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Der Marshal und die Kartenhaie Western von U. H. Wilken Im Office sitzt Marshal Jim Long und erledigt die letzte schriftliche Arbeit. Er hört den Hufschlag, aber das Kommen und Gehen von Reitern ist in seiner Stadt nichts Außergewöhnliches, seit die Treibherden aus dem Süden kommen. Jim Long schiebt nach dem letzten Federstrich das Papier von sich. Er blickt zur Seite und auf das Zifferblatt der großen schwarzen Standuhr. Das Licht der Lampe beleuchtet sein kantiges hartes Gesicht. Noch etwas Zeit, denkt er. Aber vielleicht solltest du den Kontrollgang durch die Stadt heute eher machen. Im Hintergrund des Office liegen die Zellen. Ein verwahrlost aussehender Mann wälzt sich von der Pritsche. Long erhebt sich und tritt an die Zellentür heran. »Nun, Pap? Hast du deinen Rausch ausgeschlafen?« »Sicher, Marshal«, sagt der knochige Mann und kommt aus der Zelle. »Hörst du den Lärm, Marshal? Da ist Whisky! Feuriger Whisky, der mich jung macht.« »Du wirst dich noch mit deinem Saufen umbringen«, meint Jim Long ruhig. Aber Pap grinst nur und geht aus dem Office, in dem er mindestens dreimal in der Woche seinen Granatenrausch ausschlafen darf.
Marshal Long schüttelt den Kopf, nimmt den Waffengurt von der Stuhllehne, schnallt ihn um und lockert etwas die schweren 44er. Eine Bewegung, die ihm in Fleisch und Blut übergegangen ist. Er verläßt das Office und bleibt sofort draußen auf dem zundertrockenen Gehsteig stehen, als er aus der Hofeinfahrt des Saloons gegenüber eine Frau laufen sieht. Sie verhält einen Moment am Straßenrand und blickt zur Schwingtür des Saloons. Dann kommt sie über die Fahrbahn. Sie läuft und hat ihr Kleid etwas hochgerafft. Genau auf das Marshal-Office hält sie zu. Als sie durch eine Lichtbahn hastet, funkelt ihr Glitzerkleid wie mit tausend Diamanten bestickt. »Jim!« ruft sie atemlos. »Wir haben Besuch im Saloon!« »Langsam, Belle«, sagt Marshal Long beruhigend. »Von Besuchern lebt schließlich ein Saloon. Was gibt es denn?« Sie ringt nach Atem und streicht ihr langes Haar zurecht. »Kein gewöhnlicher Besuch, Jim. Ich habe die Männer schon auf Steckbriefen gesehen.« Sie geht an ihm vorbei ins Office. Long folgt ihr. Er kennt Belle gut. Sie sind gute Freunde, fast schon alte Bekannte. Sie steht jede Nacht hinter dem langen Tresen im Saloon. Und jede Nacht kommt Jim Long zu ihr, wenn der letzte Kontrollgang hinter ihm liegt, und nimmt bei ihr einen Whisky. Belle sucht nicht lange zwischen den Steckbriefen, die eine ganze Officewand einnehmen. »Das sind sie, Jim«, sagt sie und tippt auf zwei Gesichter. »Kein Irrtum, Belle?« »Nein, kein Irrtum. Das sind sie. Calamity-Johns und Wes Beeson. Ich wußte nur nicht ihre Namen.« »Sie werden sich andere zugelegt haben, Belle.« »Ist das alles, was du dazu zu sagen hast, Jim?« »Nein. Geh jetzt 'rüber. Ich komme gleich.«
»Du bist verrückt, Jim! Die beiden werden seit Jahren gesucht! Es sind gefährliche Revolvermänner! Warte, bis dein Deputy zurückkommt. Das ist sicherer.« »Er kommt erst morgen, Belle.« Jim Long lächelt ernst. »Nun geh schon.« »Was, du willst doch nicht allein rübergehen?« »Was bleibt mir anderes übrig, Belle?« Er schiebt sie sanft hinaus. »Oh, du bist verrückt!« flüstert sie. »Dein Beruf bringt dich noch früh ins Grab!« Damit geht sie davon und verschwindet wieder in der Hofeinfahrt des Saloons. Jim Long folgt ihr langsam und nähert sich dem Golden Hill Saloon, zu dem auch ein Hotel gehört. Am Ende der Haltestange erkennt er zwei abgeriebene Pferde. Langsam steigt er die Stufen zum Brettersteg hinauf und verharrt vor der Schwingtür. Er blickt über die beiden Flügel in den Saloon. Alle Tische sind besetzt. Die dreißig Fuß lange Theke ist dicht umlagert. Dahinter steht schon wieder Belle und bedient. Sie blickt unruhig zur Tür, sieht Jim Long dort und beißt sich auf die Unterlippe. Ohne zu Jim Long hinzusehen, macht sie eine Kopfbewegung dorthin, wo das Orchestrion lärmt. Jim folgt der angedeuteten Richtung und sieht zwei Männer am Tisch. Sie trinken und blicken lauernd umher. Er wird sich darüber klar, daß sie auf irgend etwas warten. Auf ihn etwa? Wenn zwei steckbrieflich gesuchte Banditen sich in einem Saloon niederlassen, dann stimmt etwas nicht! Marshal Long läßt den Blick forschend durch den Saloon gleiten. Drei Türen führen nach hinten in die anderen Räume und auf den Hinterhof. Zwei davon sind nur angelehnt. Langsam schiebt er jetzt die Türflügel auseinander und tritt ein.
Viele Köpfe bewegen sich zu ihm herum. Der Lärm ebbt etwas ab. Das Orchestrion verstummt schließlich auch. »Hallo, Marshal«, grüßt jemand. »Pünktlich wie die Uhr.« Jim Long schweigt. Er geht weiter – zwei Schritt, vier, fünf. Wes Beeson steht nun auf. Er blickt Long nicht an, greift in die Tasche und holt ein Geldstück hervor, tritt ans Orchestrion heran und will es hineinwerfen. »Keine Musik, Beeson«, sagte Jim Long kühl. »Geh weg von dem Kasten!« »Aah, ein richtiger Marshal«, sagt Wes Beeson erstaunt, als hätte er Long erst jetzt bemerkt. »Haben Sie was gegen Musik?« »Es gibt hier keine Trauermusik, Beeson. Wir haben nichts Passendes für eine Beerdigung da. Sei also vernünftig und nimm die Hände hoch!« Beeson blickt lauernd. »Warum denn gleich so giftig? Hast du das gehört, Johns? Der Marshal hat was gegen uns!« Calamity-Johns verzieht das unrasierte Gesicht. Seine farblosen Augen starren Jim Long ausdruckslos an. »Mach Musik, Wes«, murmelte er in die tiefe Stille hinein. »Mach schon!« Wes Beeson zuckt die Achseln und bewegt die Hand. Dabei läßt er das Geld auf den Boden fallen. Er bückt sich, und dabei fährt seine Hand blitzschnell zur Waffe. Er schießt durch den Halfterboden, trifft den Marshal aber nicht. Jim Long hat weniger als eine Sekunde Zeit. Drüben bewegt sich die Tür. Wes Beeson feuert schon wieder, und CalamityJohns langt gerade unter den schwarzen Stetson, der auf dem Tisch liegt. Da feuert Jim Long. Er hat beide Revolver gezogen. Zwei Kugeln schlagen durch die Tür, die sich bewegt, eine Kugel trifft Wes Beesons Hand. Während noch der Donner der Schüsse die Scheiben und Gläser im Saloon klirren läßt, springt Calamity-Johns mit
einem wilden Satz durchs Seitenfenster und reißt Glas und Holz mit nach draußen. Wes Beeson schreit auf und greift mit der gesunden Hand zum Colt, der auf den Boden gefallen ist. Da peitscht von draußen ein Schuß herein und trifft nicht den Marshal, sondern Beeson. Der Bandit stürzt gegen das Orchestrion. Mit einem Satz ist Marshal Long hoch und läuft hinaus, um diesen Johns noch zu kassieren. Hinter ihm schlagen die Türflügel. Blitzschnell blickt er sich um. Calamity-Johns kriecht unter den Bäuchen der stampfenden Pferde hindurch und schwingt sich hastig auf sein Pferd. Er reißt am Zügel und will davonjagen – aber Jim Long ist schneller. Er taucht plötzlich dicht neben Calamity-Johns auf und reißt ihn am Bein vom Pferd. Aufbrüllend fällt der Bandit in den Straßenstaub. Das Pferd weicht wiehernd zurück. Fauchend kommt Johns hoch, hebt den Colt und will aus nächster Nähe auf den Marshal feuern. Mit voller Wucht schlägt Jim Long ihm die Waffe aus der Hand, packt ihn an der Jacke und haut zu. Der Hieb wirft Johns gegen das Geländer. Krachend zerbricht die Holzstange. Johns fällt rücklings auf den Gehsteig. Sofort ist Long bei ihm, zerrt ihn hoch und schiebt ihn vor sich her in den Saloon. In diesem Moment sieht Long, daß die Tür, die sich bewegte und auf die er schoß, jetzt ganz geöffnet ist. Und auf der Schwelle liegt ein stoppelbärtiger Fremder, den Revolver noch in der Faust. Aber der Mann rührt sich nicht mehr. Es ist totenstill im Saloon. Mit metallischem Klirren schließen sich die Handschellen um Johns' Gelenke. »Vorwärts, Johns!« sagt Jim Long hart, als er sieht, daß Wes Beeson und der dritte Mann tot sind. Als er den Halunken Johns zum Office führt, stehen überall Einwohner und Cowboys herum.
Irgendwo jagt ein Reiter davon. Jim Long lauscht dem trommelnden Hufschlag nach und macht sich eine Menge Gedanken über den Reiter, der es da so eilig hat, die Stadt zu verlassen. Sie haben das Office erreicht. Long sperrt Calamity-Johns in eine Zelle. Johns steht hinter der Gittertür. »Das wirst du noch bitter bereuen, Long!« sagt er mit haßgetränkter Stimme. »Du wirst noch den Tag verfluchen, an dem du hier den Stern als Marshal angenommen hast.« *** Marshal Jim Long ist wieder in der Stadt unterwegs, als wäre nichts geschehen. Aber er geht heute schneller. In jedem Saloon und in jeder Bar, die er betritt, wird es still. Selbst die rauhbeinigen und hartgesottenen Treiber aus Texas, die seit zwei Tagen hier oben in Kansas sind, verstummen bei seinem Anblick. Zuletzt kommt Jim Long noch mal in den Golden Hill Saloon. Belle muß schon lange auf ihn gewartet haben. Denn als er an der Tür erscheint, blickt sie ihm genau in die grauen Augen. Er geht langsam an die Theke. Viele Blicke ruhen auf ihm. Die Toten sind hinausgetragen worden. Long kann das Hämmern aus der Sargtischlerei hören. Er wird die Särge bezahlen müssen. Das ist üblich so. Das zerbrochene Fenster ist schon mit Kistenholzbrettern zugenagelt worden. Mit einem ernsten Lächeln sieht Jim Long Belle an. Sie füllt das Glas mit Whisky und schiebt es ihm wie immer hin. Als er langsam trinkt, beginnen die Leute wieder zu reden, aber leise und gedämpft.
»Gut, daß du hier bist«, flüstert Belle. »Du könntest jetzt auch ein paar Häuser weiter sein.« Sie meint die Sargtischlerei. Er nickt. »Es war eine Falle, Belle«, murmelt er. »Beeson und Calamity-Johns kamen offen in die Stadt. Zwei andere ritten von hinten an den Saloon heran. Einer schlich sich dann ins Haus und wartete auf mich; du mußt da schon wieder hinter der Theke gewesen sein. Der vierte Halunke wartete hinten auf dem Hof. Es waren vier, Belle.« »Woher weißt du das, Jim?« fragt sie besorgt. »Hast du ihn gesehen?« »Nein, aber ich hörte, wie er davonritt. Einer ist entkommen.« Sie füllt sein Glas noch mal. »Vielleicht holt dieser Halunke Verstärkung, Jim. Vielleicht hat dieser Calamity-Johns noch mehr Partner!« »Schon möglich, Belle«, sagt Long ausweichend. Der Kampf von vorhin ist ihm kaum anzumerken. Nur Belle, die ihn recht gut kennt, sieht das Flackern in seinen Augen. Er atmet auch schneller und härter, denkt sie. »Und was wirst du tun, Jim?« fragt sie leise und bedrückt. »Du hast diesen Johns am Hals! Wenn er Freunde hat, dann werden sie versuchen, ihn aus dem Gefängnis herauszuholen!« Er lächelt freudlos. »Morgen geht ein Zug nach Kansas City. Ich werde dem Deputy einen Bericht mitgeben. Er wird Calamity-Johns nach Fort Leavenworth bringen. Und er wird mit Johns von hier weg sein, bevor die Bande auftaucht.« Sie schüttelt den Kopf. »Warum gibst du diesen Job nicht endlich auf, Jim Long?« fragt sie herb. »Du stehst hier immer mit einem Bein im Grab. Du bist hier die Zielscheibe für das Gesindel, und wenn du einen erschossen hast, zahlst du auch noch den Sarg. Keine Nacht Ruhe, immer unterwegs, das hält doch kein Mensch aus. Jim, gib es auf. Mach Schluß. Leg den Stern auf den Tisch, bevor du auf der Straße niedergeschossen wirst!«
Er sieht sie nachdenklich an. Sie erkennt an seinem Gesichtsausdruck, daß es für ihn diesen Weg nicht gibt, den sie ihm da zeigt. »Jetzt, Belle?« fragt er dunkel. »Jetzt, wo Johns drüben sitzt, da soll ich einfach aufhören? Jetzt muß ich die Suppe erst mal auslöffeln. Dann können wir noch einmal darüber reden.« Sie seufzt. »Daran glaubst du doch selber nicht!« Er grinst flüchtig, trinkt das Glas leer, legt einen Dollar auf die Theke und deutet auf ihr rotflammendes Haar. »Habe ich dir nicht schon einmal gesagt, daß du dein Haar nicht mehr rot färben sollst?« »Fang nicht wieder davon an, Jim Long!« »Aber schwarz sieht es besser aus«, meint er ruhig. »Mach's gut, Belle.« Langsam geht er zur Tür. Sie blickt ihm nach, bis er hinausgegangen ist. Die Straße hat sich geleert. Long geht in sein Office, drückt die Tür zu und schraubt den Docht der Lampe etwas herunter, so daß der Lichtkreis nur noch bis zu der Zelle hinreicht, in der Calamity-Johns lang ausgestreckt auf der Pritsche liegt. Wieder setzt Jim Long sich hin, wieder beginnt er zu schreiben. Zwischen den beiden so grundverschiedenen Männern im Office herrscht eisiges Schweigen. Jim spürt fast körperlich diesen wilden Strom des Hasses, der von Johns ausgeht. Es ist still im Office. Die Feder kratzt übers Papier. Dumpf tickt die Uhr. Einmal knarrt das Lager in der Zelle etwas, als Johns sich bewegt. Jim braucht viel Zeit für seinen Bericht. Schließlich erhebt er sich, geht an die Wand und löst die beiden Steckbriefe, faltet sie zusammen und legt sie dem Bericht bei. Er schiebt alles in einen großen Umschlag und schließt ihn. Der dritte Bandit, der hinter der Saloontür gestanden hatte, ist ihm steckbrieflich nicht bekannt. Draußen reiten gerade ein paar Männer vorüber und singen – nicht schön, aber laut. Die letzten Cowboys, die sich auf den Weg zu ihrem Camp vor der Stadt machen.
Jim setzt sich wieder hinter den Schreibtisch. Der Gedanke, daß Johns noch irgendwo Freunde hat, verdichtet sich mehr und mehr. Da sagt Johns plötzlich heiser: »Du willst mich nach Kansas City bringen, was?« In steinerner Ruhe sitzt Jim auf dem Stuhl und kehrt dem Halunken den Rücken zu. »Machen Sie sich keine Gedanken drum, Johns«, spricht er rauh. »Das Denken nehmen Ihnen jetzt andere ab.« Er erhebt sich, geht zu seinem einfachen Schlaflager an der Seitenwand des Office und legt sich hin. »Schlaf gut, Marshal!« zischt Calamity-Johns boshaft. »Es ist die letzte Nacht.« Jim Long antwortet nicht. Es wird eine verdammt lange Nacht. Jim Long geht noch dreimal durch die Stadt und macht seine Runde. Doch es bleibt ruhig. Als der Morgen graut, kommt der Deputy zurück. »Mach dich fertig, Billy«, sagt Jim Long gähnend zu ihm, »du nimmst den nächsten Zug nach Kansas City.« *** Der Schienenstrang glänzt in der Sonne. Das überstehende Dach der Bahnstation wirft einen schmalen Schatten. An den Händen gefesselt, steht Calamity-Johns auf der Station, von Jim Long und dem Deputy bewacht. Mit scharfen Augen blickt Jim Long über die Schienen, die sich in der Ferne verjüngen und irgendwo dort zusammenzulaufen scheinen. Fernab schimmern die grünen Hänge der Hügel. Ein hoher, klarer Himmel spannt sich über die Ebene.
Jim hört die Pfiffe und die knallenden Peitschen der Treiber, hört das Stampfen der Rinder, die in die Waggons getrieben werden, und das Wiehern von Pferden. Er dreht sich halb um und sieht über die Stadt zum Kansas River hinüber. Dort lagert wieder eine mächtige Herde, von Treibern zusammengehalten, die auf den nächsten Viehzug warten. Staub zieht über die Verladerampen hinweg. »Er kommt«, sagt der Deputy plötzlich. Ein Mann mit einer Nickelbrille streckt im selben Moment den Kopf aus dem Stationshaus und ruft: »In Lawrence wird der Zug halten, Marshal! Hab' gerade die Nachricht bekommen!« »In Ordnung«, sagte Jim Long. Er wirft seinen Deputy Perkins einen warnenden Blick zu. Der Deputy begreift. Paß nur höllisch auf! bedeutete Longs Blick. Und sieh genau hin, wer in Lawrence zusteigt! In der Ferne wallt Rauch hoch. Die Lok muß eine Steigung überwinden. Langsam kommt sie näher und zieht vier Wagen hinter sich her. »Ziemlich pünktlich, wie?« meint der Stationsmann. »Kommt nicht alle Tage vor.« Schnaufend, rasselnd und fauchend kommt der Zug heran. Mit hartem Tacken rollen die Räder über die Schienenabsätze. Schwarzer Rauch zieht über die Station hinweg. Drüben scheuen ein paar Pferde von Texas-Cowboys, die zum erstenmal eine Eisenbahn sehen. Ein nervenzerfetzendes Quietschen schrillt über die Stadt, als die Bremsklötze auf die Räder der Wagen wuchten. Langsam kommt der Zug zum Stehen. Der Stationsmann wandert an den Wagen entlang und ruft die Stadt aus. Ein paar Fahrgäste steigen aus, ordnen die Bekleidung und werden von Einheimischen begrüßt. Jim Long nickt Billy Perkins zu. »Dann los!« knurrt der Deputy und schiebt Calamity-Johns vor sich her. Sie steigen in
den Wagen. Johns dreht sich halb um und starrt Jim Long haßerfüllt und vernichtend an. »Wir sehen uns wieder, Long!« knurrt er. »Du wirst dich und die ganze Stadt noch verfluchen und...« »Vorwärts!« sagt da Billy Perkins und stößt Johns vorwärts. Sie betreten das offene kleine Abteil. Die Mitreisenden sehen nur kurz herüber. Billy beugt sich zum Fenster hinaus. »In vier Tagen bin ich zurück, Marshal.« »Nimm es nicht so leicht, Billy«, sagt Jim Long warnend. Dann tritt er zurück, und die Lok stampft und rollt an. Nachdenklich blickt Long dem Zug nach. Er dreht sich schließlich um und will in die Stadt zurückgehen, als der Stationsmann, der zugleich auch Telegrafist ist, mit einem Zettel in der Hand herauskommt. »Eine Nachricht für Sie, Marshal.« Jim liest. Eine steile Furche bildet sich auf seiner Stirn. »Das ist keine gute Nachricht«, murmelt er. »Das glaub' ich, Marshal.« Der Stationsmann nickt eifrig. Langsam geht Jim Long in die Stadt zurück. Einmal bleibt er stehen und sieht über die Ebene nach Süden, wo unzählige Büffelskelette, von der Sonne gebleicht, die Prärie bedecken, wo eine Treibherde auf den Rampen verschleust wird und wo eine Staubwolke zum Himmel wallt. Dort im Süden wird bald eine neue Treibherde auftauchen. Sie wird von Männern herangetrieben, unter denen gesetzlose Halunken sind. Die Nachricht in Longs Händen sagt das. Sie kommt aus dem Süden. Ein Sheriff hat ihn gewarnt. Es gibt ein altes Gesetz: Wenn Banditen mit einer Treibmannschaft unterwegs sind, dann läßt jeder Sheriff sie ziehen. Aber am Zielort genießen die Banditen nicht mehr den Schutz der Mannschaft. Jim Long fällt es zu, diese Banditen zu stellen.
Als der Marshal in den Saloon kommt, reinigt der Keeper gerade den Raum. Belle ist noch nicht da. Verdrossen geht Jim Long zu seinem Office hinüber und setzt sich an den Tisch. Nein, denkt er, das ist wirklich keine gute Nachricht, verdammt! *** Der Deputy Perkins hat sich zurückgelehnt und blickt hinaus, wo die Landschaft vorbeizieht. Monoton hämmern die Räder über die Schienenlücken. Staub haftet draußen am Fenster. Auf seinem stählernen Weg macht der Zug einen weiten Bogen und nähert sich endlich der Station Lawrence. Dort halten fünf Reiter. Sie haben sich aufs Sattelhorn gestützt und die Schultern nach vorn gezogen. Ausdruckslos sehen sie dem Zug entgegen. Zwei Sattelpferde stehen hinter dem Stationshaus. Niemand ist sonst auf der Station. Lawrence ist ein kleines Nest. Die Lok pfeift schrill. Aus dem kleinen Stationshaus tritt der Stationsmann hervor und mustert die Reiter. »Wer von Ihnen will nun mit dem Zug fahren?« fragt er. Sie geben keine Antwort, sie sehen ihn noch nicht einmal an. Schon verlangsamt der Zug die Geschwindigkeit. Im ersten Wagen beugt Billy Perkins sich vor und versucht, die Station zu erkennen. Dabei muß er Calamity-Johns etwas nach vorn ziehen, weil beide aneinandergekettet sind. In diesem Moment betritt jemand ihr kleines Abteil. Billy Perkins sieht es nicht. Dann beginnen die Bremsen zu kreischen, und ein Ruck geht durch den Wagen. Billy sieht zu Johns hinüber, sieht ihn grinsen und fährt herum. Er erblickt noch eine Gestalt, dann schlägt ihm aus einem Derringer Feuer entgegen.
Der Deputy Perkins fällt auf den schmutzigen Boden des Abteils und reißt Johns noch halb. vom Sitz. Die Eisenkette klirrt. »Tut mir leid, Junge.« Die blonde Frau im schwarzen Kleid zieht die Hand zurück, steckt den Derringer ein, mit dem sie geschossen hat, und faßt Perkins unter dem Arm. Calamity-Johns grinst noch mehr. Er packt Perkins auf der anderen Seite. Während noch die Bremsen kreischen, schaffen die beiden den Deputy hinaus aus dem Wagen und auf die Plattform. Schon hält der Zug. Zwei Reiter steigen von den Pferden und springen auf den Zug. »Hallo, Johns!« sagt einer von ihnen grinsend. »Alles in Ordnung?« »Red nicht soviel!« faucht Johns giftig. »Pack mit an! Er hat den Schlüssel nicht, und die Eisenkette muß weg!« Die Frau läßt los und bleibt am Rande der Plattform stehen, so daß der Stationsmann nicht sehen kann, wie die drei Männer den Deputy zur anderen Seite hin vom Wagen ziehen. Sie stoßen ihn unter den Wagen. Calamity-Johns legt sich neben die Schiene. Die Eisenkette spannt sich über die Schiene. Drüben schrillt die Pfeife des Stationsmannes. Die Lok stößt schwarzen Qualm aus und rollt an. Im letzten Moment spring die Frau vom Wagen und lenkt den Stationsmann ab. Riesengroß rollt das erste Rad des Wagens auf die Eisenkette zu, die den Deputy mit Johns verbindet. Johns öffnet den Mund und beißt die Zähne aufeinander. Dann ruckt es heftig an seinem Handgelenk. Das Gewicht von Rad und Wagen zerdrückt die Eisenkette und walzt sie dünn und breit auseinander. Dann kommt auch schon das nächste Rad. Beim dritten Rad ist die Kette so dünn geworden, daß Johns sich losreißen kann. Er springt auf. Das Ende der Kette hängt noch am Handgelenk. »Verschwinden wir!« schreit er. Gleich hinter dem letzten Wagen springen sie über die Schienen.
Ein Schuß peitscht auf. Die Banditen hetzen zu den Pferden und schwingen sich in die Sättel. Auch die Frau steigt auf. Schon jagt die Bande nach Norden, um ihre Spur im Wasser des Kansas River zu verwischen. Totenstille kehrt auf der Station ein. Der Deputy Perkins liegt zwischen den Schienen. Vor dem Haus liegt der Stationsmann. Im Haus beginnt der Telegraf zu ticken, aber niemand ist da, der die Nachricht abliest. Heiß glüht die Sonne auf die Schienen. Längst ist der Zug davongerollt. Ohne Calamity-Johns, ohne den Deputy Perkins. Unten aus dem Nest Lawrence kommt ein Junge heran. Er trägt einen Korb. Sicher ist in diesem Korb was zum Essen für den Stationsmann. »Onkel Brave!« ruft er mit heller Stimme. »Onkel Brave!« Keine Antwort. Nichtsahnend kommt der Junge um das Stationshaus. Da sieht er seinen Onkel Brave liegen. Er erstarrt, und der Korb rutscht ihm vom Arm. Schreiend läuft er zu den paar Häusern zurück. Gleich darauf kommen mehrere Männer und Frauen herangehastet. Sie beugen sich über den Stationsmann, und einer sagt undeutlich, daß er noch lebe. In diesem Moment rührt sich Billy Perkins. Nur schwach – aber sie sehen es. »Mein Gott!« sagt eine Frau erschrocken. »Ist das nicht der Deputy von Marshal Long aus Topeka?« *** Es ist Nacht, als Marshal Jim Long sein Pferd in das kleine dunkle Nest lenkt und nach dem Haus des versoffenen Arztes sucht, der in Lawrence wohnt und schon längst nicht mehr seinen Beruf ausübt.
