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Die einzigartige britische Fernsehserie jetzt als Goldmann Taschenbuch! Der phantastische Dr. WHO mit seinem unmöglichen Raumschiff auf Abenteuersuche im Weltall! Die Tardis landet im London der Zukunft – einer Stätte des Grauens und der Verzweiflung. Denn Die Stadt wird von den Daleks beherrscht! Der Doktor und seine Gefährten schließen sich einer Widerstandsgruppe an, aber nach einem mißlungenen Angriff auf ein Dalek-Raumschiff müssen die Widerstandskämpfer fliehen. Auf ihrer lebensgefährlichen Flucht gelangen sie schließlich in das geheime Operationszentrum der Daleks – und dort erfahren sie auch den wahren Grund für das Komplott der Daleks! DEUTSCHE ERSTAUSGABE
Aus der Reihe Dr. WHO sind im Goldmann Verlag erschienen: Dr. WHO und die Invasion der Daleks David Whitaker • 23611 Dr. WHO und das Komplott der Daleks Terrance Dicks • 23612
TERRANCE DICKS
UND DAS KOMPLOTT DER DALEKS
GOLDMANN VERLAG
Deutsche Erstausgabe Aus dem Englischen übertragen von Bettina Zeller Originaltitel: Dr. Who and the Dalek Invasion of Earth erschienen bei Target Books, W. H. Allen & Co
Der Goldmann Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann Made in Germany • 9/89 • 1. Auflage © des Romans 1977 by Terrance Dicks and Terry Nation © der Serie »Dr. Who« 1963, 1964, 1977 by British Broadcasting Company © der deutschsprachigen Ausgabe 1989 by Wilhelm Goldmann Verlag, München Umschlaggestaltung: Design Team München Satz: Fotosatz Glücker, Würzburg Druck: Eisnerdruck, Berlin Verlagsnummer: 23612 Lektorat: Christoph Göhler Redaktion: Antje Hohenstein Herstellung: Peter Papenbrok ISBN 3-442-23612-6
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Rückkehr zum Terror Durch die Ruinen einer Stadt tappte die Ruine eines Mannes. Seine Kleider waren zerlumpt und schmutzig, sein aufgequollenes Gesicht fleckig und krank. Auf seinem Kopf saß ein schimmernder Metallhelm. Der Mann bewegte sich steif und ruckartig wie ein Roboter und genau das war er geworden. Der Robotermann marschierte durch das gewaltige Donnern einer Stadt, die einmal groß gewesen war, ein passender Bewohner einer alptraumhaften Landschaft. Nach einiger Zeit stieß er auf den Fluß, einen trägen, von Schutt verdeckten, verseuchten Strom, auf dem früher einmal große Schiffe gefahren waren. Er beschleunigte seinen Schritt, denn er hoffte, daß das Wasser das liefern könnte, was er suchte – die Möglichkeit, eine Existenz des Elends und der Qual zu beenden. Als er einen Durchlaß im Uferdamm fand, marschierte er steif hindurch und sprang in das Wasser, das unter ihm floß. Er fiel wie ein Klotz oder ein Stein und unternahm keinen Versuch, sich selbst zu retten. Von dem Gewicht des Helms nach unten gezogen, sank sein Kopf unter die schmutzige Wasseroberfläche. Die Art, wie er seinem Tod entgegenging, war unmenschlich, aber er war auch seit langer Zeit nicht mehr wirklich menschlich gewesen. Nicht weit entfernt, auf den mit Schutt übersäten Überresten eines ehemaligen Baugeländes, geschah gleichzeitig etwas sehr Seltsames. Ein pfeifendes, ächzendes Geräusch war zu hören, und plötzlich materialisierte sich aus der dünnen Luft eine quadratische, blaue Telefonzelle, auf deren Oberseite ein Blaulicht hektisch blinkte. 7
Das Innere der Kabine war noch seltsamer. Da gab es einen großen, strahlend hell erleuchteten, ultramodernen Kontrollraum. Im Zentrum stand ein vieleckiges Betriebspult, dessen Oberfläche mit einer komplexen Ansammlung von Knöpfen, Schaltern, Hebeln und Skalen überzogen war. Von der Größe des Kontrollraumes war es klar, daß dies Telefonhäuschen im Innern größer war als draußen. Eine eigenartig zusammengewürfelte Gruppe von Menschen stand um die Mittelkonsole. Der Älteste war ein Mann, der aussah, als sei er ein wenig über sechzig, obwohl er in Wirklichkeit wesentlich älter war. Er trug eine karierte Hose, einen Gehrock und eine lange, schwarze Krawatte. Er hatte wallendes, weißes Haar und ein stolzes, gebieterisches Gesicht, das eine gehörige Portion Rücksichtslosigkeit und Gerissenheit prägten. Das Aussehen der drei anderen Personen war normaler. Da waren ein junger Mann und eine junge Frau, beide ungefähr Mitte Zwanzig, und ein hübscher dunkelhaariger Teenager. Alle drei waren leger gekleidet. Sie trugen die Bekleidung, die gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts auf der Erde üblich war. Der junge Mann hieß Ian Chesterton, die Frau Barbara Wright. Beide waren früher einmal Schullehrer gewesen, obwohl ihnen das weit zurückzuliegen schien. Angestachelt durch ihre Neugier auf die Lebensumstände Susans, des jüngsten Mitglieds der Gruppe, die damals eine ihrer Schülerinnen gewesen war, war Barbara ihr nach Hause gefolgt. Auf dem Weg begegnete sie auf merkwürdige Weise Ian. Zu ihrer Überraschung hatten beide entdeckt, daß Susan mit einem geheimnisvollen, alten Mann, der als der Doktor bekannt war und von dem sie sagte, daß er ihr Großvater wäre, in dieser Notrufzelle zu leben schien. Sie waren danach sogar noch verwirrter, als sie selbst in die Zelle gerieten und entdeckten, daß es sich um ein Schiff aus dem All handelte, das 8
Raum und Zeit in jeder Richtung überwinden konnte. Es wurde Tardis genannt – der Name setzte sich aus den Anfangsbuchstaben von Time and Relative Dimensions in Space zusammen. Kurz darauf hatte eine Reihe beängstigender Reisen durch Zeit und Raum begonnen. Die Tardis hatte viele außerordentliche Qualitäten, aber Steuerpräzision schien nicht ihre Stärke zu sein. Die Versuche des Doktors, sie wieder in ihre eigene Zeit und an ihren Ort zurückzubringen, mündeten nur in einer bizarre Abfolge ungeplanter Ankünfte, manchmal auf außerirdischen Planeten, manchmal auf der Erde, aber immer in der vollkommen falschen Zeit. Sie hatten viele Wunder gesehen und viele seltsame Abenteuer erlebt. Der menschliche Geist ist anpassungsfähig, und so hatten sie sich mittlerweile an ein Leben der Reisen durch Zeit und Raum gewöhnt. Obwohl sie immer noch hofften, die Erde im zwanzigsten Jahrhundert wiederzusehen, kam ihnen ihr altes Leben mehr und mehr wie eine Art Traum vor. Jetzt war die Tardis wieder einmal gelandet. Sie warteten alle mit gemischten Erwartungen und Besorgnis darauf, festzustellen, was dieses Mal vor ihnen lag. Außerdem waren sie, zum außerordentlichen Ärger des Doktors, ziemlich skeptisch, als er ihnen wieder einmal versicherte, daß sie wieder auf der Erde und im zwanzigsten Jahrhundert sein würden. »Lassen Sie uns einen Blick auf den Scanner werfen«, schlug Ian vor. Der Doktor schaltete ein, und sie sahen alle gebannt auf den Sichtschirm. Das Bild war dunkel und verschwommen wie das eines alten Fernsehers in einem schlechten Empfangsbereich. »O Gott, o Gott, es ist nicht scharf«, murmelte der Doktor gereizt. »Es ist überhaupt nicht scharf.« Er funkelte sie anklagend an, als ob all das ihre Schuld wäre.
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»Ich frage mich, wo wir wirklich sind«, sagte Ian nachdenklich. Barbara seufzte. »Ich hoffe, irgendwo, wo es ruhig und friedlich ist.« Aus bitterer Erfahrung wußte sie, daß die Tardis sie bestimmt nicht an einen sicheren Ort gebracht hatte. Susan lächelte sie flüchtig an. »Ja, wir alle könnten einen Urlaub brauchen, nicht wahr?« Barbara warf einen Blick auf das Geflimmer auf dem Scanner. »Ich kann rein gar nichts sehen.« Ian blickte ihr über die Schulter. »Mach dir keine Sorgen, mir ergeht es ebenso.« Der Doktor deutete auf schwerfällige Bewegungen auf dem Bildschirm. »Das da könnte Wasser sein. Vielleicht ein Fluß.« Ian warf ihm einen skeptischen Blick zu, und der Doktor wandte sich eingeschnappt ab. »Susan, vielleicht wärst du so freundlich, mir die Werte der anderen Instrumente zu nennen?« Susan studierte schon die Skalen auf einem der Betriebspulte. »Strahlung Null, Oxygen und Luftdruck normal.« »Normal für wo?« schnappte der Doktor. Er haßte jede Art von Ungenauigkeit, besonders dann, wenn es sich um wissenschaftliche Angelegenheiten handelte. »Normal für die Erde, Großvater«, sagte Susan aufgeregt. »Das hier ist eine typische Anzeige für die Erde.« Der Doktor kräuselte selbstzufrieden die Nase, als ob er die Antwort schon lange gekannt habe. »Ich möchte nicht prahlen, meine Freunde«, sagte er hochmütig, »aber das da draußen könnte vielleicht London sein!« Ian und Barbara tauschten sehnsüchtige Blicke aus. In der Theorie war diese Annahme des Doktors soweit schlüssig. Das da draußen konnte in der Tat das London des zwanzigsten Jahrhunderts sein. Aber laut seiner vorherigen Ausführungen konnte es sich genausogut um einen gefährlichen
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außerirdischen Planeten handeln oder um die Erde in einem vollkommen anderen Zeitalter. Ian wappnete sich. »Nun, worauf warten wir? Lassen Sie uns losgehen und nachsehen.« Barbara stimmte zu. »Doktor, bitte öffnen Sie die Tür. Wir werden es wagen.« Der Doktor schaute noch einen Moment lang beleidigt drein. Dann lächelte er plötzlich charmant. »Ja, aber natürlich, meine Liebe.« Er berührte die Regler, die Tür öffnete sich, und sie alle gingen nach draußen. Sie befanden sich auf einem freien Gelände, das von hohen Gebäuden umgeben war. Vor ihnen fiel der Boden zu einem breiten Fluß hin ab. Überall türmten sich Berge von Baumaterial, riesige Haufen von Backsteinen, Bauholz und Stahlträgern. Viele Stapel waren teilweise ins Rutschen geraten – einer, der unmittelbar in der Nähe der Tardis aufragte, war in einem besonders gefährlichen Zustand. In den Augen des Doktors blinkte ein ironisches Glänzen, als er Chesterton ansah. »Nun, da sind Sie, mein Junge endlich zu Hause. Da ist die Themse.« »Wir haben einen ganz schönen Umweg zurückgelegt, Doktor.« Der Doktor nickte. »Und sind mehr durch Glück denn durch wissenschaftliche Überlegungen angekommen«, sagte er in einem seiner entwaffnenden Anfälle von Ehrlichkeit. Er musterte unangenehm berührt den überall verstreuten Schutt. »Das hier ist ein ziemlich grauenhaftes Durcheinander, nicht wahr?« Barbara nickte zustimmend. Das war kein besonders hübscher Fleck für eine Heimkehr. Aber zumindest war es die Erde. »Was meinen Sie, wo wir sind, Ian?«
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»Sieht nach einem Baugelände aus, unten bei den Docks. Es wirkt alles ganz schön ausgestorben. Wir könnten den Fluß entlanggehen, dann müssen wir ja ins Zentrum von London kommen, und dort werden überall Menschen sein.« Ian und Barbara begannen Pläne zu schmieden, wie sie ihre Wohnungen und ihre Freunde wiederfinden könnten. Der Doktor beobachtete sie stirnrunzelnd. Er fuhr mit seiner Hand an dem nächstliegenden Träger entlang und untersuchte sie dann. Seine Finger waren dick mit Rost überzogen. Das Stirnrunzeln des Doktors vertiefte sich. Baumaterial war kostbar. Man ließ es nicht draußen im Freien ungenutzt verfallen. »Ich frage mich, in welchem Jahr wir sind«, murmelte er. Ian bemerkte den besorgten Ton. »Was ist los, Doktor?« »Äh? Oh, ich habe mir nur um den Zeitfaktor Sorgen gemacht, mein Junge.« »Nach all unseren Reisen werden wir doch nicht wegen einem Jahr mehr oder weniger kleinlich werden!« Der Doktor rieb sich mißmutig die Nase. Trotz all ihrer Erfahrungen, die sie erst vor kurzem gemacht hatten, erkannten diese jungen Leute die Gefahren und Widersprüche bei Reisen durch die Zeit nicht. Angenommen, sie treffen ihre eigenen Großeltern, die immer noch Kinder sind? Oder noch schlimmer, wenn sie zu einem Zeitpunkt angekommen wären, an dem ihre ganze Familie und ihre Freunde längst tot sind? Er behielt diese düsteren Gedanken für sich und sagte: »Um Ihretwillen hoffe ich, daß wir Ihrer Zeit sehr nah sind. Aber behalten Sie in Erinnerung, daß wir Anfang des neunzehnten Jahrhunderts angekommen sein könnten oder im fünfundzwanzigsten Jahrhundert!« Barbara weigerte sich, entmutigt zu sein. »Nun, es ist immerhin London. Da gibt es kein Vertun, ich kann es in der Luft riechen«, rief sie vergnügt.
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Plötzlich stellten sie fest, daß Susan nicht mehr bei ihnen war. Die Konversation der Älteren hatte sie gelangweilt, und so war sie entwischt. Ian suchte erfolglos die Umgebung nach ihr ab. Dann kam es ihm in den Sinn, einmal nach oben zu schauen. Natürlich war Susan weit über ihren Köpfen und stieg auf einem Stapel Träger nach oben. »Was glaubst du, was du tust?« brüllte er. »Wollte mich nur einmal umsehen. Von dort unten kann ich nicht die geringste Kleinigkeit sehen.« Ian wollte sie gerade herunterkommandieren, als er von dem Doktor abgelenkt wurde, der geheimnisvoll murmelte: »Verfall!« Ian und Barbara starrten ihn an. Der Doktor fuhr fort, als ob er mit sich selbst spreche. »Das war das Wort, nach dem ich suchte Verfall!« Barbara legte eine Hand auf seinen Arm. »Doktor, was macht Ihnen Sorgen?« »Sehen Sie sich all das hier an! Vorbereitungen für irgendeine große Konstruktionsarbeit. Vielleicht eine neue Brücke über den Fluß. Kein kleines Vorhaben. Dennoch ist um uns herum überall der Geruch der Vernachlässigung. Dieser Ort ist verlassen worden und das auch schon vor einiger Zeit.« Ian konnte die Überzeugungskraft dieser Argumente verstehen, aber er wollte es nicht eingestehen, nicht einmal sich selbst gegenüber, daß der Doktor recht haben könnte. Der Gedanke, daß sie nach all dem nicht sicher zu Hause waren, war zu schrecklich, als daß man sich ihm stellen konnte. »Im Baugewerbe herrscht immer ein großes Durcheinander, Doktor«, wandte er wenig überzeugend ein. Der Doktor starrte in den Weltraum, während sein Verstand versuchte, mit den wenigen verfügbaren Beweisstücken das Problem zu lösen. »Vielleicht, mein Junge, vielleicht«, murmelte er. »Und dennoch …«
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Barbara zitterte. Genau wie Ian wollte sie nicht, daß ihre Hoffnungen auf eine sichere Rückkehr weggewischt wurden. »Doktor, Sie verderben alles.« Der scharfe Blick des Doktors wanderte von einem zum anderen. »Es tut mir leid, meine Liebe. Das letzte, was ich tun möchte, ist Ihnen die Heimkehr zu verderben. Aber ich meine, wir sollten vorsichtig sein …« Susans Stimme drang zu ihnen nach unten. »Ich bin jetzt fast ganz oben. Kann trotzdem immer noch nicht viel sehen. Ich werde noch ein bißchen weiter hinaufsteigen …« Während sie sich über ihre eigene Kühnheit freute, kletterte Susan weiter. Plötzlich schwankte der Träger unter ihren Füßen ein wenig. Nervös keuchte sie: »Huch!« Aber der Träger kam wieder ins Gleichgewicht. Sie arbeitete sich an ihm entlang bis an die oberste Spitze des Stapels. Unsicher balancierend stand sie da und starrte schockiert und ungläubig auf den Ausblick, der sich unter ihr ausbreitete. Obwohl sie nicht auf der Erde geboren war, hatte Susan mit dem Doktor dort lange Zeit gelebt. Daher hatte sie auch eine klare Vorstellung, wie London aussehen mußte. Und so traf sie der Anblick der ausgestorbenen, halb zerstörten Stadt ebenso schwer, wie es Ian und Barbara getroffen hätte. Sie fragte sich, wann sie angekommen waren. Vielleicht irgendwann um 1940? Sie wußte, daß London im Zweiten Weltkrieg Schaden erlitten hatte, aber sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals gehört zu haben, daß der Schaden solch ein Ausmaß wie das hier angenommen hatte … Und wie sollte sie Ian und Barbara nun diese Nachricht beibringen? Sie hörte Ian rufen. »Susan, sei vorsichtig! Wie ist es dort oben?« »Scheint niemand in der Gegend zu sein«, rief sie zurück. »Und die ganze Stadt ist …« Der Träger unter ihren Füßen hüpfte zur Seite, und Susan verlor den Halt. Sie griff 14
verzweifelt nach dem nächsten Träger, aber ihre Hand glitt ab, und sie rutschte langsam und polternd an der Trägerseite herunter. Die anderen sahen hilflos und erschrocken zu, wie sie von dem Stapel herunterstürzte und beinah vor ihren Füßen landete. Barbara rannte zu ihr und kniete sich neben sie. Susan rührte sich ein wenig und murmelte: »Zerstört … alles zerstört«, dann fiel sie bewußtlos nach hinten. Barbara tastete ihren Kopf mit geschickten Händen ab. Über Susans Stirn lief ein dünnes Rinnsal Blut. »Beim Herunterfallen hat sie sich den Kopf angeschlagen, aber es scheint keine schwere Verletzung zu sein. Sie wird bald wieder auf den Beinen sein.« Der Doktor blickte auf Susan hinunter und versteckte seine Betroffenheit hinter einer irritierten Miene. »Sie wird wieder herumspringen«, sagte er mißbilligend und vergaß, daß er selbst sein ganzes Leben damit verbracht hatte, in einem weitaus größeren Maßstab herumzuspringen. Ian half Barbara, Susan aufzusetzen. »Dummes Kind«, murmelte er, und das klang wieder sehr nach dem Schullehrer, der er einmal gewesen war. »Sie hat Glück, daß es nicht schlimmer gekommen ist…« Der Doktor legte eine Hand auf den nächstliegenden Träger. Er vibrierte. »Ich habe aber Angst, daß es doch schlimmer ist«, sagte er eindringlich. »Dieser Stapel war genau ausbalanciert, und Susan hat das Gleichgewicht ins Wanken gebracht.« Sie starrten nach oben und sahen einen riesigen Stahlträger, der wie eine Wippe quer über einigen anderen lag und sich langsam zur Seite neigte. Es gab ein donnerndes, quietschendes Geräusch, als der ganze Stapel sich zu bewegen begann. Susans Sturz, der doch so harmlos gewesen war, hatte die Wirkung eines Schreis, der eine Lawine auslöst. »Der ganze Platz geht zum Teufel«, schrie Ian. »Machen wir, daß wir von hier verschwinden.« 15
Der Doktor hatte schon den einzigen sicheren Unterschlupf ausgemacht – den Torbogen eines halbfertigen Gebäudes in ihrer Nähe. »Kommen Sie schon«, rief er. »Hier herüber.« Ian und Barbara, die Susan in ihrer Mitte stützten, folgten ihm. Unter dem schützenden Torbogen beobachteten sie den Einsturz des riesigen Stapels von Eisenträgern. Es war ein beeindruckendes Spektakel, das von ohrenbetäubendem Metallklirren und Staubwolken begleitet wurde. Der letzte Träger fiel klappernd zu Boden, und dann breitete sich ein eisiges Schweigen aus. Hustend und würgend warf der Doktor einen Blick nach draußen. »Sind alle in Ordnung? Wunderbar!« Er schien von dem Abenteuer sehr erregt zu sein. »Es geht uns allen gut«, sagte Ian. »Was ist mit der Tardis?« Der Doktor lächelte selbstgefällig. »Wie oft muß ich Ihnen erzählen, Chesterton, mein Junge, daß die Tardis unzerstörbar ist?« Der Staub setzte sich langsam, und der Doktor verließ den schützenden Torbogen und arbeitete sich langsam zur Tardis vor. Plötzlich rief er mit besorgter Stimme. »Das Schiff, Chesterton, das Schiff.« Ian rannte auf ihn zu und hielt dann entsetzt inne. Die Notrufzelle war immer noch sichtbar aber nur gerade eben so. Ein undurchlässiges Gewirr aus verbogenen Stahlträgern blockierte den Schiffseingang. Die Tardis war tatsächlich sicher aber sie konnten nicht wieder hinein.
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Der Robomann Verärgert begann der Doktor, an einem der querliegenden Träger zu zerren. Ian kam ihm zur Hilfe, aber sie vergeudeten nur ihre Kraft. Ian zuckte mit den Schultern und gab auf. Er trat zurück und wischte sich die Hände ab. »Wir werden Hilfe brauchen, um den Platz hier freizuräumen, Doktor. Es ist besser, wir versuchen jemanden zu finden.« Der Doktor bewegte sich nicht. Er stand da und starrte den verbogenen Trümmerhaufen an. Gedankenverloren rieb er an seinem Kinn. »Denken Sie daran, wo wir uns befinden, Chesterton.« »Wir sind in London – o ja, ich verstehe, was Sie meinen. Die Leute werden uns fragen, warum wir ausgerechnet in diese Telefonzelle wollen.« »Paradox, nicht wahr?« Der Doktor inspizierte immer noch die Trümmer. »Tja, so wie ich es sehe, stellt dieser Träger da das Hauptproblem dar. Wenn wir den verrücken, könnten wir die Tür des Raumschiffs weit genug öffnen, um uns hineinzuzwängen.« Ian schaute den Träger an. Glücklicherweise war dieser eine dünner als die anderen. »Ich könnte ihn mit einem Schweißbrenner durchschneiden.« »Leichter gesagt als getan, mein Junge. Man kann Maschinen und Werkzeug nicht einfach herbeipfeifen, wenn man sie braucht.« Gespannt und mit äußerst ärgerlicher Miene schaute der Doktor Ian an. Er erweckte den Eindruck, als ob er bereits die Antwort auf das Problem gefunden habe und nur darauf warte, ob Ian selbst darauf kommen würde. Da Ian den spitzfindigen Verdacht hegte, daß der Doktor trotzdem keine Idee hatte, was als nächstes zu tun sei, fand er dessen Haltung besonders ärgerlich. Ian blickte sich um. »Das Gebäude dort 17
drüben sieht aus wie ein Warenhaus. Vielleicht finden wir drinnen etwas. Selbst ein paar Brecheisen könnten hilfreich sein.« Enttäuscht schüttelte der Doktor den Kopf, so wie ein Lehrer, den sein Lieblingsschüler im Stich gelassen hat. »Ich bin von Ihrem Optimismus beeindruckt, mein Junge. Aber rohe Gewalt wird diesen Träger nie im Leben verrücken. Nein, ein Schweißbrenner lautet die richtige Antwort.« Ian platzte der Kragen. »Einer Sache bin ich mir sicher, Doktor«, schnauzte er. »Wir werden gar nichts erreichen, wenn wir hier nur herumstehen. Und wir müssen in der Lage sein, in die Tardis zu gelangen, bevor wir überhaupt damit anfangen, uns umzusehen – nur für den Fall, daß wir in Schwierigkeiten geraten.« Der Doktor war ziemlich gelassen. »Gut, gut, Chesterton«, nickte er anerkennend. »Eine sehr intelligente Beobachtung.« Der Lieblingsschüler machte sich deutlich besser. Ian öffnete den Mund, um ein paar scharfe Worte zurückzugeben, als der Doktor seine Stimme senkte und sich mit ihm ein Stück von den Mädchen entfernte. »Ich habe ein Gefühl, Chesterton, eine Intuition, wenn es Ihnen gefällt, daß wir uns nicht in Ihrer Zeit befinden.« Eine Welle der Enttäuschung überrollte Ian, und das um so stärker, weil er sich eingestehen mußte, daß dieser Verdacht berechtigt war. »Nur ein Gefühl, Doktor?« fragte er und gab trotz allem die Hoffnung nicht auf. Der Doktor schüttelte den Kopf. »Nehmen wir einmal alles zusammen, was wir bisher gesehen haben, mein Junge. Wir sind hier an der Themse. Wir sind schon eine ganze Weile hier. Und was haben wir gehört? Nichts. Kein Vogelgesang, keine Stimmen, keinen Schiffsverkehr, nicht einmal das Läuten des Big Ben. Nur eine unheimliche Stille.« In dieser Zusammenfassung ihrer Eindrücke erkannte Ian die Wahrheit. Abgesehen von den Geräuschen, die sie selbst 18
gemacht hatten, war da außer Totenstille nichts gewesen. Mit wachsender Besorgnis folgte er dem Doktor zurück zu den beiden Mädchen. Susan versuchte mit Barbaras Unterstützung aufzustehen. »Oh, mein Fuß!« Sie sank zu Boden und schaute ängstlich zum Doktor auf. »Es tut mir leid, was passiert ist.« Der Doktor rieb sich mit der für ihn typischen Geste die Nase und zeigte keinerlei Anzeichen seiner Erleichterung, daß Susan nicht schwer verletzt war. »Oh, du setzt dich auf und nimmst Notiz, nicht wahr?« »Es scheint keine gebrochenen Knochen zu geben«, sagte Barbara beruhigend. »Nur eine kleine Verstauchung.« Susan schaute immer noch den Doktor an. »Sei bitte nicht böse. Es ist ja trotz allem kein wirklicher Schaden entstanden.« »Oh, ist er nicht. Sieh dir nur einmal das ganze Durcheinander vor dem Schiff an. Wir können nicht hinein.« Susan sah aus, als ob sie jeden Moment in Tränen ausbrechen würde. Eilig erklärte Ian: »Wir werden einen Blick in das Lagerhaus dort drüben werfen und nachsehen, ob wir ein paar Werkzeuge finden können.« Barbara blickte besorgt drein. »Können wir nicht alle gehen?« Susan versuchte wieder aufzustehen und brach dann unter Schmerzen zusammen. »Mein Knöchel scheint schlimmer geworden zu sein. Alles schwillt an.« Ian sagte: »Ich fürchte, damit ist die Entscheidung gefallen. Wir werden so schnell wir können zurück sein.« Unglücklich beobachtete Barbara, wie sich Ian und der Doktor entfernten. Sie drehte sich wieder Susan zu, die ihre Socke herunterrollte. »Der Knöchel hier sieht geschwollen aus, nicht wahr? Kannst du deine Zehen bewegen?« Susan wackelte versuchsweise. »Ja, alles ist gut, bis ich mein ganzes Gewicht darauf verlege. Ich habe ihn einfach ein bißchen verdreht, das ist alles.« 19
Barbara ließ ihren Blick zum Fluß schweifen. »Ich denke, ich gehe los und tränke mein Taschentuch mit Wasser, als eine Art Kompresse. Das könnte ein wenig Erleichterung verschaffen.« Susan quälte sich schon auf die Füße. »Sie lassen mich hier nicht allein«, sagte sie bestimmt. »Wenn Sie mir helfen, dann kann ich sicher auch gehen.« Zur Unterstützung legte sie ihren Arm um Barbaras Schultern, und sie begannen auf das Wasser zuzuhumpeln. Als sie den Uferdamm erreicht hatten, war Susan erschöpft. Sie hielten oberhalb der Stufen an, die zum Wasser hinunter führten, und setzten sich, um sich auszuruhen. Barbara sah sich um. »Es ist viel zu ruhig. Kein Verkehr … das ist nicht meine Zeit, Susan. Es kann nicht sein.« Susan gelang es zu lächeln. »Tja, zurück zur Tardis und schon sind wir wieder weg – sobald wir die Tür öffnen können.« Sie sah die Traurigkeit in Barbaras Gesicht. »Es tut mir leid, daß Sie immer noch nicht zu Hause sind.« Dann fügte sie ehrlich hinzu: »Es tut mir für Sie leid, aber nicht für mich. Ich denke, ich bin egoistisch, aber ich möchte einfach, daß wir alle zusammenbleiben.« Barbara umarmte sie tröstend. »Nein, natürlich nicht.« Susan schaute auf den ruhig dahinströmenden Fluß. »Ich glaube, Ihre Zeit muß lange vorbei sein. Wir können nicht erwarten, daß die Dinge so bleiben, wie sie sind. Sie müssen sich verändern, oder nicht?« »Ich denke schon«, sagte Barbara traurig. »Vielleicht ist London ausgestorben. Oder vielleicht haben sie es zusammen mit dem Lärm dem Erdboden gleichgemacht. Du bleibst hier, ich werde hinuntergehen und etwas Wasser holen.« Barbara ging die Stufen hinunter zum Ufer des Flusses und zog ihr Taschentuch heraus. Sie legte sich hin, streckte den Arm aus und war so gerade eben in der Lage, ihr Taschentuch
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in das trübe Wasser zu tauchen. Als sie sich aufrichtete, fiel ihr plötzlich etwas auf, und sie sprang schaudernd zurück. Der Körper eines Mannes trieb mit dem Gesicht nach unten im Wasser. Seine Kleider waren zerfetzt und schmutzig, und der Körper, der in ihnen steckte, schien dünn und ausgezehrt. Irgendein unglücklicher Landstreicher, der sich dazu entschlossen hat, allem ein Ende zu setzen, dachte Barbara aber dann bemerkte sie den schimmernden Metallhelm, der seinen Kopf umspannte. Der Körper trieb langsam stromabwärts. Barbara erhob sich und hätte am liebsten das wassergetränkte Taschentuch in den Fluß fallen lassen. Aber sie ermahnte sich selbst, nicht dumm zu sein und fing an, die Stufen hinaufzuklettern. Sie fragte sich immer noch, ob sie Susan davon erzählen sollte, was sie gesehen hatte, als sie oben ankam. Aber da war niemand mehr, dem sie es hätte erzählen können. Susan war verschwunden. Barbara warf wilde Blicke um sich. Susan konnte nicht weggegangen sein, nicht mit dem Knöchel. Sie mußte weggebracht worden sein. Plötzlich spürte sie hinter sich eine zuckende Bewegung. Bevor sie reagieren konnte, klammerte sich eine riesige, dreckige Hand um ihren Mund, und sie fühlte, wie sie weggeschleppt wurde. Der Doktor und Ian mußten um das Warenlager herumgehen, bevor sie auf der Rückseite eine unverschlossene Tür fanden. Knarrend öffnete sie sich und brachte ein Treppenhaus zum Vorschein, das nach oben in die Dunkelheit führte. »Ich werde vorgehen, Doktor«, sagte Ian entschieden. Er ging zuerst die Treppe hinauf. »Bleiben Sie dicht hinter mir und seien Sie vorsichtig.« Er hörte die erboste Stimme des Doktors hinter sich. »Ich bin kein Schwachsinniger, wissen Sie, Chesterton.« Ian lächelte in sich hinein. Es würde dem Doktor guttun, wie ein
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Kind behandelt zu werden – so bekam er seine eigene Medizin zu spüren. Auf halber Höhe machte Ian eine Pause und rief: »Hallo! Hallo … ist da jemand?« Seine Stimme hallte in der Stille wider, und er kletterte weiter. Die Treppe führte in einen langen, düsteren Gang, auf den mehrere Türen mündeten. Die nächste auf ihrer rechten Seite stand einladend offen, und Ian und der Doktor traten ein. Aber weil sie sich auf das konzentrierten, was vor ihnen lag, bemerkte keiner von beiden, daß weiter unten im Gang eine Tür von einer vorsichtigen Hand leicht geöffnet wurde. Jemand beobachtete sie durch den Spalt hindurch. Sie befanden sich in einem langen, hohen Lagerraum, der bis auf ein paar verstreute Kisten und Schachteln und einen altmodischen Rollschreibtisch in der gegenüberliegenden Ecke leer war. Ian sah sich um. »Also, hier ist nichts.« Der Doktor stimmte zu. »Ich fürchte, dieses Haus ist schon vor einiger Zeit verlassen worden.« Auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers waren die Fenster geschlossen, und Ian öffnete sie. Als die Fensterläden zurückflogen, quoll Sonnenlicht in den staubigen Raum. Ian warf einen Blick aus dem hohen Fenster; seine Augen weiteten sich, als er das Panorama des zerstörten London vor sich sah. Unten floß der Strom träge durch eine Wüste aus halbzerstörten Gebäuden. »Doktor«, rief er, »kommen Sie herüber und sehen Sie.« Bei dem Ausblick schüttelte der Doktor traurig den Kopf. »Genau, wie ich befürchtet habe. Irgendeine unvorstellbare Katastrophe ist über London hereingebrochen.« Ian deutete auf ein Gebäude direkt auf der anderen Seite des Flusses. »Sehen Sie, das Battersea Kraftwerk«, murmelte er benommen. »Es hat nur drei Kamine. Was ist mit den anderen geschehen?«
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Der Doktor musterte die Verwüstung, die sich vor ihnen aufgetan hatte. »Was ist ganz London widerfahren, mein Junge? Das ist die richtige Frage.« Der Doktor ging vom Fenster weg und begann den Schreibtisch zu durchwühlen, auf der Suche nach Hinweisen. Plötzlich sagte er: »Ah!« und hielt triumphierend ein schmutziges Blatt Papier hoch. »Nun, zumindest kennen wir jetzt das Jahrhundert. Hier sind die Überreste eines Kalenders.« Ian rannte durch das Zimmer und riß dem Doktor fast das Papier aus der Hand. Es war wirklich ein Kalender mit einem Muster aus numerierten Quadraten. Ian schaute ungläubig auf die dicken, schwarzen Zahlen, die auf dem oberen Rand standen. »2164« war dort zu lesen. Er starrte die Zahlen an, unfähig zu begreifen, was sie bedeuteten. Langsam dämmerte ihm die Erkenntnis. Er war zweihundert Jahre in seine Zukunft gereist. Tröstend legte der Doktor die Hand auf seine Schulter. »Es tut mir leid, mein Junge, glauben Sie mir. Wir müssen in die Tardis zurück und es noch einmal probieren. Ich werde Sie nach Hause bringen.« Ian war unfähig zu sprechen und nickte bloß. Geräusche vom Fluß lenkten sie plötzlich ab. »Was ist das?« Der Doktor ging zum Fenster hinüber. »Gewehrschüsse! Dann ist die Stadt also doch nicht tot.« »Also, es ist besser, wenn wir schnell mit unserer Suche fortfahren. Es kann doch sein, daß wir etwas finden, was wir brauchen können.« Der Doktor klopfte ihm auf den Rücken. »Das ist die richtige Einstellung, mein Junge.« Sie fingen an, den Raum abzusuchen und wühlten die Kisten und Schachteln durch, von denen die meisten leer oder mit unnützem Krimskrams gefüllt waren.
