Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht...
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Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht
Begründet von Viktor Bruns
Herausgegeben von Armin von Bogdandy · Rüdiger Wolfrum
Band 217
Michael Duchstein
Das internationale Benchmarkingverfahren und seine Bedeutung für den gewerblichen Rechtsschutz Indikatoren und Benchmarks zur Überwachung des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie ihre exemplarische Darstellung für transnationale Pflichten, die einen Bezug zum gewerblichen Rechtsschutz aufweisen The international benchmarking–procedure and its meaning to industrial property law Indicators and Benchmarks, which monitor patent and copyright rules that obstruct the enjoyment of human rights (English Summary)
ISSN 0172-4770 ISBN 978-3-642-12017-6 e-ISBN 978-3-642-12018-3 DOI 10.1007/978-3-642-12018-3 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg 2010 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf : WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
Vorwort Diese Veröffentlichung beruht auf einer Dissertation der Universität Mannheim. Ich möchte mich herzlich bei meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Eibe Riedel für die erstklassige Betreuung bedanken. Seit langer Zeit unterstützt er mich bei vielen meiner juristischen Vorhaben. Ohne seine Mithilfe wären meine Auslandsaufenthalte in Straßburg und New York nicht möglich gewesen. Er war es, der mich bereits im dritten Semester im Rahmen eines völkerrechtlichen Seminars motivierte, eine Dissertation zu verfassen. Nichtsdestotrotz ließ er mir bei der Wahl des Themas jede Freiheit. Besonders dankbar bin ich, dass er mir über viele Jahre sein einzigartiges diplomatisches Geschick näherbrachte. In zahlreichen Situationen konnte ich von ihm lernen, wie man sich in Menschen – auch anderer Kulturen – einfühlt und zu einem für alle Seiten zufriedenstellenden Ergebnis gelangt. Besonderen Dank schulde ich auch Herrn Prof. Dr. Wolf–Rüdiger Schenke. Er war es, der mich in seinen systematisch gegliederten Vorlesungen für prozessuale Fragen sensibilisierte. Unabhängig davon habe ich mich gefreut, dass er das Zweitgutachten außerordentlich zügig erstellt hat. Danken möchte ich des Weiteren all jenen, die mir bei meinem Promotionsvorhaben persönlich geholfen haben. Allen vorab danke ich meinen Eltern für ihre Unterstützung. Ihnen widme ich diese Arbeit, weil sie mir einen höheren Bildungsweg geebnet haben. Außerdem danke ich meiner lieben Freundin Judith. Durch ihr Verständnis und ihre aufopfernde Art gab sie mir Rückhalt und trug maßgeblich zum Gelingen der vorliegenden Arbeit bei. Mit ihrem Sachverstand half sie mir in zahlreichen sprachlichen, logischen und formalen Fragen. Meinem Bruder Patrick wünsche ich alles Gute bei seinem Promotionsvorhaben. Mein Dank gilt auch Herrn Sven Söllner für die vielen hilfreichen Diskussionen und Anregungen. Ich danke dem Max–Planck–Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg für die mir eingeräumten umfangreichen Recherchemöglichkeiten.
VI
Vorwort
Schließlich danke ich dem DAAD für das großzügige Auslandsstipendium. Herrn Prof. Dr. Uwe Kischel, Herrn Prof. Dr. Philip G. Alston und Frau Prof. Dr. Audrey Chapman schulde ich Dank für die Unterstützung meines Auslandsaufenthalts. Hamburg, Januar 2009
Michael Duchstein
Inhaltsübersicht 1. Teil: Einleitung ..........................................................................................1 2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen...................................................................................................5 Kapitel 1: Die materiellen Pflichten im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt) ................5 Kapitel 2: Das Berichtsprüfungsverfahren vor dem Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ....................................49 3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten mit Indikatoren und Benchmarks ..................................................................81 Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells im Verfahren vor dem Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ......................................................................................................81 Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells im Verfahren vor dem Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ..................................................................................133 Kapitel 5: Das IBSA–Verfahren................................................................217 4. Teil: Die transnationalen Pflichten sowie deren Überwachung, insbesondere im Bereich des Patent– und Sortenschutzrechts ..........................................................................301 Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen im Sozialpakt und deren Kontrolle ....................................................................................301 Kapitel 7: Die Hürden des gewerblichen Rechtsschutzes beim Technologietransfer sowie deren Überwindung mit der IBSA– Methode ................................................................................................363 5. Teil: Zusammenfassende Thesen ........................................................465 English Summary.....................................................................................469 Literaturverzeichnis ................................................................................495 Sachregister ...............................................................................................527
Inhaltsverzeichnis 1. Teil: Einleitung ..........................................................................................1 I. Einführung........................................................................................1 II. Der Stand der Forschung ................................................................2 III. Aufbau und Ziel dieser Arbeit........................................................3 2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen...................................................................................................5 Kapitel 1: Die materiellen Pflichten im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt) ................5 I. Der Sozialpakt im Überblick..........................................................5 II. Die Methoden zur Auslegung des Sozialpakts .............................9 III. Die Grundsätze der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte ............................................................................9 1.) Progressive Verpflichtungen.................................................9 a) Der Zweck der Progressivklausel.................................9 b) Die Rechtsverbindlichkeit des Sozialpakts ...............12 2.) Die Kerninhalte der Paktvorschriften...............................13 3.) Der Ermessensspielraum der Staaten ................................16 a) Das Problem der Unbezifferbarkeit der verfügbaren Ressourcen ..............................................16 b) Die Lösung: Der Ermessensspielraum der Staaten bei der Auswahl der verfügbaren Ressourcen ....................................................................21 c) Der Ermessensspielraum der Staaten bei der Verteilung der verfügbaren Ressourcen.....................24 4.) Das Ziel der vollen Verwirklichung ..................................31 5.) Sofort umzusetzende Verpflichtungen..............................32 6.) Die Pflichtentrias: Achten, Schützen, Gewährleisten („respect“, „protect“, „fulfil“) ...........................................34 7.) Statische und dynamische Verpflichtungen sowie Rückschritte .........................................................................37 8.) Handlungs– und Erfolgspflichten .....................................39 9.) Nichtdiskriminierungspflichten ........................................42 10.) Die Ordnungsprinzipien Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Akzeptanz und Qualität
X
Inhaltsverzeichnis
(„availability“, „accessibility“, „acceptability“, „quality“)..............................................................................45 IV. Zusammenfassung des Kapitels ....................................................47 Kapitel 2: Das Berichtsprüfungsverfahren vor dem Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ....................................49 I. Die Zuständigkeit des Ausschusses zur Prüfung der Staatenberichte.........................................................................49 II. Der Verfahrensablauf.....................................................................52 1.) Die Einreichung der Berichte und deren Vorprüfung.....53 2.) Der Ablauf der mündlichen Verhandlung ........................54 III. Die Beweislastverteilung im Verfahren vor dem Ausschuss........................................................................................57 1.) Die Problemstellung............................................................57 2.) Die Tatsachenermittlung im Verfahren vor dem Ausschuss .............................................................................59 3.) Non–liquet–Situationen ......................................................65 4.) Das Beweismaß....................................................................67 5.) Zusammenfassung ...............................................................71 IV. Die Rechtsfolgen des Berichtsprüfungsverfahrens ....................71 1.) Die Rechtsfolgen der „Concluding observations“ im System der Vereinten Nationen .........................................71 2.) Die Konsequenzen formell mangelhafter Berichte..........73 a) Die Praxis des Ausschusses .........................................73 b) Prozessrechtlicher Lösungsvorschlag ........................75 3.) Politische Sanktionsmöglichkeiten....................................75 V. Zusammenfassung des Kapitels ....................................................80 3. Teil : Die Überwachung der Staatenpflichten mit Indikatoren und Benchmarks ..................................................................81 Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells im Verfahren vor dem Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ......................................................................................................81 I. Das Indikatorenmodell zur Messung des Grundsatzes der progressiven Verwirklichung ..........................81 II. Die Grundlagen des Indikatorenmodells ....................................84 1.) Indikatoren im Bereich der Sozialwissenschaft ...............84 a) Zweck ............................................................................84 b) Entstehungsgeschichte.................................................85 c) Eigenschaften und Grenzen von Indikatoren...........87 aa) Die Zuordnung von Indikatoren zu einer Theorie.................................................................87
Inhaltsverzeichnis
XI
bb) Die Zahl der Indikatoren...................................91 cc) Die Beschreibung der Indikatoren ...................92 dd) Die Grenzen von Indikatoren...........................93 ee) Das Werturteilsproblem.....................................94 d) Soziologische Anforderungen an Indikatoren..........99 e) Kategorisierungsmöglichkeiten von Variablen und Indikatoren..........................................................101 f) Zwischenergebnis.......................................................103 2.) Die Zulässigkeit der Verwendung von Indikatoren im Bereich der Menschenrechtsüberwachung................104 a) Ausdrückliche Normierung von quantitativen Elementen im Sozialpakt...........................................104 b) Die wesentlichen Fragestellungen bei der Operationalisierung von Wsk–Rechten ..................105 c) Die Kompetenz des Ausschusses zur Verwendung von empirischen Verfahren ................106 d) Die Zulässigkeit der Verkürzung von Rechtsbegriffen...........................................................108 aa) Die Unterschiede zwischen Definition und Operationalisierung..................................108 bb) Die Gemeinsamkeiten von Definition und Operationalisierung .........................................110 cc) Operationalisieren und Definieren.................111 dd) Die Operationalisierungspraxis im Staatenberichtsverfahren..................................112 ee) Partielle Definitionen im Rahmen des „Typus“..............................................................116 ff) Die gewohnheitsrechtliche Geltung der grammatischen Auslegung...............................117 gg) Anwendung der Grundsätze auf den Sozialpakt ..........................................................119 e) Das Basissatzproblem ................................................121 f) Kein Widerspruch zum Menschenwürdegehalt .....124 g) Keine verbotene Teilung von Menschenrechten.....126 h) Kein Verstoß gegen die Universalität durch wertende Auswahl von Indikatoren ........................128 III. Zusammenfassung des Kapitels ..................................................132 Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells im Verfahren vor dem Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ..................................................................................133 I. Der „Violations Approach“ – eine Alternative zum Indikatorenmodell?.............................................................133
XII
Inhaltsverzeichnis
1.) 2.)
Die Auffassung Chapmans...............................................133 Das Verhältnis des „Violations Approaches“ zum Indikatorenmodell.............................................................135 II. Die Anforderungen an Indikatoren im Bereich der Überwachung des Sozialpakts ....................................................145 1.) Allgemeine Anforderungen..............................................145 2.) Das Interdependenzproblem............................................146 3.) Das Disaggregationsgebot ................................................148 a) Begriff und Herleitung ..............................................148 b) Der Sonderfall der innerstaatlich verbotenen Disaggregation............................................................149 c) Die Kompetenz zur Disaggregation ........................154 III. Die Typen von Menschenrechtsindikatoren .............................156 1.) Die Einteilung in qualitative und quantitative Indikatoren.........................................................................156 2.) Die Ordnungssystematik der verschiedenen Indikatorklassen ................................................................160 3.) Die Indikatorklassen im Einzelnen .................................160 a) Input–Indikatoren......................................................160 b) Strukturindikatoren ...................................................161 c) Prozessindikatoren.....................................................163 d) Verhaltensindikatoren („conduct indicators“)........164 e) Ergebnisindikatoren...................................................165 f) Neuere Entwicklungen..............................................168 4.) Das Verhältnis der Indikatorkategorisierung zu den anderen Einteilungsschemata bei den Wsk–Rechten ....169 a) Die Relevanz der Indikatorkonfiguration für die Differenzierung von Verhaltens– und Erfolgspflichten ..........................................................169 b) Das Zusammenspiel zwischen der Indikatorkategorisierung und der Pflichtentrias ....169 c) Indikatoren und sofort umzusetzende Verpflichtungen ..........................................................171 d) Indikatoren und Kerninhalte ....................................172 IV. Die Rangfolge der Indikatoren...................................................174 1.) Die Rangfolge nach Validität............................................174 2.) Die Rangfolge unter den Indikatorkategorien ...............174 3.) Der Rang von Indikatoren, die besonders benachteiligte und verletzbare Personen betreffen........177 4.) Der Rang von Indikatoren für die Kerninhalte .............179 5.) Zwischenergebnis ..............................................................181
Inhaltsverzeichnis
V.
XIII
Die Zahl der Indikatoren im Staatenberichtsverfahren .............................................................181 1.) Die der Ermittlung einer Mindestzahl ............................181 2.) Die Praxis im Staatenberichtsverfahren ..........................183 VI. Die Auswahlfreiheit bei den Indikatoren und ihre Grenzen.........................................................................................184 1.) Zur Auswahlfreiheit der Staaten......................................184 2.) Die Auswahlfreiheit des Ausschusses .............................188 3.) Die Beweislast für Validität und Reliabilität der Indikatoren.........................................................................189 VII. Das Problem der Datenbeschaffung ..........................................190 1.) Zum Entschließungsermessen bei der Datenerhebung ..................................................................190 2.) Die Rechtfertigung fehlender Daten im Falle von Ressourcenmangel .............................................................191 3.) Datenmangel und Universalität der Menschenrechte ...192 4.) Datenerhebungsmethoden................................................194 a) Darstellung der verschiedenen Methoden...............194 b) Stellungnahme.............................................................195 VIII.Menschenrechtliche Indizes .......................................................197 IX. Die Rolle der Indikatoren im Rahmen der Berichtsprüfung............................................................................200 1.) Die Ableitung von Menschenrechtsverletzungen allein aus Indikatoren........................................................200 2.) Die antizipierte Bewertung durch Umfeldindikatoren............................................................202 3.) Quantitative und qualitative Indikatoren als Grundlage der „Concluding observations“....................204 a) Die Bedeutung der Validität......................................204 b) Der Zusammenhang zwischen qualitativen Indikatoren und dem „Violations Approach“ ........211 c) Das Werturteilsproblem bei der Anwendung qualitativer Indikatoren.............................................212 X. Zusammenfassung des Kapitels ..................................................215
XIV
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 5: Das IBSA–Verfahren................................................................217 I. Das IBSA–Modell im Überblick ................................................217 1.) Die Ausgangsproblematik ................................................217 2.) Die Lösung über „Indicators“, Benchmarks, „Scoping“ und „Assessment“ – IBSA .............................219 a) Der Begriff der Benchmarks .....................................219 b) Der Ablauf der IBSA–Prozedur...............................220 c) Der Zweck der IBSA–Prozedur ...............................222 d) Die völkerrechtliche Toleranz der IBSA– Methode ......................................................................225 e) Zwischenergebnis.......................................................226 II. Die Aufstellung der Benchmarks durch die Staaten ...........................................................................................226 1.) Benchmarks: freiwillig, keine Pflicht ..............................226 a) Der Wortlaut der Artikel 16 und 17 IPwskR..........227 b) Dynamische, authentische Auslegung .....................227 c) Artikel 2 Absatz 1 IPwskR .......................................228 d) Die Benchmarkingmethode in den „General Comments“.................................................................230 aa) Die Auffassungen des Ausschusses zur Benchmarkingmethode....................................230 bb) Bewertung .........................................................233 cc) Die rechtliche Bedeutung der „General Comments“ .......................................................234 e) Die wirtschaftliche Neutralität des Sozialpakts......236 f) Die Teilnahme am mündlichen Verfahren...............237 g) Die Mittel des Staates für die Aufstellung der Benchmarks.................................................................238 h) Zur Ableitung einer Benchmarkingpflicht aus Treu und Glauben ......................................................239 aa) Die Pflicht zur Zusammenarbeit im Berichtsprüfungsverfahren ..............................239 bb) Die Auffassung des ECOSOC zur Benchmarkingmethode....................................241 cc) Zur Kompetenz des ECOSOC für die Einführung einer Benchmarkingpflicht .........241 dd) Das Effizienzgebot und die Intention der Parteien ..............................................................246 i) Zwischenergebnis.......................................................249 2.) Der Rahmen für die Benchmarkaufstellung...................250 a) Der Zeitrahmen ..........................................................250 b) Die Höhe der Ziele ....................................................251
Inhaltsverzeichnis
XV
c) Die Berechnungsmethoden für die Benchmarks ....256 d) Zur Möglichkeit einer Bedingung ............................258 e) Zusammenfassung ......................................................261 III. Das „Scoping“–Verfahren ...........................................................261 1.) Die Bedeutung des „Scoping“–Verfahrens .....................261 2.) Die Rechtsgrundlage für das „Scoping“–Verfahren ......262 3.) Die Verbindlichkeit der „gescopten“ Benchmarks.........263 a) Eingrenzung des Problems .......................................263 b) Die Effektivität der Paktüberwachung ....................263 c) Die staatliche Flexibilität...........................................265 d) Der Vergleich mit dem völkerrechtlichen Vertrag .........................................................................266 e) Zur Relevanz der „Scoping“–Erklärung des Ausschusses für die Bindungskraft der Benchmarks.................................................................271 f) Der Vergleich mit dem völkerrechtlichen Versprechen.................................................................273 g) Die Interessenabwägung ...........................................276 h) Zwischenergebnis.......................................................277 4.) Zur Bindungskraft der nicht „gescopten“ Benchmarks........................................................................278 5.) Die Notwendigkeit einer Mitwirkungshandlung der Staaten bei der Aufstellung der Benchmarks..................280 6.) Das „Scoping“ fehlerhaft gesetzter Benchmarks ............282 7.) Zur Relevanz innerstaatlicher Zuständigkeitsverteilungen ..............................................284 8.) Die verschiedenen Typen von Benchmarks....................285 a) Qualitative und quantitative Benchmarks...............285 b) Benchmarkklassen......................................................286 9.) Die Reihenfolge der Benchmarks mit Blick auf praktische Bedürfnisse ......................................................287 10.) Benchmarks und „Scoping“ im Bereich der Kerninhalte..........................................................................289 11.) Die Zahl der Benchmarks .................................................290 12.) Sonderproblem: Benchmarkindizes ................................291 IV. Das „Assessment“–Verfahren.....................................................292 1.) Terminologie ......................................................................292 2.) Zur Ableitung von Menschenrechtsverletzungen allein aus dem Benchmark–„Assessment“......................292 a) Das Ausgangsproblem...............................................292 b) Zu den Rechtfertigungsmöglichkeiten bei Nichterreichen des Benchmark ................................293
XVI
Inhaltsverzeichnis
3.)
V.
Schlussfolgerung für das „Assessment“–Verfahren.......294 a) Das zweistufige System .............................................294 b) Die Darlegungslast.....................................................294 c) Die Beweislast.............................................................295 d) Die Beteiligung von NGOs und UN– Sonderorganisationen ................................................297 e) Die zwei Gesichter des „Assessments“ ...................297 4.) Der Umfang der Berichtsprüfung ...................................297 5.) Zwischenergebnis ..............................................................299 Zusammenfassung des Kapitels ..................................................299
4. Teil : Die transnationalen Pflichten sowie deren Überwachung, insbesondere im Bereich des Patent– und Sortenschutzrechts ..........................................................................301 Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen im Sozialpakt und deren Kontrolle ....................................................................................301 I. Die Ausgangsproblematik...........................................................301 II. Die grammatische Auslegung .....................................................303 III. Die teleologische Auslegung.......................................................306 IV. Die systematische Auslegung .....................................................313 1.) Die UN–Charta .................................................................313 2.) Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte............315 3.) Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte................................................................316 4.) Das Recht auf Entwicklung..............................................318 5.) Soft Law..............................................................................321 a) Die „General Comments“.........................................322 b) Die „friendly relations declaration“.........................323 c) Artikel 13 der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten..............................325 6.) Zusammenfassung der systematischen Auslegung ........327 V. Die historische Auslegung ..........................................................327 1.) Interpretation der Aussagen der Paktverfasser zu den grenzübergreifenden Pflichten..................................327 2.) Die Aussagen zu Artikel 2 Absatz 1 IPwskR ................328 VI. Rechtsphilosophische Ansätze ...................................................329 1.) Das Kriterium des Ressourcenverbrauchs......................329 2.) Die Globalisierungstheorie als Maß für den Umfang der transnationalen Pflichten ...........................................330 a) Die Globalisierungstheorie .......................................330 b) Bewertung ...................................................................332
Inhaltsverzeichnis
XVII
c) Zwischenergebnis.......................................................334 VII. Die Analogie zum internationalen Umweltrecht .....................335 1.) Die Rechtslage im internationalen Umweltrecht...........335 2.) Planwidrige Regelungslücke ............................................338 3.) Vergleichbare Interessenlage ............................................339 4.) Schlussfolgerungen............................................................340 a) „Respect“– und „Protect“–Ebene ............................341 b) „Fulfil“–Ebene............................................................341 VIII.Schlussfolgerungen für die transnationalen Pflichten im Sozialpakt................................................................343 1.) Die primäre Verantwortlichkeit für die Verwirklichung der Wsk–Rechte.....................................343 2.) Zur Verantwortung von Drittstaaten ..............................343 a) „Respect“–Ebene........................................................344 b) „Protect“–Ebene ........................................................346 c) „Fulfil“–Ebene............................................................347 aa) Die Existenz von grenzübergreifenden Pflichten auf der „Fulfil“–Ebene ....................347 bb) Der Umfang der grenzübergreifenden Pflichten im „Fulfil“–Bereich .........................349 d) Die progressive Natur der grenzübergreifenden Pflichten ......................................................................351 e) Die geeignete Art der Hilfsleistung..........................351 f) Die Pflicht zum Technologietransfer .......................352 g) Harmonisierungsgebote ............................................353 h) Die transnationalen Pflichten auf der „Result“– Ebene ...........................................................................355 3.) Transnationale Pflichten und Kerninhalte ......................356 IX. Die IBSA–Methode im transnationalen Bereich ......................358 1.) Transnationale Indikatoren ..............................................358 a) Transnationale Indikatoren für die „obligations of conduct“ .................................................................358 b) Transnationale Indikatoren für die „obligations of result“......................................................................358 2.) Transnationale Benchmarks..............................................359 X. Zusammenfassung des Kapitels ..................................................361 Kapitel 7: Die Hürden des gewerblichen Rechtsschutzes beim Technologietransfer sowie deren Überwindung mit der IBSA– Methode ................................................................................................363 I. Die Hürden des gewerblichen Rechtsschutzes bei der Verwirklichung menschenrechtlich relevanter Variablen .......................................................................................363
XVIII
Inhaltsverzeichnis
1.)
2.)
3.)
Nationales und internationales Patentrecht ....................363 a) Inhalt und Rechtsfolge des Patents ..........................363 b) Der Zweck des Patentrechts .....................................364 c) Das Territorialitätsprinzip.........................................368 d) Die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung eines Patents...............................................369 e) Das Patentanmeldeverfahren ....................................372 f) Die Grenzen des Patentschutzes ..............................372 aa) Verwertung der Erfindung nur im Rahmen des geltenden Rechts.........................372 bb) Der Ablauf des Patents ....................................373 cc) Der Erschöpfungsgrundsatz ...........................373 Dem Patent verwandte gewerbliche Schutzrechte mit menschenrechtlicher Relevanz...................................373 a) Das Gebrauchsmuster................................................373 b) Das Patent mit verkürzter Laufzeit..........................375 c) Das ergänzende Schutzzertifikat ..............................376 d) Der Sortenschutz........................................................376 Menschenrechtliche Zusammenhänge ............................379 a) Beispiele.......................................................................379 b) Zu den Begrifflichkeiten............................................381 c) Der Konflikt ...............................................................381 d) Das Anreizproblem....................................................381 e) Das Recht auf Zugang zu den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung.................................................................384 aa) Der Wortlaut .....................................................384 bb) Die Entstehungsgeschichte..............................385 cc) Die teleologische Auslegung ...........................387 dd) Der Rechtsinhalt im Überblick.......................389 ee) Transnationale Pflichten, insbesondere hinsichtlich gewerblicher Schutzrechte .........392 ff) Schlussfolgerungen...........................................398 f) Der Zusammenhang zwischen geistigem Eigentum und Artikel 2 Absatz 1 IPwskR..............399 g) Das Prinzip der Teilhabe und seine Auswirkung auf die Harmonisierungspflichten im Bereich des geistigen Eigentums.............................................402 h) Zwischenergebnis.......................................................404 i) Die Auswirkungen des TRIPs–Abkommens auf die Menschenrechtsverwirklichung .........................405 aa) Die Problemstellung ........................................405
Inhaltsverzeichnis
XIX
bb) Die abstrakten Lösungsansätze.......................408 cc) Die erweiterten Möglichkeiten im Gesundheitsbereich..........................................411 j) Die Frage der Nutzung von TRIPs– Flexibilitäten im Verfahren vor dem Ausschuss .....413 k) Transnationale Pflichten im gewerblichen Rechtsschutz und ihre Verortung.............................415 aa) „Respect“–Ebene..............................................415 bb) „Protect“–Ebene...............................................416 cc) „Fulfil“–Ebene..................................................417 dd) Verhältnis der „Protect“–Pflichten zu den „Fulfil“–Pflichten .............................................421 l) Das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen der Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst...................422 aa) Zum Inhalt.........................................................422 bb) Schlussfolgerungen...........................................427 4.) Zwischenergebnisse: Die Pflichten und die Ermessenserwägungen bei der Ausgestaltung des gewerblichen Rechtsschutzes...........................................428 II. Ausgewählte Verletzungen, transnationale Indikatoren und Benchmarks mit Bezug zum gewerblichen Rechtsschutz.........................................................431 1.) Der Umfang des Ermessensspielraums und seine Auswirkungen auf die IBSA–Methode...........................431 2.) Allgemeines zu den ausgewählten Verletzungen und transnationalen Indikatoren mit Blick auf den gewerblichen Rechtsschutz ..............................................431 3.) Ausgewählte Paktverletzungen auf der „Respect“– Ebene...................................................................................432 4.) Ausgewählte transnationale Indikatoren für die „Protect“–Ebene................................................................433 a) Die Messung des staatlichen Realisierungswillens...................................................434 b) Die Messung von Patentmissbrauch ........................434 c) Die Preismessung .......................................................435 d) Die Messung von „reverse payments“.....................436 e) Indikatoren für die Einwirkung auf internationale Organisationen ..................................437 f) Ergebnisindikatoren...................................................438 5.) Ausgewählte Indikatoren für die „Fulfil“–Ebene..........439
XX
Inhaltsverzeichnis
a)
Die Messung des staatlichen Realisierungswillens...................................................439 b) Exportindikatoren......................................................440 c) Indikatoren, die sowohl den Technologietransfer als auch die Förderung von Eigenanstrengungen messen ...............................................443 d) Die Messung schutzrechts– und einnahmenäquivalenter Anreize ...............................444 e) Lizenzgebühren als Indikator...................................445 f) Die Messung der menschenrechtlichen Informationspflicht ....................................................446 g) Die Messung kompensatorischer Maßnahmen.......447 6.) Nicht völlig fernliegende, aber dennoch ungeeignete Indikatoren.........................................................................448 7.) Abschließende Übersichten..............................................448 a) Ausgewählte Vertragsverletzungen ..........................448 b) Ausgewählte transnationale Indikatoren für die „Protect“–Ebene ........................................................450 c) Ausgewählte transnationale Indikatoren für die „Fulfil“–Ebene............................................................455 III. Zusammenfassung des Kapitels ..................................................462 5. Teil : Zusammenfassende Thesen .......................................................465 English Summary.....................................................................................469 I. Introduction..................................................................................469 II. The substantive duties in the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (ICESCR) .........................................................................469 1.) The binding character of the ICESCR............................469 2.) Progressive realization ......................................................470 3.) The states’ margin of discretion.......................................470 4.) Duties that have to be realized immediately ..................470 5.) Respect, protect, fulfill......................................................471 6.) Obligations of conduct and of result ..............................471 7.) Availability, accessibility, acceptability and quality.......471 III. The report consideration procedure in front of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights.............................................................................................472 1.) The duty to report to the Committee .............................472 2.) The results of the state reports examination...................472 3.) Principles of investigation and the onus .........................472
Inhaltsverzeichnis
XXI
IV. The permissibility of the indicator method in the procedure in front of the Committee ........................................473 1.) Definition and general attributes of indicators ..............473 2.) Possible concerns against the use of human rights indicators ............................................................................473 3.) Disaggregation ...................................................................474 V. Structure and imperative of the indicator model in the procedure in front of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights.......................................475 1.) The relation of the violations approach to the indicator model..................................................................475 2.) Qualitative and quantitative indicators...........................476 3.) The three categories of human rights indicators............476 4.) Human rights indicators for special applications ..........477 5.) The number of human rights indicators .........................478 6.) The data ..............................................................................479 7.) Indices .................................................................................479 VI. The IBSA–procedure ...................................................................479 1.) Outline on benchmarks, scoping and assessment..........479 2.) Possible arguments against the IBSA–procedure ..........480 3.) The voluntary character of the benchmark setting........480 4.) The frame of the benchmarksetting.................................480 5.) Conditioned benchmarks .................................................481 6.) The legal force of benchmarks .........................................481 7.) The substance of the scoping–procedure........................482 8.) The domestic competence to set benchmarks ................483 9.) The order of the benchmarks in the scoping procedure............................................................................483 10.) Benchmarks and core contents ........................................483 11.) The number of benchmarks .............................................483 12.) Benchmark Indices ............................................................483 13.) The assessment...................................................................484 VII. Transnational obligations in the ICESCR and their monitoring ...........................................................................484 1.) The wording.......................................................................484 2.) The intention of the Covenant.........................................484 3.) The scope of the transnational obligations .....................485 4.) Transnational indicators and benchmarks ......................487 VIII The overcoming of obstacles by intellectual property law with the IBSA–procedure....................................488 1.) Obstacles by intellectual property law that hamper the access to variables relevant to human rights ............488
XXII
Inhaltsverzeichnis
a)
2.) 3.)
National and international patent law and similar rights ...............................................................488 b) Connection to human rights.....................................489 National duties concerning intellectual property law...489 The monitoring procedure for the transnational obligations in the field of intellectual property law ......491 a) Practical necessities ....................................................491 b) The violations approach in the area of intellectual property law............................................491 c) Transnational indicators in the area of intellectual property law............................................491 d) Transnational benchmarks in the area of intellectual property law............................................493
Literaturverzeichnis ................................................................................495 Sachregister ...............................................................................................527
Abkürzungsverzeichnis a.A.
anderer Auffassung
Abs.
Absatz
AEMR
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
a.F.
alte Fassung
Anm.
Anmerkung
ARIPO
African Regional Intellectual Property Organization
Art.
Artikel
ASIL
American Society of International Law
AZ
Aktenzeichen
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGE
Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerwG
Bundesverwaltungsgericht
CAT
Convention against Torture
CEDAW
Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women
CERD
Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination
CRC
Convention on the Rights of the Child
ders.
derselbe
dies.
dieselbe
Doc.
Document
DSU
Dispute Settlement Understanding
DPMA
Deutsches Patent– und Markenamt
ECOSOC
Economic and Social Council
EJIL
European Journal of International Law
EMRK
Europäische Menschenrechtskonvention
EPA
Europäisches Patentamt
EPÜ
Europäisches Patentübereinkommen
EuGRZ
Europäische Grundrechte–Zeitschrift
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
f.
folgende [Singular]
ff.
folgende [Plural]
FAO
Food and Agriculture Organisation of the United Nations
FIAN
FoodFirst Informations– und Aktions–Netzwerk
GA
UNO General Assembly
GAOR
General Assembly Official Records
GebrMG
Gebrauchsmustergesetz
GRUR
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht
GRURInt
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht – Internationaler Teil
ILC
International Law Commission
I.L.M.
International Law Materials
IPC
International Patent Classification
JZ
Juristenzeitung
Fn.
Fußnote
GATT
General Agreement on Tariffs and Trade
GebrMG
Gebrauchsmustergesetz
Hrsg.
Herausgeber
IBSA
Indicators, Benchmarks, Scoping, Assessment
IGH
Internationaler Gerichtshof
ILO
International Labour Organization
i.V.m.
in Verbindung mit
IPbpR
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
IPwskR
Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
KSchG
Kündigungsschutzgesetz
KSZE
Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
MDGs
Millenium Development Goals
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
NGO
Nongovernmental Organisation
NILR
Netherlands International Law Review
Abkürzungsverzeichnis
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
OAS
Organization of American States
XXV
PatG
Patentgesetz
PCT
Patent Cooperation Treaty
PVÜ
Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums
Res.
Resolution
RGZ
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
RIAA
Reports of International Arbitral Awards
Rn.
Randnummer
SAJHR
South African Journal on Human Rights
StPO
Strafprozessordnung
TRIPs
Trade–Related Aspects of Intellectual Property Rights
UK
United Kingdom
UN
United Nations
UNCTD
United Nations Conference on Trade and Development
UNDP
United Nations Development Programme
UNESCO
United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization
UNO
United Nations Organization
UNICEF
United Nations Children’s Fund
USA
United States of America
U.N.T.S.
United Nations Treaty Series
UPOV
Union internationale pour la protection des obtentions végétales
VG
Verwaltungsgericht
vgl.
vergleiche
vs.
versus
WHO
World Health Organisation
WIPO
World Intellectual Property Organization
Wsk–Rechte wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte WTO
World Trade Organization
XXVI
Abkürzungsverzeichnis
WVK
Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (Wiener Vertragsrechtskonvention)
ZaöRV
Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
ZPO
Zivilprozessordnung
1. Teil: Einleitung I. Einführung Burundi, Mai 2008: Ornella Ntahombaye liegt in den Wehen.1 Es ist heiß, eine Fliege umschwirrt ihr schweißnasses Gesicht. In der Luft liegt der beißende Geruch von Abfall und Fäkalien. Fünf Stunden lang kämpft die 22–jährige Afrikanerin, bis endlich ihr erster Sohn, Shabani, das Licht der Welt erblickt. Er schreit, strampelt und strotzt geradezu vor Lebenskraft. Sein Schicksal jedoch ist längst besiegelt: Aids. Seinen 15. Geburtstag wird der Junge wohl nicht erleben. Wäre Shabani in Mitteleuropa geboren, stünden seine Chancen deutlich besser.2 Mit modernen Medikamenten ließen sich die Symptome seiner Krankheit lindern, seine Lebenserwartung wäre deutlich höher. Moderne Medikamente gibt es selbstverständlich auch in Burundi. Für eine arme Familie wie die Ntahombayes sind sie jedoch nicht erschwinglich3 – ein Missstand, bei dem sich die Fragen aufdrängen: Darf es sein, dass es weltweit derart eklatante Unterschiede in der medizini1
Die Namen und der Fall sind frei erfunden, jedoch so stark wie möglich an die Realität angenähert 2
Vgl. die Daten bei: Joint United Nations Programme on HIV/AIDS (UNAIDS)/WHO: AIDS Epidemic Update: Special Report on HIV/AIDS, December 2006, UN Doc. UNAIDS/06.29E; WHO/UNAIDS/UNICEF: Towards Universal Access: Scaling up priority HIV/AIDS interventions in the health sector, Progress Report, April 2007, Genf 2007, S. 14 – 19, 21 – 26, 64 und 72; zur Bedeutung der HIV–Pandemie siehe auch: Resolution 1308 (2000) des Weltsicherheitsrats, UN Doc. S/RES/1308 (2000) 3
Zu den Preisen für Medikamente gegen HIV/Aids: UNICEF/UNAIDS et. al: Sources and prices of selected drugs and diagnostics for people living with HIV/AIDS, UN Doc. WHO/EDM/PAR/2002.2, S. 6 – 13; zum Lebensstandard von Kindern in Burundi siehe dessen Staatenbericht für den UN– Kinderrechtsausschuss, UN Doc. CRC/C/3/Add.58 §§ 108 und 185 sowie die zugehörigen „Concluding Observations“ jenes Ausschusses, UN Doc. CRC/C/15/Add.133 § 18; zu weiteren Daten über Burundi vom 28. September 2007: The World Bank: Burundi at a glance, abrufbar auf: http://devdata.worldbank.org/AAG/bdi_aag.pdf (abgerufen am 25. April 2008); dies.: Burundi Second Multisectoral HIV/AIDS Project, Report Nr. AB3651
M. Duchstein, Das internationale Benchmarkingverfahren und seine Bedeutung für den gewerblichen Rechtsschutz, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 217, DOI 10.1007/978-3-642-12018-3_1, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010. All Rights Reserved.
1
2
1. Teil
schen Versorgung gibt? Verletzt die Regierung Burundis womöglich das Völkerrecht, insbesondere internationale Menschenrechte, wenn die Lebenserwartung eines neugeborenen HIV–infizierten Staatsbürgers nicht mindestens 15 Jahre beträgt? Und verletzen auch mitteleuropäische Staaten internationale Menschenrechte, wenn sie ignorieren, dass die Lebenserwartung des kleinen Shabanis deutlich hinter der eines HIV–infizierten Neugeborenen in ihrem eigenen Land zurückbleibt? Wie müssen die armen Staaten in einem solchen Fall aktiv werden, wie die reichen? Wo liegen die Grenzen ihrer Pflichten, und vor allem: Wie kann man die Pflichten überwachen und durchsetzen? Die praktische Relevanz all dieser Fragen liegt auf der Hand, sie zu beantworten erfordert jedoch eine umfassende Analyse. Der Grund: Die einschlägigen Menschenrechte sind sehr weitläufig formuliert. Daher gilt es, eine Methode zu finden, mit der man ermitteln kann, ob ein Staat im konkreten Fall seine internationalen Pflichten erfüllt hat.4
II. Der Stand der Forschung Die meisten materiellrechtlichen Dimensionen der Menschenrechte sind inzwischen gut erforscht. Dessen ungeachtet enthalten internationale Menschenrechtspakte einige Elemente, die bisher kaum erörtert wurden. Beispielsweise ist längst nicht klar, inwieweit Staaten dazu beitragen müssen, die Rechte in anderen Ländern zu verwirklichen. Insbesondere stellt sich die Frage, inwieweit sie ihr gewerbliches Rechtsschutzsystem adaptieren müssen, damit die Menschenrechte in fremden Staaten maximal genossen werden können. Auch finden sich in der wissenschaftlichen Literatur bis dato erst zwei Druckschriften5, in denen ausführlich diskutiert wird, wie die wirt4
Zu den Überwachungsmethoden zugunsten HIV–Infizierter: Interim report of the Special Rapporteur of the Commission on Human Rights on the right of everyone to enjoy the highest attainable standard of physical and mental health, Mr. Paul Hunt, UN Doc. A/58/427, § 33 5
Eibe Riedel: New Bearings to the State Reporting Procedure: Practical Ways to Operationalize Economic, Social and Cultural Rights – the Example of the Right to Health – , in: Sabine von Schorlemer (Hrsg.): Praxishandbuch UNO, 2003, S. 345 – 358; ders.: Measuring Human Rights Compliance – The IBSA Procedure as a Tool of Monitoring, in: Auer, Andreas et. al (Hrsg.): Etudes en l’honneur du Professeur Giorgio Malinverni, 2007, S. 251 – 271
Einleitung
3
schaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte verfahrensrechtlich durchgesetzt werden können. Hier besteht noch eine Menge Klärungsbedarf, damit Menschenrechtspakte nicht leere Worthülsen bleiben. Die Problematik, wie man vage formulierte Menschenrechtsstandards kontrolliert, offenbart sich derzeit hauptsächlich im Verfahren vor dem Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Entsprechende prozessuale Fragestellungen können aber auch vor anderen UN–Menschenrechtsorganen relevant werden – insbesondere, wenn demnächst Staatenberichte nach Artikel 36 des neuen Behindertenrechtsabkommens6 geprüft werden.7
III. Aufbau und Ziel dieser Arbeit Ausgangspunkt der nachfolgenden Analysen ist, dass einige UN– Menschenrechtsabkommen Staatenberichtsverfahren vorsehen. Das Reportprinzip hat seinen Ursprung in der ILO, die die Staaten nach Artikel 22 ihrer Verfassung von 19198 verpflichtet, regelmäßig über den Stand der ratifizierten Übereinkommen Rechenschaft abzulegen. Würden die mit der Prüfung der Berichte betrauten Organe jedem Land die Freiheit lassen, über den Inhalt der Berichte zu disponieren, würden vermutlich zahlreiche Schreiben nur aus einer einzigen Seite bestehen, auf der mitgeteilt würde, dass in dem betreffenden Land mit der Menschenrechtssituation alles zum Besten stehe.9 Wollen die Vertragsorgane aber Mängel bei der Umsetzung der Menschenrechtspakte aufdecken, setzt dies zwei Dinge voraus. Erstens: Sie müssen die materielle Funktion der Rechte kennen. Zweitens: Sie müssen die daraus abzuleitenden Gebote mit dem Status quo vergleichen 6
UN Doc. A/61/611 vom 6. Dezember 2006
7
Zu den Überwachungsmethoden im Rahmen der Kinderrechtskonvention siehe: General Comment Nr. 5 des Kinderrechtsausschusses: General measures of implementation of the Convention on the Rights of the Child, § 48 enthalten in: UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7 8
Die aktuelle Fassung stammt vom 1. November 1974, abrufbar auf: http://www.ilo.org/ilolex/english/constq.htm (abgerufen am: 28. März 2008) 9
Vgl. das Beispiel bei: Christian Tomuschat: Menschenrechte, Staatenberichte, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.): Handbuch Vereinte Nationen, 2. Auflage, 1991, S. 559 (S. 561)
4
1. Teil
können. Gewöhnlich stellen sich in der Jurisprudenz im zweiten Schritt allenfalls Fragen des Beweisrechts. Da manche Menschenrechtsnormen jedoch sehr abstrakt gehalten sind, kann ihre Anwendung außerordentlich schwierig sein. Das gilt selbst dann, wenn der Inhalt der Vorschrift genau bekannt ist und Druckmittel zu ihrer Durchsetzung bereitstehen. Nun äußert sich aber kein Vertrag über die Art und Weise, wie die Staatenberichte geprüft werden sollen.10 Daher gilt es, aus den Rechtsprinzipien der Pakte Regeln abzuleiten. Diese Regeln müssen sich aber auch in besonders schwierigen Situationen als geeignet erweisen – besonders dort, wo die Menschenrechtsstandards extrem unklare, nahezu uferlose Vorgaben enthalten. Die vorliegende Dissertation untersucht die Nahtstellen von materiellem Recht und Prozessrecht. Primär soll erörtert werden, mit welchen Methoden internationale Organe überwachen können, ob ein Staat die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte ausreichend verwirklicht. Darauf aufbauend sollen die Verfahrensweisen an einem Extrembeispiel veranschaulicht werden: den transnationalen Menschenrechtspflichten im gewerblichen Rechtsschutz.
10
Tomuschat a.a.O. (Fn. 9), S. 562
2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen Kapitel 1: Die materiellen Pflichten im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt) „Es soll nicht genügen, daß man Schritte tue, die einst zum Ziele führen, sondern jeder Schritt soll Ziel sein und als Schritt gelten.“ Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
I. Der Sozialpakt im Überblick Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR, Sozialpakt)1 schützt grundlegende Rechte, Rechte, die neben der abwehrrechtlichen Dimension eine stark leistungsbezogene Komponente enthalten und die vielfach der Befriedigung elementarer Bedürfnisse dienen. So hat jeder Bürger den Anspruch auf Nahrung, Arbeit, Bildung und eine Unterkunft. Bis dato sind 155 Staaten Paktmitglieder.2 Alle 155 Paktmitglieder sind verpflichtet, in regelmäßigen Abständen Berichte über die Menschenrechtslage in ihrem Land abzuliefern. Dieser Verbindlichkeit entziehen sich die USA und einige arabische Staaten bis heute, indem sie sich bislang nicht dazu durchringen konnten, den Sozialpakt zu ratifizieren.3 1
GA Res. 2200 A (XXI); UN Doc. A/6316 (1966); 993 U.N.T.S. 3; 6 I.L.M. 368 (1967); deutsche Übersetzung in: BGBl. 1973 II 1569 2
Zahl vom 14.12.2006. Aktuelle Daten auf: http://www.unhchr.ch/tbs/ doc.nsf 3
Am 14.12.2006 hatten 40 Staaten den Sozialpakt noch nicht ratifiziert. Zu den Nichtmitgliedern zählen unter anderem: Botswana, Kuba, Mozambique, Saudi–Arabien, Singapur, Süd–Afrika (aber am 3.10.1994 unterzeichnet), Malaysia und die Vereinigten Arabische Emirate. Die USA befürchten eine zu starke Einflussnahme auf ihr Wirtschaftssystem, so Philip Alston: U.S. ratification of the Covenant on Economic, Social and Cultural Rights: The need for an entirely new strategy, in: American Journal of International Law 1990, S. 365 (S.
M. Duchstein, Das internationale Benchmarkingverfahren und seine Bedeutung für den gewerblichen Rechtsschutz, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 217, DOI 10.1007/978-3-642-12018-3_2, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010. All Rights Reserved.
5
6
2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
Die verstärkte Diskussion um eine universelle Normierung von Menschenrechten begann während des Zweiten Weltkriegs.4 Bis dahin waren Menschenrechte nur regional anerkannt.5 Als dann 1945 die Vereinten Nationen gegründet wurden, fanden diese Bestrebungen Eingang in einen internationalen Vertrag, die UN–Charta.6 Als erstes internationales Dokument, das schwerpunktmäßig Menschenrechte regelt, folgte die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) von 1948.7 Sie gilt heute als Grundlage aller universellen Menschenrechtsverträge, ist allerdings lediglich deklaratorischer Natur.8 372 – 393); ders./ Gerald Quinn: The Nature and Scope of States’ Parties Obligations under the international Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, HRQ 9 (1989) S. 156 (S. 182); Winston P. Nagan: The Politics of Ratification: The Potential for United States Adoption and Enforcement of The Convention Against Torture, The Covenants on Civil and Political Rights and Economic, Social and Cultural Rights, in: Georgia Journal of International Law and Comparative Law 1990, S. 311 (S. 318 – 323 und S. 329 f.); vgl. aber auch US– Präsident Jimmy Carter: Human Rights Treaties Message to the Senate, vom 23. Februar 1978, abgedruckt in: United States Government Printing Office: Public Papers of the Presidents of the United States, Jimmy Carter, 1978, Book I, 1978 unter February 23 1978, sowie in: Exec. Docs. C, D, E und F, 95th Cong., 2d Sess., unter III (1978) 4
Riedel: Theorie der Menschenrechtsstandards, 1986, S. 33 f.; ders.: Der internationale Menschenrechtsschutz. Eine Einführung, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Menschenrechte – Dokumente und Deklarationen, 4. Auflage, 2005, S. 13, Volker Diesbach: Völkerrechtliche Garantien der Presse– und Informationsfreiheit, 1977, S. 14; Walter Gollwitzer in: Peter Rieß und andere (Hrsg.): Löwe–Rosenberg – Strafprozessordnung, 25. Auflage, 2004, Einführung MRK/IPBPR, Rn. 4; vgl. auch Punkt sechs der Atlantik–Charta vom 14. August 1941 5
Wesentliche Kodifikationen waren die britische Bill of Rights (1690/91), die Virginia Bill of Rights (1776), die französische Déclaration des droits de l’homme et du citoyen (1789) und der Grundrechtskatalog der Frankfurter Reichsverfassung (1849) 6
Claudia Mahler/Norman Weiß: Zur Unteilbarkeit der Menschenrechte – Anmerkungen aus juristischer, insbesondere völkerrechtlicher Sicht, in: Georg Lohmann: Die Menschenrechte: unteilbar und gleichgewichtig? 2005, S. 39 (S. 40); Reinhold Ferdinand: Die Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland zum Völkergewohnheitsrecht, 1985, S. 214 7
GA Resolution 217 (III) vom 10. Dezember 1948. UN Doc. A/810 (Dezember 1948), S. 71ff. 8
Riedel: Der internationale Menschenrechtsschutz, a.a.O. (Fn. 4), S. 13, Diesbach a.a.O. (Fn. 4), S. 82 – 84; Ferdinand a.a.O. (Fn. 6), S. 216
1. Kapitel: Die materiellen Pflichten im Sozialpakt
7
Die Bemühungen der UN–Menschenrechtskommission, eine einheitliche und verbindliche Weltcharta der Menschenrechte („Universal Bill of Rights“) zu verabschieden, scheiterten 1948. Der Grund: Viele Staaten beharrten damals noch auf der Prämisse, Völkerrecht diene primär der Regelung internationaler Beziehungen, nicht der Rechte von Individuen.9 Aus diesem Grund erstellte die Menschenrechtskommission zwei Entwürfe, nämlich einen für eine (unverbindliche) allgemeine Erklärung und einen weiteren für einen (verbindlichen) Pakt.10 Dieser verbindliche Pakt wurde nach diversen Beratungen und Änderungen wiederum gespalten: in den Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR, Zivilpakt) und den Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR, Sozialpakt).11 Die Trennung beruhte auf unterschiedlichen Ideologien: Die eher freiheitlich orientierten („westlichen“) Staaten traten mehr für die staatsbürgerlichen und politischen Rechte ein. Die sozialistisch geprägten („östlichen“) Länder wollten den Schwerpunkt auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte setzen.12 1966 wurden der Zivil– und der Sozialpakt verabschie9
Riedel: Der internationale Menschenrechtsschutz, a.a.O. (Fn. 4), S. 11
10
Human Rights Commission, UN Doc. E/600 (1947), S. 15–19 und S. 24 – 30; dazu: Bericht des unabhängigen Experten für das Recht auf Entwicklung: Study on the current state of progress in the implementation of the right to development, UN Doc. E/CN.4/1999/WG.18/2, § 10 11 Empfehlung der Trennung in GA Res. 543 (VI) vom 5. Februar 1952, GAOR 6th Sess., Suppl. No. 20, UN Doc. A/2119, § 1. Näher zur Ausarbeitung der beiden Pakte: Eibe Riedel: International Law Shaping Constitutional Law, in: ders.: Constitutionalism – Old Concepts, New Worlds, 2005, S. 105 (S. 110); Karl Josef Partsch: Menschenrechspakte und ihre Durchführungsorgane, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg): Handbuch Vereinte Nationen, 2. Auflage 1991, S. 583 – 585; Philip Alston: The United Nations’ Specialized Agencies and Implementation of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: Columbia Journal of Transnational Law 1979–1980, S. 79 (S. 82 – 90); Kristina Klee: Die progressive Verwirklichung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte, 2000, S. 58 – 75
12 Eibe Riedel: Universeller Menschenrechtsschutz – Vom Anspruch zur Durchsetzung, in: ders./Gerhart Baum/Michael Schäfer (Hrsg): Menschenrechtsschutz in der Praxis der Vereinten Nationen, 1998, S. 25 (S. 27); Sven Söllner: Die freiwilligen Leitlinien zum Recht auf Nahrung, in: Entwicklung und ländlicher Raum 1/2006, S. 11; Diesbach a.a.O. (Fn. 4), S. 13; vgl. auch Matthew Craven: The International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights – A Perspective on its Development, 1995, S. 9; Arnd Pollmann: Die Menschenrechte, teilbar und ungleichgewichtig!, in: Georg Lohmann: Die Men-
8
2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
det.13 Damit wurden die meisten Forderungen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 vertragsrechtlich eingelöst. Seit jeher streiten sich Wissenschaftler, ob und inwieweit man die im Sozial– und die im Zivilpakt genannten Rechte unter einen Hut bringen kann.14 Immerhin entstammen beide derselben Quelle, nämlich der AEMR. In unverbindlicher Form gelang es, bürgerliche und politische Rechte einerseits und wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte andererseits in einem Dokument zusammenzufassen. Auf einen einheitlichen, verbindlichen Pakt konnte man sich jedoch gerade nicht verständigen. Aber die Inhalte beider Pakte bedingen einander.15 Denn wem nützt das Recht, seine Meinung schriftlich zu äußern (Artikel 19 IPbpR), wenn man Analphabet ist, weil man noch nie eine Schule von innen gesehen hat (Artikel 13 IPwskR, Recht auf Bildung)? Wem nützt das Recht, sich mit anderen zu versammeln (Artikel 21 IPbpR), wenn man körperlich so gebrechlich ist, dass man sich überhaupt nicht fortbewegen kann (Artikel 12 Absatz 1 IPwskR, Recht auf Gesundheit)? Aufgrund der Interdependenz der Inhalte beider Pakte werden diese gemeinsam mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte auch als „International Bill of Rights“ bezeichnet.
schenrechte: unteilbar und gleichgewichtig?, 2005, S. 29 (S. 32); Kitty Arambulo: Drafting an Optional Protocol to the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: U.C. Davis Journal of International Law & Policy 1996, S. 111 (S. 120 f.); Thilo Marauhn: Individualbeschwerdeverfahren für völkerrechtlich gewährleistete wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte?, in: Manfred Aschke et. al: Festschrift für Friedrich von Zezschwitz, 2005, S. 243 (S. 249 f.). Besonders deutlich waren auch die Aussagen des sowjetischen Vertreters während der Ausarbeitung der AEMR: GAOR, Third Session, Part 1, Third Committee, Summary Records of meetings, 21 September – 8 December 1948, S. 638 13
st
GA Res. 2200 A (XXI) vom 16.12.1966; GAOR, 21 Sess., Suppl. No. 16, UN Doc. A/6316 14 Dazu Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 5), S. 159 f., 184; Brigit Toebes: The right to health as a human right in international law, 1999, S. 6 f. 15
Deutlich hier Art. 2 Abs. 2 der Asian Human Rights Charter von 1998; siehe auch die Äußerung Canadas während der Paktausarbeitung, in: UNESCO: Observations by member states on the provisions of the Draft International Covenant of Human Rights Concerning Educational and Cultural Rights and their implementation, UNESCO Doc. 28 EX/2, S. 8
1. Kapitel: Die materiellen Pflichten im Sozialpakt
9
Fazit: Der Sozialpakt ist ein völkerrechtlicher Vertrag mit immenser Tragweite. Er ist aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hervorgegangen und bildet eine gedankliche Einheit mit dem Zivilpakt.
II. Die Methoden zur Auslegung des Sozialpakts Bei der Inhaltsermittlung des Sozialpakts ist zunächst fraglich, welche Auslegungsmethoden verwendet werden sollen. Hier hilft das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK).16 In Artikel 31 WVK werden die grammatische, die systematische, die teleologische und ergänzend die historische Auslegungsmethode anerkannt. Zu beachten ist allerdings, dass dieser Vertrag am 23.5.1969 entstand und somit dem IPwskR vom 19.12.1966 zeitlich nachfolgte. Der WVK kommt zwar insoweit für die Auslegung des IPwskR keine Rückwirkung zu, jedoch handelt es sich bei den Festlegungen in der WVK grundsätzlich nur um kodifiziertes Völkergewohnheitsrecht.17 Der IPwskR kann daher mit Hilfe der genannten Auslegungsmethoden analysiert werden.18
III. Die Grundsätze der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte 1.) Progressive Verpflichtungen a) Der Zweck der Progressivklausel Den vom deutschen Verfassungsrecht geprägten Juristen mag die Normierung von „Leistungsgrundrechten“ verwundern, sind doch im Grundgesetz der Bundesrepublik nur wenige ausdrückliche Leistungs-
16
U.N.T.S. Vol. 1155, S. 331; UN Doc. A/Conf.39/27; 8 I.L.M. 679 (1969), deutsche Übersetzung in: BGBl. 1985 II 927 17
Hans–Joachim Cremer, in: Grote/Marauhn (Hrsg.): EMRK/GG, 2006, Kapitel 4, Rn. 18; Volker Epping in: Knut Ipsen: Völkerrecht, 5. Auflage 2004, S. 792 18
The Limburg Principles Nr. 4, UN Doc. E/C.12/2000/13, S. 4; Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 5), S. 160
10
2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
rechte enthalten.19 Im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung übrigens: Hier hatte etwa das Recht auf Arbeit noch seinen Platz. Beim Entwurf des Grundgesetzes befürchtete man jedoch, die Bedeutung der Grundrechte werde insgesamt geschwächt, lasse man auch nur einige von ihnen zu bloßen Programmsätzen verkommen.20 Der Parlamentarische Rat war darum bestrebt, die Grundrechte individuell einklagbar zu machen. Hier sah er sich allerdings bei den Leistungsgrundrechten vor einer scheinbar unüberwindbaren Hürde: Diese sind nämlich stark ressourcenabhängig. Fehlen dem Staat die Mittel, sind die Rechte faktisch nicht durchzusetzen.21 Genau dieses Problem vermochten die Verfasser des IPwskR zu lösen: Sie fügten in den allgemeinen Teil die Vorschrift des Artikels 2 Absatz 1 ein. Hierbei handelt es sich um die wohl bedeutendste Paktnorm überhaupt: Alle Paktrechte werden unter den Vorbehalt der verfügbaren Ressourcen gestellt.22 Nach dem Wortlaut des Artikels 2 Absatz 1 IPwskR sind die Staaten verpflichtet, „unter Ausschöpfung aller [...] Möglichkeiten Maßnahmen zu treffen, um nach und nach [...] die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen.“23 19
Etwa Art. 1 Abs. 1 Satz 2 (die Menschenwürde „zu schützen“); 3 Abs. 2 Satz 2; 6 Abs. 4, 5; 19 Abs. 4; 101 Abs. 1 Satz 2; 103 Abs. 1 GG. Dazu Riedel: Theorie der Menschenrechtsstandards, a.a.O. (Fn. 4), S. 171 und 372 20
Riedel: International Law Shaping Constitutional Law, a.a.O. (Fn. 11), S. 115 m.w.N. zu sozialen Grundrechten in anderen europäischen Verfassungen; ders.: Theorie der Menschenrechtsstandards, a.a.O. (Fn. 4), S. 368 und 372; Konrad Hesse: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Auflage 1999, Rn. 289; Peter Badura: Das Prinzip der sozialen Grundrechte und seine Verwirklichung im Recht der Bundesrepublik Deutschland, in: Der Staat 1975, S. 17 (S. 25) 21
Eibe Riedel: Die Grundrechtssaat ist aufgegangen – Zeit nachzusäen?, in: ders./ Jürgen Wolter/ Jochen Taupitz (Hrsg.): Einwirkungen der Grundrechte auf das Zivilrecht, Öffentliche Recht und Strafrecht, S. 297 (S. 299 f.); Hans Albrecht Hesse: Einführung in die Rechtssoziologie, 2004 S. 152. Badura a.a.O. (Fn. 20), S. 27. Vgl. auch Art. 2 Abs. 3 der Asian Human Rights Charter von 1998 22 Eine Ausnahme wird nur für Art. 13 Abs. 2 IPwskR diskutiert, vgl. Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 5), S. 186 23
Es handelt sich hier um die international unverbindliche, deutsche Übersetzung in BT–Drucks. 7/658 (1973 Band 176), S. 6. Der Wortlaut der verbindlichen englischen Fassung lautet: „Each State Party to the present Covenant undertakes to take steps, individually and through international assistance and co–operation, especially economic and technical, to the maximum of its
1. Kapitel: Die materiellen Pflichten im Sozialpakt
11
Die Wissenschaft nennt dies den Grundsatz der progressiven Realisierung.24 Ohne Artikel 2 Absatz 1 wäre jeder Staat etwa dafür verantwortlich, jedem Menschen eine Wohnung zur Verfügung zu stellen (Artikel 11 IPwskR). Wäre auch nur ein einziger unfreiwillig obdachlos, beginge das Land eine Völkerrechtsverletzung. Armen Staaten ist die Verwirklichung der Paktrechte aber nicht gleichermaßen möglich wie reichen. Wirtschaftlich schwache Länder befänden sich permanent in einem Vollzugsdefizit.25 Aus diesem Grund hätten Entwicklungsländer den Sozialpakt vermutlich gar nicht unterzeichnet.26 Seit der Entstehung des IPwskR wurde aber eine möglichst große Zahl von Mitgliedern angestrebt.27 Daher einigte man sich auf relative Pflichten.28 Relativ heißt: nach Kapazität der Ressourcen.
available resources, with a view to achieving progressively the full realization of the rights recognized in the present Covenant by all appropriate means, including particularly the adoption of legislative measures.“ Zu der insoweit falschen deutschen Übersetzung siehe Sven Söllner: Studiengebühren und das Menschenrecht auf Bildung, 2007, S. 68 f. 24
Umfangreich hierzu die Arbeit von Kristina Klee: Die progressive Verwirklichung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte, 2000 25 Riedel: International Law Shaping Constitutional Law, a.a.O. (Fn. 11), S. 112; Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 5), S. 163 26
So die Befürchtung der US–Amerikanischen Delegation, UN Doc. E/CN.4/SR. 236 S. 24; Sven Söllner/ Eibe Riedel: Studiengebühren im Lichte des UN–Sozialpakts, in: JZ 61 (2006), S. 270 (S. 271) 27
Denkschrift zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, BT–Drucksache 7/658 (S. 18) S.19; vgl. auch ECOSOC Resolution 1988/4, § 2 28
Riedel: International Law Shaping Constitutional Law, a.a.O. (Fn. 11), S. 112; Denkschrift zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, BT–Drucksache, a.a.O. (Fn. 27), S. 19
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2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
b) Die Rechtsverbindlichkeit des Sozialpakts Dass manche Paktrechte sehr vage formuliert sind,29 bedeutet nicht, dass es sich bei den Vorschriften des IPwskR um unverbindliche Programmsätze handelt.30 Sämtliche Normen sind für die Staaten verpflichtend.31 Dies wird bereits durch die Existenz des Artikels 2 Abs. 1 IPwskR belegt: Die Paktpflichten unter den Vorbehalt des Möglichen zu stellen, wäre nicht notwendig, wenn der Sozialpakt ohnehin unverbindlich wäre. Denn einen Verstoß gegen unverbindliche Normen kann man völkerrechtlich niemandem anlasten. Vor allem aber hätte es eines Pakts gar nicht bedurft, sondern man hätte es bei der AEMR belassen können. Das Nebeneinanderbestehen beider Dokumente zeigt also, dass beide trotz des ähnlichen Wortlauts einen unterschiedlichen Inhalt haben.32
29
Etwa Art. 6 (Recht auf Arbeit), Art. 11 Abs. 1 („angemessener Lebensstandard”), Art. 9 („soziale Sicherheit“). Näher Eibe Riedel: New Bearings to the State Reporting Procedure: Practical Ways to Operationalize Economic, Social and Cultural Rights – the Example of the Right to Health – , in: Sabine von Schorlemer (Hrsg.): Praxishandbuch UNO, S. 345 (S. 346 und 348); ders.: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, abrufbar auf http://ibsa.uni–mannheim.de/ S. 72 (abgerufen am 18. Mai 2008), S. 61. Bereits während der Paktausarbeitung wurde die Vagheit mancher Vorschriften kritisiert von Italien: UNESCO Doc. 28 EX/2 Add. 1 vom 27. Oktober 1951, S. 5 30 Riedel: Der internationale Menschenrechtsschutz, a.a.O. (Fn. 4), S. 18; ders.: International Law Shaping Constitutional Law, a.a.O. (Fn. 11), S. 113; Manfred Nowak: Die Justiziabilität wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte, in: Franz Matscher (Hrsg): Die Durchsetzung wirtschaftlicher und sozialer Grundrechte, 1991, S. 387; ähnlich auch noch Alfred Verdross/ Bruno Simma: Universelles Völkerrecht, 3. Auflage, 1984, S. 834. Siehe aber auch zum Konkretisierungsbedarf: Eibe Riedel: Allgemeine Bemerkungen zu Bestimmungen des Internationalen Pakts über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte der Vereinten Nationen, in: Deutsches Institut für Menschenrechte: Die „General Comments“ zu den VNl–Menschenrechtsverträgen, Deutsche Übersetzung und Kurzeinführung. Baden–Baden 2005, S. 160 (S. 165) 31
General Comment Nr. 3, UN Doc. E/C.12/1990/8, Annex III § 9; Hans Morten Haugen: The Right to Food and the TRIPs Agreement, 2007, S. 89. Zur schwierigen Frage der Bindungskraft für Pakistan siehe dessen „Erklärung“ zum IPwskR sowie die hierauf bezogenen Erklärungen Dänemarks, Frankreichs, Großbritanniens, Spaniens und Norwegens, abrufbar auf http://www.unhchr.ch/tbs/doc.nsf (abgerufen am 15.1.2007) 32
Riedel: Der internationale Menschenrechtsschutz, a.a.O. (Fn. 4), S. 19; ders.: International Law Shaping Constitutional Law, a.a.O. (Fn. 11), S. 108;
1. Kapitel: Die materiellen Pflichten im Sozialpakt
13
Fazit: Die Paktrechte stehen unter dem Grundsatz der progressiven Verwirklichung. Dennoch sind sie rechtlich verbindlich.
2.) Die Kerninhalte der Paktvorschriften Artikel 2 Absatz 1 IPwskR ermöglicht, die Paktverpflichtungen an die Besonderheiten des jeweiligen Mitgliedsstaats anzupassen. Es sind jedoch Fälle denkbar, in denen es auf die Eigenheiten der Paktstaaten nicht ankommt.33 Beispiele sind nicht–ressourcenabhängige Pflichten wie Eingriffs– oder Diskriminierungsverbote.34 In diesem Bereich können also universelle Verpflichtungen bestehen. Anders gewendet wird hier die konkrete Staatenpflicht ohne Rückgriff auf Artikel 2 Absatz 1 ermittelt. Alle Staaten müssen den gleichen Forderungen nachkommen. Treffenderweise spricht der Ausschuss hier von „core contents“, also Kerninhalten.35 Die Bezeichnung ähnelt der Wesensgehaltsgarantie des Artikels 19 Absatz 2 GG.36 Mit den Worten des Ausschusses würde der Sozialpakt seine Existenzberechtigung entbehren, wenn man minimale Kernverpflichtungen negieren würde.37 Jeder Staat muss unabhängig von seiner wirtschaftlichen Situation bei jeder Vorschrift des Teils III des Sozialpakts zumindest eine minimale Verpflichtung haben. Ansonsten wäre es nicht statthaft, diese Normen als Menschenrechte zu bezeichnen.38
William A. Schabas: Study of the Right to Enjoy the Benefits of Scientific and Technical Progress and Its Applications, in: Yvonne Donders/ Vladimir Volodin, (Hrsg.): Human Rights in Educations, Science and Culture, 2008, S. 279 33
Riedel: Allgemeine Bemerkungen, a.a.O. (Fn. 30), S. 170
34
The Maastricht Guidelines Nr. 8, UN Doc. E/C.12/2000/13 § 9. Die Maastricht Guidelines sind eine detaillierte Beschreibung der IPwskR– Staatenpflichten durch anerkannte Völkerrechtsexperten 35
Die Doktrin der „minimum core contents“ hat ihre Wurzeln in General Comment Nr. 3, a.a.O. (Fn. 31), S. 56, „minimum essential level of each of the rights”. Wenn im Folgenden von Kernverpflichtungen gesprochen wird, ist damit das staatliche Spiegelbild zu den Kerninhalten gemeint. 36 37 38
Toebes: Right to Health, a.a.O. (Fn. 14), S. 277 General Comment Nr. 3, a.a.O. (Fn. 31), § 10
Philip Alston: Out of the Abyss: The Challenges Confronting the New UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights, HRQ (1987) S. 332 (S. 352 f.); ders.: International Law an the Human Right to Food, in: ders./ Katarina Tomaševski (Hrsg.): The Right to Food, 1984, S. 9 (S. 36)
14
2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
Es wurden zahlreiche Versuche unternommen, den Kerninhalt der einzelnen Paktrechte näher zu bestimmen. Der des „right to food“ beinhaltet beispielsweise die Verfügbarkeit von Nahrung in einer Menge und Qualität, die die Ernährungsbedürfnisse innerhalb einer Kultur befriedigen. Die Nahrung muss frei von gesundheitsschädigenden Substanzen sein. Der Zugang zur Nahrung muss ständig sichergestellt sein.39 Entsprechende Definitionen der Kerninhalte gibt es auch für die anderen Paktvorschriften.40 Nicht zu verwechseln ist der Kerninhalt der Paktrechte mit dem Kernbestand von Menschenrechten.41 Zu letzterem zählen Mindeststandards, die universell akzeptiert werden, wie Ausländerbehandlung und der Schutz vor Enteignungen. Der Kerninhalt umfasst zwar auch Mindestverpflichtungen, ist jedoch von Paktrecht zu Paktrecht verschieden. Vereinzelt gibt es Stimmen, die die Kerninhalte nicht universell, sondern länderspezifisch bestimmen wollen. Sie meinen, länderspezifische Kerninhalte erlaubten im Einzelfall gerechtere Entscheidungen. Für jeden Staat extern einen eigenen Kerninhalt zu ermitteln, würde allerdings enorme Ressourcen internationaler Organisationen, beispielsweise des Ausschusses, verschlingen.42 Andererseits würden sich die Staaten auch kaum selbst – intern – Kerninhalte auferlegen. Auf diese Weise würden sie schließlich der Öffentlichkeit alle Wege ebnen, sie zur Verantwortung zu ziehen oder sie würden die Kernbereiche so niedrig anlegen, dass sie sie bereits erfüllt haben.43 Andere Wissenschaftler fordern, die Länder in Gruppen je nach Entwicklungsstand einzuteilen. Dagegen spricht jedoch, dass dies Abgrenzungsschwierigkeiten mit sich brächte. Auch würde man auf einen Staat, der sich in Bezug auf seine Leistungsfähigkeit an der Spitze einer unteren Gruppe befindet, zu niedrige Standards anwenden:44 Der Staat wäre unterfordert, und das hätte ein abgeschwächtes Schutzniveau der 39
General Comment Nr. 12 UN Doc. E/C.12/1999/5 § 8
40
Für Art. 15 Abs. 1 c) siehe General Comment Nr. 17, UN Doc. E/C.12/GC/17 § 39; Für das Recht auf Wohnung siehe General Comment Nr. 4, UN Doc. E/1992/23 § 8 41
Näher hierzu Riedel: Der internationale Menschenrechtsschutz, a.a.O. (Fn. 4), S. 15; ders.: Universeller Menschenrechtsschutz, a.a.O. (Fn. 12), S. 28 42
Zum Ganzen: Toebes: Right to Health, a.a.O. (Fn. 14), S. 278 – 280
43
Toebes: Right to Health, a.a.O. (Fn. 14), S. 279. Vgl. aber zu den Benchmarks: hier, S. 224 ff. 44
Toebes: Right to Health, a.a.O. (Fn. 14), S. 280
1. Kapitel: Die materiellen Pflichten im Sozialpakt
15
Wsk–Rechte zur Folge. Dies widerspricht der Intention des Sozialpakts. Überzeugend ist deswegen die Auslegung, allen Staaten die gleichen konkreten Kernverpflichtungen aufzuerlegen.45 Es handelt sich um eine teleologische Reduktion des Artikels 2 Absatz 1, weil es auf die Eigenheiten der einzelnen Staaten nicht mehr ankommt.46 Die Staaten müssen also selbst dann die Kerninhalte gewährleisten, wenn sie aus wirtschaftlichen Gründen hierzu gar nicht in der Lage sind – faktisch verlangt man in diesen Fällen also zunächst etwas Unmögliches.47 Denkbar wäre es, in jedem Fall der Nichterfüllung von Kernverpflichtungen eine Vertragsverletzung zu sehen. Der Ausschuss ist jedoch einen anderen Weg gegangen. Er lässt zwar Rechtfertigungsgründe zu, erlegt aber dem Vertragsstaat eine gesteigerte Nachweispflicht auf.48 Diese Lösung ist sinnvoll, weil es auch im Bereich der Kernverpflichtungen ressourcenabhängige Pflichten gibt und es dem Staat an ebendiesen Ressourcen fehlen kann. Der Ausschuss spricht hier von Prima– facie–Verletzungen des Sozialpakts.49 Er geht grundsätzlich davon aus, dass die Kernverpflichtungen sofort umgesetzt werden müssen.50
45
State obligations, indicators, benchmarks and the right to education, Background paper submitted by Paul Hunt, UN Doc. E/C.12/1998/11§ 6 (b); ebenso: Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies, UN Doc. HRI/MC/2006/7, § 28; Katarina Tomaševski: Human Rights Indicators: The Right to Food as a Test Case, in: Philip Alston/ dies. (Hrsg.): The Right to Food, 1984, S. 135 (S. 142) 46
Allgemein zur teleologischen Reduktion: Franz Bydlinski: Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, S. 480 f.; Karl Larenz/ Claus–Wilhelm Canaris: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Auflage, 1995, S. 210 – 216 47
Der Ausschuss spricht von „non–derogable“, Statement on Poverty and the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, UN Doc. E/C.12/2001/10 § 16 48
General Comment Nr. 3, a.a.O. (Fn. 31), § 10. Dazu auch: Maria Green: What We Talk About When We Talk About Indicators, HRQ 2001, S. 1062 (S. 1073) 49
Zum Begriff des Prima–Facie–Beweises: Ferdinand Kopp/ Wolf–Rüdiger Schenke: Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 14. Auflage, 2005 § 108 Rn. 18 50 UN Doc. E/C.12/GC/17 § 25: „(…) obligations that are of an immediate effect, including core obligations.”
16
2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
Die universelle Anwendung des Kernbereichs darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass jedes Paktrecht weitere, variable Dimensionen besitzt.51 Die Staaten können also Untätigkeiten nicht damit rechtfertigen, dass sie die Kerninhalte erfüllt hätten. Hierin läge eine nach Artikel 4 IPwskR unzulässige Beschränkung der Paktrechte.52 Im Regelfall besteht deshalb zusätzlich die Pflicht, alle verfügbaren Ressourcen zur Erfüllung des Sozialpakts ein– und die Vorschriften individuell umzusetzen.
3.) Der Ermessensspielraum der Staaten a) Das Problem der Unbezifferbarkeit der verfügbaren Ressourcen In der authentischen englischen Formulierung des Artikels 2 Absatz 1 IPwskR – „to the maximum of its available resources” – wird deutlich, dass die Staaten alle verfügbaren Ressourcen für die Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte einsetzen müssen. Wie will man jedoch ermitteln, welche Ressourcen verfügbar sind? Der Sozialpakt entbehrt diesbezüglich jeder Definition.53 So ist es nicht verwunderlich, dass es in der Wissenschaft verschiedene Ansichten gibt. Eine Position vertritt die sogenannte subjektive Ressourcendefinition: Verfügbare Ressourcen seien nur diejenigen, die der Staat für die Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zur Verfügung stellt.54 Das bedeutet, dass die Höhe der eingesetzten Mittel dem Belieben des Mitgliedsstaats überlassen bleibt. Der Vertragsstaat hätte sogar die Option, überhaupt keine Ressourcen bereitzustellen.55 Der Sozialpakt bezweckt aber, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte schnellst– und bestmöglich umzusetzen. Daher kann es den Staaten nicht ad libitum gestellt werden, wie viele Ressourcen sie 51
Warnend insoweit: Toebes: Right to Health, a.a.O. (Fn. 14), S. 276; zur Minimalmethode siehe auch: Alston: Right to Food, a.a.O. (Fn. 38), S. 33 52
Für Art. 12 IPwskR: Toebes: Right to Health, a.a.O. (Fn. 14), S. 277
53
Darauf wies bereits der Chilenische Abgeordnete bei den „travaux préparatoires“ hin, UN Doc. E/CN.4/SR.236, S. 17 54
Erica de Wet: Recent Developments concerning the Draft Protocol to the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, SAJHR 13 (1997), S. 514 – 548 55
Vgl. Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 5), S. 178
1. Kapitel: Die materiellen Pflichten im Sozialpakt
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einsetzen wollen. Die subjektive Ressourcendefinition negiert im praktischen Ergebnis jedwede Vertragspflicht.56 Hier gibt es keinen Unterschied mehr zur AEMR. Schließlich widerspricht es auch dem authentischen englischen Wortlaut „available“, das Ausmaß der Ressourcen der staatlichen Willkür zu überlassen. Das Suffix „–able“ bezieht sich nämlich in der Regel auf objektive Eigenschaften. Den gleichen Tenor hat die französische Fassung, in der von „ressources disponibles“ die Rede ist. „Disponible“ erfasst in der französischen Rechtssprache nur die Eigenschaften, die von objektiven Faktoren, nicht aber solche, die vom Willen der Parteien abhängen.57 Aus diesen Gründen ist der subjektive Ressourcenbegriff abzulehnen. Damit stellt sich die Frage, wie die Textstelle „available resources“ objektiv zu deuten ist. Sind mit Ressourcen nur finanzielle gemeint? „Resources“ wird abgeleitet von dem lateinischen Begriff resurgere (zu Deutsch: hervorquellen). Daher steht „resources“ heute zum Teil auch als Synonym für den Begriff Rohstoffe.58 Im allgemeinen Sprachgebrauch sind „resources“ ganz allgemein Mittel, die benötigt werden, um eine bestimmte Aufgabe zu lösen.59 Es ist nicht ersichtlich, dass die Verfasser des IPwskR von dieser Bedeutung des Begriffs abweichen und sich auf finanzielle Mittel beschränken wollten. Wäre dies der Fall, hätten sie eine Legaldefinition eingefügt. Auch Artikel 1 Absatz 2 IPwskR lässt Rückschlüsse auf die Bedeutung des Begriffs „resources” zu.60 „All peoples may […] freely dispose of their natural wealth and resources”, heißt es da. Allerdings bleibt unklar, ob „natural” sich nur auf „wealth” oder auch auf „resources” bezieht. Die Antwort liefert Artikel 11 Absatz 2 a) IPwskR, in dem konkret von „natural resources“ die Rede ist. Es wäre unverständlich, wenn der IPwskR im allgemeinen Teil den Begriff „resources“ in einem engeren Verständnis gebrauchen würde als in einer speziellen Vorschrift.
56
Klee a.a.O. (Fn. 24), S. 124
57
Gérard Cornu/Henri Capitant: Vocabulaire juridique, 2. Auflage, 2001, S. 297 Stichwort: Disponible 58
Michael Venhoff und Andere: Der Brockhaus Wirtschaft, 2004, S. 495 f., Stichwort: Ressourcen 59
Katrin Alisch/Eggert Winter/Ute Arentzen: Gabler Wirtschaftslexikon, 16. Auflage 2004 S. 2545, Stichwort: Ressource 60
Ähnlich insoweit Art. 25 IPwskR
18
2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
Ein weiteres Argument dafür, dass Ressourcen mehr sind als nur Geld, sondern in einem umfassenderen Sinne definiert werden müssen, liefert der Zweck des Artikels 2 Absatz 1 IPwskR: Je höher die volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Staates, umso intensiver sind seine Pflichten. Artikel 2 Absatz 1 verweist also auf die Volkswirtschaft. Und in der entsprechenden Lehre sind mit Ressourcen typischerweise Arbeit, Boden, Umwelt, Wissen, Technologie und Kapital gemeint.61 Daher ist naheliegend, dass auch diese fachsprachspezifische Bedeutung zugrunde gelegt werden sollte. Auch stünde es der Intention des Sozialpakts entgegen, wenn zur Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nur finanzielle Ressourcen eingesetzt werden müssten. Beispielsweise schreibt Artikel 13 Absatz 2 a) IPwskR vor, dass es Grundschulunterricht geben muss. Es genügt in diesem Fall nicht, wenn der Staat sich darauf beschränkt, ein bestimmtes Budget vorzusehen, da hierdurch allein die Bildungsvermittlung noch nicht sichergestellt ist. Denn es bedarf mehr als Geld, es bedarf geeigneter Räumlichkeiten, Lehrmittel und kompetenter Lehrer.62 Aus alledem folgt, dass der Begriff „resources“ umfassend zu verstehen ist. Neben finanziellen Ressourcen fallen hierunter auch Wissen, Technologie, natürliche Ressourcen, Arbeit, Boden und Umwelt.63 Jetzt stellt sich aber die Frage, wie diese Ressourcen gemessen werden sollen. Fest steht, dass der Verweis auf die Volkswirtschaft seine Grenzen hat: Man kann das Maß der verfügbaren Ressourcen nicht mit einem bestimmten Anteil des Bruttonationaleinkommens64 ansetzen.65 Das Bruttonationaleinkommen repräsentiert nämlich nicht die Ressour-
61
Venhoff et. al. a.a.O. (Fn. 58), S. 495; Alisch et al. a.a.O. (Fn. 59), S. 2545
62
Weitere Beispiele bei: Robert E. Robertson: Measuring State Compliance with the Obligation to Devote the „Maximum Available Resources” to Realizing Economic, Social and Cultural Rights, HRQ 1994 S. 693 (S. 695 f.). Zum Inhalt des Rechts auf Hochschulbildung: Söllner: Studiengebühren und das Menschenrecht auf Bildung, a.a.O. (Fn. 23), S. 186 – 215 63 64 65
R. Robertson a.a.O. (Fn. 62), S. 696 f. Früher: Bruttosozialprodukt
So aber: A. Glenn Mower: International Cooperation for Social Justice, 1985, S. 132
1. Kapitel: Die materiellen Pflichten im Sozialpakt
19
cen selbst.66 Es kann zwar als Bemessungsgrundlage für die genutzten, finanziell berechenbaren Ressourcen verwendet werden,67 doch gibt es auch Ressourcen, die nicht objektiv bezifferbar sind. Dazu zählen vor allem soziale, beispielsweise Familienstrukturen. Derartige, nicht marktfähige Ressourcen mit einem fiktiven Marktwert anzusetzen, wäre nicht ohne Willkür möglich. Die Aufgabe, die verfügbaren Ressourcen zu bestimmen, erweist sich als noch schwieriger, wenn man unter diesen Begriff auch internationale Ressourcen fasst.68 Dass letztere ebenso unter den Ressourcenbegriff fallen, folgt nicht zuletzt aus dem Wortlaut des Artikels 2 Absatz 1, nach dem die Staaten „einzeln und durch internationale Hilfe und Zusammenarbeit“ zur Verwirklichung des Sozialpakts verpflichtet sind.69 Auch wird mehrfach in den einzelnen Paktrechten auf die Bedeutung internationaler Kontakte hingewiesen, so in Artikel 15 Absatz 4: „Die Vertragsstaaten erkennen die Vorteile an, die sich aus der Förderung und Entwicklung internationaler Kontakte und Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet ergeben“. Weitere Hinweise liefern Artikel 11 Absatz 2 („einzeln und im Wege internationaler Zusammenarbeit“), Artikel 22 („internationale Maßnahmen zur wirksamen schrittweisen Durchsetzung dieses Paktes“) und Artikel 23 („internationale Maßnahmen zur Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte“). Aus diesen Vorschriften und aus der Entstehungsgeschichte hat der Ausschuss abgeleitet, dass auch internationale Hilfeleistungen zu den verfügbaren Ressourcen im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 IPwskR zählen.70 66
Vgl. Venhoff a.a.O. (Fn. 58), S. 535 – 53. Allgemein zum Bruttonationaleinkommen im Rahmen der Menschenrechtsüberwachung: Riedel: Theorie der Menschenrechtsstandards a.a.O. (Fn. 4), S. 199 67
Klee a.a.O. (Fn. 24), S. 125
68
So bereits in den travaux préparatiores, UN Doc. A/5365 § 50 f.; E/CN.4/SR.236 S.16 (Ägypten), S. 19 und 27 (Dänemark) 69
Ausschuss–Berichterstatter Eibe Riedel in: UN Doc. E/C.12/38/CRP.1 vom 16. Februar 2007, § 6 70
General Comment Nr. 3, a.a.O. (Fn. 31), § 13 (S. 86). So auch The Limburg Principles Nr. 26, enthalten in: UN Doc. E/C.12/2000/13 S. 6. Ebenso: Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 5), S. 187; siehe auch die Berichtsrichtlinien des Ausschusses (Reporting Guidelines), UN Doc. E/C.12/1991/1, zu Art. 2 § 3: „If your State participates in development cooperation, is any effort made to ensure that it is used, on a priority basis, to promote the realization of economic, social and cultural rights?“. Siehe ferner die „Concluding Observations“ betreffend
20
2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass zwischenstaatliche Hilfsleistungen oft nicht endgültig transferiert werden. Beispielsweise steht „geliehenes“ Geld dem Staat nur vorübergehend zur Verfügung, weil es zurückgezahlt werden muss. Die Auszahlung vergrößert, die Rückzahlungspflicht verringert die verfügbaren Ressourcen im Empfängerland. Ob das Darlehen die Verwirklichung der Wsk–Rechte fördert oder ihr langfristig eher schadet, ist ex ante nicht eindeutig feststellbar.71 Aus diesem Grund gestattet der Sozialpakt der internationalen Gemeinschaft nicht, den Staat auf potentielle Kredite zu verweisen. Daraus folgt, dass diese auch nicht zu den Ressourcen gerechnet werden können. Selbst wenn man solche internationalen Hilfsleistungen als verfügbare Ressource anerkennen wollte, die dauerhaft in das Vermögen des Empfängerlandes übergehen, bliebe immer noch das Problem, dass von sämtlichen Staaten und Organisationen Angebote eingeholt werden müssten. Denn nur dann wüsste man tatsächlich, über wie viele Ressourcen der Staat maximal verfügen könnte. Der Ausschuss wäre darauf angewiesen, dass ihm alle Staaten der Erde, auch Nichtmitglieder des IPwskR, vollständig und wahrheitsgemäß Informationen liefern.72 Weil die Verfasser des Sozialpakts aber ein effektives Menschenrechtsinstrument schaffen wollten, darf es nicht sein, dass der Ausschuss in seiner knappen Zeit derart zeitaufwendige Ermittlungen anstellen muss und vom Gutdünken Dritter abhängig ist. In Betracht käme nun allenfalls, die verfügbaren Ressourcen zu schätzen. Dies ist jedoch abzulehnen, da es im Verfahren vor dem Ausschuss darum geht, gegebenenfalls eine Völkerrechtsverletzung nachzuweisen. Eine Schätzung kann hierfür keine Basis sein. Fazit: Der Ausschuss kann nicht kontrollieren, welche Ressourcen verfügbar sind. Dies scheint nicht so recht zusammenzupassen mit dem Gedanken, dass der Sozialpakt im Gegensatz zur AEMR in vollem Umfang verbindlich sein soll.73 Wenn man den ressourcenabhängigen Pflichten im Sozialpakt nicht jede rechtliche Relevanz absprechen will,
die Salomonen, UN Doc. E/C.12/1/Add.84 vom 19. Dezember 2002 §§ 26 f.; Nepal, UN Doc. E/C.12/1/Add.66 vom 24. September 2001, § 61 71
Zu diesem Thema: Jennifer Tooze: Aligning States’ economic policies with human rights obligations, in: Human Rights Law Review 2002, S. 229 (S. 250 f.) 72 73
Ähnlich Klee a.a.O. (Fn. 24), S. 129 Vgl. Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 5), S. 177
1. Kapitel: Die materiellen Pflichten im Sozialpakt
21
muss man deswegen ein Lösungsmodell entwickeln, das beide Prämissen in Einklang bringt.
b) Die Lösung: Der Ermessensspielraum der Staaten bei der Auswahl der verfügbaren Ressourcen Der Wortlaut des Artikels 2 Absatz 1 schreibt vor, dass alle verfügbaren Ressourcen eingesetzt werden müssen. Fraglich ist, ob die Länder darüber entscheiden können, welche und wie viele das sind. Der moderne Staat muss vielfältigen Aufgaben gerecht werden. So bedürfen auch die Verwirklichung ziviler und politischer Rechte, die Verteidigung, die innere Sicherheit und der Umweltschutz nicht unbeträchtlicher Staatsausgaben.74 Es gibt keinen überzeugenden Grund, hier die Wsk–Rechte zu privilegieren.75 Zumal sich die Staaten auf die Souveränität berufen können, nach Artikel 2 Absatz 7 UN–Charta76 ein Grundsatz der Vereinten Nationen.77 Danach sind sie auf ihrem Gebiet der höchste Herrschaftsverband, können also prinzipiell autonom über ihre Mittel verfügen.78
74
Beispiele bei Riedel: International Law Shaping Constitutional Law, a.a.O. (Fn. 11), S. 111; vgl. auch Bernard Robertson: Economic, Social and Cultural Rights: time for a reappraisal, 1997, S. 8 und 13 75
Klee a.a.O. (Fn. 24), S. 133
76
Art. 2 Abs. 1 UN–Charta regelt eher das zwischenstaatliche Verhältnis. Hier geht es aber um das Verhältnis der Staaten zu Organen der UNO, daher ist Art. 2 Abs. 7 die passendere Vorschrift, so Christian Tomuschat: Menschenrechtsschutz und innere Angelegenheiten, in: Deutsche Sektion der Internationalen Juristen–Kommission (Hrsg): Eingriff in die inneren Angelegenheiten fremder Staaten zum Zwecke des Menschenrechtsschutzes, S. 5 (S. 14) 77 Zum Begriff der Souveränität: Alfred Verdross/ Bruno Simma: Universelles Völkerrecht, 3. Auflage, 1984, S. 29; Joon Beom Pae: Sovereignty, Power and Human Rights Treaties: An Economic Analysis, in: Northwestern Journal of International Human Rights, 2006, S. 71 (S. 74 – 76). Die Souveränität geht auf den Westfälischen Frieden von 1648 zurück und wird in der Friendly Relations Declaration, GA Res. 2625 (XXV) vom 13. Oktober 1970 positivrechtlich normiert 78
Vgl. Art. 1 und 2 Abs. 1 der Charter of Economic Rights and Duties of States, UN Doc. A/RES/29/3281 vom 12. Dezember 1974
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2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
Die Souveränität der Staaten gilt jedoch nicht absolut, insbesondere dann nicht, wenn es um die Sicherung der Menschenrechte geht.79 Denn auch der Schutz der Menschenrechte ist nach Artikel 1 Absatz 3 UN– Charta80 ein Grundsatz der Vereinten Nationen. Außerdem darf die Souveränität nicht dazu führen, dass völkerrechtliche Abkommen unverbindlich werden: Es widerspräche dem Gedanken pacta sunt servanda, wenn sich die Staaten auf ihr Selbstbestimmungsrecht berufen könnten, um nicht alle verfügbaren Ressourcen einzusetzen. Mit Unterzeichung des IPwskR haben die Staaten ihre Souveränität also zum Teil eingeschränkt. In den Bereichen, die durch den Sozialpakt nicht geregelt werden, bleibt sie bestehen. Auf der einen Seite steht somit das Selbstbestimmungsrecht der Staaten, auf der anderen Seite die Verbindlichkeit des Sozialpakts.81 Beide Prinzipien können maximal zur Geltung kommen, indem man den Staaten einen begrenzten Ermessensspielraum zugesteht. Soweit man den Begriff „verfügbar“ dem Tatbestand und nicht der Rechtsfolgenseite zuordnen will, kann man auch von einem Beurteilungsspielraum sprechen.82 Beurteilungs– beziehungsweise Ermessensspielraum bedeutet, dass die Staaten bedingt selbst entscheiden können, wie viele Ressour79
Tomuschat: Menschenrechtsschutz und innere Angelegenheiten, a.a.O. (Fn. 76), S. 6; Klee a.a.O. (Fn. 24), S. 131 f. 80
Der authentische, englische Wortlaut lautet: „The Purposes of the United Nations are: […] To achieve international cooperation in solving international problems of an economic, social, cultural, or humanitarian character, and in promoting and encouraging respect for human rights […].” 81
Vgl. Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 31),
S. 76 82
Die „Maastricht Guidelines“ a.a.O (Fn. 34) sprechen aber von „margin of discretion“, also von Ermessensspielraum. Nach Auffassung von Dankwa et al. sollte hiermit der Unterschied zum Beurteilungsspielraum bei den Menschenrechten der EMRK klargestellt werden. Victor Dankwa, et. al.: Commentary to the Maastricht Guidelines on Violatons of Economic, Social and Cultural Rights, HRQ 705 (1998) S. 705ff. (S. 716). Nach Juliane Kokott: Beweislastverteilung und Prognoseentscheidungen bei der Inanspruchnahme von Grund– und Menschenrechten, 1993, S. 413 findet die Trennung auf völkerrechtlicher Ebene ohnehin nicht so strikt statt, wie im deutschen Recht; sie bezweifelt sogar, ob die deutsche Trennung auf Dauer aufrechtzuerhalten ist. Albert Bleckmann: Ermessensfehlerlehre, Völker– und Europarecht, vergleichendes Verwaltungsrecht, 1997, S. 8 weist darauf hin, dass die typisch deutsche Konstruktion, wonach Ermessen niemals auf der Tatbestandsseite auftreten kann, den anderen Mitgliedsstaaten der Völkerrechtsgemeinschaft nicht bekannt ist
1. Kapitel: Die materiellen Pflichten im Sozialpakt
23
cen sie für die Verwirklichung der Wsk–Rechte zur Verfügung stellen.83 Der Ausschuss darf unter anderem prüfen, ob sachfremde Erwägungen ausschlaggebend für eine Ressourcenlimitierung waren. Insbesondere dürfen religiöse, wirtschaftspolitische und kulturelle Besonderheiten nicht als Grund für den begrenzten Einsatz von Ressourcen herangezogen werden.84 Die Rechte des Sozialpakts gelten nämlich gleichermaßen für alle Religionen, Wirtschaftssysteme und Kulturen.85 Um den Sozialpakt einerseits so flexibel, andererseits aber so verbindlich wie möglich zu interpretieren, leitet man aus ihm sechs Kriterien ab, mit denen man misst, ob genügend Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Diese sind:86 (a) der Entwicklungsstand des Landes; (b) die Frage, ob die Kernverpflichtungen der einzelnen Rechte gesichert sind; (c) die aktuelle wirtschaftliche Situation des Staates, insbesondere falls eine Rezession vorliegt; (d) das Vorliegen nachvollziehbarer Gründe für eine Ressourcenverkürzung, wie etwa eine Naturkatastrophe; (e) die Frage, ob der Staat versucht hat, kostengünstige Lösungen zu finden; (f) die Frage, ob der Staat versucht hat, Hilfe und Beistand von der internationalen Gemeinschaft zu bekommen. Fazit: Die Staaten verfügen über einen gewissen Ermessensspielraum bei der Frage, welche und wie viele Ressourcen sie für die Verwirklichung der Wsk–Rechte einsetzen möchten. Der Sozialpakt legt aber den
83
Report of the Seminar on appropriate indicators to measure achievements in the progressive realization of economic, social and cultural rights, UN. Doc. A/CONF.157/PC/57 § 35; Craven: A Perspective on its Development, a.a.O. (Fn. 12), S. 137. Siehe ferner: Tomuschat: Menschenrechtsschutz und innere Angelegenheiten, a.a.O. (Fn. 76), S. 5 84
The Maastricht Guidelines, a.a.O. (Fn. 34), Nr. 8; Dankwa et al. a.a.O. (Fn. 82), S. 716 f.; Klee a.a.O. (Fn. 24), S. 130 mit Verweis auf die Entstehungsgeschichte 85
In Bezug auf die wirtschaftspolitische Neutralität siehe General Comment Nr. 3, a.a.O. (Fn. 31), § 8. Dankwa et al. a.a.O. (Fn. 82), S. 717, Anm. 40 86
Ausschuss–Berichterstatter Eibe Riedel in: UN Doc. E/C.12/38/CRP.1 vom 16. Februar 2007 § 10; allgemeiner noch Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 5), S. 180 f.
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2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
Rahmen der Argumentation und die zu berücksichtigenden Interessen fest.
c) Der Ermessensspielraum der Staaten bei der Verteilung der verfügbaren Ressourcen Im vorhergehenden Abschnitt wurde festgestellt, dass die Staaten gewisse Freiräume haben, wie viele Ressourcen sie für die Wsk–Rechte insgesamt einsetzen. Damit stellt sich die Frage, nach welchem Schlüssel diese Ressourcen auf die einzelnen Rechte und innerhalb der einzelnen Rechte zu verteilen sind.87 Ausgangspunkt ist, dass sich die Souveränität in allen Bereichen durchsetzt, die vom Sozialpakt nicht standardisiert sind. Normen, die ausdrücklich vorschreiben, für welche Paktrechte der Staat welche Mittel verwenden und nach welcher Priorität er die Rechte behandeln muss, gibt es nicht.88 Denkbar wäre aber, dass unter den Rechten ein ungeschriebenes Rangverhältnis besteht. Manche meinen, dass einem Recht umso höhere Priorität zukommen müsse, je elementarer es für die Existenz ist.89 So stellt Pollmann ein dreistufiges Modell gemäß der „politischen Dringlichkeit“ auf: Die Sicherung des Überlebens steht an oberster Stelle, danach folgt der Schutz des menschenwürdigen Lebens, und erst zum Schluss soll sich der Staat darum kümmern, den Menschen ein „gutes“ Leben zu verschaffen.90 So logisch dies auch klingen mag, es müsste doch verwundern, dass diese Hierarchie in der Systematik des Sozialpakts nicht wenigstens andeutungsweise ihren Ausdruck gefunden hat. Und es ist ja nun ganz und gar nicht so, dass die Paktrechte in einer Reihenfolge entsprechend ihrer Relevanz für das menschliche Leben angeordnet sind. Rechte, die eine hohe Priorität für die Verwirklichung der Grundbedürfnisse haben, sind inmitten anderer 87
Albert Bleckmann verweist darauf, dass im Völkerrecht die Notwendigkeit einer Analyse des Ermessens und der Ermessensfehler bisher kaum gesehen wurden, Ermessensfehlerlehre, Völker– und Europarecht, vergleichendes Verwaltungsrecht, 1997, S. 2 und 17 88
Darauf weist auch Klee hin, a.a.O. (Fn. 24), S. 133. Die einzige Ausnahme gilt innerhalb des Rechts auf Bildung 89
Tomaševski: Human Rights Indicators, a.a.O (Fn. 45), S. 142; Pollmann a.a.O. (Fn. 12), S. 35 – 37 90
Pollmann a.a.O. (Fn. 12), S. 33 f.
1. Kapitel: Die materiellen Pflichten im Sozialpakt
25
Paktvorschriften geregelt, die nicht so elementar für das Überleben sind.91 So steht das Recht auf Nahrung in Artikel 11 zwischen dem Recht auf faire Arbeitsbedingungen und dem Recht auf Bildung. Dass der Sozialpakt die Rechte nicht in einer bestimmten Reihenfolge anordnet, hat auch einen guten Grund: Die Ansichten, was zu einem menschenwürdigen Leben gehört, gehen unter den Kulturen weit auseinander.92 Etwa gibt es Menschen, die sich lieber zu Tode foltern lassen, als sich zu einer anderen Religion zu bekennen; für sie ist Konfession wichtiger als Leben.93 Noch deutlicher wird diese Differenz, wenn man sich überlegt, dass zahlreiche Individuen ein kurzes, „gutes“ Leben einem langen in Qual vorziehen würden.94 Objektive Kriterien, beispielsweise anthropologische Konstanten, können demnach nicht ausschlaggebend dafür sein, wie wichtig ein Menschenrecht ist.95 Selbst wenn sie eine Rangordnung hervorbrächten, die 91
Eine Reihenfolge unter den Paktrechten verneinend: Maria Virginia Bras Gomes: Introduction: The Right The Right to Enjoy the Benefits of Scientific Progress and its Applications, in: UNESCO: Report of the Experts’ Meeting on The Right to Enjoy the Benefits of Scientific Progress and its Applications, Amsterdam, 7. – 8. Juni 2006, S. 3 (S. 6). Zu den Grundbedürfnissen: Riedel: Theorie der Menschenrechtsstandards, a.a.O. (Fn. 4), S. 183; Gerhard Zecha: Der Wertbegriff und das Wertfreiheitspostulat, in: ders. (Hrsg.): Werte in den Wissenschaften, 2006, S. 109 (S. 114) 92
Dazu Riedel: Theorie der Menschenrechtsstandards, a.a.O. (Fn. 4), S. 198 unter Hinweis auf die Unpfändbarkeit eines Fernsehers gemäß § 811 ZPO. Weitere Beispiele, die nur für das deutsche Recht prägend sind bei Wolfgang Münzberg in: Friedrich Stein/Martin Jonas: Kommentar zur ZPO, 22. Auflage 2002, § 811 Rn. 28: Bügeleisen, Sonntagsanzug, Staubsauger, Telefon. Exemplarisch vergleicht Glen Johnson die USA und Indien: Human Rights in Divergent Conceptual Settings, in: David Louis Cingranelli (Hrsg.): Human Rights: Theory and Measurement, 1988, S. 41 (S. 48 f.) 93 Beispiele aus neuerer Zeit finden nach NGO–Angaben im Kloster Drepung, das durch chinesische „Arbeitsteam–Kader“ für „patriotische Umerziehungsmaßnahmen“ gegen Anhänger des tibetischen Buddhismus genutzt wurde; vgl. dazu die Concluding Observations des UN–Ausschusses gegen Folter betreffend China: UN Doc. A/55/44 § 116, etwas deutlicher in: UN Doc. A/51/44 § 149 (e). Die Beziehung zwischen Glaube und gewaltsamer Bekehrung nach dem elften September 2001 untersucht Susanne Heine: Liebe oder Krieg? Das Doppelgesicht der Religion, 2005 94 95
Ted Honderich: Nach dem Terror, 2004, S. 13 – 15
Vgl. Eibe Riedel: Menschenrechte der dritten Dimension, in: EuGRZ 1989 S. 9 (S. 13); ders.: Theorie der Menschenrechtsstandards, a.a.O. (Fn. 4), S. 198
26
2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
vielen Mitteleuropäer noch so vernünftig und gerecht erscheint, darf nicht übersehen werden, dass das Ergebnis der langwierigen Ausarbeitung des Sozialpakts lediglich ein völkerrechtlicher Minimalkonsens ist.96 Da dieser jedoch universell gelten soll, also unabhängig von allen kulturellen und politischen Besonderheiten, darf man nicht eine Wertordnung in ihn hineininterpretieren, die in ihm nicht zum Ausdruck kommt.97 Schließlich hat ein britischer Christ andere Ideale als ein arabischer Moslem.98 Weil sich die Verfasser des Sozialpakts auf ein Rangverhältnis nicht einigen konnten, lässt sich ein solches nicht aus dem Sozialpakt deduzieren.99 Und bis heute besteht kein Konsens über eine Hierarchie: Dies wird dadurch belegt, dass die Vereinten Nationen alle Menschenrechte als unteilbar und interdependent proklamieren.100 Daraus folgt, dass es kein abgestuftes System gibt, nach dem die Ressourcen zu vergeben
96
Eibe Riedel: Die Eigentumsgarantie als Problem der allgemeinen Staatslehre und des Verfassungsrechts am Beispiel Großbritanniens, in: Johannes Schwartländer/ Dietmar Willoweit (Hrsg): Das Recht des Menschen auf Eigentum, 1983, S. 129; ders.: Der internationale Menschenrechtsschutz, a.a.O. (Fn. 4), S. 14 f.; Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 5), S. 419; Carsten Reimann: Ernährungssicherung im Völkerrecht, 2000, S. 205 97
Eibe Riedel: Universality of Human Rights and Cultural Pluralism, in: Christian Koenig/ Alexander Lorz (Hrsg.): Die Universalität der Menschenrechte, 2003, S. 139 (S. 159) 98
Vgl. Riedel: Theorie der Menschenrechtsstandards, a.a.O. (Fn. 4), S. 172; Alison Dundes Renteln: A Cross–Cultural Approach to Validating International Human Rights, in: David Louis Cingranelli (Hrsg.): Human Rights: Theory and Measurement, 1988, S. 7 (S. 9 f.) 99
Schabas: a.a.O. (Fn. 32), S. 273; Marauhn a.a.O. (Fn. 12), S. 249
100
Wiener Weltmenschenrechtskonferenz UN Doc. A/CONF.157/23 vom 12. Juli 1993 § 5; siehe bereits die Äußerungen der USA während der Paktausarbeitung in: UNESCO Doc. 28 EX/2, a.a.O. (Fn. 15), S. 10. Sehr deutlich ist auch Art. 2 Abs. 2 der Asian Human Rights Charter von 1998. Zur fehlenden Hierarchie aufgrund der Interdependenz: Jack Donnelly: Assessing National Human Rights Performance, in: HRQ 10 (1988), S. 214 (S. 215) Zur Unteilbarkeit: B. Robertson a.a.O. (Fn. 74), S. 6 und 15; Tomaševski: Human Rights Indicators, a.a.O (Fn. 45), S. 142; Söllner: Die freiwilligen Leitlinien zum Recht auf Nahrung, a.a.O. (Fn. 12), S. 12
1. Kapitel: Die materiellen Pflichten im Sozialpakt
27
wären.101 Fraglich ist, ob es einen anderen – also nicht–hierarchischen – Verteilungsschlüssel gibt. Einigkeit besteht, dass der IPwskR dazu dient, die Wsk–Rechte so rasch und so effektiv wie möglich zu verwirklichen.102 Hieraus kann man ableiten, dass er inzident vorschreibt, dass die Ressourcen möglichst wirksam einzusetzen sind. Da es jedoch bis heute nicht möglich ist, das „ideale“ Wirtschafts– und Sozialsystem zu definieren,103 haben die Staaten eine Vielzahl von Möglichkeiten. Der Ausschuss macht hierbei keine Vorgaben.104 Er interpretiert den Sozialpakt so, dass die Länder selbst entscheiden können, welche Mittel die geeignetsten sind105 – eine gute Lösung, da nicht nur einer, sondern viele Wege zur Verwirklichung der Paktrechte führen.106 Nicht zuletzt wegen der größeren Sachnähe und Vertrautheit der nationalen Behörden mit den lokalen Gegebenheiten hat jeder Staat also auch hier ein Ermessen.107 Will er zum Beispiel die Zahl der Arbeitslosen senken (Artikel 6 IPwskR), kann er den Kündigungsschutz verstärken oder herabsetzen, – in der Diskussion gehen
101
Kritisch Christian Bay: A Human Rights Approach to Transnational Politics, in: Universal Human Rights 1979, S. 19 (S. 39) 102
Report of the Third Committee, GAOR, 17th Session, Annexes, Agenda Item 43, UN Doc. A/5365 § 52; General Comment Nr. 17, UN Doc. E/C.12/GC/17, § 26 103 Ser.L/V/II.50; Michael Stohl et. al.: State Violation of Human Rights, in: HRQ 8 (1986), S. 592 (S. 593); Sakiko Fukuda–Parr: Millenium Development Goal 8: Indicators for International Human Rights Obligations?, in: HRQ 28 (2006) S. 966 (S. 978); Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 5), S. 181; Klee a.a.O. (Fn. 24), S. 131 104
Ausschuss–Berichterstatter Eibe Riedel in: UN Doc. E/C.12/38/CRP.1 vom 16. Februar 2007, § 11 105
General Comment Nr. 16 § 32, enthalten in: UN Doc. E/C.12/2005/4; General Comment Nr. 17, a.a.O. (Fn. 102), § 47, ebenso Weltmenschenrechtskonferenz: Report of the Secretary–General, UN. Doc. A/CONF.157/ PC/73, § 35; The Limburg Principles Nr. 71, a.a.O. (Fn. 70), S. 13; The Maastricht Guidelines, a.a.O. (Fn. 34), Nr. 8 (S. 20) 106
The Limburg Principles, a.a.O. (Fn. 70), Nr. 6; in diesem Sinne auch R. Robertson a.a.O. (Fn. 62), S. 704; Robert Wai: Using Economic and Social Rights in and around the International Trade Regime, in: EJIL 2003 Vol. 14 No. 1, S. 35 (S. 55); Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 31), S. 74 107
Vgl. Kokott a.a.O. (Fn. 82), S. 416
28
2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
die Meinungen auseinander108 –, die Lohnnebenkosten reduzieren und staatliche Arbeitsvermittlung fördern. So überschaubar das klingen mag, ist es jedoch nicht: Die Menschenrechte sind nämlich unteilbar und interdependent.109 Daraus folgt, dass der Staat bei der Lösung eines Problems über den Tellerrand des einzelnen Artikels hinausschauen kann. Beispielsweise kann er die Arbeitslosigkeit (Artikel 6) auch bekämpfen, indem er in die Bildung investiert (Artikel 13 IPwskR) und für mehr qualifizierte Berufsanwärter sorgt. Ebenso könnte er per Gesetz einen Mindestlohn einführen (Artikel 7 IPwskR), der höher ist als das Arbeitslosengeld. An welcher Stelle man zur Behebung der Arbeitslosigkeit am sinnvollsten ansetzt, können selbst sozialwissenschaftliche Untersuchungen nicht eindeutig sagen.110 Fest steht: Die Verwirklichung eines Paktrechts kann auch durch die Verbesserung von Strukturen gefördert werden, auf die ein anderer Artikel Bezug nimmt. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob der Ermessensspielraum der Staaten unbegrenzt ist. In diesem Fall würden ihnen nämlich faktisch die ressourcenabhängigen Dimensionen unverbindlich zur Erfüllung anheim gestellt.111 Könnte jedes Land selbst bestimmen, ob es die Vertragsverpflichtungen erfüllt hat oder nicht,112 würden es zum Richter in eigenen Angelegenheiten.113 Wäre dies vom Sozialpakt gewollt, so könnte man aber – wie oben ausgeführt – die Existenz des Artikels 2 108
Dies äußert sich in den zahlreichen Änderungen des § 23 KSchG, oftmals zu Beginn einer Legislaturperiode. Kritisch zur Auswirkung des Arbeitsrechts auf die Verwirklichung der WSK–Rechte: Mary Dowell Jones: The Commitee on Economic, Social and Cultural Rights: Assessing the economic deficit, in: Human Rights Law Review 2001, S. 11 (S. 16) 109
Art. 6 Abs. 2 der Erklärung zum Recht auf Entwicklung, GA Res. 41/128 vom 4. Dezember 1986; NORAD (Norwegian Agency for Development Cooperation): Handbook in Human Rights Assessment, State Obligations, Awareness & Empowerment, 2001, abrufbar auf: http://www.norad.no/files/ Handbook.pdf (abgerufen am: 5. April 2008), S. 5; vgl. auch BVerfGE 33, 303 (331); Riedel: International Law Shaping Constitutional Law, a.a.O. (Fn. 11), S. 108; Wai a.a.O. (Fn. 106), S. 54; Reimann a.a.O. (Fn. 96), S. 206 110
Vgl. S. 253 ff.
111
Liu Huawen: The Obligations of States under the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights: The Chinese Case, 2004, S. 23; Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 5), S. 177 112
Nach Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 5), S. 177 f. vertraten dies aber die USA während der Paktentstehung 113
Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 5), S. 178
1. Kapitel: Die materiellen Pflichten im Sozialpakt
29
Absatz 1 IPwskR und den Unterschied zur AEMR nicht erklären.114 Daraus folgt, dass das Ermessen limitiert ist. Dabei zeigt der Sozialpakt selbst auf, wo die Grenzen staatlichen Ermessens liegen: Die Staaten müssen von allen Rechten stets die Kernbereiche sichern.115 Sind die Kernbereiche umgesetzt, können die Staaten aufgrund ihrer Souveränität selbst entscheiden, wie sie die übrigen Dimensionen der Paktrechte verwirklichen. Bei der Auswahl der geeigneten Strategie haben die Staaten weitgehend freie Hand; das gilt auch für die Kernbereiche. Die Wahlfreiheit bei den Mitteln wird vom IPwskR nur folgendermaßen eingeschränkt:116 (a) Aus den Diskriminierungsverboten der Artikel 3 und 2 Absatz 2 IPwskR ergibt sich, dass das staatliche Ermessen nicht diskriminierend oder willkürlich ausgeübt werden darf. Aus Gründen der faktischen Gleichstellung müssen besonders benachteiligte und bedürftige Gruppen oder Personen bevorzugt bedacht werden.117 (b) Aus der Schrankenklausel des Artikels 4 IPwskR folgt: Wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, muss der Staat diejenige wählen, die die Paktrechte am wenigsten beschränkt.118 (c) Der Wortlaut des Artikels 2 Absatz 1 IPwskR schreibt vor, dass der Staat seine Schritte zur Verwirklichung der Wsk–Rechte bedacht, konkret und gezielt vornehmen muss.119 (d) Aus dem Zweck des Sozialpakts ergibt sich, dass die Schritte schnellstmöglich vorgenommen werden müssen. 114 115
Siehe oben S. 12 Siehe oben S. 13
116
Vgl. Ausschuss–Berichterstatter Eibe E/C.12/38/CRP.1 vom 16. Februar 2007, § 8
Riedel
in:
UN
Doc.
117
Yvonne Klerk: Working Paper on Article 2 II and Article 3 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, HRQ 9 (1987) S. 250 (S. 251). Näher unten S. 130 ff. 118 Der englische Wortlaut des Art. 4 IPwskR lautet: „The States Parties to the present Covenant recognize that, in the enjoyment of those rights provided by the State in conformity with the present Covenant, the State may subject such rights only to such limitations as are determined by law only in so far as this may be compatible with the nature of these rights and solely for the purpose of promoting the general welfare in a democratic society.“ 119
General Comment Nr. 3, a.a.O. (Fn. 31), § 2
30
2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
(e) Nennt der Sozialpakt explizit bestimmte Methoden, wie beispielsweise dass der Hochschulunterricht „insbesondere“120 durch Unentgeltlichkeit jedermann zugänglich gemacht werden muss,121 ist dies eine Konkretisierung der „geeigneten Maßnahmen“ und für die Staaten verbindlich.122 Zwischenfazit: Der IPwskR gibt verbindliche Richtlinien vor. Unter den Paktrechten gibt es aber keine Rangordnung. Vielmehr können die Staaten grundsätzlich aufgrund ihrer Souveränität frei entscheiden, wie sie ihre Mittel unter den Paktrechten und innerhalb der Paktrechte verteilen.123 Fest steht aber, dass die Staaten auf ihre Souveränität auch verzichten können. Denn dies stellt selbst einen Akt der staatlichen Freiheitsausübung dar: Souveränitätsverzicht als Souveränitätsgebrauch. Wenn also die Staaten sich gegenüber dem Ausschuss bereit erklären, bestimmte Mittel einzusetzen oder konkrete Ziele zu erreichen, so beschränken sie freiwillig ihren Ermessensspielraum. Diese Beschränkung ist grundsätzlich wirksam.124 Dies kann von Bedeutung sein, wenn die Staaten mit dem Ausschuss Vereinbarungen treffen, bestimmte Ziele, sogenannte Benchmarks, zu erreichen. Damit die Öffentlichkeit kontrollieren kann, ob ein Staat seinen Paktverpflichtungen nachkommt, ist er gezwungen, nachzuweisen, ob er die verfügbaren Ressourcen effektiv eingesetzt hat.125 Dies rechtfertigt der 120
Die authentischen Auslegungen sprechen von: „in particular“, „notamment“ beziehungsweise „en particular“ 121
Art. 13 Abs. 2 c) IPwskR
122
Siehe die Äußerungen des Ausschusses in UN Doc. E/1999/22 § 507; E/C.12/1994/8 § 16; E/C.12/1/Add.29, § 22 123
Ähnlich der Einfluss der Grundrechte auf das deutsche Wirtschaftssystem, dazu Badura a.a.O. (Fn. 20), S. 33 124
Die Unwirksamkeit ließe sich allenfalls in den Fällen der Art. 46 ff. WVK begründen. Diese Vorschriften regeln die Ungültigkeit von völkerrechtlichen Verträgen und sind hier zumindest analog anwendbar. Näher zu den Grenzen der Benchmarks unten S. 252 ff. 125
Ausschuss–Berichterstatter Eibe Riedel in: UN Doc. E/C.12/38/CRP.1 vom 16. Februar 2007 §§ 5 und 9; ders. in: Universeller Menschenrechtsschutz, a.a.O. (Fn. 12), S. 52; The Maastricht Guidelines, a.a.O. (Fn. 34), Nr. 8; Dankwa et al. a.a.O. (Fn. 82), S. 716. Zu einer fehlenden Begründungspflicht im allgemeinen Völkerrecht hingegen: Bleckmann: Ermessensfehlerlehre, a.a.O. (Fn. 87), S. 250 und 257
1. Kapitel: Die materiellen Pflichten im Sozialpakt
31
Wissensvorsprung der Staaten gegenüber dem Ausschuss. Staatliche Geheimhaltungsinteressen müssen hinter dem Menschenrechtsschutz zurücktreten. Das folgt aus Artikel 16 Absatz 2 a) IPwskR, der ein effektives Berichtsprüfungsverfahren gewährleisten will. Um es sicherzustellen, fordert der Ausschuss in seinem „General Comment“ Nr. 3 die Staaten dazu auf, ihre Überlegungen offenzulegen, welche Mittel sie am geeignetsten halten.126 Fazit: Wie die Wsk–Rechte am zweckmäßigsten realisiert werden können, lässt sich nach dem heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht beurteilen. Der Sozialpakt überlässt es daher den Staaten, die optimale Lösung zu finden. Die Staaten können sich aber dazu bereit erklären, konkrete Ziele zu erreichen.
4.) Das Ziel der vollen Verwirklichung Der Sozialpakt schreibt nicht vor, in welchem Zeitraum die Wsk– Rechte gemäß dem Wortlaut des Artikels 2 Absatz 1 „voll verwirklicht“ sein müssen.127 Die Vorgabe eines zeitlichen Limits würde voraussetzen, dass die volle Verwirklichung sämtlicher Paktrechte überhaupt ein messbarer Zustand ist. Zum Teil wird vertreten, die Rechtsverwirklichung sei lediglich ein Ideal, vergleichbar den Staatszielbestimmungen.128 Dieser These ist grundsätzlich zuzustimmen – schließlich ist es Zweck des Sozialpakts, die Menschenrechtssituation in den Mitgliedsstaaten stetig zu verbessern und etwaige neue wirtschaftliche, soziale und kulturelle Herausforderungen zu meistern.129 Auch der englische Wortlaut „progressively“ legt nahe, dass die Umsetzung der Wsk– Rechte nicht an einem bestimmten Punkt enden darf. 130
126 127
A.a.O. (Fn. 20), § 4 (S. 84) Riedel: International Law Shaping Constitutional Law, a.a.O. (Fn. 11),
S. 112 128
Klee a.a.O. (Fn. 24), S. 113; anders Huawen a.a.O. (Fn. 111), S. 24
129
UN Doc. E/CN.4/SR.236 S. 19: „l’idée même de progrès suppose la continuité“. Craven: A Perspective on its Development, a.a.O. (Fn. 12), S. 129, 131; Alston: Right to Food, a.a.O. (Fn.38), S. 33 130
Derartige Äußerungen gab es auch während der Paktentstehung, vgl. UN Doc. E/CN.4/SR.236 S. 19 (Dänemark); Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 5), S. 175. Missverständlich ist insoweit hingegen die deutsche Übersetzung des Art. 2 Abs. 1: „nach und nach“. Die nach Art. 31 IPwskR authentischen englischen
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2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
5.) Sofort umzusetzende Verpflichtungen Nach dem oben Ausgeführten könnte man meinen, die Vertragsstaaten dürften die Umsetzung der einzelnen Paktrechte jederzeit unter Berufung auf Ressourcenmangel hinauszögern. Für arme Staaten würden sich danach kaum Verpflichtungen ergeben. Dem ist der Ausschuss in seinem „General Comment“ Nr. 3 entgegengetreten. Er weist darauf hin, dass der Sozialpakt auch Pflichten enthält, die unmittelbar nach der Ratifizierung umzusetzen sind.131 Nur wenn eine Verpflichtung ressourcenabhängig ist, greift die Klausel der progressiven Verwirklichung.132 Daraus folgt, dass es neben den progressiv zu verwirklichenden Verpflichtungen solche gibt, die sofort umzusetzen sind.133 Sofortige Pflichten können in einem Unterlassen, aber auch in einem aktiven Tun bestehen.134 Nach Nummer 22 der Limburger Prinzipien135 gibt es Paktverpflichtungen, die sofort vollständig umgesetzt werden müssen, beispielsweise das Diskriminierungsverbot des Artikels 2 Ab-
und französischen Fassungen sprechen von „progressively“ bzw. „progressivement“ 131
General Comment Nr. 3, a.a.O. (Fn. 31), § 9 (S. 85) und § 1 (S. 83); ebenso General Comment Nr. 9, UN Doc. E/C.12/1998/24, § 10 132
Norwegian Agency for Development Cooperation/ Norwegian Institute for Human Rights: Handbook in Human Rights Assessment, State Obligations Awareness & Empowerment, 2001, S. 8; Klee a.a.O. (Fn. 24), S 116. In diesem Sinne bereits die Verfasser des IPwskR: UN Doc. E/CN.4/SR.236 S. 16, noch deutlicher auf S. 27 133
The Maastricht Guidelines, a.a.O. (Fn. 34), Nr. 6 (S. 19); The Limburg Principles, a.a.O. (Fn. 70), Nr. 37, Nr. 40 (S. 8); UN Centre for Human Rights: The Committee on Economic, Social and Cultural Rights, Human Rights Fact Sheet No. 16 (Rev. 1), Genf Mai 2006, S. 9. Im Ergebnis identisch: Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 5), S. 166; siehe aber auch Philip Alston: US ratification of the Covenant, a.a.O. (Fn. 3), S. 380 mit Verweis auf den Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 IPwskR und den anderer Paktvorschriften. 134 135
The Maastricht Guidelines, a.a.O. (Fn. 34), Nr. 14 (S. 19)
Die „Limburg Principles“ wurden 1986 in Maastricht von einer Gruppe von Völkerrechtsexperten auf Anregung der „International Commission of Jurists“ aufgestellt, UN Doc. E/C.12/2000/13, S. 3 – 15; HRQ Vol. 9, Nr. 2 (Mai 1987), S. 122. Sie sind rechtlich unverbindlich, können aber unter Umständen als Lehrmeinung nach Art. 38 I d) StIGH als Auslegungshilfe herangezogen werden
1. Kapitel: Die materiellen Pflichten im Sozialpakt
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satz 2.136 Es wäre etwa eine Paktverletzung, wenn ein Gesetz nur Einwohnern mit weißer Hautfarbe den Zugang zu Krankenhäusern gestattet. Der Staat müsste dieses de iure diskriminierende Gesetz sofort ändern und nicht nur „nach und nach“.137 Die hauptsächliche Maßnahme, die in der ressourcenfreien Dimension getroffen werden muss, ist – im Einklang mit Artikel 2 Absatz 1 IPwskR – der Erlass von Gesetzen. Nach Maria Green sind es im Wesentlichen drei Paktelemente, die sofort verwirklicht werden müssen: Nichtdiskriminierung, gerichtlicher Schutz bei Verletzung von Wsk–Rechten und die Teilhabe an öffentlichen Entscheidungen.138 Dem ist allerdings nur dann zuzustimmen, wenn deren Umsetzung nicht mit zusätzlichen Kosten für den Staat verbunden ist, wenn also keine beziehungsweise nur die in jedem Land vorhandenen Ressourcen benötigt werden. Es ist jedoch nicht immer möglich, die drei Elemente kostenfrei umzusetzen. Beispielsweise bedarf es Geld und Material, in Arbeits– und Sozialämtern oder Gesundheitsdiensten behindertengerechte Zugänge zu bauen. Greens Formel mag zwar für die meisten De– iure–Diskriminierungen stimmen, lässt sich aber nicht für die von ihr genannten Fallgruppen verallgemeinern. Es führt vielmehr kein Weg daran vorbei, im Einzelfall zu prüfen, ob die jeweilige Umsetzung mit zusätzlichen Kosten für den Staat verbunden ist. Nur wenn dies nicht der Fall ist, sind die Pflichten sofort umzusetzen. Sofortige und progressive Verpflichtungen können auch miteinander verknüpft sein.139 Die Entstehungsgeschichte des Artikels 2 Absatz 1 IPwskR zeigt, dass den Staaten nicht die Möglichkeit gegeben werden sollte, Ressourcenmangel als Ausrede zu benutzen, um nichts zu tun.140 Daher haben auch nach Nummer 16 der Limburger Prinzipien alle
136 In diesem Zusammenhang steht auch Nr. 72 der „Limburg Principles”, a.a.O. (Fn. 136) 137 138 139 140
Vgl. Toebes: Right to Health, a.a.O. (Fn. 14), S. 296 Green a.a.O. (Fn. 48), S. 1071 Riedel: Allgemeine Bemerkungen, a.a.O. (Fn. 30), S. 167
Matthew Craven: The International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: Raija Hanski/ Markku Suksi (Hrsg.): An Introduction to the International Protection of Human Rights, 1999, S. 108
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2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
Vertragsstaaten die Pflicht, sofort Maßnahmen für die schrittweise Verwirklichung einzuleiten.141 Ein Umkehrschluss aus Artikel 2 Absatz 3 IPwskR untermauert dies: Der Artikel enthält eine Sondervorschrift, die besagt, dass Entwicklungsländer grundsätzlich nicht verpflichtet sind, Ausländern die wirtschaftlichen Rechte in vollem Ausmaß zu gewähren. Die Existenz dieses Artikels zeigt, dass Berufung auf wirtschaftliche Schwäche keine generelle Ausrede bei der Versagung der Paktrechte sein darf. Unabhängig von den verfügbaren Ressourcen kann von jedem Staat verlangt werden, zumindest zu beobachten, inwieweit die Rechte in seinem Land verwirklicht sind, und gezielte Strategien zu entwickeln, sie langfristig umzusetzen.142 Dies gilt gerade auch für die progressiven Elemente der Paktrechte. Die Staaten haben also die Pflicht, mit der schrittweisen Verwirklichung der Rechte sofort zu beginnen.143 Fazit: Trotz seines progressiven Elements enthält der Sozialpakt Verpflichtungen, die sofort umgesetzt werden müssen. Die Staaten müssen außerdem unmittelbar nach der Ratifizierung damit beginnen, die progressiven Rechte schrittweise zu verwirklichen.
6.) Die Pflichtentrias: Achten, Schützen, Gewährleisten („respect“, „protect“, „fulfil“) Für die Verwirklichung elementarer Interessen der Individuen ist vielfach unerheblich, ob ihr Paktrecht durch ein Tun oder Unterlassen des Staates eingeschränkt wird, durch Handlungen des Staates oder von Dritten. Daraus ergibt sich, dass die Wsk–Rechte auf Einschränkungen jeder Art – sei es durch Tun oder Unterlassen – und aus jeder Quelle – sei es vom Staat selbst oder von Dritten – anwendbar sind.144 Beispiel: Ein Nährstoffmangel wirkt sich im Körper eines Betroffenen unabhän141
So auch UN Centre for Human Rights: The Committee on Economic, Social and Cultural Rights, Human Rights Fact Sheet No. 16 (Rev. 1), Genf Mai 2006, S. 9 142
General Comment Nr. 3, a.a.O. (Fn. 31), § 11 (S. 86); Craven in: Hanski/Suksi, a.a.O. (Fn. 140), S. 108 143 144
The Maastricht Guidelines, a.a.O. (Fn. 34), Nr. 15 g) (S. 22)
Carolin F. Hillemanns: Transnationale Unternehmen und Menschenrechte, 2004, S. 51 unter Hinweis auf Art. 7 IPwskR; Daniel Aguirre: Multinational Corporations and the realisation of economic, social and cultural Rights, in: California Western International Law Journal 35 (2004–2005), S. 53 (S. 57)
1. Kapitel: Die materiellen Pflichten im Sozialpakt
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gig davon aus, ob der Staat oder ein Privater die Ernte zerstören oder ob der Staat bei einer Dürre nicht mit Nahrungsmitteln zur Hilfe kommt. Zwar dürfte es für den Betroffenen oftmals ärgerlicher sein, wenn seine Lebensgrundlagen zerstört werden als wenn er von der Regierung keine erhält. Dieser rein psychische Unterschied ist aber für den Anspruchsberechtigten menschenrechtlich irrelevant. Denn der Tatbestand des Rechts auf Nahrung schützt nur fundamentale Bedürfnisse. Er geht damit nur so weit, dass er dem Einzelnen einen Anspruch auf die zum gesunden Leben notwendige Nahrung verschaffen will, nicht dagegen, dass er ihn vor hiermit zusammenhängenden psychischen Beeinträchtigungen – nämlich Ärgernissen – schützen will.145 Menschenrechtlich gesehen ist es auch Sicht des Individuums daher gleich, aus welchem Grund er nichts zu essen hat. Für die Staaten macht es im Gegenzug einen bedeutenden Unterschied, ob sie etwas für die Rechtsverwirklichung tun oder unterlassen müssen. Die Frage ist insbesondere von Bedeutung für die Art und das Maß der Ressourcen, die zur schrittweisen Rechtsverwirklichung eingesetzt werden müssen. Bei Unterlassenspflichten bedarf es häufig überhaupt keiner Ressourcen, Handlungspflichten hingegen erfordern oftmals den Einsatz enormer Mittel. Für die Staaten kommt es ebenso darauf an, ob sie selbst diejenigen sind, die unmittelbar die Paktrechte verletzen, oder ob sie Dritte davon abhalten müssen. Denn verbietet oder gebietet der Staat Privaten bestimmte Handlungen, um die Wsk–Rechte zu fördern, ist er immer davon abhängig, ob diese auch Folge leisten. Er hat zwar Kontrollmöglichkeiten, beispielsweise durch Strafandrohungen. Es wäre aber unrealistisch, einem Staat die Pflicht aufzuerlegen, die Zahl der Körperverletzungen (Artikel 12 Absatz IPwskR) durch Personen, die in keinem Sonderstatusverhältnis stehen, ebenso niedrig zu halten wie die Zahl der Körperverletzungen durch Amtsträger. Zwar ist der Staat auch bei den Beamten davon abhängig, dass sie seine Vorschriften einhalten, jedoch hat er hier verstärkt Druckmittel, etwa Disziplinarmaßnahmen. Diese Kontrollmöglichkeiten rechtfertigen es, von internationaler Seite auch andersartige Anforderungen an das staatliche Verhalten zu stellen – je nachdem, ob der Staat das Menschenrecht unmittelbar oder nur mittelbar, das heißt in Form eines Tuns oder Unterlassens Dritter, verletzt. 145
Vgl. General Comment Nr. 12, UN Doc. E/C.12/1999/5 §§ 6 – 17. Auch der Tatbestand des Rechts auf Gesundheit ist nicht einschlägig, denn er schützt nur vor psychischen Krankheiten, zu denen es hier allein wegen des Eingriffs normalerweise nicht kommen wird
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2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
Zwischenfazit: Bei der Umsetzung der Wsk–Rechte unterscheiden sich die Aufgaben danach, ob der Staat etwas tun oder unterlassen muss beziehungsweise ob er unmittelbar oder nur mittelbar verantwortlich ist. Daher ist es sinnvoll, die Paktpflichten nach diesen Problemen zu gliedern unter den drei Oberbegriffen „respect“, „protect“ und „fulfil“.146 Jede Nichterfüllung einer dieser Ebenen bedeutet eine Vertragsverletzung. Die „duty to respect“ beinhaltet Unterlassenspflichten, die klassischen Eingriffsverbote, die das Gebiet der bürgerlich–politischen Rechte dominieren. Die „duty to protect“ – zu Deutsch: Schutzgewährleistung – dient dazu, das Individuum vor Eingriffen Dritter zu schützen.147 Die Vertragsstaaten sind zwar nicht direkt für das Verhalten Dritter verantwortlich,148 sind aber verpflichtet, die Anspruchsberechtigten vor Eingriffen zu bewahren. Beispielsweise verpflichtet das Recht auf Wohnung (Artikel 11) die Staaten dazu, die Bewohner vor Vertreibungen durch Private zu schützen.149 Die Bereitstellung von Infrastruktur und Ressourcen verlangt die „duty to fulfil“.150 Zum Teil wird diese Ebene nochmals untergliedert in die drei Kategorien „facilitate“, „promote“ und „provide“.151 „Facilitate“ (erleichtern) meint, dass der Staat Hindernisse beseitigen muss, die der Rechtsverwirklichung entgegenstehen könnten.152 Beispielsweise kann es sein, dass es ethnische Minderheiten gibt, die das gegenwärtige Schulsystem aus kulturellen Gründen ablehnen. Dann
146
Riedel: International Law Shaping Constitutional Law, a.a.O. (Fn. 11), S. 110; Würth und Seidensticker sprechen hier treffend von der „Pflichtentrias“ Anna Würth/Frauke Lisa Seidensticker: Indices, Benchmarks und Indikatoren, zur Gestaltung und Auswertung von Menschenrechtsdialogen, Berlin 2005, S. 15 147
Jakob Schneider: Die Justiziabilität wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte, 2004, S. 7 148
Report of the Third Committee, U.N. GAOR, 17th Sess., Annexes, Agenda Item 43, UN Doc. A/5365 § 54 (zu Art. 2 Abs. 2 IPwskR) 149 150
Riedel: Praxishandbuch UNO, a.a.O. (Fn. 29), S. 348 Genauer: The Maastricht Guidelines, a.a.O. (Fn. 34), § 6
151
General Comment Nr. 17, UN Doc. E/C.12/GC/17 § 34; Ausschuss– Berichterstatter Eibe Riedel in: UN Doc. E/C.12/38/CRP.1 § 7 152
General Comment Nr. 12, a.a.O. (Fn. 145), § 15; vgl. ibidem auch die Anmerkung zur unterschiedlichen Bedeutung des Begriffs „facilitate“. General Comment Nr. 13, enthalten in UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7 § 47
1. Kapitel: Die materiellen Pflichten im Sozialpakt
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muss der Staat sein Bildungsprogramm überarbeiten.153 „Promote“ (fördern) verlangt, dass der Staat Eigenbemühungen der Rechtsinhaber unterstützt.154 Hierzu zählen zum Beispiel die Teilhabe betroffener Interessenvertreter an öffentlichen Entscheidungsprozessen sowie Informations– und Bildungskampagnen.155 Erst wenn alle diese Maßnahmen nicht ausreichen, hat der Staat – sozusagen als ultima ratio – die Pflicht, die zur Rechtsverwirklichung erforderlichen Güter oder Leistungen selbst zur Verfügung stellen.156 Der Fachterminus lautet hier: „provide“ (auf Deutsch: bereitstellen). Der Staat muss etwa bei Trinkwassermangel solches in die betroffenen Gebiete liefern. Die „Fulfil“–Verpflichtungen sind regelmäßig ressourcenabhängig, die „Protect“Verpflichtungen können es sein, „Respect“–Verpflichtungen sind es nur selten. Deswegen können letztere oft leichter und schneller umgesetzt werden als die beiden vorgenannten. Festzuhalten ist in jedem Fall, dass die volle Verwirklichung eines Paktrechts erst dann erreicht ist, wenn alle drei Ebenen komplett umgesetzt wurden.
7.) Statische und dynamische Verpflichtungen sowie Rückschritte Aus den bisherigen Ausführungen lässt sich ableiten, dass es Pflichten gibt, die in allen Staaten zu allen Zeiten gleich sind. Dies sind vor allem die Eingriffsverbote auf der „Respect“–Ebene. Aber auch auf der „Protect“– und sogar auf der „Fulfil“–Ebene kann es ressourcenunabhängige, statische Pflichten geben, nämlich die Pflicht zum Erlass von (Straf–) Gesetzen oder die Pflicht, Aktionspläne aufzustellen, auch wenn deren Inhalt je nach Aufgabenstellung variabel ist.157 Allerdings, zum großen Teil variieren auf der „Protect“– und auf der „Fulfil“–Ebene die Pflichten, je nach verfügbaren Mitteln. Wachsen die 153
General Comment Nr. 13, a.a.O. (Fn. 152), § 50
154
Schneider a.a.O. (Fn. 147), S. 33 spricht von der „Förderung der Rechtsausübung“ 155
General Comment Nr. 17, UN Doc. E/C.12/GC/17 § 34; Schneider a.a.O. (Fn. 147), S. 33 156
General Comment Nr. 12, a.a.O. (Fn. 145), § 15; Schneider a.a.O. (Fn. 147), S. 33 157
S. 75
Vgl. Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 31),
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2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
verfügbaren Ressourcen, so steigern sich auch die konkreten Staatenverpflichtungen. Dasselbe gilt umgekehrt: Sollten sich die Ressourcen verringern, so besteht gemäß Artikel 2 Absatz 1 IPwskR auch eine geringere Umsetzungspflicht. Rückschritte bedürfen allerdings einer besonderen Rechtfertigung, wie der Ausschuss aus dem Zweck des Sozialpakts abgeleitet hat. Ein rückschrittlicher Staat muss darlegen, warum die Regression bei der Rechtsverwirklichung unausweichlich war. Mit den Worten des Ausschusses besteht eine „starke Vermutung dahingehend, dass rückschrittliche Maßnahmen unzulässig sind.“158 Rückschritte sind aber ausnahmsweise erlaubt, wenn hierdurch der Realisierungsgrad der Paktrechte insgesamt erhöht wird – sogenannte Ressourcenumschichtung.159 Dabei muss allerdings der Kernbereich aller Rechte gewahrt bleiben. Zweifelhaft ist, ob Rückschritte an den Anforderungen des Artikels 4 IPwskR gemessen werden müssen, also ob sie gesetzlich vorgesehen sowie mit der Natur des jeweiligen Rechts vereinbar sein müssen und dem Allgemeinwohl dienen müssen.160 Dazu ist zu sagen, dass sich das Absenken eines bestehenden Standards unter den Wortlaut „limitations“ in Artikel 4 IPwskR subsumieren lässt. Würde man zudem Artikel 4 IPwskR nicht anwenden, stünden Rückfälle bei der Realisierung der Menschenrechte nicht unter Gesetzesvorbehalt. Dies widerspräche dem Zweck des Sozialpakts, der in der Verwirklichung der Rechte und nicht
158
General Comment Nr. 13, a.a.O. (Fn. 152), § 45; General Comment Nr. 15, § 19, enhalten in UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7; Evaluation of the obligation to take steps to the “maximum of available resources” under an Optional Protocol to the Covenant: draft statement, UN Doc. E/C.12/38/CRP.1 vom 13. April 2007, § 9. In dieselbe Richtung: Toebes: Right to Health, a.a.O. (Fn. 14), S. 295 und 300; Green a.a.O. (Fn. 48), S. 1071; Söllner: Studiengebühren und das Menschenrecht auf Bildung, a.a.O. (Fn. 23), S. 91 f. 159
General Comment Nr. 3, a.a.O. (Fn. 31), § 9; Eibe Riedel/ Sven Söllner: Studiengebühren im Lichte des UN–Sozialpakts, in: JZ 61 (2006) S. 270 (S. 271 f.). Zum Rückschrittsverbot beim Recht auf Arbeit, insbesondere in Finnland: Allan Rosas: The Implementation of Economic and Social Rights, in: Franz Matscher: Die Durchsetzung wirtschaftlicher und sozialer Grundrechte, eine rechtsvergleichende Bestandsaufnahme, 1991, S. 223 (S. 230) 160
Befürwortend: Craven: A Perspective on its Development, a.a.O. (Fn. 12), S. 132; Söllner: Studiengebühren und das Menschenrecht auf Bildung, a.a.O. (Fn. 23), S. 86 f.; Klee a.a.O. (Fn. 24), S. 213; ablehnend: Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 5), S. 194 und 205 f. mit Blick auf die Entstehungsgeschichte
1. Kapitel: Die materiellen Pflichten im Sozialpakt
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in deren ungehinderter Beschränkbarkeit liegt.161 Daher sind Rückschritte an Artikel 4 IPwskR zu prüfen.
8.) Handlungs– und Erfolgspflichten Ähnlich wie im Zivil– und Strafrecht kann man auch im Völkerrecht Pflichten danach unterteilen, ob ein Erfolg herbeigeführt beziehungsweise abgewendet werden muss („obligations of result“) oder ob eine bestimmte Tätigkeit vorgeschrieben wird („obligations of conduct“).162 Die Unterscheidung spiegelt ansatzweise auch der Wortlaut des Sozialpakts wider. So sind in mehreren Paktvorschriften konkrete Handlungspflichten enumeriert. Beispiele finden sich in Artikel 11 Absatz 2 („measures“) und in Artikel 14 („to adopt a detailed plan of action“).163 Nicht ganz so klar ist die Formulierung im Bereich der Erfolgspflichten. Zwar spricht der Sozialpakt in Artikel 7 (b) von „sicheren Arbeitsbedingungen“, in Artikel 12 Absatz 1 vom „individuell erreichbaren Höchstmaß an Gesundheit“ und in Artikel 15 Absatz 1 c) vom „Schutz der geistigen und materiellen Interessen“. Er sagt jedoch nicht ausdrücklich, dass die Staaten diesen Zustand effektiv herbeiführen müssen. Oftmals findet sich jedoch in den einzelnen Paktrechten der Terminus „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf [beispielsweise Arbeit oder Bildung]164 an“.165 Es wird demnach jedem Menschen ein Recht auf einen bestimmten Zustand zuerkannt. Dieses Recht wäre inhaltslos, wenn es nicht die Staaten in die Pflicht nehmen würde. Weil die Menschen also verlangen können, dass ein bestimmter Zustand hergestellt wird, sind die Staaten dazu verpflichtet, diesen zu erwir-
161
Söllner: Studiengebühren und das Menschenrecht auf Bildung, a.a.O. (Fn. 23), S. 86 f. 162
Ausführlich hierzu: Guy S. Goodwin–Gill: Obligations of Conduct and Result, in: Philip Alston/ Katarina Tomaševski (Hrsg.): The Right to Food, 1984, S. 111–118; siehe auch Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 31), S. 85 163 164 165
Weitere Beispiele bei Huawen a.a.O. (Fn. 111), S. 23 Anmerkung des Verfassers
Etwa in Art. 7 Abs. 1, 9; 12 Abs. 1; 13 Abs. 1; 15 Abs. 1. Die authentische, englische Fassung lautet: „The States Parties to the present Covenant recognize the right of everyone …”
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2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
ken.166 Der Sozialpakt will die Menschenrechtssituation schließlich effektiv verbessern. Daher kann es grundsätzlich nicht genügen, wenn sich die Staaten um eine verbesserte Situation nur bemühen. Die wenigen, im Sozialpakt ausdrücklich normierten „obligations of conduct“ sind ja auch nicht Selbstzweck. Aus ihrer systematischen Stellung – meist in unteren Absätzen – ergibt sich, dass die vorgeschriebenen Verhaltensweisen der Verwirklichung der einzelnen Paktrechte dienen sollen. Es handelt sich um Hilfspflichten, die allein im öffentlichen Interesse bestehen und auf die kein individueller Anspruch besteht.167 Ein Recht auf bloße staatliche Verhaltensweisen, etwa die Aufstellung eines Aktionsplanes, würde den Menschen auch nur wenig nutzen. Erst ein Resultat befriedigt die Grundbedürfnisse. Zwischenfazit: Die einzelnen Paktrechte legen den Staaten, trotz ihrer mehrdeutigen Formulierung, Erfolgspflichten auf.168 Fraglich ist, ob die Staaten darüber hinaus Verhaltenspflichten haben – vor allem in solchen Fällen, in denen der Sozialpakt dies nicht ausdrücklich normiert. Wie bereits festgestellt, schreiben die einzelnen Paktrechte nur das Endziel vor. Alle diese abstrakten Zielvorgaben werden indessen über Artikel 2 Absatz 1 im Hinblick auf die verfügbaren Ressourcen begrenzt. Diese Beschränkung verschiebt jedoch nur die Zielmarke nach unten, sie kann nicht etwa die Erfolgs– in bloße Verhaltenspflichten verwandeln. Dennoch gibt es auch in jenen Bereichen Handlungspflichten, in denen der Sozialpakt sie nicht ausdrücklich vorsieht. Dies folgt aus der Formulierung „undertakes to take steps“ in Artikel 2 Absatz 1.169 Die Entwurfsfassung sah zunächst den Ausdruck „to promote“ vor. Dieser Wortlaut wurde aber schnell gegen „undertakes to take steps“ ausgetauscht. Das zeigt, dass die Verfasser besonderen Wert darauf legten, 166
So andeutungsweise bereits in den „travaux préparatiores“, UN Doc. A/3764 (1957) § 42 167
Riedel: Praxishandbuch UNO, a.a.O. (Fn. 29), S. 347
168
International Law Commission: Yearbook of ILC, 1977, Vol. II, Part one: Documents of the twenty–ninth session, UN Doc. A/CN.4/SER.A/1977/Add.l (part 1), § 8; Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 31), S. 85 169 169
Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 5), S. 166
General Comment Nr. 1, enthalten in: UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7 § 4; Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 22), S. 166
1. Kapitel: Die materiellen Pflichten im Sozialpakt
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dass die Staaten bei allen Paktrechten gezielte Schritte vornehmen.170 Andererseits unterstreicht die Wortwahl in Artikel 2 Absatz 1 „by all appropriate means“, dass der Staat die Wahlfreiheit bei den Mitteln hat, solange er nur das Endziel im Auge behält.171 Es wäre auch gar nicht möglich, für jedes Paktrecht alle geeigneten Maßnahmen zu benennen, wenn man zugleich die Wsk–Rechte umfassend verwirklichen will.172 Aus Artikel 2 Absatz 1 folgt also, dass jede Verpflichtungsebene („respect“, „protect“ und „fulfil“) sowohl Verhaltens– als auch Erfolgspflichten enthält.173 Beispielsweise kann Artikel 12 IPwskR die Staaten dazu verpflichten, einen Plan aufzustellen, um die Müttersterblichkeit zu senken. Außerdem müssen sie die Müttersterblichkeitsrate auch de facto senken. Damit ist die Frage aufgeworfen, in welchem Verhältnis die Verhaltens– zu den Erfolgspflichten stehen. Problematisch ist dabei stets, wer das Risiko des Scheiterns trägt. Die Fragestellung ist eine ähnliche wie bei der Abgrenzung von Werk– und Dienstvertrag im Zivilrecht. Soll etwa der Staat aufgrund seines Ermessensspielraums dafür verantwortlich sein, wenn sich das von ihm gewählte Mittel als wenig effektiv erweist, um sein menschenrechtliches Ziel zu erreichen? Oder ist dieses Risiko im Sozialpakt angelegt? Das hieße, es ginge zu Lasten der betroffenen Individuen. Es wäre falsch zu behaupten, der Sozialpakt lege das Risiko des Misserfolgs stets den Staaten auf. Während der Paktausarbeitung wurden nämlich für Artikel 2 Absatz 1 anstelle des Wortlauts „to take steps“ die „härteren“ Formulierungen „to guarantee“ und „to ensure“ diskutiert.174 Diese Fassungen sind jedoch gerade nicht Vertragsinhalt geworden, was darauf hindeutet, dass die Staaten das Risiko des Misserfolgs nicht in jedem Fall tragen müssen. 170 171 172
Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 5), S. 165 Guy S. Goodwin–Gill a.a.O. (Fn. 162), S. 112 Huawen a.a.O. (Fn. 111), S. 23
173
General Comment Nr. 3, a.a.O. (Fn. 31), § 1; The Maastricht Guidelines, a.a.O. (Fn. 34), §§ 7, 11; Green a.a.O. (Fn. 48), S. 1075; Audrey Chapman: Development of Indicators for Economic, Social and Cultural Rights, in: Yvonne Donders/ Vladimir Volodin (Hrsg.): Human Rights in Educations, Science and Culture, 2008, S. 111 (S. 113) 174
Vgl. UN Doc. E/CN.4/L.73 (1952) und UN Doc. E/CN.4/SR.270 (1952). Zum Terminus „to ensure“: Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 31), S. 102
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2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
Bedeutet das, es darf vom Zufall abhängen, in welchem Ausmaß die Menschen die Wsk–Rechte genießen? Exemplarisch sei der Fall genannt, dass es dem Staat trotz größter Anstrengungen nicht oder kaum gelingt, die Zahl der Hungerleidenden zu verringern. Es mutet seltsam an, wollte man ihm hier eine Völkerrechtsverletzung anlasten.175 Vielmehr gilt der Grundsatz: Impossibilum nulla est obligatio.176 Ohne bereits ins Detail zu gehen, muss es dem Staat in gewissen Grenzen möglich sein, sich zu rechtfertigen und damit dem Vorwurf einer Völkerrechtsverletzung zu entgehen.177 Fazit: Die Auslegung des Sozialpakts ergibt, dass er sowohl Erfolgs– als auch Verhaltenspflichten enthält, die beide gleich wichtig sind.178 Soweit diese Pflichten nicht konkret normiert sind, bleibt den Staaten ein weiter Ermessensspielraum, welche Schritte sie unternehmen. Ob sich das Verhältnis von „obligations of conduct“ und „obligations of result“ verschiebt, wenn sich die Staaten dem Ausschuss gegenüber dazu verpflichten, konkrete Erfolge zu erreichen, wird in einem gesonderten Kapitel zu untersuchen sein.179
9.) Nichtdiskriminierungspflichten Artikel 2 Absatz 2 IPwskR unterstreicht, dass die einzelnen Paktrechte umgesetzt werden müssen, ohne Menschen zu diskriminieren. Verbote von Ungleichbehandlungen haben aber eine noch längere, internationale Tradition. Vorläufervorschriften finden sich in den Artikeln 1 Absatz 3, 13 Absatz 1 littera b, 55 littera c und 76 littera c UN–Charta sowie in Artikel 2 AEMR. In Artikel 7 AEMR findet sich sogar der Wortlaut „without any discrimination“. In Anlehnung an andere internationale Menschenrechtsdokumente180 verbietet Artikel 2 Absatz 2 IPwskR jede Unterscheidung, Bevorzugung, Begrenzung oder Beschränkung und jeden Ausschluss in einem bestimmten Bereich, wenn kein recht175
In diesem Sinne Chapman: Development of Indicators, a.a.O. (Fn. 173),
S. 113 176 177 178 179 180
Vgl. Digesten 50, 17, 185 Näher unten S. 64, 164 und 204 ff. A.A. Chapman: Development of Indicators, a.a.O. (Fn. 173), S. 113 S. 295 ff.