Hohl klappern die Hufe von Longs Pferd durch die enge Straße und verstummen schließlich vor einer Tür. Der Marshal steigt ab und klopft an. Es dauert eine ganze Weile, bis der ehemalige Arzt die Tür öffnet. Jim erblickt einen kleinen Mann, dessen Gesicht vom vielen Alkohol gerötet ist. »Was...?« bellt der Mann. »Ich bin Marshal Long«, unterbricht Jim ihn. »Mein Deputy soll bei Ihnen sein.« »Sie sind aber verdammt früh hier. Wir haben Sie erst für morgen erwartet.« Jim folgt dem Mann in einen kleinen Raum. Zwei Lager stehen hier. Der Doc macht Licht. Jim sieht in dem linken Bett einen älteren Mann liegen. Im rechten liegt Billy Perkins. Lautlos tritt er an Billys Lager und beugt sich über ihn. Perkins ist blaß. Sein Gesicht ist tief eingefallen und sieht wie leblos aus. Ein Verband spannt sich über seine Brust. Er atmet unregelmäßig und schwer. Fragend sieht Jim den Säufer- Arzt an. Der zuckt die Achseln und winkt ihm, ihm in den Nebenraum zu folgen. Er nimmt die Lampe mit und stellt sie auf den Tisch. »Haben Sie die Kugel 'rausgeholt, Doc?« fragt Jim mit spröder Stimme und etwas ungläubig. »Ja, sicher – oder denken Sie, ich könnte das nicht mehr?« Jim sieht sich um. Sauber sieht es nicht aus. Leere Flaschen stehen herum. Auch dieser kleine Doc macht einen unsauberen Eindruck. »Und, Doc? Wie steht es mit meinem Deputy?« »Sehr schlecht, Marshal. Ich mußte ihm die Kugel zwischen den Rippen herausholen. Der alte Brave hat mehr Glück gehabt. Ja, ich hatte mächtig viel zu tun.«
»Sie bekommen Ihr Geld, Doc«, sagt Jim etwas bitter, »aber erst eine Anzahlung.« »Warum, he?« In den Augen des Arztes funkelt es auf. »Was wollen Sie damit sagen, Marshal?« »Ich warne Sie«, sagt Jim kalt. »Wenn Sie weiter saufen und wenn mein Deputy dadurch zugrunde geht, dann holt Sie der Teufel!« »Ich saufe, soviel ich will«, erwidert der ehemalige Doc gereizt. »Denken Sie an meine Worte, Doc.« Jim spricht es leise und streicht sich auf einmal über die Augen. »Ich will den Mann nicht verlieren. Er muß gesund werden, muß reden können. Lassen Sie sofort nach Topeka telegrafieren, wenn er sprechen kann.« »Da müssen Sie noch eine Weile warten, Marshal. So schnell geht das nicht mit ihm. Die Burschen in diesem Land schießen und werden zusammengeschossen. Dann werden sie halbtot hierhergebracht und sollen wieder zusammengeflickt werden. Ein bißchen viel, wie?« Jim antwortet nicht. Er geht hinaus. Draußen gibt er dem Arzt das Geld. Dann reitet er wieder davon, in die Nacht hinaus – zurück nach Topeka. *** Belle bewohnt ein kleines Haus in der Stadt. Auf Jim Longs Klopfen öffnet sie die Tür. Eben graut der Morgen. Mit müden und glanzlosen Augen steht der Marshal vor ihr. Er bewegt die Hand und will etwas sagen. »Komm schon 'rein, Jim«, sagt sie da. »Ich werde dir einen starken Kaffee machen.« Sie fragt nicht, wie es Billy Perkins geht. Sie will ihm nicht auf die Nerven gehen. Das ist das großartige an Belle.
Er nickt und schließt hinter sich die Tür. Im Wohnraum brennt die Lampe. Er ist zum erstenmal in ihrem Haus. Der Raum sieht sehr gemütlich aus. Der Fransenschirm über der Lampe schimmert gelb. »Setz dich doch, Jim.« Er nimmt Platz und setzt den durchgeschwitzten Stetson ab. Im Licht schimmert sein Haar schon ein wenig grau und silbern an den Schläfen. Sie sieht es, und neben der Bewunderung für ihn empfindet sie auch etwas Sorge. »Ist was in der Stadt gewesen, Belle?« fragt Jim Long murmelnd und schiebt die Beine von sich. »Denk nicht immer an Topeka«, sagt sie herb. »Es lohnt sich nicht.« Sie wendet sich ab und schiebt den Wasserkessel auf die Herdfläche. Er sieht zu, wie sie Holz auf die Glut im Herd legt. »Ich trage aber den Stern für diese Stadt, Belle.« Sie blickt ihn an, und ganz im Gegensatz zu ihren Worten sind ihre Augen weich. »Warum gibst du es nicht auf, Jim? Ich frage dich wieder! Ich werde dich jeden Tag danach fragen, weil es so wichtig ist. Es gibt bessere Dinge für einen Mann wie dich, als diesen Stern zu tragen, den ich langsam zu hassen beginne! Was nützt dir der Stern auf dem Grab? Diese Leute da draußen werden an deinem Grab stehen, und vielleicht werden auch einige ein paar Blumen pflanzen. Dann kommt der Wind, treibt Sand über dein Grab – die Blumen verwelken, das Kreuz verwittert – dein Name ist vergessen...« »Belle...« Leise spricht er ihren Namen aus. Sie läßt die Hände sinken. »Nun – ich wollte dir einen starken Kaffee brauen und nicht mit dir streiten.« »Es war kein Streit, Belle.« Er reibt sich mit einem Tuch den Staub und Schweiß aus dem Gesicht. Sie bleibt am Herd, bis das Wasser kocht. »Mahl den Kaffee, Jim«, sagt sie dann und reicht ihm die Kaffeemühle.
Er grinst, mahlt und vergißt dabei ganz, wo er ist. Er denkt an Billy Perkins und ist ganz abwesend, bis sie ihm die Mühle aus den Händen nimmt. Gleich darauf duftet es nach Kaffee, und wenig später setzt Belle ihm eine große, dickbauchige Tasse vor. »Schön hast du es hier, Belle«, meint er und trinkt vorsichtig. »Du paßt besser hierher als in den Saloon.« »Du auch«, entgegnet sie leise. »Du paßt besser auf eine Ranch – auf eine eigene kleine Ranch mit zwei Pferden und ein paar Rindern. Nicht in diese Stadt, die dich einmal umbringen wird.« »Du siehst zu schwarz, Belle.« Er trinkt wieder vorsichtig und sieht sie über den Rand der Tasse hinweg ernst an. »Billy hat es schwer getroffen, Belle. Ein Pfuscher von Arzt hat ihm die Kugel aus der Brust geholt – aber zum Glück war wenigstens dieser Pfuscher da! Ich kann Billy nicht nach Topeka holen, auch wenn ich es möchte. Er würde den Transport nicht überstehen. Ich muß mich damit abfinden, daß er längere Zeit in Lawrence bleibt.« Sie ist unruhig. »Wenn du Calamity-Johns nach Kansas City gebracht hättest, dann wärst du jetzt halbtot, Jim. Und es ist für mich ganz klar, daß Johns mit seinen Freunden zurückkommen wird. Irgendwann werden sie in Topeka sein und auf dich warten, dir eine Falle stellen und dich erschießen.« Er trinkt wieder und runzelt die Stirn. Der starke Kaffee belebt ihn. Er fühlt sich wohler, aber die düsteren Gedanken bleiben haften. »Du bist eine Frau, Belle, die den ruhigsten Mann verrückt machen kann«, meint er auf einmal. Sie füllt die Tasse neu. »Ich meine es nicht so. Aber soll ich schweigen und so tun, als wenn alles gut wäre?« Er horcht plötzlich nach draußen – aber kein Laut unterbricht die Stille des Morgens.
»Du kannst dich hier ausruhen, Jim«, sagt sie. »Leg dich dort auf die Couch. Hier hast du mehr Ruhe als im Office. Ich werde dich wecken, wenn es Zeit ist.« Er will erst nicht, aber dann legt er sich doch hin. Und Belle, die im Nebenraum auf der Kante ihres Bettes sitzt, hört seine schweren Atemzüge und kann nicht wieder einschlafen. *** Belle berührt sanft seinen Arm. Er fährt hoch und greift sofort zum Revolver. »Mein Gott, Jim – ich beiße nicht«, sagt sie. »Du mußt aufstehen. Ich war eben draußen. Man sagt, daß eine große Herde aus Texas vor der Stadt aufgetaucht ist, und man sucht dich schon.« Er nickt, steht auf und will zur Tür. Da drückt Belle ihm eine Brotschnitte in die Hand und lächelt. Er beißt hinein und verläßt das kleine Haus. Auf dem Weg zum Office hört er, daß die große Herde nur noch drei Meilen von der Stadt entfernt ist. Dann steht er am Schienenstrang und blickt nach Süden. Flirrende Hitze liegt auf dem Land, und dort hinten wallt der Staub über einer großen Herde. Deutlich sieht er die Treiber vor und neben der Herde. Fernes Gebrüll dringt zu ihm herüber, vom Wind herangetragen. Es dauert aber noch drei Stunden, bis sich vier Reiter von der Herde lösen und vorausreiten. Sie halten auf die Verladerampe zu, wo an diesem Morgen die letzten Rinder einer kleineren Herde verladen werden. Die Lok steht schon fauchend und zischend vor der Kette der Waggons. Die letzten Verladepapiere, Kauflisten und Abrechnungen gehen von Hand zu Hand. Jim sieht den Trailboß mit dem Aufkäufer zusammenstehen. Sie reichen sich die Hände. Dann steigen
drei Männer auf den vorderen Wagen. Schrill gellt der Lokpfiff über die Ebene. Der Viehzug rollt an. Durchschwitzt und verschmutzt kommen die Treiber über den Schienenstrang. Sie lachen und machen derbe Witze. Für sie ist die Arbeit zu Ende. »Wenn's zu laut wird, Marshal – drücken Sie die Augen mal zu«, grinst der Herdenboß und grüßt Jim Long. »Meine Jungs haben hart gearbeitet.« »Sicher«, nickt Jim. »Viel Spaß dann noch. Aber die Burschen sollen mir meine Stadt nicht abreißen.« »Danke, Marshal.« Mit rasselnden Sporen geht die Mannschaft in die Stadt und führt die Pferde hinter sich her. Jim blickt wieder nach Süden. Die vier Reiter sind schon beträchtlich näher gekommen. Überall am Rande der großen Rinderstraße bleichen die Knochen von Tausenden von Büffeln, die erst vor wenigen Jahren hier auf der ganzen Ebene bis hinunter nach Dodge City abgeknallt wurden, um die Felle und Häute nach Osten transportieren zu lassen, wo Treibriemen, Mäntel und Schuhzeug daraus hergestellt werden. An diesem trostlosen Knochenfeld reiten die vier Cowboys vorbei. Sie müssen Jim wohl schon bemerkt haben, denn sie halten genau auf ihn zu. Er kann ihre Gesichtszüge aber erst erkennen, als sie den Schienenstrang überqueren. Es sind harte Gesichter, und sie sehen wie Masken aus Staub und Schweiß aus. Einer der vier Burschen ist besonders groß und knochig. Sein Haar ist verstaubt, aber die rote Farbe schimmert durch. Die Reiter zügeln vor Jim die Pferde, und der Rothaarige beugt sich vor, tippt an den Stetson und sagt: »Mein Name ist McIntosh – Jesse McIntosh. Ich bin der Boß. Ich habe neun Mann und eine Herde von tausendvierhundert Rindern aus Westtexas.«
»Hm«, macht Jim nachdenklich und blickt den Iren forschend an. »Ein weiter Weg. Warum habt ihr nicht nach Dodge City getrieben? Wäre näher gewesen.« »Stimmt, Marshal. Wir kommen aus dem Panhandle und sind durchs Niemandsland gezogen, über den North Canadian hinweg. Da hörten wir was von der Rinderpest im Norden und bogen ab. In Hutchinson und Wichita war nichts zu machen. Da lagern Herden für ein paar Wochen. Da gab es nur noch Topeka für uns.« Er blickt über die Rampen und nickt zufrieden. »Hier sieht es gut aus für uns. Wohl nicht viel los, wie?« »Ihr kommt nicht gleich an die Reihe«, sagt Jim ruhig und deutet über die Stadt. »Hinten am Fluß lagert noch eine große Herde. Die kommt noch vor euch zum Verladen.« Schon bei seinen Worten merkt er, daß diesen Burschen nicht gefällt, was er sagt. Vom wochenlangen Trail und durch die Umwege sind sie gereizt. Ihre Ruhe ist nur oberflächlich. Sie wollen schnell verladen und fertig werden. Er ahnt, daß es Ärger geben wird mit dieser Mannschaft – aber er wird nicht abseits stehen können, denn in der Mannschaft stecken auch ein paar Banditen. Der Ire sieht nicht danach aus, als wenn er mit ihm vernünftig über die Auslieferung der Banditen sprechen könnte. »Nun«, dehnt der Ire und verzieht den dünnen Mund, »dann müssen sich die Leute von der anderen Seite aber höllisch beeilen; unsere Herde wird gleich vor den Korrals stehen.« »Ihr müßt euch erst anmelden«, sagt Jim ruhig. »In der Stadt ist das Office des Viehaufkäufers. Geht hin und sprecht mit ihm.« »Das werden wir auch«, nickt Jesse McIntosh und reitet mit seinen Begleitern weiter. Jim sieht ihnen nach.
Gleich werden die Treiber am Fluß wissen, daß eine Herde auf die Stadt zugetrieben wird. Dann wird der Wettlauf beginnen. »Ich hätte es den Jungens sagen sollen«, murmelt Jim vor sich hin. Es ist zu spät. Er hat an Billy Perkins gedacht, und er hat auch nicht gewußt, daß dieser Ire so stur ist. Als er vor seinem Office steht, sieht er die drei Reiter und das ledige Pferd des Herdenbosses vor dem Büro des Viehaufkäufers. Er geht nach hinten, sattelt sein Pferd und reitet zum Fluß hinunter. Die Rinder der letzten Herde haben sich am Fluß gut erholt. Die Mannschaft bricht gerade auf und steigt in die Sättel. Hier ist Colorado der Boß – ein kleiner, ungemein zäher und harter Mann, der mit einem Pulverfaß auf zwei Beinen zu vergleichen ist. »Ah, der Marshal kommt auch schon!« meint er etwas ironisch und angriffslustig. »Hab' schon gehört, daß 'ne neue Herde aus dem Süden anmarschiert. Einer meiner Männer ist gerade aus der Stadt gekommen und hat mir gesagt, daß so ein Rotschopf der Boß ist.« »Ja – Jesse McIntosh.« Jim Long deutet zurück. Das Pferd unter ihm tänzelt etwas. »Behaltet einen kühlen Kopf, Männer, sonst gibt es mächtig viel Kummer. Treibt eure Herde los.« Colorado sieht ihn mit verkniffenen Augen an. »Wir treiben durch die Stadt, Marshal«, sagt er dann. »Dann schick zwei Männer voraus, die die Leute auf der Straße warnen«, nickt Jim. »Los, ihr beiden – haut schon ab!« ruft Colorado sofort. »Und wir treiben los, Jungs!« Jim Long reitet zur Seite und sieht zu, wie die Mannschaft die Herde in Bewegung bringt. Pfiffe gellen, Peitschen knallen, heisere Stimmen schreien – dann bewegt sich die Herde auf die Straße zu und flutet hinein. Topeka versinkt fast im Staub.
Donnernd wälzt sich die Herde durch die Stadt. Reiter flankieren sie. Weit vorn brüllen die Vorreiter und scheuchen die Leute auf die Gehsteige. »Dieser verdammte Marshal!« sagt Jesse McIntosh, als er aus dem Office gekommen ist. »Aber noch ist der Zug nicht da. Ich glaube, wir werden uns was einfallen lassen müssen, Jungens!« Grimmig sehen sie den Schlußreitern nach. Aus dem dichten Staub löst sich ein kleiner Reiter, zerrt am Zügel und blickt vom sich drehenden Pferd aus zum Office des Viehaufkäufers, wo die vier Treiber aus Westtexas stehen. »Kommt mir bloß nicht in die Quere!« ruft Colorado heiser. »Der nächste Zug gehört mir!« Dann jagt er der Herde nach. »Dir wird schon noch die Luft ausgehen!« faucht der Ire grimmig. Mit einem Sprung ist er im Sattel. Schon reiten sie durch die Staubwolken und zum Schienenstrang, überqueren ihn und nähern sich ihrer Herde. Schon von weitem zeigt McIntosh auf die große Weide. Gemeinsam bringen sie dann die Texas-Rinder hin. Die Tiere stürzen sich sofort auf die Wassertröge, die auf der Weide aufgestellt sind. Colorado und seine Männer haben inzwischen ihre Herde im Korral dicht vor den Verladerampen untergebracht. Langsam senkt sich der Staub auf die Ebene. Den ganzen Tag bleibt es trügerisch still und ruhig. Der Marshal ist mehrmals am Schienenstrang. Der nächste Viehzug wird morgen eintreffen. Eine heiße Nacht steht Jim Long bevor. *** Die messingfarbenen Staubschleier am Horizont schwinden, und von Osten her kommt schnell die Nacht. Jim Long geht über die Straße und betritt den Saloon.
Belle bedient die Männer an der Theke. Im Saloon herrscht eine fiebrige Spannung. »Whisky, Jim?« fragt Belle. »Nein, jetzt nicht.« Sie beugt sich vor und stützt sich auf die Theke. »Glaubst du, daß die Texaner in die Stadt kommen werden, Jim?« Er nickt gelassen. »Ja, sie werden kommen.« »Hoffentlich nicht in diesen Saloon«, seufzt Belle. »Dann wäre die Einrichtung hin.« »Das wäre nicht das erste Mal, Belle.« Jim grinst etwas. »Und nicht das letzte Mal.« Sie bedient weiter. Jim geht wieder hinaus. Die Straße ist ziemlich leer. Die Leute wissen schon, was hier vielleicht bald los sein wird. Schräg dem Golden Hill Saloon gegenüber liegt der Cattleman's Saloon, nicht weit von Jims Office entfernt. Dort steht der Keeper in seiner weißen Schürze vor der Tür und blickt sauer zu den Verladerampen hinüber. Offensichtlich ist kein Gast in seinem Saloon. Hinter Jim kommen jetzt Männer aus dem Golden Hill Saloon und verteilen sich. Jim sieht, daß nun auch dieser Saloon leer ist. Belle steht mit dem Keeper und dem Besitzer hinter der Theke. Sie warten nervös. Noch kann Jim nichts tun. Er muß einfach abwarten und sehen, wie sich alles entwickelt. Schlagartig ist es dunkel – und da klingt auch schon Hufschlag die Straße herauf. Die Reiter kommen von der Flußseite heran. Jim wundert sich darüber. Er stellt sich in den tiefen Schatten der Hofeinfahrt und wartet ab. Aus beiden Saloons fällt genug Licht. Wenig später erkennt Jim in diesem Licht die Mannschaft des Iren McIntosh. Hart zieht McIntosh am Zügel und blickt umher. Schließlich entscheidet er sich für den Cattleman's Saloon. Seine Reiter und er steigen davor ab und gehen hinein.
Jim zählt mit McIntosh sechs Mann. Also müssen noch vier Mann bei der Herde sein. Und Jim glaubt genau zu wissen, wer dort geblieben ist. Er ist gewarnt worden. Drei Banditen sind unter der Crew. Also müssen sie auf der Ebene geblieben sein. Sie werden sich erst zu späterer Stunde in die Stadt wagen und wollen bestimmt erst einmal abwarten, was sich abspielt. Jim muß jetzt was tun. Er muß sich beeilen. Gleich wird auch Colorado mit seinen Männern kommen. Mit großen, raumgreifenden Schritten geht er zum Office, holt die Winchester und geht nach hinten, zieht das gesattelte Pferd aus dem Stall und sitzt auf. Als er anreiten will, hört er Colorado kommen. Der kleine, von emsiger Betriebsamkeit erfüllte Trailboß steigt vor dem Golden Hill Saloon ab und poltert mit seinen Leuten in den Saloon. Jim Long verhält am Straßenrand. Nur die Straße ist jetzt zwischen den beiden Mannschaften. Es kann und wird nicht gutgehen! Aber Jim kann sich jetzt nicht hier aufhalten. Er muß erst einmal auf die Ebene hinaus! Er treibt sein Pferd an und reitet durch die Lichtbahnen zum Schienenstrang. Dunkel lagert die Herde von Colorado vor den Gleisen. Brummen und Murren tönt herüber. Am Lattenzaun steht ein Cowboy. »Wer da?« ruft er halblaut. Es knackt metallisch, als er das Gewehr durchlädt. »Marshal Long«, sagt Jim ruhig, reitet näher und verhält auf der anderen Seite des Holzzauns. »Alles ruhig in der Stadt, wie?« fragt der Wächter ihn. »Dabei habe ich diesen verdammten McIntosh drüben vorbeireiten hören.«
»Yeah, sie sind drin«, nickt Jim. »Paß auf, daß du nicht überrascht wirst. Auf der Ebene sind noch vier Burschen von McIntosh.« »Glauben Sie, daß die unsere Herde hochgehen lassen wollen, Marshal?« fragt der Wächter heiser. »Das ist schon möglich. Halt die Augen auf!« Langsam reitet Long weiter. Er schlägt einen Bogen, reitet noch langsamer und steigt schließlich vom Pferd. Er nimmt die Winchester mit und geht geduckt weiter, nähert sich den letzten Korrals vor der Weide und blickt wachsam voraus. Schon heben sich Lattenzäune vor dem ein wenig helleren Horizont ab. Er gleitet zu Boden und blickt suchend umher. Schon kurz darauf entdeckt er einen Mann, der am Gatter hockt. Der Mann raucht, der Glühpunkt der Zigarette beleuchtet schwach sein Gesicht. Die anderen sind nicht zu sehen. Lautlos gleitet Jim näher. Der Mann blickt zur Stadt, deren Lichter durch die Nacht leuchten. Jim kommt ungesehen heran, stößt dem Mann den Lauf der Winchester in die Seite und sagt leise und kalt: »Nicht bewegen, Freund!« Erst jetzt erkennt er, daß der Mann noch ein ziemlich junger Bursche ist. Dem Boy fällt vor Schreck die Zigarette aus dem Mund. Funken sprühen umher. »Was...« »Ruhig, Junge!« unterbricht Jim ihn schnell. »Wie heißt du?« »Mike.« Jim nickt. Für den Boy ist er eine aufrechte und dunkle Gestalt ohne Gesicht. Nur schwach schimmert der Stern an der Lederweste. »Also gut, Mike«, sagt er rauh, »du bist allein hier. Wo sind die anderen?« »In der Stadt.« »Die meine ich nicht, Mike. Ich will wissen, wo die drei anderen geblieben sind.«
Der Bursche schweigt. »Ihr habt doch irgendeine Schweinerei vor, Mike«, sagt Jim bestimmt. »Ihr wollt die Herde am Schienenstrang durcheinanderjagen, nicht wahr? Und darum sind die drei weggeschlichen. Und wenn es in der Stadt knallt, dann legen diese drei los. So soll's doch zugehen, Mike? Oder nicht?« »Wer sind Sie überhaupt?« begehrt der Boy auf. »Was wollen Sie hier?« »Du weißt es längst, Mike. Du hast auch schon den Marshalstern gesehen. Ich warte nicht länger auf deine Antwort!« Jims Stimme hat einen drohenden Unterton bekommen, den der Cowboy nicht überhört. Er ist jung, aber bestimmt zäh und sehr kräftig, sonst wäre er nicht mit auf den Trail genommen worden. »Finden Sie es doch selbst heraus, Marshal!« faucht er giftig. »Ich weiß nichts.« Da packt Jim zu, reißt ihn hoch und stößt ihn unsanft gegen das Gatter. Er muß es machen, denn wenn hier ein Krieg angezettelt wird, dann muß es die Stadt nachher ausbaden. »Nun, Mike? Weißt du auch, wer die drei Halunken sind? Drei Banditen, die sich unter euch verkrochen haben, um sicher nach Kansas zu kommen, weil sie unten gesucht werden.« »Das ist nicht wahr!« behauptet Mike keuchend. »Komm mit, wir fragen sie!« Unwillkürlich blickt der junge Cowboy zum Verladebahnhof und verrät so Jim, wo die drei Banditen sind. Jim schlägt nur kurz und nicht allzu hart zu und legt Mike sanft auf den Boden. Dann nimmt er sein Gewehr und läuft geduckt am Gatter entlang. Das Murren der Rinder übertönt seine Schritte. Er kennt hier jede Handbreit Boden. Wie ein schwarzer Schatten schlüpft er durch die Stangen und schiebt sich durch die ruhende Herde.
Einsam, wie verloren, brennt die Laterne am Stationshaus und wirft ihr schwaches Licht auf die Schienen. Dunkel stehen die Rampen und Gebäude an den Schienen. Wie ein riesengroßer Topf ragt der Wassertank hoch. Aus der Stadt kommt kein Laut. Jim läßt sich zu Boden gleiten und blickt umher. Vor ihm erstreckt sich der breite zerstampfte Weg zwischen den beiden Korrals – und drüben lagert die Herde der Colorado-Mannschaft. Jim Long steigt über einen Wassertrog hinweg und huscht wie ein Puma über den Weg, kauert am Pfosten, kriecht weiter und erreicht die erste Rampe. Vor ihm liegt die Herde. Der Geruch der Herde steigt ihm in die Nase. Er steht bewegungslos im Schatten. Da hört er Stimmen. Noch weiß er nicht, woher sie kommen. Suchend schweift sein Blick umher. »Wir müssen noch warten«, hört er. »Still jetzt!« Er schiebt sich etwas zurück und sieht den Posten, den Colorado zurückgelassen hat. Der Mann ahnt gar nicht, wie nahe er dem Verderben ist. Diese Banditen werden nicht einfach in die Luft feuern. Sie suchen immer ein Ziel. Und der Mann, der dort Herdenwache hat, könnte ein Ziel für die Banditen sein. Das weiß Jim Long. Du mußt was tun, bevor es zu spät ist, denkt er. Du kannst auf diese Halunken keine Rücksicht nehmen! Geräuschlos umgeht er die Rampe. Fast wäre er mitten zwischen sie gerannt. Die drei Halunken kauern genau hinter der Rampe und haben sich so tief geduckt, daß sie kaum zu sehen sind. Jim bewegt sich vorsichtig auf die Rampe hinauf und erhebt sich halb. Er hat jetzt die Halunken unter sich. Sie halten Gewehre in den Fäusten.