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Der Doktor zog eine leere Kiste zur Seite, um an einen anderen Stapel zu gelangen und eine Gestalt fiel vor seine Füße auf den Boden. »Chesterton! Hier drüben«, schrie er. Ian kniete sich hin, um die Leiche zu untersuchen, die auf den Rücken gefallen war. Es handelte sich um einen Mann mittleren Alters, dessen Körper ebenso verdreckt und verwahrlost war wie seine Uniform. Eine seltsame, helmartige Vorrichtung umspannte seinen Kopf, ein schimmerndes, metallenes Ding, das Nacken und Kopf bedeckte. Ian blickte auf. »Er ist tot, Doktor. Wozu ist dieses Metallding gut?« Der Doktor beugte sich vor, um besser sehen zu können. »Genau das frage ich mich auch. Es ist nicht zur Zierde da, dessen können wir uns sicher sein.« »Könnte eine Art chirurgischer Vorrichtung sein – als Stütze für einen Schädelbruch oder für ein gebrochenes Genick.« »Dafür ist es zu differenziert«, meinte der Doktor nachdenklich. »Wissen Sie, was ich denke, Chesterton – das da ist ein zusätzliches Ohr, ein Gerät, das Ultrahochfrequenzradiowellen auffängt.« »Eine Art Kommunikationssystem?« »Das oder irgendeine Methode der Funksteuerung …« Ians Blick fiel auf ein paar Dinge, die in dem Gürtel des Toten steckten. Ein Schlagstock und eine Peitsche. Besonders die Peitsche sah fies aus. Er zog sie heraus, ein Ding mit einem kurzen schwarzen Griff und langen, ledernen Peitschenriemen, deren Spitzen mit Blei verstärkt waren. Er reichte sie dem Doktor, der sie mit demselben Widerwillen untersuchte. »Immer schlimmer. Wer immer dieser Kerl auch war, ich bin froh, daß wir ihm nicht über den Weg gerannt sind, als er noch am Leben war.« »Irgendeine Idee, was ihn getötet hat, Doktor?« »Er scheint nicht richtig flach zu liegen. Wenn wir den Körper umdrehen …« Sie drehten die Leiche um. Der schwarze Griff eines Messers ragte unterhalb des rechten 24
Schulterblattes heraus. »Genau wie ich dachte«, sagte der Doktor grimmig. »Er wurde ermordet.« Von draußen drang plötzlich das Geräusch knarrender Dielen in den Raum. Ian griff nach dem Schlagstock, der im Gürtel des toten Mannes steckte und schlich sich verstohlen zur Tür. Er warf einen Blick nach draußen in den Korridor. Der war leer. Zusammen mit dem Doktor, der dicht hinter ihm war, überquerte er den Flur und stieß die Tür des gegenüberliegenden Raumes auf. »Nur ein weiterer Lagerraum und der ist leer.« Sie gingen in den Korridor zurück, und Ian ließ seinen Blick hoch und hinunter schweifen. »Die Geräusche sind von irgendwo anders hergekommen.« Er ging den Gang entlang und versuchte es mit einer anderen Tür. Sie war verschlossen. Ian rammte mit seiner Schulter dagegen, die Tür flog krachend auf, und er spürte, wie er in den leeren Raum stürzte … Schnell packte der Doktor ihn am Mantel und hievte ihn zurück, und sie beide landeten nebeneinander im Korridor. Ian rappelte sich auf und schaute vorsichtig zur Tür hinaus. Früher einmal hatte sie zu einer Holztreppe geführt, die an der Außenseite des Gebäudes hinunterführte. Aber jetzt war die Treppe zerstört, und die Tür öffnete sich ins Leere. Ian half dem Doktor auf die Beine. »Nun, hier entlang dürfte niemand gegangen sein«, erklärte er mit grimmiger Miene. Der Doktor bürstete sich ab. »Nur jemand wie Sie versucht so etwas überhaupt«, erwiderte er säuerlich. »Ich schlage vor, daß wir diese ergebnislose Suche abblasen und zu den anderen zurückkehren.« Es war klar, daß der Doktor genug hatte. Ian hatte selbst große Lust, ihm zuzustimmen. Es schien nicht sehr wahrscheinlich zu sein, daß sie einen funktionierenden Schweißbrenner finden würden, der einfach so herumlag und auf sie wartete. Und vielleicht war es auch keine solch brillante Idee, einem unsichtbaren Mörder nachzujagen. »In Ordnung, 25
Doktor, kommen Sie.« Ian drehte sich um und ging als erster zurück nach unten. Sie hatten die Lagerhaustür erreicht und waren gerade dabei, ins Freie zu treten, als der Doktor Ians Arm packte. »Chesterton, sehen Sie mal!« Der Doktor zeigte mit der anderen Hand nach oben. Ian folgte ihr mit seinem Blick und hielt überrascht die Luft an. Eine fliegende Untertasse, die wie ein Flugzeug aussah, das landen wollte, schwebte tief über den zerstörten Gebäuden. Instinktiv stolperte Ian zurück. Der Doktor murmelte: »Faszinierend, faszinierend«, und trat ins Freie, um einen besseren Blick zu bekommen. Ian packte ihn und zog ihn in die Deckung. Unter dem schützenden Türbogen sahen sie zu, wie die fliegende Untertasse langsam herunterschwebte. Sie sah genauso aus, wie die klassischen fliegenden Untertassen in Science-fiction-Filmen und -Zeichnungen, silbern, eine ovale Form, mit einer Fensterreihe, die an der Außenseite herumlief. Sie gab ein tiefes, brummendes Geräusch von sich, während sie sich bewegte, und verschwand dann hinter ein paar Gebäuden. Verwirrt schüttelte Ian den Kopf. »Zu meiner Zeit gab es Gerüchte über fliegende Untertassen, Doktor. Aber ich habe nie geglaubt, daß ich jemals eine sehen würde und noch dazu aus so kurzer Entfernung wie jetzt.« Der Doktor rieb sich die Hände. »Nun, das klärt eine Frage. Was immer mit London geschehen ist, es wurde nicht von den Menschen auf der Erde verursacht. Das da war ein interplanetarisches Raumschiff, mein Junge. Eine andere Welt hat die Erde überfallen.« »Was den toten Mann erklärt, den wir gefunden haben«, sagte Ian nachdenklich. »Das Ding auf seinem Kopf muß irgendeine außerirdische Kontrollvorrichtung gewesen sein. Und der Schußwechsel, den wir gehört haben, kann nur bedeuten, daß jemand den Invasoren immer noch Widerstand 26
leistet.« Plötzlich alarmiert, schaute Ian den Doktor an: »Barbara und Susan! Wir müssen sie finden und sie vor dem warnen, was hier los ist.« So schnell sie konnten, rannten sie zur Tardis zurück. Barbara und Susan waren nirgends zu finden. Ian suchte das Baugelände ab. »Warum tun sie das?« fragte er ärgerlich. »Warum müssen sie immer irgendwohin gehen?« »Vielleicht hörten sie das Feuergefecht von der anderen Seite des Flusses«, vermutete der Doktor. »Oder vielleicht haben sie die fliegende Untertasse gesehen und sind weggerannt, um sich zu verstecken.« Ian seufzte. »Also, ich schlage vor, daß wir nach ihnen suchen.« Ohne Erfolg suchten sie zuerst das gesamte Baugelände ab, dann begannen sie sich zum Fluß vorzuarbeiten. Oberhalb der Uferdammstufen fanden sie den ersten Hinweis … ein dreckiges, wassergetränktes Taschentuch. Der Doktor nickte leidenschaftlich. Ian fand, daß er in solchen Momenten Sherlock Holmes ähnelte. »So weit, so gut, Chesterton, mein Junge. Sie sind wegen des Wassers hierhergekommen, dann hat ihnen irgend etwas angst gemacht, und sie sind wieder weggerannt.« »Warum sind sie dann nicht zurückgerannt, um uns zu suchen?« Der Doktor runzelte die Stirn, weil die Kette seiner scharfen Folgerungen so abrupt unterbrochen worden war. »Ich kann es nicht erklären«, bellte er. »Wir werden einfach einen größeren Radius absuchen müssen.« Sie drehten sich um, um zu gehen und standen plötzlich vier Männern in Uniform gegenüber, die ihnen den Weg versperrten. Sie waren zerlumpt, ausgezehrt, abgemagert und alle trugen ein schimmerndes Gerät aus Metall auf dem Kopf. In ihren Händen hielten sie Schlagstöcke.
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Ian und der Doktor standen vollkommen still. »Wir werden nicht an ihnen vorbeikommen, Doktor«, flüsterte Ian. »Dann müssen wir die Treppe hinunter.« »Schwimmen?« »Was sonst?« Ian schaute den Doktor an. Trotz all seiner Reizbarkeit war er ein unerschrockener alter Kumpel. »In Ordnung. Sie scheinen keine Waffen zu haben. Zuerst werde ich versuchen, mich mit ihnen zu unterhalten.« Ian rief ein herzliches »Hallo!« Gleichzeitig begannen er und der Doktor die Treppenstufen hinunterzugehen. Die vier Männer folgten ihnen unverwandt. Einer bewegte sich ein paar Schritte vor den anderen. Plötzlich bellte er: »Stop!« Seine Stimme war undeutlich und schleppend, wie eine Platte, die in der falschen Geschwindigkeit abgespielt wird. Während er sprach, hob er ein gezacktes Stück Mauerwerk auf, und die anderen Männer taten es ihm gleich. Ian und der Doktor zogen sich ständig weiter zurück. Als sie nahe am Wasser waren, flüsterte Ian: »Wenn ich das Zeichen gebe, dann drehen Sie sich herum und springen hinein.« »Wann immer Sie wollen, mein Junge.« »Gut – jetzt!« Sie beide drehten sich um und erstarrten verängstigt. Ein Dalek stieg aus dem Wasser auf und kam drohend auf sie zu.
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Die Freiheitskämpfer Als die fliegende Untertasse über sie hinwegflog, flohen Barbara und Susan schon mit einem Mann, der ihnen Tyler als seinen Namen genannt hatte, durch die Ruinen von London. Er sah hart aus, war kräftig, mittleren Alters, und obwohl sein Verhalten kurz angebunden und brüsk war, schien er nicht feindlich gesinnt zu sein. Nachdem er Barbara auf der Treppe gepackt hatte, hatte er sie fast sofort wieder losgelassen und erklärt, daß er nur sichergehen wollte, daß sie nicht schreien würde. Sie hätten überall ihre Patrouillen, und er hatte Susan schon zu einem Versteck getragen, damit sie nicht entdeckt werden konnte. Er hatte Barbara zu Susan gebracht, die unter einem der Brückenbogen lag. Sie war durcheinander und völlig verängstigt. Er hob Susan mit den Armen hoch und trieb beide an, indem er ihnen versprach, sie zu einem sicheren Versteck zu bringen und später zurückzukommen, um ihre Freunde zu holen. Als das Brummen der Untertasse die Luft erfüllte, warf Tyler Susan und sich schnell zu Boden. »Herunter«, flüsterte er heftig. Barbara gehorchte, obwohl sie nicht widerstehen konnte, den Kopf zu heben, um zuzusehen, wie die schimmernde Form der Untertasse wegflog. Dann war Tyler schon wieder auf den Füßen und hob Susan hoch. All ihre Fragen ignorierte er und befahl brüsk: »Wir müssen weitergehen, wir können uns später unterhalten. Wir werden nicht in Sicherheit sein, bevor wir nicht unter der Erde sind.« Tyler trug Susan immer noch und ging voran, zu dem zerstörten Eingang dessen, was einmal eine U-Bahn-Station gewesen war. Er wollte Susan einfach die Stufen hinuntertragen, aber sie wehrte sich so lange, bis er sie 29
herunterlassen mußte. »Warten Sie! Was ist mit meinem Großvater und unserem Freund?« Tyler zuckte mit den Schultern. »Wir werden unser Bestes für sie geben.« Susan war nicht zufriedengestellt. »Das ist nicht das, was Sie zuvor gesagt haben!« Barbara stimmte ein. »Sie haben versprochen, daß Sie die anderen holen würden. Wir wollen nicht getrennt werden.« »Jetzt ist nicht die Zeit, um zu diskutieren«, sagte Tyler wild. »Wenn wir oben bleiben, werden wir alle getötet, und wer wird dann Ihren Freunden helfen? Jetzt kommen Sie schon.« Sie gingen weiter, die Treppe hinunter, Barbara und Tyler hatten Susan in ihre Mitte genommen. Tyler ging voran, staubige stille Gänge hinunter, und dann auf den ehemaligen Bahnsteig. Seltsame Plakate bedeckten die Wände, nicht die normalen Ankündigungen von Filmen, Stücken und Ausstellungen, sondern offizielle Bekanntmachungen in dicken, schwarzen Buchstaben. Barbara blieb stehen, um eine zu lesen. ÖFFENTLICHE WARNUNG. TRINKEN SIE KEIN REGENWASSER. JEDES WASSER MUSS VOR DEM VERZEHR ABGEKOCHT WERDEN. In kleineren Buchstaben war die Bekanntmachung unterzeichnet: Herausgegeben von der Europäischen Notgemeinschaft. Tyler streckte seine Hand aus und drückte auf den Buchstaben I in »nicht«. Ein Stück Wand glitt zurück und brachte einen winzigen Eingang zum Vorschein. Ein wild aussehender, junger Mann tauchte auf, ein Gewehr in der Hand. Tyler sagte: »Okay, David, ich bin es.« David trat zur Seite und Tyler half Barbara und Susan durch den Spalt. Die 30
Tür schloß sich leise hinter ihnen. Sie befanden sich in einem kleinen Vorzimmer, das mit ein paar abgenutzten Tischen und Stühlen möbliert war. Barbara überlegte, daß das wohl ursprünglich ein Aufenthaltsraum für das Personal der Londoner Transportgesellschaft gewesen sein mußte. Dankbar fiel Susan in einen Sessel und rieb sich den Knöchel. Der junge Mann, der David genannt wurde, schaute die beiden Mädchen neugierig an. »Hallo, was hast du denn da ergattert?« In seiner Stimme lag ein leichter schottischer Akzent. »Habe sie gefunden, als ich unten am Fluß herumgestreunt bin. Sitzende Zielscheiben.« Barbara ärgerte sich über seinen verächtlichen Ton. »Wir sind gerade eben erst nach London zurückgekehrt. Wir wußten nicht, daß Gefahr bestand.« Tyler schaute skeptisch. »Haben Sie nicht? Nein, ich denke, Sie haben es tatsächlich nicht gewußt, sonst hätten Sie sich nicht so dumm verhalten.« »Jetzt hören Sie mal zu …«, begann Barbara verärgert. »Sie schleppen uns hierher …« David erhob eine Hand. »In Ordnung, Sie beide, lassen Sie uns nicht miteinander streiten. Jetzt ist es an der Zeit, sich vorzustellen. Sie kennen Jim Tyler schon. Mein Name ist David Campbell.« Sein freundliches Lächeln veränderte das grimmige, junge Gesicht, und Barbara konnte nicht anders, als zurückzulächeln. »Ich bin Barbara, und das hier ist Susan.« »Ich hoffe, Sie können kochen.« Barbara warf ihm einen überraschten Blick zu. »Wie man’s nimmt.« »Gut. Bei uns hier unten sind die Köche etwas knapp … und meine Kochkünste sind grauenhaft.« Er drehte sich wieder Tyler zu; jetzt war er wieder ernst. »Einer der Robomänner hat mich vorhin im Lagerhaus 31
überrascht. Ich mußte mich um ihn kümmern. Es ist besser, wenn wir den Platz nicht mehr als Lager benutzen.« Tyler nickte. »In Ordnung. Erzähl es Dorfman.« Susan war der Unterhaltung nur teilweise gefolgt, aber die Erwähnung des Warenhauses ließ sie aufblicken. »Sprechen Sie von dem Warenlager in der Nähe des Bauplatzes neben dem Fluß?« David nickte. »So ist es. Genau gegenüber dem alten Kraftwerk.« Susan versuchte aufzustehen, aber sie sank wieder zurück und schrie auf wegen des Schmerzes in ihrem Knöchel. »Dann müssen Sie den Doktor und Ian gesehen haben – sie sind dorthin gegangen.« »Da waren zwei Männer – aber ich habe mich vor ihnen versteckt. Ich dachte, daß sie Feinde wären …« Eine Tür öffnete sich, und ein Rollstuhl schoß herein und hielt dann abrupt. In dem Stuhl saß ein Mann mittleren Alters mit einem prägnanten Gesicht, das tiefe Falten durchzogen. Der obere Teil seines Körpers war muskulös und kraftvoll, und er bewegte den Rollstuhl, indem seine großen Hände die Räder anschoben. Aber seine Beine waren offenbar verkümmert und geschrumpft und wurden von einer alten Armeedecke bedeckt. Seine Stimme war tief und befehlend, ohne leidenden Unterton. »Wo, zum Teufel, sind Sie gewesen, Tyler?« Offensichtlich war Tyler an das abrupte Verhalten des Neuankömmlings gewöhnt, und seine Antwort trug dem gleichen Geist Rechnung. »Ich wurde aufgehalten. Bin in diese beiden da gerannt. Was machen Sie hier oben? Sie sollen doch unten in den Betriebsräumen bleiben.« »Ich bin genauso aktiv wie alle anderen, vergessen Sie das nicht.« Tyler grinste. »In Ordnung, Dorfman, in Ordnung.« Irgendwie spürte Susan, daß diese beiden Männer trotz des ärgerlichen Tons, in dem sie miteinander sprachen, alte und 32
enge Freunde waren. Dorfman drehte den Rollstuhl und wandte sich Barbara und Susan zu. »Na ja, wir können wohl noch zwei Paar Hände mehr gebrauchen«, sagte er schroff. David blinzelte Susan zu, als ob er ihr sagen wollte, daß sie sich von Dorfmans brüskem Verhalten nicht stören lassen sollte. »Das hier ist Susan. Und das hier ist Barbara – sie sagt, daß sie kochen kann!« »Gut!« Dorfman starrte Susan an. »Und was kannst du tun?« Susan grinste ihn frech an. »Ich? Ich kann essen.« Einen Moment lang musterte Dorfman sie verblüfft, dann grinste er grimmig zurück. »Nun, denk daran, daß du mir etwas übrig läßt. David, wohin wollen Sie?« Der junge Mann war schon an der Tür. »Diese beiden haben Freunde, immer noch an der Oberfläche. Ich weiß in etwa, wo sie sein könnten – ich dachte, ich geh’ jetzt los und schaff sie hierher.« Dorfman überlegte einen Augenblick und Barbara und Susan hielten den Atem an. Dann nickte er. »In Ordnung. Aber passen Sie auf sich auf und bleiben Sie nicht zu lange weg.« Als David an Susans Stuhl vorbeikam, flüsterte sie: »Danke. Seien Sie vorsichtig.« Nachdem er gegangen war, steuerte Dorfman seinen Rollstuhl auf die Tür zu den Innenräumen zu. »Kommen Sie mit. Es ist besser, wenn wir nach unten gehen.« Er hielt an, als er bemerkte, wie Tyler und Barbara Susan beim Aufstehen halfen. »Was ist mit ihr?« Susan stand humpelnd auf. »Zufällig habe ich meinen Knöchel verstaucht«, fauchte sie bissig. »Machen Sie sich keine Sorgen, ich werde es schaffen. Ich bin genauso aktiv wie alle anderen.«
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Dorfman nickte zustimmend. Es wurde deutlich, daß er Leute mochte, die sich ihm gegenüber behaupteten. »In Ordnung, lassen Sie uns gehen.« Er jagte den Rollstuhl durch die Innentüren, und Tyler, Barbara und Susan folgten ihm. Von Grauen gepackt beobachteten Ian und der Doktor zur gleichen Zeit, wie der Dalek langsam aus dem Wasser stieg und am Ufer entlang auf sie zuglitt. Instinktiv wandten sie sich um, um loszurennen. Aber die grauenhaften Gestalten, die Männer mit den seltsamen Metallhelmen, waren die Treppe heruntergekommen, um ihnen den Fluchtweg abzuschneiden. Der Dalek sprach in dem metallischen, monotonen Ton, an den sich Ian von Skaro1 her erinnerte. »Robomänner! Warum laufen diese Menschen in einer verbotenen Zone frei herum?« Der Anführer der Robomänner erwiderte mit seiner undeutlichen, schleppenden Stimme: »Keine Erklärung.« »Wo ist die Robopatrouille für diesen Abschnitt?« »Nicht bekannt.« »Sie werden diesen Platz übernehmen, bis er gefunden worden ist. Die Menschen werden zum Landegebiet gebracht.« »Daleks«, flüsterte Ian. »Was treiben die hier auf der Erde?« »Überlassen Sie das mir, mein Junge.« Der Doktor marschierte mutig auf den Dalek zu. »Ich fordere, daß Sie uns sofort freilassen.« »Wir lassen Gefangene nie frei.« »Ach ja? Und überhaupt, mit welchem Recht machen Sie denn eigentlich Gefangene?« »Wir sind die Herren der Erde.« Der Doktor schnaubte verächtlich. »Nicht sehr lange, das verspreche ich Ihnen.«
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Aus: »Doktor Who und die Daleks« 34
Der Dalek war über diese Mißachtung erst erstaunt und dann sichtlich erbost. »Sie werden uns gehorchen oder sterben.« Die Drohung ließ den Doktor nur noch ungehaltener werden. »Sterben? Wer sind Sie überhaupt, daß Sie uns zum Tode verurteilen? Das wäre es dann. Egal, was Sie vorhaben, ich werde mich Ihnen in den Weg stellen und Sie bekämpfen.« Der Doktor verschränkte seine Arme und starrte den Dalek herausfordernd an. Ian schloß die Augen und hielt den Atem an. In seinem tiefsten Innern hoffte er, daß der Doktor den Mund hielt. Er war zwar sehr dafür, gegen die Daleks anzutreten, aber er sah keinen Sinn darin, sich selbst auf der Stelle fertigzumachen. Die Worte lösten eine jener typischen Erklärungen aus, eine Mischung aus Drohungen und Prahlereien, die die einzig mögliche Form der Kommunikation zwischen den Daleks und anderen Lebewesen zu sein schien. »Wir haben viele solche Reden von Menschenführern gehört. Alle sind vernichtet worden. Widerstand ist zwecklos. Er muß sofort eingestellt werden.« »Oh, das muß er? Sie erwarten doch sicherlich nicht, daß die Erdenmenschen Sie mit offenen Armen willkommen heißen. So dumm können ja nicht einmal die Daleks sein.« »Die Erde haben wir schon erobert.« »Begreift ihr aufgeblasenen Wichte eigentlich gar nichts? Ihr werdet die Erde niemals erobern, es sei denn, ihr zerstört jedes Lebewesen …« Die Geduld des Daleks war offensichtlich erschöpft. »Ergreift sie! Ergreift sie!« kreischte er. Die Robomänner packten Ian und den Doktor an den Armen und schleppten sie weg. In ihren Ohren hallte die wütende Stimme des Daleks nach. »Wir sind die Herren der Erde. Wir sind die Herren der Erde. Wir sind die Herren der Erde …«
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David Campbell beobachtete aus seinem Versteck ganz in der Nähe hilflos, wie der Doktor und Ian abgeführt wurden. Er war gerade noch rechtzeitig eingetroffen, um ihre Gefangennahme mitzuverfolgen. Da war nur wenig, was er tun konnte, um ihnen zu helfen, nicht bei einer derartig starken Robomannpräsenz. Aber zumindest konnte er herausfinden, wohin sie gebracht wurden. David, der vorsichtig durch die Ruinen schlüpfte, begann mit der Verfolgung der Robomänner und ihrer Gefangenen. »Überlebende von London. Die Daleks sind die Herren der Erde. Ergeben Sie sich jetzt, und Sie werden am Leben bleiben. Alle, die gewillt sind, sich zu ergeben, sollen in die Mitte ihrer Straße treten und die Befehle befolgen, die ausgegeben werden. Gehorchen Sie den Daleks!« Das Radio verstummte. Als Dorfman mit der Faust auf den Tisch schlug, hüpfte und klapperte das Gerät. »Gehorcht motorisierten Mülltonnen! Das werden wir erst noch sehen! Tyler, kommen Sie ins Büro, ich möchte mit Ihnen reden.« Barbara und Susan sahen sich an. Sie waren in einem langen, unterirdischen Raum. Dort war eine Reihe von Tapeziertischen aufgestellt, an denen mehrere Menschen ruhig arbeiteten. Einige reinigten Waffen oder bauten sie zusammen, andere arbeiteten an Funkgeräten und an verschiedenen technischen Apparaten. Eine Ecke war abgeteilt für eine Art Kantine, wo Frauen und Mädchen Essen zubereiteten, und in einer anderen sahen sie ein abgeteiltes Zimmer, in welchem Dorfman gerade eben verschwunden war. Susan fiel auf, daß jeder im Zimmer müde war und ein grimmiges Gesicht machte. Offensichtlich war dieser Raum das Hauptquartier der Widerstandsbewegung gegen die Daleks. Tyler zögerte einen Moment, bevor er Dorfman folgte. Er rief: »Jenny, komm mal einen Augenblick hierher, ja?«
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Ein zierliches, dunkelhaariges Mädchen stand von dem nächstliegenden Tisch auf und kam zu ihnen herüber. Ohne ein Lächeln trat sie zu ihnen, als ob die Unterbrechung ihrer Arbeit sie ärgerte. »Ja?« »Zwei Neuankömmlinge. Sieh doch mal nach, ob du ihnen etwas zu essen besorgen kannst. Eine von ihnen hat einen schlimmen Knöchel.« Das Mädchen musterte Barbara und Susan ohne ein Lächeln. In seiner Miene zeigte sich keine Spur eines Willkommensgrußes. »In Ordnung.« Tyler drehte sich um und wollte gehen. »David wird bald zurück sein. Ich bin sicher, daß er Neuigkeiten über Ihre Freunde haben wird. Vielleicht bringt er sie ja mit.« Er verschwand in Dorfmans Richtung. Jenny fragte brüsk: »Also gut, wer hat den kranken Knöchel?« Susan streckte den Fuß aus. »Das bin ich.« Jenny kniete sich neben ihren Stuhl und untersuchte den Knöchel mit geschickten, aber unsanften Fingern. Sie ignorierte Susans Stöhnen. Gleich darauf richtete sie sich wieder auf. »Nur eine Verstauchung, keine gebrochenen Knochen. Warum hast du keine kalte Kompresse aufgelegt?« »Weil ich eben erst hierhergekommen bin«, sagte Susan temperamentvoll. Sie hatte nicht vor, sich von jemandem herumkommandieren zu lassen, der nicht älter als sie selbst war, und so hatte sie sofort eine Abneigung gegen dieses herrische Mädchen mit dem kalten Gesicht entwickelt. Jenny wandte sich Barbara zu. »Ich werde mich um den Knöchel hier kümmern. Du gehst dort hinüber und holst etwas zu essen. Wenn du schon dabei bist, schreibst du eure Namen für eine Arbeitstruppe auf.« Barbara erwiderte besorgt: »Susan wird nicht in der Lage sein, viel zu tun, nicht, bis es ihrem Fuß wieder besser geht.«
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»Sie kann doch im Sitzen arbeiten, oder nicht? Wir haben hier keinen Platz für nutzlose Mäuler.« Jenny entfernte sich. Barbara warf ihr einen wütenden Blick hinterher. Genau wie Susan konnte sie es nicht ausstehen, herumkommandiert zu werden. Aber sie ermahnte sich, daß sie von diesen Menschen abhängig waren, nicht nur wegen des Essens und der Unterkunft, sondern auch wegen der Hilfe bei der Suche nach Ian und dem Doktor. Es war nicht gut, sie gegen sich aufzubringen – zumindest nicht, bis Susans Knöchel ein wenig geheilt war. Barbara warf Susan ein reuevolles Grinsen zu und schlenderte ergeben los, um das Essen zu holen. Aus dem kleinen Büro drang der Klang von Stimmen, die wütend und laut waren. Niemand schenkte ihnen irgendwelche Beachtung. Das waren nur Tyler und Dorfman, die sich wieder anbrüllten. Daran war jedermann gewöhnt … Dorfman knallte seine Faust auf den Tisch. »Wir müssen sie angreifen, Tyler. Wir müssen jetzt angreifen!« »Das ist ja alles ganz wunderbar. Aber wie? Wir haben ungefähr zwanzig taugliche Männer und Frauen, der Rest sind alte Leute und Kinder.« »Überreichlich!« schnappte Dorfman trotzig. Tyler stöhnte. »Reichlich? Um die Daleks anzugreifen? Erinnern Sie sich an die Kriege im zwanzigsten Jahrhundert, Dorfman, als Männer mit Bajonetten die Posten mit Maschinengewehren angriffen? Sie wurden einfach niedergemäht und in Sekundenschnelle von überlegener Technologie geschlagen. So würde es uns ergehen …« »Halten Sie mir keine Vorträge, Tyler.« »Dann fragen Sie auch nicht nach dem Unmöglichen. Sie sind eine ganze Zeitlang nicht mehr auf den Straßen gewesen. Die Daleks haben die Robopatrouillen verstärkt, ihre Sicherheitsmaßnahmen verschärft. Es kommt einem Selbstmord nahe, heutzutage hinauszugehen.« 38
Dorfman hämmerte gegen die Armlehne seines Rollstuhls. »In Ordnung, ich weiß schon. Ich bin hier drinnen! Ich schicke andere, aber ich selbst muß nicht gehen!« Tylers Ton wurde sanfter. »Das habe ich nicht gemeint, und Sie wissen es. Nun denn, wie geht es mit Ihrer Bombe voran?« Die Ablenkung funktionierte genauso, wie Tyler es sich erhofft hatte. Eifrig rollte Dorfman seinen Stuhl zu einem Tisch in der Ecke des Büros. Dort waren glänzende Glaskugeln auf einer Decke ausgebreitet. »Alles fertig«, sagte er stolz. »Haben Sie sie schon getestet?« »Sie getestet? Die braucht keine Tests; sie ist perfekt. Das hier ist die Bombe, die alle Daleks vernichten wird. Sehen Sie, hier ist der Mantel, der Sprengstoff mit der neuen Formel, der Detonator …« Geschäftig fing Dorfman an, die Funktionen der Bombe zu erklären, an der er so lange gearbeitet hatte. Er war immer noch dabei, als David Campbell einige Minuten später in das Zimmer schlüpfte. David hatte Barbara und Susan beim Hereinkommen gesehen, aber sie hatten ihm den Rücken zugedreht, und so war er in der Lage gewesen, in das Büro zu schleichen, ohne daß sie ihn bemerkt hätten. Dorfman schaute auf. »Wir sprechen gerade den nächsten Angriff durch, David. Wie sind Sie vorangekommen?« »Ich habe ein paar Lebensmittelkonserven mitgebracht. Im Kaufhaus gibt es noch ein paar.« Tyler nickte. »Okay, ich werde die Futtersuchtruppe losschicken. Was ist mit den beiden Fremden?« »Als ich den Uferdamm erreichte, sah ich gerade noch, wie sie weggebracht wurden. Ich bin ihnen ein Stück weit nachgegangen. Wenn man aus der Richtung etwas folgern will, dann brachten sie sie zum Chelsea Heliport, wo die Untertasse der Daleks gelandet ist.« Dorfman zuckte wegwerfend mit den Schultern. »Dann ist das ihr Ende. Wenn die Daleks sie erst einmal in die Untertasse geschafft haben, sind sie verloren!« 39
David überlegte kurz. Dann sagte er: »Nicht unbedingt, Dorfman. Hören Sie mir mal zu …«
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Im Innern der Untertasse Von den Robomännern bewacht, standen der Doktor und Ian auf dem, was früher einmal der Helicopter-Flughafen von Chelsea gewesen war – kurz Heliport genannt. Da gab es eine lange freie Bahn auf dem offenen Rollfeld, das von zerstörten Gebäuden umgeben war. Über ihnen türmten sich die riesigen, schimmernden Umrisse des Dalek-Raumschiffs. Der Doktor und Ian wurden zusammen mit einer Gruppe weiterer Gefangener am Fuß der Rampe festgehalten, die in das Schiff führte. Dalekpatrouillen marschierten auf und ab und bewachten die Grenzen des Heliports. Ian schob sich näher an den Doktor heran. »Warum lassen sie uns bloß hier warten?« flüsterte er. »Ich denke mir, daß das hier der Sammelpunkt ist, mein Junge. Sie werden alle Gefangenen auf einmal an Bord bringen.« Der Doktor deutete mit dem Kinn auf die andere Seite des Heliports. Eine Gruppe Robomänner brachte zwei weitere Gefangene, die sich der Hauptgruppe anschließen sollten. Ian schaute sich unter seinen Mitgefangenen um. Sie waren grimmig, zerlumpt und wirkten geschlagen. Er drehte sich wieder dem Doktor zu. »Ich verstehe das alles immer noch nicht. Die Daleks wurden vernichtet. Wir waren doch auf Skaro, wir sahen, wie es passierte.« Traurig schüttelte der Doktor den Kopf. »Die Verwüstung ist vielleicht nicht so umfassend gewesen, wie wir dachten. Die Daleks haben eine unglaubliche Zähigkeit, außerordentliche Kräfte, um zu überleben. Vielleicht hat es andere Kolonien gegeben, in anderen Gegenden von Skaro…« Er sah sich die Szenerie genau an, die sie umgab, die zerstörte Stadt, das riesige Raumschiff, die Robomänner mit ihren leeren 41
Gesichtern und den Helmen, wie sie ihre Gefangenen bewachten. »Sei es, wie es sei, es ist jedenfalls geschehen, die Daleks haben überlebt. Und sie haben sich auch entwickelt.« Ian musterte einen der Daleks, als er vorbeiglitt. »Ich verstehe, was Sie meinen. Diese hier sehen ein wenig anders aus. Ich frage mich, ob das etwas mit ihrer verbesserten Bewegungskraft zu tun hat. Auf Skaro konnten sie nur in ihrer eigenen Metallstadt herumlaufen.« »Ganz richtig. Hier aber handelt es sich um eine InvasionsStreitkraft, erinnern Sie sich? Sie haben immer Möglichkeiten gefunden, sich selbst an die Bedingungen auf anderen Planeten anzupassen. Ich könnte mir vorstellen, daß das auf dem Hovercraftprinzip basiert.« Mittlerweile waren die beiden Neuankömmlinge zur Hauptgruppe herübergetrieben worden. Das waren hart wirkende Männer, einer groß und drahtig, der andere klein und gedrungen. Ian fand, daß sie weniger eingeschüchtert wirkten als die anderen Gefangenen. Ein Dalek glitt auf die Robomänner zu, die sie begleiteten. »Wo sind die anderen Mitglieder Ihrer Patrouille?« Mit schleppender, gefühlloser Stimme antwortete einer der Robomänner: »Diese Männer haben beide getötet.« Wütend drehte sich der Dalek um und deutete mit seinem Waffenstock auf die Gefangenen. »Wie heißen Sie?« »Bill Craddock«, sagte der größere Mann trotzig. Mit derselben Aufsässigkeit antwortete der gedrungene Mann: »Und ich bin Dick Thomson. Sie wollen wohl, daß wir in die Geschichte eingehen, oder etwa nicht?« Die Stielaugen des Dalek drehten sich ihnen zu. »Craddock und Thomson«, wiederholte er. »Sie werden für Ihre Verbrechen büßen müssen. Robomänner, machen Sie weiter mit Ihrer Patrouille.«
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Die Robomänner entfernten sich, und der Dalek wandte sich an die Gefangenengruppe: »Sie werden hierbleiben, ohne sich zu bewegen, bis es an der Zeit ist, in das Schiff zu gehen.« Ian hörte den Mann, der Thomson hieß, murmeln: »Wir werden nie entkommen, wenn sie uns erst einmal dort drinnen haben. Ich denke, ich werde jetzt etwas versuchen, kommst du mit?« Craddock sah sich um. Überall schoben Daleks Wache. Sie umkreisten permanent ihre Gruppe. »Sei kein Narr, Mann. Du hast keine Chance.« In Thomsons Stimme war eine Spur Hysterie. »Sie werden mich nicht wieder in ihre dreckige Mine kriegen.« Ein Dalek kam näher. »Die Gefangenen haben still zu sein.« Plötzlich schob Thomson Craddock auf die Seite, ging um den Dalek herum und rannte mit voller Geschwindigkeit über den Heliport. Augenblicklich tauchte ein Dalek auf, um ihm den Weg abzuschneiden. Thomson änderte die Richtung, drehte nach links ab, aber auch hier wartete ein Dalek. Er rannte immer wieder hin und her, wie ein Schachbauer, der von mächtigeren Figuren bedroht wird, aber egal wie er sich auch drehte, immer wieder stand ein Dalek vor ihm. Schließlich umzingelte ihn eine Gruppe – es gab keinen Ausweg mehr. Thomson schrie seinem Freund verzweifelt zu: »Craddock – hilf mir!« Instinktiv machte Craddock einen Schritt nach vorn, aber der Doktor hielt ihn zurück. »Seien Sie kein Dummkopf! Es gibt nichts, was Sie tun könnten. Unsere Zeit wird schon noch kommen.« In der Stimme des Doktors lag soviel Zuversicht und Autorität, daß Craddock nicht anders konnte, als sich zu fügen. Sie hörten die quietschende Stimme des Daleks. »Töten Sie ihn!« Mehrere Daleks schossen sofort, und Thomson drehte und wand sich unter dem qualvollen Einschlag der Todesstrahlen. Sein Körper brach auf dem Boden zusammen. 43
Ein Dalek bewegte sich bedrohlich auf die anderen Gefangenen zu. »Jedwede weitere Herausforderung wird auf dieselbe Weise bestraft werden. Die Gefangenen werden warten, bis es an der Zeit ist, das Schiff zu betreten.« In einer Ecke des Haupteinsatzraums teilte David Susan mit, daß er nur noch die Gefangennahme beobachten konnte. Er warf einen Blick auf die andere Seite des Zimmers, wo Barbara dabei half, ein Essen zu machen. »Ich dachte, daß wir es Barbara vielleicht nicht erzählen – jedenfalls nicht sofort.« »Oh, aber das muß ich«, protestierte Susan. »Bitte, hören Sie auf mich«, drängte David. »Dorfman ist scharf darauf, die Daleks sofort anzugreifen. Er hat einen neuen Bombentyp, den er testen möchte. Kurz gesagt, ich habe ihn davon überzeugt, daß die Untertasse ein sinnvolles Ziel wäre. Wir können es hinausschieben, Barbara zu informieren, bis der Angriff vorbei ist.« Susan begann zu verstehen, worauf er hinauswollte. »Falls der Angriff erfolgreich ist, besteht dann die Möglichkeit, daß Ian und der Doktor gerettet werden?« David nahm ihre Hand. »Genau. Und falls er es nicht ist, dann werden sie eben einfach verschwunden sein. Zumindest wird es dann noch die Hoffnung geben.« Sie wurden von Jenny unterbrochen, die David einen Stapel Robomännerhelme hinhielt. »Du wolltest die hier?« »Ja, die meinte ich, ich danke dir.« »Tja, da sind sie, nun nimm sie schon. Ich habe wichtigere Dinge zu tun, als auf dich zu warten.« »Du bist ein Beispiel an Geduld und Charme, nicht wahr, Jenny?« »Ich finde es einfach nicht sinnvoll, Zeit zu verschwenden.« Jenny starrte auf Davids Hand, die immer noch die von Susan umfaßt hielt. »Und ich halte auch nichts von Sentimentalitäten.« 44
Barbara war mit ihrer Arbeit fertig und kam zu ihnen herüber. Neugierig schaute sie den Stapel Helme an. »Was soll das alles?« »Eine Erfindung der Daleks«, sagte David grimmig. »Wir haben sie von den Köpfen von Menschen heruntergenommen – Menschen, die zu Robomännern gemacht wurden.« »Auf der Erde gibt es nicht sehr viele Daleks«, erklärte Jenny, »deshalb brauchten sie Helfer. Sie operieren ihre Gefangenen und verwandeln sie in eine Art menschliche Roboter, die mit diesen Helmen ferngesteuert werden. David versucht, eine Möglichkeit zu finden, die Übertragungen der Daleks zu stören, deshalb sammeln wir diese Dinger.« David hob einen Helm auf. »Transfer nennen die Daleks diese Operation. Diese Helme hier übertragen die Befehle der Daleks direkt in das menschliche Gehirn – zumindest eine Zeitlang. Irgendwann nutzt sich die Effektivität der Operation ab.« Susan sah sich die schimmernden Metallhelme an und schauderte. »Was passiert dann? Werden die Leute wieder menschlich?« Jenny schüttelte den Kopf. »Der Vorgang brennt die Gehirnströmungen aus. Am Ende werden die Robomänner verrückt und sterben. Sie scheinen einen unstillbaren Wunsch zu verspüren, ihr Leben zu beenden. Sie werfen sich von Gebäuden, in den Fluß … Deshalb brauchen die Daleks so viele Gefangene – um ihren Vorrat an Robomännern auf dem gleichen Level zu halten.« David runzelte die Stirn, um Jenny zu warnen, aber sie fuhr mit ihrer Geschichte fort: »Sie schaffen sie in ihre fliegenden Untertassen und operieren sie. Wenn sie erst einmal jemand an Bord haben, dann gibt es keine Hoffnung mehr.« Jenny war sich des erschütternden Effekts ihrer Worte auf Susan gar nicht bewußt und ging weg. Susan schaute David an.