Definitionen des Begriffs „discrimination“ finden sich etwa in: Art. 1 Abs. 1 ILO Convention Nr. 11; Art. 1 CERD und Art 1 CEDAW
1. Kapitel: Die materiellen Pflichten im Sozialpakt
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fertigender Grund besteht.181 In den Vorläuferbestimmungen des Artikels 2 Absatz 2 wird jede Diskriminierung verboten, auch wenn sie vom Staat nicht beabsichtigt ist. Daher verbietet auch der IPwskR nicht nur die direkte, sondern gleichfalls die indirekte Diskriminierung.182 Die Entwurfsfassung des Artikels 2 Absatz 2 sprach – in Übereinstimmung mit Artikel 2 AEMR – von „distinction“ (zu Deutsch: Unterscheidung).183 Um klarzustellen, dass nur die willkürliche Unterscheidung verboten ist, entschieden sich die Verfasser aber dann für die Formulierung „discrimination“.184 Nicht jede Ungleichbehandlung ist also verboten. Erlaubt sind insbesondere rechtliche Ungleichheiten, die nur darauf abzielen, faktische Ungleichheiten zu kompensieren, etwa die Bevorzugung von Behinderten.185 Wegen des umfassenden Geltungsanspruchs des Artikels 2 Absatz 2 Absatz IPwskR sind Diskriminierungen auf allen drei Ebenen, „respect“, „protect“ und „fulfil“, verboten.186 Aus den Vorarbeiten zum IPwskR ergibt sich, dass die Unterscheidungsmerkmale in Artikel 2 Absatz 2, etwa Rasse, Geschlecht oder Sprache, nur beispielhaft sind.187 Diese Sichtweise wird auch durch den offenen Wortlaut untermauert: „[...] or other status“ (Artikel 2 Absatz 2 am Ende). Fraglich ist, ob es eine bestimmte Rangordnung unter den Merkmalen gibt, ob also manche besonders schnell zu eliminieren sind. Die Frage 181 General Comment Nr. 16, a.a.O. (Fn. 105), § 12; Klerk a.a.O. (Fn. 117), S. 254; Norwegian Agency for Development Cooperation, a.a.O. (Fn. 132), S. 25 182
General Comment Nr. 16, a.a.O. (Fn. 105), §§ 12 und 13; Klerk a.a.O. (Fn. 117), S. 254 183
UN Doc. A/5365 (1962) §§ 55 – 57
184
UN Doc. A/5365 § 60; A/C.3/L.1028/Rev.2 (1962); A/C.3/SR.1206 (1962) 185
UN Doc. A/5365 § 58; Klerk a.a.O. (Fn. 117), S. 253 und 264; vgl. hierzu Art. 1 Abs. 4 CERD und Art. 4 Abs. 1 CEDAW; siehe zu diesen positiven Diskriminierungen auch: Norwegian Agency for Development Cooperation, a.a.O. (Fn. 132), S. 25 186
Leïla Choukroune: Justiciability of economic, social and cultural rights: The UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights’ review of China’s first periodic report on the implementation of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: Columbia Journal of Asian Law (2005–2006), S. 30 187
Nachweise bei: Klerk a.a.O. (Fn. 117), S. 256
44
2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
ist von entscheidender Bedeutung, weil es bei den De–facto– Diskriminierungen Fälle gibt, in denen ein Staat diese nicht sofort vollständig zu beseitigen vermag. So ist es möglich, dass ein Staat die Zahl der Frauenbeschneidungen wegen kulturellen Vorstellungen nicht sofort auf Null senken kann. Andererseits gibt es im fraglichen Staat auch in großem Maße Gewalt gegen Angehörige einer bestimmten Partei. In beiden Fällen ist die „Protect“–Ebene des Rechts auf Gesundheit betroffen. In beiden Fällen müssen Ressourcen eingesetzt werden, um die Betroffenen zu schützen (Aufklärung, Kontrolle, Polizeischutz). Da die Ressourcen begrenzt sind, muss der Staat Prioritäten setzen. Die Frage ist, ob das internationale Recht allgemein oder der IPwskR im Besonderen eine Reihenfolge vorgeben. In der Arbeit der UN haben Diskriminierungen infolge von Rasse und Geschlecht mehr Aufmerksamkeit erhalten als Diskriminierungen aus anderen Gründen.188 Sowohl der IPwskR als auch der IPbpR betonen in ihren Artikeln 3 die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Des Weiteren gibt es zwar Pakte zur Eliminierung von Rassen– und Frauendiskriminierung, bislang aber noch keine internationale Konvention, die speziell gegen Diskriminierung etwa von Vermögenslosen schützt. Allerdings geht weder aus dem Wortlaut noch aus den „travaux préparatoires“ hervor, dass die Verfasser des IPwskR bestimmten Differenzierungen höhere Priorität einräumen wollten als anderen.189 Es sind auch keine teleologischen Gründe ersichtlich, die eine Rangfolge gebieten würden. Vielmehr hat der Staat aufgrund seines Ermessensspielraums die Freiheit, eine eigene Hierarchie aufzustellen, sofern für die Beseitigung der Diskriminierung Ressourcen erforderlich sind. Dies ist niemals der Fall bei De–iure–Ungleichbehandlungen, aber oftmals bei De–facto–Diskriminierungen. Abschließend bleibt anzumerken, dass Artikel 2 Absatz 2 IPwskR zur Einschränkungserlaubnis des Artikels 4 IPwskR lex spezialis ist. Anders ausgedrückt: Artikel 4 erlaubt zwar Einschränkungen der einzelnen Paktrechte, diese dürfen aber niemals diskriminierend sein.190 Selbiges gilt für Artikel 2 Absatz 1 IPwskR: Auch eine rückschrittliche Wirt-
188
Klerk a.a.O. (Fn. 117), S. 257
189
UN Doc. A/5365 § 85: „Die Anwendungsbereiche von Art. 2 Abs. 2 und Art. 3 überlappen teilweise“; Klerk a.a.O. (Fn. 117), S. 258 190
Klerk a.a.O. (Fn. 117), S. 264
1. Kapitel: Die materiellen Pflichten im Sozialpakt
45
schaft erlaubt keine Diskriminierungen. Dies wäre mit der Rechtsnatur der Paktrechte unvereinbar.191 Fazit: Die Paktvorschriften müssen ausnahmslos auf nichtdiskriminierende Weise umgesetzt werden. Die Staaten können aber selbst entscheiden, in welcher Reihenfolge sie bestehende Ungleichheiten abschaffen, sofern für die Beseitigung Ressourcen benötigt werden.
10.) Die Ordnungsprinzipien Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Akzeptanz und Qualität („availability“, „accessibility“, „acceptability“, „quality“) Bereits oben wurde festgestellt, dass alle Paktrechte die Ebenen „respect“, „protect“ und „fulfil“ aufweisen und dass sich die Pflichten in Verhaltens– und Erfolgspflichten trennen lassen. Bei der Paktüberwachung wird jedoch noch eine andere Einteilung bedeutsam. Die meisten, wenn nicht alle Paktrechte verlangen von den Staaten, Folgendes sicherzustellen:192 1.) Die durch das Recht geschützten Objekte müssen im Land verfügbar sein („availability“): Beispielsweise müssen beim Recht auf Nahrung Makronährstoffe vorhanden sein, beim Recht auf Gesundheit Medikamente.193 191
Ibidem
192
Eibe Riedel: The Human Right to Water and General Comment No. 15 of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights, in: ders. / Rothen, Peter (Hrsg.): The Human Right to Water, 2006, S. 19 (S. 25) spricht vom „ilities“–approach. Vgl. auch: Report of Expert Symposium – Measuring Developments in the Realization of the Right to Food by Means of Indicators: The IBSA – Procedure, 22. – 23, Mai 2006 Mannheim, abrufbar auf: http://ibsa.uni– mannheim.de/, S. 201 (abgerufen am 18. Mai 2008); Green a.a.O. (Fn. 48), S. 1073; kritisch zu dieser Einteilung: Ann–Mari Fröberg/Martin Scheinin: Report of Turku Expert Meeting on Human Rights Indicators, abrufbar auf: http://www.abo.fi/instut/imr/research/seminars/ indicators/ (abgerufen am 18. Mai 2008), S. 5 193
Für das Recht auf Gesundheit siehe General Comment Nr. 14, enthalten in: UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7 § 12 (a). Für das Recht auf Nahrung siehe: Jennie Jonsén/Sven Söllner: The legal content of the Right to Adequate Food, abrufbar auf: http://ibsa.uni–mannheim.de/ (abgerufen am 18. Mai 2008), S. 8 Für das Recht auf Bildung: General Comment Nr. 13, a.a.O. (Fn. 152), § 6 (a); siehe auch den Bericht von UN–Sonderberichterstatterin Katarina Tomaševski über das Recht auf Bildung, UN Doc. E/CN.4/1999/49 §§ 51 – 55; dies.: Hu-
46
2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
2.) Diese Rechtsobjekte müssen allen Mitgliedern der Gesellschaft zugänglich sein („accessibility“). Dazu zählen die physische, insbesondere die geographische Zugänglichkeit, die Erschwinglichkeit und die Abwesenheit von Diskriminierungen.194 Zu dieser Kategorie gehört auch, dass über den Gegenstand des Paktrechts informiert werden muss. Zum Beispiel hat der Staat die Bevölkerung über gesunde Ernährung aufzuklären. 3.) Die Objekte müssen von allen Angehörigen der Gesellschaft akzeptiert werden („acceptability”).195 Beispielsweise würde es nicht genügen, wenn der Staat einem unfallverletzten Zeugen Jehovas lediglich Bluttransfusionen anbietet, wenn auch Alternativmedikationen – wie volumenerweiternde Infusionen – in Frage kommen.196 4.) Die vierte und letzte Komponente variiert je nach Paktrecht. Fest steht, der Staat muss dessen Gegenstand in bestmöglicher Qualität verwirklichen. Deswegen wird Punkt vier bei den meisten Paktrechten auch mit „quality“ betitelt.197 Beispielsweise müssen die wirksamsten Medikamente und die nährstoffreichste Nahrung erhältlich sein. Da die Forderung nach bestmöglicher Qualität jedoch bei manchen Paktrechten missverständlich wäre, wird sie spezifiziert. Beim Recht auf Bildung wird von „adaptability“, also Anpassungsfähigkeit, beim Recht auf
man rights obligations: making education available, accessible, acceptable and adaptable, 2001, S. 17 – 23 194
Für das Recht auf Wohnung siehe: General Comment Nr. 4, a.a.O. (Fn. 40), § 8 (e); Für das Recht auf Nahrung siehe: General Comment Nr. 12, a.a.O. (Fn. 145), § 13; Jonsén/Söllner a.a.O. (Fn. 193), S. 9; Für das Recht auf Bildung: General Comment Nr. 13, a.a.O. (Fn. 152), § 6 (b); Tomaševski UN Doc. E/CN.4/1999/49, a.a.O. (Fn. 193), §§ 57 – 61; dies. Human rights obligations, a.a.O. (Fn. 193), S. 27 f.; Für das Recht Behinderter, am kulturellen Leben teilzunehmen: General Comment Nr. 5, enthalten in: UN Doc. HRI/GEN/ 1/Rev.7 § 36. 195 Beim Recht auf Wohnung spricht der Ausschuss hier von kultureller Angemessenheit, General Comment Nr. 4, a.a.O. (Fn. 40), § 8 (g); Für das Recht auf Bildung: General Comment Nr. 13, a.a.O. (Fn. 152), § 6 (c); Tomaševski UN Doc. E/CN.4/1999/49, a.a.O. (Fn. 193), §§ 62 – 69; dies.: Human rights obligations, a.a.O. (Fn. 193), S. 29 f. 196 197
Zeugen Jehovas lehnen die Bluttransfusion aus religiösen Gründen ab
General Comment Nr. 17 UN Doc. E/C.12/GC/17 § 18; General Comment Nr. 14, enthalten in: UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7, § 12 (d); General Comment Nr. 15, enthalten in: UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7, § 11 (b)
1. Kapitel: Die materiellen Pflichten im Sozialpakt
47
soziale Fürsorge von „adequacy“, zu Deutsch: Angemessenheit, gesprochen.198
IV. Zusammenfassung des Kapitels Für die Wsk–Rechte ergeben sich folgende Grundsätze: Die Verpflichtung zur progressiven Verwirklichung ist eine echte Rechtsverpflichtung, deren Umfang im Einzelfall von den Möglichkeiten des Staates abhängt. Alle Rechte enthalten darum variable Dimensionen: Die Verpflichtungen können – je nach Staat und je nach Zeitpunkt – unterschiedlich sein. Die Staaten haben erhebliche Ermessensspielräume in der Wahl der Mittel und der Art der Rechtsverwirklichung. Sie müssen sich jedoch darauf konzentrieren, zunächst die Kerninhalte bei allen Rechten zu gewährleisten. In ihrem Ermessen können sie sich freiwillig einschränken lassen. Der Zustand der vollen Rechtsverwirklichung ist ein Ideal. Manche Pflichten, wie De–iure–Diskriminierungsverbote, sind sofort umzusetzen. Die Paktrechte lassen sich nach verschiedenen Systemen gliedern. Bekannt ist die Pflichtentrias „respect“, „protect“ und „fulfil“. Ebenso wichtig sind die Ordnungsprinzipien „availability“, „accessibility“, „acceptability“ und „quality“. Die Staaten haben sowohl Handlungs– als auch Erfolgspflichten. Es gibt nicht nur dynamische, sondern auch statische Verpflichtungen.
198
General Comment Nr. 13, a.a.O. (Fn. 152), § 6 (d); Tomaševski UN Doc. E/CN.4/1999/49, a.a.O. (Fn. 193), §§ 70 – 73; dies.: Human rights obligations, a.a.O. (Fn. 193), S. 31 – 35. Eine gute Übersicht über diese, bei den einzelnen Paktrechten variierende, Komponente bieten: Jonsén/Söllner a.a.O. (Fn. 193), S. 7
Kapitel 2: Das Berichtsprüfungsverfahren vor dem Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
„Folge aber, beharrliche, strenge, kann auch vom Kleinsten angewendet werden und wird selten ihr Ziel verfehlen, da ihre stille Macht im Laufe der Zeit unaufhaltsam wächst.“ Johann Wolfgang von Goethe Allein die Ratifizierung von Menschenrechtspakten genügt nicht, um die Menschenrechte zu realisieren. Vielmehr sind effektive Überwachungsverfahren notwendig, um die Staaten zur Rechenschaft zu ziehen.1 Eines dieser Verfahren könnte das vor dem Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sein.
I. Die Zuständigkeit des Ausschusses zur Prüfung der Staatenberichte Wie die Prüfung der Staatenberichte zu erfolgen hat, ist im IPwskR nur sehr sporadisch geregelt.2 Artikel 16 und 17 sehen vor, dass die Staaten 1
Eibe Riedel: The Human Right to Water, in: Jost Delbrück u.a. (Hrsg.): Weltinnenrecht – Liber amicorum Jost Delbrück, 2005 S. 585; Anna Würth/Frauke Lisa Seidensticker: Indices, Benchmarks und Indikatoren, zur Gestaltung und Auswertung von Menschenrechtsdialogen, 2005, S. 11; JoonBeom Pae: Sovereignty, Power and Human Rights Treaties: An Economic Analysis, in: Northwestern Journal of International Human Rights, 2006, S. 89; Michael Windfuhr: Soziale Menschenrechte und Globalisierung, in: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.): Jahrbuch Menschenrechte 2000, S. 173 (S. 180) 2
Simma bezeichnet die Regelung im IPwskR als das nach dem Wortlaut wohl „schwächste aller Prüfungsverfahren in den modernen Menschenrechtsverträgen“. Bruno Simma: Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte – Historischer Kontext und Probleme bei der Umsetzung, http://www. fes.de/fulltext/iez/00057002.htm (abgerufen am 20. Februar 2007); Thilo Marauhn: Individualbeschwerdeverfahren für völkerrechtlich gewährleistete wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte?, in: Manfred Aschke et. al: Festschrift für Friedrich von Zezschwitz, 2005, S. 243 (S. 256)
50
2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
dem Wirtschafts– und Sozialrat (ECOSOC)3 über ihre Maßnahmen und über ihre Fortschritte bei der Umsetzung der Paktrechte Auskunft geben. Die Berichte sollen gemäß einem Programm des Wirtschafts– und Sozialrats aufgestellt werden.4 Letzterer prüft die Berichte dann „nach Maßgabe des Pakts“.5 Während der Ausarbeitung des Sozialpakts wurde das Überwachungsverfahren mehrfach geändert. Die UN–Menschenrechtskommission wollte die Prüfung der Staatenberichte dem ECOSOC selbst anvertrauen.6 Der Wirtschafts– und Sozialrat war aber mit seinen 54 Mitgliedern viel zu groß, um diese Aufgabe zu übernehmen.7 Daher begann er schon früh, die Prüfungskompetenz nach Artikel 68 UN– Charta an eigens errichtete Hilfsorgane zu delegieren.8 Versuchsweise wurde eine Arbeitsgruppe aus 15 Regierungsvertretern gebildet.9 1985 3
Der ECOSOC (Economic and Social Council) ist eines der sechs Hauptorgane der VN (Art. 7 I UN–Charta). Gemeinsam mit der Generalversammlung ist er für die in Kapitel IX der Charta genannten Aufgaben auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet verantwortlich 4
Die Englische Fassung lautet: Art. 16 Abs. 1: „The States Parties to the present Covenant undertake to submit in conformity with this part of the Covenant reports on the measures which they have adopted and the progress made in achieving the observance of the rights recognized herein.” Art. 17 Abs. 1: „The States Parties to the present Covenant shall furnish their reports in stages, in accordance with a programme to be established by the Economic and Social Council (…).” 5
Die authentische, englische Fassung lautet: Art. 16 Abs. 2 a): „All reports shall be submitted to the (…) Economic and Social Council for consideration in accordance with the provisions of the present Covenant.” 6
Karl Josef Partsch: Menschenrechtspakte und ihre Durchführungsorgane, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.): Handbuch Vereinte Nationen, 2. Auflage, 1991, S. 583 (S. 589); zur Menschenrechtskommission: Eibe Riedel: Menschenrechtskommission, in: Rüdiger Wolfrum, Ibidem, S. 572 – 582 7
Partsch a.a.O. (Fn. 6), S. 590; Christian Tomuschat: Menschenrechte, Staatenberichte, in: Handbuch Vereinte Nationen a.a.O. (Fn. 6), S. 559 (S. 565) 8 Zu dieser Übertragungsmöglichkeit, insbesondere mit Blick auf Art. 7 Abs. 2 der UN–Charta, siehe Eibe Riedel in: Bruno Simma: The Charter of the United Nations, Volume II, 2. Auflage, 2002, Art. 68 Rn. 7 und 14; allgemein: Ingrid Detter: Law Making by International Organizations, 1965, S. 55 ff. 9
ECOSOC Res. 1988 (LX) § 9 (a) i.V.m. ECOSOC Dec. 1981/158 §§ 1 und 2; ECOSOC Res. 1979/43 § 1. Dazu: Manfred Nowak: Die Justiziabilität wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte, in: Franz Matscher: Die Durchsetzung wirtschaftlicher und sozialer Grundrechte S. 387 (S. 390)
Kapitel 2: Das Berichtsprüfungsverfahren
51
schloss sich der ECOSOC dann dem Modell an, dass sich unter dem Zivilpakt bewährt hatte: Er legte die Berichtsprüfung in die Hand von 18 unabhängigen Experten.10 Diese sind an Weisungen ihrer Regierung nicht gebunden.11 Sie bilden seither den Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der in der Regel zweimal jährlich in Genf tagt.12 Die Mitglieder des Ausschusses werden vom ECOSOC im Vierjahresturnus gewählt, die Wiederwahl ist möglich.13 Vorgeschlagen werden sie nach dem Grundsatz der gerechten geographischen Verteilung.14 Nominiert werden sollen nur auf dem Gebiet der Menschenrechte anerkannte Experten.15 Der Ausschuss bestimmt selbstständig seinen Vorsitzenden, die Vize–Vorsitzenden und die Berichterstatter.16
10
ECOSOC Res. 1985/17 vom 28. Mai 1985:
„(a) The Working Group established by Economic and Social Council decision 1978/10 and modified by Council decision 1981/158 and resolution 1982/33 shall be renamed ‚Committee on Economic, Social and Cultural Rights‘ (hereinafter referred to as ‚the Committee‘)” 11 UN Centre for Human Rights: The Committee on Economic, Social and Cultural Rights, Human Rights Fact Sheet No. 16 (Rev. 1), Genf, Mai 2006, S. 23 12
Verfahrensregeln 1 und 9 des Ausschusses HRI/GEN/3/Rev.2; vgl. aber auch die Diskussion im Ausschuss zugunsten einer zusätzlichen Sitzungsperiode in New York, UN Doc. E/C.12/1999/SR.10 und die Diskussionen um ein einheitliches Vertragsüberwachungsorgan in: Concept Paper on the High Commissioner’s Proposal for a Unified Standing Treaty Body, Report by the Secreteriat, UN Doc. HRI/MC/2006/2 13
ECOSOC Res. 1985/17
14
So bereits in ECOSOC Res. 1988 (LX) § 9 (a) und ECOSOC Decision 1981/158 § 2. Vgl. auch Art. 17 Abs. 1 CEDAW und Art. 43 Abs. 2 CRC 15
ECOSOC Res. 1985/17:
„(b) The Committee shall have eighteen members who shall be experts with recognized competence in the field of human rights, serving in their personal capacity, due consideration being given to equitable geographical distribution and to the representation of different forms of social and legal systems.” 16
Verfahrensregel 14 des Ausschusses UN Doc. HRI/GEN/3/Rev.2; ähnlich bereits ECOSOC Res. 1979/43 § 3
52
2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
Der Sozialpakt sieht den Wsk–Ausschuss zwar nicht vor,17 dennoch ist seine Zuständigkeit über die weit gefasste Ermächtigungsklausel des Artikels 17 Absatz 1 IPwskR („Programm des Wirtschafts– und Sozialrats“) in Verbindung mit den Resolutionen des ECOSOC18 legitimiert.19 Der Ausschuss ist ein Hilfsorgan des ECOSOC und kann seine Entscheidungen nur vorbereiten.20 Bei der Berichtsprüfung verfügt er über die Kompetenzen des ECOSOC, soweit dieser sie ihm zugewiesen hat oder soweit sie sich aus dem allgemeinen Völkerrecht21 ergeben.
II. Der Verfahrensablauf Artikel 16 Absatz 2 IPwskR beschreibt nicht näher, nach welchen Maßgaben die Berichte zu prüfen sind.22 Dies muss daher aus dem Zweck des Sozialpakts ermittelt werden. Der Sozialpakt will die Wsk–Rechte möglichst effektiv verwirklichen. Andererseits dürfen den Staaten durch das Prüfungsverfahren keine weitergehenden Pflichten auferlegt werden als die, die sie ratifiziert haben. Aus diesen materiellen Eckpfeilern des Berichtsverfahrens hat der Ausschuss die Grundsätze des Prozessablaufs entwickelt und in seiner 20–jährigen Jurisdiktion verfestigt. Es ist ihm gelungen, die Devise vieler Staaten, zwar zu ratifizieren, aber zu vermeiden, zur Rechenschaft gezogen zu werden, zu durchbrechen. Der ECOSOC hat das Vorgehen des Ausschusses stets unterstützt.23
17
Im Gegensatz zu den Überwachungsorganen in den anderen Menschenrechtsabkommen, vgl. etwa Art. 28 IPbpR; Art. 8 CERD; Art. 17 CEDAW 18
Resolutionen 1979/43; 1982/33; 1985/17 und 1988/4
19
UN Doc. E/1996/101 § 3. Zur Anerkennung des Ausschusses in der Praxis: Eibe Riedel: International Law Shaping Constitutional Law, in: ders.: Constitutionalism – Old Concepts, New Worlds, 2005, S. 106 20
UN Centre for Human Rights a.a.O. (Fn. 11), S. 24
21
Der Begriff ist hier umfassend gemeint und steht im Gegensatz zu den Sonderbefugnissen des ECOSOC nach dem IPwskR 22 23
UN Doc. E/1996/101 § 5 (c) Vgl. etwa ECOSOC Res. 1988/4 §§ 7; 10; 13
Kapitel 2: Das Berichtsprüfungsverfahren
53
1.) Die Einreichung der Berichte und deren Vorprüfung Das Programm des ECOSOC nach Artikel 17 Absatz 1 IPwskR sieht vor, dass die Staaten zwei Jahre nach Paktbeitritt einen Initialbericht vorlegen. Anschließend müssen sie in fünfjährigen Intervallen erneut über den Zustand der Rechtsverwirklichung in ihrem Land berichten.24 In den Berichten sollen die Staaten auf die legislativen, juristischen und politischen Maßnahmen hinweisen, die sie zur Umsetzung der Wsk– Rechte ergriffen haben.25 Die Staaten sollen detaillierte Daten über den Grad der Rechtsverwirklichung liefern und können auf Schwierigkeiten bei der Paktumsetzung hinweisen (Artikel 17 Absatz 2 IPwskR). Um den Staaten die Erstellung des Berichts zu erleichtern, hat der Ausschuss ein 22–seitiges Dokument mit Richtlinien („reporting guidelines“) verfasst.26 Sie legen im Detail fest, welche Angaben für jeden materiellen Artikel des Paktes erforderlich sind.27 Orientieren sich die Staaten daran, minimieren sie das Risiko, dass ihre Berichte als ungenügend bewertet werden. Wenn die Berichte eingegangen sind, werden sie von einem Unterausschuss vorgeprüft.28 Die sogenannte „Pre–Sessional Working Group“ besteht aus fünf Ausschussmitgliedern, die anhand des Berichts einen Fragenkatalog („list of issues“) erstellen, welcher dem betroffenen Staat zugesandt wird.29 Der Staat wird dazu aufgefordert, schriftlich auf die Fragen zu antworten.30
24
ECOSOC Res. 1988/4 § 6; vgl. auch Verfahrensregel 58 des Ausschusses UN Doc. HRI/GEN/3/Rev.2 25 Zum Inhalt der ersten Staatenberichte Philip Alston: The United Nations’ Specialized Agencies and Implementation of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: Columbia Journal of Transnational Law 1979–1980, S. 79 (S. 97 f.) 26
UN Doc. E/C.12/1991/1, Annex; ECOSOC Res. 1988/4 § 7 und Verfahrensregel 60 des Ausschusses. Vgl. im Gegensatz dazu die nur zwei Seiten umfassenden Richtlinien des UN–Ausschusses gegen Folter für periodische Berichte, enthalten in UN Doc. HRI/GEN/2/Rev.3 S. 56 f. 27 28
UN Doc. HRI/MC/2005/4 § 20 ECOSOC Res. 1988/4 § 10; UN Doc. E/2002/22; E/C.12/2001/17 §§ 11;
29 29 Committee on Economic, Social and Cultural Rights: Report on the twenty–fifth, twenty–sixth and twenty–seventh sessions, UN Doc. E/2002/22; E/C.12/2001/17 § 30; näher zur Zusammensetzung und Arbeitsweise der
54
2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
2.) Der Ablauf der mündlichen Verhandlung Im Rahmen jeder Prüfung findet eine öffentliche31, mündliche Sitzung statt, zu der die Repräsentanten des Berichtsstaats eingeladen werden.32 Fast immer nehmen die Delegationen ihr Teilnahmerecht wahr.33 Der Grund mag sein, dass der Ausschuss kein kontradiktorisches Verfahren, sondern einen „konstruktiven Dialog“ angestrebt.34 In den Sitzungen wird zunächst den Delegierten gestattet, zur Situation in ihrem Land Stellung zu nehmen.35 Erst dann stellen die Ausschussmitglieder Fragen Working Group, Committee on Economic, Social and Cultural Rights: Report on the eighteenth and nineteenth sessions, UN Doc. E/1999/22 §§ 25 – 33 30
Die Fragenkataloge und die schriftlichen Antworten sind abrufbar unter: http://www.unhchr.ch/tbs/doc.nsf 31
Verfahrensregel 28 des Ausschusses. Allgemein zum Prinzip der Öffentlichkeit und seinem Zusammenhang mit den Menschenrechten: Ferdinand Kopp/ Wolf–Rüdiger Schenke: Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 14. Auflage, 2005, § 55 Rn. 2 32
Verfahrensregel 62 des Ausschusses; Committee on Economic, Social and Cultural Rights: Report on the eighteenth and nineteenth sessions, UN Doc. E/1999/22 § 34. Erstmals fand sich ein derartiges Anwesenheitsrecht in Art. 64 Verfahrensregel des CERD–Ausschusses HRI/GEN/3/Rev.2, S. 79. Zur Anwesenheit der Staatenvertreter in der Praxis: Eibe Riedel: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, abrufbar auf http://ibsa.uni–mannheim.de/ (abgerufen am 18. Mai 2008), S. 62; ders.: New Bearings to the State Reporting Procedure: Practical Ways to Operationalize Economic, Social and Cultural Rights – the Example of the Right to Health – , in: Sabine von Schorlemer (Hrsg.): Praxishandbuch UNO, 2003, S. 345 (S. 347) 33
UN Centre for Human Rights a.a.O. (Fn. 11), S. 26
34
Riedel: New Bearings to the State Reporting Procedure, a.a.O. (Fn. 32), S. 346; ders.: The IBSA Procedure, a.a.O. (Fn. 32), S. 60 f.; UN Centre for Human Rights a.a.O. (Fn. 11), S. 23; Bruno Simma: The Examination of State Reports, in: Eckart Klein (Hrsg.): The Monitoring System of Human Rights Treaty Obligations, 1998, S. 31 (S. 36). Allgemein zum konstruktiven Dialog: Eibe Riedel: Verhandlungslösungen im Rahmen des Sozialpakts der Vereinten Nationen, 2000 S. 6 f.; Scott Leckie: The Committee on Economic, Social and Cultural Rights: Catalyst for change in a system needing reform, in: Philip Alston/ James Crawford (Hrsg.): The future of UN human rights treaty monitoring, 2000 S. 129 (S. 132); Brigit Toebes: The Right to Health as a Human Right in International Law, 1999 S. 91; vgl. auch Art. 37 Abs. 1 der Behindertenrechtskonvention, UN Doc. A/61/611 vom 6. Dezember 2006 35
Committee on Economic, Social and Cultural Rights: Report on the eighteenth and nineteenth sessions, UN Doc. E/1999/22 § 34
Kapitel 2: Das Berichtsprüfungsverfahren
55
an die Staatenvertreter.36 Häufig trägt der Ausschuss den Staaten auch auf, in den nächsten Berichten zusätzliche Informationen zu liefern. Damit die Staaten die Informationen vollständig und wahrheitsgemäß abliefern und der Ausschuss ein möglichst reales Bild von der Menschenrechtssituation im fraglichen Land erhält, haben zu Beginn einer jeden Sitzungsperiode UN–Sonderorganisationen und Nichtregierungsorganisationen („non–governmental organizations“, kurz: NGOs37) das Wort.38 Diese zusätzlichen Informationsquellen haben sich in der Praxis der Ausschussarbeit als besonders wertvoll erwiesen.39 36
UN Doc. E/2002/22; E/C.12/2001/17 § 36
37
Stoecker definiert NGOs wie folgt: „Jede nationale, subregionale oder internationale, nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtete, die Ziele der Vereinten Nationen unterstützende, nach demokratischen Grundsätzen organisierte, von Staaten unabhängige Organisation, die nicht durch zwischenstaatliche Übereinkunft errichtet wurde, nicht jedoch transnationale Unternehmen, Befreiungsbewegungen oder kriminelle Organisationen.“ Felix William Stoecker: NGOs und die UNO, 2000, S. 81 38
Regeln 66 – 69 der Verfahrensordnung des Ausschusses, UN Doc. E/C.12/1990/4/Rev.1 i.V.m. ECOSOC Res. 1988/4 § 16. Siehe auch die Überschrift dieses Abschnitts: „Other sources of information“ sowie die Erklärung des Ausschusses: NGO participation in the activities of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights, UN Doc. E/C.12/2000/6, zum mündlichen Vortrag: § 23, aber zum Interventionsverbot: § 24, zu schriftlichen Stellungnahme zu einzelnen Fragen: § 21 und im Vorverfahren: §§ 14 – 20. Zur Beteiligung von NGOs am Berichtsprüfungsverfahren im Rahmen der Europäischen Sozialcharta siehe Europarat (Hrsg): Die Europäische Sozialcharta – Ein Leitfaden, 2002, S. 103 39
Eibe Riedel: Universeller Menschenrechtsschutz – Vom Anspruch zur Durchsetzung, in: ders./Gerhart Baum/Michael Schäfer (Hrsg): Menschenrechtsschutz in der Praxis der Vereinten Nationen, 1998, S. 25 (S. 52); ders.: Allgemeine Bemerkungen zu Bestimmungen des Internationalen Paktes über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte der Vereinten Nationen, in: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.): Die „General Comments“ zu den VN–Menschenrechtsverträgen – Deutsche Übersetzung und Kurzeinführungen, 2005, S. 160; vgl. allgemein zur Bedeutung der NGOs in menschenrechtlichen Berichtsrpüfungsverfahren Christine Chinkin: The Role of Non– Governmental Organisations in Standard Setting, Monitoring and Implementation of Human Rights, in: Joseph J. Norton (Hrsg): The changing world of international law in the twenty–first century, 1998, S. 45 (S. 59 – 62); zum geschichtlichen Hintergrund der Einbeziehung von NGOs in das Berichtsprüfungsverfahren vor dem Ausschuss: Alston: The United Nations’ Specialized Agencies a.a.O. (Fn. 25), S. 98 f.
56
2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
Sobald die mündliche Berichtsprüfung abgeschlossen ist, entscheidet der Ausschuss über den Zustand der Rechtsverwirklichung im jeweiligen Staat. Die Beschlussfassung erfolgt in geschlossenen Sitzungen und grundsätzlich nach dem Konsensprinzip.40 Abschließend erlässt der Ausschuss seine Urteile41, die „Concluding observations“.42 Diese sind in fünf Bereiche aufgeteilt: (a) Einführung, (b) positive Aspekte, (c) Schwierigkeiten bei der Rechtsverwirklichung, (d) Hauptbedenken, (e) Vorschläge und Empfehlungen. In den „Concluding observations“ werden unter Berücksichtigung des Dialogs die Staatenberichte beurteilt und eventuelle Vertragsverletzungen festgestellt.43 Vielfach fordert der Ausschuss die Staaten direkt dazu auf, weitere Missachtungen des jeweiligen Paktrechts zu unterlassen.44 In der folgenden Berichtsperiode findet eine „Follow–up“–Prozedur statt, das heißt der Ausschuss fragt die Staaten, inwieweit sie seine Vorschläge und Empfehlungen umgesetzt haben. Wenn die Staatenvertreter darauf keine zureichenden Antworten geben können, fordert der Ausschuss das Land auf, innerhalb einer bestimmten Frist – etwa eines Jahres – hierüber Rechenschaft abzulegen.
Siehe statt vieler Beispiele: Ausschussbericht der 18. und 19. Sitzungsperiode, UN Doc. E/1999/22 § 106 40
UN Doc. E/2002/22; E/C.12/2001/17 § 37 und Verfahrensregel 46 des Ausschusses. Näher hierzu Eibe Riedel: The Examination of State Reports, in: Eckart Klein (Hrsg.): The Monitoring System of Human Rights Treaty Obligations, 1996, S. 95 (S. 104) 41
Ob man hier von einem Urteil sprechen möchte, ist wohl Geschmackssache. Dafür spricht, dass über einen Sachverhalt im Wege eines formalisierten Verfahrens aufgrund mündlicher Verhandlung (instanzerledigend) entschieden wird. Zudem gibt es auch im deutschen Zivilprozess Urteile, die keine vollstreckbare Rechtsfolge nach sich ziehen, sondern nur appellativen Charakter haben, so die Eheherstellungsklage nach § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. § 888 Abs. 3 ZPO 42
Die „Concluding observations“ sind abrufbar unter: http://www. unhchr.ch/tbs/doc.nsf 43
Volker Epping in: Knut Ipsen: Völkerrecht, 5. Auflage 2004, S. 792; UN Centre for Human Rights a.a.O. (Fn. 11), S. 27 44
UN Centre for Human Rights a.a.O. (Fn. 11), S. 27
Kapitel 2: Das Berichtsprüfungsverfahren
57
III. Die Beweislastverteilung im Verfahren vor dem Ausschuss 1.) Die Problemstellung Im vorangehenden Kapitel wurde erwähnt, dass der Ausschuss einige spezielle Beweislastregeln entwickelt hat: Sind die Kerninhalte nicht verwirklicht, so spricht der „Beweis des ersten Anscheins“ dafür, dass die Staaten eine Völkerrechtsverletzung begangen haben. Wollen sie einer dahingehenden Feststellung durch den Ausschuss entgehen, müssen sie sich exkulpieren. Sie müssen nachweisen, dass sie alle erdenklichen Anstrengungen unternommen haben.45 Die gleiche Beweisobliegenheit haben die Länder bei Rückschritten. Schließlich sind die Paktstaaten auch verpflichtet, zu belegen, ob sie die verfügbaren Ressourcen effektiv eingesetzt haben.46 Über diese Sonderfälle hinaus hat sich der Ausschuss noch nicht dazu geäußert, wer in seinem Verfahren das onus probandi trägt. Auch sind zu diesem Thema bislang noch keine wissenschaftlichen Arbeiten erschienen.47 Dabei ist die Frage relevant: Was ist, wenn der Staat Menschenrechtsverletzungen auf seinem Territorium bestreitet? Der Ausschuss kann zwar Informationen von Nichtregierungsorganisationen einholen, aber diese stehen dann im Widerspruch zu den Aussagen des Staates. Was ist, wenn zudem die Behauptungen der NGOs zweifelhaft sind? Denkbar ist etwa der Fall, dass die Organisation mehrheitlich aus Regierungsgegnern besteht, die hauptsächlich an einem schnellen Machtwechsel interessiert sind. Der Ausschuss kann zwar Sondergesandte schicken, um eigene Ermittlungen anzustellen.48 Aber auch diese „Augenscheinsgehilfen“ können 45 46
Genauer siehe oben S. 13 ff. Siehe oben S. 37 f.
47
Die Frage wird allerdings kurz angesprochen von Kristina Klee: Die progressive Verwirklichung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte, 2000, S. 210 f.. Allgemein zur Beweislastverteilung im Völkerrecht: Albert Bleckmann: Ermessensfehlerlehre, 1997, S. 251: „Grundsätzlich wird man davon ausgehen müssen, dass der verletzte Staat nachweisen muss, dass der handelnde Staat das Völkerrecht verletzt hat.“ 48
So geschehen in Panama, siehe: Report on the technical assistance mission, UN Doc. E/C.12/1995/8 und der Domenikanischen Republik, wo die Regierung einen Besuch aber zunächst ablehnte, UN Doc. E/C.12/1996/SR.30 § 13; siehe aber auch: Summary record of the 30th meeting, UN Doc. E/C.12/ 1997/SR.30. Anders die Interamerikanische Menschenrechtskommission, dazu die Weltmenschenrechtskonferenz, UN Doc. A/CONF.157/PC/42/ Add.1 §
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2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
beispielsweise kaum feststellen, wie viele Menschen von einer Rechtsverletzung betroffen sind. Außerdem stehen dem Ausschuss gar nicht die personellen, finanziellen und zeitlichen Kapazitäten zur Verfügung, um selbstständig zu ermitteln oder abschließend den Wahrheitsgehalt aller Berichte zu erforschen. Zu welchen Ergebnissen soll der Ausschuss also in seinen „Concluding observations“ kommen? Auf diese Fragen ist zunächst zu antworten: Weder der IPwskR noch die Verfahrensordnung des Ausschusses enthalten ausdrückliche Beweislastbestimmungen. Der Rückgriff auf das allgemeine Völkerrecht hilft nicht weiter, denn dort sind Beweislastregeln allenfalls rudimentär formuliert.49 Vielleicht gibt der Sozialpakt aber Wertungen vor, aus denen man Grundsätze ableiten kann. Beim Verfahren vor dem Ausschuss werden gemäß Artikel 16 Absatz 2 IPwskR Staatenberichte geprüft. Es handelt sich nicht um ein gerichtliches Verfahren im engeren Sinne, in dem ein Sachverhalt auf seine Rechtsfolgen geprüft wird.50 Da der Sozialpakt keine Rechtsfolgen normiert, ist es korrekter, von einem quasigerichtlichen oder einem politischen Verfahren zu sprechen.51 Nichtsdestotrotz ist der Ausschuss unabhängiges Organ, das Normen anwendet und die Umsetzung der Rechtsordnung überwacht. Deswegen können beim Verfahren vor dem Ausschuss vergleichbare Interessen wie bei einem echten Gerichtspro-
194. Zu den „on site–visits“: Riedel: Universeller Menschenrechtsschutz, a.a.O. (Fn. 39), S. 46; Kitty Arambulo: The International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights and the Committee on Economic, Social and Cultural Rights, in: Peter Van der Auweraert et. al.: Social, Economic and Cultural Rights, 2002, S. 57 (S. 63 f.) 49
Eine Ausnahme findet sich beispielsweise beim „Versäumnisurteil“ des IGH in Art. 53 Statut des IGH 50
Zum Begriff des Gerichtsverfahrens siehe Gerhard Köbler: Juristisches Wörterbuch, 8. Auflage, 1997, S. 414 51
Zum Terminus des quasijuristischen Verfahrens: Riedel: Verhandlungslösungen, a.a.O. (Fn. 34), S. 6 f.; ders.: The IBSA Procedure, a.a.O. (Fn. 32), S. 61, dort Fn. 6; ders.: Universeller Menschenrechtsschutz, a.a.O. (Fn. 39), S. 38 und 40; Martin Scheinin: Expert meeting on human rights indicators – Turku/Åbo, 11–13 March 2005, Background paper No. 3, Use of Indicators by Human Rights Treaty Bodies – Experiences and Potentials, S. 5 und Ibidem Fn. 12, abrufbar auf: http://www.abo.fi/instut/imr/research/seminars/indicators/ index.htm (abgerufen am 18. Mai 2008)
Kapitel 2: Das Berichtsprüfungsverfahren
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zess entstehen, die es rechtfertigen, die dort geltenden Grundsätze entsprechend anzuwenden. Fazit: Das Verfahren vor dem Ausschuss ist kein gerichtliches, sondern ein politisches Verfahren. Auch lassen sich die Maximen nicht – wie etwa beim IGH – aus einer für alle Beteiligten verbindlichen Prozessordnung herleiten, sondern nur aus dem ungeschriebenen Gebot der Verfahrensgerechtigkeit. Daher lassen sich die aus anderen Rechtsordnungen bekannten Grundsätze für das Verfahren vor dem Ausschuss allenfalls ihrem Rechtsgedanken nach heranziehen. Keinesfalls dürfen die Prinzipien aber so strikt verstanden werden wie etwa in nationalen Prozessen.
2.) Die Tatsachenermittlung im Verfahren vor dem Ausschuss Würde im Verfahren vor dem Ausschuss eine Art Amtsermittlungsgrundsatz gelten, gäbe es nur eine objektive oder materielle Beweislast, im Sinne der Verteilung des Risikos der Ungewissheit.52 Man nennt dies auch Feststellungslast. Die subjektive oder formelle Beweislast – genauer: die Beweisführungslast – besteht hingegen nur unter Herrschaft der Verhandlungsmaxime.53 Die Frage ist also zunächst, wer den Prozessstoff einführt. Für den Ausschuss findet sich keine Vorschrift, die mit der Norm „Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen“ (§ 86 VwGO) vergleichbar ist. Denkbar wäre daher, dass im Verfahren vor dem Ausschuss der Verhandlungsgrundsatz gilt.54 Problematisch ist hierbei allerdings, dass der Ausschuss „Richter“ und „Ankläger“ in einer Person ist. Es handelt sich also um keinen echten Mehrparteienprozess, wie er für die Verhandlungsmaxime typisch ist. „Verhandlungsgrundsatz“ kann hier mithin nur so verstanden werden, dass es allein Aufgabe des Staates ist, den Prozessstoff einzubringen. Davon ausgehend wäre der Ausschuss auf die Verwertung des Tatsachenvortrags durch das Land 52
Zur Frage, ob das Verfahren vor dem Ausschuss eher politisch oder eher rechtlich ist, siehe unten S. 76 ff. 53
Zu den Unterschieden im deutschen Recht: Kopp/Schenke a.a.O. (Fn. 31) § 86 Rn. 1 54
Anders aber Art. 53 IGH–Statut. Danach „muss“ sich der Internationale Gerichtshof vergewissern, „dass die Anträge einer Partei tatsächlich und rechtlich begründet sind“, wenn die andere Partei nicht erscheint oder sich nicht zur Sache äußert
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2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
beschränkt. Er dürfte insbesondere nicht aus eigener Initiative Ermittlungen anstellen oder veranlassen und so gewonnene Fakten nicht bei der Entscheidungsfindung verwerten. Dies widerspräche zwar der Verfahrenspraxis des Ausschusses, könnte aber völkerrechtlich geboten sein. Zunächst ist festzustellen, dass zur Souveränität grundsätzlich auch gehört, über die inneren Angelegenheiten keine Auskunft zu geben. Daraus könnte man ableiten, dass allein die Staaten entscheiden, welche Informationen sie in das Verfahren einführen wollen und welche nicht. Eine Art Verhandlungsmaxime scheint vor allem wegen der Formulierung in Artikel 16 IPwskR nicht ganz fern zu liegen. Nach dieser Vorschrift legen die Staaten Berichte vor, die der Ausschuss prüft.55 Und das wiederum hieße, der Ausschuss würde nicht die tatsächliche Verwirklichung der Wsk–Rechte prüfen, sondern ein Schriftstück. Aber soll seine Tätigkeit wirklich hierauf begrenzt sein? Normalerweise ist der Bericht tatsächlich Ausgangspunkt des Verfahrens. Auch wenn der Ausschuss, wie häufig, noch detailliertere Auskünfte („additional information“) verlangt,56 ist es letztlich der Staat, der diese in den Prozess einführt. Allerdings muss ein Verfahren auch dann zustande kommen, wenn die Staaten gar keinen Bericht abgeliefert haben. Denn ansonsten könnten sie es bei Lippenbekenntnissen zu den Wsk–Rechten zu belassen, was Ziel und Entstehungsgeschichte des Sozialpakts widerspräche. Auch ist für den Verhandlungsgrundsatz prägend, dass die Parteien berechtigt sind, prozessual über den Streitstoff zu disponieren. Beispielsweise darf ein Anspruchsinhaber darauf verzichten, einen Prozess anzustreben. Innerhalb des Prozesses kann der Anspruchsgegner auf Verteidigungsmittel verzichten. Im Verfahren vor dem Ausschuss sind die Staaten aber verpflichtet, einen Bericht einzureichen und damit den Prozessstoff einzubringen. Auch sind sie verpflichtet, dem Ausschuss 55
Die englische Fassung lautet: „The States Parties to the present Covenant undertake to submit in conformity with this part of the Covenant reports on the measures which they have adopted and the progress made in achieving the observance of the rights recognized herein.” „All reports shall be submitted to the Secretary–General of the United Nations, who shall transmit copies to the Economic and Social Council for consideration in accordance with the provisions of the present Covenant.” 56 Aktuelle Beispiele für diese „list of issues“ sind zu finden in UN Doc. E/C.12/UKR/Q/5; E/C.12/BEL/Q/3; E/C.12/CRI/Q/4
Kapitel 2: Das Berichtsprüfungsverfahren
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ein möglichst vollständiges Bild davon zu vermitteln, inwieweit die Wsk–Rechte realisiert sind.57 Somit dürfen sie über den Streitgegenstand nur sehr begrenzt prozessual disponieren. Diese Überlegungen sprechen gegen den Verhandlungsgrundsatz und für die Inquisitionsmaxime. Da es nunmehr für beide Verfahrensprinzipien gute Argumente gibt, bedarf es vertiefter Überlegungen. Die Verhandlungsmaxime gilt in solchen Fällen, in denen die Rechtssubjekte ihre Interessen wirksamer vertreten können als neutrale, amtliche Instanzen. Im Verfahren vor dem Ausschuss ist das Mitgliedsland verpflichtet, bei der Aufklärung des Streitstoffes mitzuwirken, indem es Berichte abliefert. Die hierin enthaltenen Informationen sind von überragender Bedeutung für den Prozessgegenstand. Der Ausschuss hingegen würde bei eigenen Ermittlungen sehr schnell an rechtliche und faktische Grenzen stoßen. Dies allein genügt aber nicht, um dem Ausschuss zu verbieten, andere als vom Staat vorgetragene Daten einzubeziehen. Eine staatliche Verpflichtung zur Kooperation bei der Ermittlung der Fakten schließt nämlich Amtsermittlungsbefugnisse oder –pflichten eines quasigerichtlichen beziehungsweise politischen Organs nicht aus.58 Mitwirkungsobliegenheiten bestehen zum Teil sehr ausgeprägt auch im deutschen Verwaltungs– und Verfassungsrecht, obwohl dort der Untersuchungsgrundsatz gilt. Im Unterschied zur Verhandlungsmaxime können hier die Parteien aber die Streitentscheidung nicht direkt beeinflussen, wenn sie den Mitwirkungspflichten nicht nachkommen.59 Daher muss die Frage lauten: Inwieweit will der Sozialpakt, dass die Staaten auf den Inhalt der „Concluding observations“ Einfluss haben? Ihnen darf nämlich nicht erlaubt werden, über Rechte, über die sie materiell nicht disponieren können, mittelbar aufgrund der Verhandlungsmaxime zu verfügen. Denn die Menschenrechte stehen dem Individuum als solchem zu und nicht den Ländern. Auch wollen Menschenrechtssysteme eine gemeinsame, objektive Ordnung errichten, die nicht zur Disposition einzelner Staaten stehen darf. Des Weiteren wol57
UN Sonderberichterstatter Danilo Türk, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/ 1990/19 § 63 58
Zur quasi–gerichtlichen Funktion Riedel: Verhandlungslösungen, a.a.O. (Fn. 34), S. 6 f. 59
Juliane Kokott: Beweislastverteilung und Prognoseentscheidungen bei der Inanspruchnahme von Grund– und Menschenrechten, 1993, S. 381
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2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
len die Wsk–Rechte hilfsbedürftige oder sozial benachteiligte Personen und Gruppen vor einem übermächtigen Staat schützen. Aus diesen Gründen ist es den Staaten verboten, auf das Prozessergebnis unmittelbar Einfluss zu nehmen. Auf der anderen Seite muss man bedenken, dass der Staat materiell über die Wsk–Rechte verfügen kann, so weit sein Ermessen reicht. Er ist insofern begünstigt, als er in gewissen Grenzen selbst wählen kann, wie er die Rechte verwirklichen will. Dadurch kann es gerechtfertigt sein, ihm im Gegenzug aufzuerlegen, den Ausschuss in Kenntnis zu setzen, auf welche Weise er die Rechte realisieren will. Zwar könnte man argumentieren, die durch den Ausschuss vertretene Staatengemeinschaft wolle, dass alle Rechte so rasch und so effektiv wie möglich umgesetzt werden. Daher habe auch sie Vorteile davon, dass das mit der Sachlage am besten vertraute Land sein Ermessen in diese Richtung ausübe und den optimalen Weg finde. Um zu überwachen, ob es dieser Pflicht auch nachgekommen sei, wolle die Staatengemeinschaft darüber informiert werden, ob und wie es seinen Spielraum konkretisiert habe. Deswegen könne man selbst bei der Frage der Ermessenskonkretisierung von einer Amtsermittlungspflicht ausgehen. Dagegen spricht jedoch folgender Gedanke: Informiert ein Staat nicht darüber, dass er seine Ressourcen anderweitig eingesetzt hat, hat nur er und nicht die Staatengemeinschaft Nachteile. Denn dann geht der Ausschuss unter Umständen davon aus, dass eine Menschenrechtsverletzung vorliegt. Anders ausgedrückt: Die Staatengemeinschaft ist zwar daran interessiert, dass ein Mitgliedsland sein Ermessen ausübt und dies mitteilt. Wenn der Staat aber diesen Obliegenheiten nicht nachkommt, geht dies allein zu seinen Lasten, weil er eine Rechtfertigungsmöglichkeit nicht nutzt. Hinzu kommt, dass der Staat über erheblich mehr Informationen verfügt als der Ausschuss. Insbesondere weiß er, welche menschenrechtlich relevanten Entscheidungen in Politikgremien getroffen wurden. Um festzustellen, welche Wege ein Staat gewählt hat, müsste der Ausschuss eine riesige Zahl an Informationen miteinander vergleichen, eine Aufgabe, die in der knappen Zeit des Prüfungsverfahrens nicht zu bewältigen ist.60 Und selbst wenn der Ausschuss dies meistern könnte, würde es sich letztlich nur um Indizien handeln, wenn der Staat diese Wege 60
Zu den knappen Ressourcen des Ausschusses: Arambulo: The International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights and the Committee on Economic, Social and Cultural Rights, a.a.O. (Fn. 48), S. 67
Kapitel 2: Das Berichtsprüfungsverfahren
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hinter verschlossener Tür gewählt hat. Dies bedeutet: Alle Fragen, die das Ermessen betreffen, kann der Staat besser beantworten als der neutrale, amtliche Ausschuss. Im Übrigen kann dann der Ausschuss seine knappe Zeit vorwiegend darauf verwenden, die menschenrechtlich relevanten Fragen zu prüfen, nämlich inwieweit die Wsk–Rechte verwirklicht sind. Ermittlungen, ob der Staat sich rechtfertigen kann, dienen nämlich nur diesem und würden den Ausschuss wertvolle Zeit kosten. Dies entspricht auch dem Sinn des Sozialpakts, der die Menschenrechtssituation verbessern, nicht aber die Staatensouveränität schützen will. Zwischenfazit: Der Wissensvorsprung und das Interesse des Mitgliedslands, sich zu exkulpieren, rechtfertigen es, bei den Fragen des Ermessens vom Verhandlungs– oder Beibringungsgrundsatz auszugehen. So sieht es auch der Ausschuss.61 Das führt dazu, dass der Ausschuss jede Ermessensausübung, auf die sich der Staat nicht beruft, als nicht vorhanden ansehen muss. Das kann jedoch nicht dazu führen, dass der Ausschuss nur die Informationen in die Berichtsbewertung einfließen lassen darf, die der Staat in seinem Bericht genannt hat. Denn der Ausschuss fordert in seiner Verfahrensordnung NGOs und UN–Sonderorganisationen dazu auf, umfassende Auskünfte darüber zu geben, inwieweit die Rechte verwirklicht sind.62 Dies macht nur Sinn, wenn der Ausschuss diese Angaben auch verwerten darf. Nennt also eine NGO Daten, darf der Ausschuss diese aufgreifen.63 Andernfalls wäre auch die Missbrauchsgefahr groß: Staaten könnten die Situation beschönigen, indem sie dem Ausschuss Fakten vorenthalten oder fehlerhafte Berichte abliefern.64 Auch muss den Staaten die Möglichkeit genommen werden, sich bei verbaler Bekräftigung der Menschenrechtsnormen durch ungenaue, 61
Dies verkennt Kokott a.a.O. (Fn. 59), S. 382, weil sie nur die bürgerlich– politischen Rechte und auch nur deren ressourcenfreie Dimensionen sieht. Allerdings sagt sie auf S. 421, dass es letztlich auf die Auslegung der jeweiligen Menschenrechtsnorm ankommt 62
Regeln 66 – 69, UN Doc. E/C.12/1990/4/Rev.1 i.V.m. ECOSOC Res. 1988/4 § 16. Siehe auch die Überschrift dieses Abschnitts: „Other sources of information“ und die Äußerungen des Ausschusses in UN Doc. E/1994/23 § 354 63 64
Riedel: Verhandlungslösungen, a.a.O. (Fn. 34), S. 6
Zu diesem Problem in der Praxis: Riedel: The IBSA Procedure, a.a.O. (Fn. 32), S. 62
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2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
parteiische, verschleiernde oder gar manipulierende Tatsachenfeststellungen ihren Verpflichtungen zu entziehen. Ein wirksamer Schutz der Wsk–Rechte ist deswegen nur gewährleistet, wenn der Ausschuss vom Staat vorgetragene Tatsachen auch überprüfen darf. Dass der Ausschuss subsidiär zur Sachverhaltsermittlung nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist, folgt aus dem öffentlichen Interesse, welches an der Richtigkeit seiner Menschenrechtsentscheidungen besteht. Wegen dieses öffentlichen Interesses sowie der Interessen der nicht formal als Partei am Berichtsprüfungsverfahren beteiligten Individuen kann es nicht allein den Staaten überlassen bleiben, die entscheidungsrelevanten Tatsachen beizubringen. Vielmehr muss der Ausschuss den wahren Sachverhalt erforschen, weil nur auf dieser Grundlage die Chance einer richtigen und menschenwürdigen Entscheidung gegeben ist.65 Das Zwischenergebnis lautet deswegen: Es gelten sowohl der Verhandlungs– als auch der Untersuchungsgrundsatz. Man kann dies folgendermaßen in Einklang bringen: Bei der Frage, inwieweit die Wsk– Rechte verwirklicht sind, ist der Ausschuss nicht auf die Verwendung des Tatsachenvortrags durch den Staat beschränkt. Er kann vielmehr selbst eine eigene Aufklärung des Sachverhalts veranlassen und durchführen. Weil ein öffentliches Interesse an der Richtigkeit von Menschenrechtsentscheidungen besteht, ist er hierzu auch verpflichtet. Andererseits gilt bei der Frage, ob sich der Staat durch seinen Ermessensspielraum rechtfertigen kann, das Prinzip der formellen Wahrheit und damit der Verhandlungsgrundsatz, weil diese Rechtfertigungsmöglichkeit allein dem Interesse des Staates dient und dieser die Beweismittel leichter beschaffen kann.66 Die Darlegungspflicht des Staats gilt in beiden Fällen, jedoch unterscheiden sich die „Sanktionen“. Im Bereich der Rechtsverwirklichung ermittelt der Ausschuss die materielle Wahrheit anderweitig, im Bereich des Ermessens werden Rechtfertigungsgründe nicht berücksichtigt. Sinnvoll wäre daher ein zweistufiges Vorgehen, bei dem der Ausschuss zuerst prüft, ob alle verfügbaren Ressourcen eingesetzt wurden und inwieweit die Rechte verwirklicht sind. In einem zweiten Schritt gibt er dann dem Staat die Möglichkeit, sich zu rechtfertigen. Er ist aber nur beim ersten Schritt, nicht beim zweiten verpflichtet, eigene Ermittlungen anzustellen. Trägt der Staat also keine Rechtfertigungsgründe vor, 65 66
Vgl. Kokott a.a.O. (Fn. 59), S. 388 f. Vgl. Riedel: Universeller Menschenrechtsschutz, a.a.O. (Fn. 39), S. 52
Kapitel 2: Das Berichtsprüfungsverfahren
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so kann der Ausschuss ohne Weiteres in seinen „Concluding observations“ alle Fälle rügen, in denen die Wsk–Rechte nicht bestmöglich verwirklicht sind. Man mag einwenden, dass Verhandlungs– und Inquisitionsmaxime niemals in einem Verfahren verbunden sind. Dies ist jedoch nur ein terminologisches Problem. Man könnte nämlich auch sagen, dass im Verfahren vor dem Ausschuss eine Art Untersuchungsgrundsatz gilt, aber mit extrem scharfen Mitwirkungsobliegenheiten. Am Ergebnis würde das nichts ändern.67
3.) Non–liquet–Situationen Liest man die „Concluding observations“, scheint der Ausschuss auf den ersten Blick offenzulassen, ob Informationen seiner Ansicht nach wahr sind oder nicht. Er geht auf die Frage gar nicht ein, sondern schreibt: „According to non–governmental sources [...]“.68 Da diese Aussagen jedoch unter der Überschrift „Principal subjects of concern“ zu finden sind, also dort, wo der Ausschuss seine Bedenken äußert, liegt es nahe, dass er den NGO–Quellen Glauben geschenkt hat. Es geht aus den Bemerkungen des Ausschusses nicht hervor, ob die Staaten diese Informationen bestritten haben. Was aber, wenn das der Fall ist? Das Berichtsprüfungsverfahren hat den Sinn, die Staaten bei der Verwirklichung der Wsk–Rechte zu disziplinieren. Daher gebietet der Sozialpakt, dass tatsächlich erfolgte Menschenrechtsverletzungen auch festgestellt werden. Man kann sich somit nicht auf Dauer mit weichen, staatsschonenden Formulierungen begnügen, auch wenn dies die Zusammenarbeit zwischen Ausschuss und Staat erleichtern mag.69 Deswegen ist die Frage relevant, zu wessen Nachteil es gehen soll, wenn sich nicht nachweisen lässt, inwieweit die Wsk–Rechte in bestimmten Fällen verwirklicht oder nicht verwirklicht sind. 67
Vgl. Kokott a.a.O. (Fn. 59), S. 393 f., die darauf hinweist, dass der faktische Unterschied zwischen Verhandlungsgrundsatz und negativer Würdigung mangelnder Kooperation bei der Aufklärung des Sachverhalts nur gering ist 68
UN Doc. E/C.12/1996/SR.30 § 16; E/C.12/1994/5 § 15; so auch Committee Against Torture UN Doc. CAT/C/SR.274§ 11; und Committee on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination UN Doc. A/49/18 § 546 69
Kokott a.a.O. (Fn. 59), S. 377 f. geht sogar davon aus, dass im Völkerrecht ein Non–liquet–Verbot bestehe
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2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
Betrifft die Frage im Schwerpunkt das staatliche Ermessen, so steht das Ergebnis fest: Hier gilt die Verhandlungsmaxime. Wenn der Staat nicht beweisen kann, dass er seine Ressourcen anderweitig eingesetzt hat, geht dies zu seinen Lasten. Dies ist auch gerecht, weil er die Beweismittel beherrscht. Was ist aber mit den Fällen, in denen der Ausschuss eine Untersuchungspflicht hat? Der Ausgangspunkt lautet: Hier gibt es nur eine objektive Beweislast („burden of persuasion“). Die Frage ist also, zu wessen Lasten es geht, wenn sich eine entscheidungserhebliche Tatsache nicht nachweisen lässt. Eine subjektive Beweislast existiert demgegenüber nicht.70 Aus dem Grundsatz der Souveränität könnte man zunächst schließen, dass es dem Staat nicht zum Nachteil gereichen dürfe, wenn sich nicht feststellen lässt, inwieweit die Wsk–Rechte verwirklicht sind. Denn aus dem Selbstbestimmungsprinzip folge, dass sich Staaten im Zweifel möglichst wenig binden wollen.71 Muss der Staat das Risiko der Nichterweislichkeit tragen, bedeutet das eine verstärkte Bindung. Der Sozialpakt könnte also souveränitätsschonend dahingehend auszulegen sein, dass der Staat – von den genannten Ausnahmefällen abgesehen – nie beweisbelastet ist. Dem Gedanken in dubio pro souveraenitae liegt aber eine im Menschenrechtsschutz und wohl generell im modernen Völkerrecht unangemessene einseitige Betonung staatlicher Souveränität zugrunde. Außerdem widerspräche diese Auslegung dem völkerrechtlichen Effektivitätsprinzip („effet utile“), wonach ein völkerrechtlicher Vertrag so auszulegen ist, dass sein Vertragszweck bestmöglich verwirklicht wird.72 Der Verwirklichung der Wsk–Rechte wäre aber wenig gedient, wenn der Ausschuss dem Staat jede Rechtsverletzung nachweisen müsste. Der Nachteil für beweisbelastete Staaten ist auch nicht so groß, wie er zunächst scheinen mag. Denn der Ausschuss wird an der Richtigkeit der staatlichen Informationen nur dann zweifeln, wenn er über Zusatzinformationen aus anderen Quellen verfügt. Da der Staat aber die Beweismittel auf seinem Gebiet rechtlich und faktisch kontrolliert, ist es 70
Vgl. Kokott a.a.O. (Fn. 59), S. 390
71
Zum In–dubio–mitius–Prinzip: Christoph Herrlich: Internationale Menschenrechte als Korrektiv des Welthandelsrechts, 2005, S. 55; Kokott a.a.O. (Fn. 59), S. 405 72 Hans–Joachim Cremer, in: Grote/Marauhn (Hrsg.): EMRK/GG, 2006, Kapitel 4 Rn. 23
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gerecht, wenn er auch dafür Sorge tragen muss, derartige Zweifel auszuräumen.73 Die Übermacht einer Partei ist ja auch im deutschen Recht oftmals der Grund, weshalb es zu einer Beweislastumkehr kommt.74 Dem Staat kommt überdies zugute, dass es im Verfahren vor dem Ausschuss keinen Strengbeweis gibt, denn ein solcher müsste ausdrücklich normiert sein. Um einen effektiven Menschenrechtsschutz sicherzustellen, sind vielmehr prinzipiell alle Beweismittel zugelassen. Aus Gründen der Fairness gilt dieses Prinzip gleichermaßen für alle Verfahrensbeteiligten. Deswegen kann sich auch der Staat grundsätzlich mit allen erdenklichen Beweismethoden rechtfertigen. Schlimmstenfalls droht dem Staat ein Regierungswechsel, sollte ihm fälschlicherweise eine Verletzung der Wsk–Rechte angekreidet werden.75 Werden umgekehrt diese Rechte verletzt, ohne dass der Ausschuss dies feststellt, geht das zu Lasten der betroffenen Individuen. Der Sozialpakt dient aber gerade diesen Individuen und soll nicht den Staat schützen. Deshalb ist es seinem Zweck dienlicher, wenn eine Regierung abgewählt wird, als wenn sie Menschenrechtsverletzungen begeht, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. Fazit: Damit der Menschenrechtsschutz effektiv ist, trägt grundsätzlich der Staat die Beweislast.76
4.) Das Beweismaß Das deutsche Recht geht vom Grundsatz der vollen richterlichen Überzeugung in allen Verfahren – Strafverfahren, öffentlich–rechtlichen und zivilrechtlichen Prozessen – aus.77 Demgegenüber kennt der angloamerikanische Rechtskreis in zivilrechtlichen Verfahren die einfache, überwiegende Wahrscheinlichkeit („preponderance of probabilities“), in 73
Bleckmann: Ermessensfehlerlehre, a.a.O. (Fn. 47), S. 257 f.
74
Besonders deutlich wird dies in § 1 Abs. 4 Satz 2 Produkthaftungsgesetz, kommt aber auch in § 476 BGB zum Vorschein 75
Vgl. Katarina Tomaševski: Responding to Human Rights Violations, 2000,
S. 404 76
Vgl. The Maastricht Guidelines §§ 8 und 13, enthalten in UN Doc. E/C.12/2000/13. Zu Ausnahmen siehe unten S. 363; Allgemein für eine Beweislastumkehr im Rahmen völkerrechtlicher Kontrollverfahren: Bleckmann: Ermessensfehlerlehre, a.a.O. (Fn. 47), S. 251 77
Näher zu diesem Prinzip im verwaltungsgerichtlichen Verfahren: Kopp/Schenke a.a.O. (Fn. 31) § 108 Rn. 5
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2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
Strafverfahren die volle richterliche Überzeugung („evidence beyond a reasonable doubt“) und in gewissen Verfahren, in denen öffentliche Interessen im Spiel sind, einen dazwischen liegenden Wahrscheinlichkeitsgrad („clear and convincing evidence“).78 Dem amerikanischen Recht lässt sich somit der Grundsatz entnehmen, dass die Anforderungen an das Beweismaß mit der Bedeutung der betroffenen Individualinteressen steigen. In den innerstaatlichen Rechtsordnungen gilt demnach durchaus nicht einheitlich, dass das Gericht von der Wahrheit der seiner Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen voll überzeugt sein muss. Deshalb kann auch nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass in völkerrechtlichen Verfahren stets der Grundsatz der vollen richterlichen Überzeugung gilt.79 Zugunsten des Prinzips der vollen richterlichen Überzeugung könnte man anführen, dass die „Verurteilung“ eines Staates wegen Menschenrechtsverletzungen schwer wiegt, selbst wenn sie noch so diplomatisch formuliert wird. Auch könnte man behaupten, dass aufgrund der hohen Bedeutung der Menschenrechte und des individuellen und öffentlichen Interesses an der materiellen Richtigkeit von Menschenrechtsentscheidungen strengste Anforderungen an das Beweismaß zu stellen sind. Deshalb müssten alle Ausschussmitglieder sicher sein, dass die Tatsachen wahr sind, die den „Concluding observations“ zugrunde gelegt werden sollen. Gegen diese theoretischen Überlegungen mag man zwar einwenden, dass der Ausschuss ein Kollegialorgan ist. Man könnte daher meinen, dass es niemals dazu kommen werde, dass sich alle 18 Experten gleichermaßen gewiss sind. Allerdings trifft der Ausschuss seine Entscheidungen in der Praxis nach dem Konsensprinzip. Daraus folgt, dass tatsächlich alle Ausschussmitglieder übereinstimmend ihre Überzeugung bezüglich der Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsache bekunden würden. Man muss sich aber fragen, ob es tatsächlich gerechtfertigt ist, wenn hier im Ergebnis der gleiche Grad an Gewissheit bestehen muss, wie er für das Strafverfahren vorgeschrieben ist. Im Strafverfahren gilt der Grundsatz in dubio pro reo nur, weil es sozial erträglicher ist, einen Schuldigen laufen zu lassen, als einen Unschuldigen grundlos mit dem Stigma einer kriminellen Sanktion zu belegen oder ihn gar ungerecht78 79
Kokott a.a.O. (Fn. 59), S. 396 Kokott a.a.O. (Fn. 59), S. 397
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fertigt seiner Freiheit zu berauben. Außerdem soll die Hürde des Schuldnachweises zur vollen Überzeugung des Gerichts helfen, die vergleichsweise schwache Stellung des Angeklagten gegenüber dem anklagenden Staat zu kompensieren. Diese Erwägungen lassen sich nicht auf den internationalen Menschenrechtsschutz übertragen.80 Anders als im nationalen Strafverfahren hat das Verfahrenssubjekt eine starke Stellung. Im Falle von negativen „Concluding observations“ drohen eine für die Regierung nachteilige Politikwende und internationale Schmach, aber keine Grundrechtseinschränkungen Einzelner. Menschenrechtliche Werte, die im nationalen Recht dem Prinzip in dubio pro reo zugrunde liegen, sprechen im Verfahren vor dem Ausschuss gerade zugunsten der internationalen Gemeinschaft. Denn es ginge zu Lasten der betroffenen Individuen, würde man einen Staat „freisprechen“, obwohl tatsächlich Menschenrechtsverletzungen vorliegen.81 Wie oben ausgeführt, soll der Sozialpakt aber die Individuen und nicht den Staat schützen. Anders als bei Strafverfahrensbestimmungen geht es nämlich im Sozialpakt nicht vorrangig um den Schutz des Verfahrenssubjekts. Die gleichen Gründe, die maßgeblich waren, um dem Staat die Beweislast aufzuerlegen, lassen sich für das Beweismaß heranziehen: Da der Staat innerhalb seines Hoheitsgebiets die Beweismittel kontrolliert und zudem wenig Interesse daran hat, dass ihn belastendes Material aufgedeckt wird, ist es gerechtfertigt, wenn er auch das Risiko einer Fehlentscheidung trägt.82 Diese Erkenntnisse beeinflussen auch die Grenzen der Amtsermittlungspflicht: Die Sachverhaltsermittlung muss weniger weit gehen, als wenn der Ausschuss voll überzeugt sein müsste.83 Diese These lässt sich noch untermauern, denn im Sozialpakt ist die Formulierung „zuverlässig bezeugte Menschenrechtsverletzungen“ – wie sie im 1503–Verfahren zu finden ist – gerade nicht enthalten.84 80 So der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte für Fälle des Verschwindenlassens von Personen, Velásquez Rodríguez Case, OAS/Ser.L/V/ III.19, Doc. 13, vom 29. Juli 1988, abgedruckt in: The American Journal of International Law, Vol. 83, Nr. 2 (April 1989), S. 361 (S. 365) 81 82 83 84
Kokott a.a.O. (Fn. 59), S. 421 Kokott a.a.O. (Fn. 59), S. 403 Vgl. Kokott a.a.O. (Fn. 59), S. 390
Der authentische, englische Wortlaut spricht von: „reliably attested violations of human rights and fundamental freedoms”, ECOSOC Res. 2000/3 vom
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2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
Insbesondere bei Beweisnot darf der Ausschuss somit bereits auf der Grundlage einer eindeutig überwiegenden Wahrscheinlichkeit („clear and convincing evidence“) entscheiden. Bislang wurde aber nur der Fall diskutiert, dass der Ausschuss die Angaben des Staates in Frage stellt. Was aber, wenn der Ausschuss stark daran zweifelt, dass in einem NGO–Bericht („alternative report“) behauptete Verletzungen von Wsk–Rechten tatsächlich vorliegen?85 Darf dann der Ausschuss zugunsten der Individuen dennoch den Staat in seinen „Concluding observations“ rügen? Oder muss der Ausschuss aus Gründen der Gleichbehandlung zugunsten des Staates entscheiden, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dagegen spricht, dass der Sozialpakt tatsächlich verletzt wird? Immerhin besteht ja die Möglichkeit, dass tatsächlich die Rechte nicht bestmöglich genossen werden. Der Ausschuss kann zwar theoretisch eigene Ermittlungen anstellen. Dies geschieht aber sehr selten, weil derartige Staatsbesuche mit hohem Kosten– und Zeitaufwand verbunden sind. Zudem benötigt er die Erlaubnis der jeweiligen Regierung, die nicht dazu verpflichtet ist, sie zu erteilen.86 Zugunsten des Staates könnte man anführen, dass der Beweis, dass etwas nicht stattgefunden hat, regelmäßig schwieriger zu führen ist als ein positiver Beweis. Deshalb verlangen nationale Rechtsordnungen den Nachweis von Negativa nur selten. Allerdings kann man auch argumentieren, dass der Staat Herr der Beweismittel ist und er sich damit ausreichend vor falschen Anschuldigungen schützen kann. Außerdem zielt der Sozialpakt darauf, die Wsk–Rechte der Individuen bestmöglich umzusetzen. Schließlich wird es auch nicht häufig vorkommen, dass NGOs falsche Informationen liefern, weil sie sonst international und national ihre Glaubwürdigkeit einbüßen.87
16. Juni 2000 § 2; einen Überblick über das 1503–Verfahren geben Tomaševski: Responding to Human Rights Violations, a.a.O. (Fn. 75), S. 29 f. sowie Monique C. Castermans–Holleman: The Protection of Economic, Social and Cultural Rights within the UN Framework, in: NILR 1995 S. 353 (S. 358 f.) 85
Ein Beispiel, wie es hierzu kommen kann, siehe oben S. 57
86
Vgl. Rainer Lagoni/Oliver Landwehr in: Simma: UN–Charta, a.a.O. (Fn. 8), Art. 62 Rn. 22 87
Verfahrensregel 69 Abs. 1 des Ausschusses ermöglicht es auch nicht allen NGOs, sondern nur solchen „in consultative status with the Council“ Informationen zu schicken. Zu den positiven Erfahrungen mit NGOs: Chinkin a.a.O. (Fn. 39), S. 59 f.
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Deswegen gilt der Grundsatz der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nur zugunsten des Individuums. Da der Staat aber die Gelegenheit haben muss, Vorwürfe auszuräumen, muss der Ausschuss den Staat so früh wie möglich hierzu anhören. Idealerweise sollte dies in der „list of issues“ erfolgen, spätestens aber im mündlichen Verfahren. Wenn sich die Regierung hierzu jedoch nicht äußert, darf der Ausschuss dies auch zu ihren Lasten verwerten, denn sie hat kein Schweigerecht. Fazit: Der Ausschuss darf bei Zweifeln grundsätzlich zugunsten der Individuen entscheiden. Dies gilt selbst dann, wenn er es nur für möglich, aber eher für unwahrscheinlich hält, dass ein Staat Wsk–Rechte verletzt. In diesem Fall muss er aber dem Staat Gelegenheit zur Stellungnahme geben, bevor er seine „Concluding observations“ erlässt.
5.) Zusammenfassung Der Ausschuss untersucht von Amts wegen, inwieweit die Wsk–Rechte realisiert sind. Deckt er hierbei kritische Situationen auf, ist er allerdings nicht verpflichtet und auch nicht berechtigt, zu prüfen, ob der Staat diese rechtfertigen kann. Vielmehr obliegt es dem Staat aufgrund seiner Souveränität, die Ermessenserwägungen mitzuteilen. Kommt er dem nicht nach, hat er den Nachteil, weil der Ausschuss dann gegebenenfalls von einer Vertragsverletzung ausgehen darf. Die objektive Beweislast trägt immer der Staat. Wegen der Effizienz des Menschenrechtsschutzes darf der Ausschuss bereits dann von einer Paktverletzung ausgehen, wenn diese überwiegend wahrscheinlich ist.
IV. Die Rechtsfolgen des Berichtsprüfungsverfahrens 1.) Die Rechtsfolgen der „Concluding observations“ im System der Vereinten Nationen Das Wichtigste vorab: Wenn ein Staat seine Pflichten aus dem IPwskR nicht befolgt, zieht dies keine unmittelbaren internationalen Folgen nach sich. Weder der Ausschuss noch ein anderes internationales Organ können wegen Verletzung des IPwskR Sanktionen verhängen.88 Diese
88 Eibe Riedel/Sven Söllner: Studiengebühren im Lichte des UN– Sozialpakts, JZ 61 (2006), S. 270 (276); Michael K. Addo: The justiciability of economic, social and cultural rights, in: Commonwealth Law Bulletin 1988,
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2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
Aussage relativiert sich aber, wenn man sich besinnt, dass die mangelnde Vollstreckbarkeit ein Manko ist, das grundsätzlich der gesamten Völkerrechtsordnung immanent ist.89 Im Völkerrecht gibt es keine automatische Verknüpfung zwischen dem materiellen Recht einerseits und den Handlungsmitteln zum Zwecke der Rechtsdurchsetzung andererseits. Die Einhaltung des Völkerrechts beruht in weitem Umfang auf informellen Verfahren, insbesondere aber auf der Einsicht der Beteiligten, dass ihnen Rechtstreue langfristig mehr bringt als Nichtachtung der sie verpflichtenden Normen.90 Nur wo sich Staaten ausdrücklich einer internationalen Gerichtsbarkeit und deren Folgen unterwerfen, kann von einem gewissen Zwang gesprochen werden.91 Leider konnte ein weltweites System mit effektiven Rechtsmitteln, etwa in der Form eines internationalen Gerichtshofs für Menschenrechte, nicht durchgesetzt werden.92 Schon früh wurde das vorgeschlagen,93 doch stets mehrheitlich abgelehnt.94 Nur in Europa und USA wurde die letzte Stufe eines gerichtlichen Schutzes erreicht.95 So erlauben dann auch Teil IV des Sozialpakts und die UN–Charta
S. 1425 (S. 1427); Leckie: The Committee on Economic, Social and Cultural Rights, a.a.O. (Fn. 34), S. 130; Scheinin: Expert meeting, a.a.O. (Fn. 51), S. 6 89
Tomaševski: Responding to Human Rights Violations, a.a.O. (Fn. 75), S. 19; Volker Diesbach: Völkerrechtliche Garantien der Presse– und Informationsfreiheit, 1977, S. 84 90
Christian Tomuschat: Menschenrechtsschutz und innere Angelegenheiten, in: Deutsche Sektion der Internationalen Juristen–Kommission (Hrsg.): Eingriff in die inneren Angelegenheiten fremder Staaten zum Zwecke des Menschenrechtsschutzes, S. 5 (S. 8) 91 Selbst die Entschädigungsregelung in Art. 41 EMRK erlaubt dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nur, eine Rechtsfolge auszusprechen. Weigert sich ein Vertragsstaat, die Entschädigung auszuzahlen, ist der Gerichtshof machtlos 92
Riedel: New Bearings to the State Reporting Procedure, a.a.O. (Fn. 32), S. 346; Tomuschat: Menschenrechtsschutz und innere Angelegenheiten, a.a.O. (Fn. 90), S. 8 93
Australien in: UN Doc. E/CN.4/AC.1227 (1948)
94
Karl Josef Partsch: Menschenrechte, allgemein, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.): Handbuch Vereinte Nationen a.a.O. (Fn. 6), S. 544 (S. 548) 95
Vgl. dazu die Entschädigungsregeln in den Art. 41 EMRK, 213 U.N.T.S. 222 und 63 Abs. 1 der Amerikanischen Konvention über Menschenrechte O.A.S. Treaty Series No. 36, 1144 U.N.T.S. 123
Kapitel 2: Das Berichtsprüfungsverfahren
73
selbst bei schwersten Menschenrechtsverletzungen lediglich den Erlass von Empfehlungen.96 Fazit: Zur Durchsetzung der Menschenrechte des Sozialpakts gibt es keine kollektiven Verfahren dergestalt, wie sie in Teilbereichen des Völkerrechts bereits üblich sind.97
2.) Die Konsequenzen formell mangelhafter Berichte a) Die Praxis des Ausschusses Manchmal verweigern Staaten Antworten auf Fragen des Ausschusses oder reagieren nur oberflächlich.98 Schließlich kann keine Regierungsdelegation gezwungen werden, auf Fragen einzugehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.99 Aber immerhin hat der Ausschuss Druckmittel gefunden, um die Staaten zu einer rechtzeitigen, korrekten und vollständigen Berichterstattung zu bewegen. Kommen die Staaten ihrer Berichtspflicht nicht fristgerecht nach, prüft der Ausschuss den Grad der Verwirklichung der Wsk–Rechte ohne einen Bericht, anhand von Alternativinformationen.100 Außerdem pran-
96
Art. 18 – 22 IPwskR; 62 Abs. 1; 63 Abs. 2 UN–Charta. Siehe auch Verfahrensregel 64 des Ausschusses: „The Committee shall make suggestions and recommendations of a general nature on the basis of its consideration of reports submitted by States parties (…).” 97
Etwa Art. 64 TRIPs–Abkommen i.V.m. Art. XXIII Abs. 2 Satz 4 GATT: „Aussetzung von Vorteilen“ oder die Maßnahmen des UN–Sicherheitsrats nach Kapitel VII der UN–Charta 98
Riedel: New Bearings to the State Reporting Procedure, a.a.O. (Fn. 32), S. 347; Toebes: The Right to Health, a.a.O. (Fn. 34), S. 98 99 100
Tomuschat: Staatenberichte, a.a.O. (Fn. 7), S. 563
Committee on Economic, Social and Cultural Rights: Report on the eighteenth and nineteenth sessions, UN Doc. E/1999/22 §§ 43 – 45; NGO participation, a.a.O. (Fn. 38), §§ 28 f.; Beispiele aus der Ausschusspraxis in UN Doc. E/2002/22; E/C.12/2001/17 § 46. Siehe auch: Riedel: New Bearings to the State Reporting Procedure, a.a.O. (Fn. 32), S. 347; UN Centre for Human Rights a.a.O. (Fn. 11), S. 25; Kitty Arambulo: Drafting an Optional Protocol to the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: U.C. Davis Journal of International Law & Policy 1996, S. 111 (S. 126); vgl. auch Art. 36 Abs. 2 der Behindertenrechtskonvention a.a.O. (Fn. 34)
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2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
gert er die Verspätung öffentlich an.101 Das ist ihm gestattet, weil die Staaten ihre formellen Pflichten und damit den Sozialpakt verletzen. Es ist auch notwendig, weil eine befriedigende Tatsachenermittlung ohne Mitwirkung des betroffenen Staates nur schwer möglich ist. Er verfügt nämlich über mehr Informationen als NGOs und UN–Sonderorganisationen. Selbst wenn die Regierung ihren Bericht fristgerecht abliefert, darf der Ausschuss zusätzliche Informationsquellen nutzen, um diesen auf seine Wahrheit und Vollständigkeit hin zu prüfen.102 Das gestatten der Sozialpakt selbst103 und das allgemeine Rechtsprinzip der freien Beweiswürdigung.104 Nach letzterem Grundsatz darf die Verletzung staatlicher Pflichten zur Mitwirkung und Aufklärung des Sachverhalts, wie sie in Artikel 16 IPwskR normiert ist, zu gewissen Nachteilen für kooperationsunwillige Staaten führen. Der Ausschuss kann also davon ausgehen, dass der bei der Tatsachenfeststellung nicht mitwirkende Staat Menschenrechtsverletzungen verbergen will.105 Fazit: Der Ausschuss hat einen zulässigen Weg gefunden, damit die Staaten ihre Berichte rechtzeitig, vollständig und wahrheitsgemäß abliefern. Dieser besteht darin, dass die materielle Wahrheit dann ohne Staatenbericht ermittelt wird.
101
http://www.unhchr.ch/tbs/doc.nsf/newhvoverduebytreaty. Am 20.2.2007 waren 215 Berichte überfällig. Zu dieser „schwarzen Liste“ Riedel: Universeller Menschenrechtsschutz, a.a.O. (Fn. 39), S. 48. Marauhn a.a.O. (Fn. 2), S. 257 bezeichnet dies als „naming and shaming“. Allgemein zu den Problemen mit verspäteten Berichten Riedel: The IBSA Procedure, a.a.O. (Fn. 32), S. 62 f. 102
Tomuschat: Staatenberichte, a.a.O. (Fn. 7), S. 563 f.; Leckie: The Commitee on Economic, Social and Cultural Rights, a.a.O. (Fn. 34), S. 130 103
Art. 18 IPwskR. Siehe auch Verfahrensregel 67 des Ausschusses i.V.m. ECOSOC Res. 1988/4 § 15, sowie ECOSOC Res. 1988 (LX) §§ 6 und 9 (b) vom 11. Mai 1976 104 105
Zu diesem allgemeinen Rechtsgrundsatz: Kokott a.a.O. (Fn. 59), S. 392
Kokott a.a.O. (Fn. 59), S. 390. Weitergehend Art. 44C der Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte: „Fehlende Mitwirkung – (1) Bringt eine Partei vom Gerichtshof erbetene Beweise oder Informationen nicht bei oder gibt sie sachdienliche Informationen nicht von sich aus weiter oder lässt sie es in anderer Weise an einer Mitwirkung in dem Verfahren fehlen, so kann der Gerichtshof daraus die ihm angebracht erscheinenden Schlüsse ziehen.“, Fundstelle dieser Übersetzung: BGBl. Bundesgesetzblatt Jahrgang 2006 Teil II Nr. 21, S. 693
Kapitel 2: Das Berichtsprüfungsverfahren
75
b) Prozessrechtlicher Lösungsvorschlag Um die Vollständigkeit der Berichte durchzusetzen, könnte der Ausschuss die Staaten mit ihrem Ermessenseinwand präkludieren. Das würde bedeuten, dass ein Staat schlechte Werte nicht mehr mit seinem Entscheidungsspielraum rechtfertigen kann, sollte er seine Ermessenserwägungen im Staatenbericht nicht angegeben haben. Sinnvoll wäre eine Präklusion vor allem, wenn die Regierung keinen Report abliefert. Nach der bisherigen Ausschusspraxis wird sie zwar auch ohne Staatenbericht zur mündlichen Sitzung eingeladen. Es wäre ihr jedoch verwehrt, den Ausschuss mit Ermessenserwägungen zu überraschen, die er in der Kürze der Zeit nicht nachvollziehen kann. Mit der Präklusion hätte man also ein weiteres Druckmittel, um die Staaten zu einer rechtzeitigen Berichterstattung zu bewegen. Ein weiterer Vorteil wäre, dass die Staaten nicht mehr im selben Umfang wie bisher aufgefordert werden müssten, Informationen nachzuliefern.106 Dadurch würde zwar der konstruktive Dialog erschwert, der Druck auf die Staaten jedoch erhöht, die Umstände nicht zu beschönigen. Fazit: Eine Präklusion wäre ein prozessrechtliches Novum. Sie stünde allerdings auf einer Linie mit den übrigen unter a) aufgeführten Verfahrenssanktionen des Ausschusses.
3.) Politische Sanktionsmöglichkeiten Steigt der außen– oder innenpolitische Druck, sehen sich Regierungen oftmals gezwungen, die Menschenrechtssituation zu verbessern.107 Nationalen wie auch internationalen Institutionen kommt dabei zugute, dass sämtliche wesentlichen Dokumente veröffentlicht werden: die Staatenberichte, die Fragen und Antworten sowie die „Concluding observations“.108 Die Institutionen erhalten so Einblick in die Regierungspolitik und können gezielte Forderungen stellen.109 106
Vgl. Regel 63 der Verfahrensordnung des Ausschusses a.a.O. (Fn. 38)
107
Eibe Riedel im Zusammenhang mit den außervertraglichen Verfahren, in: Der internationale Menschenrechtsschutz. Eine Einführung, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Menschenrechte – Dokumente und Deklarationen, 4. Auflage 2005, S. 26 108 109
Verfahrensregel 31 des Ausschusses
General Comment Nr. 1 enthalten in: UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7, § 5; Riedel/Söllner a.a.O. (Fn. 88), S. 276
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2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
Unter diese Institutionen fallen zunächst die Nichtregierungsorganisationen. Deren Einfluss geht heute so weit, dass sie teilweise dem Ausschuss Parallelreporte zu den Staatenberichten vorlegen.110 Zudem sorgen sie für die innerstaatliche und die internationale Verbreitung der Ergebnisse des Berichtsverfahrens. Auf diese Weise wächst der politische Druck auf die Regierungen. Dass NGOs national erheblichen Einfluss haben, zeigt sich daran, dass viele Staaten ihre Eingaben in die Berichte einarbeiten.111 Zudem können NGOs der Opposition im Land den Rücken stärken und auf diese Weise einen Machtwechsel herbeiführen. Selbst wenn es nicht so weit kommt, kann sich die Regierung zu taktischen Zugeständnissen bei der Umsetzung der Wsk–Rechte gezwungen sehen.112 In einer empirischen Studie deutete sich an, dass es zumindest in wirtschaftlich schwachen Staaten dieser innenpolitische Druck ist, der zu einer verbesserten Menschenrechtssituation führt.113 Auch der außenpolitische Druck ist relevant. Drittstaaten haben theoretisch die Möglichkeit, auf Menschenrechtsverletzungen mit einer Retorsion zu antworten.114 Unter einer Retorsion (Zurückdrehung; lateinisch: retorsio) versteht man eine an sich dem Völkerrecht voll entsprechende Zwangsmaßnahme, welche Antwort auf eine Völkerrechtsverletzung sein kann. Die Retorsion wird auch als „unfreundliches Verhal-
110
Riedel: Universeller Menschenrechtsschutz, a.a.O. (Fn. 39), S. 39; ders.: The IBSA Procedure, a.a.O. (Fn. 32), S. 63; Leckie: The Commitee on Economic, Social and Cultural Rights, a.a.O. (Fn. 34), S. 134. Der Ausschuss fordert sie hierzu auf in: NGO participation, a.a.O. (Fn. 38), § 22 111
General Comment Nr. 1 a.a.O. (Fn. 109) § 5
112
Beispiele bei Leckie: The Commitee on Economic, Social and Cultural Rights, a.a.O. (Fn. 34), S. 134 (Domenikanische Republik, Panama, die Philipinen und Israel) 113 Sogenanntes „Spiralmodell“: Würth/Seidensticker a.a.O. (Fn. 1), S. 12; vgl. auch die Untersuchung bei Karl–Dieter Opp: Methodologie der Sozialwissenschaften, 6. Auflage, 2005, S. 41 – 43 114
Tomuschat: Menschenrechtsschutz und innere Angelegenheiten, a.a.O. (Fn. 90), S. 18; Beispiele bei: Tomaševski: Responding to Human Rights Violations, a.a.O. (Fn. 75), S. 378
Kapitel 2: Das Berichtsprüfungsverfahren
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ten“ bezeichnet.115 Von Retorsionen zugunsten der Menschenrechte wird allerdings nur selten Gebrauch gemacht.116 Dessen ungeachtet leidet das Prestige eines Staates sehr stark, wenn er einen völkerrechtlichen Vertrag verletzt.117 Verstöße gegen den Sozialpakt bilden keine Ausnahme. Prestige wird nämlich heute nicht mehr durch Macht und Reichtum, sondern nur dann gefördert, wenn der Staat seine Kooperationsbereitschaft beweist: Nur wenn sich die anderen Länder auf die Zusagen des Vertragspartners verlassen können, werden neue Abkommen geschlossen. Ein Staat ist aber zumindest aus wirtschaftlichen Gründen daran interessiert, mit anderen Staaten zusammenzuarbeiten und mit ihnen Verträge zu schließen. Das gibt jedem Paktmitglied Anreize, die Vorschriften des Sozialpakts möglichst genau einzuhalten.118 Weitere internationale Druckmöglichkeiten sind Maßnahmen der UNO selbst.119 Nach Artikel 21 IPwskR120 beispielsweise kann der ECOSOC an die UN–Generalversammlung in Kurzform über die Verwirklichung der Wsk–Rechte in den Staaten berichten. Er kann darauf hinweisen, dass ein Land in vielfacher Hinsicht gegen die Standards des Sozialpakts verstößt.121 Er hat sogar die Möglichkeit, Empfehlungen an die Gene115
Albert Bleckmann: Völkerrecht, 2001, S. 351
116
Tomuschat: Menschenrechtsschutz und innere Angelegenheiten, a.a.O. (Fn. 90), S. 18 117 Jack Donnelly: The Relative Universality of Human Rights, in: HRQ 2007, S. 281 (S. 289); Bleckmann: Völkerrecht a.a.O. (Fn. 115), S. 333; in diesem Sinne auch die Stellungnahme Italiens während der Paktausarbeitung in UNESCO Doc. 28/EX/2 Add. 1 vom 27. Oktober 1951, S. 6 118
Vgl. Pae a.a.O. (Fn. 1), S. 71. Kritisch zur Glaubwürdigkeit der USA bei der Einhaltung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechtsstandards Philip Alston: US–Ratifikation of the Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: American Journal of International Law 1990 S. 365 (S. 384) 119
Beispiele bei: Tomaševski: Responding to Human Rights Violations, a.a.O. (Fn. 75), S. 34 – 56 120
Die Kompetenzen des ECOSOC ergeben sich insoweit bereits aus Art. 62 UN–Charta. Art. 21 IPwskR ist aber „lex spezialis“, weil er noch besondere Anforderungen an die Berichte enthält 121
Addo a.a.O. (Fn. 88), S. 1427; vgl. auch Scheinin: Expert meeting, a.a.O. (Fn. 51), S. 6, dort Anm. 12; eine unzureichende Praxis des ECOSOC beklagt Gert Westerveen: Towards a System for Supervising States’ Compliance with the Right to Food, in: Philip Alston/ Katarina Tomaševski, (Hrsg.): The Right to Food, 1984, S. 119 (S. 121)
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2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
ralversammlung zu richten, die dann ihrerseits nach Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 3 der UN–Charta Maßnahmen empfehlen kann.122 Zwar sind diese Empfehlungen rechtlich unverbindlich,123 können jedoch politisch wirksam sein.124 Für die Formulierung steht eine reichlich nuancierte Wortwahl zur Verfügung. Die unterste Stufe lautet „invites“ (bitten), etwas verstärkt ist „expresses concern“ (Besorgnis zum Ausdruck bringen). Besonders gravierende Verletzungen des Völkerrechts werden mit „condemns“ (verurteilen) oder gar mit „strongly condemns“ (scharf verurteilen) bewertet.125 Es ist davon auszugehen, dass andere Gremien diese Wertungen aufnehmen und sie in ihrer Politik durchsetzen.126 Nach Artikel 57 in Verbindung mit Artikel 63 Absatz 2 UN–Charta sind die UN–Sonderorganisationen sogar dazu verpflichtet, die Empfehlungen des ECOSOC aufzunehmen. Zwar kann der ECOSOC den UN–Sonderorganisationen keine verbindliche Politik vorschreiben. Andererseits ist es den Organisationen aber nicht erlaubt, die Empfehlungen gänzlich unbeachtet zu lassen.127 Insoweit besteht sogar eine gewisse rechtliche Verbindlichkeit. Auf den ersten Blick unbedeutend wirken außenpolitische Maßnahmen mit dem Ziel der innenpolitischen Einflussnahme. Indessen wird teilweise sogar behauptet, ohne internationale Mobilisierung lasse sich die innenpolitische Opposition nicht stärken.128 Fest steht jedenfalls, dass auch auf internationaler Ebene Menschenrechtsverletzungen durch politische Maßnahmen entgegengewirkt werden kann. Beachtlich ist in diesem Zusammenhang das Gewicht der NGOs. Durch ihre rechtliche Anerkennung,129 ihre grenzüberschreitende Organisation und die Einflussnahme auf das Berichtsprüfungsverfahren130 haben sie nicht nur 122
Zu weiteren Möglichkeiten des ECOSOC nach Art. 103 der UN–Charta: Alston: The United Nations’ Specialized Agencies a.a.O. (Fn. 25), S. 113 f. 123
Rainer Lagoni: ECOSOC – Wirtschafts– und Sozialrat, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.): Handbuch Vereinte Nationen a.a.O. (Fn. 6), S. 90 (S. 95); Tomuschat: Menschenrechtsschutz und innere Angelegenheiten, a.a.O. (Fn. 90), S. 17 124
Dazu: Pae a.a.O. (Fn. 1), S. 90
125
Tomuschat: Menschenrechtsschutz und innere Angelegenheiten, a.a.O. (Fn. 90), S. 17 126 127 128 129 130
Ibidem Lagoni a.a.O. (Fn. 123), S. 93 Würth/Seidensticker a.a.O. (Fn. 1), S. 12 Resolution 288 B (X) § 7 des ECOSOC vom 27.2.1950 Siehe oben S. 55
Kapitel 2: Das Berichtsprüfungsverfahren
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innenpolitische Macht gewonnen, sondern können die internationale Gemeinschaft auf Menschenrechtsverletzungen hinweisen. Die Berichte des Ausschusses verschaffen ihnen erst die Basis, auf die sie sich bei ihrer transnationalen Öffentlichkeitsarbeit beziehen können.131 Natürlich gibt es auch NGOs, die international ein hohes Ansehen genießen – man denke etwa an Amnesty International. Aber erst die Arbeit des Ausschusses gewährt ihnen die Glaubwürdigkeit und die Ressourcen, die sie benötigen, um global zu überzeugen. Schließlich vermögen die „Concluding observations“ auch unmittelbar die Regierungen zu beeinflussen. Ein Staat, der es mit der Einhaltung der von ihm übernommenen Verpflichtung ernst nimmt, muss auch die Ergebnisse des Berichtsprüfungsverfahrens sehr sorgfältig bedenken. Wo die Menschenrechtslage ohnehin im Wesentlichen zufriedenstellend ist, wird meist Wert darauf gelegt, auch die wenigen Schwachstellen noch zu beseitigen.132 Tatsächlich wurden in vielen Fällen aufgrund der „Concluding observations“ Politik, Praxis und Gesetze geändert.133 Es würde auch gegen Treu und Glauben verstoßen, wollten die Länder diese Aussagen eines mit Experten besetzten Organs ignorieren.134 Die Staaten werden durch das Berichtsverfahren dazu angehalten, die aktuelle Situation in Bezug auf jedes Paktrecht regelmäßig zu überwachen. Sie müssen beobachten, welche Rechte von sämtlichen seiner Gesetzgebung und Gebietshoheit unterstehenden Personen genossen werden und welche nicht.135 Die Staaten erhalten hierdurch ein besseres Verständnis für die Probleme bei der Verwirklichung der Wsk–Rechte.136 Gewiss, verstößt ein Land gravierend gegen die Menschenrechte, so lässt es sich auch allein durch die Befragung von einem Kontrollgremi-
131 132
Würth/Seidensticker a.a.O. (Fn. 1), S. 15 Tomuschat: Staatenberichte, a.a.O. (Fn. 7), S. 565
133
UN Centre for Human Rights a.a.O. (Fn. 11), S. 23; Leckie: The Commitee on Economic, Social and Cultural Rights, a.a.O. (Fn. 34), S. 141 f. nennt als Beispiel die Domenikanische Republik, in der Vertreibungen erst durch den Einfluss des Ausschusses verhindert werden konnten 134 UN Centre for Human Rights a.a.O. (Fn. 11), S. 23 und 28. Der Grundsatz von Treu und Glauben ist in Art. 2 Abs. 2 UN–Charta und Art. 26 WVK verankert. Er wurde durch die Resolution 2625 (XXV) der Vollversammlung der UNO bestätigt 135 136
General Comment Nr. 1 a.a.O. (Fn. 109) § 3 Ibidem, § 8, vgl. auch Art. 17 Abs. 2 IPwskR
80
2. Teil: Der Sozialpakt und seine Überwachung im Allgemeinen
um kaum von rechtswidrigen Praktiken abbringen.137 Hier bedarf es dann der genannten politischen und völkerrechtlichen Druckmittel. Fazit: Das Staatenberichtsverfahren bietet erhebliche politische Einflussmöglichkeiten. Andererseits ist es die souveränitätsschonendste Kontrollmodalität.138
V. Zusammenfassung des Kapitels Die Beurteilungen des Ausschusses haben keine unmittelbaren Rechtsfolgen. Halten sich die Staaten nicht an die Empfehlungen des Ausschusses, so fehlen ihm die effizienten Folgeverfahren.139 Auch dem ECOSOC oder der Generalversammlung stehen keine Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung. Aus diesen Gründen ist es korrekter, beim Verfahren vor dem Ausschuss von einem politischen oder allenfalls quasi–gerichtlichen Verfahren zu sprechen, nicht aber von einem Gerichtsverfahren. Dazu passt, dass die Beweiserhebung und –würdigung weniger streng formalisiert ist. Grundsätzlich bringt der Staat den Prozessstoff ein, allerdings hat der Ausschuss das Recht, auch Informationen aus alternativen Quellen zu verwerten. Nach dem Gedanken des „effet utile“ gehen Tatsachenzweifel zu Lasten des Staates. Politische Druckmittel zur Realisierung der Wsk–Rechte sind in der Praxis wirkungsvoller, wenn der Ausschuss in seinen „Concluding observations“ eine Paktverletzung festgestellt hat. Aus diesem Grund ist es für den Ausschuss wichtig, beurteilen zu können, ob die Rechte des Sozialpakts hinreichend umgesetzt werden.
137
Tomuschat: Staatenberichte, a.a.O. (Fn. 7), S. 565
138
Riedel: Universeller Menschenrechtsschutz, a.a.O. (Fn. 39), S. 38; Tomuschat: Staatenberichte, a.a.O. (Fn. 7), S. 559 139
S. 347
Riedel: New Bearings to the State Reporting Procedure, a.a.O. (Fn. 32),
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten mit Indikatoren und Benchmarks Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells im Verfahren vor dem Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte „Wer eine Synthese recht prägnant in sich fühlt, der hat eigentlich das Recht zu analysieren, weil er am äußeren Einzelnen sein inneres Ganzes prüft und legitimiert.“ Johann Wolfgang von Goethe
I. Das Indikatorenmodell zur Messung des Grundsatzes der progressiven Verwirklichung Um eine Völkerrechtsverletzung festzustellen, muss der Ausschuss ermitteln, ob ein Staat den geforderten Entwicklungsstand bei der Verwirklichung der Wsk–Rechte erreicht hat. Dieser Zustand lässt sich nicht unmittelbar messen. Selbst wenn man die Frage nach dem Verwirklichungs–Soll einmal ausblendet: Wie will man den Ist–Zustand messen? Wie will man erkennen, ob ein Land seinen Einwohnern das Recht auf Gesundheit gewährt? Wie will man diagnostizieren, ob sichere Arbeitsbedingungen gewährleistet werden? Die in Teil III des IPwskR zusammengefassten Rechte enthalten keine Rechtssätze mit deskriptiven Tatbestandsmerkmalen, aus denen durch bloße Subsumtion bestimmte Rechtsfolgen abgeleitet werden können. Auch wenn man die einzelnen Elemente der Paktvorschriften genau definiert, lässt sich der Grad der Verwirklichung der Wsk–Rechte nicht bestimmen. Genau diesen Grad braucht man aber, um ihn mit dem Soll–Zustand abzugleichen. Nun sind Normen, bei denen zur Konkretisierung Definitionen allein nicht genügen, der Jurisprudenz seit langem bekannt. Handelt es sich bei derartigen Generalklauseln um Ermächtigungsnormen, lassen sie sich in Form einer Rechtsverordnung präzisieren. Damit wird das formelle Gesetz ausführbar. Im Polizeirecht kann dies
M. Duchstein, Das internationale Benchmarkingverfahren und seine Bedeutung für den gewerblichen Rechtsschutz, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 217, DOI 10.1007/978-3-642-12018-3_3, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010. All Rights Reserved.
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
sogar auf untergesetzlicher Ebene die Polizeiverordnung sein, die den uferlosen Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ ausfüllt. Allerdings handelt es sich bei den einzelnen Menschenrechten des IPwskR um keine Ermächtigungsnormen im engeren Sinne. Sie sind zwar weit gefasst, aber nicht darauf angelegt, auf völkerrechtlicher Ebene durch weitere Vorschriften präzisiert zu werden. Generalklauseln können jedoch auch durch Richterrecht oder sogar durch Gewohnheitsrecht konkretisiert werden. So erhielt § 138 Absatz 1 BGB erst durch die Fallgruppen der Sittenwidrigkeit sein heutiges Gepräge. Die Definition allein („Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“) trägt zur Präzisierung wenig bei.1 Bei den Fallgruppen lässt sich mittlerweile sogar von gewohnheitsrechtlich anerkannter Konkretisierung sprechen. Anders als bei der Anwendung dieser Zivilrechtsnorm geht es aber im Verfahren vor dem Ausschuss nicht um Einzelfälle. Dies wird sich zwar vermutlich in Kürze ändern, wenn am 10. Dezember 2008 das Fakultativprotokolls zum Sozialpakt verabschiedet wird, welches Individualbeschwerdemöglichkeiten vorsieht.2 Noch existiert aber nur ein Berichts1 2
Palandt–Heinrichs, 66. Auflage, 2007, § 138 Rn. 2
Zur Entwicklung des Protokolls siehe die Erklärung der Teilnehmerstaaten auf der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz, UN Doc. A/CONF.157/22 § 75; siehe auch die Äußerungen des Ausschusses in UN Doc. A/CONF.157/PC/62/Add.5, Anhang II; ferner den Bericht des UNO– Generalsekretärs, UN Doc. E/CN.4/1998/84; ECOSOC Decision 2000/254 vom 25. Juli 2002. Zur Einsetzung der „open–ended working group for an optional protocol“ siehe auch Resolution 2002/24 der UN– Menschenrechtskommission § 9 (f). Zu den Berichten der Arbeitsgruppe siehe UN Doc. E/CN.4/2004/44; E/CN.4/2005/52 und E/CN.4/2006/47. Individualbeschwerdeverfahren finden sich bereits in Artikel 19 VI des Protokolls von San Salvador zur Amerikanischen Menschenrechtskonvention, OAS Doc. OEA/Ser.L.V/II.82 doc.6 rev.1 § 67 (1992), Zusatzprotokoll zur Europäischen Sozialcharta Europaratdokument H (95) 8 vom 5. Juli 1995; Zusatzprotokoll zum Zivilpakt GA Res. 2200A (XXI) vom 16. Dezember 1966; Art. 14 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, GA Res 2106 (XX); Zusatzprotokoll zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, GA Res. A/54/4 und Art. 22 des Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe GA Res. 39/46. Vgl. auch das Hintergrundpapier des Generalsekretariats der Vereinten Nationen: Selection of case law on economic, social and cultural rights, UN Doc. E/CN.4/2005/ WG.23/CRP.1
Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells
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prüfungsverfahren. Obwohl dort ein einzelner Staatenbericht Gegenstand des Verfahrens ist, geht es um keinen Einzelfall. Der Staat ist nämlich dazu verpflichtet, einer Vielzahl von Menschen in einer unendlichen Menge von Situationen die Wsk–Rechte zu gewährleisten. Zudem müssen die Staaten nach Artikel 2 Absatz 1 IPwskR die Verwirklichung der Rechte fortwährend verbessern. Die Frage vor dem Ausschuss lautet also: Wie ist der Zustand betreffend des Paktrechts x im Staat y? Problematisch ist, dass die in den Paktrechten verwendeten Begriffe nicht direkt messbar sind. Gesundheit, soziale Sicherheit und Schutz der geistigen Interessen sind ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe. Es ist unmöglich, die Verwirklichung eines Paktrechts insgesamt mit den menschlichen Sinnen wahrzunehmen. Greifbar sind immer nur einzelne Rechtsbestandteile. Es bedarf also einer Konkretisierung. Der Ausschuss misst deswegen die Verwirklichung eines Paktrechts meist indirekt. Den theoretischen Begriffen in den Vorschriften des IPwskR werden beobachtbare Sachverhalte zugeordnet, so dass Messungen möglich werden.3 Es werden Indikatoren verwendet. Unter Indikatoren versteht man direkt beobachtbare, das heißt manifeste, Variablen.4 Sie dienen als Näherungswert für ein Phänomen, das nicht direkt messbar ist.5 Unter Variablen ist zu verstehen, dass unterschiedliche Ausprägungen einer Eigenschaft vorhanden sind.6 Beispielsweise ist Gesundheit (Artikel 12 Absatz 1 IPwskR) nicht direkt messbar. Aber die Säuglingssterblichkeitsrate ist ein Indikator für Gesundheit. Vergleicht man die Werte aufeinanderfolgender Staatenberichte, lässt sich die Entwicklung im zeitlichen Verlauf messen. Man begutachtet also, wie sich einzelnen Elemente eines Paktrechts verändern. Der Grundsatz der progressiven Verwirklichung wird damit operabel.7 3
UN Menschenrechtskommission: The new international economic order and the promotion of human rights, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1990/19 § 64 4 Rainer Schnell/Paul B. Hill/Elke Esser: Methoden der empirischen Sozialforschung, 7. Auflage, 2005, S. 131
5 Eibe Riedel: New Bearings to the State Reporting Procedure: Practical Ways to Operationalize Economic, Social and Cultural Rights – the Example of the Right to Health – , in: Sabine von Schorlemer (Hrsg.): Praxishandbuch UNO, 2003, S. 345 (S. 351) 6
Peter Atteslander: Methoden der empirischen Sozialforschung, 10. Auflage 2003 S. 53; Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 131; Andreas Diekmann: Empirische Sozialforschung, 10. Auflage, 1995, S. 100 7 General Comment Nr. 14, UN Doc. E/C.12/2000/4 § 57; UN Menschenrechtskommission, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1990/19 § 63
84
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
II. Die Grundlagen des Indikatorenmodells 1.) Indikatoren im Bereich der Sozialwissenschaft a) Zweck Begriff und Funktion des Indikators wurden in der empirischen Sozialforschung entwickelt. Die empirische Sozialforschung umfasst einen Wissenschaftsbereich, in dem theoretisch formulierte Annahmen an spezifischen Wirklichkeiten überprüft werden können.8 Man hat erkannt, dass es unmöglich ist, die soziale Wirklichkeit insgesamt sinnesgemäß wahrzunehmen. Die soziale Wirklichkeit insgesamt ist weder vorstellbar noch total erfassbar.9 Fassbar sind immer nur Ausschnitte. Daher verwendet man Indikatoren, um gesellschaftliche Veränderungen messbar zu machen. Meist geht es darum, eine sozialwissenschaftliche Theorie zu überprüfen.10 „Theorie“ meint hier eine Erklärung gesellschaftlicher Zusammenhänge. Indikatoren wurden entwickelt, weil man sich verdeutlichte, dass theoretische Begriffe oftmals nicht direkt beobachtbar sind.11 Statt des theoretischen Begriffs selbst werden dann einzelne seiner Ausprägungen betrachtet. Mit Hilfe von Indikatoren wird also der Schluss von einer niedrigeren auf eine höhere Abstraktionsebene vollzogen oder von einem empirischen Faktum auf einen theoretischen Begriff.12 Gemessen werden Richtung und Geschwindigkeit des sozialen Wandels.13 Zu den empirisch wahrnehmbaren sozialen Tatbeständen gehören: 1.) beobachtbares menschliches Verhalten, 2.) von Menschen geschaffene
8 9
Atteslander a.a.O. (Fn. 6), S. 3, 5 Atteslander a.a.O. (Fn. 6), S. 15
10
Katarina Tomaševski: Human Rights Indicators, in: dies./Philip Alston (Hrsg.): The Right to Food, 1984, S. 135 (S. 137); Karl Raimund Popper: Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie, 2. Auflage, 1994, S. 3 11
Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 131; Manfred Rehbinder: Rechtssoziologie, 5. Auflage, 2003, S. 66 12 13
Detlef Schwefel: Grundbedürfnisse und Entwicklungspolitik, 1978, S. 87
WHO: Entwicklungen von Indikatoren für die Beobachtung des Fortschreitens auf dem Wege zur Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000. Veröffentlicht durch die Deutsche Zentrale für Volksgesundheitspflege, Frankfurt a.M. 1983, S. 14
Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells
85
Gegenstände und 3.) durch Sprache vermittelte Meinungen, Informationen über Erfahrungen, Einstellungen, Werturteile, Absichten.14 Die Hauptaufgabe von Indikatoren in der Sozialforschung besteht darin, den Wohlstand in verschiedenen sozialen Bereichen zu beschreiben. Weiter bezwecken sie Ursachenforschung bezüglich sozialer Veränderungen, Vorhersagung der Zukunft und Bewertung sozialer Programme.15 Indikatoren können sowohl dazu dienen, die innerstaatliche Entwicklung zu untersuchen, als auch dazu, internationale Vergleiche aufzustellen.16 Für die Arbeit der Vereinten Nationen liegt die Einbruchstelle für die Verwendung von Indikatoren in der Formulierung „Verbesserung des Lebensstandards“ in Artikel 55 Absatz a) UN–Charta. Der Lebensstandard ist nicht direkt beobachtbar. Daher behilft man sich damit, dass man die unmittelbar wahrnehmbaren Faktoren misst, die in ihrer Gesamtheit den Begriff „Lebensstandard“ bilden. 17
b) Entstehungsgeschichte Älteste Belege von Datenerhebungen finden sich bereits im zweiten Jahrhundert vor Christus etwa in Ägypten und China. Allerdings handelte es sich hierbei zumeist nur um Agrar–, Gewerbe– oder Handelsstatistiken.18 Es ging nicht darum, einen abstrakten Begriff zu operationalisieren. Auch war es nicht Ziel, die soziale Veränderung zu messen. Die Indikatoren wurden demnach ohne ein Konzept verwendet.19 1962 führte die American Academy of Arts and Sciences ein Projekt für die US–Raumfahrtbehörde durch. Ziel war es, die Auswirkungen von unbeabsichtigten Konsequenzen der Weltraumerforschung auf die ame14
Atteslander a.a.O. (Fn. 6), S. 3
15
Robert J. Rossi/ Kevin J. Gilmartin: The Handbook of Social Indicators, 1980 S. 24; Abbott L. Ferris: The Uses of Social Indicators, in: Social Forces Volume 66 Nr. 3, 1988, S. 601 (S. 603 – 607) 16
Siehe beispielsweise UK–Department for International Development: Background Briefing – Indicators for socially sustainable development, London 2002, S. 4 f. 17
UN Department of International Economic and Social Affairs, Statistical Office: Handbook on Social Indicators, Studies in Methods Series F Nr. 49 (1989), UN Doc. ST/ESA/STAT/SER.F/49, S. iii 18 19
Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 17
Zur weiteren Historie von Statistiken: Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 17 – 23
86
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
rikanische Gesellschaft zu ermitteln. Weil die Academy kaum Daten betreffend der direkten Auswirkungen des Weltraumprogramms selbst fand, begann sie, sich der allgemeinen sozialen Veränderung zuzuwenden. Vermutlich wurde hierbei der Begriff „sozialer Indikator“ geprägt.20 Kurze Zeit später adoptierten andere Länder und internationale Organisationen das Konzept der sozialen Indikatoren. Eine steigende Zahl von Staaten entwickelte nationale Berichte über soziale und wirtschaftliche Bedingungen, die einen vergleichenden Überblick über den allgemeinen Zustand der Bevölkerung erlauben.21 In Deutschland wurde erstmals 1973 ein Bericht veröffentlicht, der soziale Indikatoren benutzte. Er trug den Titel „Gesellschaftliche Daten“ und wurde vom damaligen Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herausgegeben.22 Der Grund, dass soziale Indikatoren erst so spät entwickelt wurden, mag darin liegen, dass die empirische Sozialforschung eine relativ junge Wissenschaft ist. Sie entwickelte sich im 17. und 18. Jahrhundert aus Versuchen mit sozialstatistischen Methoden und Beschreibungen. Im 19. Jahrhundert versuchte man dann, mit Enquêten soziale Missstände, die sich im Gefolge der Industrialisierung ergeben hatten, quantitativ zu erfassen. Insbesondere wurden die Lebensverhältnisse der Arbeiter und ihrer Familien sowie Aspekte industrieller Urbanisierung untersucht.23 Heute werden Indikatoren nicht nur von staatlichen, sondern auch von internationalen Einrichtungen verwendet, etwa von der WHO24, der ILO25, der UNESCO26 oder der WIPO27.
20
Robert J. Rossi/Kevin J. Gilmartin : The Handbook of Social Indicators, 1980, S. 2 21 22 23
Rossi/Gilmartin a.a.O. (Fn. 20), S. 7 Rossi/Gilmartin a.a.O. (Fn. 20), S. 8 Atteslander a.a.O. (Fn. 6), S. 5
24
Z.B. Catalogue of Health Indicators, UN Doc. WHO/HST/SCI/96.8 (1996) 25 26 27
th
Z.B. Key Indicators of the Labour Markets, 4 Edition, Genf 2005 Z.B. Statistical Yearbook, Paris 1999, Abschnitt II (Education)
Z.B. The obligation of international assistance, UN Doc. WO/PBC/6/2, S. 175 ff.
Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells
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c) Eigenschaften und Grenzen von Indikatoren aa) Die Zuordnung von Indikatoren zu einer Theorie Ein statistisches Datum kann sinnvollerweise nur dann als Indikator bezeichnet werden, wenn es mit einem allgemeineren Theoriebegriff zusammenhängt.28 Daran schließt sich die Frage an, wie man erkennt, ob und inwieweit ein beobachtetes Phänomen mit einem theoretischen Begriff korrespondiert. Würde man die Messwerte ohne ein theoriegeleitetes Konzept verwenden, müsste man dies als schlichten Empirismus bezeichnen.29 Darunter versteht man die bloße Spiegelung und Beschreibung von Erfahrungen. Regelmäßigkeiten und Auffälligkeiten, die festgestellt werden. Sie geben noch keinen Aufschluss darüber, in welchem Zusammenhang sie zueinander stehen. Im Extremfall könnte man sonst bei einer Zunahme der Storchpopulation und einer gleichzeitigen Erhöhung der menschlichen Geburtenrate auf althergebrachte Zusammenhänge schließen.30 Quantifizierte Ergebnisse wie Daten und Indikatoren repräsentieren also niemals die Realität. Sie können nur theoretische Annahmen der Realität veranschaulichen.31 Der erste Schritt besteht deswegen darin, eine Theorie aufzustellen.32 Unter Theorie wird ein System logisch widerspruchsfreier Aussagen über soziale Phänomene verstanden.33 Es muss sich um Aussagen han-
28
Rehbinder a.a.O. (Fn. 11), S. 66
29
Atteslander a.a.O. (Fn. 6), S. 8, 18. Rossi/Gilmartin sprechen hier von „deskriptiven Indikatoren“ im Gegensatz zu „analytischen Indikatoren“, a.a.O. (Fn. 20), S. 20; Ähnliche Bedenken speziell im Rahmen von menschenrechtlichen Überwachungsverfahren werden geäußert in: Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies: Report on indicators for monitoring compliance with international human rights instruments, UN Doc. UN Doc. HRI/MC/2006/7 vom 11. Mai 2006, § 4 30
Philipp Mayring: Einführung in die qualitative Sozialforschung, 1990,
S. 15 31
Tomaševski: Human Rights Indicators a.a.O. (Fn. 10), S. 136
32
Missverständlich Todd Landman, der diesen einen Schritt in zwei aufteilen will: The Scope of Human Rights: From Background Concepts to Indicators, S. 11 abrufbar auf: http://www.abo.fi/instut/imr/research/seminars/ indicators/index.htm (abgerufen am 18. Mai 2008) 33
Atteslander a.a.O. (Fn. 6), S. 25
88
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
deln, die einen Zusammenhang zwischen mindestens zwei Variablen postulieren.34 Diese Verknüpfung eines theoretischen Begriffs mit beobachtbaren Sachverhalten erfolgt durch die Angabe von Korrespondenzregeln. In der Praxis empirischer Sozialforschung wird die Angabe von Korrespondenzregeln als Operationalisierung bezeichnet. Anders ausgedrückt: Operationalisierung bedeutet die Zuordnung von Indikatoren zu einem theoretischen Begriff.35 Dieses Verfahren wird in dieser Arbeit noch von erheblicher Bedeutung sein. Es gilt, aus der Menge aller beobachtbaren Phänomene diejenigen herauszufiltern, die als der Theorie zugehörig angesehen werden können. Diese Zuordnung setzt voraus, dass der Inhalt der Theorie feststeht. Die einzelnen Hypothesenelemente müssen deshalb exakt definiert sein. Das Definiens, also jene Begriffe, die den Inhalt des Theorieelements darstellen, muss konkret beschrieben werden. Es kann sein, dass die im Definiens enthaltenen Begriffe selbst nicht eindeutig sind. Sollte dies der Fall sein, müssen die Ausdrücke selbst zum Definiendum, zum Oberbegriff, den es zu definieren gilt, erhoben werden. Diese Art des Definierens führt zu immer weiteren Definitionen. Um einen infiniten Regress zu vermeiden, muss dieser Definitionsprozess an einer Stelle abgebrochen werden, das heißt, bestimmte Begriffe müssen in ihrer Bedeutung als allgemein klar verständlich akzeptiert werden.36 Ähnlich wie in der Informatik unterscheidet man im Rahmen der Begriffsbestimmung zwischen zwei Begriffsarten. Zur ersten Gruppe gehören die logischen (zum Beispiel AND, OR, IF ... THEN, NOT), die keine realen Dinge wie Personen oder Eigenschaften bezeichnen. Zur zweiten Kategorie zählen die empirischen, also außerlogischen Begriffe, die in der Forschung zu präzisieren sind.37 Indikatoren zählen zur zweiten Gattung. Banal mag die Frage klingen, wie man Indikatoren findet. Wäre die Antwort hierauf ebenso einfach, würden sich nicht mehrmals jährlich
34
Rossi/Gilmartin a.a.O. (Fn. 20), S. 50; Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4),
S. 53 35
Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 11, 127; Atteslander a.a.O. (Fn. 6),
S. 50 36
Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 51; Karl–Dieter Opp: Methodologie der Sozialwissenschaften, 6. Auflage, 2005, S. 126 37
Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 50
Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells
89
Expertengremien treffen, um über diese Themen zu diskutieren.38 Es gibt zwei Wege, zu geeigneten Indikatoren zu gelangen: den theoriegeleiteten und den datengesteuerten.39 Bei der ersten Version beginnt man bei der Theorie, bildet Subdimensionen und nimmt eine Abgrenzung zu verwandten Konzepten vor. Ein Unterfall des theoriegeleiteten Konzepts ist die semantische Analyse, bei der man fragt, was ein Begriff bedeutet. Bei der datengesteuerten Variante sammelt man hingegen zunächst eine große Anzahl denkbarer Indikatoren und analysiert anschließend ihren Zusammenhang mit der Theorie. Datengesteuert kann auch bedeuten, dass man möglichst unterschiedliche Auffassungen zu einem Konzept aufnimmt und anschließend untersucht, inwieweit diese einander ähneln.40 Damit ist aber nicht beantwortet, wie die Zuordnung eines Indikators zu einem theoretischen Begriff gerechtfertigt werden kann. Für dieses Problem werden verschiedene Lösungen angeboten. Zu erwähnen sind vor allem der aus der Physik entwickelte Operationalismus und der kausalanalytische Ansatz.41 Operationalismus bedeutet, dass theoretisches Konstrukt und Indikator per Definition gleichgesetzt werden. Beispiel: Intelligenz ist, was der Intelligenztest misst.42 Bei diesem Verfahren wird die Trennung von Indikator und Begriff faktisch wieder aufgegeben. Es gibt im Grunde gar kein unabhängig definiertes theoretisches Konstrukt „Intelligenz“. Vielmehr existieren genauso viele empiristische Begriffe der Intelligenz wie unterschiedliche Intelligenztests. Ungleiche Messungen wären danach also ungleiche theoretische Konstrukte. Aus diesem Grunde ist die operationalistische Lösung des Korrespondenzproblems eine Scheinlösung, die den Anforderungen der Sozialwissenschaften nicht gerecht wird.43 Beim kausalanalytischen Ansatz wird eine Messtheorie aufgestellt, die die Beziehung zwischen theoretischen Konstrukten und Indikatoren als Kausalbeziehung konkretisiert. Man spricht hier von „Hilfstheorie“ 38
Vgl. etwa das Experten Symposium: Measuring Developments in the Realization of the Right to Food by Means of Indicators: The IBSA – Procedure, 22. und 23. Mai 2006 in Mannheim 39 40
Opp a.a.O. (Fn. 36), S. 122 – 127 Ibidem
41
Daneben gibt es noch das typologisch–induktive Modell, auf das hier nicht weiter eingegangen werden soll. 42 43
Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 75 Ibidem, S. 131
90
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
oder „Messtheorie“ im Gegensatz zur „Kerntheorie“, die Thesen zu inhaltlichen Problemen behandelt. Es ist notwendig, dass eine kausale Beziehung zwischen Indikator und theoretischem Konstrukt denkbar ist sowie empirisch bestätigt werden kann.44 Eine Hilfstheorie könnte etwa lauten: Intelligenz manifestiert sich im erfolgreichen Lösen von Testaufgaben. Die Sozialwissenschaft versucht nun, die kausalen Zusammenhänge empirisch zu untermauern.45 Es bestehen hier zwei Möglichkeiten: Einmal kann man mit anderen Indikatoren der gleichen Art prüfen, inwieweit der Indikator mit der Theorie korrespondiert (kongruente Validität). Man wertet etwa verschiedene Intelligenztests aus und untersucht, ob die Messergebnisse bei denselben Personen einander ähneln. Der zweite Weg führt über Indikatoren eines anderen Typs (konkurrierende Validität). Es werden hierbei Messinstrumente verwendet, die auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen. Beispielsweise könnte man die Hilfstheorie aufstellen, dass Intelligenz sowohl mit dem erfolgreichen Lösen eines Intelligenztests als auch mit einem bestimmten Schulabschluss korrespondiert. Wenn die gleichen Personen, die einen überdurchschnittlich guten Schulabschluss haben, auch überdurchschnittlich gut einen Intelligenztest lösen, wird davon ausgegangen, dass von dem erfolgreichen Lösen eines Intelligenztests auf die Intelligenz geschlossen werden kann. Korrespondenzregeln werden heute überwiegend als Hypothesen aufgefasst. Theorien können auf die genannte Weise nämlich niemals endgültig verifiziert werden, sondern sich nur bei empirischen Überprüfungen wiederholt bewähren.46 Aber auch die endgültige Falsifikation einer Theorie ist faktisch unmöglich, da jede Falsifikation auf einem fehlerhaften Messverfahren beruhen kann.
44
Ibidem, S. 131
45
Kathleen Pritchard: Comparative Human Rights: Promise and Practice, in: David Louis Cingranelli (Hrsg.): Human Rights: Theory and Measurement, 1988, S. 139 (S. 144) 46 Popper: Grundprobleme, a.a.O. (Fn. 10), S. 33 – 39; Chalmers, Alan F.: Wege der Wissenschaft: Einführung in die Wissenschaftstheorie, 5. Auflage, Berlin 2001, S. 74 f.; vgl. auch Hans–Peter Schwintowski: Juristische Methodenlehre, 2005, S. 179; Franz Bydlinski: Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, S. 64 f.; Diekmann a.a.O. (Fn. 6), S. 154 f.
Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells
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Zwischenfazit: Die Gültigkeit eines Indikators kann nur empirisch nachgewiesen werden.47 Für den Juristen mögen solche empirischen Nachweise seltsam anmuten. Wir sind Syllogistik und Subsumtionsverfahren gewohnt, die klare, logische Schlussfolgerungen erlauben.48 In der empirischen Sozialforschung begnügt man sich hingegen mit Regelmäßigkeiten.49 In der Tat wird noch einmal auf das Problem zurückzukommen sein, ob sich die Rechtswissenschaft mit solchen weichen Nachweisen zufriedengeben kann.
bb) Die Zahl der Indikatoren Ein theoretisches Konstrukt kann mit einer beliebig großen Zahl von Indikatoren korrespondieren. Zur Operationalisierung eines theoretischen Begriffs, also eines Konstrukts, reicht ein einzelner Indikator dann nicht aus, wenn er entweder die interessierende Dimension nicht mit ausreichender Genauigkeit misst oder die Begriffe einer sozialwissenschaftlichen Theorie mehrere Dimensionen ansprechen.50 Grundsätzlich können jedoch nie alle denkbaren Indikatoren Anwendung finden, da diese Menge prinzipiell unendlich ist. Darum spricht man auch von einem Indikatorenuniversum. Wie viele Indikatoren zur Messung eines Konstruktes notwendig sind, lässt sich nicht allgemein festlegen.51 Allerdings sind mehrfache Operationalisierungen immer vorzuziehen, da sie mehrere Dimensionen eines theoretischen Begriffes erfassen und damit eine präzisere Messung erlauben. Außerdem erleichtert die Verwendung mehrerer Indikatoren die Prüfung der Zugehörig47
Schwefel: Grundbedürfnisse und Entwicklungspolitik, a.a.O. (Fn. 12),
S. 87 48
Karl Engisch: Einführung in das juristische Denken, 10. Auflage, 2005, S. 81. Popper nennt dies „radikalen Deduktivismus“: Grundprobleme, a.a.O. (Fn. 10), S. 7. Zum Problem der Letztbegründung, die auch nur empirisch geführt werden kann, siehe unten S. 123 ff. 49
Popper: Grundprobleme, a.a.O. (Fn. 10), S. 34; Diekmann a.a.O. (Fn. 6), S. 151: „[…] dass eine ‚Induktionslogik’ im Sinne eines logischen Schlussverfahrens analog zur Deduktionslogik nicht existiert.“; ähnlich Chalmers a.a.O. (Fn. 46), S. 37 – 39 50 51
Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 166
Chalmers a.a.O. (Fn. 46), S. 40: „Läge in der Wahl einer bestimmten Menge sicher eine nicht unerhebliche Willkür.“
92
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
keit eines Indikators zu einem Konstrukt.52 Einem theoretischen Konstrukt können also – und dies ist auch im Allgemeinen die Praxis – durchaus mehrere Indikatoren zugeordnet werden. Die soziale Schicht kann etwa durch Fragen nach dem Einkommen, der formalen Schulbildung und der Berufsposition operational definiert werden.53 Da es prinzipiell schwer auszumachen ist, welcher der Indikatoren das Gemeinte am besten repräsentiert, sind die meisten wechselseitig substituierbar. Indikatoren sind häufig Teiloperationalisierungen eines Begriffs. Daraus folgt, dass die vollkommene Erfassung eines abstrakten Begriffs nur durch parallele Verwendung einer Vielzahl von Indikatoren gelingen kann, welche jeweils einen unterschiedlichen Teil repräsentieren. Erst wenn alle Teile, aus denen der Begriff besteht, durch Indikatoren dargestellt sind, ist er vollständig erfasst. Eine gänzliche Darstellung eines Begriffs mittels Indikatoren ist aber nur theoretisch möglich. Regelmäßig wird er nicht logisch, sondern nur näherungsweise bestimmt.54 Operationalisierbarkeit und umfassende Begriffserfassung stehen zueinander in einem Spannungsverhältnis: Je mehr Indikatoren für einen Begriff verwendet werden, desto besser lässt sich der Schluss von der Empirie auf die Theorie ziehen, desto geringer wird aber zugleich der forschungsökonomische Vorteil.55
cc) Die Beschreibung der Indikatoren Auch wenn Indikatoren sinnlich wahrnehmbare Phänomene sind, bedarf ihr Inhalt näherer Spezifizierung. Man möchte schließlich vergleichbare Messwerte erhalten. Da es für jeden theoretischen Begriff aber nicht nur eine Operationalisierung, sondern viele gibt, muss das Messverfahren im Detail festgelegt werden.56 Jeder Indikator muss genau beschrieben sein. Diese Messvorschriften sind auch Teil der Operationalisierung. Dies nennt man Operationalisierung im engeren Sinne. 52
Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 78; vgl. auch Opp a.a.O. (Fn. 36), S. 133 f. 53
Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 76
54
Es sei denn, es handelt sich um den „künstlichen“ Begriff eines Index. Dazu näher unten S. 199 ff. 55
Detlef Schwefel: Beiträge zur Sozialplanung in den Entwicklungsländern, 1972, S. 32 56
Winfried Stier: Empirische Forschungsmethoden, 2. Auflage, 1999, S. 32
Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells
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Beispielsweise kann eine Aids–Erkrankung mit unterschiedlichen Verfahren und zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausgeschlossen werden (Artikel 12 Absatz 1 IPwskR). Oder es muss die Frage geklärt werden, wie gemessen wird, wann ausreichender Zugang zur Trinkwasserversorgung vorliegt (Artikel 11 IPwskR).57 Es geht also um die genaue technische Anweisung, wie im konkreten Fall vorzugehen ist, um die gewünschte Information aus der Realität zu erhalten.58
dd) Die Grenzen von Indikatoren Der Wert eines Indikators wird durch zahlreiche Faktoren beeinflusst. Die Lebensbedingungen sind nämlich vielfach untereinander verflochten.59 Es gibt allerdings keine sozialwissenschaftlichen Modelle, die sämtliche möglichen Kausalfaktoren vollständig erfassen.60 Daraus folgt, dass Indikatoren keine Kausalschlüsse erlauben. Es ist nicht möglich, aus der Veränderung eines Wertes auf den Erfolg einer bestimmten Politik zu schließen, weil keine den Naturgesetzen vergleichbaren sozialen Gesetze bekannt sind.61 Selbst eine beobachtbare Korrelation zwischen empirischen Indikatoren erlaubt keine Aussage über die Kausalrichtung.62 Erkennt man empirische Regelmäßigkeiten, kann das zwar als Entscheidungshilfe etwa für die Politik dienen.63 Zu betonen bleibt
57
Hierzu Sven Söllner: Right to Food Indicator Description, S. 17, Dokument erhältlich auf: http://ibsa.uni–mannheim.de (abgerufen am 18. Mai 2008) 58
Stier a.a.O. (Fn. 56), S. 30
59
Schwefel: Grundbedürfnisse und Entwicklungspolitik, a.a.O. (Fn. 12), S. 166; Katarina Tomaševski: Health Rights, in: Eide et. al.: Economic, Social and Cultural Rights, 1995, S. 125 (S. 132) 60
Rehbinder a.a.O. (Fn. 11), S. 67
61
Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 59; für den menschenrechtlichen Bereich: Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies, a.a.O. (Fn. 29), § 13 62
Rehbinder a.a.O. (Fn. 11), S. 67; Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 75; ähnlich Atteslander a.a.O. (Fn. 6), S. 10. Der Fehlschluss von Korrelation auf Kausation wird auch als cum hoc ergo propter hoc bezeichnet 63
James G. Anderson: Causal models and social indicators, in: American Sociological Review 1973, Vol. 38, S. 285 (S. 286); Schwefel: Beiträge zur Sozialplanung, a.a.O. (Fn. 55), S. 42, 86
94
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
aber, dass Indikatoren niemals anzeigen, welche sozialen Programme mit welchen Prioritäten zu unternehmen sind.64
ee) Das Werturteilsproblem Bislang wurde dargestellt, wie theoretische Konstrukte operationalisiert werden. Ein Indikator, dessen Messverfahren genau feststeht, wird aus der Theorie abgeleitet. Bei diesem Vorgehen stellt sich aber auch die Frage, inwieweit die Operationalisierung Werturteile beinhalten darf. Unter Werturteilen versteht man präskriptive Sätze, die objektiv nicht begründbar sind.65 Schon die Frage, welche Indikatoren verwendet werden, beinhaltet Wertungen. Auch die Frage, wie viele Indikatoren benutzt werden sollen, ist intersubjektiv nicht lösbar.66 Des Weiteren kann der Indikator selbst eine Wertung implizieren. Die Wahl der Begriffe, mit denen Messanweisungen erfolgen, enthält immer gewollt oder ungewollt Wertungen.67 Insbesondere können Fragen eines Fragebogens unterschiedlich formuliert sein. In der Sozialwissenschaft ist heute unbestritten, dass die Entdeckung des Indikators von Werturteilen geleitet werden darf.68 Der Grund, warum man sich in einer bestimmten Weise sozialwissenschaftlich betätigt, beruht notwendigerweise auf Wertungsgesichtspunkten. Die Tatsache, dass nur selektive Probleme behandelt werden, impliziert keine Wertung innerhalb der Aussagesysteme. Des Weiteren ist es zulässig, einen gültigen Indikator mittels Wertungen auszuwählen.69 Allgemeiner gesprochen hat nämlich die Wertung der Mittel, die für eine Problemlösung benutzt werden, nicht notwendig 64
Rossi/Gilmartin a.a.O. (Fn. 20), Fn. S. 24
65
Statt vieler: BVerfG 1 BvR 193/05 vom 8. Mai 2007 Rn. 21; 1 BvR 1805/92 vom 7. Mai 1997 Rn. 1; BGH Urteil des XI. Zivilsenats vom 24. Januar 2006 – XI ZR 384/03 Rn. 63; Karl Larenz/ Claus–Wilhelm Canaris: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Auflage, 1995, S. 111 f.; a.A. Gerhard Zecha: Der Wertbegriff und das Wertfreiheitspostulat, in: ders. (Hrsg.): Werte in den Wissenschaften, 2006, S. 109 (S. 112 – 120) 66 67 68 69
Chalmers a.a.O. (Fn. 46), S. 40 Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 86 Ibidem Ibidem
Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells
95
zur Folge, dass die daraus resultierenden Aussagen Werturteile sind. Auch die Verwertung des Indikators darf also wertgebunden erfolgen. Streitig ist in der Sozialforschung allein, ob der sogenannte Begründungszusammenhang – also das Forschungsergebnis, die eigentliche wissenschaftliche Untersuchung – Werturteile beinhalten darf.70 Auf den ersten Blick mag man Werturteile im Begründungszusammenhang entschieden ablehnen. Wissenschaftliche Aussagen über die Realität sollen nämlich nicht durch subjektive Werthaltungen beeinflusst werden. Diese These nennt man „Postulat der Wertfreiheit im Begründungszusammenhang“.71 Die Beschreibung und Erklärung von Tatsachen soll objektiv, das heißt wertfrei und damit für jedermann nachvollziehbar sein. Auch das Verfahren vor dem Ausschuss erhebt den Anspruch der Objektivität. Daher ist es sinnvoll, bereits hier auf den Werturteilsstreit einzugehen. Zum Teil wird angeführt, Werturteile müssen auch im Begründungszusammenhang Platz haben.72 Zunächst fehle dem Postulat der Werturteilsfreiheit die Grundlage. Es werde als Norm höherer Stufe, als Metanorm, angesehen. Um absolut gültig zu sein, bedürfte es aber seinerseits einer Rechtfertigung auf höherer Normebene. Diese liege nicht vor. Das spreche gegen ein Verbot von Wertungen. Zudem sei es zweifelhaft, naturwissenschaftliche Methodenideale auf die Sozialwissenschaften zu übertragen. Der Sozialwissenschaftler sei selbst Teil der Gesellschaft und damit – anders als ein Naturwissenschaftler – Teil des Untersuchungsgegenstandes.73 Deshalb könne er nicht neutral sein. Zudem beschreibe der Sozialwissenschaftler soziale Tatsachen mit Begriffen. Er teile dabei mit seinen Untersuchungsobjekten die Sprache und die darin
70 Zum geschichtlichen Hintergrund: Heino Heinrich Nau: Zwei Ökonomien – Die Vorgeschichte des Werturteilstreits in der deutschsprachigen Ökonomik, in: ders. (Hrsg.): Der Werturteilsstreit, 1996, S. 9 (S. 10 – 52) 71
Hans Albert: Max Webers Auffassungen zur Wertproblematik und die Probleme von heute, in: Gerhard Zecha (Hrsg.): Werte in den Wissenschaften, 2006, S. 5 (S. 7); Herbert Keuth: Wissenschaft und Werturteil, 1989, S. 28; Zecha a.a.O. (Fn. 65), S. 110 und 121; ders.: Max Weber und das Problem der Wertfreiheit und der Rationalität, in: ders./ Topitsch, Ernst (Hrsg): Werturteilsstreit, 1979, S. 200 (S. 200 – 204); Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 86; Opp a.a.O. (Fn. 36), S. 222 – 225 72
Zecha: Der Wertbegriff, a.a.O. (Fn. 65), S. 121 f.; Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 87 73
Mayring a.a.O. (Fn. 30), S. 19 f.
96
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
enthaltenen Sinn– und Wertverweise.74 Eine wertfreie Beschreibung gesellschaftlicher Gegebenheiten sei somit nicht möglich. Diese Argumente können jedoch nicht überzeugen. Auch der Naturwissenschaftler ist Teil der Natur.75 So kann er sich nicht den Gesetzen der Atomphysik, der Gravitation oder der Mendelschen Vererbung entziehen. Zudem ist der Sozialwissenschaftler nur dann Teil des Untersuchungsgegenstandes, wenn er die Gesellschaft analysiert, der er angehört. Im Falle des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte wird die Diskrepanz zwischen Untersuchendem und Untersuchungsgegenstand besonders deutlich: Die Mitglieder sind schließlich unabhängig vom geprüften Staat. Wären sie Teil desselben, müsste man sich fragen, ob auf sie nicht der „böse Schein der Befangenheit“ fällt. Auch lässt sich der Einwand, der Sozialwissenschaftler verwende dieselbe Sprache wie die Gesellschaft, die er untersucht, nicht auf den Ausschuss übertragen. So werden in seinen Sitzungen verschiedene Sprachen gesprochen und simultan übersetzt. Auch die Dokumente werden in unterschiedliche Sprachen übertragen, die gleichermaßen verbindlich sind. Die Sinn– und Wertverweisungen können hier unterschiedlich sein. Die Staaten sind nicht verpflichtet, die Berichte in alle Amtssprachen des Ausschusses zu übersetzen. Allerdings ist richtig, dass Wert– und Sachaussagen nicht immer getrennt werden können.76 Tatsachenaussagen sind zwar wertfrei, bei den Korrespondenzregeln geht es aber um die Verbindung von Tatsachenaussagen und Konstrukten. Konstrukte bestehen aus Begriffen. Begriffe sind aber immer irgendwie – wenn auch unterschiedlich – wertgeladen.77 Wissenschaftliche Begriffsbildungen sind selbst Konstruktionen, keine Abbildung der Wirklichkeit. Jede Herleitung eines Indikators ist also zu einem bestimmten Maß wertgebunden. Das Problem ist somit gradueller Natur. Zwischenfazit: In einem bestimmten Umfang ist jede Operationalisierung abhängig von Werturteilen, auch wenn sie noch so objektiv erscheinen mag. 74 75 76 77
Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 86 Opp a.a.O. (Fn. 36), S. 226 f. Opp a.a.O. (Fn. 36), S. 230
Albert Bleckmann: Ermessensfehlerlehre, Völker– und Europarecht, vergleichendes Verwaltungsrecht, 1997, S. 9
Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells
97
Zu bedenken ist allerdings, dass es nicht dazu kommen darf, dass Ideologien entscheiden, was Wahrheit ist. Sonst müsste man von einem moralischen Fehlschluss sprechen. Zweck der Wissenschaft ist die Erkenntnis und nicht die Verkündigung einer bestimmten Weltanschauung.78 Aus diesem Grund muss die Vermengung von beschreibenden Aussagen mit Werturteilen beziehungsweise Normen möglichst vermieden werden. Im Ergebnis wird man aber akzeptieren müssen, dass Sein und Sollen in einem gewissen Umfang auseinander fallen. Andernfalls müsste man auf eine Operationalisierung vollständig verzichten. Die Wissenschaft sollte das Ziel anzusteuern, die Rechtfertigung eines Indikators so weit wie möglich frei von Werturteilen zu halten. Dies kann gelingen durch methodisch–wissenschaftliches Vorgehen. Objektivität ist danach anzustreben. Dass die Korrespondenzregeln immer minimal subjektiv geprägt bleiben, ist hinzunehmen.79 Zwischenfazit: Indikatoren sind immer zu einem gewissen Grad wertgeladen. Allerdings ist eine hohe Wertneutralität anzustreben. Man könnte nun meinen, die Verwendung von Indikatoren verbiete sich bei den Menschenrechten des Sozialpakts, da die Verwendung einer angestrebten wertneutralen Operationalisierung unvereinbar sei mit den stark wertgebundenen Menschenrechten. Man kann behaupten, ein Menschenrecht spreche jedem Menschen einen bestimmten Wert zu. Beispiel: Aufgrund seines Wertes als Mensch beziehungsweise seiner Würde hat das Individuum einen Anspruch auf Nahrung. Ein Tier im Gegenzug hat wegen seines nach dieser Argumentation geringeren Werts keinen Anspruch auf Nahrung. Der Unterschied zwischen den Menschenrechten des IPwskR und moralischen Normen ist dabei nicht groß: Es lässt sich vertreten, dass beide Normklassen wertgeladen sind. Des Weiteren sind an die Verletzung beider Normtypen keine formellen Sanktionen geknüpft. Sowohl der Verstoß gegen die Direktiven des IPwskR als auch der gegen soziale Normen führen aber zu moralischer Missbilligung und Reputationsverlust und daher zu informellen Sanktionen.80
78 79 80
Opp a.a.O. (Fn. 36), S. 227 Atteslander a.a.O. (Fn. 6), S. 7 Oben S. 76 ff.
98
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Aufgrund dieser Gemeinsamkeiten kann zunächst die allgemeine Frage beantwortet werden, inwieweit es zulässig ist, Normen als Gegenstand empirisch–deskriptiver Analyse zu verwenden. Man könnte nämlich behaupten, empirische Wissenschaften sollen zu Erkenntnissen über die Welt verhelfen. Werturteile und normative Sätze können nicht rein empirisch begründet werden, denn sie beruhen auf Entscheidungen.81 Im Fall des IPwskR ist dann die Entscheidung die Ratifizierung. Dieses Argument verkennt jedoch den Ansatzpunkt der Indikatoren. Sie dienen nicht dazu, empirisch nachzuweisen, inwieweit sich die Menschenrechte aus Aussagen ableiten lassen. Die Frage lautet nicht, ob das Menschenrecht richtig oder falsch ist. Es geht darum, gültige Menschenrechtsnormen anzuwenden. Beispielsweise lässt sich aus der Tatsache, dass in Land x elf Millionen Menschen Analphabeten sind, nicht ableiten, ob ihnen das Recht auf Bildung zusteht. Vielmehr folgt das Recht auf Bildung aus einer Übereinkunft unter Staaten, und diese erst ist ein Werturteil. Die der Zahl der Analphabeten dient allein dazu, zu messen, ob ein Land dieses Recht ausreichend verwirklicht. Indessen könnte man gegen die Messung von Menschenrechten mit möglichst wertneutralen Indikatoren einwenden, die empirische Wissenschaft solle sich nur mit Fakten auseinandersetzen. Werturteile werden aber unterschieden von faktischen oder empirischen Aussagen, die einen beschreibenden oder erklärenden Inhalt haben. Die empirisch– wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Werten sei quasi ein Widerspruch in sich. Um dieses Argument zu widerlegen, ist ein genauerer Blick auf das Wesen des Werturteils nötig. Der Werturteilsbegriff enthält zwei Komponenten: eine auszeichnende Komponente, welche den eigentlichen Wertcharakter ausmacht, daneben aber auch eine rein sachliche, neutrale Komponente. Der Wertcharakter zeigt sich als die Auszeichnung in positiver oder negativer Hinsicht, welche die Wertbegriffe aussprechen. Es wird der Wert oder Unwert eines Objekts ausgezeichnet. Auch das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass ein Werturteil eine Aus-
81
Gerhard Weisser: Zur Erkenntniskritik der Urteile über den Wert sozialer Gebilde und Prozesse, in: Hans Albert/ Ernst Topitsch (Hrsg): Werturteilsstreit, 1979, S. 125 (S. 130)
Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells
99
sage über Tatsachen trifft.82 Der sachliche Gehalt ist es also, der die Werte prägt und voneinander unterscheidet. Dieser sachliche Gehalt kann Gegenstand wissenschaftlicher Forschung sein. Genau das vollzieht der Ausschuss, wenn er die Verwirklichung von Menschenrechten mit Indikatoren misst. Nicht der Wertgehalt der Wsk–Rechte wird analysiert, sondern die sachliche, neutrale Komponente des Menschenrechts. Man misst ja nicht das Recht selbst, sondern empirische Daten, die auf die Verwirklichung einzelner seiner Aspekte hinweisen können. Beispielsweise wird beim Recht auf Trinkwasser nur untersucht, wie viele Personen Zugang zum Trinkwasser haben. Dass es im Rahmen der Artikel 11 und 12 Absatz 1 IPwskR als positiv bewertet wird, wenn Menschen Zugang zu Wasser haben, ist Voraussetzung, aber nicht Gegenstand der Fragestellung. Zudem hat auch noch niemand eingewendet, die wissenschaftliche Auslegung von Gesetzen sei unzulässig, weil in ihnen Werte verkörpert seien. Bei der Auslegung geht es nämlich darum, sachliche Aussagen mit rein kognitiv–informativem Charakter zu gewinnen. Dass der Forschungsgegenstand Werte beinhaltet, ändert nichts an der Natur von Aussagen über ihn. Allerdings können aus diesen Aussagen wiederum nur Aussagen abgeleitet werden, keine Werturteile. Grob gesprochen kann nicht empirisch belegt werden, dass die Menschenrechtssituation in einem bestimmten Land schlecht ist. Dies ist eine Wertungsfrage.83 Fazit: Auch wenn Normen ein Werturteil innewohnt, können sie dennoch zum Gegenstand empirischer Analysen gemacht werden. Somit ist es grundsätzlich denkbar, die Verwirklichung von Menschenrechten mit Indikatoren zu messen.
d) Soziologische Anforderungen an Indikatoren Um ein theoretisches Konstrukt geeignet darzustellen, müssen Indikatoren folgende Eigenschaften aufweisen:84 82
BVerfG 1 BvR 580/02 vom 7.11.2002 Rn. 9: „Werturteil über Leistungen“; weniger direkt, aber implizierend, dass Werturteile sich auf Tatsachen gründen: BVerfG 1 BvR 1376/79 vom 22. Juni 1982 Rn. 15; 1 BvR 755/99 vom 17.12.2002 Rn. 18; NJW 1999, 483 (484) 83
Andrew D. McNitt: Some Thoughts on the Systematic Measurement of the Abuse of Human Rights, in: David Louis Cingranelli (Hrsg.): Human Rights: Theory and Measurement, 1988, S. 89 (S. 91) 84
WHO: Entwicklungen von Indikatoren, a.a.O. (Fn. 13), S. 15
100
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
-
Sie müssen reliabel sein. Als Reliabilität oder Zuverlässigkeit wird das Ausmaß bezeichnet, in dem wiederholte Messungen eines Objekts mit einem Messinstrument die gleichen Werte liefern. Wenn etwa den denselben Personen dieselben Fragen gestellt werden, erwartet man auch identische Antworten.85 Die Reliabilität wird gemessen am Quotienten der Varianz der wahren Werte und der Varianz der beobachteten Werte. 86 Je höher der Zusammenhang zwischen den gemessenen und den tatsächlichen Werten ist, desto höher ist die Reliabilität. Da die wahren Werte nicht gemessen werden können, muss die Reliabilität mit anderen Verfahren geschätzt werden.
