Ren Dhark Sonderband
Der schwarze Götze SF-Roman von
Conrad Shepherd HJB Ein Verzeichnis sämtlicher bisher erschienen...
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Ren Dhark Sonderband
Der schwarze Götze SF-Roman von
Conrad Shepherd HJB Ein Verzeichnis sämtlicher bisher erschienenen und lieferbaren REN DHARK-Titel und Produkte finden Sie auf den Seiten 191 und 192. l. Auflage HJB Verlag & Shop e.K. Postfach 22 01 22 56544 Neuwied Bestellungen und Abonnements: 02631-354832 02631-356100 Buchhaltung: 0 26 31 - 35 48 34 Fax:02631-356102 www.ren-dhark.de © REN DHARK: Brand Erben Herausgeber: Hajo F. Breuer Titelbild: Ralph Voltz Druck und Bindung: Westermann Druck Zwickau GmbH © 2000 HJB Verlag Alle Rechte vorbehalten ISBN 3-930515-98-9
Vorwort Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Stephen King und REN DHARK? Ganz einfach: Stephen King stellt eine Kurzgeschichte ins Internet, und wer sie lesen will, muß seine Kreditkarte zücken und ordentlich Dollars abdrücken. Kurzgeschichten aus dem Kosmos von REN DHARK hingegen werden schon in naher Zukunft kostenlos von unserer Homepage herunterzuladen sein. Während ich diese Zeilen schreibe, arbeiten unsere Autoren schon an den ersten, völlig neuen und exklusiven Kurzgeschichten. Zum einen wollen wir mit dieser Gratiszugabe unseren Lesern für ihre langjährige Treue danken. Zum anderen bietet sich mit den Kurzgeschichten ein Forum für uns, auf dem wir neue Konzepte und auch neue Autoren ausprobieren können. Denn ohne neue Schreiber kann eine Endlosserie wie REN DHARK auf Dauer nicht bestehen. Ein besonderes Wort des Dankes möchte ich an den Autor des vorliegenden Bandes richten: Conrad Shepherd (alias Konrad Schaef, der ja auch schon bei den mittlerweile klassischen Abenteuern um die G'Loorn an RD mitschrieb) hat nicht nur eines seiner Lieblingsthemen in spannender Form wieder aufgegriffen und zu einem RD-Sonderband verarbeitet, den sicher auch Sie in einem Rutsch durchlesen werden - er hat dieses Buch ebenso pünktlich geliefert wie seinen Romananteil am gleichzeitig erscheinenden zweiten Band der regulären Reihe, obwohl er zwischenzeitlich ins Krankenhaus mußte, um sich am Herzen behandeln zu lassen. Zum Glück ist jetzt alles ausgestanden und Conrad schreibt in alter Frische und Schaffenskraft schon an den nächsten RD-Manu-skripten. Ein Wort zum zweiten REN DHARK-Buch aus dem Drakhon-Zyklus: Die galaktische
Katastrophe (so der Titel des Bandes) sucht die Milchstraße heim, und die Spur zu den wahren Myste-rious droht für immer verschüttet zu werden. Der Roman ist ein Knaller und wartet zum Schluß mit einer Wendung auf, die niemand für möglich gehalten hätte. Wie es zu dieser explosiven Situation kam und was sich tatsächlich hinter der überraschenden Erscheinung verbirgt, das verrät der nächste Sonderband, der soeben von Manfred Weinland verfaßt wird. Er erscheint pünktlich in drei Monaten zusammen mit dem dritten Band der regulären Reihe. Das wollen wir in Zukunft häufiger machen: in den Sonderbänden Romane veröffentlichen, die völlig für sich allein gelesen werden können, und die man auch als Sammler der regulären Reihe nicht lesen muß - aber wenn man sich doch beide Bücher zusammen gönnt, hat man einen deutlichen Mehrwert gegenüber demjenigen, der nur die reguläre Reihe oder nur die Sonderbände bezieht. Jetzt aber genug der langen Vorrede. Lassen Sie sich gefangennehmen von den spannenden Ereignissen auf dem Kolonialplaneten Xing. Und tauchen Sie ein in die düsteren Geheimnisse des letzten G'Loorn... Giesenkirchen, im April 2000 Hajo F. Breuer
Prolog Der am 21. Mai 2051 erfolgte Start des Kolonistenraumschiffs GALAXIS unter dem Kommando von Sam Dhark mit 50.000 Siedlern an Bord zum 270 Lichtjahre entfernten Deneb-System erweckt in der offiziellen Geschichtsschreibung den Anschein, als wäre dieses ohne Zweifel beispiellose Unternehmen der Beginn des Kolonisationsprogrammes der Weltregierung gewesen. Tatsächlich aber hatten bereits vor diesem Zeitpunkt die sich abzeichnenden Krisen einer übervölkerten Erde Menschen veranlaßt, zu fremden Planeten auszuwandern und neue Lebensräume zu erschließen: politisch extreme Gruppen, religiöse oder rassische Minderheiten - sie alle waren zu den Sternen aufgebrochen, um dort ihr neues Paradies zu suchen. Frei von jeglicher Verfolgung, nur ihren eigenen Idealen und Vorstellungen verpflichtet. Neben den Bemühungen der Weltregierung, besiedelbare Sauerstoffwelten zu entdecken und zu erschließen, schickten vor allem die großen Minengesellschaften ihre Forschungsschiffe in den Raum zwischen den Sternen, auf der Suche nach abbaubaren Ressourcen für den immer hungriger werdenden Rohstoffmarkt. Jeder Minenkonzern beschäftigte zahlreiche Prospektoren - wagemutige, furchtlose Frauen und Männer, die manchmal jahrelang die Galaxis nach erdähnlichen Planeten und reichen Rohstoffquellen durchforschten. Inzwischen existieren Dutzende von diesen Pionieren gegründete Kolonien. Der Planet Xing mit seiner Kolonie Frontier Junction ist eine davon, und wahrscheinlich die am weitesten in Richtung Galakti-sches Zentrum gelegene. Die Bevölkerung Xings hatte wenig von den Ereignissen zwischen 2051 und 2053 mitbekommen, sie war zu weit entfernt von den Medienkanälen der Terra-Press. Von der Giant-Herrschaft war sie nicht betroffen. Auch Informationen über die Vorgänge auf Hope im Col-Sy-stem drangen nur sporadisch nach Xing durch. Vor allem aber wußte man nichts von den G'Loorn. Doch das sollte sich ändern. Das Grauen kam fast unbemerkt. Aber nur fast.
1. 18. April 2057, Xing-System Das Böse hat viele Gesichter. Doch daß es sich in Gestalt zweier Blips zeigte, erwartete wohl niemand. Auch nicht die Besatzung des kleinen Schiffes, das als winziger Punkt auf dem Hintergrund der sternenübersäten Dunkelheit scheinbar stillstand, obwohl es sich mit
rasender Geschwindigkeit, einer vorausberechneten Bahn folgend, durch das Zehnplanetensystem einer großen gelben Sonne auf sein Ziel zubewegte: die vierte Welt. Der Name des Eigentümers stand in wuchtigen B lock Versalien auf der Hülle: JUNCTION MINING CORPORATION. Etwas kleiner der Erkennungscode: ME-234. Mining Explorer 234. Ein Schiff von vielen anderen, die von mehr als einem Dutzend Unternehmen überall im erforschten Raum zwischen den Sternen eingesetzt wurden. Unter der offiziellen Bezeichnung der eigentliche Name: IRON TRAMP. Vor nicht weniger als einer Stunde hatte der Raumer, entsprechend vorsichtig manövrierend, die im Kernbereich des Astero-idenfeldes gelegene Schürfstation der Junction Minengesellschaft verlassen. Nun befand er sich auf Heimatkurs, den Laderaum voll mit Proben. Kapitän Derek Shiro lehnte sich in seinem Schwenksessel zurück und betrachtete angespannt den Heckschirm, der schwarze, unauslotbare Tiefe und ein Tohuwabohu massiver Brok-ken aus Gestein und Metall zeigte. Jeder Aufenthalt im xingschen Asteroidenfeld - und davon hatte die IRON TRAMP schon viele hinter sich war ein riskantes Unterfangen durch die dort herrschenden chaotischen Kräften. Kräfte, die sich in kein berechenbares Muster einordnen ließen und die Telemetrieanzeigen des kleinen Schiffes vor nahezu unlösbare Probleme stellten. Es grenzte jedesmal an ein mittleres Wunder, heil aus den Milliarden und Abermilliarden von Trümmern eines ehemaligen Planeten herauszukommen, und nicht immer gelang es ohne kleinere Blessuren. Beredtes Zeugnis dafür war die einst glatte Hülle, die inzwischen vernarbt und verbeult war von Kollisionen mit den winzigen Brokken, deren Flugbahnen sie tangierte. Dann schenkte Shiro seine Aufmerksamkeit den Statusanzeigen der Armaturen und Instrumente auf der geschwungenen Hauptkonsole vor seinem Sitz, die ihm Aufschluß über Funktionen und Zustand des Schiffes gaben, und konzentrierte sich schließlich auf die Kollisionswarner. Aber da war nichts in relativer Nähe, was zur Besorgnis hätte Anlaß bieten können. Zum Glück für die IRON TRAMP. Das kleine Erzschiff besaß keine Abwehr- beziehungsweise Schutzschilde. Größeren Hindernissen konnte es nur durch waghalsige Flugmanöver entgehen. Für eine gewisse Sicherheit sorgte lediglich die intelligente, wabenförmige Ausschäumung zwischen innerer und äußerer Haut, die kleinere Mikro-Lecks selbsttätig abzudichten vermochte. Und nur der Umstand, daß es innerhalb der Eis- und Gesteinsströme des Gürtels mit einer nur geringfügig höheren Eigengeschwindigkeit sozusagen mitschwamm, hatte es beim Durchfliegen bislang vor wirklich großen Schäden bewahrt. Aber das war keine Garantie. Nein, das war es wirklich nicht. Noch immer pulsierte das rote Auge des Hüllenalarms... Shiro schnitt den Telemetrieanzeigen des Suprasensors eine Grimasse und richtete sich im Schwenksessel ein wenig auf. Er war nicht größer als einen Meter siebzig, dafür aber mehr als hundert Kilo schwer, hatte grobe Züge und schmale graue Augen, die ihm einen Anflug von Unbarmherzigkeit verliehen. Seine vom langen Weltraumaufenthalt rötlich gewordene Gesichtshaut spannte sich über die kräftig ausgeprägten Backenknochen, die Erbteil seiner indianischen Mutter waren. Mit gerunzelter Stirn sah er sich im spartanisch ausgestatteten Kontrollraum der IRON TRAMP um. Man konnte wahrlich nicht behaupten, daß er groß war - tatsächlich war er von allen Räumen der kleinste Raum im Schiff - dennoch genügte er für die dreiköpfige Besatzung. Er war für die Arbeit konzipiert und sollte keinesfalls der Entspannung oder gar der Erholung dienen. Um diesen zentralen Raum gruppierten sich die Schlafkabinen, die Luftumwälzanlage, Vorratsräume, Wiederaufbereitungssysteme sowie die Ladebuchten. Darunter lag der Maschinenraum mit den Konvertern für den relativ schwachen Impulsantrieb und den Triebwerken für Atmosphärenflüge. All dies befand
sich in einem nur vierzig Meter durchmessenden Schiff, dessen äußere Form einem abgeplatteten Ellipsoid glich. Aber mochte die IRON TRAMP auch aussehen, als käme sie mit ihrer verschrammten und verbeulten Außenhaut geradewegs vom Raumschiffsfriedhof, ihre Impulstriebwerke waren in bestem Zustand. Nicht zuletzt dank Hassan Ezzahirs Ingenieurskunst. Der Mann hätschelte und pflegte die Konverter, als hinge sein Überleben davon ab. Was genau betrachtet ja auch der Fall war. Ohne funktionierendem Antrieb taugte die IRON TRAMP nicht mehr als eine leere Konservenbüchse. Hassan Ezzahir...! Der Kapitän hob den Blick zu den Monitoren der Deckenkonsole. Er musterte den Bildschirm, der ihm Sicht nach draußen auf die Schiffshülle bot, sehr sorgfältig. Dann glitten seine Finger über die Tastatur auf der verbreiterten Armlehne seines Sitzes. Außenkameras begannen, sich im Vakuum zu bewegen. Sie fingen Momentaufnahmen der sternenflimmernden Kulisse des Weltraums ein und fokussierten sich schließlich auf die einsame Gestalt im gepanzerten Inspektionsanzug, die der Kamera den Rücken zuwandte. Shiro schaltete die Außen Verständigung dazu. »Ezz!« Und noch einmal, diesmal mit unmißverständlicher Autorität: »Ezz!« »Yeah?« kam schließlich die einsilbige Antwort. »Wie sieht's aus?« »Soweit ganz gut.« Hassan Ezzahir, der algerische Bordingenieur, war dabei, ein fingernagelgroßes Meteoritenleck, das die Hüllensensoren noch innerhalb des Asteroidenfeldes gemeldet hatten, mit einer Platte und einem Laserschweißer zu versiegeln. »Geht das nicht schneller? Der Druckabfall in Sektor Blau 4 läßt sich kaum noch kompensieren!« »Du nervst, Skipper«, kam die kurz angebundene Antwort des Ingenieurs. Skipper... Ezzahir war der einzige an Bord der IRON TRAMP, der sich diese respektlose Wortwahl erlauben durfte, aus einem Grund, den das dritte Besatzungsmitglied, Kopilot und Funkmaat Roul Yardin, bis zum heutigen Tage nicht herausgefunden hatte, obwohl sie eigentlich schon lange miteinander flogen und so manche Nacht in den Kneipen am Rande der Raumhäfen durchzecht hatten. Shiro runzelte die Stirn unter dem Mützenschirm und zog eine Grimasse. Er bemühte sich, nicht an den dunklen Punkt in seiner Vergangenheit zu denken. Nur er und der Algerier wußten Bescheid über jene unglückseligen Vorkommnisse in Cent Field, und beide hüteten sie das Geheimnis seit langer Zeit. Er sah zu, wie Ezzahir seine gefährliche Arbeit verrichtete, eingehüllt in das bläuliche Blitzlichtgewitter des Laserschweißers. Es war nicht einfach, sich auf der Außenhaut zu bewegen, abgekoppelt vom Schwerefeld im Innern des Schiffes. Komplizierte Bewegungen in mehr als zwei Ebenen gleichzeitig durchzuführen erwies sich wegen der Magnetstiefel als äußerst schweißtreibend, da man stets wie ein Stiel von der Hülle abstand. Außerdem hatte man in dem unter Druck stehenden Anzug das Gefühl, sich in einem aufgeblähten Ballon zu befinden. Man konnte zwar Arme und Beine beugen, aber es war nicht einfach, und ein Niederkauern oder Knien erforderte in dem sperrigen Anzug ziemlich viel Kraft. Doch Hassan Ezzahir machte das nichts aus... »Wie? Was macht mir nichts aus, Skipper?« »Entschuldige, Ezz, ich habe mit mir selbst geredet. Ich dachte nicht an das Vipho.« »Schon gut. Außerdem bin ich fertig hier draußen.« Das nervig zuckende Warnlicht auf der Konsole vor dem Kapitän erlosch. »Ich komme jetzt rein!« »Verstanden. Yardin?« 10
»Außenluke ist offen, Kapitän«, kam die Bestätigung des Kopiloten und Funkmaats Roul Yardin. »Hast du gehört, Ezz? Beweg deinen Arsch.« »Yeah. Okay. Bin schon unterwegs, Deck.« Auf dem Monitor sah man, wie sich der Ingenieur der IRON TRAMP, behängt mit dem am Gürtel befestigten Werkzeug, schwankend über die Hülle bewegte und schließlich in der Schleuse verschwand. Shiro schaltete die Außenkameras ab. Etwas später waren Schritte auf dem metallischen Fußboden des Gangs über die offene Bordverständigung zu hören. Dann das Geräusch eines aufzischenden Schotts. Hassan Ezzahir stapfte in den Kontrollraum und warf sich in den dritten Schwenksessel. Er war hager, größer als der Kapitän, und besaß eine gewaltige Hakennase, krauses, schwarzes Haar, einen ebensolchen Bart und buschige, schwarze Augenbrauen. »Die Blechbüchse sieht schrecklich aus, Deek«, klagte er mürrisch. Seine Stimme klang rauh und schroff. »In jeder Beziehung. Überall Flicken. Noch ein paar Lecks, und ich weiß nicht mehr, wie ich die Schweißnähte setzen soll.« »Nun übertreibe mal nicht, Langer. Sobald wir die Basis erreichen, bekommt die Lady eine Generalüberholung. Versprochen.« »Hoffentlich hält sie noch so lange durch«, knurrte der Ingenieur pessimistisch. »Mal nicht den Teufel an die Wand«, knurrte Shiro verkniffen und schob die fleckige, zerknautschte Kapitänsmütze ins Genick. Nachdrücklich kramte er in den Taschen seiner Kombi und brachte aus deren unergründlichen Tiefen eine Packung Misha-Nüsse zum Vorschein. »Roul!« wandte er sich an Yardin. »Machen wir uns auf den Heimweg.« »Aye, Kapitän. Kurs liegt an...« Ein anderes Schiff. Wesentlich größer als die IRON TRAMP. 11 Es strebte durch die ewige Nacht, bewegte sich summend und vibrierend durchs Dunkel. In der äußeren Form glich es einer Spindel - lang, an beiden Enden schmal zulaufend, mit einem Wulst um die Mitte. Die matt schimmernden Wandungen zeigten sich glatt und unversehrt. Mit einer einzigen Ausnahme. Diese Ausnahme war eine lange, rötlichsilberne Wunde, die sich an einer Seite des Schiffes beinahe über zwei Drittel seiner Länge erstreckte. Eine schwärende Wunde. Geschlagen vom Schwert eines gigantischen Wesens. Atmosphärenreste aus zerstörten Sektionen entwichen noch immer als weiße, kristallisierte Wölkchen ins All. Es war diese Scharte, die verriet, daß das Schiff dem Verderben geweiht war, falls es nicht Zeit und Möglichkeit zu einer langwierigen Regeneration bekam. Diese Möglichkeit hatte sich bis jetzt noch nicht abgezeichnet. Im Innern des Schiffes wußte N'Sadog sehr wohl von der äußeren Verletzung der regenerativen Hülle. Doch sie war ihm zu diesem Zeitpunkt relativ gleichgültig; der dem Schiff im Inneren zugefügte Schaden übertraf hinsichtlich der Folgen die Verletzung an der Außenhülle des Rumpfes bei weitem. Und nur darum kreisten unablässig die Gedanken des G'Loorn, denn sein Überleben selbst hing an einem seidenen Faden. Er hatte natürlich nicht die Absicht, schon jetzt das Zeitliche zu segnen. Noch nicht. Vor allem nicht hier. Nicht so entsetzlich weit von seiner eigenen Art entfernt. Nein. Nicht hier, wo sein Tod so völlig ohne Sinn sein würde. Obwohl die Tatsache, daß er noch am Leben war, genausowenig Sinn ergab, seit sich die Zentralwelt in einem orgiastischen Feuer der Vernichtung aufgelöst hatte und zu einer Sonne geworden war. Noch jetzt verspürte er die tobende Ohnmacht, die ihn und die we-
nigen anderen G'Loorn, die das traumatische Desaster überlebten, überkommen hatte, als sie - schon auf dem Rückzug - mit ansehen mußten, wie sich das riesige Black Hole veränderte, nachdem die Kontrollstation im konzentrierten Feuer der abtrünnigen Skythen vergangen war, als hätte sie niemals existiert. 12 Die Chronosphäre lag längst außerhalb der Reichweite seiner Instrumente. Dort, wo sie sich befunden hatte, im Kernbereich dieser Galaxis, breiteten sich dunkle Materiewolken aus, in denen Abertausende von Sonnen funkelten. Das Herz der Milchstraße -eine dicht gepackte Kugel aus Dezillionen von Sonnen - hatte sich aus seiner augenblicklichen Position gesehen in eine flache, nur einige Zehntausend Lichtjahre dicke Scheibe verwandelt. Die von ihm getroffene Entscheidung, sich nicht dem Treck der anderen G'Loorn anzuschließen, war ihm zu Beginn richtig erschienen. Im Nachhinein erwies sie sich jedoch als nicht sonderlich segensreich, denn die Folgen seiner Fehlentscheidung hatten sich als schwerwiegend herausgestellt. Der G'Loorn begriff noch immer nicht, wie ihm das hatte geschehen können. Er war der Vertreter einer der am höchsten entwickelten Spezies im ZENTRUM, Mitglied der WAHRHAFT SELIGEN der Chronosphäre. Wie alle seiner Art war er intelligent und nahezu unsterblich, wenn man die endlos lange Zeitperiode, die er und seinesgleichen lebten, als Maßstab nahm. Unsterblich, vielleicht. Aber nicht unverletzlich. / Auch nicht mehr unbesiegbar. Und nun dies! Irgendwie hatte er das Empfinden, daß seine Kräfte schwanden, seit er die Chronosphäre verlassen hatte, daß sich seine Fähigkeiten auf eine ihm unerklärliche Weise langsam, aber stetig reduzierten. Nur so war es zu verstehen, daß er von dem fremden Raumschiff hatte überrascht werden können, das urplötzlich aus dem Hyperraum erschienen war und sofort mit allem zu feuern begonnen hatte, was es aufzubieten vermochte. Und noch ehe N'Sadog sich hatte fragen können, was da auf ihn zukam, hatte der hinter einem hochwirksamen Tarnfeld nur schemenhaft zu erkennende Fremde eine gigantische Energiekaskade lichtschnell in seine Richtung geschleudert. Die Schutzschirme waren unter dem unvorstellbaren Ansturm zusammengebrochen. Und dort, wo die Energien sich einen Weg ins Innere des Schiffes bahnten, war die Außenhülle aufgeplatzt wie die Schale einer überreifen Gengi13 Frucht. Die Folgen dieses Angriffs waren verheerend. Sämtliche Feuerleitsysteme waren ausgefallen. Schutzlos, zu keiner Gegenwehr fähig, sah er sich den weiteren Attacken des Fremden ausgeliefert, der ihm bis in die Randzonen eines Systems mit einer gelben Sonne nachfolgte. Die Konverter der Sprungtriebwerke, die den Spindelraumer durch die Tiefen des interstellaren Raumes getrieben hatten, waren so schwer beschädigt, daß jeder Versuch, sie in Betrieb zu nehmen, sein Schiff zu Atomen zerblasen hätte. N'Sadog hatte begriffen, daß er nichts dagegen tun konnte. Spezies von anderer Art hätten das Unglück verflucht, dem das Raumschiff zum Opfer gefallen war, oder mit dem Schicksal gehadert, daß sie sterben mußte, aber er tat keines von beidem. Die erste Reaktion wäre ihm töricht, die zweite unverständlich erschienen. Deshalb hatte er das einzig Richtige getan, das ihm die Situation gebot zu tun: Er deaktivierte alle Energieverbraucher, sogar die Lebenserhaltungssysteme. Sein Schiff mußte auf den Schirmen seines Verfolgers leer und tot erscheinen, ein Torso ohne das geringste Anzeichen von biologischen Funktionen. Er selbst verbarg sich hinter dem eiförmigen Kokon aus schimmernder Dunkelheit, die seinen
Thron umgab, jener Membran vi-talisierender Bioenergie, die ihn für eine gewisse Anzahl von Zeiteinheiten am Leben erhalten würde, trotz des Vakuums um ihn herum, wenn sie ihn auch für lange Zeit schwächte. Und der fremde Raumer war darauf hereingefallen! Oder...? Noch jetzt verspürte N'Sadog Verwunderung darüber, wie überraschend plötzlich sein Verfolger aufgegeben hatte und daß er ebenso unvermutet, wie er erschienen, auch schon wieder in den Tiefen des Weltraums verschwunden war. Er war seitdem nicht wieder aufgetaucht. Während die IRON TRAMP die Fahrt erhöhte, schien Derek Shiro ganz in der Arbeit aufzugehen, die Nußschalen zwischen 14 Zeigefinger und Daumen seiner mächtigen Hand zu knacken und die Kerne genüßlich mit den Zähnen zu zermahlen. Tatsächlich aber ließ er die Schirme nicht aus den Augen, die mit den Teleme-trieanzeigen der Langstreckenscanner gekoppelt waren und das Planetensystem abbildeten, in dem sich das Schiff bewegte. Planet Nummer fünf war bereits hinter dem Asteroidengürtel aus dem Sichtbereich der Normaloptik verschwunden. Nummer eins, zwei und drei befanden sich im Moment am oberen Rand des Schirmes jenseits der riesigen Sonne und wurden von deren Licht überstrahlt; der glühendheiße Gasriese besaß die vierfache Größe des irdischen Zentralgestirns. Eben kam der vierte Planet des Systems ins Blickfeld - Xing. Die Heimat der Junction Mining Kolonie war im Moment nicht mehr als eine vom Suprasensor auf den Schirm erzeugte, tennis-ballgroße, unstrukturierte Kugel. Halb von der Sonne angestrahlt, reflektierte sie deren Licht leicht gelb. Würde er eine Normaloptik-Ansicht wählen, wäre Xing im Moment nichts weiter als ein etwas hellerer Punkt. Xing... Das Zehnplanetensystem war vor Jahren von einem Prospektorenraumschiff der JMC unter dem Kommando eines Kapitän lan Lo Xing entdeckt worden. Er gab der Sonne seinen Namen, ebenso dem vierten Planeten mit seinen beiden Monden lan und Lo, der als einziger innerhalb der Ökosphäre lag und eine Sauerstoffatmosphäre auf wies. Ein rauher Planet, dessen Äquatorring von einer Reihe von annähernd kreisförmigen Wüsten bedeckt war, obwohl zwischen den beiden Polen alle bekannten Geländeformationen beobachtet werden konnten. Die drei inneren, mondlosen Planeten hatten sich als unbewohnbar herausgestellt, ebenso die äußeren Planeten fünf bis zehn, die, erstarrt unter kilometerdicken Methaneispanzern, ihre Bahnen weit außerhalb der wärmenden Strahlen des Zentralgestirns zogen. Intelligente Lebensformen waren im System keine entdeckt worden, nicht einmal Ansätze eines Prähominiden im Tier-Hominiden-Übergangsbereich. Wohl aber ausgedehnte Erzvorkommen, besonders auf Xing, was den Planeten für die Konzernleitung auf der 15 Erde zum potentiellen Kandidaten für eine intensive Ausbeutung machte. Der Asteroidengürtel, zwischen Xing und Planet Nummer fünf gelegen, erwies sich ebenfalls als Glücksfall für Junction Mining. Die Planetentrümmer waren voller seltener Erze, viele der Planetoiden besaßen Einschlüsse von modifizierten Erdölen und wiesen ausgedehnte Lagerstätten von Edelmetallen auf. »Kapitän!« Roul Yardins Stimme war ein kehliges Knurren der Überraschung. »Was gibt es, Roul? Schwierigkeiten?« »Ich - ich bin mir nicht sicher.« »Nicht sicher? Was heißt das, Mann? Drück dich gefälligst verständlich aus!« fuhr Shiro ihn mit unverhohlenem Ärger an. Er haßte unklare Meldungen. Der Co beeilte sich zu präzisieren. »Strukturerschütterungen fünfdimensionaler Art. Abstand 12,2 Lichtminuten in Sektor RotAlpha-2-2. Kapitän, zwei Objekte haben den Hyperraum verlassen und bewegen sich auf das System zu.«
Shiro starrte auf den Hauptschirm, konnte aber nichts Ungewöhnliches sehen. »Was soll...«, begann er unwirsch. »Die Telemetrieanzeigen, Kapitän«, machte Yardin ihn aufmerksam und überspielte die Daten auf den Hauptschirm über Shi-ros Konsole. Auf korrespondierenden Displays erschienen in rascher Folge Datenzeilen und Zahlenkolonnen; der Suprasensor begann, Diagramme zu generieren. Dazwischen die pulsierenden Blips der Radarechos, die die erfaßten Objekte darstellten. Derek Shiro kratzte sich unter der Schirmmütze. »Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß es sich um ein natürliches Phänomen handelt?« »Keine Chance«, stellte der Kopilot mit Nachdruck klar. »Natürlich nicht«, murmelte der Kapitän. »Dieses System besitzt keine stellaren Anomalien. Zumindest haben die Astronomen noch keine entdeckt.« »Vielleicht die Verhüttungsschiffe?« mutmaßte Hassan Ezzahir. Eine verständliche Annahme. Die großen Erzfrachter der Junction Minengesellschaft flogen in 16 bestimmten Zeiträumen das Xing-System an, um die geförderten Bodenschätze an Bord zu nehmen und ins Heimatsystem zu transportieren. Shiro schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Davon wüßte ich...« Er fixierte mit verkniffenen Augen den Monitor. »Fernortung. Visuelle Darstellung!« Wegen der zunächst noch äußerst spärlich eingehenden Daten konnte die Suprasensorik der IRON TRAMP das, was von den Scannern eingefangen worden war, nur als eine grob strukturierte 3D-Ansicht innerhalb des Netzrasters auf der leicht gekrümmten Fläche des Frontschirmes darstellen. Aber noch während dies geschah, schwoll der Datentransfer an. Die visuelle Wiedergabe der beiden Objekte änderte sich analog der eingehenden Informationen mit jeder verstreichenden Sekunde, bis aus den beiden Radarblips verwertbare Bilder wurden. »Was haben wir denn da?« Kapitän Shiro vergaß das Kauen, während er aus schmalen Augen auf die Monitorwiedergabe starrte. »Wüßte ich auch gerne«, murmelte Hassan Ezzahir und zog die Unterlippe zwischen die Zähne. Der Kopilot vertiefte sich kurz in seine Werte. »Es handelt sich eindeutig um Raumschiffe! - Zumindest bei einem Objekt«, schränkte er mit dumpfer Stimme ein. »Bei dem anderen bin ich überfragt; es hinterläßt keine klaren Spuren. Offenbar verbirgt es sich hinter einem sehr starken Tarnfeld, das unsere Scanner nicht durchdringen können. Aber es muß riesig sein! Es ist visuell eigentlich nur daran zu erkennen, daß es immer wieder das Licht entfernter Sterne verdeckt.« »Was ist mit dem sichtbaren?« »Spindelform«, beschied ihm Yardin knapp. »Etwa zweihundert Meter lang, in der Mitte zirka siebzig Meter Durchmesser. Die Enden der Spindel dürften nicht mehr als zwanzig Meter durchmessen.« »Was ist mit dem Antriebssystem?« Der Kopilot schüttelte den Kopf. »Negativ, Kapitän. Allerdings...« 17 Er preßte die Lippen aufeinander, spürte, wie etwas in seinem Hinterkopf nagte, das er nicht in Worten fassen konnte, ihn aber über alle Maßen beunruhigte. »Komm schon, Mann! Laß dir nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen...« »Ich... ich habe die Muster einer zwar schwachen, aber dennoch vorhandenen regelmäßigen Verteilung von Kohlenstoff, von Silizium und Kobalt über das ganze Schiff gefunden«, bemerkte er schließlich tonlos, fast geistesabwesend. Derek fuhr herum. »Du meinst, du hast Lebensformen aufgespürt?« »Das ist ein Materie-Scan«, verdeutlichte ihm sein Co, »keine Lebensformanzeige.« »Das heißt was?«
Es war Hassan Ezzahir, der antwortete. »Es könnte sich bei dem Schiff selbst um eine Art von Lebensform handeln.« »Du meinst...?« »Ich meine gar nichts« wehrte Hassan ab, und seine buschigen Brauen schienen sich zu sträuben. »Ich stelle nur fest, daß die Hülle des Schiffes aus einer uns unbekannten Legierung besteht, die nicht viel mit den üblichen Metallegierungen gemein hat, wie wir und andere Völker sie zum Bau von Raumschiffen verwenden.« Yardin wandte sich an den Kapitän. »Soll ich das Schiff rufen?« »Hmm...« Derek Shiro kratzte sich erneut unter der Mütze. »Nein. Das lassen wir lieber mal bleiben«, entschied er dann. »Wir sind nur ein kleiner Frachter ohne jegliche Bewaffnung. Am besten machen wir uns überhaupt nicht bemerkbar. Ich denke...« Er kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu vollenden, da sich die Lage radikal änderte. Das Schattenschiff nahm mit einem gespenstischen, flackernden Glühen Fahrt auf und transitierte gleich darauf in den Hyperraum. Und von einer Sekunde zur anderen verschwand der Spindelrau-mer vom Ortungsschirm. Hassan Ezzahir stieß zischend die Luft aus, und der Co starrte ziemlich ratlos auf die Anzeigen. 18 »Was war das jetzt schon wieder!?« fluchte der Kapitän grimmig und ertappte sich dabei, daß er merkwürdigerweise eine Art nervöser Irritation spürte, für die er keine Erklärung parat hatte; ein unbestimmbares Gefühl der Beunruhigung, das ihm die Nak-kenhaare aufstellte. Empfindungen wuchsen in ihm, die ihm sagten, daß etwas nicht stimmte, daß sich da draußen gerade etwas Gefahrliches und Schreckliches abgespielt hatte. Wie recht er damit haben sollte, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen. 19
2. Reglos saß N'Sadog auf seinem thronartigen Pilotensessel; um ihn herum summten und klickten die wenigen noch funktionsfähigen Instrumente und zeigten ihm den Zustand seines angeschlagenen Raumschiffes an. Ein paar noch aktive Sichtschirme an den Wänden der runden Zentralkammer brachten die Umgebung ins Innere. Von den äußeren Randgebieten des Planetensystems dieser Sonne bis hierher zu gelangen hatte nur kurze Zeit erfordert - nach seinen Maßstäben. Wenn auch die Sprungtriebwerke ausgefallen waren, mit den Unterlicht-Antriebseinheiten konnte er nach wie vor manövrieren, wenn er sie nicht zu sehr belastete. Und nun war es auch Zeit, sich um sein Schicksal zu sorgen, sich mit der Planung des Überlebens zu befassen. Eine Weile hatte es fast so ausgesehen, als wäre er in der Lage, die beschädigte Hyperfunkanlage wieder in Betrieb zu nehmen, um Hilfe von seinesgleichen herbeizurufen. Inzwischen hatte er dieses Vorhaben auf später verschoben. Das Schiff und seine Anlagen waren zu mehr als zwei Dritteln zerstört, nur wenige Drohnen noch am Leben. Er brauchte unbedingt eine Basis, wo er lange genug überleben, in Ruhe das Regenerationsprogramm des Schiffes in Gang setzen und sich seine Diener neu klonen konnte, um dann seine Reise nach Skythos fortsetzen zu können. Als er sich dazu entschlossen hatte, sich auf seiner Flucht vor dem Fremden in diesem System zu verstecken, hatte er die Entscheidung gefällt, entlang der Ebene der Umlaufbahnen einzufliegen, um bessere Deckungsmöglichkeiten zu haben. Jetzt beglückwünschte er sich zu dieser Entscheidung, konnte er doch die Schwerefelder der äußeren Planeten dazu benutzen, kostbare Energie zu sparen; das Speichervolumen seiner Konverterbänke nahm rascher ab als angenommen. Erschreckend rasch sogar. Aus vielen Sektoren kamen mittlerweile Meldungen über immer 20 mehr Systemausfälle.
Als er die Umlaufbahnen der äußeren Gasriesen hinter sich hatte, sagten ihm seine Instrumente, daß in dem System, das vor ihm ausgebreitet lag, Leben existierte. Leben aber, und mochte es noch so minderwertig sein, war das Synonym für Nahrung. Die klaffende Wunde, die der unbekannte Angreifer seinem Schiff zugefügt hatte, zerstörte unter anderem auch den Großteil der Kryo-Kammern, in denen die Grundlage für seine eigene Existenz aufbewahrt lag, und die Deaktivierung aller Energiesysteme während seiner Flucht vor dem fremden Schiff ließ auch noch die letzten der in Stasis gefangenen Wesen absterben, wie er inzwischen festgestellt hatte - ohne daß er sich an ihrem Sterben hätte weiden können. Eine fatale Situation. Denn gerade jetzt, da er nahezu seine gesamte mentale Energie verbraucht hatte und der schwierigste Abschnitt noch vor ihm lag, wurde er von einem ungeheuren Verlangen überwältigt - vom Hunger. Nicht nach physischer Nahrung. Davon hatte er genug. Was er benötigte, waren die Emotionen gequälter, gemarterter und sterbender Kreaturen, während das Leben aus ihnen strömte. Vielleicht, so durchzuckte ihn ein Gedanke, vielleicht fand er hier sogar hochentwickeltes, intelligentes Leben! Der Gedanke daran, womöglich bald schon wieder mit den vita-lisierenden Strömen von Emotionen versorgt zu werden, versetzte ihn in euphorische Stimmung. Seine vorderen Klauen zuckten in konvulsivischen Bewegungen. Ruckartig wandte er den monströsen Kopf hin und her, die rasiermesserscharfen Mandibeln öffneten und schlössen sich klickend, während die farnähnlichen Fühler, die seine Sinnesorgane bildeten, zitterten und bebten... Als er die Umlaufbahn des fünften Planeten überschritten hatte und durch den Asteroidengürtel in Richtung des vierten Planeten trieb, wurde es endlich zur Gewißheit: Es existierte eine intelligente Lebensform in diesem System! Seine Instrumente registrierten energieerzeugende Systeme in21 nerhalb des Gürtels. Vor Erwartung und Vorfreude durchströmten ihn vibrierende Schauer. Schon jetzt vernahm er wieder das Krachen zerschmet-terndter Knochen. Das Reißen von Fleisch. Und die Vorstellung, die lebenspendenden Emotionen reiner Agonie in höchster Verzückung zu genießen, ließ seinen Körper vor Gier erbeben. Einige Zeiteinheiten lang spielte N'Sadog mit dem Gedanken, die von der hier ansässigen Lebensform im Asteroidenfeld errichtete Station heimzusuchen, entschied sich aber dann doch dagegen. Auf einem Planeten durfte er ohne Zweifel mit weit mehr Leben rechnen als auf diesen tauben Gesteinsbrocken. Als sein Schiff der gelblich-weißen Sonne immer näherkam, begann er mit seinem Scan der inneren Welten. An sich hätte er es vorgezogen, einen Planeten als Stützpunkt zu benutzen, der den in seinen Erinnerungen gespeicherten Vorstellungen über die Heimatwelt Skythos entsprach. Wasserreich, mit feucht-heißem Klima und fruchtbarer, üppig wuchernder Dschungelvegetation, in der die Ovumsträucher prächtig gediehen. Aber zwei Faktoren sprachen so deutlich dagegen, daß er davon Abstand nehmen mußte. Zum ersten existierte eine derartige Welt nicht in diesem System. Zweitens - und das war wesentlich ausschlaggebender - konzentrierte sich das von den Scannern aufgespürte Leben auf jenen Planeten, der als einziger innerhalb der Ökosphäre lag. Es kam also nur die vierte Welt in Frage. Bei seinem Weiterflug ins Innere des Systems registrierten seine weitreichenden Instrumente ein winziges Schiff, das die hier beheimatete Lebensform dazu benutzte, sich durch den Weltraum zu bewegen. Er hegte zwar keine großen Befürchtungen, entdeckt zu werden - vieles sprach auch dagegen, daß die Wesen über hochentwickelte Systeme zur Ortung seines eigenen Raumfahrzeugs verfügten - aber das schloß natürlich die Möglichkeit nicht aus, daß er auf optischem Wege doch aufgespürt wurde.
Und so bemühte er sich, schleunigst unsichtbar für elektronische Augen zu werden. 22
3. Xing, 19. April 2057 Clive Lister öffnete lauthals fluchend - es hörte ihn sowieso niemand in dieser Einöde den Kragen seiner Jacke. Der Tagesanbruch lag noch keine zehn Minuten zurück. Er hatte rasch gefrühstückt und seine Notdurft verrichtet. Jetzt erhob sich die &
Sonne über den Horizont, schickte einen Schwärm Strahlen aus, und schon begann die Hitze. Es war erst Anfang Mai, aber hier am Rande der Ebene mit ihrer tundraähnlichen Vegetation brachte schon der Morgenwind den ersten Gluthauch aus der nahen Wüste mit. Der Mann sah auf sein Chrono, das mit einem breiten Klettband an seinem Handgelenk befestigt war; die Digitalanzeige war auf den Dreiundzwanzigstundentag dieser Welt abgestimmt. Es war wenige Minuten nach sieben Uhr. Die langgestreckten Wolkenbänder am Horizont begannen sich rasch aufzulösen. Im Umkreis von dreihundert Kilometern war außer ihm kein einziger Mensch. Die Ebene, auf der sich der Mann befand, erstreckte sich mehrere tausend Kilometer in Richtung auf den nördlichen Pol. Fünfzig Kilometer südlich seines Standorts öffnete sich hinter einer Barriere aus zerklüfteten Klippen eine der vielen Wüsten, die Xing zu einem trocken-heißen Planeten machten. Wie viele erdähnliche Sauerstoffwelten in der Galaxis war der Planet ein Geoid, also an den Polen abgeplattet. Er besaß einen äquatorialen Umfang von 39.645,58 km bei einem mittleren Sonnenabstand von 448,7 Millionen Kilometer. Die Verteilung Landfläche zu Wasserfläche lag etwa bei zehn zu eins. Dadurch, daß die Polachse gegen die Bahnebene um 38,7 Grad geneigt war, wechselten die Temperaturen der Jahreszeiten rascher als auf der Erde und waren auch gegensätzlicher. Langsam ging Clive Lister vom Schweber weg in südwestlicher Richtung durch den in unregelmäßigen Abständet! gepflanzten 23 Wald aus kniehohen Bäumchen, die ihre verdrehten Äste in den Himmel reckten. Dann und wann blieb der Mann stehen und begutachtete mit dem geschulten Auge des Geningenieurs die Wachstumsfortschritte der Pflanzen. Nicht mehr lange, wobei »lange« aus der Sicht eines Terraforming-Spezialisten ein dehnbarer Begriff war, und sie würden einen Wald von vier bis fünf Meter hohen Bäumen bilden. Es handelte sich um Mutationszüchtungen einer kleineren, im Hochland von Tibet beheimateten Art, die ursprünglich einmal für den Mars vorgesehen war. Man hatte sie genetisch derart umgestrickt, daß sie auch mit den xingschen Umweltvoraussetzungen zurechtkam. Sie machte den Eindruck, als habe man sich bemüht, eine Krüppelkiefer mit einer Zwerglärche zu kreuzen und das Endprodukt noch dazu bringen können, anstelle von Nadeln große Blätter hervorsprießen zu lassen. Die Photosynthese würde wesentlich zur Stabilität des Sauerstoffgehalts der Planetenatmosphäre beitragen. Die Aufforstung war Teil des umfangreichen Terraforming-Projektes, das Junction Mining hier auf Xing betrieb. Lister blieb stehen und kauerte sich nieder. »Merkwürdig...«, murmelte er bedächtig und streckte die Hand aus. Er zog den Fund aus dem Boden, befreite ihn mit den Fingern seiner Rechten sorgfältig von Bodenkrume und Wurzelfäden und begutachtete ihn gleichermaßen bedächtig von allen Seiten. Dann stapfte er zurück zum Schweber. Die verschrammte Kunststoffschale schwebte auf ihrem A-Gravpolster nur eine Handbreit über dem Boden. Leicht ächzend schwang sich Lister in den Fahrersitz und warf das, was er gefunden hatte, auf die Ladefläche, auf der schon eine Menge unterschiedlicher Gegenstände lagen. Darunter
seine Waffe, das Iglu, in dem er seine Nächte auf der Mesa verbrachte, und die Brennstoffzelle, auf der er seine Mahlzeiten bereitete; er war seit zwei Wochen auf der Hochebene unterwegs und befand sich am Ende seiner Exkursion. Die Ramme des antiquierten Sturmfeuerzeugs wurde vom Mor24 genwind zweimal ausgeblasen, bis es ihm glückte, sich eine seiner berüchtigten schwarzen Zigaretten anzuzünden. Clive Lister war ein Mann von siebenundfünfzig Jahren mit sehr kurz geschnittenem, stahlgrauem Haar, das wie eine Bürste von seinem Kopf abstand; Kimberly Nev fand, es sähe gut aus. »Sehr merkwürdig«, wiederholte er und nahm das Fundstück erneut in die Hand. Er drehte es hin und her, während er nachdenklich rauchte. Es handelte sich um einen von Wind und Erosion blankgeschliffenen, spitz zulaufenden Schädel, in dessen Kiefern eine Reihe von nadelspitzen Zähnen davon kündeten, daß es sich bei dieser Spezies um keinen Pflanzenfresser handelte. »Wüßte gerne«, setzte er sein Selbstgespräch fort, »wann ich mal ein vollständiges Skelett finde...« Er wiegte den Kopf und strich mit den Fingern über die kalkweiße Knochenplatte des Schädels; die paarweise an den Seiten angeordneten Augenhöhlen starrten ihn an. »Zumindest muß es sich um ein Raubtier mit einem außergewöhnlichen Gesichtsfeld handeln«, sagte er und warf den Rest der Zigarette in den Sand, wo er funkenstiebend erlosch. Er zog die Jacke ganz aus, öffnete den Klettverschluß seines Hemdes und krempelte die Ärmel auf; es war inzwischen noch heißer geworden. Die Sonnenscheibe war vollkommen über dem Horizont heraufgestiegen und überschüttete jetzt, von keinen nennenswerten Wolken behindert, die endlose Fläche der Hochebene mit ihrem Licht. Seit gut zwei Jahren arbeitete der Wissenschaftler am Terrafor-ming-Projekt. In dieser Zeit hatte er bereits eine Reihe Skelettfunde gemacht. Es handelte sich seltsamerweise ausnahmslos um Schädel. Eines der ungelösten Rätsel des Planeten. Eines von vielen. Es gab noch andere. In der Ferne hörte Lister ein Anschwellen des Windes. Dann wurde er gewahr, daß die Windgeschwindigkeit in seiner Nähe nicht zugenommen hatte. Die gedrehten Äste der Bäumchen bewegten sich kaum mehr als zuvor. Erst als das Geräusch an Lautstärke zunahm, erkannte er, daß der Wind nichts damit zu tun haben konnte. 25 Er wandte sich dem Geräusch zu und hob den Kopf. Minutenlang beobachtete er den Himmel, konnte aber zunächst nichts erkennen. Dann entdeckte er doch eine Bewegung im schier unendlichen Blau. Ein kaum auszumachender Punkt zwischen den Federschleiern der Zirrostratuswolken. Er sprang aus dem Schweber und stellte sich breitbeinig hin, den Kopf in den Nacken gelegt. Was war das? Ein defekter Versorgungsexplorer? Kaum. Im Bereich von einigen hundert Kilometern gab es zwei Routen, die die im Osten und Süden arbeitenden Terraforming-Teams mit Nachschub aus Frontier Junction versorgten. Aber die Transporter flogen nie so hoch und waren vor allem nicht so schnell. Es mußte sich also um etwas anderes handeln. Vielleicht um eines der Erzschiffe aus dem Gürtel? Wenn, dann befand es sich in Schwierigkeiten. Lister tendierte aber mehr zu der Annahme, daß sich einer der unzähligen Gesteinstrümmer aus dem Asteroidengürtel gelöst und auf die Wanderschaft durch das System begeben hatte, um schlußendlich vom Schwerefeld des vierten Planeten eingefangen und in der Atmosphäre zum Verglühen gebracht zu werden. Der Punkt am Himmel wurde größer.
