r, d~s die~":'!~~~~:n~_de:. ~~ono~e global zugenommen hat,l62 weil steh d1ese Entw1cklungei1 defirulionsgemaß der offiziellen Beschreibung entziehen. Plausibilisieren lassen sich die Thesen i über diese Entwicklung dennoch. Das Beispiel der Kapitalflucht mag das verdeutlichen. Fonnal lässt sich zwischen legalen und illegalen Kapitalexporten unterscheiden. In Kontexten, in denen formales Recht nur unzureichend institutionalisiert ist, bleibt diese Unterscheidung rein politischer Natur. Die Möglichkeit an legalen oder legalisierten Kapitalexporten teilzunehmen, ist an politische Machtstellungen gekoppelt. Sie ist Teil des Bündels von Opportunitäten und Chancen, die mit der Innehabung von Amtsgewalt oder Verbindungen zu dieser verknüpft sind. Die Praktiken des Kapitalexports nun reichen von Aufstauen von Liquiditätsreserven im Ausland, der Unter- bzw. Überfakturierung im Außenhandel, über unternehmensinterne Transaktionen mit Auslandsniederlassungen, bis zu Geschäften auf Parallelmärkten fUr Devisen und Provisionen, die auf Auslandskanten hinterlegt werden. Keineswegs beschränken sich diese Praktiken auf nicht-staatliche Akteure. Die Vorteilsnahme dieser Art durch Staatsbedienstete und die politischen Klassen ist in allen Gesellschaften gängige Praxis (vgl. Gernählieh 1989: 15f.) und hat in Zeiten der Infonnalisierung von Herrschaft beständig zugenommen. Während nach Angaben des IWF für den 160 Über die Größe dieser informellen Ökonomie sind wohl keine wirklich realistischen Angaben möglich. Aufschlussreich ist indes schon, dass fiir 1988 »das schwarze Loch« des intcn1ationalen Zahlungsverkehrs, also Zahlungen zwischen Ländern, deren Äquivalente unbekannt sind, auf 1.000 Mrd. US-$ berechnet wurden (Couvrat/Pless 1993: 212). Das entsprach damals einem Drittel des Welthandels. 161 SchätZ;:;;g~;;:~~;.;,:Verhältrus-:,;Ön fonneUer und informeller »Wirtschaft« bewegen sich immer im vagen Ungefähr. Während fiir OECD-Smaten ein Anteil von lO bis 20 Prozent des informellen Sektors an der Wertschöpfung angenommen wird, sind es im subsaharischen Afrika um die 80 Prozent. Die anderen Regionen liegen dazwischen (vgl. Altvater/Mahnkopf 2002:
106). 162 Der Begriff bezieht sich hier auf die landläufig »Schattenwittschaft« genannten Bereich, also jene ök~nomischen Aktivitäten, die »nicht von der amtlichen Statistik erfasst und damit den Regelungs- und Revenue-Ansprüchen des Staates entzogen sind« (Evers 1987: 353), vgl. Archambault/Greffe (1984); Lautier et al. (1991); Komlosy et al. (1997); Schlichte/Wilke (2000: 366ff.) und Altvater/Mahnkopf (2002).
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Zehnjahreszeitraum von 1975 bis 1985 Summen illegaler Transfers von öffentlichen Geldem mit bis zu 200 Mrd. US-Dollar angegeben werden (Koch 1998: 187), belaufen sich die Schätzungen für die 1990er Jahre auf 150 Mrd. US-Dollar jährlich (Baker 1999: 38). Für das Ausmaß der Kapitalexporte scheinen >>Sicherheitserwartungen«, orientiert am Ausmaß der Auslandsverschuldung und Abwertungserwartungen, wichtiger zu sein als Unterschiede zwischen Anlagezinsen im In- bzw. Ausland (Gemählich 1989: 226). Hintergrund dieser Praktiken mag also ein rationales Kalkül der Kapitalbesitzer sein und nicht die Absicht, dem Staat zu schaden. An der Wtrkung ändert dies nichts. Das auf Konten und Anlageformen in den USA und Europa transferierte Geld ist dem Zugriff der Steuerbehörden der Dritten Welt entzogen, so rechtschaffen und effiZient diese Behör7 den ihrem Geschäft auch nachgehen mögen. Für die Bevölkerungsmehrheit, die solche Eskapaden nicht organisieren kann, wird soziales Kapital zur alles entscheidenden Ressource, weil nicht Angebot und Nachfrage diesen Markt regeln, sondern weil die Einbettung in soziale Beziehungen darüber entscheidet, wer an Wertschöpfung teil hat und wer nicht, und welche Möglichkeiten der Wertbewahrung genutzt werden können.' 63 Die politische Folge dieser Entwicklungen ist deshalb die »Herrschaft der Intermediäre<<, also derer, die die Grenzen zwischen formellem und informellen Sektor ebenso überschreiten können wie zwischen Kommunikationsräumen und Machtgruppen (vgl. Schlichte/Wllke 2000). Im Grunde bedeutet die lnformalisierung der Ökonomie nichts weiter als die Zunahme von ökonomischen Praktiken, in denen die Differenzen des Staates nicht mitprozessiert werden. Die ohnehin in den Staaten der Dritten Welt ·geringe Verschriftlichung der wirtschaftlichen Vorgänge lässt noch mehr nach, immer weniger ist der Staat in der Lage, die Kosten für die Eintreibung und Vel'waltung der Mittel :zu decken, so dass sich die Abwärtsbewegung von Besteuerungsbereitschaft und Steueraufkommen verstärkt. Die lnformalisierung der Ökonomie speist sich so aus zwei Quellen, aus dem Unvermögen und Unwillen staatlicher Agenturen, Regelungen der For1 ~malisierung :zu treffen und durchzusetzen, und aus der populäre11 Haltung, die l,;die Steuerzahlung :zu vermeiden sucht. Diese Tendenzen wirken hin auf die lI.
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163 Für die Bevölkerung bedeutet die Zunahme der Informalisierung in erster Linie Ungewillheit und Unsicherheit. Zu ihren Überlebensstrategien im »informellen Sektor« vgl. Kößler/Hauck (1999), Flammang (1994), Altvater/Mahnkopf (2002).
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reguläre Gebühr und das formale Erfüllen von Anforderungen gilt dann als Berechtigung, sondern die Norm des Tauschs jenseits des Staates wird allgemein, für die Bediensteten des Staates selbst, ebenso wie für die Regierenden. Doch selbst noch an der Kriminalisierung des Staates lässt sich die inter-· nationale Einbettung nicht verkennen. Denn diese Praktiken sind nicht auf. lokale Szenerie11 beschränkt, sandem verbinden sich mit den infotmellen und kriminellen Weltmärkten (vgl. Bayart et a!. 1997). 164 Selbst wenn die· Kriminalisierung des Politischen sich nicht verallgemeinert, so verschieben sie doch die Strukturen des politischen Feldes, in dem auch jene operieren müssen, die dem Ideal staatlicher Herrschaft folgend agieren. Ihre Wirkungen reichen auch in die Mentalitäten hinein, auf die das Projekt der staatlichen Herrschaft eigentlich abzielte. Das Projekt der Gouvemementalität des mo- : demen Staates würde gegen den sich verstärkenden Prozess verlieren, der auf '· der kausalen Kette aus Inflation, Kapitalflucht, Verschuldung, Infmmalisierung, sinkenden Staatseinnahmen und Staatsabbau bestellt.
1~ Dass es dabei nicht um marginale Anteile des Weltmarktes geht, machen Schätzungen über
den globalen Drogenmarkt deutlich. UN-Angaben zufolge beliefen sich die Transfers auf diesem Markt, die kaum ohne stllatliche Duldung und lnvolvierung möglich wären, im Jahr 1997 auf 400 Mrd. US-Dollar, immerhin acht Prozent des Welthandels (Baker 1999: 35).
5. Die Semantik des Staates
))Die Person des Köngs ist heilig und unverletztlich« heisst es in Artikel 23 der Verfassung Marokkos von 1970, die bis heute gültig ist. Diese konstitutionelle Setzung hat mehrere juristische Konsequenzen. Nicht nur steht der König über dem Gesetz und kann deshalb nicht Gegenstand oder Angeklagter in juristischen Verfahren werden. Schon der Versuch, dem König zu schaden, ist 'nach marokkanischem Gesetz strafbar (fozy 1999: 94). Am 9. Oktober 1962 erlangte das britische Protektorat Uganda die Unabhängigkeit. Seitdem wird dieser Tag auf dem Ko/olo-Airstrip, einer ehemaligen Landebahn, jährlich feierlich begangen. Vor dem Präsidenten und seiner Frau, vor Ministern und Botschaftern, defilieren nicht nur Hunderte von Soldaten. Auch Delegationen aus allen Teilen des Landes, Vertreter der staatlichen Eisenbahn und von größeren privaten Unternehmen ziehen singend und tänzelnd vor den Baldachinen der Ehrentribüne vorbei. Was sich in diesen Praktiken und Kodifzierungen zeigt, ist das Bemühen der postkolonialen Staaten, ihre Suprematie auch symbolisch zur Geltung zu bringen. Denn die Kernfrage staatlicher Herrschaft ist die der staatlichen Autonomie. Staatliche Macht, die zu Herrschaft werden will, muss nicht allein Dauerhaftigkeit erlangen, sondern einen Grad von Freiheit gegenüber sozialen Einflüssen erreichen, der es erlaubt, vom Staat als einem abgrenzbaren Bereich zu sprechen. Diese Autonomie ist an Bedingungen gebunden. Dazu gehört, dass der Staat eine Form der Legitimität erlangt hat, die es staatlichen Akteuren ermöglicht, mit Chance auf Erfolg gesellschaftliche Praktiken zu verändern. Auf diesen Voraussetzungen beruht die Staatsfunktion der Rechtssetzung und vor allem der Rechtsdurchsetzung: Von eU:'ier :..:.· inlmer relativen.:_ Auto.nottue des siäate~1st-ii.ur-daÖn sinnvoll zu reden, wenn Staaten mit der realistischen Chance auf Befolgung Regeln setzen können. Damit rückt der Zusam-~enhang von Recht und Legitimität ins Blickfdd der Analyse staatlicher Herr'schaft. Nur dort, wo staatliche Herrschaft Gründe legitimer Gdtung hat, ist die Chance zur Regeldurchsetzung gegeben. In diesem Kapitel soll es deshalb um diejenigen Dynamiken gehen, die diesem Zusammenhang von Legitimität und Recht zugrunde liegen. In der Theoriesprache, die in den beiden ersten
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Kapiteln vorgeschlagen wurde, soll gezeigt werden, welche Dynamiken die · Schaffung symbolischen Kapitals durch den Staat selbst bestimmen. Neben der Frage nach der Dynamik wn die Legitimität staatlicher Herrschaft wird • dazu das staatliche Recht in Afrika, Asien w1d Lateinamerika betrachtet. Auch dieses Kapitel kann diesen Zusammenhang nicht erschöpfend thed" retisieren und die gesamte realhistorische Entwicklung in Afrika, Asien und Lateinamerika resümieren. Es muss hinter beiden Ansprüchen zurückbleiben und sich darauf beschränken, theoretische Zusammenhänge zwischen Momenten herzustellen, für die sich aus dem Material Anhaltspunkte ergeben. Stärker noch als die beiden vorangegangenen Kapitel hat dieses daher hypothetischen Charakter. Unter Rückgriff auf Ernst Cassirers »Philosophie der symbolischen Formen«165 lassen sich die großen Bewegungen, um die es in diesem Kapitel geht, grob umreißen. Demnach lagert sich der Staat an andere, ältere symbolische Formen an, um dann selbst eine zu werden. Sprache, Mythos und Religion sind solche älteren, der Modeme vorgängigen symbolischen Formen, die der Weltaneignung dienen, bzw. diese überhaupt erst ermöglichen (vgl. Cassirer 1926/1988). Die Legitimität staatlicher flerrschaft ist von solchen älteren Formen nicht unabhängig, sondern sie entwickelt ihre spezifische Eigenlogik unter Rückgriff auf diese und emanzipiert sich von diesen Geltungen in langen Prozessen. Ihre Symbolsprache ist deshalb zunächst keine fremde, der traditionalen Symbolwelt entgegengesetzte, sondern sie ist für lange Zeit eingebettet in viel weiterreichende Semantiken, denen sie zunächst unterliegt. Dass »Schallwellen und Tintentropfen« die physischen Träger des politischen Handeins werden (Weber 1920/1985: 856), ist das Resultat eines Prozesses, der die Umformung der Symboliken und Medien von Gesellschaften überhaupt umfasst. Erst in der Neuzeit bildete der Staat in Europa auch seine ' eigene symbolische Sprache aus, wie in Kapitel 2 gezeigt wurde. Die ersten . Insignien der Macht sind fast immer säkularisierte religiöse Symboliken. Später [ werden diese ins Politische transformierten Bestände in neue Codes aufge- . nommen, verformt und ergänzt und zur allgemeinen Sprache der Politik. Der Prozess der Ausbildung dieser Autonomie lässt sich auch fassen als »Verstaatlichung der Semantik«. Nicht nur in Landkarten, Katastern, Dateien und Akten wird der Staat zum Zeichensystem, sondem er formt sich in der 165 Emst Cassirers Werk nimmt zu den theoretischen Hauptreferenzen dieser Arbeit eine Art vermittelnde Zwischenstell\Ulg ein. Selbst dem philosophischem Feld des südwestdeutschen Neukantianismus zugerechnet, der auch fiir Webers Methodologie prägend war, htU Cassiret in seiner langen Auseinandersetzung mit religions- und sprachwissenschaftlichen Forschungen vor allem in seiner »Philosophie der symbolischen Formen« (zuerst 1923-1929) Figuren und Methoden entwickelt, auf die sich in Bourdieus Werk an vielen Stellen Bezüge fmden.
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Sprache überhaupt aus. Die Sicht- und Redeweisen der Institutionen des Staates suchen ihren Weg in den Alltag des soziale11 Lebens. In Recht und Sprache, selbst in Maßen und Gewichten formt der Staat wirksame Wahrnehmungsund Gliederungsprinzipien des Sozialen aus. Durch steten Gebrauch gehen sie in den Habitus der Akteure über, der das jeweils einzelne subjektive Korrelat staatlicher Herrschaft ist. An diesem Prozess sind staatliche Agenturen selbst beteiligt. In Schulen und anderen Bildungseinrichtungen wird die Schaffung einer >>Staatskultur« betrieben (vgl. Bourdieu 1998: 106f.).t66 Nicht alle diese Symbolwelten staatlicher Herrschaft können in diesem Kapitel behandelt werden. Im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen nach ein paar Überlegungen zur Frage der staatlichen Kodietung des Wissens einige Ausführungen über die Bemühungen und Grenzen staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt, mit symbolischen Strategien Legitimität zu bilden (5.1). Mythen, Riten und Religion stehen dabei im Mittelpunkt. Umfangreicher sind die Befunde, die sich aus der Betrachtung der staatlichen Rechtspraxis ergeben (5.2). Sie setzen indes noch eine engere theoretische Vergewisserung datiiber voraus, wie sich staatliches Recht von nicht-staatlichem unterscheidet (5.2.1), bevor diese theoretischen Thesen mit der Wirklichkeit des Rechts in der Dritten Welt abgeglichen werden können (5.2.2). Dabei wird sich zeigen, dass die Befunde über die Rolle staatlichen Rechts keineswegs einheitlich sind. Recht und Verwaltung, der Alltagsfall vo11 Herrschaft, sind zugleich an Sprache und Wissen gebunden, zwei Formen der Repräsentation, deren soziale Realität in der Dritten Welt hier nicht untersucht werden kann. Nur einige kursorische Bemerkungen über ihre Beziehung zur Dynamik staatlicher Herrschaft sind hierzu möglich. Modeme, bürokratische Formen des JVissens sind typisch für die »Betriebslogik« des modernen Kapitalismus, denn die Parallele zwischen modernem Staat und modernem Unternehmen besteht ja auch darin, dass beide strukturgleiche modi operandi haben, die Max Weber als >>Betriebscharakter« zusammengefasst hat. Schriftlichkeit und Aktenmäßigkeit der Vorgänge, klare Hierarchien und Kompetenzen, Inspektionen und korliftzierte Wissensordnungen sind solche Elemente bürokratischer Herrschaft, die sich in den westlichen Gesellschaften vor allem seit dem 19. Jahrhundert verallgemeinert haben (vgl. Raphael2000: 76-93). Eine funktionierende Bürokratie ist ausgesprochen voraussetzungsreich. Sie setzt nicht nur zureichende Personalzahlen und Ausstattungen voraus, sandem auch Ausbildungen und Routinen. Sie bedarf außerdem einer auf sie
166 In seinem Werk Seeing like a s/ale hat James C. Scott (1998) diesen Unterschied zwischen staatlicher Wtd sozialer WirklichkeitsauffassWtg analysiert. Dort wird er freilich unter entwickiWlgstheoretischen GesichtspWlkten diskutiert.
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eingestellten Umwelt. Nur wenn zum Beispiel die staatlichen Normen des Zählens und Messens verbreitete soziale Praxis sind und sich daher ins :\lltagsbewusstsein eingesenkt haben, ist die Produktion und Organisation aggregierten Wissens, Grundlage jeder Verwaltung und damit der Herrschaft des ·modernen Staates, überhaupt möglich. Die Umstellung der Organisation v011 • Wissensordnungen als Teil der Verwandlung von staatlicher Macht in Herrschaft nimmt also kaum einen Lebensbereich aus. Sie umfasst den Raum ebenso wie die soziale Zeit, die Codierung von N01men und Abweichungen ebenso wie die Sprache und Symbolik des Alltags. Beispielhaft an der Geschichte der Kartographie lässt sich die Staatlichkeit der Codierung des Raumes ablesen (vgl. Lindgren 1990). Aus den spezifischen Sonderinteressen einzelner staatlicher Agenturen, allen voran des J\!Iilitärs, entstand in Europa die Praxis der Vermessung und Codierung der Flächen, so wie die Regelung der bürgerlichen Eigentumsordnung von Grund und Boden die Kataster und Grundbücher hervorbrachte. Aber auch in der Organisation der sozialen Zeit haben sich in den westlichen Staaten der Staat und seine symbolische Registratur mit dem Alltagsleben verschränkt. Die Zeiten der Schule, des Militärs, des Ruhestands und der Arbeit ruhen auf staatlich gesetzten Regelungen auf und strukturieren den Alltag. Voraussetzung für solch fundamentale Verschränkungen ist indes, dass staatliche Herrschaft ihre ))Bevölkerung« als Objekt erst einmal konstituiert. Erst dann kann sie deren Eigentum, Vermögen und Erwerbsleben, ihre Nutzungen und Organisation von Raum und Zeit beeinflussen und gestalten. In den meisten Staaten der Dritten Welt ist die Bürokratisierung staatlicher Herrschaft ausgesprochen lückenhaft, in vielen Fällen stagniert sie schon lange auf dem Niveau enklavenartiger Zusammenhänge. 167 Die mangelhafte Qualität der nationalen Statistiken bezeugt die Probleme, das staatliche Wissen zu etablieren und zu organisieren. In den Staaten der Dritten Welt sind große Teile des Herrschaftswissens lokal und personal organisiert. 168 Nicht amtliche Register und Enqueten sind Grundlage von Entscheidungen, sondern das in den Köpfen und Zirkeln der beteiligten Einzelpersonen eingelagerte konkrete Wissen. Spätestens an ihm finden die Ambitionen zentralstaatlicher Macht ihre Grenze. Verwaltungshandeln vor Ort besteht eher in Praktiken des Aushan-
167 Dabei scheinen die Regionen, die direkt den großen Strömungen der Weltmärkte angegliedert sind, vorzugsweise solche Enklaven zu werden. Auf dem Lande hingegen sind die Impulse und Energien, die die Bürokratisierung vorantreiben, selten und schwach. Zur Rolle der Städte in diesem Zusammenhang vgl. Sassen (1996). 168 Vgl. die Schilderungen in Adamold:um (1999), Koehn (1990) und Asmeron (1993). Interessant sind die Parallelen und Unterschiede zur frühen kolonialen Verwalnu1g, vgl. Trotha (1994).
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delns und Vennittelns, des Anregens, Kriti.sierens oder aber der Willkür. Strikte bürokratische Herrschaft, wie sie in Webers Herrschaftssoziologie begrifflich auseinandergelegt wird, ist dies nicht. An diesen Schranken stoßen sich die Staatsexperten, Missionare und Militärs, Berater und Händler, Gouverneure und Polizisten seit jeher. Die semantische Codierung durch den Staat hat aber auch noch eine an,dere Seite, die mit der Vielsprachigkeit der meisten unabhängigen Staaten zusammenhängt: die gesprochene Sprache. Denn entgegen der Erwartungen, die über das Ende der Kolonialherrschaft existierten, haben fast alle postkolonialen Staaten die Sprachen der Fremdherrschaft als Amtssprache beibehalten, in vielen Fällen sind sie die gängigen Verkehrssprachen geblieben. Das hat seinen tieferen Grund darin, dass jede Herrschaft auf eine standardisierte Kommunikation angewiesen ist und sie deshalb durchzusetzen sucht. So ist in den nachkolonialen Staaten die Sprachpolitik als ein umstrittenes Feld entstanden. Denn auf kaum einem anderen Feld ragen die Bestrebungen des Staates weiter in die Alltagswelt der Praktiken. Nur selten zeigen sich aber auch die Grenzen des Staates so eindeutig wie auf diesem Gebiet, in dem die Praktiken - die tatsächlich gesprochenen Sprachen - weit von den staatlichen Programmen der Sprachpolitik abweichen (vgl. Reh 1981). Kein kolonialer und auch kein postkolonialer Staat hat darauf verzichtet, die Sprachpolitik als Vehikel zur Errichtung nationaler Legitimität zu benutzen.l69 Das damit immer verknüpfte Exklusionsproblem, das sich in multilingualen Staaten schnell in ein Politikum verwandelt, hat die Konfliktivität dieser Versuche schnell deutlich werden lassen. Schulen und die staatlichen Medien, vor allem das Radio, wurden in fast allen Staaten zu den Hauptagenroren für die Verbreitung möglichst standardisierter Sprachen. Zwar ist in den Staaten der Dritten Welt eine allgemeine Tendenz wachsender Schulbesuchsquoten zu beobachten. Doch weder geben diese Zahlen Auskunft über die Sprachpraktiken, noch sind die Wirkungen vierjähriger Grundschulbesuche auf den Spracherwerb abzuschätzen. Teils wegen abwehrender Reaktionen, teils wegen unzureichender Kapazitäten der staatlichen Agenturen sind die Erfolge der sprachlichen Homogenisierung und der Kodif12:ierung der Kommunikation durch den Staat begrenzt geblieben. Die Politisierung der Sprache hat stattdessen die Teilung der staatlichen Institutionen endang der Verbreitung von Sprachgemeinschaften gefördert, weil Sprachkompetenz zur Ausschluss- oder Partizipationsbedingung wurde. Die Proliferation binnenstaatlicher Gliederung in vielsprachigen Län-
169 Vgl. hierzu z.B. für Indien King (1997), für Zentralasien unter sowjetischer Herrschaft Rzehak
(2001) und filr das subsaharische Afrika Banghose (2000).
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dem wie Indien nnd Nigeria sind dafür die prominentesten Beispiele. Doch nicht nur in Indien und Nigeria, sondern in den meisten Staaten der Dtitten Welt ist Sprachkompetenz ein Mechanismus sozialer und politischer Exklusio~. Wo Amt~sprachen, .die Spra~he ~er ~arlam.~nte w~d Gesetz,e weiten! Tet!en der Bevolkerung rucht verstandlieh slnd, wachst dte Macht der Inter-··: mediärc, die zwischen den Sphären des Populären und des Offiziellen vetmit- i teln und makeln. Dieses Verhältnis ist ein Hauptgrund für die Persistenz per- i sonaler Herrschaftsverhältnisse in der Dritten Welt. Der Mangel an Generalisierung universaler Codes ist die Machtquelle des Lokalen. Auch in diesen Bereichen staatlicher Herrschaft wird der weltgesellschaftliche Charakter schnell deutlich. Die Standards und Methoden, mit denen die Etablierung staatlicher Wtssensordnungen geschieht und an denen sie sich orientiert, sind seit langem international. Denn die Internationalität der Normen und Regeln, die aus Wahlen demokratische machen, gibt es in gleicher Weise fur Schulabschlüsse, Maße und Gewichte, Bilanzierungsmethoden und Budgetführung. Ihre Rationalitäten hielten mit der Kolonialisierung Einzug oder W\lrden imitiert. Sie werden jedoch zugleich seit Jahrzehnten durch die Arbeit der »Experten« im internationalen Großprojekt der Hilfe gestützt und eingefordert. Die Amts- und Nationalsprachen sind weltgesellschaftlich nicht nur, weil sie Hinterlassenschaften des Kolonialismus sind, sondern auch, weil sie das Medium der Kommunikation der globalen Politik sind. Kompetenz in einer der wenigen weltpolitischen Sprachen ist die Zugangsvoraussetzung für bestimmte soziale und politische Räume, die für die Akkumulation von Machtmitteln unentbehrlich sind. Ähnlich wie die ökonomische Rolle des Rentier-Staats, der zwischen lokaler Produktion und globalem Malkt vermitteln muss, so vermittelt der Staat der Dritten Welt auch symbolisch zwischen der bürokratischen Sprache moderner Politik und dem Lokalen, dessen Repräsentanten er nicht überwinden kann, weil er für jede Kommunikation auf sie angewiesen ist. Weil sein Wissen begrenzt ist, ist es auch seine Macht. An den Legitimierungsstrategien der postkolonialen Staaten kann man ablesen, wie das Aufbrechen dieser intermediären, vermittelnden Machtbeziehungen versucht wurde. Differenzen zwi-: sehen dem Ideal des Staates w1d beobachtbaren Praktiken zeigen sich nun : schon bei diesen Formen der Sprache und der Organisation des Wissens. Sie setzen sich in der teilweise widersprüchlichen Überlagerung von Legitimitäts- · fOrmen fort. Dynamiken, die sich hier beobachten lassen, betreffen zum Bei-, spiel die Versuche patrimonialer Figurationen, staatliche Herrschaft durch di~: ~!WJnbolische Umkleidung klientelistischer Bünde zu festigen. J
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5.1 Mythos und Legitimität Alle Inhaber staatlicher Macht und staatliche Agenturen in der Dritten Welt haben versucht, den postkolonialen Formen politischer Herrschaft eine erweiterte Legitimität zu verleihen als ihnen aus ihren historischen Formationen zukam. Dafür ist zunächst auf die Formen von Legitimität zu schauen, die sich für die postkolonialen Staaten gewissermaßen von selbst, also über ihren geschichtlichen Ort und ihr Verhältnis ~u ihren sozialen Kontexten ergaben. Den Versuchen, über Gründungsmythen, Riten und andere symbolische Strategien weiteres symbolisches Kapitel zu erzeugen, waren allerdings unterschiedliche Erfolge beschieden. Formen der Legitimität sind an Kosmologien gebunden. Weil sich Weisen der Weltauffassung global stark unterscheiden, hat es am Sinn einer vergleichenden Betrachtung der symbolischen Formen des Politischen immer Zweifel gegeben. 170 Stärker noch als die Formen der materiellen Reproduktion oder der politischen Herrschaft scheinen sich die symbolischen Formen von sozialen und politischen Figurationen zu unterscheiden. Doch so groß die Unterschiede zwischen Kosmologien, zwischen grundlegenden Weisen der Auffassung von Raum, Zeit und Welt sein mögen, spätestens seit durch die europäische Expansion bestimmte Modelle der politischen Herrschaft ihren Eingang in die politischen Formen aller Weltgegenden gefunden haben, ist die Vergleichbarkeit hergestellt. Auch in den Staaten der Dritten Welt lassen sich »Gründe legitimer Geltung«17 1 von Herrschaft finden, wie sie von Max Weber idealtypisch differenziert wurden. Für die Behandlung des Themas Legitimität ist es gleichwohl unerlässlich, den ideattypischen Charakter der Webersehen Begriffe zu berücksichtigen. Denn Personenkreise und Institutionen lassen sich fast nie eindeutig bestimmten Legitimitätstypen zuordnen, sondern befinden sich zumeist selbst in der Spannung unterschiedlicher Geltungen. Solche Ungleichzeitigkelten finden sich auch in den Mentalitäten der Beamten und in den Erwartungen der Subjekte, in denen sich im Umgang mit Staatsvertretern die ttaditionale Logik der 170 Die bekannteste Versi01t dieser Kritik stammt von Clifford Geertz (1980: 16ff.). Doch seine Argumente wiederholen nur die des Kulturrelativismus, und die von ihm angebotene alternative Metaphorik ist kein Ersatz für komparative Begrifflichkeiten (vgl. Rarnilton 1989:167). 171 Herrschaftsordnungen werden fraglos zusät-.dich gestützt durch zwei weitere Mechanismen, die Max Weber explizit neben seine Typologie der Gründe legitimer Gdtt111g stellt, nämlich die Erfüllung des materiellen Interesses »mindestens des Verwaltungsstabes« und die »Übereinstimmung mit der Sitte«. In beiden Hinsichten ist staatliche Herrschaft in der Dritten Welt geHihrdet geblieben. Weder ist die Besoldung des staatlichen Stabes durchgängig gewährleistet wtd zur Reproduktion hinreichend, noch ist die Übereinstimmung mit der Sitte fiir den modernisierenden Staat immer einzuhalten gewesen.
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Reziprozität und die Ausrichtung an legal-rationaler Verfahrenskorrektheit verbinden. Überall in Asien, Afrika und Lateinamerika finden sich nicht nur auf lokaler Ebene, sandem noch in den höchsten Ämtern des Staates klassische Elemente traditionaler Legitimität, wie ihre personale Gebundenheit, ihre religiöse Einkleidung oder die Abkunft vo11 traditionellen Herrschaftsschichten. Das gilt mit Einschränkungen und Modifikationen selbst für China und die Sowjetunion, in denen das nachlassende Charisma der Revolution durch patrimoniale Praktiken und die für sie typische traditionale Legitimität aufgefangen werden musste.172 Auch charismatische Elemente sind in den Legitimitäten von Regimen unübersehbar. Das gilt nicht nur für prominente Fälle wie das religiöse Charisma des Ayatollah Khomeini oder das Kriegscharisma des Warlords Charles Taylor, sondern auch für populistische Führer und die Träger des Amtscharismas. In unzähligen Revolutionen, Staatsstreichen und Kriegen haben Politiker der Dritten Welt in den Augen ihrer Bevölken1ngen Charisma erlangt, auch werm diese Erfolge zu einem großen Teil Inszenierungen, Ritualen und kreierten Mythen zu verdanken sind.m Elemente der legal-rationalen Herrschaft sind nicht nur in den Resten kolonialer Anstaltsstaatlichkeit zu finden, sondern ebenso Teil älterer und auch späterer eigenständiger Dynamiken. Denn die Verbreitung des Ideals der Staatlichkeit hat in allen Weltgegenden Bemühungen in Gang gesetzt, staatliche Herrschaft diesem Ideal anzunähern. Selbst in den Fällen, in denen vielen Einschätzungen zufolge den staatlichen Charakter der politischen Figuration grundsätzlich in Frage zu stellen ist - zu denken wäre an Somalia, Afghanistan oder Zaire/Kongo -sind teils auf Initiative der politischen Führungen, teils als Resultate einzelner Agenturen und Funktionsträger solche Bemühungen nachweisbar. Bei aller gebotenen Differenzierung verweist die Schwäche staatlicher Herrschaft in den Regionen der Dritten Welt jedoch allgemein auf große Le!,>itimitätsdefizite. Von einer globalen Verbreitung der Legitimität staatlicher Herrschaft kann nicht die Rede sein. Diese Hoffnung der frühen Modernisierungstheorien hat sich nicht erfüllt. Fast immer hat zwar die Form des Staates allgemeine Akzeptanz gefunden. Die Le!J.timität des Staates, der, im Sinne des
172 Vgl. hierzu Roth (1987: 122f.), Harnilton (1989) und Hanson (1997). 173 Eine klassisch zu nennende Studie über solche Strategien ist die vo11 Toulabor (1990) vorg~· legte Analyse zur Herrschaft Gnassingbe Eyademas in Togo. In diesem Fall gehörten Mythen um das Überleben eines Flugzeugabsturzes, der erfolgreiche Staatsstreich und das Geschick als Staatsmann bei der Vennittlung fremder Konflikte zu den geschaffenen Mythen, die das Charisma begründen sollten.
