Dieser Band ist gewidmet: Birgit Götz, Timothy Stahl und Dan Shocker
Liebe Gruselfreunde, es ist schon geraume Zeit he...
112 downloads
575 Views
452KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Dieser Band ist gewidmet: Birgit Götz, Timothy Stahl und Dan Shocker
Liebe Gruselfreunde, es ist schon geraume Zeit her, seit ich mich mit dieser Anrede an Euch gewendet habe. Aber nun ist die Zeit gekommen, wo ich mich wieder so bei Euch melden kann. Die Basis ist die neue DAN SHOCKER-Reihe, die Bernd Götz ins Leben gerufen hat. Was lange währt – wird endlich gut! Dieses alte Sprichwort scheint sich auch in diesem Falle mal wieder zu bestätigen. Wie ihr wißt, gab es drei Anläufe meine Texte wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Aber erst das Konzept von Bernd Götz hat mich überzeugt und mir von Anfang an zugesagt. Das Ergebnis liegt mit diesem ersten Heft vor Euch. Ich kann dem jungen Verlag nur alles Gute wünschen und danke ihm für seinen Mut, eine Serie in dieser Form und dieser Ausstattung zu bringen. Mir gefällt sie sehr gut, und hoffe und wünsche, daß alle Fans – alte und neue – Ihre Freude daran haben. Dies nur für heute. Bis zum nächsten Mal wie in früheren Zeiten, so auch heute. Mit eiskalten Grüßen Euer
Leser-Magazin #1 Es ist vollbracht! Liebe DAN-SHOCKER-Freunde, Ihr haltet den ersten »neuen« LARRY-BRENT-Roman in Händen. Was viele versucht und noch mehr nicht geglaubt haben – wir haben es geschafft! Und wir versprechen Euch schon heute: Der »neue« DAN SHOCKER wird noch besser als es der »alte« war! Denn wir waren und sind selbst begeisterte Heftroman-Leser und haben es immer bedauert, daß die vielfältigen Möglichkeiten dieses Mediums von den Verlagen bislang noch nie richtig genutzt wurden. Das wollen wir mit unseren neuen Serien DAN SHOCKER und DÄMONENKILLER nun anders machen. Wir publizieren unsere Hefte zum einen natürlich zu unserem eigenen Vergnügen, in erster Linie aber vor allem für Euch, für die Fans. Und die Autoren unterliegen bei uns keinen Konventionen, sie dürfen schreiben, was sie wollen und wie sie wollen. Denn wir sehen uns nicht als getrennte Parteien, sondern als eine große Familie, in der jeder ein Mitspracherecht hat. Das heißt: Gleiches Recht für Herausgeber, Autor – und Leser! Schreibt uns, was Euch gefällt und was wir Eurer Meinung nach verbessern könnten – bei uns stößt Eure Kritik ganz bestimmt nicht auf taube Ohren. Wir reagieren umgehend und sind dankbar für jeden Tip. Denn das Beste soll gerade gut genug sein – für Euch und uns! Wir sind unsere eigenen Herren, uns kann niemand vorschreiben, was wir zu tun und lassen haben. Für uns zählt nur eine Stimme: Eure! Nicht nur auf dieser Seite wollen wir Euch künftig Extras bieten, die bislang in keinem Heftroman zu finden waren: Im »Leser-Magazin« ist nicht nur Platz für Eure Briefe, vielmehr
könnt Ihr Euch hier auch selbst vorstellen, dürft erzählen, wie Ihr zum Heftromanlesen gekommen seid, für Eure Clubs werben und, und, und … Wie gesagt: Das soll keine Leserseite im herkömmlichen Sinne werden, sondern vielmehr ein buntgemischtes Magazin. Weitere Sonderbeilagen werden (wie schon in diesem Heft) neue Fälle aus dem Geheimarchiv der PSA, Illustrationen, Interviews und Hintergrundartikel oder auch Leserkurzgeschichten sein. Auch in dieser Hinsicht sind wir Vorschlägen Eurerseits immer aufgeschlossen. Sagt uns, was Ihr wollt – und Ihr bekommt es! Aber wir reden hier immer nur von »wir« und »uns« – jetzt ist es endlich an der Zeit, daß »wir« »uns« persönlich vorstellen: Da ist zum einen Bernd Götz, der den Stein ins Rollen brachte. Sein Leserherz hing an den Serien LARRY BRENT, MACABROS und DÄMONENKILLER. Als sie 1986 eingestellt wurden, ging für ihn zwar nicht die Welt unter, aber sie wurde doch reichlich heftig erschüttert. Und Langeweile machte sich breit. Den Gedanken, diese Serien fortzusetzen, hatten im Laufe der Zeit schon einige Leute – Bernd Götz setzte ihn in die Tat um. Kurzerhand nahm er Kontakt mit DAN SHOCKER auf, unterbreitete ihm ein paar Vorschläge – und rannte damit offene Türen ein. Da hatten sich zwei gefunden, denen der Heftroman Herzenssache ist. DAN SHOCKER gab grünes Licht und erklärte sich bereit, auch neue Romane mit Larry Brent und dem Team der PSA zu schreiben. Die Sache geriet in Bewegung, und nach noch nicht einmal einem Jahr liegt nun der erste Roman der Fortsetzung der legendären LARRY-BRENT-Serie vor. Ganz ähnlich ging Bernd in Sachen DÄMONENKILLER vor. Auch hier wandte er sich kurzerhand an die »Macher«, Ernst Vlcek und Kurt Luif. Der Gedanke war, die Serie dort fortzusetzen, wo sie in der ersten Auflage eingestellt wurde, und den Baphomet-Zyklus endlich,
nach 17 Jahren, im Heft weiterzuführen und dann neue Romane, ganz »im Geist der klassischen Serie«, zu bringen. Und auch in diesem Fall war Bernd erfolgreich: Im Dezember dieses Jahres erscheint mit Band 131 »Das lautlose Grauen« von Roy Palmer der erste DÄMONENKILLER-Band, und dann geht's im monatlichen Rhythmus weiter. Sein Ziel ist es, den beiden Serien, LARRY BRENT und DÄMONENKILLER, wieder jenen Platz auf dem Heft-Markt zu verschaffen, der ihnen gebührt: in der allerersten Reihe! Unterstützt wird Bernd von seiner Frau Birgit. Und sie hatte, wie so viele »Fan-Frauen« anfangs mit Heftromanen im allgemeinen und Grusel/Horror im besonderen so gar nichts im Sinn. Doch das Engagement, mit dem Bernd an die Sache heranging, sein Elan steckten sie förmlich an. Heute also ist sie aktiv dabei und hilft mit, wo immer sie kann. Und nicht zu vergessen: Sie bringt eine Menge Verständnis auf für die »Spinnereien« ihres Mannes. Aber auch der jüngste der Familie wird mitmischen: Patrick Götz (11) hat sich spontan bereiterklärt, unsere Witze-Ecke zu betreuen! Der vierte im Bunde ist Timothy Stahl. Er lernte Bernd Götz beim Marburg-Con im April kennen. Bernd erzählte von seinen Ideen und Plänen – und Timothy war begeistert. Da war er also endlich – derjenige, auf den das Fandom im Grunde schon lange gewartet hatte. Einer, der bereit war, alles besser und richtig zu machen, wenn es um Heftromane geht. Und irgendwie war's spürbar, daß Bernd einer ist, der auch durchzieht, was er sich vorgenommen hat. Es entwickelte sich eine lockere Freundschaft, die mit der Zeit stärker wurde, und bis zur Zusammenarbeit war es da nur noch ein kleiner Schritt. Jetzt kümmert sich Timothy vor allem um das Layout der Romane. Der erste Eindruck ist bekanntlich der beste – und für den ersten Eindruck unserer Hefte sorgt Fabian Fröhlich, einer der talentiertesten Phantastik-Zeichner Deutschlands, dessen Stil schon heute unverwechselbar ist. Er malt nicht nur die Titelbil-
der für die DAN-SHOCKER-Serie, sondern auch für den DÄMONENKILLER. Außerdem wird er in Zukunft auch Innenillustrationen für die Romane zeichnen. Nebenher tüfteln natürlich alle schon jetzt ständig daran, was noch verbessert und was an Neuem in die Hefte eingebracht werden könnte. Aber wie bereits gesagt: Dabei sind wir auf Eure Hilfe angewiesen! Schreibt uns, faxt und sprecht uns an: Denn nur miteinander können wir LARRY BRENT und denn DÄMONENKILLER wieder ganz nach vorne bringen. Vervollständigt wird unser »Mitarbeiter-Quartett« übrigens durch DAN SHOCKER. Aber über ihn an dieser Stelle große Worte zu machen, hieße Eulen nach Athen zu tragen. Bis zum nächsten Mal!
Bisherige LARRY-BRENT-Hefte und Blick in die Zukunft Am 23. Juli 1968 wurde Bernd Götz nicht nur acht Jahre alt, es erschien auch, welch ein Zufall, der erste Heftroman mit Larry Brent, damals in der Reihe »Silber-Krimi« des Rastatter Zauberkreis-Verlags. Ab Band 51 erlebten Larry Brent und das Team der PSA dann ihre Abenteuer in der eigenständigen Reihe »Silber Grusel-Krimi«, in der die bislang erschienenen 50 Romane neuaufgelegt wurden. Es folgten neue Abenteuer, und 1981 schließlich erhielt Dan Shocker seine eigene LarryBrent-Serie, die bis 1986 lief und mit Band 192 eingestellt wurde. Unsere Serie DAN SHOCKER knüpft mit dem ersten Band 1/193 nahtlos dort an, wo vor acht Jahren alles zu Ende schien. Nachfolgend nun eine Auflistung aller LARRYBRENT-Romane, die in der eigenen Serie erschienen sind – und ein kleiner Ausblick in die Zukunft unserer DANSHOCKER-Reihe. 1 »Das Grauen schleicht durch Bonnards Haus« (NA von SGK 1) 2 »Die Angst erwacht im Todesschloß« (NA von SGK 2) 3 »Im Kabinett des Grauens« (NA von SGK 3) 4 »Der Dämon mit den Totenaugen« (NA von SGK 4) 5 »Nachts wenn die Toten kommen« (NA von SGK 5) 6 »Der Fluch der blutenden Augen« (NA von SGK 9) 7 »Das Grauen von Blackwood-Castle« (NA von SGK 18) 8 »Die Pest fraß alle« (NA von SGK 33) 9 »Mordaugen« NEU! 10 »Die Bestie mit den Bluthanden« (NA von SGK 10) 11 »Sanatorium der Toten« (NA von SGK Tb 1) 12 »Der mordende Schrumpfkopf« (NA von SGK 41) 13 »Draculas Liebesbiß« (NA von SGK 27) 1 Teil 14 »Draculas Höllenfahrt« (NA von SGK 28) 2 Teil
15 »Zombie-Wahn« NEU! 16 »Die Schlangenkopfe des Dr. Gorgo« (NA von SGK 34) 17 »Orungu – Fratze aus dem Dschungel« (NA von SGK 35) 18 »Der Mönch mit der Teufelskralle« (NA von SGK 12) 19 »Der Sarg des Vampirs« (NA von SGK 13) 20 »Im Todesgrift der Schreckensmumie« (NA von SGK 16) 21 »Super-Virus aus der Hölle« NEU! 22 »Schreie aus dem Sarg« (NA von SGK 21) 23 »Der Satan schickt die Höllenbrut« (NA von SGK 7) 24 »Irrfahrt der Skelette« (NA von SGK 29) 25 »Die Treppe ins Jenseits« (NA von SGK 6) 26 »Das Totenhaus der Lady Florence« (NA von SGK 8) 27 »Gefangener des Unsichtbaren« NEU! 1. Teil 28 »Tod in der Gespenster-Villa« NEU! 2. Teil 29 »Verfluchte aus dem Jenseits« NEU! 3. Teil 30 »Die mordende Anakonda« (NA von SGK 22) 31 »Die Morderpuppen der Madame Wong« (NA von SGK 11) 32 »Das Monster aus der Retorte« (NA von SGK 23) 33 »Zur Herberge der tausend Schrecken« (NA von SGK Tb 2) 34 »In den Krallen der Nebelhexe« NEU! 35 »Party im Blutschloß« (NA von SGK 31) 36 »Der Wolfsmensch im Blutrausch« (NA von SGK 36) 37 »Das Geheimnis der Knochengruft« (NA von SGK 14) 38 »Bis die Ratten dich zerfetzen« (NA von SGK 37) 39 »Vor der Tür stand Frankenstein« (NA von SGK 17) 40 »Chopper – Geisterstimme aus dem Jenseits« NEU' 41 »Um Mitternacht im Leichenhaus« (NA von SGK 15) 42 »Dämonenbrut« (NA Von SGK 39) 43 »Das Beinhaus der Medusa« (NA von SGK 25) 44 »Die Blutsauger von Tahiti« (NA von SGK 26) 45 »Schizophrenia – Nachte des Wahnsinns« NEU! 46 »Die menschenfressende Bestie« (NA von SGK 30)
47 »Der Schlitzer aus dem Jenseits« (NA von SGK 38) 48 »Amöba saugt die Menschen aus« (NA von SGK 40) 49 »Die Horrormaschine« (NA von SGK 50) 50 »Monsterburg Höllenstein« NEU! 51 »In den Katakomben des Wahnsinns« (NA von SGK 19) 52 »Die Leichenkammer des Dr. Sarde« (NA von SGK 20) 53 »Schrei, wenn dich der Hexentöter würgt« (NA von SGK 24) 54 »Gespenster-Dschunke von Shanghai« NEU! 55 »Der Würger aus dem See« (NA von SGK 32) 56 »Satans Mörderuhr« (NA von SGK 42) 57 »Schreckensmahl« (NA von SK 942) 1. Grusel-Magazin! 58 »Todesschwadron des Geisterlords« NEU! 59 »Homunkula Luzifers Tochter« (NA von SGK 43) 60 »Bis zum letzten Schrei« (NA von SGK 48) 61 »Medusas steinerne Mörder« NEU! 62 »Todeskuß vom Höllenfürsten« (NA von SGK 44) 63 »Im Labyrinth des Ghuls« (NA von SGK 51) 64 »Marotsch, der Vampir-Killer« (NA von SGK Tb 10) 65 »Corrida der Dämonen« (NA von SGK 55) 1. Teil 66 »Das Tor zur Hölle« (NA von SGK 56) 2. Teil 67 »Monster Bestie Gorho« (NA von SGK 57) 3. Teil 68 »Schreckensgondel der Schneehexe« NEU! 69 »Die Leiche aus der Kühltruhe« (NA von SGK 46) 70 »Die Mordfalter« (NA von SGK 45) 71 »Der Hexer mit der Schlangenhand« NEU! 72 »Das Horror-Palais vom Wien« NEU! 73 »Der Gehenkte von Dartmoor« (NA von SGK 47) 74 »Nakor – Echse des Grauens« (NA von SGK 66) 75 »Die Wahnsinnsbrut des Dr Satanas« (NA von SGK 60) 76 »Die Jenseitskutsch von Diabolos« NEU! 77 »Die Gruft der bleichenden Schädel « (NA von SGK 61) 78 »Kuß niemals Choppers Geisterbraut« NEU! 79 »Im Würgegriff des Nachtmahrs« (NA von SGK Tb 6)
80 »Vampir-Klinik des Dr Satanas« NEU! 81 »Lady Frankenstein« (NA von SGK 53) 82 »In den Katakomben der Gräfin Redziwihl« (NA von SGK 62) 83 »Morkans Horror-Würmer« NEU! 84 »Machetta – Sumpfhexe vom Mississippi« (NA von SGK 58) 85 »Hexensabbat« (NA von SGK 49) 86 »Spukschloß im Mittelpunkt der Erde« NEU! 87 »Dr. Satanas – Herr der Skelette« (NA von SGK 65) 88 »Die Alpträume des Mr. Clint« (NA von SGK 52) 89 »Lebende Leichen« (NA von SGK 54) 90 »Der Monster-Mann« NEU! 91 »Das Schloß der teuflischen Deborah« (NA von SGK 63) 92 »Die Todesbucht von Cala Modio« NEU! 93 »Wenn die Knochenmänner tanzen« (NA von SGK 64) 94 »Die Schleimigen von Ghost Valley« NEU! 95 »Ruine der Kopflosen« (NA von SGK 73) 96 »Dr. Satanas Killer-Computer« (NA von SGK 71) 97 »Leichenvögel« (NA von SGK 77) 98 »Die Geister-Girls von W « NEU! 99 »Die Lady mit den toten Augen« (NA von SGK 67) 100 »Leichengeflüster« NEU! 2. Grusel-Magazin 101 »Der Unheimliche aus dem Sarkophag« (NA von SGK 68) 102 »Borro, der Zombie« (NA von SGK 69) 103 »Panoptikum der Geister« NEU! 1. Teil 104 »Leichenparasit des Geflügelten Todes« NEU! 2. Teil 105 »Atoll des Schreckens« (NA von SGK 75) 106 »Atomgespenster« NEU! 107 »Turm der Menschenmoster« (NA von SGK 114) 108 »Die Werwolfe des Dr. Satanas« NEU! 109 »Kastell des Dämons« (NA von SGK 79)
110 »Zombies im Orient-Express« NEU! 111 »Die Gehirne des Dr. Satanas« (NA von SGK 81) 112 »Monster im Prater« NEU! 113 »Gebeine aus der Hexengruft« (NA von SGK 83) 114 »Sylphidas Rachegeister« NEU! 115 »Das Höllenbiest« (NA von SGK Tb 8) 116 »Geheimexperiment »Todessporen«« NEU! 117 »Die Pranke der Sphinx« (NA von SGK 91) 118 »Urzeit-Dämonen greifen an« NEU! 119 »Satanische Klauen« (NA von SGK 85) 120 »Der Bogenschütze des Schwarzen Todes« NEU! 121 »Das Scheusal aus dem Unsichtbaren« (NA von SGK 93) 122 »Dr. Satanas – Totensauger von N« (NA von SGK 95) 123 »Schreckensparty bei Graf Dracula« NEU! 124 »Die weiße Frau vom Gespensterturm« NEU! 125 »Todesschreie aus dem Blutmoor« (NA von SGK 228) 126 »Luciferas Horror-Maske« NEU! 127 »Die Müll-Monster« (NA von SGKTb 14) 128 »Die fliegenden Sarge von San Fransico« NEU! 129 »Superbestie Dr. Jeckyll« (NA von SGK 130) 130 »Das Mädchen mit den Monsteraugen« NEU! 131 »Pakt mit Luzifer« (NA von SGK 89) 132 »Dr Frankensteins unheimliches Labor« NEU! 133 »Die Höllenmühle« (NA von SGK 228) 134 »Geister im Grand-Hotel« NEU! J35 »Madame La Roshs Marterhaus« (NA von SGK 150) 136 »Chopper ruft die Leichen-Ladies« NEU! 137 »Fluch der Seelenwanderer« (NA von SGK 196) 138 »Nostradamus – Gericht im Jenseits« (NA von SGK 200) 139 »Rätsel-Tempel des Dschinn« NEU! 140 »Zombies auf der Reeperbahn« NEU! 141 »Nacht der Höllenkäfer« (NA von SGK 192) 142 »Bei Nebel kommt der Schizo-Killer« NEU! 143 »Alraunen-Spuk« (NA von SGK 212)
144 »Die Jenseits-Party« NEU! 145 »In den Fangen der Dämonenspinne« (NA von SGK 204) 146 »Der Horror-Butler« NEU! 147 »Hinter der Todesmaske« (NA von SGK 260) 148 »Nosferata die Blut-Lady des Dr. Satanas« NEU! 149 »Haus der mordenden Schatten« (NA von SGK 132) 150 »Larry Brents Totentanz« (NA von SGK 100) 151 »Voodoo-Rache« (NA von SGK 102) 152 »Verbannt auf Mordios Todesfregatte« NEU! 153 »Die Hexe aus dem Urnengrab« NEU! 154 »Das grüne Blut des steinernen Götzen« (NA SGK 104) 1. Teil 155 »Totenkopf-Roulette« (NA von SGK 106) 2. Teil 156 »Pandamonium« (NA von SGK 108) 3. Teil 157 »Chalet der tödlichen Stimmen« NEU! 158 »Marduks schwarze Leichenbrut« NEU! 159 »Hexenauge« (NA von SGK 144) 160 »Dr. Satanas Drachensaat« (NA von SGK Tb 21) 161 »Totengruft der Templer« NEU! 162 »Die Pestgärten des Dr. Tschang Fu« (NA von SGK 117) 163 »Mortus Monstrum aus dem Jenseits« (NA von SGK 120) 164 »Im Todesnetz der Kung Fu-Killer« (NA von SGK 122) 165 »Im Horror-Reich der Nokken« (NA von SGK 124) 166 »Reiß den Pflock aus meinem Vampir-Herz« NEU! 167 »Madame Hypnos Schattenträume« (NA von SGK 208) 168 »Todesfalle Bermuda-Dreieck« NEU! 169 »Nacht der zürnenden Schädel« (NA von SGK 166) 170 »Der Zauberdolch von Singapur« NEU! 171 »Die Skelettfratze« (NA von SGK 126) 172 »Die sieben Plagen des Dr. Tschang Fu« (NA von SGK 128) 173 »Magie Ladys Horror-Show« NEU! 174 »Die Geister von Uxmal« (NA von SGK 138) 1. Teil
175 »Irrgarten der Monstergötzen« (NA von SGK 140) 2. Teil 176 »Totenstadt Nekropohs« (NA von SGK 142) 3. Teil 177 »Mit Mörderblick und Hexenbann« NEU! 178 »Der Geisterfriedhof von Brendshaw« NEU! 179 »Dr Tschang Fus Mikro-Killer« (NA von SGK 146) 180 »Die Spuk-Truhe« NEU! 181 »Horror-Train nach Nirgendwo« (NA von SGK 162) 182 »Dr Tschang Fus Teufelsgezücht« (NA von SGK 156) 183 »Maskeradas Monsternächte« NEU! 184 »Der Dämonensohn des Dr. Satanas« NEU! 185 »Die Folterburg des Dämonensohns« NEU! 186 »Invasion der Kraken« (NA von SGK 172) 187 »Todesdiamant aus Satans Krone« (NA von SGK 178) 188 »Das Grauen hinter der Tür« NEU! 189 »Die Wächsernen aus dem Psycho-Labyrinth« (NA SGK 188) 190 »Die Maschine des Bösen« (NA von SGK 182) 191 »Mördergrube des grünen Inka« NEU! 192 »Striptease einer Zombie-Hexe« NEU! 1/193 »Der Dämonensohn schickt den Todesboten« NEU! 2/194 »Gespensterhaus an der Themse« (NA von SGK 224) 3/195 » Nachtritt der Mondgeister« NEU! 4/196 »Die Mordwespen des Dr. X« (NA von SGK 236) 5/197 »Draculas Vampir-Falle« (NA von SGK 216) 6/198 »Satansmesse« NEU! 7/199 »Blut des toten Dämons« (NA von SGK240) 8/200 »Schädelgürtel des Dämonensohns« NEU! Jubiläumsband!
Dan Shocker Der Dämonensohn schickt den Todesboten Unheimliche Gruselabenteuer mit LARRY-BRENT und dem Team der PSA Lissy Ferguson warf einen verstohlenen Blick auf die Freundin am Steuer des tomatenroten Triumph Vitesse. »Bist du sicher, daß wir hier richtig sind?« Belinda Masters konzentrierte sich auf die regennasse Fahrbahn, die sich durch den dunklen Fichtenwald zu winden schien. »Ich hab' mich an dem Wegweiser vorhin orientiert. Sieben Meilen sollten es da noch bis Chewenshere sein. Na ja, inzwischen hab' ich zehn mehr auf dem Tacho und von dem Kaff ist immer noch nichts zu sehen …« »He, da vorn! Siehst du das Licht?« Tatsächlich schimmerte über den windgepeitschten Baumwipfeln ein vager Lichtpunkt durch den Regenvorhang. Belinda Masters verringerte die Geschwindigkeit noch mehr, und der Sportwagen rollte im Schrittempo über den nassen Asphalt. Die Scheibenwischer schaufelten nicht nur das Regenwasser beiseite, sondern auch Laub und abgerissene Zweige, die der Wind immer wieder gegen die Frontscheibe trieb, was die Sicht erheblich einschränkte. »Tatsächlich, Lissy. Du hast recht!«
Da war das Licht wieder. Es flammte nur einen Moment auf. Es sah aus, als würde jemand in einem Haus mit dem Lichtschalter spielen. Belinda entschloß sich, zu dem einsamen auf der Anhöhe zwischen den
Bäumen liegenden Haus zu fahren, um dort nachzufragen, ob das Dorf Chewenshere dem Erdboden gleichgemacht, an anderer Stelle errichtet oder gar die Straße dorthin verlegt war. Unweit der Stelle, von der aus sie das erste Lichtzeichen wahrgenommen hatte, führte auch ein Pfad zur Anhöhe. »Den gab's früher nicht«, bemerkte Belinda beiläufig. »In zwanzig Jahren verändert sich viel«, nickte Lissy. Sie warf den Kopf zurück, und das gewellte, lockere Haar fiel nach hinten. »Als du mit sieben bei deinem Onkel Jack warst, sah es eben hier noch völlig anders aus.« Belinda schüttelte den Kopf. »Ich glaube eher, daß es die Straße damals überhaupt noch nicht gab. Nun ja, in ein paar Minuten wissen wir mehr. Vielleicht ist da oben ein Gasthaus. Wäre mir sogar ganz recht. Ich habe die Nase voll, bei dem scheußlichen Wetter noch länger durch die Nacht zu fahren und womöglich noch ein weiteres Mal falsch abzubiegen.« Der nach oben führende Weg war nicht befestigt. Zwei tiefe Fahrrinnen ließen jedoch den Schluß zu, daß er nicht nur von Spaziergängern, sondern häufig auch von Fahrzeugen benutzt wurde. Der Weg war verhältnismäßig steil, führte in Serpentinen um die Anhöhe und mündete auf einem steinigen Platz hinter dem Haus. Es war ein Gebäude im viktorianischen Stil mit vielen kleinen Fenstern und Erkern und zwei spitzen, abgesetzten Giebeln. Das massive Backsteinhaus wirkte in seiner Einsamkeit schon unheimlich. Dieser Eindruck wurde durch die Witterung und Dunkelheit noch verstärkt. Belinda fuhr um das Haus herum. Der Boden war aufgeweicht von dem seit Stunden andauernden Regen. Zur Eingangstür führten drei ausgetretene, dafür überdachte
Stufen. Aus der Nähe erkannten die beiden Freundinnen auch, was es mit dem Blinklicht auf sich hatte, das sie unterwegs noch einige Male wahrgenommen hatten. Über der Eingangstür schaukelte an einer schmiedeeisernen Kette eine uralte Lampe im Wind. Sobald sie nach links schwang, geriet sie in einen Winkel, der von der Straße einzusehen war. Beim Zurückschwingen verschwand das Licht hinter dichtbelaubten Wipfeln. So war für die beiden Freundinnen der Eindruck entstanden, eine Lampe würde an- und ausgeknipst. Belinda Masters hielt vor der Eingangstür. Nur wenige Schritte entfernt stand ein baufälliger Schuppen, der als Stellplatz für allerlei Gerät und Gerumpel diente. Sämtliche Fenster waren verschlossen. Läden gab es nicht. So prasselte der Regen gegen die Scheiben. Dahinter gab es keine Vorhänge. So machte das Gebäude einen unbewohnten Eindruck. Doch das konnte nicht sein. Jemand mußte hier leben, sonst würde vor dem Eingang die Lampe nicht brennen. Belinda Masters stellte den Motor ab. »Warte hier, Lissy. Ich bin gleich zurück.« Die rotblonde Freundin hielt sie am Arm fest. »Was hast du vor?« »Erfahren, wo ich bin. Meinst du, ich bin nur hier heraufgefahren, um festzustellen, daß da eine alte Lampe herumbaumelt?« Belinda kramte aus dem Gepäck auf dem Rücksitz einen Knirps, um sich vor dem Regen zu schützen. »Bin gleich wieder da«, lächelte sie beruhigend. »Halte den Wagen startbereit. Für den Fall, daß in dem Haus ein Wüstling wohnt, der was übrig hat für kleine Mädchen«, fügte sie augenzwinkernd hinzu. Sie öffnete die Wagentür, schwang die langen Beine in den Regen, die in knallengen Jeans steckten, spannte den Schirm
auf und eilte zur drei Schritte entfernten Treppe. Der Sturm drohte ihr den Schirm zu entreißen. Typisches Herbstwetter, dachte Belinda mürrisch. Hinter ihr fiel die Autotür ins Schloß. Die rotblonde Lissy, die den Flitzer nach der Ankunft aus New York am Londoner Flughafen Heathrow gemietet hatte, spähte geduckt durch die Windschutzscheibe. Sie beobachtete, daß Belinda nach dem altmodischen Klingelzug griff, plötzlich aber stutzte. Sie wandte den Kopf, blickte zu Lissy zurück und deutete auf die Tür. Lissy verengte die Augen, erkannte im ersten Moment nicht, was die Freundin mit der Geste ausdrücken wollte. Sie begriff erst, als Belinda den Schirm gegen die Tür stemmte. Da sah Lissy, wie die Tür nachgab. Die Fünfundzwanzigjährige hatte spontan den Gedanken: Mensch, wir werden ja erwartet! Belinda Masters stand einige Sekunden perplex vor der offenen Tür und starrte in den dunklen Korridor. Lissy kurbelte das Seitenfenster herunter. »Vorsicht«, warnte sie die Freundin. »Da stimmt etwas nicht.« Belinda war viel zu neugierig, um die Mahnung ernstzunehmen. »Du bist zu ängstlich, Lissy. Mit deinem Nervenkostüm stimmt was nicht. Altes Haus gleich Falle für junge Mädchen, wie? Du siehst zuviele Splatter-Filme. Wer immer hier lebt, hat keinen Grund, abzuschließen. Das Haus macht nicht den Eindruck, daß sein Besitzer Reichtümer anhäuft. Vielleicht ist er auch bloß vergeßlich.« Belinda Masters gab sich keine Mühe, leise zu sprechen. Sie stieß die Tür vollends auf. »Hallo? Ist da jemand?« Sie lauschte der eigenen verhallenden Stimme nach.
