Nr. 13 http://www.GroschenStory.de GroschenStory ist ein Gemeinschaftsprojekt von: Böhnhardt Verlag Augsburg MovieCom Köln © 2002 Böhnhardt Verlag Augsburg Coverzeichnung: Daniela Kufner Heftgestaltung: MovieCom, Köln http://www.MovieCom.de Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten. Das Werk wird in elektronischer Form zum freien Download angeboten und darf nur vollständig und ohne jegliche Änderung aus gedruckt, vervielfältigt und verbreitet werden.
Karl-Anton App Der Ewige Im Windtal, zwanzig Tagesreisen nörd lich der Säulen des Himmels und zehn Tagesreisen südlich des großen Was sers, erzählt man den Kindern des Nachts, wenn sie ungestüm herumtollen und nicht schlafen wollen, die Ge schichte vom Ewigen. Ein riesiger Krieger, hünenhaft in sei ner Gestalt und vollkommen in Schwarz gekleidet. Sein Gewand, sein Umhang, ja selbst sein Helm und sein Körper panzer, alles besteht aus derselben dunklen Farbe wie die mondlose Mit ternacht. Man erzählt sich auch, selbst die Seele des Ewigen bestehe aus Fin sternis und Kälte. Diese Gestalt, die des Nachts durch die Länder, Dörfer und Gehöfte schleiche, halte Ausschau nach armen, verlorenen Kindern, die, unvor sichtig in Spiel und Spaß, das schützen de Heim nach der Dämmerung noch nicht aufgesucht hatten oder nicht ge horsam ihren Eltern folgten. „Und bist du nicht artig, so kommt der Ewige, um dich zu holen und in seine Burg am Rande der Zeit zu bringen.“ Auch Lif, einem achtjährigen blonden Bauernburschen, erzählte seine Mutter diese Geschichte am prasselnden Ka
minfeuer. Aber im Gegensatz zu seinen Schwestern und Brüdern, die immer angstvoll an ihre Mutter heranrückten, wenn sie ihr lauschten, war Lif stets fas ziniert gewesen von dieser Gestalt, die, unsterblich, die Menschen heimsuchte. Lif lebte mit seinen Eltern und seinen fünf Geschwistern, zwei Mädchen und mit ihm vier Jungen, auf einem etwas abgelegenen Hof am südlichen Ende von Windtal. Es war ein hartes Leben und schon früh mußten er und seine Ge schwister mithelfen, um der Familie das Überleben zu sichern. Vieh mußte ver sorgt, Felder bestellt und die Ernte ein gebracht werden. Während für seine Brüder schon im mer feststand, ebenfalls Bauern zu wer den und einen eigenen Hof zu bewirtschaften, zeigte Lif schnell Inter esse an Bildung und Kampf. Manch mal, an Feiertagen, ging sein Vater mit ihnen allen in die nahegelegene Sied lung Torkur, wo es einen Markt gab und Gaukler, Künstler und Geschichtener zähler die Leute unterhielten. Völlig fasziniert und wie gebannt lauschte er den Geschichten ferner Orte und Län der, klatschte Beifall bei den Schau kämpfen, wenn die Akteure, schwitzend in der heißen Sonne, die Schwerter und Schilde klingen ließen und Schauspie ler ihre Dramen und Komödien aufführ ten. Immer versuchte er von diesen weitgefahrenen Leuten mehr vom Ewi gen zu erfahren, aber alle sahen immer
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sehr geheimnisvoll auf ihn herab und antworteten, daß es Unglück bringe, darüber zu reden. Sein Vater und seine Geschwister be lächelten ihn deswegen immer etwas. Nach diesen Ausflügen wieder da heim, spielte er immer, wenn es ihm seine spärliche Freizeit erlaubte, mit einem selbstgeschnitzten Holzschwert, seinem langen Hirtenstab und einem alten Mantel die Kämpfe und Geschich ten nach. Überzeugt, dies alles würde sich mit der Zeit legen und ihr Sohn werde eines Tages in ihre Fußstapfen treten, wie die anderen Kinder auch, lie ßen die Eltern ihn gewähren und dach ten sich nicht viel dabei. Als er aber mit vierzehn, kurz nach sei ner Erwachsenenweihe, mehr denn je die Richtung der Bildung und Kultur anstrebte, machten sie sich doch Sor gen und nahmen ihn beiseite. Sie pran gerten seine Interessen als brotlose Kunst und unnütz an. Sie versuchten alles, ihm seine Träumereien auszure den und ihn zu überzeugen, sich end lich dem wahren Leben zu stellen. Doch alle Bemühungen fruchteten nicht. An einem Herbsttag, die Blätter began nen gerade, sich zu verfärben, kam ein Mann in einem langen braunen Mantel den Weg von der Siedlung herauf. Er hielt einen langen, fast weißen Stab in der rechten Hand, der ihn beim Gehen
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unterstützte. Auf seinem Rücken er kannte Lif, der gerade das Melkgeschirr im nahen Fluß auswusch, einen Ran zen mit derselben Farbe wie der Man tel. Das Gesicht unter einer Kapuze verborgen, trat er an die Stalltür heran, neben welcher sein Vater lehnte und Lederstreifen reinigte. Sie wechselten ein paar Worte mitein ander, die Lif nicht verstehen konnte. Beide nickten mehrmals verhalten, dann geleitete sein Vater den Besucher in das Wohnhaus. Als Lif zum Abendmahl das Haus be trat, saß der fremde Mann am Tisch. Sein Alter konnte schwer geschätzt werden, vielleicht 40 Jahre, vermutete Lif. Alle sahen den Mann mit großen Augen an und sein Vater erklärte mit weitausholenden Gesten: „Dies ist Oglur, ein Wanderer aus der fernen Stadt Seehal.“ Lif hatte davon noch nie gehört. „Er ist ein Gelehrter auf der Durch reise und bat mich, ihm bis morgen Ob dach zu gewähren. Er schläft heute nacht in Lifs Kammer.“ Mehr hatte sein Vater nicht zu sagen und so begannen sie zu essen. Von dem Gedanken begeistert, einen Gelehrten vor sich zu haben, der lesen und schreiben konnte, löcherte Lif ihn mit einem wahren Schauerregen von Fragen. Oglur gab ihm amüsiert auf alle seine Fragen Antwort, wobei dies sei-
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nem Vater immer weniger gefiel, so daß er Lif schließlich befahl, ruhig zu sein. Lif schwieg, aber auf seiner Zunge brannten tausend Fragen. In der Nacht, Lif war schon länger zu Bett gegangen, betrat schließlich auch Oglur seine Kammer, nachdem er mit seinen Eltern noch lange am Kaminfeu er geredet hatte. Lif setzte sich auf und der Besucher lächelte. „Ich dachte mir schon, daß du mehr erfahren möchtest.“ Er setzte sich auf sein Lager. „Also, frag.“ Fast die ganze Nacht saßen sie da und Lif lauschte angestrengt den Worten Oglurs. Hörte Geschichten und Erzäh lungen, Sagen und Legenden. Gegen Morgen sank Oglur erschöpft auf sein Lager und schlief ein. Aber Lif lag bis zum Weckruf wach und träumte vor sich hin. Vom Ewigen konnte Oglur zwar be richten, aber mehr als Lif wußte er über ihn auch nicht. Nur das mit der Heim suchung der Kinder hielt er wie Lif für Unfug. Nur eine Geschichte, um klei ne Kinder zu erschrecken. Aber wie ihn jeder Sage, steckte auch in der Ge schichte des Ewigen bestimmt ein Fünkchen Wahrheit. Lifs Wunsch, ein Krieger zu werden und diesen Ewigen zu sehen, quittierte der Mann mit einem Nicken. „In der Stadt Perm, vierzig Tagesreisen von
hier, gibt es eine berühmte und bekannte Waffenschule. In ihr werden die Kunst des Kampfes, der Angriff, die Verteidi gung und die List gelehrt. Außerdem die Kunst des Lesens, Schreibens und Rechnens. Die Schule verfügt über die größte Bibliothek im Umkreis von hun dert Tagesreisen. Aus ihr sind so be rühmte Krieger wie Wulfgar, Falkenmond oder Ollokh hervorgegan gen. Dort wäre dein Ziel, Lif, wenn du ein Fürst oder Adliger währest, aber du bist nur ein Bauernbursche. Dir wird kein anderes Los beschieden sein, als Kühe zu hüten und das Feld zu bestellen. Aber gräme dich nicht, es gibt viele, die är mer als du ihr Leben fristen müssen. Vergiß deine Träume.“ Am nächsten Tag verabschiedete sich Oglur von ihnen und zog weiter Rich tung Norden. Der Alltag kehrte wieder ein. Aber Lif gingen die Worte des Wei sen nicht aus dem Kopf. Sollte er sich damit abfinden müssen, sein Lebtag ein Bauer zu sein, dazu verdammt, an ei nen Hof angekettet zu sein? In ihm reifte ein Entschluß. Seine El tern zu bitten, daß er diese Schule in der fernen Stadt Perm besuchen durfte, kam nicht in Frage. Sie würden es ihm nie erlauben. Einen Dummkopf und Träumer würden sie ihn schelten. Also lag ihm nur eine Möglichkeit of fen.
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Zwei Tage schleppte er diesen Gedan ken mit sich herum, bis er ihn in einer kalten, nebligen Nacht in die Tat um setzte. Sich Mantel und seinen mit Pro viant gefüllten Ranzen schnappend, schlich er aus dem Haus. Stumm und mit schwerem Herzen verabschiedete er sich von seinem Heim, seinen Eltern, seinen Geschwistern und dem Hof, auf welchem er sein ganzes bisheriges Le ben verbracht hatte. Als der Morgen graute, schlich er sich in einen Schuppen am Wegesrand und schlief einen unruhigen Schlaf. Er mied die Ansiedlungen und Gehöfte, die er kannte, auf seiner Reise, da sein Geist immer mit der Furcht vor Entdeckung erfüllt war. Nach drei Tagen aber lag die letzte bekannte Siedlung hinter ihm und jetzt getraute er sich auch wieder unter Menschen, wobei ihm sein leerer Proviantranzen diese Entscheidung er leichterte.