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oben geschilderten Ideals oberste Suprematie der Regdsetzung beanspruchen kann, ist jedoch in Asien, Afrika und Lateinmerika unvollständig.174 Aus der Perspektive einer Theorie globaler Vergesellschaftung bietet sich dafür eine Erklärung an. Das Legitimitätsdefizit hängt demnach damit zusammen, dass es keinen Automatismus im Wandel der Legitimitätsformen gibt. Die Auflösung traditionalet· Vergesellschaftungsformen führt zwar zum Nachlassen traditionaler Legitimität, auf der staatliche Herrschaft in der Dritten Welt über ihre lokalen Vermittlungen wesentlich aufruht. Traditionale Legitimität formt sich aber in Modertlisierungsprozessen nicht gleichsam automatisch in legal-rationale um, weil das Ausgreifen kapitalistischer Vergesellschaftungsformen nicht notwendig auch Verbürgedichung bedeutet. Die Auflösung traditionaler Verhälttlisse ist nicht durch eine Funktionslogik mit der Etablierung neuer ebenso tragfähiger Ordnungen verknüpft. Die Le~:,ritimitäts krise der Staaten der Dritten Welt ist daher wesentlich ein Problem des Wandels: Die Auflösung alter Formen der Sozialintegration durch das Ausgreifen bürgerlich-kapitalistischer Vergesellschaftungsformen ist der strukturelle Hintergrund der Legitimitätskrise des nachkolonialen Staates. Der politische Wettkampf um Machtpositionen und die Vielzahl von Gelegenheiten und sich eröffnenden Machtquellen haben in den Staaten der Dritten Welt gleichwohl eine hohe Varianz der Praktiken hervorgebracht, mit denen politisch Handelnde Machtpositionen in legitime Herrschaft zu verwandeln suchten. Dabei vermischen und verschränken sich, wie in anderen politischen Kontexten auch, individuelle Motive der Konsolidierung der eigenen Position und die Dynamik um staatliche Institutionen.I1S Zu den Praktiken dieser Konsolidierungsversuche gehören vor allem die des Klientelismus w1d der Patronage. Sie sind teils aus der Not geboren, gehorchen aber in ihren Wandlungen nicht den Wünschen der Beteiligten, sandem sind von vielen Faktoren dynamisierte Beziehungen. Ihnen wohnt jedoch immer das Moment
174 Da.~ schließt einzelne Erfolge von Regimen und zeitweise lange amtierenden Regierungen nicht aus, die in diese Richtung auf wnfangreichere Erfolge verweisen können. Über solche »Ausnahmen« und die Autonomie staatlicher Agenturen, die auf dieser Grundlage möglich war, vgl. Evans (1995). 175 Diese Einsicht muss nicht als Bekenntnis zwn Funktionalismus aufgefasst werden. Doch ähnlich wie in Elias' Theorem des Königsmechanismus oder der Verhöflichung des Adels lassen sich auch in den politischen Zentren langfristig 1..-umulierende Effekte kurzfristigen politischen Handeins beobachten. Diese Effekte sind nicht immer gleichgerichtet und nicht immer konstruktiv. Die persönlichen Bemühungen um die Konsolidierung individueller Positionen im staatlichen Apparat wirken jedoch langfristig erkennbar auf eine Institutionalisierung staatlicher Macht, also ihre Umwandlung in Herrschaft, hin.
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inne, dass Patrone versuchen, mit der Etablierung, Festigung und Expansion solcher Bindungen soziales und ökonomisches Kapital zu akkumulieren. 176 Die Persistenz der Praktiken, die summarisch als »Klientelismus« bezeichnet werden, ergibt sich aus der großen Anpassungsfahigkeit dieser Beziehungsmuster an sich verändernde institutionelle Rahmen. Vom Zentrum der Person des Staatschefs, vom »Patrimonialherrn«, gehen die Hauptstränge der klientelistischen Netze aus. Ihre Struktur, der gegenseitige Austausch von Diensten zwischen Personen mit ungleicher Ressourcenausstattung, ist kein irrationaler Rest vorbürgerlicher Vergesellschaftungsformen. Diese Beziehungen sind häufig genug ebenso rational kalkuliert eingesetzte Herrschaftspraxis (Kasfu 1983: 13) innerhalb eines staatlichen Feldes, wie ein auch in internationalen Beziehungen vorkommende Praxis (vgl. Schlichte 1998d). Die Praktiken des Klientelismus sind eher als Antwort, als rationale Reaktion auf unsicher oder fehlende Institutionen zu sehen und zugleich ein Anzeichen für Legitimitätslücken. Der Klientelismus ist das klassische Phänomen der Auflösung traditionaler Vergesellschaftung unter modernen Bedingungen. In seinem an familiale Bindungen erinnernden Gepräge (vgl. Medard 1976: 106), in seinem vertikalen, personalistischen Aufbau und in seiner zentralen Norm der Reziprozität, kommt zwn Ausdruck, dass er die politische Fassung der Gesellschaft als Gemeinschaft ist. Im Klientelismus hat die erweiterte Familie, eine Grundform kollektiver Reproduktion, ihre politische Gestalt. Freilich sind auch die Formen des Klientelismus nach Epoche und historischer Entwicklung zu unterscheiden. Der klassischePatron verfügt in erste Linie über eigene Ressourcen, vornehmlich Land, dagegen der »moderne Patron ist ein >Mittelsmann<, ein >broker«< (Spittler 1977: 62), der über die individuell gebundene Verteilung öffentlicher Ressourcen seine Machtposition zu stabilisieren sucht. Die Verfügung über diese Ressourcen ist indes nicht gesichert. Deshalb sind moderne Klientelbindungen chronisch instabil. Umso wichtiger werden für den Patron Versuche, Klientelbindungen mit weitet-en legitimatorischen Elementen zu verstärken, die über das normative Gerüst der Reziprozität hinausgehen. Für die Klienten ist die Beziehung indes überlebensnotwendig, um in ungesicherten Zeiten des Wandels -oder der Stagnation - Zugriff auf Ressourcen zu erhalten und um vor der Willkür des Staates Schutz zu fmden (Spittler 1977: 73ff.). 176 Beide Begriffe, Klientelismus und Pattonage, sind analytisch unscharf. Sie bezeichnen in der Literatur eine große Varianz von so2ialen Beziehungen, die durch Reziprnzität zwischen Ungleichen gekennzeichnet sind. In der sozialen Realitiit sind diese Beziehungen in anderer Hinsicht ausgesprochen unterschiedlich. Sie ließen sich nach Grad der Monemrisienu1g, der sozialen Einbettung, ihrer symbolischen Umkleidung u.v.a. mehr w1terscheiden. Einen neueren Überblick über die weite Literatur bietet Howard (1994).
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Vom ländlichen Klientelismus des Grundherrn und Notabeln ist der im bürokratischen Apparat zu unterscheiden, der wesentlich auf Amterpatronage beruht. Wahrend der ersten nachkolonialen Dekaden half die Expansion des öffentlichen Sektors in den postkolonialen Staaten noch, die Akzeptanz der Regime und die Legitimität der Staaten durch Patronage als Integrationspolitik zu erhöhen. Die Bfuokratie mag ineffiZient gewesen sein, aber sie war systemstabilisierend. :Mit den Maßnahmen zur Verschlankung des Staates schwanden diese Möglichkeiten. Die Praxis des »jobs for the boys« (Sankbrook 1985: 94) fiel dem Ressourcenschwund und den Auflagen der internationalen Kreditgeber zum Opfer. Klientelistische Strukturen lassen sich in allen Erdteilen finden. Vom »Big Man« als politischen Unternehmer in Afrika (vgl. M&lard 1992) über den »Boss« der Politik auf den Philippinen (Sidel 1999) bis zur traditionellen Figur des Caudillo und Populisten in Lateinamerika (vgl. Eickhoff 1999) lässt sich der phänomenologische Bogen spannen. In diesen Typen und ihren Beziehungen zur Klientel mischen sich wiederum unterschiedliche Formen der Legitimität. Tradition, Charisma, aber auch die für moderne Verhältnisse charakteristische Legitimität durch Verfahren sind in den Praktiken dieser Beziehungen anzutreffen. Denn die Big Men beherrschen auch die Bürokratien, in denen sie fonneUe wie informelle :Mittel einsetzen. Nicht zuletzt gegenüber dem eigenen Stab - für Weber die zentrale Beziehung für die Frage der Legitimität von Herrschaft- sind Fonneu bürokratischer Herrschaft gängige Praxis auch in den Staaten des Südens. Die formelle Bürokratisierung der Herrschaft, und damit die Tendenz zur Legitimität legal-rationalen Typs werden indes auch von außen gefordert und geföl:dert. Die internationale Umwelt, und keineswegs nur die Staaten, fordern eine strukturgleiche Funktionsweise staatlicher Herrschaft ein, wie sie sie aus ihren jeweiligen Urs-prungskontexten kennen. Internationale Rechtsnormen, die Normen des zwischenstaatlichen Verkehrs, aber auch der Statistik und des allgemeinen Warenverkehrs sorgen im Zuge der Internationalisierung von Herrschaftsbeziehungen für einen dauerhaften Druck in Richtung bürokratische Rationalisierung. Je nach der Widerstands- oder Beugekraft der konkret geltenden Logiken schreitet die Bürokratisierung fort, wird abgebogen oder aber obstruiert. In allen Sta~te11 Afrikas, Asiens nnd Lateinamerikas sind also Dynamiken und Praktiken der Legitimierung beobachtbar, sie haben aber die Legitimationsdefizite der nachkolonialen Ordnung nicht beseitigen könnep.. Zwar gilt auch für die Staaten der Dritten Welt, dass allein die Herstellung von Sicherheit gegenüber gewaltsamen Übergriffen ihnen eine »Basislegitimität« verschafft (vgl. Trotha 1994: 7ff.). Sie beruht auf der Anerkennung von Eviden-
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zen, die Herrschaft sichtbar vorteilhaft machen. Diese Basislegitimität kam selbst dem kolonialen Staat zu. Aber auch überall dort, wo nach Gewalterfahrungen eine auch nur prekäre Gewaltordnung etabliert werden konnte, ist den nachkoloniale~ Staaten diese zugeschrieben worden. Doch der Schutz des postkolonialen Staates ist nicht verlässlich und nicht stetig. An der Vielzahl bewaffneter Konflikte lässt sich erkennen, dass die postkolonialen Staaten wie ihre Vorgänger Erfahrungsräume der Gewalt geblieben sind (lVfl)embe 2000: 219). Patronage und Klientelismus bleiben zumeist eingebettet in soziale Zusammenhänge, die das staatliche Feld übergreifen. Eben weil der Staat nur selten als wenigstens teil-autonomes Handlungsfeld ausgeformt ist, müssen alle Beteiligten auf Ressourcen außerhalb des Staates zurückgreifen. Damit halten andere soziale Logiken in den Staat Einzug und behindern die Rationalisierung von Herrschaft. 177 Die Legitimität staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt ist deshalb durch solche Bünde gebrochen und umstritten geblieben. In der Realität der postkolonialen Staaten findet sich deshalb eine Reihe von Strategien, die diese Legitimationsdefizite ausgleichen sollen. Um diese soll es im Folgenden gehen. Unter ihnen spielt die Konstruktion von »großen Erzählungen« eine herausragende Rolle. Sie beginnen fast immer mit Gründungsmythen. Im Griindungs11fYihos verbinden sich Ethnos und Revolution. Das Ethnos, das Kollektivsubjekt, das im Staat vorgeblich seine Form findet, wird verzeitlicht, auf eine Mission geschickt (vgl. a. Diner 1999: 83ff.). Im empirischen Einzelfall verdichtet sich die Gründung eines Staates im Gründungsmythos zum Geburtsmoment einer Erzählung. Solche begründenden Mythen berufen sich auf unterschiedlichste Ereigtlisse, auf »Revolutionen« ebenso wie auf ))Befreiungen von Ftemdhenschaft«, auf »nationale Bewusstwerdungen« wie auf entscheidende Taten ))großer Männer«. 'Die erbrachten Opfer der »Märtyrer«, die Härten des Kampfes und der Ruhm des Sieges sind in diesen Erzählungen die erbrachten Vorleistungen. Im Gründungsmythos verknüpft sich die Geschichte der Ethnos als Kollektivsingular mit familialer Logik. Der Pr1bident legitimierte sich als ))gerechter geistiger Vater«, berechtigt zur autOLitären Fortschrittspolitik Diese Vorstellung entstand im Maghreb (Abun-Nasr 1999: 204) genauso wie in Thailand und Indonesien (Young 1997), in Togo (vgl. Taulabor 1986: 221ff.) und in der Türkei (vgl. Groc 2000: 289ff.). 177 Das bedeutet indes nicht, dass eine rationalisierte bürokratische Herrschaft gegen klientelistische Machtbeziehungen immun wäre. Nur sind solche »Seilschaften«, die sich in modemen Organisationen, wie etwa Universitäten, heranbilden, nicht von außen durch Rückgriffe auf weitere Machtmittel gestützt und ihre Macht reicht auch nicht über das bürokratische Handlungsfeld hinaus. Das unterscheidet sie von der Mafia.
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Die politisch legitimatorische Wirkung dieser Gründungsmythen ist jedoch Veränderungen unterworfen. Für die historisch beteiligte Generation bleibt er unhinterfragt und gültig, sicher nicht zuletzt, weil er auch als Folie für das Erleben und Erzählen des eigenen Lebens dient. Wachsen indes Generationen heran, die den »Moment der Offenbarung« nicht miterlebt haben, sondern ihn nur aus wiederholten Erzählungen kennen, dann lässt die bindende Kraft des Mythos nach. Die Veralltäglichung des Charismas der Revolution erweist sich als ebenso schwierig wie die des Charismas des Propheten (vgl. Vayssiere 1994). Um diesen Effekt abzufangen, gibt es politische Ri111a/e. Sie sollen die Zeitlichkeit des Staates und der in ihm verkörperten Gemeinschaft transzendieren. Ernst Cassirer hat in seiner Analyse des deutschen totalitären Staates die mythische Seite des Staates betont. Demnach ist der Mythos keine mit fortschreitender Modernisierung verschwindende symbolische Fo1m. Gerade in Umbruchszeiten, die mit starken existentiellen Verunsicherungen einhergehen, sind auch moderne Gesellschaften für mythische Auffassungen empfänglich. Der Mythos als Bild, als Verdichtung von Gefühlen in bildhaften Symbolen ist Cassirer zufolge eine symbolische Form wie andere: Auch er ist eine Synthese, die eine Weltordnung impli2iert, auch der Mythos differenziert, indem er etwa zwischen dem Heiligen und dem Profanen unterscheidet. Und so tendieren auch Staaten dazu, von der legitimierenden Wirkung mythischer Auffassungen zu profitieren. Praktiken, die sich auf Mythisches beziehen, lassen sich in fast allen Staaten beobachten. In manchen Fällen reichen sie bis zur völligen Mythologisierung des Staates. In solchen totalitären Systemen werden Politiker, wie Cassirer (1969 /1988: 397) ausführt, zu einer Doppelexistenz genötigt: Sie sind homo faber und homo ma~s zugleich, als moderne Priester verkünden und insistieren sie auf der Durchsetzung der neuen Religion des Staates, dessen Praktiker sie zugleich sind. Aber auch die Kreation und Kombination von Riten sollen der Steigerung der Legitimität staatlicher Herrschaft dienen. Riten dienen der Veranschaulichung und der Aktualisierung symbolisch vermittelten gesellschaftlichen Wissens.t78 Denn in Riten kombinieren sich die Referenzen an das Alte mit modernen Prozeduren. Die Agenten der Staatlichkeit versuchen sich durch diese Formen der Angliederung an alte Gehalte traditionale Legitimität anzueignen. Riten und symbolische Handlungen stellen Bezüge zu vorherigen Ord-
178 Diese Praktiken sind nicht auf Staaten der Dritten Welt beschränkt. Der Anthropologe Mare Abeles (1991) hat in einer Analyse des Tagesprogramms von Franc;ois ~Iitterand auf die hohe Bedeutung symbolischer Handlungen im »Alltag des StaateS(( hingewiesen.
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nungen her, zur longue durie der Gesellschaft. Sie sollen Herrschaft in den hergebrachten Bedeutungswelten verankern, und unterscheiden sich darin in nichts von den Ritualen der vorgeblich primitiven Gemeinschaften (vgl. Turner 1989). Diese symbolischen Strategien umfassen auch den Gebrauch der Spr:{che. Unzählig sind die teils bewussten, teils unbewussten Entlehnungen von Metaphern, mit denen das Geschehen der Politik, die Aktionen des Staates beschrieben werden. Weil politisches und staatliches Handeln meist »unbildlich und farblos« ist, werden Metaphern dazu verwandt Zweck und Mittel, Wert und Ziel »sinnhaft zu integrieren«, das »Unanschauliche anschaulich, das Vieldeutige eindeutig« (Münkler 1994: 126). Solche Metaphern wie der »große Steuermann«, der »Vater der Nation«, das »Land der Aufrechten«, der Staat als Maschine, als Organismus, als »institutionalisierte Revolution« und jüngst auch als »dienstleistendes Unternehmen« bezeugen die Vielfalt der Bestrebungen, das Image des Staates mit Zusatzwerten auszustatten, um das Anliegen der Herrschaft in historische Kontinuitäten zu stellen oder durch besondere »Modernität« zu legitimieren. An der Ikonographie und der Inszenierung der Macht lassen sich diese Bemühungen direkt ablesen. Staatsmänner wie Hassan II, Muhammar Ghaddafi oder Yoweri Museveni präsentieren sich wechselnd in religiösen Gewändern, in legerer Freizeitkleidung, in Uniformen, in traditionellen Gewändernoder eben im Anzug des Staatsmanns. Die rituelle Freigabe von Autobalmen, die Reden an symbolischen Orten, die Riten der staatlichen Organe - all diese »Spektakel« des Staates dienen der rituellen Veranschaulichung seiner Ansprüche. In der Erzählung der »Nation« sollen die Kämpfe, die Gewalt, die Willkür in der Genese Machtfigurationen vergessen werden (Renan 1992: 41). Die Idee der Nation kann sich nur zum Schein durch Religion, Sprache, Interessen oder die Natürlichkeit von Grenzen definieren (ebd.: 52). Das Aufkommen und die Verbreitung dieser Vorstellung ist selbst ein Resultat von Modernisierung, des Aufbrechens der alten Verhältnisse. Die Versuche, über Erzäl1lungen der »Nation« Legitimität für die postkolonialen Ordnungen zu entwickeln, sind deshalb wie in der europäischen Geschichte reaktiv. In den Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas sind die Erfolge dieser V ersuche jedoch begrenzt durch die alternativen symbolischen Ordnungen, in denen soziale Verhältnisse und ihre Veränderungen begriffen werden.
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5.2 Die Nation und die Religion In der kolonialen Geschichte, aber auch über diese hinausgehend, sind zwei Ideologien von besonderer Bedeutung für die Dynamik staatlicher Herrschaft gewesen, nämlich Nationalismus und Fundamentalismus. Nationalismus und religiöser Fundamentalismus haben unter anderem gemeinsam, dass ihre Genese und ihre Entfaltung von staatlichen Projekten nicht getrennt betrachtet werden kann. Beide wurden zu Feldern der symbolischen Strategien politischer Macht, für die Agenten der Staatlichkeit wie für ihre Herausforderer. In allen Regione11 der Dritten Welt lässt sich beobachten, dass n.'ltionalistische Reaktionen auf imperiale und koloniale Expansionen sehr früh einsetzen. Jenseits der allgemein wahrgenommenen Konjunkturen zu Beginn des 20. Jahrhunderts und nach dem Zerfall der Sowjetunion hat der Nationalismus, der als Dekolooisation »erfolgreich« war, seine Wurzeln in den Diskursen des Widerstands, der mit der kolonialen Unterwerfung einsetzt. Er ist seit diesen Zeiten ein »globales Phänomen« (Schoch 2000: 170), auch wenn er seine volle Schwungkraft erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts entfaltete. Denn die Schulen der Missionen ebenso wie die säkularen Bildungsinstitutionen, aber auch die Medien der Kolonialgesellschaften waren die Foren der Ausbreitung der okzidentalen Normen und der Figuren ihrer politischen Diskurse. Über diese Foren breitete sich die Normwelt europäischer Ideen aus, um sich mit lokalen Symboliken und Ansprüchen zu je eigenen Projekten zu verschmelzen. Der Nationalismus der Dritten Welt - und auch der ehemaligen »Zweiten« - ist nur teils volkstümlich. Er entstand als intellektuelle Reaktion auf koloniale Situationen und wurde dann vor allem ein Legitimierungsdiskurs derjenigen, die die Macht in den neuen Staaten als et-ste usurpierten. Seine Verankerung in der Tradition ist scheinbar, denn seine historischen Wurzeln reichen fast immer nur in die Zeiten von Fremdherrschaft in der sich »nationale« Bezüge und Vorstellungen reaktiv entwickelten.1 79 In zahllosen Fällen, wie etwa in den segmentären Gesellschaften Afrikas, aber auch in weiten Teilen der ehemaligen Sowjetunion, sind die Gemeinschaften, auf die sich Nationalismen beziehen, Resultate der kolonialen und imperialen Praktiken.l80
179 Die allgemeine Literatur zum Thema Nationalismus ist ebenso umfangreich wie mittlerweiie verbreitet. Schoch (2000) führt alle relevanten Arbeiten an. Zu den hier interessierenden Regionen vgl. Davidson (1992) zu Afrika, Stölt.ing (1991) und Baberowski (2000) zur ehemaligen Sowjetunion. 180 Deshalb trifft die »Eisschrank-These<~ wonach die totalitäre Herrschaft in der Sowjetunion gleichsam naturläufige Nationalitätenkonflikte lediglich »unterdrückt<< hätte (so Snyder 1993) die Sache nicht.
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Der Nationalismus der Dritten Welt ist allerdings auch em weltgesellschaftliches Phänomen. Der Ursprung der Ideen und die Verwendung der Normen von Volkssouveränität und nationaler Selbstbestimmung als Referenzen zu externen Legitimierung der nachkolonialen Staaten belegen dies. Der Export von Normen wie der Volkssouveränität und den bürgerlichen Freiheiten ist mit den Diskursen des Nationalismus außerhalb Europas untrennbar verbunden. Dieser Bezug lässt sich in allen Dekolonisationsbewegungen fmden. Er hatte deswegen Resonanz, weil diese Normen zugleich international generalisiert waren. Im 14-Punkte-Plan Wilsons am Ende des Ersten Weltkriegs und in der Atlantik-Charta von 1941 fand diese Universalisierung ihren gleichsam offiziellen Schriftcharakter. Die Nation wie die anderen nonm1tiv geladenen Begriffe der Selbstbeschreibung europäischer Politik sind damit in andere Kontexte eingesickert und global generalisiert worden. Dieser Prozess der Generalisierung ist indes in einen anderen eingebettet: Ohne den sozialen Wandel, den die Kolonisierung, ob formell oder informell, eingeleitet hatte, wäre die Verbreitung dieser Vorstellungen nicht möglich gewesen. Außerhalb und innerhalb Europas ist das Ausgreifen nationalistischer Ideologien an tief greifenden sozialen Wandel rückgebunden. Er ist Teil jener Veränderungen in den symbolischen Ordnungen, mit denen w1ter Rückgriff auf ältere Symboliken und neue Sprachen die veränderten Lebensverhältnisse einer sinnhaften Interpretation zugeführt werden. Dass sich mit Erlangung der Unabhängigkeit die vorgestellte Gemeinschaft als Staat inkarnierte, wurde für die Agenten des Staates zum integralen Bestandteil ihres Ethos. Am Militär, aber auch an anderen Stäben ließe sich zeigen, wie das Abstraktum der »Nation« in individuelle Maximen und Reflexionen eingewoben ist, die sich keineswegs nur um Karriereerwartungen und ·. Besoldung drehen. In der Doktrin des Entwicklungsnationalismus wurden die modernen Gehalte des Nationalismus ebenso offenbar wie sie sich in den neuen mit Personenkulten verbundenen Lehren des Kemalismus oder der ·,.zalrisation« Mobutus. Sie waren funktionale Kreationen, die vorausgesetzten Staaten eine legitimierende Lehre für ihre Projekte geben sollten. Dieser in. strumenteile Nationalismus der neuen Staaten ist durch und" durch vom Ideal ; der Staatlichkeit durchtränkt. Alle seine Merkmale, von der Territorialität bis zur Auffassung des Staates als Maschine, als Apparat, finden sich in den Idea:Jen der Entwicklungsnationalisten Asiens, Afrikas und L1teinamerikas. War der Nationalismus zu Kolonialzeiten bloß eine Elitenideologie, so dauert der Prozess seiner sozialen Verallgemeinerung noch an. Er ist bis heute nicht abge~~-=blossen. In der Vielzahl von Autonomie- und Sezessionsbewegungen lässt :;~ ungebrochene Realität der Vorstellung der Nation in ihrer paradoxen
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Funktion, nämlich der Legitimierung und Delegitimierung staatlicher Macht, nach wie vor beobachten. Zunächst jedoch bewirkte der Nationalismus die Delegitimierung der kolonialen Herrschaft. Darin lag sein emanzipatives Moment (vgl. Schach 2000: 183f.). Diese Bewegung nahm mit den Bestrebungen in Lateinamerika ihren Anfang, als sich lokale Macht in der Krise der iberischen Herrscher zu napoleonischen Zeiten selbst zu definieren begann. Im Innern der Bewegungen griff dagegen überall rasch das Gesetz der Oligarchie. Die funktionalen Erfordernisse von Organisationen sorgten auch hier dafür, dass das Emanzipationsversprechen nicht eingehalten werden konnte. Der politische Erfolg der nationalistischen Bewegungen führte zu Selbstprivilegierung und Umformung der »ideologischen« Bande in die Sprache der Netzwerke und klientelistischen Bündnisse. Das traf auf die frühen Nationalismen Lateinamerikas, die die indianischen Bevölkerungsgruppen exkludierten, genauso zu wie auf die historisch späteren antikolonialen Bewegungen in Afrika und Asien. Die Beherrschung europäischer Sprachen, Schriftkundigkeit und die Rolle formaler Bildung dienten als Grenzziehungen für den Mechanismus sozialer Schließung und schränkten die Partizipationschancen an der Usurpation des Staates ein. Umgekehrt hat der sozial beschränkte Nationalismus in der Dritten Welt auch nicht die Verschränkungen erlaubt, die sich zwischen staatlichen Agenturen und Bevölkerungen in Europa ergeben hat. Die Legitimierung etwa stärkerer Steuerlasten durch »nationale Aufgaben«, die sich in der europäischen Geschichte durch die Verbreitung nationalistischer Ideen wiederholt ergeben hat (vgl. Bourdieu 1998: 105), fand in der Dritten Welt nicht statt. An den Praktiken, die den Staat umgehen, kann man den Umfang erkennen, in dem die Projekte gescheitert sind, über Nationalismen staatliche Herrschaft zu legitimieren. Selbst in jenen Staaten wie etwa Argentinien, die auf alte Traditionen von Eigenstaatlichkeit und auf ausdifferenzierte staatliche Strukturen verweisen können, reicht die Legitimität staatlicher Herrschaft nicht aus, den direkten Zugriff des Staates auf bewegliches Eigentum zu erreichen. So lässt sich der Umfang informeller Ökonomien, von Schmuggel, Schwarzarbeit und Kapitalflucht immer als direkter Ausdruck des Legitimitätsmangels auffassen. Die bewusste Umgehung staatlicher Grenzen und formeller Regularien bedeutet zwar die Kenntnis ihrer Ansprüche. Sie bedeutet aber eben noch nicht die Akzeptanz ihrer Geltung. Die Gouvernementalitäten der Herrschaft haben sich nicht die nötigen korrespondierenden Mentalitäten schaffen können. Ein Grund dafür liegt im Ausbleiben der staatlichen Leistungen. Denn die Staaten der Dritten Welt haben sich nirgends zu Agenturen entwickelt, die ihren Bevölkerungen für den Verlust der alten sozialintegrativen Instanzen Ersatz anbieten konnten. Weder
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Sicherheit vor physischer Gewalt, noch soziale Sicherheit oder wenigstens eine Regulierung wichtiger Lebensbereiche wie des Arbeitslebens konnten durchgängig erreicht werden. Die Bemühungen um Legitimität greifen immer dann nicht, wenn die Erwartungen nach Sicherheit und materieller Besserstellung enttäuscht werden. Gleichwohl hat sich aus der Verallgemeinerung der Idee der Volkssouveränität und ihr ungebrochenen Gültigkeit als globale Norm die Kontinuität der Mobilisierung und Legitimierung politischer Bewegungen über nationalistische Diskqrse erhalten. Die äußere Stützung der Norm erlaubt es heute, wie in Zeiten der Dekolonisation, dass nationalistische Diskurse temporär erfolgreich sind, auch wenn sie sich nicht wirklich als Massenhaltungen ausprägen. Das verbreitete Bild der Staatlichkeit der Welt hat die Grenzen staatlicher Herrschaft lange verdeckt. Erst als sich die Möglichkeiten der Patronage verminderten und die Akkomodation über den öffentlichen Apparat unzureichend wurde, zeigte sich die Brüchigkeit der Selbstdarstellung des nachkolonialen Staates als Errungenschaft des antikolonialen Widerstands und der autochthonen Revolution. In Mexiko ebenso wie in Indien oder Algerien wurden diese Selbstdarstellungen des Staates als Verkörperung der im Kampf gegen illegitime Herrschaft errungenen Volkssouveränität in dem Maße unglaubhaft, wie der behaupteten Emanzipation keine verbesserten Lebenschancen entsprachen. Deshalb erlebte in dieser Epoche, also vor allem seit den siebziger Jahren, der in den Symbolwelten nur teils vom Nationalismus unterscheidbaren religiösen Fundamentalismus seinen Aufschwung. Aus den islamischen Strömungen wie dem hinduistischem »Konglomerat von Sekten« Oaffrelot 1996: 18) war erst spät ein übergreifendes Kollektivbewusstsein entstanden, das auch lange Zeit als übergreifendes Mobilisierungsvehikel untauglich blieb. Doch weder die koloniale Herrschaft noch die Säkularisierungsbemühungen der nachkolonialen Staaten haben die Zugkraft religiöser Symboliken und die soziale Geltung des Religiösen beseitigen können."Die Interpretation des Politischen in Begrifflichkeiten und Bewertungsmustern des Religiösen und Tradierten hat sich erhalten. In vielen Fällen durch diese Interpretation durch die legitimitätssuchende staatliche Politik verstärkt. 181 Die Ausbreitung und den Aufschwung fundamentalistischer Bewegungen geschah folglich nicht unabhängig von staatlichen Politikprozessen. Zunächst 181 Zu diesem Verhältnis vgl. z.B. Jung (200lb) zur Türkei, Tripp (1996) zum J.V!ittleren Osten allgemein, Frykenberg (1993) und Eckert (2005) zu Indien, Gesch.iere (1995) zu Af,ika. Selbst innerhalb der antikolonialen Bewegung lassen sich solche idealisierenden Bezüge fmden, in Gandh.is Lehre etwa die Glorifizierung eines vormodernen Ideals der Ökonomie, nämlich der traditionellen agrarischen Dorfgemeinschaft. Ihre politische Sprengkraft erhielten sie durch die Verknüpfung mit Gleichheitserwartungen (vgl. Lai 1993: 411 ).