Ohne ihn aus den Augen zu lassen, griff Lister in die Brusttasche des Hemdes, holte den Com-Rekorder hervor und begann seine Eindrücke zu schildern. Gleichzeitig versuchte er die Flugrichtung des Punktes in Verhältnis zu seinem Standort zu schätzen, um so viele Hinweise wie möglich über den voraussichtlichen Absturzort festzuhalten - falls das, was dieser Punkt darstellte, denn bis auf die Oberfläche kommen sollte. Konnte ja sein, daß er die Aufzeichnung später mal benötigte. Inzwischen war das ferne Heulen zu einem schrillen Pfeifen geworden. Es schwoll an, riß ab, kam wieder und wurde noch lauter. Schließlich ging es in ein heulendes Crescendo über, ein Ton, der an einen Tornado erinnerte, und ein glühender, feuerumloderter Körper erschien, der einen Schweif ionisierter Luft hinter sich herzog. Die Flammen waren die der Reibungshitze. 26 Lister ging inzwischen davon aus, daß es sich bei dem herabstürzenden Objekt um einen Meteoriten und nicht um ein Raumschiff handelte. Er kam jetzt schon ziemlich tief heran, nördlich Listers Position, mit Flugrichtung Süden. Dort lag die Wüste. Feuer. Geräusche. Toben. Das herabstürzende Objekt glitt in der Ferne über den gezackten Rand der Barriere, die die Wüste von der Tundra trennte, und war plötzlich verschwunden. Ein paar Sekunden blieb es still. Lister wartete. Aber es gab weder ein donnerndes Krachen, noch ein Kreischen, Knirschen oder Ächzen. Lediglich ein scharfes Zischen, als tauche der weißglühende Meteorit ins Wasser. Doch es gab kein Wasser in der Wüste. Dann schraubte sich in der Ferne eine Staubwolke in den Himmel, aber sie zerteilte sich rasch im Wind. Lister überlegte. »Eigentlich«, sagte er halblaut, »könnte ich meine Zelte abbrechen und nach Frontier Junction zurückfliegen. Meine vierzehntägige Tour ist vorbei.« Der Schweber war vollbeladen mit Präparaten aus den Pflanzungen. Die genauen Analysen über die Wachstumsraten in Bezug auf die hier herrschenden Umweltbedingungen würde er im Hauptlabor erstellen, in dem er seine Untersuchungen durchführte. Und soviel hatte er bereits erkennen können: Seit seinem letzten Trip schien es einige interessante Veränderungen gegeben zu haben; das Wachstum war ungleich höher als erwartet. Dem mußte er nachgehen, und das bedeutete viel Arbeit. »Gut« führte er sein Selbstgespräch fort. »Fliegen wir zurück in die Zivilisation. Aber vorher werde ich nachsehen, was da wirklich heruntergekommen ist.« N'Sadog hockte auf seinem Thron, ein insektoides, riesiges Wesen von fast drei Metern Länge, mit vier gelenkigen, paarweise an seinem Oberkörper angebrachten Gliedmaßen, die mit zahnkamm-artigen Auswüchsen versehenen waren. Das Augenband im monströsen Schädel beobachtete unablässig die rundum angeordneten Skalen und Bildschirme der noch funktionierenden Instrumente seines Raumschiffes. Und er wartete mit dem Stoizismus seiner Rasse, während sich sein Schiff dem vierten Planeten näherte und in eine hohe Umlaufbahn einschwenkte, die es mehrmals um den Himmelskörper führte. Durch den aktivierten Ortungsschutz unsichtbar für jede ScannerErfassung. Allerdings nicht für optische Erkennung. Nein, das nicht. Doch das Risiko mußte er eingehen; es blieb ihm keine andere Wahl. Der Planet zeigte ein rötlich-trockenes Aussehen ohne nennenswerte Wasserflächen. In
einer Entfernung von durchschnittlich 299.000 Poocs besaß er zwei Monde, die in Opposition zueinander standen. Die Trabanten waren von geringer Dichte und besaßen nicht mehr als ein Siebenundsechzigstel der Masse des Planeten. N'Sadog betrachtete die gelb-braun marmorierte Oberfläche über die vergrößernden Schirme. Seine Sensoren orteten auf einer Hochebene eine Ansammlung künstlicher Bauwerke, die sich, so hatte es den Anschein, auch in den Boden hinein zu erstrecken schienen; sie orteten auch ausgedehnte Hohlräume. Auf der Ebene selbst war das Rund eines kleinen Raumhafens zu sehen, der eine Verbindung mit der Ansied-lung hatte. Eine Reihe von Verbindungswegen führten von der Anlage weg oder zu ihr hin. Drei kleinere Raumfahrzeuge standen herum. Auf einem Turm erhoben sich die Antennen einer Hyperfunkanlage. Die Ansiedlung war bewohnt - von wem? - und voll in Betrieb. N'Sadogs Instrumente orteten ein energieerzeugendes System von erheblichem Umfang in einem Komplex außerhalb der Ansiedlung: Das Kraftwerk der Stadt. Energie war immer gut. Zur gegebener Zeit würde er sich ihrer bedienen müssen. Seine Sensoren 28
fingen keinerlei Anzeichen von Lebensform-Echos dort auf. Offensichtlich voll robotisch. Noch besser. So konnte er ungestört arbeiten. Zwei weitere Energiequellen wurden lokalisiert, eine in der Hauptsiedlung selbst und eine in einem kuppeiförmigen Gebäude am Rande des Raumhafens. Es war kein sehr ansprechender Ort nach seinem Empfinden. Aber er hatte keinen Anlaß, wählerisch zu sein. Und so entschloß er sich bei der nächsten Umkreisung, das Beste daraus zu machen. Er brauchte nicht lange, um in relativer Nähe zur Ansiedlung eine geeignete Stelle zu finden, an der er das angeschlagene Schiff sicher landen und verstecken konnte. Er ging tiefer, wählte seinen Einflugwinkel so, daß er möglichst lange im Planetenschatten bleiben würde. Während des Abstiegs führten seine Flugkontrolleinrichtungen einige Anpassungen durch und steuerten das Schiff in eine immer niedrigere Bahn. Schnell näherte er sich dem Terminator in Richtung Tagseite. Ein erstes fernes Heulen wurde hörbar: die Reibung der Luftmoleküle an der Außenhaut. N'Sadog ließ den Hauptschirm nicht mehr aus den Augen. Er sah die Oberfläche des Planeten näher und näher kommen. Je tiefer das angeschlagene Spindelschiff sank und je dichter die Atmosphäre wurde, desto mehr verstärkte sich auch das Leuchten der durch die Reibung ionisierten Luftmassen, bis sein Raumschiff in niedriger Höhe einen weithin sichtbaren Flammen seh weif hinter sich herzog. Das ließ sich nicht ändern. Wenn man seinen Abstieg sehen sollte, mochte es sein, daß man ihn für einen dieser vagabundierenden Gesteinstrümmer hielt, von denen in diesem System Unmengen vorhanden waren. Er machte sich darüber also keine allzu großen Sorgen. Sorgen bereitete ihm jedoch, daß nach dem von ihm geplanten Manöver lange Zeit keine Energie mehr zur Verfügung stand, und er in gewisser Weise für eine bestimmte Periode völlig schutzlos sein würde, bis es dem Schiff gelang, mit Hilfe der es umgebenden Ressourcen nach und nach neue Energien in die Konverter zu transferieren. Dann war der Terminator erreicht; N'Sadogs Schiff bewegte 29 sich im hellen Sonnenlicht. Schließlich raste es nur wenige hundert Poocs hoch über die zerklüftete Landschaft hinweg und näherte sich im spitzen Winkel dem Boden; jeden Augenblick mußte der Aufprall erfolgen. Unmittelbar vor dem scheinbar unvermeidlichen Aufschlag aktivierte er die
Bremstriebwerke und transferierte die restliche Energie in die Bugkonverter. Die Desintegrations-Projektoren brannten im Augenblick des Auftreffens einen Tunnel in die Felswand, in dessen Schutz das Schiff langsam in den Boden eindrang und dicht unter der Oberfläche zur Ruhe kam Als der Wind die Dampf- und Staubwolken verweht hatte, war vom Spindelschiff N'Sadogs nichts mehr zu sehen. Das Verhängnis hatte Xing erreicht. Keiner wußte es. Niemand ahnte es. Lister sah nach der Zeit: 09.11 Uhr. Hmm... Der Ort des Aufschlags konnte höchstens zweihundert bis dreihundert Kilometer entfernt sein. Den Umweg, der eigentlich keiner war, konnte er machen. Es würde lediglich bedeuten, daß er zwei oder drei Stunden später in Frontier Junction eintraf. Entschlossen kletterte er in den abgewetzten Pilotensitz, setzte die zerkratzte Sonnenbrille auf, wendete den Schweber auf seinem Antigravfeld und konsultierte den im Armaturenbrett eingelassenen Kompaß. Die Nadel deutete auf den magnetischen Nordpol Xings. Sein Ziel lag im Südosten. Er trat den Beschleunigungshebel nieder; die Ebene mit den Baumpflanzungen blieb zurück. Die Anzeige des Geschwindigkeitsmessers kletterte von 40 auf 60, auf 80, 90... und blieb bei 100 konstant. In geringer Höhe überflog der Wissenschaftler die Barriere der Klippen - und die Wüste breitete sich vor und unter ihm aus. Über dem goldfarbenen Sandmeer beschleunigte er den Schweber auf einhundertfünfzig Kilometer pro Stunde. 30
Er sah im Geiste die Karten des Gebietes vor sich: ein etwas schiefes Dreieck, das mit der Spitze nach Norden zeigte. Die abfallenden Verbindungsstrecken zu den Eckpunkten der Grundlinie wurden durch Gebirgszüge begrenzt. An der Basislinie, aus der ungefähren Mitte leicht nach Osten versetzt, lag Frontier Junction. Im topographischen Zentrum breitete sich die Wüste aus. Während des Fluges kamen ihm die ersten Zweifel, ob es sich tatsächlich um einen Meteoritenbrocken gehandelt hatte, der da heruntergekommen war. Er war kein ausgebildeter Astronom, und die komplizierten und verwickelten Bahngesetze planetoider Körper innerhalb der Schwerefelder von Planetensystemen waren ihm an und für sich ein Buch mit mehr als nur sieben Siegeln. Aber er besaß einiges Basiswissen, auch die Mechanik der Fallgesetze waren ihm noch immer geläufig. Und so drehten sich seine Gedanken um die Überlegungen, daß die Geschwindigkeit des Meteors eigentlich wesentlich höher hätte sein müssen, als sie es tatsächlich war. Hatte ihn etwas abgebremst? Und wenn ja - was? Die Atmosphäre? Wohl kaum. Die Lufthülle Xings war etwa von jener Dichte, wie sie in zirka zweitausend Metern Höhe auf der Erde herrschte. Listers Schweber summte zuverlässig und trug ihn vorwärts. Hundertfünf zig Kilometer... Der langgestreckte, flache Hügelzug kam in Sicht, der die Wüste in Ost-West-Richtung durchschnitt. In der Frühzeit der planetaren Geschichte hatte sich an dieser Stelle vermutlich eine Kette kleinerer Vulkane erhoben, deren Auswürfe mit zur Bildung der Wüste beigetragen hatten.
Als er die Erhebung hinter sich hatte, verringerte Lister die Fahrt; die Aufschlagstelle mußte bald in Sicht kommen. Er schaltete den Autopiloten ein und beobachtete das Gelände unter sich durch die Objektive des schweren Makro-Fernglases, das neben seiner primären Funktion als Feldstecher auch noch als Aufzeichnungsgerät diente. Ein Nanoprozessor speicherte alle Bildinformationen, die bei Bedarf jederzeit wieder über den kleinen Schirm 31 abgerufen werden konnten. Theoretisch sollte er einen Kreis von etwa 120 Kilometern Durchmesser überblicken können. Aber der Ausschnitt des Geländes, den er wirklich sah, maß wesentlich weniger. Er begann, methodisch die Umgebung abzusuchen, forschte nach Zeichen, die der Meteorit hinterlassen haben mußte, hielt Ausschau nach bestimmten Markierungen im Gelände, die auf seinen Karten nicht verzeichnet waren... Nichts! Die Sonnenstrahlen schufen Zonen scharf abgegrenzter Schatten über dem unwirtlichen Terrain. Lister überflog den Kamm einer gewaltigen Düne. Dahinter öffnete sich ein Tal, durch das ein ausgetrocknetes Flußbett führte. Die noch zu erahnenden Uferränder waren von unzähligen Verästelungen gezahnt. Es sah aus wie das Skelett eines riesigen Schlange; weiß, das Licht der Sonne schmerzend grell reflektierend. Skelett...? Natürlich! Skeleton River! Er kannte diese merkwürdige Formation, die Zeugnis dafür ablegte, daß sich vor Urzeiten hier einmal ein mächtiger Fluß sein Bett gesucht haben mußte. Seine etwas makabre Bezeichnung stammte aus der Neuzeit: Er hatte sie von den Landvermessungsteams der Terraformer erhalten, die hier durchgekommen waren. Der Schweber glitt weiter. Er blieb über dem Flußbett, das sich in südlicher Richtung dahinzog. Natürlich nicht als Gerade, sondern stark mäandernd. Lister verlangsamte die Geschwindigkeit etwas und suchte mit dem starken Glas das Gelände vor sich ab, aber alles, was er sah, waren weiße Felsen, gelber Sand und schwarze Schatten. Minute um Minute verging, während der Wissenschaftler langsam nach Süden flog. Und dann entdeckte er es. Vor ihm lag ein großer Kessel, der von Dünen, Felsen und Kiesmergel gebildet wurde. Das Flußbett war in südlicher Richtung breit und sehr flach, und Sand hatte die Kiesel zugeweht. 32 Im Westen befand sich eine große, steile Felswand, vor der bis in eine Höhe von zirka zwanzig Metern eine Düne lag. Der Kamm wies einen tiefen Einschnitt bis zum Kesselboden auf, so als hätte ihn ein großer Körper durchflogen. Dahinter befand sich in der Felswand eine Öffnung mit annähernd rundem Querschnitt und einem Durchmesser von etwa achtzig Metern. Die Wände schienen bläulich zu glühen War hier der Meteorit eingedrungen? Es hatte den Anschein. Aber wo waren dann die Spuren dieses Ereignisses? Ein derartiger Aufschlag hatte üblicherweise die Gewalt von mehreren Megatonnen Sprengstoff, selbst wenn die Reibungshitze dem Meteoriten bei seinem Fall durch die Atmosphäre nur einen Bruchteil seiner ursprünglichen Masse belassen hatte. Nichts von alledem war hier zu sehen. Keine aufgeworfenen Erdwälle oder tiefe Furchen in der Planetenkruste. Lister steuerte den Schweber zu Boden und setzte ihn unter einem Überhang ab, der seinem Gefährt Deckung gab. Warum er das tat, dafür hatte er keine rationale Erklärung. Er klemmte den Feldstecher wieder an seinem Arbeitsgürtel fest und überlegte. Minuten vergingen.
Die Stille um ihn war erdrückend; der Wind war in diesem Kessel zum Erliegen gekommen. Nur die allgegenwärtigen Sandfliegen summten träge in der Hitze. Schließlich schwang er sich aus dem Schweber. »Auf geht's...«, murmelte er und entsicherte den schweren Para-schocker rechts an der Hüfte. Langsam trat er zwischen den Felsen hervor, richtete seine Schritte auf den Düneneinschnitt mit der dahinterliegenden Öffnung in der Felswand und musterte dabei aufmerksam das vor ihm liegende Terrain. Unter den Sohlen seiner Stiefel knirschte der Kies. Sonst war kein Geräusch vernehmbar. Noch immer nicht... Eine merkwürdige Ahnung nahm von Clive Lister Besitz. Er wußte irgendwie, daß er in Kürze auf etwas stoßen würde, das er nicht hatte voraussehen können. Er arbeitete sich keuchend durch den Düneneinschnitt, überquerte das sich daran anschließende flache Stück Boden und hielt dann etwa zwanzig Meter vor der Öffnung in der Felswand an. Sehr viel Hitze konnte bei dem Einschlag nicht freigesetzt worden sein - wenn man überhaupt von einem solchen sprechen durfte. Dann sah er, daß sich in der Tunnelöffnung etwas bewegte. Er konnte in dem dort herrschenden Halbdunkel nicht genau erkennen, was es war, aber Bewegung war definitiv vorhanden. »Hallo, Sie da!« rief Lister. »Sind Sie verletzt?« Keine Antwort. Natürlich nicht! Sind Sie verletzt... Wasfär ein Schwachsinn, dachte er verwundert. Wer überlebt schon einen derartigen Aufprall! Außerdem: Wie kam er bloß auf den Gedanken, daß es sich bei dem abgestürzten Objekt nicht um einen Gesteinsbrocken aus dem All handelte? Und trugen nicht Meteoriten Leben höchstens ins Form von Bakterien? Aber je länger Lister den Tunnel betrachtete, um so mehr setzte sich in ihm die Überzeugung fest, daß es sich bei dem, was da heruntergekommen war, gar nicht um einen Meteoriten gehandelt hatte. Er runzelte die Stirn und spürte eine Welle von Übelkeit aus seinem Magen nach oben schießen. Er machte einen Schritt auf den Tunnel zu, zögerte dann, blieb stehen und zog die schwere Waffe. Der Lauf glitt aus dem Halfter. Dann erstarrte Clive Lister, als das Alien aus der vagen Dunkelheit des Tunnels hervorkam und sich ihm in aller Deutlichkeit präsentierte. Das Blut gerann in seinen Adern. Etwas Unheimlicheres als das, was sich wenige Schritte von ihm entfernt aufrichtete und ins Licht trat, hatte er noch nie gesehen. Es handelte sich eindeutig um ein insektoides Individuum. Eine Gottesanbeterin von knapp drei Metern Länge, die ihn mit glühendem Leuchten aus einem den Schädel umspannenden Au34
genband grimmig anstarrte. Das Licht der Sonne spiegelte sich auf schwarzem, schimmerndem Chitin und brach sich an den gezackten Klauen der paarweise angebrachten oberen Gliedmaßen. Der Kiefer des Monstrums öffnete und schloß sich mit einem scharfen Klicken, das Lister an blitzende Scheren gemahnte. Furcht verwandelte seine Gedärme in einen eisigen Klumpen. Er wollte wegrennen, getrieben von einem Impuls, der aus der archaischen Matrix seines Unterbewußtseins hochkochte. Statt dessen riß er den Paraschocker hoch. Viel zu spät. Seine Reflexe waren im Gegensatz zu denen des monströsen Wesens unerträglich
langsam. Das Alien überbrückte die Entfernung zu Lister mit einer gleitenden Bewegung, die scheinbar ohne Zeitverzug vonstatten ging. Zwei Fangarme schlugen die Waffe mit einer Gewalt beiseite, daß Listers Handgelenk mit einem häßlichen Geräusch brach, während die Zangen der beiden oberen Arme sich um den Kopf des Mannes schlössen und mit der Gewalt von Hydraulikklammern zudrückten. Chitinharte Klauen bohrten sich in seinen Schädel. Der Wissenschaftler wurde ruckartig hochgezogen. Er fand keine Zeit mehr, seine Verzweiflung und Qual über den unerträglichen Schmerz laut hinauszuschreien, bevor er starb. Seine letzte Empfindung war blankes Entsetzen. N'Sadog öffnete die Mandibeln zu einem schrecklichen Schrei des Triumphes. Wie in einem Rauschzustand drehte er den Schädel hin und her, während er selbst noch das letzte Quentchen von Leiden, das als elektrische Spannung durch seine Nerven und Muskeln blitzte, genußvoll assimilierte. Schließlich gewannen Vernunft und Scharfsinn in dem G'Loorn wieder die Oberhand. Er betrachtete das armselige kleine Wesen, das er getötet hatte, und das jetzt mit zerschmettertem Schädel am Boden lag, näher. Lister nannte es sich, soviel hatte er noch seinen Gedanken entnehmen können, während es qualvoll starb. Und es war Teil einer 35 größeren Gemeinschaft, die sich Menschen nannte. Merkwürdiges, zweibeiniges Lister-Wesen. Mit rundem Kopf, gedrungener Gestalt und kurzen Gliedern, von denen die beiden unteren noch in eine Art Schutz gehüllt waren. Schwach und amorph. Und so unglaublich langsam. Es schien dem G'Loorn wenig glaubhaft, daß ein derartig schwaches und langsames Geschöpf sich so lange auf einem Planeten wie diesem am Leben hatte halten können, um zur beherrschenden Lebensform zu werden. Aber vielleicht war das, was da vor ihm lag, gar nicht die dominante Art. Vielleicht stellte es nur eine untergeordnete Spezies dar, während ihm die wahren Beherrscher noch verborgen blieben! Er sah jetzt ein, daß es doch besser gewesen wäre, das Lister-Wesen am Leben zu erhalten, um weitere Nachforschungen anstellen zu können. So wäre er an nützliche Informationen gekommen, aus denen er zusätzliches Wissen über den Zivilisationsstand des toten Wesens gewonnen hätte. Zu ändern war das aber nicht mehr, also verschwendete er keinen weiteren Gedanken daran. Immerhin war es ein Glücksfall für ihn, daß er eine Rasse gefunden hatte, derer er sich bedienen konnte, um seinen mentalen Hunger zu löschen. Allerdings gab es gewisse Voraussetzungen, die solch eine Rasse zu erfüllen hatte. Der Gedanke, sich mit minderwertigen Geschöpfen abgeben zu müssen, rief Abscheu in ihm hervor, aber selbst Minderwertige waren noch allemal besser als Einzeller oder sonstige Parasiten. Er hob die Waffe auf, die das Wesen bei sich getragen hatte und untersuchte sie sorgfältig, um ihren Mechanismus zu ergründen. Die Bauart war ihm nicht geläufig, aber es war eindeutig eine Strahlwaffe, ein Paralysator, der auf die Neuralsysteme des Opfers einwirkte. Vermutlich vorzugsweise auf das periphere Nervensystem, das die Muskelbewegungen und ähnliche Willensfunktionen steuerte. Der G'Loorn revidierte seine Meinung. Diese Lebensform, diese Menschen, waren zweifelsfrei intelligent. Intelligente Wesen aber waren voller mentaler Energien! 36 Und es waren ihrer so viele auf dieser Welt! Die Erkenntnis überlief ihn wie ein heißer Schauer. Seine Klauen zuckten in einer konvulsivischen Bewegung, die dornbewehrten Mandibeln seines monströsen Schädels öffneten und schlössen sich klickend. Ein rauschhaftes Prickeln durchlief sein kompliziertes Nervensystem, während er sich
vorstellte, bald diese schwächlichen Wesen zu zerschmettern, ihnen die Glieder zu brechen, Knochen und Sehnen in Fetzen zu reißen und dabei ihre Leiden genußvoll zu assimilieren, während sie in Agonie langsam dahinsiechten. Und er wußte auch schon, wie er das bewerkstelligen konnte. Aber zunächst brauchte er weitere Informationen. Er warf die Waffe weg und untersuchte das tote Lister-Wesen. Es steckte in einer Schutzkleidung, die bewies, daß es und seinesgleichen Schutz vor den klimatischen Bedingen brauchte. Er entfernte sie. Der weißliche, schlaffe Körper rief Ekel in ihm hervor. Er riß sich zusammen. Es mußte getan werden. Er setzte eine rasiermesserscharfe Klaue unterhalb des Kopfes an. Eine wie beiläufig wirkende Bewegung - und der Körper wurde der Länge nach aufgetrennt. Wie er es sich gedacht hatte! Bei der hier lebenden Spezies handelte es sich um Wirbeltiere mit einem Endoskelett. Umhüllt mit langfaserigem Fleisch und Muskelgewebe. Nicht sehr effizient - und vor allem sehr, sehr anfällig gegen Gewalteinwirkung von außen. Die nächste Frage war: Was sollte er mit der Leiche tun? Er tat das naheliegendste. Er verbrannte sie mit Hilfe seiner eigenen Waffe. Dann kehrte er in die Dunkelheit des Tunnels und zu seinem Schiff zurück, mit dem Vorhaben, diese Öffnung sobald wie möglich gegen jeden weiteren Einblick zu tarnen. Er mußte vorläufig im Verborgenen agieren, um seine Schwäche zu tarnen. Bis auf jene Zeitperioden, in denen er seinen Hunger stillen wollte, stillen mußte. Xing, Frontier Junction - Tage später Irgendwann in der Nacht erwachte Kimberly Nev. Aus dem Schlaf gerissen von einem Geräusch, das nur noch als Nachhall in ihrem Kopf vorhanden war und einen schlechten Geschmack in ihrem Geist hinterließ. Sie lag auf der Seite, unter einem schweißfeuchten Laken. Ihr Herz klopfte. Sie konnte den Puls in ihren Schläfen hämmern spüren. Langsam nur klärte sich ihr Geist; die wispernden, raunenden und rufenden Stimmen ihres Alptraumes verschwanden. Sie blinzelte und rollte sich mit einem tiefen Seufzer auf den Rücken. Willkommen unter den Lebenden... Wer hatte das gesagt? Sie lauschte mit angehaltenem Atem. Im Haus war alles still; auch draußen war es ruhig. Hmm... Sie schalt sich eine furchtsame Pute. Was immer sie gehört haben wollte: Es war nichts. Dann hörte sie doch Geräusche. Das Schwirren des Chrono neben ihrem Bett. Weiter entfernt das Summen der Reglerschaltung für die Raumheizung - so heiß die Tage auch waren, Xings Nächte waren am Rande der Barriere-Wüste verflixt kalt. Eines der Bretter an der linken Wand - überladen mit Ton- und Bildträgern für das Vipho, knackte vernehmlich. Doch das waren keine Geräusche im eigentlichen Sinne. Sie gehörten so zu ihrer Behausung, daß sie niemals störten. Ganz im Gegenteil, wären sie plötzlich verstummt, hätte dieser Umstand sie weit eher aus dem Schlaf gerissen. Es mußte etwas anderes gewesen sein, das sie aufgeschreckt hatte. Komisch. 38
Sie lauschte erneut.
Nichts... Aber weshalb dann diese unerklärliche Unruhe in ihr? Ob es mit dem Traum zusammenhing, der sie seit einigen Tagen heimsuchte? Eigentlich glaubte sie nicht an böse Vorahnungen, aber es gab ihr zu denken, daß sie immer den gleichen Traum hatte. Nach einer Weile streckte sie die Hand aus und betätigte einen Schalter. Die kleine Lampe neben dem Bett schuf einen genau abgezirkelten Kreis von Helligkeit. Eine leere Tasse war darin zu erkennen und der Bericht für die Kommission, an dem sie vor dem Einschlafen noch gearbeitet hatte. Sie warf einen Blick auf das Zeitfenster des Zimmer-Chrono: drei Uhr morgens planetare Zeit. Xing besaß mit seiner Rotationsgeschwindigkeit von dreiundzwanzig Stunden um die eigene Achse fast Terra-Norm. Himmel...! Sie hatte nicht mehr als drei Stunden geschlafen. Und heute hatte sie einen harten Tag vor sich. Wie hart, konnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal erahnen. Sie schwang die Beine über die Bettkante und setzte sich auf. Mit spitzen Finger entfernte sie eine Haarsträhne, die an ihrer Wange klebte - in diesem Moment setzte das Geräusch wieder ein, das ihren Schlaf unterbrochen hatte. Eine helle Stimme. Sie kam eindeutig aus Chris' Zimmer. Hatte er wieder eine seiner schlimmen Nächte und sprach im Schlaf? Es schien so. Sie beschloß, nach ihm zu sehen, schwang ergeben die Beine über die Bettkante und setzte sich auf. Ihr eigener Alptraum war verschwunden, aber irgendwie wußte sie, daß er wiederkommen würde. Sie kratzte sich in der Leistengegend, trat auf den Flur hinaus und ging ihn auf nackten Füßen entlang. Chris' Murmeln wurde lauter, hektischer - sie glaubte Panik darin zu erkennen - brach dann aber ab, als sie die Tür öffnete und 39 ins Zimmer trat. Ihr Sohn schien tief und fest zu schlafen! Irritiert trat sie leise ans Bett und beugte sich über ihn; der schwache Lichtschein vom Flur ließ ihn bleich aussehen, ein leichter Schweißfilm lag auf seinem Gesicht. »Bist du wach?« murmelte sie und unterdrückte ein Gähnen. Ruhiges Atmen. Sie schüttelte den Kopf und schaute sich in dem Durcheinander in seinem Zimmer um; wie erwartet fand sie außer dem Stuhl vor dem Arbeitstisch mit der Suprasensor-Konsole keine vernünftige Sitzgelegenheit, also hockte sie sich statt dessen aufs Bett und betrachtete ihn. Sie seufzte. Groß war er inzwischen geworden; wie schnell doch die Zeit verging. Sein Haar war lang, fast so lang wie das eines Mädchens, was ihm mitunter den Spott seiner Mitschüler und die Mißbilligung des Schulleiters eintrug. Das Kinn und die hohe Stirn erinnerte immer mehr an Zak. Sie seufzte wieder. Manchmal wünschte sie sich, Chris wäre nicht schon vierzehn und sie wären noch auf der Erde. Aber das waren törichte Gedanken. Dann wurde sie gewahr, wie eine Veränderung mit ihm vorging. Die Augen unter den geschlossenen Lidern bewegten sich ruckartig. Sein Atem kam stoßartig. Seine Beine zuckten, so als laufe er in seinem Traum hinter jemandem her - oder vor etwas davon. Seine Unterlippe begann zu zittern, als würde er jeden Moment anfangen zu weinen. Dann begann er mit sonderbar gutturaler Stimme kaum verständliche Worte zu murmeln. Sie beugte sich zu ihm hinunter und lauschte auf das, was er sagte.
Seine Stimme wurde lauter, verständlicher. »... geh weg... n-n-nein, ich... will n-n-i-nicht.« Kimberly schluckte mit trockener Kehle. Eine Gänsehaut jagte über ihren Rücken und ließ sie schaudern. »Chris!« sagte sie scharf. 40
»Nein!« sagte er plötzlich, ohne die Augen zu öffnen, und seine Stimme war von einer nie gekannten Härte. »Verschwinde. Du gehörst nicht hierher...« Sie griff nach seinen Handgelenken und schüttelte ihn. »N-n-nein...!« Chris schlug die Augen auf, sah durch sie hindurch. Sein Atem kam stoßweise. »Unglaublich«, murmelte er. »Was?« Kimberly beugte sich vor. Sie war sich nicht sicher, was er gesagt hatte. »Was es ist... wozu es fähig ist... was es tun kann...« Er spricht nur im Schlaf, obwohl er die Augen offen hat, dachte Kimberly, aber sie spürte erneut einen kalten Schauer »Ruhig, mein Liebling, ruhig!« sagte sie eindringlich, um die Barriere zu durchdringen, die seinen Geist gefangenhielt. »Ich bin ja bei dir. Es war nur ein Traum! Verstehst du? Nur ein Traum. Es ist alles in Ordnung! Du bist in Ordnung!« Sie strich ihm den Schweiß von der Stirn. »Willst du was trinken?« »Nein, Mom.« Seine Stimme klang sehr dünn, sehr jung. Fast so, als sei er nicht älter als fünf oder sechs. »Nein, mir geht's gut.« Seine Stimme verlor sich. »Bist du sicher, Chris? - Chris?« Er war bereits wieder eingeschlafen. Kimberly Nev wartete ein paar Minuten; sein Atem war ruhig, kam tief und regelmäßig. Schließlich zog sie die Decke bis zu seinem Kinn hoch, beugte sich zärtlich hinunter und küßte ihn auf die Wange. Etwas, was er im wachen Zustand empört vereitelt hätte. »Ich habe dich sehr, sehr lieb«, flüsterte sie. Dann kehrte sie in ihr Zimmer zurück. In Gedanken bei Chris. Sie hoffte, daß er nicht mehr träumte. Es war noch immer still in der Wohnung. Auch draußen war es still. Mondlicht fiel in breiten Bahnen durch das Fenster. Es mußte lan sein. Lo war um diese frühe Morgenstunde bereits wieder untergegangen. Kimberly Nev kroch wieder ins Bett. Sie zog die Beine unter der Decke an und legte die Arme auf die Knie. Eine Weile blieb sie regungslos sitzen. Sie dachte an ihren Traum in der Nacht, ehe Chris' Stimme sie geweckt hatte. Ihren Traum... In ihm lief sie durch eine Wüste. Nackt. Schutzlos. Sie spürte den grobkörnigen Sand unter ihren bloßen Füßen. Ein nachtkalter Wind ließ sie frieren. Zwei Monde, kalkweiß und riesig groß, standen über ihr und schienen sie wie die Augen eines Ungeheuers anzustarren. Obwohl sie alleine war, konnte sie hören, daß jemand neben ihr lief. Ein seltsames Zischen und Rascheln, als gleite dieser... dieses Ding nur über den Boden dahin, anstatt fest aufzutreten. Wie eine Natter, die sich über heißen Wüstensand schlängelte. Aber immer, wenn sie zur Seite blickte, wich der schwarze Schemen zurück und sie sah nur ihren eigenen, verzerrten Schatten im fahlen Licht der Monde... Seltsam. Nein, mehr als das.
Bizarr und beunruhigend... Was es ist... wozu es fähig ist...? Sie seufzte. Sie wünschte sich, Chris' Gedanken lesen zu können. Was es tun kann... Wen meinte Chris? Ob er sich nach dem Aufwachen noch daran erinnern würde, was er in der Nacht geträumt hatte? Sie beschloß, ihn zu fragen. Er wich ihr zwar immer aus, wenn sie, was selten genug vorkam, an seinen Gedanken teilhaben wollte. Aber er hatte sich noch nie so seltsam benommen wie in dieser Nacht. Also würde sie diesmal darauf bestehen, und damit basta! Sie griff nach dem Bericht. Eine Weile las sie darin, suchte nach Schwachstellen. Fand keine und war sehr zufrieden mit sich. Sie wurde schläfrig. Die Lider flatterten. Die Seite, in der sie gerade las, hatte sie schon ein paarmal in der Hand gehabt. Ver42 dämmt! Sie konnte sich nicht mehr konzentrieren. Sie gähnte. Ihre Finger wurden schlaff, ließen den Bericht fallen. Er rutschte über die Bettkante auf den Boden. Sie nahm sich nicht die Mühe, ihn aufzunehmen. Ihre Hand tastete nach dem Lichtschalter. So. Jetzt würde sie schlafen. Zum Teufel mit den Alpträumen! Sie streckte sich aus und schloß seufzend die Augen. Sie wollte sich eben in die Kissen vergraben - als schriller Lärm sie auffahren ließ. Verdammt! Was war denn jetzt schon wieder? Mit jagendem Puls fuhr sie hoch. Dann erkannte sie, daß es früher Morgen war und der Wecker sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Idiotisch, aber nicht zu ändern. Es brachte auch nichts, zu versuchen, weiterzuschlafen. Sie hatte einen arbeitsreichen Tag vor sich. Und das wußte sie. In ihre Überlegungen hinein summte das Vipho. Sie aktivierte das Gerät. »Ja?« Es war Greg Zarn, ihr Vorarbeiter. »Punkt acht vor Ihrer Tür, Ma'm.« »Hmmm. - Okay.« »Wie geht's?« »Weiß ich nicht, hab' noch nicht gefrühstückt.« Zarn kicherte, was bei seinem Alter etwas albern klang. »Also, bis später.« »Okay. Danke.« Sie duschte, zog einen Morgenrock an und lief in die Küche hinunter. Chris war schon auf und hatte Frühstück gemacht. Sie zog anerkennend die Brauen hoch; der Kaffee brodelte in der Glaskanne, auf der Warmhalteplatte stand ein Teller mit Rührei und knusprigem Speck. Es geschah in letzter Zeit immer häufiger, erinnerte sie sich. Meist dann, wenn sie ein ausgedehntes Diagnoseprogramm zu bewältigen hatte. Sie lächelte, goß sich Kaffee ein, griff sich den bereitgestellten Teller und ging, beides in den Händen 43
balancierend, zu Chris, der, seinen heißen Kakao schlürfend, am Tisch saß und auf einem Mini-PAD irgendein Spiel spielte. Sie setzte sich. »Morgen, Schatz«
»Morgen, Mom.« »Du wirst dir noch die Augen verderben, Junge.« »Mom...!« murmelte Chris und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Ist ja gut. Ich höre schon auf.« »Übrigens, Mom«, es klang beiläufig. »Du sollst dich mal in der Schule sehen lassen.« O, oh! Das klang nicht gut. Aber sie beschloß, positiv zu denken. »Wer sagt das?« »Hmm... Mister Allender. Er möchte dich sprechen.« Mister Poe Allender war Chris' Schulleiter. »Nanu?« Sie tat erstaunt. »Was ist den los? Was ausgefressen?« »Öhh, eigentlich nicht...«, druckste Chris. »Ja oder nein?« Kimberly beharrte auf diesen Alternativen; sie kannte schließlich ihren Sohn. »Vielleicht. Vermutlich... ja.« »Eine ernste Sache?« »Nö...« »Dann sage ihm, sobald ich Zeit habe, komme ich vorbei.« Chris strahlte. »Fein, Mom. Heute?« »Nein. Ich glaube nicht...« Sie zögerte. »Ich habe die Kondensatoren draußen über der Farm von Pea-dras zu überprüfen. Es wird Mittag werden, bis ich damit fertig bin. Ein anderes Mal vielleicht.« Er stand auf. »Vielleicht. Du arbeitest zu viel, Mom.« Es klang nicht vorwurfsvoll. Es war einfach eine Feststellung. Eine, die allerdings zutraf. Sie beschloß, nicht darauf einzugehen. »Mußt du schon gehen, Schatz?« Er trank seine Tasse leer. »Der Schweber kommt jeden Moment. Ich will nicht, daß er auf mich warten muß.« Und weg war er. 44
Erst da merkte sie, daß sie vollkommen vergessen hatte, ihn über seinen Traum auszufragen, wie sie es sich eigentlich vorgenommen hatte. Aber jetzt war es zu spät, sie mußte dieses Vorhaben auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Vielleicht wenn er aus der Schule kam. Das lenkte ihre Gedanken unweigerlich wieder auf den Schulleiter. Ein Eiferer. Ein Mann, mit dem sie nicht zurechtkam, mit dem viele in Frontier Junction nicht zurechtkamen. Nur hatten die nicht das Problem, das sie hatte. Ihre Eingeweide zogen sich zusammen. Poe Allender! Er möchte dich sprechen... Würde er wieder davon anfangen, daß ihr Sohn nichts in der Schule verloren hatte? Daß sein Anderssein in der kleinen, überschaubaren Gemeinschaft dieses Außenpostens der Menschheit nur Unruhe und Mißtrauen, ja sogar Feindschaft erzeugte und er, wenn man es bei Licht betrachtete, eigentlich nirgends was verloren hatte? Außer vielleicht auf einem Planeten oder Mond oder tief unter der Erde unter seinesgleichen. Ihre Hände hatten sich um die Tasse gekrampft, daß es weh tat. Sie mußte sich zwingen, den Druck ihrer Finger zu lösen, ehe das Material zersprang. Nein, sie würde nicht zulassen, daß man ihm weh tat, ihrem Jungen. Nie mehr. Und niemand. Nicht umsonst hatte sie besondere Aufmerksamkeit und Mühe auf seine Erziehung gelegt. Und nur sie. Zak hatte sich ja beizeiten aus der Verantwortung gestohlen. Hatte ihr die Bürde überlassen. Hatte das Feld kampflos geräumt. Sich davongeschlichen wie ein Dieb in der Nacht. Zacharias »Zak« Houska... Dieser Hundesohn. »Ich - ich kann nicht mit dem Gedanken leben«, hatte er ihr auf der Shuttlerampe an dem Tag, als er sich davonstahl, eröffnet »ein Monster gezeugt zu haben. Außerdem - wer sagt mir, daß ich der Vater bin? In meiner Familie hat es nie - nie Abnormitäten gegeben. ..« Er sagte das Wort wie etwas widerlich Unanständiges.