Es rührte sich nichts. Da rief Belinda ein weiteres Mal, diesmal noch lauter. Auch jetzt blieb alles ruhig. Merkwürdig. Die junge Amerikanerin, deren Vorfahren aus dieser Gegend vor mehr als einhundertfünfzig Jahren ausgewandert waren, spielte einen Augenblick mit dem Gedanken, sich umzudrehen und die Fahrt fortzusetzen. Dann siegte doch die Neugierde. Sie konnte sich lebhaft zwei Möglichkeiten vorstellen. Entweder schlief der Hausbewohner so fest, daß er nichts mitbekam, oder hier oben in der Einsamkeit war ein Mensch gestorben, ohne daß es bisher bemerkt wurde. Wie oft starben alte Menschen in den seelenlosen Hochhäusern der großen Städte, ohne daß die Nachbarn etwas davon mitkriegten. Meist erst dann, wenn Briefkästen überquollen oder gar Verwesungsgeruch aus einer Wohnung drang, kam jemand auf die Idee, die Behörden zu verständigen. Unwillkürlich sog Belinda die Luft ein. Nein, nach Verwesung roch es hier nicht, eher muffig – ein Geruch, typisch für alte Gebäude. Belinda betrat den langen, schmalen Korridor. Sie tastete instinktiv neben dem Türrahmen nach dem Lichtschalter, fand und betätigte ihn. An der Decke flammte Licht auf. Der verstaubte Lampenschirm schien seit einem Jahrhundert nicht mehr geputzt. Es war überhaupt schmutzig im Haus. Spinnweben und Staub in allen Ecken, auf Regalen und dem kleinen Schrank in der Diele. Die Türen, die auf den Flur mündeten, waren angelehnt oder standen halb offen. Belinda warf einen Blick in die Räume. Die Küche war ein einziger Dreckstall. Auf dem Tisch und dem steinernen Ausguß stapelten sich Berge von Geschirr. Leere Konservendosen
lagen in der Ecke, dazu durchweichtes, zusammengeknülltes Papier, verschimmeltes Brot und andere sauer riechende Speisereste. Belinda klappte der Unterkiefer herunter. So eine Unordnung hatte sie noch nie gesehen. Die Küche war eine einzige Müllkippe. Und wie dort tummelte sich allerlei Ungeziefer im Unrat. Schwärme von Schmeißfliegen umschwirrten die verdorbenen Speisereste. Maden und Würmer wimmelten zwischen den Dosen. Mäuse und Ratten raschelten unter den Abfällen. Sie ließen sich von Belinda Masters nicht stören. Die dunkelhaarige Besucherin war nicht der Typ, der leicht in Angst und Schrecken zu versetzen war, doch in diesem Augenblick lief es ihr eiskalt den Rücken hinunter, brach gleichzeitig Schweiß aus den Poren. Sie konnte nicht anders, als die Hand nach der Klinke auszustrecken und die Tür blitzschnell ins Schloß zu ziehen. Scheußlich war das, und doch brachte sie es nicht fertig, auf dem Absatz kehrtzumachen. Wenn hier jemand wohnte, wovon Belinda ausging, konnte sie keinen gewöhnlichen Maßstab anlegen. Er mußte entweder uralt und so schwächlich sein, daß er allein kaum noch zurechtkam, oder aber er war geisteskrank. Belinda nahm sich vor, auf der Hut zu sein. Unwillkürlich drängten sich ihr Schreckensbilder auf. Hinter jeder Tür, an der sie vorüberkam, konnte der unheimliche Hausbewohner stehen, bewaffnet mit einem Messer oder einer Axt. Sie mußte dabei an Gruselschocker denken, die sie in der letzten Zeit gesehen hatte. Sie überwand die trüben Gedanken aber sehr schnell wieder. Dieses Haus war zwar merkwürdig, aber die Angst war sicher unbegründet. Sie öffnete eine Tür nach der anderen. Dahinter lagen jeweils Räume, die keinen besonders sauberen Eindruck machten, aber
wenigstens nicht so heruntergekommen waren wie die Küche. Ein Raum wurde als Schlafzimmer benutzt. Hier standen ein altes Bett, ein bis an die Decke reichender Kleiderschrank, ein zerschlissener Sessel, aus dessen Polsterung Sprungfedern ragten. Die übrigen Zimmer, die sie inspizierte, waren mehr oder weniger Rumpelkammern. Belinda kam zu dem Schluß, daß dieses Haus von einem Sonderling bewohnt wurde, der Freude daran hatte, allen möglichen Trödel und Gerumpel zu einer Sammlung zu vereinen. Das Haus war ein einziger großer Flohmarkt. Ein Sammler wäre hier bestimmt fündig geworden. Je länger Belinda sich in dem stillen Gebäude aufhielt, desto traumhafter erschien ihr alles. Am Ende des schmalen Gangs begann die nach oben führende Treppe. Gleich daneben befand sich eine hohe Tür. Offensichtlich verbarg sich dahinter eine Abstellkammer. Automatisch drückte die junge Frau auch hier die Klinke. Im Zwielicht erkannte sie die Umrisse alter Kleider, an einer Stange aufgereiht, Besen und einen Staubsauger, Lumpen und Behälter von Haushaltsreinigern. Und – zwei nackte Frauenbeine, die aus dem Gerümpel ragten! * Lissy Ferguson zuckte zusammen. Einen Moment war es ihr, als hätte sie einen Schrei vernommen. Sie hielt den Atem an. Ihre Hand zuckte zum Radio. Der Techno-Titel brach abrupt ab. Lissy kurbelte das Seitenfenster herunter und lauschte nach draußen. Außer dem Wind und dem Rauschen des Regens war da nichts. »Belli?« rief sie zum Haus hinüber. Die Tür war ins Schloß
gefallen. Lissy konnte nicht in den Korridor sehen, in dem Belinda Masters verschwunden war. Lissy vernahm kein verdächtiges Geräusch mehr. Hatte sie sich getäuscht? Sie wollte es genau wissen, stieg aus dem Sportwagen und lief geduckt durch den Regen. Sie stieß die Tür auf und blieb auf der Schwelle stehen. Von hier konnte sie den gut zehn Meter langen Korridor überblicken und sah am anderen Ende vor einer offenstehenden Kammer eine Gestalt kauern. »Belli?! Gott sei Dank. Mir war, als hättest du geschrien.« Sie löste sich von der Tür, die hinter ihr sofort wieder zufiel. Belinda Masters wandte nicht den Kopf, als die Freundin näherkam. »Dir war nicht nur so«, korrigierte sie beiläufig, während sie sich erhob. »Ich habe tatsächlich geschrien. Das wäre dir bei dem Anblick sicher genau so ergangen …« Mit diesen Worten trat sie zur Seite, so daß Lissy Ferguson direkt in die Kammer sehen konnte. »Aaaaggghh!« Lissy Ferguson konnte nicht anders. Ein gellender Schrei entwich ihrer Kehle, und sie taumelte erschrocken einen Schritt zurück. »Genau so ging es mir auch«, sagte Belinda Masters gelassen. Und sie lachte leise. »Ich habe schon befürchtet, da hat jemand eine Leiche in der Besenkammer verborgen.« Daß dem nicht so war, erkannte Lissy ebenfalls erst auf den zweiten Blick. Blechkanister und Lumpen waren zur Seite geräumt. Zum Vorschein gekommen waren aber keine Beine aus Fleisch und Blut, sondern aus Hartplastik. »Die Beine einer Schaufensterpuppe!« entfuhr es Lissy. Die kalkige Blässe wich langsam aus ihrem Gesicht. Sie wußte nicht recht, ob sie lachen sollte.
»Das Untergestell einer weiblichen Schaufensterpuppe, richtig«, echote Belinda. »Kleiner Schreck in später Abendstunde. Bestimmt findet sich irgendwo auch noch das Oberteil.« »Komm, laß uns gehen. Mir ist das unheimlich.« »Rede keinen Schwachsinn, Lissy. Je länger ich hier bin, desto mehr interessiere ich mich dafür, was für ein komischer Heiliger in dem Chaos haust. Niemand rührt sich, läßt sich nicht durch Schreie aufstören …« »Genau das ist es, was mir Angst einflößt«, fiel Lissy ihr ins Wort. »Das ist doch völlig unnormal.« »Ist es nicht, wenn du dir vorstellst, daß der Hausbewohner vielleicht einen nächtlichen Spaziergang unternimmt …« »Bei diesem Wetter?« Lissy Ferguson blieb skeptisch und strich das in die Stirn fallende Haar zurück. »Da müßte er ja total übergeschnappt sein …« Sie unterbrach sich, als sie sah, wie Belinda sie anschaute und kaum merklich nickte. »Laß uns weggehen hier«, wisperte Lissy. »Ich will keinem Verrückten begegnen. Vielleicht hat er nicht nur abgeschnittene Beine von Schaufensterpuppen hier herumliegen, sondern auch echte.« »Ach was, da liegt soviel Zeug herum, da stoße ich vielleicht auch auf ein Telefon. Dann werde ich in Cunning-House anrufen. – Und nun geh wieder raus und halte die Stellung, für den Fall, daß wir beide doch schnell die Kurve kratzen müssen.« Lissy verdrehte die Augen. »Also, deine Nerven möchte ich haben. Hast du wirklich vor …« Belinda nickte entschlossen und blickte die hölzerne Treppe hoch. »Klar. Ich sehe mir alles an.« Lissy zuckte die Achseln und eilte zur Haustür. Sie hielt den Blick gesenkt, die Strickjacke über dem Kopf, um sich vor dem prasselnden Regen zu schützen. Sie hastete auf die Stelle zu, wo der Triumph Vitesse stand.
Lissy lief ins Leere. Das Auto war verschwunden. »Aber … das ist doch … nicht möglich.« Es war ihr nicht bewußt, daß sie diese Worte ausstieß. Lissy warf den Kopf herum. Der Triumph Vitesse! Lautlos rollte er den abschüssigen Weg hinunter. Lissy spurtete los. Hatte Belinda vergessen, den Gang einzulegen? Oder die Handbremse nicht angezogen? Noch war der Weg nicht so steil, daß die Geschwindigkeit des Gefährts zunahm. Doch das würde sich rasch ändern, wenn der Triumph das Ende des abfallenden Platzes vor dem Haus erreichte. Lissy holte auf, war jetzt auf gleicher Höhe mit dem Wagen und streckte schon die Hand nach der Fahrertür aus. Da schoben sich aus dem Dunkel zwischen den Büschen zwei fremde Arme nach vorn. Lissy wurde gepackt und zurückgerissen. Zum Schreien kam sie nicht. Eine Hand preßte sich auf Mund und Nase und schnürte ihr die Luft ab. Sie schlug um sich, griff aber ins Leere. Mit aufgerissenen Augen starrte sie auf den Triumph, der im gleichen Moment stehenblieb und nun rückwärts den Berg hochfuhr! Das war Teufelswerk! Wie konnte ein Auto bergauf fahren, ohne daß der Motor gestartet wurde? Alles in Lissy verkrampfte sich. Sie wurde festgehalten von starken Armen, ohne den Widersacher sehen zu können. Nicht nur der massive Griff, auch das eigene Grauen schnürte ihr die Kehle zu. Lissy ließ sich noch weiter in die Arme des Unbekannten fallen, weil sie fürchtete, von den Hinterrädern erfaßt und überrollt zu werden.
Doch sie fiel nicht länger zurück. Ein Reifen streifte ihre Fußspitzen. Lissy starrte aus angstverschleierten Augen in das Wageninnere und begann an ihrem Verstand zu zweifeln. Auf dem Fahrersitz schwebte ein feuriges Wesen mit einem Dämonenkopf, tierischen Gliedmaßen und einem langen, zottigen Schwanz. Das Geschöpf war überwiegend grün und rot, fletschte die langen, spitzen Zähne. Ein Dämon der Hölle grinste Lissy an und schüttelte sich beinahe vor Lachen, als er ihr Entsetzen registrierte. Das war zuviel für die Rotblonde. Sie verdrehte die Augen. Ihr Körper erschlaffte, sie verlor das Bewußtsein. * Belinda Masters bekam von alldem nichts mit. Ahnungslos setzte sie ihren Erkundungsgang durch das seltsame Haus fort, darauf gefaßt, daß doch jemand auftauchte. Auch der Korridor im ersten Stock war lang und schmal, mit vielen Türen. Belinda legte die Hand auf die nächste Klinke, als sie plötzlich innehielt. Sie hörte ein leises Gurgeln und Rauschen. Das war nicht der Regen, der durch die Rinne ablief. Nein, da ließ jemand Wasser in eine Badewanne ein! Und das mitten in der Nacht? Belinda fing langsam an, sich zu fragen, was für einen Sinn eigentlich ihr Aufenthalt in diesem Gebäude noch hatte. Sie erkannte, daß es ein innerer Trieb war, der sie hier festhielt. Sie stand wie unter einem fremden Bann. Dieses Erkennen fiel zusammen mit der Wahrnehmung des seltsamen Geräuschs, das durch die Tür auf der anderen Seite des Flurs drang.
Belinda wandte sich ihr zu, öffnete sie vorsichtig. Ihr Blick fiel in ein altmodisches Badezimmer, das grün gestrichen war, von dessen Decke sich der Verputz in dünnen Fladen löste. Es gab einen Kohlebadeofen und eine rostige Wanne. Belinda mußte die Tür ganz öffnen, damit genügend Licht vom Flur in den quadratischen Raum fiel. Der karge Schein war freilich kaum dazu angetan, das Dunkel zu durchdringen. Doch er reichte aus, sie das Ungeheuerliche erkennen zu lassen. In der Badewanne lag ein Mensch, leblos, seltsam verdreht. Er wandte ihr Schulter und Rücken zu, der Kopf war ins Wasser getaucht. Wasser ? Nein! Das war eine trübe, blasenwerfende Brühe. In der Wanne wurde mit einer dampfenden, sprudelnden Säure eine Leiche beseitigt! Belinda hörte sich in dieser Nacht zum zweiten Mal schreien. Im Gegensatz zum ersten Mal gab es kein Deuteln an der Szene. Der Körper im Säurebad war keine Schaufensterpuppe! Das bedeutete, daß ein Mörder sich noch im Haus aufhielt. »Oh, mein Gott!« entfuhr es ihr. Schlagartig verstand sie nun, wieso sie die ganze Zeit niemanden im Haus angetroffen hatte. Hier war ein Verbrechen begangen worden, der Mörder hatte sich versteckt. Mit dieser Erkenntnis verließ Belinda Masters alle bisher bewiesene Kaltblütigkeit. Nur ein Gedanke beseelte sie: Nichts wie raus hier! Sie wirbelte herum – und lief dem Mann genau in die Arme. * Iwan Kunaritschew alias X-RAY-7 und Larry Brent alias XRAY-3, das Topgespann der PSA, waren hinter der efeuumrankten Mauer kaum voneinander zu unterscheiden.
Die beiden Agenten befanden sich auf dem Grundstück des Earl of Hampton. Das Anwesen, rund dreißig Meilen nordwestlich von London, lag in einem verwilderten Park. Büsche und Bäume wuchsen, wie sie wollten, das Unkraut schoß meterhoch empor, und so war das einstmals gepflegte Grundstück der Adelsfamilie zu einem Biotop geworden, zu einem Paradies für allerlei Getier und seltene Pflanzen. Früher kümmerte sich ein Gärtner darum, daß der englische Rasen gepflegt wurde und die Halme keinen Zentimeter zu hoch wuchsen und die Blumenbeete immer akkurat bepflanzt waren. Diese Zeiten waren lange vorbei. Die Adeligen hatten in Saus und Braus gelebt. Übriggeblieben war ein letzter Sproß. Der jetzige Earl of Hampton, Sir Philipp, einundsiebzig, ehe- und kinderlos und seit zwei Wochen auch ohne Hund. Die vierzehnjährige Dogge, die bis zuletzt in dieser Wildnis herumstromerte und das kleine Landhaus mit dem roten Ziegeldach bewachte, war an Altersschwäche eingegangen. So waren Larry und Iwan unbemerkt auf das Anwesen gekommen. Und darüber waren sie froh. Um Sir Philipp rankten sich nämlich einige seltsame Legenden, die ihnen zu denken gaben. Spaziergänger, die bei Dunkelheit an dem Landhaus vorbeigekommen waren, hatten von dort immer wieder seltsame Lichterscheinungen und merkwürdige Geräusche wahrgenommen. Unbestätigten Berichten zufolge hatten schwarze Vögel das Haus umkreist und aus dem Kamin stiegen mitten im Sommer dichte Funkenschwärme, so als hätte der Earl kräftig eingeheizt. Philipp Earl of Hampton wurde inzwischen verantwortlich gemacht für einige tödliche Unfälle auf der nahegelegenen Schnellstraße. Das Gerücht, er sei ein Hexer, der sich mit magischen Praktiken befaßte, wollte nicht mehr verstummen. Nachforschungen von Scotland Yard und Nachrichtenagenten
der PSA ergaben, daß an den Beobachtungen etwas dran sein mußte. Im Umkreis von sieben Kilometern häuften sich danach in der Tat die unerklärlichen Unfälle. Auf schnurgerader Fahrbahn verloren Fahrer die Herrschaft über ihre Autos. Spaziergänger auf dem Weg neben der Schnellstraße kamen plötzlich auf die Idee, die Trasse zu überqueren. Singvögel fielen tot von den Bäumen, Tauben stürzten im Steilflug ab, bohrten sich in das Erdreich. Fische in einem nahen Teich sprangen aus dem lebenserhaltenden Naß und verendeten jämmerlich. Auch das Tierverhalten änderte sich. So gab es Beweise dafür, daß Mäuse plötzlich aus ihren Löchern huschten und ausgewachsene Katzen angriffen. Mehrere Katzen, die geblendet waren oder tiefe Bißwunden im Nacken aufwiesen, waren inzwischen untersucht worden. Auch auf Menschen wirkten sich die »unheilvollen, magischen« Kräfte aus, wie sie inzwischen in den Akten bezeichnet wurden. Kerngesunde Leute brachen wie vom Blitz gefällt zusammen – Herzstillstand. Manche wiesen am Körper Ausschläge oder tiefe Wunden auf, von denen unklar war, wie sie zustandekamen. Fest stand nur eines: Sie hatten zum Tod geführt. Iwan nahm das Nachtglas von den Augen, durch das er die ganze Zeit über das stille, dunkle Haus zwischen den Bäumen beobachtet hatte. »Ich glaube, Towarischtsch«, flüsterte er, »mit mir stimmt auch was nicht.« Bei diesen Worten fuhr er durch den roten Vollbart und atmete tief ein. Der blonde, sportliche Mann an seiner Seite, der ebenfalls die ganze Zeit zu dem Landhaus hinübergestarrt hatte, wandte sofort den Kopf. »Was ist, Brüderchen?« Er musterte den sympathischen Russen aufmerksam. Iwan wirkte ernst und angespannt, schien in sich hineinzulauschen.
»Ist dir nicht gut?« »Ich fürchte, Towarischtsch, daß du damit den Nagel auf den Kopf getroffen hast. Mir fehlt was.« »'ne Machorka, wie?« Larry ahnte sofort, woher der Wind wehte. Seit zwei Stunden mußte Iwan auf seine heißgeliebten Selbstgedrehten wohl oder übel verzichten. Der Qualm, den seine Glimmstengel »Marke Eigenbau« entwickelten und vor allem der Duft, den sie verströmten, waren sowohl unüberseh- als auch unüberriechbare Signale. Sogar eingefleischte Raucher gingen meist schon nach dem ersten Zug in die Knie, und im Umkreis von drei Metern fielen Stubenfliegen und Spinnen betäubt von den Wänden. »Du wirst dich wundern«, entgegnete Iwan verbiestert, »genau das Gegenteil ist der Fall.« Er sprach leise, so daß seine Stimme nicht weit trug. »Ich habe mir gerade überlegt, wie angenehm es jetzt sein könnte, eine zu rauchen. Und nun merke ich, daß ich einen Widerwillen gegen meine eigenen Zigaretten entwickelt habe.« »Dann gibt es in der Nähe des zaubernden Earl offenbar auch positive Entwicklungen«, konnte Larry sich den Spott nicht verkneifen. Im stillen dachte er ganz anders. Iwans Verhalten war ungewöhnlich. Der Freund nutzte in der Regel jede Gelegenheit, sich eine seiner selbstgedrehten Machorkas zu Gemüte zu führen. Wenn Iwan dazu keine Lust verspürte, stimmte in der Tat etwas nicht. Hing es mit der Atmosphäre in diesem verwilderten Park zusammen? Waren hier unsichtbare Kräfte vorhanden, die sie beeinflußten? Eine Art Hypnose, die sie nicht registrierten, obwohl sie eigentlich darauf trainiert waren? Außer der für Kunaritschews Verhältnisse ungewöhnlichen Bemerkung, daß er keine Zigarette brauchte, schien jedoch alles in Ordnung. Luft und Temperatur waren unverändert. Es war feucht und kühl, was zur Jahreszeit paßte. Larry lauschte in sich hinein. Dachte und fühlte er anders als
sonst? Er konnte nichts an sich feststellen. Auch im Haus blieb es noch immer still. Da hatte sich seit dem Beginn der Observation nichts verändert. Dabei hatten sie fest damit gerechnet, daß Sir Philipp irgendwann im Freien auftauchen würde. Doch den Gefallen tat er den beiden PSA-Agenten nicht. Das mochte natürlich seine Gründe haben, wenn sie davon ausgingen, daß der alte Earl gespenstische Rituale zelebrierte. »Denkst du«, brach Larry das Schweigen, »daß du auch ohne Machorka imstande bist, dich wie ein Indianer ans Haus heranzupirschen?« »Darauf warte ich schon die ganze Zeit, Towarischtsch.Wahrscheinlich bin ich deswegen so kribbelig. Ich will endlich erfahren, welch fauler Zauber da getrieben wird, der mir sogar die Freude am Rauchen nimmt. Dagegen muß was getan werden.« Sie schlichen durch die Büsche. Obwohl sie sich dabei sehr vorsichtig verhielten, schafften sie es doch nicht lautlos. Blätter raschelten, Zweige knackten, und die beiden Männer hielten immer wieder inne, um festzustellen, ob sie vom Haus aus bemerkt wurden. Dort blieb alles ruhig. So kamen sie unbemerkt heran, huschten um das Gebäude, lauschten an Fenstern und Türen und vernahmen plötzlich wie durch eine Wattewand das unendlich ferne Raunen. Wortfragmente drangen aus einem Kellerfenster, das angelehnt, aber mit einem dickgewebten Tuch verhängt war. »Ich rufe … zur … Hilfe«, ertönte es schwach. Iwan, der neben dem Freund kauerte, sah Larry aus großen Augen an und fuhr sich nachdenklich durch den dichten, roten Vollbart. »Heh, Towarischtsch«, murmelte er und zog dabei die buschigen Brauen hoch. »Der wird doch nicht uns meinen?« »Ganz bestimmt nicht, Brüderchen. Das hört sich eher an wie
eine Beschwörung.« »Die aber nicht zu klappen scheint«, warf der Russe ein. »Er leiert ständig dieselben Worte herunter. Hört sich an wie von einer Cassette.« Er schwieg abrupt. In seine letzten Worte mischte sich ein schriller Laut, der von einer unter Volldampf stehenden Diesellok stammen konnte. Das Geräusch war durchdringend, hallte noch in den Ohren nach, als es längst verklungen war. »Was war das, Towarischtsch?« stieß der Russe halblaut hervor. »Bestimmt kein Wasserkessel«, behauptete Larry trocken. »Ich vermute …« Da ging es schon wieder los. Diesmal so heftig, daß der Laut in den Ohren schmerzte. Die Fensterscheibe barst, der dicke Vorhang wurde zur Seite gerissen wie von einem Windstoß. Scherben klirrten. Wie wütende Hornissen wirbelten die Splitter um ihre Köpfe. Einige davon trafen Gesicht und Hände. Larry erwischte ein daumennagelgroßer und rasiermesserscharfer Splitter an der linken Wange. Das Glas bohrte sich in die Haut wie ein Pfeil und verursachte eine blutende Schnittwunde. X-RAY-3 zog den Splitter heraus. »Dabei habe ich heute morgen beim Rasieren so aufgepaßt«, murrte er mit Galgenhumor. »Und dann schmeißen die hier mit Scherben!« Kunaritschew und Brent lagen längst flach auf dem Boden, als die Druckwelle aus dem zerstörten Fenster fegte. »Hiiilllfffeee!« Es ratterte und schepperte. Im Kellerraum stürzten Kisten um, splitterte Holz. Das alles hörte sich an, als würde ein Tobsüchtiger die Einrichtung auseinandernehmen.
Noch ehe der erste Hilfeschrei verstummt war, traten Larry Brent und Iwan Kunaritschew in Aktion. Der Russe trat mit voller Wucht gegen den Fensterrahmen. Der war offenbar morsch und riß in der Mitte auseinander. Es sah aus, als öffnete sich eine Flügeltür, die freilich ziemlich kläglich in den Angeln hing. Der Vorhang wurde aus der Halterung gerissen und baumelte seitlich herab. Iwan und Larry konnten in den Keller blicken. Der bot sich als Rumpelkammer dar. Eine Regalwand, die allerlei Holzfiguren aufgenommen hatte, war umgekippt. Der ganze Segen hatte sich in dem düsteren Raum verteilt. Es brannte noch ein Kerzenstummel, der die triste Umgebung in unwirklichem Licht erscheinen ließ. Die Wände bestanden aus groben Quadersteinen. Die Tür war aus massivem Holz und eisenbeschlagen. Sie stand weit offen, und die beiden Agenten konnten durch die Kellerluke auf die andere Seite des Korridors sehen. Larry und Iwan erblickten die beiden Gestalten wie eine zum Leben erwachte Szene eines Scherenschnitts. Der Hilfesuchende war gestürzt, brüllte noch immer wie am Spieß und riß abwehrend die Hände hoch. Über ihm hatte sich ein Knochenmann aufgebaut. Er hielt eine Sense in beiden Knochenhänden und ließ eben die mörderische Waffe herabsausen, um sein Opfer zu enthaupten. * Belinda Masters kreischte, daß es schaurig durch das einsame Haus hallte. »Aber, aber«, sagte der jäh aufgetauchte Fremde, der ihr den Weg verstellte. »Wer wird denn gleich schreien?« Der Mann machte nicht den Eindruck, als würde er über be-
sondere Körper kraft verfügen. Er war einen Kopf kleiner als Belinda und wirkte alt und zerbrechlich. Seine Haut war wächsern und zerfurcht, das Haar dünn. Es erinnerte sie an Spinnweben. Lang und weiß hing es an den Seiten seines Kopfes herunter. »Wer …, wer sind Sie?« Belinda stieß die Frage mechanisch hervor. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, sie war schweißgebadet. Ihre Hände, unwillkürlich zur Abwehr beim Herumwirbeln emporgerissen, sanken langsam herab. Noch ehe ihr Gegenüber antwortete, wußte sie bereits, wer vor ihr stand. »Sie haben mich erschreckt«, erwiderte Belinda schnell, während sich ihre Panik legte. »Natürlich haben Sie recht. Ich habe aber mehrfach gerufen. Als niemand antwortete, habe ich mich mal umgesehen. Mir wollte nicht in den Sinn, daß hier im Haus niemand wohnt.« Der Alte lächelte sanft. »Manchmal trügt der Schein«, meinte er sibyllinisch. »Es könnte ja auch ein Geisterhaus sein, nicht wahr? Haben Sie schon mal daran gedacht?« »Ist es Ihre Art, Menschen zu erschrecken?« konterte sie keck. »Vielleicht ist das ein Hobby von mir. Ich liege hier auf der Lauer, laß die Beleuchtung vor dem Haus brennen und warte nur darauf, daß sie Neugierige anlockt – wie Sie.« Belinda nickte. »Genau so denke ich inzwischen auch«, meinte sie trocken. »Wo haben Sie denn die ganze Zeit gesteckt?« Eines stand fest: Der Alte war auf keinen Fall senil und schwerhörig. Er verstand das, was sie sagte, sehr gut, ohne daß sie besonders laut sprach. Es war also kaum möglich, daß er sich die ganze Zeit über irgendwo im Haus aufgehalten hatte, ohne ihr Rufen zu hören. »Ich war hinter dem Haus«, kam die Erklärung prompt.
Belindas Augen verengten sich. Die Antwort war ja nun auch alles andere als logisch. Draußen stürmte und regnete es. Was machte ein alter Mann da im Freien? Sie stellte die Frage nicht laut. Die ganze Umgebung behagte ihr mit einem Mal nicht mehr, sie wäre am liebsten davongelaufen. »Sie denken bestimmt, daß ich ein verschrobener alter Mann bin«, fuhr er unvermittelt fort. Obwohl sie sofort heftig protestierte, mußte sie sich im stillen eingestehen, daß sich ihr dieser Gedanke aufgedrängt hatte. »Einer, der bei Sturm und Regen draußen herumgeistert …« Erst als er diese Tatsache betonte, merkte sie, daß die ganze Geschichte voller Widersprüche steckte. Der Alte sah nicht so aus, als käme er aus dem Bett oder von draußen. Haare und Kleider waren trocken. Belinda wurde bewußt, daß sie nach Strich und Faden belogen wurde. Sei auf der Hut, warnte sie eine innere Stimme. Da stimmt was nicht. Der alte Mann, obwohl er freundlich auftrat, kam ihr plötzlich verschlagen, ja hinterlistig vor. Verrückte waren für ihre Sprunghaftigkeit bekannt. Sie war plötzlich fest davon überzeugt, daß der Mann sie von der ersten Minute ihrer Ankunft an beobachtet und mit ihr ein schäbiges Spiel getrieben hatte. Sie gab sich nun bewußt unbefangen, damit der Alte ihr Mißtrauen nicht bemerkte. »Wie heißen Sie eigentlich?« fragte sie unvermittelt. »Draußen an der Tür befindet sich kein Namensschild.« Er sah sie von unten herauf mit einem durchdringenden Blick an, so daß es Belinda Masters vorkam, als wäre sie ein seltenes Insekt, das er für seine Sammlung begutachtete. »Wollen Sie das wirklich wissen?« lächelte er verschmitzt.
»Ich heiße Belinda«, kam sie ihm zuvor und streckte ihm die Hand entgegen. »Ich weiß, ich sollte mich eigentlich entschuldigen, weil ich einfach so eingedrungen bin. Doch ich wußte mir keinen anderen Rat mehr. Ich muß von der Straße nach Chewenshere abgekommen sein. Oder verläuft sie anders als früher?« »Nein. Daran hat sich seit vierzig Jahren nichts geändert.« Er hielt noch immer ihre Hand. Sein Händedruck war schwach, sie sah keine Gefahr darin. Da gab es keine Schwierigkeit, sich loszureißen, wenn es sein mußte. »Sie haben sich wahrscheinlich an der Abzweigung verfahren. Sie hätten links abbiegen sollen.« »Aber das Schild wies nach rechts.« »Glaube ich nicht. Da haben Ihnen gewiß die Augen einen Streich gespielt. Kein Wunder bei dem Hundewetter. « Sie setzte schon zum Widerspruch an, da fuhr der Alte bereits fort. »Sie haben mich nach meinem Namen gefragt«, fiel ihm plötzlich wieder ein. »Ich bin Philipp Andrew William Earl of Hampton.« * Larry Brent war einen halben Schritt vor seinem Freund und spurtete los. Er fegte um die Ecke und sprang den Knochenmann an, der die Hand zum tödlichen Streich erhoben hatte. Mit der Breitseite erwischte X-RAY-3 den Unheimlichen am Arm und schleuderte ihn zurück. Die Sense sauste nur den Bruchteil einer Sekunde später nieder. Sie verfehlte den am Boden Kauernden um Haaresbreite. Die rasiermesserscharfe Klinge ratschte über den unebenen Boden und schlug Funken, die wie wütende, kleine Teufel nach allen Seiten davonspritzten.
