Gruselspannung pur!
Der siebte Kreis der Hölle
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Mephisto hatte seinen großen...
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Gruselspannung pur!
Der siebte Kreis der Hölle
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Mephisto hatte seinen großen Auftritt. Ein schauriges Dämonenballett führte einen grotesken Kriegstanz auf. Zombies und rangniedere Teufel sprangen kreischend und geifernd um Mark Hellmann herum. Schwangen ihre Äxte und Dolche. Der Dämonenjäger lag gefesselt und hilflos auf einem großen Felsen mitten im dunklen Thüringer Wald. Jedes der Höllengeschöpfe mußte sich zusammennehmen, um den verhaßten Feind nicht sofort und auf der Stelle grausam zu töten. Dieses Vorrecht hatte nur der Höllenfürst! Mark Hellmann - die Gruselserie, die Maßstäbe setzt!
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Mephisto kündigte sich mit einem blutroten Blitzeinschlag an. Diesmal hatte der Mega-Dämon die Gestalt eines Zauberkünstlers gewählt. In einen schwarzen Umhang gehüllt, mit einem Zylinder auf dem dreieckigen Schädel - so trat er zwischen seine Unterdämonen. Ehrerbietig machten sie ihm Platz, fielen katzbuckelnd vor ihm auf die Knie. Der Bocksfuß schaute unter dem Umhang hervor, als Mephisto mit einigen weit ausgreifenden Schritten neben Mark Hellmann trat. Mit seinen gelben Augen taxierte er das Gesicht seines blonden Erzfeindes. »Dies ist der größte Moment in deinem Leben, Mark Hellmann! Heute mache ich dich zu meinem mächtigsten Diener!« Der Dämonenjäger zerrte an seinen Fesseln. Spuckte Mephisto ins Gesicht. Doch der Höllenfürst ließ sich davon nicht beeindrucken. Plötzlich schoß seine rechte Teufelskralle vor. Und schon hatte er das Herz von Mark Hellmann aus der Brust gerissen! * Das Bild von dem klopfendem, blutigen Organ in Mephistos Klaue war sehr echt gewesen. Doch nun verblaßte das Trugbild. Die versammelten Schwarzblüter zwischen dem pechschwarzen Höllengestein und den Flammen der Verdammnis konnten ihre Enttäuschung nicht verbergen. Jeder von ihnen hatte genügend Gründe, Mark Hellmann abgrundtief zu hassen. Mephisto trat hohnlachend hinter einem scharfkantigen Felsen hervor. Diesmal erschien er in seiner Lieblingsverkleidung. Als mittelalterlicher Jäger im grünen Wams, mit Feder am Hut und feuerrotem Bart. »Habt ihr Tölpel geglaubt, daß Mark Hellmann es uns so leicht machen würde? Schon in kurzer Zeit wird dieses Bild Wirklichkeit werden. Ich habe es euch gezeigt, um euren Haß aufzustacheln. Euren Haß auf dieses lächerliche Menschlein, das sich uns entgegenstellen will!« Samiel erhob sich. Der Unterteufel mit den zwei kleinen Hörnern auf seiner grünlichen Wasserleichen-Stirn war manchmal etwas begriffsstutzig. »Verzeijt mir, o mechtiger Hellenfirst. Samiels Hass auf das Hellmann-Kerlchen ist sich wierklich so jroß wie 3
janze riesige Unterwelt, oioioi! Aber wie kriejen wir Hellmännchen hinterheltiges in unsere Jewalt? Mechte so jerne selbst iehm Herzchen rausreißen, jojojoj!« Mephisto seufzte. Er hatte sich im Laufe der Jahrhunderte schon fast an die seltsame Sprache und die verdrehte Grammatik seines Handlangers gewöhnt. Sein böser Blick ruhte auf der Gestalt in dem blauen Frack und den grünen Hosen. Samiel war durch seine beiden kleinen Hörner vorne am Schädel unschwer als Teufel zu erkennen. Ein weiteres Markenzeichen war sein Gestank nach faulen Eiern und Verwesung. Aber ihm fehlten die Brillanz und die Intelligenz seines großen Meisters. »Überlaß das Denken den Spinnen, Samiel! Die haben nämlich ein größeres Gehirn als du. Hellmann, dieser gutmütige Trottel, wird in unsere Falle tappen. Seinem Adoptivvater wird es schon bald verdammt dreckig gehen. Und Hellmann wird ihm natürlich helfen wollen.« Mephisto machte eine Kunstpause. Funken sprühten aus seinen bösen Augen. »Das ist dann sein Untergang.« »Jojjojjoj!« In widerwärtiger Vorfreude rieb sich Samiel seine Krallen. »Wird dann sehen langsam jetetet, Hellmann, demliches?« »Trottel!« Entnervt gab der MegaDämon dem Unterteufel einen Tritt mit seinem Bocksfuß. »Natürlich nicht! Hast du denn gar nicht zugehört, was ich in meiner Vision verkündet habe? Ich plane etwas, was für Mark Hellmann schlimmer ist als der Tod. Ich mache ihn zu einem erstklassigen Dämonenknecht!« * »Lucifer, Ouia, Kameron, Aliscot, Mandesumini.« Mit diesen Worten einer frühchristlichen Bannformel beendete ich meine Arbeit. Ich war zufrieden. Über dem gesamten Gebäude des Hotels Elephant lag nun ein unsichtbarer weißmagischer Schutzschirm. Das Kempinski-Hotel befindet sich mitten in meiner Heimatstadt Weimar. Direkt am Marktplatz. Mein Adoptivvater Ulrich Hellmann und ich hatten zur ersten internationalen Konferenz der LIGA geladen. Und für ein Treffen unseres Geheimbundes gegen die Mächte der Hölle bietet das Traditionshaus, das 1696 als Gasthaus gegründet wurde, einfach 4
den besten Rahmen. Es liegt zentral, bietet Spitzenservice und hat Niveau. Goethe und Schiller waren einst Gäste des ehrwürdigen Hotels gewesen, daran erinnern zur Zeit im Rahmen des Kulturstadtjahres die beiden lebensgroßen, in Blau gehaltenen Plastiken auf dem Balkon über dem Haupteingang. Auch Leo Tolstoi, Thomas Mann und Richard Wagner, den ich auf einer meiner Zeitreisen einmal persönlich kennengelernt hatte (Siehe MH 27!), waren Gäste dieses Traditionshauses gewesen. Für das Treffen der LIGA hatten wir den Salon Carl August gemietet, das ist ein eleganter und ruhiger Konferenzraum. Bis unsere ersten Gäste eintrafen, saßen mein Adoptivvater Ulrich und ich in der Bistro-Bar Franz Liszt. Und genossen den Blick auf die historische Fassade des Weimarer Marktes. Das herrliche Licht des Frühlingstages flutete über das Kopfsteinpflaster und die Touristen aus aller Welt, die meine Heimatstadt bewunderten. Der pensionierte Kripomann fuhr sich durch sein volles, weißes Haar und zündete sich seine Pfeife an. Mit seinen Sechsundsechzig Jahren war Ulrich immer noch sehr rüstig. Trotz seiner doppelten Behinderung. Mein Blick, der bisher über den Marktplatz geschweift hatte, fiel auf die Ledermanschette an seinem steifen Handgelenk. »Ich warte immer noch, Vater.« Ich nannte ihn Vater, denn ich liebte Ulrich und seine Lydia wie meine wahren Eltern, die ich ja nicht kannte. Ulrich schielte auf seine Armbanduhr. »Du bist ungeduldig, Mark. Dr. Paul Abaringo reist immerhin aus Johannesburg, Südafrika, an. Er hat in Berlin Anschluß nach Erfurt. Und kommt dann vom dortigen Flughafen per Taxi. Und die anderen Teilnehmer…« »Das meine ich nicht, Vater. Seit Wochen wolltest du mir erzählen, was damals geschehen ist. Vor neun Jahren, im Frühjahr 1990. Am Galgenberg. Als du so schwer verletzt wurdest.« Vater lachte hart und paffte an seiner Pfeife. »Als ich zum Krüppel gemacht wurde, meinst du? Ja, es stimmt, Mark. Obwohl meine Erinnerung an diese harte Zeit inzwischen sehr deutlich ist, habe ich immer wieder gezögert. Aber ich hatte dir ja versprochen, alles zu erzählen, nachdem du aus Münster
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zurückgekehrt warst (Siehe MH 44!). Und Versprechen soll man ja bekanntlich halten…« Ich beugte mich gespannt vor. Ulrich Hellmann nahm einen Schluck Kaffee. »Ich hatte dir schon gesagt, daß 1990 ein ganz besonderes Jahr gewesen ist. Die Sterne standen in einer Konstellation, die nur alle 699 Jahre vorkommt. Das gesamte Universum stand unter bedrohlichem Einfluß. Katastrophen bahnten sich an.« Ich nickte. »Und der Stern 666, Mephistos Planet, befand sich auf maximaler Erdannäherung. Dadurch hatten die Kräfte des Bösen besonders leichtes Spiel.« Ulrich nickte versonnen. »Gut aufgepaßt, mein Junge. Weißt du noch, was bei uns in Deutschland damals los war?« Ich lachte. »Natürlich, Vater. Das Jahr der Wirtschafts- und Währungsunion zwischen der BRD und der DDR. Im Herbst dann die Vereinigung der beiden Staaten. Und ich habe als junger Geschichtsstudent bei einem Sportfest eine meiner letzten sozialistischen Urkunden errungen. Bevor es die DDR nicht mehr gab.« »Du hattest dich beim Zehnkampf schwer verletzt«, ergänzte Ulrich düster. Dann begann er zu berichten, was fast ein Jahrzehnt lang in den Tiefen seiner Seele geschlummert hatte. Er wollte endlich reinen Tisch machen. Und das Verhängnis nahm seinen Lauf… * Vergangenheit; Weimar, Mai 1990. »Honecker-Schergen!« Uniformierte Volkspolizisten hatten den Einbrecher auf frischer Tat ertappt. Zu zweit schleiften sie ihn vor den Schreibtisch von Ulrich Hellmann auf der Polizei-Inspektion Weimar. Der ältere Kripomann bearbeitete die Einbruchserie, die seit einigen Wochen die Bürger der thüringischen Stadt verunsicherte. Der gefaßte Verbrecher zeigte allerdings keine Reue, sondern machte weiter mit seinen wüsten Beschimpfungen. Er war ein windiger Typ, große Schnauze und nichts dahinter. Ein Menschenschlag, den es in allen poltischen Systemen und Kulturen gibt. »Ihr von der Knüppelgarde habt bald gar nichts
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mehr zu sagen! Die Scheiß-DDR ist demnächst weg vom Fenster! Und ihr gleich mit!« Überraschend riß sich der junge Typ in der nachgemachten West-Jeans von seinen beiden Bewachern los. Fegte Papiere, das Telefon und Akten von Ulrich Hellmanns Schreibtisch. Seine Faust stieß nach dem schnurrbärtigen älteren Mann, der ungerührt auf seinem Drehstuhl hockte. Ulrich Hellmann zuckte nicht mit der Wimper. Er pendelte mit dem Oberkörper nur kurz zur Seite, packte das Gelenk des Rasenden und drückte einmal kräftig zu. Ohne aufzustehen, verdrehte er den Arm des Verhafteten. Da hatte sich auch einer der beiden uniformierten Kollegen wieder gefaßt. Es war ein noch sehr junger, baumlanger Polizist namens Peter Langenbach. Er packte den Einbrecher am Kragen und knallte ihn auf einen Holzstuhl wie einen Kartoffelsack. »Setzen, du Nase!« raunzte er. Und zu Ulrich Hellmann: »Alles in Ordnung, Genosse Oberleutnant?« Ulrich Hellmann nickte geistesabwesend und fuhr sich durch sein damals noch graumeliertes Haar. Er war froh, daß es noch beherzte Männer wie Peter, genannt Pit, Langenbach in der Truppe gab. Seit Anfang 1990 konnte man beobachten, wie die DDR Stück für Stück zerfiel. Die Übersiedlerwelle in die Bundesrepublik riß nicht ab. Die Botschaftsflüchtlinge von Prag hatten eine regelrechte Menschenlawine in Gang gesetzt, die nach Westen rollte. In der Sowjetunion hatte Präsident Gorbatschow den Übergang zur Marktwirtschaft bekanntgegeben. Erst vor wenigen Tagen hatte die Wirtschafts- und Währungsunion mit der BRD begonnen. Die Leute sprachen immer unverblümter über eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Und zwar unter dem Vorzeichen der Marktwirtschaft. Für jemanden mit sozialistischer Erziehung ein beinahe unvorstellbarer Gedanke. Bei vielen Kollegen in der Volkspolizei hatte das zu einer tiefen Verunsicherung geführt. Manche wußten nicht, was sie tun sollten. Und taten deshalb lieber gar nichts. Schauten weg, wenn ein Verbrechen begangen wurde. Mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte Ulrich Hellmann den gefaßten Einbrecher. Jens Pomenke, im Volkspolizei-Jargon ein »asoziales Element«. Ein kleiner Ganove, wie es sie auch in der DDR immer gegeben hatte. Nur daß sich so
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ein Typ durch die politischen Veränderungen plötzlich stark fühlte, das war neu. »Sparen Sie sich Ihre Sprüche!« stauchte der Kripomann daher den Verhafteten zusammen. »Wenn wir weg sind, werden hier andere Polizisten sitzen! Das, was Sie getan haben, ist nicht nur in der DDR strafbar, sondern auch drüben in Bonn, in Washington und auf Tonga! Auf frischer Tat, mit der Brechstange noch in der Hand - Mann, halten Sie uns für Idioten?« Jens Pomenke grinste zynisch und steckte sich eine »Club« ins Gesicht. Obwohl es inzwischen West-Zigaretten im Land gab, waren viele DDR-Bürger »ihrer« Marke treu geblieben. Das kapitalistische Kraut war ihnen einfach zu schlapp… »Sie können mich mal, Hellmann. Sie gehören längst auf den Schrotthaufen des Sozialismus!« Ulrich beschloß, sich nicht über den Schmalspurganoven aufzuregen. Trotzdem war es ein Witz, so zu tun, als wäre er der Kegelbruder von Erich Honecker. Gewiß, Ulrich war in der Partei. Sonst hätte er wohl kaum Kripomann werden können. Aber seine Aktivität für den Sozialismus hielt sich in Grenzen. Daß er in seinem Alter immer noch Oberleutnant war, sagte genug. Schon dreimal war er bei der Beförderung übergangen worden. Ulrich war das egal. Er liebte seine Arbeit, nicht den Dienstgrad. Und außerdem hatte er andere Sorgen. Seit er und seine Frau Lydia diesen namenlosen Jungen adoptiert hatten, war ein großes Geheimnis in ihr Leben getreten. Ein Geheimnis, das Ulrich Hellmann unbedingt lösen wollte. Der Zehnjährige war nackt gewesen, als die Volkspolizei ihn in der Weimarer Innenstadt aufgegriffen hatte. Er war völlig verwirrt, kannte weder seinen Namen noch seine Herkunft. Er trug nichts bei sich außer einem Siegelring, der mit einem Lederband um seinen Hals befestigt war. Auf diesem Kleinod prangten die stilisierten Buchstaben M und N. Außerdem ein Drache, der die beiden Buchstaben umschlang. Die Initialen M und N hatten das kinderlose Ehepaar angeregt, den Jungen Markus Nikolaus zu nennen. Durch die liebevolle Pflege seiner Adoptivmutter wurde das Kind, das alle nur »Mark« riefen, bald ein prachtvoller Junge. Er kam in der Schule gut mit und entwickelte sich zu einem begeisterten Sportler. Ulrich aber begann Stück für Stück, Nachforschungen über die Herkunft
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seines Sohnes anzustellen. Und was er da zutage förderte, ließ sein wirklichkeitsbetontes Weltbild immer mehr bröckeln… Der Kripomann riß sich von seinen privaten Gedanken los. Er wollte endlich diese Einbruchsgeschichte vom Tisch haben. Langenbach stand hinter dem Verbrecher wie ein Zinnsoldat. Pits Talente werden im Streifendienst verschwendet, sagte sich Ulrich Hellmann. Er nahm sich vor, wieder einmal die Versetzung des jungen Langenbach zur Kriminalabteilung zu beantragen. Vielleicht würde der Major ja diesmal zustimmen… Ulrich Hellmann griff zu seinem Notizblock. »Also, Pomenke. Machen wir es kurz und schmerzlos. Wer ist Ihr Hehler?« Der Ganove blies dem Kripomann eine Ladung »Club«Tabakqualm entgegen. »Keine Ahnung, was Sie meinen, Hellmann.« »Dann noch mal zum Mitschreiben. Bei Ihnen wurden einhundertvierundzwanzig Armbanduhren sichergestellt. Aus dem Einbruch in der PGH (Produktionsgenossenschaft des Handwerks) Weimarer Klassik. Wollen Sie mir vielleicht erzählen, daß Sie die für sich selber geklaut haben? Im Rahmen eines großen Zeitvergleichs?« »Klar, Hellmann! Damit ich immer auf der Höhe der Zeit bin. Im Gegensatz zu euch Honecker-Bütteln…« Der Regierungschef der DDR hieß zwar seit kurzem Lothar de Maiziere, aber auf solche Feinheiten kam es Jens Pomenke offenbar nicht an. Ulrich Hellmann seufzte innerlich. Ein schnelles Geständnis - das wäre wohl zuviel des Guten gewesen. Er stellte sich auf eine lange Nacht ein. In diesem Moment klingelte das Telefon. Es hatte durch den Sturz vom Schreibtisch keinen Schaden erlitten. »Oberleutnant Hellmann!« »Hier ist Lydia, Schatz! Du mußt sofort nach Hause kommen. Es ist wegen Mark!« »Was ist passiert?« Ulrich fühlte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte. »Er hatte sich erst so gut erholt von dem Sportunfall!« jammerte Lydia. »Aber jetzt… Mark dreht durch, Ulrich! Ich glaube, er ist verrückt geworden!« »Ich komme sofort!« Erschüttert knallte der Kripomann den Hörer auf die Gabel. Die Nachricht hatte ihn tief aufgewühlt. Aber das war noch nicht alles. 9
Plötzlich schien hinter dem Kopf des stumpf dreinglotzenden Jens Pomenke eine dreieckige Teufelsfratze aus der Wand zu wachsen! Mit übermenschlicher Anstrengung schaffte es Ulrich Hellmann, ruhig zu bleiben. »Ich muß noch mal weg. Genosse Langenbach, schaffen Sie den Verdächtigen in die Arrestzelle!« Pit bemerkte, daß sein Vorgesetzter einige Patronen aus der Schreibtischschublade zog, die silberfarben glänzten, vielleicht sogar aus Silber bestanden. Außerdem steckte er ein Pentagramm aus Metall ein. Das kam dem jungen Volkspolizisten ziemlich merkwürdig vor. Aber er hatte genug Vertrauen in Ulrich Hellmann, um den Mund zu halten. Bevor Pomenke protestieren konnte, hatte Vater die Bürotür hinter sich zugeknallt. Er jagte die Treppe hinunter und warf sich hinter das Steuer seines neutralen Dienst-Wartburg, der im Hof der Inspektion stand. Der Zweitakter knatterte los. Mephistos Hohngelächter folgte ihm… * Mit glühenden Drähten wurden mir die Gedärme aus dem Leib gerissen! Ich wälzte mich auf dem Bett hin und her. Doch plötzlich schien die Matratze unter mir aus glühender Lava zu bestehen. Ein Entsetzensschrei drang aus meiner breiten Brust. Ich, Mark Hellmann, war 1990 ein junger Student mit viel Spaß am Zehnkampf und an heißen Flirts mit schönen Frauen. Mit meiner Freundin Tessa war ich damals noch nicht zusammen. Von meiner Berufung als Kämpfer des Rings ahnte ich noch nichts. Meine Herkunft war natürlich ein großes Geheimnis. Aber wenn ich ehrlich war, machte ich mir meist darüber keine großen Gedanken. Manchmal träumte ich zwar schlecht. Doch ansonsten blickte ich optimistisch in die Zukunft. Ich liebte Ulrich und Lydia, hatte gute Freunde und als Student der Geschichte und Völkerkunde eine vielversprechende Zukunft vor mir. Von der parallelen Sportlerkarriere ganz zu schweigen… Doch dann war dieser Unfall gekommen, bei dem ich unglücklich gestürzt war. Beim Stabhochsprung hatte es mich erwischt. Schon in der Jenaer Universitätsklinik hatten mich quälende Visionen heimgesucht. Blut, das aus der Dusche zu schießen schien. Lampenschirme, die sich in Teufelsfratzen 10
verwandelten. Schränke, die zu menschenfressenden Monstern wurden. Die Ärzte hatten mir geraten, mich nach der Entlassung noch eine Zeitlang von meinen Eltern pflegen zu lassen. Und da lag ich nun auf meinem schmalen Jugendzimmerbett. Über mir die Wimpel und Urkunden von unzähligen Sportwettkämpfen in der DDR und den damals sogenannten »sozialistischen Bruderstaaten«. Und bildete mir ein, in einem glühenden Lavameer zu versinken! »Mark…?« Mutter Lydia riß die Tür auf. Sie mußte mein Gebrüll gehört haben. Zum Glück war sie schon vor einer halben Stunde von der Arbeit nach Hause gekommen. Ich weiß nicht, was damals mit mir passiert wäre, wenn ich allein im Haus gewesen wäre. Vielleicht hätte Mephisto dann noch leichteres Spiel gehabt… Die Wände meines Zimmers schienen sich nun in lebende Flammenzungen zu verwandeln, die nach mir leckten. Schützend riß ich die Unterarme vor mein Gesicht, um den Anblick nicht ertragen zu müssen. Ich war völlig von der Rolle. Und dann war da plötzlich diese Stimme in meinem Inneren. Ein durch und durch böses Flüstern von hypnotischer Wirkung. »Stehe auf und gehe, Mark Hellmann. Du wirst erwartet. Am Galgenberg…« Zuerst sträubte sich meine Seele gegen die Beeinflussung. Aber ich war damals noch völlig unerfahren im Kampf gegen das Böse. Und so dauerte es nur Minuten, bis mich die teuflische Stimme in ihren Bann gezogen hatte. Inzwischen war Lydia natürlich nicht untätig geblieben. Sie kam mit einem Eisbeutel, den sie mir auf die Stirn legte. Für Mutter waren die Lava, die Flammenzungen und die anderen satanischen Illusionen nicht sichtbar. Sie bemerkte nur, daß sich ihr Sohn wie ein Irrer aufführte. Und das war schlimm genug. »Du hast Fieber, Mark! Leg dich doch wieder hin, Junge…« Vorsichtig senkte sie den Eisbeutel auf meine schweißnasse Stirn. Es zischte, als ob man Wasser auf eine glühende Herdplatte schütten würde. Die Eiswürfel schmolzen im Handumdrehen! Lydia schlug die Hand vor den Mund. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Doch es wurde noch schlimmer. Ich wollte partout aufstehen. Und das Haus verlassen, obwohl ich im Schlafanzug war. Mutter versuchte, mich zurückzuhalten. Aber ich war groß und stark und 11