Unterwegs traf er manchmal Men schen, deren Wanderung ebenfalls ein Stück der seinen folgte und die daher einen guten Zeitvertreib auf seinen We gen hergaben. Die Reise erforderte Mut und Ausdauer, und mehr als einmal wünschte er sich an den warmen Ka min seines Heimes zurück. Aber eine Umkehr gab es für ihn nicht. Zuviel Strecke lag schon hinter ihm. Zuviel Stolz würde brechen, sollte er die Rück reise antreten. Des Nachts, in seinen Träumen, be gegnete ihm stets der Ewige. Ein We sen, dunkel und mächtig, verfolgte ihn durch eine graue Eiswüste. Und kurz bevor eine häßliche, kalte Wolke ihn zu verschlingen drohte, wachte er schrei end und schweißüberströmt auf. Diese Alpträume quälten ihn, und doch ver stärkten sie seine Sehnsucht nach die ser sagenumwobenen Gestalt nur noch mehr.
Anfangs fürchtete er sich vor dem Ewigen. Trotzdem er keine Angst vor der Geschichte hatte, gestaltete es sich doch ganz anders, sich ihrer im trauten Heim zu erinnern als allein in tiefer Nacht.
Endlich, nach einer strapaziösen und entbehrungsreichen Wanderschaft, er kannte er im frühen Morgenlicht, das sich in den schneebedeckten Gebirgen in der Nähe brach, die Stadt Perm.
Auf seiner Reise nach Perm durch wanderte er viele Städte und Ansied lungen. Sein Essen verdiente er sich als Hilfe für Bauern und Kaufleute. Da er ihnen jung, gesund und kräftig gegen überstand, nahmen sie ihn gerne auf.
Die schiere Größe der Stadt erschlug ihn förmlich. Tausende von Menschen unterschiedlichster Hautfarbe säumten die Straßen. Manche trugen solch bun te Kleidung, daß es Lif in den Augen schmerzte. Häuser flankierten die Stra-
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Es war überwältigend.
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ßen, manche ärmlich, eng und geduckt, andere groß und prächtig. Tempel, Hal len und Plätze lagen in der gesamten Stadt verteilt. Düfte, Geräusche und Farben ließen ihn schwindlig werden. Lif schritt mit großen Augen und of fenem Mund durch Perm, die an Glanz und Reichtum alles übertraf, was der junge Bauernbursche je gesehen hatte. Selbst der Markt der kleinen Siedlung Torkur, den er und seine Geschwister mit ihrem Vater besucht hatten, und der ihn immer so begeistert hatte, kam ihm jetzt wie das altes und trostloses Hinterwäldlerfest vor, das es auch war. Als Lif die ersten Eindrücke bewäl tigt hatte, fragte er nach der Waffen
schule. Die Leute wiesen ihm freund lich den Weg und wenig später stand er davor. Ein riesiges, schneeweißes Ge bäude stand da vor ihm. Seine gewalti gen Mauern machten einen wehrhaften Eindruck. Die Schule war quadratisch angelegt von einem riesigen Park um geben. Später erfuhr Lif, daß das Ge bäude eine Seitenlänge von 700 Schritten maß. Im Park selbst liefen Dutzende von Männern in braunen, schwarzen und blauen Kutten umher. Alle wirkten tief in Gedanken versun ken und abwesend. Am großen Holztor blieb er stehen. Mit wild trommelndem Herzen klopfte er an. Nach einer Weile öffnete sich eine
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kleine Tür, die im Tor eingelassen war, und ein junger Mann in einem grauen Umhang stand vor ihm. Er musterte Lif mit seinem stechenden Blick und rasselte mit seiner Stim me wie Pergament: „Was ist Euer Begehr?“
Worten drückte er Lifs Fuß aus der Tür und schlug sie zu. Tränen schossen ihm in die Augen. Wut und Enttäuschung bemächtigten sich seiner. Alles umsonst.
Als daraufhin der Mann wortlos die Tür vor ihm wieder zuschlagen wollte, faßte sich Lif ein Herz und schob sei nen Fuß zwischen Tür und Rahmen. Eine Schimpftirade ergoß sich über ihn. Aber er blieb hart und schrie:
Eine plötzliche Leere entstand in sei nem Kopf. Er zog seinen Mantel aus und setzte sich etwas von dem Tor ent fernt auf den Rasen. Hier würde er blei ben und in stummem Protest verweilen. Seine ganzen Träume schienen zu plat zen. Dem Ewigen zu begegnen, sein größter Wunsch überhaupt, zerbrach wie eine dünne Eisschicht unter den schweren Hufen von Pferden. Wie soll te es jetzt noch weitergehen? Seine gan zen Hoffnungen lagen an dieser Schule. Die lange und beschwerliche Suche nach dem Ewigen erschien ihm ohne entsprechende Ausbildung von Kampf und Schrift unmöglich. Ein dummer Bauernbursche war in solch einer har ten und wilden Welt verloren.
„Über vierzig Tage habe ich ge braucht, um hierher zu gelangen. Viele Entbehrungen und Gefahren mußte ich ausstehen. All dies nur, um mir meinen Lebenstraum zu erfüllen. Und jetzt soll ich abgewiesen werden? Es soll alles umsonst gewesen sein?“
Die Menschen, die in der Schule aus und ein gingen, es waren Schüler, Mei ster, Händler, Besucher, Krieger und Gelehrte, wunderten sich über den ein samen Jungen, der Tag und Nacht im beginnenden Winter vor der Tür ver harrte.
Der Mann blickte zornig auf den Jun gen herab. „Wir nehmen nicht jeden Bauerntölpel auf. Such dir etwas ande res und verschwinde.“ Und mit diesen
Am zweiten Tage, der Morgennebel hing noch dick und dicht über dem parkähnlichen Gelände, näherte sich ein Schatten über den Weg hinauf der Schu-
Lifs Hals trocknete aus. „Ich möchte an Eurer Schule aufgenommen werden und die Künste lernen, die Ihr hier un terrichtet.“ Der Blick des Mannes wurde noch ste chender. „Habt Ihr ein Empfehlungs schreiben Eures Meisters oder Eures Vormunds? Seid Ihr ein Herr oder Ad liger?“ All das konnte Lif nur verneinen.
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le, vorbei an Lifs Lagerstätte. Auf etwa gleicher Höhe hielt die Gestalt inne und näherte sich ihm. Ein grauer, grober Mantel kleidete die Gestalt, die sich, als sie die tief ins Gesicht fallende Kapuze in den Nacken schob, als ein Mann im mittleren Alter entpuppte. Mit seinem freundlichen Gesicht sah er ihn lange neugierig an. „Was machst du hier, junger Mann? Die Tage und Nächte sind sehr kalt um diese Jahreszeit. Es ist kein guter Ge danke von dir, hier ohne ein schützendes Dach und ein wärmendes Feuer zu lagern.“ Lif sah auf. In seinem Haar und den Augenbrauen glitzerte der Morgentau. „Eine lange und anstrengende Reise habe ich hinter mir, um meinen Wunsch, diese Waffenschule zu besu chen, zu verwirklichen. Jedoch, da ich nicht von hoher Abstammung und auch nicht reich bin, verwehrt man mir den Eintritt.“ Der Mann lächelte noch freundlicher und erwiderte: „Es gibt noch eine Mög lichkeit für dich. Morgen findet ein Wettkampf der Waffenschule statt. In jenem wird der beste und entschlossen ste Kämpfer ermittelt. Jener, den die Gelehrten für besonders geeignet befin den, erhält als Belohnung eine Ausbil dung. Gleichwohl, ob er der Sohn eines Händlers oder ein Schweinehüter ist.“
In Lif flackerte Hoffnung auf. Der Mann, er stellte sich anschließend als Soldon, Archivar des Stadthauses, vor, brachte ihn auf die andere Seite des Ge ländes, wo eine kleine, etwas wind schiefe, aus dicken Bohlen gezimmerte Hütte stand. Hier meldete er sich an. Da er nicht schreiben konnte, erledigte Sol don das für ihn. Die Anmeldung selbst war kostenlos. Der Wettkampf wurde mit vier Waffen ausgetragen. Mit der Axt, dem Schwert, dem Stab und dem Bogen. Jeder der Teilnehmer durfte sich nur eine Waffe aussuchen, mit der er im Wettkampf antreten wollte. Aus dem besten jeder Waffengattung entschieden schließlich die Gelehrten, wer sich als bester Kandidat für ihre Schule eigne te. Lif entschied sich für den Stab, zum einen, weil er mit den anderen Waffen keinerlei Erfahrungen besaß, zum an deren hatte er den Stab zu Hause oft ge gen wilde Tiere auf der Weide und im Spiel mit seinen Brüdern benutzt. Soldon geleitete ihn zu einem Platz, auf welchem mehrere Dutzend Zelte standen, die den Wettkämpfern als Wohnstatt bis nach den Spielen dien ten. Lif suchte sich ein Schlaflager aus. Daraufhin verabschiedete sich sein Be gleiter, nicht ohne ihm viel Glück und der Götter Segen mit auf den Weg zu geben. Den ganzen restlichen Tag verbrachte Lif nun mit Üben. Die Tricks und Knif fe, die er von Kindesbeinen an gelernt
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hatte, flossen in seine Bewegungen ein. Die meisten Wettkämpfer interessierten sich nicht für die anderen, aber gegen Abend gewahrte er zwei Gestalten, die am Rand eines großen, blauen Zeltes standen und ihn beobachteten. Er hielt inne und schaute zu ihnen hinüber. Bei de waren ungefähr in seinem Alter. Der größere, ein hochgewachsener, braun haariger, kräftiger Bursche, sah ihn ver achtend an. Der andere, etwas kleiner und mit widerspenstigen, roten Haaren flüsterte dem ersten leise ins Ohr. Da bei blickte er immer wieder auf Lif. Er trat an sie heran und nickte freund lich. „Ich grüße euch, mein Name ist Lif. Ich komme aus dem Windtal und mache auch bei den Kämpfen mit.“ Der erste Junge baute sich vor ihm auf. „Mein Name ist Baken, der beste Kämpfer im Umgang mit dem Schwert. Du glaubst doch nicht im Ernst, daß du mit diesem Stöckchen auf die Gelehr ten Eindruck machen kannst. Ich sage dir was, geh´ wieder nach Hause und hüte deine Ziegen.“ Er lachte glucksend, und sein Freund fiel darin ein. Mit einem Seufzer holte Lif aus und rammte seine Faust in das Gesicht seines Gegenübers. Dieser fiel wie vom Blitz getroffen zu Boden. Sein Begleiter stieß vor Überraschung einen quickenden Laut aus. „Diesen Ziegen hüter solltest du höflicher behandeln.“ Sprach’s und machte mit seinen Übun gen weiter. Aus den Augenwinkeln er
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kannte er, wie sich beide aufrafften und von dannen zogen. Der große Tag war gekommen. Die Wettkämpfer, alle in erdfarbene Gewän der gehüllt, versammelten sich in einer Arena ähnlichen Sandkreis direkt ne ben der Schule. Überall flatterten Ban ner und Flaggen. Die halbe Bevölkerung Perms schien auf den Bei nen zu sein. Alle kamen sie, um den Be werbern zuzujubeln. Die Nervosität eines jeden hing in der Luft. Es fand immer gleichzeitig je ein Kampf mit den verschiedenen Waffen statt. Die meisten Gelehrten hockten auf einer Art Tribüne, von dem sie den gesamten Platz überblicken konnten. Jeder Wettbewerber mußte fünf Kämpfe bestreiten. Lif kam als erster seiner Gruppe dran. Seinen Gegner, ein schmächtiger Bursche, besiegte er in wenigen Augenblicken. Jede Waffe be saß eine Polsterung, so daß es keine grö ßeren Verletzungen geben konnte. Der zweite und der dritte Gegner waren schwierigere Brocken, die er aber doch ziemlich mühelos bezwang. In den Pau sen blickte Lif immer wieder zu den anderen. Die Schwert- und Axtkämpfer ließen ihre Waffen laut gegeneinander krachen, während die Aufgaben der Bo genschützen darin bestand, immer ent ferntere Ziele zu treffen. Er bemühte sich, Soldon in der Menge zu finden, konnte ihn aber nirgends entdecken.