Der Sensenschwinger taumelte unter dem Anprall Larrys gegen die Wand zurück. Und hier war das Ausweichmanöver nach den Gesetzen der Physik eigentlich zu Ende. Doch der Knöcherne im dunklen Umhang verschwand wie ein Geist in der Wand. Die Hälfte seines Körpers war schon verschwunden, die andere ragte noch aus den Quadern. Das lebende Skelett war aber kein Geist, den er nicht fassen konnte! Larry fühlte im Gegenteil einzelne Knochen. Und die Sense war schließlich keine Einbildung! Sie bestand aus blankgeschliffenem Metall, war damit so wirklich wie der Boden, auf dem er stand, die Wände, die ihn umgaben, die Menschen in seiner Nähe. Larry hatte im Sprung seine Smith & Wesson Laser herausgerissen. Er setzte sie nun ein. Auch Iwan Kunaritschew versuchte einen riskanten Schuß. So kam es, daß zur gleichen Zeit zwei grelle und nadelfeine Strahlen durch die Luft zuckten – direkt auf den Unheimlichen zu. Nur Sekundenbruchteile dauerten die Bilder, die sie sahen, aber sie prägten sich den Freunden nachhaltig ein. Das scharfgebündelte Licht, das Metall und massive Wände durchbohrte, schien auf eine unsichtbare Kuppel zu treffen. Das Licht fächerte an der Aufschlagstelle auseinander. Gleißende Helligkeit ergoß sich über den Mantel und die bleichen Knochen. Unwillkürlich mußten die beiden Freunde die Augen schließen. Larry Brent, der dem unheimlichen Sensenmann am nächsten stand und unmittelbar in der Gefahr schwebte, von der Sense noch erwischt zu werden, ließ sich geistesgegenwärtig fallen. Er rollte zur Seite. Seine Reaktion hätte keine Sekunde später erfolgen dürfen.
Er spürte den Luftzug vor dem Gesicht. Ihm stockte schier der Atem, als das kühle Metall an seiner Nasenspitze vorbeisauste. In Kaskaden von zersprühendem Licht verschwand die Geistererscheinung in der Wand. Vor den drei zurückgebliebenen Männern flimmerte noch eine Weile die schemenhafte Silhouette des Gespenstischen. Larry war sofort wieder auf den Beinen. Iwan Kunaritschew leistete dem am Boden liegenden alten Mann Hilfe. Es handelte sich eindeutig um Sir Philipp Earl of Hampton, der nun wie ein Walroß schnaufte und die beiden Männer aus großen Augen anstarrte. »Wo kommen Sie denn her?« stieß der weißhaarige, hagere Mann hervor. In dem khakifarbenen Anzug, offenbar maßgeschneidert, wirkte er wie ein würdiger General, der das Befehlen gewohnt ist. »Durch das Kellerfenster«, schaltete sich Larry ein. »Sie haben ja laut genug gerufen.« »Gut, sehr gut …« Der Mann nickte eifrig und ergriff die Hand von Iwan Kunaritschew, der ihm auf die Beine half. »Donnerwetter!« Der Earl betastete mit der linken Hand Kunaritschews Oberarm. »Mann, Sie haben Muskeln wie Stahl. Nur allein mit Körperkraft ist hier nichts auszurichten. Übrigens, ich bin Philipp Andrew William Earl of Hampton«, stellte er sich vor. »Haben wir uns schon gedacht«, kopierte Larry die lässige Ausdrucksweise des Earl. »Wir haben irgendwann ein Bild von Ihnen in der Zeitung gesehen.« Bild stimmte, Zeitung nicht. Larry und Iwan hatten in der PSA-Zentrale Fotos des Earl betrachtet. »Ja, ja, die Presse«, fuhr der Earl im gemütlichen Plauderton fort. »Die hat mich ständig in der Mangel. Die nennen mich ›den verrückten Earl‹ oder auch nur ›den Verrückten‹.
Schwachköpfe! Sie wissen überhaupt nicht, was in der Welt vorgeht. Da gibt es mehr, als wir mit unseren Sinnen wahrnehmen. Unsichtbare Mächte umgeben uns. Besucher aus dem Jenseits, sowohl aus den dunklen als auch den lichten Welten, gehen ein und aus. Entweder als Plagegeister und Dämonen, als Boten der Hölle, oder sie führen uns als Schutzgeister sicher durch Not und Gefahr, ohne daß wir es erkennen. Sie haben den Angreifer doch auch gesehen, nicht wahr? Das war bestimmt kein Schutzgeist, sondern ein Höllenbote.« Larry ergriff das Wort, um den Monolog des Earls nicht ausufern zu lassen. »Wir haben Ihren Hilfeschrei gehört und sofort darauf reagiert.« »Was sehr lobenswert ist«, konnte Philipp Andrew William Earl of Hampton sich den Einwurf nicht verkneifen. »Die meisten Menschen reagieren heutzutage nämlich überhaupt nicht mehr auf eine Notlage. Ohne Ihr schnelles Handeln wäre ich weniger glimpflich davongekommen.« Erst jetzt ergab sich die Gelegenheit, daß auch Larry Brent und Iwan Kunaritschew sich vorstellen konnten. X-RAY-3 machte keinen Hehl daraus, daß sie sich nicht ganz zufällig auf dem Anwesen befanden. »Habe ich mir fast gedacht«, strahlte Sir Philipp wie ein Honigkuchenpferd. »Sie gehören dann wohl auch zu jenen Lauschern, die auf der Lauer liegen, in der Hoffnung, etwas von dem mitzukriegen, was sich hier nachts im Haus abspielt. Für welches Käseblatt arbeiten Sie denn?« »Mit der Presse haben wir nichts zu tun«, entgegnete Larry schnell. »Detektivbüro?« »Nein.« »Polizei?« »Nicht direkt.« »Na, Sie machen es aber spannend.«
»Wir arbeiten mit Scotland Yard zusammen.« »Oh! Hätte ich mir fast denken können. Inzwischen geht das Gerücht, daß ich ein Krimineller bin. Nun, ich bin gewohnt, daß die Leute über mich reden. Gib dich mit ihnen ab, und sie quatschen über dich. Laß sie links liegen, und du wirst ebenfalls Gegenstand ihres Gewäschs. Wie man es macht, ist es falsch, nicht wahr?« Seine saloppe Ausdrucksweise amüsierte die beiden Agenten. Der Earl war ein schrulliger Alter, der sich eine bemerkenswerte Unbefangenheit und Jugendhaftigkeit bewahrt hatte. »Nicht ich bin der Bedroher, wie Sie sehen können, sondern ich bin vielmehr das Opfer.« Larry präzisierte seine Angaben dahin, daß Scotland Yard nur ein Informant sei. »Wir sind Mitarbeiter einer neuen Organisation«, erklärte er, ohne die PSA beim Namen zu nennen. »Wir erforschen übersinnliche Phänomene. In dieser Nacht wollten wir Ihr Haus im Auge behalten, weil sich angeblich allerlei Ungereimtheiten abspielen.« »Das haben Sie selbst miterlebt. Sie sind praktisch die ersten Zeugen, die eine so massive Begegnung bestätigen können.« »Was war es?« wollte Larry wissen. Er folgte dem hageren Mann, der in den Kellerraum zurückging, wo all die Utensilien standen, die er für sein außergewöhnliches Ritual benutzt hatte. Auf den Boden und an die Wände waren mit weißer und roter Kreide mehrere Kreise gezogen. Darin waren astrologische Motive und unbekannte, geheime Zeichen gemalt, für die die beiden Freunde auf Anhieb keine Erklärung fanden. Philipp Earl of Hampton kümmerte sich zunächst um die umgefallene und noch immer brennende Kerze, die zum Glück nichts in Brand gesetzt hatte. Nahe daneben lagen das Holzregal und die Figuren. Auch sie bestanden aus Holz. Im schummrigen Schein der Kerzenflamme erblickten XRAY-3 und X-RAY-7 erstmals die etwa fünfzehn Zentimeter
großen Darstellungen. Es war ein schauriger Anblick, kleine, aus Holz geschnitzte Puppen: Ein kranker Kopf mußte sie ersonnen haben, so scheußlich sahen sie aus. Dämonenmasken aus dem fernen Osten, aus China und Thailand mochten schon erschreckend und abstoßend sein. Doch diese Figuren hier am Boden schlugen alles. Sie waren grellbunt. Die Gesichter waren Fratzen, deren Anblick die Freunde frösteln ließ. Larry und Iwan meinten, in ausdrucksstarke, menschliche Antlitze zu sehen. Es schien, als würden die Figuren nur den Atem anhalten, um im nächsten Moment wie der Teufel aus der Kiste den Betrachter anzuspringen. Die meisten sahen aus, als seien ihnen Miniaturgebisse aus echten Haifischzähnen eingesetzt. »Schön scheußlich, nicht?« ließ der alte Mann sich unvermittelt vernehmen. »Das kann man wohl sagen.« Larry Brent nahm eine Figur zur Hand. Sie stellte einen Dämon dar, der sich aus einem Flammenmantel schälte. Das Gesicht hatte die Form einer Flamme, die Augen glühten wie Kohlen, die Zunge war gespalten wie bei einer Schlange, verkörperte aber einen spitzen Flammenstrahl. Larry ließ die Figur ebenso schnell los, wie er sie angefaßt hatte. Sie war glühendheiß! * Belinda Masters' Augen verengten sich. Das sollte ein Earl sein? Sie ließ sich die Überraschung nicht anmerken und ging auf das Rollenspiel ein. Je länger sie redete, davon war sie überzeugt, desto geringer war die Wahrscheinlichkeit, daß der andere zu dem kam, was er möglicherweise im Schilde führte. Solange sie redete, hörte der verschrobene Alte zu. Sie konnte
die Ablenkung nutzen, um sich dabei zielstrebig, aber ohne besondere Eile dem Ausgang nähern. Drei Schritte lagen hinter ihr, die Hälfte des Weges. Noch drei kurze Schritte, dann konnte sie endlich die Haustür aufreißen, hinausstürmen und im Auto verschwinden. Am liebsten hätte sie schon jetzt Lissy zugerufen, den Motor anzulassen, damit sie blitzschnell anfahren konnten. Jede Sekunde, die verging, kam ihr mit einem Mal vor wie eine kleine Ewigkeit. Und je länger sie sich in der Nähe dieses Verrückten aufhielt, der von sich behauptete, ein Adliger zu sein, desto unwohler fühlte sie sich. Noch zwei Schritte bis zur Tür. Belinda plauderte munter weiter, der Alte hörte schweigend zu. Noch einen Schritt … Sie konnte die Hand nach dem Türknauf ausstrecken, fühlte das kühle Metall, wollte sie bedienen. Da geschah es. Der »Earl of Hampton« umklammerte plötzlich ihr linkes Handgelenk. »Heh?! Was soll das?!« protestierte Belinda. Da wurde sie auch schon mit einer Wucht herumgerissen, daß sie meinte, ein Catcher hätte sie gepackt. Es ging alles so schnell, daß sie gar nicht mehr zur Gegenwehr kam. Philipp Andrew William of Hampton schleuderte sie quer durch den Korridor. Der Alte mobilisierte Kräfte wie ein Bär! Das war doch nicht normal! Belinda stieß einen spitzen Schrei aus, taumelte, stürzte und war sofort wieder auf den Beinen. Der Alte stürmte auf sie zu, streckte beide Hände nach ihr aus, um sie erneut zu packen. Belinda begriff, daß der »Earl of Hampton« nicht mehr wuß-
te, was er tat, in diesem Zustand aber über unnatürliche Kräfte verfügte. Die junge Amerikanerin scheute die erneute Konfrontation. Sie hetzte durch den Korridor zurück in jenen Raum, dessen Tür noch weit offenstand. Sie wollte in das dahinter liegende Zimmer flüchten, sich darin verbarrikadieren und später vielleicht durch ein Fenster entkommen. Doch das Haus erwies sich plötzlich als ein Ort, der voller Überraschungen war. Im Boden vor ihr klaffte ein Loch. Belinda stürzte hinein. Das ging so schnell, daß sie gar nicht zum Denken kam. Sie schrie gellend auf, während ihr Kreischen sich mit dem teuflischen Lachen des Alten vermischte. Das klang irre! Belinda Masters' Herz schlug rasend. Sie war erfüllt von dem panischen Entsetzen, im nächsten Augenblick aufzuschlagen und sich sämtliche Knochen zu brechen. Da erfolgte auch schon der Aufprall, aber anders, als sie ihn erwartete. Sie fiel in Polster und Kissen, in Säcke, die offenbar mit Lappen gestopft waren. Sogar dicke Schaumgummiwürfel lagen da. Belinda Masters hüpfte darin herum wie ein Gummiball. Tief versank sie in den Kissen, ohne sich auch nur einen Finger zu verstauchen. Schließlich lag sie auf dem Rücken, über sich erkannte sie die Öffnung, durch die sie gestürzt war. Das schwach erhellte Loch verkleinerte sich blitzschnell. Schon hatte die Falltür sich wieder geschlossen. Damit war es um Belinda schlagartig stockfinster. Sie konnte ihre Hand nicht mehr vor Augen sehen. Oben dröhnten Schritte. Der Alte entfernte sich. Wollte er jetzt auf andere Art an Belinda herankommen?
Dann mußte es zu diesem Raum auch einen normalen Zugang geben! Sie wollte aufspringen, aber die weiche Unterlage gab nach. Sie kam ebensowenig voran wie in einem Sumpf. Jeder Schritt wurde zur Anstrengung. Hinzu kam, daß sie überhaupt nichts sah. Wie groß war diese mit Kissen und Schaumstoffwürfeln vollgestopfte Kammer eigentlich? Plötzlich ahnte Belinda die Nähe der Mauer. Sie zuckte zurück, wäre im nächsten Moment mit der Stirn angestoßen, hätte sie nicht so schnell reagiert. Ihre Hände glitten über die Wand. Das war rauher Verputz, der sich feucht anfühlte. Belinda fand auch wieder festen Boden unter den Füßen. Sie hatte den Polsterberg verlassen! Hier an der Wand lag nur noch eine dünne Schicht. Sie bewegte sich vorsichtig an der Wand entlang. Irgendwo mußte doch die Tür sein! Sie mußte sie erreichen, ehe der »Earl« auftauchte. Dann vernahm sie schon sich nähernde Schritte. Der »Earl« war schon da. * Iwan Kunaritschew wunderte sich. »Hey., was ist mit dir, Towarischtsch? Bist du schon so geschwächt, daß du das Figürchen nicht mehr halten kannst? Larry, ich kenne da eine Kraftnahrung, die bringt dich innerhalb von ein paar Stunden wieder in Form. Dann kannst du Schwarzenegger um den kleinen Finger wickeln …« Er verstummte, als er den angespannten Gesichtsausdruck des Freundes bemerkte. Larry betrachtete die Dämonenfigur, die jetzt vor ihm auf dem Boden lag.
Sir Philipp war nur einen Schritt zurückgetreten und hatte abwehrend beide Hände vorgestreckt, als befürchte er eine Gefahr. »Heiß«, murmelte Larry Brent. »Das Ding ist heiß. Schau dir das an, Brüderchen.« An der Kuppe seines Mittelfingers war eine kleine Brandblase entstanden. Larry kniete neben der Figur nieder und hielt die Handfläche vorsichtig darüber. Er wollte wissen, wie stark die Hitze abstrahlte von diesem Material, das nur scheinbar Holz war. Doch er spürte nichts. Auch dann nicht, als er die Figur jetzt erneut berührte. Als er dann vorsichtig Zugriff, um sie aufzuheben, entwickelte sie explosionsartig wieder unerträgliche Hitze. »Was sind das für Figuren?« fragte Iwan den Earl. »Haben Sie die selbst angefertigt?« »Sie waren plötzlich da«, stotterte der weißhaarige Earl. »Ich weiß nicht, woher sie gekommen sind. Magie ist im Spiel, auch hier. Ich habe ein paarmal versucht, sie wieder loszuwerden. Umsonst, sie kamen immer wieder. Da konnte ich machen, was ich wollte …« Er bückte sich und hob die Figur auf, die Larry nicht anheben konnte, ohne sich zu verbrennen. Der Earl dagegen zeigte keine Reaktion. Er stellte die kleine Figur dorthin zurück, wo Larry sie weggenommen hatte. »Wie machen Sie das?« wollte X-RAY-3 wissen. »Ich verstehe Ihre Frage nicht, Mister Brent. Ich fasse sie an, nichts sonst. Ich begreife nicht, wieso Sie Hitze spüren.« »Sie waren also einfach da und verschwanden nicht wieder?« meinte Iwan nachdenklich. »Wozu dienen sie?« Ratlos sah Sir Philipp ihn an. Es war klar, daß er nicht begriff, worauf der PSA-Agent hinaus wollte. »Ich meine, spüren Sie etwas in der Nähe der Figuren?« präzisierte Iwan. »Eine Bedrohung, Kopfschmerz oder auch Eu-
phorie, ein übersteigertes Glücksgefühl?« »Nichts, gar nichts«, sagte der Alte mürrisch. »Die verflixten Dinger sind einfach nur da und lassen sich nicht wegschaffen.« Larry griff vorsichtig nach einer anderen Figur. Auf einem gedrungenen Körper mit fünf Armen und einem mehrfach gedrehten Zackenschwanz saß ein halsloser Kugelkopf mit einem gewaltigen Maul und den auch bei allen anderen Figuren vorhandenen messerscharfen Zähnen. Noch vorsichtiger versuchte Larry auch diese Figur anzuheben. Es war möglich, ohne daß er sich die Finger verbrannte! »Nanu! Die eine heiß wie glühende Kohle, die andere nicht?« Er probierte es bei drei, vier anderen Figürchen. Alle fühlten sich an, sahen aus wie Holz und hatten dessen spezifisches Gewicht. Dennoch konnte es sich unmöglich um diesen Werkstoff handeln, wenn sich Larry nicht vorhin fürchterlich getäuscht hatte. Oder war er einfach nur einer Halluzination erlegen? Immerhin, wo es spukte, wo Knochenmänner durch feste Wände verschwanden, war auch alles andere möglich! Larry machte die Probe aufs Exempel. Er griff noch einmal nach der ersten Figur. Die war nicht mehr heiß! »Jetzt verstehe ich gar nichts mehr«, stieß er hervor. »So schnell kann doch kein Material abkühlen …« Iwan Kunaritschew fuhr sich durch den roten Bart. »Sie sagten, Sie wollten die Figuren los werden, Sir Philipp«, erinnerte er. »Hätten Sie was dagegen, wenn wir uns ein wenig daran versuchen würden?« Der Earl streckte die Hand aus. »Bitte …« Iwan sah Larry an. X-RAY-3 zog die Brauen hoch. Er ahnte, was Iwan plante, und trat einige Schritte zurück, um nicht in die mögliche Gefahrenzone zu geraten. Iwan nahm eines der Figürchen in beide Hände und versuch-
te, es zu zerbrechen. Das war auch eine Möglichkeit, sich der unheimlichen Dämonengestalten zu entledigen. Nur klappte es nicht. X-RAY-7 verfügte über Bärenkräfte, aber sie reichten nicht aus, die Figur in der Mitte durchzubrechen. Iwan ließ sie fallen und trat kräftig mit dem Absatz darauf. Nichts. »Das ist was für unser Labor«, murmelte Larry. »Sollen wir nicht ein paar von den Figuren einpacken und untersuchen lassen?« Iwan war unschlüssig. Es war ein Kinderspiel für die beiden PSA-Agenten, die Figuren per Flugkurier innerhalb kürzester Zeit zur Untersuchung in die Labors der PSA nach New York bringen zu lassen. Doch Iwan wollte vorher noch etwas ausprobieren. Er nahm die Smith & Wesson Laser aus dem Schulterhalfter, trat ein paar Schritte zurück und zielte. Larry hielt den Atem an, als Iwan den Abzug betätigte und der nadelfeine Laserstrahl die am Boden liegende Figur erfaßte. Doch er zerstörte sie nicht. Es war wie beim Knochenmann, der Sir Philipp Hampton bedroht hatte. Es bildete sich das eigenartige Leuchten, das schnell wieder verblaßte. Iwan und Larry sahen sich an. Damit war bewiesen, daß der dämonische Knochenmann mit der Sense und die Figuren gleichen Ursprungs waren. Der Earl zeigte deutlich sein Unbehagen. Das Ergebnis dieser recht ungewöhnlichen »Forschung« gefiel ihm nicht. Er drängte, den Keller zu verlassen. Den kurzen Laserstrahl hatte er kommentarlos hingenommen. Vielleicht hielt er ihn für das Mündungsfeuer einer Spezialmunition. Sir Philipp ging voran und sperrte die Kellertür sorgfältig ab.
Der Schlüssel wurde dreimal herumgedreht. Larry glaubte nicht daran, daß das etwas nützen würde. Hier waren Kräfte im Spiel, für die es keine Hindernisse gab. »Kommen Sie«, sagte der Earl. »Ich brauch' erstmal einen Drink. – Sie auch?« Iwan nickte. Larry wehrte ab. »Vielleicht, Sir Philipp, könnten Sie uns noch einiges über die Dinge erzählen, die Sie dort unten im Keller treiben, von den seltsamen Puppen beobachtet. Sie befassen sich doch mit Magie, nicht wahr? Uns würde interessieren, was Sie konkret machen und wie die Phänomene entstehen, die außerhalb Ihres Hauses beobachtet wurden.« »Wie ich schon sagte, bin ich nicht der Verursacher, sondern das Opfer«, bemerkte der Earl. Er hatte die beiden Freunde in die Bibliothek geführt und ging zu einem kleinen Tisch, auf dem Gläser und einige Karaffen mit hochprozentigen Getränken standen. Er füllte für sich und Iwan die Gläser. Dann ließ er sich in einem der schweren Ledersessel nieder und begann zu berichten. Keiner beachtete die bemalte Holzfigur im Bücherregal. Sie stand leicht vorgebeugt mit überdimensional geformten Ohren, gerade so, als würde sie angestrengt lauschen. * Belinda Masters glaubte, ihr Herzschlag müsse meilenweit zu hören sein. Atemlos lauschte sie in die Dunkelheit. Die Schritte waren verstummt. Dafür entstand in unmittelbarer Nähe ein Kratzen und Schaben, offenbar wurde ein schwerer Riegel zurückgezogen. Die dunkelhaarige Amerikanerin preßte sich tiefer zwischen die Matratzen, in denen sie gesteckt hatte. Gerade noch rechtzeitig war ihr diese Idee gekommen. Sie klammerte sich an den winzigen Funken Hoffnung, wie ein
Ertrinkender an den Strohhalm. Vielleicht bekam sie eine Chance, den Raum unbemerkt zu verlassen. Sie dachte in kaltem Entsetzen an die Leiche, die sich oben im Säurebad wohl inzwischen gänzlich aufgelöst hatte. Belinda wollte jedenfalls kein so grausiges Ende nehmen. Die Tür wurde geöffnet. Sie schwang nach innen auf. Die Scharniere knarrten, ein paar Kissen boten leichten Widerstand. Dann sah Belinda, die zwischen zwei Matten hindurchspähte, im schwachen Korridorlicht die Silhouette des »Earls«. Er schien sich zu orientieren. Wo er suchte, befand sie sich nicht mehr: in der Mitte des Raumes, dort, wo der Polsterberg am höchsten war. Er machte ein paar Schritte vorwärts, die Hände ausgestreckt. Immer wieder sah er sich um. Belinda versuchte so flach wie möglich zu atmen. Er durfte sie nicht finden! Jetzt war er an ihr vorbei, stapfte in den Polsterberg hinein und hatte dabei mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen wie vorher Belinda. Belindas Herz raste. Noch ein wenig weiter, dann konnte sie es schaffen. Ihre Muskeln spannten sich, um die schützenden Matten fortzuschleudern, aufzuspringen und zu fliehen. Jetzt! Sie explodierte förmlich. Doch sie hatte das Gewicht der Matten unterschätzt. Es ging nicht schnell genug, die Tür war zudem weiter entfernt als erhofft. Der Alte wirbelte herum. Er bemerkte Belinda und setzte sich im gleichen Moment ebenfalls in Bewegung, um sie noch vor der Tür abzufangen. Sie stolperte über einen Schaumgummiwürfel, stürzte. Wie sie darauf verfiel, aus der Not eine Tugend zu machen, begriff sie hinterher selbst nicht.