-
Sie müssen valide sein, das heißt, sie messen tatsächlich das, was sie zu messen vorgeben.87 Beispiel: Es antworten immer einige Personen unabhängig vom Inhalt der Frage mit „Ja“. Hier ist die Reliabilität hoch, weil stets zugestimmt wird, aber es wird nicht die echte Zustimmungstendenz gemessen, also nicht die echte Meinung zur Frage. Die Validität ist somit niedrig. Es ist deswegen möglich, dass wiederholte Messungen zwar stets dasselbe Resultat erbringen und somit reliabel sind, aber dennoch etwas anderes messen als beabsichtigt, also nicht valide sind. Fehlt die Validität, kann dies auf bewusstem Missbrauch beruhen, etwa wenn ein Theoriebezug nicht nachvollziehbar ist.88 Dies ist insbesondere dann relevant, wenn Staaten dem
85 UN–Handbook on Social Indicators, a.a.O. (Fn. 17), S. 24; Rajeev Malhotra/ Nicolas Fasel: Quantitative Human Rights Indicators – A survey of major initiatives, Background paper for the Expert Meeting on Human Rights Indicators & Nordic Network Seminar in Human Rights Research, 10–13 March 2005 in Åbo/Turku Finland, http://www.abo.fi/instut/imr/research/ seminars/indicators/index.htm (abgerufen am 18. Mai 2008), § 14 (S. 5): Kritisch Popper: Grundprobleme, a.a.O. (Fn. 10), S. 400: „Zwei Vorgänge zu verschiedenen Zeiten können ja schon deshalb nicht genau gleich sein, weil der zweite durch den ersten beeinflusst wird.“ 86
Atteslander a.a.O. (Fn. 6), S. 7; Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 151; Rossi/Gilmartin a.a.O. (Fn. 20), S. 35 87
Riedel: New Bearings to the State Reporting Procedure, a.a.O. (Fn. 5), S. 351; Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 154; Rossi/Gilmartin a.a.O. (Fn. 20), S. 34; Malhotra/Fasel: Quantitative Human Rights Indicators, a.a.O. (Fn. 85), S. 5 88
Atteslander a.a.O. (Fn. 6), S. 7
Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells
101
Ausschuss Indikatoren zur Messung von Rechtsbegriffen vorschlagen. -
Indikatoren müssen objektiv sein, das heißt von verschiedenen Beobachtern unter vergleichbaren Umständen erzielte Ergebnisse lauten gleich.89
-
Sie müssen sensibel, das heißt empfänglich für den sozialen Wandel in bestimmten Situationen sein.90
-
Sie müssen möglichst spezifisch sein, das heißt der soziale Wandel wird nur in Bezug auf die betreffende Situation widergespiegelt.91
-
Zudem müssen Indikatoren praktikabel sein, also einfach zu handhaben und es muss möglich sein, sich die erforderlichen Daten zu beschaffen.92
e) Kategorisierungsmöglichkeiten von Variablen und Indikatoren Variablen und Indikatoren lassen sich nach bestimmten Merkmalen in Gruppen einteilen. Zunächst lässt sich die zugrunde liegende Variable daraufhin prüfen, welche Werte sie annehmen kann. Die Sozialforschung kennt dichotome Variablen, also solche, die nur zwei verschiedene Werte annehmen können, zum Beispiel männlich/weiblich.93 Ferner kennt sie diskrete Variablen, das heißt solche, die wenige verschiedene Werte annehmen können, etwa die drei Ampelfarben.94 Und sie
89
Riedel: New Bearings to the State Reporting Procedure, a.a.O. (Fn. 5), S. 351; Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 154 90
Rossi/Gilmartin a.a.O. (Fn. 20), S. 18
91
Riedel: New Bearings to the State Reporting Procedure, a.a.O. (Fn. 5), S. 351; Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 154 92
UN–Handbook on Social Indicators, a.a.O. (Fn. 17), S. 24; WHO Catalogue a.a.O. (Fn. 24), S. viii 93
Weiteres, menschenrechtlich hochrelevantes Beispiel des Ja/Nein– Indikators bei Eibe Riedel: Measuring Human Rights Compliance – The IBSA Procedure as a Tool of Monitoring, in: Andreas Auer et. al (Hrsg.): Etudes en l’honneur du Professeur Giorgio Malinverni, 2007, S. 251 (S. 260); Söllner: Right to Food Indicator Description, a.a.O. (Fn. 57), S. 5 94
Diekmann a.a.O. (Fn. 6), S. 101
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
kennt kontinuierliche oder stetige Variablen, die jeden beliebigen Wert aus der Menge der reellen Zahlen aufweisen können.95 Die Variablen müssen nicht direkt beobachtbar sein.96 Ist dies doch der Fall, spricht man von manifesten Variablen. Darunter fällt zum Beispiel die Körpergröße. Latente Variablen wie das Abstraktionsvermögen sind hingegen nicht direkt beobachtbar.97 Bei der Operationalisierung unterscheidet die Sozialwissenschaft subjektive und objektive Indikatoren.98 Subjektive Indikatoren basieren auf den Berichten, die Personen über ihre Gefühle, Einstellungen und Bewertungen abgeben, objektive auf Zählungen von Aktionen und Umständen, die mit den gegebenen Situationen zusammenhängen. Ein Beispiel für subjektive Indikatoren sind die Einstellungen der Menschen zu Nachbarschaftseinbrüchen und für objektive Indikatoren die Zahl der Einbrüche.99 Objektive Indikatoren sind verlässlicher, doch in manchen Fällen sind subjektive Indikatoren unverzichtbar. Etwa gehört zur Gesundheit auch, dass sich die Menschen gesund fühlen.100
95 96 97
Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 130 Rehbinder a.a.O. (Fn. 11), S. 66 Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 131
98
Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies, a.a.O. (Fn. 29), S. 14 Anmerkung 5; UNDP: Governance Indicators: A Users’ Guide, abrufbar auf: http://www.undp.org/oslocentre/docs04/UserGuide.pdf (abgerufen am 19. April 2007), S. 11 Die Unterscheidung von objektiven und subjektiven Indikatoren ist nicht kongruent mit der Unterscheidung zwischen qualitativen und quantitativen Indikatoren, ähnelt ihr aber; dazu unten S. 158 ff.. Abweichende Terminologie bei: Canadian International Development Agency: Indicators for Programming in Human Rights and Democratic Development: A Preliminary Study, 1996, S. 7 99
Rossi/Gilmartin a.a.O. (Fn. 20), S. 19
100
Dies ergibt sich aus der Gesundheitsdefinition der WHO: Gesundheit ist der Zustand vollständigen physischen, mentalen und sozialen Wohlbefindens. Gründungserklärung der WHO vom 22. Juni 1946, UN Doc. A/CONF.32/8 [Hervorhebung vom Verfasser]. Für den Indikator „Zufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen“ beim Recht auf Arbeit UN–Sonderberichterstatter Danilo Türk: The new international economic order and the promotion of human rights, Realization of Economic, Social and Cultural Rights, Progress report, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1990/19
Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells
103
Teilweise wird unterschieden zwischen direkten und indirekten Indikatoren.101 Ein direkter Indikator messe die Variable selbst. Ein indirekter Indikator operationalisiere hingegen eine andere Variable, von der aufgrund von Erfahrungswerten oder Theorie angenommen wird, dass sie mit der interessierenden Variable eng verknüpft ist. Würde man beispielsweise die Fehlzeiten in Grundschulen messen, könnte dies ein indirekter Indikator für den Zustand der Gesundheit von Kindern in einer Gesellschaft sein. Direkt wäre hingegen, den Gesundheitszustand einer Auswahl von Kindern zu messen. Direkte und indirekte Indikatoren unterscheiden sich indes nur in dem Ausmaß, in dem eine Veränderung des Indikators mit einer Veränderung des betrachteten Aspekts korrespondiert.102 Da jeder Indikator aber eine mehr oder weniger indirekte Messung eines Konstrukts ist, ist die Unterscheidung nur gradueller Natur.103 Richtig ist allerdings, Konstrukte möglichst mit solchen Indikatoren zu messen, von denen man annimmt, dass sie eng mit dem Begriff verbunden sind. Der Grund liegt darin, dass es umso wahrscheinlicher ist, dass der Wert des Indikators durch andere Kausalfaktoren beeinflusst wird, je indirekter die Messung ist. Eine Fehlzeitenrate in der Schule beispielsweise kann auch auf Boykott und muss nicht zwangsläufig auf Krankheit beruhen. Ein indirekter Indikator ist also niemals so valide und genau wie ein direkter.104
f) Zwischenergebnis Unter einem Indikator versteht man einen empirisch beobachtbaren Sachverhalt, mit welchem ein nicht beobachtbares Konstrukt beziehungsweise eine Dimension eines solchen Konstruktes gemessen werden kann. Rückschlüsse von dem Wert eines Indikators auf die Ursächlichkeit eines bestimmten Faktors sind jedoch unzulässig, solange es keine kausalen Erklärungen gibt. Die Messverfahren müssen detailliert beschrieben sein. Je mehr Indikatoren für einen Begriff verwendet wervom 6. Juli 1990 § 25. Beim Recht auf Nahrung könnte man Menschen dazu befragen wie groß Ihre Angst ist, in den nächsten Tagen ausreichend zu Essen zu haben 101
Heike Henn: Entwicklungspolitische Bewertung der „blauen Revolution“, Diss. Berlin 2003, S. 172 102 103 104
Rossi/Gilmartin a.a.O. (Fn. 20), S. 19 Schwefel: Beiträge zur Sozialplanung, a.a.O. (Fn. 55), S. 32 Rossi/Gilmartin a.a.O. (Fn. 20), S. 19
104
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
den, desto genauer wird er erfasst, desto weniger wird er aber handhabbar. Indikatoren lassen sich nicht logisch herleiten, sondern nur empirisch begründen. Bei der Operationalisierung fließen zwingend an verschiedenen Stellen Werturteile ein. Dies ist aus Sicht der empirischen Sozialforschung nicht zu beanstanden, Objektivität ist jedoch anzustreben. Objektive Indikatoren sind subjektiven vorzuziehen. Die Messung sollte so direkt wie möglich erfolgen. Aus diesen Ausführungen folgt, dass es aus sozialwissenschaftlicher Sicht erlaubt ist, die Realisation der Wsk–Rechte anhand von Indikatoren zu messen. Zu klären bleibt, ob nicht juristische Gründe gegen eine Verwendung von Indikatoren im Verfahren vor dem Ausschuss sprechen.
2.) Die Zulässigkeit der Verwendung von Indikatoren im Bereich der Menschenrechtsüberwachung a) Ausdrückliche Normierung von quantitativen Elementen im Sozialpakt In Artikel 12 Absatz 2 (a) gebietet der Sozialpakt ausdrücklich, quantitative Methoden zu verwenden.105 Er spricht von „Maßnahmen zur Senkung der Zahl der Totgeburten“.106 Absatz 2 (a) steht nach Absatz eins, in dem allgemein das Recht auf Gesundheit normiert ist. Aus systematischen Gründen handelt es sich also um eine Konkretisierung des Rechts auf Gesundheit. Man kann Absatz 2 (a) deswegen als „Legaloperationalisierung“ des Rechts auf Gesundheit bezeichnen. Man könnte behaupten, dass sich aus Artikel 12 Absatz 2 IPwskR ein Umkehrschluss ziehen lasse, dass also Operationalisierungen nur dort erlaubt seien, wo der IPwskR dies ausdrücklich vorsieht. Genauso gut lässt sich aber vertreten, dass Artikel 12 Absatz 2 (a) nur ein Beispiel 105
Darauf weisen auch Malhotra/Fasel hin, in: Quantitative Human Rights Indicators, a.a.O. (Fn. 85), S. 3. Siehe auch ibidem zu quantitativen Referenzen in anderen Menschenrechtsverträgen 106 Die englische Fassung lautet: „[…] steps necessary for […] the reduction of the stillbirth–rate […]”. Derartige Legaloperationalisierungen finden sich auch in Art. 10 des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (GA Res. 34/180, vgl. BGBl. 1985 II 648): „Verringerung des Prozentsatzes von Frauen, die ihre Ausbildung abbrechen“. Zu Art. 12 Abs. 2 (a) IPwskR: Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies, a.a.O. (Fn. 29), § 10
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105
normiert und der Sozialpakt das Indikatorenmodell grundsätzlich erlaubt. Welche Auslegung hier vorzuziehen ist, lässt sich nicht ohne Weiteres beantworten. Fest steht aber, dass der Sozialpakt das Indikatorenmodell nicht stringent ausschließt.
b) Die wesentlichen Fragestellungen bei der Operationalisierung von Wsk–Rechten Bedient man sich Indikatoren zur Messung von Rechtsbegriffen, so wendet man empirische Verfahren auf juristischem Gebiet an. Nun sind Methoden der empirischen Sozialforschung der Jurisprudenz grundsätzlich fremd.107 Fraglich ist, ob sich beide Wissenschaften tatsächlich derart unterscheiden, dass sie nicht miteinander vereinbar wären. Dann dürfte der Ausschuss die Verwirklichung der Paktrechte nicht mit Indikatoren messen. Er wendet nämlich einen juristischen Vertrag an und ist somit an juristische Methoden gebunden. Bei den auf S. 102 ff. beschriebenen Eigenschaften von Indikatoren fallen drei auf, die es verbieten könnten, Indikatoren im Staatenberichtsverfahren anzuwenden. So stellt sich einmal die Frage, ob nicht die Jurisprudenz fordert, dass Begriffe eindeutig statt bloß näherungsweise bestimmt werden. Zweitens ist zu prüfen, ob juristische Ableitungen endgültig und nicht nur vorläufig verifiziert sein müssen, und drittens, ob die Quantifizierung dem Menschenwürdegehalt oder anderen Menschenrechtsprinzipien widerspricht. Vorab ist jedoch die formelle Frage zu untersuchen, ob dem Ausschuss überhaupt die Kompetenz zusteht, die Paktrealisierung mit Indikatoren zu messen.
107
Alison Dundes Renteln: A Cross–Cultural Approach to Validating International Human Rights, in: David Louis Cingranelli (Hrsg.): Human Rights: Theory and Measurement, 1988, S. 7 (S. 11); Ann–Mari Fröberg/Martin Scheinin: Report of Turku Expert Meeting on Human Rights Indicators, abrufbar auf: http://www.abo.fi/instut/imr/research/seminars/indicators/ (abgerufen am 18. Mai 2008), S. 8: „Indicators do not have an immediately visible textual basis in the human rights treaties and that they therefore could be perceived of as something that is imposed on the work of the treaty bodies outside of the legal framework.” Zu untergesetzlichen Normen, die mit empirischen Methoden ermittelt werden siehe Rehbinder a.a.O. (Fn. 11), S. 12 m.w.N.
106
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
c) Die Kompetenz des Ausschusses zur Verwendung von empirischen Verfahren In den „travaux préparatoires“ finden sich keine Hinweise darauf, ob die Verfasser des Sozialpakts die Rechtsbegriffe nur definieren oder auch mit Methoden der empirischen Sozialforschung operabel machen wollten. Dies kann daran liegen, dass soziale Indikatoren während der Ausarbeitung des IPwskR noch wenig bekannt waren. Allerdings riefen die Verfasser das Staatenberichtsverfahren ins Leben. Wie der Wortlaut des Artikels 16 Absatz 2 (a) IPwskR zeigt, wurde die genaue Ausgestaltung dem ECOSOC überlassen. Die bewusste Regelungslücke gibt letzterem einen Spielraum, er hat die Freiheit, die richtigen Regeln zu finden.108 Dieser Ermessensspielraum deutet an, dass es der Sozialpakt erlauben könnte, seine Begriffe zu operationalisieren. Praktisch relevant ist aber primär nicht die Frage, ob der ECOSOC die Begriffe operationalisieren darf. Vielmehr geht es darum, ob dem Ausschuss dieses Recht zusteht. Der ECOSOC hat ihm zwar seine Kompetenz übertragen, jedoch ist fraglich, ob er ihm damit auch einen Spielraum bei der Berichtsprüfung gewährt, der die Anwendung des Indikatorenmodells erlaubt. Denkbar wäre nämlich, dass der ECOSOC die Befugnisse des Ausschusses begrenzt hat. Darauf deuten die Resolutionen hin, in denen er die „Sessional Working Group“, also das Vorgängerkomitee des Ausschusses, ermächtigte. Dort heißt es, dass die „Sessional Working Group“ dem ECOSOC „assistieren soll“.109 Nach der Umwandlung der Arbeitsgruppe in den Ausschuss wurde der Passus „assistieren“ allerdings ausdrücklich widerrufen.110 Fortan hieß es: „Der Ausschuss darf Empfehlungen und Stellungnahmen auf Basis seiner Berichtsbetrachtungen abgeben.“111 Zwar hatte der ECOSOC der Arbeitsgruppe sogar erlaubt, organisatorische Fragen zu behandeln – insbesondere, was den Ablauf des Verfah-
108
Vgl. Report of the Secretary–General, Follow–up and monitoring of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, UN Doc. E/1996/101 §§ 2; 4; 5 (c); Kristina Klee: Die progressive Verwirklichung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte, 2000, S. 245; Näher zur bewussten Regelungslücke: Schwintowski a.a.O. (Fn. 46), S. 83 109 110 111
ECOSOC Resolutionen 1988 (LX) § 9 (a); 1979/43 § 5 ECOSOC Res. 1985/17 ECOSOC Res. 1985/17, Buchstabe (f)
Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells
107
rens anbelangte.112 Und diese Berechtigung hat er für den Ausschuss nicht widerrufen. Jedoch gab er ihm bislang auch nicht ausdrücklich die Kompetenz, die Paktrechte mit Indikatoren zu operationalisieren. Er hat dem Ausschuss aber gestattet, „General Comments“ zu erlassen und auf diese Weise die Paktinhalte zu konkretisieren.113 Nun ist die Operationalisierung eine Form der Rechtskonkretisierung. Daher liegt es nahe, dass der ECOSOC ihm auch die Befugnis einräumen wollte, die Rechte zu operationalisieren. Auch hat ihm der ECOSOC erlaubt, den Staaten Richtlinien für die Berichtserstattung an die Hand zu geben.114 In diesen heißt es vielfach: „please indicate [...]“.115 Zwar dürfte diese Formulierung eher mit „angeben, bezeichnen oder kenntlich machen“ zu übersetzen sein, eine Operationalisierung wird jedoch nicht ausgeschlossen. Außerdem hat der ECOSOC das Benchmarkingverfahren in einer Resolution gutgeheißen.116 In der Literatur wird dieses definiert als „Erstellung von Indikatoren und dazugehörigen Zielwerten“.117 Zwar wäre es denkbar, dass der ECOSOC den Begriff „Benchmarks“ anders definieren wollte als die Literatur und der Ausschuss.118 Es wäre jedoch merkwürdig, würde das primär für die Prüfung der Staatenberichte zuständige Organ andere Begrifflichkeiten pflegen als die Experten. Das Benchmarkingverfahren erfordert somit – auch nach Auffassung des ECOSOC –, dass Indikatoren definiert werden. Benchmarks und 112 113 114 115
Res. 1979/43 § 11 Res. 1988/4 § 13 Res. 1988/4 § 7 UN Doc. E/C.12/1991/1
116
Res. 1988/4 § 14: „The Economic and Social Council (…) urges he Committee to encourage States parties, in conformity with article 2, paragraph 1, of the Covenant, to consider identifying bench–marks for measuring achievements in the progressive realization of the rights recognized in the Covenant (…).” 117
Eibe Riedel: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, abrufbar auf: http://ibsa.uni–mannheim.de/ S. 72 (abgerufen am 18. Mai 2008); ders.: New Bearings to the State Reporting Procedure, a.a.O. (Fn. 5), S. 350 und 356; ders. Verhandlungslösungen im Rahmen des Sozialpakts der Vereinten Nationen, 2000 S. 4 f.; Jakob Schneider: Die Justiziabilität wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte, 2004, S. 13. Vgl. VG Freiburg AZ 1 K 121/07 vom 20. Juni 2007, II./2./b)/bb) der Gründe 118
Darauf könnte die abweichende Schreibweise: „bench–marks“ hinweisen
108
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Indikatoren stehen also in einem systematischen Zusammenhang.119 Das wiederum legt nahe, dass der ECOSOC den Ausschuss dazu ermächtigen wollte, die Berichte mit Indikatoren zu untersuchen. Vor allem wollte der ECOSOC von der Aufgabe, die Berichte im Detail zu prüfen, vollständig befreit sein. Dies geht aber nur, wenn er dem Ausschuss alle mit der Berichtsprüfung notwendig zusammenhängenden Kompetenzen überträgt.120 Indem er also den Ausschuss damit beauftragt hat, die Staatenreporte zu prüfen, hat er ihm gestattet, alle hierzu erforderlichen Methoden anzuwenden.121 Fazit: Dem ECOSOC steht ein Spielraum bei der Ausgestaltung des Berichtsprüfungsverfahrens zu. Es liegt im Rahmen dieses Spielraums, die Paktverwirklichung mit Indikatoren zu messen. Der ECOSOC hat die Berichtsprüfung an den Ausschuss delegiert. Hierbei hat er indirekt entschieden, dass der Ausschuss Indikatoren verwenden soll. Rein formell betrachtet steht dem Ausschuss also die Kompetenz zu, mit Indikatoren zu prüfen, inwieweit die einzelnen Paktrechte realisiert sind. Der ECOSOC kann aber nicht mehr Rechte übertragen, als er selbst besitzt.122 Demnach stellt sich weiterhin die materielle Frage, ob die juristische Methodik nicht verbietet, Begriffe zu operationalisieren. Denkbar wäre nämlich, dass die juristische Auslegung stets eine totale Definition verlangt. Anders gewendet: Es gilt zu untersuchen, inwieweit der Sozialpakt auch für Methoden der empirischen Sozialforschung offen ist.
d) Die Zulässigkeit der Verkürzung von Rechtsbegriffen aa) Die Unterschiede zwischen Definition und Operationalisierung In der Rechtswissenschaft sind wir gewohnt, dass Begriffe total definiert werden. Die empirische Sozialforschung versucht hingegen, Begriffe mit Indikatoren operabel zu machen. In der totalen Definition sind Definiendum und Definiens austauschbar, es handelt sich um eine Glei119
Näher zum Benchmarkingverfahren unten S. 219 ff.
120
ECOSOC Res. 1985/17 (h) („procedures and methods of work”) i.V.m. Res. 1979/43 121
Eibe Riedel: Verhandlungslösungen im Rahmen des Sozialpakts der Vereinten Nationen, 2000, S. 1 122 Eibe Riedel in: Bruno Simma (Hrsg): The Charter of the United Nations, Volume II, 2. Auflage, 2002 Art. 68 Rn. 74
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chung. In der Operationalisierung werden hingegen nur beobachtete Phänomene einem Begriff zugeschrieben – in der Regel noch nicht einmal dem gesamten, sondern nur einzelnen seiner Dimensionen. Ein Definiens in der totalen Definition kann mehrere Elemente eines Begriffs beinhalten, die logisch miteinander verknüpft sind. Beispiel: Ein Haus besteht aus Wänden und einem Dach und einer Bodenverbindung. Empirisch lassen sich dagegen nur Dimensionen des Hauses messen, etwa seine Höhe oder sein Volumen. Eine Definition bezeichnet einen Begriff abschließend. Eine Operationalisierung misst hingegen nie alle Dimensionen des Begriffs. Auch sind bei der Operationalisierung die einzelnen Indikatoren nicht logisch miteinander verknüpft.123 Es lässt sich nur der Korrelationskoeffizient messen, das heißt, wie stark eine Variable mit einem Begriff oder mit einer anderen Variablen korrespondiert.124 Das bedeutet, dass selbst mit einer großen Zahl von Indikatoren ein Begriff allenfalls näherungsweise bestimmt werden kann. Es bestehen also Unterschiede zwischen der Definition eines Begriffs und seiner Operationalisierung. Die Definition ist erforderlich, um zu prüfen, ob ein Sachverhalt einem Tatbestand unterfällt. Bei der Subsumtion wird festgestellt, ob sämtliche den Begriff bildenden Merkmale in dem zu beurteilenden Sachverhalt anzutreffen sind.125 Ist das der Fall, dann folgt daraus nach den Regeln der Logik, dass der Sachverhalt dem Begriff zuzuordnen ist.126 Bei dieser Subsumtion wird also geschlussfolgert. Der Schluss ist die notwendige Ableitung eines Urteils (Conclusio) aus zwei vorgegebenen anderen (Prämissen), die durch einen gemeinsamen Begriff (Medius terminus) zueinander in einer Beziehung stehen.127 Das Prinzip des Schließens beruht auf der notwendigen Unterordnung des Besonderen unter das Allgemeine. Die Syllogistik beinhaltet die Gesetze der formallogischen Deduktion.128
123
Chalmers a.a.O. (Fn. 46), S. 42 f.
124
Herbert F. Spirer/Louise Spirer: Data analysis for monitoring human rights, 1994, S. 55 – 64 mit Beispielen aus dem Bereich der Wsk–Rechte 125 126
Bydlinski a.a.O. (Fn. 46), S. 395 f. Larenz/Canaris a.a.O. (Fn. 65), S. 36; Bydlinski a.a.O. (Fn. 46), S. 396
127
Schwintowski a.a.O. (Fn. 46), S. 61 mit Verweis auf Aristoteles (834–322 v. Chr.); Bydlinski a.a.O. (Fn. 46), S. 395 128
Opp a.a.O. (Fn. 36), S. 177 – 181
110
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Bei der Operationalisierung passiert genau das Gegenteil. Man verwendet die Methode der Induktion. Induktion bedeutet, von einer notwendigerweise begrenzten Anzahl von empirischen Überprüfungen auf die gesamten Eigenschaften der Untersuchungsobjekte zu schließen, also von speziellen Ereignissen auf allgemeine.129 Indikatoren lassen sich nicht logisch ableiten, sondern nur empirisch verifizieren. Sie können nur mehr oder weniger mit einem Begriff korrespondieren. Wenn man einen Begriff operationalisiert, werden also logische Ableitungen wie die Subsumtion unmöglich.130 Subsumtion und Operationalisierung unterscheiden sich auch im Hinblick auf ihre Definition von Wahrheit. Wenn eine Aussage empirisch wahr ist, ist sie zu einem gewissen Grade wahrscheinlich. Dies ist etwas anderes, als wenn sie logisch wahr und somit widerspruchsfrei ist.131 Empirisch wahr bedeutet, die Aussagen stehen in Übereinstimmung mit in ihnen angesprochenen Aspekten der Realität. Fazit: Zwischen Definition beziehungsweise Subsumtion und Operationalisierung bestehen fundamentale Unterschiede. Müsste man unter die Begriffe des Sozialpakts im Berichtsverfahren subsumieren, so wäre es nicht erlaubt, Indikatoren zu verwenden.
bb) Die Gemeinsamkeiten von Definition und Operationalisierung Diese Unterschiede bedeuten jedoch nicht zwangsläufig, dass der Sozialpakt das Indikatorenmodell verbietet. Immerhin dienen Definitionen wie auch Indikatoren einem gemeinsamen Zweck. In beiden Fällen soll ein abstrakter Begriff handhabbar gemacht werden. So ist die Definition im Rahmen der Subsumtion eine Quasi–Operationalisierung. Spiegelbildlich ist die Subordination des Indikators unter den Begriff eine Quasi–Subsumtion. Des Weiteren ist nirgends festgelegt, dass Rechtsbegriffe stets nominal definiert werden müssen.132 Vielmehr lässt sich ihr Inhalt ebenso gut operational definieren. Teilweise wird sogar vertreten, Begriffe an sich seien eher unwichtig und in ihrer sprachlichen Funktion den Aussagen und Theorien unter129 130 131 132
Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 60; Chalmers a.a.O. (Fn. 46), S. 41 f. Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 67; Chalmers a.a.O. (Fn. 46), S. 48 f. Opp a.a.O. (Fn. 36), S. 189 – 191
Zum Verhältnis von nominalen und operationalen Definitionen: Opp a.a.O. (Fn. 36), S. 127 – 131
Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells
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geordnet, in deren Zusammenhang sie verwendet werden.133 Nicht durch die Definition werde die Anwendung eines Begriffes festgelegt, sondern die Verwendung des Begriffes lege das fest, was man seine Definition oder seine Bedeutung nennt. Anders ausgedrückt: Es gebe nur Gebrauchsdefinitionen.134 Nach dieser Auffassung verschwimmen die Unterschiede zwischen Definition und Operationalisierung. Allerdings ist es gewohnheitsrechtlich anerkannt, Rechtsbegriffe zu definieren und anschließend zu subsumieren.135 Fraglich ist, ob von diesem Grundsatz beim IPwskR abgewichen werden darf.
cc) Operationalisieren und Definieren Bei der grammatischen Auslegung gilt für juristische Fachausdrücke nicht der allgemeine Sprachgebrauch, sondern der des Juristen.136 Die Bedeutung eines völkerrechtlichen Begriffs ist zudem nicht isoliert festzustellen. Sie ergibt sich vielmehr aus dem Textzusammenhang im Lichte von Zweck und Ziel des betreffenden Vertrags.137 Unter anderem aus Artikel 31 Absatz 4 WVK ergibt sich, dass Rechtsbegriffe im Völkerrecht eine besondere Bedeutung haben können, die von der gewöhnlichen abweicht.138 Man kann vertreten, die menschenrechtlichen Begriffe des IPwskR seien Fachausdrücke. Die semantischen Gehalte von „Nahrung“ oder „Gesundheit“ seien nicht anhand des allgemeinen Sprachgebrauchs zu entwickeln. Vielmehr kenne der Sozialpakt eine Sondersprache. Die Bedeutung der menschenrechtlichen Begriffe erschließe sich erst, wenn man bedenkt, dass die Artikel 2 Absatz 1 IPwskR und Artikel 16 IPwskR mit den einzelnen Menschenrechten zusammenhängen. Streng genommen könnte also dem gleichen menschenrechtlich Begriff im Staatenberichtsverfahren eine andere Bedeutung zukommen, als wenn man ihn isoliert und abstrahiert betrachtet. 133 134 135 136
Popper: Grundprobleme, a.a.O. (Fn. 10), S. 366 f. Ibidem Vgl. Bydlinski a.a.O. (Fn. 46), S. 396 Schwintowski a.a.O. (Fn. 46), S. 66; Bydlinski a.a.O. (Fn. 46), S. 439
137
Heribert Franz Köck: Zur Interpretation völkerrechtlicher Verträge, in: ZÖR 1998 S. 216 (218, Anm. 6). Allgemein zur Wortlautauslegung von Staatsverträgen: BGHZ 152 S. 198 (S. 201) 138
Schwintowski a.a.O. (Fn. 46), S. 94
112
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Denkbar ist, dass der Sozialpakt es gestattet oder sogar verlangt, die einzelnen Begriffe zu operationalisieren. Zwar kommt es dann zu einer Verkürzung der Begriffe, weil ja nie alle Indikatoren angewendet werden können.139 Die Rechtsbegriffe würden also nicht total, sondern nur partiell definiert. Diese Verkürzung wäre aber vom Sozialpakt vorgesehen und daher keine unzulässige Verkürzung. Dagegen könnte man einwenden, dass sich in den „travaux préparatoires“ keine Anhaltspunkte dafür finden, dass die Begriffe im Staatenberichtsverfahren nicht definiert, sondern operationalisiert werden sollen. Dem ist jedoch zu entgegnen, dass – wie bereits erwähnt – soziale Indikatoren während der Paktausarbeitung noch wenig bekannt waren. Zudem kommt der historischen Auslegung nach Artikel 32 WVK analog nur ein untergeordneter Rang zu.140
dd) Die Operationalisierungspraxis im Staatenberichtsverfahren Wichtiger als die Entstehungsgeschichte ist – gemäß Artikel 31 Absatz 3 b) WVK analog – „jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht“.141 In fast allen Staatenberichten sind statistische Daten enthalten.142 Es ist nahe liegend, dass so viele Staaten statistisches Material angeben, weil sie zumindest glauben, dass der IPwskR ihnen dies gestattet. In den Staatenberichten werden zwar nicht immer wahre 139
Report of the Seminar on appropriate indicators to measure achievements in the progressive realization of economic, social and cultural rights, UN Doc. A/CONF.157/PC/73 § 133; Bydlinski a.a.O. (Fn. 46), S. 63: „Induktive Schlüsse sind nie zwingend, da die Prämissen für die Konklusion nur eine teilweise Stütze bilden.“ 140
Dazu Hans–Joachim Cremer, in: Grote/Marauhn (Hrsg.): EMRK/GG, 2006, Kapitel 4, Rn. 20 f.; Christoph Grabenwarter: Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Auflage, 2005, S. 35 f. 141
Die authentische, englische Fassung lautet: „There shall be taken into account, together with the context: (…) any subsequent practice in the application of the treaty which establishes the agreement of the parties regarding its interpretation”. Zu dieser Norm: Wolfram Karl: Vertrag und spätere Praxis im Völkerrecht, Zum Einfluss der Praxis auf Inhalt und Bestand völkerrechtlicher Verträge, 1983, S. 188 – 194 142
Z.B. UN Doc. E/C.12/SWE/5 § 62 (Arbeitslosenrate); E/C.12/UKR/5 § 407 (Zahl der HIV–Infektionen); E/C.12/4/Add.13 § 252 (Zahl der Grundschulabsolventen)
Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells
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und vollständige Angaben gemacht, allerdings kann angenommen werden, dass die Länder nur solche Daten nennen, von denen sie annehmen, dass sie mit den Begriffen des IPwskR korrespondieren. Das lässt vermuten, dass die Staaten davon ausgehen, der Sozialpakt erlaube das Indikatorenmodell. Man könnte nun argumentieren, dass andere Länder überhaupt keine Berichte abliefern und daher keine Indikatoren verwenden. Zu erwägen ist daher, ob dieses Unterlassen eine authentische Auslegung zugunsten des Indikatorenmodells verhindert. Dafür wäre zunächst notwendig, dass die wenigen Länder, die bislang überhaupt keinen Bericht mit statistischen Daten abgeliefert haben,143 die Macht hätten, eine Auslegungspraxis entgegen der großen Mehrheit, die mindestens einen Bericht mit Indikatoren vorgelegt hat, zu verhindern. Der IGH betonte in einem Fall, in dem es um die Staatenpraxis im Völkergewohnheitsrecht ging, dass keine perfekte Praxis im Sinne eines absoluten Konsenses notwendig sei, sondern eine allgemeine genüge.144 Einzelne, abweichende Verhaltensweisen vermögen die Entstehung einer authentischen Auslegung insbesondere dann nicht zu verhindern, wenn sie prima facie eine Rechtsnorm verletzen. Dabei weist der IGH noch auf die Parallele zwischen Gewohnheits– und Vertragsrecht hin.145 Wenn Staaten gar keinen Bericht abliefern und hierfür auch keine Erklärung parat haben, verletzen sie prima facie Artikel 16 IPwskR.146 Denn dass für das Nichtabliefern ein sachlicher Grund vorliegt, ist unwahrscheinlich.147 143
Für jeweils aktuelle Zahlen siehe: http://www.unhchr.ch/tbs/doc.nsf/ newhvoverduebytreaty 144
IGH Urteil vom 27. Juni 1986, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Sachentscheidungsgründe § 186. Bemerkenswert ist, dass der Gerichtshof sogar von „deduzieren“, statt von „indizieren“ spricht. Zum Urteil: K. Brose: Aspects of the interaction between customary international law and treaty law, in: Instituton Diethnus Dēmosiu Dikaiu kai Diethnōn Scheseōn (Hrsg.): Thesaurus acroasium of the Institute of public international law and international relations of Thessaloniki, 1992 S. 601 (S. 603) 145 146 147
IGH a.a.O. (Fn. 144), § 178; ebenso Brose a.a.O. (Fn. 144), S. 601 Zur offenen Abweichung vom Vertrag: Karl a.a.O. (Fn. 141), S. 214 – 216
Vgl. dazu Eibe Riedel: Universality of Human Rights and Cultural Pluralism, in: Christian Koenig/Alexander Lorz (Hrsg.): Die Universalität der Menschenrechte, 2003, S. 139 (S. 142): „However, the mere fact that a human right has been violated cannot be a bar to the claim of universal validity of that
114
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Dass nicht nur im Gewohnheitsrecht, sondern auch in Artikel 31 Absatz 3 b) WVK das Mehrheitsprinzip gilt, ergibt sich auch aus seinem Wortlaut. Die authentische Fassung „practice“ kann man nämlich übersetzen mit „Übung“, „Brauch“ und „Gewohnheit“.148 Dies sind alles Begriffe, welche lediglich eine stark überwiegende Häufigkeit verlangen, aber keine absoluten Anforderungen stellen. Man könnte zwar entgegnen, dass Völkerrecht Koordinationsrecht sei.149 Faktisch wird aber den Staaten, die an einer solchen Praxis nicht beteiligt sind, ohne ihren Willen eine Interpretation aufgedrängt. Daher müsste auch im Falle von multilateralen Verträgen immer eine totale Staatenpraxis vorliegen. Konsequent zu Ende gedacht, hätte dann jedoch Artikel 31 Absatz 3 b) WVK für multilaterale Verträge kaum einen Anwendungsbereich. Denn sind eine Vielzahl von Parteien beteiligt, kann ein Konsens meist nur annäherungsweise erreicht werden.150 Man müsste sogar den Umkehrschluss ziehen und eine Sperrwirkung des Artikels 31 Absatz 3 b) WVK dahingehend annehmen, dass eine Vertragspraxis dann nicht mehr auf gleicher Ebene wie der Zusammenhang berücksichtigt werden darf, wenn sie nicht von allen Staaten vollzogen wird. Dies wiederum würde die Auslegung multilateraler Verträge nicht verbessern, sondern erschweren, was der Intention von Artikel 31 WVK widerspräche. Außerdem findet das Subordinationsverbot seine Grenzen unter anderem im Völkergewohnheitsrecht – und solches stellen die Regeln der WVK dar.151 Schließlich müssen sich die nichtberichtenden Staaten auch nach Treu und Glauben entgegenhalten lassen, dass sie Artikel 16 Absatz 1 IPwskR vorbehaltlos ratifiziert haben, obwohl die Vorschrift erhebliche Interpretationsspielräume erlaubt.152
right. For one, such a conclusion would apply to all legal norms, thus is not specific to human rights norms, furthermore this would lead to invalidity of very many rights.” 148
Walter Bachem/Dieter Hamblock: Wörterbuch Recht – Deutsch/Englisch – Englisch/Deutsch, 2. Auflage, 2006, S. 549 149
Theodor Schweisfurth: Völkerrecht, 2006, S. 5; Köck a.a.O. (Fn. 137),
S. 229 150
Jack Donnelly: The Relative Universality of Human Rights, in: HRQ 2007, S. 281 (S. 289); Köck a.a.O. (Fn. 137), S. 227 f. 151 152
Dazu oben S. 9
Weder zu Art. 16 noch zu Art. 17 IPwskR hat irgendein Paktstaat Vorbehalte erklärt, vgl. die Liste der Vorbehalte und Erklärungen, abrufbar auf http://www2.ohchr.org/english/bodies/ratification/ (abgerufen am 10. Dezem-
Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells
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Aus diesen Gründen genügt im Rahmen von Artikel 31 Absatz 3 b) WVK analog eine weit überwiegende Staatenpraxis.153 Etwa 30 fehlende Initialberichte stehen einer weitaus größeren Zahl von Staatenberichten mit statistischem Dateninhalt gegenüber.154 Dies legt nahe, dass eine qualifizierte Mehrheit der Länder das Indikatorenmodell gutheißt. Selbst wenn man bei diesen Zahlen eine Staatenpraxis im Sinne des Artikels 31 Absatz 3 b) WVK noch nicht bejahen wollte, bliebe es äußerst bedenklich, ob man aus dem staatlichen Unterlassen ableiten kann, die betroffenen Länder seien gegen das Indikatorenmodell. Es wäre nämlich sehr anmaßend, wollte man aus der Nichtabgabe der Berichte schließen, dass die betroffenen Länder das Indikatorenmodell ablehnen. Wenn sie sich weigern, am Staatenberichtsverfahren teilzunehmen, kann dies verschiedene Gründe haben. Allenfalls könnte man vertreten, der nichtberichtende Staat verneine konkludent die Befugnis des Ausschusses zur Berichtsprüfung beziehungsweise die aus seiner Sicht ausufernden Kompetenzanmaßungen.155 Jedenfalls was den Inhalt der Berichtspflicht anbelangt, ist die Nichtabgabe aber derart mehrdeutig, dass sich aus ihr nichts ableiten lässt. Da die Staaten entgegen Artikel 16 IPwskR keinen Bericht abliefern und dies auch nicht begründen, liegt keine Anwendung des Vertrags vor, wie es Artikel 31 Absatz 3 b) WVK analog verlangt, sondern eine Nichtanwendung.156 Daher hat bei der Frage, welche Vertragspraxis betreffend des Indikatorenmodells besteht, der Faktor außer Betracht zu bleiben, dass manche Staaten nicht berichten. Was die authentische Auslegung im Hinblick auf das Indikatorenmodell betrifft, liegt ein rechtliches Nullum vor. Fazit: Es besteht eine nachfolgende Vertragspraxis zugunsten des Indikatorenmodells. ber 2007). Zu den Grenzen der dynamischen Auslegung völkerrechtlicher Verträge Cremer a.a.O. (Fn. 140), Rn. 24 und Rn. 37 f. 153
Karl a.a.O. (Fn. 141), S. 189
154
Allein seit Mai 1993 sind dies 146; die Zahl lässt sich ermitteln aus den Informationen auf http://www.unhchr.ch/tbs/doc.nsf (abgerufen am 10. Dezember 2007). Die Zahl der fehlenden Initialberichte lässt sich ermitteln auf http://www.unhchr.ch/tbs/doc.nsf/newhvoverduebytreaty (abgerufen am 10. Dezember 2007) 155
Zum qualifizierten Stillschweigen im Völkerrecht: Schweisfurth a.a.O. (Fn. 149), S. 72 und 89 156
Der authentische, englische Wortlaut spricht von „application“
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Die spätere Vertragsübung kann aber zur Auslegung nur herangezogen werden, wenn hierdurch nicht andere Auslegungsmethoden unterlaufen werden. Andernfalls läge eine Vertragsänderung vor. Diese wäre nur wirksam, wenn sie den Anforderungen des Artikels 29 IPwskR entspräche.157
ee) Partielle Definitionen im Rahmen des „Typus“ Zu prüfen bleibt, ob die grammatische Auslegung umgangen wird, wenn man Begriffe operationalisiert, statt sie vollständig zu definieren. Man kann nämlich behaupten, der Sozialpakt dürfe seinen Begriffen nur eine solche Bedeutung zumessen, die sich anhand der überlieferten Auslegungsmethoden bestimmen lässt. Die grammatische Auslegung fragt nach dem natürlichen Wortsinn, dem semantischen Gehalt, wie er sich aus dem Sprachgebrauch und den Regeln der Grammatik ergibt. Normalerweise müssen die Begriffe derart definiert werden, dass sich Einzelfälle unter sie subsumieren lassen. Allerdings kennt auch das Zivilrecht Ausnahmen, in denen ein Begriff nicht definiert sein muss. Larenz nennt solche Fälle „Typus“.158 Beim Typus müssen nur einige der angegebenen Merkmale vorliegen. Sie sind häufig abstufbar und bis zu einem gewissen Grad austauschbar. Für sich allein genommen, haben sie nur die Bedeutung von Anzeichen oder Indizien. Der Typus wird nicht definiert, sondern beschrieben. Beispiel ist der Tierhalter (§ 833 BGB). Er ist gekennzeichnet durch unmittelbaren oder mittelbaren Besitz. Maßgeblich sind Intensität und Dauer. Beim Typus kommt es darauf an, ob die als typisch angesehenen Merkmale in solcher Zahl und Stärke vorhanden sind, dass der Sachverhalt im Ganzen dem Erscheinungsbild des Typus entspricht.159 Vielleicht mag man bezweifeln, ob es sich bei den Begriffen des Sozialpakts um Typen handelt. Aber selbst wenn es sich nicht um Typen handelt, ist fraglich, ob nicht die grammatische Auslegung missverstanden wird, wenn man aus ihr folgern will, die Begriffe des IPwskR müssten total definiert werden. 157
Dazu Sven Söllner: Studiengebühren und das Menschenrecht auf Bildung, 2007, S. 266 158
Larenz/Canaris a.a.O. (Fn. 65), S. 42; kritisch Bydlinski a.a.O. (Fn. 46), S. 545 – 548 159
Larenz/Canaris a.a.O. (Fn. 65), S. 42; zum Typenvergleich als Methode: Bydlinski a.a.O. (Fn. 46), S. 549
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ff) Die gewohnheitsrechtliche Geltung der grammatischen Auslegung Die grammatische Auslegung ist gewohnheitsrechtlich verankert. Zu prüfen ist, ob sie absolut gilt oder ob man in bestimmten Fällen von ihren Grundsätzen abweichen darf. Allerdings handelt es sich bei den Auslegungsregeln auch um Normen.160 Man spricht von Metanormen, also Normen höherer Ebene. Diese Metanormen können in Frage gestellt werden, weil sie ihrerseits der Auslegung bedürfen. Die Auslegung ist also ihrer eigenen Normierung immer um zumindest einen Schritt voraus.161 Das Dilemma lässt sich nur lösen, indem man sich überlegt, worauf die Auslegung zielt.162 Auslegung ist ein Hilfsmittel, um einen schwer verständlichen Text zu begreifen. Bei Rechtstexten geht es um das Verständnis der darin verankerten Normen.163 Man muss sich fragen, warum es erforderlich sein soll, Rechtsbegriffe nach ihrem Wortsinn und nach den Regeln der Grammatik zu interpretieren. Besteht im Fall des Sozialpakts dann ausnahmsweise kein Grund, ihn nach diesen Kriterien auszulegen, muss die Metanorm überarbeitet werden. Denn Auslegungsregeln sind kein Selbstzweck. Sie dürfen nicht zum bloßen Formalismus verkommen. Es gilt also zunächst zu klären, warum Rechtsbegriffe nicht mit Indikatoren operationalisiert, sondern grundsätzlich total definiert werden. Der Grund ist eine viele Jahrhunderte alten Tradition. Jedoch gibt es kein ausdrückliches Gebot, sie beizubehalten. Immerhin sind Wsk– Rechte erst seit kurzer Zeit kodifiziert. Das legt nahe, moderne Methoden anzuwenden.164 Mithin muss man sich fragen, ob die juristische Methodenlehre zwingende Gründe nennt, unter Rechtsbegriffe zu subsumieren. Die juristische Methodenlehre ist die Lehre von der richtigen und von der gerechten Entscheidung. Richtig ist eine juristische Entscheidung, wenn sie aus dem System der Rechtsregeln widerspruchsfrei abgeleitet wird. Gerecht ist sie, wenn sie aus der Perspektive eines objektiven, mit der Rechtsordnung vertrauten Betrachters einen für alle Beteiligten ange-
160 161
Cremer a.a.O. (Fn. 140), Rn. 18 (dort Anm. 18) Köck a.a.O. (Fn. 137), S. 221
162
Genaugenommen handelt es sich hier auch nur um eine vorläufige Lösung. Sie ist aber notwendig, um eine Endlosschleife zu vermeiden 163 164
Köck a.a.O. (Fn. 137), S. 220
Rehbinder bezeichnet dies als: „Auslegung an der sozialen Wirklichkeit“, a.a.O. (Fn. 11), S. 21
118
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messenen Interessenausgleich herbeiführt. Grundsätzlich induziert eine aus dem Rechtssystem begründete widerspruchsfreie Entscheidung zugleich eine gerechte Entscheidung, weil der angemessene Interessenausgleich unter Berücksichtigung der Ziele und Zwecke des Gesetzes schon Teil der internen juristischen Argumentation ist.165 Die Entscheidung wird also grundsätzlich widerspruchsfrei abgeleitet, weil man dies für gerecht hält. Gerechtigkeit ist somit das Endziel. Lässt sie sich mit anderen Methoden als durch widerspruchsfreie Auslegung erreichen, ist hiergegen nichts einzuwenden. Fraglich ist, ob die Operationalisierung von Vorschriften eine gerechte Lösung in diesem Sinne ist. Hier muss man sich auf den Zweck der Rechtsnormen besinnen. Sie wollen das soziale Zusammenleben ordnen.166 Dafür ist es notwendig, dass sie Konflikte gerecht, das heißt angemessen lösen. Das von einer Rechtsnorm angestrebte Ziel kann aber nur erreicht werden, wenn der Rechtsunterworfene weiß, was von ihm verlangt wird. Im Strafrecht wird dies besonders deutlich, dort begrenzt der noch mögliche Wortlaut die Auslegung (Artikel 103 Absatz 2 GG). Der Normunterworfene soll sein Verhalten an der Norm ausrichten können. Die Mehrheit der Menschen scheint es auch als angemessen anzusehen, dass die Normadressaten die Auswirkungen einer Norm vorhersehen können. Dieser Wille kommt ansatzweise im deutschen Rechtsstaatsprinzip zum Ausdruck.167 Eine nachzeichenbare Letztbegründung für diesen Wunsch nach Vorhersehbarkeit gibt es aber nicht. In gewissem Umfang handelt es sich um eine Entscheidung nach dem Rechtsgefühl. Es scheint ein gewisser Konsens zu bestehen, dass es ungerecht wäre, eine Norm in einem Sachverhalt anzuwenden, wenn sich dieser nicht unter alle Tatbestandsmerkmale subsumieren lässt. Dem Rechtsgefühl widerstrebt es etwa, eine Entscheidung nach dem gesunden Volksempfinden zu treffen. Das Rechtsgefühl verlangt, Normen vorhersehbar zu machen. Sie sollen nicht nur für fachkundige Gerichtsorgane verständlich sein, sondern auch für die Normadressaten. Im Falle des Sozialpakts sind dies Staatenvertreter, in gewissem Umfang Individuen und
165 166 167
Schwintowski a.a.O. (Fn. 46), S. 11 Vgl. Engisch a.a.O. (Fn. 48), S. 246; Schwintowski a.a.O. (Fn. 46), S. 201
BVerfG 2 BvL 4, 26, 40/56, 1, 7/57 vom 2. November 1958 Rn. 199. Zum deutschen Rechtsstaatsprinzip siehe ausdrücklich Art. 28 Abs. 1 GG, vgl. aber auch die Art. 20 Abs. 3 und 19 Abs. 4 GG
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im politischen Rahmen sogar Nichtregierungsorganisationen.168 Sind die Normadressaten nicht juristisch geschult, werden sie sich vorrangig am Wortsinn orientieren. Deswegen hat die grammatische Auslegung eine besondere Bedeutung bei der Frage, ob der Norminhalt hinreichend vorhersehbar ist. Die Vorhersehbarkeit ist aber nichts Absolutes. Sie lässt gewisse Aufweichungen zu. Ansonsten wären offene Tatbestandsmerkmale unzulässig. Für diejenigen, die als erste von der Norm betroffen sind, wird die Gerichtsentscheidung in gewissem Umfang unvorhersehbar. Dies ist aber unvermeidlich, weil der Gesetzgeber eine Vielzahl von Fällen abstrakt regeln will. Fazit: Die Vorhersehbarkeit ist eine relative. Der Wortlaut soll zwar mit Blick auf die Vorhersehbarkeit Grenzen abstecken. Kann man sie aber auf andere Weise sicherstellen oder verzichten die Normunterworfenen gar auf sie, so ist dem Gerechtigkeitsempfinden Genüge getan.
gg) Anwendung der Grundsätze auf den Sozialpakt Es kann die These gewagt werden, dass die Staaten durch die Ratifizierung des IPwskR in gewissem Umfang auf die Vorhersehbarkeit verzichtet haben. Der Grund liegt darin, dass das Berichtsprüfungsverfahren nur sehr abstrakt geregelt ist. In den Artikeln 16 und 17 IPwskR wird dem ECOSOC ein weiter Spielraum eingeräumt. Innerhalb dieses Rahmens wird die Berichtsprüfung für die Staaten unvorhersehbar. Aufgrund des weiten Spielraums ist es nicht ausgeschlossen, dass der ECOSOC beziehungsweise der Ausschuss Indikatoren gebrauchen. Fest steht, dass ein Berichtsverfahren vorgesehen ist. Der Umfang dieses Verfahrens kann variieren. Es ist erlaubt, nur eine begrenzte Zeit für jede Berichtsprüfung vorzusehen. Damit ist zwingend verbunden, dass nicht alle Aspekte der Paktverwirklichung diskutiert werden können. Das konnten die Staaten vorhersehen. Auch ergibt sich aus Artikel 2 Absatz 1 IPwskR, dass man prüfen können muss, inwieweit die Rechte bereits verwirklicht sind. Ansonsten wäre der IPwskR unverbindlich, und man hätte es bei der AEMR belassen können. Da die Rechte des Sozialpakts aber jedermann zustehen, wäre es willkürlich, einzelne Menschen als Objekt der Berichtsprüfung auszuschließen. Vielmehr soll in der knappen Zeit des Berichtsverfahrens bei möglichst vielen Menschen geprüft werden, inwieweit sie die Wsk–Rechte bereits genie168 Zum Einfluss der NGOs auf die Verwirklichung der Wsk–Rechte siehe oben S. 55
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ßen. Hierfür bieten sich quantitative Methoden an.169 Dass dann nicht alle Aspekte der Paktrechte geprüft werden können, liegt in der Natur der Sache. Zwischenfazit: Es war für die Staaten vorhersehbar, dass der Ausschuss, vermittelt durch den ECOSOC, eventuell quantitative Methoden anwendet. Indem sie ihm einen Spielraum bei der Berichtsprüfung einräumten, haben sie akzeptiert, dass er nur einzelne Aspekte der Paktrechte analysiert. Die Staaten haben also hingenommen, dass sich der Ausschuss für das Indikatorenmodell entscheidet. Daher liegt keine unzulässige Verkürzung von Rechtsbegriffen vor. Die Verkürzung ist vielmehr vom Sozialpakt gestattet. Dennoch ist die Semantik im Sozialpakt nicht ohne jeden Belang. Zunächst müssen die Begriffe des IPwskR definiert werden, bevor man sie operationalisieren kann.170 Zudem darf der Ausschuss als Gründen der Vorhersehbarkeit nur solche Umstände in die Berichtsprüfung einbeziehen, die im Zusammenhang mit den Paktrechten stehen. Daraus ergibt sich, dass der Ausschuss nicht sämtliche Indikatoren des Indikatorenuniversums für die Berichtsprüfung verwenden darf. Dies wäre in der Tat unvorhersehbar. Was in der Theorie plausibel klingt, erweist sich in der Praxis allerdings als problematisch: Es gibt keine objektiven Kriterien, um zu entscheiden, ob ein Indikator mit einem Begriff korrespondiert. Jede Festlegung eines Grenz–Korrelationskoeffizienten wäre damit willkürlich. Eine Grenze kann jedoch aufgrund von Gerechtigkeitserwägungen gefunden werden: Die Staaten haben auf die Vorhersehbarkeit nur verzichtet, um das Prüfungsverfahren praktikabel zu machen. Wegen des Grundsatzes der Souveränität ist dieser Verzicht so eng wie möglich auszulegen. Das bedeutet also: Die Vorhersehbarkeit darf nur soweit eingeschränkt werden, wie es für das Prüfungsverfahren unerlässlich ist. Die Staaten wollten nämlich so viel wie möglich vorhersehen können. Zudem darf der Ausschuss sich darauf beschränken, nur wenige Indikatoren zu prüfen. Gerecht erscheint diese Begrenzung aber nur, wenn solche Indikatoren gewählt werden, von denen angenommen wird, dass sie am stärksten mit dem Rechtsbegriff korrespondieren. Wenn der Ausschuss etwa fünf Indikatoren pro Paktrecht gebraucht, so müssen dies diejenigen mit dem höchsten Korrelationskoeffizienten sein. Es würde dem Rechtsgefühl widerstreben, einem Staat eine Völ169 170
Tomaševski: Human Rights Indicators a.a.O. (Fn. 10), S. 139 Ibidem, S. 152
Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells
121
kerrechtsverletzung anzulasten, wenn diese fünf Indikatoren gute Werte aufweisen und nur ein weit weniger valider einen schlechten. Fazit: Der ECOSOC hat zwar einen Spielraum bei der Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens, für die Staaten muss aber grob vorhersehbar sein, welche Indikatoren er oder der Ausschuss gebrauchen. Der Wortlaut der Paktrechte ist also insoweit von Bedeutung, als er einen – allerdings dehnbaren – Rahmen vorgibt. Es dürfen nur diejenigen Indikatoren herangezogen werden, die mit dem Rechtsbegriff am stärksten korrespondieren, also die mit der höchsten Validität.
e) Das Basissatzproblem Damit ist das Problem aufgeworfen, dass sich stets nur vorläufig ermitteln lässt, wie valide ein Indikator ist. In der Rechtswissenschaft glaubt man aber, einen Sachverhalt endgültig beurteilen zu müssen, um ihn einem Tatbestand zuzuordnen. Bei der Subsumtion geht es häufig um kausale Zusammenhänge. In der Sozialwissenschaft sind hingegen keine deterministischen Gesetze bekannt.171 Indikatoren differenzieren daher nicht zwischen Ursache und Wirkung. Es besteht lediglich eine Korrelation, ein Zusammenhang. In beiden Fällen unterscheiden sich also die Grade der Gewissheit. Allerdings ist dieser Unterschied im Ergebnis nur ein scheinbarer. Auch die Jurisprudenz geht nämlich von nur vorläufig verifizierbaren Prämissen aus. Dies liegt daran, dass die ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel begrenzt sind. Bereits im Rahmen der Definition kann sich eine Prämisse als falsch herausstellen.172 Im Mittelalter hätte man etwa Erde definiert als „scheibenförmiges Gebilde, über dem sich der Himmel wölbt“.173 Aufgrund neuer Erkenntnismethoden glaubt die Menschheit nun, dass diese Annahme nicht stimmt. Selbst Naturgesetze sind nicht endgültig verifizierbar, beanspruchen also nicht für immer
171
Diekmann a.a.O. (Fn. 6), S. 107 f.; Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 66; Opp a.a.O. (Fn. 36), S. 39 f.; weitergehend für menschenrechtliche Korrelationen: Michael Stohl et. al.: State Violation of Human Rights, in: HRQ 8 (1986) S. 592 (S. 593) 172
Edmunds Apsalons: Das Problem der Letztbegründung und die Rationalität der Philosophie, 1995, S. 89 f. 173
Beispiel nach Schwintowski a.a.O. (Fn. 46), S. 181
122
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
und ewig Gültigkeit.174 Beispielsweise gibt es beim Newtonschen Gravitationsgesetz keinen logischen Grund für die Annahme, dass dieses immer gelten wird. In der Tat existieren für fast alle naturwissenschaftlichen Gesetze Anomalien, das heißt Fälle, die im Widerspruch zu ihnen stehen.175 Zur Veranschaulichung kann hier die berühmte „Sumpflandmethapher“ Karl Poppers herangezogen werden: „So ist die empirische Basis der objektiven Wissenschaft nichts ‚Absolutes‘; die Wissenschaft baut nicht auf Felsengrund. Es ist eher ein Sumpfland, über dem sich die kühne Konstruktion ihrer Theorien erhebt; sie ist ein Pfeilerbau, dessen Pfeiler sich von oben her in den Sumpf senken – aber nicht bis auf einen natürlich ‚gegebenen‘ Grund. Denn nicht deshalb hört man auf, die Pfeiler tiefer hineinzutreiben, weil man auf eine feste Schicht gestoßen ist; wenn man hofft, daß sie das Gebäude eines Tages tragen werden, beschließt man, sich vorläufig mit der Festigkeit der Pfeiler zu begnügen.“176 Theorien sind also immer nur ad interim verifizierbar, können sich also nachträglich als falsch erweisen.177 Im Bereich der Rechtswissenschaft ist dies besonders relevant, wenn man sich überlegt, wie juristische Definitionen zustande kommen: Sie werden durch Auslegung ermittelt.178 Letztere geht nach bestimmten Kriterien vor sich, die ihrerseits der Auslegung bedürfen. Beim Subsumieren fehlt also den Prämissen letztlich das Fundament. Dem Juristen sind vorläufige Entscheidungen, die Gültigkeit beanspruchen, aber bekannt. Erwächst nämlich ein Urteil in Rechtskraft, so kann
174
Karl Raimund Popper: Über die empirische Methode und den Begriff der Erfahrung, in: Troels Eggers Hansen (Hrsg.): Karl Popper – Frühe Schriften, 2006, S. 459 (S. 470); ders. Grundprobleme, a.a.O. (Fn. 10), S. 8 175
Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 61; Chalmers a.a.O. (Fn. 46), S. 42
176
Karl Raimund Popper: Logik der Forschung, 9. Auflage, 1989, S. 75, Hervorhebungen im Original. Siehe auch ders. Grundprobleme, a.a.O. (Fn. 10), S. 8 177
Chalmers a.a.O. (Fn. 46), S. 51 – 59; Apsalons a.a.O. (Fn. 172), S. 172 –
174 Allerdings kann sich auch die Falsifizierung nachträglich als falsch herausstellen, vgl. Popper: Über die empirische Methode, a.a.O. (Fn. 174) S. 470 – 473. Zum kritischen Rationalismus: Mayring a.a.O. (Fn. 30), S. 23 178
Von Legaldefinitionen einmal abgesehen
Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells
123
es grundsätzlich179 nicht mehr geändert werden, selbst wenn sich die zugrunde liegende Subsumtion nachträglich als falsch herausstellt. Genau dieser Vergleich mit dem Urteil wird auch in der empirischen Sozialforschung verwendet.180 Kausalitäten sind nicht verifizierbar. Dass ätiologisch zwischen Kausalität und Korrelation unterschieden wird, beruht meist darauf, dass bei der Kausalität eine Aussage besser bestätigt ist. Man spricht dann von einem (Natur–)Gesetz. Da sich aber auch Kausalitäten letztlich als falsch erweisen können, fehlen sowohl Kausalität als auch der Korrelation die Basis. Beide sind nicht objektiv begründbar.181 Nun wird bei der Operationalisierung im Gegensatz zur Subsumtion noch eine Messanweisung zwischengeschaltet. Dies ändert jedoch nichts daran, dass in beiden Fällen eine Definition einem abstrakten Begriff zugeordnet wird. Man kann behaupten, bei der Subsumtion beträgt die Validität 100 Prozent. Man kommt dann zum selben Ergebnis wie der klassische Operationalismus.182 Dort wird der Begriff mit einem oder mehreren Indikatoren gleichgesetzt, und es stellt sich nicht das Problem, dass sie nur vorläufig verifiziert werden. Man bleibt im altbekannten Syllogismus. Theorien über Indikatoren müssen nicht verifiziert werden, man begnügt sich mit Festsetzungen. Das Problem der fehlenden Basis wird umgangen. Allerdings widerspricht der klassische Operationalismus dem Sozialpakt. Die Menschenrechte sollen gerade umfassend verwirklicht werden. Der Sozialpakt erlaubt zwar, wie sonst jedes Gesetz, seine Begriffe nominal zu definieren. Jedoch haben die obigen Ausführungen gezeigt, dass es weder dem Ausschuss noch einzelnen Staaten erlaubt ist, Indikatoren nach Belieben auszuwählen. Die Vorhersehbarkeit ist nur gewahrt, wenn die Indikatoren sozialwissenschaftlich de lege artis ausgewählt werden. Auch ist der klassische Operationalismus in den Sozialwissenschaften überholt. Daher dürfen Indikatoren im Berichtsprüfungsverfahren allenfalls nach dem kausalanalytischen Ansatz ausgewählt werden.183 179
Ausnahmen sind beispielsweise die Wiederaufnahmeverfahren, etwa nach §§ 578 ff. ZPO; 359 ff. StPO 180 181 182 183
Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 82 Bydlinski a.a.O. (Fn. 46), S. 64 Dazu oben S. 91 Dazu oben S. 92 f.; vgl. auch Bydlinski a.a.O. (Fn. 46), S. 64
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Gegen die Prüfung mit Indikatoren mag man einwenden, dass sich ihre Gültigkeit nicht sinnesgemäß erfassen, sondern nur empirisch überprüfen lässt. Und diese Überprüfung kann sich als falsch herausstellen. Allerdings können sich – wie ausgeführt – auch die Prämissen bei der Subsumtion als falsch herausstellen.184 Ob ein Begriff nach den Regeln der Grammatik oder nach denen der Sozialwissenschaft analysiert wird, kann nicht entscheidend sein. In beiden Fällen fehlt die Letztbegründung. Empirische Erfahrung (a posteriori) und von Erfahrung unabhängige Erkenntnis (a priori) sind mithin nicht so unterschiedlich, wie früher angenommen.185 Gerecht wirken sowohl die Ergebnisse einer Subsumtion als auch die einer Operationalisierung nur, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: 1.) Es muss sich um intersubjektiv beobachtbare Ereignisse handeln. 2.) Es darf kein Widerspruch mit anderen, anerkannten Basissätzen bestehen. 3.) Sie müssen mit methodischem Fachwissen einer wissenschaftlichen Disziplin gewonnen werden.186 Fazit: Operationalisierungen bestehen letztlich aus Festsetzungen, für die es keinen intersubjektiv nachprüfbarer Grund gibt. Allerdings befinden sich diese Beschlüsse auf einer anderen Stufe als beim klassischen Operationalismus. Sie stehen der kausalen Herleitung näher. Letztlich ist es aber unerlässlich, auf das Rechtsgefühl zurückzugreifen. Sind die genannten Anforderungen gewahrt, kann das Indikatorenmodell nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass sich nur vorläufig und auch nur empirisch überprüfen lässt, inwieweit Indikatoren mit einem Begriff korrespondieren.
f) Kein Widerspruch zum Menschenwürdegehalt Von der menschenrechtlichen Literatur wird zuweilen vorgebracht, es sei menschenunwürdig, die Paktverwirklichung mit quantitativen Methoden zu messen.187 Der Ausschuss sei an den Menschenwürdegehalt 184
Zum radikal induktivistischen Ansatz vgl. Popper: Grundprobleme, a.a.O. (Fn. 10), S. 7 f. 185
Schwintowski a.a.O. (Fn. 46), S. 179 mit Verweis auf Kant; Bydlinski a.a.O. (Fn. 46), S. 63; Popper: Grundprobleme, a.a.O. (Fn. 10), S. 33 – 39 186
So: Schnell/Hill/Esser a.a.O. (Fn. 4), S. 82 für die Ergebnisse der Operationalisierung 187
Tomaševski: Human Rights Indicators a.a.O. (Fn. 10), S. 138
Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells
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über die Präambel des Sozialpakts in Verbindung mit Artikel 68 UN– Charta gebunden.188 Bei der Quantifizierung von Menschenrechten werde der Mensch zum bloßen Objekt der öffentlichen Gewalt, zu einer Zahl degradiert. Weitergehend sei zu befürchten, dass er bestenfalls als menschliches Potenzial, menschliches Kapital oder menschliche Ressource betrachtet werde.189 Dem ist zunächst zu entgegnen, dass der Einzelne vielfach Objekt öffentlichen Handelns ist, ohne dass dies beanstandenswert ist – so etwa wenn er sich ohne Rücksicht auf seine Interessen fügen muss.190 Außerdem wird dem Individuum der Menschenwürdegehalt nicht abgesprochen. Passend ist hier die Formel des Bundesverfassungsgerichts: Die Menschenwürde ist nur verletzt, wenn der Einzelne einer Behandlung unterzogen wird, die seine Subjektsqualität prinzipiell in Frage stellt.191 Dieser Ausdruck bezieht sich zwar auf das Luftsicherheitsgesetz, also auf nationales Recht. Das Problem ist aber ähnlich gelagert, wie das des Indikatorenmodells. In beiden Fällen geht es darum, inwieweit Leben quantifiziert werden darf. Dass der Einzelne kein Verfahrenssubjekt ist, liegt daran, dass es sich um ein Staatenberichtsverfahren handelt, um ein Verfahren im objektiven Interesse. Auch bei einer Volksbefragung bildet die Stimme des Einzelnen einen Wert, ohne dass dadurch seine Subjektsqualität in Frage gestellt wird. Zudem bezweckt das Verfahren gerade, die Wsk– Rechte zu schützen. Diese sind aber einzelne Elemente der Menschenwürde. Daraus folgt, dass das Verfahren vor dem Ausschuss letztlich dazu dient, die Menschenwürde zu schützen. Dem könnte man entgegenhalten, die Präambel spreche von der Würde des Menschen und nicht von der Würde der Menschheit. Daher verbiete es sich, kollektive Aspekte zu messen. Dieses Argument fällt aber in sich zusammen, wenn man bedenkt, welche konkreten Umstände die Indikatorwerte ausmachen. Es fließen die Lebensumstände einzelner Menschen ein. Genau diese sollen aber im Staatenberichtsverfahren 188
Dieses Ergebnis kann man auch aus der Präambel der UN–Charta herlei-
ten 189
Tomaševski: Human Rights Indicators a.a.O. (Fn. 10), S. 142; vgl. auch Klee a.a.O. (Fn. 108), S. 128 190
Wolf–Rüdiger Schenke: Die Verfassungswidrigkeit des § 14 III LuftSiG, in: NJW 2006, S. 736 (S. 738) 191
1 BvR 357/05 vom 15. Februar 2006 Rn. 121
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
verbessert werden. Der Einzelne muss sich also nicht einem Kollektiv unterordnen. Es geht gerade um ihn, wenn auch nicht um ihn allein. Der Einzelne wird damit nicht zu einer Zahl. Die Zahl ist lediglich ein Mittel, um seine Interessen zu verwirklichen.192 Man könnte allenfalls argumentieren, dass jeder Indikator immer alle Menschen einbeziehen müsse. Werden die Lebensumstände nur eines Teils der Menschheit gemessen, so wird ein anderer Teil ausgeschlossen. Dies widerspräche also dem Grundsatz der Universalität der Menschenrechte.193 Dem ausgeschlossen Teil wird aber nicht die Würde abgesprochen. Über ihn wird nämlich nichts ausgesagt. Wenn also ein Indikator nur die Verwirklichung eines Wsk–Rechts an Inländern misst, werden dadurch Ausländer nicht Inländern untergeordnet. Eine Ausnahme mag gelten, wenn dies systematisch erfolgt und mit dem Ziel, diese herabzusetzen. Grundsätzlich ist es aber sogar erlaubt, nur Teile einer Bevölkerung in die Messung einzubeziehen. Das Problem ist insbesondere dann relevant, wenn man besonders verwundbare oder benachteiligte Gruppen messen will. Schließlich dient der Sozialpakt der Menschenwürde aller Menschen. Es sollen also möglichst viele vom Staatenberichtsverfahren profitieren. Dieses Ziel lässt sich am besten mittels Quantifizierung verwirklichen. Fazit: Die Menschenwürde spricht nicht dagegen, sondern gerade dafür, die Paktrechte mit Indikatoren zu operationalisieren.
g) Keine verbotene Teilung von Menschenrechten Heute ist allgemein anerkannt, dass Menschenrechte unteilbar sind.194 Darunter versteht man normalerweise, dass einzelne Rechte nicht isoliert verwirklicht werden dürfen, sondern dass jeder Staat verpflichtet
192
Dagegen wäre es verboten, Menschen auf rechnerische Größen zu reduzieren, insbesondere, wenn sie dabei verdinglicht und entrechtet werden, dazu Schenke a.a.O. (Fn. 190), S. 738 193
Zur Gleichwertigkeit aller Menschen und der aus ihr abzuleitenden Universalität: Christian Bay: A Human Rights Approach to Transnational Politics, in: Universal Human Rights 1979, S. 19 (S. 25) 194
Wiener Weltmenschenrechtskonferenz UN Doc. A/CONF.157/23 vom 12. Juli 1993 § 5; Tomaševski: Human Rights Indicators a.a.O. (Fn. 10), S. 142
Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells
127
ist, sie alle gleichermaßen zu schützen und zu fördern.195 Diese Ganzheit von Menschenrechten wird aber nicht nur dann aufgespalten, wenn man mehrere Rechte voneinander trennt, sondern auch, wenn man ein Recht in seine Bestandteile zerlegt. Beim Indikatorenmodell wird es aber notwendigerweise geteilt, weil im Verfahren von dem Ausschuss schon aus Zeitgründen kein Wsk–Recht vollständig mit Indikatoren operationalisiert wird. Beschränkt sich der Ausschuss nämlich auf wenige Indikatoren, so werden zwangsläufig andere Aspekte des Paktrechts ausgeblendet. Man könnte daraus ableiten, dass das Indikatorenmodell dem Unteilbarkeitsgrundsatz widerspricht.196 Das Verbot der Teilung von Menschenrechten ist eine rein materielle Frage. Es muss verhindert werden, dass Rechte auf Kosten anderer verwirklicht, ein Recht sowie seine Bestandteile vernachlässigt oder gegeneinander ausgespielt werden. Dies kommt auch in Artikel 5 IPwskR zum Ausdruck.197 Materiell wird aber über die Dimensionen, die nicht operationalisiert sind, nichts ausgesagt. Insoweit liegt ein Nullum vor. Das Paktrecht wird nicht materiell geteilt, wenn einzelne seiner Elemente nicht gemessen werden. Die Teilung hat rein formelle Gründe, weil die progressive Komponente sonst nicht messbar wäre. Dass eine solche formelle Teilung erlaubt ist, ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass anerkanntermaßen nicht alle Menschenrechte im gleichen Verfahren geprüft werden müssen. Beispielsweise werden bürgerlich– politische Rechte vor dem UN–Menschenrechtsrat geprüft, Wsk– Rechte hingegen vor dem Ausschuss. Noch niemand kam auf die Idee, hierin eine Verletzung des Unteilbarkeitsdogmas zu sehen. Fazit: Das Unteilbarkeitsdogma verbietet grundsätzlich nicht, Menschenrechte mit Indikatoren zu operationalisieren. Trotzdem gelten gewisse Einschränkungen: Die Rechte dürfen nicht gezielt beschnitten werden, indem man nur Indikatoren mit einer gerin195
Georg Lohmann: Die Menschenrechte: unteilbar und gleichgewichtig?– Eine Skizze, in: ders: Die Menschenrechte: unteilbar und gleichgewichtig? 2005, S. 5 196 197
Vgl. Tomaševski: Human Rights Indicators a.a.O. (Fn. 10), S. 138
Die englische Fassung des Art. 5 IPwskR lautet: „Nothing in the present Covenant may be interpreted as implying for any State, group or person any right to engage in any activity or to perform any act aimed at the destruction of any of the rights or freedoms recognized herein, or at their limitation to a greater extent than is provided for in the present Covenant.”
128
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
gen Validität verwendet. Diese Anforderung gilt aber ohnehin, weil es vorhersehbar sein muss, wie die Paktrechte operationalisiert werden.198
h) Kein Verstoß gegen die Universalität durch wertende Auswahl von Indikatoren Menschenrechte gelten universell, das heißt, sie müssen überall und für alle Individuen identisch sein.199 Zum Ausdruck kommt diese Anforderung in Artikel 55 c) UN–Charta200 und in der Betitelung der AEMR („Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“) beziehungsweise noch deutlicher in der englischen Fassung („Universal Declaration of Human Rights“).201 Dass die Universalität auch innerhalb des Sozialpakts gilt, folgt nicht zuletzt aus Artikel 2 Absatz 3 IPwskR: Diese Norm enthält für Entwicklungsländer eine Sondervorschrift, die es ihnen begrenzt erlaubt, 198
Siehe oben S. 123
199
Besonders deutlich ist hier Art. 2 Abs. 2 der Asian Human Rights Charter von 1998: „We believe that rights are universal, every person being entitled to them by virtue of being a human being. Cultural traditions affect the way in which a society organizes relationships within itself, but they do not detract from the universalism of rights which are primarily concerned with the relationship of citizens with the state and the inherent dignity of persons and groups.” Zur Universalität von Wsk–Rechten siehe ferner: András Sajó: Socioeconomic rights and the international economic order, in: New York University Journal of International Law and Politics 2002–2003, S. 221 (S. 235); Allgemein zur Universalität: Eckard Klein in: UN Doc. CCPR/C/SR.1753 § 8; Jakob Schneider: Menschenrechtlicher Schutz geistigen Eigentums, 2006, S. 101 f. 200
Die deutsche Übersetzung lautet: „Um jenen Zustand der Stabilität und Wohlfahrt herbeizuführen, der erforderlich ist, damit zwischen den Nationen friedliche und freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen herrschen, fördern die Vereinten Nationen [...] die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion.“ 201
Der französische Titel lautet: „Déclaration universelle des droits de l’homme“. Regionale Vorschriften des internationalen Rechts, in denen die Universalität der Menschenrechte zum Ausdruck kommt finden sich in der Präambel der EU–Grundrechtecharta und im Abschnitt VII der KSZE–Schlussakte (Helsinki). Deutschland erkennt die Universalität der Menschenrechte an in: UN Doc. CCPR/C/SR.1551 vom 1. Februar 1997, § 4
Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells
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den Grundsatz der Universalität zu durchbrechen. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass in allen anderen Fällen die Rechte sämtlichen Menschen gleichermaßen zugute kommen müssen.202 Die Probleme bei der Verwirklichung des Sozialpakts können sich hingegen durchaus unterscheiden. Während in einem Mitgliedsstaat die Zahl der Hungerleidenden groß ist, kann es in einem anderen beispielsweise zu massiven Vertreibungen kommen. Selbstverständlich gelten in beiden Fällen alle Paktrechte für sämtliche Einwohner. Dennoch wird sich der Ausschuss wegen der knappen Zeit im Prüfungsverfahren immer nur auf die Kernprobleme in einem Land konzentrieren können.203 Dies bringt mit sich, dass er von Staat zu Staat unterschiedliche Indikatoren anwenden muss.204 Es ließe sich behaupten, dass hierbei gegen die Universalität der Menschenrechte verstoßen werde, weil letztere auch verlange, dass die Menschenrechte einheitlich überwacht werden.205 In der Tat wäre es unzulässig, wenn der Ausschuss oder die Staaten nach Belieben Indikatoren auswählen könnten. Da jedoch immer diejenigen mit dem größtmöglichen Korrelationskoeffizienten angewendet werden müssen,206 werden die Paktrechte letztlich doch universell umgesetzt. Natürlich muss es dem Ausschuss möglich sein, seine Aufmerksamkeit auf die Hauptschwierigkeiten in den einzelnen Ländern zu richten.207 Es ist ihm jedoch nicht erlaubt, sich darauf zu beschränken und Indikatoren nur problemorientiert anzuwenden. Er darf einen 202
Vgl. Victor Dankwa: Working Paper on Article 2 III of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, HRQ 9 (1987) S. 230 (S. 236) 203
Zur neueren Ausschusspraxis insoweit: Riedel in: Etudes en l’honneur du Professeur Giorgio Malinverni, a.a.O. (Fn. 93), S. 266 f. 204
Malhotra/Fasel: Quantitative Human Rights Indicators, a.a.O. (Fn. 85),
S. 29 205
Tomaševski: Human Rights Indicators a.a.O. (Fn. 10), S. 142 und 151, die es deswegen auch ablehnt, die Staatenwelt zu klassifizieren, beispielsweise in entwickelte Industrienationen, entwickelte Planwirtschaften sowie Entwicklungsländer und für jede Gruppe andere Indikatoren anzuwenden. Abweichend die Ergebnisse des UN Seminars für geeignete Indikatoren, UN. Doc. A/CONF.157/PC/73 § 24, etwas anders auch Schneider: Menschenrechtlicher Schutz geistigen Eigentums, a.a.O. (Fn. 199), S. 102 206 207
Siehe oben S. 123
So die Ergebnisse des UN Seminars für geeignete Indikatoren, UN. Doc. A/CONF.157/PC/73 § 24
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Indikator erst gebrauchen, wenn er die Werte derjenigen mit höherer Korrespondenz zumindest kurz in den Blick genommen hat. Andernfalls ist die Universalität nicht gewährleistet. Vergleichen lässt sich dieses Modell mit einem nationalen Strafverfahren: Will das Gericht das Verhalten des Angeklagten auf seine strafrechtliche Relevanz prüfen, darf es sich nicht auf einzelne Strafvorschriften beschränken. Es muss stets alle Straftatbestände zumindest gedanklich anprüfen, da für jeden Angeklagten dieselben gelten. Zwischenfazit: Grundsätzlich muss der Ausschuss die Indikatoren in absteigender Reihenfolge entsprechend ihrem Korrelationskoeffizienten anwenden. Diese Reihenfolge muss für jedes Land gleich sein, ansonsten besteht die Gefahr, dass „Substandards für Submenschen“ gebraucht werden.208 Klärungsbedürftig ist, ob gegen die Universalität verstoßen wird, wenn der Ausschuss gezielt Indikatoren für besonders verletzbare und benachteiligte Gruppen heranzieht209 und andere Indikatoren mit vermeintlich höheren Korrelationskoeffizienten überspringt. Zwar bildet der Ausdruck „besonders verletzbare und benachteiligte Gruppen“ einen flexiblen Rahmen, der auf jedes Land problemspezifisch angewendet wird. Andererseits weisen diese Gruppen meist faktisch gemeinsame Merkmale auf, weil der Ausschuss sie vor der Anwendung im Berichtsprüfungsverfahren in seinen „General Comments“ in der Regel näher beschrieben hat.210 Vor allem aber gebieten die Arti208
So die Auffassung von Teilnehmern des UN Seminars für geeignete Indikatoren, ibidem, § 25; Tomaševski: Human Rights Indicators a.a.O. (Fn. 10), S. 149 209
Beispielsweise: UN Doc. E/C.12/1/Add.2 § 5; E/C.12/1993/18 § 6; E/C.12/1993/16 § 5; General Comment Nr. 1, enthalten in: UN Doc. E/1989/ 22, § 3; General Comment Nr. 3, enthalten in: UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7, § 12. UN Sonderberichterstatter Paul Hunt zählt diese Methode zum “human rights–based approach“, UN Doc. E/CN.4/2006/48 § 25. Empfohlen wird die gesonderte Ausweisung dieser Gruppen auch vom UN Seminar für geeignete Indikatoren, UN Doc. A/Conf. 157/PC/73 § 17 210
Zum Beispiel: General Comment Nr. 4, enthalten in: UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7, § 13 (Obdachlose, Vertriebene); General Comment Nr. 5, enthalten in: UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7, § 9 (Behinderte) § 32 (behinderte Kinder); General Comment Nr. 6 enthalten in: UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7 (ältere Menschen); General Comment Nr. 7 enthalten in: UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7, § 10 (Jugendliche, ethnische Minderheiten); General Comment Nr. 12 enthalten in: UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7, § 10 § 13 (Perso-
Kapitel 3: Die Zulässigkeit des Indikatorenmodells
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kel 2 Absatz 2 und Artikel 3 IPwskR, die Gleichberechtigung sicherzustellen, was inzident erfordert, reale Benachteiligungen abzuschaffen.211 Diese Staatenpflicht hat auch progressive Dimensionen, die der Ausschuss überwachen können muss. Bereits dies würde genügen, um eine Durchbrechung der Universalität zu rechtfertigen. Verstärkend tritt jedoch hinzu, dass das Prinzip der Universalität ja letztlich dazu dient, alle Menschen gleichzustellen. Deswegen spricht dieser Grundsatz sogar dafür, die besonders benachteiligten Gruppen und die Randschichten der Gesellschaft zu fördern und mithin gesondert auszuweisen.212 Da die Universalität verlangt, die Gleichstellung umfassend zu verwirklichen, kann es nicht von Bedeutung sein, ob die benachteiligten Personen durch dieselben oder durch unterschiedliche Merkmale von den begünstigten abweichen und ob sie in demselben Staat wohnen oder in verschiedenen. Außerdem kann man vertreten, dass Indikatoren für besonders benachteiligte Gruppen und die Randschichten einen besonders hohen Korrelationskoeffizienten aufweisen. Mit Indikatoren soll nämlich der gesamte Inhalt eines Paktrechts operationalisiert werden. Dieser ergibt sich indes nicht allein aus den im Paktrecht ausgewiesenen Tatbestandsmerkmalen, sondern im Zusammenspiel mit den Vorschriften des allgemeinen Teils des Sozialpakts. Dort finden sich die Artikel 2 Absatz 2 und 3, die die Staaten verpflichten, besonders benachteiligte Menschen den übrigen gleichzustellen. Die Gleichstellungspflicht gehört somit zum Inhalt des Paktrechts und muss in seine Operationalisierung einbezogen werden. Fazit: Die Universalität der Menschenrechte spricht nicht gegen das Indikatorenmodell, wenn die Indikatoren in absteigender Reihenfolge entsprechend ihrem Korrelationskoeffizienten angewendet werden.213 Es ist dabei nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten, die besonders verletzbaren und benachteiligten Personen gesondert zu messen.
nen ohne Grundbesitz); General Comment Nr. 14 enthalten in: UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7, § 12 (b) (HIV–Infizierte) 211
Dazu oben S. 42 ff.
212
Audrey Chapman: Development of Indicators for Economic, Social and Cultural Rights, in: Yvonne Donders/ Vladimir Volodin (Hrsg.): Human Rights in Educations, Science and Culture, 2008, S. 111 (S. 113) 213
Zur Reihenfolge der Indikatoren aus sozialwissenschaftlicher Sicht siehe Atteslander a.a.O. (Fn. 6), S. 267
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
III. Zusammenfassung des Kapitels Die Einwände gegen die Operationalisierung von Wsk–Rechten lassen sich entkräften. Dass in der empirischen Sozialforschung keine den Naturgesetzen vergleichbaren sozialen Gesetze existieren, ist unschädlich. Letztlich fehlt nämlich auch Naturgesetzen – den in der Jurisprudenz anerkannten Zusammenhängen – das Fundament. Es ist mithin nicht zu beanstanden, dass Indikatoren lediglich vorläufig gelten. Sie dürfen jedoch nur verwendet werden, wenn sie sozialwissenschaftlich de lege artis verifiziert wurden. Zwar beruht diese Folgerung letztendlich auf dem Rechtsgefühl, doch dies ist unbedenklich, weil sich alle juristischen Methoden und Erkenntnisse genau genommen nur mit dem Rechtsgefühl begründen lassen. Es besteht also kein einleuchtender Grund, dass die menschenrechtlichen Begriffe total definiert und subsumiert werden müssten. Auch verstößt die Quantifizierung weder gegen den Menschenwürdegehalt noch gegen andere Menschenrechtsprinzipien. Vielmehr erlaubt der Sozialpakt, die Paktrechte mit Indikatoren zu operationalisieren – freilich nur in den genannten Grenzen der Vorhersehbarkeit. Insbesondere müssen die Indikatoren so valide wie möglich sein. Der Ausschuss hat einen Spielraum bei der Ausgestaltung des Berichtsprüfungsverfahrens. Die Grenzen ergeben sich aus materiellen Gesichtspunkten: Einerseits sollen die Paktrechte bestmöglich verwirklicht werden, andererseits ist die staatliche Souveränität so weit wie möglich zu wahren. Das Indikatorenmodell ist ein geeignetes Messverfahren im Staatenberichtsverfahren. Dabei werden Rechtsbegriffe operationalisiert. Diese Methode wird vom Sozialpakt in gewissen Grenzen erlaubt.
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells im Verfahren vor dem Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
„Das Recht dringt auf Schuldigkeit, die Polizei aufs Geziemende. Das Recht ist abwägend und entscheidend, die Polizei überschauend und gebietend. Das Recht bezieht sich auf den Einzelnen, die Polizei auf die Gesamtheit.“ Johann Wolfgang von Goethe
I. Der „Violations Approach“ – eine Alternative zum Indikatorenmodell? 1.) Die Auffassung Chapmans Audrey Chapman zufolge gibt es eine bessere Methode als die Operationalisierung. Chapman empfiehlt dem Ausschuss, den Staaten und den NGOs, primär zu recherchieren, ob Vertragsverletzungen vorliegen (sogenannter „Violations Approach“).1 Vertragsverletzungen seien anhand folgender abschließender Fallgruppen festzustellen:2 1.) Verletzungen durch faktische Handlungen, Politiken oder Gesetze der Regierung. Dies erfasse vor allem die abwehrrechtliche Komponente. 2.) Diskriminierungen 3.) Nichtgewährung des Kerninhalts 1
Audrey R. Chapman: A „Violations Approach“ for Monitoring the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: HRQ 18 (1996) S. 23 (S. 36) 2
In einem anderen, aber ähnlichen Sinne gebraucht das UNDP den Begriff „violations approach“: Dort werden Indikatoren verwendet, deren Zielmarke 0 ist. Jede Verletzung eines Freiheitsrechts wird gezählt. Je höher die Zahl, um so schlechter der Wert, UNDP: Governance Indicators: A Users’ Guide S. 13, abrufbar auf: http://www.undp.org/oslocentre/docs04/UserGuide.pdf (abgerufen am 19. April 2007)
134
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Chapman geht von der Prämisse aus, dass es gegenwärtig nicht möglich ist, die fortschreitende Verwirklichung der Paktrechte zu messen. Zunächst sei bei manchen Paktrechten der Inhalt noch nicht klar definiert. Folglich wüssten die Staaten nicht, was sie eigentlich zur Erfüllung tun müssten, und es sei kaum möglich, brauchbare Indikatoren zu entwickeln. Die Berichtsrichtlinien des Ausschusses helfen den Staaten nach Chapman nicht weiter, weil sie nicht mit Blick auf Indikatoren erstellt wurden.3 Zweitens sei der Ausschuss nicht dazu in der Lage, festzustellen, wie viele Ressourcen verfügbar seien.4 Daher könne der Sozialpakt nur in jenen Dimensionen überwacht werden, in denen das Prinzip der progressiven Verwirklichung nicht gelte, also in den oben genannten Fallgruppen. Drittens fehle es an den erforderlichen Daten, also dem Inhalt der Indikatoren. Soweit dem Ausschuss Daten zur Verfügung stünden, bezögen diese sich oft auf Durchschnittswerte.5 Es sei aber notwendig, die besonders benachteiligten Gruppen getrennt auszuweisen.6 Selbst wenn die Daten zugänglich seien, habe der Ausschuss nicht die Zeit, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.7 Überhaupt scheint der Zeitfaktor ein wesentliches Argument Chapmans zu sein. Die Berichtsprüfung bezwecke, Paktverletzungen so schnell wie möglich zu beenden. Hier sei der „Violations Approach“ dem Indikatorenmodell überlegen. Der Ausschuss werde nämlich nicht durch die akademische Aufgabe aufgehalten, die Paktrechte zunächst abstrakt analysieren zu müssen. Er könne und solle seine knappe Zeit vollständig auf die Berichtsprüfung konzentrieren.8 Der Inhalt der Paktrechte könne durch Präjudizien hinreichend konkretisiert werden. Vor allem aber fehle es, so Chapman, an methodologischer Klarheit, wie der Grundsatz der progressiven Verwirklichung zu handhaben sei.9 Das Indikatorenmodell lasse sich somit derzeit kaum umsetzen. Der 3 4 5
Chapman: Violations Approach, a.a.O. (Fn. 1), S. 32 Ibidem, S. 31 Ibidem, S. 28
6
So das Ausschussmitglied E/C.12/2001/17 § 1083 7 8 9
Riedel
in:
UN
Chapman: Violations Approach, a.a.O. (Fn. 1), S. 34 Ibidem, S. 37 Ibidem, S. 28, 31
Doc.
E/2002/22,
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
135
Sozialpakt könne mit dem „Violations Approach“ einfacher und effektiver überwacht werden. Dies belegten vergangene Berichtsprüfungsverfahren, in denen der Ausschuss Verletzungen identifiziert hat, ohne zuvor den Inhalt der Rechte vollständig zu operationalisieren.10 Der „Violations Approach“ entspreche damit eher dem bisherigen Vorgehen des Ausschusses und anderer Überwachungsorgane als das Indikatorenmodell.11 Fazit: Chapmans These lautet in Kurzform: Der Ausschuss kann die progressive Verwirklichung derzeit nicht messen. Daher muss er sich darauf konzentrieren, diejenigen Dimensionen der Paktrechte zu kontrollieren, die einfach zu überwachen sind.
2.) Das Verhältnis des „Violations Approaches“ zum Indikatorenmodell Chapmans Modell ist zunächst zu entgegnen, dass ein konstruktiver Dialog bei Anwendung des „Violations Approaches“ kaum noch stattfindet. Das Verfahren bekommt eher akkusatorischen Charakter.12 Diese Methode ist aber fehl am Platz, da dem Ausschuss die Zwangsmittel fehlen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Staaten dann weniger gewillt sind, sich auf das Verfahren einzulassen. Denn wer sitzt schon gerne und freiwillig auf der Anklagebank? Auch kann der Ausschuss den Staaten ohne konstruktiven Dialog nicht mehr so gut assistieren und Maßnahmen empfehlen. Nur noch in Situationen, in denen ein Staat vorsätzlich seine Vertragsverpflichtungen verletzt, würde der Ausschuss effektive Maßnahmen empfehlen, um den Missständen abzuhelfen.13 Der „Violations Approach“ widerspricht also dem Ziel, das Berichtsverfahren so effektiv wie möglich zu gestalten. Findet aber ein konstruktiver Dialog statt, geht auch Chapmans Argument ins Leere, 10 Ibidem, auf S. 49 – 65 listet Chapman Fälle auf, in denen der Ausschuss sich kritisch zu einer Situation geäußert hat, ohne zur Ressourcensituation des jeweiligen Landes Stellung zu nehmen 11
Ibidem, S. 36
12
Vgl. Eibe Riedel: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, abrufbar auf: http://ibsa.uni–mannheim.de/ (abgerufen am 18. Mai 2008), S. 66 13
Eibe Riedel: New Bearings to the State Reporting Procedure: Practical Ways to Operationalize Economic, Social and Cultural Rights – the Example of the Right to Health – , in: Sabine von Schorlemer (Hrsg.): Praxishandbuch UNO, 2003, S. 345 (S. 350)
136
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
den Staaten fehle das nötige Fachwissen, um Indikatoren zu entwickeln. Denn da die Ausschussmitglieder insoweit Experten sind, können sie hierbei die Staaten unterstützen. Selbst wenn die Staaten an der mündlichen Sitzung nicht teilnehmen, können die menschenrechtliche Literatur und die „General Comments“ den Staaten eine solide Grundlage für die Erstellung ihrer Berichte liefern. Des Weiteren schafft es der „Violations Approach“ nicht, das Problem fehlender Daten vollständig zu beheben. Um den Kerninhalt der Paktrechte zu überwachen, sind nämlich ebenfalls Zahlen und Fakten erforderlich, zum einen, weil der Tatbestand des Kerninhalts nach solchen verlangen kann,14 zum anderen, weil die Staaten auch eine Verletzung des Kerninhalts mit Ressourcenmangel rechtfertigen können.15 Freilich sind hier deutlich weniger Daten erforderlich als beim Indikatorenmodell. Auch ist Chapmans Argument unstimmig, wenn Daten vorhanden sind. Dass es partiell an Daten fehlt, reicht nicht, um das Indikatorenmodell insgesamt abzulehnen. Dies wäre nur ein Grund, wenn das Zusammenstellen der Daten mehr kosten würde, als es der Verwirklichung der Wsk–Rechte – auch langfristig – nutzen würde.16 Diesen Beweis bleibt der „Violations Approach“ aber schuldig. Ebenso wenig verfängt das Argument, konzeptionelle Arbeit dürfe nicht im Rahmen des Berichtsprüfungsverfahrens geleistet werden. Wenn beim Indikatorenmodell die Paktinhalte zunächst definiert werden müssen, erhalten die Betroffenen Klarheit über den Inhalt der Paktrechte. Eine gewisse Rechtssicherheit würden sie zwar auch durch den „Violations Approach“ bekommen. Da dort aber nur einzelne Verletzungen behandelt werden und jeder Fall Besonderheiten aufweist, ist 14
Siehe z.B. General Comment Nr. 12, UN Doc. E/C.12/1999/5 § 8: „Der Kerninhalt des Rechts auf Nahrung erfordert (...) die Verfügbarkeit von Nahrung in einer Quantität (...) um die diätischen Bedürfnisse von Individuen zu befriedigen ...“ und General Comment Nr. 3, UN Doc. E/1991/23 Annex III, § 10 15
General Comment Nr. 3 a.a.O. (Fn. 14), § 10. Ähnlich Kristina Klee: Die progressive Verwirklichung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte, 2000, S. 194. Anders Brigit Toebes für Art. 12 IPwskR: The Right to Health as a Human Right in International Law, 1999, S. 342; dies.: Towards an Improved Understanding of the International Human Right to Health, in: HRQ 21 (1999) S. 661 (S. 676) 16
Vgl. allgemein zur Kosten–Nutzen–Analyse im Recht: Hans–Peter Schwintowski: Juristische Methodenlehre, 2005 S. 155
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
137
die Entscheidung des Ausschusses für nachfolgende Fälle nur insoweit „verbindlich“, wie die Konstellation gleich gelagert ist.17 Der „Violations Approach“ beschreibt also die Rechtsinhalte nur punktuell. Anders das Indikatorenmodell: Es müssen ja diejenigen Indikatoren gewählt werden, die mit den Rechtsbegriffen am besten korrespondieren. Zudem ist die Zahl der pro Staatenbericht angewendeten Indikatoren aus zeitlichen Gründen begrenzt. Daraus folgt, dass weitgehend dieselben Indikatoren für jeden Staatenbericht verwendet werden. Während die Indikatoren an allen Orten und zu allen Zeiten annähernd identisch sind, können die Vertragsverletzungen beim „Violations Approach“ sehr unterschiedlich gelagert sein.18 Daraus ergibt sich, dass Indikatoren eine objektivere Bewertung der Menschenrechtslage ermöglichen als der „Violations Approach“.19 Da Chapman nämlich nicht vorträgt, dass in der Praxis die Verletzungen einander ähneln, sind bereits entschiedene Fälle nicht zwingend repräsentativ für alle Fälle derselben Kategorie. Infolgedessen steuert der „Violations Approach“ auch zur Rechtssicherheit nur wenig bei. Das Indikatorenmodell andererseits legt den Paktinhalt umfangreich fest und bietet mit seiner konzeptionellen Arbeit den Staaten, dem Ausschuss und den NGOs mehr Rechtssicherheit als der „Violations Approach“. Man könnte zwar einwenden, die Vertragsstaaten des IPwskR bedürfen insoweit keiner Rechtssicherheit, als sie hierauf verzichtet haben, indem sie dem ECOSOC einen Spielraum bei der Berichtsprüfung eingeräumt haben.20
17 Karl Engisch: Einführung in das juristische Denken, 10. Auflage, 2005, S. 243; Karl Larenz/Claus–Wilhelm Canaris: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Auflage, 1995, S. 253 18
Zu den Problemen der sogenannten Ad–hoc–Erklärungen bei der Interpretation sozialwissenschaftlicher Daten Karl–Dieter Opp: Methodologie der Sozialwissenschaften, 6. Auflage, 2005, S. 61 f. 19
Rajeev Malhotra/ Nicolas Fasel: Quantitative Human Rights Indicators – A survey of major initiatives, Background paper for the Expert Meeting on Human Rights Indicators & Nordic Network Seminar in Human Rights Research, 10–13 March 2005 in Åbo/Turku Finland, abrufbar auf: http://www. abo.fi/instut/imr/research/seminars/indicators/index.htm (abgerufen am 18. Mai 2008), S. 3; Maria Green: What We Talk About When We Talk About Indicators, HRQ 2001, S. 1062 (S. 1087) 20
Oben S. 108 ff.
138
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Dem ist jedoch zu entgegnen, dass sich der Spielraum nur auf formelle Anforderungen, nicht auf den materiellen Inhalt der Paktrechte bezieht. In letzterem Bereich brauchen die Staaten Rechtssicherheit. Zugegeben gibt es in der Jurisprudenz Fälle, in denen der Inhalt von Rechten erst durch Präjudizien geprägt wird. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Parteien vor Erlass des Präjudizes keine Rechtssicherheit haben.21 Dies muss aber auf Fälle begrenzt bleiben, in denen generalklauselartige Formulierungen vorliegen und eine Fallrechtsprechung unverzichtbar ist.22 Wo hingegen die Möglichkeit besteht, die Rechtssicherheit zu verbessern, indem man die Rechte vorab analysiert, sollte man dies gerechterweise auch durchführen. Dies entspricht auch eher dem Gedanken des Pakts, die Wsk–Rechte verfahrensrechtlich bestmöglich zu sichern. Denn ein klares Rechtskonzept wirkt abschreckender für potentielle Menschenrechtsverletzer. Zum einen generalpräventiv: Wenn der Inhalt der Paktrechte abstrakt feststeht, wissen die Staaten, was von ihnen verlangt wird. Zum anderen spezialpräventiv: Wenn ein Indikator schlechte Werte annimmt, weiß der jeweilige Staat, worauf er sich im nächsten Berichtszeitraum konzentrieren muss. Vor allem kann auf eine gewisse konzeptionelle Arbeit nicht verzichtet werden.23 Will man eine Rechtsverletzung feststellen, muss klar sein, welchen Inhalt die Normen haben.24 Das Beschlussorgan muss sich hier die Zeit nehmen, sonst orientiert sich die Entscheidung nicht am materiellen Recht. Der Ausschuss reserviert sich auch diese Zeit, was dadurch belegt wird, dass er seit 1989 in jeder Sitzungsperiode einen „Day of General Discussion“25 abhält und „Concluding observations“ erlässt. 21 Schwintowski vergleicht dies mit dem Indeterminismus in der Quantenphysik, a.a.O. (Fn. 16), S. 35 22
Ibidem, S. 30
23
Dies erkennt auch Chapman an, allerdings will sie diese Arbeit aus dem Monitoringprozess heraushalten, Violations Approach, a.a.O. (Fn. 1), S. 65 24
World Conference on Human Rights: Report on other meetings and activities, UN Doc. A/Conf.157/PC/73 vom 20. April 1993, S. 2 (§ 4); Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies: Report on indicators for monitoring compliance with international human rights instruments, UN Doc. HRI/MC/2006/7 vom 11 Mai 2006, § 14 25
Näher dazu: UN Centre for Human Rights: The Committee on Economic, Social and Cultural Rights, Human Rights Fact Sheet No. 16 (Rev. 1),
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
139
Auch kommt der „Violations Approach“ in die Nähe des 1503– Verfahrens, wo nur Menschenrechtsverletzungen von bestimmter Qualität überwacht werden.26 Dort werden Menschenrechtsverletzungen nämlich nur überwacht, wenn es sich nicht nur um einen Einzelfall handelt, sondern man geradezu von einem Unrechtskomplex („consistent pattern of gross and reliably attested violations of human rights“) sprechen muss.27 Anders als die ECOSOC–Resolution 1503 (XLVIII) enthält der Sozialpakt für die Untersuchung der Staatenberichte aber keine qualitativen Einschränkungen. Vielmehr soll nach dem Wortlaut des Artikels 16 Absatz 2 (a) IPwskR der ECOSOC die Berichte insgesamt prüfen, nicht nur einzelne Bestandteile. Absatz 2 (a) bezieht sich dabei auf Absatz 1, der sagt, dass die Staaten über Fortschritte bei der Paktverwirklichung berichten sollen.28 Es gibt keinen einleuchtenden Grund, warum der Prüfungsumfang nicht kongruent mit der Berichtspflicht sein soll. Vielmehr spricht die Formulierung „nach Maßgabe des Pakts“29 gerade dafür, alle materiellen Komponenten der Wsk–Rechte zu kontrollieren. Das Berichtsverfahren muss sich an den Rahmen halten, den der Sozialpakt vorsieht. Insbesondere sind alle Elemente eines Wsk–Rechts Konkretisierungen der Menschenwürde. Es erscheint höchstbedenklich, einzelne Ausprä-
Mai 2006, S.29 f.; Brigit Toebes: The Right to Health as a Human Right in International Law, 1999 S. 92 26
ECOSOC Resolution 1503 (XLVIII), UN Doc. E/4832/Add. 1 § 5. Zum 1503–Verfahren bereits oben S. 50 27
Christian Tomuschat: Menschenrechtsschutz und innere Angelegenheiten, in: Deutsche Sektion der Internationalen Juristen–Kommission (Hrsg): Eingriff in die inneren Angelegenheiten fremder Staaten zum Zwecke des Menschenrechtsschutzes, S. 5; in diesem Sinne auch: Joon Beom Pae: Sovereignty, Power and Human Rights Treaties: An Economic Analysis, in: Northwestern Journal of International Human Rights, 2006, S. 71 (S. 79) 28
Der authentische, englische Wortlaut lautet: „The States Parties to the present Covenant undertake to submit […] reports on the measures which they have adopted and the progress made in achieving the observance of the rights recognized herein.” 29 Der authentische, englische Wortlaut lautet: „in accordance with the provisions of the present Covenant”.
140
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
gungen der Menschenwürde aus Gründen der Praktikabilität30 nicht mehr im Berichtsprüfungsverfahren zu sichern. Es besteht die Gefahr, dass sich die gesamte Menschenrechtsdiskussion im Bereich der Wsk– Rechte irgendwann nur noch auf die Kerninhalte, Diskriminierungen und Eingriffe beschränkt.31 Richtig ist allerdings, dass es schwierig ist, die progressive Verwirklichung zu überwachen. Mit dem „Violations Approach“ ist man weniger auf Daten angewiesen und die Rechte müssen nicht so detailliert erforscht sein wie beim Indikatorenmodell.32 Dies ist jedoch kein Grund, die Paktrechte um ihre progressiven Dimensionen zu beschneiden. Die Vorteile des „Violations Approaches“ beruhen darauf, dass man bestimmte Verpflichtungen einfach ausblendet. Das Berichtsverfahren wird zwar einfacher. Es wird aber nur deshalb einfacher, weil man etliche Aspekte der Paktverwirklichung nicht mehr überwacht, denn der „Violations Approach“ beschränkt sich auf die Prüfung der drei eingangs genannten Kategorien. Die Staaten könnten also nach Belieben die übrigen Elemente der Paktrechte verletzen, ohne dass sie Gefahr laufen müssten, hierfür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Der Sozialpakt würde in weitem Umfang quasi unverbindlich. Man hätte es grundsätzlich bei der nicht verpflichtenden AEMR belassen und nur die drei aufgezeigten Verletzungsgattungen in den Sozialpakt einfügen können. Diese Diskrepanz zum Wortlaut und zur Entstehungsgeschichte kann man nicht allein damit erklären, dass sich Staaten auch Jahrzehnte nach Paktabfassung oftmals noch nicht ernsthaft um die Rechtsverwirklichung bemühen.33 Denn die Entwicklung von Menschenrechtsüberwachungssystemen ist noch im Fluss.34
30
Chapman: Violations Approach, a.a.O. (Fn. 1), S. 38, sic: „A violations approach is both more feasible and more manageable than the pursuit of progressive realization alone”. 31
Vgl. Green a.a.O. (Fn. 19), S. 276
32
Ubong E. Effeh: Sub–Saharan Africa: A case study on how not to realize economic, social and cultural rights, and a proposal for change, abrufbar auf: http://www.law.northwestern.edu/journals/jihr/v3/2/Effeh.pdf (abgerufen am 16.4.2007), S. 34 33 34
So aber Chapman: Violations Approach, a.a.O. (Fn. 1), S. 38
UN Sonderberichterstatter Paul Hunt in: UN Doc. E/CN.4/2006/48 § 23. Erst in jüngerer Zeit wird das Thema Indikatoren bei der Menschenrechtsüberwachung zunehmend erörtert, so etwa: Twelfth meeting of chairper-
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
141
Zuzustimmen ist Chapman zwar darin, dass sich das Indikatorenmodell sich noch nicht vollständig etablieren konnte. Der Ausschuss wurde aber erst 1985 gegründet und hat seine konzeptionelle Arbeit noch lange nicht abgeschlossen.35 Es wäre verfehlt und verfrüht, dem Indikatorenmodell eine Absage zu erteilen, bevor es überhaupt richtig entwickelt ist. Die These, dass sich das Modell auch in den kommenden Jahrzehnten nicht durchsetzen wird, wäre angesichts der verstärkt zu diesem Thema vorgenommenen Fachdiskussionen36 äußerst gewagt. Die Probleme betreffend der verfügbaren Ressourcen hat der Ausschuss bereits dahingehend gelöst, dass er den Staaten einerseits einen Ermessensspielraum und andererseits die Beweislast auferlegt. Die Argumente Chapmans sind also allesamt kein Grund, das Indikatorenmodell abzulehnen. Vielmehr ergibt sich aus der Intention des Sozialpakts, dem Vergleich zur unverbindlichen AEMR und der Verankerung eines Berichtsprüfungsverfahrens, dass der Sozialpakt gebietet, alle Aspekte der Paktrechte – also auch die progressiv zu verwirklichenden – zu überwachen. Das Indikatorenmodell ist derzeit das einzige bekannte Verfahren, mit dem es möglich ist, die ressourcenabhängigen Rechtselemente zu messen.37 Daraus ergibt sich zunächst ein weiteres Argument dafür, dass das Indikatorenmodell erlaubt ist, denn was der Sozialpakt gebietet, kann er nicht gleichzeitig verbieten. Die bislang wichtigste Feststellung dieses Abschnitts lautet aber: Das Indikatorenmodell wird vom Sozialpakt zwingend vorgeschrieben.38
sons of the human rights treaty bodies, Genf 2000: Establishment of indicators/benchmarks to assess the realization of human rights, Ergebnisse in: UN Doc. HRI/MC/2000/3; weitere Nachweise bei: Malhotra/Fasel: Quantitative Human Rights Indicators, a.a.O. (Fn. 19), S. 25 f. 35
Anna Würth/Frauke Lisa Seidensticker: Indices, Benchmarks und Indikatoren, zur Gestaltung und Auswertung von Menschenrechtsdialogen, 2005, S. 21 36
Vgl. nur das IBSA–Symposium vom 22. bis 23. Mai 2006 in Mannheim sowie das Expertentreffen vom 10. bis 13. März 2005 in Turku/Åbo, Finnland; siehe ferner Fn. 34 37
Hunt a.a.O. (Fn. 34), § 29. Die These Bydlinskis, jede Rechtsanwendung münde in einer Deduktion, lässt sich mit Blick auf den Sozialpakt nicht halten, Franz Bydlinski: Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, S. 396 38 Dahingehend lässt sich bereits General Comment Nr. 1 § 7, enthalten in: UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7, verstehen, wenn dort ausgeführt wird dass das Berichtsverfahren die Fortschritte im Zeitverlauf im Hinblick auf die effektive
142
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Eins darf jedoch nicht vergessen werden: Mit dem „Violations Approach“ lassen sich nicht ressourcenabhängige Dimensionen wirkungsvoll kontrollieren. Da alle Paktrechte ressourcenabhängige und ressourcenfreie Dimensionen haben, ist es erforderlich, beide Modelle parallel anzuwenden.39 Nur in diesem Fall ist die Berichtsprüfung so schlagkräftig wie möglich. Dies wiederum trägt dem Gedanken des Sozialpakts Rechnung, dass ein effektives Berichtsverfahren das Mittel ist, um die Wsk–Rechte so schnell und so umfassend wie möglich zu verwirklichen. Aus dieser Intention heraus ist es auch sinnvoll, auf den „Violations Approach“ zurückzugreifen, wenn Daten nicht beschafft werden können. Solange dem Ausschuss Sanktionen fehlen, ist ein rein akkusatorisches Vorgehen grundsätzlich abzulehnen.40 Der konstruktive Dialog ist demgegenüber zu bevorzugen, weil Wsk–Rechte nur verwirklicht werden können, wenn die beteiligten Staaten aktiv daran mitwirken.41 Deswegen hinkt auch Chapmans Vergleich mit anderen Menschenrechtsverfahren, zumindest soweit dort vorwiegend Abwehrrechte diskutiert werden; deren Verwirklichung bedarf nämlich weniger staatlicher Kapazitäten, Mittel und Planung als die der Wsk–Rechte. Zu bedenken ist jedoch auch, dass es vielfach der Druck der Zivilgesellschaft, der Opposition oder eventuell auch anderer Gewalten ist, der die
Verwirklichung der Wsk–Rechte aufzeigen könne. Dafür seien „qualitative wie quantitative Daten notwendig, um die Situation angemessen zu bewerten.“ Maria Green spricht hingegen nur von „praktischen Vorteilen“, a.a.O. (Fn. 19), S. 1088 Für ähnliche Beispiele bei anderen Menschenrechtsverträgen siehe: Malhotra/Fasel: Quantitative Human Rights Indicators, a.a.O. (Fn. 19), S. 3 39
In diesem Sinne auch die Ergebnisse des Seminars für geeignete Indikatoren: Es genüge nicht, die „Fulfil“–Komponente zu messen, auch die „Respect“ und die „Protect“–Ebene müssen gemessen werden, UN Doc. A/Conf. 157/PC/73 § 34. Im Ergebnis auch: Green a.a.O. (Fn. 19), S. 1076 – 1078. Ähnlich: Klee a.a.O. (Fn. 15), S. 208 40
So auch Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 31), S. 92 41
Würth/Seidensticker a.a.O. (Fn. 35), S. 27; Allgemein für Wsk–Rechte: Peter Badura: Das Prinzip der sozialen Grundrechte und seine Verwirklichung im Recht der Bundesrepublik Deutschland, in: Der Staat 1975 S. 17 (S. 25, 45). Diesen Vorteil des konstruktiven Dialogs erkennt auch die Weltmenschenrechtskonferenz an, allerdings bei der Zusammenarbeit Staaten und NGOs: UN Doc. A/CONF.157/PC/42/Add.1 §§ 53 und 350
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
143
Menschenrechtssituation verbessert.42 Hier bietet der polemische „Violations Approach“ einen Vorteil, indem er es den oben genannten Institutionen erleichtert, Druck auf die Regierung auszuüben. In der Tat sind Regierungen vermutlich nur bereit, mit dem Ausschuss konstruktiv zusammenzuarbeiten, wenn sie befürchten müssen, andernfalls wende der Ausschuss den „Violations Approach“ an, der für sie mehr Nachteile und Gefahren birgt als der konstruktive Dialog. Der „Violations Approach“ muss also allgegenwärtig als Damoklesschwert über dem konstruktiven Dialog schweben, damit letzterer effektiv ist. Darüber hinaus existieren Fälle, in denen es sinnlos wäre, von Staat und Ausschuss zu verlangen, gemeinsame Lösungen zu erarbeiten. Dann nämlich, wenn – wie im 1503– oder im 1235–Verfahren – dem Anschein nach schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen vorliegen.43 In dieser Situation ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass der Staat bereit ist, mit dem Ausschuss zu kooperieren. Um derart massive Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden, bedarf es vielmehr politischen Kollektivdrucks, für den der Ausschuss mit dem „Violations Approach“ gute Vorarbeit leisten kann. Außerdem bietet das 1503–Verfahren in § 6 b) ii) der Resolution den Staaten ein Schlupfloch, wonach sie sich auf den Vorrang des IPwskR– Berichtsverfahrens berufen und dadurch verhindern können, in der Liste der Staaten genannt zu werden, gegen die ein 1503–Verfahren durchgeführt wurde.44 Es wäre widersinnig, wenn sich dadurch gerade die schlimmsten Menschenrechtsverletzer jeder Bloßstellung durch ein internationales Organ entziehen und in einen Dialog mit dem Ausschuss flüchten könnten. Wo sie der UN–Menschenrechtsrat nicht an42
Vgl. Eibe Riedel: Menschenrechtskommission, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.): Handbuch Vereinte Nationen, 2. Auflage, 1991 S. 572 (S. 579) ders.: Der internationale Menschenrechtsschutz. Eine Einführung, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Menschenrechte – Dokumente und Deklarationen, 4. Auflage 2005, S. 25 43 ECOSOC Resolution 1503 (XLVIII) a.a.O. (Fn. 26) § 5; Resolution 2000/3 vom 16. Juni 2000 UN Doc. E/2000/99 Präambel und § 2; Resolution 1235 (XLII) UN Doc. E/4393 vom 6. Juni 1967 § 2. Einen Überblick über das 1235–Verfahren gibt Katarina Tomaševski: Responding to Human Rights Violations, 2000, S. 29 44
Zu dieser „schwarzen Liste“: Christian Tomuschat: Menschenrechte, Individualbeschwerde, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.): Handbuch Vereinte Nationen, 2. Auflage, 1991, S. 551; Tomaševski: Responding to Human Rights Violations, a.a.O. (Fn. 43), S. 30
144
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
prangern kann, muss dies der IPwskR–Ausschuss vornehmen, um die Öffentlichkeit zu mobilisieren. Wenn also „gross and massive violations of human rights“ im Raum stehen, ist der „Violations Approach“ mit seinem konfrontativen Vorgehen die wirksamere Methode.45 Ein Beispiel könnte sein, dass es eine hohe Zahl von Kindersoldaten gibt, insbesondere wenn diese dazu gezwungen werden, zur Waffe zu greifen.46 In einem solchen Fall werden die Artikel 10, 12, 6 und 7 (b) IPwskR qualitativ wie auch quantitativ zu einem hohen Grad verletzt.47 Für ein akkusatorisches Vorgehen ist auch etwa dann zu plädieren, wenn in einem Staat 75 Prozent aller Mädchen beschnitten werden.48
45 Eibe Riedel: Verhandlungslösungen im Rahmen des Sozialpakts der Vereinten Nationen, 2000 S. 13; vgl. auch ders.: Der internationale Menschenrechtsschutz. Eine Einführung, a.a.O. (Fn. 42), S. 26 46
Vgl. die „Concluding observations“ betreffend Kolumbien UN Doc. E/C.12/1/Add.74 § 20 47
Die deutsche Übersetzung von Art. 10 IPwskR lautet: „Die Vortragsstaaten erkennen an, 1. daß die Familie als die natürliche Kernzelle der Gesellschaft größtmöglichen Schutz und Beistand genießen soll, insbesondere im Hinblick auf ihre Gründung und solange sie für die Betreuung und Erziehung unterhaltsberechtigter Kinder verantwortlich ist. [...] 3. daß Sondermaßnahmen zum Schutz und Beistand für alle Kinder und jugendlichen ohne Diskriminierung aufgrund der Abstammung oder aus sonstigen Gründen getroffen werden sollen. Kinder und Jugendliche sollen vor wirtschaftlicher und sozialer Ausbeutung geschützt werden. Ihre Beschäftigung mit Arbeiten, die ihrer Moral oder Gesundheit schaden, ihr Leben gefährden oder voraussichtlich ihre normale Entwicklung behindern, soll gesetzlich strafbar sein. Die Staaten sollen ferner Altersgrenzen festsetzen, unterhalb derer die entgeltliche Beschäftigung von Kindern gesetzlich verboten und strafbar ist.“ [Hervorhebung vom Verfasser] Die Übersetzung von Art. 6 Abs. 1 IPwskR lautet: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht auf Arbeit an, welches das Recht jedes einzelnen auf die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte oder angenommene Arbeit zu verdienen, umfaßt, und unternehmen geeignete Schritte zum Schutz dieses Rechts.“ [Hervorhebung vom Verfasser] Die Übersetzung von Art. 7 (b) IPwskR lautet: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen an, durch die insbesondere gewährleistet wird [...] (b) sichere und gesunde Arbeitsbedingungen.“ 48
„Concluding observations“ betreffend Mali UN Doc. E/C.12/1994/17 § 14; zu Frauenbeschneidungen: Joyce Aschenbrenner: Human Rights and Culture Change, in: David Louis Cingranelli (Hrsg.): Human Rights: Theory and Measurement, 1988, S. 60 (S. 65 – 67)
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
145
Fazit: Grundsätzlich sollte es beim konstruktiven Dialog bleiben, weil der Ausschuss dann mit seinem Sachverstand Menschenrechtsverletzungen gezielt vorbeugen kann, indem er dem Staat Maßnahmen empfiehlt.49 Insbesondere können bestimmte Zielvorgaben vereinbart werden, die es bis zum nächsten Berichtstermin zu erreichen gilt.50 Der „Violations Approach“ ist jedoch als Rückgriffsmöglichkeit unverzichtbar. Der Ausschuss muss ihn anwenden können, wenn er davon ausgeht, dass sich im konkreten Fall mit ihm die Menschenrechtslage besser verwirklichen lässt als mit einem konstruktiven Dialog. Dies schließt nicht aus, auch massive Menschenrechtsverletzungen in sanfte Worte zu kleiden, um die Zusammenarbeit mit der Regierung zu erleichtern.51 Letztlich ist also weiterhin das Fingerspitzengefühl des Ausschusses gefragt. Ihm obliegt es, im Einzelfall die richtige Balance zu finden zwischen einem konfrontativen Vorgehen und einem konstruktiven Dialog.
II. Die Anforderungen an Indikatoren im Bereich der Überwachung des Sozialpakts 1.) Allgemeine Anforderungen Nicht jeder in der Sozialwissenschaft bewährte Indikator ist für die Berichtsprüfung vor dem Ausschuss geeignet – immerhin geht es darum Staatenpflichten und nicht gesellschaftliche Phänomene zu überwachen. Wenn man Indikatoren auswählt, muss man die menschenrechtlichen Prinzipien der Unteilbarkeit, Interdependenz, Menschenwürdeabhängigkeit, Nichtdiskriminierung, Partizipation und Rechenschaftspflichtigkeit so weit wie möglich zum Ausdruck bringen.52 49
Vgl. Ausschuss–Berichterstatter Eibe Riedel in: UN Doc. E/C. 12/38/CRP.1 vom 16. Februar 2007 § 12 (b) 50
Dazu näher unten S. 219 ff.
51
Siehe beispielsweise die „Concluding observations“ betreffend China, UN Doc. E/C.12/1/Add.107 vom 13. Mai 2005 mit 27 Kritikpunkten, davon sechs mit dem Wortlaut „deeply concerned“ und einer mit der Formulierung „gravely concerned“ 52
Report of the Seminar on appropriate indicators to measure achievements in the progressive realization of economic, social and cultural rights (Genf, 25. – 29. Januar 1993), UN Doc. A/Conf. 157/PC/73 § 17; Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies a.a.O. (Fn. 24), § 13; Riedel:
146
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Nur im Ausnahmefall führt dies dazu, dass es Indikatoren gibt, die ihre Existenz allein diesen Grundsätzen verdanken, wie zum Beispiel der Grad, zu dem Individuen an menschenrechtlich relevanten Politikentscheidungen beteiligt werden.53 Da das Indikatorenmodell prinzipiell erlaubt und geboten ist, geht man vielmehr allgemein davon aus, dass es genügt, wenn man die menschenrechtlichen Grundsätze in den Kontext der einzelnen Rechtselemente einbringt.54 Das bedeutet: Im Normalfall müssen keine zusätzlichen Indikatoren für Unteilbarkeit, Interdependenz oder ähnliche Prinzipien herangezogen werden. Vielmehr trägt man den menschenrechtlichen Maximen Rechnung, wenn man jeden Indikator daraufhin prüft, ob es nicht einen anderen gibt, der den Grundsätzen besser entspricht. Ist das der Fall, hat der erstere Indikator als der weniger mit dem Sozialpakt korrespondierende auszuscheiden. Probleme bereiten dabei vor allem die Prinzipien der Interdependenz und der Nichtdiskriminierung, was im Folgenden dargelegt werden soll.
2.) Das Interdependenzproblem Bei der Auswahl der Indikatoren muss man berücksichtigen, dass die Staatenpflichten miteinander verwoben sein können. Einfach ist das, wenn sich die Veränderung eines Indikatorwerts gleich bei zwei PaktNew Bearings to the State Reporting Procedure, a.a.O. (Fn. 13), S. 351; Ann– Mari Fröberg/Martin Scheinin: Report of Turku Expert Meeting on Human Rights Indicators, abrufbar auf: http://www.abo.fi/instut/imr/research/ seminars/indicators/ (abgerufen am 18. Mai 2008), S. 4; Craig G. Mokhiber: Toward a measure of dignity: Indicators for rights–based development, 2000, S. 9; Malhotra/Fasel: Quantitative Human Rights Indicators, a.a.O. (Fn. 19), S. 6; Report of Expert Symposium – Measuring Developments in the Realization of the Right to Food by Means of Indicators: The IBSA – Procedure, 22. – 23. Mai 2006, Mannheim, abrufbar auf: http://ibsa.uni–mannheim.de/ (abgerufen am 18. Mai 2008), S. 204; Green a.a.O. (Fn. 19), S. 1079 53 Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies a.a.O. (Fn. 24), § 7; Hunt a.a.O. (Fn. 34), § 27; Malhotra/Fasel: Quantitative Human Rights Indicators, a.a.O. (Fn. 19), S. 3 nennen weiterhin die Zahl der ohne Gerichtsverfahren Getöteten oder die Zahl der durch die Polizei Gefolterten 54 Fröberg/Scheinin a.a.O. (Fn. 52), S. 9; Klee a.a.O. (Fn. 15), S. 220; Siehe auch oben S. 50 zur Interdependenz, Unteilbarkeit und Universalität
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
147
rechten positiv auswirkt. Dies wird besonders klar bei den Variablen, die die Trinkwasserversorgung betreffen. Erhöht man die Zahl derjenigen, die in einer Umgebung von 500 Metern Zugang zu Trinkwasser haben, so verwirklicht man gleichzeitig das Recht auf Gesundheit (Artikel 12 IPwskR) und das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard (Artikel 11 IPwskR).55 Problematisch ist, dass es nach gegenwärtigem Wissensstand keine sozialwissenschaftlichen Korrespondenzgesetze gibt. Das bedeutet, dass prinzipiell jeder Indikator mit jedem Menschenrecht mit einem gewissen Maße korrespondiert. Prekär ist das insofern, als es Fälle geben kann, in denen es sich auf ein Paktrecht positiv, auf ein anderes hingegen negativ auswirkt, wenn man den Indikatorwert verändert. Diese Situation tritt insbesondere dann auf, wenn es zu einer Menschenrechtskollision kommt. Was für die eine Gruppe von Individuen positiv ist, kann für eine andere negativ sein, beispielsweise wenn der Staat der einen Gruppe etwas wegnimmt, um es der anderen zu geben. Im bundesdeutschen Verfassungsrecht würde man mit praktischer Konkordanz arbeiten. Allerdings darf der Ausschuss nicht einfach das Prinzip des schonendsten Ausgleichs anwenden, weil er hierdurch den Ermessensspielraum der Staaten unterlaufen könnte. Das Problem tritt vor allem im Zusammenhang mit Artikel 15 Absatz 1 (c) IPwskR auf. Dort geht es nämlich darum, Schöpfern geistiger Werke den Genuss der materiellen und immateriellen Früchte ihrer Arbeit zu sichern. Wenn dieser Schutz – wie nahezu in allen Ländern der Erde –56 in einem Ausschließlichkeitsrecht besteht, kann es zu Konflikten mit den Menschenrechten Dritter kommen. Hier stellt sich die Frage, ob ein Staat einen möglichst hohen oder einen möglichst niedrigen Schöpferschutz anstreben soll und wo die Grenzen liegen. Das Problem ist jedoch weitaus komplexer. Daher soll es hier nur angedeutet und in einem gesonderten Kapitel erörtert werden.57
55
Auch der Ausschuss leitet das im Sozialpakt nicht ausdrücklich genannte Recht auf Trinkasser aus Art. 11 und aus Art. 12 IPwskR her, General Comment Nr. 15, enthalten in UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7 § 3 56
Ausnahmen gab es vor allem in sozialistischen Staaten, die sich mit einem Erfinderschein begnügten, der neben der Anerkennung als Erfinder einen Vergütungsanspruch zur Folge hatte 57
Unten S. 425 ff.
148
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
3.) Das Disaggregationsgebot a) Begriff und Herleitung Das Diskriminierungsverbot des Artikels 2 Absatz 2 IPwskR muss irgendwie in die Überwachung der progressiven Dimensionen einfließen. Ausschuss und Staaten dürfen sich deswegen nicht damit begnügen, die Landesdurchschnitte zu messen. Die Zustände in einem Staat können nämlich von Region zu Region stark variieren. Vor allem beim Vergleich von städtischen mit ländlichen Gebieten werden die Unterschiede deutlich. Deshalb ist zu fordern, dass die Staaten Daten grundsätzlich nach Regionen und mit Blick auf die Bevölkerungsdichte aufgegliedert vorlegen.58 Außerdem kann es zu Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts kommen.59 Bereits diese beiden Beispiele zeigen, dass die Indikatoren nach menschenrechtlich relevanten Gruppen aufgeschlüsselt werden müssen; dieses Verfahren nennt man Disaggregation.60
58
Riedel: New Bearings to the State Reporting Procedure, a.a.O. (Fn. 13), S. 354; Detlef Schwefel: Beiträge zur Sozialplanung in den Entwicklungsländern, 1972 S. 42; Wolfgang Glatzer: Soziale Indikatoren des Gesundheitsbereichs, in: Wolfgang Zapf (Hrsg.): Soziale Indikatoren, Konzepte und Forschungsansätze III, Frankfurt a.M./New York 1975 S. 81 (S. 85 f.); Norbert Wagner/Hans Christoph Rieger: Grundbedürfnisse als Gegenstand der Entwicklungspolitik, 1982, S. 18; Abbott L. Ferris: The Uses of Social Indicators, in: Social Forces Volume 66:3, 1988, S. 601(S. 608); näher zur Abgrenzung städtischer/ländlicher Raum: UN Department of International Economic and Social Affairs, Statistical Office: Handbook on Social Indicators, Studies in Methods Series F Nr. 49 (1989), UN Doc. ST/ESA/STAT/SER.F/49, S. 31; zur Disaggregation in bei der Berichtspflicht der CRC siehe § 48 des General Comment Nr. 5 des Weltkinderrechtsausschusses, enthalten in UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7 59 General Comment Nr. 14, enthalten in: UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7 § 20: Der Fachbegriff lautet hier „gender mainstreaming“, näher Eibe Riedel: Schlussbericht – Messung von Entwicklungen bei der Realisierung des Rechts auf Nahrung durch Indikatoren: Das „IBSA“–Verfahren, AZ: 514– 33.72/04HS005, abrufbar auf: http://www.ble.de/download/pdf/04HS005.pdf, S. 48 f. (abgerufen am 8. Juni 2007) 60
Umfassend hierzu: UN Sonderberichterstatter Danilo Türk: The new international economic order and the promotion of human rights, Progress report, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1990/19, §§ 23 – 28; siehe auch die Äußerungen des Ausschussmitglieds Riedel in: UN Doc. E/2002/22, E/C.12/2001/17§ 1083; siehe ferner: Seminar on appropriate Indicators, a.a.O. (Fn. 52); Hunt a.a.O. (Fn. 34), § 26; Sven Söllner: Right to Food Indicator Description, Dokument
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
149
Weitere Unterscheidungsmerkmale, nach denen grundsätzlich gegliedert werden muss, sind Hautfarbe, Alter, Sprache oder Religion.61 Auf diese Weise kann man nämlich nach Artikel 2 Absatz 2 IPwskR verbotene De–facto–Diskriminierungen aufdecken. Umgekehrt gilt: Disaggregierte Indikatoren haben eine besonders hohe Validität, weil sie die Forderung des Artikels 2 Absatz 2 mit einbeziehen.
b) Der Sonderfall der innerstaatlich verbotenen Disaggregation Nun mag es Länder geben, in denen es aus politischen oder historischen Gründen verboten ist, Daten disaggregiert darzustellen.62 Beispielsweise könnte es kritisch aufgenommen werden, wenn man in Deutschland die Intelligenz von Juden und Christen im Vergleich messen würde. Ein weiteres, erdachtes Beispiel wäre der Fall, dass es im Irak verboten wäre, gegenüberstellend zu messen, wie viele Sunniten und wie viele Schiiten eine grundlegende Bildung erfahren, weil dadurch gewährleistet werden soll, dass ein brüchiger Frieden bestehend bleibt. Mit den Disaggregationsverboten können also durchaus Zwecke verfolgt werden, für die auch ein Außenstehender Verständnis aufbringt. Allerdings mag ein Außenstehender ebenso nachfühlen, dass ein Gesetz zur Einführung der Gleichheit von Mann und Frau allein am Willen der Opposition gescheitert ist. Dennoch ist die Regierung in diesem Fall nicht von ihren menschenrechtlichen Pflichten befreit, denn der Völkerrechtsverstoß wird dem Staat als solchem zugerechnet. Nicht zu vergessen ist, dass es sich bei den Disaggregationsverboten um eine Frage der inneren Angelegenheit handelt. Und nach Artikel 27 WVK analog darf ein Staat sich nicht auf sein innerstaatliches Recht berufen, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen.63
erhältlich auf: http://ibsa.uni–mannheim.de (abgerufen am 18. Mai 2008), S. 7; kritisch Chapman: Violations Approach, a.a.O. (Fn. 1), S. 28 61
Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies a.a.O. (Fn. 24), § 21; Ferris a.a.O. (Fn. 58), S. 605, 608. Weitere Beispiele bei: Mokhiber a.a.O. (Fn. 52), S. 8 62 63
Report of IBSA Expert Symposium, a.a.O. (Fn. 52), S. 205
Die authentische, englische Fassung des Art. 27 WVK lautet: „Internal law and observance of treaties – A party may not invoke the provisions of its internal law as justification for its failure to perform a treaty.” Zu dieser Vorschrift und ihren Auswirkungen für die Umsetzung des Sozialpakts Eibe Riedel: Allgemeine Bemerkungen zu den Bestimmungen des Internationalen Pakts
150
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Zu prüfen bleibt, ob im Fall einer verbotenen Disaggregation die gleichen Grundsätze gelten wie bei einer unzureichenden materiellrechtlichen Umsetzung der Wsk–Rechte aus innerstaatlichen Gründen. Abstrakt formuliert geht es bei dem Problem darum, inwieweit kultureller Relativismus auf der prozessualen völkerrechtlichen Ebene Platz hat.64 Dabei darf man in den Sozialpakt keinen Konsens hineininterpretieren, der tatsächlich bei Paktabfassung nicht bestand. Schließlich besteht die Gefahr, dass einem Mitgliedsland gegen seinen Willen Werte einer fremder Kultur aufgedrängt werden. Werte jedoch, die im Sozialpakt zum Ausdruck kommen, sind als völkerrechtlicher Minimalstandard verbindlich.65 Um das Problem der innerstaatlich verbotenen Disaggregation zu lösen, kann man sich zunächst darauf besinnen, dass die Staaten darin übereinstimmten, Diskriminierungen im Bereich der Wsk–Rechte zu verbieten.66 Weiter konsentierten sie, dass sie öffentlich darüber berichten wollen, inwieweit die Rechte in ihrem Land verwirklicht sind.67 Dabei soll die Berichtspflicht sämtliche Elemente der Rechte umfassen, einzelne Aspekte sollen gerade nicht ausgeklammert sein. Insoweit ist das Berichtsverfahren also universell ausgestaltet.68 Auf der anderen Seite kann man den Staaten nicht immer nach der Devise begegnen: „Pech gehabt! Dann hättet ihr eben einen Vorbehalt etwa gegenüber Artikel 16 IPwskR erklären müssen.“69 Denn immerhin
über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen, in: Deutsches Institut für Menschenrechte: Die „General Comments” zu den VN– Menschenrechtsverträgen, 2005, S. 160 (S. 170 f.) 64
Zu den philosophischen Hintergründen des Universalismus/Relativismus Streits: Eibe Riedel: Universality of Human Rights and Cultural Pluralism, in: Christian Koenig/ Alexander Lorz (Hrsg.): Die Universalität der Menschenrechte, 2003, S. 139 (S. 140 f.); Jack Donnelly: The Relative Universality of Human Rights, in: HRQ 2007, S. 281 (S. 284 – 286) 65
Riedel: Universality of Human Rights and Cultural Pluralism, a.a.O. Fn. 64 S. 189 66 67
Ibidem Vgl. Art. 16 IPwskR
68
Zu Spielräumen, die der Sozialpakt und der Zivilpakt im materiellen Bereich für die kulturellen Verschiedenheiten liefern Riedel: Universality of Human Rights and Cultural Pluralism, a.a.O. Fn. 64 S. 160 69 Allgemein zu Vorbehalten: Theodor Schweisfurth: Völkerrecht, 2006, S. 161–169
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
151
kann es sein, dass die mit der Disaggregation zusammenhängenden Probleme bei der Ratifizierung noch gar nicht bestanden. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass eine nicht unerhebliche Missbrauchsgefahr bestünde, würde man es den Staaten anheim stellen, über die Disaggregation zu disponieren.70 Das Risiko, dass dem Ausschuss aus vermeintlich allgemein nachvollziehbaren Gründen De–facto– Diskriminierungen verborgen blieben, wäre hoch. Hinzu kommt, dass es gerade Zweck des Berichtsverfahrens ist, menschenrechtliche Probleme zu enthüllen. Dann kann einem Land nicht aus innerstaatlichen Gründen gestattet werden, derartige Probleme zuzudecken. Des Weiteren erhielte man – wäre die Disaggregation disponibel – einen Kerninhalt der Berichtspflicht analog der Kerninhalte bei den Paktrechten. Dies stände jedoch im Widerspruch zur absoluten Formulierung des Artikels 16 Absatz 1 IPwskR: „The States Parties to the present Covenant undertake to submit in conformity with this part of the Covenant reports on the measures which they have adopted and the progress made in achieving the observance of the rights recognized herein.“ Im Gegensatz zu dem Paktrechten findet sich keine Artikel 2 Absatz 1 IPwskR entsprechende Relativierungsklausel.71 Dies deutet an, dass die Berichtspflicht den Staaten unbedingt obliegt. Man mag einräumen, dass im Rahmen von Artikel 2 Absatz 1 IPwskR kulturelle Besonderheiten berücksichtigt werden können. Denn aus dieser Vorschrift lässt sich für die Staaten ein Ermessensspielraum bei der Verwirklichung der Rechte ableiten.72 Dem könnte man wiederum einen für den Sozialpakt allgemein gültigen Rechtsgedanken entnehmen. Die Idee, hierauf gestützt die Berichtspflicht zu relativieren, kann jedoch letztlich nicht überzeugen. Auch der Ermessensgrundsatz wird nämlich durch die übrigen Vorgaben des Sozialpakts beschränkt, und hierzu gehört das Diskriminierungsverbot.
70
Vgl. Donnelly a.a.O. (Fn. 64), S. 297
71
Vgl. den Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 IPwskR: „Each State Party to the present Covenant undertakes to take steps [...] to the maximum of its available resources, with a view to achieving progressively the full realization of the rights recognized in the present Covenant by all appropriate means.“ [Hervorhebungen vom Verfasser] 72
Oben S. 16 ff.
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Man könnte allenfalls erwägen, für den Fall der verbotenen Disaggregation die Schrankenregelung des Artikels 4 IPwskR analog heranzuziehen.73 Eine planwidrige Regelungslücke besteht, denn das Berichtsverfahren ist in den Artikeln 16 ff. IPwskR nicht abschließend kodifiziert. Insbesondere werden Fragen der Disaggregation gar nicht angesprochen. Man könnte meinen, die Interessenlage sei im Falle der innerstaatlich verbotenen Disaggregation vergleichbar mit der Situation, die Artikel 4 IPwskR erfasst. In beiden Fällen möchte nämlich ein Staat eine Paktnorm aus innerstaatlichen Gründen einschränken.74 Wenn er dies noch mit kulturellen Besonderheiten als Ausdruck des allgemeinen Wohls rechtfertigen möchte, scheint die Vergleichbarkeit auf der Hand zu liegen. Weitergehend könnte man sogar postulieren, wenn der Staat materiellrechtlich die Rechte einschränken darf, müsste er auch die verfahrensrechtliche Überwachung dieser Rechte einschränken können. Denn im ersteren Fall liegt in jedem Fall ein Minus gegenüber den Vorgaben des Sozialpakts vor, wohingegen bei Einschränkung des „Monitorings“ lediglich die Gefahr bestünde, dass der Staat hinter dem Soll des Sozialpakts zurückbleibt. Bei näherem Hinsehen passt aber Artikel 4 von seiner Rechtsfolge her nicht. Denn die Vorschrift will dem Parlamentsprinzip Rechnung tragen.75 Dies macht auch Sinn bei materiellrechtlichen Fragen, denn in diesem Fall werden Individuen geschützt. Inwieweit soll es aber für den Ausschuss als völkerrechtliches Organ einen Unterschied machen, welche innerstaatliche Gewalt die Disaggregation ablehnt? Hier gilt viel-
73
Die deutsche Übersetzung lautet: „Die Vertragsstaaten erkennen an, dass ein Staat die Ausübung der von ihm gemäß diesem Pakt gewährleisteten Rechte nur solchen Einschränkungen unterwerfen darf, die gesetzlich vorgesehen und mit der Natur dieser Rechte vereinbar sind und deren ausschließlicher Zweck es ist, das allgemeine Wohl in einer demokratischen Gesellschaft zu fördern.“ 74
Dazu Riedel: Universality of Human Rights and Cultural Pluralism, a.a.O. Fn. 64 S. 161 75
Zur Interpretation des Art. 4 IPwskR siehe The Limburg Principles Nr. 46 – 56, enthalten in UN Doc. E/C.12/2000/13, mit Verweis auf die Interpretation der Parallelvorschrift im IPbpR durch die „UN Sub–Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities“: Siracusa Principles on the Limitation and Derogation of Provisions in the International Covenant on Civil and Political Rights, UN Doc. E/CN.4/1984/4 (1984) Annex
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
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mehr der völkerrechtliche Grundsatz, der auch in Artikel 27 WVK zum Ausdruck kommt, dass der Staat nach außen hin eine Einheit bildet.76 Außerdem wäre es gefährlich, Artikel 4 IPwskR analog heranzuziehen. Denn wenn der Staat gegen Artikel 4 IPwskR verstößt und Rechte einschränkt, besteht immerhin noch die Möglichkeit, dass er vom Ausschuss hierfür zur Rechenschaft gezogen wird. Wenn man dem Land hingegen gestattet, über das Berichtsverfahren zu disponieren, enthebt man den Ausschuss seiner Aufgabe. Im Regelfall prüft dann nämlich kein internationales Organ mehr nach, ob die Einschränkung den Anforderungen analog Artikel 4 IPwskR entsprochen hat. Es fehlt also an einer vergleichbaren Interessenlage. Artikel 4 IPwskR ist daher auf die verfahrensrechtliche Frage der verbotenen Disaggregation nicht analog anwendbar. Vielmehr ist das Disaggregationsgebot – wie ausgeführt – aus Artikel 2 Absatz 2 IPwskR und damit aus dem Völkerrecht abzuleiten. Schon von daher sind die genannten innenpolitischen Besonderheiten grundsätzlich irrelevant. Würde man den Staaten erlauben, über gewisse, die De–facto–Diskriminierung betreffenden Umstände in ihrem Land nicht zu berichten, wäre man nicht weit davon entfernt, den Staaten zu erlauben, von materieller Gleichstellung abzusehen.77 Innenpolitische Einwände gegen die Disaggregation lassen sich entkräften, wenn man bedenkt, dass menschenrechtliche Forderungen gerade für Krisensituationen, für Zeiten politischer Instabilität und außergewöhnliche Ereignisse formuliert wurden.78 Dabei bestand unter den Paktstaaten Konsens darüber, dass das Berichtsverfahren das Mittel zur Verwirklichung der Menschenrechte sein soll. Dazu soll nach dem im Sozialpakt zum Ausdruck kommenden Willen auch gehören, über alle verfügbaren Tatsachen betreffend des Diskriminierungsverbots zu berichten.
76 Art. 4 der Draft Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, UN Doc. A/CN.4/L.602/Rev.1 und dazu den Bericht des UN– Generalsekretärs: Compilation of decisions of international courts, tribunals and other bodies, UN Doc. A/62/62 §§ 20 – 42; Karl Doehring: Völkerrecht, 2. Auflage, 2004, S. 364; Schweisfurth a.a.O. (Fn. 69), S. 205 77
Die Bedeutung von Kontrollverfahren für die universelle Verwirklichung der Menschenrechte betont: Donnelly a.a.O. (Fn. 64), S. 288 78 Riedel: Universality of Human Rights and Cultural Pluralism, a.a.O. Fn. 64 S. 156
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Fazit: Das Disaggregationsgebot gehört zum Minimalstandard, von dem kein Land aus innenpolitischen Gründen absehen darf. Die Staaten sind also verpflichtet, Indikatoren disaggregiert darzustellen. Das Problem lässt sich für den Staat aber unter Umständen ein wenig entschärfen, wenn er zumindest mitentscheiden kann, nach welchen Kriterien zu disaggregieren ist. Damit stellt sich die Frage, wer überhaupt die Attribute auswählt.
c) Die Kompetenz zur Disaggregation Problematisch ist, wer definiert, welche Unterscheidungsmerkmale „menschenrechtlich relevant“ sind.79 Sozialwissenschaftlich gesprochen, wird ein Werturteil im Verwertungszusammenhang getroffen.80 Größtenteils legt Artikel 2 Absatz 2 IPwskR die Differenzierungskriterien fest, etwa Rasse, Hautfarbe oder Sprache. Hier muss ein Staat die Indikatoren – nach Maßgabe der verfügbaren Ressourcen81 – für jeden Wert, den ein Differenzierungskriterium annimmt, gesondert darstellen. Wenn in einem Land also Anhänger fünf verschiedener Religionen leben, muss nach allen fünf Religionen und nicht nur nach den beiden Hauptreligionen differenziert werden. Problematisch ist das letzte Tatbestandsmerkmal des Artikels 2 Absatz 2 IPwskR „sonstiger Status“. Aus ökonomischen Gesichtspunkten sind die Staaten nicht dazu verpflichtet, die Daten für alle denkbaren Unterscheidungsmerkmale gesondert darzustellen. Ansonsten wäre die Zahl der Indikatoren im Staatenbericht unendlich groß. Nach welchen Kriterien muss ein Land also weiter disaggregieren? Nur scheinbar hilfreich ist, dass das Land materiell ein Ermessen hat, welche De–facto–Diskriminierungen es in welcher Reihenfolge beseitigen will.82 Denn Ermessen ist kein Freibrief. Der Staat darf nicht darauf verzichten, Daten auf potentielle De–facto–Diskriminierungen hin zu untersuchen. Eine ordnungsgemäße Ermessensausübung voraus, dass das Land alle relevanten Tatsachen kennt, hier also alle disaggregierten 79
Die Frage wird aufgeworfen in: Report of IBSA Expert Symposium, a.a.O. (Fn. 52), S. 205 80
Vgl. oben S. 50
81
Näher zu den Kosten der Datenbeschaffung und der Berücksichtigung der verfügbaren Ressourcen, unten S. 193 ff. 82
Oben S. 44
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
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Indikatorwerte. Damit der Ausschuss auch nachvollziehen kann, ob ein Land sein Ermessen bezüglich der Diskriminierungsbeseitigung ordnungsgemäß ausgeübt hat, muss es in seinem Bericht alle relevanten De–facto–Diskriminierungen offenlegen. Damit ist die Untersuchung wieder bei der Ausgangsfrage angekommen: Wer bestimmt, welche Unterscheidungskriterien relevant sind? Den Staaten allein darf die Auswahl der Differenzierungskriterien nicht überlassen werden, denn die Gefahr, dass sie Informationen unterschlagen, die ein vernünftiger Dritter für menschenrechtlich relevant halten würde, wäre groß. Beispielsweise kann es sein, dass sich in einem Land Arbeiter (körperlich Arbeitende), Angestellte (geistig Arbeitende) und Selbstständige bei der Analphabetenrate unterscheiden. Es darf nicht sein, dass ein Staat etwa nur nach den Kriterien selbstständig/abhängig beschäftigt gliedert und die Werte der Arbeiter verheimlicht. Andererseits wäre es vor dem Hintergrund der Vorhersehbarkeit, der Universalität und der Souveränität problematisch, wenn der Ausschuss ohne Vorwarnung entscheiden würde, dass ein Staat den Sozialpakt verletzt hat, weil er in seinem Staatenbericht bei einem Indikator nicht die Werte für Arbeiter gesondert aufgeschlüsselt hat. An dieser Stelle wird wiederum deutlich, wie wichtig der konstruktive Dialog ist. Theoretisch gibt es nämlich unendlich viele Kriterien, bezüglich derer diskriminiert werden könnte. Daher lässt sich auch kein abstrakter und für alle Staaten einheitlicher Katalog aufstellen, nach dem die Indikatoren aufzugliedern sind. Konkret könnte der Dialog im obigen Beispiel so vonstattengehen, dass der Ausschuss aus NGO–Quellen Informationen erhält, denen zufolge bei der Analphabetenrate De–facto–Diskriminierungen hinsichtlich der Berufsform vorliegen. Der Ausschuss fordert daraufhin den Staat dazu auf, den Indikator „Analphabetenrate“ für die Berufsformen Arbeiter, Angestellte und Selbstständige disaggregiert darzustellen. Natürlich ist kein Staat dazu verpflichtet, derartigen Wünschen des Ausschusses in jedem Fall nachzukommen, denn der Ausschuss hat nicht die Befugnis, den Sozialpakt authentisch auszulegen. Nach Treu und Glauben ist das Land aber dazu verpflichtet, seine Begehren zu berücksichtigen. Und da sich im Sozialpakt mit der Formulierung „sonstiger Status“ zwar vage, aber doch hinreichende Anhaltspunkte dafür finden, dass jedwede Diskriminierung verboten ist, muss ein Land schon gute Gründe haben, wenn es die Bitte des Ausschusses nicht erfüllt. Denn immerhin würde es ihn dadurch bei seiner Aufgabe be-
156
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hindern, alle Paktpflichten – also auch die aus Artikel 2 Absatz 2 IPwskR – zu überwachen. Ein rechtfertigender Grund läge mit Blick auf Artikel 2 Absatz 1 IPwskR etwa darin, dass die Disaggregation enorme Summen kosten würde und der Staat sehr arm ist. Nicht ausreichend wäre es hingegen, wenn ein Staat ohne Nachweise behauptet, es gebe bei einem Indikator keine auffälligen Abweichungen vom Durchschnittswert, denn das gilt es gerade erst zu untersuchen. Fazit: Überwiegend benennt Artikel 2 Absatz 2 IPwskR die Kriterien, nach denen die Indikatoren zu disaggregieren sind. Ein Land muss aber auch nach weiteren Merkmalen, die in Artikel 2 Absatz 2 IPwskR nicht spezifisch genannt sind, disaggregieren, wenn der Ausschuss es hierzu aufgefordert hat und es keinen hinreichenden Grund vorträgt, weshalb es diese formelle Aufgabe nicht zu erfüllen vermag.
