Nr. 364
Der schwarze Kontrolleur Mit Pthor auf neuer Fahrt von Clark Darlton
Pthor, der Kontinent des Schreckens, der...
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Nr. 364
Der schwarze Kontrolleur Mit Pthor auf neuer Fahrt von Clark Darlton
Pthor, der Kontinent des Schreckens, der dank Atlans und Razamons Eingreifen der Erde nichts anhaben konnte, liegt nach jäh unterbrochenem Hyperflug auf Loors, dem Planeten der Brangeln, in der Galaxis Wolcion fest. Pthors Bruchlandung, die natürlich nicht unbemerkt geblieben war, veranlaßte Sperco, den Tyrannen von Wolcion, seine Diener, die Spercoiden, auszuschicken, damit diese den Eindringling vernichten. Daß es ganz anders kam, als Sperco es sich vorstellte, ist allein Atlans Eingreifen zu verdanken. Denn der Arkonide übernahm beim Auftauchen von Spercos Dienern sofort die Initiative und ging systematisch daran, die Macht des Tyrannen zu unter graben. Inzwischen haben dank Atlans Hilfe die von Sperco Unterdrückten ihre Freiheit wiedererlangt. Der Tyrann von Wolcion ist tot. Er starb in dem Augenblick, als sein Raumschiff bei der Landung auf Loors zerschellte. Atlan selbst, der als einziger die Schiffskatastrophe überlebte, kehrt in Begleitung »Feiglings«, seines mysteriösen neuen Gefährten, zur FESTUNG zurück, wo sich entscheidende Ereignisse anbahnen. Das Geschehen wird eingeleitet durch den »Ruf des Wächters«. Dann, nachdem fast alle Lebewesen auf Pthor in tiefen Schlaf versunken sind, erscheint DER SCHWARZE KONTROLLEUR …
Der schwarze Kontrolleur
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Arkonide trifft auf den schwarzen Kontrolleur.
Maysie und Dellsell - Zwei alte Rivalen.
Algonkin-Yatta und Anlytha - Der Kundschafter und seine Begleiterin kommen zu spät.
1. Die flache, oben offene Flugschale stieg langsam in die Höhe, bis die FESTUNG von Pthor tief unter ihr lag. Die Pyramidenanla ge war noch als solche zu erkennen, aber nichts rührte sich dort unten mehr. Atlan war sich nicht sicher, welche Rich tung er einschlagen sollte. Er blockierte die Steueranlage des Zugors und ließ ihn bewe gungslos in der Luft schweben. Er brauchte Zeit zum Nachdenken, ehe er einen Ent schluß faßte. Was war geschehen? Thalia, die in der Maske Odins zu ihren Brüdern Heimdall, Balduur und Sigurd zu rückgekehrt war, wurde entlarvt. Der echte Odin hatte die Brüder im letzten Augenblick davon abhalten können, die Schwester zu tö ten. Ein wenig früher hatte Razamon in noch unbekannten Gewölben der FESTUNG eine große, schimmernde Kugel entdeckt, die auf einem Schildchen als VONTHARA bezeich net wurde, also »Wächter«. Atlans Verdacht war mit jenem Razamons identisch. Der VONTHARA konnte nur eine Art Alarmanlage sein, die von den unbe kannten Herrschern in der Schwarzen Gala xis auf Pthor installiert wurde. Und dann ertönte plötzlich das seltsame Pfeifen in allen Teilen Pthors und löste einen zunächst rätselhaften Vorgang aus. Sämtliche Lebewesen des Kontinents wur den von einer unwiderstehlichen Lähmung befallen. Wo immer sie standen oder gingen, sanken sie zu Boden und fielen in einen tie fen Schlaf. Die Zeit schien für alle stillzuste hen. Atlan war es im letzten Augenblick gelun gen, das Goldene Vlies anzulegen, den »Anzug der Vernichtung«. Seine Hoffnung
erfüllte sich. Er wurde nicht von der Läh mung befallen, sondern konnte sich auch weiterhin ungehindert bewegen. Die erste Frage war: Gab es auf Pthor noch andere, die nicht den Dornröschen schlaf schliefen? Wenn ja, mußte er sie fin den. Als er die FESTUNG verließ und zum Zugor eilte, fand er den ebenfalls gelähmten Fenrir, seinen alten Begleiter auf seinen Wanderungen auf Pthor. Er schleppte das schwere Tier unter Aufbietung aller seiner Kräfte bis zur Flugschale und beförderte es hinein. Dann erst war er gestartet. Und jetzt? Das nervenzermürbende Pfeifen hatte längst aufgehört, aber die von ihm ausgelö ste Wirkung blieb. Atlan war davon über zeugt, daß dies erst der Anfang sein konnte. Der VONTHARA war eine Alarmanlage je ner Mächte, die für die schreckliche Mission Pthors verantwortlich waren. Die positive Beeinflussung der neuen Herren der Festung durch Thalia mußte ihnen mißfallen haben. Vielleicht würden sie nun selbst kommen, um die Söhne Odins zu bestrafen und den alten Zustand wieder herzustellen, oder sie würden über einen Fernimpuls den Antrieb Pthors aktivieren und den Dimensionsfahr stuhl in die Schwarze Galaxis zurückholen. So oder so – es würde etwas Grauenhaftes geschehen. Allein, darüber war Atlan sich im klaren, würde er gegen eine eventuelle Inspektion der fremden Mächte nichts unter nehmen können. Er brauchte Helfer, die nicht paralysiert waren. Atlan hoffte verzweifelt, daß die Läh mung vielleicht doch nicht alle Teile von Pthor betroffen hatte, aber die Hoffnung al lein genügte nicht. Er mußte sich überzeu gen. Er saß vor dem Instrumentensockel in der
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Clark Darlton
Mitte der fünf Meter durchmessenden Flug schale und umklammerte den Fahrhebel. Langsam bewegte sich der Zugor voran. Am Rand der Schale lag Fenrir, lang ausge streckt und kaum atmend. Er schlief wie alle anderen einen unglaublich tiefen und festen Schlaf, aus dem Atlan ihn nicht erwecken konnte. Er setzte den Kurs des Zugors auf Nord west und ging tiefer. Sein erstes Ziel war das Wache Auge südlich der Dunklen Region mit ihrem Fluß Xamyhr.
* Der Händler aus Orxeya hatte den Regen fluß überquert und den Taamberg umwan dert. Er wollte zur FESTUNG gelangen, wo er seine Waren günstig zu veräußern hoffte. Kara Jant war, wie fast alle Orxeyaner, von untersetzter Statur und mit Fellen be kleidet. Sein roter Vollbart war ungepflegt, das lange Haupthaar zu Zöpfen geflochten. Vor einigen Jahren war es ihm gelungen, in der Wüste Kalmlech ein vierbeiniges Ech senmonstrum zu erlegen und dessen Jungtier einzufangen und zu zähmen. Seitdem diente es ihm als Beförderungsmittel für seine Wa ren. Wenn Kara Jant müde wurde, setzte er sich einfach auf den zusammengeschnürten Ballen und ließ sich mitschleppen, was dem friedlichen und geduldigen Tier, Rumpus genannt, nichts auszumachen schien. An den Ufern des Regenflusses aller dings, der die Wüste Kalmlech und die Sen ke der Verlorenen Seelen trennte, wurde Rumpus stets ein wenig unruhig und stör risch. Die Echse schien die Nähe ihrer Art genossen zu ahnen, und Kara Jant hatte stets alle Mühe, sie zu beruhigen. Kara saß auch jetzt auf seinem Warenbal len und hielt sich fest, denn Rumpus legte ein beachtliches Tempo vor, da das Gelände nicht allzu unwegsam war. Kara Jant döste allmählich ein, ohne die Hände von den Lederriemen zu lassen, die den Ballen auf dem Gestell hielten, das mit Gurten auf Rumpus' Rücken befestigt war.
Er liebte nichts mehr, als diese langen Han delsreisen, die außerdem noch einen beacht lichen Gewinn brachten. Plötzlich blieb Rumpus ohne jeden er sichtlichen Anlaß stehen. Der Händler wäre fast von dem Ballen ge fallen, hielt sich aber im letzten Augenblick noch fest. Er sah sich nach allen Seiten um, konnte jedoch nichts Verdächtiges ent decken. »Was hast du denn, Rumpus? Eine Pause gefällig?« Die Echse streckte alle Viere von sich und lag damit platt auf dem Bauch. Das hieß so viel wie: ›Absteigen, Herr‹. Kara Jant rutschte über den Rand des Bal lens. »Also gut, letzte Pause vor der Nacht. Morgen erreichen wir die FESTUNG.« Aus einem der ledernen Vorratsbeutel holte er getrocknetes Fleisch, gab Rumpus die ihm zustehende Ration und schlang selbst ein gewaltiges Stück herunter. Dazu trank er einen Schluck Kromyat. Die Pause allein schien es jedoch nicht gewesen zu sein, die Rumpus zum Anhalten bewegt hatte. Ganz gegen seine sonstige Ge wohnheit, lag er nicht da und döste mit ge schlossenen Augen vor sich hin, sondern diese Augen waren weit geöffnet und schie nen etwas zu suchen. Kara Jant sah sich nach allen Seiten um, wie er es schon vorher getan hatte. Nichts hatte sich verändert. Er spazierte ein paar Schritte hin und her, um die steifen Glieder zu lockern. Plötzlich blieb er stehen. »Nanu, was soll denn das …?« Ihm war, als hätte sich unter ihm der felsi ge Boden bewegt. Erschrocken sprang er zur Seite. Kara Jant stierte verwundert auf die Stel le, die sich bewegt hatte. Sie bestand aus Fels, aber ein kreisförmiges Stück davon drehte sich links herum, etwa wie ein Deckel, der herausgeschraubt wird. Der Händler wich erneut zurück und wur de blaß. Der steinerne Deckel, eine ausge zeichnete Tarnung, schraubte sich aus dem
Der schwarze Kontrolleur festen Fels heraus und klappte dann mit ei nem dumpfen Geräusch ganz um. Aus der so entstandenen Öffnung kam et was emporgestiegen. »Bei allen Teufeln des Blutdschungels!« stöhnte Kara Jant und war mit einem Satz auf seinem Warenballen. »Hier spukt es! Los, Rumpus! Nichts wie weg hier! Auf dei ne Stummelbeine, Faulpelz!« Die Echse gehorchte und marschierte los. Eine schimmernde Kugel kam aus der Öffnung, und diese Kugel gab ein pfeifendes Geräusch von sich – ein Pfeifen, das durch Mark und Bein ging und die Ohren schmer zen ließ. Auch der Echse schien es nicht zu gefal len. Ohne Aufforderung erhöhte sie ihre Ge schwindigkeit, um sich vom Ort des un heimlichen Geschehens zu entfernen. Kara Jant hielt sich krampfhaft fest, denn Rumpus nahm auf seine Bequemlichkeit keine Rück sicht mehr. Er glitt über Sandflächen, kroch Hügel empor und rutschte steile Dünen wie ein Schlitten hinab. Aber das Pfeifen blieb. Kara Jant begann sich daran zu gewöhnen und gewann seine ruhige Überlegenheit zu rück. Es gab auf Pthor viele Dinge, die man nicht immer sofort begriff und über die man sich keine Gedanken machen sollte. Die Ku gel und das Pfeifen gehörten dazu. Er spürte eine ungewohnte Müdigkeit, die seine Glieder zu lähmen drohte. Rumpus schien auch langsamer geworden zu sein. »He, schneller, du Faultier! Du schläfst ja ein, bevor wir ein Lager gefunden haben.« Aber Rumpus reagierte nicht. Aus seinem schnellen Dahingleiten war ein langsames Kriechen geworden. Als Rumpus mit einem Fuß in einer klei nen Erdhöhle hängenblieb, gab es einen Ruck, der Kara Jant den Halt verlieren und vom Ballen stürzen ließ. Er richtete sich auf, blieb aber sitzen. Rumpus war stehengeblie ben und schloß die Augen. Dann gaben sei ne vier Füße nach, abermals lag er platt auf dem Bauch – und schlief sofort ein.
5 Kara Jant verzichtete auf seine üblichen Beschimpfungen, dazu fühlte er sich zu mü de. Mühsam rollte er sich auf den Rücken und schloß die Augen. Als das endlose Pfeifen endlich aufhörte, war der Händler längst bewegungsunfähig. Er schlief tief und fest, wie alle anderen auf Pthor auch. Fast alle …
* Die Reise durch die Dimensionen von Raum und Zeit brachte Pthor vor Jahrzehn ten auch zu dem Planeten Golzo-Warp in ei ner fernen Galaxis. Die friedliche Sauerstoffwelt war die Heimstätte der Proluren, eines harmlosen und technisch nicht sehr hoch entwickelten Volkes. Sie waren breite und untersetzt gebaute Lebewesen und nur etwas größer als einen Meter. Kurze und stämmige Beine trugen den Körper, der fast genauso breit wie hoch war. Mit den muskulösen Armen und kräfti gen Händen konnten die Proluren Arbeiten jeder Art verrichten und weitgehend auf komplizierte Werkzeuge verzichten. Ihre Hautfarbe war dunkelgrau mit schwarzen Flecken, und ein bandlanger Schwanzansatz am Hinterteil verriet die Herkunft von Primaten, die noch in den un berührten Urwäldern von Golzo-Warp leb ten. Volksmann Maysie und Volksmann Dell sell arbeiteten beide in einer großen Vertei lerstelle für landwirtschaftliche Produkte, die weit außerhalb der eigentlichen Stadt lag. Täglich trafen die mit Dampfkraft be triebenen Lastzüge ein und wurden entladen, um dann wieder leer in die riesigen Anbau gebiete zu fahren. Von der Verteilerstelle aus wurden die Produkte nach dem Aussor tieren von kleineren Fahrzeugen zu den Märkten in der Stadt gebracht. Dellsells schnauzenförmig ausgebildeter Kopf war nicht ganz so groß wie der May sies, was ihn glauben ließ, er sei ein beson
6 ders schönes Exemplar seines Volkes. Auch seine weiße Borstenquaste auf dem Scheitel entsprach dem Schönheitsideal der Proluren. Damit wäre für Dellsell die Welt in Ord nung gewesen, aber leider gab es einige Um stände, die das weitgehend verhinderten. Be sonders schlimm war der Umstand, daß er nur ein Volksmann war und somit zur nied rigsten Kaste gehörte. Die Kastenunterschiede auf Golzo-Warp waren streng und konnten nur in den selten sten Fällen überbrückt werden. Wer als Volksmann geboren wurde, starb auch meist als solcher. Das Einheiraten in eine höhere Kaste war zwar möglich, aber mit unvor stellbaren Schwierigkeiten verbunden. Vor solchen Schwierigkeiten sah sich Dellsell jetzt. Vor einigen Wochen hatte er einen größe ren Lebensmitteltransport in die Stadt be gleitet und die freie Zeit dort genutzt, um sich ein wenig umzusehen. Sein Freund Maysie leistete ihm dabei Gesellschaft. Sie suchten ein paar Vergnügungslokale auf und amüsierten sich bestens. Spät am Nachmittag kehrten sie ziemlich angeheitert zum Großmarkt zurück und mußten feststel len, daß die Entladearbeit noch im Gange war. Man würde die Nacht in einem Hotel verbringen müssen. Es war reiner Zufall, daß der Verwalter des Marktes an diesem Tag seine hübsche Tochter Elitefrau Carmy mitgebracht hatte, bei deren Anblick Volksmann Dellsell fast den Verstand verlor. So eine vollkommene Schönheit hatte er noch nie im Leben gese hen. Zwei Sekunden später wußte er, daß er sich unsterblich in das Mädchen der höheren Kaste verliebt hatte. Es war kein Problem, mit ihr ins Gespräch zu kommen, seine Arbeit als Transportbe gleiter gestattete das ohne weiteres. Sie zeig te sich auch sehr angetan, als er ihre Fragen bereitwillig beantwortete und ihr alles zeig te. Ihr Vater hatte sie sonst nie mitgenom men, alles war neu für sie. Dellsell führte sie also überall herum, hat-
Clark Darlton te aber insofern Pech, als Maysie sich nicht abschütteln ließ. Getreulich folgte er den beiden auf Schritt und Tritt, und es war ganz offensichtlich, daß es ihm ähnlich erging wie Dellsell. Elitefrau Carmys Vater war viel zu be schäftigt, um auf seine Tochter aufzupassen, und so kam es, daß er die Dreiergruppe aus den Augen verlor. »Auf dem Land ist es viel schöner als hier in der Stadt«, schwärmte Maysie voll Begei sterung. »Sie sollten uns dort draußen mal besuchen.« »Ich darf ohne meinen Vater das Haus nicht verlassen«, machte Carmy ihn schüch tern aufmerksam. »Und heute hat er mich nur deshalb mitgenommen, weil ich Ge burtstag habe.« Sie gratulierten ihr und meinten, das müs se gefeiert werden. »Das ist ganz unmöglich«, enttäuschte sie ihre beiden glühenden Verehrer. »Heute schon gar nicht, weil meine Eltern Gäste eingeladen haben.« Sie sah sich suchend um. »Wo ist überhaupt mein Vater?« »In der Lagerhalle«, vertröstete sie Dell sell. »Er kontrolliert den Eingang der Wa ren. Das wird einige Zeit dauern.« Sie befanden sich jetzt abseits der Hallen zwischen gestapelten Kisten und abgestell ten Fahrzeugen. Elitefrau Carmy hatte ein ungutes Gefühl, auf der anderen Seite gefiel es ihr, daß zwei ausgewachsene Proluren ihr den Hof machten. »Er wird sich Sorgen um mich machen«, sagte sie trotzdem. »Können wir uns wiedersehen?« flüsterte Dellsell ihr zu, als Maysie ein Stück zurück blieb. »Antworten Sie schnell, mein Freund muß nicht alles wissen.« »Er ist aber auch sehr nett.« »Er ist überhaupt nicht nett, höchstens lä stig«, belehrte er sie ohne sichtbaren Erfolg. »Also bitte, wo und wie könnten wir uns treffen?« Maysie hatte sie wieder eingeholt und lauschte neugierig. Unbefangen sagte Carmy:
Der schwarze Kontrolleur »Ich werde jetzt öfter mit meinem Vater hierher kommen. Er möchte, daß ich ein we nig von seinen Geschäften kennenlerne und später jemand heirate, der seinen Posten übernimmt.« Ihre Worte wirkten auf die beiden Prolu ren wie eine kalte Dusche, denn es war so gut wie ausgeschlossen, daß einer von ihnen jemals Leiter des Großmarkts wurde. Aber so schnell ließen sie sich nicht entmutigen. »Fein, dabei können wir Ihnen helfen«, sagte Dellsell gönnerhaft. »Schließlich sind wir in dieser Branche aufgewachsen und kennen sie in und auswendig, auch wenn wir nur Volksmänner sind.« Die bloße Erwähnung der geringsten Ka ste ernüchterte Carmy. »Ich muß zurück zu meinem Vater«, drängte sie. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als der Aufforderung Folge zu leisten. Sie liefen dabei dem Elitemann direkt in die Arme. »Ich sehe es nicht gern«, sagte dieser mit strenger Miene, »daß meine Tochter sich mit Volksmännern abgibt.« Dellsell versuchte, die Situation zu erklä ren. Sein Argument, es sei nur gut für die Elitefrau Carmy, wenn sie schon jetzt den Betrieb kennenlerne, wirkte auf ihren Vater überzeugend. Besänftigt meinte er: »Also gut, wenn Sie die Angelegenheit von dieser Seite sehen, habe ich nichts dage gen, wenn Sie mit ihr sprechen. Aber ich verbiete es nachdrücklich, daß Sie sich al lein treffen. Sie haben jedesmal vorher mei ne Erlaubnis einzuholen.« »Das ist selbstverständlich«, versicherte Dellsell mit der Absicht, dieses Verbot zu ignorieren. Auf dem Weg ins Hotel schwiegen er und Maysie sich aus. Carmy schien vergessen zu sein. In Wirklichkeit hatten sie alle beide ih re Gründe, den Namen des Mädchens nicht zu erwähnen. Dellsell ging auf sein Zimmer und schloß ab. Er zog sich aber nicht aus, sondern legte sich mit den Kleidern aufs Bett. Von neben an waren Geräusche zu hören, die nach eini ger Zeit aufhörten. Maysie schien sich schla
7 fen gelegt zu haben. Das war gut so. Dellsell war es gelungen, von einem der im Großmarkt arbeitenden Proluren die Adresse des Leiters zu erfah ren. Er war davon überzeugt, daß er Carmy genausogut gefiel wie sie ihm. Vielleicht ließ sie sich trotz der Geburtstagsfeier aus dem Haus locken. Er wartete noch eine Weile, dann stand er auf, schloß leise die Tür auf und verließ das einfache Hotel, ohne gesehen zu werden. Zu Fuß marschierte er zum Stadtrand und fand auch nach einigem Suchen die angegebene Adresse. Es war ein vornehmes Haus in einem Park, der von einer Mauer umgeben war. Aus fast allen Fenstern des zweistöckigen Gebäudes fiel Licht. Die Party war in vollem Gang. Da drinnen amüsierte sich Elitefrau Carmy mit anderen Proluren, das war ein Gedanke, der Dellsell schmerzte. Mühsam kletterte er über die Mauer und stand dann lauschend zwischen den Bü schen. Ihm war, als hätte er irgendwo im Park ein Geräusch gehört. Ahnte die Gelieb te vielleicht, daß er heute nacht kommen würde, um sie zu sehen? Vorsichtig schlich er weiter auf das Haut zu. Gegen den Lichtschein, der aus dem Haus in die Dunkelheit des Parks drang, sah er flüchtig eine Gestalt, die zwischen den Bü schen verschwand. Das konnte nur Carmy sein, die ihn sehnsüchtig erwartete. Sich stets im Schatten haltend, schlich er auf die Stelle zu, an der er Carmy hatte ver schwinden sehen. Da – wieder der Schatten! Sie stand mit dem Rücken zu ihm und be obachtete das Haus. Nur ihre Umrisse waren zu erkennen. Noch zwei oder drei Schritte, dann stand er unmittelbar hinter ihr. Behutsam streckte er die Hand aus und legte sie auf ihre Schulter. »Geliebte, hier bin ich!« flüsterte er. Sie fuhr erschrocken herum. Dellsells Schnauzenmaul klappte auf, als er Maysie erkannte.
8 »Du …?« stammelte er mit schmerzhafter Enttäuschung. Dann übermannte ihn die Wut. »Was hast du hier zu suchen? Mußt du deine Nase immer in meine Angelegenhei ten stecken? Wie hast du überhaupt die Adresse herausbekommen?« »Sicher so ähnlich wie du«, vermutete Maysie, der ebenfalls wütend wurde. »Wieso soll Carmy eigentlich deine Angele genheit sein? Ich liebe sie ebenso wie du!« »Du liebst sie?« Dellsell stieß ein knur rendes Lachen aus und boxte Maysie gegen die muskulöse Brust. »Schlag dir das aus dem Kopf! Wenn sie schon jemand liebt, dann mich!« »Du Dummkopf!« knurrte Maysie zurück und stieß die Hand seines bisherigen Freun des zur Seite. »Verschwinde hier, oder du kannst was erleben!« »Eine Drohung?« brüllte Dellsell unbe herrscht und so laut, daß er selbst den Lärm übertönte, der aus dem Haus drang. »Du willst dich mit mir prügeln? Schön, das kannst du haben …« Fenster und Türen öffneten sich, Stimmen erschollen. Jemand rief: »Da muß einer im Park sein! Seht doch mal nach!« Maysie ließ die erhobenen Fäuste sinken. »Ich glaube, wir verschwinden besser. Wenn man uns erwischt, kann das schlimm werden.« »Die Prügel bekommst du später«, ver sprach Dellsell und setzte sich in Trab. Sie kamen gut über die Mauer, obwohl ih nen zwei oder drei Verfolger dicht auf den Fersen waren. Sie liefen, bis sie fast das Ho tel erreicht hatten, dann erst gönnten sie sich eine Atempause und gingen langsamer. »Das ist alles nur deine Schuld«, beklagte sich Maysie bitter. »Wenn du nicht gekom men wärst …« »Wenn du nicht gekommen wärst!« korri gierte Dellsell zornig. »Schließlich liebt sie mich, nicht dich!« Sie stritten sich, bis sich ihre Wege vor den Hotelzimmern trennten.
