Wer schlägt den Löwen?
Wer schlägt den Riesen? Wer schlägt jenen oder diesen? Nur der, der sich selbst bezwingt! Walth...
67 downloads
1413 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Wer schlägt den Löwen?
Wer schlägt den Riesen? Wer schlägt jenen oder diesen? Nur der, der sich selbst bezwingt! Walther von der Vogelweide
Inhaltsverzeichnis: Ein unkonventionelles Vorwort zur Neuauflage Einleitung Erster Teil: Der Psychosplit. Seine Entstehung und seine Folgen I. Prämisse: Für alle Lebewesen ist Energieerwerb eine überragend wichtige Funktion. 2. Prämisse: Die Energiequelle aller Tiere ist die organische Struktur anderer Lebewesen. 3. Prämisse: Für Energieerwerb durch Raub sind zielführende Bewegungssteuerungen nötig. 4. Prämisse: Besonderheit des Menschen - Er schafft sich zusätzliche Organe. 5. Prämisse: Der Intellekt des Menschen fördert zunächst seine Instinkte.
6. Prämisse: In seßhaften Gemeinschaften kommt es zum Energieerwerb über Tausch. 7. Prämisse: Energieerwerb über Tausch macht andere Strategien notwendig. 8. Prämisse: Durch Konditionierung wird der Nachfrager zum Schlüsselreiz für Raubverhalten. 9. Prämisse: Der Universalvermittler Geld steigert den chronischen Steuerungskonflikt. Schlußfolgerung: Durch Bewältigung des Psychosplits lassen sich Erfolg und Lebensqualität steigern. Zweiter Teil: OBS Die Überwindung des Psychosplits I. Konsequenz: Willst Du Gewinn, dann denke an den Vorteil Anderer. 2. Konsequenz. Nicht nur die ausgetretenen Wege führen zu Erfolg. 3. Konsequenz: Sei bestmöglicher Schlüssel für das richtige Schloß. 4. Konsequenz: Suche nach Schwachstellen nicht als Räuber, sondern als Problemlöser. 5. Konsequenz: Spezialisiere und diversifiziere Dein Angebot aber richtig. 6. Konsequenz: Wirst Du Problemlöser einer Zielgruppe, dann
steuert sie Deinen Erfolg. 7. Konsequenz: Gelderwerb und Gewinn sind keineswegs identisch. 8. Konsequenz: Betrachte Angestellte nicht als Produktionsmittel und Arbeitgeber nicht als Melkkuh. 9. Konsequenz: Richte Dich auf qualitatives Wachstum aus. Nachwort Anhang Anmerkungen Literaturverzeichnis
Zurück zur Energontheorie Weiter zu "Ein unkonventionelles Vorwort zur Neuauflage" in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 7)
Ein unkonventionelles Vorwort zur Neuauflage
An der Nordküste von Curacao in Westindien erlebte ich vor Jahren einen Angriff von Haien, der mir sehr zu denken gab. Wir waren damals zu dritt, und einer meiner Kameraden harpunierte einen großen Zackenbarsch, der etwa zehn Meter unter uns in einem Korallengestrüpp versteckt war. Er riß ihn daraus hervor, und der wild um sich schlagende Fisch versuchte, in sein Versteck zurückzugelangen. Aber es nützte ihm nichts. Trotz allen Gezappels brachte ihn mein Kamerad zur Oberfläche empor. In diesem Augenblick tauchten aus der Ferne zwei Haie auf, die in höchster Geschwindigkeit direkt auf uns zukamen. Einer von uns stieß einen erschreckten Schrei ins Wasser aus. Es riß die Haie gleichsam herum. Sie jagten davon, drehten aber sofort wieder und kamen erneut auf uns zu. Jetzt schrien wir bereits im Chor, und dies verjagte sie endgültig. Ebenso schnell wie sie gekommen waren verschwanden sie in der Ferne. Was bedeutete dieses Verhalten? Wir waren damals die ersten, die freischwimmend Korallenriffe erkundeten, und hatten entgegen der Annahme, daß Haie angriffslustig seien, festgestellt, daß sie sich dem Menschen gegen(Originalbuchseite 8)
über erstaunlich scheu verhalten. Wir vermuteten deshalb, daß dieser Angriff nicht uns, sondern dem zappelnden Fisch galt. Die Haie hatten offenbar auf weite Entfernung hin die durch seine Flossenschläge bewirkten Wasserschwingungen wahrgenommen.
Diese signalisierten ihnen, daß hier ein Fisch in Not war - also eine leicht zu überwältigende Beute. Sämtlichen Tieren sind Verhaltenssteuerungen angeboren, die sie zu ihrer Beute hinführen. Bestimmte Schlüsselreize lösen bei ihnen Angriffshandlungen aus. Je nach der Beute sind diese sehr verschieden, aber in jedem Fall zeichnen sie sich durch totale Rücksichtslosigkeit aus. Käme über Mutationen eine nichtrücksichtslose Art zustande, dann könnte sich diese im Wettkampf gegen Konkurrenten kaum behaupten. Der Mensch ging aus dem Kreis der Tiere hervor, und auch uns ist dieses rücksichtslose Verhalten gegenüber anderen Lebewesen, die wir als unsere Nahrung betrachten, angeboren. In organisierten Gemeinschaften gelangte jedoch der Mensch zu einer weiteren Form des Nahrungserwerbes. Durch Produktion benötigter Güter und Dienstleistungen erwirbt er Geld - und mit diesem kann er ohne weitere Anstrengung an Nahrung gelangen. Stören nun die angeborenen Verhaltensnormen bei dieser neuen Art des Erwerbes? Hindern sie uns daran, in dieser so effektiv zu sein, wie wir es sein könnten? Und wenn es so ist, lassen sie sich unterdrücken? Das ist das Thema dieses Buches, das seit seinem ersten Erscheinen nichts von seiner Aktualität verloren hat. Im Gegenteil. Das Problem ist inzwischen noch schwieriger und brisanter geworden. Kundenorientiertes Verhalten genügt jetzt nicht mehr. Die Grenzen, welche die beschränkte Größe unseres Planeten uns setzt, machen es notwendig, die Gesamtheit der Interessen (Originalbuchseite 9)
aller übrigen Lebewesen mit in unsere altero-zentrierte Strategie einzubeziehen. Selbst jene der Haie.
Ich habe allerdings überlegt, ob das Buch nicht noch leserfreundlicher gestaltet sein sollte. Der an Wirtschaftsbelangen Interessierte muß sich hier ein halbes Buch lang mit naturwissenschaftlichen Zusammenhängen beschäftigen, ehe er zu den Schlußfolgerungen gelangt, die ihm bei seinen Erwerbsbemühungen helfen können. Aber ich habe nun doch nichts verändert. Denn es geht hier um so elementare Zusammenhänge, daß eine wirkliche Überwindung des uns gleichsam vorprogrammierten Fehlverhaltens nur gelingen kann, wenn man dessen Mechanik bis in seine ursprünglichen Wurzeln hinein versteht. Und das gleiche gilt auch für unser Verhalten der "Umwelt" - oder sagen wir besser der "Mitwelt" - gegenüber. Auch hier kann nur die so widersinnig erscheinende Ausrichtung auf fremden Vorteil zu solidem eigenen Vorteil verhelfen. Prof. Dr. Hans Hass Wien, den 26. Oktober 1998
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zur "Einleitung" in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 10)
Einleitung
Die in diesem Buch dargelegten Thesen lassen sich in folgenden vier Behauptungen zusammenfassen: Erstens: Vor etwa 10.000 Jahren kam es in der Entwicklung unserer Urvorfahren zu einer Störung in der Verhaltenssteuerung, die bisher nicht erkannt wurde. Sie ist bis zum heutigen Tag nicht abgeklungen, sondern wirkt sich in unserer Zeit sogar besonders stark aus. Sie führt dazu, daß erwerbstätige Menschen und Unternehmen längst nicht so erfolgreich sind, wie sie es an sich sein könnten. Sicher mehr als 80 % unter ihnen setzen ihre Fähigkeiten und Mittel nicht richtig ein. Zweitens: So verschieden menschliche Berufe auch sein mögen, und so verschieden Unternehmen - kleine, mittlere und große auch strukturiert sind: Es sind die grundsätzlich gleichen Fehler, die überall gemacht werden. Und es sind auch die grundsätzlich gleichen Gründe, warum sie gemacht werden. Drittens: Diese Fehler lassen sich vermeiden. Begreift man, was damals geschah - wie es in dieser weit zurückliegenden Zeit zu dieser inneren Störung kam, ja notwendigerweise kommen mußte, dann sind diese Fehler (Originalbuchseite 11)
zu beheben. Freilich: Es bedarf dazu einer gewissen Disziplin. Doch da es um den eigenen Vorteil geht, sind starke Motive vorhanden, sich einer solchen zu unterwerfen. Viertens: Wo dies gelingt, verbessert sich nicht nur für den
einzelnen und für Unternehmen die Chance, zu größerem Erfolg und mehr Gewinn zu gelangen, sondern es verbessert sich darüberhinaus auch die Fähigkeit, diesen Erfolg und Gewinn im Privatleben besser zu nützen. Selbst die so gravierenden Differenzen zwischen Staaten dürften durch diese Ausrichtung beeinflußt werden. Auf diese weiteren Auswirkungen soll jedoch erst am Ende des Buches kurz hingewiesen werden. Zunächst geht es darum, den erwähnten inneren Steuerungskonflikt - den ich "Psychosplit" nenne - im wirtschaftlichen Bereich, wo er seine Wurzel hat , genauer zu erfassen und seine Auswirkungen auf unsere täglichen Entscheidungen zu analysieren. Nur so läßt sich feststellen, wie eine Strategie beschaffen sein muß, die diese innere Störung abzuschwächen oder ganz zu beseitigen vermag, und so dazu verhilft, daß Berufstätige und Unternehmen - zum eigenen Vorteil und jenem der Umwelt - die ihnen zur Verfügung stehenden Fähigkeiten und Mittel optimal einsetzen. Wie es möglich ist, daß ein so wichtiger Zusammenhang bis heute unentdeckt blieb - ? In erster Linie dürfte es wohl daran liegen, daß die Tatsache unserer Abstammung aus dem Tierreich zwar schon vor mehr als 100 Jahren erkannt wurde, jedoch mehr irritiert hat als dazu anregte, daraus die Konsequenzen zu ziehen. Durch den technischen und kulturellen Fortschritt hat sich außerdem unser Leben von jenem des Urmenschen so weit (Originalbuchseite 12)
entfernt, daß man sich schwer vorstellen kann, wie damalige Vorgänge sich bis heute auswirken sollten. Obwohl sich die folgenden Darlegungen weit von den Themen entfernen, mit denen man sich üblicherweise in der Wirtschaft beschäftigt, sind zum Verständnis der Beweisführung keine besonderen Fachkenntnisse nötig. Erforderlich ist freilich etwas Geduld. Denn um zu verstehen, an welche seltsame Hürde unsere Vorfahren vor etwa 10.000 Jahren gelangten (also mehr als 2
Millionen Jahre nachdem sich die Intelligenz des Menschen entfaltet hatte und es zu dem so entscheidend wichtigen IchBewußtsein kam), ist es notwendig, sich von manchen eingefahrenen Denkgeleisen zu entfernen und sich aus einer anderen als der bisher üblichen Perspektive zu sehen. Um dies zu erleichtern, werden im ersten Buchteil die Zusammenhänge, die hier maßgebend sind, in neun Prämissen und einer sich daraus ergebenden Schlußfolgerung dargelegt. Jede der Prämissen ist somit nachprüfbar, ehe man sich der nächsten und dann der Schlußfolgerung zuwendet. Manches in meinen Ausführungen mag zunächst selbstverständlich oder nebensächlich erscheinen, doch nur über diese Aufeinanderfolge von Fakten und ihrer Bewertung läßt sich der Krebsschaden in unserem Denken aufzeigen und verständlich machen. Der zweite Teil beschäftigt sich dann mit der Frage, wie den negativen Auswirkungen des Psychosplits begegnet werden kann. In logischer Konsequenz ergeben sich neun Leitlinien für eine optimale Wirtschaftsstrategie, die gleichermaßen für Berufstätige wie auch für Unternehmen gilt. Sicher werden noch weitere hinzukommen, doch glaube ich, bereits auf die wichtigsten hinweisen zu können. (Originalbuchseite 13)
Die Forschungen, die mich zur These des Psychosplits führten, erstreckten sich über einen Zeitraum von sechs Jahren und stellen ein praktisches Ergebnis der 1970 veröffentlichten Energontheorie dar1. Auch meine früheren Forschungen in tropischen Meeren haben mir in diesem anderen Bereich in mehrfacher Weise geholfen. So führte mir die Untersuchung des Verhaltens von Haien in unmittelbarer Begegnung unter Wasser die Mechanik angeborener Raubinstinkte deutlicher vor Augen, als das Studium gefangener Tiere es vermitteln kann. Und die ungeheuere Formenvielfalt tierischer Lebenserscheinungen in den Korallenriffen machte mich auf Gesetzmäßigkeiten aufmerksam,
die in der menschlichen Wirtschaft, wie ich später feststellte, ganz ebenso relevante Wechselwirkungen und Zusammenhänge erklären2. Bei Vorträgen und Seminaren für große und mittelständige Unternehmen lernte ich bei anschließenden Diskussionen manche Argumente kennen, die einerseits die Engstirnigkeit heutiger Grundeinstellungen zeigten, andererseits aber bei Vielen auch das Bestreben, diese zu überwinden und die wirtschaftlichen Phänomene als Teilbereich der biologischen Evolution, also der Naturentfaltung zu verstehen3. Meine Vorlesungen an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Wiener Universität bestätigten mir ebenfalls das Interesse, das heute, bei der immer stärkeren Aufspaltung in Fachwissenschaften, an einem wieder zusammenführenden Begriffssystem besteht. Bei Niederschrift dieses Buches erhielt ich wertvolle Anregungen und Hinweise auf dem Gebiet der Psychologie von Prof. Dr. Bernd Spiegel in Mannheim; auf dem Gebiet der Verhaltensbiologie von Prof. Dr. Bernhard Hassenstein in Freiburg; auf dem Gebiet der Betriebs(Originalbuchseite 14)
wirtschaftslehre von Prof. Dr. Erich Leutelsberger in Wien; und auf dem Gebiet der Humanethologie von meinem langjährigen Freund und Expeditionskameraden Prof. Dr. Irenäus EiblEibesfeldt in Seewiesen. Ihnen, sowie allen anderen hier ungenannt bleibenden Helfern, danke ich herzlich. Mit Wolfgang Mewes in Frankfurt, dem Begründer der Energo-KybernetischenManagementstrategie (EKS), verbindet mich ein jahrelanger Gedankenaustausch. Die bemerkenswerten Erfolge seiner Lehrtätigkeit und die Wechselwirkungen zwischen Energontheorie und EKS-Praxis ermöglichen es mir, die Leitlinien, zu denen die Aufdeckung des Psychosplits führt, durch anschauliche Fallbeispiele untermauern zu können.
Da sich das Buch an praktisch jeden wendet, der sich im Wirtschaftsbereich um Gewinn und Erfolg bemüht, bediene ich mich einer möglichst einfachen Sprache und gebe dem wissenschaftlich interessierten Leser über Fußnoten im Anhang zusätzliche Hinweise. Das Literaturverzeichnis beschränkt sich auf Schriften, welche das Thema unmittelbar betreffen. Die Überwindung des Psychosplits stellt eine klare Zielrichtung für die weitere Evolution des Menschen dar. Sie kann - meines Erachtens - darüber entscheiden, ob der Mensch sich mit seiner laufend anwachsenden Macht schließlich selbst zerstört oder den Weg zu einer pluralistisch orientierten, friedlichen Höherentwicklung findet. Prof. Dr. Hans Hass Wien, Juni 1988
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zu "1. Prämisse: Für alle Lebewesen ist Energierwerb eine überragend wichtige Funktion." in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 305)
Anmerkungen
1. H. Hass: "Energon. Das verborgene Gemeinsame" (Molden, Wien 1970). Das Buch ist vergriffen und wurde geringfügig überarbeitet in den "Naturphilosophische Schriften". Bd. 2 und 3 (Universitas, München 1987) neu aufgelegt. - Eine Formulierung der Energontheorie in Lehrsätzen veröffentlichte ich mit H. LangeProllius 1978. Mathematische Formulierungen von Teilaspekten erarbeitete E. Siegl 1985. 2. Einen Überblick über meine Tauchtätigkeit als Meeresbiologe gibt mein Buch "Abenteuer unter Wasser. Meine Erlebnisse und Forschungen im Meer" (Herbig, München 1986). Alle früheren Bücher über meine Tauchexpeditionen (13 Titel) sind vergriffen. Gemeinsam mit I. Eibl-Eibesfeldt verfaßte ich über das Verhalten der Haie: "Der Hai - Legende eines Mörders" (Bertelsmann, München 1977). Es ist vergriffen und wurde, überarbeitet und erweitert, unter dem Titel "Wie Haie wirklich sind" neu aufgelegt (DTV, München 1986). 3. Wertvolle Anregungen erhielt ich bei Diskussionen nach Vorträgen und während Seminaren: für die Betriebsleitung von Nestlé und ihre wichtigsten Kunden; für die Kunden der Nixdorf Computer AG in den Bereichen Handel, Versicherungswesen und Kreditinstitute; für die Manager und Techniker der AlfredTewes GmbH in Frankfurt; für Leiter mittelständischer Betriebe bei HeinzGernot Nieter in Freudenstadt; für die Alfred Kärcher GmbH in Winnenden; (Originalbuchseite 306)
für die Programmierer von IBM in Wien; für die
Wirtschaftsjunioren in Freiburg; für die Kunden von Peat Marwick & Mitchell in Frankfurt, für EKS-Anhänger in Kronberg, Wien und Linz, für die Teilnehmer am Deutschen ManagerKongreß und am Deutschen Sekretärinnen-Kongreß in Frankfurt, für den Freiheitlichen Akademikerverband in Wien, sowie für weitere Studentenvereinigungen, Clubs und fachwissenschaftliche Gremien. Wesentliche Einblicke und Impulse vermittelte mir auch meine Beratungstätigkeit bei der Europäischen Bildungsgemeinschaft in Stuttgart. 4. Auch Masse ist eine Erscheinungsform von Energie. Nach dem Masse-Energie-Aequivalent von Einstein (M = E/C2) stellt jedes Gramm beliebiger Materie (Eisen, Stroh, Zellsubstanz, Sauerstoff etc.) einen Energiewert von 9 . 1016 Joule dar. 1932 gelang es C. D. Anderson erstmals Masse total in Energie zu zerstrahlen, und 1933 konnten P. M. Blackett und G. P. Occhialini erstmals Strahlungsenergie in Masse verwandeln. Nach dem heutigen Weltbild der modernen Physik gibt es im Universum nichts Bekanntes, wissenschaftlich Nachweisbares, das nicht eine Erscheinungsform von Energie wäre. 5. Eine besonders wichtige Rolle spielt im gesamten Lebensgeschehen der Informationstransfer. Beim Vorgang der Reduplikation - der Fortpflanzung - müssen entsprechende Befehle den Aufbau weiterer, artgleicher Strukturen (Protobionten, Lebewesen) bewirken. Ebenso sind für alle zielführenden Bewegungsvorgänge Befehle an ausführende Organe notwendig. Je komplexer ein Lebewesen und seine Funktionen sind, über umsomehr "Information" muß es (Originalbuchseite 307)
verfügen, die es an die Nachkommen weitergibt. Das "Genom" speichert diese Information. In diesem Sinne kann Leben als ein Prozeß, der über immer mehr Information verfügt - also als "informationserwerbender Prozeß" - angesehen werden (Lorenz).
Ohne entsprechende Energie ist jedoch kein Vorgang und somit auch keine Höherentwicklung (über welche Vorgänge auch immer) und kein Informationstransfer möglich. 6. Als Pflanzen werden hier die "autotrophen", als Tiere die "heterotrophen" Lebewesen bezeichnet. Das stimmt nicht ganz mit der heutigen systematischen Einteilung überein, da etwa die Bakterien zu den Pflanzen gezählt werden, jedoch durch Abbau von organischer Substanz Energie erwerben. Außerdem gibt es Bakterien, die aus anorganischen Verbindungen Energie gewinnen (aus Schwefelwasserstoff, Ammoniak sowie Ferro- und Ferriverbindungen). Unter "Pflanzen" werden somit alle photosynthetisierenden Lebewesen verstanden, als "Tiere" jene, die über den Abbau organischer Substanz (Oxydation oder Gärung) Energie gewinnen. 7. Die Bezeichnung "Räuber" für praktisch sämtliche Tiere ist zweifellos nicht günstig, weil sich im Sprachgebrauch eindeutig negative Wertungen mit diesem Begriff verbinden. In ganz neutraler Beurteilung beruht jedoch die Erwerbsform der Tiere auf einer gewaltsamen Aneignung "fremden Gutes" - und dafür gibt es keine andere, treffende Bezeichnung als "Raub". Daß auch Symbiosen keine Ausnahme darstellen, wird anschließend behandelt. 8. Unsere positive oder negative Einschätzung von Tieren beruht einerseits - höchst subjektiv - darauf, ob sie uns nützen oder schaden, andererseits aber auch (Originalbuchseite 308)
auf angeborenen Reaktionen, auf die Konrad Lorenz 1943 in seiner Schrift "Die angeborenen Formen möglicher Erfahrung" (Zeitschrift für Tierpsychologie 5, S. 235-409) hinwies. Wir sprechen angeborenermaßen auf "Schlüsselreize" an, worauf in der 3., 8. und 9. Prämisse ausführlich eingegangen wird. Manche, die
unsere Sympathie für Kleinkinder wecken, übertragen wir auch auf Tiere mit ähnlichen Merkmalen, die wir dann ebenfalls als "niedlich" empfinden. Andere, die uns Merkmale des gesunden menschlichen Körpers anzeigen (etwa "schlank", "kräftig", "makellose Haut"), übertragen wir ebenfalls auf Tiere mit ähnlichen Merkmalen - was etwa zur Folge hat, daß wir das Reh als "schön", das Schwein und die Kröte eher als "häßlich" empfinden. Näheres in K. Lorenz 1978 und I. Eibl-Eibesfeldt 1984. 9. Mit dem Problem "Eigennutz" und "Altruismus" hat man sich in der Biologie und, in den letzten Jahrzehnten, besonders in der Sozio-Biologie eingehend beschäftigt. In seinem Buch "Aufopferung und Eigennutz im Tierreich" (Stuttgart 1941) warnte der bekannte Zoologe 0. Heinroth den Leser vor falschen Auslegungen tierischer Handlungen und Stimmungsäußerungen, "um das rechte Verständnis für den bis fast zur Grausamkeit gesteigerten Eigennutz im Tierreich aufzubringen". Neuere Literatur: W. Wickler "Das Prinzip Eigennutz" München 1977 und J.R. Krebs und N.B. Davies "Öko-Ethologie" Parey, Berlin und Hamburg 1981. 10. Eine ausführlichere Darstellung der angeborenen Verhaltensweisen bei Tier und Mensch gab ich in: H. Hass 1987, Bd. 4. Umfassende Lehrbücher sind: I. Eibl-Eibesfeldt "Grundriß der vergleichenden Ver(Originalbuchseite 309)
haltensforschung" (Piper, München 1987) und K. Lorenz "Vergleichende Verhaltensforschung" (Springer, Wien 1978). Wenn in modernen Lehrbüchern meist nicht von Trieben sondern von "motivierenden Faktoren" oder "Antrieben" gesprochen wird, und man dort Aufzählungen der Haupttriebe des Menschen vermißt, dann liegt das daran, daß die meisten angeborenen Verhaltensweisen sich in einem hierarchischen Aufbau aus
zahlreichen Einzeltrieben zusammensetzen. Eine Übersicht über die wichtigsten Triebe beim Menschen für Praktiker in Wirtschaft und Politik gab ich in: H. Hass und H. Lange-Prollius 1978. 11. Solche Übersprungsbewegungen und Stereotypien, in unbeobachtet gefilmten Zeitrafferaufnahmen festgehalten, zeigt die Filmdokumentation: H. Hass "Wir Menschen" Progr. 12. Österreichisches Bundesinstitut für den Wissenschaftlichen Film, Wien. 12. Ein guter Beweis für diese Tatsache ist, daß manche angeborenen Instinktsteuerungen bei Geburt des Tieres noch nicht fertig und funktionsbereit sind - wie das auch bei manchen Organen, etwa den Geschlechtsorganen, der Fall ist. So glaubt man zunächst, daß Vögel das Fliegen erst erlernen müßten. Dann zog ein Zoologe (J. Grohmann) Tauben in so engen Käfigen auf, daß sie nicht mit den Flügeln schlagen konnten. Erst als die zur Kontrolle normal aufgezogenen Geschwister gut flogen, ließ er sie frei. Sie flogen dennoch vorzüglich. Die ungeschickten Versuche der Jungvögel sind somit kein Lernvorgang, über den die Kunst des Fliegens erworben wird. Sondern die für die Bewegungssteuerung zuständigen Zellstrukturen sind bloß bei Geburt des Tieres noch nicht fertig entwickelt. Erst wenn sie es sind, können (Originalbuchseite 310)
sie die angeborenen Kommandos geben. Näheres über verspätetes Heranreifen steuernder Nervenstrukturen bei: I. Eibl-Eibesfeldt 1987. 13. Die Vergrößerung des menschlichen Gehirns wurde bei unseren Affenvorfahren möglich, als diese, aufgrund klimatischer Veränderungen und Versteppung einstiger Urwaldgebiete, von der Lebensweise in Bäumen zu jener in der Savanne übergingen, was zur Fortbewegung auf den Hinterbeinen und zur Aufrichtung des
Körpers führte. So wurden die Vorderbeine frei, was den Werkzeuggebrauch ermöglichte (siehe nächste Prämisse), und das Gewicht des Kopfes wurde zunehmend von der Wirbelsäule getragen, wodurch die starken Rückenmuskeln überflüssig wurden, sich entsprechend zurückbildeten, und sich das Volumen des rückwärtigen und oberen Kopfteiles vergrößern konnte. Näheres in: H. Hass 1987, Bd. 1, S. 172f und Bd. 4, S. 112f. 14. K. R. Popper sagte treffend: "Die Hypothese stirbt an Stelle des Organismus". K. Lorenz führt das menschliche Vorstellungsvermögen auf die bei höheren Tieren entwickelte "Raum-Repräsentanz" zurück. Wenn etwa Affen von einem Ast zum anderen springen, müssen sie vorher gleichsam "theoretisch" ermitteln, ob dieser Sprung praktisch möglich ist. Aus dieser Fähigkeit könnte sich der innere Projektionsschirm unserer "Phantasie" weiterentwickelt haben. 15. Für das Thema dieses Buches, wie es beim Menschen zum Psychosplit kam und wie sich dieser überwinden läßt, ist es an sich belanglos, ob man die künstlich geschaffenen Hilfsmittel, mit denen der Mensch die Fähigkeiten seines Körpers verbessert, als "zusätzliche Organe" ansieht oder nicht. Wem eine solche Einschätzung wider den Strich geht, kann im (Originalbuchseite 311)
Folgenden die Bezeichnung "zusätzliches Organ" ohne weiteres durch "Werkzeug" oder "Hilfsmittel" ersetzen. - Andererseits gründet sich der menschliche Fortschritt auf solche Einheiten, und die funktionelle Verwandtschaft der Lebewesen mit den künstlich geschaffenen Unternehmen wird so besser deutlich, beziehungsweise leichter verständlich. 16. K. Lorenz bezeichnet den Menschen als "Spezialisten auf Unspezialisiertsein" - das ist somit das genaue Gegenteil der hier vertretenen Auffassung. Die bisherige Biologie hält sich, uralter
Tradition folgend, an das Erscheinungsbild, welches die Lebewesen unseren Sinnen bieten. Die energetische Beurteilung der Lebensentfaltung zwingt dagegen zu einer anderen Betrachtungsweise. 17. Hier wurden 13 Vorteile erwähnt, welche die zusätzlichen Organe dem Menschen bieten, und die den Weg der menschlichen Entwicklung entscheidend beeinflußt haben: Sie müssen nicht laufend mit Energie versorgt werden. Sie sind leichter reparierbar und ersetzbar. Sie können aus beliebigem Material bestehen - auch aus Metall und beliebigen Kunststoffen. Sie sind ohne Verlust auf andere übertragbar. Sie sterben nicht mit dem Tod ihres Besitzers, sind somit vererbbar. Sie sind ablegbar, belasten den Körper nicht, wenn er sie nicht benötigt. Sie sind austauschbar, gestatten vielseitige Spezialisation. Sie machen den Menschen wandlungsfähig. Sie müssen nicht selbst angefertigt werden Grundlage für die gesamte Industrie. Gemeinschaftsorgane, die der einzelne sich nicht leisten könnte, werden möglich. Luxusorgane werden möglich - Grundlage für Kultur und Kunst. Sie können ohne Genveränderungen zustandekommen - also ungleich schneller. Die An(Originalbuchseite 312)
weisungen für ihre Herstellung und Anwendung sind über die Sprache transferierbar. - Es gibt noch weitere Vorteile: fast alle Entwicklungslinien menschlicher Entfaltung lassen sich aus diesem einen, entscheidenden Fortschritt ableiten. Hier sei noch kurz auf drei weitere hingewiesen. Durch die zusätzlichen Organe wird auch die Bindung an die "Art" hinfällig: Die vom Menschen gebildeten größeren Lebensstrukturen können geradezu beliebig andere hervorbringen. Auch beliebiger Informationstransfer wird möglich: Erfindungen, die etwa in einem Unternehmen gemacht werden, können auch in ganz anderen Betriebszweigen Verwendung finden. Und über das Geld, auf das wir noch eingehen, wird eine fast unbeschränkte Machtpotenzierung
möglich - notwendige Grundlage für große Investitionen, doch leider auch für ein gigantisch anwachsendes Risiko. 18. J.B. Lamarck, der bereits im Geburtsjahr Darwins (1809) in seiner zweibändigen "Philosophie Zoologique" die Theorie der Abstammung aller Lebewesen von gemeinsamen Urvorfahren veröffentlichte (die jedoch unbeachtet blieb), glaubte - ebenso wie später auch Darwin - an die "Vererbung erworbener Eigenschaften". Nach dieser Vorstellung, welche die Entstehung der Lebewesen wesentlich leichter erklärbar werden ließe, würden individuelle Anpassungen und Verbesserungen, die ein Individuum in seiner Lebensspanne erzielt, auch auf die Nachkommen übergehen. Ein Champion im Bodybuilding würde somit Kinder ähnlicher Muskelausbildung in die Welt setzen. Trotz intensiver Experimente gelang es jedoch nie, einen Vererbungsmechanismus, der solches vermag, aufzudecken. Bei den zusätzlichen Organen wurde jedoch akkurat dieser Vorgang möglich: Nicht (Originalbuchseite 313)
nur neue, durch Lernen erworbene Verhaltensweisen können auf Nachkommen übertragen werden, sondern auch die Fähigkeit zu neuer Organbildung. 19. Vergl. Anmerkung 8. 20. Die besonders starke Ausbildung des Sexualtriebes beim Menschen dürfte, wie man heute annimmt, noch einen anderen Grund haben. Das Menschenkind benötigt eine besonders lange Betreuung ("Brutpflege"), um zu eigener Lebenstüchtigkeit zu gelangen. Dies macht entsprechend langen elterlichen Schutz notwendig, der wiederum die Bindung des ernährenden und schützenden Vaters voraussetzt. Beim Urmenschen führte das offenbar dazu, daß der Sexualtrieb neben seiner Fortpflanzungsfunktion, noch die weitere Funktion der
Partnerbindung mit übernahm. Die Frau konnte nun das ganze Jahr über den sexuellen Wünschen des Mannes entsprechen - und ihn somit fester an sich und die Familie binden. 21. Nach Hassenstein und Lorenz fallen solche allgemeine Tendenzen unter den Begriff des "Appetenzverhaltens". Beim Nahrungserwerb gehören dazu alle angeborenen Aktionen und Reaktionen, die dazu führen, nach Beute zu suchen oder sie aufzulauern, sich ihr zu nähern, sie zu überlisten, sich ihr gegenüber also möglichst zweckmäßig zu verhalten, um möglichst schnell, sicher und mit geringem Risiko zur "Endhandlung", der Einverleibung dieser Beute oder Teile von ihr, zu gelangen. 22. Wilhelm Ostwald, der Begründer der physikalischen Chemie, veröffentlichte 1909, im gleichen Jahr als ihm der Nobelpreis zuerkannt wurde, das Buch "Die energetischen Grundlagen der Kulturwissenschaft", das jedoch unbeachtet blieb. Er war der erste, der die zentrale Bedeutung der Energie für die Lebensent(Originalbuchseite 314)
wicklung erkannte und auch das Wirtschaftsgeschehen unter diesem Aspekt beurteilte. Der Mensch sei allen Lebewesen überlegen "durch die Menge der von ihm organisierten, d. h. unter seine Herrschaft gebrachten Energie". 23. Auf das Phänomen des "Sozio-Kollaps" und der Entstehung einer anonymen Gesellschaft in größeren Städten, sowie den sich daraus ergebenden Folgen sind Eibl-Eibesfeldt und ich in dem Buch "Stadt und Lebensqualität", Stuttgart 1985, näher eingegangen. 24. "AAM" ist die Abkürzung für "angeborener auslösender Mechanismus". Seine Funktion beruht darin, auf ganz bestimmte Reizkombinationen anzusprechen - eben die "Schlüsselreize" -, und dann entsprechende Erbkoordinationen auszulösen. Näheres
bei K. Lorenz 1978. 25. Befreite man die Hunde aus dem Gestell, dann zeigte sich, daß der Glockenklang nicht nur die Speichelreaktion sondern das gesamte Inventar des Beuteerwerbverhaltens, also ihre Appetenz nach Beuteerwerb auslöste. Weitere Versuche zeigten, daß sich nahezu jeder neutrale Reiz, wenn ihm eine Triebbefriedigung folgt, in einen "bedingten" Reiz verwandeln kann, wobei die Bezeichnung "bedingt" eine Abkürzung für "erfahrungsbedingt" darstellt. In diesem Sinne spricht man auch von "bedingten Reaktionen" und "bedingter Appetenz" - und nennt im Gegensatz dazu Schlüsselreize, auf die ein Tier angeborenermaßen anspricht, "unbedingte Reize" und das darauf folgende Verhalten eine "unbedingte Reaktion". 26. Wer sich über das umfangreiche Thema der Konditionierung näher informieren will, sei auf das hervorragende Buch von Bernhard Hassenstein "Instinkt, Ler(Originalbuchseite 315)
nen, Spielen, Einsicht" (Serie Piper, München 1980) verwiesen, das mit vielen Schaltbildern illustriert die wesentlichen Zusammenhänge aufzeigt. Eine Zusammenfassung gibt K. Lorenz in seiner "Vergleichenden Verhaltensforschung" 1978 ab S. 230. 27. H. Hass 1987, Bd. 2, S. 97-110. 28. Näheres in: J.B. Wolfe "Effectiveness of Token-Rewards in Chimpanzees" (Comperative Psychological Monographs 12, 1936 und Th. Kapune "Untersuchungen zur Bildung eines Wertbegriffes bei niederen Primaten" (Zeitschrift für Tierpsychologie 23, S. 324363). Als "Geld" wurden bei diesen Versuchen bunte, runde Messingmarken verwendet. Die Affen lernten, daß man für bestimmte Marken Futter bekommen konnte, für andere mit dem Pfleger spielen durfte, und mit weiteren, durch Einwerfen in einen
Schlitz der Käfigtüre, diese öffnen konnte. Wenn sie durch anstrengende Arbeit am Hebelapparat Marken verdienten und so eine benötigte Summe sparten, war ihnen dann das Eintauschen des Futters erst nach einem bestimmten Zeitraum möglich. Auch dazu erwies sich das Affenhirn fähig. Der zeitliche Abstand zwischen "Verdienen" und "Ausgeben" erworbenen Geldes konnte somit ein beträchtlicher sein. 29. Das Konzept vom "Halben Räuber" veröffentlichte ich erstmals in zwei Fortsetzungen im Eco-Journal der "Presse" (Wien) unter dem Titel "Eigentlich ein Räuber" (30.10.81) und "Tausch statt Raub" (6.11.81). 30. Die direkte Nutzbarmachung von Fremdkräften kann den Energieerwerb über Photosynthese, Raub oder Tausch nur ergänzen. Ein Ausnahmefall sind die Viren, die als extremste aller Parasiten ohne eigenen Energieerwerb auskommen. Ihre Struktur bewirkt, (Originalbuchseite 316)
daß Zellen, wenn sie ganz passiv in diese gelangen, sie vermehren. Ähnlich stellt man sich die "Urzeugung", also den Beginn des Lebensvorganges vor: In den heißen Urmeeren konnten energiereiche Moleküle in solche Kombination gelangen, daß sie in Wechselwirkung einander vervielfältigten, was einen autokatalytischen Vorgang einleitete. Ein plausibles Modell dafür, den "Hyperzyklus", entwarf der Nobelpreisträger M. Eigen. Siehe Abb. 10. 31. In der Sozio-Biologie, wo man umfangreiche Kosten-Nutzen Rechnungen für tierische Verhaltensweisen, insbesonders den Beuteerwerb durchführt, wird für optimale Raubstrategie die Bezeichnung "Optimal Foraging Strategy" verwendet. Dies veranlaßte mich aus biologischer Sicht, die Bezeichnung Optimal Bartering Strategy (OBF) für optimale Tauschstrategie zu wählen.
32. Marketing wurde bereits zu Beginn des Jahrhunderts an amerikanischen Universitäten gelehrt und dort dann in der Folge von großen Unternehmen wie General Electric, Procter & Gamble, IBM, Eastman Kodak, Caterpillar und anderen konsequent eingesetzt. Zunächst wurde diese Ausrichtung dem Funktionsbereich "Verkauf", "Absatz" oder "Vertrieb" zugeordnet, entwickelte sich dann aber allmählich zur Führungskonzeption der gesamten Unternehmen schlechthin (Abb. 11). Nach Peter Drucker ist Marketing etwas so Grundsätzliches, daß es nicht als "eine Funktion unter anderen" aufgefaßt werden kann, sondern vielmehr "die Geschäftstätigkeit von ihrem endgültigen Ergebnis her, also aus Sicht des Vorteiles für den Kunden darstellt". Wirtschaftstheoretiker sprechen in diesem Sinn vom "Primat der Marktorientierung" - doch in der Praxis setzt (Originalbuchseite 317)
sich diese Einstellung, die sich eindeutig gegen die Strategie des Halben Räubers wendet, in Großunternehmen nur gegen beträchtliche Widerstände durch. (Vgl. Anm. 36). 33. W. Mewes "Die kybernetische Managementstrategie (EKS)", Frankfurt 1972-1976. Diese Wirtschaftsstrategie wird über einen Fernlehrgang vermittelt (Mewes System, Im trierschen Hof, Frankfurt 1). - Viele der Berufstätigen und Unternehmen, die heute nach EKS arbeiten, gehören der Leistungsgemeinschaft (EKS) e. V. in Frankfurt an, die ein regelmäßig erscheinendes "Informationsblatt" herausgibt. EKS-Seminare werden von der EKS-Akademie in Obersulm bei Heilbronn ausgeschrieben. In der Schweiz sind Dr. Josef Meier in Hergiswil, in Österreich Dr. Helmut Wiesler in Wien prominente Verfechter der EKS. Auch in anderen Ländern, etwa Indien, wird bereits EKS gelehrt. Die Beziehungen zwischen Betriebswirtschaftslehre, Energontheorie und EKS untersuchte ausführlich Ch. Wurl 1987. 34. Schon 1968 schrieb Peter F. Drucker in seinem Buch "The
Age of Discontinuity" (Die Zukunft bewältigen): "Die meisten Geschäftsleute meinen, wenn sie vom ‘Marketing’ sprechen, die systematische und planvolle Organisation aller Arbeit, die erforderlich ist, um ein Produkt zu verkaufen, es dem Kunden zu liefern und dafür bezahlt zu werden. Was ein Unternehmen in einer Zeit raschen technischen Wandels braucht, ist ‘Marketing’ in anderen Bedeutungen. Zuerst brauchen wir ein ‘Marketing’, das den ganzen Betrieb vom Standpunkt seiner letzten Zielsetzung und Berechtigung aus betrachtet, d. h. vom Standpunkt des Kunden ... Das bedeutet vor allem, daß man nicht versucht, die Kunden als Abnehmer (Originalbuchseite 318)
für ‘unser Erzeugnis’ zu betrachten. So lange man an ‘unser Produkt’ denkt, denkt man immer noch in Kategorien des Verkaufens und nicht in jenen des Marketings. Ausschlaggebend sind die Gewohnheiten, die Wertvorstellungen und Erwartungen des Kunden ..." - Schon bei Wirtschaftstheoretikern viel früherer Zeit tauchte immer wieder die Einsicht eines kundenorientierten Verhaltens in der Wirtschaft auf. Aber in der Praxis fanden diese Leitlinien nur selten konsequente Anwendung. Warum -? Von der Verhaltensforschung her lautet meine Antwort darauf: Weil der Theoretiker ohne Triebdruck im "entspannten Feld" seine Thesen entwirft. Die Einsicht, der Intellekt, ist hier ungestört am Werk! In der wirtschaftlichen Praxis dagegen trifft der Anbieter auf den Schlüsselreiz "Kunde" bzw. "Geld" und der Psychosplit verweist seine Gedanken und Wertungen in andere Kanäle. 35. Bereits 1967 analysierte B. Spiegel in seiner Schrift "Der Nischen-Begriff in Ökologie und Sozialpsychologie" (G. F. M. Mitteilungen, 13. Jg., 3) die enge Verwandtschaft zwischen Konkurrenzgradienten, Umweltanpassung, Revierabgrenzung und Beherrschung einer "Nische" im Bereich der Lebewesen und der Wirtschaft. Die Vorteile eines "lückenorientierten Verhaltens" werden hier bereits an Hand eindeutiger Übereinstimmungen, von
praktischen Beispielen aus der Wirtschaft illustriert, klar dargestellt. Das für die Wettbewerbsfähigkeit herangezogene "Patrix-Matrix-Verhältnis" entspricht durchaus den Begriffen des "Anforderungs- und Leistungsprofils" sowie der in der 3. Konsequenz zu besprechenden "Schlüssel-Schloß-Relation". 36. Während sich beim Einzelmenschen eine solche (Originalbuchseite 319)
Umpolung auf das Kundeninteresse ganz plötzlich vollziehen kann, wird das nötige Umdenken offenbar immer schwieriger und langsamer, je mehr Personen bei diesem Vorgang beteiligt sind, je größer also ein Unternehmen und der Abstand zu den Kunden wird. Philip Kotler formulierte diesen Tatbestand als "Gesetz des langsamen Lernens" ("Marketing Management", Englewood Cliffs 1980, S. 11). Nur gegen beträchtliche innere Widerstände würde in den großen amerikanischen Unternehmen dem Marketing "der Eintritt in die heiligen Hallen gewährt". Auch das zeigt den Einfluß des Psychosplits und die Schwierigkeit, rationalen Überlegungen - gegenüber den Weisungen der aktivierten Raubinstinkte - zu folgen. Im Grundkonzept entspricht Marketing durchaus den Anforderungen der OBS. 37. Bei der Zitierung von Fallbeispielen aus dem EKS-Lehrgang halte ich mich an den Originaltext, den ich bloß entsprechend kürze. Im Original sind die Darstellungen vielfach durch Betrachtungen und Analysen unterbrochen. 38. H. Hass 1986, S. 78f. 39. Dieses vom „Weg abkommen“ entspricht dem vom Ph. Kottler formulierten „Gesetz vom schnellen Vergessen“ („Marketing Management“, Englewood Cliffs 1980, S. 13). Hat sich bei großen amerikanischen Unternehmen marktorientiertes Verhalten durchgesetzt, und sind sie über diese Strategie zu Erfolg gelangt,
dann zeigte sich eine deutliche Tendenz, die Richtlinien des Marketing wieder zu vergessen und auf das Produzieren, um zu verkaufen, zurückzufallen. Firmen, die sich auf langfristiges Wachstum ausgerichtet hatten und bedeutende Erfolge erzielten, verloren ihre Führungsstellen, indem (Originalbuchseite 320)
sie sich wieder auf den unmittelbaren Vorteil und schnellen Profit ausrichteten. (Vgl. Anm. 36). 40. Zitate aus H. Hass 1970, Kpt. 4 und 5 (1987, Bd. 2, Kpt. 4 und 5). 41. Siehe W. Mewes, 1972-1976, Lehreinheit 6 und 8. 42. H. Hass 1987, Bd. 1, S. 224 - 228. 43. H. Hass 1987, Bd. 1, S. 194 - 198. 44. Eibl-Eibesfeldt 1987. 45. Einen guten Überblick über die Themen, die unter dem Begriff „Selbstorganisation“ sowohl im anorganischen wie auch organischen Bereich behandelt werden, gibt Erich Jantsch „Die Selbstorganisation des Universums“, DTV, München 1986. 46. W. Mewes 1972-1976, Lehreinheit 10, S. 99 - 116. 47. Über den Begriff des „vernetzten Denkens“ siehe: F. Vester „Neuland des Denkens“, Stuttgart 1983, und „Unsere Welt - ein vernetztes System“, 3. Aufl. München 1986. 48. J. K. Galbraith „Die moderne Industriegesellschaft“, München 1968.
49. W. Mewes 1972-1976, Lehreinheit 9. 50. H. Hass: Filmserie „Wir Menschen“. Österreichisches Bundesinstitut für den wissenschaftlichen Film, Wien. 51. In der Biologie nennt man die Entfaltung des Men-schen „kulturelle Evolution“ und die Aufsplitterung in Berufstätigkeiten „Pseudospeziation“. Nach der hier vertretenen Ansicht ist die kulturelle Evolution ein integraler Bestandteil der Evolution des Lebens, und die Aufsplitterung in „Arten“ setzt sich in den Arten von Berufs- und Unternehmensausrichtungen fort. H. Hass 1987, Bd. 2 und 3. 52.V. Packard „Die Pyramidenkletterer“, Düsseldorf 1963. (Originalbuchseite 321)
53. Die japanische Einrichtung lebenslanger Einstellung in Unternehmen hat sicher wesentlich zu den wirt-schaftlichen Erfolgen dieses Landes beigetragen. Interessante Details findet der Interessierte in den Schriften von P. F. Drucker. Hinweise zum Thema Ganzheit gibt R. Mann in „Das ganzheitliche Unternehmen“, Bern, München, Wien 1988. 54. Teilhard de Chardin war einer der wenigen, welcher die gesamte Strukturbildung des Menschen, den tierischen und pflanzlichen Organen unmittelbar vergleichbar, als „vitalisierte Materie“ ansah. Siehe: H. Hass 1987, Bd. 2, S. 271-275. 55. In der Wirtschaftspraxis deckt sich die OBS deutlich mit der Idealvorstellung des Marketing, und durch die so zahlreichen Erfolge der EKS, mit deren Richtlinien sie in weiten Bereichen nahtlos übereinstimmt, wird die Berechtigung ihrer naturwissenschaftlich-evolutionären Ausrichtung noch besonders unterstrichen.
56. Zahlreiche Denker und Schriftsteller, etwa Voltaire, schätzten den Menschen als „Bestie“ ein. Schopenhauer schrieb: „Der Mensch ist im Grunde ein wildes, entsetzliches Tier. Wir kennen es bloß im Zu-stand der Bändigung und Zähmung, welche Zivilisation heißt. Dabei erschrecken uns die gelegentlichen Ausbrüche seiner Natur“. Nietzsche nannte den Menschen „das noch nicht festgestellte Tier“ - was in doppelter Hinsicht dem hier dargestellten Über-gang von einer Evolutionsstufe in eine ganz andere entspricht. 57. Auf das schwierige Thema „Glück“ ging ich aus naturwissenschaftlicher Sicht in den „Naturphilosophischen Schriften“ Bd. 4, Kp. 12 näher ein.
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zum "Literaturverzeichnis" in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 15)
Erster Teil
Der Psychosplit Seine Entstehung und seine Folgen (Originalbuchseite 17)
1. Prämisse:
Für alle Lebewesen ist Energieerwerb eine überragend wichtige Funktion
Um in voller Tragweite zu begreifen, was vor etwa 10.000 Jahren mit unseren Urvorfahren geschah und warum sich dies bis heute auf unsere täglichen Entschlüsse auswirkt, ist es notwendig, einen ziemlich weiten Umweg zu machen und zu allererst darauf einzugehen, welche immense Bedeutung der Erwerb von Energie für alle Lebewesen - Pflanzen und Tiere, Einzeller wie Vielzeller hat. Da wir Energie mit unseren Sinnesorganen nicht unmittelbar wahrnehmen, beurteilen wir die so mannigfach gestalteten Lebewesen in erster Linie nach ihrer körperlichen Gestalt und ihrem Verhalten, nach den Organen, aus denen sich ihre Körper zusammensetzen, deren Tätigkeit und Zusammenwirken, nach ihrer Fortpflanzung und dem Heranreifen von Nachkommen: wie aus einer befruchteten Keimzelle über Zellteilung und Zelldifferenzierung ein neues Lebensindividuum heranwächst. Daß hier wesentliche Kräfte am Werk sind, sagt uns die Vernunft. Näheres über diese Kräfte, ihren Ursprung und ihre Eigenschaften ist dagegen den meisten nur unzulänglich bekannt.
Was Energie letztlich ist, kann bis heute kein Physiker sagen. Dagegen sind die Eigenschaften dieses überaus Bedeutsamen bereits eingehend erforscht und gut bekannt. Daß dieses "Etwas" auch in allen Bereichen (Originalbuchseite 18)
menschlicher Tätigkeit - besonders in der Technik, der Wirtschaft und der Politik - eine entscheidende Rolle spielt, braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden. Die Energiekrise und die Atombombe haben dies wohl jedermann deutlich gemacht. Erste, höchst erstaunliche Eigenschaft der Energie: Sie ist unzerstörbar. Sie kann weder geschaffen noch vernichtet werden. Jede Vorstellung, daß irgend ein Organ irgendeines Lebewesens Energie "erzeugen" könne, ist somit falsch. Was immer Lebewesen an Energie benötigen, muß ihnen entweder von Vorfahren mitgegeben oder dann in eigener Tätigkeit von ihnen aus Umweltquellen erworben werden. Zweite, nicht minder erstaunliche Eigenschaft der Energie: Sie präsentiert sich in sehr verschiedenen Erscheinungsformen (Abb. 1) und kann sich von jeder dieser Erscheinungsformen in jede andere verwandeln. Wie sich das praktisch abspielt, läßt sich am besten an Hand eines Beispieles zeigen: Eine der zahlreichen Erscheinungsformen von Energie ist die Gravitationskraft. Massen ziehen sich gegenseitig an. Das ist der Grund dafür, daß die Erde um die Sonne kreist, von dieser in ihre Bahn gezwungen ist, - und auch dafür, daß die Erde alle auf ihrer Oberfläche befindlichen Körper machtvoll an sich zieht: ebenso uns Menschen wie jeden Stein. Wenn Flüsse "abwärts" fließen, dann bewegen sie sich in Wahrheit so, daß sie dem Erdmittelpunkt näherkommen. Und schon stehen wir vor einem Beispiel der Energieumwandlung. Die Bewegungsenergie des Flusses ("kinetische Energie"), mit der er sich ein Bett gräbt, Erdreich und
Baumstämme mit sich reißt, ist umgewandelte Gravitationsenergie. Je steiler der Abhang, umso stärker wird seine Kraft. Errichten wir unter einem Wasserfall eine Turbine, die einen Genera(Originalbuchseite 19)
tor betreibt, dann vermögen wir die im Fluß wirksame kinetische Energie in Elektrizität - eine weitere Erscheinungsform von Energie zu verwandeln. Senden wir diese dann über Drähte in eine Fabrik und betreiben wir mit ihr dort einen elektrischen Ofen, dann verwandeln wir Elektrizität in Wärme. Als solche wird die Zitterbewegung der kleinsten Materieteilchen - der Atome und Moleküle - bezeichnet, die sich sowohl in der Luft wie auch in den umliegenden Gegenständen und Flüssigkeiten ausbreitet: sie "erwärmt". Senden wir den elektrischen Strom statt dessen in eine Glühbirne, dann verwandeln wir elektrische Energie in Lichtenergie. Betreiben wir mit dem elektrischen Strom einen Generator, dann verwandeln wir Elektrizität wieder in Bewegungsenergie. Und lassen wir den Motor etwa eine Pumpe antreiben, die Wasser in ein höher liegendes Becken hochpumpt, dann verwandeln wir kinetische Energie wieder in Gravitationsenergie, die im Becken ruhend gespeichert bleibt - wir sprechen dann von "potentieller Energie" - jedoch sofort real als "freie", arbeitsfähige Energie in Erscheinung tritt, wenn wir den Hahn des Beckens öffnen - und sich der Wasserstrahl in die "Tiefe" ergießt. Weitere, noch nicht genannte Erscheinungsformen von Energie sind etwa der Magnetismus, die Oberflächenspannung, die "chemische Energie" - jene Kräfte, die Atome zu Molekülen verbinden, und die besonders starke "Kernenergie", welche die winzigen Bestandteile der Atomkerne - die "Nucleonen", aneinander kettet. Für die Darlegung ist hier lediglich der Hinweis wichtig, daß alle
diese Erscheinungsformen von Energie, die uns höchst verschieden vorkommen, letztendlich alle ein und dasselbe sind: Ein uns unsichtbares Etwas, dem eine höchst vielseitige Macht innewohnt4. (Originalbuchseite 20)
Bei den Lebewesen, mit denen wir uns nun näher beschäftigen wollen, ist Energie von besonderer Bedeutung, weil keine ihrer mannigfachen Funktionen ohne Energie möglich ist. Wie jeder weiß, bestehen Pflanzen und Tiere aus Zellen, in denen sich außerordentlich komplexe Vorgänge abspielen. Jeder dieser Vorgänge benötigt Energie. Aus Zellen bauen sich die Organe auf, die im arbeitsteiligen System des Körpers spezialisierte Leistungen verrichten. Bei Pflanzen verrichten die Blätter eine ganz andere Funktion als die Wurzeln oder die Blüten; bei Tieren sind Sinnes- und Fortbewegungsorgane, das Nervensystem und der Verdauungstrakt höchst verschieden strukturiert. Über materielle Gebilde sehr differenzierter Ausformung wird Energie zu höchst verschiedenartigen Dienstleistungen gebracht. Sie muß bei der Fortpflanzung den Aufbau dieser Organe bewirken, dann deren Steuerung, Funktionsausübung, Kontrolle und Erhaltung. Über entsprechend strukturierte Materie wird so Energie zu außerordentlich vielseitigen Leistungen veranlaßt5. Da Energie, wie gesagt, nicht geschaffen werden kann, muß jedes Lebewesen entsprechende Mengen aus der Umwelt gewinnen und in seinen Dienst zwingen. Dies ist insofern eine primäre Funktion, weil alle übrigen Leistungen bereits Energie benötigen - also bereits erzielte Überschüsse zur Voraussetzung haben. Betrachtet man die Dinge so, dann wird aus etwas Unsichtbarem etwas entscheidend Wichtiges. Verliert ein Lebewesen die Fähigkeit, die für seine Funktionen notwendigen Energiemengen aus der Umwelt zu gewinnen und in seinen Dienst zu zwingen, dann "stirbt es": sein Leben endet. Die Organe verlieren dann ihre Bedeutung und zerfallen.
Für die Lebewesen genügt es jedoch nicht, ebenso viel (Originalbuchseite 21)
Energieformen: 1. Kinetische Energie (Bewegungsenergie, z. B. einer Kanonenkugel) Wärme (Zitterbewegung der Atome und Moleküle) 2. Gravitationsenergie (Massenanziehung, z. B. zwischen Sonne und Erde) 3. Elektromagnetische Energie: Licht Elektrizität Chemische Energie (die Bindungskräfte zwischen den Atomen, aus denen Moleküle bestehen)
Oberflächenspannung (legt etwa die Größe des Wassertropfens fest) Magnetismus u. a.
4. Kernenergie (bindet die Elementarteilchen, aus denen die Atomkerne bestehen, aneinander)
5. Ruhmassenenergie (bildet die Masse der Elementarteilchen) Abb. 1: Überblick über die wichtigsten Erscheinungsformen von Energie. Jede dieser Erscheinungsformen kann sich in jede der übrigen verwandeln. Aus historischen Gründen werden sie vielfach noch in verschiedenen Maßen gemessen. Etwa in Erg, Kalorien, Pferdekraftstunden, Meterkilopond, Wattsekunden, Elektronenvolt u. a. Heute wird als gemeinsames Maß für alle Erscheinungsformen das Joule verwendet. (Originalbuchseite 22)
Energie aus Umweltquellen zu gewinnen, als die Gesamtheit ihrer Tätigkeiten beansprucht. Eine weitere Besonderheit der Energie besteht nämlich darin, daß bei ihren Umwandlungen kaum je eine
Energieform zur Gänze in die andere übergeht. In der Regel verwandelt sich dabei ein beträchtlicher Teil in Wärme, die in die Umgebung entweicht. In der Technik spricht man in diesem Sinne vom "Wirkungsgrad" einer Energieumwandlung. So wird zum Beispiel durch den Motor des Autos die im Benzin enthaltene chemische Energie in die das Auto antreibende Bewegungsenergie umgewandelt. Hier beträgt der Wirkungsgrad 40 % - das heißt 60 % der Arbeitsfähigkeit der im Benzin enthaltenen chemischen Energie geht bei dem Vorgang verloren (entweicht als Wärme in die Umgebung) und nur 40 % wird dahin gebracht, das Auto anzutreiben. Bei der erwähnten Umwandlung von elektrischem Strom in Licht durch die Glühbirne ist der Verlust sogar noch erheblich größer. Hier beträgt der Wirkungsgrad nur 9 %. Das heißt, nur 9 % der eingesetzten Energie verwandeln sich in die andere, gewünschte Energieform - und der Verlust beträgt über 90 % ("Entropie"). Da im Körper aller Lebewesen mannigfache Energieumwandlungen stattfinden, ehe die vereinnahmte Rohenergie in den diversen Organen zur Ausübung der benötigten Spezialleistungen gebracht wird, müssen sie um ein Vielfaches mehr einnehmen als ihre mannigfachen Funktionen letztendlich beanspruchen. Auch diese, bisher nur wenig beachtete Tatsache unterstreicht die Behauptung der ersten Prämisse, daß dem Energieerwerb im Lebensgeschehen eine besondere Bedeutung zukommt. Gelingt einem Lebewesen diese zentrale Funktion nicht, dann erlischt automatisch seine Lebensfähigkeit. (Abb. 2) (Originalbuchseite 23)
Abb. 2: Energieerwerb der Lebewesen. Da keine Bewegung und somit auch keine Lebensfunktion ohne arbeitsfähige Energie möglich ist, muß jedes Lebewesen mehr Energie aus der Umwelt gewinnen und in seinen Dienst zwingen, als die Gesamtheit seiner Tätigkeiten verbraucht. Gelingt dies nicht, dann stirbt es, kann den Lebensprozeß nicht fortsetzen. Nach H. Hass 1970.
Leben ist ein Vorgang, der auf ein Zusammenspiel sehr vieler und sehr verschiedener Leistungen angewiesen ist. Voraussetzung für sie alle ist Energie. Ohne Energie gibt es keine Bewegung, keinen Prozeß, keinerlei Entwicklung, keinerlei Leistung. Auch nicht für den tausendsten Teil einer Sekunde.
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zu "2. Prämisse: Die Energiequelle aller Tiere ist die organische Struktur
anderer Lebewesen." in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 25)
2. Prämisse:
Die Energiequelle aller Tiere ist die organische Struktur anderer Lebewesen
Im Laufe des langen Entwicklungsweges der Organismen, der vor etwa 4000 Millionen Jahren in den Urmeeren seinen Anfang nahm, setzten sich zwei Formen des Energieerwerbes durch: jener der "Tiere" und jener der "Pflanzen".6 Um die tierische Erwerbsart, die uns in dieser Untersuchung besonders interessiert, richtig einzuschätzen, ist es zweckmäßig, sich zuerst mit jener der Pflanzen näher zu beschäftigen. Wie wohl jedem bekannt ist, gewinnen diese - sowohl in den Gewässern als auch an Land - die von ihnen benötigte Energie aus den in so überreichem Maß von der Sonne zu uns herüberflutenden Sonnenstrahlen. Der Vorgang dieser Dienstbarmachung der Lichtenergie durch ihre Umwandlung in chemische Bindungsenergie spielt sich in so kleinen Dimensionen ab, daß wir ihn auch unter dem stärksten Mikroskop nicht beobachten können. Trotzdem konnte die Forschung ermitteln, was da vor sich geht. Sehr vereinfacht dargestellt, werden bei diesem als "Photosynthese" bezeichneten Vorgang die Energiequanten der Lichtstrahlen dazu gezwungen, aus Atomen Moleküle aufzubauen. Die Lichtenergie verwandelt sich dabei in chemische Bindungsenergie, welche Atome des Sauerstoffs, des Wasserstoffs und des Kohlenstoffs so aneinander fesselt, daß Kohlenhydratmoleküle - meist solche der "Stärke" - entstehen. (Originalbuchseite 26)
Wie das im einzelnen geschieht, braucht uns hier nicht zu beschäftigen. Tatsache jedoch ist, daß diese Energiequanten in den besagten Molekülen wie in kleinen Käfigen eingeschlossen sind und von der Pflanze jederzeit für benötigte Dienste eingesetzt werden können, indem sie diese Moleküle wieder in ihre Bausteine zerlegt und so die "Käfige" öffnet. Sie kann dann diese "freigesetzte" Energie zum Aufbau anderer Moleküle verwenden und bildet so etwa Eiweiße, Fette oder andere Kohlenhydrate - und aus diesen
Bausteinen bildet sie dann Stiele, Blätter, Wurzeln und sonst nötige Organe. Die hochkomplexen, winzigen Betriebe, in denen die Photosynthese stattfindet, werden "Plastiden" genannt und befinden sich vorzüglich in den Blättern, die dem Sonnenlicht zugewandt werden. Alle für solchen Strukturaufbau notwendigen Stoffe werden bei den Wasserpflanzen aus dem sie umgebenden Medium bezogen; bei den Landpflanzen zum Teil aus der Luft und im übrigen aus dem Wasser, das die Wurzeln aus dem Boden saugen. Die Wassergewinnung wurde hier zum besonderen Problem. Licht steht tagsüber an Land in überreichem Maß zur Verfügung, doch die zu seiner Versklavung notwendige Apparatur verursacht einen Aufwand, der beim Konkurrenzkampf der Pflanzen untereinander darüber entscheidet, welche der Individuen und Arten sich am besten durchsetzen. Daß Wachstum und Vermehrung weitere gravierende Probleme darstellen, darf als bekannt vorausgesetzt und hier übergangen werden. Wichtig ist dagegen der Hinweis, daß auch sämtliche sonstigen von den Pflanzen aufgebauten Moleküle ebenso Energiedepots darstellen, wie jene der Stärke. In ihnen allen werden die sie bildenden Atome durch chemische Bindungskräfte also umgewandelte Sonnenenergie - zusammengehalten. (Originalbuchseite 27)
Der Energieerwerb der als "Tiere" bezeichneten Lebewesen - für uns besonders interessant, weil auch unser Körper so Energie erwirbt - ist von jenem der Pflanzen äußerst verschieden und doch auch wieder sehr ähnlich. Denn ganz ebenso wie die Pflanzen, wenn sie Energie benötigen, Moleküle wieder in ihre Teile zerlegen und so die darin enthaltene Energie freisetzen, verfahren auch die Tiere - allerdings mit dem Unterschied, daß sie dies mit Energiekäfigen besorgen, die sie nicht selbst geschaffen haben. Alle sind somit darauf ausgerichtet, Pflanzen oder anderen Tieren Stücke wegzubeißen oder diese zur Gänze zu verschlingen, um dann über den Vorgang der "Verdauung" den in der erbeuteten organischen Struktur enthaltenen Energieschatz für sich selbst zu nützen. In diesem Sinne sind alle Tiere ihrer Erwerbsform nach "Räuber". In der deutschen Sprache werden den "Pflanzenfressern" die "Raubtiere", die sich von anderen Tieren ernähren, gegenübergestellt: das erweckt einen durchaus falschen Eindruck. Zugegeben, die Pflanzen wehren sich nicht, laufen nicht davon, stoßen keine Klageschreie aus, doch ihnen geschieht, wenn sie zur "Beute" werden, akkurat das gleiche wie einem zum Teil oder zur Gänze verschlungenen Tier. Sie verlieren in einem gewaltsamen Akt Teile ihres Körpers - oder ihre Existenz. Bei den Aasfressern fällt jegliche Gegenwehr
weg - aber eben nur deshalb, weil ein totes Lebewesen zu solcher nicht mehr fähig ist. Hier zeigt sich der gewaltsame Erwerb im Verhalten gegenüber Konkurrenten, die es auf die selbe Beute abgesehen haben und mit denen um diese erbittert gekämpft wird7. Der Konkurrenzkampf ist bei den Tieren in der Regel wesentlich härter als die Auseinandersetzung mit der jeweiligen Beute. Sehr oft bekommen bei dieser Ausein(Originalbuchseite 28)
andersetzung die "Gegner" einander nie zu Gesicht - und doch entscheidet sie über Sein oder Nichtsein. Gelingt es nicht, die für den eigenen Lebensvorgang notwendige Energie zu erbeuten, dann können keine weiteren Lebensvorgänge stattfinden - dann "verhungert" das betreffende Individuum, bleibt auf der Strecke. Bei den Pflanzen ist dieser Vorgang nicht ganz so deutlich zu sehen, doch bestimmt nicht weniger grimmig. Wenn man an die vielen Samen denkt, die in der einen oder anderen Form ausgesandt werden und von denen nur die allerwenigsten "auf günstigen Boden treffen", also sich behaupten und zu einem neuen Pflanzenindividuum entwickeln können, dann wird diese rücksichtslose "Auslese" sehr deutlich. Auch benachbarte Pflanzen verhalten sich keineswegs so freundlich, wie der Anblick einer Wiese oder eines Waldes den Anschein erweckt. Über dem Boden kämpfen die Blätter und Zweige um das nötige Licht, unter dem Boden rivalisieren die Wurzeln um das für sie so überaus wichtige Wasser. Sowohl bei den Tieren als auch bei den Pflanzen sind "Monopolisten", die in bestimmten Bereichen konkurrenzlos dastehen, selten - aber es gibt sie unter den extremen Spezialisten. Doch diese vermehren sich dann schnell, so daß sehr bald auch bei ihnen der gleiche unerbittliche Konkurrenzkampf einsetzt - nicht gegenüber Individuen anderer Arten, sondern gegen Individuen der gleichen Art. Wenn ich diesen Zusammenhang hier besonders deutlich hervorstreiche, dann geschieht das deshalb, weil er im späteren Teil der Betrachtungen von besonderer Bedeutung ist. Weder kann man ein Tier, das ein anderes frißt und so schädigt oder tötet, als "böse" bezeichnen, - noch ein solches, das Pflanzen Teile abbeißt oder sie zur Gänze verschlingt. Der gesamte Lebensprozeß ist - aus (Originalbuchseite 29)
unserer menschlichen, emotionellen Betrachtungsweise her - ein außerordentlich rücksichtsloser und grausamer Prozeß: darauf wies in aller Deutlichkeit Darwin hin. Da wir uns so sehr an der Natur und ihren unzähligen Wundern erfreuen, wird diese Tatsache eher verdrängt. Schriftsteller, Dichter und Filmproduzenten wetteifern darin uns von der Natur ein Bild zu zeichnen, das mehr unseren Wünschen als der Wahrheit entspricht. Was die Tiere betrifft - mit denen wir uns nun im Besonderen beschäftigen - so sind sie alle gleicherweise Räuber, ob sie uns sympathisch sind - wie etwa das Reh, oder unsympathisch - wie etwa die Klapperschlange8. Um an die wichtigste Voraussetzung für ihr Leben und Weiterleben, für Wachstum und Vermehrung - nämlich "Energie" heranzukommen, müssen sie nach Beute suchen und diese in ihre Gewalt bringen. Das gilt ebenso für den Elefanten wie für Parasiten, die in den Körper anderer Lebewesen eindringen, dort schmarotzen, sie also schädigen und nicht selten zerstören. Ob Pflanzen oder Tiere die Beute sind, ist einerlei. Stets geht es darum, anderen die von ihnen vereinnahmte Energie zu entreißen. Daß bei diesem Vorgang auch Stoffe erworben werden benötigtes Baumaterial - ist ein zusätzlicher Vorteil. Bei den Pflanzen werden Energie und Stoffe aus verschiedenen Quellen erworben, beim tierischen Erwerb über "Raub" fällt gleich beides an. Das ist ein zusätzlicher Vorteil dieser Methode. Sehr wichtig ist indes zu wissen, daß Tiere über beträchtliche Zeiträume hinweg ohne Zufuhr von neuen Baustoffen leben können - jedoch nicht den tausendsten Teil einer Sekunde ohne Energie. Von den vereinnahmten Stoffen wird das meiste wieder abgeschieden - worauf es bei jeder Nahrungssuche, jeder Auseinandersetzung mit der Beute oder mit Konkurrenten am stärksten ankommt, ist für unser (Originalbuchseite 30)
Auge unsichtbar. Es ist jene chemische Bindungsenergie, welche die Pflanzen dem Sonnenlicht entziehen und sich dienstbar machen - und die dann, wenn ein Tier eine Pflanze frißt oder selbst einem anderen Tier zum Opfer fällt, gleichsam von Hand zu Hand geht. Man mag hier einwenden, daß es bei den Organismen doch auch Partnerschaften, Hilfestellungen und Gemeinschaftsbildungen gibt; daß also der nicht abzuleugnenden Tatsache des Raubes und des Konkurrenzkampfes auch genügend "freundliche" Akte synergetischer Art gegenüberstehen. Das stimmt wohl zweifellos - verändert jedoch am Gesamtbild, wie leicht einzusehen ist, nicht das geringste. In der Tat kam es
zur Ausbildung von "Symbiosen" - man denke etwa an den Einsiedlerkrebs, der Seerosen auf sein Schneckenhaus pflanzt. Sie sind für ihn ein zusätzlicher Schutz gegen Raubfeinde - während die Seerose so zu einer Gratis-Fortbewegung und damit in bessere Lebensbedingungen gelangt. Termiten könnten ihre Nahrung, nämlich Holz, nicht aufschließen - also die Energiekäfige nicht öffnen - wenn ihnen Einzeller und Bakterien, die in ihrem Darm leben, nicht bei diesem Geschäft helfen würden. Deren eigener Vorteil ist, so ohne Mühe mit Holz versorgt zu werden, dem sie auch für sich selbst Energie entziehen. Bei den Flechten haben sich Algen und Pilze so innig vereint, daß man sie lange für einen einheitlichen Organismus hielt. Im Wolfsrudel hilft ein Wolf dem anderen, im Ameisenstaat erinnert die Arbeitsteilung bereits an die durch menschliche Intelligenz geschaffenen Gemeinschaften. -Doch für die Beute des Einsiedlerkrebses ist der Schutz, den die Seerose ihm bietet, entschieden ein Nachteil. Für die Beute, auf die es Wölfe abgesehen haben, ist das Rudel ein weit schlimmerer Gegner als der einzelne Wolf. Und für Insektenstaaten gilt das gleiche. - Durch (Originalbuchseite 31)
solche Partnerschaften kommt es zu noch effizienteren Räubern. Das gute Zusammenwirken der Partner ist Voraussetzung für den gesteigerten Erfolg die Partnerschaft selbst jedoch bloß ein Räuber "höherer Ordnung". Selbst die Aufopferung der Eltern für ihre Jungen bei Brutpflege, die uns so sympathisch anspricht, verändert nichts am gesamten Konzept. Indem die jeweiligen Eltern ihren Jungen durch Schutz, Ernährung, Pflege etc. helfen, tun sie der Beute, auf die es diese Individuen später abgesehen haben, keineswegs einen guten Dienst. Der "Art" wird so geholfen, sich besser durchzusetzen ... jedoch zum Leidwesen von Individuen anderer Arten, die für sie Nahrungsquelle sind9. Um noch ein besonders krasses Beispiel dafür zu geben, wie wenig die Einschätzung des Normalmenschen in der Beurteilung des Lebensvorganges der tatsächlichen Situation gerecht wird , sei auf den wenig beachteten Umstand verwiesen, daß Pflanzen gar nicht existieren könnten, wenn Tiere sie nicht fräßen - und daß andererseits die Existenz der Pflanzen in ganz ebensolcher Abhängigkeit die Voraussetzung für die Existenz der Tiere ist. Für den Vorgang der Photosynthese benötigt die Pflanze Kohlendioxyd - während sie als Abfallprodukt des Vorganges Sauerstoff abscheidet. Andererseits wieder benötigen die Tiere zum Vorgang der Verdauung Sauerstoff, während sie als Abfallprodukt
Kohlendioxyd ausatmen. Das aber bedeutet, daß ohne Pflanzen der Großteil aller Tiere ersticken würde - und daß es ohne Tiere keine Lebensbasis für die durch Photosynthese Energie erwerbenden Pflanzen gäbe. Die Abstimmung zwischen der Gesamtmenge an tierischen und pflanzlichen Organismen gehört zu einem der erstaunlichsten Phänomene. Seitdem es - relativ bald nach Einsetzen des Lebens(Originalbuchseite 32)
Abb. 3: Die Dynamik der Lebensentfaltung (grob schematisiert). Nach heutigem Forschungsstand nahm der Prozeß "Leben" sehr bald nach Entstehung der heißen Urmeere, vor ca. 4000 Millionen Jahren, in seichten Zonen seinen Anfang. Zunächst wurde er von winzigen molekularen Strukturen, die zur Selbstvervielfältigung fähig waren, fortgesetzt. Indem sich die jeweils bestgeeigneten durchsetzten, kam es zur Vergrößerung und Verbesserung dieser Urlebewesen, die als ersten Höhepunkt die Einzeller hervorbrachten. Zweiter Höhepunkt war die Entstehung der Vielzeller. Die Landeroberung setzte erst vor 400 Millionen Jahren ein, der Mensch entstand vor etwa 2 Millionen Jahren. Mehr als 90% der Lebensentwicklung fand somit unter Wasser statt. Insgesamt gleicht diese Entfaltung einem sich über Jahrmilliarden hinweg in Potenz und Volumen steigerndem Strom, der über die Technik des Menschen nun noch vehement anwächst. Schwankungen im Volumen sind hier nicht berücksichtigt (Vgl. Abb. 10 u. Abb. 20). Nach H. Hass 1985. (Originalbuchseite 33)
prozesses, vor etwa 4000 Millionen Jahren, - zur Aufspaltung in die beiden Erwerbsarten kam, erwiesen sich diese beiden riesigen und so formenreichen Gruppen als aufeinander insgesamt angewiesene Partner. Neun Zehntel der Evolution des Lebens fand im Wasser statt: Erst waren es einzellige Pflanzen und Tiere, die sich den verschiedensten Lebensmöglichkeiten in den Meeren und sonstigen Gewässern anpaßten, dann, vor etwa 1800 Millionen Jahren, kam es zur Bildung der "Vielzeller", die aus immer größeren Mengen von Einzelzellen aufgebaut sind, welche sich nach Teilung nicht trennen sondern beisammenbleiben und immer größere Kolonien bilden, in denen es zu immer stärkerer Arbeitsteilung kam (Abb. 3). Auch diese Vielzeller breiteten sich zunächst bloß in den Gewässern aus - teils als Pflanzen, teils als Tiere. Erst vor etwa 400 Millionen Jahren gelang es einigen Pflanzenarten die Landeroberung einzuleiten und ihnen folgten alsbald auch Tiere. Nun wurden die Kontinente erobert - doch stets unter der Voraussetzung der besprochenen Abhängigkeit. Hier zeigt sich vielleicht am allerdeutlichsten, wie wenig wir unseren Gefühlsregungen vertrauen dürfen. Wenn ein Tier eine Pflanze frißt, dann trägt es zur Existenz der Pflanzen bei. Frißt ein Tier ein anderes Tier, dann fördert dies die (Originalbuchseite 34)
Gesamtentwicklung insofern, als die geschicktesten, fähigsten Individuen und Arten, die diesen Räubern entkommen, übrigbleiben und sich so das Bessergeeignete fortpflanzt. Für die weiteren Darlegungen sind diese Hinweise wichtig, weil sie dabei helfen, die Zusammenhänge zu sehen, wie sie sind. Es ist im Rahmen dieser zweiten Prämisse wichtig, sich an möglichst vielen Beispielen vor Augen
zu führen, daß alle Tiere auf die grundsätzlich gleiche Art Energie erwerben: über Aneignung fremder organischer Struktur und Verwertung der darin enthaltenen arbeitsfähigen Energie. Auch der Mensch gewinnt die für seinen Körper und dessen Funktionen nötige Energie auf diese Weise.