Er breitet die Arme aus und springt hinunter. Er reißt sie alle drei zu Boden, läßt das Gewehr fallen und schlägt in Sekundenschnelle zwei der Burschen zu Boden. Der dritte aber weicht aus und reißt den Colt heraus. Ein Schuß würde sofort die Herde hochjagen und in Stampede versetzen. Jim duckt sich, packt die Winchester am Boden und schleudert sie dem Halunken quer vor den Körper. Aufbrüllend prallt der Kerl gegen die Rampe. Jim springt hinzu, packt das Handgelenk und schlägt den Colt an der Kante der Rampe ab. Dann haut er zweimal mit der Faust zu. Auch der dritte Bandit bricht zusammen. Da kommt der Wachtposten von Colorados Herde herangelaufen. Jim gibt sich schnell zu erkennen, ehe er eine Ladung Blei einfängt oder einen Kolbenhieb. »Verdammt!« stößt der Cowboy überrascht hervor. »Drei Mann?« »Drei«, nickt Jim, »und alle drei wollten diese Herde hochgehen lassen!« Er beugt sich hinunter und entwaffnet die Halunken. »Oh, diese verfluchten Lumpen!« sagt der Cowboy zornig. »Das ist doch ganz schmutzige Arbeit, Marshal!« »Für diese Burschen schon nicht mehr. Sie werden im Süden gesucht. Bringen wir sie ins Gefängnis!« »Da bin ich dabei!« Der Wächter nickt grimmig. Sie warten, bis die Halunken zu sich kommen. Es ist besser und schneller gegangen, als Jim Long gedacht hatte. »Hoch, Freunde!« sagt er etwas sarkastisch. »Ab geht's!« Sie kommen benommen hoch und tasten nach den leeren Colthalftern. »Vorwärts!« befiehlt Jim hart. »Euch werde ich helfen, hier die Hölle loszulassen!« Mit Hilfe des Wächters treibt er die Banditen über den Schienenstrang und zur Stadt hinüber. Sie betreten aber nicht die Straße, sondern nähern sich dem Office von hinten und
verschwinden nacheinander im Office. Die Halunken haben keine Versuche gemacht zu fliehen; vielleicht fühlen sie sich noch sicher genug und glauben, daß der Ire McIntosh sie wieder herausholen wird. Sie sagen auch kein einziges Wort und stehen stumm im Office. Doch der Ausdruck ihrer Augen verrät abgrundtiefen Haß. Jim sperrt sie in die Zellen und schlägt die Türen zu, schließt ab und nimmt die Schlüssel mit. Als er mit dem Wächter das Office vorn heraus verläßt, kommen der Ire McIntosh und seine Reiter aus dem Cattleman's Saloon und bewegen sich langsam über die Straße. Da kommen auch Colorado und seine Männer aus dem Golden Hill Saloon und verharren auf dem Brettersteg. Beide Mannschaften stehen sich gegenüber. Jesse McIntosh nimmt seinen schweren Colt in die Hand und drückt ab. Die Kugel bohrt sich in die sandige Straße. Er grinst, schiebt den Colt zurück und sagt: »He, Colorado, du krummbeiniger Sattelaffe – warum kommst du nicht her und versuchst es mit mir?« Nach seinen Worten horcht er irgendwie angespannt, aber kein Schuß fällt am Schienenstrang. Das Grinsen gefriert auf seinem Gesicht. Er wirft einen schnellen Blick auf seine Leute und flucht leise. Colorado steigt jetzt langsam die Stufen herunter und bleibt ebenfalls auf der Straße stehen. In seinen Augen flackert es zornig. »Glaubst du, ich würde dieses Angebot nicht annehmen, McIntosh?« knurrt er. »Dich Kleiderschrank zerlege ich noch alle Tage!« Jim Long gibt dem Wächter an seiner Seite einen Wink wegzugehen.
Während der Mann eilig über die Straße stiefelt, verharrt Jim. Er hat noch keinen Grund, einzugreifen. Was sich hier anbahnt, ist Sache der beiden Mannschaften. Colorado sieht seinen Herdenwächter kommen und faucht sofort: »Was machst du hier? Bist du verrückt? Du solltest bei der Herde bleiben!« Der Mann schüttelt den Kopf, geht zu seinem Herdenboß und flüstert mit ihm. Plötzlich beginnt Colorado zu grinsen. Er hat jetzt gehört, daß von McIntosh's Leuten drei eingesperrt worden sind. Und ganz plötzlich rennt er los, prallt gegen Jesse McIntosh und bringt ihn aus dem Gleichgewicht. McIntosh stürzt. Beide wälzen sich über die Straße. Das ist der Beginn einer Prügelei. Die anderen Treiber stehen nicht untätig abseits und mischen fleißig mit. Stetsons fliegen in den Staub. Sporen klirren. Überall wirbelt Staub hoch. Lautes Gebrüll schallt durch die Stadt. Vor dem Saloon entbrennt eine Schlägerei, wie sie sich jeden Tag abspielt, solange Treibmannschaften herkommen. Jesse McIntosh ist ein harter Brocken, aber Colorado ist unheimlich schnell und zäh. Dazu kommt auch noch, daß er ausgeruht ist, während McIntosh den Trail gerade hinter sich hat. Sie sind sich ziemlich ebenbürtig, und das bekommt McIntosh zu spüren. Er kann Colorado zwar mit seinen langen Armen auf Distanz halten, aber der Trailboß unterläuft oft den Arm und trifft McIntosh mehrmals dicht über der Gürtelschnalle. Keuchend prallen die beiden gegen die Haltestange und machen sie zu Kleinholz. Sie stoßen sich gegenseitig auf den Gehsteig und schlagen aufeinander los. Der schwere Ire bricht durch ein Brett im Gehsteig und stürzt. Aufbrüllend wirft Colorado sich auf ihn. Sie umklammern sich und rollen vom Gehsteig herunter auf die Straße. Inzwischen verprügeln sich die anderen.
Schon jetzt ist zu sehen, daß McIntoshs Männer unterlegen sein werden. Ihnen fehlen immerhin vier Mann. »Verdammter Kerl!« faucht Colorado in seinem Zorn. »Unsere Herde wolltest du hochjagen, was? Zum Teufel, das habe ich gern, du Rostkopf!« Jim achtet vorerst darauf, daß niemand zur Waffe greift. Langsam wird es etwas ruhiger auf der Straße – und zum Schluß kämpfen nur noch McIntosh und Colorado miteinander. Keiner kann den anderen so empfindlich hart treffen, daß er zu Boden geht. Sie taumeln am Schluß nur noch. Schließlich sacken sie beide zusammen und starren sich giftig an. Da geht Jim Long zu den beiden hin und sagt zu McIntosh: »Geben Sie auf, McIntosh! Die drei Halunken sitzen hinter Gittern. Drei Banditen, die in Ihrer Mannschaft gewesen sind. Sie und Ihre Männer sollten sich erst einmal ausruhen. Ihr habt noch mächtig viel zu tun.« Mit verzerrtem Gesicht kommt der Ire hoch und wischt sich mit dem Handrücken über die Lippen. Er scheint Colorado ganz vergessen zu haben. »Ich brauche die drei, Marshal!« keucht er. »Die Herde muß verladen werden!« »Es sind Banditen, McIntosh«, erwidert Jim ruhig. »Versuchen Sie bloß nicht, sie herauszuholen.« McIntosh sieht ihn wütend an und wendet sich ab. Er sammelt seine Männer ein und zieht mit ihnen zum Cattleman's Saloon. Auch die Colorado-Mannschaft räumt die Straße. Beide Crews haben sich ausgetobt – und jetzt ist es so, als wenn nichts geschehen wäre. Jim kann zufrieden sein. Er geht ins Office, schließt die Tür und setzt sich. Die Banditen in den Zellen beobachten jede seiner Bewegungen, aber sie bleiben stumm.
Nach einer Stunde ist Jim wieder unterwegs und geht durch die Stadt. Im Golden Hill Saloon sagt Colorado zu ihm: »Ich könnte diesen Rotschopf lynchen, Marshal! So eine Gemeinheit! Er wollte uns hier ablenken und beschäftigen, und die drei Halunken sollten inzwischen unsere Herde aus dem Korral jagen!« »Mach keinen Ärger, Colorado«, erwidert Jim trocken. »Morgen kommt dein Zug. Sieh zu, daß ihr die Herde schnell 'rauf bekommt.« Dann geht Jim weiter. Als er in den Cattleman's Saloon kommt, stehen McIntosh und seine Treiber an der Theke und sehen ihn wütend an. Und McIntosh sagt: »Ich wußte nicht, daß die drei Banditen sind, Marshal, aber ich brauche sie!« »Damit ist es aus«, sagt Jim. »Seid ruhig und froh, daß die drei nicht Colorados Herde aufgescheucht haben. Sonst wäre ich euch auf den Hals gekommen. Ihr schafft es auch so, die Herde in die Waggons zu bekommen.« »Verdammt!« knurrt McIntosh. »Ich konnte Marshals schon immer nicht riechen, aber ich wußte nicht, warum das bei mir so ist. Jetzt weiß ich es!« Jim lächelt. »Yeah, ich bin ein schlechter Mensch, was? Sei froh, daß du die Halunken los bist, McIntosh!« Dann geht er. Als er im Office ist, verläßt die McIntosh-Mannschaft die Stadt. Eine Viertelstunde später reitet auch Colorado mit seinen Männern davon. *** Am Vormittag trifft der Viehzug aus Kansas City ein. Colorado beginnt mit dem Verladen. Zwei Stunden später kommt ein Reiter in die Stadt. Jim Long steht gerade in der Tür seines Office und sieht, wie der Mann vor dem Golden Hill Saloon absteigt.
Der Mann ist schwarz gekleidet. Seine Bewegungen sind knapp und doch geschmeidig. Er bindet das Pferd an und steigt die Stufen hoch. Unter der langen Spielerjacke zeichnet sich der Umriß eines Revolvers ab. Wie ein Panther schiebt er sich durch die Schwingtür, legt die Hände auf die Türflügel und läßt sie erst los, als er einen ganzen Schritt in den Saloon gegangen ist. Jim macht ein ernstes Gesicht. Die Ankunft dieses Mannes hält er für bedeutungsvoll. Er hat ihn jahrelang nicht mehr gesehen. Kurz entschlossen schließt Jim die Tür des Office ab und geht zum Saloon hinüber. Langsam betritt er den Raum und sieht den Mann an der Theke stehen. Der Keeper hat schon aufgeräumt und steht hinter der Theke. Sonst ist niemand hier. Jim verharrt. Der Spieler und Revolvermann blickt in den Spiegel hinter der Theke und verzieht das schmale Gesicht zu einem freundlichen Lächeln. Er dreht sich halb um und sagt mit sanfter Stimme: »Hallo, Jim! Willst du einen Whisky mit deinem alten Freund trinken?« Jim Long geht weiter und lehnt sich an die Theke, drei Schritt von dem Mann entfernt. »Was treibt dich her, Clyde?« fragt er leise. »Noch immer nicht einen festen Platz gefunden?« Clyde Morris lächelt. »Fragst du als Marshal – oder fragst du als Freund, Jim?« »Das kannst du dir aussuchen, Clyde.« »Du bist noch immer der alte, Jim. Ein Whisky?« Clyde Morris hebt das Glas an. Jim schüttelt den Kopf. »Danke, nicht jetzt. Was willst du hier tun, Clyde? Willst du spielen?«
»Das ist kein schlechter Vorschlag, Jim«, grinst Morris. »Hier kommen sicherlich noch viele Treibmannschaften herein, denen die Dollars locker sitzen.« »Tu's nicht, Clyde«, murmelt Jim ernst. »Topeka ist eine Rinderstadt, keine Spielerstadt wie Dodge City oder Tombstone. Ich habe schon genug Ärger hier.« »Der gehört zu deinem Job, Jim. Warum hängst du den Stern eigentlich nicht an den Nagel? Wir beide waren früher in einer Abteilung. Du hättest heute viel weiter sein können.« »Und du bist noch immer ein Spieler, Clyde. Ein Mann, der sein ganzes Leben am Spieltisch verbringt. Soll das etwa gut sein?« Der Spieler hebt die Achseln. »Der eine so, der andere so, Jim. Wenn du nichts dagegen hast, bleibe ich für eine Weile in deiner Stadt.« Er lächelt stärker, aber seine Augen haben keinen Anteil an diesem Lächeln. Sie sind ernst und betrachten Jim forschend und abschätzend. »Ich kann nichts dagegen haben«, murmelt Jim, »wenn du den Colt stecken läßt.« Clyde Morris zieht sekundenlang die Augenbrauen zusammen. Seine Stimme ist rauh, als er sagt: »Das war damals. Der Bursche spielte falsch. Dazu zog er auch noch. Ich mußte ihn erschießen.« »Ich hab' auch noch mehr gehört, Clyde. In den letzten Jahren hast du so manchen Mann erschossen. Möglich, daß sie alle Falschspieler waren – aber du hättest sie nicht zu erschießen brauchen.« In Morris' Augen blitzt es kalt auf. »Das ist eben der kleine Unterschied zwischen uns beiden, Jim. Du gibst den Halunken immer noch eine Chance. Eines Tages werden sie dir dafür eine Kugel in den Rücken jagen.« Er lacht auf einmal laut auf. »Tote können das nicht, Jim! Das hat einen großen Vorteil.«
Jim sieht ihn ausdruckslos an. Sie waren einst in einer Abteilung, ritten unter dem Sternenbanner und später gemeinsam gegen die Indianer. Das ist längst vorbei. Damals waren sie gute Freunde gewesen. Das war auch eine andere Zeit, denkt Jim. Er hat mir das Leben gerettet, damals – und ich habe ihn einmal aus dem Kugelhagel herausgeholt, als es ihn schon erwischt hatte. Aber man kann nicht ewig von der Vergangenheit leben. »Also, bis dann«, sagt Jim zu Morris und tippt an den Hut. Langsam geht er hinaus. »Ja, wir sehen uns noch«, ruft Clyde Morris ihm nach und bestellt wieder einen Whisky. Jim geht zum Office zurück. Sein Blick fällt auf das Pferd des Spielers. Es muß einen langen Weg zurückgelegt haben; Staub liegt auf Hals und Hinterhand. Im Office ist alles ruhig. Die drei Banditen liegen auf den Pritschen. Einer schnarcht sogar. Er geht wieder hinaus, schließt ab und reitet zum Schienenstrang. Dort ist alles vom Staub eingehüllt. Colorado und seine Männer arbeiten pausenlos. Sie beachten ihn kaum. Er späht über den Korral hinweg. Im Hintergrund lagert die große Herde aus Texas. Jesse McIntosh und seine Männer hocken beisammen. Jim traut der Ruhe nicht. McIntosh wird bestimmt noch irgend etwas tun, denkt er. Er reitet um die Stadt herum und verhält am Fluß. Das Pferd säuft. Träge fließt das Wasser nach Osten – nach Kansas City, daran vorbei und in den Missouri. Die Wasserfläche gleißt und funkelt im Sonnenschein. Staubflecken treiben vorbei. Das Ufergelände ist von grünen Strauchgruppen und Bäumen bestanden. Ab und zu schimmert das Grau von Felsen durch das Grün.
Jim bewegt sich langsam am Wasser entlang. Als er zurückreiten will, sieht er einen Buggy durch die Furt kommen. Die beiden Wagenpferde stoßen das Wasser hoch und ziehen den leichten Wagen mühelos durch den Fluß. Auf dem Kutschbock sitzen ein junger Mann und ein blondes Mädchen. Die beiden haben ihn gesehen und halten nun auf ihn zu. Er kennt sie. Cash Bickford ist der Sohn des größten Ranchers in diesem County, und das blonde Mädchen heißt Nancy und ist die Tochter vom alten Bickford. Cash zieht die Zügel straff, als sie neben Jim sind. »Tag, Marshal«, sagt er freundlich. »Gibt es was Neues in der Stadt?« Jim lächelt. Er blickt Nancy an und sagt: »Neues? Jeden Tag gibt's was Neues, Cash.« Nancy sieht ihn seltsam an. Sie bewundert ihn – und er weiß es. Sie ist zweiundzwanzig Jahre jung, schön und natürlich. Er könnte ihr älterer Bruder sein. Immer, wenn er sie sieht, verspürt er eine innere Unruhe. Äußerlich bleibt er aber ruhig. »Wir wollen zum Store«, sagt sie lächelnd. »Wann besuchen Sie uns mal auf der Ranch, Marshal? Dad würde sich bestimmt über Ihren Besuch freuen.« »Ich werde gern mal vorbeikommen, Miß Nancy«, sagt er, »nur jetzt geht es nicht. Zwei Treibmannschaften sind in der Stadt. Das geht selten gut.« »Kummer, Marshal?« fragt sie leise. »Wie man's nimmt.« Er treibt sein Pferd an und reitet neben dem rollenden Buggy her. So kommen sie in die Stadt und halten vor dem Store. Keine zehn Schritte vom Store entfernt steht Belle, einen Korb über den angewinkelten Arm gehängt. Jim verabschiedet sich von den Bickfords und steigt vor Belle vom Pferd.
Belle macht ein ernstes Gesicht. »Was ist denn los?« murmelt er. »Du hast die Kleine sehr gern, nicht wahr, Jim?« sagt sie leise. »Sie ist jung und schön.« Er zögert mit der Antwort, dann nickt er und sagt: »Ja, Belle. Warum sollte ich es dir verschweigen? Nancy ist ein nettes Mädel.« »Und sie hat keine roten Haare, nicht wahr?« meint Belle mit schwachem Lächeln. »Eifersüchtig, Belle?« »Wo denkst du hin, Marshal!« Belle lacht gezwungen auf. »Ich gehöre nun mal der reiferen Jugend an! Dahin wird auch Nancy kommen. Ich gebe zu, daß sie sehr nett und schön ist, Jim. Wenn ich du wäre, dann...« »Was dann, Belle?« Sie sieht ihm in die Augen, ernst und nachdenklich – und dann schüttelt sie den Kopf und geht weiter. Er will ihr folgen, als die Postkutsche in die Stadt gerasselt kommt. Der Vierspänner hält vor dem Hotel im Schatten des weit vorragenden Daches und hüllt die Straße in Staub. Der Postschaffner steigt ächzend vom hohen Sitz und öffnet die Wagentür. »Wir sind da, Ladies und Gents«, sagt er schnaufend. »Topeka! Alles aussteigen.« Sechs Fahrgäste klettern aus der Kutsche. Zwei ältere Ehepaare und ein junges Paar. Die älteren Paare wohnen in dieser Stadt. Das junge Paar ist Jim Long unbekannt. Die Frau ist jung, schlank und blond. Ihr schönes Kleid ist von der Reise etwas zerdrückt. Sie ordnet es, während ihr Begleiter den großen Koffer vom Dach der Kutsche entgegennimmt. Dann gehen sie ins Hotel neben dem Golden Hill Saloon.
Als Jim später das Hotel betritt, fragt er den Mann hinter dem Anmeldepult, wer die neuen Gäste sind. »Die beiden sind jung verheiratet, Marshal«, gibt der Mann Auskunft. »Sie kommen von Great Bend und wollen zum Missouri. Hochzeitsreise, verstehen Sie, Marshal? Fahren lieber mit der Postkutsche. Tom Smith und Frau.« Jim nickt, macht kehrt und geht hinaus. *** Als die Schatten der Nacht über die Stadt fallen, verläßt der Viehzug die Rampen und rollt davon. Aus dem Schlot schlagen Funken und wirbeln glühend über die Schienen. Jim Long verläßt das Stationshaus, wo er sich erkundigt hat, ob schon Nachricht aus Kansas City gekommen ist. Er hat von dort Männer angefordert, die die drei Banditen nach Leavenworth bringen sollen. Aber die Bestätigung ist noch nicht eingetroffen. So geht er langsam zum Office zurück. Breite Lichtbündel fallen aus Saloons, Bars und Wohnhäusern. Viele Einwohner sind auf der Straße. Sie alle nutzen die angenehme Zeit zwischen Hitze und nächtlicher Kühle, und oben in der Stadt arbeitet der Schmied noch mit wuchtigen Hammerschlägen auf einem Eisen herum. Colorado ist mit seinen Männern im Golden Hill Saloon. Sie haben jetzt Grund zum Feiern. Ihre Herde ist verladen und unterwegs. Jim blickt über die Türflügel hinein und sieht Clyde Morris – wie kann es anders sein – am Pokertisch sitzen. Belle blickt herüber und sieht ihn. Er nickt ihr lächelnd zu und wendet sich ab, stapft zum Office hinüber und schließt auf. Dann macht er Licht und blickt zu den Zellen hinüber. Die Gefangenen haben gegessen und die Blechteller unten durch
die Türen geschoben. Zwei hocken auf den Pritschen, einer steht an der Gittertür. Jim entgeht es nicht, daß sie ihn an diesem Abend mit seltsam verschlagenen Blicken beobachten. Er setzt sich an den Tisch, nimmt sein Rasierzeug hervor und seift sich den Hals und das Kinn ein. Während die scharfe Rasiermesserklinge über die Haut schabt, beobachten die Banditen ihn. Er nimmt das Tuch, wischt den restlichen Schaum ab und erhebt sich. Als er sich umdreht, sieht er in eine dunkle Coltmündung. Der Kerl an der Gittertür hat eine Waffe. Jim versteift sich. »Zu spät, Marshal!« flüstert der Bandit. »Der Colt ist geladen! Wie willst du es haben?« Jim überlegt. Die Waffe muß vom Hinterhof aus in eine Zelle geworfen worden sein – kurz bevor er ins Office kam. Jim horcht. Aus dem Saloon kommt Lärm. Er kann keine Hilfe von draußen erwarten. »Gib die Schlüssel her, Long!« faucht der Bandit. »Wenn du zum Colt greifst, schieße ich sofort!« Jim Long nickt kaum merklich. »Gut«, sagt er gepreßt, »ihr bekommt die Schlüssel. Wenn du jetzt abdrückst, wirst du sie nie bekommen. Steck den Colt weg. Ich werde die Tür aufschließen.« »Laß dir die Schlüssel geben!« ruft einer der Banditen heiser. »Schließ selber auf!« »Halt's Maul!« faucht der Bandit mit dem Colt. »Mach mich nicht verrückt!« Jim sieht sie kalt an. »Wer hat euch den Colt reingeworfen?« fragt er mit frostig klingender Stimme. »Das wissen wir selber nicht, Marshal!« erwidert der Bandit grinsend. »McIntosh, wie?« knurrt Jim. »Möglich. Komm jetzt her, Long! Her mit den Schlüsseln!«
Die Banditen sind unruhig und gereizt. Sie haben nicht viel Zeit. Langsam und steif geht Jim auf die Zellentür zu. Dabei senkt er die Hand und zieht die Schlüssel hervor. »Wirf sie rein!« faucht der Bandit. Die alles entscheidenden Sekunden sind gekommen. Jim steht mit einem Fuß in der Hölle. Er muß den Halunken mit der Waffe irgendwie ablenken. Die beiden anderen Banditen haben sich aufgerichtet und stehen geduckt da. Hart tickt die Standuhr in die tödliche Stille hinein. Kalter Schweiß steht auf Jims Stirn. Er hält die Schlüssel in der linken Hand. Langsam hebt er die Hand, öffnet sie und tut so, als wollte er die Schlüssel unten durch die Tür werfen. Das ist sein Bluff. In dieser Sekunde schleudert er die Schlüssel mit harter, schneller Bewegung genau auf den Halunken zu. Hart schlagen sie gegen den Eisenstab. Unwillkürlich zieht der Bandit den Kopf zurück. Jims Rechte zuckt zum Revolver. Er hat die Waffe schon in der Hand, als der Halunke schießt. Die Kugel wirft Jim zurück. Er stürzt. Das ist sein Glück. Die zweite Kugel geht dicht über ihn hinweg. Marshal Long schießt im Liegen. Der Bandit zuckt, schwankt und hebt mühsam den Colt an. Jim muß wieder schießen. Er hat gar keine andere Wahl. Er vertritt hier das Gesetz. Wenn er stirbt, stirbt auch diese Stadt. Die Schlüssel liegen dicht vor der Zelle und wären für den Halunken erreichbar. Der Bandit läßt den Colt fallen und schlägt gegen die Tür, fällt und liegt still. Mit verbissenem Gesichtsausdruck kommt Jim wieder hoch. Flammender Schmerz sticht in seiner Schulter. Taumelnd geht er auf die Zellentür zu, hebt die Schlüssel auf und öffnet die Tür. Mühsam nimmt er den Colt des Banditen an sich und
schwankt zurück, lehnt sich an den Schreibtisch und preßt die Hand auf die Schulter. »Du verdammter Hund!« schreit einer der Banditen, dem die Nerven durchgehen. »Du verdammter...« Die Tür wird aufgerissen. Herein kommt Clyde Morris. Gleich hinter ihm kommen Colorado, zwei seiner Reiter und Belle. »Jim!« schreit sie erschrocken und stürzt zu ihm. »O Jim! Was ist passiert, Jim? Ist es schlimm?« Er verzieht das Gesicht. »Ich fall' schon nicht auf die Nase, Belle«, sagt er heiser. »Sag dem Doc, daß er mir eine Kugel 'rausholen muß!« »Ja, Jim«, sagt sie hastig und eilt hinaus. Clyde Morris blickt in die Zelle, dreht sich um und sieht Jim ernst an. »Das hätte schiefgehen können, Jim. Jetzt bist du nur noch ein halber Marshal. Ist dir das nicht eine Warnung? Gib diesen Job auf.« »Bemüh dich nicht, Clyde«, entgegnet Jim gepreßt. »Ich bleibe!« »Du bist ein sturer Kerl, Jim.« Jim antwortet nicht. Er sieht Colorado an. »Ich muß zum Doc. Bewache die Halunken, Colorado. Wirst du das machen?« Der Trailboß nickt grimmig. »Geh nur, Marshal! Auf die Vögel passen wir prächtig auf.« Steif wendet Jim sich ab und verläßt das Office. Die Hand auf die Schulter gepreßt, geht er am Rand der Straße entlang und betritt das Haus des Arztes. »Leg dich da hin, Marshal«, sagt der Arzt ruhig. »Das kriegen wir schon hin.« Ächzend läßt Jim sich auf dem Lager nieder. Der Doc zieht ihm die Hand von der Wunde. »Vorsichtig, Doc«, flüstert Belle. Besorgt blickt sie Jim an. Sie hat Angst um ihn.