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Vielleicht war es doch gut, daß sie Barbara nicht erzählt hatten, was dem Doktor und Ian zugestoßen war. »Bewegt euch!« Der Stimme des Daleks gehorchend, begann die Schlange der Gefangenen die Rampe hochzuschlurfen. Der Doktor blickte zu dem Dalekschiff auf, als sie hineingingen. »Die Arbeit eines Genies, Chesterton.« Ian war weniger enthusiastisch. »Es ist mehr als beeindruckend. Und es sieht so aus, als ob es ausbruchsicher sei.« Das Innere der Untertasse war in dem Dalekstil gebaut, an den sich Ian von Skaro erinnerte. Wände, Türen, Böden und Decken waren allesamt aus schimmerndem Metall, alles war zutiefst trostlos und funktional. Der Doktor rieb sich die Hände. »Nur oberflächlich, mein Freund. Es gibt immer einen Schwachpunkt wenn man in der Lage ist, ihn zu finden.« Die Daleks führten sie durch einen kurvigen Metallkorridor. Plötzlich hielt ihr Führer an und berührte ein Kontrollinstrument. »Die ersten drei Gefangenen werden in diese Zelle gehen.« Der Doktor, Ian und Craddock waren die ersten drei in der Schlange. Der Dalek führte sie in eine Zelle und schloß die Tür hinter ihnen. »Die anderen Gefangenen – bewegt euch!« Gehorsam schlurfte die Gefangenenschlange weiter. Im Kontrollraum stand unterdessen ein Dalek, der den Scannerbildschirm beobachtete. Dieser Dalek war größer als die anderen, und seine Hülle war stumpf und pechschwarz. Das war der Oberbefehlshaber der Daleks, der Schwarze Dalek, Kommandant der Expedition zur Erde. Auf dem Scanner war die Ansicht der Gefangenenzelle zu sehen, in der der Doktor, Ian und Craddock auf dem Boden saßen, mit den Rücken an die Wand gelehnt. Der Oberbefehlshaber berührte einen 46
Schalter, und der Zoom in der versteckten Kamera holte das Bild heran, bis das Gesicht des Doktors den Bildschirm ganz einnahm. »Ist er das?« Ein anderer Dalek antwortete. »Ja, der ist es, Commander. Er hat sich uns widersetzt, sprach von Widerstand. Seine Worte bezeugen höhere Intelligenz und Bestimmung.« Der Befehlshaber der Daleks wandte sich ab. »Wir werden auf die Ergebnisse des Experiments warten.« Der Doktor, der sich nicht bewußt war, daß er der Gegenstand eines Experiments der Daleks war, diskutierte lebhaft mit seinen Mitgefangenen, und zwar über das einzige Thema, das von wirklichem Interesse war – Flucht. »Ich konnte mich draußen in dem Korridor gut umsehen. Da sind ganz schön viele Scanner.« Craddock ließ seinen Blick durch die Zelle schweifen. »Kann hier drinnen keine entdecken. Vielleicht sind sie versteckt. Was bedeutet das Ding da für Sie, Doktor?« Er zeigte auf eine halbtransparante Kristallschachtel, in der sie einen komplexen Mechanismus entdecken konnten, und die an der Wand in der Nähe der Zellentür befestigt war. »Dazu habe ich eine Theorie. Ich werde ihr gleich nachgehen. Lassen Sie uns zuvor noch die allgemeine Situation betrachten.« »Ich habe etwas entdeckt, das wie eine Ladeluke ausgesehen hat, Doktor«, trug Ian bei. »Die sollte auf den Erdboden führen. Obwohl draußen wahrscheinlich eine Wache steht.« »Das ist sicher so«, sagte Craddock düster. »Unsere Aufgabe ist es zu entfliehen«, verwies ihn der Doktor spitz. »Es ist nicht sonderlich hilfreich, wenn Sie hier herumsitzen und Trübsal blasen.« »Und es ist auch nicht sonderlich hilfreich, wenn Sie sich selbst zum Narren halten«, grummelte Craddock. »Wenn die Daleks Sie erst einmal haben, dann ist das das Ende.« 47
Tadelnd schüttelte der Doktor den Kopf und ging dann zu der Kristallschachtel hinüber. Er begann sie aus der Nähe zu studieren. Ian wandte sich an Craddock: »Wie hat das hier denn alles angefangen – die Invasion der Erde, meine ich?« Craddock starrte ihn an. »Wo sind Sie denn gewesen, auf einer der Mondstationen?« »So etwas Ähnliches«, erwiderte Ian vage. »Ich habe noch nie die ganze Geschichte gehört.« Craddock war einen Augenblick lang still, dann begann er mit leiser, verbitterter Stimme zu erzählen. »Zuerst kamen die Meteoriten. Ungefähr vor zehn Jahren bombardierten sie die Erde. Ein verrückter, kosmischer Sturm, sagten die Wissenschaftler … Dann fingen die Menschen an zu sterben – irgendeine neue Seuchenart.« »Bakterielle Kriegsführung?« schlug Ian vor. Craddock nickte. »Die Daleks warteten oben im Weltraum; sie warteten einfach darauf, daß die Erde schwächer wurde. Ganze Kontinente wurden ausradiert. Asien, Afrika, Amerika. Egal, wohin man ging, die Luft roch nach Tod. Die Ärzte probierten alle Sorten neuer Medikamente aus, aber keines von ihnen half. Mittlerweile war die Welt in winzige, kämpfende Gemeinschaften aufgesplittert, die zu weit auseinanderlagen, als daß sie sich gegenseitig helfen konnten. Ungefähr sechs Monate, nachdem die Seuche aufgetreten war, landeten die ersten fliegenden Untertassen …« Mit fasziniertem Grauen lauschte Ian, als Craddock mit seiner Geschichte fortfuhr. Die Daleks hatten ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht und jedes Anzeichen von Widerstand niedergeschlagen. Sie hatten unzählige Menschen gefangengenommen, sie in Robomänner verwandelt, sie wieder ausgemustert, als sie zu schwach wurden, und neue geschaffen. Andere Menschen waren einfach versklavt und dazu gezwungen worden, in den Minen der Daleks unter den Peitschen der Robomänner zu arbeiten. 48
Der Katalog des Grauens war so umfangreich, daß Ian es nicht mehr länger ertragen konnte. »Wieso?« unterbrach er Craddock. »Das ist die eine Sache, die Sie uns nicht erzählt haben. Warum tun sie all das? Was gibt es auf der Erde, auf das sie so gierig sind?« Craddock schaute ihn stumpf an. »Ich weiß es nicht, niemand weiß es. Aber es ist etwas, das sich unter der Erde befindet. Sie haben den größten Teil von Bedfordshire zu einem einzigen, gigantischen Minengebiet gemacht …« Der Doktor, der nur zur Hälfte zugehört hatte, drehte sich ungeduldig um. »Scheren Sie sich nicht um all das Gequatsche über Bedfordshire. Ich glaube, ich habe herausgefunden, wie dieses Ding hier funktioniert.« Ian ging zu ihm hinüber. »In Ordnung, Doktor. Was ist es?« Der Doktor zeigte auf eine kleine Metallstange, die in einen Halter an einer Seite der Schachtel geklemmt war. Daneben war mit einem Griff eine Linse befestigt, die wie ein Taschenvergrößerungsglas aussah. »Reichen Sie mir das einfach, mein Junge, ja?« »Ich würde es nicht anfassen«, warnte Craddock. Ian sah den Doktor an, der ihn wütend anfunkelte. Vorsichtig nahm Ian die Stange heraus und reichte sie dem Doktor. »Hier haben Sie sie. Was jetzt?« »Jetzt ein Experiment.« Der Doktor bewegte die Stange auf die transparente Schachtel zu. Und wie aus Sympathie begann eine ähnliche, aber wesentlich größere Stange innerhalb der Schachtel sich zu bewegen. »Sehen Sie, sie ist magnetisch.« »Wunderbar«, murmelte Craddock sarkastisch. »Was hilft uns das?« »Und wieso ist die Schachtel denn überhaupt hier drinnen?« fragte Ian. »Wozu benutzen die Daleks sie?« Der Doktor nickte anerkennend. »Eine ausgezeichnete Frage, mein lieber Freund. Nun, stellen Sie sich einmal vor, Sie
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wären ein Dalek, der hier eingeschlossen ist, wie würden Sie hinausgelangen?« Craddock runzelte die Stirn. »Die Tür hochschieben?« Vorwurfsvoll schüttelte der Doktor den Kopf. »Ein Dalek hat keine Hände, sondern nur einen Saugnapf. Sie verlassen sich auf ihr Gehirn, nicht auf ihre Muskelkraft.« Ian musterte die Kristallschachtel, die Linse und die Metallstange. »Wollen Sie mir erzählen, daß dieses Arrangement eine Art Schlüssel ist?« »Ganz genau. Alles, was wir tun müssen, ist die Schachtel zu öffnen und den Schlüssel zu benutzen. Nun dann, reichen Sie mir die Linse, ja?« Ian sah sich zunächst ihren Griff genauer an und reichte sie dann hinüber. »Wissen Sie, Doktor, ich glaube, daß Sie recht haben. Dieses Ding ist offensichtlich so konstruiert, daß auch ein Dalek es halten kann.« Der Doktor lächelte ihn aufmunternd an. »Sie sind ein guter Kerl, Chesterton. Sie geben sich wirklich alle Mühe. Jetzt müssen wir den genauen Brechungsindex herausfinden, denn sonst explodiert die Schachtel.« Der Doktor schob die Linse langsam von oben in die Nähe der Schachtel. Craddock beobachtete ihn skeptisch. »Brechungsmüll«, murmelte er. »Sie glauben doch nicht, daß die Daleks den Schlüssel hier drinnen lassen, damit wir ihn finden?« »Sie empfinden für den menschlichen Intellekt nur Verachtung«, antwortete der Doktor spitz. »Und falls all ihre Gefangenen sind wie Sie, dann bin ich mir nicht sicher, ob sie da so falschliegen …« Der Doktor fing an, abstruse Kalkulationen in sich hineinzumurmeln. »Haben Sie in der Schule jemals fortgeschrittene dreidimensionale Schaubildgeometrie gehabt, Chesterton?« Ian schüttelte den Kopf. »Nur Boyles Gesetz.«
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»Dann lassen Sie uns dieses Problem doch mal boilen, oder?« Der Doktor kicherte über sein eigenes, seltsames Wortspiel und fügte hinzu: »Bedecken Sie Ihre Augen, meine Herren, das hier kann gemein werden.« Craddock schüttelte höhnisch den Kopf. »Ich glaube, daß all das ein riesiger Witz wird oder …« Erstaunt brach er ab. Der Deckel der Kristallschachtel war leise aufgesprungen. »Heh, das ist aber wirklich mal ein Wunder.« Ian klopfte dem Doktor auf den Rücken. »Doktor, manchmal versetzen Sie mich tatsächlich in Erstaunen!« »Nur manchmal?« Der Doktor kicherte. »Nun, jetzt müssen wir nur noch herausbekommen, wie wir diese Stange verwenden können … ich kann mir denken, daß es eventuell etwas mit statischer Energie zu tun hat. Also, wenn ich die Stange in der Schachtel mit dieser hier anschiebe …« Craddock schaute die beiden Stangen an. Die in der Hand des Doktors war winzig, die in der Schachtel viel größer und offensichtlich auch schwer. »Sie wollen das da damit anschieben?« »Exakt. Und da sich gleiche Pole abstoßen und beide Stangen magnetisch sind …« Der Doktor schob die kleine Stange an die große heran. Sofort glitt die große Stange zurück und die Zellentür fuhr gleichmäßig nach oben. Craddock warf dem Doktor bewundernde Blicke zu. »Sie sind ein Genie.« Abwehrend wedelte der Doktor mit der Hand. »Oh, das war nichts, überhaupt nichts … Lassen Sie uns jetzt aus dieser grauenhaften fliegenden Maschine verschwinden und Barbara und Susan suchen.« Sie rannten in den Korridor hinaus und direkt in eine Gruppe Daleks und Robomänner, die warteten. Der Schwarze Dalek beherrschte die Gruppe. »Er hat den Fluchttest bestanden, greift ihn.« Die Robomänner packten den Doktor 51
und schleppten ihn weg. Andere hielten Ian zurück, als er zu folgen versuchte. Verärgert drehte er sich dem Schwarzen Dalek zu. »Was werden Sie mit ihm anstellen?« Die tonlose Stimme des Daleks antwortete: »Er wird robotisiert werden.«
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Greift die Daleks an! Die Stimme des Oberbefehlshabers der Daleks schien das kleine Radiogerät erzittern zu lassen. »Rebellen von London. Dies hier ist eure letzte Verwarnung. Verlaßt eure Verstecke. Zeigt euch in den offenen Straßen. Ihr werdet Essen und Getränke erhalten. Es werden Arbeitskräfte benötigt und als Gegenleistung bieten euch die Daleks euer Leben an. Wenn ihr weiterhin Widerstand leistet, werden wir London zerstören. Ihr alle werdet sterben, Männer, Frauen, die Kinder der Spezies. Rebellen von London, kommt aus euren Verstecken heraus.« Das Radio verstummte. Dorfman machte eine triumphierende Geste in die Richtung der glänzenden Glasgranaten. »Wir werden herauskommen, in Ordnung – mit denen da. Wir brauchen uns nicht mehr verstecken, wir werden sie zum Wegrennen bringen.« Barbara sah sich in dem Operationsraum um, der mit Freiheitskämpfern mit grimmigen Gesichtern vollgestopft war. Dorfman hatte ein Treffen einberufen, auf dem zuerst die Rede des Daleks angehört werden sollte, und dann wollte er selbst eine halten. »Wir werden ihr Ultimatum für sie beantworten – heute abend. Wir werden einen Frontalangriff auf ihre fliegende Untertasse verüben. Jetzt haben wir die überlegenen Waffen. Ein Erfolg, und die Menschen werden wieder Hoffnung schöpfen. Ein Sieg wird dieses Land wiederbeleben. Das ist alles, was wir brauchen – ein Sieg!« Ein enthusiastisches Brüllen antwortete ihm. Jennys skeptische Stimme durchbrach es. »Und wie gelangen wir auf dem Heliport in Wurfweite? Die Daleks bewachen die Grenze und sie können schießen, lange bevor wir nah genug sind, um unsere Bomben zu werfen.«
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Tyler hatte keine Lust auf Opposition. »Es wird ein Überraschungsangriff werden, in der Nacht.« Jenny war nicht überzeugt. »Die Überraschung wird vorbei sein, wenn die erste Bombe gefallen ist.« Barbara sprang auf. »Ich habe es! Sie können die hier benutzen.« Sie zeigte mit dem Finger auf den Berg Robomännerhelme, die hinten im Zimmer lagen. »Einige der Männer können sich als Robomänner verkleiden. Der Rest kann Gefangene spielen, die sie hereinbringen. Sie werden in der Lage sein, bis in die Mitte des Heliports zu gelangen, ohne daß sie Verdacht schöpfen.« Tyler hob einen der Helme hoch und setzte ihn auf. »Es müßte klappen«, sagte er langsam. Dorfman lächelte böse. »Ja. Das wird funktionieren. Wir müssen uns jetzt gut auf die Attacke vorbereiten.« Barbara, David und Susan kauerten sich in einem zerstörten Haus zusammen, von dem aus sie den Heliport überschauen konnten. Das offene Gelände vor ihnen war hell erleuchtet, die schimmernden Umrisse der fliegenden Untertasse ragten über ihnen empor. Patrouillierende Daleks schritten leise die Grenze ab. Alle drei trugen Säcke, die mit Granaten gefüllt waren. David tätschelte seinen bedeutungsvoll. »Sind Sie sicher, daß Sie alles verstanden haben? Sobald Tyler und seine Angriffstruppe hineinlaufen, fangen wir an, die hier zu schmeißen.« Die beiden Mädchen nickten. Sie konnten nichts anderes tun als warten. Susan rieb ihren Knöchel. Sie hoffte, daß er sie nicht im Stich lassen würde. Obwohl er immer noch ein wenig schmerzte, war er fast wieder gesund. Es war ein gemeinsamer Beschluß, daß sie vom Angriff nicht ausgeschlossen werden sollte …
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Im Innern der Untertasse wurde der Doktor in ein kleines Zimmer gebracht, das mit hochkomplizierten elektronischen Geräten vollgestopft war. Der Raum wurde beherrscht von einem langen Tisch. Über einem Ende hing ein ausgefeiltes, helmartiges Gerät, aus dem zwei Zacken hervorsprangen. Der Doktor wurde über einen langen Zeitraum hinweg an eine Vielzahl von Meßgeräten angeschlossen, die seinen Blutdruck, seine Temperatur und seine Gehirnströmungen aufzeichneten und tatsächlich auch seine allgemeine physische Situation. Der Robotisierungsprozeß war kompliziert und zeitraubend, und die Daleks hatten nicht vor, ihn an Personen anzuwenden, die den ganzen Aufwand schnell zunichte machten und starben. Schließlich war die Testreihe aber komplett, und ein Dalekwissenschaftler summte: »Gefangener passendes Subjekt für Operation. Schaffen Sie ihn auf den Tisch.« Zwei Robomänner legten den Doktor geschäftig auf den Tisch und streckten ihn darauf aus. Bevor er auch nur eine Bewegung machen konnte, wurden Metallklammern angebracht, um ihn dort festzuhalten. Sein Ärmel wurde hochgeschoben, und er spürte einen Stich in seinem rechten Arm. Sofort fühlte er die betäubende Wirkung in seinem ganzen Körper. Der Doktor bemerkte, daß er unfähig war, auch nur einen Muskel zu bewegen. Aber obwohl sein Körper stillgelegt war, blieb sein Geist in voller Alarmbereitschaft. Sicher war da etwas, das er tun konnte … Sicher würde irgend etwas geschehen, das ihn retten würde. Oder war das nach allem nun doch das Ende? Der Doktor lag ganz still auf dem Metalltisch. Dalekwissenschaftler schlichen um ihn herum und führten die letzten Einstellungen an den Geräten aus, die entworfen worden waren, um den Doktor in ihren hilflosen Gehilfen zu verwandeln.