Clark Darlton
* Die folgenden Tage und Wochen waren mit erbitterten Rivalenkämpfen angefüllt, die zu keinem Resultat führten. Dellsell und Maysie schlugen sich förmlich darum, die Transporte in die Stadt zu begleiten, aber weder Dellsell noch Maysie gelang es, Kon takt mit Carmy aufzunehmen. Ihr Vater, der seit jenem Geburtstagsabend Verdacht ge schöpft hatte, behütete seine Tochter wie ein kostbares Juwel. Die beiden Rivalen umschlichen abends die elterliche Villa, traten sich gewisserma ßen gegenseitig auf die Füße, ohne das er sehnte Objekt auch nur zu Gesicht zu be kommen. Aus der verblassenden Freundschaft wur de langsam eine offene Feindschaft, aber die tägliche Arbeit brachte sie immer wieder zu sammen. Notgedrungen mußte jeder darauf verzichten, den anderen bei erstbester Gele genheit zusammenzuschlagen. Und dann, eines schönen Tages, geschah etwas Furchtbares. Die beiden Volksmänner begleiteten einen Transport in die Anbaugebiete, wo neue Werkzeuge für die Landbestellung be nötigt wurden. Der Zug quälte sich die fla chen Hänge hinauf, bis er endlich die große Ebene erreichte, die sich bis zum Horizont erstreckte. Am Hauptdepot hielt er an. Er hatte sein Ziel erreicht. Maysie war wütend, weil er sich für den Stadttransport gemeldet hatte und anders eingeteilt worden war. Unlustig leitete er die Entladearbeiten und hoffte stark, daß der Zug noch in der Nacht zum Verteilerzen trum zurückfuhr. Auch Dellsell war nicht bester Laune. Im merhin tröstete er sich damit, daß auch May sie nicht in die Stadt gefahren war und nun dort unbeobachtet sein Unwesen trieb. Noch bevor es dunkelte, kam aus dem Himmel ein dumpfes Brausen, das sich zu einem ohrenbetäubenden Lärm verstärkte. Eine gewaltige Luftdruckwelle fegte über
Der schwarze Kontrolleur die Ebene dahin, während fast gleichzeitig der ganze Horizont von einer schwarzen Wolke bedeckt wurde, die sich herabsenkte und mit furchtbarem Getöse die Oberfläche des Planeten berührte. Die Wolke war Pthor, aber das wußte nie mand auf Golzo-Warp. Der Orkan riß Bäume und Häuser nieder. Die Anpflanzungen wurden vernichtet. Selbst in der fernen Stadt wurden Zerstörun gen angerichtet, deren Beseitigung Jahre in Anspruch nehmen sollte. Dellsell stand ein wenig abseits der De potgebäude und bewunderte das beginnende Naturschauspiel, als ihn eine Druckwelle er faßte und zu Boden schleuderte. Sehr zu sei nem Mißvergnügen landete Sekunden später Maysie auf seinem Rücken und klammerte sich an ihm fest. Die beiden so wieder verei nigten Todfeinde rollten in eine natürliche Mulde und blieben dort liegen, während der Orkan über sie hinwegraste. »Was ist passiert?« japste Maysie. »Keine Ahnung! Ein Unwetter, nehme ich an.« »Komisches Unwetter. Es ist, als wäre ei ner unserer Monde herabgefallen.« Am Horizont, wo die Wolke stand, war nun ein glühender Schimmer, der sich wie eine riesige Glocke wölbte. Pthor hatte den Wölbmantel eingeschaltet. Inzwischen war es völlig dunkel gewor den, obwohl es noch nicht sehr spät war. Der Brocken, der vom Himmel gefallen war, hat te soviel Dreck und Staub aufgewirbelt, daß die untergehende Sonne unsichtbar wurde. Der Orkan hatte ein wenig nachgelassen, aber die beiden Prolurer blieben in der schützenden Mulde. Die gemeinsame Ge fahr ließ die Feindschaft fast vergessen. »Was machen wir jetzt?« fragte Dellsell. Er begann zu frieren. »Wir können doch nicht hier liegen bleiben.« »Wo willst du denn hin? Es ist dunkel, man sieht nichts. Vielleicht geht unsere Welt unter. Hat man schon gehört, daß ein Mond vom Himmel gefallen ist …?« »Alles passiert zum ersten Mal«, sinnierte
9 Dellsell und blickte hinüber zu der schim mernden Glocke. »Der Mond brennt.« »Vielleicht ist es doch kein Mond«, be gann Maysie zu zweifeln. Sie sollten bald Gewißheit erhalten, was geschehen war. Es war Nacht und die Luft war reiner ge worden. Erste Sterne blinkten auf und ver breiteten ein wenig Zwielicht. Dellsell und Maysie lagen noch immer in der Mulde und froren, aber ihre Furcht war größer als die Kälte. Schließlich sagte Dellsell: »Ich halte diese Ungewißheit nicht mehr aus. Bleibe hier, ich werde beim Depot nachsehen, was dort passiert ist.« »Gut, ich warte«, stimmte Maysie erleich tert zu. Dellsell kroch aus der Mulde, erhob sich und rannte hinüber zu den Trümmern, die einst Gebäude und ein Transportzug gewe sen waren. Einige tote Proluren lagen umher, ihnen war nicht mehr zu helfen. Die anderen muß ten unter den Trümmern begraben sein. Die Lampen waren erloschen, Dellsell fand sich kaum zurecht. Man mußte bis zum Morgen grauen warten, jetzt war alles Suchen sinn los. Also kehrte er zur Mulde zurück. »Sieht schlimm aus«, berichtete er. »Alles kaputt. So etwas hat es in unserer Geschich te noch nicht gegeben.« »Die Arbeiter?« »Ich habe keinen gesehen. Morgen, wenn es hell ist, suchen wir nach ihnen. Jetzt wäre es gut, einige Stunden zu schlafen.« »Schlaf mal, wenn du vor Kälte klapperst …« Aber die Erschöpfung ließ sie dennoch einschlafen, doch das Erwachen war dafür um so gräßlicher. Eine Horde unbeschreiblicher Ungeheuer raste in einer Stampede über die Ebene, ge nau auf das ehemalige Depot zu. Sie kamen von dort, wo der schimmernde Schirm über dem Horizont stand.
*
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Clark Darlton
Dellsell und Maysie waren vor Schreck und Entsetzen wie gelähmt. Regungslos lagen sie in der Mulde und spähten über ihren Rand. Sie ahnten nicht, was da auf sie zukam und schließlich an ih nen vorbeistürmte, auf die ferne Stadt zu. In ihrer Deckung blieben sie unbemerkt. Vorerst wenigstens. Dann kamen die fliegenden Schalen. Außer Insekten und Vögeln hatte noch kein Prolurer jemals in seinem Leben etwas gesehen, das fliegen konnte, schon gar nicht so große Gegenstände. Einige der Schalen flogen sehr niedrig. Über ihren Rändern waren Gesichter, die nach unten blickten, als suchten ihre Besit zer etwas. Dellsell und Maysie erfuhren sehr schnell, was sie suchten. Einer der Schalen kippte ein wenig zur Seite und landete dicht neben der Mulde, in der die beiden Volksmänner Schutz gefun den hatten. Man hatte sie gesehen. Drei seltsame Wesen kamen aus der Scha le, fast doppelt so groß wie die Proluren, aber viel schmaler. Sie gingen auf zwei Bei nen und hielten in ihren Händen metallisch blitzende Werkzeuge. Dellsell und Maysie zitterten vor Angst und Entsetzen, als die trichterförmigen En den der Werkzeuge auf sie gerichtet wurden. Dann spien die Waggus ihre Energiebün del gegen sie. Die beiden Proluren wollten aufspringen und davonlaufen, aber dazu war es bereits zu spät. Ein kribbelnder Schmerz raste durch ihren Körper und lähmte sie. Noch während ihr Bewußtsein schwand, wurden sie aufge hoben und über den Rand der gelandeten Schale geschoben. Als sie wieder zu sich kamen, waren Jahr zehnte vergangen.
* Als die Schläfer in der Senke der verlore nen Seelen erwachten, herrschte allgemeines
Chaos. Dellsell und Maysie, die nicht ahnen konnten, wieviel Zeit inzwischen verronnen war, fanden sich in einer ihnen fremden Um gebung wieder. Ihr erster Gedanke galt der Elitefrau Carmy, aber dann erinnerten sie sich der Ungeheuer, die in Richtung der Stadt an ihnen vorbeigelaufen waren. Was war in der Stadt geschehen? Die au genblicklichen Ereignisse ließen ihnen nicht viel Zeit zum Nachdenken. Um sie herum tobten sich die unterschiedlichsten Lebewe sen nach Herzenslust aus, fielen übereinan der her und versuchten sich sogar umzubrin gen. Es gelang den beiden Volksmännern, in dem allgemeinen Gemenge ins Freie zu ge langen und sich nach Süden zu wenden. So schnell wie möglich ließen sie die gläsernen Gebäude hinter sich, die sie noch nie zuvor gesehen hatten. Die Vegetation nahm zu, je weiter sie nach Süden vordrangen. Sie rannten viele Stunden, bis es zu dun keln begann. Einmal begegnete ihnen ein vierbeiniges Wesen, das bei ihrem Anblick aber die Flucht ergriff. Dellsell hielt erschöpft an. »Ich kann nicht mehr weiter. Wo sind wir eigentlich? Ich habe diese Landschaft noch nie gesehen. Wohin hat man uns gebracht?« Maysie setzte sich auf einen Baumstamm. Er schien am Ende seiner Kräfte zu sein. »Die Sonne sieht ganz anders aus als sonst. Man könnte meinen, es wäre gar nicht unsere Sonne …« »Du bist verrückt! Zuerst glaubst du, der Mond falle vom Himmel, und nun soll man sogar die Sonne umgetauscht haben! Los, wir müssen weiter! Die Stadt …« »Aha!« machte Maysie. »Du denkst wohl an Carmy, was?« »Du vielleicht nicht? Wenn schon, dann sollten wir uns gemeinsam um sie küm mern.« Maysie seufzte. »Schön, suchen wir weiter.« Sie marschierten weiter, pflückten ein paar ihnen völlig unbekannte Früchte und
Der schwarze Kontrolleur Beeren, um den ärgsten Hunger zu stillen, und hörten schließlich in einiger Entfernung ein gleichmäßiges Rauschen. Dellsell blieb stehen. »Ein Wasserfall? Das ist doch nicht gut möglich in dieser Gegend. Wir haben nur einen Fluß im Umkreis von zwei Tagesmär schen, und der fließt durch flaches Land.« Auch Maysie war stehengeblieben und lauschte. »Ja, ein Wasserfall. Das verstehe ich nicht.« Er schüttelte den Kopf mit der Hun deschnauze. »Manchmal glaube ich, daß wir gar nicht mehr auf unserer Welt sind.« »Wie meinst du das?« fragte Dellsell er schrocken. »Du glaubst doch nicht etwa …?« »Es wäre doch möglich, Dellsell. Diese fliegenden Schalen, die fremden Lebewesen, die uns betäubten, die Ungeheuer – all das hat es auf Golzo-Warp nie gegeben.« Es dauerte eine Weile, bis Dellsell die un geheuerliche Vermutung soweit verdaut hat te, daß er sie als glaubhaft empfinden konn te. Dann allerdings explodierte die Erkennt nis wie eine Bombe in seinem Schädel. »Ich glaube, du hast recht«, gab er zu. »Es wäre die einzige Erklärung für alles, was ge schehen ist. Aber dann müssen wir lange be wußtlos gewesen sein.« »Ganz bestimmt«, erinnerte sich Maysie plötzlich. »Denke nur an die durchsichtigen Kästen, in denen wir fremdartige Wesen sa hen, als wir erwachten. Auch wir waren in einem solchen Kasten. Er war durch Schläu che oder Leitungen mit Geräten verbunden. Damit hielten sie uns am Leben.« Der Wald war dichter geworden. Unter holz erschwerte das Vorankommen für die beiden Wanderer, und das Rauschen wurde lauter. Endlich gelangten sie an einen kleinen Bach, dem sie folgten. Er würde sie unwei gerlich zu dem Fluß führen. Das Gelände war noch unwegsamer geworden. Es gab Hügel und steil aufragende Felsen, nicht be sonders hoch, aber breit und wuchtig. Noch bevor sie den Fluß erreichten, spür
11 ten sie den feinen Wasserstaub, der zu ihnen herüberwehte. Das Rauschen war zu einem Brausen geworden. Staunend standen sie dann am Fuß des breiten Wasserfalls, bereits bis auf die Haut durchnäßt. Es war schon später Nachmittag, und es wurde Zeit, einen geeigneten Lager platz für die Nacht zu finden. Am Ufer entlang führte ein schmaler Pfad flußabwärts. Sie folgten ihm und vermieden so die Felsen, die den Katarakt bildeten. Un terhalb des Wasserfalls staute sich der Fluß und wurde breiter. Ruhig strömte er dahin. »Es ist besser hier«, stellte Dellsell nach einem Rundblick fest. »Wir bleiben hier für eine Weile.«
* Einige Wochen nach ihrer Flucht aus dem Chaosgebiet der großen Senke stießen die beiden Proluren zum ersten Mal wieder auf Spuren von intelligentem Leben. Sichere Anzeichen dafür waren erkaltete Feuerstellen am Flußufer und verlassene Baumhütten. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, daß hier ein Stamm Wilder ge haust hatte. Dellsell durchstöberte eine der Hütten und kam mit einem Wurfspeer wieder zum Vor schein. »Such dir auch eine Waffe, Maysie. Frü her oder später werden wir uns wehren müs sen, oder glaubst du, daß diese Wilden fried licher sind als jene, die uns entführten?« Maysie machte sich auf die Suche und fand ein Beil mit scharfer Metallschneide. Die Wilden konnten es nicht hergestellt ha ben, also hatten sie es erbeutet. Von wem? »Ich weiß jetzt genau, daß wir auf einer anderen Welt sind, auf einer grausamen und schrecklichen Welt«, sagte Maysie und starrte trübsinnig in die kalte Asche der Feu erstelle. »Ausgerechnet wir beide müssen hier sein. Hätte ich mich doch nur an jenem Tag, an dem alles begann, krank gemeldet.« Dellsell betrachtete ihn mißtrauisch.
12 »Ich glaube nicht, daß es dir viel besser ergangen wäre. Wer weiß, ob unsere Freun de und Carmy noch leben.« »Carmy …!« sann Maysie vor sich hin und blickte auf. »Weißt du eigentlich, daß ich schon den Plan erwogen hatte, dich um zubringen?« Dellsell war ehrlich erschrocken. »Mich umbringen? Wann?« »Damals, als wir uns in der Straße begeg neten, die zum Haus von Carmys Eltern führt.« Dellsell überlegte. »Das war kurz vor dem Überfall durch die Fremden.« Er schüttelte den Kopf. »Jetzt hat es ja keinen Zweck, mich umzubringen. Ei ne Carmy gibt es nicht mehr.« »Ich denke schon lange nicht mehr dar an«, gab Maysie zu. »Aber ich bin noch im mer wütend auf dich.« »Ich liebe dich auch nicht gerade, aber die Situation hat sich geändert. Wenn wir jetzt nicht zusammenhalten, sind wir verloren. Vielleicht finden wir Golzo-Warp eines Ta ges wieder …« Maysie rührte in der Asche herum. »Dann ändert sich die Lage wieder«, murmelte er. Dellsell stürzte sich auf seinen Speer. »Wir müssen weiter. Vielleicht können wir ein Tier erlegen und finden eine noch warme Feuerstelle mit Glut.« Sie folgten erneut dem ausgetretenen Pfad flußabwärts. Hier mußte noch kürzlich reger Verkehr gewesen sein, die vielen Spuren verrieten es eindeutig. Der Baumbestand war wieder dichter geworden und artete in eine urwüchsige Wildnis aus. Immer wieder mußten die Proluren Bäche überqueren, die den Hauptstrom speisten. Dellsell blieb mit einem Ruck stehen, als plötzlich rechts von ihm das Buschwerk ra schelte und sich die Zweige teilten. Er dach te im ersten Augenblick an ein größeres Tier und packte den Speer fester, aber dann ließ er ihn verblüfft sinken. Vor ihm stand ein schmales Wesen, etwas größer als er selbst, und mit einer Art Len denschurz bekleidet.
Clark Darlton In der braunen Hand des Wilden blitzte ein Messer. Dellsell wich einen Schritt zurück und hob die freie Hand, um seinen Friedenswil len zu bekunden. Das Gesicht des Wilden verzerrte sich, aber es war nicht klar, ob es eine freundliche Geste sein sollte. Und dann warf der Wilde das Messer. Es geschah so schnell und überraschend, daß Dellsell gerade noch beiseite springen konnte. Allerdings bekam Maysie dafür die Klinge in den linken Arm, was ihn blitz schnell handeln ließ. Mit der rechten Hand schleuderte er das Beil auf den Gegner und traf ihn mitten in die Brust. Tot sank der Wilde zu Boden. Maysie holte sich das Beil wieder. »Du bist ein Feigling!« fuhr er Dellsell an. »Das wäre dir wohl recht gewesen, wenn der Wilde mich erwischt hätte, was? Bist du deshalb beiseite gesprungen?« »Rede keinen Unsinn, es war eine Reflex handlung. Ich dachte doch nicht, daß er dich treffen würde.« Maysie wischte das Blut von der Schneide des Beils. »Na schön, aber das nächste Mal paß bes ser auf. Übrigens: Wo ein Wilder ist, da sind noch mehr. Wenn sie alle so feindselig sind, steht uns noch einiges bevor.« Dellsell hatte das Messer an sich genom men, obwohl es nun eigentlich Maysie ge hörte. Aber der protestierte nicht. Er schien mit seinem Beil zufrieden zu sein. Etwas später begegneten ihnen zwei Ein geborene, die jedoch sofort die Flucht ergrif fen und im Wald verschwanden. Die Prolu ren hörten sie rufen und aus größerer Entfer nung die Antwort. Ein ganzer Stamm der Wilden mußte sich dort befinden. Sie überlegten, ob sie nicht lieber nach Norden ausweichen und das gefährliche Ge biet umgehen sollten, aber als sie endlich einen Entschluß faßten, war es zu spät. Der Überfall geschah so überraschend, daß sie nicht einmal an eine Gegenwehr denken konnten. Von allen Seiten drangen die halbnackten Wilden mit geschwungenen
Der schwarze Kontrolleur Keulen auf sie ein und überwältigten sie in wenigen Sekunden. Die Waffen wurden ihn abgenommen. Grob wurden sie gepackt und davongeschleppt.
* Die Wilden tanzten um das große Lager feuer in der Mitte des Dorfes. Die Hütten aus Baumästen und mit Dächern aus Laub standen im Kreis um den freien Platz in der Mitte. Mit Lianen gefesselt standen die beiden Gefangenen an zwei Bäumen. Sie ahnten, was ihnen bevorstand, aber noch war es nicht soweit. Die Wilden dachten nicht dar an, sie sofort zu töten. Sie wollten ihren Spaß haben. Die Frauen saßen vor den Hütten und feu erten ihre Männer mit einem rhythmischen Gesang an, der in den Ohren der Proluren schaurig genug klang. Vergeblich versuchte Dellsell, die Fesseln zu lösen, aber die Schlingpflanzen waren zäh und gaben keinen Millimeter nach. Irgendwo in weiter Ferne war plötzlich ein anderes Geräusch. Dellsell drehte ein wenig den Kopf und sah, daß auch Maysie lauschte. Es war also keine Einbildung. Das Geräusch erinnerte ihn an etwas, das er kannte, aber er kam nicht sofort darauf. Es schwoll ganz allmählich an und wurde zu einem eintönigen Pfeifen, das näher zu kom men schien. Vielleicht lag das aber nur dar an, weil es lauter wurde. Auch die Wilden hörten es nun, denn es übertönte den Gesang der Frauen. Ihre Tanz bewegungen wurden langsamer, denn ein solches Geräusch hatten sie noch nie ver nommen. Sie warfen scheue Blicke hinüber zu ihren Gefangenen, aber dann wurde ihnen klar, daß diese das fremdartige Pfeifen nicht ver ursachen konnten. Der Häuptling rief etwas, dann ging der Tanz weiter. Aber die Frauen sangen nicht mehr. Zu sammengekauert hockten sie vor ihren Hüt
13 ten und starrten auf die tanzenden Männer. »Siehst du auch, was ich sehe?« fragte Dellsell leise. »Man könnte meinen, sie schliefen all mählich ein«, gab Maysie zurück. »Ihre Be wegungen werden immer langsamer. Dafür ist das verrückte Pfeifen lauter geworden. Hört sich an wie einer von unseren Lastzü gen, wenn er sich dem Depot nähert …« »Aufpassen!« rief Dellsell. Seine Warnung bezog sich auf den Häupt ling, der plötzlich zu taumeln begann und aus der Reihe tanzte. Er schwang eine Holz keule und näherte sich mit unsicheren Schritten den wehrlosen Gefangenen. Dann blieb der Häuptling stehen. Die Hand mit der Keule sank herab, als habe der Arm nicht mehr die Kraft, sie zu halten. Und dann, wie vom Blitz erschlagen, fiel er zu Boden und rührte sich nicht mehr. Die übrigen Wilden standen einen Augen blick wie erstarrt. Sie mußten denken, die Gefangen besäßen Zauberkräfte und hätten ihren Anführer mit ihren Blicken getötet. Aber dann fiel ein anderer von ihnen um und rollte beinahe ins Feuer, dessen Flammen die ganze Szene gespenstisch beleuchteten. Zwei weitere sanken zu Boden. Die Weiber sprangen kreischend auf, aber sie kamen nicht weit. Die unheimliche Läh mung befiel auch sie nach wenigen Schrit ten. Bald lagen sie alle bewegungslos auf dem festgetrampelten Waldboden, als wären sie tot. Zwei der Männer waren widerstandsfähi ger. Mit wildem Aufschrei griffen sie nach ihren Speeren und rissen die Wurfarme zu rück, um sie gegen die Gefangenen zu schleudern. Doch mitten in der Bewegung schienen sie plötzlich zu erstarren, so als stünde die Zeit für sie still. Das dauerte aber nur wenige Sekunden, dann brachen sie bei de blitzschnell zusammen und rührten sich nicht mehr. Wie eine Seuche griff nun die Lähmung um sich und raffte einen Wilden nach dem anderen dahin. Bald lagen sie alle aus nahmslos auf dem Dorfplatz.