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zu "3. Prämisse: Für Energieerwerb durch Raub sind zielführende Bewegungssteuerungen nötig." in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 35)
3. Prämisse:
Für Energieerwerb durch Raub sind zielführende Bewegungssteuerungen nötig
Wäre der Mensch - wie man lange annahm - als etwas von den übrigen Lebewesen Getrenntes, Unabhängiges in die Welt gekommen, dann würde es sich kaum lohnen, sich mit der großen Räuberbande, die wir Tiere nennen, näher zu beschäftigen. Da wir indes aus ihrem Kreis hervorgingen und der Zeitpunkt, da wir uns von ihnen lösten und sie überflügelten, nach erdgeschichtlichen Maßstäben gar nicht besonders weit zurückliegt, sind die Verhaltensstrategien, zu denen diese bunte Gemeinschaft gelangte, doch für unsere Selbsteinschätzung überaus wichtig. Als erstes ist da anzuführen, daß es bei ihnen - und schon hier gibt es Vergleichspunkte zur Situation, in der wir uns selbst befinden, - auch solche gab und noch heute gibt, die ohne besondere Anstrengung an Beute gelangen: denen sozusagen die gebratene Taube ganz von selbst ins Maul fliegt. Zum Beispiel gehören die winzigen Korallenpolypen, die in tropischen Meeren so gewaltige Bauwerke schaffen, in diesen bevorzugten Kreis. Sie sitzen am Ort fest und überlassen es den Meeresströmungen, die in jedem Wassertropfen lebenden Kleinlebewesen gratis und franko vor ihre Mundöffnung zu spülen. Berühren diese dort einen der rings um die Öffnung angeordneten Fangarme, dann schießen einzelne (Originalbuchseite 36)
Abb. 4: Der Stammbaum des Menschen (stark schematisiert). Aus Einzellern gingen vor ca. 1800 Millionen
Jahren (vgl. Abb. 3) vielzellige Lebewesen hervor: Pflanzen und Tiere. Bei den vielzelligen Tieren teilten sich nach Entstehung der Hohltiere zwei große Entwicklungsströme: die Urmünder (Protostomier) und die Zweitmünder (Deuterostomier). Bei den Zweitmündern entwickelten sich über Würmer Urchordaten und kieferlose Fische, deren Nachkommen vor ca. 350 Millionen Jahren auch an Land vordrangen und dort zu Amphibien wurden. Diese brachten dann Reptilien hervor, von denen die Säugetiere und Vögel abzweigten. Aus dem Kreis der Säugetiere ging der Mensch hervor. Nach H. Hass 1987, Bd. I. (Originalbuchseite 37)
Zellen der Fangarme giftige Pfeile ab, welche die Beute lähmen und festhalten. Sie wird dann von den Fangarmen durch die Mundöffnung in den sackartigen Darm befördert und dort verdaut. Oder anders ausgedrückt: Dort wird ihnen von der Zellgemeinschaft Korallenpolyp, der sie etwas zu nahe geraten sind, die in ihren Molekülen gespeicherte Energie entzogen, und was an Unverwertbarem übrigbleibt wird anschließend durch die Mundöffnung wieder den Meeresströmungen zurückgegeben. Aus solchen "Hohltieren", die sich auf Grund der hohen Effektivität ihrer Erwerbsform bis zum heutigen Tag erhalten haben, entwickelten sich vor etwa 1200 Millionen Jahren die ersten Würmer, die über den Boden oder durch den Sand kriechend nach Beute suchten und bei denen sich eine rückwärtige Öffnung des Darmes entwickelte, so daß sie den Mund nicht länger als After zu verwenden brauchten (Abb. 4). Aus einigen Gruppen solcher Würmer entstanden dann die ersten Fische (Urchordaten und Kieferlose), welche sich durch Flossensäume, die aus Hautfalten hervorgingen, fortbewegten. (Originalbuchseite 38)
Unter diesen Fischen, die sich weiterentwickelten und mannigfachen Lebensformen anpaßten, gelang es dann einigen - vor etwa 350 Millionen Jahren - den bereits an Land vorgedrungenen Pflanzen nachzufolgen und sich von ihnen zu ernähren. Zu dem für die Verdauung nötigen Gasaustausch eigneten sich an Land die Kiemen nicht mehr, weil sie vertrockneten: statt dessen fand dieser Gasaustausch durch blutreiche Gewebe am Gaumendach statt, welches sich einstülpte, beiderseits Säcke bildete, die sich mehr und mehr falteten ... so daß Lungen entstanden. Das klingt höchst phantastisch, läßt sich jedoch aus fossilen Resten, sowie durch den Vergleich mit heute noch lebenden Übergangsformen und durch Stadien in unserer eigenen Embryonalentwicklung einwandfrei beweisen. So entstanden aus Lungenfischen die ersten Amphibien, die sich dann dem Landleben allmählich immer besser anpaßten - ebenso wie die Pflanzen, die für sie Nahrung waren. Aus den Amphibien gingen vor 325 Millionen Jahren die Reptilien hervor, die sich bereits völlig von der Meeresheimat lösten ... aus diesen, vor etwa 240 Millionen Jahren, zuerst die Säugetiere und anschließend, etwa 40 Millionen Jahre später, die Vögel. Und aus dem Kreis der Säugetiere ging dann, vor erst 2 Millionen Jahren, der mit besonderen geistigen Fähigkeiten ausgestattete Mensch hervor: unsere Urvorfahren und damit wir selbst.
Ehe wir uns der Frage zuwenden, was uns von dieser Verwandtschaft grundsätzlich unterscheidet, ist für das Verständnis der Entstehung des Psychosplits beim Menschen wichtig, wie es die bunte Vielheit von sich fortbewegenden Tieren im einzelnen schafft, an Beute zu gelangen, diese aufzuspüren, zu verfolgen, zu überwältigen und in ihren Darm zu befördern. (Originalbuchseite 39)
Wie die vergleichende Verhaltensforschung feststellte, sind für zielführende Beutesuche nicht nur entsprechende Fortbewegungs- und Sinnesorgane sondern auch besondere Mechanismen der Bewegungssteuerung nötig: Erstens: müssen alle aktiv nach Beute suchenden Tiere in der Lage sein, aus der Vielzahl der von ihnen aufgenommenen Sinnesmeldungen jene wenigen herauszusondern, die ihnen Beute kennzeichnen. Ihr Nervensystem muß auf Grund angeborener Schaltungen auf ganz bestimmte "Schlüsselreize" ansprechen. Zweitens: müssen diese Schlüsselreize dann zielführende Beuteerwerbshandlungen auslösen. Ist eine Raupe an ein geeignetes Blatt gelangt, dann müssen ihre Körperund Freßbewegungen so koordiniert sein, daß sie an diesem entlangkriecht und Stücke von ihm abbeißt. Hat ein Raubfisch ein Beutetier entdeckt, dann müssen von seinem Gehirn aus entsprechend koordinierte Befehle an die ausführenden Organe gehen, die gezielte Jagd, Verfolgung, Überwältigung und Einverleibung bewirken. Dabei müssen die Sinnesmeldungen - Sehen, Riechen, Hören, Fühlen, Schmecken die Bewegungen laufend kontrollieren und korrigieren. Man nennt diese Gesamtleistungen, die wiederum auf angeborenen Schaltungen und Verdrahtungen beruhen, "Erbkoordinationen". Je nach der Besonderheit und dem Verhalten der Beute sind sie bei den einzelnen Tierarten sehr verschieden ausgebildet. Drittens: muß das Tier für den Beuteerwerb - ebenso wie für jede andere lebenswichtige Handlung wie etwa Feindabwehr., Paarungsverhalten und Brutpflege entsprechend motiviert sein. Trifft ein Tier längere Zeit auf keinen Schlüsselreiz, der ihm Beute anzeigt, dann müssen weitere Kommandos es dazu bringen, mit zuneh(Originalbuchseite 40)
mender Intensität nach Beute zu suchen. Diesen dritten Komplex nennt man "Trieb". Beim Beuteerwerbsverhalten nennen wir den Zustand, den er bewirkt "Hunger". Diese von innen her kommende Motivation versetzt das Tier in deutlich anwachsende Erregung und hat zur Folge, daß es in immer stärkerer körperlicher und geistiger Anspannung nach Beute sucht und sich um deren Überwältigung und Einverleibung bemüht ("Appetenz"). Ist das geglückt, dann schalten diese Kommandos ab, das Triebziel ist erreicht, der Hunger gestillt und - für so und so lange - nehmen die übrigen lebenswichtigen Funktionen das Tier wieder in Anspruch ("abschaltende Endsituation"). Die Triebe bilden gleichsam ein Parlament, in dem einmal dieser und dann wieder jener Abgeordnete sich erhebt, die Leitung übernimmt: so wird
sichergestellt, daß alle für ein Tier lebenswichtige Funktionen in geordnetem Ablauf wahrgenommen und der Lebensvorgang samt laufender Instandhaltung, Wachstum und Fortpflanzung fortgesetzt wird.10 Alle angeborenen Verhaltensweisen werden als "Instinkte" bezeichnet. Wichtig zu ihrem Verständnis ist, daß man diese Leistungen nicht als etwas Mystisches, Transzendentes, Metaphysisches auffaßt, sondern als Wirksamkeit von Steuerungseinheiten, die zwar im ungeheuer komplexen Netz des Nervensystems nicht als genau abgrenzbare Organe wahrgenommen werden können, jedoch andererseits ganz ebensolche materielle Funktionserbringer sind wie etwa Flossen oder Augen, die Leber oder das Blutgefäßsystem. Bei allen vielzelligen Organismen ist im Erbgut ihrer Keimzellen genau festgelegt, welche Organe die heranwachsende Zellgemeinschaft aufbauen muß - und dazu gehören auch die angeborenen Steuerungen, die für die Tätigkeit der übrigen Organe und ihr Zusammenspiel, jedoch auch ebenso für (Originalbuchseite 41)
das Instinktverhalten des Gesamtkörpers gegenüber der Umwelt zuständig sind. Als "Lernen" bezeichnet man die Fähigkeit, auf Grund individueller Erfahrungen die angeborenen Steuerungen abzuändern, zu ergänzen und verfeinern - oder diesen weitere hinzuzufügen. Schon bei den Einzellern sind solche Leistungen nachweisbar, bei den Vielzellern gelangten sie besonders bei den Wirbeltieren zu vielseitiger Entfaltung. Bei den besonders lernbegabten Säugetieren und Vögeln wurden viele angeborene Steuerungen wieder zurückgebildet, und den Jungen ist ein besonderer Spieltrieb angeboren - auch "Neugiertrieb" genannt - , der sie dazu aneifert, sich aktiv mit der Umwelt auseinanderzusetzen und die für sie wichtigen Verhaltenssteuerungen selbst aufzubauen. Der Vorteil dabei ist, daß diese Tiere weit weniger maschinenhaft agieren und reagieren, sondern sich den jeweiligen Umweltbedingungen so besser anpassen können. Der Nachteil ist, daß das Tier nicht lebensfertig zur Welt kommt wie das etwa bei den Insekten der Fall ist. Dies macht entsprechenden Schutz und Betreuung nötig - einen weiteren, bei den Eltern wirksamen Trieb, sich dieser Mühe zu unterziehen: den "Brutpflegetrieb". Für unsere weiteren Betrachtungen, die sich besonders auf den Nahrungserwerb bei Tier und Mensch beziehen, ist das Ansprechen auf Schlüsselreize besonders wichtig. Ein sehr einfacher, der etwa bei Haien dieses Verhalten auslöst, ist Blutgeruch. Er zeigt ihnen an, daß ein Lebewesen verletzt und somit vermindert flucht- und verteidigungsfähig ist ... stellt also für dieses Raubtier einen sicheren Wegweiser dar. Für manche Fischarten, die in Flüssen oder Seen darauf lauern, daß Insekten auf die Oberfläche fallen oder dort landen, sind die mechanischen Schwingungen, welche die Erschütterung der (Originalbuchseite 42)
Oberfläche erzeugt, Schlüsselreize, die ihr Angriffsverhalten aktivieren. Bei Fröschen und Kröten lösen optische Reize das Beuteerwerbsverhalten aus. Ein sich nicht bewegendes Insekt wird in der Regel nicht angegriffen. Bewegt es sich, dann springt die Kröte hin und schnappt zu. Wie einfach, ja primitiv die auf Schlüsselreize ansprechenden Instinktmechanismen sind, wurde durch viele Attrappenversuche festgestellt. So löst etwa beim Stichlingsmännchen in der Paarungszeit das Auftauchen eines anderen Stichlingsmännchens - also eines möglichen Rivalen - Droh- und Angriffsverhalten aus. In diesem Fall ist es ein roter Strich am Bauch des männlichen Tieres, der zum Erkennungssignal - oder genauer: eben zum "Schlüsselreiz" - wurde. Zeigt man dem Tier im Experiment eine längliche Wachswurst, die weder Augen noch Flossen noch sonstige Fischmerkmale - jedoch auf der Unterseite einen roten Strich hat, dann löst dies ganz ebensolches Droh- und Angriffsverhalten aus wie ein sich näherndes Männchen. Dreht man die Wachswurst um, so daß der rote Strich nun oben liegt, dann reagiert der Fisch nicht. Der Steuerungsmechanismus in seinem Gehirn spricht somit ganz mechanisch auf das Merkmal "länglicher Körper mit rotem Strich unten" an - von einem "Erkennen" im Sinne menschlicher Einsicht ist somit keine Rede. Da diese Mechanik beim Fehlverhalten Berufstätiger und Unternehmen, das aufgezeigt werden soll, eine besondere Rolle spielt, sei noch folgendes, oft zitiertes Beispiel erwähnt: Für den weiblichen Truthahn - die "Pute" - ist das ängstliche Piepen der Jungen ein Schlüsselreiz dafür, diese zu "hudern" - das heißt, die Flügel schützend über sie auszubreiten. Der Iltis ist dagegen ein Raubfeind, den sie bekämpft. Baut man nun in einen (Originalbuchseite 43)
ausgestopften Iltis einen Schallsender ein, der die Tonbandaufnahme des ängstlichen Piepens von Jungen aussendet, dann nimmt sie eben diesen, trotz seines Aussehens, schützend unter ihre Flügel, also "hudert" ihn. Daß solche Reaktionen alles eher als einsichtig sind und mit Intelligenz nicht das geringste zu tun haben, wird hier wohl besonders klar. Am Rande erwähnt sei, daß viele Tiere ihre Beute an mehreren Schlüsselreizen erkennen - so nehmen etwa Haie das Gezappel harpunierter Fische auf weit größere Entfernung und viel schneller wahr, als den sich wesentlich langsamer ausbreitenden Blutgeruch. Sie sind dann, aus mehreren hundert Meter Entfernung kommend, in wenigen Sekunden zur Stelle. Auch die Aufeinanderfolge verschiedener Schlüsselreize spielt vielfach eine Rolle - etwa beim Balzverhalten von Vögeln, wo geradezu ein Dialog von Schlüsselreizen stattfindet, indem etwa beim männlichen Tier eine bestimmte Bewegung A beim Weibchen die Bewegung B auslöst - die wiederum Schlüsselreiz für die Bewegung C beim Männchen ist - worauf dann die Bewegung D beim Weibchen folgt. Weit wichtiger - für unsere konkrete Betrachtung - ist der Umstand, daß bei
lernbefähigten Tieren die Nervenstrukturen, die angeborenermaßen auf Schlüsselreize ansprechen, verfeinert und so in ihrer Wirksamkeit verbessert werden können. So schnappt die junge Kröte angeborenermaßen nach jedem kleinen sich an ihr vorbeibewegenden Körper. In der Regel sind das Insekten - und so leistet ihnen dieser Schlüsselreiz einen guten Dienst. Schnappt nun die junge Kröte nach einer Wespe, die sie sticht, dann unterläßt sie es weiterhin, nach kleinen, sich an ihr vorbeibewegenden Körpern zu schnappen, wenn diese Querstreifen haben. Das Ansprechen auf Schlüsselreize wurde so mehr differenziert und (Originalbuchseite 44)
dadurch verbessert. Sehr viele Lernvorgänge beruhen auf diesem Prinzip. Von einer "bedingten Reaktion" spricht man, wenn etwa das Tier Eindrücke, die dem Nahrungserwerb vorangehen, mit diesem assoziiert - so daß das neue Merkmal bereits das Beutefangverhalten auslöst. Auf diesen Vorgang der "Konditionierung", der sehr vielen Lernvorgängen zugrundeliegt - und beim Menschen zum Psychosplit führt -, kommen wir noch ausführlich zurück. Bei den Erbkoordinationen (den durch Schlüsselreize ausgelösten Instinktbewegungen) verhält es sich ähnlich. Auch sie können durch Lernen verändert, verbessert, also in ihrer Wirksamkeit gesteigert werden. So sind vielen Vögeln die Grundbewegungen des Fliegens angeboren, doch lernen sie dann in praktischer Erfahrung, günstige Windbewegungen auszunützen und auf verschiedenartigen Unterlagen oder Objekten sicher zu landen. Wenn der erwachsene Löwe oder der erwachsene Fuchs effizienter im Beuteerwerb sind als jüngere Artgenossen, dann liegt das an der Verwertung von Erfahrungen und ist bereits eine Vorstufe zu "einsichtigem Verhalten". Beim Menschen gelangte dieses zu besonderer Ausprägung und wurde zur Grundlage von Intelligenzakten, die Tieren nicht möglich sind. Der dritte große Komplex, aus denen sich angeborenes Verhalten zusammensetzt - die "Triebe" - lassen sich durch Lernen kaum verändern. Sie treten ganz von selbst und höchst unbelehrbar in Erscheinung und sichern bei den Tieren den normalen Ablauf ihres Lebens. Der Mensch kann sie wohl zügeln, zeitweise unterdrücken oder auch willentlich verstärken (man denke etwa an den sexuellen Bereich), doch völlig beseitigen lassen sie sich nicht. Wie erst Freud beim Menschen und später Lorenz bei Tieren feststellte, können Triebe, die sich (Originalbuchseite 45)
nicht ausleben können, auch "Leerlaufhandlungen" verursachen oder "in andere Bahnen überspringen". So beobachtete Lorenz bei einem im Zimmer gehaltenen Star, daß dieser, obwohl er gut gefüttert wurde, gleichsam "halluzinierte", indem er obwohl keinerlei Insekten im Zimmer waren - in die leere Luft hochfliegend Schnappund Fangbewegungen ausführte. Sein Hunger war zwar gestillt, doch die angeborenen Bewegungsimpulse zum Erjagen fliegender Insekten waren nicht abreagiert und
machten sich so in "Leerlaufbewegungen" Luft. Wenn andererseits zwei Hähne miteinander kämpfen und Aggression und Furcht einander die Waage halten, dann beginnen die Gegner zwischendurch auf dem Boden zu picken, als suchten sie nach Körnern, obwohl dies ganz und gar nicht in die Situation paßt. Man nennt dies "Übersprungsbewegungen". Auch so macht aufgestaute Erregung sich Luft. Beim Menschen kann man in Wartesälen ähnliches beobachten, wenn ihre Ungeduld dazu führt, daß sie sich am Kopf kratzen, Nasebohren, zur Abreaktion der Erregung rauchen oder etwas essen. Man spricht dann von "Übersprungskratzen", "Übersprungsnasebohren", "Übersprungsrauchen" und "Übersprungsessen"11. Freud vertrat die wohl zutreffende Ansicht, daß bei manchen Menschen, die ihren Geschlechtstrieb nicht ausleben können, die innere Erregung sich in künstlerischer Tätigkeit "sublimieren" kann. Auch in diesem Fall aktiviert dann ein Instinkt ein durchaus anders ausgerichtetes Verhalten. Gleichsam als Gegenspieler zum Nahrungstrieb sorgt schließlich ein weiterer Instinkt dafür, daß ein Tier nicht selbst zur Beute von anderen wird. Auch hier geht es wieder darum, Raubfeinde an bestimmten Schlüsselreizen zu erkennen und darauf dann entsprechend zu rea(Originalbuchseite 46)
gieren - durch Flucht, Verstecken oder wirksame Verteidigung. Auch hier warnt ein entsprechender Trieb das Tier von innen her, sich Gefahren auszusetzen: sich etwa an Plätze vorzuwagen, wo es möglichen Angriffen schutzlos ausgeliefert ist. Daß entgegengesetzte Antriebe - wie etwa Hunger und Furcht - einander gegenseitig beeinflussen, liegt auf der Hand. Ist ein Tier in arger Nahrungsnot, dann führt es auch riskante Such- und Erwerbshandlungen aus. Ist es in erhöhte Furchtstimmung versetzt worden, dann wagt es Beuteerwerbshandlungen nicht, die es sonst ausführen würde. Bei allen Instinkten stehen somit die Triebe im Zentrum der zum Teil außerordentlich komplexen Vorgänge. Sie geben den Aktionen und Reaktionen die Richtung an, motivieren die Tiere zu den für ihren Lebensablauf notwendigen Handlungen. Das Ansprechen auf Schlüsselreize kann durch Lernen verfeinert werden, sich aber auch auf völlig andere Reize verlagern. Ebenso veränderbar sind die Erbkoordinationen, die das lernbefähigte Tier durch Erfahrung verbessert und den jeweils gegebenen Umweltbedingungen anpaßt. Auf den Unterschied zwischen Spezialisten und Universalisten - also Tieren, die auf einen ganz bestimmten Nahrungserwerb ausgerichtet sind (wie etwa die Stechmücke) und solchen, die sehr verschiedenartiger Nahrung Energie entziehen (wie etwa Wildschweine und Affen), kommen wir noch ausführlicher zurück. Wesentlich ist in diesem Abschnitt der Hinweis, daß jedes Verhalten auf Steuerungsmechanismen im Gehirn beruht, die entweder wie alle übrigen Organe durch erbbedingte Differenzierung von Zellen entstehen - oder nachträglich durch Lernvorgänge im Gehirn aufgebaut werden. Sie sind außerordentlich klein, agieren
(Originalbuchseite 47)
irgendwo im ungeheueren Netz des Nervensystems und sind auch nicht so leicht abgrenzbar wie etwa ein Knochen, das Herz oder ein Auge. Trotzdem sind es, ebenso wie diese, funktionserbringende materielle Einheiten.12
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zu "4. Prämisse: Besonderheit des Menschen - Er schafft sich zusätzliche Organe." in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 49)
4. Prämisse:
Besonderheit des Menschen Er schafft sich zusätzliche Organe
In diesem Buch soll der Mensch keinesfalls herabgesetzt, noch irgend einer Würde, die ihm innewohnt, beraubt werden. Die großen Kunstwerke, die Menschen geschaffen haben, werden in ihrer Bedeutung voll anerkannt. Die technischen Fortschritte, die uns allen Tierkollegen so eminent überlegen machen, werden voll gewürdigt. Die ethischen Werte, zu denen Menschen gelangten, werden uns in späteren Kapiteln besonders beschäftigen. Ja, letzter Zweck dieser Ausführungen ist es, das, was Glaube, Moral und ethische Wunschvorstellungen seit eh und je anstreben, einer konkreten Verwirklichung näherzubringen - freilich, auf einem anderen als dem bisher beschrittenen Weg. Die Situation des Urmenschen können wir aus fossilen Funden und durch Beobachtung von heute noch in sehr ursprünglichen Verhältnissen lebenden Splittergruppen von Naturvölkern recht genau rekonstruieren. Worin liegt die Besonderheit, die unsere Urvorfahren vor 4 bis 2 Millionen Jahren ihre Tierverwandtschaft - aus dem Kreis der Affen - überflügeln ließ? Ohne Zweifel waren die sich besonders entwickelnden geistigen Kräfte hier maßgebend. Das Gehirn vergrößerte sich, und die immer größere Vielfalt von steuernden Ganglienzellen führte zur gesteigerten Fähigkeit, die Verknüpfung von (Originalbuchseite 50)
Ursachen und Wirkungen zu überschauen, auch wenn diese räumlich und zeitlich weit voneinander getrennt waren13. Schon bei höher entwickelten Tieren, die sich durch besondere Lernfähigkeit auszeichnen, ist deutlich nachweisbar, daß sie den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung verknüpfen können. Darauf beruht ja gerade die Leistungssteigerung, die über den Vorgang der "Konditionierung" zustandekommen kann. Ist etwa einem Tier angeboren, seine Beute an einem optischen Schlüsselreiz zu erkennen und lernt es dann als zusätzliches Merkmal, daß die Bewegungen des Beutetiers besondere Geräusche verursachen, oder daß solche Tiere bevorzugt bestimmte Plätze aufsuchen - etwa eine Wasserstelle, dann verknüpfen sich solche neue Erfahrungen mit dem Schlüsselreiz - und das Tier hat sozusagen neue Merkmale, durch die seine Beute sich verrät, entdeckt und nützt dies dazu aus, ihr noch effizienter nachzustellen. Wie weit solche neuen Verknüpfungen in das Bewußtsein des Tieres gelangen - oder
nur eben die ganz mechanische Reaktion entsprechend erweitern und so verbessern, läßt sich nicht nachprüfen, da wir mit Tieren nicht sprechen können. Immerhin gibt es deutliche Hinweise dafür, daß etwa hochentwickelte Säugetiere schon zu Schlußfolgerungen fähig sind, die den bewußten Denkvorgängen des Menschen bereits recht nahe kommen. Errichtet man ein längeres Gitter, auf dessen eine Seite man Körner legt, während man auf die andere Seite ein Huhn setzt, dann versucht das Huhn durch die Maschen des Zaunes hindurch an diese Körner zu gelangen und wird, wenn diese zu weit entfernt sind, seine Versuche trotzdem in immer gleicher - und nicht zum Ziel führenden Weise - fortsetzen. Macht man das gleiche Experi(Originalbuchseite 51)
ment mit einem Hund, dessen geistige Fähigkeiten erheblich größer sind, dann wird er - wenn der Fleischbrocken nicht allzu dicht hinter dem Drahtzaun liegt, und der Schlüsselreiz des Geruches somit nicht allzu übermächtig auf ihn wirkt - nach einigen vergeblichen Versuchen diese nicht mehr fortsetzen, sondern am Zaun auf und ablaufen, bis er schließlich ein Loch oder das Ende findet und so auf einem Umweg zur Beute gelangt. In diesem Fall hat der Beobachter - wie bei manchen anderen Intelligenzleistungen der höheren Tiere, die nachweislich nicht angeboren sind, - das Gefühl, daß wir uns hier bereits den menschlichen "Schlußfolgerungen" ganz gehörig nähern. Wo der entscheidende Fortschritt gegenüber dem tierischen Gehirn liegt, wurde besonders elegant durch Experimente von Wolfgang Köhler aufgezeigt, die dieser bereits 1921 mit Schimpansen ausführte und hier, obwohl sicher vielen bekannt, wegen ihrer Bedeutung noch etwas näher analysiert werden sollen. Schimpansen gehören zu den geistig höchst entwickelten Wirbeltieren. Köhler stellte seine Versuchstiere vor die Aufgabe, eine an der Decke des Käfigs für den Affen unerreichbar montierte Banane mit Hilfe eines Stockes, der aus zusammenfügbaren Teilen bestand, und mehrerer Kisten, die aufeinandergetürmt werden konnten, herunterzuangeln. Die Stockteile legte Köhler getrennt in den Käfig, ebenso postierte er die Kisten an verschiedenen Stellen. Wie sich zeigte, gelang es nur einigen Tieren, das Problem zu lösen. Köhler konnte beobachten, wie der betreffende Affe, sich um die Lösung bemühte, mit den Stöcken und Kisten hantierte - ja, wütend wurde, es aufgab - dann wieder herumspielte, bis ihm schließlich die Lösung gelang. Der andere Versuch, auf den es hier besonders an(Originalbuchseite 52)
kommt, bestand darin, einen Schimpansen vor die gleiche Aufgabe zu stellen jedoch mit dem Unterschied, daß diesmal der Käfig durch Gänge mit anderen verbunden war, und die zur Problemlösung notwendigen Einheiten in diese verstreut wurden. Bei solcher Versuchsanordnung konnte keines der Tiere die Aufgabe lösen. Warum - ? Eben offensichtlich deshalb, weil das tierische Gehirn nur dann in der Lage ist, Ursachen und Wirkungen zu überschauen, wenn diese mehr oder minder
gleichzeitig in seinem Gesichtsfeld sind. Dies aber zeigt deutlich, worin der besondere Fortschritt beim menschlichen Gehirn liegt. Bei uns entwickelte sich eine besondere Nervenstruktur, die man noch am besten mit einem inneren Projektionsschirm vergleichen kann. Wir nennen sie unser "Vorstellungsvermögen", unsere "Phantasie". Ganz ebenso wie man auf einem Projektionsschirm die verschiedensten Filme ablaufen lassen kann - so können wir durch diese, irgendwo in unserer Gehirnrinde entstandene Einheit, praktisch jede Erinnerung, die wir gespeichert, jede Erfahrung, die wir gemacht haben, mit jeder anderen vergleichen: also in Beziehung setzen. Wir können auf diese Weise "Pläne schmieden" - also probeweise Steuerungsvorgänge für mögliche Aktionen oder Reaktionen entwerfen. Und ohne auch nur einen Schritt zu tun oder die Hand zu rühren, können wir vermittels dieses Projektionsschirmes "Phantasie" auch gleich erkunden, was solche Handlungen allenfalls für Folgen haben, welche Schwierigkeiten da auftreten würden, wie diese etwa vermieden werden könnten ... kurzum: ob dieser Plan überhaupt die Ausführung lohnt oder besser unterbleiben sollte. Um es ganz präzise auszudrücken: Wir können theoretisch erkunden, wie dieses oder jenes uns beschäftigende Problem zu lösen wäre. Ein ungeheuerer Vorteil! Je reicher (Originalbuchseite 53)
man an Erfahrungen ist, umso besser kann man sich so nicht zielführende Handlungsweisen ersparen - eine ganz erhebliche Energieeinsparung -, und umso größer wird die Wahrscheinlichkeit, daß man entscheidende Fehler bereits im voraus aufdeckt und sie somit vermeidet14. Bei unseren Urvorfahren war diese besondere Fähigkeit sicher noch längst nicht so ausgebildet, wie sie es heute bei uns ist. Doch da jeder Fortschritt in dieser Richtung, der über Änderungen im Informationsspeicher unseres Erbgutes zustandekam, einen deutlichen Vorteil beim Beuteerwerbsverhalten und auch bei der eigenen Absicherung gegen Raubfeinde darstellte - einen "Selektionsvorteil", wie der Biologe sagt -, entwickelte sich dieser innere Projektionsschirm immer weiter und verbesserte die "Intelligenz". Zunächst war es vielleicht nur möglich, gewonnene Umwelteindrücke in diesem Spiel der ersten Gedanken miteinander in Verbindung zu setzen und daraus, im bescheidenen Maß Schlußfolgerungen für angestrebtes Verhalten zu ziehen. In einer völlig kontinuierlichen Entwicklung mußte es dann jedoch dazu kommen, daß auch der eigene Körper, die eigenen Handlungen mit in diese Kombinationstätigkeit aufgenommen wurden. Dieses "Ich" war ja der entscheidende Faktor, der dies oder jenes erreichen sollte und im Kombinationsspiel der Phantasie höchst selbstverständlich im Zentrum stand. Der Mensch machte sich dann in seinen Gedanken selbst zum "Objekt", sah sich in seinen Vorstellungen ebenso wie etwa Tiere, Bäume, Felsen, Flüsse - oder andere Menschen. Ich sehe deshalb in der Entstehung des Ich-Bewußtseins keinen so außerordentlichen Sprung, keine so grundsätzliche Besonderheit, wie ihr bisher von vielen, ja wohl den meisten zuerkannt wurde. Auch in der Entwicklung
(Originalbuchseite 54)
jedes Kindes kann man beobachten, wie es zunächst auf die Bewertung der Umwelt konzentriert ist, dann sich selbst als Objekt zu sehen beginnt - wird es etwa "Karli" genannt, sich dann eben auch - "Karli" nennt - und wie dann schließlich aus dem Objekt "Karli" das "Ich" wird. Wozu benützte der Mensch nun diese besondere Fähigkeit? Was tat er damit? Wenn man hier nochmals an die ersten drei Prämissen dieser Schrift denkt - erstens: an die Bedeutung des Energieerwerbs für alle Lebewesen, zweitens: an den Umstand, daß alle Tiere über Raub an Energie gelangen, und drittens: daß dafür besondere Bewegungssteuerungen notwendig sind, - dann ist aus Sicht des gesamten Evolutionsvorganges die Antwort ebenso einfach wie klar. Schon den höheren Lerntieren gelang es, das angeborene Beuteerwerbsverhalten durch Bildung von verbesserten oder neuen Steuerungsstrukturen effizienter zu gestalten. Das steigerte bereits erheblich ihre Fähigkeit, sich gegenüber der "Natürlichen Auslese" durchzusetzen. Durch solche zusätzliche Steuerungen wurden sie Konkurrenten, die mit nichts Ähnlichem aufwarten konnten, eindeutig überlegen. Nun kam noch der innere Projektionsschirm "Phantasie" dazu, der einen weiteren außerordentlichen Fortschritt bedeutete. Nicht nur verhinderte er manche nicht zielführende Aktion schon im Keim, vermied so manches sonst auftretende Risiko - sondern er eröffnete dem Menschen auch die Möglichkeit, nicht nur das Verhalten des Körpers zu verbessern - sondern auch diesen selbst. Und zwar durch die Bildung von zusätzlichen, künstlich geschaffenen Organen (Abb. 5). Nach unserem subjektiven Empfinden betrachten wir solche vom Menschen künstlich geschaffene Einheiten - etwa Waffen, Werkzeuge, Kleider und Schutzbauten - als (Originalbuchseite 55)
Abb. 5: Steigerung der Leistungskraft des menschlichen Körpers. Als erstes Lebewesen vermochte der
Mensch in zielhafter Gestaltung zusätzliche Organe zu bilden, die ihm zu Spezialfähigkeiten verhelfen. I zeigt einen berufstätigen Menschen (M) mit allen für seine Berufsausübung notwendigen zusätzlichen Einheiten, also mit seiner Berufsstruktur (B). Ob er selbst oder über Tauschakte Nahrung erwirbt: sein Energiesaldo muß positiv sein. Die eingesetzte Energie (E1) muß ein Mehr an Energieeinnahme (E2) einbringen. II: Ein Mensch kann auch Zentrum zweier (oder mehrerer) Berufsstrukturen sein. III: Übersteigen die Überschüsse die zur Lebenshaltung notwendige Energie, dann können auch Luxusstrukturen gebildet werden (L), die Energieausgaben verursachen. Manche zusätzliche Organe können in mehr als einer Berufstätigkeit (x) oder auch für Luxuszwecke (y) verwendet werden - etwa ein Auto. Näheres im Text. Nach H. Hass 1978.
etwas nicht zu unserem Körper Gehörendes, obwohl sie ohne Zweifel seine Leistungskraft und Überlebensfähigkeit steigern. Aber unterliegen wir hier nicht einer Fehleinschätzung? Ohne Zweifel bedeutet es einen wesentlichen Unterschied, daß diese zusätzlichen Einheiten nicht so wie die körperlichen Organe aus Zellen oder deren Bildungen bestehen. Das ist insofern ein Nachteil, weil die Zellen unsere körperlichen Organe Haut, Haare, Blutgefäße, (Originalbuchseite 56)
Knochen etc. - nicht nur aufbauen, sondern sie darüber hinaus auch noch laufend pflegen, kontrollieren, ja teilweise sogar erneuern. An einem fertiggestellten Speer finden keine solchen Vorgänge statt. Ebensowenig an einer Hütte oder an dem aus Tierhäuten gefertigten Tragbeutel. - Andererseits jedoch haben solche zusätzlichen Organe den eminenten Vorteil, daß sie nicht laufend mit Energie versorgt werden müssen, wie jene die aus Zellen bestehen, und somit längst keine so großen laufenden Kosten verursachen. Repariert können auch sie werden - ja, hier wird es sogar möglich, sie ohne grundsätzliche Schwierigkeit total zu ersetzen, was bei den Fingern, der Leber und den Augen durchaus nicht möglich ist. Die Zelle ist zwar ein ungeheuer vielseitiges, ja selbst-erneuerungsfähiges Baumaterial - aber auch ein sehr anspruchsvolles, dessen Fähigkeiten begrenzt sind. Viele können sich zwar von einer Funktion auf völlig andere umdifferenzieren - doch ist ihnen zum Beispiel die Bildung von Organen aus Metall, die dann in der menschlichen Entwicklung eine so entscheidende Rolle spielte, nicht möglich, weil sie die zu dessen Umformung notwendigen Temperaturen nicht ertragen. Ein weiterer Unterschied besteht darin, daß unsere Nerven nicht in diese neuen, zusätzlich geschaffenen Einheiten reichen. Unser Gehirn erhält somit auf diesem Wege keine Meldungen darüber, was sie gerade leisten, auf welche Hindernisse sie stoßen, in welche Gefahren sie geraten. Verbrennt in unserer Abwesenheit unser Haus, unser Grabstock, das uns in der Nacht erwärmende Fell, dann gelangt kein warnendes Kommando zu uns, dann verlieren wir diese zusätzlichen Organe. Andererseits jedoch können unsere Sinnesorgane dies weitgehend ausgleichen. Benützen wir etwa den Grabstock, um an genießbare Wurzelknollen zu gelangen,
(Originalbuchseite 57)
dann fühlen wir über unsere Hand genau, wenn wir auf einen Stein stoßen. Und werfen wir einen Speer, dann zeigen unsere Augen uns sehr gut, ob dieser die Beute getroffen hat oder nicht. Sehen wir einem Schneider oder einem Friseur bei seiner Tätigkeit zu, dann sehen wir, wie Hand und Nadel beziehungsweise Hand und Schere zu einer perfekt integrierten Einheit werden. Unser Nervensystem reicht zwar nicht in diese Einheiten, steuert sie aber trotzdem auf das perfekteste. Bei jedem Handwerker und in jeder Fabrik läßt sich das auf das deutlichste beobachten. Ein weiterer Nachteil von Organen, die nicht fest mit dem Körper verwachsen sind, besteht darin, daß sie leicht verloren gehen und vor allem auch leichter entwendet werden können. Gerade dieser zweite Punkt ist höchst bedeutsam. Denn diese Einheiten können ja andere Menschen, wenn diese sie rauben und in der Handhabung beherrschen, ganz ebenso für ihre Zwecke einsetzen, wie der ursprüngliche Besitzer. Beißt etwa eine Eidechse einer Libelle ihre Flügel ab, dann kann sie mit diesen Flügeln nicht fliegen. Jedes Tier kann erbeutete Substanz nur abbauen und daraus dann eigene Struktur aufbauen, doch gehen bei dieser Prozedur im Durchschnitt 90 % der Stoffe und nicht weniger an Energie verloren. Die zusätzlichen Organe können dagegen ohne jede Veränderung auch anderen dienen, also wird ihr Schutz zu einem besonderen Problem. - Andererseits jedoch haben sie den besonderen Vorteil, ablegbar zu sein und so den Körper nicht zu belasten, wenn er sie nicht benötigt. Tiere müssen alle ihre Organe ständig mit sich herumtragen. Der Mensch ist ebenfalls an seine natürlichen Organe gebunden, doch kann er Werkzeuge, Kleider oder Waffen für die Zeit des Gebrauches einsetzen und dann wieder weglegen. (Originalbuchseite 58)
Ein weiterer Vorteil: Es wurden so zusätzliche Organe möglich, die ein Tier nie hätte hervorbringen können. Eine am Arm festgewachsene Nagelschere oder Flinte hätte sich nie bilden können - nicht zuletzt auch deshalb, weil sie bei sonstigen Funktionen mehr gestört als insgesamt Vorteile eingebracht hätten. Auch eine Kutsche oder ein Bierfaß hätten nie als Teil des Körpers aus Zellen gebildet und sich gegenüber der "Natürlichen Auslese", die rücksichtslos alles nicht die eigene Fitness steigernde ausmerzt und an der Weiterentwicklung hindert, durchsetzen können. Sodann sind ablegbare Organe austauschbar. Ergreift unsere Hand ein Messer, dann sind wir auf Schneiden spezialisiert. Ergreift sie einen Hammer, dann sind wir auf Einschlagen von Nägeln spezialisiert. Betätigen die Hände eine Geige, dann sind wir auf künstlerische Lauterzeugung spezialisiert. Sieht man die Zusammenhänge so, dann erscheinen uns unsere Vorfahren, die Affen, in einem etwas freundlicheren Licht. Denn in allmählicher Anpassung an ihre Klettertätigkeit in Bäumen entstand dieses so vielfältig verwendbare Greiforgan mit opponierend wirkendem Daumen. Unser hochentwickeltes Gehirn würde uns nur wenig nützen, hätten wir diese Hände nicht weil uns dann die Voraussetzung dafür fehlen würde, was unser Geist ersinnt, in die Tat umsetzen zu können. Delphine haben ebenfalls ein sehr hoch entwickeltes
Gehirn, trotzdem könnten sie sich mit ihren starren Flossen nie einen Bleistift herstellen oder ihn benützen. Diese Argumente mögen kurios anmuten, deuten aber auf das Wesentliche hin und dürften schwer zu widerlegen sein15. Ihrem Nahrungserwerb nach gehörten unsere Urvorfahren in die große Zahl der Universalisten, die sich von sehr verschiedenartiger Beute ernähren. Ein Beispiel für (Originalbuchseite 59)
das Gegenteil - den Spezialisten, ist die Stechmücke. Sie ist mit ihrem hochentwickelten Saugbohrer und den nicht minder präzisen Bewegungssteuerungen auf eine ganz bestimmte Erwerbsform ausgerichtet. In diesem Geschäft ist sie perfekt, und kaum ein Konkurrent kann sie gefährden. Nachteil dagegen ist - und dies gilt für jeden Spezialisten: Versiegt ihre Erwerbsquelle, etwa durch Aussterben aller für Blutsaugen geeigneten Tiere, dann ist trotz Monopolstellung ihre Lebensbasis zunichte. Sie geht dann ebenfalls zugrunde. Universalisten haben wesentlich weniger präzise Steuerungen und Erwerbsinstrumente ausgebildet, und haben somit in jeder ihrer Erwerbsformen entsprechend viele Konkurrenten. Dafür sind sie Veränderungen gegenüber weit anpassungsfähiger. Versiegt eine ihrer Nahrungsquellen, dann können sie auf andere ausweichen. In Gestalt des Menschen entstand in der Evolution der erste Spezialist in vielseitiger Spezialisation! Nach wie vor blieb er Universalist, vermag jedoch - durch zusätzliche Organe - sich in jeder seiner Erwerbsformen extrem zu spezialisieren. Und keine Spezialisierung stört die anderen - eben weil die zusätzlichen Organe nicht mit dem Körper fest verbunden, sondern ablegbar sind.16 Weitere Vorteile: Zusätzliche Organe müssen vom Individuum nicht unbedingt selbst angefertigt werden. Mehrere Menschen können ihre Kräfte zur Bildung eines solchen Organes vereinen - und können es dann abwechselnd oder anteilig benützen. So wurden auch große Gemeinschaftsorgane möglich, die vielen zugute kommen - etwa Straßen und Brücken, oder die Eisenbahn, für die dann jeder bei Gebrauch einen Beitrag entrichtet; die Postorganisation, die Kanalisation, Festsäle und Oper - als Gemeinschaftsorgane für Luxus und Kunstgenuß; Schulen, Bibliotheken und vieles andere. Auch das Pro(Originalbuchseite 60)
blem des Schutzes der zusätzlichen Organe durch Diebstahl oder Raub konnte so und nur so - wirkungsvoll gelöst werden. Einige in der Gemeinschaft spezialisierten sich auf diese Aufgabe - die anderen konnten dann in Ruhe ihren diversen Betätigungen nachgehen. In zentraler und ursprünglicher Funktion ist die staatliche Organisation ein riesengroßes Gemeinschaftsorgan, das der Bürger über Steuern bezahlt und das durch Einrichtungen der Landesverteidigung den Besitz des einzelnen gegen räuberische Nachbarn abschirmt, und innerhalb des Staatsgebietes über Gesetze, Polizei und Gerichte ebensolchen Schutz gegenüber räuberischen Mitbürgern ausübt. In der Praxis übernahm diese Organisation - nicht immer zum
Vorteil der Bürger - viele weitere Funktionen. Aber jene, die sie unentbehrlich macht und deshalb konstituiert, ist der Schutz aller zusätzlichen Organe, welche die Macht des menschlichen Zellkörpers so immens steigern, jedoch - wie Siegfried durch das Lindenblatt auf dem Rücken - die Schwachstelle leichterer Entwendbarkeit haben. Während die natürlichen Organe über den Vorgang der Genveränderung nur überaus langsam zustandekommen (der Entwicklungsweg zu unserem heutigen Auge dauerte über 700 Millionen Jahre!), können zusätzliche Organe in unvergleichlich kürzerer Zeit entstehen (dies zeigt etwa das Auto, das Fernsehgerät und der Computer). Außerdem können sich innerhalb der Gemeinschaft einzelne auf ihre Herstellung spezialisieren und sie dann weit besser und auch entsprechend billiger herstellen was zur Grundlage von Gewerbe und Industrie wurde. Auch die menschliche Kultur und aller Luxus, der sich entwickelte, beruht weitgehend auf zusätzlichen Organen beziehungsweise zur Gänze, wenn man auch die für diesen Zweck geschaffenen Verhaltenssteuerungen, (Originalbuchseite 61)
die ja auch zusätzlich geschaffene Organe sind, den ablegbaren hinzuzählt. Ob Lebenskultur, Kunst, Sport, Einrichtungen des Tourismus, der Informationsübermittlung, Prachtbauten oder die Interessen einzelner fördernde Spezialgeräte... nichts von alldem hätte über Zelldifferenzierung je zustande kommen können! Und schließlich haben die zusätzlichen Organe des Menschen auch den wesentlichen Vorteil, nicht mit dem Tod ihres Besitzers zugrundezugehen, wie das bei Tieren und Pflanzen, wenn diese sterben, der Fall ist. Zusätzliche Organe können auch von Erben oder Anderen ohne sonderliche Wertminderung verwendet werden, können also weiteren "Leistungskörpern", welche die Lebensentfaltung fortsetzen, dienen. Gerade darauf beruht der Reichtum arbeitsamer Völker. Die Zellkörper kommen und vergehen, doch das zur Verfügung stehende Potential an Privat- und Gemeinschaftsgütern wächst an. So betrachtet, wird in diesem neuen Evolutionsabschnitt der Mensch zur aufbauenden und steuernden Keimzelle größerer, ja manchmal bereits die ganze Welt umspannender Lebensstrukturen, diesich über seinen Tod hinweg fortsetzen17. Neben der besonders entwickelten Intelligenz und der schon vorhandenen Greifhand war die Fähigkeit zur sprachlichen Verständigung der dritte Pfeiler des menschlichen Fortschrittes. Durch diese weitere Gehirnfunktion, die sich parallel und in enger Verbindung zur Entwicklung des Denkens und von Schlußfolgerungen entwickelte, wurde es möglich, daß jede Generation auf dem Wissensschatz der vorhergehenden aufbauen konnte. Es kam so - und dann noch weiter verbessert durch die Schrift - zur Weitergabe erworbener Fähigkeiten18. Jedes Menschenkind, das zur Welt kommt, erhält so von einer anonymen Vielheit längst verstorbe(Originalbuchseite 62)
ner Vorfahren ein geradezu ungeheueres Geschenk: das Ergebnis ihrer Erfahrungen
und Bemühungen, die Quintessenz ihrer Ideen und Fortschritte. Würden Beobachter aus dem Weltenraum die Vorgänge auf unserem Planeten beobachten und sich dafür interessieren, was sich hier im Rahmen der Lebensentwicklung zutrug, dann würden sie feststellen, daß es - als erster Schritt vor etwa 3200 Millionen Jahren zur Entwicklung winziger Einzeller kam, deren noch winzigere Organe ("Organellen") schon mannigfache Fähigkeiten hatten, so daß diese Pioniere sich in verschiedenster Anpassung in den Wasserräumen ausbreiteten. Vor etwa 1800 Millionen Jahren kam es dann - als zweiter Schritt - dahin, daß manche von ihnen Kolonien bildeten und die meisten Lebensfunktionen auf vielzellige Organe übergingen, wodurch ihre Wirksamkeit sich bedeutend steigerte. Einigen gelang es sogar auf das trockene Land vorzudringen, und in der Folge breitete sich der Lebensprozeß auch über die Kontinente aus. Die dritte Entwicklungswelle setzte erst vor nur 2 Millionen Jahren ein und war dadurch gekennzeichnet, daß eine Art an Land lebender Vielzeller zusätzliche, nicht mit dem übrigen Körper verwachsene Organe bildete, wodurch es diesen möglich wurde, sich auf geradezu beliebig viele Einzelleistungen zu spezialisieren. In buntem Wechsel setzten sie einmal dieses, dann wieder jenes der zusätzlichen Organe ein - und gelangten so zu Energieüberschüssen, mit deren Hilfe sie die verschiedensten Erwerbs- und Luxusbildungen realisierten. Ihre Verflechtungen untereinander sind kaum noch zu überschauen und verändern sich ständig. Der einzelne sucht in diesem wogenden Strom nach einer Richtung, wobei sich zur Zeit praktisch jeder gegen jeden wendet. Eine einheitliche Richtung ist noch nicht zu sehen.
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zu "5. Prämisse: Der Intellekt des Menschen fördert zunächst seine Instinkte." in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 63)
5. Prämisse:
Der Intellekt des Menschen fördert zunächst seine Instinkte
Es ist wichtig, sich klarzumachen, daß in den ersten beiden Jahrmillionen, nachdem die menschliche Intelligenz und Sprache sich allmählich auszuwirken begannen, die angeborenen Instinktsteuerungen und die neuen, über Intelligenz erworbenen, die zur Bildung von zusätzlichen Organen und deren sinnvollem Einsatz führten, kaum kollidierten. Sie arbeiteten gleichsam in engster Kooperation Hand in Hand. Die Triebe gaben weiterhin die Richtung an, der Intellekt schuf immer bessere neue Organe und Methoden, um diesen Ausrichtungen - Beuteerwerb, Feindschutz, Paarung, Brutpflege und Gemeinschaftsbildung - zu folgen. Dies ist insofern wichtig, als man ja bisher in der Erreichung des logischen Denkens und des Ich-Bewußtseins beim Menschen das ungeheuer Neue in der Lebensentwicklung sah - die entscheidende Zäsur, die uns von den übrigen Lebewesen abtrennt. Unsere Besonderheit sah man eher in ethischen, moralischen und ästhetischen Wertungen, die auch sehr wohl in Erscheinung traten, doch über lange Strecken hinweg - soweit uns die fossilen Funde Aufschluß geben - eben nur sehr spärlich, während die triebhaften Hauptausrichtungen das Entscheidende blieben. Wenn seit der ersten Prämisse immer wieder auf die (Originalbuchseite 64)
besondere Bedeutung des Energieerwerbes hingewiesen wird,
dann wird der Grund dafür jetzt vielleicht schon besser deutlich. Denn für welche Zwecke setzten unsere Vorfahren in der zwei Millionen Jahre langen Periode, da sie als Jäger und Sammler und anschließend als ursprüngliche Pflanzer und Viehzüchter lebten, ihre Fähigkeiten im Besonderen ein? Die Antwort ist wohl eindeutig: Sie bemühten sich in erster Linie um die Verbesserung des Beuteerwerbes. Einerseits, weil dies eben Voraussetzung für alle Lebensfunktionen war - zweitens aber auch im Bestreben, sich das Leben angenehmer zu machen und somit all das zu unterstützen, was ihnen Lustgefühle verschiedener Art bereitete. Hier muß nachgeholt werden, daß sämtliche Triebe - wie der Zoologe sagt - "nach dem Lust-Unlust-Prinzip gesteuert sind". Auch in dieser Hinsicht können wir über das Innenleben der Tiere nichts aussagen, da wir uns sprachlich nicht mit ihnen verständigen können, doch daß etwa "Hunger" sich bei Tieren mit negativen Innenerlebnissen verbindet, die sie beseitigen wollen, und daß Fressen als Triebziel ihnen positive Innenerlebnisse beschert - genauso wie uns -, ist doch überaus wahrscheinlich. Beim Geschlechtstrieb zeigt sich das nicht minder deutlich, ebenso beim Trieb nach Sicherheit, beim Brutpflegetrieb - dem instinktiven Drang, die Kinder zu schützen und aufzuziehen, und ebenso wohl auch beim "Imponierverhalten" - dem Drang innerhalb von Gemeinschaften Anerkennung zu gewinnen, beziehungsweise Führungspositionen einzunehmen. Ja, im Grunde ist es technisch gar nicht denkbar, eine Motivation zu erzeugen, die sich nicht auf Belohnung und Strafe stützt - auf Gefühle unangenehmer Erregung, wenn das Triebziel nicht erreicht werden kann, und auf angenehme Gefühle, wenn dies erreicht wird. (Originalbuchseite 65)
Bei den Tieren ist dies ein Bestandteil der Instinkte, ebenso wie die angeborenen Steuerungen des Erkennens und der Bewegung. Beim Menschen, der durch seine zusätzlichen Organe den Tieren allmählich so überlegen wurde, daß er Zeit zur Muße und
kultureller Verfeinerung gewann, liegt es nahe, daß er die Bildung dieser künstlich geschaffenen Organe nicht nur so ausrichtete, daß sie möglichst effektiv waren - sondern auch so, daß sie ihm auf Grund seiner angeborenen Triebe und allmählich auch auf Grund der entstehenden Gewohnheiten und Traditionen, positive Innenerlebnisse bescherten. Der ästhetische Sinn, der zum Teil wohl aus der Bewertung des wohlgestalteten Körpers hervorwuchs und sich von den natürlichen allmählich auch auf zusätzliche Organe verlagerte, nahm Einfluß auf die Gestaltung von Kleidern, Schmuck, aber auch von Geräten und Bauten19. Die Genüsse, die das Essen und Trinken bieten kann, wurden durch entsprechende Zubereitung, Würzen und Eßkultur intensiviert. Die Freude an Geselligkeit, Gedankenaustausch, Plaudern, Flirt und an Festen begann den Ablauf des Lebens zu bestimmen. Auch die Frage nach der Bedeutung des Seins tauchte auf und das Bedürfnis nach Leitlinien für die Ordnung der Gemeinschaft. Das mag zu manchen der so zahlreichen religiösen Konzepten geführt haben, die den Zusammenhalt der Verbände förderten, auch die Bildung von Sitten und Brauchtum begünstigten - und, wenn sie erst einmal entstanden und etabliert waren, schwer gegenbeweisbar wurden. Kurz gesagt: die Grundelemente menschlicher "Kultur" nahmen bereits in dieser Periode - wie genügend Funde bestätigen ihren Anfang. Wesentlich jedoch ist, daß der technischwirtschaftliche Fortschritt für alle diese Phänomene Grundvoraussetzung war und notwendigerweise im Vordergrund blieb, - und der (Originalbuchseite 66)
besondere Umstand der vollen Harmonie zwischen angeborenem und erworbenem Verhalten, soweit es den Beuteerwerb - oder genauer: den Energieerwerb - betraf. Die Jagd- und Sammelmethoden wurden immer raffinierter. Ein ganz entscheidender Fortschritt war die Nutzbarmachung des Feuers zum Kochen und Braten der Nahrung. Und zwar nicht nur
deshalb, weil sie dann besser mundet. Der primäre und wesentliche Vorteil des Kochens und Bratens besteht darin, daß durch die Hitze die Zellwände sowohl der tierischen als auch der pflanzlichen Nahrungsmittel ihrer Widerstandskraft beraubt und die Verdauung so begünstigt wird. Der Abbau der Moleküle, deren Bindungsenergie gewonnen werden soll, wie auch der Zugang zu brauchbaren Stoffen, aus welchen sie bestehen, wird so verbessert. Die Ausbeute, welche die gewonnene Nahrung liefert, wird wesentlich größer. Auf die angestrebte Muße und die Möglichkeit, sie in mannigfacher Weise angenehm und lustspendend zu gestalten, war dies ebenfalls von Einfluß. Um zu beurteilen, inwiefern in dieser langen Periode von gut zwei Millionen Jahren die angeborenen Instinkte mit den über Intelligenz erworbenen Steuerungen kollidierten oder harmonierten, ist es notwendig, etwas genauer zu analysieren, welcher Art diese angeborenen Steuerungen überhaupt waren? Was zunächst das eigentliche Zentrum aller Instinkte betrifft - die Triebe - so sind sie, wie wohl jedem bekannt, beim Menschen nicht weniger stark ausgebildet als beim Tier. Nach Lorenz sind der Nahrungstrieb und der Geschlechtstrieb auf Grund der "menschlichen Selbstdomestikation" (womit gemeint ist, daß sich der Mensch ebenso wie seine Haustiere gegen die natürliche Auslese abschirmt) - sogar stärker als bei ihnen ausgeprägt, sie "hypertrophieren"20. Während Tiere ganz (Originalbuchseite 67)
bestimmte Perioden haben, in denen sie das Fortpflanzungsgeschäft erledigen, ist der Mensch in dieser Hinsicht das ganze Jahr hindurch aktiv und an den damit zusammenhängenden Vorgängen interessiert. Und was Essen und Trinken betrifft, so wurde es für die meisten, die es sich leisten können, eher zum Problem, nicht zu viel zu essen, als an Nahrung zu gelangen. Der Brutpflegetrieb äußert sich beim Menschen in
der Zuneigung zu den Kindern und der Bemühung sie zu erziehen. Der Trieb nach Sicherheit dürfte ebenfalls "hypertrophieren" wohl beeinflußt durch unsere Fähigkeit der Voraussicht. Unter den sozialen Trieben, die bei allen rudelbildenden Tieren eine Rolle spielen, ist beim Menschen, neben der Freude an Geselligkeit und Tendenzen der Hilfsbereitschaft das Imponierverhalten deutlich ausgeprägt: die Bedeutung der Stellung, die er in der Gemeinschaft genießt, der Führungsposition, zu der er allenfalls gelangt. Angeborene Bewegungssteuerungen sind beim Menschen weitgehend zurückgebildet - noch mehr, als bei den übrigen "höheren Lerntieren". Die Periode, da das noch nicht selbsterhaltungsfähige Kind, vom Spiel- und Neugiertrieb dazu gedrängt, in eigener Initiative und von den Eltern unterstützt, die für das weitere Leben wichtigen Steuerungsmechanismen aufbaut, ist bei uns länger als bei jedem Säugetier - was entsprechend längeren elterlichen Schutz, also längere "Brutpflege" notwendig macht. Der Säugling zeigt noch angeborene Erbkoordinationen etwa das instinktive Suchen nach der Mutterbrust, das Saugen an dieser, das er ebenfalls nicht zu lernen braucht, das Festklammern an der Mutter. Dazu kommen noch die uns angeborenen Grundbewegungen der menschlichen Mimik, Gähnen, Husten, Nießen und manches andere. Für die Fragestellung dieser Untersu(Originalbuchseite 68)
chung - wie der Mensch im Berufsleben effizienter werden kann ist von weit größerer Bedeutung, in welchem Umfang wir auf angeborene Schlüsselreize ansprechen, die unsere Entscheidungen und Handlungen beeinflussen. Also: Ob und welche angeborenen Tendenzen auf unser Erwerbsverhalten Einfluß nehmen. Einige recht triviale Reize können schnell übergangen werden: Süß zeigt uns Zucker an, und Zucker ist ein besonders leicht erschließbarer Energiespeicher. Also sprechen wir auf süßen
Geschmack positiv an - während bitterer, der manchen giftigen Stoffen eigen ist, uns abstößt. Die grüne Farbe spricht uns positiv an, weil sie Pflanzenwuchs anzeigt und somit einen für uns geeigneten Lebensraum. Rot mag uns vor Feuer warnen - das könnte mit ein Grund dafür sein, daß man bei Verkehrsampeln grün als Zeichen für "Freie Fahrt" und rot als Zeichen für "Halt!" wählte. Und auch das Geräusch plätschernden Wassers ist uns sympathisch - ein Schlüsselreiz, auf den unser Durst anspricht. Worauf es jedoch bei meiner These weit mehr ankommt, sind eher allgemeine Tendenzen, die auch in der heute sehr veränderten Situation noch durch Schlüsselreize ausgelöst werden und unser Verhalten beeinflussen. Der Mensch gehört seiner Abstammung nach zu den Universalisten - von den Zoologen respektlos "Allesfresser" genannt. Während Spezialisten auf sehr präzise Schlüsselreize mit sehr präzisen Bewegungsfolgen reagieren, ist das beim Universalisten weit weniger der Fall. Also ist eher zu untersuchen, ob es nicht generelle, sämtlichen Tieren angeborene Tendenzen gibt, die sie bei ihrem Raubgeschäft lenken, und die somit auch beim Universalisten von Bedeutung sind21. Damit kommen wir zu einem wichtigen Punkt. Meines Erachtens gibt es solche generelle, erblich fixierte Tendenzen, die auch (Originalbuchseite 69)
beim Menschen voll wirksam sind - jedoch bis heute, weil sie eher selbstverständlich, ja trivial anmuten - kaum Gegenstand besonderen Interesses und entsprechender Forschung waren. Ich behaupte, es gibt deren mindestens fünf, die uns sehr wesentlich beeinflussen. Erstens, ist wohl fast jedem Tier (Ausnahmen gibt es bei der ungeheueren Vielzahl von Arten bei nahezu jeder Funktion) die Tendenz "Nur Dein Vorteil zählt!" beim Beuteerwerb eigen. Wie sollte es bei Räubern auch anders sein? Entstünde über
Abänderungen im Erbgut eine neue Art, der eine innere Weisung im Verlauf der Beuteerwerbshandlung nahelegt: "Sei nett zu dem Blatt! Nage ihm nur ein Stückchen ab!" oder "Hab Mitleid mit dieser Gazelle, besonders wenn sie heftig schreit!", dann kann sie sich wohl gegenüber Konkurrenten kaum durchsetzen. Wie auch immer sich die Raubhandlung vollzieht: Rücksicht - im menschlich moralischen Sinn - ist dabei bestimmt nicht am Platz. Energieerwerb durch Raub von Bestandteilen anderer Lebewesen ist weder eine einfache noch ungefährliche Sache. Der Räuber muß präzise vorgehen, wenn es sich um Beute handelt, die sich wehrt, um eigene Verletzung zu vermeiden. Dazu kommt das Risiko, während der Beuteerwerbshandlung - wenn also seine ganze Konzentration diesem lebenswichtigen Vorgang gilt - selbst einem anderen Räuber zum Opfer zu fallen. Jede Rücksichtnahme ist somit bei diesem Geschäft fehl am Platz! Zweitens, fliegt nur wenigen Tieren - wie etwa dem Korallenpolypen - die gebratene Taube ganz von selbst und sogar regelmäßig vor das Maul. Deshalb, so behaupte ich, ist es wohl für beinahe jeden Räuber entscheidend wichtig, den günstigen Augenblick voll zu nützen. Um Perioden des Nahrungsmangels erfolgreich zu überstehen, legen Tiere - besonders in Gestalt von Fett - Nah(Originalbuchseite 70)
rungsreserven an. Bei manchen Arten haben sich zur optimalen Nutzung überwältigter Beute besonders erweiterungsfähige Mägen ausgebildet oder Verhaltenssteuerungen, um Beute, die zu groß ist, um augenblicklich einverleibt zu werden, irgendwo zu verstecken und sicherzustellen. Versucht man die hier vorliegende angeborene Steuerung, die auf Gewinnmaximierung hinzielt und die man auch "Gier" nennen kann, in menschlicher Terminologie in einem Ratschlag zusammenzufassen, dann lautet dieser: "Nütze den Augenblick bestmöglich! Bringe so viel des gewonnenen Raubgutes an Dich - nicht zuletzt auch deshalb, damit nicht ein
Konkurrent es Dir entreißt!" Drittens, ist es für jeden Räuber ungemein wichtig, wo immer es möglich ist, Energie zu sparen. Hier heißt die Devise: "Je präziser Deine Handlungsweise ist, umso geringer sind die Fehlausgaben und das Risiko, daß Du dabei selbst zur Beute wirst! Je schneller Du die Sache abwickelst, umso besser - auch nicht zuletzt im Hinblick auf Konkurrenten. Je größer Deine Einnahme und je geringer Deine Ausgabe, umso größer ist Dein Gewinn - Deine Chance weiterzuleben! Spare also, wo immer Du kannst!" Wie solche Instinktkommandos kodiert sind, wurde wohl kaum noch untersucht, doch daß eine solche generelle Anweisung bei den meisten Tieren nachweisbar ist, dürfte schwer zu bestreiten sein. Vögel bemühen sich, genauer nach Körnern zu picken - also zu einer geringeren Fehlerquote zu gelangen. Wo immer eine Beutefanghandlung durch neue Erfahrung und Ergänzungen der Schlüsselreize bereichert wird, verbessert sich der die Raubhandlung steuernde Mechanismus. Wo Anstrengungen, die nichts bringen, vermieden werden können, sehen wir sowohl bei der Entwicklung von angeborenem wie auch von erworbenem Verhalten eine (Originalbuchseite 71)
ausgeprägte Tendenz zur Verbesserung des Energiesaldos. Viertens, lautet ein weiteres wichtiges, bei vielen Tieren nachweisbares Instinktkommando: "Achte darauf, was Konkurrenten tun!" Sie sind die schlimmsten Rivalen, weil sie es auf die gleiche Nahrung abgesehen haben - nähert sich einer, dann ist eine entsprechende Aktion, ihn aus dem eigenen Bereich zu verjagen, wichtig. Eilen sie aus verschiedener Richtung zur selben Stelle, dann ist das meist ein Hinweis dafür, daß dort Beute entdeckt wurde - stieben sie dagegen, so schnell sie können, von einem Punkt weg, dann heißt das: "Achtung, Gefahr!" Beide Vorgänge haben, wie der Verhaltensforscher sagt, "mitreißende
Wirkung". Haben Konkurrenten Beute gesichtet und setzen sie zum Angriff an, dann nehmen sie anderen die Arbeit ab, nach solcher zu suchen - und wer schnell ist, kann noch früher am Ziel sein. Diese Tendenz ist so deutlich ausgeprägt, daß manche Tiere etwa Vögel - eine angeborene Steuerung ausgebildet haben, Konkurrenten ihre Beute abzujagen. Und selbst wenn dies nicht zur Gänze gelingt, dann besteht immer noch die gute Chance, zumindest einen Happen zu bekommen. Die Anstrengung der Verfolgung und Überwältigung mag ruhig der andere übernehmen. Ist der Kampf vorbei, dann ist es eine prächtige Sache, uneingeladen aber mit Appetit an einem sich bietenden Mahle teilzunehmen. Fünftens: Ein besonders wichtiges, bei sehr vielen Tieren fast ständig nachweisbares inneres Kommando lautet: "Sei auf der Hut! Vertraue niemandem und nichts! Selbst wenn Du den Bissen erhascht hast und es darum geht, ihn schnell zu verschlingen, wirf zumindest einen kurzen Blick nach allen Seiten!" Auch dies für die meisten Tiere typische Verhalten hat in angeborenen (Originalbuchseite 72)
Bewegungssteuerungen seinen Niederschlag gefunden. Man nennt den Vorgang "Sichern". Frißt ein Tier - ob die Beute nun Gras ist oder ein anderes Tier - dann geht reflexhaft zwischendurch ein kurzer Blick nach beiden Seiten, wobei auch das jeweilige Rückwärts geprüft wird. Nur an wenigen Orten - etwa auf den entlegenen Galapagosinseln im Pazifik - fehlt diese Furchtreaktion und der Tourist kann mit seiner Kamera bis auf einen Meter an Vögel und sonstige Tiere heran. Der Grund dafür ist: Auf diesen Inseln gibt es keine größeren Raubtiere: deshalb wurde bei jenen, die sich dort ansiedelten, der angeborene Sicherheitstrieb im Lauf der Zeit reduziert. Auch das bedeutet eine Einsparung von Bewegung und Energieeinsatz. Wo eine angeborene Tendenz sich als überflüssig erweist, bedeutet sie einen überflüssigen Aufwand, eine einzusparende Ausgabe.