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In dem zerstörten Haus verkrampfte David sich plötzlich. Eine armselig aussehende Gruppe Gefangener wurde an das untere Ende der Rampe zur Untertasse geführt, bewacht von einer Robomännereinheit. David atmete tief durch. »Da kommen sie. Machen Sie sich fertig.« Er nahm eine Granate aus seinem Sack und konzentrierte sich auf sein Ziel. Tyler, mit dem Gewicht des Robomannhelms auf dem Kopf, führte seine unechte Einheit Robomänner zusammen mit ihren gleichfalls unechten Gefangenen direkt auf die Rampe zu. Ein Dalek, der dort postiert war, kam auf ihn zu: »Halt. Was machen Sie?« Tyler antwortete mit der langsamen, schleppenden Stimme der Robomänner: »Ich bringe die Gefangenen in das Schiff.« »Warten Sie! In welchem Gebiet sind diese Gefangenen aufgegriffen worden?« Tyler antwortete aufs Geratewohl. »Sektor vier.« »Nach Sektor vier wurde keine Patrouille geschickt.« Tyler tat sein Bestes und bluffte. »Ich hab’ den Befehl wie immer von den Daleks bekommen.« Bevor der Wächter antworten konnte, dröhnte ein dumpfes Tosen, immer wieder neu, ein Tosen explodierender Granaten von allen Seiten des Heliports zu ihnen herüber. Barbara, Susan und David und andere Gruppen von Freiheitskämpfern, die aufs Geratewohl Granaten von weit auseinanderliegenden Punkten schleuderten, versuchten den Eindruck zu erwecken, daß der Angriff von allen Seiten ausginge. Die Dalekwache vergaß Tyler und fing an zu schreien: »Achtung Angriff! Achtung Angriff!« Im Innern des Schiffes fing eine Sirene an zu heulen. Daleks rannten überall herum. In seiner Robomannstimme schrie Tyler: »Ich werde die Gefangenen in das Schiff bringen.« Schnell trieb er seine Gruppe die Rampe hinauf. Jetzt bewegten sich überall an der Grenze des Heliports Daleks, die in die Richtung schossen, aus der die Explosionen 56
kamen. Aber da die Angreifer nur so wenige waren und so gut plaziert, waren sie nur sehr schwer zu finden. Ein Dalek raste in die Nähe des Gebäudes, in dem sich David und die Mädchen versteckten, und schoß fast ziellos um sich. David brüllte: »Hinunter!« und gab den Mädchen einen Stoß, damit sie zu Boden gingen. Die Explosion der Strahlenpistole des Daleks knallte durch das offene Fenster und setzte die Wand über ihren Köpfen in Brand. Ein Mann rannte am Fenster vorbei und fiel schreiend zu Boden, als der Dalek erneut feuerte. David kämpfte sich auf die Füße. »Gut, das war’s. Sie müssen jetzt drinnen sein. Es wird Zeit, daß wir uns zurückziehen.« Sie rannten von dem brennenden Gebäude weg und verschwanden in der Dunkelheit. Tyler und seine Männer stürmten die Metallkorridore des Dalekschiffs hinunter. »Gut«, rief Tyler, »verteilt euch. Befreit so viele Gefangene, wie ihr könnt, bevor ihr eure Bomben benützt.« Einer der Freiheitskämpfer begann die Tür zu der Zelle aufzusprengen, in der Ian und Craddock gefangen saßen. Die Kampfgeräusche drangen nur schwach in den Robotisierungsraum, und der Dalekwissenschaftler setzte seine Arbeit unbesorgt fort. Plötzlich plärrte eine rauhe Stimme aus einem versteckten Lautsprecher. »Wir werden angegriffen. Melden Sie sich an der Hauptrampe. Generalalarm. Melden Sie sich an der Hauptrampe.« Gehorsam begannen die Robomänner und Dalekwissenschaftler den Raum zu verlassen. Der letzte Robomann wollte gerade gehen, als ein Dalekwissenschaftler ihn aufhielt. »Der Gefangene ist schon vorbereitet. Sie werden hierbleiben und die Operation überwachen.« Der Robomann berührte einen Schalter. Das Robotisierungsgerät erhielt jetzt Strom und begann zu summen und zu dröhnen. Die gezackte, helmartige Vorrichtung fuhr langsam herunter und kam dem Kopf des Doktors immer näher. Als die Zacken seine Stirn fast 57
berührten, stürmte plötzlich Tyler in den Raum und riß das helmartige Gerät weg. Es explodierte mit einem Funkenregen. Der Robomann rannte nach vorn, es gab einen kurzen Kampf, dann sank er zusammen. Ein weiterer Freiheitskämpfer stürzte herein. Tyler schrie: »Baker! Helfen Sie mir den Mann vom Tisch zu nehmen.« Sie lösten die Klammern und hoben den Doktor hoch. Er sank schlaff in ihre Arme. Tyler unternahm einen kurzen Versuch, ihn zu Bewußtsein zu bringen, und gab dann auf. »Klappt nicht, Sie werden ihn tragen müssen. Sehen Sie, ob Sie ihn ins Freie bringen können.« Baker zog den Doktor vom Tisch herunter. Eine Dalekstimme plärrte aus dem Lautsprecher: »Alle Reserve-Robomänner in Aktion. Vernichten Sie die Eindringlinge!« Von einem neuen Versteck hinter einer kaputten Wand aus beobachteten David, Susan und Barbara den Schauplatz. Entlang der Heliportgrenze loderten überall Flammen. Die Daleks hatten jetzt die Suche aufgegeben und zogen sich zum Schiff zurück. Barbara packte David entsetzt am Arm. »Tyler wird im Schiff in der Falle sitzen! Haben diese Bomben von Dorfman überhaupt eine Wirkung auf die Daleks?« Susan sagte: »Ich habe nicht gesehen, daß die Bomben irgendeinen Dalek aufhalten. Aber es ist so verraucht, daß man nicht sehen kann, was tatsächlich vorgeht.« David sagte nichts. Auch er hatte seine Zweifel an Dorfmans Bomben. Jenny kam auf sie zugerast und hielt nur an, um eine Granate auf das Schiff der Daleks zu werfen. David reagierte mit Erleichterung auf ihre Ankunft. »Jenny, bring die beiden hier zum Hauptquartier zurück. Ich werde nachsehen, ob ich Tyler aus diesem Schiff herauskriege.« Als David davonrannte, rief Jenny: »Ich spiele für Sie beide nicht das Kindermädchen. Ich gehe mit David.« Verächtlich musterte sie Barbara und Susan. »Ich hätte gedacht, daß Sie 58
auch mitkommen wollen. Schließlich sind dort ja auch Ihre Freunde drin.« Barbara sah sie erstaunt an, dann wandte sie sich zu Susan um. Der Ausdruck auf Susans Gesicht sagte ihr alles. »Du wußtest es. Du wußtest es die ganze Zeit.« Susan war schamrot. »Wir wollten Sie nicht in Sorge versetzen, bevor …« Barbara rannte schon auf das Dalekschiff zu. Susan lief hinterher und erwischte sie am Arm. »Barbara, wohin gehen Sie?« »Ich werde David dabei helfen, Ian und den Doktor zu finden. Wir müssen sie dort herausholen.« Barbara riß sich los und rannte davon. Susan drehte sich um und sah, daß Jenny sie anschaute. »Nun, kommen Sie?« »Ich denke schon, obwohl, was können wir schon ausrichten …« Jenny hörte nicht zu. »Wir werden nichts ausrichten, wenn wir es nicht versuchen. Kommen Sie, hier entlang.« Jenny rannte los und Susan, die immer noch ein bißchen humpelte, gab ihr Bestes, um mit ihr Schritt zu halten. Mittlerweile hetzten Tyler und seine Männer schon die Rampe hinunter. Sie hatten alle befreiten Gefangenen dabei, die sie hatten finden können. Ian war irgendwo hinten in dem Haufen verwirrter Männer. Am Fuß der Rampe warteten die Daleks auf das Zusammentreffen mit ihnen. Aus kürzester Entfernung feuerten sie in die Gruppe, und überall schrien Männer auf und fielen zu Boden. Tyler brüllte: »Die Bomben. Benützt die Bomben!« Er zog eine Granate aus seinem Sack und warf sie auf den nächsten Dalek. Es gab eine Explosion, ein loderndes Feuer und eine Rauchwolke. Dann sah Tyler durch den Rauch, daß der Dalek unbarmherzig auf ihn zukam. Er war kaum verletzt. 59
Dorfmans Bomben waren ein Fehlschlag. Tyler schrie: »Lauft alle auseinander. Rennt! Die Bomben taugen nichts.« Freiheitskämpfer und fliehende Gefangene rannten in alle Richtungen. Unerbittlich verfolgten die Daleks sie und schossen sie nieder. Da er zum hinteren Teil der Gruppe gehört hatte, war Ian immer noch auf der Rampe, als der Kampf begann. Er hatte einen hervorragenden Ausblick auf den ungleichen Kampf. Er sah die nutzlosen Bomben, die überall in die Luft gingen und Rauch und Flammen produzierten, aber sonst kaum Schaden anrichteten. Zwei Freiheitskämpfer warfen einen Dalek mit purer Kraft zur Seite nur um selbst von weiteren Daleks zu Boden geworfen zu werden. Plötzlich entdeckte er ein bekanntes Gesicht, das in der Dunkelheit auftauchte. »Barbara«, schrie er verzweifelt. »Barbara, lauf zurück!« Barbara sah ihn und winkte, dann verschwand sie und wurde von der umherlaufenden Menge weitergeschoben. Ian sprang von der Rampe hinunter, gerade als diese anfing, sich mit surrendem Antrieb einzuziehen. Zwei Daleks kamen plötzlich um den Bug des Dalekschiffs und hielten ihre Waffen auf Ian gerichtet. Durch das Anheben der Rampe war ein schmaler Spalt zwischen der Rampe und dem Schiff entstanden. Instinktiv warf Ian sich in den Spalt und schon fing die Rampe wieder an, herunterzufahren. Die Öffnung wurde geschlossen und Ian saß im Dalekschiff in der Falle. Unzählige Waffen wurden plötzlich abgefeuert, und Daleks quollen über die Rampe nach unten … Barbara schützte ihre Augen vor dem Rauch, wich den Schüssen einer Dalekwaffe aus und rannte direkt in Jenny hinein. Ein Blick auf die Katastrophe und das Chaos um sie herum hatte sogar Jenny davon überzeugt, daß der Angriff hoffnungslos war. Sie packte Barbara am Arm und zog sie weg. »Kommen Sie schon. Wir machen, daß wir hier heraus kommen.« 60
Barbara riß sich los. »Aber Ian ist dort – ich habe ihn auf der Rampe gesehen. Und wo ist Susan?« »Wir wurden getrennt. Ich glaube, sie ist bei David. Die beiden müssen damit jetzt selbst fertig werden. Es gibt einen Weg durch die Abwasserkanäle. Wenn Sie jetzt nicht kommen, werden Sie getötet.« Ohne auf Antwort zu warten, rannte Jenny davon. Nach einem langen, gequälten Blick auf das Raumschiff lief Barbara ihr nach. Im Kontrollraum der Daleks beobachtete der Schwarze Dalek das Schauspiel, das draußen stattfand, auf dem Scanner. Der Bildschirm bot ein konfuses Schaubild aus schießenden Daleks, explodierenden Granaten und fallenden Freiheitskämpfern. Die gefallenen Körper derjenigen, denen es nicht gelungen war zu fliehen, übersäten das Gebiet rund um die Untertasse. Der Schwarze Dalek gab über den Lautsprecher seine Befehle an die Männer draußen: »Die Feinde sind auf dem Rückzug. Nehmen Sie so viele Häftlinge als möglich wieder gefangen. Blockieren Sie alle Ausgänge in der Gegend. Suchen Sie die feindlichen Angreifer und vernichten Sie sie.« Tyler führte die letzten Überlebenden eine Gasse hinter einem brennenden Gebäude hinunter zu einer offenen Einstiegsluke in die Kanalisation. »Beeilt euch«, schrie er, »sie werden bald hier sein.« Er war gerade dabei, selbst in die Einstiegsluke zu klettern, als er dröhnende Schritte hörte. Er zögerte und brüllte dann: »Komm schon, hier drüben … Schnell!« Ein Mann rannte um die Hausecke, zögerte einen Moment und rannte dann auf Tyler zu. Sekunden später tauchte ein Dalek auf, der ihn verfolgte. Er schoß sofort, der Mann schrie einmal auf und fiel dann zu Boden. Tyler tauchte in die 61
Einstiegsluke wie ein Maulwurf in sein Loch und zog den Deckel über seinen Kopf. Der Schwarze Dalek wandte sich von dem Scannerbildschirm ab. »Der Angriff ist niedergeschlagen worden.« Eifrig trat seine Nummer Zwei hervor. »Viele Gefangene sind wieder aufgegriffen worden. Der größte Teil der angreifenden Rebellen ist getötet oder verwundet worden. Nur noch sehr wenige sind auf freiem Fuß.« In der Stimme des Schwarzen Daleks war kalte Wut. »Finden Sie sie. Finden Sie alle Überlebenden und vernichten Sie sie. Sie müssen getötet werden.« Die umstehenden Daleks nahmen den Gesang ihres Führers in einem entsetzlichen Chor auf: »Vernichtet sie! Vernichtet sie! Vernichtet sie!«
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Die Flüchtlinge Der Operationsraum der Freiheitskämpfer war fast leer. Jenny betupfte einen Schnitt auf Barbaras Kopf mit einem feuchten Tuch, während Dorfman in die düstere Stille stierte. Da war sonst niemand. Der Rest wird wohl gefangengenommen oder getötet worden sein, dachte Barbara entmutigt. Sie blickte zu Jenny hoch. »Sind Sie sicher, daß Sie nicht gesehen haben, was mit Susan geschehen ist? Das letzte Mal, als ich sie gesehen habe, war sie bei Ihnen.« Jennys Stimme war schroff: »Ich habe es Ihnen doch gesagt. Sie holte David ein wir wollten Sie suchen. Dann waren da überall Explosionen, und ich verlor sie einfach aus den Augen.« Barbara seufzte, und Jenny zeigte jetzt sogar ein wenig Mitgefühl, als sie Barbaras unglückliches Gesicht sah. »Machen Sie sich keine Sorgen, es ist immer noch möglich, daß sie hier auftaucht. Da, Ihr Kopf ist jetzt in Ordnung. Nur ein Kratzer.« Aus dem Korridor drang das Geräusch von Schritten herein. Barbara schaute hoffnungsvoll auf – aber es war Tyler, der den Raum betrat. »Ihre Bomben sind nutzlos, Dorfman.« Der Mann im Rollstuhl schaute auf. »Wie viele sind getötet worden?« »Es war ein Massaker. Wir hatten keine Chance.« »Wie viele?« Tyler seufzte. »Ich weiß es nicht. Fast alle, glaube ich. Ein paar konnten entkommen, bevor die Daleks das Gebiet absperrten; einer oder zwei sind über die Abwasserkanäle herausgekommen …« Er nahm einen Rucksack hoch und fing an, ihn mit Vorräten zu füllen. 63
Barbara murmelte dumpf: »Der Doktor und Ian waren in dieser Untertasse. Ich habe Ian gesehen … nur für einen Augenblick…« Ihre Stimme zitterte, dann bekam sie sich wieder in den Griff. »Was ist mit dem Doktor? Haben Sie irgendwelche Anzeichen von ihm gesehen?« »Da war ein ältlicher Mann«, sagte Tyler langsam. »Wir entdeckten ihn in dem Robotisierungszimmer. Baker hat ihn aus dem Schiff gebracht, aber danach …« Er zuckte mit den Schultern und drehte sich dann Dorfman zu. »Wir werden aus London verschwinden müssen.« »Wieso? Die Daleks haben hier unten nie nach uns gesucht.« »Das war so, bevor wir ihre wertvolle fliegende Untertasse angegriffen haben. Jetzt haben wir sie aufgescheucht. Sie werden alles absuchen jeden Zentimeter zerstören.« »Aber ich muß hierbleiben. Ich muß an meiner Bombe arbeiten.« Flehend sah er zu Tyler hoch. »Es muß nur noch ein bißchen an ihr gearbeitet werden, das Prinzip ist einwandfrei …« »Vergessen Sie Ihre Bombe. Das ist Zeitverschwendung.« »Es ist die Antwort. Es ist die einzige Antwort…« In Dorfmans Stimme war eine verrückte, trotzige Entschlossenheit. »Und wer wird sie für Sie werfen?« fragte Tyler. »Ich? Diese beiden Mädchen hier? Benutzen Sie Ihren Verstand, Mann.« Jenny stimmte ihm zu. »Tyler hat recht. London wird jetzt für uns zu heiß.« »Wenn wir nur ein paar Tage länger bleiben könnten«, fuhr Dorfman unbeirrt fort. Tyler schüttelte entschieden den Kopf. »Nein. Ich werde nachsehen, ob ich noch weitere Überlebende finden kann, dann mache ich mich auf in Richtung Norden.«
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Barbara stand auf. »Kann ich mit Ihnen kommen? Falls Ian und der Doktor geflohen sind, wäre es möglich, daß wir sie finden …« Tyler schulterte den Rucksack. »Es tut mir leid, aber Sie würden mich nur aufhalten. Ich muß allein gehen. Viel Glück.« Barbara rief: »Auch wir müssen weg von hier!« Dorfman schaute mit plötzlichem Eifer zu ihnen auf. »Da ist ein weiteres Hauptquartier. Die Leute werden sich dort treffen Ihre Freunde vielleicht auch. Ich kann an meiner Bombe weiterarbeiten – dort gibt es ein Labor…« »Dorfman, bitte …« begann Jenny. Aber Dorfman steigerte sich in seine Idee hinein. »Das ist es, wir müssen einfach zum Transportmuseum gehen.« Hoffnungsvoll schaute er sie an. »Das bedeutet, daß wir London durchqueren und über eine der Brücken müssen …« Barbara seufzte. »In Ordnung, wir werden Sie begleiten.« Dorfman setzte seinen Rollstuhl in Bewegung und fuhr in sein Büro. »Ich werde nur meine Sachen zusammenpacken. Es ist besser, wenn Sie ein paar Vorräte einpacken.« Jenny trat näher an Barbara heran und flüsterte leise: »Allein haben wir eine viel größere Chance.« »Vielleicht. Aber er hat ohne uns gar keine Chance. Sie brauchen nicht mitkommen, wenn Sie nicht wollen.« Jenny zögerte, dann zuckte sie mit den Schultern. »Ist egal. Vielleicht hat Dorfman recht … vielleicht sammeln sich ja alle im anderen Hauptquartier.« Als sie zwei Rucksäcke vollgestopft hatten, kam Dorfman mit einem Sack über seiner Schulter aus seinem Büro. »Es ist besser, wenn wir jetzt losgehen. Es ist schon fast hell.« Er fuhr mit seinem Rollstuhl auf die Tür zu. Als Barbara ihm folgte, fragte sie: »Glauben Sie wirklich, daß meine Freunde im Museum gelandet sein könnten?« Dorfman nickte energisch. »Ja, es ist tatsächlich möglich.«
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Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich, dachte Barbara mutlos. In ihrem Herzen fürchtete sie, daß sie ihre vermißten Freunde nie wiedersehen würde. Der Schwarze Dalek gab seinen Gehilfen die neuesten Weisungen weiter. »Befehle vom Oberbefehlshaber. Die Rebellen müssen vollkommen vernichtet werden. Eine intensive Durchsuchung von London soll durchgeführt werden. Falls nötig, wird die Stadt total zerstört.« »Haben Sie vor, in der Stadt zu bleiben?« fragte der Zweite Befehlshaber. »Nein. Das Schiff wird mich jetzt zu den Minenschächten in der Zentralen Zone bringen.« »Wir haben viele entflohene Sträflinge wieder gefangengenommen.« »Sie werden zum Arbeiten in die Minen gebracht. Geben Sie ihnen zu essen und zu trinken. Sie müssen kräftig sein, um etwas zu schaffen.« »Ich gehorche.« Der Zweite Befehlshaber fing an, die Befehle weiterzuleiten. Dalek und Robomänner-Patrouillen würden ganz Zentral-London abdecken, ausschnüffeln und die Rebellenverstecke zerstören. Der Schwarze Dalek wandte sich ab, um die Flugoperatoren des Raumschiffs anzusehen. »Bereiten Sie das Schiff für den Start vor!« Obwohl die Daleks es nicht ahnten, gab es zumindest einen entflohenen Sträfling auf dem Schiff, der immer noch frei war. Nachdem Ian in die Luke unterhalb der Rampe gehechtet war, stellte er fest, daß er sich in einem Servicetunnel irgendwo im Innern des Schiffes befand. Er schlängelte sich zwischen den summenden und klopfenden Maschinen der Daleks durch und arbeitete sich so zu den oberen Ebenen hoch. Zielstrebig suchte 66
er das Robotisierungszimmer, in der Hoffnung, daß er dort den Doktor finden würde. Er schlüpfte hinein und warf erschaudernd einen Blick auf den Tisch in der Mitte und die bedrohlichen elektronischen Apparaturen, die darüber befestigt waren. Der Raum war vollkommen leer, kein Doktor, keine Daleks. Draußen im Korridor hörte er Schritte und duckte sich sofort hinter eine Instrumentenbank. Zwei Männer betraten das Zimmer. Einer war zierlich und drahtig, mit lockigem, schwarzem Haar. Hinter diesem Mann stand ein zweiter, der ihn mit einem schmerzhaften Polizeigriff umklammerte und dessen große Gestalt Ian sofort erkannte. Er kam aus seinem Versteck heraus. »Craddock!« Craddock ließ seinen Gefangenen frei und wirbelte herum. Sein Gesicht war ausdruckslos und auf seinem Kopf saß ein schimmernder Metallring. Seine Stimme klang schleppend und undeutlich: »Sie müssen robotisiert werden.« Ian sprang zurück. »Craddock … ich bin es …« Craddock taumelte vorwärts, packte Ians Arm und versuchte, ihn hinter seinen Rücken zu biegen. Ian kämpfte verzweifelt. Obwohl seine Bewegungen langsam und tapsig waren, schien der robotisierte Craddock ungeheuer stark und ziemlich schmerzunempfindlich zu sein. Ein brutaler Schlag in seine Rippen entlockte ihm nur ein Grunzen, und der ständige Druck auf Ians Arm ließ nicht nach. Ian sagte sich, daß er lieber Geschicklichkeit statt Stärke einsetzen sollte. Er wirbelte herum, duckte sich und schickte seinen Gegner nach einigen Drehungen mit einem Judowurf über seine Schulter. Craddock knallte mit so viel Wucht auf den Boden, daß jeder normale Mann betäubt gewesen wäre. Er war aber nicht mehr normal. Sofort war er wieder auf den Beinen und kam mit ausgestreckten Händen auf Ian zu. Verzweifelt erkannte der, daß er nicht mit einem Mann, sondern mit einer Maschine kämpfte – einer Maschine, die 67
nicht verletzt werden konnte, die nie müde wurde und nie aufgab… Als Craddocks Hände Ians Hals umschlossen, mischte sich der drahtige Mann in den Kampf ein. Er warf sich auf den Robomann, packte mit beiden Händen dessen merkwürdigen Helm und riß ihn von Craddocks Kopf. Das Ergebnis folgte unmittelbar und dramatisch: Craddock stieß eine Reihe entsetzlicher Schreie aus. Seine Hände umklammerten seinen Kopf. Sein Körper fiel auf den Boden und zuckte verzweifelt, wie ein gestrandeter Fisch. Sein Rücken krümmte sich in einem letzten Schüttelkrampf, und er wurde schlapp und still. Langsam stand Ian auf und rieb sich den Hals. Er untersuchte Craddocks Körper. Der Mann war wirklich tot, wie er es erwartet hatte. Er blickte den drahtigen Mann an und streckte seine Hand aus. »Danke für die Hilfe – ich heiße Ian.« Der andere erwiderte den Händedruck. »Larry. Und ich danke Ihnen. Ich war gerade auf dem Weg, so wie er zu enden.« Er deutete mit dem Kinn auf die Leiche am Boden. »Er hat mich in meinem Versteck in einem der Vorratsräume erwischt. Ich habe mich schon vor einiger Zeit an Bord geschmuggelt.« »Sie haben was?« »Diese Untertasse reist in gewissen Abständen zu den Minenschächten in Bedfordshire. Mein Bruder ist dorthin als Sklave verschleppt worden. Ich will ihn suchen und herausholen.« »Dann sind Sie also ein blinder Passagier auf einem Dalekschiff. Sie wählen nicht die einfachste Reisemöglichkeit, nicht wahr?« Larry grinste. »Vielleicht nicht. Aber das ist die schnellste. Was ist mit Ihnen? Was machen Sie hier?« Ian erklärte schnell, wie er von den Daleks gefangengenommen, während des Überfalls befreit und kurz danach in der Rampennische eingesperrt wurde. »Ich suche 68
einen Freund, der mit mir zusammen gefangengenommen wurde«, schloß er. »Aber ich bin mir nicht einmal sicher, ob er noch an Bord ist. Es besteht die Hoffnung, daß er während des Überfalls entkommen konnte.« Larry begann Craddocks Körper zur Wand zu schleppen. »Es ist besser, wenn wir das hier den Müllschlucker hinunter werfen. Sie werden anfangen, uns zu suchen, wenn das hier gefunden wird.« Ian half Larry dabei, den Körper zu einer Luke in der anderen Ecke zu schleppen. Larry schob den Deckel der Luke beiseite, und sofort spürten sie den kräftigen Sog, der sie zu der Öffnung hinzog. Von beiden Seiten drückten sie die Leiche in die Luke. Die Sogkraft zog ihn augenblicklich den Schlucker hinunter. Larry schob den Deckel zurück. »Gut, es ist besser, wir verschwinden von hier und suchen ein sicheres Versteck.« Plötzlich bemerkten sie ein Motorsummen und eine gleichmäßige Vibration, die sie umgab. Ian lehnte mit der Hand an der Wand, um sich abzustützen. »Sieht so aus, als ob Sie nun doch noch auf ihre Reise nach Bedfordshire gingen. Ich glaube, wir heben ab.« Im Kontrollraum befahl der Schwarze Dalek: »Maximale Schubkraft. Gehen Sie auf Kurs zu den Minenschächten in der Zentralzone.« Das Raumschiff der Daleks hob langsam vom Heliport ab, der immer noch von den Leichen derer verwüstet war, die bei dem Angriff ums Leben gekommen waren. Sanft stieg es in die Luft und glitt rasch in nördlicher Richtung über London hinweg, gerade als der Morgen dämmerte. Von ihrem Versteck aus sahen Susan und David zu, wie die Untertasse aus ihrem Blickfeld verschwand. Susan fragte sich, ob der Doktor und Ian immer noch an Bord waren oder ob es 69
ihnen gelungen war, während des Überfalls zu fliehen. Sie hatte an ihre eigene Flucht nur eine konfuse und alptraumhafte Erinnerung: Daleks schossen in die Gruppe aus Freiheitskämpfern und entflohenen Gefangenen, sie hörte die Schreie der Sterbenden, das Donnern der Explosionen und sah ein Flammenmeer und Rauchwolken. Irgendwo in all dem Durcheinander hatte David ihre Hand gepackt und sie weggezogen. Sie flohen aus dem Bezirk, kurz bevor die Daleks ihn abriegelten, und seither waren sie durch die Ruinen gestolpert. Schließlich erreichten sie den Keller eines zerstörten Hauses, und dort hielten sie an, um sich auszuruhen. David erklärte ihr, daß das ein reguläres Versteck der Freiheitskämpfer war. Obwohl das Haus oben verfallen war, war der Keller selbst warm und trocken. Er war mit kaputten, alten Betten und Stühlen möbliert, und es gab sogar Vorräte an Essen, Wasser, Waffen und Munition. Eine Treppenflucht führte aus dem Keller zu einer Gasse hinauf, die zwischen einer Reihe zerstörter Gebäude entlangführte. Von der Kellertür aus sah Susan, wie die fliegende Untertasse über den Dächern verschwand. »Bedeutet das, daß die Daleks abgezogen sind?« Müde schüttelte David den Kopf. »Die Untertasse kommt und geht in regelmäßigen Abständen; sie transportiert Gefangene zu den Minen. Auf dem Boden gibt es immer noch genug Daleks und Robomänner.« Plötzlich brach er ab. »Ducken Sie sich da kommt eine Patrouille.« Sie zogen sich in den Keller zurück. Trotz Davids Warnung konnte Susan nicht widerstehen, durch einen Türspalt zu gucken. Zwei Daleks glitten über ihnen die Gasse hinunter. Alarmiert und mißtrauisch drehten sich ihre Augenstiele hin und her und suchten alles ab, was sie umgab. Susan huschte erschreckt in den Keller zurück und schloß die Augen. Einen Augenblick später berührte David sie sanft an der Schulter. »Es ist alles in Ordnung – sie sind wieder verschwunden. Wir 70
werden ihnen Zeit geben, sich ein Stück zu entfernen, und dann machen wir uns wieder auf den Weg.« »Wohin wollen wir?« »Wir müssen versuchen, aus London herauszukommen und uns einer der anderen Gruppen anzuschließen.« Von der Gasse drang der Klang stampfender Schritte zu ihnen nach unten. Eine Dalekstimme knirschte: »Halt! Ergeben Sie sich, oder Sie werden getötet!« Die Schritte zögerten und setzten gehetzt wieder ein. Dann gab es ein Schreien: »Nein … nein …« und das Krachen eines Dalekpistolenstocks. Dann Ruhe. Susan zitterte und warf sich in Davids Arme. »Warum sind wir jemals hierhergekommen«, rief sie hysterisch. »Warum? Warum? Wenn wir nur wieder in die Tardis zurück und einfach wegfliegen könnten … Ich bin sicher, daß der Doktor Sie mit uns kommen lassen würde …« David sagte traurig: »Fliehen Sie, wenn es Ihnen gelingt. Aber ich kann nicht.« »Wieso nicht?« »Das hier ist meine Welt. Meine Erde. Ich kann sie nicht einfach verlassen, irgendwohin abhauen.« Susan schaute ihn fragend an. »Ich habe so ein Gefühl noch nie für einen Ort empfunden. Ich verließ meinen eigenen Planeten, als ich noch sehr jung war, und seither sind wir umhergereist. Ich habe noch nie wirklich irgendwohin gehört.« David warf ihr einen ernsten Blick zu. »Eines Tages sollten Sie aufhören zu reisen und wirklich irgendwo ankommen … ducken Sie sich, da kommt jemand.« »Daleks?« »Ich glaube nicht. Menschliche Schritte. Könnten Robomänner sein …« David schob Susan in Deckung, kauerte sich unten an die Treppe und hielt sich bereit. Er nestelte an seinem Gürtel, und Susan sah ein leichtes Glitzern auf einer Messerschneide. 71
Sie warteten, während die schleppenden Schritte näher kamen …
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Wiedersehen mit dem Doktor Susan duckte sich tiefer an die Rückwand, als eine monströse, deformierte Gestalt oben an der Treppe auftauchte. Die riesige, unförmige Figur begann die Stufen herunterzusteigen … Als sie näher kam, stellte Susan fest, daß sie nicht einen Mann, sondern zwei vor sich hatte, einer trug den anderen auf seinen Schultern. Und der Mann, der getragen wurde, war der Doktor! Voller Freude stürmte sie ihm entgegen und rief: »Großvater, ich bin es, Susan!« In der Zwischenzeit hatte David den anderen Mann erkannt. Er steckte sein Messer weg und half dem Neuankömmling, den Doktor auf den Boden herunterzulassen. »Baker! Geht es Ihnen gut?« Baker stöhnte vor Erleichterung auf, als er seine Last von den Schultern gleiten ließ. »Ich bin okay. Aber ich mache mir um ihn Sorgen.« Der Doktor war sehr still. Seine Augen waren weit aufgerissen, aber er schien nicht in der Lage zu sein, zu reden oder sich zu bewegen. Susan schaute Baker ängstlich an. »Was ist? Was ist mit ihm?« »Die Daleks haben ihn unter Drogen gesetzt. Die sollten langsam nachlassen.« Der Doktor starrte zu ihnen hoch. Langsam, ganz langsam bewegten sich seine Lippen, und er flüsterte: »Susan …« Susan umarmte ihn glücklich und erleichtert. Baker, der Susans Dank mit einem Achselzucken abtat, berichtete ihnen von den verheerenden Auswirkungen des Angriffs und darüber, wie es ihm gelungen war, den Doktor vorher noch wegzuschaffen. »Wir hatten Glück. Ich glaube, daß die anderen größtenteils umgebracht oder gefangengenommen wurden.« 73
»Was werden Sie jetzt tun?« fragte David. »Möchten Sie sich uns anschließen?« Baker, ein kräftiger, wortkarger Mann, war offensichtlich ein Einzelgänger. »Nein, je größer die Gruppe, desto größer das Risiko. Ich werde mich an die Küste von Cornwall aufmachen. Dort unten gibt es nicht so viele Daleks.« David reichte ihm eine Thermosflasche und ein Essenspaket. »Hier, nehmen Sie das hier. Sie werden es brauchen.« »Was ist mit Ihnen?« »Wir werden es schon schaffen. Hier gibt es ausreichend zu essen und es sind nicht mehr viele am Leben, die essen könnten.« Baker nahm die Vorräte und ging auf die Kellertür zu. »Danke. Ich hau’ dann ab. Viel Glück.« Er ging die Treppe hoch, und sie hörten seine Schritte, wie sie sich langsam auf dem Kopfsteinpflaster der Gasse entfernten. Plötzlich schrie eine metallische Stimme: »Halt!« David rannte die Stufen hoch und spähte nach draußen. Er konnte Baker sehen, der die Gasse halb hinuntergelaufen war. Ein Dalek war am anderen Ende aufgetaucht. Baker wirbelte herum. Hinter ihm blockierte ein weiterer Dalek die Gasse. Als sich beide Daleks ihm näherten, ließ Baker seine Waffe fallen und hob die Hände. Der zweite Dalek kreischte: »Vernichten!« und sofort schossen beide los. Baker, auf den der Kugelhagel von beiden Seiten aus niederging, drehte sich in der Luft und starb sofort. Sein Körper fiel auf den Boden. Eine Weile lang ließen die beiden Daleks ihre Augenstiele über die Gasse schweifen. Dann machten sie sich leise davon. Erschüttert kroch David zu Susan zurück. »Die Daleks haben ihn einfach abgeschossen; sie ließen nicht einmal zu, daß er sich ergab. Sie müssen sich dazu entschlossen haben, jeden zu töten, der ihnen über den Weg läuft.«
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Susan wiegte den Doktor in ihren Armen und versuchte ihn dazu zu bringen, ein wenig Wasser zu trinken. »Wohin können wir gehen, David? Was können wir tun?« »Dorfman hat ein zweites Hauptquartier eingerichtet – im alten Transportmuseum. Falls Ihre Freunde überlebt haben, versuchen sie möglicherweise, dorthin zu gelangen. Dort gibt es auch noch mehr Vorräte, Bomben und Waffen. Dorfman hatte ein ganz schönes Labor …« Der Doktor ächzte und begann sich aufzusetzen. Susan half ihm in einen Stuhl. »Wie fühlst du dich jetzt?« Der Doktor sprach überraschend deutlich. »Die Daleks haben meinen Körper und meine Willenskraft paralysiert, aber nicht mein Gehirn. Wirklich eine äußerst interessante Erfahrung.« Er streckte seine Beine und stellte fest, daß er sie jetzt ein wenig bewegen konnte. »Doch es läßt nach. Läßt schnell nach.« Susan umarmte ihn wieder. »Du ruhst dich erst einmal richtig aus. Sobald du dich besser fühlst, werden wir losgehen und Barbara suchen.« Für Barbara und Jenny war der lange Weg quer durch London voller Gefahren. Obwohl es jetzt taghell war, zwang sie die Tatsache, daß Dorfman in einem Rollstuhl saß, dazu, daß sie die Straßen und Pfade in relativ gutem Zustand benutzen mußten, und das hinderte sie daran, die sichere Route über die Trümmer und durch die Abwasserkanäle zu nehmen. Von Zeit zu Zeit mußten sie den Stuhl in irgendeine Tür schieben, um Deckung zu suchen, und mußten bewegungslos in der Hocke warten, wenn eine Dalekpatrouille vorbeiglitt. Das Gefährlichste von allem war die Überquerung des Flusses. Sie hatten beschlossen, die Westminster Bridge zu nehmen, da sich in diesem Teil von Zentral-London relativ wenig Daleks aufzuhalten schienen. Sie hatten fast die Brücke 75
erreicht, als Jenny warnend zischte: »Paßt auf!« und sie Deckung suchend durch den Türbogen eines Ladens rannten. Barbara vergaß nie den Anblick, der sich ihren Augen darbot, als sie einen verstohlenen Blick nach draußen warf. Eine Dalekpatrouille glitt über die Westminster Bridge, ihre bedrohlichen Umrisse zeichneten sich gegen die ornamentverzierte Fassade des Parlamentsgebäudes ab. Das ergab ein unvergeßlich symbolisches Bild: Die kompakten, metallischen Körper der außerirdischen Invasoren hoben sich gegen die Front des Gebäudes ab, das so viele Jahrhunderte menschlichen Fortschritts und der Tradition repräsentierte – eine Tradition, die die Daleks brutal und abrupt beendet hatten. Still sahen sie zu, wie die Daleks über die Brücke marschierten und dann verschwanden. Dorfman nickte zufrieden. »Jetzt sollte erst einmal keine Patrouille mehr vorbeikommen. Kommen Sie, lassen Sie uns versuchen, die Brücke zu überqueren, solange wir es noch können.« Sie schoben den Rollstuhl über die Brücke und durch die ausgestorbenen Straßen von Belgravia, ohne auf weitere Daleks zu treffen. Das städtische Transportmuseum war in einer Seitenstraße in einer eleganten Ausstellungshalle untergebracht. Dorfman führte sie zum Hintereingang eines ehemaligen Kutscherhäuschens und zog einen Schlüssel hervor, mit dem er die verschlossene Seitentür öffnete. Sie standen in einer verdunkelten Halle, die einer riesigen Busgarage ähnelte. Überall sahen sie verschiedenartige Fahrzeuge, die mit Seilen abgegrenzt waren. Plakate erläuterten ihre Nutzung. Da waren Milchwägen, Taxis, altmodische Busse mit offenem Oberdeck, Müllwägen alle Arten von Fahrzeugen, die Teil des Lebens in einer großen Stadt sind. Einige der Fahrzeuge waren zu Barbaras Zeiten noch genutzt worden, und sie fragte sich, wodurch sie in späteren Zeiten 76