14 Das Pfeifen hielt weiter an. Dellsell spürte, daß sich seine Fessel um das rechte Handgelenk merklich gelockert hatte. Er verdoppelte seine Anstrengungen und begann sich gleichzeitig darüber zu wundern, daß er sich noch ungehindert be wegen konnte. Die allgemeine Lähmung er griff weder ihn noch Maysie. Endlich bekam er eine Hand frei. Der Rest war eine Kleinigkeit. Triumphierend trat er vor Maysie, der noch immer gefesselt am Baum stand. »Du hattest also die Absicht, mich umzu bringen?« fragte Dellsell hämisch. »Was wäre, wenn ich deinen Gedanken jetzt auf griffe?« »Dann wärest du ein Idiot!« brüllte May sie. »Was willst du denn allein auf dieser verdammten Welt anfangen? Mach mich endlich los, damit wir verschwinden kön nen.« Dellsell fand nahe beim Feuer ein Messer. Er ging zurück zum Baum und durchschnitt die Fesseln. »War ja nur ein Scherz«, entschuldigte er sich. Maysie rieb seine Handgelenke. »Was ist passiert?« fragte er. »Keine Ahnung. Erst kam das Pfeifen, dann fielen die Wilden um. Scheint eine Waffe der Beherrscher dieser Welt zu sein. Für uns war es jedenfalls die Rettung in letz ter Sekunde. Was nun?« »Das Feuer! Am Spieß dreht sich ein Bra ten – daß heißt, jetzt dreht er sich nicht mehr. Er verbrennt!« Maysie rannte zum Feuer, um das Fleisch zu retten. Dellsell untersuchte die gelähmten Wilden und fand bei allen die gleichen Sym ptome. Sie atmeten noch schwach, waren aber bewußtlos. »Hoffentlich hält das so lange, bis wir in Sicherheit sind«, sagte er und nahm das Stück Fleisch, das Maysie ihm abschnitt. »Ich möchte nur wissen, warum wir nicht betroffen sind. Ob es wirklich das Pfeifen ist, das sie umfallen ließ?« »Keine Ahnung«, gab Maysie kauend zu-
Clark Darlton rück. »Im Augenblick ist es mir auch ziem lich egal. Ich habe Hunger.« »Dann iß!« Sie aßen beide, bis sie nichts mehr herun terbekamen. Dellsell fand in einer der Hütten einen Beutel aus Leder, in den sie den Rest des Bratens und andere nützliche Gegenstände packten, darunter auch zwei Feuersteine. Auch nahmen sie einen Bogen mit Pfeilen mit, und natürlich Messer und Speere. Nach einem letzten Blick auf die wie tot herumliegenden Wilden machten sie sich er neut auf die Wanderschaft. Immer weiter nach Westen, flußabwärts.
2. Atlans erste Feststellung war die Tatsa che, daß nicht nur Technos, Dellos und alle anderen von der Dauerlähmung befallen worden waren, sondern auch sämtliche Säu getiere und Echsen. Wenigstens hatte er kei nes entdecken können, das sich noch beweg te. Beim Wachen Auge war alles wie tot, und auch in der Dunklen Region rührte sich nichts. Mehrmals landete er, um Schlafende zu untersuchen, aber alle Bemühungen, sie zu wecken, blieben erfolglos. Er steuerte den Zugor wieder nach Süden und näherte sich dem wüstenähnlichen Ge biet östlich es Taambergs. Hier, nördlich von Donkmoon und der Straße der Mächti gen, hatte sonst immer reger Verkehr ge herrscht, jetzt war alles still und ruhig. Um so erstaunter war Atlan, als er die beiden dunklen Punkte unter sich sah. Sie mußten ausgerechnet hier von der Lähmung überrascht worden sein, denn sie bewegten sich nicht. Noch während er lan dete, erkannte Atlan Einzelheiten. Der Mann war zweifellos ein Händler aus Orxeya. Sein Lasttier, eine riesige Echse, war schwer be laden. Wahrscheinlich war der Mann nach Donkmoon oder zur FESTUNG unterwegs gewesen. Obwohl Atlan wußte, daß es zwecklos
Der schwarze Kontrolleur sein würde, stieg er aus der Flugschale und untersuchte den Mann. Er wollte es sich nicht eingestehen, aber er hoffte immer noch auf ein Wunder. Sicher, ihn selbst schützte der Anzug der Vernichtung, vielleicht auch der Zellaktivator, aber es mußte auch andere Ausnahmen geben. Das Herz des Händlers schlug nur schwach, aber er lebte. Vergeblich stellte Atlan seine Weckversuche an, gab es aber bald auf. Als er sich der Echse näherte, die platt auf dem Bauch lag und schlief, glaubte er ein Geräusch wahrgenommen zu haben, das aus der Ferne zu ihm drang. Instinktiv ging er hinter dem massigen Körper der Echse in Deckung, obwohl er die Ursache des Geräusches noch nicht erkannt hatte. Sein Zugor lag etwas schräg am Fuß einer Sanddüne, etwa zehn Meter entfernt. Wenn Gefahr drohte, würde er ihn schnell erreichen und damit starten können. Vorsichtig schob er den Kopf über den Rücken der Echse und sah in die Richtung, aus der das summende Geräusch kam. Zu erst erblickte er nur einen dunklen Punkt dicht über dem Horizont, der sich auf ihn zu bewegte. Das Ding sah aus wie ein Zugor. Erst als es sich weiter näherte, erkannte At lan, daß es mindestens zehnmal größer war. Es war schwarz und geformt wie eine rie sige Schüssel mit dickem Wulstrand. Aus dem Innern ragten mehrere Aufbauten her vor, fast wie bei einem Schiff. Der Durch messer des Objekts betrug mindestens fünf zig Meter, seine Höhe etwa zwanzig. Das Ding stammte nicht von Pthor, das war Atlan sofort klar. Außerdem deutete sein ganzes Verhalten darauf hin, daß die Besatzung etwas suchte, falls es überhaupt eine Besatzung gab. Für Atlan waren die Zusammenhänge klar. Der »Schwarze Kontrolleur«, wie er das Ding unwillkürlich getauft hatte, suchte alle Gebiete von Pthor ab, um festzustellen, ob die Lähmaktion erfolgreich gewesen war. Er tat es im Auftrag der Unbekannten, auf Befehl der wirklichen Herrscher des Dimen sionsfahrstuhls in der Schwarzen Galaxis.
15 Der Kontrolleur verringerte seine Flugge schwindigkeit. Er mußte den Zugor, die Echse und den Händler bemerkt haben. At lan hoffte, daß man ihn noch nicht gesehen hatte. Er lag fast direkt unter dem Bauch der Echse. Das Fluggeräusch des Objekts veränderte sich, als es tiefer ging und dann fast still stand. Die Höhe betrug noch immer fünfzig Meter. Atlan hielt den Atem an, als er wieder einen kurzen Blick riskierte, um sich zu in formieren. Blitzschnell duckte er sich je doch, als er es grell aufblitzen sah. Ganz in der Nähe gab es eine heftige Detonation, dann war Stille. Der Zugor! Fenrir! Jetzt war Atlan alles egal. Er schob sich aus seiner merkwürdigen Deckung heraus und mußte feststellen, daß seine schlimmste Befürchtung eingetroffen war. Der Schwar ze Kontrolleur hatte auf den Zugor das Feu er eröffnet, zum Glück nur mit einem einzi gen Energiestrahl. Der hatte jedoch genügt, die Flugschale restlos zu zerstören. Wo war Fenrir? Atlan entdeckte ihn gut zehn Meter von dem Zugor entfernt zwischen einigen ver dorrten Büschen. Die Wucht der Explosion mußte ihn dorthin geschleudert haben. Die Sorge um das treue Tier ließ Atlan jede Vor sicht vergessen. Er richtete sich halb auf und sprang mit wenigen Sätzen in die Büsche, deren Zweige Fenrirs Aufprall gemildert hatten. Die hastige Untersuchung bestätigte At lan, daß der Wolf keine äußeren Verletzun gen oder Knochenbrüche erlitten hatte. Der Schock hatte ihn allerdings auch nicht ge weckt. Sein Atem ging schwach, wenn auch etwas unregelmäßig, aber das hatte nichts zu bedeuten. Atlan fand wieder Zeit, einen Blick nach oben zu werfen. Der Schwarze Kontrolleur zog langsame Kreise in geringer Höhe. Sein Kommandant
16 – ob Roboter oder lebendes Wesen – schien sich nicht schlüssig zu sein, was nun unter nommen werden sollte. Vielleicht hatte er auch den sich bewegenden Atlan bemerkt und wartete auf neue Anweisungen. Dieser wiederum hielt es für das beste, sich vorerst wieder tot oder schlafend zu stellen. Wenn es allerdings abgestrahlte Im pulse seines Zellaktivators waren, die von dem Kontrolleur angemessen werden konn ten, nützte auch das Totstellen nichts. Im merhin würde die Neugier der Unbekannten geweckt worden sein. Sie würden ihn auf keinen Fall töten. Während diese und andere Überlegungen ihn beschäftigten, sank das fremde Schiff nieder. Etwa hundert Meter von dem zer störten Zugor entfernt setzte es auf. Vorsichtig drehte sich Atlan, um besser beobachten zu können. Er lag noch immer dicht neben Fenrir unter den Büschen, ein Stück weiter weg schliefen die Echse und der Händler. Im Schwarzen Kontrolleur öffnete sich ei ne seitliche Luke. Atlan wußte, daß sich nun eine seiner Hauptfragen ganz von selbst beantworten würde. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er auf die Luke. Wer oder was würde dort zum Vorschein kommen? Zwei scheibenförmige Gebilde waren es, die scheinbar schwerelos aus dem Inneren des Schiffes schwebten und sich näherten. Sie waren so schwarz wie der Kontrolleur, und zweifellos waren sie Roboter. Atlan blieb ganz ruhig liegen und beob achtete. Die beiden Scheiben glitten dicht über der Oberfläche direkt auf Atlans Versteck zu, ohne sich um den Händler, sein Tier oder den Zugor zu kümmern. Der Verdacht, daß sie durch den Zellaktivator angelockt wur den, verstärkte sich, ja, er wurde zur Gewiß heit. Atlan rührte sich nicht, als die beiden Scheiben ihn erreichten und Greifwerkzeuge ausfuhren. Es schmerzte, als die stählernen Klauen zupackten und ihn aufhoben. Jede
Clark Darlton Gegenwehr wäre sinnlos gewesen, denn er besaß keine Waffen. Die Roboter ignorierten Fenrir, der zu rückbleiben mußte. Schlaff und wie leblos hing Atlan in den »Armen« der Scheiben, die sich langsam dem Schwarzen Kontrolleur näherten und auf die geöffnete Schleuse zusteuerten. At lan hielt seine Augen immer ein wenig ge öffnet, denn er hielt nichts davon, sich blind in sein Schicksal zu ergeben. Beim gering sten Anzeichen einer ernsten Gefahr würde er sehr schnell lebendig werden. Die Aufbauten im Innern des Schalen schiffs erinnerten Atlan an Kommando brücke und Kabinenaufbauten eines größe ren Wasserfahrzeugs. Das Deck selbst lag frei und konnte nur bei Flügen durch eine atembare Atmosphäre benutzt werden, falls keine Schutzanzüge getragen wurden. Das galt natürlich nicht für Roboter. Seine Hoffnung, daß man ihn auf dem Deck ablegen würde, erfüllten sich nicht. Die schwarzen Automaten bugsierten ihn durch eine nicht sehr breite Luke in das In nere des Schiffes, das hell erleuchtet war. Die Luke schloß sich hinter ihnen. Soweit Atlan erkennen konnte, handelte es sich um eine Art Kontrollraum, durch den er hindurchgeschleppt wurde. Schließlich lösten sich die stählernen Klammern und ga ben ihn frei, nachdem weitere Räume durch quert und ein Lift benutzt worden war. Die beiden Roboter entfernten sich. Einen Augenblick blieb Atlan ruhig lie gen. Während des ganzen Transports waren er und seine beiden Entführer keinem leben den Wesen begegnet. Die Kontrollanlage selbst, die sie passiert hatten, wies alle Cha rakteristiken einer vollautomatisch gesteuer ten Einrichtung auf. Die Frage blieb: konnte der Schwarze Kontrolleur absolut autark handeln, oder war er auf Befehlsimpulse von außen angewie sen? Atlan spürte, wie ein Vibrieren durch die Metallplatten ging, während sich das Summ geräusch verstärkte.
Der schwarze Kontrolleur Der Schwarze Kontrolleur startete. Früher oder später, nahm Atlan sich vor, würde er etwas unternehmen müssen. Viel leicht gelang es ihm, das Schiff in seine Ge walt zu bringen, um so mehr über seine Her kunft zu erfahren. Vielleicht gab es auch mehrere dieser Kontrolleinheiten, die Pthor nach Personen absuchten, die immun gegen die allgemeine Paralyse waren. Er blieb auf dem kühlen Metallboden lie gen, da er nicht wußte, ob er beobachtet wurde. Diese Vorsichtsmaßnahme erschien ihm zwar überflüssig, aber in seiner jetzigen Situation blieb ihm kaum etwas anderes üb rig. Schon eine halbe Stunde später hielt er die Untätigkeit nicht mehr aus. Sie brachte ihn nicht weiter. Außerdem wurde es uner träglich, nicht zu wissen, welchen Kurs das Schiff eingeschlagen hatte und wo es sich befand. Und noch etwas kam hinzu, was ihn zum Handeln veranlaßte: wenn er sich im Schiff bewegte, soweit das möglich war, würde er auch sehr bald wissen, ob man ihn beobach tete oder nicht. Vielleicht hielten sich auch noch andere Gefangene an Bord auf, mit de nen er sich in Verbindung setzen konnte. Er richtete sich auf und begann mit der Durchsuchung des Raumes, der keinerlei Einrichtungsgegenstände aufwies. Besonde res Augenmerk richtete er auf verborgene Kameras oder Mikrophone, konnte jedoch keins von beiden finden. Der Schwarze Kontrolleur mußte sich eventueller Gefange ner sehr sicher sein. Dann kümmerte Atlan sich um die Tür, die einen massiven Eindruck machte. Im Gegensatz dazu wirkte der Verschluß eher primitiv. Offensichtlich diente dieser Raum ursprünglich nicht als Gefängnis, sonst hätte man den Sperriegel nicht so angebracht, daß er sich auch von innen öffnen ließ. Ein kurzer Ruck, und schon entstand ein Spalt in der Tür. Atlan lauschte, aber außer dem gleichmä ßigen Summen war nichts zu hören. Die Ro boter schienen in Ruhestellung gegangen zu
17 sein. Der zweite Raum enthielt einiges Mobili ar, das kaum für die Robotbesatzung ge dacht sein konnte. Es ließ die Vermutung zu, daß sich manchmal auch Personen aus Fleisch und Blut an Bord aufhielten. Als Atlan sich der nächsten Tür näherte, blieb er plötzlich stehen. Irgend etwas ließ ihn aufhorchen, aber er wußte im ersten Au genblick nicht, was das war. Das Summen …? Richtig, der bisher gleichmäßige Ton hat te sich verändert. Ein leichter Ruck ging durch den Schiffskörper, dann wurde das Geräusch leiser und verstummte schließlich. Der Schwarze Kontrolleur war gelandet. Hastig huschte Atlan in sein ursprüngli ches Gefängnis zurück und verschloß die Tür wieder. Im Notfall würde er sie in Sekunden öff nen können. Er streckte sich auf dem Boden aus und schloß die Augen. Angestrengt lauschte er.
3. Selbst wenn der Fleischvorrat nicht im Lederbeutel gewesen wäre, hätten Dellsell und Maysie immer genug zu essen gehabt. Auf ihrem Weg nach Westen, immer flußab wärts, fanden sie schlafende Tiere aller Art. Es hätte keine Mühe gekostet, das eine oder andere von ihnen zu schlachten. Die Nacht verbrachten sie auf einer trockenen Lichtung dicht am Ufer. Da sie während des Marsches am Tag ein wenig ih rer ursprünglichen Furcht verloren hatten und keinem Wilden mehr begegnet waren, besaßen sie auch den Mut, ein Feuer anzufa chen. Sie sprachen nicht viel, kauten auf ihrem kalten Fleisch herum und lauschten in die Dunkelheit hinaus. Der Urwald war wie aus gestorben, kein Laut war zu hören. Die Welt, auf der sie sich befanden, schlief. Am anderen Morgen setzten sie ihren Marsch ins Unbekannte fort.
18 Gegen Mittag erreichten sie das Ufer ei nes breiten Nebenflusses, der von Nordwe sten kam. Das Wasser war ziemlich seicht, so daß sie mit Hilfe eines schnell zusam mengebundenen Floßes leicht an die andere Seite gelangen konnten. Sie marschierten den ganzen Tag und die halbe Nacht. Einmal fanden sie ein schlafendes Dorf voller Eingeborener und ließen es mit einem unheimlichen Gefühl zurück. So froh sie auch darüber sein mochten, daß al les Lebende um sie herum paralysiert und wehrlos war, so sehr lastete die unbekannte Drohung auf ihnen. Dann begann sich die Landschaft zu ver ändern. Der Boden wurde naß und sumpfig, das Vorwärtskommen schwerer. Immer wieder mußten sie träge Nebenarme des Haupt stroms überqueren, dessen Wasser eine merkwürdige Veränderung erfuhr. Es schien schwarz zu werden. »Wir nähern uns der Mündung des Flus ses«, vermutete Dellsell, als sie auf einer re lativ trockenen Insel zwischen den Deltaar men standen und nach Westen blickten. »Dort muß ein Meer sein.« Er konnte nicht wissen, daß sie dem Re genfluß bis zu seiner Mündung in den Däm mersee gefolgt waren. Die Wasserfläche war groß genug, um aus einiger Entfernung wie eine Meeresbucht zu wirken. Das andere Ufer blieb unsichtbar. »Dann kommen wir nicht mehr weiter«, befürchtete Maysie. »Vielleicht finden wir ein Schiff, das wä re noch besser als die Lauferei. Natürlich müßte es ein kleines Schiff sein, denn eine Mannschaft gibt es nicht mehr. Wir müssen es allein steuern können.« »An jeder Küste gibt es Häfen«, sagte Maysie zuversichtlich. Sie waren sich ausnahmsweise mal einig. Aber nur für wenige Minuten. »Los, weiter!« befahl Dellsell. Maysie setzte sich ostentativ auf einem umgestürzten Baumstamm. »Ich mache Pause«, erklärte er. »Auf ein
Clark Darlton paar Stunden mehr oder weniger kommt es nun auch nicht mehr an.« »Wir verlieren nur unnötig Zeit.« »Findest du die kleine Insel nicht geschaf fen für einen kleinen Aufenthalt? Es ist trocken hier, und drüben im Schilf habe ich ein halbes Dutzend schlafende Großvögel gesehen. Ein frischer Braten würde uns gut tun.« Der Gedanke daran war auch Dellsell nicht unangenehm. Zögernd willigte er ein und begann, trockenes Gras und Holz zu sammeln, während Maysie zum Schilfufer hinabschlenderte, um einen der großen Vö gel zu holen. Wenig später saßen die beiden wieder friedlich vereint am lodernden Feuer und so gen genußvoll den Duft des gebratenen Flei sches in sich hinein. Zu ihrem Leidwesen blieb es jedoch bei der Vorfreude. Dellsell hörte das seltsame Geräusch zu erst. Er neigte den Kopf und lauschte. Das ferne Summen verstärkte sich allmählich, als käme es näher. »Da kommt etwas«, sagte er und drehte weiter den Spieß. Nun hörte es auch Maysie. Er stand auf und blickte nach Norden, denn von dort kam das Geräusch. Zuerst konnte er nichts wahr nehmen, dann glaubte er dicht über dem Ho rizont einen dunklen Punkt zu sehen, der all mählich größer wurde. »So ein fliegendes Ding – erinnerst du dich? Die Fremden holten uns mit so einer Maschine von Golzo-Warp fort. Diese hier scheint aber viel größer zu sein.« Dellsell wurde von Panik ergriffen. Er sprang auf und sah in die Richtung, in die auch Maysie blickte. Das summende Ge räusch war lauter geworden. Der Punkt ent puppte sich als eine riesige fliegende Schüs sel. »Das Feuer!« sagte Maysie. »Der Rauch hat uns verraten.« Er nahm den Spieß mit dem halbfertigen Braten und verteilte brennende Äste und die Glut. Die Rauchentwicklung, die vorher
Der schwarze Kontrolleur nicht besonders groß gewesen war, verstärk te sich dadurch nur noch mehr. »Wasser!« schlug Dellsell vor, aber sie hatten kein Gefäß. Inzwischen war das schwarze Riesending näher gekommen und begann über der klei nen Insel im Delta des Regenflusses zu krei sen. Dabei senkte es sich langsam tiefer. Maysie rannte zum Nebenarm im Westen, mußte aber feststellen, daß hier das Ufer be sonders schlammig war. Nach wenigen Schritten in die dunkle Brühe machte er ver zweifelt kehrt. Dellsell, der am Ufer stehen geblieben war, rief ihm zu: »Was ist los? Warum gehst du nicht wei ter?« »Hier kommen wir nicht durch. Wir müs sen zurück in den Wald.« Aber dazu war es bereits zu spät. Der Schwarze Kontrolleur war inzwi schen gelandet und schnitt ihnen den einzi gen Fluchtweg ab. Eine Luke hatte sich ge öffnet, und zwei scheibenförmige Flugma schinen kamen heraus, die lange metallene Arme mit Greifwerkzeugen an den Enden hatten. Zielstrebig schwebten sie auf die bei den Proluren zu, die wie erstarrt dem Unfaß baren entgegensahen. Der Schreck und das Entsetzen schien sie gelähmt zu haben. Doch dann, als die metallenen Arme nach ihnen griffen, fiel die Lähmung von ihnen ab. Maysie stürzte sich mit einem Aufschrei auf eine der Scheiben, packte den nach ihm ausgestreckten Arm und versuchte ihn zu verbiegen. Natürlich hatte er damit keinen Erfolg, doch der Angreifer wich ein wenig zurück. Dellsell bückte sich und nahm einen dicken Baumast. Sich um seine eigene Ach se drehend, schwang er ihn gegen die zweite Scheibe, die einige Treffer erhielt und in der Luft hin und her schwankte. »Das sind Maschinen!« keuchte Maysie und bückte sich ebenfalls nach einem star ken Ast. »Vielleicht können wir sie kaputt machen.« Einer der Roboter erhielt einen schweren
19 Treffer und taumelte in Richtung des gelan deten Schiffes davon, verfolgt von dem Tri umphgebrüll Dellsells. Aber die Freude des Siegers hielt nicht lange an. Aus der Luke des Schwarzen Kontrolleurs kamen drei weitere Scheiben geflogen und näherten sich mit ausgefahrenen Greifarmen dem Schauplatz des Kampfes. Die beiden Proluren, rettungslos in die Enge getrieben und ohne Ausweg, wehrten sich mit bemerkenswertem Mut und einer Ausdauer, die sie wahrscheinlich selbst nicht für möglich gehalten hätten. Immer wieder vertrieben sie die vier Angreifer. Der fünfte war inzwischen in dem Schiff verschwun den. Dellsell und Maysie hatten nun jeder zwei Gegner, die ihre Aktionen koordiniert durch führten. Maysie war der erste, der aufgeben mußte. Seine beiden Roboter entrissen ihm seine Waffe und packten ihn fest an den Ar men, um ihn dann einige Meter in die Höhe zu heben. Hier wagte der Prolure keine Ge genwehr, denn er fürchtete, sich bei dem Sturz zu verletzen. Sie schleppten ihn ins Schiff. Dellsell sah es und wurde für einen Au genblick abgelenkt. Das genügte. Die Robo ter packten auch ihn und segelten auf die Luke zu. Er wehrte sich aber immer noch, stemmte sich gegen den Lukenrand und brüllte seine Wut und Verzweiflung heraus. Er trat nach den Scheiben, aber auch das nützte ihm nichts. Einmal auf dem Deck des Schiffes schloß sich die Luke, und die metallene Bordwand war mindestens vier Meter hoch. Selbst wenn seine Gegner ihn jetzt frei lie ßen, würde das nichts nützen. Minuten später fanden sich die tobenden Proluren in einem kahlen Raum wieder, des sen Wände ebenfalls aus Metall bestanden. In der Decke brannte Licht. Mit einem dumpfen Laut schloß sich die Tür. Sie waren allein.