schob sie einfach zur Seite. Ich war in Trance. Wußte nicht mehr, was ich tat. Lydia handelte genau richtig. Sie rief Vater auf der PolizeiInspektion an. Und schloß mich einfach in meinem Zimmer ein. Leider war ich so außer mir, daß ich einfach die Tür zertrümmerte. Mutter hatte gerade das Telefonat beendet. Und sah mich die Treppe hinuntersteigen wie einen Zombie. Da kam ihr ein rettender Einfall. Natürlich hatte sie mit Ulrich schon oft über meine rätselhafte Herkunft spekuliert. Vater war der Meinung, daß es etwas mit übersinnlichen Dingen zu tun haben müßte. Darüber gab es in der DDR kaum Informationen. Nach der Lehre des Sozialismus existierten keine Geister und Teufel. Außer dem Kapitalismus natürlich. Und den hatte man ja durch die Mauer ausgesperrt… Doch Lydia handelte nun mit der Stimme ihres Herzens. Sie holte ein altes Kreuz aus der Kommode, das sie von ihrer Großmutter geerbt hatte. Hielt es mir vor die Nase, als ich auf die Haustür zusteuerte. Es funktionierte! Der Anblick des Heilands schwächte die Dämonen, die von mir Besitz ergriffen hatten. Wieder hob ich die Hände vor das Gesicht. Das Kreuz erfüllte mich in dieser Nacht mit Widerwillen. Ich konnte nicht an ihm vorbeikommen. Das war der Moment, in dem Vater eintraf. Ich stand am unteren Treppenende, Mutter drei Schritte vor mir. Sie hielt mich mit dem Kruzifix in Schach. »Ulrich! Gottseidank, daß du da bist!« Vater machte keine großen Worte, sondern handelte sofort. In diesen Minuten fiel alles von ihm ab, was er bisher gelernt hatte. Er war nicht mehr der Polizist, der sich an die Wirklichkeit zu halten hat. Er war auch nicht der SED-Beitragszahler, für den Magie ein Aberglaube aus vorsozialistischer Vergangenheit war. Er war nur noch ein Vater, der seinen Sohn vor den Kräften des Bösen retten wollte. Nun kam es Ulrich Hellmann zugute, daß er schon seit Jahren in seiner knappen Freizeit alles über Okkultismus las. Natürlich wurden in der DDR keine Bücher zu dem Thema herausgegeben. Aber der findige Polizist hatte einen uralten Antiquar aufgetrieben, der einige dicke Magie-Schwarten aus dem 19. Jahrhundert in seinem »Geheimarchiv« hatte. Aus ihnen hatte der
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Kripo-Oberleutnant einiges über Exorzismus gelernt. Und das wendete er nun an. Denn ihm war klar, daß Mark von Dämonen besessen sein mußte… »Zur Seite, Lydia!« rief Vater. Er zog das Pentagramm aus der Jackentasche. Mein Mund öffnete sich. Etwas brachte meine Stimmbänder zum Vibrieren. Aber es war nicht ich, der da mit meiner Zunge sprach. »Fahr zur Hölle, alter Idiot! Du bist nichts als Abschaum«, ätzte die Stimme, die nicht die meine war. Grollend, unheimlich »Ich will zum Galgenberg! Ich werde ihn endlich treffen!« Lydia zitterte am ganzen Leib. Auch sie mußte gespürt haben, daß etwas von mir Besitz ergriffen hatte. Sie bemerkte das rote Funkeln des Hasses in meinen Pupillen. Ulrich kniff die Augen zusammen. Er begann mit dem Exorzismus, als ob er nie etwas anderes getan hätte. Der Glaube gab ihm die innere Kraft. Gemeinsam mit Mutter fesselte er mich an einen Sessel. Vater verlas die Schlüssel Salomonis. Mit diesen uralten weißmagischen Formeln lassen sich Dämonen bannen. »XYWOLEH VAY BAREC HET VAY YOMAR!« brüllte Ulrich. Eine haßverzerrte Teufelsfratze tauchte plötzlich mitten im Raum auf. Ein heißer Wind wie von einem Sandstrahlgebläse zerrte an dem Jackett und der Hose des Kripomannes. Doch er kniff die Augen weiter zusammen und sagte noch immer mit fester Stimme seine Bannsprüche auf. Natürlich blieb die Besessenheit bei mir nicht folgenlos. Die Dämonen der Hölle wüteten in meinem Inneren. Jetzt nur noch um so mehr, denn nun prallten sie durch Ulrichs Exorzismus auf Widerstand. Und das fachte ihren Haß nur noch weiter an. Ich krümmte mich vor Schmerzen. Stürzte zusammen mit dem Sessel um. Nun war mir die Lust vergangen, mitten in der Nacht zum Galgenberg gehen zu wollen. Energiestürme schienen durch die Diele zu toben, während der Kampf zwischen Gut und Böse hin und her wogte. Vater stand wie ein Turm in der Schlacht. Er verlas weiter die Bannformeln aus dem uralten Zauberbuch. Die Bilder an den Wänden zersprangen. Möbel kippten um, als ob ein Hurrikan durch das Haus stürmen würde. Aber nach einer unendlich erscheinenden Weile war es vorbei. Ich war mehr tot als lebendig. Ulrich trat zu mir und spielte 13
seinen letzten Trumpf aus. Er holte eine Phiole mit Weihwasser aus der Tasche und besprengte mich dreimal damit. Danach muß ich in einen tiefen, erholsamen Schlaf gefallen sein. Vater kniete nieder und strich mir die blonden Haare aus der schweißnassen Stirn. Dann richtete er den Sessel auf, an den ich immer noch gefesselt war. »Er schläft jetzt«, sagte er zu Mutter. »Die Dämonen haben ihn verlassen. Lydia. Für den Moment.« »Für den Moment?« Seine Frau war völlig aus dem Häuschen. »Was heißt das? Sind wir denn alle verrückt geworden? Das, was geschehen ist, kann es doch nicht geben, Ulrich? Oder?« Stärker als ihr Mann war Lydia vom Sozialismus überzeugt. Sie hielt alle religiösen und mystischen Dinge für Ramsch aus der Vergangenheit, von dem sich die Menschheit befreien mußte wie von Ketten. Doch in dieser Nacht sollte sie ihre Einstellung gründlich ändern… »Leider doch, Schatz. Erinnere dich an all die ungeheuren Dinge, die ich in den alten Büchern gelesen habe. Heute nacht ist die Entscheidung nahe. Es geht um das Leben unseres Sohnes. Sie wollen, daß er zum Galgenberg kommt.« »Nein!« Mutter schlang ihre Arme um meinen Oberkörper. »Das lassen wir nicht zu, Ulrich! Wer immer sie sein mögen, das erlauben wir nicht!« »Nein, das erlauben wir nicht«, wiederholte Vater mit fester Stimme. »Und darum werde ich an Marks Stelle gehen!« Lydia schlug die Hände vor den Mund. Bevor sie protestieren konnte, hatte Vater sich erhoben. »Es ist der einzige Weg, Schatz. Wenn ich nicht gehe, werden wir keine Ruhe mehr finden. Mark ist zu jung. Er kann nicht gegen diese Bestien kämpfen. Ihm fehlt noch das Wissen, das ich mir angeeignet habe. Ich habe wenigstens eine kleine Chance.« Ulrich Hellmann küßte seine Frau. Dann ging er hinaus zu seinem Dienst-Wartburg, den er auf der Straße vor dem Haus geparkt hatte. Mit nichts bei sich außer dem Pentagramm. Und einem Revolver, der mit geweihten Silberkugeln geladen war. Startete das Auto. So gerüstet fuhr er hinaus zum Galgenberg. *
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Gegenwart. Vater verstummte und nahm einen großen Schluck Mineralwasser. Die Erinnerung an die dramatischen Ereignisse schien ihn doch mehr mitzunehmen, als ich befürchtet hatte. Schon tat es mir leid, daß ich so neugierig gewesen war. Aber ich mußte einfach wissen, was damals wirklich geschehen war. Ich hatte eine Vorahnung, daß diese Ereignisse für mein weiteres Leben entscheidend sein würden. Im Hintergrund ertönte inzwischen leise Pianomusik. Die entspannte Atmosphäre in der Bistro-Bar Franz Liszt schien es für Ulrich leichter zu machen, mit seiner Geschichte fortzufahren. Doch bevor es soweit war, traf plötzlich Rudi Oertzner ein. Wir erhoben uns und begrüßten ihn. Ich hatte den Vertriebsleiter einer Zeitung erstmals bei einer Zeitreise in die DDR des Jahres 1975 kennengelernt (Siehe MH 9!) und mit ihm zusammen gegen die Mächte der Finsternis gekämpft. Seit wir uns in der Gegenwart wiedergesehen hatten, gehörte auch der kräftige Mann um die Fünfzig zum eingeschworenen Kreis der LIGA. »Tolles Hotel!« meinte Rudi mit einem anerkennenden Rundblick, nachdem er Ulrichs und meine Hand geschüttelt hatte. »Ganz Weimar hat sich herausgeputzt, das muß der Neid euch lassen!« »Für unsere LIGA-Freunde ist das Beste eben gerade gut genug.« Der Eisenacher schlug mir auf die Schulter und setzte sich zu uns. Bestellte sich einen Kaffee. Er würde auch im »Elephant« übernachten. Eingecheckt hatte er bereits. Nachdem Rudi Oertzner getränkemäßig versorgt war, fuhr Ulrich mit seiner Erzählung fort. Vor unserem Kampfgefährten hatte er keine Geheimnisse. * Vergangenheit. In Ulrichs Innerem herrschte wilder Aufruhr, während er seinen Wartburg in die nächtliche Einsamkeit des Galgenberges lenkte. Schon seit längerer Zeit hatte er geahnt, daß diese Stunde kommen würde. 15
Alles hing mit der ungeklärten Herkunft seines geliebten Adoptivsohnes Mark zusammen. Der Kripomann hatte sich in die Weimarer Stadtgeschichte hineingekniet. Und war auf eine alte Prophezeiung gestoßen. Ein Sohn der Stadt sollte demnach auserwählt sein, sich ein Leben lang dem Kampf gegen die Mächte der Finsternis zu widmen. Ulrichs Verdacht wurde immer stärker, daß eben dieser Kämpfer kein anderer als sein Sohn Mark sein würde. Aber wie konnte sich ein Sterblicher gegen die Dämonen wappnen? Ob da der geheimnisvolle Siegelring eine Rolle spielte, den der Junge an einem Band um den Hals getragen hatte? Während Ulrich noch über diese Frage nachgrübelte, sprang plötzlich eine grauenvolle Kreatur auf die Fahrbahn! Das Wesen bestand nur aus einem faßförmigen verwarzten Körper mit Augen an den oberen Seiten. Einen Kopf hatte es nicht, dafür aber lange, mit Krallen bewehrte Vorder- und Hinterbeine. Und es stank wie die Pest. Obwohl der Kripobeamte nicht mehr der Jüngste war, verfügte er über gute Reaktionen. Sein Fuß stand auf der Bremse. Der Wartburg brach seitwärts aus. Das Auto rammte den Höllenbastard mit dem linken Heck. Das Monster ließ sich dadurch allerdings nicht beeindrucken. Es hackte seine Krallen in das Blech des Dachs. Ulrich konnte gerade noch den Kopf einziehen, um nicht von den messerscharfen Extremitäten erwischt zu werden. Er löste den Sicherheitsgurt und rollte sich über den Beifahrersitz ab. Stieß die Wagentür auf. Gleichzeitig packte er den Revolver fester. Wenn Silberkugeln gegen diese Ausgeburt der Finsternis nichts halfen, konnte er jetzt sein Testament machen. Das Alptraumwesen sprang auf das Dach des Wartburg, der protestierend in die Knie ging. Die Stoßdämpfer ächzten. Das Monster vibrierte. Ganz deutlich spürte Vater die Ausstrahlung von abgrundtiefer Schlechtigkeit, die von diesem Wesen ausging. Es war das erste Mal in seinem Leben, daß er es mit einem solchen Gegner zu tun hatte. Als Volkspolizist hatte Ulrich Hellmann Einbrechern, Schlägern und sogar Mördern gegenübergestanden. Aber das hier war das wahre Grauen.
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Trotzdem ließ sich der Oberleutnant nicht beirren. Er nahm seine Dienstwaffe in den Beidhandanschlag und drückte ab. Eine geweihte Silberkugel jagte mitten in den oberen Teil der Bestie. Die Kreatur bäumte sich auf. Ein Funkenregen in allen Spektralfarben strömte in einem weiten Bogen aus dem Einschußkanal. Mit allen Gliedmaßen rudernd stürzte das Monster vom Autodach ab. Im Handumdrehen verging es. Verwandelte sich in eine stinkende, tote Masse auf der schlecht befestigten Fahrstraße. Mit einer Mischung aus Ekel und Erleichterung betrachtete Ulrich das Biest. Ekel, weil dieser Anblick einem wirklich den Magen umdrehen konnte. Und Erleichterung, weil seine Silberkugeln ihre Feuertaufe bestanden hatten. Es war das erste Mal in seinem Leben, daß er eine weißmagische Waffe eingesetzt hatte. Bisher war immer noch ein letzter Zweifel in seinem Hinterkopf gewesen. Die Überreste eines ganzen Lebens in der DDR, einem Staat, der von Wundern nichts hielt. Außer bei der Planerfüllung… Nun aber hatte Vater mit eigenen Augen gesehen, wozu die Hölle fähig war. Aber auch, daß es wirksame Mittel zu ihrer Bekämpfung gab… Er beschloß, den Rest des Weges zu Fuß zurückzulegen. Eine innere Stimme sagte ihm, daß er so flexibler war als hinter dem Steuer eines Wagens. Ulrich Hellmann ahnte nicht, welches Grauen ihm noch bevorstand… * Vater befand sich am Südwesthang des Großen Etterbergs, zwischen der Teufelskrippe und dem Galgenberg. Fast ein Jahrzehnt später würden hier drei junge Leute den Teufel beschwören. Und dadurch die Schreckenstage von Weimar heraufbeschwören (Siehe MH 1!). Davon ahnte Ulrich Hellmann in dieser Nacht allerdings nichts. Er konnte sich als erfahrener Kripomann auch in der Dunkelheit orientieren. Hinter ihm blinkten fern die Lichter von Weimar. Er befand sich jenseits des Stadtrandes, mitten in einer immer feindlicher erscheinenden Natur.
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Es war, als ob das Böse von seiner gesamten Umgebung Besitz ergriffen hätte. Der Oberleutnant packte seine Dienstwaffe fester. Sie und das Pentagramm waren die einzigen Mittel, die er der Hölle entgegensetzen konnte. Plötzlich ertönte ein höhnisches Lachen. Es war nicht einfach nur ein Lachen. Eher ein Sturm aus Spott, Gemeinheit und Verachtung, den man körperlich spüren konnte. Das Lachen riß an Ulrich Hellmanns Kleidern. Es hätte ihn fast von den Beinen gefegt. Und dann erblickte er den, der sich in der Stille des Galgenberges so lautstark amüsierte. Es war der Leibhaftige. Vater kannte den Teufel von unzähligen künstlerischen Darstellungen. Vor allem im Mittelalter hatten die Maler ihn mit seinen bekannten Attributen Bocksfuß, Dreizack und Hörnern versehen. Aber Ulrich wußte natürlich auch, daß der Höllenfürst jede beliebige Gestalt annehmen konnte. So wie in dieser Nacht. Gehüllt in eine Aura aus blutrotem Licht kam er zwischen einigen Blautannen hervor. Drei Meter groß und furchterregend. An seiner abgrundtiefen Bosheit änderte auch seine elegante Erscheinung nichts. Der Leibhaftige trat als ein eleganter Herr aus dem vorigen Jahrhundert auf. Mit Frack und Umhang, engen Hosen und Zugstiefeln, hohem Stehkragen und Zylinder. Sogar ein Spazierstock fehlte nicht. Allerdings waren unter dem Rand des hohen Hutes die Bockshörner deutlich zu erkennen. Das Gesicht war dreieckig und von einem roten Bart umrahmt. Die gelben Augen funkelten heimtückisch. »Mephisto ist mein Name, Genosse Oberleutnant Ulrich Hellmann. Du bist so dumm, daß ich dich beinahe schon dafür bewundern muß.« Vater biß die Zähne zusammen. Plötzlich und unerwartet flog sein Arm hoch. Der Zeigefinger krümmte sich um den Stecher. Und eine gutgezielte Kugel krachte ohne jede Vorwarnung in die Stirn des drei Meter großen Höllenbewohners. Mephistos Lachen war diesmal noch lauter als vorher. Die weißmagische Kugel hatte bei ihm keine sichtbare Wirkung hinterlassen. Mit einer lässigen Bewegung wies er mit seinem rechten Zeigefinger auf Ulrich. Ein kleiner Blitz schoß aus dem Glied hervor. Der Oberleutnant wurde fünf Meter weit rückwärts 18
geschleudert, während ein Stromstoß seinen Körper durchpulste. Geschockt blieb Vater liegen. Er war für einen Moment unfähig, sich zu rühren. Befürchtete schon, völlig gelähmt zu sein. »Du bist wirklich dumm, Ulrich Hellmann.« Mephisto spazierte vor ihm her zwischen den Tannen durch, als ob er auf einem Sonntagsausflug wäre. Aber dazu paßte der drohende Unterton in seiner satanischen Stimme überhaupt nicht. »Warum bist du nicht zu Hause und schaust dir die 'Aktuelle Kamera' an? Das ist besser für die Nerven. Ich wollte nur Mark. Statt dessen tauchst du hier auf, alter Narr.« »Du kriegst meinen Sohn nicht, Höllenbestie!« Ulrich stieß den Satz hervor. In seinem Inneren hatte die Wut die Oberhand über die Angst gewonnen. Er würde sich diesem Teufel stellen, auch wenn es ihn das Leben kosten sollte. Mephisto schien in seinen Gedanken lesen zu können wie in einem offenen Buch. Nun stahl sich beinahe so etwas wie Bedauern in das Mienenspiel des Höllenfürsten. Wenn er zu solchen Gefühlen fähig gewesen wäre. Und das war er natürlich nicht. »Du hast doch so fleißig die alten Schwarten studiert, Ulrich Hellmann. Und trotzdem weißt du immer noch nicht, worum es hier geht. Stimmt's?« »Ich weiß nur, daß du meinen Sohn in Ruhe lassen sollst!« Inzwischen hatte sich Vater wieder vom Waldboden aufgerappelt. Er wollte erneut auf Mephisto anlegen. Doch der schüttelte mißbilligend den dreieckigen Kopf. »Ich bin gegen diesen Hokuspokus immun, mein armer Vopo-Oberleutnant. Ein Mega-Dämon wie ich ist einfach zu mächtig. Hör mir lieber zu, was ich zu sagen habe. Denn in dieser Nacht geht es wirklich um deinen geliebten Sohn Markus Nikolaus Hellmann. Der ja gar nicht dein Sohn ist«, fügte er tückisch hinzu. »Ich liebe ihn wie mein eigen Fleisch und Blut«, brummte Ulrich. »Mir kommen die Tränen«, kommentierte der Höllenfürst zynisch. »Mark ist jedenfalls zu Höherem berufen. Ich habe große Pläne mit ihm. Dieses Geschichtsstudium und der Zehnkampf sind doch Kinkerlitzchen. Dein sogenannter Sohn wird zum Herrn einer ganzen Stadt. Zum Herrn von - Babylon!« Babylon. Der Name hallte durch den einsamen nächtlichen Thüringer Wald. Ulrich stutzte. Was er über Babylon wußte, war wenig 19
genug. Diese Metropole der Antike war einst die Hauptstadt des südlichen Mesopotamiens gewesen. Die hängenden Gärten von Babylon hatten zu den sieben Weltwundern der Antike gehört. Auf Hebräisch hieß die Stadt Babel, auf Arabisch Atlal Babil. Aber Babylon galt auch als die Stadt des Bösen, der Sünde und der Verderbnis. Sie war durch die Mächte des Himmels vom Erdboden gefegt worden. So stand es im Buch der Bücher. Das war damals sogar dem überhaupt nicht bibelfesten Ulrich Hellmann bekannt. »Was redest du für Unsinn?« sagte er daher. »Gott hat Babylon zerstört!« Mephisto duckte sich, als hätte er einen Tritt erhalten. Er schätzte es nicht, mit der Wahrheit konfrontiert zu werden. Vor allem, wenn es die Wahrheit über eine seiner Niederlagen war. »Und wenn schon! Das ist lange her. Und ich kann warten, alter Narr! Wenn Babylon einmal zerstört wurde - wen juckt es? Ich werde hier, in Weimar, mein neues Babylon errichten. Und Mark Hellmann wird mein Statthalter werden, mein Vertreter. Der Junge heißt ja übrigens gar nicht Mark Hellmann. Sein wahrer Name ist…« »Ich will es nicht hören!« Mit übermenschlicher Anstrengung brüllte Ulrich los und hielt sich die Ohren zu. Deshalb verstand er auch das nicht, was Mephisto sagte. Der Höllenfürst grinste sadistisch. Er erfreute sich an den Qualen, die er dem älteren Mann bereitete. »Mit deinem läppischen Exorzismus hast du nur einen Aufschub für deinen sauberen Sohn erwirkt, Ulrich Hellmann. Glaubst du wirklich, es ist ein Zufall, daß ausgerechnet du und deine Alte den Bengel adoptiert habt?« Vater war wie vom Donner gerührt. Er hatte sich noch nie Gedanken darübergemacht, warum ausgerechnet er und Lydia… Sie waren kinderlos geblieben und hatten sich immer Nachwuchs gewünscht. Und dann war plötzlich dieser hilflose Zehnjährigen ihr Leben getreten, der spontan wie ein Sohn für sie gewesen war. Sollte das alles ein Teil eines teuflischen Plans…? Ulrich fühlte, wie seine Augen feucht wurden. Er biß die Zähne zusammen. Diesen Triumph wollte er dem Höllenfürst nicht gönnen. Mephisto schlug sich auf die Schenkel vor Lachen. »Du solltest deine Visage sehen, alter Mann! Wirklich zu komisch! Ja, es ist wahr. Ich habe dafür gesorgt, daß du damals Dienst hattest, als 20
dein Mark in der Altstadt gefunden wurde. Auch die Dienstpläne der Volkspolizei sind vor mir nicht sicher!« »Du lügst!« »Denk mal nach, Ulrich Hellmann! Was war damals los? Wieso hast du Dienst geschoben, als der nackte Bengel gefunden wurde?« Tief erschüttert wurde Vater klar, daß Mephisto recht hatte. Normalerweise wäre er in jener Nacht dienstfrei gewesen. Er hatte überraschend den Oberleutnant Kirchner vertreten müssen. Ein kerngesunder Mann, der plötzlich einen Blinddarmdurchbruch erlitten hatte. Sein erster Krankheitstag in neunzehn Jahren bei der Volkspolizei. Konnte man da von Zufall sprechen? »Du Satan!« brüllte Vater in ohnmächtigem Zorn. »Was willst du von mir und meiner Familie?« »Ich bin Satan, ganz recht. Und was ich von dir will? Gar nichts, Ulrich Hellmann. Leider konnte ich damals nicht verhindern, daß Mark gefunden wurde. Aber von wem er adoptiert werden würde, daran habe ich schon gedreht, hehehe…« »Aber warum? Warum?« »Weil mein Keim, der Keim des Bösen, auch in dir steckt, mein lieber Ulrich!« Mit seiner rechten Teufelsklaue zeigte der Mega-Dämon auf Vater. »Ich glaube dir kein Wort, du Höllenbestie!« »Damit habe ich schon gerechnet.« Mephisto hob seine gezackten Augenbrauen und machte eine beschwörende Bewegung. Murmelte ein paar Worte, die Ulrich Hellmann nicht verstehen konnte. Gleich darauf erschien neben der drei Meter hohen Teufelsgestalt ein gedrungener, gemein dreinblickender Mensch. Er trug altmodische Kleidung aus ferner Vergangenheit. Und hatte eine Keule geschultert. Ulrich Hellmanns Mund war schlagartig staubtrocken. Dieser Kerl dort neben Mephisto hatte eine entfernte Ähnlichkeit mit ihm, dem Oberleutnant. Ein furchtbarer Verdacht keimte in ihm auf. Ein Verdacht, der gleich darauf zur Gewißheit wurde. »Begrüße deinen Ahnherrn, Ulrich Hellmann! Begrüße Balthasar Höllemann - deinen Vorfahren und meinen treuen Diener!«