Für Sekundenbruchteile war sie erstarrt. Dann hatte sie ihre ganze Wut, ihren Schmerz über seinen Verrat und seine ungeheuerliche Unterstellung in den Schlag gelegt, der seine Augenbraue 45
aufbrechen ließ wie eine rote Blüte. Zak hatte sie nur angesehen. Sekundenlang. Während ein dünner Blutfaden in seinem Dreitagebart versik-kerte. Dann hatte er die Schultern gezuckt und war die Rampe hochgelaufen, um für immer aus ihrem und dem Leben von Chris zu verschwinden... Damals hatte sie nur Zorn und brennende Wut empfunden, sobald sie an ihn dachte. Dann war davon nur noch Geringschätzung übriggeblieben. Heute war die Erinnerung an ihn verblaßt wie eine alte Tapete in einem längst nicht mehr bewohnten Haus. Und sie hatte sich eines geschworen: nie wieder ihr Herz so sehr an einen Menschen zu hängen wie an Chris' Vater. Nie mehr. Eine Abnormität hatte Zak ihrer beider Sohn genannt. Was für ein dummes Zeug! Chris war eines der schönsten Babys, das je das Licht der Erde erblickt hatte. Natürlich war sie während der letzten Wochen der Schwangerschaft in Sorge über mögliche Komplikationen bei der Geburt wie jede junge Mutter, die ihr erstes Kind erwartete. Der Doc im Childrens' Health Center von World-City beruhigte sie, es würde keine Probleme geben. Und tatsächlich hatte Kimberly eine leichte Geburt und brachte am 11. Januar 2043 einen gesunden Jungen zur Welt. Bei den Routineuntersuchungen wurden keinerlei Auffälligkeiten festgestellt - bis auf eine gesteigerte Hirnstromaktivität, die in diesem zarten Alter ungewöhnlich war. Aber das würde sich geben, hatte der Arzt versichert, sobald der Junge einige Wochen alt sei. Offenbar hatte es unmittelbar vor der Geburt eine gewisse Reizüberflutung für den Fötus gegeben. Zak und Kimberly konnten sich zuerst nicht auf einen Namen einigen, entschieden sich aber dann für Christopher. Nach Christopher da Nev, einen von Kimberlys fernen Vorfahren, der mit Vasco da Gama auf dessen berühmter Expedition den Seeweg nach Indien erkunden half... Das Vipho riß sie aus ihren Gedanken. Sie meldete sich. 46 Greg Zarn war in der Leitung. »Ich fahre jetzt los«, ließ er sie wissen. »In Ordnung.« Kimberly stellte das Geschirr in den Spüler und ging in ihr Zimmer, um sich anzuziehen. Sie sah in den Spiegel, musterte aufmerksam ihr kurzes, rotes Haar, das immer etwas unfrisiert wirkte, egal was sie damit anstellte, und die kaum sichtbaren Sommersprossen in ihrem schmalen, frischen Gesicht. Sie beugte sich näher zum Spiegel und betrachtete prüfend ihre Haut. Nein. Da waren noch keine Falten zu erkennen. Tatsächlich war Kimberly Nev attraktiv, langbeinig, hellhäutig wie alle Rothaarigen und besaß weich schimmernde Augen in einem leichten Grünton. Sie kniff die Augen zusammen und grinste albern. Dann streckte sie sich die Zunge heraus, seufzte - Gott, was für elegische Anwandlungen für eine erwachsene Frau und Wissenschaftlerin -und beeilte sich mit ihrer Garderobe. Sie ging nach unten, griff sich ihren Arbeitskoffer und trat genau in dem Moment auf die Straße hinaus, als der wuchtige Schweber des hydrologischen Amtes um die Ecke bog und in einer Staubwolke vor ihr zum Stehen kam. Zarn grinste sie aus dem Fahrzeug heraus an. Ein fünfundfünf-zigjähriger, vierschrötiger Baum von einem Kerl. Muskulös, glitzernde Augen, steile Nase und Glatze. Seine Hände sahen aus, als könne er damit den Boden von Xing ohne irgendwelche Hilfsmittel umgraben. Ein verläßlicher Mann, den wenig aus der Ruhe brachte. Sie arbeitete gern mit
ihm. »Ah, guten Morgen, Doktor!« »Morgen, Greg.« Sie ließ sich in den Sitz fallen. »Schon was von Clive gehört?« »Negativ.« »Was könnte da passiert sein?« »Weiß nicht.« Er zuckte mit den Schultern, während er den Schweber startete und über die Hauptstraße Frontier Junctions steuerte. »Die letzte bekannte Position«, überlegte Kimberly laut, »war die Pflanzung auf der Hochebene jenseits von Haywires Farm. Wohin könnte er sich gewandt haben? Und warum meldet er sich nicht?« Ist eigentlich nicht seine Art, dachte sie. Clive Lister war einer der wenigen Männer in Frontier Junction, mit denen Kim näheren Kontakt pflegte. Einerseits war er ein begnadeter Erzähler von Bonmots und kleinen Geschichten, deren Wahrheitsgehalt nicht immer nachzuprüfen war, andererseits schätzte er ihr Wissen als Xenobiologin. Sie machte sich Sorgen, ohne zu wissen, ob dazu Anlaß bestand. Der gleiche Morgen - etwas früher Die Sonne stand hier im Norden des Planeten bereits mehrere Handbreit über dem Horizont. Der Wind verlor die Kühle der Nacht. Schweigend stand Scott Haywire vor dem Pflugdozer und erledigte die letzten Handgriffe. Heute waren die Felder an der östlichen Seite des Areals mit dem Pflügen dran. Es war höchste Zeit dafür. Und ausgerechnet heute war sein Farmhelfer Terry Gustavson nirgends zu finden. Eigentlich hatten sie vorgehabt, mit zwei Pflugdozern gemeinsam ans Werk zu gehen, um die Arbeit noch vor dem Abend unter Dach und Fach zu bringen. Wie es aussah, mußte er morgen noch einmal dort hinaus. Es wurde eng, verdammt eng. Soviel sah er schon jetzt. War das Land nicht vorbereitet, konnten die TerraformingTeams die Bäume nicht setzten. Das bedeutete, daß die Explorer in den Hangars bleiben mußten, daß Männer tatenlos herumsaßen und der vorgesehene Zeitrahmen aus den Fugen geriet... Er fluchte laut und erbittert und langanhaltend. Sein Frau Greta kam aus dem langgestreckten, niedrigen Lagerschuppen neben dem Haupthaus mit der umlaufenden Veranda. »Und?« fragte er. Sie schüttelte den Kopf; die noch tiefstehende Morgensonne ließ sie die Augen zusammenkneifen. 48 »Keine Spur von ihm. Ich kann ihn nirgends finden. Sein Zimmer ist leer, das Bett sieht aus, als habe er eine Weile darin geschlafen. Dann muß er aufgestanden sein. Seine Arbeitskleider sind verschwunden. Aber wohin er gegangen sein könnte...« Sie schüttelte erneut den Kopf. »Und du? Hast du eine Spur? Fehlt eine Maschine?« »Wenn er die Farm verlassen hat«, erwiderte er zornig, »hat er es zu Fuß gemacht.« »Das ist doch sonst gar nicht seine Art«, meinte sie, »zu verschwinden, ohne einen Ton zu sagen.« Sie kam langsam über den Hof auf ihn zu. Er zuckte die Schultern und schwang sich in den Sitz des Do-zers. »Art hin, Art her«, grollte er. »Wenn ich ihn in die Finger kriege, wird er sich einiges anhören müssen. Aber jetzt muß ich los, sonst brummen die uns noch eine Konventionalstrafe auf. Und du weißt, was das heißt, Frau!« Der Farmer startete die Maschine mit einem wilden Ruck; der A-Grav hob den Dozer auf eine Höhe von etwa fünfzig Zentimetern an; noch war der Raupenantrieb seitlich hochgeklappt. Das angehängte vielscharige Pflugsystem begann zu klirren. Haywire umklammerte den wuchtigen Steuerhebel. Er wollte das Gerät gerade in Bewegung
setzen, als Greta ihm ans Bein klopfte. »Was denn noch?« Sie hob den kleinen Container. »Dein Mittagessen...« Scott dankte ihr mit einem knappen Nicken, deponierte den Container hinter seinem Sitz und lenkte das Gefährt über den Rasenstreifen zu einem Durchgang im Zaun, der den Hof von den angrenzenden Feldern trennte. Die Farm blieb hinter ihm zurück. Er beschleunigte bis zur maximalen Geschwindigkeit des Pflugdozers. Der Fahrtwind zerrte an seinen Haaren und kühlte ein wenig sein sonnenverbranntes Gesicht. Eine halbe Stunde später hatte er die Grenze des Areals erreicht, das er für die Pflanzung der Bäume vorbereiten sollte. Er ließ den Raupenantrieb herunterklappen, schaltete den A-Grav aus und drehte den riesigen, hochkant stehenden Pflug in die Waagerechte, 49 um schließlich den ganzen Mechanismus abzusenken. Über die Suprasensorik stellte er die Tiefe ein, bis zu der die scharfen Messer den Boden umpflügen sollten. Dann begann er damit, seine Runden zu drehen, Bahn um Bahn zu ziehen. Die Größe des Pfluges gab dabei die Breite vor: fast zehn Meter. Wenngleich er noch immer ungehalten darüber war, daß sich Gustavson scheinbar still und heimlich aus dem Staub gemacht hatte - wahrscheinlich wollte er sein Glück in der Mine versuchen, die wesentlich mehr an Lohn zahlte, als er es konnte - so spürte er doch, wie sein Ärger langsam verrauchte. Er holte tief Luft und füllte seinen Lungen mit dem erdigen Duft frisch gepflügten Bodens. Obwohl er seine Jugend auf der Erde verbracht hatte, empfand er die Wiege der Menschheit längst nicht mehr als sein Zuhause. Jetzt war Xing seine und Gretas Heimat. Wenn er sich doch mal Gedanken über die Erde machte, hatte er nur die Erinnerung an überfüllte, riesige Städte, in denen die Menschen dichtgedrängt und weitgehendst ohne Natur lebten. Hinter dem Dozer türmten sich die Schollen zu endlosen Zeilen. Das Land war, nach xingschen Verhältnissen einigermaßen fruchtbar. Die meisten Nutzpflanzen und Bäume, die hier wuchsen, waren einmal als Saatgut mit dem ersten Kolonistenschiff von der Erde gekommen und hatten nach einer Phase der Anpassung keine Schwierigkeiten auf ihrer neuen Heimatwelt. Scott Hay wire hielt den Steuerknopf locker in der rechten Hand, die linke lag auf seinem Oberschenkel, während er automatisch nach Hindernissen im Boden vor ihm Ausschau hielt, die den Messern des Pfluges gefährlich werden konnten. Für derartige Fälle hatte er einen schweren Zweihandblaster in der Halterung neben seinem Sitz, mit dem er alles, was zu groß war, um vom Pflug bewältigt zu werden, zerkleinern konnte. Das Areal, das er pflügte, lag am nordöstlichen Rand seiner 4.000 Morgen großen Farm. Es war leicht geneigt und lag inmitten sanfter Erhebungen. Ein ausgetrocknetes Bachbett schlängelte sich an seinem Rand entlang. Wenn er den Blick hob, konnte er weit entfernt im Glast der 50 Sonne den langgestreckten, niedrigen Zackenkamm der Klippenbarriere erkennen, hinter der der trockenste Teil dieses Gebietes begann. Die Barriere-Wüste. Der Gedanke an die Unwirtlichkeit dieses Landstrichs brachte die Erinnerung an ein Phänomen zurück, das er und Greta vor wenigen Tagen zu sehen geglaubt hatten. Irgendwas schien aus dem Himmel gekommen und in die Wüste gestürzt zu sein. Aber genausogut konnten sie sich getäuscht haben; das blendende Licht der Sonne spielte einem manchmal Streiche. Scott konzentrierte sich wieder aufs Pflügen und ließ seine Blicke schweifen. Ein paar Minuten später sah er den Gegenstand etwa vierzig Schritte zu seiner Linken auftauchen. Eine freiliegende knotige Baumwurzel? Aber er hatte noch nie eine derart große Baumwurzel hier gefunden. Ganz abgesehen davon, daß dieses Areal bislang keine höheren Gewächse als Speergras hervorgebracht hatte. Seine Neugier war geweckt. Er hielt den
Pflugdozer an, ließ den Antrieb aber weiterlaufen. Er stieg herunter und streckte sich. Es knackte vernehmlich, als sich sein krummer Rücken wieder aufrichtete. Dann stapfte er auf den Gegenstand zu. Keine zwei Dutzend Schritte später hörte er die Sandfliegen. Ein Kadaver? Dann fiel ihm ein, daß Xing keine Fauna im herkömmlichen Sinne besaß. Ob sich eines der kleinen Rinder hierher verirrt hatte? Wenn, dann mußte es von einer der anderen Farmen stammen. Er hatte heute morgen bei der Fütterung seiner eigenen Tiere keines vermißt. Er runzelte die Brauen, blieb aber nicht stehen. Schließlich stand er vor dem Gegenstand. »O Gott«, keuchte er und spürte, wie sein Magen rebellierte. Es war keine Baumwurzel. Auch kein Tierkadaver... Scott Haywire wandte sich ab und beugte sich würgend vornüber. Die schwieligen Hände auf die Knie gestützt, übergab er sich geräuschvoll, während sich das Bild des gehäuteten Körpers von Terry Gustavson für immer in sein Gedächtnis einbrannte. 51
5. Frontier Junction, noch immer der gleiche Morgen Als der Schweber an der Schule vorbeikam, gab Kim einem plötzlichen Impuls nach und ließ Zarn anhalten. Sie konnte es gleich erledigen. Je früher sie das Gespräch mit Allender hinter sich brachte, um so besser war es für ihr Seelenheil. »Warten Sie hier, Greg«, sagte sie kampfeslustig. »Ich bin schnell wieder zurück, denke ich.« Als sie das Gebäude betrat, spürte sie Zarns erstaunte Blicke. Anscheinend fragte er sich, was in seine Chefin gefahren sein mochte, die sich am frühen Morgen bereits den Sermon eines Schulleiters anhören wollte. Sie grinste in sich hinein. Das Lächeln auf ihrem Gesicht verschwand, als sie gleich darauf Poe Allender in seinem Büro gegenüberstand. Er bot ihr zwar an, Platz zu nehmen, aber sie verzichtete. »Ich vermute, Chris hat wieder mal nicht Ihren Vorstellungen entsprechend reagiert?« begann sie ohne Umschweife nach der frostigen Begrüßung. »Wenn Sie damit meinen, daß er sich unbotmäßig verhält, ja.« Unbotmäßig! Auch so ein Ausdruck, den niemand auf Xing verwendete - außer Poe Allender natürlich. Er hatte noch mehr solcher Bezeichnungen für Dinge, die sein Mißfallen über seine Schüler bekundeten. Oder über den Magistrat. Oder über das Leben allgemein. »Hören Sie«, sagte Kimberly und bemühte sich, einen versöhnlichen Ton in ihrer Stimme mitschwingen zu lassen, »ich bin eine hart arbeitende Frau. Kürzen wir das Ganze doch ab: Was hat er denn angestellt?« »Das kommt mir entgegen. Neuerdings gefällt er sich als Spaßvogel.« Er zog eine hämische Miene. »Na, das ist doch mal was Erfreuliches, finden Sie nicht? Ich 52 fürchtete schon, es wäre etwas Ernsthaftes. Doch wenn das alles ist...« Sie machte auf dem Absatz kehrt, um den Raum zu verlassen. »Warten Sie, Frau...« »Doktor Nev.« Sie drehte sich wieder um. »Es heißt: Doktor Nev. Soviel Zeit muß sein.« Seine Miene war säuerlicher als eine Schiffsladung Zitronen. »Wenn ich > Spaßvogel < sagte, meinte ich es nicht im heiteren Sinne. Ihr Junge bringt das ganze Gefüge der Klasse durcheinander.« »Inwiefern?« »Er nimmt nicht mehr am Unterricht teil.« »Vermutlich können Sie ihm nichts mehr beibringen«, schlug sie zurück und registrierte mit
innerlicher Schadenfreude, wie er blaß wurde. Aha, da ist der Gute empfindlich, dachte sie, um laut fortzufahren: » Das ist nun mal eine Tatsache. Daß er sich da in Ihrer Schule langweilt, ist nicht verwunderlich.« Ihre Stimme hob sich langsam. »Papperlapapp«, zischte er. »Wollen Sie mir ernsthaft einreden, Dir Sohn sei ein Genie?« »Vielleicht ist er es, vielleicht nicht. Aber das ist nicht Gegenstand unserer Auseinandersetzungen. Nicht wahr? Vielleicht bemühen Sie sich einmal darum, ihn als das zu akzeptieren, was er ist, und ihn nicht weiterhin in aller Öffentlichkeit zu diskriminieren.« »Ich fürchte, das kann ich nicht. Ihr Sprößling ist ein Monstrum. .. und das wissen Sie, Doktor Nev.« Das tat weh, und der Hurensohn von Schulleiter wußte das auch, dem fuchsigen Grinsen nach zu urteilen, das sein teigiges Gesicht nicht menschlicher machte. Sie trat auf ihn zu, so nahe, daß er zurückwich, bis ihm der Schreibtisch hinter seinem Rücken Einhalt gebot. Schweiß stand auf seiner Stirn, lief herunter und sammelte sich in seinen Augenhöhlen; er zwinkerte die Tropfen fort. »Er-ist-kein-Monstrum«, sagte sie, jedes Wort scharf betonend. »Er hat nur gewisse telekinetische Fähigkeiten. Was ist eigentlich los mit Ihnen?« »Gar nichts. Ich mag bloß keine kleinen Mutanten, die sich in Szene setzen und vor den Augen der Mitschüler mit Tischen und Bänken in der Luft jonglieren. Gott weiß, was er noch alles kann! Ist er nicht längst eine Gefahr für unser Gemeinwesen? Von meinem Standpunkt aus betrachtet eine völlig rationales Frage.« »Sie Bastard!» murmelte Kimberly halblaut, und eine Zornesader begann auf ihrer Stirn zu pochen. »Sie verdammter, egomanischer Bastard!« »Kümmern Sie sich lieber um Ihren Bastard«, antwortete Poe Allender. »Ich werde jedenfalls im Magistrat beantragen, daß Christopher von der Schule verwiesen wird.« »Sie überschreiten Ihre Kompetenzen« sagte Kim. »Na und?« Er starrte sie herausfordernd an. Sie blickte wütend zurück. Unschlüssig, ob sie ihm zwischen die Beine treten oder die Faust in den Magen rammen sollte. Doch dann machte sie eine wegwerfende Handbewegung, legte ihre ganze Verachtung in diese Geste. »Wissen Sie was, Allender? Sie haben gewonnen. Ich veranlasse, daß Chris nicht mehr am Unterricht teilnehmen muß. Er wird statt dessen am Fernunterricht teilnehmen wie die Farmerkinder.« Sie drehte sich brüsk um und ging, ehe sie ihn wirklich mit irgendeinem Gegenstand niederschlug. Lust dazu verspürte sie schon. Mit zorngerötetem Gesicht bestieg sie den Schweber, warf die Tür zu, fuhr die Scheibe hoch und lehnte sich in den abgewetzten Sitz zurück. Ihren Chris einen Bastard zu nennen! Das tat weh. Fast so weh, wie damals Zaks Bemerkung, daß er ein Monster sei. Nein, Chris war alles andere als ein Monstrum. Ein Mutant, ja, das schon eher. Zumindest hatte er einige Fähigkeiten, über die >normale< Kinder nicht verfügten. Auch Erwachsene übrigens nicht, wie ihr der Spezialist der neurologischen Fakultät an der Childrens' Health Clinic in World-City versichert hatte, und sie hatte mit Erstaunen registriert, daß er das zu bedauern schien. Monstrum... 54
Wieder strömten die Erinnerungen auf sie ein. Gewaltsam. Schmerzhaft. Seltsam klar. Eine betraf die Zeit nach Chris' Geburt. In den ersten Wochen, als ihr kleiner Liebling auf der Welt war, war noch nichts von seinem >Anderssein< zu merken gewesen. Auch während der nächsten Lebensmonate zappelte und strampelte er wie jedes andere Baby und krähte vor Entzücken, wenn er seine Mutter oder
seinen Vater sah. So vergingen die ersten zwei Jahre. Dann jedoch trat eine Veränderung in seinem Verhalten ein, die sie zunächst gar nicht erkannte. Eines Nachts aber hörte sie aus seinem Zimmer ein Glucksen und Lachen und leises Krähen. Laute, die er immer dann produzierte, wenn er rundum zufrieden und glücklich war. Ob er träumte? Neugierig öffnete sie die Tür einen Spalt, spitzte ins Zimmer -und erstarrte wie vom Schlag gerührt. Chris' Kinderzimmer war von einem unirdischen Licht erfüllt, dessen Quelle sie nicht lokalisieren konnte. In diesem Licht drehte sich über seinem Bettchen ein bunter Reigen aus all seinen Spielsachen wie ein mikroskopisch kleines Planetensystem in der Luft, mit dem großen gelb getupften Ball im Mittelpunkt als Sonne. Und Chris lag darunter und quäkte vergnügt. Seine kleinen Händen fuhrwerkten durch die Luft, und ohne daß er irgend etwas berührte, änderten die Spielsachen ihren Lauf analog zu seinen Bewegungen... »Seine physische Entwicklung ist völlig normal und entspricht seinem Alter«, sagte die Ärztin, die Kim ganz aufgelöst und von Ängsten geplagt aufsuchte und der sie die Symptome schilderte. »Aber lassen Sie ihn doch vierundzwanzig Stunden in unserer Obhut, Doktor Nev«, bat sie sie, »wir werden ihn gründlich untersuchen.« Aus den vierundzwanzig wurden sechsundneunzig Stunden. Schließlich stand sie vor einem Gremium ernst dreinblickender Männer und Frauen; Chris hing an ihrem Rock und war zufrieden, seine Mom wiederzuhaben. »Was haben Sie festgestellt?« wollte Kimberly wissen. Der leitende Neurologe legte die Stirn in Falten. »Tja, physisch fehlt Ihrem Sohn nichts«, sagte er zögerlich. Kimberly Nev runzelte die Stirn. »Aber...?« »Aber im psychischen Bereich entwickelt er sich zu einem PSI... einem Mutanten.« Er schwieg einen Moment, um ihr Gelegenheit zu geben, das eben gesagte zu verarbeiten. Dann fuhr er fort: »Wir haben noch nicht alle seine Fähigkeiten eruieren können...«, er sagte wirklich >eruieren<, weil er der Meinung war, ein Wissenschaftler müsse sich so ausdrücken, »dafür ist es viel zu früh. Aber es stellt sich für uns so dar, daß er vor allem ein Teleki-net ist. Das bedeutet...« »Ich weiß, was das bedeutet!« sagte sie scharf und sah auf dem Gesicht des einen Wissenschaftlers den gleichen Ausdruck, den sie später bei Poe Allender immer wieder sehen sollte. Und dieser Ausdruck mißfiel ihr schon damals. »O Gott!« sagte sie und sank nun doch auf einen Stuhl. »Nur keine Aufregung, Mrs. Nev«, versuchte der Psychiater sie zu beruhigen. »Wie ich sehe, haben Sie genau wie der größte Teil der Allgemeinheit eine Vorstellung von Mutanten, die übertrieben ist und weitgehend auf Ammenmärchen beruht...« »Unsinn!« sagte sie scharf. »Ich versuche mir nur vorzustellen, was das für das weitere Leben meines Sohnes bedeuten wird.« »Nun, noch sind seine Fähigkeiten schwach, Frau Kollegin, aber das könnte sich dramatisch ändern, sobald er heranwächst. Deshalb schlage ich vor, daß Sie ihn zur weiteren Beobachtung nach Tycho City in die Spezialklinik bringen. In den dortigen Ausbildungslabors wäre er nicht allein, und...« »Niemals!« lehnte sie scharf ab. »Vielleicht wird er Sie später einmal dafür hassen«, warf die Psychologin ein. »Vielleicht, aber bis dahin werde ich ihm all die Liebe und Zuneigung geben, zu der ich fähig bin, und die ein Kind nun mal braucht.« »Es ist Ihre Entscheidung, Doktor Nev«, sagte der Teamleiter. »Ich hoffe für Sie, daß sie sich als richtig erweist...« 56
Obwohl Jahre seit jenen Ereignissen vergangen waren, hatte sie noch immer nicht herausgefunden, ob ihre damalige Entscheidung, Chris nicht in die Obhut des Forschungszentrums für Mutationen in Tycho City zu geben, falsch oder richtig gewesen war. Sie wußte nur, daß ihr Entschluß ihre Beziehung zu Zak zerstört und sie letztendlich nach Xing gebracht hatte. Denn um all dem Unerfreulichen zu entfliehen, hatte sie den Job als Hydrologin auf diesem Außenposten der Junction Minengesellschaft angenommen, der ihr vom Kolonisationsamt angeboten worden war. Kimberly blieb den ganzen Weg von der Stadt bis hoch zur Pea-dras-Farm stumm und in sich gekehrt. Zarn war klug genug, sie nicht zu stören; wortlos flog er den Schweber bis zur Station mit den darunterliegenden Zisternen. Wenn ihr danach zumute war, würde sie von alleine zu reden anfangen. Das tat sie immer. Warum sollte es diesmal anders sein? Schließlich stoppte er den Schweber vor der Reihe hoch aufragender Kondensatoren, die auf einer leichten Anhöhe über der Farm der Peadras standen. Es war nicht so, als sei Xing ein wasserloser Planeten. Die Welt hatte flache Binnenmeere, und auch auf den großen Süd- und Nordkontinenten fanden sich ausgedehnte Seen. Doch das meiste offene Wasser war stark salzhaltig. Süßwasser von guter Qualität fand man erst in einer bestimmten Tiefe. Wenn man Glück hatte, quoll es von allein aus artesischen Quellen und mußte nur gefaßt und verteilt werden. Aber diese Glücksfälle waren an den Fingern einer Hand abzuzählen. In der Umgebung von Frontier Junction flössen nur ein paar spärliche Rinnsale, die der Stadt und der Erzmine vorbehalten blieben. Für die wenigen umliegenden Farmen mußte das nötige Wasser mit Hilfe der Kondensatoren aus der Atmosphäre geholt werden. Die starken Temperaturunterschiede zwischen Nacht und Tag erzeugten genügend Feuchtigkeit in der Luft, die sich im Gebiet der Kondensatoren zu Wolken verdichtete, die innerhalb eines Umkreises von mehreren Kilometern abregneten. Was der Boden nicht aufnahm, sammelte sich in Zisternen, um bei Bedarf den 57 Farmen zur Verfügung zu stehen. Während Zarn mit den vier Männern des bereits anwesenden Teams die Abflüsse und das Pumpwerk der zu den Zisternen führenden Leitungen überprüfte und Fehler ausbesserte, checkte Kimberly Nev die Suprasensorik der Erregerspulen. Darüber wurde es Mittag. Sie machten Pause. Kim hockte im Schweber, hatte den Sitz nach hinten gekippt und die Füße gegen die Armaturenkonsole gestemmt. In Gedanken ging sie noch einmal sämtliche Arbeitsschritte durch, um sicher zu gehen, daß sie nichts vergessen hatte, als das Funkgerät anschlug. Kim warf einen überraschten Blick darauf. Schließlich zuckte sie die Schultern und schaltete das Mikrophon ein. »Doktor Nev hier. Wer spricht? Bitte kommen!« »Hier Yanni Zurikov.« Was Yanni wohl von ihr wollte? Ohne triftigen Grund würde sie sie kaum anfunken. »Hi, Yanni», sagte sie. »Etwas Wichtiges?« »Kann man wohl sagen«, kam ihre Stimme über den Lautsprecher. Yanni Zurikov war die zuständige Medizinerin für die Farmer und Terraforming-Teams; früher hätte man ihre Tätigkeit mit der eines Landarztes umschrieben. »Was gibt es?« Undeutlich vernahm sie eine schnell geführte Unterhaltung am anderen Ende der Funkverbindung, dann gewann Yannis helle Stimme wieder die Oberhand.
»Ich bin hier auf der Haywire-Farm.« Kimberly kannte den Namen. Scott Hay wires Farm lag von allen Farmen - es waren nur wenige auf diesem Kontinent - am weitesten nördlich. »Ja, und?« »Ich bin zu einem Todesfall gerufen worden.« Kim runzelte die Stirn. »Unfall?« Doc Zurikovs Stimme hatte einen merkwürdigen Beiklang. »Ja und nein«, antwortete sie. »Jedenfalls sieht es ziemlich scheußlich aus.« »Kommen Sie, Yanni«, sagte Kim ohne übermäßig viel Begei58 sterung. »Ich bin nur bedingt Humanmedizinerin, wie Sie wissen. Wie könnte ich Ihnen eine Hilfe sein?« »Darum geht es doch nicht. Ich brauche Sie als Xenobiologin. Ich habe hier etwas gefunden, was Sie sich unbedingt ansehen sollten. So etwas ist mir noch nie untergekommen.« Kim überschlug im Geist die Entfernung bis zu Haywires Farm - sie lag fast dreihundert Kilometer von ihrem jetzigen Standort entfernt. Mit dem Schweber würde es fast eineinhalb Stunden dauern. Große Lust verspürte sie nicht. Es würde Arbeit liegenbleiben, und sie würde spät nach Hause kommen. Andererseits klang in der Stimme Yannis eine unterschwellige Sorge und auch eine gewisse Unsicherheit mit. »Okay«, entschied sie. »Ich denke, ich kann es einrichten. Warten Sie auf mich.« »Danke. Wir sehen uns.« Kim kappte die Verbindung und kaute überlegend auf ihrer Unterlippe. Schließlich winkte sie Zarn heran. »Wie weit seid ihr mit den Ventilen der Zisternenpumpen?« »Fertig, Doktor Nev.« Er ließ es sich nicht nehmen, sie so zu nennen, obwohl sie ihn schon mehrfach darum gebeten hatte, sie doch mit Kim anzureden. »Warum?« Sie unterrichtete ihn über den Inhalt des Funkspruchs. »Ich fliege Sie«, gab er zu verstehen. »Die Jungs sind allein hergekommen, sie finden auch allein wieder zurück.« Sie nickte nur. Sie hatte nichts anderes erwartet. Wenn alles im Leben so verläßlich wäre wie Greg Zarn, dachte sie, um wieviel leichter wäre dann so manches. Sie erreichten die Haywire-Farm nach knapp neunzig Minuten Flug. Yanni Zurikov hatte das Funkgerät ihres Schwebers auf passive Aktivierung geschaltet; Zarn hatte keine Mühe, das Signal über den Bordcomputer anzupeilen. Auf dem freien Feld konnte Kim bei der Landung zwei Gestalten erblicken, daneben etwas Unförmiges unter einer metallisch glänzenden Folie. »Hier herüber!« winkte die Ärztin. Während Zarn beim Schweber blieb, stapfte Kim auf die Gruppe zu. Yanni Zurikov war trotz einiger Schwachstellen, die nur eine Frau an einer anderen erkannte, bemerkenswert hübsch. Nicht groß, aber doch groß genug, um noch als schlank zu gelten. Die Kombination spannte sich wie eine zweite Haut um ihren Körper, und sie trug das blonde Haar schulterlang. Ihr Händedruck war kraftvoll. Hay wire war ein wuchtiger Mann mit schütterem Haar, der sich bedächtig bewegte und ebenso sprach. Kim schüttelte auch ihm die Hand. Dann wandte sie sich an die Ärztin. »Was ist also ungewöhnlich, daß ich es mir als Xenobiologin unbedingt ansehen sollte?« »Erst die Leiche.« Yanni schlug die Folie zurück. »Beim Tenhauser Tor!«, stieß Kim hervor und hielt sich die Nase zu, als der heiße,
kupferne Gestank geronnen Blutes sie erreichte. »Da hat jemand ganze Arbeit geleistet.« Der Tote lag vollkommen verdreht auf dem Boden, in einer Haltung, die verriet, daß jeder einzelne Knochen in ihm vielfach gebrochen und sämtliche Sehnen und Muskeln zerrissen sein mußten. Seine Kleidung umgab ihn wie ein Knäuel faseriger Streifen. Nur seine Stiefel waren noch intakt. Ein obszöner Anblick, wie Kim fand. Der Leichnam war regelrecht gehäutet worden, so als habe man einem Tier das Fell abgezogen. Am übelsten war jedoch sein Kopf zugerichtet; jemand hatte ihm das Fleisch mit roher Gewalt vom Gesicht geschält. Kim wurde von einem Totenschädel angegrinst, an dem nur noch Reste von Sehnen und Muskeln hingen. »Wer ist der Tote?« murmelte sie mit blassen Lippen. »Terry Gustavson, mein Farmhelfer«, antwortete Haywire dumpf. »Woher wissen Sie, daß es sich um Ihren Angestellten handelt?« »Die... die... die Stiefel. Ich war dabei, als er sie in Frontier kaufte. - Wer bringt so etwas fertig?« brach es plötzlich aus ihm 60 heraus. »Sagen Sie es uns!« forderte Kim ihn auf. »Muß ein Wahnsinniger gewesen sein.« »Hatte er Feinde?« »Keiner von uns Farmern hat auf Xing Feinde, außer dem Planeten selbst vielleicht«, bemerkte Haywire. »Womit wir beim Thema wären«, ließ sich die Ärztin vernehmen und winkte Kim, ihr zu folgen. Ein halbes Dutzend Schritte weiter erreichten sie eine Stelle, an der eindeutig ein Kampf stattgefunden hatte. Der Boden war von Fußabdrücken übersät, getränkt von Blut. Hier war Haywires Farmhelfer getötet und gehäutet worden. Schleifspuren waren zu erkennen und noch etwas anderes, das in Kim plötzlich alle Alarmklingeln schrillen ließ. Sie ging in die Hocke und legte die Hand in die Vertiefung, die ihre Aufmerksamkeit erregte hatte. »Man meint, den Abdruck einer riesigen Hand zu erkennen, oder?« fragte Yanni Zurikov. »Keine Hand«, widersprach Kimberly langsam und nachdenklich. »Es gibt keinen Daumen oder dessen Äquivalent, das in Opposition zu den anderen Gliedern steht. Ein Fuß. Was wir hier sehen, stellt einen Fußabdruck dar.« »Sie haben recht!« Einen Augenblick hörte man nur die Atemzüge der Frauen. Die fremden Abdrücke erfüllten Kimberly mit Unbehagen. Zunächst einmal lagen die einzelnen Abdrücke ziemlich weit auseinander. Dort, wo sich bei einem humanoiden Wesen der Fersenballen abzeichnen würde, befand sich eine Vertiefung, eine Kerbe. Eine noch tiefere Kerbe verursachte die Spitze des mittleren Fußgliedes. Schweiß lief ihr beißend in die Augen; was sie da vor sich sah, waren keine Fußabdrücke, sondern die Klauenspuren einer anthropoiden Kreatur von erheblicher Größe. Was es ist... Wozu es fähig ist... Was es tun kann... Waren das nicht vergangene Nacht Chris' Worte gewesen? Kim richtete sich wieder auf. 61 »Gibt es noch weitere Spuren?« fragte sie und kämpfte für Augenblicke gegen einen heftigen Anfall von hundsgemeiner Angst. Denn das Bild, das sich ihr aufdrängte, war das einer bislang nur schemenhaft vorstellbaren Kreatur, wie sie auf Xing nicht bekannt war. »Ich habe mich umgesehen. Ja, es gibt welche - in zwanzig Schritten Entfernung, dann in weiteren zwanzig Schritten wieder welche. So geht das etwa eine halben Kilometer weit, danach verlieren sie sich. Ich frage Sie, Kim, wer kann so große Schritte machen? Ein uns
unbekanntes Tier, dessen Vorhandensein die Explorer übersehen haben, als sie Xing erforschten und für die Kolonisation vorbereiteten?« Kim hob die Schultern und malträtierte ihre Unterlippe mit den Zähnen. Schließlich sagte sie: »Die Abdrücke besitzen mehr Ähnlichkeit mit denen eines Insekts. Vielleicht legt es diese Entfernungen ja fliegend zurück.« Yanni starrte sie an. Dann schüttelte sie, wie aus einem schlechten Traum erwachend, den Kopf. »Vielleicht spinnen wir ja auch nur alle ein bißchen«, meinte sie und lachte nervös. Kim nickte. »So wird's wohl sein«, murmelte sie wenig überzeugend. Sie kehrten zu Haywire und zur Leiche zurück. »Wann ist der Tod eingetreten, Yanni?« »Er ist seit mehreren Stunden tot«, antwortete die Medizinerin. »Aber geschehen ist es viel früher. Vermutlich um Mitternacht. Sein Todeskampf hat lange gedauert. Todesursache dürften einmal der Blutverlust und zum anderen der Schock gewesen sein, hervorgerufen durch die unsäglichen Schmerzen. Aber Einzelheiten erbringt erst die Obduktion. Ich nehme die Leiche mit in die Stadt. Der Pathologe wird sich freuen, mich schon wieder zu sehen« »Was?« Kim blickte entgeistert auf und machte eine heftige Gebärde. »Noch mehr?« fragte sie stockend. »Was geht hier vor?«' Die Medizinerin nickte, irritiert über Kimberly Nevs Reaktion. »Mit ihm«, sie deutete auf die Leiche, »sind es jetzt drei.« Kim schluckte und verstummte für einige Sekunden. »Und die anderen«, fragte sie dann leise, »waren genauso zugerichtet?« 62 »Mehr oder weniger, ja.« »Weiß man, um wen es sich handelt?« »Sie waren so übel zugerichtet wie Haywires Mitarbeiter. Es hat sie noch keiner identifiziert. Dr. Sykes ist dabei, ihre Identität anhand einer DNS-Überprüfung festzustellen. Er müßte eigentlich schon soweit sein...« »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mit Ihnen komme?«, fragte Kim, selbst überrascht von ihrem plötzlichen Entschluß. Sie winkte Greg Zarn herbei. »Natürlich nicht.« Mit Hilfe Zarns und Haywires deponierten sie die Leiche des Farmhelfers auf der Ladefläche des Schwebers, der an seinen Seiten das Emblem des medizinischen Dienstes trug. »Bringen Sie den Schweber zurück«, bat Kim ihren Vorarbeiter. »Und falls Sie Chris sehen, richten Sie ihm aus, ich würde mich melden, sobald ich in Frontier bin.« Yanni Zurikov schlug einen Kurs ein, der sie in gerader Linie nach Frontier Junction brachte. Sie erreichten die Niederlassung, als die Sonne sich anschickte, unterzugehen. Die Dämmerung dauerte nur wenige Minuten, dann war es dunkel. Die Beleuchtungen sprangen an und erhellte die Straßen mit ihrem kalkigen Licht. Reinigungsroboter schnurrten über Plätze und Treppen und befreiten Frontier Junction vom Staub des Tages. Das medizinische Institut befand sich gleich neben dem Verwaltungsgebäude der Stadt. Ungeduldig wartete Yanni Zurikov, bis der Schweber von der Automatik zu den im Tiefparterre befindlichen Räumen der kleinen Pathologie dirigiert wurde. Dann rief sie zwei Roboter herbei. Mit der Antigrav-Trage im Schlepptau suchten sie nach dem diensthabenden Mediziner. Sie fanden Dr. Sykes im Bereitschaftsraum, wo er Kaffee trank. Als er ihrer ansichtig wurde, runzelte er die Stirn. »Zu früh, Yanni«, sagte er. »Ich bin noch nicht...« Er verstummte und verschüttete etwas von seinem Kaffee, als er die Trage sah. »Ein weiteres Opfer?« »Sieht so aus«, erwiderte Yanni. »Wer ist es? Weiß man es schon?« »Terry Gustavson. Ein Angestellter der Haywire-Farm.« »Definitiv?« »So sicher, wie er tot ist.« Sykes warf einen kurzen Blick auf Kimberly Nev.
»Hallo, Doktor!« »Hallo. Wundern Sie sich nicht, daß ich dabei bin. Es geht mir eigentlich nur darum, die beiden anderen Opfer zu sehen.« »Wollen Sie sich das wirklich antun?« Sie nickte knapp. »Ein bestimmter Grund?« Den habe sie, bedeutete sie dem Arzt. Sykes stellte die Tasse ab und stand auf. »Na, dann wollen wir mal...« Er stieß die beiden Schwingtüren auf, hinter denen sie ein kleiner, kalter Raum erwartete. Die Temperatur sank um etliche Grade. Die beiden anderen Leichen lagen neben einem Obduktionstisch aus poliertem Metall in ihren Kühlwannen. Kimberly Nev hatte Autopsieräume zum letzten Mal anläßlich ihres Studiums der Xenobiologie an der Sorbonne von innen gesehen und war der Meinung, zu wissen, was sie erwartete. Aber der Geruch überwältigte sie nun doch. Sie räusperte sich und unterdrückte ein Würgen. Dr. Sykes sah sie mit hochgezogenen Brauen argwöhnisch an. »Wenn Sie kotzen müssen, bitte nicht hier drinnen«, bat er herzlos. »Geht schon in Ordnung«, wehrte sie seine Besorgnis über die aseptische Unversehrtheit seines Autopsieraumes ab. »Hier!« Er reichte ihr eine kleine Ampulle. »Was ist das?« fragte sie mißtrauisch. »Etwas gegen den Geruch...« O ja. Natürlich. Sie erinnerte sich. Sie zerbrach die Ampulle; ein überwältigender Geruch nach ätherischen Ölen machte sich breit. Sie tupfte ein wenig von dem Öl unter jedes Nasenloch und trat an die Kühlwannen. Die Leichen waren ebenso schlimm zugerichtet wie Gustavson; 64 irgend ein sadistisches Monster hatte sie sehr lange leiden lassen und sich an ihren Qualen womöglich noch ergötzt. Die Gesichter waren bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. »Ich kann ihn nicht identifizieren«, klagte sie. »Wen hatten Sie erwartet, hier zu finden?« »Clive Lister.« »Den Geningenieur?« Sie nickte. »Yanni erwähnte etwas von einer DNS-Überprüfung«, wandte sie sich an Sykes. »Haben Sie...?« »Habe ich«, bestätigte der Pathologe. »Die vergleichende Überprüfung mit der DNSDatenbank des Zentralsuprasensors ergab, daß es sich bei dieser Leiche um einen Minentechniker namens Jake Rook handelt. Der andere ist Mickey Tron, ein Explorerpilot.« »Dann besteht ja noch Hoffnung«, murmelte Kim, obwohl sie im Grunde ihres Herzens schon ahnte, daß sie Clive nicht mehr lebend wiedersehen würde. Mit einem flauen Gefühl im Magen verließ sie Dr. Sykes' kleines Totenreich. 65 Die Meldung vom grausigen Fund auf dem Gelände der Haywire-Farm erreichte Irvin Doones am nächsten Vormittag, nachdem sie den vorgeschriebenen Weg durch sein Vorzimmer gegangen war. Der Bürgermeister von Frontier Junction las die Meldung und überflog den vom Pathologen angehefteten Kommentar. Dann runzelte er nachhaltig die Stirn und aktivierte das Vipho. Er war ein breitschultriger, massiger Mann Ende Vierzig. Muskulös, kräftig und zu allem entschlossen; ohne letztere Eigenschaft (und noch ein paar andere) wäre er niemals von Junction Mining nach Xing geschickt worden.
»Lyng soll kommen«, bellte er ins Mikro. »Aber dalli!« Taidan Lyng war Doones Nummer zwei und Ratgeber, wenn es um heikle Angelegenheiten ging. Diese Meldung verursachte Schwierigkeiten, soviel sah Doones schon jetzt. »Was gibt es?« fragte Lyng. »Schlechte Nachrichten«, sagte der Bürgermeister zur Begrüßung. »Sehr schlechte Nachrichten, Taidan!« »Immer wenn du von schlechten Nachrichten sprichst«, knurrte Doones Nummer zwei und ließ sich in den zweiten Sessel fallen, »macht sich mein Magengeschwür bemerkbar. Ich höre!« »Was hältst du davon?« erwiderte Doones und warf ihm die Meldung zu. Lyng studierte die Folien schweigend. »Verdammter Bockmist!« sagte er schließlich mit tiefer Inbrunst. »Bin der gleichen Meinung«, kommentierte Doones. »Das bedeutet Schwierigkeiten für uns. Und ich hasse Schwierigkeiten...!« Das traf zu. Doones besaß eine ausgeprägte Abneigung gegen das Unvorhersehbare, das nur dazu diente, ihm das Leben auf Xing schwer zu machen. »Was willst du tun?« erkundigte sich Taidan Lyng. Er legte eine Hand in den Nacken und massierte die Muskeln. 66 Sein Vorgesetzter und Freund zuckte die Schultern. »Habe ich eine Wahl?« Lyng schüttelte den Kopf. »Na siehst du. Ich werde mit der Zentrale sprechen müssen. Oder bist du anderer Meinung?« Das war Lyng nicht. Zwanzig Minuten später rief Doones von seinem Arbeitszimmer aus den RaumhafenTower und sagte zu der Technikerin in der FZ: »Stellen Sie bitte eine Direktverbindung zur Zentrale her und schalten Sie die Kryptomaschine ein - ich kann es nicht riskieren, im Klartext zu sprechen.« Die Technikerin nickte voller Verständnis. Das Bild blendete vom Vipho auf eine vier Quadratmeter große Bildwand um, blieb aber zunächst konturenlos hell. Inzwischen wurde die Hyperfunkstrecke zur Erde errichtet. Schließlich kam das Signal Ogan Chann stand in voller Lebensgröße farbig und dreidimensional vor Doones. »Hier Doones, Frontier Junction, Xing, System Xing.« »Ich sehe Sie, Bürgermeister, sagte der Direktor der Minengesellschaft. »Was macht unser Außenposten?« »Es geht so«, antwortete Doones und versuchte, Enthusiasmus in seine Stimme zu legen; die Begrüßungen mit Chann liefen stets nach gleichem Muster ab. »Sie haben Neuigkeiten. Ich hoffe, es handelt sich um erfreuliche!« »Es tut mir leid, daß ich Ihnen Ihre Laune verderben muß, aber die Neuigkeiten, die ich Ihnen zu berichten habe, sind nicht besonders gut. Im Vertrauen: Sie sind sogar herzlich schlecht.« »Ich höre«, sagte Chann alarmiert. »Ein Psychopath scheint die Umgebung von Frontier Junction unsicher zu machen. Ich sage >Psychopath<, weil sich mein Verstand dagegen sträubt, eine andere Möglichkeit in Betracht zu ziehen... « Während er redete, sah Doones den Direktor an. Merkwürdig, dachte er, alle diese Männer, die Milliardenwerte in ihren Fingern halten, scheinen sich zu ähneln, als gehörten sie einer besonderen Rasse der Galaxis an. Mittelgroß, nicht mehr als hundertsiebzig Zentimeter, schmale, kantige und faltige Gesichter mit Habichtsnasen und Falkenaugen. Gekleidet in die konservativste Version der modernsten und teuersten Anzüge, mit Manieren, die vollkommen schienen und die Kälte verbargen, die diese Männer mitbringen mußten, um im erbarmungslosen Kampf der Wirtschaftsgiganten nicht zu den Verlierern
zu zählen, was gleichbedeutend war mit dem Verlust all dieser ungeheuren Privilegien, die sie so schätzten. Ogan Chann war weißhaarig, hatte blaue Augen und wohlmanikürte Finger. Auf Terra war jetzt Vormittag, wie das Licht des Bildes und die Uhr hinter Channs Kopf bewiesen. »Schildern Sie bitte genau, was geschehen ist.« Ogan Chann hatte einen tiefen Bariton. Die Stimme eines überzeugenden Predigers. Und er war ein Mann von schnellen und meist richtigen Entschlüssen. Irvin Doones blinzelte müde und brauchte knapp zehn Minuten, um Chann eine Zusammenfassung des Berichtes zu geben, den er von der Ärztin Zurikov und dem Pathologen bekommen hatte. »Das ist eine verdammt ernste Sache«, murmelte Chann nach ein paar Minuten des Schweigens. »Ich hätte sonst nicht die Unterstützung der Zentrale erbeten«, sagte Doones etwas steif. »Unsere Möglichkeiten, seien sie geistig oder technisch, scheinen nicht auszureichen, um diese Vorkommnisse zu klären. Wir können ja aus naheliegenden Gründen nicht einmal die Polizei benachrichtigen, einfach weil uns von der Zentrale eine derartige Schutztruppe verweigert wurde.« »Was brauchen Sie?« »Jemanden, der fähig ist, Spuk von Tatsachen zu trennen. Und das möglichst schnell, denn wenn erst publik wird - und früher oder später wird es publik - daß ein Mister Unbekannt Gefallen daran findet, Leute zu massakrieren, wird Frontier Junction zu einem gefährlichen Pflaster. Wir haben hier selbstverständlich keine Möglichkeit, eine Massenpsychose erfolgreich zu bekämpfen, ohne daß die Produktion erheblich darunter leidet oder ganz zum Erliegen kommt.« 68 Chann sagte scharf: »Sie brauchen jemanden, der sowohl in der Lage ist, wissenschaftliche Phantasie zu entwickeln, als auch energisch genug, um sich nicht vor einem Phänomen zu fürchten, dessen Natur nicht geklärt ist?« »Sie treffen es auf den Punkt, Herr Direktor. Männer dieser Art wären hier sehr erwünscht.« Chann bellte zurück: »Befinden sich denn keine dieser wundersamen Exemplare unter Ihrer zweitausendköpfigen Bevölkerung, Doones?« Doones grinste bösartig. In solchen Momenten konnte er Chann noch weniger leiden als sonst. »Nein«, schnappte er, »und das hat einen ganz einleuchtenden Grund!« »Ich bin neugierig, den zu hören.« »Männer dieser Klasse«, sagte Doones, »sind eher selten. Seltene Dinge aber sind sehr teuer - ich sage Ihnen damit sicher nichts Neues. Liebe, Intelligenz, Verständnis, Diamanten und To-firit... alles selten und teuer. Auch solche Männer, wie wir sie jetzt hier auf Xing brauchten, um diesem Phänomen begegnen zu können. Werfen Sie doch gelegentlich mal einen Blick in die Gehaltslisten, Herr Direktor. Dort werden Sie die Erklärung finden, weshalb hier keine dieser wundersamen Exemplare zu finden sind. Junction Mining kann sie nicht bezahlen. Das ist die Erklärung. Einleuchtend, oder?« Ogan Chann sah Doones an, als wolle er ihn über die Distanz von fünfzehnhundert Lichtjahren hinweg mit bloßen Händen erwürgen. Dann sagte er in gemessenem Tonfall: »Sie werden einen solchen Mann bekommen, Doones. Einen, mehr läßt das Budget nicht zu. Sie verstehen?« Doones nickte und erwiderte pragmatisch: »Wann?« »So schnell wie möglich.« »Darf ich mir den Einwand erlauben, daß die Vorkommnisse auf Xing sich nicht danach richten, wie langsam oder schnell Sie einen oder zehn Spezialisten zu finden geruhen?« »Reden Sie keinen Unsinn«, sagte Chann. »Ich lasse Sie benachrichtigen, wenn ich
jemanden gefunden habe, der die Vorfälle bei Ihnen aufklären kann.« 69 Mit falscher Versöhnlichkeit konterte Doones: »Wer immer uns hier auf Xing hilft, hilft auch Ihnen.« »Das weiß ich ebenso gut wie Sie. Läuft die Produktion der Mine normal?« Doones grinste humorlos. »Die Produktion ist im Augenblick meine geringste Sorge. Wann darf ich mit Ihrer schnellen Reaktion rechnen?« »Binnen achtundvierzig Stunden«, sagte Chann. »Ich hoffe«, schloß Doones, »daß wir es solange noch aushaken. Ende.« Die Nabelschnur zwischen der fernen Erde und Xing wurde gekappt. Bürgermeister Doones starrte sekundenlang auf den inaktiven Bildschirm. Eigentlich hatte er mehr Reaktionen aus Alamo Gordo erwartet. Irgendwie fühlte er sich mit den anstehenden Problemen alleingelassen. Dann rief er sich zur Ordnung. Schließlich wurde er dafür bezahlt, mit jeder Situation fertigzuwerden. Also würde er seinen verdammten Job machen, so gut er konnte. Zumal ja Hilfe versprochen worden war. Doones zündete sich eine Zigarette an, was den Grad seiner augenblicklichen Unsicherheit dokumentierte. Normalerweise rauchte er nicht. Aber das Nikotin hatte Besseres zu tun, als seine Nerven zu beruhigen, also warf er das Stäbchen in den Abfallvernichter und ging langsam und in Gedanken versunken in seinem Arbeitsraum auf und ab. Dessen Atmosphäre war noch am meisten geeignet, ihn zu beruhigen, seinen Gedanken die nötige Klarheit zu verschaffen. Er beugte sich über das Vipho. »Medizinische Station«, sagte er, als die seidige Kunststimme der Vermittlung sich meldete. Der diensthabende Arzt - einer von vieren - meldete sich nach wenigen Sekunden. »Bürgermeister?« »Ja, leider«, sagte Doones. »Plagt Sie Ihr Ischiasnerv?« Doones wunderte sich. 70
»Kleiner Medizinerscherz«, griente der Doktor und lachte scheppernd wie eine vesudanische Bergziege. »Mir ist nicht nach Scherzen zumute.« »Natürlich. Ich meine natürlich nicht. Was kann ich also für Sie tun?« »Sind Sie nicht der Chefarzt, Mister Fox?« Fox nickte vorsichtig. »Was halten Sie von den >Unfallen« »Unfälle...?« »Bleiben wir vorläufig mal bei dieser Version, ehe wir nichts Definitives wissen.« »Wenn Sie meinen...« »Ja, meine ich. Aus dem Bericht geht hervor, daß diese drei Unfälle innerhalb vierundzwanzig Stunden geschehen sind. Warum wurde ich nicht sofort davon unterrichtet, als Ihre Kollegin zu dem ersten gerufen wurde?« »Hmm, da bin ich im Augenblick überfragt. Wollen Sie, daß ich sie zur Rede stelle? Ihr einen Verweis erteile?« Doones wehrte ab. »Lassen wir das für den Augenblick. Nehmen wir einfach an, daß sie sich überfordert sah, nachdem es jahrelang keine Unfälle dieser Schwere und mit einer derartigen Konsequenz gegeben hat.« Fox' Miene zeigte vorsichtige Entspannung. Einen Tick zu früh, denn Doones fügte hinzu: »Und Doktor, wenn es wieder mal eine Obduktion geben sollte... weisen Sie Ihre Leuten doch an, diese nur nach Absprache mit Ihnen durchzuführen.« »Natürlich erst, nachdem ich Ihr Einverständnis habe, richtig?« »Ich sehe, wir verstehen uns«, meinte Doones. »Wenigstens ein Lichtblick. Wir wollen doch nicht, daß eine Panik unser kleines, überschaubares Gemeinwesen erschüttert.« »Nein, das wollen wir natürlich überhaupt nicht.«
Doones räusperte sich. »Haben Sie von weiteren Vorfällen gehört?« Der Mediziner schüttelte den Kopf. »Nein. In den letzten Stunden ist nichts geschehen. Aber ich informiere Sie sofort, sollte sich das ändern. Ist das in Ihrem Sinne?« Doones warf ihm einen düsteren Blick zu. »Ich sehe, wir verste71 hen uns. Ich danke Ihnen, Doktor.« »Keine Ursache. Kommen Sie doch mal gelegentlich vorbei«, empfahl der Mediziner, »und lassen Sie sich ein EKG machen. Es kann sein, daß Ihr Herz auf die Aufregungen der letzten Stunden mit einigen Koronarinsuffizienzen reagieren wird.« Doones' Blick verhärtete sich, und er bedachte den Mediziner mit einem zynischen Lächeln. »Sie sind so gut zu mir, Doc«, sagte er und löschte die Verbindung. Er nahm die dünne Plastikmappe mit dem Bericht in die Hand und betrachtete die Bilder der grausam verstümmelten Leichen. Drei Tote. Waren es Morde? Wenn ja - wer hatte sie verübt? Doones zog die breiten Schultern hoch und ließ sie resigniert wieder fallen. Er konnte nur auf die versprochene Hilfe warten, die Chann angekündigt hatte. Während der nächsten fünfzehn Stunden... Ein Techniker untersuchte zum hundertsten Mal die Stromkreise eines Schaltdiagramms, ohne den verdammten Fehler zu finden. Seine Kollegen im Labor der Verhüttungsanlage begannen schon zu grinsen und zu tuscheln. Das Grinsen verging ihnen, als der Techniker aus heiterem Himmel eine Waffe zog und wild um sich schoß. Nur die schnellen Reaktionen der anderen verhinderten ein Blutbad, so daß es bei Verletzungen blieb. Als er sah, was er angerichtet hatte, begann der Techniker erst zu lachen, dann wechselte sein Lachen abrupt in ein unaufhörliches, schrilles Schreien über. Das gab den Anwesenden Gelegenheit, ihn zu überwältigten. Er leistete keine Gegenwehr, sondern schrie einfach weiter. Der Arzt der Kranken Station injizierte schließlich ein starkes Betäubungsmittel in den Arm des Mannes, um ihn zum Verstummen zu bringen, bevor sie ihn ins Hospital transportierten. Dort kam er wieder zu sich und begann augenblicklich zu wimmern und zu stöhnen. Man legte ihn unter ein Fesselfeld, damit er sich nicht selbst ver72 letzen konnte und ließ ihn in Ruhe. Solange er diese Geräusche von sich gab, konnte er nicht gefährlich werden... Savina Greene stützte ihr Kinn in beide Hände, schloß die Augen und öffnete sie langsam wieder, als könne sie dadurch die Monotonie ihres Arbeitsablaufes verscheuchen. Von ihrem Platz aus konnte sie die suprasensorgesteuerten Vorgänge auf allen Trennbändern der Sortieranlage sowie im angrenzenden Lager beobachten. Sie saß über der Anlage und überblickte das Geschehen unter ihr. Die Aufsichtskanzel der Kontrolle hing wie ein überdimensionales Adlernest zwanzig Meter über dem Hallenboden. Von den Lagerräumen kam das zerkleinerte Erz durch diesen Raum, der es in die erste Stufe der Aufbereitungsanlage schleuste. Die groben Erzbrocken liefen hier unter der allseits verglasten Kanzel auf breiten Bändern an einer komplizierten elektronischen Abtastapparatur vorbei. Mittels hinter die Abtastköpfe geschalteter Weichen wurde taubes Gestein aussortiert. Ein steter Strom von Gesteinsbrocken verschiedener Größe und Form kam von links, lief nach rechts weiter und wurde dann in die einzelnen Kanäle geleitet, die zu den Induktionskonvertern führten, während der Abfall in einer U-Kehre ins Freie geführt und auf Halde geworfen wurde. »Pah! Raumfahrer sollte man sein«, sagte die Technikerin verdrießlich und warf einen Blick auf das Hallen-Chrono. »Oder noch besser: Raumfahrerin. Da bestünde wenigstens die Chance, hin und wieder etwas zu erleben. Aber hier, über diesen Bändern... langweiliger Bockmist!« Drüben, auf der rechten Seite der Halle, von starken Arbeitslampen beleuchtet, arbeiteten sieben Wartungsroboter auf einer zehn Meter über dem Hallenboden schwebenden Montageplattform. Sie hatten ein großes Stück der Wandverkleidung entfernt und das da-
hinterliegende Gewirr von vielfarbigen Stromleitungen und Hydraulikschläuchen bloßgelegt, in das die blaue Lanze eines Laserschweißers mit chirurgischer Präzision hineinstach. Sie rieb sich die Schläfen. Diese bescheuerten Kopfschmerzen. Aber kein Wunder. Wer konnte diesen Job schon aushaken, ohne Kopfschmerzen zu bekommen? Drei Stunden ihrer Sechsstundenschicht waren bereits um. Zeit für eine Kaffeepause. Savina warf einen letzten prüfenden Blick auf die Kontrollen. Alles war unverändert. Sie stand auf, reckte und streckte sich und gähnte ungeniert. Sie war allein in der Kommandokanzel. Weshalb sich also Beschränkungen auferlegen? In der spiegelnden Glasverkleidung betrachtete sie mit einer gehörigen Portion Exhibitionismus ihre kräftig proportionierte Figur, deren Kurven von dem modischen Overall noch betont wurde, und dachte an einen Techniker von der dritten Schicht, dessen muskulöser Körper ihr in den Umkleideräumen aufgefallen war. Sie hatte ein Faible für starke Männer. Savina Greene holte sich ihr Lunchpaket und schaltete die Kaffeemaschine ein. Als die heiße Flüssigkeit durchgelaufen war, aß sie ein paar Happen, spülte sie mit drei Tassen des höllisch starken Gebräus hinunter und drehte die Musik aus dem Lautsprecher etwas leiser. Die Station wurde ständig von Musik durchrieselt, seit ein paar findige MinenPsychologen herausgefunden haben wollten, daß sich dies förderlich auf die Arbeitsmoral auswirkte. Ihr Kopf hämmerte. Wenn das hohe Gehalt nicht wäre, dachte Savina, hätte ich den Krempel schon hingeschmissen. Sie zog die Schminkutensilien aus der Tasche ihres Overalls hervor und befestigte den kleinen Spiegel an der Klammer, an der die Schichtberichte hingen. »Man weiß ja nie«, murmelte sie, »was die nächste Stunde bringt, Savina-Darling«, und griff nach dem flüssigen Lippenrot, um ihre Lippen nachzuziehen. Blödsinnigerweise glaubte sie nur, den Pinsel mit dem Lippenrot in den Fingern zu halten. In Wirklichkeit hatte sie das kleine, aber ungemein scharfe Messer in der Hand, mit dem sie die Frucht geschält hatte, die zu ihrem Lunch gehörte. Sie lachte albern, während sie auf den roten Fleck auf ihrer Brust blickte, der immer größer wurde, je länger sie an ihren Lippen herumschnitt. Dann begann sie zu schreien, während ihre Hand, wie von einem Dämon geführt, ihr Gesicht zerschnitt, bis es Ähnlichkeit mit einem Stück rohem Fleisch hatte. Sie schrie immer noch, als man sie fand. Sie schrie auch noch, als man ihre 74
fürchterlichen Wunden behandelt hatte und sie in der Krankenstation auf den Abtransport wartete. Aber sie schien sich dessen nicht bewußt; ihre Augen starrten leer. Ihr überforderter Verstand hatte sich in Regionen zurückgezogen, aus denen er niemals mehr zurückkehren sollte. Marc Duran war Elektriker. Seine Schicksalsstunde kam, als er zusammen mit seinem Kumpel Lopez die Anschlüsse der Kollisionswarnlampen der Dachbefeuerung auf einem der Turmhäuser der Stadt inspizierte. Sie waren sehr hoch oben und arbeiteten auf dem schmalen, umlaufenden Steg. Kurz vor der Mittagspause überfielen Duran rasende Kopfschmerzen, während er schwankte wie ein Schilfrohr im Wind. Sein Kumpel beugte sich besorgt zu ihm. Das hätte er besser bleiben lassen sollen. Duran legte ihm beide Hände flach auf die Brust und gab ihm einen Stoß. Lopez stand zu diesem Zeitpunkt mit dem Rücken gegen das Geländer, hinter und unter sich nur freier Luftraum. Duran sah mit einem irren Grinsen zu, wie sein Kumpel mit einem blöden Ausdruck auf dem Gesicht rückwärts über das Geländer kippte, in einer einzigen gleitenden Bewegung. Im einen Moment war er noch da, im nächsten verschwunden. Es dauerte nicht lange, bis aus der Tiefe ein Geräusch heraufdrang, das stark an brechende Äste erinnerte. Als man Lopez' Leiche auf dem Beton fand und nachforschte, wie es zu dem Unfall kommen konnte, fand man Marc Duran auf dem Wartungssteg. Er schlug sich die Stirn am Geländer blutig... In dem autarken Kraftwerk außerhalb der Dreimeilenzone zwischen Raumhafen und
Erzgewinnungsanlage erhob sich ein zufällig im Reaktorraum anwesender Inspektor von den Tabellen und Papieren auf seinem Arbeitstisch, ging schweigend hinaus in die Halle, entfernte die Schutzgitter von der deutlich gekennzeichneten Überschlagplatte und stellte sich zwischen die Abstrahlpole. Man fand nicht einmal mehr seine Asche. 75 Chad Nicholas schlief unruhig und von schrecklichen Träumen gequält, bis zu dem Augenblick, in dem sich das Vipho mit einem schrillen Ton meldete. Sein Unterbewußtsein schien auf dieses Signal gewartet zu haben. Er war sofort hellwach, setzte sich auf seiner Liege auf und aktivierte das Gerät. Die kleine Scheibe erhellte sich, zeigte einen Mann mit unordentlichem Haar. »Chef!« schrie der. »Hier. Was gibt's?« Unwillkürlich hatte Nicholas ebenfalls die Stimme angehoben. »Alarm in der Schmelzanlage!« »Was ist los, verdammt?« rief Nicholas und angelte nach seinen Kleidern. »Kommen Sie schnell, Sir!« Die Panik in der Stimme des Mannes war unüberhörbar. »Zur Hölle!« gab der hagere, grauhaarige Mann zurück. »Reden Sie doch endlich! Was ist los?« Nur mühsam beruhigte sich der diensthabende Kontrolleur der Nachtschicht in dem eben genannten Abschnitt. Mit einer Stimme, die ihm noch immer nicht hundertprozentig gehorchte, stieß er hervor: »Sir! Hier... hier ist ein Mord geschehen!« »Oh, verdammt!« Ohne zu zögern rannte Chad Nicholas hinaus auf den Korridor und stürmte in eine Liftkabine. Eine Minute später drängte er sich durch einen dichten Ring von Männern und Frauen, die eine reglose Gestalt umstanden. Daneben zwei medizinische Roboter mit einer Trage, auf der ein Mann lag. Allerdings konnte man ihn unter dem Tuch, mit dem er bedeckt war, nur undeutlich erkennen. »Was ist vorgefallen?« herrschte Nicholas laut. »Mord, sagten Sie?« »Etwas ähnliches«, erwiderte der Techniker, der ihn geweckt hatte, und war sich gar nicht mehr so sicher. Der technische Leiter der Mine ging in die Knie und suchte den Puls des Mannes, der vor ihm auf dem stark geriffelten Kunststoffbelag des Bodens lag - ausgestreckt, als ob er schliefe. Der 76 Mann war tot. Die Blutlache, die seinen Kopf umgab, vergrößerte sich noch immer. Nicholas hob den Kopf und suchte, bis er in die Augen einer Technikerin blickte, die ihn beobachtete. Sie befanden sich hier in einem quadratischen Raum, allseitig verglast. Hinter den dicken Scheiben aus transparentem Plastmetall arbeiteten ganze Batterien von Induktionsschmelzöfen, von Robotanlagen beschickt und entleert. Die menschliche Wache hatte nur dafür zu sorgen, daß keine Störung eintrat. Etwa fünfzehn Personen standen um Nicholas und um den Toten herum. »Los!« sagte er mit scharfer Stimme. »Erzählen Sie!« »Wir waren vier Techniker, die normale Schicht in diesem Abschnitt. Plötzlich begann Hyland sehr stark zu zittern und fiel aus seinem Sitz. Wir verließen die Kontrollen und halfen Hyland auf die Beine. Er schwankte und konnte sich nur mühsam aufrecht halten. Dann schrie er. Zweimal. Es war furchtbar. Ich habe noch nie jemanden so schreien hören.« »Gut, gut. - Reden Sie weiter!« Die Gestalt unter den weißen Tüchern bewegte sich unruhig und stöhnte auf, trotz des starken Narkotikums, das die Maschinen gespritzt hatten. »Hyland sah uns an, blickte irgendwie... fremd. Als ob ihm seine eigenen Augen nicht mehr gehören würden. Als ob hinter diesen Augen ein anderes Bewußtsein wäre. Noch während wir überlegten, wie wir Hyland helfen konnten, begann er plötzlich zu schreien und zu toben. Er wütete wie ein Irrsinniger, schrie fortwährend etwas von einem Sternenbiest und schwarzen Götzen, weiß der Teufel, wen er damit meinte. Plötzlich bekam er ein Stück Rohr
zwischen die Finger. Dann geschah alles sehr schnell. Jeff wollte ihm das Rohr aus der Hand nehmen und ihn beruhigen. Hyland ging zähnefletschend wie ein Berserker auf ihn los. Mit einem einzigen Hieb hat er ihm die Schädeldecke zertrümmert, ehe wir auch nur eingreifen konnten. Hyland sah uns an, dann fiel er zu Boden. Nach den ersten Schreien war er völlig still.« Nicholas atmete tief ein und aus »Gut«, sagte er halblaut. »Oder vielmehr schlecht. - Ist jemand vielleicht auf die Idee gekommen, den Arzt zu rufen?« 77
»In der Tat«, sagte die Ärztin und drängte sich durch die Umstehenden. »Ich bin dafür, den Patienten augenblicklich nach Frontier Junction ins Hospital zu bringen und ihn dort zu isolieren.« »Selbstverständlich«, sagte Nicholas. »Veranlassen Sie bitte alles Nötige, Doktor!« Die Ärztin und die beiden Med-Robs schoben die A-Gravbahre hinaus. Die Tür schloß sich hinter ihnen mit einem zischenden Geräusch. Nicholas blickte sich um. »Hat Hyland schon früher ungewöhnliche psychische Reaktionen gezeigt?« erkundigte er sich. »Nein«, bemerkte einer der Techniker. »Er verhielt sich normal - wie wir alle hier.« Wobei die Frage interessant wäre, schoß es Nicholas durch den Kopf, wie normal eine Gruppe Menschen ist, die jahrelang unter der ständigen psychischen Belastung leben und arbeiten muß, sich auf einem fremden Planeten zu befinden. Laut sagte er: »Aha. Normal. Soso. Nun gut. Bitte beruhigen Sie sich. Sollte jemand von Ihnen ähnliche Reaktionen zeigen, dann benachrichtigen Sie mich sofort. Ich hoffe, daß dies ein Einzelfall bleibt. Ich habe keine Erklärung, weshalb das geschah, und ich weiß auch keinen Rat. Ich weiß nur, daß ich sofort den Bürgermeister informieren werde.« Schweigend und noch unter dem Schock des Ereignisses stehend ging die kleine Gruppe auseinander. Nicholas brannte sich eine Zigarette an und inhalierte tief. Er ging langsam und in Gedanken versunken zum Lift und fuhr hinauf in seine Räume. Er hatte zwar auch in Frontier Junction ein Appartement, zog es aber meist vor, im Betrieb zu schlafen. Er sah sich in die schwierige Lage versetzt, den Bürgermeister davon zu unterrichten, daß in seiner Mine ein Mord geschehen war. 78
7. Alamo Gordo, Terra, Sol-System Die Morgensonne überschüttete Alamo Gordo - das Herz der Welt, wie die aufstrebende Stadt mit ihren gigantischen, unverwechselbaren Hochbauten inzwischen auch genannt wurde - mit ihrem Licht. Es war sehenswert, mitzuerleben, wie die einmalige Skyline aus dem Bodendunst der kühlen Nacht in den wolkenlosen Morgenhimmel wuchs. Das ehemalige, am Westabfall der Sacra-mento Mountains gelegene Handelszentrum eines Viehzuchtgebietes im südlichen Neu-Mexiko und Mittelpunkt für militärische Forschungen, hatte in den vergangenen vier Jahren einen grandiosen Aufschwung erlebt. Leise summend hielt der Bodenschweber vor dem ausladenden Portal des Junction Tower, einem vielgeschossigen Bauwerk aus Glas und gerasterten Flächen auf einem Skelett aus Stahl und verdichtetem Aluminium. Thorn Duman entstieg dem Fond der schweren Limousine, auf deren Türen das Emblem der Minengesellschaft prangte. Er blieb vor dem Riesenbauwerk stehen, und seine Blicke verweilten einen Moment auf der kühnen Architektur. »Beeindruckend«, murmelte er. Er war groß, hager, aber muskulös. Mit dichtem, dunkelblondem Haar, das an den Schläfen bereits von einer Menge grauer Fäden durchzogen war. Sein Gesicht mit den weit auseinanderstehenden dunklen Augen wirkte, als wolle er jeden Augenblick lächeln.