*
20 Atlan hatte den Lärm des Kampfes gehört und geahnt, was geschehen war. Aus einem ersten Impuls heraus wollte er die Gelegen heit nutzen, die Flucht zu versuchen, aber dann kam ihm der Gedanke, daß es besser sei, damit noch zu warten. Die Roboter mußten mindestens zwei nicht paralysierte Gefangene gemacht ha ben, das bedeutete, daß es außer ihm noch andere Immune gab. Er war ausgezogen, solche Immune zu finden. Wenn er jetzt floh, verpaßte er diese Chance. Also blieb er. Inzwischen startete der Schwarze Kon trolleur. Atlans Plan war es, heimlich mit den an deren Gefangenen Verbindung aufzunehmen und dann zu versuchen, das Schiff in seine Gewalt zu bekommen. Wenn es nicht fern gesteuert wurde, traute er sich zu, mit den Kontrollen fertig zu werden. Doch zuerst mußten die Roboter ausge schaltet werden. Das stellte er sich nicht allzu schwer vor, denn seiner Meinung nach waren die Ma schinen so programmiert, daß sie die Gefan genen nicht töten durften. Nur lebend nütz ten sie den Unbekannten, wenn sie die Ursa che der Immunität herausfinden wollten. Er wartete, bis das Summen des Antriebs regelmäßig wurde, dann öffnete er die Tür und vergewisserte sich, daß niemand im Ne benraum war. Vorsichtig und ohne ein Ge räusch zu verursachen, schlich er sich weiter bis auf den Korridor. Irgendwo wurde heftig gegen Türen oder Wände geklopft, dazwi schen hörte Atlan wütendes Rufen in einer ihm unbekannten Sprache. Das mußten die Gefangenen sein, die man an Bord geschleppt hatte. Sie galt es zu fin den und zu überzeugen, daß man ein Ver bündeter war. Hoffentlich verstanden sie Pthora. Er brauchte keinen Lift zu benützen, denn die Zelle der Gefangenen befand sich auf gleicher Ebene. Schweberoboter waren nicht in Sicht. Wahrscheinlich waren sie wieder auf Deck zurückgekehrt und befanden sich
Clark Darlton in Bereitschaftsstellung. Hastig eilte Atlan an den vielen Türen vorbei und hielt vor jener an, hinter der die Gefangenen einen Höllenlärm verursachten. Ob sie nicht wußten, daß man den Sperriegel auch von innen öffnen konnte? Ein Griff, eine knappe Drehung – und die Tür ging einen Spalt weit auf. Gleichzeitig prallte von innen etwas mit voller Wucht da gegen, ein merkwürdiges Lebewesen, wie Atlan noch nie eines gesehen hatte. Es erin nerte bei einiger Phantasie an einen Würfel mit Gliedmaßen und einen Kopf mit einer Hundeschnauze. Atlan sprang zur Seite, um Platz zu ma chen. Der Ausbrecher rutschte an der sich weit öffnenden Tür entlang, flog quer über den Korridor und knallte mit ziemlichem Schwung auf die gegenüber befindliche Wand. Es klatschte dumpf, dann drehte sich der Würfel um und musterte Atlan, der mit beiden Händen beruhigende Gesten zu ma chen versuchte. Der Fremde mußte die Zeichen verstan den haben, denn er griff nicht an. In der Tür erschien ein zweites Exemplar. Zum Glück hatten sie beide mit dem Brüllen aufgehört. »Ich bin Gefangener wie ihr«, sagte At lan, aber er wußte sofort, daß sie Pthora nicht verstanden. Sie mußten aus der Senke der Verlorenen Seelen stammen, aufgewach te Schläfer also, die ausgerissen waren. Le bewesen, die von einer jener Welten geholt worden waren, die Pthor überfiel. »Ich will euch helfen.« Wenn sie auch nicht begriffen, was er sagte, so deuteten sie zumindest den Tonfall richtig. Sie folgten ihm in ihre eigene Zelle. Atlan verschloß die Tür und zeigte ihnen, wie man sie wieder öffnete. Dann folgte eine mühsame »Unterhaltung« in der Zeichen sprache. Atlan fand seine Vermutung bestätigt, was die Herkunft der beiden seltsamen We sen betraf, aber sie schienen selbst nicht zu wissen, warum sie von der allgemeinen Läh mung verschont geblieben waren. Vielleicht besaßen sie einen natürlichen organischen
Der schwarze Kontrolleur Schutz vor der Paralyse oder hatten parapsy chische Eigenschaften, von denen sie nichts ahnten. Jedenfalls drückten sie ihre Bereitschaft aus, Atlan zu helfen. Sie würden sich der Schweberoboter annehmen und sie außer Gefecht setzen, sobald sie entsprechende Waffen aufgetrieben hatten. Wenn man die Scheiben einzeln überraschte, konnte das nicht allzu schwer sein. Die Maschinen wa ren verwundbar, das wußte man bereits. Atlan würde sich um die Kontrollen des Schiffes kümmern und es notfalls zur Lan dung zwingen. Nachdem man so einen Schlachtplan ent worfen hatte, ging man an dessen Verwirkli chung. Die Tatsache, daß keine neue Landung er folgt war, deutete darauf hin, daß der Schwarze Kontrolleur keine weiteren Immu nen entdeckt hatte. Atlan bedauerte diese Tatsache, denn er wäre über weitere Ver bündete recht froh gewesen. Außerdem hät ten sich die Chancen für eine erfolgreiche Flucht verbessert. In einem Raum, der am Ende eines Sei tengangs lag, fanden sie genau das, was sie suchten. Es mußte sich um eine Art Werk zeuglager handeln, vielleicht auch um Er satzteile. Jedenfalls griffen die beiden Prolu ren sofort nach den Eisenstangen, die säu berlich gestapelt in einem Regal lagen. Wenn sie schon mit einem Baumast einen Scheibenroboter außer Gefecht gesetzt hat ten, würde das mit einer Eisenstange noch besser klappen. Atlan zog zwei massive Werkstücke vor, die gut zu handhaben waren. Sie erinnerten an schwere Schraubenschlüssel. Einen da von schob er in die geräumige Tasche seines Anzugs, den anderen behielt er in der Hand. Einen ersten Eindruck von dem Können seiner kleinen Armee erhielt Atlan wenige Minuten später auf dem Korridor, als sie plötzlich einem lautlos heranschwebenden Scheibenroboter gegenüberstanden.
*
21 Dellsell rief seinem Artgenossen etwas zu, das Atlan nicht verstand, aber er sah die Wirkung und brauchte nicht einzugreifen. Die beiden Proluren hieben mit gezielten Schlägen auf die Scheibe ein, die sofort zu taumeln begann und schräg gegen die Wand segelte, an ihr herabrutschte und bewe gungslos liegenblieb. Das alles hatte keine zehn Sekunden gedauert. So großartig dieser Erfolg auch sein mochte, er bedeutete noch lange nicht den endgültigen Sieg. Atlan war davon über zeugt, daß der Roboter mit den anderen im Schiff in Funkverbindung stand und sie in formierte. Das würde bedeuten, daß die Jagd auf die entflohenen Gefangenen bald be gann. Atlan mußte verhindern, daß der Zutritt zur Kontrollzentrale blockiert wurde. Die beiden Proluren unterhielten sich in ihrer knurrigen Sprache so ungeniert, als wären sie bereits die Herren des Schiffes. Atlan bedeutete ihnen, ihm zu folgen und leiser zu sein. Sie benutzten den Lift, um in die höheren Regionen zu gelangen. Der Kontrollraum befand sich auf gleicher Ebene mit dem Deck, darüber waren weitere Aufbauten, wahrscheinlich mit Beobachtungsstationen und vielleicht sogar eine Feuerleitstelle, falls der Schwarze Kontrolleur bewaffnet sein sollte. Als sie den Lift verließen, glitten drei Ro boter auf sie zu und griffen sofort an. Diesmal hatten die Proluren es nicht so leicht, mit dem Gegner fertig zu werden. Je der hatte einen von ihnen gegen sich, und der dritte kümmerte sich um Atlan, der nun selbst genug mit sich zu tun hatte. Der kürze Schraubenschlüssel war keine geeignete Waffe, wenn es nicht gelang, da mit eine empfindliche Stelle zu treffen. Zweimal prallte er von der harten Metallflä che der Scheibe ab, und Atlan hatte das Ge fühl, als zerbreche sein Handgelenk. Oberhalb der Scheibe saß der eigentliche Robotkörper mit den Greifarmen. Er mußte hohl sein und das Instrumentarium beherber
22 gen. Ein Schlag darauf bestätigte Atlans Ver mutung. Zwar prallte auch hier sein Werk zeug ab, aber der Klang war anders. Die Hülle war demnach nicht so massiv wie jene der Scheiben, die den Antigrav enthielt. Trotzdem würde er die Metallwand nicht zertrümmern können. Die Metallklauen, mit denen er schon vor her Bekanntschaft gemacht hatte, griffen nach ihm. Als er darauf schlug, wichen sie zurück, aber nur für einen Moment. Die Hände des Roboters waren demnach kein neuralgischer Punkt. Im dem kurzen Rumpf leuchtete ein Lämpchen. Es erinnerte Atlan an das Auge einer Selenzelle. Es mußte das Seh- und Ta storgan des Roboters sein. Wenn er es traf, bestand die Möglichkeit, daß er die Orientie rung verlor. Beim vierten Schlag zielte er sorgfältig, um die kleine Linse zu treffen. Es gelang ihm. Die Lampe zersplitterte und erlosch. Der Erfolg stellte sich sofort ein. Der Flugroboter begann zu taumeln und hilflos mit seinen Greifwerkzeugen in der Luft her umzufuchteln. Immer dann, wenn er die Wand berührte, nahm sein unsicherer Flug eine andere Richtung. Er war erblindet. Atlan setzte nach und zertrümmerte mit einem einzigen Schlag die winzige Kugelan tenne, die oben auf dem Walzenkörper saß. Er hielt das Gebilde wenigstens für eine Empfangsantenne, die entweder der Kom munikation mit den anderen Robotern diente oder einer Fernsteuerung. Jedenfalls traf er damit den Lebensnerv der Flugscheibe. Sie taumelte nicht mehr, sondern stürzte ab. Schwer schlug sie auf dem Boden auf und blieb reglos liegen. Und die Proluren? Mit ihren Eisenstangen hatten sie sich zu erst gegenseitig bei der Abwehr ihrer An greifer behindert, dann aber eine neue Tak tik entwickelt. Sie sorgten dafür, daß sie nicht zu nahe beieinander standen, um mehr Bewegungsfreiheit zu erhalten. Da der Kor ridor breit genug war, konnten sie nun ihre
Clark Darlton Standen schwingen, ohne sich gegenseitig zu gefährden. Ihre Schläge blieben anfangs ziemlich wirkungslos, aber dann sahen sie, wie Atlan seinen Gegner kampfunfähig machte. Sie lernten schnell. Kurz nacheinander rasierten sie mit ihren Stangen die Kugelantennen regelrecht ab, die Roboter schienen plötzlich ohne jede Energiezufuhr zu sein und landeten unsanft auf dem Boden, wo die Proluren ihnen den Rest gaben. Aber Atlans heimliche Hoffnung, daß da mit der Weg zur Zentrale freigekämpft war, erfüllte sich nicht. Die ausgeschalteten Ro boter mußten noch Gelegenheit gehabt ha ben, ihre Befehlsstelle zu alarmieren. »Kommt mit!« rief er seinen beiden Ver bündeten zu und unterstrich seine Aufforde rung mit entsprechender Geste. »Wir müs sen auf Deck gelangen, ehe sie uns hier ein kreisen.« Er hatte am Ende des Korridors ein halbes Dutzend Roboter bemerkt, die auf sie zu schwebten. Wenn auch noch welche aus der anderen Richtung kamen, blieb zu wenig Raum für eine wirkungsvolle Verteidigung. Die Proluren begriffen und folgten ihm. Er öffnete mehrere Türen, aber hinter ih nen lagen nur weitere Räume. Der Ausgang zum Deck mußte weiter vorn und oben sein. Ein Lift brachte sie einige Etagen höher. Als sie aus dem Schacht auf den Gang traten, wurden sie bereits erwartet. Atlan zählte zehn Roboter, die sich schwebend vor den Liftausgang postiert hat ten und so einen Kordon bildeten, der kaum zu durchbrechen war. Immerhin war es ein Glück, daß die fliegenden Scheiben nicht über Waffensysteme verfügten, sondern mit ihren Greifwerkzeugen auskommen mußten. Dellsell und Maysie stießen ein drohendes Knurren aus und schwangen ihre Stangen, um sich den Weg freizukämpfen. Atlan er spähte aus den Augenwinkeln heraus eine Lücke in der Absperrung und tauchte blitz schnell durch sie hindurch, so in den Rücken der Roboter gelangend.
Der schwarze Kontrolleur Zwei von ihnen durchschauten seine Ab sicht und folgten ihm auf dem Weg zum Deck. So schnell er auch rannte, sie holten ihn ein, ehe er sein Ziel erreichen konnte. »Ihr wollt es nicht anders!« rief er ihnen zu und stellte sich. Die leicht verwundbare Blinklinse des Gegners, der ihm am nächsten war, schien ihn tückisch anzuflimmern. Atlan verspürte so etwas wie Mitleid mit der Maschine, als er das Licht zertrümmerte und sich dann so fort dem zweiten Gegner zuwandte, der ebenfalls blind wurde, ehe er ausweichen konnte. Der Weg war wieder frei. Atlan wußte, daß die beiden Proluren – er kannte diesen Namen natürlich nicht und nannte sie bei sich »die Fremden« – die an deren Roboter vollauf beschäftigten, ohne daß sie dabei in ernsthafte Gefahr gerieten. Damit deckten sie ihm den Rücken, falls er nicht erneut angegriffen wurde. Er fand eine Tür und stand Sekunden spä ter auf dem Deck. Über ihm war der Him mel, grau bezogen und regnerisch. An den Aufbauten führte außen eine Leiter nach oben zu einer kleinen Plattform. Er stieg hinauf, um sich zu orientieren. Der Schwarze Kontrolleur glitt in gerin ger Höhe über eine Steppenlandschaft dahin, die Atlan vage bekannt erschien. Sie mußten sich südlich des Wachen Auges befinden und flogen nach Osten, in Richtung der FE STUNG. Es würde besser sein, wenn das Schiff die Pyramiden nicht erreichte. Noch immer waren keine neuen Roboter zu sehen. Soweit Atlan sich auskannte, be fand sich der Zugang zum Kontrollraum im Innern der Aufbauten. Er mußte also wieder zurück, wenn er zu ihm gelangen wollte. Hastig stieg er die Leiter hinab und ver ließ das Deck. Nach einigem Umherirren fand er den Weg zum Kontrollraum, durch den man ihn bei seiner Gefangennahme ge schleppt hatte. Er begegnete keinem einzigen Roboter, was der vorangegangenen Ereignisse wegen
23 sehr erstaunlich war. Schließlich mußte der Alarm sämtlicher Maschinen an Bord des Schwarzen Kontrolleurs mobilisiert haben. Nichts dergleichen schien der Fall zu sein. Trotzdem blieb er vorsichtig, und schließ lich stand er vor der Tür zur Kommandozen trale. Durch einen leichten Druck mit der Hand ließ sie sich öffnen. Sie war bis auf das komplizierte Instrumentarium einer au tomatisch gesteuerten Anlage leer. Es war nicht das erste Mal, daß Atlan ei ner ihm völlig fremdartigen Technik gegen überstand. Er wußte aus Erfahrung, daß die technische Entwicklung im Universum in den meisten Fällen in ähnlichen Bahnen ver lief und die Ergebnisse oft identisch waren. In einer Hand hielt er noch immer den Schraubenschlüssel, seine einzige Waffe. Er zog die Tür hinter sich zu und hoffte, daß die Proluren inzwischen die Roboterbesat zung des Schiffes genügend beschäftigten. Mit äußerster Konzentration studierte er die Kontrollkonsolen und Schalttafeln, von denen einige manueller Bedienung vorbehal ten waren. Wenn es ihm gelang, die Auto matik des Schwarzen Kontrolleurs außer Be trieb zu setzen, war es durchaus möglich, daß er selbst das Schiff nach Belieben steu ern konnte. Vor allen Dingen war es wich tig, die Fernkontrolle für die Roboter zu fin den, damit diese nicht mehr störten. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte Atlan eine Bewegung, die er nicht sofort ex akt lokalisieren konnte. Erst beim näheren Hinsehen entdeckte er eine kameraähnliche Einrichtung, die an einem Schwenkarm saß. Die Linse am vorderen Ende war unver kennbar. Atlan machte einen schnellen Schritt zur Seite – die Kamera folgte seiner Bewegung. Sie wurde automatisch gesteuert. Die Frage war nur, wer das Bild empfing. Ohne auch nur den Versuch zu unterneh men, sich diese Frage selbst zu beantworten, zerschmetterte der Arkonide die empfindli che Linse mit einem Schlag des Schrauben schlüssels. Seine Suche nach weiteren In strumenten dieser Art blieb erfolglos.
24 Über den Hauptkontrollen befand sich ein breiter Bildschirm, der in Betrieb war. Er zeigte das Gebiet, das von dem Schiff gera de überflogen wurde. Im Augenblick machte es sehr geringe Fahrt und schien fast auf der Stelle zu stehen. Das Gelände hatte sich kaum verändert. Nach Atlans Schätzung befand man sich südöstlich der Senke der verlorenen Seelen, also westlich der FESTUNG. Ein besonders auffällig angebrachter He bel lenkte Atlans Aufmerksamkeit auf sich. Er beherrschte eine jener Konsolen, die aller Wahrscheinlichkeit nach handbedient wer den konnten. Der Arkonide kam nach eini ger Kombinationsarbeit zu dem Schluß, daß er die Handkontrollen aktivierte und die Au tomatik ausschaltete. Es war ihm klar, daß jede Veränderung, die ohne einen entsprechenden Befehl vor genommen wurde, die Aufmerksamkeit der eigentlichen Kommandostelle erregen muß te, aber das störte ihn kaum noch. Die Ka mera mußte seine unbefugte Anwesenheit längst verraten haben. Kurz entschlossen trat er vor die Kontroll tafel und legte den Hebel von oben nach un ten. Einige Lämpchen leuchteten auf, andere erloschen. Sonst geschah nichts. Draußen auf dem Korridor war Lärm zu hören. Metall schlug gegen Metall, dazwi schen ertönte das knurrige Geschrei der bei den Fremden, die sich offensichtlich auf dem Rückzug befanden und automatisch die Richtung einschlugen, in der sie Atlan hat ten verschwinden sehen. Der Arkonide ahnte, daß er keine Zeit mehr zu verlieren hatte. Wenn es ihm schon nicht gelang, das Schiff unter seine Kontrol le zu bringen, mußte er es zur Landung zwingen. Auf keinen Fall durfte es sein Ziel erreichen, solange er sich als Gefangener und waffenlos an Bord aufhielt. Der Lärm kam näher. Atlan sprang zur Seite, als einer der Scheibenroboter von außen gegen die Tür prallte und sie dabei öffnete. Mit unsicheren
Clark Darlton Taumelbewegungen segelte er in die Kom mandozentrale. Seine Sehlinse war zertrüm mert. Hinter ihm stürzte einer der Proluren in den Raum und schwang seine Eisenstange. In seiner Rage schien er Atlan nicht zu be merken, der seitlich vor den Instrumenten stand. Seine Stange traf den Roboter, ohne ihn ernsthaft zu beschädigen, aber der Auf prall genügte, die Maschine gegen die Kon trollen zu schleudern. Es gab einen Lichtblitz und einen Knall. Der Prolure wich erschrocken zurück, ging aber sofort wieder in Abwehrstellung, als der Roboter sein Gleichgewicht zurücker langte und blind seinen Gegner zu suchen begann. Atlan griff blitzschnell ein und zertrüm merte die Antenne. Kaum war das geschehen, als eine Er schütterung durch das Schiff ging. Fast gleichzeitig erschienen in der noch offenen Tür zwei neue Roboter, deren Antennen und Linsen intakt waren. Zielstrebig griffen sie sofort an. Als Atlan sicher war, daß sich der Prolure die beiden Gegner ohne Schwierigkeiten vom Leib halten konnte, widmete er sich wieder seiner ursprünglichen Aufgabe. Auf dem Bildschirm konnte er sehen, daß der Flug des Schwarzen Kontrolleurs unsicher geworden war. Die Wüstenlandschaft kam langsam näher. Stürzte das Schiff ab?
* Dellsell und Maysie wuchsen über sich selbst hinaus. Die alte Rivalität zwischen ih nen war – für den Augenblick wenigstens – erloschen. Rücken an Rücken wehrten sie die pausenlosen Angriffe der Roboter ab und legten einen nach dem anderen lahm. Dann wurden sie getrennt. Während Maysie von einer Übermacht bis ans Deck gedrängt wurde und dort wieder erfolgreich seine Stange schwingen konnte, zog sich Dellsell in den Korridor zurück und
Der schwarze Kontrolleur verirrte sich zunächst in den zahllosen Gän gen und Abzweigungen. Immer wieder hol ten ihn die schnelleren Roboter ein, aber sie bekamen ihn nicht zu fassen. Es war ein Glück, daß sie alle nach dem gleichen Prinzip konstruiert waren und da her auch die gleichen verwundbaren Stellen hatten. Sie konnten nicht als gleichwertige Gegner bezeichnet werden, wenn man diese Stellen kannte. Jetzt zählte nur noch ihre zahlenmäßige Übermacht. Und die war auf die Dauer zu groß. Dellsell spürte kaum noch seine Arme. Er wußte, daß er die pausenlose Anstrengung nicht mehr lange aushalten konnte. Er mußte sich für ein paar Minuten ausruhen, sonst wurde er wieder in eine Zelle gesperrt. Um Maysie konnte er sich nicht küm mern, der mußte über ihm auf dem Deck sein. Von zwei Robotern verfolgt, lief er den breiten Hauptkorridor entlang und rannte ge gen eine dritte Flugscheibe, die um eine Ecke bog. Der Aufprall war so heftig, daß sowohl die Scheibe wie auch Dellsell zu Boden ge schleudert wurden. Einen Augenblick blieb der Prolure halb betäubt liegen, aber er rap pelte sich schnell wieder auf, als der Roboter hochkam und ihn angriff. Mit einem Schlag seiner Eisenstange zer trümmerte Dellsell das Auge des Gegners, der – nun blind geworden – gegen eine Tür prallte, die sofort aufging und den Blick in den Kontrollraum freigab. Dellsell sah Atlan und folgte dem Robo ter, um ihm den Rest zu geben. Der Arkoni de nahm ihm die Arbeit ab. Dann ereignete sich eine Explosion. Das Geschehen nahm eine dramatische Wende.