III. Die Typen von Menschenrechtsindikatoren 1.) Die Einteilung in qualitative und quantitative Indikatoren Die menschenrechtliche Literatur und die Vertragsorgane unterscheiden zwischen qualitativen und quantitativen Indikatoren.83 Man differenziert danach, ob die Indikatorwerte numerisch darstellbar sind oder nicht.84 Kann man Objekte im Hinblick auf eine bestimmte Eigenschaft der Größe nach unterscheiden – das heißt können Objekte hoch oder niedrig, größer oder kleiner, mehr oder weniger sein – so spricht man von einer quantitativen Variablen. Diese Variablen können mit mannigfaltigen Messeinheiten in Verbindung gebracht werden. 83
Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies a.a.O. (Fn. 24), § 8; Report of the Secretary–General submitted pursuant to Commission on Human Rights resolution 1999/25, UN Doc. E/CN.4/2000/47 vom 15. Dezember 1999, § 20; Söllner: Right to Food Indicator Description, a.a.O. (Fn. 60), S. 5; für das Recht auf Entwicklung: Report prepared by the Secretary–General pursuant to Commission on Human Right Resolution 1989/45, UN Doc. E/CN.4/1990/9 (Part III) vom 6. Februar 1990, § 37 84
Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies a.a.O. (Fn. 24), § 8. Die drei Bezeichnungen quantitative, statistische und numerische Indikatoren werden oft synonym verwendet
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
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Kann man Objekte im Hinblick auf eine bestimmte Eigenschaft der Art nach unterscheiden, so spricht man von einer qualitativen Variablen. Qualitative Indikatoren beschreiben in Worten Zustände, Ereignisse, Prozesse oder Ergebnisse, die anzeigen, ob einem bestimmten Qualitätskriterium entsprochen wird oder nicht.85 Einfache Beispiele sind „Größe“ oder „Gewicht“ als quantitative, „Geschlecht“ oder „Hautfarbe“ als qualitative Indikatoren für einen menschlichen Körper.86 Die im Sozialpakt normierten quantitativen Indikatoren wurden bereits im letzten Kapitel behandelt.87 Im Rahmen der Menschenrechtsüberwachung relevante qualitative Indikatoren sind vor allem Meinungen, Ansichten und Überzeugungen. Ein weiterer Fall für einen qualitativen Indikator bildet die Untersuchung eines Gesetzes, das den Sozialpakt in das nationale Recht implementiert. Hier sind nicht alle Eigenschaften des Gesetzes mengenmäßig relevant und darstellbar. Dennoch können sie darauf hinweisen, inwieweit die Wsk–Rechte verwirklicht sind. Denn zur Realisierung gehören nach Artikel 2 Absatz 1 IPwskR vor allem gesetzgeberische Maßnahmen. Der Unterschied zwischen qualitativen und quantitativen Ansätzen liegt aber nicht im Zahlengebrauch und Zahlennichtgebrauch. Auch Studien, die als Höhepunkte qualitativer Forschung gelten, haben Zahlen in Form von Auszählungen und Tabellen verwendet.88 Selbst elektronische Datenverarbeitung ist keine Domäne des quantitativen Ansatzes mehr. Die Unterschiede sind komplexer, so komplex, dass es bei den dichotomen Variablen zu Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen qualitativen und quantitativen Aspekten kommen kann. Untersucht man etwa, ob eine Verfassungsvorschrift besteht, die Frauen und Männer gleichstellt, kann man vertreten, dass der qualitative Ja/Nein–Indikator stets die Werte eins oder null annimmt. Dies entspricht dann wieder dem primitivsten quantitativen Indikator. 85
Anselm L. Strauss: Grundlagen qualitativer Sozialforschung, 2. Auflage, 1994, S. 26; Philipp Mayring: Einführung in die qualitative Sozialforschung, 1990, S. 23. Zur Geschichte der qualitativen Sozialforschung: Mayring ibidem S. 1 – 8 86
Malhotra/Fasel: Quantitative Human Rights Indicators, a.a.O. (Fn. 19),
S. 6 87 88
S. 106 f.
Strauss a.a.O. (Fn. 85), S. 26; Jörn Diekmann: Über qualitative und quantitative Ansätze empirischer Sozialforschung, 1983, S. 14
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Das ist jedoch kein Novum. Quantität und Qualität sind nämlich keineswegs Antonyme, wie landläufig angenommen wird.89 Vielmehr birgt Quantität als Angabe des Zahlenwerts einer metrischen Größe stets qualitative – die Eigenschaften einer Sache betreffende – Aspekte, indem die Häufigkeit qualitativer Merkmale ermittelt wird.90 Ein einfaches Beispiel ist die qualitative Eigenschaft „Form eines Tisches“. Diese kann man numerisch ausdrücken, etwa indem man seine Höhen, Breiten und Tiefen an bestimmten Stellen in der Maßeinheit „Zentimeter“ misst. Das impliziert, dass der quantitativen Analyse stets eine qualitative vorausgeht.91 Bei den Wsk–Rechten liegt die qualitative Arbeit darin, dass man Menschenrechte konzeptualisiert und einzelne Indikatoren ermittelt. Wie im vorangehenden Kapitel ausgeführt, sind diese Schritte teilweise wertend. Ein Unterschied zwischen qualitativen und quantitativen Methoden liegt darin, dass letztere von der Gleichheit jeder Ziffer ausgehen. Jede Ziffer hat die gleiche Bedeutung. Individuelle Verhältnisse werden nicht berücksichtigt.92 Ermittelt man etwa die Zahl der Zwangsvertriebenen, so wertet man jeden Fall gleich. Dies ist auch einer der Kritikpunkte gegen ein rein quantitatives Vorgehen, wie es von manchen Menschenrechtsexperten propagiert wird.93 Denn kann es wirklich überzeugen, dass man nur misst, wie viele Gesetze ein Staat zum Schutz des Rechts auf Wohnung erlässt, ohne deren Inhalt in den Blick zu nehmen? Man mag einwenden, dass sich die Auswirkungen des Gesetzes quantitativ messen lassen. Etwa könnte man untersuchen, wie viele Klagen, die auf dieses Gesetz gestützt wurden, erfolgreich waren. Was aber, wenn das Gesetz gerade erst erlassen wurde und es mit ihm noch keine Erfahrung gibt? Mit qualitativen Methoden hingegen kann man die Individualität des Gesetzes, seine Struktur, seinen Inhalt und seinen Rang untersuchen.94 89
Mayring a.a.O. (Fn. 85), S. 24 und 106
90
Bettina Westle: Zur Verbindung qualitativer und quantitativer Forschungsverfahren in der empirischen Sozialforschung, 1990, S. 11 91
Ibidem, S. 12; Jörn Diekmann a.a.O. (Fn. 88), S. 49: „Die Konzeptualisierungsphase gilt allgemein als Domäne qualitativer Verfahren.“ 92 93
Jörn Diekmann a.a.O. (Fn. 88), S. 24 Malhotra/Fasel: Quantitative Human Rights Indicators, a.a.O. (Fn. 19),
S. 25 94
Zur qualitativen Inhaltsanalyse: Mayring a.a.O. (Fn. 85), S. 85 – 90; Andreas Diekmann: Empirische Sozialforschung, 10. Auflage, 1995, S. 510 – 516
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
159
Im vorangegangenen Kapitel wurden für das Berichtsprüfungsverfahren bereits einige Regeln abgeleitet. So wurde begründet, dass quantitative Methoden ebenso zulässig sind wie subjektive Indikatoren.95 Außerdem wurde dargelegt, dass jede Operationalisierung – wenn auch zu einem unterschiedlichen Grad – wertgeladen ist.96 Indes wurde die Frage, inwieweit qualitative Indikatoren zulässig sind, noch nicht beantwortet. Auch ist unklar, in welchem Rangverhältnis qualitative zu quantitativen Ansätzen stehen. Was die Frage anbelangt, ob quantitative oder qualitative Methoden die besseren Resultate liefern, herrscht auch in den Sozialwissenschaften ein nach wie vor ungelöster Streit.97 Der Disput ähnelt dem über Werturteile in den Sozialwissenschaften und dem Problem der fehlenden Letztbegründung.98 Wollte man beurteilen, ob eine der Methoden der anderen überlegen ist, bedürfte es der Existenz eines normativen Kriteriums, anhand dessen festgelegt werden kann, wie gut ein Ergebnis im Vergleich zu anderen Resultaten ist.99 Ein solches normatives, das heißt für alle Fälle gültiges, konsensfähiges Kriterium lässt sich aber nicht angeben.100 Man kann allenfalls begründen, weshalb ein bestimmter Ansatz für die Beantwortung einer konkreten Fragestellung angemessen ist oder nicht, weil es bestimmten, für die Fragestellung spezifischen Anforderungen genüge oder eben nicht.101 Sozialwissenschaftlich kann man also nur fragen, inwieweit sich beide Ansätze unterstützen können, um zu noch besseren Gesamtresultaten zu kommen.102 Auch wenn die Sozialwissenschaft kein normatives Kriterium kennt, um den Vorzug qualitativer oder quantitativer Methoden zu begründen, 95 96
S. 103 S. 96 ff.
97
Karl Raimund Popper: Über die empirische Methode und den Begriff der Erfahrung, in: Troels Eggers Hansen (Hrsg.): Karl Popper – Frühe Schriften, 2006, S. 459 – 483; Jörn Diekmann a.a.O. (Fn. 88), S. 9 98 99
Oben S. 124 Jörn Diekmann a.a.O. (Fn. 88), S. 27; vgl. auch Strauss a.a.O. (Fn. 85),
S. 28 100
Jörn Diekmann a.a.O. (Fn. 88), S. 47. Zum Konsens im Rahmen von wissenschaftlichen Theorien vgl. die „Sumpflandmethapher“ oben S. 124 101 102
Jörn Diekmann a.a.O. (Fn. 88), S. 27 Ibidem
160
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
könnte doch der Sozialpakt mit seinen Regeln ein solches vorgeben. Ob er eine der beiden Vorgehensweisen präferiert, kann man aber erst beantworten, wenn geklärt ist, wie der Ausschuss seine Schlussfolgerungen aus Indikatoren ableitet.103 Fazit: Inwieweit im Berichtsprüfungsverfahren quantitative, inwieweit qualitative Indikatoren verwendet werden müssen, kann an dieser Stelle noch nicht beantwortet werden.
2.) Die Ordnungssystematik der verschiedenen Indikatorklassen Die menschenrechtliche Literatur und die UN–Praxis fassen die Indikatoren zu Gruppen zusammen. Die Systematik, die dahinter steckt, wird erst verständlich, wenn man sich verdeutlicht, dass Indikatoren Ausschnitte eines Menschenrechts messen. Diese Ausschnitte lassen sich ordnen. Meist unterscheidet man danach, aus wessen Sicht eine Variable relevant wird: aus Sicht der verpflichteten Staaten oder aus Sicht der begünstigten Menschen.104 Auch die zeitliche Reihenfolge, also die gedachte Kausalkette, spielt eine Rolle: Zuerst stellt der Staat bestimmte Ressourcen zur Verfügung. Hier lässt sich das Input messen. Diese Ressourcen werden in bestimmter Weise eingesetzt; man misst demnach den Prozess auf dem Weg zur Rechtsverwirklichung. Diese beiden Schritte kann man auch zu einem zusammenfassen und davon sprechen, dass das Verhalten des Staates gemessen wird. Anschließend betrachtet man den Zustand der Rechtsverwirklichung durch die Brille der Individuen. Es soll gemessen werden, welche Auswirkungen das früher eingesetzte staatliche Input heute für die Menschen hat, wobei oftmals noch unterschieden wird zwischen langfristigen und kurzfristigen Folgen.
3.) Die Indikatorklassen im Einzelnen a) Input–Indikatoren Nicht sehr zahlreich sind die Fälle, in denen der Ausschuss misst, wie viele Ressourcen der Staat für die Verwirklichung eines menschenrecht103 104
S. 6
Unten S. 207 ff. Malhotra/Fasel: Quantitative Human Rights Indicators, a.a.O. (Fn. 19),
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
161
lichen Ziels einsetzt.105 Diese Zurückhaltung mag daran liegen, dass Ressourcen nicht vollständig quantifizierbar sind und somit das staatliche Input nie vollständig mit Indikatoren gemessen werden kann. Dem könnte man entgegnen, dass Indikatoren, wie der Name schon sagt, immer nur ein Indiz sind und ein Konstrukt niemals komplett beschreiben. Ein weiterer Grund könnte sein, dass der Sozialpakt den Ländern bei der Ressourcenauswahl und bei der –verteilung ein weites Ermessen lässt.106 Der Ausschuss darf zwar die Situation mit Inputindikatoren untersuchen. Er darf die Werte aber nicht ohne Weiteres kritisieren. Denn er darf den Ländern grundsätzlich nicht vorschreiben, an einer bestimmten Stelle mehr zu investieren. Dies ist allerdings ein Manko, das allen Indikatortypen immanent ist. Der Staat kann nämlich prinzipiell jeden Indikatorwert rechtfertigen, wenn er seine Ressourcen anderweitig eingesetzt hat. Bei Inputindikatoren ist der Nachweis für die Staaten verhältnismäßig leicht zu führen. Der Ausschuss muss nur zwei Inputpositionen miteinander vergleichen, was durch einen Blick in den Haushaltsplan gelingen kann. Fazit: Entgegen der bisherigen Praxis sind auch Inputindikatoren eine geeignete Möglichkeit, um die progressive Verwirklichung der Wsk– Rechte zu überwachen.
b) Strukturindikatoren Strukturindikatoren untersuchen, inwieweit der Staat rechtliche und politische Infrastrukturen zur Verwirklichung des betreffenden Men105
Eine der Ausnahmen sind hier die Äußerungen des Ausschussmitglieds Riedel in UN Doc. E/C.12/2001/SR.71 § 13. Ausnahmen finden sich auch in UN Doc. E/C.12/1/Add.106 § 12; E/C.12/Q/YUG/1 § 28; E/C.12/Q/ISR/2 § 12; E/C.12/1995/4 § 4, wo nicht nur die absoluten Ausgaben für das Recht auf Gesundheit betrachtet werden, sondern sogar deren Verhältnis zu den Ausgaben für Militär In anderen Menschenrechtsorganen werden Inputindikatoren häufiger verwendet als vor dem Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, so systematisch in § 2 der „List of issues“ des „Committee on the Rights of the Child“, siehe exemplarisch UN Doc. CRC/C/Q/ICE/2 § 2; CRC/C/Q/SEY/1 § 2. Inputindikatoren benutzt auch das „Committee on the Elimination of Discrimination against Women”, beispielsweise in UN Doc. A/60/38 § 360 106
Dazu oben S. 21 ff.
162
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
schenrechts einsetzt.107 Sie erfassen vor allem rechtliche Maßnahmen wie Verfassungen und Gesetze sowie Politiken und Programme. Beispielsweise kann man untersuchen, inwieweit die einzelnen Paktrechte innerstaatlich einklagbar sind. Strukturindikatoren machen sichtbar, ob der Vertragsstaat die Menschenrechtsnormen akzeptiert oder zu akzeptieren beabsichtigt, indem er Schritte zur Verwirklichung des betreffenden Menschenrechts ergreift.108 Sie überwachen daher einen Teil der Verhaltenspflichten der Staaten, der „obligations of conduct“.109 Strukturindikatoren sollen vor allem die Art der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften evaluieren und hinterfragen, ob letztere die internationalen Normen berücksichtigen. Auch dienen sie dazu, die institutionellen Mechanismen zur Förderung und zum Schutz dieser Normen zu bewerten. Sie müssen dem für das Recht maßgeblichen politischen Rahmen und den entsprechenden Strategien des Staates Rechnung tragen. Einige Strukturindikatoren können möglicherweise auf alle Menschenrechte angewandt werden, während andere eher für spezifische Menschenrechte oder auch nur für ein bestimmtes Merkmal eines Menschenrechts relevant sind. Beispiele für Strukturindikatoren aus dem Recht auf Nahrung sind: gesetzliche Anerkennung des Rechts auf angemessene Ernährung, Existenz einer nationalen Strategie, um das Recht umzusetzen, das Vorhandensein eines Katastrophenplans sowie das Bestehen administrativer und juristischer Rechtsmittel zur Durchsetzung des Rechts auf Nahrung.110 Wie man hier erkennt, sind die meisten Strukturindikatoren qualitativ. Viele können zudem nur die binären Werte „Ja“ oder „Nein“ annehmen, etwa ob ein bestimmtes Gesetz besteht oder nicht.111 107
Fröberg/Scheinin a.a.O. (Fn. 52), S. 5
108
Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies a.a.O. (Fn. 24), § 17; Malhotra/Fasel: Quantitative Human Rights Indicators, a.a.O. (Fn. 19), S. 28; Hunt a.a.O. (Fn. 34), § 54 109
Söllner: Right to Food Indicator Description, a.a.O. (Fn. 60), S. 6; Green a.a.O. (Fn. 19), S. 1088 110
Diese und weitere Beispiele bei: Söllner: Right to Food Indicator Description, a.a.O. (Fn. 60), S. 47 111
Vgl. UN Menschenrechtskommission UN Doc. E/CN.4/2006/14 § 40
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
163
Zuweilen wird behauptet, Strukturindikatoren ließen sich nicht aus dem Vertragstext ableiten.112 Dies ist jedoch falsch. Strukturindikatoren sind sogar vom Sozialpakt geboten, weil dieser in Artikel 2 Absatz 1 gesetzliche Maßnahmen besonders hervorhebt. Außerdem lassen sich sowohl legislative als auch administrative Schritte, die der Rechtsverwirklichung dienen sollen, unter Artikel 2 Absatz 1 subsumieren. Überdies tragen Strukturindikatoren dem Zweck des Sozialpakts Rechnung, wenn sie überwachen, ob der Staat dem Einzelnen eine national einklagbare Rechtsposition verschafft. Fazit: Strukturindikatoren sind dazu geeignet, die progressive Realisierung der Wsk–Rechte zu messen.
c) Prozessindikatoren Prozessindikatoren geben Aufschluss über die Anstrengungen, die der Staat unternimmt, um ein bestimmtes Menschenrechtsproblem zu lösen.113 Sie beziehen sich auf staatliche Politik und verbinden die Staatenverpflichtungen mit den gewünschten Zielen bei der Paktverwirklichung.114 Hier fließen besonders die menschenrechtlichen Prinzipien der Teilhabe und Rechenschaftspflichtigkeit ein. Teilhabe meint die Einbeziehung der Bevölkerung in politisch relevante Entscheidungen.115 Rechenschaftspflichtigkeit bedeutet zunächst, dass die Rechtsverwirklichung betreffende Daten veröffentlicht werden. Darüber hinaus muss der Staat aber auch ein nationales Überwachungssystem erstellen, beispielsweise mit Indikatoren und Zielsetzungen.
112
Vgl. Fröberg/Scheinin a.a.O. (Fn. 52), S. 6
113
Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies a.a.O. (Fn. 24), § 20 114 115
Ibidem, § 18; Hunt a.a.O. (Fn. 34), § 55
Sakiko Fukuda–Parr: Millenium Development Goal 8: Indicators for International Human Rights Obligations?, in: HRQ 28 (2006), S. 966 (S. 975); Hans Morten Haugen: General Comment No. 17 on “Authors’ Rights”, in: The Journal of World Intellectual Property 2007, Vol. 10, S. 53 (S. 61). Die Canadian International Development Agency weist sogar eine eigene Kategorie von Partizipationsindikatoren für bürgerlich–politische Rechte aus, in: Indicators for Programming in Human Rights and Democratic Development: A Preliminary Study, 1996, S. 8 f.
164
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Beispiele für Prozessindikatoren des Rechts auf Nahrung sind der Anteil der Bevölkerung, der durch staatliche Ernährungsprogramme versorgt wird, die Zahl der bei den Gerichten eingegangenen, das Recht auf Nahrung betreffenden Klagen und der Anteil der verbrauchten Nahrungsmittel, der vor Verzehr nach standardisierten Verfahren auf seine Reinheit geprüft wurde.116 Prozessvariablen117 stehen zwischen Input– und Ergebnisvariablen. Prozessvariablen vermitteln also das staatliche Input mit dem menschenrechtlichen „outcome“.118 Zwischen Struktur– und Prozessindikatoren gibt es fließende Übergänge und Überlappungen.119 Beide messen die „obligations of conduct“. Auch bei Strukturvariablen darf es nicht dazu kommen, dass das staatliche Ermessen beschnitten wird.
d) Verhaltensindikatoren („conduct indicators“) Den aufmerksamen Leser wird es verwundern, warum man nicht nur zwei Gruppen von Indikatoren bildet, nämlich Verhaltens– und Ergebnisindikatoren; denn sowohl Struktur– als auch Prozessindikatoren messen die „obligations of conduct“.120 In der Tat erscheint es geboten, sämtliche Verhaltenspflichten der Staaten operabel zu machen und nicht nur Struktur– und Prozesspflichten. Dies haben aber bisher erst wenige Autoren121 erkannt.
116
Diese und weitere Beispiele bei: Söllner: Right to Food Indicator Description, a.a.O. (Fn. 60), S. 47 117
Zur Definition der Variablen und ihrem Verhältnis zum Indikator siehe oben S. 85 118
Robert J. Rossi/Kevin J. Gilmartin: The Handbook of Social Indicators, 1980, S. 20; Malhotra/Fasel: Quantitative Human Rights Indicators, a.a.O. (Fn. 19), Fn. S. 28 119 120 121
Report of IBSA Expert Symposium, a.a.O. (Fn. 52), S. 201 Riedel: The IBSA Procedure, a.a.O. (Fn. 12), S. 70
Riedel: New Bearings to the State Reporting Procedure, a.a.O. (Fn. 13), S. 353; ähnlich: Bård Anders Andreassen: Monitoring the Implementation of the Right to Food, abrufbar auf: http://www.abo.fi/instut/imr/research/seminars/ indicators/ (abgerufen am 18. Mai 2008), S. 11; Hans–Otto Sano: Human Rights Indicators. Purpose and Validity. Paper for Turku/Åbo Expert Meeting on Human Rights Indicators, 11–13 March 2005, abrufbar auf: http://www.
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
165
Ob es zweckmäßig ist, Struktur– oder Prozesspflichten gesondert auszuweisen, kann an dieser Stelle noch offenbleiben.122 Jedenfalls gibt es die Gruppe der Verhaltensindikatoren, die diese beiden Kategorien umfasst und noch darüber hinausreicht. Auch bei Verhaltensindikatoren darf es nicht dazu kommen, dass das staatliche Ermessen unzulässig eingeschränkt wird.
e) Ergebnisindikatoren Ergebnisindikatoren („result indicators“) messen, inwieweit die Wsk– Rechte von Einzelnen oder Personengruppen genossen werden.123 Wie der Name schon sagt, beziehen sie sich auf die „obligations of result“. Ergebnisindikatoren sind beispielsweise die Zahl der Kinder, die mindestens drei Monate nach der Geburt überlebt haben, die Zahl der an HIV Erkrankten oder die Analphabetenrate. Manche untergliedern noch in „Output“– und „Outcome“–Indikatoren, wobei erstere die unmittelbaren Ergebnisse und letztere den entfernteren Nutzen einer Politik messen sollen.124 Dazu ist zu sagen, dass Ergebnisindikatoren zwar darauf hinweisen können, ob eine bestimmte Menschenrechtspolitik erfolgreich war oder nicht. Kausalschlüsse sind jedoch nicht erlaubt.125 So können die Indikatoren für die Lebenserwartung oder die Sterblichkeit mit der Immunisierung der Bevölkerung, der Bildung oder dem Bewusstsein der Bevölkerung auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheit oder auch mit der Verfügbarkeit angemessener Nahrung und dem Zugang der Menschen dazu korrelieren.126 Somit wird niemals das Ergebnis einer bestimmten Maßabo.fi/instut/imr/research/seminars/indicators/index.htm (abgerufen am 18. Mai 2008), S. 7 122
Dazu unten S. 170
123
UN Menschenrechtskommission UN Doc. E/CN.4/2006/14 § 38; Riedel: New Bearings to the State Reporting Procedure, a.a.O. (Fn. 13), S. 353; Malhotra/Fasel: Quantitative Human Rights Indicators, a.a.O. (Fn. 19), S. 28; Hunt a.a.O. (Fn. 34), § 56; kritisch zu den Ergebnisindikatoren: Green a.a.O. (Fn. 19), S. 1091 124
Vgl. Rossi/Gilmartin a.a.O. (Fn. 118), S. 20. Die Begrifflichkeiten wechseln in der Literatur aber zuweilen 125 126
Siehe oben S. 95
Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies a.a.O. (Fn. 24), § 19
166
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
nahme gemessen, sondern ein Ergebnis, zu dem unter anderem die Maßnahme beigetragen hat. Unmittelbare Ergebnisse einer Politik sind somit nicht ablesbar, sondern es wird immer nur der indirekte Nutzen gemessen. Daher ist die Unterscheidung missverständlich. Prozess– und Ergebnisindikatoren müssen einander nicht ausschließen. Es ist möglich, dass ein Indikator für ein bestimmtes Menschenrecht ein Prozess– und für ein anderes ein Ergebnisindikator ist. So kann der Anteil der Bevölkerung, bei dem die Kalorienzufuhr unter der notwendigen Mindestmenge liegt, für das Recht auf angemessene Nahrung ein Ergebnisindikator, für das Recht auf Gesundheit ein Prozessindikator sein.127 Komplizierter als bei den übrigen Indikatorklassen ist bei den Ergebnisindikatoren das Verhältnis von Ermessen und internationaler Kontrolle. Denn der Sozialpakt zielt darauf, die Situation sämtlicher Individuen zu verbessern. Der Staat hat nur begrenzt die Freiheit, zu entscheiden, welche Rechte für welche Menschen er korrigieren will. Er kann beispielsweise nicht beschließen, dass er die Zahl der Malariaerkrankungen senken will, die Zahl der Choleraerkrankungen aber nicht. Dies gilt allerdings nur in der Theorie. Er kann nämlich seine beschränkten Ressourcen vorwiegend für die Malariabekämpfung einsetzen, solange der Kernbereich des Rechts auf Gesundheit gesichert bleibt. Im Ergebnis werden somit die Malariaerkrankten auf Kosten der Choleraopfer geheilt. De facto verfügt der Staat dann also doch über die Ziele des Rechts auf Gesundheit. Man könnte hier auf die Idee kommen, mit dem Rechtsgedanken des Artikels 5 Absatz 1 IPwskR zu argumentieren. Dieser verbietet es, Rechte gegeneinander auszuspielen. Allerdings gilt das Verbot nur relativ. Artikel 5 Absatz 1 lautet nämlich: „Keine Bestimmung dieses Paktes darf dahin ausgelegt werden, dass sie für einen Staat, [...] das Recht begründet, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu begehen, die auf die Abschaffung der in diesem Pakt anerkannten Rechte und Freiheiten oder auf weitergehende Beschränkungen dieser Rechte und Freiheiten, als in dem Pakt vorgesehen, hinzielt“.128
127 128
Ibidem, § 20
Die englische Fassung lautet: „Nothing in the present Covenant may be interpreted as implying for any State, group or person any right to engage in any activity or to perform any act aimed at the destruction of any of the rights
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
167
Im Pakt vorgesehen sind aber unter anderem die Beschränkungsklauseln des Artikels 2 Absatz 1. Dieser erlaubt die Beschränkung von Rechten aufgrund von Ressourcenmangel. Der Staat hat damit aufgrund seiner Souveränität die Befugnis, eine Ergebnisvariable auf Kosten einer anderen durchzusetzen. Nicht zu vergessen ist allerdings die große Gefahr von versteckten Diskriminierungen. Man stelle sich vor, im oben genannten Beispiel seien die unter Malaria Leidenden hauptsächlich Weiße und die an Cholera Erkrankten vorwiegend Schwarze. Soll es dem Staat immer noch erlaubt sein, sich dafür zu entscheiden, nur die Zahl der Malariafälle zu senken? Mit Disaggregation ist hier nichts gewonnen, denn sie bewirkt nur, dass einzelne Indikatoren nach relevanten Gruppen aufgeteilt werden, nicht aber, dass Indikatoren miteinander verglichen werden. Hier bleibt nur der Weg, Artikel 2 Absatz 2 IPwskR weit auszulegen: Diskriminierungen müssen über alle Paktelemente und –rechte hinaus verboten sein. Der Wortlaut deckt diese Auslegung, weil er davon spricht, dass die Rechte ohne – also ohne jegliche – Diskriminierung ausgeübt werden sollen.129 Auch ist die englische Formulierung „to guarantee“ strenger als die Fassung des Artikels 2 Absatz 1 „undertake to take steps, [....] with a view to achieving progressively the full realization“. Das zeigt, dass Absatz 2 des Artikels 2 dem Absatz 1 im Konfliktfall vorgeht. Diese Auslegung wird bestätigt durch die Systematik des Sozialpakts: Die unteren Absätze sind nämlich in der Regel leges speciales zum jeweiligen Eingangsabsatz. In Teil 3 des Sozialpakts spezifizieren sie das im Initialabsatz nur allgemein normierte Menschenrecht, indem sie konkrete, von den Staaten zu unternehmende Schritte beschreiben und genauer erklären, was zu seinem Inhalt gehört. Auch in den Teilen 4 und 5 des Paktes findet sich diese Rangordnung wieder – so in Artikel 16, dessen untere Absätze die Berichtspflicht spezifizieren, und in Artikel 29, dessen Absätze 2 und 3 die Änderungsmöglichkeit konkretisie-
or freedoms recognized herein, or at their limitation to a greater extent than is provided for in the present Covenant.” 129
Die englische Fassung lautet: „The States Parties to the present Covenant undertake to guarantee that the rights enunciated in the present Covenant will be exercised without discrimination of any kind as to race, colour, sex, language, religion, political or other opinion, national or social origin, property, birth or other status.”
168
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
ren. Selbst in Teil 1, der das Recht auf Selbstbestimmung regelt und nur aus einem einzigen Artikel besteht, gibt es diese Hierarchie. Es wäre verwunderlich, wenn dieselbe Systematik nicht auch in Teil 2 des Sozialpakts und damit für Artikel 2 gelten würde. Somit kann man den genannten Vorschriften die allgemeine, für den gesamten Sozialpakt gültige Regel entnehmen, dass Absatz 2 einer Vorschrift immer lex specialis zu Absatz 1 derselben ist.130 Daraus folgt, dass Artikel 2 Absatz 2 vor Artikel 2 Absatz 1 IPwskR rangiert. Das Diskriminierungsverbot begrenzt also das staatliche Ermessen. Fazit: Ergebnisindikatoren sind geeignet, um die progressive Verwirklichung der Paktrechte zu gewährleisten. Es ist aber besonders darauf zu achten, dass es nicht zu versteckten Diskriminierungen kommt.
f) Neuere Entwicklungen Unter den Experten hat sich eine Trias der Kategorisierung herauskristallisiert. In jüngerer Zeit wird nämlich nur noch unterteilt in Struktur–, Prozess– und Ergebnisindikatoren.131 Die Indikatoren anderer Klassen fallen aber nicht unter den Tisch, sondern sie werden einer oder mehreren der drei Gruppen zugeordnet. Rechtlich ist diese Dreiteilung ohne Belang, da die Indikatoren stets entsprechend ihrer Korrespondenz angewendet werden, unabhängig davon, welcher Gruppe man sie zuordnet. Die Entwicklungstendenzen sind jedoch aus praktischer Sicht zu begrüßen, denn sie orientieren sich an den Staatenpflichten und sorgen vor allem für Klarheit bei der Diskussion.
130
Allgemein zum Induktionsprinzip zur Herleitung von Rechtsprinzipien: Bydlinski a.a.O. (Fn. 37), S. 402 – 406 131
Deutlich: Interim report of the Special Rapporteur of the Commission on Human Rights on the right of everyone to enjoy the highest attainable standard of physical and mental health, Mr. Paul Hunt, UN Doc. A/58/427 §§ 14 – 17 mit Verweis auf Eibe Riedel; Siehe auch Audrey Chapman: Development of Indicators for Economic, Social and Cultural Rights, in: Yvonne Donders/ Vladimir Volodin (Hrsg.): Human Rights in Educations, Science and Culture, 2008, S. 111 (S. 113 f.); Fukuda–Parr a.a.O. (Fn. 115), S. 972 f.; Jennie Jonsén: Developing Indicators for the Right to Food, abrufbar auf: http://ibsa.uni– mannheim.de/ (abgerufen am 18. Mai 2008), S. 20 – 28. Anders noch: Canadian International Development Agency a.a.O. (Fn. 115), S. 5
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
169
Fazit: Um Missverständnissen vorzubeugen ist es sinnvoll, Menschenrechtsindikatoren zu unterteilen in: Struktur–, Prozess– und Ergebnisindikatoren.
4.) Das Verhältnis der Indikatorkategorisierung zu den anderen Einteilungsschemata bei den Wsk–Rechten a) Die Relevanz der Indikatorkonfiguration für die Differenzierung von Verhaltens– und Erfolgspflichten Letztlich spielt es keine Rolle, ob ein Indikator als Prozess–, Ergebnis– oder sonstiger Indikator definiert wird, solange er einen relevanten Aspekt des Rechts erfasst. Ebenso ist irrelevant, ob er die Verhaltens– oder die Erfolgspflicht der Staaten misst.132 Denn alle Paktrechte bestehen anerkanntermaßen aus den Verpflichtungsebenen „conduct“ und „result“, und beide Verpflichtungsarten sind gleichrangig. Insbesondere kommt bei beiden Ebenen der staatliche Ermessensspielraum zum Tragen. Der Staat hat damit bei jeder Indikatorkategorie die Möglichkeit, einen vom Ausschuss kritisierten Wert zu rechtfertigen, wenn er sein Ermessen in eine andere Richtung konkretisiert hat. Fazit: Es dient nur der Zweckmäßigkeit, menschenrechtliche Erfolge getrennt nach Verhaltens– und Erfolgspflichten zu messen, ist jedoch nicht rechtlich zwingend.133 Kategorisiert man aber, wird es leichter, die Operationalisierungen auszuwählen. Vor allem stellt man sicher, dass die verschiedenen Merkmale des Rechts beziehungsweise Aspekte seiner Verwirklichung abgedeckt sind.134
b) Das Zusammenspiel zwischen der Indikatorkategorisierung und der Pflichtentrias Manche Experten behaupten, dass sich Strukturindikatoren primär auf die „Respect“–Verpflichtung, Prozessindikatoren vorwiegend auf die „Protect“–Ebene und „Outcome“–Indikatoren hauptsächlich auf die
132
Anders für Goal 8 der Millenium Development Goals: Fukuda–Parr a.a.O. (Fn. 115), S. 971 133 134
Vgl. Würth/Seidensticker a.a.O. (Fn. 35), S. 35
Report of IBSA Expert Symposium, a.a.O. (Fn. 52), S. 202; Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies a.a.O. (Fn. 24), § 20
170
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
„Fulfil“–Verpflichtung beziehen.135 Andere bestreiten diese These und meinen, dass sich jede der drei Rechtsdimensionen mit Indikatoren aus allen Kategorien operationalisieren lässt.136 Vermutlich beruht die erste Ansicht auf der Überlegung, dass sich Staatsorgane durch ein Gesetz, also eine Strukturvariable, eher davon abhalten lassen, ein Menschenrecht zu verletzen als Private, bei denen es auch darauf ankommt, wie dieses Gesetz durchgesetzt wird. Exemplarisch sei folgender Fall genannt: Der Staat erlässt zum Schutz des Rechts auf Gesundheit ein Rauchverbot in allen Behörden und in privaten Gaststätten. Es ist davon auszugehen, dass allein diese Struktur schon genügt, um sicherzustellen, dass in Behörden nahezu nicht mehr geraucht wird. In Gaststätten wird es hingegen vermehrt darauf ankommen, wie viel staatliches Überwachungspersonal eingesetzt wird, was sich mit Prozessindikatoren messen lässt. Auf den Punkt gebracht geht die erste Auffassung wohl davon aus, Beamte verhalten sich rechtstreuer als Private. Dennoch ist dieser Meinung nicht zuzustimmen. Denn oftmals macht es erst die Struktur möglich, weitere Prozesse in Gang zu bringen. Etwa ist im genannten Beispiel das Gesetz erst der Grund dafür, dass der Überwachungsdienst eingesetzt wird. Auch geht es in allen drei Pflichtebenen letztlich nur darum, wie sich die Situation für die Individuen verbessert. So dient das Rauchverbot in Gaststätten unter anderem dazu, die Zahl der Lungenkrebsfälle zu senken. Außerdem weisen alle drei Ebenen, also „respect“, „protect“ und „fulfil“, progressive Dimensionen auf.137 Für die „Respect“–Ebene mag dies auf den ersten Blick erstaunen, ist dort doch jeder Eingriff des Staates eine Paktverletzung.138 Da es dem Staat aber unmöglich ist, verbotene
135
Vgl. Malhotra/Fasel: Quantitative Human Rights Indicators, a.a.O. (Fn. 19), S. 27 – 29 136
Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies a.a.O. (Fn. 24), § 20; Fröberg/Scheinin a.a.O. (Fn. 52), S. 6; Söllner: Right to Food Indicator Description, a.a.O. (Fn. 60), S. 81; Green a.a.O. (Fn. 19), S. 1086 137
Riedel: Schlussbericht, a.a.O. (Fn. 59), S. 8; vgl. auch Paul Hunt: Reclaiming Social Rights, 1996 S. 132; Matthew Craven: The International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights – A Perspective on its Development, 1995 S. 139 138
Matthew Craven: The domestic application of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: NILR 1993 S. 367 (S. 369); vgl. auch Green a.a.O. (Fn. 19), S. 1073, 1076
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171
Rechtseingriffe durch seine Organe – zum Beispiel die Polizei – hundertprozentig zu verhindern, geht es auch auf der „Respect“–Ebene darum, deren Zahl möglichst niedrig zu halten. Allerdings haben quantitative Indikatoren auf der „Respect“–Ebene bei weitem nicht die Relevanz wie auf den anderen Ebenen.139 Fazit: Im Ergebnis überzeugt die zweite Auffassung, nach der alle drei Pflichtendimensionen mit sämtlichen Indikatorkategorien überwacht werden können und müssen. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass der Staat die Wsk–Rechte auch umfassend verwirklicht.140
c) Indikatoren und sofort umzusetzende Verpflichtungen Sofort umzusetzende Verpflichtungen sind immer ressourcenunabhängig.141 Daher kommt es zwar vor, dass die Menschenrechtsüberwachung bei ihnen Checklisten mit – zumeist qualitativen – Indikatoren gebraucht.142 Das dient dann aber nur der Vereinfachung des „Violations Approaches“ und ist rechtlich nicht geboten. Echte, insbesondere quantitative Indikatoren, sind jedoch sogar verboten, weil der Sozialpakt diese nur an den Stellen erfordert und erlaubt, wo es auf den Entwicklungsstand eines Landes ankommt. Bei den sofort umzusetzenden Dimensionen ist dies aber gerade nicht der Fall.143 So kann zwar gemessen werden, wie viele Gesetze im Gesundheitsbereich diskriminierende Vorschriften enthalten. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Staat unabhängig von seinem Entwicklungsstand alle diese Vorschriften sofort ändern muss, soweit das ressourcenfrei möglich ist.144 Denn jede dieser Diskriminierungen bildet für sich allein eine Menschenrechtsverletzung. Es kommt dabei weder auf die Zahl noch auf den Grad der Diskriminierungen an. Unter den Begriff „recht139
Dies kommt zu wenig zum Ausdruck bei: Todd Landman: Indicators for Human Rights Based Approaches to Development in UNDP Programming: A Users’ Guide, 2006 (erhältlich über das UNDP), S. 5, Tabelle 3 140 141
Green a.a.O. (Fn. 19), S. 1086 Dazu oben S. 32
142
Exemplarisch: NORAD (Norwegian Agency for Development Cooperation): Handbook in Human Rights Assessment, State Obligations, Awareness & Empowerment, 2001, abrufbar auf: http://www.norad.no/files/Handbook.pdf (abgerufen am: 5. April 2008), Titelseite 143 144
Siehe oben S. 32 Vgl. The Maastricht Guidelines § 15 (g),(h), UN Doc. E/C.12/2000/13
172
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
liche Diskriminierung“ kann vielmehr unmittelbar subsumiert werden. Er muss nicht operationalisiert werden. Würde man doch mit Indikatoren arbeiten, kämen die im letzten Kapitel genannten Einwände145 zum Tragen: Die Rechtsanwendung würde unnötigerweise in ihrer Vorhersehbarkeit beschränkt, und Rechtsbegriffe würden verkürzt, ohne dass dies vom Sozialpakt gestattet wurde. Werden allerdings im 1503–Verfahren sofort umzusetzende Dimensionen von Wsk–Rechten geprüft, sind Operationalisierungen zulässig, um festzustellen, ob „gross und massive violations of human rights“ im Raum stehen.146 Dann wird dies nämlich von der ECOSOC– Resolution ausdrücklich erlaubt. Aus den oben genannten Gründen147 hat der Ausschuss dieselbe Möglichkeit, wenn er entscheidet, ob er akkusatorisch vorgehen oder mit dem Staat in einen konstruktiven Dialog führen will. Dieses Recht betrifft dann aber nur die Verfahrensfrage. Das Verfahrensergebnis kann der Ausschuss hingegen in keinem Fall auf quantitative Indikatoren stützen. Fazit: Bei den sofort umzusetzenden Verpflichtungen können „echte“, insbesondere quantitative Indikatoren nicht angewendet werden, weil nur ressourcenabhängige und damit progressiv umzusetzende Dimensionen operationalisiert werden dürfen.
d) Indikatoren und Kerninhalte Kerninhalte sind nicht nur nach und nach, sondern sofort umzusetzen. Daraus könnte man schließen, dass sie keine progressive Dimension haben und Indikatoren somit nicht angewendet werden können. Andererseits sind auch die Kerninhalte teilweise ressourcenabhängig. Kann ein Staat diese nicht umsetzen, kann er das rechtfertigen, wenn ihm hierfür die Mittel fehlen.148 Die Reihenmessung – insbesondere mit Struktur– und Prozessindikatoren – kann dabei helfen, vom Staat unternommene Anstrengungen zu bewerten. Der Ausschuss kann auch mit Indikatoren überprüfen, ob ein Staat, der die Kerninhalte im letzten Berichtstermin noch nicht verwirklicht hatte, diesem Ziel näher gekommen ist.
145 146 147 148
S. 50 Dazu oben S. 141 S. 137 ff. Dazu oben S. 13 ff.
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
173
Auf den ersten Blick mag man einwenden, dass es ohne Belang sei, ob der Staat sich verbessert oder verschlechtert habe. Denn selbst wenn der Staat sich verbessert habe, gelten gesteigerte Anforderungen an die Darlegungs– und Beweislast der Staaten, allein schon, weil die Kernbereiche noch nicht umgesetzt wurden.149 Und bei Rückschritten gelten für die Mitgliedsländer die gleichen, verschärften Auflagen wie im Fall, in dem die Kernbereiche nicht verwirklicht sind.150 Daher müsse weder Richtung, noch Verlauf des Indikatorwerts gemessen werden, sondern es genüge eine einzige Messung. Diese Sichtweise verkennt allerdings, dass es auch im Bereich der Kerninhalte durchaus darauf ankommt, wie sich der Indikatorwert entwickelt. Denn das Rückschrittsverbot gilt unabhängig vom Kernbereichsansatz. Und im Ausmaß, das der Staat rechtfertigen muss, unterscheiden sich Kernbereich und Rückschritt regelmäßig: Bei Rückschritten werden zwei zeitlich verschiedene Werte miteinander verglichen. Deren Differenz kann von dem Wert abweichen, der gegenwärtig bis zur Verwirklichung des Kernbereichs noch fehlt. Es kann also dazu kommen, dass der Staat zwar die Nichtverwirklichung des Kernbereichs mit Ressourcenmangel rechtfertigen kann, nicht aber einen Rückschritt. Wegen des Verbots von Rückschritten müssen also sowieso zwei Messungen vorgenommen werden. Beispiel: In einem Staat verfügen 80 Prozent der Einwohner nicht über eine Menge Makronährstoffen, die notwendig ist, um ihren Tagesenergiebedarf zu decken. Hier ist der Kerninhalt des Rechts auf Nahrung nicht gewährleistet, was mit diesem Makronährstoffindikator festgestellt werden kann. Weil der Kernbereich nicht verwirklicht ist, spricht der Beweis des ersten Anscheins gegen den Staat. Er kann sich, was die Nichtgewährleistung des Kernbereichs betrifft, exkulpieren, wenn er einen Ressourcenmangel nachweist. Nun stellt der Ausschuss aber fest, dass im letzten Berichtstermin lediglich 70 Prozent der Einwohner nicht über eine Menge Makronährstoffen verfügten, die notwendig ist, um ihren Tagesenergiebedarf zu decken. Der Indikatorwert hat sich also um zehn Prozent verschlechtert, es liegt ein Rückschritt vor und es gilt eine verschärfte Beweislast. Den Rückschritt kann der Staat rechtfertigen, indem er etwa eine Ressourcenverringerung gegenüber dem letzten Berichtstermin darlegt. Bei den
149 150
Siehe oben S. 15 Siehe oben S. 37 f.
174
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Kernbereichen kommt es also auf die absolute Menge der Ressourcen, bei den Rückschritten auf die relative an. Fazit: Indikatoren müssen im Bereich der Kerninhalte angewendet werden.151 Dabei genügt zwar ein Wert, weil man nicht den sozialen Wandel, sondern nur den Status quo messen will. Allerdings ist dieser Vorteil ohne praktischen Belang, weil der Ausschuss ohnehin zwei Mal messen muss, um festzustellen, ob Rückschritte vorliegen.
IV. Die Rangfolge der Indikatoren 1.) Die Rangfolge nach Validität Wie oben beschrieben müssen die Indikatoren in absteigender Reihenfolge entsprechend ihrer Korrespondenz angewendet werden.152 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob eine der genannten Indikatorgruppen besonders valide ist.
2.) Die Rangfolge unter den Indikatorkategorien An erster Stelle steht die Überlegung, Ergebnisindikatoren zu bevorzugen, denn sie ermöglichen eine direktere Messung der Verwirklichung eines Menschenrechts als die übrigen Indikatoren.153 Außerdem zielt der Sozialpakt letztlich darauf, den Rechtsgenuss zu verbessern. Andererseits will der IPwskR das staatliche Verhalten dirigieren. Insbesondere geht es im Berichtsverfahren, innerhalb dessen die Indikatoren verwendet werden, darum, zu überwachen, ob der Staat sich paktgemäß verhalten hat. Daraus könnte man ableiten, dass der Ausschuss vorran-
151
Mit Indikatoren im Bereich der Kerninhalte verwandt, jedoch nicht deckungsgleich sind die von Danilo Türk entwickelten neun Kernindikatoren, in: The United Nations and the realization of economic, social and cultural rights, in: Franz Matscher: Die Durchsetzung wirtschaftlicher und sozialer Grundrechte, 1991, S. 95 (S. 112); vgl. auch ders. in seiner Funktion als UN Sonderberichterstatter: Danilo Türk: The realization of economic, social and cultural rights – Second progress report, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1991/17, § 46 152 153
S. 123
Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies a.a.O. (Fn. 24), § 19; Detlef Schwefel: Grundbedürfnisse und Entwicklungspolitik, 1978, S. 202
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
175
gig solche Indikatoren gebrauchen muss, die die „obligations of conduct“ messen. Eingangs wurde jedoch festgestellt, dass es zwischen Verhaltens– und Ergebnispflichten kein Rangverhältnis gibt.154 Folglich kann man auch nicht für deren Operationalisierungen ein Rangverhältnis konstruieren und dies damit begründen, eine der beiden Pflichten sei wichtiger. Zugegeben scheint es bei vordergründiger Betrachtung nicht zwingend, von der materiellen Gleichrangigkeit der Pflichten auf die formelle Gleichrangigkeit im Prüfungsverfahren zu schließen. Denkbar wäre nämlich, dass hier unterschiedliche Ordnungssysteme bestehen. Zu überlegen ist deswegen, ob sich aus der Verfahrensvorschrift des Artikels 16 IPwskR ableiten lässt, dass Indikatoren für die „Conduct“– Ebene genauso wichtig sind wie solche für die „Result“–Ebene. Artikel 16 IPwskR verlangt in Absatz 1, dass die Staaten sowohl über die von ihnen getroffenen Maßnahmen als auch über die Fortschritte berichten müssen, die hinsichtlich der Beachtung der in dem Pakt anerkannten Rechte erzielt wurden.155 Daraus, dass diese Verfahrensnorm beide Pflichten in einem Absatz und noch dazu in einem Satz nennt, folgt zunächst, dass sie im Rahmen der Berichtsabfassung durch die Staaten gleichermaßen bedeutsam sind. Dies heißt zwar nicht notwendig, dass diese Pflichten auch für den Ausschuss gleichrangig sein müssen. Man könnte nämlich einwenden, Berichtsinhalt und Berichtsprüfungsinhalt seinen nicht vollständig kongruent, denn der Ausschuss kann auch Alternativinformationen einholen. Allerdings kann man allein aus dieser Tatsache nicht auf ein verändertes, allgemeines Rangverhältnis schließen. Sollte für den Ausschuss – anders als für die Staaten – eine Rangordnung unter den Indikatorkategorien gelten, hätte dies im Wortlaut deutlicher zum Ausdruck kommen müssen. Außerdem verweist Artikel 16 Absatz 2 (a) unter anderem auf die materiellen Paktinhalte, wenn er sagt, dass der ECOSOC die Staatenberichte
154 155
S. 42
Die englische Fassung lautet: „The States Parties to the present Covenant undertake to submit in conformity with this part of the Covenant reports on the measures which they have adopted and the progress made in achieving the observance of the rights recognized herein.”
176
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
„nach Maßgabe dieses Pakts prüft“.156 Daraus lässt sich der logische Schluss ziehen, dass verfahrensrechtlich die materielle Rangordnung unter den Pflichten gelten soll, und diese lautet Gleichrangigkeit. Da der Ausschuss die Staatenpflichten prüft, indem er sie operationalisiert, folgt daraus, dass die Operationalisierungen gleich wichtig sind. Natürlich könnte man einwenden, es sei es gar nicht nötig, die Verhaltenspflichten zu messen, wenn das Ergebnis in einem Land perfekt ist. Dabei wird allerdings zweierlei übersehen. Zum einen, dass der Sozialpakt auch gebietet, einen guten Status quo zu erhalten. Zum anderen strebt der Sozialpakt – wie oben ausgeführt – nach stetiger Verbesserung.157 Selbst wenn die Staatengemeinschaft und der Ausschuss der Überzeugung wären, in einem bestimmten Land sei derzeit kein besserer Ergebnisindikator zu erreichen, muss das Land danach streben, künftig den Indikatorwert zu verbessern, denn die Wsk–Rechte verkörpern Ideale. Unter anderem um diese zukunftsorientierte Pflicht zu messen, sind Indikatoren für die „obligations of conduct“ notwendig. Obendrein lässt sich eine Trennlinie zwischen den Kategorien auch gar nicht ziehen, da ein Indikator ja immer mehr oder weniger mit einer Pflichtenebene korrespondiert, aber niemals eindeutig einer Ebene zugeordnet werden kann. Ein letztes Argument ergibt sich aus dem Zweck des Sozialpakts, der danach verlangt, Indikatoren aus allen Gruppen anzuwenden: Sowohl die Absichten eines Vertragsstaats als auch seine Anstrengungen zur Erfüllung seiner Verpflichtungen und die kumulativen Ergebnissen dieser Anstrengungen müssen bekannt sein, wenn man sicherstellen will, dass die Wsk–Rechte so effektiv wie möglich verwirklicht werden.158 Fazit: Unter den Indikatorkategorien gibt es kein Rangverhältnis.
156
Die englische Fassung lautet: „in accordance with the provisions of the present Covenant” 157 158
S. 9 und 31
Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies a.a.O. (Fn. 24), § 13
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
177
3.) Der Rang von Indikatoren, die besonders benachteiligte und verletzbare Personen betreffen Wie oben ausgeführt, muss der Ausschuss dafür sorgen, dass faktisch benachteiligte Personen den übrigen gleichgestellt werden.159 Dies ergibt sich aus Artikel 2 Absatz 2 IPwskR. Da diese Norm scharf formuliert160 und zudem noch im allgemeinen Teil des Sozialpakts als Grundsatz verankert ist, muss sie quasi als Teil des Paktrechts in die Operationalisierung einbezogen werden. Indikatoren für besonders benachteiligte Gruppen und die Randschichten weisen deswegen einen äußerst hohen Korrelationskoeffizienten auf.161 Daraus ergibt sich, dass diese Indikatoren bevorzugt zu gebrauchen sind. Beispiel: In einem Land sind zehn Prozent der Bevölkerung arbeitslos, was Artikel 6 Absatz 1 IPwskR, das Recht auf Arbeit, betrifft. Von den schwarzen Einwohnern sind jedoch 30 Prozent arbeitslos. Die Schwarzen leiden also überdurchschnittlich stark unter der Arbeitslosigkeit. Wegen Artikel 2 Absatz 2 IPwskR ist der Staat verpflichtet, sich mit Gesetzen und Programmen vorrangig darauf zu konzentrieren, den Schwarzen Arbeit zu verschaffen. Da er zu Erfolgen verpflichtet ist, muss man messen, ob die Arbeitslosenquote bei der schwarzen Bevölkerung sich auch tatsächlich an die der Gesamtbevölkerung annähert. So lange das nicht der Fall ist, liegt eine faktische Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe vor. Hier ist also der (Sub–)Indikator „Anteil der schwarzen Bevölkerung, der keine Arbeit hat“ vorrangig gegenüber dem Indikator „Anteil der Bevölkerung, der keine Arbeit hat“. Den Juristen mag dies an den Grundsatz lex specialis derogat legi generali erinnern. Es gibt jedoch kein Prinzip, nach dem der speziellere Indikator immer Vorrang vor dem allgemeineren hätte. Ein speziellerer ist nämlich nicht zwingend valider. Im Beispiel wäre es wegen Artikel 2 Absatz 2 IPwskR sogar verboten, wenn man statt der Gesamtbevölkerung bevorzugt den Anteil der weißen Bevölkerung messen würde, die keine Arbeit hat, obwohl letztere Operationalisierung die speziellere wäre. An dieser Stelle wird auch deutlich, dass sich die Rangposition eines Indikators aus seinem Wert ergeben kann. Denn ob eine Personengrup-
159 160 161
S. 43 Vgl. das auf S. 41 genannte Stufenverhältnis Siehe oben S. 132 f.
178
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
pe gegenüber anderen benachteiligt ist, lässt sich erst feststellen, nachdem man die Werte der beiden Gruppen miteinander verglichen hat. Im genannten Beispiel erkennt man die Diskriminierung erst, wenn man die Arbeitslosenquote von Gesamt– und schwarzer Bevölkerung miteinander vergleicht. Das Ergebnis wird also vorweggenommen. Dieses Problem lässt sich aber auflösen, wenn man zwischen der Berichtsprüfung und der Berichtsbewertung unterscheidet. Die Berichtsprüfung findet in den „Pre–Sessional Working Groups“ und in den öffentlichen Sitzungen statt. Daran schließt sich die Berichtsbewertung an, die mit den „Concluding observations“ endet. Bei der Berichtsprüfung ist der Ausschuss so lange frei, bis er feststellt, dass es Diskriminierungen gibt. Ab diesem Zeitpunkt ist er gebunden, die Gleichstellungsgebote vorrangig zu operationalisieren. Da aber in den „Pre–Sessional Working Groups“ die Berichte vorgeprüft werden, findet meist bereits im Termin mit den Staatenvertretern eine Bewertung statt, in deren Rahmen der Ausschuss gebunden ist. Spätestens bei den „Concluding observations“ muss der Ausschuss jedoch die genannte Reihenfolge einhalten, weil hier die Landessituation beurteilt wird. Schwieriger als im eben genannten Beispiel ist das Rangverhältnis in folgendem Fall: In einem Land leiden drei Prozent der Bevölkerung an Typhus, wobei sich diese auf alle Bevölkerungsgruppen und Schichten gleichmäßig verteilen. Gleichzeitig leiden drei Prozent der Bevölkerung an Cholera, wobei hier der Anteil der Schwarzen besonders hoch ist. Auch hier setzt sich wieder Artikel 2 Absatz 2 IPwskR durch, denn er bezieht sich auf den gesamten Inhalt des Artikels 12 IPwskR. Ein Indikator, der das Prinzip der Nichtdiskriminierung mit–operationalisiert, hat also immer eine höhere Validität als einer, der nur Artikel 12 operationalisiert. Dies gilt selbst dann, wenn es nicht um Disaggregation geht, wenn also der eine Indikator nicht Subindikator des anderen ist. Zweifelhaft wird die Rangordnung aber dann, wenn man das gewählte Beispiel dahingehend abwandelt, dass nicht nur drei, sondern zehn Prozent der Einwohner an Typhus leiden. Muss der Ausschuss hier vorrangig diese oder primär die wenigen an Cholera erkrankten Schwarzen versorgen? Fest steht: Der Staat hat ein Ermessen. Dieses muss auf nichtdiskriminierende Weise ausgeübt werden. Wenn der Staat aber vernünftige Gründe darlegt, weshalb er sich darauf konzentriert, die Zahl der Typhuskranken zu senken, kann man ihm nicht unterstellen, er wolle gezielt die Schwarzen benachteiligen.
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
179
Der Sozialpakt gibt hier keine Reihenfolge von Indikatoren vor. Daher muss sich das staatliche Ermessen durchsetzen, solange die Kerninhalte gesichert bleiben – insbesondere medizinische Erstversorgung für alle.162 Abschließend ist zu prüfen, ob es unter den Indikatoren für besonders benachteiligte und verletzbare Teile der Bevölkerung eine Rangordnung gibt. Die Frage stellt sich, wenn ein Land unterschiedliche Gruppen diskriminiert. Oben wurde bereits ausgeführt, dass es bei den ressourcenabhängigen Pflichten keine Reihenfolge gibt, in der Diskriminierungen zu beseitigen wären.163 Das bedeutet wiederum, dass ein Staat lediglich die Kernbereiche gewährleisten muss, im Übrigen jedoch Ermessen hat. Dann können auch die diesbezüglichen Indikatoren nicht in einer bestimmten Rangfolge stehen. Fazit: Ob die Wsk–Rechte ausreichend verwirklicht werden, ist bevorzugt mit Indikatoren für besonders benachteiligte Gruppen zu untersuchen. Dieser Vorrang wird jedoch durch das Ermessensprinzip relativiert. Da die Staaten jedoch nur in den peripheren Bereichen ein umfassendes Ermessen haben, bleibt offen, welchen Rang Indikatoren haben, wenn sie den Kerngehalt messen.
4.) Der Rang von Indikatoren für die Kerninhalte Bislang wurde festgestellt, dass auch die Kernbereiche mit Indikatoren gemessen werden können.164 Der Staat muss sich primär darauf konzentrieren, die Kernbereiche zu sichern; erst wenn dies geschehen ist, hat er ein Ermessen, wie er die übrigen Rechtsdimensionen verwirklicht.165 Diese Reihenfolge setzt sich auch bei den Indikatoren durch: Mit ihnen soll nämlich gemessen werden, ob der Staat seinen Pflichten nachkommt und zu diesen Pflichten gehört nicht zuletzt die Reihenfolge, in der sie umzusetzen sind. Der Ausschuss muss also vorrangig untersuchen, ob die Kerninhalte verwirklicht sind. 162
Vgl. General Comment Nr. 14, § 43 f., enthalten in: UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7 163 164 165
S. 44 f. Siehe oben S. 175 f. Siehe oben S. 50
180
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Dies ist unproblematisch, wenn es für den Kernbereich eigene Indikatoren gibt. Beispielsweise wird der Kerninhalt des Rechts auf Wasser unter anderem daran gemessen, ob Wassereinrichtungen wie Quellen gleichmäßig verteilt sind.166 Andererseits weist der Ausschuss darauf hin, dass der Kernbereich auch mit Indikatoren gemessen werden kann, die für das gesamte Paktrecht gelten. Bestimmte Werte sind dann für den Kernbereich reserviert. In Betracht kommen etwa Fälle, in denen eine signifikante Zahl von Individuen obdachlos ist.167 Sind also nur wenige Menschen obdachlos, liegt kein Eingriff in den Kerninhalt des Rechts auf Wohnung vor. Die Frage allerdings, wie viele Menschen eine signifikante Zahl von Individuen ausmachen, wurde bisher nicht allgemein geklärt. Da die Kerninhalte für alle Staaten identisch sind, gibt es hier auch einen einheitlichen Wert. Wo dieser genau liegt, müssen Arbeiten zum Recht auf Wohnung ermitteln. Jedenfalls steht fest: Es gibt Indikatoren, die sowohl für die Kerninhalte als auch für die Randbereiche gelten. Weisen sie Werte unterhalb der Kernbereichsschwelle auf, muss der Ausschuss diese Indikatoren bevorzugt in seine Beurteilung einbeziehen. Anders als bei den Diskriminierungen stellt sich jedoch bei den Kernbereichen nicht das Problem, dass die Ergebnisse vorweggenommen werden. Denn Diskriminierungen können verschiedenster Art sein. Bei ihnen lässt sich keine Liste aufstellen, die der Ausschuss von oben nach unten abarbeiten könnte. Die Zahl der Indikatoren, die für den Kernbereich gelten, ist hingegen abschließend. Dabei ist es egal, inwieweit sich diese Liste aus speziellen, nur für den Kernbereich geltenden Indikatoren und aus Abschnitten allgemeiner Indikatoren zusammensetzt. Fest steht jedenfalls, dass die Indikatoren für die Kerninhalte eine größere Validität aufweisen als diejenigen für die Randbereiche. Sollte es innerhalb der Kerninhalte zu Diskriminierungen kommen, sind wegen Artikel 2 Absatz 2 IPwskR diesbezügliche Indikatoren wiederum bevorzugt zu gebrauchen. Fazit: Indikatoren für die Kerninhalte sind vorrangig gegenüber solchen für die peripheren Dimensionen anzuwenden.
166
General Comment HRI/GEN/1/Rev.7 167
Nr.
15,
§
37,
General Comment Nr. 3 a.a.O. (Fn. 14), § 10
enthalten
in:
UN
Doc.
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
181
5.) Zwischenergebnis Unter den Kategorien Input–, Prozess–, Struktur–, Verhaltens– und Ergebnisindikatoren gibt es keine Rangordnung. Bevorzugt zu verwenden sind hingegen Indikatoren, die die Pflicht zur Nichtdiskriminierung überwachen. Erst wenn sichergestellt ist, dass die Kerninhalte verwirklicht sind, dürfen Indikatoren für die Randbereiche verwendet werden.
V. Die Zahl der Indikatoren im Staatenberichtsverfahren 1.) Die der Ermittlung einer Mindestzahl Da dem Ausschuss pro Staatenbericht in der Regel nur drei halbe Tage zur Verfügung stehen, stellt sich die Frage, wie viele Indikatoren mindestens verwendet werden müssen.168 Damit hängt auch zusammen, ob jedem Paktrecht die gleiche Zahl oder zumindest die gleiche Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Als Grundsatz gilt: Zur Operationalisierung eines theoretischen Begriffs reicht ein einzelner Indikator dann nicht aus, wenn dieser die interessierende Dimension nicht mit genügender Genauigkeit misst oder die Begriffe einer sozialwissenschaftlichen Theorie mehrere Dimensionen ansprechen.169 Fälle, in denen ein einziger Indikator genügt, gibt es aber in der Praxis nur selten.170 Man ist sich weitgehend einig, dass der Ausschuss für jedes Menschenrecht mehrere Indikatoren gebrauchen muss. International besteht aber kein Konsens darüber, wie viele dies mindestens sein müssen.171 Der Sozialpakt gibt nicht ausdrücklich vor, wie stark die Zahl der Indikatoren aus Zeitgründen reduziert werden darf. Fest steht aber, dass alle Paktrechte mehrere Dimensionen ansprechen. Zudem beruht der Sozi168
Die zu knappe Zeit und fehlende Ressourcen des Ausschusses beklagt David Harris: Commentary by the Rapporteur on the Consideration of States Parties’ Reports and International Co–operation, in: HRQ 9 (1987) S. 147 (S. 150 f.) 169
Rainer Schnell/Paul B. Hill/Elke Esser: Methoden der empirischen Sozialforschung, 7. Auflage, 2005, S. 166 170
Malhotra/Fasel: Quantitative Human Rights Indicators, a.a.O. (Fn. 19), S. 29; Beispiel bei: Report of IBSA Expert Symposium, a.a.O. (Fn. 52), S. 204 171
Report of IBSA Expert Symposium, a.a.O. (Fn. 52), S. 204
182
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
alpakt auf dem Gedanken, dass die Staaten die Wsk–Rechte nur effektiv umsetzen, wenn sie durch ein Berichtsprüfungsverfahren hierzu „gezwungen“ werden. Deswegen muss der Ausschuss so viele Dimensionen wie möglich prüfen. Außerdem werden Messfehler umso unwahrscheinlicher, je mehr Indikatoren man anwendet.172 Daher muss die Zahl der Indikatoren möglichst hoch sein. Auf der anderen Seite steht dem ECOSOC bei der Gestaltung des Berichtsprüfungsverfahrens der besagte Spielraum zu. Er erlaubt, Menschenrechte zu teilen und deren Inhalt faktisch zu verkürzen, um sie operabel zu machen.173 Zwischen diesen beiden Polen lässt sich jedoch kein Mittelwert bilden. Jede Mindestzahl von Indikatoren wäre willkürlich festgesetzt. Sie verbietet sich schon deshalb, weil die Zeit, die der Ausschuss für einzelne Indikatoren aufwenden muss, unterschiedlich ist: Manchmal nennt der Staat vielleicht bereits in seinem Bericht die notwendigen Werte, manchmal erst in der mündlichen Sitzung, nachdem der Ausschuss diese nachgefordert hat. Auch besteht der Ausschuss aus mehreren Personen, die sich von vornherein einig sein können oder erst diskutieren müssen, bevor ein Konsens erzielt wird. Des Weiteren können die Probleme unterschiedlich komplex sein.174 Schließlich hängt die Zeitdauer auch davon ab, wie kooperativ die Staaten im konstruktiven Dialog sind. Möglich wäre es zwar, dass der ECOSOC dem Ausschuss in einer Resolution eine Mindestzahl von Indikatoren vorschreibt. Das ist aber nicht geschehen. Daher muss es nur dazu kommen, dass die sechs Stunden (beziehungsweise neun Stunden bei Initialberichten)175 vollständig für die Prüfung aufgewendet werden und alle Rechte zumindest kurz angesprochen werden. Die Frage, wie viele Indikatoren und wie viel Zeit pro Paktrecht aufgewendet werden, kann der Ausschuss jedoch flexibel handhaben. Fazit: Weder aus dem Sozialpakt, noch aus den Resolutionen des ECOSOC lässt sich eine bestimmte Zahl von Indikatoren, die angewendet werden müssen, deduzieren.
172 173 174
Schnell/Esser a.a.O. (Fn. 169), S. 136, ähnlich S. 78 Siehe oben S. 129 ff. Riedel: New Bearings to the State Reporting Procedure, a.a.O. (Fn. 13),
S. 354 175
Ibidem
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
183
2.) Die Praxis im Staatenberichtsverfahren Für das Recht auf Gesundheit wurden im Jahr 1999 die 81 bis dato veröffentlichten „Concluding Observations“ untersucht.176 Insgesamt verwendete der Ausschuss darin in 278 Fällen Gesundheitsindikatoren. Daraus errechnet sich ein Mittelwert von 3,432 Gesundheitsindikatoren pro Staatenbericht bei einer Bandbreite von 23 bis 0. Die Zahl der Gesundheitsindikatoren im Verhältnis zu den Indikatoren für andere Paktrechte variierte stark. Häufig wurden für das Recht auf Unterbringung oder das Recht auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen mehr Indikatoren verwendet als für das Recht auf Gesundheit. Daneben gab es vielfach allgemeine Feststellungen, die sich keinem konkreten Paktrecht zuordnen ließen. Zum Beispiel stellte der Ausschuss eine Benachteiligung der Behinderten fest, ohne nähere Angaben zur Art der Benachteiligung zu machen. Erwartungsgemäß bezogen sich die meisten Indikatoren auf die „Fulfil“–Verpflichtung und nur wenige auf die „Respect“– sowie „Protect“– Ebene. Eine innerhalb dieser Arbeit erfolgte Analyse des Autors ergab, dass für Artikel 15 Absatz 1 c) in sämtlichen Staatenberichten und „Concluding observations“ nur ein einziges Mal ein quantitativer Indikator gebraucht wurde.177 Dies mag daran liegen, dass der Inhalt der Vorschrift lange unklar war und Indikatoren hierfür bislang noch nicht entwickelt wurden. Fazit: Die Beispiele zeigen, dass auch die Praxis verlangt, die Zahl der Indikatoren flexibel zu halten. Abgesehen davon, dass es verboten wäre, wäre es auch nicht sinnvoll, einen Fixwert vorzugeben. Es müssen stets Kompromisse gemacht werden zwischen einer optimalen Disaggregation und einer möglichst kleinen Zahl von Indikatoren. Sinnvoll dürfte es sein, fünf bis sechs Schlüsselindikatoren pro Paktrecht zu entwickeln, und sich in den mündlichen Sitzungen auf die mit problematischen Werten zu konzentrieren. Etwa sind für das Recht auf Nahrung folgende Indikatoren zu empfehlen:178
176 177 178
Vgl. ibidem, S. 354 So im Staatenbericht Großbritanniens UN Doc. E/1990/7/Add.16. § 60
Die Indikatoren wurden aus der Liste von Söllner: Right to Food Indicator Description, a.a.O. (Fn. 60) ausgewählt und leicht modifiziert
184
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
1) Anteil der Bevölkerung, der über einen Zeitraum von mehr als einer Woche nicht über die seinem Alter angemessene Menge an Makronährstoffen verfügt, 2) Anteil der Bevölkerung, der einen Mangel an Mikronährstoffen aufweist, 3) Anteil der Bevölkerung, der täglich Zugang zu sicherem Trinkwasser hat, 4) Zahl der das Recht auf Nahrung betreffenden Rechtsbehelfe, die bei Gerichten oder ähnlichen Institutionen eingereicht, untersucht und abgeurteilt wurden, 5) Anteil des Budgets, der für Programme ausgegeben wird, die die Nahrungsmittelversorgung langfristig verbessern sollen. Für das Recht auf Gesundheit könnte man folgende Indikatoren heranziehen:179 1) Lebenserwartung, 2) Anteil der Bevölkerung, der Zugang zu essentiellen Medikamenten hat, 3) Zahl der Frauenbeschneidungen, 4) Anteil des Budgets, der im Sektor Gesundheit ausgegeben wird, 5) Zahl der bei Gesundheitsdiensten Beschäftigten.
VI. Die Auswahlfreiheit bei den Indikatoren und ihre Grenzen 1.) Zur Auswahlfreiheit der Staaten Indikatoren verkürzen den Inhalt eines Rechts: Es werden nur einzelne Ausschnitte des Rechts betrachtet. Problematisch dabei ist, dass die Staaten nicht nur dazu verpflichtet sind, einzelne Ausschnitte zu verwirklichen. Vielmehr muss nach Wortlaut und Zweck des IPwskR jeder Staat alle Merkmale eines jeden Paktrechts progressiv verbessern. Da 179
Diese Indikatoren wurden ausgewählt aus: WHO: Consultation on Indicators for the Right to Health, Draft Meeting Report, Genf, 15 May 2003, abrufbar auf: http://www.who.int/hhr (abgerufen am 12. Juni 2008); sehr ausführlich ist auch die Liste von Gesundheitsindikatoren der WHO auf: http://www.wpro.who.int/hdb/scripts/home.aspx (abgerufen am 12. Juni 2008); siehe ferner: WHO – Regional Office for Europe: Outcome Indicators and Quality of Care, UN Doc. CES/AC.36/1998/16
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
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dies nicht von heute auf morgen geschehen kann, steht den Staaten der besagte Ermessensspielraum zu. Niedrige Indikatorwerte können die Staaten rechtfertigen, wenn sie ihre Ressourcen anderweitig eingesetzt haben. Bedeutet das auch, dass die Staaten in ihren Berichten diese Indikatoren außen vor lassen können? Selbst wenn dies dem Rechtsgefühl widerstreben mag: Insbesondere die französische Fassung des Artikels 16 IPwskR legt dies nahe. Sie spricht von „rapports sur les mesures qu’ils auront adoptées et sur les progrès accomplis en vue d’assurer le respect des droits reconnus dans le Pacte“, also von Maßnahmen, die getroffen wurden und Fortschritten, die erzielt wurden.180 Aus dieser „positiven“ Fassung könnte man ableiten, dass der Staat nicht über die Bereiche berichten muss, in denen er gar nichts getan hat. Er hätte also die Legitimation, Umstände zu verschweigen. Der englische Wortlaut181 führt zum gleichen Ergebnis, wenn auch nicht ganz so eindeutig. Zwar wird „observance“ teilweise übersetzt mit „Überwachung“. Daraus könnte man folgern, dass der Wortlaut die Staaten verpflichtet, über ihre Überwachungsergebnisse zu berichten. In der juristischen, insbesondere in der menschenrechtlichen Fachsprache hat „observance“ jedoch eine engere Bedeutung, im Sinne von „Befolgung, Einhaltung und Achtung“.182 Ist Überwachung gemeint, wird dies eher mit „monitoring“ bezeichnet.183 Bis hierher hätte man also das Resultat, dass die Staaten nur die Paktaspekte operationalisieren müssen, die zu ihrer Strategie gehören. Dabei müssen sie natürlich die Indikatoren in absteigender Reihenfolge je nach Validität angeben. Allerdings stimmt diese Lösung nicht mit dem Zweck des Sozialpakts überein. Es wurde ein Berichtsprüfungssystem geschaffen, weil man erkannte, dass die unverbindliche AEMR nicht genügte, um die Wsk– 180
Gerhard Köbler: Rechtsfranzösisch, 3. Auflage, 2001 S. 166 übersetzt accomplir mit „ausführen, beenden, erfüllen, verrichten“ 181
Wiedergegeben in Fn. 28
182
Walter Bachem/Dieter Hamblock Wörterbuch Recht – Deutsch/Englisch – Englisch/Deutsch, 2. Auflage, 2006, S. 526 183 Eibe Riedel: Universeller Menschenrechtsschutz – Vom Anspruch zur Durchsetzung, in: ders./Gerhart Baum/Michael Schäfer (Hrsg): Menschenrechtsschutz in der Praxis der Vereinten Nationen, 1998, S. 50; Bachem/ Hamblock a.a.O. (Fn. 182), S. 516; Carsten Reimann: Ernährungssicherung im Völkerrecht, 2000, S. 112 und 308
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Rechte auch tatsächlich umzusetzen. Dieses Berichtsprüfungssystem soll Druck dahingehend ausüben, dass die Staaten detailliert überwachen, inwieweit sämtliche Aspekte der Wsk–Rechte von ihren Individuen genossen werden.184 Die Staaten dürfen zwar eine bestimmte Strategie wählen, um die Situation zu verbessern. Dies erlaubt ihnen allerdings nicht, bestimmte Aspekte gar nicht zu bedenken. Vielmehr verlangt das staatliche Ermessen gerade, alle relevanten Umstände in die Lösung einzubeziehen. Man könnte nun natürlich argumentieren, die Staaten müssten zwar im Vorfeld sämtliche Aspekte bedenken, diese aber nicht vollständig in die Berichtsabfassung einfließen lassen. Die Berichtsprüfung wäre jedoch wenig wirksam, wenn die Staaten nicht verpflichtet wären, ein möglichst umfassendes Bild abzuliefern. Würde man ihnen wie einem Angeklagten das Recht zugestehen, Informationen zurückzuhalten, würde die Intention des Sozialpakts verfehlt. Der Staat soll ja gerade durch den Druck der Öffentlichkeit dazu bewegt werden, die Lage der Menschenrechte weitestmöglich zu verbessern. Hiergegen ließe sich einwenden, dass es genüge, wenn die Staaten auf Verlangen des Ausschusses Indikatorwerte nachliefern. Dafür kann man insbesondere anführen, dass es der Sozialpakt in Artikel 17 Absatz 2 den Staaten freistellt, auf Umstände und Schwierigkeiten bei der Erfüllung der Verpflichtungen hinzuweisen: „Reports may indicate factors and difficulties affecting the degree of fulfilment of obligations under the present Covenant.“185 Dagegen kann man jedoch wieder geltend machen, dass diese Vorschrift nur erlaubt, auf Ressourcen– oder sonstigen Inputmangel hinzuweisen, aber nicht, Aspekte beim Genuss der Rechte auszublenden. Das Hauptargument dafür, dass die Staaten in ihren Berichten alle relevanten Indikatoren nennen müssen, lautet indes wie folgt: Damit die Staaten die Rechte des Sozialpakts so effektiv wie möglich umsetzen können, müssen sie wissen, welchen Weg sie einschlagen sollen. Dies setzt voraus, dass sie einen umfassenden Überblick über die Menschenrechtslage besitzen. Es gibt somit eine materielle Pflicht der Staaten, den Zustand der Verwirklichung permanent zu überwachen. Nun beruht der Sozialpakt auf dem Gedanken, dass materielle Pflichten allein nicht genügen, sondern dass ein Druckmittel notwendig ist, um diese durch184 185
General Comment Nr. 1, enthalten in UN Doc. E/1989/22 § 3 Hervorhebung vom Verfasser
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zusetzen. Das Druckmittel liegt im Berichtsprüfungsverfahren. Es besteht also eine Kongruenz zwischen materiellen Pflichten und Druck durch regelmäßige Kontrollen. Der Druck auf die Staaten ist jedoch am größten und die Rechtsverwirklichung damit nach dem Gedanken des Sozialpakts am effektivsten, wenn die Länder sich schon in den jedermann zugänglichen Staatenberichten vollständig „entkleiden“ müssen.186 Im Ergebnis sprechen daher die besseren Gründe dafür, dass der Staat sämtliche ihm bekannten Indikatorwerte in seinem Bericht angeben muss, soweit sie die Verwirklichung der Wsk–Rechte betreffen. Dazu gehören vor allem diejenigen mit hoher Validität. Da die Staaten die Beweislast bei der Frage haben, ob sie alle verfügbaren Ressourcen für die Verwirklichung der Wsk–Rechte optimal eingesetzt haben, müssen sie auch die Werte der Indikatoren angeben, auf deren Verbesserung sie sich nicht konzentriert haben. Kommt ein Staat dem nicht nach, begeht er bereits eine Paktverletzung. Nun ist es allerdings sozialwissenschaftlich nicht möglich, eine Grenze zu ziehen, ab der ein Indikator nicht mehr den Wsk–Rechten zugeordnet werden kann.187 Theoretisch müssten die Staaten daher jeden Indikator des Universums in den Bericht einfügen, weil sein Wert Auswirkungen auf die Verwirklichung der Wsk–Rechte haben kann, auch wenn der Einfluss noch so gering ist. Dann wäre die Ausarbeitung der Staatenberichte allerdings nicht nur wenig ökonomisch, sondern sogar unmöglich, was dem Gedanken des Artikels 17 Absatz 3 IPwskR188 widerspricht. Gerecht ist vielmehr folgender Weg: Die Staaten müssen alle Indikatoren angeben, deren Werte ein vernünftiger Durchschnittsstaat, der es mit der Umsetzung der Menschenrechte ernst nimmt, bei der Verwirklichung berücksichtigen würde. Nun kann allerdings auch die Ermittlung der Indikatorwerte Ressourcen erfordern, exemplarisch seien kostspielige Umfragen genannt. Sind die benötigten Ressourcen nicht verfügbar, kann der Staat das Fehlen des Indikatorwertes über Artikel 2 Absatz 1 IPwskR rechtfertigen. 186 187 188
Vgl. General Comment Nr. 1 a.a.O. (Fn. 38), § 5 Siehe oben S. 149
Die englische Fassung lautet: „Where relevant information has previously been furnished to the United Nations or to any specialized agency by any State Party to the present Covenant, it will not be necessary to reproduce that information, but a precise reference to the information so furnished will suffice.”
188
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Fazit: Aus der Intention des Sozialpakts folgt, dass die Staaten dem Ausschuss alle diejenigen Indikatorwerte nennen müssen, die ein vernünftiger Durchschnittsstaat bei der Verwirklichung der Menschenrechte irgendwie berücksichtigen würde. Stehen diese Werte nicht zur Verfügung, muss der Staat sie beschaffen. Tut er dies nicht, begeht er eine Paktverletzung, die er nur durch Ressourcenmangel, nicht aber mit seinem Ermessen rechtfertigen kann.
2.) Die Auswahlfreiheit des Ausschusses Im letzten Abschnitt wurde festgestellt, dass die Staaten verpflichtet sind, alle relevanten Indikatorwerte bereits im Bericht anzugeben. Was aber, wenn dies nicht geschieht? Wie kann der Ausschuss dann diese Indikatoren trotzdem verwenden, ohne das staatliche Ermessen zu unterlaufen? Setzt der Ausschuss Indikatoren ein, die nicht im Staatenbericht auftauchen, so besteht die Gefahr, dass der Staat seine Mittel gerade in die Verwirklichung anderer Dimensionen des Paktrechts investiert hat. Wenn der Ausschuss das nicht weiß, kann es passieren, dass er schlechte Indikatorwerte rügt, obwohl der Paktstaat sich rechtmäßig verhalten hat. Das kann jedoch nicht dazu führen, dass der Ausschuss nur die Indikatoren in die Berichtsbewertung einfließen lassen darf, die der Staat in seinem Bericht genannt hat. Denn der Ausschuss darf die Berichtsprüfung mittels Indikatoren sogar ohne Staatenbericht vornehmen.189 Dann muss es ihm a maiore ad minus auch gestattet sein, Indikatoren heranzuziehen, die im Staatenbericht nicht aufgeführt sind. Außerdem gilt ja insoweit der Untersuchungsgrundsatz.190 Wegen des öffentlichen Interesses an der effektiven Umsetzung der Wsk–Rechte ist der Ausschuss sogar verpflichtet, alle relevanten Indikatoren heranzuziehen – unabhängig davon, ob sie im Bericht auftauchen oder nicht. Andererseits gilt bei der Frage der Ressourcenverwendung der Verhandlungsgrundsatz. Informieren die Staaten den Ausschuss nicht darüber, wie sie ihre Ressourcen eingesetzt haben, geht dies zu ihren Las-
189 190
Zu dieser „Sanktion“ siehe oben S. 73 Siehe oben S. 59 ff.
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
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ten.191 Der Ausschuss muss dann nämlich davon ausgehen, die Staaten seien nicht gewillt, den zur Debatte stehenden Indikatorwert zu verbessern. Den Staaten muss daher die Chance gegeben werden, sich bereits im Bericht zu exkulpieren. Ergibt sich deswegen aus dem Staatenbericht, dass ein Indikator einen schlechten Wert aufweist, weil der Staat seine Ressourcen anderweitig eingesetzt hat, darf der Ausschuss diesen Wert nicht rügen. Dabei ist der Ausschuss nach dem Wortlaut des Artikels 16 IPwskR dazu verpflichtet, alle im Staatenbericht aufgeführten Indikatoren in seine Berichtsprüfung einzubeziehen.192 Fazit: Der Ausschuss ist berechtigt, auch Indikatoren heranzuziehen, die im Staatenbericht nicht auftauchen. Hierzu ist er sogar verpflichtet, wenn der Staat nicht die Indikatoren mit maximaler Validität anwendet. Auf der anderen Seite muss der Ausschuss alle im Staatenbericht genannten Indikatoren aufgreifen und prüfen, ob der Staat damit zum Ausdruck bringen wollte, wie er sein Ermessen konkretisiert hat. Er muss quasi den Staatenbericht „auslegen“.
3.) Die Beweislast für Validität und Reliabilität der Indikatoren Was aber, wenn ein Staat behauptet, der Ausschuss wende die Indikatoren nicht entsprechend ihrer Validität an? Es gebe andere, die erheblich mehr mit dem Paktrecht korrespondieren und auf die man sich vorrangig konzentrieren müsse. Ebenso kann es sein, dass der Staat behauptet, ein vom Ausschuss verwendeter Indikator sei nicht reliabel. Die Frage ist dann irrelevant, wenn die oben genannte Situation vorliegt, in dem der Staat den Indikatorwert ohnehin mit seinem Ermessen rechtfertigen kann. Letzteres ist aber nicht immer der Fall. Beispielsweise besteht bei Rückschritten und bei den Kernbereichen kein Ermessen. Auch kann es sein, dass der Staat sein Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt hat, weil er einen validen und reliablen und damit relevanten Indikatorwert nicht bedacht hat. Das Problem lässt sich lösen, indem man die Beweislast verteilt: Wer immer behauptet, ein Indikator sei nicht ausreichend valide oder reliabel, muss dies durch eine empirische Untersuchung belegen, die gegen die Ergebnisse der vorherigen Erhebung spricht.193 Dies gilt für den
191 192 193
Siehe oben S. 63 Report of IBSA Expert Symposium, a.a.O. (Fn. 52), S. 204 Vgl. Manfred Rehbinder: Rechtssoziologie, 5. Auflage, 2003, S. 26
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Ausschuss, wenn er die Validität der im Staatenbericht verwendeten Indikatoren anzweifelt. Dies gilt vor allem für den Staat, wenn er meint, die Reihenfolge, in der der Ausschuss die Indikatoren anwendet, entspreche nicht deren Validität. Diese Lösung ist gerecht, weil die wissenschaftlichen Ressourcen, die notwendig sind, um Nachweise über die Validität zu erbringen, international und für beide Parteien zugänglich sind. Außerdem soll derjenige die Arbeit haben und das Risiko der Nichterweislichkeit tragen, der den Gedanken in den Prozess einführt. Fazit: Im Ergebnis wird die Offizialmaxime noch mal durchbrochen: Beibringen, also die Validität oder Reliabilität widerlegen, muss immer derjenige, der über dieses Thema verhandeln will.
VII. Das Problem der Datenbeschaffung Alle theoretischen Überlegungen helfen nicht weiter, wenn dem Ausschuss die für die Indikatoren erforderlichen Daten nicht vorliegen. „Daten“ nennt man die registrierten Einheiten beziehungsweise Werte einer Variablen.194 Vor allem in den Entwicklungsländern besteht vielfach das Problem, dass es an diesen mangelt.195
1.) Zum Entschließungsermessen bei der Datenerhebung Über das „Wie“ der Rechtsverwirklichung darf der Staat nach seinem Ermessen entscheiden.196 Daher könnte man meinen, der Staat dürfe auch entscheiden, welche Indikatorwerte er ermitteln will und welche nicht. Immerhin erfordert jede Datenbeschaffung Ressourcen – Ressourcen, die man auch anderweitig für die Verwirklichung der Wsk– Rechte einsetzen könnte. Dabei bestehe auch kein Widerspruch zur obigen Aussage, das Paktmitglied müsse alle Indikatorwerte nennen, die ein vernünftiger Durchschnittsstaat angeben würde. Denn beim vorliegenden Problem geht es nicht um die Datenvermittlung, sondern um die Vorstufe der Datenerhebung.
194
Rehbinder a.a.O. (Fn. 193), S. 66
195
Katarina Tomaševski: Indicators, in: Asbjörn Eide et. al.: Economic, Social and Cultural Rights, 1995, S. 389 (S. 398) 196
Siehe oben S. 21 ff.
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Allerdings gehört zur Ermessensausübung, dass der Staat alle denkbaren Optionen eruiert, was wiederum voraussetzt, dass er den Ausgangszustand kennt.197 Außerdem dient das Berichtsverfahren dazu, den Staat der Kontrolle durch die internationale Öffentlichkeit zu unterwerfen. Die hierfür erforderlichen Informationen sollen im Staatenbericht angegeben werden. Ohne die Daten zu erheben kann der Staat sie dem Ausschuss im Regelfall nicht vermitteln. Fehlen dem Staat oder dem Ausschuss Daten, können sie zwar über NGOs teilweise beschafft werden, aber eben nur in begrenztem Umfang. Staaten haben erheblich mehr Ressourcen als NGOs, um Daten zu erheben. Fazit: Unterlässt der Staat es, dem Ausschuss die erforderlichen Daten zu erheben, begeht er grundsätzlich eine Paktverletzung.198 Er kann es nicht mit seinem Ermessensspielraum rechtfertigen.
2.) Die Rechtfertigung fehlender Daten im Falle von Ressourcenmangel Wie sollen Länder, in denen das Meldesystem völlig unterentwickelt ist, die erforderlichen Daten beschaffen?199 Man steht vor der Grundfrage, wie man beginnen soll, einen Aspekt individuellen Lebens zu messen, wenn weder Geburt noch Tod offiziell registriert werden.200 Da die Staaten wegen Artikel 2 Absatz 1 IPwskR nicht dazu verpflichtet sind, Daten zu besorgen, wenn ihnen dafür die Ressourcen fehlen, ist der Sozialpakt in diesen Fällen nichts als ein Stück Papier. Allerdings gibt es keinen Staat, der nicht über irgendwelche Daten betreffend seiner Bevölkerung verfügt. Der Ausschuss muss also auf die Daten zurückgreifen, die vorhanden sind. Dies bedeutet aber nicht, dass sich die Reihenfolge der Indikatoren verändert. Indikatoren gelten nämlich unabhängig davon, ob die 197
UN Sonderberichterstatter Türk: The new international economic order, a.a.O. (Fn. 60), § 7 198
So deutlich auch Türk, ibidem, § 63
199
Otto Jäger: Das öffentliche Gesundheitswesen in den Entwicklungsländern, 1964, S. 25 200
WHO: Entwicklungen von Indikatoren für die Beobachtung des Fortschreitens auf dem Wege zur Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000, 1983, S. 41; Tomaševski: Indicators, a.a.O. (Fn. 195), S. 399; Jäger a.a.O. (Fn. 199), S. 17
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
zugrunde liegenden Werte vorhanden sind oder nicht. Der Staat begeht vielmehr eine Vertragsverletzung, wenn er die erforderlichen Daten nicht beschafft. Erforderlich sind alle Daten, die der Ausschuss benötigt, um die validesten Indikatoren mit Inhalt zu füllen. Nur wenn er keine Ressourcen zur Datenermittlung hat, kann er die fehlenden Werte über Artikel 2 Absatz 1 rechtfertigen. Dies ist eine staatliche Obliegenheit, da in Fragen der Ressourcenverfügbarkeit der Beibringungsgrundsatz gilt.201 Dabei muss der Staat jeden einzelnen fehlenden Indikatorwert gesondert rechtfertigen, da es sein kann, dass die Kosten für die Datenermittlung nicht entsprechend der Gültigkeit eines Indikators sinken. Zur Verdeutlichung soll folgendes Beispiel dienen: Ein Staat kann nicht die erforderlichen Kosten aufbringen, um Daten für einen Indikator mit einem Korrelationskoeffizienten von 0,95 zu beschaffen. Trotzdem bleibt gesondert zu prüfen, ob der Staat Gelder hat, um für den nachfolgenden Indikator mit einem Korrelationskoeffizienten von 0,87 die Daten zu ermitteln. Denn diese Kosten können geringer sein. Fazit: Wenn der Staat einen Indikatorwert nicht angibt, obwohl er nach obigem Grundsatz202 dazu verpflichtet ist, kann er sich exkulpieren. Dafür muss er nachweisen, dass er nicht über ausreichende Ressourcen verfügt, um den Wert zu erheben.
3.) Datenmangel und Universalität der Menschenrechte Zwar will der Sozialpakt sicherstellen, dass die Rechtsverwirklichung überwacht wird. Andererseits will er aber, dass die Ressourcen möglichst sinnvoll eingesetzt werden. Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Staaten durch die Ratifizierung des Sozialpakts wirtschaftlich unvernünftige und unverhältnismäßige Pflichten auferlegen wollten. Deshalb muss ein Staat Daten nicht mehr beschaffen, wenn die Kosten hierfür derart hoch wären, dass ein vernünftiger Durchschnittsstaat mit der Struktur des in Rede stehenden sie nicht mehr beschaffen würde. Da zudem bei der Datenbeschaffung die Belastungen von Staat zu Staat unterschiedlich hoch sein können, gilt international kein einheitlicher Maßstab. Beispielsweise kann es Länder geben, die nur in die Register ihrer Behörden blicken müssen, um näherungsweise zu wissen, wie 201 202
Siehe oben S. 63 Dazu oben S. 190
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viele Menschen an Cholera erkrankt sind.203 In anderen Staaten kann das einen enormen Aufwand mit kostspieligen Umfragen bedeuten. Der Problemfall lautet also: Die Ressourcen sind zwar verfügbar, der Sozialpakt verlangt jedoch vom Staat nicht mehr, sie zur Datenbeschaffung einzusetzen. Dies aber nur deshalb, weil die Kosten für die Datenerhebung in einem konkreten Staat, nicht aber zwingend in allen, unverhältnismäßig hoch sind. Mit Blick auf die Universalität ist dann problematisch, dass man faktisch in den Ländern unterschiedliche Maßstäbe anlegt. Diese Differenzierung ist allerdings vom Sozialpakt erlaubt, denn welche konkreten Verpflichtungen bestehen, hängt ja vom Zustand des Landes ab. Man könnte zwar entgegenhalten, Artikel 2 Absatz 1 IPwskR wolle nur je nach Entwicklungsstand, also nach arm und reich, differenzieren. Dies könnte man dadurch belegen, dass Absatz drei derselben Vorschrift auf Entwicklungsländer gesondert Bezug nimmt. Allerdings kann es nicht gewollt sein, das durch Artikel 2 Absatz 1 durchbrochene Prinzip der Universalität durchzusetzen, wenn dies mit sich bringt, dass enorme Gelder für die unmittelbare Verwirklichung der Wsk–Rechte fehlen. Im Spannungsverhältnis zwischen Kosten für die Realisierungskontrolle und Ressourceneinsatz zur unmittelbaren Rechtsverwirklichung setzt sich nach dem Ziel des Sozialpakts also letztere durch. Außerdem ist die Universalität zumindest insoweit gewahrt, als international immer das gleiche Indikatorschema angewendet wird. Innerhalb dieses Systems gilt auch die genannte Ausnahme einheitlich für alle Länder. Fazit: Dass nicht immer dieselben Indikatoren mit Inhalt gefüllt werden können, ist unvermeidlich und wird vom Sozialpakt hingenommen. Die Universalität wird dann zwar teilweise durchbrochen, die hiergegen bestehenden Bedenken lassen sich aber ausräumen, wenn man die Wertungen des Sozialpakts näher in den Blick nimmt.
203 Nach § 6 Infektionsschutzgesetz gehört Cholera in Deutschland zu den meldepflichtigen Krankheiten
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
4.) Datenerhebungsmethoden a) Darstellung der verschiedenen Methoden Um die statistischen Informationen zu beschaffen, werden diverse Verfahren vorgeschlagen. Sie unterscheiden sich vor allem mit Blick auf die Genauigkeit, die Kosten und die mit ihnen verbundenen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten.204 Einfach zu beschaffen und kostengünstig sind offizielle Statistiken über Lebensdaten der Bevölkerung, beispielsweise Geburt oder Tod.205 Wie bereits erwähnt, gibt es aber Länder, in denen selbst diese grundlegenden Daten fehlen oder ungenau sind. Zweitens können Volkszählungen durchgeführt werden, zum Beispiel über die Wohnsituation.206 Der Vorteil von Volkszählungen ist, dass diese ohnehin vielfach im Zehnjahresturnus durchgeführt werden. Der Nachteil ist, dass diese Verfahren die Mitarbeit der Bevölkerung erfordern, ein gewisses Maß an Infrastruktur voraussetzen und sehr teuer sind. Kostengünstig und einfach zu besorgen sind die Daten aus Berichten über routinemäßige Dienstleistungen. Exemplarisch seien solche im Bereich der gesundheitlichen Versorgung oder in Arbeitsämtern genannt. Diese Informationen haben den Vorteil, dass sie von Fachleuten erstellt wurden. Aus diesem Grund kann von Vollständigkeit und Genauigkeit ausgegangen werden. Zu bedenken ist jedoch, dass hier nur die Personen erfasst werden, die eine Dienstleistung erfahren haben oder zumindest in Anspruch nehmen wollten.207 Statistische Umfragen haben aber den Nachteil, dass sie eine aufwendige Organisation erfordern.208 Außerdem sind die Daten teilweise ungenau, beispielsweise wenn man eine Krankheitsdiagnose Laien überlässt. Umfragen erfordern ebenso wie die Volkszählungen einen Mitwir204
Report des UN–Sonderberichterstatters Danilo Türk: The new international economic order and the promotion of human rights, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1990/19 vom 6. Juli 1990 § 24; WHO (1983) a.a.O. (Fn. 200), S. 20; Jäger a.a.O. (Fn. 199), S. 22 f.; Malhotra/Fasel: Quantitative Human Rights Indicators, a.a.O. (Fn. 19), S. 3 (§ 8) 205
UN–Handbook on Social Indicators, a.a.O. (Fn. 58), S. 21
206
Ibidem, S. 20; UNDP: Governance Indicators: A Users’ Guide, a.a.O. (Fn. 2), S. 9 207 208
WHO (1983) a.a.O. (Fn. 200), S. 56 Ibidem, S. 59
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
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kungswillen der Einwohner. Diese sind zuweilen misstrauisch, weil sie glauben, jede Befragung sei mit einer Art von Steuererhebung verbunden.209 Teilweise scheitern Umfragen auch an der Fähigkeit der Einwohner, zu lesen und zu schreiben. Wenn weder Geburts– und Sterberegister zuverlässige Angaben gewähren, noch staatliche Sozialdienste und deren Berichterstattung die gesamte Bevölkerung erfassen, kann man sich mit Stichproben begnügen.210 Werden sie auf fundierter Grundlage durchgeführt, kann man von einer hohen Treffsicherheit ausgehen.211 Bei allen bisher genannten Verfahren können zusätzliche Schwierigkeiten durch datenschutzrechtliche Bestimmungen auftreten.212 Die einfachste Möglichkeit zur Datenerhebung liegt darin, Schätzungen durchzuführen.213 Sie stellen keine hohen Anforderungen an die Ressourcen und die Infrastruktur. Allerdings wies man in der Vergangenheit mit Hilfe von Volkszählungen die Fehleranfälligkeit von Schätzungen über die Größe der Bevölkerung nach.214
b) Stellungnahme Der Sozialpakt enthält keine ausdrücklichen Vorgaben, mit welchen Methoden die Daten erhoben werden müssen. Wie ausgeführt will er aber, dass Ressourcen möglichst unmittelbar für die Rechtsverwirklichung eingesetzt werden. Damit verbietet er, Ressourcen unnötig für die Datenerhebung auszugeben. Andererseits bezweckt er, dass die 209
Jäger a.a.O. (Fn. 199), S. 18
210
WHO: Catalogue of Health Indicators, UN Doc. WHO/HST/SCI/96.8 S. 87; UN–Handbook on Social Indicators, a.a.O. (Fn. 58), S. 20 211
Jäger a.a.O. (Fn. 199), S. 18
212
Katarina Tomaševski: Health Rights, in: Eide et. al.: Economic, Social and Cultural Rights, 1995, S. 125 (S. 136) 213 James G. Anderson: Causal models and social indicators, in: American Sociological Review 1973, Vol. 38, S. 285 (S. 296). Zu menschenrechtlichen Schätzungen: Herbert F. Spirer/Louise Spirer: Data analysis for monitoring human rights, 1994, S. 87 – 99 214
Tomaševski: Indicators, a.a.O. (Fn. 195), S. 399; WHO (1983) a.a.O. (Fn. 200), S. 62; Beispiele finden sich in der Erklärung der American Association for the Advancement of Science vom 30. Mai 2007: Using Statistics as a Human Rights Tool, abrufbar auf: http://www.aaas.org/news/releases/ (abgerufen am 19. Juni 2007)
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Öffentlichkeit so genau wie möglich erkennen kann, inwieweit der Staat den Menschen die Wsk–Rechte gewährt. Deswegen muss zwischen relativ einfach und kostengünstig zu erhebenden Informationen und dem Aussagewert dieser Informationen abgewogen werden. Teilweise kann beim Präzisionsniveau gespart werden. Oftmals genügt es nämlich, zu wissen, dass die Werte in einem bestimmten Streubereich liegen.215 Wenn umfassende Umfragen aufgrund von Zeit– und Budgetbeschränkungen ausgeschlossen sind, wird man auf vorhandene Statistiken zurückgreifen müssen. Ist in einem Land auch dies nicht möglich, muss man mit Expertenschätzungen arbeiten, die zumindest ein angenähertes Bild des Zustands wiedergeben können.216 Die Frage, welches Verfahren das geeignetste ist, kann nicht allgemein beantwortet werden. Vielmehr muss für jeden Indikator in jedem Land gesondert bestimmt werden, zu welchem Ergebnis die Interessenabwägung gelangt. Fraglich ist, wer für diese Abwägung zuständig ist. Man könnte nämlich behaupten, diese Frage betreffe die Ressourcenverwendung. Außerdem erfordere sie ein umfassendes Hintergrundwissen über die Struktur des Landes. Daher liege es im Ermessen des Staats, welche Datenerhebungsmethoden er seinen Berichten zugrunde legt. Andererseits wurde bereits gesagt, dass der Staat nicht bei allen Fragen des Ressourceneinsatzes einen Ermessensspielraum hat. Vielmehr muss der Ausschuss kontrollieren können, inwieweit die Wsk–Rechte realisiert sind – eine Aufgabe, die der Staat nicht hemmen darf, indem er für die Rechtskontrolle nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung stellt. Denkbar wäre, das Problem über den Rechtsgedanken des Artikels 2 Absatz 1 IPwskR zu lösen. Das hieße: Grundsätzlich wäre der Staat verpflichtet, die genaueste Datenerhebungsmethode zu verwenden. Wenn dies wegen Ressourcenmangel nicht möglich wäre, müsste er auf ungenauere Methoden zurückgreifen, wäre aber beweisführungsbelastet. Der Vorteil dieser Vorgehensweise bestünde darin, dass sie auf einer Linie mit der oben genannten Lösung bei Datenmangel liegt.
215 216
WHO (1983) a.a.O. (Fn. 200), S. 18
Schwefel: Grundbedürfnisse und Entwicklungspolitik, a.a.O. (Fn. 153), S. 207; Andrew D. McNitt: Some Thoughts on the Systematic Measurement of the Abuse of Human Rights, in: David Louis Cingranelli (Hrsg.): Human Rights: Theory and Measurement, 1988, S. 89 (S. 96)
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Hiergegen ist einzuwenden, dass eine Vielzahl von Erwägungen bedeutsam ist für die Frage, wie man am besten an die Daten herankommt. Neben den Kosten sind beispielsweise entscheidend der Kooperationswille der Bürger und über welche Daten der Staat unabhängig von der Menschenrechtsüberwachung bereits verfügt. Manchmal lässt sich nicht sagen, welches der optimale Weg ist, die Daten in den Staatenbericht zu bringen. Deswegen handelt es sich um eine Zweckmäßigkeits–, nicht um eine Rechtmäßigkeitsentscheidung. Da der Sozialpakt den Ländern in Zweckmäßigkeitsfragen ein Ermessen lässt, ist das Ergebnis vorgezeichnet: Der Staat muss alle relevanten Umstände erfassen und abwägen, mit welcher Methode er die Daten beschaffen will. Hierbei spielt eine Rolle, welche Ressourcen im Land vorhanden sind und welcher Anteil davon für die Rechtsüberwachung zulasten der unmittelbaren Rechtsverwirklichung verloren ginge. Damit sichergestellt ist, dass der Staat sein Ermessen auch pflichtgemäß ausübt, muss er die tragenden Überlegungen gegenüber dem Ausschuss offenlegen. Fazit: Auf welche Weise die Daten erhoben werden, ist in das Ermessen der Staaten gestellt. Sie sind insoweit aber darlegungspflichtig.
VIII. Menschenrechtliche Indizes In sozioökonomischen Untersuchungen werden oftmals Indizes verwendet. Unter einem Index versteht man eine Zusammenfassung von mehreren Einzelindikatoren zu einer neuen Variablen.217 Ein Index ist eine Abbildung eines n–dimensionalen Merkmalsraumes auf eine Variable. Er kann aus Indikatoren für jede einzelne Dimension gebildet werden. So besteht der Begriff „soziale Schicht“ aus den Dimensionen „Bildung“, „Einkommen“ und „Berufsposition“. Zur Operationalisie217
UNDP: Governance Indicators: A Users’ Guide, a.a.O. (Fn. 2), S. 12 f.; Rossi/Gilmartin a.a.O. (Fn. 118), S. 18; Schnell/Esser a.a.O. (Fn. 169), S. 166; Green a.a.O. (Fn. 19), S. 1082. Beispiele für menschenrechtliche Indizes finden sich bei: Comité de la planification du développement: Note sur les indicateurs des droits économiques et sociaux, UN Doc. HR/GENEVA/1993/SEM/BP.9, S. 3; Dipak K. Gupta et. al: Creating a Composite Index for Assessing Country Performance in the Field of Human Rights, in: HRQ 16 (1994) S. 131 (S. 143 – 162); Stephen C. Thomas: Measuring Social and Economic Rights Performance in the People’s Republic of China, in: David Louis Cingranelli (Hrsg.): Human Rights: Theory and Measurement, 1988, S. 104 (S. 113 – 118)
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
rung des Begriffs „soziale Schicht“ können die drei Dimensionen getrennt gemessen und dann zu einer neuen Variablen, einem Schichtindex zusammengefasst werden.218 Der Beitrag eines Indikators zu einem Index kann auch gewichtet werden, in diesem Fall spricht man von „gewichteten additiven Indizes“. Die Ausprägung eines bestimmten Indikators zu einem Index geht durch die Gewichtung dann stärker in den Index ein als die Ausprägung der anderen Indikatoren.219 Auf den ersten Blick scheint der Index die lange gesuchte Lösung für das Berichtsprüfungsverfahren zu sein, lassen sich doch in kürzester Zeit zahlreiche Dimensionen der Paktrechte auf einmal untersuchen. Außerdem sinkt mit steigender Zahl von Indikatoren im Index das Risiko zufälliger Messfehler. Gegen die Verwendung von Indizes im Berichtsprüfungsverfahren sprechen jedoch gewichtige Bedenken. Zunächst können sie menschenrechtlich relevante Informationen verstecken.220 Sie sind gerade das Gegenteil von Disaggregation. Außerdem liegt stets eine Gewichtung vor, wenn Indikatoren zusammengefasst werden, und sei es nur, dass diese eins zu eins ist, also alle Indikatoren gleich gewichtet werden.221 Die Indikatoren sind aber nicht gleich wichtig. Vielmehr unterscheiden sie sich je nach Validität. Beispielsweise ist der Indikator „Zahl der Analphabeten“ für das Recht auf Bildung vermutlich weitaus relevanter als der Indikator „Bruttonationaleinkommen“, obwohl beide Indikatoren mit demselben Rechtsbegriff zusammenhängen. Eine Gewichtung wäre also nötig, wenn nicht der praktisch ausgeschlossene Fall vorläge, dass mehrere Indikatoren gleich valide wären. Die Sozialwissenschaft argumentiert, es gebe keine allgemeingültige Methode, um die Präferenzen einzelner Indikatoren zu bestimmen.222 Daher sei jede Gewichtung notwendigerweise subjektiv und damit willkürlich.223 Dem ist für die Sozialwissenschaft zuzustimmen, für den 218 219 220 221 222 223
Beispiel von Schnell/Esser a.a.O. (Fn. 169), S. 167 Ibidem, S. 173 Rossi/Gilmartin a.a.O. (Fn. 118), S. 19 Green a.a.O. (Fn. 19), S. 1082 UN–Handbook on Social Indicators, a.a.O. (Fn. 58), S. 26
Michael Ward: Composite Measures of Development, in: Charles Lewis Taylor: Indicator Systems for Political, Economic an Social Analysis, 1980 S. 25
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Bereich der Paktüberwachung aber nicht. Denn weil Indikatoren vorhersehbar und universell angewendet werden müssen, gilt beim Sozialpakt die Reihenfolge je nach Validität. Man könnte also jeden Indikator mit seinem Korrelationskoeffizienten multiplizieren, bevor man ihn in den Index einstellt. Dann ginge ein weniger valider Indikator entsprechend geringer in den Index ein als ein höherwertiger. Allerdings gibt es dann immer noch ein dogmatisches Argument, das gegen die Verwendung von Indikatoren durch den Ausschuss spricht: Der Staat könnte nämlich den „negativen“ Wert eines Indikator durch den „positiven“ Wert eines anderen Indikators ausgleichen. Nicht nur, dass er seine Rechtfertigungsmöglichkeit gar nicht vortragen müsste und der Verhandlungsgrundsatz damit durch den Untersuchungsgrundsatz ersetzt würde. Er erhielte auch Rechtfertigungsmöglichkeiten, die der Sozialpakt nicht vorsieht. Denn schlechte Indikatorwerte kann der Staat – abgesehen von der Schrankenklausel des Artikels 4 IPwskR – nur durch Ressourcenmangel rechtfertigen. Fasst man etwa mehrere Ergebnisindikatoren zu einem Index zusammen, könnte der Staat den fehlenden Genuss bei einem Rechtsaspekt damit ausgleichen, dass in einer anderen Paktdimension mehr genossen wird. Dies gestattet der Sozialpakt ihm aber nur, wenn er seine Ressourcen wirklich gezielt eingesetzt und die vernachlässigten Aspekte zumindest mitbedacht hat. Bei einem Index ist das aber nicht notwendigerweise der Fall. Beispiel: In einem Staat ist die Zahl der Langzeitobdachlosen beständig hoch. Gleichzeitig geht die Zahl der Zwangsvertriebenen zurück, aber nur, weil die vertreibende Gruppierung aus eigenem Anlass diese Praktiken aufgegeben hat. Die positive Entwicklung darf nicht dem Staat zugute kommen, weil er keine Politik entwickelt hat, um die Vertreibungen zu beenden. Zugegeben, in den meisten Fällen wirken sich in den Indikatoren staatliche Politikentscheidungen irgendwie aus. Dennoch muss nach dem Sozialpakt der Ressourcenmangel den Rechtfertigungsgrund bilden und nicht ein anderer Menschenrechtsindikator. Problematisch ist das vor allem, wenn er Dimensionen der Kernbereiche nicht verwirklicht hat. Das Manko könnte er dann nämlich durch ein Plus in den peripheren Dimensionen ausgleichen, obwohl sein Ermessen ein solches Vorgehen nicht trägt. Fazit: Indizes sind im Rahmen der Berichtsprüfung nicht erlaubt.
(S. 29); Rossi/Gilmartin a.a.O. (Fn. 118), S. 19, 110; angedeutet auch bei Gupta et. al. a.a.O. (Fn. 217), S. 134 – 136
200
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
IX. Die Rolle der Indikatoren im Rahmen der Berichtsprüfung 1.) Die Ableitung von Menschenrechtsverletzungen allein aus Indikatoren Fraglich ist, ob sich im Berichtsverfahren eine Völkerrechtsverletzung allein aus Indikatoren empirisch ableiten lässt. Das wäre zu bejahen, wenn der Ausschuss kein eigenes Werturteil mehr abgeben müsste.224 Vor allem könnten Drittstaaten nur aufgrund von Werten eines Indikators auf eine Völkerrechtsverletzung schließen und wären zu Repressalien berechtigt. Dies würde sogar dann gelten, wenn der Ausschuss in seinen „Concluding observations“ gar keine Paktverletzung festgestellt hat, ja, wenn er den Indikator gar nicht verwendet hat. In diesem Zusammenhang könnte man den sozialwissenschaftlichen Begriff der Induktion heranziehen. „Induktion“ bedeutet, aus einer notwendig begrenzten Anzahl von empirischen Überprüfungen auf die gesamten Eigenschaften der Untersuchungsobjekte zu schließen.225 Für das Verfahren vor dem Ausschuss hieße dies, aus einem oder wenigen Indikatorwerten auf die Gesamtheit der Indikatorwerte und damit auf sämtliche Dimensionen der Rechtsverwirklichung zu schließen. Deduktiv–nomologischen Erklärungen, also Subsumtionsverfahren, unterscheiden sich jedoch von induktiv–statistischen Erklärungen: Falls verschiedene probabilistische Aussagen zur Erklärung desselben Sachverhalts verwendet werden, können sich logische Widersprüche ergeben, da den Objekten dann mehrere verschiedene Wahrscheinlichkeiten gleichzeitig zugesprochen werden.226 Für das Verfahren vor dem Ausschuss bedeutet dies, dass intersubjektiv nicht begründbar ist, ob beispielsweise das Recht auf Gesundheit verletzt ist, wenn die Zahl der an Cholera Erkrankten stark gestiegen, aber gleichzeitig die der von HIV Betroffenen stark zurückgegangen ist. Man könnte das Problem lösen, indem man einfach möglichst viele Indikatoren anwendet und nach den Werten ihrer Mehrzahl entscheidet. Allerdings handelt es sich dann immer noch nur um Indizien und Wahrscheinlichkeiten. Das sogenannte Explanadum, die Menschen-
224
Allgemein zu Wertungen im Rahmen der Definition juristischer Begriffe: Karl Larenz/Claus–Wilhelm Canaris: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Auflage 1995 S. 36 225 226
Schnell/Esser a.a.O. (Fn. 169), S. 60 Schnell/Esser a.a.O. (Fn. 169), S. 67
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rechtsverletzung, ist weder logisch deduzierbar noch mit Sicherheit prognostizierbar. Selbst wenn alle vom Ausschuss angewendeten Indikatoren bestimmte Werte aufweisen, sind noch wertende Vermittlungen erforderlich.227 Denn welche Werte die Indikatoren aufweisen sollen, lässt sich nicht logisch ableiten. Rein mathematisch ist ein Wert niemals gut oder schlecht. Dies wird er erst durch eine Wertung. Aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen folgt also logisch keinerlei Hinweis, wie ein bestimmtes Wissen zu ver– oder bewerten ist: Aus Seinsaussagen folgen keine Sollensaussagen. Außerdem sind Wertungen nötig, um die Indikatoren aus dem Universum auszuwählen. Man könnte natürlich einwenden, die Validität lasse sich empirisch und damit intersubjektiv begründen. Selbst wenn man dem zustimmt, bleibt aber noch ein entscheidendes Argument: Würde man nämlich aus einzelnen Indikatorwerten ableiten wollen, ob das Recht im Ganzen verwirklicht ist, würde die Frage, ob die Staaten ihre maximal verfügbaren Ressourcen bestmöglich eingesetzt haben, in den Hintergrund gedrängt. Da staatliche Armut aber keine Vertragsverletzung sein darf, ist es erforderlich, die statistischen Daten ins Verhältnis zu setzen mit den – nicht vollständig quantifizierbaren – verfügbaren Ressourcen, den Prioriäten und den möglichen Rechtfertigungsgründen der Staaten.228 Fazit: Allein aus Indikatorwerten können weder der Ausschuss noch Drittstaaten eine Verletzung des Sozialpakts ableiten. Es müssen Wertungen vorgenommen werden, die nicht zwingend sind.229
227
Michael Stohl et. al.: State Violation of Human Rights, in: HRQ 8 (1986) S. 592 (S. 594 f.); Fröberg/Scheinin a.a.O. (Fn. 52), S. 8; vgl. auch UN Sonderberichterstatter Türk: Second progress report, a.a.O. (Fn. 151), § 8: „indicators have a central role [...] in assisting with the assessment“; Green a.a.O. (Fn. 19), S. 1087 spricht davon, dass Indikatoren nur als Basis für eine umfassende Antwort auf die Frage dienen können, ob eine Regierung ihre Verpflichtung bezüglich der Verwirklichung der Wsk–Rechte erfüllt hat oder nicht 228
Riedel: New Bearings to the State Reporting Procedure, a.a.O. (Fn. 13), S. 353; Green a.a.O. (Fn. 19), S. 1075; vgl. auch Klee a.a.O. (Fn. 15), S. 220 229
Martin Scheinin in: OHCHR: Indicators for Monitoring Compliance with International Human Rights Instrumens, Expert Consultation, Genf, 29.
202
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
2.) Die antizipierte Bewertung durch Umfeldindikatoren Da die Wsk–Rechte universell gelten, haben auch alle Staaten dieselben Rechtfertigungsmöglichkeiten. Deswegen ist zu überlegen, ob man eine Schablone aus häufig vorkommenden Rechtfertigungsgründen erarbeiten und diese bei jedem Indikatorwert heranziehen kann. In diesem Zusammenhang wird der Begriff des Umfeldindikators relevant. Er soll Faktoren erfassen, die dem Staat nicht zugerechnet werden, sogenannte exogene Faktoren. Es wirkt gerecht, alle Variablen, die der Staat nicht beeinflussen kann, mit Umfeldindikatoren zu messen. Beim Recht auf Nahrung könnte dies die Getreidewachstumsrate oder die Niederschlagsmenge sein. Was auf den ersten Blick einleuchtend klingen mag, erweist sich bei näherem Hinsehen als bedenklich: Auf das letzte Beispiel bezogen, hängt die Niederschlagsmenge von meteorologischen Faktoren ab. Insbesondere Umweltschützer würden einwenden, dass der Staat diese durch gezielte Umweltpolitiken sehr wohl beeinflussen könne. Nächstes Beispiel: Bewaffnete Unruhen verhindern, dass der Staat Bekleidung in Zielgebiete liefern kann. Inwieweit will man den Staat hier von seiner Verantwortung für die Verwirklichung des Rechts auf angemessenen Lebensstandard freisprechen? Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Gewalthandlungen geendet hätten, wenn der Staat allen Forderungen der Kämpfer nachgegeben hätte. Zumindest theoretisch hat der Staat also Einflussmöglichkeiten. Bereits diese Beispiele machen deutlich: Da soziale Gesetze nicht bekannt sind und Indikatoren keine Kausalschlüsse erlauben, lässt sich mit derartigen Methoden nicht feststellen, welche Faktoren der Staat beeinflussen kann und welche nicht.230 Prinzipiell kann er alles zumindest minimal beeinflussen. Da alle Indikatoren mit jedem Wsk–Recht irgendwie korrespondieren, unterscheiden sich Umfeldindikatoren von den oben genannten Indikatorgruppen nur scheinbar. Es handelt sich vielmehr um eine graduelle Abstufung, genauer um eine Frage der Korrespondenz. Präziser ist deswegen die Formulierung: Umfeldindikatoren haben eine so niedrige Validität, dass sie dem Staat aus Wertungsge-
August 2005, Conclusions and Recommendations, § 5 (unveröffentlicht, Dokument erhältlich über den Verfasser) 230
Vgl. Michael Windfuhr: State Obligations for Economic, Social and Cultural Rights in Times of Globalisation, in: ders. (Hrsg.): Beyond the Nation State, 2005, S. 12 (S. 19)
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
203
sichtspunkten nicht mehr zugerechnet werden. Diese Wertungen ergeben sich aus dem Sozialpakt. Eine Wertung bleibt dem Ausschuss also selbst dann nicht erspart, wenn er Umfeldindikatoren verwendet, denn welche Indikatoren zu dieser Gruppe zählen sollen, lässt sich nicht objektiv bestimmen. Allerdings bringen Umfeldindikatoren einen ökonomischen Vorteil. Der Ausschuss kann nämlich vorweggenommen erörtern, in welchen Fällen der Staat einen Indikatorwert, insbesondere einen Ergebnisindikatorwert, rechtfertigen kann. Damit verkürzt er die Dauer der Berichtsprüfung. Derartige einheitliche Rechtfertigungsituationen dürften wertungsmäßig den Fällen ähneln, die man im Zivilrecht unter „höhere Gewalt“ subsumieren würde.231 Auch aus Gründen der Universalität ist es geboten, Rechtfertigungsgründe vorab und allgemein zu konkretisieren. Denn kann ein Staat sich rechtfertigen, geht dies zu Lasten der Individualinteressen. Den Einzelnen wird menschenrechtlicher Schutz abgesprochen. Da dieser Schutz aber in allen Ländern gleich sein soll, müssen auch in allen Ländern die gleichen Rechtfertigungsgründe gelten. Es wäre somit nicht erlaubt, wenn der Ausschuss in einem Fall trotz Niederschlagsmangels eine Völkerrechtsverletzung annimmt, in einem anderen aber nicht, obwohl beide Staaten die gleichen Einflussmöglichkeiten haben. Außerdem ist es für Individuen und Staaten vorhersehbarer und dient somit der Rechtssicherheit, wenn generell und abstrakt geklärt ist, wann Staaten den Sozialpakt verletzen und wann nicht. Allerdings: Die in den Umfeldindikatoren enthaltene antizipierte Wertung entbindet den Ausschuss nicht davon, noch einmal zu prüfen, welche Einflussmöglichkeiten der Staat hatte.232 Denn letztere können von Staat zu Staat unterschiedlich sein. Beispielsweise kann ein Zwergstaat weitaus weniger zu einer Klimaveränderung und somit zum Getreidewachstum beitragen als ein Staat mit einer großen Fläche und einer hohen Einwohnerzahl. Aus diesem Grund kommt der Ausschuss nicht umhin, alle Indikatorwerte im Einzelfall mit Blick auf die im Sozialpakt enthaltenen Wertungen zu begutachten.
231
Vgl. dazu § 7 Abs. 2 des Straßenverkehrsgesetzes in der Fassung vom 17. März 2007: „Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.“ 232 Vgl. UN Sonderberichterstatter Türk: Second progress report, a.a.O. (Fn. 151), § 11 (e)
204
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Fazit: Variablen, die der Staat nicht beeinflussen kann, sind unbekannt. Der Begriff des Umfeldindikators bezeichnet deswegen nur solche Fälle, die aus normativen Gründen dem Staat nicht mehr zugerechnet werden sollen. Wann dies der Fall ist, muss der Ausschuss aus dem Sozialpakt ableiten. Aus ökonomischen Gründen ist es zu empfehlen und wegen der Universalität der Menschenrechte beziehungsweise der Rechtssicherheit sogar geboten, Umfeldindikatoren generell–abstrakt festzuhalten. In jedem Fall muss der Ausschuss aber die Indikatorwerte einzelfallbezogen untersuchen. Es wird noch zu diskutieren sein, wie sich Umfeldindikatoren auswirken, wenn sich der Staat gegenüber dem Ausschuss dazu bereit erklärt hat, bis zum nächsten Berichtstermin bestimmte Ziele zu erreichen. Das eben genannte Beispiel lässt sich nämlich noch dahingehend erweitern, dass der Staat verspricht, die Zahl der Hungerleidenden um 20 Prozent zu senken. Übernimmt er hier eine Garantie, für die er verschuldensunabhängig einstehen muss? Oder kann er sich rechtfertigen, so dass die Vereinbarung im Ergebnis bedeutungslos wäre? Diesen Fragen soll in einem anderen Kapitel nachgegangen werden.233
3.) Quantitative und qualitative Indikatoren als Grundlage der „Concluding observations“ a) Die Bedeutung der Validität Nachdem nunmehr grob geklärt ist, wie der Ausschuss mit den Indikatorwerten verfahren muss, kann die Untersuchung sich erneut der Frage zuwenden, zu welchem Grad er seinen „Concluding observations“ quantitative, zu welchem qualitative Indikatoren zugrunde legen muss. Prinzipiell gibt es unendlich viele Möglichkeiten, die Welt zu betrachten.234 Jede dieser Möglichkeiten kann für sich gesehen richtig, das heißt widerspruchsfrei, sein. Es ist unmöglich, eine Entscheidung zwischen diesen verschiedenen Möglichkeiten herbeizuführen, es sei denn durch Vorgabe eines normativen Bewertungskriteriums. Doch lässt sich ein solches universelles Bewertungskriterium konstruieren?
233 234
S. 295 ff.
Jörn Diekmann a.a.O. (Fn. 88), S. 47; vgl. auch Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies a.a.O. (Fn. 24), § 8:„Given the complexity of assessing compliance with human rights standards, all relevant qualitative and quantitative information is potentially useful.“
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
205
Ausgangspunkt ist, dass der Ausschuss in den „Concluding observations“ Indikatorwerte beurteilt. Er gibt also Werturteile ab. Teilweise wird vertreten, der Ausschuss solle diese primär auf quantitative Indikatoren stützen.235 Denn indem jedes Ereignis einer bestimmten Kategorie gleich zähle, unterscheide sich die bewertete Realität nur noch mengenmäßig.236 Ob ein quantitativer Indikatorwert größer oder kleiner sei, lasse sich intersubjektiv feststellen. Außerdem würden im Rahmen der quantitativen Forschung strenge Methoden gelten, nach denen Daten erhoben und behandelt werden.237 Anders bei den qualitativen Indikatoren. Hier herrsche das Prinzip der Flexibilität, das heißt, die Forschung werde durch den Untersuchungsgegenstand bestimmt.238 Um ein objektiveres Ergebnis zu erreichen, sollten im Rahmen der Menschenrechtsüberwachung daher vorrangig quantitative Indikatoren verwendet werden.239 Richtig an dieser Auffassung ist, dass die qualitative Analyse bislang keinen gesicherten Bestand an Messinstrumenten hervorgebracht hat, der in standardisierter Weise die soziale Realität beschreiben könnte.240 Der Ausschuss gibt in den „Concluding observations“ aber ein Werturteil ab, das auf der qualitativen Ebene liegt.241 Im Ergebnis führt er also eine qualitative Untersuchung durch, unabhängig davon, ob er qualitative oder quantitative Indikatorwerte beurteilt.242 Beispielsweise kann er 235
Malhotra/Fasel: Quantitative Human Rights Indicators, a.a.O. (Fn. 19), S. 25; vgl. auch Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies a.a.O. (Fn. 24), § 2: „ [...] it has been argued that the use of appropriate quantitative indicators for assessing the implementation of human rights [...] could contribute to streamlining the process, enhance its transparency, make it more effective, reduce the reporting burden and above all improve follow–up on the recommendations and concluding observations, both at the committee, as well as the country, levels.“ 236 237 238
Stohl et. al.: a.a.O. (Fn. 227), S. 601 Strauss a.a.O. (Fn. 85), S. 29 Ibidem, S. 32
239
Katarina Tomaševski: Human Rights Indicators: The Right to Food as a Test Case, in: Philip Alston/ dies. (Hrsg.): The Right to Food, 1984, S. 135; Malhotra/Fasel: Quantitative Human Rights Indicators, a.a.O. (Fn. 19), S. 25 240
Westle a.a.O. (Fn. 90), S. 19
241
Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies a.a.O. (Fn. 24), § 2 242
Vgl. Westle a.a.O. (Fn. 90), S. 10: „Nach der quantitativen Untersuchung erfolgt die eigentliche hermeneutisch–interpretative Analyseleistung.“ Auf die
206
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
ein Gesetz qualitativ unter der Überschrift „Positive aspects“ analysieren. Ebenso kann er die Zahl der Zwangsvertriebenen als „bedenklich“ bezeichnen. Außerdem ist – wie im vorhergehenden Kapitel ausgeführt – die Entdeckung eines jedweden Indikators nicht werturteilsfrei möglich. Denn allen Operationalisierungen fehlt die Letztbegründung.243 Im Berichtsprüfungsverfahren werden also an zwei Stellen Werturteile vorgenommen: im Ausgangspunkt der Operationalisierung und im Endpunkt bei der abschließenden Begutachtung.244 Die in den „Concluding observations“ getroffene Bewertung eines qualitativen Indikatorwerts ist also gegenüber der eines quantitativen nur in den Zwischenschritten objektiver. In beiden Fällen fehlt aber letztlich die intersubjektiv nachvollziehbare Grundlage, beide Indikatorgruppen werden endlich in den „Concluding observations“ be– und verwertet. Unabhängig davon geht die Sozialwissenschaft davon aus, dass man nicht sagen kann, welches der beiden Modelle die besseren Resultate liefert.245 Denn immerhin liegt die Stärke qualitativer Forschung darin, dass die Subjektivität des Forschers, die bei quantitativen Verfahren methodisch gerade ausgeblendet wird, in die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand eingebracht werden kann.246 Die quantitative Methode wird kritisiert, weil sie einzelne Momente getrennt aufarbeitet, obwohl letztere gerade verflochten sind.247 Verstärkend tritt hinzu, dass der Sozialpakt nirgends ausdrücklich und allgemein248 gebietet, den Zustand der Rechtsverwirklichung quantitativ auszudrücken.249 Vielmehr lautet Artikel 16 Absatz 1 IPwskR nur vermeintliche Objektivität weist auch die Canadian International Development Agency a.a.O. (Fn. 115), auf S. 8 f. hin 243
Dazu oben S. 124
244
Allgemein zu den Zusammenhängen zwischen qualitativer und quantitativer Analyse: Mayring a.a.O. (Fn. 85), S. 24 245
Siehe oben S. 161
246
Westle a.a.O. (Fn. 90), S. 18; Strauss a.a.O. (Fn. 85), S. 39; Mayring a.a.O. (Fn. 85), S. 13 und 20 247
Mayring a.a.O. (Fn. 85), S. 13; Jörn Diekmann a.a.O. (Fn. 88), S. 74; ähnlich Strauss a.a.O. (Fn. 85), S. 35 248 249
Recht
Vgl. aber den Sonderfall des Art. 12 Abs. 2 (a) IPwskR Art. 12 Abs. 2 (a) IPwskR ist ein Sonderfall und regelt das materielle
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
207
„The States Parties to the present Covenant undertake to submit in conformity with this part of the Covenant reports on the measures which they have adopted and the progress made in achieving the observance of the rights recognized herein.“ Zwar könnte man im Wort „progress“ Hinweise auf quantitative Methoden sehen. Dann bliebe aber immer noch der erste Halbsatz, nach dem die Staaten generell über von ihnen getroffene Maßnahmen berichten. Das Wort „measures“ findet sich in Artikel 2 Absatz 1 IPwskR wieder. Dort verlangt der Sozialpakt „particularly the adoption of legislative measures“. Die Staaten sollen also über legislative Maßnahmen berichten. Diese Berichte soll der Ausschuss prüfen. Nicht alle Eigenschaften eines Gesetzes lassen sich aber mengenmäßig darstellen. So sind etwa der Rang eines Gesetzes, seine Systematik, sein Anwendungsbereich und der von Übergangsregeln Eigenschaften, die in der Jurisprudenz relevant sein können. Ganz allgemein gibt es im Rahmen der Paktverwirklichung Aspekte, die nur qualitativ gemessen werden können.250 Deren Überwachung ist aber ebenso wichtig wie die der quantitativen Verwirklichung.251 Schon aus diesem Grund muss der Ausschuss auf qualitative Methoden zurückgreifen können. Außerdem kann der Ausschuss mit qualitativen Methoden problemorientierter arbeiten.252 Immerhin ist es bei quantitativen Indikatoren notwendig, der Messung eine Operationalisierungsphase vorzuschalten. Im Gegensatz dazu ist dieser Schritt im Rahmen einer jeden qualitativen Untersuchung enthalten, was die Untersuchung vereinfacht.253 Nicht zuletzt kann der Ausschuss mit qualitativen Indikatoren den Gründen nachgehen, die maßgeblich für den Wert eines quantitativen
250
Auch der ECOSOC spricht nur allgemein von Daten, nicht von quantitativen Daten, Res. 1988/4 vom 24. Mai 1988 § 5 251
UN–Sonderberichterstatter Danilo Türk: The new international economic order and the promotion of human rights, Realization of Economic, Social and Cultural Rights, Progress report, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1990/19 vom 6. Juli 1990 § 25; Report prepared by the Secretary–General pursuant to Commission on Human Right Resolution 1989/45, UN Doc. E/CN.4/1990/9 (Part III) vom 6. Februar 1990, § 39 252 253
Vgl. Mayring a.a.O. (Fn. 85), S. 13, 15 und 21 f. Jörn Diekmann a.a.O. (Fn. 88), S. 80
208
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Indikators sind.254 Zwar sind Kausalitäten nicht nachweisbar, aber empirische Regelmäßigkeiten unter Umständen erkennbar. Zum Beispiel kann man überlegen, ob ein Land vielleicht auch deshalb eine so hohe Analphabetenrate unter Frauen aufweist (quantitativer Indikator), weil das staatliche Schulgesetz Mädchen de facto den Zugang zu Grundschulen erschwert (qualitativer Indikator). Hier kann der Ausschuss beide Indikatoren heranziehen, um dem Staat nachzuweisen, dass er das Recht auf Bildung nicht ausreichend verwirklicht. Zwischenfazit: Aufgrund der Komplexität der Wsk–Rechte müssen qualitative Indikatoren verwendet werden.255 Andererseits muss es Regeln für die qualitative Analyse geben, die gegen die Beliebigkeit ein Korsett bilden.256 Ansonsten würde der Ausschuss eine rein intuitive Untersuchung durchführen, womit die Staaten bei ihrer Ratifizierung sicher nicht einverstanden waren. Sinnvoll wäre es also, nach und nach, ähnlich den Berichtsrichtlinien, universelle Schemata für die qualitative Berichtsprüfung zu entwickeln. Diese lassen sich aber nur aus der Praxis gewinnen, ein Fragenkatalog lässt sich nicht aus dem Sozialpakt deduzieren. In jedem Fall darf der Ausschuss seine „Concluding observations“ aber nicht allein auf qualitative Indikatoren stützen. Denn hermeneutisch rein interpretative Ansätze verstoßen gegen einen Kanon von formalisierten Standards, Regeln und Routinen als Ausweis ihrer Wissenschaftlichkeit. Damit wird ihr Wert für sozial– und rechtswissenschaftliche Untersuchungen relativiert.257 Im Extremfall könnte der Ausschuss sonst kritisieren, dass es keinen Aktionsplan zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit gebe, obwohl die Zahl der Obdachlosen in den fünf Jahren zuvor signifikant gesunken ist. Die Kompetenz zu einer derart willkürlichen Berichtsprüfung kann dem Sozialpakt jedoch nicht entnommen werden.
254
Vgl. Mayring a.a.O. (Fn. 85), S. 15 f.
255
Eibe Riedel in: Report of the high–level task force on the implementation of the right to development on its second meeting, UN Doc. E/CN.4/2005/WG.18/TF/3 § 42; ders.: Measuring Human Rights Compliance – The IBSA Procedure as a Tool of Monitoring, in: Andreas Auer et. al (Hrsg.): Etudes en l’honneur du Professeur Giorgio Malinverni, 2007, S. 251 (S. 261) 256
Mayring a.a.O. (Fn. 85), S. 17; Westle a.a.O. (Fn. 90), S. 18 nennt als Beispiel eine standardisierte Umfrageforschung 257
Westle a.a.O. (Fn. 90), S. 18
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
209
Das Problem ist aber bei Weitem nicht so gravierend, wie es zunächst erscheint. Denn die Reihenfolge, in der die Indikatoren angewendet werden, richtet sich – wie erörtert – allein nach ihrer Validität. Auch bei qualitativen Indikatoren kann man Validitätstests durchführen.258 So kann sich etwa herausstellen, dass entgegen Artikel 13 Absatz 2 (c) und 2 Absatz 1 IPwskR die durchschnittlichen Studiengebühren in der Regel dann steigen (quantitativer Indikator), wenn nationale Gerichte und Parlamente in öffentlichen Erklärungen die Rechtsnormen des Sozialpakts als unverbindliche Programmsätze proklamieren (qualitativer Indikator).259 Zu bedenken ist allerdings, dass sich die Validität immer nur empirisch anhand von Vergleichsindikatoren bestimmen lässt.260 Außerdem gibt es noch keinen Standard für qualitative Indikatoren in der Berichtsprüfung. Vielmehr herrscht das Prinzip der Flexibilität. Daher lässt sich die Validität nicht ex ante und abstrakt bestimmen, wie dies für quantitative Indikatoren möglich ist. Deswegen muss der Ausschuss in jedem Einzelfall prüfen, wie stark ein von ihm verwendeter qualitativer Indikator mit dem jeweiligen Wsk–Recht korrespondiert. Das heißt, er darf niemals nur qualitative Indikatoren heranziehen, sondern muss deren Validität stets anhand von quantitativen Indikatoren, die sich als valide erwiesen haben, prüfen. Die Sozialwissenschaft drückt den Unterschied zwischen quantitativer und qualitativer Forschung folgendermaßen aus: Wenn ein quantitativer Forscher merkt, dass eine Information, den vorliegenden Hypothesen über bestimmte Zusammenhänge widerspricht, verwirft er sie und formuliert neue Annahmen. Diese sind dann mit neu zu erhebenden Daten zu überprüfen. Der qualitativ arbeitende Forscher wird dagegen versuchen, seine Aussagen über ihn interessierende Zusammenhänge im Lichte der neuen Informationen neu zu sehen und zu einer erweiterten und differenzierten Version seiner Äußerungen gelangen.261 Für die Berichtsprüfung bedeutet das, dass der Ausschuss nicht aus dem Wert eines einzelnen qualitativen Indikators schließen darf, dass ein Land ein Wsk–Recht verletzt. Denn sonst ließe sich fast immer ein 258
Ibidem, S. 17
259
Vgl. die Beispiele bei Chapman: Violations Approach, a.a.O. (Fn. 1), S. 50 unter (5) und (6) 260 261
Näher zu diesem Verfahren: Strauss a.a.O. (Fn. 85), S. 54 – 66 Mayring a.a.O. (Fn. 85), S. 16; Jörn Diekmann a.a.O. (Fn. 88), S. 26
210
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Aspekt finden. Wenn er der qualitativen Frage nachgehen will, ob ein Land ein Wsk–Recht ausreichend gewährleistet, muss er, um sein Ergebnis zu untermauern, stets auch quantitative Indikatoren heranziehen. Dabei muss es sich um diejenigen handeln, die am stärksten mit dem Paktrecht korrespondieren. Nur scheinbar verbietet dieses Prinzip der Non–simplex–Operationalisierung, dem Ausschuss, ein Land etwa allein dafür zu kritisieren, dass es ein de iure diskriminierendes Gesetz erlässt. In der Praxis kommt es nämlich häufig vor, dass der Ausschuss unter dem Gesichtspunkt „Principal subjects of concern“ derart qualitative Aspekte ohne Bezugnahme auf quantitative Erhebungen rügt.262 Dazu ist zu sagen, dass Artikel 2 Absatz 2 IPwskR de iure diskriminierende Gesetze verbietet, unabhängig davon, ob sie quantitative Auswirkungen haben. Es handelt sich hier aber um sofort umzusetzende Verpflichtungen, das heißt, der Staat muss das diskriminierende Gesetz sofort beseitigen.263 Kommt ein Staat dem nicht nach, verletzt er den Sozialpakt. Dies lässt sich durch eine schlichte Subsumtion feststellen. Es bedarf keiner Operationalisierung. Der Ausschuss darf also qualitative Aspekte aus dem Bereich der sofort umzusetzenden Verpflichtungen rügen, denn er deduziert eine Vertragsverletzung, verwendet aber keine Indikatoren. In diesem Fall ist es auch nicht zu beanstanden, wenn er unterschiedliche Tatbestände mit Blick auf ein und dasselbe Wsk–Recht unter verschiedenen Gesichtspunkten begutachtet. Beispielsweise kann er unter dem Gesichtspunkt „Principal subjects of concern“ rügen, dass nationale Gerichte das Recht auf Arbeit als unverbindliche Proklamation ansehen, andererseits unter „Positive aspects“ ausführen, dass die Arbeitslosenquote gesunken ist. Für die progressiv zu verwirklichenden Rechtselemente bleibt es aber dabei, dass der Ausschuss sich nicht damit begnügen darf, aus einem qualitativen Indikator auf die Paktkonformität zu schließen. Vielmehr darf er hier qualitative Indikatoren nur ergänzend zu quantitativen heranziehen, weil andernfalls die Validität nicht gewährleistet ist.
262
Beispiele finden sich in folgenden „Concluding observations“: Irland, UN Doc. E/C.12/1/Add.77 §§ 13 – 19; Schweden, UN Doc. E/C.12/1/Add.70 §§ 15 – 17, 20 und 22 – 23; Nepal, UN Doc. E/C.12/1/Add.66 § 17; Kongo, UN Doc. E/C.12/1/Add.45 § 16; Peru, UN Doc. E/C.12/1/Add.14 §§ 13 und 14; Republik Korea, UN Doc. E/C.12/1995/3 § 8 263
Vgl. oben S. 32
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
211
Fazit: Da es Aspekte der Paktverwirklichung gibt, die sich nicht numerisch darstellen lassen, darf und muss der Ausschuss die Ergebnisse in seinen „Concluding observations“ auch auf qualitative Indikatoren stützen. Aus Gründen der Rechtssicherheit sind aber qualitative Indikatoren immer nur neben quantitativen Indikatoren zu verwenden.264
b) Der Zusammenhang zwischen qualitativen Indikatoren und dem „Violations Approach“ Wenn man die Argumente zugunsten qualitativer Indikatoren liest, fällt eine Parallele zu den Gedanken Chapmans auf. Der „Violations Approach“ will nämlich Vorkommnisse und Strukturen aufgrund ihrer Qualität bewerten. Sein Ziel ist es, das Berichtsprüfungsverfahren zu vereinfachen und dem Ausschuss ein problemorientiertes Vorgehen zu ermöglichen.265 Dazu passt, dass der Ausschuss in den von Chapman exemplarisch genannten Fällen auch überwiegend qualitative Indikatoren verwendet hat.266 Andererseits will Chapman aber die Kerninhalte überwachen. Dabei zitiert sie auch Beispiele, in denen der Ausschuss quantitative Indikatoren verwendet hat.267 Der „Violations Approach“ in der von Chapman favorisierten Form greift also nicht allein auf qualitative Verfahren zurück. Unabhängig davon wurde der „Violations Approach“ als alleinige Überwachungsmethode oben in diesem Kapitel abgelehnt.268 Vielmehr wurde vertreten, ihn prinzipiell nur in den ressourcenfreien Dimensionen anzuwenden, im Übrigen aber das Indikatorenmodell. Fazit: Der „Violations Approach“ greift zwar häufig, aber nicht immer auf qualitative Indikatoren zurück. Zur Überwachung der ressourcen264
Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies a.a.O. (Fn. 24), § 8; ebenso für das Recht auf Bildung: Report of the Secretary– General submitted pursuant to Commission on Human Rights resolution 1999/25, a.a.O. (Fn. 83), § 29 265
Siehe oben S. 135 ff.
266
Siehe die Beispiele bei: Chapman: Violations Approach, a.a.O. (Fn. 1), S. 49 – 58. Zur Einzelfallanalyse in der qualitativen Sozialforschung: Mayring a.a.O. (Fn. 85), S. 27 – 31 267
Siehe die Beispiele bei: Chapman: Violations Approach, a.a.O. (Fn. 1), S. 61 – 65 268
S. 137 ff.
212
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
abhängigen und damit progressiv zu verwirklichenden Dimensionen ist aber nach der hier favorisierten Auffassung ohnehin vorzugsweise das Indikatorenmodell zu verwenden. In dessen Rahmen dürfen dann – wie ausgeführt – qualitative neben quantitativen Indikatoren gebraucht werden.
c) Das Werturteilsproblem bei der Anwendung qualitativer Indikatoren Fraglich ist, wie wertend ein Indikator sein darf. Das Problem stellt sich nur bei qualitativen Indikatoren, denn quantitative nehmen stets einen werturteilsneutralen Zahlenwert an.269 Im Extremfall könnte ein qualitativer Indikator lauten: „Meinung eines Sozialforschers zur Wohnsituation in Land X.“270 Man mag einwenden, ein solcher Indikator sei nicht sonderlich reliabel, weil man aufgrund der Individualität des Sozialforschers nicht vorhersehen könne, zu welchem Ergebnis er komme.271 „Reliabilität“ meint das Ausmaß an intersubjektiver und intrasubjektiver Übereinstimmung bei der Anwendung des Indikators. Popper vertritt indes zu derartigen Fällen, dass man letztlich nicht die Individualität des Forschers messe, sondern gewisse bei allen Forschern auftretende Durchschnittswerte, die man lediglich stichprobenartig bestimme.272 Dazu passt, dass die Reliabilität auch bei qualitativen Indikatoren geprüft wird, indem man untersucht, wie viele Bearbeiter unabhängig voneinander zum selben Ergebnis kommen beziehungsweise wie oft derselbe Bearbeiter in zeitlichen Abständen Dasselbe misst. Kommen also verschiedene Sozialforscher zu übereinstimmenden Resultaten betreffend der Wohnsituation und kommt ein– und derselbe Sozialforscher mehrmals zum selben Ergebnis, so verwendet man einen Indikator, der sehr reliabel ist.
269
Zu den Werturteilen bei der Herleitung eines quantitativen Indikators siehe oben S. 161 und S. 96 ff. 270
Vgl. Canadian International Development Agency a.a.O. (Fn. 115), S. 9
271
Vgl. Karl Raimund Popper: Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie, 2. Auflage, 1994, S. 399: „Jeder wissenschaftlich prognostizierbare Vorgang muss grundsätzlich wiederholbar, reproduzierbar sein: Das ist eine Grundforderung, die aus dem Grundsatz der Objektivität der Wissenschaft folgt“ 272
Ibidem, S. 405
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Nicht ausgeschlossen ist auch, dass sich ein derart mit Werturteilen behafteter Indikator als äußerst valide erweist. Denn die Validität misst man empirisch, indem man untersucht, ob Indikatoren vergleichbare Ergebnisse liefern. Erdachtes Beispiel: Weist der Quotient aus der Zahl der Obdachlosen und dem Bruttonationaleinkommen bestimmte Werte auf, ist Experte E regelmäßig mit der Wohnsituation im Land unzufrieden. Damit käme man zu dem Ergebnis, dass die Meinung des Experten E ein außerordentlich valider Indikator für das Recht auf Wohnung ist. Es wäre jedoch erstaunlich, hätten sich die Staaten mit der Ratifikation von der Meinung UN–unabhängiger Experten abhängig machen wollen. Faktisch würde nämlich nicht mehr der ECOSOC oder ein von ihm eingesetzter, paritätisch besetzter Unterausschuss den Zustand der Rechtsverwirklichung prüfen, sondern ein a priori Unbekannter. Juristisch wirkt die stark subjektive Prägung des Indikators zudem ein wenig willkürlich. Ist die Meinung eines unabhängigen Sachverständigen ein Indiz für die Rechtsverwirklichung, besteht nämlich eine gesteigerte Gefahr, dass der Wert dieses Indikators durch andere Kausalfaktoren beeinflusst wird, etwa durch die aktuelle Stimmung des Sachverständigen. Ein Mindestmaß an Objektivität muss indessen vorliegen, schon allein um die Vorhersehbarkeit des Indikators zu wahren.273 Würde man qualitative Indikatoren gleichrangig neben quantitativen verwenden, wäre der Rechtsbeugung Tür und Tor geöffnet. Denn Zahlen kann man nicht „verbiegen“ – insbesondere, wenn man sie in einer ex ante bestimmten Reihenfolge begutachtet – Qualitätsurteile hingegen schon. Man kann daher vertreten, es sei nicht gestattet, die Merkmale qualitativ und subjektiv zu kombinieren. Qualitative Indikatoren dürften zwar in der Berichtsprüfung verwendet werden. Es müsse sich aber stets um objektive Indikatoren handeln und nicht um Meinungen oder Bewertungen. Eine derartige Sichtweise ist aber insofern bedenklich, als ein Qualitätsurteil während der Berichtsprüfung immer abgegeben wird, nämlich beim Verfahrensabschluss in den „Concluding observations“. Dass ein Spruchkörper Wertungen vornimmt, ist ein Faktum, das jedem gerichtlichen oder quasigerichtlichen Verfahren immanent ist. Untypisch ist zwar, dass ein Werturteil Dritter die Entscheidung eines gerichtlichen oder quasigerichtlichen Organs lenkt. Andererseits ist es keineswegs befremdlich, dass das gerichtliche oder quasigerichtliche Organ seiner 273
Zur Vorhersehbarkeit siehe oben S. 123
214
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Entscheidung ein Sachverständigengutachten zugrunde legt.274 Ungewöhnlich ist allenfalls, dass der Sachverständige auf dem Gebiet der Sozialwissenschaften tätig ist. Auch die qualitative Sozialforschung ist aber eine anerkannte Methode. Immerhin ist es letzten Endes der Ausschuss, der entscheidet, und der Sozialforscher ist nur sein Gehilfe. Aus diesen Gründen kann man qualitative Indikatoren, auch wenn sie subjektiv geprägt sind, nicht von vornherein ausschließen. So lange sie sich als valide und reliabel erweisen, müssen sie nach allgemeinen Regeln angewendet werden.275 Dabei müssen qualitative Indikatoren nicht notwenig weniger reliabel oder valide sein als quantitative.276 Denn muss der Ausschuss etwa in quantitativen Verfahren auf Stichproben zurückgreifen,277 ist es durchaus vorstellbar, dass die Befragung eines Soziologen zuverlässigere und genauere Ergebnisse liefert. Im Übrigen wäre es bedenklich, Korrespondenzregeln einfach zu ignorieren. Die Einwände gegen stark werturteilsbehaftete Indikatoren fußen nämlich darauf, dass es sich um eine in hohem Maße indirekte und daher fehleranfällige Messung handelt.278 Dem kann man aber Rechnung tragen, indem man, den Vorgaben des Sozialpakts entsprechend, nur qualitative Indikatoren mit hohen Korrelationskoeffizienten anwendet. Zwar tragen die Staaten die Beweislast, wenn sie die Validität eines qualitativen subjektiven Indikators in Frage stellen.279 Dieser Einwand ist aber letztlich nicht ausschlaggebend. Denn die Staaten sind vor willkürlichen Ergebnissen ausreichend geschützt, da der Ausschuss seine „Concluding observations“ – wie oben ausgeführt – niemals nur auf qualitative Indikatoren stützen darf, sondern stets auch quantitative heranziehen muss. Fazit: Wie wertend ein Indikator sein darf, kann und muss nicht allgemein beantwortet werden. Vielmehr ist jeder Indikator allein entspre-
274
Zu den Funktionen von Sachverständigen in öffentlich–rechtlichen Prozessen, Wolf–Rüdiger Schenke/ Ferdinand Kopp: Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Auflage, 2005 § 98 Rn. 13 f. 275
Vgl. S. 102
276
Gary King et al.: Designing social inquiry, 1994 S. 31: „Qualitative measurement is error–prone, as is quantitative, but the sources of error may differ.“ 277
Vgl. oben S. 197
278
Allgemein zu Messfehlern im Rahmen einer Operationalisierung King et al. a.a.O. (Fn. 276), S. 150 – 168 279
Siehe oben S. 191
Kapitel 4: Struktur und Gebotenheit des Indikatorenmodells
215
chend seiner Validität und seiner Reliabilität anzuwenden, wobei sich diese Kriterien nur probabilistisch belegen lassen.280
X. Zusammenfassung des Kapitels Unter einem Menschenrechtsindikator versteht man Umstände oder Merkmale, die als Anzeichen oder als Hinweise für die Realisierung eines Menschenrechts dienen.281 In ihm müssen sich die menschenrechtliche Prinzipien widerspiegeln. Menschenrechtsindikatoren liefern die Grundlage für eine normative Bewertung der Verwirklichung eines Menschenrechts. Die bekannten sozioökonomischen Indikatoren lassen sich in Rechtsindikatoren umwandeln, indem man das „Rechts– Element“ in sie hineininterpretiert. Menschenrechtsindikatoren lassen sich verschieden klassifizieren. Derartige Einteilungen haben aber keine Auswirkung auf die Reihenfolge, in der die Indikatoren angewendet werden. Die Hierarchie richtet sich nämlich immer nur nach der Validität der Indikatoren. Aus Indikatorwerten allein kann keine Paktverletzung abgeleitet werden. Vielmehr muss stets die Gesamtsituation bewertet werden. Dafür sind nicht nur quantitative, sondern ergänzend auch qualitative Indikatoren heranzuziehen.