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Seinen vierten Gegner hinter sich las send, stand er nun dem letzten gegen über. Ein Bulle von einem Kerl, mindestens zehn Jahre älter, hörte auf den Namen Nuide. Der Kampfrichter hob die Hand und gab den Ring frei. Mit einer stürmischen Attacke rannte Lif los und drosch hart auf den Gegner ein. Dieser parierte den Schlag und drehte seinen Stab so, daß Lif seine Waffe fast aus der Hand geprellt wur de. Im letzten Moment verhinderte er das und trat Nuide gegen das rechte Schienbein. Dieser heulte auf und re vanchierte sich mit einem harten Kopf stoß. Weiße Sterne blitzten vor seinen Augen auf und seine Beine drohten ei nen schrecklichen Moment lang einzu knicken. Etwas Warmes, Klebriges lief seine Stirn hinab. Durch ein Kopfschüt teln verschaffte er sich wieder etwas Klarheit im Schädel und stürmte erneut vor. Härter kam diesmal sein Angriff, sein Stab wirbelte durch die Luft und traf nicht nur den Stock seines Gegenübers, sondern auch diesen selbst. Nuide hat te offensichtlich Mühe, gegen Lif an zukommen. Seine Angriffe wurden langsamer und immer berechenbarer. Feiner Staub wölkte um sie herum und zog in feinen Bahnen auch zu den Zu schauern. Lifs Stab fuhr nach unten und mähte Nuides Beine vom Boden weg. Schwer fiel er zu Boden auf den Rük ken. Lif brachte seine Waffe vor das Ge
sicht des Besiegten, eine unmißver ständliche Geste des Sieges. Nuide schlug mit der rechten Handfläche ein mal kräftig auf den Boden, das Zeichen seiner Aufgabe. Jetzt erst vernahm Lif den Jubel der Menge, die ihm Tribut zollten. Nach fünf Siegen hielt er den ersten Platz sei ner Gruppe inne und war Anwärter auf den Schulplatz. Alle vier Sieger sollten nun einzeln vor den Schulmeister tre ten, der die endgültige Entscheidung traf. Von Wachen begleitet, trat er der Eingangshalle entgegen. Dabei ging er an Baken vorbei, der von seinem letz ten Gegner besiegt, noch immer halb besinnungslos auf dem Boden lag. ´Scheinbar bist du doch nicht so un besiegbar, wie du meintest´, dachte Lif. Von zwei Wachen flankiert, betrat der Junge als letzter der Sieger das Arbeits zimmer des Schulmeisters. Dieser saß hinter einem großen, schweren Eichen tisch. Der Raum war großzügig ange legt und mit wertvollen Stoffen und Bildern behängt. Der dicke Teppich schluckte jedes Schrittgeräusch. Hinter dem Schulmeister befand sich ein rie siges Fenster, durch das rotstrahlend die Abendsonne schien. Lif kam vor dem Tisch zum Stehen, und durch einen Wink des alten Schulmeisters verließen die Wachen das Zimmer und schlossen die Tür.
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Lange betrachtete der Schulmeister den Jungen, musterte ihn mit seinen fast schwarzen Augen. Lif fühlte sich bis auf den Grund seiner Seele durchleuchtet. „Du willst also, daß man dich hier auf nimmt“, begann der Alte endlich zu sprechen. Seine tiefe, wohlklingende Stimme erfüllte den Raum. „Was, glaubst du, befähigt dich dazu?“ Der Junge schluckte seinen Kloß im Hals hinunter. „Es war schon immer mein Ziel, sowohl Krieger als auch Ge lehrter zu werden. In meiner Heimat, dem Windtal, gibt es nur Bauern und Handwerker. Eine lange und beschwer liche Reise nahm ich auf mich, als ich von Eurer Schule hörte, um die Kunst des Krieges und der Weisheit zu erler nen.“ „Hast du auch nur eine Ahnung, wie viel Mühsal es dich kosten wird, diese Schule erfolgreich abzuschließen? Wir haben einen hohen Anspruch, was die Auswahl unserer Schüler angeht. Selbst von vier Gewinnern der Spiele wird höchstens ein Schüler aufgenommen, manchmal sogar gar keiner.“ Der Schulmeister blickte Lif direkt in die Augen. „Deshalb frage ich dich nochmals, was befähigt dich dazu, an dieser Schule aufgenommen zu wer den?“ „Mein unerschütterlicher Wille!“ Lif schrie fast. „Mein Verlangen, ein Krie ger und Gelehrter zu werden. Für mich
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gibt es keinen anderen Weg. Was im mer Ihr verlangt: Ich werde die Regeln dieses Hauses und seiner Bewohner achten und ihnen folgen, die Geduld aufbringen, die Jahre des Lernens und der Entbehrungen demütig zu ertragen.“ Der Alte lehnte sich in seinen Stuhl zurück. „Ich muß sagen, was du da draußen auf dem Platz geleistet hast, das gefiel und imponierte mir. Du bist stark und gibst nicht so schnell auf.“ Er erhob sich. „Na gut“, seine Hände vollführten eine gebieterische Bewe gung, „hiermit nehme ich dich in der Königlichen Waffenschule der Stadt Perm auf.“ Damit begann für Lif der harte Unter richt. Ihm wurde die Schrift gelehrt und das Rechnen. Mit der Zeit konnte er die Bi bliothek benutzen. Sie bestand aus ei ner riesigen Halle mit Hunderten, bis an die Decke reichenden Regalen, voll gestopft mit Büchern, Schriftrollen und Folianten. Er lernte Kunst, Geschichte und Geo graphie. Das Notenlesen ebenfalls und das Spielen auf der Oflero, einem Holz instrument mit vierzehn Saiten. Auch lernte er das Kriegshandwerk. In unzähligen Unterrichtsstunden wur de ihm beigebracht, das Schwert, die Axt, die Lanze und den Schild zu be-
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nutzen. Er erlernte Taktieren und Bluf fen. Die Schwäche eines Gegners zu erkennen und diese auszunutzen. Wei ter bildete man ihn in Pfeil und Bogen aus. Freizeit gab es fast keine. Von der er sten Dämmerung bis in die Nacht zeig ten sich die Tage ausgefüllt. Nach dem Abendbrot fielen Lif und seine Mit schüler, bei denen er sich mit den mei sten gut verstand, todmüde im großen Schlafsaal auf ihre Lager. Lif besaß großes Talent und Geschick im Umgang sowohl mit dem Schwert, wie auch mit dem Buch. Bald stellte sich heraus, daß er den anderen in je der Disziplin, in der sie unterrichtet wurden, überlegen war. Der Schulmei ster fand Gefallen daran. Seine Nase hatte ihn bei dem Jungen nicht ge täuscht. Lif stürzte sich mit Feuereifer auf sei ne Aufgaben und führte diese gewissen haft aus. Aber in all der Zeit vergaß er niemals den Grund seines Hierseins. Niemals sprach er darüber mit seinen Mitschülern und Meistern. Sobald er des Schreibens und Lesens mächtig war, durchstreifte er die Bibliothek nach der Sage vom Ewigen. Und tatsächlich fand er in einigen alten, verstaubten Schriftrollen und Bü chern manche Eintragung. Sie erzählten von diesem Mann, der einst ein Herr scher über ein Reich war, in welchem
die Sonne niemals unterging. Mit Na men nannten die Bücher ihn Entilsa. Doch er strebte mehr an, mehr Ruhm und mehr Glanz, die Unsterblichkeit! Entilsa paktierte mit einer alten Hexe, sie sollte ihm helfen. Als dies nicht ge schah, tötete er sie grausam. Im Ster ben liegend, verfluchte die Alte ihn zu unheiligem Leben. Sein Geist und sein Körper wurden dunkel und kalt. Un sterblich jetzt, zieht er seitdem ruhelos umher, bis er auf einen Menschen trifft, der ihn von dem Fluch erlöst. Weiter fand Lif nichts in den Aufzeich nungen, so sehr er auch forschte. Nach fünf langen, harten Jahren, in de nen er zum Mann gereifte, kam der letz te Tag. Die Schüler, jetzt alle Gelehrte und ausgebildete Krieger, standen in ihren langen weißen Gewändern auf dem Rasen vor dem Gebäude und lauschten im warmem Sonnenschein des Frühlings der Abschiedsrede des Schulmeisters. Danach entließ er sie ehrenhaft. Auf dem Weg zum Schlafsaal, wo Lif seine Sachen holen wollte, traf er auf den Schulmeister, der ihm mit einem Fingerzeig bedeutete, mit ihm zu kom men. In seinem Arbeitszimmer setzte sich Lif ihm gegenüber. „Du warst der beste Schüler hier, seit ich vor mehr als dreißig Jahren das Amt übernommen habe“, sagte der Schul
