G.F. UNGER SEINE GRÖSSTEN WESTERN-ERFOLGE � Band 1288 �
Der Marshal Als Ben Adams mit seinem Gefangenen aus der Hügell...
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G.F. UNGER SEINE GRÖSSTEN WESTERN-ERFOLGE � Band 1288 �
Der Marshal Als Ben Adams mit seinem Gefangenen aus der Hügellücke reitet, hält er � zwischen einigen Bäumen an und späht zur Station am Old Squaw Creek � nieder. � Die beiden Pferde stehen breitbeinig und mit gesenkten Köpfen keuchend da. � Sie sind mit einer Schicht aus Schweiß und Staub bedeckt und bieten einen � erbärmlichen Anblick. � Doch die hundert Yards bis zur Station werden sie sicherlich noch schaffen. � Der Pferdewärter dort wird sich dann ihrer annehmen. � Ben Adams zögert noch. � Und sein Gefangener weiß dieses Zögern genau zu deuten. � Er sagt heiser und ganz erfüllt von einem heißen Hass: »Adams, Sie schaffen � es nicht! Ich wette mit Ihnen um alles in der Welt, dass Sie es nicht schaffen, � mich nach Warbluff zu bringen!« � Der vorliegende Roman erschien schon einmal in dieser Reihe als Band 656 und im Western-
Bestseller als Band 836. �
Er lacht kehlig, bevor er fortfährt: »Meine Brüder und meine Freunde warten vielleicht schon dort in der Station auf uns. Sie können sich ausrechnen, dass wir nur dort frische Pferde bekommen würden – nirgendwo sonst in diesem Teil des Landes. Adams, vielleicht werden Sie gleich in eine Gewehrkugel reiten, wenn Sie den Schutz und den Schatten dieser Bäume verlassen und sich der Station nähern.« In seiner Stimme schwingt zuletzt eine wilde Freude. Seine rachsüchtigen Wünsche sind so stark, dass er fast völlig von den Dingen, die er vermutet, überzeugt ist. Auch Ben Adams ist fast davon überzeugt, dass es so ist. Und wenn Blinky Clayburnes große Brüder und deren Anhang noch nicht dort unten bei der Pferdestation der Postlinie sein sollten, dann wird es gewiss nicht mehr lange dauern, bis sie kommen. Es kann sich vielleicht nur noch um Minuten handeln. Er erwidert nichts auf die Worte seines Gefangenen. Er sitzt regungslos und schweigend im Sattel seines »Colonel« und hat seine Hände über dem Sattelhorn liegen. Es sind lange, geschmeidige Hände, und die Handgelenke sind breit. Ben Adams ist genauso mit Staub bedeckt wie sein Gefangener. Er mag etwa dreißig Jahre alt sein, und er wirkt sehr hart und verschlossen. Es ist keine böse Härte, doch sie ist von jener ruhigen und beharrlichen Art, die manchmal bis zur letzten und schrecklichsten Konsequenz zu gehen bereit ist. Und wer dieses wilde und gesetzlose Land kennt, der weiß auch, wie zumeist jene letzte Konsequenz aussieht. Über einem durchschwitzten grünen Hemd trägt Ben Adams eine schwarze, ärmellose Weste. Sie ist vorn offen, und man kann darunter auf der Hemdtasche einen Stern erkennen. Es ist ein einfacher Blechstern, gewiss vom Schmied aus dem Boden einer Konservendose geschnitten. Und mit Schlagbuchstaben ist das Wort MARSHAL eingeschlagen. Zur Station dort unten am Creek gehört ein Gasthaus. Auch ein Store befindet sich in einem Anbau. Es stehen einige Sattelpferde an den Haltestangen. Ein leichter Wagen, mit zwei hageren Pferden bespannt, steht im Schatten des Gasthauses. Und einige zahme Indianer sitzen auf der Veranda. Aus dem Corral und um das Stationshaus herum bringen nun der Stationsagent und dessen Gehilfe das frische Sechsergespann für die Postkutsche. Als Ben Adams das sieht, bewegen sich seine Mundwinkel etwas, aber es ist nur der kaum merkliche Anflug eines Lächelns. Aber Blinky Clayburne begreift natürlich sofort die Chance, die der Marshal von Warbluff hat. Die Postkutsche nach Warbluff ist noch nicht durch. Wenn sie bei der Station ist, bevor Blinky Clayburnes Brüder und Freunde eintreffen, hat der Marshal gewonnen. Denn niemand kann dann die sechsspännig fahrende Post einholen, die überdies noch
besonders schnell fahren wird, weil sie Verspätung aufholen muss. Blinky Clayburne beginnt sofort heiser zu fluchen, als der Marshal sein Pferd wieder in Bewegung setzt und ihn an der langen Leine auf dem anderen Pferd mit sich zieht. Blinky Clayburne ist ein hübscher Bursche. Dies erkennt man sogar trotz der Staub- und Dreckschicht. Er ist einer von der Sorte, die wie aus Milch und Blut gemacht wirken und die man auf den ersten Blick sofort gern hat. Und dennoch wird man ihn wahrscheinlich in Warbluff wegen Mordes für schuldig befinden und aufknüpfen, wenn es dem Marshal gelingt, ihn in die Stadt zu bringen. Da die Postkutsche einige Verspätung zu haben scheint, sind die Chancen des Marshals gestiegen. Als er mit seinem Gefangenen bis auf zwanzig Yards heran ist, haben sich ihm und Blinky Clayburne nicht nur der Stationsmann und dessen Gehilfe zugewandt, nein, es traten noch einige Männer aus dem Store und dem Gastraum. Es sind Männer, die irgendwo und irgendwie in diesem Land leben – von unbestimmbaren Einkünften und zumeist in verborgenen Camps. Er kennt zwei oder drei der Männer mit Namen, andere jedoch nur vom Sehen. Und er weiß genau, dass sie das Gesetz nicht lieben und mehr oder weniger mit den Clayburnes befreundet sind oder zumindest mit diesen die gleichen Interessen haben. Ben Adams kennt die Strömungen im Land und die Parteien. Er weiß, dass Blinky Clayburne schon jetzt Freunde und Hilfe bekommen könnte. Es ist vielleicht nur ein kleiner Anlass nötig, dass einige der Männer dort für ihn Partei ergreifen. Ben Adams bleibt äußerlich sehr ruhig und wirkt trotz seiner offensichtlichen Müdigkeit ganz wie ein Mann, der in Sekundenbruchteilen reagieren kann. Man kennt ihn auch gut genug, weiß Bescheid darüber, dass er der Marshal von Warbluff ist. Man weiß von seinen Kämpfen und davon, wie er innerhalb der Stadtgrenzen den Stadtgesetzen Geltung verschafft. Er nickt dem Stationsmann zu und sagt: »Griffit, wir nehmen die Postkutsche nach Warbluff. Sie werden unsere müden Pferde versorgen. Ich lasse die Tiere morgen oder übermorgen abholen.« Griffit gibt nicht sofort eine Antwort. Er starrt erst auf Blinky Clayburne, und dieser sagt nun heiser: »Er hat dir keine Befehle zu geben, Griffit! Er ist kein Sheriff. Er ist nur ein Town Marshal, und außerhalb der Stadtgrenze ist sein Blechstern nichts wert, gar nichts! Du brauchst ihn nicht einsteigen zu lassen, Griffit.« Dieser blickt von Blinky Clayburne auf Ben Adams und dann von diesem auf die Männer vor dem Store und dem Gastraum. Die Männer erwidern
schweigend seinen fragenden Blick, und es ist, als würde ein stillschweigendes Einverständnis geschlossen. Griffit blickt wieder auf Ben Adams und wirkt nun sehr störrisch und unfreundlich. »Wer hier in die Kutsche steigt und mitfahren kann, das bestimme ich«, sagt er kehlig. »Und wenn in der Kutsche kein Platz mehr sein sollte, dann werden Sie nicht zusteigen, Mister. Warum haben Sie Blinky Clayburne überhaupt als Gefangenen bei sich?« Ben Adams gibt keine Antwort auf diese Frage. Denn es ist hier ganz bestimmt bekannt, dass Blinky Clayburne vor vier Tagen in Warbluff einen Mann getötet hat und aus der Stadt entkommen konnte. Ben Adams sitzt ab. Sein müdes Pferd schwankt leicht. Es ist ein großer, grauer und knochiger Wallach, hager und zäh wirkend wie sein Herr. Die Männer vor der Station sehen bewegungslos und schweigend zu, wie Ben Adams an das Pferd seines Gefangenen tritt und diesem die Leine abnimmt, mit der er ihm die Fußknöchel unter dem Pferdebauch zusammengebunden hat. Als Blinky Clayburne seinen rechten Fuß frei hat, tritt er bösartig nach dem Kopf des Marshals, der sich gerade aufrichtet. Doch er trifft mit dem gemeinen Tritt nicht. Ben Adams reagiert so schnell wie eine Katze, und er tut es gewiss instinktiv. Die Zuschauer begreifen einmal mehr, dass dieser Mann dort mit einem ganz außergewöhnlichen Reaktionsvermögen ausgestattet ist. Sie erinnern sich, wie er die wilde Stadt Warbluff unter Kontrolle hält, wie er jede Nacht die wilde Horde bändigt und die gut gearteten Bürger vor den böse gearteten Elementen schützt. Er greift blitzschnell zu, bevor Blinky Clayburne den Fuß zurückziehen kann. Er packt diesen Fuß, der ihn treffen sollte, und reißt den wilden Jungen mit einem harten Ruck vom Pferd. Als Blinky stöhnend am Boden liegt, atmet Ben Adams langsam aus und blickt die Männer an. Zuletzt sieht er Griffit, den Stationsmann, an und sagt: »Ihr Gehilfe soll jetzt gleich für die beiden Pferde sorgen – jetzt gleich!« »Sie können mir hier keine Vorschriften machen«, erwidert Griffit störrisch. »Ihnen vielleicht nicht, Griffit«, murmelt Adams. »Aber diese Postlinie endet nicht hier, sondern in Warbluff.« Dies ist seine einzige Drohung. Griffit denkt nach. Und er weiß, dass dieser Marshal dem Büro der Postlinie in Warbluff eine ganze Menge Schwierigkeiten bereiten kann. Der Agent in Warbluff wird ihn, Griffit, sicherlich zum Teufel jagen, wenn ihn der Marshal dafür büßen lässt, dass man ihm hier keine Hilfe gab. Griffit senkt bei dieser Erkenntnis grollend den Kopf. Dann sagt er widerwillig zu seinem Gehilfen: »Also los, Sol! Nimm dich der Tiere an. Es ist
schlimm genug, dass sie von einem Mann, der ein Christenmensch sein will, so zu Schanden geritten wurden.« Der Helfer gehorcht. Und dann vergeht eine lange Minute. Der Marshal steht groß und hager bei dem Gefangenen, der am Boden hockt. Ihnen gegenüber, mit dem Rücken zu den Gebäuden der Station, da stehen sieben oder acht Männer. Man sieht ihnen an, dass sie unschlüssig sind, ob sie Blinky Clayburne dem Marshal abnehmen sollen. Einer von ihnen müsste die Sache in die Hand nehmen. Aber wer? Und wer es auch sein mag, er wird dann der erste Mann sein, auf den der Marshal schießt. Bevor jemand einen Entschluss fassen kann, hört man aus der Ferne das Räderrollen der Kutsche und den weithin hallenden Hufschlag des trabenden Sechsergespanns. Ben Adams sagt plötzlich ruhig: »Nun, Männer…?« Er dehnt die Worte, und sie sind deutlich eine Herausforderung an die Männer, sich endlich zu entscheiden. Vielleicht hätten sie sich gegen den Marshal entschieden und es gewagt. Doch kurz vor dem Eintreffen der Kutsche begeht Blinky Clayburne einen entscheidenden Fehler. In seiner Not und Furcht verliert er nämlich jetzt die Nerven und kreischt: »So helft mir doch! Oh, ihr Feiglinge, meine großen Brüder werden euch die Haut abziehen, wenn sie erfahren, dass ihr mir nicht geholfen habt!« Er verstummt heulend. Und er hätte diese Worte nicht kreischen sollen. Denn auf Drohungen reagieren diese Männer stets empfindlich, und weil das so ist, betrachten sie Blinky plötzlich auf eine missmutige und ärgerliche Art. »Junge, ich habe mir längst abgewöhnt, etwas aus lauter Furcht zu tun«, sagt einer der Männer, wendet sich ab und geht in die Gaststube zurück. Ein anderer Satteltramp spuckt in den Staub und murmelt: »Kleiner, ich glaube, du musst noch eine Menge lernen.« Mehr wird nicht gesprochen, doch Ben Adams kann erkennen, dass die Männer dort für Blinky Clayburne nichts mehr riskieren werden. Sie haben sich gegen Blinky entschieden. Die Kutsche rollt heran. Ben Adams tritt zu Blinky, packt diesen am Kragen und stellt ihn mit einem Ruck auf die Beine. Die Kutsche hält bei ihnen. Der Fahrer und dessen Begleitmann blicken auf Ben Adams nieder, und der Fahrer sagt trocken: »Du hast ihn also erwischt, Ben?« »Wir fahren mit«, sagt dieser und öffnet die Tür der Kutsche. Er wirft einen Blick hinein und erkennt, dass jeder Platz belegt ist. Es handelt sich um eine große Abbot-Downing-Kutsche mit neun Plätzen.
Gleich beim Fenster sitzen eine junge Frau und ein Mädchen. Alle anderen Gäste sind Männer jeder Sorte. Ben Adams beugt sich über den Schoß der Frau hinweg in die Kutsche hinein und mustert die anderen Fahrgäste. Dann fragt er trocken einen Mann: »Was wollen Sie in Warbluff?« »Ich bin Reisender in Handfeuerwaffen. Ich bringe eine Musterkollektion der neuesten Modelle nach…« »Sie steigen aus«, unterbricht ihn Ben Adams. »Auf eine Musterkollektion von Handfeuerwaffen kann Warbluff noch etwas warten. Die Leute dort sind recht gut bewaffnet und schießen ohnehin mehr, als mir lieb ist. Steigen Sie aus!« Der Mann bekommt ein dunkelrotes Gesicht. Doch er sah bereits den Stern unter Ben Adams‹ Weste, und er sieht auch, dass dieser Marshal nicht herumtändeln wird. Nein, bestimmt nicht! Man kann unschwer von Ben Adams‹ hartem Gesicht ablesen, dass er am Ende seiner Geduld ist. Und das ist kein Wunder. Er ist schon einige Tage und Nächte hinter einem Mörder her, bekam keinen Schlaf und weiß, dass er nicht sehr viele Chancen hat, mit seinem Gefangenen dessen Brüdern und Freunden zu entkommen. Der Reisende, der in Warbluff Waffen verkaufen möchte, verspürt plötzlich ein flaues Gefühl in seiner Magengegend. Aber er fragt, wenn auch gepresst und heiser: »He, wer sind Sie, dass Sie hier unbescholtene Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika aus der Kutsche holen?« »Ich bin der Marshal von Warbluff«, sagt Adams knapp. »Und ich kann keine einzige Sekunde mehr verschwenden. Haben Sie verstanden?« »Gehorchen Sie lieber«, sagt die junge Frau, über deren Schoß sich Ben Adams in die Kutsche beugt. »Dies ist ein Marshal mit einem Revolver, und er kann nichts anderes tun, als immerzu nur anderen Leuten Befehle zu erteilen. Steigen Sie lieber aus, Mister, bevor er rau und damit auch tätlich wird.« Sie hat dunkelrote Haare und grüne Augen. Der Marshal blickt sie einen Moment an, und er erkennt einige feine Linien in ihrem Gesicht, die ihm verraten, dass sie kein junges Ding mehr ist und die Wege in ihrem Leben bestimmt nicht glatt und erfreulich verliefen. Auch in ihrer Stimme liegt ein Klang, der ahnen lässt, dass sie auf dieser Erde längst ihre Illusionen verloren hat. Sie muss etwas gegen Gesetzesmänner haben, denkt Ben Adams. Und er hört den Fahrer der Kutsche sagen: »Also los, Ben! Ich kann nicht länger warten! Wir haben fast eine halbe Stunde Verspätung!« »Raus!« Ben Adams sagt es knapp. Und der Vertreter der ColtPatentfeuerwaffen-Company in Hartford gehorcht. »Ich protestiere!«, ruft er aber schrill. »Dies ist Nötigung! Es ist fast Wegelagerei! Ich protestiere und werde mich bei den zuständigen Stellen über Sie…«
Weiter spricht er nicht. Denn es fällt ihm ein, dass es besser wäre, wenn er sich um sein Gepäck kümmern würde. Er bekommt es, und dann starren er und all die anderen Männer der davonfahrenden Kutsche nach. Aber noch bevor diese weiter als hundert Yards entfernt ist, hören alle Männer, die hier vor der Station stehen, den Hufschlag einer Mannschaft. Sie wenden sich um und sehen die Reiter auf der Fährte des Marshals und seines Gefangenen aus dem Schatten der Bäume kommen. Jemand sagt: »Da kommen Blinky Clayburnes Brüder, und sie kommen wahrhaftig eine halbe Minute zu spät. Sie werden die Kutsche nicht einholen können. Wenn sie nicht wollen, dass Blinky in Warbluff aufgehängt wird, dann müssen sie ihn dort aus dem Gefängnis holen.« Der Waffenreisende hört es, und nun erst begreift er, um was es für den Marshal ging. Und er blickt die Reiter an, die auf restlos erschöpften und immer wieder stolpernden Pferden langsam heranreiten. Er sieht neun hartgesottene Burschen. Sie werden von zwei pockennarbigen und pferdegesichtigen Männern angeführt, von denen eine verwegene Härte ausgeht. Man sieht auf den ersten Blick, dass dies Zwillingsbrüder sind. Und einer dieser beiden Burschen fragt nun den Stationsmann hart: »Griffit, wie viel frische Tiere hast du zur Verfügung?« »Sattelpferde nur drei«, sagt Griffit. »Doch die Post hat eine halbe Stunde Verspätung. Charly wird sein Gespann die ganzen zwanzig Meilen bis Warbluff jagen wie der Teufel sechs arme Seelen. Es tut mir Leid, Lefty Clayburne.« Dieser und sein Zwillingsbruder Brack blicken sich nun um. Sie sind wie ihre Begleiter voller Staub und Schweiß und sehr erschöpft von einer langen Jagd. »Warum habt ihr Blinky nicht geholfen?«, fragt Brack Clayburne heftig. »Wie konntet ihr dulden, dass dieser Revolvermarshal sich über die Stadtgrenze hinaus in unser Land wagen und unseren Blinky an den Ohren nach Warbluff zurückschleifen kann? Hattet ihr denn nicht begriffen, um was es hier ging? Doch nicht nur darum, unseren Bruder zu retten! Ihr Dummköpfe, jetzt wird das Prestige dieses Revolvermarshals in Warbluff noch größer sein. Er hat aus unserem Land einen Mann herausgeholt und in die Stadt zurückbringen können. Warum habt ihr ihm nicht einige Steine in den Weg gelegt?« Die Männer, die wieder sämtlich aus dem Store und dem Gastraum kamen und nun eine geschlossene Gruppe bildeten, schweigen noch einige Sekunden. Dann sagt einer ruhig: »Dieser Blinky drohte uns. Er sagte, dass seine Brüder uns die Haut abziehen würden, kämen wir ihm nicht zu Hilfe. Wir waren ja schon fast bereit dazu. Wir überlegten nur noch, wie wir es machen sollten. Wir warteten auf einen geringfügigen Anlass. Doch da begann Blinky wie ein Rabe
zu kreischen und sagte, dass ihr, seine Brüder, uns die Haut abziehen würdet, wenn wir ihm nicht helfen. Nun, da war natürlich alles vorbei. Niemand von uns verspürte noch große Lust, diesem Narren zu helfen, denn Ben Adams hätte geschossen. Wer riskiert schon für einen kreischenden Narren seine Haut? Und dann kam auch die Postkutsche. Sie war voller Fahrgäste und damit voller Augenzeugen. Es gab keine Möglichkeit mehr.« Die beiden Clayburnes starren den Sprecher böse an. Doch sie begreifen, dass er nicht nur für sich, sondern auch für die anderen Männer gesprochen hatte. Es gibt für die Clayburnes mehr als einen Grund, jetzt keinen Streit zu beginnen, aber ihre Müdigkeit und die Tatsache, dass sie in diesem Lande jetzt besonders viele Freunde nötig haben, sind wohl die beiden wichtigsten Beweggründe, die sie zum Einlenken veranlassen. Lefty Clayburne, den man von seinem Bruder Brack nur unterscheiden kann, wenn man auf seine Narbe unter dem linken Mundwinkel achtet, die nicht von den Pocken, sondern von einem Messer oder Säbel stammt, sagt nun einlenkend: »Nun gut! Wir sehen ein, dass ihr Blinky nicht beistehen konntet. Und sicherlich ist er auch ein verrückter Narr, der noch eine Menge zu lernen hat. Doch wir müssen ihn natürlich befreien. Denn wenn es den Leuten in Warbluff gelingt, ihn zu hängen – nun, dann könnte dies auch noch anderen Burschen eines Tages zustoßen, nicht wahr?« Sein wilder und auch zwingender Blick umfasst sie alle. Und sie begreifen, wie sehr er die Wahrheit spricht. Sie alle sind Hartgesottene in diesem wilden Land, in dem die Stadt Warbluff wie eine Insel inmitten eines von Piraten beherrschten Meeres liegt. * Blinky Clayburne musste sich zwischen den Füßen der Fahrgäste auf den Boden der Kutsche legen. Ben Adams ließ den Mann, der mit dem Rücken zur Fahrtrichtung und der Frau gegenüber am Fenster saß, den frei gewordenen Platz des Waffenvertreters einnehmen und nahm selbst den Fensterplatz ein. Als er sich aus dem noch heruntergelassenen Fenster beugt, da sieht er die beiden Clayburnes mit ihrem Anhang aus dem Schatten der Bäume reiten. Er weiß, dass er gewonnen hat. Denn die Kutsche fährt schnell. Die sechs zähen und ausdauernden Pferde galoppieren und werden diesen langen Galopp einige Meilen beibehalten. Ben Adams lehnt sich zurück, zieht das Fenster hoch und entspannt sich. Die Fahrgäste und die Frau betrachten ihn stumm. Und dann senken sie wie auf ein stillschweigendes Kommando die Blicke und sehen auf Blinky Clayburne nieder. »Was hat er getan?«, fragt einer der Männer, die neben der Frau sitzen.
Doch Ben Adams gibt keine Antwort. Die Frau – oder ist es noch ein Mädchen – sagt plötzlich angriffslustig: »Was wird er schon getan haben! Dies ist doch noch ein halber Junge. Vielleicht hat er gerauft oder einige Fensterscheiben zerschossen. Sicherlich ist er dem Marshal nur etwas zu nahe getreten. Nun, Marshal, wie lange sperren Sie ihn ein?« Ben Adams öffnet seine graugrünen Augen und blickt ruhig in die grünen Augen dieser so erfreulich anzusehenden und dabei so deutlich gegen ihn eingenommenen Frau. »Als Stadtmarshal darf ich nur Strafen bis zu einundzwanzig Tagen Haft verhängen«, sagt er sanft. »Und bis zu fünfundzwanzig Dollar Geldstrafe. Für höhere Strafen ist der Stadtrichter zuständig. Und Sie vermuten richtig, Madam. Dieser wilde Junge zerschoss Fensterscheiben. Er kam betrunken aus einem Saloon und begann aus wilder Freude auf alle Fenster zu schießen, die er mit seinen beiden Revolvern treffen konnte.« Als er dies gesagt hat, lächelt die Frau seltsam. »Ich dachte mir das doch! Oh, es kommt überall einmal vor, dass ein Cowboy auf eine Fensterscheibe schießt. Mich wundert nur, dass Sie ihm offensichtlich mit größter Erbitterung gefolgt sind und nach einer langen Jagd einbringen wie einen Mörder.« Bei ihren letzten Worten wird ihr Lächeln irgendwie verächtlich. Auch Ben Adams lächelt, doch es ist keine Freude darin. »Hinter einer Fensterscheibe, die der Junge zerschoss, befand sich ein Mann«, sagt Ben Adams langsam. »Er bekam die Kugel in den Kopf, und er hinterlässt eine Frau und drei Kinder. Madam, ich wäre diesem Jungen hier bis zum Nordpol gefolgt, um ihn zu erwischen. In meiner Stadt tötet ein Bengel wie dieser nicht ungestraft einen Familienvater, der aus dem Fenster blicken will. Und jetzt lassen Sie mich bitte zufrieden.« Er hebt einen Fuß und setzt ihn seinem Gefangenen mitten auf die Brust. Dann zieht er sich den schwarzen Stetson über die Augen und ist offensichtlich sofort eingeschlafen. Wenn sein Gefangener sich bewegt, wird er dies am Fuß spüren. Die Fahrgäste aber schweigen. Josephine Ide – so heißt die junge Frau – nagt an ihrer vollen Unterlippe. Dann blickt sie zum Fenster hinaus und fragt sich, in was für eine wilde Stadt sie wieder einmal kommen wird. Wenn ihr Bruder Johnny wieder sein altes Leben lebt, wird er es mit diesem Marshal zu tun bekommen, mit diesem harten und unerbittlichen Mann, der in seiner Stadt keine Gesetzesübertretungen duldet. Jo Ide möchte weinen, aber sie schluckt nur mehrmals hart, und dann ist es vorbei.
Sie weiß, dass es richtig war, herzukommen und nach dem Bruder zu sehen. Sein Brief sollte sie beruhigen. Doch sie konnte nicht daran glauben, dass Johnny sich so schnell geändert hat. Es war ein langer Weg von Dodge City bis nach Warbluff im nördlichen Colorado. * Als die Postkutsche auf der Hauptstraße durch all die gelben Lichtbarrieren saust, die überall aus den Lokalen und den Türen und Fenstern fallen, da erblickt Jo Ide überall an den Haltestangen Sattelpferde. Überall sind Wagen abgestellt, mit denen Bergleute von den Minen in die Stadt kamen. Männer schlendern auf den Gehsteigen umher. Die Speiselokale sind noch gefüllt, doch bald wird der Andrang auf die Amüsierlokale und die Spielhallen beginnen. Josephine Ide weiß auch das aus Erfahrung. Sie kennt solche Städte und Camps. Und dann hält die Kutsche plötzlich mit kreischenden Bremsen. Der Fahrer ruft: »Warbluff! Endstation! Dies ist das Banner Hotel, das einzige Hotel mit einer Badewanne!« Als Josephine Ide aus der Kutsche steigt, sieht sie, dass sich einige Dutzend Neugierige angesammelt haben, und als sie nun sichtbar wird und man im Lampenschein erkennen kann, dass sie ein hübsches Mädchen oder eine hübsche junge Frau ist, ertönt ein vielstimmiges »Aaah«. Doch dann kommt Ben Adams mit seinem Gefangenen aus der Kutsche, und beim Anblick dieser beiden Männer vergessen alle Neugierigen auch eine erfreulich anzusehende Frau. Alle Blicke richten sich auf den Marshal und dessen Gefangenen. Und schon ruft eine gellend und scharf klingende Stimme über die Straße: »Hoiii! Adams ist zurück! Er hat Blinky Clayburne erwischt!« Diese Rufe sind wie ein Trompetensignal. Jo Ide sieht, wie die Menschen von allen Seiten herbeigelaufen kommen. Sie alle rufen sich etwas zu. Jo ist gar nicht überrascht, als sie schon bald die erste Aufforderung zu einer Lynchpartie hört. »Hängt den Schuft auf! Er hat Tate Brown erschossen, den friedlichen Tate Brown, der nie…« Josephine Ide strebt dem Hoteleingang zu. Einige Männer machen ihr Platz. In der Hotelhalle steht ein Hausneger. Sie sagt zu ihm: »Ich habe zwei Koffer, und ich werde hier wohnen.« *
Ben Adams hat es schwer, mit seinem Gefangenen vorwärts zu kommen. Er stößt ihn vor sich her. Sie werden von einem dichten Haufen von Bergleuten und Städtern umgeben. Ben Adams stößt alle Männer, die ihm und seinem Gefangenen zu nahe kommen, rücksichtslos zur Seite. Manchmal ruft er hart: »Platz da! Aus dem Weg!« So bewegt er sich mit seinem Gefangenen die Denver Street hinunter und bis zur Ecke der Northern Street. Hier stößt ein neuer Schwarm Bergleute zu der großen Menge. Und ein riesiger Bursche mit einem feuerroten Bart übernimmt das Kommando. Er stellt sich dem Marshal und dessen Gefangenen mit ausgebreiteten Armen in den Weg und ruft scharf: »Keinen Schritt weiter! Wir erledigen das jetzt gleich hier! Heute brauchen wir keine Jury und auch nicht Richter Talbots Urteil! Die Sache ist zu klar und einfach! Und wenn wir warten, dann holen ihn seine wilden Brüder und die anderen Banditen des Landes wieder aus dem Gefängnis! Jetzt gleich muss er dran glauben!« Es wurde still. Denn der Riese ist kein anderer als Big Joe Skinner, einer der reichsten Minenbesitzer, der sich ein prächtiges Haus bauen und dessen Vorhalle mit silbernen Dollarmünzen auslegen ließ. Big Joe Skinner ist ein einflussreicher Mann in diesem Lande. Doch die Banditen haben es auf ihn abgesehen. Ben Adams hielt indes mit seinem Gefangenen an. Er zieht Blinky Clayburne seitlich hinter sich und steht nun Big Joe Skinner gegenüber. Als er spricht, klirrt seine Stimme spröde und kalt. »Joe«, sagt er, »Joe, ich bin nicht vier Tage unterwegs gewesen und habe Blinky Clayburne in die Stadt zurückgebracht, um ihn mir von dir wieder abnehmen zu lassen. Wenn du ihn haben wolltest, dann hättest du ihn selbst einfangen sollen. Es ist furchtbar einfach, jetzt das Maul aufzureißen. Und nun geh mir aus dem Weg.« Seine Worte waren sehr geschickt gewählt. Sie erinnerten all die Männer daran, was er auf sich nahm und wagte. Und sie alle begreifen irgendwie, dass es nicht fair wäre, ihm nun den Gefangenen abzunehmen. Aber Big Joe Skinner ist ein Bursche, der nie nachgeben oder zurückstecken kann. Seitdem er so unermesslich reich wurde und sich fast jeden Wunsch erfüllen kann, ist er richtig selbstherrlich geworden und hält sich für eine Art ungekrönten König. Und so lacht er rau und wild auf, fühlt sich herausgefordert und wirft sich gegen den Marshal, breitet die Arme aus, um ihn zu umfassen und festzuhalten. Er war früher, bevor er seine Silberader fand, Holzfäller und Flößer gewesen. Seine gewaltigen Arme hätten Ben Adams gewiss lange genug umklammern und festhalten können, bis die anderen Männer mit dem Gefangenen verschwunden wären.