4. Als Dellsell die beiden Roboter außer Ge fecht gesetzt hatte, machte Atlan ihm klar, daß er außerhalb des Kontrollraums darauf achten sollte, daß keine Flugscheibe mehr in die Nähe kam. Er deutete auf die Kontrollen
25 und auf den Schirm mit dem schwankenden Bild der Oberfläche von Pthor. Dellsell begriff und verschwand auf den Korridor. Wahllos begann Atlan nun mit den Kon trollen zu hantieren. Er wußte, daß er nicht mehr viel zu verlieren hatte, denn zweifellos hatte der Kurzschluß die Steuerautomatik beschädigt. Wenn es ihm nicht gelang, den Flug des Schiffes zu stabilisieren, war der Absturz unvermeidlich. Einige der Schaltungen befanden sich un ter einer transparenten Platte, deren Öff nungsmechanismus Atlan nicht finden konn te. Kurzerhand zertrümmerte er sie mit dem Schraubenschlüssel. Er betätigte einen Schalter nach dem anderen und drückte schließlich einen auffallenden Knopf in der Mitte tief in den Sockel. Eine Sekunde später verstummte draußen der Kampflärm. Eine unheimliche Stille folgte. Dann hörte er die knurrigen Stimmen der beiden Fremden. Sie kamen näher. Atlan ahnte, was geschehen war. Er hatte die Robotbesatzung des Schwarzen Kontrol leurs desaktiviert. Sie erhielten keine Befeh le und vielleicht auch keine Energie mehr. Dellsell und Maysie erschienen in der Tür und ließen einen Redeschwall los, von dem Atlan natürlich kein Wort verstand. Sie schwiegen, als er auf den Bildschirm deute te. Dann machten sie kehrt und rannten in den Gang, der zum Deck führte. Atlan war wieder allein, diesmal auch si cher vor den Robotern. Er schlug eine zweite Transparentplatte ein und setzte seine Versuche fort, aber ohne sichtbares Ergebnis. Die Oberfläche von Pthor kam weiterhin näher, wenn auch nicht sehr schnell. Das Schiff stürzte zum Glück nicht senkrecht und völlig unkontrolliert ab, aber es befand sich in einem unsicheren Sinkflug, der es unweigerlich früher oder später zu Boden bringen mußte. Atlan zögerte, weitere Experimente durchzuführen. Viel hatte er bisher nicht er reicht, wenn man von der Ausschaltung der Roboter absah. Das Schiff selbst hatte er
26 nicht unter seine Kontrolle bringen können. Aber es würde auch sein befohlenes Ziel nicht erreichen. Ein Blick auf den Bildschirm zeigte ihm, daß die Höhe kaum noch dreihundert Meter betrug. Noch fünf Minuten etwa blieben bis zur unfreiwilligen Landung. Wenn es nicht zu hart aufsetzte, konnte nicht viel passieren. Das Deck würde der sicherste Ort sein, denn bei einer allzu harten Landung mußte mit einer Explosion gerechnet werden. Atlan war sich darüber im klaren, daß ihn bisher nur der Anzug der Vernichtung vor Schäden bewahrt hatte. Er war mit mehreren Strom leitern in Berührung gekommen, aber es hat te keine Überschläge gegeben. Hastig verließ er den Kontrollraum und gelangte nach wenigen Minuten auf Deck. Die beiden Proluren erwarteten ihn dort mit Gesten, die Beunruhigung ausdrückten. Sie hatten begriffen, in welcher Lage sie sich befanden. Atlan vermochte sie nicht mehr zu än dern. Er kletterte drei Meter an den Aufbauten empor, um so über den Rand der großen Schüssel blicken zu können. Pthors Oberflä che war nur noch knapp hundert Meter ent fernt. Einige kreisrunde Seen mit fast schwarzem Wasser zogen vorbei und blie ben schnell zurück. Je tiefer das Schiff sank, desto höher schien seine Geschwindigkeit zu werden, aber das war nur eine optische Täu schung. Sie flogen jetzt genau nach Süden, wür den also das Wache Auge in einiger Entfer nung auf der westlichen Seite passieren, wenn sich das Schiff noch lange genug in der Luft hielt. Es mußte ungefähr die Gegend sein, dach te Atlan, als er wieder hinab aufs Deck klet terte, in der er gefangengenommen worden war und wo er den Händler aus Oxeyan mit seiner Echse gefunden hatte. Von dort aus waren es noch mehr als hundert Kilometer bis zur FESTUNG, also zwei gute Tages märsche. Unter seinen Füßen spürte Atlan plötzlich
Clark Darlton ein unregelmäßiges Vibrieren, das stärker wurde und schließlich auch regelmäßiger. Das Begleitsummen kannte er nur zu gut. Er hatte es schon zweimal gehört, als der Schwarze Kontrolleur Fahrt aufnahm nach dem Start. Sollte …? Er dachte den Gedanken nicht zu Ende, sondern bedeutete den beiden Proluren, hier auf ihn zu warten und nichts zu unterneh men. Jene Unbekannten, die Pthor durch die Dimensionen steuerten, hatten das Schiff wieder unter ihre Kontrolle bekommen. Es änderte abermals die Flugrichtung und nahm Kurs auf die FESTUNG. Dabei gewann es wieder an Höhe. Jetzt war Atlan alles egal. Er mußte unter allen Umständen verhindern, daß der Schwarze Kontrolleur das befohlene Ziel er reichte, wo immer es auch liegen mochte. Zum Glück blieben die Roboter noch des aktiviert, aber auch das konnte sich jeden Moment ändern. Dann würde der Kampf er neut beginnen, und vielleicht erhielten sie diesmal den Befehl, die Gefangenen nicht mehr so schonend zu behandeln, wie das bisher geschehen war. Atlan sprang in den Korridor und rannte in den Kontrollraum. Der Bildschirm zeigte ihm, daß sie wieder fünfhundert Meter hoch waren und schneller flogen. Es wurde also höchste Zeit, dem ungewis sen Spiel ein Ende zu bereiten. Viel Gele genheit zum Nachdenken und Kombinieren blieb nicht. Wahllos schlug er mit dem schweren Schraubenschlüssel auf die Schaltkonsolen und Kontrollen. Abermals bewahrte ihn das Goldene Vlies, der Anzug der Vernichtung, vor Verletzungen und körperlichen Schäden, denn sein Zerstörungswille verursachte einen Kurzschluß nach dem anderen. Seine Bemühungen blieben lange Zeit er folglos, aber dann traf sein Schraubenschlüs sel eine der Hauptleitungen. Die Detonation war derart stark, daß er von dem Luftdruck in die andere Ecke des Raumes geschleudert
Der schwarze Kontrolleur wurde. Er blieb auf dem Boden sitzen und beobachtete den Bildschirm. Zuerst änderte sich nichts, aber das bisher gleichmäßige Summen des Antriebs klang plötzlich anders. Hinzu kam das bekannte Vibrieren, das durch das ganze Schiff ging. Atlan wußte sofort, daß er den Lebensnerv der Automatik getroffen hatte. Sekunden später erhielt er durch den Bild schirm den Beweis. Es war wie beim ersten Mal. Das Bild begann zu schwanken, weil das Schiff schlingerte und nicht auf Kurs blieb. Außerdem verlor es schnell an Höhe. Es stürzte ab. Diesmal endgültig. Achtlos ließ Atlan den Schraubenschlüs sel liegen, der ihm so gute Dienste erwiesen hatte. Er mußte hinaus aufs Deck. Er tastete sich an den Wänden des Korri dors entlang, weil der Boden unter ihm schwankte. Der Lift funktionierte noch, ob wohl er das eigentlich nicht erwartet hatte. Unterwegs sah er mindestens ein Dutzend der nun bewegungslosen Flugroboter herum liegen. Der Kontakt zwischen ihnen und der Befehlszentrale war endgültig unterbrochen. Auf dem Deck angelangt, entdeckte er die beiden fremden Verbündeten dicht am Rand der Flugschüssel. Auch sie spürten den Ab sturz, außerdem schwankte der Flugkörper so hin und her, daß ein Blick über den Rand möglich wurde. Die Wüstenfläche der ver einzelten Felsen und Baumgruppen kam schnell näher. Atlan verlor den Halt und stürzte zu Bo den. Mühsam kroch er weiter, bis er sich an einigen Verstrebungen festklammern konn te. Durch Zeichen gab er den Proluren zu verstehen, daß sie sich ruhig verhalten soll ten. Mehr konnte er nicht für sie tun. Aber Dellsell und Maysie waren klug ge nug, dem Beispiel Atlans zu folgen. Auch sie suchten sich einen festen Halt und klam merten sich daran, um den zu erwartenden Aufprall abzumildern. Er mußte nun jeden Augenblick erfolgen.
27
* Das Schiff lag schräg im Himmel und glitt im Steilflug der Oberfläche entgegen. Manchmal schien es, als wolle es wieder auf Kurs kommen und dem Aufprall auswei chen. Es war offensichtlich, daß jemand ver suchte, die fliegende Schüssel vor der Ver nichtung zu retten. Aber es gelang ihm nicht. Zwar wurde die Flugkurve etwas flacher dicht über der Oberfläche, aber die Ge schwindigkeit war noch zu hoch, um eine sanfte Landung zu ermöglichen. Außerdem bildeten Felsbrocken und Baumgruppen er hebliche Hindernisse. Das Schiff setzte platt auf und rutschte weiter. Mit voller Wucht prallte es dann ge gen einen haushohen Felsen, der die Fahrt abrupt bremste. Der Schwarze Kontrolleur kam mit einem Ruck zum Stehen und neigte sich langsam auf die Seite. Dann blieb er ru hig liegen. Atlan hatte die Versuche der unbekannten Herren von Pthor bemerkt, das Schiff wieder unter Kontrolle zu bekommen, aber er konn te jetzt nichts mehr dagegen unternehmen. Das harte Aufsetzen war fast eine Erleichte rung für ihn, denn er wußte nun, daß der Versuch der anonymen Gegner mißlungen war. Der Erleichterung folgte der Aufprall auf den Felsen. Darauf war niemand gefaßt ge wesen. Atlan wurde regelrecht von seiner Ver strebung weggerissen und rutschte quer über das glatte Deck auf den Rand des Flugkör pers zu, der sich zur Seite neigte und so eine ansteigende Fläche bildete, die das Tempo verringerte. Trotzdem flog Atlan über diesen Rand hinaus, fiel etwa zehn Meter in die Tiefe und landete in einer Sanddüne, die der Wind hinter dem Felsen angehäuft hatte. Den beiden Proluren erging es nicht viel besser. Allerdings befanden sie sich während des Aufpralls bereits am Rand der Schüssel und
28 flogen durch den Ruck nicht über ihn hin weg, sondern schlitterten auf den Bug zu. Ein Aufbau versperrte ihnen dann den Weg. Dellsell verlor das Bewußtsein, als er mit dem Kopf gegen das Metall krachte, Maysie hingegen verstauchte sich nur den Fuß. Er kümmerte sich um seinen Gefährten. »Jedenfalls sind wir unten«, versuchte er sich selbst zu trösten, weil Dellsell ihn nicht hören konnte. »Wo ist nur der seltsame Fremde geblieben …?« Dellsell bewegte sich und erlangte all mählich das Bewußtsein zurück. Mühsam richtete er sich auf. »Wo sind wir?« »Unten«, wiederholte Maysie und mas sierte sein Fußgelenk. »Ich bin froh darüber. Fliegen ist nicht das Richtige für uns.« »Wo ist der Fremde? Ich sehe ihn nicht.« »Er muß aus dem Schiff gefallen sein.« Dellsell stand vorsichtig auf, aber er muß te sich dabei noch stützen. »Was ist mit deinem Fuß? Kannst du auf stehen?« »Verstaucht, nicht so schlimm.« Maysie kam hoch, konnte sich aber der Schräglage des Schiffes wegen nicht halten und rutschte bis zum Rand der Schüssel. Er kroch weiter und sah über ihn hinweg. Er winkte. »He, Dellsell, da unten liegt unser Freund. Er ist ganz schön tief gefallen, aber er be wegt sich. Wir müssen ihm helfen.« »Ich komme schon …« Bald lagen sie beide nebeneinander auf der schrägen Fläche, deren oberer Rand gut zehn Meter über der Sanddüne war. Atlan war gerade dabei, sich aus dem lockeren Er dreich zu graben. Soweit er feststellen konn te, hatte er keine Verletzungen davongetra gen, wohl aber den zweiten Schrauben schlüssel verloren. Als er nach oben blickte, entdeckte er die beiden Hundeschnauzen der Proluren. Sie waren noch im Schiff! Hastig winkte er ihnen zu. »Runterspringen, schnell! Wir müssen weg von dem Schiff! Wenn eine Detonation
Clark Darlton erfolgt, sind wir verloren.« Sie verstanden ihn nicht, begriffen aber, daß er sie aufforderte, zu ihm zu kommen. Das war natürlich leichter gesagt als getan. Maysie mit seinem verstauchten Fuß ver spürte keine Lust, sich auch noch den ande ren zu verletzen oder gar zu brechen. Dellsell schon gar nicht. Atlan ahnte ihre Bedenken, aber es gab keine andere Möglichkeit, um das Schiff zu verlassen. Die Hülle war glatt und ohne Vor sprünge. Die Luke war versperrt, und das ganze Gewicht des Schiffes lag auf ihr. Wenn er wenigstens ein Seil gehabt hätte, wäre es vielleicht möglich gewesen, es den beiden Fremden hinaufzuwerfen. Während Atlan noch überlegte, was er zur Rettung der Proluren tun konnte, half ihm genau das, was er befürchtet hatte. Im Innern des Schwarzen Kontrolleurs er folgte eine erste Detonation. Sie richtete an der Außenhülle keinen Schaden an, aber sie ließ Spekulationen zu, was noch geschehen konnte. Wenn erst einmal der Energiespei cher explodierte … »Springen!« rief Atlan und kroch auf al len vieren den Schräghang der Düne hinab. »Nun macht schon!« Dellsell gab Maysie einen Stoß. »Er meint, wir sollen 'runter, bevor das Schiff in die Luft fliegt«, sagte er. »Spring du zuerst!« »Warum gerade ich? Spring du doch!« »Wieso? Du bist es doch, der immer den Anführer spielen möchte. Das hast du doch schon immer getan, besonders wenn Carmy …« »Halt den Mund!« fuhr Maysie ihn wü tend an, aber ehe der alte Streit wieder aus brechen konnte, erfolgte die zweite Detona tion. Sie riß einen Teil der Aufbauten weg und schleuderte die Trümmer hoch in die Luft. Weit verstreut regneten sie wieder her ab. Eine abgebrochene Verstrebung landete dicht neben den beiden Proluren. Dellsell sah sie kommen und warf sich ein Stück zur Seite, wobei er prompt das Gleich gewicht verlor und über den Bordrand
Der schwarze Kontrolleur rutschte. Mit einer Hand hielt er sich noch fest und brüllte um Hilfe. Die Strebe landete dort, wo er eben noch gelegen hatte. Sie kippte langsam um, und sie wäre genau auf Dellsells Hand gefallen, wenn dieser vor Schreck nicht losgelassen hätte. Mit einem markerschütternden Schrei stürzte er in die Tiefe und landete in dem Loch, das Atlan kurz zuvor aufgewühlt hat te. Der Sand war weich und locker, Dellsell sank bis zur Hüfte ein und blieb stecken. Er schrie noch immer, obwohl er keine Verlet zungen davongetragen hatte. Atlan rannte ihm ein Stück entgegen, als er den Hang herabrutschte. Er half ihm auf die Beine. Eine dritte Explosion brachte bei den den unglücklichen Maysie in die Erinne rung zurück, der noch immer oben auf der Bordwand lag. Maysie hatte den Sturz seines Gefährten verfolgt und gesehen, daß diesem nichts pas siert war. Das gab ihm neuen Mut. Er kroch weiter vor und sah hinab zur Düne. Ein Stück von ihr entfernt standen Atlan und Dellsell. Sie winkten ihm aufmunternd zu. In diesem Augenblick gab es abermals ei ne Detonation. Dicht hinter Maysie brach die Wand der Aufbauten auseinander, und die im Innern des Schiffes zusammenge preßte Luft fand den Weg ins Freie. Die Druckwelle ergriff den Proluren und riß ihn mit. Maysie flog ein Stück waagerecht vom Schiff weg, ehe er in einem steiler werdenden Bogen nach unten fiel. Er hatte Glück und landete am Fuß der Düne, wo der Sand noch weich genug war, den Aufprall abzu mildern. Atlan und Dellsell eilten sofort zu ihm. Der verstauchte Fuß war angeschwollen, aber sonst war nichts verletzt oder gebro chen. Maysie stöhnte, als Atlan ihn unter suchte. »Wir müssen hier weg, schnell!« sagte der Arkonide mit einem Blick auf das Schiff. »Kommt!« Er hob Maysie auf und stützte ihn. Der
29 weiche Sand war hinderlich und erschwerte das Vorwärtskommen, aber die nun akut ge wordene Gefahr verlieh ihnen neue Kräfte. Je schneller sie von dem Wrack wegkamen, desto besser für sie. Es war für Atlan selbstverständlich, daß der Schwarze Kontrolleur über eine Selbst zerstörungsanlage verfügte, und wenn nicht, so war das Schicksal des Schiffes ohnehin besiegelt. Die bisherigen Explosionen ver rieten das nahende Ende. Sie benötigten für einen knappen halben Kilometer fast zwanzig Minuten, dann wa ren sie gezwungen, eine Ruhepause einzule gen. Atlan wählte dafür eine Mulde, die durch an ihrem Rand liegende Felsbrocken einigermaßen geschützt war. Maysies Fuß war noch mehr geschwollen, aber der Schmerz hatte nachgelassen. Zum Glück gab es ein schmales Rinnsal mit fri schem Wasser, das wenig später wieder im Sand versickerte. Der Prolure konnte den Fuß kühlen, und wenig später ließ auch die Schwellung nach. Dellsell trank den kleinen Bach fast aus, so durstig war er. Mit Gesten deutete er an, daß er Hunger habe, aber da vermochte ihm niemand zu helfen. Besorgt sah Atlan immer wieder hinüber zu dem Wrack des Schwarzen Kontrolleurs, dann nach Osten. Dort mußte die FESTUNG liegen, vielleicht nur zehn oder zwanzig Ki lometer entfernt. Aber er konnte sich auch irren. Von den Pyramiden jedenfalls war noch nichts zu bemerken. Und dann schoß drüben beim Schiff ein greller Lichtblitz empor, dem eine ungeheu re Detonation folgte, die das Wrack völlig zerriß. Atlan drückte die beiden Proluren tiefer in die Senke hinein, und Sekunden später raste die Druckwelle über sie hinweg. Trümmerstücke flogen, aber keines fiel in die schützende Mulde. Als Atlan vorsichtig den Kopf hob und über den Rand der Senke blickte, sah er eine dunkle Rauchwolke senkrecht in den Him mel steigen, und dort, wo das Schiff gelegen hatte, nur noch einen flachen Krater.
30
Clark Darlton
Der Schwarze Kontrolleur war für immer vernichtet.
* Atlans Entschluß stand fest: Er würde zur FESTUNG zurückkehren müssen, um sich einen neuen Zugor zu besorgen. Ohne ein Beförderungsmittel war er hilflos und konn te nichts unternehmen. Er mußte die anderen finden, die nicht von der Paralyse betroffen waren. Aber vorerst war an den Aufbruch noch nicht zu denken. Die beiden Fremden waren noch zu schwach. Hinzu kam der verstauch te Fuß des einen. Und mit zur FESTUNG wollte er sie auch nicht nehmen. Also mußte er noch ein oder zwei Tage bei ihnen bleiben. Weiter im Süden, ein paar tausend Meter von der Absturzstelle entfernt, waren die Wipfel von Bäumen zu sehen. Wo aber Wald war, da gab es auch Fleisch und Früchte. Er gab seinen Gefährten zu verstehen, daß man weitergehen müsse. Zuerst wurden Proteste laut, aber diesmal blieb Atlan energisch. Als die Proluren lie gen bleiben wollten, verließ er einfach die Senke und wanderte allein weiter. Als er sich nach einigen hundert Metern umdrehte, sah er, daß die beiden ihm folgten. Dellsell stützte Maysie. »Er will hin zu dem Wald, glaube ich. Wenn er uns allein läßt, bevor wir etwas zu essen finden, sind wir verloren.« »Vielleicht ist es der Wald, in dem wir schon waren. Dort finden wir alles, was wir brauchen.« »Diesmal lassen wir uns nicht noch ein mal einfangen. Wir werden im Wald blei ben, und am Fluß.« Maysie humpelte tapfer weiter. »Ich glaube nicht, daß es derselbe Wald ist. Wir waren zu lange in dem fliegenden Ding, das eine weite Strecke zurückgelegt hat. Ich finde mich auf dieser fremden Welt überhaupt nicht mehr zurecht.«
Atlan ließ die beiden Proluren reden, ohne sich einzumischen. Da er kein Wort ver stand, hätte das ohnehin keinen Sinn gehabt. Die Hauptsache war, sie gingen weiter, und er konnte sie bis zum Wald begleiten, der Nahrung und Wasser bot. Außerdem hatte er die Absicht, sich selbst ebenfalls mit einigen Vorräten zu versorgen. Immer wieder suchte er den Himmel ab, um das Auftauchen eines zweiten Schwar zen Kontrolleurs rechtzeitig zu bemerken. Er konnte sich nicht vorstellen, daß es nur einen von ihnen gegeben hatte. Aber er sah nichts Verdächtiges. Endlich, nach gut zwei Stunden, erreich ten sie den Wald. Die Bäume standen nicht sehr dicht, und der Boden war trocken. Trotzdem fanden sie nach einigem Umherir ren eine kleine Quelle, die genügend Wasser gab. Maysie kühlte seinen Fuß. Atlan und Dellsell gingen auf die Suche nach einem schlafenden Stück Wild und Früchten. Sie fanden beides und kehrten zu Maysie zu rück. Der hatte inzwischen ein Feuer ange zündet und gab zu verstehen, daß er schon fast keine Schmerzen mehr verspürte. Atlan war sicher, schon am anderen Tag allein weitergehen zu können. Er würde den Proluren klarmachen, daß sie hier auf Hilfe warten sollten. Doch wieder einmal kam alles anders, als Atlan es sich vorgestellt hatte …
5. Mitten in der Nacht wurde Atlan wach. Die beiden Proluren lagen dicht bei dem noch glimmenden Lagerfeuer, er selbst hatte sich etwas abseits zur Ruhe niedergelegt und tief geschlafen. Die Erschöpfung war zu groß gewesen. Atlan wußte zuerst nicht, was ihn aufge weckt hatte. Die Welt um ihn herum war so gut wie tot. Trotzdem glaubte er, eine Be rührung gespürt zu haben. Irgend etwas hat te sich bewegt. Die Proluren konnten es nicht gewesen
Der schwarze Kontrolleur sein; sie lagen zu weit entfernt und schliefen fest. Was aber sonst? Er atmete ganz flach und lauschte in die Nacht hinaus. Nichts war zu hören, und eine unheimliche Stille lag über der in Finsternis getauchten Landschaft. Das einzige Ge räusch kam von den Baumwipfeln, wenn ein Windstoß die Blätter bewegte. Atlan lag ganz still auf dem Rücken und starrte hinauf in den dunklen Himmel, an dem keine Sterne zu sehen waren. Pthor be fand sich noch immer auf dem Planeten Loors in der Ebene Jell-Cahrmere. Da war es wieder …! Jetzt spürte Atlan es ganz deutlich: Unter seinem Rücken hatte sich das Laub bewegt, mit dem er sich das Lager bereitet hatte. Oder war es die Erde darunter gewesen? Ein Erdbeben? Nein, es war mehr ein leichtes Vibrieren, etwa wie im Schwarzen Kontrolleur, wenn dessen Antrieb summte. Eine ungeheuerliche Vermutung durch zuckte Atlans Gehirn, aber sein Extrasinn meldete sich nicht dazu. Er blieb stumm und gab keine Ratschläge. Pthors Antrieb – die »Seele«, tief unter der Oberfläche verborgen und teilweise von Wasser überflutet –, war er es, der wieder zum Leben erwachte? Das Vibrieren erstarb und hörte auf. Atlan erschien es wie eine Vorwarnung gewesen zu sein, die er nicht ignorieren durfte. Aber was sollte er jetzt in seiner La ge tun? Er war allein, denn die beiden Prolu ren zählten nicht. Als Helfer kamen sie kaum in Betracht. Aber durfte er sie jetzt im Stich lassen? Als weitere Erdstöße ausblieben, begann sich Atlan wieder zu beruhigen, wenn er mit seinen Überlegungen auch zu keinem end gültigen Schluß kam, die beiden kurzen Er schütterungen mußten nicht unbedingt etwas mit Pthor und dem Antrieb zu tun haben. Sie konnten ganz natürlichen Ursprungs sein und von dem Planeten Loors stammen. Mit diesem tröstlichen Gedanken schlief
31 Atlan endlich erneut ein.
* Am östlichen Rand des Blutdschungels bewegte sich eine riesige Gestalt schwerfäl lig nach Norden auf die Stadt der Händler zu. Es war die Rüstung Porquetors, die von innen heraus durch das Grizzard-Bewußtsein in Kennons Körper gesteuert wurde. Die Rü stung war es, die Grizzard-Kennon vor der Lähmung geschützt hatte. Er hatte miterleben müssen, wie die Ein geborenen und die Tiere des Dschungels von der schleichenden Paralyse befallen wurden, ohne sich das Ereignis erklären zu können. Die Welt um ihn herum schien zu sterben, und bald schien selbst seine Waffe, die Lan ze, überflüssig geworden zu sein. Trotzdem behielt er sie noch. War er das einzige Wesen von Pthor, das sich noch bewegen konnte, oder gab es auch andere? Wenn ja, dann mußte er sie finden. Vielleicht in Orxeya? Grizzard-Kennon hätte wissen müssen, daß auch die Händler von der allgemeinen Lähmung betroffen waren, aber er klammer te sich verzweifelt an die Hoffnung, daß aus gerechnet die zähen und bulligen Orxeyaner verschont geblieben waren. Langsam wanderte er weiter. In ein oder zwei Tagen konnte er die Stadt erreichen. Aber dazu sollte es nicht so schnell kom men.