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* Gegenwart. »Das ist ja 'n Ding!« stieß Rudi Oertzner hervor. Der schwere Mann hatte Vaters Erzählung vornübergebeugt und mit offenem Mund zugehört. Wie ein Kind im Kasperletheater. Ich selbst war nicht minder gespannt. Schließlich ging es ja um mich. Ich der Herr eines Neuen Babylon? Einer Stadt des Bösen? Ein unvorstellbarer Gedanke. Doch Mephisto war alles zuzutrauen. Das wußte ich aus inzwischen leidvoller Erfahrung. Vaters Pfeife war inzwischen leergeraucht. Er klopfte die Asche in einem großen Aschenbecher aus. Sein Gesicht war angespannt. Er sah müde aus. »Mephisto ist auch als der Vater der Lügen bekannt«, brachte ich hervor. Aber man hörte mir wohl an, wie wenig Überzeugung ich für meine eigenen Worte aufbringen konnte. Ulrich lächelte sanft. »In einer Hinsicht hat er jedenfalls nicht geschwindelt, Mark. Dieser Balthasar Höllemann ist wirklich ein Vorfahre von mir. Ich habe später unzählige alte Thüringer Taufregister und die Weimarer Stadtchronik gewälzt. Dadurch konnte ich dann meinen eigenen Stammbaum zeichnen. Balthasar Höllemann hat hier im 11. Jahrhundert gelebt. Ich bin sein direkter Nachfahre. Der Name Höllemann hat sich allerdings im Laufe der Jahrhunderte zu Hellmann zurechtgeschliffen. Wenigstens etwas.« Er schnaubte selbstironisch. »Und dieser Höllemann… War er…?« »Ja, er war ein Teufelsdiener, Mark. Ein wirklich durch und durch schlechter Mensch. Hauptberuflich arbeitete er als Henkersknecht. Genau die richtige Aufgabe für einen Gewaltmenschen wie Balthasar Höllemann.« »Stand in den Chroniken, daß er so brutal war?« wollte Rudi Oertzner wissen. »Da auch. Aber ich habe es bald darauf am eigenen Leib zu spüren bekommen. Denn Mephisto hat ihn auf mich gehetzt. Mit dem Befehl, mich zu töten.« *
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Balthasar Höllemann war fast so breit wie hoch. Und er schien ausschließlich aus Muskeln zu bestehen. Den Kopf hatte er stets zwischen die Schultern gezogen, was ihm ein leicht verwachsenes Aussehen verlieh. Aber das war ein fast tödlicher Irrtum. Höllemann war in keiner Weise behindert, sondern strotzte nur so vor böser Kraft. Sein Oberkörper war in ein Wams aus geflicktem Wildleder gehüllt. Die Beine steckten in groben Leinenhosen. Er war barfuß. Um die Körpermitte hatte er einen Strick geschlungen, in dem ein Messer steckte. Aus seinen kleinen Augen starrte er seinen Nachfahren Ulrich Hellmann lauernd an. Mephistos Stimme klang nun fast gelangweilt. »So, Oberleutnant Hellmann. Ich habe dir jetzt genug erzählt. Nun will ich auch einmal sehen, was du so kannst. - Balthasar, schlag ihn tot!« Geifernd stürzte sich der Henkersknecht auf den Polizisten. Zum Glück hatte Ulrich schon den »Elektroschock« durch Mephistos Blitzschlag halbwegs verdaut. Außerdem hatte er in seinen langen Berufsjahren bei der Volkspolizei gegen unzählige Schläger seinen Mann stehen müssen. Nur mit bloßen Händen oder einem Gummiknüppel bewaffnet. Aber keiner dieser Gegner war ein schwarzmagisches Monstrum gewesen! Ein weiterer Nachteil für Vater war der Gefühlswirrwarr, in dem er sich befand. Ruhte der Keim des Bösen wirklich auch in seinem eigenen Inneren? War er Mephisto und dieser Kreatur dort vor sich näher, als er wahrhaben wollte? Nein, das konnte und durfte nicht sein! Ulrich zielte und drückte ab. Die Kugel verfehlte Balthasar Höllemann. Trotz seines gedrungenen Körpers war der Teufelsknecht verdammt wendig. Das bekam Ulrich im nächsten Moment schmerzhaft zu spüren. Denn nun war Mephistos Diener auf Schlagweite an ihn herangekommen. Die Keule sauste nieder! Im letzten Moment konnte Vater ausweichen. Doch der Satansdiener streifte noch den Arm des Oberleutnants mit seinem klobigen Schlaginstrument. Ulrich rang nach Atem. Dieser Balthasar Höllemann war gemeingefährlich! Ulrich Hellmann legte auf ihn an. Doch obwohl es zu Lebzeiten des Henkersgehilfen keine Revolver gegeben hatte, spürte 23
Mephistos Handlanger instinktiv die tödliche Gefahr, die von Ulrichs Dienstwaffe ausging. Als Vater feuerte, schlug Balthasar ihm mit der Keule auf den Unterarm. Das weißmagische Geschoß prallte gegen den felsigen Waldboden und jaulte als Querschläger davon. Und dann gab es für den Henkersknecht kein Halten mehr. Mit beiden Pranken umfaßte er das untere Ende der Keule. Schwang sie hoch und ließ sie dann mit ganzer Kraft niedersausen. Er traf Ulrichs rechten Fuß. Vater zerbiß sich die Zunge, als der Schmerz durch seine Nervenbahnen zuckte. Es fühlte sich an, als ob ihm sein satanischer Vorfahr den Fuß zerschmettert hätte. Jedenfalls verlor der Oberleutnant schlagartig das Gleichgewicht. Schwer stürzte er zu Boden. Das Triumphgeheul von Balthasar Höllemann gellte in seinen Ohren. Und auch Mephisto schien sich königlich zu amüsieren. In diesem Moment war Ulrich davon überzeugt, nie wieder richtig gehen zu können. Er sah sich schon in einem Rollstuhl durch Weimar fahren. Aber der Satansdiener war noch nicht zufrieden mit seinem Zerstörungswerk. Mit vor Bosheit glitzernden Augen schlug er noch einmal mit seinem schweren Knüppel zu. Zielte dabei auf Vaters Kopf. Trotz der wahnsinnigen Schmerzen in seinem Fuß konnte sich Ulrich zur Seite werfen. Allerdings nicht ganz. Der zweite Keulenschlag ging auf sein linkes Handgelenk nieder. Ulrich glaubte zu hören, wie der Knochen zertrümmert wurde. Balthasar Höllemann riß sein Maul zu einem dreckigen Lachen auf. Es machte ihm Freude, Menschen zu quälen. Deshalb war er ja auch in die Dienste des Herrn der Finsternis getreten. Aber diesmal hatte er sich verrechnet. Denn Ulrich Hellmann hielt mit rechts immer noch seine Dienstwaffe umklammert. Einige Kammern des Revolvers enthielten noch geweihte Silberkugeln. Es war fast unmöglich, auf diese Distanz einen Gegner zu verfehlen. Selbst bei der schlechten Beleuchtung. Bevor Balthasar Höllemann seine Keule erneut heben konnte, schlug eine von Ulrichs Patronen in seine Stirn. Und noch eine. Die dritte drang in die linke Augenhöhle ein. Das war mehr als genug. Schon die positive Kraft des ersten Geschosses hatte mit dem dämonischen Keim in Balthasar 24
Höllemann gründlich aufgeräumt. Bunte Funkenregen schienen sich aus der Wunde zu ergießen. Mit einem unmenschlichen Geheul klappte der Satansdiener zusammen. Seine sterbliche Hülle verging. Und die böse Kraft, die ihm seine übermenschliche Macht verliehen hatte, mußte vor der Energie des geweihten Silbers weichen. Balthasar Höllemann war tot. Für immer zerstört. Ulrich atmete keuchend. Die beiden Verwundungen schmerzten so stark, daß er beinahe ohnmächtig wurde. Aber noch war es nicht vorbei. Noch stand Mephisto ihm gegenüber. Das war sein, Ulrichs, Ende. Er hatte ja vorhin schon gemerkt, daß er gegen diesen Mega-Dämon mit seinen Waffen nichts ausrichten konnte. Aber der Höllenfürst machte keine Anstalten anzugreifen. Statt dessen ließ er wieder sein dröhnendes Hohngelächter hören, das Ulrich schon beim Aufstieg auf den Galgenberg aufgefallen war. Mephisto klatschte sogar ironisch in die Hände. »Gratuliere, Genosse Oberleutnant! Diesen Randalierer haben Sie fachgerecht stillgelegt.« »Es war Notwehr«, preßte Ulrich hervor. »Und das weißt du ganz genau…« »Aber natürlich weiß ich das.« Der drei Meter große Mephisto beugte sich nun über Vater. Deutlich konnte man den Schwefelgestank riechen, der von ihm ausging. Die Teufelsfratze kam so nahe heran, daß sich die Nasen des Dämons und des Menschen beinahe berührten. Vater blieb fast das Herz stehen. »Ich könnte dich jetzt töten, Ulrich Hellmann. Einfach so.« Mephisto schnipste mit den Fingern. »Aber ich lasse dich vorerst am Leben. Und weißt du auch warum?« Der Oberleutnant konnte nur stumm den Kopf schütteln. Er hatte wirklich keine Ahnung. »Du hast gerade deinen eigenen Urahnen umgebracht!« erinnerte ihn Mephisto heimtückisch. »Ob Notwehr oder nicht, interessiert die Ewigen Gesetze des Universums nicht. Auch wenn du dich den Rest deines jämmerlichen Erdenlebens wie ein Erzengel aufführst - du gehörst mir, Ulrich Hellmann! Denn ein Mörder seines eigenen Vorfahren landet ganz unten in meinem Reich. Im siebten Kreis der Hölle!« Den letzten Satz schrie der Mega-Dämon dem Kripomann ins Gesicht. Das wäre gar nicht nötig gewesen.
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Der Oberleutnant war so tief geschockt wie noch nie zuvor in seinem Leben. Mephisto weidete sich noch einen Augenblick daran. Dann machte er sich zum Aufbruch bereit. »Du hast dein Ziel für heute erreicht, alter Mann. Ich werde Mark vorerst in Ruhe lassen. Ich kann warten. Denn ich habe ja alle Zeit der Welt. Wir sehen uns ja wieder, du und ich. Und dann bleibst du bis in alle Ewigkeit bei mir. Im siebten Kreis der Hölle!« Aus dem Nichts tauchte ein blutroter Kometenschweif auf. Mephisto schwang sich auf ihn wie auf ein Reittier und war gleich darauf am klaren thüringischen Nachthimmel verschwunden. Er ließ Ulrich Hellmann hilflos zurück, der fast wahnsinnig war vor Schmerzen und Furcht vor der ewigen Verdammnis. * Gegenwart. Obwohl die anderen Gäste im vorderen Bereich der Bistro-Bar lachten und schwatzten, schien es plötzlich sehr still geworden zu sein. Vater holte tief Atem und ließ seinen Blick zwischen Rudi Oertzner und mir hin und herschweifen. Dann stopfte er sich umständlich erneut seine Pfeife. »Der Rest ist schnell erzählt. Lydia hat es irgendwann in dieser Nacht nicht mehr ausgehalten, bei der Volkspolizei angerufen und den Kollegen verraten, daß ich zum Galgenberg wollte. Mark, dein Freund Pit Langenbach und ein anderer uniformierter Kollege haben mich gefunden. Ich wäre in dieser Nacht beinahe draufgegangen. Meine Erinnerung an diese Nacht ist erst später zurückgekehrt, wie du weißt. Und ich habe sie auch lange für mich behalten. Die Ärzte haben ihr Möglichstes getan. Aber mein linkes Handgelenk und mein rechter Fuß sind steif geblieben. Immerhin mußten sie nicht amputiert werden.« Er grinste selbstironisch und hielt ein Streichholz über seinen Pfeifenkopf. »Das mit der ewigen Verdammnis«, sagte ich mit tonloser Stimme. »Mephisto wird ja nicht umsonst Mephir genannt, Lügner. Ich würde ihm kein Wort glauben, Vater.« Ulrich sah mich mit einem seltsamen Blick an. »Es spielt keine Rolle, ob er recht hat oder nicht. Ändern kann ich es nicht mehr. 26
Ich habe Balthasar Höllemann erschossen. Punkt. Das habe ich ganz allein zu verantworten. Was nach meinem Tod mit mir passiert, ist mein Problem. Trotzdem bin ich froh, einmal die ganze Geschichte erzählt zu haben.« Man merkte ihm die Erleichterung wirklich an. Vater lehnte sich in dem bequemen Sessel zurück und paffte einige blaue Rauchwolken in Richtung Decke. Wie aufs Stichwort kamen in diesem Moment einige andere Mitglieder der LIGA in die BistroBar. Dr. Paul Abaringo, der zwergenhafte Gelehrte aus Südafrika. Und Professor Uhlengang aus Münster, mit dem ich erst vor kurzem gegen Vampire aus der Vergangenheit gekämpft hatte (Siehe MH 44!). Ihre herzliche Begrüßung lichtete die dunklen Schleier, die sich durch Vaters Erzählung für Momente über uns gelegt hatten. Ich war optimistisch, daß diese üble Geschichte von damals keine Langzeitfolgen haben würde. Inzwischen war ich der Kämpfer des Rings. Und es erschien mir unvorstellbar, daß mich der Höllenfürst wirklich noch zum Herrn seines Neuen Babylons machen konnte. Was Ulrichs Ewige Verdammnis anging, glaubte ich Mephir sowieso kein Wort. Er liebte es, die Menschen durch seine Worte und Taten zu terrorisieren. Rudi Oertzner nahm mich beiseite. Wir gingen an die Theke und bestellten uns ein Pils, während sich Dr. Abaringo und Uhlengang am Tisch zu meinem Vater gesellt hatten. »Üble Geschichte.« Mein Eisenacher Freund parkte seinen Hintern auf einem Barhocker. »Ja, die Hölle kämpft ohne Bandagen. Und ohne Rücksicht auf Verluste. Darum ist es so wichtig, daß die LIGA zusammenhält und wir unsere Aktionen untereinander abstimmen, auch wenn wir heute nicht komplett sind. Wäre ja auch ein Wunder gewesen. Ich bin sicher, daß das Gute siegen wird.« »Du hast recht, Mark. Wenn wir uns nicht dem Bösen entgegenstellen - wer dann? Wir können…« Rudi wollte noch mehr sagen. Aber in diesem Moment wurde unsere Aufmerksamkeit abgelenkt. Ein junges Girl kam in die Bistro-Bar gestiefelt. Auch ohne ihren leuchtend grünen Haarschopf hätte ich sie sofort erkannt. Es war Struppy, eine Achtzehnjährige, die sich von einem seltsamen Job zum nächsten hangelte. Zur Zeit arbeitete sie bei einer US27
Hamburgerkette. Ihre bunte Bulettenbrat-Uniform trug sie auch in diesem Augenblick. Wahrscheinlich war sie auf dem Weg zur Arbeit. Sie winkte mir grinsend zu. Steuerte den Tisch an, wo Ulrich mit seinen Freunden saß. In ihrer linken Hand schlenkerte sie eine Plastiktüte. »Onkel Hellmann!« rief sie so laut, daß alle in der Bar es mitkriegten. »Schau mal, was ich tolles Antikes gefunden habe!« Struppy nannte meinen Vater nur Onkel Hellmann. Sie war zutiefst beeindruckt von seinem umfassenden Wissen über okkulte Dinge. Im Rahmen seiner Arbeit für die LIGA hatte er sich nach und nach alle möglichen seltenen Bücher über Magie zugelegt. Außerdem sammelt er okkultes Wissen in Datenbanken und hält per Internet Kontakt zu Gleichgesinnten in aller Welt. So wie diese beiden Wissenschaftler, die nun bei ihm saßen. Unser Bier wurde serviert. Ich war immer noch halb mit Rudi Oertzner beschäftigt. Aus dem Augenwinkel bekam ich mit, wie Struppy etwas aus der Plastiktüte zog. Es schien ein halb vermoderter Kelch zu sein. Ulrich rückte seine Brille zurecht. Dann nahm er das Gefäß prüfend in die Hände. Ich habe mich später gefragt, ob ich hätte verhindern können, was nun geschah. Wenn ich vielleicht direkt neben ihm gesessen hätte… Aber hinterher ist man bekanntlich immer schlauer. Sobald Ulrich den Kelch berührt hatte, schien sein Körper zu erschlaffen. Er sackte mit offenem Mund in sich zusammen. Die Pfeife fiel auf den Tisch vor ihm. Dann glitt Vater zu Boden… * Tessa Hayden gähnte. Mark Hellmanns Freundin mit der flotten brünetten Kurzhaarfrisur hatte einen langen Arbeitstag hinter sich. Die Fahnderin arbeitete im Dezernat für Gewaltverbrechen bei der Weimarer Kripo. Der Job machte ihr großen Spaß, wenn er sie auch manchmal bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit trieb. Aber die Menschen haben ein Recht darauf, beschützt zu werden, sagte sich Tessa. In diesem Punkt dachte sie genau wie
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ihr Vorgesetzter Pit Langenbach, der gleichzeitig der beste Freund von Mark Hellmann war. Und in diesem Moment ihren Schreibtisch ansteuerte. »Schon fast halb neun, Tessa«, sagte der Hauptkommissar. Er lehnte seinen durchtrainierten Körper gegen Tessas Aktenschrank und zwirbelte seinen imposanten Schnurrbart. »Immer noch fleißig?« »Du doch auch«, gab die schlanke Polizistin zurück. »Weißt du überhaupt noch, wie Susanne aussieht?« Susanne war Pits Frau. Mit ihr hatte er eine kleine Tochter, die eigentlich Anna hieß, lieber Annika gerufen werden wollte und von allen nur »Floh« genannt wurde. »Na sicher. Aber ich will diesen Fall mit den Raubüberfällen auf Parkplätzen endlich vom Tisch haben. Vor allem, wo wir uns auch noch mit schier unglaublichen Anzeigen rumärgern müssen.« »Wieso?« Tessa beugte sich interessiert vor. »Ach, stell dir vor. Heute kam eine sehr resolute alte Dame zu mir. Gräfin Irmgard von Schaumburg-Klöten.« Die Fahnderin kicherte. »Das ist doch…« »… das ist die Großtante von Struppy, genau. Diese grünhaarige Göre wohnt bei ihrer Großtante. Und heißt in Wirklichkeit Mechthild Schaumburg-Klöten. Ich hatte sie ja schon mal im Verdacht, Floh entführt zu haben, als sie bei uns Babysitterin war (Siehe MH 32!).« »Und die Anzeige drehte sich um Struppy?« Pit schüttelte den Kopf. »Die Frau Gräfin hat ihre grünhaarige Großnichte mit keiner Silbe erwähnt. Es ging vielmehr um einen antiken Kelch oder etwas Ähnliches.« »Der Kelch wurde gestohlen?« »Im Gegenteil. Gräfin von Schaumburg-Klöten behauptet steif und fest, jemand hätte diesen verdammten Kelch n ihr Haus geschmuggelt.« Tessa hob die Augenbrauen. »Soweit ich weiß, ist es in Deutschland nur verboten, anderen etwas zu stehlen. Nicht aber, es ihnen zu geben. Außer, wenn es sich um Hehlerware handelt.« Pit grinste. »Das habe ich der adligen Dame auch klarzumachen versucht. Aber sie wollte unbedingt Anzeige gegen Unbekannt erstatten. Gegen denjenigen, der diesen Kelch auf ihrem Dachboden liegengelassen hat.«
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Der Hauptkommissar wollte noch weiterreden. Da bemerkte er, daß Tessa in ein nachdenkliches Schweigen versunken war. »Was ist los, Frau Kollegin? Glaubst du, an der Sache ist was dran? Etwas - Unerklärliches?« Tessa nickte heftig. Pit machte eine vage Handbewegung. »Im ersten Moment wollte ich auch schon Mark anrufen. Aber dann sagte ich mir: Langenbach, du siehst langsam Gespenster. Nur weil wir mit Mark schon öfter gegen die Mächte der Finsternis gekämpft haben, muß ja nicht hinter jedem Pinkeltopf aus dem Mittelalter ein Dämon stecken.« Es war still in der Polizeidirektion Weimar. In der Abteilung für Gewaltverbrechen hielten nur noch Pit und Tessa die Stellung. Mark Hellmanns Freundin erhob sich und zog ihre Jeansbluse glatt. »Laß uns die Frau Gräfin noch einmal befragen, Pit. Irgend etwas stinkt an diesem antiken Pinkeltopf gewaltig. Das habe ich im Gefühl.« * Tränen kullerten über Struppys Wangen. »Onkel Hellmann! Was ist denn los? Oh, verdammte Scheiße! Was habe ich getan?« Ich war mit einem weiten Satz dorthin geschnellt, wo Ulrich zu Boden gesunken war. Dr. Paul Abaringo hielt seinen Kopf. Der Südafrikaner tastete mit den Fingerkuppen Ulrichs Gesicht ab. Dabei bewegte er seine Lippen lautlos. »Woher hast du diesen verdammten Kelch?« fuhr ich Struppy an. Sie hatte es gewiß nicht absichtlich getan. Aber ich machte mir große Sorgen um Vater. Deshalb war ich so grob. Er war nicht mehr der Jüngste. Wer weiß, welchen Schaden dieses schwarzmagische Gefäß bei ihm angerichtet hatte. Denn dämonisch aufgeladen war es, wenn auch nur leicht. Mein Siegelring reagierte jedenfalls eindeutig mit Prickeln und Erwärmung auf den Kelch. »Beim Aufräumen gefunden, auf dem Speicher meiner Großtante. Ich will doch später mal Archäologie studieren, Mark. Und da dachte ich, wenn ich schon gleich mit so 'nem antiken Fund antanze, kriege ich gleich ein paar Semester erlassen. Aber 30
ich hatte ja keinen Schimmer, daß Onkel Hellmann - oh, Scheiße…« Ich hätte grinsen müssen, wäre die Lage nicht so ernst gewesen. Struppys Vorstellungen vom Studium an deutschen Universitäten waren doch reichlich naiv. Da kam es nicht nur auf Wissensdurst an, sondern auch auf Bürokratie. Nicht umsonst hatte ich selbst seinerzeit meinen Job als Wissenschaftlicher Assistent an den Nagel gehängt und die Unsicherheit eines freien Reporterlebens vorgezogen. Aber jetzt zählte nur Vater. Sonst nichts. Er schien reichlich weggetreten zu sein. Einer der Kellner kam heran. »Wir haben den Notarztwagen gerufen. Er wird in wenigen Minuten hier sein.« Dr. Paul Abaringo schüttelte unmerklich den Kopf, als sich der Mann wieder entfernte. Mir blieb fast das Herz stehen. Ulrich würde er sterben? Der Okkultist aus Johannesburg suchte Blickkontakt mit mir. »Dein Vater hat ein schweres Nervenfieber, Mark. Ich fürchte, der Notarzt wird ihm nicht helfen können. Jedenfalls kann er ihn nicht kurieren.« »Schwarze Magie?« stieß ich leise hervor. Der Afrikaner nickte. »Ich habe diese Krankheit bei MassaiKriegern erlebt. Sie fürchten sie mehr als den bösen Blick. Dieses Nervenfieber heißt bei ihnen Ngo Myui. Übersetzt bedeutet das soviel wie 'Glut der Unterwelt'. Eine Krankheit, die den Patienten von innen her aufzehrt. Tut mir leid, Mark.« »Gibt es ein Gegenmittel?« »Nein.« Ich fühlte mich, als hätte mir jemand mit der flachen Schaufel über den Schädel geschlagen. Die Sanitäter und der Arzt kamen mit einer Trage. Drängten sich zwischen den Gästen hindurch. Wie erwartet, konnte der Doc auf Anhieb nichts feststellen. Er tippte auf Kreislaufkollaps und ließ Ulrich in die Hufeland-Kliniken schaffen. Ich strich über Ulrichs Hand, als er auf die Trage gehoben wurde. Mir war nicht klar, ob er es mitkriegte. Dann eilten die Sanitäter zum Ausgang. Ich mußte herausfinden, was es mit diesem verdammten Kelch auf sich hatte. Nur so gab es eine kleine Chance, Vater zu helfen.