Aber Ben Adams macht gar nicht den Versuch, auszuweichen. Niemand sieht seine schnelle Handbewegung. Und als Big Joe Skinner ihn wie ein großer Bär umfasst und an sich presst, da bohrt sich eine Revolvermündung umso stärker in Skinners Magen. Und alle Umstehenden hören Ben Adams gepresst sagen: »Lass nur los, Joe! Ich zähle bist drei!« Big Joe Skinner wartet erst gar nicht, bis Ben Adams zu zählen beginnt. Er weicht zurück, schnauft ächzend und wischt sich unbeholfen über das Gesicht. »Du Schießer«, sagt er schwer. »Du bezahlter, angeworbener Schießer! Es ist leicht, einen unbewaffneten Mann mit dem Revolver aus dem Weg zu schieben.« Damit wendet er sich um und drängt sich durch die Menge. Er musste nachgeben. Er spürte mit jäher Gewissheit, dass die Nerven des Marshals gleich versagen und Ben Adams etwas Furchtbares tun würde. Er ahnte in dieser Sekunde, dass der Marshal vier Tage nicht geschlafen und eine ganze Menge Schwierigkeiten überwunden hat, die jeden anderen Mann zerbrochen hätten. Doch auch ein Mann wie Ben Adams hätte vielleicht für einen Sekundenbruchteil die Nerven verlieren können. Big Joe Skinner spürte das mit schrecklicher Gewissheit. Und so schämt er sich nun, dass er Furcht verspürte und aufgab. Er schleicht davon. Damit ist der Weg für Ben Adams und seinen Gefangenen frei. Als Ben Adams mit seinem Gefangenen durch die Menge ist, stößt er nach etwa zwanzig Schritten auf zwei Männer, die mit Schrotflinten bewaffnet sind und sich abwartend verhielten. Einer der Männer ist breit und bullig, doch nur mittelgroß. Der andere Mann ist so groß wie Ben Adams, blond und bärtig. Er ist kaum mehr als fünf Jahre älter als Ben Adams, also etwa fünfunddreißig. Er ist sorgfältig gekleidet, fast so wie ein Prediger. Da sein rechter Ärmel leer ist, hält er die Schrotflinte in der Linken, doch er hält sie dort vollkommen mühelos. Ben Adams sieht diesen Mann an und sagt trocken: »Ich bringe Ihnen den flüchtigen Blinky Clayburne, Richter Talbot.« Dann sieht er den anderen Mann an, der sein Deputy Marshal ist, und sagt müde: »Übernimm ihn, Bill. Ich gehe schlafen.« * Josephine Ide hat sich gerade vom Staub der Reise gereinigt und umgezogen, als es an ihre Zimmertür klopft. Oh, sie kennt dieses Klopfen gut. »Komm herein, Johnny«, sagt sie deshalb ruhig. Es kommt ein prächtig anzusehender Bursche herein. Er ist blond, blauäugig, etwa fünfundzwanzig Jahre alt und wirkt sehr männlich und selbstsicher. Er ist
auch sehr nobel gekleidet. Er trägt einen Anzug von bestem Tuch und vorzüglicher Machart, darunter eine bestickte Weste und ein blütenweißes Hemd. Lächelnd kommt er herein. Er schließt die Tür, lehnt sich von innen dagegen und sagt: »Du lieber Gott, was bist du schön, Schwester! Das Lampenlicht verzaubert dich und lässt mich an eine der schönen Frauen denken, die man auf den Gemälden großer Meister bewundern kann. Oha, wenn ich solch ein Meister wäre, so würde ich von dir ein Bild malen und…« »Hör auf, Johnny«, sagt sie herb, und in ihrer Stimme klingt der spröde Klang beherrschten Zornes. Er verstummt auch, lächelt jedoch immer noch und kommt nun um den Tisch zu ihr. Er zieht sie an den Schultern zu sich und küsst sie auf beide Wangen. »Schwester, es war keine besonders gute Idee von dir«, sagt er dann, »mich so zu überraschen. Als wir uns damals trennten…« »… weil du flüchten musstest, da du einen Mann getötet hattest und man dich vor ein Gericht gebracht hätte«, unterbricht sie ihn. »Und nun sehe ich dich wieder nobel ausstaffiert und mit einem Revolver im Schulterholster. Ich habe befürchtet, dass du wieder einen Revolver trägst und diesen und dich mitsamt deinem Gewissen an einen Mann vermietet hast. Ich sehe schon jetzt, dass du wieder von deiner Revolvergeschicklichkeit lebst. Wie sonst könntest du so nobel auftreten?« Sie macht eine kleine Pause und fragt dann herb: »Wer ist hier in dieser Stadt dein Boss? Wer bezahlt dich hier so gut für deine Revolverhilfe? Und wie viele Männer hast du hier schon angeschossen oder gar getötet?« Sein blitzendes Lächeln wirkt nun wie eingefroren, und dann verändert sich sein Gesicht, wird ernst und irgendwie undurchschaubar. Man ahnt, dass er kalt und rücksichtslos sein kann. »Ja«, sagt er, »ich bin ein Spieler und ein Revolverheld. Ich trage erstklassige Anzüge, wechsle jeden Tag zweimal das Hemd und schlafe in einem erstklassigen Bett unter einem seidenen Himmel. Ich esse gute Speisen und rauche Zigarren für einen Dollar das Stück. Dazu kommen noch eine ganze Menge anderer Annehmlichkeiten. Ich könnte sie mir nicht leisten, würde ich von einer normalen Tätigkeit leben. Schwester, ich bin so sehr an das noble Leben gewöhnt, dass ich es auf mich nehme, wieder ein Revolvermann zu sein, für dessen Hilfe man einen hohen Preis zahlen muss. Und du fragst mich nach meinem Boss? Nun, diesmal habe ich mir den größten und wichtigsten Mann ausgesucht. Arch Banner gehört die halbe Stadt. Wenn du hier auf deine Art Geld verdienen willst, dann wird er sicherlich bald auch dein Boss sein. Denn alle großen Häuser, in denen du auf einer Bühne auftreten kannst, gehören ihm zumindest zur Hälfte. Schwester, es ist wieder wie in alten Zeiten. Wir sind
wieder in einer wilden Stadt, in der der Dollar rollt. Du singst und wirst für alle Burschen der große Stern am Himmel sein. Und ich…« »In Dodge City konntest du mit viel Glück entkommen und deinen Hals retten«, sagt sie. »In Dodge City hatte ich mich an einen zweitklassigen Burschen vermietet«, spricht er. »Doch jetzt ist es anders. Hier habe ich den richtigen Mann gewählt! Mit ihm kann ich nur aufsteigen.« Er bewegt sich zum Fenster und beugt sich hinaus. »Ich werde dir morgen Arch Banner vorstellen«, sagt er über die Schulter. »Es wird dir nicht schwer fallen, ihn zu deinem Freund und Gönner zu machen. Schwester, es ist wie in alten Zeiten. Nur bin ich jetzt eine ganze Klasse besser. Und auch du wirst hier recht gut verdienen. Du wirst sicherlich die große Nummer im Silverbell-Theater sein, sobald Arch Banner dich gesehen hat.« Er wendet sich ins Zimmer zurück. »Ich muss jetzt an die Arbeit«, sagt er. »Arch Banner will mich ständig bei sich haben, wenn er seine Runde macht. Geh ins Restaurant essen, Schwester. Ich sage Bescheid! Du hast hier natürlich alles frei. Wir sehen uns morgen beim Mittagessen.« Er geht zur Tür. Dort holt ihn Jo Ides Stimme ein. »Bruder, es wird kein gutes Ende mit dir nehmen. Warum kannst du nicht aufhören? Warum kannst du nicht eine ehrenwerte Arbeit annehmen? Hast du Angst davor, dir die Fingernägel abzubrechen, ein durchschwitztes Arbeitshemd zu tragen und…« »Ich will etwas vom Leben«, unterbricht er sie rau. »Ich will so gut und nobel leben, wie es mir nur möglich ist. Und das kann ich nur mit dem Revolver und dem Spiel. Aber wie steht es denn mit dir, Schwester? Könntest du denn ein anderes Leben anfangen? Könntest du hinter einem Ladentisch von früh bis spät bedienen – oder Wäsche waschen – oder eine Speisewirtschaft führen? He?« Er lächelt wieder auf seine verwegene Art. »Siehst du«, sagt er dann. »Wir sind so, wie unsere Eltern schon waren.« Nach diesen Worten geht er zur Tür, öffnet diese und tritt hinaus in den Gang. Josephine Ide aber steht noch eine Weile kerzengerade da, und sie weiß, dass sich wirklich nichts geändert hat. Es ist nur hier eine neue Stadt. Und sie ist sicherlich noch wilder und schlimmer als Dodge City. * Ben Adams schläft genau fünfzehn Stunden. Dann ist es zwölf Uhr mittags. Als er ins Restaurant kommt, sieht er die Frau, die mit der Postkutsche kam
und sich gegen ihn so kratzbürstig benahm. Sie sitzt mit Arch Banner und Johnny Ide an einem Tisch. Als er in den Speiseraum tritt, hebt sie den Kopf und sieht ihn voll an. Er ist ohne Hut und verbeugt sich leicht. Als sie seinen Gruß mit einem kaum merklichen Nicken erwidert, werden Arch Banner und Johnny Ide aufmerksam. Sie blicken nun ebenfalls zu ihm, und Arch Banner macht eine grüßende Handbewegung und ruft halblaut: »Nun, Ben, es tut gut, Sie wieder in der Stadt zu wissen. Wollen Sie nicht mit uns essen? Da Sie ja auch mit der Postkutsche kamen, kennen Sie Miss Ide sicherlich schon.« »Ja«, sagt Ben Adams. Er steht nun zögernd am Tisch und betrachtet Johnny Ide. »Ja, wir lernten uns schon kennen«, hört er das Mädchen sagen. Er ist also ihr Bruder, denkt Ben Adams und nimmt seinen Blick von Johnny Ide. Er richtet ihn auf Arch Banner, einen großen, schweren und doch beweglichen Mann, der kaum älter ist als er selbst. Arch Banner ist blond, trägt einen sorgfältig gestutzten Bart und hat ein breitflächiges Gesicht mit dunklen Augen. Dieses Gesicht drückt Beharrlichkeit aus. Arch Banner ist ein sehr erfolgreicher Mann. »Sie wissen ganz genau, Arch«, sagt Ben Adams ruhig, »dass ich mich nicht an Ihren Tisch setzen kann.« Damit geht er wieder, und er lässt ein unbehagliches Schweigen am Tisch zurück. Doch dann sagt Johnny Ide kalt: »Arch, wenn Sie wollen, dann stutze ich ihn mal zurecht. Dieser Bursche kann einfach nicht so mit Ihnen reden. Denn wenn Sie ihn hier in dieser Stadt nicht als Marshal haben wollen, dann…« »Ich will ihn ja als Marshal«, unterbricht ihn Arch Banner ruhig. Er blickt das Mädchen an. »Es ist nichts zwischen mir und ihm«, sagt er zu ihr, denn er erkannte den bestürzten und fragenden Ausdruck in ihren Augen. »Er kann sich nur nicht mit mir offen an einen Tisch setzen, weil er neutral zwischen den Parteien stehen möchte. Und ich – ich bin die eine Partei.« Sie betrachtet ihn ernst und rührt dabei in der Kaffeetasse. Dann blickt sie auf den Apfelkuchen nieder, den es zum Kaffee als Nachtisch gibt, und fragt: »Und wer ist die andere Partei?« »Nun, da sind die Kaufleute dieser Stadt und die Handwerker und die wenigen Bürger, die irgendwelchen wichtigen Berufen nachgehen. Und auch die Minenbesitzer gehören zu dieser Partei. Auch ihnen ist diese Stadt so wie jetzt gerade richtig – nicht zu zahm und nicht zu wild. Der Dollar muss rollen. Aber es muss auch ein gewisses Maß an Sicherheit vorhanden sein. Dafür sorgt Ben Adams. Er muss gerade das rechte Mittelmaß finden – immer wieder. Und so darf er sich nicht mit einer Partei an einen Tisch setzen. Die andere Partei würde sofort misstrauisch werden. So ist das hier, Josephine. Ich darf Sie doch so
nennen? Denn Johnny bedeutet mir mehr als nur ein Angestellter. Ich darf doch meine Freundschaft zu Johnny auch auf seine Schwester ausdehnen, nicht wahr? Josephine, Sie werden im Silverbell-Theater als die große Nummer auftreten. Ich glaube nämlich schon jetzt daran, dass Sie die Besucher dort begeistern werden. Sie werden sicherlich bald die ungekrönte Königin von Warbluff sein. Sie bekommen eine prächtige Ausstattung für Ihren Auftritt, und ich werde persönlich dafür sorgen, dass der Kapellmeister mit seinen Leuten ganz besonders auf Ihre Wünsche…« »Ich werde hier nicht auftreten«, unterbricht sie ihn und sieht dabei von ihm auf den Bruder. Johnny bekommt einen staunenden Ausdruck in seine Augen. Doch dann leuchtet das Begreifen und das Erkennen in ihnen auf. »Schwester, verrenne dich da nur nicht in eine Idee, die dir schon bald närrisch vorkommen wird. Und dein Stolz wird es nicht zulassen, dass du aufhörst, das zu sein, was du immer warst – nämlich ›Red Jo‹, die ›MissouriNachtigall‹! Bleib dabei, Schwester!« Er spricht die letzten Worte scharf und ärgerlich. Arch Banner aber sagt: »Ich verstehe das nicht! Warum will die berühmte Missouri-Nachtigall hier nicht auftreten? Josephine, die Silverbell Hall ist ein erstklassiges Theater, wie Sie es hier in Warbluff niemals vermuten würden. Hier werden riesige Umsätze gemacht. Eine Million in Gold oder Silber ist hier gar nichts!« In seinen dunklen Augen ist ein seltsames Feuer. Aber Josephine Ide erhebt sich nun schnell, und noch bevor die beiden Männer richtig von ihren Stühlen hoch sind, hat sie sich abgewandt und verlässt den Speiseraum. Arch Banner und Johnny Ide setzen sich wieder. Und Johnny Ide sagt: »Es ist ganz leicht zu begreifen, Arch. Meine Schwester will nicht, dass ich mir als Revolvermann und Leibwächter mein Geld verdiene. Sie bat mich, dass ich meinen Lebensunterhalt auf andere Weise verdiene – als Ladenclerk oder als Bergarbeiter oder irgendwas. Ich sagte ihr, dass ich so nobel wie nur möglich leben möchte und deshalb keinen anderen Job annehmen wolle.« »Ich verstehe«, unterbricht ihn Arch Banner. »Sie will nicht mehr als Sängerin auftreten, um dir zu zeigen, dass man sehr wohl ein vollkommen neues Leben beginnen kann.« Er verstummt nachdenklich und blickt schweigend in seine Tasse. Dann hebt er den Kopf und blickt Johnny an. »Ihre Schwester muss Sie sehr, sehr gern haben, Johnny«, murmelt er. »Vielleicht sollten Sie sich wirklich nach einem weniger gefährlichen Job umsehen. Kein Revolvermann wird alt, und die, die alt geworden sind, die
hörten zeitig genug auf. Johnny, in dieser Stadt hier wird es eines Tages rau werden. Und Sie werden sich dann Ihren Lohn auf eine harte und bittere Art verdienen müssen. Machen Sie sich keine Illusionen.« »Ich will gut leben, und ich werde den Preis dafür zahlen«, erwidert Johnny Ide. »Und ich bin meinen Preis, den ich fordere, wert. Meine Schwester wird die Sache bald aufgeben, wenn sie erst erkennt, dass sie mich auch auf diese Art nicht bekehren kann.« Arch Banner nickt, und er wendet dann leicht den Kopf und blickt zu Ben Adams hinüber, der drüben in der Ecke allein an einem Tisch sitzt, sein Essen einnimmt und die Dinge seiner Umwelt beobachtet. Ob Johnny Ide diesen Marshal mit dem Revolver schlagen kann? Arch Banner ist ein weit vorausschauender Mann. Er weiß genau, wohin die Dinge treiben werden. Und er kennt Richter Morgan Talbots Ehrgeiz, weil er Morgan Talbot kennt wie sich selbst. Aber ohne den Marshal ist Richter Morgan Talbot in dieser Stadt eine Null. Und so wird Johnny Ide wohl eines Tages herausfinden müssen, ob er den Revolver schneller ziehen kann als der Marshal. * Als Ben Adams in das Office kommt, sitzt Bill Stetson am Schreibtisch und vertilgt gerade die Reste eines Essens, welches er sich hatte bringen lassen. Neben ihm an der Wand lehnt eine Schrotflinte, und neben seiner Rechten liegt ein Revolver griffbereit neben dem Glas Bier. Er betrachtet Ben Adams auf eine kritische Art und sagt dann müde: »Ich denke, dass du ein paar Pfund Gewicht verloren hast. Aber was tut ein Esel nicht alles, wenn es ihm zu wohl ist, nicht wahr?« Er deutet mit dem Daumen über seine Schulter auf den Durchgang zum Zellenraum und sagt: »Dieser Hombre da drinnen ist ebenfalls wieder sehr frisch und munter, und er wollte mit mir wetten, dass er bald frei und du bald sehr tot sein würdest. Ich habe zehn Cents dagegen gewettet. Und als er sagte, dass du ein Narr wärst, da habe ich ihm zwar gesagt, dass er sein Maul halten möge, doch in meinen Gedanken gab ich ihm nicht gerade Unrecht.« »Was willst du, Bill?«, fragt Ben Adams ihn und steckt sich eine Zigarre an. Er setzt sich an seinen Schreibtisch und beginnt einen genauen Bericht zu verfassen. »Was ich will?«, fragt der bullige Bill Stetson zurück. »He, wir leiten eine wilde Stadt, gut! Wir halten sie einigermaßen friedlich, aber geben ihr genug die Zügel frei, damit der Dollar rollt und jedermann gute Geschäfte machen kann. So wollen es die ehrenwerten Bürger, und so wollen es die Besitzer der Amüsierhallen und die Spieler. Gut! Und unsere Befugnisse reichen nur bis zur
Stadtgrenze, nicht darüber hinaus. Wenn wir also einen Schurken innerhalb der Stadtgrenzen fassen können – nun gut, dann werden wir es tun! Aber ich bin dagegen, dass du wie ein Verbrecherjäger – wie ein richtiger Sheriff – losreitest und in diesem wilden Land dort unter den Hartgesottenen auf Jagd gehst. Du hast dir die wilde Horde zum Feind gemacht, Freund Ben!« Die letzten Worte spricht er mit einem bitteren Ernst. Dann erhebt er sich und geht zur Tür. »Ich habe tausend Jahre nicht geschlafen«, murmelt er. »Und ich werde von einem Narren träumen, der glaubt, die Welt ändern zu können. Ich kenne ein schönes grünes Tal. Dort steht ein halb fertiges Blockhaus. Es verfällt. Wenn Jesse noch leben würde, so…« »Er lebt aber nicht mehr«, unterbricht ihn Ben kühl. »Mein Bruder Jesse ritt nach Warbluff, um Proviant zu holen. Und er wurde hier getötet, weil er in die Schussbahn zweier Revolverschwinger geriet, die sich gegenseitig umbringen wollten. Hätten sie das doch nur getan, bevor Jesse in ihren Kugelwechsel geriet. Und jetzt sorge ich hier dafür, dass jeder Narr, der in dieser Stadt durch die Gegend schießt, zur Rechenschaft gezogen wird.« »Richtig – richtig«, brummte Bill Stetson. »Du und Richter Morgan Talbot, ihr seid ein tüchtiges Gespann.« Er tritt hinaus in den Sonnenschein und verschwindet aus dem Blickfeld. Ben Adams aber beendet seinen Bericht, und er ist gerade damit fertig, als Richter Morgan Talbot eintritt, ruhig grüßt und ihm den Bericht aus der Hand nimmt. Er liest ihn stehend. Dann sagt er: »Der Gerichtshof tritt eine Stunde nach Sonnenuntergang zusammen. Sie übernehmen die Anklage, Marshal. Der Angeklagte bekommt einen Verteidiger. Es ist Lester George, und er hat die Jury schon anerkannt. Haben Sie etwas gegen die Jury einzuwenden?« Er wirft einen Zettel mit Namen auf Ben Adams‹ Tisch. Der Schmied und Hauptmann der Feuerwehr ist Vormann der Jury, und auch die Geschworenen sind Bürger und Geschäftsleute der Stadt. Ben weiß, dass diese Männer den Gefangenen bestimmt schuldig sprechen werden. Der Fall liegt zu klar. Ben Adams muss nun an die Worte Bill Stetsons denken. Sie sind noch in seinem Ohr. »Du und Richter Talbot, ihr seid ein tüchtiges Gespann.« Und diese Feststellung klang irgendwie bitter. Sind wir wirklich ein Gespann, dessen Tüchtigkeit man so bitter und voller Ironie feststellen muss? Diese Frage stellt Ben Adams sich nun, und er betrachtet Richter Morgan Talbot aufmerksam. Was für ein prächtig proportionierter Mann wäre das, denkt Ben Adams,
wenn er noch seinen rechten Arm besäße. Und mutig ist er, sehr mutig und stolz. Er war ein junger Anwalt, der aus dem Osten kam, um hier seine Chance zu finden! Doch diese Stadt wählte ihn zum Richter. Er wurde bestätigt von den Behörden in der Hauptstadt und ist nun das Gesetz auf zweihundert Meilen in der Runde. »Wir wagen viel, Richter«, sagt Ben Adams plötzlich. »Haben Sie keine Furcht? Wir müssen damit rechnen, dass die Clayburne-Sippe und alle Banditen des Landes uns Rache schwören. Man wird gewiss bald aus dem Hinterhalt auf uns schießen. Denn diese Banditen und Geächteten werden sehr schnell begreifen, dass dies alles nur ein Anfang ist und von Warbluff aus der Versuch gemacht wird, dem ganzen Land das Gesetz aufzuzwingen.« »So soll es auch sein«, erwidert Morgan Talbot. »Und ich habe keine Furcht.« Er starrt Ben Adams einige Atemzüge lang fest an. Dann fasst er irgendwie innerlich einen Entschluss. Er setzt sich plötzlich in den Holzsessel beim Schreibtisch und sagt: »Wenn man aufsteigen will, muss man etwas leisten. Adams, was waren Sie vorher? Ein Cowboy, der einen Sattel, ein Pferd und einen Revolver besaß. Sonst nichts! Und ich war ein armer Anwalt, der sich sein Studium erhungerte und der keine Freunde, keine Gönner und überhaupt keine Chance besaß.« »Und jetzt haben Sie eine?«, fragt Ben Adams etwas rau. Morgen Talbot starrt ihn an und nickt. »Nehmen Sie sich General Denver als Beispiel«, sagt er. »Er wurde erst richtig berühmt und überall bekannt, als er hier in diesem Territorium damit begann, gegen die Welle von Verbrechen einzuschreiten. Und auch wir werden noch bekannt werden, Marshal.« »Das ist Ihr Ziel, Richter?« Morgan Talbot blickt ihn prüfend an. Dann nickt er. »Eines Tages werde ich ein bekannter Mann sein«, murmelt er. »Und nur als bekannter Mann, der sich große Verdienste erwarb, kann man mit Aussichten in die Politik einsteigen. Man muss sich erst die Sporen verdienen. Und indem ich hier in diesem Teil des wilden Landes dem Gesetz Geltung verschaffe, verdienen wir uns hier die Sporen, wir, Mr Adams, sagte ich. Sie können eines Tages – wenn dieses Land hier ein selbständiges County sein wird – der höchste Polizeibeamte sein. Wir können gemeinsam unseren Weg machen, Mr Adams. Und er beginnt hier in dieser wilden Stadt. Wir benötigen nur Mut und Redlichkeit, jawohl, äußerste Redlichkeit! Ben Adams, Sie sind furchtlos wie ich. Sie sind der Mann, der es wagt, die wilde Horde zu bändigen. Nun gut, bringen Sie mir alle Schurken, Betrüger und Banditen, deren Sie habhaft werden können. Ich werde mutig genug sein, sie zu verurteilen. Und ich werde auch der Jury stets ein mutiges Beispiel sein. Ben Adams, ich wollte Ihnen dies alles schon lange mal vor Augen führen. Ich wollte Ihnen diese Chance zeigen.«
Nach diesen Worten wartet er keine Erwiderung ab, erhebt sich und geht hinaus – ein großer, einarmiger, vom Ehrgeiz angetriebener Mann. Ben Adams weiß es jetzt, dass Richter Morgan Talbot vom Ehrgeiz besessen ist und sein Amt hier für ihn nur das Sprungbrett sein soll. Er erhebt sich nachdenklich und geht zur Tür. Er tritt einen Schritt auf die Straße hinaus und sieht dem Richter nach. Alle Männer, die ihm begegnen, grüßen ihn. Und er grüßt höflich und korrekt zurück. Als er zwei Frauen begegnet, lüftet er seinen breitkrempigen, schwarzen Hut. Und sein leerer Ärmel baumelt nutzlos im Winde. Er ist ein Mann, denkt Ben Adams sinnend, der schon als Knabe nicht fest mit beiden Händen zufassen konnte – ein bis auf den fehlenden Arm gesunder und wohlgestalteter Junge. Und dennoch wird er sich gewiss tausend Male bewusst geworden sein in all den Jahren, dass er ein Krüppel ist, für den manche Dinge einfach nicht zu schaffen sind. Vielleicht hat dies den brennenden Ehrgeiz in ihm wachsen lassen. Du lieber Gott, er verbrennt fast vor Ehrgeiz. Und als Marshal dieser Stadt bin ich irgendwie mit ihm verbunden. Nach diesen Gedanken ist plötzlich ein leises Erschrecken in ihm. Er weiß es nicht klar zu deuten, doch er begreift, dass es irgendwie damit zusammenhängt, dass er und dieser Richter Talbot miteinander vereint sind. Ich kann mein Amt jederzeit zur Verfügung stellen, denkt er und geht ins Office zurück. Er durchquert es, betritt den Zellenraum und betrachtet Blinky Clayburne, der auf einer Schlafpritsche hockt. In Blinky Clayburnes Blick tritt sofort eine wilde Wut. Sein Gesicht verzerrt sich, und er sagt heiser und gepresst: »Adams, du bist schon so gut wie tot. Wenn du heute durch die Straße gehst, so wirst du damit rechnen müssen, dass dich meine Brüder oder Freunde aus einem der tausend dunklen Winkel abknallen wie einen räudigen Hund. Hast du verstanden? Du wirst jede Sekunde damit rechnen müssen, etwas verpasst zu bekommen. Und das wird dich binnen kurzer Zeit zu einem Nervenbündel machen. Du wirst dich vor jedem Schatten fürchten. Pass auf!« Er macht eine kleine Pause. Dann erhebt er sich leicht und geschmeidig, tritt an die Zellentür und sagt drängend: »Lassen Sie mich heute Nacht raus, Marshal! Ich will alles vergessen, und ich will dann auch meine Brüder und Freunde davon abbringen, dass sie…« »Das musst du alles der Jury erzählen, Junge«, murmelt Ben Adams. »Die Jury entscheidet darüber, ob du schuldig oder nicht schuldig bist. Und vielleicht wird man es nur als fahrlässigen Totschlag und nicht als vorsätzlichen Mord ansehen. Du musst dich an die Jury wenden, Blinky, nicht an mich. Weißt du, die beiden Schießer, die damals meinen Bruder töteten, weil dieser ihnen in die Schussbahn
geriet, die wurden auch nur wegen fahrlässigen Totschlages verurteilt.« Er wendet sich ab. Doch Blinky kreischt nun hinter ihm: »Damals gab es noch keinen Richter Talbot! Damals gab es dich noch nicht in dieser Stadt! Damals wagte es eine Jury noch nicht, einen Burschen einfach schuldig zu sprechen!« »Gewiss – und der damalige Richter und der damalige Marshal sind beide tot«, erwiderte Ben Adams. »Sie waren beide nicht hart genug für diese Stadt. Aber…« Er verstummt und geht ins Office zurück, verschließt jedoch die mit einer Eisenplatte gepanzerte Tür zum Zellenraum. Er wirft den Zigarettenstummel in den Aschenbecher und blickt auf die Uhr. Dann tritt er hinaus und beginnt die erste Runde durch die Stadt. * Am späten Nachmittag, als er die letzte Runde vor dem Abendbrot macht, da trifft er auf Josephine Ide. Sie kommt mit zwei Eimern voll Kehricht aus einem Haus und leert die beiden Eimer in einen Wagen, der hier vor der Tür steht und in dem sich schon eine Menge Gerümpel befindet. In und vor dem Haus sind einige Handwerker tätig. Ben Adams erkennt Josephine zuerst gar nicht. Denn sie trägt einen viel zu weiten blauen Arbeitskittel und hat sich ein Tuch um den Kopf gebunden. Erst als sie sich wieder dem Haus zuwendet, sieht er, dass sie es ist. Er hält inne, zieht den Hut und fragt: »Nanu, für wen machen Sie hier Ordnung?« »Für mich«, erwidert sie knapp und deutet auf die Fenster des Hauses. Dort steht ein junger Mann und schreibt schwungvoll mit Pinsel und knallgelber Farbe auf die Fensterscheiben: Jo Ides Speisehaus! Hier kocht eine Frau! »Ich werde es ausprobieren«, sagt Ben Adams. Und dann stellt er die Frage: »Hilft Ihr Bruder Ihnen?« »Nein! Ich habe einen Chinesen als Gehilfen.« Er betrachtet sie auf eine nachdenkliche Art. »Viel Glück!«, murmelt er dann. »Und nicht nur wegen dieser Geschäftseröffnung.« Sie begreift schnell, dass er dabei auf ihren Bruder anspielt und dass er irgendwie ahnt, warum sie sich hier selbstständig macht. »Sie brauchen sicherlich mehr Glück als ich«, erwidert sie. Und dann steht sie mit den beiden leeren Eimern noch vor dem Eingang und blickt ihm nach. Sie muss es einfach tun, und sie ahnt schon jetzt, wie einsam dieser Mann seine Runden durch die Stadt macht.