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meister. „Ich habe dich in den Jahren deines Hierseins beobachtet. Etwas liegt dir auf der Seele. Du bist ein Su chender, das weiß ich jetzt. Zuerst dach te ich, es wäre diese Schule und deine Ausbildung gewesen, aber je mehr du lerntest, desto größer wurde deine Un geduld. Du hast in langen Nächten die Bibliothek durchstreift, um etwas zu finden.“ Er macht eine kurze Pause. „Hast du es gefunden?“ Lif, jetzt ein neunzehnjähriger, mus kulöser Mann, groß und gutaussehend, zögerte. Er knetete seine Finger. „Ei nen Teil nur“, sagte er dann leise, „lei der nicht alles.“ Und so erzählte er dem Schulmeister, als erstem anderen Menschen über haupt, seit er von zu Hause weggegan gen war, von seiner Suche nach dem Ewigen. Daß es sein größter Wunsch sei, auf ihn zu treffen und im gegen überzustehen. Der Schulmeister nickte und als Lif ausgesprochen hatte, sagte er: „Was er wartest du bei eurem Zusammentref fen? Ruhm, Ehre, Unsterblichkeit?“ Lif stutzte. Diese Gedanken waren ihm noch nie gekommen. Was erwarte te er von seiner Suche? Er wußte es nicht, doch seit jeher beherrschte kein anderer Wunsch ihn mehr, als dieses Wesen zu sehen, zu erfahren, ob die Legende Wirklichkeit war.
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Als er dies dem Schulmeister sagte, endete er: „Alle meine Bemühungen waren bisher ohne Frucht. Ich habe nicht in Erfahrung bringen können, ob der Ewige nur eine Sage ist oder wirk lich existiert. Die Aufzeichnungen in der Bibliothek geben darüber keinen Aufschluß.“ Der Schulmeister stand langsam auf und näherte sich einem Bild neben dem Tisch. Seine Hand holte einen kleinen, silbrig glänzenden Schlüssel hervor. Er klappte das Bild zur Seite, wie man den Deckel eines Buches umklappte. Dahinter kam ein eisernes Türchen zu Vorschein. Bedächtig, als hielte er ein geheimnisvolles Ritual ab, schob er den Schlüssel in das Schloß des Türchens und drehte ihn nach links. Zweimal knackte es. Aus dem Hintergrund der offenen Tür zog der Schulmeister einen Gegenstand hervor. Lif konnte ihn im ersten Mo ment nicht erkennen, da das Zimmer in ein diffuses Licht getaucht war, aber dann, als der Gegenstand vor ihm auf dem Tisch lag, wußte er, was es war. Ein Buch. Ein altes, vergilbtes, in schwarzes Leder eingebundenes Buch. Das Leder zeigte viele kleine Risse und Abnutzungen, ein Zeichen für sein ho hes Alter. Der Schulmeister schlug es etwa bis zur Mitte auf. Seine Finger wanderten über die Buchstaben einer uralten Spra-
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che, bis sie schließlich an einer Stelle verharrten. Der alte Mann sah auf und blickte Lif durchdringend an. Dieser saß mit klopfendem Herzen da. Im Zimmer schien es ein ganzes Stück kälter und dunkler zu werden. „Das Buch der vergangenen Zeiten“, begann der Schulmeister mit einer lei sen, geheimnisvoll klingenden Stimme. „Das älteste Buch, daß sich im Besitz der Waffenschule befindet. Wahrschein lich ist es das älteste Buch überhaupt. Es ist nicht für die Öffentlichkeit zu gänglich, da es Dinge enthält, die, wenn sie in die falschen Hände geraten, schreckliche Katastrophen auslösen können.“ Lif blickte fasziniert auf das Buch. „Steht auch etwas über den Ewigen dar in?“ fragte er voller Hoffnung und mit bebender Stimme. „In der Tat“, die Stimme des Alten wurde eine Spur leiser.„Im Buch der vergangenen Zeiten steht die Geschich te dieses Mannes, wie er aufwuchs und zu dem wurde, was er heute ist. So wie es in anderen Werken, die in unserer Bibliothek stehen, auch geschrieben steht. Dieses Wesen existiert demnach wirklich. Aber...“, er machte eine Kunstpause. Lif spitzte die Ohren. Sein Ziel war ganz nahe, das fühlte er.
„...darüber hinaus ist hier auch zu le sen, wo sich der Sitz des Ewigen befin det.“ Lifs Herz machte einen Satz. „Wo, Meister? Wo finde ich ihn?“ Sei ne Stimme bebte noch heftiger und ein Zittern durchlief seinen Körper. „Ich warne dich, Lif“, sprach der Schulmeister, „auf der Suche nach ihm könntest du den Tod finden. Sei immer vorsichtig und wachsam. Der Aufent haltsort des Ewigen ist die Insel Thoosa.“ Einen halben Tag später befand sich Lif auf dem Weg zum Hafen von Perm. Sein Meister hatte ihm nach der Nen nung der Insel auf einer uralten Land karte, die kaum jünger als das Buch sein konnte, die Insel gezeigt. Sie war sehr groß und lag am südlichen Rand der Welt. Im Kaiserreich Püll. Sein Volk und das Volk der Püll lagen schon seit Jahrzehnten im Krieg. Dabei ging es um Land, Sklaven und natürlich Macht. Es würde schwierig sein, dorthin zu kommen. Und er behielt recht. Kein Schiff fuhr dorthin. Alle machten einen großen Bogen um die Insel. Soviel Lif den Kapitänen und Seeleuten auch an bot, sie schüttelten nur den Kopf. Schon mutlos geworden, erkannte er im nachlassenden Licht des Tages an einem abgelegenen Pier eine Galeere,
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ein königliches Kriegsschiff. Soldaten mit finsteren Mienen zogen an ihm vor bei, um auf das Schiff zu gelangen. Auf Anfrage bei einem dieser Männer, er hielt Lif die Antwort, daß das Schiff in den Krieg nach Püll, zur Insel Thoosa ziehe. Wieder optimistisch ging er zum Ka pitän dieser Galeere und fragte nach ei ner Überfahrt. Doch dieser zeigte kein Interesse an Passagieren. „Wenn Ihr mit uns nach Thoosa se geln wollt“, sagte dieser in der rauhen Sprache der Seeleute, „dann laßt Euch als Söldner anheuern. Nur so könnt Ihr mit.“ Also ließ sich Lif als Söldner ver pflichten und stach mit dem Kriegs schiff in See. Die Reise zog sich lange hin. Sechzig Tage und Nächte segelten oder ruder ten sie über das endlose Meer. Anfangs ereilte Lif die Seekrankheit und die er ste Woche verbrachte er damit, sein oh nehin dürftiges Essen über Bord zu würgen. Die Fische hatten ihre Freude daran. Wenn der Wind abflaute, legten sich alle Männer tagelang in die Ruder. Sei ne Kameraden waren harte, aber freundliche Gesellen. Er spann bald Freundschaft unter ihnen. Nach einer endlos erscheinenden Zeit erblickten sie schließlich die Küste von Thoosa. Unterwegs waren sie nur einem
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gegnerischen Schiff begegnet, das sie mit nur wenigen Verlusten versenken konnten. Nach der Landung begann eine grau same Zeit aus Schmerzen, Pein und Tod. Der Feind leistete erbitterten Wi derstand. Von Schlacht zu Schlacht zog er. Viele seiner Kameraden verloren ihr Leben auf den Feldern aus Blut und Trä nen. Mit anderen Heeren vereint, dran gen sie weit ins Innere der Insel ein. Von Gefangenen und abends bei sei nen Kameraden im Lager versuchte er immer wieder den genauen Aufenthalts ort des Ewigen zu erfahren. Noch kann te er nur den Namen der Insel, mehr aber nicht. Aber entweder wußten sie nichts, oder fürchteten etwas zu sagen. Doch dann, nach einem halben Jahr, der Krieg entwickelte sich immer mehr zu Gunsten seines Volkes, die Entschei dung stand kurz bevor, traf Lif in der eroberten Stadt Eskil auf eine alte Frau, eine Geschichtenerzählerin. Sie hatte von seinem Wunsch gehört, den Ewi gen zu finden. Als Gegenleistung, daß man ihr freien Abzug gewährte und sie ihre Habe behalten dürfe, versprach sie Lif, der inzwischen zum Führer seiner Kompanie aufgestiegen war, ihm den genauen Ort des Ewigen zu verraten. Obwohl sich seine Kameraden dage gen aussprachen und sie für eine Lüg nerin hielten, willigte er schließlich doch ein. In seinem Zelt des Komman-
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danten empfing er das alte, in schwar ze und braune Lumpen gehüllte Weib. Sie stellte einen bizarren Gegensatz zu ihm dar, der, in weiße Gewänder geklei det und mit seiner silbern und golden schimmernden Rüstung, jung und stark, vor ihr saß. Lif hatte in den letzten Monaten abgenommen, sein Körper wirkte sehniger. Und sein Gesicht drückte mehr Ernst aus als früher. An gespannt und voller Unruhe erwartete er die Ausführungen seines Gegen übers. Endlich glaubt er wieder eine Spur auf der Suche nach dem Wesen zu erhalten. „Der Ewige“, begann die Alte mit zit ternder Stimme, „lebt in einer einsa men, toten Gegend im Arrak-Gebirge. Sie nennt man das Tor der Hölle. Am Rande dieses Gebietes liegt eine Stadt. Sie heißt Amrun. Dort werdet Ihr ihn finden.“ Sie stach ihre knorrigen Finger in die Luft. „Aber seid gewarnt. Noch niemand, der sich dem Ewigen gegenüberstellte, kam lebend nach Hause zurück.“ Lif nickte stumm und entließ die Frau. Er ließ sich Karten und Beschreibun gen jenes Landes und jener Stadt brin gen. Am liebsten wäre Lif sofort aufgebrochen, aber sein Treueeid hielt ihn davon ab. Der Krieg tobte weiter. Viele Schlach ten wurden geschlagen, unzählige Män