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* Der Zombie schien aus dem Boden gewachsen zu sein. Pit Langenbach hatte gerade die Gartenpforte des schmalen Hauses am Steinhügelweg geöffnet, als die untote Kreatur vor ihm aus der Dunkelheit auftauchte. Die lebende Leiche mußte im Schatten eines Birnenbaums gelauert haben. Hierher reichte die spärliche Straßenbeleuchtung kaum. Die Bestie war mit einer zerfetzten hellen Leinenkutte bekleidet. Und schwang eine Axt über ihrem abstoßenden Schädel. Pit und Tessa hatten schon ein ungutes Gefühl gehabt, als sie das Grundstück der Gräfin betreten wollten. Beide reagierten prompt. Der Hauptkommissar warf sich nach links und rollte in dem verwilderten Garten ab. Gleichzeitig riß er seine Dienstwaffe der Marke SIG Sauer aus dem Gürtelholster. Das Beil des Zombies verfehlte Pit nur knapp. Die madenzerfressene Leiche kam nicht mehr dazu, ein zweites Mal auszuholen. Denn Tessa hatte sich inzwischen eingeschaltet. Ihr Schuß hallte durch die ruhige Weimarer Wohnstraße. Tessas Waffe war zwar mit normaler Munition geladen, doch sie hatte den Zombie mitten in die Stirn getroffen. Das schien hier wohl auszureichen, um einen »normalen« Untoten auszuschalten. Der Unheimliche in der Kutte war jedenfalls außer Gefecht. Er zerfiel, während er noch zu Boden stürzte. Von dieser Gestalt drohte den beiden Kollegen keine Gefahr mehr. Pit klopfte Mark Hellmanns Freundin anerkennend auf die Schulter. Dann schlichen die beiden Kripobeamten den gewundenen Gartenpfad hoch. Die Waffen schußbereit. Alle Sinne auf drohende Gefahren eingestellt. Sie glaubten nicht, daß diese wandelnde Leiche allein unterwegs gewesen war. Man mußte damit rechnen, auf eine ganze Bande zu treffen. Tessa dachte mit Schaudern an die Zombie-Wikinger zurück (Siehe MH 40!). Die junge Frau wünschte sich manchmal, auch so einen magischen Siegelring zu haben wie ihr Freund. Ein »Frühwarnsystem« für dämonische Einflüsse war nicht zu verachten… Das Haus, in dem die Gräfin mit ihrer Großnichte wohnte, war eine schmale Villa aus dem 19. Jahrhundert. Jedenfalls prangte die Jahreszahl 1888 in Stein gehauen über der Eingangstür. Drei 32
steile Stufen führten hinauf zu dem Portal. Links und rechts davon wachten zwei Mini-Löwen aus Granit. »Vielleicht sind die Zombies schon ins Haus eingedrungen«, raunte Pit seiner Mitarbeiterin zu. »Wir sollten versuchen, die Lage zu checken. Dann haben wir wenigstens die Überraschung auf unserer Seite.« Tessa nickte. Wenn sie jetzt den Klingelzug betätigten, konnten sie genausogut ihre Köpfe auf den Richtblock legen und einem anderen Zombie das Henkersbeil in die verwesenden Pfoten drücken, das war ihnen klar. Geduckt arbeiteten sich die beiden Polizisten an der Westseite des Hauses vor. Tessa hob den Kopf. Stieß Pit an. Ein Fenster im Hochparterre stand nur angelehnt! Der Hauptkommissar machte Räuberleiter. Normalerweise wären sie niemals ohne Durchsuchungsbefehl in ein Gebäude eingedrungen. Aber hier lag der Fall anders. Sollten sie vielleicht beim Staatsanwalt von der Zombiebedrohung erzählen? Außerdem war Gefahr im Verzug, wie es im Beamtendeutsch so schön hieß. Da mußte man sofort handeln. Die sportliche Tessa trat auf Pits vor der Hüfte gefaltete Hände und stemmte sich hoch. Ihre Waffe hatte sie zum Klettern wieder geholstert. Wie eine Katze sprang sie auf die schmale äußere Fensterbank und stieß das angelehnte Fenster ein Stück weiter auf. Ein bodenloser Leichtsinn der Bewohnerinnen. Aber für Tessa war es die Chance. Lautlos glitt sie vom Fenstersims hinunter. Fühlte plötzlich weichen Teppich unter ihren Füßen. Nur von einer fernen Straßenlaterne drang ein blasser Lichthauch in das Zimmer. Vage erkannte Tessa ein Poster der großbusigen ComputerspielTraumfrau Lara Croft, das über dem Bett angebracht war. Gleich daneben ein Ölgemälde, das einen röhrenden Hirsch darstellte. Allerdings war sein Körper in Neonrosa übermalt worden. Auf dem Bett selbst saß ein Teddybär von der Größe eines zwölfjährigen Mädchens. Die Tagesdecke zeigte die Vereinsflagge von Dynamo Dresden. Ansonsten bestand die Zimmereinrichtung aus einem riesigen grünen Kleiderschrank und einem Computer, der auf einem antiken Sekretär thronte. Tessa vermutete wohl zu recht, daß sie in Struppys Zimmer gelandet war. Doch gleich darauf bekam sie ganz andere Probleme.
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Der kalte Stahl einer Pistolenmündung drückte sich gegen ihre Wange… * Es ist gut, Freunde zu haben. Das merkte ich wieder einmal, als unsere LIGA-Konferenz wegen Ulrichs Nervenfieber zu platzen drohte. »Du kümmerst dich um diesen Kelch!« bestimmte Rudi Oertzner freundlich, aber bestimmt. »Ich werde hier den Laden schmeißen und die Tagung leiten. Unsere Freunde kommen schließlich aus aller Welt angereist. Soll das umsonst gewesen sein?« Natürlich nicht. Dafür war die Sache zu wichtig. Wir verabredeten, daß ich Ulrichs plötzlicher Erkrankung auf den Grund gehen wollte. Mit Rudi würde ich ständig über Handy in Verbindung bleiben. Struppys Tränenfluß war inzwischen versiegt. Sie brannte darauf, mir helfen zu dürfen. Sie fühlte sich wohl schuldig, weil sie Vater den Kelch gegeben hatte. Dabei war sie nur ein Werkzeug in einem teuflischen Plan gewesen. Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Die Hölle war grausam. Aber sie tat nichts ohne Grund. Natürlich hatten Mephistos Schergen mitbekommen, daß ich das Hotel Elephant weißmagisch abgeschirmt hatte. Der Trick mit dem Kelch sollte offensichtlich unsere LIGA-Zusammenkunft sprengen. Dabei glaubte ich uns in dem Gebäude am Weimarer Markt sicher. Warum hatte der Kelch mit dem schwarzmagischen Keim trotzdem ins Hotel gelangen können? Im Moment konnte ich diese Frage nicht beantworten. Wenn ich wußte, woher das Gefäß stammte, würde ich schlauer sein. Vielleicht sogar mit der Information was anfangen können. Ich drehte den Kelch in meinen Händen. Die Schwarze Magie war für meinen Ring zwar schwach, aber eindeutig wahrnehmbar. »Du hast das Ding also beim Aufräumen gefunden?« Struppy nickte eifrig. »Großtante meinte, wenn ich schon mein Zimmer nie aufräume, könnte ich wenigstens den Speicher mal auf Vordermann bringen.« »Und das hast du freiwillig gemacht?«
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»Logo. Großtante behauptet, daß irgendwo dort oben eine Kiste mit uralten Liebesromanen steht, die sie als junges Girl gelesen hat. Müssen also wirklich Asbach sein. Die sollten mir gehören, wenn ich mich entschließen würde, auf dem Dachboden aufzuräumen und zu putzen. Ich stehe total auf Herz und Schmerz von Anno pief, Mark!« Ich nickte abwesend. Bei Struppy wunderte ich mich grundsätzlich über gar nichts. Wer schon als lebende Thüringer Bratwurst oder als Indianer-Squaw gearbeitet hat, kann mich nicht mehr verblüffen oder schocken. »Ich will mir euren Speicher ansehen, Struppy. Vielleicht gibt es da einen Hinweis, der mir mehr über dieses Ding hier verrät.« Während wir miteinander sprachen, hatten wir das Hotel Elephant verlassen und waren auf den Marktplatz hinausgetreten. Der »Duft« von drei mobilen Bratwurstbuden drang in unsere Nasen. Und die rechter Hand schien noch die Nebelpatronen aus NVA-Beständen aufzubrauchen. Furchtbar! Plötzlich ertönte ein schauriges Gelächter. Struppy fuhr zusammen. Ich blieb relativ cool. Mit unerklärlichen Dingen kenne ich mich aus. Darum fiel ich nicht aus allen Wolken, als die ekelhafte Stimme aus dem Kelch drang. Meine Hände packten das Gefäß fester. Ich spürte, wie es sich langsam erwärmte. »Mefir!« höhnte ich, obwohl mir ziemlich mies zumute war. »Tief bist du gesunken, wenn du dich als Höllenfürst zum „Lachen in einen Pinkelpott verkriechst!« Ich wußte genau, daß es Mephisto gar nicht schätzte, »Mefir« genannt zu werden. Denn dieses hebräische Wort heißt nichts anderes als »Lügner«. In meinem tiefsten Inneren spürte ich, daß seine dreckige Lache aus dem Gefäß gedrungen war. Diesmal hielt sich der Mega-Dämon zurück. Er erwies mir nicht die zweifelhafte Ehre, als Leibhaftiger aufzutauchen. Sondern beschränkte sich darauf, mich mit seinen Worten zu quälen. Blechern klangen sie aus dem kleinen Kübel. »Den alten Trottel kannst du abhaken, Mark Hellmann. Der wird nicht wieder, hehehe…« »Das werden wir ja sehen!« »Gib dir keine Mühe, Kämpfer des Rings. Niemand kann seiner Bestimmung entgehen. Dein lieber Ulrich zahlt jetzt die Zeche für
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das, was er früher getan hat. Warum mußte er auch seine Nase in Sachen stecken, die ihn nichts angehen!« »Halt's Maul!« Plötzlich überkam mich eine rasende Wut. Ich hob den Kelch hoch über meinen Kopf und schleuderte ihn zu Boden. Mit einem metallischen Laut schlug das Behältnis auf. Mephistos Lachen dröhnte noch eine Weile zwischen den klassizistischen Fassaden, wurde dann aber leiser und erstarb ganz. »Ich glaub, ich spinne.« Struppy war totenbleich geworden. Sie linste auf die Antiquität, als ob lauter giftige Nattern in ihr wohnen würden. Ich hob das Ding auf. Legte den Arm um das grünhaarige Girl. »Gehen wir zu deiner Großtante. Fürchte dich nicht vor diesen Stimmen aus dem Dunkeln. Solange ich bei dir bin, kann dir nichts passieren.« Mit diesem Spruch war ich allerdings etwas voreilig gewesen. Denn als wir Richtung Frauenplan schlenderten, wo ich meinen BMW geparkt hatte, wurden wir plötzlich von drei Zombies in die Zange genommen… * Tessa erstarrte zu einer Salzsäule. Sie hatte sich hereinlegen lassen wie eine Anfängerin. Die Fahnderin verdrehte die Augen, um zu erkennen, wer sie mit der Waffe bedrohte. Zombieart war das nicht gerade. Diese ekelhaften Biester rissen einem lieber mit bloßen Klauen den Kopf von den Schultern. Dann erkannte Mark Hellmanns Freundin, daß es wirklich kein Untoter war, der die Pistole auf sie gerichtet hatte. Sondern die Gräfin höchstpersönlich. Irmgard von SchaumburgKlöten! Die adlige alte Dame wirkte in dem schlecht beleuchteten Zimmer selbst fast wie ein Geist. Über dem langen Nachthemd trug sie einen Morgenmantel mit Brüsseler Spitzen. Sie mußte mindestens fünfundsiebzig sein, war aber offenbar noch sehr rüstig. Jedenfalls zitterte die uralte Pistole in ihrer sehnigen Rechten kein bißchen. Gleich darauf schaltete sie das Deckenlicht an und ließ ihr Schießeisen sinken.
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»Ah, Fräulein Tessa! Verzeihen Sie den unhöflichen Empfang. Aber ich dachte, es wäre noch so ein Ding eingedrungen…« Die Gräfin kannte Tessa durch ihre Großnichte Struppy. Einmal waren Mark und seine Freundin an der Schillerstraße den beiden adligen Damen in die Arme gelaufen. Struppy wollte nicht so gerne an ihre blau-blutige Herkunft erinnert werden. Sonst würde sie sich wohl auch kaum Struppy nennen. Irmgard von Schaumburg-Klöten redete Tessa jedenfalls seitdem beharrlich mit »Fräulein Tessa« an. Die brünette Fahnderin ärgerte sich in diesem Moment nicht darüber. Denn ihr klang der zweite Satz der Gräfin in den Ohren. »Noch so ein Ding eingedrungen, Frau Gräfin?« »Sie haben mich schon richtig verstanden«, behauptete Struppys Großtante. »Sehen Sie selbst!« Und sie führte Tessa hinaus auf den langen, dunklen Korridor. In der Vorhalle der Villa lag eine grauenvolle Gestalt. Ein weiterer Untoter in einer Leinenkutte. Die Rechte noch um einen rostigen Dolch gekrallt. Das aufgerissene Maul war im Tod erstarrt. Er würde niemandem mehr gefährlich werden können. »Ist er…? Hat er oder haben Sie…?« Die Gräfin zog tadelnd die Augenbrauen zusammen. »Sprechen Sie in ganzen Sätzen, Fräulein Tessa! Die jungen Damen von heute haben wirklich kein Benehmen. Dieses Individuum ist offenbar kampfunfähig. Oder nicht?« »Ja, äh, aber haben Sie…?« Die alte Dame richtete sich stolz auf. »Ich habe mir erlaubt, höchstpersönlich diesem Monster in die Stirn zu schießen. Natürlich genau in die Mitte, dadurch schaltet man diese sogenannten Zombies aus. Das weiß doch heutzutage jedes Kind. Oder irre ich mich?« Tessas Blicke wanderten zwischen dem Untoten und der Pistole in Gräfin Irmgards Hand hin und her. Für einen Moment wußte sie nicht, was sie denken sollte. Da fiel ihr Pit ein, der immer noch wie bestellt und nicht abgeholt vor Struppys Zimmerfenster warten mußte. »Mein Kollege wird sich fragen, wo ich bleibe.« »Holen wir ihn rein«, entschied die Adlige. Die beiden Frauen öffneten die Eingangstür. Auch Tessa hatte nun wieder ihre SIG Sauer gezückt. Sie hatte das dumpfe Gefühl, daß die Gefahr in dieser Nacht noch lange nicht vorbei war… 37
Irmgard von Schaumburg-Klöten und Tessa Hayden kamen dorthin, wo Pit die Räuberleiter gemacht hatte. Sie drehten eine Runde ums Haus. Suchten sogar in den Rhododendronbüschen, die den Geräteschuppen abschirmten. Und in dem Schuppen selbst. Vergeblich. Hauptkommissar Pit Langenbach war wie vom Erdboden verschluckt! * Die Untoten mußten uns aufgelauert haben. Ihrer Kleidung nach zu urteilen, stammten sie aus ferner Vergangenheit, aus dem 10. oder 11. Jahrhundert. Bewaffnet waren sie mit Beilen und Dolchen. Darüber konnte ich mir später Gedanken machen. Jetzt mußte ich erst einmal um mein Leben kämpfen. Eine der Bestien griff mich mit dem Dolch an. Einen Vorteil hatte ich. Wie die meisten Zombies waren auch diese in ihren Bewegungen plump und eher langsam. Darum konnte ich mit Schnelligkeit ausgleichen, daß sie mir zahlenmäßig überlegen waren. Ich blockte den Dolch mit dem linken Unterarm ab. Meine Muskeln spannten sich an. Als ehemaliger Zehnkämpfer bin ich immer noch in Topform. Außerdem trainiere ich regelmäßig mehrere Kampfsportarten. Gegen dämonische Gegner würde mir das allerdings auf Dauer nichts nützen. Weißmagische Waffen hatte ich gerade nicht bei mir. Mein Einsatzkoffer befand sich in meiner Wohnung in der Florian-Geyer-Straße. Wer hätte denn auch gedacht, daß sich hier und heute so was abspielen würde? Nun erwischte mich die eine Gruselgestalt doch. Mit übermenschlicher Kraft hieben ihre Klauen auf meine linke Schulter. Ich drehte mich im Hüftgelenk. Rammte beide Ellenbogen nach hinten und steppte gleichzeitig seitwärts. Mein Jackett zerriß, die Finger der lebenden Leiche hinterließen blutige Striemen auf meiner Haut. Aber ich war wieder frei. Direkt vor mir erschien nun der dritte im Bunde. Er hatte die Axt erhoben, um mir den Schädel zu spalten. Ich zog das rechte Bein vor die Brust, schoß es dann ab wie eine Rakete. Mein Fuß krachte in seine Magengrube. Ein menschlicher Gegner wäre
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zusammengeklappt wie ein Taschenmesser. Aber Zombies spürten keinen Schmerz. Seltsame Gedanken gingen mir durch den Kopf. Wieso half mir eigentlich niemand? Es war zwar spät abends, aber der Markt war keineswegs menschenleer. Ich hatte alle Hände voll zu tun, um mich gegen die drei Untoten zu wehren. Aber ich bemerkte, wie einige Touristen in sicherer Entfernung stehenblieben. Zwei von ihnen zückten sogar ihre Fotoapparate, um Aufnahmen zu machen! Während ich Fausthiebe und Fußtritte verteilte, kapierte ich, was ablief. Diese Leute mußten denken, wir würden hier so eine Art Freilufttheater aufführen! Meine Heimatstadt Weimar war schließlich Kulturstadt 1999. Das ganze Jahr über gab es Veranstaltungen aller Art. Die historischen Gewänder, die in Fetzen von den untoten Leibern hingen, konnten den Eindruck nur abrunden. Aber das hier war keine Gruselpantomime zur Volksbelustigung. Es war blutiger Ernst! Einer der Zombies packte mich um die Körpermitte wie ein Ringer. Gemeinsam gingen wir zu Boden. Mit beiden Fäusten drosch ich auf seinen widerlichen Schädel ein. Aber es brachte überhaupt nichts. Wo war eigentlich Struppy? Wie ein Wiesel war das magere Girl mit der gepiercten Nase den Bestien durch die Lappen gegangen. Sie würde gewiß Hilfe holen. Lange konnte ich mich nicht mehr halten. Unbarmherzig drückte die lebende Leiche zu. Ich hatte das Gefühl, meine Wirbelsäule würde jeden Moment zerquetscht. Einer der anderen Zombies trat mit voller Wucht gegen meinen Schädel. Für Momente sah ich nur noch Sterne. Ich spannte die Muskeln an. Aber ich konnte mich aus der tödlichen Umklammerung nicht befreien. Da ertönte ein ohrenbetäubendes Motorgeheul. Die Untoten reagierten zeitverzögert. Ich warf den Kopf herum. Quer über den Marktplatz bretterte eine Motocross-Maschine. Eine kleine Gestalt duckte sich über das Lenkrad. Struppy! Das achtzehnjährige Girl hatte das Querfeldein-Bike offenbar ganz gut im Griff. Jedenfalls schoß sie genau auf den am Boden liegenden Zombie und mich zu. Riesenhaft tauchte der 39
Vorderreifen vor mir auf. Da riß sie das Motorrad herum. Durch die Fliehkraft versetzte sie dem Untoten mit dem Vorderrad einen gewaltigen Schlag. Dagegen halfen ihm sogar seine höllischen Kräfte nichts. Er wurde ein paar Meter beiseite geschleudert und ließ mich deshalb endlich los! Stechende Schmerzen durchzuckten meine Brust. Struppy bewegte die Maschine im Kreis, wobei der Auspuff Unmengen an Abgasen in die Nachtluft knatterte. Die anderen beiden Untoten wackelten auf Struppy los. »Spring auf, Mark!« rief sie mit gellender Stimme. »Wir machen uns vom Acker!« Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich rappelte meinen schmerzenden Körper hoch, flankte auf den Sozius und hielt mich an Struppys mageren Hüften fest. Mit in der Luft stehendem Vorderrad legte sie einen Kavalierstart hin. Die Zombies spritzten zur Seite… * Als Pit Langenbach aufwachte, brannten seine Handgelenke wie Feuer. Kein Wunder. Denn jemand hatte ihn an den Armen an einer mächtigen Eiche aufgehängt. Mindestens ein Meter Luft befand sich zwischen dem Erdboden und den Zehen des Hauptkommissars. Den Zehen, nicht etwa den Schuhen. Denn Pit war nackt. Weder seine Kleider noch seine Dienstwaffe waren irgendwo zu erkennen. Suchend blickte sich der Hauptkommissar um. Das waren ja schöne Aussichten! Er konnte sich nur noch daran erinnern, daß er im Garten der Gräfin von Schaumburg-Klöten unter einem Fenster gewartet hatte. Und zwar darauf, daß Tessa ihm eine Tür öffnete. Dann hatte er wie aus heiterem Himmel einen Schlag auf den Hinterkopf erhalten. Und nun war er plötzlich hier. Aber wo war hier? Die Gegend kam Pit bekannt vor. Und doch nicht so richtig. Waren es die bewaldeten Berge seiner thüringischen Heimat? Die Eiche stand inmitten einer weitläufigen Lichtung. Am Horizont erkannte er hohe Felsen. Man hatte
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Ausblick auf das weite Saaletal. Und auf die drei Dornburger Schlösser. Aber - wo waren sie? Warum gab es keine Spur von ihnen? Pit hatte auf diese Fragen keine Antworten. Aber da geschah etwas, das ihn von seinen Überlegungen ablenkte. Eine gedrungene Gestalt erschien am Waldrand. In einem grobgewebten Kittel, den man auch für eine Art Kutte halten konnte. Eine schwere Keule hatte der Kerl geschultert. Heimtückisch linste er Pit von unten her an, während er näher kam. Der Hauptkommissar biß die Lippen aufeinander. Wenn es nicht so verrückt gewesen und wenn dieser Gedanke nicht völlig absurd gewesen wäre, dann hätte er schwören können, daß dieser Widerling mit der Keule eine gewisse Familienähnlichkeit mit Ulrich Hellmann hatte… * Die Motocross-Maschine knatterte durch die Nacht. »Zu meiner Wohnung!« brüllte ich Struppy ins Ohr. »Ich brauche meinen Einsatzkoffer! Dann muß ich sofort zum Markt zurück! Die Bestien können jeden Moment andere Menschen anfallen…« »Nein!« Die Stimme hatte sich plötzlich in meinem Kopf zu Wort gemeldet. Es war dieselbe Stimme, die mich seinerzeit über meine Berufung als Kämpfer des Rings aufgeklärt hatte (Siehe MH 1!). Tief in meinem Inneren wußte ich, daß ich ihr vertrauen konnte. »Die Untoten aus der Hölle wollen nur dich, Mark Hellmann. Suche die Spur des Teufelsdieners. Finde sein Haus. Reinige den Kelch mit deinem Ring, bevor die Macht des Bösen ihn verseucht. Dann wird es dem alten Mann bald bessergehen.« Ich hätte gerne mehr gefragt. Aber ich wußte, daß die Auskünfte der erzenen Stimme immer nur sehr knapp gehalten waren. Struppy setzte die Fahrt mit dem »geliehenen« Motorrad ungerührt fort. Die Stimme war nur von mir zu hören gewesen.
