Das neue Abenteuer 382
Otto Emersleben: Der Fluch der Konquista
Verlag Neues Leben, Berlin
V 1.0 by Dumme Pute
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Das neue Abenteuer 382
Otto Emersleben: Der Fluch der Konquista
Verlag Neues Leben, Berlin
V 1.0 by Dumme Pute
Illustrationen von Karl Fischer © Verlag Neues Leben, Berlin 1978 Lizenz Nr. 303 (305/75/78) LSV 7503 Umschlag: Karl Fischer Typografie: Christel Ruppin Schrift: 9 p Excelsior Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin Bestell-Nr. 642 689 l DDR 0,25 M
Die Ereignisse um die Zeit des letzten Vollmondes haben mich schweigsam und auf eine besondere Art nachdenklich werden lassen. Der Umstand, daß mich der Zugriff des Todes nur knapp verfehlte, läßt es mir gerechtfertigt erscheinen, daß ich mir selbst meine Lebensbeichte abnehme, zumal ich einst das geistliche Amt ausgeübt habe. So will ich also den wenigen Blättern dieses Heftes meine Gedanken und Abenteuer anvertrauen.
Noch keine vier Wochen liegt der Überfall des spanischen Räuberfähnleins auf unsere Siedlung zurück. Seitdem weiß ich, daß sich nichts in jener Welt geändert hat, die ich vor mehr als einem Jahrzehnt floh und die mich von sich stieß, indem sie mich tot sagte. Immer noch geht dort rohe Gewalt vor Recht und Fleiß und Treue - wie zu jener Zeit, als ich durch eine unverständliche Laune des Schicksals in den Mittelpunkt schwerer Wirren gestellt wurde, über die ich im einzelnen noch berichten werde. Zwar habe auch ich getötet, aber ich tat es, weil man mich töten wollte, mich und meine indianischen Brüder, bei denen ich in der Abgeschiedenheit der peruanischen Berge ein neues Leben hatte beginnen können. Seit jenem Tage des Überfalls steht in einer Ecke meiner neuen Hütte eine Arkebuse, eins der bei den getöteten Angreifern aufgefundenen Feuerrohre. Ihr Anblick beruhigt mich, obgleich ich glaube, daß das Pulver zum Gebrauch dieser Waffe hier in den Bergen meist feucht ist von Nebel und Regen. Übrigens: Sie hat ihrem früheren Besitzer nicht das Leben zu retten vermocht. Ehe noch die Banditen einen einzigen Schuß hatten abgeben können, waren sie von den Steinen, die wir auf sie warfen, zu Boden gerissen und von ihren eigenen Bluthunden zer-
fleischt worden.
Wir hatten während der ganzen mondhellen Nacht ihren Angriff erwartet, hatten schon am Abend vorher Frauen, Kinder und Alte in Sicherheit gebracht. Würde jetzt, bei Anbruch des Tages, unsere Aufmerksamkeit nachlassen? Ich sah auf die Indios, die neben mir lagen, verschanzt hinter Felsvorsprüngen und Erdwällen, neben sich Bogen und Pfeile. Allein die Gewißheit, daß sie mir vertrauten, stärkte mich für den bevorstehenden Kampf. Aufmerksam verfolgten sie jede Bewegung im Talgrund, und ihre Geduld wurde den Angreifern zum Verhängnis. Diese waren, als sie der Hütten ansichtig wurden, stehengeblieben und hatten Kriegsrat gehalten. Die Hunde von den Leinen lassend, stürmten sie dann, Waffen schwingend und mit lautem Geschrei, auf die Siedlung zu und stürzten endlich, da sich kein Widerstand regte, in unsere Hütten. Auf diesen Moment hatten wir gewartet. Denn jetzt erst setzte unser Hagel aus Felsbrocken und Pfeilen ein, zerschlug die Strohdächer und traf die Eindringlinge. Die Schmerzensschreie vervielfachten unsere Anstrengungen. "Wenn wir die ersten getroffen haben, werden wir alle vernichten!" rief jemand, und so geschah es. Die Bluthunde, die jene Strauchdiebe zu unserer Einschüchterung und wohl auch zu ernster Bedrohung mitgebracht hatten, halfen uns, denn als sie das erste Blut fließen sahen, warfen sie sich auf ihre Herren, die verzweifelt aus den Hütten ins Freie stürzten. Ein behelmter Arkebusier - der einzige, dem es gelang, seine Waffe in Anschlag zu bringen wurde von einem Pfeil getötet, noch bevor sich der Schuß löste. Immer wieder flogen Steine zu Tal, und erst als sich
nichts mehr regte, hielten wir ein mit dem Zerstörungswerk. Zwischen den zusammengestürzten Hütten konnten wir die Erschlagenen liegen sehen. Als die Sonne am höchsten stand, trollte sich die Hundemeute träge talwärts. Gegen Abend verließen wir unsere Verstecke und stiegen unter der nötigen Vorsicht ins Dorf hinab. Lebte wirklich kein einziger der räuberischen Hidalgos mehr? Die Indios durchsuchten die zertrümmerten Wohnstätten. "Alle tot!" riefen sie. "Alle Spanier hat es erwischt ." Sie freuten sich, und ich freute mich mit ihnen. Wir sahen uns an und begriffen wohl erst in diesem Moment, wie ernst die Gefahr für uns alle gewesen war. Und keiner der Indios dachte auch nur einen Augenblick lang daran, daß ich ein Spanier war wie die toten Eindringlinge.
Mit der Zufälligkeit meiner Geburt in Estremadura hatte alles begonnen. Ihr allein ist der Leichtsinn anzulasten, mit dem ich vor zwanzig Jahren den Versprechungen des Francisco Pizarro gefolgt bin, als dieser jene Provinz Spaniens - die auch seine Heimat war - vor dem entscheidenden Sturm auf das Reich der Inka besuchte. Den Vertrag mit der Krone, Geld, Ausrüstungsgegenstände alles hatte er unter Dach und Fach zu bringen gewußt; nur an Menschen fehlte es noch, die bereit waren, ihm in das große Abenteuer zu folgen. Und wären nicht seine drei Brüder Juan, Gonzalo und Hernando damals mit aufgebrochen und hätten dadurch gezeigt, welches Vertrauen sie in die Pläne des großen Konquistadors setzten - ich meine, das Unternehmen hätte abgeblasen werden müssen, noch bevor es begann. So aber wurden zahlreiche junge Leute von ihrem Beispiel überzeugt, zumal sie hörten, daß Pizar-
ros Mitstreiter und Kompagnon in der Neuen Welt, Diego de Almagro, aus La Mancha stammte, der wahren Heimat jedes spanischen Hidalgo und Schauplatz aller Ritterträume. Hinter dem Ozeanischen Meer, am Ufer des Südmeeres gar, wohin Pizarro sie zu führen versprach und wo Almagro sie schon erwartete, hofften die jungen Männer für sich einen Abglanz des Ruhmes zu finden, den ihre Väter bei der Vertreibung der Mauren aus Granada erworben hatten. Nun war ich selbst vor zwanzig Jahren kein junger Mensch mehr, stand vielmehr mit vierzig Sommern in einem Alter, in dem man sich hätte darum bemühen sollen, als Prior einer kleinen Abtei einem friedvollen Lebensabend entgegenzuharren. Ich aber entschloß mich, das Kreuz der Johanniterritter zu nehmen, und da ich nicht von adliger Geburt war, bewarb ich mich beim Großkanzler jenes Ordens, der seinen Sitz in Toledo hatte, um eine Aufnahme als Gnadenritter, das heißt als geduldetes Mitglied ohne edle Herkunft. Diese Ehre wurde mir bald zuteil, wenn auch nicht mehr so rechtzeitig, daß ich mich gemeinsam mit einem Häuflein anderer Glücksritter von Francisco Pizarro und seinen Brüdern nach den Ufern der Neuen Welt hätte führen lassen können. Ich traf also später in Lima, der neugegründeten Hauptstadt des Vizekönigreichs Peru, ein. Don Francisco Pizarro, der den Ausbau Limas mit Bravour und Geschmack betrieb - und selbstverständlich auch, ohne Gesundheit und Leben der beim Bau der Paläste und Festungswälle eingesetzten Indios zu schonen -, erinnerte sich wohlwollend meiner. Er verhalf mir zu einer angesehenen Stellung, indem ich durch seine Fürsprache als Beichtiger Zutritt zu den geachtetsten Häusern erhielt,
in deren vornehmsten ich die heranwachsenden Kinder in der Lehre unseres Herrn Jesus Christus zu unterweisen begann. Mein Sinn aber stand nach wir vor dahin, indianische Kinder oder auch Erwachsene, die bislang den wahren Glauben hatten entbehren müssen, für die Heilslehre zu gewinnen und sie auf die Taufe vorzubereiten. Da die Zeit für eine solche Missionstätigkeit in Lima selbst - einer Stadt rein spanischen Charakters - bereits vorüber war, machte ich mich auf in die Berge der Kordillere und gründete ohne fremde Hilfe eine Missionsstation. Die Indios der umliegenden Taldörfer begannen bald zu mir zu kommen - aus Neugier die meisten zunächst, dann, als sie sahen, daß das Werk der Bodennutzung gedieh und die urbar gemachten Felder an den steilen Hängen Frucht zu tragen begannen, auch aus Not. Denn durch den Verlust ihrer alten Obrigkeit waren sie wurzellos, und in ihren Bemühungen um ein friedvolles Weiterleben aus eigener Kraft vermochten sie keinen Sinn zu sehen. Willig ließen die Indios sich von mir taufen, und geduldig lernten sie Gebete und fromme Lieder. Hier hätte ich mein Leben leben können in Ruhe und paradiesischer Gottnähe. Es sollte jedoch anders kommen; denn eines Tages im Frühling des Jahres 1537 - im Gegensatz zu unserer spanischen Heimat beginnt der Frühling hier im September - erschien ein reitender Bote in unserem friedlichen Tal, der mich vor den Vizekönig nach Lima rief. Don Francisco Pizarro, den unser König, wie ich in der Hauptstadt hörte, inzwischen zum Marques und damit in den spanischen Hochadel erhoben hatte, empfing mich
äußerst freundlich und bei bester Laune. Alle Förmlichkeit ließ er beiseite und verstand es trotzdem, mit jedem seiner Worte die Achtung zum Ausdruck zu bringen, die er meinem geistlichen Kleid schuldete. Es sei, so gab er mir zu verstehen, seit meinem Weggang aus Lima durch einen Befehl des Königs eine Erweiterung der Grenzen seiner Statthalterschaft erfolgt. Bei diesen Worten leuchteten seine Augen in einer mir bislang bei ihm unbekannten Gier, wie sie wohl Wucherern eigen ist, die ihr Geld zählen. Gleichzeitig jedoch, fuhr er fort, sei es zum Streit mit seinem alten Waffengefährten Almagro gekommen, dem die Krone eine eigene Statthalterschaft südlich der Grenze seines, Pizarros, von Lima aus verwalteten Vizekönigreiches eingeräumt habe. Der Streit sei um den Verlauf jener Grenze zwischen den beiden Gebieten entbrannt und drohe in offenen Kampf auszubrechen, wenn nicht durch eine kluge Vermittlung eine für beide Seiten zu akzeptierende Lösung gefunden würde. Dabei sah er mich lächelnd an, mit einem kalten, berechnenden Lächeln, das ich wohl nie werde vergessen können, und fuhr fort: "Ich kenne dich, Bruder Francisco, noch aus Estremadura als gerechten und gottesfürchtigen Mann. Ich bin überzeugt, daß du meinen Streit mit Almagro zu schlichten vermagst." Dies sei um so dringender nötig, sagte er, da die Unruhe unter den Indios zunehme und man einen allgemeinen Aufstand befürchten müsse. Er gab mir sein Ehrenwort als spanischer Ritter, daß er sich meinem Urteilsspruch beugen würde, wie auch immer dieser ausfalle. Nun war das alles wohl sehr schmeichlerisch für mich, denn aus der Heimat kannten wir uns kaum. Und der Wert seiner Ehre als spanischer Ritter war mehr als zweifelhaft,
denn - so wußte es jeder seiner Soldaten - Don Francisco war der uneheliche Sohn eines kleinen Obristen und hatte in seiner Jugend Schweine gehütet, ein Umstand, der zu häufigen Witzeleien hinter vorgehaltener Hand Anlaß bot. Aber da ich selbst nicht von adliger Herkunft war, hatte ich keinerlei Grund, mich zum Richter aufzuschwingen, lehnte daher seinen Vorschlag nicht sofort ab, sondern erbat mir Bedenkzeit und kehrte in mein Tal zurück, auf Pizarros Wunsch und Vorschlag von einer Zehnerabteilung Reiter sicher begleitet.