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lässt sich der Fundamentalismus als reaktives Phänomen durchaus als Folge auch staatlicher Modemisierung begreifen: Die vom Kol01ualstaat begonnene und von den unabhängigen Staaten als »Entwicklung« betriebene Modemisierungspolitik bedeutete auch immer eine Verunsicherw1g derjenigen, die durch diesen Wandel aus den alten Verhältnissen herausgetrieben wurden. In dieser Hinsicht teilt der Fundamentalismus mit dem Nationalismus seinen allgemeinen Ursprung, nämlich eine symbolische Strategie zu sein, in der Sprache des Alten die neuen Verhältnisse zu begreifen und zu kritisieren (vgl. Ajami 1992: 213ff.).
Staatliche Herrschaft steht mit der Entwicklung des Fundamentalismus aber auch dadurch in Zusammenhang, dass im Zuge der Konsolidierung der Machtverhältnisse auch die Exklusion im politischen Feld einsetzte, die die Formierung um Fundamentalismen als Leitideologien wahrscheinlicher machte. 182 Dabei spielte die Feinmechanik der Macht, die Suche nach Legitimität, eine gewichtige Rolle. Überall, wo religiöser Fundamentalismus zu einer bedeutenden politischen Kraft geworden ist, ging dem die Indienstname der religiösen Symbolik durch politische Parteien voraus. Diese folgte der immer gleichen Strategie: Die Manipulation der religiösen Symbolik ging einher mit dem Aufbau von - auch gewaltbereiten riseaux und der Einbindung von Notablen zur Überbrückung der Lücken zwischen (zentral-)staatlicher Herrschaft und den entfernten Lebenswelten, vor allem auf dem Lande.183 Der Versuch, Machtansprüche durch den Rückgriff auf die Religion symbolisch einzukleiden und damit zu legitimieren, war folglich auch Praxis des Staates selbst, wie auch der nur in ihn hineinragenden politischen Parteiungen, die sich seit kolonialen Zeiten herangebildet hatten. Doch die legitimitätsheischenden Strategien der nationalistischen und religiösen Staatsdiskurse und -praktiken blieben erfolglos, weil die Patronage des Staates nicht ausreichte, die erweckte11 materiellen Erwartungen zu erfüllen. Der sich in den siebziger Jahren ankündigende Protest in der Krise des Entwicklungsstaates ist aber ebenso von exogenen Momenten durchdrungen. Denn der Maßstab der Kritiker ist die westliche Modeme - am Bild ihrer Effizienz und Leistungsf:iihigkeit wird die Wirklichkeit des Staates gemessen. Selbst 182 Ein klassischer Fall für diese Zusanunenhänge ist sicher die Entwicklung im Iran (Halliday 1979: 196ff.), aber die Fälle Algerien und Türkei lassen sich hier ebenso anfUhren wie Indien oder Ägypten. 183 Auch in dieser Hinsicht lassen sich Regionen übergreifend Parallelen aufzeigen. Sie betreffen in Indien die >!Jana Sangh« (vgl. Jaffrelot 1996: 23f.), wie die Inklusion islamistischer Parteien in Pakistan unter Zia Ulhaq (vgl. Nasr 1994: 188ff.). Vgl. a. die musterhafte Studie Eiekeimans (1985) über den marokkanischen Notabien Hajj Abd ar-Rahman, an der der Niedergang der unabhängigen islamischen Bildungsinstitutionen unter französischer Kolonialherrschaft und ihre Indienstnahme durch den unabhängigen Staat exemplarisch deutlich werden.
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die anti-moderne Kritik der religiösen »Fundamentalisten« wird von sozialen Gruppen formuliert, denen der Zugang zu den Zentren moderner Macht verschlossen ist und den sie nun mit einem Programm einfordern, das von westlichen Idealen mitbestimmt ist (Eisenstadt 1998:122ff.). So ist den Islamisten Algeriens (Martinez 1998) und den Hindu-Nationalisten in Indien Qaffrelot 1996; Eckert 2005) gemeinsam, dass sie von politischen Institutionen Wohlfahrtsleistungen und soziale Sicherheit verlangen. Dass die staatlichen Leistungen in dieser Hinsicht immer defizitärer werden, gerät fundamentalistischen Bewegungen zum Vorteil. Weil sie organisieren, was staatliche Agenturen immer weniger leisten können, nämlich Ansätze und Wege zu Sicherheit und Wohlfahrt, kommt ihnen Basislegitimität zu_184 Mit dem Rekurs auf die Ideenwelt des Nationalismus und der Religion haben die nachkolonialen Staaten also ihre Legitimität nicht direkt erhöhen können, sondern nur neue Felder symbolischer Kämpfe eröffnet und neue Parteiungen geschaffen. Diese verneinen indes nicht das Ideal der Staatlichkeit. Auch sie beziehen sich darauf, ohne allerdings über ein Programm zu verfügen, das die Strukturprobleme staatlicher Herrschaft lösen könnte. Fundamentalistische Bewegungen werden so zu organisierten politischen Akteuren, die neben den staatlichen Agenturen bedeutsame Macht akkumulieren können, die aber gegenüber den lnklusions- und Kooptationsbemühungen des Staates nicht resistent sind. Weil ihre innerweltlichen Heilsversprechen nicht einlösen können, sind sie zugleich nur temporäre Erscheinungen. So lange sie ihre Wirkkraft besitzen, entfalten sie widersprüchliche Effekte, in denen sich ihre Geschichte fortsetzt. Sie sind ein Produkt der postkolonialen Ordnung, fordern sie heraus und bestätigen sie zugleich. Die Geschichte der fundamentalistischen Regime, des Iran nach 1979 wie Indiens nach dem Wahlsieg der Bharatrya Janata Parry (1998) zeigt, dass diese in ihrem Außenverhalten durchaus alten Mustern folgen und sich von der staatlicher Handlungslogik keineswegs emanzipiert haben. An der prekären Grundlage der Legitimität staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt hat sich durch die Strategien staatlicher Akteure wenig geändert. Bis heute vermischen sich legal-rationale Elemente mit den traditionalen und .·charismatischen, ohne dass eine eindeutige Verschiebung zu beobachten wäre. Auch die Welle der Demokratisierung, die zahlreiche Staaten der Dritten Welt seit den 1980er Jahren erfasst, hat an diesen Gewichtun~n keine grundlegende Änderung bewirkt. Nur dort, wo diese neuere Form der Vergesellschaftung
184 Zu den »frommen \Verken«, die natürlich auch von säb:ularen Interessen beeinflusst sind, vgL z. B. Jaffrelot (1994) zu Indien allgemein, Medani (1997) zu Sudan und Eckert (2003) zur Politik der Shivsena in Bombay.
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des Staates mit einer starken sozialen Differenzierung einherging, haben sich Effekte auf die Praktiken des Regierens bemerkbar gemacht, auch wenn sich an den Formen der »Herrschaft auf dem Lande« und an den autoritären Praktiken der staatlichen Gewaltapparate (vgl. 3.1) damit noch kein Wandel ergeben hat. Die Verrechtlichung des politischen Wettbewerbs im politischen Zentrum ist eben nicht gleichbedeutend mit dem Wandel der Praktiken staatlicher Herrschaft, sondern dieser Wandel ist ein viel langfristigerer Prozess, der auf weiteren Entwicklungen aufruht. Gerade der Erwerb legal-rationaler Legitimität ist rückgebunden an weitere Verände1'Ungen der sozialen und politischen Strukturen. Zu ihnen gehören die Entmachtung traditionaler Autoritäten, die Rationalisierung nicht nur des Staates, sondern der »Wirtschaft« ebenso, mit ihren Elementen des »Betriebscharakters« der Organisation und der reinen Geldrechnung. Monetarisierung und die Individualisierung zum »vereinzelten Einzelnen« (Marx 1939/1983: 406) sind solche großen Prozesse, die historisch mit der Entstehung legalrationaler Legitimität verschränkt sind. Zu den Voraussetzungen moderner Legitimitätsformen gehört nicht zuletzt die Erfahrung, dass die legitimitätssstiftenden Verfahren tatsächlich stattfinden. Deshalb kommt dem Recht, seiner sozialen Wirklichkeit und seiner Durchsetzung, eine zentrale Bedeutung für die Legitimität moderner staatlicher Herrschaft zu.
5.3 Das Recht des Staates Dass Recht staatlich ist, und dass in den Staaten des Westens die Verstaatlichung des Rechts erreicht ist, gilt als unhintergehbare Tatsache. Die Vorstellungen über Souveränität, Herrschaft und Verfahren sind mit der Idee der Staatlichkeit des Rechts untrennbar verwoben. Ebenso wie die Apparate, die das staatliche Gewaltmonopol umsetzen, und die, die die dafür notwendigen Mittel erheben, sind auch jene Einrichtungen ein elementarer Bestandteil moderner Staatlichkeit, die sich mit der Kodifizierung und Durchsetzung der Regeln beschäftigen, die den Staat in seinem lnnern wie nach außen abgrenzen. Mit dem Kollektivsingular Recht werden die Gesamtheit dieser Codes und die mit ihm verbundenen Praktiken bezeichnet. Ein weitreichender Konsens der Sozialwissenschaften geht von der Überlegenheit des staatlichen Rechts wie auch von seiner faktischen Universalisierung aus. Modemisierungstheorien jedenfalls behaupten, dass auch in nichtwestlichen Kontexten die Tendenz zu einer Verstaatlichw1g des Rechts zu beobachten ist und sich durchsetzen wird. Doch sind diese Annahmen wirk-
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lieh angemessen? Wenn es sich nicht so verhält, welche Prozesse und Normenordnungen lassen sich stattdessen beobachten und wie lassen sie sich beschreiben? Dieser Abschnitt soll über die wesentlichen Bestimmungsgründe der Entwicklung des Rechts in den Staaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas Auskunft geben. Dabei sollen indes nicht die so häufig behandelten Fragen von Verfassung und Menschenrechten betrachtet werden, sondern in erster Linie die für das Alltagsleben wichtigere Frage der Regulierungsfunktion von staatlichem Recht im gesellschaftlichen Alltag. Bürokratisches Wissen und gesatztes Recht sind in entwickelten Gesellschaften die wichtigsten symbolischen Ressourcen für staatliches Handeln. Voraussetzung für diese Funktionen sind nicht nur Schriftlichkeit und fachmäßige Schulung der handelnden Einzelnen, sondern ebenso die Bereitschaft, sich den praktischen Konsequenzen der Entscheidungen einer Bürokratie zu unterwerfen und das eigene Leben daran auszurichten. Die soziale und politische Relevanz der in Rechtsordnungen kodifizierten normativen Ordnungen ist daher unmittelbar abhängig davon, inwiefern diese Kodifikationen sich mit den tatsächlich gültigen vergesellschaftenden Regeln decken: Im Extrem der totalen Deckung entspricht die in juristischen Begriffen formulierte Selbstbeschreibung des politischen Systems den tatsächlichen Verfahren. Im Extrem der völligen Diskrepanz sind die kodifizierten Regeln bloßer Buchstabe, während die politische und soziale Praxis ganz anderen als clen geschriebenen Regeln folgt. Diese Extreme lassen sich modernisierungstheoretisch verorten: Im rationalen Anstaltsstaat, dem politischen Korrelat einer entfalteten kapitalistischen Wirtschaft, ist die Deckw1g der rechtlichen Beschreibung von Verfaluen und der tatsächlichen Funktionsweise institutionalisierter Verfahren hoch. In Ordnungen, in denen Formen des modernen Rechts nur oktroyiert sind, weicht die faktische Regelung sozialer Konflikte unter Umständen radikal davon ab, weil andere, traditionale Formen diese Regelungsfunktion übernehmen. Die Kodifikation, Systematisierung, die Rationalisierung und schließlich die Verselbständigung des Rechts als »Sphäre« mit eigenem Berufsstand, Sprache und Code sind jedoch selbst Resultate von Modernisienmgsprozessen. Damit im modernen Staat staatliche Gewalt als souverän, einheitlich und vor allem als »berechenbar« gedacht und erfahren werden kann, sind Prozesse nötig, die nicht allein den Staat betreffen, sondern die Umwälzung von Lebensverhältnissen bedeuten. Erst wenn diese Umwälzung der Lebensverhältnisse stattfindet, können Recht und Geld die formbestimmenden allgemeilmr i\ledien werden, in denen sich moderne Gesellschaften und moderne Staaten wcchsclseltl.g vermitteln. Nicht nur soziale Beziehungen sind darin üben\ricgcnd rechrst(>r· mig oder monetär vermittelt, sondern auch die Beziehungen 7.w1sch~:n 'ie:1
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Agenturen des Staates und den vereinzelten Einzelnen wie den sozialen Verbänden. Diese Allgemeinheit der Rechtsgültigkeit ist also ein Speziftkum der bürgerlichen Gesellschaft. Sie geht einher mit der Ausbreitung des Warenverkehrs und der Verselbständigung der sich als Eigentumsträger gegenübertretenden Rechtssubjekte. Und auch wenn bürgerlichen Gesellschaften der Widerspruch zwischen postulierter politischer Gleichheit und fortdauernder ökonomischer Ungleichheit immanent wird, so ist doch auch festzuhalten, dass die Freisetzung des einzelnen aus personalen Abhängigkeiten die Voraussetzung für die Möglichkeit der Gültigkeit rationalen Rechts als allgemeines Medium ist: Nur dort, wo auch die Ware Arbeitskraft über die Form der freien Lohnarbeit von alten Bindungen gelöst ist, ergibt sich die Chance, »ohne Ansehen der Person« kodifizierte Regeln als Regulationsmechanismus zu allgemeinen zu machen. Aber Kapitalismus heißt noch nicht Rechtsstaat, sondern dieser muss immer in politischen Kämpfen errungen werden. Wie die Entwicklung gerade in sich schnell modernisierenden Gesellschaften zeigen, ist rascher sozialer Wandel und rasche kapitalistische Inwertsetzung durchaus über lange Zeiträume ohne rechtliche Einhegung möglich. Politisch-rechtlich kann Kapitalismus so lange faktisch Klassenjustiz bedeuten, bis die Verrechtlichung der Politik und die Rechtsstaatlichkeit von konfliktfähigen sozialen Gruppen durchgesetzt werden kann. Das staatliche Recht muss, wie das Gewaltmonopol, vergesellschaftet werden. Beide Prozesse, die Verstaatlichung des Rechts und seine Vergesellschaftung, haben in Asien, Afrika und Lateinamerika erst begonnen und si11d unterschiedlich weit fortgeschrittel.l. Die Dynamiken des Rechts in der Dritten Welt sind jedoch mit diesen allgemettien Einsichten noch nicht erfasst. Denn auch wenn sich bürgerlichkapitalistische Vergesellschaftungsformen noch nicht wirklich verallgemeinert haben, so ist das Recht in der Dritten Welt weder inexistent, noch für die Entwicklung staatlicher Herrschaft irrelevant. Es lassen sich vielmehr Entwicklungen aufzeigen, die in unterschiedliche Richtungen weisen. Die zentralen TI1esen, über die Dynamik und die Tendenzen der Verstaatlichung der normativen Ordnung in Lateinamerika, Afrika und Asien lassen sich wie folgt zusammenfassen: Erstens ftndet der Prozess der Verstaatlichung des Rechts zwar statt, aber er vollzieht sich anders, als es der verbreiteten Vorstellung vom Staat als der zentralen Normsetzungsinstanz entspricht. Kernmerkmale dieses Prozesses sind seine Internationalität, die konfligierendc Überlappung unterschiedlicher Rechtsordnungen und eine deutlich spezifische Historizität der Entwicklung. Zweitens ist der Prozess der Verstaatlichung des Rechts gewaltgeladen. Die Etablierung staatlicher Herrschaft setzt zunächst Machtbildungen voraus. Der
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physischen Gewalt kommt dabei eine Schlüsselstellung zu. Der Prozess führt drittens nicht umstandslos zu einer mle oj law, sandem ist durch Ungleichzeitigkeiten und Ungleichheiten geprägt, die Gesellschaften und ihre politischen Formen gleichermaßen durchziehen.
5.3.1 Zwn theoretischen Ort des Rechts In den Sozialwissenschaften ist es gängig, die normativen Ordnungen traditionaler Gesellschaften als »Sitte«, die moderner, funktional differenzierter Gesellschaften hingegen als »Recht« zu bezeichnen. Dieser Unterscheidung kann hier nicht gefolgt werden, weil sie eine wesentliche Entwicklung, nämlich die Verstaatlichung einer normativen Ordnung, nicht in den Blick nehmen kann. Aus der ethnologischen Forschung lässt sich mit guten Gründen argumentieren, dass die Reduzierung des Rechtsbegriffs auf normative Ordnungen und Verfahren eines zentralisietten Staates nicht zwingend ist (vgl. Sigrist 1979: 106ff.). Für die hier verfolgte Fragestellung ist es daher angebrachter, nur zwischen nicht-normativen Regclmäßigkeiten und normativen Regeln zu unterscheiden.185 Diese Unterscheidung lässt die Möglichkeit offen, den spezifischen Prozess der Monopolisierung der Normsetzung durch den Staat zu verfolgen.l86 Gerade die Rechtsethnologie hat auf den Einschluss nichtstaatlichen Rechts in den Begriff des Rechts immer Wert. gelegt, um ihren Gegenstand zu erhalten, auch wenn die Verständigung auf einen gemeinsamen Rechtsbegriff dennoch nicht gelang (vgl. Benda-Beckmann 1976: 357f.). f\.1it dieser Auffassung ist auch ein Verständnis des Rechts kompatibel, wie es Niklas Luhmann für eine Theorie sozialer Systeme entwickelt hat. Demnach lässt sich Recht begreifen als >>Struktur eines sozialen Systems, die auf kongruenter Generalisierung normativer Verhaltenserwartungen beruht« (1980: 105). Mit dieser funktionalen Definition des Rechts werden vorstaatliche Gesellschaftsformen nicht ausgeschlossen, denn sie erkennt den Umstand an, dass jede soziale Gruppe, die sich als Gesellschaft konstituiert, über einen normativen Kanon verfügt.
185 Dies entspricht etwa Malinowskis Unterscheidung zwischen »rules df custom« und »rules of laW«, wobei nur den letzteren eine »definite binding obligation« zu Eigen sei (1926: 30). 186 Dieser Rechtsbegriff umfasst also »Konvention« und »R~cht« im Sim1e von Max \'Veb~rs "Soziologischen Grundbegriffen«, und fasst dessen Definition von llBrauch« und llSitte« zusammen, vgl. Weber (1920/1985: 15ff.). Die Gegenposition fmdet sich bei 1l1eodor Geiger: >>Recht ist insofern: ein von einer Zentralmacht monopolisierter Ordnungsmechanismus« (1964: 133).
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Solch eine breitere Rechtsauffassung ennöglicht es, den Prozess in den Blick zu nehmen, auf den es hier ankommt: das Streben des Staates nach Monopolisierung oder wenigstens Dominanz bei der Produktion und Durchsetzung dieser »normativen Verhaltenserwartungen«. Dies, die Verstaatlichung des Rechts, ist auch die entscheidende Differenz, die von allen Theorien geteilt wird, die sich aus sozialwissenschaftlicher Sicht mit dem Recht befassen und dabei langfristige Prozesse in den Blick nehmen. Ihnen allen ist die Idee einer Modem.isierung, einer Differenz zwischen traditionalen und modernen Formen der Vergesellschaftung gemeinsam. Im Falle moderner Staatlichkeit kommt ein weiteres Merkmal hinzu, das von nahezu allen Rechtstheorien betont wird: die Positivität des Rechts. Von Beginn an begleitet etwa die ethnologische Auseinandersetzung mit dem Recht die evolutionäre These der Entwicklung des Prinzips nonnativer Ordnungen jrom stahls to contract, der Ersetzung der Sitte durch staatlich gesatztes Recht (Nader 1965: 8). Max Weber (1920/1985: 503-513) etwa fasst diese Entwicklung als den Übergang von der >>Charismatischen Rechtsoffenbarung durch >Rechtspropheten«< über Rechtsschöpfung durch Rechtshonoratioren bis zur fachmäßigen Rechtspflege durch ausgebildete Fachjuristen. Dieser Verschiebung entspricht die innere Rationalisierung des Rechts zur >>Technik«. Die europäische Rechtsentwicklung wird dabei zunächst als Loslösung von traditionalen Prinzipien und schließlich durch die Entwicklung des juristischen Berufstandes und wirtschaftlichen Bedingungen bedingte Verselbständigung des Rechts gefasst. Recht wird im Verlauf dieses Prozesses zunehmend ))gesatzt«, es wird zur Entscheidung, zu einem >>Produkt und technische(m) Mittel eines Interessenkompromisses« (ebd.: 502), dessen Formulierung berufsmäßig geschultem Personal überantwortet wird. Staatliches Recht in diesem modernen Sinne ist, so betont Weber, eine historische Ausnahmeerscheinung (ebd.: 443). Niklas Luhmann hat den Kern dieser Veränderung, der Entstehung des positiven Rechts, in der »Legalisierung von Rechtsänderungen« gesehen (1980, Kap. IV). Funktional differenzierte Gesellschaften entwickelten ein Bewusstsein ihrer Kontingenz, so dass die Geltung des Gesetzes nicht mehr auf ein Jenseits der Gesellschaft verlegt werden kann, sondern an das Verfahren seiner Entstehung gekoppelt werden müsse. Damit verbunden sei außerdem die Erweiterung des Rechts, in sachlicher und sozialer Hinsicht: Immer mehr Bereiche würden justiziabel, und immer mehr Personen würden von diesen Regelungen erfasst. Eine ähnliche Sicht auf die Entwicklung des Rechts in modernen Staaten entwickelt auch Jürgen Habermas. Erst in moden1en Gesellschaften träten Recht und Moral auseinander. Der Unterschied zwischen Legalität und Mora-
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lität präge sich darin aus, dass jedermann seiner privaten Ethik anhängen könne, solange er abstrakten Rechtsgehorsam leistet, auf dem das Recht ruhe (1987: 261 ). Auf individueller Ebene sei ein ))post-kotwentionelles« moralisches Bewusstsein das notwendige Korrelat des modernen Rechtssystems. Die »Ausdehnung und Verdichtung« des Rechts lässt sich Habermas -zufolge in der Geschichte der westlichen Staaten in vier großen Schüben der Verrechtlichung beobachten, die deren Wandlung vom frühen bürgerlichen Staat zum demokratischen Rechtsstaat begleiten (1987: 534ff.). In modernen Gesellschaften haben Rechtsinstitutionen zwar noch eine materielle Rechtfertigung in der Lebenswelt, grundsätzlich aber wird das Recht zu einem Stcuerungsmedium. Es ist ein Teil der Systemintegration, ein Mittel der Subsysteme Wirtschaft und Verwaltung und der von diesen Systemen ausgehenden »Kolonialisierung der Lebenswelt« (ebd. 539). Allen diesen theoretischen Behandlungen des Rechts ist gemein, dass sie die Produktion und Verwaltung des Rechts beim Staat ansiedeln. Zwar wirken zahllose soziale Akteure an der Bedarfsartikulation, an der Formulierung, und - in geringerem Maße - auch an der Durchsetzung des Rechts mit. Es ist jedoch der Staat, der mit dem >>Steuerungsmedium« Recht in Subsysteme und Lebenswelten hineinregiert, an den Beschwerden gerichtet werden, von dessen Stäben die nötigenfalls gewaltsame Durchsetzung des Rechts erwartet wird und der der soziale Ort der Fassung und KodifiZierung des Rechts ist. Die historischen Pfade, auf denen diese Staatlichkeit des Rechts erlangt wird, sind sehr verschiedenartig. Für den Prozess der Verstaatlichung des Rechts lassen sich gleichwohl allgemeine, übergreifende Merkmale formulieren, wie sie für moderne westliche Staaten unter dem Stichwort der »Verrechtlichung« diskutiert werden, nämlich Parlamentarisierung, Bürokratisien.mg und Justizialisierung (vgl. Voigt 1983: 36).187 Der Prozess der Verstaatlichung des Rechts betrifft zunächst die Frage nach der Produktion des Rechts. Typischerweise fmdet diese in modernen Staaten in Parlamenten statt, soweit sie nicht einfache administrative, von Behörden zu erstellende Fragen von geringerer gesellschaftlicher Reichweite betrifft. Ein Ausgreifen der Parlamentarisimmg der Rechtsproduktion kann damit als Indikator der Verstaatlichung des Rechts angesehen werden. Auf die Rechtspraxis des Staates bezieht sich die Frage nach der Biirokratisierung der faktischen Rechtsvorgänge. Nur insofern als die staatlichen Organe 187 NI!Ch Jürgen Habeanas' Analyse besteht ein wesentlicher Gnmdzug der Verrechtlichung ist auch die Kodifizierung der Regeln, nach denen Politik stattfinden soll. Die >>Gesetznüilligkeit der Verwaltung im Sinne einer >Herrschaft des Gesetzes«< (Habermas 1987: 528) und schließ· lieh auch die »Verrechtlichung des Legitimationsprozesses<< (ebd.: 529) sind Teil dieser Bewegung, an deren vorläufigem Ende in Europa der demoktatische Rechtsstaat steht.
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tatsächlich mit der Durchsetzung des Rechts befasst sind und dieses dadurch mehr als nur sprachliche Realität erhält, ist das staatliche Recht »wirklich«. Dass bei der Befolgung und Durchsetzung des Rechts immer Lücken klaffen, ist der Rechtssoziologie bekannt. Zwang und Konsens, auf denen die Rechtsdurchsetzung beruhen, haben es mit einem Informationsproblem zu tun idealerweise müssten allen alle Vorschriften bekannt sein sowie den staatlichen Organen alle Verstöße zur Kenntnis gebracht werden- eine Situation, die in keinem Staat jemals erreicht wurde (vgl. Luhmann 1980: 267ff.). Interesscnlagen, behördliche Arbeitsstile und individuelle Strategien stehen dem ebenso entgegen wie konkurrierende Geltungen. Die Bürokratisierung des Rechts kann trotz dieser Lücken immer an fachmässiger Organisation, an Kompetenzgrenzen und bürokratisch verwalteter Rechtspflege etkannt werden. Drittens bedeutet der Prozess der Verstaatlichung des Rechts allgemeine ]usti~alisimmg. Immer mehr Fragen des gesellschaftlichen Lebens werden einer techtlichen Behandlung zugeführt, und immet größet wird der Kreis der beteiligten staatlichen Abteilungen und Institutionen, die sich der Behandlung eines Sachgebiets annehmen. Weil das Recht das zentrale Steuerungsmedium des Staates ist, sondern auch die formale Sprache seiner inneren Kommunikation, bedeutet die Ausweitung des Staates immer auch jl.tstizialisierung. Die Verstaatlichung des Rechts ist deshalb eng verknüpft mit der Etablierung von Berufsrollen, professionellen Habitus und Apparaten. Innerhalb der Institutionen bildet sich eine Sprache aus, die den Berufsträgern eigen wird und deren Beherrschung Zugangsbedingung für die Teilhabe an der Verfügungsmacht über dieses symbolische Kapital wird. Die Produktion von staatlichem Recht meint zuerst die Produktion von Juristen (vgl. Bourdieu 1998: 108ff.).
5.3.2 Das Recht als Staatsptojekt
Die Verstaatlichung des Rechts ist also ein Projekt, das sich nicht in der schriftlichen Kodifizierung von Regeln erschöpft. Der Umfang des Projekts ist viel beträchtlicher. Es umfasst der Tendenz nach die gesamte Semantik des Sozialen, die Möglichkeit von Bedeutungen und Zuschreibungen. Die Verstaatlichung des Rechts ist also eingebettet in einen breiteren Prozess der Verstaatlichung der Semantik. In juristischen Verfahren wird zum Beispiel nich( über tatsächliches Verhalten, über ein Ereignis »an sich« geurteilt, sondem.} über ein »Sachverhaltsbild« (Benda-Beckmann 1976: 362), das sich die Betei-:,, ligten in einer Sprache w1d mit vorgängigen Auffassungen von möglichen.; Kausalitäten und wahrscheinlichen Verläufen machen. Das Recht als staatliche-~
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Semantik entscheidet eben auch über die Formen der Repräsentation eines Ereignisses, es präjudiziert mögliche Entscheidungen und damit tatsächliches Handeln, auch wenn andere Weisen der Beschreibung und Beurteilung möglich sind, wie sie individuelle und kollektive Moralvorstellungen, religiöse Codes und andere konkurrierende Auffassungen transportieren und durchzusetzen suchen. Die Verstaatlichung der Semantik, in der über moralische Fragen gesprochen wird und nach der auch Nonnierungen und Sanktionen stattfinden, umfasst aber mehr als das juristische Verfahren. Sie betrifft Möglichkeiten der Beschreibung und Bewettung sozialen Handelns insgesamt. In dem Maße, in dem die staatliche Rechtspraxis tatsächlich den Eindruck erwecken kann, ihrem Bilde zu entsprechen, in diesem Maße wird es auch wahrscheinlich, dass die Semantik des staatlichen Rechts höhere - oder jedenfalls verbreitetere · Geltung erlangt als die konkurrierenden Codes. An diesem semantischen Streit wirken viele Akteure und Institutionen mit. Nicht nur Richter, Anwälte und Polizisten sprechen die Sprache des staatlichen .Rechts. Diese wird auch in Schulen, Behörden und staatlichen Medien benutzt, '.um Ereignisse und Verhaltensweisen zu beschreiben und zu bewetten. An '~osen Diskussionen lässt sich der politische Charakter der Bemühungen 'des Staates erkennen, seine Semantik gegenüber widerstreitenden Beschrei'"bungen durchzusetzen: Was sozial als gerechte Umverteilung gelten mag, ist Sicht staatlichen Rechts >>Korruption<<, was nach religiösen Vorstellungen ·als »Frevel« gelten mag, kann nach staatlichem Recht ein irrelevanter banaler ~yorgang sein. ;'. Die Veränderungen des Rechts, die sich mit seiner Verstaatlichung·erge1;~ erfassen auch den Bereich der Politik. Hier, ebenso wenig wie in anderen ~tsbereichen, bedeutet das Vordringen der rechtlichen Semantik die Un~Lverfung unter das gesatzte Recht. Deshalb hat die Auffassung, die Verstaatung des Rechts sei letztlich gleichbedeutend mit der Verrechtlichung der tik, immer Widerspruch hervorgerufen. Dem Glauben an die Realität des l="titution•li<mu< wu<do '""die WirldUohkoit d" nicht
:aus
.. Diese Kritik hat eine tiefe Berechtigung. Denn so sehr das Recht eine Semantik hat, sowenig ·l:assen sich Recht 1md Politik auf das Semantische reduzieren. Die Bandbreite der tatskhli.·~Praktiken des Rechts 1md der Politik umfasst weit mehr. In beiden Feldern bilden soziale ·~:ileziehWlgen, Interessenlagen, die Verteilung von Ressourcen 1md arretierte Machtkonstellati," .:~den Kontext, in dem und mit dem sich Semantiken entwickeln.