Der Arzt holt Jim die Kugel heraus. Jim wird blaß und stöhnt, aber er verliert nicht das Bewußtsein. Sein Gesicht spiegelt die Schmerzen wider. Er hält so lange durch, bis er verbunden ist, dann liegt er schlaff auf dem Lager und atmet rasselnd. Belle beugt sich über ihn. »Reicht es dir noch immer nicht, Jim?« »Nein, Belle.« Der Zorn treibt ihn hoch. Belle will ihn halten, aber er torkelt hinaus. »Jim!« schreit sie, »Jim!« Er hört sie nicht. Vornübergebeugt schwankt er wie ein Betrunkener, bewegt er sich die Straße hinauf, verschwindet hinter seinem Office und kommt gleich darauf im Sattel wieder auf die Straße, treibt sein Pferd an und reitet zum Schienenstrang hinaus. Dort auf der Ebene am Korral brennt ein Feuer. Jim krümmt sich unter dem Schmerz, der sich immer wieder durch hartes Pulsen in der Schulter bemerkbar macht. Er beißt die Zähne zusammen. Sein Mund wird trocken. Langsam kommt er dem Feuer näher. Dort erheben sich die Treiber. Jesse McIntosh hält einen Blechbecher in der Hand. Die andere Hand liegt auf dem Kolben der Waffe. Sie müssen die Schüsse in der Stadt schwach gehört haben. Nun kommt Jim in den Kreis des Flammenscheins und verhält. »McIntosh«, sagt er kalt, »wenn Ihr den Colt in der Zelle geworfen habt, dann sagt es! Ich bin allein hier. Sagt es, damit ich klarsehe!« »Colt?« dehnt Jesse McIntosh. »In die Zelle? – Wovon sprichst du, Marshal?« »Das weißt du verdammt genau! Du brauchst die drei Halunken aus dem Jail! Ein Colt in die Zelle, eine Kugel für mich – und dein Problem wäre gelöst!«
»Langsam, Marshal – langsam«, knurrt der Ire und bewegt die Schultern. »So einfach ist das nicht! Yeah, ich brauche die drei, sicher – aber nicht über deine Leiche, verdammt! Das mußt du mir schon glauben!« Jim blickt zur Seite. Dort steht der jüngste Treiber der Mannschaft, den er niedergeschlagen hatte. »Mike!« sagte er eiskalt. Der Junge zuckt zusammen. Mit flackernden Augen sieht er Jim Long an. »Mike – hat einer von euch dieses Feuer verlassen?« Jims Worte machen dem Jungen zu schaffen. Er hat Long kennengelernt und weiß, wie rauh der Marshal sein kann. »Nein, Marshal«, sagt er darum. »Warum fragst du Mike Long?« knurrt Jesse McIntosh. »Glaubst du nur diesem Jungen, he?« Jims Blick geht von einem Treiber zum anderen. Noch zeigen ihre Gesichter die Spuren des wilden Handgemenges auf der Straße. Sein Blick senkt sich und gleitet über die Halfter hinweg. Jeder hat seine Waffe bei sich. Er versteift sich unter dem wilden Ausbruch neuen Schmerzes und sagt schwer: »Ich will's auch von dir hören, McIntosh!« »Das kannst du. Wir alle sind heute noch nicht in der Stadt gewesen.« »Ich glaube dir, McIntosh.« Jim zieht das Pferd herum und reitet zurück. Sie sehen, wie sich seine Konturen vor den Lichtern der Stadt abheben. Als Jim die Straße erreicht, kommt der Telegrafist gelaufen und sagt, daß morgen vier vereidigte Deputies aus Kansas City eintreffen und die Banditen nach Leavenworth überführen werden. »Danke«, murmelte Jim. »Das ist mal zur Abwechslung eine gute Nachricht.« Er reitet weiter.
Schwerfällig steigt er vor dem Office vom Pferd. Drüben steht Belle und sieht ihm zu. *** In dieser Nacht schläft Jim kaum. Die Schmerzen treiben ihn immer wieder vom Lager hoch; dann geht er langsam hin und her und versucht, die Schmerzen irgendwie zu betäuben. Langsam wird es still in der Stadt. Einmal geht Jim vor die Tür. Von drüben kommt eine verwahrloste Gestalt mit rudernden Bewegungen über die Straße. Beim Anblick des angetrunkenen Mannes entspannt Jim sich, und um seinen Mund legt sich ein schwaches Lächeln. Der Mann bleibt schwankend vor ihm stehen und stiert ihn an. »Nie wieder!« lallt er. »Nie wieder – Ma – Marshal – he -« »Was ist los, Pap?« fragt Jim lächelnd. Pap, der auf feurigen Whisky schwört, schluckt mühsam und legt sein Gesicht in viele Kummerfalten. »Nie wieder nehm' ich – hepp – einen zur Brust, Marshal!« stöhnt er und rülpst laut. »Das ist vorbei. Ehrenwort – trinke nicht mehr.« »Aber auch nicht weniger, wie?« murmelt Jim anzüglich. »Suchst du ein Bett?« Pap winkt ab. »Verstehst mich nicht – Marshal. Dieser verdammte Spieler hat mir die letzten Flöhe – abgeluchst – hat er mir, jawohl! Bin bestimmt nicht schlecht im Pokern. O verdammt! Jetzt bin ich – hick – blank wie mein Bowiemesser. Ha – hast du einen Job für mich, Marshal?« »Leg dich aufs Ohr, Pap. Morgen ist alles wieder in Ordnung.« »Das sagst du, Marshal.« Pap verzieht das Gesicht; auf einmal blickt er fast nüchtern und er redet auch vernünftig. »In
den Saloons erzählt man sich 'ne Menge über dich. Man denkt an Calamity-Johns. Man sagt, du hättest jetzt keine Chance mehr. Die Leute sind verrückt, aber sie sagen es, Marshal – und etwas daran ist wahr.« Er schluckt wieder, klopft sich an die dürre Brust und wankt an den Häuserfronten entlang. Irgendwo wird er hinfallen und liegenbleiben, den Rausch ausschlafen und morgen wieder auf den Beinen sein und auf der Suche nach einem kräftigen Schluck. *** Die Deputies haben die zwei Banditen abgeholt, der dritte ist beerdigt – die Zellen sind wieder leer. Als Jim Long das Office verläßt, verschwindet der Zug der Union Pacific gerade am östlichen Horizont. An diesem Tag läßt Jim sich vom Doc neu verbinden. Er sitzt wieder auf dem Lager und verzieht kaum das Gesicht, als der Verband abgerissen wird. »Wie sieht's aus, Doc?« »Ein wunderschönes Loch, Jim.« Der Arzt wiegt den Kopf. »Nimm es nicht auf die leichte Schulter. Vielleicht haut es dich noch um. Die Kugel hat verstaubte Hemdfetzen mit reingerissen. Ich hab' versucht, sie herauszuholen – aber du könntest doch noch Fieber bekommen. Hast du starke Schmerzen?« »Es sticht.« »Was? Dann leg dich gefälligst hin. Ich will die Wunde auswaschen.« Jim streckt sich auf dem Lager aus und sieht zu, wie der Doc Wasser auf den Herd erhitzt. Er wirft ein paar Kräuter hinein und verdünnt die Brühe mit Whisky. »Schade drum«, sagt der Doc knurrend. »Der Whisky gehört in die Kehle.«
Er beginnt die Wunde zu säubern. »Mit so einem Loch wirst du nicht schnell genug sein, Jim, sollte Calamity-Johns in die Stadt zurückkommen. An deiner Stelle hätte ich zwei der Deputies gebeten, noch eine Weile hierzubleiben. Aber du bist schon immer ein Dickschädel gewesen.« »Schon möglich, Doc.« Jim lächelt etwas gezwungen. »So, jetzt der Verband.« Der Doc legt ihm einen Verband an. »Fertig.« Jim steht auf und zieht das Hemd über den Verband. Er nickt dem Doc zu und geht zur Tür. »Jim?« holt ihn dort die Stimme des Arztes ein. »Was ist, Doc?« »Hör auf Belle, Jim«, sagt der Doc ernst. »Du hast viel Blut verloren, das Fieber wird kommen – du wirst schlappmachen. Sag dem Bürgermeister, daß du den Stern zurückgibst.« Jim antwortet nicht. Er blickt hinaus auf die Straße, wo drei Reiter herankommen. Es sind sehnige, hagere Burschen, die seltsam steif im Sattel sitzen, als erwarteten sie jeden Moment von irgendwoher eine Kugel. Sie zügeln vor dem Golden Hill Saloon die Pferde und steigen ab. Dabei haben sie immer eine Hand frei. Sie sprechen kein Wort miteinander und gehen langsam in den Saloon. »Zu spät, Doc«, murmelt Jim. »Nur ein Narr würde sich jetzt noch zum Sheriff wählen lassen.« Er blickt halb zurück. In seinen schiefergrauen Augen liegt tiefer Ernst. »Ich wäre ein Feigling, wenn ich jetzt zurücktreten würde.« »Besser ein Feigling als tot, Jim.« »Da spricht wieder der Arzt, wie?« Jim geht hinaus. In der warmen Sonne bleibt er einen Atemzug lang stehen und lauscht den vielen verworrenen Geräuschen in der großen Rinderstadt. Dann geht er über die Straße und betritt den Saloon.
Schon beim Eintreten sieht er die drei Fremden an der Theke stehen. Sie drehen sich nicht um. Rechts vom Eingang sitzt der schwarzgekleidete Clyde Morris und versucht, sich die Langeweile mit Kartentricks zu verkürzen. Jim setzt sich zu ihm an den Tisch. »Tag, Jim«, lächelt Clyde sanft. Sekundenlang ruht sein prüfender Blick auf Jims Verband. »Dich kann wohl nichts von den Beinen reißen, wie?« »Abwarten, Clyde«, murmelt Jim. Der Spieler beugt sich vor und dämpft seine Stimme. »In Topeka ist dein Stern im Sinken, Jim. Ich spüre das. Die Leute hatten dich wohl immer mit einem Heiligen verwechselt. Jetzt hat es dich erwischt – und Calamity-Johns ist auf freiem Fuß. Ich hab' die Leute hier reden hören. Man gibt dir nicht viele Chancen. Sie sagen, daß sie dich bezahlen und du nun durchhalten mußt. Es wäre nicht ihre Sache, Kummer von der Stadt fernzuhalten. Sie verdrücken sich, Jim.« »Das ist immer so, Clyde«, erwidert Jim ruhig. »Nicht nur in Topeka. In guten Zeiten Marshal zu sein – das ist nicht schwer, das ist ein Kinderspiel. Aber jetzt kommt es darauf an.« Er atmet tief und vorsichtig ein und schüttelt den Kopf. »Ich hatte es immer gewußt, Clyde. Man klopft dir so lange auf die Schulter und sagt nette Worte zu dir, bis es eine wirkliche Gefahr gibt. Dann weichen sie alle von dir weg. Keiner will mehr in deiner Nähe sein aus Angst, von einer Kugel getroffen zu werden, die dir gilt. Das ist nun mal so.« Draußen poltern Schritte heran. Dann kommt Colorado herein und auf ihren Tisch zu. Er tippt an den Hut und sagt zu Jim: »Wir reiten jetzt, Marshal. Ich muß mit den Jungens weg vom Whisky, sonst komme ich nur mit der halben Mannschaft zurück. Mach's gut, Marshal.« »Du auch, Colorado.« »Sicher, Marshal. Ich hab's leichter, denke ich.« Nachdenklich sieht er Jim an. »Übrigens, ich habe mit dem
rostigen McIntosh gesprochen. Er wird mit dem Verladen beginnen und dir keine Schwierigkeiten machen. Ich glaube, du kannst dich auf ihn jetzt verlassen. Dann bis zum nächsten Jahr.« »Grüß Frau und Kinder, Colorado«, lächelt Jim. »Wie?« Colorado sieht verblüfft drein. »Willst du mich hochnehmen, Marshal?« Er grinst plötzlich. »Verdammt! Woher du das alles weißt!« Dann geht er hinaus, und wenig später reitet die Mannschaft nach Süden davon. Das klirrende Geräusch rasselnder Sporen läßt Jim zur Theke sehen. Die drei Fremden marschieren nacheinander an den Tischen vorbei und verlassen den Saloon, nehmen draußen die Pferde und ziehen sie hinter sich her zum Hotel nebenan. Jim sieht auf Clyde Morris' Hände. Sie gleiten über die Karten hinweg, drücken sie hoch und glätten sie blitzschnell zu einer langen Reihe, schieben sie zusammen und tasten sie ab. Es sind gepflegte Hände, die schon seit vielen Jahren nicht mehr hart zugepackt haben. »Mit den Karten ist es einfacher, Jim«, meint Clyde lächelnd. »Ich spiele und gewinne.« Er nimmt das Glas, trinkt und setzt es wieder ab. »Und du kämpfst und stirbst, Jim. Hast du dir schon mal überlegt, was auf deinem Grabstein stehen soll? Hier ruhen zwei Colts und der Mann, der sie nicht mehr braucht – das wäre ein netter Spruch, wie?« »Hör auf«, brummt Jim. »Well, ich will dir nicht auf die Nerven gehen. Ein Drink, Jim?« »Danke, nein.« Jim erhebt sich. Dabei preßt er den Mund zusammen und Clyde entgeht das nicht. »Schmerzen, wie?«
»Nein, du verdammte Nervensäge!« knurrt Jim grimmig und geht hinaus. Als er vom Gehsteig herunterspringt, zuckt er unter dem Schmerz zusammen. *** Clyde Morris macht wenig später einen Spaziergang durch die Stadt, kehrt zurück und bleibt dann unschlüssig vor dem Hotel stehen. Die Pferde der drei Fremden stehen auf dem Hinterhof. Von der Straße aus kann er sie noch sehen. Er will schon weitergehen, als er die blonde Frau aus dem Hotel kommen sieht. Sie trägt ein hochgeschlossenes schlichtes Kleid und einen hellen Hut mit bunten Papierblumen. Ihre Blicke treffen sich, und Clyde Morris merkt, daß ihr Interesse nicht oberflächlich ist. Aber er hat gehört, daß sie jung verheiratet ist und eine Hochzeitsreise macht. Höflich zieht er den Hut. Er gefällt sich selber in dieser Geste. Sie nickt lächelnd und fragt, ob er wüßte, wo sie hier gut einkaufen könne. »Mein Name ist Clyde Morris, Madam. Ich bin selber noch nicht lange in der Stadt, aber ich kann Ihnen behilflich sein.« »Oh, das wäre nett von Ihnen«, lächelt sie. »Tja, aber...« Sie fängt seinen Blick auf, der zum Obergeschoß des Hotels hinauffliegt, und sagt sanft: »Tom wird gegen Ihre Begleitung nichts haben, Mr. Morris.« Er streicht sich nachdenklich übers Kinn und nickt schließlich. Sie gehen Seite an Seite zum Store. Er begleitet sie sogar hinein. An der Tür dreht er sich kurz um und grinst zu Jim Long hinüber, der drüben auf dem Gehsteig steht und ihm verblüfft nachstarrt. ***
Abend in der Stadt. Jim Long ist wieder unterwegs. Er kommt von den Gleisen und Rampen herüber, wo der Ire Jesse McIntosh mit seiner Mannschaft immer noch Vieh verlädt. Zwei Züge sind schon abgegangen. Im Saloon trifft Jim Belle hinterm Tresen an. »Beginnst du die Runde diesmal anders, Jim?« fragt sie und gibt ihm seinen Whisky. Dabei betrachtet sie ihn besorgt und sieht die Schatten unter seinen Augen. »Ich bin lange genug dieselbe Runde gegangen. Jetzt kann ich es nicht mehr«, sagt er. »Ich verstehe, Jim. Du willst die alten Runden nicht mehr gehen, um deinen Feinden die Chance zu nehmen, irgendwo auf dich zu warten. Sie könnten danach ja die Uhr stellen und wüßten genau, wann und wo du wärest.« »Bist ein kluges Mädchen, Belle«, sagt er, doch die Stimme klingt nicht froh. »Du solltest dich schonen, Jim.« »Es geht doch schon wieder.« »Du mußt es wissen«, sagt sie schnippisch. Er zahlt, lächelt und geht weiter. Die Schatten der Dämmerung fließen durch die Stadt und hüllen die Häuser ein. In den Saloons geht der Betrieb los; ein Orchestrion lärmt auf. Jim verflucht diesen Musikkasten, bei dem er kein anderes Geräusch rechtzeitig hören kann. Er geht jetzt kreuz und quer durch die Stadt. Er braucht mehr Zeit als sonst. In der Nähe des Hotels wird ihm auf einmal flau im Magen, und er spürt, wie bleierne Schwere von seinem Körper Besitz ergreift. Die Knie sind plötzlich weich, und das Zittern der Schwäche ist nicht so schnell zu überwinden.
Er lehnt sich an die Hauswand und atmet schwer. Schweißperlen treten auf seine Stirn. Mit flatternder Hand reibt er übers Gesicht. »Kann ich Ihnen helfen?« Die weiche Stimme, die plötzlich neben dem Marshal ertönt, läßt ihn steif werden. Er reißt den Kopf herum und sieht die blonde Frau aus dem Hotel neben sich auf dem Brettersteg stehen. Er hat es gar nicht gern, daß sie ihn in diesem Zustand sieht. »Nein«, sagt er deshalb rauh, »danke, ich habe nichts, Madam.« »Sie sehen aber nicht gut aus, Marshal«, sagt sie. »Sie sollten sich hinlegen und ausruhen.« »Machen Sie sich keine Sorgen um mich, Madam!« Er stößt sich von der Hauswand ab und geht etwas schwankend weiter. »He, Jim!« hört er wenig später eine leise Stimme rufen. »Was ist los?« Er winkt nur ab, ohne sich umzudrehen, und überquert die Straße. Und als er drüben ist, hört er irgendwo hinter sich Clyde Morris dumpf fragen: »Was ist mit ihm, Joan?« Jim lehnt sich an einen Pfosten und blickt hinüber. Die blonde Frau hat sich bei Clyde Morris eingehakt. Beide gehen langsam in Richtung Golden Hill Saloon davon. Er glaubt zuerst, nicht richtig zu sehen. Macht ihn das Fieber schon so fertig? Nein, er sieht die beiden ganz deutlich! Und er hört die Frau sogar leise lachen! »Clyde«, murmelt Jim Long, »du bist ein verdammter Windhund!« Dann geht er weiter und fühlt, wie die alte Kraft langsam zurückkehrt. Im Office läßt er sich auf den Stuhl sinken und trinkt ein Glas Wasser. Die Hände zittern noch etwas, als er sein Rauchzeug hervorholt. Er macht Licht und raucht. Clyde Morris und die blonde Frau gehen ihm nicht aus dem Kopf.
Du mußt wieder 'raus, Jim Long! denkt er dann. Du kannst hier nicht ewig sitzen. Wenn die Halunken merken, daß du schlappmachst, dann bist du erledigt! Er stemmt sich hoch, rückt am Waffengurt und geht zur Tür. Langsam öffnete er sie und erblickt zwei Männer genau vor dem Office. »Hallo, Marshal!« sagt einer mit zynischer Stimme. Er will antworten, als er sieht, wie sie nach den Colts greifen. Da wirft er sich zurück, stürzt gegen den alten Röhrenofen und hört das scharfe Knallen der Schüsse. Die Kugeln fahren in die Wand und prallen von den Eisenstäben der Zellentüren ab. Jim zieht den Revolver und will zurückfeuern – aber die beiden hinterlistigen Halunken sind plötzlich verschwunden! Keuchend kommt er hoch und schiebt sich vorsichtig bis zur Tür. Er wirft einen Blick hinaus. Die Straße vor dem Office ist verlassen! Drüben kommen ein paar Leute aus dem Saloon. Türen klappen und Stimmen ertönen. Mehrere Bürger kommen vorsichtig näher. »Was ist los, Marshal?« ruft jemand. »Haben Sie geschossen?« »Nein, verdammt«, knurrt er grimmig. »Geht weiter, Leute – hier gibt es nichts mehr zu sehen.« Sie murren. Durch die Reihen schiebt sich Clyde Morris und bleibt unterhalb des Gehsteiges stehen. »Jim, ich sah doch, wie es hier aufflammte! Die beiden Burschen sind dort in die Hofeinfahrt gelaufen!« Jim preßt die Lippen zusammen und geht ins Office zurück. Clyde Morris kommt ihm nach. »Sie wollten dich fertigmachen, Jim!« sagt er dunkel. »Die sind schon in der Stadt!« Bitter sieht Jim ihn an. »Die Frau ist verheiratet, Clyde!« »Ach so«, dehnt Morris, »ich verstehe. Aber ich kann dir eine Neuigkeit verraten. Die Frau ist gar nicht verheiratet. Ihr
Mann, dieser Tom Smith, ist nicht ihr Mann, sondern ihr Bruder. So ist das, Jim. Sie haben sich nur als Mann und Frau ausgegeben, weil Joan nicht belästigt werden will. Sie hat's mir selber gesagt. Eine tolle Frau, Jim! Ich glaube sogar, daß ich sie liebe. Aber sag es nicht weiter, alter Junge.« »Du bist unverbesserlich, Clyde.« In Jims Gesicht kehrt das Lächeln zurück. »Und ich dachte schon, daß...« »Keine Sorge«, unterbricht Clyde lächelnd. »So ein Windhund bin ich nicht. Wie gefällt sie dir?« »Gut.« »Ist das alles, was du dazu zu sagen hast, Jim?« »Ja.« Jim packt das Gewehr, lädt durch und geht an Clyde Morris vorbei. Er folgt dem Gehsteig und betritt die dunkle Hofeinfahrt. Vorsichtig schiebt er sich an der Hauswand entlang und erreicht den Hinterhof. Mit scharfen Augen späht er umher. Nirgendwo sind die Halunken zu sehen. Auch der Hof ist verlassen. Er schluckt hart und geht zurück. Ein paar Leute stehen noch immer vor dem Office. Er beachtet sie nicht und geht weiter durch die Stadt, das Gewehr mit beiden Händen an der Hüfte haltend, bereit, sofort zu schießen. Er geht bis zum Stadtausgang und kehrt um. Als er in den Golden Hill Saloon kommt, sitzt Clyde Morris wieder am Pokertisch und spielt mit ein paar Männern. Die blonde Joan Smith sitzt neben ihm und sieht interessiert zu. »Hallo, Jim – alles wieder in Ordnung?« fragt Clyde und blickt auf. Jim Long nickt und stellt sich an die Theke. Belle beugt sich vor. Sie ist etwas blaß um die Nase. »Sie sind schon in der Stadt, Jim!« flüstert sie. »Als es gekracht hatte, hörte ich diese Leute wieder einmal reden. Keiner gibt dir eine Chance – nicht ein einziger, Jim!« »Und du, Belle«, murmelt er, »was ist mit dir? Gibst du mir eine Chance?«
»Nein, Jim«, sagt sie ernst und ehrlich. »Ich hab's versucht, aber es wäre verrückt. Wenn du wenigstens deine Feinde kennen würdest, dann könntest du sie auch bekämpfen – aber so?« Er zieht die Augen etwas zusammen und starrt düster vor sich hin. »Irgendwann werde ich schon noch wissen, wer mich hier weghaben will, Belle! Zu diesen Halunken gehört jedenfalls Calamity-Johns.« »Er wird sich nicht so schnell in der Stadt blicken lassen. Aber seine Freunde werden hier sein und dich auf Schritt und Tritt belauern, um auf ihre Stunde zu warten.« Er nickt bitter vor sich hin und will gehen, als Belle leise sagt: »Ich habe wirklich Angst um dich, Jim! Ich werde noch verrückt vor Angst!« Er lächelt seltsam verloren. »Warten wir es ab, Belle.« Dann geht er, und als die Türflügel hinter ihm zusammenschlagen, werden die Stimmen im Saloon wieder lauter. Als er das Office betritt, spürt er instinktiv, daß jemand hiergewesen ist. Er legt das Gewehr auf den Tisch und zieht den Revolver. Vorsichtig macht er Licht und blickt blitzschnell umher. Niemand ist hier – aber auf dem Tisch liegt ein Zettel. Er nimmt ihn in die Hand und liest. Du bezahlst für Buster Fetterman! Das ist alles. Starr blickt er ins trübe Licht. Die Erinnerung an Buster Fetterman wird in ihm wach. Ein Jahr ist es nun her, da kam Buster Fetterman nach Topeka. Pechschwarz gekleidet – jeder Zoll ein schießwütiger Revolvermann. Er kam allein und ging in den Golden Hill Saloon. Dort bekam er Streit mit einem Gast und erschoß ihn. Als er aus dem Saloon trat, stand Jim auf der Straße. Sie sahen sich an – und Buster Fetterman zog.