ersetzt worden waren. Hatten die Londoner jemals ihr Transportproblem gelöst? Falls ihnen das nicht gelungen war, dachte Barbara zynisch, als ihr die leeren Straßen einfielen, dann hatten die Daleks das für sie erledigt. Im hinteren Teil der Halle waren verschiedene Räume, die von dem Museumspersonal genutzt worden waren, und eine Werkstatt, in der Dorfman sein Labor eingerichtet hatte. Er fuhr sofort dorthin und vergaß die beiden Mädchen in seinem eifrigen Drang, sich wieder an die Arbeit zu machen, völlig. Für ihn war sein Vorhaben fast zu einer fixen Idee geworden – die Herstellung einer Bombe, die die Daleks vernichten konnte. Auch Jenny verschwand. Sie suchte das Gebäude nach Spuren von Feinden ab. Mehrere Stunden später war Barbara damit beschäftigt, in einer Ecke der Halle einen Kessel warm zu machen. Hinter einem kleinen Wandschirm hatte sie ein winziges Küchenabteil entdeckt. Da war ein Tisch und ein Gaskocher, ein Päckchen Tee in einem der Schränke und eine ungeöffnete Milchkonserve. Eine Tasse Tee zu machen, schien überaus logisch. Die typische, englische Antwort auf jede Krise, dachte Barbara und lächelte, als sie Wasser in eine angeschlagene Teekanne leerte. Eine Seitentür flog auf, und Dorfman rollte auf sie zu. Der Sack über seiner Schulter war wieder einmal mit glänzenden Granaten gefüllt. »Sie sind fertig«, verkündete er triumphierend. »Ich habe die Sprengladung erhöht. Das Problem liegt darin, die Metallhülle der Daleks aufzubrechen. Sie ist aus Dalekenium gemacht.« Zweifelnd schaute Barbara die Granaten an. Würden sie dieses Mal wirklich ihren Dienst tun? Dorfman war vor dem katastrophalen Überfall auf die fliegende Untertasse der Daleks genauso sicher gewesen. Sie reichte ihm eine Tasse Tee. »Dieses Dalekenium … könnte es das sein, wonach sie in Bedfordshire graben?« 77
»Das bezweifle ich. Ich denke mir, daß sie Dalekenium auf ihrem eigenen Planeten fördern.« »Was suchen sie dann? Vielleicht Öl? Irgendein Metall?« Dorfman schüttelte den Kopf. »Sie hätten sich hundert andere Planeten aussuchen können, um diese Dinge zu bekommen. Aber sie sind hinter etwas her … etwas, das tief im Herzen der Erde vergraben ist.« Jeder Schritt warf sein Echo durch die große Halle, als Jenny auf sie zukam. »Ich habe das gesamte Gebäude überprüft«, verkündete sie. »Keine Spur von irgend jemandem. Aber ich glaube, daß Dalekpatrouillen hier gewesen sind und ich weiß, daß einige unserer Leute hier gewesen sind.« Barbara schenkte ihr Tee ein. »Wie können Sie so sicher sein?« Jenny zeigte auf ein geheimnisvolles Zeichen, das an eine Wand in der Nähe gekritzelt war. »Das da ist eines unserer Benachrichtigungszeichen. Es heißt, daß einige unserer Leute hier gewesen sind und weiter gezogen sind zur Südküste. Kann es ihnen auch nicht verdenken. London scheint vor lauter Daleks überzuquellen.« Dorfman runzelte die Stirn. »Denken Sie, daß eine weitere Streitkraft in London gelandet ist?« »Sie haben es ja selbst gesehen. Wir hatten Glück, daß wir es durch die Straßen hierher geschafft haben. Wenn sich die Lage verschlimmert, haben wir keine Chance. Wir werden weiterziehen müssen.« Barbara sank das Herz in die Hose bei dem Gedanken an eine weitere sinnlose und gefährliche Reise. »Wohin können wir gehen? Was nutzt es, wenn wir die ganze Zeit nur herumrennen?« Jenny sah sie kalt an. »Wir überleben, nicht wahr? Nur das zählt.«
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Dorfman klopfte auf seinen Sack mit Granaten. »Wir alle werden überleben. Jetzt habe ich diesen Sprengstoff mit der neuen Formel …« Verzweifelt betrachtete Barbara ihre beiden Kameraden. Dorfman, der besessen war, die Bombe zu perfektionieren, was sein Hauptgrund war, noch weiterzuleben. Jenny, die nur daran dachte, wegzurennen und sich zu verstecken wie ein gejagtes Tier. Sie brauchten jemanden, der das Problem aus einer weiteren Perspektive betrachten konnte. Barbara sprach ihre Gedanken laut aus: »Ich wünschte, der Doktor wäre hier.« Jenny schaute überrascht auf. »Er ist nur ein alter Mann, nicht wahr? Was könnte er tun?« »Zufälligerweise ist er ein brillanter Wissenschaftler. Er könnte denken – was mehr ist, als der Rest von Ihnen zu tun scheint.« »Ein Wissenschaftler, sagen Sie?« Sofort zeigte Dorfman Interesse. »Ich würde meine Arbeit gern mit einem anderen Wissenschaftler diskutieren. Wenn wir nur wüßten, wo er steckt …« »Ich habe mir darüber Gedanken gemacht und versucht, mich in ihn hineinzuversetzen. Ich bin sicher, daß diese Minen in Bedfordshire ihn neugierig machen. Er würde sie sicher gern sehen.« Brutal verbesserte Jenny: »Falls er noch am Leben ist.« »Natürlich ist er noch am Leben«, antwortete Barbara wütend. »Wieso? Was ist an Ihrem Doktor so Besonderes? Er trägt doch kein unsichtbares Schutzschild, oder?« Dorfman sprach plötzlich mit großer Autorität. »Jenny! Gehen Sie und schauen Sie sich noch mal um.« Als Jenny eingeschnappt wegtrottete, sagte Dorfman entschuldigend: »Sie ist nicht wirklich hart, wissen Sie. Den größten Teil ihres Lebens hat sie die Daleks bekämpft.« Barbara nickte verständnisvoll, und er fuhr fort: »Ich möchte, daß Sie 79
versuchen, Ihren Freund, den Doktor, zu finden, und ihm das hier geben – das sind die Aufzeichnungen für die Bombe.« Er reichte ihr einen fest zusammengefalteten Packen Papier, das mit Notizen und unverständlichen Diagrammen vollgeschrieben war … Erstaunt schaute Barbara auf die Papiere. »Warum geben Sie sie ihm nicht selbst?« »Das kann ich, das kann ich … falls wir uns jemals treffen. Aber in der Zwischenzeit möchte ich, daß Sie sich ihrer annehmen. So bin ich nicht wirklich beweglich, oder? Falls etwas passiert, möchte ich, daß meine Arbeit fortgesetzt wird.« Trotz all seiner Bitterkeit, dachte Barbara, konnte niemand Dorfmans Mut leugnen. Verkrüppelt, geschlagen, gejagt, war sein einziger Gedanke, weiter zu kämpfen. Sie nahm die Papiere und legte sie auf den Tisch. »In Ordnung, ich werde auf sie aufpassen, wenn Sie es wollen. Aber ich werde Sie nicht verlassen …« Dorfman lächelte sie an, was sehr selten vorkam. »Danke. Nun dann, wenn Sie Jenny auftreiben, könnten wir uns auf den Weg zu diesen Minen machen …« Barbara mußte nicht weit gehen, um Jenny zu suchen. Auf der anderen Seite der Halle war eine Treppe. Jenny rannte sie hinunter, ihre Schritte hallten. »Daleks! Ich habe sie vom oberen Fenster aus gesehen. Sie sind hier, überall.« Jennys Stimme hallte durch den ganzen Raum. Dorfman, der in der Nähe war, hörte es und traf eine schnelle Entscheidung. Er packte die Bomben auf seinen Schoß und rollte seinen Stuhl zu den Haupteingangstüren. Barbara und Jenny verpaßten ihn, da sie auf der anderen Seite der Halle hinunterliefen. Erstaunt hielt Barbara inne, als sie sah, daß Dorfman nicht da war, wo sie ihn zurückgelassen hatten. Jenny schaute sich um. »Wo ist er? Er kann nicht hinausgegangen sein, er kann doch nicht so dumm sein.«
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Barbara sah die Papiere auf dem Tisch. »Sehen Sie, er hat die Pläne zurückgelassen aber er hat die Bomben mitgenommen. Ich glaube, er ist losgegangen, um sie auszuprobieren.« Von der Frontseite der Halle dröhnte ein lautes Klappern durch die Halle. Tageslicht strömte herein, als die Haupttüren geöffnet wurden. Sie drehten sich um, sahen Dorfman in der Tür und hörten seine Stimme, die trotzig und herausfordernd klang. »Daleks! Wo seid ihr, Daleks?« Eine Dalekgruppe vor der Haupteingangstür des Museums schien vor Erstaunen stehenzubleiben, als Dorfman in der Tür auftauchte. Widerstand und Angriff waren für sie eine neue Erfahrung, und sie zögerten, weil sie eine Falle fürchteten. Dorfman rollte nach vorn, direkt auf den nächsten Dalek zu. Als er nah genug war, warf er den ganzen Sack Granaten. Es gab eine gewaltige Explosion, und dann war da nur noch ein Flammenmeer. Eine Gebäudeecke brach in sich zusammen, und Dorfman und die feindlichen Daleks verschwanden unter den Trümmern. Verwirrt liefen die übrigen Daleks um her und schrien: »Notfall! Wir werden angegriffen.« Barbara nahm Dorfmans Papiere und zog Jenny in den Schatten. »Sie werden jeden Moment hier sein. Wir müssen uns verstecken.« Vorsichtig kamen die Daleks in die Halle, die Augenstiele suchten die Ausgänge auf allen Seiten ab. Einer von ihnen richtete seinen Pistolenstock auf einen Milchmann aus Wachs, der steif neben seinem Wagen postiert war. »Halt! Wer sind Sie?« Die Wachsfigur bewegte sich selbstverständlich nicht. Ein anderer Dalek untersuchte sie genauer. »Das ist ein subkulturelles Bildnis. Fahren Sie mit der Suche fort.« Die Daleks fuhren fort, die Halle methodisch abzusuchen. Barbara und Jenny zogen sich vor ihnen zurück und sprangen von einem Fahrzeug zum anderen. Verzweifelt erkannte 81
Barbara, daß sie in die Enge getrieben wurden. Die Daleks kamen immer näher und verkleinerten den Kreis, den sie um die beiden Mädchen gebildet hatten … Entschlossen stolperte der Doktor in dem kleinen Keller auf und ab, um die Nachwirkungen der Dalekdrogen abzubauen. Sein Gesicht war grimmig und verschlossen, während er damit kämpfte, die stechenden, krampfartigen Schmerzen in Armen und Beinen zu ignorieren. Susan sah ihm besorgt zu. Sie erkannte, daß der Doktor ziemlich sicher so lange weiter gehen würde, bis er umfiel. Sie schnappte seinen Arm und führte ihn behutsam zu einem Sessel. »Immer sachte. Das reicht fürs erste.« Dankbar streckte der Doktor seine schmerzenden Glieder aus. »Ich habe nie bemerkt, daß Laufen so ermüden kann. Die Taubheit läßt jetzt aber wirklich nach. Ich müßte eigentlich in kurzer Zeit schon in der Lage sein zu reisen.« »Gut. David schlägt vor, daß wir nach Norden gehen sollen, um uns dort der anderen Widerstandsgruppe anzuschließen.« Susan bemerkte sofort, daß sie einen Fehler gemacht hatte. Der Doktor runzelte die Stirn und sagte spitz: »Mein liebes Kind, es kümmert mich nicht, was jener junge Mann sagt. Ich fälle die Entscheidungen, und ich glaube, daß es das Beste ist, wenn wir sofort zur Tardis zurückkehren.« »Aber wir können nicht hinein. David sagt, daß die Daleks ganz London im Griff haben. Wir kommen niemals lebend dorthin.« Die befehlsgewohnte Seite des Doktors kam zum Vorschein. »Stellst du meine Autorität in Frage, Kind?« »Nein, aber David sagt…« »David sagt, David sagt«, äffte sie der Doktor wütend nach. »Du scheinst dem Urteil des jungen Mannes mehr Vertrauen entgegenzubringen als meinem!«
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Schockiert stellte Susan fest, daß der Doktor wirklich recht hatte. Irgendwie war es so gekommen, daß sie sich auf David verließ und seiner Einschätzung in jeder Krise vertraute. Sie fühlte sich sicher, wenn sie zusammen waren. Deshalb wollte sie ihn nicht verlassen. Vielleicht gab es auch andere Gründe … David, der von seiner Erkundungsexpedition zurückkehrte, hörte laute Stimmen und bekam die letzten Argumente mit. Er hielt oben an der Kellertreppe inne und kam zu dem Schluß, daß er umsichtiger vorgehen mußte. Er fing an, Susan gern zu haben, und wollte nicht, daß sie getrennt würden. Er hastete hinunter. Der Doktor und Susan starrten sich zornig an und schienen ihn kaum wahrzunehmen. David ignorierte die spannungsgeladene Atmosphäre. »Ich bin nicht einmal bis zum Fluß gekommen. Überall sind Patrouillen. Wir werden es nie bis zum Museum schaffen.« Der Doktor schnaubte. »Verstehe ich Sie richtig, daß Sie meinen, daß es auch zu gefährlich ist, zurück zum Fluß zu gehen?« David nickte. »Ich fürchte ja. In dieser Gegend sind natürlich auch Daleks, aber nicht ganz so viele.« Er grinste Susan beruhigend an und wandte sich wieder dem Doktor zu. »Ich möchte Sie fragen – was würden Sie als nächsten Schritt vorschlagen?« Der Doktor saß sofort kerzengerade. »Ich? Wieso fragen Sie mich?« »Sie sind das älteste Mitglied der Gruppe, Sir. Selbstverständlich möchte ich gern von Ihrer außergewöhnlichen Erfahrung profitieren.« Der Doktor strahlte. Ihm wurde klar, daß dieser junge Mann doch ein vernünftiger Kerl war. Er dachte sorgfältig nach. »Tja, wenn Sie wirklich meinen Rat hören wollen … Ich glaube, wir sollten nach Norden gehen und uns dort einer der anderen 83
Widerstandsgruppen anschließen. Ich bin sehr neugierig darauf, zu sehen, was die Daleks in ihren Minen vorhaben.« Susan warf die Arme um den Doktor und drückte ihn. »Großvater! Oh, Großvater!« Der Doktor erwiderte ihre Umarmung und winkte David über ihre Schulter hinweg zu. »Mein liebes Kind, was soll das ganze Theater denn nur?« Der Befehlshaber der Bodeneinheit der Daleks glitt in den Kontrollraum des Londoner Stützpunktes. »Meldung vom Oberbefehlshaber der Daleks, der jetzt unterwegs ist zum Minengebiet. Erwartet Bericht über die Zerstörung der Rebellenverstecke.« Der Dalekingenieur zeigte mit seinem Saugnapf auf eine erleuchtete Wandkarte. »Zerstörung schreitet voran. Rebellenverstecke in den Gebieten Eins bis Drei zerstört. Gebiete Vier bis Acht stehen jetzt in Flammen. Sind gerade dabei, Sprengladungen in der Umgebung eines vermutlichen Rebellenverstecks im Gebiet Neun auszulegen.« Der Saugnapf zeigte auf eine Stelle auf der Karte … Die beiden Daleks glitten die Gasse über dem Keller hinunter, in dem der Doktor und seine Freunde sich versteckten. Sie zogen beide einen kleinen Handwagen, auf welchem ein großer Metallkanister stand. Im Deckel des Kanisters waren Anzeigen und Schalter eingelassen. Einer der Daleks berührte einen Schalter, und der Kanister fing an, elektronische Pieptöne auszusenden. Die beiden Daleks, die den Handwagen am oberen Treppenabsatz stehengelassen hatten, drehten sich um und glitten weg. Aus der Entfernung war das Geräusch einer Explosion zu vernehmen. Susan schaute bei dem entfernten Donner auf. »Was war das?«
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»Die neueste Dalektaktik«, erklärte David grimmig. »Riesige Bomben. Sie zerstören ganze Sektionen der Stadt auf einmal. Überall dort, wo die Daleks eines unserer Verstecke vermuten, jagen sie einfach die ganze Gegend in die Luft!« Der Doktor sprang auf. »Sollten wir uns nicht auf den Weg machen, mein Junge? Was ist, wenn sie den Verdacht haben, daß es in dieser Gegend ein Versteck gibt…?« Susan zitterte. »Müssen wir? Mir gefällt das Geräusch dieser Explosionen nicht und es ist möglich, daß immer noch Daleks in der Nähe sind.« David legte einen Arm um ihre Schultern. »In Ordnung, wir werden noch eine Weile hierbleiben. Aber der Doktor hat recht, wir müssen bald gehen.« Draußen auf der Zündungsanzeige des Behälters flackerte eine Nadel. Der Abstand zwischen den elektronischen Pieptönen verringerte sich, als der Countdown in die letzte Phase eintrat…
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Die Minen der Daleks Plötzlich hob der Doktor seine Hand hoch. Susan starrte ihn an. »Was ist?« »Hör doch!« Der elektronische Piepton war in der Stille deutlich zu hören. Er wurde schneller und lauter. Der Doktor und seine Kameraden rannten aus dem Keller. Erschrocken blieben sie beim Anblick des Behälters stehen, den sie oben an der Treppe entdeckten. »Was ist das?« flüsterte Susan. David schnitt ein grimmiges Gesicht. »Eine der Riesenbomben der Daleks.« Susan zerrte an seinem Arm. »Schnell, lassen Sie uns weglaufen … rennen Sie!« David bewegte sich nicht. »Hat keinen Sinn. Das Ding kann jeden Augenblick in die Luft fliegen. Es gibt keine Möglichkeit, so weit wegzukommen, daß wir außerhalb der Reichweite der Explosion sind.« Er stand da und starrte die Bombe an, als ob er durch den Schrecken gelähmt wäre. »In diesem Fall ist es besser, wenn wir das Ding auseinandernehmen«, sagte der Doktor forsch. Flink rannte er die Stufen hoch, beugte sich über den Behälter und studierte die Schalter, die in den Deckel eingelassen waren. »Nun denn, diese Anzeige mit der Nadel ist der Zeitmesser. Der rote Abschnitt um zwölf Uhr kennzeichnet den Explosionspunkt, glaube ich.« David schaute ihm über die Schulter. »Also, wenn die Nadel ins Rote kommt, dann ist das das Ende?« Der Doktor nickte. »Helfen Sie mir, die Vorderseite dieses Dings aufzubrechen, ja, mein Junge? Ich muß die Zeitkontrolle zerstören.«
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David zog ein Messer hervor und stieß es in den Spalt zwischen dem Behälter und Deckel. Er drückte mit all seiner Kraft und die Messerklinge zerbrach. »Ich brauche eine Art Hebel«, schnappte der Doktor. »Seht euch um, ihr beide. Ein Nagel, ein Metallstück, egal, Hauptsache irgend etwas.« Gehorsam begannen David und Susan die Trümmer abzusuchen. Der Doktor machte sich weiterhin mit der abgebrochenen Klinge zu schaffen, hatte aber keinen Erfolg. Der Klingenstumpf war zu dick, um in den Spalt eindringen zu können. Er warf ihn weg. Susan fand ein verdrehtes Stück Eisen. »Wie ist es damit, Doktor?« »Zu groß. Es muß irgendeinen Weg geben, hineinzukommen … irgendein Werkzeug.« Plötzlich rief David: »Säure! Dorfmans Bomben – der Zündungsmechanismus basiert auf Säure. Vielleicht können wir damit die Hülle zerstören.« Der Doktor nickte eifrig. »Das ist eine Möglichkeit. Lassen Sie uns eine herholen. Schnell jetzt!« David rannte in den Keller hinunter und tauchte sofort wieder mit dem Bombensack auf. Er rannte wieder die Stufen hinauf und reichte dem Doktor eine der zerbrechlichen Glaskugeln. Der Doktor nahm sie ab und legte sie vorsichtig oben auf den Behälter, genau auf die Stelle, wo er den Zeitmechanismus vermutete. »Reich mir dein Stück Eisen, Susan. Also, falls es mir gelingt, die Säure austreten zu lassen, ohne die Bombe zu zünden…« Indem er das Eisen als Hammer benutzte, verpaßte der Doktor der Kugel einen vorsichtig bemessenen Schlag, wie jemand, der ein weichgekochtes Ei mit einem Löffel aufschlägt. Es bildete sich ein Riß auf der Kugel, und eine farblose Flüssigkeit begann herauszulaufen. Als sie über den Deckel der Behälter lief, rauchte es. »Seht«, flüsterte Susan. »Sie frißt sich durch …«
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Ein Stück Metall brach langsam auf und zerbröckelte. Der Doktor stieß vorsichtig das Eisenstück hinein, und das Metall blätterte ab und zerfiel. »Wunderbar! Jetzt wieder Ihr Messer, junger Mann.« David, der sich wie ein assistierender Chirurg bei einer Operation vorkam, reichte dem Doktor das zerbrochene Messer. Der Doktor stierte auf die Zündungsanzeige. Jetzt war die Nadel knapp vor dem roten Bereich, und der Piepton wurde sogar noch lauter. Aber das Gesicht des Doktors war ohne Angst oder Erregung, und seine Hand blieb ruhig, als er mit dem improvisierten Werkzeug an dem empfindlichen Mechanismus herumhantierte. »Jetzt, wenn ich die Zündschnur entferne …« Behutsam hob er ein kleines Stück der Bombenbefestigung heraus … Plötzlich verstummte der Piepton. Die Nadel auf der Zündungsanzeige stand still, und der Doktor stützte sich auf den Behälter und holte tief Luft … Die Daleks beendeten die Durchsuchung des Transportmuseums und versammelten sich draußen. »In dem Gebäude sind keine weiteren Rebellen«, verkündete der Patrouillenführer mit zufriedener Stimme. »Wir werden die Suche an einem anderen Ort fortführen.« Die Dalekpatrouille entfernte sich und hinterließ einen Trümmerberg, der einige von ihnen und den Rebellenführer Dorfman unter sich begraben hielt. Im Museum krochen Barbara und Jenny aus ihrem Versteck, einem Gemeindemüllwagen aus der Vorkriegszeit. Obwohl es ein einfaches Versteck gewesen war, hatte es sich als sehr effektiv erwiesen. Die Daleks hatten jeden Fleck um die geparkten Fahrzeuge herum abgesucht, aber nicht daran gedacht, einen Blick in eines hineinzuwerfen; vielleicht verstanden sie den Zweck dieser fremden Maschinen nicht. 88
Barbara spähte aus der offenstehenden Vordertür. »Sie sind weg. Aber man kann nicht davon ausgehen, daß sie nicht wiederkommen. Wir müssen von hier abhauen.« »Wie? Überall sind Dalekpatrouillen, und wir werden niedergeschossen, sobald wir einen Fuß auf die Straße setzen.« »Dann setzen wir eben keinen Fuß auf die Straße.« Barbara verfolgte eine Idee. »Mit all den Transportmitteln, die hier herumstehen, warum sollten wir da laufen?« Barbara ignorierte Jennys Proteste, daß der ganze Plan verrückt war und nie klappen würde, und fing an, die Fahrzeuge in der Halle zu überprüfen. Einige waren zu schwerfällig und antiquiert, andere zu langsam, und schließlich entschied sie sich für den robusten Gemeindemüllwagen, in dem sie sich versteckt hatten. Eine Durchsuchung der Garage, die zu dem Museum gehörte, förderte Werkzeug, eine Fußpumpe und als Krönung ein halbes Dutzend Benzinkanister zutage, die unter einer Abdeckplane lagen. Wenig später pumpte Jenny die Reifen des Müllwagens auf, während Barbara den Motor durchsah. Als sie noch Lehrerin war, hatte sie einen eigenen Wagen gehabt, und sie hatte damals Grundkenntnisse erworben, um sich einige der Werkstattrechnungen zu ersparen. Jenny hielt atemlos inne, und Barbara ließ die Kühlerhaube des Müllwagens herunter. »In Ordnung, dann werden wir es versuchen.« »Wie sieht der Motor aus?« »Soweit ich sehen kann, gut. Normalerweise werden sie an so einem Ort sehr gut gewartet. Ich nehme an, daß sie sie gelegentlich bei Paraden und Ausstellungen gefahren haben.« »Sicher kommen die Daleks gleich angesprungen, wenn sie hören, daß wir den Motor starten.« Jenny hörte auf zu pumpen und wurde von Barbara abgelöst, bis diese dem Reifen versuchsweise einen Fußtritt versetzte. »Da, das wird reichen.« Sie entfernte die Pumpe. »Wir werden 89
es einfach riskieren müssen, trotz des Krachs. Es wird immer noch besser sein, als zu Fuß zu gehen.« Jenny blieb pessimistisch. »Sehen Sie nicht, daß wir in diesem alten Ding nicht sehr weit kommen werden?« »Wahrscheinlich nicht«, antwortete Barbara ruhig. »Aber es wird es uns immerhin ermöglichen, erst einmal aus London herauszukommen.« »Wissen Sie denn überhaupt den Weg nach Bedfordshire?« »Ja, natürlich …« Barbara zögerte. »Früher zumindest kannte ich ihn.« »Was soll das heißen?« »Die Orientierungspunkte können sich verändert haben. Ich weiß nicht genau, wieviel Schaden die Daleks angerichtet haben.« »Warten Sie nur, bis Sie es sehen«, sagte Jenny düster. Barbara seufzte. Es gab Zeiten, wo sie sich eine fröhlichere Begleiterin gewünscht hätte. Wieder kehrten ihre Gedanken zu Susan und dem Doktor zurück. Was machten sie jetzt? Und Ian … Was war mit ihm geschehen? Ian und Larry, die sich in einem leeren Vorratsraum zusammenkauerten, unterhielten sich leise. Beide waren nervös und achteten gespannt auf alle Geräusche. Gerade eben hatte sich der Ton des Raumschiffmotors verändert, und Ian war überzeugt, daß sie bald landen würden. Würden sie in Bedfordshire sein, so, wie er es sich erhoffte? Oder noch wichtiger, würden sie in der Lage sein, vom Schiff zu kommen, ohne entdeckt zu werden? Larry sprach über seinen vermißten Bruder Phil und dessen Plan, herauszufinden, was die Daleks machten. »Phil hat sich absichtlich in die Minen schicken lassen. Er rechnete damit, daß wir eine größere Chance hätten, die Daleks zu bekämpfen, wenn wir wüßten, was sie vorhaben.«
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Ian nickte abwesend. Er konzentrierte sich auf weitere Anzeichen einer Landung. »Ich glaube auch, daß das sinnvoll ist.« »Phil hat nur eine Nachricht aus den Minen geschickt. Er hat eine Art Theorie aufgestellt … er glaubt, daß die Daleks bohren, um den magnetischen Kern der Erde zu erreichen …« Ein plötzlicher Ruck warf sie taumelnd durch den Vorratsraum, und Ian verlor das Interesse an Larrys Bruder und dessen Theorien. »Wir sind jetzt auf der Erde«, flüsterte er aufgeregt. »Aber wie kommen wir jetzt hinaus?« Larry deutete mit dem Kinn zur Ecke des Raumes, wo sich wieder ein Müllschlucker befand. »Nur ein Ausgang. Da durch. Sobald Sie draußen sind, gehen Sie in Deckung. Aber ich werde zuerst gehen.« Larry ging zu dem Müllschlucker hinüber, aber Ian hielt ihn auf. »Denken Sie überhaupt daran, daß wir nicht wissen, was da draußen ist?« Larry schob ihn zur Seite. »Nur ein Weg, es herauszufinden.« Er riß die Lukenabdeckung auf, schwang seine Beine über den Rand und wurde sofort von dem starken Luftzug nach unten gezogen. Ian zögerte einen Augenblick. Aber Larry hatte recht, es gab keine Alternative. Es würde ihnen nie im Leben gelingen, die Rampe hinunterzukommen. Er schwang die Beine über die Lukenöffnung und folgte Larry. Sofort spülte der Sog ihn weg. Er sauste durch die Dunkelheit und rutschte in etwas hinunter, was ihm wie ein gigantisches Abflußrohr vorkam. Plötzlich endete die Röhre, und Ian merkte, wie er durch die Luft flog. Mit einem Bums landete er auf festem Boden, rollte über die Schulter, kam auf und rannte los, um vorn in einer Ansammlung von Büschen Schutz zu suchen. Er sprang in ihre Mitte und landete auf Larry, der offensichtlich dieselbe Route eingeschlagen hatte.
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Sobald er wieder bei Atem war, schnaufte er: »Was glauben Sie, wo wir sind? Ist das Bedfordshire?« Larry teilte die Büsche. »Sehen Sie doch mal.« Ian schielte durch die Blätter und holte erstaunt Luft. Die Untertasse war an einem Ort gelandet, der wie das größte Minengebiet der Welt aussah, ein riesiges, trübes Tal, das in eine ehemals bewaldete englische Landschaft geschnitten worden war. Es war mit Minenschachteingängen gesprenkelt, die in regelmäßigen Abständen vorhanden waren. Überall schoben Maschinen die Erde hin und her, manche waren anscheinend dalekschen Ursprungs, andere stammten offensichtlich von der Erde. Kleine Hütten überzogen reihenweise das Gelände und verliehen dem ganzen Minenlager ein Aussehen wie zu Zeiten des Goldrauschs. Ein glänzender Metallmast überragte das Gelände. Daneben war ein Krater, der nach einem erloschenen Vulkan aussah. Das riesige Gelände brodelte vor Aktivität. Sklavenarbeiter trotteten in langen Reihen hin und her. Sie wurden von Robomännern mit Metallhelmen bewacht und waren von Peitschen und Gewehren umgeben. Hier und da glitten Daleks auf Inspektionstouren hoch und runter. Ian empfand neuen Respekt für Larrys vermißten Bruder und dessen Theorien. Die Daleks hatten ein kolossales Unternehmen geplant. Sicherlich gab es die Antwort auf die Frage nach dem Grund für ihre geheimnisvolle Anwesenheit auf diesem Planeten und vielleicht den Schlüssel für ihre Niederschlagung. Er drehte sich Larry zu. »Das ist eine ganz schöne Sache, hier Ihren Bruder zu finden.« »Verdammt, ich muß es einfach versuchen. Kommen Sie, gehen wir auf das Gelände. Mit etwas Glück können wir uns unter die Sklavenarbeiter mischen.« Larry, der nicht im geringsten versuchte, sich zu verstecken, marschierte über das Gelände. Ian trottete neben ihm her und hoffte, daß sie wie Industriearbeiter aussahen, die für die 92
Daleks einen Botengang erledigten. Sicherlich sahen sie ebenso zerlumpt und hungrig wie die anderen Sklaven aus. Sie erreichten den Unterstand eines riesigen Baggers und hielten an, um all die Bewegungen in ihrer Umgebung zu beobachten. »Falls wir die Möglichkeit haben, einen dieser vorbeilaufenden Typen zu packen«, flüsterte Larry, »dann können wir ihn über meinen Bruder befragen.« Der gewohnte, verhaßte Klang einer Dalekstimme ertönte: »Sektion Beta Null. An der Hütte Dreißig soll für eine Robotisationsselektion vorbeimarschiert werden.« »Ich finde, wir sollten lieber ein Versteck suchen«, murmelte Larry. »Hier passiert ein bißchen zuviel.« Hinter ihnen war eine Stimme zu hören. »Und wer seid ihr beide?« Sie wirbelten herum. Ein Mann mit schmalem Gesicht, im mittleren Alter, war gerade eben um die Ecke des Baggers gekommen. Er sah ebenso zerlumpt aus wie all die anderen, aber gleichzeitig strahlte er eine natürliche Autorität aus. Er musterte sie ungeduldig und wartete auf eine Antwort. Larry warf ihm einen herausfordernden Blick zu. »Mach dir um uns keine Sorgen. Wer bist du?« »Ich heiße Wells und bin einer der Selektionsführer. Warum seid ihr nicht bei eurer Arbeitsgruppe? Es bringt uns alle in Schwierigkeiten, wenn ihr euch um euren Arbeitsanteil drückt.« Sie antworteten nicht, und er schaute sie genauer an. »Ihr flieht, nicht wahr? Ich gehe davon aus, ihr wißt bereits, daß genau auf der anderen Seite der Maschine Robomänner sind?« Er griff unter die Maschine und packte einen Stapel Spitzhacken. Einige warf er Ian und Larry zu. »Nehmt die hier und überlaßt das Reden mir.« Ein Robomann tauchte an einer Seite der Maschine auf. Er hielt an, schaute sie durchdringend an und fragte mit der bekannten, schleppenden Stimme: »Wer sind diese beiden Männer?«
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»Ich habe sie aus einer Arbeitsgruppe geholt«, sagte Wells schnell. »Ich brauchte sie, um weiteres Werkzeug zusammenzusammeln.« »Welche Arbeitsgruppe?« Wells machte mit dem Arm eine vage Bewegung. »Ich weiß es nicht genau, irgendwo da drüben.« Larry und Ian standen vollkommen still, als der Robomann sich ihnen näherte und sie mit seinen toten Augen anstarrte. »Sie müssen an der Robotisierung teilnehmen.« Wells schüttelte den Kopf. »Sie werden in ihrer Arbeitsgruppe dringend gebraucht. Ich werde sie gleich zurückbringen.« »Nein. Sie müssen dabei sein.« Der Robomann trat auf Ian zu. »Warum warten Sie? Bewegung!« Langsam, ganz langsam liefen Ian und Larry weiter. Der Robomann wandte sich Wells zu. »Sie. Kommen Sie her.« Langsam ging Wells zu ihm hinüber. Sobald er nah genug war, schwenkte der Robomann seinen Arm in einem brutalen Bogen und knüppelte Wells mit dem Kolben seines Gewehrs zu Boden. Wells brach mit dem Gesicht nach unten im Schlamm zusammen. Er stöhnte und umklammerte seinen Kopf. Gefühllos keifte der Robomann: »In Zukunft melden Sie all Ihre Entscheidungen Ihren Herren.« Ian rannte zu Wells hinüber und half ihm auf die Füße. Larry zögerte eine Sekunde und lief dann hinterher. Sie nahmen Wells zwischen sich und halfen ihm auf die Beine. Blut rieselte aus einer klaffenden Wunde auf seiner Stirn. Plötzlich wurde der Robomann auf sie aufmerksam. »Was machen Sie?« Ian antwortete wild: »Sie können ihn nicht einfach so zurücklassen.« »Widersetzen Sie sich nicht den Befehlen.«
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»Holen Sie sich andere Befehle!« erwiderte Ian verächtlich. Sie nahmen Wells zwischen sich und schleppten ihn zur nächsten schutzbietenden Hütte. Der Robomann stand ganz still da und unternahm keinen Versuch, ihnen zu folgen. Sie legten Wells auf den Tisch, und Ian tupfte das Blut mit seinem Taschentuch ab. Einen Augenblick später strengte sich Wells an, hochzukommen. »Ich bin in Ordnung. Tut mir leid, daß ich euch da hineingezogen habe – mir ist nichts anderes eingefallen.« »Wir müssen dir danken«, sagte Ian. Er rannte zum Fenster hinüber und schaute hinaus. Der Robomann stand immer noch ganz ruhig da. Dann nickte sein Kopf abrupt, als ob er auf eine unhörbare Stimme antworten würde. Mit dem Gewehr im Anschlag schlich er auf die Hütte zu. Der Robomann trat ein. Wells saß auf dem Tisch, und Larry stand neben ihm. Das war das letzte, was der Robomann sah. Ian trat hinter der Tür hervor und knüppelte ihn mit einem heftigen Schwung seines Spitzhackengriffs zu Boden. Zitternd kam Wells auf die Beine. »Wir müssen von hier weg. Die Daleks wissen es immer sofort, wenn ein Robomann angegriffen wird. Die Funkverbindung reißt ab. Nehmt ein paar Werkzeuge und versucht euch unter die Arbeitsgruppen zu mischen. Das Gelände hier ist groß, und ihr habt vielleicht die Chance, daß sie euch in der Menge verlieren.« Ian nickte und hob ein paar Spitzhacken auf. Eine gab er Larry. »Was ist mir dir?« »Ich kenne ein gutes Versteck, nicht weit von hier. Ich muß in der Nähe bleiben. Ich will hier später Ashton treffen.« »Jemand Wichtiger?« Ian vermutete, daß Wells ein Führer irgendeiner Widerstandsgruppe war, die es auch in den Minen gab.