280 281
Allgemein zu probabilistischen Aussagen: Opp a.a.O. (Fn. 18), S. 53 – 57
Riedel: Schlussbericht a.a.O. FN S. 14 f.; Malhotra/Fasel: Quantitative Human Rights Indicators, a.a.O. (Fn. 19), S. 3; Green a.a.O. (Fn. 19), S. 1079; zu weiteren Definitionen des Menschenrechtsindikators: Sano a.a.O. (Fn. 121), S. 2 – 4
Kapitel 5: Das IBSA–Verfahren
„Ich rief im stillen mir das Vergangene zurück, um, nach meiner Art, daran das Gegenwärtige zu prüfen und das Künftige daraus zu schließen, oder doch wenigstens zu ahnen.“ Johann Wolfgang von Goethe
I. Das IBSA–Modell im Überblick 1.) Die Ausgangsproblematik Bislang wurde festgestellt, dass die Staaten verpflichtet sind, die Wsk– Rechte progressiv zu verwirklichen. Der Sozialpakt verlangt seinen Mitgliedern je nach Staat und je nach Zeitpunkt unterschiedliche konkrete Pflichten ab. Erforderlich sind also relative Fortschritte.1 Um diese variablen Dimensionen der Paktrechte zu operationalisieren, verwendet man Indikatoren. Hiermit ist aber nur die Messmethode beschrieben. Um festzustellen, ob die Staaten ihre Verpflichtungen erfüllen, muss der Ausschuss indes die Ist–Werte mit den Soll–Werten abgleichen. Welche Soll–Werte erzielt werden müssen, hängt wiederum davon ab, wie viele Ressourcen maximal verfügbar sind. Da diese Ressourcen jedoch nicht vollständig fassbar sind, kann der Ausschuss nicht objektiv ermitteln, ob die Länder die Paktrechte schnellst– und bestmöglich umsetzen. Die Staaten sind zwar verpflichtet, die Indikatorenwerte in der Reihenfolge entsprechend der Indikatorenvalidität zu verbessern. Dafür gibt es aber viele Wege. Der Sozialpakt schreibt nämlich nicht vor, dass diese Indikatoren zum gegenwärtigen Zeitpunkt die bestmöglichen Werte aufweisen müssen. Er überlässt es den Staaten, ob sie die
1
Eibe Riedel: Verhandlungslösungen im Rahmen des Sozialpakts der Vereinten Nationen, 2000, S. 3 f., 5
218
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Indikatorenwerte schneller und dafür kurzfristiger oder langsamer und dafür nachhaltiger verbessern wollen.2 Beispiel: In einem Land herrscht Hungersnot. Die Regierung kann ihre Ressourcen verwenden, um aus dem Ausland Nahrung einzukaufen. Sie kann aber auch die Infrastrukturen verbessern, so dass der Boden bebaut werden kann, und anschließend Saatgut einkaufen. Zwar mag dies eine Zeit dauern, etwa wenn Bewässerungssysteme gebaut werden müssen und in dieser Zeit sterben Menschen an Nahrungsmangel. Dafür besteht die Hoffnung, dass langfristig weniger Menschen an Hunger leiden. Gesetzt den Fall, der Indikator mit der größtmöglichen Validität für das Recht auf Nahrung ist die Zahl der Menschen, die an Hunger leiden, lässt sich dem Sozialpakt nicht entnehmen, wann und wie die Werte dieses Ergebnisindikators genau steigen müssen. Die Staaten haben hier vielmehr einen weiten Ermessensspielraum. Nun besteht aber die Gefahr, dass die Länder versuchen, sich damit herauszureden, dass sie sich mit der Verbesserung eines Indikators mit hoher Validität Zeit ließen, weil sie auf diese Weise die Wsk–Rechte nachhaltiger und umfangreicher und damit besser verwirklichen könnten. Problematisch ist dies, wenn der vom Staat gewählte Weg völlig utopisch ist. Andererseits gibt es viele Wege zur Verwirklichung der Paktrechte. ex ante lässt sich kaum feststellen, ob der vom Staat gewählte Weg zum Ziel führen wird oder ob es sich um eine bloße, völlig aus der Luft gegriffene Schutzbehauptung des Staates handelt. Mit der Beweislast kann man hier nicht argumentieren, denn was die Zukunft bringen wird, können auch die Staaten nicht vorhersehen und damit gegenwärtig nicht beweisen, es sei denn, sie würden über hellseherische Fähigkeiten verfügen.3 Fazit: Wenn das Berichtsprüfungsverfahren effektiv sein soll, muss es eine Methode geben, um die progressive Verwirklichung mit Blick auf die verfügbaren Ressourcen zu überwachen. 2
Vgl. Eibe Riedel: Constitutionalism – Old Concepts, New Worlds, German Contributions to the VIth World Congress of the International Association of Constitutional Law (IACL), 2005, S. 112 3
Vgl. Jennifer Tooze: Aligning States’ economic policies with human rights obligations: The CESCR’s quest for consistency, in: Human Rights Law Review, Volume 2, Number 2, 2002, S. 229 (S. 230). Zur Vorhersage menschenrechtlich relevanter Variablen: David L. Banks: The Analysis of Human Rights Data Over Time, in: HRQ 8 (1986), S. 654 (S. 664 – 667)
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
219
2.) Die Lösung über „Indicators“, Benchmarks, „Scoping“ und „Assessment“ – IBSA Angesichts dieser Problemstellung hat der Ausschuss bereits in seinem ersten „General Comment“ die Staaten dazu aufgefordert, landesspezifische Zielmarken auszuarbeiten. Sie sollen eine Basis liefern, aufgrund derer sowohl der Ausschuss als auch die Länder selbst die Fortschritte bei der Verwirklichung der Wsk–Rechte bewerten können.4 Der ECOSOC hat diese Verfahrensweise von Anfang an unterstützt.5
a) Der Begriff der Benchmarks Die Zielmarken werden als „Benchmarks“ bezeichnet. Die genaue Definition lautet: Benchmarks sind von den Paktstaaten determinierte Beurteilungsmaßstäbe, Ziele oder Sollvorgaben, die die menschenrechtliche Situation im Paktstaat widerspiegeln. Sie werden dazu benutzt, um die progressive Verwirklichung mit Blick auf die verfügbaren Ressourcen zu messen.6 Diese Definition lässt erkennen, dass Benchmarks und Indikatoren nicht dasselbe sind.7 Benchmarks können auf quantitativen oder auf 4
General Comment Nr. 1, enthalten in: UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7, § 6; dazu Martin Scheinin: Expert meeting on human rights indicators – Turku/Åbo, 11–13 March 2005, Background paper No. 3, Use of Indicators by Human Rights Treaty Bodies – Experiences and Potentials, S. 8, abrufbar auf: http://www.abo.fi/instut/imr/research/seminars/indicators/index.htm (abgerufen am 18. Mai 2008) 5
ECOSOC Res. 1988/4 § 14
6
Eibe Riedel: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, abrufbar auf: http://ibsa.uni–mannheim.de/ (abgerufen am 18. Mai 2008), S. 72; ders.: New Bearings to the State Reporting Procedure: Practical Ways to Operationalize Economic, Social and Cultural Rights – the Example of the Right to Health – , in: Sabine von Schorlemer (Hrsg.): Praxishandbuch UNO, 2003, S. 345 (S. 350 und 356); Anna Würth/Frauke Lisa Seidensticker: Indices, Benchmarks und Indikatoren, zur Gestaltung und Auswertung von Menschenrechtsdialogen, 2005, S. 21. Zur abweichenden Benchmark–Definition im Sinne einer minimalen Kernschwelle vgl. die Ausführungen bei Maria Green: What We Talk About When We Talk About Indicators, HRQ 2001, S. 1062 (S. 1080) 7
Würth/Seidensticker a.a.O. (Fn. 6), S. 21 weisen darauf hin, dass beide Begriffe umgangssprachlich fälschlicherweise oft synonym verwendet werden; klarstellend auch Philip Alston in: Summary record of the 1st meeting, UN Doc. E/C.12/1998/SR.1 vom 8. September 1998, § 3
220
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
qualitativen Indikatoren aufbauen.8 Ein Benchmark kann etwa darin liegen, dass der Staat danach strebt, in fünf Jahren die Zahl der Arbeitsunfälle von 800.000 auf 600.000 pro Jahr zu senken. Ebenso kann der Staat aber anvisieren, ein Gesetz zu erarbeiten, dass Arbeitgeber zu verstärkten Sicherungsvorkehrungen verpflichtet. Ersterer Fall wäre mit einem quantitativen, letzterer mit einem qualitativen Indikator messbar.
b) Der Ablauf der IBSA–Prozedur Eibe Riedel empfiehlt ein vierstufiges Vorgehen, um das Benchmarking–Modell praktikabel zu machen.9 In einem ersten Schritt werden Indikatoren konzipiert. Das kann unabhängig vom Berichtsverfahren in Expertenarbeitsgruppen oder durch UN–Sonderorganisationen geschehen.10 Als Zweites stellen die Länder nationale Benchmarks auf, die es bis zum nächsten Berichtstermin zu erreichen gilt. Drittens überprüft der Ausschuss, ob sie nicht zu niedrig sind. Der Fachbegriff lautet hier „scoping“.11 Als Viertes kontrolliert er dann im nächsten Berichtstermin, ob das Land diese Zielmarke erreicht hat oder nicht. Man spricht hier von „assessment“.
8
Alston a.a.O. (Fn. 7), § 3; Kristina Klee: Die progressive Verwirklichung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte, 2000, S. 163 9
Eibe Riedel: Measuring Human Rights Compliance – The IBSA Procedure as a Tool of Monitoring, in: Andreas Auer et. al (Hrsg.): Etudes en l’honneur du Professeur Giorgio Malinverni, 2007, S. 251 (S. 262 – 269); ders.: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, a.a.O. (Fn. 6), S. 71 – 85; ders.: New Bearings to the State Reporting Procedure, a.a.O. (Fn. 6), S. 349; so auch Green a.a.O. (Fn. 6), S. 1081; Klee a.a.O. (Fn. 8), S. 163 10 Riedel: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, a.a.O. (Fn. 6), S. 77: „This task cannot be coupled with an existing procedural step.” Im Ergebnis ähnlich: Audrey R. Chapman: A “Violations Approach” for Monitoring the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: HRQ 18 (1996) S. 23 (S. 65). Siehe für das Recht auf Nahrung Guideline 17 (Monitoring, indicators and benchmarks) der „Voluntary Guidelines to support the progressive realization ot the right to adequate food in the context of national food security”, aufgestellt in der 127. Sitzung des FAO Rats, November 2004 11 Zum Begriff des „Scopings“ im Baurecht siehe BVerwG Urteil vom 9. 11. 2006 – AZ: 4 A 2001. 06, insbesondere Rn. 26
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
221
Diese vier Schritte geben dem Verfahren seinen Namen: I – für Indikatoren, B – für Benchmarks, S – für „scoping“, A – für „assessment“, kurz IBSA. Wenn an anderer Stelle von einem dreistufigen Vorgehen gesprochen wird, beinhaltet dies sachlich nichts anderes. Es wird lediglich die Setzung der Benchmarks und das „Scoping“ zu einem Punkt zusammengefasst.12 Zeitlich könnte die IBSA–Prozedur folgendermaßen ablaufen:13 Pro Staatenbericht stehen nach wie vor neun Stunden zur Verfügung. Davon werden eineinhalb Stunden für eine Nachuntersuchung der letzten „Concluding observations“ verwendet. Viereinhalb Stunden könnten den Fragen mit der höchsten Priorität gewidmet werden. Zwei Stunden bleiben für die verbleibenden Probleme reserviert. Die letzte Stunde wäre aufgespart, damit die Ausschussmitglieder in geschlossener Sitzung darüber diskutieren können, wie sie den Dialog mit den Staatenvertretern bewerten. Auf den ersten Blick mag es verwundern, die länderspezifischen Fragen nach ihrer Priorität zu gliedern. Zum einen liegt hierin eine antizipierte Bewertung des Länderberichts, was Staatenvertreter dazu verleiten könnte, die Ausschussmitglieder für „befangen“ zu erklären. Zum anderen werden die Indikatoren dann im mündlichen Verfahren nicht mehr entsprechend ihrer Reihenfolge je nach Validität angewendet. Der Befangenheitseinwand entfällt jedoch, weil es sich bei der Auswahl der Fragestellung lediglich um verfahrensleitende Anordnungen handelt. Eine Entscheidung in der Sache wird damit gerade noch nicht getroffen, denn den Staatenvertretern soll die Möglichkeit gegeben werden, sich zu rechtfertigen. Auch ist es unschädlich, dass der Ausschuss gezielt bestimmte Indikatoren heranzieht, deren Werte er für problematisch hält. Es gibt nämlich die bereits erwähnte „Pre–sessional Working Group“, die die Berichte vorprüft. Sie muss in der Tat die Indikatoren entsprechend ihrer Rangordnung anwenden. Wenn manche Werte dabei keine Probleme aufweisen, wäre es müßig, sie im mündlichen Verfahren erneut zu diskutie12
Paul Hunt: State obligations, indicators, benchmarks and the right to education, Background paper submitted by Paul Hunt, UN Doc. E/C.12/1998/11 § 15; dazu Scheinin: Expert meeting, a.a.O. (Fn. 4), S. 9 f. 13
Riedel: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, a.a.O. (Fn. 6), S. 76, der einen Vorschlag Frankreichs zur Änderung des Verfahrens im Allgemeinen für die IBSA–Prozedur nutzbar macht
222
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
ren.14 Die Arbeitsgruppe wurde vom Ausschuss als Unterorgan eingesetzt und ihre Zuständigkeit vom ECOSOC bestätigt.15 Letztlich wird aber die Praxis zeigen müssen, inwieweit diese zeitliche Ordnung zweckmäßig ist. Riedel empfiehlt, die Aufteilung zunächst in einer Pilotphase zu testen, bevor man sie als festen Prozessbestandteil übernimmt.16
c) Der Zweck der IBSA–Prozedur Benchmarks dienen dazu, die im Sozialpakt abstrakt gefassten Verpflichtungen länderspezifisch zu definieren. Mit dem IBSA–Verfahren wird infolgedessen das „juristische Mauseloch der Relativierungsklausel“ – gemeint ist Artikel 2 Absatz 1 IPwskR – geschlossen.17 Die Paktverpflichtungen gewinnen damit an Kontur und lassen sich juristisch handhaben.18 Für die Staaten bedeutet die IBSA–Methode einen Zugewinn an Transparenz und Rechtssicherheit, denn sie wissen, was der Ausschuss im nächsten Berichtsprüfungstermin von ihnen verlangen wird. Das Verfahren erleichtert ihnen, mit der progressiven Verwirklichung umzugehen und ihren Pflichten aus Artikel 2 Absatz 1 IPwskR nachzukommen. Außerdem wird durch das IBSA–Verfahren sichergestellt, dass der Staat reale Ziele in den Blick nimmt. Er ist dann „gewarnt“ und kann nicht im Nachhinein behaupten, er habe sie nicht gekannt.19 Ihm werden also 14
Daher auch die Praxis des Ausschusses, sich in der mündlichen Sitzung auf die Hauptprobleme bei der Verwirklichung der Menschenrechte zu konzentrieren; dazu Eibe Riedel: Universeller Menschenrechtsschutz – Vom Anspruch zur Durchsetzung, in: ders./Gerhart Baum/Michael Schäfer (Hrsg): Menschenrechtsschutz in der Praxis der Vereinten Nationen, 1998, S. 25 (S. 40) 15
ECOSOC Res. 1988/4 § 10; UN Doc. E/2002/22; E/C.12/2001/17 §§ 11;
29 16
Riedel: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, a.a.O. (Fn. 6), S. 76 17
Eighteenth meeting of chairpersons of the human rights treaty bodies: Report on indicators for monitoring compliance with international human rights instruments, UN Doc. HRI/MC/2006/7 vom 11 Mai 2006, § 12; Carsten Reimann: Ernährungssicherung im Völkerrecht, 2000, S. 308 18 19
Green a.a.O. (Fn. 6), S. 1080 f.
Riedel: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, a.a.O. (Fn. 6), S. 72
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
223
seine Verpflichtungen vor Augen geführt. Dies entspricht dem Gedanken der Spezialprävention, der dem Berichtsprüfungsverfahren immanent ist.20 Für den Ausschuss liegt der Vorteil in einer deutlichen Zeit– und Aufwandsersparnis, die sich jedoch erst im darauffolgenden Berichtsprüfungstermin manifestiert. Er muss nämlich nur noch abgleichen, welche Benchmarks erreicht wurden und im Falle des Verfehlens die Gründe ermitteln. Er muss nicht mehr erfragen, welche Ziele denn der Staat überhaupt zu verfolgen gedachte.21 Zudem wird es den Staaten erschwert, sich hinter vermeintlichen Ermessenserwägungen zu verschanzen, wenn sie diese ex ante offenlegen mussten. Darüber hinaus erhält der Ausschuss einen besseren Einblick in die menschenrechtliche Planung des Staates und kann diesen mit seinem Sachverstand beraten.22 Internationale Menschenrechtsexperten können so mit staatlichen Wirtschaftsexperten konstruktiv zusammenarbeiten. Da es unter Ökonomieexperten durchaus unterschiedliche Ansichten geben kann, welcher Weg dies ist, lässt sich entgegen Dowell–Jones23 das Problem nicht dadurch lösen, dass man den Ausschuss um weitere Wirtschaftsspezialisten ergänzt. Deswegen sollten diejenigen gefragt werden, die auch für die Umsetzung zuständig sind, nämlich die Staatenvertreter. Trotz der positiven Effekte, die das IBSA–Verfahren für die Länder bringt, muss man sich darüber im Klaren sein, dass es auch dazu dient, Vertragsverletzungen zu identifizieren. Daher könnte man kritisieren, es würden sich kaum jemals Staaten hierzu bereit erklären, denn sie würden es dem Ausschuss erleichtern, sie an den Pranger zu stellen. Dem muss man zunächst entgegnen, dass die Gefahr des Anprangerns ohnehin besteht, jedoch nicht aufgrund des IBSA–Modells, sondern
20
Vgl. General Comment Nr. 1, a.a.O. (Fn. 4), § 6
21
Riedel: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, a.a.O. (Fn. 6), S. 77 und 81 22
General Comment Nr. 14 § 57, enthalten in UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.
7 23
Mary Dowell–Jones: The Commitee on Economic, Social and Cultural Rights: Assessing the economic deficit, in: Human Rights Law Review – Vol. 1, Number 1 2001 S. 11 (S. 12 – 16) mit außerordentlich kritischem Bezug auf die Rechtsverwirklichung in Hong–Kong
224
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
durch die Rechtsfolgen der „Concluding observations“;24 das IBSA– Modell bewahrt sie aber vor einer überraschenden Anprangerung. Auch muss man bedenken, dass die Staaten die Benchmarks selbst vorschlagen. Also können sie Einfluss darauf nehmen, welche konkreten Pflichten sie bis zum nächsten Berichtstermin erfüllen müssen. Dies wiederum dient dem Rechtsfrieden, weil sich Staat und Ausschuss im konstruktiven Dialog einigen können, was der Staat in der Lage ist, zu leisten. Es wäre zwar sehr gewagt, wollte man die These aufstellen, dass Regierungsmitglieder menschenrechtliche Ziele innerlich bejahen, nur weil sie sie selbst miterarbeitet haben.25 Denn immerhin stellen sie sie auf, weil ihr Land durch den Sozialpakt dazu verpflichtet ist, die Wsk– Rechte zu realisieren.26 Andererseits kann der Ausschuss der Regierung den Nutzen schmackhaft machen, den sie zieht, wenn sie von ihr vorgeschlagene Benchmarks erreicht. Sie kann dies nämlich international wie auch national zu Werbezwecken verwenden. Ihre Reputation steigt. Dies kann sich in Bezug auf eine Wiederwahl und zwischenstaatlich etwa bei Kreditvergaben günstig auswirken. Die Regierung kann dann nämlich behaupten, die Verbesserungen auf dem Gebiet der Menschenrechte seien „Früchte ihrer Arbeit“.27 Sie kann sich damit rühmen, die Ziele freiwillig erreicht zu haben und nicht durch Druckmittel dazu gezwungen worden zu sein.28 Überdies konkretisiert die IBSA–Methode den konstruktiven Dialog zu einem arbeitsfähigen Ansatz. Der Ablauf wird nämlich über die Verfahrensordnung des Ausschusses hinaus strukturiert, und alle Prozessbeteiligten können sich auf die Fragen gezielter vorbereiten.29 24
Dazu S. 72 ff., insbesondere S. 76 ff.
25
Manfred Rehbinder: Rechtssoziologie, 5. Auflage, 2003, S. 155 spricht in solchen Fällen von Internalisierung 26
Damit ist noch nicht gesagt, dass eine Pflicht besteht, Benchmarks aufzustellen. Dazu sogleich S. 228 ff. 27
Vgl. JoonBeom Pae: Sovereignty, Power and Human Rights Treaties: An Economic Analysis, in: Northwestern Journal of International Human Rights, 2006, S. 71 28
Allgemein zu den Gründen von Normbefolgung: Rehbinder a.a.O. (Fn. 25), S. 153 29
Riedel: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, a.a.O. (Fn. 6), S. 77; Klee a.a.O. (Fn. 8), S. 163
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
225
Fazit: Die IBSA–Prozedur birgt für die Staaten zwar ein gewisses Risiko, weil sie es dem Ausschuss erleichtert, eine Paktverletzung aufzudecken, sie bringt ihnen und dem Ausschuss aber auch zahlreiche Vorteile.
d) Die völkerrechtliche Toleranz der IBSA–Methode Da das IBSA–Verfahren vom Sozialpakt nicht zwingend vorgeschrieben wird, könnte es sein, dass es völkerrechtlich verboten ist. Zunächst könnte man einwenden, es dürfe nicht zu einem Handel mit Gerechtigkeit kommen. Es könnte die Gefahr bestehen, dass der Ausschuss beim „Scoping“ zu Rabatten bereit sei, um der Aufklärungslast zu entgehen. Ganz allgemein geht es um das Problem, inwieweit es Prozessbeteiligten gestattet werden darf, über Umstände zu disponieren, die im öffentlichen Interesse liegen. Die IBSA–Methode als solche erlaubt aber keine Disposition. Es ist nämlich der Sozialpakt, der den Staaten ein Ermessen einräumt. In gewissen Grenzen können sie über die Rechtsverwirklichung disponieren. Benchmarks sind lediglich eine Konkretisierung des Ermessens. Gerade umgekehrt gilt: Ohne die IBSA–Methode lässt sich kaum beantworten, welche Ziele und Maßnahmen der Sozialpakt im Einzelfall von den Staaten verlangt.30 Um flexibel zu bleiben, enthält er nämlich keine konkreten Vorgaben.31 Wie bereits oben beschrieben, sind Ressourcen nicht vollständig quantifizierbar. Daher ist es auch unmöglich, objektiv für die Staaten konkrete Ziele zu ermitteln. Man könnte zwar erwägen, dem Ausschuss das Recht zuzugestehen, den Staaten einzelne Ziele aufzuoktroyieren. Das hieße aber die Staaten in ihrem Ermessensspielraum zu beschneiden. Auch bezweckt das „Scoping“ keinen Handel, sondern die Höhe der Benchmarks soll kontrolliert werden. Dass der Ausschuss sich dabei zu paktwidrigen Rabatten bereit erklärt, ist äußerst unwahrscheinlich, denn er besteht aus 18 unabhängigen Menschenrechtsexperten, die grundsätzlich nach dem Konsensprinzip entscheiden. Zudem wird die Aufklärungsarbeit hauptsächlich von den Staaten, NGOs und den UN– Sonderorganisationen vorgenommen. 30
Schwintowski a.a.O. (Fn. 16), S. 35 schreibt zum Indeterminismus im Recht: „Ähnlich wie in der Quantenphysik gilt, dass die unvermeidbare Unbestimmtheit des Anfangszustandes auch die exakte Vorausberechnung künftiger Bewegung des Teilchens unmöglich macht.“ 31
UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1990/19 § 63; Green a.a.O. (Fn. 6), S. 1070
226
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Des Weiteren schließt der der IBSA–Prozedur immanente Gedanke des Rechtsfriedens Verständigungsprozesse nicht aus, sondern umgekehrt, gerade ein. Endlich erlaubt die IBSA–Methode eine besonders objektive Kontrolle, weil die Öffentlichkeit besser nachvollziehen kann, wie der Ausschuss im „assessment“ seinem Ergebnis gekommen ist. Fazit: Die genannten Bedenken lassen sich entkräften. Die IBSA– Methode ist völkerrechtlich erlaubt.
e) Zwischenergebnis Das IBSA–Verfahren ist eine geeignete und statthafte Methode, um die Grundsätze der progressiven Verwirklichung und der Ressourcenverfügbarkeit handhabbar zu machen. Es besteht aus den vier Schritten: der Identifizierung von Indikatoren, dem gemeinsame Erarbeiten geeigneter Indikatorwerte, der Einschätzung dieser Werte durch das „Scoping“ und der nachträglichen, vergleichenden Bewertung im nächsten Berichtstermin („assessment“). Sowohl für den Ausschuss als auch für die Staaten bietet das IBSA–Modell zahlreiche Vorteile.
II. Die Aufstellung der Benchmarks durch die Staaten Trotz der Einträglichkeiten, die die IBSA–Methode bietet, kann es Staaten geben, die es unterlassen, Benchmarks abzufassen. In der Praxis ist das bislang sogar der Regelfall. Wäre das Benchmarkingverfahren zwingend, läge eine Paktverletzung vor, wenn die Staaten keine Benchmarks aufstellen. Unabhängig davon ist zu prüfen, welchen Spielraum die Staaten bei der Abfassung der Benchmarks haben beziehungsweise wo dessen Grenzen liegen. Diese beiden Probleme wurden in der Literatur bisher noch kaum erörtert.
1.) Benchmarks: freiwillig, keine Pflicht Betrachtet man die formellen Vertragspflichten, so findet man lediglich das Gebot, Berichte abzuliefern. Der Teil IV des Sozialpakts sieht weder vor, dass die Länder an einem konstruktiven Dialog teilnehmen müssen, noch sagt er ausdrücklich, dass sie dem Ausschuss zukunftsgerichtete Benchmarks vorschlagen müssen. Daher bleibt zu prüfen, ob man eine Pflicht der Staaten, Zielmarken aufzustellen, indirekt aus dem Sozialpakt oder aus sonstigem Völkerrecht herleiten kann.
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
227
a) Der Wortlaut der Artikel 16 und 17 IPwskR Die englische, authentische Fassung des Artikels 16 Absatz 1 IPwskR lautet: „The States Parties to the present Covenant undertake to submit in conformity with this part of the Covenant reports on the measures which they have adopted and the progress made in achieving the observance of the rights recognized herein.” Zunächst impliziert der Begriff „reports“, dass über eine vergangene oder allenfalls über eine gegenwärtige Situation berichtet wird. Noch deutlicher wird dies, wenn man sich überlegt, in welchem Zeitmodus dieser Satz geschrieben ist. „Have adopted“ und „made“ sind Vergangenheitsformen. Aus dem Wortlaut des Artikels 16 IPwskR lässt sich also keine Pflicht zur Aufstellung von Benchmarks deduzieren. Auch aus dem Wortlaut des Artikels 17 Absatz 2 IPwskR ergibt sich nichts anderes: In der englischen Fassung heißt es: „Reports may indicate factors and difficulties affecting the degree of fulfilment of obligations under the present Covenant.” Dabei bezieht sich Artikel 17 Absatz 2 IPwskR auf die in Artikel 16 Absatz 2 IPwskR legaldefinierten Berichte. Diese können sich nicht auf die Zukunft beziehen, weil sie objektiv beschreiben sollen. Hätten die Verfasser eine Zukunftsprognose einschließen wollen, hätten sie sich anders ausdrücken müssen. Fazit: Aus dem Wortlaut der formellen Vorschriften des Sozialpakts lässt sich keine Verfahrenspflicht ableiten, Benchmarks aufzustellen.
b) Dynamische, authentische Auslegung Für die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrags sind in erster Linie die Parteien zuständig.32 Hierbei ist gemäß Artikel 31 Absatz 3 b) WVK (analog) jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags zu berücksichtigen, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht.33 Da die Staaten mehrheitlich keine
32
Alfred Rest: Interpretation von Rechtsbegriffen in internationalen Verträgen, 1971, S. 60; Karl Doehring: Völkerrecht, 2. Auflage, 2004, S. 170 33
Die authentische, englische Fassung lautet: „There shall be taken into account, together with the context: […] any subsequent practice in the application
228
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Benchmarks aufstellen,34 könnte man auf die Idee kommen, sie hielten diese Methode für freiwillig. Dies wäre jedoch eine Unterstellung.35 Es kann vielmehr unterschiedliche Gründe dafür geben, warum Mitgliedsländer noch keine Benchmarks aufstellen. Vielleicht handelt es sich um Unwissenheit oder mangelnde Erfahrung. Immerhin gibt es den Ausschuss erst seit 1986, und die Ausarbeitung der Paktinhalte und des Berichtsprüfungsverfahrens ist noch im Fluss. In anderen Fällen versucht ein Staat eventuell auch, die Paktüberwachung zu erschweren, indem er gezielt keine Benchmarks liefert. Allein aus der Tatsache, dass viele Paktmitglieder keine Benchmarks entwerfen, lässt sich also nicht ableiten, dass sie gerade das IBSA–Verfahren als Überwachungsmethode ablehnen. Fazit: Die Vertragspraxis lässt die Frage offen, ob eine Benchmarkingpflicht besteht. Keinesfalls lässt sich aus ihr ableiten, dass die Staaten eine derartige Verpflichtung anerkennen. Es lässt sich aber auch nicht eindeutig das Gegenteil feststellen.
c) Artikel 2 Absatz 1 IPwskR Eine der grundlegenden materiellen Normen – Artikel 2 Absatz 1 IPwskR – spricht davon, dass die Staaten die Wsk–Rechte mit „allen geeigneten Maßnahmen“ umsetzen müssen.36 Klärungsbedürftig ist, ob zu diesen geeigneten Maßnahmen auch gehört, dass der Staat plant, bestimmte Ziele in einer bestimmten Zeit zu erreichen.
of the treaty which establishes the agreement of the parties regarding its interpretation”. Vgl. bereits oben S. 114 ff. 34 Siehe für eine Ausnahme beim Recht auf Wasser das Ausschuss– Dokument: Summary record of the first part of the 12th meeting (Neuseeland), UN Doc. E/C.12/2003/SR.12 § 23. Dazu die entsprechenden „List of Issues“, UN Doc. E/C.12/Q/NZE/1 §§ 18 und 20, der vorangegangene Staatenbericht in UN Doc. E/1990/6/Add.33 §§ 417 f. und die Stellungnahme des Ausschussmitglieds Eibe Riedel in: Summary record of the 11th meeting, UN Doc. E/C.12/2003/SR.11 § 59 35
Zur authentischen Auslegung: Wolfram Karl: Vertrag und spätere Praxis im Völkerrecht, Zum Einfluss der Praxis auf Inhalt und Bestand völkerrechtlicher Verträge, 1983, S. 206 – 210 36
Die englische Fassung spricht von: „by all appropriate means“
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
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Andeutungsweise kommt dies im englischen Wortlaut zum Ausdruck: „undertakes to take steps“.37 Der Begriff „step“ also Schritt bezeichnet nämlich eine elementare Phase einer sequentiellen Tätigkeit, die klar von den anderen abgetrennt und unterschieden werden kann. Er taucht nicht nur in der Rechtswissenschaft, sondern auch in der Musik oder in der Alltagssprache auf, wo er sich auf Tonfolgen respektive das Gehen bezieht. Allen diesen Fällen ist gemeinsam, dass ein konkretes Ziel zumindest unterbewusst anvisiert wird, bevor der Schritt vollzogen wird. Schritte erfolgen also nicht nur in eine bestimmte Richtung, sondern steuern auch einen bestimmten Punkt an. Man könnte daran denken, dass im Sozialpakt diese Punkte von den Staaten durch Benchmarks festgelegt werden. Aus dem Wortlaut „undertakes to take steps“ lassen sich also gewisse Hinweise dafür gewinnen, dass die Staaten konkrete Ziele anvisieren müssen.38 Allerdings beinhaltet der Begriff „step“ beziehungsweise Schritt kein zeitliches Element: Ein Schritt kann langsam oder schnell erfolgen, es bleibt derselbe Schritt. Aus der Formulierung „undertakes to take steps“ allein lässt sich also nicht ableiten, dass die Staaten ihre Schritte gerade mit Blick auf das fünfjährige Berichtsintervall planen müssen. Insbesondere lässt sich nicht zwingend begründen, dass die Staaten darauf zielen müssen, mit ihrem Schritt einen bestimmten „Outcome“– Indikator zu verbessern. Die Staaten können nämlich Maßnahmen durchführen, die in Richtung der vollen Rechtsverwirklichung zielen, ohne vorab einen konkreten „Outcome“–Wert anzustreben. Beispiel: Ein Staat beschließt, mehr Hebammen einzustellen. Diese Maßnahme zielt zwar darauf, das Recht auf Gesundheit zu verwirklichen. Der Staat kann sie aber durchführen, ohne ex ante erörtert zu haben, inwieweit sich hierdurch die Zahl der Totgeburten voraussichtlich verringert. Dennoch lässt sich von einem „Schritt“ beziehungsweise „step“ sprechen: Das Ziel des Schrittes ist dann die neue Zahl der Hebammen.
37
Weniger deutlich der verbindliche, französische Wortlaut: „s’engage à
agir“ 38 Der Ausschuss leitet dies aus der Existenz des Berichtsverfahrens ab: General Comment Nr. 1, a.a.O. (Fn. 4), § 4. Eine Zielsetzungspflicht aus Art. 2 Abs. 1 IPwskR wird auch von Katarina Tomaševski angedeutet: Human Rights Indicators: The Right to Food as a Test Case, in: Philip Alston/ dies. (Hrsg.): The Right to Food, 1984, S. 135 (S. 153)
230
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Zwischenfazit: Aus dem Wortlaut des Artikels 2 Absatz 1 IPwskR lässt sich eine umfassende Benchmarkingpflicht nicht ableiten. Damit verlagert sich die Untersuchung auf die Frage, ob sich mit anderen Auslegungsmethoden eine universelle Benchmarkingpflicht begründen lässt. Ließe sich nachweisen, dass die Wsk–Rechte besser umgesetzt werden, wenn die Staaten bestimmte Ergebniszielmarken anstreben, wären sie nach der Intention des Sozialpakts zu solchen Planungen verpflichtet. Dafür könnte sprechen, dass in der Politik oftmals numerische Ergebnisse in einem bestimmten Zeitraum angezielt werden, beispielsweise die Ozonkonzentration bei Klimaschutzmaßnahmen. Es ist jedoch keine Untersuchung bekannt, in der sich auch nur andeutet, dass Menschenrechte besser verwirklicht werden, wenn konkrete „Outcome“– Ziele geplant werden. Eine derartige Berufung auf den „effet utile“ wäre also reine Spekulation.39 Fazit: Aus Artikel 2 Absatz 1 IPwskR lässt sich nicht begründen, dass die Länder an das Prüfungsverfahren angepasste Benchmarks aufstellen müssen. Isoliert durch die Brille des Artikels 2 Absatz 1 IPwskR betrachtet, liegt die Frage vielmehr im staatlichen Ermessen.
d) Die Benchmarkingmethode in den „General Comments“ aa) Die Auffassungen des Ausschusses zur Benchmarkingmethode In mehreren „General Comments“ hat der Ausschuss die Regierungen dazu aufgefordert, Benchmarks aufzustellen.40 So bezeichnet er bereits in „General Comment Nr. 1“ Benchmarks als extrem wertvoll, um die Menschenrechtsverwirklichung zu überwachen.41 In „General Comment Nr. 10“ sieht er die Aufgabe nationaler Menschenrechtsinstitutionen unter anderem darin, Benchmarks aufzustellen.42 Im „General Comment“ zum Recht auf angemessene Nahrung erachtet er Benchmarks im Zusammenhang mit dem staatlichen 39
Zum Effektivitätsprinzip im Völkerrecht: Albert Bleckmann: Völkerrecht, 2001, S. 83 f.; Heintschel von Heinegg in: Knut Ipsen: Völkerrecht, 5. Auflage, 2004, S. 144 40
Zu derartigen Aufforderungen in den „Concluding observations“: Scheinin: Expert meeting, a.a.O. (Fn. 4), S. 16 – 20 41 42
§ 6, enthalten in UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7 § 3 (d), enthalten in UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
231
Ermessen für notwendig, um das Recht umzusetzen.43 Er hat dort sogar einen ganzen Abschnitt dem Benchmarkingverfahren und der Rahmengesetzgebung gewidmet.44 Wiederum betont er, dass die Benchmarks der nationalen wie der internationalen Paktüberwachung dienen.45 Ähnlich lautet seine Formulierung im „General Comment“ zum Recht auf Bildung.46 Im „General Comment“ über das Recht auf Gesundheit betont der Ausschuss zum ersten Mal sogar im Rahmen der Kernverpflichtungen, dass die Länder Benchmarks aufstellen „sollen“, damit der Fortschritt genau überwacht werden kann.47 Im Abschnitt, in dem er dann Verletzungen der „Fulfil“–Ebene beschreibt, nennt er als Beispiel das Unterlassen, Benchmarks aufzustellen. Anzumerken ist allerdings, dass er dort Benchmarks nur als eine der möglichen Überwachungsmethoden ansieht.48 Des Weiteren weist der Ausschuss abermals auf den Zusammenhang zwischen Ermessensspielraum und Benchmarks hin. Während in den früheren „General Comments“ nur von einer Soll–Verpflichtung die Rede war, heißt es nunmehr „This requires [...] the formulation of [...] indicators and benchmarks“.49 Zum ersten Mal wird Indikatoren und Benchmarks ein eigener Abschnitt gewidmet.50 Dort heißt es allerdings wieder: „National health strategies should identify appropriate right to health indicators and benchmarks.“51 Doch der folgende Absatz geht noch darüber hinaus. Dieser lautet: „Having identified appropriate right to health indicators, States parties are invited to set appropriate national benchmarks in relation to each indicator. During the periodic reporting procedure, the Committee will engage in a process of scoping with the State party. Scop43 44 45 46
General Comment Nr. 12 § 21, enthalten in UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7 Vgl. die Überschrift ibidem vor § 29 Ibidem § 29 General Comment Nr. 13 § 52, enthalten in UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7
47
General Comment Nr. 14 § 43 (f) , enthalten in UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7; dazu Scheinin: Expert meeting, a.a.O. (Fn. 4), S. 10 f. 48
Ibidem § 52
49
Ibidem § 53; zu den immer drastischer werdenden Formulierungen: Klee a.a.O. (Fn. 8), S. 164 50 51
Vgl. die Überschrift ibidem vor § 57 Ibidem § 57 [Hervorhebung vom Verfasser]
232
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
ing involves the joint consideration by the State party and the Committee of the indicators and national benchmarks, which will then provide the targets to be achieved during the next reporting period. In the following five years, the State party will use these national benchmarks to help monitor its implementation of article 12. Thereafter, in the subsequent reporting process, the State party and the Committee will consider whether or not the benchmarks have been achieved, and the reasons for any difficulties that may have been encountered.“52 Erstmals wird also das komplette IBSA–Verfahren beschrieben. Allerdings bleibt unklar, ob der Ausschuss „invited“ mehr im Sinne einer Aufforderung oder mehr im Sinne einer unverbindlichen Einladung verstanden haben will. Zwar spricht er im Fortgang davon, dass die Staaten bei Abfassung ihrer Benchmarks auf die Dienste der WHO zurückgreifen sollen.53 Dies kann man aber auch dahingehend interpretieren, dass, unabhängig von einer etwaigen Pflicht, Benchmarks aufzustellen, die Inanspruchnahme der Dienste der WHO freiwillig ist. Im „General Comment“ über das Recht auf Wasser wiederholt der Ausschuss seine Vorstellung von einer Soll–Vorgabe im Rahmen der Kernverpflichtungen.54 Ebenso bekräftigt er die Verpflichtung, den Zustand der Rechtsverwirklichung zu überwachen, wobei er Benchmarks nur als eine der geeigneten Methoden ansieht („for example“).55 Im weiteren Verlauf wird er dann aber strenger und führt aus: „The duty to take steps clearly imposes on States parties an obligation to adopt a national strategy or plan of action to realize the right to water. The strategy must: [...] formulate adequate policies and corresponding benchmarks and indicators.“56 Dabei ist darauf hinzuweisen, dass er seinen nächsten Satz durchaus weicher formuliert: „The strategy should also [...].“57 Im Fortgang widmet der Ausschuss wiederum Indikatoren und Benchmarks einen eigenen Abschnitt. Er wiederholt sich dabei im Wortlaut: 52 53
Ibidem § 58 [Hervorhebung vom Verfasser] Ibidem § 63
54
General Comment HRI/GEN/1/Rev.7 55 56 57
Nr. 15
§
37
(f), enthalten
Ibidem § 44 (c) Ibidem § 47 [Hervorhebung vom Verfasser] Ibidem [Hervorhebung vom Verfasser]
in
UN
Doc.
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
233
„States parties are invited to set appropriate national benchmarks in relation to each indicator“.58 Dabei nimmt er in einer Fußnote Bezug auf das von Riedel vorgestellte IBSA–Modell und beschreibt die Methode erneut.59 Im nächsten „General Comment“, dem zur Gleichberechtigung von Mann und Frau, fasst er sich kürzer. Er geht wiederum von einer Sollverpflichtung aus und sieht den Zweck der Benchmarks in einer effektiven Paktüberwachung.60 In seinem „General Comment“ zu Artikel 15 Absatz 1 (c) spricht er wieder von „States parties are invited to set appropriate national benchmarks in relation to each indicator“. Auch die IBSA–Methode wird erneut beschrieben, wenn auch nicht mehr ganz so ausführlich.61 Im „General Comment“ über das Recht auf Arbeit hält er sich schließlich etwas bedeckter, was die Kernverpflichtungen angeht. Er geht nur von einer Soll–Verpflichtung aus.62 Er betont noch einmal, dass zur „Fulfil“–Verpflichtung gehört, den Zustand der Rechtsverwirklichung zu überwachen, und nennt Benchmarks als eine der geeigneten Möglichkeiten.63 Bei der Verpflichtung, Indikatoren zu definieren, äußert er sich zum ersten Mal drastisch: „must“.64 Im Gegensatz dazu bleibt er beim Benchmarkingverfahren wieder verhaltener und bedient sich seiner üblichen Formulierung: „States parties are invited to set appropriate national benchmarks“. Die IBSA–Methode wird indes wieder ein wenig ausführlicher beschrieben.65
bb) Bewertung Die Formulierungen sind unterschiedlich. Dies könnte daran liegen, dass der Ausschuss, vor allem im Bereich der Kernverpflichtungen je nach Paktrecht verschiedene Maßstäbe anlegen will. Dies ist aber unwahrscheinlich, zumal er stets davon ausgeht, dass Benchmarks dazu 58 59 60 61 62 63 64 65
Ibidem § 54 [Hervorhebung vom Verfasser] Ibidem Fn. 28 General Comment Nr. 16, UN Doc. E/C.12/2005/4 § 39 General Comment Nr. 17, UN Doc. E/C.12/GC/17 § 50 General Comment Nr. 18, UN Doc. E/C.12/GC/17 § 31 (c) Ibidem § 36 Ibidem § 46 Ibidem § 47
234
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
dienen, die Paktverwirklichung zu überwachen – und warum sollte ein Recht stärker überwacht werden als ein anderes? Zu bedenken ist vielmehr, dass die „General Comments“ zumindest zum Teil von unterschiedlichen Ausschussmitgliedern verfasst und angenommen wurden. Dies könnte eine Erklärung für den unterschiedlichen Wortlaut im Bereich der Kernverpflichtungen sein. Auffällig ist indes, dass sich gegenüber der Anfangsphase in allen jüngeren „General Comments“ ein schärferer Wortlaut durchgesetzt hat. Das mag daran liegen, dass das Benchmarkingmodell an Kontur gewonnen hat. Die mehrfach verwendete Formulierung „are invited to“ lässt sich in verschiedene Richtungen deuten. Die Systematik spricht aber eher dafür, dass der Ausschuss nicht von einer verbindlichen Rechtspflicht ausgeht, sonst hätte er nämlich durchgehend und nicht nur an einzelnen Stellen von „must“ gesprochen. Der Ausschuss geht somit wohl von einer Soll–Verpflichtung aus, er rät den Staaten, Benchmarks aufzustellen. Wichtiger als diese Differenzierung ist aber die Tatsache, dass sich sämtlichen Ausführungen mehr oder weniger deutlich entnehmen lässt, dass der Ausschuss die IBSA–Methode verwenden möchte. Dazu ist er darauf angewiesen, dass Staaten Benchmarks aufstellen. Fazit: Der Ausschuss geht nicht von einer Benchmarkingpflicht aus. Er zeigt sich aber interessiert daran, dass Staaten Benchmarks aufstellen.
cc) Die rechtliche Bedeutung der „General Comments“ Zwar ist der Ausschuss nicht dazu befugt, den Sozialpakt verbindlich auszulegen; hierzu sind entsprechend Artikel 31 Absatz 3 WVK nur die Mitgliedsstaaten berechtigt.66 Allerdings ist er das zur Prüfung der Staa66
Eibe Riedel: Verhandlungslösungen im Rahmen des Sozialpakts der Vereinten Nationen, 2000, S. 3; ders.: Universeller Menschenrechtsschutz – vom Anspruch zur Durchsetzung, a.a.O. (Fn. 14), S. 40; ders./Sven Söllner: Studiengebühren im Lichte des UN–Sozialpakts, JZ 61 (2006), S. 270; Andras Sajó: Socioeconomic rights and the international economic order, in: New York University Journal of International Law and Politics 2002–2003, S. 221 (S. 225); Hans Morten Haugen: General Comment No. 17 on „Authors’ Rights“, in: The Journal of World Intellectual Property 2007, Vol. 10, S. 53 (S. 55); zum Streitstand Eibe Riedel: Allgemeine Bemerkungen zu Bestimmungen des Internationalen Paktes über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte der Vereinten Nationen, in: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.): Die „Ge-
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
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tenberichte zuständige Organ.67 Hätten die Mitgliedsstaaten das Recht, nach freiem Belieben darüber zu befinden, ob sie Beschlüsse des Ausschusses anerkennen oder für paktwidrig halten, könnte dies die gesamte Organisation zerstören.68 Deshalb sind die Paktmitglieder nach dem Prinzip der Vertragstreue (Artikel 26 WVK analog) gehalten, seine Meinung mitzuberücksichtigen.69 Fazit: Die genannten Äußerungen in den „General Comments“ haben durchaus eine gewisse rechtliche Relevanz. Die Wünsche des Ausschusses, die Berichte mit der IBSA–Methode zu prüfen, können daher von den Staaten nicht völlig ignoriert werden. Allein aus den Stellungnahmen des Ausschusses folgt zwar keine Pflicht, Benchmarks aufzustellen. Die Staaten müssen aber nach Treu und Glauben gute Gründe haben, wenn sie keine Benchmarks aufstellen.
neral Comments“ zu den VN–Menschenrechtsverträgen – Deutsche Übersetzung und Kurzeinführungen, 2005, S. 164; Matthew Craven: The domestic application of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: NILR 1993 S. 367 (S. 383); Thilo Marauhn: Individualbeschwerdeverfahren für völkerrechtlich gewährleistete wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte?, in: Manfred Aschke et. al: Festschrift für Friedrich von Zezschwitz, 2005, S. 243 (S. 247) 67 Das Mandat zum Erlass der „General Comments“ findet sich in ECOSOC Res. 1987/5 vom 26. Mai 1987, UN Doc. E/RES/1987/5 § 9 68
Vgl. dazu das Referat von Rudolf Bernhardt in: ders. / Herbert Miehsler (Hrsg.): Qualifikation und Anwendungsbereich des internen Rechts internationaler Organisationen, 1973, S. 13 (S. 34); Felix Ermacora: Das Problem der Rechtsetzung durch internationale Organisationen, in: Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht (Hrsg): Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 10, 1971, S. 83 69
Riedel: Universeller Menschenrechtsschutz – vom Anspruch zur Durchsetzung, a.a.O. (Fn. 14), S. 40; vgl. auch Haugen: General Comment No. 17, a.a.O. (Fn. 66), S. 55. Zum Streitstand über die Rechtsnatur vgl. auch Julia Marquier: Soft law: Das Beispiel des OSZE–Prozesses – Ein Beitrag zur völkerrechtlichen Rechtsquellenlehre, 2004, S. 48 und 120; Sajó a.a.O. (Fn. 66), S. 226. Fons Coomans: Progressive Development of International Human Rights Law, in Michael Windfuhr: (Hrsg.): Beyond the Nation State, 2005, S. 33 (S. 47) ordnet die „General Comments“ als „soft law“ ein. Vertretbar wäre auch, sie als Völkerrechtsquelle im Rang zwischen Art. 38 a) und d) IGH–Statut einzuordnen, da es sich um die Aussagen eines mit mehreren Völkerrechtsexperten besetzten, neutralen, internationalen Organs handelt, so das ehemalige Ausschussmitglied Giorgio Malinverni in einem Vortrag im Palais Wilson in Genf am 14. November 2006
236
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
e) Die wirtschaftliche Neutralität des Sozialpakts Gegen eine Benchmarkingpflicht könnten die Staaten einwenden, der Sozialpakt sei wirtschaftspolitisch neutral.70 Faktisch bedeute aber eine Benchmarkingpflicht einen Zwang zur Planwirtschaft.71 Dagegen spricht aber, dass keine Politik ohne Planung auskommt. Jeder Staat versucht heutzutage, auf Basis sozialwissenschaftlicher Methoden Vorhersagen zu treffen.72 Auch sind die Staaten nach dem Wortlaut „steps“ – wie erörtert – dazu verpflichtet, ihr künftiges Vorgehen zu organisieren. Vor allem aber wäre die Behauptung, eine Benchmarkingpflicht käme einem Zwang zur Planwirtschaft gleich, übertrieben. Planwirtschaft bezeichnet nämlich ein komplexes Wirtschaftssystem. In allen, auch in menschenrechtlich kaum relevanten Bereichen, wird vorab ein Bedarf ermittelt. Im konstruktiven Dialog besteht hingegen gar nicht die Zeit, derart umfassend zu planen. Es geht um einige, wenige Benchmarks. Außerdem würde es dem Sozialpakt eklatant widersprechen, könnten die Staaten jede Menschenrechtsverletzung mit ihrer wirtschaftlichen Freiheit rechtfertigen. Insbesondere könnten sie Artikel 7 (a) (i) IPwskR unterlaufen, der angemessenen Lohn sichern will. Hier sind nämlich unter Umständen Eingriffe in die Wettbewerbsfreiheit – ein ökonomisches Prinzip in vielen Staaten – notwendig. Das zeigt, dass der Sozialpakt bestimmte Einschränkungen in der Wahl des Wirtschaftssystems inzident vorsieht. Er räumt dann dem Menschenrechtsschutz den höheren Rang ein. Wenn der Sozialpakt für derartige Einzelfälle Vorgaben enthält, wird nicht das Wirtschaftssystem als Ganzes in Frage gestellt.73 Trotzdem sind die Staaten in der Verwendung ihrer Ressourcen in gewissem Umfang gebunden, wenn sie Benchmarks aufgestellt haben. Es wird zu prüfen sein, ob sich allein aus der Tatsache, dass die Staaten
70
Dazu oben S. 23
71
Vgl. Klee a.a.O. (Fn. 8), S. 228, die dieses Argument allerdings in einem anderen, noch zu erörternden, Zusammenhang anspricht 72
Dazu Abbott L. Ferris: The Uses of Social Indicators, in: Social Forces Volume 66:3, 1988, S. 601 (S. 605 – 609) 73
Eibe Riedel: Universality of Human Rights and Cultural Pluralism, in: Christian Koenig/ Alexander Lorz (Hrsg.): Die Universalität der Menschenrechte, 2003, S. 139 (S. 155)
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
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über den Zustand der Rechtsverwirklichung berichten sollen, eine solche materielle Bindung ableiten lässt. Fazit: Die Staaten haben gewisse wirtschaftliche Einschränkungen hinzunehmen. Eine Pflicht, Benchmarks aufzustellen, wäre zwar nicht gleichbedeutend mit einer Pflicht zur Planwirtschaft. Allerdings würde sie den Staaten tatsächlich auferlegen, sich für eine gewisse Zeit im Voraus festzulegen.
f) Die Teilnahme am mündlichen Verfahren Die Staaten könnten behaupten, durch eine Benchmarkingpflicht wären sie faktisch gezwungen, am mündlichen Verfahren teilzunehmen. Denn würden sie ihre Benchmarks nur im schriftlichen Bericht einführen, liefen sie Gefahr, dass der Ausschuss diese für zu niedrig hält. Die IBSA–Methode ist nämlich auf Verhandlungen angelegt, deren Ergebnis Benchmarks sein sollen. Dem ist zu entgegnen, dass die Berichte zunächst von der „Pre– Sessional Working Group“ vorgeprüft werden. Diese übersendet dem Staat eine „list of issues“, zu der er Stellung beziehen kann.74 In dieser Liste können Ausschussmitglieder bereits andeuten, dass sie die Benchmarks für zu niedrig halten. Der Staat hat also bereits im Vorfeld die Möglichkeit, denkbare Einwände auszuräumen oder die Benchmarks zu erhöhen.75 Außerdem droht dem Staat schlimmstenfalls eine Rüge durch den Ausschuss. Repressalien durch dritte Staaten sind nicht zu erwarten, nur weil Benchmarks zu niedrig angegeben wurden oder weil eine Regierung nicht am mündlichen Verfahren teilnimmt.76 Des Weiteren besteht eine gewisse Unsicherheit in jedem gerichtlichen oder quasigerichtlichen Verfahren.77 Zugegeben, diese Ungewissheit ist
74
Siehe bereits S. 53
75
Damit ist auch beantwortet, wann das „Scoping“ idealerweise stattfinden soll. Die Frage, wird aufgeworfen bei: Riedel: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, a.a.O. (Fn. 6), S. 73 in Fn. 29 76
Der Grund für eine Repressalie läge allenfalls in einem bestimmten Indikatorwert, nicht aber in der zu niedrigen Benchmark allein 77
Zum Verfahren vor dem Ausschuss als quasi–gerichtliches Verfahren: Riedel: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, a.a.O. (Fn. 6), S. 61, dort Fn. 6
238
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
im Verfahren vor dem Ausschuss besonders groß. Das liegt aber nicht am IBSA–Verfahren, sondern ist in der Formulierung des Artikels 2 Absatz 1 IPwskR „verfügbare Ressourcen“ angelegt. Und diesen Wortlaut haben die Staaten mit der Ratifizierung akzeptiert. Schließlich bekommen sie durch das mündliche Verfahren lediglich eine „zweite Chance“, ihre Planung noch einmal zu überdenken. Auf diese haben sie aber keinen Anspruch. Sie sind auch nicht verpflichtet, Benchmarks gerade im mündlichen Verfahren aufzustellen oder zu verteidigen. Allerdings wird es sich eine Regierung zweimal überlegen, ob sie nach Aufstellung ihrer Benchmarks nicht am mündlichen Verfahren teilnehmen will. Denn sie würde riskieren, dass der Ausschuss in seiner vollen Besetzung vom Votum der „Pre–Sessional Working Group“ abweicht. Hätte sie Vertreter vor Ort, könnte sie noch korrigierend eingreifen. Zwar können sie auch den „General Comments“ und vergangenen „Concluding Observations“ entnehmen, welche Anforderungen der Ausschuss im Allgemeinen stellt. Allerdings geht es bei der IBSA– Methode gerade nicht um Generalisierung, sondern darum, den Spezifitäten eines jeden Einzelfalls gerecht zu werden. Sie wurde entwickelt, weil sich anders kaum feststellen lässt, welche konkreten Forderungen der Sozialpakt an die Staaten stellt. Müsste ein Staat Benchmarks aufstellen, täte er also gut daran, im mündlichen Verfahren zu erscheinen. Fazit: Die Regierungen sind nach der IBSA–Methode nicht völkerrechtlich dazu verpflichtet, am mündlichen Verfahren teilzunehmen. Es würde genügen, dass sie ihre Benchmarks schriftlich abfassen. Müssten sie aber Benchmarks aufstellen, so stünden sie unter einem enormen faktischen Zwang, zum Berichtsprüfungstermin zu erscheinen. Dies wiederum widerspräche dem Rechtsgedanken des Artikels 16 IPwskR, der den Staaten gerade keine weitergehenden formellen Pflichten als die Abfassung eines Berichts auferlegt.
g) Die Mittel des Staates für die Aufstellung der Benchmarks Es ist möglich, dass ein Land befürchtet, mit der Aufgabe, Benchmarks zu erarbeiten, überfordert zu sein. Primär ist dazu anzumerken, dass die Staaten ja nicht die Zukunft vorhersagen, sondern nur auf Basis der vergangenen und gegenwärtigen Daten Berechnungen für die Zukunft anstellen müssen. Diese Aufgabe leistet die Politik tagtäglich, sie ist mit sozialwissenschaftlichen Metho-
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
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den durchführbar.78 Außerdem kann man vertreten, die Länder könnten sich von fachkompetenten Einrichtungen wie dem Ausschuss, den UN– Sonderorganisationen oder von NGOs beraten lassen.79 Allerdings ist zu bedenken, dass die IBSA–Methode noch in der Entwicklungsphase steckt. Allen potentiell Beteiligten ist nach wie vor unklar, wie man einen Benchmark errechnet. Es gibt nämlich keine mathematische Formel, vielmehr lassen sich die Ziele nur politisch finden. Der Verweis auf die Beratungsmöglichkeit durch den Ausschuss geht fehl, denn bestünde eine Benchmarkingpflicht, wäre ein Staat, der sich überfordert fühlt, dann faktisch dazu gezwungen, am mündlichen Verfahren teilzunehmen. Dies würde aber obigen Ergebnissen80 widersprechen. Fazit: Manche Staaten könnten mit der Aufgabe, Benchmarks aufzustellen, überfordert sein. Da der Sozialpakt aber niemanden überfordern will, ergibt sich ein weiteres Argument gegen eine allgemeine Benchmarkingpflicht.
h) Zur Ableitung einer Benchmarkingpflicht aus Treu und Glauben aa) Die Pflicht zur Zusammenarbeit im Berichtsprüfungsverfahren Der IPwskR enthält keine ausdrückliche Regelung entsprechend der, wie sie in Artikel 37 Absatz 1 der UN–Behindertenrechtskonvention enthalten ist. Dort heißt es: „Each State Party shall cooperate with the Committee and assist its members in the fulfilment of their mandate.“81 Die Aufgabe des Behindertenrechtsausschusses besteht ebenso wie die des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte darin, Staatenberichte zu prüfen. Aber nur weil im Sozialpakt eine solche ausdrückliche Norm fehlt, bedeutet das nicht, dass es keine Kooperationspflicht gäbe. Vielmehr wäre es merkwürdig, wenn ein Staat nur einen irgendwie gearteten Bericht abfassen müsste und es damit getan wäre.
78 79
Ferris: a.a.O. (Fn. 72), S. 607 Riedel: New Bearings to the State Reporting Procedure, a.a.O. (Fn. 6),
S. 357 80 81
S. 239
Convention on the Rights of Persons with Disabilities, UN Doc. A/61/611 vom 6. Dezember 2006
240
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Dürften die Staaten nämlich nach freiem Belieben entscheiden, wie sie ihre Berichte strukturieren und welche Inhalte sie aufnehmen oder könnten sie gar über deren Wahrheitsgehalt disponieren, würde man Artikel 16 Absatz 2 (a) IPwskR, der die Berichtsprüfung regelt, ignorieren.82 Man würde Artikel 16 Absatz 1 IPwskR ausschließlich nach seinem Wortlaut und vor allem so auslegen, als ob es lediglich Artikel 16 Absatz 1 IPwskR, die Berichtspflicht, gäbe.83 Artikel 16 Absatz 2 (a) IPwskR hätte nur noch rein formale Bedeutung. Damit aber wäre dem Gedanken des Sozialpakts – Rechtsumsetzung durch internationale Kontrolle – wenig gedient. Nur wenn die Länder ein authentisches Bild der Situation abgeben müssen, ist gewährleistet, dass die Öffentlichkeit über die reale Menschenrechtspolitik einer Regierung informiert wird. Stünde der Berichtsinhalt im freien Belieben der Staaten, würde letztlich dem Publikum eine Grundlage genommen, um politischen Druck auszuüben.84 Der IPwskR verbindet also formelle mit materiellen Erwägungen. Seine Verfasser wollten ein effektives Berichtsprüfungssystem schaffen. Einerseits zwar, weil sie sich keinem mit umfangreichen Befugnissen ausgestattetem völkerrechtlichen Kontrollorgan unterwerfen wollten. Andererseits aber auch, weil nach ihrer Ansicht hierdurch die Wsk–Rechte besser verwirklicht werden als durch eine bloße Reportspflicht ohne nachfolgendes „Monitoring“ der Berichte. Fazit: Die Berichtsabfassung im Zusammenhang mit der nachfolgenden Berichtsprüfung, nicht allein die Berichtsabfassung ist die gegenüber der AEMR intendierte Verschärfung. Die Staaten sind nach Treu und Glauben verpflichtet, das Prüfungsverfahren zu unterstützen. Sie dürfen also nicht nach freiem Belieben über Inhalt und Struktur ihrer Berichte disponieren. Die Absätze 1 und 2 des Artikels 16 IPwskR bilden vielmehr eine Einheit. Jeder Absatz macht ohne den anderen keinen beziehungsweise nur wenig Sinn. Das bedeutet, bei Fragen nach Umfang und Inhalt der Berichtspflicht nach Absatz 1 ist stets auch Absatz 2 in den Blick zu nehmen. Dies hat zur Folge, dass ein Staat den Inhalt und die Struktur seiner Berichte an deren nachfolgenden Prüfungen ausrichten muss. Aus diesen Gründen ist nicht völlig ausgeschlossen, dass die Staaten nach dem Telos des Artikels 16 Absatz 2 (a) IPwskR Benchmarks auf82 83 84
Zum Wortlaut des Art. 16 Abs. 2 (a) IPwskR siehe die Anm. auf S. 50 Zum Wortlaut des Art. 16 Abs. 1 IPwskR siehe oben S. 229 Vgl. oben S. 76 ff.
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
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stellen müssen, wenn dadurch die Berichtsprüfung optimiert wird. Denn dann würde die internationale Kontrollmöglichkeit verbessert, was nach dem Gedanken des Sozialpakts der optimalen Rechtsverwirklichung zugute käme.
bb) Die Auffassung des ECOSOC zur Benchmarkingmethode Da man zur Zeiten der Paktabfassung noch nicht wusste, wie die Berichtsprüfung optimal auszugestalten ist, überließ man es dem ECOSOC, diesen Weg zu finden. In seiner Resolution 1988/4 hat der ECOSOC die Staaten – vermittelt durch den Ausschuss – dazu angeregt, Benchmarks aufzustellen, damit die progressive Verwirklichung der Menschenrechte des Sozialpakts überwacht werden kann.85 Der ECOSOC geht also davon aus, dass Benchmarks von Vorteil sind, um die Staatenberichte zu prüfen.86 Andererseits klingt die vom ECOSOC gewählte Formulierung „encourage“ – also ermutigen, anregen – eher nach einer Bitte, deren Erfüllung den Staaten freistehe. Ungeachtet dessen kann man eine Pflicht der Länder, Benchmarks abzufassen, nur dann auf die Äußerung des ECOSOC stützen, wenn er die Kompetenz hätte, die Staaten insoweit zu binden. Denn es könnte zahlreiche Staaten geben, die bestreiten würden, dass der ECOSOC überhaupt das Recht hätte, eine staatliche Benchmarkingpflicht zwingend vorzuschreiben.
cc) Zur Kompetenz des ECOSOC für die Einführung einer Benchmarkingpflicht Definitiv ist ein Paktstaat von der Mitwirkungspflicht entbunden, wenn das Benchmarkingmodell eine Vertragserweiterung ist. Denn was nicht ausreichend eindeutig als vereinbart erscheint, das bindet die Staaten nicht, und zwar unabhängig davon, ob ein Mehr zweckmäßiger oder wünschenswerter wäre.87
85
Zum Wortlaut der Resolution siehe oben S. 109
86
Zur Auslegung von Sekundärrecht: Heribert Franz Köck: Zur Interpretation völkerrechtlicher Verträge, in: ZÖR 1998 S. 216 (S. 235 f.) 87
Köck a.a.O. (Fn. 86), S. 233
242
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
In diesem Zusammenhang könnten viele Länder argumentieren, es sei für sie bei Paktunterzeichnung nicht absehbar gewesen, dass der ECOSOC sich für das IBSA–Verfahren entscheiden würde. Sie hätten sich zwar dazu bereit erklärt, Berichte abzuliefern, darüber hinaus wollten sie aber am Verfahren nicht teilnehmen. Nicht ganz von der Hand zu weisen ist auch der Bezug auf die Entstehungsgeschichte. Denn in einer Entwurfsfassung des Sozialpakts war noch davon die Rede, dass die Staaten die Berichte im Einklang mit den Empfehlungen des ECOSOC abliefern, die letzterer aufgrund seiner Kompetenz nach allgemeinen Vorschriften an die UN–Mitgliedsstaaten richten kann.88 Diese Bezugnahme auf die Empfehlungen des ECOSOC ist aber gerade nicht in die Endfassung des Sozialpakts aufgenommen worden. Daraus könnte man schließen, dass es den Staaten freisteht, ob sie Empfehlungen des ECOSOC folgen oder nicht. Andererseits steht dem ECOSOC die Befugnis zu, das Berichtsverfahren zu regeln. Daraus könnte man folgern, dass er auch das Recht hat, vorzuschreiben, dass in die Berichte Benchmarks einzufügen sind. Begründen könnte man dies mit dem Wortlaut des Artikels 17 Absatz 1 IPwskR: „Die Vertragsstaaten legen ihre Berichte abschnittsweise nach Maßgabe eines Programms vor, das vom Wirtschafts– und Sozialrat [...] aufzustellen ist.“89 Natürlich könnten die Länder entgegnen, „nach Maßgabe eines Programms“ beziehe sich nur auf „abschnittsweise“ und nicht auf „Berichte“. Artikel 17 Absatz 1 gestehe dem ECOSOC also nur die Kompetenz zu, ein zeitliches Programm zu regeln, also den Fünfjahresturnus. Dann wäre allerdings verwunderlich, wieso die Absätze 2 und 3 desselben Artikels inhaltliche Vorgaben für die Berichtsabfassung enthalten. Außerdem regelt der Sozialpakt die Anforderungen an den Inhalt der Berichte nur sehr oberflächlich. Angaben über ihre Form, die Art und Weise der Prüfung sowie genauere Hinweise bezüglich der Ausübung 88
Report of the ninth session of the Commission on Human Rights, Supplement No. 8, UN Doc. E/2447, E/CN.4/689 S. 48: „Article 60: „The States Parties to this Covenant undertake to submit reports concerning ths progress made in achieving the observance of these rights in conformity with the following articles and the recommendations which the General Assembly and the Economic and Social Council, in exercise of their general responsibility may make to all the Members of the United Nations.“ 89
Die authentische, englische Fassung lautet: „The States Parties to the present Covenant shall furnish their reports in stages, in accordance with a programme to be established by the Economic and Social Council […].”
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
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der Prüfungskompetenz durch ein Unterorgan fehlen völlig. Konkretisierungen bleiben dem ECOSOC überlassen.90 Auch wie die Staatenberichte inhaltlich auszusehen haben, ist nicht geregelt. Die formellen Vorschriften des Sozialpakts sind somit nicht als abschließend zu verstehen. Damit ist offensichtlich, dass diese noch präzisiert werden müssen. Zwar wäre es möglich, dass die Staaten dem ECOSOC nur deshalb den Spielraum einräumten, weil sie hofften, er würde eine möglichst souveränitätsschonende Lösung entwickeln. Dieser geheime Vorbehalt wäre aber im Vertrag nicht zum Ausdruck gekommen. Da der analog anwendbare Artikel 31 WVK der Rechtssicherheit den Vorrang vor dem wahren Parteiwillen einräumt, sind derartige versteckte Ansichten unbeachtlich.91 Ein Land mag in Präzisierungen der Berichtspflicht aber einen unzulässigen Eingriff in seine Souveränität sehen. Dazu ist zunächst zu sagen, dass das staatliche Selbstbestimmungsrecht heutzutage vielfach zum Zwecke des Menschenrechtsschutzes durchbrochen ist.92 Nach Lagoni/Landwehr kann die Souveränität die Kompetenzen des ECOSOC grundsätzlich auch nicht begrenzen, weil der ECOSOC in Zweifelsfällen selbst über die Grenzen seiner Kompetenz entscheidet.93 Vor allem haben die Staaten davon abgesehen, das Staatenberichtsverfahren selbst auszugestalten.94 Diese Entscheidung wurde vielmehr dem ECOSOC übertragen. Da der ECOSOC die Berichtsprüfung nicht regeln kann, ohne dass er zugleich Grundsätze für die Berichtsabfassung aufstellt,
90 91
Klee a.a.O. (Fn. 8), S. 243 Köck a.a.O. (Fn. 86), S. 226
92
Vgl. nur V.T. Thamilmaran: Cultural Rights in International Law, in: Anura Goonasekera et. al. (Hrsg.): Cultural rights in a global world, 2003, S. 139 (S. 145); dies gesteht auch Pae zu, a.a.O. (Fn. 27), S. 76 f. Insbesondere zum IPwskR: Bleckmann: Völkerrecht, a.a.O. (Fn. 39), S. 352; Reimann: a.a.O. (Fn. 17), S. 166 93
Rainer Lagoni/Oliver Landwehr in: Bruno Simma (Hrsg.): The Charter of the United Nations, Volume II, 2. Auflage, 2002, Art. 62 Rn. 22 94
Vgl. für einen ähnlichen Fall: Ermacora a.a.O. (Fn. 68), S. 82: „Durch den Eintritt in die betreffende internationale Organisation haben die einzelnen Mitgliedsstaaten ja ihren souveränen Willen kundgetan, sich dem Recht der betreffenden Organisation zu unterwerfen, also Verpflichtungen auf sich zu nehmen, die über diejenigen des allgemeinen Völkerrechts hinausgehen. Die Vertragsparteien wollen ja den Vertrag als Ganzes verwirklichen.“
244
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
erlaubt ihm der Sozialpakt stillschweigend gewisse Eingriffe in die Souveränität der Staaten. Selbst wenn die Staaten diesen Ausführungen zustimmen, ist es immer noch möglich, dass sie behaupten, der ECOSOC überschreite die Grenzen seines Ermessens, wenn er sie zur Abfassung von Benchmarks auffordere. Zunächst könnte ein Land argumentieren, im Völkerrecht gelte der Grundsatz der restriktiven Auslegung. Das hieße, es sei unter mehreren möglichen Auslegungen diejenige zu wählen, dessen Verwendung die geringste Belastung bedeute.95 Im vorliegenden Fall würde dies nahelegen, der ECOSOC habe nicht die Kompetenz, ein Verfahren zu schaffen, in dem die Staaten Benchmarks aufstellen müssen. Die restriktive Auslegung hält aber dann nicht stand, wenn es um rechtssetzende Verträge geht. Der rechtssetzende Vertrag ist nämlich darauf gerichtet, ein künftiges gemeinsames Verhalten der Partner zu erreichen, mit dem ein gemeinsames Zieles verwirklicht werden soll. Als Beispiele werden in der völkerrechtlichen Literatur genannt: die Errichtung einer internationalen Organisation oder die Schaffung einer Rechtsgrundlage, nach der die Organisation Sekundärrecht erzeugen soll.96 Bei einer restriktiven Auslegung bestünde eine große Gefahr, dass das Recht der Organisation versteinert und sich so ad absurdum führt, vor allem wenn eine veränderte Situation eintritt. In diesen Fällen gilt sogar eine extensive, objektive Auslegung. Insbesondere wenn Kompetenzen an Organe übertragen werden, soll der Vertrag nämlich in erster Linie deren Funktionsfähigkeit sicherstellen.97 Der IPwskR ist ein solcher rechtssetzender Vertrag. Nicht nur hat er materielle Menschenrechte verankert, er hat auch dem ECOSOC gewisse Kompetenzen gegeben, das Berichtsprüfungsverfahren auszugestalten. Damit gilt für den IPwskR nicht das Prinzip der restriktiven Auslegung. Vielmehr lässt sich schon aus seinem Abschluss eine extensive Auslegung ableiten: Es ist diejenige Auslegung zu wählen, die das Funktionieren des Vertragssystems garantiert.98
95 96 97 98
Doehring a.a.O. (Fn. 32), S. 165 Ibidem, S. 166 Ingrid Detter: Law Making by International Organisations, 1965, S. 25
Zur extensiven Auslegung der Kompetenzen des Ausschusses: Riedel: Universeller Menschenrechtsschutz – vom Anspruch zur Durchsetzung, a.a.O. (Fn. 14), S. 38
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
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Neben den bereits erwähnten ausdrücklichen Spielräumen und Aufgaben, die der Sozialpakt dem ECOSOC zuschreibt, kann man den „Implied–powers“–Gedanken heranziehen. Er konkretisiert die teleologische Auslegung.99 Die „Implied–powers“–Lehre bedeutet, dass Kompetenzen so weit großzügig ausgeschöpft werden können als der Vertragszweck das erfordert.100 Jedwede Konkretisierung des ECOSOC allein aufgrund der generalklauselartigen Formulierung des Artikels 17 IPwskR als verbindlich zu akzeptieren, wäre aber deshalb bedenklich, weil dann seine Kompetenz unbestimmt bliebe und sich so der staatlichen Souveränität annähern würde.101 Die Grenze einer extensiven Auslegung liegt daher dort, wo der Vertragszweck ganz offensichtlich verändert und das nicht von allen Parteien getragen wird oder wenn eindeutig gegen einen ausdrücklichen Wortlaut verstoßen wird.102 Genau diese beiden Limitierungen wären aber bei einer Benchmarkingpflicht äußerst problematisch. Einerseits sind die Kompetenzklauseln in Teil IV des Sozialpakts zwar sehr weit gefasst. Auch könnte man darauf verweisen, der Vertragszweck des IPwskR strebe nach bestmöglicher Verwirklichung der Wsk–Rechte. Und mit der Bitte, Benchmarks aufzustellen, wollen Ausschuss und ECOSOC letztlich diese Verwirklichung optimieren. Andererseits waren die Staaten aber nicht bereit, hierfür weitgehende Einschränkungen hinzunehmen. So haben sie zur Kontrolle der Paktumsetzung lediglich ein souveränitätsschonendes Staatenberichtsverfahren implementiert. Materiell wollten sie weiterhin möglichst frei sein, über Prioritäten bei der Rechtsverwirklichung zu entscheiden. Formell waren sie nur dazu bereit, über den Zustand der Realisierung zu berichten. Da das Berichtsprüfungsverfahren effektiv sein soll, muss es dem ECOSOC möglich sein, den Staaten Pflichten aufzuerlegen, die über die generelle Abfassung des Berichts hinausgehen, wenn diese im sachli-
99
Nach Detter a.a.O. (Fn. 97), S. 29 handelt es sich um eine Konkretisierung des Effizienzprinzips 100
Doehring a.a.O. (Fn. 32), S. 167
101
Vgl. Albert Bleckmann: Ermessensfehlerlehre, Völker– und Europarecht, vergleichendes Verwaltungsrecht, 1997, S. 22 102
Doehring a.a.O. (Fn. 32), S. 167
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
chen Zusammenhang mit der Berichtsprüfung stehen. Ansonsten wäre er gelähmt. Diese Pflichten müssen aber immer einen engen Bezug zu den Termini „to submit reports“ beziehungsweise „to furnish reports“ aufweisen. Vorrangig darf der ECOSOC also Formalia regeln. Eine Benchmarkingpflicht würde jedoch sehr stark in die materielle Planung der Staaten eingreifen. Allein aus der Tatsache, dass sich die Berichtsabfassung an deren nachfolgender Prüfung orientiert, lassen sich demnach derart schwerwiegende Eingriffe in die Souveränität nicht ableiten. Des Weiteren muss der ECOSOC gemäß Artikel 16 Absatz 2 (a) IPwskR die Berichte „nach Maßgabe des Pakts“ prüfen. Maßgabe des Pakts ist aber auch Artikel 2 Absatz 1 IPwskR. Und nach dieser materiellen Vorschrift sind die Staaten prinzipiell frei darin, über ihre Ressourcen zu disponieren. Das gibt den Staaten zwar das Recht, sich freiwillig für die Zukunft zu binden und auf ihr Ermessen zu verzichten. Eine Benchmarkingpflicht kann aus der Befugnis des ECOSOC, das Berichts– und das Berichtsprüfungsverfahren zu regeln, aber nicht abgeleitet werden. Fazit: Der ECOSOC hat nicht die Kompetenz, das Benchmarkingverfahren zwingend vorzuschreiben.
dd) Das Effizienzgebot und die Intention der Parteien Nun war vielleicht die Aufforderung des ECOSOC an die Staaten, Benchmarks aufzustellen, als unverbindliche Bitte gemeint. Dennoch bringt er damit zum Ausdruck, dass er die Benchmarkingmethode für geeignet hält, um die Berichte zu prüfen. In Verbindung mit der Pflicht zur Zusammenarbeit könnte man ableiten, dass es Treu und Glauben (Artikel 31 Absatz 1 WVK analog) widerspräche, kämen die Staaten dem Wunsch des ECOSOC nicht nach. Sie würden nämlich hierdurch vereiteln, dass der Ausschuss die Berichte in der Weise prüft, die der ECOSOC für optimal hält. Man könnte auch von einem Verstoß gegen das Estoppelprinzip sprechen, das im Zivilrecht als venire contra factum proprium bezeichnet wird.103 Denn ein Paktmitglied hat unter Umständen bei der Ratifizierung darauf vertraut, dass die anderen prinzipiell jede Konkretisierung 103
Dazu IGH, Urteil vom 15. Juni 1962, The Temple of Preah Vihear, Kambodscha versus Thailand, ICJ Reports 1962, S. 6 (S. 143); Wilhelm Friede: Das Estoppel–Prinzip im Völkerrecht, in: ZaöRV 1935, S. 517 (S. 518)
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
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des Berichtsprüfungsverfahrens durch den ECOSOC akzeptieren. Infolgedessen können sie nicht im Nachhinein behaupten, sie müssten am IBSA–Verfahren nicht mitwirken, wenn der ECOSOC sich dafür entschieden hat. Auf der anderen Seite stehen obige Ergebnisse, nach denen sich eine Benchmarkingpflicht nicht mit dem staatlichen Ermessen verträgt. Der Grundsatz des nationalen Ermessens ist also abzuwägen mit dem Prinzip der optimalen Berichtsprüfung. Man kann darauf rekurrieren, dass Treu und Glauben immer noch die obersten Maximen bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge sind.104 Der ECOSOC hat die Aufgabe, den Zustand der Rechtsverwirklichung zu überwachen, damit die Wsk–Rechte bestmöglich umgesetzt werden. Man könnte behaupten, die offenen Formulierungen in den Artikeln 16 Absatz 2 und 17 Absatz 1 IPwskR implizierten, dass der ECOSOC darüber befinden soll, wie das Berichtsverfahren „nach Maßgabe des Pakts“, also im Sinne einer optimalen Verwirklichung der Wsk–Rechte, ausgestaltet werden kann. Daraus folge, dass der „effet utile“ des Sozialpakts in Frage gestellt sei, wenn die Staaten die Berichte nicht in der für die Berichtsprüfung optimierten Weise abfassen.105 Wäre die Aufstellung von Benchmarks freiwillig, hätten es die Staaten in der Hand, den Vertragszweck zunichte zu machen. Außerdem würden sie sich in Widerspruch zu ihrem früheren Verhalten stellen, wenn sie sich der IBSA–Prozedur widersetzen würden. Daher konkretisiere sich die staatliche Mitwirkungspflicht in einer Pflicht, Benchmarks aufzustellen.106 Diese Erwägungen haben zwar einiges für sich. Letztlich bevorzugen sie aber einseitig das Interesse an der optimalen Verwirklichung der Menschenrechte. Der Sozialpakt möchte aber einen Ausgleich zwischen dieser Zielsetzung und der staatlichen Souveränität schaffen. Deswegen hat man ein Berichtsprüfungsverfahren und nicht eine schärfere Überwachungsform vorgesehen. Die Staaten wollten sich in ihre materiellen Dispositionen möglichst nicht hineinreden lassen. Auch Artikel 2 Absatz 1 IPwskR lässt sich entnehmen, dass die Staaten flexibel bleiben und sich nicht für fünf Jahre im Voraus festlegen wollen. Dieses Recht haben sie nämlich aufgrund ihres Ermessens bei der 104
Köck a.a.O. (Fn. 86), S. 233
105
Vgl. Theodor Schilling: Internationaler Menschenrechtsschutz: universelles und europäisches Recht, 2004, S. 20 106
Vgl. The Maastricht Guidelines § 15 (f), UN Doc. E/C.12/2000/13
248
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Rechtsverwirklichung. Immerhin ist das Ermessen nicht nur Ausprägung der Souveränität, sondern dient dazu, die Wsk–Rechte optimal zu verwirklichen. Darüber hinaus ist die Berufung auf den „effet utile“ verfehlt. Denn man muss bedenken, dass bislang nicht bewiesen ist, ob die Wsk– Rechte mit Benchmarks besser umgesetzt werden. Dieser Auffassung ist lediglich der ECOSOC, sie kommt aber im Sozialpakt nicht zum Ausdruck.107 Allein aus den offenen Formulierungen der Artikel 16 f. IPwskR abzuleiten, dass der ECOSOC über den „effet utile“ des Sozialpakts befinden soll, ist angesichts ihres formellen Inhalts äußerst gewagt. Vielmehr lässt sich auch das Gegenteil vertreten. Denn da es bislang nicht möglich war, das optimale Wirtschaftssystem zu entwickeln, benötigt man die Mithilfe der Staaten, um die Wsk–Rechte bestmöglich zu verwirklichen.108 Denn sie sind am besten mit den Gegebenheiten in ihrem Land vertraut, sie haben den besten Überblick über ihre Ressourcen. Das staatliche Ermessen dient also dem „effet utile“ des Sozialpakts. Dann wäre es widersprüchlich, würde man dieses Flexibilitätsprinzip durch eine Pflicht, in Fünfjahreszeiträumen zu planen, einschränken. Nicht zu bestreiten ist, dass der Sozialpakt auch davon ausgeht, die Wsk–Rechte würden nur effektiv verwirklicht, wenn sie durch ein Verfahren kontrolliert werden.109 Und das Verfahren sieht nun einmal einen fünfjährigen Zeitraum vor. Um dem Ausschuss eine optimale Kontrolle zu ermöglichen, sollten die Staaten daher als Planungsziel den nächsten Staatenbericht anvisieren. Denn zu diesem Zeitpunkt verfügt der Ausschuss über einen umfassenden Überblick über den Staat und kann noch Veränderungen vorschlagen. Außerdem hat es der Ausschuss dann leichter, die Sollwerte der Indikatoren zu ermitteln. Und wie erörtert, sind die Staaten nach Treu und Glauben in gewissem Umfang verpflichtet, die Erfüllung ihrer Pflichten, auf das Prüfungsverfahren abzustimmen.110 Indes kann sich das Prinzip von Treu und Glauben nicht über eine Intention der Parteien hinwegsetzen.111 Faktisch liefe die erste Ansicht
107 108 109 110 111
Siehe oben S. 232 Siehe oben S. 31 Siehe oben S. 49 Siehe oben S. 241 f. Detter a.a.O. (Fn. 97), S. 27
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
249
aber genau darauf hinaus. Denn im Ergebnis würde der ECOSOC dann doch durch seine Äußerung die Staaten verpflichten, Benchmarks abzufassen, obwohl letztere ihm diese Möglichkeit gerade nicht geben wollten.112 Außerdem können die Staatenberichte, wie gegenwärtig zumeist, auch allein anhand von Indikatoren geprüft werden. Die Benchmarkingmethode erleichtert lediglich die Berichtsprüfung, sie ist aber hierfür keine notwendige Bedingung. Wollte man dennoch eine Benchmarkingpflicht deduzieren, würden die Staaten zu Verrichtungsgehilfen des ECOSOC. Er könnte sie zu materiellen Planungen in Fünfjahreszeiträumen verpflichten. Dieses Resultat würde aber die Grenzen des rein formellen Instituts des Berichtsverfahrens sprengen. Nicht zuletzt wäre es paradox, wenn man der Berichtspflicht nach Artikel 16 Absatz 1 IPwskR derartige materielle Pflichten entnehmen wollte, obwohl alle übrigen Artikel, die das Berichtsverfahren betreffen, nur formelle Pflichten enthalten. Dies alles belegt, dass die Parteien mit der Berichtabfassungspflicht keine materiellen Pflichten verbinden wollten. Daher kann man nicht mittels Treu und Glauben durch die Hintertür eine Benchmarkingpflicht einführen. Fazit: Auch mit dem Grundsatz von Treu und Glauben kann man keine Benchmarkingpflicht begründen, zumal eine derartige Pflicht der Intention der Parteien widerspräche und sich für sie im Wortlaut des Sozialpakts keinerlei Anhaltspunkte finden.
i) Zwischenergebnis Zwar mag es rechtspolitisch wünschenswert sein, dass die Staaten dazu verpflichtet sind, Benchmarks aufzustellen. De lege lata erfolgt die Abfassung von Benchmarks aber freiwillig.113 Dies schließt allerdings nicht aus, dass sich im Lauf der Zeit aufgrund fortgesetzter Praktizierung der IBSA–Methode eine gewohnheitsrechtliche Pflicht entwickelt, Benchmarks aufzustellen. Da beim IBSA– 112 113
Siehe oben S. 244 ff.
Riedel in: Etudes en l’honneur du Professeur Giorgio Malinverni, a.a.O. (Fn. 9), S. 267 f.; ders.: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, a.a.O. (Fn. 6), S. 72; Klee a.a.O. (Fn. 8), S. 164, 227; Christoph Steiner: Das Recht auf soziale Gesundheitsversorgung – Unter besonderer Berücksichtigung des Art. 9 ICESCR, 2004, S. 50
250
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Verfahren diese Praxis jedoch noch fehlt, beziehen sich derartige Hypothesen auf die ferne Zukunft.
2.) Der Rahmen für die Benchmarkaufstellung a) Der Zeitrahmen Da es die Benchmarks dem Ausschuss ermöglichen sollen, die Rechtsverwirklichung zu überwachen, sollten und dürfen die Länder sie grundsätzlich mit Blick auf die nächste Berichtsprüfung festsetzen, also für fünf Jahre. Es kann aber Fälle geben, in denen das Ziel schneller erreicht werden muss, beispielsweise wenn es nach einem Erdbeben gilt, die Zahl der obdachlos Gewordenen zu senken. Dann muss für die Zielmarke ein kürzerer Zeitpunkt vorgesehen werden. Allerdings überprüft der Ausschuss erst nach fünf Jahren, ob das Land die Ziele rechtzeitig erreicht hat. Dass die Ziele schneller als in fünf Jahren erreicht werden müssen, gilt in besonderem Maße für die sofort umzusetzenden Verpflichtungen. Im vorangehenden Kapitel wurde festgestellt, dass echte Indikatoren dort nicht eingesetzt werden dürfen.114 Benchmarks sind aber nicht mehr als Werte eines Indikators. Deswegen ist es dem Staat zwar nicht verwehrt, sich etwa das Ziel zu setzen, bis zum nächsten Berichtstermin in fünf Jahren gesetzliche Diskriminierungen abzuschaffen. Werden hierfür aber keine Ressourcen benötigt, muss er diskriminierende Regelungen ohnehin sofort beseitigen. Benchmarks ermächtigen ihn nicht dazu, seine materiellen Pflichten hinauszuschieben. Anders als bei den progressiven Dimensionen hat der Staat hier kein Ermessen. Somit muss er es auch nicht konkretisieren, so dass keine Benchmarks benötigt werden. Erlässt er trotzdem Benchmarks, bedeutet dies nur, dass er seinen Verzug anerkennt und verspricht, sich mit besonderer Priorität um die Umsetzung zu kümmern. Rechtlich ist das IBSA–Verfahren hier entbehrlich. Zweckmäßig ist es dennoch, denn der Ausschuss registriert, dass der Staat sein Vollzugsdefizit zumindest anerkennt und sich bereit zeigt, sich um dessen Beseitigung zu kümmern. Da Gesetzesänderungen in der Regel eine gewisse Zeit benötigen, ist es nicht falsch, wenn der Staat sich selbst eine Frist setzt, in der er den Missstand eliminieren will.115 114 115
S. 173
Vergleichbare Gedanken des BVerfG in 2 BvR 2433/04 vom 20. Dezember 2007, Rn. 207; 1 BvR 1550/03 vom 13.6.2007, Rn. 182 f.; vgl. auch die Über-
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
251
Allerdings: Setzt ein Staat diese auf fünf Jahre an, muss er sich die Frage gefallen lassen, wie ernst er es mit der Verwirklichung der sofort umzusetzenden Pflichten nimmt. Denn immerhin hätte er diese Pflichten beim initialen oder einem folgenden Berichtsprüfungstermin längst umsetzen müssen, er ist also bereits in Verzug.116 Daher machen Benchmarks bei den sofort umzusetzenden Dimensionen nur Sinn, wenn sie für kürzere Zeiträume als fünf Jahre bemessen werden, etwa für ein bis drei Jahre, je nach Komplexität der Materie. Fazit: Grundsätzlich sollte der Staat sich seine Ziele für fünf Jahre setzen. In besonders dringenden Fällen kann es aber geboten sein, diesen Termin nach vorne zu verschieben. Bei den sofort umzusetzenden Verpflichtungen haben Benchmarks eine geringere Bedeutung.
b) Die Höhe der Ziele Die Staaten können aufgrund ihres Ermessens entscheiden, welche Ziele sie primär verfolgen wollen und welche zurückstehen sollen. Auch sind sie weitgehend frei darin, die Mittel hierfür zu wählen, solange sie ihre Benchmarks so hoch wie möglich ansetzen.117 Andererseits liegt es in ihrem eigenen Interesse, die Werte nicht zu hoch anzusetzen, weil der Ausschuss sonst gegebenenfalls von einem Paktbruch ausgeht, wenn die Benchmarks nicht erreicht wurden. Meint der Ausschuss, ein Staat erwarte zu hohe Werte, darf er hieraus nur ausnahmsweise eine Vertragsverletzung ableiten. Denn es gibt keine Vorschrift im Sozialpakt, nach der die Werte realistisch angesetzt werden müssten. Auch dem Prüfungsverfahren lässt sich kein derartiger Gedanke entnehmen. Allenfalls wenn die Werte utopisch hoch sind, könnte der Ausschuss davon ausgehen, der Staat nehme seine Planung nicht
gangsfristen in anderen Fällen bei BVerfG 1 BvL 10/02 vom 7.11.2006, Rn. 203 f.; 1 BvR 293/05 vom 11.7.2006, Rn. 49. Auch dem europäischen Recht sind Fristen weniger Jahre zur Umsetzung von Diskriminierungsverboten nicht unbekannt, vgl. Art. 18 der Richtlinie 2000/78/EG; allerdings sind diese Umsetzungsfristen aufgrund dogmatischer Unterschiede mit denen der Benchmarks nur eingeschränkt vergleichbar 116 117
Zu den Terminen der Berichtsprüfung siehe oben S. 53
Riedel: New Bearings to the State Reporting Procedure, a.a.O. (Fn. 6), S. 356; ders.: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, a.a.O. (Fn. 6), S. 72; Green a.a.O. (Fn. 6), S. 1081
252
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
ernst genug.118 Dies wird jedoch kaum praktisch relevant werden, weil der Staat im eigenen Interesse seine Benchmarks möglichst niedrig zu halten suchen wird. Zu überlegen ist, ob die Staaten nach Treu und Glauben dazu verpflichtet sind, mit dem Ausschuss über eine Benchmarkaufstellung und die Höhe der Ziele zu verhandeln. Der Sozialpakt könnte insoweit ein Pactum de negotiando sein.119 Dann müsste ihm das Verbot zu entnehmen sein, Verhandlungen ohne Rechtfertigungsgrund abzubrechen oder zu verschleppen und Gegenvorschläge sowie die Interessen anderer Parteien zu berücksichtigen.120 Ausgangspunkt ist, dass Benchmarks Konkretisierungen des staatlichen Ermessens sind. Und in der Tat gehört zu einer korrekten Ermessenskonkretisierung dazu, dass die Länder auch andere Meinungen zur Kenntnis nehmen und in ihre Erwägungen einbeziehen. Allerdings sieht der Sozialpakt nur eine Pflicht vor, Berichte abzufassen. An einem mündlichen Dialog müssen die Staaten nicht teilnehmen. Es gibt auch kein Gebot, vor Abfassung des Berichts den Ausschuss zu konsultieren. Nach dem IBSA–Verfahren sind es außerdem die Staaten, die als erste die Benchmarks aufstellen. Sie müssen ihr Ermessen nach bestem Wissen und Gewissen konkretisieren. Wenn der Staat zu niedrige Ziele verfolgt, kommt er seinen materiellen Paktpflichten nicht nach. Andererseits kann es ihm nicht vorgeworfen werden, wenn er angemessene Ziele aufstellt, es aber ablehnt, hierüber weiter zu verhandeln. Allenfalls lässt sich aus Treu und Glauben ableiten, dass das Land vergangene Äußerungen des Ausschusses wie „General Comments“ und „Concluding observations“ berücksichtigen muss; jede weitere Pflicht widerspräche aber der Intention des Sozialpakts, wonach die Staaten außer einer Berichtspflicht keine weiteren formellen Aufgaben haben. Freilich kommt hier wieder das Problem zum Tragen, dass der Ausschuss „Richter und Partei in Personalunion“ ist. Wenn er in der Phase des „Scopings“ Benchmarks rügt, wird sie ein Staat im eigenen Interesse überdenken. Denn es ist der Ausschuss, der in der Folge darüber ent118
Hunt a.a.O. (Fn. 12), § 18
119
Dazu Eibe Riedel: Paradigmenwechsel im internationalen Umweltrecht, in: Rolf Stober (Hrsg.): Festschrift für Gerd Roellecke zum 70. Geburtstag, 1997, S. 245 (S. 253); Alfred Verdross/ Bruno Simma: Universelles Völkerrecht, 3. Auflage, 1984, S. 344; Theodor Schweisfurth: Völkerrecht, 2006, S. 62 120
S. 90
Zum „Pactum de contrahendo“: Bleckmann: Völkerrecht, a.a.O. (Fn. 39),
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
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scheidet, ob sich der Staat bei der Verwirklichung von Wsk–Rechten ausreichend motiviert zeigt. Der Ausschuss kann dem Staat dann aber nur vorwerfen, dass der Benchmark zu niedrig war, nicht aber, dass das Paktmitglied hierüber nicht mit ihm verhandelt hat. Da Benchmarks Konkretisierungen des Ermessens sind und die Staaten ihre Ermessenserwägungen offenzulegen haben, stellt sich die Frage, welche Nachweise die Paktmitglieder im „Scoping“–Verfahren erbringen müssen. Zu berücksichtigen ist dabei einmal, dass Ressourcen nicht vollständig quantifizierbar sind. Zu berücksichtigen ist zweitens, dass es sich um eine Prognoseentscheidung handelt, die mit Unsicherheiten behaftet ist.121 Allenfalls kann man auf die Erfahrungen anderer Länder in ansatzweise vergleichbaren Situationen zurückgreifen, wobei sich wiederum in manchen Fällen positive und negative Erfahrungen finden lassen.122 Daher kann von den Paktmitgliedern letztlich nur gefordert werden, dass sie politische Entscheidungen plausibel darlegen, ohne dass man ihnen hier einen strengen Beweis abverlangen darf. Die Grenze ist dort erreicht, wo nicht mehr zu erwarten ist, dass die Maßnahme den gewünschten Erfolg hat.123 Notfalls müssen Sachverständige, beispielsweise von UN–Sonderorganisationen, herangezogen werden. Aus dem Darlegungsgrundsatz124 und der Pflicht, das Berichtsprüfungsverfahren zu fördern,125 kann man aber ableiten, dass die Staaten dem Ausschuss vorrechnen müssen, wie sie zu ihren Benchmarks kommen. 121
Allgemein zur Prognose sozialer Ereignisse: Karl–Dieter Opp: Methodologie der Sozialwissenschaften, 6. Auflage, 2005, S. 76 – 90; Karl Raimund Popper: Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie, 2. Auflage, 1994, S. 137 – 158. Zu Besonderheiten der Nachprüfung bei Prognoseentscheidungen im deutschen Verwaltungsprozess Ferdinand Kopp/ Wolf–Rüdiger Schenke: Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 14. Auflage, 2005 § 114 Rn. 23 – 24c und Rn. 37 – 37c 122
Gerhard Weisser: Zur Erkenntniskritik der Urteile über den Wert sozialer Gebilde und Prozesse, in: Hans Albert/ Ernst Topitsch (Hrsg): Werturteilsstreit, 1979, S. 125 (S. 130): „Es ist nicht möglich, unmittelbar aus dem Verlauf der Geschichte darauf zu schließen, welche sozialen Verhältnisse hergestellt werden sollen (historischer Irrtum).“ 123
Vgl. Peter Rott: TRIPS–Abkommen, Menschenrechte, Sozialpolitik und Entwicklungsländer, in: GRURInt 2003, S. 103 (S. 105) zur Menschenrechtspolitik im Rahmen des gewerblichen Rechtsschutzes 124 125
Dazu oben S. 59 ff. Dazu oben S. 241 f.
254
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Daran schließt sich die Frage an, ob jeder Staat über einen vom Ausschuss nicht überprüfbaren Ermessensspielraum verfügt. Überwacht letzterer sogar nur die Vertretbarkeitsgrenze, also die Marke, jenseits der der Benchmark evident zu niedrig ist?126 Im deutschen Recht erkennt das Bundesverwaltungsgericht bei bestimmten wirtschaftlichen und sozialen Prognoseentscheidungen einen Beurteilungsspielraum an, wenn diese schon der Sache nach durch große Unsicherheiten gekennzeichnet sind.127 Natürlich lassen sich diese Überlegungen nicht unbesehen auf das Völkerrecht übertragen. Aber es bleibt zu prüfen, ob sich die dem zugrunde liegenden Gedanken nicht auch für das IBSA– Verfahren fruchtbar machen lassen. Fest steht, dass die Ressourcen nicht vollständig quantifizierbar sind und dass der Staat deswegen über einen Ermessensspielraum verfügt, wie viele und welche Ressourcen er für die Verwirklichung der Wsk– Rechte einsetzt.128 Hier stehen dem Staat nicht nur eine, sondern mehrere rechtlich zulässige Lösungen offen. Keinesfalls darf es dazu kommen, dass der Ausschuss letztlich das Ermessen konkretisiert, denn dann würde er sich an die Stelle der Regierung setzen, eine nur ihr zugewiesene politische Entscheidung fällen und damit seine Funktionsgrenze überschreiten.129 Andererseits folgt aus dem Verbot der Willkür, das dem Sozialpakt immanent ist, dass die Erwägungen eines Staates stets sachlich sein müssen und die Begründung nicht widersprüchlich sein darf.130 Und der Ausschuss ist nach Artikel 16 IPwskR ermächtigt, diese Voraussetzungen als Teil des Staatenberichts zu prüfen. Des Weiteren ist die staatliche Souveränität hinreichend geschützt, denn die Regierung muss sich auf die Vorschläge des Ausschusses nicht einlassen. Unabhängig davon muss verhindert werden, dass ein Staat die IBSA–Methode missbraucht, um durch bewusst niedrige Benchmarks seine Verwirklichungspflichten 126
Vgl. die Art. 297 – 300 der UN–Seerechtskonvention von 1982, 1833 U.N.T.S. 3; 21 I.L.M. 1261 (1982) 127
BVerwGE 79, 208 (213); 82, 295 (299); 72, 300 (316 f.); siehe aber auch BVerwGE 81, 12 (17) 128
Siehe oben S. 21 ff.
129
Vgl. Bleckmann: Ermessensfehlerlehre a.a.O. (Fn. 101), S. 242; vgl. für ein ähnliches Verhältnis im nationalen deutschen Recht BVerwG AZ 7 C 33.07 vom 16. Oktober 2007 Rn. 43 130 Vgl. allgemein: Bleckmann: Ermessensfehlerlehre a.a.O. (Fn. 101), S. 16 und 243
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
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abzumildern.131 Daraus könnte man ableiten, dass die Höhe der Benchmarks voll überprüfbar ist. Nicht vergessen werden darf jedoch, dass bei der Frage, welches Ziel noch erreicht werden kann, zahlreiche technische und wirtschaftliche Erwägungen berücksichtigt werden müssen, die die Staaten besser kennen als der Ausschuss, die UN–Sonderorganisationen und NGOs. Auch liefert der Sozialpakt für Prognosen keine hinreichend präzisen Maßstäbe. Daher kann der Ausschuss das Mögliche nur sehr grob vorausberechnen. Schließlich ist er größtenteils auf die Daten angewiesen, die das Land ihm überlässt. Er verfügt somit allenfalls über einen vergleichbaren, keinesfalls aber über einen besseren Überblick über die Menschenrechtslage als die Regierung. Die Entscheidung, welche Ziele noch erreichbar sind, obliegt daher primär dem Staat. Dies schließt jedoch nicht aus, dass der Ausschuss mit Hilfe der UN– Sonderorganisationen überwacht, ob die Ziele evident zu niedrig sind.132 Es muss verhindert werden, dass ein Staat sie willkürlich zu niedrig setzt und sich anschließend damit rühmt, sie erreicht zu haben. Immerhin darf er nach dem Sozialpakt die Wsk–Rechte nicht nach freiem Belieben, sondern nur nach pflichtgemäßem Ermessen verwirklichen.133 Der Ausschuss überwacht also im Endeffekt eine Vertretbarkeitsgrenze, das heißt, ob sich das Ziel nach einer vernünftigen, die Ziele des Sozialpakts berücksichtigenden Betrachtungsweise rechtfertigen lässt. Ein Indiz dafür können die Ziele sein, die die UN–Sonderorganisationen vorschlagen. Wenn sich beispielsweise ein Staat bereiterklärt, die Zahl der Analphabeten binnen fünf Jahren um acht Millionen zu senken, darf der Ausschuss ihm nicht vorwerfen, er sei nicht hinreichend gewillt, die Wsk– Rechte umzusetzen, da nach anderen Berechnungen ein Wert von neun Millionen erreichbar sei. Wenn aber mehrere UNESCO–Studien zu dem Ergebnis kommen, dass die Zahl um neun Millionen gesenkt werden kann und der Staat darauf beharrt, er könne sie lediglich um zwei Millionen senken, ist die Vertretbarkeitsgrenze überschritten, und der Staat kann sich nicht mehr auf seinen Beurteilungsspielraum berufen. 131
Riedel: Universeller Menschenrechtsschutz – vom Anspruch zur Durchsetzung, a.a.O. (Fn. 14), S. 51 132
Vgl. allgemein zur Evidenztheorie im Rahmen des völkerrechtlichen Ermessens: Bleckmann: Ermessensfehlerlehre a.a.O. (Fn. 101), S. 243 133
Bleckmann: Ermessensfehlerlehre a.a.O. (Fn. 101), S. 260
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Fazit: Die Staaten müssen ihre Benchmarks so hoch wie möglich setzen. Sie müssen mit dem Ausschuss zwar nicht über deren Höhe verhandeln, sind jedoch gut beraten, wenn sie dies tun. Die Länder müssen dem Ausschuss genau vorrechnen, wie sie zu ihren Benchmarks kommen. Dabei verfügen sie über einen gewissen, nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraum, wie hoch sie ihre konkreten Ziele stecken.
c) Die Berechnungsmethoden für die Benchmarks Da der Staat dem Ausschuss plausibel darlegen muss, wie er zu den seiner Meinung nach realistischen Benchmarks kommt, stellt sich die Frage, wie genau diese errechnet werden müssen. Nicht zu bestreiten ist, dass die dem Sozialpakt immanente staatliche Pflicht zur Menschenrechtsüberwachung Ressourcen erfordert. Hier gilt Artikel 2 Absatz 1, der alle Pflichten – also auch die Überwachungspflicht mit Blick auf die verfügbaren Mittel – begrenzt. Zwischenfazit: Der Staat muss für die Überwachung – und damit eingeschlossen für die Berechnung der Benchmarks – umso mehr Ressourcen einsetzen, je mehr er zur Verfügung hat. Bedenklich ist allerdings, dass ein armer Staat über weniger Daten verfügt und damit ungenauere Berechnungen anstellt als ein reicher. In der Phase des „Assessments“ werden aber beide an den vorgelegten Ausgangswerten gemessen. Je ärmer der Staat desto höher ist dann die Gefahr, dass der Ausschuss ihn wegen Nichterreichens eines Benchmark rügt, obwohl dies nur auf einer Fehlprognose und/oder einer fehlerhaften Messung nach fünf Jahren beruht. Es wirkt ungerecht, wenn beiden Ländern eine Völkerrechtsverletzung zur Last gelegt wird, weil sie einen Benchmark verfehlt haben, obwohl die Wahrscheinlichkeit von Messfehlern beim armen Staat höher ist. Aus Gründen der Gleichbehandlung scheint es daher geboten zu sein, hier einen universellen Maßstab anzulegen. Dieser müsste sich daran orientieren, was alle Staaten leisten können. Der Ausschuss müsste sich also stets mit oberflächlichen Schätzungen begnügen. Einheitlich ungenaue Messungen widersprechen indessen dem Interesse einer effektiven Menschenrechtsüberwachung. Dieses verlangt nach disaggregierten Indikatoren und möglichst präzisen Zahlen. Es würde auch dem Wortlaut des Artikels 2 Absatz 1 IPwskR widersprechen, wollte man die Staaten davon befreien, genaue Zahlen vorzulegen, obwohl sie da–rüber verfügen. Indessen mag man einwenden, dass nach
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
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genau dieser Vorschrift Armut keine Vertragsverletzung sein darf. Würde man arme Staaten aber mit einer gesteigerten Prognoseunsicherheit belasten, würde sich die Armut zu ihren Ungunsten auswirken. Das Dilemma ist nur schwer lösbar. Da der Staat aber meist auch bei knappen Ressourcen noch die Möglichkeit hat, sie verstärkt für die Datenerfassung und –prognose einzusetzen, liegt es an ihm, möglichst genaue Werte vorzulegen. Er und nicht die Staatengemeinschaft verfügt über die erforderliche Infrastruktur. Des Weiteren kann der Ausschuss die je nach Ressourcen unterschiedlichen Voraussagemöglichkeiten im Rahmen des „Assessments“ gebührend berücksichtigen und damit das Prognoserisiko für arme Paktmitglieder minimieren. In der Praxis nimmt der Ausschuss bei derartigen statistischen Fragen bereits jetzt sehr viel Rücksicht auf die Entwicklungsländer. Zudem dürfen Gründe der staatlichen Gleichbehandlung nicht dazu führen, eine effektive Menschenrechtsüberwachung zu blockieren. Daher ist es gerechter, wenn das Land selbst das Prognoserisiko trägt, auch wenn dies bei armen Staaten ungleich höher ist. Dass es umgekehrt dazu kommen kann, dass ein Benchmark scheinbar erreicht wurde, obwohl dies auf einer ungenauen Datenerfassung beruht, ist hinzunehmen. Wie viele Mittel für die Prognose einer einzelnen Benchmark aufgewendet werden müssen, richtet sich auch nach der Validität des zugehörigen Indikators. Je stärker er mit dem Wsk–Recht korrespondiert, desto relevanter ist er für dessen Verwirklichung und um mehr Ressourcen müssen für die Prognose eingesetzt werden. Hat also der Indikator „durchschnittliche Lebenserwartung“ eine höhere Validität für das Recht auf Gesundheit als der Indikator „Zahl derjenigen, die an Kurzsichtigkeit leiden“, so müssen die Werte des ersteren genauer und unter erhöhtem Mitteleinsatz berechnet und vorhergesagt werden. Fazit: Es werden unterschiedliche Anforderungen an die Berechnungsmethoden gestellt. Wie viele und welche Daten erhoben werden müssen, richtet sich zum einen nach der Leistungskraft des Staates. Ein Indiz kann hier das Bruttonationaleinkommen sein. Damit die Benchmarks so genau wie möglich sind, müssen ihnen aber stets alle vorhandenen Daten zugrunde gelegt werden. Zweitens müssen die Benchmarks umso genauer berechnet werden, je stärker der entsprechende Indikator mit dem Wsk–Recht korrespondiert.
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
d) Zur Möglichkeit einer Bedingung Sind Benchmarks bedingungsfeindlich? Dafür könnte man vorbringen, dass es für den Ausschuss möglichst einfach sein soll, den Sozialpakt zu überwachen. Muss er aber erst komplizierte Sachverhaltsermittlungen anstellen, um festzustellen, ob eine Bedingung eingetreten ist, geht dem Verfahren wertvolle Zeit verloren. Auf der anderen Seite kann es sein, dass es einem Staat nicht möglich ist, seine Reserven zum Berichtsprüfungstermin bereits zu verplanen. Ein Beispiel ist die deutsche Wiedervereinigung. Hätte man von Deutschland im Oktober 1989 verlangt, seine Ressourcen für fünf Jahre im Voraus zu verplanen, hätte die Regierung antworten müssen, dass es ungewiss sei, ob es demnächst zu einer Wiedervereinigung komme. Sollte es dazu kommen, müssten die Ressourcen völlig neu verteilt werden. Die wirtschaftlichen Folgen der Wiedervereinigung waren 1989 aber in keiner Weise absehbar. Daher hätte Deutschland für den Fall der Wiedervereinigung keine fundierten Benchmarks aufstellen können. Nur für den Fall, dass die Wiedervereinigung scheitert, wären Prognosen und damit Benchmarks möglich gewesen. Wäre es der Bundesrepublik verwehrt gewesen, Benchmarks zumindest für diese Alternative abzufassen? Wären die Staaten gezwungen, Benchmarks unbedingt aufzustellen, so würden sie unter Umständen davon abgeschreckt, überhaupt am IBSA– Verfahren teilzunehmen. Denn wenn sie davon ausgehen, dass der Ausschuss sie an Zielwerten misst, an deren Erreichen sie selbst zweifeln, gibt ihnen die IBSA–Methode kein Mehr an Rechtssicherheit. Derartige Zweifel liegen aber bei einer Bedingung vor, denn es handelt sich um ein künftiges, ungewisses, jedoch für möglich gehaltenes Ereignis. Man könnte also vertreten, Benchmarks seien nicht bedingungsfeindlich. Die Möglichkeit einer Bedingung hätte den Vorteil einer verbesserten Einzelfallgerechtigkeit. Ein Staat könnte etwa der Benchmark für den Fall aufstellen, dass ein bestimmtes Wirtschaftswachstum erreicht wird. Beispielsweise könnte er sich dazu verpflichten, die Zahl der Arbeitslosen um fünf Prozent zu senken, falls das Bruttoinlandsprodukt um zwei Prozent steigt. Er könnte sogar ein abgestuftes System vorsehen, nach dem immer nur der Benchmark gelten soll, bei der die Bedingung eingetreten ist. Zum Beispiel könnte er in Prozentschritten je nach Wirtschaftswachstum eine bestimmte Arbeitslosenquote anstreben. Benchmarks unter derartige Bedingungen zu stellen, mag zwar auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen. Zu bedenken ist allerdings, dass sich
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manchmal nur schwer klären lässt, ob eine Bedingung eingetreten ist oder nicht. Zum Beispiel könnte ein Land Benchmarks für den Fall aufstellen, dass ein sich anbahnender Bürgerkrieg ausbleibt. Sind dann einzelne Guerillaattacken bereits ein Bürgerkrieg? Wie viele Gefechte sind notwendig? In welcher Intensität? Dem Ausschuss würden sich rechtliche wie tatsächliche Fragen stellen. Wenn der Ausschuss zunächst komplizierte Ermittlungen über den Eintritt einer Bedingung anstellen muss, ist nicht nur der ökonomische Vorteil der IBSA–Methode dahin, sondern es werden auch die Ergebnisse wieder unvorhersehbarer. Daher kann man sich auf den Standpunkt stellen, Benchmarks dürfen nur dann mit Bedingungen versehen werden, wenn offenkundig sein wird, ob sie eingetreten sind oder nicht,134 wie im Fall der Wiedervereinigung Deutschlands. Man mag einwenden, völkerrechtliche Verträge könnten unter einer Bedingung, ohne Rücksicht auf deren Offenkundigkeit, geschlossen werden.135 Das zeige, dass das Völkerrecht im Grundsatz bedingungsfreundlich ist. Dies wiederum müsse sich auf die Benchmarks als Teil des Völkerrechts auswirken, so dass sie mit Bedingungen versehen werden dürften. Der Hinweis auf den völkerrechtlichen Vertrag geht jedoch fehl. Unabhängig davon, dass äußerst zweifelhaft ist, ob es sich bei Benchmarks um völkerrechtliche Verträge handelt,136 hat man bei letzteren für gewöhnlich viel Zeit, um zu prüfen, ob eine Bedingung eingetreten ist oder nicht. Beispielsweise können in einem Verfahren vor dem IGH Beweiserhebungen angestellt werden.137 Der Ausschuss hingegen muss die Berichte in limitierter und extrem knapper Zeit prüfen. Das rechtfertigt eine unterschiedliche Behandlung. Unabhängig davon bestünde die Gefahr, dass die Staaten die Möglichkeit einer Bedingung missbrauchen. So könnte ein Staat etwa Benchmarks nur für den Fall abfassen, dass internationale Sanktionen gegen ihn beendet werden. Er könnte erklären, die Menschenrechtsüberwa-
134
Vgl. § 291 der deutschen Zivilprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 05.12.2005, BGBl. I S. 3202 135 136 137
Siehe beispielsweise Art. 27 Abs. 1 IPwskR Dazu unten S. 269
Art. 49 – 53 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs vom 26. Juni 1945, BGBl. 1973 II S. 505
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
chung nur dann durch die Aufstellung von Benchmarks zu unterstützen, wenn die andere Staaten ihn nicht länger unter Druck setzen. Damit würden aber die Menschenrechte zum Spielball der Politik. Des Weiteren kann der Ausschuss gravierende Änderungen, wie die massive Vergrößerung des Staatsgebiets sowie der Bevölkerung, im „assessment“ berücksichtigen.138 Wenn man einem Staat erlaubt, Benchmarks mit einer Bedingung zu versehen, würde die Berichtsprüfung zunehmend kompliziert – zumal sich ohne Willkür keine Maximalzahl an Bedingungen festlegen lässt. Jede zusätzliche Bedingung würde aber die Berichtsprüfung erschweren, was dem Ziel der IBSA– Methode diametral entgegenliefe. Vor allem sprechen gegen die Möglichkeit einer Bedingung dogmatische Einwände. Denn die Kompetenz, Bedingungen einzufügen, ist in der Jurisprudenz Ausdruck der Parteiautonomie. Benchmarks stehen letzterer zwar nicht völlig fern, denn sie konkretisieren das staatliche Ermessen. Allerdings bezwecken sie vornehmlich, sowohl dem Paktmitglied als auch dem Ausschuss, der Staatengemeinschaft und nicht zuletzt der Öffentlichkeit eine Richtschnur zu geben, anhand der der nächste Staatenbericht bewertet wird. Benchmarks dienen somit der Rechtssicherheit. Sie schränken das Flexibilitätsprinzip des Artikels 2 Absatz 1 IPwskR und somit die Parteiautonomie für die Zukunft zugunsten der Vorhersehbarkeit ein. Und es wäre widersprüchlich, wenn Rechtsgeschäfte, die darauf zielen, Rechtssicherheit herzustellen, unter eine Bedingung gestellt werden dürften.139 Aus alledem folgt, dass Benchmarks bedingungsfeindlich sind. Es gilt jedoch, Bedingungen von Verhältnisindikatoren abzugrenzen. Ein Verhältnisindikator ist beispielsweise die Zahl der Arbeitslosen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Solche Indikatoren dürfen nach allgemeinen Regeln für die Berichtsprüfung herangezogen und mit Benchmarks versehen werden. Sie stehen nicht unter einer Bedingung, denn sie gelten unabhängig vom Wert des Bruttoinlandsprodukts. Die Abgrenzung erfolgt also danach, ob ein Benchmark wegen Ausfall eines zukünftigen, ungewissen Ereignisses ungültig sein kann – in diesem Fall handelt es sich um eine verbotene Bedingung – oder ob ein 138 139
Näher unten S. 295
Vgl. im deutschen Zivilrecht §§ 388 Satz 2; 925 Abs. 2; 1311 Satz 2 BGB. Siehe auch BGH Beschluss des XII. Zivilsenats vom 26.9.2007 – XII ZB 80/07 Rn. 15; Urteil des XII. Zivilsenats vom 6.12.2006 – XII ZR 190/06 Rn. 9; Urteil des II. Zivilsenats vom 24.10.2005 – II ZR 55/04 Rn. 15 – 17
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Benchmark in jedem Fall gilt und er nur zu ex ante ungewissen Faktoren in Relation gesetzt wird. Fazit: Die IBSA–Methode dient dazu, die Berichtsprüfung zu vereinfachen und die Rechtssicherheit zu erhöhen. Daher dürfen die Staaten ihre Benchmarks nicht mit einer Bedingung versehen.
e) Zusammenfassung Die Länder sind nach Treu und Glauben dazu verpflichtet, den ECOSOC und damit mittelbar den Ausschuss bei seiner Überwachungsaufgabe zu unterstützen. Ob die Staaten Benchmarks aufstellen oder nicht, können sie jedoch frei entscheiden. Eine Benchmarkingpflicht ginge nämlich über das hinaus, was die Parteien mit der Einführung eines Berichtsprüfungsverfahrens bezweckten. Wenn die Staaten Benchmarks abfassen, so müssen sie ihre Ziele möglichst hoch stecken. Wie genau die Benchmarks berechnet werden müssen, richtet sich nach der – insbesondere wirtschaftlichen – Leistungsfähigkeit des Landes. Benchmarks sind bedingungsfeindlich.
III. Das „Scoping“–Verfahren 1.) Die Bedeutung des „Scoping“–Verfahrens Viele Länder mögen bestrebt sein, ihre Benchmarks zu niedrig anzusetzen, um in der letzten Verfahrensstufe, dem „Assessment“, eine positive Bewertung durch den Ausschuss zu erhalten. Da sie die Beweismittel in ihrem Land kontrollieren und über einen Wissensvorsprung verfügen, könnten sie es riskieren, ihre Ziele bewusst zu niedrig zu wählen, ohne dass der Ausschuss die hierin liegende Paktverletzung erkennt. Genau dies versucht das „Scoping“–Verfahren zu verhindern.140 Ein Nebenzweck ist, dass die Staaten bei zu hohen Benchmarks eine zweite Chance erhalten, diese zu senken.
140
Riedel: Universeller Menschenrechtsschutz – vom Anspruch zur Durchsetzung, a.a.O. (Fn. 14), S. 51 spricht davon, dass der menschenrechtliche Verbürgungsgrad sonst zu einer „Wanderdüne ohne Halt“ verkommt
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Im Idealfall einigen sich in der Phase des „Scopings“ das Land und der Ausschuss auf bestimmte Benchmarks.141 Auf diese Weise werden bereits im Vorfeld Konflikte beseitigt. Außerdem dürfte es den Staaten leichter fallen, die „Concluding observations“ des Ausschusses zu akzeptieren, weil sie hierauf durch Verhandlungen verstärkten Einfluss nehmen konnten.142 Während des „Scopings“ ist der Sachverstand der UN–Sonderorganisationen am intensivsten gefragt. Die Sonderorganisationen können dem Ausschuss dabei helfen, die vom Staat erlassenen Benchmarks zu überprüfen.143 Doch nicht nur das: Die UN–Sonderorganisationen können dazu beitragen, dass das Land Benchmarks ergänzt, beispielsweise, wenn sie neue Indikatoren entdeckt haben, die noch nicht benutzt wurden.144
2.) Die Rechtsgrundlage für das „Scoping“–Verfahren Welche Norm des Sozialpakts berechtigt den ECOSOC beziehungsweise den Ausschuss, die Benchmarks des Staates zu kontrollieren? Der ECOSOC hat – wie aufgezeigt – die Kompetenz, das Prüfungsverfahren und damit mittelbar die Berichtsinhalte zu formalisieren.145 Daneben steht in Artikel 16 Absatz 2 (a) IPwskR, dass er die Berichte prüft. Da die Staaten zur Teilnahme am mündlichen Verfahren nicht verpflichtet sind, kann seine Aufforderung, Benchmarks aufzustellen, nur so verstanden werden, dass diese in den Staatenbericht eingefügt werden sollen. Auch ist das Prüfungsverfahren am effektivsten, wenn 141
Riedel: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, a.a.O. (Fn. 6), S. 72 f.; ders.: New Bearings to the State Reporting Procedure, a.a.O. (Fn. 6), S. 357 142
Zu diesen Funktionen des Rechts: Rehbinder a.a.O. (Fn. 25), S. 130 f.
143
Riedel: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, a.a.O. (Fn. 6), S. 73; ders.: Universeller Menschenrechtsschutz – vom Anspruch zur Durchsetzung, a.a.O. (Fn. 14), S. 52. Zum Hintergrund des Sachverstands bei den einzelnen UN–Sonderorganisationen: Philip Alston: The United Nations’ Specialized Agencies and Implementation of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: Columbia Journal of Transnational Law 1979–1980, S. 79 (S. 103) 144
Vgl. Riedel: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, a.a.O. (Fn. 6), S. 79 und 83 145
Siehe oben S. 244 f.
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die Benchmarks zum frühestmöglichen Zeitpunkt, also bereits mit dem Staatenbericht, in das Verfahren eingeführt werden. Denn je mehr Zeit zur Verfügung steht, um die Werte zu kontrollieren, desto optimaler ist die Überwachung. Benchmarks gehören also zum Inhalt der Berichte. Genau dieser Inhalt wird gemäß Artikel 16 Absatz 2 (a) IPwskR „nach Maßgabe des Pakts“ geprüft. „Maßgabe des Pakts“ ist aber, dass die Benchmarks möglichst hoch sein müssen. Damit hat der ECOSOC und durch ihn der Ausschuss die Kompetenz, die Benchmarks darauf zu überprüfen, ob sie angemessen gesetzt wurden. Fazit: Das „Scoping“–Verfahren fußt auf Artikel 16 Absatz 2 (a) IPwskR in Verbindung mit den materiellen Normen des Sozialpakts.
3.) Die Verbindlichkeit der „gescopten“ Benchmarks a) Eingrenzung des Problems Inwieweit sind Benchmarks verbindlich, wenn sie die „Scoping“– Prozedur durchlaufen haben? Die denkbare Spannbreite reicht hier von völliger Bedeutungslosigkeit bis hin zu strikter Verbindlichkeit. Es geht hier zunächst nur darum, ob der Staat die Ziele willentlich über Bord werfen darf. Ein anderes, später zu erörterndes Problem ist, was passiert, wenn ihm trotz größtmöglicher Anstrengungen nicht gelungen ist, die Zielmarke zu erreichen.
b) Die Effektivität der Paktüberwachung Ausgangspunkt für die Lösung der Bindungsfrage ist, dass die Benchmarks – wie dargelegt – eine antizipierte Ermessensausübung sind.146 Könnte der Staat sein Ermessen jederzeit erneut in eine andere Richtung konkretisieren, wären die Vorteile der IBSA–Prozedur teilweise dahin: Der Ausschuss will ja die Benchmarks bei der nächsten Berichtsprüfung als Sollwerte für die Indikatoren verwenden. Wären die Benchmarks frei widerruflich, hätten die Staaten es auch leichter, Schutzbehauptungen aufzustellen, indem sie sich auf vermeintliche Politikänderungen nach Abfassung der Benchmarks berufen. Vor allem aber könnten sie darüber disponieren, ob sie an den Benchmarks festhalten und die Berichtsprüfung für den Ausschuss einfach wird oder ob sie die Ziele aufgeben und ihm dadurch die Paktüberwachung er146
Siehe oben S. 227
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
schweren. Das kann nicht im Sinne einer bestmöglichen Menschenrechtsverwirklichung sein. Unabhängig davon lässt sich mit bindenden Benchmarks das Verhalten des Staates in eine gewünschte Richtung steuern.147 Der Ausschuss kann nämlich Staaten, die seine Hilfe in Anspruch nehmen möchten, um die Wsk–Rechte optimal zu verwirklichen, zu dem Zeitpunkt beraten, zu dem sie ihre Entscheidungen treffen. Er kann ihnen helfen, die Ressourcen geschickt zu verteilen und den Weg der bestmöglichen Realisierung zu finden. Aber auch mit Blick auf Staaten, die die Menschenrechte nur unwillig umsetzen, kann man argumentieren, dass bindende Benchmarks eher dem Zweck des Sozialpakts entsprechen. Kontrolle ist nämlich das Mittel, um die Wsk–Rechte umzusetzen. Dem kann man den Gedanken entnehmen, dass die Wsk–Rechte umso besser umgesetzt werden, je größer die Kontrolle ist.148 Wenn der Ausschuss aber in jedem Fall prüft, warum der Staat von seinen zuvor aufgestellten Zielen abgewichen ist, bedeutet dies eine stärkere Kontrolle als wenn der Staat hierüber keine Rechenschaft ablegen muss. Ist der Staat hier darlegungspflichtig, werden die Wsk–Rechte also besser verwirklicht. Zugegeben, dies allein vermag die Bindung noch nicht zu begründen. Denn rechenschaftspflichtig sind die Staaten bei allen Ermessenserwägungen und das obwohl sie hier einen großen Freiraum haben.149 Allerdings steigen die Kontrollmöglichkeiten des Ausschusses, wenn es den Staaten nur in eng begrenzten Ausnahmefällen gestattet ist, von den Benchmarks abzurücken. Es ließe sich auch vertreten, eine Unverbindlichkeit entspreche den Grundsätzen der AEMR, dem Sozialpakt sei eher das Prinzip der Verbindlichkeit zu entnehmen. Diesem Argument kommt jedoch nur mindere Bedeutung zu, denn das IBSA–Konzept stand weder 1948 noch 1976 im Raum. Nur weil die Wsk–Rechte durch ein Berichtsprüfungsverfahren kontrolliert werden, bedeutet das nicht zwingend, dass die Staaten an Zielen, die sie innerhalb dieses Verfahrens aufstellen, festhalten müssen. Das Prinzip der Verbindlichkeit betrifft nämlich nur die Tatsache, dass überhaupt ein Berichtsverfahren besteht. Mit dem Zweck
147
Zur Funktion des Rechts zur Verhaltenssteuerung: Rehbinder a.a.O. (Fn. 25), S. 134 148 149
Vgl. aber sogleich unter c) Siehe oben S. 63
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des Sozialpakts und seiner Entstehungsgeschichte kann man also nicht argumentieren. Letzten Endes darf man jedoch nicht vergessen, dass es ein Staat mit der Aufstellung der Benchmarks nicht sonderlich ernst nehmen wird, wenn diese ohnehin freibleibend sind. Fazit: Nicht nur aus dem Sozialpakt als solchem, sondern vor allem aus dem Zweck der Benchmarks lassen sich Argumente zugunsten einer Bindungskraft herleiten.
c) Die staatliche Flexibilität Man könnte argumentieren, eine hundertprozentige Bindung sei zu starr und mit der Intention des Sozialpakts unvereinbar. Es kann nämlich geboten sein, von Benchmarks abzuweichen, beispielsweise wenn die Ressourcen nach einer unvorhergesehenen Flutkatastrophe anders verteilt werden müssen.150 Dieser Einwand ist zwar an sich plausibel. Er darf aber nicht dazu führen, dass man den Benchmarks jeglichen rechtlichen Wert abspricht. Denn es macht einen Unterschied, ob der Staat seine Ressourcen statt für die primär verabschiedeten Zwecke anderweitig für die Menschenrechtsverwirklichung einsetzt oder ob er sie überhaupt nicht für die Menschenrechte einsetzt. Vielmehr erleichtert es eine Bindung dem Ausschuss, den staatlichen Unwillen von der Unfähigkeit aufgrund begrenzter Ressourcen abzugrenzen.151 Ein Indiz hierfür kann sein, ob eine unvorhergesehene Situation aufgetreten ist, in der ein fiktiver Staat, der es mit der Verwirklichung der Menschenrechte ernst nimmt, ebenso gehandelt hätte. Beachtlich ist allerdings, dass Artikel 2 Absatz 1 IPwskR den Grundsatz der Flexibilität enthält. Danach wollten die Staaten völkerrechtlich grundsätzlich nicht verpflichtet sein, über ihre Ressourcen in Zukunft zu disponieren. Vielmehr wollten sie unter Berufung auf ihre Souveränität ihre Ressourcen möglichst frei einsetzen können. Auch geht der Sozialpakt davon aus, dass die Wsk–Rechte dann optimal verwirklicht werden, wenn jeder Staat auf seine Besonderheiten eingeht. 150
Zum sogenannten „Flexibilitätsprinzip“ im Recht: Hans–Peter Schwintowski: Juristische Methodenlehre, 2005, S. 35 151 Vgl. General Comment Nr. 14 § 47, enthalten in UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Und die individuellen Probleme vermögen nicht nur von Ort zu Ort, sondern auch von Zeit zu Zeit zu variieren.152 Darauf aufbauend könnte man daran zweifeln, ob Benchmarks binden. Denn das hätte zur Folge, dass das Flexibilitätsprinzip eingeschränkt würde. Insbesondere ist dies bedenklich, weil man letztlich aus dem Wortlaut „berichten“ in Artikel 16 IPwskR ableiten würde, dass eine Regierung ihre Nachfolger verpflichten kann. Diesen an sich plausiblen Einwänden ist zunächst entgegenzuhalten, dass die Verpflichtung nachfolgender Regimes nicht aus dem Wortlaut „berichten“ folgen würde, denn dieser ist nur Anlass dafür, dass Benchmarks erlassen wurde. Gebunden würden sie vielmehr aufgrund der Benchmarking–Erklärung eines kompetenten Staatsorgans. Darüber hinaus bleibt aber festzuhalten, dass der Grundsatz der Flexibilität zu berücksichtigen ist. Ob er nicht jedoch bei der Frage, ob Benchmarks binden, gegenüber anderen Prinzipien zurücktreten muss, bleibt zu untersuchen. Fazit: Gerade umgekehrt zur Schlussfolgerung im vorangehenden Abschnitt gilt: Nicht aus der Benchmarking–Erklärung, sondern aus dem Sozialpakt selbst lassen sich Argumente gegen eine Bindungskraft herleiten, die bislang nicht entkräftet wurden.
d) Der Vergleich mit dem völkerrechtlichen Vertrag Bezweifelt wird, ob die Staaten einen Rechtsbindungswillen haben, wenn sie die Benchmarks festlegen.153 Zum einen würden die normalen völkerrechtlichen Bindungsformalitäten nicht eingehalten. Zum anderen sei auch nicht davon auszugehen, dass sich eine Regierung für fünf Jahre gegenüber dem Ausschuss verpflichten will, ein bestimmtes sozialpolitisches Programm durchzuführen.154 Dazu ist zunächst zu sagen, dass es der völkerrechtlichen Praxis entspricht, Benchmarks zu vereinbaren, etwa im Umweltschutzrecht.155 152 Riedel in: Etudes en l’honneur du Professeur Giorgio Malinverni, a.a.O. (Fn. 9), S. 266 153
Klee a.a.O. (Fn. 8), S. 228, die dieses Argument allerdings in einem anderen Zusammenhang anspricht 154 155
Ibidem
Etwa Anlage B zum Kyoto Protocol to the United Nations Framework Convention on Climate Change vom 10. Dezember 1997, UN Doc. FCCC/CP/1997/7/Add.1, 37 I.L.M. 22 (1998)
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Nun muss man sich natürlich fragen, ob der Erlass von Wsk– Benchmarks mit dieser Praxis vergleichbar ist. Die Benchmarks im Umweltschutzrecht haben ihre Grundlage in einem völkerrechtlichen Vertrag. Zweifelhaft ist, ob Wsk–Benchmarks den Tatbestand eines völkerrechtlichen Vertrags erfüllen. Darunter versteht man eine ausdrückliche oder konkludent getroffene Willenseinigung zwischen zwei oder mehreren Völkerrechtssubjekten, die der Regelung völkerrechtlicher Beziehungen dient.156 Sie setzt die sogenannte Vertragsabschlusskompetenz voraus. Wsk–Benchmarks werden nicht gemäß Artikel 6 WVK unmittelbar von abschlusskompetenten Staaten untereinander vereinbart. Auch steht weder dem ECOSOC noch dem Ausschuss die Befugnis zu, völkerrechtliche Verträge abzuschließen. Würde es sich hingegen beim IPwskR nur um einen Rahmen– oder Vorvertrag handeln, der zu seiner Ausführung den Abschluss weiterer Verträge notwendig macht, hätte man den ECOSOC gemäß Artikel 7 WVK analog dazu ermächtigen müssen, im Namen der anderen Paktmitglieder Verträge abzuschließen. Zumindest müssten sämtliche Mitgliedsstaaten die von einem Staat dem Ausschuss vorgeschlagenen Benchmarks gemäß Artikel 8 WVK analog be–stätigen. Dies ist im IBSA–Modell aber nicht vorgesehen. Zwischenfazit: Schon mangels Vertragsabschlusskompetenz sind Wsk– Benchmarks keine völkerrechtlichen Verträge. Unabhängig davon könnte es geboten sein, die für völkerrechtliche Verträge geltenden Grundsätze anzuwenden. Man kann nämlich erwägen, ob man nicht den für völkerrechtliche Verträge geltenden Artikel 27 WVK analog heranzieht. Nach dieser bereits erwähnten Vorschrift157 kann sich ein Staat nicht auf sein innerstaatliches Recht berufen, um die Nichterfüllung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen zu rechtfertigen.158 Und wenn schon innerstaatliche Normen im Rahmen völkerrechtlicher Verträge unbeachtlich sind, gilt dies erst recht für nationale, politische Vorstellungen, die nicht den Status einer Rechtsnorm erreichen. In beiden Fällen setzt sich also das Völkerrecht durch.
156
Susanne Kratzsch: Rechtsquellen des Völkerrechts außerhalb von Art. 38 Abs. 1 IGH–Statut, 2000, S. 9 157 158
S. 152
Die authentische, englische Fassung lautet: „A party may not invoke the provisions of its internal law as justification for its failure to perform a treaty.“
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Zwar passt der A–maiore–ad–minus–Schluss nicht unmittelbar, weil es bei Artikel 27 WVK um die Erfüllung eines völkerrechtlichen Vertrags geht und es sich bei den Benchmarks um keinen Vertrag handelt. Diese Unterschiede zwischen Benchmarks und völkerrechtlichen Verträgen sind aber irrelevant, wenn das Völkerrecht die Verpflichtungskonflikte in beiden Fällen identisch löst. Daher muss man überlegen, ob man auf die Frage, inwieweit Benchmarks einen Staat binden, Artikel 27 WVK analog anwenden kann. Ist das der Fall, haben die Regierungen das Recht, ihren Staat für die Zukunft zu verpflichten. Eine planwidrige Regelungslücke liegt vor, da die Verfasser des Sozialpakts nicht angesprochen haben, ob es Benchmarks geben soll und inwieweit diese binden.159 Die Untersuchung verlagert sich damit auf das Problem, ob eine vergleichbare Interessenlage besteht. Artikel 27 WVK regelt den Konflikt zwischen nationalem Recht und Völkerrecht zugunsten des letzteren. Der Grund liegt in der Rechtssicherheit. Diese wäre nämlich gefährdet, wenn einzelne Staaten sich ihrer völkerrechtlichen Bindungen entziehen könnten, indem sie den Vertragspartner auf ihr eigenes nationales Recht verweisen, das unter Umständen nach der Ratifizierung erlassen wurde oder der anderen Partei unbekannt ist. Immerhin bezweckt der Vertrag, einen einmal gefundenen Konsens festzuhalten und eine Kooperation rechtlich zu fundieren, die nachträglichen Willensänderungen entzogen sein soll. Man kann sich auf den Standpunkt stellen, genau dieselben Wertungen gälten, wenn ein Staat Benchmarks erlässt. Denn könnte jede Regierung sich unter Berufung auf eine geänderte Politik von den Benchmarks lossagen, wäre die Rechtssicherheit gefährdet. Genau letztere will die IBSA–Methode aber verbessern. Benchmarks machen also – wie völkerrechtliche Verträge – kaum Sinn, wenn sie nicht verbindlich sind. Artikel 27 WVK dient im Rahmen von völkerrechtliche Verträgen dem gleichen Zweck, wie die IBSA–Prozedur für das Berichtsprüfungsverfahren, nämlich Rechtssicherheit zu schaffen. Dies kann eine Analogie rechtfertigen. Nun mag man einwenden, die Bindung habe zur Konsequenz, dass eine Regierung ihre Benchmarks immer unter Vorbehalt stellen wird, um der Bindungskraft zu entgehen. Beispielsweise könnte sie ausführen, die 159 Unabhängig davon, dass die WVK ohnehin keine Rückwirkung hat; siehe dazu S. 9
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Ziele sollten nur für den Fall gelten, dass der alte Regierungschef im Amt bleibt. Dies käme aber einer Bedingung gleich, unter die ein Benchmark – wie ausgeführt – nicht gestellt werden darf. Die Bedenken lassen sich daher zerstreuen. Allerdings lässt sich vertreten, eine Bindung nachfolgender Regime sei menschenrechtsschädlich. Denn immerhin kann der Grund für einen Machtwechsel in der aus Sicht der Wähler verfehlten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Politik des Vorgängerregimes liegen. Dass die alten Benchmarks dann binden sollen, erscheint bedenklich. Man kann auch argumentieren, die Staaten entsprechend Artikel 27 WVK an ihren Benchmarks festzuhalten, führe zu Unstimmigkeiten im Hinblick auf die Gewaltenteilung. Denn an der Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrags seien in der Regel die Parlamente beteiligt, so dass deren Kompetenz gewahrt bleibe. Letztere Aussage ist zwar korrekt. Damit ist jedoch für die Bindungskraft der Benchmarks noch nichts gewonnen. Denn ob die nationalen Gesetzgebungskörperschaften an der IBSA–Prozedur zu beteiligen sind, bleibt noch zu untersuchen.160 Selbst wenn dies nicht der Fall ist, gilt der Staat im Völkerrecht nach außen hin als Einheit. Es wird somit nicht zwischen den einzelnen Gewalten differenziert, solange das vertretungsberechtigte Organ auftritt. Dass sich die Staaten offenhalten wollen, ihre Politik zu ändern, kann indes kein überzeugendes Argument sein. Ein Staat würde sich nämlich widersprüchlich verhalten, wenn er einerseits Benchmarks erlässt und damit zeigt, dass er die Rechtssicherheit verbessern will, andererseits aber im Nachhinein von ihnen abgehen dürfte, ohne dass dies vorhersehbar wäre. Ansonsten stünden Benchmarks unter einem Legal– Änderungsvorbehalt, und das entspräche einer Bedingung, die aus oben genannten Gründen nicht mit der Benchmarkingprozedur zusammenpasst. Gewiss, es lässt sich einwenden, dass die Staaten bei strikter Bindung im Benchmarkingverfahren stärker gebunden sind als bei einem völkerrechtlichen Vertrag. Denn nur letzteren können sie unter Bedingungen oder Vorbehalte stellen. Diese Unterschiede sind aber gerechtfertigt, da im „Scoping“– und „Assessment“–Verfahren nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung steht. Ungeachtet dieser Differenzen sind völkerrechtliche Verträgen und Benchmarks in den entscheidenden Punkten vergleichbar. Ebenso wie 160
Siehe unten S. 286 f.
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bei einem völkerrechtlichen Vertrag kann nämlich kein Staat dazu gezwungen werden, Benchmarks aufzustellen. Tut er das jedoch, gibt er inzident eine Erklärung ab, auf das Flexibilitätsprinzip und damit partiell auf seine Souveränität zu verzichten. Damit liegt eine vergleichbare Interessenlage vor, so dass Artikel 27 WVK analog auf Benchmarks angewendet werden könnte. Dieser Fall wird allerdings nur relevant, wenn die Benchmarking–Erklärung völkerrechtlich bindet. Das ist mit der Analogie aber nicht gesagt, denn Artikel 27 WVK regelt Kollisionsfälle. Und ob eine Kollision vorkommen kann oder nicht, richtet sich danach, ob Benchmarks auf der völkerrechtlichen Ebene binden. Dies wiederum könnte man allenfalls mit einer Analogie zum Grundsatz des pacta sunt servanda (Artikel 26 WVK) begründen, nicht aber mit der Sondervorschrift des Artikels 27 WVK. Bei Abfassung der Benchmarks muss es zudem gar nicht zu Kollisionen kommen. Theoretisch kann es sein, dass sich innerstaatlich alle kompetenten Organe auch nach fünf Jahren noch einig sind. Trotzdem bleibt dann die Frage offen, ob sich das nach außen handelnde Staatsorgan bei Eröffnung seiner Benchmarks binden wollte. Bei der Frage, inwieweit sich ein Staatenvertreter durch die Benchmarking–Erklärung binden will, geht es nämlich primär darum, wie ein völkerrechtlicher Tatbestand auszulegen ist. Die Analogie besagt also nur, dass, sollten Benchmarks binden, sie im Konfliktfall der innerstaatlichen Politik vorgehen. Die Frage, inwieweit die Staaten an ihren Zielen festgehalten werden, ist damit noch nicht allgemein beantwortet. Aus diesen Ausführungen lässt sich ableiten, dass man nicht ohne Weiteres aus einem Vergleich mit dem völkerrechtlichen Vertrag einen fehlenden Rechtsbindungswillen deduzieren kann. Denn bei der Frage, ob sich die Staaten verpflichten wollen, ist zu bedenken, dass sie – anders als bei völkerrechtlichen Verträgen – aufgrund einer übergeordneten Rechtsnorm bereits in gewissem Umfang gebunden sind. Benchmarks dienen nur dazu, einen völkerrechtlichen Vertrag auszuführen, sie sind allenfalls eine sekundäre Verbindlichkeit. Im Gegensatz dazu schafft ein völkerrechtlicher Vertrag neues Primärrecht. Diese Unterschiede können es rechtfertigen, die Erklärung im Benchmarkingverfahren weniger streng auszulegen als die Beitrittserklärung zu einem völkerrechtlichen Vertrag – und das, obwohl es in beiden Fällen darum geht, ob das handelnde Staatsorgan sein Land verpflichtet. Fazit: Benchmarks sind keine völkerrechtlichen Verträge. Dennoch kann man für das Verhältnis zwischen Benchmarks und innerstaatlichem Recht beziehungsweise innerstaatlicher Politik Artikel 27 WVK
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
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analog heranziehen, wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass Benchmarks binden. Für die Frage, ob Benchmarks binden, ist aber Artikel 27 WVK nichts zu entnehmen, da es sich hierbei um eine rein völkerrechtliche Frage handelt. Unabhängig davon bestehen zwischen völkerrechtlichen Verträgen und Benchmarks Unterschiede, die es eventuell rechtfertigen, bei letzteren die Bindungskraft nach weniger strengen Kriterien zu prüfen.
e) Zur Relevanz der „Scoping“–Erklärung des Ausschusses für die Bindungskraft der Benchmarks Welche Rechtsnatur die Benchmarks haben, soll später noch detailliert analysiert werden. Entscheidungserheblich ist aber bereits an dieser Stelle, inwieweit der Ausschuss darauf Einfluss nehmen kann, ob Benchmarks bindend sind. Denn auch, wenn es sich bei den „gescopten“ Benchmarks nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt, könnte eine vertragsähnliche Rechtsform vorliegen, die zwei korrespondierende Erklärungen verlangt. Folge wäre dann, dass die Benchmarks nur bindend wären, wenn der Ausschuss sich mit ihnen einverstanden erklärt hat. Man muss sich also fragen, welche Relevanz die „Scoping“–Erklärung des Ausschusses hat. Was passiert, wenn er eine Zielmarke ablehnt? Gilt sie trotzdem, oder ist sie als nicht existent zu betrachten? Die Antwort lässt sich wiederum aus dem Zweck des Berichtsprüfungssystems gewinnen. Zwar mag ein Staat dazu geneigt sein, zu niedrige Benchmarks aufzustellen, wenn nur er darüber entscheidet, ob sie gelten oder nicht. Dies allein ist jedoch kein Grund, die „Scoping“–Erklärung des Ausschusses als Quasiannahmeerklärung zu interpretieren. Das „Scoping“–Verfahren hat nämlich eine ganz andere rechtliche Relevanz: Es dient dazu, zu überwachen, ob die Benchmarks angemessen gesetzt wurden und soll eine Bewertung hierüber abgeben. Wäre ein Benchmark nur bindend, wenn der Ausschuss sich mit ihr einverstanden erklärt hat, könnte eine Regierung die Bindungskraft dadurch verhindern, dass sie bewusst eine zu niedrige Benchmark vorstellt, von der sie weiß, dass der Ausschuss sie ablehnen wird. Anschließend könnte sie sich damit rühmen, an einer bestmöglichen Umsetzung der Menschenrechte zu arbeiten, indem sie Benchmarks setzt und behaupten, durch den Ausschuss daran gehindert worden zu sein. Dies
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
kann nicht im Sinne der Rechtsverwirklichung sein. Wenn ein Staat also eine zu niedrige Benchmark vorstellt und der Ausschuss sie ablehnt, muss man ihn zumindest an dieser festhalten, wenn er sogar sie verfehlt. Denn würde hier überhaupt kein Benchmark gelten, würde dies der Menschenrechtsverwirklichung noch weniger entsprechen. Allerdings würde eine Regierung davon abgehalten, möglichst viele Benchmarks aufzustellen, wenn sie befürchten müsste, immer an alle gebunden zu sein. Aufgrund ihrer Souveränität muss es den Ländern darum gestattet sein, nach dem „Scoping“ noch einmal darüber zu disponieren, ob sie an genau dieser Zusammenstellung von Benchmarks festhalten wollen. Denn der Ausschuss könnte sonst Zielmarken in einer Weise kombinieren, die den staatlichen Vorstellungen widerspricht. Das wiederum unterliefe das nationale Ermessen. Gibt ein Land also mehrere Benchmarks ab, können diese grundsätzlich nur als Vorschlag verstanden werden. Beispiel: Ein Staat stellt für jedes Paktrecht zehn Benchmarks auf. Er geht davon aus, dass der Ausschuss aus Zeitgründen nicht alle „scopen“ wird, weiß aber noch nicht, welche. Der Ausschuss „scopt“ jeweils einen Indikator für das Recht auf Bildung, Nahrung und Arbeit. Die Kombination dieser konkreten drei Benchmarks ist dem Staat jedoch sehr ungelegen, er wollte diese Ziele nur alternativ verwirklichen. Kommt es dann zu keiner Einigung, kann die Regierung auch die Benchmarks, mit denen der Ausschuss einverstanden war, widerrufen, denn ansonsten würde das staatliche Ermessen unzulässigerweise beschnitten. Der Staat allein entscheidet somit bis zum Abschluss des mündlichen Verfahrens darüber, welche Benchmarks er aufstellt und in welcher Höhe. Das „Scoping“–Verfahren hat also nur den Zweck, die Rechtmäßigkeit der Benchmarks festzustellen. Auf ihre Gültigkeit hat es keinen Einfluss. Zwischenfazit: Benchmarks sind einseitige Erklärungen der Staaten. Einseitige Rechtsgeschäfte sind in Artikel 38 IGH–Statut nicht ausdrücklich erwähnt. Gleichwohl ist ihre Existenz allgemein anerkannt.161 161
Kratzsch a.a.O. (Fn. 156), S. 22, 26
Viele Autoren gehen davon aus, Art. 38 IGH–Statut habe nur Bedeutung für das Verfahren vor dem IGH, zumindest hat sich aber die internationale Praxis seit Erlass des IGH–Statut stark gewandelt und neuartige Phänomene hervor-
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
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Bekannt sind die Notifikation, die Anerkennung, das Versprechen, der Verzicht und der Protest.162 Relevant ist hier vor allem die Fallgruppe des völkerrechtlichen Versprechens („commitment“). Dabei handelt es sich um die Erklärung eines Staates, in dem sich dieser gegenüber einem oder mehreren anderen Staaten zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet.163 Ein Beispiel ist die Erklärung Frankreichs, die Atomversuche auf Mururoa seien abgeschlossen.164 Völkerrechtliche Versprechen sind verbindlich.165
f) Der Vergleich mit dem völkerrechtlichen Versprechen Kurz vorab: Benchmarks sind kein völkerrechtliches Versprechen. Denn ein solches liegt nur bei Erklärungen vor, die ihre Bedeutung aus sich selbst heraus schöpfen. Sie müssen also von anderen Rechtsquellen unabhängig sein.166 Den Willen, durch die Benchmarks gebunden zu sein, könnte man aber nur aus einer Zusammenschau von Ratifizierung des Sozialpakts und Benchmark ableiten. Benchmarks sind somit keine selbstständigen Rechtsgeschäfte, sondern dienen nur dazu, den IPwskR, also einen völkerrechtlichen Vertrag, auszuführen. Allerdings wird das Versprechen aus Gerechtigkeitserwägungen – wie dem Grundsatz von Treu und Glauben oder dem Estoppelprinzip – abgeleitet.167 Denkbar wäre, dass sich aus diesen Erwägungen Argumente für die Frage ableiten lassen, inwieweit die Benchmarks verbindlich sind. Die Bindungskraft eines völkerrechtlichen Versprechens wird dadurch gerechtfertigt, dass das Vertrauen der Erklärungsempfänger schützens-
gebracht; vgl. Ermacora a.a.O. (Fn. 68), S. 73; Kratzsch a.a.O. (Fn. 156), S. 12 f., 18 162
Verdross/Simma a.a.O. (Fn. 119), S. 425 – 435
163
Grundlegend: IGH Nuclear Tests (New Zealand v. France), Judgment, I.C.J. Reports 1974, S. 457 (S. 473 f.); von Heinegg a.a.O. (Fn. 39), S. 239 164
IGH a.a.O. (Fn. 163), S. 474 f.; dazu Jürg Leutert: Einseitige Erklärungen im Völkerrecht, 1979 S. 63 – 80 165
von Heinegg a.a.O. (Fn. 39), S. 237
166
Bleckmann: Völkerrecht, a.a.O. (Fn. 39), S. 132; Kratzsch a.a.O. (Fn. 156), S. 32 f.; vgl. auch: von Heinegg a.a.O. (Fn. 39), S. 235 167 von Heinegg a.a.O. (Fn. 39), S. 236; ausführlich Kratzsch a.a.O. (Fn. 156), S. 46 ff.