ner, Frauen und Kinder fanden den Tod. Als endlich die Hauptstadt von Thoosa fiel, war es ein bitterer Sieg. Aber er wurde gefeiert, ausgelassen und aus schweifend, wie in den nächsten Tagen der Toten, Verwundeten und Verkrüp pelten gedacht wurde. Man bot Lif die Stellung eines Feldherrn bei der König lichen Armee an. Aber er lehnte ab. Zu sehr drängte es ihn zum angeblichen Wohnsitz des Ewigen. Stimmten die Aussagen der Alten? Oder wollte sie damit nur ihre Haut ret ten? Seltsamerweise verebbten mit den Jahren auch seine Alpträume. Schon lange erschien der Ewige nicht mehr in seinen Träumen. Lif trennte sich schweren Herzens von seiner Kompanie. Im Laufe der Zeit hat te sie der Krieg zusammengeschweißt. Bei einer Feier verabschiedete man sich von ihm und ehrte ihn als einen ´Helden von Thoosa‚. Lif nahm die Ehrung dankbar an und verließ am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang das Lager. Das Schwert und sein Schild stellten seine Waffen dar. Auf dem Rücken ei nes edlen Schimmels, der ihm von sei ner Kompanie geschenkt worden war, ritt er Richtung Arrak-Gebirge. Viele Tagesreisen lagen vor ihm, und je weiter er nach Süden vordrang, de sto heißer und trostloser gestaltete sich die Gegend um ihn herum. Der Boden
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versandete immer mehr. Die Bäume und Büsche lagen vertrocknet da. Die Sonne brannte unbarmherzig nieder. Ein Glutofen aus blendender Helligkeit. Wasser gab es immer seltener und kaum ein Tier, das er erlegen konnte, um seinen Hunger zu stillen, kreuzte seinen Weg. Menschen traf er nur sel ten, wenn, dann in Dörfern und kleinen Städten, die meisten vom Krieg zerstört. Mißtrauisch und böse blickten ihn die Bewohner des Landes an. Kein Wun der, war er doch ein Eroberer ihrer In sel. Mehr als einmal entkam er nur knapp einem Attentat auf seine Person. Und manchmal mußte er auch Menschen tö ten oder sie zwingen, ihm zu helfen. Doch je näher er seinem Ziel kam und je weiter weg von den Kriegsschauplät zen, umso ruhiger und gleichmütiger fand er die Menschen vor. Hier, am süd lichsten Rande von Thoosa, war für viele Bewohner der Insel der Krieg nur eine Geschichte, die sich weit weg von ihnen abspielte. Die Reise zehrte sehr an seinen Kräf ten. Nach unendlichen Tagen erschien am Horizont, flimmernd und mit sei nen fiebrigen Augen undeutlich zu se hen, die Stadt Amrun, wie eine Fata Morgana. Auch sein Pferd torkelte nur noch unbeholfen über die sonnige Step pe dahin.
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Halb ohnmächtig registrierte Lif durch halbgeschlossenen Augen, daß er die Stadtgrenze passierte. Ein plötzlicher Schwindelanfall ergriff von ihm Besitz. Kraftlos fiel er aus dem Sattel. Schon ohnmächtig, bekam er den Auf prall nicht mehr mit. Leise, undeutliche Geräusche drangen an seine Ohren. Etwas Plätscherndes, Fließendes. Wie ein Fluß, der gemäch lich einen flachen Hügel hinunter floß. Und, leiser als das erste Geräusch, sanf tes Gemurmel und Getrampel, manch mal eine laute Stimme, dann wieder ein Knall wie von einer zuschlagenden Tür. Lif erwachte allmählich aus seiner Ohnmacht. Langsam, als würde man ihn aus einem tiefen Brunnen sanft hin auf an die Oberfläche ziehen, wurde seine Umgebung um ihn herum immer deutlicher. Er ruhte auf einem weichen Lager, in einem abgedunkelten Raum. Durch das mit Tüchern verhangene Fenster auf der rechten Seite drangen die Geräusche der dahinterliegenden Straße zu ihm. Links neben ihm, auf einem schma len Stuhl, saß eine Gestalt in einem kha kifarbenen Gewand. Es war eine junge Frau, vielleicht in seinem Alter. Ihre schönen, ebenmäßigen Gesichtszüge machten einen freundlichen, aber auch besorgten Eindruck. Der schlanke, tief gebräunte Körper zeichnete sich nur un-
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deutlich durch den wallenden Stoff ab. Sie wusch gerade eine Art Schwamm in einem kleinen Wasserbecken aus. Mit diesem kühlte sie anschließend sein er hitztes Gesicht. Da erkannte sie seine halbgeöffneten Augen. „Den Göttern sei dank, Ihr seid wach.“ Ihre Stimme war zart und brüchig. Die Worte flossen hastig über ihre Lippen. „Wo bin ich?“ Lif fand kaum Kraft zu sprechen. Die junge Frau sah in aus ihren stahl blauen Augen an. „Ihr seid im Hause des Händlers Kirom. Vor zwei Tagen brachte man Euch hierher, als Ihr völ lig erschöpft vor die Füße meines Herrn vom Pferd fielt. Seine Sklaven brach ten Euch hierher. Seitdem kümmere ich mich um Euch. Wir waren uns nicht si cher, ob Ihr noch einmal erwachen wür det. Aber wie ich sehe, geht es Euch besser.“ Lif erinnerte sich langsam wieder. Die lange Reise, die Hitze, der Hun ger und der Durst. Alles fraß sich wie der schmerzlich in sein Gedächtnis. „Mein Pferd“, holperte es über seine Lippen, „wo ist es?“ Die Frau machte ein trauriges Gesicht, welches sie sogar noch schöner mach te. „Wir mußten es töten, es war zu er schöpft und ausgelaugt. Außerdem lahmte es auf dem linken Hinterhuf.“
Lif seufzte. Sein treuer Kamerad der letzten Wochen, der ihm half, die Reise und die Einsamkeit zu überleben, mußte am Ziel ihrer Reise sterben. Er wollte sich aufsetzen, aber die junge Frau mit der Schönheit eines Sonnenaufgangs drückte ihn sanft nieder. „Langsam, Ihr habt viel hinter Euch. Ihr müßt Euch schonen und ausruhen.“ Lif erholte sich in den nächsten Tagen wieder gut von den Strapazen. Sobald sein Gesundheitszustand es erlaubte, traf er sich mit dem Händler Kirom, der sehr erfreut war, seinen Gast schon wie der auf den Beinen zu sehen. Lif be dankte sich bei ihm und zeigte sich mit einem Griff in seine Geldbörse erkennt lich für die Hilfe. Alle seine Habe war gereinigt und in einem Nebenraum aufbewahrt worden. Auch sein Schwert und sein Schild, die durch die Schlachten, die er hinter sich hatte, tiefe Kerben aufwiesen, lagen po liert und glänzend daneben. In diesen Tagen entwickelte sich zwi schen Lif und Serena, so hieß die junge Frau, die ihn versorgt hatte, eine erst scheue, dann warme und tiefe Freund schaft. Sie redeten und lachten viel, gin gen auf den Straßen und Plätzen der Stadt Amrun umher, aßen und tranken in Schenken und kauften auf dem Markt ein.
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Serena war keine Sklavin von Kirom, dem Händler, als seine Bedienstete konnte sie ihr Recht nutzen, nach oder vor der Arbeit zu tun oder lassen, was sie wollte. Und ihr gefiel Lif. Ein gro ßer, starker Mann, gelehrt und gebildet, ein hochdekorierter Krieger. Daß Lif ein Fremder und dazu noch ein Eroberer war, störte hier niemanden. Die Stadt wimmelte von Menschen aus aller Welt und der Krieg ging an Amrun vorbei, als ob er nicht existierte. Eine Insel des Friedens in einen Krieg mit Tausenden von Opfern. In diesen Tagen des Glücks vergaß Lif fast seine Mission, das Ziel der Reise, den Ewigen. Zu fröhlich, zu unbe schwert verbrachte er die Zeit mit Serena. Sie saßen in schattigen Ecken und flüsterten sich romantische Dinge ins Ohr, lagen nachts auf den Rasen der Parks und betrachteten das Funkeln der Sterne. Aber dann, unvermittelt, wurde Lif wieder daran erinnert, weswegen er hierher, in dieses Land, in diese Stadt gekommen war. Er schlenderte an einem trüben Mor gen durch die Straßen. An Geschäften und Märkten vorbei, deren Verkäufer ihre Waren lauthals feilboten und man chem etwas andrehten, daß er gar nicht brauchte. Serena mußte arbeiten und so vertrieb er sich die Zeit mit Bummeln.