Sie zwang ihren Körper in eine Rolle vorwärts. Der »Earl« ließ sich irritieren, als ihre Beine hochschwangen, und hielt mitten im Lauf inne, obgleich er doch schon direkt hinter ihr war. Belinda kam wieder auf die Beine, sprang auf und hetzte durch die Tür. Sie fuhr herum, griff nach der Klinke und wollte die Tür hinter sich schließen. Die Hand des »Earl« schoß vor. Belinda warf sich mit ihrem ganzen Gewicht zurück. Sie schaffte es. Der Riegel schnappte zu. Drinnen rüttelte der Alte wie wahnsinnig an der Tür, versuchte sie aufzubrechen. Belinda gönnte sich keine Atempause. Sie orientierte sich nur kurz, fand die Treppe zum Obergeschoß, hetzte hinaus. Nur fort von hier! Da war die Haustür. Innen steckte ein Schlüssel. Belinda zog ihn ab, schloß die Tür hinter sich. Sie steckte den Schlüssel in die Tasche ihrer Jeans. Erleichtert atmete sie auf. Wie aus weiter Ferne hörte sie den Alten im Keller rumoren. Jetzt nichts wie fort von diesem Haus des Grauens … Ihr Blick suchte den tomatenroten Triumph mit Lissy am Lenkrad. Der Wagen war fort – und mit ihm Lissy Ferguson! Kaum hatte Belinda diese Tatsache registriert, löste sich über der Tür ein Körper. Er stürzte auf sie und riß sie die Stufen hinab. Der würdige alte Herr erwies sich als lebendiger Erzähler. Mit dem Drink in der Hand sah er einmal zu Larry, dann wieder zu Iwan. Die Bibliothek erwies sich auf den ersten Blick als umfangreich und wohlsortiert. Klassische und moderne Romane, Dramen, Sachbücher und eine ausgiebige Sammlung von
Werken der Magie, zum Teil antiquarisch erworben. »Als Jugendlicher habe ich mich schon für alles Übersinnliche interessiert«, sagte Sir Philipp. »Ich wollte die Grenzen, die uns die Natur setzt, nicht wahr haben. Ich war ein Suchender, ein Forscher. Ich kenne seither die Magie der Urvölker, die der Ägypter. Ich weiß um die prophetischen Kräfte der römischen Sibyllen. Ich las über Schamanen und afrikanische Zauberei, über indianische Riten und Beschwörungen. Selbst der ferne Osten interessierte mich mit all seinen Geheimnissen. Doch ich bin Theoretiker. All mein Wissen über Okkultismus, über Magie, über übersinnliche und außerirdische Kräfte habe ich aus meinen Büchern geschöpft, niemals selbst erfahren.« »Woher kommen aber dann die Erscheinungen?« fragte Larry neugierig. »Immerhin werden Sie nicht ableugnen, daß in sieben Meilen Umkreis um Ihr Landhaus Dinge geschehen sind, die den Rahmen des Normalen sprengen.« »Ja, leider. Es ist mir bekannt, doch ich kann nichts dagegen tun«, seufzte der Earl. »Vor mehr als zwei Monaten begann es. Damals tauchten auch die Dämonenfiguren im Keller auf. Ich selbst fühle mich bedroht. Haben Sie sich schon einmal an dem stumpfen Rücken eines Messers geschnitten? Nun, es fing harmlos an und wurde immer bedrohlicher. Bis heute dieser Knochenmann mit seiner Sense erschien und versuchte, mich zu töten.« »An Ihrer Schilderung stimmt was nicht«, wandte Iwan Kunaritschew alias X-RAY-7 ein. »Sie sagen, daß Sie die Magie nur aus der Theorie kennen. Die Kreidezeichen in rot und weiß in Ihrem Keller deuten aber auf eigene Versuche hin, die Geister weiter zu beschwören …« »Natürlich«, unterbrach der Earl hastig. »Seit ich immer stärker von dem Unheimlichen bedroht werde, versuche ich natürlich mich dagegen zur Wehr zu setzen. Ich setze meine Kenntnisse der Magie ein, um mich zu schützen. Doch es will mir nicht so recht gelingen. Entweder begehe ich irgendwo in
meinen Beschwörungen einen Fehler, oder die Kräfte sind zu stark.« Iwan sah Larry an. Der nickte leicht. Daß sie beide einiges von der Materie verstanden, mußte dem Earl längst klar geworden sein. Also brauchten sie sich mit ihrem Wissen nicht vor ihm zu verstecken. Larry glaubte dem alten, einsamen Mann. Er hielt es daher für besser, mit offenen Karten zu spielen. »Sie dürften es bei der gegnerischen Kraft, welche sie bedroht, mit schwarzer Magie zu tun haben«, sagte Iwan. Sir Philipp nickte. »Das ist mir bewußt. Und ich setze weiße Magie dagegen. Schwarze Magie ist Schadzauber, der einen persönlichen Vorteil erringt; weiße Magie hilft und heilt, ohne anzugreifen.« Und genau das ist es, dachte Larry. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist diese naturbedingte Passivität der weißen zu schwach gegen die aktive schwarze Magie. Der Schutz allein reicht nicht, es ist ein magischer Gegenangriff erforderlich, der die andere Seite schädigt – aber im gleichen Maß muß die angewandte Magie auch ihren Charakter ändern. Doch durfte er den Earl auf diese gefährliche Spur bringen? Wer immer schwarze Magie benutzte, ganz gleich zu welchen Zwecken, verfiel ihr, war verloren. Der Alte hatte es bislang geschafft, sich den Verlockungen der dunklen Kräfte zu entziehen. Sollte er sich jetzt dem Unheil freiwillig ausliefern, gegen das er ankämpfte? Sir Philipp Andrew William Earl of Hampton befand sich in einem für ihn unlösbaren Dilemma. »Woher kommt diese fremde, bedrohliche Macht? Wie ist sie auf Sie gestoßen?« wollte Larry wissen. »Es muß einen Auslöser für dieses Geschehen geben.« »Ich weiß es nicht«, sagte der Earl. »Sehen Sie, ich bin ein alter Mann mit Gewohnheiten. Und mit einundsiebzig Jahren ändert man die nicht mehr. Als die Phänomene erstmals auftraten, also vor gut zwei Monaten, habe ich nicht anders gehandelt
als in den Jahren zuvor. Mister Brent, Mister Kunaritschew – können Sie sich vorstellen, daß ein alter Mann, der fast am Ende seines Lebens angelangt ist, trotzdem panische Angst vor dem Sterben hat?« Von seiner Lässigkeit, dem teilweise makabren Humor war nicht viel geblieben. »Helfen Sie mir?« bat der Earl. »Wir versuchen es«, sagte Iwan. »Deshalb sind wir hier. Übrigens, Ihr Wodka ist hervorragend, aber dennoch ein wenig zu mild für meine Geschmacksnerven. Man könnte guten Gewissens für die Dauer einiger Monate einige Paprikaschoten, vorher gut gepfeffert, und mehrere Pepperoni darin einlegen und ziehen lassen …« Der Earl verschluckte sich fast. »Wer soll das Teufelszeug dann noch trinken? Damit kann man ja eine Schwadron Drachen zum Feuerspeien anregen.« Larry erhob sich. »Gibt es hier eine Toilette, Sir Philipp?« Der Earl beschrieb Larry den Weg dorthin und Larry zog sich zurück. Als er sicher war, daß die beiden in der Bibliothek ihn nicht mehr hören konnten, aktivierte er den PSA-Ring. In der kleinen Weltkugel mit dem stilisierten Gesicht befand sich ein hochleistungsfähiges Mikro-Funkgerät, das X-RAY-3 über den PSA-eigenen Satelliten mit der Zentrale in New York verband. Der Earl of Hampton brauchte nicht zu wissen, welche technischen Möglichkeiten den beiden Agenten außer ihren Spezialwaffen noch zur Verfügung standen. Und Iwan brauchte erst recht nicht zu erfahren, was Larry jetzt durchgab. Denn Larry war nicht nur X-RAY-3, sondern vorübergehend zugleich als X-RAY-1 Leiter der PSA, solange David Gallun seine Verletzungen auskurierte, die er bei dem Eindringen des Dr. Satanas in die PSA-Zentrale davongetragen hatte. Offiziell wußte niemand etwas von den Veränderungen. Larry war dazu bestimmt worden, in die Rolle von X-RAY-1 zu
schlüpfen, aber selbst seine engsten Freunde durften davon nichts wissen. Wenn sie Kontakt über ihre Ringe zu X-RAY-1 aufnahmen, hörten sie Larry Brent, dessen Stimme mit Hilfe der Technik so verändert wurde, daß sie der des Gründers der PSA glich. Larry identifizierte sich und erstattete einen kurzen Bericht über das Geschehen. »Ich halte es für ratsam, eine oder zwei der Figuren genau untersuchen zu lassen. Das können wir hier nicht, deshalb müssen sie unverzüglich nach New York in die PSA-Labors gebracht werden. Ich erwarte einen Kurier in einer Stunde im Landhaus des Earl. Das ist von London bequem zu schaffen.« Einzelheiten würden die Mitarbeiter in der Zentrale regeln. Langsam ging Larry zur Bibliothek zurück. »Ich habe mit X-RAY-1 gesprochen«, raunte er Iwan zu, der etwas ähnliches schon vermutet hatte. »Er schickt uns einen Nachrichtenagenten aus London, der ein paar der Figuren abholt und nach New York bringt.« »Sehr gut, Towarischtsch«, erklärte der bärtige Russe. »Dann bleibt uns etwa eine Stunde Zeit, Sir Philipp ein paar Spezialrezepte zu verraten …« * Es war ein menschlicher Körper, der auf Belinda Masters stürzte, soviel begriff die Amerikanerin. Sie schrie gellend auf, versuchte sich loszureißen – als sie bemerkte, daß niemand sie festhielt. Der Körper bewegte sich nicht! Es handelte sich um eine junge Frau, wie Belinda feststellte. Und sie erkannte noch mehr. Das war das rötliche Haar von Lissy Ferguson. »Lissy!« stieß Belinda erschrocken hervor. »Lissy, was ist mit dir? Bist du okay?«
Lissy antwortete nicht. Sekundenlang fürchtete Belinda, eine Tote in den Armen zu halten, während der Regen auf sie beide niederprasselte. Belinda tastete nach Lissys Halsschlagader. Erleichtert bemerkte sie das schwache Pulsieren. Lissy war also nur bewußtlos. Doch wer hatte sie angegriffen? Hatte der wahnsinnige Alte einen Komplizen? Und wie kam die bewußtlose Lissy auf den Türrahmen? Alles Fragen, auf die es im Moment keine Antwort gab. Lissy war nicht so schnell ins Bewußtsein zurückzuholen. Und die beiden Frauen mußten hier weg. Es konnte nicht lange dauern, bis der »Earl« eine Möglichkeit fand, aus dem Kellerraum zu entkommen. Wo aber war der Wagen? Ein Entkommen zu Fuß war ziemlich aussichtslos mit Lissy, die nicht aus eigener Kraft gehen konnte. Gehetzt sah Belinda sich um. Sie ließ die Freundin wieder zu Boden sinken, brachte sie in eine stabile Seitenlage und erhob sich. Da sah sie etwas rotes zwischen den Sträuchern neben dem Haus. Sie lief darauf zu und achtete nicht darauf, wie heftig der Regen ihr Gesicht peitschte und fast alle Sicht nahm. Zu ihrer Erleichterung war es der tomatenrote Triumph, den jemand rückwärts halb in die Holunderbüsche gefahren hatte. Belinda wollte die Fahrertür aufreißen, aber sie war abgeschlossen. Ein Blick durch die Scheibe verriet der Amerikanerin, daß auch die Verriegelung eingestellt war. Der Zündschlüssel steckte noch so im Schloß, wie sie selbst ihn zurückgelassen hatte. Ob Lissy den Reserveschlüssel bei sich trug? Belinda lief zur Freundin zurück und begann sie zu durchsuchen, wurde aber nicht fündig. Das alles kostete Zeit, und Belinda hoffte, daß der Riegel an der Tür im Kellerraum lange genug standhielt. Sie wollte nicht
noch einmal vor dem Wahnsinnigen fliehen müssen. Oder war dessen Anfall inzwischen vorüber? Im Haus war alles still. Sie entschloß sich, es mit Gewalt zu versuchen. Sie hob einen Stein auf, lief wieder zum halb in den Sträuchern steckenden Wagen und schlug die Scheibe der Fahrertür ein. Zu spät fiel ihr ein, daß sie besser eine der hinteren Scheiben zertrümmert hätte. Jetzt lagen die Glasscherben auf dem Fahrersitz. »Oh, verflixt, geht denn heute alles daneben?« keuchte sie. Es war wie verhext! Schnell, aber trotzdem vorsichtig entfernte sie mit spitzen Fingern die größten Scherben. Dann zog sie einen Schuh aus und versuchte mit der weichen Sohle den Rest vom Sitz zu fegen. Kleinere Splitter blieben trotzdem im Polster stecken. Sie schlüpfte wieder in den Schuh. So vorsichtig wie möglich ließ sie sich auf der Sitzkante nieder und betätigte den Anlasser des Wagens. Der Triumph sprang sofort an. Belinda ließ ihn vorwärts rollen aus dem Gebüsch heraus bis dorthin, wo Lissy lag. Sie öffnete die Beifahrertür und zerrte die Freundin auf den Sitz. Im Haus rührte sich immer noch nichts. Da hatte Belinda eine Idee. Sie nahm die Fußmatte und legte sie auf den Sitz über die Scherbenreste. Das Geflecht war stabil genug, kein Splitterchen durchdringen zu lassen. Der Motor lief noch immer, der Wagen war fahrbereit. An der Abzweigung würde Belinda die andere Richtung nehmen und dann sah sie, wie sich die Haustür des verfallenen Gebäudes wieder öffnete. Aber es war nicht der heruntergekommene »Earl«, der ins Freie trat. Es war ein Tier. Oder? Belinda sah nur die Umrisse eines großen wolfsähnlichen
Hundes, aber es war kein Wolfshund. Die hatten gewiß keine zackigen Flügel auf dem Rücken, die aussahen wie jene, die den Abbildungen des Teufels immer mitgegeben werden. Und die Augen! Rotglühende Punkte, wie heiße Kohle … Mit einem Sprung überwand die Bestie die Stufen und kam mit einem weiteren auf den Wagen zu. Belinda schrie auf. Unwillkürlich trat sie das Gaspedal bis zum Bodenblech durch. Lieber Himmel, laß den Motor jetzt nicht absterben! Der Triumph machte einen Satz nach vorn, entging um Haaresbreite den Pranken der Bestie, die auf den wenigen Metern noch gewachsen zu sein schien. Der Wagen schleuderte. Belinda kurbelte wild am Lenkrad, fing das Fahrzeug ab, jagte einmal halb um das Haus und fand im Licht der Scheinwerfer den Weg wieder, der hangabwärts führte. Der Regen prasselte gegen die Frontscheibe und durch das zerstörte Fenster ins Wageninnere. Belinda konnte kaum etwas sehen. Es reichte gerade, daß sie den Weg nicht verfehlte, wobei sie mit viel zu hoher Geschwindigkeit fuhr. Schlimmer als die schlechte Sicht war das, was sie hörte. Motorengeräusche und Prasseln des Regens waren nicht in der Lage, das Hecheln und Zischen zu übertönen, das von der sie verfolgenden Bestie stammte. * Die Zeit, in der die beiden PSA-Agenten und der Earl auf den Mann aus London warteten, sollte nicht ungenützt verstreichen. Larry wollte ein paar Figuren aus dem Keller holen. Er nahm ein kleines Köfferchen mit, das Sir Philipp ihm gab. Zugleich wollte Larry sich die Beschwörungszeichen noch einmal in aller Ruhe und sehr genau ansehen. Unter Umständen ließ sich aus ihrer Form etwas schließen, was dem Earl entgangen war.
Er mochte mit seinem in etlichen Jahrzehnten gesammelten Wissen ein brillanter Experte sein – aber in der Praxis sah manches anders aus. Larry besaß einen geschulteren Blick. Er sah Zusammenhänge, wo es scheinbar keine gab, und er hatte eine lange Erfahrung. Vorsichtig betrat er den Kellerraum. Er rechnete mit einem Angriff aus dem Unsichtbaren, denn wenn der Knochenmann mit seiner mörderischen Sense durch die massive Wand hatte verschwinden können, mochte er ebenso lautlos wieder erscheinen. Larry wollte sich aber nicht überraschen lassen. Er fragte sich allerdings, wie er reagieren sollte. Die Smith & Wesson Laser hatte sich aus unbekanntem Grund als wirkungslos erwiesen. Vor den weißen und roten Kreisen und Symbolen blieb Larry stehen. Er prägte sich das bizarre Muster ein. Eines der Zeichen glaubte er jetzt wiederzuerkennen; es war das Siegel eines gefallenen Dämons, der hoffte, eines Tages wieder gen Himmel aufsteigen zu können, wie Larry aus der »Goetia« wußte, einem Buch, in dem allerlei höllische Fürsten und ihre Heerscharen eingehend beschrieben wurden. Dieser Dämon konnte sowohl unter einem schwarzmagischen wie unter einem weißen Siegel angerufen werden. Das, welches der Earl of Hampton verwendet hatte, war das weißmagische. Ein Hinweis darauf, daß Sir Philipp die Wahrheit gesprochen hatte. Larry fragte sich allerdings, was der Earl mit seiner Beschwörung bezweckte. Wollte er sich des Schutzes dieses gespaltenen Dämonencharakters versichern? Das konnte ins Auge gehen. Außerdem bedeutete es keinen Schutz gegen irgendwelche Angriffe. Schulterzuckend öffnete Larry das Köfferchen, in dem Sir Philipp wohl normalerweise wichtige Papiere beförderte. Jetzt war es leer und bot Platz für gut zehn Figuren. Die Dämonenfratzen der Miniaturen schienen Larry höhnisch
anzugrinsen. Er verzichtete darauf, sie mit der Hand aus dem Regal zu nehmen. Mit der dünnen Kugelschreiberlampe hakte er dahinter und ließ eine Figur nach der anderen in den aufgeklappten Koffer fallen. Eine, zwei, fünf, sieben … Da stutzte er. Etwas stimmte nicht. Er erinnerte sich deutlich an die Figur, die zwischen seinen Fingern glühend heiß geworden war und der er die Brandblase verdankte. Sie war verschwunden. * Iwan Kunaritschew hatte plötzlich das Bedürfnis, sich eine Selbstgedrehte zu genehmigen. Er nahm das Etui und fingerte ein Stäbchen heraus. »Möchten Sie auch, Sir Philipp? Bitte, bedienen Sie sich«, forderte er den Earl of Hampton auf. Der winkte ab. »Wenn die auch nach Ihren Spezialrezepten angefertigt sind, lieber nicht.« Genüßlich setzte Iwan seine Machorka in Brand und sog daran. Alsbald zogen Rauchschwaden durch die Bibliothek. Der einundsiebzigjährige Earl schnupperte. »Was ist denn das für ein Kraut?« »Hervorragender Stoff, nicht wahr?« lobte Iwan die streng geheimgehaltene Mischung. »Wollen Sie nicht doch?« »Um Himmels willen!« Der Earl federte aus seinem Sitz wie ein junger Mann und wich vor dem Qualm zurück. »Mann, das ist ja zum Abgewöhnen. Sollten Sie sich patentieren lassen – für alle, die das Rauchen aufgeben wollen.« »Ach was«, wehrte Iwan ab, »ich rauche diese Sorte seit Jahren. Was haben Sie denn, Sir Philipp? Sie sehen plötzlich so
blaß aus?« Der Earl tappte bleich zum Fenster und riß es auf. Das Rauschen des Regens wurde vernehmbar. Die Wetterfront war inzwischen über das Landhaus des Earls hinweggeglitten. Es regnete sich ein. Damit drang auch feuchte Nachtluft in die Bibliothek. Iwan ließ sich nicht stören. Er sah den Rauchringen nach. Vom Fenster blickte Sir Philipp den PSA-Agenten vorwurfsvoll an. Er fragte sich wohl, warum er nicht ein allgemeines Rauchverbot verkündet hatte. Plötzlich hörte Iwan durch das Rauschen des Regens ein leises Scharren. Es kam von oben. Aus den Bücherregalen? Der PSA-Agent war alarmiert. Er sprang auf und legte die halb aufgerauchte Zigarette im Ascher ab, ohne sie auszudrücken. Das Scharren war von links oben gekommen. Da war eine Lücke zwischen den Büchern im zweitletzten der Regale, die bis unter die Decke reichten. Zwei oder drei Bücher fehlten. Zwei hatte Iwan aufgeschlagen auf einem schmalen Arbeitstisch gegenüber der Tür bemerkt. Wo das dritte war, interessierte X-RAY-7 auch nicht besonders, wohl aber, ob das scharrende Geräusch von da oben stammte. Um die Bücher aus dem Regal zu nehmen, hatte Sir Philipp eine Trittleiter benutzt. Sie stand noch griffbereit. Iwan zog sie entschlossen zu sich heran und stieg blitzschnell hinauf, um einen Blick in die Lücke zu werfen. Darin befand sich – nichts! Er begann mit den Fingerkuppen den Regalboden abzutasten. Hier lag kein Staub. Er hatte sich noch nicht sammeln können in der kurzen Zeit. Doch X-RAY-7 stellte etwas anderes fest. Auf einer fast kreisrunden, dollargroßen Fläche war das Holz heiß! Gerade so, als hätte sich hier ein Gegenstand befunden, der
seine Wärme auf das Holz übertrug. Rund und dollargroß war auch die Grundfläche der Figuren aus dem Zauberkeller! »Sollte hier …?« murmelte der Russe und versuchte sich das Unglaubliche vorzustellen. Hatte etwa eine der kleinen Figuren hier oben gelauert und ihr Gespräch belauscht? War dieser Miniatur dann von Iwans Selbstgedrehten schlecht geworden, daß sie sich zurückzog? Iwan wußte ja um die umwerfende Wirkung seines Krauts, aber war das, was er hier vermutete, nicht zu phantastisch? Er drehte sich auf der Trittleiter um. »Sir Philipp?« Der Earl hatte vom Fenster überrascht dem Tun des PSAAgenten zugesehen. Die Bibliothek befand sich im ersten Stock des Landhauses. Durch das geöffnete Fenster zuckte jetzt ein schwarzer, dürrer Arm in das Zimmer. Eine schwarze Hand mit dürren Fingern packte blitzschnell zu – und riß den Earl ins Freie. * Belinda Masters fuhr wie besessen. Der Wagen holperte über den unebenen Weg, drohte in den Kurven zu schleudern und auszubrechen. Die junge Frau brauchte nicht in den Rückspiegel zu sehen, um zu wissen, daß die riesige Bestie immer noch hinter ihr war. Sie hielt mit dem Tempo des Sportwagens Schritt! Belinda glaubte sich in einem Alptraum gefangen, der einfach kein Ende nehmen wollte. Sie stöhnte. Da tauchte die Abzweigung im Scheinwerferlicht auf, an der das Schild gestanden hatte. Sekundenlang verlor Belinda die Orientierung. Von wo waren
sie gekommen? Von rechts, von links? Es war eine gabelförmige Abzweigung, die nicht auf Anhieb erkennen ließ, welcher Weg der richtige war. Und der Regen fiel immer noch stark. Belindas Gedanken überschlugen sich. Sie war rechts abgebogen, die Anhöhe hinauf. Der Weg hatte sich als falsch erwiesen. Demnach mußte sie, um in die richtige Richtung zu kommen, jetzt abermals rechts abbiegen. Schaffte sie das in der hohen Geschwindigkeit ? Der Wagen rumpelte durch ein Schlagloch und drohte plötzlich zu kippen. Belinda brach der Schweiß aus, als sie das Fahrzeug zu halten versuchte. Da flog die Weggabelung bereits heran! Belinda begriff kaum noch, daß und wie sie fuhr, aber dann war der Wagen schon wieder auf festem Boden und raste weiter. Sie hatte es geschafft! Die Kurven, die jetzt kamen, waren vergleichsweise harmlos. Dennoch bestand Rutschgefahr auf dem nassen Asphalt. Belinda ließ den Triumph etwas langsamer werden. Durch das offene Fenster schlug ohnehin genug Kälte herein. Regen auch, aber sie war ohnehin längst vollkommen durchnäßt. Wahrscheinlich würde sie sich nach dieser Nacht einen Schnupfen holen, wenn nicht gar eine Lungenentzündung. Und Lissy möglicherweise auch, die in ihrem besinnungslosen Zustand keine Möglichkeit hatte, sich durch Bewegung warmzuhalten. Erschrocken stellte sie fest, wie langsam der Wagen geworden war. Sie wollte das Gaspedal wieder durchtreten. Da fiel ihr noch etwas auf. Das Hecheln und Zischen war fort. Sie warf einen Blick in den Rückspiegel, konnte die riesige Wolfshundbestie mit den Drachenflügeln aber nicht mehr
sehen. Das Ungeheuer verfolgte sie nicht länger. Erleichtert atmete Belinda auf. Entweder hatte sie das Biest an der Weggabelung abgehängt, woran sie aber weniger glaubte, oder das Untier hatte die Lust an der Verfolgung verloren. Vielleicht sollte es ihr auch nur noch einen gewaltigen Schrecken einjagen. Wenn ja, war ihm das gelungen. Belinda lenkte den Wagen an den Straßenrand, hielt an und versuchte Lissy Ferguson wieder ins Bewußtsein zurückzuholen. Nach einer Weile schlug sie die Augen auf. »Belli …?« »Ich bin's. Wir sind erst mal in Sicherheit. Was ist mit dir geschehen?« Lissy setzte sich halb auf. Sie schüttelte sich und war immer noch etwas benommen. Allmählich merkte sie, daß sie im Auto mehr lag als saß, und setzte sich zurecht. Sie stützte sich am Armaturenbrett ab. »Wo sind wir?« »Fort von dem Haus, wahrscheinlich diesmal auf dem richtigen Weg.« »Wir sind ja beide klatschnaß, Belli, und schmutzig, als hätten wir uns im Schlamm gewälzt.« »Genau das, liebe Lissy, ist uns widerfahren«, sagte Belinda. Sie war froh, jemanden neben sich zu haben, mit dem sie sprechen konnte. Es half ihr, die Ängste etwas abzureagieren. »In dem Haus lauert ein Verrückter«, fuhr sie fort. »Alles ist vollkommen verwahrlost. Und … er muß ein Mörder sein. Ich habe eine Leiche gesehen – in Säure aufgelöst.« »Du spinnst«, entfuhr es Lissy unwillkürlich. »Das war bestimmt wieder so ein Gag wie mit der halbierten Schaufensterpuppe.« Dann entsann sie sich ihres eigenen schaurigen Erlebnisses. Sie verstummte. Belinda erzählte weiter. Leise berichtete sie ihrer Freundin, was geschehen war. Nun war Lissy an der
Reihe. Sie erntete ungläubiges Staunen, als von dem grinsenden Ungeheuer mit der Monsterfratze am Lenkrad des Wagens die Rede war. Aber gab es hier nicht eine Verbindung zu dem wolfsartigen Biest mit den rotglühenden Augen? »Wir sollten froh sein, daß wir mit dem Schrecken davongekommen sind«, sagte Belinda. »Wir fahren weiter und versuchen, Chewenshere zu erreichen. Vielleicht finden wir auch vorher eine Unterkunft …« »Dein Onkel Jack.« »Den möchte ich zu nachtschlafender Zeit nicht stören«, fiel ihr Belinda ins Wort. »In einem Gasthaus werden die Leute bezahlt, daß Gäste sie mitten in der Nacht aus dem Bett klingeln.« Sie fuhr weiter. »Du, Belli, meinst du nicht, daß wir uns immer mehr verfahren?« wollte Lissy Ferguson nach einer Weile wissen. »Wenn es stimmt, daß du dich schon an der ersten Kreuzung geirrt hast, noch vor dem Schild, sind wir doch jetzt erst recht falsch. Wir hätten zurück gemußt …« Da sahen sie das Licht. Gut eine Meile voraus erhob sich ein beleuchtetes Landhaus. »Nicht schon wieder«, flüsterte Lissy, aber Belinda fuhr weiter. Schlimmer konnte es nicht mehr kommen, dachte sie sich. * Wer hatte die Figur aus dem Regal genommen? War der gespenstische Knochenmann wieder aufgetaucht und hatte sich bedient? Zwischendurch war doch niemand im Keller gewesen. Als sie ihn zu dritt verließen, hatte weder der Earl noch einer der beiden Agenten die Figur an sich genommen. Larry sah sich um. Eine weitere Tür, durch die jemand eintreten konnte, gab es nicht; höchstens das zerstörte Fenster. Auch das erschien Larry unwahrscheinlich .
Er wandte sich wieder dem Regal zu. Narrte ihn ein Spuk? Die Figur stand da, als sei sie nie fort gewesen, gerade so, als leide Larry unter Halluzinationen! Blitzschnell griff er zu, berührte sie und fühlte, wie die glühend heiße Figur unter seinen Fingern erkaltete. Sie wurde auch nicht wieder heiß, als er sie anhob. Nachdenklich betrachtete er sie. Er war sicher, daß er nicht unter einer Sinnestäuschung litt. Larry preßte die Lippen zusammen. Langsam legte er die Figur zu den anderen in den Koffer. Er würde dafür sorgen, daß sie besonders sorgfältig untersucht wurde. Er schloß den Koffer und ließ die Schlösser hörbar einrasten. Da drang ein gellender Schrei durch das zerstörte Fenster. Das war der Earl of Hampton! * Iwan Kunaritschew war mit einem Sprung am Fenster. Die Trittleiter, von der er sich abgestoßen hatte, kippte um und polterte auf den Teppichboden. Iwan warf sich nach vorn, um den schreienden Earl festzuhalten. Er griff ins Leere. Trotz seiner unglaublichen Reaktionsschnelligkeit war er zu langsam. Die Schuhe von Sir Philipp verschwanden gerade vor ihm in der Tiefe. Iwan hatte Mühe, vom eigenen Schwung nicht hinterhergetragen zu werden. Er stützte sich gerade noch ab. Dann sah er nach draußen. Ein paar Meter tiefer lag der Earl mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken. Über ihm stand eine hochgewachsene Kapuzengestalt mit einer Sense. Der Knochenmann war wieder da!
Iwan schätzte die Distanz ab, stützte sich mit der Linken auf der Fensterbank ab und flankte nach draußen. Mit den Füßen voran sauste er auf den Sensenmann hinab, der gerade mit seinem mörderischen Instrument ausholte. Um Haaresbreite verfehlte ihn das rasiermesserscharfe Sensenblatt. Er hörte noch das Pfeifen, mit dem die Sense die Luft unmittelbar vor ihm durchschnitt und auf den Earl zuraste. Da trafen Iwans Füße den Sensenmann zwischen den Schulterblättern. Das Ergebnis war umwerfend. Der Sensenmann wurde nach vorn geschleudert, stolperte über Sir Philipp hinweg. Die Sense verfehlte den Earl ebenfalls nur knapp. Durch den Aufprall verlor der Knöcherne das Gleichgewicht und stürzte in das eigene Mordwerkzeug. Iwan schnellte sich zur Seite, landete auf weichem, nassem Grasboden und rollte ab. Dabei sah er, daß die Sense den Körper durchbohrt hatte. Doch der Kapuzenmann starb nicht! Damit bewies er ein weiteres Mal, kein Mensch aus Fleisch und Blut zu sein. Er erhob sich. Und im Taumeln sank er im Boden ein wie in Morast. Das Verschwinden dauerte kaum mehr als zwei Sekunden. Zu schnell für Iwan, um noch zuzupacken. Er kümmerte sich um den Earl. Sir Philipp war ohne Bewußtsein. Iwan konnte nicht sicher sein, daß der alte Mann den Sturz aus dem Fenster unbeschadet überstanden hatte. Vorsichtig tastete er die Glieder Sir Philipps ab und war erstaunt, keine Brüche festzustellen. Doch das besagte noch nicht, daß er keine inneren Verletzungen oder eine Schädigung des Rückgrats erlitten hatte. Iwan nahm eine Bewegung hinter sich wahr. Er fuhr herum, erkannte aber zu seiner Erleichterung seinen Freund Larry. »Wo kommst du denn her? Du warst doch im Keller!«
»Und den, Brüderchen, habe ich auch auf demselben Weg verlassen, auf dem wir zu zweit eingedrungen sind: durchs Fenster. Das ging schneller. Was ist geschehen?« Iwan erzählte es ihm. Während er noch sprach, kam der Earl wieder zu sich. Es war schon erstaunlich: außer ein paar blauen Flecken und Prellungen war Sir Philipp unverletzt. »Es wird immer schlimmer«, klagte er. »Ich weiß nicht mehr, was ich noch machen soll. Die Beschwörungen helfen nicht. Es ist, als würde dadurch alles nur noch übler …« »Dann lassen Sie die Finger davon«, empfahl Larry. Erleichtert registrierte er, daß der Regen nachgelassen hatte. Trotzdem wurden sie hier draußen naß. Iwan und der Earl troffen ohnehin vor Nässe. »Sir Philipp, haben Sie schon mal daran gedacht, sich vorübergehend hier auszuquartieren und vielleicht für ein paar Tage in ein Hotel zu ziehen? Dadurch ließe sich immerhin feststellen, ob die unheimlichen Geschehnisse an das Haus oder an Ihre Person gebunden sind.« »Das ist eine glänzende Idee«, entfuhr es dem Earl of Hampton verblüfft. »Ich werde es versuchen. Vielleicht finde ich dann Ruhe.« Vor der Haustür sah Larry sich um. Er stutzte. »Da kommt ein Wagen«, sagte er. »Da ist unser Mann aus London aber schnell gefahren. Oder er hatte in der Nähe zu tun und ist umdirigiert worden.« Durch die Hecken und Sträucher, die das Grundstück zur Straße abgrenzten, waren die Scheinwerfer eines Wagens zu sehen, der sich dem Landsitz des Earls näherte. Die letzten hundert Meter fuhr er langsam, als traute sich der Fahrer doch nicht so ganz heran. Und dann sah Larry, daß zwei Menschen in dem Sportwagen saßen.
Zwei junge Frauen. * Belinda Masters zögerte beim Aussteigen. Erst einmal unterzog sie die drei Männer, die dem Wagen entgegensahen, einer eingehenden Musterung. Da war ein rothaariger Hüne mit Rasputin-Bart, dazu ein würdiger, älterer Herr, der aber ein wenig derangiert wirkte, als habe er gerauft, und ein junger Mann mit blondem Haar, dessen wache Augen sofort Belindas Sympathie weckten. Der Blonde war es auch, der nun mit elastischen Schritten auf den Wagen zuging und neben der Fahrertür stehenblieb. »Frage ihn, ob wir bleiben können«, bat Lissy. »Hallo«, grüßte der Blonde. Seine Stimme nahm Belinda sofort für ihn ein. »Hatten Sie Schwierigkeiten? Sind Sie überfallen worden? Oder ist das ein gestohlener Wagen?« Dabei lächelte er und zeigte damit an, daß er das nicht so ernst meinte. »Die zerstörte Scheibe? Wir hatten eine seltsame Begegnung in einem Haus auf der Anhöhe, ein paar Meilen hinter uns …« »Wie es scheint, war das eher eine Kollision«, sagte der Blonde und stellte sich als Larry Brent vor. »Ich nehme an, daß der Besitzer des Hauses«, er deutete auf den alten Mann, »nichts dagegen hat, wenn ich Sie hereinbitte. Sie können den Wagen drüben parken, am besten mit der zerstörten Scheibe zur Hauswand. Dann ist das Innere beim nächsten Schauer regengeschützt.« »Danke.« Belinda ließ den Wagen ein Stück weiterrollen bis zu der Stelle, die Larry Brent bezeichnet hatte. Nun stiegen die beiden Mädchen aus. Lissy war nicht so standfest, wie sie gehofft hatte. Sie taumelte leicht und mußte gestützt werden. Larry half ihr ins Haus. Der Earl führte sie in einen gemütlich eingerichteten Wohnraum.