Solche von innen her kommenden Ratschläge, die bei fast allen Tierarten in der einen oder anderen Weise ihre Aktionen und Reaktionen beeinflussen, sind auch für den Allesfresser wichtig, der nur noch auf bestimmte Schlüsselreize reflexhaft anspricht. Daß sie auch beim Menschen fest und tief als "angeborene Tendenzen" verankert sind, kann wohl mit Sicherheit angenommen werden. Erstens, weil sie so allgemein verbreitet sind. Zweitens, weil sie für unsere Vorfahren durchaus relevant waren. Und drittens, weil es erdgeschichtlich gesehen ziemlich lang dauert, ehe eine so generelle Weisung zurückgebildet wird, und auch dies eben nur unter ganz bestimmten Umständen - wie etwa die als fünfte Tendenz genannte Angst vor Raubfeinden auf den Galapagosinseln. Die Regel für die hier weltweit verbreitete Reaktion zeigt uns jedes Reh, das schon in mehr als 100 Meter Entfernung erschrickt, wenn wir uns nähern wollen, zeigen unzählige Tierarten, die sich bei Annähe(Originalbuchseite 73)
rung auf die eine oder andere Weise verstecken oder unsichtbar zu machen versuchen, zeigen sogar die gefürchteten Haie, wenn man auf sie zuschwimmt, was bei ihnen Furcht oder Ausweichverhalten auslöst. Während der zwei Millionen Jahre, die unsere Vorfahren Jäger und Sammler und schließlich als beginnende Pflanzer und Viehzüchter lebten, vertrugen sich diese inneren, eher allgemeinen Ratschläge mit den neugeschaffenen Steuerungen zum Nahrungserwerb mit Hilfe von zusätzlichen Hilfsmitteln auf das Allerbeste. Ob es darum ging, nach Früchten und Beeren zu suchen, Insekten aus ihren Verstecken hervorzustochern, Kaninchen aus ihren Bauten zu jagen und zu töten oder in organisierter Treibjagd Großwild den Garaus zu machen: In jedem Fall war irgendeine Rücksichtnahme auf die einmal entdeckte und gestellte Beute völlig fehl am Platz. In jedem Fall war es zweckmäßig, so viel der erbeuteten organischen Substanz zu
verwerten und sicherzustellen als möglich - also selbst zu essen., oder den Rudelgenossen zu bringen, oder einzugraben (etwa Eier oder genießbare Wurzeln) oder zu trocknen oder zu räuchern (Fleischstücke, die man dann so hoch an einem Baum festmacht, daß Bodenraubtiere nicht an sie gelangen können). In jedem Fall war es zweckmäßig, das Raubhandwerk immer noch besser zu handhaben - jede List, jede Übertölpelung war hier ein Fortschritt und Vorteil. Getarnte Fallgruben, wie es sie heute noch in Afrika gibt, um größere Tiere zu erbeuten, zeigen das ebenso deutlich, wie die auch in unseren Gegenden ausgelegten Schlingen und Fallen. Vergiftete Pfeile werden heute noch von vielen Naturvölkern verwendet. Ein auf eine bestimmte Schwachstelle des Beutetieres ausgerichteter Biß ist verschiedenen Tierarten angeboren - in ganz analoger Weise entwickelten unsere jagenden Vorfahren (Originalbuchseite 74)
sehr genaue anatomische Kenntnisse, wie man am schnellsten und einfachsten, am listigsten und mühelosesten den Widerstand einer Beute vermindern oder völlig ausschalten kann. Der dann anschließende Ackerbau und die Viehzucht erscheinen uns aus subjektiv menschlicher Sicht als etwas höchst Edles, ja sogar Naturfreundliches - unzählige Gedichte, die den Landmann und seine Ernte, Mutter Erde und was sie spendet, das Haustier und wie nett es sich verhält, besingen, beweisen dies. Wer den Mut hat, dagegen der Wahrheit ins Auge zu sehen, kann wohl nicht umhin zu konstatieren, daß der Räuber, der schon als Jäger und Sammler zum Superräuber wurde, sich bei diesen beiden Praktiken noch um ein weiteres übertrumpfte. Ackerbau bedeutet, daß alle Pflanzen, die dem Menschen nicht als Nahrung dienen, rücksichtslos "gerodet" und jedes störende "Unkraut" nach Möglichkeit vertilgt wird. Zäune und Vogelscheuchen sorgen dafür, daß nicht etwa Konkurrenten von den Früchten dieses zweifellos mit Mühe verbundenen Vorganges etwas abbekommen.
So behandelt, kann ein kleines Areal ebensoviel oder mehr Nahrung bringen als früher weite Streifzüge durch die Gegend. Noch verbessert wird der Ertrag durch Düngung und durch Zucht von besonders ergiebigen und schmackhaften Arten. So entstehen Weinstöcke und Obstbäume, die weitaus größere und süßere Früchte bringen, als für die normale Fortpflanzung - der diese Früchte ja eigentlich dienen - erforderlich wäre. Hier wird keineswegs Anklage gegen den Menschen erhoben, sondern bloß ganz nüchtern festgestellt, wie ein Räuber sich seine Raubakte immer mehr erleichtert, seinen Ertrag immer mehr vergrößert, seinen Energieerwerb immer mehr perfektioniert. Noch schlimmer ist es - wenn man in ehrlicher Beur(Originalbuchseite 75)
teilung die Dinge betrachtet - bei der Viehzucht. Die besondere geistige Leistung besteht hier darin, erbeutete Tiere nicht - wie im normalen Verlauf der Dinge üblich - zu töten, sondern am Leben zu belassen, zu füttern und zu mästen, um sie zu gegebener Zeit, ohne sonderliche Mühe und Gegenwehr, zur Verfügung zu haben. Sicher entwickelt der Bauer ein ebenso freundlichkameradschaftliches Verhalten zu seinem Vieh, das er auch hegt und pflegt, wie zu seiner, sich nach seinem Willen entwickelnden Saat. Das hindert ihn dann jedoch in keiner Weise daran, eben dieses Korn zu mähen, diese gefütterten und gemästeten Ochsen dann zu töten und zu verspeisen. Da der Mensch lange Zeit der Ansicht war - ja es weitgehend noch heute ist -, daß er als besonders Auserkorener von höherer Macht auf diesen Planeten gebracht oder hier erschaffen wurde - und die übrige Natur als beliebige Nahrungsquelle und Tummelplatz für ihn -, ist es nur zu verständlich, daß solche Einstellungen sich herausbildeten, wie ja der Mensch überhaupt sich und was er tut, gerne in einem möglichst freundlichen und günstigen Licht sieht. Aus Sicht der Evolution ist hier ein Wesen am Werk, das mit Hilfe zusätzlicher Organe sich auf geradezu jede Spezialleistung auszurichten
vermag und alles, was bis dahin an Tieren entstand, die andere vernichteten oder unter ihren Willen zwangen, um ein Tausendfaches in den Schatten stellt. Wohlgemerkt: In der Evolution ging es nie zimperlich zu, und der Lebensprozeß, wenn man ihn personifizieren darf, nahm nie darauf Einfluß, was ihn fortsetzte und was nicht. Nur weil es so viele Dichter und Denker gab, die dieses aufs äußerste perfektionierte Raubverhalten geradezu als Paradebeispiel für Moral, Ethik und Ästhetik verherrlichten, habe ich hier die andere Seite der Medaille beschrieben. In kürzeren Worten und weniger (Originalbuchseite 76)
emotionell gefaßt, läßt sich all dies in dem Satz zusammenfassen: Unter allen tierischen Organismen wurde der Mensch zum effizientesten und perfektesten Räuber. Sein Intellekt unterstützte das vom Instinkt getriebene Raubverhalten gegenüber Tieren und Pflanzen auf das trefflichste. Und nicht zu vergessen ist, daß eben dieses Verhalten sich mit nicht minderer Rücksichtslosigkeit und Effizienz auch gegen andere Menschen und Menschengruppen richtete - nicht um sie als Nahrung zu gewinnen, sondern als Sklaven; um ihnen das gezüchtete Vieh und die Äcker wegzunehmen, ihre Häuser, ihre Waffen, ihr gesamtes Gut: somit alles was wir aus evolutionärer Sicht als zusätzlich gebildete Organe zusammenfassen, die nicht an den Körper gebunden sind, und somit auch anderen ebensolche Dienste, ebensolche Macht vermitteln können. Hier deckt sich die Bezeichnung "Räuber" wieder durchaus mit dem Sprachgebrauch, während man sich beim Verhalten gegenüber der "Natur" an andere Wert- und Moralmaßstäbe gewöhnt hat. Raubkriege wurden geführt, Völker unterjocht - und bis heute setzt sich dies fort. Die zusätzlichen Organe des Menschen wurden zur Grundlage unserer Fortschritte und unserer kulturellen Entfaltung aber auch gleichzeitig zu einem mächtigen Schlüsselreiz, der trotz Gesetzgebung, einzelne und Gruppen immer wieder dazu bringt,
andere rücksichtslos zu berauben.
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zu "6. Prämisse: In seßhaften Gemeinschaften kommt es zum Energieerwerb über Tausch." in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 77)
6. Prämisse:
In seßhaften Gemeinschaften kommt es zum Energieerwerb über Tausch
Wir kommen nun zu jenem Zeitpunkt vor etwa 10.000 Jahren, auf den schon eingangs hingewiesen wurde. Der Mensch wurde über Ackerbau und Viehzucht seßhaft. Größere Gemeinschaften bildeten sich: Verbände der verschiedensten Art und innerer Ausrichtung, die in der einen oder anderen Weise von Führungsgremien geleitet, also "regiert" wurden. Die zusätzlichen Organe hatte sich im Anfang dieser Entwicklung jeder selbst hergestellt, doch spezialisierten sich nun einzelne auf diese Aufgabe - was zu jedermanns Vorteil war. Sie konnten so besser, schneller, rationeller und somit auch mit weniger Energieaufwand zustandekommen - und in einem Tauschvorgang konnten sie jene, die sie benötigten, erwerben. Hier, freilich, kam es zu einem Problem: Was sollte als Gegenleistung dafür gegeben werden? In manchen Fällen traf es sich wohl, daß ein vom Hersteller benötigter Dienst für ihn akzeptabel war. Für diese Dienstleistung wurde dann das Produkt ertauscht. Ebenso konnte es auch vorkommen, daß der Abnehmer selbst andere Produkte herstellte, die wiederum der Anbieter benötigte. Nehmen wir jedoch an, das zu erwerbende Gut war ein Schwert, der andere produzierte dagegen Schuhe. Im Vergleich zum Aufwand, den das Schwert nötig machte - und jenem zur Erstellung von (Originalbuchseite 78)
Schuhen - bestand eine erhebliche Diskrepanz. Dem
Schwertschmied war nicht an so und so vielen Paaren Schuhen gelegen - er brauchte anderes, was ihm jedoch der Schuster nicht bieten konnte. Also war der Tausch offenbar nicht möglich. Dieses Beispiel mag naiv klingen - und Tauschvorgänge spielten sich zunächst ganz anders ab und verliefen auch längst nicht so frei, weil es in diesen Gemeinschaften über weite Strecken der Geschichte hinweg mannigfache Machtstrukturen und Privilegien gab, die freie Geschäfte unmöglich machten oder zumindest sehr erschwerten. Mir liegt hier daran, das Prinzip aufzuzeigen: die zugrundeliegende Problematik, die dann immer und überall, auf den verschiedensten Umwegen doch zum gleichen führte - nämlich zur Erfindung des Geldes als notwendigen Vermittler zur Überwindung der sonst stets auftretenden, im Prinzip gleichen Schwierigkeit. Nur mit Hilfe eines solchen Universalvermittlers ob er nun aus Papier oder Metall ist, ob irgendein Naturprodukt dazu verwendet wurde (etwa Kauri-Muscheln) oder irgend ein anderes Objekt: auf jeden Fall war ein solcher Vermittler nötig. Der kausale Entwicklungsvorgang der hier vorliegt, läßt sich, stark vereinfacht, so darstellen: Erstens: Zur Erweiterung der Fähigkeiten des menschlichen Körpers sind zusätzliche Organe nötig. Zweitens: Die Anfertigung solcher Objekte - ob das nun ein Schuh ist oder ein Haus, eine Steinaxt, eine Brücke oder ein Brunnen, erfordert einerseits Krafteinsatz und zum anderen entsprechende Fähigkeiten, die erlernt werden müssen: zusätzliche Steuerungen im Gehirn. Wer sich auf die Herstellung solcher Objekte spezialisiert, kann bessere Produkte liefern, kann den Vorgang rationalisieren und schneller gestalten. Er erspart jedem Nichtfachmann Mühe, Zeit und Kraftver(Originalbuchseite 79)
lust durch Fehler - ganz abgesehen davon, daß dieser bei schwieriger anzufertigenden Objekten selbst dazu gar nicht in der Lage wäre. Also besteht ein echter Bedarf nach solchen
Spezialisten. Drittens: Nur besteht eben die Schwierigkeit, dann konkret in Besitz dieser Objekte zu gelangen, dem Hersteller dafür ein Äquivalent für seine Leistung zu liefern. Um also die Voraussetzung für solche Spezialisierung zu schaffen und somit auch dafür, daß der Mensch durch verschiedenartige zusätzliche Organe seine Fähigkeiten und seine Macht steigern kann, muß ein solcher Vermittler gefunden oder geschaffen werden, gleichwohl, wie man im einzelnen dahin gelangt. Und der Vermittler muß so geartet sein, daß er zwei Voraussetzungen gerecht wird: Er muß innerhalb der Gemeinschaft allgemein anerkannt sein. Und er muß teilbar sein, sodaß sich der Gegenwert für jede Leistung gleichsam in kleine Portionen zerlegen läßt, die es dem Leistungserbringer ermöglichen, etwa mit einigen dieser Portionen Nahrung, mit weiteren benötigte Leistungen anderer zu erwerben. Viertens: Daraus folgt, daß weder Geld noch seine notwendigen Eigenschaften beliebige Erfindungen sind - sondern eine funktionelle Notwendigkeit für weiteren Fortschritt. Eine Klippe, die der Mensch überwinden mußte - so oder so. Ein Problem, bei dessen Lösung es kaum Freiheitsgrade gibt. Zu dessen Lösung es früher oder später kommen mußte - und dazu waren die geistigen Fähigkeiten des Menschen durchaus im Stande. Es geht hier letztlich um einen ganz ähnlichen Vorgang wie bei der geistigen Leistung des Hundes, im Zaun eine Lücke oder ein Ende zu finden und so sein Ziel, das Fleischstück zu erlangen. Auch bei seinen Handlungen gibt es keine Freiheitsgrade - sondern den Erfolg nur (Originalbuchseite 80)
eben über diesen Umweg. Zusätzliche Organe waren für den Menschen Voraussetzung für seinen Fortschritt und demnach ihre Herstellung überaus wichtig, und diese konnte rationell und reibungslos nur über einen Umweg vor sich gehen. Der Hersteller bekommt für seine Leistung so und soviele Portionen des
Vermittlers - und kann mit diesen dann Ergebnisse der Leistungen Anderer erwerben: Nahrung oder von ihnen angefertigte zusätzliche Organe oder spezialisierte Dienste, die sie bieten. Ist diese funktionelle Hürde erst überwunden, dann läuft alles übrige ziemlich von selbst. Die Einschätzung, wieviel jede Leistung und jedes Leistungsergebnis wert ist - wieviele Geldportionen er also für sie bekommt -, regelt sich nach "Angebot und Nachfrage". Daß der Wert des Geldes sich selbst nicht verändert, ist ein Problem, mit dem die Gemeinschaft irgendwie fertig werden muß. Wie der Interessent zum Hersteller findet, ist ein weiteres Problem, das sich über öffentliche Feilbietung (etwa Märkte) und einen weiteren Stand von Spezialisten regelt (die als Vermittler zwischen Angebot und Nachfrage vermittelnden "Händler"). Geld ist ein Tausendsassa, der sozusagen jede Leistung in jede andere verwandelbar macht, der das Ergebnis menschlicher Spezialisierung in das Ergebnis anderer menschlicher Spezialisierung transferieren läßt. Dies freilich nur unter der Voraussetzung, daß der Interessent den Wert dieser anderen Leistung selbst - im Äquivalent - zu erbringen vermag. Doch ein weiteres Plus des Geldes ist, daß man es "sparen", anhäufen - und so zu immer höherer eigener Zahlungsmacht gelangen kann. Man kann so jahrelang darauf hinarbeiten, schlußendlich einen besonders teuren Erwerb zu realisieren, eine als besonders wichtig empfundene Investition zustandezubringen. Durch die "Erfindung" Geld kam es zu einer weiteren, (Originalbuchseite 81)
entscheidenden Verbesserung im Energieerwerb. War es durch den geistigen Umweg Ackerbau und Viehzucht bereits gelungen indem man Samen nicht aß, sondern in den Boden steckte, und indem man erbeutete Tiere nicht tötete sondern behütete und pflegte und zur Produktion möglichst vieler weiterer Nachkommen anregte -, sich die langen Wanderungen durch die Gegenden zu ersparen und in einem kleinen Areal das praktisch Gleiche zu
erreichen, so kam es nun - über das Geld - dahin, daß man sich nicht mehr um Nahrung zu kümmern brauchte, wenn man sich um Nahrungserwerb bemühte. Man stellte Schuhe her - und siehe da: Sie verwandelten sich in Krautköpfe und gebratene Würste. Man verdingte sich als Gärtner - und gelangte so an Suppe, Kalbsbraten und Nachspeise. Man verhilft einem Mann in Australien zu einer Maschine, die er braucht und die in Schweden hergestellt wird, und kann dafür der Familie einen Ferienurlaub finanzieren oder der erkrankten Tante eine Operation, oder sich, wenn man der Sammelleidenschaft verfallen ist, den Erwerb einer alten, fehlgedruckten deutschen Marke leisten. Für jede irgendwo benötigte Leistung wird der Erwerb jeder anderen möglich. Das ist die "Wirtschaft", in einem einzigen Satz zusammengefaßt. Ist nun dieses merkwürdige Tauschwerkzeug "Geld" eine neue Energieform? Im physikalischen Sinn ist sie es nicht. Erstens: läßt sie sich nur in Bereichen, wo diese "Valuta" anerkannt wird, in andere Energieformen verwandeln. Zweitens: schwankt die Kaufkraft, also die Umwandlungsfähigkeit in andere Leistungsergebnisse, je nach wirtschaftlicher oder politischer Lage ganz außerordentlich. (Originalbuchseite 82)
Drittens: sinkt die dem Geld innewohnende Macht auf Null in Gegenden, wo es keine Menschen gibt - etwa in der Wüste Sahara. Kaufe ich an einem bestimmten Punkt mit Geld Nahrungsmittel (als Energiequelle für mich, die Familie und Haustiere), dann hat für diesen Transfer und diesen Augenblick Geld einen genau in chemische Spannungsenergie umrechenbaren Wert. Investiere ich Geld in eine Windmühle, die Bewegungsenergie in elektrischen Strom verwandelt, dann ist das Ergebnis, der Profit, bei diesem Vorgang - unter Berücksichtigung der Amortisation der Anlage dem technischen Wirkungsgrad einer beliebigen anderen
Energieumwandlung gleichzusetzen. Aber im Augenblick, da der letzte Mensch stirbt, wird das Energieäquivalent von Geld Null. Zu einer neuen Energiequelle wurde indessen der "Bedarfer", der "Kunde". Hat er selbst Geldüberschüsse erwirtschaftet und gelingt es mir, ihm davon einen Teil für eine Leistung, die er benötigt oder ein Produkt, das ich ihm bieten kann (letztlich auch eine Leistung) zu entziehen, dann wandert eine entsprechende Portion seines Leistungspotentials in meine Tasche - und kann sich in weiterer Folge in alle möglichen, mir dienlichen Energieformen verwandeln. Wilhelm 0stwald, der als erster die volle Bedeutung der Energie im Lebensbereich und in der Wirtschaft erkannte, nannte jedes Werkzeug und jedes Organ einen "Energietransformator"22. Das ist im Bereich der gesamten Lebensund Menschheitsentfaltung zutreffend. Denn nur über materielle Strukturen besonderer Art kann sich Energie zu den verschiedensten Spezialleistungen differenzieren - also zu solchen befähigt werden. In diesem Sinne ist auch jeder Berufstätige, jeder Betrieb, jedes Unternehmen, jeder Konzern ein "Energietransformator". Durch besondere materielle (Originalbuchseite 83)
Ausstattung - einschließlich der notwendigen Steuerungen - gelingt es diesen Leistungserbringern, Energie - die ja zunächst ganz plump und nur zu höchst primitiven Leistungen fähig ist - zu Spezialleistungen zu veranlassen, man kann wohl sagen "sublimieren". Und solche Spezialleistungen haben eben im Rahmen von Angebot und Nachfrage einen bestimmten Wert, der über Geld wieder in andere Investitionen, in andere Energietransformationen, in andere Leistungsergebnisse überführbar ist. Also ist Geld - in einem begrenzten Gebiet - ein Energieüberträger. Sein jeweiliger Energiewert ist jedoch in keiner Weise konstant, sondern richtet sich nach der Umweltsituation, nach den jeweiligen Wünschen und Fähigkeiten von Menschen, nach den Zwecken, für die es verwendet wird - und deren
Ergebnis. Werfe ich einen Geldschein zum Fenster hinaus, dann kann er über andere, die ihn finden, sich in weitere Energieformen umsetzen. Findet ihn niemand, dann nicht. Während Energie unzerstörbar ist - ist Geld zerstörbar. Seit etwa 3000 Millionen Jahren kam es zu keiner anderen irgendwie bedeutsamen Form des Energieerwerbes als jene der Pflanzen und der Tiere. Erstere fangen gleichsam herrenlos an ihnen vorbeifliegende Energie ein und zwingen sie in ihren Dienst. Die Tiere rauben sie dann den Pflanzen oder anderen Tierkollegen. Nun, plötzlich, kam eine neue, indirekte Form des Energieerwerbes in die Welt. Man entzieht sie wieder anderen Lebewesen - jedoch nicht in einem gewaltsamen, räuberischen Akt. Man gewinnt sie im Tauschweg, wobei die Sache auch wieder nur klappt, wenn die Bilanz positiv ausfällt. Wohlgemerkt, die Energiebilanz, denn die Geldbilanz ist mit dieser nicht identisch. Welche Strategie ist nun für den indirekten Weg, Energie über den Verkauf von Produkten, die benötigt wer(Originalbuchseite 84)
den, oder Leistungen, die man für andere erbringt, oder Vermittlungstätigkeit zwischen Angebot und Nachfrage zweckmäßig und zielführend? Versetzen wir uns in die Lage eines Tieres - eines Universalisten - der auf diese neue Erwerbsform umschwenkt, und nehmen wir an, dieses Tier könnte denken wie wir. Was wären seine ersten unmittelbaren Kommentare zu dieser neuen Alternative? Es würde nach einiger Überlegung wahrscheinlich folgendes zum besten geben: Erstens: "Mit dieser neuen Form des Beuteerwerbes muß man sich sicherlich erst näher beschäftigen - doch eines läßt sich trotzdem wohl gleich zu Anfang sagen. Auch hier geht es um die Ausnützung einer Schwäche bei anderen. Worauf es hier ankommt, ist Bedarf - und dies ist bereits eine Schwachstelle, bei der ich ansetzen kann. Auch als erfahrener Räuber suche ich stets
nach solchen Schwachstellen, wo ich am besten bei der Beute ansetzen kann. Will ich somit etwas verkaufen, dann werde ich auch bei dieser Erwerbsform nach Schwachstellen Ausschau halten - und daran bin ich gewohnt, das ist nicht neu." Zweitens: "Auch hier kann ich, wenn ich meine Konkurrenten im Auge behalte, manches Wichtige lernen. Ganz besonders, wo sie etwa Beute entdecken und wo ich mich als Anwärter hinzugesellen kann. Bin ich schlau, dann kann ich aus ihrem Verhalten lernen und mir selbst überflüssige Arbeit ersparen. Beim Verkauf von Waren und Leistungen kommt noch hinzu, daß dies in einer weit mehr gesitteten Umgebung stattfindet und ich - Ausnahmen mag es da auch geben - nicht mit ernsteren Verletzungen rechnen muß. Bin ich schneller, geschickter, mache ich auf den Bedarfer vielleicht auch noch einen günstigeren Eindruck, dann kann ich den einen oder anderen Konkurrenten wahrscheinlich aus (Originalbuchseite 85)
dem Rennen werfen. Ob Raub oder Verkauf: es kommt darauf an, Beute zu finden. In dem einen Fall, liegt sie in winzigen Dimensionen in der Struktur der Beute versteckt und muß dann recht mühsam erst aus Hunderttausenden von winzigen Depots freigesetzt werden. Im anderen trägt der Interessent sie in der Geldbörse oder in der Brieftasche. Dieser Vorgang hat sogar den großen Vorteil, daß ich das erworbene Geld bereits aktionsfähig erhalte und somit das, worauf es ankommt, nicht erst aus Eiweißmolekülen extrahieren muß. Und auch die vielseitige Verwendbarkeit ist kaum hoch genug zu veranschlagen. Habe ich es erst in der eigenen Tasche, dann kann ich mich in ganz außerordentlich vielfältiger Weise verbessern und zu mir wünschenswerten Vorteilen gelangen. Nur eben erbeuten muß ich es und hier sind mir die Konkurrenten einerseits im Wege, doch andererseits auch wertvolle Wegweiser. Auch da kann ich manches aus meinem gewohnten Repertoire einsetzen."
Drittens: "Eine geradezu völlige Übereinstimmung sehe ich in dem wichtigen Bereich der Rationalisierung - ob ich nun über räuberische Akte oder die Beseitigung von Problemen bei anderen zu Gewinn gelange. Daß es auch hier darauf ankommt, schnell zu sein, sagte ich schon. Nicht minder wichtig ist es aber auch bei dieser freundlichen Erwerbsform - ebenso wie beim Raub - die einzelnen Aktionen so auszurichten, daß sie präzise, also mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit, abgewickelt werden und zwar insgesamt so, daß dem eigenen Aufwand ein gehöriges Mehr an Gewinn gegenübersteht, also ein möglichst fetter Profit abfällt. Auch bei diesem Geschäft gibt es sicher Schwankungen: Zeiten, da es besser läuft, und dann wieder Durststrecken. Auch hier ist es sicher sehr wichtig, nicht fröhlich in den Tag hineinzuleben, sondern Vorsorge für schlechte Zeiten zu treffen, also (Originalbuchseite 86)
entsprechende Reserven anzulegen. Natürlich sind diese Reserven auch wieder genau das, was mir andere bevorzugt entreißen wollen. Ob sich da Geld besser verstecken oder sonst sicherstellen läßt, als die Anlage von Fettdepots, die meine Beweglichkeit herabsetzen, bleibt festzustellen. Jedenfalls handelt es sich aber auch hier um ein Geschäft, wo mir viele meiner bisherigen Erfahrungen zugutekommen. Auch List wird beim Absetzen eines Produktes oder einer Leistung gut eingesetzt werden können ebenso wie beim Raub. Bei Raub geht es darum, die Beute an Flucht zu hindern - bei Verkauf, soweit ich es ohne Erfahrung abschätzen kann - ist ebenfalls entscheidend wichtig, den einmal aufgespürten Interessenten möglichst festzuhalten und nicht wieder entwischen zu lassen. Sicher sind da die Methoden andere, doch weitgehend läuft es auf das Gleiche hinaus. Auch Überrumpelung, Ausnützen einer spezifischen Gestimmtheit beim Kaufinteressenten, selbst ein gewisser Druck, um ihn zu seinem Entschluß zu veranlassen, kann hier wahrscheinlich das Ergebnis fördern. Ja hier wird es sogar möglich, daß bei der Transaktion mehr herausspringt, als ursprünglich zu erwarten war - während
eine gefressene Maus eben nicht mehr Energie abwerfen kann, als in ihr enthalten ist." Viertens: "Was hier erfreulicherweise wegfällt, ist offensichtlich die Gefahr, während man auf die Erwerbsanstrengung konzentriert ist, selbst in einem Magen zu enden. Das macht diese weit zivilisiertere Erwerbsform ungemein sympathisch. Wenn ich mich an die Spielregeln halte, schützt mich die Gemeinschaft, die Rechtsordnung, der Staat. Aber irre ich mich hier nicht am Ende? Geld ist ein so ungemein vielfältiger Erfüller von Wünschen: Bringt mich da nicht jeder größere Erwerb doch in Gefahr - zwar nicht der Erwerbsakt aber dessen (Originalbuchseite 87)
Ergebnis? Daß in diesen Gemeinschaften das so eingesessene und traditionsreiche Metier des gewaltsamen Raubes völlig ausgetilgt sein sollte, kann ich mir einfach nicht vorstellen. Als Speise ist der Mensch sicher nicht die Mühe und das Risiko wert - doch all seine Werkzeuge und sonstigen Einrichtungen, sein Besitz also, und hier eben ganz besonders das so unmittelbar für eigene Zwecke einsetzbare Geld, erscheinen mir doch Grund genug dafür, daß erfolgreicher Gelderwerb auch ganz gehöriges Risiko nach sich zieht. Denke ich an die vielen Methoden, die wir Räuber entwickelt haben, dann kann ich mir sehr wohl vorstellen, daß der, welcher größere Geldmengen ansammelt, mit gehörigen Problemen rechnen muß. Kann es hier nicht sogar dazu kommen, daß gerade der freundliche Tauschweg ihm zum Verhängnis wird indem er Zielpunkt von Angeboten wird, die ihm je nach Laune im Augenblick so reizvoll erscheinen, daß er ihnen - obwohl er es schon tags darauf bereut -, einfach nicht widerstehen kann? Als Räuber gewinnt man manche psychologischen Kenntnisse: Ich könnte mir vorstellen, daß sich diese auch hier sehr effektiv einsetzen lassen." Raub und Tausch haben somit - zumindest auf den ersten Blick manches gemeinsam. Der wesentliche Unterschied bleibt aber
bestehen. Energieerwerb - um es wieder einmal hervorzuheben ist und bleibt im gesamten Lebensgeschehen und auch in der gesamten menschlichen Entfaltung notwendigerweise das zentrale Problem, Voraussetzung für jeden irgendwie erfolgenden Vorgang und für jede Entwicklung. Der ganz ungeheuere Unterschied zwischen dem Energieerwerb durch Raub und den nun in die Welt gekommenen über einen doppelten Tauschakt - indem erst für eigene Leistungen Geld eingehandelt wird und man dann mit diesem Geld - in (Originalbuchseite 88)
einem zweiten, getrennten Vorgang - an Nahrung und sonst Benötigtes gelangt, stellt eine diametrale Umpolung gegenüber praktisch sämtlichen Formen des Energieerwerbes sowohl bei den Pflanzen als auch bei den Tieren dar. Das Ziel der Anstrengung ist nunmehr nicht mehr das wirklich Benötigte, bei Tieren eben Nahrung, sondern dieser so entscheidend wichtige Erwerb wird sozusagen zu etwas Zweitrangigem, das in den Hintergrund rückt. Eine andere Ausrichtung wird maßgebend - auf total andere Objekte und total andere Probleme: nämlich auf den über Geld verfügenden und irgend einen Bedarf empfindenden Menschen. Das Verhalten ihm gegenüber wird nun zum Kriterium für Erfolg und Nichterfolg - ja, unter Umständen sogar für das Überleben. Denn wenn Not am Mann ist, kann der Mensch natürlich immer noch in der ursprünglichen Weise selbst in eigener Anstrengung nach Nahrung suchen. Aber die Veränderungen, zu denen die menschlichen Machtsteigerungen geführt haben, sind so vielfältig und so umwälzend, daß dieser ursprüngliche Weg, der bereits damals nicht einfach war, nun für manchen völlig verbarrikadiert ist. In der Überflußgesellschaft heute hochentwickelter Länder wird es zur Seltenheit, daß einzelne verhungern. Doch brechen heute Kriege aus, dann sind die Waffen bereits so vernichtend geworden, daß sie sehr wohl den Hungerstod von Millionen nach sich ziehen können. Die Machtsteigerung über den Vorgang des doppelten Tausches, auf den sich dieser gesamte Fortschritt stützt
und der den Energieerwerb über Nahrungsgewinnung gleichsam zu einem sekundären Anhängsel macht, führt so einerseits zum Besuch benachbarter, unbewohnbarer Planeten - und andererseits unter Umständen dazu, daß auf unserem Planeten die Lebensentwicklung an ein Ende gelangt.
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zu "7. Prämisse: Energieerwerb über Tausch macht andere Strategien notwendig." in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 89)
7. Prämisse:
Energieerwerb über Tausch macht andere Strategien notwendig
Ehe wir uns mit dieser Prämisse beschäftigen, sei an zwei Beispielen gezeigt, wie es zwischen Räubern zu Tauschakten kommt, wie diese verlaufen und wohin sie führen. Der erste Fall betrifft Partner von ungefähr ebenbürtiger Leistungskraft. Der eine will vom anderen etwas käuflich erwerben, sei es ein Objekt oder einen Dienst. Nur selten verläuft der Vorgang so, daß der eine sagt: "Das kostet so und so viel". Und der andere darauf antwortet: "OK". In der Regel ist der Verlauf so, daß die beiden über den Preis diskutieren - oder, wie man es nennt, "handeln", "feilschen". Bei diesem Vorgang werden alle Fähigkeiten des Räubers mit ins Spiel gebracht - ohne daß der eine es dem anderen ernsthaft übel nimmt. Im Gegenteil, es gibt Gegenden, etwa im Orient, wo die Partner es gar nicht anstreben, diesen Vorgang abzukürzen oder gar zu vermeiden. Es ist ein durchaus salonfähiger Kampf, der da mit geistigen Waffen ausgeführt wird und den die Partner - auch wenn sich beide im Klaren sind, daß es zum "Abschluß" kommen wird - gar nicht allzuschnell beendigt sehen wollen, ebensowenig wie eine Schachpartie. Sind schließlich die Verkaufsbedingungen festgelegt, dann sind beide zufrieden - keiner braucht sich vorzuwerfen, daß er zu eilig nachgegeben hätte. Über solche Auseinandersetzung, auch wenn sie (Originalbuchseite 90)
äußerst hart verlief, ist es schon zu mancher Freundschaft und gegenseitigen Wertschätzung gekommen. Auch Partnerschaften kamen so zustande, da jeder die Fähigkeiten des anderen an sich selbst kennenlernt. Partnerschaften, die sich dann gegen Dritte, Vierte, Fünfte richten. Die zweite Verknüpfung ist, historisch betrachtet, von größerer Bedeutung, weil sie aufzeigt, wie es über Leistungstausch zu Gemeinschaftsbildungen beliebig anwachsender Größe kommen konnte - und wohl auch sehr oft kam. Am Anfang steht hier wieder der so zentral wichtige Energiegewinn, der bei Tier und Mensch auf einem räuberischen Vorgang beruht. Manche sind dabei tüchtiger als andere - und dies führte bei den in Gruppen lebenden Urmenschen dazu, daß weniger Tüchtige sich der Leitung der Tüchtigen unterwarfen. Der Vorteil liegt bei dieser Verbindung durchaus auf beiden Seiten. Der Tüchtige braucht Helfer, um seine Fähigkeiten zu entfalten, der weniger Tüchtige ist gern bereit, sich der Führerschaft des Tüchtigen zu unterwerfen, wenn er dafür einen angemessenen Teil der Beute abbekommt. Dieser Anteil braucht gar nicht besonders groß zu sein, denn der Gewinn, den der weniger Tüchtige dabei erzielt, liegt noch in einem zweiten, für ihn besonders maßgebenden Vorteil. Er gewinnt so erhöhten
Schutz - auf den es in jener ersten Zeit und dann noch über weite Strecken hinweg nicht minder ankam. Einerseits Schutz vor den zunächst noch ins Gewicht fallenden Raubtieren - vor allem aber vor dem weit gefährlicheren Gegner: andere Menschen. Der Tüchtige, dem man sich anschloß, bedeutete nicht nur größere Chance auf Beute sondern, nicht minder wichtig, erhöhten Schutz: für sich und sein Gut, für die Familie, für die Kinder. Daß dem Führer so entstehender Raubgemeinschaften (Originalbuchseite 91)
der Löwenanteil bei der Verteilung der Beute zufiel, liegt auf der Hand - andererseits mußten seine Spießgesellen, wenn sie für ihn eine Hilfe sein sollten, auch entsprechend ausgerüstet und motiviert, also mit den Bedingungen einigermaßen zufrieden sein. Der Führer der Horde und dann eines Stammes oder eines ganzen Volkes, der "Fürst", der "Herrscher" und schließlich der "König", hatte gehörige Privilegien, besonders was seine Luxuswünsche und Machtentfaltung betraf. Gefiel ihm eine hübsche Frau, dann war wohl kaum zu verhindern, daß er nicht an das Ziel seiner Wünsche kam. Das Beste der verfügbaren Speisen und Getränke war gerade nur eben gut genug für ihn. Als die Gemeinschaften seßhaft wurden, wurden Paläste als Behausung für ihn zur Selbstverständlichkeit. Da er dann auch - höchst selbstverständlich - über Grund und Boden innerhalb seines Machtbereiches zu bestimmen hatte - und Grund und Boden die Voraussetzung für Nahrungsgewinn war -, hatte er alle besonders fest in der Hand, konnte seine wichtigsten Helfer zu Würdenträgern und Grundbesitzern machen ... woraus sich alle weiteren Charakteristika der Feudalherrschaft entwickelten. Sie führten, wie bekannt ist, dazu, daß die Gegensätze zwischen "arm" und "reich" allzu erheblich wurden, daß die in kleineren Verbänden eher patriarchalische Rechtsprechung bei Streit und Verbrechen immer willkürlicher wurde ... was schließlich zu Revolution und Volksherrschaft und Umschichtungen jeder nur denkbaren Art führte. Zum dritten Machtfaktor - nach der Fähigkeit, Sicherheit zu bieten, und der Verfügungsgewalt über Grund und Boden - wurde später, mit Anbrechen des industriellen Zeitalters, der Besitz von Kapital: von Geld, um Produktionsstätten zu errichten. Auch das führte wieder zu anwachsendem Kontrast zwischen arm (Originalbuchseite 92)
und reich, zur anwachsenden Willkür der nun herrschenden Klassen ... und dann neuer Revolution, der Marx die Richtung wies: zum Kommunismus einerseits und zu den verschiedenen Formen des Sozialismus andererseits - also in die Situation unserer Tage. - Erst also war Raub und Schutz das für Gemeinschaftsbildung maßgebende Element, später die Verfügungsgewalt über Grund und Boden und schließlich jene über Kapital, über Geld. Das in diesem Kapitel angeführte Beispiel, wie zwei ungefähr gleich Starke nach Räuberart Tausch betreiben, sich dabei näherkommen, ja schlußendlich Partner werden
können, - und die zweite Entwicklungslinie, wie Stärkere, Tüchtigere, die sich zu Führungspositionen eignen, und Schwächere, die nach Führung und Sicherheit suchen, ebenfalls in einer Partnerschaft, die auf Leistungstausch beruht, zusammenfinden, - was dann zu immer größeren Verbänden, zum Überhandnehmen von Willkür und Macht und schließlich zu entsprechenden Gegenbewegungen führt -, sollten zeigen, daß sich nach räuberischen Spielregeln durchaus Leistungstausch entwickeln kann und zwar in sehr umfangreichem Ausmaß. Wie schon gezeigt wurde, führte die rationelle Herstellung von künstlichen Organen. geradezu zwingend zur Entstehung des Geldes, von Berufsformen, Betrieben und staatlicher Schutzmacht; nun sehen wir, wie über Angliederung von Dienstleistungen weitere Ballungen entstehen. Die Strategie übernimmt in allen diesen Fällen der Räuber aus seinem Repertoire, und die Abstimmung, was bei diesen Verbindungen der eine dem anderen in Gestalt von Raubanteil und Schutz, von Rechten und Gütern oder Geld überläßt regelt sich über die jeweils vorliegenden Machtverhältnisse. Also, über das Angewiesensein der einen auf die anderen, über die Grenzen, die Ausbeutung gesetzt sind, und über (Originalbuchseite 93)
allfällige Explosionen, die bei allzu kraß überhandnehmender Rücksichtslosigkeit zu Entmachtung und Umverteilungen geführt haben. Damit aber sind die eigentlichen Möglichkeiten des Energieerwerbes über Tausch noch kaum berührt. Und damit kommen wir zum eigentlichen Thema dieser siebenten Prämisse. Worauf es nämlich bei dieser Form, an das Leistungsergebnis anderer - besonders in Gestalt von Geld - zu gelangen, ganz besonders ankommt, ist der Umstand, in welchem Maß der, welcher erwirbt, mit dem, was er erwirbt, auch zufrieden ist. Hat einer Schuhe gekauft, mit denen er besonders gut gehen kann, oder hat ein anderer einen Arzt gefunden, der ihn höchst perfekt von einem Leiden heilte, dann ist aller Grund dafür gegeben, daß beide im Falle weiteren solchen Bedarfes - also nach Schuhen oder ärztlicher Behandlung - zum betreffenden Schuster oder jeweiligen Arzt zurückkehren werden. Was sie wollen, ist guter Gegenwert für das von ihnen gezahlte Geld, und erhalten sie dies - oder übersteigt er sogar die von ihnen gehegten Erwartungen -, dann kehren sie mit Sicherheit zu dieser Bezugsquelle für benötigte Produkte oder Leistungen zurück, ja empfehlen sogar Freunden, denen sie einen Gefallen tun wollen, das gleiche zu tun. Somit ist diese Erwerbsform nicht sosehr ein einmaliges Geschäft, sondern wird immer besser, je mehr sich die Zufriedenheit des Kunden steigert. Hier aber liegt ein ganz grundsätzlicher, ja diametraler Gegensatz zum Erwerb über Raub. Während bei diesem zählt, was beim jeweiligen Akt als Gewinn abfällt, - zählt beim anderen, ob der Käufer zufrieden ist oder nicht. Kein Räuber kann erfolgreich sein, wenn er etwa auf den grotesken Gedanken kommt, seine Beute beglücken zu wollen. Rücksichtslosigkeit ist ihm gleichsam als entscheidend wichtige Taktik in diesem Gewerbe vorge(Originalbuchseite 94)
schrieben. Beim Tausch, wenn er zum Gewerbe wird, ist Rücksichtnahme das allerwichtigste Werkzeug. Hier zählt nicht der Profit, den der Augenblick bringt,
sondern der Kundenstamm, den man aufbaut, die Bande, mit denen man Interessenten an dem, was man zu bieten hat, an sich fesselt. Hier ist es sogar wichtig, die Notlage, in der sich der Interessent etwa befindet - weil sein Bedarf ein sehr dringender ist -, nicht auszunützen und den Preis für die eigene Leistung nicht entsprechend hoch emporzuschrauben. Das mag zwar einen guten Gewinn bringen, aber dieser Kunde ist dadurch nicht gewonnen, sondern wird sich wahrscheinlich beim nächsten Bedarf an Konkurrenten wenden. Wird dagegen der sich in Zwangslage befindende trotzdem zu einem angemessenen Preis bedient, dann wird er sich wahrscheinlich bei einem weiteren Bedarf dessen erinnern und diese entgegenkommende Haltung zu schätzen wissen. Er wird - wie mit einem Gummiband an diesen Leistungsanbieter gefesselt sehr wahrscheinlich zu diesem zurückkehren. - Und zwar nicht, weil dieser "gut" war, sondern weil dieser "klug" war. Dieser Unterschied wird uns später noch mehrmals beschäftigen - und führt wiederum weg von manchen gewohnten Bewertungen. Schon aus diesem ersten Beispiel geht hervor, daß es hier nicht darum geht, an Fremde Geschenke zu verteilen - sondern um eine durchaus sachliche Basis für langfristigen Erfolg. Dieser ist, um es zu wiederholen, durch Vertrauensbildung gekennzeichnet. Für den Räuber dagegen kommt Vertrauensbildung bei der Beute bestenfalls als Finte oder Kriegslist in Frage. "Gut" oder "Böse" sind Wertungen, die bei Erwerbsformen nicht relevant, nicht aktuell sind. Weder Räuber - man denke etwa an Tiere - noch über Tausch Erwerbende sind gut oder böse im Sinne ethi(Originalbuchseite 95)
scher Werteinschätzung. Gut, sachlich betrachtet, sind sie, wenn sie ihre Erwerbsart richtig betreiben. Machen sie es falsch, dann sind sie in ihrem Gewerbe schlecht. Das Kriterium "böse" ist weder hier noch dort für die Leistung relevant - sondern tritt in Erscheinung, wenn sich der Akt gegen die Sitten und Gesetze innerhalb der jeweiligen Gemeinschaft wendet, was bei Raub fast immer der Fall ist, jedoch auch bei Tausch vorkommen kann. Ein weiterer Unterschied zwischen perfekter Strategie bei Raub und Tausch ergibt sich beim Bestreben zu rationalisieren, - jedoch hier nur in einem bestimmten Bereich. Denn bei beiden Erwerbsarten ist es gleichermaßen zweckmäßig und erfolgsteigernd, wenn man billiger (mit geringerem Kraftaufwand), präziser (mit höherer Wahrscheinlichkeit) und möglichst schnell an sein Ziel gelangt: beim Räuber an die Beute, beim Erwerb über den Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen an das zu erzielende Geld. Bei beiden Erwerbsformen kommt es gleicherweise auf die bestmögliche Technik an - was hier wie dort den Erfahrenen, besser Ausgerüsteten in Vorteil bringt. In beiden Fällen ist es ebenso wichtig, daß beim Erwerbsvorgang möglichst wenig Fehler unterlaufen so daß die Quote an Mißerfolgen und verabsäumten Chancen möglichst gering ist. In beiden Fällen ist Schnelligkeit von erheblicher Bedeutung - beim Raub, weil sonst die Beute entwischt, beim Tausch, weil Kundenwünsche so schneller erfüllt werden können, was Zufriedenheit schafft, und an beiden Fronten, weil sonst Konkurrenten einem zuvorkommen. In diesen drei wichtigen Punkten besteht somit
Übereinstimmung. Aber in einem Bereich gibt es hier einen grundsätzlichen, ja diametralen Unterschied. Er äußert sich in der Behandlung von Angestellten. (Originalbuchseite 96)
Wer nach Räuberart denkt, rationalisiert auch hier, bemüht sich für möglichst geringen eigenen Aufwand ein Maximum an Leistung aus seinen Untergebenen herauszupressen. Das perfekte Verhalten beim Erwerb über Tauschakte schreibt dagegen vor, den Untergebenen, dessen Leistung man ja für Geld erwirbt, so zu behandeln, daß er zu seiner Mitarbeit möglichst motiviert ist und somit in Einklang und Zufriedenheit die ihm bestmögliche Leistung erbringt. Wir kommen auf dieses Thema noch ausführlicher zurück, wenn wir im zweiten Teil von der Kluft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sprechen. Auch hier geht es um Leistungstausch, um eine Symbiose, die der Psychosplit aus mehrfachen Gründen erschwert oder unterbindet. Als weitere, für alle Tiere, alle Räuber, charakteristische angeborene Tendenzen wurde genannt: die Orientierung am Konkurrenten und das eingefleischte Mißtrauen, um zu verhindern, daß man selbst im Magen eines anderen Räubers endet. Wie steht es nun damit? Sind die sich daraus ergebenden angeborenen Verhaltenssteuerungen für die neue Erwerbsform über Tauschakte ebenfalls zweckmäßig - oder ein weiterer Störfaktor? Die Orientierung am Verhalten von Konkurrenten ist zweifellos auch in der Wirtschaft von nicht unerheblicher Bedeutung. Der Konkurrent ist ja auf die gleiche Erwerbsquelle ausgerichtet und somit ein überaus gefährlicher Rivale, der im selben Erwerbsbereich tätig ist. Ihn hier in Schach zu halten, die eigenen Marktanteile zu verteidigen und ihn allenfalls aus seinen zu verdrängen, ist ebenso wichtig wie bei territorial lebenden Tieren der Kampf um den zur Ernährung nötigen Lebensraum (Abb. 6). Der Konkurrent, im gleichen "Metier" tätig, mag auch sehr wohl Erfahrungen gesam(Originalbuchseite 97)
Abb. 6: Wirtschaftliches Verhalten in einem Korallenriff. Das Bild zeigt die Reviere von vier Männchen des Riffbarsches Abudefduf leucozona (links oben). Eibl-Eibesfeldt hielt die Schwimmwege dieser territorial lebenden Fische mit dem Tauchgerät unten im Riff sitzend auf einer Schreibtafel fest. Jeder hatte sein Revier, das ihm die notwendige Nahrung bot - und verteidigte es. Kam ein Rivale an die unsichtbaren Grenzen, dann verjagte er diesen. - In der Wirtschaft ist es ähnlich: Wer ein Erwerbsgebiet erobert hat, bemüht sich, es zu verteidigen. Auch hier werden Konkurrenten bekämpft - allerdings ist hier die wichtigste Waffe die Zufriedenheit der Kunden. Also bewegen sich Gewerbetreibende und Vertreter von Unternehmen ebenso kreuz und quer, besuchen und befragen Kunden, knüpfen neue Beziehungen an, versuchen der Konkurrenz "Marktsegmente" abzujagen. Hier wie dort ist die Kontrolle über das "Erwerbsterritorium" - das beim Menschen weit größer werden kann - die Lebensbasis. Aus I. Eibl-Eibesfeldt 1987. (Originalbuchseite 98)
melt haben, von denen man lernen kann. Nicht zuletzt kann man von ihm lernen, wo er Fehler machte - und so, eigene ähnliche Fehler vermeiden und selbstentworfene Strategien revidieren. Außerdem kann er - ähnlich wie bei den Tieren - auch ein Anzeiger dafür sein, wo Bedarf an bestimmten Produkten oder Leistungen besteht. Man weiß dann somit auch, wohin man sich ungefähr zu wenden hat, wenn man in diesem Erwerbsfeld ebenfalls mitmischen will. - Andererseits aber hat diese Orientierung am Konkurrenten auch entscheidende Nachteile: Erstens, führt sie zwangsläufig dazu, daß überall, wo ein Erfolg sichtbar wird, schnell auch andere hineilen - wodurch es in diesem Bereich dann in der Folge zu Überangeboten und einem sich entsprechend verschärfendem Konkurrenzkampf
kommt. Der Mensch hat ja den immensen Vorteil, nicht an eine bestimmte Erwerbsform gekettet zu sein - wie jedes Tier - sondern sich durch den Erwerb entsprechender Fähigkeiten und durch Ergänzung des Körpers durch entsprechende zusätzliche Organe in mannigfacher Richtung spezialisieren zu können. Er kann also in sehr vielen verschiedenen Bereichen zum willkommenen und hochbezahlten Problemlöser für andere werden. Gerade jene Probleme aber, um die sich bisher nur wenige oder noch überhaupt niemand kümmert, können die "brennendsten" sein, also einen besonders günstigen Absatzmarkt darstellen. Achte ich zu sehr auf bestimmte "Konkurrenten", dann hat das zwangsläufig zur Folge, daß sich mein Geist und meine Phantasie mit höchst unfruchtbaren Ausrichtungen beschäftigt, sich gleichsam wie gebannt auf einen "Wald" ausrichtet, während es weit eher auf "Lücken im Angebot" ankommt, auf Freiräume, um die sich andere nicht kümmern, die man bislang als interessante Erwerbsquelle übersehen hat. (Originalbuchseite 99)
Was die angeborene Furcht vor Feinden betrifft, das vorsichtige Mißtrauen gegenüber allem Unbekannten, so hat dies beim Menschen einiges von seiner ursprünglichen Aktualität verloren, wird aber ebenfalls im heutigen Wirtschaftsleben zum Störfaktor. Besonders in Großstädten, wo man sich in einer völlig "anonymen Gesellschaft" befindet, weiß man oft nicht einmal, wer in der benachbarten Wohnung lebt, und liest in den Zeitungsberichten laufend von Verbrechen und von der Unberechenbarkeit des Menschen23. Das aber führt zu einem nahezu generellen Mißtrauen, das viele Kontakte unterbindet, Hemmungen gegenüber der Verwirklichung von Vorhaben verursacht, ja manche gute Idee bereits im Keim erstickt. Wir kommen auch auf dieses Phänomen noch zurück. Ergebnis: Die uns von einer langen Ahnenreihe räuberisch erwerbender Vorfahren angeborenen instinktiven Tendenzen sind keineswegs eine Hilfe oder gar Ausgangsbasis für die neue, völlig andere Form des Energieerwerbes über doppelten Tausch. Also über den Erwerb von Geld, mit dem dann Nahrung und sonstige Leistungen erworben werden können. Nun ist andererseits der Mensch ein besonders lernbefähigtes Wesen. Sollte es uns nicht ein leichtes sein, aus dem alten Erbe zu übernehmen, was für die neue Ausrichtung nützlich ist, und über Bord zu werfen, was uns nicht mehr dient -? Die Antwort darauf geben die beiden nun folgenden, die Beweisführung abschließenden Prämissen.