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»Ashton ist eine Ratte«, erklärte Wells objektiv. »Er schmuggelt zusätzliche Nahrungsmittel herein und verkauft sie an uns für alles, was wir zusammenkriegen können – Ringe, Schmuck, alles, was die Leute verstecken konnten. Trotzdem ist er nützlich. Die zusätzlichen Nahrungsmittel haben doch ein paar Menschenleben gerettet.« Neugierig schaute er Ian an. »Ich weiß immer noch nichts über euch beide. Versucht ihr auszubrechen?« Ian grinste. »Ob du es glaubst oder nicht, wir brechen ein. Larry hier sucht seinen Bruder, und ich suche nach einem Freund. Außerdem möchte ich mich umsehen und herauskriegen, was die Daleks vorhaben.« »Ihr müßt verrückt sein«, murmelte Wells bloß. »Vielleicht. Paß mal auf, was auch immer passiert, früher oder später werden wir von hier verschwinden wollen. Wird dieser Ashton uns zurück nach London schmuggeln können?« »Vielleicht für einen gewissen Preis. Trefft mich später hier, wenn es dunkel wird – dann müßte es eigentlich wieder sicher sein. Ich werde euch berichten, was er sagt.« Ian warf die Spitzhacke über seine Schulter. »Gut, wir sehen dich dann später. Komm schon, Larry, es wird langsam Zeit, in die Mine zu gehen.« Alle drei schlichen leise aus der Hütte. Sie stampften durch den Schlamm und schlossen sich einer Reihe Sklavenarbeiter an, die auf dem Weg zu einem Mineneingang waren. Niemand schien von ihnen Notiz zu nehmen. Ian ging davon aus, daß allein der Umfang des Unternehmens es den Daleks unmöglich machte, jeden ihrer Gefangenen im Auge zu behalten. Als sie dann aber in die dunkle Mine gingen, fragte Ian sich plötzlich, was, zum Teufel, er hier machte. Larry hatte eine definitive Mission – seinen Bruder zu suchen und ihn zu retten. Aber er selbst hatte nur einen äußerst vagen Plan. Zuerst wollte er den Doktor suchen. Da Ian die unersättliche Neugierde des alten Kerls kannte, ging er davon aus, daß der Doktor 96
höchstwahrscheinlich hierher kommen würde, um nachzusehen, was die Daleks vorhatten. Und falls er den Doktor nicht fand, würde er so viele Informationen wie möglich sammeln, dann nach London zurückkehren und dort die Suche nach seinen Kameraden wieder aufnehmen. Das war ein ziemlich diffuser und gefährlicher Plan. Aber Ian spürte eine seltsame Erregung, als er in die Dunkelheit trottete. Irgendwo, unten in der Tiefe, lag das Geheimnis der Invasion der Erde durch die Daleks. Wenn er herausfinden konnte, was sie so heftig interessierte, hatte er vielleicht doch einen Ansatzpunkt für ihre Vertreibung …
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Gefährliche Reise Barbara bewegte die Anlasserkurbel des Müllwagens immer schneller. Der Motor hustete, stotterte und fing dann an zu laufen. Sie zog die Kurbel ab und kletterte hinter das Steuerrad. Jenny hatte kurz zuvor die Haupteingangstüren geöffnet und sprang neben sie in das Führerhaus. Langsam rumpelte der Müllwagen aus dem Museum, wo er so viele Jahre lang gestanden hatte. Als sie auf die Straße fuhren, warf Jenny einen kurzen Blick auf den Trümmerhaufen, der Dorfman verschüttet hatte. Eine verlorene Hand ragte aus dem Schutt … eilig schaute sie weg. »Ich frage mich, warum er das getan hat?« Barbara fuhr vorsichtig durch die leeren Straßen. »Vor allem, weil er einfach nicht aufgeben wollte.« »Das war sinnlos«, erklärte Jenny kalt. »Er hat sein Leben weggeworfen.« »Hängt davon ab, von welchem Blickwinkel aus man es betrachtet, nicht wahr?« »Sie haben eine romantische Vorstellung von dieser Widerstandssache, nicht wahr? An einem sinnlosen Tod ist nichts Heroisches.« »Kommt es Ihnen denn nicht in den Sinn, daß Dorfman sich selbst geopfert hat, um dem Dalekangriff ein Ende zu machen und uns zu retten? Wenn er es nicht getan hätte, würden wir jetzt wahrscheinlich nicht mehr leben.« Eine Zeitlang ratterten sie schweigend dahin. Plötzlich schrie Jenny: »Aufgepaßt – Daleks!« Ein Dalek tauchte in einer Kurve auf. Barbara drückte den Gashebel durch, und der Dalek verschwand aus dem Sichtfeld, als sie vorbeidonnerten. Jenny schaute sich nervös um. »Glauben Sie, daß er uns gesehen hat?« 98
»Selbst wenn das nicht der Fall war, muß er das Geräusch gehört haben.« »Dann werden wir wohl bald in Schwierigkeiten stecken. Er wird eine Meldung nach vorn schicken …« Barbara erhöhte die Geschwindigkeit. »Darüber werden wir uns Sorgen machen, wenn es soweit ist.« Das war schon sehr bald der Fall. Hinter einer der nächsten Kurven tauchte eine Reihe Daleks auf, die ihren Weg kreuzten. »Was sollen wir tun?« schrie Jenny. »Hinausspringen?« Barbara trat mit Wucht auf das Gaspedal. »Nein! Halten Sie sich fest, ich fahre hindurch.« Donnernd und ratternd raste der alte Müllwagen gerade auf die Dalekreihe zu und ließ sie wie Kegel auseinanderspringen. Barbara wurde vage bewußt, daß sie einen mit dem Kühler traf und ihn im Flug durch die Luft jagte. Der Müllwagen schlingerte, als sie einen weiteren überfuhr, der unter den schweren Rädern zermalmt wurde. Eine Daleksalve jagte am offenen Fenster vorbei, und dann waren sie durch; die Dalekreihe hinter ihnen war verwirrt. Ein oder zwei Salven wurden noch hinter ihnen her geschossen, aber Barbara lenkte den Müllwagen um eine Ecke, und sie waren außer Sicht und sicher. Jenny sprang jubelnd auf ihrem Sitz herum. »Wir sind direkt durch sie hindurch, wir sind direkt durch sie hindurch!« Barbara lächelte zufrieden. »Mir hat es auch gefallen. Wir können aber nicht mehr lange mit diesem Ding weiterfahren. Jetzt werden sie wirklich hinter uns her sein.« Auf dem Flugdeck des Dalekraumschiffs ging eine Meldung der Zentralen Bodenkontrolle ein. »Rebellen bewegen sich in Fahrzeug Richtung Norden. Haben Postenreihe der Daleks durchbrochen. Sie werden dieses Fahrzeug abfangen und zerstören!« »Ich gehorche. Geben Sie mir die Position des Rebellenfahrzeugs.« Die Untertasse machte sich startbereit. 99
Sie rumpelten auf einer ruhigen Landstraße entlang, als plötzlich ein tiefes Dröhnen die Luft erfüllte. Jenny steckte ihren Kopf aus dem offenen Fenster und verrenkte ihren Hals, um einen Blick nach oben zu werfen. »Es ist die DalekUntertasse im Tiefflug!« Barbara nickte grimmig. »In Ordnung. Springen Sie, Jenny – jetzt! Ich werde Ihnen folgen.« Jenny warf die Tür auf, sprang ab und kugelte über die staubige Fahrbahn. Dankbar stellte Barbara fest, daß die Straße vor ihnen vollkommen gerade verlief. Sie verringerte leicht die Geschwindigkeit, klemmte das Steuerrad vorsichtig fest, öffnete dann ihre Tür und sprang ins Freie … Als sie den Boden berührte, rollte sie sich ab und warf sich verzweifelt auf den Grasstreifen am Straßenrand. Hoch oben, im Kontrollraum des Dalekschiffes, zeigte der Scanner ein altes Fahrzeug, das wie ein helloranger Käfer die Straße hinunterrollte. Der befehlshabende Dalek rief: »Ziel lokalisiert. Zerstören!« Ein anderer Dalek streckte seinen Saugnapf aus und berührte einen Schalter … Ein Strahl schoß aus dem schwebenden Schiff herunter und tauchte den Müllwagen in ein Lichtermeer. Sekunden später explodierte er in einer Wolke aus Flammen und Rauch. Der Kommandant schickte umgehend eine Nachricht an die zentrale Kontrolle. »Das Rebellenfahrzeug ist lokalisiert und zerstört worden.« Das Dalekschiff stieg höher, drehte ab zu den Minen und erhöhte die Geschwindigkeit. Aus einem Graben neben der Straße beobachteten Barbara und Jenny mit Bedauern die lodernden Überreste des Müllwagens. Beide waren zum letztmöglichen Zeitpunkt ins Freie gesprungen. 100
Barbara hoffte, die Daleks wären überzeugt, daß sie in den Flammen gestorben waren, und würden die Jagd abblasen. Sie stand auf. »Kommen Sie, Jenny, wir müssen jetzt weiter. Es ist immer noch ein weiter Weg nach Bedfordshire.« Müde stampfte Susan hinter David her. Die penetrante Mischung übler Gerüche, die von dem dreckigen Wasser aufstiegen, stieg ihr unangenehm in die Nase. Sie folgten dem Verlauf des Hauptabwasserkanals und marschierten auf einem Trampelpfad, der an einem Untergrundkanal entlanglief. »David«, rief sie. »Können wir uns nicht einen Moment ausruhen?« Davids Gesicht wurde weich, als er ihr müdes Gesicht sah. »Ja, natürlich können wir das.« Dankbar sank Susan auf den Boden. »Wie lange bleiben wir hier unten in den Abwasserkanälen?« »Solange wir können. Es stinkt, aber es ist sicher!« Unter Susans Fuß klimperte etwas, und sie hob es auf. »Sehen Sie – eine Patronenhülse.« David nahm sie und untersuchte sie gründlich. »Könnte den Robomännern gehören – obwohl sie normalerweise nicht hier herunter kommen.« »Gehört sie dann vielleicht einem Ihrer Freunde?« »Nicht unbedingt. Wir sind nicht alle verbündet, wissen Sie. Da sind auch Leute, die nur an ihr eigenes Überleben denken. Sie würden Sie für ein paar Brotkrümel umbringen.« David betätschelte sein Gewehr. »Das hier nützt nicht viel gegen die Daleks, aber es wird all die anderen fernhalten.« Plötzlich hörten sie Schritte. Ein Schatten bewegte sich den Tunnel hinunter und kam auf sie zu. David hob sein Gewehr. »In Ordnung, wer sind Sie?« Der Schatten hielt inne. »David? Bist du es? Ich bin es, Tyler.«
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David sprang auf und rannte nach vorn, er war überglücklich, seinen alten Freund wiederzusehen. Tyler erklärte ihm, daß er seine Suche nach anderen Guerillaeinheiten abgebrochen und sich entschlossen hatte, allein nach Norden zu gehen. »Ist es Ihnen gelungen, diesen Kerl, den Doktor, zu finden?« fragte er. David nickte. »Er ist dort hinten. Wir haben ihn dort hinten zurückgelassen, damit er sich ausruht, während wir nachgesehen haben, ob vorn alles frei ist.« »Es ist besser, wenn ihr zu ihm zurückkehrt. Hier unten gibt es Abtrünnige. Damit habe ich ein paar von ihnen erschreckt.« Tyler schwang sein Gewehr. Susan hielt die Patrone hoch. »Haben Sie die abgeschossen?« Tyler warf einen Blick darauf. »Ja, das ist meine. Ich habe damit aber keine Abtrünnigen erschossen.« »Was dann?« »Alligatoren.« Er sah Susans erschrockenen Blick und lächelte grimmig. »Nach der Invasion sind eine Menge Tiere aus dem Zoo ausgebrochen. Die meisten von ihnen sind gestorben. Aber die großen Reptilien sind prächtig gediehen hier unten.« Susan sprang auf. »Kommen Sie, David. Lassen Sie uns schnell zum Doktor zurückgehen!« Sofort tauchten vor ihren Augen Schreckensbilder von Alligatoren auf, die auf die dösende Gestalt des Doktors zukrochen. Tyler stoppte sie: »Laßt lieber mich vorangehen, nur für alle Fälle. Ihr beide folgt mir.« David nickte, und Tyler machte sich schnell auf den Weg. Susan rief: »Mr. Tyler, haben Sie eigentlich keine Nachrichten von unseren anderen Freunden?« Tyler sagte kurz angebunden: »Barbara ist zum Hauptquartier zurückgekommen und bei Dorfman geblieben.
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Dort habe ich sie verlassen das ist alles, was ich Ihnen sagen kann.« Er verschwand in der Dunkelheit. David und Susan warteten ein paar Minuten und gingen dann hinter ihm den Tunnel hinunter. Während ihres Marsches verloren sie den Kontakt zu ihm und er geriet nach und nach außer Sichtweite. Sie kamen an eine Hauptkreuzung in den Tunnels, und David hielt an. »Hier haben wir den Doktor zurückgelassen.« Er formte die Hände zu einem Trichter: »Doktor? Tyler?« Es kam keine Antwort. »Da sind Leitern, die zu den oberen und unten liegenden Tunnels führen.« Susan deutete hinüber. »Vielleicht haben sie eine von denen genommen.« Sie ging zu einer der Leitern und begann, hinunterzuklettern. »Mr. Tyler? Großvater, bist du da unten?« Susans Leiter machte ein eingerostetes, knarzendes Geräusch. David brüllte: »Seien Sie vorsichtig!« Aber da war es schon zu spät. Das obere Ende der Leiter bewegte sich von der Wand weg und drehte sich um die untere Befestigung. Susan klammerte sich fest und bemerkte entsetzt, daß sie nur ein paar Zentimeter über dem Wasser hing. Sie hörte Davids Stimme: »Halten Sie sich fest! Ich werde kommen und Sie holen.« Er beugte sich hinüber und versuchte, sie zurückzuziehen. Susans Augen klebten an der rauschenden Flut unter ihr. Da bewegte sich doch etwas? Zu ihrem Schrecken sah sie eine flache Form, die näher glitt. Ein langer Kiefer mit scheußlichen Zähnen tauchte aus dem dreckigen Wasser auf. Susan schrie auf, als die Zähne des Alligators nur ein paar Zentimeter von ihrem Fuß entfernt knirschend aufeinanderschlugen. Der Alligator ließ sich ins Wasser zurückfallen und kam gleich wieder heran, um es noch ein zweites Mal zu versuchen. Sein Maul öffnete sich …
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Eine gedrungene Gestalt tauchte über ihr auf, und ein Gewehrschuß fiel. Tyler schoß direkt in den offenen Rachen des Alligators, der keuchend in das Wasser zurückfiel. Sekunden später hatten Tyler und David die Leiter gepackt, sie herangezogen und Susan wieder in Sicherheit gebracht. Sie brach in Davids Armen zusammen. »Wo ist Großvater?« Tyler zeigte nach oben. »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe ihn in eines der oberen Stockwerke gebracht. Hier unten ist es nicht wirklich sicher.« Susan warf einen Blick in das trübe Wasser und erschauerte. »Ich glaube Ihnen.« David legte einen Arm um ihre Schultern. »Machen Sie sich keine Sorgen, Sie haben dem armen, alten Kerl wahrscheinlich eine Magenverstimmung verschafft.« Sie kletterten hinter Tyler die Leiter hinauf. Es lag zusammengerollt da und schlief auf einer der rüttelnden Maschinen. Die Maschine war warm, und es hatte eine tiefe Abneigung gegen die Kälte, die auf diesem Planeten herrschte. Plötzlich zuckte es zusammen und wachte auf. Sein scharfes Gehör hatte Stimmen vernommen … menschliche Stimmen. Und Menschen bedeuteten Nahrung. Es glitt von der Maschine hinunter und bewegte sich langsam und leise durch die Dunkelheit. Ian verharrte und horchte aufmerksam. »Ich sagen Ihnen, ich habe etwas gehört. Eine Art Rutschen.« Larry spähte in die Dunkelheit. »Aus welcher Richtung?« »Ich bin mir nicht sicher. Es schien von allen Seiten zu kommen…« Sie standen da und warteten angespannt. Ihre Erkundung der Mine war nicht sehr erfolgreich gewesen. Die Sicherheitsmaßnahmen waren schärfer, als Ian es sich vorgestellt hatte, und je tiefer die Schächte waren, desto besser 104
wurden sie bewacht. Es war ihm weder gelungen, irgendeinen bedeutungsvollen Hinweis auf das zu finden, was hier vorging, noch hatten sie irgendeine Spur vom Doktor gefunden oder von Larrys Bruder. Den Großteil der Zeit hatten sie damit verbracht, den ständig patrouillierenden Robomännern und ihren Dalekherren auszuweichen. Jetzt waren sie wieder da, wo sie angefangen hatten, in der Nähe der Hütte, wo sie sich von Wells getrennt hatten. Aber dieses Mal war es dunkel und etwas Scheußliches jagte sie durch die Dunkelheit. Eine riesige, formlose Gestalt rutschte auf sie zu und stieß ein kreischendes Heulen aus. Sie sprangen zurück. Eine Dalektaschenlampe erhellte die Dunkelheit, und Ian und Larry warfen sich auf den Boden. Ian konnte noch einen kurzen Blick auf eine grauenhaft aufgedunsene Gestalt werfen, die in der Dunkelheit verschwand. Das Licht der Taschenlampe wanderte weiter, und sie halfen sich gegenseitig auf. Larry zitterte am ganzen Körper. »Ian, haben Sie gesehen? Was war das für ein Ding?« »Was weiß ich? Zu unserem Glück scheint es Licht nicht zu mögen. Kommen Sie, lassen Sie uns in Deckung gehen.« Sie rannten zu der kleinen Hütte und drängten sich hinein. Ian schloß die Tür und drehte sich um. Larry stand vollkommen still. Im Schatten stand ein Mann, der sie mit einem Gewehr in Schach hielt. »Sie können sich jetzt umdrehen und wieder hinausgehen«, sagte eine kalte, spöttische Stimme. Der Mann trat in das Mondlicht hervor, das durch das Fenster hereinschien. Er trug einen weichen Hut und einen schweren Regenmantel, nicht alt und zerfetzt, sondern neu und von guter Qualität. Sein Gesicht war rund, sogar ein bißchen pummelig, nicht ausgezehrt und schmal wie die der Sklavenarbeiter. Plötzlich wußte Ian, wer der Mann war. »Ich nehme an, Sie sind Ashton?« »Woher wissen Sie das?« 105
»Wells hat es uns erzählt. Wir sind hierhergekommen, um Sie zu treffen.« »Sie lügen. Sie sind gekommen, um mein Essen zu stehlen. Jetzt machen Sie, daß Sie verschwinden.« Er deutete mit dem Gewehrkolben auf die Tür. Ian bewegte sich nicht. »Mit dem Ding da draußen?« »Es hat Sie nicht hereinkommen sehen – es muß Sie nicht notwendigerweise beim Hinausgehen sehen.« Von draußen drang das Brüllen der Kreatur herein, die in der Dunkelheit umherwanderte. Ian sagte sich, daß er nicht hinausgehen würde, egal, was passierte. Er mußte um jeden Preis weitersprechen. Wenn er nah genug herankommen konnte, so daß er auf den Mann springen konnte … Er war Ashton jetzt ein paar Zentimeter näher gekommen und setzte noch einmal an: »Vielleicht können wir miteinander ein Geschäft machen. Ich möchte zurück nach London.« »Tatsächlich?« Ashton schien neugierig zu werden. »Und warum können Sie nicht einfach hier sterben?« »Ich habe im Moment nicht vor, irgendwo zu sterben. Ich habe Freunde in London, und ich möchte sie finden. Können Sie mich dorthin bringen?« »Natürlich kann ich das. Für den richtigen Preis.« »Und was ist der richtige Preis?« »Soviel Sie sich leisten können. Ich werde alles nehmen. Steine, wertvolles Metall, Juwelen, Ringe … ich bin nicht wählerisch …« »Ich fürchte, daß ich von der Sorte nicht viel habe.« Ashton lächelte kalt. »Dann auf Wiedersehen. Ich hoffe wirklich, daß Sie auf Ihrem Rückweg dem Schleicher aus dem Weg gehen.« »Wir gehen nicht.« »Nicht?« Ashton hob das Gewehr hoch und machte sich am Bolzen zu schaffen. Ian richtete sich auf, um zu springen …
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Plötzlich ging die Tür auf. »Ashton? Es ist alles in Ordnung, diese beiden sind Freunde von mir.« Wells schlüpfte in die Hütte und schloß die Tür hinter sich. Ashton hielt sein Gewehr nach unten. »Da haben die beiden Glück, daß Sie gerade noch rechtzeitig mit den Referenzen aufgetaucht sind. Haben Sie die Waren?« Wells zog ein Bündel mit Sachen hervor, die in ein Taschentuch geknotet waren. Er öffnete es, und Ian sah eine beschämende Kollektion aus Eheringen, Manschettenknöpfen, Ohrringen, Armbändern … alles, was wertvoll war und die Minenarbeiter hatten verstecken können. Ashton untersuchte es. »Nicht viel – aber es wird reichen müssen.« Ashton zog einen kleinen Sack aus einer Ecke hervor und warf ihn zu Wells hinüber. »Nun, da ist es. Warum wollen wir nicht alle etwas essen, Jungs?« Wells hob den Sack hoch. »Das hier muß für viele Menschen reichen. Ich werde es mit meinen Freunden hier teilen – aber Sie gehören nicht dazu, Ashton.« Ashton errötete kurz, aber er zwang sich zu einem höhnischen Lächeln. »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe mir selbst etwas mitgebracht.« Er zog einen silbernen Flachmann hervor, entfernte den Deckel mit Mittelfinger und Daumen und nahm einen Schluck. Die ganze Aktion erledigte er mit einer Hand. Die andere Hand hielt immer noch das Gewehr, und es war immer noch auf sie gerichtet. Ian warf einen Blick zu Wells hinüber. »Sie haben nur mit besseren Herrschaften zu tun, nicht wahr?« Wells kontrollierte den Inhalt des Sackes. »Ich habe es Ihnen gesagt – er ist unsere einzige Quelle für richtige Nahrungsmittel. Man kann mit dem Geschlabber, das die Daleks austeilen, kaum überleben.« Das verrückte Heulen hallte durch die Hütte. Ian blickte auf. »Was für ein Ding ist das da draußen?«
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»Wir nennen es den Schleicher. Der Schwarze Teufel hält es als eine Art Haustier.« »Der Schwarze Teufel?« Ungeduldig mischte sich Ashton ein. »Wo sind Sie denn gewesen – im Märchenland? Der Schwarze Dalek. Auch als Oberbefehlshaber der Daleks bekannt. Er ist der große Dalekboß.« »Und was macht dieses Schleicherding, das da frei herumläuft? Schiebt es Wache?« Wells nickte. »In gewisser Weise. Es gibt eine Ausgangssperre, verstehen Sie? Der Schwarze Dalek läßt das Ding frei, damit es die Leute abschreckt und sie nachts nicht herumlaufen. Es wandert auf der Suche nach Futter umher.« Wieder war das Heulen zu hören. »Was für Futter?« fragte Larry nervös. Diesmal war es Ashton, der die Frage beantwortete. »Menschen«, erklärte er einfach. »Die Daleks können ihm immer ein oder zwei Sklaven überlassen. Sie haben ja noch viele.« Wells fischte zwei Dosen Frühstücksfleisch und zwei Dosen Pfirsiche heraus und warf sie Larry und Ian zu. »Hier, wir können Ihnen die abgeben. Nein, keine Diskussionen. Nehmen Sie sie, Sie werden sie brauchen.« Er holte sich selbst zwei Dosen heraus und zog einen Dosenöffner hervor. Sie nahmen eine seltsame, unruhige Mahlzeit in der verdunkelten Hütte ein. Ashton beobachtete sie süffisant, wie sie das Essen mit den Fingern aus den Dosen schaufelten, und nahm ab und zu einen Schluck aus seinem Flachmann. Er verbrachte die Zeit damit, den kleinen Juwelenschatz durchzusehen. »Sie sind ein Narr, Wells«, spottete er im Plauderton. »Das hier ist genug, um Ihnen eine Fahrkarte an einen anderen Ort zu finanzieren. Ich könnte Sie aufs Land bringen, dort ist es nett und leer, es gibt ausreichend zu essen
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… Warum vergessen Sie nicht Ihre lächerliche Widerstandsbewegung und kümmern sich um sich selbst?« Wells schluckte seine letzte Pfirsichhälfte hinunter und schlürfte den Saft aus der Dose. »Ich werde abhauen … wenn alle gehen.« »Wie Sie wollen. Manche Menschen lernen es nie.« Larry zog einen Siegelring von seinem Finger und warf ihn Wells zu. »Hier, das ist für unser Abendessen.« Wells steckte den Ring ein. »Ich werde ihn tatsächlich annehmen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Der wird uns helfen, den nächsten Posten von unserem gierigen Freund hier zu erwerben.« Ob es der Klang ihrer Stimme war oder der Geruch des Essens, sie würden es nie erfahren, aber irgend etwas führte den Schleicher zu ihrer Hütte. Plötzlich stieß er ein donnerndes Brüllen aus, und die Tür flog auf. Es füllte den Türrahmen aus. Sie duckten sich zurück, als die scheußliche, pralle Gestalt auf sie zuschlich …
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In der Tiefe gefangen Ian sah einen riesigen, plumpen Körper mit kraftvollen, um sich schlagenden Klauen, zwei winzigen, tiefliegenden Augen, die vor Bosheit glühten … Die Kreatur, die sich unglaublich schnell bewegte, taumelte auf sie zu. Es war Ashton, der ihr Leben rettete, obwohl er nur versuchte, selber heil davonzukommen. Es war seine letzte gute Tat, vielleicht die einzige in seinem vergeudeten Leben. Das Gewehr war immer noch in seiner Hand, und instinktiv hob er es an die Schulter und begann auf den Schleicher zu feuern. Es gelang ihm aber nur, dessen Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Die grauenerregende Kreatur hielt für einen Augenblick an, dann aber fing sie an, flink auf ihn zuzurollen. Wieder und wieder feuerte er ergebnislos. Ashton schrie immer noch, als die Kreatur sich über ihn beugte und ihn vollkommen verschlang. Ian gefiel der Gedanke nicht, Ashton dem Schleicher zu überlassen, aber es war vollkommen klar, daß es nichts gab, was sie für ihn tun konnten. »Schnell«, brüllte er. »Das ist jetzt unsere Chance.« Ian, Larry und Wells überließen Schleicher seinem Festmahl und rannten aus der Hütte in die Dunkelheit. Augenblicklich wurden sie von dem Strahl einer Dalektaschenlampe erfaßt. »Lauft auseinander!« schrie Wells, und sie trennten sich. Wells rannte in die eine Richtung, Larry und Ian in die andere. Hinter ihnen dröhnte das Gebrüll des Schleichers, als er von Ashton abließ, um seine restliche Beute zu verfolgen. Ian und Larry kletterten auf die Spitze eines niedrigen Erdhügels. In seiner Mitte öffnete sich ein einfacher Minenschacht, ein tiefes, rundes Loch. Ein hölzerner Montagekran spreizte seine Beine über das Loch, und an 110
eisernen Ketten baumelte eine riesige Eisenschaufel herunter, die offensichtlich dazu diente, Erde zu heben. Sie hielten kurz inne und überlegten, ob sie um den Bagger herumlaufen oder zurückgehen sollten, als der Schleicher oben am Hügelrand auftauchte und mit enormer Geschwindigkeit auf sie zurollte. Ian handelte, ohne lange zu grübeln. Er sprang mit einem Satz durch die Luft, umklammerte mit den Händen eine Seite der Erdschaufel und kletterte hinein. Larry zögerte erst, warf einen Blick auf den näher kommenden Schleicher und folgte Ians Beispiel. Der packte ihn und hievte ihn in die Schaufel. Der Schleicher schrie vor Wut und lief oben am Rande hin und her. Aber seine Beute war außer Reichweite. »Er ist immer noch hinter uns her«, schrie Ian. »Ich hoffe, daß er nicht springen kann.« Larry packte Ian am Arm. »Er wird es versuchen.« Larry hatte recht. Der Schleicher sammelte sich irgendwie, machte dann einen riesigen Satz und flog durch die Luft. Er landete auf dem Schaufelrand und fing an, zu ihnen hineinzuklettern. Ian und Larry beängstigte der Gedanke, mit dem gefräßigen Monster in der Schaufel in der Falle zu sitzen, und sie kämpften wie Dämonen. Sie schoben und stießen und schlugen auf den schwammigen Körper des Schleichers ein, drückten ihn in wahnsinniger Wut über den Schaufelrand und duckten sich vor den wild um sich schlagenden, riesigen Klauen. Ein letzter, verzweifelter Schubs schickte ihn endgültig hinaus. Das Monster verschwand mit einem langen, letzten Brüllen. Es gab ein dumpfes, glucksendes Geräusch, als es auf dem Kraterrand landete. Dann schrie es noch einmal vor Wut und Schmerz und glitt in die Dunkelheit… Einen Augenblick lang kauerten sich Ian und Larry in der Baggerschaufel zusammen und schnappten nach Luft. Dann
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keuchte Larry: »Kommen Sie, lassen Sie uns von hier verschwinden.« Er wollte gerade an der Schaufelwand hochklettern, aber Ian hielt ihn zurück. »Nein es ist sehr gut möglich, daß jemand den Krawall gehört hat. Lassen Sie uns noch hierbleiben, bis sich alles beruhigt hat.« Im Betriebsraum der Mine tief unterhalb der Erdoberfläche studierte ein Dalekingenieur seine Arbeitstabelle. Er drehte sich seinem Assistenten zu: »In Schacht Neun ist keine Arbeitstruppe. Wieso?« Der Assistent befragte eine andere Tabelle. »Der Abschnitt ist fertig. Jetzt wird eine Arbeitseinheit für die Aufräumaktion zusammengestellt.« »Die Arbeit muß nach Plan vorangehen. Es darf keine Verzögerung geben.« »Es wird alles fertig sein. Ich werde jetzt die alte Baggerschaufel in den Minenschacht hinunterlassen.« Der Assistent betätigte einen Hebel. Ian horchte aufmerksam. Alles schien ruhig zu sein. »Jetzt ist alles frei.« »Dann können wir es auch riskieren«, stimmte Larry zu. »Wir können nicht die ganze Nacht lang hierbleiben.« Plötzlich gab es ein Beben und einen klirrenden Ton und Ian und Larry spürten, daß die Schaufel sich ruckend bewegte. »Was geht hier vor?« brüllte Larry. »Halten Sie sich fest«, schrie Ian zurück. »Wir gehen hinunter!« Und so war es auch. Klappernd sackte die Schaufel nach unten in die Dunkelheit. »Ich muß schon sagen, der Stand der Dinge ist ja nett«, verkündete der Doktor gereizt. »Die Stunden vergehen, und wir verstecken uns immer noch in Abwasserkanälen.« 112
David grinste, denn mittlerweile hatte er sich an den Doktor gewöhnt. »Besser hier unten versteckt, Doktor, als von den Robomännern gefangen zu werden. Sobald Tyler Bescheid gibt, daß die Küste frei ist, können wir uns wieder oben fortbewegen.« Sie waren aus den tieferen Ebenen des Kanalsystems hochgeklettert und standen jetzt in einer Vorkammer, deren Wände gemauert waren und die direkt unter den Straßen lag. Eine Leiter führte durch einen Kanalschacht nach oben, und Tyler war vorausgegangen, um nachzusehen, ob es draußen sicher war. Es knarzte und Tyler jagte die Leiter herunter, das Gewehr in der Hand. Susan blickte hoffnungsvoll auf. »Ist die Bahn frei?« »Das ist sie nicht«, verkündete Tyler grimmig. »Bin direkt in eine Patrouille gerannt. Ich konnte nicht mehr in Deckung gehen, daher sind sie mir gefolgt.« David griff nach seinem Gewehr. »Wie viele?« »Nur zwei.« Tyler stieg wieder die Leiter hoch. »David und ich werden uns um sie kümmern, Sie bleiben in Deckung.« »Nur eine Sekunde«, sagte der Doktor sanft. »Wäre es nicht besser, wenn man sie hier herunterlocken würde? Falls es ihnen gelungen ist, sich mit ihren Kameraden in Verbindung zu setzen und Verstärkung anzufordern …« Reuevoll schüttelte Tyler den Kopf. »Ich glaube, wenn wir lange genug zusammen sind, werde ich noch lernen, gleich auf sie zu hören. In Ordnung, David, lock sie herein. Schieß nicht, es sei denn, es ist unumgänglich. Hier könnte einer von uns einen Querschläger abkriegen.« David kletterte die Leiter hoch, stieg durch den Kanalschacht und rannte ein Stück weit die Straße hinauf. Die Robomänner sahen ihn sofort und beeilten sich, ihn zu
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verfolgen. Sie hoben ihre Gewehre hoch, aber David war schon wieder die Einstiegsluke hinuntergeklettert. Der Doktor und Susan kauerten in der Ecke der kleinen Kammer und warteten. Auch David und Tyler warteten, jeder auf einer Seite der Leiter. Der erste Robomann trat oben an die Leiter heran, hielt an und stieg dann langsam herunter. Sobald er unten war, legte Tyler die Hände um seinen Hals und zog ihn auf den Boden. Der zweite Robomann, der vorsichtiger war, hielt mitten auf der Leiter an. David packte seine Füße und zog ihn herunter. Die beiden Männer brachen zusammen und kämpften wild miteinander. Die Waffe des Robomanns ging los, aber glücklicherweise pfiff der Schuß durch die offene Einstiegsluke. Hastig hob David sein Gewehr hoch und benutzte den Kolben, um den Robomann bewußtlos zu schlagen. Der Doktor ging zu Tyler hinüber, der sein Opfer methodisch erdrosselte. »Das wird reichen, Tyler«, sagte er scharf. »Ich heiße das Töten von Menschen niemals gut, es sei denn, mein eigenes Leben ist direkt in Gefahr.« Der erstaunte Tyler ließ den Robomann los, der bewußtlos zu Boden fiel. Der Doktor ging auf die Leiter zu. »Nun denn, gehen wir zu dieser Mine, und dann werden wir das Geheimnis entdecken, wie wir mit den Daleks fertig werden. Wir werden diese armen Kreaturen sich selbst überlassen. David, mein Junge, Sie gehen voran. Los geht es, alle miteinander.« Nachdem der Doktor so die Befehlsgewalt übernommen hatte, trieb er seine Gruppe die Leiter hinauf. Barbara und Jenny waren müde. Ihre Füße waren wund, als sie auf ein kleines Häuschen im Wald stießen. Es war jetzt fast dunkel, und es donnerte unheimlich; der Himmel wurde von gelegentlichen Blitzen durchzogen. Sie waren quer über das Land gegangen, hatten dabei aus Sicherheitsgründen die 114