Sie denkt plötzlich an ihren Bruder Johnny und dann an jenen Blinky Clayburne, den der Marshal so unerbittlich verfolgte und den er einfing. Sie weiß plötzlich, dass dieser Mann auch ihren Bruder Johnny auf die gleiche Art unerbittlich bekämpfen würde, täte Johnny etwas, was gewalttätig und unrechtmäßig wäre. Und dann? Auf welcher Seite würde dann sie stehen? Gegen den Marshal? Oder gegen den Bruder? Sie erschrickt wie unter einer schlimmen Vorahnung, und sie geht sehr schnell ins Haus. Hier hat einer der Schreiner die Lampen angezündet und stellt ihr nun eine Menge Fragen bezüglich der Einrichtung. Sie begrüßt dankbar die Ablenkung. Aber sie ist sich dennoch ständig bewusst, dass sie Johnny auf einen anderen Weg bringen muss. Sie fühlt mit dem feinen Ahnungsvermögen einer Frau und Schwester, dass Johnny sonst genau wie in Dodge City in einen schlimmen Verdruss geraten wird, der gewiss mit einem Revolverkampf endet. Ich muss diese Speisewirtschaft in Gang bringen. Ich muss ein erstklassiges Restaurant daraus machen, welches viel Geld einbringt, denkt sie. Denn wenn ich Johnny zeige, dass man auch auf andere Art genügend Geld verdienen und nobel leben kann, dann wird er vielleicht… * Ben Adams wandert ruhig durch die Straßen. Es ist die letzte Runde, die er zu Fuß macht. Nach dem Abendbrot wird er auf einem Pferd durch die Straßen und Gassen reiten. Er erreicht die Northern Street und biegt nach Süden ein. Als er dann wieder die Denver Street erreicht und hinüber ins Restaurant des Banner Hotels geht, hat er das Geviert der vier Hauptstraßen von Warbluff abgeschritten. Er nimmt das Abendessen schnell ein, und mit ihm essen viele Männer auf die gleiche eilige Art. Es herrscht heute eine merkwürdige Stille im Speiseraum. Ben Adams erkennt einige Männer, die der Jury angehören und jetzt gleich nach dem Abendessen zur Verhandlung müssen. Und einige andere Männer, die der Bürgerwehr angehören und mit gelben Armbinden kenntlich gemacht sind, haben schon ihre Waffen bei sich, zumeist Schrotflinten. Ben Adams ist schon fast fertig, als Mike Meadow herein und zu ihm an den Tisch kommt. Der Schmied Mike Meadow ist hier in Warbluff Erster Stadtrat, Feuerwehrhauptmann und der Anführer der Bürgerwehr. Beruflich ist er selbst kaum noch tätig, denn in seiner Schmiede beschäftigt er einen guten Vormann und einige tüchtige Schmiede. Es gibt für die Minen und Frachtwagen sehr viel
zu tun, sodass Mike Meadows Schmiede ein richtiger Betrieb wurde, der nicht weniger Leute beschäftigt als der Holzhof, zu dem eine Zimmerei und Schreinerei gehören. »Ich habe die Bürgerwehr in Bereitschaft, Ben«, sagt Mike Meadow. »Der Richter bat mich darum. Wir werden euch und der Jury jeden Schutz geben. Und ich persönlich bin sehr befriedigt darüber, dass in diesem Lande endlich der erste Schritt getan wird. Oha, hier hat sich überall der ganze Abschaum eingefunden. Aber nun wird aufgeräumt, nicht wahr? Der Krieg ist erklärt worden, und wir werden nun dafür sorgen, dass von Warbluff aus das Gesetz ausgeht.« Als er verstummt, ist in seinen kieselharten Augen ein seltsames Feuer. »Du lieber Gott«, murmelt Ben Adams, »wagen Sie mit Ihrer Bürgerwehr nur nicht zu viel, Mike. Das sind alles brave Bürger, Handwerker, Geschäftsleute, Angestellte, ganz und gar der Querschnitt des redlichen und soliden Bürgertums. Sie wirken recht nett, wenn sie mit ihren Flinten antreten und Patrouille gehen, aber sie haben fast alle Familie. Und wenn es die ersten Toten gibt, werden diese Familien stärker sein als alle guten Vorsätze. Nun, Mike, wir werden sehen!« Er erhebt sich und verlässt das Restaurant. Er geht zum Mietstall. Da sein Pferd noch nicht nach Warbluff gebracht wurde, lässt er sich ein anderes Tier geben. Bald darauf reitet er aus der Einfahrt des Mietstalles und hält sich mitten auf der Fahrbahn. Die Stadt ist nun voller Menschen. Alle Lokale sind erleuchtet. Da und dort erklingt Musik. Ben Adams reitet auf einem schwarzen Pferd. Er trägt dunkle Kleidung, und er wirkt auf dem großen Pferd sehr imposant, aber auch sehr einsam. Er ist der Mann, der Blinky Clayburne nach Warbluff und damit an den Ort seiner Untat zurückbrachte. Er reitet vor sein Office, sitzt ab und geht hinein. Drinnen wartet Bill Stetson und sagt vorwurfsvoll: »Beinahe hätte ich es verschlafen. Zum Glück ließ mich der Richter wecken. Wir sollen den Gefangenen in genau zwei Minuten hinüber in den Verhandlungsraum bringen. Er ist schon voller Zuschauer. Sie stehen auf dem Gang bis vor die Tür auf…« »Das habe ich selbst gesehen, denn ich musste an ihnen vorbei«, unterbricht ihn Ben Adams, und in seiner Stimme liegt ein bitterer Klang. Er geht in den Zellenraum, öffnet die Gittertür und sagt knapp: »Komm heraus, Blinky!« »Ich denke nicht daran«, sagt dieser. »Ihr müsst mich schon herausschleifen oder tragen. Ich denke nicht daran, freiwillig…« »Na gut«, unterbricht ihn Ben Adams. »Komm her, Bill! Wir müssen ihn
tragen.« � * � Die Stadt ist heute doch nicht so lebhaft wie sonst, obwohl es natürlich genügend Leute gibt, die sich nicht um die Gerichtsverhandlung kümmern und sich lieber amüsieren. Doch es ist heute alles anders. Die Tanzmädels sind nicht bei der Sache. Die Barmänner wirken unruhig und nervös, die Spieler an den Tischen unlustig und abgelenkt. Manchmal kommen irgendwelche Männer in die Lokale, lassen sich einen Freiwhisky geben und berichten die letzten Neuigkeiten von der Verhandlung. So wartet die ganze Stadt, die immer mehr die volle Tragweite der Dinge erkennt und ihren Atem anhält, was die Jury für einen Spruch fällen wird. Fahrlässiger Totschlag oder Mord? Es dauert nicht länger als eine Stunde. Dann weiß es die ganze Stadt. Mord! Die Jury hält Blinky Clayburne für schuldig, einen Mord begangen zu haben. Der Vormann der Jury begründet es mit den Worten: »Wir Geschworenen sind einstimmig der Meinung, dass man hinter einem Fenster immer eine arglose Person vermuten muss und es deshalb mit Mord gleichzusetzen ist, wenn jemand – und sei es auch nur zum Spaß – in irgendwelche Fenster schießt.« Als dieser Spruch in der Stadt bekannt wird, verstummen in den Lokalen alle Musikanten. Jetzt wartet die Stadt Warbluff auf das Urteil des Richters. Und dies wird dann sehr schnell gefällt. Es ist zwei Stunden vor Mitternacht, als bekannt wird, dass Richter Morgan Talbot die Todesstrafe verhängte und das Urteil bei Sonnenaufgang vollstreckt werden soll. Als dies nun bekannt wird, wirkt die Stadt wie gelähmt. Doch nach einer Weile gerät sie endlich wieder in Betrieb, so, als wollte sie sich betäuben. * Als Ben Adams und Bill Stetson den Gefangenen wieder in die Zelle schließen, sagt Blinky Clayburne tonlos: »Das könnt ihr wirklich nicht mit mir machen! Ihr habt mich ganz einfach verschoben, und diese ganze Gerichtsverhandlung war nur gestellt. Es stand ja von Anfang an fest, dass ihr mich aufhängen wolltet. Dieser Richter ist ein Menschenjäger, ein Verrückter, der gar nicht begreift, dass
er sich und eure ganze Stadt erledigt. Ich schwöre euch, dass ich hier herauskommen werde, dann…« Seine Stimme versagt ihm. Er steht mit verzerrtem Gesicht mitten in der Zelle und hat die Fäuste geballt. Die wilden Gefühle und all die rachsüchtigen Wünsche übermannen ihn nun so sehr, dass er nicht mehr reden kann. Ben Adams und Bill Stetson gehen wieder ins Office. Hier warten Richter Talbot und Mike Meadow. Sie sind beide bewaffnet und schweigen. »Es wird eine lange Nacht werden«, murmelt der Richter nach einer Weile. »Aber wir werden unsere Pflicht tun. Mr Meadow, wir werden die Richtstätte von der Bürgerwehr absperren lassen und die ganze Sache schnell hinter uns bringen.« Bevor Mike Meadow etwas sagen kann, klopft es an der Außentür. Dann erklingt draußen Arch Banners Stimme: »Ich komme herein!« »In Ordnung!« Ben Adams ruft es. Bei Arch Banner sind Johnny Ide und der Storehalter Hatford. Banner und Hatford sind ebenfalls Mitglieder des Stadtrates, und sie wirken irgendwie angefüllt von Zorn. »Also, so geht das nicht«, sagt Arch Banner sofort. Und John Hatford unterstützt ihn kräftig mit den Worten: »So geht es wirklich nicht! Auf diese Art muss unsere Stadt zum Teufel gehen.« Sie starren den Richter an, der sie kühl fragt: »Bitte, erklären Sie mir die Sache genauer. Was meinen Sie mit Ihren Worten?« Arch Banner hebt seinen Finger. »Diese Stadt Warbluff«, sagt er, »ist wie eine Insel inmitten eines Piratenmeeres. Bis jetzt war die Stadt streng neutral nach allen Seiten. Es genügte uns allen, dass wir einen harten Marshal hatten, der innerhalb der Stadtgrenzen ein gewisses Maß an Sicherheit und Ordnung aufrecht halten konnte. Doch was heute hier geschah, Richter, war nichts anderes als eine Kriegserklärung gegen eine mächtige Interessengruppe in diesem Lande. Und diese Gruppe wird zurückschlagen. Richter, wenn Sie den Ehrgeiz haben, sich einen großen Namen zu machen, dann suchen Sie sich eine andere Stadt aus. Wir haben Sie zum Friedensrichter gewählt, damit wir innerhalb unseres Stadtgebietes eine gewisse Ordnung haben. Doch Sie können nicht damit beginnen, von hier aus im ganzen Land Ordnung schaffen zu wollen. Das macht Warbluff nicht mit. Lassen Sie den Gefangenen frei! Lassen Sie ihn meinetwegen entweichen. Warbluff will keinen Krieg mit der wilden Horde. Wir alle sind Geschäftsleute, und wir können bei einem Krieg nichts gewinnen.« Er richtet seinen harten Blick nun auf Ben Adams. »Marshal«, sagt er, »Sie haben Ihre Befugnisse überschritten. Es war dumm von dieser Stadt, Sie zum Marshal zu machen. Denn es liegt nun klar auf der Hand, dass Sie den Tod Ihres Bruders an all den wilden Jungs rächen wollen, die mal über die Stränge
schlagen und…« Er verstummt, weil Ben Adams zur Tür geht. Dort steht Johnny Ide, und er bewegt sich nicht, um den Weg freizugeben. Er sagt vielmehr scharf: »Adams, Sie werden sich anhören, was Mr Banner zu sagen hat!« Es wird still. Der Richter und Mike Meadow beobachten neugierig, wie der Marshal reagieren wird. Arch Banner aber sagt: »Sie werden immer selbstherrlicher, Adams! Aber Sie sind hier nur ein angeworbener Stadtpolizist, und Mr Talbot ist nur ein von uns gewählter Friedensrichter. Diese Stadt lässt sich nicht von zwei ehrgeizigen Narren in einen Krieg ziehen!« »Ich bestrafe Sie mit fünfzig Dollar Geldstrafe wegen Beleidigung einer Amtsperson«, sagt Richter Talbot ruhig. »Kassieren Sie bitte die Strafe, Deputy. Stellen Sie eine Quittung aus.« »Yes, Sir«, murmelt Bill Stetson, bewegt sich jedoch nicht. Er beobachtet Ben Adams‹ Rücken, und Adams steht immer noch mit dem Rücken zu den Männern vor Johnny Ide. Nun hören sie ihn alle sagen: »Johnny, verschwinden Sie schnell in einen von Banners Saloons und beschränken Sie sich dort darauf, der Rauswerfer zu sein. Vorwärts!« Aber Johnny Ide schüttelt den Kopf. »Mr Banner hat auch mit Ihnen zu reden«, sagt er. »Und so lange bleiben Sie hier und hören zu! Es wird Zeit, dass Sie sich darauf besinnen, dass Sie allein die Interessen dieser Stadt zu vertreten haben – oder jedenfalls die der Mehrzahl der Bürger. Sie mögen für eine Menge Leute ein großer und harter Bursche sein, doch ich fühle mich nicht sehr beeindruckt. Drehen Sie sich um und warten Sie, bis Mr Banner ausgeredet hat!« Ben Adams schüttelt leicht den Kopf. Und er seufzt bedauernd. Dann macht er eine Bewegung, so als wollte er sich abwenden. Doch er tut es nur, um genügend Druck hinter einen linken Haken zu setzen, der dann ohne jeden Ansatz unheimlich schnell kommt. Oh, Johnny Ide war auf einen gewaltsamen Ausbruch des Marshals vorbereitet. Er wollte ihm begegnen, zur Seite gleiten und dabei den Revolver aus dem Schulterholster zaubern. Doch der Marshal ist viel schneller, als Johnny Ide glaubte. Und dabei hat er den Marshal doch all die Wochen sorgfältig studiert. Er bekommt die Linke voll, kracht mit dem Rücken gegen die Tür, rutscht daran nieder und fällt auf ein Knie. Obwohl ihn der Schmerz fast umbringt, versucht er den Revolver herauszuholen. Ben Adams schlägt erneut zu, dann tritt er zurück.
»Bill«, sagt er zu seinem Gehilfen, »du sperrst ihn ein. Er hat das Waffenverbot übertreten. Er trägt unter der Jacke eine Waffe, obwohl das in dieser Stadt nur mit meiner Genehmigung gestattet ist. Sperr ihn ein. Dann kannst du bei Arch Banner kassieren.« Er wendet sich an Arch Banner. »Oder haben Sie noch etwas in dieser Angelegenheit zu sagen, Arch?« »Nein«, sagt dieser, und seine dunklen Augen wirken wie erloschen. »Ich habe nichts mehr zu sagen.« John Hatford steht mit rotem Kopf stumm dabei. Niemand beachtet ihn. Ben Adams aber wirft einen festen Blick auf den Richter. Der erwidert diesen Blick, und es ist ein stillschweigendes Einverständnis zwischen ihnen. Dann geht Ben Adams hinaus auf die Straße. Er besteigt sein wartendes Pferd und wirft einen spähenden Blick in die Runde. Es ist etwa eine halbe Stunde vor Mitternacht. Ben Adams reitet seine Runde. Da und dort sitzt er ab, geht in die Lokale hinein, sieht dort nach dem Rechten. Kurz nach Mitternacht muss er einen Streit schlichten, und wenige Minuten später, in einem anderen Saloon, da weist er einen Spieler aus der Stadt, der beim Falschspiel erwischt wurde und den man schon schlimm verprügelt hatte. Bestünde nicht das Waffenverbot in der Stadt, so wäre dieser Falschspieler vielleicht im ersten Zorn getötet worden. So aber muss er nur sofort die Stadt verlassen. Ben Adams aber reitet weiter Runde um Runde, und er denkt manchmal an die Männer im Gefängnis und an die Dinge, die unweigerlich kommen werden. Eines ist sicher: die Clayburnes müssen sich beeilen, wenn sie Blinky noch retten wollen. Und wahrscheinlich werden sie ihn retten können. Ben Adams gibt sich da keinen besonderen Illusionen hin. Und er weiß, dass es niemals Richter Morgan Talbots Endziel war, Blinky Clayburne zu hängen. Das war auch nicht sein, Ben Adams, Endziel. Obwohl er Blinky mit einer indianerhaften Zähigkeit verfolgt und dann unerbittlich nach Warbluff gebracht hatte, ist Blinky nur eine kleine Figur in diesem Spiel. Ben Adams grinst grimmig und bitter. Bei Gott, als damals sein Bruder in dieser Stadt getötet wurde, da hatte er sich geschworen, dass er die Dinge hier ändern würde. Und er bekam nun einen wichtigen Bundesgenossen, den Richter selbst. Was macht es schon aus, dass Morgan Talbot ein von einem heißen Ehrgeiz angetriebener Mann ist? Als Ben Adams die Silver Street hinunter reitet, kommt er wieder an Jo Ides Speisehaus vorbei. Die Tür steht offen, und es fällt Licht auf die Straße. Als er auf gleicher Höhe ist, tritt Josephine Ide heraus. »Einen Moment, Marshal!« So ruft sie etwas schrill. Dann kommt sie vom Plankengehsteig in den Staub der Straße herunter und tritt zu ihm ans Pferd. Sie
muss hoch zu ihm emporblicken. Und sie sagt: »Ich hörte, dass Sie meinen Bruder einsperrten. War das nötig?« Er blickt über sie hinweg auf das Haus und dessen erleuchteten Eingang. In einigen Tagen wird es eröffnet werden. Jetzt ist das Mädchen sicherlich allein dort drinnen mit ihrem chinesischen Gehilfen. Er blickt auf sie nieder. »Es musste sein«, sagt er sanft. »Ich werde ihn einige Tage im Gefängnis behalten. Dort ist er sicherer vor sich selbst. Jo, in dieser Stadt scheiden sich heute Nacht die Geister, und Johnny wird keine Partei ergreifen können. Bringen Sie ihn von Arch Banner fort!« Er reitet nach diesen Worten weiter, und er lässt sie sehr nachdenklich zurück. Sie war herausgekommen, um ihm die Meinung zu sagen, um ihm vorzuwerfen, dass er hart und unversöhnlich wäre und niemandem eine Chance gäbe. Doch nun ahnt sie, dass er Johnny eine wirkliche Chance gab. * Zwei Stunden nach Mitternacht schließen die Lokale. Ben Adams braucht gar nicht mehr darauf zu achten, denn diese Regel wird sorgfältig eingehalten, nachdem er einige Lokale, die sich nicht an die Polizeistunde hielten, für eine Weile geschlossen hielt. Die Stadt leert sich langsam. Es wird still. Ben Adams aber reitet immer noch an den dunklen Gassenmündungen und lichtlosen Winkeln vorbei. Er spürt jetzt immer mehr die Spannung, den Druck der lauernden Gefahr. Er weiß, dass es nun bald so weit ist, dass etwas geschehen wird. Es muss ganz einfach etwas geschehen! Ist er ein Narr, dass er jetzt noch hoch im Sattel seine Runden reitet? Sollte er nicht lieber zu Fuß gehen – oder sich nicht lieber ins Office zu den anderen Männern zurückziehen? Aber er weiß, dass die ganze Stadt auf den Hufschlag seines Pferdes lauscht. Er ist hier der Marshal und muss bis zum Tagesanbruch seine Runden reiten und überall nach dem Rechten sehen. Als er an der offenen Einfahrt des Mietstalles vorbei die Valley Street hinunter will, da geht es los. Das Gewehr blitzt im Mietstall auf, dort, wo einige Wagen abgestellt sind. Vielleicht hat der hier lauernde Schütze darauf gewartet, dass der Marshal das Pferd in den Stall bringen und seine Runden dann weiter zu Fuß machen würde. Aber als Adams an der offenen Einfahrt vorbei wollte, da entschloss sich der lauernde Schütze. Die Kugel schlägt dicht neben Ben Adams‹ Oberschenkel in den Sattel,
durchschlägt diesen und tötet das Pferd unter ihm. Es bäumt sich auf und überschlägt sich nach hinten. Adams rollt schon durch den Staub, und er bekommt nun aus der dem Mietstall gegenüber liegenden Gasse Revolverfeuer. Eine dieser Kugeln streift heiß seine Wade. Doch dann hat er sich unter den Plankengehsteig gerollt und kriecht auf Händen und Füßen durch den Staub und Schmutz. Ich hätte dafür sorgen müssen, dass die Hausbewohner nicht allen Schmutz unter den Plankengehsteigen liegen lassen, denkt er für einen Sekundenbruchteil grimmig und vergisst es im nächsten Moment. Er kommt unter dem Plankengehsteig wieder hervor, und er hat nun ein Holzstück in der Linken. Er wirft es über die Planken zur Ecke der Gasse hin. Und er hält seinen Revolver bereit und schießt blitzschnell, als er einen schattenhaften Mann erkennt und in dessen Mündungsfeuer blickt. Der Mann wurde durch das klappernde Aufschlagen des Holzstückes hinter der Ecke hervorgelockt und gab sofort auf gut Glück einen Schuss ab. Der Marshal trifft ihn und sieht zu, wie der Bursche noch weiter aus der Gasse kommt, zwei, drei taumelnde Schritte macht und dann aufs Gesicht fällt. Adams springt auf. Er weiß, dass er durch die Einfahrt des Mietstalles nicht mehr beschossen werden kann – es sei denn, der Gewehrschütze käme hinter dem Wagen hervor und mehr nach vorn. Adams springt über die Straße, und er bewegt sich so schnell und gleitend wie ein angreifender Apache. Er erreicht die Wand eines Schuppens, der hier neben der Einfahrt die Grenze des Hofes zur Straße bildet. Er geht an diesem Schuppen entlang zur kleinen Tür darin. Mit der Linken holt er sein langes Green-RiverMesser aus dem Stiefelschaft und fährt damit in den Spalt. Er hebt mit der Messerspitze innen den Riegel an und öffnet die Tür. Im Schuppen sind Stroh- und Heuvorräte, und in seinem rechten Flügel ist er zum Hof hin offen. Ben Adams bewegt sich leise. Er hat den offenen und damit helleren Teil des Schuppens vor sich, und draußen auf dem Hof liegt das bleiche Mondlicht. Alle Dinge dort werfen ihre Schatten, tiefe Schatten, in denen überall Gefahr verborgen sein kann. Ben Adams erreicht unter dem Schuppendach die Schattengrenze. Wenn er noch einen Schritt macht, muss er die Deckung einiger Strohballen und den Schutz der Dunkelheit verlassen. Er wagt es, verlässt sich darauf, dass ein sich sehr schnell bewegender Mann im trügerischen Mondlicht nur schwer getroffen werden kann. Doch es fällt kein Schuss. Jener Gewehrschütze, der dort zwischen den abgestellten Wagen lauerte und von diesem Platz aus die Einfahrt und ein Stück der Straße beobachten konnte, ist nicht mehr da. Es gibt nur drei Möglichkeiten:
die Einfahrt, die Tür, durch die Ben Adams kam – und der Weg durch den Stall und von dort durch die Hintertür hinaus auf die Weidekoppeln und Corrals. Adams bewegt sich auf das Stalltor zu. Der linke Torflügel ist geschlossen, der rechte aber steht so weit offen, dass ein Mann in den Stall treten kann. Im Vorraum, in dem die Futterkisten stehen, die Sättel aufbewahrt werden und der Stallmann seinen Schlafverschlag hat, brennt wie immer eine Laterne. Ben Adams weiß, dass Ben Fisher Stallwache hat, ein alter Bursche, der recht schwerhörig ist. Ben Fisher wird sicherlich seinen Schlafverschlag von innen verriegelt haben und nicht gewillt sein, irgendwelchen Anteil an dem Geschehen hier zu nehmen. Ben Adams hebt die Hand und hält sie in die Türöffnung. Aber er verspürt keinen Luftzug. Die Hintertür ist nicht offen. Er glaubt mit instinktiver Sicherheit, dass sich der Bursche mit dem Gewehr dort im Stall befindet. Sicherlich will der Mann noch einmal sein Glück versuchen, bevor er durch die Hintertür entweicht. Ganz gewiss hat er unweit dieser Hintertür bei den Corrals ein Pferd stehen. Ben Adams überlegt. Und er weiß, dass er nicht so einfach durch das nur wenig geöffnete Tor in den Stall treten kann. Ein Mann, der hinten am Ende des Stallganges steht und ein Gewehr in Anschlag hält, kann mühelos auf die Türöffnung schießen, sobald sich dort jemand zeigt. Er gleitet ein Stück zur Seite zu einem Stapel gefüllter Hafersäcke, die heute mit einem Frachtwagen kamen und deren Inhalt morgen in die Futterkisten geschüttet werden soll. Ben Adams ergreift einen der Säcke. Es sind große und schwere Säcke. Jeder wiegt zweihundert Pfund. Aber Ben Adams trägt dieses Gewicht fast mühelos vor sich her. Und er geht damit durch die Türöffnung in den Stall hinein. Drinnen kracht das Gewehr. Die Kugel fährt in den Hafersack, und Ben Adams lässt ihn fallen, wirft sich hinter die erste Futterkiste und wartet. Das Gewehr kracht nun wieder, und die Kugel schlägt in die Laterne, die den Vorraum und den Stallgang notdürftig erhellt. Sie fällt herunter und verlöscht. Es ist dunkel. Ben Adams kriecht hinter der Futterkiste hervor, bis er mitten im Stallgang liegt. Er erhebt sich langsam auf die Knie, nimmt den Revolver heraus, hält ihn schussbereit in der Rechten und leckt sich kräftig über die linke Hand. Er hält sie über den Kopf, um den Luftzug zu spüren. Und er braucht nicht lange zu warten. Der Bursche dort hinten hat die Hintertür leise und vorsichtig geöffnet. Er musste sich Zeit lassen, um ein Knarren und Quietschen zu vermeiden. Doch Ben Adams spürt nun deutlich den kühleren Luftzug an der befeuchteten Hand. Die Hintertür ist offen. Und da beginnt er zu schießen. Das