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zu "8. Prämisse: Durch Konditionierung wird der Nachfrager zum Schlüsselreiz für Raubverhalten." in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 101)
8. Prämisse:
Durch Konditionierung wird der Nachfrager zum Schlüsselreiz für Raubverhalten
Über die Bedeutung der Schlüsselreize wurde bereits gesprochen. Während die verschiedenen Triebe dem Tier die Hauptausrichtungen für sein Verhalten aufzeigen - Nahrungssuche, Feindabwehr, Fortpflanzung etc. - erkennt es an bestimmten Schlüsselreizen, wann und wo es die verschiedenen angeborenen Aktionen und Reaktionen einsetzen muß. Also was sich als Nahrung eignet, wie sich Raubfeinde und sonstige Gefahren zu erkennen geben, wo ein Geschlechtspartner ist etc. Die Gehirnleistung besteht jeweils darin, diese Reize aus der Fülle von Sinnesmeldungen auszusondern und daraufhin die für das jeweilige Triebziel richtigen Handlungsfolgen auszulösen. Wie Attrappenversuche gezeigt haben, setzen sich die Schlüsselreize aus möglichst einfachen und unmißverständlichen Merkmalen zusammen. So wie der Künstler in der Karikatur eine Person oder ein Geschehen mit einigen wenigen Strichen charakterisiert, erkennt das Tier - bzw. eine entsprechende Nervenstruktur in seinem Gehirn - an markanten, möglichst unverwechselbaren Merkmalen die für sein Verhalten wichtigen Umweltbelange. Die Wirkung der Schlüsselreize ist, wie schon dargelegt, sehr maschinenhaft, hängt jedoch in der Stärke von der jeweiligen "Gestimmtheit", in der sich ein Tier (Originalbuchseite 102)
gerade befindet, ab. Ist es sehr hungrig, dann spricht es auf Schlüsselreize, die ihm Gefahr oder einen hilfsbedürftigen Rudelgenossen anzeigen, weniger an, als dies sonst der Fall wäre. Daß dies beim Menschen ähnlich ist, dürfte kaum zu bestreiten sein. Es wurde auch bereits darauf hingewiesen, daß lernbefähigte Tiere die ihr Triebverhalten in Bewegung setzenden Schlüsselreize noch quasi verbessern können. Der im Gehirn jeweils zuständige Mechanismus - in der
Verhaltensforschung "AAM" genannt - wird durch positive oder negative Erlebnisse derart verändert, daß er neue Merkmale mitberücksichtigt, ehe er der von ihm auszulösenden Reaktion das Startsignal erteilt.24 Beim Menschen werden so im Grundkonzept angeborene und dann über Erziehung, Erfahrung, Sitte und Laune mannigfach veränderte Schlüsselreize ganz außerordentlich differenziert. Ob etwa beim Essen eine gebratene Forelle, ein Backhuhn oder eine Cremeschnitte der Auslöser ist, diese Speisen am gegebenen Ort oder zum gegebenen Zeitpunkt zu bestellen: es sind raffiniert erweiterte Schlüsselreize zur bevorzugten Auswahl von Speisen, die hier auf uns einwirken und - gemeinsam mit anderen Faktoren wie etwa Preis und Eßpartner - unsere Willensbildung bestimmen. Oder wenn ein Mädchen sich in einen bestimmten Mann verliebt - oder ein Mann in eine bestimmte Frau: So komplex die Reizkombination auch sein mag, die uns in Triebstimmung versetzt und Gewalt über uns gewinnt: nicht in unserem Herzen sondern im Gangliengeflecht unseres Gehirns hat sich ein entsprechend komplexes Schaltschema entwickelt, das lässig über unseren "freien Willen" hinweggeht und uns zu Entschlüssen veranlaßt, über die wir uns nicht selten später selbst wundern. Kommt ein großer Körper schnell auf uns zu und weichen wir erschreckt zur Seite, dann (Originalbuchseite 103)
geschieht das nicht auf Grund von Überlegungen, sondern weil eine Instinktvorschrift uns dies - nach wie vor - diktiert. Nach wie vor sind mannigfache Triebe bei uns nicht minder wirksam wie bei den uns verwandten höheren Tieren - zum Beispiel eben: der Trieb nach Nahrung, jener uns zu schützen und jener, einen Geschlechtspartner zu finden. Nach wie vor lösen bestimmte Schlüsselreize, die mannigfach modifiziert sein können, Entschlüsse bei uns aus. Nach wie vor treibt es uns zu dieser oder jener Handlung, die von "tieferen", unserem klar überschaubaren Bewußtsein völlig unzugänglichen Entscheidungsbereichen her diktiert sind und nicht selten mit unserer Einsicht und Vernunft in Konflikt kommen (Abb. 7). Innerhalb dieser äußerst komplizierten Mechanik, mit der man sich in der Psychologie sehr eingehend befaßt hat, gibt es ein weiteres die Auslösung von Handlungen beeinflussendes Phänomen, die bereits erwähnte "Konditionierung". Hier geht es darum, daß nicht nur Schlüsselreize verändert und so verbessert werden - Kennzeichen für relevante Umweltbedingungen - sondern daß andere, völlig neutrale Reize unter Umständen den gleichen Auslöseeffekt in unserem Gehirn bewirken. Reize, die öfters der Befriedigung eines Triebverhaltens vorangehen, gelangen zu
ebensolcher "Macht" wie die ursprünglichen Schlüsselreize, "assoziieren" sich mit diesen, und vermögen dann, ganz ebenso wie sie, das Grundinventar eines bestimmten Trieb- und Appetenzverhaltens in Bewegung zu setzen. Der russische Physiologe I. Pawlow, der für seine Untersuchungen der Verdauungsvorgänge bei Tieren 1904 den Nobelpreis erhielt, stellte dies gleichsam als Begleiterscheinung seiner Untersuchungen - eher zufällig fest. Er studierte die Speichelabsonderung bei Hunden, die (Originalbuchseite 104)
Abb. 7: Komponenten der Willensbildung des Menschen. Die angeborenen Triebe sind von verschiedener Bedeutung und Komplexität. Der Vergleich zwischen Nahrungstrieb und Schlaftrieb zeigt das. Weitere Haupttriebe sind: der Geschlechtstrieb, der Sicherheitstrieb, der Brutpflegetrieb, der Neugiertrieb, der Gemeinschaftstrieb und zahlreiche andere. Erworbene Triebe ("Antriebe", "Motivationen") entstehen durch Erziehung, Gewohnheiten, Religion, Ideologie - außerdem stellt jeder stärkere Wunsch einen Trieb dar, der ebenso wie die angeborenen Triebe durch eine spezifische "Appetenz" und eine "abschaltende Endsituation" ausgezeichnet ist. Der stärkste erworbene Trieb ist jener nach Geld (Siehe Abb. 9). - Mit diesen Kräften hat sich das vernünftige Planen, die "Einsicht", bei der Willensbildung auseinanderzusetzen. Nach H. Hass 1978 (abgeändert). Siehe auch Anm. 10. (Originalbuchseite 105)
automatisch einsetzt, wenn ihre Sinnesorgane ihnen bei vorhandenem Hunger
Nahrung anzeigen. Bei den Experimenten von Pawlow waren die Hunde in einem Gestell gefesselt, sodaß bei Nahrungsgabe der bei ihnen einsetzende Speichelfluß meßbar verfolgt werden konnte. Aus irgend einem Grund wurden die Experimente durch das Läuten einer Glocke eingeleitet ... und bald stellte sich heraus, daß schon der Glockenklang genügte, um den Speichelfluß zu aktivieren - auch wenn nicht, wie üblich, ein Fleischstück an das Maul des Hundes gebracht wurde. Ein total neuer Reiz, der mit der Nahrungsaufnahme nicht das geringste zu tun hatte - eben der Glockenton war zu einem Schlüsselreiz geworden, der genau die gleiche Reaktion wie der angeborene auslöste.25 Pawlows weitere Versuche - wie jene ihm folgender Forscher - zeigten dann, daß geradezu jeder beliebige Reiz, wenn er regelmäßig einem erfolgreich verlaufenden Triebverhalten vorangeht, die gleichen Auswirkungen wie der angeborene Schlüsselreiz zur Folge hat. Dieser Lernvorgang ist höchst zweckmäßig. Macht ein Tier die Erfahrung, daß es Beute - oder ein anderes Triebziel wie etwa Feindwahrnehmung oder Annäherung eines Geschlechtspartners - an irgendwelchen anderen Sinnesreizen erkennen kann, noch ehe der eigentliche Schlüsselreiz vom Gehirn registriert wird, dann verbindet sich diese neue Reizwahrnehmung mit der registrierenden Nervenmechanik derart, daß auch sie das Triebverhalten aktiviert. Da hier eine neue Wahrnehmung mit dem bestehenden sensorischen Apparat verknüpft wird, spricht man von einer "Assoziation". Das alles wird wesentlich einfacher, wenn wir uns klar machen, daß dieses Phänomen längst vor Pawlow sattsam bekannt war, nur eben nicht wissenschaftliche Neu(Originalbuchseite 106)
gier veranlaßte, sondern einfach als "Selbstverständlichkeit" angesehen wurde. Tritt eine Bäuerin mit einem Futternapf aus dem Haus und ruft "Piep! Piep!", ehe sie das Hühnerfutter ausstreut, dann dauert es nicht lange, und die Hühner haben diesen Zusammenhang begriffen - ja reagieren bereits auf den Anblick der mit dem Futternapf aus dem Haus tretenden Bäuerin ganz ebenso wie auf den Anblick der von ihnen im Garten gesuchten und entdeckten eßbaren Körner. Der neue, völlig neutrale Reiz "Piep! Piep!" läßt dann sogar Hühner, deren unmittelbarer Hunger bereits gestillt ist, die neugierig dem gesellschaftlichen Hühnergeschehen zusehen oder sich ein wenig zur Ruhe gelegt haben, wie elektrisiert auffahren und, zum Konkurrenzkampf bereit, zur Bäuerin hineilen. Selbst wenn diese vergeßlich war und sich im Napf gar
kein Futter befindet, ist die Reaktion ganz ebenso ... ganz ebenso wie die Speichelabsonderung bei den Pawlowschen Hunden, wenn die Glocke erklang und kein Fleischstück in ihr Maul gelangte26. Es wird bestimmt erstaunen, wenn hier behauptet wird, daß eine solche "Konditionierung" über ganz analoge "Assoziation" eine geradezu tragische Auswirkung hatte, die seit etwa 10.000 Jahren wirksam wurde und seither jeden betroffenen Menschen in seinem Berufsleben daran hindert, so effektiv und erfolgreich zu sein, als er es mit seinen Fähigkeiten und Mitteln sein könnte. Was die Pawlowschen Hunde oder die Bäuerin, die Hühner oder sonstige Haustiere füttert, mit dieser Tragik zu tun haben, muß nun allerdings noch etwas genauer erklärt werden. Was geschah, als der Mensch sich in seßhaften Gemeinschaften auf die Herstellung benötigter Güter oder auf die Erbringung benötigter Dienste spezialisierte? Der Vorgang des Nahrungserwerbes - und damit des so (Originalbuchseite 107)
entscheidend wichtigen Energieerwerbes - wurde so ein höchst indirekter. Statt Wild zu jagen oder Gemüse anzubauen, gelangt der Schuster an Wildbret und Gemüse - indem er Schuhe herstellt. Das mag wieder höchst selbstverständlich erscheinen, ist es aber ganz und gar nicht. Der Schuster stellt Schuhe her, verkauft sie - gewinnt also in einem Tauschvorgang so und so viel Geld -, und mit diesem gelangt er dann, in einem zweiten Tauschvorgang, an Nahrung. Zwei an sich total getrennte Vorgänge sind in diesem Fall miteinander verknüpft: Die Herstellung der Schuhe hat nicht das entfernteste mit Nahrungssuche zu tun - jede Bewegung ist anders und auch die eingesetzten Werkzeuge sind völlig verschieden. Und doch gelangt der Mann über die Schuhherstellung an Nahrung. Über einen Umweg. Die Nahrungsgewinnung wird bei diesem doppelten Tauschvorgang eher einfach: worauf es weit mehr ankommt, ist der Verkauf der Schuhe und der Geldgewinn bei diesem Vorgang. Zwei neue Faktoren treten somit bei diesem Energieerwerb in den Vordergrund. Erstens der Bedarf an Schuhen. Zweitens: der Umstand, daß der Bedarfer an Schuhen auch über entsprechend viel Geld verfügt. Daß es ihm also gelungen war, über eigene andere Leistungen von anderen Bedarfern entsprechend viel Geld zu erhalten - oder genauer: entsprechende Geldüberschüsse zu erwirtschaften. Denn nur wenn diese beiden Voraussetzungen erfüllt sind, funktioniert dieser völlig neue Erwerbsvorgang. Erste Voraussetzung ist, daß Bedarf an der eigenen
Leistung besteht. Die zweite, daß der Bedarfer auch so viel Geld zu bezahlen bereit ist, daß sich der eigene Aufwand lohnt und ein entsprechender Geldzuwachs stattfindet. In der Energontheorie erwähnte ich bereits dieses Phänomen einer durchaus neuen Form des Energieerwer(Originalbuchseite 108)
bes.27 Was ich damals noch nicht erkannte, war eine der Folgen, die sich für den Menschen aus diesem Übergang vom Jäger und Sammler zum Berufstätigen, der über einen doppelten Tauschakt Energie erwirbt, ergaben. Denn da diesem neuen Energieerwerb regelmäßig die Auseinandersetzung mit Interessenten voranging - ja hier zum Hauptproblem wurde -, wurde der Kunde zum neuen Schlüsselreiz für Nahrungserwerb, ganz ebenso wie die Glocke bei den Pawlowschen Hunden, wie das "Piep! Piep!" der Bäuerin und der Anblick ihres Erscheinens mit dem Futternapf. Das Auftauchen eines Bedarfers löste also bei dieser neuen Erwerbsart ganz automatisch die angeborenen Richtlinien für Beuteerwerbsverhalten aus ... die, wie in der letzten Prämisse ausgeführt, keineswegs für Tauscherwerb optimal sind. An die Stelle des Nahrungserwerbes trat somit die Aufgabe, Wünsche die andere hatten, zu erfüllen. Also wurde über den Vorgang der Konditionierung der Interessent, der Kunde, der "Nachfrager" und der "Arbeitgeber" zur eigentlichen Beute, der es das Wesentliche zu entreißen galt. Nämlich mehr Geld, als einem die eigene Anstrengung und der eigene Aufwand kostete. Gelang dieses "Geschäft" - dann war das zweite, nämlich das Eintauschen der benötigten Nahrung, nur eben ein in der Regel höchst einfaches Nachspiel. Auf den Gelderwerb kam es jetzt an. - Und da dem Menschen dafür keinerlei Strategien angeboren waren, sprang der Nahrungstrieb mit all seinen angeborenen Richtlinien (die sich seit mehr als einer Jahrmilliarde immer weiter verfeinert hatten) höchst automatisch in die Bresche. So wie beim Verhalten des Jägers und Sammlers die menschliche Intelligenz den instinktgesteuerten Beuteerwerb unterstützte, so unterstützte nun - und unterstützt bis heute - unser Instinkt, über Raub Beute zu erwerben, unseren (Originalbuchseite 109)
Intellekt bei seiner neuen Bemühung, über einen doppelten Tauschakt an Nahrung zu gelangen, "das Leben zu fristen". Wobei nur eben diesmal die Zusammenarbeit durchaus nicht "Hand in Hand" und harmonisch verlief. Denn während sich der Intellekt bei der Verbesserung der Raubstrategien
durchaus den Erfordernissen des angeborenen Strebens nach Beute anpaßte und diesen Vorgang so laufend verbesserte, sind die guten Ratschläge für Beuteerwerbsverhalten beim Erwerb durch Tauschakte nur teilweise hilfreich, zum weit größeren Teil jedoch antiquiert, unbrauchbar, obsolet geworden. Ja für den neuen Erwerbsvorgang sind sie hinderlich, schädlich, seine Möglichkeiten und Effizienz vermindernd. Darin liegt die besondere Tragik, die als Grundtenor in diesem Buch nicht übersehen werden sollte. Wenn der Mensch heute in der Wirtschaft die Methoden des Räubers anwendet, dann ist er nicht "böse" oder "schlecht" sondern ungeschickt. Er ist über sich selbst nicht genügend aufgeklärt. Wohl sagt manchem sein Verstand, daß in diesem Gesamttun etwas total falsch ist aber innere Stimmen, mit denen er sich identifiziert, die er als essentiellen Bestandteil seines "Ich" empfindet, führen ihn irre. Längst nutzlos gewordene Diener - in Gestalt angeborener Steuerungen - lassen sich nicht mundtot machen und fahren "im besten Bestreben" fort, gänzlich überholte, schädigende Ratschläge zu erteilen. So kommt es, daß bestimmt nicht weniger als 80% aller Erwerbstätigen, indem sie sich von diesen beeinflussen lassen, "von innen her behindert sind". So kommt es, daß der Mensch - wie Konrad Lorenz sehr richtig hervorhob -, in seinem technischen Fortschritt bereits dahin gelangte, auf dem Mond zu landen, während er in seinem "innerartlichen Verhalten" kaum vergleichbare Fort(Originalbuchseite 110)
schritte zu verbuchen hat. Hier blieb - trotz religiöser und ideologischer Mahnungen, trotz ethischer und moralischer Bemühungen jeglicher Art noch alles im Prinzip beim alten, sosehr sich der Mensch auch selbst darüber wundert. Und all das aus einem bisher unerkannten Grund, einem chronischen Dauerkonflikt, der sich automatisch mit dem Übergang von der räuberischen Erwerbsform zu jener über doppelten Tausch ergab. So wie sich Pawlows Hund daran gewöhnte, daß die Glocke für ihn Nahrungserwerb bedeutete, und, wenn er den Glockenklang hörte, zu speicheln begann, so gewöhnt sich der Mensch daran, daß der Kunde für ihn Nahrung bedeutet und dies löst seine Raubinstinkte aus. Erster Einwand: Würde der Anblick des Kunden, des Interessenten, des Bedarfers an irgendwelchen Produkten oder Dienstleistungen wirklich angeborene Raubinstinkte wecken, dann würde der Anbieter den Nachfrager doch offenbar als Nahrung betrachten und demgemäß auf ihn losgehen. Antwort: Auch Pawlows Hunde bissen nicht in die Glocke. Auch die von der Bäuerin gefütterten Hühner versuchten nicht, sie zu fressen. Es ist vielmehr
so, daß meist eine Aufeinanderfolge von Schlüsselreizen dem Tier seinen Weg weist. So werden etwa Haie durch das Gezappel in Not befindlicher Fische (die etwa von anderen angegriffen werden oder an einer Angel hängen) aus weiter Entfernung angelockt. Sie reagieren dabei nicht auf beliebige Druckschwingungen, die sich im Wasser ausbreiten, sondern nur auf solche, wie sie in Not befindliche Fische (leichte Beute also) bewirken. Kommt daraufhin der Hai so schnell er kann näher und ist das Tier verletzt, dann ist Blutgeruch ein weiterer Schlüsselreiz, der ihm (insbesonders nachts oder in trübem Wasser) zusätzlich den Weg weist. Ist er an die Beute gelangt, dann geht der Hai zur Erwerbshandlung über (Originalbuchseite 111)
und richtet sich dabei nach der jeweiligen Situation. Hat er die Beute im Maul und zeigt der Geschmack ihm an, daß sie giftig oder ungenießbar ist (solche Versuche wurden gemacht und filmisch festgehalten), dann spuckt er sie schleunigst wieder aus. Also beißt der Hai keineswegs ins Wasser, wenn er Gezappel wahrnimmt oder Blutgeruch an seine Nase gelangt. Und sieht er die Beute, dann macht er nicht die Mundbewegungen des Ausspuckens. Aber jeder der ihn anlockenden Reize erregt sein Raubverhalten, die "Appetenz" des Beuteerwerbes, aktiviert die ihm angeborenen Grundregeln für zweckmäßige Aktionen und Reaktionen. Diese sind, wie gesagt, je nach Art der Beute, besonders bei Spezialisten sehr verschieden, umfassen jedoch stets die wichtigen Anweisungen: a) Nimm keine Rücksicht auf die Beute, sondern nütze Deine Chance so ausgiebig wie Da kannst! b) Verfahre möglichst so, daß Du möglichst schnell und möglichst präzise, bei möglichst geringem eigenen Kraftaufwand, ein Maximum an Gewinn erzielst! c) Achte auf Konkurrenten, jage ihnen die Beute ab, laß sie Dir nicht selbst abjagen! d) Achte auf Feinde, damit Du nicht selbst im Magen anderer landest! Zweiter Einwand: Gut, das mag so sein. Doch wenn etwa ein Schuster einen Schuh anbietet, dann muß er diesen ja schließlich erst herstellen. Er muß also das Leder erwerben, muß die nötigen Werkzeuge handhaben, muß eine Unzahl von Dingen tun, ehe er überhaupt einen Kunden interessieren kann. All das ist doch vom Nahrungserwerb über Raubverhalten so total verschieden, daß wohl kaum anzunehmen ist, dieser erlernte Beruf würde durch angeborene tierische Instinkte irgendwie beeinflußt. Die neue Erwerbsform hat andere Regeln - das eine hat einfach mit dem anderen nichts zu tun. - Antwort: Auch dies läßt sich entkräften. Beispiels(Originalbuchseite 112)
weise durch Besuch in einem Zirkus. Da kommen etwa Elefanten, dicht aufeinander folgend in die Manege, wobei jeder mit dem Rüssel den vorangehenden am Schwanz hält. Auf ein Zeichen des Wärters (oder bei Veränderung der den Vorgang begleitenden Musik) bleiben sie dann stehen, lassen einander los ... steigen nun etwa auf im Kreis angeordnete Podeste, erheben sich dann auf ein weiteres Kommando auf die Hinterbeine ... oder drehen sich um sich selbst ... oder führen noch weit kompliziertere Kunststücke aus. All das kam über "Konditionierung" zustande. Der Mensch, der die Dressur ausführte, schuf geduldig Assoziationen - oder, wie der Psychologe sagt, eine Reihenfolge "bedingter Aktionen". Jeder der Elefanten lernte, daß er auf ein bestimmtes Zeichen in die Manege kommen muß - dann gibt es Futter. Als nächstes lernt er etwa, daß er mit einem Zweiten hereinkommen und diesen dabei mit dem Rüssel am Schwanz halten muß dann gibt es Futter - oder, wenn er es nicht tut, allenfalls Tadel und kein Futter. So wird die ganze schwierige Prozedur Stück für Stück aufgebaut. Das lockende Futter als letzter Schlüsselreiz bleibt stets die Motivation des Vorganges, und diesem Beuteerwerb werden immer mehr Handlungen, die auf immer weitere Kommandos (Schlüsselreize) zu leisten sind, vorangereiht, also "assoziiert". Auch wenn diese Dienstleistung sich aus einer Unzahl von Einzelhandlungen zusammensetzt ("operantes Lernen"), dann kann sogar das tierische Gehirn dazu gebracht werden, dies zu überschauen. Der intelligente Mensch kann dies - wenn er zum Gelderwerb benötigte Produkte herstellt oder gewünschte Leistungen erbringt - noch wesentlich besser. Über entsprechende Berufsausbildung lernt er - über Sprache und Vorzeigen gelenkt und über Lob und Tadel motiviert - wie er durch bestimmte Leistungen an Geld (Originalbuchseite 113)
gelangen kann: meist sorgen in dieser Periode die Eltern oder andere für die Ernährung. Dann beherrscht er seine Fähigkeit und kann sie zum Gelderwerb einsetzen. Er kann sich dann "sein Leben selbst verdienen". Verdient er mehr, als er für "das Fristen des nackten Lebens" (wozu auch die Bezahlung von Kleidung und einer Unterkunft gehört), benötigt, dann kann er sich auch bereits "Luxus" oder die Begründung einer Familie leisten, kann Wünschen und Trieben nachkommen und sich "das Leben angenehm gestalten". Über Erfahrung wird die eigene Fähigkeit immer größer - er lernt auf immer mehr Umweltreize sinnvoll zu reagieren ... also auf immer mehr Schlüsselreize, nach denen er seine Tätigkeit ausrichtet. Mit Nahrungserwerb hat dies alles nur indirekt zu tun - und doch leistet der dafür zuständige Trieb die primäre Motivation. Der an der Berufsleistung interessierte Nachfrager ist somit
letztlich ausschlaggebend - wie für die dressierten Elefanten der Dompteur. Er entscheidet über die letztlich vereinnahmte "Beute". Also löst er ganz automatisch - neben allen über Erfahrung erlernten Reaktionen - die angeborenen Grundeinstellungen für räuberisches Beuteerwerbsverhalten aus. Dritter Einwand: Beim unmittelbaren Tausch mag dies vielleicht stimmen. Ich stelle eine Axt her - und erhalte dafür Nahrung. Ich betätige mich in der Gemeinschaft als benötigter Wachposten und erhalte dafür von dieser Gemeinschaft Nahrung. Aber in der Wirtschaft ist es ja eben nicht so. Weder Freiberufler noch Angestellte oder Unternehmer erhalten für ihre Leistungen Nahrung. Vielmehr erhalten sie Geld. Und das können Sie nicht essen. Also hat Nahrungserwerb nicht direkt mit Berufstätigkeit zu tun. - Antwort: Unter den unzähligen Untersuchungen und Experimenten, die Psychologen und Verhaltensforscher bei Tieren und Menschen aus(Originalbuchseite 114)
führten, um die Gehirn-Mechanismen des "Lernens" zu untersuchen und besser zu begreifen, gab es auch solche mit Affen, die über Betätigung von mechanischen Vorrichtungen oder sonstige Handlungen Geld erwerben konnten - und dann sehr wohl begriffen, daß man mit solchem Geld, indem man es etwa in einen Automaten wirft, zu Nahrung gelangen kann. Dabei wurde auch festgestellt, daß Affen verschieden große oder gefärbte Geldstücke unterscheiden können, die Beurteilung ihres Wertes lernen, Geld horten, Geld stehlen, sich um Geldstücke streiten28. Selbst das Gehirn des Affen ist also im Prinzip bereits in der Lage, die hier maßgebenden Zusammenhänge zu begreifen. Freilich nur unter Anleitung. Erst dem Menschen, dem es möglich ist, Ich-bewußt Ursachen und Wirkungen zu überschauen, konnte es gelingen, für die neue Erwerbsform über doppelten Tausch - also über Gelderwerb für Güterproduktion oder Dienstleistung als erster Schritt, und Nahrungserwerb durch Geldgabe als zweiter Schritt - die notwendige Organisation zu schaffen. Beim heranwachsenden Kind kann man genau den Augenblick beobachten, da es diese Zusammenhänge und ihre Bedeutung zu begreifen beginnt. Wie auch immer die Berufstätigkeit oder die Ausrichtung von Unternehmen beschaffen sein mag: stets weckt der Interessent an zum Kauf gebotenen Gütern oder an Dienstleistungen für Bezahlung die gleiche Erregung (Appetenz) und die gleichen Maximen in der Grundeinstellung wie die Beute beim räuberischen Verhalten. Nichts zwingt den berufstätigen Menschen dazu, diesen Maximen zu folgen. Nur drängen sie sich ihm gleichsam auf. Mit weiteren Einwänden - soweit sie mir bekannt sind - werden wir uns noch
beschäftigen. Was hier über den Vorgang der Konditionierung und seine Folgen dargelegt (Originalbuchseite 115)
wird, ist an sich keinem Psychologen neu - und widerspricht auch nicht der heutigen Lehrmeinung. Neu ist bloß die Behauptung, daß dieser bis in feinste Details erforschten Mechanik der Bildung "bedingter Reflexe" und "bedingter Aktionen" in der menschlichen Entwicklung eine so schicksalhafte Bedeutung zukommt. Neu ist die Einsicht, daß es über eben diese Vorgänge zwangsläufig dazu kommen mußte - und bis zum heutigen Tag regelmäßig dazu kommt -, daß der über Tauschakte Energie erwerbende Mensch längst nicht so effizient ist, als er es an sich sein könnte. Und zwar nicht, weil etwa metaphysische, teuflische Kräfte uns daran hindern - sondern weil ein für die neue Sachlage nicht mehr kompetenter Instinkt uns ebenso wohlmeinende wie falsche Ratschläge erteilt und dadurch die Richtung unserer Gedanken an entscheidenden Punkten in unzweckmäßige, falsche, ja dramatischnachteilhafte Richtungen lenkt. Noch einem Einwand möchte ich schon hier begegnen. Er lautet: Wenn dem allem wirklich so ist und es stimmt, daß obsolent gewordene Instinktsteuerungen uns ernsthaft behindern: Warum wurden diese dann nicht rückgebildet? Schließlich wurden ja auch bei Pflanzen und Tieren Organe, die sie nicht mehr benötigen, rückgebildet -? Das stimmt zweifellos. In der gesamten Evolution kam es immer wieder vor bei Wechsel in der Erwerbsform, des Klimas, bei Verfrachtung in neue Umwelten -, daß bisher wichtige Organe oder Verhaltenssteuerungen ihre Bedeutung verloren. Ihre Rückbildung nahm jedoch meist Hunderttausende, wenn nicht Millionen Jahre in Anspruch. So wie Neubildungen oder Verbesserungen nur sehr allmählich entstanden, weil sie auf entsprechende Veränderungen im Erbgut (Mutationen) angewie(Originalbuchseite 116)
sen waren, so dauerte es meist nicht minder lang, bis überflüssig gewordene, nicht mehr leistungserbringende Einheiten eliminiert werden konnten. Bei Fischarten, die sich dem Leben in dunklen Höhlen anpaßten, wissen wir, daß die Rückbildung der nutzlos gewordenen Augen Jahrmillionen dauerte. Und die Rückbildung der Kiemen, die bei den vor 350 Millionen Jahren das Land erobernden Fische nutzlos wurden, ging bei den nachfolgenden Landwirbeltieren - den Lungenfischen, Amphibien, Reptilien, Säugetieren
und Vögeln - so langsam vor sich, daß die meisten unter ihnen (auch der Mensch) im Embryonalstadium immer noch Kiemenspalten anlegen: gleichsam als letzten Rest einer Visitenkarte der Abstammung von im Meer lebenden Urvorfahren. Der Zeitraum von bloß 10.000 Jahren konnte deshalb so überaus wichtige und festverwurzelte Steuerungen, wie jene zum Energieerwerb über Raub kaum berühren. Dazu kommt noch, daß kein zwingender Grund dafür bestand. Denn auch Erwerb über Tauschakte nach Räubermanier ist durchaus möglich und kann zu beträchtlichen Erfolgen führen ... ist bloß nicht die optimale Lösung. Wie im weiteren Verlauf gezeigt werden soll, handelt es sich hier um einen besonders kritischen Punkt in unserer Entwicklung. Zunächst arbeiteten zwei Millionen Jahre lang - Intellekt und Instinkte prächtig Hand in Hand. Dann, als es zum neuen Energieerwerb über Tauschvorgänge kam, wurden angeborene Steuerungen zum ärgsten Hemmschuh in dieser Entwicklung. Dies führte dazu, daß der Erwerb über Tauschakte mit schlechten und falschen Strategien betrieben wird ... führte zum "Halben Räuber".29 Oder genauer: Sie führte zum Menschen, der in der neuen Erwerbsform erst halb evoluiert ist, der die Fußangeln der Vergangenheit noch (Originalbuchseite 117)
nicht abgestreift hat, der zum eigenen Nachteil und zum Nachteil seiner Umwelt mit räuberischen Methoden Tauscherwerb betreibt. Dies führte zu dem als "Psychosplit" bezeichneten Steuerungskonflikt, der praktisch eine Aufspaltung in zwei sehr verschiedene Verhaltensausrichtungen bedeutet.
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zu "9. Prämisse: Der Universalvermittler Geld steigert den chronischen Steuerungskonflikt." in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 119)
9. Prämisse:
Der Universalvermittler Geld steigert den chronischen Steuerungskonflikt
Der Lernvorgang über Konditionierung, der sich sonst überall vorteilhaft auswirkte, wurde somit für den Menschen zu einem argen Handicap - zu einem Klotz am Bein, der die Optimierung der neuen Erwerbsart behindert. Der Interessent, der Kunde, der Nachfrager, der Arbeitgeber werden durch diese ganz automatisch verlaufende innere Verknüpfung, die sich völlig unserem Bewußtsein entzieht, zum Auslöser für Instinktregungen, welche die Entscheidungen beeinflussen und so den Intellekt in seiner Tätigkeit und Entfaltung behindern. Tritt ein Interessent an der eigenen Leistung in Erscheinung, dann empfiehlt uns eine innere Weisung: Achte ja auf Deinen Vorteil! Nur auf diesen kommt es an! - während es beim erfolgreichen Erwerb über Tausch sehr wesentlich auf die Interessen und auf die Zufriedenheit anderer ankommt. Wird ein Vertrag uns angeboten, dann wispelt eine innere Stimme uns zu: Nütz die Möglichkeit optimal! Schlage möglichst günstige Bedingungen heraus! - während es weit wichtiger ist, sich auf eine für beide Seiten langfristig zufriedenstellende Regelung zu einigen. Sucht jemand nach einer neuen Stellung, dann beeinflußt ihn der gleiche innere Ratgeber, jene zu wählen, wo am meisten gezahlt wird - während eine andere, mit etwas weniger günstigen Bedingungen zu (Originalbuchseite 120)
ganz wesentlich besseren Entwicklungsmöglichkeiten führen würde. Sehen wir, daß irgendwo kräftig verdient wird, dann drängt es uns geradezu magisch dazu, dort mitzumischen - und wir übersehen so Verdienstmöglichkeiten, für die wir weit besser geeignet wären, ja wo wir in Kürze eine ergiebige Monopolstellung erlangen könnten. Auf all das kommen wir noch ausführlich zurück. Die Verlagerung des
Schlüsselreizes für Raubverhalten auf Kaufinteressierte ist jedoch bloß die eine Hälfte des Psychosplits, dessen Auswirkungen uns treffen. Dieser chronische Dauerkonflikt, der sich mit der neuen Erwerbsform wie eine Krankheit ausbreitete und heute schon praktisch jeden trifft oft am gleichen Tag mehr als einmal -, wird noch durch einen zweiten Konditionierungsvorgang verstärkt ... und damit kommen wir zum Thema der letzten Prämisse. Was nämlich für den Tauscherfolg entscheidend ist, das ist de facto gar nicht der Tauschpartner, sondern das in seinem Besitz befindliche und dann in den unseren überwechselnde Geld. Das aber führte von Anbeginn dieser Entwicklung dazu, daß über eine weitere Assoziationsbildung - also über eine weitere innere Verknüpfung von Nervenfunktionen Geld zum eigentlichen, noch stärkeren Schlüsselreiz wurde, der noch mehr als interessierte Kunden dafür sorgt, daß unsere Raubinstinkte wirksam aktiviert werden. Auch hier gibt es niemanden, den eine Schuld träfe - und man kann weder von "gut" oder "böse" sprechen. Es ist eine Begleiterscheinung der Tatsache, daß mancher Fortschritt auch mit argen Hypotheken belastet ist. Das aber ist beim Geld in besonderer Ausprägung der Fall. Ohne dieses Universalaustauschmittel wäre der gesamte menschliche Fortschritt unmöglich gewesen. Nur durch Spezialisierung auf Berufsformen und Unternehmens(Originalbuchseite 121)
ziele konnte die technische und wirtschaftliche Entfaltung stattfinden nur über diesen Vermittler, der jede Leistung in jede andere transferierbar und jedes Leistungsergebnis beliebig teilbar und mit anderen zusammenlegbar macht, verfügen wir heute über eine solche Unzahl zusätzlicher Organe, die unsere Macht so immens steigern und auch Grundlage für alle unsere Kultur und Lebensverfeinerung - also, für Luxusentfaltung, Kunst, Sport, Vergnügen und sonstige Annehmlichkeiten - sind. Ohne das für den Erwerb über Tauschakte so wichtige Werkzeug Geld wären wir noch heute kaum weiter als auf jener Entwicklungsstufe, die uns Splittergruppen unterentwickelter Völker vor Augen führen, die ohne diesen Vermittler auskommen. Sie
zeigen deutlich Ansätze zu fast jeder der Entwicklungsrichtungen, die der technisierte, industrialisierte Mensch dann einschlug - doch zu all dem war der Universalvermittler Geld einfach Voraussetzung. Ohne ihn wären die meisten Betriebsstätten und Unternehmen, die größere Investitionen erfordern, praktisch kaum möglich und das gilt ebenso für die meisten Erfindungen, Entdeckungen und Innovationen. Diesem immensen Vorteil steht nun andererseits ein nicht minder ins Gewicht fallender Nachteil gegenüber - wobei ich von der Problematik, die Geldmenge auf den Umfang der jeweiligen Leistungsgemeinschaft abzustimmen und seinen Tauschwert stabil zu halten, absehe. Solche und ähnliche Auflagen zieht praktisch jeder Fortschritt, jede Neuerung nach sich. Was sich für die Menschheit so entscheidend negativ auswirkte, ist der bedeutsame Umstand, daß über Geld nicht nur Nahrung - also Energie und Aufbaustoffe - sondern auch jedes vom Menschen geschaffene "Produkt" und jede von Menschen angebotene "Dienstleistung" ganz (Originalbuchseite 122)
ebenso käuflich erworben werden kann - sofern bloß die notwendige Menge "erwirtschaftet" und "gehortet" ist. Das nämlich bedeutet, daß durch Gelderwerb nicht nur unser Nahrungstrieb befriedigt werden kann, sondern auch praktisch jeder andere uns angeborene Trieb sowie fast alle über Kultur, Sitte und Mode entstandenen Bedürfnisse voll befriedigt oder zumindest entscheidend gefördert werden können. Um zu begreifen, was das heißt, muß man den Vorgang biologisch sehen also wieder von der üblichen Beurteilungsweise abweichen. Wie schon ausgeführt, kann über den Tausendsassa Geld nun praktisch jeder Trieb entweder direkt befriedigt oder in seinem Ablauf gefördert werden. Und ebenso läßt sich der Bedarf an jedem in der Wirtschaft angebotenen zusätzlichen Organ (Kleidung, Maschine, Bauwerk etc.) und an jeder in der Wirtschaft angebotenen Dienstleistung (ärztliche Betreuung, Theatervorstellung, Flugzeugtransport etc.) über Geld erwerben - und somit fast jeder "erworbene Wunsch" erfüllen. Das aber bedeutet schlußendlich, daß das Universaltauschmittel Geld zu einem Universal-Schlüsselreiz wurde, wie es in der vorangehenden
Evolution noch nie etwas auch nur entfernt Vergleichbares gegeben hat. Aus dieser Sicht ist Geld ein Zauberstab, der nicht nur Nahrung herbeischafft - sondern auch fast sämtliche sonstigen Bedürfnisse und Wünsche erfüllen kann. Natürlich weiß jedermann, daß man für Geld so ziemlich alles erwerben, sich so ziemlich jede Art von Wunsch erfüllen kann - und deshalb der Erwerb von Geld höchst erstrebenswert ist. Dagegen ist durchaus nicht jedermann klar, daß dies - wiederum über Konditionierung - sämtliche angeborenen und erworbenen Triebkräfte dahingehend vereint, uns auf den Erwerb von Geld zu konzentrieren. (Originalbuchseite 123)
Abb. 8: Der übernormale Schlüsselreiz. Wie Experimente zeigten, bevorzugen die Weibchen mancher Vogelarten beim Brüten ein künstliches Riesenei dem eigenen, obwohl sie darauf gar nicht Platz haben. Hier handelt es sich um eine negative Begleiterscheinung angeborenen Verhaltens - ebenso wie beim Psychosplit des Menschen und dem Phänomen des Halben Räubers. - Auch über Werbung können übernormale Schlüsselreize geboten werden, die nicht dem Nutzen des Kunden sondern vorzüglich jenen der jeweiligen Produzenten dienen. Aus H. Hass 1987, Bd. 4, nach N. Tinbergen 1951.
Bei manchen Tieren beobachtete man, daß künstlich geschaffene Schlüsselreize noch wirksamer sind, als die natürlichen. So bevorzugen etwa manche brütende Vögel, wenn man neben ihre Eier ein um ein mehrfach größeres künstliches Ei legt, dieses und turnen dann im Bestreben, es zu bebrüten, unter Vernachlässigung der eigenen darauf
herum (Abb. 8). Das ist aber dann nur eben ein Trieb, der fehlgeleitet wird - ähnlich wie bei den erworbenen Antrieben uns über Werbung anderes aufgedrängt werden kann, als wir eigentlich wünschten. Das Zaubermittel Geld ist in diesem Sinne ein "übernormaler Schlüsselreiz" von solcher Kraft, daß er die Aufmerk(Originalbuchseite 124)
samkeit geradezu hypnotisch auf sich lenkt. Und zwar zum Nachteil dessen, der Gelderwerb anstrebt. Denn für diesen Vorgang ist ja die Ausrichtung auf die Interessen des jeweiligen Kunden oder Arbeitgebers wesentlich - und gerade von solchen Gedanken lenkt die magische Anziehungskraft des Geldes ab. Um es noch einfacher zu sagen: Um im Gelderwerb erfolgreich zu sein, ist es richtig, nicht an diesen Erwerb sondern an die Probleme und Interessen des jeweiligen Nachfragers der eigenen Leistungen zu denken, sich möglichst auf diese zu konzentrieren - während das Geld es zuwege bringt, daß wir dies nicht tun. Und noch mehr. Bei angeborenen oder erworbenen Bedürfnissen gibt es in der Regel eine die Motivation "abschaltende Endsituation". Ist mein Bedürfnis am Genuß einer bestimmten Torte befriedigt, dann läßt nach so und so vielen Stücken der Impuls deutlich nach, "schaltet schließlich ab". Ist jemand sexuell erregt und erreicht er sein Triebziel, dann schaltet - zumindest für eine Weile - die triebspezifische Erregtheit ab. Wünscht er sich glühend nach Mallorca zu fahren und ist er dann dort, dann ist der Wunsch befriedigt - und wird allenfalls erst zu einem späteren Zeitpunkt wieder in ihm auftauchen. Für den Erwerb von Geld gibt es dagegen keine "abschaltende Endsituation". Denn unsere Phantasie bringt es mit sich, daß wir uns fast ständig irgend etwas wünschen, das wir noch nicht haben. Der langen Rede kurzer Sinn: Der uns so überaus hilfreiche Diener Geld wurde gleichzeitig zu einem unsere Interessen erheblich störenden Tyrann. Er verhindert, daß wir uns tauschgerecht verhalten und vermindert dadurch unsere wirtschaftliche Potenz. Dieser übermächtige Schlüsselreiz bewirkt, daß unsere Gedanken eine falsche Richtung nehmen, daß wir "egoistisch" und damit wider unsere (Originalbuchseite 125)
wirklichen Interessen handeln, daß wir, um ja noch mehr zu verdienen ... de facto weniger verdienen, als möglich wäre. Und wiederum nicht weil wir "böse" oder von "einem Dämon besessen" sind, sondern weil dieser übermächtige Schlüsselreiz uns daran hindert, unsere Fähigkeiten und Mittel zum eigenen Vorteil richtig einzusetzen. Auch sinnloses "Horten" von Geld und extremer "Geiz" haben hier ihre Wurzel. In genauer Analyse findet noch eine dritte, noch bedenklichere Konditionierung statt. Geld wird nicht nur zum Schlüsselreiz, nach dem wir bei allen auftretenden Bedürfnissen und Wünschen suchen was sich dann ganz automatisch mit der Aktivierung der Raubinstinkte verbindet. Sondern der sich so ergebende Trieb nach Geld wird gleichsam allen sonstigen Trieben vorgelagert und wird so zu einer zentralen Ausrichtung, die unbelehrbar und maschinenhaft uns behindernde Instinktmaximen in uns weckt (Abb. 9). Das ist die zweite Hälfte des Psychosplits, den ich hier darzulegen versuche. Seine Entwicklung läßt sich wie folgt zusammenfassen: Erstes Stadium: Der Mensch sucht persönlich nach Nahrung, ganz ebenso wie die verwandten Tiere. Schlüsselreize, die ihm Nahrung anzeigen, versetzen ihn in entsprechende "Appetenz", in "Erwerbsgestimmtheit", was - ebenso wie bei den Tieren - instinktive Verhaltensrichtlinien auslöst. Zweites Stadium: Der Mensch erwirbt Nahrung von einem anderen Menschen in direktem Tausch, indem er diesem eine Gegenleistung bietet. Wiederholt sich der Vorgang und wird der andere zum "Kunden", dann löst dieser bei weiteren Kontakten, wenn er sich wieder in Tauschstimmung zeigt, die gleiche Reaktion aus wie der Anblick von Beute. (Originalbuchseite 126)
Drittes Stadium: Der Nachfrager zahlt nicht mit Nahrung sondern mit Geld - für das dann Nahrung erworben werden kann. Eine zweite Konditionierung findet statt. Das Geld wird zu einem weiteren, die angeborenen Raubstrategien auslösenden Schlüsselreiz.
Viertes Stadium: Sehr bald wird in dieser Entwicklung evident, daß sich über Geld nicht nur Nahrung erwerben läßt, sondern ebenso auch Dienstleistungen anderer, sowie von anderen hergestellte und zum Kauf angebotene Güter. Das aber steigerte den Wert des Geldes noch ganz ungeheuer. Gelderwerb wurde so praktisch zum zentralen, neuerworbenen Trieb, der sich mit allen übrigen verband, ja ihnen gleichsam vorgeschaltet wurde. Am heutigen Entwicklungspunkt tritt noch ein weiterer gravierender Faktor hinzu. Die immer schnellere Dynamik des Wandels bei den Marktwünschen und Angeboten läßt es immer wichtiger werden., dem Bedarf der "Zielgruppe", für die man tätig ist, - der Nachfrager also, die an den eigenen Leistungen interessiert sind, - zu folgen. Das aber hat zur Voraussetzung, daß man schwerpunktmäßig an die Interessen und Vorteile des Tauschpartners denkt - und nicht an die eigenen. Und das gelingt nicht, wenn man, Instinktsteuerungen folgend, den unmittelbaren eigenen Vorteil zur Maxime hat und seine Gedanken darauf konzentriert, wie man die Produktion oder Dienstleistung noch rentabler machen könnte, selbst wenn sie überholt ist; wie man unzweckmäßige Produkte und Dienste doch noch durch Raubstrategie und besondere Anpreisung "an den Käufer bringt" - sie ihm also, zu seinem Nachteil und damit auch zum eigenen Nachteil aufdrängt ... statt der Entwicklung seiner Wünsche und Bedürfnisse, zu seinem Vorteil und dem eigenen, bereits einige Schritte voraus zu sein. (Originalbuchseite 127)
Abb. 9: Der übernormale Trieb: Die Ausübung fast sämtlicher dem Menschen
angeborenen Triebe wird durch Geldbesitz begünstigt. Deshalb verstärkt fast jeder - über Konditionierung und Einsicht - das Streben nach Geld. Ebenso motivieren auch die meisten, durch Erziehung, Gewohnheit, Ideologien etc. erworbenen Triebe und Wünsche den Trieb nach Geld. Er wurde zum stärksten aller erworbenen Triebe und ist den übrigen gleichsam "vorgespannt". Dadurch - und weil es für ihn keine "abschaltende Endsituation" gibt - aktiviert er kontinuierlich den Psychosplit. (Siehe Text).
Daß Gruppen durch den Psychosplit ebenso betroffen sind, wie der erwerbstätige Einzelmensch, liegt auf der Hand. Bei Unternehmen zeigt dies besonders deutlich die Überbewertung der Geldbilanz worauf wir noch zurückkommen. Bei Verbänden und Staaten zeigte es sich in der gesamten bisherigen Geschichte, die fast durchwegs durch einen rücksichtslosen Kampf um Geld und Macht gekennzeichnet ist. Raubkriege, Versklavung und Ausbeutung anderer Länder, sowie Klassenkämpfe, gehörten stets zum politischen Alltag - ebenso wie in unserer Zeit die so kraftraubende Auseinandersetzung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern und der enorme Rüstungsaufwand der Großmächte. Bei der Bemühung um positive Handelsbilanzen ist es geradezu selbstverständlich, daß sich die Staaten auf die eigenen Vorteile konzentrieren und nicht - zum eigenen Vorteil (Originalbuchseite 128)
- auf jene von anderen. Immerhin zeigten der Marshallplan und die Entwicklungshilfe mancher Länder, die sie nicht als bloße Allmosengabe oder selbstsüchtige Marktschaffung betrieben, bereits ein Einschwenken auf tauschgerechtes Verhalten - ebenso wie die Strategie solcher Firmen, die sich auf Qualität und "Kundennähe", also auf die Interessen und den sich entwickelnden Bedarf ihrer Zielgruppen, ausrichten. Mancher Leser wird in den bisherigen Ausführungen die Erwähnung jener Formen von Energieerwerb vermißt haben, an die man gemeinhin denkt, wenn man von Energieerwerb spricht. Nämlich die Nutzbarmachung von Naturkräften: wie etwa des Windes, der Freisetzung der in Holz und Kohle enthaltenen Energie durch Verbrennen, der Energie des Rohöls, der Wasserkraft und schließlich der Atomkraft. Um die Darstellung der Auswirkungen, die der Erwerb von Nahrung über Tauschakte hatte, nicht zu komplizieren, und zusammenhängend darstellen zu können, wie dieser Vorgang
letztendlich zum Psychosplit geführt hat, ließ ich diese weitere Erwerbsform zunächst beiseite und möchte ihre Einordnung in das Gesamtschema nun nachholen. Bereits Tiere kamen dahin, Naturkräfte zu nützen. Ein Beispiel dafür nannte ich bereits: die Korallenpolypen, die sich den Energieaufwand eigener Fortbewegung dadurch ersparen, daß sie es den Meeresströmungen und der Brandung überlassen, ihnen die in jedem Wassertropfen enthaltenen Kleinlebewesen und organischen Reste direkt ans Maul zu spülen. Die Windkraft nützen manche Spinnen, indem sie auf Pflanzen oder Felsen klettern, dort einen Faden produzieren, der dem Wind genug Widerstand bietet, um sie in die Lüfte zu erheben und so manchmal über beträchtliche Strecken zu transportieren. Der grundsätzliche Unterschied zum Energieerwerb (Originalbuchseite 129)
über Nahrung besteht darin, daß so die fördernden Naturkräfte dem Tier sonst notwendige eigene Anstrengung ersparen. Während mit Nahrung aufgenommene Energie erst freigesetzt, entsprechend umgewandelt und dann über Organe - etwa Fortbewegungsorgane funktionell nutzbar gemacht werden muß, braucht der Korallenpolyp die Wasserkraft nicht zu fressen - und ebensowenig die Flugspinne die Windkraft -, sondern diese Kräfte werden ausgenützt oder über entsprechende Vorrichtungen (Flugfaden) dazu gebracht, ihnen direkt eine sonst benötigte Leistung abzunehmen. In der Energontheorie nannte ich das "Direkte Nutzbarmachung von Fremdkraft".30 Der Mensch konnte mit Hilfe seiner Intelligenz diese Möglichkeit einer zusätzlichen Nutzbarmachung von Energie, die nicht über den Weg der Nahrung aufgenommen und entsprechend umgesetzt werden muß, noch erheblich steigern. Die Nutzbarmachung des Feuers stand in der Entwicklung unserer Urvorfahren an erster Stelle - ist ebenso ein Hinweis der erwachenden Intelligenz wie die Verbesserung der Hand durch das zusätzliche Organ "Faustkeil". Eine weitere Nutzbarmachung von Fremdkraft ist jene des Windes, indem durch Mast und Segel der Wind dazu gezwungen wird, das zusätzliche Organ Boot (Organ zur Fortbewegung über Wasser) zu betreiben. Das
Fortbewegungsorgan Auto treiben wir über den Verbrennungsmotor mit der in Benzin enthaltenen Energie an. Über ein Wasserkraftwerk und Elektrizität zwingen wir die Gravitationsenergie mannigfache benötigte Funktionen für uns zu übernehmen. Wesentlich ist in jedem solchen Fall, daß Fremdkraft direkt und unmittelbar dazu gebracht wird, zusätzliche Organe zu betreiben. Bewegen wir ein Boot mit Rudern, dann ist es über Nahrung vereinnahmte Energie, die durch Umset(Originalbuchseite 130)
Abb. 10: Theorie über die Entstehung des Lebens. Manfred Eigen entwarf dieses
plausible Modell für das Einsetzen des Lebens, eines Prozesses, der sich über reduplikationsfähige Strukturen fortsetzt. In der energie-reichen "Ursuppe" der Ur-Meere konnten energiereiche Moleküle aufeinandertreffen, die zufällig einen solchen "Ring" bildeten und deren jedes die Eigenschaft hatte, die Entstehung des nächstfolgenden zu bewirken. Gliederten sich diesem Kreislauf weitere Moleküle an, welche das Geschehen förderten, dann vermehrte sich der so verbesserte und erweiterte "Hyperzyklus" bevorzugt. Aus solchen Vorstadien konnten sich dann die immer komplexeren Lebewesen entwickeln. Nach M. Eigen und P. Schuster 1977/78. (Originalbuchseite 131)
zung in Muskelkraft - durch entsprechende Tätigkeit unserer Arme und Hände - den Antrieb bewirkt. Verbessern wir das Boot durch Mast und Segel, dann bewirkt der Wind direkt die Fortbewegung des Bootes, und wir müssen mit Nahrungsenergie bloß die Segel und das Steuerruder entsprechend betätigen. Auch in dieser technischen Entwicklung arbeiteten Intellekt und Instinkt bestens Hand in Hand - bis zum heutigen Tag. Hier sind die Instinktratschläge, den eigenen Vorteil möglichst zu maximieren, durchaus zielführend. So gelangten wir letztlich dahin, durch Nutzbarmachung von Fremdkraft bis in größte Meerestiefen und in den Weltraum vorzustoßen. Nur eben beim Erwerb menschlicher Leistungen über den Weg des Tausches versagen die angeborenen Instinktsteuerungen, wenden sich aufgrund des Psychosplits gegen uns selbst. Die Dienstbarmachung von Naturkräften entspricht durchaus der Grundeinstellung des Räubers - "fällt ganz in sein Ressort". Um dagegen den Mitmenschen über Tauschakte dazu zu bringen, für einen anderen Nahrung verfügbar zu machen, für ihn zusätzliche Organe anzufertigen oder von ihm benötigte Dienstleistungen zu erbringen, eignen sich die Direktiven der angeborenen Raubstrategie nur eben beschränkt. Der übermächtige Schlüsselreiz Geld verstärkt noch diese negative Tendenz - und je mehr die Entwicklung der Wohlstandsgesellschaft und die kategorische Ausrichtung auf Genußmaximierung fortschreitet, desto mehr wird unser Denken in falsche Richtungen abgelenkt und unser Intellekt daran gehindert, im Verhalten zum Mitmenschen ebenso erfolgreich zu sein wie den übrigen Lebewesen und den Naturkräften gegenüber.
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zu "Schlußfolgerung: Durch Bewältigung des Psychosplits lassen sich Erfolg und Lebensqualität steigern." in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 133)
Schlußfolgerung:
Durch Bewältigung des Psychosplits lassen sich Erfolg und Lebensqualität steigern
Wenn in der ersten Prämisse auf die Bedeutung der Energie im gesamten Lebensgeschehen hingewiesen wurde, dann hatte dies den Grund, die materielle Seite der diesen gewaltigen Vorgang fortsetzenden Strukturen etwas in den Hintergrund treten zu lassen. Leben ist ein Bewegungsvorgang. Über die Organe der Lebewesen gelangt Energie zu sehr verschiedenen und differenzierten Leistungen. Da die Vereinnahmung und Dienstbarmachung von Energie meist zahlreiche Umwandlungen erfordert, bei denen stets Kraft verloren geht, ist allen Lebewesen gemeinsam, daß sie weit mehr "Rohenergie" aus der Umwelt gewinnen und in ihren Dienst zwingen müssen, als die einzelnen benötigten Leistungen (Funktionen) letztlich an "Nutzenergie" verbrauchen. Sie sind somit alle in besonderem Maß auf eine im Durchschnitt äußerst positive Energiebilanz angewiesen. Für die Pflanzen sind Lichtstrahlen der Sonne die Energiequelle, ihre körperliche Ausbildung zeigt deutlich die Anpassung an diese Erwerbsart. Das gleiche gilt für die Tiere, deren Erwerbsform darin besteht, andere Lebewesen oder Teile von diesen in ihre Gewalt zu bringen und die in der molekularen Struktur enthaltene chemische Bindungsenergie - umgewandelte Sonnenenergie freizusetzen und zu selbstbenötigten Funktio(Originalbuchseite 134)
nen zu veranlassen. Eine der für diese räuberische Erwerbsart
notwendigen Anpassungen sind aus Nervenzellen gebildete Strukturen, welche den Beuteerwerb steuern. Sie geben dem Tier Kommandos für diese Tätigkeit und lassen es an Schlüsselreizen seine Beute - seine Energiequelle - erkennen. Sie lösen dann entsprechende Bewegungsvorgänge des Körpers aus, um der Beute habhaft zu werden, sie zu vereinnahmen und die in ihren Molekülen enthaltene Energie sowie brauchbare Stoffe zu gewinnen. Erst gab es über 3500 Millionen Jahre Lebewesen nur im Meer und in sonstigen Gewässern, dann gelangten einige zur Fähigkeit, auch das trockene Land zu besiedeln. Weitere Leistungssteigerungen fanden statt - und schließlich, vor erst 2 Millionen Jahren, entstand auch ein Lebewesen mit besonders hoch entwickeltem Nervensystem: der Mensch. Während bis dahin alle Tiere und Pflanzen die für sie nötigen Organe aus Zellen bildeten, vermochte dieses besondere Lebewesen direkt aus Umweltmaterial zusätzliche Organe zu formen, wodurch es seine Leistungsfähigkeit in mannigfacher Weise steigern konnte. Mehr als das: Als weitere Leistung seines Gehirnes gelangte der Mensch zur Fähigkeit sprachlicher Verständigung, und konnte so die Anweisungen, wie diese zusätzlichen Organe zu bilden und zu steuern sind, an Nachkommen weitergehen. Die Ablegbarkeit der zusätzlichen Organe machte ihn zu einem Meister in vielseitiger Spezialisation. Die angeborenen Instinktsteuerungen und die über Sprache weitergegebenen erworbenen Steuerungen ergänzten sich zunächst auf das beste. Allen Haupttrieben - Nahrungserwerb, Schutz vor Raubfeinden, Fortpflanzung und Gemeinschaftsbildung - konnte mit Hilfe der zusätzlichen Organe und zusätzlichen Steuerungen (Originalbuchseite 135)
noch weit besser entsprochen werden. Das Lebewesen Mensch wurde so allen übrigen außerordentlich überlegen und
spezialisierte sich auf immer neue Tätigkeiten. Dabei entwickelte sich auch eine neue - dritte - Form des Energieerwerbes. Während Pflanzen die in Gestalt von Lichtstrahlen zu ihnen gelangende Energie gleichsam einfangen und die Tiere räuberisch Energie erbeuten, gelangte der Mensch in seßhaften Gemeinschaften dahin, Energie im Tauschweg zu erwerben. Die dafür notwendige Strategie war von der bisherigen, über Raub, nicht weniger verschieden, als jene der Tiere von jener der Pflanzen. Auch diese Neuanpassung gelang - jedoch nur zum Teil. Wie schon häufig im Verlauf der Evolution schufen Neuerungen, die wesentliche Leistungssteigerungen brachten, gleichzeitig auch neue Probleme. Ein sich bisher bewährender Mechanismus - jener der Konditionierung - bewirkte, daß die bisherigen, für Rauberwerb zweckmäßigen Leitlinien durch die neue Energiequelle "Tauschpartner" aktiviert wurden, obwohl sie sich für die neue Erwerbsart nur beschränkt eigneten. Die menschliche Intelligenz, die den technischen Fortschritt, also die Bildung von zusätzlichen Organen, so außerordentlich vorangetrieben und sich bei der Verbesserung der Erwerbsform über Raub so entscheidend bewährt hatte, wurde bei dieser neuen Aufgabe plötzlich behindert. Sie wurde durch die nicht mehr zeitgemäßen, inneren Weisungen, die den nun zielführenden Strategien teilweise diametral zuwiderliefen, gleichsam paralisiert, verwirrt und in falsche Geleise gezwungen. So entfaltete sich der Erwerb über Tauschakte nach der nicht mehr zuständigen Raubstrategie, führte auch so zu Gewinnen und Fortschritten - jedoch nicht in dem Maß, wie an sich möglich war. Durch diesen inneren Steuerungskonflikt, den (Originalbuchseite 136)
"Psychosplit", blieb die evolutive Entwicklung gleichsam stecken was nicht nur den Erwerbsbereich sondern das gesamte menschliche Zusammenleben entscheidend traf. In der auf Steigerung von Annehmlichkeit und aktive Lebensgestaltung
ausgerichteten "kulturellen Evolution" kam überall Sand ins Getriebe, weil bei jedem Zusammenwirken und Leistungstausch der auf andere Angewiesene ganz automatisch zur "Beute" im Sinne von Raubverhalten wurde. Die sozialen Triebe und Morallehren, die das Zusammenleben steuerten, reichten nicht aus, diesem stärksten aller tierischen Instinkte, dem Nahrungstrieb, paroli zu bieten. Der bei dem Tauschvorgang so äußerst nützliche Universalvermittler Geld verstärkte noch - wiederum durch die Mechanik der Konditionierung - diese negative, den menschlichen Fortschritt behindernde Tendenz. - Das ist, nochmals kurz zusammengefaßt, die Behauptung meiner Beweisführung, die nun ganz automatisch zur Frage führt: Wenn dies wirklich stimmt, was läßt sich dann tun? Ist es möglich, diese von innen her bewirkte Blockade zu beseitigen - und wie ist dabei vorzugehen? Die Lebensentwicklung, ein Phänomen, bei dem sich Energie über dafür geeignete materielle Strukturen gleichsam potenziert und in höchst sublime Leistungen auffächert, gelangte über den Menschen, nach der Entwicklung der Einzeller und der Vielzeller, in eine dritte ganz außerordentlich expandierende Entfaltungsperiode - jedoch über eine sich ergebende neue Form des Energieerwerbes sehr bald auch an eine höchst gravierende Barriere. Durch das innere Krebsgeschwür "Psychosplit" und den inzwischen erreichten technischen Fortschritt besteht die deutlich näherrückende Möglichkeit einer Selbstzerstörung nicht nur der Menschheit sondern der gesamten Lebensentfaltung. (Originalbuchseite 137)
Läßt sich der Psychosplit beeinflussen? Läßt sich dieser psychische Defekt irgendwie abbauen, neutralisieren oder ganz beseitigen? Analysieren wir etwa die Vorgänge in Ortschaften oder kleineren Städten der marktwirtschaftlich orientierten "freien" Welt, dann zeigt sich, daß dort dem Halben Räuber enge Grenzen gesetzt sind. Und zwar durch das Korrektiv einer weitgehend transparenten
Gesellschaft. Verkauft hier etwa ein Gemüsehändler schlechte Ware oder gute zu überhöhtem Preis, dann wird er nicht lange bestehen können. Die Kundschaft wird dafür sorgen. Sie wird zu einem Konkurrenten abwandern, der sich mehr tauschgerecht verhält. Ist er der Einzige im Ort, dann entsteht geradezu ein Sog zur Etablierung eines anderen, besseren. Der schlechte Anbieter wird bald von der Bildfläche verschwinden. Der Vorgang entspricht durchaus der "Natürlichen Auslese des besser Geeigneten", der bei den Pflanzen und Tieren jenen Arten den Vorzug einräumt, die besser Energie erwerben können und auch allen sonstigen für ihre Lebensform relevanten Umweltbedingungen besser angepaßt sind. Die Urgemeinschaften des Menschen waren, als sie seßhaft wurden, noch recht klein und transparent. Trotzdem wäre es falsch zu glauben, daß damals dem Psychosplit schon gleich bei seinem ersten Auftreten das Handwerk gelegt war. Wie schon an früherer Stelle angedeutet, waren zunächst Schutz vor anderen Menschengruppen und dann der Besitz von Grund und Boden wirksame Faktoren, die eine "freie Wirtschaft" im heutigen Sinne unmöglich machten. Die jeweiligen Herrscher und herrschenden Klassen steuerten Angebot und Nachfrage - kassierten den Hauptteil der von der Gemeinschaft - und innerhalb der Gemeinschaft - erzielten Gewinne. Immerhin jedoch zeigte sich wohl schon damals - wie (Originalbuchseite 138)
heute noch in überschaubaren Siedlungen der marktwirtschaftlichen Länder, daß die üblen Auswirkungen des Psychosplits überwunden werden können, indem man die nicht mehr zielführenden Steuerungen mehr oder minder gewaltsam unterdrückt. Nur die wenigsten durch solches Korrektiv der Gemeinschaft in Schach gehaltenen verhielten sich dann wirklich "kundenorientiert". Nur gelegentlich wird es wohl beim einen oder anderen zur Erkenntnis gekommen sein, daß er besser fährt, wenn
er nicht an den eigenen Vorteil sondern an jenen von anderen denkt. Dazu war der Räuber, auch traditionell, noch zu tief in ihm verankert. Immerhin zeigt schon dieser Zusammenhang, daß der Psychosplit keine unheilbare Seuche ist, sondern sehr wohl in seinen Auswirkungen gebremst werden kann. Wenn wir über eine lange Zeitspanne hinwegspringen - denn in dieser Schrift soll uns ja in erster Linie die heutige Situation und ihre bessere Bewältigung beschäftigen und nicht die so verworrene Geschichte der menschlichen Wirtschaft -, dann gelangen wir in jene Zeit, da sich die Verkehrsmittel verbesserten, da gewerblicher und technischer Fortschritt sich in immer steilerer Aufwärtsentwicklung entfalteten, und Händler die immer zahlreicheren und immer mehr leistungssteigernden Werkzeuge, Waffen und sonst dienlichen Produkte in immer weitere Gebiete verbreiteten. Dies war eine Blütezeit des Halben Räubers, der nun in vielen Bereichen mit großem Erfolg über Raubstrategien Tauschhandel betrieb. Da große Knappheit an "Gütern" und starker Bedarf an Kapital zur Erstellung größerer Produktionsstätten bestand, brachten Produktion und Handel reichen Ertrag - der allerdings durch entsprechend organisierte "Ganze Räuber" entsprechend ins Visier genommen und geplündert wurde. Immerhin hin(Originalbuchseite 139)
terließ diese Handelsaktivität trotz der damals erzielten großen Erwerbsspannen keine besonderen Tränen, denn sie brachte ja Benötigtes, Neues, Nützliches - und viel von dem so zusammengetragenen Kapital diente weiteren, für viele durchaus nützlichen Investitionen. Eine "Orientierung an den Interessen des Kunden" entwickelte sich wohl nur gelegentlich, doch de facto wurde der Fortschritt so vorangetrieben. Und nun machen wir noch einen weiteren großen Sprung in unsere Zeit einer hochindustrialisierten Entwicklung, da über Telephon,
Radio, Fernsehen und immer schnellere und bessere Verkehrsmittel die gesamte Erde - wie Marshall McLuhan so richtig sagte - wieder "zum, großen Dorf wird": wo man immer genauer weiß, was überall geschieht. Diese Entwicklung brachte eine Informationsflut mit sich, in welcher jeder einzelne und besonders der Fachwissenschaftler geradezu ertrinkt. Also sollte man meinen, daß - so wie in Schuberts schönem Lied vom Angler, der bei trübem Wasser leichter die Forelle überlistet - die Wirtschaftsräume immer intransparenter werden, was dem Halben Räuber sein Handwerk noch erleichtert. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Gerade diese Entwicklung führte zu einer Spezialisierung der weltenweiten Anbieter auf immer engere Zielgruppen - so daß die für den einzelnen immer unüberschaubarere Welt für den über Tauschakte Erwerbenden zunehmend transparenter wird. Durch Fachzeitschriften, persönliche Information, Marktforschung und nicht zuletzt durch den Computer ist man in der Wirtschaft immer besser über die internationale Angebots- und Nachfragesituation im Bilde. So tritt - ähnlich wie im kleinen Dorf - das Korrektiv der Gemeinschaft wieder in Erscheinung. Dies zeigt sich darin, daß auch weltumspannende Konzerne sich immer mehr auf Qua(Originalbuchseite 140)
lität und "Kundennähe" ausrichten und sich darum bemühen, "optimale Problemlöser" für ihre Zielgruppen zu sein. Und zwar vollzieht sich dies nicht nur eben auf Grund eines Druckes von Außen - also einer Natürlichen Auslese, die den nicht "tauschgerecht" Erwerbenden im Wettbewerb zurückfallen läßt -, sondern auch zunehmend in der wachsenden Erkenntnis, daß man, um den eigenen Gewinn zu optimieren, sich um den Gewinn anderer bemühen muß. Somit kann kein Zweifel daran bestehen, daß der Psychosplit, dieses bei jedem in der heutigen Wirtschaft Erwerbstätigen geradezu zwangsläufig auftretende Phänomen, über Einsicht in die ihn verursachenden genetischen Zusammenhänge, überwindbar ist -
was in vielen Bereichen eine Verringerung "innerer Reibung" und eine beträchtliche Effizienzsteigerung der gesamtmenschlichen Entwicklung zur Folge haben kann. Die dafür notwendige Erwerbsund Lebensausrichtung - nennen wir es "Strategie" - ist nicht, wie bei anderen wirtschaftlichen. Lehren, das Ergebnis einer bestimmten Meinung oder bestimmter Untersuchungen und Erfahrungen - sondern stützt sich auf einen konkreten, durchaus nachprüfbaren naturwissenschaftlichen Zusammenhang, aus dem sich auch die geeignete Taktik, dem Psychosplit und seinen Auswirkungen entgegenzutreten, ergibt. In der Forschung hat sich nicht selten gezeigt, daß schon die richtige Fragestellung genügt, um die Problemlösung zur Hälfte zu bewältigen. Auch hier mag das zutreffen, aber einfach ist dieses Problem bestimmt nicht. Es beginnt schon mit der Schwierigkeit, die sich mit dem Wort "Räuber" verbindet. Es bezeichnet Ausüber einer gesetzlich verfolgten Tätigkeit, die in hohem Ausmaß ablehnenswert ist während hier der Begriff im Sinne der tierischen Tätigkeit verstanden wird. Frißt (Originalbuchseite 141)
eine Ziege Grashalme, dann tun diese uns kaum besonders leid, doch aus Sicht des Energieerwerbes ist der Vorgang klipp und klar "Raub". Ein anderes Lebewesen wird zum Teil oder zur Gänze gefressen. Struktur, die Energie enthält, wird ihm - man kann es nicht anders nennen -, "geraubt". Schlägt ein Löwe eine Gazelle, die sich nach Möglichkeit wehrt und jämmerlich schreit, dann ist er - nach menschlicher Beurteilung - nicht böse oder schlecht, vernichtet aber doch Leben, ebenso wie die Ziege. Die Steuerungen, die hier wie dort den Raubvorgang lenken, sind ebensowenig "gut" oder "böse" wie die Ziege selbst oder der Löwe selbst. Ihr Verhalten ist Teil der Natur, mag in uns Mitleid für die jeweilige Beute erwecken, wird aber von sämtlichen Morallehren akzeptiert. Wenn diese Steuerungen bei unseren Urvorfahren durch Intelligenzakte noch verbessert wurden ... war dies etwa
schlecht? Sind etwa Ackerbau und Viehzucht amoralisch? Aus der dem Menschen eigenen egozentrischen Betrachtungsweise sind sie es nicht. Der Übergang vom Erwerb über Raubakte zum Erwerb über Tauschakte war dann eine Neuerung von kosmischer Dimension. Seit mehr als 3 Milliarden Jahren hatte es, von unbedeutenden Ausnahmen abgesehen, nur eben den Energieerwerb der Pflanzen über Dienstbarmachung von Lichtenergie gegeben und den Energieerwerb der Tiere über Akte, die man nur eben als "Raub" bezeichnen kann. Nun kam es zum dritten Energieerwerb großen Ausmaßes: über Tausch. Wenn nun die angeborenen Steuerungen den Vorgang erschweren, dann ist das wiederum weder "gut" noch "böse". Und das Produkt des so in die Welt kommenden Steuerungskonfliktes - der "Halbe Räuber" - unterliegt erst recht nicht diesen Kriterien. Wie aber sollte man ihn sonst nennen? In genauer Definition ist er ein Organismus, der über (Originalbuchseite 142)
Tausch Energie erwirbt, jedoch in seinem Verhalten noch von den Raubinstinkten der Vorfahren beeinflußt wird. Dies ist weder gut noch böse sondern einfach eine Tatsache. Und die Bezeichnung "halb" ist eine Vereinfachung und somit völlig ungenau. Mancher mag in seiner Praxis noch 90% Räuber sein, ein anderer nur 10%. Wesentlich ist: beide sind vom Psychosplit betroffen. Und Tatsache ist, daß beide von angeborenen Maximen beeinflußt sind, die eine Optimierung der neuen Erwerbsform beeinträchtigen. Nur darum geht es. Es geht darum, bewußt zu machen, daß wir im Erwerb über Tausch durch obsolet gewordene Instinktsteuerungen daran gehindert werden, diesen perfekt zu betreiben. Die so entstehenden Einbußen, ob 10% oder 90%, sind eine beweisbare Tatsache. Sie sind Thema dieses Buches. Wenn wir uns mit ihnen befassen, ist es somit fehl am Platz, sich ihrer zu "schämen". Nur wenn wir sie nüchtern ins Visier nehmen, um sie zu beseitigen,
können wir evolutiv vorwärtsschreiten. Nur so können wir vielleicht - Probleme aus der Welt schaffen, die in der gesamten Geschichte immer wieder auftauchten und immenses Leid und immense Einbußen verursachten. Heute werden sie - wegen Geburtensteigerung und technischem Fortschritt - besonders kritisch. Gegen die Bezeichnung "Psychosplit" kann man einwenden, daß es mit Einsetzen des menschlichen Intellekts - also bereits viel früher - zu einer doppelten Steuerung und somit zu einem "Split" kam. Fast jeder von uns erlebt täglich, daß uns angeborene Regungen mit der Vernunft kollidieren. Andererseits wurde bereits darauf hingewiesen, daß Intellekt und Instinktsteuerungen über die gesamten zwei Millionen Jahre, da unsere Vorfahren als Jäger und Sammler lebten, weitgehend (Originalbuchseite 143)
zusammenarbeiteten und somit kein grundsätzlicher Konflikt verursacht wurde. Unsere technische Entfaltung kommt eigentlich erst in unserem Jahrhundert an Grenzen, wo man sich zu fragen beginnt, ob weiterer Fortschritt - Atomreaktoren, Überschallflugzeuge, Umweltzerstörung, Wegwerfgesellschaft und ähnliches - wirklich noch als sinnvoller Fortschritt bezeichnet werden kann. Kein anderer Konflikt, so will mir scheinen, wirkt sich jedoch auch nur annähernd so global und praktisch bei jedem heranwachsenden Menschen so negativ aus, wie das, was ich in Ermangelung eines besseren Wortes als "Psychosplit" benannt habe. Ebenso wie mit der Bezeichnung "Halber Räuber" ist auch mit "Psychosplit" nichts Negatives schlechthin gemeint, sondern eine unserer Entwicklung entgegenstehende Hürde. Die zur Überwindung dieser Hürde geeignete Strategie nenne ich "OBS", als Abkürzung der englischen Bezeichnung "Optimal Bartering Strategy" und "Optimal Business Strategy" - was in glücklicher Weise den theoretischen Aspekt mit dem Praktischen
verbindet31. Auch im Deutschen eignet sich diese Bezeichnung, indem sie als Abkürzung von "Optimale Berufsstrategie" und "Optimale Betriebsstrategie" gewertet werden kann. Es handelt sich dabei keineswegs um eine fix und fertig präsentierte Wirtschaftslehre, weit eher um ein auf Höherentwicklung gerichtetes Ziel. Ich glaube zwar bereits die wichtigsten Hinweise präsentieren zu können: dies ist Gegenstand des zweiten Teiles dieser Schrift. Um den Psychosplit zu überwinden, müssen jedoch die angeborenen Raubinstinkte der Tiere noch weit genauer untersucht werden. Je genauer wir wissen, welche falschen Ratschläge sie uns geben, umso besser können wir diesen begegnen. Eine Schwierigkeit in meiner Darstellung ist auch das (Originalbuchseite 144)
Problem, die Energiequelle, die über Tauschakte erschlossen wird, unmißverständlich und anschaulich zu bezeichnen. Beim tierischen Erwerb gibt es den vorzüglichen Ausdruck "Beute" oder "Nahrung". Beim Erwerb über den Verkauf benötigter Produkte oder Dienstleistungen sind dagegen eine Reihe von abgrenzenden Bezeichnungen in Verwendung. Bei Kaufvorgängen spricht man von "Kunde", "Zielgruppe" oder "Absatzmarkt". Bei Anstellungsverhältnissen ist die Energiequelle der "Arbeitgeber", also bei Dienstleistung für ein Unternehmen eben dieses Unternehmen, bei Dienstleistungen für den Staat eben der Staat. "Bedarfer" ist eine genaue Bezeichnung, doch als Wort sehr häßlich. "Nachfrager" ist vielleicht besser, denn Bedarf wird erst dann zur Energiequelle, wenn sich mit ihm verfügbare Tauschwerte verbinden - in erster Linie Geld - sowie außerdem der Wille zu einer entsprechenden Aktion. Ich verwende diese geläufigen Bezeichnungen, wie sie eben am besten passen. Wichtig ist jedoch, stets im Auge zu behalten, daß sie sich alle letztlich auf das Gleiche beziehen. Und zwar auf eine über den Vermittler Geld erschließbare Energiequelle.
Sigmund Freud wies nach, daß schwerwiegende Erlebnisse im frühjugendlichen Alter zu einem "Trauma" führen können, das in das Unterbewußtsein verdrängt wird und so Neurosen zur Folge hat. Sehr folgerichtig zeigte er auf, daß man solche psychischen Störungen heilen kann, indem man die Ursachen des so entstandenen psychischen Dauerkonfliktes aufdeckt. Beim Psychosplit ist es anders und doch ähnlich. Hier handelt es sich nicht um ein individuelles Geschehen, das im Steuerungssystem Schädigungen verursacht, sondern um einen vor jahrtausenden in die Welt gekommenen grundsätzlichen Konflikt zwischen angeborenen In(Originalbuchseite 145)
stinktweisungen und einer neuen Form des Nahrungserwerbes, für den sie nicht entwickelt wurden. Der Psychosplit ist nicht angeboren, tritt jedoch bei jedem Menschen, der sich über Tauschvorgänge um Leistungen anderer oder Geld bemüht, über den Vorgang der Konditionierung ganz automatisch in Erscheinung. Auch hier kann eine Verminderung oder Beseitigung nur erfolgen, indem man die störenden Instinktweisungen bewußt macht und durch zielführende ersetzt. Dieser Bemühung wenden wir uns nun zu.