Wir blieben jedoch von Überfällen verschont; groß aber war mein Entsetzen, als ich die Häuser der mit so viel Mühe errichteten Siedlung in jenem glücklichen Tal zerstört, die Felder verwüstet und die Speicher ausgeplündert vorfand. Ein Papier, bedeckt mit den ungeschickten Schriftzügen Pedros, meines wohl talentvollsten Missions-
schülers, war mit Nägeln an die ausgehängte Kirchentür geschlagen und verkündete mir, es sei nun der Ausplünderung ihrer peruanischen Heimat genug geschehen. Sie schlossen sich dem Heere des Inka Manco Capac an, der der einzig rechtmäßige Herr aller freien Indios sei und der die spanischen Eroberer aus dem "Reich der vier Weltgegenden", wie sich Inkaperu immer genannt hatte, zu vertreiben entschlossen sei. "Keine Bluthunde, keine Fronarbeit mehr, auch nicht für die mit dem Kreuz geschmückten Blutsauger. Das werden wir erreichen!" schloß die Botschaft. Und obwohl diese Worte mich damals tief betrübten, blieb mir nichts übrig, als mit jener Reiterschwadron, die mich herbegleitet hatte, nach Lima zurückzukehren.
Ich hielt mich sofort zur Verfügung des Vizekönigs und bekam von ihm all jene Dokumente zur Einsicht, auf die sein eigener Anspruch und auch der Almagros sich gründete. Gleichzeitig gab er mir zu verstehen, daß ich die Rückkehr eines von ihm nach Cuzco ausgesandten Boten abwarten solle, der von dem dort residierenden Marschall Almagro die Zustimmung für meine Vermittlung einzuholen habe. Durch den immer weiter um sich greifenden Aufruhr der Indios sei jedoch die Unsicherheit der Wege so groß, daß wohl einige Wochen vergehen würden, bis ich meine eigentliche Aufgabe in Angriff nehmen könne. Ich nahm Quartier in einem der Dominikanerklöster der Stadt, da mein eigener Orden, die Johanniter, hier keine Niederlassung unterhielt so wurde meine Zeit außer durch das gemeinsame Gebet von keinen weiteren Pflichten in Anspruch genommen, und ich konnte mich ganz dem Studium jener Papiere und Karten widmen, die ich von Pizarro erhalten hatte.
Nach diesen Schriftstücken zu urteilen, ging es bei dem Streit zwischen den beiden alten Haudegen vor allem um den Besitz von Festung und Stadt Cuzco, der alten Inkaresidenz. Hier vermuteten beide noch ungehobene Schätze der Inkaherrscher, die keiner dem anderen gönnte; hier war gleichzeitig die Grenze zwischen den ihnen von der Krone zugebilligten Gebieten am wenigsten deutlich: Cuzco konnte sowohl zu Almagros Statthalterschaft NeuToledo gehören als auch zu Don Francisco Pizarros Vizekönigreich Neu-Kastilien. Da es sich aber zur Zeit in der Gewalt des Marschalls Almagro befand, mußte - so wurde mir in jener Zelle des ruhigen Dominikanerkonvents sehr bald klar - durch eine Neuvermessung der genaue Grenzverlauf festgestellt und damit entschieden werden, ob die gewaltsame Inbesitznahme der Stadt durch Almagro rechtens geschehen sei. Kompliziert wurde die mir übertragene Aufgabe zusätzlich dadurch, daß Almagro seit jenem Handstreich, durch den er Cuzco in seine Gewalt zu bringen verstanden hatte, auch die beiden Pizarrobrüder Hernando und Gonzalo gefangenhielt. Sie hatten bislang in Don Franciscos Auftrag Festung und Stadt gegen die anbrandenden indianischen Heere verteidigt und dabei ihren Bruder Juan verloren. Diese Gefangenschaft seiner Brüder - so gab der Marques mir sehr bald in meiner Klostereinsamkeit zu verstehen - war ein Umstand, den er auf keinen Fall länger zu dulden bereit war und über den er auch nicht zu verhandeln gedachte. Um mir dies zu sagen, schickte er einen Bader und Wunderarzt in meine Zelle. Dieser Mann ließ mich zudem zur Ader und unternahm auch sonst alles, was mein Wohlbefinden zu heben ihm angeraten schien. Er wiederholte seinen Besuch nach wenigen Tagen, und dabei
sagte er: "Hochwürdiger Bruder, man hört, daß Marschall Almagro sich mit einer kleinen Streitmacht zur Küste aufgemacht hat. Er soll beabsichtigen, wenig südlich von Lama eine eigene Hafenstadt zu gründen. Alles scheint darauf hinzudeuten, daß er gewillt ist, seine Unabhängigkeit auch im Verkehr mit dem Mutterland durchzusetzen ." Mir sank der Mut, denn aus der Betonung der "kleinen Streitmacht" glaubte ich herauszuhören, daß Pizarro den Gedanken einer Überrumpelung seines früheren Waffengefährten erwog. Damit wäre meine Mission beendet worden, noch ehe ich sie überhaupt ernsthaft begonnen hatte. So fragte ich, ob denn jener Bote schon von Almagro zurück sei, der das Einverständnis des Marschalls für meine Vermittlung erwirken sollte. "Nein", erhielt ich zur Antwort, "aber wir sollten nicht länger warten und Euren Schiedsspruch im ganzen Land, bei beiden Parteien, bekannt machen, Bruder Francisco!" Meinen Schiedsspruch . Über so viel Dreistigkeit erschrak ich heftig, hatte ich doch nicht erwartet, derart direkt vom Vizekönig gegängelt zu werden. Und doch mußte ich mich in seinen Willen schicken, den er mir hier durch diesen Quacksalber verkünden ließ. Noch aber lag es bei mir, wie dieser Schiedsspruch lauten würde; und keine Macht der Welt - so schwor ich mir - sollte mir in diese Entscheidung hineinreden oder sie mir gar vorschreiben wollen. Mit einem Hinweis darauf, daß ich mich innerhalb von zwei Tagen zu äußern gedächte, entließ ich den Bader. Ich war entschlossen, Don Francisco Pizarros Versprechen sehr ernst zu nehmen, er werde meinen Spruch als endgültig bindende Entscheidung in dieser Sache ansehen.