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Vor ihm trat plötzlich die Menge zur Seite, um für etwas Platz zu machen. Lif konnte erst einen Augenblick spä ter sehen, was da kam. Ein Mann in kostbaren Gewändern und in einer blin kenden Rüstung. Auf einem schwarzen Roß sitzend, bahnte er sich hoch erhobenen Hauptes seinen Weg. Seinen blauer Umhang hielt eine riesige, saphirgrüne Brosche zusammen. Der Reiter durchquerte mit fünf weiteren zu Pferde sitzenden Soldaten, die aber alle wesentlich bescheidener gekleidet wa ren, die Stadt und zogen in Richtung Gebirge, welches man in der Ferne un deutlich erkennen konnte. Die Menschen flüsterten miteinander und zeigten immer wieder auf die Grup pe der Reiter. Lif packte die Neugierde, er schnappte sich einen Passanten, der ihm gerade an die Brust reichte und fragte: „Hallo, guter Mann, sagt: Wißt Ihr, wohin diese Krieger reisen? Ihr müßt wissen, ich bin neu in der Stadt und kenne mich hier nicht aus.“ Der Mann blickte erschrocken aus sei nen schwarzen Augen und schüttelte heftig den Kopf. „Dorthin, wohin die se Männer gehen, wollt Ihr bestimmt nicht.“ Seine quietschende Stimme senkte sich verschwörerisch. „Ich sag es Euch, diese Männer gehen ihrem Ver derben entgegen.“ Lif näherte sich seinem Gesicht.
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„Wohin?“ Auch er flüsterte. „Zur Mitte des Tores der Hölle, zum Ewigen.“ „Ja, von Zeit zu Zeit reisen Krieger und Abenteuerlustige hierher, die von der Legende des Ewigen erfahren haben.“ Lif saß mit Serena im Garten seines Gastgebers unter einer Palme im Schat ten. Durch die Ereignisse in der Stadt fiel ihm alles wieder ein. In den letzten Tagen war er wie geblendet vor Glück mit Serena gewesen. Jetzt aber regte sich die Abenteuerlust wieder in ihm. Schon ungeduldig wartend, als Serena endlich die Arbeit beendet hatte, ver
schwand er mit ihr sogleich in den Gar ten, um sie nach dem Ewigen zu befra gen. Nur zögerlich kamen die Worte über Serenas Lippen, so als fürchtete sie sich vor jedem Wort. „Aber keiner dieser tapferen Männer ist je zurückgekehrt.“ Serenas Stimme erstickte in einem Schluchzen. Lif hielt ihren Arm fest und versuchte sie zu beruhigen. „Kannst du mir sa gen, wo genau ich ihn finde?“ In sei nen Augen glomm ein heißes Feuer. Serena schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe mich für so etwas nie interessiert.“
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„Aber du kennst jemand, der es weiß“, vermutete Lif. Zögernd blickte sie auf. „Ja, meinen Herren und deinen Gast geber, Kirom.“ Am Abend saß Lif an der reich gedeckten Tafel seines Gastgebers im Speisesaal. Der Raum war erfüllt vom flackernden Schein der Kerzen die zu Dutzenden auf dem Tisch und in den Ecken standen. Durch das breite Fen ster fiel der blutrote Schein der unter gehenden Sonne. Kirom, seine um viele Jahre jüngere Frau, die drei Kinder des Hausherrn, so wie Lif aßen an dem großen Tisch, der sich in der Mitte des Raumes befand. Sklaven bedienten sie unentwegt. Kirom blickte Lif über die Speisen und Getränke hinweg an. „Serena sagte mir, Ihr wollt wissen, wo genau sich der Ewige befindet.“ Seine Stimme drang gedämpft an Lifs Ohren. „Das ist richtig. Eure Bedienstete sag te mir, daß Ihr mir in dieser Frage wei terhelfen könnt. Schon lange bin ich auf der Suche nach dem Ewigen.“ Und so erzählte er die ganze Geschichte seines Abenteuers. Seine Flucht aus seinem Elternhaus, die Ausbildung in der Waffenschule in Perm, der Feldzug zu Insel Thoosa und seine Reise hierher nach Amrun.
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Der Händler hörte sich alles wortlos an, nickte ein paarmal und als Lif ge endet hatte, sprach er: „Ein- bis zwei mal im Jahr kommen Männer wie Ihr in die Stadt. Auch sie hörten vom Ewi gen und der Legende, daß derjenige, der ihn besiege, die Unsterblichkeit er langt.“ „Solche Ambitionen habe ich nicht“, warf Lif ein, „mein Wunsch besteht nur darin, dieses sagenumwogene Wesen zu sehen.“ Kirom sprach ungerührt weiter. „Von diesem Gedanken beseelt, haben es Mutige, Reiche, Starke, Dumme, Spin ner, Abenteurer und Krieger versucht, zu ihm zu gelangen. Aber niemand“, er machte eine theatralische Pause, „ich wiederhole, niemand hat ihn je besiegt, geschweige denn ist er lebend zurück gekommen. Wir hier, die in Amrun le ben, sind klug genug, nicht in seine Nähe zu kommen.“ „Woher wißt Ihr so genau, daß den Ewigen noch niemand besiegt hat?“ wollte Lif wissen. „In der Sage heißt es, daß sich dann ein Beben erheben und eine Lichtsäule über dem Berg stehen wird.“ „Dem Berg?“ wurde Lif neugierig. „Ihr seid ein aufmerksamer Zuhörer, Lif“, lächelte der Händler. „Der Sitz des Ewigen befindet sich auf dem Berg Holtur, dem mittleren Gipfel des ArrukGebirges.“
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Lif bedankt sich für diese Auskunft, eine Frage brannte ihm aber noch auf der Zunge. „In all der Zeit, nach der Sage in vielen Jahrhunderten, kam der Ewige nie herunter von seinem einsa men Sitz, niemals?“ „Niemals!“ schüttelte der Händler den Kopf. „Nur sein Stöhnen und Wehkla gen vernehmen wir manchmal. Es hallt dann über die Berge bis zu uns ins Tal hinunter.“ Lif konnte es kaum noch erwarten auf zubrechen. Gut im Sattel seines neuen Pferdes sitzend, welches er bei einem ortsansässigen Händler erstanden hat te, war er bereit zur Abreise. Der Händ ler und seine Familie, Serena und zahlreiche Bedienstete und Sklaven standen um ihn herum. Seine Rüstung und Waffen angelegt, sah er kraftvoll und unbeugsam aus. Serena trat zu ihm und erfaßte seine Hand. Mit feuchten und tränen verquollenen Augen blickte sie zu ihm empor.
die drei Berggipfel in der Sonne glän zen. Der mittlere Berggipfel, Holtur, war der kleinste der Bergkette. Als die Nacht hereinbrach, lagerte er auf der offenen Steppe, nur den Him mel als sein Zelt. Der Vollmond leuch tete auf ihn herab. „Morgen“, sprach er leise zu sich selbst, „morgen bin ich am Ziel.“ Am späten Morgen des nächsten Tages erreichte er den Fuß des mittleren Gip fels. Hier gewahrte er sechs angebun dene Pferde, die auf ihre Besitzer warteten. Der Weg wurde hier so steil, daß es keinen Sinn mehr hatte, weiter zu Pferd zu reiten. Lif band sein Roß neben die anderen und machte sich an den Aufstieg.
„Ich komme zurück“, sprach Lif mit fester Stimme, „das verspreche ich.“
Der Weg wand sich steil vor ihm, aber er mußte nicht klettern. Unterwegs sah er immer wieder Teile von Rüstungen und Gewändern auf dem Boden ver streut liegen. Aber niemals einen Kno chen oder gar ein Skelett. Es hatte den Anschein, als wären die Männer auf gelöst worden, ihre Rüstungen aber ro steten in der Sonne dahin.
Sich winkend verabschiedend ritt er los, dem Arruk-Gebirge entgegen, das undeutlich aus dem Morgennebel her vorschaute. Die Stadt fiel hinter ihm zurück und gegen Mittag erkannte Lif
Am späten Nachmittag stieß er auf eine Hütte. Sie bestand ganz aus mas sivem Stein, sogar das Dach. Lif trat neugierig näher. Etwas blitzte auf dem Boden vor ihm.
„Bitte sei vorsichtig. Mögen die Göt ter dich leiten und sicher wieder nach Hause führen.“
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Er erkannte die Teile von sechs Rü stungen. Eine war besonders reich ver ziert und sehr kostbar. Ein blauer Umhang lag daneben, der von einer gro ßen, saphirfarbenen Brosche zusam mengehalten wurde. Er zückte Schwert und Schild und nä herte sich dem Steinhaus. Klein und dunkel stand es leer, aber jemand wohn te darin. Die Einrichtung stand sauber und ordentlich da. „Wer bist du? Was machst du in mei ner Hütte?“ Die Stimme drang von hinten an Lifs Ohren. Er fuhr herum und gewahrte im Türrahmen eine kleine, gedrungene Ge stalt. Es war ein altes, kauziges Männ chen, welches sich zittrig auf einem knorrigen Krückstock stützte. Ein fal tiges Gesicht lugte unter dem wirren, weißen Haarschopf heraus. Lif steckte sein Schwert wieder weg, da diese Gestalt für einen Krieger wie ihn keine Gefahr darstellte und sagte im ruhigen Tonfall: „Keine Angst, ich will Euch nichts tun. Mein Name ist Lif. Ich bin auf der Suche nach dem Ewigen und hoffte ihn hier zu finden.“ Der Alte kniff die Augen zusammen. „Den Ewigen? Da hast du aber Pech. Der ist gerade nicht da. Geh raus und warte draußen auf ihn bis er Zeit hat dich umzubringen.“ Der Alte kicherte. „Verschwinde endlich, raus!“ Er wedelte heftig mit dem Stock.