Aufblitzen seines Mündungsfeuers erhellt immer wieder den Stall. Er sieht die Gestalt des Mannes mitten in der Hintertür, und er jagt vier Kugeln hinaus. Dann wird es still. Er hört den Mann stöhnen und dann fallen. Ben Adams kniet immer noch. Er hat noch eine einzige Kugel in der Waffe, und er wagt es, die leeren Hülsen auszustoßen und neue Patronen in die Waffe zu tun. Indes dies geschieht, lauscht er aufmerksam. Doch er hört außer den beiden Pferden im Stall nichts. Er ruft nun laut: »Ben! Ben Fisher! Komm heraus aus deinem Verschlag, alter Bursche! Es ist vorbei! Bring eine Lampe! Ich bin es, Ben Adams!« Er ruft laut genug, sodass es selbst der schwerhörige Ben Fisher verstehen muss. Und der antwortet auch sofort. Er ruft aus seinem Verschlag: »Das geht mich alles nichts an, Marshal! Ich komme nicht raus! Wenn du eine Laterne brauchst, dann findest du sie am Pfosten der zweiten Box rechts.« Ben Adams murmelt einen bitteren Fluch. Er weiß, dass sich von nun an die ganze Stadt so verhalten wird wie Ben Fisher. Er, der Marshal, hat die wilde Horde des Landes herausgefordert. Er und der Richter haben ihr den Krieg erklärt, und sie konnten die Bürgerwehr und die Mitglieder der Jury für eine Weile auf ihre Seite bekommen und für eine Sache gewinnen, die ihnen am Anfang gar nicht so sehr als ein großes Wagnis erschien. Aber jetzt… Ben Adams findet die Laterne. Er zögert einen Moment, dann reibt er ein Zündholz an und entzündet den Docht. Er geht zu dem Mann hin, der in der geöffneten Tür liegt. Der hat das Gewehr in der verkrampften Hand und ist tot. Ben Adams kennt ihn flüchtig. Es ist einer der hartbeinig wirkenden Burschen, die stets mit den Clayburnes reiten. Bevor sich Ben Adams zu irgendwelchen Dingen entschließen kann, geraten die Dinge in Warbluff erst richtig in Gang. Denn es ist nun etwas zu hören, was wie ein urhafter Laut klingt, unüberhörbar alarmierend und schrecklich in seiner Bedeutung. Es ist das Feuerhorn, das lange, hohle Horn eines Longhornstieres. Und es brüllt immer wieder das Feuersignal in die sterbende Nacht. Ben Adams stößt den Atem seufzend aus. Denn nun tönen auch Schüsse. Ein heftiges Revolverfeuer und das Krachen von Schrotflinten werden zwischen dem brüllenden Tönen des alten Hornes hörbar. Ben Adams eilt aus dem Stall, über den Hof und auf die Einfahrt zu. Als er die Straße erreicht, erblickt er den Feuerschein am Himmel, und er weiß, dass der Holzhof brennt, dort im Nordosten der Stadt, wo sich die Sioux
Trail Street und die Silver Street kreuzen. Es ist die äußerste Ecke der Stadt, weit weg vom Gefängnis in der Northern Street. Und die Schüsse, die immer noch knattern und krachen, kommen nicht aus der Richtung des Feuers. Die Schüsse tönen vom Gefängnis her. Ben Adams sieht Menschen aus den Häusern stürzen. Das Feuerhorn ruft sie alle aus den Häusern. Und dann galoppiert ein Reiter die Denver Street herauf und brüllt immerzu: »Feuer im Holzhof! Feuer! Die Stadt ist in Gefahr! Der Wind treibt die brennenden Sägespäne der Schreinerei über die Dächer der Stadt! Kommt, Leute! Beeilt euch, Bürger von Warbluff! Es brennt! Feuer im Holzhof!« Der Reiter hat eine scharfe, präzise Stimme, die gut zu verstehen ist und wie ein Trompetensignal wirkt. Ben Adams glaubt mit Bestimmtheit, dass dieser Reiter zu den Brandstiftern gehört. Die Burschen, die dort beim Gefängnis schießen und es stürmen wollen, möchten nicht gestört werden. Und so haben sie die Menschen von Warbluff vor die Wahl gestellt, ein Feuer zu löschen oder die Befreiung eines Gefangenen zu verhindern. Da sie Reiter durch die Straße schicken, die immer wieder brüllen, dass die Stadt in Gefahr wäre durch den Funkenflug, erreichen sie ihr Ziel. Alle Leute laufen in Richtung des Feuers. Ben Adams nicht – er läuft zum Gefängnis. Und als er beim Barbiersalon vorbeikommt, stürmt dort der Barbier barfuß heraus. Er hat nur die Hose über das Nachthemd gezogen und den Feuerwehrhelm aufgesetzt. Er schwingt ein Beil und brüllt, als er Ben Adams erkennt: »Adams, das haben Sie und der Richter uns eingebrockt!« Dann ist er vorbei. Ben Adams blickt ihm nicht mal nach und ruft auch keine Erwiderung, doch er erinnert sich daran, dass auch der Barbier zur Jury gehörte und vor Stunden noch sehr entschlossen und mutig wirkte. Ben Adams biegt in eine Gasse ab. Als er durch die Gasse eine Quergasse erreicht, gelangt er hinter das Gefängnis. Und als er hier anlangt, da weiß er, dass er zu spät kommt. Die Clayburne-Sippe hat Blinky aus dem Gefängnis geholt, und sie hatten eine gute Idee verwirklicht. Ben Adams begreift es schnell, indes er sich alles betrachtet und Bill Stetson und Richter Morgan Talbot hinten herauskommen und sich zu ihm stellen. Die Clayburnes hatten sich einen schweren und noch voll beladenen Frachtwagen »ausgeborgt«, der mit sechs Maultieren bespannt wurde. Mit diesem Frachtwagen, der etwa hundert Zentner sich bewegender Masse war, fuhr jemand durch die Gasse, wahrscheinlich im schnellsten Trab. Das wurde
noch dadurch begünstigt, dass die Gasse abfällt. Und dann rammte man mit der starken Ecke – also der vorderen linken Ecke des Wagens – gegen die Ecke des Gefängnisses. Die Hinterfront wurde ein- und aufgerissen. Das Loch ist so groß, dass man zwei Longhornrinder durchtreiben könnte. Und so war es für Blinky leicht zu entweichen. Denn der Feueralarm hatte den Schmied, der ja Feuerwehrhauptmann ist, aus dem Gefängnis geholt. Dann wurde immerzu gegen die Vorderseite geschossen, so als sollte gestürmt werden. Bill Stetson und Richter Talbot waren vorn beschäftigt. Sie blicken Ben Adams nun stumm an. Es wurde etwas heller. Das erste Grau des Tages macht sich bemerkbar. »War das nötig?«, fragt Bill Stetson bitter. »War das alles notwendig? Musste man denn diesen Blinky Clayburne um jeden Preis zur Rechenschaft ziehen? Lohnt sich das denn? Da ist Feuer, und vielleicht gibt es sogar Tote. Ben, wir hörten schon vorher Schüsse. Hat man dich…« »Ja, man hatte mich aus dem Hinterhalt beschossen«, unterbricht ihn Ben Adams. »Es lief alles nach einem sorgfältig überlegten Plan ab. Eine Bande von Banditen legte Feuer an, machte einen bewaffneten Überfall und befreite einen rechtmäßig verurteilten Mörder.« Er blickt den Richter fest an. »Was brauchen Sie noch, Richter?« Seine Stimme klingt irgendwie bitter und sarkastisch. Der Richter hebt seinen einzigen Arm und ballt in Kopfhöhe seine Faust, als wollte er etwas zerquetschen. »Nein«, sagt er. »Das genügt! Die Morgenpost fährt in zwei Stunden von hier zur Hauptstadt ab. Marshal, ich werde in ihr reisen, und ich werde die größten Angsthasen der Jury mitnehmen. Sie werden mich gern begleiten. Und mit Hilfe dieser ›geflüchteten Jury‹ werde ich beim Gouverneur eine Menge Wirbel machen. Marshal, wenn ich wieder nach Warbluff komme, bringe ich gewiss nicht nur ein Aufgebot mit, welches unter Ihrer Führung im ganzen Lande Ordnung schaffen und von Steuergeldern bezahlt werden wird. Ich werde auch die Bestätigung mitbringen, dass Warbluff Kreisstadt und Sitz der Verwaltung eines neuen Countys mit einer selbstständigen Polizeibehörde ist. Von hier aus schaffen wir Ordnung, Marshal! Die Clayburne-Sippe tat uns den größten Gefallen, als sie den Gefangenen befreite.« Er wendet sich mit einem Ruck um und geht davon. Bill Stetson aber stößt einen leisen Pfiff aus. Er betrachtet Ben Adams auf eine halb mitleidige und traurige, aber zugleich staunende und ungläubige Art. »Ihr seid zwei tüchtigen Burschen…«, beginnt er. »Der Richter und du – oder du und der Richter –, ihr wolltet mit dieser Sache also nur einen gewaltigen
Wirbel veranstalten. Es sollte hier etwas geschehen, was dem Richter eine Handhabe oder eine Möglichkeit gibt, in der Hauptstadt einen großen Lärm zu schlagen. Oha, ich kann mir vorstellen, wie er auftreten wird, begleitet von einigen Männern der Jury, die ihre Pflicht taten und nun vor den Banditen flüchten mussten. Oha, der Richter wird sein Ziel erreichen! Aber was machen wir inzwischen – du und ich? He, was geschieht in den zwei, drei oder vier Wochen, bis der Richter vielleicht mit einem Aufgebot zurück ist oder mit der Vollmacht, Kavallerie anfordern zu können? He, was geschieht während dieser Zeit?« Er ist nun ziemlich erregt, und er ergreift Ben Adams‹ Arm und rüttelt ihn leicht. Ben Adams betrachtet die Zerstörung hinter dem Gefängnis. Dann lauscht er in die Ferne. Das Feuerhorn hat aufgehört zu tuten. Es ist nur wenig zu hören. Und am Himmel zeigt sich kein Feuerschein mehr. Dieses Feuer war vielleicht ein großer Bluff, so denkt Ben Adams erleichtert. Er bückt sich und geht durch das Loch ins Gefängnis hinein. Johnny Ide sitzt noch in seiner Zelle, das heißt, er sitzt nicht, sondern steht in der entferntesten Ecke. »Wenn ich nur gewollt hätte«, sagt er nun heiser, »hätten mich die Jungs ebenfalls befreit.« »Aber Sie wollten nicht mit, Johnny«, sagt Ben Adams bitter. »Sie möchten lieber auf die normale Art entlassen werden und wieder zu Arch Banner zurück. Aber Sie sind für ihn keine drei Cent mehr wert, Johnny. Er konnte sehen, wie leicht ich mit Ihnen zurechtkommen konnte. Sie sind für ihn nicht mehr der gefährliche Tiger. Ihre Schwester hat eine Speisewirtschaft eröffnet. Gehen Sie zu ihr und helfen Sie ihr.« Er nimmt den Zellenschlüssel vom Wandhaken und sperrt die Gittertür auf. »Gehen Sie, Johnny!« »Ich werde Sie töten, Adams«, sagt dieser. »Ich werde Ihnen zeigen, dass Sie nicht mit mir wie mit einem grünen Jungen umspringen können. Und wenn Arch Banner eine schlechte Meinung von mir hat, so wird sich das bald ändern. Adams, ich werde Sie bald aus dieser Stadt jagen.« Er steht immer noch in der Zelle. Ben Adams sieht ihn müde und bitter an und schüttelt den Kopf. »Ich habe mit Sicherheit heute zumindest einen Mann getötet«, murmelt er, »vielleicht sogar zwei. Greifen Sie mich nur nicht mit der Waffe an, Johnny. Ich gebe euch Revolverschwingern keine Chance. Ich werde euch allen noch das Fell abziehen.« Seine Stimme wurde immer schärfer und wilder, und in seinen Augen war plötzlich ein wildes Feuer. »Hau ab, Johnny!«, sagt Bill Stetson mahnend.
Und Johnny Ide schleicht wahrhaftig stumm aus der Zelle, drückt sich an den beiden Männern vorbei und verschwindet durch das Loch in der Hinterwand. Bill Stetson aber fragt nun schärfer: »Ben, wie soll das weitergehen? Glaubst du, wir könnten uns drei oder vier Wochen in der Stadt halten, diese immer noch unter Kontrolle halten und…« »Ich werde diese Stadt halten, so lange es notwendig ist«, unterbricht ihn Ben Adams. »Ich werde darauf achten, dass die Macht nicht in die Hände der Bösartigen gerät, bis der Richter mir wieder zu Hilfe kommt. Und wenn du Angst hast, Freund Bill, dann gib mir den Stern zurück.« Bill Stetson weicht zwei Schritte zurück. Er hebt die Hand und legt sie wie schützend über seinen Stern, der auf seiner Hemdtasche blinkt. Sein verwaschenes Hemd sitzt straff auf seinem massigen Oberkörper. »Oha«, sagt er, »wenn du mich nicht dabei haben möchtest, wenn wir beide gemeinsam zur Hölle sausen, so musst du erst einen Knüppel nehmen und mich fortprügeln. Du und der Richter, ihr seid zwei Besessene, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Und da muss doch zumindest ein normaler und vernünftiger Mann dabei sein. Ich bleibe bei dir, Ben! Doch ich sage dir, dass dein Bruder dies alles nicht gewollt hätte. Es war bisher schon rau und bitter genug. Und was jetzt kommt, wird dich hier drinnen zu einem Stein machen.« Er deutet mit dem Daumen gegen seine Brust, wo das Herz sitzt. »Und wenn du hier drinnen nicht ein Stein bist«, fügt er hinzu, »dann wird dich eines Tages die Bitterkeit erwürgen, und du wirst zerbrechen und aufgeben müssen. Dann gib lieber jetzt auf, jetzt, bevor du wieder Blut vergießen und töten musst! Lass uns auf die Ranch in jenes Tal gehen – dorthin, wo wir schon einmal mit Jesse…« »Nein«, sagt Ben Adams. »Ich bin hier der Marshal. Ich sorge hier dafür, dass die Macht nicht in die Hände der Bösartigen gerät. Ich werde hier auszuhalten versuchen, bis der Richter zurück ist.« * Schon kurz nach Abfahrt der Postkutsche wird allen Menschen in dieser Stadt klar, wohin die ganze Sache nun läuft. Denn es spricht sich herum, dass der Richter mit fünf Angehörigen der Jury die Kutsche bestieg und auf dem Weg zur Hauptstadt ist. Nun erst begreift auch die Bürgerschaft der Stadt, wie das große Spiel des Richters und des Marshals läuft. Und damit begreift man zugleich den Mut des Marshals, der hier in der Stadt aushalten will. Als Ben Adams am späten Nachmittag in die Hotelhalle kommt, erklärt ihm
dort der Portier hinter dem Anmeldepult: »Mr Adams, ich muss Ihnen mitteilen, dass Mr Banner über Ihr Zimmer bereits anders verfügt hat. Sie müssen es räumen. Mr Banner möchte Sie nicht mehr in seinem Hotel haben und auch nicht als Gast in den anderen Banner-Betrieben.« Ben Adams nickt gleichmütig. »Lassen Sie meine Sachen in mein Office schaffen«, sagt er nur und tritt hinaus. Er geht ins Chinesenrestaurant essen und stellt dabei fest, dass es hier sogar besser schmeckt als in Banners Restaurant. Dann steckt er sich eine Zigarre an und beginnt die erste Runde. Bald darauf trifft er auf Mike Meadow, und dieser hat ihn ganz offensichtlich gesucht. Meadow nickt ihm zu, und er wirkt asketischer und hagerer als je zuvor. Er hebt leicht die Hand und sagt: »Ich suche Sie schon einige Zeit, Marshal. Der Stadtrat hatte soeben eine Sitzung. Es wurde der Antrag eingebracht, den Vertrag mit Ihnen zu kündigen. Ich bestand auf einer geheimen Abstimmung. Die knappe Mehrheit war dafür, Sie noch im Dienst zu behalten. Aber bei einer offenen Abstimmung…« »Es wäre mir gleich gewesen, wie die Abstimmung ausgefallen wäre«, unterbricht ihn Ben Adams. »Ich habe einen unkündbaren Vertrag mit der Stadt, der auf zwei Jahre lautet. Und es ist erst ein gutes Jahr um. Ich werde diese Stadt leiten, wie es vertraglich abgemacht wurde.« »Und ich stehe ganz auf Ihrer Seite«, erklärt Mike Meadow. »Der Brand im Holzhof war übrigens eine Brandstiftung. Aber es wurde nur wenig Schaden angerichtet. Tut mir Leid, dass ich nicht beim Gefängnis bleiben konnte und meine Pflicht als Hauptmann der Feuerwehr erfüllen musste.« »Schon gut«, murmelt Ben Adams. »Sie sollten sich jedoch vorsehen, Mike. Sie sind dafür bekannt, dass Sie hinter mir und dem Richter stehen. Passen Sie auf, dass man Sie nicht erwischt.« »Passen Sie auf sich auf, Ben«, sagt Mike Meadow und hebt grüßend die Hand. »In dieser Stadt wird viel geschehen, und sicherlich wird alles böse und schlimm werden wie ein Geschwür. Aber wenn alles ausgeheilt ist, dann beginnt eine neue Zeit. Es war überall in den wilden Städten im Colorado-Territorium so. Aber auch wir werden den Beginn der neuen Zeit erleben – Sie, der Richter und ich.« Er geht langsam davon. Ben Adams setzt seine Runde fort, wachsam und scharfäugig. Als er an Jo Ides Speisehaus gelangt, hält er inne und blickt durch eines der Fenster. Drinnen brennt eine Lampe. Josephine Ide und der junge Chinese sind dabei, von einem Ballen Leinen Tischtücher zu schneiden. Da die Tische im zukünftigen Speiseraum verschieden
groß sind, müssen sie jedes Tischtuch ausmessen. Ben Adams geht durch die Tür hinein, und das Mädchen blickt ihn über die Schulter forschend an. »Ich habe Ihren Bruder wieder freigelassen«, sagt er. »Und wenn Sie auch nur etwas Einfluss auf ihn haben, dann holen Sie ihn von Arch Banner fort und bringen ihn davon ab, mich töten zu wollen.« Sie lässt nun ihre Arbeit im Stich, wendet sich zu ihm und nähert sich ihm bis auf einen einzigen Schritt. »Sie wollten Johnny für längere Zeit festhalten«, sagt sie. »Doch nun ließen Sie ihn überraschend frei. Warum?« Er blickt ernst auf sie nieder. »Als man Blinky Clayburne befreite«, erwidert er langsam, »hätte auch Johnny freikommen können. Er wollte nicht. Er wollte weiter in der Zelle sitzen. Sein Hass auf mich macht ihn geduldig. Ich wollte nicht, dass sein Hass dort in der Zelle mit jeder Stunde größer wird. Jo, schaffen Sie Ihren Bruder aus dieser Stadt. Oder ich werde ihn töten müssen, weil er mich angreifen wird.« Er wendet sich ab und geht wieder zur Tür. »Was haben Sie davon, wenn Sie sich die ganze Stadt und überhaupt alle Menschen auf hundert Meilen in der Runde zu Feinden machen?« Dies fragt sie mit scharfer Stimme hinter ihm her. Er bleibt stehen und schüttelt den Kopf. Aber er blickt nicht zu ihr zurück. Er sagt: »Die meisten Menschen in diesem Lande wünschen sich eine bessere Zeit. Sie wünschen sich eine wirkliche Ordnung, Frieden, Sicherheit. Auch die meisten Bürger in dieser Stadt wünschen sich das. Nur, sie alle sind nicht mutig genug, um dafür zu kämpfen und etwas zu riskieren. Jo, die Banditen und die vielen anderen Hartgesottenen in diesem Lande, die zusammen die Wilde Horde bilden, wurden in den letzten Monaten immer stärker. Ich könnte Ihnen Dutzende von Beispielen nennen. Da müssen Frachtwagenzüge Wegezoll entrichten. Minenbesitzer müssen so genannte Schutzgebühren zahlen. Man stört die Transporte der Erzmühlen. Man vernichtet die Erzmühlen. Und in abgelegenen Schlupfwinkeln wird Whisky gebrannt. Es werden Geldtransporte überfallen. Es wird Vieh gestohlen, geschlachtet und überall an die BergarbeiterCamps verkauft. Hier in Warbluff sind einige Geldschränke mit Gold und Geld gefüllt. Man wagt es nicht, diese riesigen Vermögen abzutransportieren, aus Angst davor, dass die Banditen diese Transporte abfangen. Man kämpft in den abgelegenen Tälern um Claims, um Stollen, um Lebensmittel. Überall werden Menschen überfallen, beraubt, getötet. Dieses wilde Land wird von Tag zu Tag schlimmer. Und niemand hat den Mut, die Dinge aufzuhalten.« Er wendet sich plötzlich um. »Ich verlor meinen Bruder hier in dieser Stadt, weil zwei Revolverhelden durch die Gegend schossen, Burschen wie dieser
Blinky Clayburne, der ebenfalls einen Menschen tötete. Jo, ich werde den Versuch machen, hier Ordnung zu schaffen. Jemand muss es doch tun! Jemand muss doch zu verhindern versuchen, dass die Macht in die Hände der Wilden Horde gerät! Oh, ich würde lieber meine Ranch aufbauen. Ich habe dort in den Bergen eine Ranch. Ich wäre lieber dort und würde…« Er bricht ab, wendet sich um und geht schnell hinaus. * Um diese Zeit hat Arch Banner Besuch. Der Mann kam ziemlich unscheinbar und unbeachtet auf einem dürren Maultier in die Stadt, ein kleiner, falkengesichtiger, eisgrauer und schlecht gekleideter Mann, der Cowboysporen und einen Revolver trägt. Arch Banner wartete schon auf ihn, er hat diesen Mann heute Morgen durch einen schnellen Reiter herbestellen lassen. Es ist erst das zweite Mal, dass Abe Clayburne, der Boss der Clayburne-Sippe, nach Warbluff kommt. Aber Arch Banners Einladung war unmissverständlich. Der alte, eisgraue Falke schließt die Tür hinter sich, nickt wortlos und betrachtet zuerst Arch Banner und dann Johnny Ide, der in der Ecke sitzt. »Ist das der schnelle Junge, dem Ben Adams so leicht die Haut abziehen konnte, womit er euch alle lächerlich machte?«, fragt er trocken, und er zeigt damit, dass er über alle Dinge hier in der Stadt gut informiert ist. »Deshalb habe ich dich nicht kommen lassen, Onkel«, murmelt Arch Banner. »Ich habe dich kommen lassen, um dir klar zu machen, dass ihr alle Narren seid. Als ihr Blinky aus dem Gefängnis holtet, tatet ihr dem Richter und dem Marshal den größten Gefallen. Und jetzt könnt ihr euch an vier oder fünf Fingern abzählen, dass die Zeit gegen euch ist.« »Sollten wir zusehen, wie Blinky am Halse aufgehängt worden wäre?«, fragt Abe Clayburne trocken zurück. Und er erwartet offensichtlich keine Antwort. Er spricht vielmehr weiter: »Immer hat man Ärger mit diesen jungen Burschen.« Er blickt wieder auf Johnny und gibt seinen Worten damit eine bestimmte Anzüglichkeit. »Sie sind nicht diszipliniert genug«, sagt er. »Sie halten sich für besonders tüchtige Burschen und sind dabei noch so dumm wie Welpen. Wir konnten nicht zulassen, dass Blinky hingerichtet wurde. Und wenn alles dabei zum Teufel geht, Blinky ist der Sohn meines Bruders! Und du bist der Sohn meiner Schwester, Arch. Ich würde auch dich nicht in der Patsche lassen, selbst wenn es alles kosten könnte.« Er geht zu einem Wandschrank, öffnet ihn, findet jedoch nicht das Gesuchte und fragt: »Wo sind hier die guten Zigarren?«
»Hier«, sagt Arch Banner und holt eine Kiste Zigarren aus dem Schreibtisch. Er stellt sie auf den Tisch. Abe Clayburne bedient sich und füllt auch seine Brusttasche reichlich damit. »Das Gesetz wäre eines Tages ohnehin mal in dieses Land gekommen«, sagt er dann paffend. »Wir können nicht ewig die fleißigen Ameisen sein, die von den Blattläusen leben. Die Geschäfte hier liefen gut und werden noch eine Weile gut laufen. Wenn wir aufhören, haben wir genug. Wir dürfen uns nur nicht der Illusion hingeben, das Gesetz aufhalten zu können. Das haben schon eine ganze Menge Narren versucht. Sie schafften es immer nur eine Weile, und sie verloren dabei zumindest ihren Skalp. Lass doch den Richter machen, lass ihn die neue Zeit bringen! Wir werden genug haben.« Er wandert wieder durch den Raum und beachtet Johnny Ide mit keinem Blick. »Wenn jemand versagt hat, dann bist du es, Arch – und dafür gibt es keine Entschuldigung! Deine Zigarren mögen noch so gut sein, ihr hier habt versagt. Es war unser Plan, dass du hier dafür sorgst, dass Warbluff neutral ist. Wir gaben dir Geld, damit du ein Hotel und den ersten Saloon in Betrieb nehmen konntest. Wir belieferten dich mit Waren jeder Art, vom selbst gebrannten Whisky und dem Fleisch gestohlener Rinder für deine Restaurantküche und Speisehalle bis zu den Dingen, die wir beim Überfall auf die Frachtwagen erbeuteten. Du konntest die Konkurrenz immer unterbieten und wurdest ein mächtiger Mann in dieser Stadt. Dir gehören das größte Hotel, zwei große Saloons und ein halbes Dutzend kleiner Trink- und Spielhallen. Du bist beteiligt an dem SilverbellTheater und besitzt drei Storeläden, einige Speiseküchen und die große Spirituosenhandlung. Du kannst dir für viel Geld einen Revolverschwinger halten, der sich einbildet, etwas zu taugen, und der nur ein dummer Junge ist. Arch, du bist mit unserer Hilfe hier ein großer und wichtiger Mann geworden. Du solltest diese Stadt neutral halten. Es sollte verhindert werden, dass von hier aus eines Tages das Gesetz seinen Ausgang nehmen kann. Und dann…« »… musste Blinky hier durch die Gegend schießen«, sagt Arch Banner grimmig. Aber Abe Clayburne schüttelt eigensinnig den eisgrauen Kopf. »Dieser Marshal und dieser Richter haben dich reingelegt«, sagt er. »Das Gesetz kommt in wenigen Wochen nach Warbluff, und wenn wir es verjagen sollten, so wird der Lärm in der Hauptstadt noch lauter sein. Man wird den Ausnahmezustand verhängen und die Armee einsetzen. Nun gut, wir haben etwa vier Wochen Zeit, um all die Blattläuse hier noch tüchtig zu melken. Doch zuerst muss dieser Marshal verschwinden. Denn dieser Hombre ist uns im Weg.« Er macht nun eine Pause. Dann deutet er mit dem Daumen über die Schulter auf Johnny Ide.