Es war ein herrlicher Frühlingstag, als ich mich auf den Weg machte zur Audienz im Palast des Vizekönigs. Die Bäumchen im Klostergarten waren erblüht, und vom Meer wehte ein frischer, aber schon angenehm warm fächelnder Wind den Fluß herauf. Meine Gedanken flogen heim, nach Estremadura, ans andere Ende der Welt, wo jetzt pralle schwarzblaue Trauben in die Bütten gelesen wurden. Wie lange war es her, daß ich von dem schweren Wein getrunken hatte, den die Landleute meiner Heimat daraus zu bereiten wußten . In meinem Ordenskleid trat ich vor den Vizekönig, das große Kreuz leuchtete rot auf der Brust. Würde er angesichts dieses gemahnenden Zeichens es wagen, zu neuen Ausflüchten oder gar Nötigungen Zuflucht zu nehmen? Fest entschlossen, mich auf keine Weisungen einzulassen, die meine unparteiische Stellung in diesem Streit zu erschüttern vermocht hätten, begann ich: "Don Francisco, es scheint mir an der Zeit, die Zustimmung Don Diego de Almagros zu meinem Vermittleramt anzumahnen. Ehe sie nicht vorliegt, sehe ich mich außerstande, meinen Entschluß öffentlich beiden Parteien bekanntzumachen." Seine grauen, von Altersfalten umsponnenen Augen waren zusammengekniffen wie in zu grellem Sonnenlicht, und er sagte: "Es ist mir eine Freude, dich zu sehen, Bruder Francisco. So hast du ihn schon gefällt, deinen Entschluß?" Ich nickte, und wir sahen uns schweigend an. War ich in dieses Land verschlagen worden, um den grau gewordenen Schakal auf die Probe zu stellen? Er hatte die Macht, mich in dieser Streitsache zu einem Spruch zu zwingen, der ihm alle Vorteile gegenüber Almagro ein-
räumte; aber er glaubte vielleicht, mich auch so - nicht zuletzt durch seine gespielte Gleichgültigkeit - zu einer für ihn günstigen Entscheidung bringen zu können. Sollte er glauben! "Ich werde meinen Schiedsspruch an dem Tag bekanntgeben", brach ich das Schweigen, "an dem ein hinreichend bevollmächtigter Mann mir sagt, daß auch Don Diego ihn anzunehmen bereit ist." Da nickte der Vizekönig. Sein schmales, in dem kurz gehaltenen Graubart spitz auslaufendes Gesicht schien mir müde und doch aus lauter Gewohnheit entschlußgeladen. Was war der Marques doch für ein verschlossener Mensch . Ich hatte von den furchtbaren Haßausbrüchen gehört, zu denen er fähig war und die ihn weder Freund noch Feind schonen ließen. Aber diese Vorstellung eines wenn auch in durchaus abstoßendem Sinne - leidenschaftlichen Menschen paßte so gar nicht zu dieser großen, ebenmäßig gebauten Gestalt vor mir in dem eng anliegenden schwarzen Kleid mit der Halskrause und den weißen Wadenstrümpfen. Mir schien dieser Mann eher linkische Unentschlossenheit auszustrahlen als maßlose Unternehmungslust und eiskalt berechnenden Ehrgeiz, der vor nichts zurückschreckte. Es war dies wohl nur ein Auftritt in jenem Stück, das mitzuspielen ich mich entschlossen hatte. Wir trennten uns, ohne noch viele Worte über das Maß üblicher Höflichkeit hinaus gewechselt zu haben. Am Tage, da diese Audienz stattfand, hatte Diego de Almagro sich der Küste bereits auf Sichtweite genähert. Es hieß, er würde in Chincha Quartier beziehen, einer kleinen Ansiedlung, keine zwei Tagesritte südlich von
Lima, um von dort seine Suche nach einem geeigneten Hafenplatz fortzusetzen. Irgendwo auf diesen zwei knappen Tagesritten zwischen Lima und Chincha mußte die Grenze zwischen seinem und Pizarros Herrschaftsbereich verlaufen. Ich war fest entschlossen, den Streit um die alte Inkahauptstadt durch eine genaue Bestimmung der geographischen Breite von Cuzco, das weit im peruanischen Hochland lag, zu beenden. Gleichzeitig würde ich eine Messung der Breite vornehmen lassen, unter der in der Nähe der Äquatorlinie der Santiagofluß ins Meer mündete: diesen Punkt hatte der königliche Erlaß als Bezugspunkt gewählt, von hier aus sollte sich Pizarros Statthalterschaft 270 Leguas [ l Legua = 5,555 km] nach Süden und daran anschließend Almagros Neu-Toledo erstrecken. Nur solche genauen Breitenbestimmungen - so schien mir - würden den Streit beenden. Es gab keinen anderen Weg zu einem dauernden Frieden zwischen den verfeindeten Konquistadoren. Noch aber wußte ich weder, wie Pizarro, noch, wie Almagro diesen Schiedsspruch aufnehmen würde, von dem beide nicht ahnen konnten, wo er ihren Besitzansprüchen entgegenkam oder sie schmälerte. Einen Schiedsspruch aber allein deshalb anzuerkennen, weil man sich vorher dazu verstanden hatte, auf einen Unparteiischen zu hören - das wäre gegen Konquistadorenart gewesen. Diese Männer waren stets und um alles zu würfeln bereit; aber wenn die Würfel nicht so fielen, wie sie es erwartet hatten, halfen sie nach und drehten die "richtige" Zahl nach oben. Um Licht in die Ungewißheit über Almagros Haltung zu meiner Vermittlung in seinem Streit mit Pizarro zu bringen, entschloß ich mich, den Marschall in Chincha aufzusuchen und ihn selbst um seine Meinung zu fragen, denn
der Bote, von dem Pizarro gesprochen hatte, war immer noch nicht eingetroffen. Dies schien mir eine Bedingung jeder vorurteilsfreien Entscheidung zu sein: Ich mußte die Ansichten beider Seiten gehört haben und durfte erst daraufhin meinen Kompromißvorschlag unterbreiten. Der Ritt entlang der Küste war nicht sonderlich beschwerlich, aber die mir von Pizarro zur Bedeckung mit auf den Weg gegebene Reiterschwadron hatte offenbar Anweisung, die für die Reise benötigte Zeit unauffällig zu dehnen. Trotz allzu häufiger Pausen gelangten wir am späten Abend des ersten Tages in Mala an, einem nicht ganz auf halbem Wege nach Chincha gelegenen Ort, nach Lage der Dinge noch zu Pizarros Gebiet gehörend und auch von diesem beansprucht. Die hellerleuchteten Fenster eines Freudenhauses, das ein geschäftstüchtiger Spanier hier am Rande der Welt für das Konquistavolk eingerichtet hatte, zogen meine Begleiter an wie durch die Finsternis taumelnde Falter. Ich bekreuzigte mich und trat gleichfalls ein, bat jedoch den Wirt, mich in einem Hofgebäude übernachten zu lassen.
Am frühen Morgen zogen wir weiter, gestärkt oder auch geschwächt - je nach dem Erfolg bei den Damen des Hauses. Die Küstenkordillere erklimmend, erreichten unsere Pferde am späten Nachmittag die ersten Hütten von Chincha, einer kleinen unbedeutenden Siedlung. Wir wurden von keiner Feldwache oder dergleichen behelligt. Eine Frage auf der Gasse reichte aus, uns den Weg in des Marschalls Quartier zu zeigen. Diego de Almagro empfing mich sofort. Er saß bequem in einem Sessel gelehnt und trug ein einfaches, leicht schmierig aussehendes Lederwams über seinem Woll-
hemd. Seine erste Frage war die nach dem Zweck meiner Reise, worauf er befahl, unsere Pferde gemeinsam mit den eigenen für die Nacht zu versorgen. "Es sind Spanier wie wir", sagte er seinen Leuten, und die selbstverständliche Art, in der er dies sagte, gefiel mir sehr.
Ich berichtete von meinem Anliegen, im Streit zwischen ihm und Pizarro zu vermitteln. Stutzte kurz, als er auf meine Frage hin sagte, nie einen Boten empfangen zu haben, der ihm von meiner Einsetzung als Vermittler berichtet hätte, vergaß diesen Umstand dann aber wieder. Als ich zu sagen anhob, ich wolle, um ihn kennenzulernen, seine Reise an die Küste nutzen, die er auf der Suche nach einem günstigen Ankerplatz für seine Schiffsflotte unternahm, fiel er mir ins Wort: "Einen Hafen zu bauen ist nur ein durchaus nebensächlicher Zweck meiner Reise. Vor allem, glaube mir, Bruder Francisco, bin ich hierher-
gekommen, um mich mit Pizarro zu treffen und - so es irgend geht - mit ihm auszusöhnen. Denn gemeinsam haben wir vor zehn Jahren mit den Vorbereitungen zur Eroberung dieses Riesenreiches begonnen, und gemeinsam wollen wir sie auch vollenden - nicht in Todfeindschaft zerstritten." Almagro war noch älter als Francisco Pizarro, sicher schon fast siebzig Jahre. Sein genaues Alter hätte nicht einmal er selbst anzugeben vermocht, denn er war in der Stadt Almagro, nach der er sich nannte, als Findelkind aufgewachsen. Während er sprach - ruhig, gemessen und doch eindringlich - schien sein Bart unter der gebogenen Nase zu zittern wie ein breiter, zerklüfteter Eiszapfen. Aus seinem Auge - das andere hatte er in einem der ersten Kämpfe mit den Indios eingebüßt - sah er mich mit hellem, ungewöhnlich lebhaftem Blick an. Es schien, als prüfe er jeden Zug meines Gesichts und versuche gleichzeitig, mich für sich einzunehmen. Ich kannte Almagro nicht von früheren Gelegenheiten, denn er war mit seinen Soldaten erst kurz vor der Einnahme Cuzcos von der Eroberung eines Landes zurückgekehrt, das Chile hieß und sich im Süden an das Kernstück des Inkareiches anschloß. Wie man sagte, war er dort auf einen besonders kriegerischen Volksstamm gestoßen, die Araukaner, die sich dem Inka nie unterworfen hatten und nun auch nicht bereit waren, eine spanische Herrschaft über ihr bergiges Land anzuerkennen. Mit der Bola zweier durch einen Riemen verbundenen Kugeln, die sie geschickt zu schleudern verstehen - und dem Lasso, ihrer Wurfleine, setzten sie sich zur Wehr und konnten bis jetzt, da ich diesen Bericht schreibe, noch nicht unterworfen werden.