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An der Florian-Geyer-Straße stoppten wir vor »meinem« Haus und bockten die Maschine auf. Kaum hatte ich die Haustür aufgeschlossen, als auch schon mein Vermieter aus seiner Wohnung gestürmt kam. Der kleine Sachse Artur Stubenrauch richtete sich zu seiner ganzen Zwergengröße auf. Struppy bedachte er mit einem besonders giftigen Blick. Wegen ihr hatte er einmal den Ehekrach seines Lebens erleiden müssen, weil sie sich als seine uneheliche Tochter ausgegeben hatte (Siehe MH 40!), »Herrrr Hellllmann! Diese ewige Motorrad-Parkerei auf dem Gehweg muß aufhören. Erst die Frau Kommissar und jetzt auch noch diese - Person. Wir sind doch hier kein Rockerhaus!« Mit der Frau Kommissar meinte er Tessa, meine Freundin. Bevor ich ihm eine passende Antwort geben konnte, legte Struppy schon los. »Entschuldigen Sie bitte, Herr Stubenrauch! Aber das ist ein Notfall. Sehen Sie nicht, wie zerfetzt Herrn Hellmanns Jackett ist?« Der Hauswirt nickte unwillig. »Er ist von einem tollwütigen Hund gebissen worden. Ich begleite ihn jetzt ins Krankenhaus. Wir müssen nur noch den Impfpaß holen, bevor Herr Hellmann selbst jemanden beißt!« Ich spielte ihren Witz mit und zeigte mein Prachtgebiß. Artur Stubenrauch erbleichte und knallte die Tür hinter sich zu. Wir hörten, wie er den Riegel vorlegte. Leise lachend hetzten wir die Stufen hinauf. »Du hättest Gagschreiberin werden sollen, Struppy. Für eine dieser langweiligen Comedyshows im Fernsehen.« »Wieso hätte? Ich habe schon so viele Jobs gemacht. Da kommt es auf einen mehr oder weniger auch nicht an.« Die Flachserei hatte gutgetan, aber nun konzentrierte ich mich wieder auf meine Aufgabe. Nachdem ich die Wohnungstür aufgeschlossen hatte, griff ich mir meinen Einsatzkoffer. Schon ging es wieder die Treppe hinunter. Neben meiner SIG Sauer P 6 mit geweihten Silberkugeln enthält der Koffer noch meinen armenischen Silberdolch, außerdem Flakons mit Weihwasser sowie Holzkreuze und Pflöcke gegen Vampire. Den Dolch und die Pistole steckte ich mir gleich in den Gürtel, um sie sofort zur Hand zu haben. Wichtig war auch die Abschrift des »Ars niger et damnatus«. Ein Standardwerk über 42
Schwarze Magie, 1523 in Rotterdam von dem Schwarzmagier und Teufelsanbeter Adolphus van Weyden verfaßt. Ich hatte das Gefühl, daß es mir in dieser Nacht noch gute Dienste leisten würde… Während Struppy und ich zur Villa ihrer Großtante am Steinhügelweg fuhren, ordnete ich meine Gedanken. Ulrich war in ein Nervenfieber gefallen, gegen das es angeblich kein Heilmittel gab. Aber das nahm ich nicht hin. Auch die erzene Stimme hatte ja gesagt, daß es Vater wieder bessergehen würde, wenn ich den Kelch mit meinem Ring reinigen konnte. Dazu mußte ich die Spur des »Teufelsdieners« suchen und sein Haus finden. Aber wer war mit dem Teufelsdiener gemeint? Dieser verdammte Kelch! Zum Glück hatte Struppy ihn aufgehoben, nachdem ich ihn vor dem Angriff der Zombies zu Boden gepfeffert hatte. Vor dem Haus der Gräfin parkte ein unauffälliger Mittelklassewagen, wie ihn auch die Polizei als Zivilfahrzeug benutzt. Die Gartenpforte stand offen. Waren auch die Ordnungshüter im Einsatz? Mein Verdacht bestätigte sich, als ich Irmgard von SchaumburgKlöten in Begleitung meiner Freundin Tessa erkannte. Gleichzeitig fiel mein Blick auf die schauerlichen Überreste eines Zombies, die den Gartenweg verunzierten. Ich begrüße Tessa mit einem flüchtigen Kuß. »Gut, daß du kommst, Mark! Pit ist spurlos verschwunden!« Ich biß die Zähne zusammen. Tessa berichtete mit knappen Worten, was seit ihrem Eintreffen geschehen war. Mein Siegelring zeigte schwach eine dämonische Bedrohung in der Nähe an. Ich befand mich im absoluten Alarmzustand und ging davon aus, daß sich die Artgenossen der erlegten Untoten immer noch in unserer Umgebung aufhielten. Aber in dem verwilderten Garten konnte man sich natürlich prima verstecken. Besonders nachts. »Wir müssen auf den Dachboden, Frau Gräfin!« Struppys Großtante hob ihr mageres Gesicht, um mich mit einem huldvollen Blick zu bedenken. »Tun Sie, was Sie für richtig halten, Herr Hellmann.« Sie wandte sich Ihrer Großnichte zu. »Mechthild, ich gehe davon aus, daß unser Speicher jetzt wieder eine Augenweide ist.« Struppy verzog den Mund. Sie schätzte es nicht, mit ihrem richtigen Namen angeredet zu werden. »Klaro, Großtantchen.«
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Ich wollte dort nachforschen, wo Struppy das Gefäß gefunden hatte. Etwas Besseres fiel mir im Moment nicht ein. Irgendwo mußte man ja ansetzen. Wir vier gingen ins Haus. Dabei achteten wir sorgfältig darauf, ob irgendwo Mephistos Zombieschergen zu einem weiteren Angriff lauerten. Aber momentan lag eine fast bleierne Ruhe über der stillen Wohnstraße, Tessa und ich stiefelten allein die schmale Stiege zum Dachboden hoch. Meine Freundin hatte mir erzählt, daß die Frau Gräfin offenbar mit ihrer uralten Webley umgehen konnte. Wenn die Zombies in der nächsten Viertelstunde angreifen sollten, würden sie sich eine Ladung Blei einfangen. Ich spürte, wie sich die Probleme zu häufen begannen. Wohin war Pit verschwunden? Diese Höllenkreaturen mußten ihn entführt haben. Eine andere Möglichkeit konnte es nicht geben. Es war nicht die Art meines Freundes, einfach sang- und klanglos zu verschwinden. Aber wo konnte er sein? Ein weiteres Rätsel, das ich lösen mußte. Doch dafür hatte ich im Moment nicht den Kopf frei. Ich stemmte die Falltür des Dachbodens hoch. Direkt neben der Stiege gab es einen Lichtschalter, den ich umlegte. Das fahle Licht einer 25-Watt-Birne erzeugte auf dem Speicher eine dämmerige Atmosphäre. Immerhin schien Struppy hier oben wirklich ganze Arbeit geleistet zu haben. Zwischen den dicken Balken und Verstrebungen standen nur noch wenige Möbel, Kisten und in Tücher eingeschlagene Bilder. Besen und Kehrblech zeugten davon, daß sie sogar ausgefegt hatte. Woher stammte dieser Kelch? Ob ich hier oben noch einen weiteren Hinweis finden würde? Mit leisen Schritten näherte ich mich der ersten Kiste. Sie war unverschlossen. Mein Ring war nur noch schwach erwärmt. Ich hob den Deckel der Truhe. Sie war bis zum Rand gefüllt mit gebundenen Liebesromanen. Courths-Mahler & Co. Unwillkürlich mußte ich grinsen. Das hier war Struppys Belohnung für das Aufräumen. Tessa kam auf mich zu. »Das mußt du dir ansehen, Schatz. Du glaubst es vielleicht nicht, aber Struppy steht total auf alte Liebesromane! Und das hier ist…« Ich verstummte. Und das hatte seinen Grund. Tessa stand nun hinter mir. Ich konnte auf dem kühlen Dachboden die Wärme ihres Körpers spüren. Kein Wunder. 44
Denn sie war nackt. Während ich mich mit der Truhe befaßte, mußte sich meine Freundin die Jeans, die Bluse sowie die Unterwäsche vom Leib gerissen haben. Ihr Mund war geöffnet und ihr Blick von einem erotischen Schleier verhangen. Ihre feingliedrigen Hände glitten über meinem Rücken. Und noch tiefer. »Nimm mich jetzt«, forderte sie mit rauher Stimme. »Direkt hier. Auf dem Fußboden!« Ich war total baff, obwohl ich bisher noch nie was gegen einen Quickie einzuwenden gehabt hätte. Tess und ich hatten es schon an den unmöglichsten Orten getrieben, aber die Gedanken an meinen schwerkranken Vater und meinen verschwundenen Freund wirkten nicht gerade stimulierend. Wie konnte meine Freundin in diesem Moment nur an Sex denken? Was war los mit ihr? Tessa schien nicht länger warten zu können, zog es einfach vor zu handeln. Sie befreite meinen Oberkörper von Jackett und Hemd, bevor ich mich von meiner Überraschung erholt hatte. Ihre Zähne bissen zart in meinen Bizeps. Sie stöhnte übertrieben, versuchte mir einzuheizen, doch es wirkte alles nur gespielt. Irgend etwas stimmte hier nicht. Ganz und gar nicht. Ich holte tief Luft, versuchte, mich aus ihrem Klammergriff zu befreien. »Tessa…« »Nenn mich nicht mehr so. Agara klingt doch viel schöner, findest du nicht?« »Agara?« Ihre Zunge fuhr in meine Ohrmuschel. Dann flüsterte sie. »Ja, ich bin Agara. Die oberste und beste unter deinen Tempelhuren. Ich schenke dir ewige Wonne, dir, dem Herrn des Neuen Babylon!« * »Wo bin ich hier?« Pit Langenbach hatte die Frage gestellt, ohne mit einer Antwort zu rechnen. Aber der Widerling mit der Keule ging bereitwillig auf den Hauptkommissar ein. Pit konnte ihn sogar verstehen. Obwohl er offenbar aus einer anderen Zeit oder anderen Welt stammte. »In der Landgrafschaft Thüringen, großer Schnurrbart.« 45
»Und wann - ich meine, welches Jahr haben wir?« Der Mann in der Leinenkutte lachte dreckig. »Mein Herr Mephisto hat dich aus deiner schönen fernen Zukunft geholt, großer Schnurrbart. Wir schreiben Anno Domini 1095. Der alte Depp in Rom hat gerade zum Kreuzzug gegen die Heiden aufgerufen!« Pit Langenbach erstarrte. Dieser Kerl mit der hinterhältigen Visage war offenbar ein Teufelsanbeter, wenn er von seinem Herrn Mephisto sprach. Und mit dem »alten Depp in Rom« meinte er wohl Papst Urban II. Der Hauptkommissar hatte erst vor kurzem im Fernsehen einen Abenteuerfilm über die Kreuzzüge gesehen. Nie hätte er sich träumen lassen, daß er selbst einmal in dieser Zeit landen würde! Nun erklärte sich auch, warum er die drei Dornburger Schlösser auf ihren hohen Felsen nicht entdecken konnte. Sie würden erst Jahrhunderte später gebaut werden. Die Wartburg gab es allerdings schon. Sie war der Sitz der Landgrafen von Thüringen. Allerdings konnte Pit sie von seinem Standort aus nicht erblicken. Die Informationen hatten nicht gerade dazu beigetragen, Pits Stimmung zu heben. Doch eine Frage mußte er noch loswerden. »Was soll ich hier?« »Oh, das ist ganz einfach!« Der Höllenknecht hob seine Keule von der Schulter und ließ sie mit weitem Schwung gegen den Rippenbogen des gefesselten Hauptkommissars krachen. Pit ahnte, daß dies nur ein Vorgeschmack auf weitere Schmerzen wäre. »Mein Herr hat die Gelegenheit genutzt, dich in meine Zeit zu zaubern. Ich, Balthasar Höllemann, warte nämlich schon auf deinen Freund, der sich Mark Hellmann nennt. So sehnsüchtig wie die Jungfrau auf ihren Bräutigam, hehehe… Dein guter Kamerad wird dich befreien wollen, nicht wahr? Und dann haben wir ihn da, wo wir ihn haben wollen. Mark Hellmann wird der Herr unseres Neuen Babylon, großer Schnurrbart. Und sein erstes Menschenopfer wirst du sein!« * Ich fühlte mich, als wäre ich mit Eiswasser übergossen worden. Tessa/Agara? machte ungerührt weiter. Sie öffnete den Gürtel meiner Jeans. Wollte mir die Hose herunterziehen. Jetzt mußte 46
ich handeln. Es war offensichtlich, daß meine Freundin von einem Dämon oder einer Dämonin besessen war. Mephisto wollte mich noch immer zum Herrn seines verfluchten Neuen Babylon machen. Er griff zu den schmutzigsten Tricks, um es zu erreichen. Meinen Vater hatte er todkrank gemacht, meinen besten Freund verschwinden lassen und aus meiner Freundin eine brünstige Tempelhure des alten Babylon gemacht. Ich packte Tessa an den Handgelenken. »Verfüge über mich, Gebieter! Ich mache alles, was du willst!« Jetzt stöhnte sie wieder wie eine wilde Mitwirkende bei einer dieser billigen und schlechtgemachten Sex-Shows im Privatfernsehen. Das TV-Niveau litt unter solchen Müllsendungen erheblich. Da konnte man die in der Presse zu Unrecht als Groschenhefte abqualifizierten Unterhaltungsromane schon als gehobene Kultur bezeichnen. Ich stellte meine Ohren auf Durchzug. Tessa war nicht sie selbst. Ich mußte ihr helfen, bevor sie größeren Schaden nahm. Wir standen uns gegenüber. Die brünette Fahnderin sprang mich plötzlich an, umklammerte mich mit ihren Schenkeln. Schmerzhaft saugte sie sich an meinem Hals fest. Dabei wurde ihr Körper von Schauern durchflossen. Tessa/Agara führte sich auf wie eine Wahnsinnige. Es gab gewiß einen Bann, mit dem ich den Dämon austreiben konnte. Aber dafür würde ich erst einmal meinen Einsatzkoffer öffnen müssen. Und es sah nicht so aus, als ob sie mir die nötige Atempause dafür gewähren würde. Plötzlich hatte ich eine Eingebung. Es war einen Versuch wert. Ich zog den armenischen Silberdolch. In den Augen meiner Freundin blitzte Erschrecken auf. Tessa kannte mich. Sie wußte, daß ich ihr nie etwas tun würde. Aber wußte Agara das auch? Ein schriller Schrei drang aus Tessas Kehle. So hatte ich die Polizistin noch nie kreischen hören. Vorsichtig drehte ich den Dolch um. Faßte ihn an der Klinke. Dann drückte ich das Heft der Waffe auf ihre Stirn. Es war, als ob man einen Eiswürfel auf eine glühende Herdplatte werfen würde. Tessa schien innerlich zu glühen. Für Sekunden erschien der Ascheschatten eines Kreuzes auf ihrer Stirn. Die Augäpfel wurden plötzlich blutrot, schienen aus den Höhlen quellen zu wollen. Mein Ring hatte schon längst angefangen zu prickeln und sich zu 47
erwärmen. Die Haut der jungen Frau wurde von Zuckungen verzerrt. Ich biß die Zähne zusammen. Würde die Austreibung Erfolg haben? Oder hatte ich einen schrecklichen Fehler begangen? Tessa riß den Mund so weit auf, daß ich glaubte, sie würde sich den Kiefer ausrenken. Aber ich ließ mich nicht beirren und drückte den Dolch weiterhin gegen ihre Stirn. Ich hatte es begonnen, jetzt mußte ich es auch bis zum Ende durchziehen. Der Körper meiner Freundin wand sich wie unter Elektroschocks. Plötzlich kam ein dunkel schimmerndes, feinstoffliches Wesen aus ihrem Rachen geschossen. Ich konnte es nur für Sekundenbruchteile erkennen. Es war weiblich und von unglaublicher erotischer Anziehungskraft. Und durch und durch böse. Agara. Mir stockte für einen Moment der Atem. Der Geist der babylonischen Tempelhure verließ unsere Welt wieder. Tessa fiel in sich zusammen. Bevor sie zu Boden stürzte, hatte ich sie mit meinen Armen aufgefangen. Vorsichtig legte ich sie hin und hob eines ihrer Augenlider. Sie war ohnmächtig, atmete aber gleichmäßig. Ihr Gesicht wirkte entspannt. Eine schwere Last schien von ihrer Seele genommen worden zu sein. Und so war es ja auch. Ein leises Geräusch erklang. Ich fuhr herum. Erleichtert bemerkte ich, wie Struppy und ihre Großtante die Köpfe durch die Bodenluke steckten. Ich berichtete, was vorgefallen war. Die Gräfin nahm meine Erzählung ebenso ungerührt auf wie ihre Großnichte. »Wir stecken Fräulein Tessa ins Bett!« ordnete Irmgard von Schaumburg-Klöten an. »Dann werde ich ein paar alte weißmagische Hausmittel anwenden. Diesen flegelhaften Dämonen soll die Lust vergehen, noch einmal mein Haus zu behelligen.« Ich hob anerkennend die Augenbrauen. »Sie scheinen sich gut auszukennen, Frau Gräfin.« Ihre magere Gestalt straffte sich. »Junger Mann! Wir von Schaumburg-Klötens haben uns noch nie von diesem Höllengezücht ins Bockshorn jagen lassen. Das können Sie schon an diesem Haus erkennen.« »Warum?« 48
»Es wurde auf einem Grundstück errichtet, wo der Legende nach ein Henkersknecht seine Hütte gehabt haben soll. Im Frühmittelalter. Nicht lange nach der ersten urkundlichen Erwähnung der Stadt Weimar im Jahre 899.« Ich muß ausgesehen haben, als wäre mir der Leibhaftige erschienen. Die Gräfin verzog den Mund und rückte ihre Brille zurecht. »Wissen Sie noch mehr über diesen Henkersknecht, Frau Gräfin?« »Was ist mit Ihnen, Herr Hellmann? Ist Ihnen schlecht? Nein, kaum etwas. Es handelt sich um eine alte Weimarer Legende. Dieser Kerl soll angeblich den Teufel angebetet haben. Seine Hütte galt als verhext. Trotzdem haben die Schaumburg-Klötens auf diesem Stück Grund und Boden gebaut. Mechthild, sei doch bitte so freundlich und koche Herrn Hellmann einen starken Kaffee! Sein Kreislauf muß dringend stabilisiert werden!« * Mephisto zitterte vor Wut. Sein dreieckiges Gesicht verzerrte sich. Die schwefelgelben Augen ähnelten Kugelblitzen. Und er hatte keine Hemmungen, seinen Haß auszulassen. Das Objekt seines Tobsuchtsanfalls wurde mit voller Wucht getroffen. Die böse Energie des Höllenfürsten traf die Tempelhure mit gnadenloser Härte. Agara wurde gegen einen der scharfkantigen Höllenfelsen geschleudert. Wimmernd blieb sie liegen. Obwohl die Tempelhure lediglich als feinstoffliches Wesen vorhanden war, konnte sie Schmerzen nur allzugut spüren. Hier in der Hölle war eben nichts unmöglich. Mephisto musterte sie wie ein Insekt unter dem Mikroskop. Auf den ersten Blick wirkte Agara wie eine unglaublich attraktive Frau. Ihre üppigen Brüste waren wie die Geschütztürme von zwei Panzern auf ihn gerichtet. Ihre langen Beine und ihr wohlgeformter Po wiesen eine Perfektion auf, von der jede Frau nur träumen konnte.