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Sie ist eine Behauptung über Behauptungen. Ihr Text listet Sprechakte auf. Sätze über die in ihr behandelten Verfahren beginnen mit »Der Präsident ernennt...« oder »das Parlament schlägt vor... stittunt zu, kann ableh11en«. Sie ist ein Sprechakt, der im Namen eines Abstraktums, der Nation, des Volkes von einer Expertengruppe, oder polemisch gesagt, einer Priesterschar ausgesprochen wird. Die »Staatstheologen« (Marx 1841/1968: 60), Bürokraten und Juristen, schaffen ein semantisches Feld, dessen Interpretation sie für sich monopolisieren. Sie schaffen und bearbeiten das semantische Feld des Staates. Auch im modernen Staat wird das Recht von organisierten Interessen mitgeformt. Der Zusammenhang zwischen Recht und Macht bleibt damit bestehen. Dieser in der Tat unauflösliche Zusammenhang1B9 zeigt sich im Grunde in jedem das Recht betreffenden Gegenstand. Denn es sind nicht nur die Staatsbeamten, deren Sprache das Recht ist und die ein fast natürliches Interesse am Fortbestand einer staatlichen Ordnung haben. Vielmehr legen sich Kränze von weiteren Interessen um einzelne rechtliche Bestimmungen, wie auch um eine Rechtsordnung als Ganze. Es ist nicht nötig, einer Ableitung des Staates aus ökonomischem Interessenlagen zu huldigen, um anzuerkennen, dass das Recht des modernen Staates zu einem beträchtlichen Teil im »Dienst ökonomischer Interessen« steht w1d dass ökonomische Interessen zu den »allermächtigsten« Faktoren der Beeinflussung der Rechtsbildung gehören (Weber 1985: 197). So wenig eine staatliche Garantie der Rechte für irgendeine einzelne ökonomische Erscheinung unentbehrlich ist, so sehr braucht aber eine Wirtschaftsordnti1Jg Elemente, »wie sie faktisch nur der Staat als Rechtsordnung anbietet<<, denn die Herrschaft der Marktvergesellschaftung »verlangt ein nach rationalen Regeln kalkulierbares Funktionieren des Rechts« (ebd.: 198). Trotz aller Eigendynamik, die das Recht in modernen Systemen entfalten mag, ist es auch immer ein Kompromiss zwischen Interessierten - und damit Teil des Kanlpfes und Macht, der Politik eben vor allem ist. Deshalb ftnden sich im Recht immer die Spuren der Macht, die der Personen und die des Staates. Positives Recht, das staatlich gesatzt wird, steht also immer in Konkurrenz zu partikularen Interessen, die Machtpositionen verkoppelt sind, sowie zu traditionalen Beständen und eingelebten Sitten. Über die Dynamik des postkolonialen Staates, der sich gegen diese Wtderstände versucht, seine Herrschaft über das Recht zu etablieren, sollen im Folgenden nur einige Thesen diskutiert werden, die sich auf den Stand der Verstaatlichung des Rechts in der Dritten
189 Vgl. Geiger (1964: 338ff.). Geiger korruntauch das Verdienst zu, darauf hinzuweisen, dass bei der Gegenüberstellung von Recht und Macht als Gegensatz eigentlich nicht diese, sandem Willl.:ür gemeintsei (vgl. Geiger 1964: 339).
~;Welt ~d auf das Verhältnis des staatlichen Rechts zu anderen Normdynami-
~·~ beztehen.
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;r. 53.3 Die Wirklichkeit des Rechts f
/,Alle postkolonialen Staaten weisen eine wachsende Rechtsproduktion auf. 190 :{.In den aus Kolonialzeiten ererbten und fortentwickelten Ministerien, in ( Gerichten und Rechtsfakultäten und auch in Parlamenten wird die Produktion c ·staatlichen Rechts betrieben. Doch die Durchsetzung staatlichen Rechts stößt !,. ~uf eine Reihe von Hindernissen, die die Literatur über staatliche Herrschaft in ~-der Dritten Welt durchziehen: 19 1 Die von staatlichen Stellen erlassenen t .Regelungen bleiben in der Rechtspraxis vor allem dann unbeachtet, wenn sie i:: in Widerspruch zu tradierten Werten und Verfahren der Lebenswelten stehen. ;:.Tradition und Sitte schwächen die Rechtspräsenz des Staates. Vor allem auf :. dem Lande werden rechtliche Veränderungen ignoriert, weil die Innovationen entweder gar nicht kommuniziert werden, oder weil kein Personal existiert, das ihre Einhaltung durchsetzen und kontrollieren könnte. Das staatliche Rechts'·. system ist nur ein Ausschnitt der Verfahren, die zur Konfliktregelung tradiert sind oder aus konkreten Machtverhältnissen resultieren. Die staatlichen Agenturen, die für die Rechtspflege und -durchsetzung zuständig sind, verfügen zudem nicht über die hinreichende Handlungsautonomie, um dem staatlichen Recht zu folgen. Die Kommerzialisiemng des Rechts, die unter den Praktiken der »Korruption« stattfindet, hebelt die Durchsetzung staatlich gesatzter Normen häufig aus, soweit Unterschiede in Vermögen und politischem Einfluss nicht ohnehin Verfahrensentscheidungen präjudizieren. Nicht einmal die staatlichen Agenturen selbst sind in der Lage, sich an staatliches Recht zu halten. Die Verbreitung der Nichtverfolgung der Übergriffe staatlicher Gewaltspezialisten (vgl. a. 3.1), ihre Kriminalisierung ebenso wie sämtliche als »Korruption« betitelten Praktiken, belegen dies. Zu diesen strukturellen Problemen kommen jene, die sich durch die Überlastung der Justizbe·.~
190 Ein empirische Beleg für diese Behauptung ist schwach, aber anschaulich: In der Bibliothek des High Court der ugandischen Hauptstadt Kampala befanden sich im Frühjahr 2001 fünf Regalmeter mit Gesetzestexten, die den gegenwärtigen Rechtskanon Ugandas darstellen. Rund ein Drittel des Bestandes waren Gesetze aus Kolonialzeiten, aus den 1960/70er Jahren stammt rund ein Sechstel. Die Hälfte der Bände trägt die Jahreszahlen nach dem Ende des Bürgerkriegs 1986 und weist auf eine stetig anschwellende Rechtsproduktion hin (Beobachtung des Verfassers, März 2001). Ist es zulässig, für größere und stärker bürokratisierte Staaten auf ein noch weitaus höheres \Vachstum der Rechtsproduktion zu schließen? 191 Vgl. z.B. Waldmann (2002), Kantowsh.-y (1986), Gawthra ( 1993), Ekririh.ubinza (1999), Bayart et al. (1997); Mendez et al. (1999).
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hörden ergeben. Länge der Verfahren und Inkompetenz der Beamten beeinträchtigen die Rechtspraxis so stark, dass vom Rückgriff auf staatliches Recht im Konfliktfall von vomherein Abstand genommen wird. Auf der anderen Seite gibt es in den Staaten der Dritten Welt Anzeichen für eine Verrechtlichung der Politik. Verfahren wegen der illegalen Akte früherer Amtsträger lassen sich in Chile ebenso wie in Mali oder den Philippinen beobachten. Die Parlamentarisierung der Rechtsproduktion ist eine zentrale Forderung der Demokratisierungsbewegungen in allen Staaten, und in mehr und mehr Staaten hat das wachsende Selbstbewusstsein des Juristenstandes eine Justizialisierung von Regierungsentscheidungen bewirkt. Diese Tendenz hat sich in Agypten ebenso wie in der Türkei, in Pakistan wie in Mexiko entwickelt, vgl. (Migdal2001: 29ff.; Lewis 2005). So deutlich Zeichen der V errechtlichung der Politik sein mögen, sie· überdecken den prekären Stand des staatlichen Rechts in der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Nicht die Orientierung am staatlichen Recht, sondern konkrete Machtkonstellationen, Willkür und Gewalt entscheiden über den Ausgang von Konflikten, die in den Staaten des Westens die Chance auf eine juristische Bearbeitung hätten. Darin bestätigen sich historische Erfahrungen. Den11 es gehört zu den paradoxen Annahmen des unaufgeklärten Entwicklungsglaubens, dass die Überwindw1g von Willkür ohne Willkür stattfmden könnte. Der Streit des Staates um die Suprematie seiner Regeln ist nicht gewaltlos. 192 Damit sich die Herrschaft der staatlichen Semantik entfaltet, muss sie erst gegen Widerstände durchgesetzt" werden. Dieser Grundsachverhalt betrifft die Durchsetzung des Kolonialstaates ebenso wie zeitgenössische Staatsbildungen. Diese Konfliktivität zeigt sich in verschiedenen Merkmalen der Wirklichkeit des Rechts in der Dritten Welt, die im Folgenden skizziert werden sollen. Diese sind der Rechtspluralismus, Ungleichzeitigkeiten und Ungleichheiten, die Kommerzialisiening des Rechts, seine lntemationalisiem11g und schließlich die trotz allem stattfindende Verrechtlichung der Politik. Der Einzug moderner anstaltsstaatlicher Rechtsformen in nichtwestliche Kontexte gilt auch als Beginn des RechtsplmalismNs dieser Kontexte. Die koloniale Erfahrung afrikanischer Gesellschaft ist typisch für diese Konstellation, in der unterschiedliche Weisen des Rechts gleichzeitig existieren. In diesen Konstellationen stehen sich die unterschiedlichen Rechtsauffassungen jedoch nicht unvermittelt gegenüber, sondern sie bedingen und dut-chdringen sich 192 Das zeigt sich auch an den Themen Wld Anlässen von Gewaltkonllikten, die in Kapitel J nur übersichtsartig behandelt wurden. Sprachpolitik, die Einführung neuer Rechtscodes, Wld Verändenlllgen des Rechtsgefiiges sind häufig Anlass und subjektiver Grund fiir bewaffnete Auseinandersetzungen auf unterschiedlichen Niveauq, Jahr fiir Jahr Iisten intemationale Menschenrechtsorganisationen VerletzWlgen der Menschenrechte in über 150 Staaten auf.
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gegenseitig (Santos 1987: 297). So ergibt sich immer eine komplexe Dialektik zwischen staatlichem Recht und seinen Alternativen. Vorgängige Rechtssysteme können Symbole und Elemente staatlichen Rechts kopieren und so den Anschein moderner Staatlichkeit erzeugen. Umgekehrt kann staatliches Recht sich mit der Symbolik traditionaler Herrschaft kleiden, um seine Legitimltät zu erhöhen. Beide Systeme können sich gegenseitig stützen, aber auch untenninieren (vgl. Merry 1988). In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Entwicklungen in den kolonialen und nachkolonialen Staaten Afrikas und Asiens nicht von der Rechtsgeschichte Europas, in der das römische Recht mit unterschiedlichen anderen Rechtssystemen verschmolz (vg. Wesel 1997: 339ff.). Aus soziologischer Sicht hat dieser Rechtspluralismus nichts Außergewöhnliches, weil das Faktum der »lnterlegalität«, die Existenzweise jedes Einzelnen in einem sich konstant verändernden Mix von Rechtscodes und Normsystemen, mindestens fi.ir zeitgenössische Gesellschaften als Normalfall gelten kann: »... virtually every society is legally plural, whether or not it has a colonial past« (Merry 1988: 869). 193 Schließlich lässt sich auch das staatliche Recht selbst als plural auffassen, insofern seine Produktion und seine inner Logik sich mit zunehmender Differenzierung heterogenisieren. Die Legitimitätsdefizite, die die staatliche Ordnung in der Dritten Welt kennzeichnen, haben ihren Grund also auch darin, dass die gleichzeitige Geltung unterschiedlicher Rechtssysteme staatliches Recht nicht zur Entfaltung kommen lässt. Die Gleichzeitigkeit deJ Ungleichzeitigen als Strukturmerkmal postkolonialer Gesellschaften führt eben auch zu einer Überlagerung des positiven staatlichen Rechts durch ande.re Rechtssysteme. Die Ungleichzeitigkeiten der Verrechtlichung zeigen sich auch in den konkreten Gehalten der Rechtstexte selbst, wie in den ersten Verfassungen der nachkoloniaien Staaten. Die Häufigkeit des datin festgelegten Präsidenrialismus lässt sich auch als Eingeständnis an den traditionalen Charakter politischer Herrschaft lesen. Der Personalismus und mit den weitreichenden Besetzungskompetenzen des Präsidenten verbundene Klientelismus überwiegt eindeutig die legitimatorische Wttkung, die von der auf verschiedene Machtzentren gelagerten Verfahren zu erwarten sein könnte. Faktisch wird dem Präsidenten in der Verfassung kein eigenständiges Machtzentrum gegenübergestellt. Das legal-rationale Legitimitätsverständnis, das jeder konstitutionellen Form zugrunde liegt, steht damit im Widerspruch zu den konkreten Gehalten des Verfassungstextes. Denn darin ist es nicht allein die Legitimität durch
193 Vgl. a. Santos (1987: 298) und Spittler (1967)
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Verfahren, sondern eine traditional wirkende Autorität, die die Herrschaft verbürgen soll.194 Der gleichzeitige Geltungsanspruch unterschiedlicher Rechtssysteme ist zunächst ein Erbe der kolonialen Geschichte. Mit der kolonialen Unterwerfung, hielten Ideen und Praktiken der modernen Rechts-KodifiZierung, Verschriftlichung und Kontraktualismus in einen sozialen Kontext Einzug, der bis dahin ausschließlich von traditionalen Rechtsformen geprägt war.195 Tatsächlich musste eine bürokratische Justiz, die sich schriftlicher Codes in einer fremden Sprache bedient und deren Agenten für ihre Tätigkeit hohe Endohnungen fordern, einer agrarischen, illiteraten Bevölkerw1g als aut01itärer Fremdkörper erscheinen, dessen Fremdheit durch die juristischen Rituale, durch Perücken und Talare noch gesteigert wurde. Das Empire, in dessen Namen während der Kolonialzeit Recht gesprochen wurde, erschien als wesenloses Abstraktum. Mit der kolonialen Unterwerfung wurden überhaupt vielfältige Rechtsformen zunächst erstmals in einen gemeinsamen Rechtsraum überführt. Die Rechtspraxis des kolonialen Staates in Afrika und Asien kann gleichwohl nicht als mle of ltJW bezeichnet werden. In ihr waren Willkür und Autoritarismus so bestimmend, dass sich die despotischen Züge der nachkolonialen Geschichte zu einem bestimmten Grade aus dieser Herrschaftsform ableiten lassen. Die koloniale Rechtspraxis diente vor allem der kolonialen lnwertsetzung: Die Erzwingung der Steuerzalllung durch Zwangsarbeit und körperliche Strafen sollte Monetarisierung und damit Integration in die koloniale Ökonomie bewirken. Fast überall in Afrika und Asien ist die Modernisierungswirkung des kolonialen Rechtswesens aber auch deshalb gering geblieben, weil das koloniale Rechtswesen eine grw1dlegende Differenz zwischen native hw und dem Recht der weißen Kolonialgesellschaft einführte (vgl. Mamdani 1996, Kap. 4). Die Rechtspraxis innerhalb der kolonisierten Gesellschaft war nur die Verquickunghergebrachter Sitte mit den Zwangsinstrumenten kolonialer Herrschaft. Die freiheitlichen Elemente bürgerlichen Rechts sind nie Bestandteil des native law geworden. Faktisch eröffnete deshalb die Kolonialherrschaft die uneingeschränkte Akkumulation von Machtmitteln durch lokale ßig Men, die als Chiefs den Schutz der Kolonialmacht in eigenen Vorteil umwandeln konnten. Die Ungleichzeitigkeit der Rechtsverhältnisse zeigt sich aber auch in der Persistenz traditionaler Regelw1gen, deren Dialektik von Ehre und Schande, 194 Beispielhaft für diese innere Dynamik ist die Verfassungsgeschichte Senegals, das nach Erlangung der Unabhängigkeit fünf neue konstitutionelle Ordnungen erhielt (vgl. Hesseling 1985). 195 Auch hier gibt es durch historisch andere Verläufe bedingte Unterschiede. Der iberische Kolonialismus ist weniger modern gewesen als der des 20. Jahrhunderts, so dass auch die Entwicklung der Rechtsformen einen anderen Weg nahm.
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die Verhältnisse überdauert haben, wenn auch nicht wwerändert. Überwiegend traditional detetminierte Codes grenzen die Geltung staatlichen Rechts weiterhin ein. Bis hinein in die »dirty tricks« der Politik, in die Kontinua der Gewalt im politischen Alltag, reichen die Legitimationen, die sich aus den Ehrbegriffen der traditionalen Moral herleiten und die kaum populärer Kritik unterliegen·}% Des Weiteren ist die Rechtspraxis durch beträchtliche Ungleichheiten geprägt, die nachfolgend unter dem Stichworten KDmme'ifali.rimmg diskutiert werden. Resultat dieser komplexen Verhältnisse ist die gleichzeitige Existenz eines hohen Maßes von Rechtssicherheit für bestimmte Kreise und eine fortdauernde Unsicherheit fW: die Bevölkerungsmehrheit. 197 In fast allen Staaten der Dritten Welt ist die Erlangung von Recht, der Weg der Klage und der Instanzen vor allem eine Frage des finanziellen Vermögens. Die abstrakt behauptete Gleichheit des Rechts kann sich gegen die faktischen sozialen Unterschiede nicht durchsetzen. Es sind diese und die politische Konstellation, die die Ungleichheiten der staatlichen Rechtspraxis bewirken, nicht die Idee des staatlichen Rechts an sich. Für die Bevölkerungsmehrheit ist das staatliche Recht vor allem eine disziplinierende Instanz, die nur selektiv auftritt, denn das staatliche Recht ist nicht flächendeckend die dominante Form der Konfliktlösung. Die Kommerzialisierung des Rechts, die einfachen Kosten eines Verfahrens, aber auch die Praktik des »bribe your way through the system«,m reduziert die Erwartungsverlässlichkeit der Rechtsdistribution durch die staatliche Justiz zudem auf den Personenkreis der Wohlhabenden. Um einen Konflikt oder Streit auf dem Rechtswege zu lösen, sind häuftg nicht nur im voraus Mittel für den Rechtsbeistand aufzubringen. Wegen der chronischen Unterbezahlung der Polizisten sind diese in zahllosen Ländern zumeist für jede einzelne Handlung wie die Aufnahme des Falles, den Besuch des Tatorts, usw. zu entlohnen. Jederzeit, auch in späteren Phasen des Verfahrens droht in vielen Staaten die ungeregelte Beendigung des Verfahrens, weil die Gegenseite mit höheren Bestechungssummen für das Verschwinden der Akten oder von Beweismaterial sorgt. Auch Verbindungen zu politischen Schwergewichten ermöglichen die Beeinflussung der Entscheidungen der Justiz, bis hin zur Einstellung von Verfahren.
196 Deshalb ist es ein Irrtum zu glauben, die »Zivilgesellschaft<< sei durchgängig und >>an sich« an der Verstaatlichung des Rechts interessiert. Zur Veranschaulichung des Zusarrunenhangs von trnditionalen Rechtspraktiken, Gewalt und Politik vgl. Orywal (1996) zu Pakismn und Schlichte (2005b) zu Uganda. 197 Zu dieser These der Bifurkation von Sicherheitsystemen vgl.a. Schlichte/Wilke (2000) und Altvater /Mahnkopf (2002). 198 Antwort eines Supermarktbesitzers in K.'ll1'lpala auf die Frage des Verfassers, wie sich in Uganda Rechtsstreitigkeiten lösen lassen, Februar 1999, Kampala.
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Damit liegt der staatliche Rechtsweg weitgehend außerhalb der Konfliktlösungsmöglichkeiten der Bevölkerungen. Das staatliche Recht bleibt abstrakt und tritt in der Regel nur als Sru1ktion des Staates, als symbolische Sprache der Disziplinierung auf. Die pauschal als Korruption bezeichnete Kommerzialisiemng der Justiz verdichtet sich zur Ablehnung und zum Generalvorwurf gegenüber den Instanzen des staatlichen Rechts, das gleichwohl etwa im Falle unterlassener Steuerzahlung oder kleinerer Vergehen und gegenüber den Marginalisierten willkürlich, selektiv und autoritär auftritt. Am Vergleich der polizeilich gemeldeten Fälle mit der Zahl der getroffenen Urteile lässt sich in vielen Staaten erkennen, dass die Mehrheit der Fälle durch Einstellung des Verfahrens, unzureichende Beweise, oder den Verlust der Akten enden. Um einen Konflikt oder Streit auf dem Rechtswege zu lösen, sind nicht nur im voraus Mittel für den Rechtsbeistand aufzubringen. Wegen der chronischen Unterbezahlung der Polizisten sind auch diese für jede einzelne Amtshandlung gesondert privat zu entlohnen. Grund dieser hohen AnHilligkeit für irreguläre Zahlungen sind die geringen Gehälter, die zudem unregelmäßig ausgezahlt werden. 199 Jederzeit, auch in späteren Phasen des Verfahrens droht die ungeregelte Beendigt.mg des Verfahrens, etwa weil die Gegenseite mit höheren Bestechungssummen für das Verschwi11den der Akten oder von Beweismaterial sorgt. Politisch und ökonomisch Vermögende sind dagegen fast immer von rechtlichen Konsequenzen immun. Ihnen bleiben fast immer genug Machtmittel für die Beeinflussung der Entscheidungen der Justiz, bis hin zur Einstellung von Verfahren. Der Rechtsweg bleibt für die Mehrheit der Bevölkerung ausgeschlossen, nicht nur weil die Bestechlichkeit der Justizbeamten und Polizisten der Regelfall ist. Einer großen Zahl von Beschuldigten fehlt schlicht die Mittel für eine solche Lösung. Diese Ungleichheiten, die das staatliche Rechtssystem in der Praxis kennzeichnen, sind natürlich zugleich Existenzbedingungen der populären Praktiken. Gerade weil die Rechtsapparatur des Staates nicht funktioniert, sind mobjustice und traditionell geübte Vermittlu11g zwischen Parteien sowie die Regelung durch Zahlung in vielen Kontexten gängig. Ihre geringe Verregelung und ihre geringe Kalkulabilität aber sorgen faktisch für Unsicherheiten.
199 Zu diesen Praktiken, deren Schilderw1gen die gesamte mit der Polizei befasste Literatur zur Dritten Welt durchziehen -denen aber fraglos auch legale, »vorschriftsmäßige<( gegenüberstehen, vgl. z. B. Schlichte (200Sc) zu Uganda und Afrika allgemeinen, Phongpmchit/Baker (1998: 299ff.) zu Thailand, Kantowsky (1986: 52ff.) zu Indien und Waldmann (2002:143ff.) und Chevigny (1999) zu Lateinamerika. Die Frage der Durchsetzung staatlichen Rechts betrifft also die staatlichen Apparate selbst ebenso.
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Seit Beginn der europäischen Expansion ist der Prozess der Verstaatlichung des Rechts außerdem international. Jede einzelstaatliche Kodiftzierung muss als Teil eines internationalen Kommunikationszusammenhanges aufgefasst werden, denn in ihr werden Argumentationsfiguren, Themen, Sprechweisen, Zusammenhänge und Ordnw1gsmodi ausgetauscht, modifiziert tirtd erweitert. Diese bJternationali.rimmg des Prozesses hat zwar in1mer ein spezifisches Gesicht. In diesen Unterschieden kommen Differenzen der historischen Zeit und der globalen politischen Ordnung zwn Ausdruck. Doch die Semantik des Staates konstruiert sich international und als ein Verweistmgs- und Begründungszusammenhang. Über den Verlauf und die Stärke von Einflüssen bestimmen zunächst das Alter und die Größe der beteiligten Institutionen von Staaten. Klassische institutionelle Gründe sind so Teil der Erklärung dafür, wie sich rechtliche Formen international ausbreiten. Im Ionern von Institutionen si11d freilich auch Karrierewünsche und Profilierungsabsichten wirksam. Je größer diese Kumulation von Einzelinteressen und korporativen Verständnissen, desto besser ist die relative Position im Wettbewerb der Agenturen und einzelstaatlich verfassten Akteure um Themen, Programme und Definitionen. Heute sind es nicht allein die nationalen Agenten des Staates, sondern der Kranz der internationalen Agenturen, die Form und Inhalt der rechtlichen Semantik bestimmen. Dabei handeln sie durchaus nicht losgelöst von ihren heimatlichen politischen Kontexten. Sie sind vielmehr Teil politische Felder und Institutionen, die ihnen dazu dienen, intern politische Unterstützung zu erlangen. In der Entwicklm1g des Rechts hat sich die Vermengung interner und externer Bestimmungsgründe seit dem Kolonialismus erhalten. Gegenwärtig sind es vor allem die Felder der Entwicklungshilfe, in denen sich diese Einflüsse erkennen lassen. Dabei ist das Recht mittlerweile selbst zum Gegenstand geworden. Neben die traditionellen Themen der Entwicklungshilfe wie i\lmutsbekämpfung, Agrarentwicklung oder Gesundheit sind i.n den vergangcnen Jahren vermehrt unvermittelt politische Aufgaben formtillert worden, die staatliche Hoheiten selbst berühren. Der Entdeckungder biologischen Umwelt als selbstexplikative Chiffre für die Ausarbeitung ganzer Hilfsprogramme, die sich um die rechtliche Hege der Tiere, Pflanzen und Landschaften kümmern, folgte die Konstruktion des politischen Humanismus. Der Entdeckung der civil society überschnitt sich mit der Etablierung der auf das gmder-Verhältnis zielenden Programme. Die Beratung beim Entwurf von Verfassungen und Regularien im Rahmen der Demokratisierung mündete in die Entdeckung des l~g.li seclor als Betätigungsfdd externer Akteure. Die Beteiligung reicht hinein Im 111 die innere Semantik des Staates. Geber übernehmen die Implementierung und
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Gestaltung von Dezentralisierungen und die logistische, fmanzielle wie ideelle Unterstützung einzelner politischer Akteure. Zahllose Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen sind heute im Bereich der politischen Bildung aktiv, in dem die Verantwortlichk.eiten und Regeln des Staates immer mit thematisiert werden. Die Vermittlung und Unterrichtung beschränkt sich dabei keineswegs auf den Bereich der Menschenrechte, sandem umfasst auch das Verhältnis der Geschlechter, die Regulierung von Lohnarbeit, das Verhältnis von Staat und religiösen Verbänden usf.200 In diesen Politikfeldern wiro die staatliche Rechtsproduktion zunehmend eingebunden durch eine international stattfmdende Produktion von soft law, das sich in »Leitsätzen«, codes oJ conduct, auf die die staatliche Rechtsproduktion durch internationale Organisationen und private Akteure verpflichtet werden (vgl. Altvater/Mahnkopf 2002: 328ff.). Der internationale Charakter der Verstaatlichung des Rechts hat tiefreichende historische Wurzeln im Imperialismus der alten Schule. Die Universalisierung der bürgerlichen Nonnen begann mit den rechtlichen Kodifizierungen des Kolonialismus in all seinen Abschattungen. Im Kolonialstaat war zwar die Bevölkerungsmehrheit zunächst von den bürgerlichen Freiheiten ausgenommen. Das bürgerliche Recht bezog sich nur auf die Gemeinde der co/ons, während für die Mehrheit das native law galt. Mit diesem Code, heute CHsfomary law genannt, öffnete sich der Kolonialstaat der lokalen Sitte und ihrer manipulativen Praxis. Dabei war die Fixierung der Regelung keine Festschreibung wirklich althergebrachter Sitten, sandem das Resultat der Bemühungen des Kolonialstaats und der lokalen Machthaber, also ausschließlich älterer Männer, mit Regelsetzungen Antworten auf den sozialen Wandel und die damit einhergehende GeHihrdung ihrer Machtpositionen zu formulieren.20t Nicht die vermeintlich eingelebte Sitte, die unabänderliche Tradition bildet die Basis des bis heute als Referenz dienenden Cllstomary law, sandem dieses ist das Resultat jeweils konkreter sozialer und politischer Konflikte im kolonialstaatlichen Rahmen. In den britischen Besitzungen etwa behielt sich der Kolonialstaat eine Behandlung nach britischen Recht nur jene Fälle vor, in denen non-natives
200 Die »Globalisierung« des Rechts, die immer nur bestimmte westliche Rechtsformen meint, hat natürlich viele Seiten, die bisher nicht Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung sind. Dazu gehöre11 die Wanderungen zu den Rechtsschulen des Weste11s, die globale Verbreitung von Lehrbüchern und die Übernahme von einzelnen Rechtscodes. 201 Martin Chanock (1989) hat nachgewiesen, wie diese Koalition in britischen Kolonien vor allem im Erb- und Familienrecht nur scheinbar in der Tradition begründete Herrschaftsverhältnisse schuf, die vor allem Frauen und Jüngere benachteiligte. Der Befund dürfte sich in der Mehrheit vergleichbarer Fälle bestätigen, vgl. z.B. Abun-Nasr (1999: 203) :rur Kodifikation eines »islamischen Farnilienrechts« durch die Koloniahnacht Frankreich im Maghreb.