* Als Atlan erwachte, hatte sich Dellsell be reits auf den Weg gemacht, um Früchte zu sammeln. Es gab hier einige Bäume, die bit tere herbe Knollen trugen, nicht sehr schmackhaft, aber sättigend. Maysies Fuß hatte sich wesentlich gebes sert. Die Schwellung war zurückgegangen, und der Schmerz hatte nachgelassen. Durch Gesten gab er jedoch zu verstehen, daß er
32 noch nicht in der Lage sei, weite Strecken zurückzulegen. Nach einigen Überlegungen entschloß sich Atlan dazu, einen weiteren Tag bei den Proluren zu bleiben. Ganz in der Nähe, am nördlichen Waldrand, erhob sich ein Hügel, dessen flacher Rücken eine relativ gute Rundsicht versprach. Als Dellsell von seiner erfolgreichen Suche nach Früchten zurück kehrte, teilte Atlan ihm mit, daß er sich um sehen möchte und bald zurück sei. Er schritt kräftig aus und stand dann auf dem Hügelkamm. Er konnte sogar den Kra ter sehen, den der Schwarze Kontrolleur in Pthors Oberfläche gerissen hatte. Nach Osten zu war das Gelände eben, nur mit ein zelnen kleinen Höhenzügen durchzogen. Die Spitzen der Pyramiden lagen noch unter dem Horizont, konnten aber kaum mehr als zwanzig Kilometer entfernt sein, wie er schon vorher vermutet hatte. Der Rauch des Lagerfeuers wehte zu ihm herüber. Er setzte sich in das trockene Gras und war froh, wieder in Ruhe nachdenken zu können. Das nächtliche Beben hatte sich nicht wiederholt, es schien also in der Tat nur ein Naturereignis gewesen zu sein. Sein Ausflug war sinnlos gewesen, er hät te genausogut in der FESTUNG bleiben können. Als einzige Immune hatte er die Proluren gefunden, und ehe er andere ent decken konnte, war er in die Hände des Schwarzen Kontrolleurs gefallen. Wenn er wenigstens noch seinen Zugor besessen hät te. Was mochte aus Fenrir geworden sein? Solange alle anderen Lebewesen auch sch liefen, drohte ihm keine Gefahr. Und wenn er wieder erwachte, würde er schon allein den Weg zurück zur FESTUNG finden. Um ihn brauchte er sich keine Sorgen zu ma chen. Plötzlich fiel Atlan jemand ein, den er beinahe vergessen zu haben schien: La'Mghor, den ehemaligen Kommandanten des aggiarischen Schiffes ARMOSTUZ. Das intelligente Pflanzenwesen mit dem überaus
Clark Darlton begabten technischen Verstand und seinen Mutanteneigenschaften befand sich noch in den unterirdischen Antriebsanlagen von Pthor, die es so fasziniert hatten. La'Mghor hatte versprochen, den Versuch zu unternehmen, die »Seele Pthors« unter Kontrolle zu bekommen, was bedeuten wür de, daß man den Flug des Dimensionsfahr stuhls künftig nicht mehr dem Zufall oder den unbekannten Herrschern überlassen mußte. Bisher schien der »Steuermann«, wie At lan ihn gern nannte, keinen Erfolg gehabt zu haben. Aber die Anlage stand unter Wasser und Öl, und nur der besondere Metabolis mus gestattete es dem Aggiaren, sich lange Zeit darin aufzuhalten. Ja, um La'Mghor würde er sich noch küm mern müssen, wenn er die FESTUNG er reichte. Gerade als Atlan diesen Entschluß faßte, begann die Erde unter ihm erneut zu beben, diesmal wesentlich stärker als in der vergan genen Nacht. Der Stoß war sogar so heftig, daß Atlan erschrocken aufsprang und dann Mühe hatte, das Gleichgewicht zu behalten. Dann ließ das Beben ein wenig nach, aber das gleichmäßige Vibrieren blieb. Eine Erinnerung stieg in Atlan auf, die seine Vermutung zur Gewißheit werden ließ. So war es damals gewesen, entsann er sich, als Pthor-Atlantis die Erde verließ und die Irrfahrt entlang der Dimensionslinien be gann. Also doch der Antrieb? Unten am Waldrand sah er die beiden Proluren aufgeregt hin und her laufen und wild gestikulieren. Hoffentlich gerieten sie nicht in Panik und rannten davon. Atlan kümmerte sich nicht um den vibrie renden Boden und begann mit dem Abstieg in die Ebene, um zu seinen Gefährten zu ei len. Er mußte sie beruhigen. Jemand versuchte, das war nun klar, den Antrieb zu aktivieren, um Pthor in Fahrt zu bringen. Vielleicht war die allgemeine Para lyse die Vorbereitung gewesen, aber dann fiel möglicherweise auch der »Steuermann«
Der schwarze Kontrolleur La'Mghor als Verantwortlicher für das jetzi ge Geschehen aus. Ein automatischer Mechanismus etwa, der von den Unbekannten gesteuert wurde? Das paßte recht gut in das bunte Mosaik der letzten Ereignisse. Der Schwarze Kon trolleur mußte als Spion gut funktioniert ha ben. Dellsell und Maysie bemerkten ihn und rannten ihm entgegen, wobei Maysie sogar seinen verstauchten Fuß vergaß. Sie schrien, und Atlan konnte sich denken, was sie ihm zuriefen. Das Beben setzte erneut ein, und diesmal war es so stark, daß einige Bäume am Wald rand mit ihren Wurzeln aus dem Erdreich gehoben wurden und umstürzten. Vom Hü gel herab rollten große Felsbrocken und blieben in der Ebene liegen. Maysie war hingefallen und begann zu jammern. Für ihn schien die Welt unterge hen zu wollen. Sicherlich hatte er noch nie mals ein solches Beben mitgemacht. Wenn Atlans Vermutungen stimmten, würde es bald noch schlimmer werden. Er durfte kei ne Zeit mehr verlieren. Er stellte Maysie auf die Beine und sah sich nach einem sicheren Platz um, denn der Wald bot nicht mehr Schutz. Eine große Senke, fast ein kleines Tal, schien das Rich tige zu sein. Dorthin führte er die Proluren und begann dann mit der schwierigen Unter haltung, die etwa folgenden Verlauf nahm: »Ich muß euch jetzt hier zurücklassen, um so schneller an mein Ziel zu gelangen. May sie kann nur langsam gehen.« »Ohne dich sind wir verloren.« »Nein, das seid ihr nicht, denn es kann nicht mehr viel passieren. Bleibt hier in die sem Tal. Die Hänge sind viel zu flach, um einstürzen zu können. Das Beben kann euch nichts anhaben.« »Wir werden verhungern.« »Unsinn! Holt euch vom Waldrand die restlichen Lebensmittel und bringt sie hier her, aber paßt auf stürzende Bäume auf. Ich selbst werde mich auf den Weg machen und zu euch zurückkehren, sobald es möglich
33 ist.« »Warum willst du uns verlassen? Können wir nicht mitkommen?« Atlan erklärte noch einmal, warum er al lein gehen müsse und fühlte, wie sich seine Geduld allmählich erschöpfte. Wenn er sich noch lange mit den beiden Proluren aufhielt, würde Pthor seine Reise ins Ungewisse an treten, ehe er die FESTUNG erreichen und etwas unternehmen konnte. Dellsell schien der Vernünftigere der bei den zu sein. Wort- und gestenreich versicherte er At lan, daß er ruhig gehen könne. Er würde schon auf Maysie aufpassen und dafür sor gen, daß ihm nichts passiere. Außerdem ha be er keine Furcht. Erleichtert nahm Atlan Abschied und ver ließ das Tal. Das Beben hatte sich nicht verstärkt.
* Atlan ging nur zwei Stunden, und als er sicher sein konnte, daß die Zurückgebliebe nen ihn nicht mehr sahen, hielt er an. Er mußte sich in aller Ruhe konzentrieren kön nen, um das durchzuführen, was er plante. Er hatte sich mit dem Aggiaren La'Mghor nur auf telepathischer Basis verständigen können, und bei einem solchen Kontakt spielte die Entfernung keine Rolle. Da Atlan selbst kein Telepath war, war diese Art der Kommunikation für ihn ungewohnt und schwierig. Die Erde bebte noch immer, aber es war nicht schlimmer geworden. Auch fehlten al le anderen Anzeichen des beginnenden Fluges in den Weltraum und durch die Dimensionen. Offensichtlich gab es Komplika tionen mit dem Antrieb. Das galt es zu nut zen. Atlan suchte sich einen sicheren Platz, an dem es weder Bäume noch Felsen gab, die ihn erschlagen konnten. Ein Blick zum Him mel zeigte ihm, daß sich dort noch nichts verändert hatte. Pthor lag vorerst noch im mer auf dem Planeten Loors fest.
34
Clark Darlton
Telepathie funktionierte am besten, wenn man sich das Ziel bildlich vorstellte, in die sem Fall also den »Steuermann« und die un terirdische Antriebsanlage. Alles war Atlan bekannt, und die verblaßte Erinnerung be gann schärfer zu werden, als er sich konzen trierte. Das ständige Beben und Vibrieren lenkten nicht mehr ab. Nichts störte den Strom der Gedankenimpulse, die Atlan ausschickte. Selbst wenn La'Mghor die Botschaft nicht erwartete und in dieser Hinsicht unaufmerk sam war, mußte er die Impulse empfangen und verstehen können. Nach einer Weile »schaltete« Atlan auf Empfang, aber so sehr er sich auch konzen trierte, es geschah nichts. Er versuchte es mehrmals, dann gab er schließlich auf. Mühsam nur unterdrückte er die aufstei gende Enttäuschung. Der »Steuermann« war eine seiner letzten Hoffnungen, das Schick sal Pthors doch noch nach eigenem Ermes sen lenken zu können. Wenn er versagte, blieb nichts anderes übrig, als selbst noch einmal in das unterirdische Labyrinth vorzu dringen, was dank des Goldenen Vlieses auch möglich war. Was aber, wenn auch La'Mghor gelähmt war? Jetzt, als Atlan bewußt an diese Möglich keit dachte, fiel ihm noch eine weit verhäng nisvollere ein. Er wußte, daß sogar die Ro botbürger von Wolterhaven paralysiert wor den waren. Aus diesem Grund war es durch aus nicht unmöglich, daß auch die »Seele von Pthor«, der Dimensionsantrieb, lahmge legt worden war. Warum aber dann die ersten Anzeichen der beginnenden Reise? Fragen über Fragen, und keine Antwort. Zumindest eine mußte er finden: Was war aus La'Mghor geworden?
* Dellsell und Maysie sahen Atlan nach, bis er hinter einigen Geländeerhebungen ver-
schwand. Ihre Laune war alles andere als gut, und von Zuversicht konnte überhaupt keine Rede sein. Als Maysie einmal den Namen der Elite frau Carmy erwähnte, gab es eine hitzige Auseinandersetzung, und Dellsell drohte, seinen Leidensgefährten im Stich zu lassen, wenn er noch einmal davon anfinge. »Ich laß dich hier liegen, verlaß dich dar auf! Wir sind auf einer fremden Welt, die auch noch unterzugehen droht. Was soll da unser alter Streit? Vergiß ihn endlich!« »Glaubst du wirklich, daß wir nie mehr unsere Heimat wiedersehen werden? Ich je denfalls habe die Hoffnung noch nicht auf gegeben.« Dellsell biß in eine Frucht und kaute. Dann machte er eine unbestimmte Geste. »Nein, die Heimat, wie wir sie in Erinne rung haben, werden wir niemals wiederse hen. Als wir in dem gläsernen Haus erwach ten, hörte ich, wie sich andere Erwachte un terhielten. Natürlich verstand ich nicht viel, aber ich begriff manches ihrer Zeichenspra che, denn die anderen waren sich ja auch fremd und nahmen sie zu Hilfe.« »Ja, und?« »Aus der Unterhaltung ging hervor, daß wir uns in einem ganz anderen Teil des Uni versums befinden und viele Jahre geschlafen haben. Carmy wäre also längst tot.« Maysie, der in dem Gras saß, betastete seinen Fuß. »Tot …?« murmelte er und schien es nicht fassen zu können. »Jawohl, tot!« bekräftigte Dellsell, als könne er damit ein für allemal den strittigen Punkt ihres Lebens aus der Welt schaffen. Maysie ging nicht mehr auf das heikle Thema ein. Zu dem fast gleichmäßig gewordenen Be ben und Vibrieren gesellte sich ganz allmäh lich ein fernes Brausen, so als käme ein star ker Wind auf. Dellsell stieg ein Stück den Abhang hinauf und blickte angestrengt nach allein Seiten, aber er konnte nichts von den typischen Anzeichen eines nahenden Sturms bemerken.
Der schwarze Kontrolleur Das Brausen schien außerdem gleichmä ßig von allen Richtungen zu kommen. Dellsell kehrte zu Maysie zurück. »Ich weiß nicht, ob wir hier bleiben und warten sollen.« »Der Fremde will es aber so.« »Er ist fort und hat uns zurückgelassen.« »Und wohin willst du? In den Wald gehe ich nicht mehr. Dauernd fallen Bäume um, die uns erschlagen können.« »Dann gehen wir in die Steppe.« »Und was willst du dort essen?« Das al lerdings war der wunde Punkt. Sie einigten sich und beschlossen, vorerst noch in dem kleinen und flachen Tal zu blei ben, das einigermaßen Schutz bot.
* Mit Besorgnis stellte Atlan fest, daß sich die Anzeichen eines baldigen Aufbruchs von Pthor mehrten. Das langsam anschwellende Brausen, das aus weiter Ferne an seine Ohren zu dringen schien, rief alles andere als angenehme Erin nerungen in ihm wach und bestätigte alle seine Vermutungen. Bald würde das Brau sen zu einem gleichmäßigen Rauschen wer den, so als stünde man nicht weit von einem mächtigen Wasserfall. Verzweifelt versuchte er noch einmal, Kontakt mit La'Mghor zu erhalten, auf den er alle seine Hoffnungen setzte. Vergeblich. Der »Steuermann« antwortete nicht. Wenn es die Herren der Schwarzen Gala xis waren, die den Antrieb aktivierten, wur de die Lage hoffnungslos. Mit einer Wieder holung des Zufalls, der Pthor nach dem Start von der Erde mit einem Wasserball zusam menstoßen und vom Dimensionskurs abwei chen ließ, war kaum zu rechnen. Atlan ging weiter, immer nach Osten. Er beeilte sich nicht sonderlich, um seine Kräf te zu schonen, die er noch brauchen würde. Wenn die Anzeichen auch eindeutig waren, so konnte es noch lange dauern, bis Pthor sich von dem Planeten Loors erhob. Hinzu
35 kam, daß offensichtlich etwas mit dem An trieb nicht stimmte. Vor Atlans geistigem Auge entstand eine Vision, die ihm nur allzu deutlich zeigte, was geschehen könnte, wenn der Start miß lang oder die unterirdische Anlage, die »Seele«, explodierte. Sicher, damit wäre die ungeheuerliche Gefahr des Dimensionsfahr stuhls für alle Zeiten beseitigt, aber niemand auf Pthor würde eine solche Katastrophe überleben. Auch der Planet Loors würde dabei ge sprengt werden, und die eben von dem Ty rannen befreiten Brangeln würden aufhören zu existieren. Energisch versuchte Atlan, die schreckli che Vision dieser Katastrophe zu unter drücken. Dann schon lieber Start und Flug zur Schwarzen Galaxis, die ohnehin sein Ziel war, wenn auch unter anderen und bes seren Umständen. Seine geschulten Ohren registrierten die leichte Veränderung des ständigen Brausens in das gleichmäßige Rauschen sofort. Der Startvorgang war endgültig angelaufen. Nun konnte es allerdings nicht mehr lange dau ern. Jedoch fehlte noch das letzte und sicher ste Anzeichen. Er sah hinauf in den Himmel. Er war be wölkt und grau, aber das war er auch schon vorher gewesen. Erst wenn sich das Grau auf den, ganzen Himmel verteilte und blieb, war es soweit. Das Beben verstärkte sich. Bodenwellen rasten auf Atlan zu und unter ihm hinweg. Das Gehen wurde zu einem wahren Toten tanz. Er schien sich auf den Planken eines vom Sturm getriebenen Schiffes aufzuhal ten. Mit einiger Mühe hielt er sich auf den Beinen. Immer öfter war er gezwungen, Umwege zu machen, weil das Gelände un günstig wurde. Bäume und Felsblöcke um ging er in großem Bogen. Atemlos erreichte er schließlich den quer zur Marschrichtung verlaufenden Hügelzug und begann mit dem nicht ungefährlichen Aufstieg. Seiner Schätzung nach mußte er
36 vom Kamm aus die FESTUNG sehen kön nen. Der Hang war nicht steil und unter nor malen Bedingungen leicht zu bezwingen ge wesen. Doch nun herrschten keine normalen Bedingungen mehr. Atlan bekam das bereits nach wenige Metern erneut zu spüren. Ein merkwürdiges, Geräusch von vorn und oben übertönte das Rauschen. Es war ein gewaltiges Poltern, das sich schnell nä herte. Zugleich mit dem Poltern wurde auch das Beben unter den Füßen stärker. Atlan ahnte sofort, was da auf ihn zukam. Er sah sich hastig nach einer geeigneten Deckung um, fand aber keine. Da half nur noch gute Berechnung und Schnelligkeit. Es war ein riesiger Felsbrocken, der sich aus dem Erdreich gelöst hatte und nun den Hang herabgerollt kam. Jede Unregelmäßig keit des Bodens veranlaßte ihn zu gewalti gen Sprüngen, die sein Tempo immer mehr beschleunigten. Er kam genau auf Atlan zu. Dieser wußte, daß ein Ausweichmanöver reine Glückssache war, denn mit jedem Sprung änderte der Felsbrocken auch seine Richtung, mal mehr und mal weniger, aber nicht voraussehbar. Auf seinem Weg hinab in die Ebene hatte er eine richtige Schneise in die Vegetation des Hanges gebrochen, die nur an wenigen Stellen unterbrochen war, dort nämlich, wo er ein Stück durch die Luft geflogen war. Alle diese Dinge nahm Atlan in Bruchtei len von Sekunden wahr und registrierte sie, dann aber handelte er instinktiv und ohne je de überflüssige Berechnung. Erst später wußte er, daß sein Extrasinn sich einge schaltet hatte. Der Felsbrocken rollte in eine flache Querrinne hinein und auf der anderen Seite wieder hoch. Der eigene Schwung ließ ihn mehrere Meter schräg nach oben steigen, ehe er mit doppelter Geschwindigkeit wie der abstürzte und in weiten Sprüngen auf Atlan zuraste. Extrasinn und Unterbewußtsein hatten den Arkoniden den schrägliegenden Vor-
Clark Darlton sprung bemerken lassen, ohne daß er seine Bedeutung so schnell hätte erkennen kön nen. Als er mit einigen Sätzen nach rechts sprang, geriet er scheinbar direkt in die Bahn des Felsbrockens. Rein optisch sah das auch so aus, aber eben nur optisch. Der Felsbrocken rollte auf der Schräge ein Stück geradeaus, aber dann zwang ihn die Schwerkraft zur Richtungsänderung. Ganz wenig nur bog er nach links ab und schoß dann wie eine gigantische Granate knapp zwei Meter an Atlan vorbei hinab in die Ebene, wo er solange ausrollte, bis er schließlich in einer Mulde zur Ruhe kam. Atlan fiel ein Stein vom Herzen, und es hätte gut dieser Felsbrocken sein können, so erleichtert fühlte er sich, obwohl die eigent lichen Gefahren noch bevorstanden. Er schritt weiter, den Blick immer nach vorn gerichtet, um nicht noch einmal über rascht zu werden. Seiner Schätzung nach mußte es bereits später Nachmittag sein, aber im Osten war noch nichts von der einsetzenden Abend dämmerung zu bemerken. Im Westen fehlte der Schein der untergehenden Sonne. »Die Graufärbung beginnt«, murmelte At lan und beschleunigte seine Schritte. »Nun kann es nicht mehr lange dauern. Ich werde zu spät kommen …« In der Tat schienen sich die ziehenden Wolken miteinander zu vermischen, um eine einzige zu bilden, die den ganzen Himmel von Pthor gleichmäßig grau überzog. Es war, als lege sich eine Haube über den Di mensionsfahrstuhl, dichter und undurch dringlicher noch als der Wölbmantel. Gleichzeitig verstärkten sich das Rau schen und die Erschütterungen, von denen Atlan wußte, daß sie ganz Pthor erfaßten. Ringsum rollte ein dumpfes Grollen und Donnern über das Land, ein Zittern des Bo dens überlagerte das bisherige Vibrieren und verriet den eigentlichen Start. Atlan legte die letzten Meter bis zum Hü gelkamm im Laufschritt zurück und blickte erwartungsvoll nach Osten. Zu seiner Er leichterung erkannte er die Spitzen der Pyra
Der schwarze Kontrolleur miden. In wenigen Stunden konnte er wieder in der FESTUNG sein, die bisher allen Be ben und Erdstößen wiederstanden hatte. Ohne Aufenthalt ging er weiter.