»Tut mir leid, daß der Kamin nicht brennt, aber ich hatte heute nicht mit Besuch gerechnet«, sagte er und fuhr sich durch das gebleichte Haar. »Nehmen Sie ruhig Platz. Ich werde oben das Fenster der Bibliothek schließen …« »Das übernehme ich«, unterbrach der Rotbart. »Bleiben Sie besser und erholen Sie sich. Sie möchten doch nicht noch einen Sturzflug machen?« »Einmal reicht«, sagte der Alte. »Bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen?« »Mit unseren Sachen machen wir nur Ihre Ledersessel dreckig! Wir …« »Schmutz läßt sich abwaschen, das Leder ist imprägniert«, erklärte der Alte leichthin. »Darf ich Ihnen etwas anbieten? Sie sehen so aus, als hätten Sie einiges erlebt.« »Sind Sie auch Opfer der unheimlichen Geschehnisse geworden, die sich in der Gegend abspielen?« wollte Larry Brent wissen. »Vielleicht … Sagen Sie, Sir, haben Sie Telefon? Sie müssen die Polizei benachrichtigen. Wo wir herkommen, ist ein Mann ermordet worden. Fast hätte uns dasselbe Schicksal ereilt.« »Da sind Sie hier genau richtig«, sagte der Alte. »Dieser Mann, Mister Brent, gehört zu einer polizeiähnlichen Organisation. – Ein Whisky? Oder lieber Likör? Aber Sie sehen mir aus, als könnten Sie was brauchen, das Sie aufwärmt. Also doch besser Whisky.« »Warum eigentlich nicht?« Belinda stellte fest, daß sie wieder lächeln konnte. »Erzählen Sie bitte, was passiert ist«, drängte Larry Brent. Er ließ sich den beiden jungen Frauen gegenüber nieder, die am Whisky nippten. Der Earl eilte zur Tür. »Will ein paar Wolldecken holen«, murmelte er vor sich hin. »Ich sehe doch, daß Sie beide frieren.« Nun sprudelten Belinda und Lissy ihre Geschichte heraus.
Larry hob die Brauen. »Eine Leiche, in Säure aufgelöst? Das erinnert mich an etwas.« »Sie kennen den Täter? Diesen abgerissenen, heruntergekommenen alten Mann?« stieß Belinda hervor. »Er ist ein Wahnsinniger, nicht wahr?« »Ich fürchte es fast.« Zusammen mit dem Weißhaarigen und seinen Wolldecken trat auch Iwan ein. »Alles in Ordnung, Towarischtsch«, erklärte er. »Ich habe auch das hübsche Aktenköfferchen mitgebracht. Jetzt kann unser Mann aus London kommen.« »Wird auch Zeit«, sagte Larry. »Wahrscheinlich werden wir in dieser Nacht noch einen Ausflug machen, Brüderchen. Und zwar dorthin, woher die beiden Damen kommen. Wenn es das ist, was ich fürchte, finden wir vielleicht eine Erklärung für die Vorfälle hier.« Währenddessen verteilte der Earl die Wolldecken an Belinda und Lissy, die sich darin einwickelten. Am liebsten hätte Belinda die nassen Sachen ausgezogen, aber das ging im Moment nicht. Das Gepäck befand sich im Kofferraum des Wagens. »Danke, Mister …?« sagte Lissy Ferguson. »Oh, Verzeihung«, sagte der würdige Herr. »Ich habe völlig vergessen, mich vorzustellen. Ich bin Sir Philipp Andrew William Earl of Hampton …« Da stieß Belinda einen Schrei des Entsetzens aus. Nahm das Grauen denn kein Ende? »Was ist denn?« fragte Larry Brent. »Beruhigen Sie sich doch! Niemand will Ihnen hier etwas tun …« »Was haben Sie? Stimmt was mit meinem Namen nicht?« fragte der Earl. »Mit Ihrem Namen… Der Mann, mit dem wir es zu tun hatten, nannte sich auch Earl of Hampton!« behauptete Belinda. »Das gibt's doch nicht«, kommentierte der Earl. »So eine
Frechheit!« Larry sah ihn prüfend an. »Beschreiben Sie diesen angeblichen Earl, bitte«, forderte er Belinda auf. Belinda tat ihm den Gefallen. Larry und Iwan schüttelten die Köpfe. Da gab es keine Ähnlichkeiten. Doch jemand, der den Namen des echten Sir Philipp benutzte, übernahm damit zugleich die kursierenden Gerüchte. Da stimmte etwas nicht. »Sie können absolut sicher sein, daß ich der richtige Earl bin«, sagte Sir Philipp. »Und ich versichere Ihnen auch, daß ich nicht zu morden pflege. Im Gegenteil, ich bin selbst eine Art Opfer … Warten Sie mal. Wo soll das Mordhaus stehen?« Daran waren auch die beiden PSA-Agenten interessiert. Belinda Masters beschrieb den Weg. Sir Philipp schüttelte den Kopf. »Da gibt es eine alte Hütte, ja. Doch die ist seit bald fünfzig Jahren nicht bewohnt. Und der Weg nach Chewenshere verläuft in die andere Richtung. Sie hätten schon zwei Kreuzungen vorher abbiegen müssen. Haben Sie denn die Schilder nicht gesehen?« »Nur eines, das hier herauf zeigte. Dann sind wir zu dem Haus auf der Anhöhe gefahren …« »Das verstehe ich nicht. Sollte der Wind die Hinweisschilder geknickt haben? Möglich ist natürlich alles.« Larry straffte sich. »Je schneller wir der Sache auf den Grund gehen, desto besser wird es sein. Daß der Wahnsinnige sich ausgerechnet den Namen Sir Philipps ausgesucht hat, gibt mir zu denken. Miss Masters, können Sie mir den Weg zu der Hütte zeigen? Trauen Sie es sich zu, noch einmal in das Mordhaus zurückzukehren?« Belinda sah ihn an. Irgendwie flößte ihr der sympathische PSA-Agent Vertrauen ein. Von ihm ging eine Ausstrahlung aus, die Schutz und Sicherheit versprach.
»Ja, ich tu's«, versprach sie. »Belli!« entfuhr es der Freundin. »Bist du übergeschnappt? Willst du tatsächlich noch einmal dahin?« Belinda nickte nur. Larry und Iwan sahen sich an. »Du paßt auf den Earl auf, daß ihm nichts mehr zustößt«, bestimmte Larry. »Und wenn unser Mann aus London kommt, drückst du ihm das Köfferchen in die Hand, während ich mir das Mordhaus mal näher ansehe. Wir bleiben in Verbindung, okay?« »Sicher, Towarischtsch«, nickte Iwan Kunaritschew. »Du kannst dich auf mich verlassen. Paß nur auf das Mädchen und auf dich auf, hörst du? Obwohl ich Morna liebend gern trösten würde …« Larry drohte ihm grinsend mit der Faust. »Unkraut vergeht nicht. Du wirst keine Chance haben, dich an Morna ranzumachen, Brüderchen.« Jetzt erhob sich Belinda. »Warten Sie, Larry. Ich möchte mir ein paar trockene Sachen anziehen. Die habe ich im Wagen. Mit dem nassen Zeug hole ich mir da draußen den Tod.« * Der Regen hatte aufgehört. Es war einigermaßen windstill. Belinda fröstelte dennoch. Die Kleidung klebte ihr auf der Haut. Eigentlich hätte sie Larry Brent bitten können, ihr Gepäck aus dem Kofferraum zu holen. Doch jetzt war sie mal draußen. Sie würde Lissys Sachen ebenfalls mitnehmen. Der Nachthimmel war dunkel. Schwere Wolkenbänke verdeckten die Sterne und einen Teil des Mondes. Mehr Licht spendete die Außenbeleuchtung. Rund um das große Landhaus Sir Philipps waren Pfostenlampen angebracht, die helle Inseln schufen. Belinda lief zum Wagen und öffnete den Kofferraum. Da
lagen die beiden großen Reisetaschen. Sie nahm sie heraus, wollte den Kofferraum schließen und hatte keine Hand mehr frei. »Verflixt«, murmelte sie und versuchte, den Kofferraumdeckel mit dem Ellenbogen schließen, weil sie die Taschen nicht auf die nasse Erde setzen wollte. Sie drehte sich halb. Da wuchs er förmlich aus dem Schatten! Der kleine, schmuddelige Alte mit dem weißen Spinnwebenhaar, der wahnsinnige Mörder mit den unheimlichen Kräften, vor dem sie in der verfallenen Hütte geflohen war! Belinda wollte aufschreien. Blitzschnell schoß seine Hand vor, legte sich über ihre Lippen und drückte gleichzeitig den Kopf nach hinten. Sie taumelte einen Schritt rückwärts, ließ die beiden Reisetaschen fallen und wurde bis an die Hauswand gedrückt. »Ganz still«, flüsterte der Alte. Im Zwielicht wirkte seine wächserne Haut jetzt totenbleich. Er ist uns gefolgt, durchfuhr es Belinda. Der Alte, der einen Kopf kleiner war als sie, preßte sie so gegen die Hauswand, daß sie nicht schreien und sich nicht bewegen konnte. »Ganz ruhig«, wiederholte er. »Diesmal fängst du mich nicht in meiner eigenen Falle. Diesmal führe ich meinen Plan durch.« Ihre Augen drohten aus den Höhlen zu treten. Der Mann wollte sie töten! Warum war sie auch allein nach draußen gegangen? Aber nachdem die glutäugige Bestie die Verfolgung aufgegeben hatte, hatten die beiden Freundinnen sich halbwegs sicher gefühlt! »Wenn du schreist, töte ich dich sofort«, zischte der Wächserne. Belinda konnte keine Waffe in seinen Händen sehen, aber sie glaubte ihm trotzdem aufs Wort. Er besaß trotz seines schmächtigen Aussehens solche Kräfte, daß er nicht auf eine Waffe angewiesen war. Er löste die Hand von ihrem Gesicht.
Belinda schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Atemlos starrte sie ihn an. »Was haben Sie mit mir vor?« keuchte sie. »Vortreten«, befahl er statt einer Antwort. »Zwei Schritte nach vorn. Und glaube nicht, du kannst mir noch einmal entkommen …« Sie gehorchte, stumm vor Angst. Blitzschnell schlug er zu. Sie sah die Handkante noch niedersausen, dann brach sie besinnungslos zusammen. Der Wächserne tat einen Schritt in die Dunkelheit und öffnete einen flachen Aktenkoffer. Dann griff er mit der linken Hand nach seinem Gesicht – und zog es wie einen nassen Lappen ab! Zum Vorschein kam eine wabbelige, brodelnde Masse ohne Konturen! Der untersetzte Mann legte die Gesichtsfolie in den Aktenkoffer und nahm ein kleines Skalpell heraus. Er kniete neben Belinda Masters, setzte die Spitze des Skalpells an und löste ein daumennagelgroßes Stückchen aus ihrer Stirn. Er ging dabei so geschickt vor, daß kein Blut floß. Das Hautfleckchen drückte er dann in die wabbelige Gesichtsmasse, wo die Stirn zu vermuten war. Schlagartig ging eine Veränderung mit ihm vor. Die konturlose Masse nahm wieder Formen an. Sie überzog sich mit glatter, straffer Haut, Augen und Mund, die Nase bildeten sich heraus – und binnen weniger Augenblicke entstand ein genaues Abbild von Belinda Masters. Das war noch nicht alles. Auch der Körper begann sich zu verändern. Er straffte sich, wurde etwas größer, bildete weibliche Formen heraus. Die schlotternde Kleidung des wachsbleichen Alten saß gerade locker genug, die Veränderung mitzumachen, lag jetzt aber straff am schlanken Mädchenkörper an. Die falsche Belinda Masters hatte mit dem Aussehen auch das Wissen der wirklichen Belinda übernommen. Sie wußte auf
Anhieb, welche Reisetasche die richtige und aus welchem Grund Belinda nach draußen gekommen war. Geschickt öffnete sie die Reisetasche, streifte dann ihre schäbige Kleidung ab und schlüpfte in ein Baumwollkleid aus den Beständen der echten Belinda. Ein Paar Schuhe dazu, ein Gürtel, der das Kleid in der Taille raffte, und die leichte Strickjacke gegen den kühlen Wind. Die eigenen Sachen wurden zusammengerollt und waren jetzt ein handliches Bündel, das in einer Plastiktasche verschwand. Vielleicht wurden sie ja noch einmal gebraucht. Es war der Moment, da die echte Belinda zu sich kam und entsetzt ihre Doppelgängerin anstarrte. »Oh, mein Gott«, entfuhr es ihr ungewollt. »Wie ist das möglich?« »Oh, du mußt schon entschuldigen«, sagte die Doppelgängerin spöttisch. »Doch es ist unverzichtbar, daß ich mir dein Aussehen borge. Aber du wirst verstehen, daß keine zwei Belinda Masters herumlaufen dürfen.« Die Doppelgängerin hob die Arme. Aus den Wolken zischten zwei gräßliche Kreaturen herab, die fast nur aus Klauen und Zähnen zu bestehen schienen. »Schafft sie fort«, befahl die Doppelgängerin. Belinda war vor Entsetzen gelähmt. Sie vermochte nicht zu schreien und sich nicht zu wehren, als die geflügelten Kreaturen, die durchsichtig wirkten, nach ihr griffen, sie in die Luft zerrten und mit ihr verschwanden. Dabei vergaßen sie auch nicht das flache Aktenköfferchen mit der Gesichtsfolie des Alten und den Plastikbeutel mit seiner Kleidung. Die Doppelgängerin aber griff nach den beiden Reisetaschen und strebte zurück ins Haus. * »Hier, Lissy. Ich habe dir deine Sachen gleich mitgebracht«,
sagte Belinda und stellte der Freundin die Reisetasche vor die Füße. »Halt die Ohren steif, während ich mit Mister Brent zurückfahre.« »Paß gut auf dich auf«, flüsterte Lissy. Larry fiel auf, daß Belinda selbstbewußter wirkte als zuvor. Er nickte Iwan zu, der nun auf Kontaktversuche über den PSARing warten würde. Über die Ringe vermochten sich die einzelnen Agenten nicht nur mit der PSA-Zentrale direkt in Verbindung zu setzen, sondern konnten auch untereinander Kontakt aufnehmen. Das hatte Larry gemeint, als er Iwan vorschlug, in Verbindung zu bleiben und sich gegenseitig über besondere Vorkommnisse zu berichten. Erfreut stellte Larry fest, daß der Regen aufgehört hatte. Trotzdem wollte er nicht unbedingt in dem roten Triumph fahren. Gut zweihundert Meter vom Anwesen entfernt stand der Mietwagen, in dem Larry und Iwan gekommen waren. Dorthin führte Larry seine Begleiterin. »Wenn ich Ihnen zuviel zumute, müssen Sie es sagen«, ermahnte er sie. »Ich möchte Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten. Es ist nur für mich einfacher, wenn Sie mir den Weg zeigen.« Sie bestiegen den silbergrauen Ford Cortina. Larry lenkte den Wagen durch die Nacht. Es kam ihnen kein Fahrzeug entgegen. Erstens war es schon nach Mitternacht, und in dieser ländlichen Gegend waren brave Bürger um diese Zeit längst in ihren Betten. Zweitens würde der PSANachrichtenagent aus der anderen Richtung kommen. Belinda gab die Richtung an. Larry bemerkte, daß sie ihm hin und wieder prüfende Blicke zuwarf. Doch war das nicht normal? Eine junge Frau, allein mit einem Mann im Wagen, den sie nicht kannte? Und unterwegs ins Ungewisse? »Hier müssen Sie abbiegen, Larry. Vorsicht, der Weg ist hol-
perig.« Er merkte es Augenblicke später, als der Ford in Spurrillen sackte. Mehrmals ratschte der Auspuff über unebenen Boden. Nach einer Weile sah er das Licht durch die Bäume und Büsche. »Ist es das?« Belinda Masters nickte nur. Mit gemischten Gefühlen brachte Larry den Wagen in der Nähe des Hauseingangs zum Stehen. Ein angeblich seit fünfzig Jahren leerstehendes Haus, in dem es Fallen gab und eine Badewanne mit Säure, in der eine menschliche Leiche aufgelöst worden war … »Bleiben Sie im Wagen, Miss Masters«, forderte er seine Begleiterin auf. »Ich sehe mich mal da drinnen um.« »Seien Sie vorsichtig«, warnte Belinda. »Der Kerl ist stark und unberechenbar.« »Wie alle Verrückten«, sagte Larry. Er stieg aus und lauschte erst einmal. Nichts war zu hören außer dem Rauschen der Blätter im Wind. Larry Brent ging auf das Haus zu, stieg die Stufen hinauf, und warf auch einen prüfenden Blick zum Überbau, von dem Lissy Ferguson auf Belinda heruntergefallen sein sollte. Da konnte ohne weiteres ein menschlicher Körper liegen, aber wer hatte ihn hinauf geschafft? Der Wahnsinnige war im Haus gewesen. Er mußte also mindestens einen Komplizen haben. Eiskalt lief es Larry über den Rücken. Warum hatte er nicht vorher daran gedacht? Er hatte es mit zwei Gegnern zu tun! Die Tür war noch offen. Larry trat ein. Das Licht funktionierte. Er sah sich um. Alles war so, wie Belinda es beschrieben hatte. Langsam durchschritt der PSA-Agent das ihn umgebende Chaos, den Schmutz. Irgendwie fühlte er sich von Dutzenden von Augenpaaren beobachtet. Doch da war nichts.
Das Haus war leer. * Währenddessen traf im Landhaus der PSA-Nachrichtenagent ein. Raoul Wilkins, ein 45jähriger Mann, sah eher aus wie ein Finanzbuchhalter eines Industriekonzerns. Niemand vermutete in dem Mann mit dem einreihigen Flanellanzug und der Stirnglatze, daß er für eine geheime Organisation arbeitete, die weltweit für mysteriöse Kriminalfälle zuständig war. Wilkins war seit gut sieben Jahren für die PSA tätig. Normalerweise überbrachte er Mitteilungen und Hinweise, hielt Augen und Ohren offen und ermittelte im Hintergrund. Kurierdienste gehörten eigentlich nicht zu seinem Tätigkeitsbereich, waren aber wie in diesem Fall nicht gänzlich auszuschließen. Der Leiter der PSA hatte deutlich gemacht, daß er die zu transportierenden Figuren keinem normalen Kurier anvertrauen wollte. Wilkins ging einer normalen Tätigkeit nach, die ihm als »Alibi« diente. Dort würde er sich krankmelden müssen, wenn er noch in den Morgenstunden mit einer Linienmaschine, aber unter anderem Namen nach New York flog, wo ein aktiver Agent den Koffer entgegennehmen und in die geheimnisvolle PSA-Zentrale bringen würde. Wilkins war nur zweimal in seinem Leben in New York gewesen. Er liebäugelte mit dem Gedanken, sich ein oder zwei Tage in der Weltstadt umzusehen und dann erst zurückzukehren. Wenn er nicht von dem PSA-Agenten bei der Kofferübergabe neue Anweisungen erhielt, war das leicht möglich. Seine Krankmeldung bei der Firma in London konnte ruhig mehrere Tage gestreckt werden. Notfalls konnte er es mit Urlaub verrechnen. Er fuhr über die breite Zufahrt direkt vor das Landhaus, stieg
aus und betätigte die Türglocke. Er war froh, daß es nicht regnete. Als er in London losfuhr, hatte es wie aus Eimern geschüttet. Ein rotbärtiger Hüne öffnete ihm die Tür und bat ihn herein. Am Weltkugelring, der in seiner Form unverwechselbar war, erkannte er den PSA-Agenten. »Ich bin X-RAY-7, Towarischtsch«, sagte der Russe. »Das ist ja schnell gegangen.« »Man hat mich aus dem Bett geworfen«, beklagte sich Wilkins. Er betrat den Raum mit dem inzwischen lodernden Kaminfeuer. Ein weißhaariger, alter Mann erhob sich bei seinem Eintreten. Das mußte Sir Philipp sein. Wilkins wies sich aus. »Hier ist der Koffer«, sagte X-RAY-7. »Wollen Sie sofort wieder aufbrechen oder erst eine Pause einlegen?« Raoul Wilkins dachte daran, was man sich über das Haus des Earls erzählte. Als er den Einsatzbefehl erhielt, war er natürlich auch über die unheimlichen Geschehnisse informiert worden, deretwegen die PSA in diesem Fall aktiv wurde. »Ich verschwinde sofort wieder«, entschied er. »Ich möchte die berüchtigte Sieben-Meilen-Zone so schnell wie möglich wieder hinter mich bringen …« Der Earl verzog das Gesicht. X-RAY-7 grinste breit. »Dann wünsche ich gute Fahrt, Mister Wilkins«, sagte er. »Bringen Sie den Koffer heil über den großen Teich. Übrigens, es kann nicht schaden, wenn Sie sich hin und wieder vergewissern, daß der Inhalt noch vorhanden ist.« X-RAY-7 klappte den Koffer auf und ließ den PSA-Nachrichtenagenten einen Blick hineinwerfen. »Grundgütiger Himmel«, keuchte Wilkins auf, als er die scheußlichen Miniaturen erblickte. »Welcher kranken Phantasie sind die den entsprungen?« »Das eben, Towarischtsch, sollen die Experten in New York herausfinden. Vielleicht wissen ›Big Wilma‹ und ›The clever
Sophie‹ mehr.« Wilkins schloß den Koffer ganz schnell wieder. »Der Teufel soll mich holen, wenn ich da mehr als einmal reinschaue.« »Tun Sie es trotzdem«, empfahl Iwan Kunaritschew. »Mein Kollege glaubt die Beobachtung gemacht zu haben, daß die Figuren verschwinden und wieder auftauchen können wie Gespenster …« »Das ist doch Unsinn«, behauptete Wilkins, zuckte dann aber mit den Schultern. Er wußte ja, zu welcher Truppe er gehörte und womit die PSA sich befaßte – gerade mit solchen Phänomenen, die jeder andere als Unsinn abtat. * Lissy Ferguson war etwas aufgefallen. Sie hatte sich mit der Reisetasche in das Zimmer zurückgezogen, das der Earl zuerst auch Belinda anwies. Die Reisetasche stand da auf dem Boden, aber nichts im Zimmer deutete darauf hin, daß die dunkelhaarige Amerikanerin sich hier umgezogen hatte. Von ihren nassen Sachen war nichts zu sehen. Hatte sie die etwa in eine Tüte gesteckt, naß wie sie waren, und in die Tasche versenkt? Das war doch unsinnig! Der Earl hatte bestimmt ein paar Wäscheleinen auf dem Dachboden, oder man konnte die Kleidungsstücke im Bad trocknen, oder im Heizungskeller. Lissy war jedenfalls entschlossen, danach zu fragen. Sie war neugierig und öffnete Belindas Reisetasche. Die nassen Sachen waren darin nicht enthalten. Das war doch seltsam. Wo hatte sie sie gelassen? Sollte Belli etwa so närrisch gewesen sein, sich schon draußen im Wagen umzuziehen? Dennoch blieb der Schatten eines Verdachts. Lissy kleidete
sich schnell um. Es tat gut, wieder trockene Wäsche am Leib zu haben. Wenn sie noch die Möglichkeit bekam, ein heißes Bad zu nehmen, würde sie sich noch wohler fühlen. Aber die Sache mit Bellis Kleidung war schon eigenartig. Sie schlüpfte durch die Haustür ins Freie. Lissy hörte noch den Motor des Wagens, der schnell davonfuhr. Wilkins hatte es begreiflich eilig. Die Haustür ließ sie halb offen. Sie war ja gleich wieder da. Sie lief um die Hausecke zum tomatenroten Triumph. Mit der eingeschlagenen Scheibe sah der Wagen traurig aus. Lissy spähte auf die Sitze. Da war nichts. Blieb der Kofferraum. Die rothaarige junge Frau öffnete den Kofferraumdeckel, ließ ihn hochschwingen. Mit dem Deckel schwang noch etwas anderes hoch. Eine Sense! Lissy begriff gar nicht mehr, daß das eigentlich unmöglich sein mußte. Die Sense hatte niemals im Kofferraum des kleinen Wagens Platz und konnte schon gar nicht mit einem derartigen Schwung geführt werden. Daß die Gestalt, die sich gleichzeitig hochschnellte, unter der Kapuze einen Totenschädel trug, erkannte sie gerade noch, und konnte einen gellenden Schrei ausstoßen. Zurückweichen konnte sie nicht mehr. Singend durchschnitt die Sense die Luft. Lissy Fergusons Kopf wurde vom Rumpf getrennt und fiel wie in Zeitlupe zu Boden. * Iwan Kunaritschew und Sir Philipp hörten den Schrei. »Das war doch Miss Ferguson?« entfuhr es dem Earl. »Sollte da wieder …« Er unterbrach sich, als Iwan aufsprang. Der PSA-Agent
stürmte aus dem Zimmer. Lissy hatte sich umkleiden wollen und war in das andere Zimmer gegangen, bevor Raoul Wilkins erschien, und danach war sie nicht wieder aufgetaucht. Sicher, Frauen brauchen ihre Zeit, sich umzukleiden. Iwan kannte das. Doch dann sah er die Tür des Zimmers offen stehen. Lissy war nicht da. Von der Haustür kam ein leiser Windhauch. X-RAY-7 sah, daß die Haustür halb offen stand. War Lissy so närrisch, sich draußen herumzutreiben? Der PSA-Agent spurtete los. Er hatte schon genug Zeit verloren. Mit ein paar weiten Sätzen war er an der Tür und schnellte ins Freie. Wo war das Mädchen? Lissy mußte in Gefahr sein, sonst hätte sie nicht geschrien. Doch sie war nirgends zu sehen. Iwan lief zum Wagen der beiden jungen Frauen. Wenn Lissy hier draußen war, dann mit Sicherheit am Triumph, vielleicht, um etwas aus dem Fahrzeug zu holen. Und da sah Iwan sie. Der Anblick traf ihn wie ein Hammerschlag. Er hatte schon oft genug Tote gesehen, aber Lissys Leiche ließ doch ein Würgen in ihm aufsteigen. Sie lag neben dem Wagen und ihr Kopf nicht weit davon entfernt. Iwan schluckte. Der Tod des Mädchens ging ihm nahe. Er hatte keine Chance gehabt, ihn zu verhindern. Helfen konnte er hier nicht mehr, aber er mußte an den Sensenmann denken, diesen Todesboten, der jetzt schon zweimal versucht hatte, den Earl of Hampton zu töten. Mit der Sense war es durchaus möglich, einem Menschen den Kopf auf diese Weise abzutrennen. Wieder ein Vorfall mehr in der Reihe der unheimlichen und
tödlichen Geschehnisse rund um das Landhaus. Was aber hatte Lissy am Wagen gewollt? Unwillkürlich brach der Kriminalist in Iwan durch, und so stellte er sich sofort die typischen Fragen. Der Kofferraumdeckel des Triumph war offen. Und Lissys Leiche lag so, daß sie durchaus am Kofferraum gestanden haben konnte. Die Wucht des Sensenhiebes hatte sie dann neben den Weg geschleudert. Iwan interessierte sich für den Inhalt des Kofferraums. Aber außer einem Reserverad, einer Decke und einem kleinen Benzinkanister war nichts vorhanden, wonach Lissy hätte suchen können. Oder hatte sie es schon an sich genommen? Im Wageninneren fand sich auch nichts, wonach Lissy gesucht haben könnte. Iwan schaltete den PSA-Ring ein und führte ihn dicht an die Lippen. Sein Freund mußte sofort über den Vorfall informiert werden. »X-RAY-7 an X-RAY-3 … Melde dich, Towarischtsch …« Die Antwort kam fast sofort. Larry sprach leise, als wolle er niemanden stören. »Was liegt an, Brüderchen? Ist der Knochenmann wieder aufgetaucht?« »Das ist anzunehmen«, sagte Iwan und berichtete. »Hoffentlich ist es kein Ablenkungsmanöver, dich nach draußen zu locken und zwischendurch in aller Ruhe den Earl zu ermorden«, befürchtete Larry. »Laß dich nicht austricksen, Brüderchen, und informiere die Polizei. Bei mir gibt es nichts. Das Haus ist unaufgeräumt wie beschrieben, aber menschenleer.« Iwan unterbrach die Verbindung wieder und ging ins Haus zurück. Sir Philipp war unversehrt. »Was ist mit Miss Ferguson?« »Geköpft«, sagte Iwan hart. »Bitte, rufen Sie die Polizei.« Er trat in das »Umkleidezimmer«, das eigentlich ein kleines
Wohnzimmer war, vielleicht einmal für das Personal vorgesehen, als die Hamptons noch welches bezahlen konnten. Ein paar Textilien hingen über der Heizung unter dem Fenster, mehr schlecht als recht zusammengedrängt und noch lange nicht trocken. Iwan durchforstete die Sachen. Es waren jene, die Lissy getragen hatte. Sie hatte sich also umgezogen und war dann noch einmal nach draußen gegangen. Was hatte sie dazu veranlaßt? Belindas Reisetasche stand ebenfalls da. Nun erkannte Iwan, was nicht stimmte. Belindas Kleider hätten sich auch irgendwo befinden müssen! Sie waren aber nicht da, sie waren nicht am oder im Wagen. Das machte den PSA-Agenten stutzig. Er durchsuchte Belindas Tasche wie zuvor schon Lissy, wurde aber ebenfalls nicht fündig. Wo waren Belindas Sachen geblieben? War Lissy ebenfalls über diesen Widerspruch gestolpert? Hatte sie nach den Kleidungsstücken ihrer Freundin suchen wollen? Iwan glaubte nicht, daß Belinda ihre Sachen irgendwo anders im Haus deponiert hatte. »Nicht verzagen, Larry fragen«, murmelte der Russe und aktivierte wieder den PSA-Ring, um Larry direkt zu rufen. Die Verbindung kam nicht zustande. * Belinda Masters, die richtige, hatte während des rasenden Fluges die Besinnung verloren. Sie glaubte sich in einem Alptraum. Diese geflügelten Bestien, Ausgeburten einer krankhaften Phantasie, konnte es einfach nicht geben. In ihrem Alptraum sah sie ein Gesicht. Es war eine Teufelsfratze, wie man sie sich für gewöhnlich