Er wollte sich dem Marshal nicht ergeben. Aber er war nur etwas langsamer als Jim und war auf der Stelle tot. Buster Fetterman... Ein Name, den Jim Long nicht so schnell vergessen kann. Draußen knarrt es auf dem Brettersteig. Jim gleitet hinter die Tür, den Colt schlagbereit erhoben. Sekunden vergehen. Dann drückt jemand die Tür langsam auf. Jim hört ihn schwer atmen. Der Mann steht noch hinter der Tür. Offensichtlich läßt er den Blick durchs Office schweifen. Er muß das Gewehr auf dem Tisch sehen. Von draußen kommt gedämpfter Lärm herein. Das Ticken der Standuhr ist trotzdem deutlich zu hören. Nun scharren die Stiefel weiter. Eine verfilzt aussehende Gestalt schiebt sich hinter der Tür hervor und ins Office. Jim will die Faust mit dem Revolverkolben gerade hinuntersausen lassen, als er den Mann in letzter Sekunde erkennt und grimmig sagt: »Verdammt! Bist du verrückt, Pap, dich hier hereinzuschleichen? Willst du unbedingt eine Beule am Kopf haben?« »Hui!« kreischt Pap erschrocken. »Hast du mich erschreckt, Marshal! Seit wann so nervös?« Mit einem Ruck zieht Jim ihn ins Office und stößt die Tür mit dem Fuß zu. »Steh nicht im Lichtschein, sonst erwischt es dich noch!« knurrt er. »Was willst du? Etwa wieder den Rausch in einer Zelle ausschlafen? Das wird langsam zu gefährlich für dich!« »Ich höre immer Rausch«, erregt Pap sich und zupft nervös an seinem Bartwuchs. »Glaubst du, ich wäre immer besoffen? Eine feine Meinung hast du von mir, Marshal! In jeder Stadt gibt es einen Dorftrottel, aber ich bin's nicht, verstanden? Damals, als ich noch Scout war, roch ich die Indsmen auf hundert Meilen...«
»Ich weiß, Pap«, unterbricht Jim. »Nun laß deine Nase beiseite und sag, was du willst!« »Helfen«, sagt Pap schlicht. Jim ist nicht in der Stimmung zu lachen. Er schüttelt den Kopf. »Helfen, Pap? Wem?« »Das fragst du noch, Marshal? Dir natürlich!« »Na schön, Pap«, sagt Jim seufzend, »also mir helfen – und wie?« Pap sieht ihn grimmig an. »Willst du mich verkohlen? Ich habe zwei Hände und noch keine Kugel erwischt! Damals schoß ich einem Kriegshäuptling alle Federn vom Kopf, daß die Indsmen glaubten, er wäre in der Mauser. Schießen kann ich verdammt gut.« Jim schiebt den Revolver zurück und tippt kurz auf den Zettel. »Lies, Pap! Vielleicht überlegst du es dir dann noch!« »Pech, Marshal«, grinst Pap. »Ich kann nicht lesen. Jede Fährte, aber nicht das. Lies es mir vor.« »Hör mal gut zu, Pap«, beginnt Jim ernst, »ich könnte jede Hilfe brauchen, aber ich verzichte darauf. Wer mit mir durch die Stadt geht, ist genauso gefährdet. Kennst du noch Buster Fetterman?« »Ja – den Killer auf dem Friedhof, was?« »Genau der, Pap. Fetterman tut keinem mehr was, aber es gibt da skrupellose Burschen, die was für ihn tun wollen. Sie wollen mich fertigmachen.« »Hihi«, macht Pap. »Und darum willst du mich wieder an die frische Luft setzen, was?« »Ja. Geh in den Saloon und trink einen. Das ist gesünder, als hier Zielscheibe zu sein.« Pap richtet sich auf. »Siehst du mein Gewehr hier?« Er deutet über die Schulter, wo er sich das Gewehr nach alter Scoutart umgehängt hat. »Diese Knarre ist besser als gar keine!
Du siehst verdammt blaß aus, Marshal. Ich wollte ohnehin mal für ein paar Tage auf meinen Whisky verzichten.« Jim schüttelt wieder den Kopf und klopft ihm auf die knochige Schulter. »Hörst du die Musik, Pap? Da drüben ist Whisky – feuriger Whisky! Geh hin und laß mich hier allein!« »Wie du willst, Marshal«, sagt Pap beleidigt. »Wie sind deine Maße? Ich kann sie dem Sargtischler schon geben. Dann brauchst du nicht so lange zu warten.« Er geht zur Tür und runzelt die Stirn. »Übrigens, dein alter Freund Clyde Morris blinzelt verdammt heftig mit dieser fremden Lady.« »Bist du eifersüchtig?« »Die Lady gefällt mir nicht. Du hättest ihren Blick sehen sollen, als sie dir nachsah. Mach's gut, Marshal.« Pap geht hinaus und wirft die Tür hinter sich zu. Jim ist wieder allein. Er zieht die Gardine zu und setzt sich an den Tisch, betrachtet den Zettel und denkt nach. Buster Fetterman muß einen guten Freund gehabt haben. Dieser Freund hat ein Jahr dazu gebraucht, um ihn, Jim Long, zu finden. Und nun soll er Buster Fetterman nachfolgen. Er lehnt sich vorsichtig zurück und drückt etwas auf den Verband. Manchmal flimmert es vor seinen Augen. Ihm wird abwechselnd heiß und kalt. Er erhebt sich, geht zum Schlaflager und legt sich auf die Seite. Einen der Revolver hat er griffbereit auf dem Stuhl neben dem Lager. Draußen geht jemand vorbei. Dann wird es wieder still. Er hört kaum noch den Lärm der Saloons, weil er sich zu sehr daran gewöhnt hat. Er fühlt, wie das Fieber über ihn kommt. *** Lautlos löst sich eine dunkle Gestalt aus dem tiefen Schatten der Hofeinfahrt und schiebt sich vorsichtig auf den Gehsteig, verharrt und blickt umher, den Rücken gegen die Hauswand gepreßt.
Lichtbahnen fallen aus den Saloons, aber hier vor dem Office ist es dunkel. Der Mann läßt den Zigarettenstummel fallen, setzt den Stiefel darauf und zerdrückt die Glut. Mit einer geschmeidigen Bewegung holt er den Colt hervor und zieht den Hammer zurück. Es klickt leise. Langsam gleitet der Mann zum Office des Marshals. Er achtet darauf, daß kein Brett des Gehsteiges unter seinem Gewicht knarren kann. Drüben auf der anderen Straßenseite zischt es leise. Der Mann neben dem Office winkt heftig. Still, heißt das, halt dich noch zurück! Da zieht sich der andere Mann drüben zurück und wartet. Er hält ein Gewehr im Anschlag. Aus dem Cattleman's Saloon kommen zwei Männer. Sie streiten miteinander und treten auf die Straße hinaus. Der Mann am Office rührt sich nicht. Er steht steif und atmet kaum. Die beiden Männer entfernen sich endlich. Geräuschlos schleicht der Mann weiter und erreicht die Tür des Office. Er bewegt sich daran vorbei und bleibt dann stehen. Wenn der Marshal jetzt die Tür öffnet, steht er genau im Türwinkel. Jim hört plötzlich ein leises Klopfen. Er richtet den Oberkörper auf und horcht. »Marshal!« wispert es draußen an der Tür. »Kommen Sie! Es ist wichtig!« Jim greift zum Revolver und verläßt das Lager. »Wer ist da?« fragt er rauh. »Floyd«, zischt er. Floyd ist der Keeper vom Golden Hill Saloon. Jim nähert sich der Tür. Er ist mißtrauisch, weil Floyd nicht hereinkommt. »Was ist los, Floyd?« fragt er laut. »Kommen Sie 'rein – die Tür ist offen!«
»Belle schickt mich, Marshal!« flüstert die Stimme. »Ein Mann liegt tot hinterm Saloon. Ich glaube, daß Sie ihn kennen!« Jim überlegt kurz. Dann geht er zur Tür und öffnet sie. Noch ist er im Office, aber die Tür ist schon offen, als drüben ein Schuß aufpeitscht. Jim springt zur Seite. Von draußen fällt jemand gegen die Tür und drückt sie zu, gleitet an der Tür ab und poltert auf den Gehsteig. Wieder peitscht drüben ein Schuß – dann noch einer. Ein wilder Fluch ist zu hören. Zwei, drei Schüsse krachen. Dann seufzt jemand genau vor der Tür des Office. Jim zögert nicht eine Sekunde; er läuft durchs Office und an den Zellen vorbei. Auf der Rückseite des Office befindet sich eine kleine Tür, die immer verschlossen ist. Jim zerrt den schweren Riegel beiseite und zwängt sich hinaus, verharrt einen Atemzug lang im Hof und horcht. Auf der Straße ertönen Stimmen. Die Leute aus den Saloons, denkt er und läuft ums Haus. Als er die Straße erreicht, sieht er eine dunkle Gestalt reglos vor der Tür des Office liegen. Der Mann hält einen Colt in der Hand. Jim begreift sofort. Der Bursche ist nicht Floyd. Er hatte es auf ihn abgesehen! Langsam geht er zu ihm und dreht ihn auf den Rücken. Das knochige Gesicht ist ohne Leben. »Da hast du noch einmal Glück gehabt, Marshal«, hört Jim eine ihm wohlbekannte Stimme. »Der Halunke wollte dich 'rauslocken. Drüben stand ein zweiter Bursche mit einem Gewehr. Der sollte dich erwischen. Diesmal wollten sie es ganz gründlich machen!« Jim dreht sich um und blickt Pap ernst an. Hinter Pap stehen die Männer aus den Saloons, und vom Schienenstrang kommt Jesse McIntosh mit seinen Treibern heran.
»Faß mit an, Pap!« sagt Jim rauh. Pap nickt gleichmütig und hilft ihm, den Toten ins Office zu ziehen. Jim geht noch einmal hinaus. »Geht weiter, Männer. Hier gibt's nichts mehr zu sehen.« Sie hören am Klang seiner Stimme, daß er sie verachtet. Sie sind immer nur da, wenn er sie nicht mehr braucht. Er schließt die Tür hinter sich und blickt Pap fragend an. Pap nickt und hängt sich das alte Gewehr wieder über. »Vier Augen sehen mehr als zwei, Marshal«, sagt er ruhig. »Ich war noch am überlegen, ob ich mir einen zur Brust nehmen sollte, als ich diesen Kerl kommen sah. Dann sah ich auch den anderen. Sie gaben sich Zeichen. Da verstand ich. Den anderen hab' ich nicht treffen können. Sieh ihn dir an, Marshal. Kennst du ihn?« Jim lauscht kurz dem Stimmengemurmel vor dem Office. Dann geht er nach hinten und verrammelt die Hintertür. »Ja«, sagt er. »Der Halunke gehört zu den zwei Burschen, die sich im Hotel eingenistet haben.« »Du siehst nicht gesund aus, Marshal«, meint Pap. »Allein wirst du es nicht schaffen. Wie ist es nun mit dem Job für mich, Marshal?« »Laß es lieber sein, Pap.« »Ich will nicht die paar lumpigen Dollars als Deputy verdienen, verstehst du? Die Stadt hält mich für einen Säufer. Vielleicht bin ich es auch, Marshal, aber ich kann auch schießen. Ich werde nicht zusehen, wie du vor die Hunde gehst, verstanden?« Jim zögert. Viele Gedanken beschäftigen ihn in diesem Augenblick. Plötzlich nimmt er sein Gewehr, nickt Pap zu und sagt rauh: »In Ordnung, Pap. Gehen wir zum Hotel!« Pap grinst breit. »So gefällst du mir, Marshal!« ***
Clyde Morris steht am Gang des Hotels vor der Zimmertür und hält den Hut in der Hand. »Es war ein schöner Abend mit Ihnen, Clyde«, sagt Joan lächelnd. »Ich wäre sehr froh, wenn es noch so manchen schönen Abend gäbe.« »Ich werde gern dafür sorgen, Miß Joan. Auch für mich ist es ein netter Abend gewesen – mit so einer bezaubernden Frau wie Ihnen kein Wunder.« »Sie Schmeichler, Clyde.« Sie dreht sich halb um und blickt ihren Bruder an, der die Zimmertür geöffnet hat und heraussieht. »Tom, das ist Mr. Morris – Clyde Morris.« Tom Smith nickt freundlich und reicht Morris die Hand. »Schön, Sie mal kennenzulernen«, sagt er lässig. »Ich hab' schon viel über Sie gehört, Clyde.« »Hoffentlich nur Gutes«, grinst Clyde. »Ah, nicht immer«, lächelt Tom Smith. »Sie sollen verdammt schnell mit dem Schießeisen sein.« »Das gehört dazu«, meint Clyde, nickt Tom zu und blickt Joan an. »Darf ich morgen vorbeikommen, Miß Joan?« »Ich warte darauf.« Sie schließt hinter sich die Tür, und Clyde Morris steht allein auf dem Gang. Lächelnd setzt er den Hut auf und will gehen. Da kommt Joan noch einmal heraus und sagt leise: »Gute Nacht, Clyde.« Dann geht er. Die Frau aber, die die Tür hinter sich zugezogen hat, blickt Tom Smith fragend an. »Er liebt dich, wie?« dehnt Tom. »Er hat sich in dich verknallt. Du wirst ihn bald um den kleinen Finger wickeln können. Ist doch seltsam, daß so ein Spieler alles vergißt, wenn er einer schönen Frau begegnet.« »Warte es ab, Tom«, sagt sie achselzuckend und läßt sich in einen der Sessel fallen. Aus dem Nebenraum kommt ein Geräusch. Fragend sieht sie Tom an. Der nickt nur.
*** In der Hotelhalle begegnet Clyde Morris dem Marshal. »Hallo, Jim – wohin so schnell?« Jim verharrt. Dann fragt er ruhig: »Du hast Joan Smith ins Hotel gebracht, Clyde?« »Ja. Warum fragst du?« »Hast du zwei Burschen gesehen, die hier im Hotel wohnen?« »Nein. He, sag mal, was ist überhaupt los? Ich hörte vorhin die Schießerei. Wollte man dich fertigmachen, Jim?« »Sieht so aus.« Jim ist wortkarg geworden und will die Treppe hinaufgehen, als Clyde Morris mit einem schnellen Blick auf Pap fragt: »Und dieser Säufer da, Jim? Ist der eine neue Errungenschaft von dir?« Pap reißt die Augen auf und blickt Morris wütend an. »Sie können auch mich fragen, Mister!« sagt er frostig. »Ich kann nämlich hören und reden!« Clyde Morris schüttelt den Kopf und sagt zu Jim: »Jetzt bist du wirklich auf den Hund gekommen, Jim. Mach's gut, alter Freund.« Bevor Pap was sagen kann, ist Morris schon draußen. »Los, komm«, murmelt Jim und winkt Pap. Leise steigen sie die Treppe hinauf. Oben angekommen, deutet Jim zum Ende des Ganges. »Geh dorthin!« Pap nickt und schleicht den Gang hinauf. Der alte mürbe Teppich dämpft seine Schritte. Dann dreht er sich hinten um und hebt das alte Gewehr. Jim hofft, daß Pap mit dem Ding nicht schießt. Es ist ein so gewaltiges Donnerrohr, daß wahrscheinlich das Hotel einstürzen würde, geht ein Schuß los. Langsam geht Jim von Tür zu Tür, klopft leise an und stößt die Türen hart auf.
Als er die vierte aufstößt, stehen Joan und Tom Smith vor ihm, und Joan sagt kopfschüttelnd: »Können Sie nicht warten, bis wir Sie hereingerufen haben, Marshal?« Er tippt flüchtig an den Stetson und wirft einen Blick ins Zimmer. »Tut mir leid, Miß. Ich suche zwei Männer, die mit einem dritten in diesem Hotel abgestiegen sind.« »Hier sind sie nicht!« sagt Tom Smith zornig. »Lassen Sie uns in Ruhe, Marshal Long!« »Reg dich nicht auf, Tom«, flüstert Joan. Ihr Lächeln wirkt etwas gezwungen. »Gehen Sie zu dieser Tür dort, Marshal. Das ist das Zimmer, das Sie wohl suchen.« Jim nickt, blickt Tom Smith hart in die Augen und geht weiter den Gang entlang. Vor der betreffenden Tür verharrt er und klopft an. Joan Smith und ihr Bruder sehen aus der Tür und beobachten ihn. Als Jim nichts hört, stößt er die Tür mit einem Fußtritt auf und duckt sich, das Gewehr schußbereit erhoben. Er spürt den Luftzug aus dem Zimmer und sieht, wie sich die Gardine am offenen Fenster bläht. Vorsichtig betritt er das Zimmer. Es ist ein großer Raum mit drei Schlafstätten. Der Schrank steht auf. Die Betten sind leer. Tabakreste und eine Patrone liegen auf dem Boden. Langsam nähert er sich dem Fenster und blickt hinaus. Unterhalb des Fensters verläuft ein schräges Dach, das zum Hinterhof zeigt. Gegenüber liegt der Pferdestall. Der Brunnen ist mit Brettern abgedeckt. Bleiches Mondlicht beleuchtet den leeren Hof. Jim wendet sich ab und sieht Pap und Joan Smith auf dem Gang stehen. »Sie sind verschwunden, wie?« knurrt Pap grimmig. Jim nickt. »Durchs Fenster und übers Dach, Pap.« »Warum suchen Sie diese Männer, Marshal?« fragt Joan leise. »Haben Sie was getan?«
»Sicher, Miß«, antwortet Jim rauh. »Die drei Halunken wollten mich über den Fluß schicken!« Er geht an ihr vorbei und verläßt mit Pap das Hotel. »Das alles gefällt mir nicht, Marshal!« sagt Pap draußen. »Diese Halunken werden nicht so schnell aufgeben.« Jim beißt die Zähne aufeinander. Der Schmerz und die Schwäche machen sich wieder bemerkbar. Er nickt und geht mit steifen Bewegungen zum Office. Pap bleibt stehen. »Geh voraus, Marshal; ich komme gleich nach«, sagt er leise. Jim antwortet nicht. Er hat es eilig, zum Office zu kommen. Er muß sich ausruhen und versuchen, neue Kraft zu sammeln. Pap geht inzwischen auf den Hinterhof des Hotels und bewegt sich am Pferdestall entlang. Lautlos zieht er das Stalltor auf und gleitet hinein. Es riecht nach Heu, Stroh, Leder und Pferdeschweiß. Pap tastet sich im dunklen Stall vorwärts und erreicht die Boxen. Mit der linken Hand ertastet er einen Pferderücken, dann einen zweiten, einen dritten. »Drei«, flüstert er vor hin, »drei Gäule! Die Halunken sind noch in der Stadt. Verdammt, ich muß den Marshal warnen!« Hastig läuft er aus dem Stall, überquert den Hof und hastet keuchend zum Office. Hart pocht er an der Tür. »Ich bin's – Pap! Mach auf, Marshal!« Er muß etwas warten und steht still. Während im Office Jim Longs Schritte laut werden, hört er ein Rascheln hinter sich. Blitzschnell läßt er sich fallen und hört, wie es dicht über ihm mit dumpfem Geräusch einschlägt. Er reißt den Kopf hoch und sieht den noch zitternden Schaft eines Messers im Holz der Tür stecken. In diesem Moment öffnet Jim. Pap kriecht auf allen vieren ins Office. »Mach zu, Marshal!« keucht er wild. »Diese verdammten Halunken haben sich was ganz Neues einfallen lassen.«
Schnaufend kommt er hoch. Jim Long versteht noch nicht. Da verzieht Pap das Gesicht grimmig, öffnet die Tür einen schmalen Spalt, zerrt das Messer aus dem Holz und schlägt die Tür wieder zu. »Sieh dir das an, Marshal!« faucht er wütend. »Ideen haben diese Burschen, das muß ihnen der Teufel lassen!« Jim nimmt ihm das Messer aus der Hand und lehnt sich an den Tisch: Er betrachtet es eingehend. Dabei verhärtet sich sein Gesicht. »Pap«, sagt er gepreßt, »Calamity-Johns ist in der Stadt!« »Bist du ein Hellseher, Marshal?« »Nein. Dies hier ist ein Weidemesser. Calamity-Johns ist lange unten in Texas und an der Grenze gewesen, wo man die Dinger noch benützt!« »O verdammt!« entfährt es Pap. »Aber er hat versucht, mich zu treffen, Marshal, nicht dich. Er muß also wissen, daß ich bei dir mitmache. Also hat er uns schon eine Zeitlang beobachtet.« Jim setzt sich aufs Lager und nimmt einen Schluck Wasser. Seine Augen glänzen fiebrig. »Willst du nicht aufhören, Pap? Ich würde es dir nicht übelnehmen.« »Ich habe noch nie irgend etwas aufgegeben – auch das Trinken nicht«, meint Pap ruhig. »Schlag dir das also aus dem Kopf. Und nun hör zu, was ich zu sagen habe: Im Stall hinterm Hotel stehen noch die Gäule der drei Halunken! Die stecken noch in der Stadt – und dazu kommt jetzt auch noch CalamityJohns! Das sind also wieder drei Mann!« Er wirft einen Blick auf den leblosen Banditen, den sie in die erste Zelle geschafft haben. Jim atmet tief ein. »Wir müssen ihn rausbringen, Pap – durch den Hinterausgang. Dann will ich zum Doc. Hier hast du zehn Dollar. Geh dann zum Store und hol Proviant für mehrere Tage – aber laß dich nicht erwischen.« »Das wollte ich dir gerade auch sagen, Marshal.«
Sie heben den Banditen an und tragen ihn hinten hinaus, legen ihn zwischen Holzstoß und Stall ab und trennen sich. Jeder geht einen anderen gefährlichen Weg. Als Jim den Straßenrand erreicht, blickt er zum Golden Hill Saloon hinüber, wo Belle jetzt wieder hinter der Theke stehen wird. Vorsichtig nähert er sich der Tür des Arzthauses und betritt das Haus. Oben im Hotel bewegt sich eine Gardine. Er sieht es nicht. *** Jim Long ist wieder unterwegs, aber in dieser Nacht geht er nicht wie sonst mitten auf der Straße, sondern hält sich im Schatten der Häuser. Er weiß, daß seine Gegner in der Stadt sind und alles versuchen werden, ihn zu töten. Trotzdem betritt er den Saloon. Bei seinem Erscheinen wird es schlagartig still, und alle sehen ihn wie gebannt an. Er geht langsam zur Theke – gebeugt, mit etwas hängenden Schultern. Belle ist so unruhig, daß sie es nicht verbergen kann. Sie hält die Flasche krampfhaft in der zitternden Hand und füllt das Glas. »Jim«, flüstert sie, »warum kommst du noch hierher? Hier ist es hell! Wenn nun einer draußen steht? Er könnte dich hier ganz deutlich sehen, und diesmal würde er dich nicht verfehlen!« »Ich wollte dich sehen, Belle«, spricht er rauh. »Diese Nacht wird die längste für mich. Calamity-Johns ist in der Stadt. Sie sind wieder zu dritt – aber vielleicht hat Johns noch ein, zwei Leute mitgebracht. Ich werde kämpfen müssen. Aber mach dich nicht verrückt, hörst du? Ich wußte schon immer, daß eines Tages so was geschehen würde.«
»Du bist allein, Jim! Himmel, du bist ganz allein!« Sie möchte aufschreien, aber sie sagt es leise. Sie möchte ihn umarmen und für immer bei sich behalten, aber sie rührt sich nicht. »Ich bin nicht allein, Belle. Pap ist bei mir.« »Pap, dieser alte...?« Belle schließt sekundenlang die Augen und schüttelt den Kopf. Ihre Lippen zucken. »Er kann dir doch nicht helfen, Jim! Sattel dein Pferd und reite weit weg! Komm erst nach Monaten wieder, Jim. Dann sind sie bestimmt davongeritten.« »Draußen auf der Ebene und in den Hügeln habe ich noch weniger Chancen, Belle. Ich werde hierbleiben und es auskämpfen.« Sie streckt die Hände vor und umfaßt seine Rechte. »Jim, ich komme mit, wohin du willst!« Er sieht sie ernst an. »Du bist ein großartiger Kerl, Belle«, sagt er mit klarer Stimme und lächelt still. »Aber laß diese roten Haare weg, Belle. Wenn ich es heil überstehe, dann will ich sie nicht mehr sehen.« »Oh, du bist der sturste Kerl, der je an dieser Theke gestanden hat, Jim!« flüstert sie mit zuckenden Lippen, und ihre Augen füllen sich mit Tränen. Er blickt sich kurz um. »Wo ist Clyde Morris?« »Drüben im Cattleman, Jim. Laß diesen Morris doch!« »Mach' ich, Belle.« Er wendet sich um. Ihre Hände gleiten von seiner Rechten ab. Er verläßt den Saloon mit rasselnden Sporen. Die Türflügel knarren laut durch die Stille. Das Sporengerassel verliert sich auf der Straße. Ständig um sich sehend, bewegt Jim sich über die Straße. Er sieht einen Buggy zwei Häuser weiter, sieht die Plane, die wohl auf Kisten liegt – und erreicht die Tür des Office. In diesem Moment bewegt sich der Buggy. Er rollt an und kommt auf ihn zu!