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Doch Agara war abgrundtief böse. Ihr erotischer Körper war die Waffe, mit der sie die Männer ins Verderben zog. Doch diesmal hatte sie versagt. Und dafür würde Mephisto sie bestrafen. »Du wirst alt, Agara«, sagte der Höllenfürst mit beißendem Spott. »Du solltest einfach nur einen Mann verführen. Einen Mann außerdem, der so ein geiler Bock ist wie unser spezieller Freund Mark Hellmann. Und was machst du? Läßt dich von einem simplen Zauber aus der weißmagischen Trickkiste verjagen!« Agara riß ihre kohlschwarzen Augen auf. »Meister, ich…« »Still! Ich will nichts hören! Du bist wirklich die dämlichste unter meinen Dienerinnen! In Tessas Körper hättest du mein Werk vollenden können. Aber selbst deine Stümperei wird meinen Plan nicht durchkreuzen. Schon bald wirst du wieder in Babylon wirken können. In meinem Neuen Babylon.« Agaras Gesicht verzog sich zu einem erleichterten Lächeln. Aber sie hätte Mephisto besser kennen sollen. »Allerdings nicht als oberste Tempelhure, sondern als Waschweib!« * Die resolute Gräfin übernahm das Kommando. Sie befahl mir, Tessa in ein Gästezimmer zu schaffen. Struppy mußte inzwischen einen starken Kaffee brauen. Ich legte meine Freundin ins Bett und deckte sie zu. Irmgard von Schaumburg-Klöten hatte ihr ihre Kleider hinterhergetragen. Nun holte die alte Dame ein Buch aus ihrer umfangreichen Bibliothek. Sie begann, einige Sätze daraus abzuschreiben. »Ich nehme an, daß Ihnen dieses Werk bekannt ist, junger Mann.« Ich nickte. »Der Schlüssel Salomonis. Ein uraltes Zauberbuch, mit dem man Dämonen bannen kann.« »So ist es. Helfen Sie mir, die Sprüche an Fräulein Tessas Bett zu befestigen. Dann kann dieser unsittliche Geist nicht wieder in sie fahren.« Struppys Großtante wußte wirklich, wo es langging. Ich hätte nie gedacht, daß die alte Dame eine regelrechte Geisterbannerin war. So konnte man sich täuschen. Es war, als hätte Gräfin Irmgard meine Gedanken gelesen. 50
»Meine Großnichte weiß nicht, daß ich mich mit diesen Dingen befasse, Herr Hellmann. Dabei sollte es auch bleiben. So etwas ist nichts für junge Mädchen.« Als wir die Tür des Gästezimmers hinter uns schlossen, strömte uns herrlicher Kaffeeduft entgegen. Struppy hantierte in der großen, gemütlich eingerichteten Oma-Küche. Die Gräfin bat mich mit einer Handbewegung in eine Sitzecke. Ihre grünhaarige Großnichte stellte mir einen Becher Kaffee hin. Dankbar nahm ich die ersten Schlucke der heißen, belebenden Flüssigkeit. »Ich sehe nun schon klarer. Die Teile des Mosaiks fügen sich zusammen. Dieser Henkersknecht, von dem Sie mir erzählt haben, muß ein Vorfahre meines Vaters Ulrich gewesen sein…« Gräfin Irmgard hob irritiert eine Augenbraue. »Ich muß mich doch sehr wundern, Herr Hellmann! Ich halte Ihren Herrn Vater für einen absolut integeren Mann…« »Sie ist in Onkel Hellmann verknallt!« übersetzte Struppy. Ihre Großtante verpaßte ihr einen mißbilligenden Rippenstoß. »Dieser Ort muß immer noch eine gewisse Magie in sich bergen«, dachte ich laut nach. »Darum haben gewisse Kräfte diesen Kelch auf Ihrem Dachboden versteckt. Alles Teil eines komplizierten teuflischen Plans. Strup… äh - Mechthild sollte den Kelch finden. Er wußte, daß sie damit zu meinem Vater laufen würde.« »Wer ist er?« »Der Leibhaftige, Frau Gräfin. Mephisto.« Gräfin Irmgard öffnete den Mund. Wollte etwas sagen. Doch in diesem Moment überstürzten sich die Ereignisse. Mein Ring glomm wild auf. Die Fensterscheibe der Küche zersprang in tausend Scherben. Und ein riesiger Zombie mit einer Axt in den Klauen landete auf dem Küchenboden! * Die Bestie war nicht allein. Das wurde mir klar, als ich Rumoren auf dem Flur hörte. Der hünenhafte Untote erhob sich und wollte auf Struppy losgehen, die vor Schreck wie gelähmt war.
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Ich riß meine SIG Sauer aus dem Gürtelhalfter. Bevor die Beilklinge das magere Girl treffen konnte, hatte ich dem untoten Scheusal eine weißmagische Kugel in den Schädel gejagt. Donnernd brach er zusammen. Doch da stürmten schon weitere Zombies durch die Küchentür. Zum Glück reagierte Gräfin Irmgard genauso kaltblütig wie ich. Sie zog ihre Webley aus der Tasche ihres bestickten Morgenrocks, legte im Beidhandanschlag an und zielte. Drückte ab. Der Kopf eines weiteren Untoten zerplatzte. Zwar war ihr Geschoß nicht weißmagisch gewesen. Aber sie hatte ihn ebenfalls mitten in die Stirn getroffen! Der Angreifer verging. Ich hatte mit seinen Artgenossen alle Hände voll zu tun. Drei von ihnen hatten mich in eine Ecke gedrängt. Einer hielt mit seinen Bärenkräften meinen rechten Arm nieder, damit ich nicht schießen konnte. Mit einigen Karatetritten verschaffte ich mir Luft. Aber das brachte fast nichts. Zombies spüren keine Schmerzen. Ihre widerlichen Klauen griffen nach meinem Kopf, nach meiner Kehle. Sie hätten mich schon längst in der Luft zerreißen können. Aber sie taten es nicht. Warum? Darauf konnte es nur eine Antwort geben. Weil sie mich lebend fangen mußten. Das wollte ich für mich ausnutzen. Ich riß mich von dem Höllenwesen los, das mich umklammert hielt. Mein Hemd, das ich auf dem Dachboden wieder angezogen hatte, ging nun endgültig in Fetzen. Mit der linken Hand schaffte ich es, meinen armenischen Silberdolch zu ziehen. Die Klinge fuhr in einen Zombiearm. Das schien der Bestie überhaupt nicht zu behagen. Sie gab einen dumpfen Laut von sich und taumelte zurück. Der Arm riß am Schultergelenk ab und plumpste zu Boden. Verwandelte sich augenblicklich in eine schwarze, stinkende Masse. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie ein weiterer Zombie durch das Fenster gekrochen kam. Gräfin Irmgard hatte sich in der Sitzecke niedergelassen und ihre Waffenhand auf einem Stuhl abgestützt. Ein weiterer Schuß donnerte aus ihrem betagten Revolver. Auch dieser Untote beendete seine unnatürliche Existenz auf den Küchenfliesen.
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Ich stach mit dem Dolch wild um mich. Die Zombies wichen zurück. Ich verstand immer noch nicht, warum so viele von ihnen hier lauerten. Waren sie hinter mir her? Aber warum hatten sie dann die Villa schon angegriffen, bevor ich auf der Bildfläche erschienen war? Fragen, die ich im Moment nicht beantworten konnte. Ich wollte versuchen, die Aufmerksamkeit der Bestien auf mich zu lenken. Vielleicht ließen sie Struppy und ihre Tante dann in Ruhe. »Kommt her, ihr Höllenstinker!« brüllte ich. Ob mich die Zombies verstanden? Jedenfalls drangen sie weiter auf mich ein. Ich steppte rückwärts Richtung Flur. Von dort aus konnte ich einerseits noch die beiden Frauen im Auge behalten und beschützen. Andererseits waren sie außerhalb der Reichweite dieser Bestien. Gräfin Irmgard kämpfte weiter. Als ob sie auf dem Schießstand wäre. Ein weiterer dieser Unholde verging durch eine ihrer gutgezielten Kugeln in seinen Schädel. Nun gelang es auch mir, wieder meine SIG zu heben. Den Arm, der sie herunterdrückte, hatte ich mit dem Silberdolch durchstoßen. Daraufhin war auch dieses Zombieglied zu Boden gefallen. Bumm! Bumm! Zweimal hintereinander belferte meine Pistole auf. Die geweihten Kugeln erlösten noch einen Untoten von seiner schwarzmagischen Existenz. Jetzt war noch ein Zombie übrig. Er würgte mich von hinten. Seine entsetzlichen Kräfte brachen mir beinahe das Genick. Ich spannte die Halsmuskeln an. Mit der Linken hieb ich den Dolch rückwärts in seinen Oberkörper. Der erste Stich glitt noch an seinem halb zerfetzten Rippenbogen ab. Aber der zweite war ein Volltreffer. Die Bestie gurgelte auf. Ich stieß noch einmal zu. Die Klinge der geheimnisvollen Waffe traf den Zombie mit voller Wucht. Ich spürte förmlich, wie die Kraft des Guten hinausströmte und dieser Ausgeburt an Bosheit ein Ende machte. Die Klauen an meiner Gurgel lockerten sich. Fielen dann ganz ab. Ich hörte ein Poltern. Wirbelte herum und jagte noch eine weißmagische Kugel in den zuckenden Leib auf dem Boden. Die Mühe hätte ich mir eigentlich sparen können. Denn offensichtlich war auch dieser Gegner erledigt.
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Gräfin Irmgard hatte sich herrschaftlich von der Küchenbank erhoben und hielt ihre Webley mit rechts, wobei ihre Arme ineinander verschränkt waren. So wie James Bond auf den Filmplakaten. Ich grinste und deutete mit dem Daumen nach oben. Das Siegeszeichen. So gründlich hatte ich mich selten geirrt. Im nächsten Augenblick gab es einen ohrenbetäubenden Knall und einen schmerzhaften Lichtblitz. Fast wie bei einer kleinen Atombombe. Jedenfalls fiel ich in einen tiefen Schacht der Bewußtlosigkeit. * Pit Langenbach spannte seine Muskeln an. Zum Glück war der Hauptkommissar kräftig und durchtrainiert. Er konnte die Belastung seiner Handgelenke etwas mildern, indem er sich ein Stückchen an den Seilen hochzog, mit denen man ihn an der Eiche gefesselt hatte. Das war zwar anstrengend, aber immer noch besser, als mit dem ganzen Gewicht herunterzuhängen. Fieberhaft suchte er nach einem Ausweg. Natürlich würde sein Verschwinden nicht unbemerkt bleiben. Tessa war ja nicht von gestern. Schnell würde sie kapieren, daß hier übernatürliche Kräfte im Spiel waren. Und sofort Mark alarmieren. Damit er hier in die Falle tappt! dachte Pit zerknirscht. Andererseits sagte er sich, daß der Dämonenjäger schon oft genug in scheinbar ausweglosen Situationen gesteckt hatte. Um Mark Hellmann hereinzulegen, mußte man schon etwas cleverer sein als dieses Ekelpaket, das sich Balthasar Höllemann nannte. Höllemann… Hellmann? Ob es wirklich eine Verwandtschaft gab zwischen Ulrichs Familie und dem Sadisten mit der Keule? Der Hauptkommissar konnte es sich nicht vorstellen. Er hatte Ulrich immer bewundert. Bei ihm hatte er sozusagen sein Handwerk von der Pike auf gelernt. Bei der Volkspolizei, in den letzten DDRJahren. Nach der Wiedervereinigung wurde Pit in die Polizei des Landes Thüringen übernommen. Ulrich Hellmann hingegen war nach dieser Nacht am Galgenberg ein Invalide. Frühpensioniert. Diese Nacht… Der Hauptkommissar 54
dachte daran zurück. Er selbst und ein anderer Vopo hatten den schwerverletzten Oberleutnant gefunden. Pit zermarterte sein Gehirn. Hatte Ulrich damals nicht etwas von »Balthasar« und »ewiger Verdammnis« geflüstert? Oder spielte ihm seine Erinnerung jetzt einen Streich? Vielleicht waren es auch Hunger und Durst, die seine Konzentration ruinierten. Aber es hatte wohl keinen Sinn, diesen Gewaltmenschen mit der Keule um einen Schluck Wasser zu bitten. Ein Geräusch lenkte Pit Langenbach ab. Es war nicht das Rascheln der Kleintiere im Unterholz. Oder das Vogelgezwitscher. Es klang mehr wie ein unregelmäßiger Marschschritt. Er hatte sich nicht getäuscht. Es dauerte noch ein paar Minuten, aber dann kam eine lange Reihe von Höllenkreaturen herangewankt. Sie bewegten sich langsam. Wie Zombies. Es gab keinen Zweifel. Der Hauptkommissar hatte schon oft genug Untote gesehen. Sie waren in halbzerfetzte Leichenhemden oder Kutten gehüllt. Ihre teilweise bereits verwesten Arme trugen Äxte und Dolche. Und ihr Gestank war einfach betäubend. Auch Balthasar Höllemann hatte die schaurige Garde nun entdeckt. Stolz stemmte er seine Fäuste in die Hüften, nachdem er seine Keule zur Seite gelegt hatte. »Nicht übel, was? Ich habe diese wackeren Burschen alle höchstpersönlich zur Hölle geschickt. Als Henkersknecht sitze ich ja direkt an der Quelle, hehehe… Und ihre Seelen habe ich gleich meinem Herrn Mephisto empfohlen. Diese tapferen Knappen werden mit deinem Busenfreund Mark Hellmann einen feinen Tanz aufführen!« * Ich erwachte vom Schein der Fackeln. Um mich herum ein schwarzer, unheimlicher Wald. Die Pechleuchten blakten und rußten. Ihr Licht wärmte noch nicht. Daß ich fror, konnte aber auch andere Gründe haben. Ich lag nämlich rücklings mit nacktem Oberkörper auf einem Felsblock. Die Handgelenke hatten mir die Bestien mit Eisenketten gefesselt. 55
Höhnisch tanzten sie um den Felsbrocken. Schwangen dabei drohend ihre Dolche und Äxte. Der Ring an meiner Hand glühte auf. Wenigstens den hatten sie mir gelassen. (Siehe Titelbild!) Meine SIG und mein Dolch waren natürlich weg. Ich konnte mich an nichts erinnern. Nur noch an den Knall und den Blitz in Gräfin Irmgards Küche. Doch ich sollte bald mehr erfahren. Das Lachen der Untoten klang nach rollenden Kieselsteinen. Doch plötzlich wurde es durch ein schrilles Kreischen übertönt. Eine Frauengestalt stand über mir. Sie war in durchsichtige Seidengewänder gehüllt wie eine Bauchtänzerin. Ihr langes, glänzendes Haar hatte sie mit perlenbestickten Reifen zurückgesteckt. Blutrot der sinnliche Mund, pechschwarz die böse glimmenden Augen. Obwohl ich sie bisher nur in ihrer feinstofflichen »Version« gesehen hatte, wußte ich sofort, wer das sein mußte. Agara. Die oberste Tempelhure aus dem alten Babylon. »Du warst ein wenig zu schnell mit dem Dolch, Mark Hellmann.« Obwohl sie gewiß nicht in meiner Sprache redete, konnte ich sie verstehen. Magie machte das möglich. »Ich hätte dir die höchsten Freuden bereiten können. Ein Bett und ein Frauenkörper sind allemal angenehmer als dieser Stein dort.« »Ein Frauenkörper gewiß«, konterte ich. »Aber du bist keine Frau, sondern Dämonenabschaum aus der untersten Hölle!« Wieder lachte sie kreischend auf. Es war, als ob ich unabsichtlich etwas besonders Komisches gesagt hätte. »Die unterste Hölle. Wenn du wüßtest, wie recht du hast, armes Menschlein! Aber die unterste Hölle ist nicht irgendwo da« - sie deutete mit dem Daumen nach unten - »sondern genau hier. In dieser Stadt, die einstweilen noch Weimar heißt.« »Du brauchst wohl 'ne kalte Dusche«, zischte ich. »Babylon war die herrlichste Stadt des Universums«, fuhr Agara ungerührt fort. »Und ihr größtes Wunder war der Turm. Du hast gewiß vom Turmbau zu Babylon gehört, Mark Hellmann. Sieben Ebenen hatte dieser Turm, der bis in den Himmel ragte. So wird es auch im Neuen Babylon sein, in Weimar. Wir errichten hier einen Turm, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Und zwar aus Menschenknochen!« Die Tempelhure machte eine Pause, um ihren Worten mehr Gewicht zu verleihen. Die Zombies oder Unterteufel - manche von 56
ihnen trugen Hörner - hatten mit ihrem Gehopse aufgehört und lauschten eingeschüchtert. »Und die oberste Ebene des Turms ist für die besonders Verdammten gedacht, Mark Hellmann. Der siebte Kreis der Hölle eben. Dort wirst du wohnen, der Herr des Neuen Babylon. Gemeinsam mit deinem lieben Adoptiwater Ulrich. Und mit…« »Du redest zuviel!« Eine schneidende Stimme hatte Agara zum Schweigen gebracht. Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß ich mich einmal über das Auftauchen von Mephisto freuen würde. Und doch war es so. Der Höllenfürst würgte ihr Gerede ab, das für mich gräßlicher war als Folterqualen. Doch ich mußte genau, daß er nicht gekommen war, um mir einen Gefallen zu tun. Der Mega-Dämon hatte sich wieder als mittelalterlicher Jäger ausstaffiert. Mit seinen schweren Stulpenstiefeln schritt er auf mich zu. Die rote Feder an seinem grünen Hütchen wippte. Seinen schmalen Oberkörper hatte er mit einem ebenfalls grünen Umhang umschlungen. Mephisto machte eine ungeduldige Bewegung mit der rechten Klaue, als ob er eine Fliege verscheuchen wollte. Agara flog von meinem Fels. Man hätte glauben können, sie wäre von einem Ackergaul in ihren wohlgeformten Hintern getreten worden. »Vergiß das Geschwätz dieser Schlampe, mein Sohn.« »Ich bin nicht dein Sohn!« brüllte ich. »Gott hat schon den ersten Turm zu Babylon zerstört! Und die Hölle wird auch diesmal nicht siegen!« Mephisto verzog seine Teufelsfratze. Es gefiel ihm überhaupt nicht, den Namen seines Erzfeindes hören zu müssen. »Immer noch widerspenstig, dieser Mark Hellmann. Das macht nichts. Du bist eine kraftvolle Persönlichkeit, mein Junge. Als Herr des Neuen Babylon wirst du eine Zierde für die Hölle sein.« Ich schluckte meinen Zorn hinunter. Vor diesem Mega-Dämon durfte man sich keine Blöße geben. »Hast du mich aus dem Haus der Gräfin gebombt, Mefir?« »Na sicher. Eine meiner leichtesten Übungen. Die alte Schachtel und die grünhaarige Göre interessieren mich nicht. Ich wollte dich. Und nachdem du mein Empfangskomittee so unsanft behandelt hast, mußte ich eben mal selbst eingreifen.«
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Drohend trat er auf mich zu. Seine Klaue strich über das rotblau-golden schimmernde Hexermal an meiner linken Brustseite. Dort, wo ich keine Schmerzen spüre. »Ich werde dir jetzt dein menschliches Herz herausreißen müssen, mein Junge. Aber du kriegst dafür etwas viel Besseres. Keiner meiner Anhänger hat ein Herz…« »Wie kommt es, daß mich das nicht wundert?« »Als Mensch lebst du ein paar Dutzend Jahre und stirbst dann. Doch wir Dämonen sind mächtig und leben ewig. Und jetzt wirst du einer von uns…« Ich bäumte mich auf. Zerrte wie ein Wahnsinniger an meinen Ketten. Trat mit meinen nicht gefesselten Beinen nach Mephisto. Doch es war sinnlos. Mit meinen menschlichen Kräften konnte ich gegen den Mega-Dämon nichts ausrichten. Doch was war das? Der Fels schien unter mir zu schmelzen! Plötzlich ließen sich die Ketten von dem Stein lösen. Meine Arme schossen nach vorne. Die Eisenketten knallten in Mephistos Dämonenvisage. Auch er mußte bemerkt haben, daß ihm jemand die Suppe versalzen wollte. Und dann erkannte ich plötzlich die Gestalt, die sich unerbittlich zwischen den Höllenfürsten und mich schob. Es war Nostradamus! * Der französische Prophet aus dem 16. Jahrhundert erschien in seiner mir schon vertrauten Gestalt (Siehe MH 31!). Unter seinem bis zu den Knien fallenden, vorne offenen Gelehrtentalar trug er Kniehosen. Auf seinem Kopf hatte er eine Samtkappe, an den Füßen über dem Rist offene Schuhe. Wie es der Mode seiner Zeit entsprach. Nostradamus existierte in einer anderen Dimension. Ich spürte, wie das feinstoffliche Wesen starke Energien ausströmte. Sogar Mephisto wurde dadurch für Sekunden gebremst. »Verschwinde von hier, Mark!« ertönte die Stimme des französischen Sehers, mit dem ich innerlich durch meinen Siegelring so stark verbunden war. Er hatte ihn schließlich einst hergestellt. »Erfülle deine Prophezeiung!« 58
Ich wußte sofort, was er meinte. Die Worte der erzenen Stimme. Suche die Spur des Teufelsdieners! hatte sie mir gesagt. Damit konnte nur Melchior Höllemann gemeint sein. Finde sein Haus. Das hatte ich getan. Es stand dort, wo sich in meiner Zeit die Villa derer von Schaumburg-Klöten befand. Reinige den Kelch mit deinem Ring, bevor die Macht des Bösen ihn verseucht. Nun, dazu mußte ich in die Zeit des Teufelsdieners zurückkehren. Ins 11. Jahrhundert. Viel Zeit würde mir dafür nicht bleiben. Denn Mephisto und seine Schergen blieben natürlich nicht untätig, nachdem Nostradamus eingegriffen hatte. Der Höllenfürst feuerte wutschnaubend Blitze gegen meinen Freund. Der Seher hatte einen Energieschild aufgebaut, der aber zusammenschmolz. Ich mußte sofort aufbrechen, obwohl ich Nostradamus gerne geholfen hatte. Aber ohne meine Waffen wäre das sowieso reiner Selbstmord gewesen. Ich hielt mich dicht bei meinem väterlichen Freund, während ich meinen Ring an dem siebenzackigen Hexenmal auf meiner Brust aktivierte. Durch die starke dämonische Energie um uns herum glühte das Kleinod ohnehin schon fast. Ein blauer Lichtstrahl, einem Laser gleich, schoß aus meinem Ring. Mit ihm schrieb ich vor mir auf den Waldboden das keltische Wort für »Reise«. In altgermanischen Futhark-Runen. Die Jeans brauchte ich nicht auszuziehen, auch wenn ich meine Trips in die Vergangenheit nur nackt antreten konnte. Alles blieb zurück; ich konnte nichts mitnehmen. Ich bekam noch mit, wie die Unterteufel und Zombies die Energieabschirmung durchbrachen und mich in Stücke hauen wollten. Drohend schwangen sie ihre Äxte und Dolche. Doch sie kamen zu spät. Riesenhaft schien der Drache auf meinem Siegelring anzuwachsen und mich zu verschlingen. Sphärenklänge ertönten. Ich stürzte in einen Schacht aus Licht. Der Eingang in eine seltsame Zwischenwelt. Alle Zeitalter der Menschheit rasten an mir vorbei. Dämonen und gute Geister erschienen und verschwanden. Zu schnell, um von mir wahrgenommen zu werden. Wie ein Stück Treibholz flog ich durch die Zeit.