Doch dieser Eindruck täuschte. Seit über zwanzig Jahren flog Thorn Duman zwischen den Sternen, und dieses Leben hatte ihm seinen Stempel aufgedrückt. Er war schweigsam geworden, wirkte meist unnahbar. Nur wer ihn näher kannte, seine wenigen Freunde zum Beispiel, der wußte, daß er sehr empfänglich für die feineren Strömungen des Lebens war, für alle die Untertöne, die Illusionen schufen oder erhalten konnten. Das summende Geräusch des Syndikatsschwebers wurde leiser, und als er die Auffahrt zum nächsten Verteilerkreisel hinauffuhr, hörte Thorn die Maschine schon nicht mehr. Er sah auf sein Chrono, gähnte und zog die Brauen hoch. »Acht Uhr«, brummte er verdrossen. »Noch nicht einmal richtig hell!« Es klang vorwurfsvoll, obwohl der letzte Teil seiner Bemerkung nicht zutraf. Duman setzte sich in Bewegung und ging auf die Eingangshalle des Riesenbauwerks zu. In diesem Büroturm, der zu den teuersten und modernsten Alamo Gordos zählte, befanden sich außer der Junction Mining Corporation auch die Arbeitsstätten von ungefähr zweihundert weiteren Firmen. Ein rundes Dutzend Antigravschächte und Tur-bolifte mündete in das dreistöckige Atrium, in dem kleine Geschäfte, Bars und Cafeterias rund um die Uhr geöffnet hatten. Im Innern des Atriums orientierte er sich an den Logos und Piktogrammen und schloß sich einer Gruppe junger Frauen und Männer an, die zu ihren Arbeitsstätten unterwegs waren. Er stellte sich in den hinteren Bereich der Liftkabine und schob die Hände in die Taschen seiner Jacke. Die meisten Mitpassagiere verließen den Lift im unteren Drittel des Junction Towers, andere in höheren Stockwerken. Schließlich war er allein. Als er die Aufzugskabine im richtigen Stockwerk verließ, sah er vor sich einen weiten, offenen Raum, dessen Boden aus marmorartigen Gestein geschliffen schien. Mit einem kurzen Blick orientierte er sich; es hatte sich seit seinem letzten Besuch hier nichts verändert, wie er fand. Seine Schritte hallten, als er sich zielstrebig in Bewegung setzte und gleich darauf das modern eingerichtete Vorzimmer betrat. Angenehm berührt registrierte er eine Veränderung und blieb vor dem Empfangspult stehen. »Thorn Duman«, sagte er lapidar; an die elegante, beinahe schon rassige Sekretärin hatte er keine Erinnerung. Die junge Frau schien Bescheid zu wissen und drückte auf einige Knöpfe. 80 »Sind Sie stumm, meine Dame?« fragte Duman. Sie lächelte angemessen und erwiderte: »Nicht ich erwarte Sie, Mister Duman, sondern Direktor Ogan Chann.« Sie stand auf, öffnete eine Tür links von ihr und deutete in den Raum dahinter. »Bitte«, sagte sie. Ogan Chann sah aus wie immer: nicht groß, nicht klein und scheinbar reserviert. Er schien ein Mann zu sein, der nicht älter wurde. Thorn Duman konnte sich nicht erinnern, ihn jemals anders gesehen zu haben als jetzt: hinter seinem großen Arbeitstisch sitzend, leicht sarkastisch lächelnd und mit den knochigen Fingern der linken Hand kleine, dumpfe Trommelwirbel auf die glatte Fläche schlagend, als würde ihn die ganze Sache maßlos langweilen. Dabei war es gerade diese Haltung, die seine ganze Konzentration verriet. Ohne aufzuschauen sagte er: »Machen Sie's sich bequem, Duman.« Thorn nahm in einem der Besuchersessel vor dem Schreibtisch Platz. Sein letzter Besuch in der Vorstandsetage von Junction Mining lag eine Ewigkeit zurück, aber an diesem Büro schien die Zeit spurlos vorübergegangen zu sein. Schließlich schob Direktor Chann die Datenfolien zur Seite und wandte sich seinem Besucher zu. »Freut mich, Sie zu sehen«, sagte er, reichte eine knochige Hand über den Tisch und fragte: »Kaffee? Tee?« Thorn lehnte ab.
Chann legte die Fingerspitzen zu einer Pyramide zusammen und bedachte sein Gegenüber mit einem inquisitorischen Blick. »Freut mich, Sie wohlauf zu sehen«, wiederholte er mit kühler Stimme. »Sie sehen besser aus, als ich dachte.« Thorn verzog das Gesicht. »Ich lache später darüber. Was haben Sie erwartet, Direktor? Einen Leichnam?« Ogan Chann, eine der mächtigsten Personen im Minenkonsortium, räusperte sich und lehnte sich im Sessel zurück. »Sie haben recht, Thorn. Ja. Natürlich. Diese Bemerkung war dumm von mir, aber akzeptieren Sie sie einfach als Ausdruck meiner Genugtuung darüber, Sie wieder unter den Lebenden zu sehen. - Wie fühlen Sie sich?« Duman lächelte fadendünn. »Ausgezeichnet.« »Sie könnten also wieder Dienst tun?« Könnten... ? »Keine Frage.« »Fein.« Der Direktor nickte, als hätte er nichts anderes erwartet. Dann fuhr er fort: »Sie waren einmal einer unserer besten Spezialisten für außergewöhnliche Sicherheitsfragen, eines der Asse von Junction Mining, wie wir nur wenige hatten...« »Kommen Sie zur Sache, Direktor!« sagte Duman, dem Einleitungen dieser Art widerstrebten. »Ich nehme an, ich bin nur aus einem Grund hier, oder?« Chann nickte, als sähe er sich bestätigt. »Der alte Thorn Duman. Wie immer. Direkt. Zupackend. Keine Sekunde vergeuden. - Sie haben sich nicht verändert.« »Weshalb sollte ich?« »Ja, warum sollten Sie...« Chann zupfte mit einem Finger an seinem Kinn. Er blickte Duman unter leicht gesenkten Lidern an, ehe er fortfuhr: »Nun - wir brauchen Sie.« »Etwas Ähnliches dachte ich mir.« »Wir hätten Sie in Ihrer selbstgewählten Isolation verschimmeln lassen können«, sagte Chann und sah Duman starr ins Gesicht, »zumal Sie diese Entwicklung selbst provozierten.« Duman schwieg und wartete. »Wir hätten auch jemand anderen einsetzen können«, fuhr Ogan Chann fort, »aber Sie erschienen der Gesellschaft und mir als der richtige Mann.« »Warum ausgerechnet ich?« fragte Duman ruhig. »Auf dem Markt gibt es zur Zeit eine Menge Spitzenkönner.« Chann nickte. »Ja. Natürlich. Aber darunter sind nur wenige mit Ihren Erfahrungen, Thorn.« Thorn Duman registrierte die vertrauliche Anrede ungerührt. Ganz der alte Taktiker, dachte er. Laut sagte er: »Erfahrung - worin?« »Erfahrung im Umgang mit ungewöhnlichen, unbegreiflichen Dingen. Mit fremden Faktoren.« Duman grinste schwach. »Sie scheinen mich notwendig zu brauchen - ist es nicht so? 82 Wie viele haben denn abgelehnt?« Chann lächelte säuerlich. »Ja«, sagte er »wir fanden tatsächlich niemanden, der dafür besser geeignet gewesen wäre. Wir brauchen Sie. Dringend. Die Frage ist: Wollen Sie akzeptieren?« »Schon vergessen? Junction Mining hat mich gefeuert!« »Ha, ha«, sagte Chann, ohne zu lachen. »Schon vergessen? >Be-urlaubt< ist wohl der treffendere Terminus. Auf eigenen Wunsch, um das noch einmal zu betonen!« Er stand auf, kehrte Duman brüsk den Rücken zu und trat an das große Fenster mit Blick auf Alamo Gordo. Vom Verkehrsraumhafen stieg eine Orbitalfähre auf; nachdem sie die Dämmerungsgrenze passiert hatte, war sie deutlich und klar im frühen Licht der Sonne zu sehen. Der Direktor behielt die Fähre im Blick, bis sie im strahlenden Blau des Firmaments verschwunden war. Schweigend stand er so mehrere Minuten. Schließlich drehte er sich um, legte beide Hände flach auf die Schreibtischplatte und musterte Duman eindringlich.
»In Ordnung«, begann er. »Um es auf den Punkt zu bringen: Ab sofort könnten Sie sich wieder als im aktiven Dienst stehend betrachten. Uneingeschränkt.« Duman grinste sarkastisch. »Kommen Sie, Direktor! Wenn das alles ist, was Sie mir anbieten können...!« Die ersten Anzeichen von Mißbilligung erschienen in Ogan Channs Augen. Das ließ sich schwieriger an, als gedacht. Er setzte sich wieder. »Was haben Sie sich denn vorgestellt?« »Was dachten Sie sich denn? Und Vorsicht, Direktor - in den vergangenen vier Jahren ist vieles teurer geworden.« Chann verzog das Gesicht. Er wirkte ungehalten, dann atmete er tief ein. »Okay«, sagte er. »Ehe Sie Ihre Forderungen womöglich noch höher schrauben: Sie übernehmen diesen Auftrag. Dafür erhalten Sie für dessen Dauer eine Aufwandsentschädigung von hundert Prozent auf Ihre neuen, um fünfundzwanzig Prozent erhöhten Bezüge. Sie bekommen außerdem eine angemessene Entschädigung für die verlorene Zeit.« Die verlorene Zeit...! Duman merkte, daß ein Teil seiner mehr als nur mühsam verdrängten Erinnerungen an die Oberfläche drängte. Er betrachtete die Innenseiten seiner Hände und dachte nach. Erst als Chann sich mehrmals räusperte, sprangen seine Gedanken wieder zurück in die Gegenwart. Er blickte auf und hörte sich sagen: »In Ordnung, Direktor. Ich akzeptiere.« Sie schüttelten sich die Hände; ihr Händedruck war lang und kräftig. Dann holte Chann eine Flasche und Gläser aus einem Fach hervor. »Trinken wir darauf«, sagte er und schob Duman ein Glas zu. »Diese Vereinbarung sollten wir mit Single Malt aus den schottischen Highlands besiegeln.« »Einverstanden«, erwiderte Thorn Duman. Sie tranken sich zu. Dann stellte Duman das Glas von sich und fragte: »Was ist das Problem von Junction Mining?« »Sehen Sie, wir haben ein paar Jahre lang unsere Kolonien vernachlässigt, zu manchen haben wir sogar ganz den Kontakt verloren, aus Gründen, die hauptsächlich mit der Invasion der Giants zusammenhingen. Wir sind dabei, dies zu ändern. Der Aufsichtsrat hat beschlossen, daß Inspektoren auf den Weg geschickt werden, um nach dem Rechten zu sehen.« Duman zog die Brauen hoch, nahm sein Glas wieder in die Hand und begann, den uralten Whisky herumzuschwenken. Sein Grinsen wirkte unverschämt. »Ich fragte nach wirklichen Problemen, Direktor. Ansonsten brauchten Sie mich ja nicht.« Chann hüstelte. Seine Miene drückte milde Frustration aus, als er erwiderte: »Sie kennen den Sternhaufen Craxath?« »Ja«, sagte Duman, ohne nachzudenken. »Ich denke schon. Etwa l .500 Lichtjahre von der Erde entfernt in Richtung des Kernbereichs der Milchstraße. Was ist dort los?« »Wir haben eine Kolonie in einem System.« »Und?« Duman wirkte ein wenig ungeduldig. Chann sah zum Fenster hinaus und bemerkte eine zerfaserte 84
Wolke im Einheitsblau des Himmels, die ihn zu faszinieren schien. Er beobachtete sie mit gerunzelten Brauen. Schließlich kehrte sein Blick zu seinem Gegenüber zurück. »Unser Problem ist Xing.« »Xing?« »Der vierte Planet des gleichnamigen Systems. Heimat unseres Außenpostens.« »Was ist damit?« Der Direktor von Junction Mining schob eine dünne Mappe mit Folien über den Tisch in
Richtung Dumans, und gleichzeitig schilderte er in wenigen Sätzen, was auf dem Planeten in und um Frontier Junction vorgefallen war. »Ich soll also nach den Ursachen dieser merkwürdigen Unfälle suchen?« sagte Thorn und wiegte die Mappe in den Händen. »Komme ich da nicht in Konflikt mit den Polizeiorganen?« Channs Augenbrauen zuckten amüsiert. »Welche Polizeiorgane? Es gibt keine. Xing hat bis auf ein paar ehemalige Cops und einige Verkehrsüberwachungsroboter keinerlei Polizei in dem Sinne, wie Sie es meinen. Vergessen Sie nicht, Frontier Junction ist Besitz der Minengesellschaft. Alles, was sich auf der Planetenoberfläche und im dortigen System herumtreibt, steht auf unseren Gehaltslisten, auch Aaron Graig, der so etwas wie die Sicherheit auf Xing repräsentiert. Sie sind mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet, sind der Boß, der verlängerte Arm des Direktoriums, wenn Sie so wollen. Ihr Wort ist auf Xing Gesetz. Dort drin«, er deutete auf die Mappe, »sind Ihre Legitimationen für den xingschen Magistrat, nur für alle Fälle. Ich habe Ihre Ankunft schon per Hyperfunkspruch angekündigt. Es sollten Ihnen also sämtliche Türen und Tore offenstehen.« »In Ordnung.« Thorn Duman nickte. »Wie weit gehen meine Befugnisse?« »Bis an die Grenze des Vertretbaren.« »Hmm. - Wann soll ich aufbrechen?« »Heute noch. Ein Kurierboot steht auf dem Dachlandeplatz. Es fliegt Sie zum Raumhafen Cent Field. Dort begeben Sie sich sofort an Bord der TARAKUTA. Der Frachter bringt Sie mit einer Ladung Atmosphärenkondensatoren nach Xing.« »Ein Frachter?« Thorn schien mäßig begeistert, als er aufzählte: »Wenig Komfort. Laute Maschinen. Rüde Umgangsformen. Muß das sein?« »Bleiben Sie sachlich, Thorn. Ich kann mich erinnern, daß Sie schon schlechter gereist sind.« Ogan Chann sah auf die Uhr. »Immerhin sind die Sprungtriebwerke der TARAKUTA auf dem neusten Stand; sie wird Sie innerhalb kürzester Zeit nach Xing bringen. Oder hält Sie hier irgend etwas? - Na, sehen Sie«, nickte er, als Thorn Duman schwieg, »wußte ich's doch. Gibt es noch Fragen?« »Mein Gepäck«, machte Thorn den schwachen Versuch, Channs Eifer zu bremsen. »Ist bereits von uns nach Cent Field umgeleitet worden. Übrigens finden Sie alles, was Sie sonst noch zu benötigen glauben, auf dem Schiff.« »Na, dann...« Duman trank aus und erhob sich. »Muß ich etwas unterschreiben?« »Nein«, erwiderte Ogan Chann und lächelte so, wie es Thorn in einem Winkel seines Gedächtnisses noch kannte. »Mir genügt Ihr Wort, Duman. Außerdem hat die Suprasensorik jede Silbe aufgezeichnet, die hier gesprochen wurde!« Duman verzichtete auf eine Entgegnung. Immerhin erkannte er an, daß ihn der Direktor zur Tür brachte, was er sicher nicht mit vielen Besuchern machte. Auf der Schwelle blieb Chann stehen. »Ich verlasse mich auf Sie, Duman«, sagte er ernst. Sein Blick bohrte sich in die Augen des Mannes vor ihm. »Machen Sie das Beste aus allem.« »Ich bemühe mich, Direktor«, sagte Thorn Duman und nickte. »Ich bemühe mich.« Dann trat er durch die Tür. Ogan Chann sah ihm nach, wie er davonging. Ein großer Mann mit knappen, beherrschten Bewegungen und Gesten. Duman war weder eine hirnlose Kampfmaschine noch ein waghalsiger Draufgänger, sondern nur jemand, der gelernt hatte, Verstand und physische Kraft gleichzeitig mit optimalen Werten in Szene zu setzen. 86
8. Cent Field Der zivile Teil des Raumhafens von Cent Field war ein Tohuwabohu an Geschäftigkeit. Scharen autarker Laderobots fuhren zwischen den Frachtschiffen hin und her, stapelten, luden auf und luden ab. Unzählige Angestellte vieler Handelsgesellschaften in ihren deutlich
gekennzeichneten Overalls und Kombinationen waren überall präsent und versuchten, Ordnung zu schaffen. Dicht und eng waren die merkantilen Verflechtungen, die ihre Krakenarme über den erforschten Teil der Galaxis geworfen hatten. Das Kurierboot setzte Thorn Duman an den Frachtkontoren der Junction Mining Corporation ab, wo er bereits von einem Angestellten erwartet wurde, der ihn mit einem kleinen Schweber zum Startplatz der TARAKUTA brachte. Das Schiff war alt, sehr alt. Es übertraf Dumans Befürchtungen in jeder Hinsicht. Nachdem er ausgestiegen war und sein Gepäck in Form von zwei großen Taschen auf den Boden gestellt hatte, blieb er einen Moment stehen und warf einen erschrockenen Blick auf den verschrammten Frachtraumer in Modulbauweise. Er begann zu ahnen, daß die Reise alles andere als ein Vergnügen sein würde. Das Schiff bestand lediglich aus einer Reihe von hintereinander angeordneten, achteckigen Frachtcontainern mit Antriebsmodulen am Heck und einer angeflanschten Bugsektion, die die Zentrale und die Räume der Besatzung beherbergte. Würde man die Container entfernen, sähe die TARAKUTA aus wie ein gigantischer, abgenagter Fisch; Kopf und Schwanz verbunden durch eine gewaltige, säulenartige Längsachse, aus der die gebogenen Halteklammern wie Gräten starrten. Die Konverter und Generatoren des Frachters waren unter »Dampf«; zwischen den einzelnen Ladesegmenten rotierten die Warnlampen, und eine plärrende Sirene gab unmißverständlich kund, daß der Countdown für den Start im Gange war. »Bei den Schleimkröten von Taurus...«, murmelte Duman, »das wird lustig werden mit diesem Haufen Schrott.« »Lassen Sie sich nicht vom ersten Anschein täuschen«, sagte der Junction-Angestellte, der Dumans skeptische Worte und vor allem dessen Miene richtig deutete. »Das alte Mädchen hat es bislang noch immer zu jedem Ort der Galaxis geschafft.« »Wenn Sie das sagen«, versetzte Duman und ging auf die Rampe zu, an deren Fuß ihn zwei Männer erwarteten, »ist das ungemein beruhigend.« »Thorn Duman?« fragte der ältere der beiden. »Kapitän Nemhauser?« »So ist es. - Darf ich Sie an Bord bitten? Unser Zeitrahmen ist sehr eng!« »Natürlich.« Kapitän Nemhauser war zehn Zentimeter kleiner als Thorn mit seinen Einsneunzig, und fünfzehn Jahre älter. Sein Händedruck zermalmte Dumans Hand beinahe. Seine hellen blauen Augen, die in einem raumverbrannten Gesicht tief unter buschigen Brauen lagen, blickten klar und aufmerksam. Jetzt deutete er auf die beiden Taschen. »Froistaad, kümmere dich darum!« Der Mann in der schmutzigen Kombination mit den kaum sichtbaren Insignien eines zweiten Maats nahm die beiden Taschen Dumans auf, verzog das Gesicht, ächzte leise und ging voraus ins Innere des Schiffes. »Kommen Sie«, sagte Nemhauser. »Lassen Sie mich Ihnen Ihre Kabine zeigen.« Im Innern war die TARAKUTA zwar nicht ganz so stark verwahrlost, wie Duman nach dem äußeren Anschein angenommen hatte, aber doch ziemlich ungepflegt. Außerdem stank sie nach Hydraulikflüssigkeit, durchgeschmorten Generatoren und einer Reihe von anderen, undefinierbaren Gerüchen, wie sie in Frachtschiffen mitunter anzutreffen waren und auch von den effektivsten Luftumwälzungseinrichtungen nicht gänzlich beseitigt werden konnten. Die Kabine war dann doch leidlich sauber und aufgeräumt, wenn auch nicht sehr groß. Sie bestand aus einem winzigen Hygienemodul und einem Allzweckraum von vier mal vier Metern 88
Ausdehnung. Die Standardausführung der terranischen Handelsflotte, Typ Wohnklo mit Dusche! Duman grinste flüchtig. Der Maat setzte die Taschen ab, nickte, zog die Tür zu und verschwand. Thorn bemühte sich, nicht alles aus seinen Taschen auszupak-ken, sondern räumte lediglich
ein paar dringend notwendige Dinge in die Fächer des Hygienemoduls. Dann überlegte er kurz, ob er duschen sollte, entschied sich dagegen und statt dessen dafür, die Bequemlichkeit der Formliege auszunutzen. Er zog die Stiefel von den Füßen und streckte sich auf den Polstern aus. Sekunden später hörte er die Sirene des Schiffes in Intervallen aufheulen. Er kannte die Signale. Sie bedeuteten Start. Die A-Gravkonverter wurden aktiviert. Um vierzehn Uhr zehn Minuten Terrazeit raste die TARAKUTA aus dem irdischen System hinaus und machte sich auf den Weg ins Innere der Milchstraße. Ihr Ziel war Xing. An Bord waren, außer der Besatzung von sieben Mann und Thorn Duman, vierundvierzig riesige Atmosphärenkondensatoren und sämtliche Einzelheiten der dazugehörenden Schwingungsfeld-Erreger. Außerdem befand sich in den Frachträumen alles, was eine Kolonie von fünftausend Seelen für die Dauer eines Jahres an Dingen des täglichen Lebens brauchte und nicht selbst herstellen konnten. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt, blickte Thorn zur Decke. Er hing seinen Gedanken nach. Gedanken über Junction Mining. Und über Ogan Chann. Darüber, wie schnell er wieder in die Gesellschaft integriert worden war. Und auch darüber, was Chann gesagt hatte. Noch jetzt sah er dessen Miene vor sich, als er diesen Satz sagte: •.. für die verlorene Zeit... Ohne sein Zutun kam die Vergangenheit Stück für Stück wieder ans Licht; die zerbrochenen Splitter eines lange Zeit blinden Spiegels fügten sich zu einem Ganzen und zeigten ihm Bilder und Fakten, die ihn einmal erschreckt hatten. Die verlorene Zeit... Geradezu zwanghaft setzte die Erinnerung ein... Thorn Duman hatte als freier Cop bei Junction Mining gearbeitet, bis zu jenen schicksalhaften letzten Maitagen des Jahres 2051, als die Giants sich anschickten, die Erde zu versklaven - von da an war nichts mehr so wie früher. Drei lange Jahre, an die er keine Erinnerung besaß. Als sich die Erde endlich wieder vom Joch der Invasoren befreit sah, »erwachte« Thorn Duman in einem Rebellenlager in Djakarta. Wie er dahin gekommen war und was er vor allem während dieser drei Jahre getan hatte, ließ sich nicht mehr feststellen. Seine Verletzungen, vor allem die des Schädels, waren so schlimm gewesen, daß sie die Möglichkeiten der Mediziner vor Ort überstiegen. Man versetzte ihn deshalb in ein künstliches Koma, deponierte das, was von ihm noch übrig war, in eine Kryo-Kammer und flog ihn nach Nordamerika, wo sich die medizinischen Koryphäen in den riesigen Anlagen des militärischen Klinikkomplexes MEDDAC seiner annahmen. Die medizinische Technologie des 21. Jahrhunderts versetzte die Ärzte in die Lage, seine physischen Verletzungen zu heilen. So gesehen war er besser in Schuß als vor der Invasion durch die Giants. Er kehrte nach World-City zurück und machte sich auf die Suche nach seiner Frau und seiner Tochter. Eine vergebliche Suche. Von Gill und der zum Zeitpunkt der Invasion erst drei Jahre alten Miriam fand er keine Spur mehr. Das Viertel, in dem er mit ihnen zwischen seinen Einsätzen gewohnt hatte, war komplett zerstört. Niemand konnte ihm sagen, ob sie noch lebten oder tot waren. Sie existierten nicht mehr. Einfach weggewischt. Ausradiert aus dem Buch des Lebens.
Wie so vieles zu diesem Zeitpunkt. Er suchte fast zwei Jahre lang. Dann gab er es auf, fand sich ab 90 mit der Gewißheit ihres Todes und kehrte in die Gesellschaft zurück. .. Die TARAKUTA beschleunigte außerhalb des Sonnensystems über eine Strecke von dreißig Lichtminuten unaufhörlich, dann ging sie in den Hyperraum. Sie verließ ihn wieder, machte eine Serie von Ortsbestimmungen und blieb erneut sekundenlang in diesem merkwürdigen Medium. Schließlich legte sie die restliche Entfernung in einem einzigen Sprung zurück und schwang vor dem Xing-Systems wieder in den Normalraum zurück, um abbremsen zu können. Zehn Stunden später würde sie auf dem Raumhafen Port Frontier Junction niedergehen. Frontier Junction, im Verwaltungsgebäude, dreizehn Stunden vor der Landung Unter dem Dachlandeplatz lagen die Administrations- und Konferenzräume, die zwei Stockwerke einnahmen - und die Räumlichkeiten der Direktion, darunter Doones' Büro und sein privates Refugium. Ein Summton durchbrach die Stille. Die Tür glitt zur Seite. Eine Angestellte trat in den Raum. In der linken Hand trug die Frau ein Tablett. »Ja?« »Ihr Kaffee, Sir.« Doones nickte. »Stellen Sie ihn dorthin.« Er deutete auf den niedrigen Tisch vor dem Drehsessel und sah abwesend zu, wie sie das Tablett mit dem Kaffee absetzte und sich fragend umdrehte, das Kännchen in den Fingern. »Danke, Sharon. Ich gieße mir schon selbst ein.« Die Frau ging. Der Bürgermeister goß vorsichtig das kochendheiße Gebräu in den unzerbrechlichen Kunststoffbecher, verzichtete auf Milch und Zucker und schnupperte genießerisch den Duft. Die erste Tasse trank er im Stehen und in kleinen, vorsichtigen Schlucken. Dann goß er nach und setzte sich schwer in den Sessel. Er lehnte sich zurück, starrte durch die Scheiben hinaus und brannte sich nach einer kleinen Weile eine Zigarette an. Während der Rauch in dünnen Fäden dem Sog der Klimaanlage folgte, versuchte Irvin Doones einige Minuten lang die Unsicherheit zu unterdrücken, von der er wie die übrigen rund zweitausend Menschen des Außenpostens befallen war. Eine Unsicherheit, hervorgerufen von Dingen und Ereignissen, die sich jenseits der nüchternen Betrachtung abspielten. Der Mord - oder was immer sich auch vor wenigen Stunden dort abgespielt hatte - bildete nur den vorläufigen Schlußpunkt einer Reihe merkwürdiger Vorkommnisse. Doones merkte, wie sich seine Nervosität im Zucken eines Wangenmuskels äußerte, als er darüber nachdachte. Halblaut fluchend massierte sich der Direktor die Nasenwurzel und spürte, wie Koffein und Nikotin langsam seinen Kreislauf auf Touren brachten. Er hob den Kopf und blickte in die Runde, als sähe er diese Umgebung zum ersten Mal in seinem Leben. Der Raum war spärlich erhellt. Eigentlich gab es nur drei eng begrenzte Lichtkreise. Einer von ihnen lag auf dem niedrigen Tisch, vor dem der Bürgermeister saß. Der zweite Lichtkreis war auf dem Schreibtisch zu sehen, der mit Papieren, Datenausdrucken, Mappen, Plänen und Tabellen bedeckt war, so daß er erst einmal alles zur Seite schieben mußte, wenn er die suprasensorischen Interfaces nutzen wollte. Zwischen dem Papier stand ein orangeroter Aschenbecher aus Kunststoff, der überquoll. Der dritte Lichtkreis schließlich beleuchtete die halbkreisförmige Kommunikationskonsole, die Doones mit jeder relevanten Gegenstation innerhalb der Ansiedlung verband. Die Stille im Raum und das heiße Getränk schafften es genau fünf Minuten lang, Doones die
Illusion vermitteln, er wäre der Lösung seines Problems näher. Dann schaltete er das Vipho ein. »Medizinische Zentrale. Doktor Fox«, sagte er, als sich der Bildschirm aktivierte. Fox' Gesicht erschien auf der Fläche. 92 »Äh... hallo, Bürgermeister. Sie schon wieder«, sagte er ohne Enthusiasmus. »Ja«, sagte Doones und lächelte versöhnlich, »es muß sein. Was gibt es Neues?« »Sie meinen Hyland?« Doones nickte. »Genau, Hyland.« Der Arzt zuckte mit den Schultern und öffnete seinen Kittel. »Wir haben ihn ebenso wie die anderen isoliert und ruhiggestellt. Er ist nicht ansprechbar, aber er lebt.« »Hat sich kein neuer Aspekt ergeben?« »Nein. Der Mann ist nicht gelähmt, aber es scheint, als habe er nicht mehr die Gewalt über sich selbst. Seine Hirnimpulse zeichnen ein merkwürdiges Muster, das ich noch nie gesehen habe. Diese Art von Kurven sind in keiner medizinischen Datei verzeichnet. Er versuchte dreimal, eine pränatale Krümmhaltung einzunehmen, aber wir vereitelten das. Er liegt in einer Agonie des Verstandes, wie mir scheint, und leidet seinen Alphawellen zufolge offenbar entsetzliche Qualen. Aber er ist so gesund - ich meine organisch gesehen - wie Sie oder ich.« Doones nickte mit säuerlicher Miene. »Was wissen Sie schon über meine Gesundheit, Doktor?« sagte er nebenbei. »Was schließen Sie also aus dem Verhalten des Patienten?« »Keine Geisteskrankheit«, meinte der Mediziner. »Ihm muß etwas zugestoßen sein, das wir nicht kennen. Er erlitt einen Schock mentaler Art. Unter Einwirkung dieses Schocks handelte er in einem Reflex. Daß er seinem Partner den Schädel zertrümmerte, ist mehr ein tragischer Unfall als ein vorsätzlicher Mord. Ich nehme an, er handelte, ohne es zu wollen und zu wissen. Das trifft übrigens auch auf den Systemtechniker zu, der drei seiner Mitarbeiter angegriffen beziehungsweise mit der Waffe bedroht hat, ehe er ins Koma fiel. Bei ihm zeigen sich die gleichen Symptome.« »Sonst keine weiteren Vorfälle dieser Art?« »Nein. Nichts in den letzten Stunden, was darauf schließen ließe, daß sich Vorkommnisse dieser Art ankündigen.« »Wenigstens ein winziger Lichtblick«, sagte Doones. »Sollte sich im Befinden der Patienten etwas ändern, lassen Sie es mich 93 wissen, Doktor.« »Natürlich.« Der Mediziner nickte. Doones beugte sich vor und unterbrach die Verbindung. Als er sich zurücklehnte, wirkte sein Gesicht noch verschlossener und sorgenvoller als zuvor. In einem langen Zug trank er den inzwischen abgekühlten Kaffee, zerdrückte den Zigarettenrest im Ascher und beschäftigte sich mit wenig erfreulichen Gedanken. Er versuchte, die nächste Tasse in Ruhe zu trinken, aber es gelang ihm nicht. Wieder summte das Videophon. Erneut stellte er die Tasse zurück und aktivierte den Schirm. »Ja? Was gibt es? Es ist reichlich spät.« Das Gesicht eines jungen Mannes erschien. Doones forschte nach dem Ausdruck von Erschrecken in den Zügen, aber er konnte nichts feststellen. »Bürgermeister, Sir. Hier spricht Olink, Port Frontier Junction. Zur Zeit Diensthabender in der Funkzentrale.« Doones sagte leicht gereizt: »Ich kenne Sie, Olink, und ich weiß auch, wo Sie eingeteilt sind. Kommen Sie bitte zur Sache!« Der junge Mann in der FZ des Raumhafens nickte nervös und erwiderte: »Ich habe eben einen kodierten Raumspruch von der Zentrale bekommen, von Mister Ogan Chann. Wünschen Sie, daß ich ihn dechiffriere und auf Ihren Suprasensor lege, Sir?«
Doones winkte ab. »Wozu die Mühe. Sprechen Sie die Nachricht einfach durch.« »Gut.« Nachdem Olink geendet hatte, verspürte Doones so etwas wie vorsichtige Erleichterung. Er war froh darüber, daß ein Mann hier landen und versuchen würde, der Niederlassung zu helfen. Selbst wenn er das Problem nicht löste, so war Unterstützung von außerhalb doch eine gewisse Beruhigung. Neue Ideen, neue Gesichtspunkte. Wer war dieser Mann? Er hob die Hand. »Kennen Sie diesen Thornton Duman?« fragte er und wußte schon, als ihn der junge Mann anstarrte, daß er keine Auskunft er94 halten würde. »Nein. Nie gehört. Leider.« Wie er es sich gedacht hatte. Der Schirm wurde dunkel. Doones blickte auf sein Chrono und wußte, daß in weniger als einem halben Tag dieser Mann hier eintreffen würde. Er drehte seinen Sessel, dachte nach und verlangte dann von dem im Bereitschaftsmodus aktivierten Vipho den Anschluß von Taidan Lyng. Taidan meldete sich augenblicklich; er saß arbeitend an seinem Tisch. »Nimm eine Flasche, bringe einigermaßen gute Laune mit und komme zu mir herauf«, bat Doones. »Wir erwarten in Kürze einen Gast. Wir sollten reden.«
9. Frontier Junction, Xing Die TARAKUTA kam vier Astronomische Einheiten über dem Nordpol der Sonne aus dem Hyperraum und näherte sich schräg zur Ekliptik dem Zielplaneten. Sie verlangsamte dabei ständig ihre Fahrt. Der Planet wölbte sich ihr auf den Schirmen entgegen, kam näher und näher und schien sich auf das Schiff stürzen zu wollen. Während der Annäherung hielt sich Duman in der Hauptzentrale auf. Er verfolgte den Funkverkehr und blickte mit gemischten Gefühlen auf die Schirme, die die Kulisse zeigten, in der seine nächsten Tagen und Wochen ablaufen würden. Das Schiff passierte einen Mond... Lo?... und schwebte tiefer. Schon konnte man die Wolken und die Strukturen der Oberfläche von Xing sehen, eine Welt aus Weiß, Grün und Gelb. Sie lag, da das Schiff mit der Sonne im Rücken in den Orbit ging, voll im Licht des gleichnamigen Gestirns. Fünfundzwanzig Prozent der planetarischen Oberfläche wurden von zwei größeren Binnenmeeren bedeckt. Der Rest der Landmassen teilten sich auf in zerklüftete Gebirgszüge auf der Süd- und trockene Hochebenen auf der Nordhalbkugel. Duman sah die Wolken und die endlosen Tundren, die Flüsse und die Meere, die ins Land eingebettet waren. Deutlich war von hier aus auch schon die Besonderheit zu erkennen, die diesen Planeten auszeichnete: Rings um den Äquator zog sich eine Reihe von annähernd kreisförmigen Wüsten hin. Die Kommandos der Crew kamen ruhig und präzise, die Maschinen arbeiteten zuverlässig. »Landung in Port Frontier Junction in zehn Minuten«, sagte der Navigator. Port Frontier Junction war der Raumhafen. Mit ständig weiter abnehmender Geschwindigkeit fiel die TARAKUTA dem nördlichem Hauptkontinent entgegen, auf dem sich der menschliche Außenposten befand. 96 Dann landete das Schiff am Rande der kreisrunden Fläche, in der Nähe des nadeiförmigen Kontrollturms, dessen Spitze von den Antennen einer Hyperfunkanlage gekrönt wurde. Schlagartig erlosch der Lärm der Triebwerke und klang nur noch als Nachhall eine Weile in den Ohren weiter. Kapitän Nemhauser und Thorn Duman betraten die Rampe, die bis hinunter auf den Boden führte. Duman blieb stehen, als er sich so plötzlich mit der Wirklichkeit Xings konfrontiert sah. Er runzelte die Stirn, und seine Miene drückte seine momentanen Empfindungen aus.