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
wert ist, wohingegen der Erklärende wenig schutzwürdig ist, weil er seine Erklärung aus freien Stücken abgibt und über deren Inhalt disponieren kann.168 Bei den Benchmarks ist die Sachlage aber ein wenig anders. Der Staat ist nämlich nicht vollständig frei, wenn er seine Benchmarks vorstellt. Freilich, es besteht keine Pflicht, diese abzufassen, und er kann in den peripheren Dimensionen seine Ressourcen nach eigenen Erwägungen verteilen. Allerdings müssen Benchmarks möglichst hoch sein. Beim „Wie“ der Willensäußerung ist er somit in weitem Umfang gebunden. Es erscheint daher unbillig, den Staat an seiner Zielmarke ebenso festzuhalten wie an einem völkerrechtlichen Versprechen, weil er in seiner Erklärung nicht gleichermaßen frei ist. Hinzu kommt: Würde man die Staaten an ihren Ermessensentscheidungen festhalten, hätte man eine stärkere Bindungswirkung als bei einem völkerrechtlichen Versprechen. Denn dieses ist grundsätzlich widerruflich, wenn nicht ein anderes Völkerrechtssubjekt im Vertrauen auf die Erklärung disponiert hat.169 Die Benchmarks wären aber sogar dann unwiderruflich, wenn es keinen derartigen Vertrauenstatbestand gäbe. Daraus könnte man schlussfolgern, dass Benchmarks nicht verbindlich sind. Zu bedenken ist aber, dass das Versprechen auch auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes basiert. Dritte Völkerrechtssubjekte müssen sich darauf verlassen können, dass der Staat sich entsprechend seiner Erklärung verhalten wird. Zu untersuchen ist, ob diese Argumente sich auch für die Benchmarks fruchtbar machen lassen. Die Vorfrage lautet, auf wessen Vertrauen es im IBSA–Verfahren ankommt. Die Benchmarks werden zwar gegenüber dem Ausschuss abgegeben. Dieser ist aber nur Empfangsbote. Erklärungsempfänger sind die dahinterstehenden Völkerrechtssubjekte. In erster Linie sind dies die übrigen Paktmitgliedsstaaten. Beim Sozialpakt handelt es sich aber um
168 169
Bleckmann: Völkerrecht, a.a.O. (Fn. 39), S. 133
von Heinegg a.a.O. (Fn. 39), S. 237; Kratzsch a.a.O. (Fn. 156), S. 53; vgl. auch Leutert a.a.O. (Fn. 164), S. 53 – 61
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
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einen Vertrag zugunsten Dritter, nämlich der Menschen.170 Dass letztere partiell Völkerrechtssubjekte sind, ist heute allgemein anerkannt.171 Fraglich ist deswegen, ob nur oder auch auf den guten Glauben der Individuen abzustellen ist. Zwar liegt lediglich ein unechter Vertrag zugunsten Dritter vor, weil der Sozialpakt Einzelnen keine Klagemöglichkeit auf internationaler Ebene einräumt.172 Das deutet darauf hin, dass Ansprüche auf internationaler Ebene nur im Deckungsverhältnis, also unter den Paktstaaten, bestehen.173 Allerdings ist der Sozialpakt ein Akt der Fürsorge gegenüber den Individuen. Des Weiteren sind den Menschen die Wsk–Rechte prinzipiell unentziehbar gewährt, denn Paktstaaten können nicht nach Belieben aus dem IPwskR „austreten“. Er bezweckt nämlich als normativer Vertrag prinzipiell universelle und zeitlich unbegrenzte Gültigkeit.174 Die starke Stellung der Individuen spricht dafür, dass es auf deren Vertrauen ankommt. Zwischenfazit: Es kommt auf das Vertrauen beider Arten von Völkerrechtssubjekten, sowohl auf das der Staaten als auch das der Menschen, an. Drittstaaten und Individuen vertrauen unter Umständen darauf, dass das Berichtsland seine einmal aufgestellten Benchmarks nicht mehr willkürlich ändert, sondern zu verwirklichen sucht. Allerdings wird im Völkerrecht das Vertrauen des Erklärungsempfängers nur dann geschützt, wenn zumindest die Möglichkeit besteht, dass er darauf aufbauend rechtlich erheblich handelt. Dies gilt unabhängig davon, ob man den Vertrauensschutzgedanken aus dem Estoppelprinzip oder aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ableitet. Man muss sich also fragen, welche rechtserheblichen Dispositionen Individuen oder Drittstaaten im Vertrauen auf die Benchmarks vornehmen können.
170
Karl Doehring: Völkerrecht – Ein Lehrbuch, 1999, S. 149. Zu Verträgen zugunsten von Drittstaaten siehe Art. 36 WVK 171
Doehring, 2. Auflage, a.a.O. (Fn. 170), S. 108; Volker Epping in: Knut Ipsen: Völkerrecht, 5. Auflage 2004, S. 95 – 100 172 Daran würde selbst das Zusatzprotokoll zum IPwskR nichts ändern, denn dieses sieht nur eine Individualbeschwerde vor, aber keine Möglichkeit, die Wsk–Rechte klageweise durchzusetzen 173 174
S. 132
Doehring, 2. Auflage, a.a.O. (Fn. 170), S. 149 Vgl. Walter Kälin/ Jörg Künzli: Universeller Menschenrechtsschutz, 2005,
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Da Individuen nicht auf völkerrechtlicher Ebene handeln, kann es nicht darauf ankommen, ob ein Staat sie zu einem Verhalten veranlasst hat.175 Denn dieses Kriterium wäre nie erfüllt. Aber auch ein Drittstaat wird kaum eine rechtlich erhebliche Handlung im Vertrauen auf die Benchmarks eines anderen Staates vornehmen, zumindest wenn sie innerstaatliche Ziele betreffen. Drittstaaten können auch nicht argumentieren, es sei ungerecht, wenn sie sich an ihre Benchmarks halten, andere Länder aber nicht. Beim Sozialpakt handelt es sich nämlich um keinen gegenseitigen Vertrag. Allenfalls ließe sich sagen, dass Drittstaaten oder Individuen es unterlassen können, staatliche Maßnahmen einzufordern, die inhaltlich den Benchmarks entsprechen, weil sie darauf vertrauen, dass die Staaten ihre gesteckten Ziele verfolgen werden. Zum einen wäre dieses Vertrauen aber schwer beweisbar. Zum anderen geriete man in die Nähe eines Zirkelschlusses. Denn das Vertrauen wäre nur schützenswert, wenn die Erklärungsempfänger davon ausgehen durften, dass die Ziele verbindlich sind. Wären die Benchmarks nämlich unverbindlich, müssten sie damit rechnen, dass der Staat seine Ziele wieder aufgibt. Vertrauensschutz setzt also voraus, was es gerade erst zu begründen gilt. Fazit: Mit dem Vertrauensschutz lässt sich hier in keine Richtung argumentieren. Weder geht aus ihm hervor, ob Benchmarks verbindlich sind, noch lässt sich das Gegenteil belegen. Die Gegenüberstellung mit dem völkerrechtlichen Versprechen taugt somit als Argument nur am Rande.
g) Die Interessenabwägung Zu prüfen bleibt, ob man die Bindungsfrage lösen kann, indem man die beteiligten Interessen gegeneinander abwägt. Bei der Interessenabwägung steht auf Seiten des berichtenden Staates seine Souveränität. Er möchte weitgehend selbst darüber bestimmen, wie er die Wsk–Rechte umsetzt. Dazu gehört auch, dass er seine ursprünglichen Pläne ändern kann. Auf der anderen Seite stehen außerordentlich hochrangige Werte auf dem Spiel: Da die Verwirklichung der Menschenrechte das Endziel der
175
Zu völkerrechtlichen Verträgen, an denen Privatpersonen beteiligt sind: Doehring, 2. Auflage, a.a.O. (Fn. 170), S. 168 – 173
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gesamten Völkerrechtsordnung ist,176 geht es um die völkerrechtlich gesehen höchsten Werte überhaupt. Zwar dient auch die Souveränität den Menschenrechten. Denn nur, wenn der Staat sein Ermessen ausübt, können die Wsk–Rechte nach dem Gedanken des Sozialpakts optimal verwirklicht werden.177 Dass das Ermessen bei der Realisierung der Wsk–Rechte aber weniger wiegt als der Gedanke einer effektiven Paktüberwachung, zeigt sich schon daran, dass es vielfach beschränkt ist, um die Umsetzung der Wsk– Rechte zu kontrollieren.178 Hinzu kommt, dass sowohl der Berichtsstaat als auch die internationale Gemeinschaft ein Interesse an Rechtssicherheit haben. Dies ist im IPwskR besonders ausgeprägt, da hier materielle wie formelle Bestimmungen sehr weit formuliert sind, was ein starkes Konfliktpotential birgt. Sind Benchmarks bindend, werden diese Konflikte zugunsten einer einheitlichen Lösung bereinigt. Alle Beteiligten erhalten Rechtssicherheit, weil bekannt ist, an welchen Sollwerten sich das „Assessment“ zu orientieren hat. Maßgeblich sind die Auswirkungen auf die Menschenrechtsüberwachung und damit auf die Rechtsverwirklichung. Wären die Benchmarks unverbindlich, wäre das Prüfungsverfahren unvollkommen. Damit hätte es der Ausschuss schwerer, den Sozialpakt zu überwachen. Zwar ist richtig, dass die Benchmarkbindung das staatliche Selbstbestimmungsrecht beschränkt. Entscheidendes Gewicht muss aber der Tatsache zukommen, dass die Staaten immer noch ein weites Ermessen haben und es keine Pflicht gibt, Benchmarks aufzustellen. Somit ist es nicht unbillig, die Staaten an ihren Benchmarks festzuhalten.
h) Zwischenergebnis Nach der hier vertretenen Ansicht sind die Benchmarks verbindlich. Dies bedeutet insbesondere, die Staaten können sich im nächsten Berichtstermin nicht unter Berufung auf ihr Ermessen von ihnen lossagen. Für das Verhältnis von Benchmarks einerseits zu innerstaatlichem
176
Vgl. Bleckmann: Völkerrecht, a.a.O. (Fn. 39), S. 315; Doehring a.a.O. (Fn. 32), S. 106 177 178
Siehe oben S. 31 Vgl. z.B. oben S. 63
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Recht beziehungsweise innerstaatlichen politische Vorstellungen andererseits gilt Artikel 27 WVK analog.
4.) Zur Bindungskraft der nicht „gescopten“ Benchmarks Bislang wurden ausschließlich Fälle diskutiert, in denen der Ausschuss die Benchmarks der Staaten überprüft hat. Was aber in dem Fall, in dem das nicht geschieht? Dies ist besonders wahrscheinlich, wenn ein Staat die Berichtsprüfung maximal unterstützen möchte und viele Benchmarks aufstellt – so viele, dass der Ausschuss gar nicht die Zeit hat, alle zu analysieren. Da Benchmarks nicht annahmebedürftig sind, könnte man meinen, dass sie stets binden, wenn der Staat sie willentlich an die Öffentlichkeit bringt. Abzustellen ist jedoch darauf, dass sie lediglich eine verfahrensinterne Handlung sind. Sie ermöglichen dem Ausschuss eine optimale Berichtsprüfung. Außerdem soll durch sie die Öffentlichkeit überwachen können, wie ernst es ein Staat mit der Umsetzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte meint. Das ist aber nur möglich, wenn die Öffentlichkeit weiß, welche Benchmarks gelten und welche nicht – auch ohne an der nichtöffentlichen mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Außerdem wäre es unfair, wenn der Ausschuss im Rahmen des „Assessments“ einen Benchmark heranziehen würde, ohne beim „Scoping“ zu ihm Stellung genommen zu haben. Denn das Ergebnis käme für den Staat überraschend, und er wüsste nicht, ob er sich in den fünf Jahren auf diesen Wert konzentrieren sollte. Schließlich würde man dann auch die Staaten indirekt dazu anhalten, möglichst wenige Benchmarks aufzustellen und möglichst langwierig mit dem Ausschuss zu verhandeln. Beides kann nicht im Sinne eines idealen Prüfungsverfahrens sein. Die besseren Gründe sprechen deswegen dafür, dass Benchmarks nur dann binden, wenn der Ausschuss zu ihnen im „Scoping“–Verfahren Stellung genommen hat. Allerdings: Der Staat ist zur Teilnahme am konstruktiven Dialog nicht verpflichtet. Aus Gründen der Rechtssicherheit darf man daher den Staat an eine Zielmarke nur binden, wenn sie in den verfahrensbeendenden „Concluding Observations“ festgehalten wird. Unabhängig davon, wie viele Benchmarks ein Staat aufstellt, sind somit nur diejenigen verbindlich, die in die „Concluding observations“ aufgenommen wurden. Da der Ausschuss Herr der „Concluding observati-
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ons“ ist, hat er die Möglichkeit, einem Benchmark die Wirkung zu nehmen, indem er ihn einfach nicht rezipiert. Obwohl er also materiell bei der Höhe der Ziele kein Mitspracherecht, sondern nur ein Prüfungsrecht hat, kann er auf formelle Weise die Bindungskraft der Benchmarks beeinflussen, indem er zu ihnen in den „Concluding observations“ überhaupt keine Stellung nimmt. Wenn er allerdings zu ihnen Stellung nimmt und sie ablehnt, gelten sie nach oben genannten Grundsätzen179 trotzdem, denn es handelt sich um einseitige Handlungen des Staates. Ein kritischer Hinweis auf die zu geringe Höhe eines Benchmark muss dem Ausschuss auch möglich sein, denn das Berichtsverfahren dient dazu, die Öffentlichkeit über einen eventuellen Unwillen des Staates bei der Menschenrechtsverwirklichung zu informieren, und dieser kann sich darin zeigen, dass Benchmarks zu niedrig sind. Der Ausschuss ist dann aber im nächsten Berichtsprüfungstermin nicht daran gehindert, den Staat für einen zu niedrigen Indikatorwert zu rügen, auch wenn dieser über dem Benchmark liegt. Denn ein Land kann nicht darauf vertrauen, dass der Ausschuss es für das Erreichen von Zielen loben wird, die dieser bereits zuvor als zu niedrig bezeichnet hat. Nun mag man natürlich einwenden, dass von einer einseitigen Handlung keine Rede mehr sein könne, wenn der Ausschuss dazu in der Lage ist, die Bindungskraft der Benchmarks de facto zu verhindern. Dem ist allerdings zu entgegnen, dass ein bloßes faktisches Veto des Ausschusses nicht genügt, um von einer zweiseitigen Erklärung zu sprechen. Vielmehr besteht seine Aufgabe darin, die Berichte zu prüfen und der Öffentlichkeit einen Überblick über die Menschenrechtslage in dem betreffenden Land zu geben.180 Da in der Zahl und der Höhe der Benchmarks aber der Wille des Staates zur Verwirklichung der Menschenrechte nicht unerheblich zum Ausdruck kommt und sie unter Umständen sogar Bestandteil des Berichts sind, darf er nicht einfach nach freiem Belieben Benchmarks außen vor lassen. Vielmehr ist er nach seinem Mandat verpflichtet, Stellung zu nehmen. Wenn der Ausschuss nicht die Zeit hat, auf alle Benchmarks einzeln einzugehen, muss er zumindest einen zusammenfassenden Hinweis aufnehmen und aus Gründen der Rechtssicherheit erklären, ob er sie im 179 180
Siehe oben S. 273 f.
Zur Aufgabe des Ausschusses vgl. The Limburg Principles on the Implementation of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, Nr. 83, enthalten in UN Doc. E/C.12/2000/13
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nächsten Berichtstermin heranziehen möchte oder nicht. Der Ausschuss ist also nicht frei darin, ob er Benchmarks, die ein Staat aufstellt, in die „Concluding observations“ aufnimmt, weshalb die Aussage, dass sie einseitige Erklärungen sind, weiterhin zutreffend ist. Nur wenn Benchmarks versehentlich nicht „gescopt“ wurden, gelten sie nicht. Fazit: Aus Gründen der Rechtssicherheit binden Benchmarks nur, aber auch immer dann, wenn sie „gescopt“ wurden, was durch die „Concluding observations“ belegt werden muss.
5.) Die Notwendigkeit einer Mitwirkungshandlung der Staaten bei der Aufstellung der Benchmarks Da die Benchmarks verbindlich sind, stellt sich die Frage, ob der Ausschuss dazu berechtigt ist, die Staatenberichte an Benchmarks zu prüfen, die er selbst gegen den Willen oder ohne das Einverständnis des Staates gesetzt hat. Dies kann in zwei Fällen vorkommen: einmal, wenn der Staat überhaupt keine Benchmarks aufstellt, und zweitens, wenn sich der Ausschuss mit den Benchmarks der Staaten nicht einverstanden erklärt. Aus Sicht der Menschenrechtsverwirklichung scheint es sinnvoll, wenn ein unabhängiges Expertenorgan die Benchmarks vorgibt. Denn im Gegensatz zu den Staaten liegt es nicht im Interesse des Ausschusses, diese möglichst niedrig anzugeben. Die Gefahr, dass menschenrechtsfremde Gesichtspunkte über die optimale Umsetzung der Menschenrechte dominieren, wäre nicht so groß. Außerdem hat der Ausschuss verfahrensrechtliche Sanktionen eingeführt, für den Fall, dass ein Staat sich nicht an die formellen Vorgaben des Sozialpakts hält.181 Dieses Problem liegt auf der gleichen Linie wie das einer unterlassenen oder fehlerhaften Berichtsabfassung. Würde überhaupt keine Zielmarke gelten, wenn der Staat keine Benchmarks aufstellt, würde der Staat „belohnt“, weil dem Ausschuss die Berichtsprüfung erschwert wäre. Das IBSA–Verfahren könnte nicht mehr angewendet werden. Auch würde der Druck auf die Staaten erhöht, realistische Benchmarks aufzustellen, wenn diese andernfalls durch den Ausschuss festgelegt würden.
181
Siehe oben S. 73
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Diese Gedanken sind zwar rechtspolitisch nachvollziehbar, lassen sich aber de lege lata nicht begründen. Es widerspräche nämlich dem Wortlaut des Artikels 16 Absatz 2 (a) IPwskR, wollte man dem Ausschuss das Recht zugestehen, aus eigener Initiative Benchmarks für die Staaten aufzustellen. Diese Norm spricht nur davon, dass Berichte geprüft werden. Würde der Ausschuss aber Benchmarks aufstellen, würde er eine Erklärung des Staates ersetzen. Auch geht es bei den Benchmarks teilweise um wirtschaftliche Fragen, die der Ausschuss, ohne Mithilfe von Wirtschaftsexperten mit regionalen Kenntnissen, nicht beantworten kann. Des Weiteren hat der ECOSOC dem Ausschuss gar nicht die Kompetenz zugewiesen, Benchmarks zu setzen, er hat lediglich das Mandat erteilt, die Staaten hierzu aufzufordern.182 Vor allem aber widerspräche es dem staatlichen Ermessen und dem Grundsatz der Souveränität, wenn der Ausschuss derart in die Planung des Staates eingreifen könnte. Zwischenfazit: Es ist dem Ausschuss nicht gestattet, für die Staaten verbindliche Benchmarks zu setzen oder diese zu ersetzen. Er kann auch den Staat nicht verbindlich auffordern, einen Benchmark zu erhöhen, sondern nur die Grenzen des staatlichen Spielraums überwachen. Wenn er im konstruktiven Dialog Vorschläge macht, übt er die Funktion eines Richters aus, der im mündlichen Verfahren andeutet, welche Erwägungen sein Urteil tragen werden – ein Fall der in der juristischen Praxis tagtäglich vorkommt und der kaum als Befangenheit gewertet werden kann. Immerhin sind die Vorschläge für den Staat unverbindlich. Wenn der Ausschuss andeutet, dass er einen Zielwert nicht akzeptieren wird, ist kein Staat gezwungen, diesen zu erhöhen, sondern er kann die Ressourcen ebenso für andere Paktrechte einplanen. Wenn die Staaten den Vorschlägen des Ausschusses nicht folgen, laufen sie allerdings erstens Gefahr, dass er bereits beim „Scoping“–Termin rügt, dass sie keinen korrekten Benchmark gesetzt haben. Zweitens bleibt es ihm unbenommen, im „Assessment“ zu beanstanden, dass ein Indikatorwert zu niedrig ist. Mit einem Benchmark schützen kann sich ein Staat nämlich nur, wenn er im Einverständnis mit dem Ausschuss gesetzt wurde. Nur wenn der Ausschuss den Indikatorwert kritisiert, 182
Resolution 1988/4 § 14
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obwohl die Zielmarke erreicht wurde, kann man ihm den Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens machen.
6.) Das „Scoping“ fehlerhaft gesetzter Benchmarks Eine der Kernfragen des IBSA–Modells lautet: Wie kann der Ausschuss feststellen, ob Benchmarks zu niedrig festgelegt wurden? Ein Standpunkt vertritt, dass die Einzelrechte im Sozialpakt nicht rechtlich kontrollierbar seien.183 Überprüfen lasse sich nur, ob ein Gesamtfortschritt im Hinblick auf die Wsk–Rechtsverwirklichung erzielt wurde. Begründet wird diese Ansicht mit der Unkontrollierbarkeit der verfügbaren Ressourcen und der Freiheit des Staates, den optimalen Weg zur Rechtsverwirklichung zu wählen. Da die Indikatoren und Benchmarks weitgehend Einzelrechten zugeordnet sind, wäre das IBSA–Modell reine Theorie und ließe sich nicht praktisch umsetzen. Indes ist gerade der praktische Nutzen ein Hauptargument für das IBSA–Modell. Wäre die erste Ansicht zutreffend, würde die Menschenrechtsüberwachung deutlich schwieriger, was dem „effet utile“ des Sozialpakts widerspräche. Auf den Punkt gebracht werden nach der Idee des Sozialpakts die Rechte dann am besten verwirklicht, wenn das Prüfungsverfahren möglichst einfach ist. Dies ist aber bei der IBSA– Methode der Fall. Die erste Meinung ist insofern für sich gesehen folgerichtig, als sie die Beweislastfrage anders als hier löst.184 Das IBSA–Modell fügt sich aber nahtlos in den Sozialpakt ein, wenn man den Staaten die Darlegungs– und Beweislast auferlegt: Sie sind dazu verpflichtet, ihre Benchmarks zu rechtfertigen und – da sie die hierfür notwendigen Beweismittel kontrollieren – diese beizubringen. Da die ressourcenabhängigen Dimensionen immer nur mit Indizien überwacht werden können, ist es auch nicht schädlich, wenn sich der Ausschuss für die Frage der Leistungsfähigkeit des Staates Indizien bedient. Wesentlich kann hier das Bruttonationaleinkommen sein. Falls erforderlich, können noch weitere Indizien herangezogen werden. Die Prozedur läuft dann folgendermaßen ab: Die Staaten schlagen einen Benchmark vor. Um ihre Paktpflichten zu erfüllen, müssen sie dabei 183 184
Klee a.a.O. (Fn. 8), S. 218 – 220 Siehe S. 65 ff.; im Gegensatz dazu: Klee a.a.O. (Fn. 8), S. 211
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
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angeben: den genauen Zielwert, die Methode der Datenerfassung und die Gründe für ihr Ermessen. Beim letzten Faktor geht es in der Tat – darin ist der ersten Meinung zuzustimmen – um die Gesamtsituation der Paktrechte. Denn die Staaten müssen erklären, welche Ressourcen sie für welchen Indikator einsetzen möchten. Da die Ressourcenmenge begrenzt ist, kann man ein einzelnes Paktrecht nicht überwachen, ohne zu berücksichtigen, inwieweit die Ressourcen schon für andere Paktrechte verplant sind. Das ist aber unbedenklich, denn im Staatenberichtsverfahren geht es immer um alle Paktrechte. Wenn sie die Benchmarks rechtfertigen, müssen die Staaten auch darauf eingehen, wie viele und welche Ressourcen verfügbar sind. Hierfür müssen sie insbesondere Angaben zum Bruttoinlandseinkommen, zur Bevölkerungsdichte und zur Bevölkerungsverteilung machen. Des Weiteren muss der Haushaltsplan vorgelegt werden, aus dem sich indiziell ermitteln lässt, wie viele Ressourcen der Staat insgesamt für die Verwirklichung der Wsk–Rechte zur Verfügung stellt. Sämtliche Daten müssen so gut es geht belegt werden. Im „Scoping“–Verfahren verwendet der Ausschuss dann alle diese Werte sowie gegebenenfalls weitere aus dritten Quellen. Wenn er meint, ein Benchmark sei zu niedrig, kann der Staat dies damit rechtfertigen, er setze seine Ressourcen ein, um einen anderen Indikatorwert zu verbessern. Dies muss der Staat aber nachweisen, beispielsweise durch einen Posten im Haushaltsplan. Wenn nicht alle verfügbaren Ressourcen eingesetzt werden oder der Staat ungenügende Angaben zu seinem Ermessen macht, liegt eine Paktverletzung vor, die der Ausschuss rügen darf. Aus alldem könnte man ableiten, dass die IBSA–Methode kaum Vorteile biete, weil der Ausschuss letztendlich um die Frage der verfügbaren Ressourcen nicht herumkomme. Sie verschiebe sich lediglich von der „Assessment“– auf die „Scoping“–Ebene. Dem ist aber nicht so. Der Staat ist in jedem Fall an seine Benchmarks gebunden, auch wenn sie auf einer falschen Berechnungsgrundlage beruhen. Selbst wenn der Ausschuss sich also nicht hundertprozentig sicher ist, ob eine Zielmarke korrekt angesetzt wurde, kann er sie in das Verfahren aufnehmen. Die staatliche Pflicht wird dann konkretisiert. Dies ist besser als eine völlig unkonkretisierte Staatenpflicht. Fazit: Dem Sozialpakt lässt sich der Gedanke entnehmen, dass die Länder ihre Benchmarks so detailliert wie möglich darlegen müssen. Dazu gehört auch, dass sie die tragenden Ermessensgründe und Indizien für die verfügbaren Ressourcen angeben.
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7.) Zur Relevanz innerstaatlicher Zuständigkeitsverteilungen Benchmarks sind grundsätzlich nicht dadurch nichtig, dass dem Staatsvertreter, der sie gegenüber dem Ausschuss aufgestellt hat, die Kompetenz fehlt. Es gelten hier die Rechtsgedanken der Artikel 7,185 27 und 46 WVK.186 Grundsätzlich repräsentieren die Personen, die den Bericht abfassen, den gesamten Staat. Nur wenn offenkundig ist, dass sie nicht zuständig sind und eine innerstaatliche Rechtsvorschrift von grundlegender Bedeutung betroffen ist, gelten die Benchmarks nicht. Dann liegt aber eine Paktverletzung vor, weil die Benchmarks und im Übrigen der gesamte Staatenbericht als nicht vorhanden gelten. Dies wird indes nur selten der Fall sein. Wahrscheinlicher ist der Fall, dass ein Staatenbericht abgefasst wird, der keine Benchmarks enthält, und zur mündlichen Sitzung nur ein Botschafter oder einfache Ministerialbeamte geschickt werden.187 Wenn diese dann für den Staat Benchmarks aushandeln, kann es sein, dass die Regierung hinterher behauptet, sie hätten keine Vertretungsmacht gehabt. Da für den Ausschuss aber normalerweise nicht erkennbar ist, ob der Vertreter umfassende Vollmacht hat oder inwieweit er beschränkt ist, müssen auch hier die Regeln der genannten Artikel gelten. Insbesondere kann hier der Gedanke des Artikels 7 Absatz 2 c) WVK herangezogen werden.188 Im mündlichen Verfahren vor dem Ausschuss be185
von Heinegg a.a.O. (Fn. 39), S. 237
186
Ebenso für sämtliche einseitigen Erklärungen: Leutert a.a.O. (Fn. 164), S. 125 f. Die authentische, englische Fassung des Art. 46 WVK lautet: „Provisions of internal law regarding competence to conclude treaties – 1. A State may not invoke the fact that its consent to be bound by a treaty has been expressed in violation of a provision of its internal law regarding competence to conclude treaties as invalidating its consent unless that violation was manifest and concerned a rule of its internal law of fundamental importance. 2. A violation is manifest if it would be objectively evident to any State conducting itself in the matter in accordance with normal practice and in good faith.” 187 188
Vgl. dazu ECOSOC Res. 1988 (LX), § 10
Die authentische, englische Fassung des Art. 7 Abs. 2 c) WVK lautet: „Article 7 Full powers – [...] 2. In virtue of their functions and without having to produce full powers, the following are considered as representing their State: [...] (c) representatives accredited by States to an international conference or to an international organization or one of its organs, for the purpose of adopting the text of a treaty in that conference, organization or organ.“
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
285
glaubigte Vertreter eines Staats gelten kraft ihres Amtes als bevollmächtigt, Benchmarks abzugeben.
8.) Die verschiedenen Typen von Benchmarks a) Qualitative und quantitative Benchmarks Da im IBSA–Verfahren Benchmarks mit Indikatoren kombiniert werden, gelten die bekannten Indikatorgruppen189 analog für Benchmarks. Es gibt qualitative und quantitative Benchmarks.190 Letztere werden in der Literatur als „Performance“–Benchmarks bezeichnet.191 Qualitative Benchmarks nehmen meist nur die Werte Null oder Eins an. Ein Beispiel ist der Fall, in dem sich ein Staat sich dazu verpflichtet, ein Gesetz zum Schutz vor häuslicher Gewalt zu erlassen (Artikel 11 und 12 IPwskR). Quantitative Benchmarks können prinzipiell jeden beliebigen Wert annehmen. Deswegen sind sie spezifischer als qualitative. Damit erhöht sich die Chance eines interpretatorischen Konsenses. Übereinstimmung zu erzielen kann nämlich bei qualitativen Zielvorgaben problematisch sein, etwa wenn die Zielvorgabe lautet: „Verbesserung der Kapazität staatlicher Behörden im Umgang mit menschenrechtlichen Beschwerden.“192 Das derzeit prominenteste Beispiel für quantitative Benchmarks sind die Millenium Development Goals vom 8. September 2000.193 Vor allem im Rahmen von quantitativen Benchmarks ist zu bedenken, dass man unabhängigen Institutionen wie der Judikative keine Leistungsergebnisse vorschreiben darf. In diesen Bereichen kann man jedoch mit Indikatoren arbeiten, weil sie gewisse Rückschlüsse auf die Erfolge einer staatlichen Politik erlauben. Beispiele sind: „Die Zahl der das Recht auf Nahrung betreffenden Klagen und Beschwerden, die vor Gerichten und ähnlichen Institutionen erhoben, untersucht und abge-
189
Dazu oben S. 158 ff.
190
Der Ausschuss in: Summary record of the 1st meeting, UN Doc. E/C.12/1998/SR.1 § 3 191 192 193
Würth/Seidensticker a.a.O. (Fn. 6), S. 22 Ibidem, S. 29 UN Doc. A/55/L.2 und GA Res. 55/2
286
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
urteilt wurden“ oder „der Anteil der Beschwerden, die die nationale Menschenrechtsinstitution vor Gericht bringt.“194 Allerdings ist die Justizverwaltung weisungsgebunden; dort können Benchmarks eingesetzt werden. Beispiele: „Anteil der Richter, die hinsichtlich der Wsk–Rechte fortgebildet wurden“, „Anzahl der Gerichte“.
b) Benchmarkklassen Fraglich ist, ob für alle oben beschriebenen Indikatorenklassen195 Benchmarks existieren. Dies wären Inputbenchmarks, Strukturbenchmarks, Prozessbenchmarks, Verhaltensbenchmarks und Ergebnisbenchmarks. Fest steht, dass Ergebnisindikatoren für das Benchmarking besonders geeignet sind. Denn sie sind – wie auch die Benchmarks – ergebnisorientiert.196 Bei Input–, Struktur–, Prozess– und Verhaltensbenchmarks mag man hingegen bezweifeln, ob sie dem Überwachungsprozess nützen können. Denn der Staat hat hier einen weitreichenden Ermessensspielraum. Aber erstens hat der Staat auch bei den Ergebnisbenchmarks einen Ermessensspielraum, weil der zu erreichende Wert davon abhängt, wie er die Ressourcen verteilt. Und zweitens erfordert der Ermessensspielraum gerade, dass der Staat Ziele identifiziert, sonst läge ein Ermessensausfall vor.197 Fazit: Prinzipiell kann man in allen Indikatorklassen Benchmarks einsetzen.
194
Vgl. Sven Söllner: Right to Food Indicator Description, Dokument erhältlich auf: http://ibsa.uni–mannheim.de (abgerufen am 18. Mai 2008), S. 182; Würth/Seidensticker a.a.O. (Fn. 6), S. 29 195
S. 158 ff.
196
Riedel: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, a.a.O. (Fn. 6), S. 72; Beispiele für fiktive Ergebnisbenchmarks beim Recht auf Wasser finden sich im Report of the Secretary–General submitted pursuant to Commission on Human Rights resolution 1999/25, UN Doc. E/CN.4/2000/47 § 34 197 Riedel: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, a.a.O. (Fn. 6), S. 72
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
287
9.) Die Reihenfolge der Benchmarks mit Blick auf praktische Bedürfnisse Wie oben ausgeführt, gelten Benchmarks nur, wenn der Ausschuss sie bewertet und dies dem Staat mitgeteilt hat. Hinzu kommt, dass die Kernprobleme bei der Verwirklichung von Wsk–Rechten von Staat zu Staat unterschiedlich sind.198 Würde der Ausschuss seine knappe Zeit immer darauf verwenden, Benchmarks in der Reihenfolge ihrer Validität zu „scopen“, könnte dies ineffektiv in Bezug auf die Menschenrechtsverwirklichung sein. Ein Beispiel zum Recht auf Wohnung: In einem Staat sind 0,1 Prozent der Bevölkerung ohne jegliche Behausung, leben also auf der Straße. Daneben wohnen aber zwanzig Prozent in Hütten, die weder mit Strom noch mit Heizung versorgt sind. Es soll angenommen werden, dass der Indikator 1 „Anteil der Bevölkerung, der über eine Behausung verfügt“ stärker mit dem Recht auf ausreichende Unterbringung korrespondiert als der Indikator 2 „Anteil der Bevölkerung, der über Strom und Heizung verfügen“. Es widerspräche der Intention des Sozialpakts, wäre der Ausschuss gezwungen, zunächst Ermittlungen anzustellen und lange Verhandlungen über die Zielmarke des Indikators 1 anzustellen. Sinnvoller ist es, wenn er sofort auf das zweite Problem eingehen kann, das immerhin ein Fünftel der Gesamtbevölkerung betrifft und nicht nur jeden Tausendsten. Denn das Berichtsverfahren dient zur Lösung von ausgedehnten Problemen, nicht von vereinzelten, auch wenn diese intensiv sein mögen. Man mag zwar argumentieren, dass das Prüfungsverfahren vorhersehbar und einheitlich sein müsse. Daraus abzuleiten, dass immer die gleichen Indikatoren „gescopt“ werden müssen, wäre jedoch nicht nur ein wenig starr, sondern sogar falsch. Es ist nämlich darauf zu verweisen, dass es genügt, wenn Land beziehungsweise Ausschuss die Indikatoren mit größerer Validität kurz in den Blick nehmen. Hierdurch wird die vom Sozialpakt vorgegebene Rangordnung199 gewahrt. Benchmarks dienen außerdem vor allem der vereinfachten Berichtsprüfung. Wenn jedoch anzunehmen ist, dass der Ausschuss bestimmte Indikatoren in fünf Jahren beim „Assessment“ nur kurz in den Blick nimmt, ist es nicht sinnvoll, im „Scoping“–Verfahren auf die zugehöri198 199
Vgl. ibidem Dazu oben S. 123
288
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
gen Benchmarks viel Zeit zu verwenden. Diese Zeit würde nämlich bei den Kernproblemen fehlen. Unabhängig davon sind Indikatoren ohnehin nur ein Hilfsmittel bei der Berichtsprüfung.200 Der ECOSOC hat dem Ausschuss aber weitgehende Freiheit in der Frage gelassen, wie er die Berichte untersucht und damit auch, welche Hilfsmittel er verwendet. Ob und wann er Benchmarks benutzt, bleibt ihm überlassen. Wenn er glaubt, ein Paktelement auch ohne Benchmark prüfen zu können, muss ihm dies gestattet bleiben. Jede strengere Sichtweise würde den Handlungsspielraum des quasi– judiziellen Organs zu sehr einschränken.201 Dies wiederum ginge zu Lasten einer effektiven Paktumsetzung. Das ist auch kein Widerspruch zur obigen Aussage, dass der Ausschuss auf Benchmarks, die ein Staat aufstellt, in den „Concluding observations“ eingehen muss. Denn damit ist nicht gesagt, dass er sie zwingend im nächsten Termin zur Berichtsprüfung heranziehen muss. Er muss dem Staat nur rechtzeitig klarmachen, ob er dies vorhat oder nicht. Wenn der Ausschuss im obigen Beispiel zum Recht auf Wohnung darauf verzichtet, den Benchmark von Indikator 1 (Behausung) zu „scopen“ und sogleich auf den Benchmark von Indikator 2 (Strom/ Heizung) eingeht, so ist dies dogmatisch zu vertreten. Er muss nur alle Indikatorwerte kurz zur Kenntnis genommen haben. Außerdem muss er beim darauffolgenden „Assessment“ den Wert des Indikators 1 zumindest knapp begutachten. Der Staat muss nämlich unabhängig von den Benchmarks auch diesen Wert grundsätzlich stetig verbessern.202 Fazit: Beim IBSA–Verfahren müssen aufgrund der Einheitlichkeit und Vorhersehbarkeit des Verfahrens immer alle Indikatorwerte analysiert werden. Im Rahmen des „Scopings“ darf der Ausschuss sich jedoch auf einzelne Benchmarks konzentrieren.
200
Siehe S. 202 ff.
201
Zum Verfahren vor dem Ausschuss als politisches oder quasi–judizielles Verfahren siehe S. 58 202
Unter Umständen kann er sich bei Rückschritten oder Stagnation aber damit rechtfertigen, er habe seine Ressourcen für den Indikator 2 erschöpfend eingesetzt und damit verbraucht
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
289
10.) Benchmarks und „Scoping“ im Bereich der Kerninhalte Ist das IBSA–Verfahren auch im Bereich der Kerninhalte erlaubt?203 Die Frage ist deswegen relevant, weil das IBSA–Verfahren die progressiv zu verwirklichenden Dimensionen und die relativen Staatenpflichten betrifft. Auf dem Gebiet der Kerninhalte gelten hingegen universelle Anforderungen, die sofort umgesetzt werden müssen.204 Aus diesem Aspekt könnte man schlussfolgern, dass der Staat keine Benchmarks erlassen darf, die innerhalb des Kernbereichs liegen. Vielmehr gelte hier ex lege die Kernbereichsschwelle als Benchmark. Dagegen spricht, dass der Ausschuss die Berichte aus Gründen der Gleichbehandlung für alle Staaten – unabhängig vom wirtschaftlichen Zustand – einheitlich prüfen muss. Würde man die IBSA–Methode solchen Staaten verbieten, die den Kernbereich nicht verwirklicht haben, würde man ihnen die Möglichkeit nehmen, die Prüfung der Berichte zu ihren Gunsten vorhersehbarer zu machen. Außerdem sind Benchmarks ein antizipiertes Ermessen. Bei den Kernbereichen haben die Staaten zwar kein Entschließungsermessen. Sie können aber immer noch wählen, mit welchen Mitteln sie den Kernbereich verwirklichen wollen. Sie haben also ein gewisses Auswahlermessen. Das bereits legt nahe, dass Benchmarks im Kernbereich erlaubt sind. Vor allem gelten auch auf der Ebene der Kerninhalte keine absoluten Pflichten. Zwar spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine Paktverletzung, wenn die Kernbereiche nicht umgesetzt sind. Indes kann der Staat auch die Verletzung der Kerninhalte rechtfertigen, wenn es ihm an Ressourcen fehlt. Die Argumente, die für die IBSA–Methode sprechen, lassen sich auch für die Kerninhalte fruchtbar machen. Auch hier muss die Regierung planen, auch hier kann der Ausschuss sie beraten. Wenn ein Land glaubhaft darlegt, dass es in fünf Jahren die Kerninhalte nicht zu verwirklichen vermag, darf man nicht die Kernbereichsschwelle als Benchmark setzen. Ansonsten würde man etwas Unmögliches verlangen. Vielmehr muss man den Wert ansetzen, der sich für diesen Indikator maximal prognostizieren lässt. Diesen könnte zwar theoretisch der Ausschuss selbst errechnen. Allerdings gebieten die oben ge-
203 204
Das Problem wird angedeutet von: Green a.a.O. (Fn. 6), (S. 1081) Dazu oben S. 13 f.
290
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
nannten Argumente,205 dass in jedem Fall die Staaten die Benchmarks aufstellen – auch im Bereich der Kernverpflichtungen. Fazit: Das IBSA–Verfahren lässt sich auch im Bereich der Kerninhalte anwenden.206 Allerdings sind die Staaten aufgrund ihres reduzierten Ermessens verpflichtet, ihre verfügbaren Ressourcen primär für die Kernbereiche einzuplanen. Auch haben es die Staaten schwieriger, ihre Benchmarks im Bereich der Kerninhalte zu rechtfertigen. Wenn nicht alle verfügbaren Ressourcen für einen bestimmten Kerninhalt eingeplant werden, kann der Staat dies nur damit rechtfertigen, dass ein anderer Kernbereich auch noch nicht verwirklicht ist und die Ressourcen dort eingesetzt werden sollen. Denn sind verschiedene Kerninhalte nicht verwirklicht, gibt der Sozialpakt keine Rangordnung vor, so dass die Ländern aufgrund ihrer Souveränität Prioritäten setzen können.
11.) Die Zahl der Benchmarks Da Benchmarks nicht mehr sind als angestrebte Indikatorwerte, geben die Indikatoren einen Rahmen vor: Es kann nicht mehr Benchmarks geben als Indikatoren.207 Für letztere wurde bereits festgestellt, dass der Sozialpakt keine Zahl vorgibt.208 Bei Benchmarks ist das Problem noch deutlicher: Da sie im Rahmen des konstruktiven Dialogs noch geändert werden können, kann es zu langwierigen Verhandlungen kommen. Andererseits sind Fälle denkbar, in denen der Ausschuss einem Benchmark schlicht und schnell zustimmt. Da die Zeit der Berichtsprüfung jedoch immer konstant ist, variiert die Zahl der Benchmarks. Ein fester Wert lässt sich nicht ermitteln, ein praktikabler Wert dürfte aber bei etwa fünf bis sechs Benchmarks pro Staatenbericht liegen. Diese Grundsätze gelten jedoch nur für den Ausschuss. Die Paktmitglieder dürfen hingegen für alle Indikatoren, die im Prüfungsverfahren relevant sind,209 Benchmarks aufstellen. Denn einerseits muss ihnen die 205
S. 227
206
Vgl. Eibe Riedel in: Simma: The Charter of the United Nations, a.a.O. (Fn. 93), Art. 68 Rn. 80 207 208 209
Zur Bedingungsfeindlichkeit der Benchmarks siehe S. 260 ff. S. 183 Dazu oben S. 190
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
291
Möglichkeit gegeben werden, durch Benchmarks maximale Rechtssicherheit zu schaffen, andererseits können sie nicht wissen, welche davon „gescopt“ werden. Fazit: Eine feste Zahl an Benchmarks lässt sich nicht angeben. Realisierbar erscheinen derzeit fünf bis sechs pro Staatenbericht.
12.) Sonderproblem: Benchmarkindizes Im vorherigen Kapitel wurde festgestellt, dass es nicht erlaubt ist, Indikatorwerte zu einem Index zusammenzufassen.210 Allerdings wurde davon ausgegangen, dass der Soll–Wert sich allein an der staatlichen Leistungsfähigkeit orientiert. Das bedeutet: Der Ist–Wert des Indikators wird mit einem Wert verglichen, der aus der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Staates errechnet wird. Verwendet man zusätzlich Benchmarks, so ändert sich das System. Man stellt nämlich einen prognostizierten Wert einem tatsächlichen gegenüber. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit spielt zunächst nur im ersten Schritt, bei der Prognose, eine Rolle. Daraus könnte man schließen, dass das Verbot von Indizes nicht notwendigerweise auch anwendbar ist, wenn Benchmarks verwendet werden. Allerdings gelten alle Argumente, die gegen den Gebrauch von Indizes angeführt wurden,211 auch für den Fall, dass Benchmarks benutzt werden. Indizes wären im Zusammenspiel mit Benchmarks sogar ganz besonders problematisch. Denn dann würde ein Staat das Verhältnis der einzelnen Indikatoren beziehungsweise der Benchmarks zueinander gewichten. Damit würde er über die Paktinhalte disponieren und könnte sie zu seinen Gunsten „verbiegen“. Fazit: Benchmarkindizes sind verboten.
210 211
S. 199 ff. Ibidem
292
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
IV. Das „Assessment“–Verfahren 1.) Terminologie Im letzten Schritt der IBSA–Prozedur, dem „Assessment“, wird geprüft, ob ein Staat die Zielwerte erreicht hat.212 Beispielsweise kann er sich verpflichten, bis zur nächsten Berichtsvorlage durch geeignete Maßnahmen die Zahl der Malariaerkrankungen von 1000 auf 800 pro Jahr zu senken. Ergibt sich bei im Folgetermin ein Wert von 900, so hat er seine Verpflichtungen nicht erfüllt. Diese Phase des IBSA–Verfahrens wird von manchen auch als „Monitoring“ bezeichnet.213 Dies ist jedoch ungenau. „Monitoring“ meint nämlich einen andauernden Prozess der Datenerhebung mit geringem Bewertungsgehalt, „Assessment“ bedeutet hingegen die einmalige bewertende Begutachtung einer bestimmten Faktensituation. Während UN–Sonderorganisationen eher permanent mit der ersten Aufgabe beschäftigt sind, geht es im IBSA–Verfahren darum, einzelne Indikatorwerte zu prüfen.214 Schon aus diesem Grund passt der Begriff „Assessment“ – zu Deutsch: „Bewertung“ – besser als „Monitoring“ („Überwachung, Kontrolle, Beobachtung“).
2.) Zur Ableitung von Menschenrechtsverletzungen allein aus dem Benchmark–„Assessment“
a) Das Ausgangsproblem Es stellt sich die Frage, ob der Ausschuss unmittelbar aus dem Vergleich zwischen Indikatorwert und Benchmark schließen darf, ob ein Staat seine Verpflichtungen erfüllt hat oder nicht. Für Situationen, in denen der Ausschuss Indikatoren ohne Benchmarks verwendet, wurde diese Art der Berichtsprüfung bereits verworfen.215 212
Riedel: New Bearings to the State Reporting Procedure, a.a.O. (Fn. 6), S. 357; ders.: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, a.a.O. (Fn. 6), S. 73. Wichtig ist auch die Feststellung auf S. 80: „The IBSA procedure [...] will not bear fruits until a period of 5 years on average has elapsed when the first assessment by the commitee will take place.“ 213
So Hunt a.a.O. (Fn. 12), § 19
214
Riedel: Universeller Menschenrechtsschutz – vom Anspruch zur Durchsetzung, a.a.O. (Fn. 14), S. 50 215
S. 202 ff.
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
293
Aber immerhin unterscheiden sich die Soll–Werte beim IBSA–Modell von denen im reinen Indikatorenmodell.216 Verwendet man nämlich Benchmarks, sind die Soll–Werte zum einen vom Staat festgelegt und zum anderen viel spezifischer. Deswegen ist zu klären, ob und inwieweit sich die Berichtsprüfung ändert, wenn ein Benchmark gesetzt wird.
b) Zu den Rechtfertigungsmöglichkeiten bei Nichterreichen des Benchmark Bei den Benchmarks handelt es sich nur um Prognosen. Das bedeutet: Unerwartete Zwischenfälle können es unmöglich machen, das Ziel zu erreichen. Eibe Riedel nennt als Beispiele zivilen Unfrieden oder Naturkatastrophen. Fälle, in denen solche besonderen Vorkommnisse fehlen und dennoch die Politik geändert wurde, müssten hingegen kritisch untersucht werden.217 Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Auf der einen Seite gebietet nämlich der Sozialpakt materiell, von einer menschenrechtlichen Planung abzuweichen, wenn dadurch noch größeres menschenrechtliches Unheil verhindert werden kann. Im Strafrecht würde man von rechtfertigender Pflichtenkollision sprechen. Auf der anderen Seite setzt sich – wie in diesem Kapitel erörtert – der Gedanke einer effektiven Paktüberwachung gegenüber der staatlichen Souveränität durch; im Grundsatz binden „gescopte“ Benchmarks die Politik für die Zukunft. Fraglich ist allerdings, was passiert, wenn es dem Staat trotz größtmöglicher Anstrengungen und obwohl er seine Pläne eins zu eins umgesetzt hat, nicht gelingt, den Benchmark zu erreichen.218 Ausgangspunkt ist, dass ihm nur schwer ein Vorwurf gemacht werden kann, wenn er sich sowohl bezüglich der Mittel als auch des Ergebnisses festlegt und der Ausschuss dem zustimmt. Denn ansonsten könnte der Staat reklamieren, der Ausschuss hätte ihn als Expertenorgan darauf hinweisen müssen, dass die Benchmarks zu hoch sind. 216
Dazu oben S. 50
217
Riedel: New Bearings to the State Reporting Procedure, a.a.O. (Fn. 6), S. 357; ders.: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, a.a.O. (Fn. 6), S. 73; vgl. allgemein Art. 23 der Draft articles on Responsibility of States for internationally wrongful acts, UN Doc. A/CN.4/L.602/Rev.1 218 Dazu Riedel: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, a.a.O. (Fn. 6), S. 74
294
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Im Übrigen kann es unvorhergesehen an Ressourcen fehlen. Dann kommt Artikel 2 Absatz 1 IPwskR zum Tragen, und man kann dem Land keinen Vorwurf machen. Sollte jedoch auch dies nicht der Grund sein, dass eine Zielmarke nicht erreicht wurde, so liegt es nahe, dass der Staat falsch geplant hat. Dieses Risiko trägt er als Kehrseite seines Ermessensspielraums. Mit Unterzeichnung des Sozialpakts hat er eine gewisse Erfolgsgarantie übernommen. Würde man dem Land die Möglichkeit geben, sich hier etwa mit Verhaltensindikatoren zu rechtfertigen, wären auch die Vorteile der IBSA– Methode teilweise dahin. Denn der Ausschuss müsste wieder umfassende, langwierige Analysen anstellen. Fazit: Da der Staat dem Ausschuss bereits bei der Abfassung der Benchmarks seine Ermessenserwägungen mitteilt und er hieran gebunden ist, ist ihm der Ermessenseinwand im „Assessment“ versagt. Kann der Staat das Verfehlen des Benchmark nicht ganz ausnahmsweise rechtfertigen, so darf der Ausschuss eine Vertragsverletzung feststellen. Dabei kann er offenlassen, auf welcher Ebene der Fehler passiert ist, also ob der Staat bereits falsch geplant oder später fehlerhafte Maßnahmen vollzogen hat.
3.) Schlussfolgerung für das „Assessment“–Verfahren a) Das zweistufige System Aus den obigen Ausführungen ergibt sich für das „Assessment“– Verfahren ein zweistufiges Prüfungssystem. Es gibt eine Art Tatbestand und eine Rechtfertigungsebene. Ist ein Benchmark nicht erreicht, muss weiter geprüft werden, ob angemessene Gründe bestehen. Hat das Paktmitglied den Benchmark aber erreicht, so endet die Prüfung. Denn müssten hier noch weitere Untersuchungen folgen, ob der Staat noch mehr hätte erreichen können, wären die Vorteile der IBSA– Prozedur partiell dahin. Außerdem schützt der Benchmark in diesem Fall den Staat.
b) Die Darlegungslast Zu prüfen ist, wer auf der Quasi–Tatbestandsebene die Darlegungs– und die Beweislast trägt. Ausgangspunkt ist, dass das Land einen Be-
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
295
richt abfassen muss. Nach Treu und Glauben muss es diesen so gestalten, dass das Prüfungsorgan ihn bewerten kann. Da man aber die progressiven Dimensionen ohne Indikatoren nicht messen kann, müssen die aktuellen Indikatorwerte eingefügt werden. Somit ist das Land auf der ersten Ebene schon wegen seiner Berichtspflicht darlegungsbelastet.219 Allerdings kann und muss der Ausschuss nach oben genannten Argumenten auch eigene Ermittlungen anstellen und die Indikatorenwerte überprüfen.220 Für die zweite Ebene des „Assessments“ gilt, dass nur der Staat die Nachteile trägt, wenn der Ausschuss auf eine Menschenrechtsverletzung schließt, obwohl Rechtfertigungsgründe vorliegen. Weil diese Gründe also für ihn günstige Tatsachen sind, ist er dafür zuständig, sie in den Prozess einzuführen und zu beweisen.
c) Die Beweislast Fraglich ist, wer beweisen muss, dass Benchmarks erreicht wurden oder nicht und wer die Rechtfertigungsgründe nachweisen muss. In diesem Zusammenhang könnte man argumentieren, es sei verboten, den Staaten ebenso strenge Pflichten aufzuerlegen wie bei Rückschritten oder für den Fall, dass sie die Kerninhalte nicht verwirklicht haben.221 In den letzten beiden Situationen spricht nämlich nach dem Ausschuss der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass ein Staat den Sozialpakt verletzt hat. Der Prima–facie–Beweis wird im deutschen Zivilprozess nur bei typischen Geschehensabläufen verwendet. Er beruht auf Erfahrungssätzen.222 Mit der IBSA–Methode gibt es jedoch noch kaum Erfahrungen, sie ist ein Novum auf dem Gebiet des Völkerrechts. Man kann daher nicht sagen, dass ein Staat typischerweise den Sozialpakt verletzt, wenn er einen Benchmark nicht erreicht.
219
Vgl. Riedel: Universeller Menschenrechtsschutz – vom Anspruch zur Durchsetzung, a.a.O. (Fn. 14), S. 52 220 221 222
Oben S. 59 ff. Dazu S. 15 beziehungsweise S. 38
BGH Urteil des VIII. Zivilsenats vom 5.4.2006 – VIII ZR 283/05 Rn. 10; Urteil des XI. Zivilsenats vom 5.10.2004 – XI ZR 210/03 S. 7 – 9; Urteil des VI. Zivilsenats vom 14.6.2005 – VI ZR 179/04 S. 7
296
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Die Sachlage ist hier sogar noch härter: Während beim Anscheinsbeweis der Belastete die Vermutung bereits dadurch erschüttern kann, indem er Umstände beweist, die für einen abweichenden Geschehensablauf sprechen,223 ist das Land bei den Benchmarks immer in vollem Umfang beweisbelastet. Folgt man dem, hat der Staat beweisrechtliche Nachteile, wenn er Benchmarks aufstellt. Dabei haben weder der Ausschuss noch der ECOSOC die Kompetenz, die vom Sozialpakt vorgegebene Beweislastverteilung zu ändern, indem sie sich für die IBSA–Methode entscheiden. Diesen Argumenten ist jedoch entschieden zu widersprechen. Oben wurde nämlich bereits festgestellt, dass der Staat immer die Beweislast trägt, weil er die Beweismittel auf seinem Gebiet kontrolliert. Ob die Anmerkungen des Ausschusses zu Rückschritten zu den Kerninhalten dem entgegenstehen, ist äußerst zweifelhaft. Denn er hat sich überhaupt nur in diesen beiden Sonderfällen zur Beweislast geäußert. Zudem waren zu jenem Zeitpunkt die IBSA–Methode noch nicht voll entwickelt und die Beweisführungspflicht noch nicht ausgearbeitet. Sollte der Ausschuss tatsächlich daran festhalten, dass es bei den Kerninhalten und bei Rückschritten nur zu einem Anscheinsbeweis kommt, der relativ leicht erschüttert werden kann, so darf er konsequenterweise bei den übrigen Verpflichtungen keinen strengeren Maßstab anlegen. Es wäre nämlich widersprüchlich, wenn die Staaten bei den schwerwiegenden Positionen wie bei Rückschritten oder der Kernbereichsverwirklichung geringer beweisbelastet wären, als in dem Fall, in dem sie nur einen Benchmark in einer progressiven Dimension nicht umgesetzt haben. Nach dem hier vertretenen Modell des in dubio pro homo geht ein non liquet jedoch immer zu Lasten des Staates. Fazit: Wenn der Staat meint, er habe einen Benchmark erreicht, muss er dies beweisen. Das Gleiche gilt für den Fall, dass sich nicht nachweisen lässt, ob er das Nichterreichen rechtfertigen kann.
223 Für das deutsche Recht: BGH Urteil des XI. Zivilsenats vom 5.10.2004 – XI ZR 210/03 S. 8
Kapitel 5: Das IBSA-Verfahren
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d) Die Beteiligung von NGOs und UN–Sonderorganisationen Da die IBSA–Methode das Prüfungsverfahren zwar konkretisieren, die bewährten Grundsätze aber beibehalten will, soll weiterhin der erste Tag einer Sitzungsperiode für die Diskussion mit NGOs reserviert bleiben. NGOs – und unter Umständen auch die der UN–Sonderorganisationen – können dem Ausschuss ein präzises „Assessment“ ermöglichen, indem sie vor dem konstruktiven Dialog den Staatenbericht und die auf die „List of issues“ geschriebenen Antworten bewerten.224
e) Die zwei Gesichter des „Assessments“ Der konstruktive Dialog ist jedoch mit dem „Assessment“ nicht beendet. Die IBSA–Prozedur ist nämlich janusköpfig. Zu einem Termin findet stets beides statt, einmal eine rückblickende Bewertung, dann eine Planung. Diese Reihenfolge hat den Vorteil, dass der Staat gegebenenfalls überlegen kann, warum er seine Ziele nicht erreicht hat, und dann für den folgenden Zeitraum realistischere Benchmarks aufstellt.225
4.) Der Umfang der Berichtsprüfung Festgestellt wurde, dass der Ausschuss den Staat nicht rügen darf, wenn er seinen Benchmark erreicht hat. Außerdem gilt ein Benchmark nur, wenn der Ausschuss zu ihr Stellung genommen hat. Darüber hinaus hat der Staat ein Ermessen, wie er sein Ziel erreicht, wenn er nur bezüglich eines Ergebniswertes gebunden ist. Die Frage, die sich anschließt, lautet: Darf der Ausschuss im „Assessment“ auch Indikatoren heranziehen, die er im „Scoping“ nicht erwähnt hat, wenn er im Übrigen die IBSA–Methode anwendet? Beispielsweise kann es sein, dass ein Staat sich dazu verpflichtet, die Zahl der Totgeburten um zehn Prozent zu senken. Darf der Ausschuss dann rügen, dass die Zahl der Hebammen sehr niedrig ist?
224
Riedel: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, a.a.O. (Fn. 6), S. 79; ders.: Universeller Menschenrechtsschutz – vom Anspruch zur Durchsetzung, a.a.O. (Fn. 14), S. 52 225 Riedel: The IBSA Procedure as a Tool of Human Rights Monitoring, a.a.O. (Fn. 6), S. 79
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3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
Abstrakter formuliert bedeutet dies: Sind Benchmarks in dem Sinne abschließend, dass sie es dem Ausschuss verbieten, zu Lasten des Staates auf Indikatoren zurückzugreifen, die nicht „gescopt“ oder sogar nicht mit Benchmarks versehen wurden? Wäre dies der Fall, so könnte ein Staat sich schützen, indem er sehr hartnäckig verhandelt, so dass nur ein Benchmark pro Paktrecht „gescopt“ werden kann und für die übrigen keine Zeit mehr bleibt. Er würde also eventuell davon absehen, möglichst viele Benchmarks aufzustellen und mit dem Ausschuss konstruktiv zu kooperieren. Des Weiteren darf es nicht sein, dass ein Staat, der einige Struktur– oder Prozessbenchmarks aufstellt, hierdurch seine vom Sozialpakt vorgesehenen226 „obligations of result“ umgeht. Zum Beispiel könnte er sich dazu bereit erklären, die Zahl der Hebammen um fünf Prozent zu erhöhen. Wenn dennoch die Müttersterblichkeit unverändert und hoch ist, läuft dies dem Zweck des Sozialpakts zuwider, der letztlich den Genuss des Rechts – hier das Höchstmaß an individuell erreichbarer Gesundheit und damit auch die Lebenserwartung – verbessern will. Daher würde es dem Missbrauch der IBSA–Prozedur Tür und Tor öffnen, wenn der Ausschuss diesen Faktor nicht mehr messen dürfte. Außerdem kann es passieren, dass neue Probleme auftreten oder weitere Indikatoren gefunden werden. In beiden Fällen wäre der Ausschuss gelähmt, dürfte er hierauf nicht reagieren. Dies widerspräche einer effektiven Paktüberwachung. Schließlich gibt es auch Paktelemente, die nicht ressourcenabhängig sind, so die meisten Eingriffsverbote. Wäre das Benchmarkingverfahren absolut, könnten diese Paktelemente gar nicht mehr geprüft werden, man hätte quasi das Gegenteil des „Violations Approaches“. Dies würde wiederum die Kongruenz zwischen Paktinhalt und Paktprüfung verzerren, und gerade besonders schwere Paktverletzungen fielen unter den Tisch. Fazit: Benchmarks schützen ausschließlich bei den Indikatoren, bei denen sie verwendet werden. Nur in diesem Bereich ist die Berichtsprüfung erleichtert. Im Übrigen darf und muss der Ausschuss bei der nächsten Berichtsprüfung auch Umstände heranziehen, die außerhalb des IBSA–Prozesses liegen.
226
Siehe S. 39 f.
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5.) Zwischenergebnis Benchmarks sind Werte von Indikatoren. Für letztere gilt aber, dass sie den Inhalt der Paktrechte lediglich näherungsweise bestimmen. Betrachtet der Ausschuss die aktuellen Werte der „gescopten“ Indikatoren, ist dies deswegen immer nur ein Indiz dafür, ob ein Staat seine Paktverpflichtungen erfüllt hat – allerdings ein starkes. Der Ausschuss muss stets eine Zusammenschau aller Informationen vornehmen, denn Mathematik kann keine normativen Bewertungen ersetzen.
V. Zusammenfassung des Kapitels Die IBSA–Methode besteht aus vier Schritten. Als erstes werden Indikatoren aus dem Universum herausgefiltert, die sich für die Überwachung der Wsk–Rechte eignen. Als zweites stellen die Staaten nationale Benchmarks auf, die dann in einem dritten Schritt vom Ausschuss auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden. Nach regelmäßig fünf Jahren überprüft der Ausschuss, ob die Staaten ihre Benchmarks erreicht haben oder nicht und ermittelt im letzteren Fall die Gründe. Der Hauptvorteil des IBSA–Verfahrens liegt neben einer Zeit– und Aufwandsersparnis darin, dass die Wsk–Rechte wegen des Ermessensspielraums und der Unbezifferbarkeit der Ressourcen andernfalls kaum zu überwachen wären. Eine Pflicht, Benchmarks aufzustellen, lässt sich aber nicht aus dem Sozialpakt deduzieren. Die Staaten sind grundsätzlich an ihre Benchmarks gebunden. Nur ausnahmsweise dürfen sie hiervon abweichen, wenn der Sozialpakt dies materiell gebietet. Beim „Assessment“ darf der Ausschuss alle Elemente der Paktrechte prüfen; die Benchmarks beschränken ihn insoweit nicht. Schafft es ein Staat, seine Zielwerte zu erreichen, ist der Ausschuss aber für den zugehörigen Indikator gebunden, das heißt er darf nicht im Nachhinein behaupten, der Staat hätte mehr erreichen müssen. Die Beweislast für das Erreichen eines Benchmark trägt das Land. NGOs und UN–Sonderorganisationen können den Ausschuss beim „Assessment“, vor allem aber beim „Scoping“ unterstützen. Benchmarks konkretisieren das staatliche Ermessen. Daher sind sie einseitige Akte eines Landes. Man kann sie unterteilen einerseits in qualitative und quantitative Benchmarks, andererseits in Inputbenchmarks, Strukturbenchmarks, Prozessbenchmarks, Verhaltensbenchmarks und Ergebnisbenchmarks. Zwar ergibt sich die Reihenfolge, in
300
3. Teil: Die Überwachung der Staatenpflichten
der Indikatoren mit Benchmarks zu versehen sind, in erster Linie aus der Validität. Allerdings sind Ergebnisbenchmarks für die Berichtsprüfung besonders gut geeignet. Benchmarks gibt es auch bei den Kerninhalten, im Rahmen von Diskriminierungsverboten jedoch nur, wenn diese nicht sofort umgesetzt werden müssen. Dem Ausschuss ist es gestattet, sich auf die Ziele, die er für besonders relevant hält, zu konzentrieren. Benchmarkindizes sind hingegen verboten. Wer dafür zuständig ist, Benchmarks aufzustellen, bestimmt das innerstaatliche Recht. Völkerrechtlich besteht eine starke Vermutung dahingehend, dass die vor dem Ausschuss auftretenden Repräsentanten und die Personen, die den Bericht abgefasst haben, kompetent sind.
4. Teil: Die transnationalen Pflichten sowie deren Überwachung, insbesondere im Bereich des Patent– und Sortenschutzrechts Im folgenden Teil soll die IBSA–Methode an einem praktischen Beispiel verdeutlicht werden. Dabei kann die vorliegende Arbeit nur beim initialen Schritt der IBSA– Methode, dem Suchen nach geeigneten Indikatoren, helfen. Die weiteren Sequenzen – die Überprüfung der Validität und Reliabilität, das Setzen geeigneter Benchmarks, deren „Scoping“ und „Assessment“ – sind der Praxis vorbehalten. Um zu demonstrieren, welche Vorfragen geklärt sein müssen, bevor Indikatoren und Benchmarks angewendet werden können, wurde ein Bereich gewählt, der von der Wissenschaft noch kaum durchdrungen ist, in dem sich die Ermessenfragen aber besonders deutlich stellen: der Bereich der transnationalen Menschenrechtspflichten, die einen Bezug zum gewerblichen Rechtsschutz aufweisen.
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen im Sozialpakt und deren Kontrolle „Wer fremde Bürger mißhandelt, verletzt die Pflicht gegen seine eigne Untertanen, denn er setzt sie dem Wiedervergeltungs Recht aus.“ Johann Wolfgang von Goethe
I. Die Ausgangsproblematik Bisher wurden in dieser Arbeit nur Pflichten diskutiert, die Staaten gegenüber ihren Einwohnern haben, sogenannte vertikale Verpflichtungen. Da es sich beim Sozialpakt aber um einen internationalen Vertrag handelt, liegt es nahe, dass die Länder auch dafür verantwortlich sind, die Wsk–Rechte in anderen Staaten umzusetzen.
M. Duchstein, Das internationale Benchmarkingverfahren und seine Bedeutung für 301 den gewerblichen Rechtsschutz, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 217, DOI 10.1007/978-3-642-12018-3_4, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010. All Rights Reserved.
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Dies könnte man einmal daraus ableiten, dass sich ein Paktmitglied durch seinen Beitritt gegenüber allen anderen Staaten dazu bereit erklärt, die Wsk–Rechte umzusetzen, sogenannte horizontale Ebene. Man kann aber auch überlegen, ob nicht sogar eine diagonale Ebene existiert, also die Länder unmittelbar den Einwohnern fremder Staaten verpflichtet sind.1 Die Terminologie für die grenzübergreifenden Verpflichtungen ist uneinheitlich. Es wird von „extraterritorialen“, „transnationalen“, „externen“ oder „internationalen Verpflichtungen“ sowie von „Drittstaatenverpflichtungen“ beziehungsweise „Mitverantwortung“ gesprochen.2 Der Ausschuss hat sich zu diesem Thema bislang nur punktuell geäußert. Insbesondere hat er offengelassen, ob reiche Staaten verpflichtet sind, ärmeren Paktmitgliedern Entwicklungshilfe zu gewähren und inwieweit die Länder einander technische Unterstützung leisten müssen. Ebenfalls zurückhaltend, wenn auch ein wenig extensiver zeigt sich der Ausschuss zur Überwachung des Übereinkommens über die Rechte des Kindes. Artikel 4 dieser Konvention3 (im Folgenden ÜRK) sieht vor, dass die Staaten zur Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte alle geeigneten Gesetzgebungs–, Verwaltungs– und sonstige Maßnahmen unter Ausschöpfung ihrer verfügbaren Mittel treffen, erforderlichenfalls im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit.4 Der Wortlaut ähnelt damit dem des Artikels 2 Absatz 1 1
Sigrun Skogly: The obligation of international assistance and co–operation in the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: Bergsmo, Morten/ Eide, Asbjørn (Hrsg.): Human rights and criminal justice for the downtrodden, 2003, S. 403 (S. 404); Carsten Reimann: Ernährungssicherung im Völkerrecht, 2000, S. 162 2
Skogly: The obligation of international assistance, a.a.O. (Fn. 1), S. 404; Wouter Vandenhole: Third State Obligations under the ICESCR: A Case Study of EU Sugar Policy, in: Nordic Journal of International Law 76 (2007) S. 73 (S. 85) 3
Convention on the Rights of the Child, GA Res. 44/25 vom 20. November 1989, deutsche Übersetzung in: BGBl. 1992 II S. 121 4
Die authentische, englische Fassung lautet: „States Parties shall undertake all appropriate legislative, administrative, and other measures for the implementation of the rights recognized in the present Convention. With regard to economic, social and cultural rights, States Parties shall undertake such measures to the maximum extent of their available resources and, where needed, within the framework of international co–operation.“
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
303
IPwskR.5 Der Ausschuss für die Kinderrechte geht davon aus, dass sich aus Artikel 4 ÜRK eine gewisse Verpflichtung, Entwicklungshilfe zu leisten, ableiten lässt.6 Außerdem fordert er die Staaten dazu auf, sich untereinander technisch zu unterstützen.7 Die Art und Weise, in der das Übereinkommen über die Rechte des Kindes in der Praxis ausgelegt wird, erlaubt jedoch keine zwingenden Schlüsse für die Interpretation des IPwskR, denn es handelt sich um voneinander unabhängige Verträge.8 Nachfolgend soll daher durch Auslegung ermittelt werden, in welchem Umfang transnationale Pflichten im IPwskR bestehen. Dabei kann es je nach Verpflichtungstyp – „respect“, „protect“ oder „fulfil“ beziehungsweise Verhaltens– oder Erfolgspflicht zu verschiedenen Ergebnissen kommen.
II. Die grammatische Auslegung Der Sozialpakt enthält keine Vorschrift, die festlegt, auf welchem Gebiet und für welche Individuen die Wsk–Rechte gelten.9 Allerdings spricht Artikel 2 Absatz 1 IPwskR davon, dass sich jeder Vertragsstaat verpflichtet, einzeln und „durch internationale Hilfe und Zusammenarbeit, insbesondere wirtschaftlicher und technischer Art“ die Paktumsetzung anzustreben.10
5
Eibe Riedel: Introductory Statement, Vortrag im Rahmen des Day of General Discussion vor dem Committee on the Rights of the Child am 21. September 2007 im Palais Wilson, Genf 6
General Comment Nr. 5 UN Doc. CRC/GC/2003/5 vom 27. November 2003 § 61 7
Ibidem § 63
8
Insbesondere waren am 28. September 2007 nicht alle 192 Paktmitglieder der CRC zugleich Mitglieder des IPwskR. Umgekehrt waren zu diesem Zeitpunkt Somalia und Venezuela die einzigen Länder, die den IPwskR, nicht aber die CRC ratifiziert haben 9
IGH: Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Entscheidung vom 9. Juli 2004, Advisory Opinion § 112 10 Die authentische, englische Fassung lautet: „[...] individually and through international assistance and co–operation, especially economic and technical [...]“. Vgl. dazu auch den abweichenden Wortlaut in Art. 4 Abs. 2 und die Vor-
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Zu betonen ist, dass „internationale Hilfe und Zusammenarbeit“ gleichrangig neben „einzeln“ steht. Die Verbindung beider Elemente mit „und“ zeigt, dass es um Handlungen geht, die kumulativ zu erfüllen sind. Bemerkenswert ist auch, dass das zweite Tatbestandsmerkmal durch „insbesondere wirtschaftlicher und technischer Art“ konkretisiert wird. Welche Schlüsse hieraus zu ziehen sind, bleibt zu erörtern. Unabhängig davon erkennt Artikel 11 Absatz 1 Satz 2 IPwskR die „entscheidende Bedeutung einer internationalen, auf freier Zustimmung beruhenden Zusammenarbeit“ an.11 In Absatz 2 des Artikels 11 IPwskR ist die Rede von „einzeln und im Wege internationaler Zusammenarbeit“ sowie einer „gerechten Verteilung der Nahrungsmittelvorräte in der Welt unter Berücksichtigung der Probleme der Nahrungsmittel einführenden und ausführenden Länder“.12 Weitere Vorschriften, die einen internationalen Bezug enthalten, sind Artikel 15 Absatz 4 und Artikel 23 IPwskR. Die erste Vorschrift lautet: „Die Vertragsstaaten erkennen die Vorteile an, die sich aus der Förderung und Entwicklung internationaler Kontakte und Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet ergeben.“13 Artikel 23 lautet: „Die Vertragsstaaten stimmen überein, dass internationale Maßnahmen zur Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte unter anderem folgendes einschließen: den Abschluss von Übereinkommen, die Annahme von Empfehlungen, die Gewährung technischer Hilfe sowie die Abhaltung von regionalen und Fachtagungen schrift des Art. 32 der Behindertenrechtskonvention, UN Doc. A/61/611 vom 6. Dezember 2006 11
Die authentische, englische Fassung lautet: „recognizing to this effect the essential importance of international co–operation based on free consent.“ 12
Die authentische, englische Fassung lautet: „individually and through international co–operation“, beziehungsweise: „Taking into account the problems of both food–importing and food–exporting countries, to ensure an equitable distribution of world food supplies in relation to need.“ 13
Die authentische, englische Fassung lautet: „The States Parties to the present Covenant recognize the benefits to be derived from the encouragement and development of international contacts and co–operation in the scientific and cultural fields.“ Dazu: Philip Alston/Gerald Quinn: The Nature and Scope of States’ Parties Obligations under the international Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, HRQ 9 (1989), S. 156 (S. 186)
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
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zu Konsultations– und Studienzwecken in Verbindung mit den betroffenen Regierungen.“14 Schließlich sprechen Artikel 1 Absatz 2 IPwskR von der „internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf der Grundlage des gegenseitigem Wohles“ und Artikel 22 von der „Zweckmäßigkeit internationaler Maßnahmen“ von UN–Sonderorganisationen.15 Erstaunlicherweise wurde bislang im Zusammenhang mit den transnationalen Pflichten nur selten darauf hingewiesen, dass in Teil III des Sozialpakts stets vom „Recht eines jeden“ oder vom „Recht jedes einzelnen“ die Rede ist.16 Hätte man den Geltungsbereich der Paktrechte begrenzen wollen, so hätte man dies deutlicher formulieren müssen, etwa „Recht eines jeden Einwohners“. Die gegenwärtige Fassung erkennt hingegen allen Menschen die Rechte zu. Streng nach dem Wortlaut der Paktrechte gäbe es sogar eine Kongruenz von Passiv– und Aktivlegitimierten, das bedeutet, jedes Individuum hätte einen Anspruch auf Verwirklichung der Paktrechte gegen jeden Mitgliedsstaat. Fazit: Bereits die Formulierung des Sozialpakts deutet an, dass die Wsk–Rechte nicht nur auf der vertikalen Ebene gelten sollen. Wegen der Hervorhebung in Artikel 11 und Artikel 15 IPwskR ist zwar davon auszugehen, dass dort eine besondere internationale Zusammenarbeit verlangt wird. Allerdings belegen die anderen genannten Formulierungen, dass der Sozialpakt bei jedem Paktrecht grenzüberschreitende Pflichten kennt.17 Andererseits ist der Wortlaut sehr vage, so dass man aus ihm keine konkreten transnationalen Pflichten ableiten kann.18 14
Zu dieser Vorschrift Danilo Türk: The United Nations and the realization of economic, social and cultural rights, in: Franz Matscher: Die Durchsetzung wirtschaftlicher und sozialer Grundrechte, 1991, S. 95 (S. 113) 15 Zu Art. 22 siehe General Comment Nr. 2, enthalten in UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7 16 Ein derartiger Hinweis findet sich bei Jack Donnelly: Assessing National Human Rights Performance, in: HRQ 10 (1988) S. 214 (S. 243 f.). Allgemein zu diesen Formulierungen: Matthew Craven: The domestic application of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: NILR 1993 S. 367 (S. 393) 17
General Comment Nr. 15, UN Doc. E/C.12/2002/11 § 30; Hans Morten Haugen: The Right to Food and the TRIPs Agreement, 2007, S. 130 18
Näher Kristina Klee: Die progressive Verwirklichung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte, 2000, S. 147
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
III. Die teleologische Auslegung Staaten mögen vortragen, mit ihrer Ratifikation waren sie nur bereit, die Wsk–Rechte innerstaatlich zu verwirklichen, nicht aber in anderen Ländern. Denn bestünden transnationale Pflichten, wären sie stets davon abhängig, wie sich andere Staaten verhalten. Zum einen müssten sie bei verfehlter Menschenrechtspolitik dritter Staaten im Rahmen ihrer Möglichkeiten korrigierend eingreifen, zum anderen könnten sie niemals ausreichend sicherstellen, dass Drittstaaten eine optimale Menschenrechtspolitik an den Tag legen und die von ihnen zur Verfügung gestellten Ressourcen bestmöglich verwenden. Beispielsweise könnte es sein, dass eine Regierung Gelder, die sie erhält, um die Infrastruktur und dadurch den Nahrungstransport zu verbessern, für den Bau von Waffen einsetzt. Auf den Punkt gebracht mag sich ein Land also wegen der gegenüber der innerstaatlichen verringerten Einflussmöglichkeit für überfordert halten. Der Sozialpakt bezweckt aber, wie der Bezug auf die verfügbaren Ressourcen zeigt, eine Überforderung zu vermeiden. Damit zusammenhängend ließe sich argumentieren, der Sozialpakt nenne nicht deutlich genug Kriterien, nach denen man beurteilen kann, wann ein Staat für die Verwirklichung der Menschenrechte in anderen Ländern zuständig ist. Kein Staat vermag sich jedoch um das Wohlergehen aller Menschen auf fremden Erdteilen im gleichen Umfang zu kümmern wie um das seiner Einwohner. Er wäre sonst nicht nur überfordert, sondern gelähmt. Außerdem könnten die Staaten einwenden, der Sozialpakt erwähne zwar mehrfach Kooperationspflichten, schreibe aber nirgends ausdrücklich einen Transfer von Ressourcen vor.19 Wäre ein solch massiver Eingriff in die Souveränität gewollt gewesen, hätte man ihn deutlich verankern müssen.20 Aus alldem könnte man ableiten, dass Pflichten zur Zusammenarbeit nur solche Handlungen beinhalteten, die ohnehin bereits im Rahmen der UN ablaufen – wie die Teilnahme an UN–Vollversammlungen mit 19
Vgl. Michael Windfuhr: State Obligations for Economic, Social and Cultural Rights in Times of Globalisation, in: ders. (Hrsg.): Beyond the Nation State, 2005, S. 12 (S. 17) 20
Vgl. András Sajó: Socioeconomic rights and the international economic order, in: New York University Journal of International Law and Politics 2002 – 2003, S. 221 (S. 226)
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
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menschenrechtsrelevanten Themen oder die Beratung mit UN–Sonderorganisationen. Ob der Sozialpakt die transnationalen Elemente jedoch derart restriktiv verstanden haben will, ist zweifelhaft. So wäre es merkwürdig, wenn die Staaten zwar dazu verpflichtet sind, national die Wsk–Rechte best– und schnellstmöglich zu verwirklichen, die Gewährleistung in anderen Staaten aber vereiteln können.21 Zum einen verbietet es nämlich Treu und Glauben, einen anderen Staat daran zu hindern, die Wsk–Rechte auf seinem Territorium zu realisieren.22 Außerdem haben sich die Vertragspartner des IPwskR zusammengeschlossen, um gemeinsam ein Ziel zu erreichen: die Menschenrechte zu verbessern. Zivilrechtlich würde man von einem „schuldrechtlichen Band“, völkerrechtlich von einer Verbindung auf der horizontalen Ebene sprechen. Die Vertragspartner sind also wie bei einer zivilrechtlichen Gesellschaft über ihren gemeinsamen Zweck verbunden. Die zahlreichen koordinationsrechtlichen Elemente im Sozialpakt zeigen, dass die Staaten verpflichtet sind, im Zusammenwirken und nicht nur isoliert voneinander die bestmögliche Verwirklichung der Wsk–Rechte anzustreben. Dazu kann gehören, dass sie Dritte davon abhalten, die Menschenrechte in anderen Staaten zu gefährden. Dazu kann – wegen der Notwendigkeit von Ressourcen für den Genuss der Wsk–Rechte sowie ihrer global ungleichen Verteilung – sogar gehören, Ressourcen in andere Länder zu transferieren, wobei den Grenzen dieser Transferpflicht noch nachzugehen sein wird. Diese Verpflichtung, den gemeinsamen Zweck zu fördern, spricht bereits dafür, dass auf allen drei Ebenen „respect“, „protect“ und „fulfil“ transnationale Pflichten existieren. Manche Dimensionen der Wsk–Rechte können grenzüberschreitend verwirklicht werden, ohne dass es Ressourcen bedarf. Sperrt ein Land beispielsweise sein Gebiet für den Transit von Nahrungshilfen in bedürftige Nachbarstaaten, verhindert es aktiv, dass die Bewohner des betroffenen Gebietes in den Genuss ausreichender Nahrung kommen. Und das, obwohl die Aufhebung der Blockade nichts kosten würde. 21
Mark Gibney/Katarina Tomaševski/Jens Vedsted–Hansen: Transnational State Responsibility for Violations of Human Rights, in: Harvard Human Rights Journal 12 (1999) S. 267 (S. 267); Klee a.a.O. (Fn. 18), S. 141 22
Vgl. IGH–Entscheidung: Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, vom 9. Juli 2004, Advisory Opinion, § 158
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Nach dem Zweck des Sozialpakts kann ein solches Verhalten nicht erlaubt sein. Zumindest soweit ressourcenunabhängige Bereiche betroffen sind, gibt es also transnationale Pflichten. Damit ist aber noch nicht geklärt, in welchem Umfang ressourcenabhängige extraterritoriale Pflichten bestehen. Artikel 2 Absatz 1 IPwskR gebietet, mit allen geeigneten Mitteln die volle Verwirklichung der Paktrechte anzustreben. Dass mit „voller Verwirklichung“ nur „innerstaatlich volle Verwirklichung“ gemeint sein soll, kann nicht nachvollziehbar begründet werden. Da der Passus keine Einschränkungen enthält, ist „volle Verwirklichung“ vielmehr global gemeint; das heißt, die Wsk–Rechte sind erst dann voll verwirklicht, wenn jeder Mensch auf der Welt alle in Teil III des Sozialpakts genannten Rechte maximal genießt.23 Selbst wenn man die Meinung vertritt, „volle Verwirklichung“ sei nur ein anzustrebendes Ideal, so ist dieses doch für sämtliche Menschen in allen Ländern identisch. Damit aber alle Menschen in den Genuss der Wsk–Rechte kommen können, müssen ressourcenstarke Länder ihre Mittel teilweise in ressourcenschwache transferieren.24 Zu bedenken ist allerdings, dass der Sozialpakt primär kein Entwicklungshilfevertrag ist. Außerdem fehlen Ressourcen, die in andere Länder verschoben werden, unter Umständen den eigenen Einwohnern.25 Daraus folgt, dass ressourcenabhängige transnationale Pflichten nur
23
Vgl. dazu auch die Präambel: „In der Erkenntnis, dass [...] das Ideal vom freien Menschen, der frei von Furcht und Not lebt, nur verwirklicht werden kann, wenn Verhältnisse geschaffen werden, in denen jeder seine wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte [...] genießen kann“. (Hervorhebungen vom Verfasser) Siehe auch: Asbjørn Eide/Arjun Sengupta/Stephen P. Marks/Bård A. Andreassen: The Right to Development and Human Rights in Development, 2004, S. 20 24 General Comment Nr. 3 § 4, enthalten in: UN Doc. E/1991/23; § 14; The Limburg Principles Nr. 30 f., enthalten in: UN Doc. E/C.12/2000/13; vgl. auch Skogly: The obligation of international assistance, a.a.O. (Fn. 1), S. 408, 419; Audrey Chapman: Economic, Social and Cultural Rights: Interpreting Article 2(1) of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, New York 2005, unveröffentlicht (erhältlich über den Autor), S. 21 25
Vgl. Philip Alston: US–Ratifikation of the Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: American Journal of International Law 1990, S. 365 (S. 378)
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
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sehr eingeschränkt und nur im Rahmen der Leistungsfähigkeit der Staaten bestehen. Allerdings kann man transnationale Rechtspflichten nicht völlig negieren. Müssten Entwicklungsländer sich nämlich darauf verlassen, dass reiche Länder ihnen freiwillig helfen, so gäbe es für sie kaum einen Anreiz, dem Sozialpakt beizutreten.26 Wie die Progressivklausel in Artikel 2 Absatz 1 IPwskR belegt, sollte ein solcher aber für alle Staaten – unabhängig vom Entwicklungsstand – geschaffen werden. Des Weiteren ist im Rahmen von Artikel 2 Absatz 1 IPwskR anerkannt, dass auch internationale Ressourcen – etwa Entwicklungshilfe – bei der Frage, welche Mittel verfügbar sind, einzuberechnen sind.27 Wenn der Sozialpakt diese Ressourcenverschiebung auf der Einnahmenseite berücksichtigt, ist es zwar nicht zwingend, aber doch auch nicht fernliegend, sie auch auf der Ausgabenseite zu berücksichtigen.28 Darüber hinaus verbietet Artikel 2 Absatz 2 IPwskR Diskriminierungen aufgrund der nationalen Herkunft, der Sprache oder des sonstigen Status. Unter letzteres Merkmal fällt auch die Staatsangehörigkeit, wie sich im Umkehrschluss aus Artikel 2 Absatz 3 ergibt.29 Man kann sich daher fragen, ob ein Staat Menschen diskriminiert, wenn er sich nicht um ihre Wsk–Rechte kümmert, nur weil die Individuen sich in einem anderen Staat befinden.30 Dabei können die Ungleichbehandlungen auf allen drei Ebenen vorkommen: Denkbar ist, dass nationale Maßnahmen im Ausland in den Genuss der Wsk–Rechte eingreifen, im Inland aber nicht. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Staat ein bestimmtes Medikament verbietet, das im Inland ausschließlich zum Export produziert wird. Es kann auch sein, dass das Land es unterlässt, gegen menschenrechtsschädliches Verhalten seiner Staatsbürger im Ausland vorzugehen, obwohl es derartiges Verhalten im Inland nicht dulden würde. 26
Vgl. Skogly: The obligation of international assistance, a.a.O. (Fn. 1), S. 409; kritisch Karl Zemanek: New Trends in the Enforcement of erga omnes Obligations, in: Jochen A. Frowein/Rüdiger Wolfrum: Max Planck Yearbook of United Nations Law 4 (2000) S. 1 (S. 3) 27 28
Siehe oben S. 19 Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 13), S. 187
29
Donnelly: Assessing National Human Rights Performance, a.a.O. (Fn. 16), S. 246 nennt beispielhaft den Geburtsort oder die Nationalität der Eltern. Zu Art. 2 Abs. 2 und 3 IPwskR siehe oben S. 42 f. 30
Diese Frage wird angedeutet bei: Donnelly: Assessing National Human Rights Performance, a.a.O. (Fn. 16), S. 244 f.
310
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Schließlich kann es auch sein, dass ein Staat für den Rechtsgenuss im Inland Ressourcen zur Verfügung stellt, für den im Ausland aber nicht. Klärungsbedürftig ist, ob für diese Ungleichbehandlungen ein rechtfertigender Grund besteht. Der Staat könnte argumentieren, er differenziere danach, ob er für die Verwirklichung eines Menschenrechts geeignete „gesetzgeberische Maßnahmen“ treffen könne. Wo ein anderer Hoheitsträger zuständig sei, könne er nichts regeln. Wenn sich ein Individuum im Hoheitsbereich eines anderen Paktstaats aufhalte, sei dieser sein Ansprechpartner und zur Rechtsverwirklichung verpflichtet. Daher müsse es zulässig sein, für die Realisierung der Rechte danach zu unterscheiden, wo sich ein Mensch aufhält. Dem ist nur teilweise zuzustimmen. Zwar ist es richtig, dass sich die Einwohner fremder Staaten primär an ihren eigenen Gebietsherrn wenden können. Dies schließt aber nicht aus, die Verantwortung für ihre Rechte zu teilen. Nach dem Wortlaut und dem Zweck des Sozialpakts sollen die Wsk– Rechte nämlich für alle Individuen gelten, ob sie im entsprechenden Staat wohnen oder nicht.31 Ansonsten geriete man in die Nähe von „Substandards“ für „Submenschen“. Dies bedeutet, eine Regierung muss sich bei jeder Entscheidung fragen, wie sie sich für den Genuss der Wsk–Rechte im Ausland auswirkt. Zwar erlaubt es der Sozialpakt dem Staat grundsätzlich, seine Mittel nach eigenem Gutdünken zu verwalten. Dieses Ermessen wird aber nur dann ordnungsgemäß ausgeübt, wenn er alle betroffenen Interessen, also auch die der Ausländer, mitberücksichtigt. Zwischenfazit: Die Mitverantwortung für die Verwirklichung der Wsk– Rechte in fremden Staaten verbietet es, die ausländischen Menschenrechtsinteressen völlig außer Acht zu lassen. Andererseits gestattet die nur sekundäre Zuständigkeit für die Einwohner fremder Länder, den ausländischen Menschenrechtsinteressen bei der Ressourcenverteilung einen geringeren Rang zuzuschreiben, als den inländischen. Der Staat muss die Individuen in fremden Ländern lediglich in die Lage versetzen, durch eigene Anstrengungen und unter Inanspruchnahme ihres
31 Sigrun Skogly/Mark Gibney: Transnational Human Rights Obligations, in: HRQ 24 (2002), S. 781 (S. 785)
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Staatsapparats sowie ihrer Ressourcen in den Genuss der Wsk–Rechte zu kommen.32 Ein rechtfertigender Grund für internationale Ungleichbehandlungen liegt also nicht in allen Fällen vor: Ein Staat muss sich immer fragen, ob er im konkreten Fall nicht einen „Substandard“ für Ausländer schafft. An einem rechtfertigenden Grund fehlt es, wenn von den Bewohnern fremder Territorien vernünftigerweise nicht mehr erwartet werden kann, sich an ihren eigenen Gebietsherrn zu wenden, weil dieser ihnen offenkundig gar nicht zu helfen vermag. Eine Diskriminierung liegt somit jedenfalls vor, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: (1) Der Staat räumt inländischen menschenrechtsfremden Interessen einen höheren Rang ein als ausländischen Menschenrechtsinteressen, (2) die Verwirklichung der menschenrechtsfremden Interessen wirkt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit stark hemmend für den Genuss der Menschenrechte im Ausland aus, wobei man die Voraussetzungen aus dem 1503–Verfahren entsprechend heranziehen kann,33 und (3) das betroffene ausländische Land hat offenkundig nicht die Mittel, um die Menschenrechts–Störung abzuwenden oder zu kompensieren. Beispielsweise darf ein Staat nicht rücksichtslos mit Blick auf die eigenen Einwohner einen Fluss zur Bewässerung für sich umleiten, wenn dadurch im Nachbarstaat der Boden nicht mehr bewässert wird und somit eine Hungersnot entsteht. Unabhängig davon, ob dies nach allgemeinem Völkerrecht oder nach internationalem Umweltrecht erlaubt ist, ist es menschenrechtlich verboten. Auch darf der Staat nicht in hohen Mengen Pflanzen aus anderen Ländern aufkaufen, um sie als Treibstoff zu verarbeiten, wenn sie das Grundnahrungsmittel der Bevölkerung und für diese dann nicht mehr in ausreichender Menge erschwinglich sind. Hier würden menschenrechtsfremde Interessen das Recht auf Nahrung dominieren. Andererseits darf ein Staat Subventionen an eigene Unternehmen gewähren, auch wenn dies zur Folge hat, dass vermehrt Unternehmen aus dem Ausland zu ihm umsiedeln und dadurch im Ausland die Arbeitslo32
Vgl. Norwegian Agency for Development Cooperation/ Norwegian Institute for Human Rights: Handbook in Human Rights Assessment, State Obligations Awareness & Empowerment, 2001, S. 16 33
Zu den Voraussetzungen siehe oben S. 141
312
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
sigkeit steigt. Denn in beiden Ländern ist das Recht auf Arbeit – wegen der vergleichbaren Zahl der Arbeitsplätze – in annähernd identischer Intensität betroffen, und für die Ausländer ist primär deren Staat zuständig. Zusammenfassend liegt also eine Diskriminierung nur dann vor, wenn der Staat ausländische Menschenrechtsinteressen nicht hinreichend berücksichtigt.34 Dabei können im Einzelfall schwierige Wertungen notwendig sein, insbesondere wenn man untersucht, wessen Sphäre eine Störungsquelle oder eine Verantwortung zuzuordnen ist. Fazit: Soweit keine Ressourcen benötigt werden, um die Rechte umzusetzen, ist es irrelevant, wo sich ein Mensch aufhält. Solange die Störungsquelle dieselbe ist, muss sie beseitigt werden, um den Rechtsgenuss sicherzustellen. Insofern sind die Pflichten auf der diagonalen Ebene dieselben wie auf der vertikalen. Soweit der Staat aber ein Ermessen hat, darf er den Genuss der Wsk–Rechte im Ausland gegenüber dem im Inland hintanstellen. Insbesondere darf der Staat berücksichtigen, dass ein anderer Hoheitsträger ebenfalls Ressourcen besitzt und diese einsetzen kann. Ein Ermessensfehler liegt aber dann vor, wenn ein Staat ausländische Menschenrechtsinteressen überhaupt nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt. Dieselben Ableitungen lassen sich auch auf der horizontalen Vertragsebene ziehen: Da ein kollektiver Zweck verfolgt wird, gilt es, zeitgleich zum inländischen Genuss auch den Genuss der Wsk–Rechte im Ausland zu fördern. Das Ziel der vollen Rechtsverwirklichung und die angestrebten Paktbeitritte der Entwicklungsländer sind Gründe dafür, extraterritoriale Pflichten auch auf der „Fulfil“–Ebene anzuerkennen. Dazu kann gehören, Ressourcen in arme Länder zu verschieben; allerdings besteht diese Pflicht nur in sehr engem Umfang, da der Sozialpakt vorrangig kein Entwicklungshilfevertrag ist. Die Auslegung ist damit schon einen Schritt weiter. Es bleibt aber noch zu erörtern, ob sich die aus Wortlaut und Telos gewonnenen Ergebnisse durch die anderen Auslegungsmethoden bestätigen lassen und welche 34
Diese Sichtweise ist sogar mit der belgischen Auslegungserklärung zum IPwskR konform, welche lautet: „With respect to article 2, paragraph 2, the Belgian Government interprets non–discrimination as to national origin as not necessarily implying an obligation on States automatically to guarantee to foreigners the same rights as to their nationals. The term should be understood to refer to the elimination of any arbitrary behaviour but not of differences in treatment based on objective and reasonable considerations, in conformity with the principles prevailing in democratic societies.“
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
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konkreten transnationalen Pflichten die Staaten gegebenenfalls auf den drei Ebenen haben.
IV. Die systematische Auslegung 1.) Die UN–Charta Da alle Paktmitglieder zugleich die UN–Charta anerkannt haben, lässt sich letztere über Artikel 31 Absatz 3 c) WVK analog als Auslegungshilfe heranziehen.35 Hier sind primär die Artikel 55 Absätze b) und c) in Verbindung mit Artikel 56 UN–Charta zu nennen.36 Danach verpflichten sich die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen, gemeinsam und jeder für sich mit der Organisation zusammenzuarbeiten, um die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte zu fördern.37 Diese Vorschriften sind jedoch inhaltlich zu unbestimmt, um konkrete staatliche Handlungspflichten herzuleiten.38 Zum Teil wird sogar davon 35 Die authentische, englische Fassung des Art. 31 Abs. 3 c) WVK lautet: „There shall be taken into account, together with the context: [...] any relevant rules of international law applicable in the relations between the parties.“ 36
Siehe The Limburg Principles a.a.O. (Fn. 24), Nr. 29; Peter Rott: TRIPs– Abkommen, Menschenrechte, Sozialpolitik und Entwicklungsländer, in: GRURInt 2003, S. 103 (S. 104); Sajó a.a.O. (Fn. 20), S. 226; Haugen: The Right to Food and the TRIPs Agreement, a.a.O. (Fn. 17), S. 81 37
Die authentische, englische Fassung lautet: „Chapter IX – International economic and social co–operation“, Art 55: „ [...] the United Nations shall promote: [...] b. solutions of international economic, social, health, and related problems; and international cultural and educational co–operation; and c. universal respect for, and observance of, human rights and fundamental freedoms for all without distinction as to race, sex, language, or religion.“ Art. 56: „All Members pledge themselves to take joint and separate action in cooperation with the Organization for the achievement of the purposes set forth in Article 55.“ 38
Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 13), S. 188; Michael Windfuhr: Parallelbericht zum 4. Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland – Deutschlands Erfüllung seiner internationalen Verpflichtungen gemäß dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, herausgegeben von FIAN International, 2001, § 11; V.T. Thamilmaran: Cultural Rights in International Law, in: Anura Goonasekera et. al. (Hrsg.): Cultural rights in a global world, 2003, S. 139 (S. 146)
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
ausgegangen, die Vorschriften des IPwskR seien leges speciales für dessen Mitglieder.39 Außerdem verlangen die Artikel 55 und 56 der UN– Charta von den Staaten nur, mit den Vereinten Nationen zusammenzuarbeiten. Aus ihnen die Pflicht abzuleiten, dass Staaten untereinander, auf eigene Initiative hin, zum Zweck des Menschenrechtsschutzes kooperieren müssten, würde die Wortlautgrenze überschreiten. Gelegentlich wird versucht, aus der Präambel der UN–Charta in Verbindung mit deren Artikeln 55, 56 und 10340 eine Aussage für die extraterritorialen Verpflichtungen zu konstruieren. Die Präambel verpflichte die Mitglieder dazu, „zusammenzuwirken“, um die Ziele der UN zu erreichen. Indem in Artikel 55 und 56 der Menschenrechtsschutz als Ziel der UN genannt werde, bestehe folglich eine Pflicht der Staaten, die Menschenrechte in anderen UN–Mitgliedsstaaten zu fördern.41 Dem sind aber einige entscheidende Argumente entgegenzusetzen. Zunächst wurde die UN–Charta in einer Zeit der „starken Nationen“ entwickelt. Das Völkerrecht war geprägt von Zentralisierung und die internationale Interaktion war begrenzt. Die technologischen Möglichkeiten beschränkten sich auf das Telefon, und der Flugverkehr war noch in seiner Entstehungsphase. Das heutige Zeitalter ist indes von Globalisierung geprägt, die internationale Zusammenarbeit wurde stark ausgebaut.42 Die UN–Charta muss also durch eine andere Brille gesehen werden zur Zeit ihrer Entstehung. Aber selbst, wenn man dem keine Bedeutung beimessen wollte, so steht doch die Präambel der UN–Charta ganz unter dem Ziel der Friedenssicherung. Dies belegen die Formulierungen „Geißeln des Krieges“, „in Frieden miteinander leben“, „Weltfrieden“, „internationale Sicherheit“ und „Waffengewalt“. Aus Sicht der Präambel ist es also nicht zwingend, 39
Reimann: Ernährungssicherung im Völkerrecht, a.a.O. (Fn. 1), S. 140 f.
40
Art. 103 UN–Charta lautet übersetzt: „Widersprechen sich die Verpflichtungen von Mitgliedern der Vereinten Nationen aus dieser Charta und ihre Verpflichtungen aus anderen internationalen Übereinkünften, so haben die Verpflichtungen aus dieser Charta Vorrang.“ 41
Vgl. Sabine Bennigsen: Das „Recht auf Entwicklung“ in der internationalen Diskussion, 1989, S. 57 42
Skogly/Gibney a.a.O. (Fn. 31), S. 786 f.; Fons Coomans: Progressive Development of International Human Rights Law, in Michael Windfuhr: (Hrsg.): Beyond the Nation State, 2005, S. 33 (S. 34). Zum Begriff der Globalisierung: Michael Windfuhr: Soziale Menschenrechte und Globalisierung, in: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.): Jahrbuch Menschenrechte 2000, S. 173 (S. 175)
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
315
dass die Staaten zum Menschenrechtsschutz zusammenarbeiten, sofern es nicht darum geht, einen drohenden bewaffneten Konflikt zu verhindern.43 Fazit: Eine Pflicht zum transnationalen Menschenrechtsschutz ließe sich aus der Präambel der UN–Charta allenfalls dann ableiten, wenn unter den Staaten heute Einigkeit bestünde, dass man hierdurch Kriegen vorbeugen kann. Dieses Verständnis müsste man aber nachweisen.
2.) Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Artikel 28 der AEMR lautet: „Jedermann hat Recht auf eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Erklärung ausgesprochenen Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.“44 Artikel 22 derselben Erklärung spricht davon, dass jedermann „als Mitglied der Gesellschaft [...] Anspruch darauf“ hat, „durch [...] internationale Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der Organisation und der Hilfsmittel jedes Staates in den Genuss der für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen.“45 Da der Sozialpakt aus der AEMR entwickelt wurde, könnte man meinen, dass sich aus diesen beiden Artikeln eine Pflicht reicher Staaten, Entwicklungshilfe zu leisten ableiten lässt.46 Allerdings sind diese Vorschriften – anders als die meisten anderen Normen der AEMR – als Menschenrecht47 weder in den Sozialpakt noch in den Zivilpakt aufgenommen worden.48 43
Sajó a.a.O. (Fn. 20), S. 247 und 250
44
Die authentische, englische Fassung lautet: „Everyone is entitled to a social and international order in which the rights and freedoms set forth in this Declaration can be fully realized.“ 45
Die authentische, englische Fassung lautet: „Everyone, as a member of society, has the right to social security and is entitled to realization, through national effort and international co–operation and in accordance with the organization and resources of each State, of the economic, social and cultural rights indispensable for his dignity and the free development of his personality.“ 46 47 48
Vgl. The Limburg Principles a.a.O. (Fn. 24), Nr. 30 Vgl. aber die Präambel des Sozialpakts
Darauf weist auch Donnelly hin: Assessing National Human Rights Performance, a.a.O. (Fn. 16), S. 245
316
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Daraus wiederum den Schluss zu ziehen, dass es im Sozialpakt dann entgegen den obigen Ergebnissen keine extraterritorialen Pflichten geben kann, wäre vorschnell. Man kann lediglich ablesen, dass bei der Ausarbeitung der Pakte über ein Menschenrecht auf Entwicklung kein Konsens erzielt wurde. Das schließt aber nicht aus, dass der Sozialpakt auf der horizontalen Ebene Hilfs– und Kooperationspflichten vorsieht. Selbst auf der diagonalen Ebene kann es derartige Pflichten geben. Sie dürfen nur nicht deckungsgleich mit den Aussagen der Artikel 22 und 28 AEMR sein, weil man sonst einen Inhalt in den IPwskR hineininterpretieren würde, der von seinen Verfassern nicht vorgesehen war.49
3.) Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte Die Parallelvorschrift zum Artikel 2 Absatz 1 IPwskR findet sich in Artikel 2 Absatz 1 IPbpR. In der amtlichen Übersetzung heißt es: „Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen [...] zu gewährleisten.“ Bemerkenswert ist zunächst, dass der Zivilpakt im Gegensatz zum Sozialpakt überhaupt eine Herrschaftsklausel enthält – das heißt auf das Staatsgebiet und auf die Personalhoheit Bezug nimmt.50 Erwähnt werden sollte aber weiter, dass die unverbindliche deutsche Übersetzung falsch ist. Die authentische, englische Fassung lautet nämlich: „Each State Party to the present Covenant undertakes to respect and to ensure to all individuals within its territory and subject to its jurisdiction the rights recognized in the present Covenant [...].“ Die ebenfalls authentische, französische Fassung lautet: „Les États parties au présent Pacte s’engagent à respecter et à garantir à tous les individus se trouvant sur leur territoire et relevant de leur compétence les droits reconnus dans le présent Pacte [...]“ 49
Vgl. Donnelly: Assessing National Human Rights Performance, a.a.O. (Fn. 16), S. 245 50
Coomans: Progressive Development, a.a.O. (Fn. 42), S. 35. Vgl. auch Art. 6 CERD: „jeder Person in ihrem Hoheitsbereich“; Art. 2 Abs. 1 CRC: „jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehendem Kind“; Art. 2 Abs. 1 CAT: „in allen seiner Hoheitsgewalt unterstehenden Gebieten“; Art. 1 EMRK: „allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen“ und Art. 1 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention: „jeder Person unter ihrer Hoheitsgewalt“
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
317
Im Gegensatz zur deutschen Übersetzung soll sich also die Herrschaftsklausel vermutlich durchaus auch auf den „Respect“–Passus beziehen und nicht nur auf die „Ensure“–Verpflichtung. Zwar ist auch eine Auslegung im Sinne der deutschen Fassung denkbar, aber dann hätten sich die Paktverfasser an einer zentralen Stelle extrem und nicht nur ein bisschen missverständlich ausgedrückt, was ihnen nicht einfach unterstellt werden kann.51 Richtigerweise unterscheidet die Vorschrift, was die Herrschaftsklausel betrifft, also nicht zwischen „achten“ und „gewährleisten“. Vielmehr bestehen beide Verpflichtungen nur im Rahmen der Gebiets– und der Personalhoheit. Soweit die Staaten bürgerliche und politische Rechte achten und gewährleisten müssen, genügt es, wenn sie sich um ihren eigenen Hoheitsbereich kümmern.52 Man mag einwenden, dass diese Unterschiede zum Sozialpakt nichts für dessen Auslegung hergeben. Denn nach der Trennung in zwei Pakte wurden beide zwar weiterhin von der Menschenrechtskommission, aber voneinander geschieden ausgearbeitet. Indes war es eine einheitliche Resolution der UNO–Generalversammlung, in der letztlich beide Pakte verabschiedet wurden.53 Auch wenn es jedem Staat freisteht, nur einen der Pakte zu unterzeichnen, lässt sich ihre Zusammengehörigkeit nicht negieren. Man kann hier Artikel 31 Absatz 3 c) WVK analog heranziehen, wonach jeder zwischen den Vertragsparteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz für die Auslegung zu berücksichtigen ist. Der Zivilpakt stellt einen solchen Völkerrechtssatz dar. 51
Zur Entstehungsgeschichte der Vorschrift: Michael Dennis: Application of human hights treaties extraterritorally during times of armed conflict and military occupation, in: ASIL Proceedings 2006, S. 86 (S. 89 f.) 52
Siehe aber auch zur Auslegung dieses Grundsatzes durch den Menschenrechtsausschuss: De Lopez versus Uruguay Communication Nr. 52/1979 vom 29. Juli 1981, enthalten in: Selected Decisions under the optional Protocol, §§ 92 – 94, UN Doc. CCPR/C/OP/1 (1985): „the reference ‚individuals subject to its jurisdiction‘ [...] in that article is not to the place where the violation occurred, but rather to the relationship between the individual and the State in relation to a violation of any of the rights set forth in the Covenant, wherever they occurred. [...] Article 2 (1) of the Covenant places an obligation upon a State party to respect and to ensure rights ‚to all individuals within its territory and subject to its jurisdiction‘, but it does not imply that the State party concerned cannot be held accountable for violations of rights under the Covenant which its agents commit upon the territory of another State, whether with the acquiescence of the Government of that State or in opposition to it.“ 53
GA Res. 2200 A (XXI) vom 16. Dezember 1966
318
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Deswegen ist es für die Frage des Anwendungsbereichs der Wsk– Rechte beachtlich, dass beide Verträge in ihren zentralen Vorschriften differieren. Fazit: Der Sozialpakt enthält im Gegensatz zum Zivilpakt keine Herrschaftsklausel. Daraus folgt ein weiteres Argument dafür, dass ein Staat extraterritoriale Pflichten hat, wenn sich seine Handlungen oder Unterlassungen auf Individuen in fremden Staaten menschenrechtlich auswirken.54
4.) Das Recht auf Entwicklung Das Recht auf Entwicklung ist sowohl ein individuelles als auch ein kollektives Menschenrecht. Es gehört somit der menschenrechtsdogmatischen Kategorie der Drittgenerationenrechte an, die auch als Solidaritätsrechte bezeichnet werden.55 Zu den berechtigten Adressatengruppen des Rechts auf Entwicklung zählen alle Staaten, Völker und Einzelpersonen sowie bestimmte soziale Verbände und juristische Personen. Es entfaltet Verpflichtungswirkung gegenüber allen Staaten, internationalen Organisationen, Völkern, sozialen Verbänden sowie natürlichen und juristischen Einzelpersonen. Inhalt des Rechts auf Entwicklung soll vor allem eine Verpflichtung der Industriestaaten zur Solidarität gegenüber den Entwicklungsländern sein. Man bezweckt dabei aber weniger, ein neues, originäres Menschenrecht auszuformulieren, sondern möchte eher eine Synthese von kulturellen, ökonomischen, politischen und sozialen Menschenrechten zusammenstellen.56 54
Vandenhole a.a.O. (Fn. 2), S. 88; Skogly/Gibney a.a.O. (Fn. 31), S. 790; zum Recht auf Wasser: General Comment Nr. 15 a.a.O. (Fn. 17), § 31 55
Ausführlich Eibe Riedel: Theorie der Menschenrechtsstandards, 1986, S. 210 – 259 und 311 – 343; Hassen Farooq: Solidarity Rights: Progressive Evolution of international human rights law?, in: New York Law School Journal of Human Rights 1983 S. 51, zur Historie S. 52 – 58; zum Begriff: Eibe Riedel: Der internationale Menschenrechtsschutz. Eine Einführung, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Menschenrechte – Dokumente und Deklarationen, 4. Auflage 2005, S. 26 f. 56
Fifth report of the independent expert on the right to development UN Doc. E/CN.4/2002/WG.18/6 § 5 f.; Bennigsen a.a.O., (Fn. 41), S. 243 f.; zur rechtsphilosophischen Begründung: Eide/Sengupta et. al. a.a.O. (Fn. 23), S. 24 – 28; Bennigsen a.a.O., (Fn. 41), S. 41 – 56, 65, 72 f.; Reimann: Ernährungssicherung im Völkerrecht, a.a.O. (Fn. 1), S. 163
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
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Erstmals international fixiert wurde das Recht auf Entwicklung von der UN–Generalversammlung 1986 in einer „Deklaration zum Recht auf Entwicklung“.57 Diese wurde mit 146 Ja–Stimmen und einer Nein– Stimme (USA) bei acht Enthaltungen (darunter die Bundesrepublik Deutschland) angenommen. Völkerrechtlich ist diese Deklaration nicht verbindlich, sondern wird als normative Absichtserklärung dem „weichen“ Völkerrecht („soft law“) zugeordnet.58 Sie ist auch sehr allgemein gehalten, was einer der Gründe dafür sein mag, dass sie anfangs nur wenig beachtet wurde. Dies änderte sich jedoch im Laufe der Zeit, als das Recht in seinen einzelnen Bestandteilen etwas mehr konkretisiert wurde. So leitet der Ausschuss in seinem „General Comment“ Nr. 3 unter anderem aus dieser Deklaration ab, dass die Staaten völkerrechtlich verpflichtet sind, zum Zwecke der Entwicklung zusammenzuarbeiten, damit auf diese Weise die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte weltweit umgesetzt werden können.59 Die Bezugnahme auf das Recht auf Entwicklung macht deutlich, dass der Ausschuss davon ausgeht, dass die Wsk–Rechte nur unter den entsprechenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vollständig verwirklicht werden können.60 Diese Sichtweise wurde auf der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz bestätigt.61
57
GA Res. 41/128 vom 4. Dezember 1986; zur Entstehungsgeschichte: Bericht des unabhängigen Experten für das Recht auf Entwicklung: Study on the current state of progress in the implementation of the right to development, UN Doc. E/CN.4/1999/WG.18/2 §§ 11 f. und Riedel: Der internationale Menschenrechtsschutz, a.a.O. (Fn. 4), S. 26 – 29 58
Report prepared by the Secretary–General pursuant to Commission on Human Rights resolution 1989/45, UN Doc. E/CN.4/1990/9/Rev.l vom 26. September 1990, §§ 81 – 83 59 General Comment Nr. 3 a.a.O. (Fn. 24), § 14; siehe auch die Frage in den Richtlinien für das Berichtsprüfungsverfahren, UN Doc. E/C.12/1991/1, Annex 60 61
Windfuhr: Parallelbericht, a.a.O. (Fn. 38), § 12
Wiener Weltmenschenrechtskonferenz, UN Doc. A/CONF.157/23 vom 12. Juli 1993 § 10: „development facilitates the enjoyment of all human rights“, „States should cooperate with each other in ensuring development and eliminating obstacles to development“, § 14: „The existence of widespread extreme poverty inhibits the full and effective enjoyment of human rights“.
320
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Auf derselben Konferenz wurde das Recht auf Entwicklung als universelles und unveräußerliches Menschenrecht anerkannt.62 Die 52. Sitzung der Menschenrechtskommission 1996 in Genf behandelte das Recht auf Entwicklung erneut und verabschiedete Vorschläge zu seiner Konkretisierung. Mit Unterstützung einiger Industrieländer konnte eine Resolution zum Recht auf Entwicklung im Konsens verabschiedet werden. Die Resolution orientiert sich am Abschlussdokument der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz, enthält aber wichtige Präzisierungen und Überlegungen zur Durchsetzung dieses Rechts.63 Selbst derart konkretisiert ist das Recht auf Entwicklung aber zu vage, um daraus die Form einer neuen Wirtschaftsordnung64 oder gar Umfang und Inhalt von transnationalen Pflichten abzuleiten.65 Soweit argumentiert wird, das Recht auf Entwicklung beinhalte einen konkreten Anspruch der Entwicklungsländer gegen die Industrienatio-
62
Ibidem, § 10; ähnlich: Asia–Pacific Workshop on the Impact of Globalisation on the Full Enjoyment of Economic, Social and Cultural Rights and the Right to Development, Kuala Lumpur, 10. Mai 2001 Präambel § 3, abgedruckt in: Asia–Pacific Journal on Human Rights and the Law 2002, S. 232 – 237; Art. 28 Abs. VII und 31 Abs. IV der Vienna Convention on Succession of States in Respect of State Property, Archives and Debts vom 8. April 1983, ILM Vol. 22 (1983), S. 306 ff. 63
Commission on Human Rights: Res. 1996/15; siehe auch: Commission on Human Rights: The right to development, Res. 1999/79, UN Doc. E/CN.4/RES/1999/79; Art. 22 der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Völker vom 27.Juni 1981 (Banjul Charta), I.L.M. 1982 S. 59 ff.; Art. 8, 9 und 13 der Charter of Economic Rights and Duties of States, UN Doc. A/RES/29/3281 vom 12. Dezember 1974; Einsetzung eines unabhängigen Experten zusammen mit einer „open–ended working group on the right to development“ in Commission on Human Rights: Res. 1998/72; zu den noch offenen Fragen aber: Progress report of the Intergovernmental Group of Experts on the Right to Development on its first session, UN Doc. E/CN.4/1997/22 vom 21. Januar 1997 64
So aber die besagte Resolution 41/128
65
Eibe Riedel: Menschenrechte der dritten Dimension, in: EuGRZ 1989, S. 9 (S. 18); Windfuhr: Parallelbericht, a.a.O. (Fn. 38), § 12 Zur Verbindlichkeit des Rechts auf Entwicklung: Eibe Riedel: Recht auf Entwicklung (und Drittgenerationsrechte), in: Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.): Handbuch Vereinte Nationen, 2. Auflage, 1991, S. 657 (S. 660 f.); Klee a.a.O. (Fn. 18), S. 151 f.; Bennigsen a.a.O., (Fn. 41), S. 80; Eide/Sengupta et. al. a.a.O. (Fn. 23), S. 8 f.
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
321
nen auf Entwicklungshilfe66 sowie auf Teilhabe an wissenschaftlichen und technologischen Innovationen, steht dies im Widerspruch zur Entstehungsgeschichte der Erklärung zum Recht auf Entwicklung. Denn ein dahingehender Vorschlag67 ist in die Endfassung gerade nicht aufgenommen worden. Vielmehr schreibt die Deklaration den Entwicklungsländern keine Sonderrechte zu, sondern geht in Artikel 3 Absatz 3 von der souveränen Gleichheit aller Staaten aus. Fazit: Es kann offenbleiben, welche Rechtsnatur das Recht auf Entwicklung derzeit hat. Aus ihm folgen keine weitergehenden oder konkreteren Kooperationspflichten der IPwskR–Mitgliedsstaaten, als sie bereits aus Wortlaut, Zweck und Entstehungsgeschichte des Sozialpakts abgeleitet wurden. Dafür sind die Erklärungen und Resolutionen zum Recht auf Entwicklung noch zu allgemein gehalten.68 Insbesondere fasst es lediglich bereits bestehende Rechte zusammen; die Idee eines verbindlichen originären Menschenrechts konnte sich bislang nicht durchsetzen.69 Ein Anspruch auf Kapitalhilfe und auf Teilhabe an wissenschaftlichen und technologischen Innovationen aus dem Recht auf Entwicklung ist auch deswegen zu verneinen, weil dies im Widerspruch zu seinem Wortlaut und seiner Entstehungsgeschichte stünde.
5.) Soft Law Es gibt außerhalb der Verträge zahlreiche völkerrechtliche Dokumente, aus denen transnationale Menschenrechtsverpflichtungen abgeleitet
66
Peter Köhler: Sozialpolitische und sozialrechtliche Aktivitäten in den Vereinten Nationen, 1987, S. 1171; vgl. auch Ruth Klingebiel: Der Weltgipfel für Soziale Entwicklung in Kopenhagen 1995 – Absichtserklärungen ohne Verbindlichkeiten, in: Institut für Entwicklung und Frieden (Hrsg.): Weltkonferenzen und Weltberichte – Ein Wegweiser durch die internationale Diskussion, S.206 (S.208); Bennigsen a.a.O., (Fn. 41), S. 79 67
UN Doc. E/CN.4/1983/11 Annex IV § 11 c), d) (S. 7) vom 9. Dezember
1982 68
Sajó a.a.O. (Fn. 20), S. 260: „nur moralischer Natur“; vgl. auch Bennigsen a.a.O., (Fn. 41), S. 62 69 Riedel: Der internationale Menschenrechtsschutz, a.a.O. (Fn. 4), S. 30: „komplementäre Funktion“
322
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
werden könnten. Nachfolgend sollen die für das Problem relevantesten analysiert werden.70
a) Die „General Comments“ Wie bereits angedeutet, hat sich der Ausschuss in einigen Fällen zu zwischenstaatlichen Verpflichtungen geäußert. So sieht er beim Recht auf Nahrung transnationale Pflichten in allen drei Bereichen „respect“, „protect“ und „fulfil“. Zur „Fulfil“–Komponente rechnet er, dass Staaten den Zugang zu Nahrung erleichtern und – soweit erforderlich – Hilfe leisten müssen. Außerdem sollen die Paktmitglieder dafür sorgen, dass das Recht auf Nahrung von internationalen Organisationen ausreichend berücksichtigt wird, sowie weitere Vereinbarungen treffen, um das Recht auf Nahrung zu fördern.71 Des Weiteren leitet der Ausschuss unter anderem aus der UN–Charta ab, dass die Länder dazu verpflichtet sind, bei Katastrophen an humanitären Hilfsprogrammen der UN–Sonderorganisationen mitzuarbeiten. In jedem Fall sollten Nahrungshilfskonzepte darauf ausgerichtet sein, es dem Land langfristig zu ermöglichen, sich selbst zu versorgen. Sie dürfen keinesfalls die nationale Nahrungsproduktion behindern.72 Im seinem „General Comment“ Nr. 14 wendet der Ausschuss diese Grundsätze entsprechend auf das Recht auf Gesundheit an.73 Er unterscheidet wiederum nach den drei Ebenen, allerdings drückt er sich noch ein wenig spezifischer aus. Auf der „Protect“–Ebene hält er nämlich jedes Paktmitglied für verpflichtet, Dritte daran zu hindern, das Recht auf Gesundheit in fremden Staaten zu verletzen, wenn es ihm möglich 70
Weitere Beispiele sind die Millenium Declaration vom 8. September 2000, UN Doc. A/55/L.2 beziehungsweise die daraus hervorgegangenen millenium development goals, abgedruckt in UN Doc. A/56/326, Annex und §§ 80 – 163, insbesondere das Ziel Nummer 8; die Declaration of Alma Ata der WHO vom 6.–12. September 1978, Health for All Series Nr. 1, Genf/New York 1978; Guideline 19 der „Voluntary Guidelines to support the progressive realization ot the right to adequate food in the context of national food security”, aufgestellt in der 127. Sitzung des FAO Rats, November 2004 71
General Comment Nr. 12, §§ 8 – 11, enthalten in UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7, § 36 72 73
Ibidem §§ 38 und 39
General Comment Nr. 14, § 39, enthalten in UN Doc. HRI/GEN/1/ Rev.7.
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
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ist, den Dritten durch rechtliche oder politische Mittel zu beeinflussen. Und im „Fulfil“–Bereich schränkt er die Verpflichtungen noch weiter ein: Abhängig von der Verfügbarkeit der Ressourcen sollen die Staaten den Zugang zu Gesundheitseinrichtungen, –gütern, und –Diensten in anderen Staaten erleichtern und – soweit erforderlich – Hilfe leisten.74 Noch genauer wird der Ausschuss in seinem „General Comment“ zum Recht auf Wasser. Betreffend der „Respect“–Verpflichtung betont er, dass die „internationale Kooperation“ sogar Handlungen verbietet, die den Genuss des Rechts auf Wasser in anderen Staaten nur indirekt stören.75 Was die „Fulfil“–Ebene angeht, so nennt der Ausschuss mit finanzieller und technischer Unterstützung erstmals konkrete Beispiele, wie Staaten ihre extraterritorialen Pflichten erfüllen können. In seinem „General Comment“ zu Artikel 15 Absatz 1 c) IPwskR zeigt der Ausschuss, welche transnationalen Pflichten die Staaten bei der Ausarbeitung ihrer Systeme zum Schutz der geistigen und materiellen Interessen der Schöpfer von Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst haben. Das System sollte die Entwicklungszusammenarbeit, den Technologietransfer sowie die wissenschaftliche und kulturelle Kooperation erleichtern. Zugleich sollte es dafür sorgen, dass die biologische Arten– und Sortenvielfalt erhalten bleibt.76 Dass die „General Comments“ eine gewisse rechtliche Verbindlichkeit haben, wurde im vorangehenden Kapitel bereits festgestellt.77
b) Die „friendly relations declaration“ 1970 hat die UNO–Generalversammlung Grundsätze über das Verhältnis zwischen den Staaten bestätigt. Eines dieser Prinzipien lautet, dass
74 75 76
Kritisch Sajó a.a.O. (Fn. 20), S. 242 General Comment Nr. 15, a.a.O. (Fn. 17), § 31 General Comment Nr. 17, § 38, enthalten in UN Doc. HRI/GEN/1/
Rev.7 Ein weiteres Beispiel zu den transnationalen Pflichten, auf das hier nicht eingegangen werden soll, findet sich in General Comment Nr. 18, UN Doc. E/C.12/GC/18 §§ 29 f. 77
S. 236
324
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
die Staaten dazu verpflichtet sind, im Einklang mit der UN–Charta miteinander zu kooperieren.78 Von besonderer Relevanz scheint folgende Aussage zu sein: „States should co–operate in the economic, social and cultural fields as well as in the field of science and technology and for the promotion of international cultural [...] progress. States should co–operate in the promotion of economic growth throughout the world, especially that of the developing countries.“ Folgt hieraus für Industriestaaten eine Pflicht, Entwicklungshilfe, insbesondere technischer und wirtschaftlicher Art, zu leisten? Auf den ersten Blick könnte man dies annehmen. Zum einen sollen aber, wie der Titel „in accordance with the Charter of the United Nations“ bereits verrät, in diesem Dokument nur die in der UN–Charta enthaltenen Grundsätze spezifiziert werden.79 Und aus der UN–Charta lässt sich – wie oben festgestellt – keine stärkere Pflicht zur Zusammenarbeit herleiten, als sie der Wortlaut des Sozialpakts ohnehin schon anordnet. Zum anderen aber zeigen die übrigen Bestimmungen der Deklaration, dass es bei diesem Kooperationsgebot in erster Linie um Friedenssicherung und Wohlfahrt der Staaten, nicht aber um Menschenrechtsschutz geht. Es wäre widersprüchlich, wollte man aus dieser Erklärung, die die Zusammenarbeit der Staaten in einem etwas anderen Bereich und allgemeiner regelt, schärfere Pflichten ableiten, als sie im IPwskR vorgesehen sind. Vielmehr ist der Sozialpakt, was die Zusammenarbeit in menschenrechtlichen Fragen angeht, als lex spezialis anzusehen. Fazit: Zwar ist es nicht ausgeschlossen, aus der „Friendly relations declaration“ Kooperationspflichten abzuleiten. Diese sind jedoch im Rahmen des Sozialpakts von untergeordneter Bedeutung.
78
Declaration on principles of international law, friendly relations and co– operation among states in accordance with the charter of the United Nations, GA Res. 2625 (XXV) vom 24. Oktober 1970 79
Riedel: Theorie der Menschenrechtsstandards, a.a.O. (Fn. 55), S. 53; Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 13), S. 188
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
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c) Artikel 13 der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten 1974 hat sich die UNO–Generalversammlung dazu geäußert, welche wirtschaftlichen Rechte und Pflichten die Staaten haben. Im Abschlussdokument heißt es: „1. Every State has the right to benefit from the advances and development in science and technology for the acceleration of its economic and social development. 2. All States should promote international scientific and technological co–operation and the transfer of technology, with proper regard for all legitimate interests including, inter alia, the rights and duties of holders, suppliers and recipients of technology. In particular, all States should facilitate the access of developing countries to the achievements of modern science and technology, the transfer of technology and the creation of indigenous technology for the benefit of the developing countries in forms and in accordance with procedures, which are suited to their economies and their needs. 3. Accordingly, developed countries should co–operate with the developing countries in the establishment, strengthening and development of their scientific and technological infrastructures and their scientific research and technological activities to help to expand and transform the economies of developing countries. 4. All States should co–operate in research with a view to evolving further internationally accepted guidelines or regulations for the transfer of technology, taking fully into account the interest of developing countries.“80 Zunächst kann man umfassende Pflichten zur Zusammenarbeit im wissenschaftlichen und technischen Bereich herauslesen. Außerdem erkennt man, dass Entwicklungsländer dabei privilegiert behandelt werden sollen, um ihre faktische Benachteiligung auszugleichen. Sehr umstritten ist allerdings, welchen Rechtsstatus Resolutionen der UNO–Generalversammlung haben. Zum Teil wird aus der UN–Charta abgeleitet, Beschlüsse der Generalversammlung, die über rein organisa-
80
UN Doc. A/RES/29/3281 vom 12. Dezember 1974
326
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
torische Binnenfragen hinausreichen, seien für die Mitglieder der Vereinten Nationen unverbindlich.81 Richtig ist jedoch, dass sie analog Artikel 32 WVK ergänzend zur Auslegung des verbindlichen Rechts herangezogen werden können. Sie können nämlich ein Indiz für mögliche, notwendige oder gar schon eingetretene Änderungen des Völkerrechts sein.82 Zudem repräsentiert die Generalversammlung nahezu die gesamte Staatengemeinschaft, so dass eine Umgehung des Einstimmigkeitsprinzips im Völkerrecht jedenfalls für die Mitglieder des IPwskR nicht zu befürchten ist. Damit sind die Resolutionen Ausdruck einer allgemeinen Rechtsüberzeugung („opinio iuris“).83 Artikel 13 der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten ist zwar kein gewohnheitsrechtliches völkerrechtliches Prinzip, denn dafür fehlt es an einer fortdauernden Staatenpraxis.84 Aus dem „Implied–powers“–Gedanken folgt aber, dass die Generalversammlung das Recht hat, die Grundsätze über die friedliche Zusammenarbeit der Staaten in gewissen Grenzen fortzuentwickeln.85 Man kann nämlich auch hier das Argument heranziehen, dass es der Satzung der Vereinten Nationen widerspräche, wenn dem einzelnen Staat die Möglichkeit gegeben würde, einseitig Kompetenzüberschreitungen der Organisation zu behaupten und daraus die Nichtigkeit einschlägiger
81
Alfred Verdross: Kann die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Völkerrecht weiterbilden?, in: ZaöRV 26 (1966) S. 690 (S. 691); Theodor Schweisfurth: Völkerrecht, 2006, S. 95 82
Verwaltungsgericht Frankfurt, Beschluss vom 19.7.1988 (V/2 H 1258/88), auszugsweise abgedruckt in: ZaöRV 50 (1990), S. 77; Volker Diesbach: Völkerrechtliche Garantien der Presse– und Informationsfreiheit, 1977, S. 86 f. weist darauf hin, dass wegen der im Völkerrecht grundsätzlich fehlenden Gerichtsbarkeit einerseits und der politischen sowie moralischen Bedeutung einer Proklamation andererseits der Unterschied zwischen einer unverbindlichen Erklärung und einer verbindlichen Proklamation in der Praxis nicht groß sei 83
Matthias Herdegen: Völkerrecht, 5. Auflage, 2006, S. 150; Albert Bleckmann: Völkerrecht, 2001, S. 85 84 85
Weitergehend aber Bleckmann a.a.O. (Fn. 83), S. 85
Felix Ermacora: Das Problem der Rechtsetzung durch internationale Organisationen (insbesondere im Rahmen der UN), in: Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht (Hrsg): Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Karlsruhe 1971, S. 61 (S. 77); vgl. auch Ingrid Detter: Law Making by International Organisations, 1965, S. 29
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
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Akte zu folgern – mit der Konsequenz, dass auf diese Weise die Organisation lahmgelegt werden kann.86 Fazit: Artikel 13 der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten zeigt, dass die Satzung der Vereinten Nationen dahingehend fortgebildet wurde, dass sich aus ihr eine Pflicht ableiten lässt, mit anderen Ländern wissenschaftlich und technisch zusammenzuarbeiten. Dabei geht es vor allem darum, den Zugang der Entwicklungsländer zu technischen Innovationen zu verbessern und Entwicklung zu fördern. Derart fortgebildet ist die UN–Charta dann doch für die Frage der transnationalen Pflichten im Sozialpakt relevant.
6.) Zusammenfassung der systematischen Auslegung Der Vergleich mit dem IPbpR sowie der AEMR bestätigen und präzisieren die gewonnenen Erkenntnisse: Es gibt auf allen drei Ebenen transnationale Pflichten. Auf der „Fulfil“–Ebene muss man jedoch berücksichtigen, dass der Sozialpakt in einigen entscheidenden Punkten von der AEMR abweicht. Das kann man auch nicht als Versehen des Gesetzgebers werten, denn alle übrigen Punkte wurden – teilweise wörtlich – in den IPwskR übernommen. Daraus folgt, dass im Sozialpakt ein umfassendes Recht auf Entwicklungshilfe nicht existiert. Die „General Comments“ und Artikel 13 der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten besitzen eine juristische Relevanz. Aus ihnen folgt, dass es auf der „Fulfil“–Ebene Pflichten gibt, den Technologietransfer sowie die wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit zu fördern. Auf der „Protect“–Ebene besteht in jedem Fall die Pflicht, Dritte mit allen verfügbaren Mitteln davon abzuhalten, Wsk–Rechte in dritten Staaten zu verletzen.
V. Die historische Auslegung 1.) Interpretation der Aussagen der Paktverfasser zu den grenzübergreifenden Pflichten Die Aussagen, die während der Paktausarbeitung zum Thema „grenzübergreifende Pflichten“ gemacht wurden, werden unterschiedlich interpretiert. Manche sehen hierin den klaren Willen der Verfasser, dass 86
Siehe oben S. 237
328
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
zumindest auf der „Respect“–Ebene transnationale Pflichten bestehen sollten.87 Andere meinen, dass man aufgrund der widersprüchlichen Stellungnahmen bei der Paktabfassung keine Schlussfolgerungen aus der Entstehungsgeschichte ziehen könne. Sicher ist allerdings, dass es keine Einigkeit dahingehend gab, transnationale Pflichten auf der „Fulfil“–Ebene – also insbesondere eine Pflicht zur Leistung von Entwicklungshilfe – festzuschreiben.88 Die „travaux préparatoires“ sind jedoch weniger relevant, als dies zunächst scheinen mag. Denn zum einen sind sie nach Artikel 32 WVK analog nur ein ergänzendes Auslegungskriterium, dem gegenüber den anderen Auslegungskriterien ein untergeordneter Rang zukommt. Zum anderen hat sich der Sozialpakt seit seiner Ausarbeitung weit fortentwickelt,89 so dass die Entstehungsgeschichte bei Auslegungszweifeln nur noch ein schwaches Indiz sein kann.90
2.) Die Aussagen zu Artikel 2 Absatz 1 IPwskR Einig waren sich die Verfasser darin, dass der Passus „Hilfe und Zusammenarbeit technischer Art“ in Artikel 2 Absatz 1 IPwskR nicht nur die Unterstützung durch Ingenieure meint, sondern in einem weiten Sinne zu interpretieren ist. Auch legislative, soziale und kulturelle Angelegenheiten sollen koordiniert werden.91 Anzumerken ist außerdem, dass der ursprüngliche einheitliche Paktentwurf zwei Generalklauseln enthielt. In derjenigen für die bürgerlich– politischen Rechte gab es bereits eine Herrschaftsklausel, für die Wsk–
87
Ausführlich Skogly: The obligation of international assistance, a.a.O. (Fn. 1), insbesondere S. 419; vgl. auch ders./Gibney a.a.O. (Fn. 31), S. 791; Chapman: Interpreting Article 2(1) a.a.O. (Fn. 24), S. 23 88
Siehe die unterschiedlichen Auffassungen von Vertretern Chiles, des Iraks und Saudi Arabiens, GAOR 17. Sitzungsperiode, 3. Ausschuss der Generalversammlung, 1203. Tagung §§ 5, 10 und 21 89
Dies ist vor allem auf die Arbeit des Ausschusses zurückzuführen, der von den Verfassern gar nicht vorgesehen war 90
Skogly: The obligation of international assistance, a.a.O. (Fn. 1), S. 411; Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 13), S. 162; speziell den Gedanken der Fortentwicklung aufgreifend: Vandenhole a.a.O. (Fn. 2), S. 88 91 GAOR 17. Sitzungsperiode, 3. Ausschuss der Generalversammlung, 1202. Tagung, Ordnungspunkt 43 § 17, 1203. Tagung § 8, 1204. Tagung § 10
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
329
Rechte92 war keine vorgesehen. Der Unterschied legt nahe, dass die Verfasser von Anfang an wollten, dass die bürgerlich–politischen Rechte nur im Inland gewährleistet, die Wsk–Rechte hingegen auch im Ausland verwirklicht werden. Fazit: Die historische Auslegung bestätigt, dass es legislative, soziale und kulturelle Koordinationspflichten gibt. Die aus Wortlaut und Zweck abgeleiteten wirtschaftlichen transnationalen Pflichten lassen sich durch sie zumindest nicht negieren.
VI. Rechtsphilosophische Ansätze 1.) Kriterium des Ressourcenverbrauchs Man könnte argumentieren, dass reiche Staaten die globalen Ressourcen – insbesondere Naturgüter – überproportional hoch verbrauchen. Dann sei es nur gerecht, wenn sie „Abschlagszahlungen“ in Form von Entwicklungshilfe als Ausgleich leisten.93 Schließlich müsse man sich auch fragen, ob nicht beispielsweise durch die verstärkte Verschmutzung der Atmosphäre und die damit verbundene globale Erwärmung die Wsk– Rechte in Entwicklungsländern gefährdet werden. Und der CO2– Ausstoß sei in den entwickelten Ländern in der Regel höher.94 Wäre dies richtig, müsste sich konsequenterweise der Umfang der transnationalen Pflichten nach dem Verbrauch der Ressourcen richten. Der hier in Frage stehende Ressourcentransfer soll aber nicht aus Gerechtigkeits– und Ausgleichserwägungen vorgenommen werden, sondern um die Wsk–Rechte zu fördern. Diesem Zweck wird nur gedient, wenn eine Pflicht zum Ressourcentransfer von reichen in arme Länder besteht – unabhängig davon, inwieweit erstere globale Ressourcen verbrauchen oder die Atmosphäre verschmutzen.
92
Art. 19 des Entwurfs
93
Vgl. Reimann: Ernährungssicherung im Völkerrecht, a.a.O. (Fn. 1), S. 134, 138; Bennigsen a.a.O., (Fn. 41), S. 84 spricht von „justitia commutativa“ und „justitia distributiva“ 94
United Nations Statistics Devision: Environmental Indicators, abrufbar auf: http://unstats.un.org/unsd/environment/air_co2_emissions.htm (abgerufen am 1. Oktober 2007)
330
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
2.) Die Globalisierungstheorie als Maß für den Umfang der transnationalen Pflichten a) Die Globalisierungstheorie Vor allem im US–amerikanischen Raum wird neuerdings ein sehr modernes Verständnis des Völkerrechts zugrundegelegt, um transnationale Pflichten zu begründen.95 Die Vertreter dieses Ansatzes betonen, dass heutzutage die Lebensumstände global vielfach verknüpft seien. Die Einwohner reicher Länder profitierten etwa von den Arbeitsbedingungen in armen Staaten,96 indem sie dort Produkte kostengünstig herstellen lassen und sie anschließend importieren.97 Daher sei es unangemessen, die Pflichten der Reichen an ihrer Grenze enden zu lassen. Vielmehr bestünden soziale Netze, die weltweit reichten, denn Reiche und Arme lebten letztlich in einem einheitlichen System.98 Zum besseren Verständnis soll diese Auffassung im Folgenden „Globalisierungstheorie“ genannt werden. Gegen die besagte Theorie wird eingewandt, die Verbindungen des Einzelnen zu seinen Landsmännern seien um ein Vielfaches intensiver als zu Ausländern, was der Grund dafür sei, dass Wsk–Rechte nur im nationalen Bereich zu verwirklichen seien.99 Das bestreiten allerdings die Vertreter der Globalisierungstheorie.100 Zwar erkennen sie an, dass 95
Iris Marion Young: Responsibility and Global Labor Justice, in: The Journal of Political Philosophie, Vol. 12, 2004, S. 365 – 388; Henry Shue: Global accountability: Transnational duties towards economic rights, in: The United Nations University (Hrsg.): The Globalization of Human Rights, 2003, S. 160 – 177 96
Dazu ILO: Global employment trends for women, März 2008, S. 5 und S. 14, abrufbar auf http://www.ilo.org/ (abgerufen am 11. März 2008); „Concluding observations“ betreffend Kolumbien, UN Doc. E/2002/22 (2001) 110 § 765; Benin, UN Doc. E/2003/22 (2002) 34 §§ 171 und 190; Trinidad and Tobago, UN Doc. E/2003/22 (2002) 45 §§ 266, 289 sowie 291. „Concluding observations“ des Ausschuss zur Beseitigung der Rassendiskriminierung betreffend Costa Rica, UN Doc. A/57/18 (2002) 21 § 78; ders. „Concluding observations“ betreffend den Libanon, UN Doc. A/59/18 (2004) 18 § 83 97
Beispiele bei Shue: Global accountability, a.a.O. (Fn. 95), S. 166
98
Young a.a.O. (Fn. 95), S. 366 und 371; Shue: Global accountability, a.a.O. (Fn. 95), S. 167 99
Für weitere Einwände vgl. Young a.a.O. (Fn. 95), S. 365 und 367; inhaltlich identisch Shue: Global accountability, a.a.O. (Fn. 95), S. 163 100
Shue: Global accountability, a.a.O. (Fn. 95), S. 162 – 164
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
331
zwischenmenschliche Kontakte unterschiedlich stark sind. Allerdings lasse sich daraus nicht ableiten, dass gegenüber Ausländern im Ausland überhaupt keine Pflichten mehr bestehen. Denn dann dürften zu letzteren überhaupt keine Beziehungen bestehen, was aufgrund der globalen sozialen Netzwerke nicht der Fall ist.101 Nach der Globalisierungstheorie bestehen also transnationale Menschenrechtsverpflichtungen, die umso weiter reichen, je intensiver die Kontakte zwischen den Staaten sind.102 Beispielsweise können durch die Durchführung des TRIPs–Abkommens103 zwischenstaatliche Kontakte verstärkt werden. Nach Haugen bringen diese Kontakte nämlich mit sich, dass Ressourcen von den technologiekonsumierenden in die technologieproduzierenden Länder verschoben werden.104 Allerdings sei, so die Globalisierungstheorie, die Intensität der Kontakte nicht das einzige Kriterium. Da die Welt zumindest teilweise als Einheit zu sehen sei, müssten auch – ähnlich wie im deutschen Unterhaltsrecht105 – Bedürftigkeit einerseits und Leistungsfähigkeit andererseits berücksichtigt werden. Staaten, die wirtschaftlich am unteren Ende der globalen Sozietät angesiedelt seien, können ihren Einwohner kaum selbst helfen, wohingegen die an der Spitze in der Lage seien, zu assistieren.106 So könnten reiche Staaten Märkte in armen erzwingen und damit die dortige Wirtschaft durcheinanderbringen, wohingegen dies umgekehrt im Regelfall nicht möglich sei.107 Hinzu komme, dass das alltägliche Verhalten in reichen Staaten oftmals die Umstände in den armen Staaten beeinflusse und eine Ungleichheit
101
Young a.a.O. (Fn. 95), S. 371 und 376. Windfuhr: State Obligations, a.a.O. (Fn. 19) S. 13 und 19 102
So: Coomans: Progressive Development, a.a.O. (Fn. 42), S. 48
103
Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPs), Marrakesh Agreement Establishing the World Trade Organization, Annex 1C, 1869 U.N.T.S. 299; 33 I.L.M. 1197 (1994), deutsche Übersetzung in: BGBl. 1994 II S. 1730 104
Hans Morten Haugen: Patent Rights and Human Rights: Exploring their Relationships, in: The Journal of World Intellectual Property 2007, S. 97 (S. 113) 105 106 107
§§ 1577; 1602; 1581; 1603 BGB Zu Arbeitsbedingungen: Young a.a.O. (Fn. 95), S. 381 Shue: Global accountability, a.a.O. (Fn. 95), S. 172
332
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
aufbaue, aufrechterhalte oder verstärke.108 Im Gegensatz zu den oben genannten Kriterien des Ressourcenverbrauchs und der Umweltverschmutzung orientiert sich die Globalisierungstheorie weniger am Vergeltungsgedanken, sondern unterstreicht die Verantwortung für die Zukunft.109
b) Bewertung Der Globalisierungstheorie ist schon deswegen zuzustimmen, weil sie sich in das System des Umfeldindikators einfügt. Auf Seite 204 f. wurde nämlich festgestellt, dass einem Staat prinzipiell alle Umstände zuzurechnen sind, da Faktoren, die er überhaupt nicht beeinflussen kann, unbekannt sind.110 Unterschiede bestehen demnach nur im Grad der Beeinflussbarkeit. Dass Artikel 2 Absatz 1 IPwskR den innerstaatlichen Bereich mit dem Wort „einzeln“ so betont, lässt sich also auch mit der dort gesteigerten Einflussmöglichkeit erklären. Wenn der Sozialpakt aber auf die Beherrschbarkeit abstellt, ist es konsequent, sämtliche Indikatorwerte, die ein Staat verändern kann, auch zu untersuchen. Nun folgt aus dem Zurechnungsprinzip streng dogmatisch natürlich noch nicht der Umkehrschluss, dass nach dem Sozialpakt ein Staat alles, was er zugunsten der Wsk–Rechte beeinflussen kann, auch beeinflussen muss. Denn bei der Diskussion der Umfeldindikatoren waren die Rechtsinhaber ein Fixwert, der hier indes gerade zur Debatte steht. Wenn sich jedoch aus dem Sozialpakt bestimmte transnationale Pflichten deduzieren lassen, kann man parallel zu den Umfeldindikatoren nicht länger argumentieren, der Staat sei nicht dazu in er Lage, die Verhältnisse in fremden Ländern zu beeinflussen. Genau das ist aber der Fall, denn oben ließen sich mit den anerkannten Auslegungsmethoden extraterritoriale Pflichten herleiten. Wenn Länder argumentieren würden, sie wollten die Wsk–Rechte im Wesentlichen nur innerstaatlich verwirklichen, weil die eigenen Staatsangehörigen durch den Staatsapparat miteinander stärker verbunden sind als mit Ausländern, wäre diese Sichtweise verfehlt. 108
Young a.a.O. (Fn. 95), S. 372 und 380; Shue: Global accountability, a.a.O. (Fn. 95), S. 165 f.: Windfuhr: State Obligations, a.a.O. (Fn. 19), S. 19 f. mit Blick auf die Fischerei 109
Young a.a.O. (Fn. 95), S. 379; Shue: Global accountability, a.a.O. (Fn. 95),
S. 164 110
Vgl. Young a.a.O. (Fn. 95), S. 368 f. und 380
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
333
Vielmehr zeigt der Passus „internationale Hilfe und Kooperation“ in Artikel 2 Absatz 1 IPwskR, dass die Staaten sich auch untereinander verbunden fühlen. Richtigerweise bestehen daher gegenüber Paktmitgliedern gesteigerte transnationale Pflichten als gegenüber Staaten, die nicht Mitglied sind. Vor allem aber kann kein Staat behaupten, seine extraterritorialen Pflichten erschöpfen sich in einer Abstimmung mit UN–Sonderorganisationen, denn dies würde dem Gedanken der Interaktion und auch dem Prinzip der Beherrschbarkeit zu wenig Ausdruck verleihen. Indem der Sozialpakt die transnationalen Elemente hervorhebt, betont und will er, dass die Länder zueinander in Verbindung stehen. Dann wäre es merkwürdig, wenn er nicht alle Konsequenzen dieser Beziehungen, die menschenrechtlich relevant sind, mittragen wollte. Da der Sozialpakt ganz allgemein davon ausgeht, dass ein Staat prinzipiell alles beeinflussen kann, wenn auch in unterschiedlichem Umfang, ist es nur konsequent, diesen Grundsatz auch auf die transnationale Ebene anzuwenden. Aus dem Zweck des Sozialpakts lässt sich aber für alle Pflichten ableiten, dass sie umso intensiver sind, je stärker das Land den Faktor beeinflussen kann.111 Die Pflichten sollen nämlich nach Kapazität der Ressourcen, also letztlich nach dem Grad der Einflussmöglichkeit, variieren. Wenn ein Land also globale Ungleichheiten bei der Verwirklichung der Wsk–Rechte verändern kann, ist es hierzu auch verpflichtet. Für das Berichtsverfahren folgt daraus allerdings nicht, dass die Validität eines Indikators proportional zu den Einflussmöglichkeiten des Staates ist. Denn die Einflussmöglichkeiten und die internationalen Kontakte variieren von Staat zu Staat, und Indikatoren gelten universell. Vielmehr gibt es ganz allgemein transnationale Indikatoren, und die Staaten müssen deren Werte umso stärker verbessern, je größer ihr Potential ist. Das Maß der finanziellen Ressourcen ist dabei wie immer nur ein Faktor unter vielen.112 Die Globalisierungstheorie ist insgesamt stimmig mit den Prinzipien des Sozialpakts, wonach Pflichten in dem Umfang bestehen, in dem der Staat einen Faktor beeinflussen kann.113 Da ein Staat aufgrund seiner 111
Vgl. Shue: Global accountability, a.a.O. (Fn. 95), S. 171: „ought presupposes ‘can’“ 112 113
Vgl. oben S. 16 ff.