Während das Gespräch mit Almagro in jenen vielsagend belanglosen Plauderton abglitt, der einen so wichtigen Platz in jeder diplomatischen Konversation einnimmt, und während wir fortfuhren, uns gegenseitig mit Blicken abzutasten, sprang plötzlich die Tür auf, und ein Mann jünger als der Marschall, etwa in meinem Alter - stürzte herein. "Laß dich nur von ihm beschwatzen!" rief er Almagro zu, seitwärts mit dem Kopf auf mich zeigend. "Der Hund in Lima weiß schon, wie er dich bei deiner Nachgiebigkeit packt." Almagro schien von diesem häßlichen Ausbruch nicht überrascht zu sein. Er fuhr fort zu lächeln und hob beschwörend die Arme: "Aber, aber, mein lieber Rodrigo, du siehst doch, daß unser Gast ein Gottesmann ist. Nicht Pizarro hat ihn geschickt - er ist von selbst gekommen, um mir seine Vermittlung in unserem Streit anzubieten." Das also war Rodrigo de Orgonez, von dem ich schon so viel gehört hatte: von seinem Einfluß auf den alten Almagro, von seiner Feldherrnkunst, der zähen Ausdauer, mit der er sein Ziel verfolgte, und von seiner Beliebtheit bei den Soldaten, die der des greisen Marschalls nicht nachstand. Orgonez war in ein ebensolches Lederwams gekleidet, wie Almagro es trug, und nahm ich die Soldaten der Wache hinzu, so schien dies überhaupt die Uniform jener "Chile-Männer" zu sein, über deren Zusammenhalt in Augenblicken größter Gefahr allgemein eine hohe Meinung bestand. Orgonez schien von des Marschalls Versuch, seine Bedenken gegen mich auszuräumen, wenig beeindruckt. Er baute sich, die Hände in die Seite gestützt, vor dem Sessel des Alten auf und sagte: "Vermitteln? Laß ihn ruhig ver-
mitteln. Aber höre genau zu, was ich dir jetzt sage, du sollst es wissen, bevor du seiner . Vermittlung auf den Leim gehst." Wieder streifte mich sein verächtlicher Blick, und ehe noch Almagro etwas entgegnen konnte, schrie Orgonez heraus: "Gonzalo Pizarro ist unterwegs nach Lima, hörst du?" Und leiser setzte er hinzu: "Er ist aus Cuzco entwichen. Bei seiner Ritterehre hatte er versprochen, dort deine Rückkehr abzuwarten. Zum Glück hast du auf mich gehört und wenigstens Hernando hierher mitgenommen. Sonst wäre auch der schon bald bei seinem Herrn Bruder, und wir hätten gar keine Geisel mehr als Faustpfand für die schönste aller Städte." Bitter lachte er auf, dann herrschte Schweigen. Endlich sah Almagro mich an und sagte: "Hast du das gewußt, Bruder Francisco?" Doch bevor ich noch antworten konnte, redete wieder Orgonez: "Wie hätte er es denn wissen sollen? Ich habe es doch eben erst von einem zuverlässigen Boten erfahren, und der reitet schneller als dieser saubere Herr Vermittler. Gonzalo wird in wenigen Tagen in Lima sein. Da kannst du beruhigt sein - der Mönch hat es nicht gewußt." Almagros erleichterter Blick ließ mich neue Zuversicht fassen, denn ich sah, daß er nicht an der Aufrichtigkeit meiner Rolle zweifelte. Ich nahm also meine ganze Kraft zusammen, atmete tief und sagte: "Darf ich Euren Vorschlag von vorhin aufgreifen und ein Treffen mit Don Francisco Pizarro festsetzen? Ich werde bei diesem Treffen zugegen sein und würde mich freuen, wenn es die Kontrahenten einer Aussöhnung näherbringt." Ein Treffen war immer gut. Der Vorschlag kam schließlich von Almagro, und eine solche Begegnung vermochte
ihn vielleicht aus der Umklammerung durch diesen Orgonez zu reißen. Auf alle Fälle bedeutete es Aufschub, eine genaue Bestimmung der Grenzlinie konnte dabei noch immer herausschauen. Ich sah auf Almagro, sah, daß er meinen Blick erwiderte und dann, ohne das Auge von mir zu nehmen, nickte. Wir einigten uns, daß - Pizarros Zustimmung vorausgesetzt - ein Treffen der beiden in wenigen Tagen schon, am 13. November jenes Jahres 1537, in Mala stattfinden solle. Daß Mala zu Pizarros Gebiet gehörte, sei durchaus kein Hindernis für das Treffen, meinte Almagro. Irgendwo müsse man sich ja treffen, warum also nicht in Mala.
Als ich den Raum verlassen wollte, stellte Orgonez sich mir in den Weg, sah mich von oben bis unten an und sagte - ganz leise diesmal: "Du kannst deinem Herrn und Meister Pizarro ausrichten, daß er bis zu unserem Wieder-
sehen in Mala seinen Bruder Hernando nicht sehen wird. Und auch danach nicht, wenn er nicht auf unsere Bedingungen eingeht. Wir haben ihn sicherer verpackt als den wortbrüchigen Gonzalo." Damit gab er den Weg frei. Ich machte mich mit meinen Begleitern sofort auf den Rückmarsch. Wie würde Pizarro das Angebot aufnehmen?
Die Reaktion des Marques war freundlicher, als ich hatte erwarten können. Jetzt, da Gonzalo bald bei ihm sein würde, hielt er auch Hernandos Befreiung aus dem Gewahrsam Almagros für möglich. Sofort ließ er eine der ärmlichen Hütten in Mala für das Gespräch mit Almagro herrichten, ließ Wein aus der Heimat und - als der dreizehnte November herangerückt war - allerlei Leckerbissen dorthin schaffen, da er wußte, daß Almagro ein Feinschmecker war. Diese Art der Vorbereitung beruhigte mich ungemein, bestärkte sie doch die Hoffnung in mir, ein Gespräch von Mann zu Mann würde alles zum Guten wenden, würde viele Mißverständnisse ausräumen und so der Sache der Christenheit und unseres Königs dienen. Denn Einigkeit tat mehr not denn je, sollten die in zwei Parteien zersplitterten Spanier nicht allesamt im Kämpf mit den Inkasoldaten untergehen. Immer noch griffen die Kolonnen des Manco Capac aus den Bergen heraus unsere Siedlungen und Missionsstationen an, und immer mehr Indios stießen zu ihm. Ich hatte inzwischen erfahren, daß das Schicksal meiner eigenen Niederlassung kein Einzelfall war. Ich zweifelte damals bereits, ob es überhaupt möglich sein würde, dieses Volk jemals gänzlich unter spanische Botmäßigkeit zu bringen.
Denn selbst wenn es gelingen sollte, sie alle zu taufen, was besagte das schon . Trotz dieser Zweifel betrieb ich das Werk der Einigung der beiden starken Männer, und war froh über die guten Vorzeichen auf diesem Wege. Aber die Ereignisse sollten meine Erwartungen bitter enttäuschen.
Dabei hatte jener dreizehnte November so hoffnungsvoll begonnen . Pizarro ritt in der Morgensonne auf der Küstenstraße dem von Süden kommenden Almagro entgegen. Beide waren nur von einer Handvoll Männer begleitet. Bei ihrem Einzug in Mala wurden unter Fanfarenklängen Standarten und bunt wallende Banner geschwenkt. Man betrat in aufgeräumter Stimmung den niedrigen Raum, in dem ich die Parteien erwartete. Ich begrüßte sie und gab meiner Freude darüber Ausdruck, in einem solch schicksalsschweren Augenblick Zeuge einer Begegnung zweier alter Kampfgefährten zu sein. Und ich sprach von der Hoffnung, einem wirklichen Neubeginn im Verhältnis der beiden Statthalterschaften beizuwohnen, die einen so wichtigen Platz einzunehmen berufen seien im Kranz der Eroberungen unseres Königs Don Carlos in der Neuen Welt. Hierzu nickten beide wohlwollend. Allerdings überdauerte ihr Einvernehmen diese Begrüßungszeremonie nicht lange, denn als Pizarro sich nach der Gesundheit seiner in Almagros Gewahrsam befindlichen Brüder erkundigte, bekam er zur Antwort: "Es ist gut, Don Francisco, daß Ihr selbst von diesem letzten schmählichen Treuebruch zu sprechen beginnt, denn Ihr wißt sehr wohl: Euer Bruder Gonzalo hat sein Wort nicht gehalten und ist auf dem Weg nach Lima."
Worauf Pizarro ihm antwortete: "Ein Wort, das zu geben einen die Umstände nötigen, ist es wert, gebrochen zu werden. Trotzdem bitte ich Euch, mir über das Befinden meines Bruders Hernando Auskunft zu geben, denn Ihr haftet mir persönlich für sein Leben." Mich erschreckte dieser Gesprächsbeginn zutiefst, wußte ich doch, daß früher das Du die einzige Anredeform zwischen den beiden Hitzköpfen gewesen war. Als jetzt gar Almagro rief, Hernando werde es nicht mehr lange gut gehen, er werde dafür sorgen, daß an ihm Rache genommen werde für das ganze wortbrüchige, schmierige, ehrlose Geschlecht der Pizarro, sank mir vollends der Mut. Beschwichtigend hob ich die Arme, erinnerte daran, daß beide, Almagro und Pizarro, sich einst freiwillig zu jener Abmachung zusammengefunden hätten, die unserem König die Eroberung des Inkareiches Peru eingebracht habe. "Ist es nicht an der Zeit", so sagte ich, "zum Geist jener Übereinkunft zurückzukehren und den Streit zu vergessen?" Sie schwiegen für eine kurze Weile, aber nicht, um über meine Worte nachzudenken, sondern vielmehr, um selbst Luft zu holen für neue Haßausbrüche. Ich will sie hier nicht im einzelnen wiedergeben. So viel aber sei gesagt, daß ich es nicht für möglich gehalten hätte, zwei Männer, die zuvor mit großem Einsatz einem gemeinsamen Ziel zugestrebt waren, nun so abgrundtief verfeindet zu sehen. Ihr Geschrei, das ich schon in Tätlichkeiten ausarten sah, wurde jäh unterbrochen von dem plötzlichen Eintritt eines Adjutanten Pizarros, der mit vor Freude leuchtendem Gesicht dem Marques bedeutete, sofort mit ihm zu kommen.
Als Almagro mich daraufhin ansah und, da wir beide allein in dem Raum zurückblieben, fragte: "Was soll das? Wird sich nun etwa die Falle hinter mir schließen? Du haftest mir für meinen Kopf, Bruder Francisco!" wußte ich nicht, was ich ihm hätte antworten sollen. Aber ich wurde dieser Verlegenheit sehr schnell enthoben, da die Tür abermals aufsprang und Orgonez mit den Worten hereinstürzte: "Gonzalo ist hier, in diesem gottverdammten Nest!" Darauf verließ der Marschall mit ihm den Raum, sagte, sein guter Wille sei erschöpft und er kehre nach Chincha zurück, auf sein eigenes Territorium. Ich begann, allein geblieben, zu beten. Aber die Kraft, die zu einem Entschluß nötig war, wollte nicht über mich kommen.
Am Abend lud Pizarro zu einem Festessen ein - in jenes Bordell von Mala. Ich lehnte die Einladung ab, aber nicht nur, wie ich deutlich zu verstehen gab, weil ich als Gottesmann an jener Ausschweifung nicht teilzunehmen gewillt war, sondern vor allem, weil ich mich durch die wortbrüchige Flucht Gonzalo Pizarros und seine demonstrative Begrüßung brüskiert sah in meinem Bemühen um einen Ausgleich zwischen den Kontrahenten. "Man kann nicht", so ließ ich den Boten Pizarro ausrichten, "verhandeln über etwas, was mit Gewalt und List auf eigene Rechnung zu lösen die eine Partei sich längst schon entschlossen hat." Wo waren die Ritterideale geblieben, in deren Namen die Hidalgos vor einem halben Jahrhundert den Kampf gegen die Mauren geführt hatten? Wo die Begeisterung, die an die Kreuzfahrer vor fünfhundert Jahren erinnerte?