vorstellt – ein längliches, kantiges Gesicht mit Ziegenbart, düster glühenden Augen und Hörnern. Doch das war nur die eine Hälfte. Die andere sah aus, als habe man diesem Teufelskopf das Fleisch von den Knochen geschält – und darunter einen Roboterschädel freigelegt! Doch das, was da schimmerte, war kein Metall, sondern Fleisch und Blut, das nur dieses Aussehen angenommen hatte. Und rings um den bizarren Kopf kreisten und schwirrten unzählige kleiner, bestienartiger Kreaturen, manche so groß wie Ratten, andere ähnlich einem Vogel, aber alle mit Krallen und Zähnen über und über bewehrt. Das Bild verblaßte wieder, und Belinda nahm zwischen Schatten und Schlieren ein Haus wahr. Augenblicke später befand sie sich im Innern. Als sie aus ihrer Besinnungslosigkeit erwachte, weil sie fror, erkannte sie das Zimmer sofort wieder. Sie war im Haus des wahnsinnigen Alten, der sie überfallen und ihre Gestalt angenommen hatte! Von einem Moment zum anderen waren die Szenen wieder da, standen bildhaft vor ihrem inneren Auge. Sie stöhnte unterdrückt. Sie lag auf dem Boden und war gefesselt, steckte immer noch in ihren nassen Kleidern – und in der Luft lag ein ätzender Geruch. Es war dunkel, die Deckenbeleuchtung abgeschaltet und für Belinda unerreichbar fern. Dennoch wußte sie sofort, wo sie sich befand: im Badezimmer, dessen Wanne mit Säure gefüllt war. Sie begann zu zittern. * Larry untersuchte das Haus systematisch von unten bis oben. Er fand den Raum im Keller, der mit Polstern, Matten und Schaumstoff ausstaffiert war. Der Riegel war verbogen und
halb aus der Tür gerissen worden, als der Mann, der sich den Namen des Earl angeeignet hatte, sich gewaltsam aus seinem Gefängnis befreite. Larry begutachtete die Falltür, die in den Kellerraum führte. Es war eine perfekte Konstruktion, die bei einer bestimmten Belastung nach unten klappte und sich dann selbsttätig wieder schloß. Daß darunter die Matten ausgelegt waren, bedeutete, daß jener Unbekannte seine Opfer unverletzt fangen wollte. Belinda hatte unverschämtes Glück gehabt, daß sie ihm entkommen war. Nach wie vor rechnete Larry damit, es mit zwei Gegnern zu tun zu haben, die Hand in Hand arbeiteten. Aber da war niemand, und es gab auch keine Geräusche. Entweder war das Haus in den letzten Stunden verlassen worden, oder man lauerte dem PSA-Agenten auf. Das Gefühl, von ein paar Dutzend Augenpaaren beobachtet zu werden, wurde er nicht mehr los. Er lockerte die Smith & Wesson Laser im Schulterhalfter und war bereit, sich seiner Haut zu wehren, wenn er angegriffen wurde. Er stieg die Treppe hinauf ins Obergeschoß. Spinnweben hingen an Decken und Wänden. Ein seltsam muffiger Geruch lag in der Luft. Hier war wochenlang nicht gelüftet worden. Larry erinnerte sich an Belindas Bericht. Hier oben mußte das Bad mit der Wanne und der Säure sein. Gleich würde sich zeigen, ob das Mädchen einer Halluzination erlegen war oder die Wahrheit berichtet hatte. Gerade streckte Larry die Hand nach der Tür aus, die ihm beschrieben worden war, als er Schritte hörte. Im Haus bewegte sich jemand! Der PSA-Agent trat an die Wand zurück. Die Schritte kamen von unten. Jemand mußte soeben das Haus betreten haben. Kam einer der mutmaßlichen Mörder zurück? Wenn ja, mußte er den silbergrauen Ford bemerkt haben. Larry überlegte, daß es besser gewesen wäre, den Wagen zu
verstecken. Aber jetzt war es zu spät. Dann aber erkannte er, daß es die Schritte einer Frau waren. Er huschte zur Treppe zurück. Im gleichen Moment sah er sie. »Belinda?« »Ich halte es draußen nicht mehr aus, Larry«, hörte er sie sagen. »Bei Ihnen fühle ich mich sicher. Schicken Sie mich bitte nicht weg.« Ohne seine Antwort abzuwarten, kam sie die Treppe herauf. »Haben Sie schon was entdeckt, Larry?« »Noch nicht. Ich wollte mir gerade das Badezimmer ansehen. Vielleicht sollten Sie zurückbleiben …« Sie nickte. Larry wandte sich wieder der Tür zu, drückte die Klinke nieder und öffnete. Seine Hand tastete sofort nach rechts zum Lichtschalter. Als das Licht aufflammte, spürte er den Luftzug hinter sich. Er sah noch eine Gestalt am Boden liegen, die er kannte, und die Überraschung verlangsamte seine Reaktion. Er duckte sich, konnte dem wuchtig geführten Hieb aber nicht mehr ausweichen. * Nach dem fünften Versuch gab Iwan es auf, Verbindung mit Larry herstellen zu wollen. Es mußte etwas passiert sein. Der PSA-Ring gab bei Anruf einen fühlbaren Vibrationsstoß ab, den niemand hören konnte. Ringe früherer Fertigung hatten zuweilen verräterisch gepiepst, manchmal im falschen Moment. Nun blieb auf jeden Fall Zeit, um sich zurückzuziehen und das Gespräch zu führen. Oder es konnte der Impuls Jetzt nicht! zurückgesendet werden. Larry nahm das Gespräch weder entgegen noch verweigerte
er es. Er reagierte überhaupt nicht! Das konnte nur bedeuten, daß er in eine Falle getappt war. X-RAY-7 preßte die Lippen zusammen. Am liebsten wäre er sofort hinter Larry her gefahren, um ihn aus seiner schwierigen Lage herauszuholen. Doch zum einen hatte er bei der Beschreibung des Hauses nicht so recht aufgepaßt, zum anderen hatte er für die Sicherheit des Earl zu sorgen. Zum dritten lag ein geköpftes Mädchen neben dem Haus. Wenn Iwan jetzt aufbrach, würde der Earl mit Sicherheit als Mörder verhaftet werden. Iwan saß wie auf heißen Kohlen. Er wußte seinen Freund Larry in Gefahr und konnte nichts tun, um ihm zu helfen, ehe die Polizei eintraf. Das Warten wurde zur Qual. Endlich tauchten zwei Fahrzeuge auf und spieen eine Gruppe von übernächtigt aussehenden Männern aus. Iwan übernahm die Gesprächsführung. Er gab sich mit einem Ausweis als Angehöriger von Scotland Yard zu erkennen. Für eventuelle Rückfragen verwies er an den dort tätigen Chiefinspektor Higgins, mit dem Larry und Iwan schon einige Male zusammengearbeitet hatten. Wie alle X-RAY-Agenten der PSA besaß auch Iwan eine Reihe von Dienstausweisen verschiedener Polizeiorganisationen. Die Ausweise waren in Absprache mit den zuständigen Innenministerien der jeweiligen Staaten ausgestellt und hundertprozentig echt. Zuweilen erleichterten sie die Zusammenarbeit mit den Behörden oder auch die direkten Ermittlungen enorm. Ein Mißbrauch war ausgeschlossen. Jeder PSA-Agent war charakterfest genug, diese Papiere nicht zu mißbrauchen. Die Beamten der Mordkommission waren nicht sonderlich erfreut, daß ein Beamter von Scotland Yard hier ermittelte. Iwan erklärte, nur zufällig hier zu sein, und entlastete den Earl von jedem möglichen Verdacht. Immerhin hatte Sir Philipp ja mit ihm zusammen im Kaminzimmer gesessen, als der
Schrei ertönte. »Mal im Vertrauen«, murrte der Leiter der Mordkommission. »Was halten Sie eigentlich von den Geschichten, die sich um den Earl und dieses Haus ranken? Könnte der Mord an diesem Mädchen nicht auch zu diesen unerklärlichen Fällen gehören?« Iwan nickte. »Davon gehe auch ich aus. Informieren Sie aber Ihre Vorgesetzten bitte darüber, daß der Earl zumindest in diesem Fall nicht beteiligt war. Vielleicht versucht da nur jemand, ihn in ein ungünstiges Licht zu bringen.« Die Beamten kündigten an, bei Tage noch einmal zurückzukommen, und fuhren davon. Die Tote wurde in einem Zinksarg abtransportiert. »Towarischtsch Earl«, sprach er Sir Philipp an, »ich muß dringend hinüber zu dem angeblich verlassenen Haus. Ich muß meinem Kollegen wahrscheinlich beistehen. Kommen Sie mit? Das hat den Vorteil, daß ich auch weiterhin für Ihre Sicherheit sorgen kann, während Sie mir den Weg zeigen.« Sir Philipp Earl of Hampton zeigte sich sofort einverstanden. »Alles ist besser, als hier auf diesen Todesboten zuwarten.« * Raoul Wilkins entsann sich des Hinweises, mitunter den Inhalt des Koffers zu überprüfen. Doch da war er nur noch fünf Meilen von der Londoner Stadtgrenze entfernt. Er hielt an. Mit gemischten Gefühlen sah er den ledernen Aktenkoffer an, der neben ihm auf dem Beifahrersitz lag. Liebend gern hätte Wilkins sich den Anblick erspart. Aber XRAY-7 hatte ihm die Anweisung nicht ohne Grund gegeben, soviel war sicher. Offenbar bestand der Verdacht, daß die Miniaturen sich von selbst auflösten. Widerstrebend griff Wilkins nach den Verschlüssen. Er zö-
gerte. Sollte er nicht doch lieber den Koffer abgesperrt lassen? Er ahnte, daß der Anblick der Figuren ihm Alpträume verschaffen würde. Der erste Blick im Haus des Earl hatte ihm vollauf gereicht. Wer mochte die Miniaturen angefertigt haben? Etwas Böses ging von ihnen aus, das der PSA-Nachrichtenagent deutlich gespürt hatte. Etwas, das von ihm Besitz zu ergreifen versucht hatte. Doch sein Pflichtgefühl siegte. Nur für einen Moment, dachte er. Ich brauche den Deckel ja nicht ganz zu öffnen. Er ließ die Verschlüsse aufschnappen. Wilkins hob den Deckel langsam an. Sein Atem stockte. Der Aktenkoffer war leer. Der Nachrichtenagent unterdrückte eine Verwünschung. Er hatte versagt! Er konnte seinen Auftrag, die Figuren zur Untersuchung nach New York zu bringen, nicht erfüllen! Er hätte vielleicht öfter nachsehen müssen. Aber hätte er dadurch das Verschwinden verhindert? Woher sollte er ahnen, daß er trotzdem, ohne es zu wissen, das Ergebnis eines spontanen Experiments geliefert hatte? Wilkins machte sich Vorwürfe. Verdrossen fuhr er weiter, bis er eine Telefonzelle erreichte. Im Landhaus meldete sich niemand. Die Leitung war frei, aber niemand hob ab. Da informierte Wilkins seine Kontaktadresse in London vom Verschwinden der Figuren. Nur wenige Minuten später wußte man bereits in der PSA-Zentrale in New York, in den unterirdischen Anlagen unterhalb des Restaurants »Tavern on the green« darüber Bescheid. Nur X-RAY-1, der Leiter der PSA, der ebenfalls informiert werden sollte, war nicht zu erreichen. * Larry erwachte aus der gähnenden Schwärze. Sein Hinterkopf
schmerzte, wo ihn der betäubende Schlag getroffen hatte. Vorsichtig öffnete er die Augen. Er befand sich immer noch im Badezimmer im Obergeschoß des verwahrlosten Hauses. Als er sich zu bewegen versuchte, mußte er erkennen, daß er gefesselt war. Er sah Belinda Masters. Sie füllte eine konzentrierte Flüssigkeit in die Badewanne, aus der ätzende Dämpfe aufstiegen. Säure! Larry begriff schlagartig. Es gab nur eine Person auf der Welt, die in der Lage war, das Aussehen anderer Menschen perfekt nachzuahmen. Und es gab nur eine, die sich ihrer Opfer auf diese Weise unwiderruflich entledigte. Der Dämonensohn des Dr. Satanas! Schon zweimal hatte die PSA mit ihm zu tun gehabt, und beide Male hatten die Auseinandersetzungen unentschieden geendet. Damals, als David Gallun seine schweren Verletzungen erlitt, war Dr. Satanas, der Erzfeind der PSA, der bis in die geheimste Zentrale der internationalen Sicherheitsorganisation vordrang, getötet worden. Alle hatten geglaubt, das Kapitel Dr. Satanas damit endgültig abgeschlossen zu haben. Viel zu spät erfuhren sie, daß der Menschenfeind ein unheilvolles Erbe hinterlassen hatte. Es existierte eine Filmaufnahme vom Entstehen seines Dämonensohns. Dieser war in einer Walpurgisnacht von Dr. Satanas und einer jungen Frau gezeugt worden, in einem unheiligen, furchtbaren Ritual. Und noch in der gleichen Nacht war der Dämonensohn geboren worden! Niemand vermochte genau zu sagen, wieviel oder wie wenig Menschliches überhaupt in ihm war. Vom ersten Herzschlag an verbreitete er das Böse um sich herum, das damit begann, daß er durch seine Geburt die Mutter tötete. Durch einen Zufall war die PSA darauf gestoßen, dazu auch
sofort auf das unheilvolle Wirken des Dämonensohns, der innerhalb kürzester Zeit heranwuchs und nun alles daransetzte, das Werk seines Vaters fortzuführen. Kampf gegen das Menschliche! Kampf gegen die PSA! Rache für Dr. Satanas! Rache an Larry Brent und Iwan Kunaritschew, seinen größten und gefährlichsten Gegnern! Wie auch Dr. Satanas selbst, vermochte der Dämonensohn jede beliebige Gestalt anzunehmen, sobald er durch ein kleines Stück Haut aus der Stirn seines Opfers die entsprechenden genetischen Informationen erhielt. Besaß er einmal ein »Gesicht«, konnte er es nach Belieben abnehmen, wechseln und jederzeit wiederverwenden. Er mußte längst ein gewaltiges Arsenal an Identitäten besitzen, die er ja nach Belieben annehmen konnte. Und niemand vermochte ihn als das zu erkennen, was er war. Denn seine Opfer, deren Gestalt er übernahm, pflegte er in Säure aufzulösen. Auch Larry Brents Aussehen hatte er schon einmal besessen. Dabei war ihm jedoch ein Fehler unterlaufen. Er hatte Larry den PSA-Ring abgenommen und ihn sich selbst aufgesetzt, ohne zu bedenken, daß dieser, sobald er den Körpermagnetismus seines Besitzers nicht mehr spürte, den Todesimpuls an die PSA-Zentrale funkte und sich dann von selbst auflöste. Genau das war geschehen. Das Vorhaben des Dämonensohns, als falscher Larry Brent zu agieren, war damit gescheitert. Er besaß die Larry-Maske nicht mehr, wie er dabei auch einige seiner anderen Identitäten verloren hatte. Doch das war nur ein kleiner Triumph für die PSA gewesen. Denn der Dämonensohn konnte sich jederzeit neue »Gesichter« verschaffen. Sein Weg war von Morden gezeichnet. Er ging im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen. Die falsche Belinda Masters wandte sich zu Larry um. »Ah, bist du endlich wach, Brent? Ich dachte schon, ich hätte zu fest zugeschlagen. Aber nein, dann hätte dein Ring sich längst aufgelöst, nicht wahr? Du siehst, manche Dinge merke
ich mir.« Es war die Stimme von Belinda Masters – und die Worte des Dämonensohns. Larry betrachtete ihn und verglich ihn mit der echten Belinda. Zum ersten Mal hatte er Gelegenheit, Original und Fälschung eines menschlichen Wesens miteinander zu vergleichen. Es gab keinen Unterschied, wenn er einmal von der Kleidung der beiden jungen Frauen absah. Alles andere stimmte über ein. Larry war wieder mal verblüfft … »Aha, es dämmert«, stellte der Dämonensohn spöttisch fest. »Tja, Brent, so spielt das Leben. Du bist mir ins Netz gegangen. Schade, daß du den Russen nicht mitgebracht hast, aber den kriege ich auch noch. Der hockt ahnungslos im Haus des Earls und wartet, was weiter passiert.« Larry preßte die Lippen zusammen. Er verzichtete darauf, etwas zu sagen. Er hatte sich närrisch benommen und trotz der Erzählung von dem Säurebad nicht wahrhaben wollen, mit wem er es wirklich zu tun hatte. Und während er das scheinbar leere Haus durchforschte, hatte sich der Dämonensohn Belindas angenommen – halt, da stimmte was nicht! Larry entsann sich, Belinda hier am Boden gesehen zu haben, als er eintreten wollte. »Ja«, sagte der Dämonensohn und ließ das Gesicht des dunkelhaarigen Mädchens kalt lächeln. »Ja, Brent, so einfach war es, dich hinters Licht zu führen. Ich habe Belinda Masters schon am Haus des Earl übernommen. Ich saß neben dir im Wagen.« Er lachte schallend. »Meine Helfer brachten sie voraus. Es gibt Dinge, die ich immer gern persönlich erledige, denn nur was man selbst tut, wird richtig gemacht. Das weißt du ja, Brent.« Er machte ein paar Schritte auf die echte Belinda zu, deren Gesicht von Todesangst verzerrt war.
»Ich habe einmal den Fehler gemacht, Brent, jemanden am Leben zu lassen, dessen Gestalt ich kopierte. Dich in Italien, in den Ruinen der Burg von ›I1 monstre‹. Das passiert mir in dieser Form nicht noch einmal.« Er bückte sich und hob das am Boden liegende, gefesselte Mädchen auf. Belinda zappelte in ihren Fesseln. Sie begann zu ahnen, was ihr bevorstand. Sie schrie! Der Dämonensohn entwickelte erstaunliche Kräfte, die eigentlich sein Belinda-Körper gar nicht besitzen konnte. Er schleppte Belinda zu der mit Säure gefüllten Wanne. * Der Fahrtwind pfiff durch das offene Fenster in den Triumph. Iwan kniff die Augen zusammen. Dennoch fuhr er so schnell, wie es die Licht- und Straßenverhältnisse erlaubten. Die beiden Männer im Wagen sprachen kaum. Nur hin und wieder warnte der Earl vor einer Kurve. Und dann sah Iwan die Gestalt! Sie stand mitten auf der Straße, wurde vom Scheinwerferlicht erfaßt. Sie trug eine bodenlange Kutte mit Kapuze, unter der ein Totenschädel schimmerte. Knochenhände umklammerten den langen Stiel einer Sense. Der Todesbote war wieder da! Iwan konnte nicht bremsen oder ausweichen. Zu beiden Seiten der Straße standen Bäume. Mit unverminderter Geschwindigkeit raste er auf den Todesboten zu, der keine Anstalten machte, zur Seite zu treten. Iwan umklammerte das Lenkrad. »Runter!« schrie er Sir Philipp zu. Der Earl starrte dem unheimlichen Hindernis mit weit aufgerissenen Augen entgegen. Der Knochenmann drehte die Sense leicht. Da war der Wagen auch schon heran.
Iwan ging auf Tauchstation. Gleichzeitig packte er mit einer Hand die Schulter des Earl und riß den Weißhaarigen zu sich nach unten. Daß der Earl mit dem Kinn auf den Schalthebel traf, störte ihn dabei nicht. Besser da eine Schramme, als keinen Kopf mehr! Der Zusammenprall erfolgte – doch ganz anders als erwartet! Der Körper des Sensenmannes erwies sich wieder einmal als halbmateriell. Der tomatenrote Sportwagen schoß förmlich durch die Gestalt hindurch wie ein glühendes Messer durch Butter. Es gab keinen dumpfen Aufprall, keine durch die Luft wirbelnde Gestalt, nichts. Der Sensenmann blieb stocksteif stehen, das mörderische Werkzeug von sich gestreckt. Und die Sense war stabil. Die Windschutzscheibe des Wagens platzte, als Stahl auf Glas traf. Die beiden Insassen des Wagens wurden von Splittern übersät. Die Sense knallte mit dem Stiel gegen die Verstrebungen, die Schneide sauste ins Wageninnere. Iwan spürte das Pfeifen. Dann schepperte es im Fond. Ihm schlug ein Holzstück vom zertrümmerten Sensenstiel in den Nacken, die Heckscheibe splitterte nach draußen weg. Die Sense schrammte über den Kofferraum, kappte noch die Radioantenne und verschwand irgendwo. Doch damit war die Gefahr nicht gebannt. Ungewollt hatte Iwan das Lenkrad verrissen, das er nur noch mit einer Hand hielt, nachdem er den schreckensstarren Earl zu sich gezogen hatte. Der Wagen kam von der Fahrbahn ab und raste auf die Bäume zu. * Larry lag günstig. Er zog die Beine an, krümmte sich und schnellte beide Füße
vor. Daran konnte ihn auch die Fesselung nicht hindern. Die Schuhsohlen trafen den Dämonensohn und brachten ihn aus dem Gleichgewicht. Er strauchelte und taumelte auf die Wanne zu! Für Augenblicke schien es, als sei Belindas Schicksal jetzt erst recht unabwendbar geworden. Sie wurde von ihrer Doppelgängerin mitgerissen! Dann aber ließ der Dämonensohn sie los und ruderte mit beiden Armen, um das Gleichgewicht wiederzufinden. Belinda Masters stürzte mit einem gellenden Aufschrei zur Seite. Sie rollte über die Fliesen auf den PSA-Agenten zu, der auf die gefesselten Beine zu kommen versuchte. Er beobachtete dabei den Dämonensohn, der um sein Gleichgewicht kämpfte. Stürzte er jetzt in die eigene Säure? Was würde dann geschehen? Larry traute ihm zu, daß er selbst dieser ätzenden und alles zerfressenden Flüssigkeit Widerstand leisten konnte! Doch der Dämonensohn des Dr. Satanas stürzte nicht in die Wanne. Da waren plötzlich Hände aus dem Nichts, krallenbewehrte Pranken, die ihn festhielten und zurückschoben. Seine dämonischen Hilfsgeister hatten eingegriffen! Jetzt begriff Larry. Sie waren es gewesen, die ihn beobachteten. Ihre »Augen« hatte er gespürt. Langsam drehte der Dämonensohn sich nun um. Es war ein eigenartiger Anblick, an den Larry sich kaum gewöhnen konnte – von der attraktiven Belinda wütend angefunkelt, die mit der wirklichen nichts außer der Gestalt und dem übernommenen Wissen gemein hatte. »Brent«, zischte der Dämonensohn, »sollte ich schon wieder dabei sein, dich zu unterschätzen? Aber diesmal hilft dir nichts mehr …« Larry kam nicht auf die Füße. Die Geisterkreaturen hinderten
ihn, und jetzt konnte er sie bruchstückhaft sehen. Hier und da schälten sich Umrisse aus dem Nichts und umschwebten den Kopf des Dämonensohns. Hinter dem wutverzerrten Belinda-Gesicht glaubte Larry das wahre Antlitz des Dämonensohns durchschimmern zu sehen. Er glich seinem Vater aufs Haar! Die Hilfsgeister erinnerten Larry aber an etwas. Glichen sie nicht den Figuren, die der Earl in seinem Zauberkeller in den Regalen deponiert hatte? Er fragte den Dämonensohn. »Ja, Brent, sie haben miteinander zu tun. Die Figuren sind stofflich gewordene Schatten meiner kleinen Helfer. Und über sie kann ich beobachten, kann durch ihre Augen sehen.« »Und im gleichen Moment, in dem du durch sie blickst, werden sie heiß?« fragte Larry ahnungsvoll. »Heiß wie die Hölle, Brent, in die du bald fahren wirst! Ja, und wie herrlich ich euch beobachten und belauschen konnte! Auch in der Bibliothek! Fast hätte Kunaritschew etwas bemerkt, aber ich konnte die Figur rechtzeitig zurückziehen. Das war jene, über deren Verschwinden und Wiederauftauchen im Keller du dich so gewundert hast.« »Dann reicht dein Einfluß also auch über das Anwesen der Hamptons hinaus?« stieß Larry hervor. »Wie hast du das geschafft?« Die Belinda-Kopie triumphierte. »Ich werde es dir verraten, Brent, weil du keine Gelegenheit mehr bekommst, dein Wissen weiterzugeben. Dein Weg endet in diesem Haus. Nicht heute, aber sobald ich dich nicht mehr brauche!« Das war keine leere Drohung. Larry ahnte, daß der Dämonensohn sein Versprechen wahrmachen konnte. Oft genug hatte Larry erfahren, daß man ihm Geheimnisse verriet und annahm, er würde mit diesem Wissen sterben. Er lebte immer noch.
Diesmal war es anders. Der Dämonensohn war ungleich gefährlicher als alle anderen. Höchstens Rha-Ta-N'my konnte schlimmer sein. An Belinda Masters schien er im Moment das Interesse verloren zu haben. Sie konnte ihm ja auch nicht mehr davonlaufen. »Sir Philipp Andrew William Earl of Hampton war der Köder, Brent. Und ihr habt zugeschnappt. Der Earl ist ein Medium, weiß das aber nicht. Seine Beziehung zur Magie kam mir zu Hilfe. Es gelang mir, ein Kraftfeld aus dem Jenseits zu aktivieren und einen seiner Vorfahren aus der langen Ahnenreihe zu wecken. Diesen Todesboten schickte ich ihm auf den Hals!« Der Sensenmann, dachte Larry bestürzt. War die Macht des Dämonensohns wirklich so groß? Der schien Larrys Gedanken gelesen zu haben. »Meinen Vater habt ihr alle gefürchtet, Brent. Dabei war er gegen mich ein Stümper, ein Anfänger! Ich kann bei weitem mehr. Ich habe an seinem Wissen und Können partizipiert und mich darüber hinaus weiterentwickelt. Ich konnte jenen Mann beschwören, der vor rund zweihundert Jahren von seiner eigenen Familie, den Hamptons, gemeuchelt wurde, und der einen Fluch aussprach! Doch ich habe ihm erst Gelegenheit gegeben, diesen Fluch mit Kraft zu versehen. So kam es zu den unheimlichen Vorfällen, gegen die sich Sir Philipp vergeblich zu wehren versuchte! Und die PSA hat angebissen, ist auf den Köder reingefallen.« Er stieß die am Boden liegende echte Belinda mit der Fußspitze an. Das Mädchen stöhnte. »Teil zwei des Plans«, erklärte er selbstgefällig. »Die verängstigten Mädchen sollten euch beide herlocken. Mit dir, Brent, ist das nun gelungen. Dein Freund Kunaritschew hat auch nicht mehr viel Zeit. Eigentlich wollte ich Belinda oder Lissy von Anfang an übernehmen. Doch Belinda konnte mich überraschen und fliehen. Sie nahm ihre Freundin mit. Das
veränderte die Lage aber nur wenig. Wie du siehst, habe ich es trotzdem geschafft.« »Warum mußte Lissy sterben?« fragte Larry bedrückt. Belinda sah ihn entsetzt an. »Lissy ist tot?« hauchte sie. Der PSA-Agent nickte nur. »Ich machte einen Fehler, und sie kam mir auf die Spur«, sagte der Dämonensohn. »Ich hätte Belindas nasse Kleidung zurücklassen müssen. Aber bevor Lissy ihre Entdeckung an Kunaritschew weitergeben konnte, habe ich ihr den Todesboten geschickt, der sie köpfte.« Der Dämonensohn lachte spöttisch. »Du siehst, Brent, jeder Fehler, rechtzeitig erkannt, läßt sich korrigieren. Du hättest das früher beherzigen sollen. Jetzt ist es zu spät.« »Du kannst also den Todesboten, diesen Sensenmann, lenken?« murmelte Larry. »Ja. Gerade habe ich es wieder getan. Ich habe eine Überraschung für dich.« Das konnte nichts Gutes bedeuten. »Dein Freund Kunaritschew war auf dem Weg hierher. Er hat doch Verdacht geschöpft, daß etwas nicht stimmt.« »War?« »Er ist tot. Er hat intensive Bekanntschaft mit der Sense des Todesboten gemacht. Tja, und damit dürfte deine letzte Hoffnung zunichte sein. Trage es also mit Fassung, wenn ich mich jetzt etwas eingehender mit dir beschäftige.« Larry zwang sich zu einem spöttischen Lachen. »Willst du mich wieder kopieren? Wie einfallslos.« »Durchaus nicht«, erwiderte die falsche Belinda überlegen. »Ich werde diesmal eine neue Variante des Spiels einführen. Paß auf.« Es war nichts von Bewegungen zu sehen, aber Larry spürte körperlich, daß die dämonischen Hilfskreaturen am Werk
waren. Und dann erkannte der PSA-Agent, was es war. Sie formten einen Gegenstand, der golden glänzte. Einen Ring. Er wurde geziert von einem Weltkugelsymbol, in dem sich ein stilisiertes Gesicht abzeichnete. Das war eine Kopie des PSA-Ringes. »Da staunst du? Ja, Brent, mit diesem Ring kann ich sogar funken und Verbindung mit anderen Agenten aufnehmen. Er ist eine exakte Kopie. Er unterscheidet sich von deinem nur dadurch, daß er nicht auf deinen Körpermagnetismus eingestellt ist.« »Trotzdem taugt der Bluff nichts«, erkannte Larry. »Sobald du mich tötest, sendet mein Ring das Signal. Und wenn dann ein Larry Brent wieder auftaucht, weiß doch jeder, wer dahinter steckt. Gib's auf! Du hast auf diese Weise keine Chance. Auch wir lernen dazu, Freund.« Die erwartete Wirkung der Worte blieb aus. Der Dämonensohn zeigte sich unbeeindruckt. »Dein Ring wird kein Signal senden, Brent. Ich sagte doch, daß ich dich noch nicht heute töten werde. Du wirst mir trotzdem nicht gefährlich werden können.« Verblüfft sah Larry ihn an. »Auch wenn ich dich töte, wird dein Körper weiterleben«, versprach der Dämonensohn des Dr. Satanas. »Es gibt da Möglichkeiten, ihn künstlich am Leben zu erhalten, auch wenn du geköpft worden bist. Solange dein Organismus lebt, sendet der Ring nicht. Erst wenn ich meine Arbeit getan habe, werde ich dein Leben nicht mehr künstlich verlängern.« Er trat zur Seite und öffnete einen flachen Koffer. Larry kannte das vertrackte Ding. Darin lagen einige Gesichtsfolien. Wenn der Dämonensohn eine davon anlegte, wurde er zu der Person, der das Gesicht früher einmal gehört hatte. Vor kurzem hatte Larry eine dieser Sammlungen vernichten können. Aber der Dämonensohn besaß genügend »Vorräte«. Er nahm ein Skalpell heraus. Damit kam er auf Larry zu.