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* Die unheimliche Zombietruppe war im Nichts verschwunden. Pit Langenbach vermutete, daß Mephisto sie in die Zukunft gehext hatte. Ins 20. Jahrhundert. Um Mark Hellmann das Leben schwerzumachen. Nur dieser Balthasar Höllemann war noch da. Er spielte drohend mit seiner Keule. »Nicht mehr lange, dann wird dein Freund erscheinen, großer Schnurrbart! Ich hätte Lust, dich vorher noch etwas zu kitzeln. Mir ist langweilig!« Mit diesen Worten holte er aus und verpaßte dem Hauptkommissar einen Hieb gegen den rechten Oberschenkel. Der an den Armen aufgehängte Pit begann zu pendeln. Die Schmerzen schossen in ihm hoch. Höllemann lachte dreckig. »Ei, das macht Spaß! Ich werde…« »Laß den Mann in Ruhe!« Der Henkersknecht fuhr herum. Auch Pit schaute auf. Ihm war ebenfalls entgangen, daß sich jemand genähert hatte. Dabei war der Kreuzritter auf seinem Schlachtroß nun wirklich nicht zu übersehen. Sein Knappe lief zu Fuß nebenher. Der Reiter trug eine glänzende Rüstung. Auf die rechte Schulter seines Mantels hatte er sich ein rotes Kreuz geheftet. Das Zeichen der Kreuzfahrer. Er war mit Lanze, Schild und Schwert bewaffnet. Das Visier seines Helmes war offen. Unter buschigen Augenbrauen funkelte er Balthasar Höllemann mißtrauisch an. Der Teufelsdiener war sauer. Der Anblick eines Kreuzes trug offenbar nicht dazu bei, seine Laune zu heben. »Verschwindet!« blaffte er grob. »Das hier ist meine Angelegenheit.« Pit vermutete, daß der Ritter auf der Durchreise war. Er kam wahrscheinlich aus Mecklenburg oder Brandenburg und wollte in den Süden, wo sich die Kreuzfahrerheere sammelten. Um dann über den Balkan und die Meerenge von Istanbul Jerusalem zu erreichen. Der Kreuzfahrer beachtete den Schurken mit der Keule nicht. Statt dessen wandte er sich an Pit. »Was will dieser Mann von euch?«
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»Er ist ein Räuber, Herr«, entgegnete der Hauptkommissar geistesgegenwärtig. »Ich bin ein friedlicher Händler, der von diesem Galgenstrick überfallen wurde.« Der Ritter nickte grimmig. Er schien sagen zu wollen, daß er sich so etwas schon gedacht hatte. Er befahl seinem Knappen: »Binde den Ärmsten los!« »Ihr hättet euch besser nicht eingemischt!« Balthasar Höllemanns Stimme klang gefährlich leise. Plötzlich schien sein Körper vor böser Kraft nur so zu vibrieren. Seine Augen wurden rot wie die eines tollwütigen Raubtieres. Der Teufelsdiener sammelte seine dämonische Energie. Mit einem irren Schrei griff er den Ritter an! * Ich landete zwischen Ziegen. Meckernd protestierten die Vierbeiner. Aufgeregt stoben sie nach links und rechts weg. Soweit das in dem engen Stall überhaupt möglich war. Stöhnend hielt ich mir den Schädel. Wie immer nach meinen Zeitreisen fühlte ich mich wie durch den Fleischwolf gedreht. Mein Körper war geschwächt, sehnte sich nach Ruhe. Ausgerechnet dann geriet ich meist in Situationen, wo ich eigentlich meine ganze Kraft benötigte. So war es auch diesmal. Durch die Bretter der Stallwände fiel Sonnenlicht herein. Ich hatte mich gerade halbwegs aufgerappelt, als die Tür aufgerissen wurde. Und jemand mit einer scharfgeschliffenen Hacke auf meinen Kehlkopf zielte! »Verdammter Ziegendieb! Einen alten Mann bestehlen, was? Dir werde ich es zeigen…« Ich konnte die Sprache der Zeit problemlos verstehen und wohl auch sprechen. Die Magie meines Siegelringes ermöglichte das. Wenn alles geklappt hatte, mußte ich im 11. Jahrhundert angekommen sein. In dem Ort, der damals schon Weimar hieß. Bereits 899 wurde meine Heimatstadt erstmals urkundlich erwähnt. Doch die Stadtrechte erhielt sie erst sehr viel später, nämlich 1254. Im Moment hatte ich allerdings andere Sorgen. Der Wüterich war zwar alt, aber starkknochig und muskulös. Wenn er mit 61
seiner Hacke meinen Hals zerfetzte, würde ich hier verrecken, ohne die Ratschläge der erzenen Stimme befolgt zu haben. Theoretisch hätte ich mich kurz vor meinem Tod dann noch in die Jetztzeit flüchten können, wäre dort auch unversehrt angekommen, aber wenn man so schwer verletzt ist, kann man in einer solchen Ausnahmesituation nicht mehr klar denken und nicht mehr all das tun, was vielleicht noch möglich ist. Ich verteidigte mich. »Ich wollte keine Ziege stehlen…« »Ha! Und wie kommst du dann in meinen Stall, Bursche?« »Durch ein Wunder.« Der Alte mit der Hacke stutzte. Er schien sich unsicher zu sein, ob ich ihn auf den Arm nehmen wollte oder nicht. Schnell fuhr ich fort. »Ich habe unweit der Wartburg im Wald Beeren gesammelt«, schwindelte ich. »Plötzlich erschien mir ein Geist und raubte meine Kleider. Im nächsten Augenblick fand ich mich in eurem Ziegenstall wieder.« »Du lügst!« »Ich spreche die Wahrheit!« sagte ich mit Wichtigstimme. »Oder habt Ihr mich etwa den Stall betreten sehen?« »Ich bin blind«, erklärte der Mann. Ich betrachtete ihn genauer. Im Dämmerlicht des fensterlosen Verschlags war mir gar nicht aufgefallen, daß er mich beim Ansprechen überhaupt nicht anschaute. Seine Augen waren durch eine entsetzliche Krankheit entstellt. »Es wird sich zeigen, ob du die Wahrheit sprichst, Fremder. Der Türriegel war unversehrt. Wenn auch die Stallwände in Ordnung sind, dann stimmt deine Geschichte. Wenn nicht, dann kannst du was erleben.« Er zwang mich, den Stall zu verlassen. Obwohl er mich nicht sehen konnte, hatte er mich mit seinem Gehör immer unter Kontrolle. Und mit seinem Geruchssinn. Denn inzwischen stank ich selbst wie ein Ziegenbock. Der Alte stieß mich vor sich her und kontrollierte mit der linken Hand die Bretter des Stalls. Alles war unversehrt. »Ich muß mich wohl entschuldigen, Junker«, meinte er schließlich. »Aber es gibt auch hier in Weimar ein paar Spitzbuben, die einem armen blinden Besenbinder seine wenige Habe entwenden wollen. Ich bin Adam, genannt der Zornige.« »Und ich heiße Markus Hellmann.«
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Plötzlich flammte das Mißtrauen des Blinden wieder auf. »Hellmann - Höllemann? Bist du ein Verwandter von diesem Lumpenhund, dem Drecksack von Henkersknecht?« Der zornige Adam schien nicht gerade zum Fanclub von Balthasar Höllemann zu gehören. Das konnte mir nur recht sein. »Ich kenne niemanden, der so heißt. Ich bin fremd in Weimar«, log ich, während mich der Besenbinder in seine Hütte bugsierte. Dort herrschte eine düstere Atmosphäre, obwohl heller Tag war. Aber ihr Bewohner brauchte ja auch kein Tageslicht. »Dieser Höllemann hat es mit dem Leibhaftigen!« raunte mir Adam zu. Er pflanzte sich auf die Bank. Ich nahm am anderen Ende Platz. »Er arbeitet für den Henker, mußt du wissen. Und es wird erzählt, daß er sündhafte Beschwörungen macht, um dem Herrn der Unterwelt die armen Seelen zuzutreiben. Ich bin manchmal froh, daß mir die Krankheit das Augenlicht geraubt hat…« »Wieso?« Verschwörerisch kam der Besenbinder näher. »Weil dieser Übeltäter direkt neben mir wohnt. Manchmal höre ich des Nachts die Dämonen bei ihm toben. Dann knie ich nieder und bete zur Jungfrau Maria. Aber ich bin sicher - wenn ich diese Bestien sehen könnte, würde ich auf der Stelle verrückt werden!« Ich war also an der richtigen Adresse. Nach einigem Hin und Her konnte ich den zornigen Adam davon überzeugen, mir einen leinenen Kittel zu leihen. Die typische Tracht der armen Leute dieser Zeit. Er erklärte mir auch noch, daß der Papst jüngst zum Kreuzzug aufgerufen hätte. Wir mußten uns also im Jahre 1095 befinden. Soviel hatte ich aus meinem Geschichtsstudium noch behalten. Zu guter Letzt konnte ich ihm noch eine Ahle abschwatzen. Wie jeder gute Handwerker gab Adam sein Werkzeug nur ungern aus der Hand. Ich hatte vor, mit Hilfe meines Ringes aus dem spitzen Gegenstand eine weißmagische Waffe zu machen. »Was hast du vor, Markus?« fragte Adam neugierig. »Ich gehe in mein Dorf zurück. Die Ahle soll mich vor Räubern schützen. Ich gebe einem Fuhrmann dann den Kittel und das Werkzeug für dich mit. Er fährt jeden Tag nach Weimar.« Diese Geschichte kaufte mir der Besenbinder ab. Zu seiner Zeit hatten die Menschen noch Vertrauen zueinander. Es gab zwar jede Menge Spitzbuben, Räuber und Mordbrenner. Aber trotzdem 63
- oder .gerade deswegen - halfen sich die Leute gegenseitig. Sonst hätten sie auch nicht überleben können in diesen harten Zeiten. Mit der Ahle in der Rechten verabschiedete ich mich und schlich nach draußen. Versuchte mich kurz zu orientieren. Das Weimar des Jahres 1095 war nicht annähernd so groß wie die Kulturstadt des Jahres 1999. Dort, wo die Um heutzutage an der Südstadt und an Ehringsdorf vorbeifloß, gab es damals noch dichten Thüringer Wald. Hier standen auch die Hütten des Besenbinders, des Henkersknechts und einiger anderer armer Schlucker. Weit außerhalb der Stadtmauern. Ich flankte über den primitiven Zaun, der zwischen Adams und Balthasars Grundstücken errichtet war. Kaum hatten meine Füße den Boden auf Höllemanns Seite berührt, als sich mein Ring erwärmte und auf der Haut zu prickeln begann. Dämonische Aktivität. Zeit, mich zu wappnen. Ich aktivierte den Ring an meinem Hexenmal, ließ den blauen Strahl aufleuchten und schrieb das keltische Wort für »Waffe« im Futhark-Alphabet auf die Ahle des Bürstenbinders. Dann näherte ich mich vorsichtig der Hütte. Ob Balthasar Höllemann wohl zu Hause war? Eigenartige Gefühle beschlichen mich. Dieser Kerl war ein Urahn von Ulrich. Gleichzeitig auch ein Teufelsanhänger, ein Vertreter des Bösen. Irgendwie kriegte ich das in meinem Kopf nicht zusammen. Lauschend legte ich mein Ohr an die Hüttentür. Nichts. Kein Geräusch. Bis auf das Vogelsingen vom nahen Waldrand. Ich riskierte es. Hob den linken Fuß und drückte damit die Tür auf. Die Ahle hatte ich stoßbereit. Das rettete mir vermutlich das Leben. Denn kaum hatte ich einen Schritt in den Verschlag gemacht, als ich auch schon von einer grauenvollen Bestie angefallen wurde! * Der Ritter war ein kampferprobter Mann. Er ließ seine Lanze fallen, die ihm auf die kurze Distanz nichts bringen würde. Statt dessen zog er sein Schwert. Gespannt verfolgte Pit, der immer .noch zwischen den Eichenästen hing, wie der Teufelsdiener und der Recke 64
aufeinanderprallten. Das Pferd spürte die widernatürliche Gefahr, die von Balthasar Höllemann ausging. Es scheute. Drohte durchzugehen. Der Teufelsanbeter sprang hoch und stieß gleichzeitig seine Keule vor. Sein Gegner parierte mit dem Schild. Doch der Gewalt des Höllengünstlings hatte er nicht viel entgegenzusetzen. Einerseits war Balthasar Höllemann schon von Natur aus das reine Kraftpaket. Und andererseits bezog er zusätzlich Energie aus den dunkelsten Tiefen der Unterwelt. Trotzdem ließ sich der Ritter nicht unterkriegen. Sein Schwertarm stieß nieder. Höllemann krallte sich mit der Linken in die Mähne des Schlachtrosses. Er versuchte, den Mann in der Rüstung aus dem Sattel zu zerren. Schwert und Keule krachten aufeinander. Die scharfe Klinge riß eine tiefe Kerbe in das Holz des Schlagwerkzeugs. Der Ritter holte abermals aus. Doch der Teufelsknecht war verdammt schnell. Seine kräftige Faust rammte die Keule erneut vor. Dem Ritter wurde das Gewicht der eigenen Rüstung zum Verhängnis. Bevor er sich fangen konnte, wurde er aus den Steigbügeln gehoben. Er ließ die Zügel fahren, versuchte sich zu halten. Vergeblich. Schwer krachte der Mann mit der Rüstung in den Staub des Bodens. Das Pferd ging nun in Todesangst endgültig durch. Und Balthasar Höllemann stürzte sich wie ein geifernder Dämon mit einem Triumphschrei auf seinen Gegner! Währenddessen hatte Pit Langenbach den Kampf mit zunehmender Ungeduld verfolgt. Er brannte darauf, selbst mitmischen und seinem Retter gegen seinen Peiniger beistehen zu können. Immerhin hatte der Knappe die Anweisungen seines Herrn und Meisters nicht vergessen. Wie ein Affe turnte der Junge an dem gewaltigen Eichenstamm hoch. Zog seinen Dolch und schnitt dann vorsichtig die Fesseln des Hauptkommissars durch. Erst an der rechten, dann an der linken Hand. Pit stürzte zu Boden. Als aktiver Kampfsportler verletzte er sich dabei nicht. Noch in der Luft drehte er sich auf die Seite und rollte dann beim Aufprall über die Schulter ab. Der Hauptkommissar spürte, wie das Leben in seine abgeschnürten Hände zurückkehrte. Er federte hoch, trotz der 65
schmerzhaften Gefangenschaft energiegeladen. Dann bewegte sich Pit von hinten auf die beiden kämpfenden Männer zu. Der am Boden liegende Ritter konnte offenbar dringend Hilfe gebrauchen. Balthasar Höllemann verbeulte ihm mit mächtigen Keulenschlägen die Rüstung. Er. hatte noch nicht bemerkt, daß der Knappe seine Geisel befreit hatte. Das war Pits Vorteil. Noch schaffte es der Ritter, die schlimmsten Hiebe mit seinem breiten Schwert zu parieren. Aber der Teufelsdiener schien zu immer besserer Form aufzulaufen, je länger der Kampf dauerte. Schließlich prellte er dem am Boden Liegenden die Waffe aus der Hand. In einem weiten Bogen flog das Schwert davon. Pit direkt vor die Füße! Mit einem teuflischen Leuchten in seinen blutroten Augen hob Balthasar Höllemann die Keule, um dem Ritter den Schädel einzuschlagen. Da fuhr die Klinge durch seinen Unterarm! Der Henkersknecht wirbelte herum. Er war so mit seinem Opfer beschäftigt gewesen, daß er Pits Befreiung immer noch nicht bemerkt hatte. Das Blut sprudelte aus der Wunde. Immerhin war es rot wie bei einem Menschen. Und kein schwarzes Dämonenblut. Das bedeutete, Balthasar Höllemann war immer noch ein sterblicher Mensch. Und trotz seiner besonderen Kräfte kein Dämon, dem nur mit geweihten Waffen beizukommen war. Die Aussicht verdoppelte die Kampfkraft des Hauptkommissars. »Ah, großer Schnurrbart!« rief der Teufelsknecht hohnlachend, trotz seiner Wunde. »Willst du lieber sofort in Stücke gehauen werden? Das kannst du haben!« Er ließ von dem verletzten Ritter ab und hob die Keule gegen meinen Freund. Da ertönte eine gewaltige Stimme. »Überlaß ihn mir!« * Ein Wachhund ist nichts Ungewöhnliches. Jedes abgelegene Gehöft unterhält so ein Tier. Daran hat sich seit dem Mittelalter nichts geändert. Wer immer sich so eine treue Hundeseele leisten konnte, tat es auch. 66
Balthasar Höllemann hatte statt dessen einen Wachdämon. Das wurde mir schmerzlich klar, nachdem ich seine Hütte betreten hatte. Ich konnte im letzten Moment den Kopf einziehen, als er auf mich zuraste. Ich erkannte nur wenig von der Gestalt des Untieres. Aber was ich da sah, reichte mir. Rasiermesserscharfe Zähne. Große, behaarte Ohren. Ein einziges, vorquellendes Auge. Klauen mit gekrümmten Nägeln. Ein Schwanz, auf dem Dornen saßen. Wie bei einem Kaktus. Die Bestie stieß ein nervenzerfetzendes Fauchen aus. Mit einem dumpfen Laut prallte sie gegen die geöffnete Tür. Wirbelte sofort herum und attackierte mich erneut. Sie war so groß wie eine normale Katze. Aber ihre widerlichen Gliedmaßen bestanden offenbar nur aus Muskeln und höllischer Energie. Ich knickte in den Knien ein, versuchte wieder auszuweichen. Aber diesmal kam ich nicht so billig davon. Die Vorderkrallen drangen tief in meinen linken Oberarm. Der Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen. Das Satansvieh gab ein triumphierendes Kreischen von sich. Doch es hatte sich zu früh gefreut. Mit Rechts umfaßte ich die Ahle so fest wie möglich. Ich drehte mich um die eigenen Achse und rammte das Werkzeug mit aller Macht in den Körper der widernatürlichen Existenz. Ich stieß so hart zu, daß die Spitze des weißmagischen Eisendorns am Rücken wieder austrat und in die hölzerne Hüttenwand eindrang. Die Kraft des Guten verrichtete augenblicklich ihr Werk. Die Bestie hieb ohnmächtig noch einmal mit ihren Krallen nach mir. Doch gegen die geballte Weiße Magie hatte sie keine Chance. Mit einigen Zuckungen hauchte die Kreatur ihr schwarzmagisches Dasein aus. »Heute gibt es Dämon am Spieß«, sagte ich zu mir selber. Nachdem ich mich vergewissert hatte, daß der Angreifer tatsächlich nicht mehr lebte, zog ich die Ahle wieder heraus. Ich hatte das Gefühl, sie noch gut brauchen zu können. Nun kam der wichtigste Teil meiner Mission. Die Suche nach dem Gefäß, das Ulrich Hellmann fast tausend Jahre später dieses verdammte Nervenfieber eingebrockt hatte. Es war nicht schwer zu finden. Dieser Teufelsanbeter Balthasar Höllemann besaß außer einem Strohsack, Tisch und Bank nur wenige Dinge. Allerdings fehlten an den Wänden die 67
gotteslästerliche Symbole nicht. Das war nicht anders zu erwarten gewesen. Ich konzentrierte mich auf das Gefäß. Es wirkte jetzt noch ziemlich neu. Ich nahm es in die Hände. Es war eindeutig derselbe Kelch, den ich im Jahre 1999 bereits gehalten hatte. Was hatte die Stimme mir noch empfohlen? Reinige den Kelch mit deinem Ring! Entstand dadurch nicht ein Zeitparadoxon? Wenn der Kelch nicht mehr schwarzmagisch war, würde Ulrich auch kein Nervenfieber bekommen. Dann gab es auch keinen Grund, warum ich überhaupt in diese Zeit gereist war. Oder? Ich hatte keine Wahl. Ich mußte der erzenen Stimme vertrauen. Mein Ring war durch den Auftritt des Wachdämons in Alarmbereitschaft. Wieder aktivierte ich ihn an meinem Hexenmal und hoffte, daß die bereitgestellte Energie noch für die beabsichtigte Aktion ausreichte. Dann schrieb ich das keltische Wort für »Reinheit« mit altgermanischen Runen auf diesen Kelch. Die Luft um mich herum schien plötzlich zu vibrieren. Ich spürte förmlich, wie sich die bedrückende Atmosphäre in der Hütte verflüchtigte. Wie die Luft nach einem reinigenden Gewitter. Ich betrachtete den Kelch. Man sah ihm keine Veränderung an. Vielleicht war er zuvor für satanische Rituale mißbraucht worden. Aber nun hatte ich ihn mit der Kraft meines Ringes gesäubert. Meine Aufgabe war erfüllt. Ich griff wieder nach der Ahle und wollte die Hütte des Henkersknechts verlassen. Da hörte ich plötzlich lautes Geschrei und Kampfgetümmel. Ich stürzte hinaus. Es war aber nichts zu sehen. Die Geräusche schienen aus dem nahen Wald gekommen zu sein. Alarmiert lief ich hin. Ich hatte die Vorahnung, daß dort etwas für mich sehr Wichtiges ablief. Und so war es auch! Ich sprang durch das Unterholz. Der Thüringische Wald war um das Jahr 1000 herum noch so dicht, wild und düster, daß man von einem Urwald sprechen konnte. Aber nicht weit vom Waldrand lichteten sich die Reihen der Bäume. Auf die Entfernung erkannte ich nur, daß einige Männer miteinander fochten. Ich beschleunigte mein Tempo. Mein Formtief nach der Zeitreise war überwunden. Ich brach zwischen einigen Bäumen hindurch. Die Szene vor mir ließ mich erschauern. 68
Ein widerwärtiger Kerl mit einem Knüppel prügelte auf einen Ritter ein, der am Boden lag. Doch da kam ein nackter Mann hinzu und verpaßte ihm einen Schwerthieb. Mich durchzuckten gleichzeitig Schrecken und Erleichterung. Erleichterung, weil der Schwertkämpfer kein anderer war als mein Freund Pit. Er war offenbar von den Mächten der Finsternis in diese Zeit entführt worden. Und Schrecken, weil der Hauptkommissar gegen Balthasar Höllemann focht. Wenn er ihn tötete, würde es ein schlimmes Durcheinander geben. Die Gesetze des Universums lassen sich nicht biegen. Für mich war klar, daß dieser Teufelsanbeter im Jahre 1990 durch Vater Ulrichs Kugeln sterben würde. Jede andere Möglichkeit konnte nur im Chaos enden. Also brüllte ich aus Leibeskräften: » Überlaß ihn mir!« * Pit hatte sofort gecheckt, daß ich es war. Er steppte zur Seite, das Schwert in Abwehrstellung vor sich. »Mark…« Die bösartige Fratze von Balthasar Höllemann verzerrte sich noch weiter. Der Teufelsanbeter hob tatendurstig seine Keule. »Ah, Mark Hellmann! Du bist also dieser Wicht, der sich meinem Herrn Mephisto in den Weg stellt. Jetzt haben wir dich! Und wir lassen dich nicht mehr entkommen!« »Wieso wir?« fragte ich, während ich mich lauernd dem Vorfahren von Ulrich Hellmann näherte. »Für mich bist du der einzige Feind weit und breit!« Und so war es wirklich. Ich durchschaute noch nicht so ganz, was hier passiert war. Aber sowohl der Ritter als auch Pit mußten gegen Höllemann gekämpft haben. Nun bemerkte ich auch noch einen jungen Knappen, der zu seinem verletzten Herrn eilte. Was war mit ihm los? Das würde sich später klären. Der Teufelsdiener wirkte überrascht. Er schien erst jetzt zu schnallen, daß er uns ja wirklich allein gegenüberstand. Plötzlich verstand ich, was hier lief. Mephisto und seine Höllenschergen hatten dazukommen sollen, wenn ich in dieser Zeit war, im Jahre 1095. Aber das funktionierte jetzt irgendwie nicht. Und ich konnte mir auch denken, warum das nicht klappte. 69