Das Gewese, das mein eigener Orden um jene Tradition noch machte, kam mir plötzlich fade und leer vor. Trotzdem - oder war es vielleicht gerade deshalb, weil ich in diesem Augenblick zu einem Halt in mir selbst gelangte - beschloß ich, mein Versöhnungswerk fortzusetzen. Und sogleich fiel mir wie ein Licht, das vom Himmel kommt, auch die Art und Weise ein, in der dies geschehen mußte. Ich sandte an Pizarro und Almagro gleichlautende Handschreiben, in denen ich meine Vorschläge darlegte: Ein Schiff mit einem von beiden Seiten zu akzeptierenden Piloten an Bord sollte abgesandt werden, um die Lage der Mündung jenes Santiagoflusses genau zu bestimmen, nach welcher sich alle weiteren Messungen zu richten hatten; gleichzeitig sollte Hernando Pizarro in Freiheit gesetzt werden und sofort an die Spitze eines Kontingents von Soldaten Pizarros treten, das nach Cuzco zog, um dort die Stellung der Truppen Almagros gegen die Inkaheere zu verstärken. Ich hoffte, daß in dem Augenblick, da die Verteidigung der Stadt gemeinsame Sache aller Spanier sei, sich auch bald eine Verständigung zwischen ihnen anbahnen könne. Indes sollte es anders kommen. Meine Vorschläge wurden von Seiten Almagros brüsk zurückgewiesen als eine Schmach, die er nie und nimmer anzunehmen bereit sei. Er würde sich doch nicht - so soll er gesagt und dabei die Zustimmung selbst des aufbrausenden Orgonez gehabt haben - seine beiden Sicherheiten, Cuzco und Hernando Pizarro, gleichzeitig aus der Hand nehmen lassen für einen durchaus Ungewissen und in seiner Zuverlässigkeit dabei immer noch zweifelhaften Ausgang jener Meßfahrt zum fernen Santiagofluß. Denn was er habe, das habe er. Und seien erst einmal Pizarros Soldaten in Cuzco - noch dazu
unter dem Befehl Hernandos -, so sei es nur eine Frage der Zeit, bis sie ihn und seine Leute aus der Stadt zu verdrängen suchen würden. Von Pizarro kam zunächst bejahende Antwort. Er ließ mir sagen, er sei bereit, sich dem Spruch jenes Piloten zu beugen und danach Cuzco entweder Almagro erneut allein zu überlassen oder es aber - so Gott wolle, daß es seinem Gebiet zugehöre - selbst ganz für sich in Besitz nehmen. Die Freilassung seines Bruders Hernando jedoch müsse er zur Vorbedingung dafür machen, daß jenes Meßschiff von Callao - dem neuangelegten Hafen Limas - überhaupt in See steche. Dies war nun ein Einspruch, den ich nicht akzeptieren konnte, hätte er die Ausführung meiner Entscheidung doch voll und ganz der Gnade Pizarros anheimgegeben. Ich wagte nicht einmal, diese Bedingung an Almagro weiterzuleiten, da ich fürchtete, sie würde in seinem Lager in Chincha und besonders unter den Leuten, die auf Orgonez hörten, solchen Unwillen hervorrufen, daß ein daraus entspringender Aufruhr eventuell Hernando Pizarro den Kopf kosten könne. Also ging ich am Strand bei Mala, die Einsamkeit suchend, die meiner augenblicklichen Rolle so sehr entsprach, erneut mit mir zu Rate und faßte nach einem grüblerischen Tag den Entschluß, angesichts der Ablehnung meines ersten Vorschlages durch beide Parteien einen zweiten Vergleich zu versuchen. In mein Quartier zurückgekehrt, setzte ich in lateinischer Sprache einen Text auf, der die folgenden bindenden Verpflichtungen für beide Seiten enthielt: In der Stunde der Freilassung Hernando Pizarros sticht das Vermessungsschiff unverzüglich in See. Cuzco bleibt so lange in der Hand der
Truppen Almagros, bis in Sevilla, im Obersten Rat für Westindien, aufgrund der Breitenmessung durch jenes Schiff über die Zugehörigkeit dieser Stadt zu der einen oder der anderen Statthalterschaft endgültig entschieden worden ist. Hernando Pizarro gibt seine ritterliche Ehre zum Pfand dafür, binnen sechs Wochen Peru zu verlassen und nach Spanien zurückzukehren. Ich ließ einen Schreiber kommen und hieß ihn vier Kopien des Textes in großen, gut lesbaren Buchstaben fertigen. Diese wurden in Lima, Chincha und hier in Mala öffentlich angeschlagen; mit der vierten Kopie entsandte ich einen Boten nach Cuzco, damit er dort den Inhalt meines Entschlusses gleichfalls bekanntmache. Es war mir bewußt, daß ich durch Anrufung des Obersten Rates für Westindien, einer Kronbehörde, die für ihre pedantisch genaue Arbeitsweise bekannt war, die Sache noch mehr auf die lange Bank schob, als es durch die Entsendung des Meßschiffes ohnehin schon geschah. Aber sollte ich mich denn in einer Angelegenheit aufreiben, von der mir bereits bewußt war, daß sie nicht die meinige war, und die zudem meine schwachen Kräfte um ein vielfaches überstieg? Das einzige, was zu tun ich mich noch bereit fand, war, das Auslaufen jenes Vermessungsschiffes zu überwachen und die Freilassung Hernando Pizarros in die Wege zu leiten. Ich wartete also auf die Antwort der zerstrittenen Parteien und war sehr überrascht, als sie von beiden Seiten positiv ausfiel. Sofort machte ich mich nach Chincha auf zu Almagro, um von ihm Hernandos Freilassung zu erwirken. Der alte Marschall, der mich freundlich und aufgeräumt empfing, ließ es sich nicht nehmen, Hernando selbst die Nachricht
von seiner neu gewonnenen Freiheit zu überbringen. Er begab sich mit mir in das dürftig ausgestattete Arrestlokal, ordnete an, daß Hernando ein Bad gerichtet wurde, und gab dann zu Ehren des Freigelassenen ein Essen. Ich wagte noch immer nicht, an meinen Erfolg zu glauben. Fast tat es mir jetzt leid, daß ich nun, da der Lauf der Dinge eine Wendung zum Guten versprach, den Knoten nicht selbst bis zu Ende lösen würde, sondern ihn gewissermaßen den Federfuchsern des Westindienrates zum Entwirren überließ. Don Diego de Almagro, den ich seit jenem Freudenschmaus in Chincha nicht mehr zu Gesicht bekommen habe und den das Schicksal seine Hochherzigkeit so grausam büßen ließ, sandte Hernando Pizarro in Begleitung seines eigenen Sohnes - der gleich ihm Diego hieß mit mir nach Mala. Als es hieß, es werde in jenem Ort ebenfalls ein Begrüßungsessen für Hernando Pizarro stattfinden, schlug ich es nicht ab, daran teilzunehmen, obwohl als einzige Räumlichkeit dafür eigentlich nur jenes Freudenhaus würde in Frage kommen. Ich wollte vermeiden, den Erfolg meiner Vermittlungsaktion jetzt noch durch eine Brüskierung des Marques in Gefahr zu bringen. Der festliche Abend begann mit einem langen Trinkspruch Pizarros, in dem der Marques seinen Bruder Hernando, der ihm zur Linken saß, herzlich begrüßte und dann - nach rechts blickend, wo an seiner Seite Gonzalo Platz genommen hatte - sagte: "Es ist zum erstenmal, daß wir Brüder zusammensitzen ohne unseren geliebten Juan. Möge sein Tod unvergessen bleiben. Wir wollen das erste Glas dieses Abends auf sein Seelenheil leeren." Tiefe Traurigkeit klang in seiner Stimme. Bald darauf - mit dem zweiten und jedem weiteren
Trinkspruch - wurde die Stimmung jedoch immer ausgelassener. Man ließ sich gegenseitig hochleben und trank toll drauflos. So nahe standen Tod und Lebensfreude immer beieinander in diesem Land. Auch Diego de Almagro, der junge, der mit an der Tafel saß, aber ebenso sein alter Vater, dem alle die zügellose Freude dieses Abends verdankten, wurde mit Artigkeiten bedacht. Selbst ich hatte so manches Glas zu leeren in Erwiderung guter Worte, die an mich gerichtet waren. Erst als die Weiber in den Festsaal gerufen wurden, hielt ich es für schicklich, mich zu entfernen. Manch hübsches indianisches Mädchen war unter den Eintretenden, aber auch Spanierinnen gab es, die selbst in der Heimat für Schönheiten gegolten hätten. Der Lärm, der von der Feier herüber in mein Quartier klang, das Gekreische, das Liedergrölen, bald auch das Klirren von zerspringendem Glas, all das ließ mich nicht ruhen. Ich fragte mich, ob ich diese Versöhnungsszenen nicht alle nur geträumt habe und ob sich vielleicht nicht deshalb meine Seele weigerte einzuschlafen, weil sie ein böses Erwachen befürchtete. So stand ich auf, ließ mir ein Pferd bringen und ritt durch die sternklare Nacht auf die Hauptstadt zu.
Im Hafen Callao fand ich die "Santa Rosa" zu meiner Bestürzung noch fest vertäut liegen. Dieses Schiff war ausgewählt worden, auf der nächsten Reise nach Panama jenen Piloten mitzuführen, der durch Messung der mittäglichen Winkelhöhe der Sonne an der Mündung des Rio de Santiago die geographische Breite dieses plötzlich so wichtig gewordenen Punktes bestimmen sollte. Sie lag vor mir am Bollwerk und hätte doch längst nach
Norden fahren müssen: Hernando Pizarro war frei. Säcke mit Mais, Ballen von Lamawolle und - in großen offenen Körben - jene Batatenknollen, die als "Kartoffeln" auch in der Alten Welt ihren Einzug gehalten haben, wurden an Bord der "Santa Rosa" getragen. Vielleicht stand die Abreise doch kurz bevor, war nur verschoben aus irgendwelchen verständlichen Gründen .