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zu "I. Konsequenz: Willst Du Gewinn, dann denke an den Vorteil Anderer." in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 147)
Zweiter Teil
OBS Die Überwindung des Psychosplits (Originalbuchseite 149)
1. Konsequenz:
Willst Du Gewinn, dann denke an den Vorteil Anderer
Wenden wir uns als erstes gleich jenem Bereich des Psychosplits zu, der am schwierigsten zu überwinden ist. Nirgends besteht eine größere Kluft zwischen den fehlgeleiteten Weisungen der Raubinstinkte und dem für erfolgreichen Erwerb über Tauschakte zweckmäßigen Verhalten, als in der Empfehlung, daß man, um zu Erfolg und Reichtum zu gelangen, nicht an den eigenen Vorteil, sondern an den Vorteil anderer denken soll. Dies erscheint widersinnig und abwegig. Freunden ein Geschenk zu machen oder Bedürftigen helfen zu können, vermittelt uns positive Gefühle. Ebenso natürlich und beglückend ist es, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie man der Frau und den Kindern eine Freude bereiten, wie man ihr Leben verbessern kann. Sogar für das Vaterland das Leben zu lassen, war für unendlich viele in der Geschichte ein Risiko, das sie durchaus freiwillig und bewußt auf sich nahmen. Jedoch Fremden, die man nie zuvor gesehen hat - ja, vielleicht nie zu Gesicht bekommen wird -, mit beträchtlichem Einsatz von Zeit und Mühe zu Vorteilen zu verhelfen, erscheint abwegig - oder bestenfalls als schwer verständliche Laune. Andererseits jedoch beruht der Energieerwerb über Tauschakte auf eben diesem Vorgang - sofern man ihn (Originalbuchseite 150)
optimieren will. Der Schuh, den ich herstelle, und der Kunde, der ihn letztendlich kauft, haben mit Gefühlsäußerungen wenig zu tun. Und doch kommt es sehr wesentlich auf die Zufriedenheit dieses Fremden an. Er bedeutet mir kaum etwas, ist mir vielleicht sogar unsympathisch. Und doch ist er für mich überaus wichtig. Ja, er entscheidet darüber, ob ich Freunden ein Geschenk oder der Frau und den Kindern eine Freude bereiten kann. Der Psychosplit hat zur Folge, daß für den Tauscherwerb nicht mehr zuständige Instinkte uns nachdrücklich empfehlen: "Denke ja nur an Dich und Deinen Vorteil! Nur so kannst Du zu Gewinn gelangen und Deine Macht und Sicherheit vergrößern! Nur so kannst Du Dich Konkurrenten gegenüber durchsetzen!" Der in der Wirtschaft weitverbreitete Spruch "Geschäft ist Geschäft" bringt dies deutlich zum Ausdruck. In den USA gilt sogar der verstärkte Spruch: "business is business is business". In seiner umfassenden "Geschichte des Materialismus" schrieb der Philosoph und Sozialpolitiker F. A. Lange, die kaufmännischen Erfahrungen aller Zeiten hätten "unbestreitbar darauf hingewiesen, daß das Individuum nur durch rücksichtslose Verfolgung seiner eigenen Interessen zu materiellem Wohlstand gelangen kann". Und in Klammer fügte er dann hinzu: "Mag dann die Tugend auf anderem Gebiet geübt werden, soweit die Mittel es erlauben -". Trotzdem gab es bereits zu allen Zeiten Menschen, die sich "tauschgerecht", also im Sinne der OBS verhielten. Im Geschäftsleben der letzten hundert Jahre zeigten eine Reihe bedeutender Unternehmer diese Tendenz. Zum Befremden ihrer Konkurrenten senkten sie die Preise, verbesserten die Qualität ihrer Produkte, erhöhten die Löhne, verbesserten die Arbeitsbedingungen ... und ver(Originalbuchseite 151)
dienten dabei trotzdem mehr als diese. Beispiele dafür sind etwa Ford I, Duttweiler, Bosch, Batá, Benz, Siemens, Woolworth, Zeiss - um nur einige zu nennen. Es tauchten im Lauf der Geschichte auch immer wieder Lehren auf, die zumindest in Teilbereichen in die gleiche Richtung wiesen. In der Betriebswirtschaft war es das "Marketing" (Abb. 11)32. Mir ist jedoch keine bekannt, die das Problem auch nur annähernd so eingehend untersuchte und die Ergebnisse in der Praxis so erfolgreich einsetzte, wie die von Wolfgang
Mewes ab 1972 veröffentlichte Energo-KybernetischeManagementsstrategie" ("EKS"), durch die er bereits mehreren tausend Berufstätigen und Unternehmen zu beachtlichen Erfolgssteigerungen verholfen hat33. Sie setzt mich in die erfreuliche Lage, auf eine Vielzahl von praktischen Beispielen hinweisen zu können, die anschaulich zeigen, wie der Psychosplit sich auswirkt und wie ihm begegnet werden kann. Einer der zahlreichen von Mewes veröffentlichten EKS-Fälle zeigt geradezu beispielhaft, wie dem "Halben Räuber" beizukommen ist. Es geht hier um einen Kleinbetrieb, wie es deren viele Tausende gibt, in einer Situation, die heute ebenfalls nicht selten ist. Die Wäscherei Werner Kürner liegt in der Nähe einer Großstadt und steht dicht vor dem Bankrott. Die Umsätze stagnieren, die Kosten wachsen, die Arbeitsmoral läßt deutlich nach. Die Verluste werden größer, und der Betrieb ist hart daran, aufgeben zu müssen. Kürner hat einen EKS-Lehrgang absolviert und versucht nun verzweifelt, die EKS-Strategie auf seinen Fall anzuwenden. Wie soll er sich gegen die erbarmungslose Konkurrenz durchsetzen? Die Verdienste sind auf Null abgesunken, wie soll er die Angestellten bezahlen? Und wenn er das nicht kann, ist er am Ende, das weiß er. (Originalbuchseite 152)
Abb. 11: Die Entwicklung des "Marketing". Die Ausrichtung größerer Unternehmen auf die speziellen Wünsche und Probleme der Kunden vollzog sich in den USA recht allmählich. Zunächst galt "Marketing" als den Funktionen, Produktion, Finanzplanung, Personalwesen ebenbürtig. Allmählich (b-e) wurde Marketing dann zur entscheidend wichtigen Integration zwischen Unternehmen und Kundeninteresse (allerdings mehr in der Wirtschaftstheorie als in der Praxis). Nach Ph. Kotler 1980. Vergl. Anm. 32 und 34. (Originalbuchseite 153)
Die EKS sagt: "Renne nicht mit dem großen Haufen, sondern suche nach einer Bedarfslücke! Mache nicht das gleiche, was auch die anderen tun, sondern entwickle Deine eigene, notfalls engbegrenzte Spezialität! Eine enge Zielgruppe überzeugend besser zu befriedigen als die Konkurrenten, schafft größere Aufstiegschancen, als sich auf die verschiedensten Kunden zu verzetteln!" Kürner fragt sich: "Wo also ist der Kunde, den ich überoptimal befriedigen kann? Wo ist ein brennender Bedarf, der noch besser gelöst werden kann? Wo ist das Problem - ob von dem, der es hat, bewußt wahrgenommen oder nicht -, das ich für ihn entscheidend besser lösen könnte?" Kürner organisiert sein Denken, schreibt viele Möglichkeiten nieder ... überlegt, überlegt. Und am Ende stößt er auf die Bürogardinen. Viele Büros legen auf saubere Gardinen großen Wert, haben aber immer weniger Zeit, sich um solche Belange zu kümmern. Das Waschen ist teuer geworden, außerdem muß man die Gardinen abnehmen, sie zur Wäscherei bringen, dann wieder aufmontieren - eine sehr lästige Sache. Das ist zweifellos ein Problem, das sich nicht wenigen stellt. Kürner rechnet nach, was ihn der Quadratmeter Gardinenwaschen derzeit kostet und wieviel es ihn kosten würde, wenn er monatlich die dreifache Menge an Gardinen zu waschen hätte. Die Kalkulation ergibt, daß er dann um 30 % billiger liefern könnte. Voraussetzung ist natürlich, daß er tatsächlich diese größere "Stückzahl" erreicht. Die EKS hat ihn gelehrt, daß probieren besser ist als zu grübeln. Sie hat ihn gelehrt, daß man jede solche Idee am besten an einer kleinen, aber repräsentativen Teilzielgruppe erproben muß. Das kostet nicht viel: so ist das Risiko am geringsten. Kürner kommt zum Entschluß, (Originalbuchseite 154)
daß eine solche "Teil-Zielgruppe" jene Büros sind, über deren GardinenWaschaufträge der Unternehmer oder seine Frau selbst entscheiden. Diese reagieren am schnellsten, zeigen am deutlichsten die Auswirkungen eines billigen Preises. Kürner wählt für seinen Test ein günstig gelegenes Büroviertel in der nahe gelegenen Großstadt. Und als günstigsten Termin für sein Angebot wählt er eine Zeitspanne, in der schmutzige Gardinen besonders unangenehm ins Auge fallen - kurz nach Ostern. Durch Briefwerbung tritt er gezielt an diese Teil-Zielgruppe heran, offeriert ihr die Lösung ihres Gardinenproblems um 30 % unter dem üblichen Preis. Für Abholen, Abnehmen und wieder Montieren garantiert er zu sorgen. Das Ergebnis übersteigt alle Erwartungen. Es melden sich doppelt so viele, als für die kalkulierte Herabsetzung des Preises notwendig ist. Also wagt er den Kopfsprung, unterbietet die Konkurrenz. Und schon kommen ihm neue, weitere Ideen. Wie wäre es mit einem Gardinen-Waschabonnement? Den Kunden wird angeboten, daß ihre Gardinen im Abonnement automatisch gewaschen werden - und zwar schnell, auch während Feiertagen, so daß sich der Kunde um nichts mehr zu kümmern braucht. Je nach Wunsch: einmal, zweimal, dreimal oder auch viermal im Jahr. Lockvogel ist, daß das Büro ganz automatisch immer ordentlich aussieht - und eine weitere Ermäßigung um 10 Prozent. Der Vorteil, den sich Körner errechnet, ist der größere Umsatz. So kann er auch um 40 Prozent billiger arbeiten. Von diesem Gewinn kann er noch etwas abzweigen, um neue Kunden zu werben. Durch sein günstiges Angebot kann er die Büros ganzer Straßenzüge gewinnen und entsprechend rationeller arbeiten. Und noch eine wei(Originalbuchseite 155)
tere Verbesserung ist möglich. Abholen, Abnehmen, Waschen und Aufhängen ist im Zeitlohn nur ein geringer Ansporn für die Mitarbeiter. So aber könnte er sie im Leistungslohn, ja sogar vielleicht im noch günstigeren Gruppenakkord entgelten, was zu höheren Löhnen und damit auch zu einer erheblichen Steigerung der Leistung und zum Absinken der nötigen Kontrollkosten führen würde ... Die Rechnung ging auf. Ja, mehr als das. Je mehr Kürner einnahm, umso mehr senkte er die Kosten, steigerte er die Löhne. Hatte er ursprünglich mit 30%, maximal 40 % Kostendegression gerechnet, so gelangte er
letztendlich auf eine Degression von 70 %. Stück für Stück weitete er seine Aktion auf immer neue Stadtregionen und Zielgruppen aus. Da er auf hohe Qualität und Verläßlichkeit achtete, strömten ihm immer neue Kunden zu. Zur Kundenwerbung setzte er einen Vertreter ein - schon im ersten Monat gelangte dieser auf eine Provision von über 6.000 DM. Daß unter diesen Umständen das Konkurrenzproblem für Kürner wegfiel, liegt auf der Hand. Niemand konnte mit seinem Preis konkurrieren. Sein Service wurde perfekt. Seine Kosten je Quadratmeter (abzüglich der Vertreterprovision) betrugen schließlich nur noch 15 % der ursprünglichen Kosten. Sein Unternehmen, das hart am Bankrott gestanden hatte, war nicht nur gerettet, sondern florierte. Was geschah weiter? Dehnte Kürner sein Angebot nun auch wieder auf andere Wäsche aus? Den Regeln der EKS folgend tat er es nicht. Vielmehr suchte er nach Partnern in anderen Städten, denen er zu gleichem oder ähnlichem Erfolg über Spezialisierung auf das Waschen von Bürogardinen verhalf. Und zwar über den Weg des Franchising, also über die Vergabe seiner Erfahrungen gegen (Originalbuchseite 156)
entsprechende Beteiligung. Kürner ließ sich von einem Wirtschaftsberater den Ablauf und den Erfolg seines Vorgehens bestätigen und hatte somit einen schriftlichen, geradezu amtlichen Beweis in der Hand. Seinen Franchising-Partnern konnte er eine gesicherte Erwerbsposition bieten - und er blieb mit ihnen im laufenden Kontakt. Wiederum zum beidseitigen Vorteil. Denn Erfahrungen, zu denen man an einem Ort gelangte, kamen so auch den anderen zugute. Kürner investierte also nicht mehr in neue Produktionsmittel - sondern ging dazu über, vom erworbenen Know-how und dessen laufender Verbesserung zu leben. Inwiefern hat nun dieser erstaunliche Erfolg mit dem Thema dieses Kapitels, daß man nicht an den eigenen Vorteil, sondern an jenen von anderen denken soll, zu tun? Zunächst ist festzustellen, daß es in diesem Fall ganz bestimmt nicht um eine Verteilung von freundlichen Geschenken ging. Kürner handelte keineswegs "altruistisch" im üblichen Sinne dieses Begriffes, vielmehr kämpfte er um die nackte Existenz. Sein Verhalten war auch nicht von religiösen und moralischen Konzepten beeinflußt, die uns nahelegen, dem
Mitmenschen Gutes zu erweisen, sondern seine Situation glich weit eher der einer Pflanze, die von anderen rücksichtslos überwuchert wird und sich knapp vor dem Absterben befindet. Und ebenso war sie mit der Situation eines Tieres vergleichbar, das dicht am verhungern ist und verzweifelt nach Nahrung sucht, um am Leben zu bleiben. Kürner setzte bloß seine letzten Kräfte anders ein als bisher. Eine andere Strategie - Ergebnis menschlicher Intelligenz - verhalf ihm dazu. Die bei allen in Rudeln lebenden Tieren - einschließlich unserer Vorfahren ausgebildeten "sozialen (Originalbuchseite 157)
Instinkte", sichern den Zusammenhalt der Gruppen. Nach außen hin - das sehen wir ebenso beim Wolfsrudel wie beim Ameisenstaat - verhalten sie sich als räuberische Einheiten und bekämpfen andere (obwohl es Artgenossen sind) auf das grimmigste. Dem Angehörigen der eigenen Gruppe gegenüber zeigt dagegen das Individuum die Bereitschaft zur Zusammenarbeit, zur Hilfeleistung und zur Arbeitsteilung. Bei gruppenbildenden Säugetieren können wir sogar Begleiterscheinungen solcher Vorgänge beobachten, die durchaus den bei uns auftretenden Gefühlen der Kameradschaft, Freundschaft und Nächstenliebe vergleichbar sind. Für die Darlegungen in diesem Buch ist es wichtig, in aller Klarheit darauf hinzuweisen, daß die für optimale Tauschstrategie zweckmäßige Einstellung sich nicht aus den auch beim Menschen stark ausgeprägten sozialen Instinkten und den durch sie vermittelten Gefühlen, auf die wir noch zurückkommen, ableitet. Beim Menschen kam als Besonderheit die künstliche Anfertigung von zusätzlichen Organen hinzu. Das ist - wie schon erwähnt - die Ursache dafür, daß sich die Auseinandersetzungen zwischen den menschlichen Gruppen ("Verbänden", "Völkern") so äußerst verschärften. Denn während es bei Auseinandersetzungen von Tierverbänden der gleichen Art in erster Linie um Nahrung geht - um die Beherrschung bestimmter, als Lebensraum geeigneter Territorien -, kam beim Menschen hinzu, daß die zusätzlichen Organe, die so immens die Leistungskraft des Zellkörpers steigern, von dem, der sie raubt, ganz ebenso verwendet werden können, wie vom Beraubten. Auch der Mensch bekämpft andere, um ihnen Nahrung und Lebensraum zu entreißen, doch zu einem nicht minder wichtigen Ansporn wird das "Gut" des Anderen, durch das die eigene Macht unmittelbar
(Originalbuchseite 158)
gesteigert werden kann. So kam es, daß sich zwar innerhalb der menschlichen Verbände die sozialen Instinkte verfeinerten und über Sitte, Brauchtum, Lebenskultur und Kunst noch differenzierten, jedoch anderen Verbänden gegenüber eine besonders mißtrauische, oft feindliche und räuberische Haltung gezeigt wurde. Beim Affenrudel kann man nicht selten beobachten, daß einer dem anderen etwas wegnimmt oder streitig macht, doch geht es dann eben bloß um Futter, um Schlafplätze, um "Personen-Besitz" oder ähnliches - weil es eben praktisch nicht viel wegzunehmen gibt. In diesem Sinne führten die zusätzlichen Organe des Menschen zu einer veränderten Situation. Trotz der sozialen Instinkte und die durch Sprache und geistige Entfaltung sich noch stärker entwickelnden individuellen Bindungen war hier Diebstahl und Raub, selbst mit Totschlag nicht selten - was zur Notwendigkeit entsprechender Gesetzgebungen und sie wahrnehmender und durchsetzender Institutionen führte. Während dies noch eine ganz natürliche Weiterentwicklung darstellt, kam über die Herstellung und den Verkauf der zusätzlichen Organe eine neue Beziehung in die Welt, die nicht unmittelbar aus Zusammenarbeit und Tauschhandlungen innerhalb der ursprünglichen Gruppen ableitbar ist. Das Verhältnis des Produzenten zum anonymen Kunden hat nichts mit den uns angeborenen Tendenzen der Freundschaft und Hilfsbereitschaft gegenüber Gruppenangehörigen oder entfernteren Bekannten zu tun. Es geht dabei um indirekten Energieerwerb, und so ist es durchaus verständlich, ja folgerichtig, wenn bei diesem neuen Verhältnis zunächst einmal die Strategien eines gemäßigten Raubverhaltens eingesetzt wurden ... eben das Verhalten des Halben Räubers. Auf die Partnerschaft mit einem anonymen Kundenkreis war (Originalbuchseite 159)
der Mensch instinktmäßig in keiner Weise vorbereitet. Nur über den Intellekt können wir begreifen, daß eine andere Strategie als das auf Augenblickserfolge ausgerichtete Raubverhalten bei dieser neuen Erwerbsart zu besseren Ergebnissen führt34. Und das bringt uns wieder zum Fall Kürner zurück. So wie jeder in der Wirtschaft Tätige bemühte sich auch dieser Mann mit
seinem Betrieb um Erfolg, um Gewinn, um Geld. Wenn es ihm - über Ratschläge der EKS - klar wurde, daß es beim Erwerb über Tausch darauf ankommt, nicht so sehr an sich selbst und den eigenen Nutzen, sondern an die Probleme anderer und deren Lösung zu denken, dann streifte er gleichsam die Fesseln einer evolutionären Vergangenheit ab. Das Suchen nach einer "Marktlücke", wie es die EKS nahelegt, bedeutet an sich noch nicht optimale Tauschstrategie. Denn auch der vom Psychosplit beeinflußte Halbe Räuber sucht nach Marktlücken und macht sich dort breit, beutet sie aus. Nicht auf "lückenorientiertes Verhalten" kommt es somit an, sondern darauf, in welcher Absicht man nach Marktlücken sucht und wie man sich dort verhält35. Die wesentliche Wende für Kürner bestand darin, daß er dazu überging, nicht mehr die eigenen Probleme ins Zentrum seiner Betrachtungen zu stellen - sondern die Probleme anderer. Wenn das Ergebnis seines Verhaltens - volkswirtschaftlich gesehen - als durchaus das Gemeinschaftsinteresse fördernd betrachtet werden kann, dann ist das eine positive Begleiterscheinung, doch nicht das Motiv der Handlung. Während es für den Räuber ohne Interesse und Relevanz ist, daß das Opfer "seiner freundlich gedenkt", ist dies beim Erwerb über Tauschakte diametral verschieden. Hier beeinflußt ein Erwerbsakt den nächsten in entscheidender Weise. Ist der Kunde echt zufriedengestellt, dann (Originalbuchseite 160)
kann dies weitere Erwerbsbemühungen wesentlich erleichtern und begünstigen. Der Fall Kürner zeigt ein Prinzip auf, das nicht nur für kleine Wäschereien von Bedeutung ist, sondern bei fast jeder Art von Beruf und fast jeder Art von Unternehmen den gleichen, entscheidenden Stellenwert hat. Kommt man im Konkurrenzkampf nicht weiter, ob man nun Bäcker ist, eine Versicherungsgesellschaft oder ein Großunternehmen des Maschinenbaues: stets ist dann zu untersuchen, ob man nicht, indem man sich intensiver auf einen bestimmten Teilbereich ausrichtet, zu wesentlich besseren Ergebnissen kommen kann. Man darf sich dann nicht mehr darauf konzentrieren, wie man hergestellte Produkte noch besser absetzen, noch rationeller herstellen, noch attraktiver gestalten, mit noch größerem Gewinn an den Kunden bringen kann. Und ebensowenig darf man dann sein Interesse darauf richten, wie man für Dienstleistungen noch bessere Honorare erzielen, noch mehr Nachfrage
erreichen, sie noch vielseitiger in Profit verwandeln kann. Sondern man muß gleichsam mit dem eigenen Gehirn in jene von Fremden übersiedeln und sich überlegen, welche Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen dort vorhanden sind; welche Aversionen, Ängste und Probleme dort die Entscheidungen beeinflussen. Bei Kürner bestand die Umpolung darin, die Unzahl eigener Probleme, die ihn bestürmten, hinter sich zu lassen und sich intensiver mit der Situation und den Problemen seiner Kunden zu befassen.36 All dies entspricht im Wirtschaftsbereich durchaus der sich für optimale Tauschstrategie ergebenden ersten Konsequenz. Hauptsache beim Energieerwerb über den Umweg des Gelderwerbes ist die Ausrichtung auf dringende und dauerhafte Bedürfnisse bei anderen - und (Originalbuchseite 161)
deren möglichst optimale Befriedigung. Wie der Psychosplit uns dabei behindert, zeigt der Fall Kürner sehr deutlich. Die durch Konditionierung in ihm wachgerufenen Weisungen der für seine Tätigkeit nicht mehr zuständigen Raubinstinkte führten dazu, daß seine Gedanken ständig um die eigenen Interessen und um die Probleme seines Betriebes kreisten. So aber konnte er in der extremen Konkurrenzsituation nicht bestehen. Nur indem er sein Denken radikal umpolte, gelang es ihm, einen Ausweg zu finden. Noch eine weitere, für Rauberwerb zweckmäßige Instinktsteuerung wirkt sich - über den Psychosplit - auf unser wirtschaftliches Denken negativ aus. Ein zweites falsches Instinktkommando besteht darin, daß bei auftauchenden Chancen zum Gelderwerb eine innere Stimme uns nicht nur zuflüstert: "Nur Dein Vorteil zählt!", sondern dem noch hinzufügt: "Nütz die Chance maximal!" Für die meisten Tierarten ist eine solche Instinktweisung zweckmäßig und wichtig. Denn in fast jedem Lebensraum gibt es für den Nahrungserwerb günstigere und weniger günstige Perioden - deshalb sind Reserven für das Überleben oft von entscheidender Bedeutung. Tiere speichern Energie in Form von Zucker und Fett. Oder sie speichern Energie außerhalb ihres Körpers, indem sie Depots anlegen - das Eichhörnchen etwa, indem es Nüsse vergräbt. Manche Spezialisten haben erweiterungsfähige Mäuler und Mägen ausgebildet - wie etwa Tiefseefische und Riesenschlangen. Eine Python kann ein Schwein von über 2o Kilo Gewicht verschlingen und dann länger als ein Jahr ohne Nahrung auskommen.
Das generelle Instinktverhalten dürfte bei den meisten Tieren so ausgerichtet sein, daß gegebene Chancen, den (Originalbuchseite 162)
Lebensumständen entsprechend, bestmöglich genützt werden. Beim Menschen mag das den Impuls verursachen, den wir "Gier" nennen - und zwar nicht bloß in Hinblick auf Nahrung, sondern als "Habgier" auch in Hinblick auf Angliederung von machtsteigernden oder das Lebensvergnügen fördernden Einheiten. Der Universalvermittler "Geld" spielt auch hier wieder eine entscheidende Rolle. Da Geld "gespart" werden kann und sich Geld so in die verschiedensten Güter verwandeln läßt, wurde der Erwerb dieses magischen Zaubermittels zum Ziel nicht nur sehr vieler sondern der meisten - und macht in diesem Sinne fast jeden Menschen zum Konkurrenten der übrigen. Im wirtschaftlichen Verhalten führte diese Instinktsteuerung über den Psychosplit dazu, daß manche Chance mehr ausgenützt wird, als für optimales Tauschverhalten zweckmäßig ist. Einem in guter Stimmung befindlichen Kunden gleich noch zwei weitere Dinge anzudrehen, die er gar nicht gewünscht hat, ist überall, wo es auf Bildung von Stammkundschaft ankommt, eindeutig ein Fehler. Die Vertrauensbildung, die weit wichtiger ist als der einmalige Mehrgewinn, kann so gestört oder sogar jäh beendet werden. Und entscheidet sich jemand für einen Job, weil ihm dort das höchste Gehalt geboten wird, dann kann er ebenfalls - aufgrund eines obsoleten Raubinstinktes - einen schwerwiegenden Fehler machen, wenn er bei einem anderen wesentlich bessere Aufstiegschancen hätte. Im Geschäftsleben führt dieser negative Einfluß dazu, daß nicht wenige der Versuchung unterliegen, ein sich gerade günstig anbietendes Geschäft "mitzunehmen", obwohl es sie von der eigentlichen Ausrichtung ihrer Berufstätigkeit empfindlich ablenkt und sich dieses dann negativ auswirkt. Bei Unternehmen führt der gleiche Einfluß dazu, eine zu breite "Palette" von Waren (Originalbuchseite 163)
anzubieten. Wer "auf Dutzenden von Hochzeiten tanzt" verzettelt unweigerlich seine Kräfte. Um Nachfragern optimal zu dienen, muß man die Beharrlichkeit haben, sich möglichst intensiv mit deren Belangen zu beschäftigen. Dem, der das Glück am Schopf packt, mag gelegentlich nicht
nur ein Coup gelingen, sondern es kann sich daraus für ihn eine neue, günstigere Berufsausrichtung ergeben. Aber oft genug wirft es ihn, langfristig gesehen, zurück. In der gesamten Lebensentfaltung spielte der Konkurrenzkampf stets eine überaus wichtige Rolle. Er sorgte dafür, daß weniger Geeignetes auf der Strecke blieb und besser Geeignetes sich durchsetzte. Auch Partnerschaft und Synergie unterliegen dieser Auslese. Nur wenn solche Verbindungen zur Ausbildung von Strukturen höherer Leistungskraft führen, also zu stärkerer Konkurrenzfähigkeit, können sie bestehen. In der Wirtschaft führt Abdrosselung des Konkurrenzkampfes - wie etwa bei Monopolstellungen oder in den zentralverwaltungswirtschaftlichen Ländern kommunistischer Prägung - unweigerlich zum Stagnieren des Fortschrittes in wesentlichen Bereichen. Besteht nicht die Möglichkeit, daß Bessergeeignetes sich durchsetzt, dann lohnt es nicht der Mühe, solches zu erzeugen. Andererseits ist allzu harter Konkurrenzkampf - "Haufenbildung" im Sinne von Mewes - ganz ebenso für den Fortschritt nicht förderlich. Die Konkurrenten reiben sich dann in einigen Sektoren untereinander auf, was dem "Verbraucher" vielleicht in Gestalt von Preisunterbietungen zugute kommt ... aber insgesamt weder ihm noch der Volkswirtschaft dient. Gibt es in einer Stadt 30 Buchhandlungen, die alle die gerade am meisten gefragten Titel anbieten, dann wirkt jeder gegen den anderen so gut er kann. Richten sich dagegen einzelne auf "Teilziel(Originalbuchseite 164)
gruppen" aus - profilieren sie sich auf verschiedene Nachfragerwünsche der eine auf Belletristik, der zweite auf wissenschaftliche Literatur, weitere auf Kinder- und Jugendbücher, auf Antiquariat, auf Gartenpflege, auf Taschenbücher etc., dann wird das verfügbare Angebot und die individuelle Betreuung der Kunden in dieser Stadt wesentlich verbessert und der Konkurrenzkampf entschärft. Die Marktwirtschaft ermöglicht ein immer stärker differenziertes Angebot, was zu immer neuen Spezialisierungen führt. Bei der Evolution der Tiere und Pflanzen zeigte bereits die so ungeheuer vielfältige Artenbildung den gleichen Trend, das gleiche sich nun in der Wirtschaft fortsetzende Lebensgesetz. Wir befinden uns in einer evolutionären Übergangsstufe vom Energieerwerb über Raub zu einem Energieerwerb über Tausch. Die uns von einer langen Ahnenkette übermachten Instinktsteuerungen erschweren
uns diesen Vorgang. Erkennen wir, wie sie wirken, dann können wir ihre negativen Auswirkungen beseitigen. Das Motto "Willst Du Gewinn, dann denke an den Vorteil anderer" ist eine der wichtigsten Konsequenzen, die sich hier ergeben. Daß es dabei keineswegs um "Altruismus" im bisherigen Sinne geht, sondern um ein durchaus egoistisches Bestreben, erschwert die gedankliche Umpolung. Wenn jedoch diese OBS-Regel dazu führt, daß den bisherigen Bestrebungen nach Partnerschaft und Nächstenliebe auf diesem Kurs besser gedient wird, als über unsere sozialen Instinkte, dann sollte es uns nicht stören, wenn Egoismus der Motor ist.
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zu "2. Konsequenz: Nicht nur die ausgetretenen Wege führen zu Erfolg." in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 165)
2. Konsequenz:
Nicht nur die ausgetretenen Wege führen zu Erfolg
In den westlichen Industrieländern steht man heute vor einem interessanten Phänomen. Einerseits sind Millionen von Menschen arbeitslos und beziehen aus Steuergeldern Unterstützung. Andererseits gibt es fast überall Bedürfnisse, für die es kein Angebot gibt, Probleme, für deren Behebung die Betroffenen nur allzubereit wären, angemessen, ja sogar großzügig zu bezahlen, wenn sich bloß jemand fände, der sie behebt. Wo liegt hier die Ursache? Ist vielleicht auch bei dieser Ungereimtheit der Psychosplit von Einfluß? Der Fall Kürner zeigte, wie man auch in einem sehr heftigen Konkurrenzkampf nicht. nur seinen Arbeitsplatz sichern, sondern noch zusätzliche schaffen kann - denn Kürner stellte ja nach der günstigen Wende weitere Kräfte an und vermittelte anschließend über Franchising seiner strategischen Erfahrung anderen die Voraussetzung für ähnliche Erfolge in anderen Städten. Es gibt indes noch einen zweiten Ausweg, der nicht minder interessant ist und ebenfalls in fast jeder Berufs- oder Unternehmenssparte anwendbar ist. Auch hier liefert der EKS-Lehrgang ein hervorragendes Beispiel37. In diesem Fall verhalf Mewes dem Buchhalter Brandes durch drei Ratschläge zu einem ganz überragenden Erfolg. Brandes hatte sich durch einen Lehrgang zum Bilanz(Originalbuchseite 166)
buchhalter weitergebildet, doch als solcher keine geeignete Position gefunden. Er dachte, daß es vielleicht an der mangelhaften Formulierung seiner Bewerbungen lag und erschien bei Mewes, ob man ihm durch Verbesserung seiner Informationstechnik weiterhelfen könnte. Mewes stellte durch eine Differenzanalyse das Leistungsprofil des Mannes fest (Abb. 12). Aus diesem ging jedoch hervor, daß er in der Tat wenig Chancen hatte. In fast allen wesentlichen Belangen war er einem einigermaßen beschlagenen Bilanzbuchhalter deutlich unterlegen. Dagegen zeigte die Analyse eine Besonderheit und Mewes empfahl, diese "auszuprägen". Brandes hatte bei einer Firma gearbeitet, die in einem Zonenrandgebiet ein neues Werk errichtete und hatte auf diesem Spezialsektor umfangreiche Erfahrungen und Kenntnisse gesammelt. Um die unterentwickelten Randgebiete der Länder industriell aufzuwerten, waren in der Bundesrepublik zahlreiche Sonderbestimmungen in Kraft gesetzt worden, die Investoren ermutigen sollten. Sowohl auf Bundesebene als auch von den einzelnen Ländern und Gemeinden wurden Unternehmen, die sich in solchen Zonenrändern ansiedelten, mannigfache Vorzüge gewährt. Wer hier gut Bescheid wußte, konnte zu wesentlichen Vorteilen und Einsparungen gelangen. Mewes schreibt: "Auf diesem Gebiet wußte er mehr als die Masse der Bilanzbuchhalter, auf allen übrigen weniger. Eine spezielle Eigenart zu entwickeln hat aber nur Sinn, wenn Bedarf an ihr
besteht. Wir erkundeten dies durch eine Stellensuchanzeige." Brandes bot darin seine Dienste als "Spezialist für Zonenrandförderung" an. Es kamen nicht weniger als 42 Angebote. Die Situation hatte sich damit für Brandes grundsätzlich gewandelt. Bei den bisherigen Bewerbungen hatten die Personalchefs deutlich anmerken lassen: "Wenn Du nicht willst, (Originalbuchseite 167)
Abb. 12: Das Leistungsprofil des Bilanzbuchhalters Brandes. (Siehe Text). Aus W. Mewes 1972 - 1976, Lehrgang I.
dann habe ich noch so und so viele andere Bewerber." Und er hatte nur schwer das Gefühl verheimlichen können: "Wenn es diesmal wieder nichts wird, war wieder alle Mühe und Hoffnung vergebens." Jetzt wurde er bereits ganz anders empfangen. Mewes: "Da ein Spezialist für Zonenrandförderung ein seltener Vogel war, nahm man sich für die Verhandlung mit ihm weit mehr Zeit. Seine mangelnden Fähigkeiten als Bilanzbuchhalter fielen kaum ins Gewicht, auf seine Spezialkenntnisse kam es an."
(Originalbuchseite 168)
In dem neuen Betrieb war seine Aufgabe, den vorteilhaftesten Standort für ein geplantes Zweigwerk zu suchen, die in Frage kommenden Plätze zu kalkulieren, die notwendigen Verhandlungen vorzubereiten und die Optimierung der steuerlichen und sonstigen Vorteile zu betreiben. "Mit einigen weiteren EKS-Ratschlägen genügten ihm zwei Monate, um auf diesem Gebiet besser Bescheid zu wissen als irgend ein anderer." Sein Vorsprung auf diesem Gebiet war zunächst beschränkt gewesen, jetzt vergrößerte sich dieser ganz von selbst. Beinahe automatisch flossen ihm von allen Seiten immer neue und wichtigere Informationen zu, er gewann wertvolle Beziehungen und sein Wissen verdichtete sich zu einer immer stärker fundierten Kompetenz. Hatten ihm bisher seine Mißerfolge unterschwellige Angst, Energielosigkeit und Isolierung verursacht, so steigerte sich nun seine Sicherheit, sein Optimismus, seine Energie. Er wurde ganz automatisch zu jenem Mann im Konzern, der mit der Errichtung und Einrichtung des neuen Zweigwerkes am besten vertraut war, mit der notwendigen Organisation, der Beschaffung des Personals und der Auseinandersetzung mit den Behörden. Als später die Konzernleitung die Frage nach einem Verwaltungsleiter für dieses neue Werk diskutierte, lag es nahe, daß unter den möglichen Kandidaten auch er genannt wurde. Mewes: "Es hätte sicher auch anders kommen können, doch wenn die Kugel einmal rollt, dann rollt sie schon aus Trägheit einen ganz bestimmten Weg." So kam es, daß Brandes nach eineinhalb Jahren zum Verwaltungsleiter avancierte - mit entsprechend höherem Gehalt. In der neuen Stellung gewann er weitere maßgebende Kontakte. Sein Ansehen und Image wuchsen. Ebenso sein Selbstvertrauen - er war "im Gespräch". Sein Ein(Originalbuchseite 169)
fluß und seine Geltung im gesamten Konzern steigerten sich. Allerdings wurde Brandes auch klar, daß ihm für diese neue Aufgabe manche wichtigen Kenntnisse fehlten. Also erschien er wieder bei Mewes. Er sollte ihm helfen "geistig möglichst schnell anzubauen". Wahrscheinlich hätte jeder andere Berater dies bereitwillig getan. Die Voraussetzungen für die weitere Karriere von Brandes waren vorzüglich, es war bloß nötig, sie zu untermauern und auszubauen. Die EKS wies dagegen einen anderen Weg. Mewes sagte: "Warum auf Gebiete ausdehnen, die andere besser beherrschen und auf denen man deshalb unterlegen ist - wenn auf dem eigenen Gebiet noch lange nicht die mögliche Spitze erreicht ist." Denn: "Spitze wird besser bezahlt und macht überlegener und sicherer als Breite -". Statt also dem Zweigstellenleiter in seinen augenblicklichen Problemen zu helfen, wurde eine neue Versuchsanzeige auf den Weg geschickt. Diesmal, bereits in größerer Aufmachung und unter dem fettgedruckten Aufhänger "Spezialberater Zonenrandförderung" hieß es: "Ist Ihr Standort noch optimal? - Brauchen Sie Mitarbeiter mit hoher Arbeitsmoral? - Wollen Sie rationeller und billiger produzieren? - Die Förderung beim Bau einer Zonenrand-Betriebsstätte kann höher als die Baukosten sein und Ihre Liquidität verbessern. Spezialist hilft bei Planung, Kontakten, Standortwahl und -
kalkulation, Verhandlung, Personal- und Kapitalbeschaffung..." Diesmal kamen über 80 Anfragen. Es meldeten sich jetzt nicht nur Auftraggeber sondern auch Unternehmensberater, Bauunternehmer und Betriebsplanungsunternehmen. Außerdem Geldleute, Banken und Investitionsgüter-Hersteller. Und jeder dieser neuen Kontakte eröffnete wieder den Weg zu so und so vielen anderen. (Originalbuchseite 170)
Brandes verließ also die neue vielversprechende Stellung und wurde zum selbständigen Berater, zum Unternehmer. In den folgenden zwei Jahren führte er neben zahlreichen Beratungen nicht weniger als 18 Bauprojekte durch. Sein Name sprach sich herum. In Verbänden und Kammern, auch in anderen Wirtschaftszweigen wurde man auf ihn aufmerksam. Vertreter ausländischer Ansiedlungsinteressen suchten seinen Rat, ebenso Gemeinden, Ministerien, Förderungsämter und die Vertreter von Entwicklungsgebieten. Kaum vier Jahre waren seit seinen so deprimierenden Bemühungen um einen Bilanzbuchhalterposten vergangen, und jetzt wurde zu seinem Problem, welche der Aufträge er überhaupt noch annehmen sollte. Aber damit ist der Fall noch keineswegs zu Ende. Mewes griff nochmals in dieses Schicksal ein, diesmal eigentlich nur durch Abänderung eines einzigen Wortes. Eine der Richtlinien der EKS lautet: "Spezialisiere Dich nicht auf einen augenblicklichen brennenden Bedarf, sondern richte Dich auf ein konstantes Grundbedürfnis aus!" Bei der Förderung der unterentwickelten Zonenrandgebiete war anzunehmen, daß sie noch geraume Zeit aktuell bleiben würde, - aber sicher war das nicht. Also wurde aus dem hochdotierten "Spezialisten für Zonenrandförderung" der weit stabilere und krisenfestere "Spezialist für Standortprobleme". Denn Standortprobleme gibt es in industrialisierten Ländern fast an jedem Ort und zu jeder Zeit. Wird ein neues Werk errichtet, dann stellt sich die ungemein wichtige Frage: Wo ist dafür der günstigste Platz? Besonders für Großunternehmen gewinnt es zunehmend an Bedeutung, welche Bereiche der Produktion in unterentwickelte Länder mit günstigerem Lohnniveau verlagert werden können. Welche (Originalbuchseite 171)
Vorteile werden dort eingeräumt? Welche Risiken stehen diesen Vorteilen gegenüber? Brandes wurde durch diesen dritten strategischen Ratschlag nicht nur von Veränderungen in der Gesetzgebung sondern auch vom Land, in dem er bisher tätig war, unabhängig. Knapp fünf Jahre nach dem Beginn dieser Karriere hatte Brandes bereits einen Mitarbeiterstab, der die Möglichkeiten für den Aufbau von Betrieben in Berlin, in Jugoslawien, in Irland und Spanien erkundete. Es folgten die Türkei, die Bahamas, Nordafrika und immer weitere Gebiete. Brandes ging dann gemeinsam mit Partnern dazu über, alles aus einer Hand anzubieten: Projektierung, Entwurf, Finanzierung, Bau und Einrichtung - bis zur Betriebsbereitschaft des zu erstellenden Werkes. Der Baum war nun fest verankert und konnte seine Zweige ausbreiten. Mewes kommentierte: "War das nun ein Erfolg außergewöhnlicher Intelligenz, Energie und Mittel? Oder nur eben eine bessere Strategie, das heißt eines wirkungsvolleren
Einsatzes durchaus normaler Kräfte?" Zum Fall Kürner ergeben sich deutliche Parallelen. Auch Brandes handelte keineswegs als Altruist im Sinne der weltweit verbreiteten Moralanschauung. Auch er gewann gegenüber zu erwartender Konkurrenten einen bedeutenden Vorsprung. Und wollte er sich zur Ruhe setzen, konnte auch er sein "Know how", seine Erfahrung, in Lizenz vermieten. Volkswirtschaftlich - ja weltwirtschaftlich betrachtet, war das Verhalten beider gleichermaßen fördernd und begrüßenswert. Kürner nahm zwar seinen Konkurrenten in einem engen Teilbereich Kunden weg - gab ihnen aber dafür alle übrigen, bisher von ihm wahrgenommenen Waschaufträge preis. Kam jemand mit anderer Wäsche, dann verwies er sie an diese. Er entschärfte so den Konkurrenzkampf. Bei Brandes (Originalbuchseite 172)
wurde überhaupt niemand negativ getroffen. Denn diese Art von Beruf gab es einfach noch nicht. Brandes begünstigte sogar ihm nachfolgende Konkurrenten, indem er ihnen - ohne im entferntesten eine "gute Tat" anzustreben - ein Vorbild gab. Durch seine Tätigkeit entstanden neue Arbeitsplätze gleichsam aus der "blauen Luft". Aus Sicht der OBS ist das eine besonders wichtige Ausrichtung. Hier wird ausgelotet, wo der menschliche Fortschritt zu Möglichkeiten führt, entstehende, jedoch noch nicht erkannte Probleme zu lösen. Der Hai im Management - der Psychosplit also - erschwert dies, weil Raubinstinkte auf konkrete Beuteobjekte ausgerichtet sind. Die menschliche Phantasie schafft hier eine neue Dimension, einen neuen Impuls, der sich durch strategische Maßnahmen fördern läßt. Mewes schreibt: "In der deutschen Wirtschaft haben sich seit 1900 die Funktionen (Aufgaben) etwa im Verhältnis 1 zu 10.000 spezialisiert, die Bewerber aber allenfalls im Verhältnis 1 zu 100. Die Folge ist, daß Wirtschaft und Gesellschaft einen unterschwelligen Bedarf an unendlich vielen neuen Spezialfähigkeiten haben, die ihnen aber immer erst dann bewußt wird, wenn eine solche neue Spezialfähigkeit angeboten, wenn sie also bewußt gemacht wird." Kürner eroberte sich eine neue Lebensnische, indem er sich gezielter auf den Bedarf Weniger ausrichtete. Brandes wieder entfloh dem Konkurrenzkampf in entgegengesetzter Richtung, indem er nicht im bestehenden Angebot nach einer "Lücke" suchte, sondern sich auf einen Bedarf ausrichtete, den noch niemand gewerblich nutzte. Indem er also außerhalb der "ausgetretenen Wege" eine neue Erwerbsmöglichkeit erschloß. Beide Strategien sind nicht neu - sondern fördern bereits seit 4000 Millionen Jahren die Gesamtentwick(Originalbuchseite 173)
lung des Lebens. In unzählbar vielen Fällen führte ein sich verdichtender Konkurrenzkampf dazu, daß sich neue Arten bildeten, die Teilbereiche des Lebensraumes noch besser erschlossen. Urheber war bei diesem Geschehen, wie Darwin zeigte, der Umstand, daß weit mehr Nachkommen entstehen, als überleben können, und nicht alle in ihren Eigenschaften gleich sind - sondern "variieren". Das vermindert in der Regel ihre Überlebenschancen, kann aber gelegentlich auch zu Leistungssteigerungen führen. Und zwar entweder den normalen Artgenossen gegenüber - oder in anderen Lebensbereichen.
Hat etwa unter den tausenden oder hunderttausenden von Nachkommen, die ein Fischpärchen produziert, eines der Jungen statt dem normal geformten Maul ein länger ausgezogenes, das einer Pinzette gleicht, dann ist dieses Individuum zwar weniger geeignet, der für die Art normalen Beute nachzustellen, jedoch kann es etwas, das seine Artgenossen nicht können. Und zwar kommt es mit dieser Pinzette an Kleingetier heran, das sich in Spalten versteckt und dem die normal gestalteten Artgenossen nichts anhaben können. Da diese Veränderung erblich ist, gibt das Tier sie an seine Jungen weiter - und kommt es in der Generationsfolge später zu weiteren Mutationen, welche diese "Mißbildung" noch verstärken, also zur Ausbildung eines noch dünneren und längeren Pinzettenmaules führen, dann steigert sich noch der Vorteil - und es entsteht so schließlich eine neue Art, die ebenso eine neue Energiequelle erschließt wie Kürner und seine Franchising-Partner inmitten der ortsüblichen Wäschereien. Was Brandes betrifft, so war auch sein Weg, einem zu dichten Konkurrenzgetümmel zu entfliehen, in der gesamten Evolution der Lebewesen von nicht minder (Originalbuchseite 174)
großer Bedeutung. Über Veränderungen im Erbgut können auch Fähigkeiten entstehen, welche völlig neue Lebensmöglichkeiten erschließen. Ein markantes Beispiel dafür ist etwa die Entstehung der Vielzeller aus den Einzellern, die mit der geringfügigen Verhaltensänderung einsetzte, daß bei einigen nach erfolgter Teilung die so entstehenden Individuen sich nicht trennten sondern aneinander haften blieben. Das führte zu einer Klumpenbildung - die dann im weiteren Evolutionsverlauf zur Grundlage einer Arbeitsteilung innerhalb solcher "Kolonien" wurde. Auch wir sind eine solche. - Oder jene Veränderungen in Struktur oder Verhalten, die vor 400 bis 350 Millionen Jahren einigen der bis dahin bloß im Wasserraum lebenden Pflanzen und Tieren ermöglichte, auch auf das trockene Land vorzudringen, - und von denen sämtliche heute lebende Landorganismen abstammen. Auch wir. - Und noch ein aktuelles Beispiel aus unseren Tagen: die so schnell in Erscheinung tretende Entstehung neuer, "resistenter" Bakterien und Viren, die nicht mehr auf Medikamente ansprechen und sich so behaupten - oder ebenfalls "neuen Lebensraum" erobern. Etwa uns. Wenn der Mensch über Zufall oder Intelligenzakte zu Innovationen gelangt, die neue Lebensmöglichkeiten erschließen, handelt es sich um das gleiche Prinzip. Ob dabei Zufall oder Intelligenz zu solchen Fortschritten führt, ist von sekundärer Bedeutung - was zählt, ist der Erfolg. Bei Brandes spielte beides eine Rolle: Sowohl Intelligenz - jene von Mewes. Als auch Zufall - daß nämlich Brandes in der Absicht, so vielleicht besser zu einer Stellung als Bilanzbuchhalter zu kommen, gerade ihn aufsuchte. Doch kehren wir zum Psychosplit zurück - und zum Problem jener Arbeitslosen, die in Gebieten leben, wo es (Originalbuchseite 175)
gleichzeitig unbefriedigten Bedarf gibt. Sind vielleicht auch hier fehlgeleitete Instinktsteuerungen daran schuld oder beteiligt, daß vorhandene Chancen nicht erkannt und wahrgenommen werden? - Warum kamen Kürner und Brandes nicht ohne Anleitung auf
die für sie so entscheidend wichtigen Verhaltensänderungen? Darauf kann man antworten: Weil ihre Intelligenz, ihr Spürsinn, ihr Wissen und ihre Phantasie nicht ausreichten. Doch damit wird man dem Problem nicht voll gerecht. Vielmehr äußert sich auch hier die Grundausrichtung des Halben Räubers, der vom Psychosplit angeheizt die Gedanken in falsche Richtungen treibt und so anders ausgerichtete schöpferische Eigeninitiativen verhindert. Die vom Psychosplit bewirkte Konzentration auf das eigene Interesse - statt auf jenes von anderen - führt auch zu einer Sensibilisierung gegenüber dem Verhalten von Konkurrenten. Fast jeder, der sich in einer Lage wie Kürner oder Brandes befindet, widmet intensive Gedanken der Frage, was denn die übrigen tun, die erfolgreicher sind. "Wie stellen Sie es bloß an?" "Was mache ich denn falsch?" Bei den räuberisch erwerbenden Tieren ist die Ausrichtung auf Konkurrenten sehr zweckmäßig. Sehr oft geben diese Hinweise dafür, wo Beute ist - was eigene Suche erspart. Oder sie weisen auf Feinde hin - was schnellere Flucht ermöglicht. Das in der Verhaltensforschung als. "stimmungsübertragende Wirkung" bezeichnete Phänomen äußert sich darin, daß eine "spezifische Gestimmtheit" sich mehr oder minder schnell auf andere Individuen überträgt und ist auch beim Menschen wirksam - wie sich etwa bei Panik oder Plünderungen besonders deutlich zeigt. In dem wieder ganz anderen Instinktbereich des Sexualverhaltens zeigt die (Originalbuchseite 176)
Wirkung pornographischer Fotos oder Filme ebenfalls, wie das Verhalten anderer zum Auslöser eigener "Gestimmtheit", eigener "Appetenz", eigener Instinktausrichtung werden kann. Im Berufsleben spielt diese mitreißende Wirkung ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle. Wo immer sich deutliche Erfolge abzeichnen, streben schnell andere hin, um die gegebene Möglichkeit ebenfalls zu nützen. Besonders deutlich zeigte sich das beim "Goldrausch" in Kalifornien, der Hunderte, ja Tausende von Menschen über Nacht aus den bisherigen Geleisen warf und zum Entschluß brachte, sich einer total anderen, ungewissen Zukunft anzuvertrauen. Im Börsengeschäft hat man ähnliches erlebt. Der so übermächtige Universal-Schlüsselreiz "Geld" spielt hier eine entscheidende Rolle. Die Möglichkeit, schnell an dieses Zaubermittel, das fast jeden Wunsch erfüllen kann, zu gelangen, wirkt wie ein elektrischer Funken. Wie blitzartig durch diese Instinkt-Mechanik ein Verhalten umgepolt werden kann, erlebte ich eindringlich, als mich bei einem einsamen Riff im Roten Meer ein Weißer Hai angriff. Ich hatte mich schon mehr als 10 Jahre mit dem Verhalten der Haie gegenüber tauchenden Menschen beschäftigt und glaubte hier recht gut Bescheid zu wissen. Auch die an tropischen Küsten anzutreffenden Arten sind erstaunlich scheu: der Mensch paßt nicht in das "angeborene Beuteschema", das bei ihnen Angriffsverhalten auslöst. An diesem Tag hatten wir zerstückelte Fische ins Meer geworfen, und ich filmte an einer senkrechten Korallenwand einen drei Meter langen Riffhai, der sich genauso verhielt, wie
zu erwarten war. Der Blutgeruch hatte ihn angelockt, er war deutlich unruhig, jedoch nur an den Quellen des Blutgeruches interessiert. Er kam (Originalbuchseite 177)
mehrmals neugierig auf mich zu - und ich konnte ihn gut filmen. Plötzlich fühlte ich eine Bewegung und sah dicht neben mir den Kopf eines vier Meter langen Weißen Haies, der von der Seite her unbemerkt an. mich herangekommen war. Normalerweise lebt dieser seltene Hai im offenen Meer und geht dort anscheinend auf alles los, dem er in dieser Einsamkeit begegnet, um festzustellen, ob es sich als Nahrung eignet. Ich habe die Einzelheiten dieses Angriffes an anderer Stelle erzählt - jedenfalls gelang es mir, den großen Kopf mit den bloßen Händen abzuwehren. Dann packte ich die an meiner Schulter hängende Harpune und stieß sie ihm, als er wiederkam, gegen den Kopf38. Das Interessante, warum ich dieses Erlebnis hier erzähle, war jedoch das Verhalten des anderen Haies. Völlig unerwartet griff er mich nun ebenfalls von der anderen Seite her an. Es war Futterneid! Da man unter Wasser einen Stock nur langsam von einer Richtung in die andere bewegen kann, blieb mir schließlich nichts übrig als die Flucht - senkrecht an der Wand hoch, wobei ich die beiden irgendwie von mir abhielt. Zum Glück war Ebbe und das Wasser über dem Riff nur knapp 50 cm tief. Dorthin flüchtete ich - gemeinsam mit meiner Frau und einem Kollegen, die von der Oberfläche aus alles mitangesehen hatten. Die beiden Haie schwammen aufgeregt an der Kante hin und her. . . beruhigten sich dann und verschwanden wieder. Eine ähnlich schnelle Umpolung im Verhalten zeigt auch der Mensch - unter bestimmten Voraussetzungen. Bei Panik schaltet sie gänzlich das vernünftige Denken aus. Bei auftauchender Erwerbschance und Geldgier erfolgt die Reaktion weniger schnell, beeinflußt jedoch umso nachhaltiger die Ausrichtung und die Entschlüsse. Das Vorbild anderer, Mode, Werbung, aber auch Gruppenverhalten, Kriegsbegeisterung und der Einfluß (Originalbuchseite 178)
geschickter Redner zeigen diese Einwirkung deutlich. Sie läßt manchem - zu seinem Nachteil - Chancen übersehen, die er an sich hätte. Auch die ausgetretenen Wege haben eine "mitreißende Wirkung". Noch ein Instinktverhalten, das persönliche Initiative hemmt, ist hier zu erwähnen - die sogenannte "Ausstoßreaktion". Sie äußert sich bei gruppenbildenden Tieren darin, daß Artgenossen, die von der Norm abweichen, angegriffen, verjagt, ja getötet werden. Beim Menschen wird diese auch uns angeborene Tendenz durch Sitte und Gepflogenheit, Religion und tradierte Überzeugungen noch wesentlich verstärkt. Wer aus den Konventionen ausbricht, bekommt das zu spüren. Der "Außenseiter", der von der Norm abweicht, wird scheel betrachtet: die jeweilige Gruppe wendet sich von ihm ab, zieht sich von ihm zurück. Er erweckt "Lächerlichkeit", gerät in Isolation. Nicht wenigen Erfindern und Forschern, die Neues anstrebten, ist es so ergangen. Später wurden sie nicht selten berühmt und zum Vorbild gemacht. Aber den Zeitgenossen waren sie "suspekt", wurden nicht unterstützt, ja aktiv bekämpft. Auch das hat einen gewissen Einfluß darauf, daß "neue Wege" nicht beschritten werden, daß manche gute Idee bereits im Keim erstickt. Andererseits gab es zu allen Zeiten
Menschen, die sich weder durch die "mitreißende Kraft" der Menge noch durch die ablehnende Haltung "Außenseitern" gegenüber beirren ließen. Bei ihnen war der Impuls, Neues anzustreben, stärker als alle Hemmungen und Gegenwirkungen. Im Wirtschaftsbereich führt dies immer wieder zu erstaunlichen Erfolgen und Karrieren, die allgemeines Kopfschütteln erregen und dann bei Vielen zur Frage führen: "Warum kam ich bloß nicht auf diese Idee?" 1972 erbte ein Mann namens Siegfried Eberle in Gra(Originalbuchseite 179)
ben bei Augsburg von den Eltern eine Landwirtschaft, von der alle sagten, daß sie "keine Zukunft habe". Durch welchen Zufall Eberle auf seine ungewöhnliche Idee kam, ist nicht bekannt, jedenfalls entschloß er sich dazu, an diesem Boden nichts als Erdbeeren anzupflanzen. In den umliegenden Städten warb er mit Plakaten "Kommt ins ErdbeerParadies!" - wer selber pflückte, brauchte nicht 2,80 bis 3,50 DM, wie in den Geschäften gefordert, sondern nur 74 Pfennig für das Pfund zu bezahlen. Jeder sollte sich die besten nach einigem Belieben aussuchen. Der Erfolg zeigte, was eine Idee vermag. Bis nach München reichte die Anziehungskraft: die Interessenten kamen in hellen Scharen. Als nächstes pachtete Eberle dann zwanzig Grundstücke von insgesamt 1,5 Millionen Quadratmetern und verwandelte sie in das "größte Erdbeerparadies Europas". Drei Jahre nach der Idee hatte er bereits 2 Millionen DM verdient. Zweiter Fall: Ein Diplom-Volkswirt namens Förster, Prokurist eines holländischen Papierkonzerns, stellte fest, daß er sich in diesem Unternehmen mit seinen Vorstellungen nicht durchsetzen konnte. Hätte er sich den Meinungen der zuständigen Herren angepaßt, dann hätte er in wenigen Jahren Mitglied des Vorstandes werden können. Statt dessen erwarb er eine uralte, ausgemusterte Papiermaschine - und kündigte. Neben einem Anschlußgeleise der Deutschen Bundesbahn pachtete er einen möglichst billigen Grund, ließ die Maschine dort auf dem Acker aufstellen und eine einfache, jedoch zweckmäßige Halle rings um sie errichten. Von der Firma übernahm er drei PapierFacharbeiter, die seit Jahren mit dieser robusten und anspruchslosen Maschine vertraut waren, und engagierte einige ungelernte Hilfskräfte hinzu. Försters Idee bestand darin, sich auf die Herstellung einer einzigen Papiersorte - Rohpa(Originalbuchseite 180)
pier, das zur Herstellung von Wellpappe gebraucht wurde - auszurichten. Diese konnte er mit der alten aber verläßlichen Maschine zu einem so billigen Preis herstellen, daß sie ihm buchstäblich aus den Händen gerissen wurde. Die Fertigung leitete ein erfahrener Meister, die gesamte Verwaltungsarbeit übernahm eine unternehmensfreudige Sekretärin. Den Verkauf besorgte er selbst - allein. "90 Prozent von dem, was ein moderner Papiermacher und Maschinenbauer wissen mußte, war für diese Produktion nicht nur überflüssig, sondern verwirrend und störend.- Das Ergebnis war ein privates Wirtschaftswunder. In einer Zeit, als fast die gesamte Papierindustrie mit Verlust arbeitete, kam Förster bei einem Umsatz von 7 Millionen DM auf netto 2 Millionen DM Verdienst. Allerdings kam er - so wie mancher EKS-Mann - dann "vom Weg ab"39. Mit dem
erworbenen Kapital baute er einen mit allen modernen Raffinessen ausgerichteten Betrieb von fünffach größerer Kapazität. Und damit geriet er in die gleiche Kostensituation, die gleichen Vor- und Nachteile und die gleichen Zwänge wie die anderen Papierhersteller und mußte schließlich genauso handeln wie diese. Die goldene Zeit war vorbei. Indem er dem Getümmel der Konkurrenten entwischte, wurde er erfolgreich. Als er sich in dieses Getümmel wieder einreihte, bekam er die Folgen zu spüren. Wer Japan näher kennt, weiß, daß kaum irgendwo in der Welt körperliche Reinlichkeit und Hygiene höher im Wert stehen, als bei diesem Volk. Schon vor 25 Jahren filmte ich dort Soldaten und Zivilisten, die Mullbinden vor dem Mund trugen, um sich vor dem Einatmen von Schmutzstoffen und Bakterien zu schützen. Kürzlich kam unter dem Smoghimmel von Tokio ein geschäftstüchtiger Mann auf die Idee, in Konserven abgefüllten (Originalbuchseite 181)
Sauerstoff für 100 Yen die Dose an einer dafür eigens errichteten Bar zu verkaufen. Die Kunden - und es kamen viele - öffneten die Dose und atmeten das kostbare Elixier ein. Der Erfolg war so groß, daß sich bald Konkurrenten fanden, die ebensolche Sauerstoffkonserven, jedoch mit 5 Litern Inhalt, für 700 bis 1500 Yen verkauften. Solche Erfolge sind jedoch nur dann Beispiele für OBS und Überwindung des Psychosplits, wenn die Orientierung an den Bedürfnissen anderer Ausgangspunkt der neuen Idee ist. Eberle erfüllte den Wunsch vieler, sich selbst die schönsten Erdbeeren pflücken zu können, Förster lieferte die geforderte Qualität zu einem unverhältnismäßig niederen Preis, der Japaner ein Etwas, das den Kunden - ob es ihnen nutzte oder nicht spontan zusagte. Die Grenze zum Halben Räuber ist hier zugegebenerweise schmal. Worauf es ankommt, ist das Denken an Bedürfnisse anderer - und deren Zufriedenheit. Ein. besonders sympathischer Zug der von Mewes entwickelten EKS ist die unter der Parole "Jeder hat eine Chance!" verfolgte Ausrichtung. Gerade "Minderprivilegierte", die aus armen Verhältnissen stammen, oder auf Grund ihrer körperlich-geistigen Ausstattung mit den anderen nicht mithalten können, haben meist weder den Mut noch die Fähigkeit, Berufsmöglichkeiten wahrzunehmen, die auch sie haben - oder die gerade sie haben. Mewes erzählte mir, wie er vom Bürofenster aus einen schwer Gehbehinderten auf die Eingangstüre seines Hauses zuhumpeln sah und. blitzartig dachte: "Was um Himmelswillen soll ich dem bloß raten?" Der Mann war Korrespondent in einer Schuhgroßhandlung und hatte als Teilnehmer des EKS-Lehrganges ausgezeichnete Hausaufgaben geliefert. Mewes hatte sich nicht erklären (Originalbuchseite 182)
können, warum er beruflich nicht vorwärts kam, und ihm deshalb ein Gespräch angeboten. Von seinem Fußleiden hatte der Mann nie etwas erwähnt. "Bei diesem Gespräch kam zunächst nichts heraus. Ich war von seiner schweren Behinderung so beeindruckt, daß ich mit bestem Willen keine spezielle Stärke sah, die man da ausbauen konnte. Doch am nächsten Morgen wurde mir plötzlich klar, daß hier die spezielle Stärke gerade in der Gehbehinderung lag." Man war damals noch der Ansicht, daß jeder Fußfehler so speziell sei, daß er nur durch Schuhe in Einzelherstellung zu korrigieren wäre. Von Mewes
angespornt widmete sich der Mann nun diesem Problem und konnte bald Hersteller dazu anregen, Serienfertigungen zu versuchen. Einzelhändlern zeigte er, wie sie spezielle Schaufenster für diese Zielgruppe einrichten könnten. Diese anfängliche Nebenbeschäftigung wurde innerhalb von eineinhalb Jahren zu seiner Hauptbeschäftigung. Nicht nur die eigene Geschäftsleitung zeigte sich interessiert, sondern im weiteren Verlauf auch der Einkaufsverband. "Aus seinen Erfahrungen konnte er vorrechnen, welchen Marktanteil und welche Umsätze man in welchen Etappen erreichen könnte, wieviel man investieren müßte, welche Kosten man haben würde und mit welchem Verdienst dann zu rechnen war". Er wurde zu einem erfolgreichen Fachmann für orthopädische Schuhe. Eine durch einen Verkehrsunfall entstellte Ärztin wurde zur Leiterin eines speziellen Sanatoriums für Gesichtsverletzte. Bei einer erblindeten Krankenschwester in Wien stellte sich heraus, daß sie Brustkarzinome bei Frauen ertasten konnte, die durch die üblichen Verfahren noch nicht feststellbar waren. Sie behielt ihre Stelle - ja, bald wurde eine zweite erblindete Schwester für diese besondere Diagnose eingestellt. Ein Gastarbei(Originalbuchseite 183)
ter wurde Berater von anderen Gastarbeitern zur Bewältigung ihrer Probleme. Ein Unternehmer, der in Konkurs gehen mußte, wurde zum Spezialberater für Konkursabwicklung und Sanierungen. Die Zahl solcher Beispiele könnte beliebig fortgesetzt werden. Gerade wer Schwierigkeiten am eigenen Leibe erlebt, kann andere, die in ähnliche Situation kommen, oft besser beraten, als irgendwer sonst. Es gibt somit viele Erwerbsmöglichkeiten, die bloß entdeckt und genützt werden müssen. Der Psychosplit erschwert diesen Vorgang, weil er die Gedanken auf eigene Interessen und Probleme konzentriert - wodurch man jene von anderen, die Arbeitsplätze begründen könnten, übersieht. Die "stimmungsübertragende Wirkung" und die Reaktion gegenüber dem "Abweichen von der Norm" unterdrücken ebenfalls eigene Initiative, erschweren so den Vorgang, die "ausgetretenen Wege" üblicher Berufstätigkeit zu verlassen. Bei dem sich heute immer schneller entfaltenden technischen Fortschritt und den immer neuen Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, wird es somit zum besonders aktuellen Problem, wie der richtige Anbieter zum richtigen Nachfrager gelangt. Diesem Thema wenden wir uns als nächstes zu.
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zu "3. Konsequenz: Sei bestmöglicher Schlüssel für das richtige Schloß." in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 185)
3. Konsequenz:
Sei bestmöglicher Schlüssel für das richtige Schloß
Nehmen wir an, es gäbe einen Tresor, in dem sich Geld befindet, und ich hätte einen Schlüssel, um ihn zu öffnen. Dann stellt sich heraus, daß der Schlüssel nicht paßt - also nützt er mir nicht. An das Geld komme ich nicht heran. Oder nehmen wir als zweiten Fall an, der Schlüssel paßt, doch als ich den Tresor öffne, stellt sich heraus, daß er leer ist. Auch diesmal bleibe ich ohne Geld. In der ersten Prämisse wurde darauf hingewiesen, daß Energieerwerb für alle Lebewesen von entscheidend wichtiger Bedeutung ist. Ohne Energie ist weder Arbeit noch Bewegung möglich - ohne Energie kann somit kein Lebewesen existieren. Also muß jedes Lebewesen so geartet sein, daß es irgendwie an Energie gelangt. Wie immer die Energiequelle beschaffen sein mag, man kann sie mit einem Tresor vergleichen. Jedes Lebewesen ist somit darauf angewiesen, einen solchen Tresor zu öffnen. Verfügt es über den richtigen Schlüssel, dann ist die erste Voraussetzung dafür gegeben, daß es bestehen und sich weiterentwickeln kann. Ein Freipaß ist das freilich nicht! Wird ein Käfer durch Steinschlag zerquetscht, dann nützt ihm nicht, daß er vorzüglich Energie erwerben kann. Immerhin aber hat jedes Lebewesen, das zu Energieerwerb fähig ist, die primäre Voraussetzung für das, was wir "Leben" nennen. (Originalbuchseite 186)
Abb. 13: Die Schloß-Schlüssel-Determination. Jedes Lebewesen, jeder Berufstätige und jedes Unternehmen (Betrieb) sind auf eine positive Energiebilanz angewiesen. Sie müssen aus Umweltquellen mehr Energie gewinnen direkt oder über Geld - , als ihre sämtlichen Tätigkeiten verbrauchen. Ihr Verhältnis zu dieser Energiequelle entspricht der eines Schlüssels zu einem von diesem zu öffnenden Schloß (Energontheorie). Sein Schlüsselbart muß dem Mechanismus des. Schlosses entsprechen. Das Schloß trägt kein Quäntchen Energie zur Schlüsselherstellung bei - und legt doch zwingend fest ("determiniert") die Ausbildung des Schlüsselbartes. (Näheres im Text.) (Originalbuchseite 187)
Die höherentwickelten Tiere haben die Fähigkeit zu lernen, also auf Grund gemachter Erfahrungen ihr Verhalten zu verbessern. Mit dem Körper müssen sie jedoch Vorlieb nehmen, wie er ist. Manche Organe können sich zwar besonderen Umwelt- und Lebensbedingungen anpassen - etwa Muskeln, die sich stärker entwickeln, wenn sie viel gebraucht werden. Aber zusätzliche Organe können auch lernbefähigte Tiere nicht für sich herstellen. Am Schlüsselbart, den ihr Körper darstellt, können sie kaum etwas verbessern. Eignet er sich dazu, eine Energiequelle zu erschließen, dann haben sie die Chance zu bestehen und setzen so die Lebensentwicklung fort. Wenn nicht, dann nicht (Abb. 13).