»Der schnelle Junge da soll sich jetzt endlich seinen Lohn verdienen«, murmelt er. »Und du wirst wohl inzwischen alle Betriebe und Geschäfte verkaufen können – ganz geheim natürlich! Und wenn der Marshal nicht mehr ist und dir in dieser Stadt nichts mehr gehört, Arch, dann werde ich mit all meinen Jungs kommen. Wir werden die Stadt ausnehmen und keine Kasse vergessen. Dann kann der Richter mit seinem Gesetz kommen. Wir werden einen tüchtigen Vorsprung haben.« Er wendet sich mit einem Ruck nach Johnny Ide um. »Also, Junge! Suche Streit mit dem Marshal. Und Arch Banner wird für einige Zeugen sorgen, die auf ihren Eid nehmen, dass der Marshal dich unberechtigt mit der Waffe bedrohte. So wird das gemacht!« Er wirft den Zigarrenstummel in den Spucknapf und geht zur Tür. »Ich bin gern nach Warbluff gekommen, Arch«, sagt er. »Wenn du wieder einmal keinen Rat weißt, dann lass mich nur holen. Ich wäre ohnehin gekommen. Denn ich bin über alle Dinge in dieser Stadt informiert. Mein Nachrichtensystem ist gut.« Nach diesen Worten geht er – ein kleiner, drahtiger, falkengesichtiger Mann, dessen Haar schon eisgrau ist. Arch Banner blickt Johnny an. »Nun?«, fragt er. Johnny nickt. »Sicher, ich bin diesem Ben Adams ohnehin was schuldig. Doch ich möchte Ort und Stunde selbst wählen. Und ich will auch keine Zeugen. Ich mache das schon.« * Ben Adams hat an diesem Abend bis eine Stunde vor Mitternacht immer wieder zu tun. Nach Mitternacht trifft er auch auf Bill Stetson, der mit einer Schrotflinte bewaffnet ist. »Was willst du, Bill?«, fragt er vom Pferd nieder. »Dein Dienst beginnt erst bei Tag. Du bist als mein Vertreter der Tagmarshal. Und ich bin der Nachtmarshal. Was willst du während meiner Dienstzeit mit einer Schrotflinte auf der Straße?« »Ich kann nicht schlafen«, erwidert Bill Stetson. »Und ich habe mir den Fuß etwas vertreten und brauche die Flinte als Spazierstock.« Ben Adams betrachtet ihn bitter. Dann reitet er weiter, und wenig später läuft ihm aus einer der Gassen ein brüllender Mann über den Weg. Der Mann hält sich den Kopf und brüllt: »Überfall! Überfall! Man hat mir in der Gasse dort etwas über den Schädel geschlagen und meine Taschen ausgeräumt! Überfall! Man hat mich zusammengeschlagen und mir den ganzen Spielgewinn gestohlen! Fast fünfhundert Dollar! Marshal, warum reiten Sie hier so großspurig durch die
Straßen, wenn in den Gassen alle Banditen wie die Ratten auf ahnungslose…« Ben Adams hört nicht länger zu. Er treibt sein Pferd in die Gasse hinein, aus der der brüllende Mann gelaufen kam, und als er sich hoch im Sattel zwischen den eng zusammenstehenden Häusern befindet, da wird er sich bewusst, dass er einen Fehler machte. Denn er hebt sich gewiss deutlich genug gegen den helleren Himmel ab. Er duckt sich tief über den Pferdehals, und er erwartet jeden Sekundenbruchteil das Krachen von Schüssen. Einmal denkt er heiß: Oh, mit einer Doppelladung Indianerschrot könnte mich jemand in dieser Gasse mitsamt meinem Pferd in Stücke hacken. Doch es fällt kein Schuss. Es war keine Falle. Er erreicht das Ende der Gasse und reitet auf die Valley Street hinaus. Drüben, auf der anderen Seite, setzt sich die Gasse fort. Doch Ben Adams glaubt nicht, dass der Straßenräuber, der in der Gasse auf einen Betrunkenen gelauert hatte, die Flucht durch die Gasse fortgesetzt hat. Er wird hier in die belebte Valley Street eingebogen und irgendwo in einem der Saloons oder einer der Spielhallen verschwunden sein. Ben Adams biegt nach rechts ein. Nach zwanzig Yards kommt er zu einem wartenden Minenwagen, der ein oder zwei Dutzend Bergleute in die Stadt brachte. Der Wagen ist jetzt schon gefüllt mit einigen »Schnapsleichen«, und auch der Fahrer sitzt dösend auf dem Sitz. Man wartet sicherlich noch auf einige Nachzügler. Ben Adams fragt ruhig: »Kam jemand hier vorbei?« Der Fahrer wendet den Kopf und gähnt laut. »Es kamen mehrere Leute hier vorbei«, sagt er. »Und es geht mich nichts an, nicht wahr?« »Es geht Sie doch etwas an, Freund«, erwidert Ben Adams. »Denn vor wenigen Minuten wurde einer von euch Bergleuten in einer der Gassen niedergeschlagen und ausgeraubt. Und das kann morgen schon Ihnen geschehen. Der Bandit muss hier hinter dem Wagen aus der Gasse gekommen sein.« »Ich sah niemanden«, brummt der Fahrer. Ben Adams will sein Pferd wieder in Bewegung setzen. Doch da richtet sich einer der zusammengesunkenen, betrunkenen Männer auf und sagt schwerfällig: »Ich sah einen Burschen herauskommen. Es ist keine drei Minuten her. Er kam sehr schnell aus der Gasse und bremste etwas spät ab. Dann ging er betont ruhig und langsam zum Red Bull hinüber. Als er unter der Laterne vor der Tür war, sah ich, dass er wie ein Spieler gekleidet war – ein mittelgroßer Bursche.« »Danke«, murmelt Ben Adams und zieht sein Pferd herum. Er reitet schräg hinüber und steigt vor dem Saloon aus dem Sattel.
Ben Adams öffnet die Tür und tritt in einen der drittklassigen Saloons. Es gibt nur wenige Tische und eine primitive Bar. Es sind fünf Gäste an der Bar. An einem der Tische sitzt noch eine Pokerrunde beisammen. Als der Marshal eintritt, richten sich alle Blicke auf ihn. Und der Wirt, ein braunbärtiger, glatzköpfiger Bursche, dem der Whiskyhandel mit den Indianern zu gefährlich wurde, sagt laut in die Stille: »Oh, welch eine Ehre für das Haus! Der Marshal kommt höchstpersönlich! Doch hier ist alles still und friedlich. Dies ist ein zwar kleiner, doch sehr feiner und ruhiger Saloon.« Ben Adams achtet nicht auf die Worte. Er tritt zu dem Tisch, an dem die Pokerrunde sitzt. Und er stellt sich hinter den Mann, der wie ein Berufsspieler gekleidet ist, jedoch nicht die Bank hält. Er legt dem Mann die Hand auf die Schulter und sagt: »Bleiben Sie ruhig sitzen, Miller! Sie nennen sich doch hier einfach und schlicht Bob Miller, nicht wahr? Ich werde Sie jetzt durchsuchen! Wenn Sie eine Bewegung machen, die mir nicht gefällt, werde ich mich von Ihnen angegriffen fühlen.« Der Mann sitzt steif auf seinem Stuhl, und er ist einer dieser drittklassigen Kartenhaie, die in den großen Saloons und Spielhallen keinen Tisch bekommen und auch dort nicht geduldet werden. »Was – was wollen Sie von mir, Marshal?«, sagt er heiser. Ben Adams gibt ihm keine Antwort. Er greift ihm über die Schulter hinweg unter die offene Jacke und fühlt sofort mit der flachen Hand, dass der Mann am ganzen Leib warm ist und schwitzt. Dieser Mann muss vor wenigen Minuten noch rasch gelaufen sein. »Nun gut«, sagt Ben Adams. »Wo ist das Geld, welches Sie auf offener Straße raubten, nachdem Sie den Mann niederschlugen?« »Sie – Sie sind verrückt, vollkommen verrückt, Marshal!« Der Mann, der sich hier Bob Miller nennt, ruft es schrill. Und er zittert und vibriert am ganzen Körper, bewegt sich jedoch nicht. Er ist wirklich nur ein drittklassiger Bursche. Aber die anderen Männer mischen sich nun ein. Sie wollen einem bedrängten Artgenossen zu Hilfe kommen. »He, was soll er denn getan haben?«, fragt eine raue Stimme. »Er sitzt doch schon die ganze Nacht dort an diesem Tisch und spielt. Das können wir bezeugen, Marshal, lassen Sie ihn zufrieden!« Ben Adams dreht sich gar nicht um. Er zieht den Mann am Kragen hoch und dreht ihn herum. »Nur keine Bewegung«, sagt er rau. Dann beginnt er die Taschen des Mannes zu untersuchen. Er findet zwei Brieftaschen – eine ist leer und schäbig. Die andere Brieftasche ist gut gefüllt. Es ist auch ein Ausweis in der Brieftasche, und eine Lohnabrechnung der
Aurora-Kupfer-Mine ist ebenfalls dabei. »Miller, seit wann heißen Sie Fred Parker?«, fragt Ben Adams grimmig und kalt. Er hat auch schon den Betrag geschätzt, der in Geldscheinen vorhanden ist. Und es stimmt, denn es sind an die fünfhundert Dollar. Der Überfallene hatte nicht übertrieben. »Na gut, Miller«, sagt Ben Adams. »Sie sind verhaftet. Kommen Sie mit! Gehen Sie vor mir her und machen Sie keine hastige Bewegung.« Er blickt dabei in Millers Augen. Es sind unstete Augen. Doch nun sind sie starr, und es ist der Ausdruck einer heißen Angst in ihnen. Miller tritt dem Marshal plötzlich mit aller Kraft gegen das Schienbein. Es ist ein gemeiner Tritt, aber noch bevor Ben Adams‹ Bein einknickt und der Schmerz es lähmt, stößt Adams Miller die Linke in den Leib und erledigt ihn mit diesem harten Schlag für einige Minuten. Als er sich dann umwendet, knickt sein Bein ein, und er taumelt zur Seite und muss sich an einem Tisch aufstützen. Es kommt eine Flasche geflogen. Sie trifft ihn in den Nacken, und er fällt halb über den Tisch. Dass er hier von diesen zweit- und drittklassigen Burschen auf diese Art angegriffen wird, ist nur damit zu erklären, dass sie fast alle mehr oder weniger angetrunken sind und deshalb mutig wurden. Dass ein Bursche wie Bob Miller ihn angriff und vor das Schienbein trat, machte auch alle anderen Männer mutig. Und so fallen sie nun über ihn her wie eine Meute Hunde über einen Berglöwen. Doch sie täuschen sich. Ben Adams rollt zwar vom Tisch und fällt zwischen sie. Doch als sie sich über ihn stürzen, stößt und tritt er sie von sich. Er springt auf, wirft den Tisch gegen einige von ihnen und zieht dann den Revolver. Er springt ihnen entgegen und schlägt mit dem Revolverlauf zu – rechts und links. Er bewegt sich schnell, ist unaufhaltsam und zeigt ihnen seine ganze Härte. Er beweist ihnen, dass sie nur zweit- und drittklassige Burschen sind. Gewiss, er bekommt einige Schläge, Kratzer und Schrammen. Doch sie bedeuten ihm nichts. Er fährt zwischen dieses Gelichter wie ein Berglöwe zwischen ein Rudel Coyoten. Nicht anders ist es. Und so hören sie auf. Einige hocken wimmernd am Boden, andere liegen sogar bewegungslos da. Und der Rest steht mit erhobenen Händen da. »Hören Sie auf, Marshal! Wir haben genug, Sir! Uns muss der Teufel geritten haben! Wir waren wohl zu betrunken!« Dies ruft einer von ihnen ächzend und bittend. Ben Adams hält inne. Er erwacht wie aus einem Rausch, und er wird sich bewusst, dass er besonders schlimm explodiert war, sehr viel schlimmer, als es normal gewesen wäre. Er begreift, dass sich die ganze Nervenanspannung der letzten Tage entladen hat.
Langsam blickt er sich um, betrachtet jeden Mann eingehend. »Ich kenne euch jetzt«, sagt er dann schwer. »Ich kenne noch in einigen Monaten jeden von euch wieder. Und jetzt raus aus dieser Stadt! Raus hier! Wenn ich euch noch einmal in Warbluff sehe, werdet ihr sehr bereuen, nicht zumindest hundert Meilen geritten zu sein.« Er blickt auf den Wirt, der massig hinter der Theke steht. »Diese Bude hier ist geschlossen«, sagt er. »Auch Sie sind hier fertig. Sie haben vorhin laut genug gesagt, dass Bob Miller die ganze Nacht dort am Spieltisch saß. Das war gelogen! Ich lasse mich nicht von einem drittklassigen Saloonwirt anlügen. Raus aus der Stadt! Bis morgen Mittag zwölf Uhr sind auch Sie hier fort.« Als er dies gesagt hat, bückt er sich nieder und reißt Bob Miller auf die Füße. »Verstellen Sie sich nicht länger, Miller«, sagt er bitter. »Wenn Sie nicht auf eigenen Füßen laufen, dann schleife ich Sie am Lasso hinter meinem Pferd bis zum Gefängnis.« * Der überfallene Bergmann steht noch innerhalb einer großen Menschenansammlung auf der Straße, als Ben Adams mit seinem Gefangenen aus der Gasse kommt. Der Kreis öffnet sich. »Sind Sie Fred Parker?«, fragt der Marshal vom Pferd nieder. »Sicher«, sagt der überfallene Bergmann. Ben Adams wirft ihm die pralle Brieftasche zu. »Das ist sie wohl«, sagt er trocken. »Kommen Sie in mein Office und erstatten Sie Anzeige gegen diesen Burschen hier.« Der Bergmann stößt einen jubelnden Schrei aus. Er tritt an Bob Miller heran, der zurückweicht, bis er mit dem Rücken gegen des Marshals Pferd stößt. »Oh, ihr verteufelten Schufte hier in dieser schurkischen Stadt!«, schnauft Fred Parker und schlägt Miller die Faust ins Gesicht. »Wenn Sie es noch mal tun, sperre ich Sie ebenfalls ein, Parker«, erklärt Ben Adams scharf. »Dieser Straßenräuber wird von Richter Talbot verurteilt werden, sobald dies möglich ist.« »Man sollte diese Stadt an allen vier Ecken einreißen!« Fred Parker, der ja ebenfalls angetrunken ist, brüllt es wütend. »Es wird eines Tages eine gute Stadt inmitten eines guten Landes sein«, sagt der Marshal laut, und alle hören es. Sie starren ihn aufmerksam an, und obwohl viele von ihnen angetrunken sind, überhört keiner von ihnen den Ernst in seiner Stimme.
Sie begreifen, dass er an seine Worte glaubt. Und sie öffnen dann nach der anderen Seite ihren Kreis und sehen ihm nach, wie er hinter den beiden Männern – dem Überfallenen und dem gefassten Banditen – herreitet. * Als Ben Adams mit dem Protokoll fertig ist und wieder seine Runde reitet, sind die meisten Lokale schon geschlossen. Adams denkt flüchtig an seinen Freund und Gehilfen Bill Stetson, der mit der Schrotflinte unterwegs war. Er ist ihm nicht mehr begegnet. Aber wenn Bill nicht ins Bett gegangen ist, wird er irgendwo in den dunklen Winkeln stehen, auf der Hut sein und ständig auf den Pulsschlag dieser Stadt lauschen. Ben Adams ist ziemlich sicher, dass Bill Stetson stets dort zu finden sein wird, wo er den Hufschlag seines grauen Wallachs hören kann. Es gibt durch Gassen, Hauslücken und über Höfe viele Abkürzungen, und Bill kann so stets vor dem Marshal an bestimmten Punkten sein, wo dieser vorbei muss. Irgendwie verspürt Ben Adams nun ein dankbares Gefühl. Ja, er hat der Wilden Horde den Kampf angesagt. Er hat zu erkennen gegeben, dass er den bestehenden Zustand ändern möchte, dass er von Warbluff aus das Gesetz in alle Winkel des Landes vortreiben möchte. Und deshalb ist er nun allein – bis auf Bill Stetson. Als er an der Warbluff-Bank vorbeikommt, hält er an, sitzt ab und überzeugt sich, ob Tür und Fenster noch richtig verschlossen sind. Er sitzt auf und reitet weiter. Bald darauf muss er wieder vom Pferd, um einen Betrunkenen, der in einem Tränketrog sitzt und darin eingeschlafen ist wie in einer Badewanne, herauszuheben. Er legt ihn über den Sattel seines Pferdes und bringt ihn in den Hof des Mietstalles. Er legt ihn in das Stroh unter dem Schutzdach. Er will wieder aufsitzen. Doch da sagt eine klirrende Stimme von der Ecke des Stalles her: »Warten Sie, Adams!« * Ben Adams erkennt die Stimme sofort. Sie gehört Johnny Ide. Er kommt hinter der Ecke des Stalles hervor und nähert sich Ben Adams. Er trägt den Revolver im Holster. Er will also einen richtigen Revolverkampf. »Jetzt tragen wir es aus, Adams«, sagt er klirrend. Seine Stimme ist nicht laut.
Er kam bis auf etwa acht Schritte heran. Ben Adams kann ihn gut erkennen, und er hört in dieser präzise klingenden Stimme den festen Entschluss. »Warum liegt dir so viel daran, Johnny?«, fragt er ruhig. Er denkt an Johnnys Schwester, an das Mädchen Josephine Ide, die ein Speiselokal aufmachte, um dem Bruder zu beweisen, dass man auch auf eine redliche Art seinen Lebensunterhalt verdienen kann, wenn man sich nur nicht davor scheut, kräftig zuzupacken. »Warum?«, fragt Johnny Ide inzwischen. »Du lieber Himmel, es gibt eine ganze Menge Gründe dafür. Ich will Ihnen nur den einen und für mich wichtigsten Grund nennen: Sie stutzten mich wie einen dummen Jungen zurecht. Sie setzten mich vor Arch Banners Augen herab. Aber ich kann Sie mit dem Revolver schlagen. Ich kann den Mann besiegen, vor dem sich die ganze Stadt duckt. Adams, es gibt nur eine einzige Möglichkeit für Sie, diesen Kampf zu vermeiden. Sie geben mir Ihr Wort, dass Sie bis morgen zwölf Uhr verschwunden sind.« »Oha, Johnny«, murmelt Ben Adams, »du hast wohl immer noch nicht begriffen, dass hier die wilde Zeit bald vorbei sein wird. Bald gibt es hier keine Burschen mehr wie Arch Banner, die Burschen wie dich nötig haben. Und so wird es überall sein. Eines Tages, wenn du lange genug am Leben bleibst, wirst du zurückblicken auf deinen Weg, und du wirst dich an nichts erinnern können, auf was du stolz sein und an was du dich gerne erinnern kannst. Sieh dir deine Schwester an. Sie will es dir zeigen! Sie hat die Möglichkeit erkannt. Johnny, besteh nicht auf diesem Kampf! Geh lieber fort, wenn du nicht mit mir in einer Stadt leben kannst. Ich will dich nicht anschießen oder gar töten müssen.« »He, warum nicht? Mitleid? Angst? Was denn? Der harte Marshal will doch wohl nicht kneifen, wenn ihn ein Revolverheld wie ich herausfordert?« Seine Stimme wurde zuletzt etwas schrill und höhnend. Doch es schwang ein bitterer Unterton mit. Ben Adams beginnt zu ahnen, dass in Johnny Ide etwas ist, was schon andere Männer irgendwie zur Selbstzerfleischung trieb. In solch einer Verfassung kann einem Burschen alles gleich sein, und er kann aus dieser Stimmung heraus sein Leben wegwerfen, seinen ganzen Besitz oder jede Zukunft verspielen. Ben Adams denkt an das Mädchen Jo, das in diese Stadt kam, um wieder bei dem wilden Bruder zu sein und ihm zu helfen. Ben Adams hat plötzlich den heißen Wunsch, Jo Ide helfen zu können. Und zugleich denkt er daran, dass Johnny Ide doch wohl nicht ganz verloren sein kann. Denn er besitzt ja noch seinen letzten Stolz, der ihn davon abhielt, aus dem Hinterhalt oder zumindest überraschend auf Ben Adams zu schießen. Und so wagt es Ben Adams. Oh, er weiß, dass er ein höllisches Risiko eingeht.
Wenn er sich in diesem Johnny Ide täuscht, wenn dieser Bursche von der schwarzen Hälfte seines Ichs überwältigt wird – nun, dann wird er, Ben Adams, hier wahrhaftig erledigt werden. Er zögert noch einmal unmerklich. Doch dann entschließt er sich endgültig – wahrscheinlich Josephine Ide zuliebe. Ja, dies spürt er deutlich. Er bewegt langsam seine Hand zur Schnalle seines Waffengurtes. Der Waffengurt fällt zu Boden. Und damit steht er waffenlos vor Johnny Ide. Dieser stand schon die ganze Zeit lauernd da, hielt die Hand griffbereit hinter dem Revolverkolben, war also innerlich ganz angespannt für jenen Moment, für jene Sekunde, da ein Mann, verwegen und angetrieben von wilden Wünschen und Gefühlen, sein Leben in die Waage wirft und nicht wissen kann, wie schwer es sein wird. Nun aber kann Johnny Ide das, was der Marshal tut, nicht sogleich begreifen. Es erscheint ihm unmöglich, dumm und verrückt. Ben Adams aber sagt ganz ruhig: »Nun, Revolverschwinger, ich bin jetzt waffenlos. Ich verweigere dir einen Revolverkampf. Ich will mich nicht mit dem Bruder eines Mädchens schießen, welches ich sehr achte und zu dem ich mir nicht jeden Weg verbauen will. Hörst du, Johnny? Ich will mich nicht mit dir schießen. Ich bin waffenlos! Doch ich werde nun zu dir kommen und dir eine Tracht Prügel verabreichen, bis dein verzerrtes Denken wieder in normalen Bahnen verläuft!« Er setzt sich langsam in Bewegung. Und er muss dabei eine heiße Furcht bekämpfen. Denn wenn er sich nur ganz wenig in diesem Johnny Ide täuschte, dann wird er bald ein toter Mann sein oder zumindest schlimm verwundet werden. Und Johnny Ide zieht nun blitzschnell seinen Revolver. Oh, er ist wahrhaftig schnell. »Noch einen einzigen Schritt, und ich zerschieße dir einen Fuß!« Er stößt es wild und drohend hervor. »Ein Feigling täte dies«, murmelt Ben Adams, und er ist nun schon bis auf vier Schritte an Johnny heran. »Auf was könntest du dann noch stolz sein, Johnny? Es wäre leicht, einen unbewaffneten Mann zum Krüppel zu schießen! Johnny, du bist nichts und taugst nichts. Du hast nichts auf dieser Welt als deinen eitlen Stolz. Und wenn du mich erschießt oder anschießt, so wirst du nicht einmal mehr diesen Stolz haben. So ist das, Johnny Ide!« »Du Feigling! Oh, du erbärmlicher Feigling!«, sagt dieser heiser und weicht langsam zurück. Doch Ben Adams folgt ihm, und er scheint gar nicht darauf zu achten, dass Johnny den Revolver auf ihn gerichtet hält und dass der Lauf der Waffe ihm das Zittern der Hand verrät.
Johnny weicht Schritt um Schritt zurück. Einige Male sticht er mit dem Revolverlauf nach vorn auf Ben Adams zu, als würde er abdrücken. Aber der Marshal lässt sich nicht beirren. Im Gegenteil, jene leichte Sorge, die in seinem Kern vorhanden war, die er sich jedoch nicht anmerken ließ, ist verschwunden. Er glaubt nun daran, dass Johnny Ide es doch nicht fertig bringen kann, auf einen unbewaffneten Mann zu schießen. Der Junge stößt mit dem Rücken gegen die Stallwand und bewegt sich nach rechts daran entlang, um zur Ecke zu kommen. »Soll ich dir durch die ganze Stadt und bis zu Arch Banner folgen?«, fragt Ben Adams ihn. Und da steht Johnny still. Er seufzt hörbar. »Nun gut, dann schieße ich, wenn du mir noch einen Schritt näher kommen solltest, Marshal«, sagt er schwer. »Wenn du es tust, überspringst du jene letzte Grenze und bist endgültig in der Hölle«, sagt Ben Adams ruhig zu ihm. »Aber du zwingst mich doch dazu! Du willst mich verprügeln! Ich bin dir körperlich nicht gewachsen! Ich lasse mich nicht verprügeln! Ich werde schießen!« »Steck deinen Colt weg und geh, Junge« , sagt Ben Adams langsam zu ihm. »Höre bei Arch Banner auf und geh zu deiner Schwester. Sie braucht Hilfe. Sie hat nur einen Chinesen als Helfer, und sie muss ihr Speisehaus erst in Gang bringen. Hilf ihr! Oder schieß auf mich! Ich zähle bis fünf! Dann werde ich dich mit den bloßen Händen angreifen. Wenn du mich nicht erschießt, werde ich dich durch die ganze Stadt und bis vor Arch Banners Füße prügeln. Eins! Zwei…« »Nein! Nein!« Johnny Ide ruft es schrill, und ihm kommt der Marshal so riesig groß, so unüberwindlich und gewaltig vor. Diese ruhige Stimme, diese selbstsichere Haltung, und dabei der ständige Anprall eines harten und völlig furchtlosen Willens, den er ständig spürte, dazu die Worte über seine Schwester, dies alles wurde immer stärker wirksam. Und nun zerbricht er wahrhaftig. Er bringt es nicht fertig, diesen Mann zu erschießen. Und er begreift, dass Adams all dies wagte, weil er im Grunde an ihn, Johnny, glaubte, und weil ihm Johnnys Schwester sehr viel bedeuten muss. Dies alles stürmt in diesen Sekunden auf ihn ein. Es trifft ihn bis in den tiefsten Kern. Er steckt mit einer schnellen Bewegung den Revolver weg, wendet sich zur Seite und gleitet um die Ecke des Stalles. Ben Adams steht da und atmet langsam aus. Er seufzt befreit und erleichtert. Dann zuckt sein Kopf zur Seite. Denn ein Mann tritt aus dem Stall, dessen einer Torflügel etwas geöffnet ist. »Du spielst ein gefährliches Spiel, Freund«, murmelt Bill Stetson, der mit der
Schrotflinte unter dem Arm aus dem Stall trat. »Du hast mit einer verrückten Idee diesen Jungen zerbrechen können. Das war wieder eine der weichen Stellen an dir. Ben, ich habe noch nie so geschwitzt wie in den letzten Minuten. Ich hätte den Jungen mit der Schrotflinte in Stücke geschossen, wenn er seinen Revolver abgefeuert hätte. Doch ich konnte dein hartes Spiel nicht stören. Ich musste warten. Du lieber Vater im Himmel, wenn wir doch bald wieder auf unserer halb fertigen Pferderanch im Silver Springs Valley wären. Aber du bist ja verrückt, ganz einfach verrückt!« * Josephine Ide erwacht, weil jemand an ihr Fenster klopft. Ihre Schlafkammer liegt zum Hof hin. Sie öffnet den Fensterladen nur einen Spalt. »Wer ist dort?« »Ich bin es, Johnny – ich bin es, Schwester! Lass mich zu dir! Lass mich herein zu dir! Ich muss…« Die Stimme bricht gepresst und heiser ab, und sie klang ganz so, als hätte er starke Schmerzen – oder als weinte er. Sie beeilt sich, wirft sich den Morgenmantel über und lässt ihn durch die Hintertür ein. Sie hat in der Küche eine Lampe angezündet, und sie betrachtet ihn im Lampenschein, als sie sich zu ihm an den Tisch setzt. Sein Gesicht ist blass unter der gebräunten Haut, und es ist der Spiegel all seiner Gefühle. In seinen Augen aber ist eine tiefe Ratlosigkeit. »Er hat mich geschlagen«, sagt er heiser. »Er hat mich auf eine Art geschlagen, die vernichtend ist. Oh, was ist Ben Adams für ein Mann! Er konnte tief in meinen Kern sehen, und er wusste zu berechnen, wie ich reagieren würde. Ich hatte ihn im Hof des Mietstalles gestellt und forderte ihn zum Revolverkampf heraus. Aber er weigerte sich. Er legte seinen Waffengürtel ab und setzte mir dann schlimm mit seinen Worten zu. Ach…« »Erzähle mir alles – sprich dich aus, Bruder!«, sagt sie. Sie erhebt sich noch einmal, holt den noch warmen Kaffeetopf vom Herd und bringt zwei Tassen, Milch und Zucker. Sie bedient ihn, und er schlürft gierig den starken Kaffee. Und dann erzählt er ihr alles. Als er ihr Ben Adams‹ Worte wiederholt und also sagt: »Er wollte, wie er mir sagte, sich nicht mit dem Bruder eines Mädchens schießen, welches er sehr achtet und zu dem er sich nicht jeden Weg verbauen will.«, da werden ihre Augen für einen Moment sehr weit, und dann blickt sie auf ihre Hände nieder, die gefaltet auf der Tischkante ruhen. »Das sagte er?«, fragt sie leise. Johnny nickt heftig, und er starrt sie an. »Es soll Liebe auf den ersten Blick
geben«, murmelt er. »Ist so etwas zwischen euch? Bedeutet auch er für dich ziemlich viel? Jo, mir ist klar, dass er nicht mit dem Revolver auf mich schießen wollte, weil ihm das den Weg zu dir verbaut hätte.« Sie blickt immer noch auf ihre Hände. »Wenn ich ein Mann wäre, würde ich mich an seine Seite stellen. Ich müsste ihm helfen«, murmelt sie. Sie hebt plötzlich ihren Blick und sieht Johnny voll an. »Warum wolltest du mit ihm kämpfen, Johnny? Aus beleidigtem Stolz oder weil Arch Banner es so wollte?« »Was weißt du über Arch Banner?« Er fragt es gepresst. »Du sagtest mir selbst, dass er der große Bursche wäre. Er ist ja der große, wichtige Mann, den du dir ausgesucht hast und mit dem du aufsteigen möchtest. Hat er dir den Befehl erteilt, den Marshal umzubringen?« Sie fragt es hart und scharf, und es liegt eine spürbare Verachtung in ihrer Stimme. Er starrt sie irgendwie leer und blicklos an, und dann hebt er die Hand und wischt sich über das Gesicht. Er senkt den Kopf und denkt nach. Denn er weiß ja alles. Er weiß davon, dass Arch Banner mit den Clayburnes verwandt ist, und er weiß von den Plänen der Wilden Horde. Er war ja bei der Unterredung zwischen Abe Clayburne und Arch Banner zugegen. Ihm wird heiß. Denn er begreift, dass er nicht einfach aufhören oder aussteigen kann. Er hört die Schwester bittend sagen: »Johnny, geh von Arch Banner fort! Deine Vergangenheit ist schlimm genug. Mach dir die Zukunft nicht noch schlimmer. Du bist verloren, wenn du bei Arch Banner bleibst. Johnny, du sagtest mir vor einigen Tagen, dass auch ich, die Missouri-Nachtigall, kein anderes Leben mehr beginnen könnte. Nun, ich habe es dir gezeigt. Gewiss, es ist ziemlich hart. Ich muss noch vor Sonnenaufgang auf den Beinen sein, um für fast zweihundert Gäste das Frühstück zu bereiten. Ja, ich habe fast zweihundert Gäste, die zum Frühstück und zum Abendbrot kommen. Mittags sind es nur wenige Dutzend. Und ich muss kochen, bedienen, einkaufen, abwaschen, das Lokal sauber halten – mit nur einem Gehilfen. Ich arbeite sechzehn Stunden am Tag. Und ich brauche Hilfe. Du könntest mir eine Menge abnehmen, Johnny. Diese Speisewirtschaft wäre bald schuldenfrei. Wir könnten Rücklagen machen, könnten uns bald vergrößern. Johnny, du hast hier die Chance, als mein Partner und Teilhaber…« »Es geht nicht«, sagt er und erhebt sich hastig. »Warum bist du dann zu mir gekommen?«, fragt sie herb. »Warum störst du dann meinen so notwendigen Schlaf? Und warum hast du dann nicht auf den waffenlosen Ben Adams geschossen?« »Ich will mit Arch Banner reden«, murmelt er. »Ich will mit ihm reden.