Ich stellte einen der Seeleute, die die Ware stauten, zur Rede, ohne daß ich mich ihm zu erkennen gab. Ja, sagte der Mann, es ginge bald los, nach Panama in der Tat. Aber von einem Piloten, der an Bord gehen solle, wisse er nichts. Der Eigner des Schiffes, so sagte er weiter und zeigte mir aus der Ferne den Mann, sei gewillt, einen Geleitzug noch einzuholen, der gestern früh abgegangen war und auf dessen Schutz gegen Piraten und Wetterunbilden er doch angewiesen sei. Man habe durch einen Scha-
den am Steuerruder der "Santa Rosa" die gemeinsame Ausfahrt versäumt. War der Seemann vielleicht nicht genügend unterrichtet? Oder war all dies ein Mißverständnis? Eine Verkettung unglücklicher Umstände? Wußte Pizarro möglicherweise von der bevorstehenden Ankunft eines anderen Seglers, den als Vermessungsschiff besonders auszurüsten und zu entsenden er nach wie vor bereit war? Die Fragen schienen mich erdrücken zu wollen. Auf jeden Fall mußte ich mir Klarheit verschaffen. Im Gebet vor dem Altar einer kleinen Hafenkapelle, welche die Seeleute vor dem Auslaufen häufig besuchten, bat ich Gott, meinen Herrn, um Hilfe. Groß war die Versuchung, all meine Bemühungen um die Aussöhnung der zerstrittenen Christenkinder als vom leibhaftigen Bösen zum Scheitern gebracht zu betrachten. Aber war das nicht zu bequem? Hatte ich als Träger des Kreuzes nicht noch immer die Pflicht, auch in dieser ausweglos erscheinenden Lage der Stimme des Herrn zu gehorchen? In dem kleinen schummrigen Raum herrschte Stille. Das Kreischen der Seilwinden und die Rufe der Seeleute schienen an den Feldsteinen der rohen Mauern abzugleiten. Tiefer Friede zog in mich ein, und ich war gewillt, den rechten Weg zu Ende zu gehen - so wie der Herr ihn mir wies. Während ich fortfuhr zu beten, knarrte hinter mir die Tür jenes Kirchleins auf. Mit dem Hafenlärm zog in Schwaden feuchtheiße Luft herein, traf meinen Rücken wie die Breitseite einer wohlbestückten Galeone. "Herr, erhöre das Flehen deines Knechtes Francisco", murmelte ich, "und laß ihn die Wahrheit erkennen, denn er ist bereit, dir auf deinen Wegen zu folgen."
Da merkte ich plötzlich, daß jemand schräg hinter mir niedergekniet war und stumm betete; ich vernahm seine tiefen Atemzüge. Als ich aufstand, um die Kapelle zu verlassen, erhob er sich gleichfalls und trat auf mich zu. Ich erkannte sofort jenen Schiffseigner, den mir der Matrose von der "Santa Rosa" vorhin gewiesen hatte. "Bruder", sagte er, "wir verlassen morgen diesen gastlichen Hafen. Niemand weiß, ob wir das Ziel unserer Reise erreichen. Bist du bereit, mir die Beichte abzunehmen und meine Sünden zu vergeben?" Ich bekreuzigte ihn mit altvertrauter Sicherheit. Gleichzeitig aber merkte ich, wie die Dinge, die uns umgaben, um mich zu tanzen begannen: das einfache Kruzifix über dem Steinaltar, die wenigen Heiligenbilder zwischen den Fenstern, der Taufstein. Ich griff mit der Rechten nach dem in die Mauer eingelassenen Weihwasserbecken und hielt mich daran fest - für die Länge eines Atemzuges nur. Dann war ich wieder Herr meiner übermüdeten Sinne und sagte: "Bist du bereit, offen und ehrlichen Herzens all die Sünden zu bekennen, die du auf dich geladen hast?" Er nickte, kniete nieder und sagte: "Ich habe die Sünde der Lüge begangen, weil ich Geld dafür erhielt. Ich habe ." "Halt!" unterbrach ich ihn. "Du mußt mir alles bekennen, mein Sohn. Wer hat dir Geld gegeben, damit du wen belügst? Wenn du Gottes Vergebung erhoffst, mußt du dein Herz bis auf den Grund ausschütten." Er sah mich an. Ohne die Augen niederzuschlagen, sagte er ohne Arg, denn er kannte mich nicht: "Für einen Beutel mit hundert Peso di oro habe ich einem mir unbekannten Mann geschworen, trotz des auslaufenden Geleitzuges mein Schiff im Hafen zu halten, um im Laufe der Nacht
einen Passagier zu übernehmen. Der Mannschaft aber und dem Großkapitän des Geleitzuges sollte ich sagen, ein Schaden am Steuerruder hielte mich fest." Jetzt ließ ich nicht locker: "Wer war dieser Mann?" Er zuckte die Schultern, aber ich fragte sofort: "Wer, meinst du, hat den Unbekannten geschickt? Und - was für einen Passagier solltest du übernehmen?" Da sah er sich um, so, als wolle er sich vergewissern, daß niemand außer uns beiden in der Kapelle war, und stieß zwischen fast unbeweglichen Lippen hervor: "Er sagte, er käme aus dem Palast des Statthalters, und es sei sehr wichtig. Von dem Passagier aber weiß ich nichts Näheres." "Hast du den Mann nur dieses eine Mal gesehen?" "Nein", sagte er. "In der vergangenen Nacht kam er abermals aufs Schiff. Er ließ sich von der Wache zu mir führen, gab mir erneut einen Beutel Geld und erteilte mir den Befehl, sofort die restliche Ware zu übernehmen und nach Panama auszulaufen. Der angekündigte Fahrgast führe nicht mit." So also war das. - Während ich mit Pizarro, seinen beiden Brüdern und dem jungen Almagro gezecht hatte und viele laute Trinksprüche ausgebracht worden waren auf Mannesfreundschaft und Ritterehre, war bereits jener Unbekannte zum Hafen hin unterwegs, um dem Kapitän des als Vermessungsschiff ins Auge gefaßten Seglers neue Order zu geben: Schnell sollte er den Hafen verlassen, ohne jenen Piloten an Bord, ja ohne überhaupt den Santiagofluß anzusteuern - schnell, schnell, denn es durfte kein Schiff dasein, das in Richtung Panama fuhr . Hernando war frei, was scherte Pizarro da noch die an die Freilassung des Bruders geknüpfte Vereinbarung?
Wie Schuppen fiel es mir von den Augen, mechanisch hörte ich den anderen Teil der Beichte jenes Mannes, erteilte die Absolution und entließ ihn. Wenige Atemzüge lang nur stand ich allein in dem Raum. Mich begann zu frösteln. Ich trat hinaus in den Hafenlärm. Wohin sollte ich? Die Missionsniederlassung im Gebirge, an der ich so sehr gehangen hatte, gab es nicht mehr. So blieb mir eigentlich nur, nach Mala zu reiten, um dem Marques all meinen Haß und meine Verachtung ins Gesicht zu schreien. Und dann? Auch wenn er mich nicht sofort zerdrückte wie eine Laus, die ihm lästig zu werden begann, würde ich doch nichts erreichen bei ihm. Der Weg zu seiner Seele schien mir verbaut. Auf ihm lagen die Berge von Gold, welche er dem ermordeten Inka Atahualpa abgeknöpft hatte gegen das Versprechen, ihn dafür freizulassen. Da lag es vor mir, das gelbe Metall, Schüsseln und Sonnenbilder, der Thron Atahualpas, ein goldener Kopf, von einer Schlange umwunden . Tränen der Sonne - so hatten die Indios einst das Gold genannt, als sie es aus den Flüssen wuschen und aus den Bergwerken der Kordillere förderten. Ich sah den endlosen Heerwurm der um des Goldes willen getöteten Indios mit ihren klaffenden Wunden, enthauptet, schreiend am Pfahl des Scheiterhaufens und unter der Folter. Da schreckte ich auf. Wie hatte ich nur im Stehen eindämmern können . Ich setzte mich auf die Stufen vor einem Haus, den Kopf in beide Hände vergraben. War ich nicht in dieses Land gekommen, um mit dem Kreuz und dem Glauben an den Erlöser den Indios ein neues Leben zu bringen? Wie hatte ich glauben können, in den Ungeheuern, als die ich in jenem Augenblick all meine Lands-
leute sah, Verbündete in ebendiesem Kampf vor mir zu haben! Auch Almagro, den ich während der beiden Begegnungen dieser Tage schätzengelernt hatte, war schuldig am Tod zahlloser indianischer Männer. Als Träger auf seinen Raubzügen hatte er sie verbraucht, auch er ein Sklave des Dranges nach dem verfluchten Gold, den doch keine noch so große Menge davon zu stillen vermochte. Frauen, Kinder, sogar wehrlose Alte hatten in den brennenden Häusern an seinem Wege den Tod gefunden oder waren verhungert, weil seine Soldaten das letzte Maiskorn für sich requiriert hatten. Mich schwindelte. Ich hatte allen Halt verloren durch die Offenbarungen, die mir diese eine Stunde gebracht hatte. Warum - so schrie es in mir - hast du, o Herr, mein Gott, mich ins Nichts gestoßen, anstatt mir den Weg der Wahrheit zu zeigen? Aber ich hörte kein Echo und keine Antwort auf meine Frage. Denn - war es nicht vermessen, mit Gott zu hadern, ihm gar vorwurfsvoll entgegenzutreten? Es dauerte Stunden, bis ich damals aus jener Verwirrung erwachte. Da der Herr mir keinen Weg wies, mußte ich mir selbst eine neue Bestimmung suchen. Ein Versuch, mit Pizarro abzurechnen, blieb im Vorsatz stecken. Ich ritt noch in der Nacht die alte Inkastraße auf Mala zu, am Meer entlang, aber als ich einen laut schwadronierenden, von Fackelträgern umschwärmten Reiterhaufen mir entgegenkommen sah, wich ich in das dichte Gebüsch am Wegrand aus. Ich konnte nur hoffen, daß mein Pferd nicht wiehern und mich so verraten würde. Ich tätschelte ihm sanft den Hals und ließ die ganze Sippschaft an mir vorbeidefilieren: den Marques mit seinen neu und prunkvoll eingekleideten Brüdern, die Stan-
darten- und Fackelträger, Stallknechte und Leibköche. Selbst eine Gauklertruppe und einige der Damen jenes Hauses zogen mit. Laut unterhielten sich die Herren über den glücklichen Ausgang ihres Bubenstücks. Nicht genug ausschütten konnten sie sich bei der Erinnerung daran, wie sie "den Alten" - damit war Almagro gemeint - und seinen Bastard an der Nase herumgeführt hätten. Erst als sie um eine Klippe gebogen waren, klang ihr übermütiges Lachen leiser zu mir herauf und erstarb schließlich ganz. In der Erinnerung, heute, da ich diese Zeilen schreibe, hat dieser Zug an Gespenstigkeit noch zugenommen. Keiner von denen, die da in der lauen Sommernacht im Schein ihrer Fackeln an mir vorbeizogen, lebt heute noch - abgesehen vielleicht von ein paar Gauklern und Huren. Gold und Silber haben ihnen allen den Tod gebracht. Keinem von ihnen, haben die Reichtümer, die sie den Indios abjagten und um die sie sich untereinander bis aufs Blut stritten, Glück gebracht . Bald nach seiner Befreiung aus Almagros Gewahrsam trat Hernando Pizarro an der Spitze einer Reiterstreitmacht den Marsch auf Cuzco an, besiegte Almagro und ließ ihn im Gefängnis mit der Garotte erwürgen. Aber der Tod des Marschalls blieb nicht ungesühnt. Sein Sohn, der junge Don Diego, durchbohrte Francisco Pizarro in seinem Haus in Lima mit dem Degen die Kehle. Auch das liegt schon wieder sieben Jahre zurück. Hernando hat damals, nach der Vernichtung Almagros, Peru tatsächlich verlassen und sich nach Spanien begeben. Dort wurde er auf Befehl des Königs verhaftet - wie es hieß, wegen des an dem alten Marschall begangenen Unrechts, vor allem wohl aber, weil er eigenmächtig und
nicht im Namen der Krone gehandelt hatte. Der Besiegte besiegt und der Sieger verloren . Vergleicht man rückblickend jene Wirren mit dem Wüten der Konquistadoren unter den Indios, so muten sie einen an wie Raufereien zwischen ein paar hitzigen Hidalgos. Doch den Indios haben in dieser Zeit nicht nur die spanischen Schwerter und Arkebusen, nicht nur die aus der Alten Welt eingeschleppten Krankheiten unbeschreibliche Verluste zugefügt, sondern auch die neu erschlossenen Silberminen von Potosi - in dem Teil Perus gelegen, den einst Almagro als sein Neu-Toledo beanspruchte wurden seither zum Grab für Hunderttausende indianischer Bergleute.