Wer ist nun für die Ausbildung des Schlüsselbartes verantwortlich - für das Leistungsprofil, um einen in der Wirtschaft gebräuchlichen Ausdruck zu verwenden? Wie ist es bei einem vom Menschen geschaffenen Schlüssel? Beauftrage ich einen Schlosser, für ein bestehendes Schloß einen Schlüssel anzufertigen - wer ist dann der Urheber dieses Schlüsselbartes? Einerseits ist es jedenfalls der Schlosser. Er hat ihn ja zurechtgefeilt, er hat diesen Schlüssel hergestellt. Der Schlüssel ist sein Werk, daran ist kaum zu zweifeln. Andererseits aber ist der Urheber dieses besonders gestalteten Schlüsselbartes keineswegs der Schlosser. Er mußte ihn genauso gestalten, daß er dem Mechanismus des Schlosses entspricht. Er hatte somit bei der Anfertigung dieses Schlüsselbartes keinerlei "Freiheitsgrade": das Schloß schrieb ihm vor, wie der Schlüsselbart - um den Mechanismus zu öffnen - beschaffen sein mußte. Das Schloß beteiligte sich in keiner Weise aktiv an der Herstellung des Schlüssels - war aber trotzdem Urheber dieser besonderen Form. Vielleicht kann man nur unten im Meer solche ab(Originalbuchseite 188)
surde Gedanken haben, doch meine Tauchtätigkeit als Forscher in den Korallenriffen legte sie mir zwingend nahe. Jeder der so vielgestalteten bunten Fische, die ich da sah, war ein Schlüssel, der eine Energiequelle aufzuschließen vermochte. Daß er dazu tatsächlich in der Lage war, bewies mir die Tatsache, daß er sich hier vor mir bewegte, mit so geschickten Bewegungen auf Nahrungssuche ging, so blitzartig davonschwamm, wenn eine Gefahr ihn bedrohte. Die Energiequelle war hier die Beute, der er nachstellte, die Nahrung, die er mit seinem Maul in sich aufnahm. Wer war der Urheber seiner Gestalt, der Organisation seines Körpers? Beim Schlüssel, den der Schlosser herstellte, war dieser es nicht - ja konnte es gar nicht sein. Der Mechanismus des Schlosses legte zwingend fest, wie der Schlüssel beschaffen sein mußte, um es aufzusperren. Bei den Fischen, die ich beobachtete, war das zu öffnende Schloß die jeweilige Beute. Je nachdem, wie diese beschaffen war, wo sie sich versteckte, wie sie sich verhielt, mußte die betreffende Fischart beschaffen sein, um sich ihrer bemächtigen zu können. Der Mensch - hoch oben, an Land - war als einziges Lebewesen zur Fähigkeit gelangt, seinen Körper durch zusätzliche, künstlich gebildete Organe zu verbessern. Seine Energiequelle war, ebenso wie bei diesen Fischen, "Nahrung" in Gestalt von Pflanzen oder anderen Tieren. Durch seine zusätzlichen Organe - Wurfstein, Pfeil und Bogen, Fallgrube, Gewehr - wurde er zu einem Räuber, der allen Tierkonkurrenten weit überlegen wurde. Er ging dann zum indirekten Nahrungserwerb über Tausch über, indem er sich auf die Herstellung zusätzlicher Organe oder benötigter Dienstleistungen spezialisierte, diese dann an Interessenten verkaufte und mit dem erlösten Geld von anderen eingebrachte Nahrung (Originalbuchseite 189)
erwarb. Oder auch Dienstleistungen anderer oder Produkte, die sie herstellten. Der Vorgang war hier komplizierter. Mit einem Schlüssel wurde gleichsam ein anderer erworben - nämlich Geld -, und mit diesem Universalschlüssel konnte dann nicht nur Nahrung sondern auch fast alles sonst Benötigte erworben werden... Um an Geld zu gelangen, mußte ein Bedarfer befriedigt werden. Er und seine Ansprüche waren somit das dort zu öffnende Schloß. Wie mußte in diesem Fall der Schlüsselbart gestaltet sein? Wer war hier Urheber des erforderlichen "Leistungsprofils"? Ohne jeden Zweifel: eben der Interessent und sein Bedarf. Sie legten fest, über welches Angebot Geld vom Bedarfer erworben werden konnte. Ich wandte mich in der Folge dem Studium der menschlichen Organisation, insbesondere dem menschlichen Energieerwerb zu. Ich untersuchte "energieerwerbende Systeme", gleichgültig ob es Pflanzen, Tiere, Berufstätige oder Unternehmen waren. Zweck dieser Bestrebung. war es, festzustellen, ob alle diese so verschiedenen Lebenserscheinungen auf Grund des für sie alle notwendigen Energieerwerbes nicht vergleichend beurteilt werden konnten, ob ihre so mannigfache Gestalt sich nicht letztendlich aus den gleichen Gesetzmäßigkeiten erklärte. Beim Menschen gibt es wohl keine wichtigere Entscheidung, als welchen Beruf er erwählt, um an das für sein Leben und seine sonstigen Wünsche notwendige Geld zu gelangen. Da es beim Erwerb über Tausch entscheidend auf die Zufriedenheit dessen ankommt, dem ich Produkte oder Dienste anbiete, darf sich mein Angebot nicht nach meinen eigenen Vorstellungen richten, sondern muß den Wünschen des Tauschpartners möglichst gut entsprechen. Er ist das Schloß und lenkt, ohne (Originalbuchseite 190)
auch nur einen Finger zu krümmen, was ich ihm anzubieten habe, um bei ihm erfolgreich zu sein. Also können mir auch die weisesten Lehren nicht sagen, was ich ihm anzubieten habe. Ich kann das nur aus seiner Reaktion erfahren. Der praktische Schluß aus dieser im Korallenriff geborenen Gedankenfolge - die hier sehr vereinfacht dargestellt ist - lautete klipp und klar: Wer im Wirtschaftsleben erfolgreich sein will, darf nicht an sich und seine Probleme denken - sondern an den jeweiligen Tauschpartner und dessen Probleme. Je besser es gelingt, ihm zu dienen und seine Probleme zu lösen, umso größer sind die eigenen Chancen. Die Beschaffenheit des Schlosses legt auch hier fest, wie der Schlüssel beschaffen sein muß. Daraus aber ergab sich, wie der Mensch vorgehen muß, um beim Energieerwerb über Tauschakte erfolgreich zu sein. Als erstes muß er offensichtlich feststellen: Welche Art von Schlüssel bin ich? Über welche Fähigkeiten und Mittel verfüge ich? Wie sieht mein mögliches Leistungsprofil, wie sieht mein "Schlüsselbart" aus? Erst wenn das geklärt ist, folgt als zweite Frage: Welche Schlösser gibt es, die mein Schlüsselbart aufsperren kann? Für wen kann ich am besten Tauschpartner sein: ihm
liefern, was er benötigt? Der weitere Vorgang ist dann ziemlich klar vorgezeichnet. Der intelligente Mensch kann aktiv nach Partnern suchen, denen er besser als irgend ein anderer Dienste zu erweisen vermag. Ist die Passung hergestellt, dann ist die Voraussetzung für eine günstige Weiterentwicklung gegeben. Bei den Pflanzen und Tieren setzen sich im Konkurrenzkampf jene durch, die den Erwerbsgegebenheiten am besten entsprechen, passen sich diesen immer mehr an. Nicht aktiv sondern passiv, indem (Originalbuchseite 191)
das weniger Geeignete auf der Strecke bleibt. Beim Erwerb über Tausch ist es nicht anders. Hat erst ein Schlüssel zum passenden Schloß gefunden, dann steuert auch hier das Schloß die Weiterentwicklung. Da es in diesem Fall um beiderseitigen Vorteil geht, ist diese Steuerung nicht bloß passiv und verläuft darum auch wesentlich schneller. Der zufriedene Kunde unterstützt im eigenen Interesse den Anbieter, der ihn zufrieden macht. Darauf kommen wir noch ausführlicher zurück. In meinem Buch "Energon", in dem ich meine Schlußfolgerungen darlegte, schrieb ich: "Beim Schuster ist der Schlüsselbart der von ihm hergestellte Schuh. Das zu öffnende Schloß - die Energiequelle - ist der Bedarf an eben diesem Objekt. Diesen befriedigt er, indem er dieses Objekt erzeugt, und für den Erwerb des Objektes ist der Tauschpartner bereit, einen Teil seines Energiepotentials abzugeben. Konkret: er gibt dafür Geld, einen Anweisungsschein auf beliebige menschliche Leistung." Zur Frage, ob der Hersteller (oder Erfinder) über die Zweckmäßigkeit und Konkurrenzkraft eines Verkaufsproduktes entscheidet, schrieb ich: "Er entscheidet nicht darüber. Diese Entscheidung fällt vielmehr der jeweilige Bedarf. Was den Wünschen des Käufers entspricht, was also gekauft wird, ist zweckmäßig - ist konkurrenzfähig. Der Käufer - der Nachfrager - ist bei dieser Erwerbsform die Energiequelle. Auch hier steuert somit die Energiequelle das Aussehen des zu ihrer Erschließung benötigten Schlüssels. Sie steuert, welches Produkt sich durchsetzt. Sie - die Energiequelle, der Nachfrager steuert den Erwerbsakt der anbietenden Firmen." Zum Thema, wie automatisch solche Steuerungsvorgänge verlaufen, schrieb ich: "Trinke ich Coca-Cola oder Gordon Gin, dann geschieht das nicht, weil ich den (Originalbuchseite 192)
Eigentümer oder die Aktionäre dieser Firma fördern will, sondern weil diese Getränke mir schmecken. Ganz allgemein: Der Nachfrager ist - in der Regel - nicht daran interessiert, auf die Firmen Einfluß zu nehmen, deren Produkte er kauft. Er will seine Bedürfnisse möglichst gut befriedigen, das ist alles. Und doch steuert er so ihre Entwicklung!" Und daraus ergab sich der Schluß: "Somit kann der Mensch nicht diktieren, was in seinen Erwerbsvorgängen zweckmäßig ist. Dies wird in erster Linie durch den Bedarf - durch die aufzuschließende Energiequelle - bestimmt. Störende und feindliche Umwelteinflüsse üben hier ebenfalls einen steuernden Einfluß aus. Auch sie beispielsweise staatliche Verordnungen - nehmen Einfluß darauf, -was sich durchsetzen
kann und was nicht." Auch auf gezielte Beeinflussung des Marktes wies ich hin: "Eine Besonderheit des Menschen besteht allerdings darin, daß er den Bedarf - besonders durch Werbung - selbst zu beeinflussen vermag. Das bedeutet dann: Der Schlüssel richtet sich nicht mehr nach dem Schloß, sondern das Schloß wird so verändert, daß ein bereits bestehender Schlüssel es aufsperrt. Von der Evolution her ist das ein höchst ungewöhnlicher und neuer Vorgang."40 Mewes war einer der ersten, die sich mit meinem sehr theoretisch angelegten Buch und der darin dargelegten Energontheorie beschäftigten. Er war in seiner Lehr- und Beratungstätigkeit im Wirtschaftsbereich zu mancher ähnlichen Ansicht gelangt und zog aus der Schloß-Schlüssel-Relation und der von mir dargestellten steuernden Wirkung der Energiequellen die praktische Konsequenz. In 9 Grundregeln ("strategischen Phasen"), die zu einem Zentralstück der EKS wurden, zeigte er (Originalbuchseite 193)
methodisch und konsequent auf, wie im Wirtschaftsbereich zu verfahren ist, damit der Schlüssel zum richtigen Schloß findet und die steuernde Wirkung der Zielgruppe, für die man sich schlußendlich entschieden hat, dann einen Prozeß der "Selbstorganisation" einleitet. Das von ihm entwickelte strategische Konzept gilt - ganz im Sinne meiner Theorie - ebenso für Berufstätige wie für jedes Unternehmen, ist ebenso anwendbar für notwendige Kurskorrekturen, wie auch für die erste Berufswahl oder die Ausrichtung eines neu zu gründenden Betriebes. Zunächst kommt es offensichtlich darauf an, das jeweilige Eignungsprofil - also den Schlüsselbart - dessen, der Leistungen anbieten will, genauer unter die Lupe zu nehmen. Sehr geschickt unterteilt die EKS diese Analyse in drei Fragenkomplexe, die jeder - auch ohne fremde Hilfe - mittels entsprechender Fragebögen und Hilfsanweisungen auf sich selbst anwenden kann. Erstens ist möglichst umfassend und unkritisch zu inventarisieren: "Welche besonderen Eigenschaften habe ich bzw. hat mein Betrieb?" Schon bei dieser notwendigen Ermittlung der Ist-Situation zeigte Mewes seine Stärke dadurch, daß er in diese Inventarisierung nicht nur berufliche Fähigkeiten, Problemerfahrungen, verfügbare Mittel und gesellschaftliche Beziehungen sondern auch Wunschvorstellungen mitaufnahm. Denn der heutige Mensch ist in historischen Rollenvorstellungen und Berufsabgrenzungen so festgefahren, daß er oft in ihm wache Wunschvorstellungen von vornherein ins Reich des Unmöglichen verweist, während diese sehr wohl Motivierungen und Talente aufzeigen können, welche Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Berufslaufbahn bieten. Als Korrektur, um auf nüchternem Boden zu bleiben, fügt die EKS hier gleich die Frage hinzu: "Wie sehen mich andere?" (Originalbuchseite 194)
Mewes schreibt: "Diskutieren Sie mit vertrauenswürdigen Freunden, welche besonderen Eigenschaften sie bei Ihnen sehen und für welche Aufgaben sie Sie besonders geeignet halten." "Beispielsweise sollten Stellenbewerber herauszubekommen versuchen, warum
sie bei Vorstellung oder Einstellung anderen gegenüber vorgezogen worden sind, um diese Eigenschaften bewußt zu verstärken. Betriebe sollten neue Interessenten und Kunden in geeigneter Weise fragen, aus welchen Motiven sie zu ihnen kommen und die alten, warum sie bleiben." Das Ergebnis dieses ersten strategischen Schrittes ist eine Liste mit mehr oder weniger vorhandenen besonderen Eigenschaften und Möglichkeiten. Als zweites folgt dann die Suche nach dem erfolgversprechendsten Spezialgebiet, also das Herausklauben "spezieller Stärken". Sehr wichtig ist dabei die Frage an sich selbst und allenfalls wieder an Freunde: Worin bin ich somit besser als Konkurrenten? Durch Profilierung welcher der "Zacken" in meinem Eignungsprofil habe ich somit die besten Chancen? Wenn wir hier wieder an die Evolution der Pflanzen und Tiere denken, wird der radikale Unterschied zur menschlichen Erwerbssituation besonders deutlich. Während jedes Tier und jede Pflanze auf eine bestimmte körperliche Struktur festgelegt ist, kann der Mensch durch zusätzliche Organe und Steuerungen den Veränderungen in der Umwelt unmittelbar Rechnung tragen. Über lange Zeiträume hinweg war die Zahl der möglichen Berufe sehr begrenzt - heute jedoch gibt es immer neue Möglichkeiten, über die Erfüllung von Bedürfnissen und Wünschen, die bei anderen auftauchen, an Verdienst zu gelangen. Voraussetzung ist eben bloß, daß man sie erkennt. Als drittes ergibt sich somit in der EKS als Schlußfolge(Originalbuchseite 195)
rung: Für die Lösung welcher Probleme bei welcher Zielgruppe bin ich somit besonders geeignet? Wo könnte, was ich zu bieten habe, besonders gebraucht werden? Mewes führt zahlreiche Beispiele dafür auf, daß viele den Fehler machen, zu große Probleme zu wählen und dann zu schwach sind, um in kurzer Zeit eine deutlich bessere Lösung zu entwickeln. Der größte Fehler sei, sich nicht "spitz" genug auf die erfolgversprechendste Stelle zu konzentrieren. In den folgenden vier "Phasen" wendet sich die Bemühung um die Ermittlung des richtigen Berufes beziehungsweise der richtigen Unternehmensausrichtung dem Fragenkomplex zu: Welche Schlösser gibt es, die mein Schlüsselbart am ehesten aufsperrt? Welcher Zielgruppe könnte ich am besten dienen? Konsequent beginnt Mewes auch hier mit einer möglichst unkritischen Inventarisierung der Möglichkeiten, mit einer möglichst nüchternen Rohauswahl. Dabei seien nicht "Meinungen" und "fachwissenschaftliche Theorien" maßgebend, sondern "realistische Problemstellungen realistischer Zielgruppen". Mewes: "Unter der EKS-Strategie wird der Engpaß zwischen der eigenen Leistung und den Realitäten der Zielgruppe bewußt analysiert und überwunden. Die Folge ist, daß die eigene Leistung und die Realitäten der Zielgruppe zunehmend besser ineinanderpassen.
Wie ein Schlüssel ins Schloß." (Abb. 14) Nach einer nüchternen und möglichst kompletten Auflistung von Möglichkeiten geht es dann wieder um eine nähere Auswahl, um eine "Selektion". "Bei welcher dieser Zielgruppen habe ich die besten Chancen?" Diese Frage ist besonders bei Unternehmen wichtig, die sich auf die Herstellung allzu vieler oder allzu ver(Originalbuchseite 196)
schiedenartiger Produkte ausrichten. So wie Kürner sich in seiner Zwangslage entscheiden mußte, welche Wäsche er Konkurrenten überlassen und auf welche er sich spezialisieren sollte, so geht es in jedem solchen Fall darum, sich für das zugkräftigste und entwicklungsfähigste Angebot zu entscheiden. Und zwar stets im Hinblick auf eine noch bessere Problemlösung für den Kunden.. Hat diese Rohauswahl die vielversprechendsten Möglichkeiten ausgesondert, dann rät Mewes: "Statt lange zu planen und zu grübeln, sollte man lieber klein praktisch beginnen". Dies besorgte etwa ein Bankangestellter, indem er sich gezielt auf das Problem der Bankenwerbung ausrichtete und entsprechende Information und Kenntnisse sammelte. Ein Antiquitätenhändler stellte in seinem Schaufenster nacheinander Uniformen, Masken, Porzellan, Bilder, Luftfahrt-Erinnerungen und ähnliche "AngebotsSchwerpunkte" aus und testete gleichzeitig über Werbebriefe und Zeitungsanzeigen die Möglichkeit für ein Versandgeschäft für solche engbegrenzten Zielgruppen. Ein junger Malermeister richtete sich durch gleichgroße Anzeigen an verschiedene TeilZielgruppen, um sich für jene mit der besten Resonanz zu entscheiden. Er stellte fest, daß in seinem Bereich Malerarbeiten, die nicht besonders billig, jedoch besonders exklusiv ausgeführt wurden das meiste Interesse fanden. Und nach diesen "kleinen, risikolosen Schritten" folgt wieder ganz logisch "der Sprung ins kalte Wasser". Also der Entschluß, sich für ein bestimmtes Schloß zu entscheiden. Dabei empfiehlt die EKS noch, jene Teilzielgruppe herauszuschälen, bei der man sich besonders sicher fühlt. Diese letzte Frage lautet somit: "Wie groß ist der Teil, den ich mir zumute?" Dabei sei es zweckmä(Originalbuchseite 197)
Abb. 14: Ziel der ersten sieben "strategischen Phasen" der EKS. In den ersten 3 Phasen wird ermittelt, wie das Eignungsprofil eines Menschen oder eines Unternehmens (Betrieb) beschaffen ist; in den folgenden, wo es eine Nachfrage gibt, die mit diesem Eignungsprofil möglichst optimal erschlossen werden kann. Je besser die Passung, umso besser kann der Kunde oder der Arbeitgeber befriedigt werden - und umso größer ist somit die Chance auf eigenen Erfolg. Nach W. Mewes 1972-1976, Lehrgang 10.
ßig, sich nicht etwa auf einen "Teil des zu lösenden Problems" sondern auf einen "Teil der Zielgruppe" zu differenzieren, die man dann noch individueller bedienen kann. Schon bei diesen sieben Phasen des strategischen Programmes zeigt sich die große Kluft zwischen den bisherigen Methoden, durch Erziehung, Schulen, Lehre, Fachberatung etc. zur individuell günstigsten Erwerbsausrichtung zu gelangen, und den sich heute in steigendem Maß ergebenden Erfordernissen, welchen diese Metho(Originalbuchseite 198)
den nicht mehr gerecht werden können. Nach wie vor wird man über entsprechende Ausbildung Schreiner, Buchhalter, Ingenieur, Arzt, Offizier oder Inhaber der Qualifikation für einen der sonstigen, in historischer Entwicklung entstandenen Standardberufe. Dabei wird wohl in vielfacher Hinsicht ermöglicht, sich auf Spezialbereiche zu differenzieren: auf Elektro-Ingenieur, Hals-, Nasen- und Ohrenarzt, Patentanwalt und ähnliches. Doch stets wird ein verhältnismäßig breites Wissensangebot verlangt und demgegenüber auf die heute immer zahlreicher werdenden, ganz anderen Erwerbsmöglichkeiten kaum oder nur oberflächlich verwiesen. Das entspricht durchaus
dem Vorgang, bei der Produktion von Gütern nach bester Kenntnis der Marktwünsche eine Palette von Gütern herzustellen und diese dann mit gehörigem Druck an den Mann zu bringen. Legt das Schloß die jeweilige Form des Schlüssels fest, dann ist der andere Weg - wie ihn Mewes in die Praxis umsetzte - volkswirtschaftlich effizienter. Der Bedarf steuert dann nicht nur die Auswahl zwischen dem Gebotenen - sondern wird so in die Lage versetzt, die Entwicklung dessen, was er benötigt, selbst zu steuern. Bei dieser Bestrebung nach der Suche einer möglichst optimalen Schloß-SchlüsselPassung - sowohl für Berufstätige als auch für Unternehmen - könnte der Computer einen entscheidend wichtigen Dienst leisten. Noch steht das beliebte Gruselthema einer Computer-Welt im Sinne einer Orwellschen Maschinen-Diktatur im Raum, doch wie wenig diese Vorstellung den positiven Möglichkeiten, die der Computer dem Menschen bietet, gerecht wird, lehrt jede Buchung einer Flugpassage: Mit keinem anderen Mittel ließe sich das mit vergleichbarer Effizienz abwickeln. Die Aufgabe, jedem dabei zu helfen, zu der Erwerbstätigkeit zu finden, für die (Originalbuchseite 199)
er am besten geeignet ist und wo er gleichzeitig den höchsten Nutzen bieten kann, dürfte wichtiger sein als manche andere, heute vom Sozialstaat wahrgenommene Funktion. So werden dann nicht "Arbeitsplätze geschaffen" - sondern jene vielen wahrgenommen, die der Fortschritt und der sich daraus ergebende Wandel an Problemen und Wünschen nach sich zieht.
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zu "4. Konsequenz: Suche nach Schwachstellen nicht als Räuber, sondern als Problemlöser." in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 201)
4. Konsequenz:
Suche nach Schwachstellen nicht als Räuber, sondern als Problemlöser
Zur Gesamtstrategie der so mannigfachen Tiere gehört es, Schwachstellen der jeweiligen Beute auszunützen, um müheloser an sie zu gelangen, ihnen effizienter Teile zu entreißen oder sie mit geringerem Risiko überwältigen zu können. Da Pflanzen am Ort festgenagelt sind und deshalb nicht flüchten können, haben es die Pflanzenfresser leichter. Bei allen Tieren, die anderen Tieren nachstellen, ist es ein Vorteil, möglichst unbemerkt an diese heranzukommen und sie dann in einer präzisen Angriffshandlung zu überraschen und wehrlos zu machen. Das Lauern und vorsichtige Anpirschen ist den meisten Raubtieren angeboren - manchen auch das Wissen um Orte, wo sich Beute befindet und bei welcher Lebenssituation diese am besten überrumpelt werden kann. Ob Löwen das Wissen angeboren ist, daß die "Tränke" ein besonders günstiger Platz ist an Beute zu gelangen, ist nicht erwiesen. Zweifellos aber lernen geistig höher entwickelte Tiere aus ihren Erfahrungen. Ein alter Wolf oder ein alter Fuchs sind deshalb jüngeren, noch unerfahrenen Artgenossen in vielfacher Hinsicht überlegen. Eine angeborene Bewegungssteuerung (Erbkoordination) ist beim Löwen der Sprung auf den Nacken des Büffels, den er mit "fachkundigem" Biß durch Ausrenken der Halswirbel tötet. (Originalbuchseite 202)
Es gibt erstaunliche Beispiele dafür, wie Tiere über das Ausnützen von Schwachstellen mit einem Minimum an eigenem Kraftaufwand und eigener Gefährdung an ihre Beute gelangen. Ein gutes Beispiel ist der Anglerfisch, der auf schlammigem Grund durch seine Färbung gut getarnt, regungslos auf Beute lauernd, kaum zu erkennen ist. Die Schwachstelle, die er bei seiner Beute - Fischen mittlerer Größe - ausnützt, ist der Umstand, daß sie angeborenermaßen auf kleine sich bewegende Körper ansprechen - die eben in der Regel Kleinfische sind. Der Anglerfisch hat am Ende des stark verlängerten ersten Flossenrückenstrahles Hautanhänge ausgebildet, die er direkt oberhalb des Maules hin- und herschwenkt. Dadurch getäuscht schießen größere Fische heran - und enden im Maul des Anglers. Bei Leuchtkäfern locken die Weibchen zur Paarung die Männchen durch Blinksignale an. Auch hier kam es dazu, daß ein sinnvolles angeborenes Verhalten von Räubern ausgenützt und so zu einer Schwachstelle für den anderen wird. Bei der Leuchtkäfergattung Photurus locken die Männchen, indem sie den Blinkcode der Weibchen der verwandten Gattung Photinus nachahmen, diese herbei, wodurch der Freier dann nicht an ein Weibchen sondern in den Magen eines Verwandten gelangt. Ganz besonders erstaunlich ist die Präzision, mit der Schlupfwespen tief im Holz
lebende Holzwespenlarven ausfindig machen und mit ihrem langen Legebohrer, durch das Holz hindurch, Eier in sie versenken. Die schlüpfende Larve schmarotzt dann im fremden Organismus, der sich nicht wehren kann. Jede angeborene Verhaltensweise kann so von anderen Arten als Schwachstelle für ihren Beuteerwerb oder für die Sorge um die Nachkommenschaft genützt werden. Den als Dieb oder Räuber tätigen Menschen schätzen wir anders ein, weil er seine Beute nicht auffrißt, - doch (Originalbuchseite 203)
wurde schon ausgeführt, daß der Erwerb von "Hab und Gut" und vor allem von Geld einen noch weit größeren Machtzuwachs darstellt, weil diese Beute nicht erst verdaut und in nutzbringende Struktur verwandelt werden muß, sondern unmittelbar verwendet oder zu Geld gemacht werden kann. Wie jeder weiß, nützt auch jeder menschliche Räuber jede nur erdenkliche Schwachstelle bei anderen aus, um - trotz Gesetzesmacht und der sich daraus ergebenden Konsequenzen - an sein Ziel zu gelangen. Das gleiche gilt für den Halben Räuber, der sich zwar weitgehend an die Gesetze hält, jedoch ebenfalls mit räuberischen Praktiken Tauscherwerb betreibt. Auch er hält nach Schwäche anderer Ausschau, um seine Produkte und Dienste möglichst schnell und in großer Menge abzusetzen und so in Geld zu verwandeln. Daß es somit viele durchaus vergleichbare Methoden bei Tieren, menschlichen Räubern und Halben Räubern gibt, ist evident. So bedient sich der "möglichst getarnten Annäherung" an seine Beute nicht nur der Löwe sondern ganz ebenso der Wegelagerer und jeder Geschäftsmann, der mit freundlichem Lächeln und freundschaftlichem Gebaren Interessenten anlockt und ihnen dann möglichst viel von seinen Waren andreht. Die Technik des "In die Falle Lockens" finden wir beim Ameisenlöwen, der in angeborener Steuerung einen Sandtrichter errichtet, auf dessen Grunde er dann versteckt auf herabpurzelnde Ameisen lauert, - ebenso beim Falschspieler, der andere zunächst gewinnen läßt, um sie zu größerem Einsatz und Verlust zu bewegen, - und im wirtschaftlichen Bereich bei jedem Freiberufler und jedem Unternehmen, das unter Vorspiegelung mißverständlicher Tatsachen - ohne nachweislich betrügerisch zu handeln - fette Gewinne einstreicht. Das "Verwirren" zur Verminderung körperlicher oder geistiger Gegenwehr prak(Originalbuchseite 204)
tiziert jede Stachelmakrele, die Fischschwärme kreuz und querjagt, so einzelne vom Schwarm abspaltet und nun gezielt verfolgen und fressen kann, - ebenso aber auch jeder Verkäufer, der mit dem Lockvogel "Okkasion!" und mit dem dringlichen Rat "Sie müssen sich allerdings schnell entschließen, sonst ist es weg!" den Interessenten in Verwirrung und Angst, eine Chance zu versäumen, versetzt und so zu später bereuten Entscheidungen veranlaßt. Bei den Trompetenfischen in der Karibik war ich der erste, der beobachtete und filmte, wie sie an große buntgefärbte Papageienfische heranschwimmen und diesen, dicht an deren Körper geschmiegt, über weite Strecken folgen. Da sich die Papageienfische von Korallenpolypen ernähren, sind sie für die
kleinen Riffische harmlos und diese lassen sie unmittelbar in ihre Nähe. Nun schießt der Trompetenfisch blitzschnell aus seiner Tarnung, saugt sie mit seinem trompetenförmigen Maul ein - und kehrt schnell wieder in die Tarnung des weiterschwimmenden Papageienfisches zurück. Welche ungeheure Zahl grundsätzlich ähnlicher Täuschungen auch der räuberische Mensch ausheckt, um andere zu übertölpeln und ihres Besitzes zu erleichtern, ist jedermann bekannt: Zeitungsberichte, Wirtschaftsreportagen und Krimis bringen es in allen Einzelheiten. All dieses räuberische Inventar an zielführenden Verhaltensweisen - einschließlich Einschüchterung, geschickter Ablenkung, Ausnützen von Notlagen usw. - gehört zu den Raubtendenzen, die durch den Psychosplit Berufstätige und Unternehmen dazu veranlassen, genau das Gegenteil dessen zu tun, das ihrem Interesse - zumindest ihrem längerfristigen Interesse - weit besser dienen würde. Durch kurzfristigen Gewinn schaffen sie - trotz Heimlichkeit und Verschleierung - doch früher oder später Mißtrauen, statt durch überzeugend gute und (Originalbuchseite 205)
nutzbringende Leistungen bei einem Kundenkreis allmählich Vertrauen aufzubauen und so zum verdienten und gesicherten Problemlöser zu werden. Das erfordert wohl Geduld, auch Beherrschung, ermöglicht aber langfristig weit größere Erfolge und Aufstiegschancen. An früherer Stelle sprachen wir bereits von einem diametralen Kontrast zwischen optimalem Tauschverhalten (OBS) und den durch den Psychosplit ausgelösten Praktiken. An den Vorteil anderer zu denken, ist das genaue Gegenteil von der Konzentration auf den eigenen Vorteil. Ein nicht minder krasser Gegensatz lautet: "Suche nach Schwachstellen - jedoch nicht, um sie räuberisch zu nützen, sondern um durch ihre Beseitigung dem Nachfrager, dem Kunden, dem Arbeitgeber einen wirklich entscheidenden Dienst zu erweisen und so sein berechtigtes Vertrauen zu gewinnen!" Der Satz: "Jede Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied" gilt auch im Berufsleben und sonstigen Ausrichtungen menschlicher Aktivität. Deshalb ist niemand eher bereit, angemessen, ja sogar äußerst großzügig zu bezahlen, als jener, dem zur Beseitigung einer solchen Schwachstelle verholfen wird (Abb. 15). Mewes nennt solche Schwachstellen "Engpässe", vielfach spricht man auch von "limitierenden Faktoren", andere sprechen von "Minima", Carnegie nannte es "kritische Faktoren" - gemeint ist damit im Prinzip stets das gleiche. In einem späteren Kapitel kommen wir noch darauf zu sprechen, wie total falsch es ist, den Erfolg eines Berufstätigen, eines Unternehmens oder einer sonstigen Organisation nach der jährlichen oder vierteljährlichen Geldbilanz zu beurteilen, denn von nicht minder bedeutendem Einfluß auf den Erfolg ist der Gewinn an Kunden und guten Mitarbeitern, an Vertrauen, an Goodwill, an Image, an Know-how. Deshalb ist die Suche nach Schwachpunk(Originalbuchseite 206)
ten bei der Zielgruppe, bei den Kunden - und bei sich selbst - für erfolgreichen Erwerb über Tauschakte ganz ebenso wichtig, wie für Räuber. Nur eben zu einem diametral entgegengesetzten Zweck! Ein besonderes Dilemma, das der Psychosplit verursacht, ist die Tatsache, daß Zeichen von Schwäche und Angst für Raubtiere ein überall zu beobachtender Schlüsselreiz sind, der Beuteerwerbsverhalten auslöst. Fängt man in tropischen Gewässern Fische an der Leine, dann kommt oft nur der Kopf nach oben - den Rest hat ein blitzschnell heranschießender Hai weggebissen. Das verzweifelte Umsichschlagen des gefangenen Fisches signalisiert ihm, daß hier ein Tier in Not und demnach weniger abwehrfähig ist. Hat ein Taucher einen Fisch harpuniert, und hält ihn in der Hand, dann kann er diese bei solcher Gelegenheit verlieren. Ebenso sind auch für den räuberischen Menschen Anzeichen für Schwachstellen ein Schlüsselreiz, der bei ihm ganz instinktiv die Regung auslöst, diese zu nützen. Wer einen Wertgegenstand unbewacht liegen läßt, fordert geradezu heraus, daß ein Dieb diese Gelegenheit wahrnimmt - ja verführt unter Umständen einen total ehrlichen Menschen. Nicht umsonst sagt man: "Gelegenheit schafft Diebe!" und nicht ohne Grund betet der gläubige Christ: "Führe mich nicht in Versuchung!" Im Wirtschaftsbereich ist diese Reaktion besonders gravierend, weil optimale Tauschstrategie eindeutig nahelegt, weniger an den eigenen sondern an den Nutzen anderer zu denken, - jedoch dieser andere, wenn er ein Halber Räuber ist, dies als einladendes Zeichen der Schwäche auffassen kann. Die vom Psychosplit verursachte Problematik besteht hier somit darin, daß hilfsbereites Verhalten anderen gegenüber sehr wohl von diesem als Schwäche aufgefaßt werden kann und deshalb, statt Vertrauen zu erwecken, zum (Originalbuchseite 207)
Abb. 15: Ein kybernetisch wirkungsvoller Punkt. Zu dieser Abbildung schreibt Mewes: "Der Bedarf einer Zielgruppe ist nicht einheitlich. Er setzt sich aus vielen Bedarfsvarianten vieler Teilzielgruppen zusammen. Wegen dieser Vielschichtigkeit jeder Zielgruppe kann jeder Mensch und Betrieb sich irgend eine Teilzielgruppe herausgreifen und für ihre spezielle Interessenlage eine deutlich attraktivere Speziallösung entwickeln". Der Schlüsselbart wird so dem Schloß besser angepaßt. Aus W. Mewes 1972-1976, Lehrgang 10.
Auslöser dafür wird "diese Schwäche zu nützen" oder noch klarer gesagt: "Diesen Dummen bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit auszunehmen". Wenn somit die Suche nach Schwachstellen nicht nur für Räuber und Halbe Räuber sondern auch für optimalen Tauscherwerb besonders wichtig sind, stellt sich automatisch die Frage, welches wohl die am weitesten (Originalbuchseite 208)
verbreiteten Schwachstellen sind, die positiv genutzt werden können. Eine solche kennt wohl jeder: den Mangel an Geld, um sich Wünsche, wie sie eben jeder hat, erfüllen zu können. Wie man hier Interessenten in den verschiedensten Sparten helfen kann, ohne ihnen Geschenke zu machen, sondern sogar selbst besser zu verdienen, schildert Mewes in der von ihm "kybernetische Kalkulation" genannten Taktik. Diese wurde von erfolgreichen Geschäftsleuten bereits vor der EKS angewandt, doch Mewes analysierte den Vorgang genauer und machte ihn zu einem besonders
wichtigen Bestandteil der von ihm gelehrten Strategie41. Als Lockmittel ist die Herabsetzung von Preisen allgemein bekannt. Dieser Kunstgriff gehört auch zum wohlerprobten Verhaltensinventar des Halben Räubers. Werden etwa in Warenhäusern oder Supermärkten bestimmte Waren - durch Werbung gehörig unterstützt - zu auffallend niederem Preis angeboten, dann steht nicht der Nutzen für den Kunden im Vordergrund, sondern das Bestreben, um Käufer in den Laden zu locken. Vielfach werden die Preise für andere Waren entsprechend angehoben, was kaum bemerkt wird, so daß dann diese Werbeaktion "sich selbst finanziert". Tatsache ist jedenfalls, daß in der Regel nicht Kundeninteresse sondern das Interesse des Unternehmers bei solchen oder ähnlichen Praktiken im Vordergrund steht. Grundsätzlich anders verhält es sich dagegen bei der kybernetischen Kalkulation. In Wirtschaftsanalysen wird häufig die "Einkommenspyramide" eines Gebietes gezeigt, die eine statistische Vorstellung davon vermittelt, wie viele Menschen der dortigen Bevölkerung in diese oder jene "Einkommensklasse" gehören. Die am wenigsten Verdienenden bilden die breite Basis und darüber liegen die sich nach (Originalbuchseite 209)
oben zu verjüngenden Schichten der um so und so viel mehr Verdienenden, was schließlich zur schmalen Spitze der ganz Reichen führt. Aus solchen Graphiken kann der Geschäftsmann ungefähr ablesen, wie viele potentielle Nachfrager es für ein von ihm geplantes Produkt bestenfalls gibt. Mewes schildert in seinem Lehrgang ausführlich und mit allen wichtigen Kalkulationsdaten die Strategie des Verkaufsgruppenleiters eines Großbetriebes für Damen-Oberbekleidung, Gerd Häuser. Seine Grundidee war, daß für Produkte im Textilbereich bedeutend größere Absatzmöglichkeiten bestünden, wenn man bloß zu niedrigerem Preis anbieten, also neue Schichten in der Einkommenspyramide erfassen konnte. Das Interesse an solchen Produkten war offenkundig da - nur eben am nötigen Geld fehlte es. Da Häuser seit 30 Jahren in der Textilbranche tätig war, fiel es ihm nicht schwer, ein für seine Strategie passendes Objekt zu finden. Mewes: "Im Laufe der Zeit schälte sich aus vielen Möglichkeiten der Lammfellmantel (außen Leder, innen Fell) als ein unter den herrschenden Verhältnissen besonders geeigneter Artikel heraus. Diese Mäntel waren damals stark begehrt, groß im Kommen, wurden von der Prominenz von Fernsehen, Film, Kunst, Politik und Wirtschaft getragen, kosteten aber noch erheblich über 1000 DM." Häuser informierte sich darüber, wer diese Mäntel herstellte, wo und wie; woher die Felle kamen, was sie kosteten, woher die Entwürfe und Schnitte stammten, in welchen Stückzahlen diese Mäntel angefertigt wurden, wer sie verkaufte, zu welchen Preisen und anderes mehr. Das Ergebnis war: Es wurden jeweils 100 Mäntel hergestellt und der Hersteller erhielt 590 DM pro Stück - was also bei einer Stückzahl von 500 Mänteln 295.000 DM ausmachte.
(Originalbuchseite 210)
Nun berechnete Häuser, zu welchem Preis er diese Mäntel anbieten konnte, wenn er statt 500 Mänteln 20.000 Stück anfertigen ließ. Er berücksichtigte die festen und die veränderlichen Kosten, holte Angebote ein und kam schließlich zu dem Ergebnis, daß er bei dieser Stückzahl, wenn er eine Handelsspanne von 50 % für die Verkäufer und eine Mehrwertsteuer von 49,50 DM je Mantel berücksichtigte, diese Mäntel statt für einen Preis von 1.000,-- DM und mehr für bloß 499,50 DM auf den Markt bringen konnte. Gelang dies, dann betrug sein persönlicher Gewinn pro Mantel 30 DM, also insgesamt 600.000 DM. Rückfragen bei Verkäufern ergaben, daß bei diesem Preis sich sehr viele für den Kauf entscheiden würden - und die meisten Händler zeigten sich an dem Geschäft sehr interessiert, ja waren zu einer entsprechenden Absatzgarantie bereit. Für die Herstellung, bei der sich Häuser kein Risiko erlauben durfte, wählte er ihm als verläßlich bekannte Werkstätten in Jugoslawien und Griechenland - später noch weitere in der Türkei und Marokko. Mewes: "Die Mäntel wurden in Paris entworfen, in Deutschland für die Fertigung vorbereitet, in den Werkstätten unter der ständigen Kontrolle eines deutschen Fachmannes hergestellt und in Österreich nochmals kontrolliert und nachgearbeitet." Das Ergebnis in der ersten Saison übertraf alle Erwartungen. Die Verteilung auf mehrere flexible Werkstätten machte es möglich, noch die zahlreichen Nachbestellungen auszuführen. In diesem ersten Jahr wurden nicht bloß die angepeilten zwanzigtausend, sondern mehr als vierzigtausend Mäntel verkauft. Die Nachkalkulation ergab als Abweichungen gegenüber der ursprünglichen Kalkulation bei den festen Kosten eine Einsparung von 880.000 DM und bei den veränderlichen Kosten eine weitere von (Originalbuchseite 211)
600.000 DM. Der überplanmäßige Gewinn belief sich auf weitere 600.000 DM, so daß der tatsächlich in diesem Jahr erzielte Gewinn 2.080.000 DM betrug. "Statt den Gewinn in die Bilanz und damit in die Steuerkasse fließen zu lassen, hat Häuser noch vor Jahresende die Attraktivität seines Betriebes vergrößert. Er ließ attraktivere Modelle entwerfen, die Organisation verbessern, eine Marke entwickeln, weitete seine Werbung und sein Vertreternetz aus, knüpfte Auslandsbeziehungen an, richtete einige Ladengeschäfte ein, verteilte Tantiemen an seine Mitarbeiter ..." Denken wir zurück an die Wäscherei Kürner, dann zeigt sich bereits die gleiche Strategie, mit einem Teil der Gewinne die Preise weiter zu senken. Das ist der himmelweite Unterschied zwischen dem Unternehmer üblichen Formates und jenem, der die Vorteile der "kybernetischen Kalkulation" begriffen hat. Wer nach kurzsichtiger Raubstrategie handelt, nützt wohl nur sehr selten einen Erfolg dazu, Preise zu senken und dem Kunden noch bessere Qualität zu liefern. Er reibt sich die Hände, verschweigt nach Möglichkeit seine Gewinne, verwendet sie, um andere lukrative Geschäfte einzuleiten - und im Privatleben dazu, sich ein prächtiges Haus
zu bauen, die Gattin mit Juwelen zu behängen, sich die Würde eines Generalkonsuls zu kaufen und von Freunden und Nachbarn bewundert zu werden ... er denkt an sich und nur an sich. Bestimmt nicht an den Kunden. Im Gegenteil. Läuft das Geschäft besonders gut, dann erhöht er die Preise - und hält wohl jeden für total verrückt, der ihm etwa empfiehlt, diese gutgehende Ware noch billiger abzugeben. Und doch kommt ihm diese Einstellung - auf längere Sicht - nicht zugute, während der andere Weg ebenso der Gemeinschaft dient wie auch der Steigerung des weiteren Erfolgs. Allerdings in Grenzen - denn auch (Originalbuchseite 212)
hier kann man schwerwiegende Fehler machen. Mewes warnt selbst, daß nicht wenige an kybernetischer Kalkulation zugrundegegangen sind. Aber das Prinzip entspricht ganz und gar der OBS, deren Hauptaussage darin besteht, daß man die vom Psychosplit ganz automatisch geweckten räuberischen Strategien bewußtmachen muß und nicht befolgen darf. Hilft man anderen, die Schwachstelle ihrer zu geringen Geldmittel - oder irgend eine andere entscheidende Schwachstelle - zu beseitigen, dann ist das kein großzügiges Geschenk, sondern eine Strategie, die beiden Teilen zugutekommt. Jeder Unternehmensberater wird dafür bezahlt, daß er in Unternehmen Schwachstellen ausforscht und zu ihrer Beseitigung beiträgt. Er tut dabei das gleiche, was in der Evolution der Pflanzen und Tiere, ohne fachliche Beratung über den harten Weg der "Auslese des Bestgeeigneten" geschah. Durch Mutationen und Kombination der so veränderten Erbanlagen beim Vorgang der geschlechtlichen Paarung wurden laufend Schwachstellen beseitigt, und die sich verändernden Arten so in der inneren Organisation immer effizienter und den jeweiligen Umweltbedingungen besser angepaßt. Das war dann jeweils ein ebensolcher Erfolg und Fortschritt, wie wenn ein Unternehmensberater - im bewußten Einsatz seiner geistigen Kräfte - eine solche Schwachstelle bei Berufstätigen und Unternehmen aufspürt und ihre Beseitigung bewirkt. Die Energontheorie, die das Lebensgeschehen als Einheit auffaßt, zeigt die für alle energieerwerbenden Systeme maßgebenden Hauptfunktionen auf, die somit ebenso für Tiere und Pflanzen wie auch für Erwerbstätige und Unternehmen gleichermaßen gelten. Gerade weil sie so allgemein formuliert sind, können sie bei der Suche nach Schwachstellen auch in jedem wirtschaftlichen Spezialbereich helfen (Abb. 16). (Originalbuchseite 213)
Abb. 16: Hauptfunktionen energieerwerbender Systeme. Pflanzen, Tiere, Berufstätige und Unternehmen können nach analogen Leistungen beurteilt werden, Schwachstellen in diesen Sektoren werfen sie im Konkurrenzkampf zurück. An der "Außenfront" ist Energieerwerb und die Nutzung fördernder Umweltkräfte besonders wichtig, dazu kommen Stofferwerb, Steuerung für Strukturvermehrung und die Abwehr störender Umweltfaktoren. Luxusstreben konnte sich erst beim Menschen entfalten. An der "Innenfront" müssen alle Teile aneinander gebunden sein, außerdem funktionsfähig erhalten und nach Möglichkeit verbessert werden. Koordination von Bewegungsabläufen ist wichtig, ebenso die Abstimmung aller Teile aufeinander und der Abbau nicht-funktionserbringender Einheiten. Nach H. Hass 1978. (Originalbuchseite 214)
Noch eine weitere, von der Energontheorie gebotene Hilfestellung sei erwähnt. Die funktionserbringenden Teile, aus denen die pflanzlichen und tierischen Körper bestehen, erscheinen uns von jenen weiteren, künstlich gebildeten, die Berufstätigen und Unternehmen zu ihren Leistungen verhelfen, ganz ungemein verschieden. Der Vergleich zwischen einem Auge und einer Schreibmaschine, zwischen einer Blüte und einem Generaldirektor, zwischen einem Zellgewebe und einem Werkzeug, machen dies zur Genüge deutlich. Trotzdem erklärt die Energontheorie, daß allen solchen Einheiten gemeinsam ist, daß sie Leistungen erbringen müssen; daß es dabei nicht auf das äußere Erscheinungsbild sondern eben auf die zu erbringenden Leistungen ankommt; und daß drei gleiche Hauptkriterien für die jeweilige Effizienz bei allen maßgebend sind. Erstens kommt es bei jeder leistungserbringenden Einheit ("Funktionsträger") darauf an, was sie kostet, welche Energieausgabe sie verursacht.
Zweitens ist wesentlich, wie präzise sie ihre Funktion leistet - wieviele Aktionen also pro Hundert erfolgreich verlaufen. Und drittens fällt ebenfalls ins Gewicht, wie schnell die benötigte Funktion erbracht wird. Bei jedem Teil eines Lebewesens oder eines Unternehmens kann somit die Schwachstelle darin liegen, daß ihr entweder ein benötigter Funktionsträger überhaupt fehlt oder seine Leistung zu teuer kommt (etwa im Vergleich zu jenen von Konkurrenten), oder zu wenig präzise arbeitet (also zu viele Fehler macht), oder zu langsam ist, wodurch die Gesamtleistung des Systems betroffen sein kann. Unter Umständen muß dann der ganze Betrieb auf diese eine Funktion - diese Schwachstelle - warten. Sie ist das schwächste Glied der sonst guten Kette, kann bewirken, daß eben diese Tierart oder dieses Unternehmen im Konkurrenzkampf zurückfällt (Abb. 17). (Originalbuchseite 215)
Abb. 17: Effizienzkriterien für Funktionsträger. Lebewesen und Unternehmen bestehen aus Einheiten, die benötigte Funktionen erbringen. So verschieden sich diese uns auch darstellen mögen, ihre Effizienz - und ihre Schwachstellen - lassen sich nach gleichen Kriterien beurteilen. Kosten, Präzision und Zeitaufwand -
statistisch meßbare Werte - sind in der Aufbauperiode und dann in den Funktionsphasen sowie in Ruhe- und Stillegungsphasen für die Konkurrenzfähigkeit des jeweiligen Systems entscheidend. Die Abbildung gibt gleichsam eine Checkliste, mit der Schwachstellen bei einzelnen Funktionsträgern ermittelt werden können. Nach H. Hass 1970 u. 1987. (Originalbuchseite 216)
Das sollen bloß Andeutungen dafür sein, wie die Energontheorie, deren Bewertungen sich nicht an den materiellen Strukturen sondern an ihren Funktionen und Leistungen orientieren, dazu beitragen kann, Schwachstellen zu ermitteln. Nach OBS ist es für jeden Anbieter von Waren oder Leistungen wichtig, sich auf Schwachstellen der Zielgruppe auszurichten, weil er durch deren Beseitigung ein Höchstmaß an Nutzen erbringen kann. Bei räuberischem Erwerb sind Schwachstellen wichtig, um der Beute möglichst kostensparend, präzise und schnell auf den Leib zu rücken. Beim Erwerb über Tauschakte sind Schwachstellen der Zielpunkt, nicht um zu rauben oder zu töten - sondern um zu helfen und Vertrauen zu gewinnen. Bezeichnet man als "egoistisch" jede Handlung, die für ein Individuum vorteilbringend ist, dann sind zweifellos beide Handlungsweisen gleichermaßen egoistisch. Aber dann wäre die Gesamtheit der Lebensentfaltung - und wir selbst letztlich inbegriffen - egoistisch und deshalb nach den verbreiteten Moralkriterien schlecht oder "böse". Tatsache ist, daß wir uns in einer Übergangsphase vom Energieerwerb über Raub zum Energieerwerb über Tauschakte befinden. Die uns von einer endlosen Reihe von Vorfahren übermachten Raubinstinkte hängen dabei wie ein Klotz an unserem Bein. Sie werden sich nicht sobald zurückbilden - umsomehr als unser Zellkörper auch weiterhin auf Nahrung, also Raub fremder organischer Substanz angewiesen bleibt. Indem wir ihrer jedoch bewußt werden und erkennen, wie schlecht sie sich für die neue Erwerbsart eignen, vermögen wir durchaus die Fehlschaltungen des Psychosplits zu überwinden und bei der neuen Erwerbsform besser zielführende Strategien einzusetzen. Die Richtlinien der OBS kann jeder einigermaßen intelligente Mensch selbst in theoreti(Originalbuchseite 217)
scher Deduktion erschließen. Nur eben die Anwendung wird laufend gestört. Und gerade deshalb ist die uns angeborene Ausrichtung auf Schwachstellen bei der Beute (der Energiequelle) so besonders gravierend. Denn auch in der neuen Evolutionsperiode des Energieerwerbes über Tauschakte ist das Suchen nach Schwachstellen beim Käufer, beim Kunden, beim Bedarfer, beim Nachfrager (der neuen Energiequelle also) ganz ebenso wichtig. Nur müssen wir, wenn wir eine solche gefunden haben, uns dann genau entgegengesetzt verhalten, als die über den Psychosplit bei uns aktivierten Raubinstinkte es uns nahelegen. Ein Beispiel aus der Praxis mag zeigen, wie schwierig im Wirtschaftsleben die Suche nach Schwachstellen sein kann - und zu welchen kuriosen Ergebnissen sie allenfalls führt. Mewes benannte die EKS ursprünglich nach der Abkürzung von "EngpaßKonzentrierte Strategie" und stellte gerade das Problem, wie "Engpässe" am besten entdeckt und aus der Welt geschafft werden könnten in den Vordergrund. Unter den vielen Beispielen, die er anführt sei jenes einer Kraftfahrspedition herausgegriffen,
bei welcher der EKS-Schüler Raffert Lohnbuchhalter war. Zunächst war bei diesem Betrieb die Schwachstelle (der Engpaß) das Hereinholen von Aufträgen gewesen. Diese Klippe wurde überwunden, und der Betrieb entwickelte sich explosiv. Er verfügte bald über mehr als 300 "Züge", arbeitete aber dann trotzdem mit Verlust. Jetzt waren die Fernfahrer zur Schwachstelle des Unternehmens geworden. Raffert erklärte damals: "Sie werden von allen Seiten poussiert und benehmen sich wie Stars: Sie zeigen Launen und lassen es an Kooperationsbereitschaft fehlen. Viele weigern sich, nachts zu fahren und haben auch sonst alle Nase lang Gründe, um nicht oder anders zu (Originalbuchseite 218)
fahren, als der Fahrplan es vorsieht. Das Ergebnis ist: Die Nutzleistung der Züge nimmt ab, die Kosten steigen, die Verluste wachsen, Inhaber und Prokuristen versuchen, durch immer mehr Aufträge aus den roten Zahlen zu kommen ... Manche Züge bleiben tagelang ohne Nachricht irgendwo stehen, andere Fahrer machen wochenlang blau, man ist gezwungen, zweifelhafte Fahrer einzustellen, die sich entweder als Wandervögel erweisen oder eines Tages mit Zug und Ladung verschwinden ..." Man hatte auch Prämien eingeführt: etwa 25 DM dafür, einen Lastzug pünktlich von Rom nach Hamburg zu bringen. Mewes: "Mehr war bei dem schlechten Betriebsergebnis ‘nicht drin’. Die besten Fahrer gingen zu Speditionen, die - ohne den kostspieligen organisatorischen Klimbim - mehr verdienten und höhere Prämien bezahlten. Und die anderen Fahrer fanden Wege, die Prämien zu verdienen und doch blau zu machen. Was sollte die Leitung denn machen, wenn die Fahrer behaupteten, nur durch eine unverschuldete Verkehrsstörung aufgehalten worden zu sein, und die Prämie verlangten?" Die Flut von Aufträgen, die früher positiv gewirkt hatte, wirkte nun plötzlich negativ. Raffert ließ nicht locker. Er analysierte nach EKS den Ablauf dieser Fernfahrten, die einzelnen Funktionen, ihre Phasen, die dabei ins Gewicht fallenden Faktoren, die Besonderheit der Fahrer und ihre diversen Motivationen - und schlußendlich wurde durch ihn das Problem gelöst. Ein wesentlicher Faktor bei vielen guten Fahrern waren ihre Frauen. Sie wollten, daß ihre Männer einigermaßen regelmäßig bei ihnen und den Kindern waren. Also versuchte man statt der bisherigen Stellenanzeigen "Fernfahrer gesucht - höchster Lohn" eine neue Anzeigenserie "Fernfahrer: An 5 Abenden in der Woche zuhause!". Dies brachte mehr Bewerbungen, als man für (Originalbuchseite 219)
möglich gehalten hatte. Und zwar von ausgezeichneten Fahrern, die bereits in langjährigen Arbeitsverhältnissen standen. - In diesem Fall lag die Schwachstelle im eigenen Gefüge - hinderte aber letztlich den Nutzen für den Kunden. Denn nur, wenn man selbst gut organisiert ist - also eigene Schwachstellen beseitigt - kann man dem
Nutzen anderer optimal dienen. Noch ein weiteres Beispiel dafür, wie kompliziert und wichtig die Suche und Beseitigung von Schwachstellen ist - diesmal wieder aus der Natur. Alle "Urfische", deren Bauplan uns heute noch die Haie zeigen, hatten kein Organ, mit dem sie den Auftrieb im Wasser austarieren konnten. Noch heute müssen Haie ständig schwimmen, um nicht auf den Grund abzusinken - ein "am Ort stehen" oder "sich beliebig vor- und zurückbewegen" ist ihnen nicht möglich. Sämtliche Knochenfische und zu diesen zählt man fast alle Fische, die heute die Meere, Flüsse und Seen bevölkern - können dies. Und zwar vermöge ihrer "Schwimmblase", mit der sie ihr Gewicht im Wasser beliebig regulieren können. Wie kamen sie zu diesem so entscheidend wichtigen Organ? Auf einem kuriosen Umweg. Als einige Fischarten das Land eroberten und an der Luft ihre Kiemen vertrockneten, wurde das Organ der Sauerstoffgewinnung und der CO2 Abgabe zu ihrer Schwachstelle. Das stark durchblutete Gaumendach sprang hier sozusagen in die Bresche. Hier konnte, wenn auch sehr beschränkt, ein Gasaustausch stattfinden. Mutationen, welche dieses Areal vergrößerten, waren somit ein klarer Selektionsvorteil, der Nachkommen bessere Überlebenschancen bot. So kam es im Verlauf von Tausenden von Generationen allmählich zu sackförmigen Ausstülpungen an beiden Seiten, die sich vergrößerten und durch Faltung noch die Oberfläche erweiterten. So kam es, wie schon erwähnt - und (Originalbuchseite 220)
wie sich noch heute aus vielen Indizien rekonstruieren läßt -, zur Bildung der Lungen. Aus den "Lungenfischen" entwickelten sich dann die Amphibien, die Reptilien, die Vögel und die Säugetiere - auch unsere Lungen haben diesen Ursprung. Einige der mit Vorstufen der Lunge ausgerüsteten Fischarten kehrten jedoch bald wieder ins Meer zurück - und benutzten das an Land entstandene Organ als Schwimmblase. Über Mutationen und deren Kombination war es ihren Vorfahren nicht möglich gewesen, zu einem so komplexen Organ zu gelangen. Über dem Umweg der Lungenbildung wurde es möglich42. Der Vorteil dieses neuen Organes zur Tarierung des Auftriebes unter Wasser war so groß, daß diese "Rückkehrer" alle Urfische - ausgenommen die Haie und Rochen und einige wenige andere - verdrängten und somit ausrotteten. Bei der Spedition, der Raffert half, waren die Ehefrauen und deren Wünsche der entscheidende Faktor - für die Knochenfische war es die Schwimmblase und der Vorteil, den sie Konkurrenten gegenüber bot. In beiden Fällen erforderte es Umwege, um zur Beseitigung der jeweiligen Schwachstellen zu gelangen. Über Mutationen dauerte das viele Jahrmillionen - mit Hilfe menschlicher Intelligenz ging es außerordentlich viel schneller. In dem einen Fall war es über den normalen Verlauf der Fischentwicklung nicht möglich, an das so wichtige Organ zu gelangen - über den Umweg eines
"ausgedehnten Landausfluges" wurde es möglich. Im anderen genügten ebenfalls die konventionellen Wege nicht. Erst als der Umweg gefunden war, der erstklassige Fernkraftfahrer dazu brachte, sich für eine Anstellung bei Rafferts Firma zu entscheiden, kam es auch hier zur Lösung des Problems. Fassen wir zusammen: (Originalbuchseite 221)
Erstens: Die Ausrichtung auf Schwachstellen ist sowohl für Räuber als auch für den Erwerb über Tauschakte gleichermaßen wichtig. Bloß unter entgegengesetztem Vorzeichen. Für Räuber ist es vorteilhaft, Schwachstellen der Beute zu nützen, um diese kraftsparender, präziser und schneller zu überwältigen. Für optimalen Tauscherwerb ist die Ausrichtung auf Schwachstellen der "Bedarfer" nicht minder wichtig - jedoch um diese zu beseitigen, weil auf keine andere Art Vertrauen und Kundentreue besser erworben werden kann. Zweitens: Sowohl bei Raub als auch bei Tausch ist die Beseitigung von Schwachstellen im eigenen Getriebe ebenfalls wichtig. Beim Räuber begünstigt es den Beuteerwerb. Beim Erwerb über Tausch fördert es den Nutzen, welcher dem Kunden, der Zielgruppe oder dem Arbeitgeber geboten werden kann. Drittens: Der Psychosplit bewirkt, daß Schwachstellen bei anderen instinktiv räuberisch genützt werden, und vermindert so erheblich die Wahrscheinlichkeit, daß Berufstätige und Unternehmen ihre Kräfte bestmöglich einsetzen.
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zu "5. Konsequenz: Spezialisiere und diversifiziere Dein Angebot - aber richtig." in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 223)
5. Konsequenz:
Spezialisiere und diversifiziere Dein Angebot - aber richtig
Bei der Ausrichtung von Unternehmen auf bestimmte Produktionsziele, doch ebenso auch bei jeder Berufswahl, gibt es eine grundsätzlich wichtige Entscheidung. Entweder man spezialisiert sich auf ein engbegrenztes Angebot - wie etwa ein Bäcker oder, als Extremfall, das Einprodukt-Unternehmen der Coca-Cola Produktion. Oder man betätigt sich in mehreren Bereichen, bietet also eine mehr oder minder umfangreiche "Palette" von Produkten oder Dienstleistungen an. Die Vor- und Nachteile beider Ausrichtungen liegen auf der Hand. Je enger der Bereich ist, auf den man sich spezialisiert, umso effektiver wird man dort - und damit Konkurrenten überlegen. Der Nachteil ist jedoch, daß man so "alle Karten auf ein Pferd setzt", was ein entsprechendes Risiko bedeutet. Ändern sich die Marktverhältnisse, so daß die betreffenden Spezialleistungen nicht mehr gefragt sind, dann ist jener, dessen Angebot stärker diversifiziert ist, besser daran. "Er steht auf mehreren Beinen", ist somit mehr krisensicher. Der "Vielseitige", wenn wir das Gegenteil vom "Spezialisten" so nennen wollen (auch die Bezeichnungen "Generalist" und "Universalist" sind gebräuchlich), kann sich dann den Gegebenheiten besser anpassen und auf andere Erwerbsformen umstellen. (Originalbuchseite 224)
Obwohl die Erwerbsformen der Pflanzen und Tiere grundsätzlich andere sind, besteht auch bei ihnen die gleiche Polarisierung. Im Lauf der Evolution entstanden sehr viele Spezialisten - besonders extreme gibt es unter den Parasiten, die im Körper bestimmter Tierarten schmarotzen - und im Falle, daß diese aussterben, ebenfalls ihre Lebensbasis verlieren. Nicht-Spezialisten, wie etwa die "Allesfresser", sind da besser daran. Versiegt bei ihnen eine der Nahrungsquellen, dann trifft sie das nicht besonders: sie konzentrieren sich dann eben auf eine andere. Das Wildschwein, das sowohl Kleintiere wie auch Wurzeln und Früchte frißt, ist dafür ein Beispiel. Ich kam mit dieser Problematik zweimal an sehr verschiedenen Orten "hautnah" in Berührung. Erstens bei den so abgelegenen Galapagos-Inseln im Pazifik, wo wir als erste die Unterwasserwelt erforschten und über Wasser, auf den öden Lavainseln, den Spuren von Charles Darwin nachgingen. Und zweitens, als ich bei einem Managerseminar in Freudenstadt einen Tag lang über Energontheorie und Verhaltensforschung referierte und mir dann am Abend, an der Bar, einer der Teilnehmer sagte: "Herr Hass, ich kann schon wieder nach Hause fahren. Mein Problem ist bereits gelöst."
Dieses Seminar war eines von mehreren, die in erster Linie für fortgeschrittene EKSAnhänger abgehalten wurden, welche ihre Kenntnisse auffrischen wollten - oder die vom EKS-Weg abgekommen waren und nicht recht wußten, wo und wieso. Die Seminare liefen über vier Tage, den ersten bestritt ich, am zweiten und dritten rekapitulierte der EKS-Fachmann Heinz-Gernot Nieter, der diese Lehre auch noch mit christlichen Anschauungen verband, die wichtigsten Richtlinien, und am vierten kam dann Wolfgang Mewes, erzählte von neuesten Entwicklungen und diskutierte mit den Teilneh(Originalbuchseite 225)
mern praktische Fragen, welche diese beschäftigten. Da auch ich schon am zweiten Morgen weiterreisen mußte, nahm mich der Teilnehmer, der mich angesprochen hatte, im Auto bis zum Flughafen nach Stuttgart mit. Ihn schien besonders zu interessieren, was ich über die berühmten Darwin-Finken der Galapagos-Inseln erzählt hatte - doch was ihm in meinen Ausführungen geholfen hatte, erfuhr ich nicht, und fragte auch nicht danach. Drei Jahre später verpflichtete mich die Firma Kärcher in Winnenden bei Stuttgart zu einem Vortrag. Herr Roland Kamm, der Geschäftsleiter, begrüßte mich herzlich ... es war der Mann an der Bar. Ich fragte ihn spontan: "Nun, hat es etwas genützt?" Und seine Antwort lautete: "Wir waren damals in fünf Jahren von einem Jahresumsatz von ca. 20 Millionen auf 190 Millionen hochgeklettert und dann zwei Jahre lang stecken geblieben. Deshalb kam ich nach Freudenstadt. Inzwischen sind wir - dank Ihrer Galapagos-Finken - bei einem Jahresumsatz von 280 Millionen und es geht flott weiter." Jetzt erfuhr ich die näheren Einzelheiten: Die Firma Kärcher war 1935 vom Ingenieur Alfred Kärcher gegründet worden und stellte Elektro-Heizgeräte, GroßtauchHeizkörper und Spezial-Heizvorrichtungen für die Industrie her. Nach dem Krieg wurden Dampfstrahlreiniger und Schnelldampferzeuger zu den beiden Hauptprodukten. Nach dem Tod von Ing. Kärcher im Jahr 1959 wurde der Betrieb, der inzwischen 250 Mitarbeiter zählte, von seiner Frau Irene sehr tüchtig weitergeführt, die sich dann aber 1968 doch entschloß, einen Geschäftsführer einzustellen und ihm das Feld zu überlassen. Dieser Mann war sehr auf Gewinnoptimierung ausgerichtet und sah in keinem der beiden Hauptprodukte eine Zukunft für die Firma. Er sagte zu den Ingenieuren - zu denen bereits Herr Kamm gehörte: "Wir brauchen neue (Originalbuchseite 226)
Ideen, neue Dinge, und jeder, der etwas Neues bringt, kriegt eine Prämie!" Es folgte eine Phase extremer Diversifikation. Man produzierte jetzt neben den bisherigen Produkten Thermalölerhitzer, Bauschalungen aus Polyesterharz, Grabsteinfassungen aus Kunststoff, die erste künstliche Niere, Plastikelefanten, die für Kinder vor
Warenhäusern aufgestellt wurden und, wenn man 10 Pfennige hineinwarf, schaukelten, während die Kinder auf ihnen ritten, ein Doppelrumpf-Boot ... "Das Krasseste war wohl die Übernahme einer Klavierstuhlfabrik. Eine hochinteressante Zeit, aber ein trübes Kapitel!" 1971 übernahm Frau Kärcher selbst wieder die Leitung und übertrug sie dann 1974 an Herrn Kamm, der über Gernot Nieter mit der EKS bekannt geworden war und nun diese Periode extremer Diversifizierung beendete. "Statt vieles mittelmäßig zu tun, ist es besser, ein Produkt hervorragend zu gestalten", lehrt die EKS. Nach sorgfältigen Erwägungen entschied sich Kamm für den Hochdruckreiniger und baute nach und nach die übrigen Produktionslinien ab. Zum Firmenmotto wurde "Kärcher Hochdruckreiniger". Bis 1980 erhöhte er mit diesem einen Produkt den Jahresumsatz von 24 Millionen auf 209 Millionen DM und eroberte über 50% der Marktanteile in der Welt. "Dann blieben wir stecken. Mein Problem war damals: Sollten wir die restlichen Marktanteile erobern, oder sollten wir daran gehen, dort, wo wir schon treue Kunden hatten, diesen ein immer differenzierteres Angebot für den Grundbedarf Reinigung zu liefern? Als ich aus Freudenstadt zurückkam, war mir klar: Wir tun beides. Ein erster Schritt war, das Firmenimage zu ändern. Es lautet seither ‘Kärcher Reinigung ist unsere Sache’." Was hat das nun mit den Galapagos-Finken zu tun? Darwin, Theologe und Biologe, nahm 1832 -1837 an der (Originalbuchseite 227)
Weltreise des englischen Vermessungsschiffes "Beagle" teil und gelangte auf den Galapagos-Inseln zu jenen Erfahrungen und Inspirationen, die ihn von der Abstammung sämtlicher Lebewesen und des Menschen von gemeinsamen Urvorfahren überzeugten, eine bereits vor ihm vertretene Theorie, der jedoch erst er durch umfangreiches Beweismaterial zum Durchbruch verhalf. Was ihn auf diesen so entlegenen vulkanischen Inseln in Staunen setzte, war die große Anzahl von verschiedenen Tierarten, die beinahe in Sichtweite voneinander auf den verschiedenen Inseln lebten. Jede der Inseln hatte ihre eigenen Schildkröten und Spottdrosseln, ihre eigenen Finken und auch ihre eigenen Pflanzen. In Auslegung der Bibel nahm man damals noch an, daß jede Pflanzen- oder Tierart das Ergebnis eines eigenen Schöpfungsaktes und etwas unveränderliches sei. Darwin fragte sich, warum sich gerade auf diesen kleinen nackten Inseln ein solcher "Betrag an schöpferischer Kraft" entfaltet habe? Über ganze Kontinente verbreitet lebten gleiche Tierarten, und hier hatte die Phantasie des Schöpfers auf ein paar aus dem Meer ragenden Lavahaufen immer wieder neue, anders aussehende Arten geschaffen. Warum zeigten diese Arten eine deutliche Verwandtschaft mit jenen des 900 km weit entfernten amerikanischen Festlandes - und nicht etwa mit jenen der Kapverdischen Inseln, die ebenfalls vulkanisch sind und ganz ebensolche Umweltbedingungen für Pflanzen und Tiere boten?