»Du kennst die Prozedur ja«, höhnte er. »Leider hast du dein anderes Gesicht zerstört. Es hätte alles vereinfacht. So tut es eben noch mal ein bißchen weh. Aber tröste dich, ohne Kopf gibt es auch keine Kopfschmerzen mehr.« Er lachte wieder. Larry versuchte immer noch, seine Fesseln zu sprengen. Aber es ging einfach nicht. Er konnte dem Dämonensohn auch keinen weiteren Tritt versetzen, denn er wurde festgehalten. Und selbst wenn, hätte es nur eine unwesentliche Verzögerung gebracht. Aber wozu das noch? Wenn Iwan wirklich tot war, gab es ohnehin keine Rettung mehr. Blitzschnell und routiniert hob der Dämonensohn den Hautpunkt aus der Stirn des PSA-Agenten ab. Er hatte das vor gar nicht langer Zeit schon einmal getan, und deshalb schmerzte es jetzt doppelt gemein. Der Dämonensohn legte das Skalpell wieder in den Koffer zurück. Dann zog er das Belinda-Gesicht mit einem schnellen Ruck ab. Larry sah wieder die graue, blasenwerfende Masse. Der Gesichtslose drückte sich den Hautfleck zwischen die Augen gegen die Stirn. Unverzüglich begann der Fleck zu arbeiten und ein neues Gesicht zu formen. Das Belinda-Gesicht wurde sorgfältig in ein Fach des flachen Koffers gelegt. »Und jetzt, Brent«, sagte der Dämonensohn, dessen Körper sich verformte, während das Gesicht neu entstand, »jetzt zu dir.« Er hob beide Arme. Und aus dem Nichts entstand der Todesbote. Weit holte er mit der Sense aus, um den Streich gegen Larrys Kopf zu führen. * Der Wagen mit Iwan Kunaritschew und dem Earl of Hampton
hatte sich zwischen zwei Stämmen verkeilt. »Pfuuh!« machte Iwan erleichtert und schraubte sich wieder in die Höhe. Der Earl regte sich nicht. Das war auch gut so, denn auf seinem Nacken saß ein großer Glassplitter, der nur auf eine Kopfbewegung Sir Philipps wartete, um sich ins Fleisch zu bohren. Iwan entfernte ihn vorsichtig und säuberte dann den Earl und sich selbst von den Splitterresten. Die Wagentür konnte er nicht öffnen. Rechts und links klemmten die Baumstämme den Triumph ein. Der Versuch, den Wagen mit Motorkraft zu befreien, schlug fehl. Da half nichts: Iwan mußte durch das zerstörte Frontfenster klettern. Draußen sah er, daß es nur geringer Kraftanstrengung bedurfte, den Wagen über den Punkt zu hebeln, nach dem er aus eigener Kraft wieder flottkam. Iwan seufzte. Der besinnungslose Earl war ihm keine große Hufe. Schließlich schaffte der Russe es. Er lenkte den Wagen umständlich auf die Straße zurück und suchte dann nach den Resten der Sense. Die waren verschwunden wie der Kapuzenmann. Iwan hätte sich nicht darüber gewundert, wenn der gespenstische Schnitter ihm im nächsten Moment mit fabrikneuem Mordwerkzeug wieder gegenüber getreten wäre. Doch das geschah nicht. Mittlerweile kam auch Sir Philipp zu sich. Unwillkürlich faßte er sich an die Kehle. »Keine Sorge«, sagte Iwan. »Sie haben es überstanden. Nur der Wagen ähnelt mehr einem Schrotthaufen. Aber er fährt noch, das ist die Hauptsache.« Doch er fuhr nicht mehr so schnell wie zuvor. Ohne Windschutzscheibe ging das einfach nicht. Trotz langsamer Fahrt begannen beiden Männern schon bald die Augen zu tränen. Iwans einziger Trost war, daß es nicht mehr weit sein konnte.
Schon rumpelten sie über den unbefestigten Weg aufwärts. »Die Hütte«, wurde Sir Philipp wieder etwas gesprächiger, »steht seit einer kleinen Ewigkeit leer. Der Erbauer ist kurz nach der Vollendung gestorben. Hin und wieder haben sich Landstreicher eingenistet. Vielleicht war das diesmal auch der Fall.« »Sie glauben, daß ein Landstreicher der Mörder ist?« »Oder das Opfer, der Mann, der in der Säure aufgelöst wurde, von der die Mädchen erzählt haben«, gab der Earl zu bedenken. »Aber warum der Mörder sich ausgerechnet meinen Namen ausborgte …« »Um Ihnen noch ein paar Dinge mehr in die Schuhe zu schieben, als jene, worüber die Leute ohnehin schon reden. Wie weit ist es noch?« »Wir müßten das Haus gleich sehen«, sagte der Earl. »Dann bleibt der Wagen hier«, entschied Iwan. »Sie kommen mit. Da oben ist mit Sicherheit etwas nicht in Ordnung. Ich möchte nicht, daß wir durch Motorengeräusch oder Scheinwerfer frühzeitig entdeckt werden. Kommen Sie, ich fürchte, wir haben nicht mehr viel Zeit.« * Larry stieß sich ab und wälzte sich zur Seite. Die Sense sauste haarscharf vorbei. Die Schneide glitt noch durch die Fliesen wie durch Butter. Es gab keinen Aufprall, kein Funkensprühen, kein Brechen von Metall oder Absplittern von Stein – nichts. Larry keuchte. Er lag wieder auf dem Rücken. Der Todesbote, dieser Vorfahr des Earl of Hampton, durch übernatürliche, unfaßbare Kräfte beschworen und mißbraucht, holte erneut aus. Wieder sah Larry die Sense auf sich zurasen. Da wagte er alles!
Wenn Organe getroffen und der geköpfte Körper nicht länger künstlich am Leben gehalten werden konnte, müßte der teuflische Plan des Dämonensohns scheitern. Nach einer halben Drehung schnellte er hoch und streckte die auf den Rücken gefesselten Arme. Damit brachte er den Sensenmann aus dem Konzept. Sense und Hände trafen sich, und für einen Bruchteil einer Sekunde hatte Larry die erschreckende Vision, bei diesem verzweifelten Versuch beide Hände zu verlieren. Er spürte glühendheißen Schmerz! Im nächsten Moment konnte er beide Hände frei bewegen! Der Stahl hatte die Fesseln sauber durchtrennt. X-RAY-3 hatte dabei nur Hautabschürfungen erlitten. Er fiel wieder nach vorn, stürzte dabei über Belinda Masters, rollte herum. Der Dämonensohn hatte doch einen Fehler begangen! Er hatte Larry nicht entwaffnet! Das rächte sich jetzt. Larrys Hand glitt zum Schulterhalfter, brachte die Smith & Wesson Laser hoch, die schon entsichert war, und drückte ab. Der nadelfeine Laserblitz zuckte aus der Mündung. Nicht der Sensenmann war das Ziel, der schon wieder ausholte wie ein Roboter. Der Laserstrahl huschte über das Gesicht des Dämonensohns! Damit wurde ein Vorgang gestoppt. Das halbfertige Larry-Gesicht wurde von den Flammen verzehrt. Damit fand auch die Körperumwandlung keine Fortsetzung. Larry hörte den Dämonensohn schreien. Er sah, wie unter der blasenwerfenden, wabbeligen, grauen Masse Metall zum Vorschein kommen wollte, das keines war. Die rechte Kopfhälfte des Unheimlichen! Im gleichen Moment stürzten sich die gespenstischen Hilfsgeister auf Larry und entwanden ihm die Waffe. Sie waren
stärker, richteten den Laser auf ihn selbst! Er starrte in die schwarze, todbringende Mündung und sah, wie eine Krallenhand den Abzug betätigen wollte. Da flog die Tür auf. Ein rotbärtiger Hüne erschien, ein neuer Laserstrahl fegte durch den Raum. Wieder wurde der Dämonensohn getroffen. Im gleichen Moment löste sich der Geist des unseligen Hampton-Urahns auf, die gespenstischen Dämonengestalten wurden unsichtbar. Heulend fuhren sie zum Fenster hinaus, das zerbarst, als sie den Dämonensohn mit sich rissen, um ihren Herrn und Meister zu retten. Der Koffer mit den Gesichtsmasken blieb zurück. Iwan Kunaritschew, der Totgeglaubte, stürmte zum Fenster und jagte noch einige Schüsse hinter den davonfliegenden Kreaturen her. Doch er traf sie nicht mehr. Sie waren zu schnell hinter den Bäumen verschwunden. »Iwan!« stieß Larry überrascht hervor. »Du bist nicht tot?« »Fast wären wir es beide gewesen«, brummelte X-RAY-7 und wies auf den Earl, der eben eintrat. »Da hat uns einer böse zu schaffen gemacht. Towarischtsch, sag mal, war das tatsächlich unser spezieller Freund, der da wie ein Düsenjet abgezischt ist?« »Du hast richtig gesehen, Brüderchen«, erklärte Larry. Er griff nach dem Skalpell und durchtrennte die Fußfesseln. Dann befreite er Belinda Masters, die noch gar nicht richtig begreifen konnte, daß alles vorbei war. Larry kümmerte sich danach um den Koffer mit den Gesichtsfolien. Die hauchdünnen Masken würden wahrscheinlich eine Menge ungelöster Mordfälle lösen, wenn die Opfer nur identifiziert werden konnten. »Danach werden wir die Masken vernichten, Bruder Iwan, und ein Teil der Welt hat wieder Ruhe.« »Bruder Iwan?« Kunaritschew schien erstaunt.
»Wieso nennst du mich nicht mehr Brüderchen, Towarischtsch?« »Na, wenn du doch unter die Mönche gegangen bist. Nur hättest du deinen besten Freunden wenigstens vorher Bescheid geben können.« Iwans Augen wurden groß. »Ich – unter die Mönche? Also, entweder hat dir der Sensenmann doch einen Scheitel gezogen, oder du hast heimlich eine von meinen Selbstgedrehten geraucht, und die ist dir nicht bekommen.« »Na, dann schau dich mal im Spiegel an, Bruder Iwan«, grinste Larry. Iwan trat vor das Glas. Dann seufzte er abgrundtief. »Ich wußte doch, daß mir die Sense zu dicht übers edle Haupt gefahren ist«, murmelte er. Er betastete die kreisrunde Stelle auf dem Kopf, wo ihm ein ganzes Büschel Haare fehlte. Eine stilechte Tonsur. »Also besser abrasierte Haare als ein abrasierter Kopf«, erklärte Iwan hoheitsvoll. Sie verließen das unheilvolle Haus und fuhren zum Landhaus des Earls zurück. Dort erstattete Larry mittels des PSA-Ringes Bericht an die Zentrale. Die beiden Großcomputer »Big Wilma« und »The clever Sophie« bekamen wieder Arbeit. Der Einsatz hatte immerhin einen nicht unbeträchtlichen Erfolg erzielt, wenn auch etwas anders als ursprünglich geplant. Aber fortan gab es keine unerklärlichen und tödlichen Vorkommnisse rund um das Anwesen der Hamptons mehr. Der Sensenmann tauchte ebensowenig wieder auf wie die mit ihrem Herrn spurlos verschwundenen Figuren. Nur eine Unsicherheit blieb. Der Dämonensohn konnte jederzeit und überall unerkannt zuschlagen. Und Larry hatte die Befürchtung, daß das schon bald wieder der Fall sein würde. Der Dämonensohn war jetzt mit einem verwundeten Raubtier
vergleichbar. Er würde angriffslustiger und bösartiger sein denn je. »Aber eines Tages«, murmelte Larry. »Eines Tages erwischen wir ihn endgültig.«
ENDE
TOP SECRET! Aus den Geheimarchiven der PSA Der Nebel füllte die Gassen aus, als wäre er in die ruinengesäumten Schluchten hineingegossen worden. Jeden Winkel hatte die graue Suppe erreicht, und Lawrence Kent konnte die Hand nicht vor Augen sehen. So sah er auch nicht die seltsame Gestalt, die ihm durch diese Schattenwelt vorauseilte. Er vernahm nur die Stimme. »Sei vorsichtig! Und beeile dich …, bleib mir auf den Fersen«, zischelte ihm der Drahtige zu, um ihm den Weg zu weisen. Es war der direkte Weg in die Hölle! Beinahe mannshoch türmte sich an vielen Stellen der stinkende Unrat in den Gassen. Dazwischen gab's nur einen schmalen Fußweg. Wie eine Schlange wand er sich um jedes Hindernis herum und zwischen den Müllbergen hindurch. Wenn die Bezeichnung gottverlassen je auf eine Gegend zugetroffen hatte, dann auf diesen Teil Londons. Die Häuser zu beiden Seiten verdienten kaum mehr, Ruinen genannt zu werden, so sehr hatte der Zahn der Zeit an ihnen gefressen. Keine
Menschenseele schien sich mehr in diese Ecke der Themsemetropole zu verirren. Fast konnte man glauben, daß alles Lebende diesen Teil der Stadt mied, wäre nicht hin und wieder ein quiekender Schatten, kaum wahrnehmbar, im Nebel verschwunden. »Ratten!« stieß Lawrence Kent aus, und seine Stimmung schwankte hörbar zwischen Ekel und Faszination. »Schnauze, Mister!« Der dürre, ganz in schwarzes Leder gedreßte Bursche vor ihm war stehengeblieben und trat so nahe an ihn heran, daß er den säuerlichen Atem seines »Führers« wie einen Windhauch im Gesicht spürte. »Ein Wort noch, und wir kehren um. So war's abgesprochen. Trotz des Geldes, das Sie mir gegeben haben. Hier bin ich der Boß, klar?« Kent nickte nur stumm. Er hatte teuer bezahlt für den Thrill, der am Ende des Marsches durch diese gespenstische Gegend auf ihn warten sollte. Zu teuer bezahlt, als daß er sich den Spaß durch eine Unbedachtheit verderben wollte. Mit gesenktem Kopf folgte der Mann dem kaum zwanzigjährigen Lederfreak, der sich ihm bei ihrer ersten Begegnung als Joe »Spark« Drake vorgestellt hatte. Den Spitznamen Spark, Funke also, hatte der Junge wohl seinem flammendroten Haar zu verdanken. Hatte Kent eben noch gedacht, die Gegend um ihn herum wäre verlassen von allem menschlichen Leben, so sagte ihm sein Gefühl nun etwas anderes. Er hatte das Gefühl, aus der Dunkelheit angestarrt zu werden. Da war nicht nur ein Beobachter – da waren viele. Lawrence Kent versuchte sich umzusehen. Doch der dichte Nebel stand wie eine Wand zwischen ihm und der Welt. Er kam sich völlig einsam vor, wie auf einer winzigen Insel. Aber da waren immer noch Sparks Schritte vor ihm. Andere Geräusche drangen an sein Ohr. Das leise Knirschen von Steinen, das kaum wahrnehmbare Knarren einer morschen Holzdiele. Irgendwo flüsterte eine Stimme etwas, so kurz, daß es ebenso gut eine Täuschung gewesen sein konnte. Eine ge-
naue Ortung war Lawrence Kent nicht möglich. Um ihn herum war nichts außer diesem Nebel, der wie Watte über allem lag. Dennoch – sie wurden beobachtet. Daran bestand kein Zweifel. Ein schriller Pfiff riß ihn zurück in die Wirklichkeit. Joe Drake hatte bemerkt, daß Kent stehengeblieben war, und erwartete ihn im Schatten eines Hauses, von dem nur noch die Grundmauern standen. Irgendwann war das Gebäude ein Raub der Flammen geworden. Leichter Brandgeruch, als hätte der Nebel ihn für alle Zeiten konserviert, hing in der Luft. »Wir sind gleich da«, wisperte Spark. Seine behandschuhte Rechte wies zwischen die niedergebrannten Mauern der Ruine. In der Mitte des Grundrisses gähnte ein dunkler Fleck, der einst der Zugang zum Keller gewesen sein mußte. Jetzt sah er aus wie das Maul eines gefräßigen Ungeheuers. Die wogenden Nebelschwaden unterstrichen den Vergleich noch, sahen aus wie Atemfahnen des Monstrums. Kent wollte schon den Fuß in den Mauerdurchbruch setzen, als sich die knochige Hand des anderen schmerzhaft in seinen Arm grub. Soviel Kraft hätte er dem dürren Kerl kaum zugetraut. »Denk an unsere Abmachung«, zischte Drake. »Du bleibst hinter mir und wartest auf mein Zeichen. Ich muß die anderen erst auf deinen Besuch vorbereiten, verstanden?« Die Nähe des Ziels hatte den bisher nur glimmenden Funken in Sparks Blick zum Lodern gebracht, und Kent hatte mit einem Mal Zweifel daran, ob der Spitzname des Burschen tatsächlich nur von der Haarfarbe herrührte … Wie ein Schatten huschte Drake über den von allem möglichen Geröll übersäten Boden hin zu dem Loch, hinter dem die Stufen hinabführten in die Welt unter der Welt, wie sie ihr unterirdisches Reich selbst nannten. Weit weniger geschmeidig folgte ihm Lawrence Kent, der in seinem eleganten Mantel, den Lackschuhen und dem noblen Hut nirgendwo hätte mehr fehl am Platze wirken können als ausgerechnet hier, zwischen
all den heruntergekommenen Häusern und den Schuttbergen. Fast hätte Spark laut gelacht, als er an den Amerikaner dachte, der vom Aussehen her – hochgewachsen, kräftig und mit blondem Vollbart im Gesicht – eher an einen Wikinger erinnerte denn an einen exzentrischen Millionär aus den USA. Eines aber war er auf jeden Fall: ein Spinner! Daran zweifelte Spark nicht eine Sekunde lang. Etwas Unheimliches hatte der Kerl erleben wollen, und auf der Suche danach war er an »Spark« Drake geraten. Die entsprechenden Szene-Kneipen hatte der reiche Besucher aus den Vereinigten Staaten in London rasch ausfindig gemacht. Andere hatten ihn schließlich an Spark verwiesen, der, wie bekannt geworden war, einer Gruppe angehörte, die sich am ehesten als extremer Auswuchs der Gruftie-Szene beschreiben ließ. Während die »normalen« Anhänger dieser Bewegung mehr Wert auf vordergründige Schau legten als auf wirkliche Auseinandersetzung mit allem Dunklen und Mysteriösen, wollten Spark und seine Freunde hinter die Geheimnisse allen Lebens kommen – und hatten dabei schon erste Erfolge zu verzeichnen, wie man munkelte. So hatte es nicht lange gedauert, bis Lawrence Kent, dem der spleenige Trottel aus allen Knopflöchern seines Maßanzugs lugte, bei Joe Drake gelandet war. Der hatte zunächst natürlich getan, als wüßte er überhaupt nicht, wovon Kent sprach, als dieser ihm seine Bitte vortrug. Das Knistern einer TausendPfundnote hatte allerdings rasch einen Gesinnungsumschwung bei Spark bewirkt. Und nun waren sie also hier, standen vor dem Einstieg in die Welt unter der Welt, in der sich in dieser Nacht Großes ereignen sollte. Das jedenfalls hatte Rowan Crowley, ihr Großmeister, angekündigt. Und Lawrence Kent hatte 1000 Pfund dafür bezahlt, um dabei zuschauen zu dürfen. Nur wußte Crowley noch nichts davon. Und ganz sicher war Spark nicht, ob es ihm recht sein würde. Aber die 500 Pfund, die er dem Hexenmeister
abzugeben bereit war, würden ihn zumindest versöhnlich stimmen … Die Geheimniskrämerei indes war lediglich dazu bestimmt, Lawrence Kents Verunsicherung zu bestärken. Spark wußte natürlich, daß seine Ankunft längst bemerkt worden war. Und die Wächter würden bereits gemeldet haben, daß er nicht alleine kam. Nie hätte ihre Gruppe solche Macht erlangen können, hätten sie die einfachsten Sicherheitsmaßnahmen außer acht gelassen. Die Stufen waren mit einem dicken Schmierfilm überzogen, ein übler Gestank wehte durch die finsteren Gewölbe und drängte dem Ausgang zu. Lawrence Kent vermutete, daß irgendwo Verbindungen zwischen dem Keller und der Londoner Kanalisation bestanden. Immer wieder gebot Spark ihm, ein paar Yards hinter ihm zu bleiben, während er durch die labyrinthartig verzweigten Gänge des Kellers streifte, der weit über die Abmessungen der Ruine über ihnen hinausreichen mußte. Wahrscheinlich waren die Keller der meisten Häuser in dieser Gegend miteinander verbunden. Vielleicht stammten diese Gewölbe auch aus einer Zeit als es die Gebäude an der Oberfläche noch gar nicht gab. Die Gänge, das konnte der Amerikaner erkennen, als er hin und wieder mit den Fingerspitzen an den feuchten Wänden entlangstreifte, waren zum Teil in den rohen Fels hineingetrieben worden. An manchen Stellen wiederum fühlte er Mauerwerk. Immer wieder kroch irgendwelches Getier über seine Haut, unsichtbar in der herrschenden Schwärze. Zu gern hätte er die kleine Bleistiftleuchte eingeschaltet, um wenigstens einen winzigen Ausschnitt dieses unterirdischen Reiches zu erkennen. Aber damit hätte er gegen die getroffene Abmachung verstoßen, und sein abenteuerlicher Ausflug wäre schneller zu Ende gewesen als ihm lieb sein konnte. Vielleicht hätte der Bursche ihn auch einfach im dunkeln stehenlassen, und Kent wäre dann stundenlang in dem Labyrinth herumge-
irrt, ehe er den Ausgang wiedergefunden hätte. Wenn überhaupt. Denn die Orientierung hatte er längst verloren … Spark dagegen schien die Augen einer Katze zu haben. Obwohl Kent ihn nicht sehen, sondern nur hören konnte, merkte er, daß sein »Führer« sich mit traumwandlerischer Sicherheit durch die Finsternis bewegte. Kein Zögern war dem Geräusch seiner leichtfüßigen Schritte zu entnehmen, jede Abzweigung erkannte er blind. Kent dachte an das eigenartige Glühen in Sparks Blick, das ihm vor ihrem Abstieg in die Gewölbe aufgefallen war. Ob es damit zusammenhing, daß der Bursche sich hier so problemlos zurechtfand? Wenn ja, dann waren er und seine Clique in der Tat alles andere denn Spinner, sondern vielmehr Dingen auf der Spur, die nicht für Menschen gemacht waren … Nach einer Ewigkeit, wie ihm schien, kam von irgendwoher Licht. Ein fahler, zuerst kaum wahrnehmbarer Schimmer, doch schon hinter der nächsten Ecke zeichnete sich das Ende des Ganges als rötliches Viereck ab. In dem Raum dahinter mußten Kerzen oder Fackeln brennen. Im Gegenlicht wirkte Sparks Gestalt wie ein Scherenschnitt. Er war stehengeblieben und gab dem Amerikaner mit einer Geste zu verstehen, hier zu warten. Joe Drake ging allein weiter. Kent fiel auf, daß es nicht mehr ruhig war. Die Stille war abgelöst worden von einem dumpfen Raunen und Murmeln, in dem er nach einer Weile einen sich wiederholenden Rhythmus erkannte. Monoton, unheimlich. Wie von selbst setzten sich seine Beine in Bewegung, ging er wie von unsichtbaren Händen geschoben auf das Ende des Ganges zu. Er achtete darauf, kein Geräusch zu verursachen. Vorsichtig sondierte er vor jedem Schritt den Boden, dessen Unebenheiten sich im flackernden Schein schwach abzeichneten. Kent wurde von Neugierde getrieben.Trotzdem wagte er es nicht, ganz an den Durchgang heranzutreten, der ihr Ziel sein mußte. Mit jedem Yard, den er näherkam, wurde der eintönige Sing-
sang deutlicher, ohne daß Kent jedoch etwas davon verstanden hätte. Es waren Worte einer Sprache, die er nie zuvor gehört hatte. Diese Sprache war nicht für menschliche Zungen geschaffen. Er spürte förmlich, welche Kraft und Mühe es den für ihn noch unsichtbaren Chor kostete, den Gesang zu intonieren. Nun konnte er auch Sparks Stimme hören, sowie die eines anderen Mannes. »Die Zeit ist noch nicht reif, als daß wir uns offenbaren könnten«, rief jener andere gerade. Spark klang kleinlaut und ängstlich. Nichts war übriggeblieben von der Selbstsicherheit, die er Lawrence Kent gegenüber an den Tag gelegt hatte. »Meister, verzeiht mir«, vernahm der Amerikaner das unangenehme Fistelorgan von Joe Drake. »Aber bedenkt die hohe Summe, die Lawrence Kent gezahlt hat, um unserem Tun beiwohnen zu dürfen. Und außerdem – er ist ein Idiot! Er kann uns nicht gefährlich werden! Ich weiß es ganz sicher!« Der andere stieß ein verächtliches Lachen aus. »Wie kann sich ein Idiot anmaßen über einen anderen Idioten zu urteilen?« fragte der andere mit herrischer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. »Ja, Meister. Verzeiht.« »Schweig!« zischte der andere grollend, und vor Lawrence Kents geistigem Auge stieg dabei das Bild eines gluthäutigen Dämons auf, der jeden Laut, der sein Maul verließ, mit einem Feuerschwall begleitete. »Lawrence Kent!« erscholl da der Ruf. Er schien den gesamten Gang auszufüllen, und es lag etwas Befehlendes darin. »Hier bin ich.« Kent kam zögernd nach vorn. Mit einem schnellen Blick nahm der Amerikaner den im flackernden Feuerschein liegenden Raum in sich auf. Hatte er erwartet, allerlei geheimnisvolle Zeichen an Wänden und Boden sowie magische Utensilien vorzufinden, sah er sich
getäuscht. Die Wände waren nackt bis auf vier eiserne Halterungen, in denen blakende Fackeln steckten. Auf dem Boden knieten im Kreis fünf in dunkles Leder gekleidete Männer, alle etwa in Sparks Alter, die Stirn gegen den kalten Stein gedrückt. Ihren Mündern entstammte der raunende Gesang. Und zwischen ihnen stand ein knöcherner Schädel, dessen leere Augenhöhlen in Kents Richtung glotzten und der den Amerikaner mit seinem fleischlosen Grinsen zu verhöhnen schien. Doch so ungewöhnlich das Szenario auch sein mochte, es war nebensächlich. Es verblaßte vor der Präsenz des Hexenmeisters, dessen Aura Lawrence Kent mit Händen greifbar schien. Der Amerikaner spürte die Macht dieses Mannes, konnte fühlen, daß dieser Rowan Crowley auf dem Weg war, mehr zu werden als ein Mensch. Und daß er auf diesem Weg bereits mehr als nur einen Schritt zurückgelegt hatte! Im nächsten Augenblick wurde ihm dies noch deutlicher bewußt. Unwillkürlich fuhr Kent sich an seine Schläfen, als sich hinter seiner Stirn ein dumpfer Schmerz auszubreiten begann. Als würden unsichtbare Geisterfinger in seinen Gedanken wühlen. So eigenartig dieser Vergleich war, so sehr wußte er, daß er ganz nah an der Wirklichkeit lag, als sein Blick dem des Hexenmeisters begegnete. Spark verschwand beinahe im Schatten Crowleys, und das lag nicht allein daran, daß der junge Bursche hinter dem Mann stand. Die Gestalt des drahtigen Jungen verblaßte ganz einfach, weil Crowley alle Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Obwohl er vom Äußeren so wenig auffällig war wie Hunderte andere Menschen, denen man in den Straßen Londons begegnen konnte. Allein die Tatsache, daß auch er lederne Kleidung trug, hätte ihn vielleicht ein klein wenig über die Masse erhoben. Der Unterschied lag hinter der Maske, war nicht zu sehen, sondern nur zu spüren. Lawrence Kent kam nicht dazu, sich weitere Gedanken über diesen Mann zu machen. Der Schmerz in seinem Kopf ver-
schwand so rasch, wie er gekommen war, und ein zufriedenes Lächeln umspielte Crowleys schmale Lippen. »Du bist gekommen, um zu sehen, Lawrence Kent.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Der Amerikaner suchte nach Worten, die der Situation angemessen schienen. »Ich bin gekommen, um zu lernen«, sagte er. »Niemand lernt –«, Crowleys Geste war allumfassend, »– Dinge wie diese. Der Auserwählte erkennt sie.« »Ihr seid auserwählt, Großmeister Crowley? Durch das Blut Eures Ahnen?« Der Name Crowley hatte in Kent bestimmte Assoziationen ausgelöst. Die Verbindung zu dem Hexenmeister, über dessen dunkle Taten noch heute gesprochen wurde, erschien ihm nun noch wahrscheinlicher, nachdem er Rowan Crowley kennengelernt hatte. Der Hexenmeister ignorierte die Frage. »Schweig – und sieh!« befahl er dem ungebetenen Gast, den er nun doch duldete. Dann wandte er sich dem Kreis der am Boden knieenden Diener zu, in den sich inzwischen auch Spark eingereiht hatte. Lawrence Kent kam sich in den nächsten Minuten vor wie ein Requisit auf einer Bühne, auf der ein unheimliches Schauspiel stattfand. Er war nicht in der Lage, sich zu rühren oder gar einzugreifen, er konnte nur zuschauen – und was er zu sehen bekam, war so unglaublich, daß er zu träumen meinte. Crowley vollführte scheinbar willkürliche Bewegungen mit seinen Händen und fiel selbst in den leiernden Gesang seiner Diener ein. Nach einer Weile erkannte Kent sogar die sich wiederholenden Worte, deren Klang allein ausreichte, einem Menschen Unbehagen zu verursachen. Was mochten sie da erst bei dem bewirken, für den sie bestimmt waren? Kent erfuhr es in der nächsten Sekunde. Ein dunkler Schatten lag plötzlich über dem Raum. Erst ganz schwach und durchscheinend, wurde er zusehends dunkler, schien sogar feststofflich zu werden. Der Amerikaner ertappte sich bei dem Versuch, danach greifen zu wollen. Doch seine