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eine Partei waren, oder in denen physische Gewalt eme Rolle spieltcßl2 Mindestens für die Europäer also bedeutete die Kolonialherrschaft den Zusammenschluss von Europa und anderen Erdteilen zu einem Rechtsraum (vgl. Fisch 1984: 479). Für die postkolonialen Staaten ist durch die Internationalisierung der politischen Zusammenhänge der Ruck zur Anpassung ihrer Rechtsformen noch einmal gewachsen. Lokale Menschenrechtsorganisationen und internationale Nichtregierungsorganisationen beobachten die Rechtsförmigkeit der politischen Praxis und die Aktivitäten staatlicher Agenturen. Zahllose Agenturen der >>Entwicklungszusammenarbeit« haben sich der Entwicklung des >löffentlichen Sektors« angenommen. Sie beobachten, kommentieren, planen und implementieren - je nach Eigenstärke des betroffenen Staates - die Ausformung des Rechts des Staates. In diesen Praktiken zeigt sich die neue Qualität der Internationalisierung von Herrschaft. Das - im Sinne des Ideals staatlicher Herrschaft - positive Gnllldmerkmal des Prozesses der Verstaatlichung des Rechts in der Dritten Welt ist jedoch die Verrechtlichnng der Politik. Auch in schwach konsolidierten Staaten lässt sich beobachten, was gemeinhin für ein spätes Resultat der Entwicklung von Staatlichkeit gehalten wil-d. Diese Tendenz zeigt sich in einer Reihe von Phänomenen: Ein Erbe des Kolonialismus ist nämlich auch der Konstitutionalismus sowie weitere Rechtsformen. Bereits während der Kolonialzeit entstanden konstitutionelle Formen, mit denen die Kolonialmächte auf wachsende Ansprüche der kolonial Beherrschten reagierten. Überall dort, wo die Loslösung von den Kolonialmächten nicht kriegerisch geschah, war der Prozess der Dekaionisation auch von entsprechenden verfassungsrechtlichen Kodifiziemngen begleitet. Und es spricht für die Lebendigkeit des Verfassungsgedankens in den unabhängigen Staaten, dass sich die konstitutionelle Formgebung in vielen Fällen mehrmals wiederholen sollte. Die Verfassungen sind in den meisten Staaten der Dritten Welt zu einer festen Referenz im politischen Diskurs geworden. Die Ernsthaftigkeit des Konstitutionalismus zeigt sich auch in den zahlreichen Verfassungsänderungen und den häufig aufwändigen Verfahren für Neufassungen unter großer öffentlicher Beteiligung. Diese »Textarbeit« lässt sich nicht leicht als instnunenteller Legalismus interpretieren, der bloß zur Steigerung externer Legitimität dient. Die Idee der Rechtsförmigkeit der Politik findet wachsende Akzeptanz. 202 Diese Dualität der Rt:chtssysteme indes nicht auf die Kolonien beschränkt. Es bleibt einer vergleichenden Rechtsgeschichte vorbehalten, go1auer herauszuarbeiten, wie die Emanzipation der Bevölkerungsmehrheiten zu vollen Rechtssubjekten in den Mutterländern (Arbeiter, Frauen) mit der Emanzipation der Kolonisierten historisch zusammenf.illt.
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Auch im Bereich der Rechtsproduktion lässt sich die Tendenz zur Selbstbindung staatlicher Herrschaft erkennen. Der Tendenz nach werden alle Felder, in denen der nachkoloniale Staat aktiv wird, rechtlich kodifiZiert, und diese Verregelung legt auch die Grenzen legaler staatlicher Politik fest. Eine Verrechtlichung lässt sich schließlich auch in Bezug auf die Rechtspraxis feststellen. In zunehmenden Maß werden Regierungsentscheidungcn, aber auch politische Äußerungen und Programme auf ihren rechtlichen Status hin überprüft. Die Verfassungsmäßigkeit wird zur Richtschnur, so wie der Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit zum ·allgemein verwendbaren Argument gegen jede politische Entscheidung wird. Der bekannte Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit einer Verfassung ist freilich auch in der Geschichte der nachkolonialen Staaten beträchtlich geblieben. Schon im Kolonialstaat unterschieden sich rechtliche Form und praktizierte Politik, weil auch dort die rechtliche Suprematie des Staates erst in konkreten Praktiken als Wirklichkeit ausgehandelt wurde. Die Machtfiguration der Akteure, die in den Texten des Rechts nicht beschrieben ist und deren Dynamik auch nicht vorweggenommen werden kann, entscheidet dabei über die konkrete Art der Unterschiede zwischen dem Text des Rechts und der Praxis der Politik. Mittlerweile ist die »Verfassungsmäßigkeit« zu einer der meistgenannten Referenzen des politischen Diskurses in den postkolonialen Staaten geworden. Man mag dieses Bestreben als rein symbolische Handlung denunzieren, in dem Sinne, dass die Verfassung ebenso wie Parlament, Nationalhymne, Flagge und Nationalfeiertage eingerichtet wurde, um den Gepflogenheiten der internationalen Politik wenigstens formal zu entsprechen (vgL Luhmann 2000: 428). Damit wird indes nicht erklärt, warum die jeweils konlm:t geltende Verfassung und die Verfassungsidee allgemein in nahezu allen Staaten der Dritten Welt zu einem konstanten Bezugspunkt der politischen Argumentation geworden sind. Man kann auch dies als Einsickern einer zunächst fremden Idee charakterisieren, nämlich als Übernahme der westlichen Idee des Konstitutionalismus. Ebenso möglich ist es allerdings, dem Recht als Referenz eine eigene Dynamik zuzugestehen. Das Ausgreifen des Konstitutionalismus ist mithin ebenso als Anpassung älterer Vorstellungen der Rechtsgebundenheit von Herrschaft an die Begrifflichkeiten moderner Staatlichkeit intetpretierbar. Diese Dynamik ist sicher auch von außen gestützt, weil in der internationalen Umwelt der Konstitutionalismus als Norm der Staatlichkeit gilt. An der Persistenz der Rechtsidee in den politischen Diskursen lässt sich jedoch ablesen, dass dies allein als Erklärung nicht hinreicht. Diese Eigendynamike11 des Rechtsdenkens, die zunächst zu weiten Teilen mit dem Prozess der Demokratisierung identisch sind, können in ihren mittel-
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nnd langfristigen Folgen nur schwer abgeschätzt werden. Kurzfristig jedoch wird die Stabilität dieses Prozesses von retardierenden Momenten gefährdet. Die Verselbständignng staatlichen Rechts nnd seine Vergesellschaftung stoßen nicht nur auf den Widerstand organisierter Interessen und patrimonialer Logiken. Ihnen stehen auch die Zwänge entgegen, die mit der Internationalisierung der Politik selbst einhergehen: In dem Maße, in dem diese Entwicklung als erzwungen nnd oktroyiert wahrgenommen nnd empfunden wird, gehen die Gewinne an legal-rationaler Legitimität wieder verloren.
Exkurs: Museveni's Dilemmata Als Yoweri Kaguta Museveni, Führer der »National Resistance Army«, 1986 in Kampala einmarschierte, bedeutete dies den Anfang des Endes eines fünfJährigen Bürgerkriegs. Das Jahr 1986 wird als Wendepunkt in der nachkolonialen Geschichte Ugandas betrachtet, nachdem unter der Herrschaft Idi Amins und Mitton Obotes in den siebziger nnd frühen achtziger Jahren unregu!ierte Gewalt um sich gegriffen hatte. Zwischen 1971, der Machtübernahme Amins, und 1986, der Übernahme Musevenis, hat wohl jede ugandische Familie einen Angehötigen durch die direkten oder indirekten Auswirkungen des Bürgerkriegs verloren. Staatliche Institutionen waren zerfallen, die Wirtschaft des Landes hatte sich vollständig informalisiert und war zu einem unregulierten Überlebenskampf geworden. Doch nach 1986 konsolidierte sich die politische Macht wieder, und unter Museveni wurde Uganda ein Lieblingskind der internationalen Finanzinstitutionen. Auch von einzelnen Staaten wie den USA, Großbritannien und Dänemark erhielt Uganda umfangreiche Hilfe. Die formelle Ökonomie wuchs schneller als im Durchschnitt des subsaharischen Afrika, und die innerstaatliche Gewalt konnte nach einigen Jahren in die Randgebiete des Territoriums zurückgedrängt werden. Aber die Konsolidie=g der staatlichen Herrschaft verläuft, wie im Folgenden gezeigt werden soll, nicht widerspruchsfrei. Diese Widersprüche resultieren aus divergierenden Erwartungen, historischen Erfahrungen und institutionellen Strukturen. Für den Präsidenten Museveni prägen sich diese Widersprüche als Dilemmata aus. Zur Veranschaulichung der Dynamik von 1\hcht, und Herrschaft, die den Staat Uganda umgibt und durchdringt, sollen die Wi- · dersprüche des Projekts staadicher Herrschaft in diesem Exkurs also aus der . Perspektive des Präsidenten dargestellt werden. Dabei wird sich zeigen, dass ' die Dynamik des Staates nicht einer Richtung folgt. Während die Macht des
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Staates in einigen Hinsichten erheblich gesteige11: werden konnte, hat sie in anderen nachgelassen. Institutionalisierung und Desinstitutionalisierung der Macht geschehen simultan. IP'as ist ein Dilemma? Logisch meint der Begriff »doppelte Voraussetzung«, also einen logischen Zusammenhang, in dem eine Konklusion von zwei verschiedenen Prämissen gedeckt ist. 203 In der Alltagssprache meint der Begriff etwa »Zwickmühle«, also das, was auch »praktisches Dilemma« genannt wird, nämlich die Zwangssituation, zwischen zwei Handlungsweisen wählen zu müssen, die beide negative Konsequenzen haben. Genau wie bei einem Problem, so ist auch bei einem Dilemma immer gleich zu sagen, .for wen es besteht. Die Dilemmata, wn die es im Folgenden gehen soll, sind die Dilemmata des Präsidenten. Die widersprüchliche und konfliktive politische Situation Ugandas mag sich für andere Beteiligte anders darstellen, weil für andere Beteiligte andere Anforderungen und Orientierungen gelten. Für Präsident Museveni jedoch gelten die nachfolgend geschilderten Dilemmata. Ihre Relevanz und ilue politische Bedeutung ergeben sich also erst vor dem Hintergrund der politischen Orientierungen des Präsidenten, denn die Bewertungsmuster der politischen Person entscheiden darüber, ob die Konsequenz einer Handlung negativ oder positiv zu bewerten ist, oder ob sie die handelnde Person indifferent lässt.2D4 ,)·Die Orientierungen, die für Museveni gelten, lassen sich am besten mit ei~er historischen Parallele veranschaulichen. Museveni ist ein Realpolitiker, wie Otto von Bismarck. Realpolitiker in diesem Sinne zu sein, heißt: Oberstes politisches Ziel ist die Errichtung eines Machtstaates, und wn dieses Ziel zu erreichen, ist der Einsatz aller Machtmittel zulässig, einschließlich militärischer Gewalt. 205 203 Fonnal: Es gilt (wenn A, dann q und (wenn B, dann C) w1d ((A ober B) also C). Das klassische Beispiel heißt. Es gibt nur zweierlei: Entweder ruhmvoll siegen oder ruhmvoll sterben. Ersteres wie letzteres bedeutet: Kämpfen. Ergo: Kämpfen. Immer gilt. Tertium non datur. 204 Die Widersprüchlichkeit einer politischen Konstellation lässt sich also durch die Analyse einer Akteursposition veranschaulichen, ohne dass damit das Problem der »>bjektivität« gesellschaftlicher Widersprüche berührt wird. Denn unabhängig von der Frage, ob diese Widersprüche »an sich<< vorliegen, behauptet die folgende Darstellung, dass diese Widersprüche jedenfalls »für es<<, für das betrachtete Bewusstsein, existieren. 205 Die Parallele zu Otto von Bismarck ist möglich, mag aber nicht jedermann zwingend erscheinen. Auch Bisrnarck verfolgte die Etablierung einer starken politischen Gewalt, eines »Starken Staates<< (vgl. GaU 1997), den er durch die äußeren Machtkonstellationen bedroht sal1. Auch Bismarck ging es nicht um die Wohlfahrt der Bevölkerung oder ihre politische Position an sich, sondern diese waren ihm gelegentlich dienliche Argumente. Ähnlichkeiten im politischen Habitus finden sich noch mehr: Beide, Bismarck und Museveni sind ländlich-»aristokratischer« AbJ..'U!lft, beide verdanken ihren politischen Aufstieg geschickter Diplomatie und kriegerischer Gewalt, beide haben an großen Landsitzen Freude. Macht wird in Begriffen von
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Der Versuch nun, aus Uganda einen »starken Staat« zu machen, stößt jedoch auf eine Reihe von Hindernissen, die sich aus der spezifischen sozialen und politischen Geschichte ergeben. Diese Hindernisse bestehen in einet Reihe von widersprüchlichen Anforderungen und Erwartungen, aber auch aus historischen Entwicklungen und internationalen Bedingungen. Der Präsidehl steht also gewissermaßen im Brennpunkt sozialer und politischer Widersprüche, die sich als die Dilemmata seiner Handlungswelt ausprägen. Doch jeder Versuch, aus Uganda einen Machtstaat zu f01men, stößt auf eine Reihe von Hindernissen, d.ie teils dem Problem der Staatsbildung inhärent sind und teils aus der spezifischen politischen Figuration folgen. Bei der Behandlung d.ieser Dilemmata stehen jeweils drei Fragen im Vordergrund, nämlich erstens, worin das Dilemma besteht, zweitens, wie der faktische Umgang damit aussieht, und drittens, wie stabil d.iese Praxis ist. Das Modernisiemngsdilemma: Dieses Dilemma beruht darauf, dass das Ziel, einen Machtstaat zu schaffen, nicht ohne die Modernisierung einer Gesellschaft erreicht werden kann. Eine solche Modernisierung bringt jedoch soziale Verwerfungen hervor, die das gewünschte Ergebnis, den starken Staat, direkt gefährden können. Denn Modernisierungsprozesse lösen hergebrachte Zusammenhänge auf, sie führen zu Urbanisierung, zu sozialen Risiken- die »soziale Frage« entsteht. Das Dilemma besteht also in der Alternative, nicht zu modernisieren - das hätte dann d.ie negative Folge, dass der Staat schwach bleibt - oder aber zu modernisieren, und das hätte d.ie negative Folge, dass politisch gefährliche soziale Verwerfungen auftreten. Durch wohlfahrtsstaatliehe Maßnahmen oder andere Integrationspolitiken müssten diese Ve1werfungen aufgefangen werden. Die in Uganda versuchte Lösung d.ieses Dilemmas besteht in einer Mod.ifizierung der Aufgaben des Staates. In Uganda, und ähnliches ereignet sich ebenso in anderen afrikanischen Ländern und auch in anderen Weltgegenden, wird die Rolle des Staates im Prozess der Modernisierung umdefiniert. De1 Staat wird nicht mehr als Generalagent der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung begriffen, sondern er soll nur noch als Garant gewisser Bedingungen auftreten. Ganz im Sinne der Politik der westlichen Hauptgeber (vgl. World Bank 1997), wird dem Staat nur noch die Aufgabe zugeschrieben, Währungssicherheit, Rechtssicherheit und gewisse basale Dienstleistungen im Bereich Gesundheit und Erziehung zu übernehmen. Der Rest wird als »Aufgabe des Marktes« definiert. Und dessen selbstregulierende Wirkung, so die Doktrin, entfaltet sich am besten, wenn der Staat sich möglichst nicht einmischt.
Gebiet und militärischer Stärke verstanden. Die europäische Staatsbildung ist Musevenis explizites Vorbild (vgl. Museveni 1997: l7f.).
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Dieser Lösungsversuch funktioniert deshalb nicht, weil die versuchte Neudefinition der Rolle des Staates nicht von allen akzeptiert wird. Zwar drängen internationale Organisationen und der Westen auf ein Staatsverständnis, das den Staat auch von Erwartungen freihält, aber diese Staatsauffassung wird von der Mehrheit der Regierten nicht geteilt. Faktisch wird der Staat - und das heißt zunächst einmal: die Regierung - für jede Fehlentwicklung und jeden Mangel verantwortlich gemacht. Die Kosten der Modemisierung sind hoch und vielfältig, und sie werden vor allem dem Regime angelastet. Denn populär ist nicht das Ideal des schlanken Staates verbreitet, sondern die Logik der Re'"ziprozität und Redistribution, die das Verhältnis zur politischen Macht in Afrika und anderswo charakterisiert (vgl. Bayart 1989: 107, 281). Die Möglichkeiten, diesen Klagen entgegenzutreten, hängen von den zur Verfügung stehenden Mitteln ab, mit denen die materiellen Interessen gegenüber dem Staat befriedigt werden können. Neben der Beschaffenheit des Apparates, den der Präsident nutzen kann, spielt schon allein der Umfang der zur Verfügung stehenden Mittel eine Rolle, kurz: das Staatsbudget. Darin besteht der Zusammenhang zum zweiten Dilemma, dem Fiskalitätsdilemma, an dem die aktuellen Hauptzwänge des Regimes am deutlichsten werden. f;.".., Das Fiskalitätsdilemma: Um einen starken Staat zu schaffen, muss nun nicht nur die Gesellschaft modernisiert werden, sondern auch der Staat als Apparat. Das betrifft im wesentlichen zwei Aspekte, einen einfachen materiellen und einen organisatorischen. Der materielle Aspekt meint - ganz banal - die Staatskasse, der organisatorische das Personal. Zunächst zur Staatskasse und damit zum Fiskalitätsdilemma: Ohne effektive Besteuerung kann kein leistungsfaltiger Staat entstehen, und ohne Ieistungsfahlgen Staat oder besser: leistenden Staat, entsteht umgekehrt kein Steuerwille, so dass ohne Vorleistungen des Staates auch keine effektive Besteuerung zustande kommt. Auch diese Situation lässt sich als Dilemma formulieren. Denn eine zu hohe Besteuerung kann die wirtschaftliche Entwicklung bremsen oder ganz verhindern, oder aber sie führt nur zum Wachstum aller Arten von informellen Praktiken, der so genannten Schattenwirtschaft. Hohe Steuern begünstigen 1nformalisiemng und Kriminalisierung. Ein zu niedriges Steueraufkommen führt zu einer Knappheit staatlicher Mittel, so dass auch bei gutem Willen nicht die hinreichenden Rahmenbedingungen für eine wohlfahrtssteigemde wirtschaftliche Entwicklung geschaffen werden können. Steuererhöhungen können also negative Konsequenzen haben, und Steuerentlastungen genauso. Nun sind Steuern immer und überall unbeliebt, und das richtige Steuermaß ist vielleicht nur mit dem Verfahren des trial and error zu ermitteln. Tatsächlich lässt sich in Uganda seit dem Ende der achtziger Jahre ein solcher tastender Umbau des Steuersystems beobachten. Die Probleme der Fiskalität sind un-
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mittelbar präsent und natürlich auch ein zentraler Gegenstand der politischen Debatte. Zudem kann auf steigende Einnahmen verwiesen werden. Das alles deutet daraufhin, dass das Fiskalitätsdilemma eine i\rt Lösung oder wenigstens Stillstellung erfahren haben muss. Diese Lösung des Dilemmas hat mehrere Teile: Der erste Teil der »Lösung« bestand in Uganda darin, das tax eliforcement zu verstärken. Die Schaffung einer autonomen Steuerbehörde, der Uganda &uemte Authori!J, die Einführung neuer, leichter einziehbare1· Steuern und die rit.>ide Überwachung der Finanzbehörden haben zu einem deutlichen Zuwachs des Steueraufkommens geführt. Dazu gehört eine Umstellung der Steuerpolitik. Gemäß den Empfehlungen der internationalen Finanzinstitutionen versucht der ugandische Staat eher Einkommen und Verbrauch zu besteuern anstelle von Produktion und Handel.206 Dieser Politikwandel hat zur Abschaffung der Exportsteuern geführt, mit der der ugandische Staat zuvor in erster Linie die Rente aus dem Kaffee-Export abgeschöpft hatte. An die Stelle dieser wichtigsten Steuer sind nun die Steuern auf Importe wie Benzin und Akzisen auf Zigaretten, Bier und andere Produkte der formellen Ökonomie getreten. Die Besteuerung der Einkommen ist hingegen gescheitert. Lediglich von den Angestellten der formellen Ökonomie, allen voran von denen des Staates, wird eine Lohnsteuer einbehalten. Die männlichen Erwachsenen bekommen eine graduated tax auferlegt, deren höchster Satz sich Ende der 90er Jahre auf das Äquivalent von 5 US-$ belief. Diese spärlichen Einnahmen, die kaum die Kosten ihrer Erhebung decken, fallen allein der lokalen Verwaltung zu. Die Mitglieder der Staatsklasse und die Vermögenden bleiben von höheren Steuersätzen ebenso verschont wie das spärlich ins Land tröpfelnde InvestitionskapitaL Deshalb und weil den Steuern keine Leistungen des Staates gegenüber stehen, weil der Staat nicht als »leistender« empfunden wird, ist das Steueraufkommen gering geblieben. Während in anderen subsaharischen Staaten die inländischen Steuern im Durchschnitt rund 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen, erreichte Uganda noch dreizehn Jahre nach Ende des Krieges gerade acht Prozent (Kasumba 1996: 22). Der zweite Teil der Lösung des Fiskalitätsdilemmas besteht deshalb in Wahrheit in beträchtlichen Zuwendungen von außen, in gra11ts a11d loans, die ungefähr ein Drittel des staatlichen Budgets ausmachen. Gegenwärtig decken die laufen Einnahmen des Staates, also Zölle und Steuern, nur die laufenden Personal- und Sachkosten des Staates. Ein Drittel des zentralstaatlichen Budgets ist bilateraler und internationaler Zuschuss oder Kredit. Aus diesen Mit-
206 Quelle: Gespräche mit Amtsträgem im Ministry of Finance and Economic Planning,
Kampala, März 1999.
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teln werden sämtliche öffentliche Investitionen fmanziert. Dieser Mittelzufluss hat Uganda zu einem stetig steigenden Schuldendienst gezwungen. Im Fiskaljahr 2004/2005 mussten rund ein Viertel des Budgets der Zentralregierung dafür aufgewendet werden. Umso wichtiger ist die Fähigkeit und Umtriebigkeit des Präsidenten- aber auch der gesamten Apparate- die Unterstützung des Westens zu sichern. Sonst können Straßen und Schulen nicht gebaut werden. !. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, wie weit die Bedeutung auswärti,ker Akteure in die politische Figuration Ugandas hineinreicht. Ihre Relevanz lässt sich an jeder einzelnen bedeutenden Entscheidung ablesen: keine große öffentliche Investition ohne Zustimmung der donors aus dem Westen, keine Reform oder Implementierung ohne muf(!lngu, einem weißen Mann oder einer weißen Frau als >>beratendem Experten«. Mit dieser Lösungsform ist indes die Problematik nur verlagert. Denn mit der Abhängigkeit von äußerer Hilfe und der Aufgaben-Aufgabe des Staates entstehen neue Dilemmata, um die es im Folgenden gehen soll, nämlich das Inklusions- und das Kommunikationsdilemma. Denn die Anforderungen, die von außen an den Staat het"llngetragen werden, stehen in mehreren Hinsichten in Widerspruch zu den Erwartungen, die an die Machthaber im Staat von innen herangetragen werden. t~ ... Das Inklusionsdilemma: Museveni will einen Staat und auch eine Gesellschaft modernisieren, die noch nicht modern sind. Dieses Modetnitätsdeflzit gilt zunächst für die existierenden staatlichen Institutionen in einem abstrakteren Sinne. Denn in Uganda, wie in anderen afrikanischen Gesellschaften auch, ist das soziale Gedächtnis nicht in Archiven und Dokumenten eingelagert, sandem in den persönlichen Beziehungen und den einzelnen Gedächtnissen der Beteiligten. Das Wissen des Staates über »seine« Gesellschaft, über Wohnorte, Beschäftigungen und Einkommen der Bürger ist nicht »bürokratisch~07 , sondern personalisiert. Das Modetnitätsdeflzit gilt aber auch für das Personal des Staates und die Mitglieder der politischen Klasse. Für die Moden1isierung des Staates muss der Präsident auf Personal zurückgreifen, das übetwiegend selbst nicht modern, also wie in einem »rationalen Staat« handelt. Denn die weit übetwiegende Mehrheit der Staatsbeamten entspricht nicht Max Webers Typ des modernen Fachbeamten, der unabhängig von persönlichen Erwägungen einem klar definierten Regelset entsprechend arbeitet und der persönlichen Verfügung über die Verwaltungsmittel beraubt ist. 207 Die Rolle des »bürokratischen WISsens« für die Entstehung eines leistungsstarken Staates ist ein bisher nicht hinreichend beleuchtetes Feld der Forschung. Grundsätzliche Überlegungen hierzu und Ausführungen über die preußische Entwicklung in dieser Hinsicht finden sich bei
Spi.ttler (1982).
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In ähnlicher Weise entspricht auch der Politiker nicht dem, was im idealt)'pisch westlich-modernen Sinne darunter verstanden wird. So ist der Rückgriff auf Gewalt im Grenzfall immer eine Handlungsmöglichkeit für das politische Personal. Tatsächlich spielt physische Gewalt oder wenigstens die Drohung, sie anzuwenden, im politischen Kampf in Uganda nach wie vor eine bedeutende Rolle, nicht nur in den Kriegsgebieten im Norden und Westen. Das Inklusionsdilemma besteht nun darin, dass die Einbeziehung problematischer Gruppen ebenso systemgefährdend sein kann wie deren r\usschluss. Lokale Machthaber, korrupte Beamte, radikale Politiker - all diese Gruppen sind für die Staatsbildung zugleich notwendig und gefährlich. Das gilt zunächst für den Fall der Inklusion: Zur Verbreiterung der Machtbasis ist der Einschluss einer möglichst großen Zahl von politischen Fraktionen und Einzelpersonen wünschenswert. Denn je mehr Zirkel und Klientelketten in Regierung und Vetwaltung vertreten sind, desto stabiler ist grundsätzlich die Position des Präsidenten. Diese Inklusion hat aber die wahrscheinliche Folge, dass durch all das, was diffus »Korruption« genannt wird, erhebliche Kosten entstehen - Kosten im Sinne von Ineffizienz und Schwund, Kosten aber auch im Sinne von Le~-,>itimitätsverlust. Notwendig und gefährlich ist aber auch die Alternative, die Exklusion problematischer Gruppen, denn je stärker exkludiert wird, desto höher ist die Gefahr des -unter Umständen gewaltsamen- Widerstands gegen die Regienmg. Die Inklusion problematischer Gruppen ist also mittel- und langfristig politisch kostenträchtig, ihre Exklusion kann direkt systemdestabilisierend wirken. Die praktizierte Lösung, oder besser der faktische Umgang mit dem Dilemma besteht darin, Korruption in gewissem Ausmaß zu denunzieren. Im politischen Diskurs wird also eine kontrollierte Öffentlichkeit hergestellt, öffentliche Kritik an bestimmten Praktiken ist daher zugelassen und wird teils selbst in den Regierungsdiskurs übernommen. Im konkreten politischen Tagesgeschehen bedeutet dies, dass Minister, denen »korrupte« Praktiken nachgewiesen werden können, durchaus vom Parlament abgemahnt werden. Dem Präsidenten bleibt indes das verfassungsmäßige Recht der Personalentscheidung vorbehalten. Weil nun die öffentlich Gebrandmarkten zugleich lokal oder regional bedeutsame Machtträger sind, muss im Einzelfall abgewogen werden, ob die Kosten der weiteren Amtsinnehabung eines bloßgestellten korrupten Ministers höher sind als der Verlust politische! Unterstützung, - und das heißt in diesem Kontext auch immer Verlust von . Systemlegitimität - der mit einer Absetzung einherginge. Das Inklusionsdilemma besteht auf dem Lande in ähnlicher, aber doch anderer Weise. Amtsmissbrauch und unzulässige Bereicherung wird auf dem
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Lande schneller ruch- und sichtbar und führt deshalb eher zu Personaldebatten. Das für die Absetzung der lokalen Funktionäre zuständige zentralstaatliche .Ministerium entkommt dem lnklusionsdilemma gleichwohl ebenso wenig: Immer gilt es abzuwägen, ob der politische Gewinn eines »sauberen Images« den Verlust direkter Unterstützung aufwiegt, wenn ein korrupter politischer Amtsträger ins Zwielicht gerät. Auch in Uganda fallt die Entscheidung nicht immer zugunsten der »Sauberkeit« aus. Der Bürgermeister Kampalas geriet in den USA in Haft und wurde im Februar 1999 wegen versuchten Scheckbetrugs zu einer mehrmonatigen Haftstrafe verurteilt. Dennoch ist er als Bürgermeister nicht abgesetzt worden. Das für die Amtsenthebung zuständige Ministry for Local Government zögerte diese Entscheidung hinaus, denn Bürgermeister Sebagallas Popularität blieb durch seine Vergehen vollkommen unberührt. Auf öffentlichen Veranstaltungen zogen seine politischen Freunde sogar Parallelen zum Schicksal Nelson Mandelas. In Wirklichkeit funktioniert die Lösung der selektiven Korruptionsbekämpfung und der kontrollierten Öffentlichkeit nicht. Weder wird die Disfunktionalität, die die »problematischen Gruppen« im Staatsapparat erzeugen, wirksam bekämpft, noch hat die Inklusion ausgereicht, bewaffnete Konflikte zu verhindern. Denn sowohl im Norden wie im Westen des Landes wird das Regime gewaltsam herausgefordert. Das Inklusionsdilemma beruht also auf einem Widerspruch zwischen einerseits den Erwartungen nach mehr accountability der Staatsgeschäfte, eine Erwartung, die vorwiegend- aber nicht nur- von außen an das Regime herangetragen wird, und auf der anderen Seite durch die Notwendigkeit der Loyalitätserzeugung durch Patronage, eine Notwendigkeit, die sich aus der inneren Verfassthtit der ugandischen Gesellschaft ergibt. Darin besteht der Zusammenhang zu einem weiteren Dilemma, das ebenfalls zentral mit dieser InnenAußen-Differenz zu tun hat. kt', •Das Kommunikationsdilemma: Die große politische Außenabhängigkeit des ~,.ugandischen Staates hat eine zunächst ganz banal anmutende Konsequenz: Der Präsident muss mindestens zwei Diskurse beherrschen, einen globalen, &_er die Argumente und Denkfiguren der westlichen Politik aufgreift, und einen t,internen, der durchaus anderen Imperativen unterliegen kann. Der Präsident muss nach außen liberaler Modernisieret sein und sich glaubhaft als der 'machtvolle, aber verständigungsorientierte Gleiche unter anderen Staatsoberhäuptern präsentieren. Nach innen aber muss er die Sprache des Ressentiments und des Volkes sprechen können und sich als der mächtige und allwissende Patriarch wirkungsvoll in Szene setzen. Der Präsident steht folglich in einem Kommunikationsdilemma: Wählt er den internen Diskurs, dann droht
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·:er die externen Unterstürzer zu entfremden, wählt er den externen Diskurs, . dann droht ihm der Verlust der heimischen Unterstüt:r.ung. . Faktisch bleibt der Widerspruch vermieden, weil der Präsident beide, : kommunikationsräume weitgehend getrennt halten kann. Das betrifft im Falle. :. Musevenis, aber sicher ebenso anderer afrikanischer Präsidenten, auch dil ·Sprache im linguistischen Sinne. Es gibt einen englischsprachigen Außendis., kurs und einen ugandischen, der sich vorwiegend an die ländliche Bevölkerung '· richtet. Eine Möglichkeit des Umgangs mit dem Kommunikationsdilemma • ergibt sich also aus linguistischen Differenzen. Diese Lösung beruht auf dem · Umstand der Existenz unterschiedlicher Sprach';Velten mit unterschiedlichen Bedeutungswelten. Ein Beispiel hierfür ist das politisch brisante Thema Kor:·rilption: In der Sprache des Westens ist Korruption der Sammelbegriff für , aJlemand extra-legale Praktiken, denen gemeinsam ist, dass sie einen nichtitegelhaften Vorteil aus dem Überschreiten von Grenzen schaffen. In Uganda : ist die populäre Defmition von Korruption dagegen nicht so abstrakt-legalis;.tisch. In diesem populären Sinne ist man korrupt, wenn man zuviel ))ißt«. Mafotamingi- die, die schnell fett wurden - das war der Ausdruck für jene Bereicherungsklasse, die in den Amin-Obote-Jahren entstand. »He ate too much« ist . auch heute noch die gängige Beschwerde über einen Funktionsträger, der sich • über die Maßen der öffentlichen Ressourcen bedient hat, wie überhaupt Fette, , Öle und Leibumfange in der politischen Symbolik eine bedeutende Rolle spielen.20s Auch dieser Umgang mit dem Kommunikationsdilemma ist natürlich eine brüchige Lösung, auch wenn sie im Vergleich zu den Lösungen der anderen Dilemmata noch relativ stabil ist. Denn es gibt natürlich Überlagerungen der , kommunikativen Räume. Bisher hat dies allerdings noch nicht dazu geführt, dass die Widersprüchlichkeit des präsidentiellen Diskurses öffentlich diskutiert worden wäre. Zugleich gibt es ein gewichtiges Argument, das für die Beendigung dieses Zustands spricht. Denn was sich ftir den Innen-Außen-Diskursunterschied als , Vorteil erweist, der Sprachunterschied nämlich, erweist sich im Innem als ·Nachteil. Die Indienstnahme der Sprache als Medium der politischen lntegra, tion stößt sich an der Vielzahl der linguistischen Differenzen innerhalb der ··ugandischen Gesellschaft. 208 Ausführlich behandelt wird diese Metaphorik der politischen Sprache in Afrika von Jean· Frant;:ois Bayart in L'Eitzl enAfriq~~e. 1..ß politiqm dllt'tllfrl (1989). Es wäre eine Untersuchung wert, inwieweit sich hier Parallelen etwa zur Wirtschaftswunderphase Westdeutschlands oder ähnlichen historischen Momenten herstellen lassen. Wiederaufbau-phasen scheinen Jie Ernährungsmetaphorik im Reden über Reichtum Wld Macht mindestens zu begl'mstigen (vgl. Engler 1999).