Young nennt hier die Kriterien Verbindung, Macht und Vorteil, a.a.O. (Fn. 95), S. 385 – 388
334
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Souveränität innerstaatliche Faktoren grundsätzlich leichter verändern kann als extraterritoriale, bezieht sich die Pflicht, die Wsk–Rechte zu verwirklichen, vorrangig auf den nationalen Bereich.114 Da er aber auch seine internationalen sozialen Netzwerke mitgestalten kann, muss er sie ebenfalls mit maximalen Anstrengungen zugunsten der Wsk–Rechte verändern, wobei er nicht zuletzt das Diskriminierungsverbot zu beachten hat. Mit der Globalisierungstheorie erhält der Rechtsanwender also ein Kriterium, nach dem er den Umfang der transnationalen Pflichten bestimmen kann. Jeder Staat muss verändern, was er kann, wobei er nach allgemeinen Grundsätzen ein weites Ermessen hat. Da sich nach der Globalisierungstheorie innerstaatliche und extraterritoriale Pflichten nur graduell unterscheiden, geht der staatliche Spielraum so weit, dass ein Land – außerhalb der Kernbereiche – entscheiden kann, inwieweit es die Rechte innerstaatlich und inwieweit transnational verwirklicht. Es muss dann aber darlegen, warum der gewählte Weg seiner Auffassung nach der beste war.115
c) Zwischenergebnis Die Globalisierungstheorie besagt, dass alle Menschen letztlich unter einem einheitlichen Dach existieren, wobei es innerhalb des gemeinsamen Lebensraums extreme Asymmetrien gibt. Diese auszugleichen sind aber fast nur reiche Staaten in der Lage, weshalb es gerecht ist, wenn sie dem auch nachkommen. Die Globalisierungstheorie harmonisiert mit den Grundsätzen des Sozialpakts, der letzten Endes davon ausgeht, dass Pflichten nach Maßgabe der Einflussmöglichkeiten bestehen sollen. Zu prüfen bleibt, ob sich die Aussagen der Globalisierungstheorie eventuell durch eine Analogie zum internationalen Umweltrecht konkretisieren lassen.
114 115
Zu Arbeitsbedingungen Young a.a.O. (Fn. 95), S. 369 f. Dazu oben S. 63
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
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VII. Die Analogie zum internationalen Umweltrecht Im Umweltvölkerrecht können sich ähnliche transnationale Probleme stellen wie bei den Menschenrechten.116 Beispielsweise kann es vorkommen, dass am selben Fluss oder See verschiedene Staaten Hoheitsrechte haben, so dass sich die Frage stellt, inwieweit Rechte auf einem anderen Territorium geschützt werden müssen. Es ist zu prüfen, inwieweit eine Analogie zu den Regelungen im internationalen Umweltrecht in Frage kommt.
1.) Die Rechtslage im internationalen Umweltrecht Nach der sogenannten „Harmon“–Doktrin – benannt nach einem US– amerikanischen Justizminister, der 1895 in einem Konflikt mit Mexiko über den Rio Grande das souveräne Recht auf Rücksichtslosigkeit reklamierte – hatte jeder Staat uneingeschränkte Verfügungsgewalt über sein Gebiet, in dem das Gewässer liegt. Diese Lehre ist 1909 wieder aufgegeben worden. Im internationalen Umweltrecht existiert heute ein gewohnheitsrechtliches Prinzip, nach dem kein Staat das Recht hat, die Luft, den Boden oder das Wasser eines anderen Staats erheblich zu schädigen.117 Dieser
116
Gibney/Tomaševski/Vedsted–Hansen a.a.O. (Fn. 21), S. 273
117
Dazu grundlegend: Trail Smelter Schiedsspruch vom 16. April 1938 und vom 11. März 1941, USA versus Canada, Montreal Z 340. Aus heutiger Sicht siehe die Präambel der Baseler Konvention über die Kontrolle von grenzüberschreitenden Bewegungen von giftigen Abfällen vom 22. März 1989, UN Doc. UNEP/IG.80/3 (1989), der 170 Mitgliedsstaaten beigetreten sind: „Fully recognizing that any State has the sovereign right to ban the entry or disposal of foreign hazardous wastes and other wastes in its territory“ [sic]; siehe auch Prinzip 21 der Declaration of the United Nations Conference on the Human Environment, Stockholm 1972, U.N. Doc. A/Conf.48/14/Rev. 1 (1973); Art. 3 der Konvention über biologische Vielfalt, vom 5. Juni 1992, 31 I.L.M. 818, deutsche Übersetzung in BGBl. 1993 II, S. 1724; Lothar Gündling: Verantwortlichkeit der Staaten für grenzüberschreitende Umweltbeeinträchtigungen, in: ZAÖRV 1985, S. 265 (S. 272); Gibney/Tomaševski/Vedsted–Hansen a.a.O. (Fn. 21), S. 273; Winfried Lang: UN–Principles and International Environmental Law, in: Jochen A. Frowein/Rüdiger Wolfrum (Hrsg.): Max Planck Yearbook of United Nations Law 3 (1999) S. 157 (S. 161). Vgl. allgemeiner: Solothurn gegen Aargau, schweizerische BGE 26 I 444 (1900); Skogly/Gibney a.a.O. (Fn. 31), S. 789 wollen sogar ein allgemeines
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Grundsatz begrenzt sogar die Souveränität, denn kein Land darf sein eigenes Gebiet verschmutzen, wenn dadurch Giftstoffe in andere Herrschaftssphären eindringen.118 Gegen dieses Verbot verstößt ein Staat bereits, wenn er von seinem Territorium ausgehende transnationale Umweltbeeinträchtigungen duldet.119 Erteilt er etwa einem Unternehmen die Genehmigung, in der Nähe der Grenze einen Schmelzofen zu betreiben, verstößt er gegen Völkerrecht, wenn hierbei giftige Abfälle in das Gebiet des Nachbarstaats eindringen.120 Der Nachbarstaat kann die Beseitigung der Störungsquelle, die Unterlassung künftiger Störungen sowie Schadensersatz verlangen.121 Das Verbot erheblicher grenzübergreifender Schädigungen schützt keineswegs nur Anrainerstaaten. Wer anspruchsberechtigt ist, richtet sich nämlich nicht nach der geographischen Nähe. Vielmehr kommt es allein darauf an, dass die Umweltbelastung kausal auf eine Tätigkeit des Anspruchsgegners zurückzuführen ist.122 Das Umweltvölkerrecht regelt keineswegs nur Eingriffsverbote beziehungsweise die Verpflichtung, eigene Staatsangehörige von schädigenden Verhaltensweisen abzuhalten. Vielmehr ist seit dem Schiedsspruch vom 16. November 1957 im Rechtsstreit zwischen Spanien und Frankvölkerrechtliches Prinzip anerkennen, wonach Staaten es unterlassen müssen, anderen Staaten Schaden zuzufügen 118
Eibe Riedel: Change of Paradigm in International Environmental Law, in: Law and State 57 (1998) S. 22 (S. 27); aus rechtsphilosophischer Sicht wiederum: Shue: Global accountability, a.a.O. (Fn. 95), S. 171 119 Vgl. dazu den Bericht des UN–Generalsekretärs: Responsibility of States for internationally wrongful acts – Compilation of decisions of international courts, tribunals and other bodies, UN Doc. A/62/62 §§ 62 – 67 120
Vgl. Trail Smelter – Schiedsspruch, a.a.O. (Fn. 117)
121
Vgl. Prinzip 22 der Stockholmer Erklärung a.a.O. (Fn. 117); zum Ganzen: Gündling a.a.O. (Fn. 117), S. 275 – 290; Gibney/Tomaševski/Vedsted–Hansen a.a.O. (Fn. 21), S. 273 – 278; Lang a.a.O. (Fn. 117), S. 165. Zur Konsultationspflicht siehe die Präambel der Baseler Konvention, a.a.O. (Fn. 117): „Convinced that States should take measures for the proper exchange of information on and control of the transboundary movement of hazardous wastes and other wastes from and to those States,“ und Art. 3 der Charter of Economic Rights and Duties of States a.a.O. (Fn. 63): „In the exploitation of natural resources shared by two or more countries, each State must co–operate on the basis of a system of information and prior consultations in order to achieve optimum use of such resources without causing damage to the legitimate interest of others.“ [sic] 122
Wolfgang Vitzthum: Völkerrecht, 4. Auflage, 2007, S. 453
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
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reich in der Sache Lac Lanoux123 anerkannt, dass zwischen Nachbarstaaten in gewissen Umweltangelegenheiten Konsultationspflichten bestehen.124 Im Lac–Lanoux–Fall betonte das Schiedsgericht, dass ein Staat die Interessen anderer Länder zur Kenntnis nehmen und sich mit ihnen auseinandersetzen muss, wenn Wasserressourcen nichtnavigatorisch gemeinsam genutzt werden. Das Gericht bejahte eine Beschränkung der Gebietshoheit durch internationale Verpflichtungen. Es erkannte Konsultationspflichten, nicht aber Zustimmungserfordernisse an. Aus dieser Entscheidung hat sich heute im Umweltrecht die Doktrin entwickelt, dass sich Staaten gemeinsamer Wasserressourcen vernünftig und angemessen bedienen müssen.125 Allen Anliegern soll eine möglichst weitgehende Teilhabe an den wirtschaftlichen Vorteilen des Binnengewässers gesichert werden. Ob eine Nutzung noch angemessen ist, hängt nicht zuletzt von wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten ab.126 Bei qualitativ oder quantitativ übermäßiger Nutzung muss der Nachbar informiert und mit ihm verhandelt werden.127 123
RIAA Vol. XII, S. 281 – 317. Der vollständige Sachverhalt ist auf den Seiten 287 – 300 geschildert 124
Vitzthum a.a.O. (Fn. 122), S. 453. Zu geschriebenen, völkerrechtlichen Konsultations– und Verhandlungspflichten vgl. Ulrich Beyerlin: Pactum de contrahendo und pactum de negotiando im Völkerrecht?, in: ZaöRV 1976, S. 407 – 419, insbesondere S. 418 f. 125
Vgl. auch UN Convention on the Non–Navigational Uses of International Watercourses, GA Res. 51/229 vom 21. Mai 1997, noch nicht in Kraft; Draft articles on the law of the non–navigational uses of international watercourses and commentaries thereto and resolution on transboundary confined groundwater, Yearbook of the International Law Commission, 1994, Vol. II, Part Two, S. 89 – 135, insbesondere die Ausführungen zu Artikel 5 der Draft articles auf S. 96 – 100; GA Res. 34/186 vom 18. Dezember 1979: Co–operation in the field of the environment concerning natural resources shared by two or more states, zum zurückhaltenden Wortlaut dieser Resolution: Patricia W. Birnie/ Alan E. Boyle: International Law and the Environment, 1992, S. 115. Ein aktuelles Problem stellt sich insbesondere zwischen der Türkei, Syrien und dem Irak beim Atatürk–Staudamm in Südostanatolien, dazu: Ernst Struck: Die Türkei und das Wasser. Nachbarschaftskonflikte an Euphrat und Tigris, in: Geographische Rundschau Band 55 (2003), S. 18 – 25 126
Heintschel von Heinegg in: Knut Ipsen: Völkerrecht, 5. Auflage, 2004, S. 1050; auf den Einzelfall abstellend: Birnie/ Boyle a.a.O. (Fn. 125), S. 127 127
Vgl. Art. 3 der Charter of Economic Rights and Duties of States, a.a.O. (Fn. 63); vgl. auch bereits: Staatsgerichtshof: Donauversinkungsfall, RGZ 116,
338
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Allerdings gibt es keine gewohnheitsrechtliche Pflicht, nach der ein Staat verpflichtet wäre, sich an einem schiedsgerichtlichen Verfahren zu beteiligen oder sich gar einem Schiedsspruch zu unterwerfen. Ansonsten würde es verwundern, dass manche Verträge eine ausdrückliche Schiedsklausel enthalten, andere dagegen nicht.128 Vielmehr bedeutet Konsultationspflicht nur, dass die Parteien ernsthaft und mit der nötigen Kompromissbereitschaft alle verfügbaren und zumutbaren Verhandlungsmittel ausschöpfen müssen, um schnell eine Einigung zu erzielen. Sie müssen sich also so verhalten, als ob sie einen völkerrechtlichen Vertrag abschließen wollten.129 Fazit: Im internationalen Umweltrecht gibt es keine absolute Souveränität. Vielmehr müssen das staatliche Selbstbestimmungsrecht und der Grundsatz der territorialen Integrität gegeneinander abgewogen werden.130 Völkergewohnheitsrechtlich existiert einerseits das Verbot, das Gebiet anderer Staaten erheblich zu schädigen, andererseits das Gebot, grenzübergreifende natürliche Ressourcen gerecht aufzuteilen.131 Letzteres beinhaltet allerdings nur eine Anweisung an den ressourcennutzenden Staat, einen angemessenen Interessenausgleich zu suchen.132
2.) Planwidrige Regelungslücke Für eine Analogie muss zunächst eine planwidrige Regelungslücke vorliegen. Zwar finden sich im Sozialpakt Vorschriften, die die Staaten dazu verpflichten, zusammenzuarbeiten. Wie diese Zusammenarbeit auszusehen hat, ist jedoch nicht im Detail geregelt. Auch SchädigungsAnhang S. 18 (S. 39); Hans Norbert Götz: Lac–Lanoux–Fall, in: Hans–Jürgen Schlochauer: Wörterbuch des Völkerrechts, Band 2, 1961, S. 394 (S. 395); Birnie/ Boyle a.a.O. (Fn. 125), S. 116 128
Darauf weist Beyerlin hin, a.a.O. (Fn. 124), S. 432. Eine Schiedsklausel findet sich etwa in Artikel 287 Abs. 1 lit. c und Abs. 5 des UN–Seerechtsübereinkommens vom 10. Dezember 1982, BGBl. 1994 II, S. 1799 129
Beyerlin a.a.O. (Fn. 124), S. 418
130
Albert Bleckmann: Ermessensfehlerlehre, Völker– und Europarecht, vergleichendes Verwaltungsrecht, 1997, S. 5; von Heinegg a.a.O. (Fn. 127), S. 1044 f. 131
von Heinegg a.a.O. (Fn. 127), S. 1049 f.; Vitzthum a.a.O. (Fn. 122), S. 452 f. 132 Vitzthum a.a.O. (Fn. 122), S. 454; Vgl. auch Art. 74 Abs. 1, 83 Abs. 1 des UN–Seerechtsübereinkommens
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
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verbote werden nicht angesprochen. Vor allem ist nicht geregelt, unter welchen Umständen ein Staat für den Zustand in einem anderen Staat verantwortlich ist. Für die „Fulfil“–Ebene ist zu berücksichtigen, dass bei den Wsk– Rechten – anders als im Umweltrecht – Solidaritätspflichten nicht allgemein anerkannt sind. Zu beachten ist vielmehr, dass der Sozialpakt einen massiven Ressourcentransfer gerade nicht fordert. Der Souveränität kommt ein höherer Stellenwert zu als im Umweltvölkerrecht. Das Regel–Ausnahme–Verhältnis ist umgekehrt, die Verteilungsgerechtigkeit dominiert nur in Sonderfällen. Insofern enthält der Sozialpakt eine abschließende Regelung, so dass eine Analogie zum Umweltrecht auf der „Fulfil“–Ebene lediglich begrenzt erlaubt ist. Keine abschließende Regelung enthält der IPwskR aber, soweit es um ein globales Gut geht, also ein solches, das nicht ausschließlich der Herrschaftssphäre eines einzigen Staates zugerechnet werden kann. Eine Analogie ist auf der „Fulfil“–Ebene auch insofern erlaubt, als die Kooperation nicht oder nur sehr gering damit verbunden ist, dass Ressourcen transferiert werden. Denn in beiden Fällen ist die Souveränität nur am Rande berührt. Fazit: Für die „Respect“– und die „Protect“–Ebene liegt eine planwidrige Regelungslücke vor, für die „Fulfil“–Ebene nur eingeschränkt.
3.) Vergleichbare Interessenlage In beiden Bereichen – den grenzüberschreitenden Umweltpflichten und den transnationalen Menschenrechtspflichten – geht es um Pflichten erga omnes: Sowohl die Verpflichtung zum Schutz der Umwelt als auch die zum Schutz der Menschenrechte bestehen in der Regel gegenüber jedermann und nicht nur gegenüber einzelnen Völkerrechtssubjekten. Auch ist heute anerkannt, dass sowohl Menschenrechts– als auch Umweltschutz zwei der wenigen Materien sind, zu deren Gunsten die Souveränität durchbrochen werden darf.133
133
Zemanek a.a.O. (Fn. 26), S. 5 – 17 und 34 – 42; zum Erga–omnes– Argument in Bezug auf die transnationalen Pflichten: Coomans: Progressive Development, a.a.O. (Fn. 42), S. 47
340
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Man kann sogar argumentieren, dass Umweltrecht eine besondere Art des Menschenrechtsschutzes ist, denn schließlich geht es um Gesundheit und Nahrung.134 Fazit: Wegen der Sachnähe besteht eine vergleichbare Interessenlage.
4.) Schlussfolgerungen Die Voraussetzungen für eine Analogie sind gegeben. Sie ist jedoch nur insoweit erlaubt, als der Sozialpakt tatsächlich keine Regelungen enthält. Das Umweltrecht normiert, unter welchen Umständen ein Sachverhalt auf fremdem oder herrenlosem Territorium einem anderen Staat zugerechnet wird. Ein solches Zurechnungskriterium fehlt im IPwskR. Nun ist die Sachlage im Umweltrecht meist einfacher: Wem das Territorium gehört, von dem giftige Stoffe ausgehen, der wird als der Verantwortliche angesehen. Bei den Wsk–Rechten bestünde die Gefahr, dass jeder Staat für den Genuss der Rechte in allen Ländern verantwortlich gemacht wird.135 Um dem vorzubeugen, ist eine Analogie zum internationalen Umweltrecht insoweit angebracht, als es ein Zurechnungskriterium geben muss.136 Fazit: Die Analogie zum Umweltvölkerrecht kann erklären, dass es wertende Kriterien gibt, nach denen entschieden wird, wann der fehlende Genuss von Wsk–Rechten auf fremdem Territorium einem bestimmten Staat zugerechnet wird. Wie diese Kriterien aussehen, richtet sich danach, auf welcher Ebene die Menschenrechtspflichten liegen.
134
Vgl. Sub–Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities Human Rights and the Environment: Final Report on Human Rights and the Environment, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1994/9 §§ 176 – 191; Art. 10, 11 und 12 des Additional Protocol to the American Convention on Human Rights in the Area of Economic, Social, and Cultural Rights (Protocol von San Salvador) vom 17. November 1988, OAS Treaty Series Nr. 69; Resolution 1990/41 der Menschenrechtskommission vom 6. März 1990 135 136
Skogly/Gibney a.a.O. (Fn. 31), S. 795
Allgemein zu Zurechnungskriterien bei transnationalen Menschenrechtsfragen: Skogly/Gibney a.a.O. (Fn. 31), S. 789
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
341
a) „Respect“– und „Protect“–Ebene Für die „Respect“– und die „Protect“–Ebene folgt aus dem Umweltrecht: Der Staat, der eine Störungsquelle rechtlich beherrscht, hat es grundsätzlich auch in der Hand, diese abzustellen.137 Daher kann man ihn menschenrechtlich zur Verantwortung ziehen, wenn er es unterlässt, einzuschreiten.138 Die Kompetenz, den Sachverhalt menschenrechtskonform zu regeln, kann aus der Personalhoheit wie aus der Gebietshoheit herrühren. In allen anderen Fällen kann ein Staat einen Sachverhalt zwar unter Umständen politisch beeinflussen, er kann ihn aber nicht rechtlich regeln. Dies bedeutet, ein asiatischer Staat verstößt nicht gegen den Sozialpakt, wenn er es unterlässt, gegen einen afrikanischen Staat Sanktionen zu verhängen, der seinem Nachbarland den Zugang zu einer wichtigen Trinkwasserversorgung (Artikel 11, 12 Absatz 1 IPwskR) versagt hat. Hier beherrscht nämlich allein der afrikanische Staat die Störungsquelle aufgrund seiner Gebietshoheit. Der Bezug zur Beherrschbarkeit ist weniger banal, als er zunächst scheinen mag, denn man muss sich fragen, unter welchen Umständen Indikatorwerte einem Drittstaat zugerechnet werden können. Darauf wird noch näher einzugehen sein. Fazit: Wie weit die transnationalen Menschenrechtspflichten auf der „Respect“– und der „Protect“–Ebene reichen, richtet sich unter anderem danach, wer eine Störungsquelle rechtlich beherrscht.
b) „Fulfil“–Ebene Auf der „Fulfil“–Ebene kann das Umweltrecht erklären, dass mit anderen Staaten ernsthaft verhandelt werden muss, wenn es um eine menschenrechtliche Verteilungsproblematik geht. Dabei muss es sich aber erstens um ein menschenrechtlich relevantes, knappes Gut handeln. Zweitens darf dieses Gut nicht ausschließlich einem Staat gehören. Und drittens muss ein Staat dieses Gut in einer die Interessen anderer Länder beeinträchtigenden Weise nutzen. 137
Für die „obligations to protect“: Robert McCorquodale: Spreading weeds beyond their garden: Extraterritorial responsibility of states for violations of human rights by corporate nationals, in: ASIL Proceedings 2006, S. 95 (S. 99) 138
Zum Recht auf Wasser: General Comment Nr. 15, a.a.O. (Fn. 17), § 33; vgl. auch McCorquodale a.a.O. (Fn. 137), S. 99
342
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Sind diese drei Voraussetzungen gegeben, haben Drittstaaten zwar keine Vetorechte. Wer die Güter im Übermaß nutzt, ist aber dazu verpflichtet, mit allen anderen betroffenen Staaten über eine faire Lösung zu verhandeln. Passend ist die Formel des IGH zum pactum de negotiando139: „[The Parties] are under an obligation so to conduct themselves that the negotiations are meaningful, which will not be the case when either of them insists upon its own position without contemplating any modification of it.”140 Es besteht also zunächst die Verpflichtung, über eine konkrete transnationale Zusammenarbeit zu diskutieren, sodann die Verhandlungen nicht ungerechtfertigt abzubrechen und nicht ungebührlich zu verzögern. Außerdem muss ein Staat die gegebenenfalls vereinbarten Verfahren achten und darf sich nicht systematisch den Vorschlägen und Interessen des Vertragspartners verschließen. Aus der Analogie folgt aber nicht, dass die Verhandlungen zu einem Ergebnis gelangen müssen, denn das wird auch im Umweltrecht nicht verlangt. Die Analogie schließt über die Konsultation hinausgehende Pflichten nicht aus. Zu überprüfen ist aber stets, ob der Sozialpakt eine bestimmte Pflicht gezielt ausnimmt und verbietet, die Souveränität zu durchbrechen. Insbesondere muss sich kein Staat bei Fragen der internationalen Kooperation einem schiedsgerichtlichen Verfahren stellen.141 Fazit: Auf der „Fulfil“–Ebene lautet das aus dem Umweltrecht abgeleitete Zurechnungskriterium: qualitative oder quantitative Nutzung gemeinsamer Ressourcen, die den Interessen anderer Staaten widerspricht.
139
Zu den völkerrechtlich unbedeutenden Unterschieden zwischen pactum de negotiando und pactum de contrahendo: Beyerlin a.a.O. (Fn. 124), S. 421 – 437 140
IGH Entscheidung Deutschland vs. Dänemark in der Rechtssache vom 20. Februar 1969, North Sea Continental Shelf, Judgment, I.C.J. Reports 1969, S. 3 (S. 47) 141
Vgl. Beyerlin a.a.O. (Fn. 124), S. 431
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
343
VIII. Schlussfolgerungen für die transnationalen Pflichten im Sozialpakt 1.) Die primäre Verantwortlichkeit für die Verwirklichung der Wsk– Rechte Aus dem Wortlaut „einzeln“ in Artikel 2 Absatz 1 IPwskR sowie dem Zweck derselben Vorschrift folgt, dass zunächst einmal jeder Staat selbst dafür zuständig ist, den Genuss der Wsk–Rechte in seinem Hoheitsbereich sicherzustellen.142 Daher darf kein Land, sei es auch noch so arm, seine menschenrechtlichen Aktivitäten darauf beschränken, Entwicklungshilfe zu fordern oder zu verwalten. Nicht zuletzt verstieße dies auch gegen das Prinzip der „Ausschöpfung aller seiner Möglichkeiten“.
2.) Zur Verantwortung von Drittstaaten Aus einer Zusammenschau aller transnationalen Elemente im Sozialpakt ergeben sich Pflichten, anderen Paktmitgliedern technisch und wirtschaftlich beizustehen.143 Diese Pflichten bestehen ergänzend zu 142 Art. 3 Abs. 1 der Erklärung zum Recht auf Entwicklung, GA Res. 41/128 vom 4. Dezember 1986 lautet: „States have the primary responsibility for the creation of national and international conditions favourable to the realization of the right to development.“; Art. 7 der Charter of Economic Rights and Duties of States, a.a.O. (Fn. 63): „Every State has the primary responsibility to promote the economic, social and cultural development of its people. To this end, each State has the right and the responsibility to choose its means and goals of development, fully to mobilize and use its resources, to implement progressive economic and social reforms and to ensure the full participation of its people in the process and benefits of development.“; § 2 der United Nations Millenium Declaration a.a.O. (Fn. 70); Vandenhole a.a.O. (Fn. 2), S. 84; Gibney/Tomaševski/Vedsted–Hansen a.a.O. (Fn. 21), S. 267 143
Skogly: The obligation of international assistance, a.a.O. (Fn. 1), S. 419; Windfuhr: Parallelbericht, a.a.O. (Fn. 38), § 17; Sajó a.a.O. (Fn. 20), S. 226. Problematisch ist insoweit die als Erklärung deklarierte Äußerung der Türkei zum Sozialpakt, welche lautet: „The Republic of Turkey declares that it will implement the provisions of this Covenant only to the States with which it has diplomatic relations.“ Zypern führte hierzu aus: „[...] the Government of the Republic of Cyprus wishes to express its objection with respect to the declarations. [...] „The Government of the Republic of Cyprus considers that the declaration relating to the implementation of the provisions of the Covenant only to the States with which the Republic of Turkey has diplomatic relations, [...]
344
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
den innerstaatlichen, sind aber – wie Wortlaut und Sinn und Zweck zeigen – nicht notwendigerweise nachrangig.144 Dabei gilt es, zwischen den einzelnen Ebenen zu unterscheiden.
a) „Respect“–Ebene Insbesondere der Diskriminierungsregel des Artikels 2 Absatz 2 IPwskR lässt sich das Verbot entnehmen, andere Staaten bei der Verwirklichung der Menschenrechte zu behindern.145 Zudem geht sogar der Zivilpakt, der für die Gewährleistungspflichten eine Herrschaftsklausel enthält, davon aus, dass die Pflicht die Rechte „zu achten“ sowohl innerstaatlich als auch extraterritorial gilt. Dann muss dies für den parallel verabschiedeten Sozialpakt, der keine Herrschaftsklausel enthält, erst recht gelten.146 Des Weiteren normiert der Sozialpakt den Grundsatz der internationalen Zusammenarbeit an zentraler Stelle (Artikel 2 Absatz 1) gleichberechtigt neben dem Gebot der innerstaatlichen Verwirklichung. Hätte
amount to reservations. These reservations create uncertainty as to the States Parties in respect of which Turkey is undertaking the obligations in the Covenant, and raise doubt as to the commitment of Turkey to the object and purpose of the said Covenant.“ Ähnlich fielen die Stellungnahmen Griechenlands und Schwedens hierzu aus. Deutschland führt zu jener Äußerung der Türkei aus: „The Government of the Federal Republic of Germany would like to recall that it is in the common interest of all states that treaties to which they have chosen to become parties are respected and applied as to their object and purpose by all parties, and that states are prepared to undertake any legislative changes necessary to comply with their obligations under these treaties. The Government of the Federal Republic of Germany is therefore concerned about declarations and reservations such as those made and expressed by the Republic of Turkey with respect to the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights. However, the Government of the Federal Republic of Germany believes these declarations do not aim to limit the Covenant's scope in relation to those states with which Turkey has established bonds under the Covenant, and that they do not aim to impose any other restrictions that are not provided for by the Covenant.“ 144
Vandenhole a.a.O. (Fn. 2), S. 84; vgl. auch Haugen: The Right to Food and the TRIPs Agreement, a.a.O. (Fn. 17), S. 136 145 146
Vandenhole a.a.O. (Fn. 2), S. 89 und 91 Coomans: Progressive Development, a.a.O. (Fn. 42), S. 35 und 45
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
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die internationale Zusammenarbeit eine untergeordnete Bedeutung haben sollen, hätten sich die Paktverfasser anders ausdrücken müssen und nicht die Formulierung „and“ wählen dürfen. Nun könnte man natürlich argumentieren, mit internationaler Zusammenarbeit sei nur die Empfängerseite gemeint: Lediglich um die Wsk– Rechte im eigenen Land zu verwirklichen, müsse ein Staat mit anderen kooperieren, etwa sie darum bitten, Nahrungsmittellieferungen wieder durchzulassen, wenn diese sie blockieren. Das wäre kein Verstoß gegen den Wortlaut, denn „co–operation“ schließt nicht aus, dass nur eine Partei den Nutzen des Zusammenwirkens trägt. Indes widerspräche es dem „effet utile“ des Sozialpakts, wenn ein Staat nach freiem Gutdünken die Verwirklichung von Wsk–Rechten in anderen Ländern hemmen dürfte. Nicht nur, dass dies ein menschenrechtsschädliches Verhalten wäre: Betrifft es ein Mitglied des IPwskR, behindert der handelnde Staat seinen Vertragspartners dabei, dessen Pflicht zu erfüllen, die Wsk–Rechte umzusetzen, was nach Treu und Glauben verboten ist. Aus teleologischen Gründen ist der Passus „international co– operation“ daher nicht entsprechend einer Einbahnstraße, sondern so zu verstehen, dass in jedem Fall Pflichten zur Zusammenarbeit bestehen – unabhängig davon, in welchem Land sich die Menschen aufhalten, die den Nutzen davon tragen. Zumindest in Bereichen, in denen das progressive Element nicht existiert, stehen mithin innerstaatliche und transnationale Verwirklichungspflicht paritätisch nebeneinander. Einem Staat ist es also nicht gestattet, seinem Nachbarland die Stromversorgung zu kappen, wenn hierdurch medizinische Einrichtungen nicht mehr funktionieren, essentielle Nahrungsmittel verderben oder Menschen zu erfrieren drohen. Die transnationale Achtungsverpflichtung gilt jedoch nicht absolut. Da sie sich nämlich unter anderem aus dem Diskriminierungsverbot herleitet, kann ein Staat einen rechtfertigenden Grund haben, wenn er die Wsk–Rechte in Drittstaaten einschränkt. Hier können sehr komplizierte und stark wertungsabhängige Fragen auftreten, bei denen vor allem zu berücksichtigen ist, wie sich der Eingriff im Ausland auf die Verwirklichung der Wsk–Rechte im Inland auswirkt. Maßgebend ist dabei, wie hoch ein Schaden für die Menschenrechte und wie wahrscheinlich dessen Eintritt ist. Zu berücksichtigen ist ferner der Grad, zu dem der Eingreifer die Gefahren beherrscht. Beispielsweise darf ein Staat den Import von Nahrungsmitteln verbieten, die sich als gesundheitsschädlich erwiesen ha-
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
ben147 (Artikel 11 und 12 IPwskR), auch wenn dadurch im Ausland höchstwahrscheinlich tausende Arbeitsplätze verloren gehen (Artikel 6 IPwskR). Denn für die Gesundheit seiner Einwohner ist primär er, für die Arbeit der fremden primär ein anderer Staat zuständig. Andererseits darf er nicht, um die nationale Wirtschaft zu fördern, Folterinstrumente ins Ausland verkaufen, denn diese Handlung steht der Verletzung des Rechts auf Gesundheit näher als die über viele Stufen vermittelte Förderung der Wsk–Rechte im Inland. Wenn sich ex ante nicht feststellen lässt, welche Auswirkungen ein staatliches Verhalten beziehungsweise dessen Beendigung hat, wird man dem Staat, ebenso wie bei den Benchmarks,148 eine gewisse Einschätzungsprärogative zugestehen müssen. Fazit: Soweit auf der „Respect“–Ebene auch für die transnationale Verwirklichung keine Ressourcen benötigt werden, muss jeder Paktstaat dafür sorgen, dass seine Aktivitäten nicht die Menschenrechte in anderen Staaten gefährden oder verletzen.149 Ausnahmsweise kann der Staat aber Gründe haben, die ihm den Rechtseingriff gestatten. Hier gilt es abzuwägen, wobei der Staat bei ungewissen Prognosen einen Einschätzungsspielraum hat.
b) „Protect“–Ebene Die Mitglieder des IPwskR müssen auch nichtstaatliche Akteure regulieren, damit diese keine menschenrechtsschädlichen Situationen in anderen Staaten schaffen.150 Nichtstaatliche Akteure können innerstaatliche sein, etwa Unternehmen.151 Die Wsk–Rechte in dritten Staaten können aber auch durch internationale Organisationen gefährdet wer147 148
Man denke etwa an genetisch modifizierten Reis. Dazu oben S. 256
149
Sajó a.a.O. (Fn. 20), S. 235; Skogly: The obligation of international assistance, a.a.O. (Fn. 1), S. 419; Windfuhr: Parallelbericht, a.a.O. (Fn. 38), § 16; Rott a.a.O. (Fn. 36), S. 104 150 Skogly: The obligation of international assistance, a.a.O. (Fn. 1), S. 419 f.; für originäre Staatsaufgabe im Umweltschutzrecht: Gündling a.a.O. (Fn. 117), S. 289 151
McCorquodale a.a.O. (Fn. 137), S. 99 f.; Daniel Aguirre: Multinational Corporations and the realisation of economic, social and cultural Rights, in: California Western International Law Journal 35 (2004–2005) S. 53 (S. 65 und 69); Beispiele bei Windfuhr: State Obligations, a.a.O. (Fn. 19) S. 27
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
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den. Die Mitglieder des Sozialpakts sind dann verpflichtet, ein ihnen im Rahmen einer internationalen Organisation zustehendes Ermessen gemäß den Vorgaben des IPwskR auszuüben.152 Soweit allerdings das Recht der Organisation im Widerspruch zum Sozialpakt steht – die Staaten also kein Ermessen haben – stellen sich komplexe juristische Probleme, die in diesem Kapitel nicht im Detail erörtert werden können. Aus der analogen Anwendung des Umweltrechts ergibt sich, dass die Staaten nur dazu verpflichtet sind, auf Organisationen einzuwirken, deren Mitglied sie sind, beziehungsweise auf Unternehmen, die einen Sitz in ihrem Staat haben. Denn nur in diesem Fall kann die Störungsquelle ihnen zugerechnet werden.153 Fazit: Auch auf der „Protect“–Ebene haben die Staaten transnationale Pflichten, soweit sie die Störungsquelle beherrschen können.
c) „Fulfil“–Ebene aa) Die Existenz von grenzübergreifenden Pflichten auf der „Fulfil“– Ebene Wie weit auf der „Fulfil“–Ebene staatliche Kooperationspflichten bestehen, insbesondere ob die Mitglieder des Sozialpakts eine Pflicht zur Leistung von Entwicklungshilfe trifft, ist sehr umstritten.154 Manche verneinen dies, weil der Sozialpakt ein Instrument sei, um Individualrechte zu sichern und nicht, um die Beziehungen zwischen Staaten zu regeln.155 Dieses Argument kann aber nur vordergründig überzeugen. Zum einen soll die Entwicklungshilfe gerade dem Zweck 152
General Comment Nr. 15, a.a.O. (Fn. 17), § 33; Concluding Observations betreffend Japan, UN Doc. E/C.12/1/Add.67 § 37 und Vereinigtes Königreich sowie Nordirland, UN Doc. E/C.12/1/Add.79 § 26; Vandenhole a.a.O. (Fn. 2), S. 86; weitergehend: The Maastricht Guidelines Nr. 19, enthalten in: UN Doc. E/C.12/2000/13; siehe auch Jennifer Tooze: Aligning States’ economic policies with human rights obligations: The CESCR's quest for consistency, in: Human Rights Law Review, Volume 2, Number 2, 2002, S. 229; Windfuhr: State Obligations, a.a.O. (Fn. 19) S. 24 f.; Coomans: Progressive Development, a.a.O. (Fn. 42), S. 43 f. 153
McCorquodale a.a.O. (Fn. 137), S. 100 – 102
154
Windfuhr: Parallelbericht, a.a.O. (Fn. 38), § 18; vgl. auch Sajó a.a.O. (Fn. 20), S. 235 155
Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 13), S. 190
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
dienen, die Wsk–Rechte in anderen Staaten zu fördern. Zum anderen normiert der Sozialpakt an den besagten Stellen Kooperationspflichten, die einen Ressourcentransfer nahelegen. Richtig ist zwar, dass die Verfasser des IPwskR sich nicht auf eine Pflicht zur Leistung von Entwicklungshilfe einigen konnten.156 Allerdings ist die Entstehungsgeschichte nur eine unter mehreren Auslegungsmethoden, und ihr kommt – wie ausgeführt – nur untergeordnete Bedeutung zu. Sigrun Skogly geht davon aus, dass es nur konsequent sei, transnationale Pflichten auf der „Fulfil“–Ebene anzuerkennen. Denn dem Sozialpakt ließen sich transnationale Pflichten ganz allgemein entnehmen, ohne dass nach Dimension – „respect“, „protect“, oder „fulfil“ – unterschieden werde.157 Wenn diese extraterritorialen Pflichten aber abstrahiert festgeschrieben sind, müsste es schon zwingende Gründe geben, von ihnen für einzelne Ebenen abzuweichen. Für solche Ausnahmen liefere der Sozialpakt aber nicht genügend Anhaltspunkte. Skogly betont allerdings, dass jedes Land die primäre Verantwortung für die Rechtsverwirklichung in seinem Hoheitsbereich trage. Deswegen dürfe es nicht dazu kommen, dass reiche Länder zu starken Einfluss auf die Rechtsverwirklichung in anderen Ländern nehmen.158 Vor allem dürfe kein Staat einem anderen diktieren, wie er seine Ressourcen einsetzen oder sich verhalten soll – denn dies verstieße gegen den Grundsatz der Souveränität.159 Zu bedenken ist, dass eine Pflicht zu massivem Ressourcentransfer den Vertragszweck sprengen würde. Schließlich ist der Sozialpakt kein Entwicklungshilfevertrag. Indes gebietet Artikel 2 Absatz 1 IPwskR, die maximale Verwirklichung der Wsk–Rechte (auch) im Zusammenwirken zu erreichen. Da man aber zur vollen Rechtsverwirklichung Ressourcen benötigt, ist eine gewisse Ressourcenverschiebung unerlässlich. Wollte der Sozialpakt extraterritoriale Pflichten nur für die „Respect“– und die „Protect“–Ebene anerkennen, würde es verwundern, wieso er Kooperations– und Koordinationspflichten so oft und so zentral be-
156 157 158 159
Ibidem, S. 191 Skogly: The obligation of international assistance, a.a.O. (Fn. 1), S. 420 Ibidem Skogly/Gibney a.a.O. (Fn. 31), S. 797; Sajó a.a.O. (Fn. 20), S. 226
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tont. Vielmehr muss man dem unterschiedlichen Wortlaut in Artikel 2 Absatz 1 IPwskR und Artikel 2 Absatz 1 IPbpR Rechnung tragen.160 Fazit: Die erste Schlussfolgerung für die „Fulfil“–Ebene lautet: Auch in diesem Bereich existieren transnationale Pflichten.161
bb) Der Umfang der grenzübergreifenden Pflichten im „Fulfil“–Bereich Fragt man nach dem Ausmaß der transnationalen Pflichten im „Fulfil“– Bereich, sollte man sich verdeutlichen, dass die Prinzipien der Artikel 22 und 28 AEMR162 in den Sozialpakt bewusst nicht übernommen wurden. Außerdem möchte der Sozialpakt in erster Linie, dass Staaten ihre Ressourcen effektiv und gezielt einsetzen. Nur untergeordnet sollen Ressourcen aus ihrem bisherigen Hoheitsbereich weggenommen werden. Zu bedenken ist ferner, dass kein reicher Staat allen armen Staaten helfen kann und der Sozialpakt keine Vorgaben enthält, wer wem wie helfen sollte. Durch eine Analogie zum internationalen Umweltrecht ließ sich nur für die Sonderfälle der gemeinsam genutzten Güter ein geeignetes Kriterium finden.163 Greift die Analogie nicht, etwa weil es sich um Ressourcen handelt, die allein einem Staat zustehen, muss dieser im Rahmen seines generellen Ermessens überlegen, wie er die Güter für die Verwirklichung der Menschenrechte optimal einsetzt. Die transnationale Verwirklichung ist dabei nur einer unter vielen Gesichtspunkten. Ein Staat muss grundsätzlich nicht ernsthaft und mit dem Ziel einer Einigung mit anderen darüber verhandeln, ob und wie er bestimmte eigene Ressourcen in anderen Ländern einsetzt. Zwar folgen auch aus dem Wortlaut und den genannten „Soft–Law“– Dokumenten Abstimmungspflichten. Diese gehen aber – im Gegensatz 160
Dazu oben S. 318
161
Interim report of the Special Rapporteur of the Commission on Human Rights on the right of everyone to enjoy the highest attainable standard of physical and mental health, Mr. Paul Hunt, UN Doc. A/58/427, § 32; Michael Windfuhr: Nationale und internationale Staatenpflichten, in: Pia Bungarten/Peter Schlaffer: Die Rolle der wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte im Kontext des UN–Weltsozialgipfels, 1995, S. 34 (S. 38) 162 163
Dazu oben S. 317 Siehe oben S. 344
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
zu dem Fall, in dem die Analogie zum Umweltrecht greift – nicht so weit, dass ein Staat bestimmte Ressourcen zur Disposition stellen muss. Vielmehr kann er nach allgemeinen Prinzipien die extraterritorialen Pflichten auf verschiedene Weise verwirklichen. Deswegen hat jeder Staat auch im Bereich der transnationalen Pflichten, insbesondere auf der „Protect“– und auf der „Fulfil“–Ebene, ein Ermessen. Eine eindeutige Paktverletzung läge somit nur dann vor, wenn ein reiches Land sich weigert, überhaupt irgendeine Form von Entwicklungshilfe zu erbringen.164 Andererseits ergibt sich aus allgemeinen Prinzipien, dass jeder Staat den effektivsten Weg wählen muss, um die Wsk–Rechte zu verwirklichen, und hier trifft ihn die Darlegungslast. Wenn also ein bestimmter Staat der einzige ist, der einem anderen helfen kann, muss er schon gewichtige Gründe haben, wenn er es unterlässt. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein anderes Paktmitglied gerade ihn um Hilfe ersucht.165 Beispielsweise kann es sein, dass in einem Industriestaat ein Mittel gegen eine Krankheit entwickelt wurde, die in einem Entwicklungsland besonders verbreitet ist. Dann ist der Industriestaat dazu verpflichtet, Anstrengungen des Entwicklungslands, das Mittel seiner Bevölkerung zugänglich zu machen, zu unterstützen. Hierbei muss er den effektivsten Weg wählen, das bedeutet zumeist, er muss dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen im Entwicklungsland in den Genuss des Medikaments kommen. Der Passus „Zusammenarbeit“ steht in Artikel 2 Absatz 1 IPwskR im engsten Regelungszusammenhang neben „internationaler Hilfe“.166 Daher muss „Zusammenarbeit“ eine eigenständige, über die Funktion „internationaler Hilfe“ hinausgehende, Bedeutung haben. Konsequenterweise haben deswegen Industriestaaten die Aufgabe, mit anderen 164
Klee a.a.O. (Fn. 18), S. 153. Der Ausschuss verlangt aber de facto bei reichen Staaten stets das UNDP–Ziel von 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts, beispielsweise in den „Concluding Observations“ betreffend Frankreich, UN Doc. E/C.12/1/Add.72 § 24; Deutschland, UN Doc. E/C.12/1/Add.6 § 15; Dänemark, UN Doc. E/C.12/1/Add.102 § 5; Japan, UN Doc. E/C.12/1/Add.67 § 37 und Luxemburg, UN Doc. E/C.12/1/Add.86 § 6 sowie in der list of issues an Österreich, UN Doc. E/C.12/Q/AUT/1 § 8. Allgemein zu diesem Benchmark: Report of the Secretary–General submitted pursuant to Commission on Human Rights resolution 1999/2, UN Doc. E/CN.4/2000/47 § 33 165 166
Sajó a.a.O. (Fn. 20), S. 246
Die authentische, englische Fassung lautet: „through international assistance and co–operation.“
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Industrienationen zugunsten eines Entwicklungslandes zu kooperieren – wenn dies der effektivste Weg zur Rechtsverwirklichung ist.167 Da das Entwicklungsland aber primär dazu verpflichtet ist, in seinem eigenen Gebiet die Wsk–Rechte zu verwirklichen, kann vom Geberland nicht verlangt werden, auf eigene Initiative tätig zu werden. Vielmehr fordert der Wortlaut des Artikels 2 Absatz 1 IPwskR nur ein Unterstützen bei den eigenen Bemühungen. Hilfen müssen – wenn überhaupt – nur angeboten werden, sobald ein anderes Land oder deren Einwohner sie verlangen. Dabei hat es das Empfängerland als Primärverantwortlicher in der Hand, ob es kollektive Hilfe von der Staatengemeinschaft oder individuelle Hilfe von nur einem Staat beanspruchen möchte. Andererseits ist das Geberland nicht dazu verpflichtet, dem uneingeschränkt zuzustimmen. Vielmehr hat es einen eigenen Ermessensspielraum. „Co–operation“ gebietet insoweit nur, den bestmöglichen Weg der transnationalen Menschenrechtsverwirklichung zu suchen und eine gemeinsam erarbeitete Lösung mit umzusetzen. Fazit: Den Staaten kommt auf der „Fulfil“–Ebene ein sehr weites Ermessen zu, wie sie ihre transnationalen Pflichten erfüllen.
d) Die progressive Natur der grenzübergreifenden Pflichten Soweit sie nicht sofort erfüllt werden können, sind auch die extraterritorialen Pflichten nach Artikel 2 Absatz 1 IPwskR progressiver Natur.168 Das bedeutet sie hängen von den verfügbaren Ressourcen ab. Auch hier gilt das grundsätzliche Verbot von Rückschritten. Rückläufige Hilfsbudgets bedürfen also einer besonderen Rechtfertigung.169
e) Die geeignete Art der Hilfsleistung Würden im Rahmen von Entwicklungshilfe direkt die Mittel zur Rechtsverwirklichung, etwa Nahrung, Medikamente oder Wasser gelie167
Siehe dazu die „Concluding observations“ betreffend Schweden, UN Doc. E/C.12/1/Add.70 § 6 168
Haugen: The Right to Food and the TRIPs Agreement, a.a.O. (Fn. 17),
S. 80 169
Windfuhr: Parallelbericht, a.a.O. (Fn. 38), § 22; ders.: Nationale und internationale Staatenpflichten, in: Pia Bungarten/Peter Schlaffer: Die Rolle der wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte im Kontext des UN– Weltsozialgipfels, 1995, S. 34 (S. 36 f.)
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fert, wäre die Hilfe wenig nachhaltig, und die Empfängerländer blieben abhängig. Der Wortlaut „insbesondere technischer und wirtschaftlicher Art“ zeigt, dass die Geberländer primär dazu verpflichtet sind, Mittel zu liefern, die das Empfängerland langfristig dazu in die Lage versetzen, seinen Einwohnern die Wsk–Rechte selbst zu gewähren. 170 Nur wenn dies nicht möglich ist, beispielsweise weil es dem Empfängerland an der Infrastruktur oder den Kapazitäten zur Nahrungs– sowie Medikamentherstellung fehlt, besteht nachrangig die Pflicht, die zum Rechtsgenuss benötigten Stoffe unmittelbar zu liefern. Auch in akuten Katastrophenfällen, die ein sofortiges und kurzfristigeres Handeln erfordern, kann es Ausnahmen geben.171 Fazit: Die Pflicht zu nachhaltigen Hilfsleistungen besteht vorrangig gegenüber einer Pflicht, den Genuss der Wsk–Rechte im Ausland unmittelbar zu gewähren.
f) Die Pflicht zum Technologietransfer Der Wortlaut des Artikels 2 Absatz 1 IPwskR konkretisiert, wie die Hilfe und die Zusammenarbeit auszusehen haben: „insbesondere wirtschaftlicher und technischer Art“.172 Da transnationale Pflichten auch auf der „Fulfil“–Ebene existieren, gehört zur Vertragserfüllung nicht zuletzt ein gewisser Technologietransfer.173 Diese Pflicht ist allerdings 170
Zum Recht auf Nahrung: General Comment Nr. 12, a.a.O. (Fn. 71), § 39
171
Näher Reimann: Ernährungssicherung im Völkerrecht, a.a.O. (Fn. 1), S. 145; vgl. auch Rott a.a.O. (Fn. 36), S. 104 172
Die authentische, englische Fassung lautet: „especially economic and technical.“ 173
Allgemein zur völkerrechtlichen Pflicht zum Technologietransfer: Millenium Development Goals, a.a.O. (Fn. 70) Ziel 8, achter Punkt; zu Ziel 8 der MDGs: Eibe Riedel in: Report of the high–level task force on the implementation of the right to development on its second meeting, UN Doc. E/CN.4/2005/WG.18/TF/3 § 42 Zum Entwurf eines „International code of conduct on the transfer of technology“ siehe die Stellungnahmen der UN–Generalsversammlung in UN Doc. A/RES/40/184 und A/RES/48/167; Inhaltsvorschläge und deren Begründung in: An international code of conduct on the transfer of technology, Report by the UNCTAD Secretariat, UN Doc. TD/B/C.6/AC.1/2/Supp.1/ Rev.1, S. 10 – 57; zum Verlauf der Verhandlungen siehe: Report by the Secretary–General of UNCTAD, UN Doc. TD/CODE TOT/60; Pedro Roffe/Taffere Tesfachew: The Unfinished Agenda, in: Patel, Surendra J. und andere (Hrsg.): International
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eng auszulegen, damit der Sozialpakt nicht in einen Entwicklungshilfevertrag umgedeutet wird.
g) Harmonisierungsgebote Der Wortlaut in Artikel 2 Absatz 1 IPwskR „vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen“ gilt auch für die grenzübergreifenden Verpflichtungen.174 Da das Koordinationsgebot also vor allem „gesetzgeberische Maßnahmen“ verlangt, sind die Staaten verpflichtet, zu einem gewissen Grad ihre nationalen Regeln zu harmonisieren, wenn das notwendig ist, um die Paktrechte zu realisieren.175 Zu berücksichtigen ist aber wiederum das weite Ermessen der Staaten bei den transnationalen Pflichten. So kann sich die Harmonisierung zwischen zwei Ländern schädlich auf die Menschenrechtsverwirklichung in einem dritten Land auswirken. Beispielsweise können zwei Länder, die rechtlichen Möglichkeiten für den Handel von Nahrungsmitteln untereinander erleichtern. Das kann zur Folge haben, dass Nahrungsmittel verstärkt zwischen diesen Ländern verkehren und dadurch nicht mehr in dritte gelangen, so dass dort die Nahrungsversorgung gefährdet wird. Legt man Artikel 2 Absatz 1 IPwskR mit Blick auf die oben genannten176 „Soft–law“–Dokumente aus, lässt sich jedoch zweierlei ableiten: Erstens, es bestehen Koordinationspflichten. Und zweitens müssen die Staaten bei deren Verwirklichung im Rahmen ihres Ermessens alle potentiellen Auswirkungen, deren Umfang und deren Wahrscheinlichkeit auf die Verwirklichung der Menschenrechte in anderen Staaten einbeziehen.177 Tun sie das nicht, oder ignorieren sie gezielt menschenrechtliche Positionen in bestimmten Ländern, verletzen sie den Sozialpakt.
Technology Transfer, The Origins and Aftermaths of the United Nations Negotiations on a Draft Code of Conduct, 2001, S. 381 (S. 400 – 404); Wolfgang Fikentscher: The draft international code of conduct on the transfer of technology, 1980, S. 5 – 22 174 175
Vgl. zum Wortlaut oben S. 305 Vgl. Interim report of the Special Rapporteur Paul Hunt, a.a.O. (Fn. 161),
§ 32 176 177
S. 324 ff. Windfuhr: State Obligations, a.a.O. (Fn. 19) S. 19
354
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Klärungsbedürftig ist, ob sich auch internationale Abkommen, die die Verwirklichung der Wsk–Rechte fördern, als „gesetzgeberische Maßnahmen“ deuten lassen. Dafür spricht, dass auch sie ein normativer Akt – nur eben ein internationaler – sind. Gesetzgeber sind hier die Staaten als Völkerrechtssubjekte. Man könnte zwar bezweifeln, dass völkerrechtliche Verträge unter die Formulierung fallen, weil die authentischen Fassungen von „legislative“ beziehungsweise „législatives“ sprechen, also von gesetzgeberischen Maßnahmen, und nicht von „legal“ oder „légales“, also gesetzlichen Maßnahmen. Damit scheint der Bezug zu den drei innerstaatlichen Gewalten nahezuliegen.178 Aber zum einen bedürfen völkerrechtliche Verträge oftmals der Zustimmung der nationalen Parlamente. Außerdem ist fraglich, ob eine derart enge Auslegung des Begriffs „legislative Maßnahmen“ angemessen wäre. Denn es gibt keinen vernünftigen Grund, dass die Staaten ein bestimmtes menschenrechtliches Ziel mit einem formellen Gesetz erreichen müssen, wenn es auch durch einen völkerrechtlichen Vertrag verwirklicht werden kann, der unmittelbar anwendbar ist. Selbst, wenn der Vertrag nicht unmittelbar anwendbar ist, bildet er doch letztlich das Fundament, wenn Staaten nationale Gesetze erlassen, um ihn auszuführen. Er hängt also mit den „gesetzgeberischen Maßnahmen“ untrennbar zusammen, indem er ihre Basis bildet. Zwar könnten die nationalen Parlamente immer noch abweichend vom Vertrag Gesetze erlassen oder den Vertrag nicht umsetzen. Derartige Verstöße gegen das Völkerrecht sind aber die Ausnahme und können völkerrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Staaten Gesetze vertragskonform erlassen. Hinzu tritt, dass die Harmonisierung nationaler Regelungen mit einem völkerrechtlichen Vertrag besonders gut erreicht werden kann. Es wäre merkwürdig, wenn zwar das Umsetzungsgesetz von dem Passus „gesetzgeberische Maßnahmen“ erfasst wird, nicht aber die eigentlich menschenrechtlich relevante Vorschrift im völkerrechtlichen Vertrag. Nach der im Völkerrecht maßgebenden teleologischen Auslegung gehören also auch internationale Verträge zu den „gesetzgeberischen Maßnahmen“. Aber selbst, wenn man dem nicht folgen wollte, so folgt eine Pflicht, menschenrechtsfördernden internationalen Übereinkünften beizutreten und Abkommen menschenrechtskonform umzusetzen, zumindest aus dem allgemeinen Gebot zur zwischenstaatlichen Kooperation zugunsten der Wsk–Rechte.
178
Alston/Quinn a.a.O. (Fn. 13), (S. 167)
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
355
Fazit: Die Staaten sind gehalten, Abkommen beizutreten, die die Realisierung der Wsk–Rechte fördern.179 Dabei haben sie allerdings nach allgemeinen Regeln180 ein weites Ermessen.
h) Die transnationalen Pflichten auf der „Result“–Ebene Man könnte meinen, transnationale Pflichten bestünden nur im Bereich der Verhaltenspflichten, also der „obligations of conduct“, und konkrete Verbesserungen des Genusses der Wsk–Rechte in fremden Staaten würden nicht verlangt. Dafür könnte man anführen, dass auch im Bereich der transnationalen Pflichten von einem Staat nicht mehr verlangt werden kann, als innerhalb seines Territoriums sein Bestmögliches zu geben. Immerhin sei die Verantwortung für die Individuen auf fremdem Staatsgebiet geteilt, und ein anderer Hoheitsträger sei primär zuständig. Wegen dessen Souveränität sei auch sein Ermessensspielraum zu respektieren. Daher hänge die Frage, inwieweit sich die Wsk–Rechte dort tatsächlich verbessern, entscheidend von seinem Verhalten ab. Es sei mithin unbillig, einem anderen Staat negative Ergebnisse zuzurechnen, die dieser nicht voll beherrschen könne. Dagegen sprechen indes einige gewichtige Bedenken. So kann ein Staat auf der „Protect“– und der „Fulfil“–Ebene auf die Resultate immer – also auch im innerstaatlichen Bereich – nur begrenzten Einfluss nehmen, und trotzdem rechnet man sie ihm zu. Zum Beispiel kann er Gesetze erlassen, die häusliche Gewalt unter Strafe stellen. Dennoch wird es immer häusliche Gewalt geben, weil Menschen gegen das Gesetz verstoßen. Gleichwohl ist der Staat für die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt verantwortlich, und es genügt nicht, wenn er sich nur bemüht, sie zu senken.181 Zum einen wird durch diese Zurechnung des Erfolgs Druck auf den Staat ausgeübt, damit er tatsächlich sein Bestmöglichstes tut. Zum anderen könnte vom „Recht eines jeden“ auf Gesundheit, ausreichende Ernährung, Bekleidung oder Ähnliches keine Rede mehr
179
Sajó a.a.O. (Fn. 20), S. 227; für ein Verbot der Ratifikation von menschenrechtsschädlichen Abkommen: Rott a.a.O. (Fn. 36), S. 104 180 181
Dazu oben S. 24 ff.
Vgl. dazu exemplarisch folgende „Concluding Observations“: United Kingdom, UN Doc. E/C.12/1/Add.79 § 17; Norwegen UN Doc. E/C.12/1/Add.109 § 15; Ecuador UN Doc. E/C.12/1/Add.100 § 25; Nepal: UN Doc. E/C.12/1/Add.66 § 19; besonders deutlich: Mexiko: UN Doc. E/C.12/MEX/CO/4 § 19
356
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
sein, wenn nicht auch für die Anspruchsverpflichteten im Vordergrund stünde, inwieweit diese Rechte genossen werden.182 Diese Argumente können ebenfalls für den extraterritorialen Bereich herangezogen werden, denn, wie oben festgestellt, kennt der Sozialpakt auch Pflichten auf der diagonalen Ebene.183 Vor allem unterscheidet der die Berichtspflicht regelnde Artikel 16 IPwskR allgemein zwischen den „getroffenen Maßnahmen“ und den „Fortschritten hinsichtlich der Beachtung“ der Wsk–Rechte, ohne zwischen innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Geboten zu differenzieren.184 Fazit: Da Berichtspflicht und Berichtsprüfungsumfang kongruent sind, untersucht der Ausschuss auch die transnationalen Pflichten auf der „Result“–Ebene.
3.) Transnationale Pflichten und Kerninhalte Es ist anerkannt, dass jeder Staat primär dafür sorgen muss, die Kerninhalte umzusetzen.185 Fraglich ist, wie sich dieser Grundsatz auf die transnationalen Pflichten auswirkt. Die Lösung ist einfach, wenn im innerstaatlichen Bereich der Kerninhalt nicht verwirklicht ist, im Bereich einer transnationalen Pflicht jedoch schon. Dann ist der Staat zur internationalen Kooperation nur insoweit verpflichtet, als dies die innerstaatliche Verwirklichung nicht blockiert. Zum Beispiel müssen Ressourcen vorrangig im Binnenraum eingesetzt werden. Schwieriger wird es aber, wenn es innerstaatlich nur um die peripheren Bereiche geht, im Ausland aber die Kernbereiche in Frage stehen. Dies ist das Hauptproblem mancher Industrienationen186 im Verhältnis zu den Entwicklungsländern.
182 183
Vgl. Shue: Global accountability, a.a.O. (Fn. 95), S. 162 Siehe oben S. 305 – 315
184
Für transnationale Pflichten auf der „Result“–Ebene auch: Windfuhr: State Obligations, a.a.O. (Fn. 19) S. 28 185 186
General Comment Nr. 3 a.a.O. (Fn. 24), § 10
Vgl. hierzu exemplarisch die „Concluding Observations“ folgender Länder: Luxemburg, UN Doc. E/C.12/1/Add.86 § 5; Frankreich, UN Doc. E/C.12/1/Add.7 § 24; Japan, UN Doc. E/C.12/1/Add.67 §§ 3 und 37; Finnland, UN Doc. E/C.12/1/Add.52 § 13
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
357
In den „General Comments“ hat der Ausschuss bislang nicht ausdrücklich klargestellt, ob Kernbereiche nur im nationalen Bereich bevorzugt verwirklicht werden müssen. Dass es Kerninhalte gibt, wird aber damit begründet, dass der Sozialpakt ohne ihre Anerkennung seiner Existenzberechtigung entbehren würde.187 Der IPwskR hätte jedoch selbst dann noch eine Funktion, wenn Kernverpflichtungen nur im nationalen Bereich verwirklicht werden müssten. Außerdem: So hart es klingen mag, waren reiche Länder mit Unterzeichnung des Sozialpakts wohl kaum bereit, in hohem Maße auf die Verwirklichung der peripheren menschenrechtlichen Bereiche an ihren Einwohnern zugunsten der Kerninhalte in den Entwicklungsländern zu verzichten.188 Denn solange auch nur in einem anderen Land die Kerninhalte nicht verwirklicht wären, müsste ein entwickeltes Land innerstaatlich zurückstecken. Zu bedenken ist schließlich, dass der Sozialpakt einen Ressourcen– und Technologietransfer nur in den genannten Grenzen verlangt.189 Fazit: Allein die Tatsache, dass im Ausland die Kernbereiche nicht verwirklicht sind, bedeutet nicht, dass die Staaten den dortigen Menschenrechtsinteressen automatisch den Vorrang vor ihren innerstaatlichen einräumen müssen. Vielmehr haben die Staaten auch hier ein Ermessen. Allerdings kann man dem Zweck des Sozialpakts entnehmen, dass ein Faktor in der Ermessensentscheidungen sein muss, zu welchem Grad die Wsk–Rechte im Ausland im Vergleich zum Inland verwirklicht sind.190
187
Siehe oben S. 13
188
Kritisch aus rechtspolitischer und philosophischer Perspektive: Christian Bay: A Human Rights Approach to Transnational Politics, in: Universal Human Rights 1979, S. 19 (S. 39) 189 190
Siehe oben S. 308
Dazu: Statement by the Committee on Economic, Social and Cultural Rights on human rights and intellectual property, UN Doc. E/2002/22, E/C.12/2001/17 Annex XIII (S. 214) § 13: „Accordingly, it is incumbent upon developed States, and other actors in a position to assist, to develop international intellectual property regimes that enable developing States to fulfil at least their core obligations to individuals and groups within their jurisdictions.“ Statement on Poverty and the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, UN Doc. E/C.12/2001/10 § 16: „In short, core obligations give rise to national responsibilities for all States and international responsibilities for developed States, as well as others that are ‚in a position to assist‘.“
358
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
IX. Die IBSA–Methode im transnationalen Bereich 1. Transnationale Indikatoren a) Transnationale Indikatoren für die „obligations of conduct“ Um die progressiven Dimensionen der transnationalen Pflichten zu überwachen, benötigt man wiederum Indikatoren.191 Ein häufig vom Ausschuss verwendeter Indikator ist die Höhe der finanziellen Entwicklungshilfe im Vergleich zum Bruttosozialprodukt und wird in Prozentzahlen ausgedrückt.192 Weitere wichtige Indikatoren könnten sein: Menge der in bedürftige Länder gelieferten Medikamente gegen tödliche Krankheiten, durchschnittlicher Vitamingehalt der ins Ausland gelieferten Nahrungsmittel, Höhe des Schuldenerlasses für Entwicklungsländer.
b) Transnationale Indikatoren für die „obligations of result“ Da transnationale Pflichten auch auf der „Result“–Ebene bestehen, darf der Ausschuss unter Umständen einen Staat dafür verantwortlich machen, inwieweit die Wsk–Rechte in einem bestimmten anderen Land genossen werden. Dies ist aber nur erlaubt, wenn die Zurechnungskriterien beachtet werden.193 Auf der „Respect“– sowie der „Protect“– Ebene kann man dem Staat menschenrechtliche Resultate zuschreiben, wenn der Genuss der Wsk–Rechte durch eine Handlung im Inland oder durch eine dem inländischen Recht unterworfene Person behindert wird. Beispiel: Ein grenznahes Unternehmen verschmutzt das Trinkwasser bis in den Nachbarstaat hinein. Dann kann man den Staat, in dem das Unternehmen ansässig ist, für die Zahl der Personen, die im Nachbarstaat Zugang zu Trinkwasser haben, verantwortlich machen. Ein weiteres Beispiel: Ein Unternehmen exportiert genetisch verändertes, schädlingsresistentes Saatgut. Dieses sorgt dafür, dass sich die Schädlinge im Anbauland verstärkt auf den benachbarten Äckern mit heimischem Saatgut niederlassen und die Samen zerstören. Wenn die 191
Interim report of the Special Rapporteur Paul Hunt, a.a.O. (Fn. 161), § 33
192
Beispiele in folgenden „Concluding Observations“: Dänemark UN Doc. E/C.12/1/Add.102 § 5, Italien UN Doc. E/C.12/1/Add.103 § 15; Luxemburg UN Doc. E/C.12/1/Add.86 § 6; Frankreich UN Doc. E/C.12/1/Add.72 § 14 193
Dazu oben S. 346 ff.
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
359
Menschen aus kulturellen Gründen genetisch veränderte Produkte ablehnen oder gar sie nicht kaufen können, weil sie zu teuer sind, trägt der Exportstaat die Verantwortung, wenn die Zahl der Hungerleidenden in Importland steigt. Auf der „Fulfil“–Ebene kann man dem Staat die Ergebnisindikatoren eines Drittstaats zurechnen, wenn die drei oben genannten Kriterien erfüllt sind, also gemeinsame, knappe und menschenrechtlich relevante Güter im Übermaß in Anspruch genommen werden.194 Weiter muss ein enger Zusammenhang zwischen der Nutzung der Güter und den Werten der Ergebnisindikatoren empirisch belegt sein.195 Dies ist in vielen Fällen unproblematisch, weil sich das Gut und die Bezugsobjekte des Ergebnisindikators decken. Nutzt beispielsweise ein Staat eine internationale Wasserressource im Übermaß und verhandelt nicht hinreichend mit seinem Nachbarn, kann man ihm die Zahl der im benachbarten Grenzgebiet an Durst Leidenden zurechnen. Man kann dem Staat vorwerfen, dass er die Ergebnisindikatoren der anderen Staaten nicht in seine Ermessensentscheidungen mit einbezogen hat. Man kann ihm zur Last legen, dass er nicht den optimalen Weg genutzt hat, um seinen transnationalen Pflichten nachzukommen, insbesondere, dass er nicht ernsthaft genug mit dem bedürftigen Land verhandelt hat.
2.) Transnationale Benchmarks Wie beschrieben steht den Staaten bei der Erfüllung ihrer progressiven transnationalen Pflichten ein Ermessen zu.196 Progressive Verwirklichung und Ermessen – das ist der Einstieg in die IBSA–Methode. Die Ressourcen müssen optimal eingesetzt werden. Da sich ex ante nicht feststellen lässt, welches der optimale Weg ist, bleibt die Lösung über Benchmarks: Die Staaten verpflichten sich gegenüber dem Ausschuss, den Wert eines transnationalen Menschenrechtsindikators binnen fünf Jahren über eine bestimmte Zielmarke hinaus zu verbessern. Beispielsweise kann sich ein Staat verpflichten, in einem anderen Land die Zahl der Aids–Todesfälle um zehn Prozent zu senken. Auf diese Weise lässt sich dann das Prob-
194 195 196
Siehe oben S. 344 Siehe oben S. 191 Siehe oben S. 355
360
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
lem in den Griff bekommen, dass kein Staat allen anderen helfen kann. Der Staat kann entscheiden, wem und wie er optimalerweise hilft, muss dies aber begründen.197 Im „Assessment“–Verfahren könnte der Ausschuss ihn zwar theoretisch immer noch dafür tadeln, dass er anderen Staaten nicht geholfen hat, denn der Benchmark schützt den Staat insoweit nicht.198 Da dem Staat aber stets nur begrenzte Mittel für die transnationalen Pflichten zur Verfügung stehen, muss es schon gute Gründe geben, wenn man im „Assessment“–Verfahren Ansprüche an ihn stellt, die über die Erfüllung seines Benchmark hinausgehen. Fraglich ist, wie sich ein Staat rechtfertigen kann, wenn er einen transnationalen Ergebnisbenchmark verfehlt. Anders als bei nationalen Verwirklichungspflichten kann man nicht argumentieren, dass er den Sachverhalt souverän beherrsche.199 Vielmehr muss er bei transnationalen Ergebnisbenchmarks sogar den Ermessensspielraum des fremden Paktmitglieds respektieren. Wenn er also der Benchmark trotz größtmöglicher Anstrengungen nicht erreicht hat, kann er einwenden, dass er sie erreicht hätte, wenn das andere Land sich optimal verhalten hätte. Da er aber – anders als im innerstaatlichen Bereich200 – nicht Herr der Beweismittel ist, muss die Staatengemeinschaft ihm beweisen, dass er verantwortlich ist, wenn der Benchmark nicht erreicht wurde. Diese Aussagen gelten sogar dann, wenn gar kein Benchmark vereinbart wurde, also wenn ein Indikator unabhängig von einem Benchmark herangezogen wird. Zugegeben, trotz dieser verbesserten Beweislast werden sich vermutlich nur wenige Staaten dazu bereiterklären, betreffend eines „Outcome“– Indikators ein Ziel zu vereinbaren. Vielmehr werden sie allenfalls einen Benchmark im Rahmen eines Prozessindikators aufstellen, also sich etwa verpflichten, eine bestimmte Geldsumme zu überweisen, denn für diesen Indikator beherrscht der Staat die wesentlichen Faktoren. Wiederum gilt aber der Gedanke, dass die Indikatoren im „Assessment“ in absteigender Reihenfolge entsprechend ihrer Validität angewendet werden. Und ein Benchmark schützt einen Staat nur auf dem Indikator, auf dem sie liegt.201 Der Ausschuss ist daher frei, den Staat für den fehlen197 198 199 200 201
Zur Begründung der Ermessensentscheidungen oben S. 31; vgl. auch S. 63 Dazu oben S. 297 Dazu oben S. 67 Ibidem Dazu oben S. 297
Kapitel 6: Grenzübergreifende Verpflichtungen
361
den Rechtsgenuss im Ausland zu kritisieren. Sonst könnte es sich ein Land auch allzu leicht machen und zwar einen höheren Betrag von Geldleistungen in einen Entwicklungshilfefonds einzahlen, zugleich aber die Sachleistungen an Entwicklungsländer, wie Medikamente– und Nahrungsmittellieferungen kürzen. Es ist daher Sache des Ausschusses, die Länder davon zu überzeugen, auch „Outcome“–Indikatoren für die transnationale Ebene aufzustellen. Fazit: Bei den transnationalen Pflichten ist die IBSA–Methode von besonders hohem Nutzen. Allerdings ist die Beweislast im „Assessment“–Verfahren zugunsten des Staates verändert. Dass Länder „Outcome“–Indikatoren im transnationalen Bereich aufstellen, ist zwar eher unwahrscheinlich, aber nicht völlig ausgeschlossen.
X. Zusammenfassung des Kapitels Mit den analog Artikel 31 und 32 WVK anwendbaren Auslegungsmethoden lässt sich ermitteln, dass der Sozialpakt transnationale Pflichten auf allen drei Ebenen „respect“, „protect“ und „fulfil“ enthält. Diese Pflichten sind für manche Paktrechte konkreter, für andere weniger. Relevant sind zum einen der Wortlaut der Paktbestimmungen, zum anderen die „General Comments“ des Ausschusses. Soweit die transnationalen Pflichten nicht sofort erfüllbar sind, gilt der Grundsatz der progressiven Realisierung. Die Staaten haben hier ein Ermessen, wobei sie die Frage, inwieweit die Kerninhalte in anderen Ländern verwirklicht sind, besonders berücksichtigen müssen. Aufgrund des „effet utile“ besteht auf der Achtungsebene eine sehr starke Verpflichtung, auf der Schutzebene eine umfangreiche, und auf der Erfüllungsebene existieren zumindest einige Pflichten. Pflichten auf der „Respect“– sowie der „Protect“–Ebene bestehen jedoch nur, soweit der Staat die Störungsquelle beherrscht. Auf der „Fulfil“–Ebene bestehen Verhandlungspflichten, wenn ein grenzübergreifendes menschenrechtlich relevantes Gut im Übermaß genutzt wird. Geht es nicht um grenzübergreifende Güter, fehlt ein aus dem internationalen Umweltrecht ableitbares Zurechnungskriterium; deswegen ist hier die IBSA–Methode besonders wertvoll. Aus dem Sozialpakt und anderen völkerrechtlichen Bestimmungen folgt eine Pflicht zum Technologietransfer. Diese ist umso größer, je wesentlicher eine Technologie für den Genuss der Wsk–Rechte ist. Zu beachten ist jedoch immer, dass der Sozialpakt kein Entwicklungshilfevertrag ist, weshalb transnationale Pflichten nicht unbegrenzt existieren.
362
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Zu den extraterritorialen Pflichten gehört aber stets, menschenrechtlich relevante Regelungen – insbesondere Patentrechtsregelungen – zu harmonisieren. Transnationale Pflichten bestehen sowohl auf der Ebene der „obligations of conduct“ als auch auf der Ebene der „obligations of result“. Die Staaten haben aber erleichterte Rechtfertigungsmöglichkeiten, wenn ein Ergebnisindikator einen schlechten Wert aufweist.
Kapitel 7: Die Hürden des gewerblichen Rechtsschutzes beim Technologietransfer sowie deren Überwindung mit der IBSA–Methode „Denn es ist zuletzt doch nur der Geist, der jede Technik lebendig macht.“ Johann Wolfgang von Goethe In diesem abschließenden Kapitel soll zunächst untersucht werden, inwieweit Patente, Gebrauchsmuster, Sortenschutzregelungen und urheberrechtliche Bestimmungen die transnationale Verwirklichung der Wsk–Rechte behindern können. Darauf aufbauend gilt es zu ermitteln, ob der Ausschuss mit der IBSA–Methode die Möglichkeit hat, diesen Hemmnissen entgegenzuwirken.
I. Die Hürden des gewerblichen Rechtsschutzes bei der Verwirklichung menschenrechtlich relevanter Variablen 1. Nationales und internationales Patentrecht a) Inhalt und Rechtsfolge des Patents Ein Patent ist ein hoheitlich erteiltes gewerbliches Schutzrecht auf eine Erfindung, das ein zeitlich begrenztes Ausschließlichkeitsrecht gewährt. Es gibt seinem Inhaber das Recht, allen anderen zu untersagen, die patentierte Erfindung zu verwenden.1 Bei Patenten für ein Erzeugnis ist es verboten, ohne Einwilligung des Patentinhabers ein geschütztes Erzeugnis herzustellen, zu gebrauchen, zum Verkauf anzubieten, zu verkaufen oder zu diesem Zwecke zu importieren.2 Bei der zweiten Fallgruppe, den Patenten für ein Verfahren, 1
WIPO Publication Nr. 489 (E): WIPO Intellectual Property Handbook: Policy, Law and Use, 2. Auflage, 2004, S. 17; Christian Osterrieth: Patentrecht, 2. Auflage, 2004, S. 2, 26 und 121; Wolfgang Bernhardt/ Rudolf Krasser: Lehrbuch des Patentrechts, 4. Auflage, 1986, S. 2 2 Art. 28 Abs. 1 a) des Abkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS), Marrakesh Agreement Establishing the World Trade Organization, Annex 1C, 1869 U.N.T.S. 299; 33 I.L.M. 1197
364
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
ist es Dritten verboten, das Verfahren anzuwenden. Das beinhaltet auch, das unmittelbar durch dieses Verfahren gewonnene Erzeugnis zu gebrauchen, anzubieten, zu verkaufen oder zu importieren.3 Schutzobjekt des Patents ist kein körperlicher, sondern ein immaterieller Gegenstand – das geistige Eigentum des Erfinders, das sich in der geschützten erfinderischen Lehre widerspiegelt. Das Patent ist also unkörperlicher Natur. Es muss unterschieden werden von den körperlichen Mitteilungsträgern wie schriftlichen Beschreibungen und von den Sachen, an denen die Lehre verwirklicht ist, beispielsweise einer nach der erfinderischen Lehre konstruierten Maschine oder einem erfindungsgemäß zusammengesetzten chemischen Stoff.4 Je nach nationalem Recht erstreckt sich der Patentschutz auch auf Äquivalente der Erfindung, das heißt auf die im Wesentlichen gleiche Wirkung bei Einsatz der im Wesentlichen gleichen Mittel. Benutzt ein Dritter widerrechtlich das Patent, so hat der Patentinhaber unter anderem zivilrechtliche Ansprüche auf Unterlassung, Beseitigung und Schadensersatz.5 Auch kommt eine Strafbarkeit des Patentverletzers in Betracht.6
b) Der Zweck des Patentrechts Das Patentrecht bezweckt, den technologischen Fortschritts der Gesellschaft durch den Schutz individueller erfinderischer Leistungen zu fördern. Es löst das Spannungsverhältnis zwischen den Interessen des Patentinhabers und den Interessen der Allgemeinheit am Zugang zu seiner Erfindung.
(1994), deutsche Übersetzung in: BGBl. 1994 II S. 1730. Für Deutschland § 9 Nr. 1 PatG 3
Art. 28 Abs. 1 b) TRIPS; vgl. für Deutschland § 9 Nr. 2 und 3. PatG; Art. 64 Abs. 2 EPÜ 4
Bernhardt/Krasser a.a.O. (Fn. 1), S. 3; Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 61; Anna–Maria Schieble: Abhängige Genpatente und das Institut der Zwangslizenz, 2005, S. 56 5
Zum deutschen Recht: Louis Pahlow: Anspruchskonkurrenzen bei Verletzung lizenzierter Schutzrechte unter Berücksichtigung der Richtlinie 2004/48/EG, in: GRUR 2007, S. 1001. Erfindungsschutz vor Patenterteilung, in: GRUR 2008, S. 97 6
WIPO Publication Nr. 489 (E), a.a.O. (Fn. 1), S. 33
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
365
Patente gewähren ein zeitlich befristetes Monopol. Im Gegenzug dafür muss der Erfinder seine Erfindung offenlegen, also jedermann zugänglich machen.7 Daher stammt auch der Name „Patent“ von lateinisch „offen, frei, unversperrt“. Die Erfindung ist in der Patentanmeldung gegenüber der Patentbehörde so zu offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Rechtspolitisch gibt es unterschiedliche Ansätze, um zu begründen, wodurch sich das subjektive Ausschließlichkeitsrecht an der Erfindung legitimiert.8 Zunächst kann man einen naturrechtlichen Eigentumsgedanken heranziehen, indem man das geistige mit dem körperlichen Eigentum vergleicht. Zweitens kann die Legitimation aus dem Belohnungsgedanken heraus erfolgen. Danach steht dem Erfinder eine Belohnung als „Entgelt“ dafür zu, dass er der Allgemeinheit eine neue technische Lehre vermittelt hat.9 Drittens kann man den Patentschutz als Ansporn dafür ansehen, etwas zu erfinden. Denn durch die alleinige Verwertung der Erfindung erhält der Erfinder einen wirtschaftlichen Vorteil – sogenannte Anreiztheorie. Dabei soll er nicht nur motiviert werden, die in der Erfindung verkörperte Lehre selbst zu vollziehen, also beispielsweise selbst danach Produkte herzustellen. Vielmehr soll der Erfinder auch anderen gegen Entgelt gestatten können, die technische Lehre zu verwenden; insbesondere kann er das Recht auf das Patent entgeltlich auf andere übertragen.10 Außerordentlich häufig kommt dies bei Arbeitnehmern vor, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit etwas erfinden und diese technische Lehre dann auf ihren Arbeitgeber – gegen eine Vergütung – übertragen.11 7
Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 4
8
Zu den Patentrechtstheorien: Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 5; Schieble a.a.O. (Fn. 4), S. 56; Peter Mes: Patentgesetz, Gebrauchsmustergesetz, 1997 § 1 Rn. 2; Bernhardt/Krasser a.a.O. (Fn. 1), S. 24; Heribert Mast: Sortenschutz/Patentschutz und Biotechnologie, 1986 S. 12 f. 9
Dazu Louis Pahlow: Erfindungsschutz vor Patenterteilung, in: GRUR 2008, S. 97 (S. 100); vgl. zum Urheberrecht: Hartmut Eisenmann/ Ulrich Jautz: Grundriss Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 5. Auflage 2004, S. 14 10 11
Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 9
Für Deutschland: Arbeitnehmererfindungsgesetz BGBl. 1957 I S. 756. Siehe auch Bernhardt/Krasser a.a.O. (Fn. 1), S. 4
366
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Wenn jedermann frei Neu– und Weiterentwicklungen von Produkten oder Verfahren kopieren könnte, würden Unternehmen kaum noch in diese Bereiche investieren.12 Dies würde sich hemmend auf den technischen Fortschritt auswirken. Die Aussicht, ein Monopol zu verwerten, dient daher letztlich der technischen Entwicklung im Interesse der Allgemeinheit. Viertens gibt es noch die Offenbarungstheorie. Danach steht die Bereicherung des öffentlich zugänglichen Standes der Technik im Vordergrund. Die Offenbarungstheorie trägt dem Umstand Rechnung, dass Patentschutz immer nur für die erstmalige Präsentierung einer Erfindung im Rahmen einer Patentanmeldung und auch nur im Umfang der Offenbarung gewährt wird. Die Gewährung von Schutz wird insoweit als Gegenleistung für die Offenbarung einer Erfindung betrachtet.13 Die genannten Patentrechtstheorien schließen sich indes nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich.14 Wirtschaftlich betrachtet sind Patente sinnvoll, wenn die Entwicklungskosten – das heißt die Kosten, die notwendig sind, um die Erfindung zu generieren – erheblich höher sind als die Plagiierungskosten, also die Kosten, die notwendig sind, um die Erfindung zu kopieren. So sind Entwicklungsprozesse in der Technik langwierig. Man muss unter Umständen viele Materialien ausprobieren und mehrere Prototypen entwickeln, bis ein optimales Verfahren gefunden wird. Bei Medikamenten dauert es oft Jahre, bis man eine gute Wirkstoffkombination erhält. Diese optimale Lösung wird aber durch Markteintritt schnell bekannt und kann dadurch leicht kopiert werden. So ist in der Technik die Entwicklungszeit viel länger als die Zeit zum Kopieren nach Markteintritt.15 Ob Patente den Zugang zu Innovationen hemmen oder fördern, wurde lange Zeit kontrovers diskutiert.16 Dabei muss man bedenken, dass das Verwertungsmonopol dem Patentinhaber das Recht gibt, anderen die Benutzung – etwa durch eine Lizenz – zu verweigern. Außerdem gibt
12
Zahlen über die Gesamtaufwendungen innerhalb des jeweiligen Staates für Forschung und Entwicklung finden sich bei: UNESCO: Statistical Yearbook 1999, Lanham 1999, § III.1 13 14 15 16
WIPO Publication Nr. 489 (E),, a.a.O. (Fn. 1), S. 17 Bernhardt/Krasser a.a.O. (Fn. 1), S. 25 Ibidem, S. 30 Zusammenfassend Bernhardt/Krasser a.a.O. (Fn. 1), S. 31 – 37
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
367
es in vielen Länder keine Pflicht, von einem Patent Gebrauch zu machen, so dass dort auch Vorratspatente oder sogenannte Sperrpatente angemeldet werden können; letztere dienen nur dazu, Konkurrenten davon abzuhalten, die technische Lehre zu verwerten.17 Vor allem aber gibt ein Patent seinem Inhaber grundsätzlich das Recht, die Preise für die nach der Lehre hergestellten Produkte selbst festzusetzen. Wenn auf dem Markt niemand dazu bereit oder in der Lage ist, die Preise zu bezahlen, findet das Produkt keinen Absatz. Damit haben die potentiellen Nachfrager keinen Zugang zur neuen Technik. Entsprechendes gilt für Lizenzen: Liegen die Preise zu hoch, findet sich kein Lizenznehmer. Daher scheint der Schluss nahezuliegen: Patentrecht abschaffen – und der Zugang zu den technischen Neuerungen verbessert sich.18 Diese Sichtweise greift jedoch zu kurz. Selbst die Entwicklungsländer sind nämlich mittlerweile zu der Auffassung gelangt, dass es ohne ausreichenden Patentschutz nicht genügend Anreize gibt, in die Forschung und Entwicklung zu investieren.19 Insbesondere im Pharmazeutikbereich sind die hier entstehenden Kosten immens.20 Ein Nachahmer hätte ohne Patentschutz den Vorteil, dass er auf bereits vorhandenes Wissen zurückgreifen könnte und im Wesentlichen nur noch die Produktions–, Marketing– sowie Vertriebskosten begleichen müsste. Die Ausgabenersparnis könnte er sich zunutze machen und das Produkt zu einem weit niedrigeren Preis anbieten als der Entwickler. Damit erhielte letzterer einen Wettbewerbsnachteil. Aus betriebswirtschaftlichen Gründen
17 18
Vgl. aber Art. 5 Abs. 2 PVÜ Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 8
19
Peter Rott: TRIPS–Abkommen, Menschenrechte, Sozialpolitik und Entwicklungsländer, in: GRURInt 2003, S. 103 (S. 107); auf den Punkt bringt dies Hans Morten Haugen: Patent Rights and Human Rights: Exploring their Relationships, in: The Journal of World Intellectual Property 2007, S. 97 f.: „an inventor’s patent does not deprive others of an object which would not exist if not for the inventor“; Christoph Herrlich: Internationale Menschenrechte als Korrektiv des Welthandelsrechts, 2005, S. 22 f. 20
WIPO Publication Nr. 491(E): Striking a balance: The patent system and access to drugs and health care, S. 2; William A. Schabas: Study of the Right to Enjoy the Benefits of Scientific and Technical Progress and Its Applications, in: Yvonne Donders/Vladimir Volodin, (Hrsg.): Human Rights in Educations, Science and Culture, 2008, S. 273 (S. 298); Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 5 spricht von mehr als 300 – 500 Millionen Euro
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
müsste er dann seine Forschungs– und Entwicklungskosten reduzieren, so dass kaum noch Erfindungen gemacht würden.21 Dies gilt auch für den Export neuer Technologien: Die Bereitschaft, technologisches Wissen in einem Empfängerland zur Anwendung zu bringen, ist gering, wenn der Investor befürchten muss, dass Dritte diese Technologie als Wettbewerber einsetzen ohne dass dies wirksam verhindert werden kann.22 Patentschutz dient auch dazu, dass Wettbewerber in die Entwicklung eines Produkts oder Verfahrens investieren, das außerhalb des Schutzbereichs des Patents liegt und damit vom Patentinhaber nicht mehr unterbunden werden kann.23 Fazit: Die Interessen der Erfinder und die der Allgemeinheit sind teilweise konträr, teilweise identisch. Patentschutz ist folglich ein Mittel, das zum Zugang der Öffentlichkeit zu technischen Innovationen zwar partiell antagonistisch, letztendlich aber synergistisch steht, da es die Rahmenbedingungen für die Entwicklung neuer Technologien und deren Transfer in andere Länder verbessert.
c) Das Territorialitätsprinzip Wie weit der patentrechtliche Schutz im Einzelnen reicht, unterscheidet sich von Land zu Land. Es gibt zwar einige Staatsverträge, die für eine gewisse Vereinheitlichung sorgen.24 Im Grundsatz gilt aber das Territo21
Mark A. Urbanski: Chemical prospecting, biodiversity conservation and the importance of international protection of intellectual property rights in biological materials, in: Buffalo journal of international law 131 (1995 – 1996) S. 131 (S. 143 – 149); Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 76 22
Edwin Mansfield: Intellectual Property Protection, Foreign Direct Investment, and Technology Transfer, 1994, S. 3 – 8 mit empirischen Erhebungen; Viola Fromm–Russenschmuck/ Raoul Duggal: WTO und TRIPs, 2004, S. 43; Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 8; Shivendra Kishore Verma: The TRIPS Agreement and Development, in: Surendra J. Patel und andere (Hrsg.): International Technology Transfer, The Origins and Aftermaths of the United Nations Negotiations on a Draft Code of Conduct, 2001, S. 321 (S. 340) 23 24
Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 7
Beispielsweise Art. 27 – 34 TRIPS; Art. 3 – 13 Patent Law Treaty (PLT) vom 1. Juni 2000, 39 I.L.M. 1047; Art. 4ter der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (PVÜ), BGBl. 1970 II S. 391 und 1985 II S. 975; Straßburger Abkommen über die internationale Patentklassifikation vom 24. März 1971 in der Fassung vom 28. September 1979, 1160 UNTS 483,
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
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rialitätsprinzip als Ausfluss der Souveränität. Das bedeutet, jeder Staat kann Patente nur für sein eigenes Staatsgebiet erteilen. Umgekehrt beinhaltet dies, dass das Land auch fremden Individuen und Unternehmen mit Sitz im Ausland ein Patent im Inland erteilen kann. Das Land kann das Schutzrecht selbst dann gewähren, wenn die technische Lehre im Ausland erfunden wurde.25 Der Erfinder muss daher, wenn er von der Wirkung des Patentschutzes in allen intendierten Märkten profitieren will, eine Vielzahl von Patentanmeldungen vornehmen. Dabei sind – einmal erteilt – alle nationalen Patente voneinander unabhängig.26 Das bedeutet aber nicht, dass die technische Lehre als solche zum Hoheitsbereich eines Staats gehört. Vielmehr spricht man von Ubiquität, das bedeutet, die Erfindung ist nach ihrer Veröffentlichung allgemein, zu jeder Zeit und an jedem Ort präsent.27
d) Die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung eines Patents Für die Frage, ob ein Patent erteilt werden kann, enthält das materielle Patentrecht ein fünfstufiges Prüfungsschema:28
Übersetzung in: BGBl. 1975 II, S. 649, neu klassifiziert seit 1. Januar 2010. Nur bedingte Vereinheitlichung schafft dagegen der Vertrag über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens vom 19. Juni 1970 in der Fassung vom 3. Oktober 2001, 9 I.L.M. 978 (1970), deutsche Übersetzung in: BGBl. II 1976, S. 664. vgl. zum Ganzen: Schieble a.a.O. (Fn. 4), S. 65; rechtspolitisch: Paul Edward Geller: Eine Utopie des Internationalen Patentrechts?, in: GRURInt 2004, S. 271 – 278 25
Dazu das Prinzip der Inländer(gleich)behandlung, Art. 2 PVÜ; Art. 3 TRIPS. Zum Erfindungsort: Art. 27 Abs. 1 Satz 2 TRIPS; allgemein zum Territorialitätsprinzip: Bernhardt/Krasser a.a.O. (Fn. 1), S. 539 und 581; Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 280 26 Art. 4bis PVÜ; BGH GRUR 1968, 195 (196); Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 27. Abhängigkeiten gibt es hingegen im Rahmen der Prioriät im Anmeldeverfahren vgl. Art. 4 PVÜ; Art. 66 EPÜ 27 28
Manfred Rehbinder: Urheberrecht, 13. Auflage, 2004, S. 41
Art. 27 TRIPs; WIPO Publication Nr. 489 (E), a.a.O. (Fn. 1), S. 17 f.; für das deutsche Recht §§ 1 – 2 a PatG; Art. 52 f. EPÜ. Zumeist wird allerdings von einem vierstufigen Schema ausgegangen und der fünfte Punkt gesondert geprüft. Der Grund hierfür mag sein, dass die fünfte Voraussetzung in die ersten vier „hineingelesen“ wird. Da er aber in den einschlägigen Vorschriften geson-
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
1.) Es muss sich um eine Erfindung handeln, 2.) die neu ist, 3.) auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, 4.) gewerblich anwendbar ist und 5.) nicht von der Patentierbarkeit ausgenommen ist. Unter einer Erfindung versteht man eine Lehre zu technischem Handeln.29 Eine Erfindung setzt sich zusammen aus einem technischen Problem und seiner Lösung.30 „Technisch“ bedeutet unter Einsatz von Naturkräften, wobei diese alle Bereiche der Natur umfassen wie Physik, Chemie, Biologie.31 Das bedeutet, nicht nur der „Aufbau einer Maschine“ kann patentierbar sein, sondern auch Arzneimittel,32 Chemikalien,33 gentechnologische Verfahren,34 Mikroorganismen35 und unter Umständen auch Computerprogramme36 sowie Pflanzensorten37.
dert erwähnt ist und auch nicht zwangsläufig in den ersten vier Punkten enthalten ist, soll hier von einem fünfstufigen Schema ausgegangen werden 29
Andreas Neef, in Busche/Stoll: TRIPs, 2007, Art. 27 Rn. 10; Mes a.a.O. (Fn. 8), § 1 Rn. 9; zum (fehlenden) Technizitätserfordernis in den USA siehe Diamond vs. Chakrabarty vom 16. Juni 1980, 447 U.S. 303 (309), dazu J. Benjamin Bai: Protecting plant varieties under TRIPS and NAFTA, should utility patents be available for plants?, in: Texas international law journal 32 (1997), S. 139 (S. 149) 30
Mes a.a.O. (Fn. 8), § 1 Rn. 10
31
Vgl. Art. 27 Abs. 1 TRIPS; Mes a.a.O. (Fn. 8), § 1 Rn. 13. Definition der Erfindung im Deutschen Recht: BGHZ 53, 74 (79) – rote Taube; BGH GRUR 1980, 849 (850) – Antiblockiersystem: „Lehre zum technischen Handeln, wobei technisches Handeln ein planmäßiges Handeln unter Einsatz beherrschbarer Naturkräfte zur unmittelbaren Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolgs bedeutet.“ 32
Vgl. § 5 Abs. 2 S. 2 PatG; Mes a.a.O. (Fn. 8), § 1 Rn. 11 und 14; zum im Jahr 1988 in manchen Ländern fehlenden Patentschutz für pharmazeutische und chemische Erzeugnisse siehe allerdings: WIPO Doc. HL/CE/IV/ INF/1.Rev.1 in: WO/INF/29 §§ 96 – 98 33 34 35 36
IPC Sektion C Dazu Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 71 – 74 IPC Klasse C12N 15/00
Dazu für das deutsche Recht Andreas Wiebe: Patentrecht, in: Gerald Spindler (Hrsg.): Rechtsfragen bei open source, 2004, S. 223 (S. 223 – 243); Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 63 – 69; Bernhardt/Krasser a.a.O. (Fn. 1), S. 96
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
371
Patente werden nur für neue Erfindungen gewährt. Neu ist eine Erfindung, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört.38 Bei der Definition des Neuheitsbegriffs unterscheiden sich die nationalen Rechtsordnungen.39 Für dem dritten Prüfungspunkt muss die technische Lehre auf einem „erfinderischen Schritt“ beruhen, das heißt, sie darf nicht nahegelegen haben.40 Patentierbar ist ausschließlich, was sich nicht nur als routinemäßige, handwerksmäßige Weiterentwicklung der Technik darstellt. Vielmehr muss der Stand der Technik um eine Lehre bereichert werden, die sich insgesamt als eine geistig–schöpferische Leistung darstellt.41 Auch hier differieren die nationalen Regelungen im Detail. Durch das Gebot der gewerblichen Anwendbarkeit – die vierte Voraussetzung der Patentierbarkeit – werden diejenigen Erfindungen ausgenommen, die allein theoretische Bedeutung haben und in einem Gewerbebetrieb nicht praktisch verwertbar sind.42 Endlich gibt es bestimmte Erfindungen, die etwa aus sittlichen oder ethischen Gründen nicht patentierbar sind,43 zum Beispiel Verfahren
37
Hauptsächlich in Italien und Ungarn; vgl. dazu Art. 2 des (mehrfach revidierten) Internationalen Übereinkommens zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV–Abkommen) vom 2. Dezember 1961, 815 U.N.T.S. 89; übersetzt in: BGBl. 1968 II, S. 861 und 1998 II S. 259. Zur Rechtslage in den USA siehe Bai a.a.O. (Fn. 29), S. 147, rechtspolitisch ibidem S. 150 f.. Zum Wahlrecht nach dem TRIPS–Abkommen (Patentschutz oder Sui–generis–System): Verma a.a.O. (Fn. 22), S. 331, abweichend für das UPOV–Abkommen ibidem S. 338 (nur Sui–generis–System) 38 WIPO Publication Nr. 489 (E), a.a.O. (Fn. 1), S. 19; für Deutschland und Europa: § 3 PatG und Art. 54 EPÜ 39
WIPO Publication Nr. 489 (E), a.a.O. (Fn. 1), S. 19; zum Neuheitsbegriff: Neef a.a.O. (Fn. 29), Art. 27 Rn. 37 – 42; vgl. für Deutschland: Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 105; Bernhardt/Krasser a.a.O. (Fn. 1), S. 150 – 163 40
WIPO Publication Nr. 489 (E), a.a.O. (Fn. 1), S. 20. Die hier gemeinte, supernationale Definition ist nicht identisch mit dem „erfinderischen Schritt“ in § 1 des deutschen GebrMG 41
WIPO Publication Nr. 489 (E), a.a.O. (Fn. 1), S. 20; vgl. für das deutsche Recht § 4 PatG; Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 111 42
WIPO Publication Nr. 489 (E), a.a.O. (Fn. 1), S. 18. Für Deutschland: § 5 PatG; BGHZ 57, 1 (8) – Trioxan; Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 115 43
Art. 27 Abs. 3 TRIPs; Art. 53 EPÜ
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
zum Klonen von Lebewesen.44 Auch bei diesen Ausnahmen können die Staaten im Rahmen der geltenden völkerrechtlichen Verträge eigene Regelungen treffen.
e) Das Patentanmeldeverfahren Um eine Erfindung zu patentieren, muss man sie behördlich anmelden. Ein Erfinder kann nur eine natürliche Person sein, denn im Mittelpunkt der Erfindung steht letztlich der höchstpersönliche Akt der mit der Erfindung verbundenen schöpferischen Leistung.45 Der Anmelder kann aber vom Erfinder verschieden und auch ein Unternehmen sein. Das Patent entsteht erst, wenn es die zuständige Behörde in Form eines öffentlich–rechtlichen Akts gewährt. Damit behalten die Staaten die Kontrolle über Entstehung und Bestand privater Ausschlussrechte an Erfindungen.46
f) Die Grenzen des Patentschutzes aa) Verwertung der Erfindung nur im Rahmen des geltenden Rechts Patente geben zwar ein absolutes Recht und damit ein Verbietungsrecht, jedoch kein positives Benutzungsrecht. Das heißt, ob der Patentinhaber seine Erfindung verwerten darf, hängt davon ab, ob dies nach den sonstigen Rechtsvorschriften erlaubt ist.47 Hier können staatliche Genehmigungserfordernisse die Verwertung ebenso einschränken wie Auflagen. Auch das „Wie“ der Verwertung kann gesetzlichen Regelungen unterstehen. So können gesetzlich Maximalpreise für Produkte vorgesehen werden, auch wenn sie nach einer patentierten Lehre hergestellt wurden. Denn diese Frage betrifft den Vertrieb und die Verwertung des Patents und nicht seinen Bestand. Entsprechendes gilt für Lizenzen. Nicht zuletzt kann das Kartellrecht die Verwertung des Patents beschränken.48 44 45 46 47 48
§ 2 PatG Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 115 Bernhardt/Krasser a.a.O. (Fn. 1), S. 19 WIPO Publication Nr. 489 (E), a.a.O. (Fn. 1), S. 17 Dazu Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 11 – 14 und S. 175 – 177
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
373
bb) Der Ablauf des Patents Patente werden immer nur für eine begrenzte Zeit gewährt, zumeist für zwanzig Jahre.49 Danach wird die Erfindung gemeinfrei, das heißt, jedermann kann von ihrem Inhalt Gebrauch machen.50
cc) Der Erschöpfungsgrundsatz Nach dem sogenannten Erschöpfungsgrundsatz unterliegen Vertrieb und Gebrauch einer erfindungsgemäß hergestellten Sache den Verbotsbefugnissen aus dem Patent nicht mehr, sobald diese mit Zustimmung des Patentinhabers in den Verkehr gelangt ist. Wer also ein Produkt, das nach einer patentierten Lehre konstruiert wurde, rechtmäßig erwirbt, kann es – auch zum Weitervertrieb – verkaufen oder verschenken, ohne dass der Patentinhaber dies verhindern kann.
2.) Dem Patent verwandte gewerbliche Schutzrechte mit menschenrechtlicher Relevanz a) Das Gebrauchsmuster Verwandt mit dem Patent ist das Gebrauchsmuster. Dabei handelt es sich – ebenso wie beim Patent – um ein ausschließliches Benutzungsrecht.51 Die maximale Laufzeit eines Gebrauchsmusters ist allerdings erheblich kürzer als die eines Patents,52 in Deutschland zehn Jahre.53
49 WIPO Publication Nr. 450(E): What is Intellectual Property, S. 5. Siehe statt vieler Regelungen § 16 des deutschen PatG, § 39 Abs. 1 des belgischen Patentgesetzes vom 28. März 1984, § 47 der „Niederländischen Patentakte“ vom 7. November 1910 und Art. 63 EPÜ 50
Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 96
51
Für Deutschland: § 11 GebrMG, dazu Bruchhausen a.a.O. (Fn. 58), S. 228 f.. Verweisend: § 4 Abs. 1 der dänischen „Gebrauchsmusterakte Nr. 130“ vom 26. Februar 1992, zur Strafbarkeit § 39 52
WIPO Publication Nr. 489 (E), a.a.O. (Fn. 1), S. 40; WIPO Publication No. 895(E), a.a.O. (Fn. 54), S. 9 53
§ 23 GebrMG; vgl. demgegenüber § 14 GebrMG a.F.: maximal sechs Jahre; Art. 100 § 2 des polnischen „Gesetzes über gewerbliches Eigentum“: zehn Jahre. Art. 19 § 3 des griechischen Gesetzes Nr. 1733/1987: sieben Jahre
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Gebrauchsmusterschutz ist längst nicht in allen, aber doch in einigen Ländern vorgesehen.54 Ein Gebrauchmuster zu erhalten ist oft einfacher, als ein Patent zu bekommen. Damit ein Gebrauchsmuster rechtsbeständig ist, muss die geschützte Erfindung neu sein, auf einem erfinderischen Schritt beruhen und gewerblich anwendbar sein.55 Zum Teil entsprechen die Anforderungen denen des Patents, zum Teil weichen sie mehr oder weniger stark ab.56 Außerdem sind in manchen Staaten nicht alle Gegenstände, für die Patentschutz begehrt werden kann, gebrauchsmusterschutzfähig.57 Auch was die formellen Voraussetzungen des Gebrauchsmusterschutzes betrifft, unterscheiden sich die nationalen Regelungen. In Deutschland handelt es sich beispielsweise nicht um ein geprüftes Schutzrecht, sondern um ein reines Registrierungsrecht.58 Das führt dazu, dass ein Gebrauchsmuster in der Regel schneller gewährt wird als ein Patent. 54 Nach Angaben der WIPO gibt es Gebrauchsmusterschutz in Australien, Argentinien, Armenien, Österreich, Belarus, Belgien, Brasilien, Bulgarien, China, Kolumbien, Costa Rica, Tschechien, Dänemark, Estland, Äthiopien, Finnland, Frankreich, Georgien, Deutschland, Griechenland, Guatemala, Ungarn, Irland, Italien, Japan, Kasachstan, Kenia, Kirgisistan, Malaysia, Mexiko, Niederlande, OAPI, Peru, Philippinen, Polen, Portugal, Republik Korea, Republik Moldawien, Russland, Slowakei, Spanien, Tadschikistan, Trinidad & Tobago, Türkei, Ukraine, Uruguay, Usbekistan und in allen ARIPO–Mitgliedern, WIPO Publication No. 895(E): Understanding industrial property, S. 8 und WIPO Doc. IP/STAT/1999/B, IP/STAT/2001/B sowie IP/STAT/2002/A 55
WIPO Publication Nr. 489 (E), a.a.O. (Fn. 1), S. 40
56
WIPO Publication No. 895(E), a.a.O. (Fn. 54), S. 8 f.; Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 334. Vgl. für die Erfindungshöhe in Deutschland BGH Beschluss vom 20.6.2006 – X ZB 27/05 – Demonstrationsschrank, Rn. 11 – 20 in Abkehr unter anderem von BGH GRUR 1957, 270 (271) – Unfallverhütungsschuh; Bernhardt/Krasser a.a.O. (Fn. 1), S. 8; Volker Ilzhöfer: Patent– Marken– und Urheberrecht, 6. Auflage 2005, S. 85 57
Insbesondere keine Verfahren, § 2 Nr. 3 GebrMG. Vor der Neuerung vom 7. März 1990 war der Anwendungsbereich des GebrMG sogar auf Arbeitsgerätschaften, Gebrauchsgegenstände und deren Teile beschränkt 58
§ 11 GebrMG, BGBl. 1986 I S. 1455, dazu Mes a.a.O. (Fn. 8), § 11 GebrMG Rn. 2 und Ibidem § 3 Rn. 16; Ilzhöfer a.a.O. (Fn. 56), S. 90; Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 335; Karl Bruchhausen: Patent–, Sortenschutz– und Gebrauchsmusterrecht, 1985, S. 227. Ebenso Regeln 205 f. der philippinischen „Regeln und Verordnungen für Gebrauchsmuster und industrielle Designs“. Sehr deutlich § 148 I Satz 3 des spanischen „Gesetzes Nr. 11/1986 über Patente“
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
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In der Regel schließen sich Gebrauchsmuster– und Patentschutz nicht aus. Dies kann zur Folge haben, dass Unternehmen zunächst ein Gebrauchsmuster beantragen, um Schutz bereits zu einem Zeitpunkt zu erhalten, zu dem das Patent noch nicht gewährt wurde.59 In manchen Ländern kann auch bei fehlender Erfindungshöhe statt eines Patents ein Gebrauchsmuster gewährt werden.60 Auch beim Gebrauchsmuster kann sich das Problem stellen, dass der Inhaber für begrenzte Zeit ein Monopol hält. Dadurch erhält er die Berechtigung, der Allgemeinheit den Zugang zu seiner Schöpfung zu versperren oder nur denjenigen den Genuss zu gestatten, die hohe Geldzahlungen an ihn leisten.
b) Das Patent mit verkürzter Laufzeit Beim Patent mit verkürzter Laufzeit handelt es sich um ein Patent, welches schneller und billiger als das traditionelle Patent erworben werden kann und die gleichen Rechte garantiert, jedoch für eine kürzere Zeitspanne, im Normalfall sechs Jahre.61 Das bedeutet jedoch nicht, dass eine vom Patent verschiedene Rechtsform anerkannt ist, sondern dass die entsprechenden Länder die Möglichkeit eröffnen, ein Patent zu erhalten, ohne alle Erfordernisse eines ordentlichen Patenterteilungver-
vom 20. März 1986. Anders die Rechtslage in Polen, wo nach Art. 10 § 1 des „Gesetzes über gewerbliches Eigentum“ vom 30. Juni 2000 in der Fassung vom 23. Januar 2004 ohne Prüfung der materiellen Schutzvoraussetzungen das Gebrauchsmuster nicht durchgesetzt werden kann. In Portugal erhält der Antragsteller gemäß dem „Gesetz über gewerbliches Eigentum“, Dekret 36/2003 vom 5. März 2003, nach der Prüfung lediglich der formellen Voraussetzungen nur ein vorläufiges Gebrauchmuster 59
Bernhardt/Krasser a.a.O. (Fn. 1), S. 9; Ilzhöfer a.a.O. (Fn. 56), S. 83; Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 334. Siehe exemplarisch: Regeln 215 f. der philippinischen „Regeln und Verordnungen für Gebrauchsmuster und industrielle Designs“ 60
Beispielsweise Art. 7 § 7 des griechischen Gesetzes Nr. 1733/1987, Technologietransfer, Erfindungen und technische Innovationen 61
Dazu WIPO Publication No. 895(E), a.a.O. (Fn. 54), S. 8; WIPO Publication Nr. 489 (E), a.a.O. (Fn. 1), S. 17
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
fahrens erfüllen zu müssen. Zur Kompensation wird die Laufzeit des Patentes verkürzt.62 In Frankreich hingegen existiert eine besondere Rechtsform, das sogenannte „certificat d’utilité”, welches unabhängig vom Schutz einer Erfindung beantragt werden kann.63 Unabhängig von dessen Namen stellt das „certificat d’utilité” eine Art Patent mit verkürzter Laufzeit dar, welches vom oben genannten Gebrauchsmuster klar zu unterscheiden ist. Sowohl in den Niederlanden und Belgien als auch in Frankreich müssen für den Schutz von technischen Erfindungen mittels Kurzzeitpatent die Erfordernisse der Patentierbarkeit erfüllt sein (Neuheit, erfinderische Tätigkeit und gewerbliche Anwendbarkeit). Es existiert weder eine geringere Anforderung an die erfinderische Tätigkeit, noch sind Verfahrenserfindungen vom Schutz ausgeschlossen. Beim Kurzzeitpatent stellen sich die gleichen Probleme bezüglich der Monopolstellung und des Zugangs der Allgemeinheit wie beim regulären Patent, allerdings nicht so lange.
c) Das ergänzende Schutzzertifikat Beim ergänzenden Schutzzertifikat wird die Laufzeit eines Patents um die Zeit verlängert, die ein langwieriges Zulassungsverfahren in Anspruch genommen hat. Das kommt vor allem bei Arznei– und Pflanzenschutzmitteln in Betracht. Auf diese Weise möchte man dem Erfinder und seinem Rechtsnachfolger die volle Laufzeit des Patents zur Verfügung stellen.64 De facto wird eine Erfindung damit erst nach über zwanzig Jahren gemeinfrei.
d) Der Sortenschutz Der Sortenschutz dient dem Schutz gewerblicher Leistungen auf einem Teilgebiet der Biologie, nämlich bei neuen Pflanzensorten. Sorten62
Beispielsweise auf sechs Jahre: § 39 Abs. 3 des belgischen Patentgesetzes a.a.O. (Fn. 49); § 63 des irischen Patentgesetzes vom 27. 2. 1992 („petty patent“): 10 Jahre 63
Art. R616–1 bis R616–3 des Gesetzes über das geistige Eigentum in der Fassung vom 12. 11. 2007 (Verordnungsteil) 64
Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 85; Mes a.a.O. (Fn. 8), § 16 a Rn. 3
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
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schutzrechte gewähren den Züchtern oder Entdeckern neuer Pflanzensorten für eine bestimmte Zeit ein ausschließliches Recht zur Auswertung der Pflanzenzüchtung. Eine Pflanzensorte ist eine spezifische Erscheinungsform aus der Formenfülle des Reichs der Pflanzen, genauer: eine spezifische Erscheinungsform von Pflanzen einer Art.65 Das Sortenschutzrecht dient dem Zweck, durch die Gewährung eines zeitweisen Ausschließlichkeitsrechts die Züchter und Entdecker zum Schaffen oder Auffinden neuer Pflanzensorten anzureizen und durch deren Offenbarung den Fortschritt auf dem Gebiet des Pflanzenbaus zu fördern.66 Warum will man dies? Weil gesteigerte Schädlings– oder Temperaturresistenz, höhere Ausbeute sowie Verbesserungen in einer Reihe anderer Merkmale die Produktion und die Vermarktung von Nutzpflanzen drastisch beeinflussen können. Dies wiederum dient der Nahrungssicherheit und der nachhaltigen Agrarproduktion.67 Monopole auf die neue Sorte werden für notwendig erachtet, weil es oft vieler Jahre Arbeit und hoher Investitionen bedarf, um auch nur kleinste Mengen fruchtbaren Saatguts zu erzeugen, was der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden kann.68 Ein erstes weltweit konzipiertes Übereinkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV–Abkommen) wurde 1961 in Paris unterzeichnet.69 Staaten, die dem UPOV–Übereinkommen beitreten wollen, müssen Gesetze haben, die diesem entsprechen. Sie sind verpflichtet Sorten zu schützen, die neu, homogen, beständig, unter65
Bruchhausen a.a.O. (Fn. 58), S. 170 f.; vgl. auch Osterrieth a.a.O. (Fn. 1),
S. 90 66
Mast a.a.O. (Fn. 8), S. 13; Bruchhausen a.a.O. (Fn. 58), S. 160
67
WIPO Publication Nr. 489 (E), a.a.O. (Fn. 1), S. 331; so auch die Stellungnahme Japans in einer Sondersitzung des TRIPs–Rats, WTO Doc. IP/C/M/29 vom 6. März 2001 § 152; ebenso die Stellungnahme der USA im TRIPs–Rat, WTO Doc. IP/C/W/162 vom 29. Oktober 1999; ebenso Bai a.a.O. (Fn. 29), S. 139; Hans Morten Haugen: The Right to Food and the TRIPs Agreement, 2007, S. 54. Beispiele bei Audrey R. Chapman et alii: Facilitating Humanitarian Access to Pharmaceutical and Agricultural Innovation, in: Innovation Strategy Today 2005, S. 203 (S. 205 und 208) 68 69
WIPO Publication Nr. 489 (E), a.a.O. (Fn. 1), S. 331
(Revidiertes) UPOV–Abkommen, a.a.O. (Fn. 37). Am 18. Oktober 2007 hatte die UPOV 65 Mitglieder, darunter befinden auch Entwicklungsländer; Überblick zum UPOV bei: Franz Wuesthoff/Herbert Leßmann/Diethard Wendt: Sortenschutzgesetz, 2. Auflage 1990, S. 31. Zur historischen Entwicklung: Bai a.a.O. (Fn. 29), S. 142 – 144
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
scheidbar und unter einer Sortenbezeichnung eintragbar sind.70 Nach Artikel 27 Absatz 3 b) Satz 2 des TRIPs–Abkommens hat jeder Vertragsstaat die Wahl, dem Züchter ein besonderes Schutzrecht oder ein Patent zu erteilen.71 Das Sortenschutzrecht gewährt seinem Inhaber ein ausschließliches Recht zur Vermehrung der geschützten Pflanzensorte. Er allein ist berechtigt, Vermehrungsgut zum gewerbsmäßigen Vertrieb zu erzeugen oder gewerbsmäßig zu vertreiben.72 Vermehrungsgut ist das Gut, das der Erzeugung von Pflanzen dient und mit dem Pflanzen vervielfältigt werden, also in erster Linie die Samen. Hierunter fallen aber auch Getreide, Rüben, Kohl, Reben und Kartoffeln.73 Der Sortenschutz gewährt aber kein umfassendes Recht zur Verwertung der geschützten Pflanzensorte. Es umfasst insbesondere nicht den privaten und nichtgewerblichen Bereich der Erzeugung von Vermehrungsgut und vor allem grundsätzlich nicht den gewerblichen Bereich der Erzeugung und des Vertriebs von Konsumgut.74 Ein Bauer also, der Saatgut einer geschützten Sorte ordnungsgemäß auf dem Markt erwirbt und auf seinen Feldern anbaut, darf das erzeugte Erntegut als Konsumgut frei verkaufen. Nach dem UPOV–Abkommen beträgt die Schutzdauer mindestens 20 Jahre von der Erteilung an, für Bäume und Reben mindestens 25 Jahre.75 Der Schutz ist territorial begrenzt und endet, sobald mit Zustimmung des Sortenschutzinhabers Vermehrungsgut in den Verkehr gerät. Das bedeutet, ersterer ist nicht berechtigt, den weiteren Verkehr mit dem Vermehrungsgut zu bestimmen. Er kann weder den weiteren Vertrieb noch den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Vermehrungsguts zum Anbau von Konsumgut rechtlich beeinflussen.76 Allerdings bedarf es nach Artikel 16 Absatz 1 ii) des Abkommens zur Ausfuhr von Ver-
70 71
Art. 5 und 20 UPOV–Abkommen Dazu Bernhardt/Krasser a.a.O. (Fn. 1), S. 116
72
Genauer: Art. 14 UPOV–Abkommen; Bernhardt/Krasser a.a.O. (Fn. 1), S. 116 – 120 73
Bruchhausen a.a.O. (Fn. 58), S. 196. Zu Ausnahmen in den USA siehe Mast a.a.O. (Fn. 8), S. 19 74
Art. 15 i) UPOV–Abkommen; Mast a.a.O. (Fn. 8), S. 15; Bruchhausen a.a.O. (Fn. 58), S. 197 75 76
Art. 19 UPOV–Abkommen Art. 16 UPOV–Abkommen; Bruchhausen a.a.O. (Fn. 58), S. 198 f.
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mehrungsgut in solche Staaten, die keinen Sorten– oder entsprechenden Schutz gewähren, der Zustimmung des Sortenschutzinhabers. Wer das Sorteschutzrecht verletzt, dem drohen unter anderem – je nach Recht des Mitgliedsstaats – Unterlassungs–, Schadensersatz– und Entschädigungsansprüche sowie strafrechtliche Sanktionen.77 Besonders heikel sind auch Ansprüche auf Vernichtung des Vermehrungsmaterials, vor allem wenn diese verschuldensunabhängig sind. Dazu kann auch gehören, Vorrichtungen zu zerstören, die zur rechtswidrigen Herstellung des Vermehrungsmaterials verwendet wurden.78 Dies kann bedeuten, dass ein Landwirt seine Pflüge, Hacken, Spaten und gegebenenfalls auch Traktoren zerstören muss und ihm auf diese Weise seine Existenzgrundlage genommen wird.
3.) Menschenrechtliche Zusammenhänge a) Beispiele Zahlreiche menschenrechtlich relevante Gegenstände sind patentierbar.79 An erster Stelle stehen Medikamente, die Gegenstand eines Erzeugnis– oder eines Verfahrenspatents sein können.80 Patentiert werden können unter Umständen auch gesundheitlich relevante Mikroorganismen.81 Im einen Fall wird ihre Stoffwechseltätigkeit zur Herstellung medizinisch wertvoller Produkte oder zur Beeinflussung von Zustän77
Beispielsweise Sektion 13 des japanischen Sortenschutzgesetzes, Gesetz Nr. 115 vom 2. Oktober 1947, angepasst am 12. Mai 1995 78
Für Deutschland: § 37 a Sortenschutzgesetz. Kritisch dazu: Alexander Peukert/Annette Kur: Stellungnahme des Max–Planck–Instituts für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs– und Steuerrecht zur Umsetzung der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums in deutsches Recht, in: GRUR Int. 2006, S. 292 (S. 293 f.). Mehr Spielraum lassend: § 43 Abs. 2 und Abs. 3 der australischen Pflanzensortenakte Nr. 2 vom 13. März 1987 79
Wenn im folgenden von „Patenten“ die Rede ist, sind die anderen oben behandelten Schutzrechte mitgemeint, sofern nicht ausdrücklich differenziert wird. 80
Mes a.a.O. (Fn. 8), § 5 Rn. 11; zur Patentierbarkeit von Zweitindikationen: Bernhardt/Krasser a.a.O. (Fn. 1), S. 132 81
Dazu der Budapester Vertrag über die internationale Anerkennung der Hinterlegung von Mikroorganismen für die Zwecke von Patentverfahren, vom 28. April 1977, geändert am 26. September 1980, 1861 U.N.T.S. 361, deutsche Übersetzung in: BGBl. 1980 II S. 1104
380
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
den benutzt. Im zweiten Fall werden durch Kreuzung – sogenannte Hybridisierung – oder induzierte Mutation neue Mikroorganismen geschaffen.82 Auch medizinische Geräte wie Ultraschall–,83 Röntgen–,84 Magnetresonanzapparate,85 Rollstühle86 und Teile derselben können patentiert werden. Moderne Nahrungsmittel können die oben bei den Ausführungen zum Sortenschutzrecht genannten Weiterentwicklungen87 aufweisen und so die Versorgung der Bevölkerung mit Mikro– und Makronährstoffen verbessern. Auch kann es Patente auf Werkzeuge und Maschinen, Ackerbau– sowie Nahrungsmittelbearbeitungsverfahren geben.88 Es gibt patentierte Erfindungen, die Wasser wiederaufbereiten89 und dadurch die Trinkwasserqualität herstellen beziehungsweise verbessern. Es existieren Schutzrechte auf ein erdbebensichere Wohnhäuser,90 Toilettenspülungen91 oder Wärmeisolierungen für Mauerwerk92.
82
Bernhardt/Krasser a.a.O. (Fn. 1), S. 120, zur Patentierbarkeit im deutschen Recht Ibidem S. 125 f. 83 84 85
IPC Klassen A/61B 8/00, G01N 29/04, G01N 29/06 IPC Klasse H05G IPC Klassen G01R 33/44 und G01R 33/48
86
IPC Klassen A61G 5/00 ff.; vgl. auch Art. 20 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 (g) der Behindertenrechtskonvention, UN Doc. A/61/611 vom 6. Dezember 2006; allgemein zu den Wsk–Rechten von Behinderten siehe General Comment Nr. 5, enthalten in UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7 87
Dazu S. 379
88
Beispiele sind folgende deutsche Patente: Nr. AT000000500250B1, AT000000500250A3, AT000000500250A2 (jeweils Verfahren und Sämaschine zum Ausbringen von Saatgut auf ein Feld); AT000000319319E (Verfahren zur Malzung von Saatgut); AT000000289741E (Vorrichtung zur kombinierten Vorbereitung des Bodens für das Säen); DE000004404516A1 (Verfahren zur Bodenbearbeitung) 89
Z.B. deutsche Patente Nr. DE000010060851A1; DE000004416686C2; DE000004416686A1; siehe auch David Molden: Water for food, Water for life, A Comprehensive Assessment of Water Management in Agriculture, 2007, S. 25 90 91
Z.B. deutsche Patente Nr. AT00000044932B; AT000000147470E
Z.B. deutsche Patente Nr. DE000019623331A1; DE000019509508A1; DE000019502354A1; DE000010324856A1; DE000009312484U1; DE000007927736U1
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
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Manche Textilien, die Umwelteinflüsse besonders gut vom menschlichen Körper abhalten, sind patentgeschützt.93 Das Gleiche betrifft Verfahren, mit denen Textilien besonders günstig oder besonders haltbar hergestellt werden können.94 Menschenrechtlich relevante, schutzfähige Innovationen sind auch Staubschutzmasken,95 Gehörschutz96 oder ergonomisch gestaltete Stühle.97
b) Zu den Begrifflichkeiten Im Folgenden wird nicht nach der technischen Lehre als solcher und den Produkten, an denen die Lehre verwirklicht ist, unterschieden. Dafür spricht neben sprachlichen Gesichtspunkten, dass die patentrechtliche Differenzierung in menschenrechtspraktischer Hinsicht weitgehend bedeutungslos ist. Wenn im Folgenden also vom Gegenstand eines Schutzrechts, von Gütern oder von Innovationen die Rede ist, sind diese Begriffe synonym und im menschenrechtlichen Sinne gemeint.
c) Der Konflikt Verallgemeinernd lässt sich sagen, dass es bei den Wsk–Rechten darum geht, möglichst vielen Menschen Zugang zu den zu ihrer Verwirklichung benötigten Gütern und Ressourcen zu verschaffen. Dazu teilweise im Widerspruch steht die Hauptaufgabe des Patentrechts, die darin 92
Z.B. deutsche Patente Nr. AT000000368573B; AT000000356340B; AT000000233360E 93
Vgl. Ibidem, S. 8 – 9; z.B. US Patente Nr. 6,312,784 (temperaturschützendes Textil); Nr. 7,143,446 und 7,288,493 (jeweils ballistische Schutzweste); Europäische Patente Nr. EP1894902 (A2) (hitzebeständiges Textil); EP0146792 (A1) und EP1852026 (A1) (jeweils besonders schützender Schuh) 94
Z.B. Europäisches Patent Nr. EP1378595 (A1) (Verfahren, um Stoffe aus Recyclingmaterial herzustellen). 95
Z.B. deutsche Patente Nr. AT000000149065B; DE000001887200U; DE000001783078U 96
Z.B. deutsche Patente Nr. AT000000128345E; DE000069918490T2; DE000069113401T2 97
Z.B. deutsche Patente Nr. AT000000316348E; DE000069200320T2
382
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
liegt, diesen Zugang zu beschränken, wenn es sich bei den Gütern um neue Erfindungen handelt.98 Andererseits soll diese Beschränkung gemäß obigen Ausführungen Anreize für Erfindungen schaffen und auf diese Weise den Zugang zu den besagten Gütern verbessern. Denn man geht davon aus, dass letztere ohne diese Anreize gar nicht existieren würden oder Wissen geheimgehalten würde. Zu berücksichtigen ist, dass der Sozialpakt nach seiner Intention zumindest auch den Menschen zu seiner Zeit schützt, so dass die genannte Pflicht gegenüber jedem besteht, der aktuell lebt und nicht nur gegenüber künftigen Generationen.99 Daraus folgt, dass die Menschen idealerweise nicht erst nach Ablauf der Schutzfrist, also nach zwanzig oder mehr Jahren in den Genuss menschenrechtlich relevanter Güter kommen sollten.100 Fazit: Es besteht ein bislang ungelöstes Spannungsverhältnis zwischen dem Patentrecht und den Menschenrechten.101
d) Das Anreizproblem Gegenwärtig versucht man vor allem zu klären, wie man möglichst viele Menschen in Entwicklungsländern mit Medikamenten versorgen kann. Dabei stellen sich verschiedene Probleme. Zum einen haben diese Menschen nur selten das Geld, um teuere Therapeutika, Impfstoffe oder Diagnostika zu kaufen. Zum anderen bestehen für die Pharmaunternehmen teilweise nicht genügend Anreize, um Arzneimittel für Krankheiten und Stoffe für Diagnoseverfahren zu entwickeln, die hauptsäch-
98
Haugen: Patent Rights and Human Rights, a.a.O. (Fn. 19), S. 98, der diese Aussage allerdings nur für die sozialen Rechte trifft 99
Näher: Jennifer Tooze: Aligning States’ economic policies with human rights obligations: The CESCR’s quest for consistency, in: Human Rights Law Review, Volume 2, Number 2, 2002, S. 229 (S. 230). Vgl. bereits oben S. 394 100 Vgl. General Comment Nr. 14, § 3, enthalten in: UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7: „The right to health is closely related to and dependent upon the realization of other human rights. [...] These and other rights and freedoms address integral components of the right to health.“ 101
Report of the High Commissioner: The impact of the Agreement on Trade–Related Aspects of Intellectual Property Rights on human rights, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2001/13, § 22
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
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lich in Entwicklungsländern verbreitet sind.102 Solche Krankheiten sind etwa Tuberkulose oder HIV bei Kindern.103 Forschung und Entwicklung finden hauptsächlich mit Blick auf die Vermarktbarkeit statt und kaum mit dem Ziel, den Zugang zu Innovationen zu verbessern.104 In erster Linie ist natürlich jeder Staat selbst dafür zuständig, seinen Einwohnern zu helfen.105 Da es in den Entwicklungsländern aber oftmals an Ressourcen mangelt, um Pharmaka oder medizinische Geräte zu entwickeln, bleibt nur die Möglichkeit, eine Herstellungslizenz zu erwerben, wenn das Produkt oder Verfahren auch im Entwicklungsland geschützt ist. 106 Oftmals fehlt es aber sogar an den Ressourcen, die zur Herstellung nötig wären, so dass nur der Weg bleibt, das Produkt zu importieren.107 Nur wie, wenn der Hersteller den Exportpreis bestimmt und die Regierung des Entwicklungslands ihn nicht aufbringen kann?
102
Nachweise bei (UK–)Commission on Intellectual Property Rights: Integrating Intellectual Property Rights and Development Policy, 2002, abrufbar auf: http://www.iprcommission.org (abgerufen am 4.12.2007) S. 1 f.; UN– Menschenrechtskommission: Resolution 2003/29: Access to medication in the context of pandemics such as HIV/AIDS, tuberculosis and malaria, UN Doc. E/CN.4/RES/2003/29; Jean O. Lanjouw/Margaret MacLeod: Statistical Trends in Pharmaceutical Research for Poor Countries, 2005, abrufbar auf: http://www.who.int/intellectualproperty/studies/ (abgerufen am 4. 12. 2007), S. 19. Nicht selten findet sich auch der Terminus „neglected diseases“ oder „neglected market“, beispielsweise bei: Chapman et alii a.a.O. (Fn. 67), S. 204; Schabas a.a.O. (Fn. 20), S. 297 103
Joint United Nations Programme on HIV/AIDS: UNAIDS Annual Report, Making the money work, UN Doc. UNAIDS/07.19E / JC1306E, S. 14 – 16; WHO 2006: Diagnostics for Tuberculosis, Global demand and market potential, S. 73 – 89; Hunt a.a.O. (Fn. 196), § 42; vgl. auch Doha–Erklärung a.a.O. (Fn. 227), § 1; Chapman: UNESCO–Report a.a.O. (Fn. 182), S. 19 f. 104
Flavio Valente: The REBSP and the Right to Adequate Food, in: UNESCO–Report a.a.O. (Fn. 182), S. 13 105
Zur primären Verantwortlichkeit oben S. 346
106
Das Problem wurde auf allgemeinerer Basis bereits während der Ausarbeitung des Sozialpakts diskutiert, vgl. die Stellungnahme Chiles in UN Doc. E/CN.4/SR.292, S. 9 107
Straus a.a.O. (Fn. 216), S. 197: „90 % aller Patente werden in den Industriestaaten erteilt.“ vgl. auch die Doha–Erklärung a.a.O. (Fn. 227), § 6
384
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Ein günstigerer Hersteller findet sich normalerweise nicht, weil der medizinische Gegenstand patentrechtlich geschützt ist.108 Das Entwicklungsland allein kann seinen Einwohnern kaum helfen. Auch reiche Staaten können aber nicht einfach etwa Medikamente oder medizinischen Geräte selbst produzieren oder ein drittes Unternehmen damit beauftragen und die Güter anschließend zu für die Entwicklungsländer bezahlbaren Konditionen exportieren. Denn ein inländisches Patent wird bereits dann verletzt, wenn eine der geschützten Handlungen im Inland unrechtmäßig vorgenommen wird. Insbesondere das inländische Herstellen erfindungsgemäßer Erzeugnisse ist auch dann verboten, wenn letztere ausschließlich im Ausland abgesetzt und gebraucht werden sollen.109 Das wirft die Fragen auf, welche konkreten transnationalen Pflichten der Sozialpakt den Staaten bezüglich gewerblicher Schutzrechte auferlegt und wo die Grenzen liegen. Dabei ist zunächst zu überlegen, ob es im Sozialpakt spezielle Rechte gibt, die für gewerbliche Schutzrechte besondere Relevanz besitzen.
e) Das Recht auf Zugang zu den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung aa) Der Wortlaut Ein bisher kaum untersuchtes Menschenrecht ist das auf Zugang zu den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung, Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR.110 Die authentische, englische Fassung lautet:
108
Hunt a.a.O. (Fn. 196), § 43; Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 8; Haugen: Patent Rights and Human Rights, a.a.O. (Fn. 19), S. 98 109
Vgl. WIPO Publication Nr. 489 (E), a.a.O. (Fn. 1), S. 28; für das Deutsche Recht: Bernhardt/Krasser a.a.O. (Fn. 1), S. 540 110
Eine der seltenen Ausnahmen: Schabas a.a.O. (Fn. 20), S. 274, der auch auf fehlende Stellungnahmen von Wissenschaft und Vereinten Nationen zu dieser Vorschrift hinweist. Siehe aber das „obiter dictum“ in General Comment Nr. 6, § 42, enthalten in UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
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„The States Parties to the present Covenant recognize the right of everyone: [...] To enjoy the benefits of scientific progress and its applications“111 Der Wortlaut der deutschen Übersetzung ist bereits eine verengende Interpretation, denn er legt ein Teilhaberecht nahe, obwohl sich die authentischen Fassungen „to enjoy“ beziehungsweise „bénéficier“ eher mit „genießen“ übersetzen lassen.112 Hätten die Verfasser von „teilhaben“ reden wollen, wären „to participate“ oder „to share“ beziehungsweise „participer“ oder „prendre part à“ die passenden Ausdrücke gewesen.113 Korrekter ist es daher, von einem Recht eines jeden zu sprechen, in den Genuss der Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung zu kommen. Da der Wortlaut die Anwendungen des wissenschaftlichen Fortschritts besonders betont, genügt es nicht, wenn ein Staat Informationen über den wissenschaftlichen Fortschritt veröffentlicht. Er muss auch dafür sorgen, dass die Einzelnen in den Genuss der Innovationen selbst kommen.114
bb) Die Entstehungsgeschichte Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR hat seine Vorläufervorschrift in Artikel 27 Absatz 1 AEMR. Letztere unterscheidet sich jedoch vom Wortlaut des Artikels 15 Absatz 1 b) IPwskR ein wenig und lautet: „Everyone 111
Vgl. auch Art. 13 der Charter of Economic Rights and Duties of States, UN Doc. A/RES/29/3281 vom 12. Dezember 1974. Zu ihrem Verhältnis zu Art. 15 Abs. 1 b) IPwskR siehe Schabas a.a.O. (Fn. 20), S. 277 f., Zur Definition von Wissenschaft siehe UNESCO: Recommendation on the Status of Scientific Researchers vom 20. November 1974, § I./1./(a)/(i), enthalten in: UNESCO: Records of the General Conference, Eighteenth Session, Paris, 17 October to 23 November 1974, Volume 1, Resolutions, S. 169 (S. 171) 112
Die amtliche deutsche Übersetzung lautet: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden an, [...] an den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung teilzuhaben“, BGBl. 1973 II 1569 113
Vgl. die Stellungnahme Uruguays im Rahmen der Ausarbeitung der Parallelvorschrift in der AEMR, GAOR of the Third Session, Part 1, Third Committee, 1948, S. 621, noch deutlicherdie Stellungnahme Chinas, ibidem, S. 627 114 Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 67), S. 162 mit weiteren Ausführungen zur Definition „applications“ und S. 166
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
has the right freely to participate in the cultural life of the community, to enjoy the arts and to share in scientific advancement and its benefits.“ Um nur die wichtigsten Differenzen zu nennen: Einmal spricht die AEMR von „to share“ statt von „to enjoy“,115 des Weiteren verwendet sie das Wort „advancement“ statt des Begriffs „progress“ und es fehlt eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Anwendungen des wissenschaftlichen Fortschritts. Schließlich behandelt die AEMR in einem Satz, was Artikel 15 Absatz 1 IPwskR in mehrere Unterabsätze teilt und normiert ausdrücklich das Recht auf den Genuss der Künste. Gemeinsam ist beiden Vorschriften jedoch eine systematische Verknüpfung mit einer Vorschrift über geistiges Eigentum.116 Nach Richard Pierre Claude gab es zwei Hauptfaktoren, weshalb ein Recht auf Teilhabe an den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts in die AEMR aufgenommen wurde.117 Der erste Grund lag darin, dass die UNESCO an der Ausarbeitung der Vorschrift beteiligt war, und Wissenschaft ist nun einmal einer ihrer Zuständigkeitsbereiche.118 Zweitens fand sich ein derartiges Recht auch schon in Artikel 13 der Amerikanischen Erklärung der Menschenrechte.119
115
Darauf weist auch Schabas hin, a.a.O. (Fn. 20), S. 280. Zu den Hintergründen für den Wortlaut der AEMR siehe die Stellungnahme des Vereinigten Königreichs in: GAOR of the Third Session, Part 1, Third Committee, 1948, S. 624 116
Art. 27 Abs. 2 AEMR; 15 Abs. 1 c) IPwskR.
Zu den Diskussionen während der Ausarbeitung über das Verhältnis von Art. 27 AEMR zum Patentrecht siehe Schabas a.a.O. (Fn. 20), S. 276, wobei aber de facto nur ein absoluter Sonderfall diskutiert wurde 117
Scientists’ Rights and the Human Right to the Benefits of Science, in: Audrey Chapman/Sage Russel (Hrsg.): Core Obligations, 2002, S. 247 (S. 250) 118
Vgl. Art. 1 Absätze 1 und 2 c) der UNESCO–Verfassung vom 16. November 1945, U.N.T.S. Vol. 4, S. 276 ff. 119
O.A.S. Res. XXX, angenommen auf der neunten internationalen Konferenz amerikanischer Staaten, Bogota, Kolumbien, April 1948. Siehe zu neueren Entwicklungen Art. 14 des Zusatzprotokolls zum Amerikanischen Übereinkommen über Menschenrechte im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (Protokoll von San Salvador), vom 17. November 1988, O.A.S. Treaty Series 69
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Über die Aufnahme eines entsprechenden Rechts in den Sozialpakt gab es dann relativ wenige Diskussionen.120 Zu bedenken ist aber auch, dass man unter wissenschaftlichem Fortschritt während der Paktausarbeitung etwas anderes verstand als heute.121 So kannte man damals noch keine Computer, Mobiltelefone oder Medikamente gegen Aids.122 Auch gab es viel weniger Unternehmen, die Patente innehielten, dafür aber, relativ betrachtet, mehr natürliche Personen.123 Daher darf man nicht zu sehr an der Entstehungsgeschichte haften, sondern muss Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR in gewissen Grenzen eine gewandelte, für die moderne Zeit angemessenere Bedeutung zuschreiben.124 cc) Die teleologische Auslegung125 Der Zweck des Artikels 15 Absatz 1 b) IPwskR wurde bislang noch nirgends generalisiert dargestellt. Nach Ansicht des Verfassers lässt sich das Recht aber hervorragend aus der Menschenwürde ableiten. Unter Menschenwürde versteht man den jedem Menschen zugeschriebenen Wert, wobei die philosophischen respektive religiösen Begründungen differieren. Empirisch lässt sich aber fragen, was den Menschen vom
120 Dazu die UNESCO–Vorschläge in: UN Doc. E/CN.4/AC.14/2 S. 3 f. und deren Stellungnahme in UN Doc. E/CN.4/SR.288 S. 11 f.; Zur Abstimmung über diese Klausel: GAOR Twelfth Session, Agenda item 33, UN Doc. A/3764 (Annex XII) S. 9 (§ 83) 121
Schabas a.a.O. (Fn. 20), S. 274
122
Audrey Chapman: The Human Right to Scientific Progress and to Access to the Benefits of Science, in Kürze erscheinend, erhältlich über den Verfasser, S. 33; Vgl. Maria Green: Drafting History of the Article 15 (1) (c) of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, Background Paper, UN Doc. E/C.12/2000/15 § 44 123
Schabas a.a.O. (Fn. 20), S. 283; Green: Drafting History, a.a.O. (Fn. 122),
§ 45 124
Für eine dynamische Auslegung auch Schabas a.a.O. (Fn. 20), S. 274 f. und 283. Für Beispiele in den Staatenberichten zu Art. 15 Abs. 1 b) IPwskR: ibidem S. 286 125 Auf die systematische Auslegung wird unten im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 und von Art. 15 Abs. 1 c) IPwskR eingegangen
388
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Tier unterscheidet, dem nach gleichrangiger Wert zusteht.
überwiegender
Meinung126
kein
Die Antwort lautet, der Gebrauch der Technik sowie kognitive Fähigkeiten stehen im Vordergrund. Biologisch ist der frontale Kortex besonders ausgeprägt und wird intensiv eingesetzt. Der Mensch strebt danach, seine Lebensbedingungen stetig zu verbessern und zu vereinfachen.127 Wenn einzelne Kulturen technische Innovationen ablehnen, ist dies kein Widerspruch, sondern es handelt sich um einen bewussten Rechtsverzicht. Auch ist es typisch menschlich, dass erlerntes Wissen in die nachfolgenden Generationen übertragen wird. Man mag einwenden, dass stark geistig Behinderte zu derartigem Genuss nicht gleichermaßen wie Gesunde in der Lage sind. An dieser Stelle setzen sich jedoch die Prinzipen der Universalität und des Angeborenseins128 durch, nach denen alle Lebewesen der Gattung Mensch gleichbehandelt werden. Vor allem würde hier ein schwerwiegender Verstoß gegen das Gerechtigkeitsempfinden vorliegen, wollte man einem geistig Behinderten nicht das Recht zusprechen, ebenso wie andere Menschen in den Genuss der Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts zu kommen. Gerade solche Individuen können nämlich auf moderne Techniken wie Sprachcomputer oder Medikamente besonders angewiesen sein. Zugegebenermaßen ist diese telelogische Interpretation ein wenig philosophisch geprägt. Die hier vertretene Abgrenzung von Mensch und Tier passt aber zu Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR, denn dadurch kann man erklären, welchen Bezug Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seine Anwendung zur Menschenwürde haben. Fazit: Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR beabsichtigt, jedermann in die Lage zu versetzen, im täglichen Leben die materiellen Vorteile in Anspruch zu nehmen, die der wissenschaftliche Fortschritt hervorbringt.129 126
Eventuell gibt es einige Kulturen, die Tiere und Menschen im gleichen Rang sehen, aber dies ist völkerrechtlich irrelevant, denn es lässt sich nicht damit vereinbaren, dass die Verwirklichung der Menschenrechte und nicht etwa der Artenschutz heutzutage das Endziel der gesamten Völkerrechtsordnung ist 127
Vgl. Art. 11 IPwskR: „Stetige Verbesserung der Lebensbedingungen“
128
Vgl. die Präambel der AEMR; Vorläufer war hier die Bill of Rights der „Representatives of the Good People of Virginia“ vom 12. Juni 1776 129 Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 67), S. 161 f.
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Je bedeutender eine Innovation für das menschliche Überleben und den Lebensstandard ist, umso höher ist auch ihr Stellenwert für die Menschenwürde und somit für das Recht aus Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR. Maßgeblich ist mithin weniger, inwieweit eine Erfindung den Abstand zwischen Mensch und Tier vergrößert, sondern welche Bereicherung sie für die Menschheit darstellt. So ist ein Rad also eine menschenrechtlich relevantere Erfindung als ein Computerspiel, obwohl letzteres weitaus komplexer ist.
dd) Der Rechtsinhalt im Überblick Wie bei allen Paktrechten, lassen sich die aus Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR folgenden Pflichten in die drei bekannten Kategorien „respect“, „protect“ und „fulfil“ einteilen. Für diese Arbeit relevant ist zunächst, dass es die „Respect“–Verpflichtung dem Staat verbietet, Hindernisse beim Zugang zum Technologiegenuss zu schaffen.130 Der „Protect“–Komponente zufolge muss der Staat vermeiden, dass Dritte durch Tun oder Unterlassen Individuen davon abhalten, Innovationen zu genießen. Die „Fulfil“–Dimension verlangt vom Land unter anderem, im Wissenschaftsbereich Ressourcen bereitzustellen – vor allem um Technologien zu entwickeln, die der Mehrheit der Bevölkerung und den besonders Benachteiligten zugute kommt.131 Des Weiteren muss der Staat aktiv dafür sorgen, dass wissenschaftliche Technologien – wie essentielle Medikamente – auch flächendeckend verbreitet werden.132 Dies beinhaltet grundsätzlich nicht, dass Innovationen, in die in erheblichem Umfang investiert wurde, kostenlos verteilt werden.133 Der Staat muss aber gemäß den für alle Wsk–Rechte entwickelten Prinzipien dafür 130
Chapman: The Human Right to Scientific Progress, a.a.O. (Fn. 122), S. 22; Jakob Schneider: Menschenrechtlicher Schutz geistigen Eigentums, 2006, S. 423 131
Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 67), S. 168; Chapman: The Human Right to Scientific Progress, a.a.O. (Fn. 122), S. 29; so bereits die Aussagen des sowjetischen Vertreters während der Ausarbeitung der AEMR: GAOR, Third Session, Part 1, Third Committee, Summary Records of meetings, 21 September – 8 December 1948, S. 624 132 133
Chapman: The Human Right to Scientific Progress, a.a.O. (Fn. 122), S. 30
Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 67), S. 168; ders.: Patent Rights and Human Rights, a.a.O. (Fn. 19), S. 109 f.