»Nach einem Erholungszentrum sieht mir das hier wahrlich nicht aus.« »Sie können jederzeit mit mir zurückfliegen!« Nemhauser sah ihn von der Seite an. Gutmütiger Spott und das Bewußtsein, daß ihm diese Bemerkung nicht übelgenommen werden würde, waren aus seiner Stimme herauszuhören. »Mehr als Vertragsbruch ist es nicht.« »Ich bin noch vor keiner Arbeit davongelaufen«, beschied ihm Thorn knapp. Nemhauser lachte kollernd. »Zumindest haben Sie ein überschaubares Szenario vor sich. Frontier Junction hat eine Einwohnerzahl, die zweitausend Seelen nicht übersteigt - die Terraforming-Teams und die wenigen Farmen eingeschlossen. Ah, da kommt ja Ihre Eskorte!« Durch die Staubschleier kam ein Schweber heran und landete unweit der Rampe. Der Kapitän winkte der einzelnen Frau, die aus dem Fahrzeug stieg. Froistaad erschien in der Schleuse und trug murmelnd und unter Ächzen Dumans Gepäck die Rampe hinunter; er deponierte die beiden Taschen im Schweber und kehrte ins Schiff zurück. »Wann werden Sie das Ausladen beendet haben, Kapitän Nemhauser?« fragte Duman. »Nicht vor heute Nacht, wenn alles glatt geht.« »Dann möchte ich mich schon jetzt von Ihnen verabschieden.« »Nicht so hastig, Mister! Wir werden eine volle Ladung Erz mit zurücknehmen. Ein paar Tage, vielleicht eine ganze Woche haben Sie schon noch Zeit, sich's zu überlegen.« 97 »Was zu überlegen?« »Ob Sie wieder mit zurückwollen.« Der Kapitän drehte sich grinsend um und verschwand im Innern des Schiffes. Duman ging kopfschüttelnd die lange Rampe hinunter und auf den Schweber zu, vor dem ihn die Frau erwartete. Eine helle, sympathische Stimme. »Mister Duman?« »Ja.« »Ich bin Doktor Nev, Kimberly Nev. Im Hauptberuf Hydrologin und Xenobiologin. Im Nebenberuf Fremdenführerin. Das heißt, man hat mich damit beauftragt, Ihnen über die ersten schrecklichen Sekunden hinwegzuhelfen. Willkommen, Mister Duman. Xing und eine Menge Aufgaben erwarten Sie.« »Danke, Doktor.« Sie schüttelten sich die Hände. Ihr Händedruck war fest und zupackend. Sie lächelte ihn an; aber das Lächeln blieb auf der Oberfläche ihres Gesichtes und ging nicht tiefer - so als hüte sie sich, ihre Gedanken zu zeigen. »Kommen Sie, ich bringe Sie zur Stadt!« Sie stiegen ein. »War der Flug angenehm?« Die übliche Konversation, wenn man eigentlich nicht reden wollte, die Höflichkeit es aber scheinbar verlangte. Er grinste innerlich, dachte an die alte TARAKUTA, an den Lärm, der zu keiner Sekunde verstummte, und erwiderte sarkastisch: »Er hätte nicht angenehmer sein können.« Der Schweber startete mit summender Maschine und flog in geringer Höhe auf die Siedlung zu. »Wo werde ich wohnen?« fragte Thorn und betrachtete von der Seite das Profil der Frau; das kurze, wie Kupfer schimmernde und leicht unordentlich wirkende Haar, die im Gegenlicht der hellen Sonne deutlich sichtbaren Sommersprossen in dem schmalen Gesicht. Diese Hydrologin und was-sonst-noch-alles-Nev war attraktiv. Jetzt warf sie ihm aus ihren grünen Augen einen spöttischen Blick zu, als wolle sie sagen: Und? Gefällt Ihnen, was Sie sehen, Mister Duman? Laut sagte sie allerdings: »Wir sind gleich da. Man hat Ihnen ein Appartement im Gästehaus zugewiesen. Eines der besten, die Frontier Junction aufzuweisen hat. «
98 »Schön«, sagte Duman. »Etwas anderes hätte ich auch gar nicht akzeptiert. Kennen Sie die Leute, die mich sehen wollen?« »Ja, kann man so sagen.« Ein winziges Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Wen genau?« »Den Direktor - oder Bürgermeister, wenn Sie so wollen - Irvin Doones, seine Subdirektoren Lyng, Mandel, Carter. Und ein paar weitere Mitglieder des Magistrats. Doones ist der wichtigste Mann hier.« Duman sah aus dem Fenster, hörte aber aufmerksam zu. »Wie ist er?« Sie blieb unverbindlich. »Ein sehr tüchtiger Mann. Ehrgeizig. Er möchte Xing zu einem Juwel umgestalten und die Produktion der Mine kontinuierlich ankurbeln.« »Da sind ihm diese Vorkommnisse natürlich ein Dorn im Auge. Richtig?« Sie lächelte freudlos. »Richtig. Auf Xing sind seit der Gründung des Außenpostens noch keine wirklichen Verbrechen geschehen, von gelegentlichen Schlägereien abgesehen. Doones will, daß das so bleibt. Und nicht nur er. Wir alle wollen das.« »Ich bin schon weit in der Galaxis herumgekommen«, stellte Thorn Duman lakonisch fest. »Überall, wo ich hinkam - Kampf. Kein Paradies kommt auf Dauer ohne Schlange aus.« Sie lachte nervös auf. »Und nicht ohne einen Drachentöter mit dem Flammenschwert, wie's scheint.« »Ist das Ihr Eindruck von mir?« Er blickte erstaunt. »Natürlich nicht. Ich weiß nur, daß Sie so eine Art Polizist sind. Oder als was bezeichnen Sie sich?« Duman lachte trocken. »Sagen Sie, Doktor Nev«, wechselte er das Thema, »sind noch mehr dieser seltsamen Vorkommnisse geschehen?« »Die Ereignisse sind dermaßen rapide eskaliert, daß man schon gar nicht mehr von Einzelfällen sprechen kann. Außerdem scheint eine regelrechte Seuche in der Stadt ausgebrochen zu sein. Aber Sie werden das ja bald selbst feststellen können.« »In Frontier Junction? Ich war bislang der Meinung, die Unfälle, Mordanschläge, Selbsttötungen oder was immer sich auch hinter den Vorfällen verbergen mag, geschähen außerhalb der Mauern der Stadt?« Sie lachte hart auf. »Das ja. Aber hier scheint auch nicht mehr alles mit rechten Dingen zuzugehen. Schon seit Tagen nicht mehr. Die Stadt scheint das Böse geradezu magisch anzuziehen...« Den Rest der Strecke legten sie schweigend zurück. Thorn lehnte in den Polstern und versuchte, die Fahrt durch die kleine Stadt zu genießen. Was ihm nach dem eben Gehörten nicht ganz gelang. Frontier Junction, Bezugspunkt für etwa zweitausend Menschen, lag am Rand der Hochebene, die sich nach Nordosten hin in eine Wüste öffnete. Terraforming hatte die Umgebung der Stadt urbar gemacht. Der überwiegende Teil der Infrastruktur lag unterirdisch; zu sehen war die lockere Bebauung der Wohnbezirke mit ihren Atriumshäusern, den größeren Wohnanlagen zwischen Grünflächen, ein kleiner Flußlauf, der nahezu kein Wasser führte, ein paar artesische Brunnen und die Hochhäuser der Minen- und Stadtverwaltung. Runde, turmartige Gebäude mit etwa fünfzehn Stockwerken. Ein rechteckiges Netz von Straßen verband die einzelnen Bezirke; sie mündeten alle in die ringförmige Umgehungsstraße, die die kleine Stadt einschloß. Thorn sah ein paar Cafete-rias, ein Einkaufszentrum und einige kleinere Geschäfte, die alles Mögliche führten. Am Ostrand, in Richtung des Raumhafens, lagen die Stahlkonstruktionen und Flachbauten der Erzmine, deren Erträge der Stadt die Existenz sicherten. Über den Konverteröffnungen kräuselte grauer Rauch. Schließlich senkte sich der Schweber auf eine deutlich gekennzeichnete Fläche zwischen zwei der Turmbauten im Stadtinneren.
»Bleiben Sie sitzen, Mister Duman!«, sagte Kimberly Nev, als er Anstalten machte, auszusteigen. Der Schweber versank im Boden. Helligkeit empfing sie und das geschäftige Treiben einer Garage. Entlang an anderen Fahrzeugen und Maschinen kamen sie über ein schräges Rollband zu einem Lift, der über die Lobby im Erdgeschoß in den Zentralschacht eines der Häuser mündete. Dumans Appartement lag im obersten Stockwerk. Von einem Korridor, wie ein Kreisring um den Liftschacht gelegen, gingen 100 sechs Wohneinheiten ab. Sie hatten ungefähr dreieckige Grundrisse. Dumans Appartement war mehr ein großes Zimmer mit drei winzigen Nebenräumen. »Zufrieden?« Thorn drehte sich einmal im Kreis. Unter dem großen Fenster, dessen rechtes Viertel bis zum Boden reichte und auf einen Balkon führte, stand ein überdimensionaler Arbeitstisch, dessen Platte zu kippen war. Eine rotlackierte Lampe, ein starker Batterieempfänger, ein Standvipho mit Suprasensoran-schluß, davor ein Stahlrohrsessel. Regale, eine Liege, ein Tisch und mehrere Sessel und große Einbauschränke. Eine winzige Hygienezelle vervollständigte das Appartement. »Zufrieden«, sagte er. »Wie erreiche ich Sie?« Die Hydrologin deutete auf das Vipho. »Einschalten, Vermittlung verlangen, meinen Namen nennen. Genügt meistens, falls ich nicht gerade draußen auf dem Planeten bin, was allerdings sehr häufig vorkommt. Dann wird's etwas schwieriger. Hier sind übrigens die Unterlagen, um die Sie noch von Bord der TARAKUTA aus gebeten hatten.« »Danke.« Thorn nickte. »Wann sehen wir uns wieder?« Sie musterte ihn mit einem undefinierbaren Blick. »Ich bin sehr beschäftigt.« Er verzog keinen Muskel seines Gesichts. »Mit welchem Problem könnte ich mich denn an Sie wenden?« Sie blieb ernst. »Wenn Ihre Wasserleitung nicht funktioniert -oder so.« »Oder so«, nickte er. »Wie sieht mein Terminkalender für heute aus?« Sie sah auf ihr Chrono. »Ihr Termin mit dem Bürgermeister ist in einer Stunde. Danach können Sie tun und lassen, was Sie wollen. Wenn ich das interne Memo richtig interpretiere, haben wir, die Einwohner Frontier Junctions, die Aufgabe, Sie in Ihren Bemühungen nach besten Kräften zu unterstützen. Was immer Sie anordnen - es soll geschehen. Im Interesse Frontier Junctions und der Menschen. Haben Sie sonst noch irgendwelche Wünsche, Mr. Duman?« Er schwieg einen Moment, ehe er antwortete. »Bevor Sie gehen, Doktor Nev... der Beginn der Unfallserie, oder was immer sich am Ende auch herausstellen wird, hat sich doch außerhalb der Stadt zugetragen. Richtig?« Sie nickte. »Steht alles in den Unterlagen.« Er lächelte kurz. »Ich werde trotzdem nicht umhin können, mir ein genaues Bild von den Örtlichkeiten zu machen. Kennen Sie jemanden, der mit der näheren und weiteren Umgebung vertraut ist? Der langen Rede kurzer Sinn: Ich brauche für kurze Zeit einen Führer.« Sie rieb sich überlegend den Nasenrücken. »So ad hoc fällt mir nur mein Mitarbeiter ein, Greg Zarn.« »Zwei Fragen dazu: Ist er vertrauenswürdig? Können Sie ihn entbehren?« »Ich würde ihm bedenkenlos mein Leben anvertrauen«, erwiderte sie. »Und ja, ich kann ihn entbehren...« Sie blickte auf das Chrono an ihrem Handgelenk, wobei sich eine kleine Falte über ihrer Nasenwurzel bildete. »Er wird jetzt bereits draußen auf dem Raumhafen sein und Kapitän Nemhauser gewaltig nerven. Aber ich werde ihn von dort abberufen. Er wird sich bei Ihnen melden. Okay?« »Bestens«, sagte er mit ehrlicher Begeisterung. »Ein Problem weniger.« »Keine Angst«, erwiderte sie prophetisch. »Es bleiben noch genügend andere.« Nachdem sie gegangen war, inspizierte er das Appartement. Die kleinen, nicht zu öffnenden
Fenster der winzigen Küche und des Bades zeigten nach Osten, in Richtung auf den Raumhafen. Die Fensterfläche des Balkons schaute nach Westen. Ogan Channs Anordnungen, per Hyperraumspruch an Doones weitergegeben, hatten ihre Wirkung nicht verfehlt: Thorn fand die Schlüssel zu einem schnellen Schweber auf dem kleinen Bord im Eingangsbereich mit einer kleinen Nachricht von der zuständigen Fahrbereitschaft in der Tiefgarage. Er besichtigte das Bad mit dem halbrobotisehen Masseur, dem er einen mißtrauischen Blick zuwarf - er schien nicht unbedingt das neuste Modell zu sein - und inspizierte die begehbaren Einbauschränke, in denen die avisierte Ausrüstung hing; ein paar 102 praktische Overalls und Zubehör für längeren Aufenthalt im Freien. Darunter auch ein paar schwere Zweihandstrahler in einem verschlossenen Behälter. Thorn räumte den Inhalt seiner Taschen in die noch freien Fächer. Ganz zuunterst in der kleineren Tasche fand er, wonach er suchte: den stumpfnasigen Energienadler. Eine nach seinen Vorstellungen modifizierte Ausfertigung der marktüblichen Verteidigungswaffe. Er wog die kleine Waffe in der Hand - sie fühlte sich kühl an -und betrachtete sie. Der kurze, dicke Lauf war mit einem daruntergesetzten Laserpointer aufgerüstet und umschloß die ultrastarken Magnetfelder, mit deren Hilfe zentimeterlange, hauchdünne Hohlnadeln verschossen werden konnten, die mit einem starken, sofort wirksamen Betäubungsmittel gefüllt waren. Die Waffe war ebenso in der Lage, Explosivnadeln zu verschießen. Das Magazin im Griff faßte hundert dieser Nadeln. Die Fluggeschwindigkeit der Projektile war regulierbar und schwankte pro Sekunde zwischen fünfundvierzig bis zu fünfundsechzig Metern. Thorn steckte die Waffe in das nach seinen genauen Vorstellungen angefertigte Hüftholster, an dem auch mehrere Zusatzmagazine befestigt waren, und warf sie aufs Bett. Dann krempelte er die Ärmel hoch, ging ins Bad und wusch sich flüchtig Hände und Gesicht. Er blickte auf das Chrono am Handgelenk. Es war drei Uhr nachmittags. Um vier Uhr sollte er beim Magistrat sein, im Verwaltungsgebäude ein paar Straßen weiter. Er setzte sich an den Schreibtisch unter dem großen Fenster, regelte mit der Jalousie den Lichteinfall und vertiefte sich dann in die Berichte, die die dünne Mappe enthielt. Er notierte sich im Geiste Datum und Orte, an denen die gräßlichen Geschehnisse passiert waren. Diese Ärztin, Yanni Zu-rikov, hatte akribisch die Zeiten sowie die planetarischen Längen-und Breitengrade aufgelistet. Heute schrieb man den 4. Mai 2057. Seit knapp fünfzehn Tagen schien der Schatten einer unerklärlichen Bedrohung wie ein dunkles Tuch über Frontier Junc-üon gefallen zu sein. Während er die Berichte des Pathologen studierte, der die Leichen untersucht hatte, überlegte er, warum er etwas bei diesen Berichten vermißte. Schließlich wußte er es. Er mußte sich darum kümmern. Er blickte wieder auf das Chrono. Höchste Zeit, sich den Wölfen zu stellen. Der Vergleich mit den Wölfen erheiterte ihn. Ehe er sein Appartement verließ, befestigte er die kleine Waffe am Gürtel in seinem Rücken und steckte die Fahrzeugschlüssel ein. Dann verschloß er die Wohnungstür sorgfältig und ging den schmalen Korridor entlang. Er entdeckte den lumineszierenden Pfeil und begab sich in den abwärtsführenden Antigravschacht, den er erst in der unterirdischen Garage wieder verließ. Sein Schweber war ein schweres, allwettertaugliches Modell, gelbrot gestreift, das auch zu Atmosphärenflügen geeignet war. Thorn schaltete die Maschine ein, drehte die Kunststoffschale des Pilotensitzes in eine bequeme Position und ließ sich von der Automatik nach oben befördern. Im Freien bog er nach rechts und folgte der Straße ins Zentrum. Einen Kilometer führte die Fahrbahn geradeaus, dann schwang sie sich über eine Brücke, unter der sich ein Rinnsal von einem Flüß-chen durchquälte, und näherte sich seinem Ziel. Der Magistrat Frontier Junctions hatte seinen Sitz in einem Büroturm im Stadtzentrum. Thorn
warf die Gleitertür ins Schloß und ging ohne jede Hast unter den Kronen hochstämmiger Klonpalmen zur Lobby. Im Innern trat er in einen der vielen Antigravlifts und verließ ihn vierzehn Stockwerke höher wieder. Die Räume des Bürgermeisters beanspruchten die gesamte Etage. Damit es ja keine Zweifel daran gab, wer hier residierte, verkündete ein goldgefaßtes Schild auf der Türfüllung BÜRGERMEISTER IRVIN DOONES. Doones' Räume wurden von zwei Magistratsangestellten bewacht, die sich sichtlich beeindruckt zeigten, als sie erfuhren, wer den Bürgermeister sehen wollte. Als Thorn eintrat, kam ein Mann mit ausgestreckter Hand auf ihn zu, in dem er sofort den Bürgermeister erkannte. 104 Doones war ein breitschultriger, massiger Typ mit dem professionellem Gehabe eines erfolgreichen Immobilienmaklers, obwohl er, wie Duman aus den Dossiers wußte, ein ehemaliger Raumschiffskommandant war, den das Schicksal dann vor einigen Jahren nach Xing verschlagen hatte. Sein samthäutiges Gesicht war viereckig und wie mit flüchtiger Hand modelliert. »Willkommen auf Xing«, sagte er. »Sind Sie müde oder ausgeschlafen, Mr. Duman?« In einem diskret abgeteilten Ende des großen Raums führten elegante, teuere Apparate suprasensorische Zwiegespräche mit anderen Computern. Die Luft war so gut klimatisiert, daß sie von der draußen nicht zu unterscheiden war. »Letzteres«, sagte Thorn trocken und schüttelte die Hand des Bürgermeisters. »Letzteres. Ich habe fast während des gesamten Abbremsmanövers geschlafen. Sie sind Direktor Irvin Doones?« Doones blickte in das harte, entschlossene Gesicht mit den kühlen Augen. »Richtig. Ich stehe völlig zu Ihrer Verfügung.« Thorn warnte: »Keine voreiligen Versprechungen.« Irritiert sah ihn Doones an, dann nahm er es von der heiteren Seite. »Kommen Sie, ich mache Sie bekannt.« »Gern«, nickte Thorn. In tiefen Sesseln saßen die Männer, die die Geschicke dieses Außenpostens lenkten, um einen großen, rechteckigen Tisch. Die Vorstellung dauerte gottlob nur kurze Zeit. Thorn schüttelte die Hände der Stellvertreter Doones': Taidan Lyng, Oleg Mandel und Ron Carter. Aaron Graig war nicht unter den Anwesenden. Wahrscheinlich erachtete Doones die Tätigkeit des Sicherheitschefs als nicht wichtig genug für diese Runde. Gleich darauf saß Duman mit den Honoratioren am Tisch. Man trank Kaffee, den eine Assistentin servierte, und aus bauchigen Gläsern ein selbstgebranntes, hochprozentiges Kräuterdestillat aus einer einheimischen Frucht. »Zufrieden mit Ihrer Unterbringung?« wollte Ron Carter wissen, der einen kantig geschnittenen Bart mit einzelnen grauen Fäden trug. »Oder hatten Sie andere Vorstellungen?« »Das geht schon in Ordnung.« 105 »Es ist unser bestes Gästehaus«, meinte Oleg Mandel, ein fast hagerer Mann mit einem schmalen, zerfurchten Gesicht. »Dort bringen wir Wissenschaftler, Explorerpiloten und vorübergehend auch die Männer und Frauen der Terraforming-Teams unter...« Und erst jetzt bemerkte Thorn Duman die unterschwellige Spannung, die im Raum herrschte. Die Männer schienen sich durch die Bank unbehaglich zu fühlen. Er konnte verstehen, weshalb. Schließlich repräsentierte er Junction Mining, die Zentrale. Wie er Ogan Chann kannte, hatte der keine Zweifel daran gelassen, wie seine Position in diesem überschaubaren Gemeinwesen aussah. »Bitte, meine Herren, entspannen Sie sich«, sagte er. »Ich bin einzig und allein aus dem Grund hier, um diese schrecklichen Vorfälle aufzuklären...« Thorn suchte nach einer Zigarette und hielt sie zwischen den Fingern, ohne sie jedoch anzuzünden. »Glauben Sie mir, ich werde zu keiner Zeit in Abläufe eingreifen, die ausschließlich Ihre Ressorts betreffen. Ich bin nur ein
Cop - allerdings von der Zentrale mit so weitreichenden Vollmachten ausgestattet, daß ich im Notfall über Ihnen allen stehe. Es kann sein, daß ich von Ihnen Unterstützung in Form von Männern und Waffen benötige. Dann erwarte ich diese ohne Rückfragen oder irgendwelche anderen Verzögerungen. Bitte instruieren Sie alle relevanten Stellen dahingehend, daß ich Zugang zu allem bekomme, was ich mir ansehen möchte. Seien es Gebäude, Fahrzeuge, Waffen oder Suprasensor-Zugriffszeiten. Ich habe vor, für das Geld, das Junction Mining mir zahlt, mein Bestes zu tun.« »Löblicher Vorsatz« sagte Doones. »Ich habe bereits alles veranlaßt.« Thorn hob anerkennend die Brauen. »Sie scheinen auch recht viel zu verdienen - dem Grad Ihres Engagements nach zu schließen.« Doones räusperte sich, während Taidan Lyng offen grinste. Carter sagte: »Haben Sie eigentlich schon viele solcher Einsätze für Junction Mining erledigt?« Thorn zündete sich ruhig die Zigarette an, die er noch immer in der Hand hielt. Als sie brannte, fixierte er den Mann durch die 106 Rauchschleier hindurch. »Gehen Sie davon aus, daß es sich so verhält.« »Haben Sie bereits einen Plan, wie Sie vorgehen werden?« Er warf einen Blick in die Gesichter der vier Männer, die die Geschicke Frontier Junctions lenkten. »Dafür ist es noch ein bißchen zu früh; ich muß mir erst ein Bild machen. Dazu werde ich Leute befragen und mich umsehen müssen. Vielen werde ich sogar auf die Nerven gehen, schätze ich mal.« Oleg Mandel knurrte: »Sehr wissenschaftlich ist das aber nicht, Duman!« »Aber unter Umständen sehr erfolgreich, Mandel«, gab Thorn zurück. »Vermutlich haben Sie versucht, Ihr Problem mit wissenschaftlichen Methoden zu untersuchen, ohne rechten Erfolg. Ich versuche es mit der induktiven oder deduktiven Methode oder mit beiden gleichzeitig. Manchmal nehme ich auch Waffen dazu in Anspruch, getreu dem Ausspruch >Vertraut auf Gott und haltet das Pulver trocken<.« Oleg Mandel stand auf, so ungestüm, daß der Stuhl umkippte. Er ballte die Fäuste und polterte mit krebsrotem Gesicht: »Was reden Sie nur daher? Wir sind doch keine Narren! Schließlich versuchen wir, mit einem wirklichen Problem fertigzuwerden. Dabei können wir lockere Sprüche nur in eher begrenzter Menge brauchen!« »Denken Sie an Ihren Blutdruck!« erwiderte Thorn scharf. Etwas in seiner Stimme ließ Mandel zusammenzucken und verstummen. »Setzen Sie sich wieder, und werden Sie vernünftig!« Mandel gehorchte. Eine flüchtige Sekunde lang flackerte Verwirrung in seinen Augen auf. Offensichtlich hatte er Thorn ein bißchen von dem Ärger vermitteln wollen, den er darüber empfand, daß man ihm quasi einen in seinen Augen völlig unqualifizierten Mann vor die Nase setzte, nur um plötzlich feststellen zu müssen, daß er diesen Mann nicht provozieren konnte. »Also, Mr. Mandel«, fuhr Thorn ohne Betonung fort. »Nicht ich bin verantwortlich für das, was hier geschieht, sondern jemand anders. Ein Jemand, der Leute auf bestialische Weise umbringt und dieses vermutlich auch weiterhin tun wird. Den Grund dafür werden wir hoffentlich bald wissen. Seien wir also nett zueinander 107 und widmen uns vorrangig dieser Aufgabe anstatt uns gegenseitig anzufeinden. Ich wende nun mal meine speziellen Methoden an. Ich halte nichts davon, alles nur akademisch zu betrachten. Sie werden sich dazu bequemen müssen, meine mitunter lockere Sprechweise zu akzeptieren. Probleme gibt es gratis, überall und zu allen Zeiten. Man muß sie, da sie sowieso schon existieren, nicht noch dadurch vergrößern, daß man nur mit griesgrämiger Stimme von ihnen spricht. Ich rede manchmal sehr fröhlich von höchst ernsten Dingen. Damit müssen Sie sich abfinden, meine Herren...« Er drückte seine Zigarette aus. »Und dies war die unwiderruflich letzte Erklärung dieser Art.«
Er wandte sich direkt an den Bürgermeister. »Aber es gab doch auch in den letzten Stunden weitere, rätselhafte Vorkommnisse, oder?« Doones blickte Thorn an. »Woher...? Ach so, Doktor Nev hat geplaudert. Hmm. Jetzt, wo Sie es ansprechen - ja, wir haben offenbar ein weiteres Problem. Unsere Mediziner werden vermehrt mit gesundheitlichen Problemen einer Reihe von Einwohnern konfrontiert.« »Wie äußern die sich?« »Übelkeit, Schwindelanfälle, Halluzinationen, Phasen völliger Desorientierung, die Sekunden andauern oder auch länger. Viele lassen ihre Arbeit einfach liegen und gehen völlig obskuren Beschäftigungen nach. Sie scheinen unter ständigen Schmerzen zu leiden. Und dann gibt es noch welche, die erst in eine Art Koma fallen und sich dann selbst töten, sobald sie daraus aufwachen. Oder die andere, Unbeteiligte, töten, und dann in eine Art Katato-nie fallen.« »Es sind schon Morde vorgekommen?« Doones nickte schwer. »Zwei Tötungen der ungewöhnlichsten Art«, erwiderte er, ohne darauf einzugehen, welcher Natur diese gewesen waren. »Was machen Sie mit den Patienten, die nicht mehr ansprechbar sind?« »Wir stellen sie ruhig. Mehr können wir im Augenblick nicht tun.« 108 »Wie viele sind es?« »Fünf Männer. Eine Frau.« »Kann ich sie sehen? Es würde mich interessieren.« Widerwillig, weil er den Sinn dieser Bitte nicht einzusehen vermochte, nickte der Bürgermeister. Thorn lächelte ihn an. »Und da wir nun eine vernünftige, wenn auch nicht besonders erfreuliche Ausgangsbasis für meine weiteren Ermittlungen geschaffen haben«, sagte er und stand auf, »würde ich vorschlagen, daß wir uns in die entsprechende Krankenabteilung begeben.« 109
10. Doktor Clark Fox, der Chefmediziner und Neuropsychiater des kleinen Ärzteteams von Frontier Junction, ein etwa sechzigjähriger Mann, kam auf die Gruppe zu. »Sie müssen der angekündigte Wundertäter sein«, sagte er mit angemessener Ironie zu Thorn Duman, »auf den wir alle warten.« Er bediente sich einer auffallend abgehackten Sprechweise. Die Männer schüttelten sich die Hände. »So ist es. Ich versuche, Ihnen zu erklären, wie Sie es machen müssen, um die Kranken zu heilen.« Doktor Fox lächelte. »Dr. med. Eisenbarth 2057 nach Christi«, spöttelte er. »Sie wollen gewiß unsere Patienten sehen?« »Gewiß«, sagte Thorn. »Dann kommen Sie mal mit...« Er öffnete die Tür zu einem kühlen, matt erhellten Korridor und ließ Doones und Duman vorgehen. Am Ende des Korridors schloß er eine Tür auf. »Hier herein.« Duman ließ seine Blicke wandern; um ihn herum erstreckte sich die antiseptische Atmosphäre einer Klinik. In einem hexa-gonförmigen, großen Saal waren fünfzehn komplizierte Lebensret-tungsanlagen aufgebaut, versehen mit sämtlichen Einrichtungen zur Intensivbehandlung. Der Patient konnte in Schräglage liegen, in einem Dutzend unterschiedlicher Knicklagen sitzen oder gebettet werden sowie durch eine AntiSchwerkraftEinrichtung gehoben, gedreht, mühelos bewegt und neu gelagert werden. Der Su-pra-Med am Kopfende der Lebenserhaltungs-Liege überwachte sämtliche Vitalfunktionen von den Gehirnwellenmustern bis zum Herzschlag. Jede gewünschte Raumtemperatur konnte erzeugt werden.
Sechs dieser Einrichtungen waren belegt - von Patienten, die durch Fesselfelder in der günstigsten, vom Suprasensor ermittelten Lage festgehalten wurden. Die Felder gestatteten langsame Bewegungen, aber wenn einer der Patienten oder die Patientin gegen 110 sich, die behandelnden Ärzte oder die Pfleger gewalttätig zu werden drohte, hemmten sie seine Bewegungen bis hin zur Bewegungslosigkeit. Duman blinzelte und sah auf die reglosen Körper. Die Faserleitungen der Überwachungselektroden sprossen wie weiße Keime aus Brust, Rücken und Nacken eines jeden einzelnen und verschwanden als gedrehter Strang in dem grauweiß lackierten Supra-Med hinter der Liege. Die Monitore lieferten eine Flut von Daten über Blut-pH-Werte, Blutdruck, Herztätigkeit und Leukozytenzahl. »Sieht friedlich, aber nicht besonders schön aus, nicht wahr?« sagte Irvin Doones, zu Thorn gewandt. Dann richtete er seine Worte an den Chefmediziner. »Noch immer keine Besserung in Sicht?« Zögernd antwortete Doktor Fox: »Bei Duran haben sich die Alphakurven leicht verändert. Er ist in der Lage, ein paar unbedeutende Bewegungen zu machen. Blinzeln, Mundbewegungen.« »Mehr nicht?« fragte Thorn. »Nein«, erwiderte der Mediziner. »Wir haben alles versucht, was möglich war. Wir können die Patienten nur davor bewahren, sich selbst zu töten.« Duman blickte sich um. »Was machen Sie, wenn die Vorfälle Ihre Kapazität hier übersteigen?« »Um Hilfe schreien. - Nein. Im Ernst. Wir werden die Patienten solange in Kryokammern unterbringen, bis ein Großraumschiff sie zur Erde mitnehmen kann.« Fox blickte Thorn Duman an. »Noch irgendwelche Fragen?« »Was geschieht Ihrer Meinung nach hier auf Xing? Was weiß man inzwischen? Was wissen Sie? Was vermuten Sie?« »Worauf wollen Sie hinaus, Mister?« »Sagen Sie es mir. Sie sind der Wissenschaftler.« »Denken Sie an eine Virenerkrankung?« »Viren, Bakterien... was es so gibt auf einem fremden Planeten.« Der Mediziner musterte Duman lange und schweigend. Dann sagte er: »Es ist keine Krankheit wie Ausschlag oder Entzündung, 111 wenn Sie darauf anspielen.« »Sind Sie sicher?« Ungehalten erwiderte Fox: »Ziemlich. Sonst würden wir hie nicht so offen im Raum stehen. Verstehen Sie: Wir haben dies bezügliche Untersuchungen angestellt - es liegt keine organisch Krankheit vor. Zumindest keine, die wir kennen. Die körperliches Werte der Patienten zeigen keine meßbare Veränderung. Es git keine Inkubationszeit. Und wir befinden uns schon eine ganz Weile auf Xing. Es geschieht mehr hier oben«, er tippte sich an di Stirn. »Als würde jemand Störimpulse aussenden...« Eine Hand griff nach dem Vorhang, hinter dem die Wahrhei verborgen lag. »... die die Psyche der Männer und Frauen verändert und ver sucht, sich des Verstandes dieser Menschen zu bemächtigen. Wi gehen auch diesem Ansatz so lange nach, bis er sich als richti oder falsch herausstellt.« Plötzlich wirkte der Mediziner erschöpft; ein Mann, der sich ta gelang mit Dingen beschäftigt hatte, die weitestgehend unsichtba waren, unbegreiflich, und die er nicht einzuordnen vermochte. Da Problem hier auf Xing schien seine Kräfte aufgesogen zu habe wie ein ausgetrockneter Schwamm. »Kommen Sie, Doktor. Soweit ich das sehe, spaltet sich di Bevölkerung Frontiers in zwei Gruppen. Eine, die sich infiziei hat, womit auch immer, und eine andere, die nicht befallen isi Wie ist so etwas möglich?« Doktor Fox schnappte: »Finden Sie es heraus. Sie wurden un von Junction Mining geschickt! Wir wissen es nicht. Es ist woh wie mit jeder anderen Krankheit auch, ein Teil wird infiziert,
ei anderer ist dagegen immun.« »Ich habe nicht vor, Ihre Arbeit zu tun«, erwiderte Thorn be schwichtigend. Ihm war die Streßsituation durchaus bewußt, in de sich der Mediziner, in der sich alle hier in Frontier befinden muß ten. »Ich sammele lediglich Informationen. Darf ich Sie noch ei was fragen?« »Bitte«, sagte der Wissenschaftler. »Wann sind die ersten Symptome aufgetreten? Oder anders ge fragt: Zu welchem Zeitpunkt erfuhren Sie von den Veränderungei 112 innerhalb der Bevölkerung?« »Vor zwölf Tagen.« Zwölf mal 23 Stunden... Etwas schien hier ganz gewaltig zu eskalieren. »Ist Ihnen, meine Herren, eigentlich schon einmal der Gedanke gekommen, daß beide Ereignisse, die gräßlichen Vorkommnisse draußen auf Xing und die Häufung merkwürdiger Krankheitssymptome bei den Einwohnern der Stadt in Zusammenhang stehen könnten?« »Jetzt spekulieren Sie aber munter drauflos, nicht wahr?« meinte der Chefmediziner kopfschüttelnd. Thorn grinste. »Das habe ich Akademikern voraus. Ich kann mir das Abwegigste vorstellen, ohne in Gewissenskonflikte mit der gängigen Lehrmeinung zu geraten. Bitte, Doktor, wenn sich etwas im Befinden der Patienten ändern sollte, setzen Sie sich sofort mit mir in Verbindung.« »Sicher doch«, versprach Fox. »Was werden Sie jetzt weiter unternehmen?« »Ich möchte mit Doktor Sykes sprechen. Er hat die Autopsien an den drei verstümmelten Leichen vorgenommen. Ist er im Hause?« Doktor Fox konsultierte sein PAD. »Ist er«, nickte er. »Sie finden ihn unten in der Notaufnahme.« Der Bürgermeister und seine Stellvertreter waren in ihre Büros zurückgekehrt. Dringende Geschäfte, wie sie versichert hatten. Thorn trat kurz darauf in der Lobby aus dem A-Gravschacht und ging durch die Doppeltür, über der NOTAUFNAHME stand. Er trat an die Information. »Ich bin Thorn Duman«, sagte er zu der jungen Dame hinter der Theke. »Wo finde ich Dr. Sykes?« »Muß ich nachschauen«, erwiderte sie und musterte Thorn genau. Offensichtlich war die Nachricht von seiner Ankunft auch schon bis zu ihr vorgedrungen. Konnte ihm recht sein. Das verein•P
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lachte vieles. Sie konsultierte einen Monitor. Schließlich nickte sie. 113 »Ich bringe Sie zu ihm.« Wenig später saß Thorn dem Mediziner in dessen Arbeitszimmer gegenüber. »Sie müssen der Mann sein«, sagte Dr. Sykes überflüssigerweise, »der uns von Junction Mining angekündigt worden ist.« Er wirkte nervös und überarbeitet. Thorn nickte lächelnd. »Ja, der bin ich« »Was kann ich für Sie tun?« »Ich möchte Ihnen einige Fragen stellen.« »Ich weiß nicht...« Sykes zierte sich ein bißchen, »ob ich das so ohne weiteres tun kann.« Er vermied geflissentlich das Wort »darf«. »Sie können«, sagte Thorn und lächelte stärker. »Aber wenn Sie erst den Bürgermeister um Erlaubnis fragen müssen... bitte!« Das wirkte. »Was möchten Sie wissen?« fragte Dr. Sykes. »Mir ist bei Ihren Obduktionsberichten etwas aufgefallen«, begann Thorn ohne weitere Umschweife und zählte die Punkte auf. Der Mediziner, dessen Gesicht von der schräg einfallenden, schon recht tiefstehenden Sonne
in merkwürdige Reflexe von Licht und Schatten getaucht wurde, musterte ihn lange und wortlos. Dann sagte er: »Das sind sehr spezifische Fragen zu einem Spezialbereich meines Berufes, der nicht jedem geläufig ist. Sind Sie sicher, daß Sie soviel behalten können?« »Doch, doch«, antwortete Thorn Duman. »Das gehört nun wiederum zu meinem Beruf.« »Na gut. Also, die Wunden der Toten wurden nicht durch Waffen oder scharfe Werkzeuge verursacht. Der Scan hat keinerlei Rückstände gefunden, die wir aber unweigerlich hätten entdecken müssen, wenn die Verletzungen durch einen metallenen Gegenstand verursacht worden wären.« »Ein Raubtier?« Sykes lachte auf. »Ich bitte Sie. Es gibt keine Raubtiere auf Xing.« »Falsch!« »Wie bitte?« 114 »Es muß heißen: Es gab keine Raubtiere - bis zu jenem ersten Unglücksfall.« »Wo soll so ein Biest auf einmal hergekommen sein?« »Was weiß ich?« Thorn zuckte mit den Schultern. »Haben Sie eigentlich den Zusatzbericht der Xenobiologin Kimberly Nev gelesen?« »Natürlich«, schnappte Sykes, ärgerlich darüber, daß er seine Kompetenz von einem Cop in Frage gestellt sah. »Natürlich habe ich das getan, sehr genau sogar.« »Offensichtlich nicht genau genug«, stellte Thorn fest. Sykes machte den Eindruck, als wolle er jeden Augenblick aus der Haut fahren. Doch er beherrschte sich und sagte nur leicht gereizt: »Meinen Sie etwa die Fußspuren, die Mrs. Nev und Doktor Zurikov am Unfallort des Farmhelfers von Scott Haywire entdeckt haben wollen?« Thorn nickte nur. »Ich bitte Sie, das kann alles kaum möglich sein... obwohl«, er runzelte mit einem Mal die Stirn. »Obwohl was!« »Die ganze Zeit über ist mir bei den Verletzungen, die die Leichen aufweisen, immer etwas bekannt vorgekommen. Jetzt, wo Sie es sagen, drängt sich mir der Verdacht auf, Sie könnten mit dem Raubtier gar nicht so verkehrt liegen. Ich habe während meiner Ausbildung eine Reihe von Unfällen mit Raubtieren zu Gesicht bekommen. Die Haut- und Fleischablösungen wiesen in etwa die gleichen Dimensionen auf, wie sie bei Gustavson und den anderen aufgetreten sind, wenn man sie auch nicht gerade als typisch ansehen kann. Es könnte sich tatsächlich um ein uns unbekanntes Raubtier handeln, das wir einfach noch nicht entdeckt haben. Vielleicht ist eines der Terraforming-Teams in sein Territorium eingedrungen...« »Und es hat sich auf diese Weise revanchiert?« mutmaßte Duman, als der Mediziner verstummte. »Warum nicht? Aber das ließe sich noch feststellen.« »Wie?« Thorn beugte sich vor. »Ist Ihnen der Begriff Desoxyribonukleinsäure geläufig?« »DNS? Klar! Eine der Schlüsselsubstanzen des Lebens über115 haupt. Ein Kettenmolekül, das sämtliche Erbinformationen und Zellbaupläne eines Lebewesen enthält. Richtig?« »Ich sehe« sagte Sykes mit einem angespannten Lächeln, »Sie haben in der Schule aufgepaßt.« Duman machte eine abwehrende Handbewegung. »Nicht mehr als andere. Und?« »Die Trägeratome sind innerhalb dieses Kettenmoleküls angeordnet wie zwei ineinander verlaufende Wendeltreppen, in einer sogenannten Doppelhelix.« »Ja, ja, das alles ist mir geläufig. Aber was hat die Doppelspirale mit den Männern zu tun, die umgebracht wurden?« Der Mediziner lächelte zurück. »Sehr viel, würde ich sagen - oder auch gar nichts. Raubtiere besitzen eine gänzlich anders
geartete DNS. Außerdem sondern sie beim Schlagen einer Beute Speichel ab, aus dem man auf die Erbinformationen des Trägers schließen kann. Ich müßte nur verschiedene Parameter beim Scan verändern, um solche Spuren auch jetzt noch an den Wunden entdecken zu können.« »Wann kann ich mit einem Ergebnis rechnen?« Der Mediziner wirkte plötzlich wie elektrisiert. Die Aufgabe reizte ihn sichtlich. »In drei, vier Stunden. Ich bin mir sicher, bis dahin habe ich die Ergebnisse. Wo kann ich Sie erreichen?« Thorn stand auf. »Ich bin im Gästeturm untergebracht. Sie finden mich in Nummer Fünfzehn-Vier. Lassen Sie es mich wissen, wenn sich in der Zwischenzeit noch etwas anderes ergibt. Sie können mich jederzeit stören.« Sie schüttelten sich die Hände. Und während Thorn zu seinem Schweber ging, hatte er das Gefühl, einen winzigen Schritt weitergekommen zu sein. Er wußte nur nicht, in welche Richtung. Es war dunkel geworden. Thorn aktivierte die Maschine und schaltete die Beleuchtung ein. Langsam schwebte er im spärlichen Verkehr mit und beobachtete die Bewegungen auf den erleuchteten Straßen. Es schien ihm immer deutlicher zu werden: Frontier Junction war eine Stadt, auf der ein Schatten der Furcht lastete wie ein schweres Tuch. Wäh116 rend der Fahrt überlegte er. Wie sollte er vorgehen? Hatte er überhaupt schon irgend etwas Greifbares? Thorn besaß keine akademische Ausbildung. Aber ein paar Dinge, die er während seines langen und harten Trainings als interstellarer Cop gelernt hatte, blieben entscheidend für sein ganzes Leben: Auf Grund seiner gesammelten Erfahrungen war es ihm möglich, fast allen Vorkommnissen ohne Vorurteile gegenüberzutreten. Auch dem Problem Xing. Und - er mußte skeptisch bleiben. Skeptisch gegenüber dem, was Doones sagte, gegenüber den Erkenntnissen der Mediziner hier und noch kritischer gegenüber dem, was ihm selbst als richtig erscheinen mochte. Er bremste den Schweber ab, als er die Beleuchtung sah. Hinter der schmalen Brücke, die über den Fluß führte, befand sich an der rechten Seite eine Art Einkaufszentrum auf einer Fläche von etwa hundertzwanzig mal einhundert Metern. Kleine Läden, Imbißbuden, zwei Kneipen und ein kleiner Supermarkt. Am hinteren Ende, unterhalb einer Terrasse, ein Schweberparkplatz. Auf der Terrasse selbst eine Cafeteria. Tische und Stühle standen dort, nur teilweise besetzt. Auf den Tischen brannten Windlichter und schufen eine anheimelnde Atmosphäre, die Thorn hier, über fünfzehnhundert Lichtjahre von Terra entfernt, so nicht erwartet hätte. Überrascht bog er auf den Parkplatz ein, stoppte die Maschine, schaltete die Scheinwerfer ab und stieg aus. Eine Weile stand er an den Schweber gelehnt, sah dem Betrieb auf der Terrasse zu und rauchte eine Zigarette. Dann entschloß er sich, einen Kaffee zu trinken. Er ging die breiten, flachen Stufen hoch, wich ein paar Kindern aus, die über die Treppen hüpften, und bemerkte zwei Dinge. Er blieb stehen. An einem Tisch saß Kimberly Nev. Neben ihr eine andere, bemerkenswert hübsche Frau, deren blonde Mähne an eine Löwin erinnerte. Zwei Stühle waren noch frei. Thorn ging ein wenig zögernd auf die beiden zu. »Darf ich mich zu Ihnen setzen?« fragte er halblaut. Kim Nev schaute auf. »Aber ja, doch, setzen Sie sich«, nickte sie, als sie ihn erkannte, und zu ihrer Nachbarin gewandt sagte sie: »Yanni, darf ich Ihnen 117 Thorn Duman vorstellen. - Mister Duman, Frau Dr. med. Yanni Zurikov.« »Sie müssen der Drachentöter mit dem Flammenschwert sein«, sagte die Ärztin mit dunkler, vibrierender Stimme. »Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen!« Sie lachte satt und tief, als sie seine Verwunderung sah. Ihr Händedruck war fest und zupackend, und sie räkelte sich in ihrem Stuhl wie eine satte Anakonda.