Nachdem ich ein paar Tage in jener menschenleeren Gegend zwischen Mala und Lima herumgeirrt war, kehrte ich noch einmal in die Hauptstadt zurück. Dies aber nur, um mit mir selbst ins reine zu kommen; den Glauben daran, jemals wieder unter meinen Landsleuten leben zu können, hatte ich bereits verloren. Ich betete in der Kathedrale. Ich bat Gott um die Kraft, all das vergessen zu können, was ich hatte sehen und hören müssen in diesen letzten Tagen. Eine größere menschliche Niedertracht, als es jener Wortbruch der Pizarros war, hatte ich mein Lebtag nicht erlebt. Ich blieb bis zur Abendmesse. Als die Dunkelheit durch die großen Fenster in das Gotteshaus drang, hatte ich noch immer keinen Entschluß gefaßt. Was sollte ich tun? Wem mein Wissen entdecken um die Niederträchtigkeit der Herrschenden? Damals ahnte ich nicht, daß die nächste Stunde noch eine Probe dieser Art für mich bereithielt. Im Gegenteil:
Ich fühlte, wie der Fortgang der heiligen Handlung vor dem Altar, im verwaschenen Licht der Kerzen, meine trüben Gedanken zu lösen begann: Ich spürte mein Gewissen mehr und mehr entlastet, da es doch Gott gab, unseren Herrn, vor dem wir alle gleich sind. Wer heute noch zu den Mächtigen dieser Erde gehört, kann morgen schon von Gott erniedrigt und fallengelassen werden. Hatte das Beispiel Don Diego de Almagros dies nicht bewiesen? Andere starben im blühendsten Lebensalter. Rief nicht der Priester dort vom gerade die Namen unlängst verstorbener Männer auf, für die zu beten er die Gläubigen aufforderte? Und plötzlich hörte ich auch meinen Namen rufen. Jawohl, ein Zweifel war ausgeschlossen, es war die Rede von mir, dem Johanniter Francisco de Bovadilla, der in Erfüllung eines gottgefälligen Auftrages vor wenigen Tagen den Tod gefunden habe. "Friede sei mit ihm und Stärke, wenn er vor Gott den Herrn tritt, unser aller Richter ." Ich senkte den Kopf. Dies war meine eigene Totenmesse. Sie wollten mich auslöschen - nun, da sie mich nicht mehr brauchten. Für Pizarro und seinesgleichen war ich tot. Was ich von nun an tun würde, tat ich gewissermaßen in einem anderen Leben. In einem Leben, das nur mir gehörte. Vor der Kirche atmete ich die frische Seeluft. Ritt dann vor die Stadt hinaus, ritt immer weiter und weiter. Als der Morgen von den Bergen herabfiel, traf ich auf einen Zug Indios; Männer, Weiber und Kinder, schwer mit Hausrat bepackt, zogen einer neuen Heimat in den Bergen entgegen. Ihnen schloß ich mich an. Nach mehreren Marschtagen
gelangten wir in jene Region der Hochlandweiden, die selten von spanischen Reiterhaufen durchstreift und ausgeplündert wurde. In einem abgelegenen Tal bauten wir uns aus Steinbrocken primitive Hütten, versehen nur mit leichten Strohdächern wegen der häufigen Erdbeben in jener Gegend. Gleichzeitig begannen wir, den kargen Boden mit Grabstöcken aufzureißen und Mais zu säen eine schwere Arbeit, an der teilzunehmen ich meinen Platz zugewiesen bekam.
Um die Anbaufläche zu vergrößern und das wenige Wasser der nahen Quellen wirksamer nutzen zu können, legten wir an den Talhängen Steinterrassen an und füllten sie mit Erde. Diese wurde von den geduldigen Lamas heraufgeschafft und für die letzten ungemein steilen zwei-, dreihundert Paso [l Paso = 1,35 m] auf unsere Rücken umgeladen.
In der Einfachheit des Lebens, das ich nunmehr zu führen begann und das ich ertrug, als sei es ein zweites, mir von Gott zusätzlich geschenktes Leben, habe ich meinen Frieden gefunden - obwohl mir damals noch eine große Prüfung bevorstand und obwohl ich nicht weiß, welche Schläge und Versuchungen das Schicksal mir noch für die Zeit bis zu meinem wirklichen Tode bereithält. Ich habe eine Familie gegründet und möchte, bevor ich sterbe, meine Kinder die spanische Sprache lehren, damit sie eines Tages diese Zeilen lesen und das Leben, das ich früher geführt habe, besser beurteilen können. Als die erste Ernte in unserer neuen Heimat herangereift und eingebracht war, wurde ich zusammen mit einer Handvoll Indios und einer kleinen Lamakarawane das Tal hinab in die Küstenebene auf den Weg gebracht, um auf einem der Märkte dort unseren Mais zu verkaufen und für den Erlös Seile, eiserne Äxte und vor allem Hacken zu erstehen, denn die Arbeit mit dem indianischen Grabstock ist schwer und unergiebig. Mit meiner Entsendung - so hoffte die Dorfgemeinschaft - würde jene Lastkarawane einen für die Spanier unverfänglichen Anstrich erhalten; denn noch lebten wir unbehelligt, da unentdeckt, in unserer Bergabgeschiedenheit und wollten diesen Zustand auch für die Zukunft bewahren. So legte ich mein geistliches Kleid wieder an, das ich seit dem Tag des Seßhaftwerdens hier inmitten der Berge nicht mehr getragen hatte, befahl Gott meine Seele und brach mit meinen indianischen Weggefährten auf an die Küste. Ich betete damals nur noch selten und nur für mich. Die Absicht, meine indianischen Brüder zum christlichen Glauben bekehren zu wollen, hatte ich jedoch aufgegeben nach all dem, was ich in der Neuen Welt erlebt und an
Leid gesehen hatte, Als viel wichtiger sah ich es an, den Indios durch Unterweisung im Bau hölzerner Speichenräder die Benutzung einfacher Karren und Schubwagen zu ermöglichen, die unsere tägliche Arbeit erleichtern halfen. Sogar die Frau, mit der ich die Hütte teile und die mir zwei gesunde Söhne geschenkt hat, ist nicht getauft, und unserer Verbindung fehlt also das Sakrament der Ehe. Trotzdem sind wir einander in einer Art gewogen, wie sie wohl im einfachen Volke auch in Spanien vorkommt: voll gegenseitigen Verständnisses, das nicht viel Worte macht um Alltäglichkeiten. Beim Aufbruch zu jenem Marsch winkte mir meine Frau an einer Wegbiegung nach, indem sie kurz den Arm hob, sich dann umdrehte und in unser Dorf zurückging. Auf dem Rücken trug sie, in eine blaue Stoffbahn gewickelt, unser Neugeborenes. Der Markt in A. - einer jener Märkte, wie sie einzig Peru hervorzubringen vermag in der eigenartigen Mischung aus kastilianischer Strenge und grellster indianischer Buntheit der Kleidung - dieser Markt unterschied sich in nichts von anderen Märkten, die ich vorher in diesem Land kennengelernt hatte. Und doch war es für mich ein Wiedersehen, das mich eigenartig berührte, obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, über das zur Erledigung meiner Aufträge hinaus notwendige Maß keinen Anteil an jenem mir früher so sehr vertrauten Treiben nehmen zu wollen. Aber es sollte doch völlig anders kommen. Denn wir waren kaum angelangt, als unverhofft ein bärtiger junger Hidalgo neben mir stand, einer jener unverfrorenen Glücksritter und Desperados, die der Konquista stets das Gepräge gegeben haben. Daß er den linken Ärmel seiner Wamsbluse leer trug, mochte von früheren
gewaltsamen Händeln herrühren. "So kommt ihr von weit?" Mit dieser harmlos klingenden Frage begann er mich auszuhorchen, und obwohl ich erst gar nicht und dann nur ausweichend antwortete, ließ er nicht locker: "Haben die Johanniterritter sich doch nach Süden abgesetzt, in das Land Chile ." Da wußte ich, wie unglücklich die Wahl meiner Verkleidung gewesen war. Und zum erstenmal, seit ich das lange weiße Gewand mit dem roten Malteserkreuz auf der Brust trug, empfand ich es als eine drückende Bürde. Ich trat zur Seite, tat so, als hätte ich die Verschnürung der Maissäcke auf dem Rücken eines der Lamas zu prüfen, aber der Quengler blieb mir zur Seite und ließ nicht ab mit seinen Fragen: "Wohl ein bißchen auf eigene Rechnung geschnorrt? Ihr Kittelbrüder seid frecher als mancher Strauchdieb ." Dabei griff er derb nach dem Ärmel meiner Kutte und sah mir ins Gesicht. Nur keinen Streit und kein Aufsehen, sagte ich mir und schwieg, doch schon waren die mich begleitenden Indios auf meinen Disput mit jenem Hidalgo aufmerksam geworden. Und da sie wohl meinten, er bedrohe mich ernsthaft, umringten sie uns voller Entschlossenheit, mich zu schützen. "Nun", ließ jener nicht locker zu sticheln, "hast ja deine Schützlinge ganz schön an der Kandare. Aber es wird dir nichts nützen, Mönchlein. Auch ich habe schließlich Freunde." Und auf zwei Fingern seiner Hand pfiff er ein langgezogenes, schrilles Signal. Der Pfiff hatte eine Meute gewalttätig anzusehender Spanier herbeigerufen. Laut schreiend umringten uns diese Männer. Nur mühsam vermochten sie ihre vom Lärm aufgesta-