Vielleicht…« Er bricht ab. Man merkt ihm an, dass er eine ganze Menge Hoffnungen hat und dennoch nicht wagt, diese Hoffnungen in Worte zu kleiden, auszusprechen. Er sieht von der Tür auf die Schwester. »Ich war etwas durcheinander«, murmelt er. »Wenn ich mich im guten Einvernehmen von Arch Banner trennen kann…« Er geht hinaus. Josephine aber sitzt steif aufgerichtet am Tisch. Sie begreift jetzt, dass Johnny wahrscheinlich zu viel über Arch Banner weiß und deshalb gar nicht von diesem fortkommen kann. * Arch Banner und Johnny Ide treffen sich wie immer beim späten Frühstück in einem Seitenzimmer des Hotel-Restaurants, von dem aus sie durch ein Fenster die Straße und durch die offene Schiebetür den ganzen Speiseraum übersehen können. Johnny Ide hat nicht viel Appetit. Doch er trinkt eine Menge von dem starken Kaffee, und er verlangt dann einen doppelten Whisky von der Bedienung. »Johnny«, sagt Arch Banner, »wenn ein Bursche wie du am frühen Morgen mit Whisky anfängt, dann ist er bald erledigt. Wann endlich wirst du auf Ben Adams losgehen? Oder musst du dir erst noch einige Tage lang Mut antrinken?« Johnny Ide gibt noch keine Antwort. Er wartet erst, bis er den Whisky bekommt, und gießt ihn mit einem Ruck hinunter. Sein Gesicht wird nun etwas dunkler, und dann berichtet er. »Er hat mich geschlagen«, schließt er. »Und ich möchte meinen Job bei Ihnen aufgeben, Arch Banner. Ich habe gestern herausgefunden, dass ich Ben Adams nur aus dem Hinterhalt erschießen könnte, und das bringe ich nicht fertig. Ich habe noch nie einen Gegner aus dem Hinterhalt angegriffen. Ich – ich möchte aufhören. Ich habe keine Nerven mehr. Ben Adams schlug mich ganz und gar. Ich will meiner Schwester in dem Speiselokal helfen. Arch, lassen Sie mich aufhören. Trennen wir uns in gutem Einvernehmen.« »Nein«, sagt dieser langsam. »Du bist vollkommen verrückt, Johnny. Ich erkenne jetzt, dass du verrückt bist. Dir muss ja der Schock mächtig in der Hose sitzen. Und es ist eine kindliche Idee von dir, einfach aufhören zu wollen wie ein Knabe, der von einem Spiel genug hat und heim zur Mammi möchte.« Er schweigt eine Weile, blickt auf seinen Teller und isst weiter. Doch sein Verstand arbeitet sicherlich scharf und schnell. »Du kamst damals als ein ziemlich heruntergekommener Bursche in diese Stadt und batest mich um einen Pokertisch. Ich gab ihn dir, und wenige Tage
später bekamst du mit einigen wilden Burschen Streit, die nicht verlieren konnten. Ich sah deine Revolvergeschicklichkeit und wusste, dass ich noch nie einen Burschen schneller den Revolver ziehen sah. Ich stellte dich ein, und ich erkannte bald deinen Ehrgeiz, deine Entschlossenheit, und ich fand auch heraus, dass du nicht dumm bist. Und so wurdest du für mich eine Art Sekretär, ein Vertrauter. Wir wurden fast zu brüderlichen Freunden, Johnny«, sagt er. »Und nun willst du mich einfach im Stich lassen? Das geht nicht! Selbst wenn ich es zuließe – die Clayburnes würden es nicht dulden. Du warst bei der Unterredung dabei, die ich mit Abe Clayburne hatte. Du weißt von unserem Plan. Wenn wir den Marshal erledigt haben, übernehmen wir für einige Stunden die Stadt. Und da kannst du nicht kurz vorher aussteigen. Es ist zu spät! Und ich kann dir nicht einmal mehr vertrauen. Ben Adams und deine Schwester haben dich wohl irgendwie verändern können. Aber hüte dich, Johnny! Es ist natürlich eine Enttäuschung für mich, dass du gegen Ben Adams versagt hast. Doch es werden sich andere Wege finden lassen. Jeder Mann findet irgendwann einmal seinen Meister, und bei dir war es Ben Adams. Aber deshalb brauche ich dich immer noch. In dieser Stadt ist viel Geld, Gold und Silber. Wenn wir es uns nehmen, brauche ich dich. Es ist eine dumme Idee von dir, deiner Schwester helfen zu wollen. Stell dir doch mal vor, wie du mit einer Schürze als Speiseträger aussehen würdest! Alle Jungs in der Stadt, die sich bisher vor dir fürchteten, würden dich auslachen, hahaha!« * Bill Stetson macht eine Runde durch die Stadt. Er wandert die Denver Street entlang bis zum Stadtausgang. Der Schmied Mike Meadow kommt aus der Einfahrt auf die Straße und nickt Bill Stetson zu. Bill bleibt stehen und dreht sich eine Zigarette. »Na, Mike, wie geht es?«, fragt er gedehnt. Der Schmied räuspert sich und sagt dann: »Ich bin zwanzig Jahre verheiratet, und wir konnten nie ein Kind bekommen. Ich suchte mir eine ganze Menge anderer Ablenkungen, und so wurde ich Hauptmann der Feuerwehr, der Bürgerwehr – und auch im Stadtrat. Doch nun wird meine Frau ein Baby bekommen. Nun ist alles anders. Bill, ich wollte dir und Ben Adams sagen, dass ich nichts mehr riskiere. Ihr könnt nicht mehr auf mich rechnen, sollte etwas riskiert werden müssen.« Er will sich wieder abwenden, doch Bill Stetson sagt: »Ich weiß nicht, ob ich jemals eine Frau bekommen werde und ob ich Kinder haben kann. Ich glaube, es wäre ein wirkliches Glück. Für jeden Mann ist es wohl ein Glück, eine Familie zu haben. Doch wenn meine Familie in solch einem Lande leben müsste wie diesem hier, nun, da würde ich mich anstrengen, dass es
besser sein würde, wenn meine Kinder größer sind. Man kann sich wohl nicht nur darauf beschränken, zur Geburt eines Sohnes einen Baum zu pflanzen.« Ehe der Schmied antworten kann, sehen er und Bill Stetson einen Reiter kommen. Sie kennen diesen Reiter. Es ist der Begleitmann der Postkutsche, die vor zwei Stunden mit einer Gold- und Silberladung nach Kansas aus der Stadt gerollt war. Der Reiter hat nun die beiden Männer an der Schmiedeausfahrt erreicht und hält an. »Was ist, Charley?«, fragt Bill Stetson. Der Mann spuckt vom Pferd in den Staub. Es ist ein sattelloses Gespannpferd von der Kutsche. »Im Three Hole Canyon«, sagt Charley, »da hielten einige maskierte Banditen die Kutsche an. Sie schossen Tim vom Bock. Das linke Vorderrad prallte gegen einen Felsen. Ich flog im hohen Bogen herunter. Und als ich wieder erwachte, war schon alles vorbei. Sie haben die Silberladung und auch das Gold mitgenommen.« Er nimmt seinen Hut ab und zeigt sein blutverkrustetes Haar. »Jetzt geht es los«, sagt er. »Der Marshal und der Richter haben der Wilden Horde den Krieg erklärt. Und nun geht es los. Mike, du musst einen Wagen schicken, der ein Rad und eine Vorderachse bringt.« * Ben Adams hört es am späten Nachmittag, als er erwacht und Bill Stetson ihm eine Mahlzeit bringt, die man als spätes Mittagessen oder frühes Abendbrot ansehen kann. »Es wird sicherlich noch schlimmer werden«, murmelt Ben Adams kauend. »Damit war zu rechnen. Die Banditen riechen schon das Gesetz. Sie wissen genau, dass es kommen wird. Und so nehmen sie noch mit, was sie bekommen können. Sie werden es auch hier in der Stadt versuchen.« Bill Stetson betrachtet ihn auf eine traurig-bittere Art. »Ich kannte mal einen Mann«, sagt er, »der glaubte, dass seine Nerven so dick wie Eisendrähte wären. Und da ging er auf ein Seil tanzen, welches über einen Abgrund gespannt war. Die Nerven des Mannes waren wirklich gut. Sie hielten immer noch aus. Er fühlte sich ganz wohl und prächtig auf dem Seil über dem Abgrund. Doch dann riss das Seil einfach. Und die besten Nerven nützten dem Burschen nichts mehr. Er war zum Schluss nicht viel mehr als ein feuchter Fleck, denn der Abgrund war sehr tief. Hast du mich verstanden, Mister?« »Ich muss dennoch auf dem Seil tanzen und kann nur hoffen, dass es nicht reißt«, erwidert Ben Adams.
* � Als Adams nach Mitternacht an Jo Ides Speisewirtschaft hält, ist dort der Betrieb vorbei. Jo Ide tritt aus der Tür und an den Rand des Gehsteigs. Adams ist sicher, dass sie auf ihn wartete, dass sie auf den Hufschlag seines Pferdes lauschte. »Guten Abend, Jo«, sagt er. »Wie geht das Geschäft?« »Guten Abend, Ben«, erwidert sie. »Das Geschäft geht gut.« Aber nach diesem zurückhaltenden und hölzern wirkenden Wortwechsel sagt sie schnell und lebendig: »Ben, ich danke Ihnen! Johnny war bei mir und sprach sich aus. Ich verdanke Ihnen das Leben meines wilden Bruders, Ben. Ich bin Ihnen so dankbar!« »Das sollten Sie nicht«, sagt er. »Ich will nicht, dass Sie sich mir gegenüber verpflichtet fühlen. Ich mag es nicht! Jo, Sie gefallen mir so sehr, dass…« Er bricht ab und treibt sein Pferd an. »Warum reden Sie nicht weiter, Ben?«, fragt sie hinter ihm her. »Es ist noch nicht die Zeit gekommen«, erwidert er über die Schulter. Dann ist er außer Hörweite, und er hebt sich groß und breit gegen den helleren Nachthimmel ab. Sie begreift, in welch einer Gefahr er sich ständig befindet und dass dies ihn davon abhält, sich auszusprechen. Er reitet seine letzte Runde, im Osten werden schon die Sterne blasser. Als Ben Adams die Northern Street überquert, liegt links vor ihm der Sioux Trail Saloon, der größte Saloon der Stadt. Die Laterne über dem Haupteingang brennt noch, und es sind auch noch einige Sattelpferde an der Haltestange. Ben Adams zögert unmerklich. Dann lenkt er seinen Colonel ebenfalls an die Haltestange, sitzt ab und geht hinein. Im großen Gastraum, wo sich auch die Bühne und die Tanzfläche und links davon die lange Theke befinden, da brennen nur zwei kleine Lampen, und ein alter Mann ist dabei, die Stühle auf die Tische zu packen und Sägespäne zu streuen. Aber aus dem Durchgang zum Spielraum fällt helleres Licht. Ben Adams tritt in den Spielraum ein. Und er sieht eine Pokerrunde am großen runden Tisch und einige Zuschauer, die dem Spiel wie gebannt zusehen. Da er sehr leise kam, wird er nicht sofort bemerkt. Und er hat unbemerkt einige Sekunden Zeit, sich die Männer anzusehen. Da ist Arch Banner selbst, und er hat offensichtlich viel Geld verloren, sehr viel! Denn vor seinem Platz liegt nichts mehr. In der Tischmitte jedoch liegt ein wahrer Berg von Geld. Es sind Goldstücke,
Silberstücke, Scheine und auch einige kleine Ledersäckchen, wie die Bank sie ausgibt und in denen sich Goldstaub im Werte von tausend Dollar befindet. Außer Arch Banner und drei anderen Männern, die Ben Adams als zwei Minenbesitzer und einen ziemlich großen Rinderzüchter erkennt, sitzt noch Big Joe Skinner am Tisch. Und Big Joe Skinner, dessen roter Spitzbart fast waagerecht vom angriffslustig vorgeschobenen Kinn absteht, hat ganz offensichtlich wieder einmal großes und besonderes Glück. Er hat fast das ganze Geld auf dem Tisch vor sich liegen. Es ist ein Berg, der noch größer ist als der »Pott« in der Tischmitte. Und er grinst nun breit und sagt: »Ich hatte euch alle gewarnt, Gentlemen, nicht wahr? Ich habe euch gewarnt, dass mein Glück einfach nicht zu schlagen ist. Na gut, ich will die Sache nicht noch höher treiben. Ich will sehen! Hat jemand mehr als vier Asse?« Er fragt es freundlich und deckt seine Karten auf. Die vier anderen Männer betrachten das Blatt bitter. Sie machen sich gar nicht die Mühe, aufzudecken. Sie lehnen sich wie erschöpft zurück. Und Big Joe Skinner zieht mit den beiden Händen und Unterarmen das Geld von der Tischmitte zu sich herüber. »Ich bin ein Glücksjunge«, sagt er. »Seit ich mir den roten Spitzbart stehen ließ, habe ich Glück. Vielleicht solltet ihr auch alle einen Spitzbart tragen. Oder vor dem Frühstück hundert Yards auf einem Bein hüpfen. Man muss irgendetwas tun, um das Glück für sich zu gewinnen. Ich kannte einmal einen Mann, der kratzte sich jeden Morgen im Bett mit der großen Zehe hinter dem Ohr. Wollen wir noch weiter das Glück probieren?« »Nein«, sagt Ben Adams hart und tritt langsam vor. »Der Saloon mit all seinen Nebenräumen müsste längst geschlossen sein. Wenn Sie das Spiel fortsetzen möchten, dann suchen Sie eine Privatwohnung auf. Aber laut Stadtgesetz haben alle Vergnügungsbetriebe zwei Stunden nach Mitternacht zu schließen. Also Schluss jetzt mit dem Spiel!« Die Männer starren ihn an, und die Zuschauer, die um den Tisch standen, weichen auseinander. Es sind Spieler aus diesem Saloon, einige Hauspolizisten und Barmänner und auch noch einige späte Gäste. Auch Johnny Ide ist dabei. Doch es ist bemerkenswert für Ben Adams, dass Johnny Ide, der hinter Arch Banners Stuhl stand, nun langsam zur Seite tritt, so als wollte er nicht in einen Verdruss geraten. Big Joe Skinner blickt sich nach dem Marshal um und lacht auf eine teils belustigte und teils herausfordernde Art. »Heiliger Rauch«, sagt er, »wenn dieser Marshal mich reizen will, so kaufe ich mir die ganze Stadt und erkläre sie zu meiner Privatwohnung. Marshal, ich bin
dabei, Arch Banner das Fell abzuziehen. Stören Sie uns nur nicht! Schließlich muss ich ihm doch die Chance geben, seine Verluste zurückzugewinnen. Adams, drücken Sie mal ein Auge zu.« »Nein«, sagt dieser und blickt Arch Banner an. »Vorwärts, Mr Banner!«, sagt er. »Auf was warten Sie noch? Schließen Sie endlich!« »Sie können zum Teufel gehen!«, erwidert Arch Banner. »Dies hier ist kein drittklassiger Saloon wie der Red Bull. Wenn Sie es auf eine Kraftprobe ankommen lassen wollen, so können Sie hier…« »Aber nicht doch! Nicht doch, Gentlemen!« Big Joe Skinner ruft es und schlägt mit seiner mächtigen, brettharten Hand auf den Tisch. »Wir wollen keinen Streit«, sagt er. »Mr Banner, wie viel wollen Sie für diesen Saloon? Ich will ihn kaufen und eine Privatwohnung daraus machen, in der ich Freunde kostenlos bewirte. Wie viel, Mr Banner?« Er meint es ernst. Und er ist für solche verrückten Ideen bekannt. Arch Banner denkt mit gesenktem Kopf eine Weile nach. »Dieser Saloon ist eine Goldmine«, sagt er. »Es ist der beste, größte und am nobelsten eingerichtete Saloon in der ganzen Stadt. Er hat auch die schönsten Mädchen unter Vertrag. Mr Skinner, wenn Sie ihn kaufen wollen, dann kostet er fünfzigtausend Dollar in bar.« Big Joe Skinner nickt sofort. »Ich kaufe ihn«, sagt er, und seine Stimme klingt so gleichgültig, als hätte er soeben ein Pferd gekauft. »Arch Banner, geben Sie es mir schriftlich. Und ich zähle inzwischen das Geld hier. Ich glaube, es langt für den Kauf. Und wenn wir dann weiterspielen, müssen Sie mir Kredit geben, Arch. Oder Sie können von mir Schecks bekommen, die auf die Kansas-Bank oder die in Frisco ausgestellt sind. Ich bin reich! Ich habe überall ein Vermögen!« Er sagt die letzten Worte mit einer großspurigen Zufriedenheit. Dann blickt er über die Schulter. Mit breitem Grinsen sagt er: »Marshal, es ist jetzt kein Saloon mehr, sondern meine Privatwohnung. Und ich mache mit meinen Freunden ein privates Spielchen. Ist noch etwas zusagen, Marshal?« Alle Männer grinsen nun mehr oder weniger deutlich. Sie betrachten den Marshal mit unverkennbarer Schadenfreude. Ben Adams betrachtet Joe Skinner wortlos. Und wortlos geht er hinaus. Als Ben Adams sein Pferd besteigt und seine Runde fortsetzt, tritt ihm aus der nächsten Gasse Bill Stetson entgegen. Bill Stetson sagt ruhig: »Ich habe es durch das Seitenfenster gehört. Big Joe Skinner hat wieder einmal einen seiner Witze gemacht. Aber es wird kein gutes Ende mit ihm nehmen und…« »Du folgst mir auf Schritt und Tritt?«, fragt Ben Adams. »Wenn du mir das verbieten solltest, dann tue ich das als Privatmann ohne Stern«, brummt Bill Stetson.
Ben Adams reitet wortlos weiter. Aber er spürt ein gutes Gefühl in sich. Er fragt sich einen Moment, ob er nicht lieber hier aufgeben und mit Bill wieder auf die Ranch gehen sollte, die der Vollendung harrt. Aber er verdrängt diese Versuchung. Ben Adams will durchhalten. * Es ist Mittag, als Ben Adams am Sioux Trail Saloon vorbeikommt. Dort hängt ein neues Schild über dem Eingang »Privatwohnung von Joe Skinner«. Und drei Männer sind dabei, die ganze Fassade mit hellblauer Farbe zu streichen. Von seinem Pokertisch aus muss Big Joe Skinner all diese Anordnungen getroffen haben. Ben Adams bleibt stehen und betrachtet die Anstreicher, und er fragt sich, ob drinnen Arch Banner immer noch verliert oder ob sich das Blatt inzwischen gewendet hat. Und da geht plötzlich die linke Hälfte der Schwingtür auf. Arch Banner kommt zum Vorschein, gefolgt von Johnny Ide. Beide machen sie einen übernächtigten Eindruck, doch Arch Banner wirkt krank und wie betrunken. Er blinzelt gegen das Tageslicht an, erkennt Ben Adams und wischt sich mit einer irgendwie ratlos wirkenden Handbewegung über das Gesicht. Dann sagt er rau: »Oh, Sie Schnüffler. Warum sind Sie schon wieder hier? Sie waren der Anlass, dass Big Joe Skinner auf die Idee kam, meinen Saloon zu kaufen. Und da ich beim Poker eine Pechsträhne erwischt hatte, verkaufte ich ihm den Saloon auch wirklich. Ich hätte aufhören sollen, dann…« »Sie klagen wie ein altes Weib bei der Beerdigung ihres Hundes, der von ihrem Teller essen durfte«, unterbricht ihn Ben Adams. Und er richtet seinen Blick auf Johnny Ide. Es ist ein merkwürdiger Blick. Er sagt so sehr viel, und Johnny Ide versteht es ganz genau. Und deshalb denkt er jetzt: Ja, Arch Banner ist wirklich nur ein kleiner, gieriger Bursche, den ich für einen Mann von Format hielt. Dieser Marshal dort gibt es mir zu verstehen. Ich kann es in seinen Augen erkennen. Aber ich komme trotzdem nicht von Arch Banner fort. Arch Banner ist ja nur ein Strohmann seiner Sippe. Und diese Sippe lässt nicht mit sich spaßen. Sie wird Arch Banner ziemlich stark an den Ohren ziehen. Oha, davor fürchtet er sich jetzt wohl besonders. Johnny Ide wendet sich nach diesen Gedanken ab und geht davon. Arch Banner holt mehrmals tief Luft. Er steht immer noch da und starrt Ben Adams an. Es sieht für einige Sekunden fast so aus, als wollte er sich auf Ben Adams stürzen.
Doch dann sagt er nur grollend: »Nun, ich glaube fast, dass wir am Ende doch noch füreinander bestimmt sind, Adams.« Und dann folgt er Johnny Ide. Nun kommt Big Joe Skinner heraus. Er sieht Ben Adams an, breitet die Arme aus und holt tief Luft. »Ein schöner Tag ist das«, sagt er dann mit seiner röhrenden Bassstimme. »Und auch die Nacht war prächtig. Ich habe Arch Banner bis auf das Hemd ausgezogen. Ich wollte ihm auch das Banner Hotel abkaufen, damit er wieder Bargeld hatte und weiterspielen konnte. Doch er hatte keinen Nerv mehr. Hahaha, er kniff zuletzt! Es war eine feine Nacht und ein schöner Tag bis jetzt. Ich gehe essen. Diese Jo Ide ist eine prächtige Köchin. Ich glaube, ich werde ihren Bruder von Arch Banner wegholen. Ich wollte mir schon immer einen besonderen Leibwächter zulegen.« Er lacht wieder, und als er nun davongeht, folgt ihm ein Schwarm Männer, die immer an ihm hängen, ihn bewundern und von ihm leben wie die Schmarotzer. Ben Adams geht nachdenklich in der entgegengesetzten Richtung weiter. * In dieser Nacht kommen die Clayburnes in die Stadt. Abe Clayburne hat mit seinem Neffen Arch Banner zu reden. Und er bringt die Zwillinge Lefty und Brack und auch Blinky mit. Sie lassen ihre Pferde vor dem Ort stehen und begeben sich zu Fuß hinter das Banner Hotel. Da Arch Banner sein Büro im Hinterzimmer des Sioux Trail Saloons nicht länger benutzen kann, hat er im Verlauf des Tages sein Büro hier im Hinterzimmer des Hotels eingerichtet. Er hat seine Verwandtschaft mit sehr gemischten Gefühlen erwartet. Als Johnny Ide die vier Clayburnes nun durch die Hintertür einlässt, sitzt Arch Banner massig hinter seinem Tisch, und er wirkt äußerlich sehr beherrscht und selbstbewusst. Aber der alte Abe Clayburne, der gegen ihn ein kleines Männchen ist, tritt zu ihm an den Tisch, beugt sich vor und schlägt ihm die Hand rechts und links um die Ohren. Und als Arch Banner aufbrüllen und hochspringen will, um den grauköpfigen Raubfalken mit einem einzigen Hieb niederzuschlagen, da sind Lefty und Brack Clayburne schon rechts und links um den Schreibtisch herum zu seinen Seiten und drücken ihn auf seinen Sitz zurück. »Nur ruhig, Vetter!«, sagt Brack Clayburne. »Der Onkel ist der Boss, und wir alle sind eine Familie. Wenn jemand so viel Unsinn macht wie du, dann verdient
er was hinter die Ohren.« Und weil Brack und Lefty zwei Burschen sind, mit denen es Arch Banner nicht zugleich aufnehmen kann, beherrscht er sich. Er sitzt mit gesenktem Kopf schnaufend da. Und wenn er ehrlich ist, muss er Onkel Abe Recht geben. Denn er hat das Sippen- oder Familienvermögen schlecht verwaltet. Er hat sich von Big Joe Skinner, den man auch Silberdollar-Joe nennt, in ein Spiel locken lassen und konnte dann nicht mehr aufhören. »Was macht es schon aus?«, fragt er grimmig. »Es macht viel aus – so viel, wie der Saloon eingebracht haben würde, wenn du ihn an einen Mann verkauft hättest, der sein Geld nicht hier, sondern in Frisco liegen hat und dir einen Barscheck gegeben hätte! Was hier in dieser Stadt ist an Geld, das wird uns bald gehören. An Leute zu verkaufen, die hier wohnen und das Geld von der hiesigen Bankfiliale abheben, ist Unsinn. Wir haben fünfzigtausend Dollar verloren, und sie werden von deinem Anteil abgezogen. Pass auf, Arch! Wir sind hergekommen, um dich zu warnen! Du und dein Revolverschwinger, ihr taugt plötzlich nicht mehr besonders viel. Ben Adams läuft immer noch gesund und munter herum. Na, das wird sich bald ändern. Jetzt nehme ich die Sache in die Hand! Wir müssen hier zum Schluss kommen! Hast du irgendwelche Verkaufsverhandlungen bezüglich der anderen Saloons und Läden mit irgendwelchen Interessenten aufgenommen, Arch?« Arch Banner nickt. »Ja, ich verhandle mit dem Manager der Aurora-Mine. Seine Auftraggeber sind Spekulanten, die auch an Saloons und Geschäften interessiert sind. Ich habe ihm eine Aufstellung gegeben und zur Bedingung gemacht, dass alles geheim bleibt, und für alles, was zum Verkauf steht, hundertfünfundsiebzigtausend Dollar verlangt. Sie werden zumindest hundertfünfzigtausend zahlen, und zwar mit einem Scheck auf die Bank in Frisco. Ich kann den Scheck sicherlich morgen bekommen und damit nach Frisco fahren. Ich kann dort das Geld abheben und auf euch warten.« »Oh, so nicht«, sagt Abe Clayburne. »Eure Tante Nell, die meine Frau ist, wird das machen. Dich, Arch, brauchen wir bei unserem großen Coup.« Er blickt auf Johnny. »Warum hast du dir noch nicht den Marshal vorgenommen, Johnny Ide?« »Er schlug mich«, erwidert Johnny. »Ich bin ihm nicht gewachsen. Und ich möchte auch nicht länger mitmachen. Lasst mich aussteigen!« Abe Clayburne blickt auf Arch Banner. »Nicht einmal einen richtigen Revolverschwinger konntest du dir besorgen«, sagt er. Er geht zu Johnny hinüber und starrt zu ihm empor. »Pass auf, Junge«, sagt er. »Es ging dir bei uns eine lange Zeit sehr gut. Du hattest ein nobles Leben und bekamst alles, was du nur wolltest. Und jetzt
kannst du nicht aussteigen. Wenn du es versuchen solltest, wäre das dumm von dir. Wir würden dir nicht nur die Haut abziehen, sondern auch deine liebe Schwester unsere Enttäuschung über dich spüren lassen. Denn – vergiss es nicht – wenn wir erst loslegen, dann wird uns für einige Stunden diese Stadt gehören. Vergiss es nur nicht, Junge!« Er wendet sich nun an alle. »Wir nehmen uns heute Ben Adams und diesen Bill Stetson vor.« »Nein, erst morgen, wenn ich an die Besitzer der Aurora-Mine verkauft und den Scheck in der Tasche habe«, widerspricht Arch Banner. »Wenn die Stadt nicht mehr sicher ist, könnte das den Preis drücken. Erst morgen oder übermorgen!« Abe Clayburne überlegt. Seine kieselharten Augen funkeln. Er ist der geborene Pirat, und er ist ganz gewiss um vierhundert Jahre zu spät auf dieser Welt. Schließlich nickt er. »Gut, morgen in der Nacht, kurz vor Anbruch des Tages, da machen wir die Sache gleich richtig. Für das Gold, Silber und das Geld nehmen wir die Postkutsche – die richtige Postkutsche. Und wir müssen dafür sorgen, dass es nirgendwo in der Stadt Pferde gibt, mit denen man uns folgen könnte.« * Die Nacht und den kommenden Tag regnet es. Diesen Regen bekommt auch Jo Ide zu spüren, und zwar geschäftlich. Denn es regnet nicht nur durch das Dach des Hauses, es bleiben auch sehr viele Gäste aus. Am späten Nachmittag kommt Johnny Ide zu seiner Schwester. Er setzt sich an den Küchentisch und trinkt eine Tasse Kaffee. Josephine behandelt ihn auf eine ruhige und freundliche Art. Doch sie stellt keine Fragen und versucht auch nicht, irgendwie auf ihn einzuwirken. Nachdem er den Kaffee getrunken und eine Zigarette geraucht hat, erhebt er sich und blickt auf seine Schwester nieder. »Schwester, ich kann meinen Mantel nicht nach dem Winde drehen«, sagt er plötzlich. »Ich wählte damals, als ich in diese Stadt kam, meine Seite. Und auf dieser Seite muss ich bleiben: Ich kann nicht mehr abspringen. Verstehst du das?« Sie erkennt in seinen Augen eine tiefe Unruhe, und sie begreift, dass er all seine Fehler gewiss schon längst erkannte und gern noch einmal von vorn beginnen würde. Doch es gibt für ihn keine Chance für einen neuen Anfang.