»Ich bin überrascht«, sagte er und setzte sich. »Mich hier zu treffen?« »Wie schnell sich etwas auf Xing verbreitet«, erwiderte er mit einem dünnen Grinsen und winkte dem Kellner. »Ich gebe es zu«, gestand Kim Nev kleinlaut, »wir haben über Sie gesprochen.« Sie war nicht wirklich zerknirscht, aber es war gut gespielt. »Einen Kaffee«, sagte Thorn zum Kellner. »Drei!« verbesserte Yanni Zurikov, »und eine Runde Tequila mit Eis.« »Tequila hier auf Xing?« wunderte sich Thorn. »Ganz recht«, versetzte Yanni. »Wird aus einer xingschen Kakteenart gebrannt. Reine Medizin. Hilft garantiert gegen alle kleineren Wehwehchen.« Sie lachte wieder; es war offensichtlich, daß sie bereits etwas gegen ihre eigenen getan hatte. Bis der Kellner die Getränke brachte, redeten sie über belanglose Dinge. Thorn trank den Kaffee in einem Zug aus, nahm dann das Glas in die Hand und lehnte sich zurück. »Wie war denn Ihr Tag so?« erkundigte sich Kim und fischte mit dem Kaffeelöffel das Eis aus ihrem Drink. »Es ging so«, sagte Thorn. »Ich mußte ein paar Fronten klären, aber sonst gab es kaum Schwierigkeiten.« Er ließ das Eis in einem monotonen Geräusch gegen das Glas klicken. »Was ist Irvin Doo-nes für ein Typ?« »Ein schwieriger«, erwiderte Kimberly, diesmal offenbar wahrheitsgemäß. »Einer, der meint, Xing gehöre ihm.« »Ist er eigensinnig?« Die Hydrologin und Xenobiologin zuckte die wohlgeformten 118 Schultern und rührte den Kaffee um, nachdem sie den Tequila hineingeschüttet hatte. »Ja und nein. Wenn er merkt, daß es nicht nach seinen Vorstellungen geht, kann er schon mal sehr unangenehm werden.« Thorn grinste grimmig. »Das«, so versicherte er mit Nachdruck, »kann ich auch.« Kim musterte ihn. »Ich glaube Ihnen das aufs Wort«, sagte sie. »Aber es wird schwierig werden. Bis jetzt hat Junction Mining noch niemals jemanden geschickt, der in der Hierarchie noch über dem Bürgermeister kam. Und nun das! Ein konzerninterner Cop mit Vollmachten, von denen der Bürgermeister noch immer träumt. Ich denke, Doones kann ein paar Nächte überhaupt nicht schlafen.« »Das«, knurrte Thorn ungerührt, »trifft mich aber wirklich hart.« Er schwieg einen Moment, ehe er sich erkundigte: »Sie beide haben doch den Tatort auf der Hay wire-Farm in Augenschein genommen. Diese Fußabdrücke - bleiben Sie dabei, daß es sich um ein Insektenwesen handeln könnte?« »Haben wir das so in unserem Bericht erwähnt?« wandte sich Kim an Yanni. »So oder so ähnlich«, bestätigte die Ärztin. »Mit konkretem Hintergrund?« »Eine Hypothese«, schränkte Kimberly Nev ein. »Nicht mehr als eine vage Überlegung.« Thorn schüttelte nachdenklich eine Zigarette aus der Packung und hielt sie zwischen den Fingern. Er zögerte sekundenlang, sie anzuzünden. »Bitte, hätten Sie auch eine für mich?« bat Yanni Zurikov. »Selbstverständlich«, erwiderte Thorn und gab ihr Feuer, er stellte sich dabei so ungeschickt an, daß ihm das Feuerzeug aus der Hand fiel. Mit einer entschuldigenden Geste versuchte er es noch einmal; diesmal ohne Komplikationen. Die Ärztin schüttelte langsam den Kopf und murmelte: »Das Übel mit den Männern ist, daß sie sich am Morgen um zehn Jahre jünger fühlen und am Abend um zwanzig Jahre älter. Hoffentlich können Sie beim Nachtmahl noch die Gabel zum 119 Mund heben.« Thorn lachte laut und sagte: »Ich esse höchst selten zur Nacht, Verehrteste. Also erübrigt sich
Ihre Sorge um mein Wohlergehen.« Er wandte sich an die Hydrologin, in deren rotem Haar die Reflexe der Windlichter spielten. »Könnten Sie mir Ihre subjektiven Überlegungen zu dem schildern, was Sie glauben gesehen zu haben?« »Ich kann es versuchen«, nickte sie. Thorn hörte schweigend zu, während sie ihm ihre Vorstellungen von einer anthropoiden Kreatur von erheblicher Größe darlegte. Und sie schloß mit den Worten: »Wie gesagt, dies alles sind Hypothesen. Durch nichts bewiesen. Ob sie zutreffen, wird sich erst dann herausstellen, wenn wir einer derartigen Kreatur von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen.« Sie trank ihren Kaffee aus und winkte dem Kellner. »Ich muß gehen«, sagte sie, während sie für sich und die Ärztin zahlte. »Morgen ist ein harter Tag, und ich brauche eine Mindeststundenzahl an Schlaf.« Thorn stürzte seinen Tequila hinunter und drückte die Zigarette aus. Er stand auf, als sich die beiden Frauen erhoben und sich von ihm verabschiedeten. »Wir sehen uns sicher wieder«, meinte Yanni Zurikov, während Kimberly Nev bereits die Stufen zum Parkplatz hinunterging. »Ich freue mich schon darauf.« »Ich weniger«, sagte er trocken. Ihre Brauen schwangen große Bogen. Und er beeilte sich, hinzuzufügen: »Es würde bedeuten, daß ich krank werde, und darauf lege ich keinen Wert.« Sie gab ihm einen Klaps auf den Unterarm. »Sie haben recht«, gab sie zu. »Von dieser Seite habe ich es noch gar nicht betrachtet.« »Aber ich«, erwiderte Thorn und sah grinsend zu, wie sie Kimberly Nev nacheilte. Dann zahlte er und ging zu seinem Schweber. 120 Von der unterirdischen Garage seines Wohnturmes aus ließ er sich vom A-Gravlift bis in die Lobby bringen. Dort schwang er sich aus dem sanften Aufwärtssog. Die Eingangshalle war hoch, reichte über zwei Etagen. Im Hintergrund führte eine breite Treppe nach oben. An den Wänden eine Reihe von Sitzgelegenheiten, Pflanzeninseln, die die nüchterne, funktionelle Strenge auflockerten und die Lobby in verschiedene Zonen einteilten. Vor der Treppe lag die Empfangstheke. Er trat vor die Rezeption, die auch um diese Zeit noch besetzt war. »Hat jemand nach mir gefragt?« erkundigte er sich bei der Angestellten. Wortlos deutete sie auf einen Mann, der in einem der bequemen Sessel mehr lag als saß und die Beine weit von sich gestreckt hatte. Als sich Thorn Duman ihm näherte, stand er trotz seiner massigen Figur behende auf. Er war schon etwas älter, in den Fünfzigern vermutlich, aber ein Schrank von einem Mann. Muskulös, mit glitzernden Augen und Glatze. Seine Hände sahen aus, als könne er damit einem Roboter den Schädel eindellen. »Mister Duman?« fragte er. »Ja.« »Greg Zarn. Ehemals Raumpilot, jetzt Mädchen für alles. Doktor Nev hat mich beauftragt, Ihnen die Gegend zu zeigen und mich um Sie zu kümmern. Geht das so in Ordnung?« »Das geht so in Ordnung«, nickte Thorn. Die Männer schüttelten sich die Hände. Zarns Händedruck ließ Thorn um die Unversehrtheit seiner Fingerknochen bangen. »Wann soll ich meinen Dienst antreten?« »Nicht vor morgen«, bremste Thorn den Tatendrang seines neuen Mitarbeiters. »Wie kann ich Sie erreichen? Wo sind Sie untergebracht?« Zarn grinste. »Hier, wo auch Sie wohnen, Mister Duman.« »Wie praktisch«, murmelte Thorn und versuchte, nicht allzusehr überrascht zu wirken. »Sie finden mich tagsüber entweder hier in der Lobby, oder nachts in Nummer Drei-Sieben«, fuhr Greg Zarn fort, »falls Ihnen der Sinn nach einem nächtlichen Ausflug steht.« »Das«, knurrte Thorn, »ist fast zuviel des Guten. Trotzdem: Ich danke Ihnen. Doch zunächst
rüsten Sie sich für einen Ausflug morgen früh.« »Wie lange denken Sie, werden wir draußenbleiben?« »Gibt es einen Grund für Ihre Frage?« erkundigte sich Thorn. »Der Grund ist Art und Umfang der Ausrüstung, die ich ordern müßte.« »Ich habe nicht vor, länger als ein paar Stunden draußen zu verbringen. Können Sie mit einer Waffe umgehen?« »Könnte ich das nicht, säße ich nicht hier», versicherte Zarn knapp. »Warum wollen Sie das wissen, Mister Duman?« »Ich kann meine Augen nicht überall haben. Und wenn ich schon mit jemanden unterwegs bin, möchte ich, daß sich dieser Jemand auch notfalls selbst verteidigen kann. Ist das ein Problem für Sie?« »Kein Problem«, versicherte Zarn. »Gut«, nickte Thorn. »Wir treffen uns morgen früh um sieben Uhr hier. Bringen Sie mit, was Sie für einen halben Tagesausflug für richtig erachten. Und jetzt entschuldigen Sie mich, ich habe noch einiges zu tun.« Er schwebte durch den Zentralschacht nach oben, ging in sein Appartement und blieb nachdenklich vor der Brüstung des winzigen Balkons stehen. Die Zahl der Lichter hatte abgenommen. Die Bevölkerung Frontier Junctions gehörte zu jener Menschengruppe, die hart arbeitete und früh zu Bett ging... Wir werden die Patienten solange in Kryokammern unterbringen, bis ein Großraumschiff sie zur Erde bringt... Dieser Satz des Chefmediziners ging ihm nicht aus dem Kopf. Ein Großraumschiff! War die TARAKUTA nicht ein solches? Er kehrte ins Appartement zurück, aktivierte das Vipho und wartete, bis sich die seidige Kunststimme der Vermittlung meldete. Dann sagte er: »Bitte eine Direktverbindung mit dem Raumhafen. Ich möchte Kapitän Nemhauser von der TARAKUTA sprechen.« Es dauerte eine Weile, aber schließlich stabilisierte sich das Ge122 sieht Nemhausers auf dem Schirm. Seine Kapitänsmütze hing ihm weit im Genick. Hinter ihm war ein Teil der Brücke der TARAKUTA zu sehen; hin und wieder liefen noch weitere Besatzungsmitglieder durch das Bild. »Hallo, Mister Duman!« sagte Nemhauser gutgelaunt. »Haben Sie es sich nun doch überlegt?« »Überlegt? Was überlegt?« Thorn war für Sekundenbruchteile irritiert. »Wieder mit zurückzufliegen...« »Unsinn. Wie weit sind Sie mit dem Ausladen der Atmosphärenkondensatoren?« »Der letzte wird gerade auf den Tiefbettlader gehievt. Dann beginnen wir mit dem Verladen des Erzes. Warum?« »Stoppen Sie diesen Vorgang, Kapitän.« Nemhausers Augen zogen sich überrascht zusammen. »Sie haben sicher triftige Gründe für diese Maßnahme. Darf ich sie erfahren?« »Später vielleicht. Im Moment habe ich anderes zu tun. Bereiten Sie die Container für einen möglichen Personentransport vor. Das können Sie doch, oder?« Widerwillig nickte Nemhauser. »Wir können die Container an die Lebenserhaltungssysteme anschließen und mit einer Atmosphäre versehen. Das ist kein Problem. Aber was berechtigt Sie eigentlich...« Thorn Duman ließ ihn nicht ausreden und sagte hart: »Ich bin berechtigt. Und das wissen Sie ganz genau. Oder haben Sie die Anordnungen, die Sie vor Antritt der Reise nach Xing von der Zentrale bekamen, nicht gelesen?« »Schon. Aber...« Wieder unterbrach ihn Thorn. »Sie verlassen diesen Planeten nicht, bis Sie von mir gegenteilige Order bekommen. Haben wir uns verstanden?«
Es tat ihm leid, den sympathischen Mann derart hart anzufassen. Aber eine ausführliche Erklärung würde ihn jetzt zu lange aufhalten. »Ob das die Zentrale gerne hört?« machte Nemhauser einen letzten Versuch. »Das tangiert mich nur am Rande«, erwiderte Thorn knapp. Und in versöhnlicherem Ton setzte er hinzu: »Kapitän, im Augenblick mag Ihnen das alles noch sehr befremdlich vorkommen. Aber glauben Sie mir, später einmal, wenn Sie die Zusammenhänge kennen, werden Sie einsehen, daß ich nicht anders handeln konnte.« Im Gesicht des Kapitäns arbeitete es. Schließlich nickte er. »Sie sind der Boß!« »Da haben sie recht«, sagte Thorn und unterbrach die Verbindung. Nachdenklich starrte Thorn auf den leeren Schirm. Mitten in seine Überlegungen summte das Vipho. Es war Doktor Sykes. »Gute Nachrichten«, sagte er, »beziehungsweise schlechte. Kommt darauf an, von welcher Warte aus man es betrachten will.« Dumans Lächeln war angespannt. »Sie sehen mich neugierig. Sagen Sie schon, was haben Sie herausgefunden?« Sykes räusperte sich und gähnte versteckt. »Der forensische Scan der Leichen hat, wie erwartet, nicht viel ergeben. Erst ein biomolekularer Scan brachte mich auf die richtige Spur...« »Machen Sie's nicht so spannend, Doktor«, mahnte Thorn. »Die Wunden enthalten winzige Spuren stickstoffhaltiges Poly-saccharid.« »Hmm. Sieh mal einer an. Die Substanz, aus der Exoskelette von Gliederfüßern und Insekten bestehen, landläufig auch als Chitin bekannt.« Sykes zeigte sich überrascht. »Universitätsstudium?« »Gute Allgemeinbildung«, wehrte Thorn ab. »Ihre Ergebnisse stützen also die Theorie Doktor Nevs, wenn ich das richtig sehe, oder?« »Davon kann man ausgehen«, nickte Sykes. »Nun verraten Sie mir nur noch, wie groß muß ein Insekt sein, um Menschen derartig zuzurichten?« »Sehr groß«, erwiderte Doktor Sykes. »Die Fauna Xings hat nie ein derartig großes räuberisches Insekt 124 hervorgebracht - nach allem, was über die Morphologie des Planeten bekannt ist.« Sykes gähnte jetzt unverhohlen. »Wer sagt denn, daß es von Xing kommen muß«, meinte er und unterbrach die Verbindung. »Danke, Doc«, murmelte Thorn und starrte sekundenlang auf den leeren Schirm. Dann merkte er, daß die Balkontüre noch offenstand. Er ging, um sie zu schließen. Die Luft der Nacht war kühl und voller Gerüche. Er zog die Jacke aus, schnallte die Waffe ab und verstaute sie griffbereit unter dem Kopfkissen. Dann schüttelte er die Schuhe von den Füßen und zog die restliche Kleidung aus. Gleich darauf lag er im Bett und versuchte einzuschlafen. Die Hände hinter dem Kopf verschränkt, ließ er in Gedanken noch einmal die Ereignisse des Tages an sich vorüberziehen. Quälend langsam verging die Zeit. Er bewegte sich entlang der Grenze zwischen Schlaf und Wachsein. Schließlich überfiel ihn der Schlaf, und er träumte furchtbare Dinge. Eine monströse Gottesanbeterin in ihrem glänzenden, karbonschwarzen Exoskelett spukte durch seine wirren und unzusammenhängenden Träume. Doch träumte er wirklich? 125
11. Fast mit dem ersten Sonnenstrahl startete der wuchtige, rotgelb lackiert Kombischweber. Er war allseits geschlossen, am vorderen Rand befand sich eine transparente Kuppel. An den Flanken waren lange Schrammen und Kratzer; das Ergebnis häufigen Gebrauchs. Als der AGrav auf höhere Leistung gefahren wurde, erhob sich das Gefährt, beschleunigte und folgte
der Straße, die nach draußen führte. Binnen kurzer Zeit hatten Thorn Duman und Greg Zarn die kleine Stadt verlassen, glitten schräg einen Hang hinauf und befanden sich nun oberhalb der Kolonie. »Wohin, Mister Duman?« Thorn fühlte sich gerädert, unausgeschlafen und voller fremder Eindrücke. Er wußte, daß er nachts furchtbar geträumt hatte, aber er entsann sich nicht mehr wovon... »Mister Duman?« »Thorn«, sagte der Agent der Junction Mining. »Nennen wir uns bei den Vornamen. Da wir vermutlich die nächste Zeit relativ eng zusammenarbeiten werden, wären Förmlichkeiten nur hinderlich, vor allem, wenn es um schnelle Entscheidungen geht, die möglicherweise unser beider Leben betreffen. Was halten Sie davon, Greg?« »Einverstanden... Thorn. - Also, wohin darf ich Sie bringen?« »Ich muß mir einen Überblick verschaffen«, erwiderte der Agent und deutete auf das Display am Armaturenbrett, auf dem ein Ausschnitt aus einer Generalstabskarte Xings zu sehen war. »Fliegen wir doch mal diese Koordinaten ab...« Er nannte die einzelnen Punkte. »Dann sehen wir weiter. Okay?« »Savy!« Zarn lenkte den Schweber nach Osten, der Sonne entgegen, die gerade über der endlosen Ebene auftauchte; es gab auf Xing fast keine Dämmerung. Links von ihnen lag der Raumhafen. Eben entfernten sich die letzten Tieflader, auf denen die Atmosphärenkondensatoren festgezurrt lagen, nach Westen. Weg vom 126 Rund des Raumhafens, und weg von der TARAKUTA. Sicher befand sich unter den Begleitfahrzeugen auch der Schweber Kim-berly Nevs. Thorn deutete auf die Tiefbettfahrzeuge. »Wann sollen die Kondensatoren denn aufgestellt werden?« »Sobald sie ihren Bestimmungsort erreichen - in etwa zwei Stunden. Die Vorbereitungen sind abgeschlossen. Ich war selbst noch dabei. Wollen wir vorbeischauen?« »Warum nicht?« nickte Thorn. Greg Zarn beschleunigte; rechts blieben die oberirdischen Konstruktionen der Minenanlage zurück. Minuten vergingen, eine halbe Stunde. Unter, neben und vor ihnen lag jetzt eine zerklüftete Landschaft. Bizarre Felsformen wechselten ab mit Formationen, die wie tote Wälder aussahen. Die Ödnis zerrte an Dumans Nerven; sie war, wie er fand, der Ausdruck der absoluten, kreatürlichen Einsamkeit und Verlassenheit. »Sehen Sie dorthin«, sagte Zarn plötzlich und deutete nach rechts. Dumans Blick folgte dem ausgestreckten Arm seines Begleiters. Ein U-förmiger Talkessel zeigte sich ihm. Am Fuß der steil abfallenden Wand sah Thorn ein stählernes Ungeheuer vor dem Schatten der Felswand. Eine vollautomatische, selbstfahrende Schmelzanlage. Hundertzwanzig Meter groß von der Spitze des Schürfrades bis zum Barrenausstoß. Ein Ausleger reichte seitwärts aus dem Ungetüm heraus. Über das Förderband floß ein unaufhörlicher Strom granulierter Schlacke, die zu kleinen Hügeln aufgetürmt und von einer Planierraupe verteilt wurden. In wenigen Jahren sollte hier mit Hilfe der Genbiologen wertvoller Ackerboden entstehen. Die Anlage arbeitete unter Vollast. Aus den Abgasöffnungen der drei kombinierten Schmelzkonverter stieg graublauer Dampf auf. Die vollrobotische Anlage bewegte sich auf vier Meter breiten Raupen vorwärts, immer dem gefräßigen, blitzenden Schürfrad nach. »An dieser Stelle dort hat man Jake Rook gefunden!« Zarn legte den Schweber schräg und zeigte durch die Kanzel auf eine Reihe von Abraumhügeln. »Der Minentechniker hatte gerade mit ein paar Robotern den Fräskopf der Förderanlage ausgewechselt, als es geschehen sein muß. Wollen Sie die Anlage näher inspizieren?« Thorn schüttelte den Kopf.
»Nein. - Aber sagen Sie, haben denn die Roboter nichts bemerkt?« Zarn verneinte. »Wartungsroboter. Sie sind nicht darauf programmiert, ungewöhnliche Vorfälle zu dokumentieren, zu speichern oder in irgendwelche Vorfälle einzugreifen, die nicht ihren Vorgaben entsprechen. Leider Fehlanzeige.« »War nur so eine Idee«, murmelte Thorn mit einem enttäuschten Grinsen. Der Schweber beschleunigte wieder, fegte ein ausgetrocknetes Bachbett entlang. Dreißig Minuten vergingen. Zarn blieb knapp über dem Boden, in einer Höhe von nicht mehr als maximal zwanzig Metern. Nach weiteren zwanzig Minuten näherten sie sich den Resten einer verlassenen Pumpstation. »Wo hat man eigentlich den anderen gefunden? Wie hieß er doch gleich...?« »Mickey Tron.« »Richtig, der Explorerpilot.« »Etwas weiter draußen«, sagte Zarn. Der Schweber überwand mit einem Schwung die Pumpstation, mit der eines der frühen Terraforming-Teams seinen Wasserbedarf gedeckt hatte, und flog dann an einer Steilwand empor. Die Hochebene breitete sich vor ihnen aus. Zarn schwenkte langsam nach Westen. Er flog einen riesigen Bogen, der im Scheitelpunkt die Barriere-Wüste streifte. Die Sonne stand jetzt rechts von ihnen. Langsam nahm der Himmel eine dunkelblaue Farbe an. Dann tauchte die gezackte Silhouette einer Stadt auf. Mehrere spitze Türme stachen in den Himmel, ausgestattet mit einer Vielzahl von Vorsprüngen, Kanzeln und Zinnen! Mehrere Sekunden lang ließ Thorn dieses Bild auf sich einwirken. Dann fragte er perplex: »Was ist das dort, Greg? Die Stadt einer ausgestorbenen Rasse? Ich dachte, der Planet hat kein intelli128 gentes Leben hervorgebracht?« Zarn hob die Schultern. »Was Sie da sehen«, sagte er bedächtig, »ist vermutlich nichts anderes als eine Laune der Natur... eine Masse von Felsen, die zufällig so aussieht wie eine Stadt. Wir nennen das Phänomen die Stadt der Türme. Ein poetisch veranlagter TerraformingIngenieur hat diesen Namen erfunden. Wollen wir landen?« »Später vielleicht. Wenn mein Auftrag abgeschlossen ist und ich nichts anderes zu tun habe, als auf das Schiff zu warten, das mich zurück bringt.« Der Schweber näherte sich der > Stadt der Türme <. Ein Schema kristallisierte sich heraus, je länger Thorn die Formation aus schlanken Spitzkegeln betrachtete: eine ausgefranste Ringmauer, wie der Rand einer gigantischen Kerze. Darinnen -Thorn zählte nach - acht Kegel. Dächer, schräge Flächen, Kanzeln in allen Formen, kürzer und länger, kantig oder abgerundet, Torbögen, Pilaster, Viadukte, Felsbrücken. Was konnte das sein? Ein Denkmal ähnlich Stonehenge auf Terra? Eine Laune der Natur? Oder eine künstlich herbeigeführte Demonstration einer frühen, inzwischen längst untergegangenen Rasse? »Weiß man, worum es sich hier handelt?« erkundigte er sich. Bedächtig antwortete Zarn: »Zehn verschiedene Theorien, aber keine von ihnen stichhaltig. Natürlich haben wir keine Zeit, genaue Untersuchungen vorzunehmen. Eines Tages aber, wenn die ersten Xenoarchäologen hier auftauchen, wird dieses Rätsel wohl gelöst werden.« Thorn riß sich gewaltsam aus der eigenartigen Stimmung. »Fliegen wir weiter!« murmelte er und spürte, wie sich seine Kopfschmerzen wieder bemerkbar machten. Ein Muskel unter seinem rechten Auge zuckte. Thorn lehnte sich tiefer in den Sitz und begann, mit den Fingern seine Schläfen zu massieren. Er spürte die kalte Lasur von Schweiß auf der Stirn.
Sein Kopf fing an, im Gleichklang mit dem Herzschlag zu dröhnen. 129 Es waren die Kopfschmerzen, die ihn seit seiner Behandlung im MEDDAC häufiger überkamen. Seine Fingerspitzen berührten die Narbe unter dem Haar über seiner rechten Schläfe. Die dort eingelassene hauchdünne Metallplatte war die Folge jener großflächigen Schädel Verletzung, mit der er in Djakarta aufgefunden worden war. Er erinnerte sich noch, wie der Arzt gesagt hatte: »Sie werden noch eine ganze Weile von Zeit zu Zeit Kopfschmerzen bekommen, mein Sohn. Danken Sie Gott, daß Sie sie spüren. Sie können von Glück sagen, daß Sie noch leben... Allerdings wird niemand mehr in der Lage sein, Sie zu hypnotisieren. Auch ein Vorteil, so gesehen...« »Thorn...!« Er blinzelte in das grelle Licht der Sonne, spürte, wie sich etwas in seinem Kopf veränderte... Und plötzlich, wie das Aufflackern einer Holosequenz, hatte Thorn die Vorstellung von einer großen, niedrigen Kaverne; schwarze, nichtmenschliche Gestalten bewegten sich durch rötlich illuminierte Gänge und Räume und verrichteten irgendwelche Arbeiten an Maschinen unbekannter Art. Er vernahm ein Summen und Pfeifen, hörte das Krachen starker Klauen. Und noch etwas anderes hörte er: Ganz am Rande seines Wahrnehmungsvermögens huschte ein schnelles, zischendes Flüstern durch sein Denken - etwas versuchte seine Gedanken zu beeinflussen - und zog sich auch schon wieder enttäuscht zurück. Eine Gänsehaut lief ihm über den Rücken und körnte seine Haut. »Thorn, hören Sie mich?« Thorn ignorierte den brennenden Schmerz unter seiner Schädeldecke und drehte langsam den Kopf. »Wie? Was?« Greg Zarn sah ihn von der Seite an. »Sie schienen für einen Augenblick weggetreten zu sein. Fühlen Sie sich nicht wohl?« »Doch, doch. Kein Problem. Ich war nur einen Moment in Gedanken.« Der Schmerz in seinem Hirn ließ nach. »Na, wenn Sie es sagen...« Zarn drang nicht weiter in seinen Begleiter und setzte den Flug 130 fort. Thorn riß sich gewaltsam aus der eigenartigen Stimmung, als er voraus etwas auf der Oberfläche entdeckte. »Was ist das dort?« machte er Zarn darauf aufmerksam »Das sind die Atmosphärenkondensatoren aus der TARAKUTA. Sie haben Flashpoint erreicht.« Die schweren Fahrzeuge, zehn insgesamt, bildeten einen Kreis. Sie bestanden überwiegend nur aus einer riesigen Ladefläche und einer winzigen Führerkanzel. Die Fahrzeuge waren vollständig herabgesenkt worden, und zwischen ihnen bewegten sich die Techniker in ihren leuchtend gelben Anzügen. Unter ihnen befand sich auch Kimberly Nev; sie überwachte stets persönlich die Errichtung der Kondensatoranlagen, wie Thorn von Zarn erfuhr. Thorn bedeutete seinem Begleiter, in der Nähe zu landen. »Darf ich dem Schauspiel beiwohnen?« fragte er der Form halber an, als er zwischen den Technikern und Baufachleuten Kimberly Nev erreicht und sie begrüßt hatte. »Sicher doch, Mister Duman«, sagte sie, »Sie können bei der Gelegenheit gleich auf meinen Sohn aufpassen, der mir stets ein bißchen zu neugierig ist.« »Warum nicht?« Thorn nickte dem vierzehnjährigen Jungen zu, der so gar keine Ähnlichkeit mit seiner Mutter hatte, bis auf die Augen vielleicht. »Allerdings nur, wenn
sich der junge Mann meiner Obhut anvertrauen will«, meinte er einschränkend. »Er wird. Verlassen Sie sich darauf.« »Was macht Sie so sicher?« »Sollte er sich zopfig anstellen, werde ich ihn wieder in die Schule schicken. So einfach ist das.« »Na, wenn das kein Argument ist, junger Mann, wie?« wandte sich Thorn an den Jungen. Chris zuckte mit den Schultern. »Mütter sind immer so furchtbar besorgt«, maulte er. »Dabei bin ich derjenige, der sie meist vor Unüberlegtheiten bewahrt. Nicht wahr, Mom?« Duman verstand den Wink mit dem Zaunpfahl und grinste innerlich, während er gleichzeitig die junge Frau ein wenig bedauerte. Es war sicher nicht leicht für sie, neue Beziehungen aufzubauen, wenn der Junge wahrscheinlich jeden potentiellen Kandidaten an seinem Vater maß. Kimberly warf Duman einen vielsagenden Blick zu, dann wandte sie sich an ihre Mannschaft. »Fangen wir an, meine Herren. Jeder von Ihnen kennt seine Aufgabe!« Sie hob die Hand und machte eine Drehbewegung über ihrem Kopf. Zwei schwere Kräne, deren Hebegeschirre über eine elektronische Steuerung parallelgeschaltet waren, richteten sich am Rand der Grube ein. »Schauen wir uns das Ganze doch aus einer Position an, von der wir alles überblicken können. Was hältst du davon?« wandte sich Duman an den Jungen. Der nickte, ohne zu überlegen. Sie gingen zum Schweber zurück, und Greg Zarn ließ das Gefährt langsam höhersteigen, bis sie einen ungehinderten Blick auf die Ereignisse hatten, die sich am Boden abspielten. Die vor Tagen bereits fertiggestellten Bohrgruben waren leer, und die Metallsockel auf dem Grund vorbereitet für die Aufnahme der Kondensatoren. Die Hydrologin ging auf die beiden Kräne zu und stieg in den Korb, in dessen kreuzförmige Verbindungen über ihrem Kopf zwei Arbeiter den Kranhaken einhängten. Es gab einen Ruck, ein leichtes Schwanken, und Kimberly Nev schwebte nach unten. »Achtung«, kam ihre Stimme, als sie den Ring löste. Der Haken verschwand nach oben und wurde in die angeflanschten Ösen der Säule eingeklinkt. Millimeter um Millimeter hob sich das schwere Teil von der Ladefläche, wurde vorsichtig herumgeschwenkt und hing dann senkrecht über dem Loch im felsigen Boden. »Vorsicht, die Säule kommt!« »In Ordnung.« Zentimeterweise wurde die Säule hinabgesenkt. Kimberly griff 132 nach dem Hebel, setzte ihn ein und bewegte die Säule um die senkrechte Drehachse. Nur noch einen Meter, dann berührten die Aussparungen die Zapfen. »Abwärts!« befahl sie über Funk... Der Kranfahrer fühlte, wie ihm der kalte Schweiß ausbrach. Den ganzen Morgen über waren seine Kopfschmerzen ständig stärker geworden, obwohl er etwas gegessen und mit dem letzten Schluck aus seiner Wasserflasche ein Handvoll weißer Tabletten heruntergespült hatte. Inzwischen waren die bescheuerten Kopfschmerzen so stark geworden, daß er sich fast übergeben mußte. Aber er konnte doch jetzt nicht wegen der Kopfschmerzen aufhören, den Kran zu bedienen. Dieser beschissene Job auf diesem beschissenem Planeten. Zum zehnten Mal schwor er sich, den Krempel hinzuschmeißen und zur Erde zurückzukehren. Er starrte aus flirrenden Augen auf den Monitor, der ihm die Verhältnisse in der Grube zeigte. Der Zielkreis war etwas außerhalb der eingemessenen Punkte. Er korrigierte. Der Zielkreis wanderte noch weiter aus. Verdammte Scheiße... Von irgendwoher drängte sich eine Stimme in seinen vor Schmerz pulsierenden Verstand. »Ja, ja... ich korrigiere doch schon...«, keuchte er. Um ihn herum flimmerte die Luft.
Der Schmerz traf ihn wie eine weißglühende Plasmaflamme. Er keuchte und würgte. Krämpfe schüttelten ihn; Übelkeit schoß in ihm hoch. Er hatte einen kupfernen Geschmack in der Kehle. Kleine, gierige, gefräßige Insekten machten sich an seinem Bewußtsein zu schaffen, versuchten, es zu verschlingen... Dann begann er zu wimmern wie ein geschundenes Tier. Scharfe Karbonzähne machten sich daran, an seinem Geist zu nagen - und im gleichen Moment drang ein Keil aus geronnener Schwärze durch das rechte Auge in seinen Kopf, breitete sich aus und fraß ihn von innen her leer. Scheiße, das war sein letzter Ge133 danke, ehe er starb. Seine Hand rutschte von den Kontrollen und löste dabei die Bremsen, die die tonnenschwere Säule davon abhielten, unkontrolliert in die Grube zu stürzen... Kimberly begriff anfangs nicht, was los war. Sie hatte noch einen scharfen Befehl auf den Lippen, weil der Kranfahrer es offensichtlich nicht verstand, die Säule über den handgelenkstarken Bolzen zu zentrieren, als die tonnenschwere Last mit einem Mal ungebremst herabfiel. Sie schlug auf dem Rand des Sockels auf; die Schraubbolzen auf dieser Seite verabschiedeten sich mit einem häßlichen Kreischen, während sich die Erregersäule zeitlupenhaft langsam in Kimberlys Richtung neigte. Sie hörte dumpf ihren Herzschlag, und plötzlich schien sie eine eisige Hand zu berühren, als sie erkannte, daß sie innerhalb der nächsten Sekunde von der Säule zermalmt werden würde. Sie hatte nicht einmal Zeit, einen Schrei auszustoßen. Mit einem Keuchen atmete sie ein und schloß die Augen vor dem unvermeidlichen Ende. Die Zeit dehnte sich ins Unermeßliche dann traf sie ein Windstoß, und eine Staubwolke hüllte sie ein. Sie riß die Augen auf, hustete, blinzelte den Staub weg und erkannte erst jetzt, daß sie dem Tod noch einmal in allerletzter Sekunde entgangen war. Die Säule hatte offenbar noch einen Drehimpuls gehabt, der sie in einer halbkreisförmigen Bewegung auf die andere Seite der Baugrube fallen ließ, wo sie ein Stück der Wand herausschlug. Sie atmete prustend aus, lehnte sich gegen die Schachtwand und ließ sich langsam an ihr herunterrutschen, weil ihre Beine sie nicht mehr trugen, während oben die ersten erschrockenen Gesichter über den Rand blickten und Stimmen wild durcheinanderschrien. Dann hangelte sich einer der Ingenieure an einem Seil in den Schacht. »Hier«, sagte er und befestigte ein Hievgeschirr um ihren Oberkörper. Als sie oben stand, sagte sie mit wütender, überschlagender Stimme: »Welcher unfähige Narr sitzt denn an den Krankontrol134 len? Ich entlasse ihn auf der Stelle...« »Das ist nicht mehr nötig«, bedeutete ihr der Chefingenieur. Und er fuhr fort: »Wir können ihn nur noch beerdigen. Den Mann muß ein Gehirn- oder Herzschlag ereilt haben. So genau weiß ich das auch nicht.« »Dann sollten wir die Arbeit unterbrechen, bis der Arzt da war und die Todesursache festgestellt hat. Finden Sie nicht auch?« Der Ingenieur nickte. »Veranlassen Sie bitte alles Notwendige, Mr. Holowka.« Dumans Gleiter war inzwischen gelandet, und Chris rannte auf seine Mutter zu. »Mom... Mom! Bist du in Ordnung?« Er war ganz aufgelöst. »Aber ja«, sagte sie und nahm ihn kurz in die Arme. »Mir geht es gut. Nichts passiert, mein Liebling.« Sie strich ihm übers Haar und lächelte schon wieder. »Gratuliere zum glücklichen Ausgang«, sagte Thorn Duman mit einem eigenartigen Tonfall in der Stimme. »Ihr Schutzengel scheint Sie ins Herz geschlossen zu haben. Werden Sie weitermachen?« Sie nickte. »Natürlich - morgen.« »Wollen Sie mit zurück nach Frontier?« Sie schüttelte den Kopf. »Nicht jetzt.« Er betrachtete sie überlegend. »Was halten Sie davon, wenn wir uns heute nachmittag sehen? Ich möchte Sie ein paar Dinge
fragen.« Sie sah ihn prüfend an. »Warum nicht? Ja, einverstanden.« »Wo? »Die Cafeteria?« »Gut. Wann?« Sie blickte auf ihr Chrono. »Gegen drei?« »Paßt mir gut«, sagte er. »Ich werde versuchen nett auszusehen, während ich auf Sie warte.« Zarn brachte ihn zur Stadt zurück. In seinem Appartement lag und stand alles so, wie er es verlassen hatte. Über den Schirm seines Suprasensors lief wie bei einem ft
der stemzeitlichen Bildschirmschoner früherer Computergenerationen diagonal eine sich ständig wiederholende Zeile: SIE HABEN EINE NACHRICHT! SIE HABEN »Hoffentlich handelt es sich um eine gute Nachricht«, murmelte Thorn, öffnete die Datei und las: JUNCTION MINING. ALAMO GORDO - ERDE CHANN: BITTE ERKLÄREN, WARUM MASSNAHME TARAKUTA BETREFFEND NOTWENDIG. Kapitän Nemhauser hatte sich also doch rückversichert, der Gute. Thorn grinste leicht. »Später, mein lieber Direktor Chann«, sagte er in den Raum hinein. »Später. Erst muß ich mich um eine weit wichtigere Sache kümmern.« Er ging unter der Dusche, pfeifend, als hätte er nie davon gehört, daß Pfeifen unter der Dusche nur Unglück bringt. 136
12. Thorn saß auf der Terrasse und wartete, die Sonnenbrille auf den Augen. Die Sonne stand im Nachmittag, und die Hitze des Tages fing an, dem kühlen Wind der zweiten Tageshälfte zu weichen. Die kleinen Blätter der einheimischen Sträucher, die Blüten und die winzigen saftigen Früchte rochen betäubend gut. Frontier Junc-tion zeigte das harmlose Bild, dessen Gefährlichkeit niemand erkannte. Dumans Miene wirkte ungerührt - tatsächlich aber fühlte er sich auf eine höchst intensive Weise unbehaglich und in hohem Maße irritiert. Dieses Gefühl hatte ihn nicht mehr verlassen, seit er von Flashpoint zurückgekommen war... »Wie nett Sie aussehen, wenn Sie warten«, sagte eine Stimme hinter ihm. Betont langsam drehte er den Kopf und musterte Kimberly Nev von unten. »Ich warte nicht immer, wenn ich nett aussehe«, sagte er und deutete auf den freien Platz. »Nehmen wir einen Drink für die gute Laune, Doktor? Ihr Sohn ist natürlich ebenfalls eingeladen, falls er mit Limonade vorliebnimmt.« Chris grinste, drehte einen der leichten Sessel herum und setzte sich mit auf der Lehne verschränkten Armen darauf, legte das Kinn auf und betrachtete die sich anbahnende Szene mit der Unverfrorenheit der Jugend. Sie lachte und nahm ebenfalls Platz. »Bleibt mir etwas anderes übrig? Chris hat sich bereits entschieden.« »Folgen Sie immer seinen Entscheidungen?« »Natürlich nicht, aber manchmal schon. - Sie dürfen uns beiden einen gekühlten Xing-Punsch bestellen.« Thorn sah sie aufmerksam an, während sie sich setzte. Was er sah, gefiel ihm ungemein. Sie mußte noch in ihrer Wohnung vorbeigefahren sein und sich umgezogen haben. Anstelle des Arbeitsoveralls trug sie einen dünnen Hosenanzug, mit dem sie sogar auf dem Sam-DharkBoulevard in Alamo Gordo hätte Aufsehen 137 erregen können. Dazu das kurze, rote Haar, das aufregende Lächeln, das Thorn zum Hinterkopf wieder hinausfuhr. »Was haben Sie mit mir vor?«
»Sie dürfen mir später die Tür Ihres Schwebers aufhalten, und wir machen eine Rundfahrt durch Frontier. Einverstanden?« »Mit Ihnen...«, begann Thorn, dann räusperte er sich und verkniff sich den Rest seines Satzes, als er Chris' unverhohlenes Grinsen bemerkte. »Einverstanden«, sagte er matt. Sie lächelte erneut, und Thorn wußte jetzt, daß es schwierig werden würde, ihr weiterhin unverfänglich gegenüberzutreten. Sie tranken in Ruhe aus. Thorn zahlte, dann gingen sie nebeneinander die breite Treppe zum Parkplatz hinunter. Sie überquerten den Platz, um zu Thorns Schweber zu kommen. Da geschah es. Ein anderer Schweber scherte aus der doppelten Parkreihe aus, beschleunigte jäh und raste über den Platz. Er wurde schneller, und das Heulen der überlasteten Maschine übertönte die Warnungen Thorns. Der Schweber schlingerte über den Platz, streifte krachend das Heck einer geparkten Maschine, einer zweiten, Trümmer flogen durch die Luft, aber er glitt weiter, wurde herumgerissen und jagte direkt auf Thorn, Kimberly und Chris zu. Thorn griff nach den Armen von Kimberly und Chris und spannte seine Muskeln zum Sprung. Ohne Übergang spürte er eine starke Übelkeit, und als er sich wieder erholt hatte - alles hatte höchstens eine Sekunde oder zwei gedauert - standen sie etwa zehn Meter vor der letzten Reihe der geparkten Schweber. Die Maschine des Unglücksfahrers raste in einem wilden Zickzack über den letzten Teil des Platzes und heulte über die Straße, die hinaus zum Raumhafen führte, ehe sie gegen eine Mauer prallte, die ihren Bewegungsimpuls jäh stoppte. »Verdammt!« sagte Thorn mit Inbrunst. »Ich danke Ihnen«, sagte Kimberly ein wenig atemlos und erschrocken. »Das war höllisch knapp.« »Dank wofür?« Sie schien verlegen zu sein; ihr Gesicht war kreidebleich, und ihre Hände zitterten stark, als Thorn Kimberly auf den Schweber zuschob. Chris trottete hinter ihnen her. Im Gegensatz zu seiner 138 Mutter wirkte er weder erschrocken noch ängstlich. Thorn schwieg eine Weile. Er wußte genau, daß er nicht innerhalb von zwei Sekunden fünfzig Meter zurückgelegt hatte, auch nicht in der Panik. Da war etwas anderes geschehen. Die drei gingen langsam weiter und erreichten das Fahrzeug. »Sie haben mich gerettet«, sagte Kimberly Nev einfach. Es klang nicht im mindesten unnatürlich. Meinte sie es ehrlich? Hatte sie nicht mitbekommen, was eben geschehen war? »Unsinn!« sagte Thorn Duman grober als beabsichtigt. »Ich war nur etwas schneller als sonst.« Sie setzte sich in die Polster neben den Fahrersitz und lächelte ihn an, während er um die Fronthaube herumging. Chris schwang sich einfach über die Bordwand und hockte sich auf die Rückbank. »Sind Sie immer so schnell?« fragte sie. »Wenn es sich lohnt«, brummte er und startete das Fahrzeug. Der Schweber stieß rückwärts aus der Parklücke, glitt langsam über den Platz und blieb dann an der Ausfahrt stehen. »Wohin?« fragte Thorn. »Nach links.« Er beschleunigte und bog auf die leere Fahrspur ein. Hinter ihnen, etwa hundert Meter entfernt, lag der zertrümmerte Schweber an einer Mauer, die eine Positionslampe trug. Der Fahrer hing, tot oder bewußtlos, aus der Kanzel. Die ersten Passanten näherten sich dem Unfallort, weiter weg hörte man das Warnhorn eines Med-Schwebers. »Furchtbar«, sagte Kimberly plötzlich, als sie ein paar Minuten lang gefahren waren. Thorn sah in ihr Gesicht und bemerkte, daß jetzt die Reaktion auf den Beinahe-Unfall kam. Er trat hart auf die Bremse und hielt an. »Was ist furchtbar?« fragte er leise. Sie legte die Hand auf seinen Arm und blickte auf die Zigarettenpackung. Sie rauchten schweigend, während sich Chris im Fond ruhig verhielt.
»Furchtbar, daß der Mann uns beinahe umgebracht hätte.« »Nicht so furchtbar wie manch anderes«, sagte Thorn. Er war nicht gerannt oder gesprungen. Was er vorhin miterlebt hatte, war eindeutig die Demonstration einer übernatürlichen Fähigkeit gewesen. Kimberly hatte sich mit Chris und ihm etwa fünfzig Meter weit teleportiert; ein Verfahren, das Thorn nur aus der einschlägigen Literatur kannte. »Ich brauche jetzt etwas... einen Kaffee oder einen großen Schluck Alkohol«, sagte die Hydrologin schaudernd. Sie sah sehr elend aus. »Ich schließe mich an«, sagte Thorn. »Wohin fahren wir? In ein Restaurant?« Sie schüttelte den Kopf, und ihre Finger schlössen sich fester um seinen Arm. »Nein«, sagte sie, »zu mir nach Hause. Mir ist die Lust auf eine Rundfahrt vergangen. Natürlich nur, wenn Sie einverstanden sind.« »Gute Idee«, sagte Thorn und biß die Zähne zusammen. Knapp an der Grenze der erlaubten Höchstgeschwindigkeit flog der Schweber einen halben Meter über dem Boden. Die Sonne bewegte sich langsam dem Horizont entgegen, und die Schatten wurden länger. »Sie wissen, wo ich wohne?« fragte Kimberly leise. »Noch nicht«, meinte Thorn. »Aber vermutlich bald, schätze ich.« Sie kicherte unvermittelt. »Sie sehen nett aus, wenn Sie unsicher sind«, stellte sie fest. »Sind Sie unsicher?« Thorn grinste und erwiderte trocken: »Und wie. Mein Puls rast, mein Herz hämmert, Schweiß steht auf meiner Stirn und ich kann es kaum noch erwarten - in Ihrer Wohnung Kaffee zu trinken.« Sie lachte hell auf. »Sobald das Wasser kocht.« »Was für ein schwachsinniger Dialog«, murrte Chris auf dem Rücksitz. »Und so was nennt sich erwachsen...« »Mund halten, Junior«, bedeutete ihm seine Mutter resolut, und zu Thorn gewandt: »Dort hinten, das rote Haus.« Thorn stellte den Schweber in eine breite Parklücke und schaltete die Maschinen ab. Neben der Tür des Hauses angekommen, 140 betätigte Kimberly den Kontakt. Die Tür schob sich zurück. Thorn ließ seine Blicke über jede Einzelheit gleiten. Er sah, daß rechts vom Eingang die Küche war, vor ihm begann hinter einem Rundbogen ein kurzer Korridor mit einer Treppe, die nach oben führte. »Mich entschuldigt ihr wohl«, murmelte Chris und eilte die Treppe empor, »ich habe noch was zu tun.« Kimberly deutete auf eine Tür. Der Wohnraum, der sich vor Thorn öffnete, war typisch weiblich gestaltet - man sah, daß kein Mann im Hause war. Drei Wände waren in einem hellen Goldton gestrichen, die vierte bestand aus Glas und einer breiten Tür. Vor den Wänden standen niedrige Sitzpolster, und einzelne Punktleuchten schufen stark abgegrenzte Helligkeitsbereiche. An den Wänden hingen mehrere surreale Bilder in rahmenlosen Glasmontagen. »Kommen Sie doch herein...« sagte sie. Ihre Stimme riß Thorn aus seinen Überlegungen. Er trat in den Raum. Sie ging mit energischen Schritten vor ihm ins Zimmer und rückte einige Polster zurecht, dann deutete sie im Halbkreis um sich. »Setzen Sie sich irgendwohin«, bat sie. »Ich koche nur das Wasser!« Thorn setzte sich vor einen niedrigen Tisch mit einer Metallplatte. Er fühlte sich angespannt und beruhigt zugleich; seine Nerven fieberten, aber sein Verstand blieb kühl. Er zündete sich eine Zigarette an und streckte die Beine aus. Kimberly verschwand durch eine dünne Tür, die in die Wand glitt. Thorn hörte wie aus einem Lichtjahr Entfernung Geschirr klappern, Schalter klicken, dann zog der starke Duft frisch gebrühten Kaffees durch den Raum. Er stand auf, drehte sich um und betrachtete mit schiefgelegtem Kopf die Titel der Buchrücken in einem Regal. Sie schien sehr belesen zu sein. Dann erkannte er, daß es sich
doch mehr um Fachliteratur handelte, als er Wilsons Paradox, Dualismus und die verschiedenen Ebenen der Wahrheit erkannte. Hmm... Kimberly kam mit dem Kaffeegeschirr. Sie hatte sich schon wieder umgezogen und wirkte jetzt viermal 141 so verführerisch wie vorher. Sie trug eine weitfallende Hose und darüber eine Art Bolero aus weißem, bestickten Stoff. Sie war barfuß und stellte die Tassen auf den Tisch. Sie bewegte sich mit der natürlichen Grazie einer selbstsicheren Frau. Die Situation wurde instabil. Thorn sah ihr nach, wie sie in die Küche zurückging und die Kaffeekanne holte. An ihren Fußgelenken klimperten dünne Kettchen. Er setzte sich wieder hin, merkte, daß ihm die Regie der Szene plötzlich zu entgleiten drohte. Alles war irgendwie unwirklich und doch real, bekannt und fremdartig. Und dann erinnerte er sich, weshalb ihn das Ganze so berührte: So hatte Gill immer den Kaffee an den seltenen Nachmittagen serviert, an denen er mal zu Hause gewesen war. Kimberly ging, nachdem sie die Kanne auf den Tisch gestellt hatte, hinüber zum Wandregal und schaltete das Wiedergabegerät einer ziemlich wertvollen Anlage ein. Leise Musik schwang durch den Raum. Sie goß den Kaffee ein, und draußen wurde es dunkel. Die Sonne Xing versank hinter dem Horizont. »Ich fühle mich elend«, sagte Kimberly Nev. »Oh, ich vergaß den Alkohol!« Sie war Sekunden später mit zwei bauchigen Gläsern und einer viereckigen Flasche zurück. Das starke Aroma von Kaffee und Hochprozentigem umgab die beiden Menschen wie eine Wolke. Sie sah ihn über dem Tassenrand an. »Sie wirken nachdenklich. Was beschäftigt Sie, Thorn?« Thorn betrachtete sie ruhig. Sie war kaum älter als dreißig, nicht hübsch, sondern schön, wenn auch von einer anderen Schönheit, als Gill es gewesen war, und sie konnte es sich leisten, auf kosmetische Hilfsmittel zu verzichten. »Ich versuche nur«, erwiderte er leise, »bestimmte Überlegungen zu Ende zu bringen.« Sie rauchten, tranken abwechselnd Kaffee und Cognac. »Welche Überlegungen?« »Diese und jene, manche...«, brummte Thorn. »Gehe ich fehl in der Annahme, daß Sie unbedingt heute abend von mir geküßt werden wollen?« 142 »Sie haben ungeheuer recht«, sagte sie mit erhitztem Gesicht und stellte das Glas auf den Tisch zurück. Die folgenden fünf Minuten kannten als einziges Geräusch die Musik. Das Licht der Punktleuchten spiegelte sich auf der Tischplatte und brach sich im Haar Kimberlys, über das Thorns Hand strich. »Beantwortest du mir einige Fragen?« »Was willst du wissen?« Plötzlich waren sie sich so nahe, als würden sie sich schon sehr lange kennen. »Wer oder was bist du?« Sie lächelte. »Ich bin eine schwer arbeitende Frau, die hier weit von aller Kultur entfernt lebt, die versucht, einen Jungen großzuziehen und die Interessen von Junction Mining zu vertreten. Ich sehe überall nach dem Rechten und finde es zuweilen auch. Hättest du gern meinen Lebenslauf gelesen?« »Nein«, sagte Thorn. »Ich bin erstens nicht neugierig, zweitens interessiere ich mich nicht für unangenehme Dinge.« »Danke. Das ist eben das Rätselhafte an mir. Niemand weiß, was wirklich ist. Waren das schon alle deine Fragen?« »Nächste Frage«, sagte Thorn mit unbewegtem Gesicht. »Bist du ehrlich?« Sie lächelte entwaffnend. »Ich komme aus Europa, Erde.« »Was bedeutet das?« Er verstand nicht ganz.