Er hört das Geräusch, dreht sich um und erkennt eine dunkle Gestalt hinter dem leichten Wagen. Schon zerreißt ein Schuß die nächtliche Stille. Ein Feuerblitz flammt über dem Buggy auf. Hart schlägt die Kugel neben Jim in die Tür. Er duckt sich und feuert mit dem Gewehr auf den Buggy. Brüllend springt der Halunke hervor und hetzt in die Deckung des Hauses. Der Buggy rollt aus. Da peitscht es drüben in der Hofeinfahrt des Hotels auf, und die Kugel trifft Jim ins Bein. Er knickt ein, stürzt – und das rettet ihm das Leben. Viele Kugeln aus einer Winchester hacken in Tür und Officewand. »Marshal!« schreit Pap im Office und stößt die Tür auf. Licht fällt hinaus. »Zieh mich 'rein, Pap!« keucht Jim. »Schnell, verdammt!« Da packt Pap zu und zerrt Jim mit seiner ganzen Kraft hinein. Polternd fällt die Tür zu. Pap wirft den Riegel vor und beugt sich über Jim. »Hoch, Pap!« krächzt Jim. Pap hilft ihm hoch und stützt ihn. Jim schwankt zum Lager und fällt darauf. Voller Zorn greift Pap nach seinem alten Gewehr und will hinaus. »Bleib hier, Pap!« ruft Jim heiser. »Nicht 'raus! Sie würden leichtes Spiel haben!« »Verdammt, dich hat's erwischt, Marshal! Dein Bein. Ich werde den Doc holen. Keine Widerrede, Jim Long.« Schon verläßt Pap das Office durch die Hintertür. Draußen bleibt es still. ***
Die Männer im Golden Hill Saloon bewegen sich nicht. Das Entsetzen steht auf ihren Gesichtern. »Nun tut doch was!« schreit Belle. »Ihr Feiglinge steht hier herum und wartet, bis sie den Marshal erschossen haben! Wenn Jim Long stirbt, dann stirbt auch eure Stadt!« Aber sie rühren sich nicht. Da stürzt Belle hinter der Theke hervor und zur Tür. Sie ist nur noch drei Schritt davon entfernt, als sie jäh erstarrt und entsetzt zur oberen Öffnung der Schwingtür blickt. Kalte, farblose Augen starren sie an. Reglos und fast ausdruckslos ist das unrasierte Gesicht. Knochige Hände liegen oben auf den Kanten der Türflügel. Nun drückt der Mann die Türflügel auseinander und verharrt. »Guten Abend«, sagt er mit eisiger Stimme. »Setzt euch!« Alle setzen sich; nicht ein einziger bleibt stehen. Langsam kommt Calamity-Johns auf Belle zu. Dicht vor ihr bleibt er stehen. Sie spürt seinen Atem im Gesicht. »Gib mir einen Whisky, Belle!« sagt er kalt. »Du wirst mich ab heute immer bedienen, und das sofort, wenn ich komme, verstanden?« Sie nickt, ohne es zu wollen. Er schiebt sie zur Seite und blickt umher. Ein zynisches Lächeln zieht den dünnen Mund auseinander. »Redet doch weiter«, dehnt er. »Ihr habt euch doch bestimmt noch was zu sagen, wie?« Keiner spricht. »Redet!« schreit er. »Oder ich bringe euch das bei!« Gequält beginnen sie zu reden, mühsam, schleppend und verkrampft. Sie reden alle durcheinander, irgend etwas – keiner versteht den anderen. Alle blicken zu Calamity-Johns hinüber. Er geht zum Orchestrion, tritt dagegen – und der Lärm füllt den Saloon. Grinsend geht er zur Theke.
Belle schiebt ihm das Glas zu. Er sieht sie höhnisch an. »Dein Marshal wird nicht kommen, Belle. Auf dein Wohl.« Er trinkt und starrt sie ununterbrochen an. Dabei entgeht ihm keine Bewegung im ganzen Saloon. Belle zittert. Mühsam bezwingt sie die Angst. Sie denkt an Jim Long und beginnt, diesen Banditen mit jedem Gedanken zu hassen. *** Jim hat den Revolver gepackt und auf die Hintertür gerichtet. Er senkt den Lauf, als er den Doc hereinkommen sieht. »Tür zu, Doc!« sagt er heiser. Der Arzt zieht die Tür zu und kommt mit der dickbauchigen Tasche zu Jim. »Laß mal sehen«, sagt er hastig und reißt Jims Hosenbein auf. »Wadenschuß«, konstatiert er. »Ich muß das ganze Bein fest verbinden, Jim. Mit dem Gehen wird es Schwierigkeiten geben.« »Machen Sie sich darüber keine Gedanken, Doc – verbinden Sie«, sagt Jim gepreßt. »Und beeilen Sie sich! Die Bande könnte das Office umstellen.« Der Doc nickt und holt Verbandszeug hervor. Mit schmerzverzerrtem Gesicht sieht Jim zu, wie er den Verband anlegt. »Wo ist Pap?« fragt er heiser. »Er hat Sie doch geholt!« »Er wollte noch was herbeischaffen.« »Was, zum Teufel?« »Das weiß ich nicht.« »Los, machen Sie zu, Doc! Sie werden sicherlich noch gebraucht in der Stadt. Sehen Sie zu, daß Sie heil zurückkommen.«
»Du hast Nerven, Junge«, knurrt der Doc. »Machst dir Sorgen um mich und sitzt hier wie auf dem Pulverfaß!« Er verknotet das Ende des Verbandes, läßt zwei Verbandsstreifen und ein paar Kleinigkeiten zurück und hastet wieder hinaus. Jim wartet mit schußbereitem Revolver. Es dauert nicht lange, bis Pap ins Office kommt. Hinter ihm betritt lautlos ein junger Mann das Office – zwanzig Jahre alt. Jim kennt ihn. Hondo ist ein Halbblut und arbeitet als Stallbursche im Mietstall. »Was willst du mit dem Kindergarten hier, Pap?« knurrt Jim bitter. »Soll der Junge etwa hier bleiben?« Pap schließt erst einmal die Hintertür, bevor er antwortet. »Ich weiß, was du denkst, Marshal, aber hör mich erst mal an. Hondo wollte schon immer für dich arbeiten. Er hat dich oft genug gefragt. Aber du hast ihn immer wieder rausgeschickt. Jetzt ist er hier.« »Du hast ihn geholt, Pap!« sagt Jim zornig. »Er ist nicht aus eigenen Stücken gekommen.« »Frag ihn doch selbst«, knurrt Pap wütend. »Erstens bin ich kein Großvater, und zweitens ist Hondo kein Kind mehr.« Der junge Mann steht abwartend im Office. Er trägt alte, zerschlissene Lederkleidung, und aus dieser Kleidung strömt der Geruch von Stall und Pferden. Sein schmales tiefbraunes Gesicht schimmert etwas. Die dunklen Augen blicken Jim Long ruhig an. »Pap hat recht, Marshal«, sagt er leise, »ich bin kein Kind mehr. Ich habe den Job im Mietstall schon sehr lange, und ich weiß, daß ich nie da 'rauskommen werde, wenn ich jetzt nicht bei Pap und Ihnen bin. Dies hier ist meine einzige Chance. Wenn ich alles überstanden habe, dann bin ich nicht mehr länger der kleine, billige Stallbursche, der für alle nur Dreck ist.« Jim sieht ihn bitter und grimmig an. »Du bist ein Narr, Hondo!« sagt er zornig. »In der Stadt lauern Banditen. Und
jetzt kommst du her und glaubst, alles wäre ein Kinderspiel! Aber da fliegen Kugeln, mein Junge. Im Mietstall weißt du, was du tust, und du kannst dir ausrechnen, wie alt du noch werden wirst. Aber hier im Office nicht! Hier kannst du noch vor dem Morgen tot sein.« Hondo hat geduldig zugehört. Jetzt sagt er langsam: »Ich weiß das alles, Marshal. Ich weiß, daß die Banditen auch auf uns schießen werden, weil wir Ihnen helfen. Aber das nehme ich schon auf mich. Ich will endlich 'raus aus dem Dreck.« Jim erwidert rauh: »Geh 'raus und überlege dir alles genau! Setz dich in den Mietstall und denke nach.« »Ich hab's mir schon überlegt, Marshal. Als Pap zu mir kam, wußte ich, daß es für mich nur diesen Weg gibt.« »Verdammt, wie redest du?« murmelt Jim. »Nur diesen Weg? Junge, für dich steht noch alles offen! Das ganze Leben steht noch vor dir! Willst du es wegwerfen? Geh schon!« Doch Hondo bleibt. »Laß ihn doch bleiben, Marshal«, drängt Pap. »Der Junge ist nicht schlecht!« »Das ist es ja gerade«, erwidert Jim. »Hondo ist zu jung zum Sterben.« »Wir sterben schon nicht, Marshal«, meint Hondo und zuckt die Achseln. »Wir sind jetzt zu dritt. Allein werden Sie es nicht schaffen!« »Nun fang nicht auch noch so an!« knurrt Jim gereizt und verzieht das Gesicht vor Schmerzen. »Spiel dich nicht auf, mein Junge!« »Ich kann auch schießen, Marshal.« Hondo sagt es dumpf. Jim lacht freudlos auf. »Schießen! – Junge, schießen kann jeder! Das konnte auch meine Großmutter! Schießen ist nicht wichtig. Wichtig ist, daß du auch triffst.« »Ich will auf eigene Verantwortung hierbleiben, Marshal. Pap, du hast es gehört. Du bist mein Zeuge.«
»Ja, Jim – ich hab's genau gehört. Laß ihn hier«, sagt Pap eifrig. »Aah«, meint Jim und legt sich fluchend zurück, »ihr macht hier wohl einen Aufstand, was? – Laßt mich in Ruhe damit!« Pap grinst seltsam. »Heißt das, daß du einverstanden bist, Marshal?« »Denk, was du willst, Pap.« Jim zeigt auf den Proviant. »Gib mir was davon. Und dann werden wir uns überlegen, was zu tun ist.« *** Es ist jetzt ruhig auf der Straße. Niemand ist zu sehen. Die Saloons sind so gut wie leer, aber das Licht brennt noch überall. Clyde Morris sitzt allein am Pokertisch und blickt hinaus. Kein Sattelpferd steht mehr vor dem Cattleman's Saloon. Und auch vor dem Golden Hill Saloon ist kein Pferd zu sehen. Belle steht hinter der Theke. Kein einziger Tisch ist besetzt. Die Gäste haben sich davongemacht. Auch Calamity-Johns ist hinausgegangen. »Warum machst du den Laden nicht dicht, Floyd?« flüstert sie mit spröder Stimme. »Willst du, daß diese Bande hereinkommt?« Floyd, der Keeper, schüttelt den Kopf. »Es hat keinen Sinn, jetzt zu schließen, Belle. Die Halunken würden die Tür eintreten und in ihrer Wut alles zerstören. Wir müssen den Saloon geöffnet halten.« »Weißt du, wo sie jetzt sind, Floyd?« »Nein. Ich sehe sie seit einer Stunde schon nicht mehr.« Da geht Belle zur Tür und tritt hinaus. Voller Angst und Sorge blickt sie zum Marshal Office. Langsam schweift ihr
Blick über die verödete Straße. Auch aus dem Hotel nebenan fällt eine Lichtbahn, und zwei Fenster sind erleuchtet. Fröstelnd zieht sie die Schultern an und geht zurück. Vor der Theke bleibt sie stehen. »Ich sollte zu Jim gehen, Floyd!« flüstert sie. »Ich könnte ihm vielleicht helfen!« »Tu's nicht, Belle. Er könnte Hilfe gebrauchen – aber er müßte dann auf dich Rücksicht nehmen und könnte nicht alles tun, was er will.« Da läßt sie die Schultern fallen und greift zum halbgefüllten Whiskyglas. Irgendwo in der Stadt bellt ein Hund. *** Die Nacht scheint nie zu Ende gehen zu wollen. Draußen hinterm Schienenstrang glüht noch das Campfeuer der McIntosh-Mannschaft. Der letzte Viehtransportzug ist davongerollt. Rampen und Gatter sind verwaist, die Texas-Herde ist verladen. Nächtlicher Wind treibt Papierfetzen und trockenen Sand die Straße hinauf. Irgendwo klappert ein Fensterladen. Ein Schatten fällt auf die zugezogene Gardine am Fenster des Hotels. Langsam zieht Joan Smith die Gardine zu einem schmalen Spalt auf und blickt auf die Straße hinunter. »Alles ruhig«, sagt sie leise. »Die Leute haben sich verkrochen. Hol jetzt die Jungens 'rüber, Tom.« Tom Smith nickt und geht in den Nebenraum. Dort flegeln sich Calamity-Johns und drei Männer auf dem Bett und den Stühlen herum, rauchen und haben jeder eine Flasche Whisky griffbereit. »Kommt 'rüber«, sagt Tom Smith zu ihnen. Sie erheben sich langsam, rücken an den Waffengurten und nehmen die Whiskyflaschen mit.
»Setzt euch«, sagt Joan Smith. »Wir verteilen die Rollen. Wir haben nicht mehr viel Zeit.« Calamity-Johns grinst. »Du mußt ihn sehr hassen, Joan, so sehr, daß du dafür alles gibst, wie?« »Er hat meinen Bruder Buster Fetterman erschossen!« sagt sie haßerfüllt. »Als Buster tot war, mußte ich euch erst ausfindig machen. Es ist schon zuviel Zeit verlorengegangen, aber es tröstet mich, daß dieser verdammte Jim Long nicht davonkommen wird. Ich habe euch Busters Vermögen versprochen. Dafür müßt ihr auch was tun, Johns.« Johns nickt; das Grinsen verstärkt sich und scheint schließlich zu gefrieren. »Werden wir, Joan – werden wir.« »Unterschätzt ihn nicht«, sagt sie und raucht eine Zigarette an. »Tom warf einen Colt in die Zellen, aber Jim Long lebt noch heute. Tot ist allein Chester.« »Long hat es aber erwischt«, sagt Calamity-Johns lässig. »Ich sah ihn stürzen. Nur dieser alte Narr hat ihn retten können. Um ein Haar hätte es ihn voll erwischt.« »Noch weiß Long nicht, daß ich Buster Fettermans Schwester bin.« Der weiche Ausdruck in Joans Augen schwindet; kalt funkelt es auf. »Er wird es auch erst kurz vor seinem Ende erfahren.« »Und was spielt dieser Clyde Morris für eine Rolle, Joan?« fragt Calamity-Johns ruhig. Sie blickt ihn frostig an. »Das ist einzig und allein meine Sache, Johns.« Er zieht die Augenbrauen hoch und will irgend etwas erwidern, aber er läßt es sein und nickt schließlich. »Nun gut. Dann sag uns, wie du es haben willst, Joan.« Sie nickt, geht zum Fenster und blickt kurz hinaus. »Alles still und ruhig«, sagt sie leise. »Long sitzt im Office und traut sich nicht hinaus.«
Sie wendet sich den Männern zu und spricht mit gedämpfter Stimme. Sie hören grinsend zu und nicken, erheben sich schließlich und verlassen das Hotelzimmer. Wenig später treten sie auf die Straße. Joan Fetterman beobachtet sie vom Fenster aus. Sie gehen mit lässigen Bewegungen los und nähern sich dem Marshal Office. Belle steht am Fenster des Golden Hill Saloons und sieht sie gehen. Sie hört auch das Rasseln der Sporen. »Floyd!« flüstert sie mit erstickter Stimme. »Floyd, sie gehen zum Office!« »Sieh nicht hinaus, Belle«, sagt Floyd gepreßt. »Geh weg vom Fenster. Sie brauchen dich nicht zu sehen.« Ihr Mund zuckt. Sie spürt das Herz schlagen und eine bleierne Schwäche in den Knien. *** Jim setzt sich auf die Kante des Schlaflagers und sagt zu Hondo: »Zeig mal dein Schießeisen her, Junge.« Zögernd reicht Hondo ihm den Colt. »Was ist mit der Waffe, Marshal?« fragt er dumpf. Jim betrachtet sie eingehend. »Kein Rostansatz im Lauf. Die Trommel ist in Ordnung. Wann hast du die Patronen gekauft, Hondo?« »Vor drei Wochen etwa, Marshal.« »Gut. Du hast den Colt wohl jeden Tag gepflegt und gereinigt, wie?« »Ja, Marshal.« Jim sieht ihn forschend an und erkennt im dunklen Gesicht des jungen Halbbluts jenen wilden Ausdruck, der die Bereitschaft zum Kampf verrät. »Du bist wohl ganz wild darauf, mit diesen Halunken zusammenzustoßen, Hondo?«
Das Halbblut nickt leicht und nimmt den Colt zurück. Jim blickt zu Pap hinüber. Pap steht am Fenster, die alte Gardine mit dem Zeigefinger etwas zur Seite drückend. »Sie sind unterwegs zu uns, Marshal«, verkündet er dann ruhig. »Wie viele?« fragt Jim kalt. »Fünf Mann.« »Ist Calamity-Johns dabei? Kannst du ihn erkennen?« »Ja, Marshal. Meine Augen sind noch so scharf wie die eines Adlers. Johns hält sich in der Mitte. Jetzt laufen sie von der Straße 'runter.« Jim Long nickt bitter. »Sie umstellen das Office. Geh vom Fenster weg, Pap! Zunächst werden sie ins Office hereinschießen und...« Er kommt nicht mehr dazu, den Satz zu beenden; draußen kracht es mehrmals. Klirrend zerspringt die Scheibe, Glas regnet herein. Die Gardine bauscht sich. Pap hat sich fallen lassen. »Licht aus!« faucht Jim. Mit einem wilden Sprung ist Hondo am Tisch und erstickt die kleine Flamme. Nur schwach fällt jetzt das Sternenlicht ins Office. »Zieh die Gardine weg, Pap!« sagt Jim. Der Marshal behält eiserne Ruhe, aber auch Pap und Hondo bleiben ruhig und gefaßt. Mit zwei Griffen fegt Pap die Gardine zur Seite und preßt sich an die Wand. Vorsichtig späht er hinaus. »Nichts zu sehen, Marshal!« flüstert er. »Das Gesindel muß scharf am Straßenrand stehen!« »Hondo, sieh nach hinten«, murmelt Jim rauh. »Aber paß auf, daß du nichts einfängst.« Hondo verzieht das Gesicht. Seine dunklen Augen schimmern im schwachen Licht. Wortlos gleitet er zur Hintertür, schiebt den Riegel lautlos beiseite und zieht die Tür einen schmalen Spalt auf.
Vor ihm liegt der Hinterhof, in das bleiche Licht der Sterne getaucht. Er späht lauernd umher und erblickt den Schatten eines Mannes, der im Sternenlicht steht und sich so verrät. Langsam hebt Hondo die Faust mit dem Colt und schiebt sich noch weiter hinaus, um den Halunken sehen zu können. Er kommt nicht dazu, abzudrücken. Drüben blitzt es auf! Er saust ins Office zurück und schlägt die Tür zu, knallt den Riegel vor und zischt: »Zwei Mann sind hinten!« »Das hab' ich gehört«, sagt Pap grinsend. »Die Burschen passen höllisch auf. Steck die Nase das nächste Mal nicht so weit hinaus, mein Junge, sonst zwicken sie dir ein Stück davon ab.« Pap scheint nicht im mindesten durch die Nähe der Banditen beunruhigt zu sein. »Hab' ich dir schon erzählt, mein Junge, wie wir damals von den Indsmen eingeschlossen waren? Wir durften noch nicht einmal husten! Das waren schlechte Zeiten, sag' ich dir! Aber wir sind rausgekommen. War ein heißer Durchbruch. Ich spuckte Blei in alle Ecken, daß der Sand nur so flog und du gedacht hättest, es wäre ein Sandsturm ausgebrochen...« Ächzend richtet Jim sich auf und hinkt zum Fenster. Die Straße vor dem Office ist leer. Hell scheint das Licht aus dem Golden Hill Saloon auf die Straße. Dunkel stehen die Häuser am Rand der Fahrbahn. »Wir müssen nach vorn sehen!« murmelte er. »Von hinten können sie nicht viel ausrichten, Pap, sieh ab und zu nach den Zellenfenstern hinauf. Hondo, komm her. Stell dich auf die andere Seite.« Draußen ist es totenstill. Erst nach Minuten klirren irgendwo Sporen. Weitere zehn Minuten vergehen. Dann schießen die Banditen plötzlich wieder durchs Fenster ins Office hinein, und Jim und Hondo müssen in Deckung gehen.
Die Kugeln lassen die Eisenstangen der Zellentüren unter den Aufschlägen brummen. Schritte hasten über die Straße. Vorsichtig blickt Jim hinaus und sieht Calamity-Johns in den Golden Hill Saloon stürzen. Zu spät – Johns ist bereits in Deckung. Jim beißt die Zähne zusammen und beobachtet den Saloon. Die Helfer von Johns müssen rechts und links vom Office auf der Lauer liegen. Im Saloon schreit Belle laut auf. Calamity-Johns blickt sie zynisch lächelnd an. »Ist doch nur halb so schlimm«, sagt er kalt. »Der Marshal wird schon nicht auf dich schießen. Du brauchst keine Angst zu haben. Komm hinter der Theke hervor – oder ich werde dich holen!« Belle ist furchtbar blaß. Sie weicht zurück, bis sie gegen Floyd stößt. »Sie sind ein gemeiner Kerl, Johns!« flüstert sie mühsam. »Wenn Sie wirklich mutig wären, dann würden Sie jetzt hinausgehen und Jim Long aus dem Office rufen. Sie würden sich offen auf die Straße stellen und einen fairen Kampf versuchen. Oh, ich weiß, daß Sie das niemals tun werden, Johns! Sie wollen mich vor sich hertreiben und so ans Office herankommen. Sie wissen genau, daß Jim Long nicht schießen wird. Gehen Sie allein, Johns!« Sie schreit auf, stürzt am Keeper vorbei und läuft zur Hintertür. Niemals wird sie Jim Long durch sich in tödliche Gefahr bringen. Sie liebt ihn und wird sich durch keine Drohung einschüchtern lassen. Zu weit ist die Tür, zu weit – denkt sie und streckt die Hand aus, umfaßt den Türgriff und reißt die Tür auf. Calamity-Johns rennt ihr nach. Er wird sie einholen. Sie kann ihm nicht entkommen. Und das hat auch Floyd begriffen. In diesen Sekunden überwindet er alle Angst und greift unter die Theke, packt den Colt und richtet ihn auf Johns.
Aber Johns scheint auch hinten Augen zu haben. Er fährt herum und schießt sofort. Während Floyd stürzt und ein paar Flaschen vom Regal reißt, läuft Belle hinaus. Calamity-Johns hat kostbare Zeit verloren. Als er auf den Hof kommt, ist Belle verschwunden. Sie läuft um ihr Leben. Der Stall deckt sie. Sie beginnt zu keuchen und leidet unter Atemnot, aber sie hastet weiter hinter den Häusern entlang. Johns folgt ihr. Sie hört das Klirren seiner Sporen und seinen Fluch. Die Angst gibt ihr Kraft. Mitten im Lauf zerreißt sie vorn ihr Kleid, um größere Schritte machen zu können. Ein Zaun taucht plötzlich vor ihr auf. Sie setzt darüber hinweg, aber das Kleid bleibt hängen und zerreißt. Sie hastet weiter, vorbei an den Häusern, deren Türen geschlossen sind und wo niemand bereit ist, ihr zu helfen und beizustehen. Abweisende, fremde Häuser sind es, in denen fremde Menschen sind – feige Menschen, die die Hände an die Ohren pressen und nichts hören und sehen wollen. Calamity-Johns erreicht den Zaun, sieht den Fetzen Stoff und blickt lauernd umher. Belle ist schon drei Häuser weiter. Mit fliegendem Atem wirft sie sich gegen eine Hauswand. Sie kann bald nicht mehr, aber sie quält sich weiter, immer weiter – bis sie ihr kleines Haus erreicht hat. Sie stürzt hinein, macht kein Licht, läuft zum Schrank und reißt die Tür auf, holt den Derringer hervor und lädt ihn. Zwei Patronen entfallen ihr in der Hast. Doch dann läuft sie zur Tür, öffnet sie einen Spalt und blickt hinaus auf die düstere Straße. Niemand kommt. Doch die Angst bleibt, diese furchtbare Angst, die jeden anderen Gedanken erstickt.