* Dellsell erhob sich nach einer erregten Diskussion mit Maysie und sagte: »Also gut, ich werde versuchen, noch ein Stück Wild zu finden, damit unsere Vorräte nicht knapp werden. Mit deinem Fuß hast du eine großartige Ausrede, dich vor jeder Ar beit zu drücken.« »Sei froh, daß deine Knochen in Ordnung sind. Ich würde gern für dich gehen.« »Pah!« machte Dellsell und gab damit zu verstehen, daß er seinem Kameraden kein Wort glaubte. »Das Beben ist nicht stärker geworden, und es fallen keine Bäume mehr. Die stehengebliebenen haben zu kräftige Wurzeln.« »Na also, dann begibst du dich wenig stens nicht in Gefahr«, tröstete ihn Maysie. »Mach inzwischen Feuer«, knurrte Dell sell und marschierte auf den nahen Wald rand zu. So unheimlich das Beben und Vibrieren auch anfangs gewesen sein mochte, man ge wöhnte sich mit der Zeit daran. Das Ereignis verlor seine Schrecken, mahnte aber noch immer zur Vorsicht. Es war ein Glück, daß die beiden Proluren von den Vorgängen nicht viel begriffen und auch nicht wußten, was noch geschehen würde. Sie wähnten sich auf einer anderen Welt, was ja auch richtig war, aber sie ahnten natürlich nicht, daß diese Welt ein Kontinent war, der durch die Dimensionen reisen konnte. Erst recht wußten sie nichts von den Kon trolleuren in der Schwarzen Galaxis, die sich wie Götter benahmen und Schicksal spiel ten, indem sie nach Belieben oder nach ei nem unbekannten Plan Zivilisationen ver nichteten. Die Verwüstungen im Wald waren nicht so schlimm, wie es vom Tal her ausgesehen hatte. Einige der entwurzelten Bäume waren
37 nicht erst umgestürzt, weil sie von den ande ren gestützt und so gehalten wurden. Dellsell suchte die Quelle auf, trank sich satt und füllte den kleinen Ledersack, den er mitgenommen hatte. Dann ging er weiter, immer vorsichtig von einem Baum zum an deren, um nicht von herabfallenden Ästen getroffen zu werden. Bald fand er, was er suchte. Ein vierbeini ges Tier lag unter einem gestürzten Baum stamm, der es im Stürzen erschlagen hatte. Dellsell war froh, es nicht erst töten zu müs sen. Mit dem primitiven Messer, das er den Eingeborenen abgenommen hatte, waidete er die Beute aus und nahm nur die besten Stücke mit. Erleichtert trat er den Rückweg an. Bald mußte es dunkel werden, außerdem verspür te er einen nagenden Hunger. Maysie erwartete ihn bereits neben dem lodernden Feuer. »Ich meine, das Beben wäre stärker ge worden«, empfing er seinen Leidensgenos sen. »Außerdem bezieht sich der Himmel immer mehr. Es wird bald regnen.« Dellsell warf ihm das Fleisch vor die Fü ße. »Brate alles, denn roh wird es sich nicht lange halten.« Maysie machte sich an die Arbeit, die sei nen kranken Fuß nicht weiter beanspruchte, während Dellsell den Talhang erklomm, um Ausschau zu halten. Maysie hatte recht. Der Himmel bezog sich und wurde bald eintönig grau. Das ferne Brausen war zu einem gleichmäßigen Rau schen geworden, das sich langsam verstärk te. Aus dem Beben wurde ein Zittern des Bodens, so als stünde man in einem Raum schiff dicht über den Antriebsräumen. Der Vergleich kam der Wahrheit sehr na he, aber das wußte Dellsell nicht. Vergeblich suchte er nach ersten Anzei chen der beginnenden Dämmerung, aber das Grau des Himmels war überall gleich. Wie eine Glocke lag es über der Landschaft. Eine unheimliche Stimmung, die nichts Gutes verhieß.
38 Dellsell schauderte zusammen. Noch nie in seinem ganzen Leben hatte er sich so sehr gewünscht, ein einfacher Volksmann zu sein und Lastzüge zu beladen. Er kehrte zum Feuer zurück. »Mir gefällt das nicht, Maysie«, sagte er, nachdem er sich gesetzt hatte. »Sobald das Fleisch fertig ist, gehen wir los. Wir bleiben nicht hier im Tal und warten auf den Frem den. Wer weiß, ob er überhaupt zurück kommt, er hat es nicht versprochen.« »Aber gesagt hat er es!« »Nicht direkt«, machte Dellsell ihn auf merksam. Sie schwiegen wieder und starrten un schlüssig in die Flammen. Der Duft des Bratfleischs stieg in ihre Nüstern. Ganz allmählich wurde das eintönige Rauschen von einem anderen Geräusch übertönt, das sich dazwischen mischte. Tief unter der Oberfläche war ein dumpfes Grol len, das erneute Beben auslöste. Das Rauschen wurde zu einem unaufhör lichen Donnern, das von allen Richtungen zu kommen schien und die Luft erzittern ließ. Aber es gab keine Blitze. Auch der üb liche Regen blieb aus. Maysie nahm die Holzspieße aus der Glut und ließ das Fleisch abkühlen. Dann packte er die Stücke in die Vorratsbeutel. Dellsell registrierte es mit Befriedigung. Weitere Überredungskünste wurden dadurch über flüssig. Wortlos bereiteten sie alles für den Auf bruch vor, als dieser durch eine unvorherge sehene Intensivierung des Donnerns und Be bens beschleunigt wurde. Der Boden begann zu schwanken, als ha be er sich vom Urgestein gelöst und wolle in den Himmel steigen. Das Donnern wurde zu einem ohrenbetäubenden Lärm, der jedes Wort übertönte. Ein plötzlicher Windstoß fegte in das Feuer und jagte die glimmende Asche in allen Richtungen davon. An eini gen Stellen fing das trockene Gras Feuer. Das Tal begann zu brennen. Maysie warf sich einen Vorratsbeutel über die Schulter, sprang auf und begann
Clark Darlton trotz seines verstauchten Knöchels zu ren nen, als habe er niemals Schmerzen ver spürt. Dellsell sah ihm verblüfft nach, dann be sann er sich auf seine eigene Rettung. Er hing sich den zweiten Beutel um und folgte Maysie, der einen beachtlichen Vorsprung gewonnen hatte. »Auf einmal kann er laufen!« wunderte sich Dellsell laut und unterdrückte seinen Ärger. Sie hatten unwillkürlich die Richtung nach Westen eingeschlagen, die zurück zur Senke der verlorenen Seelen führte. Die Rundreise durch Pthor war für die beiden Proluren vorläufig beendet. Ein gewaltiger Stoß erschütterte den Kon tinent, als er sich von dem Planeten Loors endgültig löste und in den Weltraum stieg. Dellsell und Maysie glaubten, um ihr Le ben rennen zu müssen, denn für sie war es der Weltuntergang. Weit hinter ihnen brannte das Tal.
6. Die Brangeln gewöhnten sich nur allmäh lich daran, daß die tyrannische Herrschaft der Spercoiden beendet war. Die einfachen Nomaden brachten die Befreiung nicht in Zusammenhang mit dem seltsamen Gebilde, das aus dem Nichts zu ihnen gekommen war und von einer gewaltigen und fast durch sichtigen Kuppel von der übrigen Welt iso liert wurde. Pthor war eine Welt für sich und hatte nichts mit Loors zu tun. Der Stamm der beiden Brangeln Rankel und Bortuk bereitete sich auf die Wander schaft vor. Die Leittiere wurden schon unru hig. Sie nannten ihre Welt mit dem einen Kon tinent Loors. Sieben große Ebenen gab es auf diesem Kontinent, und Jell-Cahrmere war die größte von ihnen. Sie bot vielen Stämmen der Brangeln Nahrung und Le bensraum. Vor dem Aufbruch machten Rankel und
Der schwarze Kontrolleur Bortuk noch einen Erkundungsgang. Das Land unter der riesigen Kuppel hatte sie schon lange fasziniert, aber man hatte in jüngster Vergangenheit genug mit den Ro botern Spercos zu tun gehabt, als daß man sich um das fremdartige Gebilde hatte küm mern können. Jetzt schien Zeit dazu zu sein, wenn auch nicht mehr viel. Mit ihren kurzen Beinen, die den Wurst körper trugen, watschelten Rankel und Bor tuk durch das flachhügelige Gelände, bis sie einen etwas höheren Berg erklommen hat ten. Von hier aus bot sich ihnen ein prächti ger Ausblick. Weit hinter ihnen waren die Zelte des Stammes zu erkennen, die gerade abgebro chen und auf die Tragtiere verladen wurden. Das würde noch den restlichen Tag dauern, vielleicht sogar die Nacht. Der Aufbruch sollte morgen in aller Frühe stattfinden. »Es kam aus dem Himmel«, stellte Ran kel eine inzwischen längst bekannte Tatsa che fest. »Ob es wieder dorthin zurückkeh ren wird?« »Wie soll ich das wissen?« murrte Bor tuk, der sich immer wieder über die dummen Fragen seines Busenfreundes ärgern konnte. »Wir haben uns schon bald daran gewöhnt, und es tut uns nichts.« »Jetzt nicht mehr«, erinnerte ihn Rankel an die schrecklichen Verwüstungen, die Pthor bei seiner Notlandung auf Loors ange richtet hatte. »Es sieht aus wie ein gewalti ges Gebirge.« »Es ist auch eins. Aber ein sehr merkwür diges.« Sie hockten auf dem kleinen Bergplateau, ohne so recht zu wissen, was sie nun unter nehmen sollten. Beide wagten sie es nicht, näher an das Ding heranzugehen, außerdem wollten sie in Sichtweite ihres Stammes bleiben. Der etwas dickere Bortuk war von der Anstrengung des Marsches müde geworden. Er lag lang auf dem Rücken, die Beine mit den dreizehigen Füßen weit von sich ge streckt.
39 Rankel störte ihn nicht. Er war selbst froh, sich vor der Aufbruchsarbeit erfolgreich ge drückt zu haben. Man hatte ihnen den Er kundungsgang genehmigt, nachdem sie gute Gründe dafür vorgebracht hatten. Daß sie sich in Wirklichkeit viel mehr für Pthor (diese Bezeichnung war ihnen unbekannt) interessierten, war von ihnen klugerweise verschwiegen worden. Während Bortuk einzudösen begann, be obachtete Rankel das in einiger Entfernung gelegene »Himmelsgebirge«, wie er es bei sich nannte. Wenn ihn nicht alles täuschte, gab es dort gewisse Veränderungen. Zuerst glaubte der Brangel, es sei nur Ein bildung oder eine optische Täuschung, her vorgerufen durch die transparent wirkende Kuppel, die sich über dem Gebirge wölbte und alles ein wenig verschwommen erschei nen ließ. Er strengte seine Augen noch mehr an, um Gewißheit zu erlangen. Als das Gebirge damals auf die Oberflä che von Loors stürzte, hatte ihn die Erschüt terung und das nachfolgende Beben von sei nem Lager geworfen. Niemand wußte, was geschehen war, bis Kundschafter mit den er sten unglaublichen Berichten zurückkehrten. Es gab sogar Erzählungen von Gegenstän den und Lebewesen, die angeblich durch die Kuppel gekommen waren, aber Rankel hatte nie etwas davon bemerkt. Sein Stamm hatte die Zelte in einer großen Senke aufgeschla gen, deren Ränder jeden Ausblick verhinder ten. Nur wenn man ein gutes Stück wander te, sah man das Himmelsgebirge. Bortuk gab im Schlaf schmatzende Ge räusche von sich, so als rede er mit sich selbst. Rankel versuchte, ein paar Worte zu verstehen, aber es gelang ihm nicht. Viel leicht war sein Freund mal wieder verliebt und unterhielt sich im Traum mit einem jun gen brangelischen Mädchen, das er zu betö ren versuchte. Rankels Aufmerksamkeit wandte sich wieder dem eigentlichen Objekt seines Inter esses zu. Die bisher durchsichtige Kuppel über dem Gebirge schien ganz allmählich an Transpa
40 renz einzubüßen. Sie schien sich langsam grau zu färben. Während Rankel die Veränderung beob achtete, verspürte er unter seinem Körper ein leichtes Vibrieren. Er richtete sich auf und blickte sich nach allen Seiten um. Er dachte im ersten Augenblick, die Herde des Stammes sei durchgegangen und erschütter te den Boden mit ihren Hufen, aber das war nicht der Fall. Immerhin wurde Bortuk wach. »Was ist denn los? Ein Erdbeben?« »Keine Ahnung. Vielleicht ist das Him melsgebirge schuld. Der Himmel darüber ist ganz grau geworden.« »Da sehe ich keinen Zusammenhang. Vielleicht regnet es unter der Kuppel.« Sie tauschten weitere Vermutungen aus, ohne zu einem vernünftigen Ergebnis zu ge langen. Immerhin konnten sie etwas anderes feststellen, für das es allerdings noch viel weniger eine Erklärung gab. Während es auf Loors zu dämmern be gann, blieb es unter der Kuppel über dem Himmelsgebirge gleichmäßig grau. Dadurch entstand mit fortschreitender Dunkelheit der Effekt, als leuchte das Gebirge von innen heraus. Das geschah nun zum ersten Mal. Gleich zeitig verstärkte sich das Erdbeben. »Ich verschwinde von hier«, schmatzte Bortuk und erhob sich mühsam. »Das ist mir zu unheimlich.« »Jetzt wird es doch erst interessant«, gab Rankel zurück. »Meinst du nicht, daß es gefährlich wer den kann?« »Nicht mehr als unten in der Ebene, aber dort kann man nichts sehen. Bleiben wir noch etwas.« Bortuk setzte sich wieder. »Also gut, aber nur, bis es ganz dunkel ist.« Drüben beim Stamm loderten die Lager feuer und gaben die Richtung an. Man schi en mit den Vorbereitungen fertig zu sein. Si cher erwartete man schon ungeduldig die Rückkehr der beiden Kundschafter.
Clark Darlton Rankel neigte den Kopf, um besser hören zu können. »Ist da nicht ein Rauschen oder etwas Ähnliches?« Auch Bortuk neigte den Kopf. »Ich kann nichts hören.« »Du warst schon immer halb taub, Dicker.« »Dafür kann ich besser sehen«, behaupte te Bortuk wütend. Während sie sich herumstritten, nahmen die Ereignisse auf und um Pthor eine drama tische Wende. Die Umrisse des Himmelsge birges begannen unscharf zu werden, so als erzittere es bis in seine Grundfesten. Aus dem Rauschen war ein Donnern geworden, das über die Ebene Jell-Cahrmere rollte und sich an ihren Unebenheiten brach. Rankel und Bortuk wurden jäh aus ihrem Streit gerissen. Schneller als je zuvor in ihrem Leben ka men sie auf die Füße und starrten hinüber zum Himmelsgebirge, das in der inzwischen angebrochenen nächtlichen Finsternis wie eine mattschimmernde Halbkugel auf der Oberfläche von Loors ruhte. Nein, das Himmelsgebirge ruhte nicht mehr! Fassungslos sahen die beiden Brangeln, daß sich der mächtige Komplex mitsamt der grauschimmernden Kuppel von der Oberflä che des Planeten zu lösen begann. Unsicher und torkelnd begann er langsam zu steigen, hinauf in den nachtschwarzen Himmel von Loors. »Bei allen Zelten des Stammes …!« mur melte Bortuk. »Es verläßt uns wieder …« Pthor wurde nicht fehlerfrei kontrolliert, das wäre jedem technisch Begabten sofort klar gewesen. Die riesige Landmasse ge horchte zwar dem Antrieb, aber nur wider willig und taumelnd. Sie drohte jeden Au genblick abzustürzen. Erst jetzt erreichten die Druckwelle und der Startdonner den Berg, auf dem die bei den Brangeln standen. Der plötzliche Orkan schleuderte sie quer über das Plateau bis zu
Der schwarze Kontrolleur dessen Rand und darüber hinweg. Sie fielen nicht hart, denn der Hang hinab in die Ebene war mit dichtem Gras bedeckt. Sie rollten und rutschten einige hundert Meter, bis sie endlich liegen blieben, ohne verletzt zu sein. Inzwischen war Pthor höher gestiegen und füllte den halben Nachthimmel aus. Rankel sah unten in der Ebene die Glut der Lagerfeuer auseinanderstieben und das Gras in Brand setzen. Der Stamm eilte zu den beladenen Tieren, um sie in Sicherheit vor dem plötzlichen Orkan zu bringen. Windstöße warfen Tiere und Brangeln zu Boden. Psychologisch verheerender war das un geheuerliche Donnergeräusch, das Sturm und Beben begleitete. Die zum teil schon be packten Tragtiere rissen sich los und rasten in einer Stampede in die Ebene, hinein, um sich schnell in der Dunkelheit zu verlieren. Falls Loors in dieser Nacht nicht unter ging, würde der Stamm am folgenden Tag genug damit zu tun haben, die schockierten Tiere wieder einzufangen und zu beruhigen. Je höher das Himmelsgebilde stieg, desto schmaler wurde die grauschimmernde Sichel der von unten nicht mehr ganz sichtbaren Kuppel. Der Orkan ließ allmählich nach, der grol lende Donner wurde schwächer. Rankel stieß seinen Gefährten an. »Es ist vorbei, Bortuk. Das Himmelsgebirge hat uns verlassen.« »Wenn es jetzt wieder herunterfällt, trifft es uns.« »Es hat uns verlassen!« wiederholte Ran kel mit Nachdruck und richtete sich auf. »Wir müssen zurück zur Karawane.« Sie rappelten sich auf. In der Ebene brannte das Gras noch immer an einzelnen Stellen und wies ihnen die Richtung. Im La ger mußte ein heilloses Durcheinander herr schen. Bortuk ging auffällig langsam hinter Rankel her, der ihn zur Eile aufforderte. »Nein, nicht so schnell«, sagte Bortuk. »Es gibt jetzt viel Arbeit im Lager …« »Faulpelz!« schimpfte Rankel, ohne lang samer zu gehen.
41 Wohl oder übel folgte ihm der dicke Bor tuk auf seinen Stummelbeinen. Immer wieder sahen sie hinauf in den dunklen Himmel. Aus der anfänglichen Si chel war ein kleiner Lichtpunkt geworden. Der Donner und das Rauschen waren ver stummt. Der Boden von Loors bebte nicht mehr. Dann verschwand auch der Lichtpunkt. »Davon werden wir noch lange spre chen«, vermutete Bortuk. »Nicht nur wir, sondern auch unsere Kin der und deren Kinder«, fügte Rankel hinzu. »Und eines Tages, in ferner Zukunft, wird die Geschichte niemand mehr glauben. Ich kann sie fast selbst nicht glauben.« Während sie durch die Ebene marschier ten, verloren sie in den Senken immer wie der das Lager aus den Augen, aber der schwächer werdende Lichtschein darüber zeigte ihnen den Weg. Als sie es schließlich erreichten, wurden sie mit Fragen bestürmt, die sie, so gut sie konnten, beantworteten. Nach und nach kehrten auch die Brangeln zurück, die auf der Suche nach der Verstreu ten Herde gewesen waren. Einige der Tiere waren gefunden und eingefangen worden. Morgen, wenn es hell war, würde man den Rest holen. Allmählich kehrte Ruhe ein. Der Start von Pthor hatte zwar einige Aufregung verursacht, aber soweit dieser Stamm der Brangeln das beurteilen konnte, war kein großer Schaden entstanden. Sie wußten auch nicht, wie es dort aussah, wo Pthor einst gelandet war …
* Die Dimensionslotung konnte sich täu schen, die Instrumente arbeiteten einwand frei und ohne jedes Anzeichen eines De fekts. Es war auch für den mathonischen Kund schafter Algonkin-Yatta nicht einfach, den seltsamen Kontinent Pthor-Atlantis wieder zufinden, nachdem er nach seinem plötzli chen Auftauchen auf der Erde ebenso plötz
42 lich wieder verschwunden war. Aber Algonkin-Yatta hatte Perry Rhodan das Versprechen gegeben, Atlantis und da mit Atlan zu suchen – und zu finden. Zuerst galt es, den richtigen Raum aufzu spüren, was mit Hilfe der Dimensionsloter schon gelungen war. Gelangte man dabei in die falsche Zeit, so bedeutete das keine Ka tastrophe. Die an Bord des Kundschafter schiffs untergebrachte Zeitkapsel würde das schon in Ordnung bringen können. Algonkin-Yatta folgte den Dimensionsli nien und vermied nach Möglichkeit die ge fährlichen Falten. Wenn jemand die Frage gestellt hätte, wie lange Algonkin-Yatta in seiner Eigenschaft als Kosmischer Kundschafter schon unter wegs sei, so hätte dieser selbst schwerlich darauf eine befriedigende Antwort geben können. Für ihn waren unterschiedliche Zei tebenen und fremde Dimensionen keine nen nenswerte Hindernisse. Das über sechzig Meter lange, oval ge formte Kundschafterschiff glitt durch die niemals erforschten Regionen des Univer sums und folgte den Hinweisen, die der Ab leger von MYOTEX bekanntgab. Alle in der Galaxis Wolcion entdeckten Hinweise deuteten darauf hin, daß man die Spur von Atlantis gefunden hatte. Dabei war es ziemlich heiß hergegangen. Algonkin-Yatta dachte an seine Begleite rin. Vor vielen Jahren hatte er die zarte Anly tha aus einem havarierten Raumschiff geret tet, das hilflos zwischen den Sternen trieb. Sie war bei ihm geblieben, und sie bildeten ein großartiges Team. Anlytha besaß psionische Fähigkeiten, darunter eine, die den beiden schon oft wert volle Dienste erwiesen hatte. Das humanoid wirkende Mädchen war in der Lage, anderen Lebewesen ein völlig verändertes Aussehen vorzugaukeln. Einige Male hatte sie damit sogar den Kundschafter in nicht geringe Verwirrung gestürzt. Algonkin-Yatta sammelte Kunstgegen stände und Kitsch aller Zivilisationen. Das
Clark Darlton halbe Raumschiff war damit vollgestopft. Wenn möglich, erwarb er diese Dinge auf möglichst ehrliche Weise, aber seit er Anly tha bei sich hatte, geriet er immer öfter in peinliche Situationen, denn das Mädchen war die geborene Kleptomanin. Sie stahl, was nicht niet- und nagelfest war. So kam es, daß sich die Kunstsammlung des Kundschafters immer mehr vergrößerte und im Schiff bald keinen Platz mehr fand. »Was hast du eigentlich von der letzten Welt mitgenommen?« fragte Algonkin-Yat ta, als Anlytha in den Kontrollraum schweb te. Sie war mit ihren 1,22 Meter so graziös gebaut, daß man ihre Bewegungen nicht an ders bezeichnen konnte. »Mann war dort zwar nicht immer sehr freundlich zu uns, aber schließlich schieden wir doch in Frie den.« Anlytha lächelte so rätselhaft wie eine Sphinx. »Es gibt einige Dinge, die man mir schenkte, und andere, die ich mitgehen ließ. Jetzt sollten wir uns bald ein größeres Schiff besorgen.« Algonkin-Yatta seufzte. »Du bist unverbesserlich, Anlytha. Ich werde nie vergessen, wie du damals auf dem vierten Planeten des Sternes B-27-X den Traumprojektor mitgehen ließest. So ein Ding hat doch nichts mit Kunst oder Kultur zu tun!« Anlytha ordnete mit geschickten Fingern ihren Federkamm auf dem Kopf, ein siche res Zeichen, daß sie verlegen war. »Es war technische Kunst«, widersprach sie und studierte die Anzeigeskalen auf der Kontrolltafel. »Gibt es Neuigkeiten?« fragte sie dann, um den Kundschafter abzulenken. Algonkin-Yatta ging willig darauf ein. »Es ist eine Kleinigkeit, einen See oder auch einen Ozean auszuloten, aber das Lo ten zwischen den Dimensionen ist schon …« »… eine Kunst!« vervollständigte Anly tha und lachte hellauf. Der Kundschafter warf ihr einen verblüff ten Blick zu, dann lächelte auch er. Er hatte seine listige Begleiterin schon lange durch
Der schwarze Kontrolleur schaut und konnte ihr niemals böse sein. »Ja, sicher, es ist eine Art von Kunst. Ihre Ausübung ist sogar meine Pflicht, denn ich bin Kundschafter. Aber das weißt du ja al les.« Er deutete auf die Skalen. »Wir haben die Spur dieses verschwundenen Kontinents gefunden, den die Terraner ›Atlantis‹ nen nen. Sein wirklicher Name wird ganz anders lauten, nehme ich an. Und dieser Atlan ver schwand mit Atlantis.« »Eine konkrete Spur?« vergewisserte sie sich. »Eine vage, eine angedeutete. Es gibt noch keine Angaben über Richtung oder Entfernung. Auch die Zeitrelation ist nicht ganz definitiv. Ich bin sicher, daß wir klei nere Korrekturen vornehmen müssen.« »Du verstehst mehr davon als ich«, gab sie freimütig zu. »Danke«, sagte er und lächelte. Sie lächelte zurück, während er sich wie der mit den Instrumenten beschäftigte und die Frequenz des Spurensuchers öfter wech selte als bisher. Insgeheim bewunderte sie den Kund schafter und fühlte sich immer mehr zu ihm hingezogen, was nichts mit der Tatsache zu tun hatte, daß er einst ihr Leben gerettet hat te. Ihr Entschluß, stets bei ihm zu bleiben, war von Anfang an der Amnesie zuzuschrei ben, die sie bei ihrem Unfall erlitten hatte. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, wel chem Volk sie angehörte und in welcher Ga laxis ihr Heimatsystem lag. »Nun?« fragte sie nach einer Weile, als nichts geschah. Der Kundschafter blickte von seinen In strumenten auf. »Noch keine definitiven Daten, meine Liebe, wie ich schon betonte, aber Anhalts punkte. Soviel dürfte gewiß sein: Dieses At lantis besitzt erstaunliche Eigenschaften. Vielleicht handelt es sich um einen ehemali gen Asteroiden, in den eine unbekannte Su perzivilisation einen Dimensionsantrieb bau te. Dafür sprechen einige gewichtige Grün de.« »Welche?«
43 »Zuerst einmal der, daß – soweit sich das bisher sagen läßt – der erste Teil des Fluges nach dem Start von der Erde methodisch und durchaus normal verlaufen ist. Der Lo tungsspeicher kann sich da kaum irren.« »Wieso nur der erste Teil des Fluges? Was geschah dann?« »Ja, wenn ich das wüßte! Jedenfalls durchbrach Atlantis mehrmals die Grenzen zu anderen Dimensionen, verfolgte jedoch einen ganz bestimmten Kurs, der systemati schen Änderungen unterworfen war. Dann passierte etwas, das ich nicht zu deuten weiß.« »Was?« Algonkin-Yatta lehnte sich zurück, um sie besser ansehen zu können. Es war, als wolle er ihre Reaktion beobachten. »Atlantis wurde aus seinem Kurs gewor fen.« Sie starrte ihn verständnislos an. »Das läßt sich von hier aus feststellen?« »In einer zeitlichen Rückblende – ja. Der Zeitpunkt selbst ist nicht genau bestimmbar. Atlantis wurde also durch ein uns nicht be kanntes Ereignis von seinem ursprünglichen Kurs abgedrängt, was mit einer Katastrophe zusammenhängen kann. Vielleicht gab es ei ne Kollision bei einem der Dimensions schnittpunkte. Fest steht jedenfalls, daß At lantis dabei nicht zerstört wurde, denn die neue Spur läßt sich weiter verfolgen.« »Wie weit?« »Bis zum Ziel hier in Wolcion, hoffe ich. Die Daten kommen nur zögernd herein, wir müssen Geduld haben.« »Wir haben Geduld – und alle Zeit des Universums«, hauchte Anlytha und schritt graziös aus dem Kontrollraum, um wieder einmal die zusammengetragenen Kunst schätze zu bewundern. Algonkin-Yatta sah ihr nach, um sich dann wieder auf seine Arbeit zu konzentrie ren. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, als auf dem Bildschirm des Loters ein winziger hellroter Lichtpunkt erschien.