»Alle Europäer, heißt es, sind Lügner. Kennst du Seneca?« »Meinst du den Indianerstamm im Westen des ehemaligen Staates New York, oder Lucius Annaeus Seneca, den altrömischen Politiker, Dichter und Philosophen?« »Letzteren«, sagte sie mit überraschter Stimme. »Was also sagte Seneca?« »Er zitiert Epimenides. Dieser war Europäer. Kreter, um genau zu sein. Und er sagte: Alle Kreter sind Lügner; also ist auch Epimenides Lügner. Weil er also lügt, sprechen alle Kreter die Wahrheit, folglich spricht auch Epimenides, der Kreter, die Wahrheit. Spricht er wahr, dann sind, seiner Behauptung zufolge, alle Kreter Lügner. Also auch er, denn er ist Kreter. Und so weiter... Ich bin 143 Mensch, stamme aus Europa und bin eine Frau. Kannst du unter diesen Umständen eine klare, wahrheitsgemäße Antwort verlangen?« Thorn murmelte: »Himmel noch mal! Du verwirrst mich.« »Das täte mir leid. Was denkst du jetzt?« Er beugte sich vor und versenkte seinen Blick in ihre grünen Augen. »Wer bist du?« wiederholte er. »Ich verstehe nicht. Wie meinst du das?« Mit eigentümlich flacher Stimme sagte er: »Ich denke, wir wären bei dem Unfall vorhin auf keinen Fall ohne bleibende Schäden davongekommen, wenn dies nicht jemand verhindert hätte. Ich frage mich, wer von euch beiden in der Lage ist, eine Telepor-tation durch reine Willensleistung durchzuführen, du oder dein Sohn?« Auf ihrem Gesicht erkannte er die Wahrheit. »Also Chris! Ich vermutete es schon, als ich sah, was heute morgen draußen am Flashpoint ablief. Zufällig sah ich ihn gerade an, als das mit der Erregersäule passierte. Er war kurzzeitig wie in Trance und stand unter einer ungeheuren Anspannung, soweit ich sehen konnte. Ich schob es auf die Angst, die er um dein Leben hatte. Ich hätte es besser wissen müssen. Es geht immer nur um dich, nicht wahr? Er beschützt dich. Ich habe den Unfall nur überstanden, weil ich auf dem Parkplatz in Kontakt mit euch war. Richtig?« Sie schwieg noch immer. »Hat er nur telekinetische Kräfte, oder ist er mehr?« { Sie sah ihn voller innerer Abwehr an. »Wie meinst du das?« »Bitte, Kimberly«, sagte Thron behutsam und nahm ihre Hände in die seinen. »Ich kann mir vorstellen, daß dich diese Fragen nerven, aber es gibt eine ganze Anzahl von psychokinetischen Fähigkeiten. Es existieren Telepathen, Teleporter, Leviatoren und Pyrotiker, Chamäleons beziehungsweise Gestaltwandler, Hypnos und Telekineten. Und es gibt eine ganze Reihe von anderen Fähigkeiten, die noch gar nicht alle erforscht oder bekannt sind. Was beherrscht Chris noch außer Teleportation beziehungsweise Telekinese?« Kimberly hob in einer hilflosen Geste die Schultern. »Ich weiß es nicht. Warum ist das so wichtig?« »Vielleicht schlummern in ihm Kräfte, die sich erst eines Tages zeigen. Wurde er je einem Test unterzogen, um herauszufinden, was er eigentlich ist? Was er noch kann, außer Telekinese?« »Nur als Baby. Er war für ein paar Tage zur Untersuchung in der Kinderklinik in World-City. Dort hatte man festgestellt, daß er sich vermutlich zu einem Telekineten entwickeln würde. Man machte mir den Vorschlag, ihn in der Schule für Kinder mit speziellen Begabungen in Tycho City unterzubringen, wo er unter seinesgleichen am besten aufgehoben sei. Ich wollte das nicht und bin... und habe World-City und die Erde verlassen.« Sie verstummte für einen Moment und rührte gedankenversunken in ihrer Tasse. »Es war eine Flucht, Thornton«, sagte sie leise und unerwartet. Thorn wartete ruhig und schweigend. »Ja - es war eine Flucht. Ich hatte Angst, daß man mir Chris wegnehmen würde. Zu allem Überfluß ließ mich sein Vater sitzen, weil er mit Chris' Anderssein nicht fertig wurde. Ich hasse ihn nicht einmal mehr. Aber als Folge entschloß ich mich, das Angebot von Junction Mining anzunehmen und für eine bestimmte Dauer nach Xing zu gehen.«
Sie erhob sich, trat vor die Glaswand und blickte auf die Lichter Frontier Junctions. Die beiden Monde waren aufgegangen und reflektierten über der fernen Bergkette das Licht ihrer Sonne schmerzend grell. Thorn stellte sich hinter sie und legte die Arme um sie. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter, ergriff seine Hand und führte sie an ihr Gesicht. Plötzlich begann sie zu weinen, von der Erinnerung übermannt. Thorn schwieg noch immer. Er war zu erfahren, um etwas zu sagen. Er würde es nur verschlimmern. Und so wartete er. Gestrandete, dachte er plötzlich mit erschreckender Klarheit. Wir sind Gestrandete. Beide. Auf die eine oder andere Weise... Schließlich hörte sie auf zu weinen. Sie drehte sich in seinen Armen herum. »Entschuldigung«, sagte sie rauh, schniefte und wischte sich die 145 Tränen aus den Augen. »Ich bin eine dumme Pute.« Er schüttelte den Kopf. »Das bist du nicht«, widersprach er. »Von Zeit zu Zeit ist es hilfreich, den Tränen freien Lauf zu lassen.« Sie lächelte schon wieder. »Von Dir?« Er verneinte. »Hat mal irgendein schlauer Psychoanalytiker behauptet.« Sie lachte kurz. Hatte den Punkt des Niedergeschlagenseins überwunden. Sie gingen in den Raum zurück und setzten sich in die Polster; Kimberly löschte die Punktleuchten bis auf eine. Thorn betrachtete das Gesicht der jungen Frau. Kimberly hockte neben ihm, hatte die Beine unter sich gezogen und lehnte sich an ihn. »Jetzt habe ich dir eine Menge über mich erzählt«, sagte sie. »Beantwortest du mir nun ein paar Fragen über dich?« »Nur zu...« »Bist du verheiratet?« »Ich war es.« »Ich verstehe«, sagte Kimberly. »Du verstehst nicht«, murmelte er mit dunkler Stimme. »Kinder?« »Eine Tochter.« »Wo ist Deine Familie jetzt?« »Tot - vermutlich.« Sie schwieg eine Weile, ehe sie sagte: »Das heißt, du weißt es nicht genau?« »Doch, ich spüre es. Sie sind tot.« »Was ist geschehen?« fragte sie leise. »Die Giant-Invasion...«, antwortete er mit harter, rauher Stimme. »Vermutlich haben sie sie an Bord ihrer Sammlerschiffe gebracht.« »Die Giants«, sagte sie grübelnd. »Auf Xing haben wir nichts davon mitbekommen. Wir haben nur über die Kommunikationskanäle hin und wieder Nachrichten darüber bekommen, was da auf Terra abgelaufen ist. Wo warst du während dieser Schreckens146 zeit?« Nach kurzem Schweigen gestand Thorn: »Ich weiß es nicht« Sie hob überrascht den Kopf und sah ihn an. »Gehörst du auch zu den Abermillionen...« Sie sprach es nicht aus. Er nickte. »Ja. Ich kam drei Jahre nach jenen schicksalhaften letzten Maitagen des Jahres 2051 wieder zu mir. Drei Jahre, an die ich absolut keine Erinnerung habe...« Gestohlene Zeit. Er erzählte ihr mit leiser Stimme davon, was nach seinem Erwachen in einem Rebellenlager in Djakarta mit ihm geschehen war, von seinen Verletzungen, seiner lange Rekonvaleszenz im MED-DAC, seiner vergeblichen Suche nach Gill und Miriam...
Schließlich schwieg er, atmete tief ein und sah Kimberly an. Sie strich ihm über den Kopf, an der Stelle, an der unter dem Haar die Metallplatte lag. »Du hast viel durchgemacht«, sagte sie. Er schüttelte den Kopf. »Nicht mehr als Millionen anderer auch. Zum Glück ist es vorbei. Aber Schluß jetzt mit der Vergangenheit. - Weiß man auf Xing eigentlich von Chris' Fähigkeiten?« wechselte er das Thema. »Vermutlich. Poe Allender hat schon dafür gesorgt, das Chris' Anderssein bekannt wurde. Und seitdem bietet es Grund für wilde Gerüchte und Spekulationen in Frontier Junction. Schon regen sich die ersten Vermutungen, er könnte der Auslöser all dieser Vorkommnisse sein. « »Wer ist Poe Allender?« »Der Leiter der hiesigen Schule. Er haßt alles, was mit übernatürlichen Kräften zu tun hat. Er ist auch der Anlaß, weshalb ich Chris jetzt von der Schule genommen habe und ihn am Fernunterricht teilnehmen lasse, den auch die Kinder der weit draußen liegenden Farmen genießen.« »Nicht daß ich die Einstellung dieses Allender zu Chris billige, oder daß es mich ernsthaft etwas anginge, aber bist du nicht auch der Meinung, daß dein Sohn im Sol-System besser aufgehoben wäre? Auch wenn sich bis jetzt noch kein anderes Talent als das der Telekinese gezeigt hat, muß das nicht bedeuten, daß er keine 147 anderen Fähigkeiten besitzt. Darum bin ich schon der Meinung, er wäre in einer Sonderschule am besten aufgehoben. Es muß ja nicht Tycho City sein.« »Vermutlich hast du recht«, sagte sie nach einer Weile des Schweigens und nickte ein paarmal. »Ja. Ich werde es tun. Sobald mein Vertrag mit Junction Mining ausläuft, werde ich zur Erde zurückkehren und Chris ausbilden lassen. Ich glaube, das bin ich ihm schuldig.« »Kluges Kind«, sagte er. »Wer? Ich?« »Wer sonst?« bestätigt er. »Du hast alles verstanden. - Aber jetzt werde ich gehen. Ich habe einen Auftrag zu erfüllen. Und ich möchte nicht länger dafür brauchen als unbedingt nötig.« Sie brachte ihn zur Tür. »Stürze dich nicht in allzuviele Gefahren, Thorn, ja?« Er nickte und küßte sie noch einmal zum Abschied. Draußen schlug er den Kragen seiner Jacke hoch, schwang sich in seinen Schweber und schaltete die Maschinen an. Die Scheinwerfer sprangen an. Das Fahrzeug erhob sich drei Fußbreit über den Boden und setzte sich summend in Bewegung. Sie blickte ihm nach, bis sein Schweber verschwunden war. Ein Staubschleier trieb im Licht der Lampen die Straße entlang und riß auseinander, als der Wind auffrischte. Dann ging sie ins Haus zurück. 148
13. An einem der nächsten Tage kamen Zarn und Thorn Duman von Scott Haywires Farm zurück, wo sie sich noch einmal die langsam undeutlich werdenden, rätselhaften Fußspuren vorgenommen hatten, die nach Doktor Sykes' DNS-Scan offensichtlich von einem riesigen Insekt stammten, das aber bisher noch niemand auf Xing zu Gesicht bekommen hatte. Auch die weiteren Suchaktionen in der Umgebung waren erfolglos geblieben. Trotzdem setzte sich der Begriff Giants immer mehr in Thorn fest. Nach seinem Erwachen aus der dreijährigen Nacht hatte er sich über die Giants informiert, hatte die Berichte und Reportagen von Terra-Press zur Kenntnis genommen und gesehen, mit welcher unmenschlichen Brutalität diese androiden Reptilienwesen die Erde und die Menschen versklavten, ehe sie verschwanden. Irrten sich Kimberly und Sykes insofern, als daß man es nicht mit einem Rieseninsekt, sondern mit einem oder mehreren Giants zu tun hatte? Konnte es sein, daß sich eines ihrer Schiffe hierher verirrt hatte? Das Verhalten des kranken Teils der Bevölkerung Xings war möglicherweise ein Indiz dafür. Und wenn ja, bildete dieses Schiff
dann vielleicht nur die Vorhut einer ganzen Flotte? Das warf die Frage nach der Operationsbasis auf. Wo konnte sich ein Schiff von beträchtlicher Größe verstecken, ohne aufzufallen? »Brauchen Sie mich heute noch, Thorn?« erkundigte sich Zarn, als sie über die unterirdische Garage der Fahrbereitschaft in die Lobby des Wohnturmes kamen. »Eigentlich nicht. Wollen wir noch ein Glas trinken? Ich hätte da vielleicht ein oder zwei Fragen. - Was möchten Sie?« Greg Zarn griente. »Wenn Sie mich so fragen, Whisky.« Wie erwartet, hatte die Bar keinen Whisky im Angebot. Sie trösteten sich mit dem xingschen Tequila. Thorn nahm sein Glas und prostete seinem Piloten zu. Er bot ihm eine Zigarette an, entzündete seine und sagte, als Gregs Feuerzeug brannte: 149 »Sie sind länger hier als ich. Wo würden Sie auf Xing ein Raumschiff verstecken?« Greg Zarn verbrannte sich vor Überraschung die Finger und fluchte unterdrückt. »Sie scherzen, nicht wahr?« Er blies auf seine Fingerspitzen. Thorn sagte: »Das Ganze ist ernster als Sie ahnen. Also?« Zögernd antwortete Greg: »Der Planet ist groß. Aussichtslos, da ein Schiff finden zu wollen, das beabsichtigt, nicht entdeckt zu werden.« »Nehmen Sie an, die Besatzung des Schiffes braucht die Nähe einer Ansiedlung.« »Dann bliebe nur die nähere Umgebung.« »Richtig. Wo da? Wo würde ein fremdes Raumschiff am wenigsten auffallen?« »In der Stadt der Türme«, sagte Zarn spontan. Thorn runzelte die Stirn. Daß er darauf nicht selbst gekommen war! »Dieser Gedanke wäre eine Überprüfung wert«, meinte er grübelnd. Greg Zarn stürzte seinen Tequila hinunter. »Welchen Schweber nehmen wir?« Pragmatisch wie immer. »Greg«, sagte Thorn sehr ernst und ohne seinen üblichen Sar-kasmus. »Es könnte gefährlich werden. Sind Sie sich dessen bewußt?« Greg Zarn nickte. »Wann?« »Wir starten morgen früh«, sagte Thorn Duman. »Werde mich um die Ausrüstung kümmern. Waffen?« »Natürlich. Und was man eben sonst noch für eine solche, möglicherweise gefährliche Mission benötigt.« »Savy!« »Ich kann mich darauf verlassen?« »Selbstverständlich«, erwiderte der Pilot. »Übrigens, ich kenne da jemanden, der uns bei diesem Vorhaben von Nutzen sein könnte.« »Wen?« »Marc Capezutto, ein Geo-Ingenieur, der fast seine gesamte Freizeit in der Stadt verbringt.« 150 »Etwa der poetisch veranlagte Terraforming-Ingenieur, von dem Sie sprachen?« Greg bestätigte. »Ich könnte ihn überreden, mitzumachen. Seinen Äußerungen zufolge hat er sogar schon einen Eingang in die Stadt der Türme entdeckt.« »Tun Sie das«, nickte Thorn. Kurz nachdem Greg Zarn gegangen war, verließ auch Thorn die Bar. Er lief die paar hundert Meter bis zum Magistratsgebäude und fragte sich nach dem Büro des Mannes durch, der hier in Frontier Junction für die Sicherheit auf den Straßen zuständig war. Er betätigte den Summer. »Wer ist draußen?« »Ihr Vorgesetzter, Mister Graig.« Die Tür glitt auf. Dahinter befand sich ein rechteckiger Raum von nicht mehr als zehn mal zehn Meter. Er hatte nackte, in Quadrate gegliederte Metallwände, an denen breite Kabelbäume
entlangliefen. Darunter, in bequemer Sichthöhe, eine Phalanx Überwachungsmonitore, die im Moment nur Statik lieferten, bis auf einen, der die Vorgänge vor dem Eingang einer Bar zeigte. Thorn begrüßte den Mann, der ihn aus harten Augen und mit allen Zeichen von Ablehnung ansah. Er ignorierte großzügig die mißmutige Miene und setzte sich. Er griff in seine Jacke und legte das Etui auf den Schreibtisch, sah kurz an Aaron Graig hoch und sagte knapp: »Nehmen Sie bitte wieder Platz. Wir werden ein paar Worte miteinander sprechen müssen.« Der andere schwieg, bis Thorn das Etui aufklappte und so vor ihn hinlegte, daß dieser die Legitimation mit dem Hologramm der Junction Mining sehen konnte. Aaron Graig betrachtete sie sorgfältig, dann lehnte er sich zurück, seine Augen blickten weniger ablehnend. 151 »Bitte, sprechen Sie.« Leise aber bestimmt sagte Thorn: »Schalten Sie zuerst das Aufzeichnungsgerät aus und deaktivieren Sie diese Optik dort oben.« Er deutete darauf. Schweigend griff Aaron Graig unter den Tisch. Ein kaum wahrnehmbares Klicken ertönte. Thorn wartete noch eine Sekunde, dann sagte er: »Ich werde Ihnen jetzt eine Geschichte erzählen. Sie sind vorläufig der einzige Mensch auf diesem Planeten, außer mir, der davon Kenntnis hat. Noch darf nichts bekannt werden. Hören Sie zu...« Thorn redete eine halbe Stunde, dann nickte sein Gegenüber. »Was brauchen Sie, Mister Duman?« Duman grinste humorlos. »Ein schwerbewaffnetes Schiff der TF mit einem Kontingent Flotteninfanterie, einer Kompanie Kampfroboter und doppelter Raptorbatterie.« »Sorry!« Graig zuckte die Schultern. »Wie war's ein paar Nummern kleiner - etwa einem impulsstrahlbewaffneten Patrouillenboot?« »Oho!« Thorns Brauen hoben sich überrascht. »Haben Sie denn so was?« »Leider ist das alles, was wir zur Systemverteidigung besitzen. Sonst noch etwas?« »Einen tragbaren Notrufsender, den Sie und auch nur Sie empfangen!« Aaron Graig nickte. Thorn Duman erhob sich. »Ich starte morgen früh«, sagte er. »Sie bleiben mit dem Patrouillenboot außer Sichtweite und folgen unserem Signal. Sie greifen nur ein, wenn ich um Hilfe schreie. Aber dann mit hängendem Zügel. Ansonsten geben Sie sich nicht zu erkennen. Okay?« Aaron Graig stand auf und nickte. »Ich leite alles in die Wege. Sie können sich darauf verlassen, daß ich zur Stelle bin, sollte ich gebraucht werden.« 152 Staubfahnen tanzten wirbelnd über die Bodenformationen, bildeten Schleier, hinter denen die Sonne nur als ein schwacher, verschwommener Fleck zu erkennen war. »Wie sind Sie auf den Einfall gekommen, Capezutto, die Stadt der Türme könnte etwas anderes sein als Fels?« fragte Thorn. Marc Capezutto, ein Mann mit einem Haarschopf von der Farbe frischen Rostes, hob die Schultern. »Während andere sich in den Bars von Frontier Junction herumtreiben, nutze ich die Gelegenheit, kleinere Expeditionen zu starten. Ich fand dabei an der linken Steilwand des Plateaus, auf dem die Stadt der Türme steht, einige Trümmer, die auf eine künstliche Beschaffenheit hindeuteten.« Zarn sagte: »Sie sind sicher ein ausgebildeter Geo-Ingenieur, mein Freund, aber zweifellos auch ein unheilbarer Phantast.« Thorn lachte kurz und erwiderte: »Wir sind alle Phantasten, die wir uns zwischen den Sternen herumtreiben.« »Fabulieren Sie ruhig weiter, Marc!« sagte Greg Zarn und winkte ab. »Ich habe die Trümmer durchstöbert«, entgegnete der rothaarige Ingenieur, »und dabei fand ich eine Straße, die sich offensichtlich unterhalb des Plateaus hinzieht. Natürlich vollkommen mit Trümmern bedeckt und mit Sand.« »Reden Sie weiter«, forderte Thorn. Er hatte Capezutto nichts vom eigentlichen Zweck dieser
Mission erzählt. Im Grunde war er selbst nicht so hundertprozentig davon überzeugt, in der Stadt der Türme ein Raumschiff der Giants zu finden, aber er durfte keine Möglichkeit außer acht lassen. Zarn saß am Steuer des Lastenschwebers und lenkte die Doppelschale, auf deren Ladefläche ein Haufen Ausrüstungsgegenstände festgezurrt war. Er steuerte das Gefährt rücksichtslos wie ein Risikopilot, aber souverän über Felsblöcke, Geröllverschiebungen und entlang den Wänden. »Ich marschierte ungefähr hundert Meter hinein«, fuhr Capezutto fort, »sah, daß die Trümmer immer weniger wurden, und nach exakt zweihundertachtzig Metern hielt mich eine Wand auf. Das war's. Weiter bin ich bisher noch nicht gekommen. Ich weiß 153 also nicht, ob es ein blinder Stollen war oder nicht, und ob diese Wand aus Stahl besteht oder aus Fels.« Er zog eine Karte aus der Schenkeltasche seines Overalls und warf sie zusammengefaltet auf die schräge Arbeitsfläche vor den Instrumenten. »Der Tunnel ist also nicht von irdischen Kolonisten angelegt?« »Nein«, erwiderte Capezutto. »Ich war einer der ersten hier, unsere Terraforrning-Teams hatte zu viel anderes zu tun, als daß wir hier hätten Gänge bohren können. Das ist die Hinterlassenschaft ausgestorbener Bewohner Xings. - Nehme ich zumindest an«, schränkte er ein. »Sehen Sie«, sprach er weiter und deutete mit dem Zeigefinger der linken Hand auf die Linie, »hier haben Sie die Bezugspunkte. Der Tunnel führt, wenn Sie ihn gerade verlängern, mitten unter den Türmen dort oben hindurch.« Das traf zu. Sie flogen schräg einen Hang hinauf, schwangen sich durch ein Labyrinth von steinernen Säulen, unterquerten eine Felsbrücke, von der Sand wie ein Wasserfall rieselte, als die Druckwelle des durchfliegenden Schwebers die Luft erschütterte, wobei Thorn scharf nach Hinweisen Ausschau hielt, die auf die Anwesenheit eines fremden Raumschiffes hindeuteten. Ergebnislos. Schließlich standen sie wenige Meter über dem Boden vor der Steilwand im tiefen Schlagschatten. »Ich sehe«, murmelte Greg sarkastisch, »daß ich nichts sehe.« »Gleich!« versprach Marc Capezutto. Er schaltete den starken Suchscheinwerfer am Bug des Schwebers ein und bewegte ihn vom Kanzelinnern aus. Der Strahl schwenkte herum, und vor den Augen der drei Männer erschien eine unregelmäßig geformte Öffnung, umgeben von Trümmern und Steinen, die einmal kantig bearbeitet worden waren. Der Schweber paßte gerade hinein, aber Thorn sagte: »Keine unnötigen Risiken. Wie weit bis zur Sperre, Capezutto?« »Knapp dreihundert Meter, von hier aus.« »Nehmen wir die Ausrüstung und gehen wir. Der Gleiter wird hier sicher nicht gestohlen.« Zarn nickte. Er senkte den Lastenschweber vorsichtig zwischen 154 zwei Felsbrocken und schaltete die Maschine aus. Die Stille wirkte für einen kurzen Augenblick bedrückend. Dann rausperte sich Zarn. »Was brauchen wir für unsere Expedition, abgesehen von viel Phantasie?« fragte er. »Das, was dort hinten liegt«, erwiderte Capezutto. Sie stiegen aus, ließen das Licht brennen und öffneten die Türen der Ladefläche. Jeder von ihnen belud sich mit einem Teil der Ausrüstung. Starke Handlampen flammten auf, und vorsichtig bewegten sie sich in den Tunnel hinein. Drei Lichtkreise tanzten im Rhythmus der Körperbewegungen vor ihnen. »Gespenstisch«, sagte Zarn. »Natürlich - mein Freund Marc Capezutto mit seinem Hang zur unterplanetarischen Mystik. Wahrscheinlich sind diese Felszacken der Eingang zum Hades.« »Ich könnte auch ein paar Schauergeschichten über kleine grüne Xing-Männchen zum Besten geben«, meinte Capezutto grinsend. Zügig schritten sie voran, wichen Felsen aus, die aus der Decke stammten und sich vor
undenklichen Zeiten gelöst haben mochten. Nach und nach wurden die Hindernisse weniger und weniger, und nach ungefähr dreihundert Metern lagen nur noch kleine Steine und Felssplitter im Staub des Tunnels. »Dort vorn« sagte Capezutto. »Meine Fußspuren!« Sie waren deutlich zu sehen, und auch, daß seither niemand anderer hiergewesen war. Zwanzig Schritte weiter war der Gang zu Ende. »Und jetzt?« äußerte sich Greg Zarn. Marc Capezutto schlug mit der behandschuhten Faust dagegen. Ein dumpfes, nachhallendes Pochen wurde hörbar. Nirgends war ein Öffnungsmechanismus zu sehen. »Glauben Sie mir jetzt mehr, meine Herren?« fragte der Geo-In-genieur. »Ich bin zumindest geneigter, Ihnen zu glauben«, erwiderte Zarn. Der Schein der Lampen glänzte auf seinem haarlosen Schädel. »Laserbrenner!« sagte er und setzte das Gerät ab. Er drückte ein paar Tasten auf dem kleinen Display, ein Kontakt wurde gedrückt, und sofort stach ein nadelfeiner, blauweißer Strahl aus der Mündung. Der ehemalige Raumpilot war wahrlich kein 155 Mann der Umwege; er setzte den Laserbrenner an und versuchte mitten im Zentrum ein Loch zu schneiden. Funken und Rost flogen nach allen Seiten. Hinter der Korrosionsschicht, die jetzt knallend und platzend in großen Stücken von der erhitzten Fläche abbröckelte, wurde das Metall rot- und schließlich weißglühend. Langsam bewegte Zarn den Brenner. Sekunden später schlug der Strahl durch und zeigte an, daß dahinter ein Hohlraum war. Ein feiner Spalt, der sich zu einem Kreis zu krümmen begann, erschien in der Platte. »Sie könnten recht haben, Capezutto«, sagte Thorn. »Vielleicht steckt mehr in den Türmen als nur Fels.« »Sehr wahrscheinlich sogar. Oder können Sie diese Metallplatte hier anders erklären?« »Dazu weiß ich zu wenig von der Geschichte Xings.« »Xing«, sagte der Geo-Ingenieur, »hat keine Geschichte, die wir kennen. Alles, was geschrieben oder berichtet werden kann, stammt aus dem kurzen Zeitraum menschlicher Besiedelung.« Jetzt glühten die Ränder eines Halbkreises in der Platte. Dann wurde langsam ein Kreis daraus. Rauch kroch durch den Tunnel und versperrte die Sicht. »Immerhin haben wir zuerst angeklopft«, stellte Capezutto fest. Zarn griff nach hinten und drehte den Regler ab. Die Ränder des kreisförmigen Schnitts im Tor glühten weiß. Thorn grinste leicht und sagte: »Das war zwar keine wissenschaftliche, aber eine sehr wirkungsvolle Methode, Greg.« Zarn nickte zufrieden, legte den Laserbrenner in den Winkel, den Wand und Boden bildete, holte aus und trat mit voller Wucht gegen die runde Platte, die sich verkantet hatte. Sie polterte donnernd hinter dem Tor zu Boden. Es gab einen rollenden, langen Nachhall, als wäre dort hinten, tief im Berg, noch ein ähnlich langer Gang. »Bitte!« sagte Greg Zarn und deutete auf die immer noch rotglühenden Ränder. »Nach Ihnen, meine Herren.« Sie warteten zehn Minuten, bis das Metall schwarz und fast abgekühlt war. Dann krochen sie durch das Loch, halfen einander und richteten sich dahinter wieder auf. Zwanzig, fünfundzwanzig Meter einer breiten Straße lagen vor ihnen. Sie war frei von Staub. 156 Wände und Decke funkelten wie polierter Stahl. »Weiter!« Sie gingen nebeneinander, bis sie die Treppe sahen. Sie drehte sich, während ihre Stufen nach oben führten, um dreihundertsech-zig Grad. Dann standen sie vor einer Art Röhre, die drei Meter Durchmesser hatte und kerzengerade nach oben führte. Vor ihnen befand sich eine rechteckige Öffnung, und die Röhre selbst bestand aus einem Geflecht von dünnen Stahloder besser Metallringen. »Was immer das ist«, sagte Thorn Duman leise, »es scheint mir nicht die normale
Inneneinrichtung von Felstürmen zu sein. Die verschollenen Bewohner Xings haben die Felsen ausgebaut.« »Scheint so«, knurrte Capezutto, und sein roter Haarschopf schien sich zu sträuben. »Obwohl ich eine andere These entwik-keln werde.« Er drehte sich einmal um die eigene Achse und ließ den Lichtkegel über die Wände spielen. »Bei den Nebeln von Irdiana. Überall Stahl und Formen, die uns unbekannt sind.« Er machte diese Feststellung mit einer Stimme, die tiefstes Verwundern ausdrückte. »Ruhe!« befahl Thorn plötzlich mit scharfer Stimme. »Hören Sie? Was ist das?« Sie wagten kaum zu atmen. Aus der Höhe schienen Geräusche herunterzuschweben. Aus einigen harten Klängen, so als ob Stahl gegeneinander schlüge, wurde eine Melodie. Äolsharfe, dachte Thorn. Es waren schwermütige, langgezogene und fremdartige Tonfolgen, als ob der Wind durch einen hohlen Felsen heulte. Sie dauerten etwa eine Minute lang, dann hörten sie auf. »Musik?« fragte Capezutto laut. »Vielleicht auch nur der Wind, der weiter oben um die Felszinnen heult«, schlug Zarn vor. Dann verbesserte er sich: »Das würde allerdings bedeuten, daß der Wind hier hereinkann. Er würde Staub und Sand mit sich führen, und hier liegt kein Staub. Es muß etwas anderes sein.« 157 »Suchen wir weiter«, schlug Capezutto vor. Sie blieben acht Stunden lang im Innern der Stadt der Türme, oder was immer das auch sein mochte. Zuerst entdeckten sie eine weitere Treppe, die in endlosen Spiralen aufwärts führte. Sie waren, nachdem sie den nicht enden wollenden Weg zurückgelegt hatten, sicher, daß sie sich mindestens auf der Oberfläche des Plateaus befanden. Die Treppe wurde von riesigen Hallen unterbrochen; die Lichter der Xenonlampen reichten selten bis an die Grenze der Hohlräume. Ein verwirrendes System von Gängen, Korridoren, Durchblicken und Rampen wurde entdeckt. Schließlich, als sie müde auf den obersten Stufen der gewaltigen Wendeltreppe saßen, sagte Capezutto düster: »Wissen Sie, was wir hier entdeckt haben, Mister Duman?« Thorn schüttelte leicht den Kopf. »Nein. Aber auf alle Fälle eine sehr große technische Anlage. Ohne Leben, sehr alt und erstaunlich gut erhalten.« »Sie sagen es«, erwiderte der Geo-Ingenieur. »Die Felsformation, die wir die Stadt der Türme nennen, sind in Wirklichkeit Raumschiffe.« »Phantast!« bemerkte Greg Zarn laut. »Es sind Raumschiffe!« beharrte Marc Capezutto mit Nachdruck auf seiner Behauptung. »Und zwar uralte Schiffe einer uralten Rasse - nicht der Bewohner von Xing.« Nachdenklich und überlegend sagte Thorn: »Möglich wäre es. Aber die Diskussion darüber bringt uns nicht weiter. Irgendwann werden wir diese Schiffe untersuchen können, und zwar mit Hilfe von Scheinwerferbatterien und eine Armee Spezialisten. Dann wird sich sehr schnell herausstellen, womit wir es tatsächlich zu tun haben.« »Unfaßbar!« murmelte Greg Zarn, aus der Fassung gebracht. Er schien augenblicklich die Konsequenzen begriffen zu haben. »Das bedeutet«, fuhr er fort, »daß Xing und Frontier Junction schlagartig in den Blickpunkt des Interesses rücken werden. Wir haben eine neue Rasse gefunden, die die Sternenschiffahrt beherrscht.« »Haben wir das wirklich, Greg?« fragte Thorn. Das Gesicht des ehemaligen Raumpiloten glänzte im Licht von Thorns Helmscheinwerfer. 158 »Wie meinen Sie das?« »Ich meine, daß diese Wesen, die in diesen Raumschiffen hier geflogen sind, schon seit Jahrtausenden tot sind. Wahrscheinlich ist ihre Rasse ebenfalls ausgestorben, denn sonst wären die Schiffe abgeholt worden.« »Und warum haben sie dann die spitzkegeligen Schiffe so auffällig zusammengestellt?« erkundigte sich Capezutto. »Da bin ich überfragt«, bekannte Thorn Duman. »Warten wir auf das, was die Experten
herausfinden. Gehen wir zurück. Es wird Zeit.« »Einverstanden.« Sie machten sich an den langen Abstieg. Schweigend, nur von gelegentlichen Flüchen unterbrochen, kletterten sie die Wendeltreppen wieder hinunter, musterten kopfschüttelnd die Gitterröhre, kamen zurück in den Tunnel und krochen durch das Loch in der stählernen Abschirmung. Sie gingen in ihren eigenen Fußspuren zurück, bis sie den Schweber erreichten. Der Rückflug nach Frontier erfolgte in relativem Schweigen und ohne Komplikationen. Aaron Graig ließ sich, wie vereinbart, nicht sehen. Auf halber Strecke sagte Capezutto übergangslos: »Mister Duman, wollen Sie mir nicht endlich sagen, was Sie wirklich in der Stadt der Türme gesucht haben?« Zarn räusperte sich und konzentrierte sich auf den Flug. Thorn, der das Problem seit geraumer Zeit auf sich hatte zukommen sehen, beschloß, die beiden Männer in seine Überlegungen einzuweihen. »Nun gut, ich werde es Ihnen sagen«, meinte er. Hören Sie zu...« Capezutto keuchte erschrocken auf, als Thorn geendet hatte. »Das ist doch... irren Sie sich auch wirklich nicht?« »Kaum«, erwiderte Thorn. »Jetzt verstehe ich vieles«, sagte Greg Zarn halblaut. »Stecken wirklich die Giants dahinter?« »Die Indizien sprechen dafür. Aber ich habe keine Beweise. Die werde ich erst bekommen, wenn ich die Basis des Giant-Schiffes 159 ausfindig gemacht habe. Falls es ein solches Schiff überhaupt gibt«, schränkte er mit düsterer Miene ein. »Das ist wie Stochern im Nebel«, versetzte Capezutto. »Sie pak-ken das nicht wissenschaftlich an.« Thorn hob die Brauen. »Ach ja?« »Ja, beziehungsweise nein. Sie bringen die Veränderungen in der Ansiedlung mit dem Auftauchen eines Giant-Schiffes in Zusammenhang. Richtig? Die ersten Anzeichen der Psychoseuche traten etwa wann auf?« »Mitte April«, antwortete Greg anstelle von Thorn. »Zwischen Xing und dem äußeren Asteroidengürtel herrscht relativ reger Verkehr. Ein Raumschiff, selbst wenn es starke Tarnfelder besitzt, hinterläßt eine lonenspur. Jemand sollte sich mit den Logbüchern der Erz-Shuttles beschäftigt, die zum fraglichen Zeitraum zwischen den Planeten unterwegs waren.« »Ihre Anregung hat etwas für sich«, bekannte Duman nachdenklich. »Ich übernehme das für Sie, Thorn«, sagte der ehemalige Raumpilot. »Routinekram. Außerdem«, er grinste, »kenne ich die Kapitäne. Sie nicht...« »Wenn ich Sie nicht hätte«, seufzte Thorn und grinste. 160
14. Die nächsten sechsundvierzig Stunden sammelte Thorn alle Berichte über ungewöhnliche Vorkommnisse auf Xing. Er nahm sich zum wiederholten Mal die Aussagen der Farmersfamilie Haywire vor. Und er registrierte, wie sich der Wahnsinn in den Straßen Frontier Junctions immer mehr ausbreitete; die Hiobsbotschaften aus der überfüllten Klinik häuften sich. Das medizinische Personal begann bereits mit Hilfe von Technikern und MedoRobots die Container der TARAKUTA für eine eventuelle Aufnahme der Kranken zu präparieren. Schließlich erhielt er von Greg Zarn die Informationen über ungewöhnliche Schiffsbewegungen. »Verdammt!« entfuhr es ihm, als er den Bericht überflogen hatte, »ich hätte es ahnen müssen!« Ein nicht identifiziertes Schiff hatte am 18. April des Jahres 2057 die Bahn der äußeren Planeten gekreuzt und war dann von den Schirmen des Erz-Shuttles verschwunden. Aber der Vorfall war im Schiffslog gespeichert worden.
Thorn besaß keine seherischen Gaben, aber das Gespür eines guten Ermittlers; es war wie eine Antenne für außergewöhnliche Zusammenhänge. Er erkannte in diesem Augenblick, daß drei Dinge Teil eines Ganzen waren, von dessen Bedeutung das weitere Schicksal Xings abhing. Er mußte sie nur noch zusammenbringen. Gedankenverloren schüttelte er sich eine Zigarette aus der Pak-kung und zündete sie an. Er stütze die Arme auf die Schreibtischplatte und rauchte schweigend. Dann machte er eine unbedachte Bewegung. Asche fiel auf die ausgedruckten Hardcopys der Berichte. Thorn beugte sich vor und blies die grauen Flocken weg. Sein Blick fiel auf eine Zeile. Der Vorhang öffnete sich... Er setzte sich ruckartig auf, von der Erkenntnis überwältigt. »Purpurnes Plasma!« bekannte er zerknirscht. »Ich bin wahrlich der größte Sumph der Galaxis! Wie in einem überscharfen Holo erkannte er immer mehr Zu161 sammenhänge. Einer hatte mit Kimberly zu tun, genauer gesagt mit Chris. Er warf einen Blick auf sein Chrono. Später Nachmittag. Sie konnten zu Hause sein. Er stand auf, schob den Stuhl so kräftig mit den Kniekehlen zurück, daß er umfiel. Er ließ ihn liegen, schnappte sich seine Jacke und verließ das Appartement. »Überinterpretierst du da nicht ein bißchen heftig?« fragte Kimberly. Sie stellte eine Tasse Kaffee vor ihn hin und ließ sich ihm gegenüber in einem Sessel nieder. Sie zog die Beine unter sich und blickte ihn mit einer gewissen Irritation an. Er hatte ihr von seiner Vermutung berichtet, daß sich ein Giant-Schiff nach Xing verirrt haben könnte, deren Besatzung für den Psychoterror verantwortlich sein konnte. Mit ihr waren es jetzt vier Personen, die eingeweiht waren. Jetzt sagte sie zögernd: »Wie können dir die Träume, die Chris zu einem bestimmten Zeitpunkt hatte, helfen, das Problem Xings zu lösen?« »Ich bin sogar davon überzeugt«, versicherte er. »Ich erinnere mich, was du über seine merkwürdigen Träume in der Nacht vom neunzehnten auf den zwanzigsten April erzählt hast. Weißt du noch?« Sie nickte widerstrebend. Thorn setzte die Tasse an die Lippen und fragte in das Schweigen hinein: »Hat er nicht von Sternenbiestern gesprochen, von schwarzen Götzen?« »Schon...« »Alles deutet daraufhin, daß er irgendwie in Kontakt mit den Giants gekommen war. Auf seine Weise. - Wo hat er sie gesehen?« drang er in sie. »Es muß sich um eine Wüste gehandelt haben«, sagte sie nach einer Weile leise, an ihren eigenen Traum in dieser Nacht erinnert. »Und wo hast du die merkwürdigen Fußspuren gesehen, als dich Doktor Zurikov zur Haywire Farm rief? Liegt die nicht in der Nähe der Barriere-Wüste?« Wieder nickte sie. »Schon - aber das muß überhaupt nichts be162 deuten.« »Richtig, das muß es nicht. Aber es ist eine Spur, der ich nachzugehen gedenke. Und dazu könnte ich Chris brauchen. Wirst du ihn mir anvertrauen?« »Ich weiß nicht...« Sie nagte an ihrer Unterlippe. »Er ist nur ein Junge von vierzehn Jahren...« Thorn stellte die Tasse zurück. »Warum überlassen wir nicht ihm die Entscheidung?« fragte er und deutete auf den Durchgang, in dem Chris aufgetaucht war. »Junger Mann«, wandte er sich an ihn und faßte ihn scharf ins Auge, »ich nehme an, du hast alles gehört, was hier gesprochen wurde?« »Nicht direkt«, erwiderte Chris. »Aber so ähnlich.« Die Tatsache, daß Chris ganz offensichtlich auch Gedanken lesen konnte, ob bewußt oder nicht, ließ Thorn zunächst einmal unerwähnt. Aber er hatte sich schon so etwas ähnliches gedacht. Chris' paranormale Fähigkeiten erstreckten sich nicht nur auf das Gebiet der Telekinese. »Und, was denkst du?«
»Ich weiß, wo Sie suchen müssen, wo er sich versteckt.« Daß er in der Einzahl sprach, fiel Thorn zu diesem Zeitpunkt nicht auf. Viel später erst sollte es ihm zu Bewußtsein kommen, und zwar auf eine Weise, die all seine Vorstellungen übertraf... »Ich halte nichts davon«, daß du Thorn begleitest«, sagte seine Mutter in einem schwachen Versuch, der mißlang. Fast unwirsch sagte Chris: »Ich habe keine Angst, Mom. Mir wird nichts geschehen.« Mutter und Sohn sahen sich an. Ein wortloser Dialog. Schließlich zog Kimberly eine Grimasse und nickte resigniert. »Okay. Aber ich begleite dich. Darauf bestehe ich!« »Dagegen ist nichts zu sagen«, meinte Thorn und erhob sich. Er küßte sie leicht. »Danke für den Kaffee.« Er nickte Chris zu. »Ich sage euch Bescheid, wenn es losgeht.« 163 In sein Appartement zurückgekehrt, ließ sich Thorn mit der Funkzentrale des Raumhafens verbinden. Eine Technikerin erschien auf dem Monitor. »Thorn Duman. Bitte nehmen Sie ein Hypergramm an Chann auf.« »Direkt an Junction Mining, Mister Duman?« »Direkt.« Thorn lächelte sie an. »Bitte funken Sie folgenden, verschlüsselten Text an Ogan Chann: NOCH KEIN ERGEBNIS. LAGE SPITZT SICH ZU. VORSCHLAG ZUR DISKUSSION: ERWÄGE EVENTUELL EVAKUIERUNG DER GESAMTEN ZIVILEN BEVÖLKERUNG AUF DIE TARAKUTA. ERKLÄRUNG WEGEN DRASTISCHER MASSNAHMEN ÜBERFLÜSSIG, SIEHE VERTRAG, PUNKT > VERFÜGUNG S GEWALT<. DUMAN.« Die Technikerin schaute ihn erschrocken an und sagte mit leiser Stimme: »Ob Chann das gerne hört?« »Das bezweifle ich«, erklärte Thorn verbindlich. »Aber ebensowenig gern möchte ich hier begraben sein.« »Ich verstehe.« Auch das bezweifelte Thorn, behielt es aber für sich. Er wartete einen halben Tag, aber auf sein Hypergramm erfolgte keine Antwort. Statt dessen bekam er einen Anruf vom Bürgermeister. Die Magistratsangestellte machte es dringend. Es kam Thorn gelegen, er mußte Doones sowieso über seine nächsten Schritte informieren. Die Verwaltung machte irgendwie einen verwaisten Eindruck, als Thorn den Zentralschacht zu den Räumen des Magistrats emporglitt; offenbar hatte die geistige Beeinflussung auch vor den Behörden nicht Halt gemacht. »Was verschafft mir die Ehre?« fragte Thorn, als er in Doones Arbeitszimmer trat. »Von Ehre kann keine Rede sein, Mr. Duman«, antwortete der Bürgermeister sarkastisch. »Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten.« »Das«, sagte Thorn, »deckt sich mit meinen Wünschen. Was ist los?« 164 »Sie waren in den vergangen Tagen recht aktiv. Darf man erfahren, was Sie bewogen hat, der Zentrale die Evakuierung Xings zu empfehlen?« »Ich muß meine Entscheidungen nicht vor Ihnen rechtfertigen«, erklärte Thorn ruhig. Doones starrte ihn erbost an. »Trotzdem wäre es vielleicht angebracht, derartig einschneidende Dinge mit mir zu besprechen. Inzwischen wuchern die Gerüchte«, grollte er, »und die Stadt ist in einer Art Aufruhr, zumindest der Teil, der noch bei Verstand ist. Man fragt sich, man fragt mich, was wirklich an der ganzen Sache dran ist. Sie verursachen einen ziemlichen Wirbel, das kann ich Ihnen gerne bestätigen.« »Nur zum Wohl der Gemeinschaft«, erwiderte Thorn. »Sie scheinen vergessen zu haben, aus welchem Grund ich hier bin.« »Und«, ereiferte sich der Bürgermeister, »haben Sie denn etwas erreicht, außer diese Gemeinschaft« - er betonte das Wort nachdrücklich - »gehörig durcheinanderzubringen?« »Natürlich«, versetzte Thorn gelassen.
Plötzlich war Doones hellwach und konzentriert »Und das wäre?« »Bürgermeister«, erwiderte Thorn ungewöhnlich ernst, »kann jemand unser Gespräch mithören?« Irvin Doones musterte ihn mit gerunzelten Brauen, dann hob er die Hand und beugte sich zu einem Display auf seinem Schreibtisch. »Melissa!« sagte er drohend. »Gehen Sie sofort aus der Leitung und verlassen Sie das Vorzimmer, oder ich kürze augenblicklich Ihr Gehalt. Verstanden?« Sekunden verstrichen, dann ging draußen die Tür. »So. Wir sind unter uns, Mister Duman. Was gibt es?« »Bürgermeister Doones«, erwiderte Thorn, »Ich vermute, daß wir auf Xing ungebetene Besucher haben. Es gibt berechtigte Hinweise, daß sich hier ein Schiff der Giants versteckt hält, das auf diesem Planeten vermutlich das gleiche Schreckensregime errichten will wie damals auf der Erde.« »Was bringt Sie zu dieser Erkenntnis?« 165 »Die Logbucheintragungen eines Erz-Shuttles, dessen Besatzung am 18. April auf ihren Radarschirmen zwei fremde Schiffe registrierte, wovon eines in den äußeren Raum transitierte, das andere Sekunden später schwer angeschlagen offenbar im Schütze eines Tarnfeldes von den Schirmen verschwand. Aber in dieser kurzen Zeitspanne ließ sich mit Hilfe des Suprasensors ein Kurs interpretieren, der ins Innere dieses Systems führte. Dies und die Aussagen und Beobachtungen verschiedener Farmer untermauern meinen Verdacht, daß am oder um den 19. April herum dieses fremde Schiff eine nichtreguläre Landung auf Xing durchgeführt hat.« »Sie meinen, es ist abgestürzt?« »Mehr oder weniger, ja.« »Ja dann...«, dehnte der Bürgermeister. »Keine voreiligen Schlußfolgerungen«, wehrte Thorn ab. »Offensichtlich hat zumindest ein Teil der Besatzung die Landung überlebt und versucht seither, das Bewußtsein der menschlichen Population auf Xing zu versklaven. Zum Glück gelingt oder gelang es bis jetzt nur zum Teil. Ich weiß nicht, was es ist. Aber vermutlich scheint eine Reihe von Leuten immun gegen die geistige Beeinflussung zu sein. Unter anderem ich, aber das aus Gründen, die ich hier nicht erörtern möchte. Wir haben also die Chance, dieses Schicksal von uns abzuwenden.« »Und wo Ihrer Meinung nach versteckt sich das Giant-Schiff?« »Sind Sie mit der Geographie Xings vertraut?« »Hmpf«, machte Doones und zog ein Gesicht, was wohl soviel heißen mochte, daß er diese Frage als überflüssig erachtete. »Reden Sie schon!« »50 Grad westliche Länge, 69 Grad nördliche Breite.« »Moment... das ist das Gebiet der Barriere-Wüste!« stieß Irvin Doones hervor. »Ein riesiges Areal. Unübersichtlich, noch kaum erschlossen oder kartographiert. Bis auf ein paar wenige Terrafor-ming-Ingenieure hat sich bislang niemand sonst in diesen unwirtlichen Teil Xings verirrt. Kennen Sie die Gegend dort?« »Nicht besser als Sie, Bürgermeister«, sagte Thorn. »Wie wollen Sie dann Ihr Giant-Schiff finden?« »Ich habe einen Pfadfinder«, versetzte Thorn, ohne näher darauf einzugehen. »Wir werden mit zwei, drei gut ausgerüsteten Schwe166 bern in die Wüste einfliegen. Wir wollen damit versuchen, das Schiff zu finden.« »Wir?« fragte Doones einsilbig. Thorn zählte die Namen auf, wobei er Kimberly Nev und Chris vorerst aussparte. »Ich werde selbst einen Gleiter steuern«, sagte Doones mit plötzlicher Entschlossenheit. »Ihre Aufgabe ist hier, Herr Bürgermeister«, wehrte Thorn ab.