Finger fuhren durch die Schwärze, die wie eine Wolke im Raum hing, hindurch. Jetzt sah er auch, daß diese Finsternis sogar eine bestimmte Form annahm. Es war die Form – einer Fledermaus! Ein deutlich zu verstehender Name mischte sich in den durch das Gewölbe hallenden Gesang. »Rha-Ta-N'my!« Die ganze Zeit über hatte Lawrence Kent sich gefragt, was es mit dem Totenschädel in der Mitte des Kreises auf sich hatte. Denn worum es bei dieser nächtlichen Aktion tief unter der Millionenstadt London ging, hatte Spark nicht verraten. Der knöcherne Schädel war nicht länger tot! Er erwachte zum Leben. Mehr noch, er wurde zu dem, was er einmal gewesen war – zum Kopf eines Menschen! Fleisch und Haut bildeten sich, glanzlose Augen saßen jetzt in den eben noch leeren Höhlen. Lawrence Kent sah plötzlich in das Gesicht eines etwa dreißigjährigen Mannes. Doch der erschreckende Vorgang war noch nicht beendet. Es ging weiter! Nebelschwaden umwogten den Kopf, um dessen Mund ein gequälter Zug lag, als wäre der Mann bei seiner grauenhaften Wiedergeburt unsäglichen Schmerzen ausgesetzt. Die blutleeren Lippen öffneten sich zu einem Schrei, der in anderen Sphären verhallte. Denn noch war er nicht ganz zurückgekehrt in die Welt der Lebenden. Aber er war dabei, den letzten Schritt zu tun. Er bekam seinen Körper wieder! Die wirbelnden Nebel hoben den lautlos brüllenden Kopf in die Höhe und formten dabei die Gestalt eines Mannes. Wie aus Glas wirkte der Körper zunächst. Lawrence Kent verfolgte fasziniert und abgestoßen zugleich, wie aus dem Nichts heraus menschliche Organe entstanden und ihren biologisch angestammten Platz einnahmen. Haut überzog den Körper wie fließendes Wachs. Und schließlich lag in der Mitte des Raumes
ein nackter Mann, der sich wand wie ein Wurm und Laute von sich gab, die eher an ein Tier gemahnten als an einen Menschen. Und es war im Grunde auch nichts Menschliches an dem Wesen, das mit der Beschwörung dem Tod entrissen worden war. Wer auf diesem Wege zurückgeholt wurde aus dem Jenseits, dessen Schicksal war es, den finsteren Mächten zu dienen. Dies war der Preis für das zweite Leben. Wie auf ein geheimes Kommando hin schwang ein Teil der Wand hinter Crowley zurück. Zwei Männer traten hervor, ebenso nackt wie der am Boden liegende. Mit steifen Bewegungen traten sie näher, ergriffen den Untoten an den Armen, um ihn wegzuschleifen. »Unsere Armee wächst«, rief Crowley der nunmehr verblassenden Wolke zu. »Schon bald werden wir stark genug sein, deine Saat in diese Welt zu tragen. Rha-Ta-N'my, wir danken dir!« Ermattet sanken die knieenden Männer vollends zu Boden. Sie verloren das Bewußtsein. Die Beschwörung hatte den Lebenden Kräfte entzogen, die dem Toten zugeflossen waren. Den unheiligen Funken jedoch hatte die Dämonengöttin in ihn gesetzt, deren Schatten sich mehr und mehr verflüchtigte und sich nun vollends auflöste. Sekundenlang blieb eine Gewißheit in der schaurigen Atmosphäre zurück, die Kent geradezu körperlich spürte. »Ich werde bald wiederkommen!« schien eine Stimme aus dem Unsichtbaren zu wispern. »Die Saat meiner schrecklichen Welt geht auf … Ich selbst werde persönlich erscheinen und das Unheil über diese Erde bringen. Ich – Rha-Ta-N'my …« * »Nun, bist du zufrieden mit dem, was du gesehen hast, Lawrence Kent?« Erschöpfung und Anstrengung hatten tiefe Spuren in Rowan
Crowleys Gesicht gegraben, dennoch klang seine Stimme spöttisch. Betont langsam drehte der Hexenmeister sich um, wollte dem Amerikaner in die Augen sehen. Der Platz neben dem Eingang war leer. Lawrence Kent war verschwunden! Die Wohnung war klein, die Wände waren feucht. Schimmelpilz nistete in den Ecken. Der Geruch nach Fäulnis ließ sich nicht vertreiben. Nein, dieser Ort war seiner nicht angemessen. Aber er garantierte ihm Unauffälligkeit. Und das wog für Rowan Crowley im Augenblick noch schwerer als alle Behaglichkeit. Später würde er anders leben. Wie es ihm gebührte. Später, wenn das große Ziel erreicht war … Das allerdings schien ihm ein klein wenig entrückt zu sein. Weiter, als er zunächst selbst angenommen hatte, nachdem dieser Amerikaner verschwunden war. Aber er glaubte nicht, daß von ihm Gefahr drohte. Crowley hatte Lawrence Kents Gedanken sondiert und festgestellt, daß der Mann wohl in der Tat nur ein zwar spleeniger, aber nichtsdestotrotz harmloser Trottel war, der einfach nur einmal den Hauch des Unheimlichen hatte verspüren wollen. Rha-Ta-N'my sah das jedoch anders. Die Dämonengöttin selbst meldete sich bei Rowan Crowley gemeldet! Das war noch nie geschehen! Und obwohl der Grund dafür alles andere als erfreulich für den Hexenmeister war, fühlte er sich auf eigenartige Weise geehrt. Die Kontaktaufnahme bewies: Rha-Ta-N'my sah in ihm mehr als nur einen Diener unter vielen. Er war ein Auserwählter, er vertrat ihr Erbe! Wer Crowley in diesen Minuten sah, mußte glauben, er schliefe tief und fest. Völlig bewegungslos lag er auf der zerschlissenen Matratze seines Bettes, die Augen geschlossen. Ein hauchfeines Netz von Schweißtröpfchen überzog seine Stirn
und spiegelte die innere Unruhe wider. »Ein Mann stört unsere Kreise«, hörte er die Stimme der Dämonengöttin in seinen Gedanken. »Du meinst Lawrence Kent? Er ist nicht gefährlich«, wagte Crowley abzuschwächen. »Schweig! Ich spüre, daß er eine Bedrohung für uns darstellt!« »Was befiehlst du, Rha-Ta-N'my?« änderte Crowley sofort seine Taktik. »Töte ihn!« Die Worte fuhren wie ein Orkan durch seinen Kopf. »Ich höre und gehorche, Herrin. Du kannst dich auf mich verlassen.« So lautlos und überraschend, wie die Dämonengöttin sich bei ihm gemeldet hatte, ließ sie wieder von Rowan Crowley ab. Er erwachte aus dem hypnotischen Schlaf und wußte, was zu tun war. Er fühlte sich angenehm erfrischt und stark nach dem Kontakt mit Rha-Ta-N'my. Sein Weg führte ihn in den Nebenraum, in dem wegen der zugezogenen Vorhänge ewige Nacht herrschte. Auf einer schmalen Liege zeichneten sich die Umrisse eines Menschen ab. Die einer jungen Frau, die dem Tode näher zu sein schien als dem Leben. Ihre Haut war bleich und wächsern, die Wangen eingefallen. Dunkle Augen lagen tief in den Höhlen, ihr starrer Blick fixierte einen imaginären Punkt im Nirgendwo. Crowley nahm neben der Liegenden, die irgendwann einmal eine Schönheit gewesen war, Platz und berührte sie sanft an der Schulter. »Larissa, ich bin bei dir, mein Liebling. Ich brauche dich.« Seine Stimme schwang durch die Finsternis auf der Suche nach dem Bewußtsein des Mädchens. Crowleys Finger tasteten nach ihren Schläfen. Kräfte ström-
ten und verschmolzen miteinander. »Wir suchen einen Mann, Larissa. Wir müssen ihn finden und töten.« Er schloß die Augen und wurde eins mit Larissas zerbrochenem Geist. Unsichtbare Fühler streckten sich und suchten nach einem Mann unter Millionen, suchten nach Lawrence Kent, um ihn zu töten. Und sie fanden ihn … * Er war es zwar gewohnt, mitunter verkleidet zu agieren, doch in seiner eigenen Haut fühlte Larry Brent sich am wohlsten. Der blonde Vollbart und der Maßanzug, die aus X-RAY-3 den Nervenkitzel suchenden Amerikaner Lawrence Kent gemacht hatten, lagen vor ihm auf dem Hotelbett. Der beste Mann der PSA, jener Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, ungewöhnlichen Vorfällen überall auf der Welt nachzugehen, steckte mittlerweile wieder in Jeans und kariertem Baumwollhemd. »Wenn du ein paar Stunden früher gekommen wärst, hätten wir dieses Nest schon ausheben können«, sagte Larry Brent zu dem Mann, der offenbar nichts anderes zu tun hatte, als die Luft mit dem furchtbarsten Tabakgestank zu verpesten, den man sich nur vorstellen konnte. »Aber stattdessen räucherst du mich aus.« Zu allem Unglück ließen sich hier oben im zehnten Stock des Londoner Sheraton-Hotels aus Sicherheitsgründen die Fenster nicht öffnen. Und die Klimaanlage allein kam gegen den Gestank, von dem behauptet wurde, er hätte in manchen Städten bereits Smogalarm ausgelöst, nicht an. »Ich kann nicht überall zugleich sein, nur um auf dich aufzupassen, Towarischtsch«, erwiderte Iwan Kunaritschew und pustete genüßlich eine weitere Qualmwolke in den Raum. Woraufhin X-RAY-3 seinem Freund und Kollegen die Selbstgedrehte kurzerhand aus den Fingern klaubte und im Aschen-
becher zerdrückte. »Was hast du inzwischen über Rowan Crowley herausfinden können?« fragte Larry Brent dann. X-RAY-7, noch fassungslos den Blick auf seine gekillte Selbstgedrehte gerichtet, antwortete abwesend: »Rowan Crowley ist kein unbeschriebenes Blatt.« Er bezog sich dabei auf Informationen, die »Big Wilma« und »The clever Sofie«, die beiden leistungsstärksten Elektronengehirne der PSA-Zentrale in New York, auf die Eingabe der bislang bekannten Fakten hin ausgespuckt hatten. »Crowleys Ahnenreihe läßt sich in der Tat bis zu jenem gleichnamigen Hexenmeister zurückverfolgen. Rowan Crowley scheint die gleiche Veranlagung zum Bösen in sich zu tragen. Bereits als Jugendlicher geriet er mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt, wobei stets übersinnliche Dinge im Spiel zu sein schienen. Da ihm aber letztlich nie konkret etwas nachgewiesen konnte, mußte man ihn immer wieder laufen lassen. Offensichtlich unternahm er einige Versuche, eine Art Sekte um sich zu scharen, doch scheiterte es wohl stets daran, daß er nicht die »richtigen« Leute rekrutieren konnte. Das scheint sich, deinen Erlebnissen zufolge, nun aber geändert zu haben. Seine jetzigen Anhänger erfüllen scheinbar alle Voraussetzungen, sie werden vom Bösen »akzeptiert«, um es einmal so auszudrücken. Als Rowan Crowleys momentanen Aufenthaltsort gaben die Computer England an. Näheres unbekannt. So sieht's bis jetzt aus, Towarischtsch.« Ein harter Zug war in Larry Brents Gesicht getreten. Mit Rowan Crowley waren sie zweifelsohne auf ein »faules Ei« gestoßen – und auf ein brandgefährliches noch dazu! Der Computerbericht und das, was er mit eigenen Augen gesehen hatte, zeigten, daß es allerhöchste Zeit war, einzugreifen, um größeres Unheil zu verhindern. Alles wies darauf hin, daß Crowley versuchte, eine kleine Armee von Untoten zusammenzustellen, um mit deren Hilfe das Böse in die Welt zu
bringen und sich selbst, an der Seite der Dämonengöttin, zum Herrscher über die geschaffenen Marionetten aufzuschwingen. Aufmerksam auf Rowan Crowleys Treiben waren sie durch einen Nachrichtenmann der PSA geworden. Die Zahl dieser Informanten war fast unübersehbar, und sie waren verteilt über den ganzen Erdball. Ihre Aufgabe war es, jeden Hinweis, der auf ungewöhnliche Ereignisse hindeutete, an das PSAHauptquartier in New York zu melden. Dort wurden die eingehenden Berichte gesammelt und überprüft. Und wenn auch nur ein Fünkchen Wahrheit dahinterzustecken schien, wurde ein Agent darauf angesetzt. Im Fall Rowan Crowleys hatte sich jener Funke bereits zum Feuer entwickelt, dessen Größe noch nicht abzuschätzen war. Denn sie wußten nicht, wieviele Tote Crowley und seine Anhänger mit Hilfe Rha-Ta-N'mys schon aus ihren Gräbern geholt hatten. In der Rolle des exzentrischen Amerikaners Lawrence Kent hatte X-RAY-3 der Sache nachgehen und nähere Erkenntnisse gewinnen sollen. Und er hatte gut daran getan, Crowleys Fähigkeiten nicht zu unterschätzen. Die einfache Maskerade mit Bart und Make-up hätte der Gegner mühelos durchschaut, als er sich bei ihrer Begegnung direkt in Larry Brents Gedanken eingeschaltet hatte. Dank des Trainings durch den Hypnosespezialisten der PSA, Dr. Mark Shelly, war es den Agenten der Organisation aber möglich, andere Persönlichkeiten bis zu einem gewissen Grad auch psychisch zu »simulieren«, also auch gedanklich in eine andere Rolle zu schlüpfen. Diesen Trick hatte Crowley nicht durchschauen können. Aber es hatte X-RAY-3 auch einige Mühe gekostet, die Psycho-Tarnung aufrecht zu erhalten unter den tastenden Geistfühlern Crowleys. »Das ist aber noch nicht alles, Towarischtsch«, fuhr X-RAY7 fort, der seinen Bericht noch nicht beendet und den dicksten Hammer bis zum Schluß aufgehoben hatte. »Rowan Crowley ist kein Einzelkind. Er hat eine Schwester, und sie trägt die
gleiche Veranlagung in sich. Ihre Fähigkeiten scheinen sogar weiterentwickelt zu sein als die ihres Bruders. Doch konnte Larissa Crowley mit der Gabe nicht umgehen. Sie war überfordert und zerbrach am Erbe ihrer Ahnen. Geistige Umnachtung war die Folge. Bis vor kurzem war sie in einem Privatsanatorium außerhalb von London untergebracht –« »Bis vor kurzem?« Larry Brent wurde hellhörig. Der Russe nickte bestätigend. »Bis vor kurzem. Sie verschwand aus der Klinik. Einfach so.« Er schnippte mit den Fingern. »Hinweise auf eine Entführung?« Iwan Kunaritschew schüttelte den Kopf. »Nein. Aber der Verdacht liegt nahe, daß Rowan Crowley sie herausgeholt hat. Für die Aufgabe, die er sich – oder die ihm Rha-Ta-N'my – gestellt hat, reichten seine eigenen Kräfte vermutlich nicht aus. Also holte er sich seine Schwester zur Unterstützung, deren Fähigkeiten er sich problemlos zunutze machen kann. Sie verfügt über keinen eigenen Willen mehr.« Larry Brent ging im Zimmer auf und ab. Sein russischer Freund drehte sich dabei unbemerkt eine neue Zigarette aus dem schrecklichen Kraut, das er auf geheimnisvolle Weise bezog. »Wir müssen herausfinden, wo die Crowleys Unterschlupf gefunden haben. Sie sind die Wurzel des Übels. Und die müssen wir ausreißen«, murmelte X-RAY-3 vor sich hin. Wie vom Blitz getroffen hielt er plötzlich mitten in der Bewegung inne. Er spürte noch, wie irgend etwas mit glühenden Fingern nach ihm griff. Lava schien mit einem Mal durch seine Adern zu pulsieren. Sein Körper schien in Flammen zu stehen, sein Kopf zu explodieren. Wie ein gefällter Baum kippte Larry Brent um und rührte sich nicht mehr. Die Selbstgedrehte entfiel Iwan Kunaritschews Fingern. Alles
ging viel zu schnell, als daß er in irgendeiner Weise hätte reagieren können. Der dumpfe Laut, mit dem sein Freund zu Boden schlug, fuhr ihm wie ein Messer ins Herz. * Schweiß lief über Crowleys verzerrtes Gesicht, rann ihm in die Augen und brachte sie zum Tränen. Aber er lachte. Lachte und lachte, so lange, bis nur noch ein heiseres Krächzen über seine schmalen Lippen kam. Zärtlich küßte er seine Schwester auf die kalkige Stirn. Mit keiner Regung gab sie zu erkennen, ob sie etwas registrierte von dem, was um sie herum vorging – oder in ihr. Bewegungslos lag sie da, und wäre nicht das schwache Zucken einer Ader an ihrem Hals zu sehen gewesen, hätte man sie für tot halten können. Rowan Crowley betrachtete ihr puppenhaft starres Gesicht. Ja, das war sie – eine Puppe. Seine Puppe. Ein Spielzeug in seinen Händen. Sie hatten Lawrence Kent gefunden – und getötet. Allein mit der Kraft ihrer Gedanken, mit der Macht der Crowleys. Der Amerikaner war nicht der erste Mensch, den sie auf diese Weise ausgeschaltet hatten. Denn Kent war nicht der erste gewesen, der sich ihnen in den Weg gestellt hatte. Aber auch er hatte für den Frevel bezahlt – mit seinem Leben. Trotzdem stellte sich diesmal nicht dieses Gefühl tiefer Befriedigung ein. Irgend etwas war anders gewesen bei Lawrence Kent. Schwieriger. Es hatte lange gedauert, ihn zu finden, und es war mühevoll gewesen, ihn richtig in den Griff zu bekommen. Fast hatte Crowley den Eindruck gehabt, es gäbe diesen Lawrence Kent überhaupt nicht, sondern nur jemanden, der ihm ähnlich war.
Aber es war nur ein Gefühl gewesen, und Rowan Crowley gab nichts auf Gefühle. Nicht mehr. Denn Gefühle waren eine Schwäche, die sich nur ein Mensch erlauben durfte. Er aber war dabei, ein Gott zu werden! * Wie aus einem Meer zäher Finsternis stieg sein Bewußtsein einem winzigen Licht entgegen. Immer höher, immer schneller. Das Licht wurde größer und heller. Und irgendwann, nach einer halben Ewigkeit, wie ihm schien, wurde es zu Iwan Kunaritschews Gesicht, das sorgenvoll über dem seinen hing. »Nicht der erfreulichste Anblick, wenn man gerade von den Toten auferstanden ist«, brummte Larry Brent. Die Sorge verschwand aus den Zügen des vollbärtigen Russen. »Ich sehe, es geht dir wieder gut, Towarischtsch. Zu gut, wie mir scheint.« Man hörte seiner Stimme die Erleichterung an. Ächzend zwang sich X-RAY-3 in die Höhe. Da er noch immer auf dem Boden des Hotelzimmers lag, konnte er nicht lange bewußtlos gewesen sein. Sonst hätte sein Freund ihn zumindest auf das Bett gelegt. Was genau geschehen war, das konnte Larry auch jetzt noch nicht genau rekonstruieren. Er wußte nur eines: »Brüderchen, ich habe das seltsame Gefühl, daß Lawrence Kent, wenn es ihn wirklich gegeben hätte, jetzt tot wäre.« * »AMERIKANISCHER MILLIONÄR VERWÜSTET GALERIE! LAWRENCE KENT GEGEN KAUTION FREIGELASSEN!« Rowan Crowleys Schrei war das Brüllen eines Tieres. Wü-
tend zerriß er die Ausgabe der »Sun« und schleuderte die Fetzen durch das Zimmer. Lawrence Kent lebte! Wie war das möglich?! Aber er hatte offensichtlich den Verstand verloren. In einer Londoner Galerie zündete er ein Gemälde an und zerstörte andere Exponate. Beim Eintreffen der Polizei beleidigte er die Beamten, schließlich die britische Königsfamilie und zuletzt – aus welchem Anlaß heraus auch immer – die Pfadfinder, wie der Titelgeschichte der Boulevardzeitung zu entnehmen war. Crowley glaubte sich zumindest erklären zu können, weshalb der Amerikaner derart ausgerastet war. Vermutlich handelte es sich dabei um die Nachwirkungen seines Angriffs auf Lawrence Kent. Er, Crowley, hatte sich nicht getäuscht: Etwas war tatsächlich anders gewesen bei dem Anschlag auf Kent – es hatte ganz einfach nicht geklappt! Er hatte das Gehirn des Amerikaners offenbar nur beschädigen, nicht aber zerstören können. Doch Crowley schwor sich, das nachzuholen. Der Schreiber des Artikels hatte sogar verraten, wo Lawrence Kent während seines Londonaufenthalts residierte. In einer Villa am Rande der Stadt. Ein bösartiges Lächeln verzerrte Crowleys Gesicht zu einer dämonischen Fratze, in der die Augen wie glühende Kohlen leuchteten. Er wußte, was zu tun war. Seine Zombie-Armee würde in der Aktion »Lawrence Kent« ihre Feuertaufe erleben! * Der Arm der PSA reicht weit. Das Netz ihrer Verbindungen ist engmaschig und mit allen möglichen Institutionen ver-
knüpft. Auch mit den Redaktionen verschiedener Zeitung überall auf der Welt. So auch mit der englischen Boulevardzeitung »Sun«. Larry Brent fand, daß der Reporter in seiner fingierten Titelstory über die Ausschreitungen von Lawrence Kent seine Sache gut gemacht hatte. Die Geschichte würde ihren Zweck erfüllen. Der Köder war gelegt. Jetzt mußte Crowley nur noch anbeißen. Und wenn er es tat, darauf basierte Brents Plan, würde er sich hoffentlich persönlich der Sache annehmen und nicht wieder aus der Ferne agieren. In der Villa, die in einer ruhigen Gegend an der Peripherie Londons lag und einem Gönner der PSA gehörte, brannte Festbeleuchtung. Man sollte sehen, daß jemand zu Hause war. X-RAY-3, nun wieder in der Maske von Lawrence Kent, strich immer wieder an den Fenstern des Hauses vorbei, um auch von draußen gesehen zu werden. Das war nicht ganz ungefährlich, aber Larry glaubte nicht, daß Crowley ihn mit einer Kugel aus dem Hinterhalt ins Jenseits befördern würde. Nein, der Hexenmeister war sicher ehrgeizig genug, selbst Hand anzulegen. Oder der Hinrichtung zumindest selbst beizuwohnen. Larry Brents Erfolge basierten nicht zuletzt auch auf der Tatsache, daß er sich ausgezeichnet in die Gedanken seiner Gegner einfinden und ihre Beweggründe nachvollziehen konnte. Diese Gabe war es unter anderem, die ihn zu dem machte, was er war: der beste Mann der PSA. Obwohl X-RAY-3 innerlich auf einen Angriff vorbereitet war, wurde er doch überrascht von der Plötzlichkeit, mit der die Attacke erfolgte. Überall im Erdgeschoß der Villa zerbarsten gleichzeitig die Fensterscheiben unter der Wucht anprallender Körper. Wolken aus Splittern und Scherben lagen in der Luft, und X-RAY-3 riß unwillkürlich schützend die Arme vors Gesicht. Als er sie wieder herunternahm, erkannte er, wie Rowan
Crowley gegen Lawrence Kent vorzugehen gedachte. Sechs Männer hatten um den maskierten PSA-Agenten herum Aufstellung genommen, unter ihnen auch jener, dessen Wiedergeburt Larry in dem Kellergewölbe miterlebt hatte. Sie fixierten Brent aus glanzlosen Augen. Der Eindruck drängte sich auf, daß sie ihn gar nicht wahrnehmen. Daß dem nicht so war, bewiesen die sechs Untoten schon in der nächsten Sekunde. Mit tödlicher Präzision setzten sie sich in Bewegung. Mit ausgestreckten Armen kamen sie auf Larry Brent zu, um ihm im wahrsten Sinne des Wortes an die Kehle zu gehen! Flirrende Lichtfinger schnitten durch den Raum. Wie hingezaubert lag die Smith & Wesson Laser in Larrys Hand. Blitzschnell hatte er sie aus dem Holster unter dem Hausmantel gezogen und gegen die Wiedergänger gerichtet. Sechsmal traf der blitzende Strahl sein Ziel. Und wie XRAY-3 es erwartet hatte, reichte die Macht des Feuers aus, die Untoten ein für allemal dorthin zu schicken, wohin sie gehörten – ins Jenseits. Aus dem schmerzerfüllten Gurgeln der sechs Zombies wurde ein erlöstes Seufzen, als sie zu Boden gingen, um nie mehr aufzustehen. Ihr Herr und Meister jedoch war noch nicht auf dem Plan erschienen. Und auch mit den menschlichen Dienern Crowleys mußte Larry Brent noch rechnen. Wie ein Kreisel wirbelte er um die eigene Achse, sicherte nach allen Seiten, um vor bösen Überraschungen gefeit zu sein. Und doch traf ihn der nächste Angriff unvorbereitet. Crowley schlug wieder aus dem Nichts zu. Der Schmerz flammte direkt hinter Larrys Stirn auf. Unwillkürlich öffneten sich seine Finger. Die Smith & Wesson Laser polterte zu Boden, und noch in derselben Sekunde sackte XRAY-3 in die Knie. Stöhnend griff er mit beiden Händen an seine Schläfen. Er sammelte all seine Kräfte, um seinen Geist
gegen die Psycho-Attacke abzuschirmen, die fremde Kraft aus seinem Kopf zu drängen. Aber der tobende Schmerz machte eine Konzentration beinahe unmöglich. Es war ein unsichtbares Ringen, das hier stattfand, und das Larry Brent alles abverlangte. »Wer bist du, Lawrence Kent? Wer bist du wirklich?« hörte er die Stimme in seinem Rücken. Unter Höllenqualen drehte Larry sich um. Crowley war unter der Eingangstür erschienen. Und er war nicht allein. In seinem Griff hing eine junge Frau, die völlig apathisch wirkte, der Welt und dem Leben entrückt. Hätte Crowley sie losgelassen, wäre sie zu Boden gestürzt. Und vermutlich hätte sie es nicht einmal gespürt. »Ich bin dein Ende, Crowley«, ächzte X-RAY-3. Hohngelächter traf ihn wie ein Schwall eiskalten Wassers. »Du bist der Macht der Crowleys und Rha-Ta-N'mys nicht gewachsen, Wurm! Verrate mir deinen wahren Namen – und dann stirb!« brüllte Crowley. Larry hatte bereits vermutet, daß die junge Frau Crowleys Schwester Larissa war. Er bediente sich also in der Tat ihrer Kräfte, benutzte seine eigene Schwester wie ein Werkzeug. Die Verachtung, die er Rowan Crowley ohnehin schon entgegenbrachte, steigerte sich noch. Der Druck hinter Larry Brents Stirn war ein klein wenig schwächer geworden. Offenbar hatte Crowley gewisse Schwierigkeiten in die Psyche einer Person einzudringen, deren Identität ihm nicht ganz klar war. Und außerdem, so erkannte der PSA-Agent, konnte Crowley sich auf einen Gegner weniger gut konzentrieren, sobald er mit Worten abgelenkt wurde. Darauf baute Larry Brent alias X-RAY-3 seinen Plan auf. »Mein Name ist Lawrence Kent. Und meine Aufgabe ist es, solche Kreaturen wie dich zur Hölle zu schicken«, knurrte der
PSA-Agent. Wieder lachte Crowley hämisch. Sein unsichtbarer Griff lockerte sich noch eine Spur. Larry bemühte sich, ihn vollends abzustreifen. »Zur Hölle?« spottete Crowley. »Sie ist mein Ziel, Kent. Ich habe Freunde dort. Mächtige Freunde sogar!« In diesem Moment jagte ein gleißender Blitz quer durch den Raum. Direkt auf Crowley zu. Und dann überschlugen sich die Ereignisse! Die Zeit schien für einen Moment einzufrieren. Der Laserstrahl hing förmlich in der Luft, hatte Crowley fast erreicht, der dem Verhängnis aus geweiteten Augen entgegenstarrte. Unheimliche, unsichtbare Kräfte aus einer jenseitigen Dimension wurden in diesem Augenblick wirksam. Aus dem Nichts heraus erschien hinter Crowley und seiner Schwester plötzlich eine dunkle Wolke, die rasend schnell an Substanz gewann – und die Form einer gigantischen Fledermaus annahm. Die Gestalt der Fledermaus währte nur Sekunden. Dann veränderte sich das Aussehen der Erscheinung. Ein seltsames Gemisch aus riesigem Greifvogel, Spinne und urweltlicher Echse wurde daraus, ein bizarr geformter, riesenhafter erschreckender Schattenkoloß, der den Raum bis zum Bersten ausfüllte. In ihrer blitzschnellen Wandlungsfähigkeit – ob kontrolliert oder ungewollt – schien Rha-Ta-N'my in ihrer Schattengestalt hunderte, ja tausende ihrer Inkarnationen zu zeigen. Die Dämonengöttin hatte ihren Schatten in die Welt geschickt, um ihren Diener zu beschützen! Leben kam in das schwarze Etwas. Es schlug mit den Flügeln, und im gleichen Moment raste auch der Laserblitz weiter. Doch da hatte sich eine der Schwingen bereits zwischen den heranrasenden Strahl und Crowley geschoben. Der Blitz traf auf den Schattenflügel Rha-Ta-N'mys, ohne ihn durchdringen zu können. Das Echo eines fürchterlichen Brül-
lens rollte durch die Villa und ließ das Gebäude in seinen Grundfesten erbeben. Risse zogen sich über Wände und Decke, Staub rieselte zu Boden. Noch bevor Larry Brent, nun wieder ganz Herr seiner Sinne, nach seiner Waffe greifen konnte, umschlang der Schatten mit beiden Flügeln die Gestalt des Großmeisters – und nahm ihn mit. Von einem Augenblick zum nächsten war die riesenhafte Fledermaus verschwunden. Und mit ihr Rowan Crowley. Nur Larissa blieb zurück. Reglos lag sie am Boden. Während Larry noch mit den Nachwirkungen des PsychoAngriffs zu kämpfen hatte, schwang sich Iwan Kunaritschew zum Fenster herein, von dem aus er auch auf Crowley geschossen hatte, und eilte zu der jungen Frau. Er fühlte nach ihrem Pulsschlag. Nichts. »Sie ist tot, Towarischtsch«, sagte er. »Fast hätte ich ihr Schicksal geteilt, Brüderchen, weil du dir soviel Zeit lassen mußtest, bis du endlich eingegriffen hast«, brummte Larry, der natürlich wußte, daß sein Freund nicht absichtlich so lange auf sich hatte warten lassen. Der Russe mimte den Zerknirschten. »Tut mir leid. Aber ich wurde aufgehalten. Ich mußte erst Crowleys Jünger schlafen legen.« Er wies mit dem Daumen nach draußen, wo sich auf dem Rasen sechs dunkle Schatten abzeichneten. Crowleys Helfer, darunter auch Joe »Spark« Drake. Ob sie für ihr Tun verantwortlich gemacht werden konnten oder nur unter Rowan Crowleys Einfluß gestanden und gehandelt hatten, mußten andere klären. »Das Kapitel Rowan Crowley ist noch nicht zu Ende, Brüderchen«, vermutete Larry Brent schließlich. »Rha-Ta-N'my hat an dem Burschen offensichtlich einen Narren gefressen, sonst hätte sie ihn wohl nicht zu sich geholt.« Iwan Kunaritschews Blick verfinsterte sich. »Und der Bursche dürfte in Zukunft gefährlicher sein als je zuvor. Wie es
aussieht, hat er sich die Kräfte seiner Schwester nämlich kurzerhand einverleibt.« Die beiden PSA-Agenten sahen hinab auf das Mädchen. Larissas Gesicht erschien im Tod seltsamerweise lebendiger als zuvor. Friedlich. Als wäre sie von einem Fluch erlöst worden … Larry und Iwan wußten jedoch: Sie hatten diesmal nur eine Schlacht gewonnen – und keinen Krieg. Die Begegnung mit Rowan Crowley war weiterhin ein Fall für die PSA, blieb ein rätselhafter Fall für die Geheimarchive. Für immer ungelöst? Das war eine Frage, die erst die Zukunft beantworten konnte … ENDE