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An diese kommunikative Grundsituation ist natürlich eine Frage dil:ekt angelagert: die der Sprachpolitik, also die Frage nach den Möglichkeiten, wie sich ein einheitlicher Kommunikationsraum innerhalb Ugandas herstellen lässt. Musevenis Initiative zielt auf die Wahl des Swahili- eine problematische Wahl, denn Swahili hat in der Bevölkerung den historisch begründeten Ruf, die Sprache der Soldaten zu sein. Als Bantusprache ist sie den Sprachen im Norden des Landes zudem nicht besonders nahe. Die Wahl des Swahili könnte dort durchaus mit Ressentiments aufgenommen werden, auch wenn Swahili, Amtssprache in Kenia und Tansania, Vorteile im Verkehr mit den Nachbarländern bieten würde. ..-·· Das Militarisierun.gsdi/emma: Dieses Dilemma besteht grob gesprochen darin, .., dass eine kleine Armee -zwar kostengünstig ist, aber nicht zur Kontrolle der zahlreichen bewaffneten Herausforderer des Regimes ausreicht. Erweiterung und Ausbau der Armee hingegen bergen ebenso Gefahren, denn mit der Größe der Armee wächst ihre Tendenz, sich zu verselbständigen209 oder zu zersplittern. Abgesehen von den hohen Kosten, die unter Umständen so hohe Aufwendungen nötig machen, dass andere Projekte der Machtstaatsentwicklung gefährdet werden. Diese Problematik betrifft nun natürlich nicht allein die Armee, sondern alle staatlichen Agenturen, die im weitesten Sinne mit der Verwaltung der Gewalt befasst sind. Polizei und Geheimdienste sind also in diesem Zusammenhang mitzubetrachten. Der faktische Umgang mit diesem Dilemma besteht in Uganda darin, dass eine Tendenz zur Privatisierung der Gewaltkontrolle eingesetzt hat. Der staatliche Sicherheitsapparat wird kleiner und ineffizienter gehalten, als es zur Regelwlg der Gewaltprobleme eigentlich nötig wäre. Stattdessen greifen private !.Akteure ein und übernehmen die im deutschen Verständnis »hoheitliche« Aufgabe der Herstellung öffentlicher Sicherheit. Diese Privatisierung der Sicherheit hat mehrere Erscheinungsformen, von denen hier nur zwei kurz genannt sein sollen: Alle Betriebe, Büros, Wohnhäuser und Anwesen, die dem fmmellen, dem offiziellen Uganda zugehören, werden von privaten Sicherheitsdiensten geschützt. Leichte Ironie liegt darin, dass das Personal dieser Sicherheitsdienste zu einem großen Teil aus ehemaligen Soldaten besteht, die im Rahmen der Demobilisierung Anfang der neunziger Jahre aus der Armee ausgeschieden sind. Die Unternehmen dieser Branche 209 Das Militarisierungsd.ilemrna lässt sich auch als Variante des von Joel Migdal (1988) analysierten Agentur-Dilemmas auffassen, das sich auf die Gefahr der Verselbständigung der zur Überwindwtg politischer Probleme geschaffener Agenturen bezieht. Im Unterschied zu dem von Migdal behandelten Fall Ägypten unter Nasser stellt sich dieses Problem in Uganda nur für die Armee, denn die sonstigen staatlichen Agenturen sind schlichtweg zu klein, wn eine hinreichende Dynamik zu entfalten.
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sind fast durchweg internationale joint-vent11res, in denen sich südafrikanische, britische und US-amerikanische Unternehmen lokale Partner, meist aus der politischen Klasse, suchen (vgl. Schlichte 2005c). Diese Kommerzialisierung von Sicherheit wird ergänzt durch zwei Formetr von Kommunalisierung der Gewalt. Beide, die Milizenbildung wie die mob}tlstice, sind gleichermaßen problematisch. Hier sind es nur leicht entlohnte Hilfstruppen, die den lokal gewählten Gremien der lokalen Verwaltung zugeordnet werden, um polizeiliche, gelegentlich auch militärische Aufgaben zu übernehmen. Diese, in vie1wöchigen Lehrgängen von der Armee ausgebildeten Hilfstruppen, dienen als Gewaltexperten auflokaler Ebene. Faktisch entgleiten sie jedoch regelmäßig der lokalen politischen Kontrolle. Ihre Übergriffe werden für die lokalen Gemeinden regelmäßig zum Problem.210 Die Praxis der mob-justice rührt angeblich aus den Jahren der politischen Unruhe unter Amin und Obote, in denen die Untätigkeit der Polizei und der Zusammenbruch der Justiz das Ende der Gewaltkontrolle bedeutete. In Wandegeya, einem populären Viertel Kampalas, registrierte die Polizei zwar 1984 noch 600 Anzeigen und verhaftete 113 Personen, von denen indes nur zwanzig den Richtern vorgeführt wurden, in allen anderen Fällen war »Verlust der Akten« der Grund für die Einstellung der Verfahren (Mugisha 1986: 70). An der Unzuverlässigkeit der staatlichen Agenturen hat sich wenig geändert. Noch 1999 wurden führende Polizeioffiziere verdächtigt, mit Kreisen des organisierten Verbrechens direkt zu kooperieren.2ll Die Praktiken der mobj11stice sind die spontanen Reaktionen auf Regelverletzungen unter den Bedingungen disfunktionaler Staatlichkeit. Diebstähle, sexuelle Gewalt und bloße Verdächtigungen können zu Lynchpraktiken bis zur kollektiven Hinrichtung führen. Die Praktiken der mobjttstice sind freilich zugleich offen für Manipulationen im Kampf um lokale Ressourcen. Auch diese Lösungen des Militarisierungsdilemmas sind also nicht kostenlos. Faktisch führt sie zu einer Kommerzialisierung und Entregelung der Versorgung mit öffentlichen Gütern. Sicherheit wird eine Funktion ökonomischer 210 Interviews im Criminal Invcstigation Department, Kampala Police, März 2001. Vgl. auch die laufende Presseberichterstattung, z.B. »Mobs lynch the innocent«, Monitor 26.3. 1999; »Student dies«, Monitor, 9. 10. 2004; »Mukono chief lynched«, New Vision, 5. 10. 2004; »Whip defilers«, Monitor, 10.3.1999, »Suspected murder lynched«, Monitor, 10. 2. 2001; »lt's not who you are, it's what you steal«, EliSt African, 31. 5. 1999; »Masaka >thiefi buried alive«, Monitor 14.2.1999; »Suspect buried alive in Mnsaka«, New Vision, 18.2.1999; »Nine K~rimojong burnt to dcath«, Monitor, 16.3.1999; »Students lynch thief«, Monitor 12.2.1999. 211 Vgl. ».Amls Racket Inqwry Targets Senior Police Officer«, The East African (Nairobi), 15. Februar 1999; »Traffic cops are most corrupt«, Sunday Vision (Kampala) 14.2.1999; »Two cops held over bribe«, Monitor (Knmpala), 4.10. 2004; »RDC condemns graft in police«; Monitor, 11. 10. 2004.
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Macht- eine Entwicklung, die in Uganda allgemein bekannt und bisher auch noch politisch unkontrovers geblieben ist. Kritik indes entzündet sich daran, dass die Armee nicht in der Lage ist, die bewaffneten Konflikte im Norden und Westen zu einem Ende zu bringen. Beide Konflikte haben in den letzten Jahren eine beträchtliche Zahl von Opfern gefordert. 212 Das Andauern dieser Konflikte belegt, dass das Gewaltmonopol auch fast zwanzig Jahre nach der Machtübernahme noch nicht konsolidiert ist. Es franst nicht nur an den territorialen Grenzen aus, auch andere Entwicklungen belegen, dass eine Erosion des Gewaltmonopols nicht ausgeschlossen werden kann. Die Lösungen, die das Regime für die Überwindung des Militarisierungsdilemmas entwickelt hat, könnten ihre eigene regimegefährdende Dynamik entfalten. Vor einigen Jahren schon hat die ugandische Regierung begonnen, die halbnomadischen Karimojong zu bewaffnen, um diese an der Grenze zu Kenia und Sudan lebende Bevölkerungsgruppe als unregulierte Hilfstruppen gegen die im Norden operierende Lord's Resistance Amry (LRA) einzusetzen. Als Dürreperioden und eine Verschiebung ihrer Weidegründe die Karimojong in Not brachten, haben diese halbstaatlichen Hilfsmilizen die Waffen indes genutzt, sich durch Überfälle auf weiter südlich gelegene Dörfer zu bereichern. Die eskalierende kommunitäre Gewalt konnte von der Regierung nicht wieder unter Kontrolle gebracht werden. Die Dynamik des Militarisierungsdilemmas zeigt sich auch in Ugandas Beteiligung am Krieg im Nachbarland DR Kongo, vormals Zaire. Ugandas Intervention diente offtziell nur der Sicherung des Hinterlands der Grenze. Über die Grenze hinweg führten die Rebellen der ADF ihre Angriffe auf ugandische Dörfer aus. Die Intervention zwischen 1998 und 2003 setzte schnell typische Interessenkoalitionen und -kollisionen in Gang, die sich in zeitgenössischen innerstaatlichen Kriegen entwickeln (vgl. GenschellSchlichte 1997). Offiziere wie einfache Mannschaften entdeckten die Bereicherungsmöglichkeiten, die ihnen ihre bewaffnete Anwesenheit in der DR Kongo bot. Die Grenzgebiete Ugandas zur DR Kongo erlebten nach 1998, dem Jahr der Intervention, durch ihre Verbindung mit der Kriegsökonomie eine wirtschaftliche Blütepetiode.213 Wenn diese wirtschaftlich profitablen Beziehungen des Militärs nach einem
212 Die Hintergründe der meisten bewaffneten Konflikte unter der Herrschaft Musevenis sind noch nicht durch umfangreichere, systematische Forschung bekannt. Behrends Arbeit (1993) über das Holy Spirit Movement der Alice Lakwena ist die Ausnahme. Zum Konflikt mit den halbnomadischen Karimojong vgl. Mamdani et al (1992), über das Rwenzori-Movement, dem Vorläufer des aktuell kämpfenden >>Allied Democrarie Forces« (ADF), vgl. Syahuka-Muhindu (1991). 213 Quelle: Lokale Presse und Gespräche im Distrikt Karamoja, Februar/März 1999; vgl. a. Prunier (1999).
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Ende der Gewalt in reguläre ökonomische Aktivitäten umgeformt werden sollen, wird dies nicht ohne eine Beteiligwtg auch an der politischen Macht möglich sein. Wie aus dieser nur groben Skizze bereits klar wird, hat die Erfolgsgeschichte des Weltbank-Musterschülers Uganda noch wtgeschriebene Kapitel. Die lnstitutionalisierwtg des Gewaltapparats ist noch nicht so weit fortgeschritten, dass das Gewaltmonopol wirklich als konsolidiert gelten kann. Die Prekarität der bisherigen Löswtgen berührt die Kernmerkmale der Staatlichkeit. Das Demokt'atisierrmgsdilemma: Demokratisierung heißt Öffnwtg der Appropriationschancen, tendenziell' in unkontrollierbarem Ausmaß. Dies aber bedeutet Verlust der gezielten Ink.lusionskapazität. Die auf inneren wie äußeren Druck zustande kommende Demokratisierung führt folglich ebenfalls in ein Dilemma: Wird das politische System nicht geöffnet, steigt der - unter Umständen auch gewaltsame - Widerstand gegen das bestehende Arrangement. Öffnet man hingegen das politische System, dann bedeutet dies für den Präsidenten nicht nur einen erheblichen Verlust an Verfügwtgsgewalt über politische Machtrnittel, sondern auch eine Gefährdung des Modernisierungsprojektes, das nach seiner Einschätzwtg nur von ihm kompetent geleitet werden kann. Den gegenwärtig an der Macht Beteiligten muss nämlich eine Fortdauer des bestehenden, für sie vorteilhaften Arrangements garantiert werden. Denn sie leisten nur Gefolgschaft, solange ihnen die Fortdauer der Freude an den Pfründen wahrscheinlich erscheint.214 Den nicht oder noch nicht an der 1\Iacht Beteiligten muss hingegen glaubhaft gemacht werden können, dass ihre Inklusion prinzipiell möglich, jedenfalls nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist. Dieses Dilemma beruht kausal letztlich auf der überragenden ökonomischen Rolle des Staates, mindestens im modernen Sektor. Der wenn auch schwache Staat ist die bedeutendste Quelle ökonomischer Chancen geblieben, nämlich in Form von Ämtern wtd öffentlichen Aufträgen. Vielfach wird übersehen, dass es bei der Frage der Demokratisierung nicht nur um >)die Macht((, nicht nur um Partizipation wtd Repräsentation geht, sondern auch um Laufbahnen und Privilegien, und um die Chancen, politische Unterstützung überhaupt erst zu generieren und dann zu erhalten: Nur wenn Amter- und .\uftragsvergabe als Ressourcen zur Verfügung stehen, nur dann kann übcrhaup1 eine dauerhafte politische Machtposition eingenommen werden. 214 Hier zeigt sich die Berechtigung von Max Webers Einlassung, d3ss gc\xn Jc-:c ··•·r. ,·:·:· genannten Gründen der legitimen Geltung auch die banale »ErfiilllUlg J.::·s m•:c.,.,:-:,.-.,., ;,--.:::~:· · ses mindestens des Verwaltungsstabes« von grundlegender Bcdt:un~'f; :'~: _;,,, ;;,:,.;,_-,,,, · ,.,.. politischen Ordnung ist.
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Die Lösung dieses Dilemmas besteht in Uganda gegenwärtig darin, dass nur ein beschränkter demokratischer Wettbewerb zugelassen wird. Das von Museveni geschaffene und favorisierte Movement-System, eine faktische Einparteienherrschaft, dient diesem Zweck. Das Movement steht allen offen, aber es w1terliegt der Kontrolle von oben, und zwar je höher die Position, desto stärker ist der Zugriff des Präsidenten. Nur auf unterster Ebene, bei der lokalen Wahl- und bei der Wahl des Präsidenten- ist eine direkte demokratische Partizipationsmöglichkeit gegeben. Diese Lösung des Problems trägt natürlich nicht, denn sie erlaubt nur ein geringes Ausmaß politischer Partizipation. Ihr Hauptmangel ist indes, dass sie den politischen Wettbewerb nur in ein und dieselbe Partei verschoben hat. Innerhalb des Movement bildeten sich Fraktionen nach regionaler Abkunft und nach politischen Positionen. Starmch movementists waren in der Regel ehemalige Kriegsteilnehmer und Profiteure des gegenwärtigen Arrangements, während nmltipar!Jism von jenen im Movemenl vertreten wird, die sich von einem Mehrparteiensystem auch höhere Positionen versprechen. Das Movemenl hat indes in Uganda noch eine andere Lösw1g erlaubt: die Abschaffung der chie.ftaincies, die in den meisten afi.i.kanischen Staaten als Residuen des Kolonialstaats immer noch die Hauptinstitution lokaler Herrschaft sind und der Zentralgewalt g1:oße Widerstände entgegensetzen. Die dörfliche Bevölkerung ist nicht mehr dem Inhaber eines Erbamts untergeordnet, sondern wählt ihre lokale Herrschaft in freien Wahlen selbst. Dieses System der Local Council crstreckt sich über indirekte Wahlen bis hinauf zur DistriKtsebene (vgl. Bertrand/Kauzya 1994; Banegas 1998). Diese institutionelle Innovation hat die Legitimität des Regimes - und des Staates - auf dem Lande wesentlich erhöht, auch wenn Local Councils nur über ein bescheidenes Budget und wenig Befugnisse verfügen. Sie sind jedoch überwiegend zu funktionierenden Institutionen der lokalen Konfliktregelung geworden. Die Bemühungen, auf das Dilemma der Demokratisierungen eine Lösung zu finden, haben also eher zu einer Proliferation von Widersprüchen geführt, denn das Local Councii-System kann in zweierlei Richtung interpretiert werden. Es ist zugleich Instrument staatlicher Kontrolle und Medium demokratischer Partizipation, weil es exekutive und repräsentative Funktionen vereint. Die Widersprüche, die zur Erfmdung des Movement-Systems geführt haben, finden sich nun in diesem selbst. Eine Reihe der aufgelisteten Befunde verweist auf Zusammenhänge, die in der politischen Zukunft, für die Zukunft des Regierens in afrikanischen Staaten von zunehmender Bedeutung sind. Das gilt zum einen für den Grundtatbestand der Widersprüchlichkeit der Entwicklung. So kostenträchtig und konfliktreich der Weg zum starken Staat ist, so widersprüchlich und konfliktiv ist
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auch die Demokratisierung der politischen Systeme Afrikas. In diesem widersprüchlichen Ganzen werden Faktoren bemerkbar, die nicht lokaler Natur sind, auch wenn sie meist einlokales Gesicht tragen. Globale Faktoren, äußere Bedingungen, schlagen in den relativ schwach institutionalisierten Staaten des subsaharischen Afrika natürlich stärker durch als in anderen Regionen. Interes~ saaterweise sind die Wirkungen dieser Faktoren aber in anderen Gegenden nicht grundsätzlich anders, wie man an Tendenzen wie der Privatisienu1g von Sicherheit oder an den ungewollten Ergebnissen ökonomischer Liberalisierung erkennen kann. An der Dynamik des Staates in Uganda kann man aber auch erkennen, dass diese kein linearer Prozess ist. Es hängt von der Länge der Betrachtungszeiträume ab, ob das Schicksal eines Staates als Zerfalls- oder Erfolgsgeschichte interpretiert werden kann. Die Durchstaatlichung der ugandischen Gesellschaft, die gegenwärtig durch das uca/ CoiiJICii-System stattfindet, geht mutmaßlich weit über das hinaus, was in der kolonialen und postkolonialen Geschichte des Landes in dieser Hinsicht erreicht worden war. Zugleich Hillt ein Zweites auf: Die Durchstaatlichung der Gesellschaft in der einen Hinsicht kann mit massiven Deft.Ziten und Rückschritten in anderer Hinsicht einhergehen. An der Frage des Gewaltmonopols werden die fortexistierenden Widersprüche des Staates Uganda sichtbar. Ähnliches gilt für die Frage der Besteuerung. Über die Ausweitung indirekter Steuern sind mutmaßlich größere Teile der ugandischen Bevölkerung in die Finanzierung staatlicher Herrschaft eingebunden, als dies je zu Zeiten der Finanzierung des Staates aus Kaffee-Exporten oder zu Kolonialzeiten aus der Kopfsteuer der Fall war. Doch diese Expansion des Steuerstaates geht nicht mit einem Aus bau seiner Kapazitäten einher. Politische Mobilisierung und Integration können mit institutioneller Unzulänglichkeit einhergehen. Der ugandische Staat ähnelt heute weit mehr einem Flickenteppich als einem einheitlichen C':rewebe. Herrschaft wird in Uganda von einem konfliktiven Ensemble von lokalen, nationalen und internationalen Agenturen ausgei.ibr. Die staatlichen Agenturen sind auf diese konkurrierenden Instanzen angcwi.:sen und zugleich durch sie in ihrer Entfaltung beschränkt. Eine eingcb ...::c Notwendigkeit, dass staatliche Herrschaft in dieser Konstellation Jic :O:·.;;p~-, matie erlangen wird, gibt es nicht.
6. Macht und Herrschaft in der Weltgesellschaft
Umbildungen von Macht in Herrschaft hängen immer mit größeren Prozessen zusammen. Mit dem Begriff der globalen Vergesellschaftung ist ein allgemeiner Ausdruck für jene anwachsenden Interdependenzen und Zusammenführungen gefunden, die die Dynamiken staatlicher Herrschaft heute bestimmen. Das Ausgreifen der Weltmärkte, die Auflösung traditionaler Formen sozialer Integration und die Entstehung neuer sozialer Räume sind Teilmomente dieses großen sozialen Prozesses. Mit diesen Bewegungen im Prozess globaler Vergesellschaftung sind Dynamiken von Macht und Herrschaft verbunden, und damit auch die Dynamiken der Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika. Die Ergebnisse der drei Betrachtungen in den vorangegangenen Kapiteln, die sich der Dynamik staatlicher Herrschaft unter drei verschiedenen thematischen Blickwinkeln gewidmet haben, sollen im Folgenden noch einmal resümiert werden. Die Befunde über die Dynamik staatlicher Herrschaft, so die zentrale Ergebnisthese der Untersuchung, sind uneindeutig. Zwar lassen sich überall in Asien, Afrika und Lateinamerika Unzulänglichkeiten, Brüche und Prekaritäten staatlicher Herrschaft finden, und oft löst sich bei näherer Betrachtung die behauptete Herrschaft in bloße Machtbeziehungen auf. Aber dat-aus kann, wie eine Reihe von Dynamiken zeigen, nicht geschlossen werden, dass das Projekt der Annäherung an das Ideal des modernen Staates endgültig gescheitert ist. Diese Befunde machen aber auch deutlich, dass die Politik des Interventionismus problematisch ist. Eine kurze Analyse der damit zusammenhängenden Fragen leitet den zweiten Teil dieses Schlusskapitels ein, der der Zukunft des Regierens und den diesbezüglichen Lehren dieser Untersuchung gewidmet ist. Ein kurzes Resümee ihrer theoretischen Erträge und Herausforderungen steht am Ende dieses Schlusskapitels.
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6.1 Zur Realität von Macht und Herrschaft in der Weltgesellschaft In ihren Beiträgen zur Dynamik von Macht und Herrschaft ze4:,ren Weber, Elias, Bourdieu und Foucault große Gemeinsamkeiten. Sie betreffen die Ver~ regelungder Gewalt, die Einbettung der Dynamik von Macht und Herrschaft in größere stmkturelle Wandlungsprozesse, die Differenzienmg von Handlungsfeldem, die Herausbildung von Herrschaftsapparaten, und die symbolische Seite der Herrschaft. Zu all diesen Aspekten lassen sich in der Dynamik staatlicher Herrschaft in postkolonialen Staaten starke Unterschiede zur in der Sozialtheorie geronnenen europäischen Erfahmng feststellen. Die Überformung traditionaler Herrschaft durch die koloniale Fremdherrschaft, die lokale Aneignung des kolonialen Staates und die veränderten globalen Umstände dieser Prozesse der Staatsbildung haben zu fast durchgängig anderen Dynamiken und Resultaten geführt. Überdies gibt es zwischen den Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas große Unterschiede. Die Dynamiken der Gewalt unterliegen nicht denselben Bedingungen wie die Finanzierung von Staatlichkeit, und von beiden ist wiederum die Dynamik der symbolischen Seite staatlicher Herrschaft unterschieden. Dennoch lassen sich übergreifende Dynamiken und Tendenzen erkennen. Das Dilemma von Ot;ganisation und Gewalt ist für die meisten Staaten der Dritten Welt ungelöst. Davon zeugt das nach wie vor hohe politische Gewicht der staatlichen Gewaltapparate, die nur in wenigen Staaten einer wirklichen zivilen Kontrolle unterliegen, und davon zeugt auch das nach wie vor hohe Ausmaß politischer Gewalt, das sich in den Regionen der Dritten Welt beobachten lässt. Die These der gegenseitigen Begründung von Staatsbildung und Kriegsführung, wie sie erstmals von Otto Hintze formuliert und dann von Charles Tilly prägnant auf den Begriff gebracht wurde, ist für die nachkolonialen Staaten der Dritten Welt allenfalls eingeschränkt gültig. Die zahlreichen inneren Kriege und militarisierten Konflikte haben zwar eine I'vlilitarisierung des Politischen bewirkt und zu einem enormen Wachstum staatlicher Gewalt. apparate geführt. Eine Lösung der Dialektik von Gewalt und Organisation, wie sie in der europäischen Geschichte durch die Veröffentlichung des Gewaltmonopols erlangt wurde, konnte damit indes nicht erreicht werden. Der .\usbildung und Expansion militärischer Kapazitäten entspricht keine wirkliche \lo· nopolisierung des »legitimen Gebrauchs physischer Gewalt1< nach innen: Polizeiliche Gewalt bleibt meist lokalen Interessen untergeonlnet oder sie vol!ztcht , sich ohne wirksame öffentliche Kontrolle. Willkür und Repression krnnzt'"'.ch~- nen die Praxis der Polizei in Afrika, Asien und Lateinamerika \Jtcit ~Tirkt:r Ah ["ihre Leistung als Sicherheitsgarant.
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Ähnliches gilt für die militärischen Apparate, deren direkte politische Herrschaft zwar in den vergangen zwei Jahrzehnten deutlich nachgelassen hat, die aber in kaum einem Land einer wirklichen Kontrolle durch zivile Institutionen unterliegen. Das Wachstum der staatlichen Gewaltapparate hat, statt Staatlichkeit zu konsolidieren, eine Militarisierung des Politischen bewirkt, die die Legitimität staatlicher Herrschaft nachhaltig geschwächt hat. Diese Militarisierung ist durch die hohe Zahl vorwiegend innerstaatlicher Kriege weiter verstärkt worden. Die unvollendeten Lösungen von Kriegen, die von ihnen verursachten politischen w1d sozialen Verwerfungen und die zunehmende Internationalisierung von Herrschaft in Nachkriegssituationen lassen es zunehmend unwahrscheinlich erscheinen, dass sich aus den durch kriegerische Gewalt auslösten Dynamiken Tendenzen der Konsolidierung staatlicher Herrschaft ergeben. Durch die Internationalisierung der Zusammenhänge haben sich zudem für alle Akteure, staatliche wie nicht-staatliche, so viele apportunitäten eröffnet, dass eine der europäischen Geschichte analoge Abschließw1g von »national-staatlichen« Handlw1gsräumen wenig wahrscheinlich wirkt. Zur Militarisierung des Politischen kommt eine weitere Tendenz, die sich übergreifend in vielen Kontexten der Dritten Welt beobachten lässt, und die zugleich ebenfalls international eingebettet ist: die Privatisierung von Sicherheit. An der im Exkurs veranschaulichten Tendenz der Bifurkation von Sicherheitssystcmen in einen kommerzialisierten und einen kommunitären Bereich wird deutlich, wie groß die Schwierigkeiten für die Errichtung eines staatlichen Gewaltmonopols unter stärker internationalisierten Kontexten geworden ist. Herrschaftspositionen lassen sich im Rentenstaat heute über die Anmi~tung von Sicherheitsdiensten lange halten. Nur noch die Absicherung der für die Rentenproduktion unmittelbar relevanten Gebiete ist in diesem Modell nötig. Dadurch mindert sich zwar die Gefahr der Verselbständigung staatlicher Gewaltapparate. Doch eine Verschränkung von staatlicher Sicherheit, ökonomischer Vernetzung und öffentlicher Kontrolle, wie sie für moderne Staaten kennzeichnend ist, wird nicht das automatische Resultat dieser Konstellationen sein. In ähnlicher Weise wirkt die wachsende Rolle privater Sicherheitsdienste, die in vielen Staaten der Dritten Welt mittlerweile Polizeifunktionen für die wohlhabenderen Schichten wallinehmen, so dass diese den Antrieb verlieren, vom Staat entsprechende Dienste einzufordern. Die Tendenz der Privatisierung wird indes keine stabile Lösung erbringen, weil sich der TransfOlmationsprozess der Gesellschaften in der Dritten Welt unverändert fortsetzt. Überall dort, wo damit verbundenen Verwerfungen nicht in geeigneten Institutionen prozessiert werden; wird sich dieser Wandel auch gewaltsam äußern.