»Welche Aufgabe? Ich verwalte doch nur noch das Chaos. Meine Sub-Direktoren können das übernehmen. Mann! Es geht um diesen Planeten! Glauben Sie, ich schaue tatenlos zu?« Thorn sagte schleppend: »Gut. Akzeptiert. Ich nehme Ihr Angebot an, Irvin. Allerdings muß ich Sie warnen - es wird vermutlich ziemlich heiß werden. Sowohl durch die Sonne, als auch durch mögliche Kampfhandlungen und ähnliche Überraschungen. Sollten Sie sich mit Verletzungen irgendwo im Sand wiederfinden, machen Sie bitte nicht mich dafür verantwortlich.« Statt einer Antwort fragte Doones: »Wann starten Sie?« »Mit dem ersten Morgenlicht.« »Ich werde rechtzeitig zur Stelle sein.« 167
75. Der Morgen über Frontier Junction veränderte sämtliche Eindrücke des vergangenen Tages radikal: Nachts schien die Präsenz der beiden Monde tief in Thorns Verstand einzusickern und dort schlimme Träume hervorzurufen. Jetzt war alles anders. Noch war es kühl. Acht Personen hatten sich eingefunden. Acht Personen, darunter ein vierzehnjähriger Junge, und zwei schwere sowie ein kleinerer Schweber. Thorn blickte hinein und sah einen wuchtigen Zweihandstrahler neben den Notrationen und dem Funkgerät liegen. »Zufrieden?« fragte Irvin Doones. Der Bürgermeister bewegte durch winzige Steuerausschläge seinen Schweber wie ein nervöses Reittier. Auch er trug wie die anderen eine schwere Kombi, deren Brustteil und Gelenke verstärkt waren. An dem breiten Gürtel steckten ein Vibromesser und ein schwerer Paraschocker. Unzählige Taschen enthielten Werkzeug und Geräte. »Völlig!« sagte Thorn und wollte sich seinem eigenen Fahrzeug zuwenden, als ihn ein scharfer Zuruf des Bürgermeisters zurückhielt. Er machte eine Kopfbewegung in Richtung der Hydrologin und Xenobiologin, die eben Chris' Kombi schloß. »Sie haben nicht gesagt, daß er dabei ist!« »Kriegen Sie sich wieder ein, Bürgermeister«, erwiderte Thorn laut und deutlich. »Chris ist unser Pfadfinder.« Als sie die Maschinen kontrollierten, sämtliche Schalter und Leitungen prüften, einen Vorrat an Wasser und neue Energiezellen einpackten, ging die Sonne auf. Ihre Strahlen erzeugten lange, harte Schatten. Die Luft war frisch und von einer prickelnden Kühle; das würde sich rasch ändern. Thorn wandte sich an Greg Zarn. »An alles gedacht?« Zarns Grinsen war sehr zuversichtlich, und außerdem schien er grenzenlos tief geschlafen zu haben. »Nichts kann mehr schiefgehen«, verkündete er. »Abgesehen 168 davon, daß wir in der Wüste umkommen könnten, natürlich.« Marc Capezutto, den Thorn kurzerhand von seinem üblichen Dienst abkommandiert hatte, schloß: »Ihre Rede, mein Freund, ist mir ein unschätzbarer Trost.« Zarn, Capezutto und zwei Mann aus Graigs Truppe, Lafferty und Feringelli, stiegen bis an die Zähne bewaffnet in ihren Schweber. Doones rief aus seinem Gleiter heraus: »Ist das alles, was wir aufbieten konnten?« »Es sind zumindest die einzigen, die bereits schon mal einen Kampfeinsatz mitgemacht haben - abgesehen von Ihnen, Bürgermeister! Aber wir sind nicht ganz so allein, wie es den Anschein hat.« Grimmig erwiderte Doones: »Wieder mal eine Ihrer einsamen Entscheidungen, Mister Duman?« »Vertrauen Sie mir«, erwiderte Thorn. »Was bleibt mir anderes übrig?« resignierte der Bürgermeister. »Ich habe mich nun einmal dazu entschlossen. Also, was soll's?!«
»Das ist die richtige Einstellung.« Er gab Zarn ein Handzeichen und schwang sich ins Innere seines Kombischwebers, in dem Kimberly und Chris schon Platz genommen hatten. Drei Minuten später glitt die kleine Karawane, die aufgehende Sonne halb im Rücken, über die Straßen Frontier Junctions, vorbei an dem Einkaufszentrum, dessen verschlossene Glaswände die Sonne reflektierten. Außerhalb der Stadt betätigte Thorn das Funkgerät, drehte an den Lautstärkereglern und wartete auf das Antwortzeichen. »Hier Patrouillenboot PB-12, Aaron Graig«, kam die ferne Stimme. »Thornton Duman hier. Wir sind gestartet, Graig.« »Verstanden. Starten jetzt ebenfalls. Viel Glück, Duman. Melden uns zu den festgesetzten Zeiten wieder. Ende.« »Ende und aus«, bestätigte Thorn und ließ das Mikrophon wieder in die Halterung gleiten. Der Schweber wurde schneller und flog an der Spitze einer Dreiecksformation davon. Richtung Nordwest zu Nord. 169 Die Zeit: sechs Uhr morgens. Da war sie, die Wüste. Unbarmherzig in ihrer hitzeflimmernden Ausdehnung. Drei künstliche Körper bewegten sich dicht über dem Boden mit jeweils zweihundert Metern Abstand zueinander und mit fast einhundertfünfzig Stundenkilometern der Stelle entgegen, die Chris als den möglichen Landeplatz bezeichnete. Die Verdecke waren geschlossen, sämtliche Scheiben hochgefahren. Plötzlich sagte Chris: »Wir müssen zum Fluß.« Er wirkte angespannt. »Ein Fluß? wunderte sich Thorn. »Hier?« »Nicht im herkömmlichen Sinne«, schränkte Kimberly ein. »Er meint den Skeleton River. Ein ausgetrocknetes Flußbett, das mit den Verästelungen seiner Zuflüsse aus großer Höhe wie das riesige Skelett eines xenomorphen Fisches oder einer Schlange aussieht. Er führt nur alle paar Jahre und nur nach sehr heftigen Niederschlägen kurzzeitig Wasser, das jedoch noch im Flußbett in unterirdische Höhlen versickert. Im Display sind einige Koordinaten. Der Fluß ist allerdings zweihundert Kilometer lang.« »Okay!« Thorn konsultierte die im Display gespeicherte Karte. Dann sagte er ins Mikro: »Zuhören, Männer. Kursänderung. Wir treffen uns, von entgegengesetzten Richtungen kommend, in der Mitte des Flußbettes. Ich und der Bürgermeister suchen von der Quelle beziehungsweise dem Ursprung her; Sie, Greg, suchen von der Stelle aus, an der der Fluß aufhört, wo also keine Spuren mehr von ihm zu sehen sind. »Verstanden.« Thorn schaltete auf einen anderen Kanal, erhöhte die Sendeleistung und rief das Patrouillenboot. Die Antwort kam ohne Verzögerung. »Ich höre Sie, Duman.« »Sehen Sie uns, Aaron?« »Sehr deutlich.« 170 »Keine andere Bewegung über diesem Teil des Planeten?« »Negativ.« »Beobachten Sie weiter. Informieren Sie uns, wenn Sie etwas sehen, was wir nicht vorher angekündigt haben.« »Wird gemacht Ende.« Sie flogen weiter. Auf geändertem Kurs. Unter ihnen dehnte sich die Wüste aus; kalkweiß, golden, schwarz. Wind war aufgekommen. Vor und hinter den Schwebern drehten sich Sandwirbel. Dann waren sie am Ziel. Das Flußbett, über dem die Schweber standen, zog sich stark mäandernd in südlicher
Richtung hin, bildete unzählige Kurven und Schlangenlinien. Von Greg Zarn kam die Meldung, daß er ebenfalls seine Position eingenommen hatte und jetzt >flußaufwärts< flog. »Übernimm bitte du das Steuer, Kim«, bat Thorn. Er setzte sich aufrecht hin und nahm das schwere Sichtgerät in die Hände. Dann aktivierte er wieder den Funk. »Greg!« »Ich höre, Thorn.« »Lassen Sie Ihre Phase offen. Wir halten es so: Jeder, der etwas sieht, prüft es nach, dann ruft er die anderen um Hilfe.« »Verstanden.« Die Schweber setzten sich wieder in Bewegung. Langsamer jetzt. Beobachtet von den Scannern des Patrouillenboots über ihnen. Keine einzige Wolke war am Himmel. Schnell glitt der schwere Kombischweber dicht über dem weißen Kies des Flußbettes nach Süden. Thorn suchte die Ufer mit dem starken Glas ab. Langsam verstärkte sich die Spannung in ihm. Wie Weberschiffchen glitten die Schweber hin und her. Und von Linsen verstärkte menschliche Augen blickten in jede Spalte, lauerten auf das Glitzern von Metall oder die zurückschlagenden Echos von Energieemissionen. Da war kein Felsüberhang, unter dem man ein Raumschiff verstecken konnte. Da war nichts. 171 Thora fühlte sich auf eine höchst intensive Weise unbehaglich und in hohem Maße irritiert. Dieses Gefühl hatte ihn nicht mehr verlassen, seit sie in Frontier Junction aufgebrochen waren. Es war eine Mischung aus Nervosität und unbestimmter Erwartung, von der seit dem Start eigentlich alle erfüllt waren. Langsam flog die verschrammte Doppel schale mit ihren drei Insassen weiter nach Süden. In ihrem Kielwasser der Schweber des Bürgermeisters. Die Dünen wurden jetzt steiler, mehr Felsen erschienen. Und vier, fünf Kilometer weiter wurden aus den spitzen Felszacken breite Formationen, die mit Sand und Kieseln am Prallhang des Flusses angeworfen waren. »Mom...!« Kim bremste den Schweber ab, als sich die leise, gepreßt klingende Stimme ihre Sohnes vernehmen ließ und sie seine Hand auf ihrer Schulter spürte. Thorn setzte das Sichtgerät ab, fuhr herum und sah den Jungen an. »Siehst du etwas, was dieses Schiff betrifft, Chris?« Aber Chris machte keine Anstalten, mehr zu sagen. Statt dessen deutete er nur nach draußen. Thorn betrachtete den Jungen mit einem langen, abschätzenden Blick. Sah dann Kimberly auffordernd an. Aber die schüttelte den Kopf. Du wirst im Augenblick nicht mehr aus ihm herausbekommen, hieß das. Thorn zuckte mit den Schultern. Er nahm den schweren Strahler, befestigte die Zieleinrichtung im Schlitten des Laufes und öffnete die Tür. Dann zog er den Schirm der Kappe in die Stirn und stieg aus. Er ging wenige Schritte. Von der anderen Seite näherte sich ihm Doones. Er hatte den Lauf des Zweihandstrahlers in die Armbeuge gelegt, den Finger am Abzug. »Was gefunden?« ließ er sich vernehmen. »Hmm, merkwürdiger Belag auf den Kieseln«, murmelte Du-man. »Das könnte von Hitzeeinwirkung stammen. Wir sehen mal nach, Kim.« Kimberly Nev war ebenfalls ausgestiegen, während Christopher 172 im Fahrzeug blieb. Sie stand an der Seite des Schwebers und hielt eine Waffe in der Hand, was Thorn einigermaßen erstaunte. Daß sie mit Waffen vertraut wäre, hatte er sich nie vorstellen können. Sie hatte das Mikrophon des aktivierten Funkgerätes an seinem Spiralkabel herausgezogen und neben sich auf dem Dach angeklemmt.
Thorn ging noch ein paar Schritte, entsicherte seine Waffe und bückte sich. Seine Finger strichen über die Kiesel, deren Oberseite einen grauschwarzen Belag aufwiesen. Er hob einen Kiesel auf, wischte darüber und roch daran. »Ganz eindeutig lonisationsspuren. Hier ist etwas unter großer Hitzeeinwirkung heruntergekommen«, sagte er zu Doones. »Ich würde sagen, dies könnte der Ort sein.« Die Männer richteten sich auf und sahen sich um. »Kim! Alarmiere die anderen!« »Verstanden!« Obwohl er ruhte, waren seine Sinne nach draußen gerichtet. Schlaf als solchen kannte er nicht. Er regenerierte sich und absorbierte die lebenserhaltenden Energien aus der tintenschwarzen Dunkelheit seines Kokons, der mit den bio-neuralen Energien jenes psionischen Feldes interagierte, das er über die Ansiedlung geworfen hatte wie ein Spinnennetz. Die mächtigen Beine mit den Sprunggelenken an den Leib gezogen, die oberen Gliedmaßen eng an den Körper gefaltet und den riesigen Kopf gesenkt, hockte er leicht gekrümmt wie eine überdimensionierte Bohne in der Schote seines Kokons. Plötzlich rührte sich N'Sadog. Er registrierte eine Veränderung... Sie befanden sich hier in einem großen, etwa sechshundert Meter durchmessenden Kessel. Das Flußbett war in südlicher Richtung breit und sehr flach, und der Wind hatte kleine, gerippte Wel173 len im Sand gebildet, die wie Kabbelwasser wirkten. Im Westen befand sich eine große, steile Felswand, vor der bis in eine Höhe von etwa zwanzig Metern eine Düne lag. Sonst gab es keine Fläche, die geeignet war, um ein Schiff verstecken zu können. Andererseits auch eine Düne konnte eine geschickte Holoprojektion sein. Sie würden das Gebiet absuchen müssen. »Folgst du uns bitte mit dem Gleiter, Kim?« bat Thorn. Doones und er gingen langsam auf die nächste Düne zu. In ihren Händen lagen schußbereite Waffen und sie achteten mit Argusaugen auf jede Bewegung, jede Veränderung um sich herum. Die Düne bestand, wie sie nach dreißig Schritten feststellten, aus echtem Sand. Keine Holoprojektion. Keine Fata Morgana. Sie drehten sich um und blickten schräg in den Kessel hinunter. Zögernd sagte Doones: »Sieht aus wie die Ruhe selbst.« »Ja. Glauben Sie nicht, daß wir in einer hübschen Falle sitzen?« »Möglich. Aber jede Sekunde werden die anderen da sein und auf uns aufpassen. Sollen wir mit dem Funkgerät...?« »Nein, noch nicht. Ich bin nicht sicher.« Sie stapften weiter durch den lockeren Sand, und ihre Schritte hinterließen tiefe, kraterähnliche Spuren. Auf dem Kamm der Düne, der sich nach innen schwang, näherten sie sich einem V-förmigen Einschnitt. Unbarmherzig stach die Sonne. Es gab so gut wie keinen Schatten. Sie rutschten und stolperten wieder nach unten und standen jetzt in dem Einschnitt. Thorn drehte sich in Richtung der Felswand, die im tiefen Schlagschatten lag. Sekundenlang stand er so, dann nahm er den Scanner in die Hand, tippte ein paar Einstellungen auf der Sensortastatur, und zeigte mit ihm wie beiläufig auf die Felswand. Nach einer Weile stieß er einen Laut aus, der sich anhörte wie »Aaaah...«, und ging wieder zurück in Richtung Schweber, während er die gefundenen Einstellungen in die Mikro-Suprasen-sorik des Ziellasers seiner Waffe übertrug. »Kommen Sie, Doones«, sagte er. Er stieß den Arm hoch; das vereinbarte Zeichen. 174
Sie liefen auf den Schweber zu, der summend näherkam, sich querstellte und mit offenen Türen stehenblieb. »Das war's«, sagte Thorn und griff nach dem Mikrophon, das ihm Kim entgegenhielt. »Greg?« »Ich höre, Thorn.« »Kommen Sie sofort her. Nehmen Sie das Signal unseres Funkgeräts als Peilung. Schnell!« »Verstanden!« Thorn hatte inzwischen schon die Frequenz gewechselt und die Leistung erhöht. »Seht ihr uns?« rief er halblaut ins Mikro. Die scharfe, leise Stimme Aaron Graigs antwortete ebenso schnell: »Wir haben Sie. Einsatz?« »Jawohl. Beeilung.« »Verstanden!« Thorn warf das Mikro achtlos auf den Sitz, drehte sich um, stellte sich vier Schritte vom Schweber entfernt hin und hob die Waffe. Noch während er das tat, hörte er schräg hinter und über sich das Geräusch des anfliegenden Schwebers. Greg Zarn und die die anderen näherten sich mit höchstmöglicher Geschwindigkeit. Thorn zielte genau, dann gab er acht oder neun Schüsse in schneller Reihenfolge ab. Von oben nach unten erschien auf der Felswand eine Linie von Explosionen - und die in den Felsen eingelassenen Projektoren, die eine massive Wand vorgaukelten, gaben sprühend und blitzeschleudernd ihren Geist auf. Dahinter sahen Thorn und die anderen eine tunnelförmige Höhle, etwa achtzig Meter im Durchmesser, die sich in den Berg hinein erstreckte. Drinnen herrschte Finsternis. Hinter sich hörte Thorn, wie Greg Zarn und die anderen drei Männer herankamen, und Kims erschrockenen Ausruf, als sie die Höhle sah. »Es könnte eine Falle sein!« Kimberlys Stimme klang nervös. »Durchaus möglich«, stimmte Thorn zu, während er seinen Strahler noch einmal kontrollierte. »Aber wie auch immer. Wir werden es früh genug herausfinden!« 175 Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er, wie sie nickte. »Ja. Ich weiß.« Der Eingang zum Tunnel gähnte im Halbdunkel. Weiter drinnen war alles schwarz. Der Anblick war abstoßend und anziehend zugleich. Einladend wie die Pforte zur Hölle, dachte Kimberly Nev, und ein Schauder überlief sie. Thorn fuhr herum. »Kim! Du und Chris«, ordnete er mit scharfer Stimme an, »ihr geht ihn Deckung hinter diesen Felsen dort!« Er deutete darauf. »Halte Funkkontakt mit dem Patrouillenboot.« Zu den anderen sagte er überflüssigerweise: »Hier haben Sie ihren Eingang, meine Herren. Dort drin verbirgt sich die Quelle allen Übels!« Zarn kam herangekeucht, dicht gefolgt von Capezutto, Lafferty und Feringelli. »Los! sagte Thorn. N'Sadog bewegte sich auf seinem Thron. Innerhalb seines Kokons spürte er die noch immer zu schwach pulsierende Kraft der Schiffsmaschinen, mit denen er über seinen Thron verbunden war und die durch ihre Schwäche auch viele seiner eigenen Aktivitäten einschränkten. In seinem Verstand wurde das Durcheinander von Bildern all jener Dinge, die in einem bestimmten großen Raum von seinen wenigen Drohnen getan wurden, abgelöst von der klaren Vorstellung, daß sich etwas seiner Sphäre näherte. Er entfaltete seinen Körper; seine Arme und Tentakel knackten. Sein Augenband glühte voller Gier. Er sandte einen Befehl an seine Sternenkrieger... Leicht versetzt zueinander, so daß keiner in die Schußbahn des anderen geraten konnte,
setzten sich die Männer in Bewegung, gewärtig, jeden Moment feuern zu müssen. 176 Bis zum Tunnel waren es etwa einhundert Meter. Die Männer gingen langsam auf den offenen Eingang zu, und plötzlich bemerkten sie Bewegungen. Wie Schemen tauchten aus der Dunkelheit groteske schwarze Gestalten auf und traten ins Licht. Giants. Und doch keine. Thorn war mehr wütend als erschrocken. Sein Magen zog sich zu einem kalten Knoten zusammen. Giants! Wie die sieben biblischen Plagen auf einmal waren die Außerirdischen mit ihren Raumern über Terra erschienen und hatten jeden Widerstand im Salventakt ihrer Pressorstrahlen zerschmettert. Keinen Unterschied machend zwischen Militäreinrichtungen und zivilen Wohngebieten. Die Zahl der Opfer war unter den Attacken der Invasoren aus dem All in die Millionen gegangen. Noch einmal so viele waren im späteren Verlauf an den Folgen der geistigen Knechtschaft gestorben oder auf dem Treck der Sammlerschiffe... Aber was da aus der dunklen Höhle kroch wie die Sendboten der Finsternis - das waren keine Giants! Die Wesen vor ihnen waren über zwei Meter groß, hatten schwarzglänzende Chitinpanzer. Wie riesige, mutierte Fangheuschrecken bewegten sie sich auf die Menschen zu. An den Seiten der gezahnten Beine wölbten sich dicke Sehnenstränge, die ungeheure Sprungkraft verrieten. In den Klauen der oberen Greiforgane hielten sie Stäbe aus bläulich schimmerndem Material. Ein starkes Summen wie von Tausenden von Sandfliegen wuchs kurzzeitig an. »Deckung!« schrie Capezutto. Etwas zischte und heulte über sie hinweg. Ein sirrender Blitz fuhr jaulend in einen Felsen draußen im Flußbett. Dem Krachen einer Explosion folgte ein Bersten und Klirren, als der Felsbrocken sich aufspaltete und mit häßlichem Schrillen Bruchstücke und Splitter durch die Luft jagte. Die Männer zogen die Köpfe ein. Jemanden entfuhr ein gepreßtes Stöhnen. Jetzt hatten sie ihren Kampf. Das Gesetz des Handelns war ihnen aus den Händen genommen. 177 Schlagartig begriffen sie, daß es um ihr Leben ging, als die nächsten Energieblitze aufflammten, prasselnd in die Düne fuhren und meterlange Spuren in den Sand brannten. Nur drei von ihnen waren wirklich erprobte Kämpfer, die anderen lediglich gute Schützen. »Thorn!« Gregs Stimme klang drängend. »Wir sollten jetzt wirklich was unternehmen!« »Feuer frei, Männer!« schrie Thorn Duman. Er nahm in einer fließenden Bewegung die schwere Zweihandwaffe vom Rücken und legte an. Gezielt gab er Schuß auf Schuß ab. Der erste Angreifer wurde getroffen, als er gerade wieder zu feuern begann. Der Strahl schnitt ihn in zwei Teile, die über den Boden kullerten. Eine helle Flüssigkeit spritzte auf und versickerte im Sand. Dem zweiten trennte er die Beine ab; der Getroffene krachte zusammen und geriet genau ins Kreuzfeuer von Lafferty und Capezutto. Der Chitinpanzer platzte auf und verstreute seine Innereien. »Ich werd' sie ein bißchen zum Stolpern bringen, Männer!« rief Greg Zarn. Er fingerte eine Thermogranate aus der Gürteltasche; sein Daumen drückte die Verriegelung nach innen. Der eiförmige, wie ein Fliegenpilz gemusterte Sprengsatz flog in hohem Bogen nach vorn. Ein Feuerball wuchs zwischen den schwarzen Angreifern empor. Mehrere von ihnen stürzten in einem Wirrwarr übereinander. »Und jetzt auf die altmodische Art.« Greg riß den Zweihandstrahler hoch, atmete tief ein, zielte und zog den Drücker ab.
Auch Doones Strahler sandte Feuerlanzen aus, wobei er den Blaster in einem kurzen Schwenk nach rechts und links führte. Kurzzeitig geriet der Vormarsch der Insektenkrieger ins Stok-ken. Dann drangen sie weiter auf die Menschen ein. »Werden die denn gar nicht weniger?« stöhnte Feringelli und warf sich nach vorn, wobei seine Waffe pausenlos Feuerstöße ausschickte. Binnen weniger Minuten hatte er sich fast bis zum Eingang des Tunnels vorgekämpft. Aus den Augenwinkeln sah Thorn, wie er eine Zeitzünderbombe abzog, mit ihr in den Tunnel lief und förmlich wieder herausschoß. Er schlitterte über den Sand und fing 178 den unvermeidlichen Aufprall mit den Händen auf. Das rettete ihm das Leben, denn zwei der Insektenkrieger drangen von beiden Seiten auf ihn ein und prallten zusammen. Thorn erledigte sie mit einem einzigen, breitgefächerten Schuß. »Vorsicht!« schrie jemand. »Ich werfe eine Bombe!« Als Lafferty ausholte und die Bombe warf, drückten die anderen die Köpfe in den Sand, während die Strahlbahnen aus den Stabwaffen der Sternenkrieger über sie hinwegzuckten. Dann blendete der helle Blitz der Explosion. Man hörte Splitter jaulen. Die Schwarzen wurden von der Druckwelle durcheinandergewirbelt und an die Wände des Tunnels geworfen. Thorn erhob sich auf die Knie und legte erneut an. Die Glutbahnen aus seiner Waffe brachten die Luft zum Leuchten. Wo sie auftrafen, trennten sie mit der Präzision chirurgischer Laser Gliedmaßen von insektoiden Körpern. Dann war das Gefecht mit den Fremden vorbei. Die Insektenkrieger, von denen sie angegriffen worden waren, lagen verbrannt und zerfetzt im Tunneleingang oder davor. Der aufgewirbelte Staub senkte sich und überdeckte alles mit einer feinen, graugelben Schicht. »Ist jemand getroffen worden?« fragte Thorn laut in die plötzliche Stille, in der nur das Rascheln des vom Wind bewegten Sandes zu vernehmen war. »Ich bin heil«, sagte Doones und schob ein frisches Energiemagazin in seine Waffe. »Außer einem neuen Ziel fehlt mir nichts«, versetzte Feringelli. Auch Greg Zarn, Marc Capezutto und Lars Lafferty meldeten sich. »Gehen wir weiter?« »Sie meinen...?« Doones faßte Thorn Duman ins Auge. »Vielleicht halten sich noch einige im Schiff verborgen. Außerdem ist vermutlich noch das Kraftfeld in Betrieb, mit dem sie den Willen der Hälfte der Bevölkerung Frontiers unter ihrer Kontrolle zwingen.« Alle signalisierten ihre Zustimmung. Lärm kam aus dem Himmel, und fast genau in der Mitte des Kessels erhob sich ringförmig ein Sandwirbel. Das Patrouillenboot 179 Aaron Graigs setzte auf, und durch den Staub verließen sieben Männer im Laufschritt die kleine Schleuse. Aaron Graig übersah mit einem schnellen Blick die Szene, erkannte, daß es für ihn und seine Männer nichts mehr zu tun gab und setzte eine enttäuschte Miene auf. »Sie hätten ja ein paar übrig lassen können«, machte er den schwachen Versuch eines Scherzes. »Ein andermal nehme ich Rücksicht auf Ihre Gefühle. Diesmal eilte es wirklich.« »Noch was zu tun für uns?« Thorn setzte ihn in wenigen, knappen Worten in Kenntnis. Und sagte abschließend: »Geben Sie auf Kimberly Nev und ihren Sohn acht. Ansonsten lassen Sie Ihre Männer das Areal sichern. Vielleicht haben sich einige von den Kreaturen in der Wüste versteckt.
Die übrigen können unseren Rückzug sichern, wenn wir dieses Ding dort drinnen in die Luft jagen. Wir bleiben in Verbindung.« Er klopfte vielsagend auf das Mobilvipho, dessen Lautsprechermuschel am linken Ohr klemmte, während das tropfenförmige Mikro sich neben seinem Mundwinkel befand. 180 »Scheinwerfer!« sagte Doones befehlsgewohnt; binnen kürzester Zeit hatte er sich vom Bürgermeister wieder zum Raumschiffskommandanten zurückverwandelt. Thorn grinste verhalten. Sie arretierten die kleinen, leistungsstarken Lampen auf den Läufen ihrer Waffen. »Fertig?« »Fertig!« Auf ein Handzeichen von Thorn setzte sich die Gruppe in Bewegung. Nahezu lautlos, mit konzentrierter Wachsamkeit und nach den Seiten sichernd, gingen die sechs Männer in einer Reihe weiter. Schnell wurde es dunkel; der Eingang war bald nur noch ein heller Fleck, dann ein undeutlicher Punkt. Die sechs dünnen Lichtstrahlen huschten bei jeder Bewegung der Körper durch den Tunnel. Die Wände waren glatt und schimmernd, aber ohne Spuren von Metall, ohne jede Bearbeitung. »Die haben sich richtiggehend eingebrannt«, konnte Marc Cape-zutto eine gewisse Bewunderung nicht verbergen. Man konnte meinen, verschüttet zu sein; unter Abertausenden Tonnen von Gestein. »Wie tief haben die sich denn hier vergraben?« murrte Ferin-gelli. Er trug schwer an dem Gurt mit den impulsgesteuerten Bomben, die er sich aus dem Arsenal des Patrouillenbootes hatte aushändigen lassen. »Ruhe!« sagte Thorn. »Funkdisziplin.« Die beiden Männer grinsten reumütig. Außerdem waren sie am Ziel angelangt. Vor ihnen lag im Licht der Scheinwerfer ein Schiff wie eine gigantische, metallene Made unter der Erde. Zur Mitte hin verdickte sich der Rumpf. Eine gedrungene Spindelform. Als sie näher kamen, sahen sie das Leck; eine klaffende Wunde 181 in der Schiffshaut. Sie sahen sich an - und nickten wie auf ein unhörbares Kommando hin. Nach allen Seiten sichernd, zwängten sie sich nacheinander durch den Riß. Es war, als hätten sie eine Membrane durchdrungen. Eine Membrane, die zu leben schien! Eine höchst sinnliche Erfahrung, die ihnen schaudernd die Haut körnte. Kaum waren sie drin, wurde es hell. Und die Mobilviphos fielen aus. »Darum kümmern wir uns später«, entschied Thorn. »Wahrscheinlich schirmt die Schiffshülle die Signale ab.« Im havarierten Schiff herrschte ein merkwürdiges Licht, das aus den Wänden zu dringen schien. Aus Wänden, die von stumpfgrauer Farbe und wie von einer dünnen, öligen Schicht bedeckt waren. Energie begann zu fließen. Irgendwo winselten Atmosphärenerneuerer. »Erhöhte Vorsicht, Männer!« warnte Thorn. »Wir können nicht ausschließen, daß es Überlebende gibt!« »Neue Ziele!« ließ sich Feringelli vernehmen. »Nur neue Ziele.« »Suchen wir die Zentrale des Schiffes«, ordnete Thorn an und ging voran.
Das Innere des Schiffes war durchzogen von schmalen hohen Gängen, korkenzieherähnlich gewundenen Schächten und Hohlräumen voller fremdartiger, an pochende Organe erinnernder Maschinen. Sie passierten automatische Schotten, die sich vor ihnen öffneten und hinter ihnen wieder schlössen. Feringelli befestigte jedesmal eine seiner kleinen Bomben an den Schotten. Wobei er mit Umsicht, Schnelligkeit und einem unverhohlenen Vergnügen zu Werke ging. Auf Gegner stießen sie nicht mehr. Aber auf etwas anderes: Vor ihnen öffnete sich ein breiter Korridor, der sich kreisförmig nach links und rechts krümmte und eine Sektion im Mittelpunkt des Schiffes umschloß. 182 »Wir sind da!«, sagte Doones. Wo? war Thorn versucht zu fragen. Ein vom Boden bis zur Decke reichendes Schott trennte sie noch vom Herz des Schiffes. Es öffnete sich genauso automatisch wie die anderen, zog sich nach oben in die Decke zurück. Wie ein überdimensionales Fallbeil. In der Luft breitete sich leichter Geruch nach Ammoniak aus. Thorn registrierte ihn irritiert. Sie traten näher. Ist das Licht hier drinnen nicht heller? Die Stille war fast körperlich zu spüren. Thorn blinzelte. Sie befanden sich in einem domartigen Raum mit nach außen gewölbten Wänden und einem Radius von etwa sechs Metern. Er war leer! Nicht das geringste Anzeichen von Technik, von Bildschirmen, Displays, Geräten oder Instrumenten. Leer bis auf einen eiförmigen Kokon aus glänzend schwarzem Material, etwa vier Meter hoch. Dann ein Geräusch, gerade an der Schwelle des Wahrnehmbaren. Oder war das Einbildung? Thorn blieb stehen und legte den Kopf schief. Doch, da war ein leises Summen zu hören. Etwas war angesprungen. »Wenn das die Zentrale ist, bin ich der Vasco da Gama der Sterne«, behauptete jetzt Capezutto in seiner unnachahmlichen Art. Jeder verstand ihn. Feringelli umkreiste den karbonschwarzen Kokon mehrmals. Dann blieb er vor ihm stehen, auf den Hacken wippend. Den wuchtigen Strahler in der rechten Hand, streckte er die linke aus... »Chris!« Kimberlys Stimme klang drängend. Erneut schüttelte sie ihn leicht. Mit Chris war eine Veränderung 183 vorgegangen, die sie in höchstem Maße ängstigte. »Was ist mit dir, mein Liebling?« Chris stieß einen würgenden Laut aus. Wie unter einem inneren Zwang murmelte er: »Es handelt sich nicht um Giants. Ihre IV-Muster waren - waren alle identisch...« Was es ist... »Was?« Chris bewegte den Kopf wie unter großen Anstrengungen, dann sagte er so leise, daß sie Mühe hatte, ihn zu verstehen: »Es gibt nur den schwarzen Götzen an Bord des Schiffes.
Und er ist noch am Leben. Die anderen sind... waren...« - er suchte nach einem passenden Ausdruck. »Arbeiter? Drohnen? Klonkrieger?« Wozu es fähig ist... Chris nickte. »Ja.« Kimberly mußte an sich halten, ihn nicht anzuschreien. Statt dessen schüttelte sie ihn erneut. »Was, ja?« begehrte sie zu wissen. »Sie sind«, er verbesserte sich, »sie waren alles das, was du gesagt hast, Mom.« Was es tun kann... Sein Gesicht war verkniffen und angespannt. Die Lippen waren dünne, blutleere Striche. »Mein Gott!« brach es aus ihr heraus, und Chris registrierte ihr Zittern. »Sie wissen nichts davon, was sie erwartet!« Ihre Finger gruben sich in seine Schultern. »Du mußt ihnen helfen! Hörst du, Chris! DU MUSST IHNEN HELFEN!« Sie sagte ihnen, und meinte doch nur ihn. ... und berührte den Kokon. Da geschah das Unerwartete. Eine unmenschliche, riesige, messerscharfe Chitinklaue fuhr aus dem Kokon und umklammerte Feringellis Schädel, als wäre er eine Frucht. Eine drehende Bewegung, und der kopflose Torso des Mannes stürzte in einer Blutfontäne zu Boden. 184 Doones stöhnte auf. Unfähig, sich deutlich zu artikulieren. Das, was da geschehen war, raubte ihm schier den Verstand. Greg Zarn würgte und spie seinen Mageninhalt in hohem Bogen von sich. Ohne nachzudenken hoben Capezutto und Lafferty ihre Strahler. Die Energiebahnen zuckten auf den Kokon zu - und zerstoben wirkungslos an ihm. Von einer unsichtbaren Barriere ins Nirgendwo abgeleitet. Gleichzeitig griff etwas Unbegreifliches nach den Männern und ließ sie zur Unbeweglichkeit erstarren. Auch Thorn erging es nicht besser. Ein enormer Druck lastete auf seinem Gehirn. Sein Gesicht glänzte schweißnaß. Seine Augen brannten. Dann fiel Dunkelheit wie eine Decke über seine Gedanken. Er konnten nur noch starren. Konnte sehen... Der Kokon wurde transparent. Öffnete sich mit einem obszönen Schmatzen. Zum ersten Mal in ihrem Leben sahen sich die geistig gefesselten Menschen einem G'Loorn von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Und das Geschöpf raubte den Männern den Atem. Gegen dieses Monstrum waren die Giants nette Aliens von nebenan! Eine Gottesanbeterin in schwarz schimmerndem Chitin entstieg dem schützenden Kokon. Die schaurig schöne Adaption eines ins riesenhafte mutierten Hybriden aus Pflanzenintelligenz und mörderischem Insekt mit zwei krallenbewehrten Beinen und vier klauenbesetzten, mehrgelenkigen Armen. Tentakel sprossen aus dem Oberkörper, aus den Schultern. Die farnähnlichen Fühler des G'Loorn vibrierten mit einem deutlich hörbaren, raschelnden Geräusch. Der schwarze Götze... Er stakte über den Boden der Kammer auf Doones zu, beugte sich aus seiner Höhe von drei Metern herab, bis sein alptraumhafter Schädel sich vor dem Gesicht des Bürgermeisters befand, und starrte ihn aus seinem Augenkranz an. Er wiegte das monströse Haupt, als schätze er sein Opfer ab.
Ein Röcheln und Wimmern drang aus Doones' Kehle, das sich 185 abrupt zu einem Kreischen steigerte, als eine gespreizte Chitinklaue durch die verstärkte Kombi fuhr wie durch Papier und in seinen Solarplexus drang. Ein Ruck, und Doones befand sich, aufgespießt auf den Dornen der Klauen, schreiend und zuckend etwa einen Meter über dem Boden. Seine Schreie, seine Verzweiflung, seine Agonie brachen sich hundertfach an den Wänden der Kammer und wurde von dem G'Loorn begierig aufgesaugt. Aus den Augenwinkeln sah Thorn mit eisigem Erschrecken plötzlich Chris mitten im Raum. Offensichtlich war er ihnen gefolgt, trotz der klaren gegenteiligen Anweisung. Der Junge stand bewegungslos, den Kopf zwischen die mageren Schultern gezogen. Sein Gesicht war eine Maske der Konzentration, eine Konzentration, die sich auf den schwarzen Götzen richtete. Der G'Loorn war herumgefahren. Mit einer beiläufigen Bewegung schleuderte er Doones' leblosen Körper beiseite und richtete sich zur vollen Größe auf... In gleichen Moment erbebte er wie unter dem Anprall einer mächtigen Kraft. Ausgehend von dem Jungen schoß etwas Unbegreifliches auf den G'Loorn zu, wischte ihn von den Beinen, wirbelte ihn durch die Luft und schleuderte ihn durch den Kokon hindurch nach hinten gegen die Wand der Zentrale. Der Chitinpanzer krachte, Gelenke brachen. Eine grünliche Flüssigkeit sickerte aus den Ringsegmenten des Exoskeletts. Zischend und schrillend schnellte sich der riesige G'Loorn jedoch wieder hoch. Er drang seinerseits auf Chris ein - seine anderen Opfer schien er vergessen zu haben - nur um wieder gegen etwas zu laufen, das ihn mit noch größerer Wucht als zuvor zurückwarf. Der G'Loorn schrillte und tobte. Ein durchdringendes Gekreisch erfüllte die Zentrale. Die Insektenarme schlugen und zappelten. Gefesselt und eingesponnen in einem unsichtbaren Netz, schien er Mittelpunkt eines schwarzen Wirbels zu sein, der seine Hybridgestalt in rasende Umdrehungen versetzte. 186 Plötzlich hörten Thorn, Capezutto, Lafferty und Greg Zarn die Stimme von Chris: »Sie müssen gehen. Schnell! Verlassen Sie diesen Ort!« Die mentalen Fesseln der Männer lösten sich. Sie konnten sich wieder bewegen, konnten handeln, agieren. Das mächtige Schott kreischte und bebte, beulte sich nach außen und sprang mit einem hallenden Geräusch aus den Führungen. Der Weg in die Freiheit war offen. »Gehen Sie. Schnell!« »Und du? Was ist mit dir?« keuchte Thorn. »Kümmern Sie sich nicht um mich. Ich bin in Sicherheit...« Sibyllinische Worte. Ich bin in Sicherheit! Das mochte verstehen, wer wollte. Während die anderen überhastet flüchteten, drehte sich Thorn auf der Schwelle noch einmal um. Er hörte einen Schrei; er erreichte ihn über die Ohren und entsprang gleichzeitig in seinem Kopf. Der Schrei steigerte sich zu einem durchdringenden Schrillen, das sich im Ultraschallbereich verlor. Der G'Loorn wurde von einer unsichtbaren Hydraulikpresse bearbeitet. Er krümmte sich am Boden zusammen, enger und enger. Sein Chitinpanzer brach unter den psionischen Kräften auf, die auf ihn einhämmerten, zerplatzte wie eine Nußschale. Körperflüssigkeit spritzte... Thorn Duman wandte sich ab. Wie von einer unsichtbaren Kraft getrieben, jagte er durch
die Korridore. Machte, daß er nach draußen kam. Zu den anderen. Ins Licht. Minuten später rannte er mit langen Schritten auf den im hellen Sonnenlicht wartenden Schweber zu. Er fürchtete sich vor dem Moment, an dem er Kim sagen mußte, daß er Chris im Schiff zurückgelassen hatte. Weil der es so wollte. Und weil er keine Erklärung dafür hatte, weshalb er diesen Wunsch so ohne weiteres akzeptiert hatte... Kim schien schon auf ihn gewartet zu haben. »Endlich!« stieß sie hervor, als er herangehetzt kam. 187 »Hör zu...«, begann Thorn. Dann blitzte die Verwunderung durch sein Gehirn, als er Chris hinter seiner Mutter sitzen sah. Wer war dann der andere Chris? Der, der ihnen im Schiff das Leben gerettet hatte? Seine Überlegungen drehten sich im Kreis. So kam er nicht weiter. Thorn schüttelte sich, als suchte er sich von etwas zu befreien. Er ließ Chris nicht aus den Augen, während sich langsam die Erkenntnis über dessen wahre Kräfte in ihm ausbreitete. Chris ist viel, viel mehr als nur Telekinet... Er faßte den Jungen scharf ins Auge. »Du hattest ihn die ganze Zeit unter Kontrolle? Von hier aus, nicht wahr?« »Er war ein harter Brocken«, bestätigte Chris mit dünner Stimme, die in merkwürdigem Kontrast zu seinen Taten stand. Er mußte sich auf die Lippen gebissen haben. Ein dünner Blutfaden lief ihm über das Kinn. Er wischte ihn mit dem Handrücken weg und wandte sein blasses Gesicht Thorn Duman zu. Schweiß rann ihm von der Stirn. Dann grinste er verzerrt. »Wir... wir sollten... verschwinden. Ich habe in seinen Konvertern eine Kernschmelze in Gang gesetzt!« Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung ließ sich Thorn neben Kim in den Sitz fallen. »Also w"eg von hier. Auf schnellstem Weg!« Er griff sich das Mikro von der Konsole. »Macht, daß ihr verschwindet, Männer! Mit Karacho! Ich zünde!« Sein Daumen preßte den Kontakt nieder. »Außerdem gibt es noch ein zusätzliches Feuerwerk, das wir besser aus großer Entfernung genießen sollten!« Kim betätigte die Kontrollen. A-Grav stieß den Schweber hoch. Die anderen stoben nacheinander aus dem Kessel und befanden sich wenig später mehrere hundert Meter über der Wüste. Aaron Graig jagte gerade das Patrouillenboot im Alarmstart in Richtung Port Frontier Junction. In Gedanken zählte Thorn mit. ZEHN SEKUNDEN! 188 Kim verstärkte den A-Grav. Dann gab sie ihm einen vertikalen Vektor. FÜNF SEKUNDEN! Die Hydrologin hantierte mit dem Kombischweber wie ein Risikopilot. Jagte ihn steil in den Himmel. Der Fahrtwind pfiff heulend draußen vorbei... NULL SEKUNDEN! Im diesem Augenblick detonierten in dem unter der Oberfläche verborgenen Spindelschiff in Sekundenabständen sämtliche von Feringelli angebrachten Thermosprengsätze. Eine recht beeindruckende Explosion. Sie entwickelte eine gewaltiges Hitze. Die expandierenden Gase suchten sich ihren Weg zunächst durch die Korridore und Räume des Schiffes, zerschmolzen alles, was sich der unvorstellbaren Hitzewelle in den Weg stellte. Eine riesige Flammenzunge schoß aus dem Tunneleingang. Dann schien der Tunnel mitsamt dem darin befindlichen Schiff auseinanderzufliegen.
Der Explosionsdruck hob die Wüste über dem unterirdischen Versteck um einige Meter in die Luft, ehe die Tonnen und Abertonnen von Gestein und Erde in das entstandene Loch zurückfielen und alles, was von dem Schiff noch übrig war, unter sich zerquetschten. Kimberly Nev legte den Schweber in eine Kurve, und sie warfen einen letzten Blick durch die Kanzelscheiben hinab. Der Himmel war erfüllt von brennendem Gas, von Rauch, von Gesteinstrümmern und glühenden Metallfragmenten. Dann entfaltete sich über der Stelle ein weiteres Höllenfeuer. Wuchs und wuchs. Dehnte sich aus und wurde zum typischen Feuerball einer Kernexplosion. Diesem atomaren Inferno entkam nichts und niemand... Und im gleichen Augenblick wich die Furcht aus den Hirnen von über tausend Männern, Frauen und Kindern. Kimberly drehte sich zu Thorn. »Wohin?« »Nach Hause, was sonst!« Ein jungenhaftes Grinsen lag auf seinem Gesicht. 189 Was sonst... Die Zukunft trug wieder ein Lächeln auf den Lippen für die Menschen auf Xing. ENDE 190
Ren Dhark - Programm Kurt Brand schuf von 1966 bis 1969 die Heftserie Ren Dhark. Für die HJB-Buchausgabe wird der SF-Klassiker bearbeitet und im Drakhon-Zyklus und in Sonderbänden fortgeschrieben, denn in den Tiefen des Alls ist das Rätsel der Mysterious noch immer zu lösen... Bereits erschienen und noch lieferbar: /. Zyklus (die alte Heftserie) Buchausgabe (352 Seiten), DM29,80 Bd. l „Stemendschungel Galaxis" Bd. 10 „Gehetzte Cyborgs" Bd. 2 „Rätsel des Ringraumers" Bd. 11 „Wunder d. bl. Planeten" Bd. 3 „Zielpunkt Terra" Bd. 12 „Die Sternenbrücke" Bd. 5 „Die Hüter des Alls" Bd. 13 „Durchbruch n. Erron-3" Bd. 6 „Botschaft a. d. Gestern" Bd. 14 „Sterbende Sterne" Bd. 7 „Im Zentrum der Galaxis" Bd. 15 „Das Echo des Alls" Bd. 8 „Die Meister des Chaos" Bd. 16 „Straße zu den Sternen" Bd. 9 „Das Nor-ex greift an" Sonderausgaben des L Zyklus (inhaltsgleich mit 1. Zyklus, lediglich anderes Cover) Buchausgabe (352 Seiten), DM19,80 Bd. 4 „Todeszone T-XXX" Bd. 5 „Die Hüter des Alls" Bd. 6 „Botschaft aus dem Gestern" Sonderbände Buchausgabe (192 Seiten), DM19,80 (1) „Die Legende der Nogk" (5) „Der Todesbefehl" (2) „Gestrandet auf Bittan" (6) „Countdown z. Apokalypse" (3) „Wächter der Mysterious" (7) „Der Verräter" (4) „Hexenkessel Erde" (8) „Der schwarze Götze" Drakhon-Zyklus (die Fortsetzung des 1. Zyklus) Buchausgabe (352 Seiten), DM29,80 Bd. l „Das Geheimnis der Mysterious" Bd. 2 „Die galaktische Katastrophe" In Vorbereitung: Ende September 2000 erscheinen Ren Dhark - Drakhon Zyklus Band 3 „Der letzte seines Volkes" und ein neuer Sonderband (9). Weitere Bände erscheinen im Abstand von drei Monaten
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