Besonders auffallend war das bei den Finken. Sämtliche Inseln waren von ihnen bevölkert: es hatten sich nicht weniger als 13 verschiedene Arten gebildet, von denen fast jede einen anders geformten Schnabel hatte und diesen auch anders verwendete. Einer der Finken bohrte Bäume an wie ein Specht. Ein anderer zeigte den großen kräftigen Schnabel eines Kernbeißers, der harte (Originalbuchseite 228)
Samen aufknacken kann. Bei einem dritten glich der Schnabel dem eines Papageis, bei einem vierten dem eines Stars. Und ein fünfter hatte einen Schnabel, der so dünn war wie jener einer Grasmücke. - Was hier geschehen war, lag eigentlich auf der Hand. Irgendwann waren vom Festland Finken auf die Inseln verschlagen worden vielleicht durch einen Sturm, und da sie hier kaum andere Vögel als Konkurrenz vorfanden, hatten sie sich auf besondere Formen des Nahrungserwerbes spezialisiert, die sonst anderen Vogelgruppen eigen waren - so etwa, wie ein Kaufmann, der daheim auf sein Gebiet eingeengt ist, in fremden noch unerschlossenen Ländern plötzlich Dutzende von Erwerbsmöglichkeiten sieht, die er ausnützen kann, weil kein Konkurrent ihn daran hindert. Daß bei den einzelnen Arten die Nachkommen nicht alle durchaus gleich sind, war Darwin bekannt, ebenso, daß manche neue Merkmale sich vererbten. Hier zeigte ihm die Natur gleichsam auf kleinstem Raum, wie es zu der großen Formenvielfalt der Tiere und Pflanzen auf unserem Planeten gekommen war. Erbliche Änderungen, die in einem bestimmten Bereich zu besseren Lebensbedingungen verhalfen, setzten sich ganz automatisch durch (Abb. 18). So entstanden immer neue "Arten" - und wurden verdrängt, wenn bessere entstanden. Darwin wurde klar, daß es somit durchaus möglich war, daß sämtliche auf unserem Planeten lebenden Organismen letztendlich von gleichen Urvorfahren abstammten ... einschließlich des Menschen. Bei meinem Vortrag hatte ich ausführlich über die Darwin-Finken gesprochen, um zu zeigen, wie es die verfügbaren Nahrungsquellen und sonstigen Lebensbedingungen sind, die gleichsam darüber entscheiden, was sich erhalten und fortpflanzen kann. Die Natur züchtet so gleichsam selbst die Strukturen und Verhaltenssteue(Originalbuchseite 229)
Abb. 18: Erschließung von "Nischen". Bei Vögeln kommt es sehr auf die Form und Ausbildung des Schnabels an, um gewisser Beute in bestimmter Gegend habhaft zu werden. In der Bio-Soziologie hat man zahlreiche Untersuchungen angestellt, um über Kosten-Nutzen-Vergleiche die optimale Beute für einzelne Tierkonstruktionen zu ermitteln. Das Diagramm zeigt die für Bachstelzen bei der Wahl von Fliegen höchste Profitabilität in Hinblick auf Beutegröße und der zum Fang erforderlichen Zeit. - Bei diesen und anderen Versuchen zeigte sich deutlich, wie Tiere ihre Erwerbstätigkeit rationalisieren und wie über Strukturveränderungen neue Nischen erschlossen werden können. Nach J. R. Krebs und N. B. Davis 1978.
rungen, die für den jeweiligen Lebensraum am zweckmäßigsten sind. Und nicht anders ist es in der Wirtschaft. Auch hier legt der Bedarf fest, welche Anbieter eine Chance haben, zu bestehen - zu wachsen und sich zu vermehren. (Originalbuchseite 230)
Roland Kamm sah in dem von Kärcher produzierten Hochdruckreiniger gleichsam den "Urfinken", der in neue Gebiete einbrach und sie eroberte. Hatte er dort jedoch "alles kahlgefressen", - also die Marktanteile weitgehend an sich gebracht -, dann stagnierte zwangsläufig die weitere Vermehrung - während es für "Finken mit etwas anderem Schnabel" noch nicht wahrgenommene Erwerbschancen gab. Reinigungsprobleme gab es noch und noch, die mit entsprechend abgewandelten Geräten und dem erworbenen Know how bestens gelöst werden konnten. Man ging nun in die Landwirtschaft und informierte sich konkret, wie die Ställe und das Vieh gereinigt wurden. Die Bauern wiesen gern auf alle hier auftretenden
Probleme hin, lieferten das notwendige "feed back". Man analysierte die diversen Probleme der Gebäudereinigung, der Reinigung von Textilflächen (Teppiche, Polstermöbel etc.) sowie die im Handwerk und in der Industrie auftretenden Reinigungsprobleme. Weiters analysierte man das gesamte Transportwesen: vom Fahrrad bis zum Traktor, von Fuhrunternehmen bis zum Wohnomnibus. In den Autohäusern stellte man fest, wieviele Arten von Reinigungsprozessen dort anfielen und stellte fest, daß man von diesen über 70% übernehmen, also "im Paket anbieten konnte". Kärcher entwickelte in der Folge über 300 Varianten von Reinigungsgeräten, die ebenso verschiedenen Anforderungen angepaßt waren, wie die Darwin-Finken verschiedenen Lebensbereichen. "In Ländern, wo wir schon treue Kunden hatten, wo uns der Hochdruckreiniger, der Urfink, bereits den Weg geebnet hatte, stießen wir nun mit einem immer mehr differenzierten Angebot für den dort vorhandenen Grundbedarf Reinigung nach." Mein Heimatland stand sogar an erster Stelle. "In Österreich haben wir den (Originalbuchseite 231)
größten Pro-Kopf-Umsatz erreicht - hier hat unser Fink die Schnäbel schon am feinsten entwickelt, dringt bereits in jede mögliche Ritze und Spalte vor." Inzwischen ist der Jahresumsatz weiter gestiegen und hat bei Fertigstellung dieses Buches bereits 575 Millionen überschritten. Noch ein weiteres, recht ungewöhnliches Beispiel für Diversifizierung: Ein Lehrgangsteilnehmer erzählte Mewes von einem Kaffeeröster, der sich auf Großverbraucher, wie z. B. Kantinen, spezialisiert hatte. Durch Vertreter bot er Kaffee in 5-Kilo-Packungen an - anfangs mit großem Erfolg, dann aber wurde die Konkurrenz härter, so daß die Vertreter Packungen auch einzeln verkaufen mußten. Bei der Provision von 3,50 DM je Packung wurde es für sie zunehmend schwieriger, ein auskömmliches Einkommen zu erzielen - und für den Kaffeeröster wurde es schwieriger, geeignete Vertreter zu finden. .Mewes: "Aber dann begann der Kaffeelieferant sich nicht länger als Lieferant eines Produktes, sondern als Löser eines Problems einer bestimmten Zielgruppe zu verstehen: nicht länger als Lieferant von Kaffeesubstanz, sondern als Löser der mit dem Kaffeetrinken in den Betrieben verbundenen Probleme. Damit erst trat die Problematik der betrieblichen Kaffeekocherei voll in seinen Blick: die verstohlenen Heizplatten, das unabgewaschene Geschirr, die zerbeulten Töpfe, die verlorene Arbeitszeit, die Kaffeeflecken, der Streit - und nicht zu vergessen: die trüben Brühen, die man mancherorts Kaffee nennt." Um diesem Übel abzuhelfen, suchte der Mann nach einer Kaffeemaschine, die für diese speziellen Verhältnisse besonders geeignet war, und verkaufte nicht länger nur Kaffee, sondern auch die für diese Zielgruppe opti(Originalbuchseite 232)
mal geeignete Kaffeemaschine. Da solche Maschinen verschmutzen und verkalken, kam er darauf, eine regelmäßige Wartung zu organisieren, und der sich so ergebende Kontakt machte ihn darauf aufmerksam, daß das Personal für die Kaffeeausgabe immer teuerer wurde - und daß unbeaufsichtigte Kaffeeausgabe zu Verschwendung führt. "Die Lösung fand er in Münzautomaten, die nun wieder das Problem der Finanzierung mit sich brachten ... -" Endpunkt dieser Entwicklung war, daß der einstige Kaffeeröster in der Folge nicht nur Kaffeemaschinen, Münzautomaten, den entsprechenden Service, Kaffee, Tee, Mineralwasser, Cola und andere Erfrischungsgetränke lieferte, sondern auch Einmalgeschirr, fertige Kaffeeküchen-Einrichtungen, Abfalleimer, Abfallbeseitigung etc. Und zwar jeweils auf die speziellen Verhältnisse des jeweiligen Betriebes ausgerichtet. "Wer sich als Unternehmer in diesem Fach betätigen will, braucht nur noch eine Ecke bereitzustellen und die monatlichen Rechnungen zu bezahlen: alle übrigen, mit der Kaffeeversorgung zusammenhängenden Probleme ist er los. Und zwar überzeugend besser und billiger, als er sie selbst lösen könnte." Der einstige Kaffeeröster ließ so die Sorgen des immer heftiger werdenden Konkurrenzkampfes hinter sich, setzte nun im Durchschnitt jährlich 1800 DM pro bedienten Betrieb um, wobei ihm durchschnittlich jeder neu gewonnene Kunde 4,5 Jahre treu blieb. Für diese ergab sich außerdem der Vorteil, daß der Kaffee und die übrigen Waren frischer, der Service zuverlässiger, die Kunden zufriedener und die Mitarbeiterprobleme geringer wurden. "Seine Vertreter erhalten für das Werben eines neuen Betriebes 400 DM als einmalige Provision. Die so entstehende Belastung des Umsatzes hat sich auf die Hälfte vermindert und trotzdem verdienen die Ver(Originalbuchseite 233)
treter besser - durchschnittlich 5000 DM im Monat. Der Abnehmer fühlt sich in seinen Entscheidungen frei, aber in Wirklichkeit ist er gebundener als früher, weil er dieses Problem nun einmal hat und von niemand anders ebensogut gelöst bekommt." Eine Schule, die zu solchen Berufsarten führt, gibt es bis heute noch nicht. Handelt es sich hier um eine extreme Diversifikation von Leistungen? Sieht man die Situation vom Bedarf her, dann wird diesem - "im Paket" - eine Vielheit zusammengehörender Leistungen abgenommen, die Lösung der meisten seiner Probleme verkauft. Ein solcher Übergang vom Verkaufen bestimmter Waren und Diensten auf jenen von Problemlösungen bedeutet eine erhebliche strukturelle Veränderung. Kaufte früher der Besitzer eines Gartens die Samen in der Samenhandlung, die Gartenstühle in einem Möbelgeschäft, die Gartenwerkzeuge in einer Eisenhandlung usw., so bieten heute schon Geschäfte unter dem Motto "Alles für den Garten" all das an, was in diesem Bereich allenfalls benötigt wird. Dem Kunden werden Wege erspart und es wird ihm erleichtert, Entscheidungen zu treffen. An die Stelle des vom Material her diktierten Sortiments tritt ein "kundenorientiertes Sortiment", das darauf abzielt, möglichst umfassende Problemlösungen zu bieten.
Nixdorf bietet längst nicht nur Hardware und Software an, sondern ging dazu über, für den einzelnen Kunden die für ihn bestgeeignete Software "maßzuschneidern", ihn im bestmöglichen Einsatz zu unterweisen, in Finanzierungsfragen zu beraten - und ihm auch die für die neue Technik bestgeeigneten Möbel zu liefern. Im Bankenwesen bedeutet der Einsatz des Computers eine so entscheidende Veränderung der Abläufe und Funktionszusammenlegungen, daß es bestimmt nicht lange dauern wird, (Originalbuchseite 234)
bis Computerhersteller auch den architektonischen Entwurf für die Konzeption neuer Banken liefern. Das bedeutet dann aber nicht, daß eine Computerfirma sich höchst kurios diversifiziert, indem sie nun auch eine Möbeltischlerei und ein Architekturbüro aufmacht. Sondern sie bemüht sich, dem Kunden gleich auch zweckdienliche Zusatzleistungen zu vermitteln, welche innere Reibungen beseitigen und der gelieferten Anlage zu einem möglichst optimalen Einsatz verhelfen. Geht man in einen der Schweizer "Migros-Supermärkte", dann steht man vor einer extremem Diversifikation, die aber gleichzeitig eine höchst perfekte Spezialisierung auf Kundenwünsche darstellt. Viele Kleinbetriebe werden dadurch betroffen, können aber mit solchen Giganten in eine für sie günstige Symbiose treten, weil der Supermarkt ja gute Zulieferer benötigt, oder weiterbestehen, indem sie sich auf Kunden mit "höheren Ansprüchen" ausrichten, die nur manches oder - aus Prestigegründen - gar nichts im Supermarkt kaufen. In den USA wurde es zum erfolgreichen Geschäft, schlechtgehende Firmen aufzukaufen, ihr Management und ihre Ausrichtung zu verbessern, sie so zu sanieren und dann mit Profit zu verkaufen. Betrachtet man die Verschiedenheit der sanierten Firmen, dann sieht das nach extremer Diversifizierung und Verzettelung aus. Doch auch hier ist es in Wahrheit eine erhöhte Spezialisierung: eben auf einen bestimmten zentralen Teil all dieser Firmen, dessen Funktion mangelhaft ist, und nach grundsätzlich gleichen Erfahrungen und Richtlinien erneuert wird. Bei der Evolution der Pflanzen und Tiere haben ähnliche Verbindungen und Verflechtungen ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt. Bei den schon erwähnten "Verdauungshelfern", die nicht nur Termiten sondern auch sehr vielen anderen Tieren (etwa unseren Rindern), ent(Originalbuchseite 235)
scheidend bei der Aufschließung der Nahrung helfen, ist das Größenverhältnis ähnlich wie zwischen einem Zulieferer und einem Supermarkt. In beiden Fällen wird ein Organismus - ob in seinem Körper oder von diesem getrennt tätig - zum wesentlichen Bestandteil eines anderen, verhilft ihm zur Erschließung von neuen Erwerbsquellen, was man als "Diversifizierung" auffassen kann. Die für Vielzeller so ungemein wichtigen Zellorgane: "Plastiden" (die den Pflanzen zur Photosynthese verhelfen), und die "Mitochondrien" (welche bei Tieren die eigentliche Dienstbarmachung der vereinnahmten Energie bewerkstelligen) entstanden, wie heute angenommen wird, aus Parasiten oder Symbionten, die in Zellen einwanderten
... und dort im Lauf der Zeit zu Organen wurden. Man schließt das daraus, daß diese "Organellen" ihren eigenen Fortpflanzungsmechanismus haben, der von jenem der Zellteilung unabhängig ist. Es sind hochspezialisierte Einheiten, die ähnlich einem von außen eingebrachten Management Grundlage für sehr viele Diversifizierungen werden konnten - oder, anders betrachtet, ähnlich den von Nixdorf einer Bank gelieferten Möbeln, das Ergebnis einer Diversifizierung sind, die zu gesteigerter Spezialisierung verhilft. Die von Herrn Kamm angewandte Unternehmensstrategie dürfte auch in jeder Sparte von Berufstätigkeit gleichermaßen anwendbar sein. Als erstes kommt es darauf an, über praktische Erfahrungen zu sich selbst und seinen Absichten zu finden. Eine zu frühe Festlegung hat schon vielen in ihrem Leben nachhaltig geschadet. Diesem Umstand sollten sowohl Erziehung als auch das Bildungswesen Rechnung tragen. Erst wenn man einen entsprechenden Überblick gewonnen hat und daraufhin zu einer Entscheidung kommt, wird es zweckmäßig, sich auf einen engeren Bereich zu spezialisieren - wobei (Originalbuchseite 236)
die in der 3. Konsequenz erwähnten Grundschritte die richtige Zielfindung fördern. Um im Konkurrenzkampf bestehen zu können, ist es dann wichtig, haupt- oder auch nebenberuflich in einer erfolgsversprechenden Sparte möglichst umfassende Erfahrungen und Fähigkeiten zu sammeln - wie Kärcher beim Hochdruckreiniger. Erst wenn ein Durchbruch erzielt und ein entsprechendes "Image" aufgebaut ist, wird als dritter Schritt ein Auffächern des Leistungsangebotes zweckmäßig, wobei man jedoch, wie Mewes sehr richtig hervorhebt, den Rahmen des vorliegenden Grundproblems nicht überschreiten soll. Selbstredend verläuft nicht jede Entwicklung so glatt. Oft sind radikale Kursänderungen, verbunden mit neuen Spezialisierungen und anschließenden Auffächerungen sinnvoll. Auch die Abstimmung zwischen Beruf und Privatleben - auf die wir noch zurückkommen spielt hier ebenfalls eine entscheidende Rolle. Alle diese Gesichtspunkte spielen ebensogut beim berufstätigen Einzelmenschen wie auch in Unternehmen eine wichtige Rolle. Was die Größe von Unternehmen betrifft, so war es bisher so, daß die großen in der Massenproduktion und Forschung Vorrang hatten, während bei den kleineren die höhere Flexibilität und Anpassung an Einzelwünsche ein Vorteil ist. Daraus ergaben sich vielfache Möglichkeiten der Symbiose in Teilbereichen. So konnten etwa spezialisierte Kleinbetriebe mit Autokonzernen kooperieren, indem sie die Autos dem besonderen Bedarf einzelner Berufsgruppen (Arzt, Filmproduzent, Schreiner etc.) anpaßten. Beiden Seiten ist in solchem Fall gedient. Dem Autohersteller wäre es nicht möglich, sich mit solchen Einzelwünschen abzugeben - während sie die Palette seines Angebotes bereichern. Der Kleinbetrieb, der für solche Anpassungen einen ange(Originalbuchseite 237)
messenen Preis verlangen kann, hat so wiederum eine gesicherte Existenzbasis. Auch Kleinstbetriebe, oft nur aus einer Person bestehend, entwickelten sich, die über kaum irgendwelche eigene Produktionsmittel verfügen und sich in blitzschneller Anpassung an neuauftauchende Marktwünsche und Problemlösungen kurzfristig die nötigen Partner und Zulieferer suchen, und so nur noch ein höchst adaptives Erwerbsgefüge darstellen. Gerd Häuser, dessen Produktion von Lammfellmänteln beschrieben wurde, ist dafür ein Beispiel. Durch den Computer werden nun aber diese Grenzen der Vorteile von großen und kleinen Unternehmen zunehmend verwischt. Mit CAD und CAM (Computer Aided Design und Computer Aided Manufacturing) wurde eine neue Strategie eingeleitet, die es durch "flexible Automation" auch Großunternehmen ermöglicht, problemlos in bisher für sie unzugängliche Marktnischen einzudringen. In der Maschinen- und der Metallwarenindustrie, in der Elektrobranche und in der holzverarbeitenden Industrie werden solche "computerunterstützte Fertigungssysteme" eingesetzt und steigern dort die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Trotzdem gilt auch hier die OBS-Konsequenz, daß sowohl Spezialisieren als auch Diversifizieren wichtig ist - zur richtigen Zeit. Inwiefern beeinflußt nun der Psychosplit diese für jede Erwerbsform so wichtige Polarisierung -? Es genügt,. einen Blick auf die Speisekarte in einem Restaurant zu werfen, um uns zu zeigen, daß wir von Vorfahren abstammen, die sowohl auf tierische, als auch auf pflanzliche Kost ausgerichtet waren - von "Allesfressern" also in biologischer Diktion, und nicht etwa von Spezialisten wie etwa die Stechmücke oder ein Parasit. Das ist auch ein Grund dafür, daß so verschiedene Nah(Originalbuchseite 238)
rung uns schmeckt - und daß unsere "Kultur" im gastronomischen Bereich darin besteht, durch entsprechende Zubereitung und Würzung die "Genüsse des Gaumens" zu steigern und immer raffinierter zu gestalten. Daß wir in Gemeinschaft essen, ist eine Besonderheit, die unsere Anlage zur "Geselligkeit" unterstreicht - und außerdem zeigt, daß wir auch beim Genuß zur "Diversifizierung" neigen. Wir verbinden mit der Nahrungsaufnahme das Beisammensein mit Freunden, das anregende Gespräch, den Flirt, musikalische Untermalung - bei orientalischen Festmählern auch noch Tanzvorführungen und manches andere. Wenn uns also der Psychosplit zum Halben Räuber macht, indem die indirekte Basis für unsere Ernährung - der Kunde, der Arbeitgeber und ganz allgemein das zu erwerbende Geld - in uns automatisch die angeborenen Raubinstinkte wachruft, so übertrug sich dies auch auf jenes Verhalten, das uns die Steigerung angenehmer Empfindungen erweckt - und im Beruf die Neigung zur "Verzettelung". Eine Rolle spielt hier auch der beim Menschen besonders ausgeprägte Neugiertrieb, der für die Herstellung und Erprobung von "zusätzlichen Organen" so überaus wichtig war. Er
ist der Motor unseres besonderen Interesses an Neuigkeit (Zeitung, Radio, Fernsehen usw.), an neuen Erlebnissen (Tourismus, Polygamie), am Erwerb neuer körperlicher Fähigkeiten (Ausübung von Sport und Hobbies). Wenn somit die EKS die für das Berufsleben und für Unternehmen so wichtige Spezialisierung immer wieder in den Vordergrund stellt, dann ist das von der OBS her beurteilt, durchaus berechtigt und auf Grund des Psychosplits verständlich. Auf Grund unserer erblichen Ausstattung ist im menschlichen Verhalten eine deutliche Tendenz nachweisbar, nicht genug konsequent an (Originalbuchseite 239)
einer Sache zu arbeiten, sondern sich durch angeborene Impulse oder Umwelteindrücke ablenken zu lassen. Das Phänomen der "fixen Idee", der zielhaften Ausrichtung mancher Menschen auf Tätigkeitsbereiche, "die nichts einbringen", mag eine weit jüngere Anpassung sein, die erst seit der Menschwerdung und der Herstellung von "zusätzlichen Organen" aktuell wurde. Bei Affen oder anderen höheren Säugern können wir nichts ähnliches beobachten. Hier zeigt sich eine bereits in unser Erbgut eingegangene Tendenz, die ebenso wie andere Instinktausrichtungen bei manchen Individuen hypertrophiert, also übernormal ausgebildet ist, was dann dazu führt, sich extrem auf einzelne Probleme auszurichten, die unter Umständen erst lange nach dem Tod von anderen verstanden, aufgegriffen und so für die Menschheit zu neuen Fortschritten werden. Zu den Galapagos-Finken und der Entwicklung der Firma Kärcher seien noch zwei interessante Fakten angefügt. Als Kuriosum erzählte mir Herr Kamm, daß der Hochdruckreiniger, mit dem man nun auch die USA erobert, bereits 1925 als "Dampfstrahlreiniger" in den USA erfunden wurde. Nach dem Krieg hatte die US-Besatzungsmacht im Stuttgarter Raum auch einige dieser, damals in Europa noch absolut unbekannter Geräte unter ihrer Ausrüstung: einige mußten repariert werden ... und so gelangten sie zu Kärcher. Dabei stellte damals Ing. Kärcher fest, daß man diese eigentlich viel besser bauen könnte. "Und so kam es, daß 1950 hier in Europa der erste Hochdruckreiniger entstand - und wir haben dann mit schwäbischer Gründlichkeit und Fleiß dieses System perfektioniert und konnten durch die schönen Umsatzsteigerungen das PreisLeistungs-Verhältnis von Jahr zu Jahr verbessern. Mit dieser Waffe, mit (Originalbuchseite 240)
diesem Finken, sind wir nun ins Heimatland der Hochdruckreiniger, von wo er eigentlich herkam, zurückgekehrt. Die Technologie ist dort überhaupt nicht weitergegangen: Die haben nach wie vor mit einem Drittel der Leistung gearbeitet und mit dem doppelten Preis. Wir mußten uns natürlich erst hart durchsetzen, wir waren ja unbekannt - und der Hochdruckreiniger hatte ein ganz schlechtes Image. Aber mit Garantie- und Wartungsverträgen und sonstigem haben wir uns inzwischen
auch dort das Vertrauen erobert. Wo wir antreten, sind wir in kürzester Zeit Nr. 1." Auch bei der Evolution der Tiere und Pflanzen gab es - wie schon erwähnt - viele Umwege. Neben der Entstehung der Schwimmblase aus der Urlunge von landerobernden Fischen ist ein weiterer die Entstehung der für unseren musikalischen Kunstgenuß so überaus wichtigen Gehörknöchelchen im Innenohr (Hammer, Amboß, Steigbügel), die sich aus den für Landwirbeltiere überflüssigen und sich rückentwickelnden Kiemenbögen der Urfische entwickelt haben43. Was die Galapagos-Finken betrifft, so entging Darwin eine Besonderheit beim Spechtfinken Cactospiza pallida, die erst im Anschluß an unsere Unterwasserexpedition zu diesen Inseln von Eibl-Eibesfeldt und Kurt Sielmann näher studiert wurde. In seinem "Grundriß der vergleichenden Verhaltensforschung" schreibt Eibl-Eibesfeldt. "Mit seinem kräftigen Schnabel reißt er die Rinde von den Zweigen und öffnet die Bohrgänge von Insektenlarven. Es fehlt ihm aber die lange Zunge, mit der unsere Kleinspechte anschließend die Insekten aus den Gängen holen. Er löst das Problem, indem er sich eines Werkzeuges bedient. Hat er einen Bohrgang geöffnet, dann sucht er sich einen Kaktusstachel, nimmt diesen der Länge nach in den Schnabel und stochert das (Originalbuchseite 241)
Insekt heraus. Er kann auch dünne Zweiglein zurechtbrechen, sich also das Werkzeug gewissermaßen selbst herstellen."44 Sind nun dieser Stachel oder dieses dem Verwendungszweck angepaßte Zweiglein für die Zeit, da der Spechtfink sie benützt, von ihm bereits verwendete "zusätzliche Organe" - ? Ist das Netz der Spinne, das aus körpereigener Abscheidung gebildet, jedoch nicht mit ihrem Körper fest verbunden ist, für sie nicht ebenfalls ein entscheidend wichtiges, künstlich gefertigtes Organ des Beuteerwerbes - ? Ist der von Bibern geschaffene Damm für Aufstauung des Wassers und der Termitenbau, als Schutzorgan dieses Staatswesens, etwas nicht zu diesen Tieren gehörendes, weil es nicht mit ihrem Körper verwachsen ist, nicht aus Zellen besteht - ? Und gilt nicht für das Vogelnest, als entscheidend wichtiges Organ der Brutpflege, das gleiche - ? Die Bildung solcher zusätzlichen Organe bei Tieren beruht auf der Ausbildung erblicher Verhaltenssteuerungen - während sich der Mensch auf Grund seines besseren Überblickes über Ursachen und Wirkungen solche "Erweiterungen seines Körpers" selbst zielhaft anfertigt. In starker Abstraktion ist jede Berufsstruktur und jedes Unternehmen eine Art von Spinnennetz, das gebildet wird, um an Nahrung, an die so entscheidend wichtige Energie zu gelangen. Die Spinne erwirbt Nahrung über einen räuberischen Akt - der in der Wirtschaft tätige Mensch über Tauschakte. Inwiefern es bei diesen Vorgängen zweckmäßig ist, sich zu spezialisieren oder zu diversifizieren, hängt von der jeweiligen raum-zeitlichen Situation ab. Auf Grund des Psychosplits werden wir eher dazu verleitet, uns auf verschiedene Tätigkeiten auszurichten, um im ebenfalls erbbedingten Streben nach Sicherheit lieber auf
"mehreren Beinen zu stehen". (Originalbuchseite 242)
Zweckmäßiger ist indessen, erst an einem engen Punkt die Front der Konkurrenten zu durchbrechen, sich dort Vertrauen und Kundentreue zu erobern, und so die Basis für ein mehr diversifiziertes Angebot zur besseren Problemlösung der Kunden zu schaffen.
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zu "6. Konsequenz: Wirst Du Problemlöser einer Zielgruppe, dann steuert sie Deinen Erfolg." in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 243)
6. Konsequenz:
Wirst Du Problemlöser einer Zielgruppe, dann steuert sie Deinen Erfolg
Die von Mewes entwickelten sieben strategischen Schritte, wie der "Schlüssel" zum richtigen "Schloß" findet, wurden bereits besprochen. Offen blieb die Frage, was dann weiter zu geschehen hat? Ist ein Tier an geeignete Beute gelangt, dann muß es sie überwältigen, sich einverleiben und ihr die in ihrer Struktur enthaltene Energie sowie benötigte Stoffe entziehen. Ist der Mensch oder ein von ihm geschaffenes Unternehmen an geeignete Nachfrager gelangt, dann muß er behutsamer vorgehen. Er muß mit dieser Erwerbsquelle in Kontakt kommen, muß sie auf das, was er zu bieten hat, aufmerksam machen, sie davon überzeugen, daß hier ein für sie ungewöhnlich günstiges Angebot vorliegt. Darauf kommt es an. Bietet man ähnliches an, was bereits andere in vergleichbarer Qualität anbieten, dann sind die Erfolgschancen, so an Geld zu gelangen, gering. Wie man am besten vorzugehen hat, um eine Vertrauensbildung zu erzielen, wurde bereits besprochen. Man muß sich auf Schwachstellen bei der erwählten Zielgruppe ausrichten, die von Konkurrenten noch nicht berücksichtigt wurden und die den Nachfrager deshalb besonders stark berühren. Nach Mewes muß man, um "ins Geschäft zu kommen", in irgend einem Bereich der bestehenden Probleme ein "so zwingendes Angebot" (Originalbuchseite 244)
machen, daß der Nachfrager es gar nicht ablehnen kann. Und zwar deshalb: entweder, weil es seinen Wünschen eben optimal entspricht - oder aber: "weil er es sich gar nicht leisten kann, daß statt ihm Konkurrenten es in Anspruch nehmen". Ein solches Angebot ist der "zündende Funken", der die Verbindung herstellt, die Grundlage für eine Vertrauensbildung, welche einen Prozeß der "Selbstorganisation" einleitet. Dieser Begriff bedarf der Erklärung. Das Wort "Organisation" setzt - nach dem gewohnten Sprachempfinden - eine bewußte Willenstätigkeit voraus, die eine für einen bestimmten Zweck geeignete raum-zeitliche Struktur schafft. Etwa eine Maschine, die benötigte Leistungen erbringt, - oder, bei militärischer Auseinandersetzung, eine Kombination von Kräften und Aktionen, die den Gegner
überwältigt. Oder, in Betrieben, eine Kombination von Produktionsmitteln und Produktionsabläufen, die zu einem gewünschten Ziel führt. Auch kulturelle Leistungen - etwa ein Fest oder ein Kunstwerk - bedürfen einer entsprechenden "Organisation". Es fällt jedoch schwer, sich eine solche vorzustellen, die keinen bewußt planenden Urheber hat, sondern von selbst Zweckmäßiges und Zielhaftes hervorbringt. Der Begriff "Selbstorganisation" erinnert an die Tätigkeit eines Armes ohne Gehirn. Und doch kann es durchaus ungewollt und ungezielt zu Strukturen oder Abläufen von höherer Zweckmäßigkeit kommen. Praktisch die gesamte Lebensevolution beruht - nach heutigem Forschungsstand - auf diesem, unserem Gehirn schwer vorstellbaren Vorgang. Zwei Beispiele mögen dies veranschaulichen. Bei den Tieren gibt es zwischen Räubern und ihrer Beute ein kurioses Wechselverhältnis, bei dem jede der beiden "Parteien" die Entwicklung der anderen - ohne es (Originalbuchseite 245)
zu wollen - beeinflußt. Gelangt der Räuber über Veränderungen in seinem Erbgut ("Mutationen") zu einer Verbesserung seiner Organe oder seines Verhaltens, dann steigert sich sein Erfolg und dieser Fortschritt setzt sich in seinen Nachkommen fort. Kommt es in der Folge bei der Beute zu Mutationen, welche ihre Abwehrfähigkeit gegen den Räuber steigern, dann vermehrt sie sich wieder umso besser, und auch dieser Fortschritt setzt sich in den Nachkommen fort. So beeinflußt jeder Teil - ganz gegen sein Interesse - die Höherentwicklung des anderen. Kein Löwe kann daran interessiert sein, daß die Gazellen, die er jagt, noch schneller laufen können. Und doch ist er es, der dies bewirkt. Denn die langsamer laufenden frißt er, hindert sie also an der Fortpflanzung. Desgleichen bei der Gazelle: Ihr Interesse ist bestimmt nicht, daß noch effizientere Löwen entstehen und doch verursacht sie es. Denn den weniger leistungsfähigeren Löwen entkommt sie - sodaß jene mit geschickterem Verhalten sich durchsetzen. Solche Verbesserungen kommen somit in der Tat ungewollt und nicht zielhaft geplant zustande. So kann eine Organisation sich in der Tat "von selbst" verbessern ... das ist mit "Selbstorganisation" gemeint. Das zweite Beispiel zeigt, daß auch klimatische Veränderungen zu einer den "Selektionswert" (Konkurrenzfähigkeit) steigernden Struktur führen können. Nehmen wir etwa an, daß in einer Gegend Kaninchen in ihrer Farbe und Musterung dem Boden so gut angepaßt sind, daß Raubvögel sie nur schwer wahrnehmen können. Dann kommt eine Eiszeit, es wird kälter, der Boden ist nun weit länger im Jahr mit Schnee bedeckt. Auf dem weißen Schnee sind die Kaninchen nun sehr gut zu erkennen - werden also von den Raubvögeln wahrgenommen und mit Appetit verspeist. Ihre Zahl vermin-
(Originalbuchseite 246)
dert sich. Nehmen wir nun an, daß durch zufällige, also nicht bewußt geplante oder gewollte Veränderungen im Erbgut auch weiße Kaninchen entstehen. Auf dem Schnee sind sie kaum zu erkennen. Während die mit der ursprünglichen Farbe gefressen werden, können diese in Gemütsruhe nach Nahrung suchen. Sie bleiben bestehen, vermehren sich ... und nach einigen hundert Jahren gibt es in dieser Gegend fast nur noch weiße Kaninchen. Ist nun diese weiße Farbe das Ergebnis von zielhaft planender Weisheit? Keineswegs. Der Schnee hat in keiner Weise direkt auf ihre Entwicklung Einfluß genommen: kein Quäntchen Energie ging vom Schnee in die Kaninchenentwicklung über. Auch die Raubvögel hatten keinerlei Interesse daran, daß für sie schlechter erkennbare Kaninchen entstehen. Und doch sind sie gemeinsam Urheber des für die Kaninchen zweckmäßigen Umstandes, daß sie nun weiß gefärbt sind. Auch diese wichtige Eigenschaft kam somit über "Selbstorganisation" zustande45. Bei berufstätigen Menschen und Unternehmen ist die Erwerbsquelle nicht Beute sondern Bedarf. Doch dieser steuert ganz ebenso die Entwicklung der Anbieter, wie die jeweilige Beute jene der Tiere. Hier wie dort kommt es darauf an, der jeweiligen Energiequelle bestmöglich angepaßt zu sein. Und damit kommen wir zu unserem Thema zurück: Hat ein Anbieter die für ihn bestgeeigneten Nachfrager gefunden, - dann steuert diese "Zielgruppe", ob bewußt gewollt oder nur eben durch ihr spontanes Verhalten, seine Entwicklung. Gelingt es ihm, durch sein Angebot die Interessen der Zielgruppe wesentlich zu fördern oder Schwachstellen bei ihr zu beseitigen, dann wird er - ob in seinen äußeren Merkmalen als "sympathisch" empfunden oder nicht - ganz automatisch von ihr gefördert. Ganz egoistisch, also im (Originalbuchseite 247)
eigenen Interesse. Denn wer könnte ihr mehr willkommen sein, als jener, der ihr in wichtigen Belangen hilft, für sie zum "Problemlöser" wird? Das ist der Zentralpunkt der OBS, auf den ich bereits in der Energontheorie hingewiesen habe (vgl. S. 190 und Abb. 13). Optimaler Erwerb über Tauschakte also Gelderwerb durch Verkauf benötigter Produkte oder Dienstleistungen und anschließender Erwerb von Benötigtem mit dem erworbenen Geld - setzt als wichtigstes voraus, daß man zu einer Nachfrage findet, die man optimal befriedigen kann - wenn auch zunächst nur in einem kleinen Bereich. Die vom Psychosplit aktivierten Raubinstinkte, die einen dazu drängen, an den unmittelbaren eigenen Vorteil zu denken, muß man überwinden und sich mit den Problemen der erwählten Zielgruppe identifizieren. Der beste Weg, ihr Vertrauen zu gewinnen, besteht darin, nach Schwachstellen zu suchen, die sie empfindlich behindern - und diese zu beseitigen (vgl. Abb. 15). Damit wird eine
partnerschaftliche Basis geschaffen und eine unterstützende, steuernde Wirkung setzt ein. Gute Leistung spricht sich herum, und nicht nur die Zielgruppe, die dadurch entsprechend anwächst, sondern auch alle, die von ihr abhängen, sind daran interessiert, daß dieses günstige Angebot erhalten bleibt, ja sich noch verbessert. Die Zielgruppe liefert - im eigenen Interesse - bereitwillig jede Information, die dabei helfen kann, das von ihr Benötigte noch attraktiver zu erhalten. Unter Umständen hilft sie sogar finanziell. So steuert sie den Anbieter zum Erfolg. Hat dieser sich eine solide Vertrauensbasis geschaffen, dann kann er daran gehen, die stets kundenorientierte Palette seines Angebotes zu erweitern, seinen Betrieb zu vergrößern und ein auf sicherer Basis stehendes Unternehmen zu begründen. Oberstes Motto muß dabei blei(Originalbuchseite 248)
ben: Nicht produzieren, um mit möglichst großem Profit zu verkaufen (wie es der Raubinstinkt nahelegt), sondern sich ständig am Nutzen der Zielgruppe zu orientieren und die Produktion den laufenden Veränderungen der Nachfragewünsche anzupassen. Der Anbieter gelangt so - besonders wenn es auf die Bildung von Dauerkundschaft ankommt - sehr bald zu einem größeren und gegen Risiko besser abgesicherten Gewinn, als durch die auf Augenblickserfolge ausgerichtete Strategie des Räubers. Mewes hat dieses sich aus evolutionären Grundgesetzen ergebende Konzept mit Erfolg in die Praxis umgesetzt. Einen unbefriedigten Bedarf bezeichnet er, wie in der Wirtschaft üblich, als eine "Lücke" im Angebot ("Marktlücke") und die Stelle, von der aus man den "Engpaß" am besten beseitigt, nennt er den "kybernetisch wirkungsvollsten Punkt". Kann der Anbieter den zur Beseitigung eines Engpasses nötigen "Minimumfaktor" nicht selbst liefern, doch gibt es andere, welche dies können, dann bezeichnet Mewes jene, die über ihn verfügen, als "Minimumgruppe". Indem er von dieser das benötigte bezieht und seiner Zielgruppe liefert, wird er zum "Zünglein an der Waage". Ist ein Engpaß beseitigt, dann ist der nächstwichtigste in Angriff zu nehmen ....46 Mewes schreibt: "Bisher orientierten sich Mensch, Betrieb und Regierungen an Erfahrungen, Vorbildern, Lehrmeinungen usw. Das heißt: an dem, was gestern richtig war oder für richtig gehalten wurde. Unter der EKS-Strategie orientieren sie sich dagegen am Engpaß und das heißt: an dem in der aktuellen Situation kybernetisch wirkungsvollsten Punkt." - "Mit dem Engpaß ist es wie beim Durchbruch eines Deiches oder dem Bohren eines Loches. Ist erst einmal ein kleiner Durchbruch erzielt, weitet er sich fast von selber aus. Aber, um (Originalbuchseite 249)
diesen Durchbruch zu erzielen, muß man seine Kräfte konzentrieren und zwar möglichst auf die allerschwächste Stelle: das ist der ‘engste Engpaß’." Es geht hier um ein durchaus allgemeingültiges Prinzip. So wie Tiere, deren Fähigkeiten sich verbessern, leichter an Beute kommen, so kommen auch Anbieter, die den richtigen Punkt ansteuern und als "brennend" empfundene Probleme lösen können, besser an ihr Ziel. Die Dynamik des so einsetzenden Steuerungsprozesses ist recht klar. Drehe ich jemandem eine Ware an, mit der er nicht zufrieden ist, oder führe ich einen Auftrag von ihm schlecht aus, dann wird er mich kaum fördern oder anderen empfehlen, sondern weit eher vor mir warnen. Seine höchst verständliche Einstellung wird sein, daß er "möglichst nichts mehr mit mir zu tun haben will". Ist er dagegen mit dem, was ich ihm liefere oder für ihn leiste, zufrieden, ja sogar noch mehr zufrieden, als er erwartet oder erhofft hatte, dann liegt es in seinem eigenen Interesse, selbst - soweit es möglich ist -, nachzuhelfen, daß mein Angebot noch günstiger und meine Leistung seinen Wünschen noch besser angepaßt wird. Ich erwecke zwar keine Gefühle der "spontanen Freundschaft und Sympathie", oder gar der "Liebe", doch immerhin eine positive, wohlwollende Einstellung, die sich im weiteren Verlauf der Geschäftsbeziehungen noch verstärken und steigern kann - ja, die sich letztendlich als stärker und dauerhafter erweisen kann, als eine Freundschaft oder ein Liebesverhältnis. Die Schlüssel-Schloß-Beziehung legt somit auch in der Wirtschaft fest, was sich letztendlich durchsetzt und was nicht. Nur was am jeweiligen Raum-Zeit-Punkt ein geeignetes Passungsverhältnis hat, kann überleben - ob es nun eine Tanne, eine Gazelle, ein Schuhmacher oder das Volkswagenwerk ist. Der entscheidende Vorteil des (Originalbuchseite 250)
Menschen allen anderen Lebewesen gegenüber besteht darin, daß er seine Leistungsstruktur geradezu beliebig abändern kann. Darauf wies ich in der Energontheorie hin, ebenso auf folgenden wichtigen Umstand: "Bis zum Menschen herauf hatte die Evolution stets die unerbittliche Klippe zu überwinden, daß jedes Zwischenglied in einer Entwicklungsreihe zweckmäßig sein mußte. Sein Konkurrenzwert durfte keinesfalls absinken - sonst wurde es sehr schnell wieder ausgemerzt, und die betreffende Entwicklungslinie endete an diesem Punkt. Somit konnten immer nur Bildungen erreicht werden, bei denen jede Zwischenstufe zumindest nicht bilanzverschlechternd war. Der Mensch dagegen - da er aus körperfremden Einheiten Neues zusammenbaut - braucht auf Zwischenstadien nicht Rücksicht zu nehmen. Er kann sie überspringen. In unserer Phantasie entwerfen wir - nach bestem Vermögen - ein zweckmäßiges Endprodukt. Das bieten wir dann an." Ob es vom Markt angenommen wird, kann jedoch der Hersteller nicht diktieren.
Durch Werbung oder sonstige Maßnahmen kann er es wohl beeinflussen, doch bei freier Marktwirtschaft nicht auf die Dauer. Der Bedarf - die aufzuschließende Energiequelle also - bestimmt letztendlich darüber, was sich durchsetzt. Störende und fördernde Umwelteinflüsse üben hier ebenfalls steuernde Wirkungen aus. Ebenso die für die Gesamteffizienz maßgebenden Faktoren. im "inneren Gefüge" (vgl. Abb. 16). Mewes zeigte die fördernde Wirkung einer zu ihrem Vorteil bedienten Zielgruppe an Hand einer sehr eindrucksvollen Spirale auf, die in seinem Lehrgang in verschiedenen Abwandlungen dargestellt wird (Abb. 19). Sehr folgerichtig argumentiert er: Auf die richtige Strategie kommt es an! Gelingt es, einer beschränkten Ziel(Originalbuchseite 251)
Abb. 19: Die Erfolgsspirale der EKS. Bietet man der Zielgruppe einen deutlich größeren Nutzen als Konkurrenten, dann bewirkt das größere Anziehungskraft und stärkere Nachfrage. Größere Stückzahl und Produktivität führen zu entsprechender Kostendegression, zu höherem Gewinn, zu mehr Liquidität und Bewegungsfreiheit, bewirken schnelleres Wachstum. Bringt man diese Erfolge der Zielgruppe zugute, dann setzt sich die positive Entwicklung weiter fort. Siehe Text. Nach W. Mewes 1972-1976, Lehrgang 11.
gruppe auch nur in einem beschränkten Teilbereich zu überdurchschnittlichen Vorteilen zu verhelfen, dann setzt sich der Prozeß der Selbstorganisation in Bewegung. Auf Grund des "größeren Nutzens für die Zielgruppe" - durch Ausrichtung auf ihren Engpaß, also auf den kybernetisch wirkungsvollsten Punkt -, erzielt der Anbieter größere Anziehungskraft und infolgedessen auch eine stärkere Nachfrage. Diese erlaubt dann eine Produktion in größerer Stückzahl, was eine Kostende(Originalbuchseite 252)
gression nach sich zieht. Senkt man daraufhin den Verkaufspreis, dann wird die Anziehungskraft auf die Zielgruppe noch verstärkt. Das bedeutet größere Produktivität, was weitere Kostendegressionen ermöglicht. Dies alles führt zu höherem Gewinn. Dieser wieder führt zu mehr Liquidität - und damit zu mehr Bewegungsfreiheit. Und daraus wieder ergibt sich die Voraussetzung für schnelleres und gesteigertes Wachstum ... Für den EKS-Schüler stellt diese durchaus logische Folge von Ursachen und Wirkungen zweifellos einen wichtigen Impuls dar, der ihm dabei hilft, sich mit dieser neuen, nicht auf das eigene Interesse sondern auf das Zielgruppeninteresse bezogene Denken anzufreunden, ja zu diesem Vertrauen zu fassen. Allerdings darf er diese "Selbstorganisation" nicht als eine "Von-Selbst-Organisation" auffassen, deren weiterer Entfaltung er bloß daumendrehend zuzusehen braucht. Die sich steigernde Erfolgsmöglichkeit erfordert ständige Konzentration, sowohl auf das Verhalten der Zielgruppe, als auch auf die Veränderungen in der Umwelt. Außerdem hat wachsender Erfolg - dies sollte vielleicht der Spirale noch hinzugefügt werden - nicht nur positive sondern auch negative Folgeerscheinungen, auf die man vorbereitet sein muß, die also miteinzukalkulieren sind. Erhöhen sich - auf Grund der richtigen Strategie - Gewinn und Machtzuwachs, dann werden automatisch Konkurrenten aufmerksam. Hat man eine neue Lücke entdeckt, dann gelangt man dort zwar zu einem entsprechenden Vorsprung, doch ewig währt dieser nicht. Also muß man damit rechnen, daß Halbe Räuber Ränke schmieden und giftige Pfeile abzuschießen beginnen, um selbst diesen Erfolg an sich zu reißen oder ihn für ihre Zwecke zu nützen. Die größere Liquidität verleitet dazu, Neigungen nachzugehen, die von der strengen (Originalbuchseite 253)
Ausrichtung auf das Interesse der Zielgruppe ablenken. Die Familie - aber auch Mitarbeiter - stellen größere Ansprüche; nicht nur das Ansehen wächst, sondern auch Neid und Mißgunst. - Der beim Menschen so stark entwickelte Trieb, sich mit Neuem zu beschäftigen, verleitet dazu, von den engen Geleisen der Konzentration auf Schwachstellen, kybernetisch wirkungsvollste Punkte, auf Minimumfaktoren
und Minimumgruppen sowie dort dienliche Innovationen abzuweichen und sich auch in anderen Bereichen, wo es glitzert, zu versuchen - was zu einer Verzettelung führt. - Der fast jedem angeborene Imponierdrang lenkt ebenfalls vom Weg ab, zeigt negative Auswirkungen. - Auch mit der Abwanderung von Mitarbeitern, die sich selbständig machen, muß gerechnet werden - sie haben das beste Rüstzeug, es in Teilbereichen besser zu machen. - Dazu kommen Streß und die Gefahr, daß man Launen, die andere verletzen, eher freien Lauf läßt. Wem der Erfolg in den Kopf steigt, bei dem regen sich Triebe, die sich bisher nicht entfalten konnten. Unter dem Titel "When Power distorts the Managers mind" ("Wenn Macht das Denken des Managers verändert") brachte International Management 1987 eine recht gute Analyse darüber, wie Menschen sich unter solchen Umständen verwandeln können - wie also die Situation sie verändert, wenn sie erfolgreich werden. Im Sinne des heute mit Recht propagierten "vernetzten Denkens"', das sich auf Begleiterscheinungen konzentriert, die man bisher übersah, darf über das Positive die "Kehrseite der Medaille" nicht übersehen werden. Sonst geht die fördernde Kraft der Zielgruppe, die Welle, die einen steuert und trägt, schnell wieder verloren47. An diesem Punkt stellt sich die wichtige Frage, welcher von zwei Grundausrichtungen man überhaupt (Originalbuchseite 254)
angehört. Will man "arbeiten, um zu leben" - oder "leben, um zu arbeiten". Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Galbraith unterschied vier Motive, die Menschen dazu bewegen, ihre persönlichen Wünsche zurückzustellen und im Rahmen einer Gemeinschaft disziplinierte Arbeit zu leisten48. Das erste sei Angst vor Strafe, das zweite das Streben nach Geld. Das dritte nannte er "Identifizierung": dem Einzelnen kann es - ganz abgesehen vom Erwerbsvorteil Befriedigung verschaffen, in einer Aufgabe "aufzugehen", also zum integralen Bestandteil einer Organisation oder eines Zieles zu werden. Das vierte Motiv nannte er "Adaptation". In diesem Fall - das trifft wohl vor allem solche, die leitende Positionen anstreben - dient der einzelne der Organisation nicht, "weil er ihre Ziele über die eigenen stellt, sondern weil er hofft, sie auf diese Weise mit den eigenen Zielen besser in Einklang zu bringen". Er will also das Unternehmen, die Organisation, ja den Staat, in dem er tätig ist, in seinen Machtbereich miteinbeziehen - und in diesem Sinne zu einem Organ der eigenen Machtstruktur machen. Die ersten beiden Motive Galbraiths decken sich wohl mit der Ausrichtung aller jener, die "arbeiten, um zu leben". Gelingt es ihnen mehr zu erwirtschaften, als die nackte Existenz es erfordert, dann wollen sie für sich und die Familie die
Lebenssituation tunlichst verbessern, wollen die Annehmlichkeiten und Schönheiten dieser Welt genießen, sich kulturell entfalten, Kunst, Sport, Tourismus und was uns sonst Technik und Wirtschaft zu bieten vermögen, wahrnehmen. Galbraiths Motive drei und vier ("Identifikation" und "Adaption") decken sich dagegen weitgehend mit der Ausrichtung der zweiten, kleineren Gruppe, der es weniger auf die gesellschaftlichen Freuden, als auf die Auseinandersetzung (Originalbuchseite 255)
mit den Problemen dieser Welt, welche es auch sein mögen, ankommt: die in diesem Sinne "leben, um zu leisten" - und zwar nicht auf Grund eines äußeren sondern eines inneren Zwanges. Ihnen schenkt der Erfolg in ihrem jeweiligen Bereich - Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik - die stärksten Gefühle des Glücks und der Zufriedenheit. Risiko fordert sie geradezu heraus. Es treibt sie dazu, sich durchzusetzen, Widerstände an beiden Hörnern zu packen und - koste es, was es wolle - die von ihnen als wichtig empfundenen Ziele zu erreichen. Hans Bürkle, einer der ältesten Mitarbeiter von Mewes, der sich dann darauf spezialisierte, wie Angestellte am besten verfahren sollen, um sich in Unternehmen - oder von einem zum nächsten - in immer bessere Positionen hochzuarbeiten, schreibt in seinem aufschlußreichen Buch "Aktive Karrierestrategie" bereits im Vorwort: "Wenn Sie Ihren Beruf als eine lästige Art der Erwerbstätigkeit empfinden und sich daher einen möglichst ruhigen, mit wenig Streß verbundenen Job wünschen, dann sollten Sie dieses Buch zur Seite legen - es könnte Sie in ihrer Ruhe stören. Wenn Sie jedoch zu jenen gehören, denen das gestern Erreichte heute nicht mehr genügt, wenn Sie Spaß an Ihrem Beruf haben möchten, Lust auf Erfolg, Mut zum Risiko haben, neue Wege gehen zu wollen, dann ist dieses Buch für Sie geschrieben. Denn Sie gehören zu denen, die die Dynamik unserer Wirtschaft im Griff haben oder diese morgen steuern werden". So wie überall in der Evolution des Lebens gibt es auch zwischen den beiden genannten Gruppen keine scharfe Grenze. Nicht wenige leben beschaulich in Gruppe A (suchen sich also einen Beruf aus, der ihnen das ihnen vorschwebende Leben ermöglicht) - und siehe da, plötz(Originalbuchseite 256)
lich stoßen sie auf eine Aufgabe, eine Verantwortung, Chance oder Idee, die sie total aus dem bisherigen Geleise wirft und zum Paradebeispiel für Gruppe B macht. Ihre Freunde erkennen sie nicht wieder, sie sind verändert. Als Gauguin Frau und Erwerbsposition im Stich ließ, um auf Tahiti zum Maler zu werden und dann in den Marchesas zugrundezugehen - um erst lang nach seinem Tod als das akzeptiert zu werden, was er in dieser, seine Familie und Freunde schockierenden Periode wurde -, war dies etwa der Fall. Andere wieder ziehen aus, um die Welt zu erobern - und landen im kleinbürgerlichen Schoß einer Familie, die sie zum
pflichtschuldigen Familienvater macht. Nach statistischen Erhebungen - wobei die Grundveranlagung bei verschiedenen Völkern und in verschiedenen Ländern sehr differieren, und sowohl Klima, Ideologie und manches andere von wesentlichem Einfluß sind - ist es in Europa etwa so, daß (bei Männern) bis zum 18. Jahr an die 30 Prozent "karriere-orientiert" sind, während dies beim 30. Lebensjahr bereits auf 10 Prozent und weniger absinkt. Für die Menschheitsentwicklung ist ein solches Verhältnis nicht unzweckmäßig. Jene, die sich zu Führungsstellen berufen fühlen, werden nur in beschränkter Zahl benötigt. Die übrigen, die den breiten Strom der Entwicklung weitertragen, sind - im Gegensatz zu den so kühnen Gedanken Nietzsches - ganz ebenso wichtig und um keinen Deut minder zu bewerten. Wie später noch kurz ausgeführt werden soll, sind zwar Pflanzen und Tiere sehr wohl Individuen, der Mensch indes - durch Sprache und zusätzlich gebildete Organe Bestandteil einer ungeheueren, in sich verwobenen Vielheit, die mit den ursprünglichen Gemeinschaften, aus denen er hervorging, nichts mehr zu tun hat. Doch kehren wir zum Thema zurück: zum steuernden (Originalbuchseite 257)
Einfluß, den in der Wirtschaft Zielgruppen, auf jene, die ihnen optimal dienen, ausüben. Wer Erfolg anstrebt, ob es nun ein Einzelmensch oder ein Unternehmen ist, muß erst einmal feststellen, über welche Mittel und Fähigkeiten er verfügt. Sodann: Wo es Bedarf gibt, der auf Grund des ermittelten "Leistungsprofils" möglichst gut und effizient befriedigt werden kann. Aus energetischer Sicht muß der Schlüssel zum bestmöglichen Schloß finden. Der Psychosplit stört dabei erheblich, indem er unsere Gedanken dorthin lenkt, wo sich gerade Erfolg manifestiert und somit reichlich Geld fließt. Viele, die dadurch angeregt, ihr Studium oder ihre Unternehmen danach ausrichten, beziehen 3-8 Jahre später Arbeitslosenunterstützung oder gehen in Konkurs. Und zwar einfach deshalb, weil solche Erfolge geradezu hypnotisch viel zu viele andere ebenfalls in ihren Entschlüssen beeinflußten. Nach wie vor gibt es eine große Zahl von Standardberufen und Unternehmensausrichtungen, die einen recht gleichmäßigen Bedarf an Nachwuchs und kontinuierlicher Verbesserung haben, - doch in zunehmendem Maß entstehen heute Erwerbsmöglichkeiten, auf die noch keine Schule vorbereitet und wo es nicht besetzte Arbeitsplätze und herbeigesehnte Anwärter auf diese gibt. Die Anforderungen auf enge Spezialisierungen werden immer größer. Volkswirtschaftlich wird es immer wichtiger, daß der einzelne darauf vorbereitet wird, wie er in eigener Initiative nach solchen Lücken zu suchen hat. Wem es gelingt, eine solche zu entdecken - und wer den Mut aufbringt, sich in
dieser zunächst kahlen "Nische" zu etablieren - hat die Chance, daß unbefriedigter Bedarf ihn gleichsam wie eine Welle auf den Rücken nimmt und ihm aktiv dabei hilft, zu Gewinn (Originalbuchseite 258)
und Erfolg zu gelangen. Einfach ist dieser Ritt allerdings nicht, er erfolgt keineswegs "von selbst". So wie der mit dem Surf-Brett auf der Welle Reitende, muß auch er die Turbulenzen der Zielgruppe ständig im Visier behalten, um ihren Steuerungen folgen zu können. Ist er karriereorientiert, dann kann der Ritt ihn bis zu höchsten Machtstellen führen, wobei er freilich Beharrlichkeit und Schlauheit beweisen - und auf manches, das andere genießen, verzichten muß. Nur einer Elite gelingt das - und viele Halbe Räuber sind dabei. Aber durch die zunehmende Transparenz der Märkte wird deren Situation schwieriger und die Ausrichtung auf OBS mehr aktuell. Auch wer ein gemächliches Leben will, in dem Selbstfindung und Selbstentfaltung und nicht Machtpositionen - den Vorrang haben, nützt sich - nach OBS - selbst am besten, wer sich nicht am eigenen Vorteil, sondern am Nutzen, den er anderen bieten kann, orientiert. Selbst im kleinsten Job und bei geringstem Krafteinsatz kann dies zu merklichen Ergebnissen führen. Ebenso im Privatleben, von dem wir noch sprechen. Ebenso in der Ausrichtung der Staaten ... Die evolutionäre Steuerung beschränkte in der Lebensentwicklung von Anbeginn, was sich jeweils durchsetzen konnte. Beim Menschen fördert und verändert der Intellekt diese Steuerung - und was bis dahin nur über sehr langwierige Folgen von Zufällen zustandekommen konnte, wird nun ungemein schneller verwirklicht. Aber auch er lenkt darum keineswegs beliebig das Geschehen. Auch er kann nur vorübergehend beeinflussen oder erzwingen, was beim Erwerb über Tauschakte zweckmäßig ist. Kurz zusammengefaßt kann man sagen: "Der Mensch denkt, aber der Erfolg lenkt".
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zu "7. Konsequenz: Gelderwerb und Gewinn sind keineswegs identisch." in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 259)
7. Konsequenz:
Gelderwerb und Gewinn sind keineswegs identisch
Man gewöhnt sich mehr und mehr daran, den Erfolg von Menschen danach zu beurteilen, wie viel sie verdienen. Da mit dem Zauberstab Geld so außerordentlich vieles erreicht werden kann, ist diese Einstellung durchaus verständlich. Wer genug Geld hat, kann Fachleute in jedem Bereich dazu bewegen, für seine Interessen tätig zu sein, kann somit seine Arme gleichsam vertausendfachen, der Leistungskraft seines Gehirnes jene von tausenden von anderen Gehirnen, die auf andere Leistungen spezialisiert sind, hinzufügen. Und was heute besonders zählt: Er kann unter außerordentlich vielen körperlichen und geistigen Freuden, Vergnügungen und Unterhaltungen sich jene aussuchen, die ihm am stärksten zusagen und erhält sie von engagierten Anbietern, die eben dies zu ihrer Erwerbsquelle gemacht haben, im Handumdrehen erfüllt. Daß auch dem Geld Grenzen gesetzt sind, ist bekannt. Weder Jugend noch ewige Gesundheit lassen sich kaufen. Wer leidenschaftlich verliebt ist, kann oft auch bei einem sehr hohen Kontenstand nicht erreichen, daß ihm ebenso leidenschaftliche Gegenliebe zuteil wird. Und verirre ich mich in der Wüste und finde kein Wasser, dann nützen mir alle meine Organe und auch der Zauberstab Geld nicht das geringste. Auch wenn ich mit letzten (Originalbuchseite 260)
Kräften meinen Kugelschreiber aus der Tasche ziehe und einen Scheck auf 1000 Millionen Dollar ausstelle, gelangt doch nicht ein
Tröpfchen Wasser in meinen Mund. Aber diese Grenzen - und andere - ändern nichts an der Anziehungskraft, die dem Besitz von Geld zukommt. Ob man als Räuber am Werk ist oder auf erlaubte Weise sein Geld verdient: Wenn man am Ende des Monats mehr Geld in seinem Besitz hat als am Monatsanfang, dann bedeutet das Erfolg. Und wenn man von anderen hört, sie verdienen so und so viel, und ihr Vermögen hat diese oder jene Höhe, dann ist das ein ganz entscheidend wichtiges Kriterium für ihre Einschätzung. Sowohl Berufstätige als auch Unternehmen bemessen ihren Erfolg an der Bilanz. Nimmt ein Geschäftstätiger im Monat so und so viel mehr ein, als seine Geschäftsaufwendungen verursachten, dann ist er zufrieden, kann diesen Gewinn "auf die hohe Kante legen", kann investieren oder sich diesen oder jenen Wunsch erfüllen. Nicht anders ist es bei Unternehmen. Weist die mühsam errechnete Bilanz einen angemessenen Gewinn aus, dann scheint alles in bester Ordnung zu sein, dann ist die Welt heil. Und doch ist es Tatsache, daß schon manches Unternehmen, das seinen Aktionären sehr zufriedenstellende Bilanzen auswies, einige Jahre später in Konkurs ging. Und noch erstaunlicher ist die Tatsache, daß etwa nach dem Krieg Unternehmen, die ausgebombt wurden und alles verloren, deren Bilanz also abgrundtief im Minus lag, wie ein Phönix aus der Asche wieder auferstanden und sich schon einige Jahre später im Kleid neuer Fabrikanlagen und Produktionsmittel, einschließlich qualifizierter Mitarbeiter - gleichsam als wäre nichts geschehen, - wieder in das Wirtschaftsgeschehen einreihten. (Originalbuchseite 261)
Irgend etwas stimmt hier nicht. Neben Geld gibt es ganz offensichtlich noch etwas anderes, das nicht minder große Macht hat, und zwar weniger glitzert und lockt, doch darum nicht weniger effektiv auf das wirtschaftliche Geschehen Einfluß nimmt. Bereits 1959 veröffentlichte Mewes im Rahmen eines Steuerrechts-
Lehrganges eine Schrift mit dem bemerkenswerten Titel "Alle Bilanzen sind falsch". In einer detaillierten, mit vielen praktischen Beispielen untermauerten Analyse wies er dort darauf hin, daß die einseitige Orientierung an dem Faktor Geld zu einer völlig falschen Einschätzung führen kann, und welche bedeutenden steuerrechtlichen Auswirkungen sich daraus ergeben. "Die Buchführung erfaßt nur eine Kategorie der betrieblichen Vorgänge, nämlich die Kapitalvorgänge. Die übrigen sozialen Vorgänge bleiben unerfaßt. Man sieht beispielsweise, daß sich das Kapital um 312.241,14 DM erhöht hat, aber man sieht nicht, daß sich gleichzeitig die Zuneigung der Verbraucher vermindert hat." Nicht nur das "materielle und finanzielle Vermögen" ist von Bedeutung, sondern "immaterielle Werte", die von der Steuer kaum erfaßt werden, sind nicht minder wichtig - oft sogar noch weit wichtiger. Besonders wichtige "immaterielle Werte" für jedes Unternehmen sind der Kundenstamm und die Kundentreue, das Ansehen, welches das Unternehmen genießt, sein "Image", das Vertrauen, das seinen Produkten und Dienstleistungen entgegengebracht wird, seine Geltung und Popularität. Kommt es zu Einbußen in diesen Bereichen - etwa in Folge unverläßlicher Lieferung, schlechter Qualität, mangelhaftem Service, überhöhter Preise etc. - dann bleiben die Folgeerscheinungen nicht aus. Mewes schreibt: "Das herrschende wirtschaftliche Denken ist kapital-orientiert. Das heißt: Im Mittelpunkt der (Originalbuchseite 262)
Kalkulationen, der Bilanzen, der Planungen und der Ziele steht der Gewinn an Kapital. Die Betriebe und ihre Führungskräfte haben viele Ziele, aber das dominierende Hauptziel ist, den Gewinn und das Eigenkapital zu vergrößern. An diesem Ziel wird der Erfolg des Betriebes und die Tüchtigkeit der Führungskräfte gemessen." "Unter dem Streben nach Kapital erhöhen sich zwar Gewinn und Eigenkapital der Betriebe, aber gleichzeitig werden die Betriebe
und ihre Inhaber zunehmend von der Masse der Gesellschaft isoliert." Bisher standen Kapital und Produktionsmittel an erster Stelle, heute sind Marktanteile wichtiger geworden. Sehr offen wurde dies in einer Werbung für den Markenartikel "Persil" ausgesprochen, in der es hieß: "Das wichtigste Kapital, das ein Unternehmen heute haben kann, findet man in keiner Bilanz." Weitere wichtige "immaterielle Werte" sind die Bekanntheit des Angebotes, der Kontakt mit den Händlern, die Geschicklichkeit der Verkaufsorganisation. In vielen Bereichen hängt es sehr vom Einzelhändler ab, welche Produkte er forciert. Ebenso sind Verbindungen und Beziehungen zu behördlichen Stellen, Zulieferern, Geldgebern und Meinungsträgern von bedeutendem Einfluß. Sehr oft können sie darüber entscheiden, was überhaupt an Kunden gelangt. Und "immaterielle Werte", die sehr wesentlich den Erfolg eines Unternehmens bestimmen, ohne in seiner Bilanz aufzuscheinen, sind auch das Betriebsklima, günstige Arbeitsbedingungen und soziale Leistungen, welche die Mitarbeiter motivieren. Auf ihre innere Bindung an den Arbeitsplatz, ihr Know-how, ihre Ideen und ihre Innovationskraft kommt es sehr wesentlich an. Hier kommen wieder die sozialen Triebe stärker ins Spiel, als bei Kontakten in der anonymen Gesellschaft. Besonders (Originalbuchseite 263)
kleine und mittlere Betriebe stellen Gruppen und Verbände dar, die größenmäßig jenen des Urmenschen entsprechen und auf die wir instinktmäßig programmiert sind. Je mehr ein Betrieb zu einer großen Familie wird, in der man sich geborgen fühlt und in der die Arbeit auch Spaß macht, umso verläßlicher wird die Leistung. Bei den vergleichenden Untersuchungen von Lebewesen und den vom Menschen gebildeten Wirtschaftsstrukturen kam ich ebenfalls zu dem Ergebnis, daß nicht nur unmittelbar vereinnahmte Energie oder Geld, als Anweisung auf solche - die Konkurrenzfähigkeit
begründet. Die Nutzung von fördernden Umweltbedingungen ist schon bei zahlreichen Pflanzen und Tieren nachzuweisen, spielt aber beim berufstätigen Menschen und bei Unternehmen eine noch wesentlich größere Rolle. Als "Roß-Reiter-Verhältnis" bezeichnete ich die Möglichkeit, daß Energie nicht über den umständlichen Weg der Nahrungsgewinnung, Verdauung und Umsetzung in spezifische Funktionen nutzbar gemacht, sondern unmittelbar dazu gebracht wird, Organe zu betreiben oder die Gesamtleistung zu fördern. So wie ein Reiter sein Pferd zum Organ der Fortbewegung macht, ohne selbst Hafer verspeisen zu müssen, ist es auch hier. Läßt sich ein Fisch von den Strömungen des Wassers treiben oder eine Flugspinne, die einen Faden zu ihrem Segel macht, vom Wind kilometerweit transportieren, dann wirkt die dienstbar gemachte Umweltenergie direkt auf deren Körper und muß von diesem nicht vereinnahmt und umgesetzt werden. Beim Menschen ist es nicht anders. Zwingt ein Müller die Wasserkraft eines Baches dazu, ein Mühlenrad - und über dieses die Mahlsteine zum Zerreiben des Getreides zu bewegen, dann zwingt er diese Kräfte in seinen Dienst, ohne sie in sich aufnehmen zu müssen. Gelingt es dem Kuckuck, andere Vögel zur (Originalbuchseite 264)
Bebrütung seiner Eier und zur Aufzucht seiner Jungen zu veranlassen, dann liegt ebenfalls eine Dienstbarmachung von Fremdenergie vor, die bewirkt, daß sonst für diese Funktion nötige, über Nahrungserwerb vereinnahmte Energie eingespart wird. Und nützen Efeu und Lianen die Bildung der Stämme anderer Pflanzen dazu aus, um ihre Blätter - ohne Bildung eines kostspieligen Stammes - dem Sonnenlicht näher zu bringen, dann ersparen diese Pflanzen sich ebenfalls einen erheblichen Aufwand - den sie selbst gar nicht erbringen könnten. Diese letztgenannten Vorgänge sind Beispiele für räuberische Strategien, sich eigene Anstrengung zu ersparen - und solche gibt es auch im Wirtschaftsbereich in jeder Zahl. Jede Werbung, die sich an ein Image "anhängt", das bei potentiellen Kunden Symapthiegefühle auslöst, verfährt ebenso.
Beim Erwerb über Tausch spielt die Nutzbarmachung günstiger Umweltkräfte eine nicht minder wichtige Rolle, schafft "immaterielle Werte", welche Unternehmen und Erwerbstätige unterstützen. Jeder Freund, der uns hilft, jede "Beziehung", die wir zu Gunsten unseres Unternehmens oder eines sonstigen Projektes einsetzen können, werden für die Zeit, da sie es tun, zu einem für uns tätigen Organ. Sie sind an den Körper des Erwerbstätigen oder des Unternehmens, das sie unterstützen, nicht fest gebunden - und stehen auch nicht ständig in ihrem Dienst. Aber sie erbringen trotzdem für sie Leistungen, begünstigen sie in der einen oder anderen Art. "Immateriell" ist aus meiner Sicht keine gute Bezeichnung für diese fördernden Kräfte und Umstände, da sie durchaus auf materiellen Strukturen beruhen. Nur unseren Sinnen erscheinen sie als etwas vom jeweiligen Leistungskörper Gesondertes, mit ihm nicht deutlich Verhaftetes. (Originalbuchseite 265)
Othmar Spann prägte den Satz "Leistung geht vor Leistungsträger", was besagen soll, daß es bei einer benötigten Leistung nicht auf die Struktur des Organs, das eine Leistung erbringt, ankommt, sondern auf deren Qualität. Ganz in diesem Sinne sieht die Energontheorie Unternehmen ebenso wie Lebewesen nicht so sehr als materielle Strukturen sondern als "Leistungsgefüge". Sie bestehen nicht eigentlich aus Organen sondern aus Leistungen, welche diese erbringen. Wie das Organ beschaffen ist - aus welchem Material es besteht, wie es zustandekam und ob es mit dem Gesamtkörper verwachsen ist oder nicht, ist sekundär - auf seine Leistung kommt es an. Bei Tieren kommt es häufig vor, daß ganz verschiedenartige Organe analoge Leistungen erbringen (man vergleiche etwa das Auge eines Insektes mit dem eines Wirbeltieres). Und ebenso ist es in der Wirtschaft - man denke hier etwa an die vielen Funktionen, die in den letzten 50 Jahren von Menschen auf Maschinen übergegangen sind.