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Die Proliferation der Sicherheitsakteure wird diese Gewalt zwar mutmaßlich weniger sichtbar machen, denn sie bedeutet eine Diffusion der Gewaltptaktiken, die dann immer weniger als Konfrontationen zwischen großen Verbänden erscheinen werden. Am Ausmaß des politischen Problems der Gewalt und ihrer Einhegung verändert dies indes nichts. · Zwei jüngere Tendenzen lassen es wahrscheinlich erscheinen, dass die Ptivatiserung der Gewalt sich noch fortsetzen wird, wenn auch in einer anderen Form, als dies die Theoretiker der >>neuen Kriege« antizipierten. Da ist zum einen der anwachsende Markt der global tätigen, privatwirtschafdichen Gewalt- und Kriegsdienstleister. 215 Der Rückgriff auf solche, immer in wenigstens informeller Weise an meist westliche Staaten gekoppelte Unternehmen für die Kriegsführung der Gegenwart macht deudich, dass die Tendenzen der Infor· malisierung des Politischen nicht nur innerhalb Grenzen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas zu fmden ist. Der einmal entstandene Markt für diese Form der Gewaltorganisation wird seine eigenen Dynamiken und Beharrungskräfte entwickeln. Zum anderen ist seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 eine neue Interpretation politischer Gewalt an Plausibilität gewonnen, die für viele Manipulationen offen ist: Demnach werden tendenziell alle nicht-staadichen Kriegsakteure als Teile oder Kollaborateure eines globalen Terrornetzwerkes denunziert. Dass an dieser Interpretation vor allem staadiche Gewaltapparate ein korporatives Eigeninteresse haben, bedarf keines Nachweises, lässt aber eben auch eine weitere Militarisierungswelle und gewaltsame Eskalationen befürchten. Beide Tendenzen werden somit die Etablierung gesellschaftlich kontrollierter Gewaltmonopole erschweren und die wahrgenommene Illegitimität staatlicher Gewalt erhöhen. Auch in diesem Fall verschränken sich also »externe« Dynamiken mit lokalen Strategien: Die Dynamik des Staates internationalisiert sich zusehends. An der schwindenden fiskalischen Basis zeigt das geringe Eigengewicht des nachkolonialen Staates. In der Mehrheit der Staaten der Dritten Welt liegt der Anteil der direkten Steuern an den Einnahmen des Staates weit unter den Raten, die in den Staaten des Westens erreicht werden. Die Staaten der Dtittcn Welt leben von indirekten Steuern, Renten, Krediten und »Hilfe«. In kaum einem Staat ist in den vergangeneo dreißig Jahren ein Wachstum des .\mc:h direkter Steuern an den fiskalischen Einnahmen zu beobachten gewesen. Die Grenzen der Besteuerbarkeit sind immer ein Ausdruck dafür.,,.~ ~.r-.o-~~ die Macht des Staates, wie groß seine Autonomie ist. In Staat<.>tl. in~~~ 4~~t politischen Entscheidungen in den Händen vermögender ( >lig.uc.i:.x~ . , , , wird die Macht der staatlichen Organe bewusst begrenzt. Sta.;uc::. -'~ '~r der nicht in der Lage, oder werden politisch daran gchinder.. ~~lit 1Ef!!ik:~
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men zu besteuern. Auch die Besteuerung von Grundbesitz und anderen Vermögensformen ist in den meisten anderen Staaten Afrikas und Asiens nicht entwickelt. Grundsätzlich gilt dabei, dass die Möglichkeiten der Finanzierung staatlicher Herrschaft von zwei Dynamiken abhängen, nämlich einerseits von der Art der Einbindung in die Weltmärkte und andererseits von den Arten der internen sozialen Differenzierung. Zum einen ist das Erbe der kolonialen Inwertsetzung in zahlreichen Staaten insofern kaum gebrochen wirksam, als sich an der Art und Weise der Integration in die Weltmärkte nur wenige Veränderungen ergeben haben. Exportorientierte wirtschaftliche Differenzierung stieß immer auf das Problem, dass Märkte bereits vermachtet waren. So sind die Eroberung von Anteilen an anderen als den hergebrachten Märkten und der Aufbau eng vernetzter Binnenmärkte in der nachkolonialen Geschichte die Ausnahme geblieben. Die Extraversion ihrer Ökonomien hat die Dritte Welt seit der kolonialen Phase geprägt. Zum anderen hat diese ökonomische Entwicklung nur in wenigen Fällen von staatlicher Patronage unabhängige, wirtschaftlich konfliktfähige soziale Gruppen hervorgebracht, die in der Lage gewesen wären, grundlegende Veränderungen der Finanzierung des Staates politisch einzuklagen und durchzusetzen. Die bedeutsamen Machtgruppen in den betrachteten Staaten sind entweder selbst direkt in den staatlichen Apparat integriert oder profitieren von der - nach westlichen Maßstäben - sozial unausgewogenen, arbiträren und prekären Form der Finanzierung politischer Herrschaft. Die Monopolisierung der Abgaben durch staatliche Agenturen wie die Durchstaatlichung der Gesellschaft, so das Argument des Kapitels 4, sind in Afrika,'Asien und Lateinamerika unabgeschlossene Prozesse. In einigen Fällen hat die Unterordnung des Staates unter die Interessen partikularer Machtgruppen die Ausbildung der dafür nötigen Agenturen verhindert. Die oligarchischen Ordnungen in lateinamerikanischen Staaten sind dafür beredtes Beispiel. In anderen Fällen sind staatliche Sphäre und gesellschaftlicher Raum so ineinander geschoben, wie dies von entwickelten kapitalistischen Verhältnissen gesagt werden kann. Entweder fehlt das nötige Maß an staatlicher Handlungsautonomie oder aber die Legitimität staatlicher Herrschaft reicht nicht aus, um eine so enge Kontrolle zu erreichen, wie dies die Erhebung personenbezogener Steuern voraussetzen würde. Zugleich fehlen den meisten Staaten der Dritten Welt die bürokratischen Voraussetzungen fur die Erhebung solcher Steuen1. Zur direkten Besteuerung gab und gibt es zu viele Alternativen, als dass die Finanzierung des Staates zu einem vergleichbaren Konflikt zwischen sozialen Gruppen wie in der europäischen Geschichte gekommen wäre.
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Ein analoger Prozess zum Wachstum des Steuerstaates wie in der europäischen Geschichte ist in den Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas also deshalb nicht eingetreten, weil die andere Form der Einbindung in Weltmärkte und in ein anders internationales System für staatliche wie nicht-staatliche Akteure andere Opportunitäten und Beschränkungen bot. Die Staaten haben andere Wege der Bedarfsdeckung eingeschlagen. Die Betonung indirekter Steuern, die Finanzierung aus Staatsbetrieben, die Aneignung von Rente11 aus dem Export von Rohstoffen und schließlich die Aufnahme von externen Krediten sind die Hauptwege dieser Alternative gewesen. Für die Gestalt und Reichweite staatlicher Herrschaft war dies nicht folgenlos. Die beiden Hauptergebnisse sind die lnformalisierung und die Internationalisierung der politischen Ökonomien der Dritten Welt. Wie in Kapitel 5 gezeigt werden konnte, ist auch die Verstaatlichmrg des Rechts in den Staaten der Dritten Welt prekär geblieben. Zwar ist überall der Staat mit seinem Recht präsent, aber er kann Codes und Praktiken nicht überall durchsetzen, sondern diese stoßen auf konkurrierende Ensembles, die ihrerseits in soziale Zusan1menhänge eingebettet und mit anderen Machtbeziehungen verknüpft sind. Die Staaten der Dritten Welt unterscheiden sich wohl im Grad der Durchsetzung staatlicher Rechtscodes. Nur dort, wo die Kapitalisierung der ökonomischen Verhältnisse veränderte Verhältnisse wirklich etabliert hat, ist die mit ihr einhergehende Bürokratisierung der Herrschaft und die »Verstaatlichung der Semantik« fortgeschritten. Die Versuche einzelner Regime, die Legitimität ihrer eigenen Positionund damit langfristig kumulierend auch die der Staaten - zu erhöhen, haben keinen grundlegenden Wandel an der prekären symbolischen Position des Staates bewirkt. Die Mythologisierungen des Staates verblassen, und jene Ideologien, die staatliche Herrschaft teils produzierte und teils kooptierte, haben sich in ihren Wirkungen als widersprüchlich erwiesen. Die Legitimität staatlicher Herrschaft ruht bis heute wesentlich auf patrimonialen Praktiken auf, deren integrative Wirkung sich indes durch den Rückgang staatlicher Ressourcen vermindert. Der soziale Wandel und die jüngeren Veränderungen Yon Staatlichkeit sorgen zugleich für Dynanliken, die der Staat selbst nicht einh.:gen kann. Deshalb verstetigt sich das Legitimitätsdefizit staatlicher Herrschaft_ und die gewaltsamen Herausforderungen staatlicher Herrschaft dauern :m. Staatliches Recht ist in Afrika, Asien und Lateinamerika umstritten unJ :;:l~ sehr eingeschränkt gesellschaftlich »wirklich«. Ihm stehen tradierte Rcf:,_·i:-r.·.:cter, lokale Autoritäten und widerstreitende Moralcodizes entgegen. Der PS":n · lismus von Rechtsformen und Rechtssystemen ist zwar keine hisrori•..:~c ~: sonderheit. Überall wo staatliches Recht entsteht, tritt es in K<.>nk~-:"X'!~l :· . : . ·,_ populären Haltungen, zu privaten Moralvorstellungen wtd auch 7'u ;.'.c:-!! "\. · '!
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men der internationalen Rechtswnwelt. Der Rechtspluralismus durchzieht die Geschichte der Weltgesellschaft und findet sich in jedem ihrer »national« abgegrenzten Rechtsräume wie in ihrer Gesamtheit. In der Gegenwart der Dritten Welt ist nur nicht absehbar, auf welcher Grundlage eine nationalstaatliche Ausformung der Rechtsräume stattfmden sollte. Gleichzeitig ist die Rechtsproduktion in diesen Staaten ungebrochen und nimmt mutmaßlich zu. Sie ist allerdings eingebettet in einen anderen internationalen Zusammenhang, als er zur Zeit der Verrechtlichung der Politik etwa in Westeuropa gegeben war. Über die nationalen und lokalen Prozesse, in denen Recht produziert wird, wölben sich die globalen Diskurse des soft law, der Standardisierung von Rechtsnormen und die moralischen Erwartungen der >>internationalen Gemeinschaft«. Weil die staatliche Rechtsproduktion zugleich auf starke äußere Anforderungen reagieren muss, wird ihre Flexibilität gegenüber lokalen Bestrebungen geringer. In den Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas stößt dieser Prozess auf eine faktische Herrschaftslücke: Der nachweisbaren Produktion von Recht stehen erhebliche Beschränkungen seiner Durchsetzungsmöglichkeit entgegen. In diesem Sinne lassen sich auch Zweifel an der Realisierbarkeit internationaler Verträge und Abkommen formulieren, wenngleich diese für die Frage, welches Recht überhaupt gesatzt werden kann, eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Rechtsordnungen entwickeln sich also nicht allein aus dem Zusammenspiel lokaler Machtkonstellationen, sondern auch dieser Prozess ist in hohem Maße internationalisiert. Staatlicher Rechtssetzung und -durchsetzung sind durch diese Internationalisierung höhere Grenzen gesetzt, als dies während der vergleichbaren Prozesse in der europäischen Staatsbildung der Fall war. Obwohl das staatliche Recht eine Suprematie anstrebt, wird seine Geltung auch weiterhin durch andere Logiken überlagert und eingeschränkt. Anders als in der europäischen Geschichte sind diese Überlagerungen aber nicht nur lokalen Ursprungs, sondern sie sind zugleich selbst globale Phänomene. Darin zeigt sich die veränderte Einbettung von Staatlichkeit als sozialer Organisationsform. Die Internationalisierung von Herrschaft bei gleichzeitig nachlassender Institutionalisierungsdynamik staatlicher Macht ist die wichtigste Tendenz, die die Betrachtungen dieser Arbeit ergeben haben. Diese Internationalisierung von Herrschaftszusammenhängen vollzieht sich aber konkret nicht als Machtpolitik einzelner Staaten, sondern sie geschieht hinter dem Rücken der Akteure. Hauptbedingungen dieser Entwicklung sind die Persistenz lokaler Herrschaft, die sozial desintegrativen Tendenzen der Auflösung traditionaler Formen der Vergesellschaftung und die - im Vergleich zur Bildungsphase europäischer Staaten - veränderten globalen Bedingungen.
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Der Prozess der globalen Vergesellschaftung ist nicht neu, aber er hat an Intensität gewonnen. Das ließ sich an der historischen Dimension der Dynamik staatlicher Herrschaft erkennen. Ökonomisch haben sich der Zusa1!unenhang der Produktionen, das Tempo der Zirkulation und die Muster der Konsumtion verdichtet und bilden nun einen engeren Zusa1lllUenhang als die's' in früheren Epochen der Fall war. Auch politisch sind die Kausalitätsstränge zwischen Ereignissen an unterschiedlichen Orten dichter und vielfältiger geworden. Im Grunde seit der Zeit der kolonialen Herrschaft, besonders aber in der postkolonialen Geschichte der Staaten der Dritten Welt, haben sich die Bedingungshorizonte und damit auch die Handlungsräume der staatlichen wie nicht-staatlichen Akteure immer stärker verschränkt. Damit stellt sich die Frage nach der Zukunftsfähigkeit staatlicher Herrschaft. Die Tendenzen der Informalisierung der Reproduktion, von der auch die politische Herrschaft in Afrika, Asien und Lateinamerika erfasst wird (vgl. 4.3) und die Internationalisierung von Herrschaftszusa1lllUenhängen lassen eine weitere Entwicklung in Richtung der Annäherung der empil:ischen Staatlichkeit an das Ideal des Staates w1wahrscheinlich wirken. Eher, so scheint es, entwickelt sich eine »Vielfalt von Formen und regulierenden Institutionen, die weder kohärent noch kompatibel sind oder Synergie-Effekte erzeugen« (Altvater/Mahnkopf 2002:25). Doch es lassen sich ebenso weithin unbeachtete Tendenzen aufzeigen, die unerwartet in die Gegenrichtung deuten. Die historische Tiefe der bereits erreichten Staatlichkeit könnte sich als entscheidend fiir die Zukunft der Formen politischer Herrschaft in der Dritten Welt erweisen. Dort, wo sich das Bewusstsein von Staatlichkeit verallgemeinert hat, bleibt es lange eine Folie des Politischen. Die Rekonfiguration staatlicher Herrschaft in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion gelang dieser These gemäß deshalb einfacher als in vielen dekaionisierten Staaten Afrikas zu Beginn der sechziger Jahre, weil die Erfahrung moderner Staatlichkeit bereits viell..1.ngere Zeiträume tunfasst hatte. Diese Beobachtung lässt auch den Schluss zu, dass eine rasche Entstaatlichtulg der Welt w1wahrscheinlich ist. Selbst an den Protesten, die sich gegenwäni~ gegen den Umbau sozialstaatlicher Arrangements oder gegen Liberalisicnlll!{cr: :'~ verschiedenen Weltgegenden entwickeln, bleiben die erfahrende :S:.u:I:d~.···"·::· und das Ideal des Staates als Norm politischer Herrschaft immer !'::l.<;<·~~~ .t :!~ so verbreitete Vorstellung kann in kurzen Zeiträwnen kaum 1hx 'i\·;~:..~~~,ii.;:c:t für das politische Handeln und Denken verlieren. Ein zweites Argument für eine erwartbarc N:>mtm:;:~-::-": •·~~:~ di;:;~ schaft nährt sich aus den bekannten lbeoremen übr. &..: ltJ;#f~..h!- -+•~~~"~-~~ des internationalen Systems. Aus der Interakoon da Se:-.~ :Jl01t .~ :.'I~P nalen Notwendigkeit, dass andere Staaten eine .;~ iblr:lu:MII:t• ·~ ·~.._,
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der neue Interventionismus zu belegen scheint, nötigenfalls selbst zu organisieren bereit sind - könnte der Prozess der Verstaatlichung der Welt gespeist werden. Doch dass die Einbindungen der Staaten der Dritten Welt in die Vorgänge der intemationalen Politik sich notwendig in Richtung einer Annäherung der empirischen Staatlichkeit an das Ideal des Staates äußern wird, ist damit keineswegs ausgemacht. Es sind, wie im Folgenden gezeigt werden soll, auch andere Konstellationen denkbar, in denen zwar formale Staatlichkeit - der Staat als Adresse- fortbesteht, in denen sich aber andere politische Beziehungen ausbilden, als sie klassische Lehre der internationalen Politik denkt.
6.2 Zur Architektur des globalen Regierens An die Befunde über die Dynamiken staadicher Herrschaft in der Dritten Welt lassen sich Überlegungen anknüpfen, die die Zukunft der Arrangements von politischer Herrschaft in der Weltgesellschaft insgesamt betreffen. Sie sollen im Folgenden diskutiert werden, ohne dass dabei der Breite der Diskussionen tatsächlich Genüge getan werden kann. Die Verknüpfung der Ergebnisse dieser Arbeit mit den Diskussionen um die »Zukunft des Regierens« soll zunächst einmal nur Anschlüsse herstellen. Die aktuelle Diskussion bezieht sich dabei vor allem auf Kontexte, in denen das Versagen von Staaten konstatiert wird, und in denen durch Interventionen der Staatsbildungsprozess wieder in Gang gebracht oder dafür funktionale Aquivalente entwickelt werden sollen. Die Probleme' dieser Politik machen nur konkret, was in anderen Modellen, etwa der glcba/gowmonce, als Verständnis zugrunde liegt, nämlich die Unterschätzung und Nichtbeachtung der lokalen politischen Dynamiken, die hier unter der These der »Herrschaft der Intermediäre« diskutiert werden.
6.2.1 Staatszerfall und Intervention In jüngerer Zeit hat vor allem der Eindruck des »Zerfalls« von Staaten das Bild in der wissenschaftlichen wie nicht-wissenschaftlichen Öffentlichkeit bestimmt. Spätestens nachdem das Problem der Jai/ed states seinen Eingang in die sicherheitspolitischen Doktrinen sowohl der USA wie der Europäischen Union gefunden hat, ist das Thema zu einem Kernpunkt der neuen Diskussion um die Zukunft der internationalen Ordnung avanciert.
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Hintergrund dieser Diskussion ist auch, dass sich die Hoffnungen des Vulgärliberalismus nicht erfüllt haben, die Öffnung der Märkte wtd die Abhaltung von Wahlen würden in jedem politischen Kontext die Befriedung sozialer Konflikte nach sich ziehen. Die Zusammenhänge sind komplexer. Gewaltkonflikte sind zwar kein notwendiges und unvermitteltes Resultat von Liberalisierungen, aber es sind hinreichend viele Fälle bekannt, in denen sich die Auflagen der Liberalisierungspolitik direkt umgesetzt haben in gewaltsame Eskalationen politischer Konflikte (vgl. Wade 2005, Keen 2005). Gerade in neopatrimonialen Systemen kann die Verminderung der für die Integration durch Verteilung verfügbaren Ressourcen gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Klientelketten zur Folge haben (vgl. Schlichte 1998c). Die reguläre und fast immer zu beobachtende Reaktion auf äußeren Druck zur Liberalisierung ist indes die Informalisierung der Politik und der staatlichen Herrschaft. Diese Reaktion besteht nicht nur in der Zunahme der dirtytricksals Mittel der Balancierung politischer Kräfteverhältnisse (vgl. Tvfigdal 1988: 223ff.), sandem auch in der Delegation staatlicher Zuständigkeiten an formal privat agierende Einrichtungen (vgl. Hibou 1999a). In vielen Kontexten lässt sich beobachten, wie staatliche Agenturen - von rangniedrigen Polizeieinheiten bis zur Staatsspitze - sich in der Informalität einrichten. Die Illegalität und Opakheit des Informellen erlaubt ihnen ein Racket: die Erpressung derer, die gezwungen sind, in informellen Verhältnissen ihr Überleben zu sichern (vgl. Eckert 2003: 38). Nach außen erscheinen diese Prozesse als Verlust staatlicher Herrschaft. In langfristiger Sicht können sie sich gleichwohl ebenso als bloßes Oszillieren um das Ideal des Staates erweisen. Die Informalisierung staatlicher Herrschaft ist aus der europäischen Geschichte in Zeiten wirtschaftlicher Übergangskrisen bekannt. Die Persistenz informeller Praktiken zieht sich auch dort bis in die Gegenwart, auch wenn sie mit der Verrechtlichung der Politik und der Durchsetzung der parlamentarischen Demokratie ihren dominanten Status verlon."tl haben. Ebenso wenig wie in Europa bedeutet die Informalisierung der Politik un.J der Herrschaft des Staates in Afrika, Asien oder Lateinamerika daltcr nr>r"·--.:-n· dig die Erosion oder gar den »Zerfall« institutionalisierter i\Iacht. \-id.mc-b lassen sich auch hier für viele Staaten lange Linien der Kontinuität nd·~ 1:...-~ Rückgriff auf Praktiken des Informelle11 ist auch hier ein alter &":!'!~.:.-::;~ ~!' Repertoires zur Sicherung von Macht- und Herrschafrsbezichur~ yj;.. !'.r.-,: art et al. t 997). Die Sphäre des Informellen kann aber auch 7~ McÖJ#!ll. Jk:-: Formation von Opposition und Gegenmacht werden (\·gl Ecke-n 2Xt~:t So sehr es also zutrifft, dass in einigen Staaten - in .\~.. 1ll!: .:litt ~* Kongo oder in Liberia- bedingt durch kriegensehe {j.c;og;'3it tot •~-
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eben Niedergang- die Tendenzen der Zentralisierung politischer Macht abbrachen, so wenig kann davon ausgegangen werden, ganze Gruppen von Staaten seien vom »Zerfall« bedroht, nur weil sich dort zunehmend Praktiken der lnformalisierung beobachten lassen. Besonders jene Erklärungen, die die Dynamik staatlicher Herrschaft in diesem Fall auf die Charakterschwäche des herrschenden Personenkreises oder auf den Zusammenhang von Staat und Nationsbildung reduzieren (Cederman 1997), laufen fehl. Solche Prozesse der Entinstitutionalisierung sind immer kumulativ verursacht (Wade 2005). Für westliche Staaten ist die Krise staatlicher Herrschaft in anderen Weltregionen nicht automatisch ein Problem. Ihre Politik gegenüber den Staaten der Dritten Welt hat dennoch in jüngerer Vergangenheit eine Intensivierung und Diversiflzierung erfahren. Nicht nur die klassische Entwicklungspolitik, sondern auch die Sicherung der Welthandels- und Finanzordnung, die Etablierung von rechtlichen Standards, die militäti.sche und polizeiliche Zusammenarbeit und die politisch unterstütze Ausbreitung kultureller und religiöser Symbolwelten gehören dazu. Diese Interventionen vermehren die Möglichkeiten für alle Akteure, jenseits der Grenzen des Staates Machtmittel zu akkumulieren und einmal erlangte Machtpositionen in jeweils geltenden Symboliken zu legitimieren. Es ist aber fragwürdig, ob all diese Interventionen zusammengenommen, die Konsolidierung staatlicher Herrschaft eher befördern oder behindern. In der internationalen Politik hat sich nach dem Ende des Ost-West-l>Protektorate« (Pugh 2003). In anderen Fällen, wie in Mosambik oder Uganda, hat sich aus dem Zusammenspiel einer Vielzahl von internationalen Agenturen und lokalen Akteuren eine komplexe Gemengelage von Zuständigkeiten und Abhängigkeiten er-
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geben, die sich ebenso wenig als Annäherung an das Ideal von Staatlichkeit interpretieren lassen. Die internationalen Finanzorganisationen, der Internationale Währungsfond und die Weltbankgruppe, üben großen Einfluss auf die allgemeine Wirtschaftspolitik aus, bilaterale Geber sind durch ihre gra1tls and loam, also Zuschüsse und Kredite an das staatliche Budget, direkt an der Aus~ gestaltung weiterer Politikbereiche beteiligt. Schließlich hat eine Vielzahl von nicht-staatlichen Agenturen der ))Entwicklung<< solche Aufgaben übemommen, die nach einem klassischen Verständnis in den Aufgabenbereich des Staates gehören, wie Bildung oder Gesundheit. Die Ideen und Praktiken der internationalen Akteure bestimmen nw1 die Dynamik des Staates mit. Die Gründe dafür, dass sich, obwohl alle Ähnliches wollen, oder dies wenigstens behaupten, sich als politisches Resultat doch etwas anderes als die Ausbreitung staatlicher Herrschaft einstellt, sind vielf.-lltig. Unterschiede in der Codierung der Konflikte durch die Großmächte sind sicher mitursächlich dafür, dass einzelstaatliche Praktiken und die Politik internationaler Organisationen nicht immer kongruent waren. Andere Gründe liegen in der Logik der Situation. Sie lassen sich in zwei Widersprüchen fmdetl, die für Interventionen überhaupt gelten. Der erste dieser Widersprüche besteht in einem Zielkonflikt der externen Agenturen und äußert sich in der zentrifugalen Dy1tamik POil Instilllliolltlr. Die Agenturen, die sich am Projekt der Wiedererrichtung staatlicher Herrschaft beteiligen, sind selbst konkurrierende Interessierte. Zwar werden ihnen politische Vorgaben gemacht, und ihnen ist sicher auch nicht zu unterstellen, dass institutionelle Eigeninteressen ihr Handeln vollends dominieren. Aber politische Ziele wie ))Frieden« oder ))Entwicklung(( sind diffus genug, um eine beliebige Dehnung ihrer Programme und eine prinzipielle Endlosigkeit iluer Beteiligung am politischen Prozess zu rechtfertigen. Auch die Mitarbeiter von internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen haben ein Interesse an Laufbahnen. Ihre Planungsstäbe suchen Themen und Agenden, an denen nach der Bewältigung der einen Aufgabe eine neue ausgerichtet werden kann. Aus globalisierten Diskursen lassen sich Stichwörter tllld Legitimarianen für neue Schritte und neue politische Aufgaben ableiten, die der Zentral.: zuhause schlüssig erscheinen. Die Zentrale in der Heimat steht schließlich auch unter Handlung~Jn!c~:. Sie muss nicht nur ihre Apparate beschäftigen, sandem sich auch \"Pr •·:::o:~ nationalen Öffentlichkeit rechtfertigen. Diese Öffentlichkeit themari$in"l '.!:<, stände, von der ländlichen Armut über die Ökonomie votl Bürgerkriegen..,, •-:ö diffusen Ängsten vor »terroristischen Gruppen« oder als »kriminell" n:nL..:hn gen Migranten, zu deren Bekämpfung oder Vermeidw1g Jie .\pparate beitragen sollen. Die Befriedigung dieser moralischen Nachfrage ist filr Jic Polirik
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der Geber und Interventen im Zweifelsfall wichtiger als die sachlich immer nur schwer einzuschätzenden Erfordernisse vor Ort. Aus der Divergenz zwischen den in den Geberländern formulierten Programmen, der lokalen Dynamik und der Eigenlogik der beteiligten Agenturen ergeben sich zentrifugale Tendenzen, die sich in überlappenden Zuständigkeiten und im Wettbewerb um Personal, Expertise und Themen niederschlagen. Der zweite Widerspruch ist für die Interventen ein moralisches Dilemma der Staatsbildung. Internationale Organisationen ebenso wie die nicht-staatlichen internationalen Akteure sind durch ihre Interventionen an einem Prozess beteiligt, den sie normativ nicht bewältigen können. Von ihnen wird erwartet, die Verstaatlichung von gesellschaftlichen Kontexten zu bewerkstelligen. Ihre Aktivitäten dürfen jedoch nicht mit solchen politischen und sozialen Erscheinungen in Verbindung gebracht werden, die Prozesse der Staatsbildung historisch immer begleitet haben. Überall und zu allen Zeiten ist die Erlangung staatlicher Autonomie zu Lasten der Macht anderer Verbände und Akteure geschehen. Nicht immer ist diese »Enteignung« (Weber 1985: 824) gewaltsam geschehen, aber immer waren diese Prozesse von heftigen sozialen Konflikten und dem Einsatz oder wenigstens der Androhung von Zwangsmitteln begleitet. Die Interventionen des späten 20. Jahrhunderts und des beginnenden 21. Jahrhunderts entkommen diesem Problem nicht. Wenn sie es als ihre Aufgabe betrachten, >xlie Macht vorhandener Gruppen zu brechen« (Ottaway 2002: 1015), sind analoge Konflikte vorprogrammiert. Am Umgang mit Kriegsparteien wird die dilemmatische Struktur dieses Problems ganz offensichtlich: Internationale Agenturen geraten vor ihren heimischen Öffentlichkeiten in die Kritik, wenn sie Gewaltakteure durch Regierungsbeteiligungen legitimieren und für ihren Gewalteinsatz mit Machtbeteiligung belohnen. Beteiligen sie diese Akteure dagegen nicht an der Verteilung von Pfründen und Entscheidungsbefugnissen, dann bleibt ihre Intervention lokal in den Augen vieler illegitim. Eine dauerhafte Übernahme der von den Interventen installierten Ordnung wird dann unwahrscheinlich. Den lokalen Akteuren bleiben mehrere Strategien, auf die Absichten der Interventen zu reagieren. Die offene gewaltsame Herausforderung der Interventen ist eine von ihnen. Eine andere besteht in der Manipulation der Interventen, die meist ohne direkte Verbindung zum lokalen Kontext, ohne Kenntnis der Sprache und der konkreten Machtbeziehungen leicht zum Spielball lokaler Interessen und Absichten werden. An den Interventen aber kommen sie andererseits auch nicht vorbei. Der Fluss der Mittel und die Zwangsapparate, die Interventionen häufig begleiten, setzen der Politik der lokalen Akteure auch Grenzen.
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Das Ergebnis der Interventionen ist deshalb gerade nicht das, was die offiziellen Agenden und das Personal der Intervention vielleicht subjektiv auch wünschen, nämlich der autonome Staat. Die lmrgt1e m1rie des lokalen Kontexts, die langen Strukturen, die über Weltmarktanbindungen und regionale Konstellationen entstanden sind, setzen sich demgegenüber stärker durch. Sie verbinden sich aber mit den Interventionen. Lokale Akteure nutzen die Chancen, die ihnen Interventionen bieten. Sie bilden Allianzen und neue Organisationsformen, die der Zentralisierung des Staates entgegenstehen. Das Ideal des modernen Staates mit seinen klaren Grenzen mag in den Köpfen der Beteiligten fortleben. Ihre Praktiken und ilue alltäglichen Programme aber negieren es. Das Ergebnis ist eine postkoloniale Konstellation, die sich im Zeitalter der Intervention nur modifiziert. Das Hauptresultat der Interventionen ist die Intemation"alisierung von Herrschaft, die mit den formellen und informellen Varianten des Kolonialismus begann. Für militärische Interventionen, die politische Verhältnisse direkt wngestalten wollen, stellen sich diese Probleme in besonderem Maße. Die sozialtechnologische Illusion der Intervention verbindet sich hier mit Gewaltdynamiken, deren Eigengesetzlichkeit die Probleme der Intervention überlagern und verschärfen. Die Eigenschaft politischer Gewalt, bestehende Institutionen zu zerstören und gesellschaftliche Zusammenhänge aufzulösen, macht das Programm, die Herstellung von Ordnung, nur noch schwieriger. Die Interventen müssen nicht nur die Schwierigkeit überwinden, als Fremde Legitimität für ihre Programme zu erlangen. Sie sind zudem Gewalttäter und müssen mit komplexen Zuschreibungen von Schande, Schuld und Ehre umgehen können. Aus der Geschichte der Usurpation kann man lernen, dass gewaltsam eroberte Machtstellungen nur in langen Zeiträumen in legitime Herrschaft überführt werden können, denn nichts vergemeinschaftet stärker als gemeinsam erfahrenes Unrecht. Diese Vergemeinschaftungen erschweren die Akzeptanz der von den Interventen oktroyierten Ordnung. Damit transformiert sich die Legitimitätskrise der postkolonialen Staaten. Sie war eine Folge der kolonialen Zwangsherrschaft, und setzte sich im nachkolonialen Staat fort (vgl. Mbembc 2000). Die Ungleichzeitigkeiten erfassen auch die Interventen.