Straßen gemieden, aber jetzt brach die Nacht herein, und sie waren irgendwo tief in den Wäldern verloren. Jenny schaute das Häuschen an. »Es scheint ausgestorben zu sein. Was meinen Sie, wollen wir es probieren?« Barbara zögerte. Das alte, baufällige Häuschen hatte eine seltsame Ausstrahlung. Es sah geheimnisvoll aus wie ein Hexenhaus aus irgendeinem Märchen. Sie sagte sich, daß nur ihre Vorstellungskraft ihr einen Streich spiele. »Tja, da braut sich ein Sturm zusammen. Es wird besser sein, wenn wir Unterschlupf finden.« Vorsichtig gingen sie auf die Tür zu. Plötzlich flog diese auf und eine hexenähnliche alte Frau in Fetzen stand da und starrte sie an. Sie hielt eine Laterne hoch. Jenny sprang mit einem Aufschrei zurück, und Barbara dachte verwirrt, daß es sich vielleicht doch um ein Hexenhäuschen handelte … Die alte Frau knurrte. »Was wollen Sie?« Barbara bat mit sanfter, beruhigender Stimme: »Wir haben uns verlaufen. Wir suchen einen Unterschlupf.« »Nur sie beide?« Die alte Frau gab plötzlich ein meckerndes Lachen von sich. »Müde sind Sie?« »Ja … ja, das sind wir.« Beunruhigt schaute Jenny die alte Frau an. »Barbara, ich glaube, wir sollten besser weitergehen.« Die kleinere, ebenso zerlumpte Gestalt einer jüngeren Frau tauchte in der Tür auf. »Die Hunde werden Sie schnappen«, piepste sie plötzlich. »Hunde«, wiederholte Barbara nervös. Die alte Frau stimmte ein: »Scheußliche Biester. Nach der Pest haben sie sich zu einem Rudel zusammengeschlossen. Sie jagen Reisende. Es ist besser, wenn Sie eintreten.« Barbara und Jenny gingen widerwillig hinein. Das Häuschen war dreckig und primitiv, wie etwas, das aus dem Mittelalter stammte. Ein Bett, ein Ofen, ein wackeliger Tisch und ein paar heruntergekommene Stühle waren alles an Möbeln, was das 115
einzige Zimmer aufweisen konnte. Barbara schaute die beiden Frauen an, die nickend und lächelnd warteten. Sie sahen sich so ähnlich, daß es klar war, daß sie Mutter und Tochter waren. Barbara redete sich ein, daß sie unrecht hatte, daß die beiden ihr zuwider waren. Sie waren arm und unwissend, das war alles, und außerdem waren sie ein kleines Wunder in dieser grauenhaften Welt, die die Daleks geschaffen hatten. »Wo wollen Sie denn hin?« fragte die alte Frau plötzlich. Barbara sank auf einen Stuhl und erkannte dabei, wie müde sie war. »Zu den Minen der Daleks. Wir haben dort Freunde. Wir versuchen sie zu finden.« Die jüngere Frau schüttelte traurig den Kopf. »Es gelingt nie jemandem, aus den Minen zu entkommen. Sie werden auch gefangengenommen.« Die alte Frau nickte. »Sie hatten Glück, daß Sie so weit gekommen sind und uns gefunden haben. Die Patrouillen kommen hier andauernd vorbei.« Jenny war immer noch mißtrauisch. »Wie kommt es dann, daß Sie immer noch frei sind? Die müssen doch wissen, daß Sie hier sind.« Die alte Frau meckerte. »Oh, das wissen sie schon. Aber wir können ihnen ja nichts tun.« »Wir helfen ihnen«, kicherte die Jüngere. Die alte Frau warf ihr einen giftigen Blick zu, verzog aber ihre Miene schnell zu einem Lächeln, als sie sich wieder Barbara zuwandte. »Wir machen Kleider für die Sklavenarbeiter«, erklärte sie. »Wir sind ihnen nützlicher, wenn wir das tun, als wenn wir in den Minen arbeiten würden.« »Wie kommen Sie denn zu Nahrungsmitteln?« »Von Zeit zu Zeit geben Sie uns ein bißchen, man könnte sagen als Bezahlung. Dennoch sind wir die meiste Zeit hungrig.«
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Sogar Jenny ließ sich von ihren traurigen Gesichtern überzeugen. »Wir haben ein bißchen Essen bei uns«, sagte sie schroff. »Sie können mithalten, wenn Sie mögen.« Die alte Frau grinste zahnlos. »O Gott, ich danke Ihnen, mein Kind. Wir haben nur wenig, das wir als Gegenleistung anbieten können, aber wenn Sie wollen, dann können Sie heute nacht hier schlafen. Wir können in der Ecke dort ein Bett herrichten, das wird Ihnen bequem genug sein.« Wieder donnerte es, und jetzt prasselte der Regen herunter. Barbara stellte fest, daß sie den Gedanken nicht ertragen konnte, wieder aufbrechen zu müssen. »Danke«, sagte sie müde. »Wir werden die Nacht über bleiben, falls es erlaubt ist.« Jenny packte ihre mageren Vorräte aus – Äpfel, eine Dose Fleisch, ein paar altbackene Kekse. Die alte Frau holte ein paar Teller heraus, vier angeschlagene Eisenbecher und einen Krug Wasser. Barbara sah, daß die jüngere Frau sich einen Umhang mit schwerer Kapuze überwarf. »Wohin gehen Sie?« fragte sie. »Ich muß die Kleidungsstücke abliefern.« »Bei diesem Wetter?« Die alte Frau seufzte. »Den Daleks ist es egal, wie das Wetter ist, meine Liebe. Wir müssen unsere Mengen einhalten und diese hier kommen schon zu spät.« »Was ist mit den Hunden, von denen Sie uns erzählt haben?« fragte Jenny. »Sie folgt den Patrouillen«, erklärte die Alte. Die Junge nickte eifrig. »Das stimmt, ich folge den Patrouillen.« »Ihr wird schon nichts zustoßen«, beruhigte sie die alte Frau. »Sie hat es schon oft genug gemacht. Nun, warum setzen wir uns denn nicht hin und genießen unser Mahl? Das Mädchen wird essen, wenn es zurück ist.«
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Jenny teilte das Essen mit peinlicher Genauigkeit und legte eine Portion für die jüngere Frau zur Seite. Dann setzten sie sich hin, um zu essen. Barbara und Jenny nahmen das dürftige Mahl schweigend und müde zu sich, aber die alte Frau war aufgeregt und redselig. Sie überhäufte Barbara mit Fragen über London. »Wie ist es jetzt dort, meine Liebe, immer noch so wunderbar?« »Ich fürchte nicht. Die Daleks haben einen Großteil davon zerstört.« »Zerstört? O mein Gott! Als ich dort war, war alles so schön. Die Geschäfte und die Gehwege … ich ging damals zu einem Astronautenjahrmarkt …« Die Alte schwafelte weiter über ihren einmaligen Tagesausflug nach London und all die wunderbaren Dinge, die sie gesehen hatte. Barbara nickte mit dem Kopf. Es war wirklich grotesk, dachte sie, eigentlich sollte sie das arme, alte Ding bemitleiden. Aber irgendwie fühlte sie sich immer noch unwohl. Auch die alte Frau war nervös und warf immer wieder einen Blick auf den alten Wecker, der auf einem Regal stand, und schaute aus dem Fenster. Wahrscheinlich machte sie sich Sorgen um ihre Tochter. Plötzlich flutete strahlend helles Licht in den Raum, als die Lichtung draußen von einem grellen Suchscheinwerfer erhellt wurde. Fast gleichzeitig flog schon die Tür des Häuschens auf. Jenny schrie entsetzt auf. Im Türrahmen stand ein Dalek mit einem Wachtrupp aus Robomännern. »Sie beide werden mir folgen. Versuchen Sie gar nicht erst zu fliehen, sonst werden Sie gleich getötet.« Erstaunt standen Barbara und Jenny auf. Sie suchten ihre wenigen Besitztümer zusammen. Wie hatten die Daleks sie so leicht aufgespürt? Die Tochter kam plötzlich um die Daleks herum und trippelte zu ihrer Mutter. Sie streckte einen kleinen
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Beutel aus. »Sieh mal, Mutter. Da sind Brot und Orangen und Zucker …« Die alte Frau kicherte. »Gut, gut. Ich wußte, daß sie uns für die beiden Nahrungsmittel geben würden.« Der Dalek brüllte ungeduldig: »Bewegung!« Als Barbara und Jenny aus dem Häuschen geführt wurden, wühlten die beiden anderen Frauen aufgeregt den Beutel durch. Die Ältere schaute noch einmal aus dem Fenster, als die Robomänner ihre Gefangenen wegbrachten. »Was für eine Schande«, murmelte sie. »Was soll’s, sie wären schließlich sowieso gefangengenommen worden.« Gierig saugte sie den Saft aus ihrer Orange. Seit vielen, vielen Jahren hatte sie keine Orange mehr gegessen … Die gigantische Baggerschaufel fuhr klappernd durch die Dunkelheit nach unten, in einer anscheinend endlosen Fahrt, und beförderte ihre menschliche Fracht immer tiefer hinunter in die Dalekmine. Ian fand, daß er sich eigentlich nicht beklagen konnte, da er sowieso in die Mine wollte. Aber er hatte nicht damit gerechnet, daß das auf diese Art geschehen würde. Aus der Dunkelheit kam Larrys nervöse Stimme zu ihm herüber. »Was meinen Sie, wie lange gehen wir jetzt schon hinunter?« »Müssen fast zwanzig Minuten sein.« »Es wird wärmer, nicht wahr?« »Ja … auch der Druck verstärkt sich, meine Ohren fallen zu.« Larry erschauderte. »Ich wäre lieber tot, als hier unten arbeiten zu müssen.« »Ich hoffe, daß wir nicht wählen müssen!« »Wir halten«, flüsterte Larry aufgeregt. »Wir müssen fast am Boden sein.« Er streckte seinen Kopf über den Schaufelrand. »Sehen Sie – Lichter, genau unter uns!«
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Ian sah einen riesigen, offenen Platz, die Kreuzung vieler Tunnel mit Wänden aus Erde, die von Grubenpfeilern aus Holz abgestützt und von schwachen Arbeitslampen erhellt wurden. Überall türmten sich Haufen aus Erde und Steinen. »Lassen Sie uns aussteigen, bevor diese Schaufel umkippt und wir hinausgeworfen werden.« Sie kraxelten zum Rand der riesigen Schaufel. Das war kein einfaches Unterfangen, denn die Schaufel kippte durch die Bewegung ihres Gewichts hin und her. Ian wand sich über den Rand, klammerte sich mit seinen Händen daran fest und ließ sich dann fallen. Der Fall dauerte lange, aber er endete ohne eine Verletzung auf einem weichen Erdhügel. Larry hatte nicht soviel Glück. Er landete genau neben Ian, aber als er aufzustehen versuchte, stöhnte er auf und umklammerte sein Bein. »Es ist das Knie. Ich habe es an der Schaufel angeschlagen, als ich herunterflog.« Ian sah sich um. »Wir müssen uns ein bißchen verstecken, bis Sie gehen können. Hier ist es zu weiträumig. Kommen Sie, stützen Sie sich auf mich.« Er half Larry, und sie schlichen von dem offenen Platz in einen der Seitentunnel. Dort kauerten sie sich ins Halbdunkel und ruhten sich dankbar aus. Einige Minuten später fragte Ian: »Wie geht es jetzt Ihrem Bein?« Larry streckte es aus und stöhnte wieder. »Scheint steif zu werden. Ich glaube nicht, daß ich schon gehen kann.« »Machen Sie sich keine Sorgen. Wir werden eine Zeitlang hierbleiben.« Ian warf einen Blick aus dem Tunnel auf den großen Platz. Da gab es eine Menge Tunnel, die abzweigten, riesige Erd- und Steinhügel, und das war schon alles. »Diese Mine ergibt für mich keinen Sinn. Sie scheinen nur Steine zu fördern. Vielleicht fördern sie woanders Erz, das ist gut möglich.«
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»Erinnern Sie sich an das, was mein Bruder Phil vermutete – daß die Daleks einen Tunnel graben wollen, der zum magnetischen Kern der Erde führt.« »Aber warum? Was haben sie vor?« Larry zuckte mit den Achseln. »Das hier sagt einem nicht viel. Das hier ist nur ein Abfertigungsgebiet. Vielleicht findet die wichtige Arbeit woanders statt.« »Damit mögen Sie recht haben.« Ian wurde ziemlich ungeduldig. Es machte einen verrückt. Da war man dem Geheimnis der Daleks so nah und erfuhr doch nicht mehr. »Larry, geht es in Ordnung, wenn ich mich einmal umsehe?« »Ja, aber sicher.« Ian stand auf und verließ den Tunnel. Er ging auf den großen Platz, wählte den größten Tunnel, der davon abzweigte, und lief ihn hinunter. Schon bald hörte er Stimmen und Schritte, die auf ihn zukamen, und er duckte sich hinter eine Grubenstütze. Vorsichtig spähte er hinaus. Eine Schlange abgezehrter, zerlumpter Männer und Frauen taumelte den Tunnel hinunter. Sie wurden von den Peitschen der Robomännerwachen angetrieben. Sie schoben viele verschiedene Behälter, und manche trugen Spitzhacken und Schaufeln. Ian drehte sich um und rannte zu Larry zurück. »Legen Sie sich hin und seien Sie ganz ruhig. Eine Horde Arbeiter und Robomänner kommt hier entlang.« Larry und Ian beobachteten von ihrem Versteck aus, wie die Arbeiter auf den Hauptplatz strömten. Die gigantische Schaufel, in der sie nach unten gekommen waren, fiel plötzlich herunter auf den Boden und kippte um. Sofort begannen die Arbeiter, Erde und Steine von den Haufen abzutragen und sie in die Schaufel zu kippen. Sie arbeiteten außerordentlich schnell, und die Peitschen der Robomänner gingen auf jeden los, der langsamer wurde oder stolperte. Ein Robomann unterhielt sich kurz mit einem der Sklaven, der eine kleine Truppe Arbeiter zusammentrommelte. Der 121
Robomann führte sie jetzt über den Platz in den Tunnel, in dem sich Ian und Larry versteckt hielten … Mit der Waffe in der Hand marschierte er direkt auf sie zu …
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Aktion im Untergrund Ein paar Meter von Ian und Larry entfernt hielt der Robomann seine Gruppe an und wies sie an, auf dem nächsten Steinhaufen zu arbeiten. Ian legte seine Lippen an Larrys Ohr und flüsterte: »Wir werden uns zurückziehen müssen! Sie räumen die ganze Sektion auf …« Die Verzweiflung gab Larry genug Kraft, den Schmerz in seinem verstauchten Knie zu überwinden. Ian half ihm auf die Beine, und sie machten sich langsam auf den Weg, tiefer in den Tunnel hinein. Plötzlich rutschte Larrys Fuß weg, und er fiel zurück an die Wand. Ein Schmerzensschrei kam aus seiner Kehle. Der Robomann verließ die Arbeiter und rannte auf sie zu. Mit seiner Waffe hielt er sie in Schach. »Halt!« Ian und Larry standen vollkommen still. Der Robomann stierte sie intensiv an. Ian stellte wieder fest, daß der Robotisierungsprozeß das menschliche Gehirn auf das niedrigste Level reduzierte, das jetzt nur noch die einfachsten Befehle erteilen und befolgen konnte. Schließlich kam der Robomann zu einem Ergebnis. »Sie gehören nicht zu der Arbeitstruppe. Wer sind Sie?« Larry packte Ians Arm so, daß es schmerzte. »Es ist Phil«, flüsterte er. »Ian, das ist mein Bruder Phil.« Er näherte sich dem Robomann und starrte ihm ins Gesicht. »Denk nach, Phil. Du mußt dich an mich erinnern. Ich bin dein Bruder, Larry. Erinnerst du dich?« Weder die Stimme noch der Gesichtsausdruck des Robomannes änderte sich. Mit derselben quälenden Langsamkeit kam er zu einer anderen Entscheidung. »Sie sind weggelaufen.« 123
»Angela«, rief Larry verzweifelt. »Erinnere dich an deine Frau Angela. Ich kann dich zu ihr bringen.« »Sie beide müssen bestraft werden. Ich werde Sie zu den Daleks bringen. Folgen Sie mir.« Der Robomann drehte sich um und erwartete natürlich Gehorsam und Ian sprang ihn sofort an. Der Robomann feuerte einmal, aber Ian drückte den Gewehrkolben nach oben, und die Ladung traf die Decke. Sie kämpften grimmig um den Besitz der Waffe. Wieder fiel Ian auf, daß die Robomänner übermenschliche Kraft besaßen und vollkommen unzugänglich gegenüber Schmerzen zu sein schienen. Hilflos beobachtete Larry, wie Ian und der Robomann hin und her rollten und knapp vor seinen Füßen landeten. Den Rücken hatte der Robomann Larry zugewandt, als er sich von Ian losriß und aufstand. Er richtete die Waffe auf Ians immer noch gebeugten Körper als Larry plötzlich »Nein, Phil, nein!« schrie und auf den Rücken seines Bruders sprang und ihm den Robomannhelm von seinem Kopf riß … Wieder explodierte die Waffe. Sie verpaßte Ian und lockerte Steine, die von der Wand herunterpolterten. Der Robomann schrie und krümmte sich, um dann in seiner Todesqual zusammenzubrechen. Weinend hielt Larry den Körper in seinen Armen. Er wußte, daß er seinen Bruder nicht wirklich getötet hatte. Die Daleks hatten das schon vor langer Zeit getan, als sie ihm seine Menschlichkeit geraubt hatten. Erstaunt und schockiert kam Ian wieder auf die Beine. Larry umklammerte immer noch Phils Leiche, Tränen rannen sein Gesicht hinunter. Hinter ihnen ertönte auf dem großen Platz ein Alarmsignal, und alle brüllten durcheinander. »Kommen Sie, Larry, rennen Sie!« schrie Ian. »Hier, ich werde Ihnen helfen …« 124
Larry schüttelte den Kopf. »Rennen Sie, Ian, solange Sie noch eine Chance haben. Sie werden sonst nur uns beide erwischen …« Aus dem Tunnel hinter ihnen kam eine Stimme, die mehrfach »Halt!« brüllte. Ein Dalek stand am Ende des Tunnels, hinter ihm ein Robomann. Ian warf sich auf die Seite, und der Robomann feuerte eine lange, krachende Ladung ab. Larrys Körper zuckte krampfartig, dann brach er über seinem toten Bruder zusammen. Ian drehte sich um und rannte in den dunklen Tunnel. Hinter sich konnte er die plärrende Stimme des Daleks hören. »Notfall. Notfall in Schacht Neun. Alle Ausgänge verschließen. Notfall!« Blind rannte Ian in die Dunkelheit. Der Doktor stand auf einem bewaldeten Hügel und schaute mit ernstem Gesicht auf die Dalekminen hinunter. Er studierte die Schächte, die Maschinen, das immense, geordnete Muster ungeheurer Geschäftigkeit noch einen Augenblick länger, dann wandte er sich seinem Begleiter zu. »Danke, Mr. Tyler, ich habe alles gesehen, was ich sehen wollte.« Sie drehten um und gingen wieder durch den Wald zurück. Während sie zu ihrem kleinen Lager marschierten, grübelte der Doktor darüber nach, daß es oft Perioden der Ruhe – auch in Zeiten großer Gefahren – zu geben schien. Nach ihrem Kampf mit den Robomännern in dem Abwasserkanal hatten sie eine erstaunlich friedvolle Reise nach Bedfordshire zurückgelegt. Für einen Teil des Weges hatten sie sogar ein verlassenes Auto benutzt. Tyler war es gelungen, seinen Motor in Gang zu bringen. Es war eine idyllische Szene, die sie vorfanden, als sie wieder zum Lager zurückkehrten. Sie hatten sich einen Rastplatz an einem kleinen Fluß gesucht, und dort hatte David aus seinem Rucksack eine Angelausrüstung hervorgezogen und zu fischen begonnen. Es war klar, daß er erfolgreich gewesen 125
war, denn als der Doktor und Tyler jetzt zurückkamen, briet Susan eine Forelle über einem kleinen Feuer, während David mit einem weiteren guten Fisch stromabwärts gelaufen kam. Lächelnd beobachtete der Doktor, wie David leise hinter Susan die Böschung hochkroch und den Fisch plötzlich über ihre Schulter warf. Susan schrie und sprang auf. David fing sie mit den Armen auf und küßte sie. Susan war völlig verblüfft und stand ganz still. Der Doktor räusperte sich sehr laut und machte absichtlich knarrende Geräusche, als er aus den Büschen kam. Die beiden jungen Leute sprangen auseinander, und David plapperte: »Ah ja, da sind Sie ja, Doktor. Wir waren … das ist … ich war gerade …« Der Doktor schaute die brutzelnde Bratpfanne an. »Ja, ich konnte sehen, daß etwas kocht«, erklärte er trocken. Er schaute Susan genauer an. Wie tief war ihre Beziehung zu dem jungen Mann? Der Doktor war sich schon eine Weile bewußt, daß Susan bald erwachsen wurde und daß ihr unstetes Leben Probleme aufwarf, denen man sich eines Tages stellen mußte … Trotzdem, dafür war später noch Zeit genug. Zuerst mußten sie die Bedrohung durch die Daleks beenden. Solange sie damit nicht fertig geworden waren, hatte keiner von ihnen überhaupt eine Zukunft, um die man sich Gedanken machen mußte. Die Mahlzeit war die fröhlichste seit langer Zeit, und die Instinkte des Doktors sagten ihm, daß es wahrscheinlich länger dauern würde, bis sie wieder Ähnliches erleben würden. Das Essen war sehr frugal: Fisch, Kekse, die Reste ihrer Dosenfrüchte. Tyler hatte sogar Kaffee aus seinem Rucksack gezaubert. Er war pechschwarz, ohne Milch und Zucker, aber dennoch köstlich. Als sie dasaßen und ihn tranken, fragte David: »Jetzt haben Sie den Stützpunkt der Daleks tatsächlich gesehen, Doktor, was denken Sie?« 126
»Nun, junger Mann, es erscheint mir ziemlich offensichtlich, daß diese Minenarbeiten das Zentrum ihrer ganzen Operation sind.« Er warf Tyler einen tadelnden Blick zu. »Ich kann wirklich nicht verstehen, warum Sie nicht Ihre ganzen Widerstandsbemühungen hier herunter geleitet haben?« Tyler grunzte. »Das ist ja alles sehr schön, Doktor. Wir haben die Daleks bekämpft, wo immer wir konnten. In der Hauptsache haben wir gekämpft, um überhaupt am Leben zu bleiben!« David unterstützte ihn. »Wir dachten, daß sie nur nach Bodenschätzen suchen und den Planeten plündern wollten.« »Nein«, sagte der Doktor bestimmt. »Hinter diesen Arbeiten steckt die Antwort auf eine Frage, die sehr wichtig ist. Wieso sind die Daleks hier?« David war verwirrt. »Wieso? Sie sind deshalb hier, weil sie uns überfallen haben. So einfach ist das.« »Tatsächlich ist es das nicht, junger Mann. Es geht viel tiefer. Die Daleks haben kein Interesse am Menschen als solchem. Der ist nur eine Arbeitsmaschine, eine insignifikante lebende Spezies, die es kaum wert ist, erobert zu werden. Es interessiert die Daleks überhaupt nicht, ob Sie leben oder sterben.« »In Ordnung«, sagte David. »Gehen wir davon aus, daß Sie recht haben, Doktor. Was haben die Daleks dann vor?« »Ich bin mir noch nicht ganz sicher, mein Junge. Auf diesem Planeten muß es etwas geben, was kein anderer Planet bieten kann. Und zwar etwas, was sich nicht gleich unterhalb der Erdoberfläche befindet, sonst hätten sie es zusammengetragen und wären verschwunden. Statt dessen sind sie noch da, buddeln wie Metallmaulwürfe und graben tief in die Erdkruste!« Tyler kratzte sich am Kopf. »Ich bin kein Wissenschaftler, Doktor, aber eines scheint mir sicher … wenn sie in die
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Erdkruste eindringen, werden sie dann nicht ein enormes Erdbeben verursachen – eines, das niemand überleben wird?« »So ist es – es sei denn, sie haben einen Weg gefunden, den Fluß der lebenden Energie zu kontrollieren.« Der Doktor ließ seinen Blick über die kleine Gruppe schweifen. »Die Daleks wagen es, mit den Urkräften herumzupfuschen und wir müssen es wagen, sie aufzuhalten!« Plötzlich stand der Doktor auf. »Es ist an der Zeit, daß wir das Lager räumen und uns auf den Weg machen«, befahl er. »Wir haben viel vor.« Keiner stellte die Anordnung in Frage. Wieder einmal hatte der Doktor das Kommando übernommen. Ian rannte so lange durch die Dunkelheit, bis er einen Lichtschimmer sah. Er wurde langsamer und bewegte sich vorsichtiger. Vorn verbreiterte sich der Tunnel und vereinigte sich mit mehreren anderen. Mehrere Reihen Sklavenarbeiter füllten ihre Schaufeln mit Steinen und schütteten sie auf Karren, die von anderen weggeschoben wurden. Robomänner hielten Wache, und ab und zu wanderte ein Dalek vorbei. Das alles sah sehr bekannt aus, und plötzlich erkannte Ian warum. Er war auf einen anderen Räumungsplatz gestolpert, auf eine Stelle, wo die riesigen Schuttmassen der Dalekbohrungen gesammelt und an die Oberfläche gehievt wurden. Ian musterte die Reihen der Arbeiter an. Eine große, dunkelhaarige Frau leerte eine Schaufel Steine aus. Ian seufzte erstaunt auf. Das war Barbara. Er begann näher heranzukriechen … Barbara und Jenny hatten sich jetzt schon seit mehreren Stunden abgemüht, und Jenny war dem Zusammenbruch nah. Dennoch schleppte sie einen weiteren Korb Steine zu der großen Mülltonne und kippte dabei den größten Teil der unter Schmerzen zusammengetragenen Steine wieder aus. Sie 128
kauerte sich neben den umgekippten Korb und heulte fast vor Verzweiflung. »Es geht nicht, Barbara, wir sind am Ende. Wir werden hier niemals herauskommen, niemals.« Barbara kniete sich hin, um ihr zu helfen. »Immer mit der Ruhe, Jenny, so darf man nicht reden. Wir wollten in die Mine, und da sind wir.« »Aber wir können nichts tun.« »Als erstes können wir diese Tonne füllen«, sagte Barbara praktisch. Schon bewegte sich ein Robomann mit seiner Peitsche auf, sie zu. »Bewegung«, brüllte er. »Fahren Sie mit Ihrer Pflicht fort.« Barbara machte weiter und warf die Steine in den Korb. »Wir können versuchen, den Hauptkontrollraum zu finden. Das würde der Doktor auch tun.« Jenny schniefte. »Und was machen wir dann?« »Ich weiß es nicht, Jenny, aber zumindest könnten wir versuchen, etwas zu tun. Wenn es uns nicht gelingt, werden wir einfach wieder hier landen.« Aus seinem Versteck in der Nähe sah Ian, wie der Robomann einen der gebeugten Sklavenarbeiter anfuhr: »Sie! Holen Sie aus der nächsten Aufbewahrungssektion weitere Container.« Der Mann richtete sich auf und ging auf Ian zu. Zu seiner Freude sah er, daß es Wells war, der Mann, der ihm und Larry zuvor geholfen hatte. Als Wells an seinem Versteck vorbei kam, zischte Ian leise: »Wells, ich bin es, Ian.« Wells tat so, als ob er Probleme mit seinem Schuh habe, und bückte sich, um ihn zuzubinden. »Ian? Hätte gedacht, daß Sie mittlerweile von hier verschwunden sind.« »Dieses große Mädchen da drüben – ich kenne sie. Schauen Sie, daß Sie eine Möglichkeit kriegen, mit ihr zu sprechen. Sagen Sie ihr, daß ich hier bin.«
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Wells hob die letzte Tonne auf. »Ich werde es versuchen. Aber zuerst muß ich die Container holen.« Er trottete den Tunnel hinunter, und Ian setzte sich, um auf seine Rückkehr zu warten. In der Arbeitsschlange protestierte Jenny immer noch. »Sie werden uns niemals nur in die Nähe ihres Kontrollraums lassen.« Als Barbara sich nach einem anderen Stein bückte, raschelte etwas in ihrem Mantel. »Jenny, mir ist etwas aufgefallen. Ich habe immer noch Dorfmans Aufzeichnungen.« »Die nützen uns ja viel.« Plötzlich verlor Barbara die Geduld mit Jennys Pessimismus. Es war an der Zeit zu handeln. Ein Dalek kam auf sie zu. Bedächtig richtete Barbara sich auf und ging zu ihm. Der Dalek hielt an, seine Augenstiele drehten sich erstaunt hin und her. »Fahren Sie mit der Arbeit fort.« Barbara wich nicht von der Stelle. »Ich habe für Sie wichtige Informationen. Rebellen planen eine Revolution gegen die Daleks.« Der Dalek reagierte umgehend. »Es wird keine Revolution geben. Die Daleks sind die Herren der Erde.« »Sie verstehen nicht. Das ist kein normaler Aufstand. Sie haben Wissenschaftler, die sie unterstützen.« »Sie lügen. Das ist ein Trick.« »Nein. Ich habe Beweise.« Barbara hielt ihm Dorfmans Notizen hin. Der Dalek ließ seine Augen über die erste Seite wandern. »Die hier enthalten die Details einer Säurebombe, die bei einem nicht erfolgreichen Angriff auf das Raumschiff der Daleks verwendet wurde.« Der Dalek zögerte immer noch. »Da ist noch mehr«, sagte Barbara schnell. »Wir kennen die Namen der Rebellen und die Orte, wo sie angreifen wollen.« 130
»Sie werden mir das umgehend erzählen.« Barbara schüttelte den Kopf. »Nein, ich muß mit jemandem sprechen, der Autorität hat. Sie werden sofort auf das reagieren müssen, was ich Ihnen berichte, und das ist alles äußerst kompliziert.« Der Dalek machte eine Pause, um nachzudenken. Barbara hielt den Atem an. Dann entschied er: »Sehr gut. Ich werde Sie beide zu dem Oberbefehlshaber der Daleks bringen. Falls Sie lügen, werden Sie sterben. Folgen Sie mir.« Der Dalek marschierte den Tunnel hinunter, Jenny und Barbara folgten ihm. Ian beobachtete all das aus seinem Versteck und verstand nicht richtig, was da vorging. Wells kam wieder den Tunnel herunter, beladen mit Eimern. »In Ordnung. Nehmen Sie ein paar Eimer, und folgen Sie mir. Ich werde versuchen, Sie zu Ihrer Freundin zu bringen.« »Zu spät. Die Daleks haben sie gerade weggebracht.« »Wahrscheinlich haben sie sie für eine Befragung zum Kontrollraum gebracht.« »Genau dorthin werde ich gehen. Zeigen Sie mir nur die richtige Richtung. Kommen Sie! Geben Sie mir ein paar von diesen Eimern.« Ian trat dreist hinter Wells und marschierte die Reihe der Arbeiter ab und teilte Eimer aus. Der Robomann schien ihn nicht zu bemerken. Wells brachte ihn zum entgegengesetzten Ende der Schlange und zeigte ihm die Richtung. »Der Tunnel dort drüben führt zum Kontrollgebiet. Viel Glück.« Wells wandte sich wieder der Arbeiterschlange zu, und Ian rannte den Tunnel hinunter. Schon sehr bald fing die Tunnelausstattung an, sich zu ändern. Erde und Steine waren durch Metall ersetzt. Die Beleuchtung war besser, und man konnte in der Nähe das Summen von kraftvollen Maschinen hören. 131
Am Ende des Tunnels fand Ian eine offene Tür. Als er hindurchsah, konnte er einen langgezogenen Raum erkennen. An den Wänden standen Reihen seltsamer Maschinen und Kontrollpulte. Daleks schwirrten herum und beobachteten die Instrumente. Ian kroch leise zur Tür und schlüpfte hinein. Der Raum war so riesig und die Dalekwissenschaftler so in ihre Aufgaben vertieft, daß Ian mühelos von einer Maschine zur anderen schleichen und sich zur Mitte des Raumes vorarbeiten konnte. Er fand keine Spur von Barbara. Was er sah, war ein rundes Loch in der Mitte des Raumes, das ungefähr die Größe eines riesigen Bohrturms hatte. Da an diesem Ort sowohl Daleks als auch Instrumente konzentriert waren, mußte etwas sehr Wichtiges vorgehen. Ian kroch näher und suchte ein Versteck, das so nah war, daß er heimlich lauschen konnte. Am Rand des Platzes entdeckte er die Öffnung eines seltsamen Behälters, der einer Hälfte eines gigantischen Metalleis glich. Kabel liefen zur Spitze hoch. Die Aushöhlung war teilweise mit Maschinen gefüllt, aber es war gerade noch genug Platz für Ian, daß er hineinschlüpfen und sich niederkauern konnte, damit ihn niemand sah. Er war jetzt nah genug, daß er die Stimmen der Daleks verstehen konnte, die geschäftig um ihre Instrumente kreisten. Er sah, wie die Daleks reihenweise herumwirbelten, als der riesige Schwarze Dalek näher kam. »Geben Sie mir Ihren Bericht.« »Die Hauptbohrer haben die letzte Schicht durchbohrt. Wir sind höchstens noch vier Meilen vom Außenkern der Erde entfernt.« »Wann wird der endgültige Durchbruch stattfinden?« »Sobald die Sklavenarbeiter mit der Säuberung der Oberseite des Spaltes fertig sind, werden wir den Sprengstoff anbringen, der das Aufbrechen einleitet. Die Ladung ist schon in der Kapsel untergebracht.« 132
Der Schwarze Dalek sprach alle an, die außen herumstanden, wie ein Professor, der den Studenten eine Vorlesung gibt. »Die Sprengladung wird so ausgerichtet, daß sie in dem Spalt der Erdkruste detoniert. Der Spalt wird sich ausdehnen, und der geschmolzene Kern wird freigelegt. Dann werden wir den Fluß so lange kontrollieren, bis alle Gravitations- und Magnetkräfte im Erdkern eliminiert sind. Ich werde der Dalekeinheit auf der Erde melden, daß sich das Projekt der Degravitation dem Ende zuneigt.« Der Schwarze Dalek ging hinüber zum Kommunikationspult. Ian hörte aufmerksam zu. Er war zu einem äußerst wichtigen Zeitpunkt aufgetaucht, gerade als das Geheimnis der Dalekplanungen enthüllt werden sollte. Noch einmal hörte er die Stimme des Schwarzen Daleks, die dieses Mal aus einer Lautsprecherreihe widerhallte. Offensichtlich wurde die Ankündigung im ganzen Kontrollgebiet verbreitet. »Hier spricht der Oberbefehlshaber der Daleks. Unsere Mission zur Erde ist fast beendet. Wir sind hierher geschickt worden, um den Kern dieses Planeten zu beseitigen. Wenn der Kern erst einmal entfernt ist, sollen wir ihn durch unser Energiesystem ersetzen. Das wird uns in die Lage versetzen, den Planeten zu jedem beliebigen Ort im Universum zu leiten. Wir müssen nur noch die Sprengkapsel, die den Erdkern aufbricht, in Position bringen. Die Daleks, die dieses Gerät unter Kontrolle haben, sollen sich jetzt melden.« Ian hörte eine andere Stimme. »Die Vorrichtung ist fertig. Kapsel in geschlossener Position.« Angesichts der absoluten Dreistigkeit des Dalekplans wurde es Ian in seinem Versteck schwindelig. Einen ganzen Planeten zu stehlen, ihn im Universum herumzusteuern als beweglichen Stützpunkt für Eroberungen … Es gab keinen Zweifel, daß etwas in der Zusammensetzung der Erde diese genau zu dem gemacht hatte, was die Daleks benötigten. Sie wollten nichts 133
von der Erde nehmen – sie hatten vor, die Erde selbst zu nehmen! Da er seinen Gedanken nachhing, brauchte Ian einen Augenblick zu lange, um zu bemerken, daß etwas geschah. Der Container, in dem er sich versteckt hatte, glitt über den Boden. Eine andere, identische Metallform, die andere Hälfte, bewegte sich auf ihn zu. Die beiden Teile stießen aufeinander und formten ein gigantisches Metallei, das Ian einschloß. Die Kapsel glitt über den Boden des Kontrollraumes, bis sie in dem zentralen Bohrturm hing. Ein Sicherungshebel wurde herausgezogen und befestigt, und der Container glitt langsam in den Bombenschacht. Die Stimme des Schwarzen Daleks ertönte voll Jubel. »Wenn die Kapsel erst einmal in die richtige Stellung gebracht worden ist, wird sie freigelassen. Sie wird zu dem Spalt in der Erdkruste fallen und dann explodieren.« Die Sprengkapsel, die die Erdkruste aufbrechen sollte, war unterwegs und Ian darin gefangen.