Weiß Calamity-Johns, daß sie in diesem Haus wohnt? Wird er doch noch kommen? Sie hält den kleinen Derringer fest gepackt und kann allmählich wieder ruhiger atmen. Noch weiß sie nicht, daß Johns umgekehrt ist und in diesen Sekunden im Golden Hill Saloon steht. Ungerührt blickt er über die Theke und auf Floyd. Der Keeper wird niemals wieder Whisky einschenken können. Als wenn nichts geschehen wäre, nimmt Calamity-Johns eine Flasche Whisky, beißt in den Verschluß und öffnet die Flasche, spuckt den Verschluß auf den Boden und trinkt. Achtlos wirft er die Flasche zwischen Stühle und Tische und geht durch die Hintertür hinaus. Auf Umwegen erreicht er seine Komplicen. Und Belle sieht seine dunkle Gestalt ganz hinten über die Straße laufen und senkt die Hand mit der Waffe. Zitternd streicht sie das Haar aus der Stirn und lehnt sich an die Wand ihres Hauses. *** Clyde Morris sitzt noch immer im Cattleman's Saloon. Längst schmeckt ihm der Whisky nicht mehr. Er hat die Schüsse gehört, aber es scheint, als berühre ihn das alles nicht. »Warum helfen Sie nicht dem Marshal?« flüstert der Keeper. »Sie sind doch sein Freund!« Morris blickt auf und starrt ihn ausdruckslos an. »Freund? – Ist er nicht euer Marshal? Der Marshal für diese Stadt? Warum hilfst du ihm nicht, Keeper?« »Ich – ich habe Angst!« flüstert der Keeper, und sein Gesicht ist grau wie Asche. »Ein jämmerlicher Feigling, sagen Sie es nur! Aber sagen Sie es dann allen Leuten in Topeka!« Er senkt den Kopf und schluckt. »Ich kann Jim Long nicht leiden, verstehen Sie? Er kam zu oft in diesen Saloon und warf mir
meine Gäste hinaus! Sie waren betrunken, aber es waren immerhin meine Gäste!« »Versuch nicht, mir was vorzumachen, Keeper!« sagt Clyde Morris kühl. »Du suchst nur nach Ausreden.« »Und Sie? Was ist mit Ihnen?« fragt der Keeper dumpf. »Ich habe gehört, daß Sie und Long im Krieg Freunde waren!« »Waren – richtig.« Morris nippt am Glas. »Ich habe ihn gewarnt. Ich habe ihm gesagt, daß er den Stern ablegen soll! Ich hab' es nur gut gemeint mit ihm – aber er wollte nicht auf mich hören. Er ist ein Narr. Jetzt ist er im Office, und er weiß nicht, wie lange sie ihn noch belagern werden. Er hockt da mit einem alten Kerl und denkt vielleicht an meine Worte. Aber ich werde nicht hinausgehen. Ich bin ein Spieler. Ich will pokern, nicht meinen Kopf riskieren.« Er trinkt wieder und kneift die Augen fast zu, horcht nach draußen und bewegt die schlanken Hände am Glas. »Sie sind also nicht mehr sein Freund?« flüstert der Keeper. »Im Krieg ist alles anders«, murmelt Clyde Morris. »Da ist man auf den anderen angewiesen und hilft sich gegenseitig, weil man es muß. Man denkt auch gar nicht darüber nach und tut es einfach. Aber hier ist es anders.« Er schweigt, und auch der Keeper sagt kein Wort mehr. Reglos verharren sie und horchen. Plötzlich sind Schritte zu hören – schnelle leichte Schritte. Clyde Morris spannt sich, und er legt dabei die Hand auf den Kolben der Waffe. In der Tür taucht Joan Fetterman auf. Sie blickt herein und stößt die Türflügel auseinander. »Clyde, ich bin froh, Sie hier zu finden!« sagt sie erleichtert, kommt an einen Tisch und setzt sich. »Ich habe Angst, Clyde!« »Angst?« fragt er verwundert. »Aber warum, Miß Joan? Sie brauchen doch keine Angst zu haben!« »Doch, Clyde«, sagt sie ernst, »doch.« »Aber Tom ist doch bei Ihnen, Joan.«
Da greift sie nach seiner Hand und blickt ihn seltsam an. »Tom? – Deshalb komme ich zu Ihnen, Clyde. Können wir nicht zum Hotel gehen? Ich muß mit Ihnen reden, Clyde.« Er nickt, zahlt und folgt ihr hinaus. Sie hakt sich bei ihm unter, und sie gehen schnell davon. Vor dem Hotel bleibt Joan Fetterman plötzlich stehen. »Es geht um Tom, Clyde!« sagt sie. »Tom hat Freunde. Diese Freunde wollen den Marshal töten, und Tom haben sie gezwungen, mitzumachen! Tom ist mein Bruder. Ich kann ihn nicht im Stich lassen, Clyde. Wenn Long ihn nun erschießt, Clyde? Wenn Tom nun was zustößt? Dann...« Sie verstummt und erschauert. Er braucht ein paar Sekunden, um das alles zu begreifen und zu verarbeiten. »Jim Long und ich waren Freunde, Joan!« spricht er dann leise. »Ich kann doch nicht...« »Doch, du kannst, Clyde!« flüstert sie. »Du mußt Tom helfen! Hast du mir nicht selber gesagt, daß du diesen Jim Long nicht mehr ausstehen kannst? O Clyde, ich – ich liebe dich! Du weißt es doch schon längst, nicht wahr?« Wortlos umarmt er sie und zieht sie an sich. Er sieht nicht ihr Gesicht, das ihren ganzen Triumph verrät. Sie hat Clyde Morris für sich gewonnen. *** Düster blickt Jim Long hinaus. Die Halunken können sie nicht aushungern, das ist schon einmal sicher. Aber Jim will noch in dieser Nacht die Entscheidung. Er ist nicht der Mann, der sich auf die Dauer verbergen wird. Und Pap, der ihn forschend betrachtet, erkennt Jims Entschluß und sagt knurrend: »Du bleibst am besten im Office, Marshal. Du kannst dich ja kaum bewegen. Laß mich das machen. Hondo hilft mir dabei. Du beobachtest die Straße.«
»Noch bin ich der Marshal, Pap«, meint Jim ruhig und dreht sich um. »Die Banditen wollen mich erledigen, nicht dich und den Jungen. Stell dich also ans Fenster. Hondo wird mich begleiten und...« Er bricht plötzlich ab, hebt blitzschnell den Revolver und drückt ab. Die Kugel geht durch eine Lücke der Gittertür hindurch und trifft den Colt, der oben durchs Zellenfenster ragt. Ein wilder Fluch ist die Antwort. Draußen poltert es. Schon hinkt Jim durchs Office. »Ans Fenster, Pap!« sagt er leise. »Hondo, mitkommen!« Er zerrt den Riegel der Hintertür beiseite, öffnet die Tür und blickt auf den Hof. Der Bandit, der durchs Zellenfenster schießen wollte und vom Holzstapel heruntergestürzt ist, liegt seltsam verkrümmt am Boden. Jim geht hin und ist sehr wachsam, als Hondo an ihm vorbeigleitet und blitzschnell den Mann umdreht. Der Kopf rollt hin und her. »Er hat sich das Genick gebrochen«, sagt Hondo dunkel. Jim blickt Hondo kurz an. Er sieht das kalte Gesicht des Halbbluts im Schatten des Hauses. »Ist vielleicht besser so. Ein Schuß wäre zu laut gewesen, Marshal«, flüstert Hondo. »Die Banditen sollen doch nicht wissen, daß wir das Office verlassen!« »Du bist verdammt schlau«, murmelt Jim. Hondo gibt keine Antwort. Er nickt nur. Vorsichtig schieben sie sich an der Rückwand des Office entlang. Vorn beginnt Pap in diesem Moment aus dem Fenster zu schießen. Vielleicht hat er einen der Halunken gesehen, vielleicht will er die Banditen aber auch nur ablenken. Jim gibt Hondo einen Wink. Sie gleiten lautlos weiter. Der Hinterhof ist leer. Noch haben sie es mit vier Banditen zu tun. Jim hat Mühe, richtig aufzutreten; die Schmerzen im Bein und
in der Schulter machen ihn fast verrückt. Hondo sieht, wie er das Gesicht verzerrt, und hört, wie er schwer atmet. »Wir müssen weg vom Hof!« flüstert Jim heiser. »Versuchen wir es, Junge!« Vorsichtig tasten sie sich zurück unter den Zellenfenstern entlang. Pap schießt nicht mehr. Sie gewinnen Abstand vom Office-Gebäude und erreichen schließlich die Deckung des Nebenbaues. Jim nähert sich dem Straßenrand. Hondo gleitet geduckt hinter ihm her. Langsam schiebt Jim sich etwas um die Hausecke und blickt zum Vorbau vor dem Office. Er sieht einen Banditen, der sich neben dem erhöhten Gehsteig duckt und ein Gewehr auf das Officefenster gerichtet hat. Hinten, auf der anderen Seite des Gehsteiges, kauert ein zweiter Bandit. Jim legt den Finger hart an den Abzug und sagt kalt: »Hier bin ich!« Die Halunken wirbeln herum. Einer drückt sofort ab. Jim schießt auf diesen Halunken. Der Bandit stürzt hintenüber, und während er die Waffe losläßt, löst sich noch ein Schuß. Der andere Halunke am Ende des Gehsteiges wälzt sich zur Seite und schießt im Liegen. Jim rutscht schnell zurück. Hondo aber, der die tödliche Gefahr nicht so schnell erkannt hat, zögert – und wird getroffen. Stöhnend fällt er in die Deckung zurück, preßt die Hand auf die Schulter und verzerrt das dunkle Gesicht. Schon reißt Jim ihn hoch und stößt ihn vor sich her zum Hinterhof. Hondo taumelt vorwärts. Jim blickt schnell zurück und sieht den Halunken in der Hofeinfahrt auftauchen und feuern. Bevor der Bandit sich einschießen kann, erwidert der Marshal das Feuer. Der Halunke taumelt über die Straße und fällt dort.
Pap steht schon in der geöffneten Hintertür und zieht Hondo herein. »Kümmere dich um ihn, Pap!« sagt Jim gepreßt und kehrt um. »Marshal!« flüstert Pap besorgt. »Willst du allein...?« »Ja!« keucht Jim. »Mach die Tür zu!« Schon hinkt er davon und verschwindet im tiefen Schatten des Hauses. Wenig später steht er wieder am Straßenrand, aber diesmal gleich zwei Häuser weiter. Er sieht einen Mann über die Straße laufen, schnell und geduckt, den Revolver schußbereit in der Rechten haltend. Jim schießt sofort, verfehlt ihn aber. Der Halunke war wohl unterwegs zum Hotel, jetzt aber hetzt er in wilden Zick-Zack-Sprüngen zur anderen Straßenseite hinüber und verschwindet im Dunkel einer Hofeinfahrt ein Stück oberhalb vom Office. Jim lächelt grimmig. »Wenn du glaubst, ich käme dir jetzt nach, dann hast du dich verdammt geirrt!« sagt er rauh und macht kehrt, humpelt mühsam hinter dem Haus entlang, wieder über einen Hinterhof, bis er drei Häuser hinter sich hat. Erst jetzt entschließt er sich, die Straße zu überqueren – denn hier ist kein Licht mehr. Irgendwo muß Calamity-Johns sein. Jim ist auf alles gefaßt. Langsam betritt er die Straße. Jeder Schritt kann ihm hier den Tod bringen. Er weiß nicht, wo Johns lauert, und er weiß auch nicht genau, wo der andere Halunke in diesem Moment steckt. Als er mitten auf der Straße ist, hört er Hufgetrappel vom Schienenstrang herüberkommen. Jesse McIntosh kommt mit seiner Mannschaft in die Stadt! Jim humpelt weiter und erreicht die andere Seite, ohne beschossen zu werden. Vielleicht sind die Halunken durch die
Herdenmannschaft abgelenkt worden. Jedenfalls schafft es Jim, ohne irgendwelchen Schaden zu nehmen. Er kümmert sich nicht um McIntosh, der mit seinen Reitern vor dem Office hält. Er hört die heiseren Rufe, aber er bewegt sich weiter. Hier irgendwo wird der Halunke lauern. Vor Jim breitet sich ein Hof aus. Dahinter liegt die City Hall, wo sich die Bürger versammeln und wo auch manchmal getanzt wird. Die breite Holztür ist immer geöffnet. In dieser Nacht ist sie nur angelehnt. Sollte der Halunke in die City Hall gelaufen sein? Jim horcht und steht geduckt da, von äußerster Wachsamkeit erfüllt. McIntosh macht viel zuviel Lärm auf der Straße vorn. Jim unterdrückt einen Fluch. Der Ire hat zu lange gezögert, einzugreifen – und jetzt kann Jim ihn nicht gebrauchen. Behutsam arbeitet er sich an die City Hall heran, die dunkel vor ihm liegt. Er kennt hier jeden Schlupfwinkel und das Innere der Halle ganz genau. Dort gibt es genug Bänke und Stühle, hinter denen sich der Halunke verbergen kann. Jim will trotzdem hineingehen. Vor der City Hall ist eine flache hölzerne Plattform. Er weiß, daß die Bretter zundertrocken sind und sicherlich laut knarren werden, wenn er sie betritt. Ein kühler Wind weht durch die Stadt, erfaßt die Tür und drückt sie auf. Jim läuft humpelnd zur Seite, um nicht von drinnen gesehen zu werden. Von der Seite her nähert er sich dann dem Eingang. Dabei blickt er immer wieder zurück, um nicht von CalamityJohns überrascht zu werden, der vielleicht hinter ihm auftaucht. Plötzlich knackt es in der City Hall. Ein Stuhl fällt polternd um. Jim verzieht den Mund. Der Halunke ist also in der Halle!
Sei nur höllisch wachsam, Jim Long! Er wird dich sehen, wenn du hineingehst, sagt er sich. Jim stößt gegen ein Brett, das vom Rand der Plattform abgebrochen ist und das irgendwer zur Seite geworfen hat. Er hebt es auf, hält es in der Linken und schleicht weiter. Eine Wolke zieht vor dem Mond vorbei. Jim begreift, daß die kurze Dunkelheit seine Chance ist. Er steht schon dicht neben der Eingangstür. Entschlossen schleudert er das Brett durch die offene Tür hinein. Es kracht und splittert. Eine Sekunde später flammt es in der Halle mehrmals grell auf. Die Schüsse dröhnen fürchterlich laut. Kugeln fauchen ins Freie. Jim wartet genau drei Sekunden – dann springt er trotz aller Schmerzen in die Halle hinein und läßt sich blitzschnell fallen, wälzt sich weiter und bleibt unter einer Bank still liegen. Deutlich hört er das metallische Klirren, als der Bandit die Waffe lädt. Jim nimmt den Stetson ab und hält ihn vors Gesicht. Dann ruft er halblaut: »Gib auf! Du hast keine Chance! Draußen ist die McIntosh-Mannschaft. Du wirst nicht mehr aus der Stadt hinauskommen. Ergib dich – und du hast noch eine kleine Chance, deinen Hals zu retten!« Hohl und undeutlich tönt die Stimme des Marshal durch die Halle. Der Trick mit dem vorgehaltenen Hut bewirkt das. Der Bandit kann Jim Longs Platz nicht ausmachen, weil die Stimme von überall her zu kommen scheint. Genau das hat Jim auch gewollt. Ein heiserer leiser Fluch ist die Antwort. Schritte werden laut und verstummen jäh. »Komm her, Marshal!« faucht es aus dem Dunkel hervor. »Ich warte auf dich!« Jim hebt etwas den Kopf. Der Halunke muß ziemlich weit vorn sein, wo das Rednerpult steht. Die Stimme kommt Jim bekannt vor.
»Geh raus!« ruft er. »Draußen bleib stehen und wirf die Waffe weg! Das ist mein Angebot.« »Geh zur Hölle, Long!« schreit der Bandit und schießt in wildem Haß. Jim duckt sich. Die Kugeln zersplittern das Holz der Stühle und Sitzbänke, aber sie treffen ihn nicht. »Johns wird dir nicht helfen können«, sagt Jim dunkel, als die Schüsse verhallt sind. »Du bist ganz allein. Nur wir beide sind hier. Ihr wolltet mich erledigen, aber du siehst, daß ich noch lebe. Komm raus, das ist deine einzige Chance.« Der Bandit antwortet nicht. Jim hört leises Reiben und Rascheln. Der Halunke nähert sich dem Ausgang. In der dunklen Halle ist er nicht zu sehen. Lautlos schiebt Jim sich weiter unter die Sitzbank und bleibt dann flach liegen. Irgendwann wird der Halunke vor dem breiten hellen Rechteck der Tür auftauchen. Immer wieder spürt Jim die Schwäche im Körper. Der Sprung in die Halle hat ihn arg mitgenommen. Er muß gegen einen Schwächeanfall kämpfen. Aber er hat einen eisernen Willen, und den setzt er ein, um die Schwäche zu überwinden. Auf der Straße vor der City Hall treffen drei oder vier Cowboys ein. Jim sieht sie nicht, aber er hört ihre Stimmen und erkennt den breiten Texas-Dialekt. In dieser Sekunde poltern die Schritte des Banditen zur Tür. Der Kerl schießt. Jim sieht das grelle Aufflammen des Colts, hört den ohrenbetäubenden Knall der Schüsse und sieht die schattenhafte Gestalt an der Tür. Der Bandit rennt hinaus. Jim stemmt sich hoch, stürzt ihm nach und brüllt: »Stehenbleiben!« Der Halunke dreht sich vor der Tür draußen um und schießt in die dunkle Halle in der Hoffnung, den Marshal zu treffen.
Jim Long schießt zurück. Der Bandit läßt die Waffe fallen, will weg – aber er schafft es nicht und stürzt. Langsam kommt Jim Long aus der Halle hervor und humpelt auf den Platz hinaus. Vorsichtig nähert er sich dem Halunken, steht dann bei ihm, kniet nieder und blickt ihm ins blasse Gesicht. »Tom Smith«, murmelt er rauh und mit belegter Stimme. »Ich hab's geahnt, Tom Smith.« »Sie werden dich noch schaffen, Long!« flüstert der Bandit schwach. »Calamity-Johns und...« Er verstummt und atmet schwer. Jim sieht, daß ihm niemand mehr helfen kann. »Wer steckt dahinter?« fragt er spröde. »Johns ist doch nicht allein.« »Du wirst es nie erfahren, Long«, stöhnt Tom Smith haßerfüllt. »Sie werden dich noch erwischen. Du hast keine Chance. Laß meine Schwester in Ruhe, Long! Sie weiß nicht, daß ich...« Tom Smith streckt sich. Er ist tot. Jim blickt auf und sieht Jesse McIntosh und zwei Texaner vor sich stehen. Der rothaarige Ire kratzt sich am Schädel und sagt verlegen: »Wir sind zu spät gekommen, Marshal. Ich bin aber froh, daß du es überstanden hast.« Jim nickt und erhebt sich mühsam. Schwerfällig geht er an Jesse McIntosh vorbei und zur Straße. Pap kommt ihm entgegengelaufen. »Himmel, ich dachte schon, du seist über den Fluß gehüpft.« »Überlaß das Denken den Pferden, Pap«, murmelt Jim mit schwachem Lächeln. »Die haben einen größeren Kopf. Wie geht es dem Jungen?« »Er wird nicht lange liegen müssen. Ist schon ein harter Brocken. Der Doc ist bei ihm.« »Gut, Pap.« Jim humpelt weiter.
»Wer war das in der City Hall, Marshal?« fragt da Pap. »Tom Smith, der Bruder der Lady.« »Verdammt!« entfährt es Pap. »Das habe ich doch vom ersten Tag an gewußt, Marshal!« Jim lächelt freudlos. »Wir haben jetzt nur noch Calamity-Johns, Pap. Ich glaube nicht, daß er die Stadt verlassen hat.« Sie erreichen das Office. McIntosh und seine Cowboys sind gefolgt und jetzt in die Sättel gestiegen. Jim könnte sie bitten, noch zu bleiben – aber er will Calamity-Johns täuschen, und deshalb sagt er: »McIntosh, du bist mit deinen Leuten zwar zu spät gekommen, aber – danke! Laßt euch jetzt nicht aufhalten. Reitet zurück. Es ist ein weiter Weg nach Süden.« Jesse McIntosh nickt ernst. »Wir wollten dir erst nicht helfen, Marshal. Die Jungens hier hatten nicht viel übrig für dich. Du wirst das verstehen. Tut mir leid.« »Schon gut, McIntosh«, nickt Jim. »Macht's gut im Süden.« Da ziehen die Reiter die Pferde herum und reiten davon, über die schimmernden Schienen hinweg und auf die weite Ebene hinaus. Jim wendet sich ab und geht ins Office. Hondo liegt auf dem Lager und grinst schon wieder. Der Doc hat ihn bereits verbunden. »Diese Nacht werde ich nicht so schnell vergessen, Marshal!« sagt der Doc kopfschüttelnd. »Hast du CalamityJohns gesehen?« »Nein – noch nicht.« Jim geht hinaus und blickt zum Hotel hinüber. Kein Muskel bewegt sich in seinem Gesicht. ***
Calamity-Johns nähert sich der Rückfront des Hotels und gleitet lautlos durch die Hintertür hinein. Schnell und fast ohne Geräusch bewegt er sich durch das dunkle Hotel und erreicht die Zimmertür, klopft leise an und wartet. Joan Fetterman öffnet ihm. Er geht an ihr vorbei, und sie schließt die Tür wieder ab. Im Raum brennt nur ein Talglicht, dessen Lichtschein das Fenster nicht erreicht. Als Calamity-Johns die dunkle Gestalt im Hintergrund erblickt, zuckt seine Hand zur Waffe. »Laß es!« sagt Joan scharf und schnell. »Clyde weiß, daß ihr mit meinem Bruder nach Topeka gekommen seid, um diesen Marshal zu erledigen.« »Verdammt!« stößt Johns heiser hervor. »Du hast ihm alles gesagt?« Dabei dreht er sich halb um und starrt Joan Fetterman augenzwinkernd am. »Ja«, nickt sie. »Clyde und ich werden heiraten, wenn hier alles erledigt ist.« Langsam tritt Clyde Morris näher und blickt Johns kalt an. »Wie sieht es draußen aus? Wo sind die anderen?« »Tot«, sagt Johns mit einer Stimme, die vor Haß und Wut fast zerspringt. »Ich konnte noch wegkommen. Long hat Tom erwischt – genau vor der City Hall!« »Nein!« flüstert Joan Fetterman erschrocken. »Tom ist tot?« »Ja, tot«, nickt Calamity-Johns. »Long hat da noch einen jungen Burschen bei sich gehabt. Der liegt jetzt im Office. Und der Ire ist mit seiner Mannschaft davongeritten. Nur Long und dieser Alte sind zusammen. Long kann nicht mehr lange auf den Beinen bleiben. Wir sollten es jetzt gleich erledigen und verschwinden!« »Hast du gehört, Clyde?« Joan klammert sich am Arm des Spielers fest. »Long hat meinen Bruder erschossen! Oh, ich habe es geahnt! Clyde, wirst du mir helfen? Wirst du das für mich tun, Clyde?«
Morris rührt sich kaum. Nachdenklich und freudlos starrt er in die kleine Flamme des Talglichtes. »Long hat mir mal das Leben gerettet«, murmelt er vor sich hin, »aber auch ich hab's getan. Wir sind also quitt.« Sein Blick kehrt wie aus weiter Ferne zurück, und ein schwaches Lächeln überfliegt sein Gesicht. »Clyde«, flüstert Joan eindringlich. »Long wird herkommen! Er wird glauben, daß ich was mit dieser ganzen Geschichte zu tun habe!« »Hast du es nicht auch, Joan?« fragt er dumpf. »Glaubst du, du könntest mich täuschen? Ich weiß, daß Tom nicht dein Bruder war. Du willst den Tod deines Bruders Buster rächen und hast seine alten Komplicen zusammengerufen.« Sie starrt ihn seltsam an, aber sie hat sich in der Gewalt. »Ja«, flüstert sie, »ja, was du sagst, ist richtig, Clyde. Kannst du mich verstehen? Begreifst du, warum ich es tun muß?« Er nickt langsam. »Ich will dich nicht verlieren, Joan«, sagt er schleppend. »Jim Long wird versuchen, dich zu verhaften und einzusperren. Vielleicht wirst du dann sogar in ein Frauengefängnis kommen. Das will ich nicht, Joan. Wir beide sind ein zu gutes Gespann. Ich habe mir alles genau überlegt. Wir werden durch den Westen ziehen und die Leute ausnehmen – du und ich.« Sie steht reglos vor ihm, blickt ihn an und atmet tief ein. Und sie begreift, daß in ihm viel Böses steckt, das nun alles andere, was noch in ihm gewesen ist, erstickt hat. Sie sieht den kalten Glanz in seinen Augen und den zusammengepreßten Mund. Und sie weiß auf einmal, daß Clyde Morris ihr Partner geworden ist. Er, der eiskalte Spieler, wird sie nicht fallenlassen. Als sie sich darüber im klaren ist, könnte sie vor Triumph laut aufschreien – aber sie bleibt still und sagt leise: »Ich geh' mit dir überall hin, wohin du nur willst, Clyde – wenn du mir
meinen Wunsch erfüllt hast, den einzigen Wunsch, den ich habe. Und du wirst nicht allein sein. Calamity-Johns wird dir dabei helfen. Du brauchst gar nicht auf Jim Long zu schießen, Clyde. Ich weiß, wie schwer dir das fallen würde, weil er doch einmal dein Freund gewesen ist.« Clyde Morris verzieht den Mund und geht ans Fenster heran, zieht die Gardine etwas zur Seite und blickt zum Marshal's Office hinüber. Dort steht Jim Long. »Du verachtest mich, Jim«, murmelt Morris. »Du glaubst, der Bessere von uns beiden zu sein, weil du den verdammten Stern trägst. Jetzt stehst du da unten und siehst zu diesem Fenster rauf. Ich weiß, was in deinem Kopf vorgeht. Aber du weißt nicht, daß die Karten gefallen sind und du das Spiel verloren hast. Du würdest dich auch nicht für mich entscheiden, wenn dich eine schöne Lady um einen Gefallen bitten würde. Tut mir leid, Marshal. Mein Geschäft bringt mehr ein als deines. Ich will einmal reich sein, Jim. Du nimmst den Stern mit ins Grab.« Er wendet sich ab und sieht Joan und Calamity-Johns entschlossen an. »Long wird bald rüberkommen. Er wird den Alten hinters Hotel schicken. Wenn er kommt, werde ich auf die Straße gehen und ihn ablenken. Johns, du wirst dann unten am Fenster neben der Tür stehen und schießen, sobald er zur Waffe greift. Die Leute sollen sehen, daß ich nicht auf ihn geschossen habe. Ich will nicht in jeder Stadt steckbrieflich gesucht werden. Bei dir ist das unwichtig, dein Steckbrief hängt schon überall.« Johns flucht leise. Ihm gefällt das nicht, was Morris sagt. »Reg dich nicht auf!« sagt Clyde Morris lächelnd. »Wenn es dir nicht paßt, dann geh allein raus und sieh zu, wie du mit Jim Long fertig wirst. Aber eines kann ich dir sagen: Long ist auch jetzt noch gefährlich genug. Er ist sehr schnell mit den Händen
und zäh, sehr zäh. Du müßtest dann schon eine ganze Menge riskieren, Johns.« »Streitet euch nicht«, flüstert Joan und geht schnell ans Fenster. »Am besten, du sattelst schon die Pferde, Clyde. Wenn es mit Long aus ist, dann verschwinde ich mit Calamity-Johns – und du kommst nach einer kurzen Zeit nach. Dann fällt es nicht auf.« Der Spieler sieht sie nachdenklich an, und wieder huscht ein wissendes Lächeln über sein Gesicht. Er liebt Joan Fetterman und ihre Art. Sie ist eine richtige Revolverlady, eine Frau, wie er sie sich immer gewünscht hat. Sie wird mit ihm das rastlose Leben an den Spieltischen teilen, wird mit ihm quer durch den Westen ziehen und seine Gefährtin sein. Aber da ist noch Calamity-Johns – ein gefährlicher Mann, der zu ihrem Schatten werden würde. Hinter dem ausdruckslosen Gesicht des Spielers beginnen düstere Gedanken einen schlimmen Plan auszuhecken. Alles muß so aussehen, als wenn er, Clyde Morris, seinem alten Freund helfen wollte. »Unten läuft diese Barfrau zum Marshal Office«, sagt Joan Fetterman in diesem Moment. »Belle?« fragt Morris. »Ja, wer sonst!« »Sie ist in Long verknallt«, grinst er. »Dann ist wenigstens ein Mensch da, der sein Grab pflegen wird.« »Long ist im Office verschwunden«, sagt Joan nachdenklich. »Ich möchte nur wissen, was er jetzt denkt und sagt.« »Nur nicht nervös werden, Joan – Long wird schon kommen. Wir haben noch etwas Zeit; ich werde die Pferde satteln. Johns, komm mit, du kannst mir helfen. Ich will dir den Platz zeigen, wo du stehen mußt, wenn der Marshal kommt.« »Seid vorsichtig!« flüstert Joan. »Und beeilt euch.«
»Keine Sorge«, erwidert Morris und verläßt mit Johns das Zimmer. Joan hört, wie sie hinuntergehen. Sie bleibt am Fenster stehen und beobachtet die Straße. Die Stadt liegt wie ausgestorben unter dem Sternenhimmel. Die Tür des Marshal Office steht weit auf. Im fächerförmigen Schein des herausfallenden Lichtes steht Belle auf dem Brettersteig. *** Jim spürt wohl den Blick, denn er dreht sich um und richtet sich neben dem Lager auf, wo das Halbblut Hondo liegt. Pap steht hinter ihm. Der Arzt ist bereits gegangen. Draußen steht Belle. Sie sagt kein Wort. Das Licht fällt in ihr starres Gesicht. Ihre Hände zittern. »Belle«, sagt er leise und fragend. »Warum bist du nicht zu Hause? Es ist gefährlich. Komm schnell herein.« Sie nickt schwach und kommt steif herein, wie von einer fremden Hand geführt. Dicht vor ihm bleibt sie stehen und legt plötzlich die Arme um ihn. »Jim!« flüstert sie. »Geh nicht!« »Doch, Belle – ich muß es tun, verstehst du? CalamityJohns wird bei dieser Frau im Hotel sein. Sie erhoffen sich wohl noch immer eine Chance, aber Pap und ich werden auch das schaffen.« »Du kannst ja kaum gehen, Jim«, sagt sie. »Glaubst du, die warten ruhig auf dich und lassen dich herankommen? Du kannst den Kugeln nicht ausweichen! Es ist verrückt, rüberzugehen, Jim! Dieser Calamity-Johns ist ein skrupelloser Mann! Oh, Jim, was ist mit Floyd geworden? Johns schoß doch auf ihn!« »Ich weiß es nicht, Belle. Ich werde rübergehen und nachsehen. Bleib hier.«
Langsam und sanft löst er ihre Arme und lächelt ernst. Dann geht er hinaus. Bei jedem Schritt zuckt es in seinem Gesicht, und er beißt die Zähne hart aufeinander und humpelt weiter, das Gewehr in der Hand haltend. Im Golden Hill Saloon brennen noch die Lampen, aber geisterhafte Stille herrscht im Innern. Langsam kommt Jim Long in die Lichtbahn und steigt schwerfällig auf den Gehsteig. Jetzt kann er in den Saloon hineinsehen. Die Tische und Stühle sind leer. Halbvolle Gläser stehen noch auf manchen Tischen. Eine zerplatzte Whiskyflasche liegt am Boden, eine Whiskylache hat sich darum ausgebreitet. Es riecht nach kaltem Rauch. Er geht hinein und sieht sich um. Als er ans Ende der langen Theke kommt, erblickt er Floyd, und er sieht sofort, daß ihm nicht mehr zu helfen ist. Da flackert es in seinen schiefergrauen Augen auf. Er muß den Zorn erst hinunterschlucken. Das ist sehr schwer in diesem Augenblick. Aber er weiß auch, daß nur die besseren Nerven entscheiden werden. Er wird sich darüber klar, daß dieser Weg zum Hotel auch der letzte sein kann. Calamity-Johns ist nicht geflohen – ein sicheres Zeichen dafür, daß Johns sich für sehr gut und schnell hält. Belle und Pap stehen drüben vor dem Office, als er den Saloon wieder verläßt. Er hat Angst um Belle, sie steht zu deutlich im Lichtschein. Jeder Schritt ist eine Qual. Die Schmerzen sind kaum auszuhalten – doch er darf noch nicht ruhen. »Geht in das Office zurück!« sagt er etwas barsch. »Wollt ihr, daß Johns auf euch schießt? Mit einem Gewehr kann er euch vom Hotel aus erreichen!« »Kommen Sie, Belle«, sagt Pap und zieht sie ins Office zurück, »der Marshal hat recht. Aah, wenn ich diesem Calamity-Johns nur bald unter den Hut sehen könnte! Marshal, was ist los mit Floyd?«
Jim schüttelt den Kopf. Da wird Belle noch ein wenig grauer im Gesicht. »Floyd hat es für mich getan, Jim. Er ist für mich gestorben«, sagt sie schluchzend. Jim nickt schweigend. Hondo liegt still auf der Schlafstelle und sagt leise: »Ich will mit raus, Marshal, wenn es soweit ist! Ich will hier nicht liegen, während Sie und Pap...« »Du bleibst hier, Junge!« unterbricht Jim ihn rauh. »Belle, du kümmerst dich um diesen jungen verrückten Kerl, der unbedingt zu Revolverruhm kommen will. Wenn wir draußen sind, dann machst du das Licht aus. Du läßt keinen ins Office.« »Jim, du...« »Nein, Belle, ich kann nicht hierbleiben. Ich muß es zu Ende bringen. Calamity-Johns ist ein Mörder, und ich bin der Marshal dieser Stadt und habe ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Ich habe darauf den Eid abgelegt. Das gehört nun einmal dazu.« Seine Worte sind nüchtern und rauh, und nichts kann ihn von seinem Entschluß abbringen. Und Belle begreift das und nickt schweigend. Sie wird ihn nicht zurückhalten wollen und auch nicht können. Jim gibt Pap einen Wink. Belle löscht die Lampe. Nach einem tiefen Atemzug geht Jim hinaus, und Pap folgt ihm. Es ist noch Nacht, aber der neue Tag ist nicht mehr fern, bald wird es dämmern. Sie gehen über die Straße und verschwinden zwischen den Häusern. Im tiefen Schatten verharren sie. »Du gehst hinters Hotel, Pap. Paß auf, daß Johns nicht entwischen kann«, sagt Jim Long. Pap nickt; er ist ernst geworden. »Wirst du auf die Straße gehen, Marshal?« fragt er dumpf.