6.2.2 Das Problem der globalgovernanre Die geschärfte Wahrnehmung »globaler Probleme« hat in den n:r~.m;..><:,..,._ Jahren zu einer Vielzahl von Diskussionen über die Gestaltung inrem:A.:lnr:.J;../.;~ Politik geftihrt, um Möglichkeiten des politischen Umgangs mit d:c:·~ !'"!"' ;~. lernen zu sondieren und abzuwägen. Unter dem Stichwort g,/Qbfll gJvrmrr.:;JD;1 i~.-
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rieten Vorstellungen, die von einer Art konzertierten Aktion des Regierens im globalen Maßstab ausgehetl, die Staaten, Verbände, Unternehmen und alle möglichen Formen von Organisationen umgreift und für die Gestaltung der Lebensverhältnisse nutzen soll. Dieses nicht-hierarchische Regieren soll Formen der pub/ic private-partnership gleichermaßen umfassen wie »Mehrebenenpolitik«; sie soll aber staatliche Herrschaft nicht ausschliessen (vgl. Messner 2000, Rosenau 1992). Die »Symbiose mit Demokratie und Wohlfahrtsstaat«, die den Kapitalismus gezähmt habe (Münch 1998: 10), stünde damit bei ihrer globalen Verbreitung nur noch vor dem Problem, wie eine solche Architektur demokratisch legitimiert werden könne. »Auf dem Weg zur Weltgesellschaft« - hier im hergebrachten normativ-integrativen Sinne aufgefasst - sei nur noch das Problem der globalen Mehrebenendemokratie zu lösen (Münch 1998: 425). Das hoffnungsvolle l)rojekt der global governance hat aber noch mehr Probleme. Einmal abgesehen davon, dass darin »Machtdispositive« unberücksichtigt bleiben, »die in den globalen Strukturen enthalten sind und von Akteuren in höchst ungleicher Weise mobilisiert werden können« (Altvater/Mahnkopf 2002: 341), hat diese von internationalen Organisationen und Teilen der Wissenschaft e11twickelte Utopie keine Antwort auf die Frage nach der Zukunft staatlicher Herrschaft anzubieten. Sie steht im Umgang mit den Staaten der Dritten Welt vielmehr vor einem folgenreichen Dilemma. Denn sie könnte einerseits die Verstaatlichung der Welt befördern, indem sie die Ansätze staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt unterstützt. Dann wäre sie vor das Problem gestellt, wie diese Staaten selbst in Legitimitätsdefizite zu geraten w1d gewaltsame Reaktionen zu gewärtigen. Die Durchsetzung moderner Staatlichkeit ist kein bloßes technisches Problem, sondern ein widerspruchsvoller und zumeist gewaltgeladener Prozess, und er würde diese Eigenschaft auch durch eine forcierte internationale Stützung nicht verlieren. Die Alternative wäre, die Staaten der Dritten Welt gleichsam »einzuklammern«, und darauf zu bauen, dass die Verbindungen zwischen den Staat übergreifenden und unterlaufenden Ebenen die negativen Effekte der Staatsbildung vermeiden könnten. Die Architektur der global governance müsste dann funktionale Aquivalente entwickeln, damit jene Elemente, die staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt nach den Befunden dieser Arbeit gegenwärtig zu fehlen scheinen - Rechtsdurchsetzungskraft, Legitimität, Extraktionsfähigkeit und Kontrollkapazität - auf andere Weise denn auf staatliche etabliert und entwickelt werden könnten. Es ist allerdings nicht zu erkennen, welche Agenturen diese Funktionen wahrnehmen sollten.216
216 Darin liegt auch der Trugschluss der naiven Hoffnung a~1f die zivilisierende \Virkw1g einer »Zivilgesellschaft«: Um staatliche Herrschaft auszubalancieren, reichen bloße Assoziationen
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Damit ergibt sich aus den Befunden dieser Arbeit für alle Diskussionen um die »Zukunft des Regierens« in der Weltgesellschaft217 eine wichtige Einsicht: Das Problem der Projekte wie »komplexes Weltregieren« (Züm 1998: 361ff.) besteht nicht darin, »gefahdiche Identitätsbildungen<< zu vermeiden oder das Problem der Kooperation zwischen Staaten zu lösen. Das eigentliche Problem ist vielmehr die Herrschaftslücke, die sich durch die unvollständige Staatlichkeit im größeren Teil der Welt ergibt. Die auf die Beziehungen zwischen OECD-Staaten fokussierte Regime- und Governance-Debatte hat dieses Manko bisher nicht berücksichtigt. Begreift man den Staat nicht als unitären Akteur, sondern als ein Machtfeld, in dem verschiedene Akteure um Geltungen streiten und mit ihren Praktiken teils staatliche Ansprüche stärken und realisieren, sie aber auch teils negieren und obstruieren, dann wird die Problematik der Idee der global govemam-e noch offenbarer: An welche Punkte ~d Beziehungen sich externe Akteure anknüpfen sollen, wird für das Modell dann ebenso schwer bestimmbar, wie es in den vergangeneo Dekaden für die Entwicklungspolitik war. Herrschaft ist nicht homogen, sie ist umstritten, ihre Praktiken sind komplex, widersprüchlich und von Brüchen durchzogen. Eine globale Architektur des Regierens müsste sich mit diesen Widersprüchen, den Rissen, Bruchlinien und Verwerfungen beschäftigen, die der Annahme einer prästabilisierten Harmonie der Interessen und Absichten entgegenstehen. Denn es ist nicht zu erwarten, dass sich die Herrschaftsordnungen automatisch weltweit angleichen. Das Ideal moderner Staatlichkeit mag in den Köpfen präsent sein und die Erwartungen von staatlichen wie von nicht-staatlichen Akteuren werden sich daran ausrichten. Deswegen muss es faktisch nicht zu seiner gleichartigen Realisierung kommen. So ist in Afrika, Asien und Lateinamerika, wie mehrfach hervorgehoben, Herrschaft personalisiert. Modeme Staatlichkeit, die sich bruchlos in eine Architektur der global governa11ce einfügen würde, beruht auf depersonalisierter Herrschaft. In modernen Staaten herrscht die »subjektlose Gewalt<< (Gerstenberget 1990), die »Herrschaft des Niemand« (Arendt 1972: 51). Modelle wie
nicht aus. Solche organisierten Interessen müssen über weitere Machtmittel ,·crfug..-:: ·'-"• :-"' über ihre politische Stimme, um zur organisierten Macht des Staates ein \\~rklid:" (~, .._."....,., wicht zu bilden. Umgekehrt kann eine Bourgeoisie ohne republikanisch"" &~.~··-'>•::\·<'"· .,..•. ohne soziale Herausforderer auch l.~nge ohne Demokrm:isic:rung ,...,,;;,,,.,.,.r..;-.,. ··-" '''" Geschichte Lateinamerikas zeigt. Es gilt also »pas de dcmocr:Jc:: , ..,,." :..: "'~'·' . " •..;" " bourgeoisie« Qaffrelot 2000:33). 217 Die Literatur hierzu ist so umfangreich, dass einzelne Buugn,;!-."..,.,, """' ,,~·,, ,".,. '·"•l ""''.:.. vgl. Kohler-Koch (1993); Beck (1998); Messner (1991:\· ;~r.,., :·-' K,·•"""'<"··"" ,,,. Hasenclever/Mayer/Rittberger (1999); Simmons/1\lartin f2f(l2.'' ·"'-..! :..:r.:"'·•<'·· """"'·~ ,.,,J\>1'
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global govemance gehen dagegen von bürokratischen Formen aus, die sich in Wahrheit global gar nicht als dominanter Modus des Regierens finden lassen. Das historische Vermächtnis der postkolonialen Staaten, ihre laufenden sozialen Konflikte und die bereits entwickelte Diversität werden deshalb dafür sorgen, dass ihre politischen Formen eher eine höhere Formenvielfalt entwickeln, als dass es zu einer globalen Isomorphie der politischen Apparate kommt. Schon der Export von Bürokratie und Technik hat bloß zu formalen Angleichungen geftihrt (Meyer 1999). Alle Kommunikation ist Produktion, Rezeption, Codierung, Dekodierung und Rekodierung, und was aus global gesendeten Botschaften lokal wird, lässt sich nicht antizipieren. Die Globalisierung und der Export westlicher Modelle und Techniken sind auch bisher immer Geschichten der Aneignung gewesen (Warnier 1999: 93). Die heute in Afrika, Asien und Lateinamerika vorfindliehen Arrangements sind nicht das Ergebnis einheitlicher Planung, sondern sie sind das Resultat einer endlosen Reihe von Manipulationen und Aneignungen. Modelle, die diese Aneigungen nicht berücksichtigen, sandem Konzepte einfach übertragen, sind dann nur Zeichen einer neuen Gouvernementalität, ein erneuter »Selbstentwurf Europas als universaler Zivilisation« (Osterhammel/Petersson 2003: 112). Die Entwicklung des Kapitalismus, der sich zur Weltgesellschaft globalisiert hat, war seit jeher durch »sehr ungleiche Tempi, räumliche Tiefen und strukturelle Beschaffenheiten« ausgezeichnet (Küttler 2002: 186). Auch die Gegenwart ist von Widersprüchen durchzogen. Nicht nur gibt es in der Dynamik von Macht und Herrschaft des Staates große Unterschiede zwischen einzelnen Staaten oder Regionen. Auch in einzelnen Staaten überlagern sich Geltungen oder streiten Teile des Staates gegeneinander (vgl. Lewis 2005). Das Bild des unitären Staates überlebt die Analyse nicht (Gupta 1995). Voraussetzung des »globalen Regierens« wäre deshalb eine Analytik der Macht und Herrschaft und auch die detaillierte Kenntnis der Kontexte.
6.2.3 Die Herrschaft der Intermediäre Mit der Skepsis gegenüber der Realitätsnähe und politischen Durchsetzbarkeit von Modelle »globalen Regierens« ist aber die Frage nach der Zukunft der Dynamik von Macht und Herrschaft in der Weltgesellschaft noch nicht beantwortet. Neben Aussagen über wachsende »Zonetl des Aufruhrs« (Singer/Wildavsky 1993) und der >>nahenden Anarchie« (Kaplan 1994) - Annahmen, die zwar nicht in offenem Widerspruch zu den Ergebnissen dieser Arbeit stehen, für die es aber darin andererseits keine besonderen Anhaltspunkte gibt
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- ftgurieren in diesem Feld Thesen über den Formwandel staatlicher Herrschaft, der sich aus den veränderten internationalen Bedingungen und den Strategien lokaler Akteure ergibt. Unter ihnen ist besonders Hibous Interpretation (1999a, 2005) hervorzuheben. Demnach lässt sich in den gegenwärtigen Veränderungen staatliclier Herrschaft eine Tendenz der ))Privatisierung des Staates« erkennen, die dmin bestünde, dass mehr und mehr Funktionen und Aufgaben des Staates in nichtformalisierte und nicht-öffentliche Bereiche übertragen würden. Diese dichn':?,e des Staates sei jedoch nicht allein das Resultat auswärtigen politischen Dmcks zur Verschlankung des Staates, sondern ebenso so sehr gewählte Strategie der Machtgruppen, die die postkolonialen Staaten dominierten. Faktisch entwickele sich durch diese Strategien eine Delegation staatlicher Macht an einzelne Machtttäger, eine Flexibilisierung der Herrschaft, die an Stetigkeit und Berechenbarkeit verliere, aber deshalb nicht mit dem Ende von Herrschaft überhaupt gleichzusetzen sei. In ähnlicher Weise sieht auch Trutz von Trotha (1999; 2000a) das Ende des klassischen Staatsmodells gekommen. In den postkolonialen Staaten Afrikas wenigstens sei die Zenttalisierung und lnstitutionalisierung staatlicher Macht nicht mehr zu erwarten. Stattdessen würden Formen der »Para-Staatlichkeit« dominant, in denen lokale Herrschaft immer mehr Funktionen übernähme. Die Interpretation der beiden Autoren stützt die Thesen über die lnfonnalisierung von Ökonomie und politischer Herrschaft in Asien, Afrika und Lateinarnerika und die damit einhergehende Herrschaft intermediärer Instanzen (Schlichte/Wilke 2000). In dem Maße, in dem sich Modemisierungsprozesse informell und ungeregelt vollziehen, werden dem staatlichen Zugriff immer mehr ökonomische Flüsse entzogen. Wenn die Ressourcenflüsse aber nicht mehr über staatliche Institutionen laufen, dann kehrt sich der Prozess der »politischen Enteignung« (Weber 1985: 824) um: Nicht mehr die Agenturen einer- im Prinzip- zentral kontrollierbaren Staates haben die \'erfügunw-gc· walt über die Verteilung der Mittel, sondern diese gelangt in die Hände p:u"'!:· kularer Netzwerke, die grenzüberschreitend operieren.21s Dieses Muster führt zur Herrschaft der Intermediäre. Sie bedeutcr. ~" :.,,~, kale Big Mm die ökonomischen und politischen Chancen nutzen. 4.-i:lc ~!~ ,~WJ der nachlassenden Kontrolle übergeordneter Agenturen. aus dt.-r.t '"'""~lll:'lltl!t Rückzug des Staates und auf dem Markt der »Hilfe« ergebe~- ~ ~ Fragmente der einst den Staat durchziehenden Kli&.'11tc:llc-1~ -"->r. l:...l'i!..._
a
218 Es gibt jedoch auch Fälle, in d~'tlen die lniom"l..l.b•~-""'i1. ·"""" f•"~\\'<'1....,~-'"*~·~~· ~~!~i .. Hibou (2005) zum Maghreb und Neunhöffer (ll)ll} a..~.....
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der Unabhängigkeit ihrer Machtzentren und konsolidieren diese Positionen, indem sie Machtmittel aller Art akkumulieren. Exploitationschancen, die sich am Rande von Kriegsökonomien ergeben, Konzessionen für den Abbau von Rohstoffen, Lizenzen für den Importhandel oder die faktische Kontrolle über Handelswege und Umschlagplätze auch »krimineller Güter« und die Projektgelder der ))Hilfe« sind die wichtigsten Quellen dieser Akkumulation. Dazu kommen jene, die sich aus den Privatisierungen staatlicher Betriebe ergeben. Die Herrschaft der Intermediäre ist also gleichbedeutend mit der Verselbstständigung der weit in den postkolonialen Staat hineinragenden Klientelketten. It1 dem Maße, in dem staatliche Institutionen die Versorgung mit öffentlichen Gütern nicht mehr gewährleisten, wächst die Macht der Intermediäre, die den Staat gleichwohl nicht völlig verlassen. Den auf dem Zugang zu allen Sphären und auf der Fähigkeit, die Grenzen zwischen diesen zu überschreiten, beruht ihre Macht. 219 Die staatliche Form bleibt nötig, um an Kredite und Hilfe zu gelangen, die wiederum nur über das soziale Kapital der Intermediäre ihren Weg in lokale Kontexte finden. Die Het-rschaft der Intermediäre widerspricht also nicht der äußeren Form des Staates, sie widerspricht aber dem eigentlichen Gedanken staatlicher Herrschaft als der Verstetigung und Verregelung von Machtbeziehungen. Denn die Institutionalisierung ihrer Beziehungen würde die Gefahr ihrer Entmachtung bedeuten. Ihr Modus des Regierens deckt sich außerdem mit den Anforderungen der »globalisierten Welt«, in der die Proliferation von Gelegenheiten schnelle Wechsel der Bündnisse erforderlich machen kann, und in der starre Institutionen als Hindernis gelten. Die Herrschaft der Intermediäre bedeutet zugleich eine Ausdifferenzierung unterschiedlicher Sicherheitszonen in der Weltgesellschaft. Denn sie bedeutet gerade nicht die allgemeine Distribution kollektiver Güter, wie sie es das klassische Staatsmodell vorsieht. Die neuen Sicherheitszonen der Weltgesellschaft decken sich nicht mehr mit den Grenzen von Staaten oder anderen räunilichen Prinzipien. Während sich die Staatenwelt »entgrenzt« (Albert/Brock 1995), wächst die Bedeutung anderer Differenzen, die zu Unterscheidungen von Inklusion und Exklusion werden. Die Ankoppelung an das Machtnetz eines Intermediärs bietet Vorteile im Vergleich zur vollkommen ungesicherten Existenz in politischen Räumen, in denen staatliche Instanzen zur Regulierung des sozialen Lebens mehr und mehr ausfallen.
cL~rauf, dass sie nicht funktional differenziert ist. Eine Theorie der Weltgesellschaft, die diese bereits als funktional differenzierte auffasst, ka1m dieses Phänomen gar nicht in den Blick bekommen.
219 Diese politische Position beruht also gerade
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Die andere Seite der Herrschaft der Intermediäre ist eine Bifurkation der Sicherheitssysteme.220 Der Kommerzialisierung von sozialen Diensten und Gewaltkontrolle steht die Kommunalisierung der gleichen ehemaligen Staatsfunktionen gegenüber - private Sicherheit für jene, die sich am oberen Ende der Akkumulationsketten befinden, kommwlitäre Selbsthilfesysteme für die Mehrheit der Regierten am anderen Ende. Mit der Internationalisierung der politischen und ökonomischen Zusammenhänge sind beide Erscheinungen, die Herrschaft der Intermediäre wie die Bifurkation der Sicherheitssysteme, völlig kompatibel. Der Bt;g Man kann ebenso als Projektpartner für Nichtregierungsorganisationen fungieren wie als Repräsentant einer politischen Bewegung. Seine internationale Verbindung ist sogar wahrscheinlich, weil sie ilun die d1ance auf weitere exklusive Machtmittel verschafft. Im Gewand formaler Staatlichkeit können die Intermediäre zudem auch ökonomisch kooperieren. Sie sind durch ihre lokale Verankerung ideale Partner für Joint-ventures auf den neu entstehenden Märkten, die sich durch die Zurückdrängung staatlicher Dienste ergeben.221 Dass sich die Herrschaft der Intermediäre zentralisieren lässt, ist nicht ausgeschlossen. Die Möglichkeiten dieser Zentralisierung sind indes gebunden an die Verschiebung von Mittelflüssen und Amtschancen. Denn dieser Prozess, die historische Parallele zu der von Norbert Elias geschilderten »Verhöflichung des Kriegeradels« (1988a), ist gleichbedeutend mit dem von Weber als »politische Enteignung« bezeichneten Vorgang. Die gegenwärtig global dominierenden Politikmodelle machen eine solche Entwicklung allerdings wenig wahrscheinlich. Die Zukunft des Staates in Afrika, Asien und Lateinamerika erscheint den Befunden dieser Untersuchung zufolge ungewiss. Die nachlassende Bedeutung des Staates als Regelungs- und Herrschaftsinstanz scheint mit gegenwärtigen Tendenzen in Westeuropa und Nordamerika zu konvergieren. Während dort der »verhandelnde Staat« in neuen Govemance-Modellen unter den Druck organisierter Interessen gerät und zunehmend privatisiert zu werden droht (Hirsch 2000: 333), ist in den Staaten des Südens die Autonomie staatlicher Agenturen gar nicht erreicht worden. Was sich aus diesen politischen Figurationen entwickeln wird, lässt sich nicht konkret vorhersagen. Sicher ist jedoch. dass die Dynamik des Staates noch nicht sein Ende bedeutet. Angesichts dc~ fehlenden Alternativen politischer Steuerung und globaler politischer ( l:d nungsmodelle wäre ein Verzicht auf das Modell des Staates und seine al~*=h~220 ... die ihre historischen Parallelen hat, etwa zu den getrennten Rech=rr..i.-.ee ""' '""'~ Staat (vgl. Mamdani 1996). 221 Vgl. hierzu die veranschaulichenden Beispiele in Schlichtc/Wi~'-: ~':t c •'''·' .~,., '"' ~~ aufgefülute Literatur zu Entwicklungen in unterschiedliciK'II Dn;~:·->;\ .--:·~-'Ii.,.,.,. ,,.,,,,, -'-'•-' _.,,.,,,.. Interpretation nahelegt.
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liehe Ausblendung auch fahrlässig. Andere Architekturen, die dem Staat keine zentrale Rolle zuweisen, müssen für die Zusammenhänge, die sich an der Dynamik staatlicher Het-rschaft gezeigt haben, ebenfalls Alternativen entwickeln. Die Geschichte staatlicher Herrschaft zeigt etwa, dass sich nur an der leistenden Institution Legitimitäten heranbilden. Wo Staaten verteilen, bilden sich Interessen an ihrer Fortexistenz heran. Auch Alternativen zum Staat bräuchten Stäbe, deren materielles Interesse erfüllt werden müsste, auch diese Gebilde wären auf die Heranbildung von Legitimität angewiesen, für die sie eine Symbolik benötigen.
6.3 Zur Theorie: Von den Internationalen Beziehungen zur politischen Soziologie der Weltgesellschaft Aus der Perspektive der Theorie globaler Vergesellschaftung konnte die Dynamik staatlicher Herrschaft in Umrissen dargelegt we1'<:l.en. Dazu war es nötig, die Perspektive der »Politik-in-einem-Land« zu verlassen, und insofern hat sich die Theorie globaler Vergesellschaftung als ein geeigneter Ausgat1gspunkt erwiesen, die vermittelten Dynamiken von lokalem Kontext und globalen Verschiebungen überhaupt zu fassen und in Grundzügen nachzuzeichnen. Zugleich sind einige blinde Flecken der Untersuchung zu benennen: Die Darlegungen dieser Arbeit haben die einzelnen Differenzen und Besonderheiten der Geschichte(n) von Staaten in der Dritten Welt nicht hinreichend berücksichtigen können. Sonst wäre besser zu erkennen gewesen, dass ohne eine eingehendere Beschäftigung mit der Histotizität der einzelnen Kontexte keine hinreichende Tiefenschärfe in der Bestimmung der politischen Dynamiken möglich ist. Zum Verständnis der globalen Moderne gehört deshalb auch das Studium der Geschichte der nicht-europäischen Welt, um ihre aktuellen Formen aufzuspüren, um die spezifischen Verschränkungen und Hybridisierungen dem theoretischen Zugriff allererst zugänglich zu machen. Daraus lässt sich zunächst die Anforderung ableiten, dass eine politische Soziologie der Weltgesellschaft sich am Material entfalten muss. Nicht die abstrakte Diskussion von Konzepten und logischen Modellen wird einen hinreichenden begrifflichen Ertrag bringen, sondern nur die stete Vermitdung dieses begrifflichen Vokabulars mit konkreten Gegenständen. An diesen Gegenständen herrscht in solchen Sozialwissenschaften, die sich bisher fast ausschließlich auf die Erforschung des westeuropäischen und nordamerikanischen Teils der Weltgesellschaft beschränkt haben, kein Mangel.
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In einer tieferen Auseinandersetzung mit Dynamiken von Macht und Herrschaft in einzelnen Zusammenhängen wäre auch der »Historizität des importierten Staates« (Bayart 1996) stärker Rechnung zu tragen, als dies hier der Fall sein konnte. Die Entwicklungswege unterscheiden sich viel stärker, als dass in eine überblicksartige Darstellung dies aufzeigen konnte, w1d es sind letztlich diese einzelnen Zusammenhänge, die die Richtungsentscheidungen in der Dynamik von Macht und Herrschaft vorgeben. Wie am Exkurs über die Dynamik staatlicher Herrschaft in Uganda gezeigt werden konnte, sind es die konkreten Vorstellungen und das bloß Imaginierte der Regierenden und Regierten, die über Grenzen und Möglichkeiten der Institutionalisierung von Macht inner- und außerhalb des Staates entscheiden. Dabei spielt die Idee moderner Staatli.chkeit fraglos eine Rolle, sie ist aber nicht die einzige Vorstellung des Politischen. In allen Regionen und Teilräumen der Weltgesellschaft gibt es eigene Traditionen sozialer Organisation, deren Erfahrungen sich in den Habitus der Akteure wieder fmden. Neben diesem erweiterten Blick auf die Historizität der sozialen und politischen Prozesse in der Weltgesellschaft ist zugleich das Zusammenhängende zu betonen. In der gegenwärtigen Wissenschaftslandschaft dmht sich eine neue Arbeitsteilung über die Gegenstände zu legen, die nicht in jedem Fall der Sache angemessen sein mag. Die Separarierung weltgesellschaftlicher Phänomene in Gegenstände der Intemational Political Economy, in rein politische »Internationale Beziehungen« und in Gegenstände der mlhtral sl11dies könnte den Vorteil der globalen Perspektive zum Preis der Verengung der methodischen Blickrichtungen erkaufen. Eine Soziologie der Weltgesellschaft hätte diese Trennungen zu vermeiden. Sie könnte dies versuchen, indem sie sich Phänomene zum Gegenstand nimmt, die sich gegen einfache disziplinäre Zuordnungen sperren. Vorhersehbar ist auch, dass sich die Formen politischer Herrschaft global nicht auf einen Konvergenzpunkt bewegen. So wenig sich der Typus des legalrationalen Anstaltsstaates global zu verallgemeinem scheint, so wenig gibt c~ ein unilineares Modell der Modeme, sondern die politischen, ökonomischen und symbolischen Seiten globaler Vergesellschaftung haben zu einer differenzierten, nicht entfalteten Moderne geführt. Der Export und die anh<~.ltcnd.: Dominanz »westlicher« Institutionen, Diskurse w1d Medien hat sich Y...U: überall mit älteren Formen vermengt und neue soziale Realitäten bc:n-.:~, bracht, die sich nicht einfach über den Leisten einer Theorie der \f.;:odel!'>rl; ~ den immergleichen Kategorien schlagen lassen, wie sie der :;;t~~"lb'".-"' · lismus, die Systemtheorie oder die naive l\lodemi~r~~:;l!!* •~ 1950er/60er Jahre formulierten und wie sie in ,;elen \'on:a~ ,._, .41tr: Ziele politischer Gestaltung in der Welt fortexisriea:n.
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Diese Einsichten in die Dynamik des Staates haben theoretische Konsequenzen. Denn sie bestätigen, was sich in der eingangs festgestellten Soziologisierung der Internationalen Beziehungen noch ohne Begriff zeigt: Je stärker die vorfindliehen politischen Formen vom Ideal des Staates abweichen, und je deutlicher sich die Tendenzen weiterer Differenzierung abzeichnen, desto ungeeigneter werden theoretische Modelle für die Erklärung der Politik in der Weltgesellschaft, die einen nicht näher bestimmten Staatsbegriff zugrunde legen. Ein Programm, das den begrifflichen und konzeptionellen Reichtum der politischen Soziologie in diese Analyse einführt, ist geeigneter, diese Dynamiken zu begreifen. Modelle, die die Internationalisierung von Herrschaft genauer fassen könnten, ebenso wie detaillierte Studien zur Analyse der Dynamik staatlicher Herrschaft, hätten jedoch eine noch weitergehende Analytik der Macht zur Voraussetzung. Diese Analytik müsste die Produktion, Aneignung und Vetwendung von Machtmitteln, ihre Interaktion und die Prozesse ihrer Institutionalisierung begt-ifflich noch präziser fassen, als das der hier präsentierte Entwurf zu leisten imstande ist.222 Für die Frage einer sich kristallisierenden globalen Gewaltordnung wäre dies vielleicht am ehesten zu leisten. Die Herausbildung eines globalen Marktes für militärische Dienste, die Internationalisierung der nationalen Armeen durch die Politik der Intervention und die Wanderungen von Gewaltexperten sind bekannt und zugleich liegt zu diesem zentralen Themengebiet der Sozialwissenschaften ein umfangreicher begrifflicher Apparat vor. Auch die Entwicklung der Fiskalität, mit Weber gesprochen, der »Bedarfsdeckung der politischen Verbände«, wäre von der Perspektive einer politischen Soziologie der Weltgesellschaft neu zu betrachten. Denn neben der Diskussion um den »Steuerstaat« (Genschel 2005) ist natürlich die Finanzierung von Herrschaft jenseits des Staates ein weder analytisch noch theoretisch bearbeitetes Gebiet. Ebenso lassen sich in der Sphäre des Rechts zahlreiche über den Staat hinausweisende Dynamiken erkennen, die teils historisch sehr alt sind. Die Überlagerung von Geltungen, die Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen, teils widersprüchlichen symbolischen Ordnungen und die Alternativen zum Recht des Staates werden zwar wahrgenommen (vgl. Röhl 1996). Ihre Dynamiken, die Gesetze ihrer Entwicklung sind indes ebenso wenig entwickelt wie ein rechtssoziologisches Vokabular, dass all dies fassen und ordnen könnte.
222 Ansätze dazu, die Dynamiken von Macht und Herrschaft jenseits des Staates konzeptionell und theoretisch in den Griff zu bekommen, liegen schon vor. Sie reichen von »funktionalen Räumen« über flows and layers (Cohen 1998) über die Debatte um die Konzeptionalisierung von »transnationalen Räumen« (Schwengel 2000) bis hin zu den Bemühungen um einen »kosmopolitischen Realismus« (Beck 2002).
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Internationale Organisationen sind auch Vektoren der Macht. Sie sind, wn sozial und politisch wirksam zu sein, indes auf Herrschaftsstrukturen angewiesen, deren Dynamik sie ihrerseits beeinflussen. Auch dort sind Ideale von Praktiken umkämpft, auch sie lassen sich als Arenen sozialer Kämpfe auffassen (vgl. Hirsch 2000: 329). Die Internationalisierung von Herrschaft hat ja· auch die Staaten des Westens erfasst, ohne jedoch dass dies jenseits der auf die Europäische Union bezogenen Diskussionen zentral thematisiert würde. Aus der Perspektive, die nach der Verteilung und Struktur von Macht und Herrschaft in der Weltgesellschaft fragt, wäre dabei vielleicht weniger die Differenzen zwischen US-amerikanischen Unilateralismus und europäischen Ordnungsvorstellungen interessant, als die Differenz zwischen machtvollen Verhandlungszentren und betroffenem Publikwn. Der eigentliche Wert einer solchen Perspektive ist ihr Insistieren auf der Analyse der Gegensätzlichkeiten und Widersprüche, die politischen Dynamiken zugrunde liegen. Nichts deutet darauf hin, dass der Konflikt, in Weberscher Terminologie der »Kampf«, der einfachen liberalen Annahme der Konvergenz der Interessen gehorcht. Institutionen, staatliche und nicht-staatliche, sind Resultate von Konflikten, nicht von einfach vorauszusetzenden Hatmoruen. Die Entschlüsselung der Dynamiken von Macht und Herrschaft in der Weltgesellschaft kann aber aus einer Perspektive, die sich auf Institutionen fixiert, nicht geleistet werden. Sie müsste wenigstens zwei Sichtweisen hinzunehmen: Die eine bestünde in der Analyse des Ökonomischen in seinem weitesten Sinne. Nicht allein die Flüsse von Werten zwischen Staaten und Firmen, sondern auch das Informelle, das Nicht-Monetäre, der Tausch überhaupt müsste zum Gegenstand werden, denn wahrscheinlich stehen sich Ökonomie und Staat gar nicht so getrennt gegenüber, wie die meisten Lehrmeinungen dies darstellen (vgl. Mitchel 1999). Die zweite nötige Perspektive müsste von der Ethnologie len1en: Aus den »dichten Beschreibungen« einzelner Begebenheiten und Zusammenhänge, aus der Beschäftigung mit bloß scheinbar banalem Material könnten vielleicht die Zusammenhänge rekonstruiert werden, die die Politik in der Welt so opak erscheinen lassen. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Politik in der Weltgesellschaft müsste tatsächlich alle soziologischen Methoden umfas~en. Dann würde sich zeigen, ob sich dieses Projekt noch J>lntemationale Bcnchungen« nennen könnte, oder aber eine andere, neue Disziplin würde.
Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder
Tab. 1: Veränderwtgen der Staatsquote in ausgewählten Staaten ................ 194 Tab. 2: Die Steuerstärke von Staaten ................................................................. 195 Tab. 3: Staatengruppen nach Steuerstärke ........................................................ 196 Tab. 4: Zu- und Abnahme von Steuerstärken .................................................. 197 Tab. 5: Entwicklwtgshilfebezüge ausgewählter Länder .................................. 214
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