44
Clark Darlton
* Porquetor-Grizzard stapfte auf der Straße der Mächtigen immer weiter nach Norden und dann mehr nach Nordosten, um die Händlerstadt Orxeya möglichst bald zu er reichen. Er hatte bisher nicht ein einziges Lebewe sen angetroffen, das nicht paralysiert gewe sen wäre. Die unheimliche Stille, die über der Landschaft lag, wurde nur durch das fer ne Rauschen unterbrochen, das ständig nä herkommen zu schien. Es war überall und nirgends, und allmählich machte es Grizzard nervös. Ein weiterer Umstand steigerte seine in nere Unruhe: Der Boden unter seinen Füßen war nicht mehr so stabil wie bisher. Ein Zit tern durchlief ihn in immer kürzer werdenden Abständen, und es wurde merklich stär ker, je weiter er sich der Stadt näherte. Dann kamen die ersten Erdstöße und schließlich die grollenden Donnerlaute. Grizzard begriff die Zusammenhänge ebensowenig wie die beiden Proluren, mehr als dreihundert Kilometer entfernt. Er wußte auch nicht, ob die seltsamen Phänomene nur an der Straße der Mächtigen auftraten, oder ganz Pthor betroffen hatten. Und noch etwas geschah: Es wurde nicht dunkel. Statt der Abenddämmerung und den gewohnten roten Streifen am Westhorizont färbte sich der ganze Himmel gleichmäßig grau – und blieb so, auch als es bereits Nacht hätte sein müssen. Das Donnern verstärkte sich, als unver mittelt der Orkan losbrach und selbst die schwere Rüstung Porquetors von den mäch tigen Beinen zu fegen drohte. Mühsam kämpfte sich Grizzard vorwärts, um Schutz vor dem Unwetter zu suchen. Der Sturm wurde so stark, daß er selbst Felsblöcke aus ihrer Verankerung löste und wie Spielbälle vor sich her trieb. Und dann schien sich der Boden Pthors nach oben zu wölben. Grizzard-Kennon verlor endgültig den
Halt und stürzte. Noch im Fallen entdeckte er rechts von der Straße gewachsene Felsen, denen auch der schlimmste Orkan nichts an zuhaben vermochte. Auf allen vieren kroch er weiter, bis er die Felsen erreichte, die ein Halbrund bildeten und Schutz boten. Aufat mend suchte er die sicherste Stelle, ehe er es wagte, sich wenigstens hinzusetzen. Das Ende von Pthor schien gekommen zu sein. Eine andere Erklärung konnte er nicht fin den, und Derartiges hatte er auch noch nie mals erlebt. Es fehlte einfach die Erfahrung. Aber es war ihm klar, daß die vorangegan gene Lähmung der Lebewesen in engem Zu sammenhang mit den jetzt stattfindenden Er eignissen stand. Versuchte jemand, Pthor zu vernichten? Grizzard-Kennon wäre sicherlich weniger beunruhigt gewesen, wenn er gewußt hätte, daß es sich lediglich um einen Start des Di mensionsfahrstuhls gehandelt hätte, wenn dieser auch mit Pannen und Hindernissen er folgte. Tief unter ihm im Innern Pthors wurde das Donnern gleichmäßiger, aber das Rau schen blieb. Der Sturm ließ nach. Das bishe rige Beben der Oberfläche verwandelte sich in ein konstant bleibendes Vibrieren, das nach einer gewissen Zeit der Gewöhnung fast einschläfernd wirkte. Pthor war unterwegs. Von alldem ahnte Grizzard-Kennon nichts. Er lag geschützt zwischen den Felsen in seiner Rüstung, neben sich die Lanze. Er rollte sich auf den Rücken und blickte hinauf in den grauen und sternenlosen Him mel, der weder Tag noch Nacht anzeigte. Die Müdigkeit war genausogroß wie seine Erschöpfung nach dem anstrengenden Mar sch. Ohne daß er es wollte, fielen ihm die Augen schließlich zu. Er schlief ein.
7. Algonkin-Yatta hatte nun die Gewißheit, daß er keine falsche Spur entdeckt hatte. Die
Der schwarze Kontrolleur Psiotronik bestätigte das, konnte aber noch keine endgültigen Daten übermitteln. Das Kundschafterschiff trieb auf der Di mensionslinie dahin, dem nächsten Schnitt punkt entgegen. Dort würde MYOTEX eine Entscheidung treffen müssen, und auf die Psiotronik war Verlaß. Der hellrote Lichtpunkt auf dem Bild schirm blieb konstant. Algonkin-Yatta wußte, daß der Punkt ein Stern war, eine Sonne mit Planeten – und das Ziel, das Atlantis inzwischen erreicht hatte. Die Lotung hatte es gefunden, aber noch fehlten die Koordinaten. Der Kundschafter hoffte, daß ihm auch diesmal Glück und Zufall halfen und er kei ne Zeitkorrektur vornehmen mußte. Das Schiff näherte sich dem nächsten Schnittpunkt. Es schwenkte in die neue Richtung, und gleichzeitig verschwand der hellrote Stern vom Bildschirm des Loters. Algonkin-Yatta wurde von Panik ergrif fen. Wenn MYOTEX einen Fehler beging, begann die Suche erneut. Er nahm Kontakt auf und bat um Korrektur. Die Psiotronik bestätigte emotionslos. Der Kundschafter schaltete den Normal schirm ein, der das Bild der unmittelbaren Raumumgebung wiedergab, die nicht immer optisch wahrnehmbar wurde. An Schnitt punkten war es jedoch der Fall. Es war auch für Algonkin-Yatta nicht möglich, die fremden Konstellationen sofort einzuordnen. Diese Aufgabe übernahm ein spezielles Navigationselement der Psiotro nik, und bereits wenige Minuten später lie ferte sie das Ergebnis. Die Psiotronik hatte die Spur wiederge funden. Sekunden später leuchtete der hellrote Lichtpunkt wieder auf. Erleichtert atmete der Kundschafter auf. Er war froh, ein Aufputschmittel genommen zu haben, denn um alles in der Welt wollte er jetzt nicht einschlafen. Aber allein die Anspannung hätte ihn wahrscheinlich schon wachgehalten.
45 Anlytha erschien wieder und nahm Platz. »Nun, wie sieht es aus?« erkundigte sie sich sanft. Algonkin-Yatta deutete auf den kleinen und dann auf den großen Bildschirm. »Gut sieht es aus, meine Liebe. Das Ziel ist gelotet. Wir werden bald die Linie verlas sen und das Normaluniversum durchqueren, da die Navigation sonst zu schwierig würde. Aber das weißt du ja inzwischen, nehme ich an. Wir werden den fraglichen Stern direkt optisch anfliegen.« »Wann können wir dort sein?« »Wenn nicht wieder ein Fehler passiert, sehr bald.« »Fehler?« Der Kundschafter berichtete ihr von der kleinen Panne, die keine nennenswerten Fol gen gezeitigt hatte und beruhigte sie: »Solche Dinge kommen vor, aber das liegt nicht an unserer Technik, sondern an der Unregelmäßigkeit des Grenzverlaufs zwischen den Dimensionen. Die Linien, auf denen wir entlangfahren, schlagen oft über raschende Haken – und wir schießen dann über das Ziel hinaus und verlieren die Linie. Oft dauert es lange, bis wir sie wiederfinden, meist aber nur Minuten, so wie heute.« »Und wenn wir Atlantis finden – was dann?« Er betrachtete sie und schüttelte den Kopf. »Das weißt du doch! Wir werden Atlan zur Erde zurückbringen, die er mit dem ge heimnisvollen Kontinent verließ. Auch die sen Razamon, der ihn begleitete. Wir haben es Perry Rhodan versprochen.« Sie schwiegen. Am Kontrollpult leuchte ten mehrere Lämpchen auf. Als der Kund schafter Anlythas fragenden Blick bemerkte, sagte er: »Wir nähern uns jetzt dem Abschwenk punkt. Dann verlassen wir die Linie, wie ich dir schon erklärte. Der hellrote Stern müßte dann auch bald auf dem Normal-Bildschirm sichtbar werden.« Noch arbeitete der Interdimensionsantrieb gleichmäßig und jagte das Schiff voran.
46 Dann aber registrierten die empfindlichen Ohren Algonkin-Yattas eine kaum wahr nehmbare Annäherung an den entscheiden den Austrittspunkt an, der vorher genau be rechnet sein mußte. Anlytha sah nur auf den großen Bild schirm, der noch dunkel und konturlos blieb. Dann aber, langsam und zögernd, erschienen die Lichtpunkte der Sterne auf ihm, einer nach dem anderen, bis er mit ihnen übersät war. »Geschafft!« freute sie sich. »Noch nicht ganz, aber beinahe«, dämpfte der Kundschafter ihren Optimismus. »Es hängt nun alles von der Übertragung der Di mensionswerte in Normalwerte ab, damit wir das Ziel auch finden.« »Ein Kinderspiel für MYOTEX«, behaup tete sie fröhlich. Das Schiff flog mit AMAntrieb für Unter licht, bis die Koordinaten feststanden. Dann erst würde erneut das andere Triebwerk akti viert werden. Langsam nur vergingen die Minuten und wurden zu Stunden. Endlich teilte die Po sitronik mit, daß man das Ziel erkannt habe. Der Flug konnte fortgesetzt werden. Algonkin-Yatta genehmigte sich eine Ru hepause, denn nun bestand keine Gefahr mehr, daß die Orientierung verlorenging. Er nahm eine Mahlzeit zu sich, die das Mäd chen ihm zubereitet hatte. Doch zum Plau dern blieb keine Zeit. Schnell kehrte er in die Kontrollzentrale zurück, um die letzte Phase des Fluges aktiv mitzuerleben. Auf dem Bildschirm war nun der hellrote Stern zu sehen, der zuvor auf dem Lotungs schirm gestanden hatte. Er besaß Planeten, und auf einem von ihnen mußte Atlantis nie dergegangen sein. Es war kaum anzuneh men, daß der Kontinent seine Reise inzwi schen fortgesetzt hatte. Und wenn, dann war das jetzt noch nicht festzustellen, denn seine Spur durch die Dimensionen ließ sich nur auf einer Dimensionslinie verfolgen, nicht im Normalraum. Der Stern wurde größer, und nach einer weiteren Ruhepause verlangsamte das
Clark Darlton Kundschafterschiff seinen Flug und drang vorsichtig in das System der hellroten Sonne ein. Mühsam nur konnte Algonkin-Yatta seine Erregung unterdrücken. Obwohl dem Ziel so nahe, stiegen noch immer Zweifel in ihm auf, ob er es je erreichen würde. Zu geheim nisvoll und unglaublich hatten die Berichte der Terraner geklungen. Selbst jetzt noch weigerte sich sein nüchterner Verstand, sie als Tatsachen zu akzeptieren. Aber er kannte das Universum und seine Wunder, und er wußte, daß der Begriff »unmöglich« im Grunde genommen eine sinnlose Wort schöpfung war. Die Psiotronik steuerte einen Planeten an und teilte mit, daß er nach den letzten Mes sungen der Landeplatz von Atlantis sein müsse. Algonkin-Yatta und Anlytha sahen vor dem Bildschirm, dessen Schärfeneinstellung automatisch erfolgte. Das Schiff glitt in eine Umlaufbahn. Als der Kundschafter den riesigen Krater auf dem einzigen Kontinent erblickte, befahl er der Psiotronik die Startbereitschaft der Pfadfinderkapsel.
* Die Kapsel war ein offener und oval ge formter Antigravgleiter von etwa fünf Meter Länge. Im Bedarfsfall konnte um ihn herum eine Energieblase geschaffen werden, die auch den Flug durch ein Vakuum oder eine Fahrt unter Wasser ermöglichte. »Du willst hinunter?« fragte Anlytha. Er lächelte. »Wir haben keine andere Wahl, du hast ja den Krater gesehen. Er entspricht, was die Größe angeht, ungefähr den Angaben, die wir von den Terranern erhielten.« »Du meinst doch nicht etwa …?« Sie stockte. »Möglich ist alles«, wandelte er seinen Leitspruch ein wenig ab. »Jedenfalls werden wir beide uns die Sache aus der Nähe anse hen.«
Der schwarze Kontrolleur Die Scoutkapsel schwebte aus der Schleu se, während das Kundschafterschiff, von der Psiotronik kontrolliert, seinen Flug in der Umlaufbahn fortsetzte. Längst hatte die Da tenverarbeitung festgestellt, daß es keine technisch fortgeschrittene Zivilisation auf dem Planeten Loors gab, wohl aber desakti vierte Relikte einer solchen Zivilisation. Das war ein Widerspruch, aber nur ein scheinba rer. Es gab genügend Welten im Universum, die einst eine hochentwickelte Bevölkerung trugen, die sich später selbst zugrunde rich tete. Algonkin-Yatta blieb trotzdem vorsichtig, wie immer. Langsam nur begann er mit dem Abstieg und näherte sich so der Oberfläche des Planeten, die aus einem Meer und einem Kontinent bestand. Das Meer war uninteressant, obwohl nach den Berichten von Terra anzunehmen war, daß Atlantis stets in einem Ozean nieder ging. Das schien diesmal jedoch nicht der Fall zu sein. Der Krater befand sich auf dem einzigen Kontinent. Wer immer diesen flugfähigen Kontinent auch steuerte, er hatte wenig Rücksicht auf die Bewohner des Planeten genommen. Oder war es eine Notlandung gewesen? Algonkin-Yatta entsann sich der Informa tion der Psiotronik. Atlantis war gewaltsam vom Kurs gedrängt worden. Eine Katastrophe? Wenn ja, dann ohne weittragende Folgen für den Kontinent selbst, denn der Krater zeugte davon, daß er wieder gestartet war. Endlich wurde die Küste der Landmasse sichtbar. Die Kapsel flog nicht sehr hoch. Es war dem Kundschafter gleichgültig, ob man ihn bemerkte oder nicht. Die Bewohner des Pla neten besaßen allem Anschein nach keine ei gene Raumfahrt. Algonkin-Yatta sah tief unter sich dahin ziehende Karawanen und riesige Herden vierbeiniger Tiere. Nomaden lebten also auf dieser Welt. Nomaden, die mit einer techni schen Zivilisation in Kontakt gekommen
47 waren. Mit einer Zivilisation, die verschwunden schien. »Es ist nicht unsere Aufgabe, diese Fra gen zu beantworten«, sagte Algonkin-Yatta, als Anlytha eine entsprechende Frage stellte. »Wir suchen Atlantis, sonst nichts. Gleich erreichen wir den Rand des gesichteten Kra ters.« Unter ihnen lag eine weite Ebene, durch die mehrere Karawanen zogen, ohne den winzigen Gleiter hoch über sich zu bemer ken. Am Horizont begann sich der Rand des Kraters abzuzeichnen, der beim Start von Pthor entstanden war. Der Kundschafter ging tiefer, denn in un mittelbarer Nähe des Kraters waren keine Lebewesen mehr zu bemerken. Stumm starrten er und das Mädchen auf die verwüstete Landschaft hinab. Sie berich tete mehr als jede detaillierte Schilderung. Wo noch vor kurzer Zeit Atlantis »gestanden« hatte, klaffte eine Lücke, ge nauso gewaltig und groß wie der Grundriß des Kontinents. Sie war durch die Abstoß kraft des Antriebs entstanden, der die Ober flächenkruste des Planeten aufgerissen hatte. Beim Start selbst hatte sich rings um den Krater ein Wall gebildet. Bald würde der Krater sich mit Wasser füllen und einen See bilden. Langsam überflog Algonkin-Yatta diesen riesigen Krater, dessen Durchmesser bis zu siebenhundert Kilometer maß. In ihm gab es kein Leben mehr, selbst jede Vegetation war zerstört worden. Der Kundschafter wagte nicht daran zu denken, was bei der Landung von Atlantis hier an dieser Stelle vernichtet worden war. Der Start hatte nur wenig zerstört, aber er offenbarte die vorangegangene Katastrophe und ihre Folgen. »Sie handeln verantwortungslos«, mur melte er in ohnmächtiger Wut. »Wer immer auch diesen Kontinent durch die Dimensio nen steuert, er muß schlecht sein, bodenlos schlecht. Er vernichtet Leben, wo es sich eben erst entwickelt hat, und er macht auch
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vor bereits fortgeschrittenem Leben nicht halt. Wir werden Atlantis verfolgen und fin den, Anlytha! Dieses … dieses Ding ist eine Bedrohung für jeden, der in unserem Uni versum lebt. Ich beginne zu ahnen, warum dieser Atlan, den wir nicht kennen, das Wagnis einging, zusammen mit Razamon das Geheimnis zu lösen. Die natürliche Ord nung des Universums ist gestört, vielleicht sogar ernsthaft bedroht. Ich will versuchen, das zu verhindern.« Anlytha gab keine Antwort. Sie starrte hinauf auf das verwüstete Land und schwieg. Sie akzeptierte die Absicht des Kundschafters, der seinen friedfertigen Cha rakter nie verleugnet hatte und immer dort half, wo Leben in Gefahr war. Algonkin-Yatta beschleunigte, und bald erreichte die Scoutkapsel das andere Ende des Kraters. In geringer Höhe wurde der Wall überflogen. Dahinter lag, wie abge schnitten, fruchtbares Weideland – die ur sprüngliche Landschaft des Planeten. Nichts dokumentierte den Kontrast so deutlich wie diese Grenze. »Du glaubst«, fragte Anlytha bedrückt, »das jemand dies alles absichtlich tut? Aber warum denn? Warum?« Der Kundschafter zog die Scoutkapsel steil in die Höhe und schaltete den Genera tor ein, der die Energieblase wieder aufbau te. »Ich weiß es nicht. Aber ein so riesiges Gebilde kann nicht von selbst durch die Dimensionen reisen, Zeitebenen durchbrechen und Welten an den Rand der Vernichtung bringen. Selbst die Natur brächte das nicht fertig, denn wenn sie schon zerstört, dann tut sie es sinnvoll. Dies aber ist ohne jeden Sinn, wie es auch auf Terra ohne Sinn war. Das muß Atlan erkannt haben.« Er sah auf die Kontrollinstrumente und korrigierte den Kurs, um das Kundschafterschiff auf seiner
Kreisbahn nicht zu verpassen. »Wir werden an Bord sofort neue Lotungen vornehmen, um die neue Spur nicht zu verlieren. Wohin immer auch Atlantis steuern wird, wir wer den es finden!« Lautlos glitt der Scout in die weit geöff nete Schleusenkammer des Kundschafter schiffs. Die Luke schloß sich wieder. Die Energieblase erlosch. Mit verbissener Miene setzte sich Algon kin-Yatta vor die Kontrollen der Psiotronik und nahm Kontakt auf. Er programmierte die neuen Anweisungen, und als er die Be stätigung erhielt, daß die neue Spur gefun den sei, schaltete er das Schiff auf Automa tik. Erschöpft und müde erhob er sich, um sei nen Wohnbezirk aufzusuchen. Unterwegs traf er Anlytha. Als er ihren fragenden Blick bemerkte, strich er ihr sanft über den Feder kamm. »Geh jetzt schlafen, meine Liebe. Wir ge ben die Jagd nicht auf. Wir folgen der neuen Spur. Sie wird uns zum Ziel führen, wie lan ge es auch dauern mag. Wie sagtest du doch noch kürzlich …? Wir haben alle Zeit des Universums.« »Aber die Welten, die von Atlantis be droht werden, haben diese Zeit vielleicht nicht«, sagte sie und befolgte seinen Rat. Algonkin-Yatta streckte sich auf seinem Ruhelager aus und schloß die Augen. Er wußte, daß sein Schiff, von der Psio tronik MYOTEX gesteuert, die einmal auf genommene Spur unerbittlich verfolgen würde, bis der Gegner gestellt war. Und der Gegner war Atlantis.
E N D E
ENDE