Nostradamus. Er mußte mit einem Trick, den ich nicht verstand, Balthasar Höllemann von seiner Teufelsmeute abgeschnitten haben. Guter alter Prophet! Mein Gegner bebte vor Wut. Das Blut floß aus seinem verletzten Arm. Es war nur eine Fleischwunde. Pit war immer noch bereit, sich auf ihn zu stürzen. »Unternimm nichts!« bat ich meinen Freund eindringlich. »Ich kaufe mir diesen Satans-Arschkriecher. Ich erkläre dir alles später!« Mein Freund nickte nur. Aber es fiel ihm sichtlich schwer, nicht die Schärfe seiner Klinge an dem Henkersknecht auszuprobieren. Höllemann hatte offensichtlich gerade den Ritter erschlagen wollen, als Pit eingriff. Ulrich Hellmanns Vorfahre walzte nun direkt auf mich zu. Seine Muskeln waren so beeindruckend, wie Vater es in seiner Erzählung beschrieben hatte. Und die Keule war ein Wahnsinnsding. Wenn er mir damit einen verpaßt hätte, wäre mein Schädel bis ins Riesengebirge geflogen. Und ich hatte als Waffe nur die weißmagische Ahle. Das war zwar besser als nichts, aber etwas wenig bei einem Gegner, den man nicht ernsthaft verletzen oder gar töten darf. Und der selbst die Brutalität in Person ist. Zorn stieg in mir auf. Ich mußte daran denken, wie gnadenlos dieser Mann da vor mir Ulrich zum Krüppel geschlagen hatte. Mein Vater. Wenn er damals nicht gegangen wäre, hätte es mich erwischt. Ich liebte ihn für seine Selbstlosigkeit. Er und Lydia waren meine Eltern, wenn auch nicht meine leiblichen. Ich warf die Ahle weg. Sicher ist sicher, dachte ich Und stürzte mich mit bloßen Händen auf den Teufelsdiener Balthasar Höllemann! * Ich hatte einen gewaltigen Vorteil. Im 11. Jahrhundert kannte man in Deutschland und dem restlichen Europa keine asiatischen Kampftechniken. Die meisten Menschen wußten noch nicht mal, daß es einen Kontinent namens Asien überhaupt gab. 70
Darum kapierte auch Höllemann nicht, daß ein Kämpfer mit bloßen Händen gefährlicher sein kann als ein anderer mit Schwert und Morgenstern. Er sollte es schnell begreifen. Siegessicher grölend warf es seinen Arm mit dem Knüppel nach hinten, um Schwung zu holen. Er wähnte mich noch genügend weit entfernt, um mir in aller Ruhe den Schädel einschlagen zu können. Sein erster Fehler. Ich beschleunigte im Lauf noch einmal. Blieb dann wie angewurzelt auf dem linken Bein stehen. Griff mit dem rechten an. Ein weiter Halbkreistritt säbelte durch die Luft. Meine Fußaußenkante knallte gegen Höllemanns Kiefer wie ein Backstein. Der Tritt fegte ihn glatt von den Füßen. Ich setzte nach. Aber seine Wendigkeit konnte sich sehen lassen. Wie ein Stehaufmännchen war er schon wieder auf den Beinen. Diesmal packte er den Knüppel mit beiden Fäusten. Aber er triumphierte schon etwas leiser. Ich ging in einen tiefen Kampfstand. Breitbeinig, in den Knien eingeknickt, erwartete ich seine Attacke. Meine linke Hand sorgte für die Deckung vor der Brust, die rechte war als Faust zum Gegenangriff geballt. Die Keule sauste nieder. Im selben Augenblick schnellte ich hoch. Mein linker Unterarm blockte das Schlaginstrument schon im Ansatz. Mit der anderen Faust donnerte ich aus dem Ellenbogen heraus drei oder vier trockene Gerade auf die Nase von Ulrichs Vorfahren. Damit hatte er nicht gerechnet. Der Teufelsdiener verließ sich hundertprozentig auf seine furchterregende Waffe, mit der er Vater so gräßlich zugerichtet hatte. Aber wenn er keine Deckung aufbaute, würde ihm das auch nichts nützen. Ich änderte meine Stellung. Plötzlich und unerwartet kam mein rechtes Knie zum Angriff hoch. Ich versenkte es tief in seine Magengrube. Okay, dieser Kerl bestand fast nur aus Muskeln. Aber mein Angriff war so heftig, daß er einfach etwas spüren mußte. Und so war es auch. Höllemann krümmte sich etwas zusammen. Aber irgendwie schaffte er es doch, mit seiner Keule zu mir durchzukommen. Der Hieb traf meinen linken Arm. Er fühlte sich an, als würden eine 71
Million Stecknadeln hineingestochen. Es tat einen Wimpernschlag lang gemein weh. Ich konterte mit einem Ellenbogenstoß gegen seinen Wangenknochen. Gleichzeitig verdrehte ich ihm das rechte Handgelenk. Für Momente rangen wir stumm und schweißüberströmt miteinander, wie beim Armdrücken. Seine Muskelpakete waren beeindruckend. Aber meine sind auch nicht von Pappe. Schließlich ließ er die Keule fallen. Meinem EntwaffnungsSpezialgriff hatte er nichts entgegenzusetzen als rohe Gewalt. Und das ist immer zuwenig. Nun wollte mir der Teufelsknecht mit beiden Händen an die Kehle gehen. Aber darauf war ich vorbereitet. Ich senkte das Kinn auf die Brust, damit mein Kehlkopf nach innen wanderte. Und stellte meinen linken Fuß unauffällig hinter seine beiden Beine. Der Grobian kriegte davon nichts mit. Sein Haß hatte ihn verblendet. Mit einer blitzschnellen Bewegung meines Oberkörpers ließ ich ihn fliegen. Dumpf knallte Höllemann auf den Waldboden. Nun ließ ich ihn nicht mehr zur Ruhe kommen. Vergeblich bemühte sich der Teufelsdiener, meinem Haltegriff zu entgehen. Wieder einmal war ich dem Trainer im Polizeisportverein Weimar sehr dankbar, daß er uns alle Techniken so geduldig eingeschliffen hat. Ich gab Pit ein Signal. Mein Freund, näherte sich schon mit einem Strick. »Darf ich ihn wenigstens fesseln, Mark? Dieses Vergnügen mußt du mir schon überlassen. Ich erzähle dir später den Grund.« * Ich behandelte den Ritter, der Pit so selbstlos geholfen hatte, mit den magischen Heilkräften meines Ringes. Seine gebrochenen Rippen und inneren Verletzungen waren im Nu verschwunden. Dankbar schüttelte er mir die Hand. Nun würde er seinen Weg ins Heilige Land fortsetzen können. Balthasar Höllemann tobte wie ein Wahnsinniger. Aber der Hauptkommissar mußte einen richtigen Seemannsknoten gemacht haben. Jedenfalls hielten die Fesseln.
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»Ich habe eine Nachricht für deinen speziellen Freund Mephisto«, sagte ich zu dem fernen Vorfahren von Ulrich Hellmann. »Dein Schicksal hat sich schon erfüllt. Du wirst eines Tages die Quittung dafür bekommen, daß du den Teufel angebetet hast. Das hast du dir selbst zuzuschreiben. Und ich werde niemals der Herr des Neuen Babylon. Die Stadt des Bösen ist bereits einmal vernichtet worden. Ein zweites Mal wird sie gar nicht erst errichtet werden. Nicht, wenn ich es verhindern kann.« Heimtückisch blitzte es in Balthasar Höllemanns Augen. »Wir sehen uns wieder, Mark Hellmann. Du glaubst, das hier ist das Ende. Aber es ist erst der Anfang! Wenn dein lieber Vater Ulrich erst einmal im siebten Kreis der Hölle schmort, wird auch dein Leben zu einer einzigen Qual. Mein Herr Mephisto ist zu mächtig für dich. Du und Ulrich und dieser große Schnurrbart da - ihr seid alle der Hölle geweiht!« Er stieß ein schauriges Lachen aus. Ich hätte ihn gerne verprügelt. Aber es widerstrebte mir, einen Gefesselten zu schlagen. Immerhin fand ich es beruhigend zu wissen, daß er von Ulrich für seine Brutalitäten schon eine Revanche erhalten hatte. Und zwar in Form von einigen geweihten Silberkugeln. Damals, im Jahr 1990. In dieser Schicksalsnacht. Der Ritter und sein Knappe zogen ihrer Wege, Richtung Süden. Pit und ich gingen die kurze Strecke zur Hütte des Besenbinders. Ich wollte ihm den Kittel und die Ahle zurückgeben. Inzwischen berichteten wir uns kurz gegenseitig, was wir erlebt hatten. »Eins verstehe ich nicht«, sinnierte Pit. »Warum ist die Falle nicht zugeschnappt? Diese Kreaturen hatten mich schon als Menschenopfer ausgewählt, damit du deinen Einstand als babylonischer Herrscher mit Terror und Entsetzen geben kannst.« »Nostradamus, Alter. Er muß es irgendwie gedeichselt haben. Eine andere Erklärung habe ich nicht. Seine Kräfte sind offenbar größer, als ich manchmal angenommen habe.« »Eine Frage hätte ich noch, Mark.« »Nämlich?« Pit rümpfte die Nase. Der Besuch im Ziegenstall hing mir immer noch nach. »Benutzt du eigentlich ein neues Deodorant? Ich glaube, da hast du dir einen Ladenhüter aufschwatzen lassen…« * 73
Ulrich Hellmann schlug die Augen auf. Es gab ein magisches, unbegreifliches Band zwischen diesem Moment und dem Zeitpunkt, als Mark Hellmann im Weimar des Jahres 1095 den Kelch von den Einflüssen des Bösen reinigte. Der pensionierte Kripomann lag in einem Krankenhausbett in den Hufeland-Kliniken. Er fühlte sich zwar etwas schwach, aber wieder völlig in Ordnung. Nur schemenhaft war die Erinnerung daran, wie das grünhaarige Mädchen ihm den Kelch überreicht hatte. Und wie er dann in diesen merkwürdigen Zustand gefallen war… Der alte Mann schwang entschlossen die Beine aus dem Bett. Und hoffte, daß niemand auf die Idee gekommen war, seine Frau zu benachrichtigen. Lydia ängstigte sich immer so schnell. Wenn es nach ihm ging, mußte sie überhaupt nicht erfahren, daß er zusammengeklappt war. Er warf einen Blick auf die Armbanduhr. Kurz nach Mitternacht. Die Kollegen von der LIGA würden gewiß noch im Hotel Elephant zusammensitzen… Ulrich Hellmann klappte den Spind auf und holte seinen Anzug heraus. Seine Hände waren irgendwie klebrig. Er betrat die kleine Naßzelle des Hospitalzimmers und drehte den Wasserhahn auf. Während er sich einseifte, erschien plötzlich eine blutrote Schrift auf dem Spiegel, der in Augenhöhe angebracht war. EINES TAGES GEHÖRST DU TROTZDEM MIR! Unterzeichnet war die Botschaft mit einem ebenfalls roten Dreizack. Ulrich zog die Augenbrauen zusammen. Er war fest entschlossen, sich nicht ins Bockshorn jagen zu lassen. In seinem Inneren war er tief und fest von der letztendlichen Überlegenheit des Guten überzeugt. »Du mich auch«, brummte er. Und warf die Tür der Naßzelle hinter sich zu. * »Gleich zwei nackte Männer auf einmal! Das ist zuviel!« So sprach Struppy, als Pit und ich in der Bibliothek der Frau Gräfin landeten. Das grünhaarige Girl hatte es sich mit einem Liebesroman in einem antiken Ledersessel gemütlich gemacht, während ihre Großtante Irmgard von Schaumburg-Klöten 74
offenbar in einem Magiebuch schmökerte. Die alte Dame wandte sich errötend ab. »Mechthild, besorge für unsere Gäste bitte umgehend Kleidung.« So kam es, daß Pit und ich eine Viertelstunde später in Anzügen des verstorbenen Grafen den Damen gegenübersaßen. Zum Glück war Graf Kunibert ein ziemlicher Kleiderschrank gewesen. Sonst hätten uns seine Maßanzüge wohl kaum gepaßt. Wir sahen trotzdem aus wie Schießbudenfiguren. Aber wir lebten. Wie üblich waren auch alle Wunden durch die Zeitreise geheilt worden. »Was ist hier geschehen? Nach dem Blitzschlag meine ich.« »Ein seltsames Phänomen, mit Verlaub. Die Untoten waren verschwunden, als hätten sie nie existiert. Man hätte die ganze Nacht für einen bösen Traum halten können.« Die Gräfin schüttelte sich vornehm. Wir berichteten von der Reise ins Jahr 1095 und von dem Kelch, den ich gefunden hatte. »Das ist ja 'n Ding!« tönte Struppy. »Dieser antike Pinkelpott gehörte also wirklich diesem Satans-Gruseltyp? Aber wie gelangte er dann auf unseren Dachboden?« Ich zuckte mit den Schultern. »Mephisto oder einer seiner Unterdämonen wird ihn dorthin gezaubert haben. Euer Haus steht ja an dem Platz, wo sich seinerzeit die Hütte des Henkersknechts befand. Das hat die Sache für die Hölle sicher leichter gemacht.« »Diese Kreaturen haben immerhin die Höflichkeit besessen, ihre erlösten Untoten mitzunehmen«, merkte die Gräfin zufrieden an. »Andernfalls hätte ich mir morgen meiner Putzfrau gegenüber einige Erklärungen einfallen lassen müssen.« »Ich bin mir sicher, daß die Gefahr für den Moment vorbei ist«, sagte ich. In diesem Moment ertönten Schritte auf der Treppe. Dumpf klangen sie durch das nächtlich ruhige Haus. Sofort waren wir alarmiert. Ich verfluchte mein Pech. Die SIG Sauer und den armenischen Silberdolch hatten die Zombies mir wohl abgenommen. Wo war nur mein Einsatzkoffer? Struppy deutete meinen suchenden Blick richtig. »Dein Schießeisen und dein Messer lagen im Vorgarten, Mark. Ich hab sie auf den Kaminsims gelegt. Und der Koffer steht da neben der Tür.«
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Schnell griff ich mir die SIG und drückte Pit den Silberdolch in die Hand. Wir öffneten die Bibliothekstür. Sie führte auf einen breiten, halb-dunklen Flur. Immerhin hatten wir die Treppe genau im Blickfeld. Eine Gestalt in Weiß kam heruntergetappt. Tessa Hayden. Meine Freundin trug einen Morgenmantel über - ihrem nackten Körper. Sie gähnte. Als sie Pit und mich in unseren Konfektionsanzügen aus den fünfziger Jahren sah, grinste sie. »Kann mir mal einer erklären, was hier los ist? Was habt ihr denn vor? Wollt ihr zum Karneval?« * Die nächsten Tage verliefen ruhig. Zu ruhig. Ich war mir sicher, daß Mephisto diese schwere Niederlage nicht auf sich sitzenlassen würde. Immerhin war die Konferenz der LIGA in dem netten Ambiente des Hotels Elephant ein voller Erfolg gewesen. In Zukunft würden wir unsere Aktionen noch besser aufeinander abstimmen. Dr. Paul Abaringo hatte sich intensiv mit Ulrichs »Spontanheilung« befaßt. Er hoffte, dadurch auch eine magische Möglichkeit gefunden zu haben, den Kriegern seiner Heimat Linderung zu verschaffen. Rudi Oertzner hatte die Tagung vorbildlich geleitet. Nun würden wir erfolgreich weiterarbeiten können. Die Kräfte der Finsternis konnten sich auf unruhige Zeiten einstellen. Grund genug also, um zu feiern. Ich saß an diesem Abend in meiner Wohnung an der Florian-Geyer-Straße und wartete auf Tessa. Wir wollten zusammen das nächtliche Weimar unsicher machen. Meine Freundin kam pünktlich. Doch entgegen ihrer Gewohnheit trug sie einen fast knöchellangen Trenchcoat. »Was ist denn los?« fragte ich, nachdem ich sie zur Begrüßung geküßt hatte. »Willst du in Humphrey Bogarts Fußstapfen treten?« »Nicht direkt. Dreh dich mal um.« Das tat ich. Als ich wieder hinschauen durfte, hatte sie den Mantel fallen lassen. Meine Freundin stand in einem verführerischen Bauchtänzerinnen-Kostüm vor mir. 76
»Du kannst den Mund wieder zumachen, Mark…« »Wenn du in diesem Fummel ausgehen willst, wirst du von deinen eigenen Kollegen verhaftet, Tess. Wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses.« »Soso.« Sie kam auf mich zu und legte mir die Arme um den Nacken. Drückte ihren aufregenden Körper an mich. »Willst du eine Anzeige erstatten? Ich sehe, du hast schon den Stift gezückt.« »Naja, ein Ärgernis ist dieser Anblick eigentlich nicht. Aber…« »Aber?« »Erregend schon. Sogar wahnsinnig erregend.« Tessa bewegte sich wie eine Schlange in meinen Armen. Sie heizte mich mit ihren Gesten und Berührungen weiter an. Ich fühlte mich wie in einem Liebeszauber. Die Jeans und das Hemd schienen wie von selbst von meinem Körper zu gleiten. Meine Freundin drängte mich aufs Sofa. Mit wenigen Bewegungen hatte sie ihr orientalisches Kostüm abgestreift. In ihrer ganzen prachtvollen Nacktheit setzte sie sich auf mich. Ihre feuchten Lippen lockten, als sie meinen Mund suchte. Ihre feingliedrigen Finger krallten sich in meinen Bizeps. Und dann ließ sie ihren Po rhythmisch in die Höhe schwingen. Noch waren es Trockenübungen, aber nicht mehr lange. Ich legte meine Hände um ihre Pobacken und paßte mich ihren Bewegungen an, die nun aufreizend langsam wurden und keine Trockenübungen mehr waren. Plötzlich schoß mir bei Tessas Stöhnlauten ein übler Gedanke durch den Kopf. Dieses Bauchtänzerinnen-Kostüm - war vielleicht wieder der Geist von Agara in sie gefahren? Der obersten babylonischen Tempelhure? Ein Blick auf den Ring, doch der blieb kalt. Und er war eigentlich auch das einzige an mir, dem Tessa noch nicht eingeheizt hatte. Der Schweiß lief mir in Strömen über den Körper. Wir klammerten uns aneinander und erlebten den Höhepunkt der Lust mit einem gewaltigen Schrei im Duett. Ich glaubte, mein Vermieter Artur Stubenrauch würde gegen die Decke klopfen. Aber das war mir in diesen Minuten egal. Als wir wieder zu Atem gekommen waren, strich ich Tessa zärtlich über die Wange. »Wie war das eigentlich so - du als Agara?« »Wie meinst du das?« »Nun, es ist ja etwas Fremdes in deinen Körper gefahren…« 77
»Das ist mir eben gerade auch passiert!« kicherte Tessa. »Aber im Ernst. Es war schon ziemlich gruselig. Das Gefühl, eine andere Frau zu werden und keine Kontrolle mehr über die eigenen Handlungen zu haben. Doch es hatte auch ein paar Vorteile.« »Wirklich?« »Ja. Durch Agaras Besuch erinnere ich mich an ein paar antike babylonisch-assyrische Liebestechniken, die bestimmt in keinem Lehrbuch stehen. Paß mal auf…« Und sie schaffte es mit flinker Hand, mich zur nächsten Runde zu animieren, dann zu einer dritten. Vor der vierten waren wir beide so erledigt, daß wir auf dem Sofa einschliefen. Zum Glück, denn ich hätte bestimmt nicht mal mehr den Arm hochgekriegt. Im Traum hörte ich plötzlich eine vertraute Stimme. Allerdings klang sie sehr schwach. »Du hast deinen Auftrag erfüllt, Mark. Ich bin stolz auf dich.« Als nächstes erklang meine eigene Stimme, die antwortete. »Nostradamus! Was ist mit dir, mein Freund?« »Wenn ich nicht schon tot wäre, würde ich sagen, daß ich es jetzt bin. Aber ich kann warten. Meine Kraft wird zurückkehren. Als du auf dem Felsen angekettet warst…« »Ohne deine Rettung hätte mir Mephisto das Herz herausgerissen! Was haben sie mit dir gemacht?« Ein leises ironisches Lachen erklang. »Die Höllenhorden wollten mich natürlich vernichten. Aber so leicht geht das nicht. Ich kenne nämlich die ewigen Gesetze des Universums. Und ich weiß, daß auch die Kräfte des Bösen ihre Grenzen haben. Ich konnte mit meiner Energie eine Blockade bewirken. Dadurch gelang es dir, zu entkommen. Für mich wurde es dann allerdings unangenehm…« Das konnte ich mir vorstellen. In meinem Traum sah ich meinen väterlichen Freund, wie er als kaum wahrnehmbares Schemen durch die Welten von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schwebte. »Wird es das Neue Babylon geben, Nostradamus?« Wieder lachte er. »Ich bin zwar ein Prophet, Mark. Aber alles kann und will ich nicht verraten. Nur soviel: Du stehst für immer auf der Seite des Guten. Wenn du das nie vergißt, werden auch die Mächte der Finsternis keine Macht über dich erlangen.« Seine Worte verklangen. Plötzlich erschien Tessa in meinem Traum. Wieder verführte sie mich zu wildem Sex. Und während 78
wir uns liebten, verwischten sich die Grenzen zwischen Illusion und Wirklichkeit. Und es war nicht nur der Arm, den ich einsetzte…
ENDE Eigentlich hatte Marks Freund Vincent von Euyen nur ein paar Tage Urlaub im Land seiner Vorfahren machen wollen, doch das dämonische Treiben ließ auch ihn nie so richtig los. Weil er sich mit den dämonischen Widerlingen so gut auskannte, wußte er sofort, daß der Angreifer ein Ghul gewesen war. Und dem konnte er sich nicht mit bloßen Händen entgegenstellen! Das wäre Selbstmord gewesen. Doch Vincent wollte helfen. Deshalb schleppte er sein Übergewicht im Eilschritt zu dem Einsatzfahrzeug der alarmierten Polizei. Er mußte verhindern, daß sich die Beamten in unnötige Gefahr brachten, denn hier mußte ein anderer ran!
Die Grachtenghuls von Amsterdam heißt C.W. Bachs 52. >Mark-Hellmann Roman! Lest ihn und laßt Euch für ein paar Stunden in die Welt der Gänsehaut entführen!
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