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Rebellion! In der Kapsel kämpfte Ian verzweifelt. Der Metallbehälter war dicht versiegelt, und als einzig möglicher Ausstieg blieb eine kleine Klappe auf einer Seite. Ian drückte seinen Rücken gegen eine Seite der Kapsel und schlug wild mit seinen Absätzen gegen die Ausstiegsluke. Die Kapsel schwang an ihrem Kabelende heftig hin und her. Plötzlich ruckte sie und stand still. Oben im Kontrollraum herrschte Chaos. Ein Dalekwissenschaftler meldete in höchster Panik: »Kapsel schwingt heftig, das liegt am Betrieb unbekannter Kräfte. Abstiegsmechanismus hat aufgehört zu funktionieren.« Der Schwarze Dalek wurde wütend. »Kapsel bergen und sofort noch einmal kontrollieren.« »Abstiegsmechanismus jetzt verklemmt. Kapsel muß manuell heraufgezogen werden. Alarmieren Sie Robomänner Arbeitstruppen. Notfall!« Bald begann die Kapsel wieder hinaufzufahren, jetzt aber langsamer, denn eine Truppe schwitzender Robomänner zog an dem Kabel. Sie sprang immer noch hin und her, da Ian wild gegen die Luke kickte. Im Kontrollraum verkündete ein Dalekwissenschaftler: »Kapsel jetzt auf Sublevel genau unter diesem angekommen. Vibriert immer noch heftig.« Der Schwarze Dalek entschied, nichts zu riskieren. »Kapsel auf Sublevel abfangen. Ermitteln Sie die Ursache des Versagens.« Gerade als Ian endlich die Einstiegsluke aufbrechen konnte, kam die Kapsel zum Stehen. Er spähte aus der Luke. Er hing an einer Stelle, wo ein kreuzender Tunnel in rechtem Winkel den 135
vertikalen Schacht durchschnitt. Ein Dalek raste den Tunnel herunter, direkt auf ihn zu. Ian sprang aus der Kapsel und suchte eine Fluchtmöglichkeit. Es gab nur einen Weg, den man gehen konnte – nach unten. Am Ende des Schachts lag inmitten eines Holzhaufens ein aufgerolltes Seil. Ian band hastig ein Ende um eine Grubenstütze, warf das andere Ende in den Schacht und begann hinunterzuklettern. Der Dalek erreichte den Schacht und wirbelte wütend herum, denn das Verschwinden seines Opfers verwirrte ihn. Dann kreisten seine Augenstiele um das geknotete Seil. Er feuerte einen Strahl ab, das Seil fing Feuer und riß auseinander … Ian raste jetzt den Metallschacht hinunter. Er versuchte verzweifelt, sich an den Seiten festzuhalten. Der Rand eines kreuzenden Tunnels schnellte vorbei, und er schwang sich mit voller Kraft nach vorn. Er prallte so heftig auf dem Rand auf, daß er nicht mehr atmen konnte und zog sich unter Schmerzen in den unteren Tunnel. Mit allerletzter Kraft krabbelte er langsam in die Dunkelheit. In der Mitte des Tunnels fiel er nach vorn, bewußtlos. Barbara und Jenny hörten die Ankündigung des Oberbefehlshabers, während sie im äußeren Kontrollbereich warteten. Genau wie Ian waren sie vom Ausmaß des Dalekplans überrascht. Kurz darauf wurden sie in die Mitte des Kontrollbereichs gebracht, und man befahl ihnen, zu warten, bis der Schwarze Dalek Zeit habe. Die Vielzahl von Daleks, die hin und her eilten, und deren offensichtliche Aufregung verrieten ihnen, daß es irgendeine Krise gab. Neugierig betrachtete Barbara die Öffnung des Bombenschachts. Das hier war zweifellos die Stelle, wo die Sprengkapsel heruntergelassen worden war. Sie flüsterte Jenny 136
zu: »Sehen Sie, ob Sie an eines der Kontrollpulte kommen und es beschädigen können. Ich werde versuchen, die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.« Sie konnte aufgeregte Dalekstimmen hören. »Dalekeinheit meldet, daß menschliches Wesen in Kapsel entdeckt wurde. Mensch fiel bei dem Fluchtversuch den Schacht hinunter.« Der Schwarze Dalek teilte immer noch Befehle aus. »Jeder Fehler muß berichtigt werden. Die Sprengladung muß den Spalt an der richtigen Stelle treffen, wenn wir den geschmolzenen Kern freilegen wollen. Sind alle Aufgaben der Sklavenarbeiter beendet?« »Nur noch letzte Aufräumarbeiten sind zu erledigen.« »Wenn die Aufräumarbeiten beendet sind, werden Sie alle Sklavenarbeiter unter der Erdoberfläche einsperren. Wenn der geschmolzene Kern durchbricht, werden sie alle vernichtet werden.« Vollkommen unberührt von diesem Befehl zum Massenmord ging der Gehilfe zum Kommunikationspult. »An alle Robomänner. Treiben Sie alle menschlichen Sklaven in die unteren Gänge, sobald die Aufräumarbeiten erledigt sind!« Jenny schaute Barbara erschrocken an. »Haben Sie gehört, was die vorhaben?« Barbara dachte angestrengt nach. »Dort kontrollieren sie die Robomänner …« »Vielleicht können wir es außer Betrieb setzen«, sagte Jenny eifrig. »Noch besser – wir können es benutzen.« Ein Dalekwächter befahl ihnen hervorzutreten und zwang sie, vor dem Schwarzen Dalek stehenzubleiben. »Hier sind die Menschen, die eine baldige Revolte gemeldet haben.« Der Schwarze Dalek schaute sie an. »Sprechen Sie!« Barbara reichte ihm Dorfmans Aufzeichnungen. »Das hier ist die Bombe …«
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»Wir sind an der Bombe nicht interessiert. Geben Sie uns Informationen über die geplante Revolte.« Barbara zermarterte sich den Kopf nach einer ausreichend schillernden Geschichte. »Also, der Plan sieht so aus, daß es schon sehr bald losgeht, wie beim Indianischen Aufstand.« »Wir haben Indien schon erobert.« Barbara ignorierte die Unterbrechung und plapperte weiter. »Ich spreche natürlich über die roten Indianer, die verkleidet sind, wie bei der Bostoner Teeparty. General Lee und die Fünfte Kavallerie werden vom Norden aus angreifen, während Hannibals Streitkräfte über die südlichen Alpen einfallen …« Während die verwirrten Daleks sich dieses historische Durcheinander anhörten, machte Jenny plötzlich einen Satz in Richtung Kommunikationspult. Sofort wurde sie von einem Robomann gepackt, der die Instrumente bewachte – aber die Ablenkung bot Barbara ihre Chance. Sie hechtete zu dem Pult. »Alle Robomänner, Achtung. Sie sollen die Daleks angreifen. Greifen Sie die Daleks an …« Der Schwarze Dalek schob Barbara auf die Seite, wie ein riesiger metallener Autoskooter. »Letzten Befehl stornieren. Mit normaler Operation fortfahren.« Nachdem der Schwarze Dalek die Befehle ausgegeben hatte, wandte er sich mit finsterer Miene Barbara und Jenny zu. Ein Gehilfe trat vor: »Sie lügen, um uns auszutricksen. Soll ich sie exterminieren?« Der Schwarze Dalek dachte einen Augenblick lang nach. »Nein. Behalten Sie sie zum Verhör hier. Ich werde mich später um sie kümmern. Es gibt noch vieles, das zu erledigen ist!« Der Schwarze Dalek ging zum Kommunikationspult und begann, eine neue Befehlsfolge auszugeben. »Das Raumschiff wird über dem Hauptkrater schweben und bereit sein, das gesamte Dalekpersonal zu evakuieren. Reparieren Sie die Kapsel und den Abstiegsmechanismus. Bringen Sie die Kapsel wieder zur Hauptkontrolle …« 138
Als sie weggeführt wurden, flüsterte Barbara: »Jenny, es tut mir leid.« »Was? Das war ein wunderbarer Versuch und es hat beinahe geklappt.« Ihr Robomannwächter brüllte: »Ruhe!« Andere Robomänner ergriffen Barbara und Jenny und legten ihnen Klammern an, die sie an Pfosten in der Nähe fesselten. Die hektischen Daleks setzten um sie herum ihr geschäftiges Treiben fort. Am Rand eines riesigen Kraters warteten David und Susan, während Tyler und der Doktor auf dem Rand der Aufschüttungen herumkrabbelten. »Irgendeine Idee, was sie vorhaben?« fragte David. Susan schüttelte den Kopf. »Der Doktor erklärt nie irgendetwas. Er wird es uns sagen, sobald er soweit ist.« David seufzte. »Was auch immer es ist, ich hoffe nur, daß es klappt. Der Doktor scheint unsere einzige Hoffnung zu sein.« Er machte eine Pause. »Susan – falls wir erfolgreich sind, was werden Sie dann tun?« »Mit Großvater Weiterreisen, denke ich, von einem Ort zum anderen fliegen …« »Würden Sie nicht gern irgendwohin gehören? Hierher zum Beispiel – zu mir?« Susan schaute ihn bekümmert an. »Bitte, David, fragen Sie mich das nicht. Ich weiß es einfach nicht.« Sie blickte in sein unglückliches Gesicht. »Es tut mir leid, David, wirklich …« Sie traten auseinander, als der Doktor und Tyler zu ihnen zurückkehrten. Der Doktor rieb forsch die Hände aneinander. »David, mein Junge, haben Sie noch ein paar von diesen Bomben übrig?« »Ich glaube, nur drei.« »Das wird genügen. Passen Sie auf, sehen Sie diesen Funkmast dort drüben, von dem die Kabel weggehen? Ich 139
möchte, daß Susan und Sie ihn zerstören. Wenn Sie die Bomben verwenden, dann können Sie sie aus der Entfernung mit Ihrem Gewehr zünden. Los geht es – und halten Sie unterwegs nicht an, um Blumen zu pflücken.« Als David und Susan wegkrochen, drehte sich der Doktor wieder Tyler zu. »Ich glaube nicht, daß sie Schwierigkeiten kriegen werden – das kann ich allerdings von uns leider nicht behaupten. Wir steigen in diesen Krater hinunter. Kommen Sie!« Der Doktor begann schnell die steil abfallenden Wände hinunterzuklettern. Mit widerwilliger Bewunderung schüttelte Tyler den Kopf und kletterte ihm nach. Ian war sich nicht sicher, wie lange er bewußtlos gewesen war, aber es konnte nicht sehr lange gedauert haben. Plötzlich kam er in der Dunkelheit des unteren Tunnels wieder zu sich. Der grauenhafte Plan der Daleks ging ihm immer noch durch den Kopf. Wenn es nur etwas gäbe, das er tun konnte, um ihn zu vereiteln … Er hatte nur einen Vorteil. Er war dem Schacht immer noch sehr nahe, an dem die Bombe auf ihrem Weg nach unten vorbeikommen mußte. Wenn er sie nur aufhalten oder umleiten könnte … Ian schlich langsam wieder den Tunnel zurück zu dem Bombenschacht. Er spähte nach oben, von wo das Licht des Betriebsraums herunterschien. Inzwischen hatten sie die Bombenkapsel wieder hinaufgezogen. Bald würden sie sie repariert haben, und sie wäre bereit, wieder hinuntergelassen zu werden. Wenn sie erst einmal von ihrem Kabel befreit war, würde sie den Bombenschacht hinunterstürzen, bis sie den Spalt erreichte, und dann explodieren. Es sei denn … Genau wie in der oberen Etage war auch hier am Ende des Tunnels ein Holzhaufen. Ian schaute nachdenklich die schweren Planken an. Er quälte sich und schob und zerrte, bis er eine Planke aus dem Stapel herausgezogen hatte, die er wie 140
eine Brücke quer über den Bombenschacht legen konnte. Er zog noch eine Planke heraus und noch eine … Kurz darauf war seine Arbeit getan und Ian rannte den Tunnel hoch. Er suchte einen Durchgang nach oben zu einer anderen Etage. Falls sein Plan funktionierte, dann wäre der Tunnel, in dem er sich jetzt befand, schon sehr bald ein sehr ungesunder Ort. Tyler und der Doktor standen vor einer massiven Metalltür, die in eine Tunnelwand eingelassen war. Der Doktor rieb sein Kinn. »Da sie nicht bewacht ist, gibt es wahrscheinlich eine photoelektronische Alarmvorrichtung …« Er untersuchte den unteren Türrand. »Ach ja, hier … und hier. Eine, um den Alarm auszulösen, und eine, um die Tür zu öffnen. Ich brauche jetzt etwas Glänzendes.« Tyler zog sein Messer hervor. »Wird das genügen?« »Ausgezeichnet.« Der Doktor benutzte die glänzende Messerklinge als Spiegel und reflektierte den Lichtstrahl auf eine der Zellen in der Tür. »Wenn man einen Strahl auf den anderen projiziert, öffnet man die Tür und neutralisiert das Alarmsystem … Los!« Elektrizität prickelte, es gab einen Funkenregen, und die Tür sprang auf. Tyler kratzte sich am Kopf. »Eines muß ich schon sagen, Doktor, mit Ihnen ist das Leben nie langweilig.« Sie betraten den Dalekstützpunkt. Barbara und Jenny mußten im Kontrollraum hilflos gefesselt zusehen, wie die Kapsel nach erneuter Überprüfung über den Bombenschacht hinausgeschwungen wurde. Der Oberbefehlshaber der Daleks befahl: »Mit dem Herunterlassen der Kapsel beginnen!« Dieses Mal ohne einen menschlichen Passagier, wurde das riesige Metallei langsam den Bombenschacht hinuntergelassen. Der Dalekwissenschaftler marschierte zu einer Kontrolle. »Lasse Kapsel hinunter – jetzt!« 141
Die Sprengstoffkapsel sank nur ein kurzes Stück den Bombenschacht hinunter, bis sie auf die Holzbarriere traf, die Ian konstruiert hatte. Von ihrem normalen Weg abgelenkt, rollte die Kapsel den Tunnel hinunter, traf auf eine Wand aus Erde und blieb dann in der Dunkelheit verborgen liegen. Stolz verkündete der Schwarze Dalek: »Die Kapsel ist auf ihrem Weg zum Kern dieses Planeten. Wenn sie ihren Zielort erreicht, wird sie automatisch explodieren. Wir werden uns zum Rand der Minen begeben, denn dort ist es sicherer. Wir werden so lange im Dalekraumschiff bleiben, bis wir wissen, daß eine sichere Rückkehr gewährleistet ist. Jetzt werden alle Daleks diesen Stützpunkt verlassen.« Barbara warf Jenny einen gequälten Blick zu. Es sah so aus, als ob der Dalekplan nun doch noch gelingen würde. Und sie wurden zurückgelassen, um zu sterben.
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Explosion! Tyler und der Doktor sprangen in eine Abzweigung zurück, als eine lange Reihe Daleks vor ihnen den Korridor herunter kam. Tyler streckte den Kopf heraus. »Das war ja ganz schön knapp.« Der Doktor nickte. »Sie scheinen sich auf den Weg zu machen. Lassen Sie uns schnell dorthin gehen, von wo sie gekommen sind.« Barbara und Jenny mühten sich immer noch mit ihren Fesseln ab, als Tyler und der Doktor den mittlerweile ausgestorbenen Kontrollbereich erreichten. Das Wiedersehen war ekstatisch und voller Aufregung. »Meine arme Barbara«, rief der Doktor entrüstet. »Mr. Tyler, helfen Sie mir, diese Dinger zu entfernen.« Tyler machte sich mit seinem Messer an den Schlössern der Fesseln zu schaffen, und schon bald waren Barbara und Jenny wieder frei. Barbara erklärte kurz und bündig, was sie von dem Plan der Daleks erfahren hatte. Der Doktor schien nicht überrascht zu sein. »Ich dachte mir, daß es sich um so etwas handeln müßte. Ich arbeite an einem Plan, sie lahmzulegen. Also los, lassen Sie mich sehen, ob ich mit diesem Scanner umgehen kann.« Der Doktor regulierte flink die Kontrollen, und ein kleiner Bildschirm vor ihm erwachte zum Leben. Er zeigte verschiedene Minenparzellen und dann plötzlich ein Bild von Susan und David, die um den Fuß eines riesigen Funkmastes Bomben legten. »Sie versuchen, den Mast in die Luft zu sprengen, und so den äußeren Kabelring aufzubrechen«, erklärte der Doktor. Jenny war immer noch nicht klüger. »Wozu soll das nützen?« 143
»Sie wissen doch, daß die Daleks über eine Art Funknetz kommunizieren? Wenn also die Funkverbindung plötzlich abbricht, wird ihnen das einen gewaltigen Schock verpassen. Eine Art Gehirnversagen. Das sollte sie vollkommen lahmlegen, zumindest eine Zeitlang …« Eine Dalekstimme knarzte aus einem nahen Lautsprecher. »Im Hauptkontrollbereich Störung der Scannereinrichtung. Eine Dalekeinheit muß umkehren, um den Vorfall zu unter suchen.« Tyler rannte zur Tür. »Da kommt gerade ein Dalek den Korridor herunter.« Auf dem Bildschirm arbeiteten David und Susan weiter, und jede Sekunde, die sie brauchten, zerrte an den Nerven ihrer Beobachter. Von der Tür her schrie Tyler: »Doktor – der Dalek ist gleich da!« Er rannte zurück zum Scanner, um sich ihnen anzuschließen. Sekunden später glitt ein Dalek in den Kontrollbereich. Der Doktor stand ruhig an dem Scanner und ignorierte den näher kommenden Dalek völlig. Auf dem Bildschirm sahen sie, daß David und Susan mit dem Auslegen der Ladung fertig waren und sich in sichere Entfernung zurückzogen. David führte das Gewehr an die Schulter; dann jagte ein Blitz über den Bildschirm. Als er wieder frei wurde, sahen sie, wie der Funkmast langsam zu Boden stürzte. Der Doktor strahlte triumphierend, drehte sich um und sah den Dalek, der direkt auf ihn zukam. Tyler versuchte ihn auf die Seite zu zerren. »Rennen Sie, Doktor, es hat nicht funktioniert.« Der Doktor schüttelte ihn ab und trat genau vor den Dalek, seine Hände umklammerten dabei sein Revers. Der Dalek sagte: »Halt! Wer sssind …«
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Seine Stimme schien leiser zu werden und in der Stille unterzugehen. Der Dalek bewegte sich nicht mehr. Tyler seufzte erleichtert auf: »Mensch, Sie sind ja ein Risiko eingegangen!« »Wissenschaft, mein Lieber, kein Risiko. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis der Effekt zu spüren war, das ist alles.« »Was werden Sie jetzt tun, Doktor? Die Bombe aufhalten?« Nach dieser letzten Aktion war Tyler auf dem besten Weg, zu glauben, daß der Doktor alles tun könnte. »Alles zu seiner Zeit«, beruhigte ihn der Doktor. »Ich bin mir nicht sicher, wie lange dieser kleine Schock die Daleks aufhalten wird. Wir müssen sie uns auf Dauer vom Leibe halten.« Barbara rief aufgeregt: »Die Robomänner, Doktor. Über dieses Pult werden sie kontrolliert. Ich habe schon versucht, ihnen den Befehl zu geben, die Daleks anzugreifen, aber sie schnappten uns. Lassen Sie es mich noch einmal versuchen.« Der Doktor machte eine zustimmende Handbewegung, und Barbara eilte zu dem Pult. »Robomänner, dieser Befehl kann nicht widerrufen werden. Greifen Sie die Daleks an! Vernichten Sie sie.« Der Doktor trat ebenfalls an die Konsole. »Sklavenarbeiter, hier ist Ihre Freiheit. Nutzen Sie sie. Vernichten Sie die Daleks.« Er wandte sich von den Instrumenten ab und rieb sich freudig die Hände. »Jetzt kommen Sie alle mit. Lassen Sie uns sehen, was passiert!« Sie liefen den Korridor hinunter zum Minengebiet. Schon bald hörten sie Schreien und Gebrüll, und das Klirren von Metall, das auf Metall trifft. Sie kamen um eine Ecke und sahen, wie eine wütende Horde Sklavenarbeiter und Robomänner mit Eimern und Stöcken auf einen Dalek einschlugen und -droschen, bis er nicht mehr war als ein Stück kaputtes Metall. Die Menge eilte an ihnen vorbei.
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Offensichtlich waren alle auf der Suche nach weiteren Daleks, die man vernichten konnte. Eine grimmige, zerlumpte Gestalt stürzte aus der Menge, nahm Barbara in die Arme und drückte sie so lange, bis sie atemlos war. »Ian«, schrie sie erfreut. »Ian!« »Gesegnet sei der Herr, das ist der junge Chesterton!« sagte der Doktor. »Woher kommen Sie gesprungen, mein Junge?« Ian schüttelte die Hand des Doktors wie einen Pumpengriff. »Doktor! Ich hätte mir ja denken können, daß Sie hinter all dem stecken. Hören Sie denen nur zu!« Aus allen Ecken der Mine drangen jubelnde Schreie. Überall hörte man Rufe und den Lärm weiterer Kämpfe. Der Doktor lächelte. »Die Bevölkerung der Erde setzt sich schließlich doch noch zur Wehr.« Sie gingen wieder zum Kontrollraum zurück, tauschten ein Wirrwarr aus Gratulationen und Erklärungen aus und berichteten sich von ihren verschiedenen Abenteuern. Der Doktor hörte nachdenklich zu, als Ian von seinem Versuch berichtete, die Bombe umzuleiten. Ian ging zu einer Wandkarte hinüber, auf der der Bombenschacht zu sehen war, der steil abfiel, bis er auf den Spalt in der Erdkruste traf. Er legte seinen Finger auf die Karte. »Falls diese Skizze stimmt, dann ist die Bombe hier eingeklemmt nur ein paar Stockwerke unter uns.« »Ein tapferer Plan, mein Junge«, lobte der Doktor. »Aber für den Rest von uns nicht ohne Gefahren. Die Bombe wird den Erdkern nicht freisetzen, so wie die Daleks es sich erhofft hatten. Aber schon bald wird es eine außerordentlich gewaltige Explosion geben!« »Wieviel Zeit haben wir noch, Doktor?« Der Doktor marschierte zum Bombenkontrollbereich hinüber. »Wenn ich diese Anzeigen korrekt deute, ungefähr noch zehn Minuten!«
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Barbara rannte an seine Seite. »Können Sie nichts abschalten, damit die Explosion verzögert wird?« Der Doktor schüttelte den Kopf. »Die Bombe sollte tief im Erdkern explodieren, erinnern Sie sich? Die Zündvorrichtung funktioniert daher automatisch und unabhängig.« »Dann müssen wir von hier verschwinden!« rief Tyler drängend. »Und wir müssen auch all die anderen warnen.« Der Doktor ging zur Kommunikationskonsole hinüber. »Glücklicherweise arbeitet die öffentliche Sprechanlage immer noch. Sie hängt an einem anderen Stromkreis.« Er räusperte sich und sprach in das Mikrophon: »Robomänner und Sklavenarbeiter. Diese Mine wird jeden Augenblick in die Luft gehen. Sie müssen an die Erdoberfläche und das Gebiet sofort verlassen. Kümmern Sie sich nicht um die Daleks. Überlassen Sie sie ihrem Schicksal. Ich wiederhole, diese Mine wird jeden Moment in die Luft fliegen. Verlassen Sie das Gebiet sofort.« Er wandte sich den anderen zu. »Wir haben alles getan, was wir können. Jetzt wird es langsam Zeit, daß wir uns um unsere eigene Sicherheit kümmern. Folgen Sie mir. Wir werden denselben Weg nach draußen benutzen, den ich hereingekommen bin!« Zügig führte der Doktor sie aus dem Kontrollbereich, die Korridore hinunter, hinaus in den Tunnel, und schließlich trieb er sie zu einer letzten, verzweifelten Kletterpartie an, die die steilen Kraterwände hinaufführte. Sie trafen oben auf Susan und David, die auf sie warteten. »Reden Sie nicht – rennen Sie!« befahl der Doktor atemlos, während sie sich den Menschenmengen anschlossen, die verzweifelt aus den Minen zu fliehen versuchten. Sie beobachteten das Ende der Dalekinvasion auf der Erde von einem Hügel aus, der das Minengebiet überragte. Der Ort wirkte wie ein zerstörter Ameisenhaufen, lange Menschenschlangen bewegten sich in alle Richtungen. Das 147
Raumschiff der Daleks schwebte über dem Hauptkrater, unternahm aber keinen Angriffsversuch, da es wohl auf die Ergebnisse des Experiments wartete. Als die letzten Flüchtlinge aus der Mine geflohen waren, gab es ein unterirdisches Donnern … Es wurde immer lauter, bis plötzlich die gesamten Minenanlagen in einer großen, Lava speienden Wolke aus Rauch und Flammen aufgingen. Der Lärm war niederschmetternd, und alle warfen sich auf den Boden und legten die Hände über die Ohren. Alle, bis auf den Doktor, der dastand und das Inferno mit kühlem wissenschaftlichen Interesse verfolgte. Schließlich endete der unglaubliche Lärm und ebbte zu einem leisen, konstanten Grollen ab. Sie blickten auf und sahen einen riesigen Erdhaufen. Der Krater auf seiner Spitze spie Rauch und Flammen. »Ein netter Anblick, hm, Mr. Tyler«, grinste der Doktor. »Ein aktiver Vulkan in England.« Jenny schaute nach oben. »Was ist eigentlich mit dem Dalekraumschiff geschehen?« »Vollkommen zerstört«, antwortete der Doktor zufrieden. »Ich habe es hervorragend beobachten können. Sie wurden von der ersten Druckwelle der Explosion erfaßt.« Jenny stand da und schaute in den Himmel hoch. Barbara legte einen Arm um ihre Schulter. »Es ist in Ordnung, Jenny, es ist vorbei …« »Vorbei«, wiederholte Jenny ernst. Barbara sah, wie Tränen ihre Wangen herunterliefen. Und plötzlich fiel ihr auf, daß es während all ihrer gemeinsamen Abenteuer das erste Mal war, daß sie Jenny weinen sah.
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Der Abschied Sie brauchten eine ziemlich lange Zeit, bis sie wieder in London waren und das Ufer und das Baugelände erreichten, wo die Tardis so lange festgesessen hatte. So viele Menschen wollten ihnen gratulieren und die Geschichte ihrer Abenteuer und ihres endgültigen Triumphes hören. Aber schließlich kamen sie doch noch an, und jetzt stand der Doktor da und schaute mit stiller Zufriedenheit zu, wie eine Gruppe Freiwilliger von Tylers Männern die letzten Träger von der Tardis-Tür entfernten. London hatte sich bereits sehr verändert. Es ähnelte nicht mehr der zerstörten Stadt, in der sie angekommen waren. Man sah wieder Menschen auf den Straßen und sogar einige wenige Autos und Boote auf dem Fluß. Über allem lag ein Schein von Hoffnung, ein Hauch des Lebens, das wieder begann. London wurde vor ihren Augen wiedergeboren. Tyler stand neben dem Doktor und beobachtete das geschäftige Schauspiel. »Es ist eine Schande, daß Dorfman nicht hier ist, um das alles zu sehen. Dorfman und viele andere wie er.« »Es liegt bei Ihnen, ihnen ein Denkmal zu setzen«, sagte der Doktor ruhig. »Ein neues London, eine bessere Erde. Ich bin mir sicher, daß es Ihnen gelingen wird.« Endlich war die Tardis freigeräumt. Tyler deutete mit dem Kinn auf sie. »Dort ist Ihre Telefonzelle, Doktor. Und ich werde keine Fragen stellen. Soweit es mich betrifft, sind Sie in jeder Telefonzelle in London willkommen.« Der Doktor lächelte. »Die hier wird genügen. Ich danke Ihnen.« Ein Klang war plötzlich zu hören, ein Klang, der früher einmal jedem Londoner bekannt war, einer, den man sehr lange vermißt hatte – das Glockenspiel von Big Ben. Tyler lächelte 149
zufrieden. Der Doktor verließ Tyler, der glücklich dem Glockenspiel lauschte, und kletterte zu Susan hinunter. Sie saß auf einem Holzbalken und spielte abwesend mit ihrem TardisSchlüssel, der wie immer an einer Kette um ihren Hals hing. »So ganz allein, Kind?« fragte er sanft. Susan lächelte. »Ich habe Ian und Barbara schon in das Schiff gelassen. Ich habe nur nachgedacht.« Der Doktor setzte sich neben sie. »Dafür hat es in den letzten Tagen nicht viel Zeit gegeben. Ich fürchte, du mußt mir dafür die Schuld geben. Ich scheine ein Gespür für Schwierigkeiten zu haben.« Susan umarmte ihn liebevoll. »Weißt du, ich würde dir für nichts die Schuld geben, Großvater.« Eine Zeitlang saßen sie schweigend beieinander. Mehrere Male schien es so, als ob der Doktor etwas sagen wollte, dann aber seine Meinung änderte. Susan schien in tiefe Gedanken versunken zu sein. Plötzlich stand sie auf und murmelte: »Tja, nun …«, brach dann ab und zuckte zusammen. Auch der Doktor sprang auf. »Susan, du bist verletzt …« Susan hüpfte auf einem Fuß. »Nein, es geht mir gut. Ich bin nur auf einen spitzen Stein getreten.« Sie hob einen Fuß hoch, und da war ein klaffendes Loch in der Sohle zu sehen. »Die Reise zu den Minen hat sie vollkommen fertiggemacht.« Der Doktor nahm ihr den Schuh ab und kräuselte die Lippen. »O Gott. Aber das ist nichts, weswegen man sich Sorgen machen müßte. Ich werde ihn sofort für dich reparieren.« Susan lächelte ihn liebevoll an. Am lustigsten daran fand sie, daß es ihm vollkommen ernst war. Es war typisch für den Doktor, daß er wirklich gewillt war und auch fähig, einen alten Schuh zu reparieren, wie er einen kaputten Raumschiffcomputer reparierte. »Es ist schon in Ordnung, Doktor. Ich habe in der Tardis noch viele Paare.«
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Der Doktor runzelte die Stirn. »Das erinnert mich an etwas, ich muß wohl mal losgehen und das Schiff kontrollieren.« Er tätschelte Susans Kopf und ging von dannen, wobei seine Hand den Schuh umklammerte. Susan saß immer noch auf dem Balken, als David leise auf sie zukam. Er setzte sich neben sie und legte seinen Arm um ihre Schultern. »Susan, bleib bei mir«, bat er. »David, ich kann nicht. Ich gehöre nicht in deine Welt und nicht in deine Zeit.« »Susan, ich liebe dich. Ich bitte dich, mich zu heiraten.« »Ich muß bei Großvater bleiben. Er ist jetzt alt, er braucht mich. Bitte zwinge mich nicht, mich zwischen euch zu entscheiden.« David atmete tief durch. »Du hast mir einmal erzählt, daß du niemals richtig irgendwohin gehört hast. Genau das biete ich dir jetzt an, Susan. Einen Platz und eine Zeit für dich.« Susan stand auf und humpelte zur Tardis. In ihren Augen blinkten Tränen. »Auf Wiedersehen, David. Es geht mir gut. Ich bin nur auf einen Nagel getreten.« Sie humpelte auf die wartende Telefonzelle zu. Als sie fortging, sagte sie leise zu sich: »Aber ich liebe dich, David. Ich tu’s …« Der Doktor stand am Pult der Tardis und hielt immer noch Susans Schuh. Hinter ihm standen Ian und Barbara Hand in Hand. Sie wußten, welchem Problem sich der Doktor stellen mußte, aber sie konnten ihm nicht helfen. Plötzlich reckte er sich. Vorsichtig legte er Susans Schuh beiseite, streckte seine Hand nach einem bestimmten Kontrollhebel aus und legte ihn hart um. Susan hatte die Tardis fast erreicht, als sich deren Tür vor ihr schloß. Sie nahm den Schlüssel ab und versuchte aufzuschließen. Nichts geschah. »Großvater«, schrie sie. »Großvater!« 151
Plötzlich hörte sie die Stimme des Doktors. »Susan, bitte, Susan. Ich habe die Tür mit dem Sicherheitsschloß verriegelt – du kannst nicht hinein.« Im Innern der Tardis konnte der Doktor Susans verwirrtes Gesicht sehen, das ihn auf dem Scanner anschaute. Sanft sagte er: »All die Jahre habe ich mich um dich gekümmert und die ganze Zeit über hattest du das Gefühl, du würdest dich um mich kümmern …« Er hörte Susans Stimme. »Aber ich gehöre zu dir …« »Nicht mehr, Susan. Deine Zukunft ist bei dem jungen David, nicht bei einem alten Heini wie mir.« Er sah, daß David näher gekommen war und sich neben Susan gestellt hatte. Sein Arm lag auf ihren Schultern. »Passen Sie auf sie auf, David, mein Junge. Seien Sie nett. Arbeitet beide hart. Ihr werdet feststellen, daß das Leben auf der Erde auch ein Abenteuer sein kann.« Einen Moment lang stockte die Stimme des Doktors, aber dann erholte er sich wieder. »Nun denn, ihr beide, kein Bedauern. Schaut in die Zukunft. Denkt dran, ihr beide, die Liebe ist es. Das ist es, was wirklich zählt. Auf Wiedersehen. Eines Tages werde ich zurückkommen. Eines Tages … Auf Wiedersehen …« Susan und David traten zurück, als das Dematerialisierungsgeräusch ertönte, und dann verschwand die Tardis. Leise sagte David: »Er wußte es, Susan. Er wußte, daß du ihn nie verlassen konntest. Deshalb hat er dich verlassen.« Als David Susan in den Arm nahm, entglitt der TardisSchlüssel ihren Fingern und blieb unbeachtet auf dem Boden liegen. Susan unternahm keinen Versuch, ihn aufzuheben, denn sie wußte, daß sie ihn nie wieder brauchen würde.
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Im Innern der Tardis wandte sich der Doktor schniefend vom Scanner ab. Er warf einen Blick auf Ian und Barbara, als ob er ihren Kommentar erwarte. Als sie nichts sagten, öffnete sich sein Gesicht zu einem Lächeln. »Ich werde darüber wegkommen«, knurrte er barsch. »Mußte ja eines Tages passieren. Nun denn, Sie beide muß ich wirklich wieder nach Hause bringen. Richtiger Ort und richtige Zeit, hm? Lassen Sie uns sehen, was wir tun können.« Als sich der Doktor über die Konsole beugte und seine Finger über die Schalter flogen, gab Ian Barbara einen Schubs. »Ich frage mich, wo der alte Junge uns dieses Mal absetzen wird!« »Ich bin gewillt, mit dir zu wetten, daß es nicht die Erde ist«, flüsterte sie. Die Tardis jagte auf ihrem Weg durch den Raum-ZeitWirbel. Der Doktor hatte immer noch zwei treue Begleiter, und noch viele Abenteuer lagen vor ihnen.
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