Sie nickt. »Kann ich dir irgendwie helfen, Bruder?« Sie fragt es sehr ruhig. Er schüttelt den Kopf. »Von Ben Adams weiß ich, dass du ihm viel bedeutest«, murmelt er. »Und wenn er dir viel bedeuten sollte, dann halte ihn nach Mitternacht von der Straße fern. Er wird ein toter Mann sein, wenn er sich nach Mitternacht irgendwo blicken lässt. Mehr kann ich dir nicht sagen. Und wenn es herauskommen sollte, dass ich darüber sprach, dann bin ich ein toter Mann.« Nach diesen Worten nickt er ihr langsam zu. Dann geht er schnell aus der Küche. * »Das ist ein Regen«, sagt Bill gähnend. »Es wird regnen, bis wir alle wieder Fische werden. Und auf allen Wegen wird man stecken bleiben. In dieser Stadt hier ist bei Regen nie viel los. Doch in der vergangenen Nacht hat sich etwas ereignet, Häuptling. Die Clayburnes waren in der Stadt. Abe, Lefty, Brack und sogar der liebe Blinky, den wir fast gehängt hätten. Sie waren alle bei Mr Archibald Banner. Was mögen sie nur zusammen ausgebrütet haben? Ich gehe jede Wette ein, dass es ein ziemlich stinkendes Ei sein wird. Wie gefällt dir diese Zusammenkunft, Mr Adams, Marshal von Warbluff?« »Von wem weißt du es?«, fragt Ben Adams. »Ich hab ein Herz für Säufer«, brummt Bill Stetson vom Bett her. »Windy weiß das. Und er sagte mir, dass er mir gern eine wichtige Tatsache für eine Flasche Whisky verkaufen würde. Ich kaufte sie. Er erzählte mir, dass er im Flaschenschuppen hinter dem Restaurant des Hotels gehockt und dort die Reste aus den Flaschen getrunken hätte, als die Clayburnes im Gänsemarsch dahergeschritten kamen und in Arch Banners Hinterzimmer verschwanden. Das war doch eine Flasche Whisky wert, meine ich.« * Bis zum Abend geschieht nichts. Nur der Regen hat den Boden aufgeweicht, und die Fahrbahn wurde zu einem Morast, in dessen Zähigkeit ein Stiefel stecken bleiben kann. Gegen Nachmittag kamen einige schwer beladene Frachtwagen, und der letzte Wagen blieb, als er von der Denver Street in die Northern Street einbiegen wollte, stecken und musste mit einem doppelten Gespann – also von sechzehn Maultieren – herausgezogen werden. Die Stadt ist heute Abend verhältnismäßig leer und ruhig. Denn dieser stetig niederrauschende Regen durchnässt einen Menschen
schnell bis auf die Haut. Ben Adams geht spät zum Abendbrot. Als er gegessen hat und sich eine Zigarette dreht, ist er der letzte Gast. Jo Ide bringt ihm den Kaffee und setzt sich zu ihm an den Tisch. Sie betrachtet ihn seltsam und sagt dann: »Nun, Ben, heute werden Sie sicherlich nicht wie immer Ihre Runden durch die ganze Stadt machen. Heute hätten Sie doch wohl Zeit, mein Gast zu sein? Ich bin etwa eine Stunde vor Mitternacht fertig. Dann habe ich mit meinem Gehilfen alle Dinge blitzblank sauber und für den anderen Morgen bereit. Wir könnten uns mal ein oder zwei nette Stunden machen. Ben, ich möchte Sie gerne besser kennen lernen. Und ich möchte eine richtige kleine Feier veranstalten. Wissen Sie, ich habe Geburtstag. Und ich bin froh, dass ich mich hier entschließen konnte, dieses Speisehaus zu eröffnen. Ich weiß jetzt, dass ich damit Erfolg haben werde. Eines Tages werde ich ein Hotel und ein Restaurant dazu haben. Ich glaube, es liegt mir, Gäste zu bewirten. Ich kann mit Menschen umgehen. Und da ich mein ganzes Leben lang umhergezogen bin – schon als Kind mit meinen Eltern – weiß ich genau, was Gäste sich von einem guten Hotel erhoffen. Ich…« Sie sprudelte die Worte nur so heraus. Doch jetzt hält sie inne. Denn er betrachtet sie sehr ernst. Sie kann nun nicht länger mehr Worte hervorsprudeln, um ihre Unsicherheit und Verlegenheit zu verdrängen. Sie muss ihn jetzt ebenfalls schweigend ansehen. Denn er sagt ruhig: »Jo, ich wäre gerne mit Ihnen zusammen. Seit ich Sie kenne, wünsche ich mir, dass wir uns näher kommen. Und ich wünsche Ihnen von Herzen zu Ihrem Geburtstag, Jo, dass Sie immer glücklich sein mögen auf dieser Welt.« Er beugt sich über den Tisch und ergreift ihre Hände. »Aber vielleicht hat es noch einen anderen Grund, dass Sie mich nach Mitternacht nicht mehr auf der Straße draußen wissen wollen, Jo? Ich begreife, dass Sie mich mit allen Mitteln, die Ihnen zur Verfügung stehen, vor einer Gefahr bewahren wollen. Die Clayburnes waren gestern in der Stadt und in Arch Banners Hinterzimmer. Ich habe immer gewusst, dass die Clayburnes und Arch Banner eng verbunden sind. Gewiss wurde ein bestimmter Plan gemacht. Und heute Nachmittag war Johnny bei Ihnen, Josephine, nicht wahr? Sie wissen etwas. Und Sie wollen…« »Ich kann Ihnen nichts sagen, Ben«, unterbricht sie ihn. »Ich weiß auch nicht viel. Ich weiß nur, dass es heute nach Mitternacht sehr gefährlich wird für Sie. Und mein Bruder Johnny kann nicht mehr von diesen Burschen loskommen. Er gehört zu ihnen und ist verloren, sollte er etwas tun, was sie als ein Versagen oder gar Verrat ansehen müssten. Ben, ich habe Angst um Johnny. Doch ich habe
auch Angst um dich, Ben Adams! Johnny sagte mir, er wüsste von dir, dass ich dir viel bedeute. Nun gut, wenn es so ist, dann…« »Sprich nicht weiter«, unterbricht er sie. »Ich bin hier der Marshal. Ich kann nicht fortlaufen und aufgeben. Diese Stadt lebt schon seit Tagen in Furcht. Und die Mitglieder der Jury mussten mit dem Richter flüchten oder sich verstecken. Wenn ich hier ebenfalls verschwinde, ist diese Stadt völlig schutzlos der Wilden Horde ausgeliefert.« Er erhebt sich und blickt auf sie nieder. »O Jo«, sagt er, »ich würde gern einige andere Dinge tun. Und vielleicht würdest du auch gerne auf einer Pferde-Ranch leben und kein Hotel mit Restaurant führen. Ich würde dich gerne mal in ein wunderschönes Tal mitnehmen. Wir hatten dort damit begonnen, eine Ranch zu bauen. Es ist der schönste Platz auf dieser Erde. Mein junger Bruder ritt damals in die Stadt, um für uns Proviant zu holen. Er geriet in das Revolverfeuer zweier Revolverhelden, die gerade ein Duell austrugen. Und deshalb will ich erst in diesem Lande für Sicherheit und Ordnung sorgen, bevor ich die Ranch weiter aufbaue. Das musst du doch verstehen, Jo, nicht wahr?« Er spricht die letzten Worte, die ja eine Frage sind, ein wenig hilflos. Und dann geht er plötzlich hinaus, ohne sich umzusehen. Vor der Tür erst wirft er sich die Regenhaut um, und dann tritt er in den prasselnden Regen hinaus. Er begibt sich zum Mietstall, sattelt dort sein Pferd und reitet bald darauf die erste Runde. Aber dann stellt er das Tier unter den Vorbau der Postagentur. Hier steht das Tier einigermaßen geschützt. Und die nächste Postkutsche, die hier ihre Fahrgäste und die Post übernimmt, fährt erst nach Sonnenaufgang los. Ben Adams verschwindet irgendwo in einer der Gassen. Und sein Pferd vor der Poststation wird vielleicht einigen wilden Burschen, die auf seinen Skalp aus sind, einige Rätsel aufgeben. * Die Clayburnes kommen gegen Mitternacht bis an die Stadtgrenze, und sie haben von ihren Vettern und Freunden die härtesten Nummern mitgebracht. Abe Clayburne, der alte Raubfalke, teilt sie vor der Stadt ein und sorgt damit dafür, dass alle Zugänge der Stadt von nun ab kontrolliert werden. Es bleiben dann außer seinen drei Neffen noch ein halbes Dutzend der gefährlichsten Banditen übrig. »Wir sickern nun in die Stadt ein«, sagt er, »und besetzen alle Punkte, die ich euch genau beschrieb. Irgendwo muss dieser Marshal ja vorbeikommen. Dann
erwischen wir ihn. Und achtet auch auf diesen Bill Stetson. Der ist ebenfalls gefährlich. Es geht nicht nur um Ben Adams. Bill Stetson dürfen wir nicht vergessen. Also los!« Sie brauchen fast eine Stunde, bis sie alle die ihnen befohlenen Positionen eingenommen haben. Und dann beginnt die Warterei. Blinky Clayburne, der von einem Burschen aus Arizona begleitet wird, der sich hier in Colorado Sol Slater nennt, hat bald Ben Adams‹ Pferd vor der Posthalterei entdeckt. Er zieht Slater sofort mit in die Gassenmündung gegenüber. »Ob er drinnen im Post Office ist?«, fragt Blinky Clayburne, und in seiner Stimme ist ein gieriger Klang. Er hatte sich fest vorgenommen – und Abe Clayburne hatte es ihm auch eingeschärft –, seinen Hass und die wilde Wut auf den Marshal zu beherrschen. Doch jetzt fällt ihm wieder ein, wie es war, als Ben Adams ihn einfing. Seine heiße Wut ist nun stärker als alles andere. Er spürt nur einen einzigen Wunsch in sich: Rache nehmen! Und so sagt er zu Sol Slater: »Geh zur befohlenen Position, Sol. Geh allein, damit der Platz besetzt ist. Ich kann hier nicht fort. Ich muss erst herausfinden, ob der Höllensohn dort drinnen ist. Und wenn das so ist, werde ich ihn erwischen, wenn er aus der Tür kommt und sich in den Sattel schwingt.« »Ich weiß nicht…«, brummt Sol Slater. »Wir bekamen von Abe klare Befehle. Und du willst jetzt schon etwas völlig anderes tun. Wenn wir unsere Positionen eingenommen haben, muss der Marshal irgendwann und irgendwo vor unsere Revolver kommen. Du solltest…« »Ich warte hier«, unterbricht ihn Blinky. »Ich warte hier etwa zehn Minuten. Wenn er dann nicht rauskommen sollte, ist er nicht drinnen und hat das Pferd dort nur abgestellt. Dann folge ich dir, Sol.« Dieser brummt unzufrieden und verlässt die Gasse wieder. Blinky aber flucht böse, und er flüstert heiß vor sich hin: »Nun, Mr Ben Adams! Wenn du dort drüben herauskommen und das Pferd besteigen solltest, dann bist du erledigt! Dann zahle ich es dir mit Zinsen zurück, was du mir alles antatest.« Seine heiser und scharf flüsternde Stimme klingt nicht weit, kaum mehr als einen einzigen Yard weit. Denn der prasselnde Regen übertönt alle anderen Geräusche. Doch Blinky Clayburne erschrickt furchtbar, als ihm nun von hinten ein harter Gegenstand in den Rücken gestoßen wird. Er begreift sofort, dass es nur eine Revolvermündung sein kann. Und er steht starr und steif, als Ben Adams‹ Stimme über seiner Schulter in
sein Ohr sagt: »Siehst du, Blinky-Junge, du musst noch eine Menge lernen. Ich dachte mir gleich, dass sich jemand von euch beim Anblick meines Pferdes in die gegenüberliegende Gasse stellen würde, um herauszufinden, ob ich dort im Post Office bin. Und nun habe ich dich wieder, mein Goldstück, nicht wahr?« Blinky Clayburne zittert am ganzen Körper, doch nicht vor Furcht oder vor Kälte. Es ist ihm klar, dass der Marshal ihn mit einem Trick reinlegte, und sein verletzter Stolz setzt ihm schlimm zu, sodass er ein Würgen in der Kehle spürt. Er tritt kräftig nach hinten aus, trifft ein Schienbein des Marshals, duckt sich zur Seite und läuft aus der Gasse hinaus auf die Fahrbahn der Denver Street. Und er hat jetzt seinen Revolver in der Hand, ist fünf oder sechs Sprünge weit und wirbelt herum und beginnt in die Gasse zu schießen. Er ist von jeder Vernunft verlassen. Es gelingt ihm, noch zwei Schüsse abzufeuern. Dann schießt der Marshal. Und da sinkt Blinky, der wilde Junge, der schon zum Tode verurteilt worden war und für eine kurze Zeit von seiner wilden Sippe befreit werden konnte, in den Morast der Fahrbahn. Er rührt sich nicht mehr. Eine Weile bleibt die Stadt still. Nur der Regen rauscht monoton. Doch es schleichen Männer durch die Gassen, lauern in allen Winkeln und suchen nach dem Marshal. Aus dem Banner Hotel kommen nach einer Weile drei Männer. Es sind Abe Clayburne, Arch Banner und Johnny Ide. Sie waten durch den Schlamm zu Blinky, untersuchen ihn und stehen dann einige Sekunden zögernd da. »Blinky, der wilde Junge«, sagt Abe Clayburne dann heiser und starrt zu dem Pferd hinüber. Er kann es nur noch undeutlich sehen, denn in der Posthalterei ist die Lampe verlöscht. »Das ist doch Ben Adams‹ Pferd, nicht wahr?« Abe Clayburnes Stimme klingt kalt und spröde. »Ein Tier, das nur er und sonst niemand reiten kann«, erwidert Arch Banner. Er hebt nun mit Johnny Ides Hilfe Blinky aus dem Schlamm und sagt grimmig: »Tragen wir ihn ins Hotel, Johnny.« Indes Arch Banner und Johnny Ide den Toten ins Hotel tragen, geht der Raubfalke Abe Clayburne zu Ben Adams‹ Pferd hinüber. Er geht vorsichtig um den großen Wallach herum, der den Kopf nach ihm wendet, seine Oberlippe hebt, die Zähne zeigt und die Ohren anlegt. Als Abe Clayburne den Revolver zieht, reißt sich der graue Wallach los und keilt wild aus. Doch es nützt ihm nichts. Abe Clayburne schießt ihn mit drei schnellen Schüssen von den Hufen, und es ist dies eine solch hässliche Tat, dass sie
eigentlich kaum noch zu überbieten ist. Ein unschuldiges Tier wird gemordet, allein deshalb, weil es dem Marshal gehört. * Ben Adams hört die drei schnellen Schüsse, die sein Pferd töten. Er kann sich die Bedeutung dieser Schüsse nicht erklären. Erst als er weiter westlich die Denver Street überquert, auf der Nordseite der Straße zurückgeht und schließlich in die Nähe der Posthalterei gelangt, da sieht er im Laternenschein seinen Wallach am Boden liegen. Voller Bitterkeit erinnert er sich an die drei Schüsse. Er muss hart schlucken und presst die Zähne zusammen. Wollten die Clayburnes Blinkys Tod rächen, oder wollen sie mir jede Möglichkeit zur Flucht nehmen?, denkt er. Die Bande wird gewiss auch den Mietstall besetzt haben. Wo nur Bill Stetson stecken mag? Er bekommt Antwort auf diese Frage, als nun aus der Richtung des Gefängnisses Schüsse durch den rauschenden Regen tönen. Bill Stetson muss dort irgendwie in der Klemme sein, und so macht sich Ben Adams auf den Weg. Er taucht in eine der Gassen ein, durchquert einige Höfe und erreicht die Rückseite des nicht sehr großen Silverstar Hotels. Die Hintertür ist offen. Er betritt den Gang und gelangt dann durch eine zweite Tür in die Hotelhalle. Hier hocken einige Männer beisammen und lauschen. Will Houston, der Hotelbesitzer, steht hinter dem Anmeldepult. Er bekommt große Augen, als Ben Adams eintritt, sich scharfäugig umblickt und dann die Halle durchquert. Draußen krachen immer noch Schüsse. »Die Vordertür ist verriegelt«, sagt Will Houston sanft. »Und jemand hat auch meine Laterne über der Eingangstür zerschossen. Es ist mir unverständlich, Marshal, wie Sie durch die Hintertür hereinkommen konnten. Haben Sie die Tür aufgebrochen?« »Sie war offen«, murmelt Ben Adams, und er sieht, dass alle Fenster zur Straße und auch die Tür von innen verhängt sind. Die hier versammelten Gäste betrachten ihn alle stumm und irgendwie abweisend. Sie wollen nichts mit ihm und seinem Krieg zu tun haben. Er nickt Will Houston zu und sagt: »Löschen Sie die Lampe, Will. Ich will vorne hinaus. Sie können hinter mir wieder verriegeln. Vorwärts, Will!« Der verzieht bitter und abweisend sein faltiges Gesicht. »Es ist nicht fair, Marshal«, sagt er. »Wenn Sie zu schießen beginnen und die Burschen Ihre Schüsse erwidern, so werden meine Fensterscheiben zerschossen. Es ist nicht fair, Marshal.«
Ben Adams betrachtet ihn bitter. »Heute geht viel mehr in Trümmer als nur einige Fensterscheiben, Will«, sagt er. »Heute geht die Zukunft einer ganzen Stadt in Trümmer, weil ihre Bürger sich verkriechen und Angst um einige Scheiben haben.« »Wir kamen gut zurecht, bis Sie den Krieg anfingen«, brummt Will Houston störrisch. »In dieser Stadt lief alles richtig. Doch Sie wollten es verändern. Nun sitzen Sie in der Klemme. Erwarten Sie nicht von den Bürgern, dass sie Ihnen helfen. Es ist Ihre Feier, Marshal!« »Das Licht aus!« Ben Adams verlangt es scharf. Und er zieht nun seinen Revolver und richtet ihn auf die große Petroleumlampe, die inmitten der Halle von der Decke hängt. Einer der Gäste, ein dicker Spekulant, der hier ins Geschäft kommen will, erhebt sich, steigt auf einen Stuhl und dreht die Flamme nieder, bis sie verlöscht. Ben Adams aber schiebt langsam den Riegel der Tür zurück, öffnet sie leise und gleitet hinaus in die Eingangsnische des Hotels. Schräg gegenüber auf der anderen Seite liegt das Gefängnis. Hinter dem Gefängnis tönen hallende Schläge. Man muss aus der Schmiede einige Vorschlaghämmer geholt haben und bearbeitet nun damit die eiserne Hintertür. Plötzlich beginnt rechts neben der Vordertür ein Revolver zu krachen. Ben Adams begreift: Bill Stetson sitzt dort drüben in dem Office in der Klemme. Man versucht hinten durch die Gefängnistür einzudrängen, um ihn nach vorne hinauszujagen. Bill Stetson hatte die Vordertür sicherlich schon ein Stück geöffnet. Und da hatte einer von den Burschen, die neben der Tür lauerten, sofort geschossen. Ben Adams hält seinen Revolver unter dem Regenumhang bereit. Seine Augen haben sich wieder an die Dunkelheit gewöhnt. Er verlässt die Nische des Hoteleingangs und gleitet über die Straße. Er erreicht den Mann, der rechts neben der Vordertür des Office lauert. Seine vorgestreckte Hand berührt den Regenumhang des Mannes. Doch auch der Mann sah ihn zuletzt neben sich auftauchen. Und er glaubte, dass Ben Adams aus der Gasse von hinten nach vorn gekommen wäre. Denn er fragt: »Habt ihr hinten immer noch nicht die Tür aufgebrochen?« »Es ist eine Eisentür«, erwidert Ben Adams heiser, und er ist nun nahe an dem Mann. Er ahnt instinktiv, dass dieser ihn nun bestimmt fragen wird, wer er sei. Und so wartet er nicht länger und schlägt mit dem Coltlauf zu. Er trifft jedoch nicht gleich richtig. Der Bursche brüllt wild auf und feuert seinen Revolver ab. Die Kugel fetzt durch Ben Adams‹ Kleidung und brennt schmerzvoll über seine Rippen. Aber er drückt nun voller Schmerz ebenfalls ab. Der Mann fällt auf die nassen Planken des Gehsteiges und rollt über den Rand
in den Schlamm nieder. Ben Adams keucht vor Schmerz. Die Kugel hat ihm nicht nur eine Fleischwunde gerissen, sondern gewiss auch die Rippe angeknickt. Er lehnt sich neben der Tür an die Wand und ruft scharf und drängend: »Los, Bill! Komm heraus! Der Weg ist frei! Ich bin es, Bill!« Die Tür, die nur angelehnt war, knarrt leise. Bill Stetsons schmerzerfüllte Stimme sagt: »Es ist wie in alten Zeiten, damals im Krieg, als wir in Atlanta um jedes Haus kämpften. Ich komme, alter Knabe!« Und er kommt. Er keucht ziemlich schlimm. Er muss ebenfalls verwundet sein. Sie bewegen sich schräg über die Fahrbahn, erreichen die andere Seite und gelangen an die Ecke der Sioux Trail Street. Hier halten sie an und drücken sich in die Nische bei Linners Barbiersalon. »Bist du verwundet, Bill?«, fragt Ben Adams gepresst. »Ich sah, wie du dein Pferd bei der Posthalterei stehen gelassen hast und in der Gasse verschwunden bist«, erwidert Bill Stetson. »Da dachte ich mir, dass dies ein feiner Trick wäre und ich nicht länger auf dich zu achten brauchte. Ich ging zum Gefängnis, sah noch einmal nach unserem Gefangenen und löschte dann das Licht. Ich ging zum Mietstall, sattelte mir dort ein Pferd und führte es hinaus und hinter die Bäckerei in den halb offenen Schuppen, in dem das Holz lagert. Ich dachte mir, dass es gut wäre, wenn ich mein Pferd zur Verfügung hätte. Denn den Mietstall würden die Clayburnes bestimmt besetzen. Als ich aus der Gasse neben der Bäckerei kam, rannte ich ziemlich blind gegen zwei Burschen, die mir plötzlich von links in den Weg gerieten. Sie wollten mich festhalten, doch ich stieß sie zur Seite, traf sie ziemlich hart und dachte schon, dass ich davonkommen könnte. Doch da begann einer zu schießen. Oh, er traf mich am A…, am – na, eben da, wo man sitzt. Die Kugel riss mir die Hose auf. Oha, ich wollte mir eine neue Hose anziehen und auch ein Pflaster auf die Streifwunde kleben. Das habe ich auch getan. Doch als ich aus dem Office wollte, bekam ich Revolverfeuer. Ich schoss zurück. Und da hatten sie mich in der Klemme. Was machen wir jetzt? Sie sind in der Stadt. Und sie suchen nach uns. Wir sind ziemlich einsam und allein, Freund Ben! Willst du ihnen noch weiter Widerstand leisten? Das wäre dumm und völlig aussichtslos. Die Wilde Horde ist nach Warbluff gekommen. Ohne die Hilfe der Bürgerwehr oder eines starken Aufgebots können wir diese Stadt nicht schützen. Ben, wir müssen fortlaufen – ganz einfach flüchten wie die Hasen.« »Sicher«, sagt Ben Adams ruhig. »Hol dir dein Pferd und sieh zu, wie du aus der Stadt kommen kannst.« »Und du?« Bill Stetson fragt es gepresst. »Sie haben meinen Colonel erschossen«, erwidert Ben Adams. »Ich werde mir
irgendwo ein Pferd verschaffen müssen. Warte beim Jackson Hole Canyon auf mich. Wir geben hier auf und reiten auf unsere Ranch zurück.« Er legt ihm kurz die Hand auf die Schulter und fragt mit einem grimmigen Humor: »Kannst du überhaupt im Sattel sitzen, Freund Bill?« »Nein«, sagt dieser. »Ich werde in den Steigbügeln stehen müssen.« Ben wird sich gewiss das Pferd des Doktors aus dessen Stall holen, denkt Bill Stetson, als er geht, und er flucht bitter in seinen Gedanken, während er daran denkt, dass er stehend in den Steigbügeln wird reiten müssen. * Abe Clayburne, Arch Banner und Johnny Ide sitzen im Hinterzimmer des Banner Hotels und warten. Die Tür zu Arch Banners Schlafzimmer ist offen, und so können sie Blinky dort auf dem Bett liegen sehen. Sie warten. Abe Clayburne sitzt ruhig in seinem Sessel und raucht eine von Arch Banners Zigarren. Arch Banner aber erhebt sich nun, schließt die Tür zu seinem Schlafzimmer und geht dann zu einem Tischchen in der Ecke, um sich einen Whisky einzuschenken. Johnny Ide steht neben der Hintertür an der Wand, und er verspürt ebenfalls Verlangen nach einem Whisky, unterdrückt diesen Wunsch jedoch immer wieder. Es klopft in einem bestimmten Rhythmus. Johnny Ide öffnet, er hält den Revolver dabei in der Rechten. Ein Mann kommt herein, zu dessen Füßen sich auf dem Boden sofort eine Wasserlache bildet. »Fess Harper ist schwer verwundet«, sagt der Mann. »Wir hatten Bill Stetson im Gefängnis ziemlich in der Klemme, denn er konnte ja nicht zur selben Zeit die Vorder- und auch die Hintertür bewachen. Aber Ben Adams kam ihm dann zu Hilfe und machte ihm den Weg durch die Vordertür frei. Sie sind beide irgendwo in der Stadt. Bill Stetson muss jedoch verwundet sein. Wir fanden im Office Verbandszeug und eine blutige Hose. Und der Hosenboden ist aufgerissen, oha!« Er setzt zu einem Lachen an. Doch von seinen Zuhörern lacht niemand mit. Abe Clayburne sagt vielmehr böse: »Mach, dass du rauskommst, Meece! Ich will nicht mehr lange auf die Nachricht warten müssen, dass ihr Adams und Stetson erledigt habt. Vorwärts!« Der Mann starrt ihn eine Sekunde stumm an und verschwindet durch die Tür, die Johnny Ide für ihn öffnet. Doch da Johnny die Tür schnell wieder schließt, können er und die beiden
anderen Männer nicht sehen, dass jener Meece nicht sehr weit kommt. Meeces Augen haben sich nämlich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt, als ihm an der Hausecke, um die er biegen will, ein Mann in den Weg tritt und ihm etwas auf den regennassen Hut gibt. Johnny, der die Tür so schnell wieder schloss, steckt seinen Revolver ein und beobachtet die beiden Männer. Von Arch Banner war er ja schon seit dessen Pokerspiel mit Big Joe Skinner enttäuscht. Und über Abe Clayburne kann er sich jetzt seine Gedanken machen. Und immer wieder muss er denken: Er ist ein primitiver Bandit. Und er beherrscht seine Sippe vollkommen und will mit ihr eine Stadt ausplündern. Heiliger Rauch, hier ist nichts mehr von schlauen Geschäften, von einer klugen Politik und all den Dingen, die ich bisher an Arch Banner so bewundert hatte, vorhanden. Er ist nur der kleine Handlanger eines alten Piraten, der jetzt alles auf eine Karte setzt. Plötzlich öffnet sich die Tür des Schlafzimmers. Und es ist nicht etwa Blinky, der wieder zum Leben erwacht ist und nun die Tür geöffnet hat. Nein, es ist Ben Adams, der Marshal von Warbluff, der da mit schussbereitem Colt eintritt. Er muss durch eines der Seitenfenster in Arch Banners Schlafzimmer geklettert sein. Abe Clayburne stößt einen schmatzenden Laut aus, bewegt sich jedoch nicht. Auch Banner zuckt zusammen und stößt einen scharfen Fluch aus. Johnny Ide aber saugt so scharf die Luft ein, dass er sich fast verschluckt und nun husten muss. »Sie haben Mut, Adams«, sagt Abe Clayburne dann. »Aber Sie und Ihr einziger Gehilfe können gar nicht gewinnen.« »Ich habe keinen Gehilfen mehr«, erwidert Ben Adams. »Ich schickte Bill Stetson aus der Stadt. Ich bin ganz allein, Abe.« In seiner Stimme liegt nicht eine Spur von Bitterkeit, doch es ist eine Unversöhnlichkeit und ein tiefer Ernst herauszuhören. »Ich habe dreißig Jungs bei mir«, murmelt Abe Clayburne. »Es sind die hartbeinigsten Burschen dieses Landes. Schon drei von ihnen könnten mit dieser Stadt zurechtkommen.« »Ich weiß – ich weiß«, murmelt Ben Adams. »Aber was nützen Ihnen all die tüchtigen Jungs, Abe. Ich habe Sie! Und ich habe den lieben Arch!« Er wendet sich an Johnny Ide. »Geh hinaus und sag der Bande, dass ich ihre besten Köpfe vor dem Revolver habe. Die Bande soll aus der Stadt verschwinden. Ich gebe ihr zehn Minuten Zeit. Dann werde ich Abe erschießen. Ich habe jetzt genug. Ich bin am Ende. Aber ich gebe nicht auf. Ich werde Abe erschießen. Also los, Johnny!« Der zögert. Doch Abe nickt ihm zu. »Geh nur, Johnny! Geh zu Lefty und
Brack. Sag ihnen, dass sie auf das, was ihnen der Marshal ausrichten lässt, nicht achten sollen. Er wird mich schon nicht erschießen. Die Jungs sollen ruhig unseren Plan ausführen und ganz so tun, als wären wir hier nicht in Ben Adams‹ Hand.« Johnny Ide blickt nun auf Ben Adams, und er erkennt in diesem Moment, dass Abe Clayburne wahrhaftig ein guter Menschenkenner ist. Johnny Ide glaubt unbedingt, dass Ben Adams nicht schießen wird, solange er nicht angegriffen wird und Abe und Arch keinen Fluchtversuch unternehmen. Johnny Ide handelt schnell. Er öffnet die Tür und geht hinaus. »Legt die Revolver ab«, sagt Ben Adams zu den beiden Männern. »Werft sie dort in die Waschschüssel! Vorwärts! Zuerst Sie, Abe!« Der gehorcht sofort, zieht seinen Colt mit zwei Fingern aus dem Holster und geht zu dem Waschständer in der Ecke. Er lässt den Revolver platschend in die Wasserschüssel fallen. Und Arch Banner folgt dann seinem Beispiel. Ben Adams gleitet nun zu der Tür, durch die Johnny Ide verschwunden ist. Er will sie abriegeln. Doch da öffnet sich die Tür zum Schlafzimmer abermals. Diesmal ist es Lefty Clayburne. Er hat einen Revolver in der Hand und beginnt sofort zu schießen. Ben Adams‹ Einstieg in Arch Banners Schlafzimmer muss also bemerkt worden sein, oder Johnny Ide war sofort auf Lefty Clayburne gestoßen, hatte seine Meldung abgegeben, und Lefty hatte sofort gehandelt. Er trifft Ben Adams – doch nicht schwer. Ben Adams wirbelt an der Tür herum, wirft sich zur Seite, schießt dabei auf die Lampe und rollt dann über den Boden. Die Lampe explodiert, denn es ist eine der neumodischen Karbidlampen. Die Männer brüllen auf und werfen sich zur Seite. Ben Adams aber springt, als die Dunkelheit im Raum ist, durch eines der Fenster. Er wirft sich seitwärts und zusammengeduckt von innen dagegen und nimmt all die klirrenden Scherben und das Rahmenwerk mit. Er fällt mit dem zerbrochenen Zeug draußen in den Hof, rollt sich blutend und vom Schmerz gepeinigt weiter, liegt dann still und hält den Revolver immer noch in der Hand. Der Regen prasselt auf ihn nieder, doch er achtet nicht darauf und auch nicht auf seine Schmerzen. Denn ein grausamer Wille beherrscht ihn, der Wille zum Kampf gegen die ganze Horde. Er wurde nun schon zweimal verwundet, und all die Glassplitter fügten ihm eine Menge Schnitte zu. Er wartet mit dem schussbereiten Colt in der Hand und auf dem Bauch im Morast des aufgeweichten Hofes liegend. Er sieht, dass die Tür geöffnet wird.