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Lif trat an ihm vorbei ins Freie. Die Sonne blendete ihn kurz. „Wer bist du? Wo ist er hingegangen?“ fragte er. Der Alte sah ihn finster an. „Mein Name ist Drol. Ich lebe hier schon lan ge Zeit.“ Er kicherte wieder. „Eine sehr lange Zeit. Der Ewige tut mir nichts, im Gegenteil, er mag mich sogar.“ Wie der kicherte er. „Aber so Leute wie dich“, und damit zeigte er auf Lif, „kann er gar nicht brauchen. Wirst schon se hen, was du davon hast hierherzukom men.“ Damit schien er alles gesagt zu haben. Mit einem wuchtigen Tritt schlug er die Tür zu. Dumpf hallte es in der Berglandschaft wider. Lif stand allein vor dem Haus. Er ver suchte erst gar nicht, mit dem Alten ein weiteres Gespräch zu führen. Er begann die Umgebung der Hütte zu erkunden. Aber außer Steinen, Geröll und einer einfachen, zwei Meter hohen, schmuck losen Steinsäule gab es hier nichts. Nur ab und zu lag wieder eine Rüstung, ver staubt und dreckig, in der Erde. Wohin war der Ewige gegangen? Hat te Kirom nicht erzählt, dieses Wesen habe den Berg noch niemals verlassen? Und wann kam er wieder? Im nächsten Moment oder erst nächsten Monat? Als Lif wieder an der Hütte anlangte, sah er weißen Rauch aus dem Kamin stei gen. Seltsam, hier gab es im Umkreis von Stunden keinen Baum und Strauch,
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die man zum Feuermachen benutzen konnte. Auch sah er nirgends einen Garten oder Tiere, mit denen der Alte seinen Hunger stillen konnte. Nicht ein mal einen Bach oder Brunnen gewahr te er. Die Sonne ging unter und die Tempe ratur sank deutlich ab. Fröstelnd zog Lif die Schultern hoch und setzte sich in den Schutz einiger großer Felsbrocken. Erschöpft schlief er ein. Von einem Kratzen wurde er geweckt. Lif schreckte auf. Die Sonne stand schon hoch am Himmel. Er blickte zum Steinhaus hinüber. Drol, der Alte, saß vor dem Haus und bearbeitete seinen Stock mit einem kleinen Messer. „Alle Achtung“, sagte er mit seiner meckernden Stimme, „du schläfst ja wie ein Säugling. Ich habe schon Krie ger gesehen, die wachten drei Nächte durch, aus Angst, der Ewige würde sie im Schlaf töten.“ Lif trat an den Alten heran. „Wo ist er? Ist er oft weg?“ Drol kicherte. „Ja, es kommt oft vor, daß er eine Zeitlang verschwindet. Aber keine Sorge, du kommst schon an die Reihe. Siehst du die Säule da drüben? Wenn die Sonne senkrecht über ihr steht und sie keinen Schatten mehr wirft, ist es soweit.“ Sich neben den Alten setzend antwor tete Lif:
„Weißt du, ich habe nicht die Absicht, gegen ihn zu kämpfen.“ „Nicht?“ wunderte sich der Alte. „Nein, mein größter Wunsch ist es nur, ihn zu sehen. Sein Bild vor Augen, habe ich so unglaublich viel vollbracht. Ich muß ihm einfach gegenüberstehen. Mehr begehre ich nicht. Doch auch nicht weniger.“ „Aber der Ruhm, die Ehre, die Un sterblichkeit, die dir als Belohnung winkt?“ Lif lächelte. „Macht und Reichtum ha ben mich noch nie interessiert .Und die Unsterblichkeit...“, er machte eine Pau se, „..wer will schon ewig leben?“ Drol stocherte mit seinem Stock im Boden herum. „Und du begehrst nichts anderes, als ihn nur zu sehen? Viele schon sagten dies, aber alle logen sie und konnten der Versuchung nicht wiederstehen. Du wirst deine Worte beweisen müssen.“ „Wie?“ „Das wirst du schon erleben“, und da mit fuhr er fort, seinen Stock zu bear beiten. Die Zeit ging dahin, die Sonne wan derte immer höher, wärmte aber bei die ser Höhe nicht besonders. Dann, als die gelbe Scheibe in ihrem Zenit stand, sprang Drol auf. „Es ist soweit.“
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Wind kam auf und wirbelte um Lif herum, zersauste sein Haar und brann te in seinen Augen. Ein grelles Licht entstand um seine Beine und wanderte hinauf bis zu seinem Kopf. Es hüllte ihn vollständig ein. Panik erfaßte ihn und ließ ihn erstarren. Der Wind steigerte sich zu einem wahren Orkan und ver suchte ihn umzureißen. Eiseskälte kroch in seine Glieder. Auf einmal wur de die Sicht um ihn herum wieder klar. Er stand auf einem größeren Hügel in einer ansonsten flachen Ebene. Soweit das Auge reichte, bedeckten saftige grü ne Wiesen das Land. Wie Wellen wog ten die langen Gräser im kräftigen Wind. Über den Himmel jagten Wol ken hinweg. Seltsamerweise war es um ihn herum absolut windstill, kein Luft hauch spürte er. Am Horizont waberte undurchdringlicher Nebel. Kein Haus, keinen Menschen und kein Tier sah er auf dem Land. Dann bildete sich vor ihm ein Wirbel aus Luft und Nebel, nahm Konturen an, die wieder zerfaserten und schließlich doch eine feste Struktur aufwiesen. Der Alte, Drol, stand nun bei ihm und schau te mit genießerischem Blick über das Land. Auch an ihm zerrte kein Luft hauch. Lif hatte den Eindruck, in einer toten Zone zu stehen. „Deine Prüfung beginnt nun“, sagte Drol langsam und wandte sich an Lif. „Sie ist für jeden anders. Kein einziger, der hierher gekommen ist, bekam je die
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gleiche Prüfung. Niemand weiß, wel ches Ziel diese Prüfung hat, so ist ge währleistet, daß das Ergebnis nicht verfälscht wird.“ Lif blickte ihn fragend an. „Die Prü fung soll hier stattfinden?“ Drol schüt telte den Kopf und lies ein zahnloses Lachen sehen. „Nicht genau hier. Was du hier siehst, ist die Welt, in der der Ewige alle Macht hat. Hier geschieht alles nach seinem Willen. Und hier entscheidet sich dein Schicksal.“ Er streckte beide Arme in den Him mel. „Jetzt!“ schrie er. Zuerst geschah nichts; dann wandelte sich der Himmel zu blutendem Rot. Wieder umwaberte weißes Licht den Krieger und er fühlte sich hochgehoben. Einen Moment lang schwebte er leicht wie ein Vogel, dann stürzte er. Immer tiefer und tiefer. Vol ler Panik schrie er auf. Schließlich um fing ihn Dunkelheit. Langsam erwachte er. Leises Gemurmel und das Rasseln von Ketten drangen in seinen Geist. Als sein Blick sich klärte, erkannte er, wo er sich befand. An den grob gehauenen Steinmauern schimmerte Feuchtigkeit und grünes Moos wuchs daran. Trübes Licht fiel von der Decke durch ein ro stiges Gitter. Der Boden war mit schmutzigem Stroh ausgelegt und roch muffig. Am anderen Ende des Verlie ses drang durch einen schmalen Spalt
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flackernder Feuerschein herein. Trotz dem herrschte eine kalte und trostlose Dunkelheit. Er zählte sieben Mitgefan gene, die wie er an die Wände gefes selt waren und dumpf vor sich hinbrütenden. Als Gefangener in einem Verlies? Was sollte das für eine Prüfung sein? Er zerr te an seinen Fesseln, ohne Erfolg. „Brauchst es gar nicht zu versuchen“, sagte ein Mann, der direkt neben ihm lag, „hier kommt keiner raus.“ Lif be trachtete ihn genauer. Wie er selbst nur mit einem Lendenschurz bekleidet, lag er ausgemergelt und von Folter gezeich net auf dem Boden. Sein stumpfer Blick verriet seinen gebrochenen Willen. Lif fand sich damit nicht ab. Seine Aufgabe konnte nicht darin liegen, in diesem Loch zu verrotten. Er sah sich um. Und tatsächlich, neben seinen nackten Füßen glitzerte etwas. Er schob es mit den Zehen zu sich heran, so da mit er danach greifen konnte. Ein dün ner Metallstab von fast zehn Zentimeter Länge. Er fühlte sich warm an und ließ sich zum Erstaunen Lif beinahe mühe los in jede gewünscht Form biegen. ´Ein kleiner Wink des Ewigen´, dachte er, ´so komme ich hier raus´. Flink bear beitete er das Schloß der Ketten mit dem Stab und wenig später fielen sie zu Bo den. Sich seine Gelenke massierend stand er auf und blickte in die Runde. Die meisten Gefangenen hatten ihn be
obachtet und deuteten jetzt erwartungs voll auf ihre Fesseln. Die Vernunft sagte Lif, daß er mehr Chancen hatte, wenn er die Flucht al lein wagte. Mit seinen ausgebildeten In stinkten und Fähigkeiten konnte er sich am besten allein durchschlagen. Mit jedem Fluchtteilnehmer mehr schwanden seine Aussichten, hier heil herauszu kommen. Mit fliegenden Fingern befreite er jeden einzelnen von den Fesseln. Danach rannte er zur Tür, lauschte auf Geräu sche eventuell vorhandener Wachen, vernahm keine und machte sich am Türschloß zu schaffen. Seinen Mitge fangenen Ruhe gebietend, trat er auf den Fackeln gesäumten Gang hinaus. Der Mann, der in vorher angesprochen hatte, hielt ihn am Arm fest. „Ich weiß, wie wir hier herauskom men.“ Er deutete nach rechts. „Diesen Gang entlang immer links haltend. Nach ein paar hundert Metern kommen wir so an einen alten Ausgang, der nicht mehr genutzt wird. Mit deinem Metalls tab gelingt es uns sicher, sie zu öffnen. Dahinter wartet die Freiheit.“ Lif nickte, während sich alle schon auf dem Gang versammelt hatten. „Sind das jetzt alle? Keiner mehr drin?“ und deu tete in das Verlies. „Nur der alte Dorgon. Der liegt im mer in der hintersten dunklen Ecke. Er ist verrückt und so schwach, daß sie ihn
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nicht mal mehr angekettet haben. Der hält uns nur auf.“ „Ich lasse niemanden zurück“, erklärte Lif mit fester Stimme und begann sich nach dem Mann umzusehen. Und tat sächlich, ganz versteckt im Dunkel ei ner Ecke lag eine hagere, schmutzige Gestalt zusammengekrümmt auf dem Boden. Er hob in auf und trug in zum Ausgang. Über dem verfilzten Bart er kannte er zwei milchig-weiße, tote Au gen. Dorgon wehrte sich etwas, aber viel zu schwach für den kräftigen Lif. Dieser schulterte den Mann und spur tete hinter den Menschen her, die vor auszulaufen begannen. Hinter ihm erklang auf einmal Lärm. Schwere Schritte und Metall klapperte auf Me tall. „Schneller, sie haben uns entdeckt!“ Der Körper von Dorgon behinderte ihn in den engen Gängen, er mußte aufpas sen, mit dem Mann nirgends anzuek ken. „Laß ihn doch los“, schrie jemand, „er hält uns doch nur auf.“ „Nein!“, zischte Lif und drängte sich vor, als die Gruppe vor der besagten Tür zum Halten kam. Mit dem geschulter ten Körper fummelte er am Schloß her um, bis es aufsprang. Dahinter zeichnete sich eine hügelige, gelbbrau ne Landschaft ab. Die Freiheit!