chelten Bluthunde zu zügeln. Geifer troff den Tieren vom Maul. Ihr Gekläffe verängstigte meine indianischen Brüder und ließ auch mich nicht kalt. Mehr noch als ihr Bellen erschreckte mich aber das Klirren der eisernen Ketten, an denen die Tiere voll Ungeduld zerrten. "Da staunst du wohl!" Der Hidalgo sah mich mit einem überlegenen Grinsen an und fuhr, als ich schwieg, fort: "Und nun heraus mit der Sprache. Wo hast du denn diesen Maistransport aufgegabelt?" Er schnalzte mit der Zunge und sagte dann noch: "Oder betreibst du gar irgendwo eine Missionsstation, so ganz auf eigene Rechnung?" Schallendes Lachen seiner Kumpane antwortete ihm. Da ich mich in die Enge gedrängt sah, verlangte ich von einem geistlichen Würdenträger gehört zu werden. Aber der Lump ließ sich nicht darauf ein: "Ich sagte dir doch, daß deine Gnadenbrüder sich abgesetzt haben, nach Süden. Gerade darum bist du mir ja aufgefallen . Und was die anderen Pfaffen betrifft - die lassen wir aus dem Spiel, wir müßten ja sonst die Beute noch teilen mit ihnen!" Wieder flog jenes gräßlich helle Gelächter auf wie ein Schwärm keifender Dohlen vom Kirchturm beim ersten Glockenschlag. "Wir wollen aber alles für uns", fuhr er fort, als das Keifen verflogen war und er sah, daß ich weiter schwieg. "Oder - wir teilen mit dir, wenn du hübsch brav bist und uns erzählst, wo wir noch mehr Mais finden. Und wer weiß - vielleicht Gold!" Mit seinem Messer schlitzte er einen der Säcke auf und ließ die goldenen Körner genießerisch in die aufgehaltene Hand fließen. Mir kam jener Vers aus dem Buch des Propheten Jeremia in den Sinn, der da lautet: "Das wird deine Ernte und dein Brot wegfressen. Deine Söhne und Töchter wird es fres-
sen, aufzehren wird es deine Schafe und Rinder, deine Weinstöcke und deine Feigenbäume. Das wird deine festen Städte zerschlagen, auf die du dein Vertrauen setzest." In diesem Augenblick spürte ich, wieviel mich von den Spaniern trennte und wieviel mich verband mit den stummen, geduldig auf mich schauenden Indios. "Was auch immer hier noch geschieht", sagte ich ihnen in ihrer Sprache Ketschua, "einer von euch muß ins Dorf zurückkehren und die anderen warnen. Aber er muß ein Pferd nehmen, damit diese Räuber ihm nicht zuvorkommen, und er muß auf der Hut sein, daß sie ihm nicht folgen." "Was beredest du mit ihnen?" fragte der Einarmige in scharfem Ton. Dazu fuchtelte er mit seinem leeren Ärmel vor meinem Gesicht herum, als wollte er mich mit einem Beweis seiner Rauhbeinigkeit beeindrucken. Ich versuchte ihn zu beruhigen, indem ich sagte, es sei nichts von Bedeutung, ich hätte sie nur vor Unbedachtheiten zu warnen gesucht. Aber einer seiner Spießgesellen, der meine Rede verstanden hatte, fiel mir ins Wort: "Einer von ihnen soll ein Pferd klauen, hat er gesagt ." Und da er auch die Absicht berichtete, das Dorf zu warnen, war es heraus, was wir am meisten zu verbergen getrachtet hatten. Sie drohten, uns alle als Sklaven gleich hier auf dem Markt zu verkaufen - "Auch dich, Mönchlein, auch dich!" riefen sie immer wieder -, führten uns dann aber unter dem Gebell der Bluthunde in ein steinernes Haus, wo ich von den Indios getrennt wurde. Man sperrte mich in ein dumpf riechendes Kellergewölbe. Als die Nacht hereinbrach, blieb ich in der Dunkelheit allein mit meinen Gewissensqualen. Denn alle Versuche, zu den Indios mit Klopfzeichen und leisen Rufen Kontakt
herzustellen, blieben erfolglos. Es war noch dunkel, als plötzlich Fackelschein durch die Ritzen der Tür drang und ein Hidalgo, den ich bislang noch nicht gesehen hatte, zu mir trat. "Ich bin", sagte er, "in einer argen Bedrängnis, denn ich habe Gold aus dem Kirchenschatz dieses Ortes gestohlen." Er verlangte von mir - was ich auch tat - die Lossprechung von dieser Sünde im Namen der Heiligen Dreifaltigkeit. "Vergelt es dir Gott, Bruder!" sagte er. Und als er mich fragte, wie er mir danken könne, entgegnete ich, daß er sehr wohl in der Lage sei, mir meinen Dienst zu vergelten, indem er mich laufen ließ. "Und ich?" Er hatte Angst, von seinen Kumpanen als dieser Tat schuldig erkannt und dafür bestraft zu werden. Aber ich hatte so viel Heuchelei bei den Großen dieses Landes erlebt, daß ich mir sagte: Wer verbietet, daß man zur Lüge greift, um einem guten Zweck zu dienen? So löste ich einen Strick, mit dem er gegürtet war, und sagte, daß ich ihn binden und auch zum Schein knebeln würde. Er willigte ein. Ich versengte ihm - um einen Kampf zwischen uns vorzutäuschen - auch noch gehörig seine Kleidung, löschte die Fackel und lief und lief . Wann ich in unser Dorf gelangte, weiß ich heute nicht mehr. Es war jedoch gerade noch rechtzeitig, um die von der Feldarbeit heimkehrenden Indios zu warnen. Wie schnell konnte einer von denen, die sich in der Gewalt jener Räuber befanden, unter der Folter weich werden und seine Peiniger hierher führen . Wir brachten unsere Frauen, Kinder und Alten in ein Höhlenversteck, das seit langem für einen solchen Zweck vorbereitet war, von dem aber nur wenige wußten. Dann kehrten wir Männer zurück und legten uns hoch über den
Hütten in einen Hinterhalt. Die Mondhelle wich dem ersten Tagesgrauen, ohne daß Tau fiel an jenem Morgen. Schweigend lag das Tal unter uns. Strohdächer, Gärten, der Bach. Für mich war dieser Fleck zu einer wirklichen Heimat geworden. Waren es die vergangenen furchtbaren Erlebnisse mit den Mächtigen, die mich so sehr an dieses unschuldige Stück Erde ketteten? Ich war damals zu sehr von einer jede Faser ergreifenden Nervenanspannung erfaßt, um mir diese Frage zu stellen. Heute scheint es mir so. Die Ruhe des Morgens wurde jäh von einzelnen Rufen und Hundegebell zerschnitten. Ein Lama stürzte, als sei es vom Bösen gehetzt, den schmalen Pfad neben dem Bach herauf. Ihm auf den Fersen folgten Spanier, ein Dutzend nur, aber mit Hunden und Hakenbüchsen. Es waren die Spanier aus A., ich erkannte den Einarmigen. Sie hatten dieser Gedanke durchfuhr mich sofort - keinen der Indios zum Verrat bringen können. Also war ihnen nur das unschuldige Lama geblieben, eines unserer Lasttiere, um sie hierher zu führen. Die Wut der Spanier über das leer vorgefundene Dorf, die aufstachelnden Rufe, mit denen sie die Bluthunde von der Leine ließen, die sinnlosen Fußtritte gegen unsere Gerätschaften, mit denen sie wohl ihre eigene Wut treffen wollten - all das sehe ich heute noch ebenso vor mir wie an jenem Morgen. Und auch die angespannt schauenden Gesichter der Indios neben mir. Die Spannung entlud sich schließlich, als die Angreifer in unsere Hütten drangen. Felsbrocken und Pfeile schleuderten wir herab mit einer Verbissenheit, zu der nur tiefer Haß einen Menschen befähigt. Wir zerstörten die Häuser, die wir selbst gebaut hatten, um darin die Verderber zu
treffen. Als alles vorbei und die am Leben gebliebenen Bluthunde abgezogen waren, erkannten wir unser Dorf nicht wieder. Wir nahmen, was wir am Abend zuvor in der Hast des Aufbruchs hatten zurücklassen müssen und was unversehrt geblieben war, aber auch die Armbrüste und Arkebusen der Getöteten. Schwer wog all das auf unseren Rücken, als wir den Frauen nachzogen - noch höher hinauf in die Berge. Hier, wo wir unsere neue Siedlung aufgebaut haben, sind wir bis jetzt in Ruhe gelassen worden von marodierenden Haufen. Aber ist es nicht eine teuer erkaufte Ruhe? Von den indianischen Brüdern, die bei unserem Besuch in A. mit mir zusammen dem Einarmigen über den Weg liefen, haben wir seither nichts mehr gehört. Ihnen hat wohl nie jemand eine Seelenmesse gelesen . Auch ich habe mir das Beten abgewöhnt. Heute, da ich die letzte Seite dieses Heftes fülle, scheint mir das einfache Leben der Indios das einzig wirklich gottgefällige Leben zu sein; fernab aller Eitelkeit und ohne den dümmlichen Stolz, wie ich ihn häufig bei meinen Landsleuten habe sehen müssen. Daß ich an diesem einfachen Leben teilhaben darf, macht es mir leichter, alles sonst auf der Welt verloren zu haben. Ich lebe hier in den Bergen nach dem Tod jenes Johanniterritters, der meinen Namen trug, ein anderes, besseres Leben. Indem ich damit meinen Bericht abschließe, unterschreibe ich ihn mit meinem Namen: Francisco de Bovadilla.
Heft 383 Herbert Friedrich Der Tod des Geigers
Die Jungen sind froh, wenn sie nach der anstrengenden und eintönigen Ausbildungswoche im Reichsarbeitsdienstlager am Wochenende in die Stadt dürfen, um dort abends im Caff "Tatra" zum Tanz zu spielen. Aber dann verletzt sich der Geiger der Band, so daß er nicht mehr spielen kann. Für ihn soll Bodenberg spielen, aber der kommt mit der Band nicht zurecht, und es gibt Arger mit dem Wirt. Da kümmert sich ihr Ausbilder, Unterfeldmeister Stange, persönlich um Bodenberg und die Band .