Die Karbidlampe war ja explodiert, und nun haben einige der Dinge dort im Raum Feuer gefangen – nicht viel, doch genügend, um das Türrechteck in der Nacht zu erkennen und die Gestalt eines Mannes, der heraus in den Hof will. Ben Adams‹ Revolver beginnt zu krachen. Er kann im Aufleuchten des Mündungsfeuers erkennen, dass es Lefty ist, der nun getroffen rückwärts wieder in den Raum taumelt. Ben Adams jagt noch weitere Schüsse durch das von innen erhellte Rechteck. Dann wird die Tür zugeschlagen. Ben Adams erhebt sich mühsam und schwankt davon. Und schon nach wenigen Schritten spürt er, dass er nicht mehr lange auf den Beinen bleiben kann. Die Kugel traf ihn hoch in der Schulter, und diese Schulter, sein linker Arm und die ganze Seite bis hinunter zur Hüfte sind wie gelähmt. Ich müsste zum Doc, damit dieser mich verbindet und ich nicht so viel Blut verliere, denkt er. Doch er weiß, dass er den Doc nicht wird aufsuchen können. Die Bande wird den Doc wahrscheinlich selbst nötig haben. Abe Clayburne und Arch Banner wissen außerdem, dass er verwundet wurde. Sie werden sich ausrechnen, dass er zum Doc muss. Doch zu wem kann er gehen? Plötzlich fällt ihm Josephine Ide ein. Zuerst verwirft er diesen flüchtigen Gedanken. Doch er kommt immer wieder, je stärker er sich seiner Not bewusst wird. Er erreicht unbehelligt die Höfe und Gärten hinter der Silver Street, in der sich Jo Ides Speisehaus befindet. Er muss nochmals anhalten und ausruhen, und er fühlt sich schon sehr schwindlig. Er weiß, dass es jetzt gefährlich wird für ihn. Er schnauft bitter und setzt sich wieder in Bewegung. Ben erreicht einen Zaun und lässt sich einfach darüber fallen. Drüben kriecht er ein Stück auf Händen und Knien, erreicht die Ecke des Hauses und glaubt nun, dass es das richtige ist. Er findet ein Fenster und klopft an den Laden. Dieser wird von innen ein Stück geöffnet. Josephine Ides Stimme fragt erregt: »Bist du das, Johnny?« Er stößt ein heiseres Krächzen aus, müht sich, einige verständliche Worte herauszubringen. »Ich bin Ben Adams! Jo, können Sie mir meine Wunden verbinden?« Jo antwortet nicht. »Oh, ich wollte Sie nicht belästigen, Jo«, spricht er heiser. »Es ist schon gut! Schlafen Sie weiter!« Seine Worte wurden schärfer und verständlicher, kälter und irgendwie verächtlich.
Und er will sich abwenden. Aber da klingt ihre Stimme energisch und entschlossen: »Ich mache die Tür auf!, Kommen Sie herein, Ben Adams!« Er zögert. Doch dann bewegt er sich zur Tür, die keine zwei Yards weit links von ihm ist. Er braucht nicht zu warten. Und als er über die Türschwelle geht, stolpert er und fällt dem Mädchen fast in die Arme. Mit ihrer Hilfe vermeidet er den Fall, richtet sich wieder auf und lehnt sich keuchend an die Wand, indes sie die Tür wieder schließt und den Balken vorlegt. »Ich – ich bin sehr schmutzig«, ächzt er. »Ich…« Sie ist nun bei ihm, umfasst ihn und stützt ihn. »Jeder Schmutz ist abzuwaschen«, sagt sie ruhig. »Du wirst dich auf mein Bett legen, Ben. Und dann werden wir sehen. Du musst es bis zu meinem Bett schaffen, denn ich würde dich nicht tragen können. Du bist zu schwer.« »Ich schaffe es schon«, lallt er mit letzter Kraft. * Als es Tag wird, hat der Regen immer noch nicht nachgelassen. Doch die Stadt Warbluff hat eine Menge anderer Sorgen als den Regen. Die Stadt hat begriffen, dass sie in der Gewalt einer Banditenbande ist. Dies erscheint den Bürgern zuerst ungeheuerlich, ja unfassbar. Doch es ist die nackte Tatsache. Und damit erhebt sich für alle Bürger die Frage: Wer nimmt den Kampf gegen die Banditen auf? Wer wagt es, sein Leben gegen die Revolverschwinger einzusetzen? Im Verlauf des Morgens wird immer klarer, dass es niemand wagt. Und warum auch? Vorerst suchen die Banditen doch nur nach Ben Adams. Und weil sie vorerst nur nach Ben Adams suchen, der in der vergangenen Nacht mit ihnen kämpfte und der Blinky und Lefty Clayburne dabei getötet hat und ebenfalls verwundet worden sein soll, glauben die Bürger von Warbluff noch, dass es nicht so schlimm werden wird. Sie nehmen es deshalb hin, dass ihre Häuser durchsucht werden und Abe Clayburnes Burschen dabei ziemlich rau vorgehen und da und dort etwas mitnehmen, was wertvoll ist. Auch dass die Postkutsche nicht abfahren darf, erscheint der Stadt Warbluff nicht so sehr tragisch. Man wird erst besorgter, als der Bankier und dessen Kassierer in der Warbluff-Bank den großen Tresor öffnen müssen. Und dann spricht es sich herum, dass es auch den Geschäftsleuten nicht anders ergeht. Und die Postkutsche muss bereitgemacht werden für die Abfahrt. Die
Banditen trieben inzwischen auch alle Pferde zusammen, die zu finden waren, und jagten sie irgendwohin. Die Bürger von Warbluff begriffen mehr und mehr, dass man nicht nur nach Ben Adams sucht, sondern auch ihnen das Fell über die Ohren zu ziehen gedenkt. Aber sie wagen immer noch keinen Kampf. Rings um die Stadt gibt es doch viele Minencamps und Minen mit Hunderten von Bergleuten. Und in den grünen Tälern gibt es Rancher und Siedler. All diese Leute müssten sich doch zusammenschließen, ein großes Aufgebot bilden und der Stadt helfen kommen. Die Bürger von Warbluff können sich gar nicht vorstellen, dass es anders sein kann. Doch es kommt keine Hilfe. Denn bei diesem prasselnden Regen kommen nur wenige Leute in die Stadt, und die wenigen werden abgewiesen an den Eingängen, müssen umkehren und begreifen gar nicht richtig, warum man sie nicht in die Stadt lässt. Es wird sicherlich noch Stunden dauern, bis man in weiter Runde bei diesem Wetter erfährt, was in Warbluff geschieht. Und wenn man es wissen wird, so ist längst noch nicht sicher, dass sich so schnell Anführer finden, die ein Aufgebot bilden und damit einer Stadt zu Hilfe kommen, die selbst zu feige ist und die ihnen in all den wilden Nächten immer wieder auf manchmal nicht sehr faire Art die Taschen leerte. Warbluff hat keinen sehr guten Ruf bei den Bergleuten und Ranchern. So ungefähr ist die Lage an diesem Morgen. Abe Clayburne leitet die ganze Aktion von der Hotelhalle aus, und er hat einen Mann dabei, der genau über die Beute Buch führt. Aus der Bank sind es allein schon 157.000 Dollar Papiergeld, 19.375 Dollar Hartgeld, 376 Pfund Goldstaub und 1.500 Pfund Silber in Barren. Aber es kommt noch viel mehr zusammen. Aus John Hatfords großem Generalstore erbeutet die Bande mehr als 30.000 Dollar in Scheinen, Hartgeld, Gold und Silber. Und fast aus jedem Geschäft, welches nicht zu Arch Banners Betrieben gehört, aus jedem Bürgerhaus und dem kleinsten Laden holt man Geld, Gold und Silber, Schmuck, Uhren, alles, was wertvoll ist. Die Bande wird immer dreister und rauer. Und man sucht immer noch nach Ben Adams. Abe Clayburne verlangt immer wilder und schärfer, dass man endlich Ben Adams finden möge. »Er muss in der Stadt sein«, sagt er zu Brack, der den Befehlen des Piraten den nötigen Nachdruck verleiht. »Er war schon verwundet, als er in Archs Büro kam.
Und dann hat ihn Lefty nochmals getroffen. Also tummelt euch, Jungs! Sucht ihn!« Er starrt Arch Banner und Johnny Ide grimmig an. »Ihr kennt euch doch in dieser Stadt aus! Ihr müsstet doch wissen, in welches Loch er gekrochen sein kann. Lasst euch was einfallen! Welches Haus habt ihr noch nicht durchsucht? Gibt es noch irgendeinen Winkel?« Arch Banner zögert mit einer Antwort. Er leckt sich über die Lippen und deutet auf den Stadtplan, den er vor sich hat. Dann wirft er einen schnellen Blick auf Johnny Ide. »Jo Ides Speisehaus war noch nicht dran«, sagt er dann. »Wir haben Johnny Ides Schwester bis jetzt nicht belästigt.« »Keine Ausnahmen!« Abe Clayburne sagt es rau. »Ich werde selbst nachsehen«, murmelt Johnny Ide. Und er wartet keine Antwort ab und geht hinaus. Abe Clayburne nickt Arch Banner zu. »Schick einen Boten zu Brack! Er soll Johnny begleiten. Der Bursche gefällt mir immer weniger. Wenn ich nicht wüsste, dass der Marshal ihn schon mal zurechtgestutzt hat, würde ich sogar damit rechnen, dass dieser Junge…« Er verstummt und macht eine lässige Handbewegung. »Geh zu Brack, Arch! Er soll einige Jungs nehmen und Johnny begleiten! Los, Arch, beeil dich!« * Johnny Ide schafft es, eine Minute früher an Josephines Tür zu sein als Brack Clayburne und dessen Begleiter. Als es klopft, öffnet Josephine sofort. Doch sie hat eine Schrotflinte unter dem Arm. »Wollt ihr auch bei mir plündern, Bruder?« So fragt sie kalt und beherrscht. Er betrachtet sie ernst. »Schwester«, sagt er, »man sucht Ben Adams immer noch. Und nur dein Haus wurde noch nicht durchsucht. Hast du ihn bei dir?« »Und wenn es so wäre?« Sie fragt es stolz und mit erhobenem Kopf. »Du würdest ihn natürlich nicht hergeben. Du würdest…« »Ja, Bruder! Ich würde auf jeden schießen, der ihn haben möchte – auch auf dich!« In ihren Augen sprüht nun ein heißer Zorn. Johnny nickt langsam. »Du wirst Hilfe brauchen«, sagt er. »Lass mich hinein zu dir, Schwester. Ich muss dir helfen. Denn in wenigen Augenblicken kommen einige üble Burschen.« Er steht nun still und wartend da und blickt sie fest an. Sie nickt plötzlich, tritt zur Seite und sagt ruhig: »Komm herein, Bruder! Ich
kann Hilfe gebrauchen. Ben Adams ist ziemlich schlimm verwundet. Und ich liebe ihn. Ich werde bis zu meinem letzten Atemzug für ihn eintreten.« »Das dachte ich mir«, erwidert Johnny ernst und tritt über die Türschwelle. Und wenige Minuten später krachen Schüsse in der Stadt. Bei Jo Ides Speiselokal wird gekämpft. Die Bürger von Warbluff rufen es sich von Haus zu Haus und von Straße zu Straße durch die Fenster und durch die Hauswände zu. * Ben Adams erwacht in einem Bett. Er liegt nackt unter der Bettdecke und ist verbunden und mit Pflaster bedeckt. Er hört das Krachen einer Schrotflinte und das kurze, scharfe Bellen eines Colts. Es klirren Fensterscheiben, und dann ruft draußen eine scharfe und raue Stimme: »Johnny, das wirst du uns teuer bezahlen! Du hast uns verraten! Du stehst jetzt deiner Schwester bei und schützt Ben Adams, der meine beiden Brüder getötet hat. Johnny, wenn du deine Schwester nicht zur Vernunft bringst, wenn ihr nicht aufgebt, wenn ihr uns nicht Ben Adams, diesen Schurken, überlasst, dann zünden wir das ganze Haus an. Dann räuchern wir euch aus! Johnny, ich will Ben Adams haben, koste es, was es wolle! Hast du verstanden, Johnny Ide? Ich will den Höllensohn haben, der meine beiden Brüder getötet hat! Ich gebe dir eine Minute Zeit, Johnny!« Ben Adams hört es also und begreift nun das ganze Spiel. Und er versucht, sich zu erheben. Es geht nur mühevoll. Er fühlt sich sehr schwach. Er hält sich dann schwankend am Bettpfosten fest und blickt sich nach seiner Kleidung um. Dabei fällt ihm ein, dass von seiner Kleidung nicht viel übrig geblieben sein kann. Denn sie war gewiss zerrissen und blutig, nass und voller Schmutz. Doch er staunt, als er alles säuberlich gereinigt, geflickt und vollkommen trocken auf dem Stuhl vorfindet. Einen Moment ist er versucht, daran zu glauben, dass er nur geträumt hätte, wie er gestern Nacht durch den Schlamm kroch. Doch dann erinnert er sich daran, dass Josephine einen Chinesen beschäftigt. Und er weiß, dass solch ein Chinese in wunderbar kurzer Zeit eine vollkommen nasse und verdreckte und zerrissene Kleidung in Ordnung bringen kann. Als er sich ankleidet, fühlt er, dass die Kleidung noch vom Bügeleisen warm ist. Doch er hat bald andere Sorgen. Er kann die linke Schulter und den linken Arm kaum bewegen. Und er ist bald in Schweiß gebadet und muss immerzu gegen seine Schwäche ankämpfen. Indes ist draußen die Minute um. Denn er hört nun wieder Brack Clayburnes
Stimme rufen: »Also los, Johnny! Wie willst du es haben?« »Ihr bekommt Ben Adams nicht! Meine Schwester will es nicht! Und ich stehe ihr bei! Gebt es lieber auf! Oder ihr bekommt hier blutige Köpfe!« Das war Johnny Ides Stimme. Ben Adams staunt nicht lange. Doch er begreift, dass man ihn gut gebrauchen kann. Und so beeilt er sich mit dem Ankleiden. * Bill Stetson wartet am Jackson Hole Canyon eine lange Zeit, denn er kam gut aus der Stadt hinaus. Und als Ben Adams nicht kam, gab es für Bill Stetson eigentlich nur zwei Möglichkeiten, um es sich zu erklären. Ben Adams konnte nicht kommen, weil man ihn erwischte. Oder Ben Adams wollte gar nicht kommen, wollte ihn, Bill, nur aus der Gefahr wissen. Die zweite Möglichkeit erscheint Bill Stetson immer wahrscheinlicher. Und so beginnt er bitter zu fluchen und will zuerst wieder in die Stadt zurück. Doch dann sagt er sich, dass dies wenig Sinn hätte. Nein, er muss sich etwas anderes einfallen lassen. Es fällt ihm plötzlich ein, wohin der Jackson Hole Canyon führt. Es ist so einfach. Sieben Meilen von hier liegt Big Joe Skinners Minen-Camp bei der Jackson Hole Mine. Big Joe Skinner ist so ziemlich der einzige mutige Mann im Lande, so ist Bill Stetsons Meinung. Er ist vielleicht der einzige Mann, bei dem er Hilfe für Ben Adams erhalten könnte. Und so klettert er wieder fluchend auf sein Pferd, hütet sich jedoch, mit dem Sattel in Berührung zu kommen. Er reitet stehend in den Steigbügeln, und er stößt immer wieder schmerzerfüllte Flüche aus. Indes er unterwegs ist, wird es Tag, doch der Regen lässt nicht nach. Bill Stetson ist so nass, als hätte er im Fluss gebadet. Der Jackson Hole Canyon führt dann in ein Tal, und gleich zur rechten Hand befindet sich die Mine. Von all den Gebäuden hebt sich eines besonders ab. Es ist ein zweistöckiges Wohnhaus. Es würde auch in Boston, in Washington und in San Francisco ein recht nobel wirkendes Haus sein. Als Bill Stetson vor dieses Haus reitet, tritt Big Joe Skinner heraus. Er trägt grobes Arbeitszeug wie ein Bergarbeiter und will offensichtlich zu seinen Männern in den Stollen. Vielleicht will er dabei sein, wenn nun die Nachtschicht abgelöst wird. Er betrachtet Bill Stetson neugierig und fragt sofort: »Hat dir jemand Nägel in
den Sattel geschlagen, dass du stehend reitest, Bill?« »Nein«, ächzt dieser. »Ich habe einen Streifschuss abbekommen.« »Genau dorthin?«, fragt Big Joe Skinner und schlägt sich selbst hinten gegen den Hosenboden. »Genau«, gibt Bill Stetson zu. »Doch ich bin nicht hergekommen, damit du was zum Lachen hast. Die Clayburne-Sippe und deren Vettern, Freunde und der ganze Anhang sind nach Warbluff gekommen, um sich Ben Adams‹ Skalp zu holen. Ich glaubte, Ben Adams dazu gebracht zu haben, dass er wie ich aus der Stadt schleichen und die Flucht ergreifen würde, aber…« »… er kam nicht?«, fragt Big Joe Skinner und sieht dann zu, wie Bill Stetson vorsichtig absitzt. »Ja, er kam nicht«, grollt Bill dann. »Und mir wurde klar, dass er mich nur aus der Stadt haben wollte. Big Joe, ich bin zu dir gekommen, weil du ein beachtlicher Bursche bist und es sich vielleicht als lohnend erweisen könnte, dich um Hilfe zu bitten. Es hätte wenig Sinn, wenn ich allein zur Stadt ritte, um Ben Adams Hilfe zu bringen. Ich muss genügend Männer mitbringen. Nur so kann ich ihn vielleicht noch lebendig aus dem ganzen Verdruss herausholen. Joe, muss ich vor dir auf die Knie fallen und dich wie einen Heiligen bitten?« Big Joe Skinner starrt ins Leere. Dann fühlt er mit seinen Fingerspitzen auf die Stelle, wo einmal Ben Adams‹ Revolvermündung gedrückt hatte, damals, als er mit Blinky Clayburne eine Lynchpartie veranstalten wollte. Aber dann grinst er. »Die Banditen dieses Landes haben es immer mehr auf mich abgesehen«, sagt er. »Es wird für mich immer schwieriger, meine Silbertransporte durchzubekommen. Ich lasse das Silber nun schon zu Zweihundert-Pfund-Barren gießen, damit man es zu Pferde nicht so gut transportieren kann. Bill, ich will zwei oder drei Dutzend meiner Jungens fragen, ob sie mit uns nach Warbluff fahren wollen. Und ich habe keine Sorge, dass sie es nicht tun werden. Denn ich werde ihnen in Warbluff einen lustigen Tag bereiten und alles bezahlen, was sie sich leisten. Nun gut, Bill!« Er tritt unter dem Verandadach in den Regen hinaus und zu einem Stück Eisenblech, welches dort an einem Querbalken unter einer Stange hängt. Er nimmt einen eisernen Schlegel und beginnt das Blech zu bearbeiten. Er verursacht damit einen höllischen Lärm. Und da es das Alarmsignal der Mine ist, kommen all seine Leute hergelaufen. Es sind fast hundert Mann, und es sind eine ganze Menge streitlustiger Iren darunter. Er sagt nicht viel zu ihnen. Zehn Sekunden später kann er sich die Freiwilligen aussuchen. Denn es melden sich mehr Männer, als er haben will. *
Als Ben Adams angekleidet ist, wird ihm klar, dass er nicht länger in diesem Haus bleiben kann. Denn er weiß, dass die Bande Feuer legen wird, wenn sie nicht ins Haus eindringen kann. Josephine Ide und ihr Bruder Johnny sind in größter Gefahr. Dies aber kann Ben Adams nicht länger dulden. Er will nicht, dass diesem tapferen Mädchen seinetwegen das Haus angezündet wird. Er erreicht die Hintertür. Als er sie öffnen will, taucht Johnny Ide im Gang auf. Wahrscheinlich will Johnny die Rückseite des Hauses bewachen. Johnny hebt den Revolver, doch er lässt ihn nun schnell wieder sinken, als er Ben Adams erkennt. »Was soll das, Adams?«, fragt er leise. »Ich kann nicht länger im Haus bleiben und Josephine gefährden«, erwidert Ben Adams und stößt die Hintertür auf. Als er in den Hof tritt, erblickt er zwei Männer, die drüben an der Ecke eines Schuppens stehen. Sie richten sofort ihre Revolver auf ihn, doch er ist eine Idee schneller, weil er ja mit schussbereitem Revolver in den Hof trat. Er kann erkennen, wie er die Burschen trifft, und er spürt ihre Kugeln dicht an sich vorbeipfeifen. Hinter ihm kommt Johnny Ide aus dem Haus, und er ruft über die Schulter: »Bleib im Haus, Jo! Zum Teufel, bleib du im Haus! Ich werde schon auf Ben Adams achten!« Nun tauchen an der Ecke Männer auf. Brack Clayburne führt sie an. Als sie Ben Adams sehen, beginnen sie zu schießen. Doch auch Ben Adams und Johnny Ide schießen. Der Hof ist erfüllt vom Krachen der Revolver. Ben Adams sieht Brack Clayburne fallen. Doch auch er ist wieder getroffen. Sein Revolver ist leer, und ein Bein knickt unter ihm ein. Er fällt in den Schlamm des Hofes. Und er weiß nicht mehr, dass auch Johnny Ide neben ihm fällt. * Als er erwacht, liegt er wieder in jenem Bett, doch diesmal dauert es sehr viel länger, bis er sich an alles erinnern kann. Er wundert sich dann eine Weile, dass er offensichtlich noch am Leben ist. Also können die Clayburnes und ihre Bande nicht die Oberhand behalten haben. Aber er ist zu müde, um noch länger darüber nachdenken zu können. Er schläft wieder ein. Als er das nächste Mal erwacht, fühlt er sich zwar körperlich nicht kräftiger, doch sein Kopf ist klarer. Er weiß sofort Bescheid und ist auch nicht besonders
erstaunt, Josephine bei sich am Bett zu sehen. Sie betrachtet ihn ernst und forschend. Dann lächelt sie unmerklich. Sie ist froh, ihn bei Besinnung zu sehen. »Bill Stetson hatte Big Joe Skinner und dessen Männer von der Mine zu Hilfe geholt«, sagt sie. »Und als diese Mannschaft hier eintraf, kamen auch die Bürger dieser Stadt endlich zu einem Entschluss. Die Bürgerwehr unter Führung von Mike Meadow sammelte sich und griff ein. Sie haben die Bande aus der Stadt gejagt. Es gab noch einige heiße Kämpfe. Aber Clayburne und Arch Banner hatten im Hinterzimmer des Hotels wohl miteinander Streit bekommen. Sie hatten aufeinander geschossen. Arch Banner wollte flüchten, und Abe Clayburne wollte ihn nicht fortlassen. Als man Arch Banner fand, lebte er noch, aber er war wohl schon nicht mehr bei Verstand. Ben, dieses Land und diese Stadt haben sich selbst von den Banditen befreit.« Er scheint dies alles nicht gehört zu haben. Denn er sagt nichts dazu. Er blickt das Mädchen auf eine seltsame Art an. »Ich habe Hunger«, sagt er dann mühsam. »Mir ist es gleich, was mit Warbluff ist. Ich habe gekämpft, bis ich nicht mehr konnte. Und jetzt habe ich Hunger. Was sagt der Doc zu meinen Wunden?« »In etwa sechs Wochen, so meint er, wirst du wieder auf einem Pferd sitzen können, wenn es nicht zu sehr bockt.« Sie macht eine kleine Pause und fügt hinzu: »Bis dahin wird auch der Richter wieder hier sein. Es kam heute eine Nachricht aus der Hauptstadt. Der Richter kündigte an, dass er mit einem starken Aufgebot kommen wird. Und du sollst sofort Sheriff dieses neuen Bezirkes werden. Der Richter ist zum Territoriumsrichter ernannt worden. Er will hier in diesem Lande aufräumen und geordnete Verhältnisse schaffen. Dabei ist alles schon vorbei.« Sie verstummt mit einem bitteren und sarkastischen Beiklang. »Ich werde kein Marshal und kein Sheriff mehr sein«, sagt Ben Adams. »Ich will auf die Ranch zurück. Und jetzt habe ich Hunger.« Als er dies gesagt hat, fällt ihm etwas ein. »He, was ist mit Johnny?«, fragt er. »Der ist mit Bill Stetson draußen auf der Ranch«, sagt sie. »Johnny ist ein Glückspilz. Er bekam nur zwei Streifschüsse ab. Bill Stetson nahm ihn heute Morgen mit auf die Ranch.« »Aha«, murmelt Ben Adams. »Und ich will auch eines Tages mit«, sagt sie zu ihm und erhebt sich, um eine Tasse Hühnerbrühe zu holen. Als sie damit wieder in der Tür erscheint, fragt er hastig: »He, du willst mit auf die Ranch?« »Passt es dir nicht?«, fragt sie zurück.
»Ich wette, dass ich früher als erst in sechs Wochen im Sattel sitzen werde«, erwidert er. »Denn ich habe Angst, du könntest es dir überlegen und nicht mehr wollen, wenn ich dich zu lange warten lasse.« »Ich kann tausend Jahre warten, wenn ich dich bei mir habe«, erwidert sie ruhig und kommt zu ihm ans Bett, um ihn trinken zu lassen. ENDE