»Ja. Sie sollen mich sehen. Vielleicht drehen sie durch und verlieren die Ruhe. Ich muß Johns zwingen, herauszukommen.« Pap blickt grimmig über die Straße. »Vergiß nicht deinen alten Freund, Marshal«, sagt er dunkel. »Clyde Morris hat sich nicht mehr blicken lassen. Ich möchte nur wissen, wo er jetzt steckt. Er gefällt mir nicht, Marshal!« Jim, nickt bitter. »Geh schon, Pap. Wir wollen es hinter uns bringen.« »Viel Glück, Marshal«, sagt Pap ernst. Dann geht er davon. Jim verharrt und lockert die Revolver in den Halftern. Er rückt den Stetson zurecht und geht am Rande der Straße entlang. Auch ein Mann wie Jim Long kann in diesem Augenblick nicht wissen, ob er nachher diesen Weg noch wieder zurückgehen wird. *** Joan Fetterman steht oben am Fenster und blickt hinaus. Sie sieht Jim Long kommen. »Es ist soweit«, sagt sie unruhig. »Long ist unterwegs. Ihr müßt gehen, Clyde.« Der Spieler gleitet zum Fenster und wirft einen Blick hinaus. Dann sieht er Calamity-Johns an und nickt ihm zu. Sie verlassen das Zimmer. Joan Fetterman verharrt noch am Fenster. Clyde Morris steigt die Treppe hinunter. Seitdem sie im Hotel sind, hat sich der Besitzer nicht mehr sehen lassen. Calamity-Johns trägt ein Gewehr. Er weiß, daß er mit einem Gewehr besser schießen kann. Der Colt hat nicht genug Durchschlagkraft; die Kugel könnte abgelenkt werden. Unten angekommen, gleitet Johns sofort ans Fenster, lädt durch und hebt das Gewehr an.
»Schieß nicht sofort«, murmelt Clyde Morris. »Ich will erst noch mit ihm reden, verstanden?« Jim nähert sich langsam dem Hotel. Er blickt nicht nach links und nicht nach rechts; ständig sieht er zum Hotel. Oben am Fenster erkennt er die Umrisse der Frau; sie hat die Gardine zurückgezogen. Der Himmel ist bleigrau, und das Licht der Sterne verblaßt bereits. Die graue Morgendämmerung hüllt die Häuser ein und macht alles noch viel trostloser. Die Rinderstadt liegt in gefahrenverheißender Stille. Keine Treibmannschaft tobt in der Stadt. Keine Herde steht jenseits der Schienen in den Korrals. Kein Zug steht an den Rampen. Es ist, als wenn die ganze Welt diese Stadt vergessen hätte. Aber Jim weiß, daß schon sehr bald wieder neue Treibherden auf die Stadt zukommen werden. Dieser Kampf im Morgengrauen wird vieles entscheiden. Fällt er, dann wird Calamity-Johns diese Stadt auf den Kopf stellen; niemand wird ihm entgegentreten. Er muß es schaffen – für sich und für diese Stadt. Nur noch ein Haus liegt zwischen ihm und dem Hotel. Es ist so still, daß er das Klirren seiner Sporen überlaut hört. Das Bein macht ihm Schwierigkeiten, aber darauf kommt es jetzt nicht mehr an. Nun geht er ein paar Schritte hinaus auf die Straße. Zu dieser Zeit wird Pap bereits hinter dem Hotel stehen. Er hebt den Blick. Oben zieht sich Joan Fetterman zurück. Er muß auf vieles achten. Dunkel liegt das Hotel vor ihm. Er horcht angestrengt und hört Schritte hinter der Tür. Dann wird die Tür aufgedrückt, und heraus kommt Clyde Morris. Er hat die lange Jacke zur Seite geschoben, so daß der Coltrevolver zu sehen ist. Ein kaltes Lächeln liegt auf seinem schmalen Gesicht.
Mit lässigen Bewegungen überquert er den Gehsteig und steigt die paar Stufen zur Straße hinunter. Dort verharrt er und schiebt die Daumen hinter den breiten Waffengurt. »Hallo, Jim«, sagt er dann. Seine Stimme klingt seltsam frostig. Jim überhört nicht den kalten Unterton, der ihm schon viel von Clyde Morris' Absichten verrät. »Du hast dich entschieden, Clyde?« murmelt Jim und blickt ihn kühl und abschätzend an. »Ja, Jim. Ich bin nun einmal so.« »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Clyde«, sagt Jim. »Ich habe es immer geahnt. Du kannst nicht mehr zurück auf den sauberen Weg.« »Stimmt, Jim. Ich bin nicht der Mann dafür. Ich kann einen Marshalstern nicht leiden, verstehst du?« »Dann verlaß die Stadt, Clyde.« »Das geht nicht, Jim.« Morris wiegt den Kopf und verzieht das Gesicht. »Joan gehört jetzt zu mir.« »Joan Fetterman also«, murmelt Jim düster. »Sie kann gar nicht anders heißen. Und du hältst zu ihr?« »Ja, sie ist wie ich, Jim. Wir verstehen uns gut. Ja, ich will mit ihr nach Westen gehen.« »Du wirst darauf verzichten müssen, Clyde«, antwortet Jim kalt. »Diese Frau hat eine Mörderbande in meine Stadt gebracht. Von ihr stammt auch der Plan, mich umzubringen. Das ist wohl nicht ganz nach dem Gesetz, Clyde.« »Du mit deinem Gesetz!« Morris lacht kurz und trocken auf, aber nichts von Freude ist in diesem Lachen. »Du glaubst doch nicht, daß ich auf sie verzichten werde, Jim? Wenn du sie einsperren willst, dann mußt du erst mich aus dem Weg geräumt haben.« »Du bist sehr schnell mit dem Schießeisen, Clyde, aber du hältst dich für zu groß«, entgegnet der Marshal.
»Schon möglich, Jim. Ich werde gleich wissen, ob du wirklich schneller bist als ich.« Er wippt auf den Fußspitzen und drückt die Jacke mit dem Ellbogen noch etwas weiter zurück. »Du bist verwundet, Jim. Vergiß nicht, daß du dadurch nicht schnell genug ziehen könntest.« Jim nickt beherrscht. Er spürt keine Unruhe in sich. Ihm ist einen Moment so, als stände er gar nicht selber hier, sondern ein Fremder, den die Worte des Spielers völlig kalt lassen. Nein, sie sind keine Freunde mehr. Vielleicht sind sie es auch nie gewesen. Damals ist doch alles anders gewesen; es war eine andere Zeit, in der auch andere Dinge mehr galten als jetzt. »Nun?« lächelt Clyde Morris kalt. »Denkst du an damals, Jim? Ich habe daran gedacht – heute nacht. Aber jetzt denke ich nicht mehr daran.« »Du bist also wirklich bereit, für diese Frau alles zu riskieren, Clyde?« »Ja, Jim.« Der Spieler dreht etwas den Kopf und lauscht. Er blickt Jim ununterbrochen an, selbst dann noch, als Joan Fetterman plötzlich herauskommt und auf dem Gehsteig stehenbleibt. »Ja«, sagt sie in ihrem Haß auf Jim Long, »ich bin Joan Fetterman, und Buster Fetterman war mein Bruder. Marshal Long. Unsere Eltern waren früh verstorben. Buster hatte sich immer um mich gekümmert. Wenn er mit seinen Leuten zurückkam, dann brachte er mir jedesmal viel mit. Er versorgte mich und war gut zu mir. Das werde ich nie vergessen. Aber dann kam er in diese Stadt und blieb hier – wurde da draußen begraben. Ich hatte mir geschworen, den Mann zu töten, der ihn erschossen hatte. Sie sind dieser Mann, Marshal Long.« Jim sieht sie an, aber er behält auch Clyde Morris im Auge. »Ich schieße nicht auf eine Frau«, sagt er mit kratzender Stimme. »Geben Sie auf. Es ist sinnlos.«
»Geh zur Seite, Joan!« flüstert Morris heiser. »Du kannst hier nicht stehenbleiben.« Sie hat es wohl überhört oder will nicht, denn sie rührt sich nicht. Sie steht vor dem Fenster, hinter dem Calamity-Johns steht, und deckt den Marshal. »Sie können mich noch nicht einmal verstehen, daß dies hier so sein muß, Long«, erwidert sie. »Ich habe meinen Bruder Buster sehr gern gehabt. Ich konnte viele Nächte lang nicht schlafen. Immer dachte ich an Buster und an den Mann, der ihn getötet hatte.« »Ihr Bruder war ein Mörder«, spricht Jim Long kühl und fest. »Er erschoß einen Mann in dieser Stadt, einen Mann, der gegen ihn überhaupt keine Chance hatte und auch nicht schießen wollte. Es war Mord.« »Ich war nicht dabei, als es geschah. Sie können mir viel erzählen, Long! Ich glaube Ihnen kein Wort.« Clyde Morris hat sich halb umgedreht und dem Wortwechsel aufmerksam zugehört. Er blickt nicht zum Fenster neben der Tür, weil dieser Blick Jim Long verraten könnte, daß dort Calamity-Johns lauert. Wenn nur Joan weggehen würde! denkt er. Johns soll auf Long schießen. Wenn Jim Long fällt, werde ich Calamity-Johns erledigen. Dann ist der Weg frei. Ich habe dann einen gefährlichen Banditen erledigt, der einen Marshal niederschoß. Nein, niemals wird mein Steckbrief irgendwo aushängen. Im Gegenteil, man wird mich noch feiern. Jim Long steht steif auf der Straße. Er will sich nicht viel bewegen; er muß diese gefährlichen Minuten durchstehen, auch wenn die Schmerzen immer heftiger werden. Er fragt sich, wo Calamity-Johns stecken könnte. Oben hinter dem Fenster? Oder hier unten? Vielleicht an der Tür? Oder dort hinter dem Fenster da? Ja, er wird hinter diesem Fenster sein!
Einen besseren Platz kann er gar nicht haben. Wenn Joan Fetterman zur Seite geht, wird es geschehen, überlegt der Marshal. Der Morgen ist jetzt grau geworden. Die Nebelschwaden über dem Fluß nähern sich der Stadt. Die Kühle läßt Joan Fetterman frösteln. Jim ist bereit. Er merkt, wie Clyde Morris unruhig wird. Morris will, daß Joan Fetterman zur Seite geht, aber er will es nicht noch einmal sagen, weil er befürchtet, Jim könnte sich den Grund dafür erklären. »Bringen wir es hinter uns, Jim«, sagt der Spieler plötzlich. »Einer von uns beiden ist zuviel. Du kannst dir überlegen, was du tun willst. Versuch doch, Joan festzunehmen! Warum wartest du noch damit?« Um Jims Mund zuckt es einmal. Er blickt zu Joan Fetterman hinüber. Ihre Hände zittern etwas. »Kommen Sie, Joan Fetterman«, sagt er leise. »Verlassen Sie sich nicht auf andere.« Clyde Morris ist noch ein wenig blasser geworden. Er nimmt die Hände vom Waffengurt und läßt sie fallen, stellt sich breitschultrig auf und beugt sich etwas vor. »Joan«, sagt er gepreßt, »geh ins Hotel zurück! Du brauchst nicht mitanzusehen, wie es geschieht! Geh zurück, Joan!« Sie starrt ihn mit flackernden Augen an und nickt kaum merklich. »Ja, Clyde. Denk an Buster. Tu's für mich – tu's für uns. Ich werde im Hotel auf dich warten.« »Gut, Joan«, sagt er heiser. »Bis gleich.« Sie dreht sich steif um und macht zwei Schritte. Jetzt kann Calamity-Johns drinnen den Marshal wieder deutlich sehen. Jetzt kann er schießen! Und er hebt drinnen das Gewehr an, zielt auf den Marshal und legt den Finger an den Abzug. Jim Long steht reglos da, als ahnte er nicht die tödliche Gefahr, die ihm vom Fenster aus droht.
»Jim!« schreit Clyde Morris in dieser Sekunde. »Versuch's!« Der Marshal scheint plötzlich von einem Schwächeanfall betroffen zu sein, denn er schwankt etwas und hebt die rechte Hand hoch, als wollte er über die Augen streichen. Doch da zuckt die linke Hand zum Revolver, drückt den Kolben nach hinten, so daß der Lauf hochkommt, und drückt ab. Und während noch die Kugel durchs Fenster pfeift, während Glassplitter regnen und hinter dem Fenster ein wilder Aufschrei ertönt, fällt er zur Seite und hat plötzlich auch den anderen Revolver in der Hand. Clyde Morris hat den Colt bereits gezogen und schlägt ihn auf Jim Long an. Er muß schneller sein als Jim, und es sieht auch ganz danach aus, als wenn er es schaffen würde. Denn Jim muß sich erst noch halb auf dem Boden herumwerfen, um schießen zu können. Da kracht drüben vor dem Marshal's Office ein Gewehrschuß. Die Kugel trifft den Spieler. Morris zuckt heftig und krümmt sich. Seine Augen weiten sich. Er taumelt über die Straße und hört Joan Fetterman wie aus weiter Ferne schrill aufschreien. Nebel wallen vor seinen Augen, und all die grauen, lichtlosen Häuser wirbeln umher. Die ganze Stadt dreht sich in einem höllischen Tanz, und irgendwo zerflattern die Echos der Schüsse. Dort vorn liegt Jim Long, der verhaßte Marshal. Clyde Morris drückt ab. Die Kugel schleudert eine Sandspirale hoch. Dicht über dem staubigen Boden der Straße flammt es auf. Morris dreht sich. Sein Colt entlädt sich mehrmals. Die Kugeln fauchen in alle Richtungen und zertrümmern eine Fensterscheibe. Dann fällt er und drückt noch einmal ab. Er fällt auf den leergeschossenen Colt und hebt mühsam den Kopf an.
»Joan!« krächzt er. Sie kommt taumelnd vom Gehsteig herunter und schleppt sich zu ihm. Bei ihm fällt sie auf die Knie. »Du hast mich getroffen, Clyde!« flüstert sie. »Du hast...« Ihre Worte verwehen. Tiefe Stille herrscht in der Stadt nach den Schüssen. Hinter dem Hotel taucht jetzt Pap auf, hastet heran, läuft an dem Paar vorbei und hilft Jim Long auf die Beine. Jim wehrt ab, als Pap ihn auch noch stützen will. Langsam geht er zu Joan Fetterman und Clyde Morris. Der Spieler lebt noch. Jim fällt auf die Knie und beugt sich über ihn. Freudlos und erschüttert blickt er auf die Frau, deren Haß ihn vernichten wollte und die ihn aus schmerzverzerrten Augen anstarrt. »Jim«, flüstert der Spieler, »ich hab' Joan getötet! Ich...« »Still, Clyde«, sagt Jim mit dumpfer Stimme. »Du mußt still sein. Sie ist nicht tot. Du hast ihr in die Schulter geschossen.« Clyde Morris seufzt auf und fällt zurück. Jim kommt mühsam hoch und blickt zum Marshal's Office. Dort steht Hondo, der junge Mann, und er hält noch das Gewehr in den Händen – das Gewehr, mit dem er auf Clyde Morris geschossen hat. Und vor der weit geöffneten Tür steht Belle, blaß wie die Wand. Der Morgen graut, und in die tiefe Stille hinein ertönt das Knarren mancher Türen, die sich plötzlich öffnen. Einwohner treten an die Straßenränder. Der Doc kommt herangehastet. Jim bleibt stehen. Er sieht zu, wie der Doc die Frau hastig untersucht. »Schnell, bringt die Frau in mein Haus«, sagt der Doc. Jim nickt schwer. Langsam geht er zum Hotel und blickt durchs zerschossene Fenster hinein. Kein Muskel bewegt sich in seinem Gesicht, als er Calamity-Johns unterm Fenster liegen
sieht. Johns hat eine blutige Furche an der linken Kopfseite, aber er scheint zu leben. Jim deutet in das Hotel, und Pap geht hinein und holt Johns heraus. Jim horcht plötzlich auf. Über die Ebene schallt der Pfiff einer Lok. Weitab wallt schwarzer Rauch über den silbern schimmernden Schienen. Der erste Sonnenschein bricht durch die grauen Frühnebel. »Jim!« Der Ruf kommt über die Straße. Er dreht sich um und blickt Belle ernst an, die auf ihn zuläuft. »Komm, Jim«, sagt sie und nimmt seinen Arm, »komm, du brauchst endlich Ruhe.« Widerspruchslos läßt er sich von ihr über die Straße führen. Hondo steht noch auf dem Gehsteig, das Gewehr gesenkt und grau im Gesicht. »War das richtig, Marshal, was ich getan habe?« fragt er unsicher. »Ja, mein Junge«, nickt Jim, »das war richtig. Du hattest ein Recht dazu.« Jim will ins Office, aber Belle zieht ihn sanft weg und bringt ihn in ihr kleines Haus. Dort legt er sich aufs Lager und läßt sich von Belle die Stiefel ausziehen. Sie wischt ihm mit einem nassen Tuch das Gesicht ab und streicht ihm über die Stirn. »Du lebst, Jim. Nur das ist wichtig für mich«, sagt sie und lächelt schwach. *** Viele Tage vergehen – und dann sieht die Stadt ihren Marshal zum letztenmal zum Schienenstrang gehen. Er geht sicher und erwidert die Grüße der Leute freundlich, aber auch zurückhaltend. An der Station bleibt er stehen und blickt dem Zug aus Kansas City entgegen.
Mit kreischenden Bremsen kommt der Zug zum Stehen, und Jim Long wartet, bis sein Deputy langsam und vorsichtig aus dem Wagen steigt. Billy Perkins ist noch blaß und geschwächt, aber seine Augen haben schon wieder den alten Glanz. Langsam gehen sie beide zurück zur Stadt. Niemand hört, was sie miteinander zu reden haben. Am Marshal's Office angekommen, bleiben sie stehen und sehen Hondo und Pap an, und Jim sagt: »Ab heute ist Billy der Marshal von Topeka.« Billy nickt und grinst Hondo an. »Ich brauche einen guten Deputy. Er wird sich eine Zeitlang bewähren müssen und dann zum Deputy ernannt und bestätigt werden. Wie ist es mit dir, Hondo?« Ein heftiges Kopfnicken ist die Antwort. »Mich fragt mal wieder kein Mensch«, brummt Pap. »Aber ich will auch nicht hierbleiben, versteht ihr? Marshal Long, ich habe gehört, daß du nach Westen gehen willst und eine Ranch aufbauen wirst. Ich verstehe was von Rindern. Brauchst du nicht einen alten Mann, der dann auf deine tausend Rinder aufpaßt?« »Sicher«, lächelt Jim. »Geh nur schon zu Belle. Sie hat das Haus verkauft. Unser Wagen steht schon beladen hinterm Haus.« »Das ist gut, Marshal!« Sagt Pap und stapft davon. Im Office nimmt Jim den Stern ab und heftet ihn Billy Perkins an die Weste. Und Billy nimmt seinen Deputy-Stern ab und befestigt ihn an Hondos Hemd. »Alles Gute euch beiden«, sagt Jim und drückt ihnen die Hände. Als er das Office verläßt, trägt er keinen Stern mehr, aber er weiß, daß eine noch größere Aufgabe auf ihn wartet. Belle erwartet ihn schon am Haus. Sie blickt ihm entgegen. Er bleibt dicht vor ihr stehen und sieht sie seltsam an.
»Du siehst auf einmal ganz anders aus, Belle. Ich weiß gar nicht, wie das kommt.« »Dann mußt du farbenblind sein, Jim«, sagt sie lachend. »Mein Haar ist wieder dunkel!« Doch bevor er was sagen kann, küßt sie ihn. »Das fängt gut an«, ertönt im Hintergrund Paps Stimme. »Ich werde bestimmt noch Großvater! Na ja, zur Abwechslung auch mal was Gutes! Ich kann auch die Kaffeemühle drehen.« »Pap«, sagt Jim rügend und grinst, »halt deinen großen Mund, verstanden?« Pap klettert hinten auf den Wagen und raucht genießerisch seine alte Pfeife an. Jim und Belle steigen auf. Jim lenkt die Wagenpferde auf die Straße. Die Leute winken. Pap spuckt ihnen vor die Stiefel und verzieht das Gesicht, als sie an den Saloons vorbeikommen. Vor dem Office stehen Billy Perkins und Hondo, das Halbblut. Jim zeigt zur Verladerampe hinüber und ruft: »He, ihr beiden! Steht nicht so rum! Da kommt Arbeit für euch!« Sie fahren vorbei und auf die Ebene hinaus. Im Süden trottet eine Rinderherde heran und nähert sich der Stadt. Belle schmiegt sich an Jim Long. »Gehst du wirklich gern von hier weg, Jim, wenn du eine so große Herde siehst?« »Ich hab' ja dich, Belle.« Und der Wagen rollt weiter nach Westen.
- ENDE -