Sieht man die Zusammenhänge so, dann wird es viel einfacher, die ein Unternehmen fördernden "immateriellen Werte" mit in die Gesamtbeurteilung und Bilanzierung des Erfolges einzubeziehen. Zugegeben, wir können die Wirkung von Kundentreue, Mitarbeitermotivation, eines guten Image, von Know-How, guten Beziehungen, eines Markenzeichens und ähnliches nicht so einfach messen wie eingenommenes und ausgegebenes Geld. Doch eine Messung auch dieser den Erfolg eines Unternehmens fördernden Werte ist über statistische Ermittlungen durchaus möglich. Das zeigt sich besonders deutlich, wenn ein Unternehmen durch ein anderes übernommen und der Kaufpreis bestimmt wird. Dann richtet sich der erfahrene Fachmann keineswegs nur nach Bilanzen und Produktionsmitteln - sondern weiß (Originalbuchseite 266)
sehr gut den "wirklichen Wert" annähernd zu schätzen, der um ein mehrfaches größer oder auch erheblich geringer sein kann als der "Buchwert". Sieht man in Lebewesen und Unternehmen Leistungsgefüge, die noch am besten mit Kraftfeldern zu vergleichen sind, dann lassen sich auch Faktoren wie Kundentreue, Know-how und fördernde Verbindungen als durchaus reale Bestandteile der energetischen Struktur verstehen. Kundentreue bedeutet dann eine entsprechende Veränderung in der Verhaltenssteuerung dieser Kunden, die sie zu einer positiven Handlungsdisposition veranlaßt. Und das gleiche gilt für einen befreundeten Beamten, der einem dabei hilft, schwierige Formalitäten richtig zu erledigen. Äußerlich sehen wir zwar keine unmittelbare Verbindung, doch es ist hier wie bei einem Magneten, der die von ihm durchaus getrennten Eisenfeilspäne entsprechend beeinflußt. Die als "immaterielle Werte" bezeichneten zusätzlichen Organe, die sich der Mensch noch in weit stärkerem Ausmaß zu schaffen vermag, als Tiere oder Pflanzen es können, gewinnen mit zunehmend besseren Verkehrsmitteln, schnellerem
Informationstransfer und Behelfen der Mikroelektronik im Wirtschaftsgeschehen immer stärker an Bedeutung. Mewes weist ganz zurecht auf die Möglichkeiten von Betrieben mit vorzüglich "immateriellem Vermögen" hin - ich bezeichne den Extremfall als "kybernetischen Betrieb". Er besteht letztlich nur noch aus einem Menschen mit entsprechendem Know-how, der für jede Aktion entsprechende Mitarbeiter und Unternehmen an sich bindet und ganz ohne eigene Produktionsmittel trotzdem eine Produktion betreibt. Beispiele dafür lernten wir bereits in Gestalt von Kürner und des Kaffeerösters (S. 1511 und S. 231) kennen, die am Ende ihres Lebens solche "kyberneti(Originalbuchseite 267)
schen Betriebe" darstellten, indem sie über Leasing ihres Knowhows lebten, in anderen Städten die Bildung ähnlicher Erwerbsstrukturen bewirkten und somit die Gesamttätigkeit delegierten. Es entspricht durchaus den Konsequenzen der OBS, wenn Mewes schreibt: "Es ist ein uralter Denkfehler, daß der Betrieb die Faktoren, mit denen er arbeitet, als Eigentum besitzen müsse. Das ist falsch. Er muß über sie verfügen können. Lange Zeit hat man beispielsweise gelehrt, daß der größte Teil des Betriebskapitals Eigenkapital sein müsse. Aber der Prozentsatz, den man als Eigenkapital für nötig hält, ist im Laufe der Jahrzehnte immer geringer geworden. Bei den Banken und den Versicherungen ist er am geringsten und oft unter 10 Prozent, aber merkwürdigerweise wachsen gerade sie am schnellsten und haben die größte soziale Macht gewonnen. - In Wahrheit kommt es nicht auf die Größe des Eigenkapitals, sondern auf die Größe der Anziehungskraft an." Mewes entwickelte Direktiven für eine "Spannungsbilanz", mit deren Hilfe man alle für ein Unternehmen wichtigen Kräfte einschließlich der "immateriellen Werte" - in den Griff bekommen soll. Denn nur so läßt sich meßbar verfolgen, ob sich ein Unternehmen erfolgreich entwickelt oder nicht49. Bei den nach
dem Krieg ausgebombten oder abtransportierten - und so aller Produktionsmittel und Guthaben beraubten Betrieben war es einfach so, daß ihr Image stark genug war, dies völlig zu kompensieren. Kredit fand sich leicht und viele der alten Mitarbeiter, sofern sie noch lebten, waren sofort wieder zur Stelle. Die "Spannungsbilanz" von Mewes wird der üblichen Gewinn- und Verlustrechnung hinzugefügt. In einer ersten Index-Übersicht "werden die Zahlen des Jahresabschlusses auf die wesentlichen Veränderungen verdich(Originalbuchseite 268)
tet, um einen Überblick über den immer verwirrenderen Zahlenfriedhof zu gewinnen, der an einer wirklichen Beurteilung der Situation behindert". Die zweite Index-Übersicht konzentriert sich dann auf eine Rundumsicht: "Die bisherige Bilanz beobachtete die Entwicklung eines Faktors, nämlich des Kapitals, die Rundumsicht beobachtet die Entwicklung von Knappheit, Abhängigkeit und Anziehungskraft bei allen beteiligten Faktoren, um die Sinne, Kräfte und Mittel auf den jeweiligen Minimumfaktor konzentrieren zu können". So füge sich diese Bilanzierungsform harmonisch an die Gesamtstrategie der EKS an. Erst müsse man sich nun auf die Beseitigung dieses Minimumfaktors konzentrieren, dann, ihrer Bedeutung nach, auf die nächstfolgenden. Entsprechende Rückfragen an die jeweils Beteiligten seien dabei der "Autopilot". Das ständige "Feed-back" von Seiten der Zielgruppen, auf die man sich ausrichtet, ist wiederum maßgebend. Von der OBS her stellt sich hier die Frage, ob diese für Unternehmen entworfene Bilanzhilfe nicht auch - in entsprechend vereinfachter und abgeänderter Form - auf Berufstätigkeit, ja auf die persönliche Lebensausrichtung anwendbar ist. Wenn wir uns darum bemühen, unsere Lebensqualität, unser individuelles "Glück" zu steigern, dann kommt es offensichtlich ebenfalls darauf
an, wie diese laufende Bilanz ausfällt. Auch hier ist abzustimmen, welchen Stellenwert das verdiente Geld - und welchen die neu hinzugewonnenen "immateriellen Werte" haben. Der Psychosplit behindert diese gesamte Einstellung empfindlich, weil auf Grund des übermächtigen Schlüsselreizes, den Geld auf uns ausübt, unser Interesse und unsere Gedanken ganz automatisch von den "immateriellen Werten" und ihrer Bedeutung weggelenkt wer(Originalbuchseite 269)
den. Wie schon im ersten Teil hervorgehoben, entwickelt sich beim Menschen ganz automatisch ein erworbener zentraler Trieb, der auf Gelderwerb - wie auch immer - ausgerichtet ist. Da sämtliche angeborenen Triebe und praktisch alle irgendwie erfüllbaren Wünsche durch Geld in der einen oder anderen Weise gefördert werden können, trägt jeder dieser unzähligen Antriebe zur Verstärkung des Zentraltriebes nach Geld bei (Abb. 9). Kennt man indes diese Mechanik, dann läßt sich leichter verhindern, daß dieses mächtigste vom Menschen geschaffene zusätzliche Organ nicht allzusehr von eitlem lobenswerten Diener zu einem uns lenkenden Tyrannen wird. Das groteske bei dieser Situation besteht darin, daß dieser übermächtige Trieb nach Gelderwerb, der durch praktisch alle auf uns wirkenden Schlüsselreize verstärkt wird, unsdaran hindert, wirklich effizient Gelderwerb zu betreiben. Auf Grund des Psychosplits lenkt er uns in die Richtung möglichst augenscheinlicher Erfolge - und bewirkt somit, daß wir achtlos an Erwerbsmöglichkeiten vorbeigehen, die auch alle übrigen übersehen. Wo immer es glitzert, lenkt er unsere Gedanken in eben diese Richtung - was zur Gefahr der Verzettelung führt und unser Gehirn mit nutzlosen Gedanken belastet. Der übermächtige Geldtrieb ist somit einer Waffe vergleichbar, die sich gegen sich selbst wendet.
Sie wendet sich auch insofern gegen uns, als sie den Erwerbsakt über Tauschakte in zwei immer stärker getrennte Phasen zerlegt. An sich ist der Nahrungserwerb über Geld als Einheit zu betrachten, die bloß nicht direkt sondern indirekt über Gelderwerb verläuft. Nun läßt sich für Geld nicht nur Nahrung und sonst für die Lebenserhaltung unmittelbar Benötigtes erwerben - sondern praktisch alles, was Instinktsteuerungen uns (Originalbuchseite 270)
nahelegen, und was in uns gelangende Wünsche uns erstrebenswert erscheinen lassen. Damit wird die indirekte Erwerbsform - über den Verkauf benötigter Produkte und Dienste - bereits sehr wesentlich vom ursprünglichen Erwerbsziel (das bei allen unterentwickelten und hungernden Völkern noch voll gegeben ist) gleichsam "abgeklinkt". Das aber kann im weiteren dazu führen, daß die zweite Hälfte des Aktes immer mehr in den Hintergrund tritt - und "Geldgier" , "Besitzgier" und "Machtgier" zur eigentlichen Zentralausrichtung des Lebens werden. Viele der so beneideten Millionäre und Milliardäre führen es deutlich vor Augen. Sie können das Geld, das sie horten, längst nicht mehr für sich annehmlichkeits- und genußbringend ausgeben ... oft sterben sie an ihrem Streß, und in den meisten Fällen gelangt dann diese angesammelte Macht an Erben, die sie dann wieder in Zirkulation bringen. Im Gegensatz zu den angeborenen und auch den meisten erworbenen Antrieben, hat der Zentraltrieb nach Geld keine "abschaltende Endsituation". Ist man hungrig und ißt man, dann verflüchtigt sich der Hunger für einige Zeit. Bewirkt der Geschlechtstrieb eine entsprechende Appetenz und gelangt der Betroffene an einen geeigneten Partner, dann beruhigt sich auch diese, manchen bis zu Verbrechen treibende Unruhe. Sind wir schläfrig und schlafen wir, dann erwachen wir ausgeschlafen. Sind wir aggressiv gestimmt und lassen diesen Drang an irgend einem Objekt aus, dann werden wir wieder friedlich ... und auch bei den
erworbenen Antrieben ist es so. Setzen wir alles daran, ein Auto zu bekommen und haben wir es dann, dann haben wir es eben. - Beim Trieb nach Geld gibt es jedoch kein klar überschaubares Ende, weil es eben für Antriebe und Wünsche - zumindest in unserer Phantasie - kein klar umrissenes (Originalbuchseite 271)
Ende gibt. Die Angst vor Unfällen, Krankheit, Krieg und Tod spielen hier eine wesentliche Rolle. Geld schenkt Sicherheit. Aber es führt eben auch dazu, daß wir ihm total verfallen. In Samoa lernte ich einen Mann kennen, der mir die extrem entgegengesetzte Ausrichtung zeigte. Die Natur ist dort freundlich, das Leben angenehm, dieser Mann lebte nach Lust und Liebe in den Tag hinein. Er unterhielt sich mit seinen Freunden, lachte, scherzte, erfreute sich netter Mädchen ... Kam es ihm in den Kopf, daß er ein neues Hemd wollte, dann erkundigte er sich nach dem Preis. Sodann nach einer Arbeit, für die er genau dieses Geld verdienen würde. Die führte er dann aus, kaufte sich das Hemd, und das Leben ging weiter. In den meisten Gegenden der Welt ist eine solche Einstellung leider nicht möglich. Aber bei diesem Mann war die Erwerbsform über einen doppelten Tauschakt noch eine harmonische Einheit. Sie weist darauf hin, daß Geld ein Mittel ist und nicht Zweck, ein Diener und nicht Herr. Eine vernünftige Konsequenz daraus dürfte wohl sein, sich in laufender Bilanz zu überlegen, was man überhaupt anstrebt - und warum man es anstrebt. Der Erwerb von Geld und von "immateriellen Werten" ist dabei wohl gleichermaßen wichtig zu bewerten.
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zu "8. Konsequenz: Betrachte Angestellte nicht als Produktionsmittel und Arbeitgeber nicht als Melkkuh." in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 273)
8. Konsequenz:
Betrachte Angestellte nicht als Produktionsmittel und Arbeitgeber nicht als Melkkuh
In keinem Bereich der menschlichen Entfaltung dürfte sich der Psychosplit mehr hemmend und irreführend ausgewirkt haben, als bei der wechselseitigen Beziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Hier fesselt uns der innere Steuerungskonflikt an Positionen, die sich seit der Steinzeit kaum wesentlich verändert haben. Nirgends kann seine Aufdeckung und Beseitigung mehr dazu beitragen, Barrieren, die unseren gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Fortschritt beharrlich behindern, niederzureißen und eine Harmonisierung der zwischenmenschlichen Beziehungen, um die sich schon so viele mit so großem Einsatz bemüht haben, voranzutreiben. Zieht man in Betracht, daß in den meisten marktwirtschaftlich organisierten Ländern die beiden Hauptparteien, welche die Entschlüsse der Regierungen lenken, einerseits die Position der Unternehmer und Freiberufler, andererseits jene der Arbeiter und Angestellten vertreten, dann zeigt das deutlich, welche zentrale Bedeutung diesem inneren Konflikt zukommt. Und zieht man weiters in Betracht, daß heute die beiden mit den größten Waffenpotentialen ausgerüsteten Staatengemeinschaften - der Ostblock und der Westblock - ihre grundsätz(Originalbuchseite 274)
liche Divergenz darauf stützen, daß die Ideologie der einen Seite dem Arbeiter zu seinem Recht verhelfen will, während die andere
für freies Unternehmertum und das Recht auf private Kapitalbildung eintritt, dann wird besonders deutlich, wie wichtig es wäre, diese Auseinandersetzung, die uns bereits unmittelbar an den Abgrund eines Krieges mit Atomwaffen gebracht hat, aus der Welt zu schaffen. Wenn der Konflikt zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern gar nicht auf echten Sachzwängen sondern auf einer behebbaren Fehlschaltung innerhalb unseres Gehirnes beruht, liegt es nahe, unser bisher auf das Verhalten anderer Menschen gerichtetes Interesse auf den eigentlichen Ort der Misere - eben auf unser eigenes Gehirn umzulenken. Daß alle diese schwerwiegenden Zwiste letztendlich mit dem Teilungsschlüssel bei erzielten Gewinnen zusammenhängt, ist wohl jedermann klar. Und daß die Arbeitsteilung, auf der unser wirtschaftlicher Fortschritt beruht, nicht ohne Befehlende und ohne Ausführende möglich ist, dürfte ebenso selbstverständlich sein. Solange unsere Vorfahren 2 Millionen Jahre lang als Jäger und Sammler in kleinen Gruppen organisiert den Tieren und Pflanzen immer stärker überlegen wurden und sich über immer weitere Gebiete ausbreiteten, war innerhalb dieser Verbände noch weitgehende Harmonie. Wohl gab es Hierarchien in der Befehlsgewalt, und wer hier an höherer Stelle stand, bekam einen größeren Anteil als die anderen. Doch das wurde, sofern es nicht allzusehr übertrieben wurde, akzeptiert. Es gab ja auch Möglichkeiten, in diese höheren Ränge aufzurücken - außerdem gab es immer nur einige, die den dafür benötigten Einsatzwillen und die dazu nötigen Fähigkeiten hatten. Die übrigen waren in der Regel zufrieden, wenn ihnen Entscheidungen und Verantwortung kompetent abgenommen wur(Originalbuchseite 275)
den. Jedenfalls zogen alle im Verband letztlich am gleichen Strang - und der eigentliche Feind waren konkurrierende Verbände. Kam es zu Gefechten und Kriegen, dann vergaß man persönliche Zwiste und jeder war Partner der anderen. Erst die Erwerbsform durch
Tauschakte führte dann innerhalb der anwachsenden, seßhaften Gruppen zu einer total anderen Situation. Durch die Aufsplitterung in Berufe kam es innerhalb der Verbände zu einschneidenden Interessenskonflikten - und der Psychosplit schuf innerhalb der anwachsenden Gemeinschaften den Halben Räuber. Beginnen wir mit jenen Gewerbetreibenden, die größere Produktionen aufbauten und Angestellte als Mitarbeiter verpflichteten. Auch beim Angestelltenverhältnis geht es um einen Tausch. Der Unternehmer zahlt dem Angestellten eine bestimmte Summe Geld und erhält als Gegenleistung dessen Mitarbeit. Nach all dem schon Gesagten ist nicht schwer zu erkennen, daß bei diesem Vorgang, bei dem der Unternehmer der Initiator ist, der Raubinstinkt ihm empfiehlt, mit möglichst geringer Bezahlung eine möglichst ausgiebige Leistung zu erhalten. Bei genau festliegenden Aufgaben und einem reichlichen Angebot an Arbeitskräften funktionierte diese Praktik über lange Perioden widerspricht jedoch, wie sich auch oft gezeigt hat und heute immer deutlicher wird - optimaler Tauschstrategie und schadet dem Vorteil des Arbeitgebers. Eine weitere Instinktsteuerung verstärkt noch diesen Vorgang und zwar die älteste, allen Lebewesen eigene Strategie, sich im Wettbewerb durchzusetzen. Seit dem Einsetzen des "Lebens" vor etwa 4000 Millionen Jahren war es ausnahmslos so - und konnte gar nicht anders sein -, daß die Weiterträger dieses Vorganges, also die "Lebewesen", arbeitsteilige Systeme waren. Die Einhei(Originalbuchseite 276)
ten, aus denen sie bestanden, erbrachten verschiedene Leistungen und je rationeller dies geschah, umso besser wirkte sich das im Wettbewerb aus. Neben Leistungssteigerungen durch Innovationen war deshalb für sie alle "Rationalisierung" die wichtigste Waffe im Konkurrenzkampf. Wer mit geringerem Aufwand als die übrigen, schneller und bei geringeren Fehlerquoten die für den
Lebensvorgang und die eigene Verteidigung notwendigen Gesamtleistungen erbrachte, war im Vorteil, konnte bestehen und sich vermehren. Die übrigen gingen zugrunde, blieben in diesem Wettlauf auf der Strecke. Zwangsläufig gelangen so alle den Prozeß "Leben" fortsetzenden Arten von Organismen zu möglichst weitgehender Rationalisierung - was durchaus dem ökonomischen Prinzip in der Wirtschaft entspricht (vgl. Abb. 17). Somit ist es geradezu selbstverständlich, daß auch Verhaltenssteuerungen, die sich bei den höher entwickelten Tieren über den Vorgang des "Lernens" ausbilden, generell darauf hinzielen, benötigte Funktionen mit möglichst geringem Energieaufwand, möglichst präzise und möglichst schnell zu erbringen. Als nun der Mensch auf den neuen Energieerwerb über Tauschakte überging und es dabei auf Grund der besprochenen Zusammenhänge zum inneren Steuerungskonflikt des Psychosplits kam, wirkte sich die bisher generell und eindeutig positive Tendenz, möglichst effizient und sparsam zu wirtschaften, plötzlich negativ aus. Nicht insgesamt - jedoch in einem wesentlichen Teilbereich. Auch für jeden Freiberufler und jedes Unternehmen ist es nach wie vor von großer Wichtigkeit, so zu wirtschaften, daß mit möglichst geringem Einsatz ein Maximum an Ergebnis, an Leistung, an Qualität, an Attraktion für den Kunden, an positivem Echo am Markt ... und somit entsprechender Gewinn erzielt wird. Die verfügbaren (Originalbuchseite 277)
Mittel müssen möglichst wirkungsvoll eingesetzt und überflüssige Ausgaben müssen tunlichst vermieden werden. Das gilt für die Beschaffung jedes Werkzeuges, für die Gestaltung jeder Einrichtung, für den Einsatz jeder Maschine ... aber es gilt nicht für das Produktionsmittel Mensch! Stelle ich Mitarbeiter ein, mache ich Menschen zu meinen zusätzlichen Organen, dann
kommen ganz andere Wertungen und Reaktionen mit ins Spiel. Lege ich auch hier den unerbittlichen Maßstab von Angebot und Nachfrage an, und versuche ich auch aus dieser Einheit ein Maximum an "out-put" bei einem Minimum von "in-put" zu erzielen, dann kann dies weit größere Nachteile und Verluste schaffen, als es an Vorteilen einbringt. Das aber bedeutet, daß jedes Unternehmen, das berufstätige Menschen zu seinen zusätzlichen Organen macht, ganz automatisch und geradezu zwingend durch die allerältesten, für sämtliche je existierenden Lebewesen maßgebenden Entwicklungsund Verhaltensmaximen beeinflußt ist. Und diese besagen, daß bei jedem Produktionsmittel, sowohl bei der Anschaffung als auch bei den laufenden Kosten, überflüssige Ausgaben zu vermeiden sind. Das gilt somit auch durchaus für jeden Erwerb über Tauschakte, entspricht also auch den Kriterien von OBS. Nur eben mit der bedeutsamen Einschränkung, daß zum Organ gemachte Menschen nicht nach diesen, seit Urzeiten gültigen Kriterien zu behandeln sind. Denn sie sind wandlungsfähig, können sich bei richtiger Führung, zu weit leistungsvolleren Organen entwickeln. Ja, es kann dazu kommen, daß sie - selbst aus kleinsten Anfängen heraus - letztendlich den Erfolg des Gesamtunternehmens entscheidend bestimmen! Mewes erzählte mir von einer Frau, die sehr tatkräftig ein Unternehmen aufbaute und zunächst auch bemer(Originalbuchseite 278)
kenswerten Erfolg hatte; dann aber nur noch beschränkt weiterkam. Sie löste ihr Problem, indem sie zwei ihrer leitenden Mitarbeiter zu ihren Partnern machte, und dabei so weit ging, daß sie jeden der beiden mit einem Drittel am Unternehmensgewinn beteiligte. Ihr Rechtsanwalt war verzweifelt. Er meinte, daß sie mindestens 51 % der Anteile behalten müßte. Die Pointe dieses Falles ist, daß sie schon nach wenigen Jahren doppelt so viel
verdiente, als früher mit ihren hundert Prozent. Zu diesem Erfolg trug noch bei, daß sie über ein sorgfältig ausgearbeitetes Verrechnungssystem auch sämtliche Angestellte am Unternehmensergebnis beteiligte. Damit wurde bereits auf zwei Faktoren hingewiesen, die eine echte Partnerschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer - so vorteilhaft sie auch für beide Teile sein mag - wesentlich erschwert. Erstens aktiviert der Psychosplit beim Arbeitgeber die Ausrichtung auf den eigenen Nutzen. Zweitens ist ihm, wie überhaupt allen Lebewesen, eine Tendenz zur Rationalisierung angeboren, die zur Einschätzung des Mitarbeiters als "Produktionsmittel wie jedes andere" und so zu krassen Fehlern und Mißständen führt. Solche beeinflußten seinerzeit Marx zu seinem Lösungsvorschlag, daß der Besitz von Produktionsmitteln insgesamt verboten werden müßte, - was sich jedoch als folgenschwerer Denkfehler erwies. Denn der kommunistische Staat, der dies verwirklichte und allen Arbeitern nun eine gerechte Beteiligung am Gewinn bringen sollte, wurde so zu einem gigantischen Riesenunternehmen, das bei so extremer Diversifizierung dem Bedarf einer zahlenmäßig so großen Kundschaft mit bestem Willen nicht nachkommen kann, während der "Aktionär" - also der Arbeiter, bzw. der Bürger schlechthin - vom jeweiligen Ort der Gewinne und Verluste viel zu weit (Originalbuchseite 279)
entfernt ist, um zu besonderem Einsatz motiviert zu sein. Marx dachte, sehr zu Recht, an den "Mehrwert", den ein Mensch gegenüber allen anderen Produktionsmitteln schaffen kann, übersah jedoch darüber jenen anderen Mehrwert, den der private Unternehmer kraft seiner Initiative, seines Geistes und seiner Risikobereitschaft zum gemeinsamen Erfolg beisteuert. Zu den genannten, bereits schwerwiegenden Dissonanzen, die der
Psychosplit beim Verhalten des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer verursacht, kommen nun noch weitere, ebenfalls gravierende und nicht leicht zu überwindende hinzu. Wie schon ausgeführt, sind allen Tieren nicht nur Verhaltensweisen, die sie zu ihrer Nahrung führen, angeboren, sondern im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit auch solche, die sie Feinde erkennen lassen und dann bei ihnen entsprechende Reaktionen der Flucht, des Versteckens oder der Gegenwehr in Gang setzen. Um Beute aufzuspüren und zu überwältigen, ist zielgerichtete Aufmerksamkeit nötig, was zwangsläufig die Abwehrbereitschaft gegen Feinde herabsetzt. Das aber kann - wie schon hervorgehoben - leicht dazu führen, daß ein mit Beuteerwerb beschäftigtes Tier selbst unversehens im Magen eines anderen endet. Auch zur Verminderung dieses Risikos haben sich zusätzliche Instinktsteuerungen entwickelt - wie etwa das bei den meisten Säugetieren ausgeprägte "Sichern". Beobachten wir etwa einen Affen, wenn er frißt, dann sehen wir, wie er ganz automatisch in regelmäßigen Intervallen nach den Seiten und nach rückwärts blickt. Obwohl für den Menschen in der zivilisierten Welt, wo Raubtiere nicht mehr zu fürchten sind, diese angeborene Steuerung überflüssig wurde, ist sie doch erhalten geblieben, wie unbeobachtet gefilmte Zeitlupenaufnahmen (Originalbuchseite 280)
von essenden Menschen in den verschiedensten Weltteilen gezeigt haben50. Ist man mit dem Phänomen vertraut, dann kann man es in jedem Restaurant, besonders bei einzeln sitzenden Menschen, beobachten. Ganz unwillkürlich wandern beim Essen die Augen immer wieder blitzschnell nach beiden Seiten. Auch diese zum räuberischen Beuteerwerbsverhalten gehörende Sensibilisierung der fast jedem höheren Tier angeborenen
"Vorsicht" beim Erwerb von Beute wird durch den Psychosplit aktiviert und erschwert in Unternehmen eine auf OBS ausgerichtete Strategie. Es geht dabei nicht um das Drehen von Kopf und Augen, sondern um eine gesteigerte Appetenz, vorsichtig zu sein und nach Räubern Ausschau zu halten. Daß sich dies unwillkürlich in Regungen des Mißtrauens gegenüber Angestellten äußert, liegt auf der Hand. Umsomehr als auch Erfahrung und Vernunft darin bestärken, daß solche "Untergebene" sehr wohl potentielle Feinde sein können. Diebstähle gehören in Unternehmen nicht zur Seltenheit. Und noch größer kann der Schaden sein, wenn Werkspionage betrieben wird und wichtige Informationen an Konkurrenten gelangen. Jeder Angestellte befindet sich gleichsam "innerhalb der Mauern der Festung" und kann davon Gebrauch machen. Während Tiere den Vorteil haben, angeborenermaßen ihre Feinde zu erkennen, kann man dem Menschen äußerlich weit schwieriger anmerken, was er gerade im Schilde führt. Um Angestellte zu motivieren, im Unternehmen einen Partner zu sehen, ist es überaus wichtig, sie nicht nur korrekt, sondern auch freundlich zu behandeln, - aber auch hier kommt es zu einer Schwierigkeit. Denn freundliches Verhalten wird vom Räuber und ebenso auch vom Halben Räuber - leicht als Schwäche empfunden und dementsprechend ausgenützt. Um somit Ange(Originalbuchseite 281)
stellte zu motivieren, sich mit dem Unternehmen zu identifizieren und dessen Ziele zu fördern, muß ein gegenseitiges Vertrauen entstehen, wozu jedoch argwöhnische Kontrollen keineswegs beitragen. - Ebenso wenig aber auch allzu freundliches Verhalten. Welchen Ausweg gibt es aus diesem Dilemma? Wie können Arbeitgeber und Arbeitnehmer trotz dieser Regungen, deren Ursprung ihnen ja selbst gar nicht bekannt ist, zu einer sich auf gegenseitiges Vertrauen stützenden Partnerschaft gelangen? Die
oben erwähnte Unternehmerin, die ihre Mitarbeiter mit je einem Drittel zu Partnern machte, gab mir darauf die Antwort: "Es geht nur über kleine Schritte! Nur über kleine Schritte wird erkennbar, ob der andere die ihm gebotene Partnerschaft annimmt und gezeigtes Entgegenkommen nicht als Schwäche auffaßt, die er dann eines Tages entsprechend ausnützt." Noch ein weiterer schwerwiegender Einfluß, den der Psychosplit bewirkt, trägt dazu bei, das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu belasten. Angestellte werden ja nicht nur gelegentlich zu Dieben und zu Alliierten von Konkurrenten, sondern - was weit häufiger vorkommt und nicht minder schlimm ist - selbst zu Konkurrenten. Sie gewinnen wertvolle Erkenntnisse und Erfahrungen, gewinnen Beziehungen - und machen sich dann eines Tages selbständig, nicht selten unter Mitnahme von so und so vielen bisher treuen Kunden. Hier freilich liegt ein Sachverhalt vor, der aus evolutionärer Sicht das Einfachste und Selbstverständlichste der Welt ist. Denn jedes Tier, obwohl es keine Ahnung davon hat, benützt alle seine Gewinne - seinen "Ertrag" im wirtschaftlichen Sinn - zu nichts besserem als dazu, sich über den Vorgang der Fortpflanzung selbst neue Konkurrenten zu schaffen. Denn kein (Originalbuchseite 282)
anderes Tier ist körperlich und verhaltensmäßig so akkurat gleich ausgestattet, wie der Artgenosse. Unter den zahlreichen Konkurrenten, die fast jede Tierart hat, ist ausgerechnet er der allerschlimmste. Zwar bildeten sich auch hier wieder erbliche Reaktionen aus, die verhindern, daß Artgenossen einander ernsthaft beschädigen ("Demutsstellung" etc.). Das aber ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn weit schlimmer ist, daß der auf den gleichen Nahrungserwerb ausgerichtete Artgenosse, falls man nicht im selben Rudel mit ihm zusammenlebt, die eigene Existenzbasis untergräbt. Erst beim Menschen kam es dahin, daß kein Individuum gezwungen ist, das Ergebnis seiner
Anstrengungen dafür zu verwenden, sich selbst neue Konkurrenten zu schaffen. Kein Schmied ist gezwungen, weitere Schmieden zu finanzieren. Er kann erzielte Überschüsse auch zur Begründung ganz anderer Unternehmen - etwa eines Gasthauses oder eines Frisiersalons - verwenden, die für seine Schmiede ganz ebensowenig eine Konkurrenz bedeuten wie für eine Biene ein Wolf. Durch die zusätzlichen Organe und die daraus resultierende Entstehung sehr verschiedener Berufsarten ist längst nicht mehr jeder Mensch unmittelbarer Konkurrent des anderen. Die Erwerbsformen der "Berufstätigen" sind ebenso verschieden wie jene der mannigfachen Arten von Tieren51. Somit gehört zu den Raubinstinkten - den Appetenzen des Räubers - nicht nur die Vorsicht gegenüber Feinden, die ihn selbst in Beute verwandeln können, sondern auch die wachsame Ausrichtung auf Artgenossen, die bei sämtlichen Tieren die allergefährlichsten Nahrungsrivalen sind. Auch diese Tendenz bewirkt über Konditionierung - also über das Phänomen des Psychosplits zwangsläufig, daß der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer reserviert gegenübersteht. Vernunft und Erfahrung tre(Originalbuchseite 283)
ten hier noch hinzu und empfehlen ihm: "Sei auf der Hut. So sympathisch dieser Mann oder diese Frau auch sein mögen: Im Handumdrehen können sie sich in Konkurrenten verwandeln!" Auch das sind Motive, die es dem Arbeitgeber schwer machen, mit Angestellten zu einem Verhältnis optimaler Partnerschaft zu gelangen. Beim Arbeitnehmer ist es nicht anders. Für ihn ist die Anstellung, also der Verkauf seiner Leistungen, die Erwerbsform, um über Tausch an Geld zu gelangen. Somit empfiehlt auch ihm der Psychosplit, nur ja an das eigene Interesse zu denken. Der Verdacht des Arbeitgebers, daß seine Angestellten ihn schädigen könnten, ist in der Tat genau das, was diesen die aktivierten
Raubinstinkte nahelegen. Wer strebsam ist und Karriere machen will, steht in größeren Unternehmen außerdem der schwierigen Frage gegenüber: Wer ist nun nach OBS meine Zielgruppe, mein Kunde, dem ich ein möglichst perfekter Problemlöser sein soll? Ist es der Vorgesetzte? Oder der Abteilungsleiter? Oder das Unternehmen insgesamt? Oder die Branche - indem ich zu Konkurrenten, denen ich besser dienen kann, überwechsle? Oder eine andere Branche, in der meine Fähigkeiten vielleicht noch mehr benötigt werden? Und wie kann ich zu einflußreichen Beziehungen gelangen -? Eine Unzahl von Büchern geben hier Ratschläge, und Vance Packard beschrieb sehr anschaulich, wie man sich in den USA in den Hierarchien größerer Unternehmen als "Pyramidenkletterer" betätigt52. Ein sehr weiser Scherzspruch, den sich jeder in der Wirtschaft zu Herzen nehmen sollte, besagt: "Alle denken an sich, nur ich denke an mich!" Diese Einstellung gilt es zu beseitigen. Aus Sicht der OBS ist hervorragend wichtig, wie man auf Seiten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer durch Bewußtmachung und Neutralisie(Originalbuchseite 284)
rung der durch den Psychosplit zum beiderseitigen Nachteil geweckten Raubinstinkte die inneren Spannungen entschärfen und so zur Beseitigung "innerer Reibung" beitragen kann. Je mehr Unternehmen zu einer alle Teile befriedigenden Ganzheit werden, umso erfolgreicher wird ihre Leistung53. Von zentraler Bedeutung ist, daß der Arbeitgeber die Arbeitnehmer nicht als Produktionsmittel betrachten - und der Arbeitnehmer den Arbeitgeber nicht als Melkkuh.
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zu "9. Konsequenz: Richte Dich auf qualitatives Wachstum aus." in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 285)
9. Konsequenz:
Richte Dich auf qualitatives Wachstum aus
Wir befinden uns heute an einem problematischen Punkt der Geschichte des Menschen und der Lebensentwicklung überhaupt. Der Umfang und die Macht der zusätzlichen Organe, mit denen der Mensch seinen Zellkörper vergrößert, wird für die Möglichkeiten, die unser Planet dieser Entwicklung bietet, zu groß. Die Mahnworte des "Club of Rome" haben volle Berechtigung. Früher oder später erschöpfen sich die Ressourcen, und die Auswirkungen von Industrie und Technik bewirken in steigendem Ausmaß Schäden. Dazu kommt, daß der Mensch auch das Leben der Pflanzen und Tiere, aus deren Kreis er hervorging, immer stärker beeinflußt und die Lebensgemeinschaften, die sich in Jahrmillionen gebildet haben, nach seinen Wünschen verändert. Bei der außerordentlichen Vernetzung der hier maßgebenden Wechselbeziehungen kommt es zu negativen, unerwarteten Auswirkungen, die bereits allerorts in Erscheinung treten. Die Überfluß- und Wegwerfgesellschaft, gegen die man zwar wettert, von der man sich aber nicht trennen will, ist dafür ein treibender Motor. Dazu kommt, daß sich offenbar niemand ein Null-Wachstum der Wirtschaft vorstellen kann. Wird der Erfolg von Ländern beurteilt, dann blickt man zu allererst auf das Sozialprodukt, auf die Handelsbilanz. Das Motto "Grow (Originalbuchseite 286)
or die" (Wachse oder stirb) ist Rückgrat dieser Ausrichtung. Bei dieser Sachlage kann uns ein Blick in die evolutionäre Vergangenheit des Lebens - die der Mensch bisher so wenig zur Beurteilung seiner Entwicklung herangezogen hat - wertvolle Hinweise geben. Denn Perioden eines vergleichbaren Null-Wachstums hat es bereits gegeben, und diese zeigen recht deutlich, was in solchem Fall geschieht. Die Entwicklung des Lebens gelangte bereits zweimal an Schranken, die eine weitere quantitative Ausbreitung dieses Vorganges, der sich über die "Lebewesen" fortsetzt, verhinderte (Abb. 20). Zuerst erfolgte die Ausbreitung in den Wasserräumen (im Meer, in Flüssen und Seen), und durch mannigfache Anpassungen der Einzeller und Vielzeller wurden dort immer neue Bereiche erobert, immer neue Lebensmöglichkeiten wahrgenommen. Die Eroberung der Tiefsee, bis in ihre größten Tiefen von über 10.000 Metern, ist dafür ein Beispiel. Weitere sind die äußerst vielfältige Fauna, die sich in Schlammböden entwickelte, und das erst in jüngerer Zeit entdeckte "Sandlückensystem". Selbst zwischen den winzigen Sandkörnern jedes Badestrandes leben in dem unter Wasser gelegenen Teil wie in Gewölben Tiere
verschiedener Gruppen, die ihre Körper gleichsam "miniaturisiert" haben. In grober Schätzung dürfte diese erste quantitative Expansion des Lebens vor etwa 1000 Millionen Jahren zu ihrem Abschluß gekommen sein. Die verschiedenen Arten und Stämme von Pflanzen und Tieren blieben weiterhin in einem erbitterten Konkurrenzkampf - doch nun verlagerte sich das für die Selektion maßgebende Kriterium immer mehr auf Qualität. Die Gesamtentwicklung war gleichsam in einen Tunell gelangt, der das Gesamtvolumen der möglichen Ausbreitung begrenzte, (Originalbuchseite 287)
Abb. 20: Perioden quantitativen und qualitativen Wachstums (stark schematisiert). Die seit 4000 Millionen Jahren expandierende Lebensentfaltung (A1, A2, A3) wurde schon zwei Mal durch lange Perioden erzwungenen Null-Wachstums unterbrochen (B1, B2). Nun gehen wir einer dritten solchen Periode entgegen. Wie die bisherigen zeigten, wird bei Nullwachstum qualitatives Wachstum zum dominierenden
Konkurrenzfaktor. Siehe Text. Nach H. Hass 1985. (Originalbuchseite 288)
- und nun setzten sich solche Mutanten (Lebewesen mit veränderten Erbrezepten) durch, die gleiche Leistung mit geringerer Kraft, in höherer Präzision und bei geringerem Zeitaufwand bewerkstelligten. Das wurde zu ihrem "Selektionsvorteil", begünstigte ganz automatisch die Wirksamkeit der "Natürlichen Auslese". Ihre Organisation übertraf jene der Rivalen an Effizienz und Qualität, also konnten sie sich fortpflanzen, während andere zurückgedrängt wurden und ausstarben. Erfolgreiche Arten konnten sich so auch quantitativ ausbreiten, indem sie die Lebensbereiche anderer für sich eroberten, aber insgesamt war der für Leben in Frage kommende Raum begrenzt und die Gesamtheit der "Biomasse" konnte einen statistisch mehr oder minder konstanten Wert nicht mehr überschreiten. In dieser ersten Periode eines erzwungenen Null-Wachstumes hatte somit qualitatives Wachstum den Vorrang - und so kam es in den verschiedenen Tierstämmen zu einer gesteigerten Höherentwicklung im eigentlichen Sinne des Wortes. Sie führte dazu, daß vor 400 - 350 Millionen Jahren die Leistungsfähigkeit einiger Pflanzen- und Tierarten sich so weit gesteigert hatte, daß einige auch auf das trockene, damals noch völlig kahle Festland vordringen und sich dort neuen Lebensraum erobern konnten. Damit setzte erneut eine Periode ein, in der wohl qualitatives Wachstum weiter von Bedeutung blieb, jedoch die Möglichkeit quantitativer Ausbreitung in immer neue Bereiche und Nischen eine wesentliche Rolle spielte. Die Gesamt-Biomasse der Lebewesen steigerte sich somit wieder erheblich. Vor ungefähr 220 Millionen Jahren waren dann auch die Kontinente und Inseln, so weit sie Lebensmöglichkeiten boten, im wesentlichen erobert, und die Lebensentwicklung kam zum zweiten Mal in einen (Originalbuchseite 289)
"Tunell", der dem möglichen Gesamtvolumen Grenzen setzte. Wieder verlagerte sich im Konkurrenzkampf der Selektionswert auf qualitative Fortschritte; auf Innovationen und eine Rationalisierung im Sinne des Erzielens von gleichwertigen Leistungen bei geringerem Aufwand. Ergebnis war diesmal - neben vielen anderen Fortschritten - ein Lebewesen, dem es kraft seiner besonderen geistigen Entwicklung und entsprechend gestalteter Hände möglich wurde, seinen Körper durch Organe zu ergänzen und zu erweitern, die nicht mehr, wie bisher von Zellen gebildet waren, sondern direkt aus Umweltmaterial gefertigt wurden. Und zwar nicht auf Grund zufälliger Mutationen, sondern durch bewußte Einsicht in den Zusammenhang von Ursachen und Wirkungen. Diese Fortschritte brauchten somit nicht in die Kodierung des Erbgutes mit einzugehen, sondern konnten, über die sich ebenfalls entwickelnde Sprache, unmittelbar von einem Individuum an andere weitergegeben werden. Der Mensch wurde durch diese Organe, die abgelegt und ausgetauscht werden konnten, den Tierkollegen äußerst überlegen. Dann kam es zu der neuen, indirekten
Erwerbsart über Tauschakte, welche die Machtsteigerung und Ausbreitung des Menschen noch wesentlich beschleunigte. Immer mehr anorganisches Material wurde in funktionserbringende Strukturen verwandelt, wodurch sich die gesamte Biomasse (wenn man, entgegen der bisherigen Betrachtungsweise, auch diese neue Organbildung als ganz natürlichen Fortschritt in der Lebensentwicklung auffaßt) abermals immens vergrößert. Auch diese dritte Expansion nähert sich nun wieder ihrem Ende. Und zwar durch die Grenzen, die der Ausbreitung dieser Entwicklung auf dem Planeten "Erde" gesetzt sind. Somit gelangen wir nach meiner Schätzung - etwa um (Originalbuchseite 290)
das Jahr 2000 - zum dritten Mal in einen "Tunell". Er ist weniger durch die noch mögliche Steigerung der Biomasse definiert, sondern eher durch negative Auswirkungen einer Expansion über ein bestimmtes Maß hinaus, das bei den gegebenen Machtmitteln und den sich zwangsläufig noch steigernden Konflikten sehr wohl zu einer Vernichtung dieser gesamten Entfaltung - sowohl des Menschen als auch des Lebens auf unserem Planeten überhaupt - führen kann. Auch in diesem Tunell wird nun qualitatives Wachstum zwangsläufig wieder zum beherrschenden Konkurrenzfaktor. Der Konkurrenzkampf bleibt, effizientere, den Marktwünschen besser entsprechende Strukturen verdrängen weniger geeignete oder attraktive, aber das Gesamtvolumen der möglichen Ausbreitung unterliegt einer Beschränkung, die diesmal nicht eigentlich die Umwelt, sondern nur unsere Vernunft festlegen kann. Außerdem spaltet sich qualitatives Wachstum diesmal in zwei Ausrichtungen. Die erste besteht - wie in den früheren Tunells - darin, mit gleichen Mitteln mehr zu erreichen, oder das Gleiche mit geringerem Aufwand. Die Entwicklung der "Chips", die sich in den letzten Jahrzehnten innerhalb von je 5 Jahren in ihrer Leistungsfähigkeit jeweils um ein Vielfaches steigerten, während ihre Kosten sich gleichzeitig um ein Vielfaches verminderten, ist dafür bereits ein Paradebeispiel. Die zweite Ausrichtung dürfte jedoch die noch wichtigere sein - und in Zukunft die erste in ihrer Bedeutung immer mehr zurückdrängen. Sie betrifft die Steigerung der Lebensqualität des Menschen - ein heute noch eher vager Begriff, der sehr verschieden ausgelegt wird. Im wirtschaftlichen Bereich verursacht die internationale Verflechtung der Märkte und die immer schnellere Veränderung von Marktwünschen, Auswirkungen, die (Originalbuchseite 291)
besonders Großunternehmen treffen. In den Zeiten ruhigerer Entwicklung führte das Streben nach Rationalisierung dazu, laufend benötigte Dienste (Spedition, Rechtsberatung, Absatzförderung etc.) nicht von fremden Firmen ausführen zu lassen, sondern dafür eigene Abteilungen einzurichten. So entstanden "Dinosaurier", die heute zu starr, zu wenig flexibel und dadurch mit größeren Risiken belastet sind.
Somit kommt es zur entgegengesetzten Tendenz, daß solche Giganten sich wieder in kleinere, flexiblere Einheiten auflösen. Durch die Bildung von "Profit-Centers" werden Betriebe in Unterbetriebe zerlegt, die Bildung von "Quality Circles" zeigt das Bestreben, durch kleine engagierte Gruppen von innen her die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit zu steigern. Ein besonders interessantes Konzept wurde bei einem EKS-Seminar vom Geschäftsleiter der Berolina KG in Berlin, Gerhard Wilcke, vorgetragen - nämlich seine Idee, Angestellte zu selbständigen Unternehmern zu machen, also auszugliedern. Beiden Seiten entstünden daraus Vorteile, wie er überzeugend ausführte. Seine Erfahrungen zeigten, daß die benötigten Arbeiten nun schneller und preisgünstiger ausgeführt werden, die Verwaltungsarbeit sich vermindert, der nun Unabhängige Steuern und Versicherungen spart und auch für andere Kunden, die nicht der Konkurrenz angehören, arbeiten kann. Der Endpunkt in dieser Entwicklung ist der schon erwähnte "kybernetische Betrieb", der schließlich nur noch aus einem Menschen als steuerndem Zentrum besteht, durch keinerlei feste Kosten belastet ist und sich für jede Produktion, auf die er sich schneller als andere ausrichten kann, die dafür nötigen Firmen, Lieferanten etc. für die Zeit dieser Produktion angliedert. Andererseits aber kommt es, um zu Qualitätssteigerungen zu gelangen, auch wieder zur Entstehung neuer (Originalbuchseite 292)
Dinosaurier. Ein Beispiel dafür ist, wenn etwa eine tüchtige Leasing Firma nach und nach in anderen Städten tätige ebensolche Firmen aufkauft, saniert oder zu Partnern macht, was dem so anwachsenden Unternehmen den immateriellen Wert von Erfahrungen und Beziehungen in einem immer größeren Marktbereich einbringt, den anderen eine stärkere Rückendeckung durch Kapital und Know-how. Nicht anders ist es, wenn Konzerne verschiedener Länder eine Kooperation eingehen, wodurch jedem die Erfahrungen im Marktbereich des anderen zugänglich werden und die gemeinsame Macht es ermöglicht, kostspielige, auf weite Sicht wichtige Forschungsund Entwicklungsvorhaben voranzutreiben. Voraussetzung ist allerdings bei solchen Bestrebungen, die zu monopolartigen Positionen gelangen können, die Ausrichtung auf das Interesse der Kunden, auf die Konsequenzen von OBS. So lange Monopolstellungen dazu ausgenützt wurden, um sich rücksichtslose Machtapparate und Sinekuren zu schaffen, waren sie, wie 1953 Eucken aufzeigte, eine volkswirtschaftlich schädliche Begleiterscheinung der freien Marktwirtschaft, schufen überhöhte Preise, verminderten die Qualität des Angebots und unterdrückten vielfach einen sonst möglichen Fortschritt. Dagegen führt die EKSPraxis zu Monopolstellungen - auch im ganz kleinen, etwa in Marktnischen -, die den Kunden und der Volkswirtschaft eindeutige Vorteile bieten. Fallen solche auf die alte Linie zurück, setzt sich bei ihnen wieder der Halbe Räuber durch, dann können besser nach EKS arbeitende Konkurrenten sie aus ihren Bereichen wieder verdrängen.
Die Entstehung neuer, kundenorientierter Wirtschaftsgiganten - wie die von Duttweiler begründete "Migros"-Kette von Super-Einkaufszentren in der (Originalbuchseite 293)
Schweiz - sind für Kleinbetriebe durchaus nicht jene tödliche Gefahr, als welche man sie heute vielfach darstellt. Mewes schreibt: "Klein- und Mittelbetriebe starren wie schreckgebannte Kaninchen auf die wachsende Stückzahl und Effektivität der Großen und übersehen dabei, daß sich zwischen dem Rückzug der Größeren auf Massenvorgänge und den immer individuelleren Bedürfnissen immer neues und übrigens fruchtbareres Neuland eröffnet." - "Die Lücke zwischen den immer standardisierteren Leistungen und den immer individuelleren Bedürfnissen wächst." Je mehr qualitatives Wachstum die Vorrangstellung einnimmt, umsomehr wird eine "Supradifferenzierung" - wie Teilhard de Chardin es nannte - in den Lebensausrichtungen und damit auch in der Nachfrage wahrscheinlich54. Der Umschwung von der Ausrichtung auf Profitmaximierung zur Entwicklung möglichst hoher Qualität äußert sich heute bereits in vielen Bereichen der Wirtschaft sowie in der Schaffung internationaler Organisationen wie der European Organization for Quality. Prof. Dieter Seghezzi, ihr Präsident und früheres Vorstandsmitglied des sehr auf Qualität ausgerichteten Hilti-Konzerns in Liechtenstein, schrieb bereits 1983: "In manchen Unternehmen existieren zum heutigen Zeitpunkt noch Qualitätskonzepte, die aus den Jahren 1950 und 1960 datieren: einer Epoche mit Hochkonjunktur, Vollbeschäftigung und dem Glauben an unbeschränkte Verfügbarkeit von Rohstoffen. Wie man inzwischen weiß, ergaben sich während der vergangenen zehn Jahre beträchtliche Änderungen. Weil wir heute unter genau umgekehrten Vorzeichen leben, ist es wichtig, auf schnellstem Wege die Strukturen und Methoden der Qualitätssicherung sowie die Ausbildung von Management, Kader, Qualitätsverantwortlichen und allen in der (Originalbuchseite 294)
Qualitätssicherung tätigen Fachleuten den neuen Gegebenheiten anzupassen." Optimale Tauschstrategie wird sich meines Erachtens am schnellsten und ehesten in allen Wirtschaftszweigen durchsetzen, wo es auf die Bildung von Stammkundschaft ankommt. Von dort aus könnte sie sich dann, durch eine so erfolgende Sensibilisierung auf eine grundsätzlich andere Ausrichtung, Stück für Stück auf weitere Wirtschaftsbereiche ausdehnen, so daß auch dort der Halbe Räuber immer mehr an Terrain verliert. All dies leitet bereits zur zweiten Ausrichtung über, die meines Erachtens in dem dritten "Tunell" , in den wir nun hineinmarschieren, eine noch weit größere Bedeutung erlangen wird, als die Qualitätssteigerung bei den von uns geschaffenen zusätzlichen Organen. Mehr und mehr kommt es darauf an, uns darüber klar zu werden, wie wir es uns auf diesem Planeten am zweckmäßigsten einrichten, wie wir
der uns angeborenen "Natur", die Zentrum unserer Antriebe und Emotionen ist, am besten gerecht werden und die Qualität unserer Lebensweise - unter Berücksichtigung der so mannigfachen Ausrichtungen - optimieren können. Das Gleichnis mit dem Tunell soll indes nur den räumlich begrenzten Aspekt bei unserer Weiterentwicklung kennzeichnen, jedoch keineswegs eine dunkle, düstere Zukunft. Ganz im Gegenteil: Es liegt heute noch durchaus bei uns, zu Lebensformen zu gelangen, die man seit eh und je als kaum zu verwirklichende Idealvorstellungen anstrebte, die aber bei entsprechender Einsicht und gutem Willen durchaus erreichbar sind. Die OBS stellt, wie ich meine, den notwendigen Anfang dar55. Optimale Zusammenarbeit beruht auf Tauschakten, die jedem der beteiligten Partner gleichermaßen befriedigende Vorteile bringen. Die uns angebore(Originalbuchseite 295)
nen Tendenzen zu freundschaftlicher Einstellung, Hilfsbereitschaft, Verständnis für andere, Nächstenliebe und Aufopferung für gemeinsame Ziele, entstammen Instinkten, die sich zunächst bei räuberisch tätigen Gruppen tierischer Vorfahren bildeten, sich dann bei jenen des Urmenschen über Intelligenz und Ich-Bewußtsein noch differenzierten und verfeinerten - jedoch keineswegs ausreichen, um den heutigen Riesengemeinschaften anonymer Gesellschaft - oder gar einem "Weltbürgertum", zur Grundlage für eine Ethik genereller Partnerschaft zu dienen. Besonders deutlich haben das die so intensiven Bemühungen der Großreligionen, insbesondere des Christentums, das der Nächstenliebe eine so zentrale Stellung einräumt, gezeigt. Und immer und überall haben auch einzelne Individuen in eigener Initiative versucht, gegen die Einschätzung des Menschen als Bestie, die nur mit Gewalt gebändigt werden kann, aufzutreten und Mitmenschen über ihre positiven Regungen enger aneinander zu binden56. Tatsache ist, das beweist die gesamte bisherige Geschichte, daß diese Instinktregungen einfach zu schwach sind, um das, was sie in kleinen Gemeinschaften sehr wohl vermögen, in anonymen Gemeinschaften von millionenfach größerer Dimension zu bewirken. Hier "altruistisches Verhalten" zu predigen, wie dies unermüdlich, überall und zu allen Zeiten immer wieder geschah und geschieht, ist aussichtslos und zum Scheitern verurteilt. Wenn sich dagegen herausstellt, daß die "Bestie Mensch" besser fährt, wenn sie sich auf den Vorteil anderer ausrichtet, dann ist eine reale Basis für eine grundsätzliche Richtungsänderung gegeben. Daß eine solche durchaus möglich ist - und zwar auch ohne Einsicht in die eigentlichen Zusammenhänge - haben nüchterne Geschäftsleute, die sich auf EKS aus(Originalbuchseite 296)
richteten, deutlich gezeigt. In einem Vortrag sagte ich einmal, daß EKSler sich dadurch auszeichnen, daß sie glitzernde Augen und ein gutes Gewissen haben.
Glitzernde Augen, weil sie erfolgreich sind, und ein gutes Gewissen, weil ihre Tätigkeit anderen hilft. Mewes, der nicht müde wurde, sein Motto "Ihre Strategie ist falsch!" über die Medien und persönlich zu verkünden, suchte selbst nach einer naturwissenschaftlichen Begründung seiner Wirtschaftslehre und präsentierte dabei eine Reihe interessanter Gedanken. Durch das Phänomen des Psychosplits, das den Höhenflug menschlichen Fortschrittes im zwischenmenschlichen Bereich so dramatisch beeinträchtigt, dürfte nun das Rätsel, warum der sonst so kluge Mensch sich ausgerechnet im so wichtigen Bereich des Erwerbes falsch verhält, gelöst sein. Seit dem Buch von Konrad Lorenz "Das sogenannte Böse" hat man den "Aggressionstrieb" für die defekte Seite des Menschen weitgehend verantwortlich gemacht. Bestimmt spielt dieser kuriose Trieb, der sich auch gegen den Artgenossen wendet, bei vielen unserer Regungen unfreundlicher Laune und Gestimmtheit eine Rolle, doch nimmt er in der Rangordnung der Instinkte bloß eine eher untergeordnete Stellung ein. Er leistet vor allem bei der Verteidigung von "Territorien" und bei Kämpfen um Rangordnungen und Führerstellungen bei rudelbildenden Tieren eine selektionsfördernde Funktion. In keiner Weise läßt er sich jedoch mit der elementaren Bedeutung des Triebes nach Nahrung - nach Energie - vergleichen, dessen Wurzeln ebenso weit zurückreichen, wie jene der Lebensentwicklung selbst, und der Voraussetzung für alle weiteren Triebe war und bis heute geblieben ist. Da beim Menschen Kannibalismus zur extremen Seltenheit gehört, sah man nicht ein, wieso der (Originalbuchseite 297)
Nahrungstrieb sich gegen den Mitmenschen wenden sollte. Auf Grund des Psychosplits kommt es indes zu diesem Phänomen - ganz abgesehen davon, daß die zusätzlichen Organe des Menschen eine noch weit begehrenswertere Beute für Räuber darstellen als Fleisch, da sie nicht erst gegessen, verdaut und in eigene Leistung umgesetzt werden müssen, sondern ganz so, wie sie sind, machtsteigernd eingesetzt - und außerdem noch durch Verkauf in den Zauberstab Geld verwandelt werden können. Eine nicht zu unterschätzende Schwierigkeit bei der Beseitigung des Psychosplits und seiner Auswirkungen ist der Umstand, daß die räuberische Verhaltensweise unserer Vorfahren noch ungemein tief in unserem Unterbewußtsein verankert ist und wir sie deshalb selbst in der Welt des Halben Räubers entbehren. Wenn Kriminalund Wildwestfilme im Fernsehen so hohe Einschaltquoten erzielen, dann liegt das wohl daran, daß unsere Instinkte gleichsam die "verlorene Heimat" vermissen, und man somit zumindest in der Phantasie wieder in diese zurückkehren will. Es geht meines Erachtens weniger um die Auseinandersetzung zwischen "Gut" und "Böse", die so stark fasziniert, sondern um das ursprüngliche Milieu des Räubers, in das wir über die Filmhandlung zurückzukehren genießen. Ganz in diesem Sinne ist es
Tatsache, daß Rücksichtslose, Mächtige, ja verbrecherisch Tätige, eine geradezu magische Anziehungskraft auf sehr viele ausüben, ja es nicht wenige gibt, die sich lieber der Leitung eines machtvollen "Bösen" oder eines geschickten "Gauners" als jener eines verläßlich "Guten" anvertrauen. Deshalb gibt es meines Erachtens unter den Halben Räubern - die also Tauscherwerb mit Raubstrategie betreiben - sehr viele, die nicht so leicht für OBS und EKS zu gewinnen sein (Originalbuchseite 298)
werden, selbst wenn sie so letzten Endes weniger erreichen. Diese "strategische Bravheit" ist ihnen einfach zu langweilig. Risiko, Augenblickserfolg und das Überwältigen anderer - körperlich oder mit geistigen Waffen - schafft ihnen unter Umständen stärkere Glücksgefühle, als verdientes Geld ihnen erkaufen kann. Ein weiteres Anwendungsgebiet für OBS ist das Verhalten des Menschen im familiären und gesellschaftlichen Bereich - also im "Privatleben". Bei den so zahlreichen Wechselbeziehungen, die für Glück und Zufriedenheit von Bedeutung sind, kommt es in tausendundeiner Weise auf Tauschvorgänge an, die nicht über den Vermittler Geld erfolgen. Auch hier ist zu untersuchen, ob man nicht besser fährt, an Vorteile des anderen zu denken, wenn man die Erfüllung eigener Wünsche anstrebt. Sodann: das Verhältnis des Menschen zu den übrigen Lebewesen, die - so primitiv und anders sie uns auch erscheinen mögen -, doch jener Nährboden sind, aus dem wir nach heutigem Forschungsstand hervorwuchsen und auf den wir, trotz aller Überlegenheit, auch weiterhin angewiesen bleiben. Egozentrisch, wie der Mensch nun einmal denkt, ist all dieses pflanzliche Gewächs und tierische Gekrabbel letztendlich zu unseren Diensten bestimmt. Auch hier ist zu untersuchen, ob nicht vielmehr ein Tauschverhältnis vorliegt, das unter die Regeln der OBS fällt. Bisher hat sich der Mensch der belebten Natur gegenüber in geradezu selbstverständlicher Unbekümmertheit als Räuber betätigt. Jetzt aber schlägt das Pendel allmählich zurück und die nachteilhaften Auswirkungen treten an den Tag. Die große Körperschaft, die wir "Menschheit" nennen, gelangt bereits zu einer anderen Einschätzung - einstweilen freilich nur dort, wo es unmittelbar unsere Interessen berührt. Der heutige "Umweltschutz" entspricht noch weitgehend (Originalbuchseite 299)
der Einstellung des Halben Räubers und wird sich noch erheblich verändern müssen, damit es auch in diesem so wichtigen Sektor zu einer "fairen Abstimmung" und Partnerschaft kommt. Eine weitere Abstimmung, mit der sich Philosophen aller Zeiten beschäftigt haben, ist jene zwischen dem Menschen und seinem Eigentum - oder in anderer Diktion: mit den zusätzlichen Organen.. Wieviel verkraftet hier der einzelne? Was entspricht der "menschlichen Dimension" - und was übersteigt sie? Wenn ein Mehr an Besitz zu einem Weniger an Zufriedenheit führt, dann stimmt ganz offensichtlich die
Rechnung nicht57. Das heutige marktwirtschaftliche Denken, bei dem Umsatzsteigerung zum zentralen Faktor wurde, fällt nach meiner Ansicht noch in die Denkhaltung des Halben Räubers und wird vom Psychosplit äußerst begünstigt. Mit qualitativem Wachstum ist es jedoch nur beschränkt vereinbar. Das Imponierverhalten des Menschen - ein Bestandteil des Inventares der sozialen Triebe - spielt hier eine erhebliche Rolle. Wenn ein Haus oder ein Kleid an Wert verlieren, wenn der Nachbar sich ein noch schöneres Haus baut oder die Nachbarsfrau in einem noch prächtigeren Kleid erscheint, dann stimmt auch hier die Rechnung nicht. Auch bei der Abstimmung dieser Instinktausrichtung und unserem echten, eigenen Interesse ist zu untersuchen, ob nicht auch hier Tauschverhältnisse vorliegen, die nach OBS beurteilt werden sollten. Als vor einigen Jahrzehnten ein junger Amerikaner seinen Paß verbrannte und die Bewegung eines "Weltbürgertums" ins Leben rief, schlossen sich ihm mehr Anhänger an, als er bewältigen konnte. Vielleicht ist die Entwicklung heute so weit gediehen, daß dieses Experiment mit größerem Erfolg wiederholt werden kann.
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management" Weiter zu "Nachwort" in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 301)
Nachwort
Mir ist durchaus klar, daß diese Darlegung sehr unvollständig ist und vor allem auf viele der heutigen Denkrichtungen nicht eingeht. Mir lag jedoch daran, auf eine andere Grundausrichtung hinzuweisen, die uns vielleicht bessere Dienste erweisen kann, als die bisherigen Überzeugungen, die zum Beharren in den mehr oder minder immer gleichen, ausgeleierten Denkgeleisen führen. Ich habe mich bemüht darzulegen, daß unsere evolutionäre Situation durch Wandlungen gekennzeichnet ist, die man bisher kaum beachtete - durch die entscheidende Wende, welche die Bildung von zusätzlichen Organen bedeutete, - und durch den nicht minder entscheidenden Übergang vom Energieerwerb durch Raub auf solchen über Tauschakte. Die Überwindung des Psychosplits, der sich aus diesem Übergang in geradezu dramatischer Zwangsläufigkeit ergeben hat, erscheint mir das wichtigste Anliegen für den heute ohne gemeinsame Zielrichtung, weitgehend auf augenblickliche Genußmaximierung ausgerichteten Menschen. Mag sein, daß diese Ausrichtung bereits zu stark geworden ist, um noch - im eigenen Interesse - gebremst zu werden. Kaum zu bezweifeln dürfte jedenfalls sein, daß die Wege sich scheiden. Entweder geht es in die bisherige Richtung weiter - die meines Erachtens geradezu zwangsläufig zur Selbstzerstörung des Lebens führt. Oder in die andere, die zu Utopien gewordene Vorstellungen doch noch realisierbar macht.
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management"
Weiter zu "Anmerkungen" in "Der Hai im Management"
(Originalbuchseite 323)
Literaturverzeichnis
Ashby, W.R.: Principles of the Self-Organizing System, Oxdorf 1962 Asonott, I.: Management Strategie. München 1966 - Understanding and Management Strategic Change. Amsterdam 1982 Bally, G.: Vom Ursprung und den Grenzen der Freiheit. Basel 1945 Becker, J.: Grundlagen der Marketing-Konzeption. München 1983 Beer, S.: The Heart of Enterprise. London 1979 - Brain of the Firm, Chichester 1981 Bertalanffy, L.v.: General System Theory. New York 1968 Bürkle, H.: Aktive Karriere Strategie. Frankfurt 1986 Capra, F.: Wendezeit. München 1983 Drucker, P. F.: Die Zukunft bewältigen. Düsseldorf 1969 - Management. Tasks, Responsabilities, Practices. New York 1973 - Weltwirtschaftswende. München 1984 - Die Chance des Unternehmers. Düsseldorf 1987 Durant, W.: Die großen Denker. Zürich 1943 Eibl-Eibesfeldt, I.: Im Reich der tausend Atolle. München 1964 - Grundriß der vergleichenden Verhaltensforschung. München 1967 (1987) - Liebe und Hass. München 1970 - Die Biologie des menschlichen Verhaltens. München 1984 Eibl-Eibesfeldt, I. und Hass, H.: Zum Projekt einer ethologisch orientierten Untersuchung menschlichen Verhaltens. Mitteilung der Max-Planck-Gesellschaft 6, München 1966 - Neue Wege der Humanethologie. Homo 18, 1967 (Originalbuchseite 324)
- Sozialer Wohnungsbau und Umstrukturierung der Städte aus biologischer Sicht. In: Stadt und Lebensqualität. Stuttgart 1985 Eigen, M. und Winkler, R.: Das Spiel. München 1975 Eucken, W.: Grundsätze der Wirtschaftspolitik. Bern, Tübingen 1952 - Die Grundlagen der Nationalökonomie. Berlin 1959 Findeisen, F.: Organik. Der Betrieb als Lebewesen. In: Absatzforschungen, Bd. 1.
Leipzig 1931 Freud, S.: Gesammelte Werke. London 1950 Fromm, E.: Haben oder Sein. München 1982 Galbraith, J. K.: Die moderne Industriegesellschaft. München 1968 Gälweiler, A.: Unternehmensplanung. Frankfurt 1974 Gehlen, A.: Der Mensch, seine Natur und seine Stellung in der Welt. Berlin 1960 (1987) Gomez, P.: Modelle und Methoden des systemorientierten Management. Bern 1981 Gross, H.: Die Chancen ändern sich - Gedanken zum Wachstum. Düsseldorf 1976 Haken, H.: Erfolgsgeheimnisse der Natur. Stuttgart 1981 Hantschk, A. u. Jung, M.: Rahmenbedingungen der Lebens-Entfaltung. Die Energontheorie des Hans Hass und ihre Stellung in den Wissenschaften. Solingen 1996 Hass, H.: Wir Menschen. Wien 1968 - Energon. Wien 1970 - Kulturkörper des Menschen. Arbeitsblätter der Akademie für ethische Forschung. Zürich 1979 - Vorteil des Menschen: Er kann sein "Energon" verändern. In: Das neue Erfolgsund Karrierehandbuch für Selbständige und Führungskräfte. Geretsried 1979 - Leben und Wirtschaft als energetisches Phänomen. Institut für Technologie und Ethik. Nürnberg 1985 - Abenteuer unter Wasser. Meine Erlebnisse und Forschungen im Meer. München 1986 - Naturphilosophische Schriften. Bd. 1: Wie der Fisch zum Menschen wurde. Bd. 2 ,3: Die Energontheorie, Bd. 4: Expedition zu uns selbst. München 1987 (Originalbuchseite 325)
- Der Ball und die Rose. München 1987 a. - Die Hyperzeller. Das neue Menschenbild der Evolution. Hamburg 1994 Hass, H. und Eibl-Eibesfeldt, I.: Wie Haie wirklich sind. München 1986 Hass, H. und Lange-Prollius, H.: Die Schöpfung geht weiter. Stuttgart 1978 Hassenstein, B.: Kybernetik und biologische Forschung. In: Handbuch der Biologie. Frankfurt 1966 - Verhaltensbiologie des Kindes. München 1973 - Instinkt, Lernen, Spielen, Einsicht. München 1980 Heberer, G.: Die Evolution der Organismen, Jena 1943. Stuttgart 1967 Heisenberg, W: Der Teil und das Ganze. München 1969 Hesse E. H.: Imprinting, an Effect of early experience, Science 130,1959 Hesse, R. und Doflein, F.: Tierbau und Tierleben, Jena 1943 Hirt, J.: Das Ich und das Gesetz von Lust und Unlust. München 1985 Holst, E. v.: Zur Verhaltensphysiologie bei Tieren und Menschen, 2 Bände. München 1969, 1970
Huxley, J. S.: Evolution, the modern Synthesis. New York 1942 Kirsch, W. und Roventa, P.: Bausteine eines Strategischen Managements. Berlin 1983 Köstler, A.: Das Gespenst in der Maschine. Wien 1968 Koontz, R. und 0’Donnel C.: Principles of Management. New York 1982 Kotler, Ph.: Marketing Management. Englewood Cliffs, 1980 Köhler, W.: Intelligenzprüfungen an Menschenaffen. Berlin 1921 (1963) Krebs, J. R. und Davis N. B.: Öko-Ethologie. Berlin 1981 Krulis-Randa, J.S.: Metamorphose der Marketing-Wissenschaft. Thexis 2 1985 Lamarck, J. B.: Philosophie Zoologique. Paris 1809 Lorenz, K.: Moralanaloges Verhalten geselliger Tiere. In: Universitas II 1956 - Das sogenannte Böse. Wien 1963 - Die Rückseite des Spiegels. München 1973 (Originalbuchseite 326)
- Vergleichende Verhaltensforschung. Wien 1978 Malik, F.: Kybernetische und Methodische Grundlage des Strategischen Managements. St. Gallen 1979 - Strategie des Managements komplexer Systeme. Bern 1984 Malik F. und Probst, G.: Evolutionäres Management. In: Unternehmung II. St. Gallen 1981 Mann, R.: Das ganzheitliche Unternehmen. Bern, München, Wien 1988 Marr, R.: Betrieb und Umwelt. In: Vahlens Kompendium der Betriebswirtschaftslehre, Bd. I. München 1984 Maslow, A.: Psychologie des Seins. München 1973 Mc Luhan, M.: Die magischen Kanäle. Düsseldorf 1968 Mewes, W: Die Energo-Kybernetische Managementlehre (EKS). Lehrgang. Frankfurt 1972-1976 Monod, J.: Zufall und Notwendigkeit. München 1971 Nietzsche, F.: Der Wille zur Macht. Leipzig 1930 Ostwald, W.: Die energetischen Grundlagen der Kulturwissenschaft. Leipzig 1909 Packard, V.: Die Pyramidenkletterer. Düsseldorf 1963 Pawlow, 1. P.: Conditioned Reflexes. Oxford 1927 Piore, M. J. und Sabel, Ch. F.: The Second Industrial Divide. New York 1984 Popper, K. R..: Logik der Forschung. Tübingen 1966 Prigogine, I. und Stengers, I.: Dialog mit der Natur. München 1981 Pümpin, C.: Strategische Führung in der Unternehmenspraxis. In: Die Orientierung. Bern 1980
- Management Strategischer Erfolgspositionen. Bern 1982 Raffee, H.: Grundprobleme der Betriebswirtschaftslehre. Göttingen 1974 - Grundfragen und Ansätze des Strategischen Marketing. In: Strategisches Marketing. Stuttgart 1985 Remane, A..: Die Geschichte der Tiere. In: Die Evolution der Organismen (Heberer). Stuttgart 1959 Rensch, B.: Die Abhängigkeit der Struktur der Leistungen tierischer Gehirne von ihrer Größe. In: Die Naturwissenschaften 45, 1958 Riedl, R.: Strategie der Genesis. München 1976 (Originalbuchseite 327)
- Biologie der Erkenntnis. Berlin 1980 Rosnay, I. de: Das Makroskop. Stuttgart 1987 Schumacher, E. F.: Small is Beautiful. Die Rückkehr zum menschlichen Maß. Reinbeck 1985 Siegl, E.: Mathematische Methoden zur Energontheorie. Dissertation. Universität Wien 1985 Seghezzi, H. D.: A Model of Quality Management for a World of Limited Resources. In: EOQC Quality 3. Bern 1983 Skinner, B. F.: The Behaviour of Organisms. New York 1938 Sombart, W.: Der moderne Kapitalismus. München 1921 - Die Grundformen des menschlichen Zusammenlebens, 1930 Spann, 0.: Fundament der Volkswirtschaftslehre. Wien 1923 - Kategorienlehre. Jena 1939 Spiegel, B.: Der Nischen-Begriff in der Ökologie und Sozialpsychologie. G.F.M.Mitteilungen, 13. Jg., 3, 1967 - Die obere Hälfte des Motorrades. Vom Gebrauch der Werkzeuge als künstliche Organe. München 1998 Teilhard de Chardin, P.: Der Mensch im Kosmos. München 1985 Tinbergen, N.: Das Tier in seiner Welt. München 1977 Ulrich, H.: Systemorientiertes Management. Frankfurt 1972 - Unternehmenspolitik. Bern 1978 - Unternehmensführung I: Allgemeine Theorie und Methodik, St. Gallen 1978 Uexküll, J. v.: Umwelt und Innenleben der Tiere. Berlin 1909 - Urmensch und Spätkultur. Frankfurt 1977 Vester, F.: Neuland des Denkens. Stuttgart 1983 - Unsere Welt - ein vernetztes System. München 1986 Wickler, W.: Die Biologie der Zehn Gebote. München 1971
- Das Prinzip Eigennutz. München 1977 Wolfe, J. B.: Effectivness of Token-Rewards in Chimpanzees. In: Comparative Psychological Monographs 12, 1936 Wurl, Ch.: Unternehmensstrategie für kleine und mittlere Maschinenbaufirmen auf der Grundlage der Energontheorie und der Kybernetischen Managementlehre (EKS). Dissertation. Universität Wien 1987 Zentes, I.: Marketing. In: Vahlens Kompendium der Betriebswirtschaftslehre, Bd. I. München 1984
Zurück zu Inhalt von "Der Hai im Management"