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Sie liefen hinaus in die warme Luft, so schnell sie ihre Füße trugen. Rufe hallten hinter ihnen auf. Plötzlich sau ste etwas an ihm vorbei und traf den neben ihm Rennenden. Ein Pfeil ragte aus seinem Körper, der ihn torkeln ließ und schließlich zu Boden riß. Vor ihm erhob sich ein dichter grüner Wald. ´Wenn ich den erreiche, bin ich in Si cherheit. Die Bäume werden mich vor dem Pfeilen schützen´. Immer mehr machte sich das Gewicht von Dorgon bemerkbar. Er verlor den Anschluß auf die anderen, die den Wald soeben er reichten. ´Lass den Alten zurück´, hämmerte es in seinem Kopf. ´Ohne ihn bist du schneller. Er ist eh schon halb tot. Willst du für ihn dein Leben lassen?´ Immer mehr Pfeile rasten an ihm vor bei. Der Wald kam nur langsam näher. Da spürte er einen brennenden Schmerz im Rücken. Ein Pfeil steckte tief darin. Er begann zu straucheln. Ein zweites Geschoß traf seine Hüfte. Die Kraft ver ließ ihn. Geschwächt ließ er den Alten zu Boden fallen. Noch ein Pfeil traf, diesmal am Hals. Sein Blick wurde trüb und rote Schleier tanzten vor seinen Augen. Mit dem Gesicht berührte er den harten Boden. ´Das Ende´, dachte er,´ ich habe die Prüfung nicht bestanden. Der Preis da für ist der Tod...´
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Er schlug die Augen auf. Wieder be fand er sich auf dem Hügel der wind gepeitschten Ebene. Und wieder existierte um ihn herum absolute Wind stille. Lif sah an sich herab. Er lebte! Die Pfeile, die tödlichen Wunden, sie waren verschwunden. Er trug wieder sein edles Gewand. Er begriff nicht; langsam drehte er sich um und sah Drol neben sich stehen. Er blickte mit offe nem Gesicht zu ihm hinauf. „Was ist passiert?“ fragte Lif verstört. „Bin ich tot? Habe ich die Prüfung nicht bestanden?“ Sein Gegenüber nickte sehr langsam. „Oh doch, tapferer Krieger. Als erster von unzähligen Menschen hast du es geschafft, die Aufgabe, die dir gestellt worden ist, zu erfüllen.“ Lif verstand immer noch nicht. „Aber ich habe versagt, ich fand den Tod auf der Flucht. Ich habe es nicht geschafft.“ „Natürlich hast du es geschafft. Das Überleben der Flucht war nicht das Ziel deiner Aufgabe. Du hast bewiesen, daß du ein edler Mensch bist, der nicht von dem Gedanken beseelt ist, nur auf sei nen Vorteil zu schauen. Du hattest die Gelegenheit, die Flucht alleine durch zuführen, welche als ausgebildeter Krieger sicher die beste gewesen wäre, aber du entschiedest dich dafür, alle Menschen mitzunehmen, auch den alten Dorgon, der sich sogar dagegen
wehrte. Und selbst als er dich stark bei der Flucht behinderte und du ohne ihn den rettenden Wald vielleicht noch er reicht hättest, hast du ihn nicht seinem Schicksal überlassen. Du bist würdig, dem Ewigen zu begegnen.“ Auf seine Worte folgte erneut der star ke Wind und das weiße Licht. Dann stand er wieder vor der Steinhütte, zu sammen mit Drol. „Jetzt ist es also soweit. Endlich, nach Jahrhunderten des Wartens und der Ein samkeit.“ Immer mehr richtete er sich auf. Lif stutzte. „Ihr!“ stammelte er. „Ihr seid der Ewige. Ihr seid Entilsa.“ „Ganz recht.“ Die Stimme des Alten verwandelte sich zu einem Grollen. Gleichzeitig begann die Luft um ihn herum zu flimmern. Seine Gestalt wur de transparent und verwandelte sich. Als das Flimmern verschwand, stand ein Hüne vor Lif. Von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet. Sein Gesicht hinter einem ebenfalls schwarzen Helm ver borgen. Ein mächtiges Schwert, so groß wie Lif selbst, lag in seinen Händen. Lif wappnete sich. Aber die Gestalt griff nicht an. Sie senkte den Kopf und sprach: „Seit dem Fluch der Hexe lebe ich zu rückgezogen, unsterblich, jedoch un endlich einsam hier auf diesem Berg. Nur jemand, der reinen Herzens ist und
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nicht aus Ruhm oder Gewinnsucht zu mir kommt, konnte mich erlösen. Und jetzt, nach Jahrhunderten, ist es gesche hen. In der Gestalt des alten Mannes kundete ich die Menschen aus, die hier her kamen. Alle waren gierig in ihren Herzen, sahen nur den Ruhm, dachten nur an ihren eigenen Vorteil und hin gen an ihrem erbärmlichen Leben. Sieh, was es ihnen eingebracht hat.“ Und damit deutete er auf die vielen leeren Rüstungen um sie herum. „Alle hätten ihr Leben über das der anderen gestellt. Aber du bist reinen Herzens.“
Seine Stimme verhallte in der Ferne. Das Licht erlosch und der Boden beru higte sich wieder. Lif stand allein auf dem Berg. Auch das Steinhaus war ver schwunden, so als hätte es nie existiert. Er sah hinunter ins Tal. Sein Wunsch, dem Ewigen gegenüber zutreten, hatte sich erfüllt. Jetzt gab es für ihn hier oben nichts mehr zu tun. Lif trat den Abstieg an. „Serena“, sagte er leise vor sich hin, „ich komme zurück.“
Er richtete beide Arme Richtung Him mel auf. Langsam verwandelte er sich in pulsierendes Licht, das einer Säule gleich in den Himmel ragte. ´Wie in der Erzählung des Händlers Kirom´, schoß es Lif durch den Kopf. Und in diesem Augenblick begann auch der Boden unter seinen Füßen zu erzittern.
-Ende
Der Ewige sprach weiter, während er sich immer mehr auflöste. „Nicht Macht, nicht Reichtum, auch nicht Unsterblichkeit kann ich dir als Belohnung bieten. Nur die Gewißheit, eine arme, geknechtete und gequälte Seele erlöst zu haben. In diesen Jahr hunderten erkannte ich die Verbrechen, die ich begangen habe und wurde mir ihrer Schrecklichkeit bewußt. Ich dan ke dir...“ Und dann war er verschwunden.
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Der Fluch des Kelches
von
Jules Trebour
erscheint am
8. März 2002
bei
http://www.GroschenStory.de
Schon lange jagen zwei Schatzsucher dem Glück hinterher, und diesmal hat sie ihre Suche zu einer verfallenen Burgruine geführt, die sich als nicht gerade heimelig erweist ... „ ... im trüben Wasser waren lange Stangen aufgestellt, auf denen menschliche Köpfe aufgespießt waren. Einige von ih nen waren völlig skelettiert und von der Sonne ausgebleicht, andere erst teilweise verwest. An zwei Köpfen war das Ge sicht noch gut zu erkennen, nur die Augen hatten sich die Ra ben bereits als Leckerbissen geholt. An diesen Stangen klebte noch das Blut, das aus den durchtrennten Hälsen herunter gelaufen war ... „
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