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
sorgen, dass sie für alle Bevölkerungsgruppen, die sie benötigen, erschwinglich sind.134 Wenn der Staat bei Forschung und Entwicklung ein marktwirtschaftliches System befürwortet, muss er gegebenenfalls korrigierend eingreifen. Der Sozialpakt ist zwar wirtschaftspolitisch prinzipiell neutral, dieser Grundsatz wird aber von den politischen Zielen und Richtlinien der Wsk–Rechte dominiert. Letztere schreiben vor, dass progressiv jedermann in den Genuss der Innovationen kommen soll und nicht nur diejenigen, die in der Lage sind, hohe Preise zu bezahlen. Vor allem mit Blick auf das Diskriminierungsverbot darf es der Staat nicht unter Berufung auf seine wirtschaftspolitische Freiheit ungesehen hinnehmen, wenn private Akteure aus egoistischen Motiven gewisse Konsumenten gegenüber anderen bevorzugen. Der Staat hat primär dafür zu sorgen, dass essentielle Innovationen für die besonders Benachteiligten entwickelt und vertrieben werden.135 Allerdings: Zu welchem Ausmaß er hierfür bezahlen muss, richtet sich unter anderem nach seinen verfügbaren Ressourcen.136 Nach Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR muss der Staat auch Forschung und Entwicklung fördern und zwar – entgegen der bisherigen Praxis vieler Staaten – nicht vorrangig nach dem Kriterium der Wissenschaftlichkeit, zu dem auch das oben beschriebene137 Kriterium der Erfindungshöhe gehört. Vielmehr muss er den potentiellen Nutzen einer Innovation für die Gesellschaft in den Mittelpunkt stellen.138 Der Staat muss sicherstellen, dass der Schutz der materiellen Interessen der Entwickler nicht einen breiten Zugang der Öffentlichkeit zu neuen Produkten aufgrund unverhältnismäßig hoher Preise behindert.139 Ansonsten würde nämlich indirekt der Kernbereich des Artikels 15 Absatz 1 b) IPwskR eingeschränkt, und diese Restriktion wäre auch nicht 134 135
Zum Kriterium der Erschwinglichkeit siehe oben S. 45 Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 67),
S. 170 136
Zum Ganzen Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 67), S. 168 137 138 139
S. 373 Chapman: The Human Right to Scientific Progress, a.a.O. (Fn. 122), S. 30
In diesem Sinne: General Comment Nr. 17, UN Doc. E/C.12/GC/17 vom 12. Januar 2006, § 35; UN Sub–Commission on Human Rights, Resolution 2001/21: Intellectual property and human rights, UN Doc. E/CN.4/SUB.2/ RES/2001/21, § 4; Schneider a.a.O. (Fn. 130), S. 423
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mehr mit der Natur des Artikels 15 Absatz 1 b) IPwskR vereinbar, wie es Artikel 4 IPwskR verlangt.140 Auch würde eine einseitige und gravierende Bevorzugung der Entwicklermotive zulasten der Innovationsverbreitung nicht mehr dem Wohlergehen der Gesamtbevölkerung dienen, wie Artikel 4 IPwskR mit dem Passus „deren ausschließlicher Zweck es ist, das allgemeine Wohl einer demokratischen Gesellschaft zu fördern“ weiter voraussetzt.141 Von derart gravierenden Fällen abgesehen, geht es aber mit Artikel 4 IPwskR konform, wenn der Staat Patente für Erfindungen erteilt, selbst wenn er hierdurch den Zugang zu Innovationen nicht fördert, sondern eher beschränkt.142 Denn er kann argumentieren, dass es ohne den Anreiz des Patentrechts deutlich weniger Erfindungen gebe, die dann später verbreitet werden können.143 Auf der anderen Seite folgt aus dem Wortlaut „jeder“ und aus dem Zweck des Sozialpakts, dass Artikel 15 Absatz 1 b) – wie alle Wsk– Rechte – auch den Menschen zu seiner Zeit schützt, also kurzfristige Erfolge verlangt. Wenn somit Teile der Gesellschaft erst nach Ablauf der Patentdauer oder gar eines ergänzenden Schutzzertifikats, demnach nach zwanzig Jahren oder mehr, Zugang zu den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts erhalten, muss ein Staat reagieren. Allerdings wird dieser Grundsatz durch den aus dem Prinzip der progres140
Vgl. für den umgekehrten Fall einer Einschränkung von Art. 15 Abs. 1 c): General Comment Nr. 17 a.a.O. (Fn. 139), § 22. Generell zu dieser Voraussetzung des Art. 4: The Limburg Principles Nr. 56, enthalten in UN Doc. E/C.12/2000/13; Philip Alston/ Gerald Quinn: The Nature and Scope of States’ Parties Obligations under the international Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, HRQ 9 (1989), S. 156 (S. 201). Allgemein zu den Tatbestandsmerkmalen des Art. 4 IPwskR: Sven Söllner: Studiengebühren und das Menschenrecht auf Bildung, 2007, S. 80 – 83. Die authentische, englische Fassung des Art. 4 IPwskR lautet: „The States Parties to the present Covenant recognize that, in the enjoyment of those rights provided by the State in conformity with the present Covenant, the State may subject such rights only to such limitations as are determined by law only in so far as this may be compatible with the nature of these rights and solely for the purpose of promoting the general welfare in a democratic society.“ 141
Zu diesem Tatbestandsmerkmal des Art. 4 vgl. The Limburg Principles, a.a.O. (Fn. 140), Nr. 52 142
Näher Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 67), S. 173 f. 143
Zur Anreiztheorie oben S. 368
392
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
siven Verwirklichung folgenden staatlichen Ermessensspielraum relativiert. Denn keinem Staat ist es bisher gelungen, maximal zur Schaffung von Innovationen anzureizen, ohne dass gleichzeitig der Zugang zu eben diesen beschränkt wurde. Teilweise damit zusammen hängt die Tatsache, dass bei Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR schwierige Entscheidungen nötig werden können, wenn es darum geht, den potentiellen Nutzen einer Innovation gegen die denkbaren Risiken, insbesondere für den Genuss anderer Menschenrechte, abzuwägen.144 Dabei müssen die Vorteile maximiert und die Risiken sowie Nachteile minimiert werden.145 Was für die eine Bevölkerungsgruppe positiv ist, kann für eine andere negativ ausfallen.146 Sind dabei noch verschiedene Menschenrechte betroffen, müssen von allen stets die Kernbereiche gesichert sein.147 Fazit: Auch Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR enthält auf allen drei Ebenen Staatenpflichten. Dabei können diffizile Prognoseentscheidungen zu treffen sein.
ee) Transnationale Pflichten, insbesondere hinsichtlich gewerblicher Schutzrechte Systematisch lässt sich mit Blick auf Artikel 2 Absatz 2 IPwskR für ein Recht auf Zugang zu den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung ableiten, dass jeglicher Zugang diskriminierungsfrei sichergestellt werden muss.148 Wenn also eine bestimmte Bevölkerungsgruppe weniger Möglichkeiten hat, Computer zu nutzen als die andere,149 liegt eine De–facto–Diskriminierung vor. Auch wenn man dies bei Computern für nicht so schlimm halten mag, gravie144
UNDP: Human development report 2001: Making new technologies work for human development, New York 2001, S. 65; Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 67), S. 165 145
Chapman: The Human Right to Scientific Progress, a.a.O. (Fn. 122), S. 26
146
Ibidem mit dem Beispiel des DDT. Siehe auch zum Thema Biosprit: GAOR vom 28. November 2007, UN Doc. A/C.2/62/SR.19, S. 3 147
Vgl. General Comment Nr. 17 a.a.O. (Fn. 139), § 23. Zum Kernbereich des Art. 15 Abs. 1 c) IPwskR: ibidem, § 39, zu denen des Abs. 1 b) Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 67), S. 165 148 149
Schabas a.a.O. (Fn. 20), S. 290
Für den Zugang zum Internet siehe: UNESCO–World Report: Towards Knowledge Societies, Paris 2005, S. 29
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
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rend wird die Diskriminierung, wenn andere Menschenrechte ins Spiel kommen, etwa das Recht auf Gesundheit. Agieren muss der Staat beispielsweise, wenn die arme Bevölkerung zum Großteil mit veralteten Medikamenten therapiert wird, die reiche aber mit modernen, wirkungsvolleren. Ebenso ist es hinsichtlich des Rechts auf Wohnung problematisch, wenn in einem erdbebengefährdeten Gebiet nur die reiche Bevölkerung Unterkünfte nach erdbebensicheren Methoden bauen kann. Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung gebietet im Rahmen des Artikels 15 Absatz 1 b) IPwskR vor allem, die besonders benachteiligten Gruppen auf „mainstreamlevel“ anzuheben.150 Ein Staat darf sich also nicht damit begnügen, den wissenschaftlichen Fortschritt mit Geldern zu fördern, er muss vielmehr vorrangig für eine gerechte Verteilung der Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung sorgen.151 Im vorherigen Kapitel wurde bereits festgestellt, dass der Grundsatz der Nichtdiskriminierung zu einem kleinen Teil auch über die Grenzen hinaus sichergestellt werden muss, wenn man vermeiden will, dass es zu „Substandards“ für „Submenschen“ kommt. Bei Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR sind die transnationalen Pflichten sogar besonders deutlich im Sozialpakt verankert. Absatz 4 derselben Vorschrift lautet nämlich: „Die Vertragsstaaten erkennen die Vorteile an, die sich aus der Förderung und Entwicklung internationaler Kontakte und Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet ergeben.“152 Nun können Staaten natürlich argumentieren, dass diese Norm nur die Abhaltung wissenschaftlicher Fachtagungen und den Austausch von Expertenwissen vorschreibt, dass es also darum geht, möglichst viel Forschung zu betreiben. Dazu ist zu sagen, dass dies sicherlich einer der Aspekte ist, die Artikel 15 Absatz 4 IPwskR erfasst. Mit Blick auf die 150 Audrey Chapman: The Interrelationships Between the Human Right to the Benefits of Scientific Progress and the Human Right to Health, demnächst erscheinend in einer UNESCO–Publikation, S. 7 151 152
Chapman: The Human Right to Scientific Progress, a.a.O. (Fn. 122), S. 15
Die authentische, englische Fassung lautet: „The States Parties to the present Covenant recognize the benefits to be derived from the encouragement and development of international contacts and co–operation in the scientific and cultural fields.“ V. T. Thamilmaran postuliert, dass die internationalen Kontakte und Kooperation primär unter der Verantwortung der WIPO und der UNESCO stattfinden müssen: Cultural Rights in International Law, in: Anura Goonasekera et. al. (Hrsg.): Cultural rights in a global world, 2003, S. 139 (S. 150)
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Systematik kann sich sein Zweck aber nicht hierin erschöpfen. Denn Absatz 2 des Artikels 15 IPwskR lautet: „Die von den Vertragsstaaten zu unternehmenden Schritte zur vollen Verwirklichung dieses Rechts umfassen die zur Erhaltung, Entwicklung und Verbreitung von Wissenschaft und Kultur erforderlichen Maßnahmen.“153 Es wäre merkwürdig, wenn Absatz 2 ausdrücklich sowohl Entwicklung und Verbreitung von Wissenschaft erfasst, Absatz 4 aber nur die erstere erfassen soll. Nicht zuletzt aufgrund der grenzüberschreitenden Nichtdiskriminierungspflichten sind die Staaten daher gehalten, zu einem begrenzten Maß auch für eine global gleichmäßige Verbreitung der Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendungen zu sorgen.154 Diese Sichtweise lässt sich mit dem Wortlaut des Absatzes 2 untermauern, denn es ist nirgendwo festgeschrieben, dass „Verbreitung“ nur die Verbreitung innerhalb der eigenen Grenzen meinen soll. Vielmehr spricht die allgemeine Normierung transnationaler Pflichten in Artikel 2 Absatz 1 IPwskR „durch internationale Zusammenarbeit“ gerade dafür, dass die Formulierung in Artikel 15 IPwskR extensiv auszulegen ist. Diese Sichtweise lässt sich mit der „Erklärung über die Nutzung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts im Interesse des Friedens und der Wohlfahrt der Menschheit“ bestätigen.155 Auch wenn es bei der Verabschiedung dieser Deklaration zahlreiche Enthaltungen unter den westlichen Staatenvertretern gab, so wurde sie doch letztlich von der UN–Generalversammlung angenommen. Daher ist sie nach den im vorhergehenden Kapitel aufgestellten Gesichtspunkten als
153
Die authentische, englische Fassung lautet: „The steps to be taken by the States Parties to the present Covenant to achieve the full realization of this right shall include those necessary for the conservation, the development and the diffusion of science and culture.“ Zum Wortlaut: Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 67), S. 88, der diese Verpflichtungen auf der „Fulfil“–Ebene verordnen will (S. 165) 154
Philippe Cullet: Human Rights and Intellectual Property Protection in the TRIPS Era, HRQ Vol. 29, 2007, S. 403 (S. 408) 155
Declaration on the Use of Scientific and Technological Progress in the Interests of Peace and for the Benefit of Mankind, GA Res. 384 (XXX) vom 10. November 1975, abrufbar auf: http://www.unesco.org/science/wcs/eng/ key_documents.htm (abgerufen am 15. März 2008)
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„Soft–law“–Dokument für die Auslegung des Sozialpakts relevant.156 Wesentlich ist vor allem § 5 der Erklärung. Dieser lautet: „All States shall co–operate in the establishment, strengthening and development of the scientific and technological capacity of developing countries with a view to accelerating the realization of the social and economic rights of the peoples of those countries.“ Die Erklärung erkennt also – konform mit dem Wortlaut der Absätze 1 b), 2 und 4 des Artikels 15 IPwskR – transnationale Pflichten zur Verbreitung des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung an. Zwischenfazit: Wissenschaftliche Innovationen müssen, unabhängig davon, ob sie im Übrigen menschenrechtlich relevant sind, auch im Ausland zugänglich gemacht werden. Die transnationalen Pflichten zur Verbreitung der Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung bestehen freilich nur in engen Grenzen: An erster Stelle ist das Prinzip der progressiven Realisierung zu nennen; die Pflicht, den Zugang zu den Neuerungen auch im Ausland zu verbessern, besteht lediglich im Rahmen der verfügbaren Ressourcen. Außerdem muss ein Staat nicht nur für die Verbreitung sorgen, sondern ist nach Artikel 15 Absatz 1 b) und Absatz 2 IPwskR auch verpflichtet, Anreize zu schaffen, um den wissenschaftlichen Fortschritt und seine Anwendung voranzutreiben. Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts können nämlich nur verbreitet werden, wenn sie existieren, und das ist nur der Fall, wenn sie zuvor entwickelt wurden.157 Nun kann es aber sein, dass ein Staat, wenn er dazu anspornen möchte, Erfindungen – also qualifizierte Anwendungen der Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts – zu tätigen, deren Verbreitung nicht nur fördert, sondern auch in mancherlei Hinsicht hemmt. Dies ist klassischerweise beim Patentrecht der Fall.158 Auch wenn die Verfasser des Sozialpakts das zugleich synergistische wie auch antagonistische Verhältnis zwischen gewerblichen Schutzrech156
Oben S. 328
157
Schabas a.a.O. (Fn. 20), S. 290 mit Referenz auf Laurence Helfer; Chapman: The Human Right to Scientific Progress, a.a.O. (Fn. 122), S. 17 f. verweist hier auf die Prinzipien „availability“, „accessibility“, „acceptability“ und „quality“ 158
Zu den Patentrechtstheorien siehe oben S. 368
396
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
ten und Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR nicht gänzlich übersahen,159 haben sie keinerlei Kriterien verankert, nach denen sich das Verhältnis optimal auflösen lässt. Daher ist es für den Ausschuss außerordentlich schwierig, zu beurteilen, ob ein Staat seine gewerblichen Schutzrechte hinsichtlich Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR bestmöglich ausgestaltet hat. Man könnte wiederum versuchen, mit „Soft–law“–Dokumenten den Inhalt des Artikels 15 Absatz 1 b) IPwskR zu konkretisieren. Mit ihm im Zusammenhang steht zunächst „target“ 18 der „Millenium Development Goals“. Darin heißt es: „In cooperation with the private sector, make available the benefits of new technologies, especially information and communications.“160 Zu bedenken ist allerdings, dass die „Millenium Development Goals“ für dieses Ziel weder einen numerische Benchmark noch eine Zeitvorgabe enthalten, obwohl dies bei anderen ihrer Ziele der Fall ist.161 Die Formulierung ist daher außerordentlich und vermutlich bewusst vage.162 Des Weiteren existiert die auf der Budapester Weltwissenschaftskonferenz 1999 verabschiedete Erklärung über Wissenschaft und die Nutzung wissenschaftlicher Fachkenntnis.163 Sie deutet zum einen an, dass geistiges Eigentum auf einer globalen Ebene geschützt werden muss.164 Vor allem aber spricht sie im Abschnitt „Wissenschaft für Entwicklung“ davon, dass Maßnahmen getroffen werden sollten, die gleichzeitig sowohl den Schutz des geistigen Eigentums als auch die Verbreitung von Wissenschaft fördern.165 Welche Maßnahmen dies sind, lässt die Erklärung jedoch offen.
159 160
Schabas a.a.O. (Fn. 20), S. 290 UN Doc. A/56/326, Annex
161
Etwa in „target“ Nr. 5, 6 und 10 der UN Millenium Development Goals, abgedruckt in UN Doc. A/56/326 Annex und §§ 80 – 163 162
Sakiko Fukuda–Parr: Millenium Development Goal 8: Indicators for International Human Rights Obligations?, in: HRQ 28 (2006) S. 966 (S. 979 ff., inbesondere S. 984 f.) 163
Declaration on science and the use of scientific knowledge vom 1. Juli
1999 164 165
Ibidem § 38 Ibidem
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
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Da also auch beide „Soft–law“–Dokumente nicht sonderlich konkret sind, wird man den Ländern ein weites Ermessen einräumen müssen. Sie dürfen wesentlich mitentscheiden, wie ihr gewerbliches Rechtsschutzsystem geformt werden muss, damit den transnationalen Pflichten des Artikels 15 Absatz 1 b) IPwskR Rechnung getragen wird. Die Budapester Erklärung geht aber davon aus, es sei notwendig, den Rahmen, das Ausmaß und die Anwendung geistiger Schutzrechte mit Blick auf die gerechte Produktion, Verteilung und Anwendung von Wissen zu überprüfen.166 Damit zusammen hängt das Diskriminierungsverbot des Sozialpakts. Nach beiden Vorschriften ist ein Staat gehalten, zu überlegen, inwieweit sein Patentrecht die Verbreitung der Anwendungen des wissenschaftlichen Fortschritts hemmt.167 Er muss genau abwägen, wann das Verhältnis zwischen Anreizen für den wissenschaftlichen Fortschritt und deren Verbreitung optimal ist. Zu einem gewissen Grad muss er dabei auch an die Menschen in fremden Ländern denken, denn wenn er Patentrecht setzt oder ein Patent verleiht, beschränkt er den Export der Anwendung und hemmt so den Zugang zu ihr.168 Damit beherrscht der Staat eine Störungsquelle bei der Verwirklichung der Menschenrechte zu einem gewissen Grad, weshalb hier die Analogie zum Umweltrecht zum Tragen kommt. Aus den im vorherigen Kapitel erarbeiteten Grundsätzen169 folgt, dass ein Staat der internationalen Verbreitung gegenüber den eigenen Interessen einen umso höheren Rang einräumen muss, je wesentlicher die Erfindung für die Verwirklichung der Menschenrechte ist. Hier kommt zum Tragen, dass Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR ein Menschenrecht ist, bei dem die Interdependenz besonders deutlich wird.170 Wenn es sich also bei der Anwendung des wissenschaftlichen Fortschritts um ein lebensnotwendiges Medikament handelt, spricht nicht nur Artikel 15 166
Ibidem
167
Vgl. dazu den Abschnitt zu Art. 15 Abs. 1 b) IPwskR in den Berichtsrichtlinien des Ausschusses, a.a.O. (Fn. 59): „Please describe the legislative and other measures taken to realize the right of everyone to enjoy the benefits of scientific progress and its applications, including those aimed at the conservation, development and diffusion of science. In particular, provide information on the following: [...] (d) Any restrictions which are placed upon the exercise of this right, with details of the legal provisions prescribing such restrictions.“ 168 169 170
Siehe oben S. 369 S. 346 ff. Chapman: The Interrelationships, a.a.O. (Fn. 150), S. 1
398
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Absatz 1 b) IPwskR, sondern auch das Recht auf Gesundheit dafür, dass der Staat sich für dessen Verbreitung besonders einsetzen muss.171 Wenn also ein Land nicht die Kapazität hat, derartige Erfindungen zu tätigen oder die neuen Medikamente zu produzieren, muss es ein dritter Staat, der dazu in der Lage ist, unterstützen. Nach Artikel 2 Absatz 1 IPwskR muss diese Unterstützung vor allem mit gesetzgeberischen Maßnahmen vonstattengehen. Daraus folgt, dass eine Industrienation bei der Abfassung ihres Patentrechts neben den eigenen wirtschaftlichen Belangen auch die Rechte der Einwohner von Entwicklungsländern auf Zugang zu Erfindungen mitberücksichtigen muss. Nun wird ein Staat vermutlich argumentieren, wenn er sein Patentrecht aufweiche, um für eine erleichterte Verbreitung der Erfindung zu sorgen, fehle es an Anreizen, überhaupt eine solche zu tätigen. Dieser Einwand ist dem Staat auch gestattet. Er trägt dann aber nach den auf Seite 65 ff. erarbeiteten Prinzipien die Beweislast für diese Behauptung.172 Wenn er sich also auf statistische Erhebungen stützen kann, nach denen sein Patentrecht hinsichtlich der Verbreitung von Erfindungen optimal ist, vermag er auch ein hohes Schutzniveau zu rechtfertigen. Diesen Nachweis zu erbringen, ist jedoch seine Aufgabe und nicht die des Ausschusses. Natürlich haben die Staaten auch hier wieder ein Ermessen, insbesondere wenn statistische Erhebungen im Hinblick auf das Patentrecht einander widersprechen. Wenn jedoch alle vorhandenen Erhebungen über das Patentrecht in einem Staat nahelegen, dass es den Zugang zu Anwendungen des wissenschaftlichen Fortschritts für benachteiligte Gruppen unverhältnismäßig stark hemmt, muss ein Land gegensteuern.173 Dabei hat es dann natürlich einen weiten Spielraum, es muss nicht zwingend sein Patentrecht ändern.
ff) Schlussfolgerungen Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR verpflichtet die Staaten, ihr Patentrecht sowie seine verwandten Schutzformen so auszugestalten, dass die Er171
Vgl. Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 67), S. 165 f.; weitere Beispiele bei Schabas a.a.O. (Fn. 20), S. 297 172
Zur Notwendigkeit empirischer Untersuchungen über die Auswirkungen des Patentrechts auf die Menschenrechte: Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 67), S. 167 173
Vgl. Haugen: Patent Rights and Human Rights, a.a.O. (Fn. 19), S. 113
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rungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seine Anwendung international optimal verbreitet werden. Aufgrund seines weiten Schutzbereichs ist prinzipiell jede Erfindung menschenrechtsrelevant.174 Bei der Verwirklichung von Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR haben die Staaten aufgrund des Prinzips der progressiven Realisierung, des Ressourcenbegriffs sowie der im Rahmen der transnationalen Pflichten vagen Kriterien ein weites Ermessen.175 Letzteres ist im Bereich des Patentrechts noch ausgedehnter, weil sehr umstritten ist, wie das Verhältnis von größtmöglichen Erfindungsanreizen zu maximaler Erfindungsverbreitung ausbalanciert werden muss. Im Rahmen ihres Ermessens müssen die Staaten jedenfalls die Konsequenzen berücksichtigen, die ihr gewerbliches Rechtsschutzsystem für die Verwirklichung des Menschenrechts auf Zugang zu den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung hat. Maßgebendes Kriterium ist wegen der Interdependenz, welches Gewicht eine Innovation für die übrigen Menschenrechte hat. Von Bedeutung ist nach den im vorangehenden Kapitel erarbeiteten Kriterien weiter, welche Einflussmöglichkeiten der Staat auf den Innovations– und Verbreitungsprozess hat und wie bedürftig welche Ausländer sind.
f) Der Zusammenhang zwischen geistigem Eigentum und Artikel 2 Absatz 1 IPwskR Im vorigen Kapitel wurde festgestellt, dass die Staaten gehalten sind, Abkommen beizutreten, die die Realisierung der Wsk–Rechte fördern.176 Dabei haben sie allerdings nach allgemeinen Regeln177 ein weites Ermessen. Nun stellt sich die Frage, ob Artikel 2 Absatz 1 IPwskR den Paktstaaten vorschreibt, wie sie ihre Vorschriften betreffend des geistigen Eigen174
Eine Ausnahme, über die man allerdings auch streiten kann, dürfte nur bei extrem sittenwidrigen Erfindungen vorliegen wie eine Waffe, die die gesamte Menschheit mit einem Schlag vernichtet 175
Vgl. oben S. 355 ff. Schabas a.a.O. (Fn. 20), S. 296 weist darauf hin, dass die Begriffe: „progressive“ in Art. 2 Abs. 1 und „progress“ in Art. 15 Abs. 1 b) IPwskR nicht nur syntaktisch teilweise deckungsgleich sind. Allgemein zum weiten Ermessen im Rahmen von Art. 15 Abs. 1 b) IPwskR: Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 67), S. 165 176 177
S. 356 f. Vgl. S. 24 ff.
400
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
tums auszugestalten haben. Wegen des Wortlauts „insbesondere technischer Art“ könnte nämlich eine gesteigerte Pflicht bestehen, die technischen gesetzlichen Regeln aufeinander abzustimmen, wenn dies dazu dient, die Wsk–Rechte umzusetzen.178 Technik bedeutet die Beherrschung der Natur durch den Menschen.179 Zwar ist die Maßnahme „Gesetz“ als solche nicht technisch, sondern juristisch. Der Passus „mit allen geeigneten Mitteln, vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen“ bezieht sich jedoch auf den gesamten ersten Halbsatz des Artikels 2 Absatz 1 IPwskR und damit auch auf die Kooperationsregeln mitsamt ihren Regelbeispielen. „Vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen“ gilt also bereits rein sprachlich auch für den Passus „internationale Hilfe und Zusammenarbeit technischer Art“. Eine zweckgebundene Auslegung bestätigt dieses Ergebnis. Der Sozialpakt geht nämlich ganz allgemein davon aus, dass legislative Maßnahmen das wichtigste Mittel zur Realisierung der Wsk–Rechte sind. Es würde seiner Intention widersprechen, wollte man streng am Wortlaut diesen Gedanken für die internationale Zusammenarbeit ignorieren. Es ist vielmehr ein Gebot der Folgerichtigkeit, die beiden Gruppen der Regelbeispiele zu kumulieren. „Maßnahmen technischer Art“ ist somit weit zu verstehen. Erfasst sind vor allem gesetzgeberische Maßnahmen, die einen Bezug zur Technik haben. Daran schließt sich die Frage an, welche Gesetze technische Fragen mit Menschenrechtsbezug regeln.180 Hier kommen an erster Stelle Regelungen zum Schutze des gewerblichen Eigentums in Frage, insbesondere der Patent– und Gebrauchsmusterschutz. Denn zum einen schützen sie
178
Der authentische, englische Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 IPwskR lautet: „Each State Party to the present Covenant undertakes to take steps, individually and through international assistance and co–operation, especially economic and technical, to the maximum of its available resources, with a view to achieving progressively the full realization of the rights recognized in the present Covenant by all appropriate means, including particularly the adoption of legislative measures.“ 179
Bernhardt/Krasser a.a.O. (Fn. 1), S. 89; Rehbinder: Urheberrecht a.a.O. (Fn. 27), S. 41; zur Definition der „Maßnahmen technischer Art“ in Art. 2 Abs. 1 IPwskR: Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 67), S. 81, zur Definition der „technischen Hilfe“ in Art. 22 IPwskR siehe General Comment Nr. 2, enthalten in UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.7 180
Zum Begriff der Technik siehe UNESCO: Recommendation on the Status of Scientific researchers, a.a.O. (Fn. 111), § I./(1)/(b)
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geistige Leistungen „auf dem Gebiet der Technik“.181 Zum anderen dienen sie dazu, die technischen Innovationen zu fördern und zu verbreiten, vermögen aber gleichzeitig den Zugang der Menschen zu diesen Innovationen zu versperren, indem sie Ausschließlichkeitsrechte gewähren.182 Außerdem steht durch die patentrechtliche Pflicht zur Offenbarung der Erfindung183 technisches Wissen allen interessierten Menschen potentiell zur Verfügung. Es gibt zahlreiche Erfindungen, die menschenrechtlich relevant sein können, nicht nur Medikamente zur Therapie von Aids oder Wasserwiederaufbereitungsanlagen, sondern wie sich aus Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR ergibt, prinzipiell jede technische Neuerung. Aus alledem folgt, dass die Staaten verpflichtet sind, ihre Regelungen im Bereich des gewerblichen Eigentums, vor allem im Patent– und Gebrauchsmusterrecht, zu harmonisieren, soweit dies menschenrechtlich von Nöten ist. Dazu kann auch gehören, Abkommen auf diesem Gebiet beizutreten. Harmonisieren bedeutet dabei nicht unbedingt vereinheitlichen. Vielmehr kann der menschenrechtliche Nutzen gerade darin liegen, dass in den Ländern unterschiedliche Regelungen bestehen.184 So ist der Technologietransfer in manchen Fällen vielleicht dann optimal, wenn in den Produzentenstaaten ein hoher, in den Empfängerstaaten aber ein niedriger Schutzstandard besteht, in anderen Fällen umgekehrt. Harmonisieren bedeutet aber im Zusammenhang mit den transnationalen Menschenrechtspflichten, die eigenen Vorschriften im Patent– und Gebrauchsmusterrecht nach dem Ermessen des Staates menschenrechtskonform mit denen anderer Länder abzustimmen.
181
Vgl. für Patente Art. 27 Abs. 1 TRIPs: „patents shall be available for any inventions, whether products or processes, in all fields of technology.“ 182 Art. 7 TRIPs; WIPO Publication Nr. 489 (E), a.a.O. (Fn. 1), S. 17; Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 7; zum Verhältnis des IPwskR zu Art. 7 TRIPs siehe auch Sisule F. Musungu: The REBSP and Intellectual Property, in: UNESCO: Report of the Experts’ Meeting on The Right to Enjoy the Benefits of Scientific Progress and its Applications, Amsterdam, 7. – 8. Juni 2006, S. 35 183
Vgl. Art. 29 TRIPs; Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 4; Bernhardt/Krasser a.a.O. (Fn. 1), S. 89: „Das Anwendungsgebiet des Patentschutzes ist die Technik.“ 184
Stellungnahme des Ausschusses: Human rights and intellectual property, Follow–up to the day of general discussion on article 15.1 (c), UN Doc. E/C.12/2001/15 vom 14. Dezember 2001 § 15
402
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Fazit: Nach den Grundsätzen des Sozialpakts haben die Staaten die Pflicht, ihre Regelungen zum Schutz des geistigen Eigentums menschenrechtskonform aufeinander abzustimmen.185 Dies erfasst sowohl innerstaatliche als auch völkerrechtliche Anpassungsvorgänge. Bei der Frage, wann eine Harmonisierung optimal für die Menschenrechtsverwirklichung ist, haben die Staaten zwar ein weites Ermessen, dieses ist jedoch nicht mit freiem Belieben gleichzusetzen. Vielmehr sind sie gehalten, alle potentiellen menschenrechtlichen Auswirkungen ihrer Handlungen, deren Umfang sowie Wahrscheinlichkeit zu bedenken.
g) Das Prinzip der Teilhabe und seine Auswirkung auf die Harmonisierungspflichten im Bereich des geistigen Eigentums Denkbar wäre, dass die menschenrechtskonforme Harmonisierung des gewerblichen Rechtsschutzes auf internationaler Ebene eine Art positive Diskriminierung wirtschaftlich schwacher Staaten erfordert. Man könnte nämlich aus dem menschenrechtlichen Prinzip der Teilhabe186 ableiten, dass diese Länder rechtlich in internationalen Organisationen eine gegenüber reichen Staaten stärkere Position bekommen müssen, um auszugleichen, dass sie faktisch beim Zugang zu den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung benachteiligt sind.187 Das menschenrechtliche Prinzip der Teilhabe besagt, dass Individuen an sie betreffenden Entscheidungen mit menschenrechtlicher Relevanz so weit wie möglich mitwirken sollen. Jedes Menschenrecht zielt zugleich
185
Sub–Commission on Human Rights: Resolution 2001/21, a.a.O. (Fn. 139), § 7; ähnlich Rott a.a.O. (Fn. 19), S. 104 Zum selben Ergebnis wie hier, aber mit anderer Begründung (Maßnahmen wirtschaftlicher Art) kommt Musungu: The REBSP and Intellectual Property, a.a.O. (Fn. 182), S. 34 186 187
Dazu oben S. 33, 37 und 166
Vgl. zu derartigen internationalen Problemen bei der Teilhabe an den Entscheidungen betreffend des Zugangs zu Innovationen: Audrey Chapman: Core Obligations related to ICESCR Article 15(1)(c), in: dies. / Sage Russel (Hrsg.): Core Obligations, 2002, S. 305 (S. 323 f.); allgemein zu Probleme bei der Teilhabe an die Wissenschaft betreffenden Entscheidungen: Richard Pierre Claude: Scientists’ Rights and the Human Right to the Benefits of Science, ibidem, S. 247 (S. 256 f.)
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auf Teilhabe, auch die Wsk–Rechte. So wäre etwa das Recht auf Gesundheit unvollkommen, wenn ein Bürger nicht wenigstens mittelbar mitbestimmen könnte, welche Gesundheitspolitik ein Staat verfolgt – immerhin kann die staatliche Entscheidung auch ihn persönlich betreffen. Nun kann aber ein Staat seine Entscheidungsbefugnisse teilweise auf internationale Organe übertragen. Da es transnationale Menschenrechtspflichten gibt und der Mensch nach moderner Auffassung auch Völkerrechtssubjekt ist, dürfen nicht fundamentale Entscheidungen gegen den Willen einzelner Bevölkerungsgruppen getroffen werden. Genau diese Vernachlässigung von Interessen könnte man indes bejahen, wenn man bedenkt, dass viele arme Staaten ihr Patentrecht nur aufgrund des Drucks durch reichere geändert haben. Des Weiteren könnte man aus Artikel 15 Absatz 1 b) in Verbindung mit den Absätzen 2 und 4 IPwskR einen besonderen, internationalen Teilhabeanspruch aller Individuen ableiten. Und es ließe sich vertreten, dass derartige Teilhaberechte der Menschen in Entwicklungsländern eingeschränkt werden, wenn ein fremder Staat in internationalen Beziehungen eine ihrem geäußerten Willen entgegenstehende Politik durchsetzt und dadurch den Genuss ihrer Menschenrechte schädigt. Als Beispiel könnte man den Fall nennen, dass ein demokratisches Entwicklungsland lange Zeit Nachahmungen eines in fast allen Ländern patentgeschützten Präparats gegen Cholera herstellt. Das Entwicklungsland lässt die Medikamente an seine Bevölkerung zu günstigen Preisen vertreiben, wobei auf seinem Territorium keinerlei Patentschutz existiert. Daraufhin droht ein reicher Staat, ihm die Entwicklungshilfe zu kürzen, wenn es nicht dem TRIPs beitrete und Patentschutz einführe. Das Parlament im Entwicklungsland äußert Bedenken betreffend des Rechts auf Gesundheit, kommt dem Wunsch des reichen Staates aber dennoch nach. Die Konsequenz: Die Zahl der Cholera–Todesfälle steigt mangels erschwinglicher Behandlungen rapide an. Hier könnte man meinen, die Individuen im Entwicklungsland seien in ihrem Teilhabestatus aus dem Recht nach Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR verletzt. Diese Sichtweise ist jedoch zu weit hergeholt. Partizipation bedeutet zwar auch, dass die Menschen an den grundsätzlichen, das Menschenrecht betreffenden Entscheidungen faktisch mitwirken können, doch das ist weiterhin gegeben, denn kein Staat wurde gewaltsam gezwungen, den Abkommen beizutreten oder sein Patentrecht zu ändern. Nur weil wirtschaftliche Ungleichheiten und Abhängigkeiten bestehen, ist es
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
noch nicht angemessen, von einer Rechtsverletzung zu sprechen.188 Jede weitergehende Forderung nach Teilhabe ginge zu sehr in Richtung eines Rechts auf Entwicklung, über das international gerade noch kein Konsens besteht.189 Fazit: Zwar beinhalten alle Wsk–Rechte partizipatorische Komponenten, ein Menschenrecht auf internationale Teilhabe gibt es jedoch nicht. Daher kann man nicht argumentieren, Vertreter der Menschen aus Entwicklungsländern müssten auch faktisch international die gleiche Machtposition in Fragen des gewerblichen Rechtsschutzes erhalten, wie Repräsentanten reicher Länder. Vielmehr ist das partizipatorische Element des Artikels 15 Absatz 1 b) ausreichend verwirklicht, wenn international eine rechtliche Gleichstellung erreicht ist. Das ist jedoch aufgrund der staatlichen Souveränität der Fall. Natürlich ist auch erforderlich, dass die Bewohner armer Länder an internationalen, menschenrechtsrelevanten Entscheidungen mittelbar beteiligt werden. Letzteres kann etwa durch Wahlen und Abstimmungen geschehen und ist eine innerstaatliche Frage.
h) Zwischenergebnis Die Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR sind in jedem Fall, in dem es um eine Erfindung geht, betroffen. Zu berücksichtigen ist stets das weite, aber nicht unbegrenzte staatliche Ermessen. Wendet man das Prinzip aus Artikel 2 Absatz 1 IPwskR auf die Vorschrift des Artikels 15 Absatz 1 b) IPwskR an, ergibt sich die Pflicht, den gewerblichen Rechtsschutz progressiv menschenrechtskonform zu harmonisieren.
188 Anders: Hans Morten Haugen: General Comment No. 17 on “Authors’ Rights”, in: The Journal of World Intellectual Property 2007, Vol. 10, S. 53 (S. 63) 189
Zum Anspruch auf Teilhabe als Komponente des Rechts auf Entwicklung: Eibe Riedel: Der internationale Menschenrechtsschutz. Eine Einführung, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Menschenrechte – Dokumente und Deklarationen, 4. Auflage 2005, S. 28 f.
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
405
i) Die Auswirkungen des TRIPs–Abkommens auf die Menschenrechtsverwirklichung aa) Die Problemstellung Man könnte meinen, Angelegenheit des Patentrechts seinen eine rein nationale Angelegenheit, die analog Artikel 27 WVK den Staat nicht dazu berechtigt, seine transnationalen Menschenrechtspflichten zu suspendieren. Nun sieht aber das völkerrechtliche TRIPs–Abkommen vor, dass Patente auf allen Gebieten der Technik erteilt werden müssen. Lange Zeit behaupteten Länder, durch diese Regelung und die engen Ausnahmetatbestände starren Bindungen zu unterliegen, die eine Anpassung der Patentrechtssysteme oder den Erlass von Zwangslizenzen zugunsten der Verwirklichung der Wsk–Rechte verhindern.190 Dabei beschränkten sie sich nicht darauf, dies als Rechtfertigungsgrund für die eigene fehlende Menschenrechtsverwirklichung anzuführen. Nein, sie rügten sogar andere Staaten, wenn diese ihrer Meinung nach bei ihrer Menschenrechtspolitik gegen das TRIPs–Abkommen verstießen.191 Aus wirtschaftlicher Sicht ist hierzu zu sagen, dass die Inhaber geistiger Eigentumsrechte, in deren Interesse ein wirksamer Immaterialgüterschutz liegt, ihren Sitz fast ausschließlich in den etablierten Industrienationen haben (Europa, Nordamerika, Japan).192 Demgegenüber scheint ein funktionsfähiger und durchsetzbarer Schutz geistiger Eigentumsrechte den wirtschaftlichen Interessen der Entwicklungs– und Schwellenländern oftmals zuwiderzulaufen. Insofern besteht zwischen den Interessen der Industrie– und Entwicklungslän-
190
Allgemein zum TRIPS–Abkommen und dem Recht auf Gesundheit: UN Economic and social commission for Asia and the Pacific: Health and development: The development determinants of health, UN Doc. E/ESCAP/SHD/1 § 62 191
Nachweise bei Sajó a.a.O. (Fn. 20), S. 243 und Susan K. Sell: Post–TRIPS developments: The tension between commercial and social agendas in the context of intellectual property, in: Florida Journal of International Law 2002, S. 193 (S. 209) 192 Vgl. Jahresbericht des Europäischen Patentamts 2006, abrufbar auf: http://www.epo.org/ (abgerufen am 18. April 2008), S. 88 – 91
406
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
dern an einem effektiven Schutz von Immaterialgüterrechten ein Spannungsverhältnis.193 Hinzu tritt, dass das WTO–System – und hierzu gehört das TRIPs – über ein Streitbeilegungsverfahren verfügt,194 nicht aber der Sozialpakt. In diesem Verfahren können auch gegen den Willen eines WTO– Mitglieds bindende Entscheidungen gefällt werden. Für den Fall, dass die unterlegene Partei der Umsetzung nicht oder nicht rechtzeitig nachkommt, kann die obsiegende Partei von der unterlegenen eine Entschädigung verlangen. Als ultima ratio kann der geschädigte Staat sogar beim Streitbeilegungsorgan die Ermächtigung zum Erlass von Vergeltungsmaßnahmen beantragen.195 Stehen verschiedene völkerrechtliche Verträge im Widerspruch und ist deren Verhältnis ungeklärt, so wird ein Staat in der Regel den Vertrag erfüllen, bei dessen Nichteinhaltung die drastischeren Sanktionen drohen. Sind medizinische Lehren patentiert, kann es dazu kommen, dass Bereiche, die das Menschenrecht auf Gesundheit betreffen, Gegenstand eines WTO–Streitbeilegungsverfahrens werden.196 Die WTO–Abkommen und der IPwskR überlappen sich also teilweise.197 Wegen seiner schärferen Zwangsmaßnahmen wird ein Staat, der zugleich Mitglied in der WTO und im IPwskR ist, daher zumeist das TRIPs–Abkommen erfüllen.198
193
Fromm–Russenschmuck/Duggal a.a.O. (Fn. 22), S. 42; siehe auch: Barbara Anzellotti in: Busche/Stoll a.a.O. (Fn. 29), Art. 67 Rn. 3 194 Art. 64 TRIPS; dazu WTO: Understanding the WTO, 3. Auflage, 2007, S. 58 und 87; Zhang Naigen: Dispute settlement under the TRIPS Agreement from the perspective of treaty interpretation, in: Temple international and comparative law journal 17 The obligation of international assistance, S. 199 (S. 201 f.); Fromm–Russenschmuck/Duggal a.a.O. (Fn. 22), S. 32 – 36 195 Art. 22 f. der Streitschlichtungsvereinbarung (DSU), Marrakesh Agreement Establishing the World Trade Organization, a.a.O. (Fn. 2), Annex 2 196
UN Sonderberichterstatter Paul Hunt: The right of everyone to the enjoyment of the highest attainable standard of physical and mental health, UN Doc. E/CN.4/2004/49/Add.1 vom 1. März 2004, § 41 197
Haugen: Patent Rights and Human Rights, a.a.O. (Fn. 19), S. 114 betont aber: „The term ‘human rights’ is not applied in intellectual property treaties.“ 198
WTO– und IPwskR–Durchsetzungsmechanismen im Vergleich bei Holger Hestermeyer: Human Rights and the WTO, 2007, S. 197 – 206; allgemein zu Jurisdiktionenkonflikten im WTO Recht: Fromm–Russenschmuck/Duggal a.a.O. (Fn. 22), S. 37
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
407
Nun verpflichten die Artikel 27, 28 und 30 sowie Artikel 1 Absatz 1 des TRIPs–Abkommens die Mitglieder dazu, einen bestimmten patentrechtlichen Mindestschutz vorzusehen.199 Dieser muss auf allen Gebieten der Technik existieren,200 Ausnahmen sind nur in eng umgrenzten Fällen vorgesehen, die in den Artikeln 30 bis 32 TRIPs geregelt sind. Zu diesen Ausnahmen zählen auch Zwangslizenzen.201 Eine Zwangslizenz ermächtigt einen Dritten oder den Staat, eine patentierte Lehre gegen den Willen des Schutzrechtsinhabers anzuwenden.202 Auch wenn das TRIPs–Abkommen anwendbar ist, gilt aber weiterhin das Territorialitätsprinzip. Patente wirken also nur in dem Land, von dem sie erteilt wurden. Ebenso haben Zwangslizenzen nur dort eine Auswirkung. Ein Entwicklungsland könnte zwar eine Zwangslizenz erlassen, diese ist aber nutzlos, solange Produktionskapazitäten fehlen. Mithin bleibt nur der Weg, das Gesundheitsgut aus einem Industrieland zu importieren.203 Ist das gleiche Gut hier auch geschützt, besteht ein Problem: Der Hersteller ist zumeist nur bereit, zu Konditionen zu exportieren, die für den Verkauf im Inland gelten. Denn zum einen möchte er Reimporte verhindern, zum anderen muss er befürchten, öffentlich gefragt zu werden, weshalb er die günstigen Konditionen nicht auch im Inland gewährt. Er möchte also seinen Markt schützen. Der Industriestaat könnte seinen transnationalen Pflichten nach dem IPwskR nachkommen, indem er einem anderen inländischen Unternehmen eine Zwangslizenz zur Herstellung und zum Vertrieb der Innovationen in ärmeren Ländern erteilt. Dieses Unternehmen spart die Forschungs– und Entwicklungskosten und kann so zu weitaus günstigeren Konditionen exportieren als der Originalhersteller.204
199
Neef a.a.O. (Fn. 29), Art. 27 Rn. 3
200
So bereits Art. 17 Abs. 1 Satz 1 TRIPs und noch deutlicher Satz 2: „ohne dass hinsichtlich [...] des Gebiets der Technik [...] diskriminiert werden darf.“ 201
Haugen: Patent Rights and Human Rights, a.a.O. (Fn. 19), S. 108
202
WIPO Publication Nr. 489 (E), a.a.O. (Fn. 1), S. 34; Sell a.a.O. (Fn. 191), S. 209; Bernhardt/Krasser a.a.O. (Fn. 1), S. 612 203
Holger Hestermeyer: Flexible Entscheidungsfindung in der WTO – Die Rechtsnatur der neuen WTO Beschlüsse über TRIPS und Zugang zu Medikamenten, in: GRURInt 2004, S. 194 (S. 195 und 198) 204
Zur Markteinführung von Generika siehe: WHO: Marketing authorization of pharmaceutical products with spezial reference to multisource (generic) products: A manual for drug regulatory authorities, UN Doc. WHO/DMP/ RGS/98.5 S. 20 – 29
408
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Klärungsbedürftig bleibt dann aber, ob die Zwangslizenzen nicht gegen Artikel 31 f) des TRIPs–Abkommens verstoßen. Diese Vorschrift gestattete es nämlich den WTO–Mitgliedern nur, Zwangslizenzen zu erlassen, wenn diese vorwiegend zur Versorgung des Binnenmarkts dienen. Steht im Entwicklungsland ein menschenrechtlich relevantes Gut unter Patentschutz, ist dort das TRIPs–Abkommen nur ein geringes Hindernis, denn hier dient die Zwangslizenz zur Versorgung des Binnenmarktes. Scheinbar verbietet aber Artikel 31 f) TRIPs, eine Exportzwangslizenz zu erteilen.205 Soll sich der Industriestaat also vor dem Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte damit rechtfertigen können, er sei völkerrechtlich an der bestmöglichen Erfüllung seiner transnationalen Menschenrechtspflichten gehindert? Das Problem würde sich erübrigen, wenn Artikel 31 f) TRIPs vom IPwskR verdrängt würde, so dass zumindest das Binnenmarkterfordernis entfiele.
bb) Die abstrakten Lösungsansätze Es ist sehr umstritten, ob es völkerrechtliche Regeln gibt, nach denen das TRIPs–Abkommen zugunsten des Menschenrechtsschutzes durchbrochen werden darf.206 Der Frage kommt jedoch für die vorliegende Arbeit nur untergeordnete Bedeutung zu. Zum einen ist sie praktisch 205
Dazu Hunt a.a.O. (Fn. 196), § 43
206
Ablehnend András Sajó: Socioeconomic rights and the international economic order, in: New York University Journal of International Law and Politics 2002 – 2003, S. 221 (S. 227 – 231); in dieser Richtung auch: Robert Wai: Using Economic and Social Rights in and around the International Trade Regime, in: European Journal of International Law (EJIL), 2003 (Vol. 14), S. 35 (S. 57); befürwortend: Robert Howse/Makau Mutua: Protecting human rights in a global economy: challenges for the World Trade Organization, in: Human rights in development 1999/2000, S. 51 (S. 82); befürwortend wohl auch: Sub– Commission on Human Rights: Resolution 2001/21, a.a.O. (Fn. 139), § 3; eine krasse Gegenansicht vertritt die Europäische Gemeinschaft in: WTO: Canada – patent protection of pharmaceutical products, Complaint by the European Communities and their member States, Report of the panel, WTO Doc. WT/DS114/R, § 4.30/(a)/(i) (S. 53): Menschenrechte müssen den Minimalschutzpflichten des TRIPs untergeordnet werden; dogmatisch sehr sauber: Herrlich a.a.O. (Fn. 19), S. 170 f. Zum Verhältnis geistiges Eigentum und Menschenrechte siehe auch die Stellungnahme des Ausschusses: Human rights and intellectual property a.a.O. (Fn. 184), § 3 und § 6; Musungu: The REBSP and Intellectual Property, a.a.O. (Fn. 182), S. 34
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
409
nicht sonderlich relevant, solange Staaten aus Angst vor den schärferen Sanktionen im Zweifel lieber ihre Verpflichtungen aus dem TRIPs erfüllen als die aus dem Sozialpakt.207 Zum anderen kann es sein, dass das TRIPs–Abkommen den Staaten genügend Freiräume zur Erfüllung ihrer Wsk–Verpflichtungen lässt. Unabhängig von den Besonderheiten im pharmazeutischen Bereich, auf die sogleich eingegangen wird, existieren im TRIPs–Abkommen einige offene Regelungen.208 Insbesondere enthält es keine Legaldefinitionen der Begriffe „Erfindung“, „neu“, „Stand der Technik“ oder „gewerblich anwendbar“. Jeder TRIPs–Mitgliedsstaat ist kompetent, diese Termini für seinen Hoheitsbereich nach seinem Ermessen mit Inhalt zu füllen.209 Zwar sind die Staaten verpflichtet, das Rechtsverständnis der übrigen Mitglieder zu berücksichtigen,210 so lange es hier aber keine Vereinheitlichung gibt, verbleibt ihnen ein Spielraum. Das Gleiche gilt für die Fällen, in denen nach Artikel 27 Absatz 2 des TRIPs–Abkommens aus Gründen der öffentlichen Ordnung keine Patente erteilt werden müssen. Dass das TRIPs–Abkommen den Begriff der „öffentlichen Ordnung“ nicht definiert, zeigt, dass die WTO– Mitgliedsstaaten die Präzisierung selbst vornehmen dürfen.211 Außerdem sieht Artikel 67 des TRIPs–Abkommens gerade vor, dass entwickelte Länder beim Schutz des geistigen Eigentums zugunsten der Entwicklungsländer technisch und finanziell zusammenarbeiten – eine Parallelvorschrift zu Artikel 2 Absatz 1 IPwskR.212 Unmittelbar davor 207
David Weissbrodt/Kell Schoff: The Sub–Commission's initiative on Human Rights and Intellectual Property, in: Netherlands quarterly of human rights 22 (2004), S. 181 (S. 191 f.); Laurence Helfer: Toward a Human Rights Framework for Intellectual Property, in: U.C. Davis Law Review, Vol. 40 (2007), S. 971 (S. 984 – 986) 208
Rott a.a.O. (Fn. 19), S. 105
209
TRIPs–Rat: Review of the provisions of Article 27.3(B); WTO Doc. IP/C/W/369 vom 8. August 2002 §§ 22 – 30; Rott a.a.O. (Fn. 19), S. 111 mit Beispielen 210
Neef a.a.O. (Fn. 29), Art. 27 Rn. 7
211
Susanne Reyes–Knoche in: Busche/Stoll a.a.O. (Fn. 29), Art. 27 Rn. 64. Zu Art. 8 Abs. 1 TRIPS–Abkommen: Rott a.a.O. (Fn. 19), S. 104; Haugen: Patent Rights and Human Rights, a.a.O. (Fn. 19), S. 107 212
Die englische, authentische Fassung lautet: „Technical Cooperation – In order to facilitate the implementation of this Agreement, developed country Members shall provide, on request and on mutually agreed terms and conditions, technical and financial cooperation in favour of developing and least–
410
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
steht im TRIPs–Abkommen Artikel 66 Absatz 2, der entwickelte Staaten verpflichtet, Anreize zu schaffen, um den Technologietransfer in die am wenigsten entwickelten Länder zu fördern.213 Dabei erlauben die Artikel 7 und 8 des TRIPs–Abkommens zwar keine Durchbrechungen desselben, sie gestatten jedoch eine menschenrechtskonforme Auslegung.214 So ist jeder Staat nach dem Diskriminierungsdeveloped country Members. Such cooperation shall include assistance in the preparation of laws and regulations on the protection and enforcement of intellectual property rights as well as on the prevention of their abuse, and shall include support regarding the establishment or reinforcement of domestic offices and agencies relevant to these matters, including the training of personnel.“ Zur Entstehungsgeschichte siehe: Negotiating Group on Trade–Related Aspects of Intellectual Property Rights, including Trade in Counterfeit Goods: Compilation of written submissions and oral statements, Doc. MTN.GNG/ NG11/W/12/Rev.1 § 108 (S. 27) 213
Die englische, authentische Fassung lautet: „Developed country Members shall provide incentives to enterprises and institutions in their territories for the purpose of promoting and encouraging technology transfer to least–developed country Members in order to enable them to create a sound and viable technological base.“ Dazu Report of the High Commissioner, a.a.O. (Fn. 101), § 19; Decision on Implementation–Related Issues and Concerns, WTO–Doc. WT/MIN(01)/17 § 12. Anzellotti a.a.O. (Fn. 193), Art. 66 Rn. 18 nennt als Beispiele Steuervorteile, Zuschüsse, Forschungskooperationen und Trainingsprogramme; sie betont aber auch die fehlende TRIPs–Verpflichtung zum Technologietransfer selbst. 214
Report of the High Commissioner, a.a.O. (Fn. 101), §§ 16 f.; Sajó a.a.O. (Fn. 20), S. 261; Rott a.a.O. (Fn. 19), S. 105. Zu Art. 7 TRIPs und seinem Bezug zu Art. 15 Abs. 1 b) IPwskR: Schabas a.a.O. (Fn. 20), S. 292; Herrlich a.a.O. (Fn. 19), S. 42 f.; andeutungsweise auch: Focke Höhne in: Busche/Stoll a.a.O. (Fn. 29), Art. 7 Rn. 6 Art. 7 des TRIPS–Abkommens lautet übersetzt: „Ziele: Der Schutz und die Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums sollen zur Förderung der technischen Innovation sowie zur Weitergabe und Verbreitung von Technologie beitragen, dem beiderseitigen Vorteil der Erzeuger und Nutzer technischen Wissens dienen, in einer dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wohl zuträglichen Weise erfolgen und einen Ausgleich zwischen Rechten und Pflichten herstellen.“ Art. 8 lautet: „(1) Die Mitglieder dürfen bei der Abfassung oder Änderung ihrer Gesetze und sonstigen Vorschriften die Maßnahmen ergreifen, die zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und Ernährung sowie zur Förderung des öffentlichen Interesses in den für ihre sozio–ökonomische und technische Entwicklung lebenswichtigen Sektoren notwendig sind; jedoch müssen diese Maßnahmen mit diesem Übereinkommen vereinbar sein. (2) Geeignete Maßnahmen,
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
411
verbot des Artikels 27 Absatz 1 Satz 2 des TRIPs–Abkommens verpflichtet, Patente auf allen Gebieten der Technik vorzusehen. Nach Artikel 7 des TRIPs–Abkommens soll er aber einen Ausgleich zwischen den Interessen des Erzeugers und denen der Nutzer – nicht nur der innerstaatlichen – finden. Dieser Ausgleich kann je nach Art der Erfindung unterschiedlich sein.215 Das bedeutet insbesondere: Wenn Erfindungen den Schutzbereich mehrerer Menschenrechte der Verwerter betreffen, etwa eine Wasserwiederaufbereitungsanlage, erlaubt das TRIPs–Abkommen, diese Aspekte zu berücksichtigen und den Erfinderschutz etwas in den Hintergrund zu drängen. Fazit: Es ist davon auszugehen, dass TRIPs–Mitglieder es nicht riskieren, dass gegen sie ein GATT–Streitbeilegungsverfahren eingeleitet wird. Das TRIPs–Abkommen kann aber nach seinem heutigen Verständnis flexibel gehandhabt werden, so dass den Ländern ein ausreichend großer Spielraum für die Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Sozialpakt bleibt.216
cc) Die erweiterten Möglichkeiten im Gesundheitsbereich Was den medizinischen Sektor betrifft, sind die Möglichkeiten zur menschenrechtskonformen Anwendung des TRIPs–Abkommens erweitert. So nahm man sich auf der Ministerkonferenz in Doha im November 2001 der Problematik der Zwangslizenzen im medizinischen Sektor an, was zur Verabschiedung der Ministererklärung über „TRIPs und die die jedoch mit diesem Übereinkommen vereinbar sein müssen, können erforderlich sein, um den Mißbrauch von Rechten des geistigen Eigentums durch die Rechtsinhaber oder den Rückgriff auf Praktiken, die den Handel unangemessen beschränken oder den internationalen Technologietransfer nachteilig beeinflussen, zu verhindern.“ 215 216
Rott a.a.O. (Fn. 19), S. 109 mit Beispielen
Dies kommt deutlich zum Ausdruck in den „Concluding observations“ betreffend Chile, UN Doc. E/C.12/1/Add.105 vom 26. November 2004 § 60; siehe auch Report of the High Commissioner a.a.O. (Fn. 101), § 28; Haugen: Patent Rights and Human Rights, a.a.O. (Fn. 19), S. 109 und S. 116; Rott a.a.O. (Fn. 19), S. 103 und 109. Zu den Spielräumen: Joseph Straus: TRIPs, TRIPs–plus oder TRIPs–minus – Zur Zukunft des internationalen Schutzes des Geistigen Eigentums, in: Festschrift für Gerhard Schricker, 2005, S. 197 (S. 205 – 209). Zu den menschenrechtlichen Einbruchstellen im WTO–System: Wai: a.a.O. (Fn. 206), S. 57 – 64; Musungu: The REBSP and Intellectual Property, a.a.O. (Fn. 182), S. 35 f.; Herrlich a.a.O. (Fn. 19), S. 174 – 186
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
öffentliche Gesundheit“ führte, der sogenannten „Doha–Erklärung“.217 Darin bekennen sich die Regierungen zum einen dazu, das TRIPs– Übereinkommen in einer Weise auszulegen, die das Recht der Regierungen stärkt, den Schutz der öffentlichen Gesundheit ihres Landes zu gewährleisten. Darüber hinaus wird die Übergangsfrist zur Umsetzung des TRIPs–Abkommens für die Bestimmungen zum Patentschutz für Pharmazeutika auf das Jahr 2016 verlängert. Im Anschluss an die Doha–Erklärung hat der Allgemeine Rat der WTO nach Artikel IX § 3 in Verbindung mit Artikel IV § 2 Satz 2 des WTO– Gründungsabkommens218 entschieden, dass Artikel 31 (f) TRIPs in bestimmten Situationen „abbedungen“ werden soll.219 Ländern mit geringer Produktionskapazität für Medikamente soll damit die Möglichkeit gegeben werden, an essentielle Generika – also Kopien der Originalpräparate – heranzukommen. Artikel 31 (f) soll demnach nicht mehr gelten, wenn ein Staat eine Zwangslizenz für den Export eines pharmazeutischen Produkts in ein Entwicklungsland oder in ein anderes Land erteilt, das dem TRIPs–Rat die Nutzung des Systems notifiziert. Das Importland muss dem TRIPs– Rat Namen und benötigte Menge des Produkts mitteilen, die Erteilung einer Zwangslizenz nach Artikel 31 des TRIPs–Abkommens bestätigen oder ankündigen, sowie – falls es sich nicht um ein Entwicklungsland handelt – darlegen, dass es nicht über ausreichende Produktionskapazi-
217
UN Doc. WT/MIN(01)/DEC/W/2 vom 14. November 2001. Dazu allgemein: Stellungnahme des Ausschusses: Stellungnahme des Ausschusses: Human rights and intellectual property, a.a.O. (Fn. 184), § 17; Focke Höhne in: Busche/Stoll a.a.O. (Fn. 29), Art. 31 Rn. 29; Zur Rechtsnatur: Hestermeyer: Human Rights and the WTO, a.a.O. (Fn. 198), S. 279 – 282: „authentische Interpretation gemäß Art. IX § 2 WTO–Gründungsabkommen“; ähnlich Naigen a.a.O. (Fn. 194), S. 215 218
Marrakesh Agreement Establishing the World Trade Organization, a.a.O. (Fn. 2); zweifelnd hinsichtlich der Rechtsgrundlage: Hestermeyer: Flexible Entscheidungsfindung in der WTO, a.a.O. (Fn. 203), S. 198 f. 219
Entscheidung des TRIPS–Rates vom 30. August 2003: Implementation of paragraph 6 of the Doha Declaration on the TRIPS Agreement and public health, UN Doc. WT/L/540 and Corr.1 vom 1. September 2003 § 2: „The obligations of an exporting Member under Article 31(f) of the TRIPS Agreement shall be waived with respect to the grant by it of a compulsory licence to the extent necessary for the purposes of production of a pharmaceutical product(s) and its export to an eligible importing Member(s) [...]“; befürwortend Hunt a.a.O. (Fn. 196), § 43
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täten im pharmazeutischen Sektor für das Gut verfügt.220 Die Zwangslizenz des Exportlandes darf nur für die benötigte Menge erteilt werden und muss gänzlich für den Export bestimmt sein. Sie muss eine besondere Markierung der Produkte vorsehen, zum Beispiel durch eine spezielle Verpackung oder Einfärbung, und den Lizenznehmer verpflichten, die produzierte Menge und die Markierung des Produkts im Internet zu veröffentlichen. Weiter muss auch das Exportland den TRIPs– Rat über die erteilte Zwangslizenz in Kenntnis setzen. Des Weiteren müssen importierende Länder vernünftige Maßnahmen zur Verhinderung des Reexports des Produkts treffen, und andere Mitgliedstaaten sollen die Verfügbarkeit von Rechtsmitteln zur Verhinderung des Imports solcher Produkte in ihr Territorium sicherstellen.221 Auf diese Ideen aufbauend wurde ein Zusatzprotokoll zum TRIPs– Abkommen geschaffen.222 Im Wesentlichen soll danach ein Artikel 31bis eingefügt werden, der inhaltlich der eben besprochenen Erklärung des WTO–Rats ähnelt. Exportierende Ländern sollen vom Binnenmarkterfordernis freigestellt werden, wenn im Importland keine ausreichenden Produktionskapazitäten für die benötigten Arzneien bestehen. Fazit: Wenn medizinische Patente betroffen sind, lässt das TRIPs– Abkommen den Staaten einen noch größeren Spielraum zur Erfüllung ihrer Menschenrechtsverpflichtungen. Ein Land hat es daher schwer, vor dem Ausschuss zu begründen, warum es keine Zwangslizenzen erlässt, wenn dies der optimale Weg ist, um Menschen Zugang zu essentiellen Medikamenten zu verschaffen.
j) Die Frage der Nutzung von TRIPs–Flexibilitäten im Verfahren vor dem Ausschuss Die Flexibilitäten bei der Handhabung des TRIPs–Abkommens sind zwar eine notwendige, aber keine hinreichender Bedingung dafür, dass 220 Allgemein zu derartigen Anträgen auf internationale Kooperation: Anzellotti a.a.O. (Fn. 193), Art. 67 Rn. 5 221
Zu diesem „waiver“: Hestermeyer: Flexible Entscheidungsfindung in der WTO, a.a.O. (Fn. 203), S. 198 – 200; ders.: Human Rights and the WTO, a.a.O. (Fn. 198), S. 266 ff.; kritisch zur fehlenden Umsetzungspraxis: ibidem, S. 271 f.; ähnlich kritisch zur Umsetzung der Doha–Erklärung: Weissbrodt/Schoff a.a.O. (Fn. 207), S. 215 222
WTO Doc. IP/C/41 vom 6. Dezember 2005; zur Entstehungsgeschichte: Hestermeyer: Human Rights and the WTO, a.a.O. (Fn. 198), S. 272 – 274
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Menschen – vor allem in Entwicklungsländern – Zugang zu Innovationen erhalten. Es bedarf Länder, insbesondere Industrieländer, die von diesen Flexibilitäten Gebrauch machen.223 Hier kommt der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ins Spiel. Er ist der treibende Motor, er kann sicherstellen, dass die Staaten den Spielraum des TRIPs–Abkommens zugunsten der Wsk–Rechte nutzen.224 Auch kann in seinem Verfahren – nicht nur im TRIPs–Streitbeilegungsverfahren – dafür gesorgt werden, dass reiche Länder arme nicht behindern, wenn letztere die TRIPs–Flexibilitäten zugunsten des Rechts auf Zugang zu den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung nutzen.225 Bestmögliche Ergebnisse für die Menschenrechtsverwirklichung erreicht der Ausschuss aber auch an dieser Stelle nur, wenn sein Berichtsprüfungsverfahren optimal ausgestaltet ist. Hier schließt sich der Kreis der vorliegenden Arbeit: Das IBSA–Verfahren im transnationalen Bereich ist ein Weg, um trotz bestehender gewerblicher Schutzrechte den Zugang menschenrechtlich besonders relevanter Güter in Entwicklungsländern zu verbessern. Zu groß wäre ohne geprüfte Benchmarks die Gefahr, dass Staaten sich auf ihren riesigen Ermessensspielraum bei der Umsetzung ihrer extraterritorialen Pflichten berufen. Fazit: Der Ausschuss ist in der Lage, die Staaten anzuhalten, ihren Patentschutz zugunsten der Wsk–Rechte auszuüben. Dafür bedarf es aufgrund des weiten staatlichen Ermessens bei der Verwirklichung der Wsk–Rechte aber Indikatoren und Benchmarks.
223
Hunt a.a.O. (Fn. 196), § 43; Hestermeyer: Human Rights and the WTO, a.a.O. (Fn. 198), S. 270 und 275 f.; Haugen: Patent Rights and Human Rights, a.a.O. (Fn. 19), S. 113 224
Haugen stellt die materielle Seite des Zusammenhangs treffend dar: „Exclusion or exception provisions of WTO treaties might relate to the same subject matter as human rights law. Hence, what is worded as a right of governments to apply an exception in WTO treaties might well be an obligation in human rights law.“ [sic], Haugen: Patent Rights and Human Rights, a.a.O. (Fn. 19), S. 107 225
Audrey Chapman: The REBSP and the Right to Health, in: UNESCO– Report a.a.O. (Fn. 182), S. 18 (S. 19); zum Menschenrecht auf Gesundheit im WTO–System: Hestermeyer: Human Rights and the WTO, a.a.O. (Fn. 198), S. 207 – 229
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
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k) Transnationale Pflichten im gewerblichen Rechtsschutz und ihre Verortung Wie weit die transnationalen Pflichten im Zusammenhang mit dem gewerblichen Rechtsschutz reichen, richtet sich danach, auf welcher Ebene – „respect“, „protect“ oder „fulfil“ – sie liegen.226
aa) „Respect“–Ebene Man könnte argumentieren, die Pflichten befänden sich auf der „Respect“–Ebene, da die Staaten den Patentschutz hoheitsrechtlich gewährt haben. Bestünde er nicht, so gäbe es aufgrund des dann gesteigerten Wettbewerbs vermutlich einen günstigeren Anbieter, und die Menschen in den Entwicklungsländern hätten verbesserte Chancen, an Innovationen zu kommen. Aber kann die Ansicht, hier läge ein staatlicher „Eingriff“ vor, wirklich überzeugen? Klassischerweise versteht man unter einem Eingriff ein staatliches Verhalten, das den Genuss eines Menschenrechts unmöglich macht oder erschwert. Das passt auf das Patentrecht und seine verwandten Rechte nur bedingt. Sie dienen nämlich auch dazu, den Genuss der Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung gerade erst herzustellen, indem sie Anreize schaffen, ein innovatives Produkt zu entwickeln.227 Außerdem betrifft die Schutzrechtsgewährung das Recht nur mittelbar. Eine Verschlechterung des Zugangs intendiert der Staat nämlich gerade nicht, sie ist nur unerwünschte Nebenfolge. Schließlich verbietet der Staat durch die Schutzrechtsgewährung dem Patentinhaber nicht, das Produkt zu günstigen Konditionen in Entwicklungsländer zu exportieren. Durch die Patenterteilung folgt für den Staat zwar eine gewisse Mitverantwortung. Aus Wertungsgesichtspunkten ist es aber nicht gerechtfertigt, von einem staatlichen Eingriff zu sprechen, zumal die Rechtsfolge228 – sofortiges Aufheben des Patentschutzes im Industriestaat – auch für die Menschen in den Entwicklungsländern nicht angemessen und nutzbringend wäre.
226
Siehe oben S. 346 ff.
227
Declaration on the TRIPS agreement and public health, UN Doc. WT/MIN(01)/DEC/2 vom 14. November 2001 (sogenannte Doha–Erklärung) § 3; Hunt a.a.O. (Fn. 196), § 42 228
Dazu oben S. 36
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Anders wäre lediglich der Fall zu behandeln, in dem der Staat selbst Schutzrechtsinhaber ist. Das dürfte aber nur selten der Fall sein. Fazit: Im Regelfall ist die „Respect“–Ebene nicht betroffen.
bb) „Protect“–Ebene Transnationale Pflichten auf der „Protect“–Ebene bestehen unter anderem, wenn ein eigener Staatsangehöriger die Menschenrechte in einem fremden Land gefährdet.229 In diesem Fall muss der Staat alle ihm möglichen Maßnahmen treffen, um den Dritten dazu zu bewegen, die Menschenrechtsverletzung abzustellen. Produziert also ein Unternehmen patentgeschützte Medikamente und setzt einen Exportpreis an, den die meisten Menschen in Entwicklungsländern nicht bezahlen können, so ist der Staat, in dem das Unternehmen sitzt, verpflichtet, diese Menschen zu unterstützen, in den Genuss des Medikaments zu kommen.230 Allerdings hat der Staat hier einen sehr großen Spielraum. Immerhin gilt es, unter anderem, die Interessen der eigenen Einwohner, die des Unternehmens und die der eigenen Volkswirtschaft zu berücksichtigen. Kartellrechtliche Regelungen231 kommen hier ebenso in Frage wie Maximalpreisbestimmungen, Verschärfung oder Aufweichung der Patentgesetze sowie gegebenenfalls Zwangslizenzen232 und sonstige Maßnahmen.233 Dabei kommt es zu fließenden Übergängen zur „Fulfil“–Ebene, denn der Staat kann beispielsweise eine Lizenz erwerben und Medikamente 229
Siehe im vorangehenden Kapitel S. 349
230
Haugen will die mit dem gewerblichen Rechtsschutz verknüpften Probleme auch auf der „Protect“–Ebene verorten, bezieht sich dabei allerdings nicht ausdrücklich auf den transnationalen Bereich, Haugen: Patent Rights and Human Rights, a.a.O. (Fn. 19), S. 109 f. 231
Zur Rechtmäßigkeit nach dem TRIPs siehe: Oliver Brand in: Busche/Stoll a.a.O. (Fn. 29), Art. 8 Rn. 39 232
Zu den Möglichkeiten, vom Binnenmarkterfordernis abzuweichen siehe unten S. 414 f. 233
Weitere Ideen bei Sajó a.a.O. (Fn. 20), S. 245: „Fonds zur Unterstützung des Zugangs von armen Ländern von Medikamenten“. Vgl. auch Bernhardt/Krasser a.a.O. (Fn. 1), S. 37, zum Verhältnis des Kartellrechts zum Patentrecht im deutschen Recht: Osterrieth a.a.O. (Fn. 1), S. 11 – 14 und S. 175 – 177; allgemein zu den transnationalen Pflichten beim Recht auf Gesundheit: Hunt a.a.O. (Fn. 196), § 28, spezifischer bei patentierten Lehren Ibidem § 35
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
417
für den Export zu günstigen Konditionen produzieren oder selbst Medikamente ankaufen, um diese zu exportieren.234 Auch hat er die Möglichkeit, mit anderen Staaten Hilfsfonds zu gründen, aus denen der Medikamenterwerb bezuschusst wird.235 Der Passus „insbesondere gesetzliche Maßnahmen“ in Artikel 2 Absatz 1 IPwskR ist nämlich aus historischen wie aus teleologischen Gründen nicht so zu verstehen, dass der Staat sich damit begnügen darf, seine Gesetze an den Sozialpakt anzupassen.236 Vielmehr ist je nach Einzelfall zu entscheiden, ob Gesetze, Verordnungen, Verwaltungs– oder Realakte die optimalen Handlungsformen sind, um die Wsk–Rechte zu verwirklichen. Fazit: Der Patentinhaber bestimmt, unter welchen Bedingungen seine Güter exportiert werden. Indem er unerfüllbare Anforderungen an den Export stellt, kann er den Menschen im Ausland den Zugang zu den Gütern faktisch versperren. Ist eine technische Lehre einmal entwickelt, ist es also der Patentinhaber, der die Menschenrechtspositionen in anderen Staaten gefährdet. Gewerblicher Rechtsschutz betrifft damit die „Protect“–Ebene der Staatspflichten. Da der Staat die Personalhoheit über die Patentinhaber hat, kann man es ihm in Analogie zum Umweltrecht zurechnen, wenn sie Ausländern den Zugang zu Innovationen versperren.
cc) „Fulfil“–Ebene Dem Problem, dass den Unternehmen Anreize fehlen, Innovationen für Bedürfnisse zu produzieren, die fast nur in Entwicklungsländern bestehen – etwa Medikamente gegen vorwiegend dort verbreitete Krankheiten –, lässt sich wohl nur auf der „Fulfil“–Ebene begegnen. Hier könnte der Industriestaat beispielsweise Forschungs– und Entwicklungsgelder zur Verfügung stellen oder Preise für die beste Produktion ausschrei-
234
Im Einfuhrland kann sich dann natürlich die Problematik des Parallelimports stellen; zum Begriff: Herrlich a.a.O. (Fn. 19), S. 46 f. 235 236
Sajó a.a.O. (Fn. 20), S. 245
General Comment Nr. 3 § 4, enthalten in: UN Doc. E/1991/23; Philip Alston/Gerald Quinn: The Nature and Scope of States’ Parties Obligations under the international Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, HRQ 9 (1989) S. 156 (S. 167 f.). Zur Semantik von „insbesondere“: Söllner a.a.O. (Fn. 140), S. 198 f.
418
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
ben.237 Jedenfalls ist er verpflichtet, dieses Problem in seine Ermessensentscheidungen einzubeziehen, auch wenn ihm ein weiter Spielraum zusteht. Allein mit den Mitteln des Patentrechts ist es bislang nicht gelungen, dieses Problem zu lösen, so dass der Staat nach Alternativen suchen muss. Fraglich ist, ob und wann aus der Analogie zum Umweltrecht die staatliche Pflicht folgt, ernsthaft und mit dem Ziel einer Einigung mit anderen Staaten zu verhandeln, wie das nationale Patentrecht bestmöglich zugunsten der transnationalen Menschenrechtsverwirklichung auszugestalten ist. Zur Erinnerung: Auf der „Fulfil“–Ebene ist der Staat dazu verpflichtet, andere Länder zu konsultieren, wenn er gemeinsame, knappe und menschenrechtlich relevante Güter im Übermaß in Anspruch nimmt.238 Die erste Frage lautet mithin: Liegt beim Gegenstand des Patentrechts ein internationales Gut vor? Oberflächlich betrachtet mag man dies verneinen. Aufgrund des Territorialitätsprinzips erscheinen Patente als rein innerstaatliche Angelegenheiten. Völkerrechtlich betrachtet gehört das geistige Eigentum allein zur Herrschaftssphäre eines Staats, es handelt sich um kein grenzübergreifendes Gut. Diese Sichtweise greift jedoch zu kurz. Die geistige Lehre ist nämlich ubiquitär.239 National ist nur das Schutzrecht, das die Verbreitung der Innovation innerhalb des eigenen Staatsgebiets beschränkt. Menschenrechtlich geht es aber primär um den Gegenstand einer Innovation als solchen, unabhängig davon, ob er patentgeschützt ist oder nicht. Es geht um Wissen, ein immaterielles Mittel zur Bedürfnisbefriedigung, ein geistiges Gut. Festzuhalten ist also: Bei technischen Lehren handelt es sich aufgrund der Ubiquität um ein gemeinschaftliches Gut. Der erste Prüfungspunkt der Analogie ist damit erfüllt. Die Pflicht, ernsthaft zu verhandeln, besteht aber nur, wenn es sich bei Innovationen um knappe Güter handelt, die vorhandene Menge also geringer ist als die nachgefragte. Zunächst ist der Gegenstand einer technischen Lehre beliebig oft reproduzierbar, also volkswirtschaftlich 237
Zur finanziellen Zusammenarbeit im Bereich des geistigen Eigentums zugunsten der Entwicklungsländer siehe Anzellotti a.a.O. (Fn. 193), Art. 67 Rn. 6 238 239
Dazu oben S. 344 f. Siehe oben S. 372
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
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ein freies Gut. Wenn aber Patente erteilt werden, wird der Gegenstand zu einem knappen Gut, da der Patentinhaber über die angebotene Menge entscheidet. Nun mag man behaupten, jeder Staat entscheide selbst darüber, ob eine Innovation Patentschutz erhalte und inwieweit sie verbreitet werde. Dem ist aber zu entgegnen, dass WTO–Mitglieder aufgrund der TRIPs–Abkommens stark eingeschränkt sind. Sie sind völkerrechtlich verpflichtet, eine zunächst freie Innovation zu einem knappen Gut zu machen, wenn die Voraussetzungen für die Schutzrechtserteilung vorliegen und der Erfinder dies beantragt. Auch wenn die Patente nur die gleichen sind, geht es bei der ihnen zugrunde liegenden menschenrechtlich relevanten Innovation um ein und dieselbe. Daraus folgt, dass es sich bei einer Lehre, die in mehreren Ländern patentgeschützt ist, um ein knappes Gut handelt, wenn die Nachfrage nach ihr das Angebot übersteigt. Wenn beispielsweise eine neue Formel für ein Medikament gegen Aids entwickelt wurde, handelt es sich um eine technische Lehre. Diese kann man zunächst in allen Ländern der Erde anwenden. Erhält der Erfinder aber in den Ländern, die Medikamente gegen Aids besonders dringend benötigen, ein Patent, kann er dadurch den Zugang zum Herstellungsverfahren oder zum Erzeugnis hemmen. Nicht allein das Medikament ist dann ein knappes Gut, sondern bereits das Produktionsverfahren, wenn ein Pharmazeutikunternehmen es anwenden möchte. Endlich setzt eine Verhandlungspflicht in Analogie zum Umweltrecht voraus, dass ein grenzübergreifendes Gut im Übermaß genutzt wird. Ein Staat muss somit die multinational patentierte Erfindung in einer Weise nutzen, die andere Länder, die diese ebenfalls anwenden wollen, unbillig benachteiligt. Ebenso wie im Wasserrecht sind auch wirtschaftliche und soziale Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Die Nutzung der technischen Lehre beginnt damit, dass ein Staat darüber disponiert, wie sie verbreitet wird. Dabei geht es vor allem um Patent– und Preispolitik. Wie oben festgestellt, sind es genau diese Verhaltensweisen, die dazu führen, dass eine Innovation in ärmeren Ländern nicht mehr verbreitet wird. Denn wäre das nationale Patentrecht weniger strikt, oder bestünde ein niedriger Maximalpreis, wären viele Erfindungen – Produktionskapazitäten vorausgesetzt – auch in Entwicklungsländern verfügbar. Wertungsmäßig gleicht dieser Fall also jenem, in dem der Staat eine gemeinsame Wasserressource für sein Hoheitsgebiet in einer Weise nutzt, die die Interessen anderer Nutzungsberechtigter beeinträchtigt. Die Unterschiede liegen darin, dass es hier
420
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
nicht um eine umweltrechtliche, sondern um eine menschenrechtliche Verteilungsproblematik geht und dass es sich nicht um eine natürliche, sondern eine künstliche Ressource handelt. Ob eine unbillige und übermäßige Nutzung vorliegt, hängt aber auch davon ab, in welchem Umfang die Innovation in einem bestimmten Land nachgefragt wird. Eine ungerechte Nutzung liegt jedenfalls vor, wenn 1.) die Innovation in mehreren Staaten gleichermaßen benötigt wird, 2.) die Innovation in Staat A weniger vertrieben wird als in Staat B und 3.) dieser geringe Vertrieb auf die Politik des Staats B zurückzuführen ist. Sind die drei Voraussetzungen für eine Informations– und Konsultationspflicht erfüllt, bedeutet das nicht, dass ein Staat jedes Mal andere Länder konsultieren muss, bevor er ein Patent erteilt, oder dass er sein Patentrecht als Ganzes zur Disposition stellen muss. Die Analogie zum Umweltrecht ist nämlich nur soweit erlaubt, als der Sozialpakt keine erkennbar abschließende Regelung enthält. Eine weite Einschränkung der Souveränität in allen patentrechtlichen Fragestellungen wäre aber mit dem Zweck des Sozialpakts und seiner Entstehungsgeschichte nicht mehr zu vereinbaren. Auch ist der Wortlaut bei den transnationalen Elementen viel zu allgemein als dass man aus ihm umfassende Konsultationspflichten im gewerblichen Rechtsschutz ableiten könnte. Außerdem liegt nicht in jedem Fall, in dem ein Industriestaat ein Patent erteilt, eine unbillige, übermäßige Nutzung vor – etwa wenn die Erfindung in anderen Ländern kaum nachgefragt wird. Unterhalb der Schwelle einer massiven Einschränkung der Souveränität im gewerblichen Rechtsschutz, wenn es um einige wenige, aber menschenrechtlich hochrelevante Patente geht, besteht dagegen eine Regelungslücke. Die Analogie zum Wasserrecht gilt insbesondere dann, wenn Menschenrechte im Ausland gravierend und ausgedehnt beeinträchtigt werden. Wenn sich empirisch belegen lässt,240 dass die gesamte Patentpolitik oder Entscheidungen in Bezug auf ein bestimmtes Patent den Genuss der Innovation in einem anderen Land massiv hemmen, obwohl sie dort erheblich nachgefragt wird, muss der Staat mit dem Land ernsthaft verhandeln. Für diese weniger massiven Einschränkungen der Souveränität enthält der Sozialpakt keine erkennbar abschließende Regelung. Verhandelt ein Staat nicht oder nicht ernsthaft genug mit anderen Ländern, in denen die Innovation dringend benötigt wird, verletzt er seine 240
Vgl. oben S. 362
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
421
„obligations of conduct“. Es gilt, Indikatoren zu finden, die messen, ob der Staat seiner Pflicht, ernsthaft zu verhandeln, nachkommt. Unabhängig von den einschlägigen Prozessindikatoren kann man ihm jedenfalls die Werte der eng mit seiner Politik korrespondierenden ausländischen Ergebnisindikatoren zurechnen. Beispielsweise kann man ihn dafür verantwortlich machen, wenn die Zahl der Aidstodesfälle in einem Land hoch ist und er sich weigert, mit diesem über eine Exportzwangslizenz für ein in beiden Ländern patentgeschütztes Präparat zu verhandeln. Man kann ihm die Indikatorwerte aber nicht zurechnen, wenn er ernsthaft verhandelt, aber einen anderen Weg als die Erteilung einer Zwangslizenz präferiert. Fazit: Greift die Analogie zum Umweltrecht, ist der Staat verpflichtet, mit anderen über seine Patentrechtsentscheidungen zu verhandeln. Im Übrigen hat er auf der „Fulfil“–Ebene ein großes Ermessen bei der Frage, wie er Innovationen bestmöglich im Ausland verbreitet. Dieses darf er konkretisieren, indem er Patentrecht setzt, denn nur eine Erfindung, die hervorgebracht wurde, kann anschließend verbreitet werden.
dd) Verhältnis der „Protect“–Pflichten zu den „Fulfil“–Pflichten Es kann sein, dass ein Staat ernsthaft verhandelt, sich aber im Ausland der Zugang zur Innovation nicht verbessert, weil ein inländischer Patentausübungsberechtigter und Produzent den Export hemmt. Dann könnte man den Staat theoretisch dafür verantwortlich machen, dass er seine „Protect“–Pflichten nicht erfüllt, denn diese bestehen zusätzlich zu den „Fulfil“–Pflichten.241 Andererseits liegt es im staatlichen Ermessen, an welchem Punkt er ansetzt, um Innovationen zu verbreiten. Immerhin verfügen die Patentinhaber nur deswegen über die „Macht“, fremde Menschenrechte zu gefährden, weil der Staat in Erfüllung seiner „Fulfil“–Pflicht Anreize gesetzt hat, Erfindungen überhaupt erst hervorzubringen. Auf der „Fulfil“–Ebene hat der Staat auch bei Bestehen einer Verhandlungspflicht ein sehr weites Ermessen. Deswegen wäre es widersinnig, wenn man unter Berufung auf seine „Protect“–Pflichten vom ihm verlangen würde, den Schutzrechtsinhabern das Recht zu nehmen, den Zugang zu den Innovationen im Ausland zu hemmen.
241
Zum entsprechenden Überschneidungen im Umweltrecht: Patricia W. Birnie/ Alan E. Boyle: International Law and the Environment, 1992, S. 116
422
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Fazit: Wenn der Staat eine Handlung vornimmt, um seine „Fulfil“– Pflichten in Bezug auf eine Innovation zu erfüllen, rechtfertigt dies Verletzungen auf der „Protect“–Ebene, die in ebendieser Handlung liegen. Denn ansonsten könnte der Staat einwenden, was der Sozialpakt von ihm verlange, sei widersprüchlich. Schließlich liegt es in seinem Ermessen, welchen Weg er zur Verbreitung von Innovationen wählt, und diesen Spielraum will der IPwskR nicht beschränken.
l) Das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen der Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst Bisher wurde geklärt, inwiefern das TRIPs–Abkommen den Staat hindert, seinen Pflichten aus Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR nachzukommen. Daran schließt sich die Frage an, inwieweit der Sozialpakt selbst verbietet, gewerbliche Schutzrechte zugunsten der extraterritorialen Menschenrechtsverwirklichung auszugestalten. Dabei fällt der Blick auf Artikel 15 Absatz 1 c), der verlangt, Erfinder zu schützen. Das Recht eines jeden auf den Schutz der geistigen und materiellen Interessen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen (Artikel 15 Absatz 1 c) IPwskR) wird seit den letzten Jahren zunehmend erforscht.242 Zur Klärung trug insbesondere ein „General Comment“ bei, den der Ausschuss im Jahr 2005 herausgab.243
aa) Zum Inhalt Die authentische englische Fassung des Artikels 15 Absatz 1 c) IPwskR lautet: „The States Parties to the present Covenant recognize the right of everyone: [...] To benefit from the protection of the moral and mate242 Vgl. auch Art. 27 Abs. 2 AEMR; Art. 13 Abs. 2 der American Declaration of the Rights and Duties of Man von 1948; Art. 14 Abs. 1 (c) des Zusatzprotokolls zur Amerikanischen Menschenrechtskonvention (Protokoll von San Salvador) sowie – auch wenn nicht ausdrücklich erwähnt – Art. 1 des ersten Zusatzprotokolls zur EMRK. Zur chronischen Vernachlässigung des Rechts bis zum Jahr 2000: Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 67), S. 72 f.; ders: General Comment No. 17, a.a.O. (Fn. 188), S. 55 243
General Comment Nr. 17 a.a.O. (Fn. 139). Siehe auch die umfangreiche Arbeit von Schneider a.a.O. (Fn. 130)
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rial interests resulting from any scientific, literary or artistic production of which he is the author.“244 Artikel 15 Absatz 1 c) IPwskR ist nicht mit Urheberrecht oder gewerblichen Schutzrechten gleichzusetzen.245 Im Gegensatz zu Menschenrechten sind jene Positionen nämlich in der Regel temporärer Natur, können widerrufen, lizenziert, übertragen, zeitlich sowie in Bezug auf den Umfang begrenzt, gehandelt, geändert oder verwirkt werden.246 Menschenrechte sind dagegen zeitlose Ausdrücke fundamentaler Ansprüche der menschlichen Person.247 Artikel 15 Absatz 1 c) IPwskR sichert die persönliche Verbindung zwischen Schöpfern und ihren Werken einerseits sowie zwischen Völkern, Gemeinschaften und ihrem kulturellen Erbe andererseits.248 Gesichert werden auch die grundlegenden materiellen Interessen, die notwendig sind, um den Schöpfern einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen. Gewerblicher Rechtsschutz beschirmt indes primär Geschäfts– und Unternehmensinteressen sowie Investitionen. Nach umstrittener, aber richtiger Auffassung schützt Artikel 15 Absatz 1 c) IPwskR auch Erfinder.249 Dafür spricht zum einen, dass Erfindungsschutz – wie Patente – die in Artikel 15 Absatz 3 IPwskR gewährleistete Forschungsfreiheit absichert.250 Vor allem aber sind Erfindun-
244 Zur Abstimmung über diese Klausel: GAOR Twelfth Session, Agenda item 33, UN Doc. A/3764 (Annex XII) S. 9 (§ 83), zur Initiative: Ibidem S. 8 (§ 71) 245 246 247
General Comment Nr. 17 a.a.O. (Fn. 139), § 3 Ibidem, § 2 Ibidem
248
Haugen: General Comment No. 17, a.a.O. (Fn. 188), S. 58 spricht von „person–product link“; ders.: Patent Rights and Human Rights, a.a.O. (Fn. 19), S. 99; spezifischer eine Stellungnahme während der Paktausarbeitung: GAOR Twelfth Session, Agenda item 33, UN Doc. A/3764 (Annex XII) S. 9 (§ 77) 249 General Comment Nr. 17 a.a.O. (Fn. 139), § 9; Schneider a.a.O. (Fn. 130), S. 154 f.; Haugen: General Comment No. 17, a.a.O. (Fn. 188), S. 57; auch zur Gegenansicht: Hestermeyer: Human Rights and the WTO, a.a.O. (Fn. 198), S. 155 f.; andeutungsweise auch die Stellungnahme der UdSSR während der Paktth ausarbeitung: GAOR twelfth session, Third Committee, 798 meeting, UN Doc. A/C.3/SR.798, S. 184 250
Schneider a.a.O. (Fn. 130), S. 159
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gen, ebenso wie Werke, Ausdruck der Persönlichkeit ihrer Schöpfer,251 und diese Interessen sind in vielen Staaten unabhängig vom Sozialpakt geschützt.252 Andererseits erfasst Absatz 1 c) keine Marken, da es sich bei ihnen weniger um einen aktiven Beitrag zum kulturellen Leben als um ein wettbewerbsstrategisches Instrument handelt, mit dessen Hilfe Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens vor der Verwechslung mit solchen konkurrierender Unternehmen bewahrt werden.253 Auch Sortenschutzrechte werden von Artikel 15 Absatz 1 c) IPwskR nicht erfasst, da in ihnen – zumindest nicht in dem Maße wie bei der Schaffung eines Kunstwerks – nicht die individuelle Persönlichkeit zum Ausdruck kommt. Sehr darüber streiten lässt sich, inwieweit Gebrauchsmuster unter Artikel 15 Absatz 1 c) IPwskR subsumiert werden können. Überzeugend ist es, eine spezifisch menschenrechtliche Schöpfungshöhe zu verlangen. Da Menschenrechte andere Zwecke verfolgen als größtenteils das Gebrauchsmusterrecht, ist es irrelevant, unter welchen Voraussetzungen Gebrauchsmuster, Patente mit verkürzter Laufzeit oder vergleichbare Schutzformen erteilt werden. Damit stellt sich die Frage, wo genau die erforderliche menschenrechtliche Schöpfungshöhe liegt. Das Recht aus Artikel 15 Absatz 1 c) IPwskR bezweckt unter anderem, die Schöpfer zu ermutigen, einen aktiven Beitrag zu Kunst und Wissenschaft zu leisten und damit die Gesellschaft insgesamt zu fördern.254 Auf diese Weise ist es eng verbunden mit den anderen Forderungen des Artikels 15 IPwskR, zum Beispiel denen in seinen Absätzen 1 a)255, 1 b) und 3. Die Beziehung zwischen diesen und Artikel 15 Absatz 1 c) ist 251
General Comment Nr. 17 a.a.O. (Fn. 139), § 14; die Einbeziehung des Erfinderschutzes in das Pendant–Recht der AEMR wird angedeutet in den Aussagen der USA in den traxaux préparatoires zur AEMR, GAOR, Third Session, Part 1, Third Committee, Summary Records of meetings, 21 September – 8 December 1948, S. 621 und Canadas, ibidem S. 632 252 253
ter
Vgl. Art. 4 PVÜ Schneider a.a.O. (Fn. 130), S. 161 f.
254
In diesem Sinne Stellungnahmen während der Paktausarbeitung: Griechenland: GAOR twelfth session, Third Committee, 798th meeting, UN Doc. A/C.3/SR.798 S. 183, Israel: Ibidem S. 184 255 Die deutsche Übersetzung lautet: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden an, [...] am kulturellen Leben teilzunehmen“
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zugleich verstärkend und gegenseitig hemmend.256 Damit ähnelt der Konflikt dem oben genannten257 aus dem Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes.258 In beiden Fällen muss ein Ausgleich zwischen öffentlichen und privaten Interessen hergestellt werden.259 Wie intensiv jedoch der Schutz des Absatzes 1 c) ausgestaltet werden muss, um möglichst stark dazu anzureizen, zu erfinden oder das kulturelle Leben durch Werke zu bereichern, kann nur jeder Staat selbst beantworten.260 Der Sozialpakt gibt lediglich einen Rahmen vor, eine feste Grenze, welche konkrete Schöpfungshöhe erforderlich ist, um alle drei Komponenten des Absatzes 1) optimal miteinander in Einklang zu bringen, liefert er nicht.261 Allenfalls lässt sich eine Neuerung dann nicht mehr unter Artikel 15 Absatz 1 c) IPwskR subsumieren, wenn in ihr die Persönlichkeit des Schöpfers keinen Ausdruck findet, sondern die Innovation nur kommerziellen Zwecken dient.262 Es muss somit im Einzelfall geprüft werden, ob die erforderliche Schöpfungshöhe, die das nationale Gebrauchsmusterrecht verlangt, noch als Ausdruck der Kreativität gesehen werden kann. Zu beachten ist dabei nicht zuletzt der völkerrechtliche Grundsatz, demzufolge internationale Menschenrechte extensiv auszulegen sind. 256
General Comment Nr. 17 a.a.O. (Fn. 139), § 4; Eibe Riedel in: Committee on Economic, Social and Cultural Rights: Summary record of the 77th meeting, UN Doc. E/C.12/2000/SR.77, § 14; ebenso die Stellungnahme der Philippinen: GAOR twelfth session, Third Committee, 798th meeting, UN Doc. A/C.3/SR.798 S. 183. Die Medizin kennt ein ähnliches Problem beim Beziehungsverhältnis zwischen den Hormonen Adrenalin und Noradrenalin. Diese wirken, je nach Konzentration, agonistisch oder antagonistisch auf die Empfangsorgane 257 258
S. 369 Report of the High Commissioner, a.a.O. (Fn. 101), § 11
259
Der menschenrechtliche Konflikt wurde bereits während der Ausarbeitung der AEMR gesehen, vgl. die Stellungnahmen Chiles, GAOR of the Third Session, Part 1, Third Committee, 1948, S. 632 und Cubas, ibidem, S. 628 260
Die deutsche Lehre, wonach Schutzbereich und Eingriffsrechtfertigung streng voneinander zu trennen sind, kann nicht ohne Weiteres auf das Völkerrecht übertragen werden 261
Vgl. die Zusammenfassung von Stellungnahmen während der Paktausarbeitung: GAOR Twelfth Session, Agenda item 33, UN Doc. A/3764 (Annex XII) S. 9 (§ 77); Cullet a.a.O. (Fn. 154), S 409 262
Schneider a.a.O. (Fn. 130), S. 147
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Unabhängig davon besteht ein fundamentaler Unterschied zu gewerblichen Schutzrechten: Artikel 15 Absatz 1 c) IPwskR ist ein Menschenrecht, als solches schützt es nur natürliche Personen.263 Zwar existieren auch fundamentale Rechte, auf die sich auch juristische Personen berufen können, bei Artikel 15 Absatz 1c) IPwskR ist dies aber nicht der Fall. Dafür sprechen der Wortlaut „everyone“, „he“ und „author“,264 die Entstehungsgeschichte265 sowie die Überlegung, dass in der schöpferischen Tätigkeit eines Menschen dessen Persönlichkeit und Würde zum Ausdruck kommt.266 Wie viele Patente werden aber heutzutage noch von Individuen angemeldet beziehungsweise innegehalten? Die Zahl ist gering.267 Man könnte natürlich argumentieren, dass es ohne die investierenden Unternehmen weniger Erfinder gäbe, denn schließlich ist eine große Zahl von ihnen bei diesen Unternehmen beschäftigt. Damit kommt also der Patentschutz mittelbar den materiellen und sogar auch den geistigen Interessen potentieller Erfindern zugute. Eine derartige Sichtweise geht aber über den Rahmen dessen hinaus, was Menschenrechte schützen wollen. Artikel 15 Absatz 1 c) IPwskR
263
General Comment Nr. 17 a.a.O. (Fn. 139), § 7; Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 67), S. 152 264
General Comment Nr. 17 a.a.O. (Fn. 139), § 7
265
Vgl. GAOR 12th Session, Third Committee, Summary Records of the th 799 Meeting, UN Doc. A/CR.3/SR.799, S. 187 266
Riedel in: Summary record of the 77th meeting, a.a.O. (Fn. 256), § 20
267
Vgl. WIPO Pressemitteilung Nr. 436 vom 3. Februar 2006; DPMA Jahresbericht 2006, S. 10; Zahlen des EPA für 2006 abrufbar auf http://www. epo.org/about–us/press/backgrounders/top–filers.html (abgerufen am 17. März 2008); Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 67), S. 152 m.w.N.; Hestermeyer: Human Rights and the WTO, a.a.O. (Fn. 198), S. 157: „Pharmaceutical patents are rarely ever owned by the inventor. Nor are the enourmous costs necessary to sustain inventive activity shouldered by the inventor.“ Anders die Situation 1948, vgl. die Stellungnahme Frankreichs in: GAOR of the Third Session, Part 1, Third Committee, 1948, S. 620, Belgiens: Ibidem, S. 622, wobei das potentielle Auseinanderfallen von Erfinder und Patentinhaber auch damals bereits gesehen wurde, vgl. die Stellungnahme des Vereinigten Königreichs Ibidem, S. 624
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beschirmt nämlich lediglich die Existenzgrundlage des Erfinders,268 und dafür muss nicht notwendigerweise der Profit eines Unternehmens gesteigert oder auch nur erhalten werden.269 Fazit: Artikel 15 Absatz 1 c) IPwskR ist ein Menschenrecht, das geistige und materielle Interessen der Urheber und Erfinder schützt. Es ist nicht deckungsgleich mit gewerblichen Schutzrechten, die heutzutage primär auf den Schutz von Unternehmensinteressen gerichtet sind. Auch wenn mit der Förderung des gesellschaftlichen Wohlstandes in beiden Fällen dasselbe Endziel verfolgt wird, so unterscheiden sich die Systeme doch gravierend. Beispielsweise wird das Recht aus Artikel 15 Absatz 1 c) IPwskR nicht in jedem Fall verletzt, in dem ein Schutzstandard hinter dem des TRIPs zurückbleibt.
bb) Schlussfolgerungen Da Artikel 15 Absatz 1 c) IPwskR keine Unternehmen, die Patente innehalten, schützt, steht es dem Genuss des Rechts auf Zugang zu den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung kaum entgegen.270 Wenn aber dem Zugangsrecht praktisch keine anderen Rechte widerstreiten, schwingt das Pendel bei der Abwägung zwischen öffentlichen und privaten Interessen zu Gunsten des Zugangsrechts.271 Man darf also nicht unter Berufung auf Artikel 15 Absatz 1 c) IPwskR durch Patentrecht das Recht aus Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR oder andere Menschenrechte einschränken. Allenfalls ist es gestattet, den seltenen Ausnahmen Rechnung zu tragen, in denen eine natürliche Person Patentinhaber ist.272 Da der Sozialpakt aber keine Aussage über das Verhältnis zwischen Artikel 15 Absatz 1 b) und c) trifft,273 hat jeder Staat nach allgemeinen Regeln einen Beurteilungsspielraum. Somit muss nicht zwingend der Schutz des Rechts auf 268
So ist sogar der Schutz der Erben gerade nicht in die Endfassung von Art. 27 AEMR aufgenommen worden, entgegen dem Vorschlag Ecuadors in: GAOR of the Third Session, Part 1, Third Committee, 1948, S. 624 269
Hestermeyer: Human Rights and the WTO, a.a.O. (Fn. 198), S. 157
270
Ähnlich und noch weitergehend: Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 67), S. 160 f. 271 272 273
So Hestermeyer: Human Rights and the WTO, a.a.O. (Fn. 198), S. 158 Schneider a.a.O. (Fn. 130), S. 409 Schabas a.a.O. (Fn. 20), S. 274
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Zugang zu den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung zurücktreten. Vielmehr kann der Staat sich etwa auch mit der Veröffentlichung des Erfindernamens und einer Erfindungsprämie begnügen.274 Andererseits darf das Land aufgrund seines Ermessens individuelle Schöpfer auf hohem Niveau schützen. Nicht zuletzt wegen Artikel 5 Absatz 1 IPwskR275 und der fehlenden Hierarchie unter den Wsk– Rechten276 müssen aber die Kernbereiche aller Menschenrechte gesichert bleiben, vor allem derjenige des Artikels 15 Absatz 1 b) IPwskR.277 Der Schutz der Schöpfer muss dann aber Ziel und darf nicht nur erwünschte und gelegentlich auftretende Nebenfolge sein, wie es derzeit beim Patentrecht der Fall ist. Fazit: Artikel 15 Absatz 1 c) IPwskR ist für das Ergebnis der vorliegenden Untersuchung nahezu irrelevant. Der Staat muss den Ansprüchen der natürlichen Personen nur irgendwie Rechnung tragen. Das rechtfertigt aber nicht massive Einschränkungen anderer Menschenrechte, insbesondere desjenigen auf Zugang zu den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung durch Patente.
4.) Zwischenergebnisse: Die Pflichten und die Ermessenserwägungen bei der Ausgestaltung des gewerblichen Rechtsschutzes Bei der Ausgestaltung ihrer gewerblichen Schutzrechte haben die Staaten nach Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 IPwskR zu berücksichtigen, dass auch Menschen in fremden Staaten schnell und nachhaltig bestmöglichen Zugang zu Innovationen erhalten müssen.
274
Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 67), S. 148; ders.: General Comment No. 17, a.a.O. (Fn. 188), S. 60; zu den früheren „Erfinderscheinen“: Bernhardt/Krasser a.a.O. (Fn. 1), S. 26 275
Die authentische, englische Fassung des Art. 5 Abs. 1 IPwskR lautet: „Nothing in the present Covenant may be interpreted as implying for any State, group or person any right to engage in any activity or to perform any act aimed at the destruction of any of the rights or freedoms recognized herein, or at their limitation to a greater extent than is provided for in the present Covenant.“ 276 277
Dazu S. 24 f.
Vgl. Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 67), S. 170 und S. 175
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Der Konflikt zwischen Patent– und Menschenrechten darf nicht zur Fehlvorstellung verleiten, dass aus menschenrechtlicher Sicht keinerlei Innovationen mehr patentiert werden sollten. Schließlich verlangt Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR, Erfindungsanreize zu setzen und Forschungsergebnisse zu veröffentlichen. Und beides wird durch den gewerblichen Rechtsschutz sichergestellt.278 Der Staat hat ein Ermessen bei der Frage, wie streng der Patentschutz sein muss, um den Einwohnern in fremden Staaten optimalen Zugang zu den Erfindungen zu gewähren.279 Insbesondere kann er einen kurzfristigen, erfolgversprechenden Ansatz wählen, der die Rechte der Erfinder eher beschränkt, oder auf langfristigen Erfolg durch Patentschutz vertrauen.280 Die Staaten üben ihr Ermessen aber nur ordnungsgemäß aus, wenn sie prüfen, inwieweit sie durch die Erteilung von gewerblichen Schutzrechten den Zugang zu den Rechtselementen verschlechtern.281 Außerdem müssen sie kompensatorische Maßnahmen treffen, wenn der Zugang zu einer Innovation, die im Inland patentgeschützt ist, im Ausland nicht ausreichend sichergestellt ist.282 Allerdings gilt dies nur, soweit im Staat volkswirtschaftliche Kapazitäten bestehen, die Innovation ins Ausland zu exportieren. Bei den kompensatorischen Maßnahmen haben die Länder wiederum einen weiten Spielraum. Beispielsweise kann ein Staat den Export von Auflagen abhängig machen, Maximalpreise festsetzen, hohe Hürden für die Patenterteilung aufstellen oder in der WTO darauf hinwirken, dass – abweichend vom Binnenmarktserfordernis – Zwangslizenzen erteilt werden dürfen. Dass normativer Erfindungsschutz durch Gewährung von Schutzrechten jedoch faktisch nicht ausreicht, um die transnationalen Menschenrechtspflichten zu erfüllen, zeigt sich unter anderem darin, dass trotz bestehender Patentrechtssysteme Unternehmen nicht genügend Anrei-
278 279
Ibidem, S. 167 Haugen: The Right to Food and the Trips Agreement, a.a.O. (Fn. 67),
S. 130 280 281
Rott a.a.O. (Fn. 19), S. 104 Sub–Commission on Human Rights: Resolution 2001/21, a.a.O. (Fn. 139),
§5 282
S. 113
Allgemein: Haugen: Patent Rights and Human Rights, a.a.O. (Fn. 19),
430
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
ze haben, Innovationen für Entwicklungsländer zu produzieren.283 Denn die Monopolstellung nützt dem Patentinhaber nur dann etwas, wenn es einen kaufkräftigen Markt gibt, der die Forschungskosten zu amortisieren verspricht. Daran fehlt es jedoch, wenn sich die Menschen in den Entwicklungsländern die Innovationen kaum leisten können. Auf der „Fulfil“–Ebene kann der Staat unter anderem verpflichtet sein, ernsthaft mit einem Land über patentrechtliche Fragen zu verhandeln. Dies ist der Fall, wenn eine Innovation 1.) in beiden Ländern geschützt ist, 2.) essentiell für die Einwohner im Ausland ist und 3.) im Ausland nicht ausreichend zugänglich ist. Welche Verhandlungsstrategie ein Staat wählt, liegt jedoch in seinem Ermessen. Schließlich sind die transnationalen Menschenrechtspflichten nur eine von vielen staatlichen Aufgaben. Das Interesse, Innovationen verstärkt im Ausland zugänglich zu machen, muss daher gegen andere Interessen, vor allem andere menschenrechtlicher Natur, abgewogen werden. Um zu kontrollieren, ob ein Staat sein Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat, bietet sich die IBSA–Methode an. Fazit: Als Faustregel muss sich der Staat immer fragen, wie er seine gewerblichen Schutzrechte so optimieren kann, dass sich der Zugang zu Innovationen im Ausland verbessert.284 Auch muss er überlegen, welche ergänzenden Maßnahmen er auf nationaler wie auf internationaler Ebene trifft, um den Zugang zu Innovationen in Entwicklungsländern zu verbessern. Es gibt eben keine Patentlösung für das Problem.
283
WHO – Intergovernmental working group on public health, innovation and intellectual property: Draft global strategy and plan of action on public health, innovation and intellectual property, UN Doc. A/PHI/ IGWG/2/Conf.Paper No.1 vom 10. November 2007, § 3; Herrlich a.a.O. (Fn. 19), S. 25 284
Ibidem, S. 121. Kritisch zu den Berichtsrichtlinien in diesem Punkt ibidem, S. 122 f.
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
431
II. Ausgewählte Verletzungen, transnationale Indikatoren und Benchmarks mit Bezug zum gewerblichen Rechtsschutz285 1.) Der Umfang des Ermessensspielraums und seine Auswirkungen auf die IBSA–Methode Die IBSA–Methode dient dazu, die Staatenpflichten trotz des weiten Ermessens kontrollierbar zu machen. Der staatliche Spielraum potenziert sich im gewerblichen Rechtsschutz. Das heißt: Da nach wie vor ungewiss ist, wie Patent– und Sortenschutzrecht auszugestalten sind, um die Bevölkerung bestmöglich mit Innovationen zu versorgen, haben die Staaten menschenrechtlich eine große Freiheit.286 Diese Freiheit ist im transnationalen Bereich, insbesondere auf der „Fulfil“–Ebene, noch einmal größer, da der Sozialpakt dort keine konkreten Vorgaben enthält. Fazit: Das Exempel der transnationalen Menschenrechtspflichten hinsichtlich des gewerblichen Rechtsschutzes ist besonders gut geeignet, um die Tauglichkeit der IBSA–Methode zu beweisen. Denn wenn sich die Paktpflichten in einem Bereich handhabbar machen lassen, der durch ein extremes staatliches Ermessen gekennzeichnet ist, dann erst recht in allen übrigen Paktdimensionen, in denen das Ermessen weniger weit reicht. Da die wesentlichen Vorfragen bezüglich der Definition des Oberbegriffs „transnationale Menschenrechtspflichten mit Bezug zum gewerblichen Rechtsschutz“ nunmehr beantwortet sind, kann man damit beginnen, diesen abstrakten Terminus zu operationalisieren.
2.) Allgemeines zu den ausgewählten Verletzungen und transnationalen Indikatoren mit Blick auf den gewerblichen Rechtsschutz Die nachfolgenden Indikatoren sind als Beispiele zu verstehen. Sie wurden in keiner Weise empirisch auf ihre Korrespondenz überprüft. Außerdem bedürfen die einzelnen Merkmale einer spezifischeren Definition. Sie sind wegen des weiten Ermessens eher als Anregungen aufzufassen und stehen Benchmarks nahe. Es obliegt der Praxis, die in dieser 285
Zur Akualität des Problems siehe die Tagesordnungspunkte 4.2 und 4.3 der UN Konferenz über Biodiversität: 9. Zusammenkunft der Konferenz der Parteien der Konvention über Biodiversität, Mai 2008 in Bonn, UN Doc. UNEP/CBD/COP/9/1 vom 13. Dezember 2007 286
Haugen: Patent Rights and Human Rights, a.a.O. (Fn. 19), S. 100
432
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Liste dargestellten Indikatoren zu verbessern und diejenigen auszuwählen, die in der knappen Zeit des Prüfungsverfahrens handhabbar sind. Auf der „Respect“–Ebene werden exemplarisch einige denkbare Verletzungen genannt. Denn wie auf Seite 137 f. ausgeführt, greift hier nicht das Indikatorenmodell, sondern der „Violations Approach“. Die Bezeichnung dieser Verletzungen als Indikator wäre ungenau, da – unabhängig vom Entwicklungsstand und Ermessen des Landes – eine Paktverletzung vorliegt. Die Hauptverfechterin des „Violations Approaches“, Audrey Chapman, geht davon aus, dass internationale Menschenrechtsstandards im Bereich des geistigen Eigentums fehlen und es daher schwierig ist, von Vertragsverletzungen zu sprechen.287 Diese Aussage mag zwar für die „Protect“– und die „Fulfil“–Ebene zutreffend sein, weshalb hier auch die IBSA–Methode angewendet wird. Für die „Respect“–Ebene lassen sich aber durchaus einige potentielle Verletzungen finden.
3.) Ausgewählte Paktverletzungen auf der „Respect“–Ebene Aus der schier unendlichen Menge potentieller Vertragsverletzungen sollen hier zwei wesentliche Fallgruppen herausgegriffen werden. Eine betrifft das Verhalten gegenüber anderen Staaten, die andere das Auftreten gegenüber UN–Sonderorganisationen. Der Sozialpakts wird unter anderem dann verletzt, wenn ein Staat Entwicklungsländer dafür rügt, dass sie von den Flexibilitäten, die ihnen das TRIPs–Abkommen, die Doha–Erklärung und der „waiver“ bieten, in menschenrechtskonformer Weise Gebrauch machen.288 Die Rüge verstößt aber in Analogie zum internationalen Umweltrecht nur dann gegen den Sozialpakt, wenn sie geeignet ist, einen Staat zu einem menschenrechtsfeindlichen Verhalten zu motivieren, man also von einer Art mittelbarer Täterschaft sprechen kann. Die Rüge muss also mithin gewisse Intensität aufweisen.
287
Audrey Chapman: Approaching Intellectual Property as a Human Right: Obligations Related to Article 15 (1) (c), UN Doc. E/C.12/2000/12, § 71 288 Hunt a.a.O. (Fn. 196), § 67 und 88; United States Government Accountability Office (GAO): Report to Congressional Requests, Intellectual Property, U.S. Trade Policy Guidance on WTO Declaration on Access to Medicindes may need clarification, Studie Nr. GAO–07–1198, September 2007; Beispiele aus der Praxis finden sich bei Sell a.a.O. (Fn. 191), S. 209
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
433
Auch wenn ein Staat von Entwicklungsländern fordert, einen über das TRIPs–Abkommen hinausgehenden gewerblichen Rechtsschutz, einen sogenannten TRIPs–plus–Schutz, einzuführen, verletzt er den Sozialpakt.289 Zum TRIPs–plus–Schutz gehören beispielsweise eine verlängerte Schutzdauer, die Einschränkung der Möglichkeit von Zwangslizenzen sowie eine vorgezogene Umsetzung des Abkommens.290 Eine Vertragsverletzung scheidet nur dann aus, wenn der Staat nachweist, dass er den verstärkten Schutz von einem Entwicklungsland verlangt hat, weil diese Maßnahme aus seiner Sicht dort den Zugang zu Innovationen verbessern würde. Dieser Nachweis dürfte ihm allerdings sehr schwer fallen. Auch im Einwirken auf Dritte kann eine Vertragsverletzung liegen – so wenn ein Land von UN–Sonderorganisationen verlangt, menschenrechtlich relevante Daten zu unterdrücken. Beispiel: Ein Staat versucht, zu unterbinden, dass veröffentlicht wird, wie viele Menschen an Aids leiden oder wie hoch Lizenzgebühren sind. Ebenso widerspricht es dem IPwskR, wenn ein Land auf UN– Sonderorganisationen Druck ausübt, Hilfeleistungen zu unterlassen, die dazu dienen, den Zugang zu Innovationen zu verbessern. Beispielsweise kann es sein, dass die WHO ein Entwicklungsland berät, wie und an wen es optimalerweise Zwangslizenzen vergibt, um die Gesundheit seiner Einwohner zu fördern. Wenn ein Drittstaat aus diesem Grund der WHO die Zusammenarbeit verweigert, verletzt er den Sozialpakt.
4.) Ausgewählte transnationale Indikatoren für die „Protect“–Ebene Im Folgenden werden sowohl qualitative als auch quantitative transnationale Indikatoren für die „Protect“–Ebene entwickelt, die einen Bezug zum gewerblichen Rechtsschutz aufweisen.291 Bei vielen von ihnen kann man geteilter Meinung sein, ob man sie der „Protect“– oder lieber
289
Hunt a.a.O. (Fn. 196), §§ 27; 82 mit Beispielen aus der Praxis; Chapman: Approaching Intellectual Property as a Human Right, a.a.O. (Fn. 287), § 71 290 291
Hunt a.a.O. (Fn. 196), § 67
Allgemein zu Indikatoren zur Messung Systemen zum Schutz des geistigen Eigentums: Robert L. Ostergard, Jr: The Measurement of Intellectual Property Rights Protection, in: Journal of international business studies 31 (2000), S. 349 – 360
434
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
der „Fulfil“–Ebene, den Struktur– oder den Prozessindikatoren zurechnen möchte, was aber im Ergebnis ohne Bedeutung ist. Anzumerken ist noch, dass für jeden der Indikatoren Benchmarks erlassen werden können.
a) Die Messung des staatlichen Realisierungswillens Zunächst kann man sich überlegen, ob sich ungeachtet der verfügbaren Ressourcen überwachen lässt, wie gewillt der Staat ist, seine transnationalen Paktpflichten umzusetzen. Ein Indiz für seine Entschlossenheit ist, wenn ein Aktionsplan zur internationalen Zusammenarbeit existiert mit dem Ziel, die aus gewerblichen Schutzrechten resultierenden Nachteile zu kompensieren.292 Denn mit einem Aktionsplan erkennt ein Staat seine Verantwortlichkeit zumindest in gewissem Umfang an. Ganz besonders motiviert zeigt er sich, wenn er im Zusammenhang mit dem Plan noch Benchmarks aufstellt.293 Allein die Existenz von nationalen Zielmarken, die erlassen werden, um die aus gewerblichen Schutzrechten resultierenden Nachteile zu kompensieren, ist also ein Indiz dafür, dass ein Staat seinen transnationalen Pflichten nachkommt.
b) Die Messung von Patentmissbrauch Die nächste Fallgruppe betrifft die missbräuchliche Ausnutzung eines Patents durch seinen Inhaber. Messen lässt sich zum Beispiel, in wie vielen Fälle Patente in einer marktbeherrschenden Stellung ausgenutzt wurden.294 Auch wenn der Missbrauch von Patenten bereits aus dem Kartellrecht bekannt ist, dürfen die Begriffe des Indikators nicht nach dem nationalen oder supranationalen Kartellrecht definiert werden, sondern sind eigenständig, nach menschenrechtlichen Kriterien abzugrenzen. Insbesondere liegt ein Missbrauch nur vor, wenn er eine Erfindung betrifft, die transnational verbreitet wird. Das kann ausscheiden, wenn sie nur dazu dient, die Bedürfnisse einer Kultur zu befriedigen – ein Beispiel wäre eine Maschine, die zwischen zwei Stammesdialekten übersetzt. 292 293 294
Siehe unten, Tabelle 2, Indikator Nr. 1 Siehe unten, Tabelle 2, Indikator Nr. 1, Subindikator Siehe unten, Tabelle 2, Indikator Nr. 4
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
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Zugegebenermaßen kann die Messung der Missbrauchsfälle dadurch beeinflusst werden, wie gründlich die Kartellbehörde recherchiert. Dies ist aber eine Frage des Beweisrechts, die nach oben genannten295 Regeln zu behandeln ist. Der Missbrauch lässt sich auch wieder in Untergruppen einteilen, so etwa, wenn Vorratspatente bewilligt werden oder verbotene Preisabsprachen den Zugang zur Innovation hemmen.296
c) Die Preismessung Über die Frage der Lizenzverhandlungen lässt sich indirekt bestimmen, wie wertvoll eine Innovation für den ausländischen Markt ist. Denn wenn aus einem fremden Land Lizenzen nachgefragt werden, indiziert das, dass der potentielle Lizenznehmer die Erfindung dort verbreiten will. Das legt wiederum nahe, dass in diesem Land ein Bedarf besteht. Wenn jedoch auf der anderen Seite der Schutzrechtsinhaber einen extrem hohen Preis verlangt, den der Importeur nicht aufbringen kann, hemmt dies den Zugang zur Innovation im Ausland. Dem Staat stehen viele Wege zur Verfügung, den Wert zu drücken. Der Ausschuss sollte daher messen, wie hoch im Durchschnitt die von Originalherstellern oder Lizenznehmern gegenüber Unternehmen aus anderen Ländern geforderten Lizenzgebühren sind.297 Der Wert sollte möglichst niedrig sein, damit die Innovation auch in arme Länder verbreitet werden kann. Gemessen werden sollte in einer stabilen Währung, um Verfälschungen durch die Inflation zu vermeiden. Eine Möglichkeit, den Preis zu drücken, liegt darin, dass der Staat einen Maximalpreis vorschreibt.298 Der Patentinhaber ist dann weiterhin frei, zu entscheiden, wem er eine Lizenz erteilt. Wenn er jedoch eine erteilt, steht der Preis hierfür – absolut oder relativ – fest. Da ein Maximalpreis aber auf allen Stufen des Vertriebs potentiell vorteilhaft ist, kann er auch erst für das Erzeugnis vorgesehen sein. Ein Staat könnte etwa verfügen, für 100 Milliliter des Virostatikums x dürfe ein Hersteller maximal 50 Euro verlangen, wenn es in ein Entwicklungsland exportiert werden soll. Der Preis sollte so festgelegt werden, dass das Erzeugnis für Men-
295 296 297 298
S. 65 ff. Siehe unten, Tabelle 2, Indikator Nr. 4, Potentielle Subindikatoren Siehe unten, Tabelle 2, Indikator Nr. 5 Siehe unten, Tabelle 2, Indikator Nr. 6
436
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
schen in Entwicklungsländern – zumindest mit Unterstützung des eigenen Staates – erschwinglich ist. In Übereinstimmung mit Artikel 1 Absatz 1 IPwskR kann der Maximalpreis gesetzgeberisch festgelegt werden, wenn das nationale Recht dies erlaubt. Da Maximalpreise jedoch nur eine der Möglichkeiten im Rahmen des weiten staatlichen Spielraums sind, kann man auch messen, wie hoch der durchschnittliche Exportpreis für eine bestimmte geschützte Innovation ist.299 Er sollte möglichst niedrig sein, um den Zugang zur Innovation im Ausland zu verbessern. Neben diesen absoluten Zahlen lassen sich auch Verhältnisse messen.300 Immerhin geht es bei den grenzübergreifenden Nichtdiskriminierungspflichten nicht nur darum, die Verbreitung einer Innovation generell im Ausland zu verbessern, sondern Neuerungen sollen gleichmäßig verbreitet werden. Dabei muss der Staat seiner Pflicht zur positiven Diskriminierung Rechnung tragen. Es ist nämlich vorteilhaft, wenn für den Import einer Innovation aus einem Entwicklungsland weniger bezahlt wird als für den Import aus einem reichen Staat. Wenn sich dieses Verhältnis dem wirtschaftlichen Gefälle beider Länder annähert, indiziert das, dass die Innovation global gleichmäßig verbreitet wird.
d) Die Messung von „reverse payments“ Unter „reverse payments“ versteht man Zahlungen, die ein Originalhersteller an einen Generikaproduzenten vornimmt, um ihn anzuhalten, die Einführung des Nachahmerpräparats zu verhindern. Dabei muss nicht zwingend eine marktbeherrschende Stellung vorliegen. „Reverse payments“ wirken sich tendenziell schädlich auf die Verbreitung einer Innovation aus. Der Generikahersteller kann nämlich eine Innovation zu günstigeren Preisen verbreiten als der Originalhersteller. Dies wiederum dient der Erschwinglichkeit, die mit „reverse payments“ beeinträchtigt werden kann. Wenn das Produkt für den Export bestimmt war, wird demnach die Realisierung von Wsk–Rechten im Importland gehemmt. Entscheidend für die Berichtsprüfung sind mithin die Zahl der Fälle von „reverse payments“ in Situationen mit Auslandsbezug und men-
299 300
Siehe unten, Tabelle 2, Indikator Nr. 7 Siehe unten, Tabelle 2, Indikator Nr. 8
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
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schenrechtlicher Relevanz.301 Menschenrechtliche Relevanz liegt vor, wenn ein Produkt im Ausland nachgefragt wird. Sie ist umso größer, je wesentlicher die Erfindung für die Umsetzung der Menschenrechte ist. Beispielsweise ist sie hoch, wenn der Generikaproduzent beabsichtigt, ein Virostatikum in ein Land zu exportieren, in dem viele Menschen HIV–infiziert sind. Sie ist niedrig, wenn es um ein Modul geht, mit dem Klingeltöne auf Mobiltelefonen programmiert werden können und der Nachahmer dieses für den Export in ein Land produzieren möchte, in dem bereits zahlreiche vergleichbare Module existieren. Der Staat hat unterschiedliche Möglichkeiten, auf „reverse payments“ zu reagieren. Da Artikel 2 Absatz 1 IPwskR vorrangig gesetzgeberische Maßnahmen verlangt, erfüllt ein Staat einen wesentlichen Teil seiner Pflicht, wenn er ein Gesetz gegen „reverse payments“ erlässt.302 Dabei kann er Verstöße strafrechtlich sanktionieren.
e) Indikatoren für die Einwirkung auf internationale Organisationen Im Staatenberichtsverfahren geht es nicht darum, inwieweit internationale Organe an die Wsk–Rechte gebunden sind. Dennoch haben die Paktstaaten die Pflicht, sich in den Organen menschenrechtskonform zu verhalten – nicht zuletzt, weil die Organisationen Dritte im Sinne der „Protect“–Ebene sind.303 Daher ist es sinnvoll, zu messen, ob der Berichtsstaat sein Stimm– und Rederecht in internationalen Gremien, die sich mit gewerblichem Rechtsschutz befassen, zugunsten der optimalen Verwirklichung der Wsk–Rechte ausübt.304 Positiv ist es etwa, wenn die Staatenvertreter befürwortet haben, dass die internationalen Organe arme Staaten dabei unterstützen, von den TRIPs–Flexibilitäten zugunsten der Wsk–Rechte Gebrauch zu machen.305
301 302 303
Siehe unten, Tabelle 2, Indikator Nr. 2 Siehe unten, Tabelle 2, Indikator Nr. 3 Oben S. 349
304
Siehe unten, Tabelle 2, Indikator Nr. 9; vgl. auch United States Government Accountability Office, a.a.O. (Fn. 288), S. 9 (dort Anm. 10) 305
Vgl. Hunt a.a.O. (Fn. 196), § 88
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
f) Ergebnisindikatoren Fast alle bislang genannten Indikatoren betreffen die transnationalen „obligations of conduct“, es handelt sich also vorwiegend um Struktur– und um Prozessindikatoren. Für die „obligations of result“ können die Ergebnisindikatoren306 aus dem fremden Land herangezogen werden, wenn man dem berichtenden Staat die Werte im Wege der Analogie zum Umweltrecht zurechnen kann. Dies ist unter anderem der Fall, wenn einer der oben genannten Indikatoren schlechte Werte aufweist und ein Zusammenhang zum fehlenden Rechtsgenuss im Ausland empirisch untermauert sowie theoretisch begründet werden kann. Eine derartige Theorie könnte lauten: Wenn in Staat n1 in Bezug auf geistiges Eigentum der Faktor Z vorliegt, steigt im Staat n2 die Zahl der an Hungerleidenden. Z kann ein Wert der nachfolgenden „Conduct“–Indikatoren sein. Diesen muss Staat n1 dann entweder verändern oder zugunsten der Verwirklichung der Wsk– Rechte kompensieren. Zwar gehen derartige Zurechnungen immer wertend vonstatten, doch dies ist ein unabänderliches Merkmal der gesamten Berichtsprüfung.307 Besondere Bedeutung für die transnationalen Pflichten im Rahmen von Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR hat die Frage, inwiefern eine im Inland geschützte Innovation in einem anderen Staat genossen wird.308 Vermutlich korrespondiert dieser Indikator sehr stark mit Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR, weist also eine hohe Validität auf. Beispielsweise kann es sein, dass in Land n3 eine Reissorte entwickelt und geschützt wird, die einen besonders hohen Vitamin–A–Gehalt aufweist. Nun kann man messen, in welchem Umfang diese Reissorte im fremden Staat konsumiert wird.309 Die Werte der fremden Ergebnisindikatoren können dem Berichtsstaat in Analogie zum Umweltrecht aber nur zugerechnet werden, wenn eine starke Vermutung dafür spricht, dass ein auf seinem Gebiet ansässiger Schutzrechtsinhaber nicht ausreichend exportiert. Dann müssen im Berichtsstaat Kapazitäten bestehen, um Produkte erfindungsgemäß herzustellen und auszuführen. Naheliegend ist dies vor allem, wenn 306 307 308 309
Zum Begriff des Ergebnisindikators siehe oben S. 167 Siehe oben S. 216 Siehe unten, Tabelle 2, Indikator Nr. 10
Vgl. zum Fall AstraZeneca und Golden Rice: Chapman et alii a.a.O. (Fn. 67), S. 205
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
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zahlreiche Anfragen für eine Lizenz oder für den Export des Endprodukts aus dem Ausland kommen, kein Maximalpreis und keine Zwangslizenzen bestehen und nur in geringer Menge exportiert wird. Dann ist nämlich der Patentinhaber höchstwahrscheinlich mitursächlich dafür, dass die Menschen im Ausland nicht in den Genuss seiner Innovation kommen. Das wiederum wird dem Staat, in dem er ansässig ist, zugerechnet.
5.) Ausgewählte Indikatoren für die „Fulfil“–Ebene Indikatoren für die „Fulfil“–Ebene lassen sich nach den gleichen Prinzipien auswählen, wie die für die „Protect“–Ebene. Ein Unterschied besteht jedoch darin, dass nur bei Innovationen, die grenzübergreifend patentgeschützt sind, mindestens in gleichem Umfang nachgefragt werden und in stark unterschiedlichem Umfang angeboten werden, eine Analogie zum Umweltrecht greift. Außerdem reicht das Ermessen noch weiter. Das bedeutet, auf der „Fulfil“–Ebene steht dem Staat prinzipiell eine Vielzahl von Wegen offen, um seine Patentrechtspolitik zugunsten der transnationalen Menschenrechtsverwirklichung anzupassen. Greift allerdings die Analogie zum Umweltrecht, ist er bezüglich der Mittel eingeschränkter. Er muss ernsthaft verhandeln. Kommt er dem nicht nach, können ihm auch gewisse Ergebnisindikatoren des fremden Staats zugerechnet werden.310
a) Die Messung des staatlichen Realisierungswillens Ebenso wie bei den Indikatoren für die „Protect“–Ebene lässt sich wieder der staatliche Realisierungswille messen. Im Unterschied zur „Protect“–Ebene geht es auf der „Fulfil“–Ebene aber nicht nur darum, zu verhindern, dass ein Patentrechtsinhaber den Zugang zu Innovationen im Ausland blockiert oder die hierdurch bedingten Nachteile zu kompensieren. Vielmehr gilt es zu messen, ob der Staat motiviert ist, sein gewerbliches Rechtsschutzsystem irgendwie zugunsten der transnationalen Menschenrechtsverwirklichung auszugestalten. Sein Ermessen ist also gegenüber der „Protect“–Ebene erweitert. Dies hat zur Folge, dass die Frage, ob ein Aktionsplan existiert,311 auf der „Fulfil“–Ebene eine andere Bedeutung hat als auf der „Protect“– 310 311
Näher oben S. 424 Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 11
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4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Ebene. Man definiert den Begriff des Aktionsplans weiter. Auf der „Fulfil“–Ebene besteht er bereits, wenn der Staat eine Strategie entwickelt hat, irgendwie mit anderen Staaten auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes zusammenzuarbeiten, um den Zugang zu Innovationen im Ausland zu fördern. Es muss nicht darum gehen, bestehende Neuerungen zu exportieren. Vielmehr kann die Zusammenarbeit auch darin liegen, dass der Staat den anderen dabei unterstützt, dessen Patentrecht zu optimieren. Freilich, greift die Analogie zum Umweltrecht, geht es um eine bereits bekannte Innovation. Dann ist er verpflichtet, nach Wegen zu suchen, sie im Ausland zugänglich zu machen. Da der Staat nach Artikel 2 Absatz 1 IPwskR dazu verpflichtet ist, sein Patentrecht mit dem anderer Staaten zu harmonisieren,312 kann man auch messen, wie gewillt er dazu ist. Natürlich kann er selbst entscheiden, welche Art der Harmonisierung er für optimal hält. Die Grenze ist jedoch überschritten, wenn er überhaupt keine menschenrechtskonforme Harmonisierung anstrebt. Ein Indiz ist, ob er einen Aktionsplan ausgearbeitet hat oder nicht.313
b) Exportindikatoren Auf der „Fulfil“–Ebene kann man danach fragen, in welchem Umfang geschützte technische Neuerungen exportiert werden.314 Die der Operationalisierung zugrundeliegende Theorie lautet: Je stärker eine Innovation exportiert wird, desto mehr Menschen haben im Ausland auch Zugang zu dieser Erfindung. Und genau diesen gilt es letztlich zu verbessern. Zwar wird durch den Export primär nur der Punkt „physische Zugänglichkeit“ optimiert. Aber kaum ein betriebswirtschaftlich denkendes Unternehmen wird Innovationen in anderen Ländern einführen, ohne davon auszugehen, dass sie dort auch vertrieben werden. Zumindest in marktwirtschaftlichen Systemen besteht nämlich die Vermutung, dass Gegenstände, die in großem Umfang in einen bestimmten Markt exportiert werden, dort auch konsumiert werden. Ansonsten hätte der Im-
312 313 314
Dazu oben S. 356 und S. 402 ff. Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 12 Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 13
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porteur eine gravierende unternehmerische Fehlentscheidung getroffen. Der Punkt „Erschwinglichkeit“ wird also indirekt mitgeprüft. Untersucht man den Export geschützter Güter, ist natürlich auch zu überlegen, inwieweit dieser durch ausländisches Patentrecht beeinflusst wird. Denn wenn der Export im Importland ein Patent verletzen würde, bedarf es zusätzlicher Maßnahmen im Importland, um den Transfer der Innovationen zu ermöglichen. Hier ist aber wiederum das Fingerspitzengefühl des Berichtsstaats gefragt. Es gehört zu seinem Ermessen, nach Alternativen zu suchen. Diese könnten zum Beispiel darin liegen, mit dem Importstaat über die Erteilung einer Import–Zwangslizenz oder mit dem ausländischen Patentinhaber zu verhandeln. Nicht zuletzt deshalb ist es sinnvoll, die Zahl der Fälle von zwischenstaatlichen Gesprächen zu untersuchen, bei denen es um Technologietransfer ging.315 Besonders wertvoll ist dieser Indikator, wenn die Analogie zum Wasserrecht greift, der Staat also zu ernsthaften Verhandlungen verpflichtet ist. Die Zahl der Fälle weist nämlich darauf hin, ob ein Staat ernsthaft und mit dem Ziel einer Einigung mit einem anderen Staat verhandelt. Gewiss, verhandelt der Berichtsstaat besonders hartnäckig, ist der Wert höher, als wenn er sofort in die Forderungen des ausländischen Lands einwilligt. Dabei bleibt offen, welche Position die Wsk–Rechte besser gefördert hätte. Allerdings treffen den Staat keine Pflichten, die über eine bloße Pflicht, zu verhandeln hinausgehen. Nur wenn er die Verhandlungen unnötig hinauszögert oder verschleppt, verletzt er den Sozialpakt. Statt bi– oder oligolaterale Gespräche zu begutachten, kann man auch untersuchen, wie oft Regierungsvertreter des Berichtsstaats an multinationalen Konferenzen über Technologietransfer teilgenommen haben.316 Denn bereits die Teilnahme zeigt ein gewisses Interesse an der Thematik. Allerdings ist stets gleichzeitig zu messen, wie sich der Regierungsvertreter verhält, ob er nicht sogar versucht, menschenrechtsfördernden Technologietransfer zu blockieren. Es empfiehlt sich daher, den oben angesprochenen Indikator „Ausübung des Stimm– und Rederechts in internationalen Gremien“317 parallel anzusehen.
315 316 317
Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 15 Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 17 Siehe dazu auch unten, Tabelle 2, Indikator Nr. 9
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Die grenzübergreifende Kooperation lässt sich auch messen, indem man fragt, zu welchem Anteil geschützte Innovationen in Niedriglohnländer exportiert werden.318 Mit diesem Indikator werden die transnationalen Nichtdiskriminierungspflichten mitoperationalisiert. Er misst, ob der Staat genügend Anreize setzt, Erfindungen für die Bedürfnisse in fremden Staaten zu tätigen und die Gegenstände dorthin zu vertreiben. Offener ist es, zu fragen, ob zwischenstaatliche Partnerschaften zum Technologietransfer existieren.319 Patentrecht ist nämlich nur eine Form, um den transnationalen Technologietransfer zu fördern. Menschenrechtlich betrachtet ist es lediglich Mittel zum Zweck. Der Indikator ist sehr weit formuliert, denn er erfasst jedwede Absprachen, die den Zugang zu den Anwendungen des wissenschaftlichen Fortschritts verbessern sollen, nicht nur solche mit Bezug zum gewerblichen Rechtschutz. Er ist sehr eng mit den Forderungen und insbesondere dem Regelbeispiel des Artikels 2 Absatz 1 IPwskR verknüpft. Denn zumindest wenn die Partnerschaft die Form eines völkerrechtlichen Vertrags besitzt handelt es sich um eine gesetzgeberische Maßnahme auf dem Gebiet der Technik.320 Um zu erfahren, ob der Staat sein Patentrecht gegenwärtig optimal ausgestaltet hat, kann man die Zahl der im Berichtszeitraum neu angemeldeten Patente messen, deren Gegenstand später exportiert wurde.321 Der Indikator misst, ob der gewerbliche Rechtsschutz genügend Anreize für neue Schöpfungen für die Bedürfnisse im Ausland bietet. Er betrifft insbesondere die transnationale Komponente des Artikels 15 Absatz 1 b) IPwskR. Zu bedenken ist aber auch, dass der Indikator durch die jeweilige Stringenz des nationalen gewerblichen Rechtsschutzsystems beeinflusst wird. Denn je höher die Hürden für die Erteilung des Patents sind, desto weniger Innovationen werden patentiert. Und das, obwohl die Innovation unter Umständen trotzdem exportiert wird. Zusätzlich zu diesem Indikator sollte man daher immer betrachten, wie viele Innova318
Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 14
319
Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 19. Vgl. für diesen Indikator die fortwährend aktualisierte Serie des TRIPs–Rats: Notification of contact points for technical cooperation on TRIPs, WTO Doc. IP/N/7/ sowie die Doha Development Agenda Trade Capacity Building Database (TCBDB), abrufbar unter http://tcbdb.wto.org 320 321
Siehe oben S. 402 f. Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 16
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tionen – unabhängig davon, ob sie im Inland geschützt sind – exportiert werden. Konsequenterweise kann man den Umfang, zu dem der Gegenstand eines Schutzrechts in ein bestimmtes Land vertrieben wird, mit dem gesamten Export des Berichtsstaats in dieses Land vergleichen. Noch stärker sind die transnationalen Nichtdiskriminierungspflichten in die Operationalisierung eingebunden, wenn man den Umfang, zu dem der Gegenstand eines Schutzrechts in ein bestimmtes Land exportiert wird, mit dem gesamten Vertrieb beziehungsweise Export des Gegenstands vergleicht.322
c) Indikatoren, die sowohl den Technologietransfer als auch die Förderung von Eigenanstrengungen messen Beim Anteil des Bruttosozialprodukts, der für Entwicklungshilfe ausgegeben wird,323 handelt es sich um den einzigen transnationalen Indikator, den der Ausschuss bislang anwendet. Er ist zwar viel allgemeiner als die anderen hier genannten, auf ihn kann aber nicht völlig verzichtet werden. Schließlich weist er vermutlich324 für alle Paktrechte eine hohe Validität auf und bietet somit für die Berichtsprüfung einen ökonomischen Vorteil. Internationale Kooperation erfasst sowohl die bilaterale als auch die multilaterale Kooperation. Hilfsfonds sind eine Möglichkeit, wie ein Staat seine transnationalen Pflichten aus Artikel 12 in Verbindung mit Artikel 15 Absatz 1 b) und 2 Absatz 1 IPwskR erfüllen kann. Relevant ist vor allem, in welchem Umfang sich der Staat an Fonds beteiligt, die dazu dienen, Menschen in Entwicklungsländern beim Zugang zu Innovationen zu unterstützen.325 Mit diesen Fonds können Eigenanstrengungen des Empfängerstaats gefördert werden. Zum Beispiel können Transportkapazitäten ausgebaut werden. Mit den Fonds können aber auch die Innovationen gekauft und unmittelbar an die Bedürftigen geliefert werden.
322 323 324 325
S. 245
Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 18 einschließlich Subindikator Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 20 Zum empirischen Nachweis der Validität siehe oben S. 93 Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 21; siehe auch Sajó a.a.O. (Fn. 20),
444
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Im Rahmen seines Ermessens steht es dem Staat selbstverständlich auch frei, im Alleingang einzelnen Staaten zu helfen. Ob er dies ausreichend tut, kann der Ausschuss unter anderem daran festmachen, indem er nach der Zahl der Fälle fragt, in denen der Staat auf Ersuchen eines fremden Landes technische Hilfsleistungen gewährt hat.326 Technische Hilfsleistungen können viele Formen annehmen. Unter anderem kann man messen, wie viele Fachkräfte entsandt wurden, um für die dortigen Bedürfnisse Innovationen zu entwickeln oder die dortigen Ingenieure fortzubilden.327
d) Die Messung schutzrechts– und einnahmenäquivalenter Anreize Da der gewerbliche Rechtsschutz in seiner gegenwärtigen Form unzureichende Anreize für Unternehmen liefert, Innovationen für die Bedürfnisse zahlungsschwacher Menschen zu entwickeln, muss der Staat mit ergänzenden Mitteln motivieren. Zum Beispiel kann er Unternehmen künstlich dazu anreizen, Gegenstände zu erfinden, die primär in Entwicklungsländer exportiert werden. Die Forschungs– und Entwicklungskosten des Unternehmens müssen sich in diesem Fall nicht amortisieren, denn diese Beträge hat bereits der Staat gedeckt. Das Unternehmen kann sich auf Produktion und Vertrieb beschränken. Dieses Funktionsäquivalent eines Schutzrechts kann man messen, indem man untersucht, in welcher Höhe der Staat finanzielle Anreize setzt, Innovationen zu schaffen, die exportiert werden sollen.328 Die Anreize können beispielsweise in Form von Ausschreibungen, formlos gewährten Zuschüssen oder Steuerermäßigungen erfolgen. Noch weiter geht der Staat, wenn er ein Unternehmen, dazu verpflichtet, kostenfreie oder günstige Lizenzen zu erteilen, wenn es von ihm finanziellen Zuschüsse in Anspruch nimmt, gleichzeitig aber seine Innovation schützen lässt. Der Staat kann sogar bestimmen, dass er automatisch eine Lizenz erhält, wenn ein Unternehmen die Zuschüsse annimmt.329 Er kann dann Sublizenzen erteilen oder die Güter selbst herstellen und exportieren. 326 Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 27; siehe auch United States Government Accountability Office, a.a.O. (Fn. 288), S. 64 – 66; zum Ersuchen: Anzellotti a.a.O. (Fn. 193), Art. 67 Rn. 5 327 328 329
Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 27, Subindikator Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 22 Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 22, Subindikator
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
445
Es kommt gelegentlich vor, dass Unternehmen aus Imagegründen Innovationen kostenlos abgeben oder freiwillig eine Lizenz erteilen. Ein gewisser Druck des Staats kann dazu beitragen, Unternehmen zu diesen Schritten zu bewegen. Man kann daher unter anderem messen, wie oft ein Land auf Unternehmen politisch einwirkt, um sie zu bewegen, Innovationen kostenfrei an Entwicklungsländer abzugeben.330
e) Lizenzgebühren als Indikator Will der Staat nicht so weit gehen, finanzielle Anreize zu setzen, um Innovationen hervorzubringen, lässt sich indirekt überprüfen, ob sein Patentrecht ausreichend motiviert, Neuerungen für den Export zu schaffen. Man kann nämlich fragen, in welchem Umfang Lizenzgebühren, die für Innovationen, deren Gegenstand später exportiert wurde, an inländische Unternehmen für Erfindungen gezahlt wurden.331 Dieser Indikator berücksichtigt, dass Anreize für Unternehmen bestehen müssen, Neuerungen zu schaffen, und dieser Anreiz kann in Lizenzeinnahmen liegen. Des Weiteren misst der Indikator auch, dass die Neuerungen erschwinglich sein und maximal verbreitet werden müssen. Wenn aber ein anderes Unternehmen Lizenzgebühren bezahlt, indiziert dies, dass die Innovation für die Endverbraucher erschwinglich ist und verbreitet wird. Ansonsten wäre nämlich wiederum von einer unternehmerischen Fehlentscheidung des Lizenznehmers auszugehen. Man sollte jedoch stets mitbeachten, welche Menge der Lizenznehmer in welches Land exportiert.332 Will man sicher gehen, dass die Lizenzgebühren mittelbar auch den bedürftigen Menschen im Ausland zugutekommen, kann man die Messung auf die Lizenzzahlungen beschränken, bei denen sich der Zu-
330
Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 24. Vgl. auch das Beispiel aus der Praxis bei Susan K. Sell: Industry strategies for intellectual property and trade: The quest for trips, and post–trips strategies, in: Cardozo Journal of International and Comparative Law 2002, S. 79 (S. 107) 331 332
Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 23 Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 23, Subindikator
446
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
gang333 zur entsprechenden Innovation im Ausland in den Jahren nach der Lizenzabsprache verbessert hat.334
f) Die Messung der menschenrechtlichen Informationspflicht Zur „Fulfil“–Ebene gehört die ungeschriebene staatliche Pflicht, die Menschen über den Gegenstand und den Inhalt ihrer Wsk–Rechte aufzuklären. Bei den transnationalen Menschenrechtspflichten mit Bezug zum gewerblichen Rechtsschutz hat es der Staat vergleichsweise leicht: Da Schutzrechte veröffentlicht werden, können sich Ausländer prinzipiell relativ einfach über die Innovationen informieren. Problematisch ist es allerdings, wenn die Patente nicht im Internet veröffentlicht oder die Schriftstücke gar nur bei der Behörde selbst eingesehen werden können. Dann ist der Zugang zu den Informationen nicht zuletzt wegen der Gebietshoheit stark eingeschränkt. Um den Wert nicht durch die je nach Staat variierende, absolute Zahl der Patente zu verfälschen, empfiehlt es sich, relative Werte zu messen. Man kann etwa untersuchen, zu welchem Grad Patente im Internet abrufbar sind. Da in den meisten reichen Ländern Patente online abrufbar sind, betrifft der Wert dieses Indikators eher die Erfüllung der transnationalen Pflichten ärmerer Länder. Nicht zuletzt fällt es einem reichen Staat leichter, den Transfer von Neuerungen in arme Länder zu unterstützen, wenn er ohne Rechtshilfeersuchen weiß, ob diese dort geschützt sind. Für reicherer Länder lässt sich aber fragen, wie viele wissenschaftliche Veröffentlichungen – unabhängig davon, ob sie eine technische Lehre beschreiben – im Ausland zugänglich sind.335 „Wissenschaftliche Veröffentlichung“ ist mit Blick auf Artikel 15 Absatz 1 b) IPwskR weit zu verstehen. Darunter fällt jedes Dokument, gleich in welcher Form und auf welchem Medium, das dazu beitragen kann, den Wissenshorizont des Menschen zu erweitern oder seinen Lebensstandard, und sei es auch nur in einer Zusammenschau mit anderen Veröffentlichungen, zu verbessern. 333
Zum menschenrechtlichen Begriff der Zugänglichkeit und seinen Unterelementen siehe oben S. 46 334 335
Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 23, Subindikator
Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 25; Musungu: The REBSP and Intellectual Property, a.a.O. (Fn. 182), S. 36; vgl. auch Helfer a.a.O. (Fn. 207), S. 990 f.
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
447
g) Die Messung kompensatorischer Maßnahmen Wie bereits erwähnt, kann man bei vielen Indikatoren darüber streiten, ob man sie eher der „Protect“– oder der „Fulfil“–Ebene zurechnen will, da sich die Pflichten überschneiden. Denn wenn ein Staat unter Heranziehung des Anreizgedankens Patentrecht setzt, verbessert er den Zugang zu Innovationen nicht nur, sondern beschränkt ihn zugleich vorübergehend.336 Dies ist auch der Grund dafür, weshalb ein Staat auch auf der „Fulfil“–Ebene kompensatorische Maßnahmen treffen muss. Um den Zugang zu verbessern, aber die Anreizfunktion des Patentrechts aufrechtzuerhalten, kann ein Staat unter anderem sogenannte „Humanitäre Nutzungsklauseln“ einführen.337 Das bedeutet, er gibt eine Innovation für den Binnenmarkt nur frei, wenn der Schutzrechtsinhaber sich verpflichtet, den Zugang zu ihr auch in einem Entwicklungsland zu verbessern. Das gewerbliche Schutzrecht als Verbietungsrecht wird also erteilt, sofern die Voraussetzungen vorliegen. Da das Schutzrecht jedoch kein positives Nutzungsrecht beinhaltet,338 darf der Marktzugang von Bedingungen abhängig gemacht werden. Beispielsweise lässt der Staat ein neues Medikament nur dann für den Binnenmarkt zu, wenn der Hersteller einen Generikalizenznehmer in einem Niedriglohnland benennt. Man nennt dies auch „Meilenstein“.339 Des Weiteren kann der Ausschuss fragen, ob der Staat einen Maximal– Exportpreis als Bedingung für die Marktzulassung der Innovation vorschreibt.340 Dieser Maximalpreis muss so niedrig sein, dass die Innovation auch für benachteiligte Gruppen im Ausland erschwinglich bleibt. Außerdem kann man messen, ob der Staat die Marktzulassung davon abhängig macht, dass sich der Patentinhaber dazu verpflichtet, Lizenzen zu angemessenen Bedingungen zu erteilen.341 Der Begriff „angemessen“ ist dann menschenrechtskonform auszulegen; vor allem dürfen die Gebühren nur so hoch sein, dass Unternehmen bereit sind, das Produkt für den Export nachzuahmen. Um die Anreizfunktion des Patentrechts beizubehalten, darf und sollte der Staat die Lizenzpflicht nur für den Export vorschreiben. Weiterhin ist „angemessen“ so auszulegen, dass 336 337 338 339 340 341
Dazu oben S. 432 Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 26 Siehe oben S. 375 Chapman et alii a.a.O. (Fn. 67), S. 211 f. Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 26, erster Subindikator Siehe unten, Tabelle 3, Indikator Nr. 26, zweiter Subindikator
448
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Maßnahmen erlaubt sind, den Re– und Parallelimport in den Berichtsstaat zu verhindern.
6.) Nicht völlig fernliegende, aber dennoch ungeeignete Indikatoren Folgende Indikatoren wirken auf den ersten Blick geeignet, um die transnationalen Pflichten zur progressiven Verwirklichung zu überwachen, bei näherem Betrachten sollte man sie jedoch nicht verwenden. -
Zahl der Zwangslizenzen: Dieser Indikator ist per se nicht aussagekräftig, denn wie viele Zwangslizenzen erteilt werden, hängt stark von der Stringenz des nationalen gewerblichen Rechtsschutzsystems ab. Ein klein wenig genauer, aber dennoch nicht ausreichend ist die Zahl der Zwangslizenzen im Verhältnis zu den angemeldeten Patenten.
-
Zahl der exportierten Innovationen, die aufgrund einer Zwangslizenz hergestellt wurden: Das Problem bei diesem Indikator ist, dass der Staat andere Wege finden kann als den Zwang. Beispielsweise kann er mit dem Unternehmen über die Höhe der Lizenzgebühren oder eine kostenfreie Abgabe von Innovationen zum Export verhandeln.
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
449
7.) Abschließende Übersichten a) Ausgewählte Vertragsverletzungen Tabelle 1: Ausgewählte Vertragsverletzungen Verletzung
Anmerkung/Beispiele
Entwicklungsländer werden von einem Staat dafür gerügt, dass sie von den Flexibilitäten, die ihnen das TRIPs–Abkommen, die Doha–Erklärung und der „waiver“ bieten, in menschenrechtskonformer Weise Gebrauch machen.
Die Rüge verstößt in Analogie zum internationalen Umweltrecht nur dann gegen den Sozialpakt, wenn sie geeignet ist, einen Staat zu einem menschenrechtsfeindlichen Verhalten zu motivieren, man also von einer Art mittelbarer Täterschaft sprechen kann.
Von Entwicklungsländern wird gefordert, einen über das TRIPs– Abkommen hinausgehenden gewerblichen Rechtsschutz, sogenannten TRIPs–plus–Schutz, einzuführen.
Zum TRIPs–plus–Schutz gehören beispielsweise eine verlängerte Schutzdauer, die Einschränkung der Möglichkeit von Zwangslizenzen sowie eine vorgezogene Umsetzung des Abkommens.
Auf UN–Sonderorganisationen wird Druck ausgeübt, menschenrechtlich relevante Daten zu unterdrücken.
Beispiel: Ein Staat versucht, zu unterbinden, dass veröffentlicht wird, wie viele Menschen an Aids leiden oder wie hoch Lizenzgebühren sind.
Auf UN–Sonderorganisationen wird Druck ausgeübt, Hilfeleistungen zu unterlassen, die den Zugang zu Innovationen verbessern.
Beispielsweise könnte ein Staat der WHO die Zusammenarbeit verweigern, weil diese ein Entwicklungsland berät, wie und an wen es optimalerweise Zwangslizenzen zum Schutze des Rechts auf Gesundheit vergibt.
450
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
b) Ausgewählte transnationale Indikatoren für die „Protect“–Ebene Tabelle 2: Ausgewählte transnationale Indikatoren für die „Protect“– Ebene Mess– einheit
Potentielle Subindikatoren
Ja/Nein, Struktur– indikator
binär
Existenz von nationalen Zielmarken, die erlassen wurden, um die aus gewerblichen Schutzrechten resultierenden Nachteile zu kompensieren
2 Zahl der Fälle von „reverse payments“ in Situationen mit Auslandsbezug und menschenrechtlicher Relevanz
quantitativer Prozessindikator
totale Zahl
Zahl der Fälle von „reverse payments“ im pharmazeutischen Sektor
3 Bestehen eines Gesetzes gegen „reverse payments“
Ja/Nein, Struktur– indikator
binär
Gesetzlich vorgesehene strafrechtliche Folgen bei „reverse payments“
Nr.
Indikator
Kategorie
1 Existenz eines Aktionsplans zur internationalen Zusammenarbeit mit dem Ziel, die aus gewerblichen Schutzrechten resultierenden Nachteile zu kompensieren
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
Nr.
Indikator
4 Zahl der Fälle des Missbrauchs von Patenten bei einer marktbeherrschenden Stellung
Kategorie
quantitativer Prozessindikator
451
Mess– einheit
Potentielle Subindikatoren
totale Zahl
– Zahl der Fälle von Nichtausübung eines Patents bei einer marktbeherrschenden Stellung – Zahl der Fälle von verbotenen Preisabsprachen zwischen Patentinhaber und Lizenznehmer – Zahl der Fälle von Preisabsprachen zwischen verschiedenen Unternehmen, die Schutzrechte auf Erfindungen innehaben, welche in ihrer Wirkung vergleichbar sind
452
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Tabelle 2: Ausgewählte transnationale Indikatoren für die „Protect“– Ebene, Fortsetzung MessPotentielle SubinNr. Indikator Kategorie einheit dikatoren
5 Durchschnittliche Höhe der von Originalherstellern oder Lizenznehmern gegenüber Unternehmen aus anderen Ländern geforderten Lizenzgebühren für das Recht, die Innovation zu verwerten
quantitativer Prozessindikator
US–$ oder €
Durchschnittliche Höhe in Bezug auf eine bestimmte Schöpfung
6 Existenz eines Maximalpreises für exportierte geschützte Innovationen wie patentierte Medikamente
quantitativer Prozessindikator
US–$ oder € pro Vertriebseinheit
Maximalpreis für eine bestimmte Schöpfung
7 Durchschnittlicher Exportpreis für eine bestimmte geschützte Innovation
quantitativer Prozessindikator
US–$ oder € pro Vertriebseinheit
Durchschnittlicher Exportpreis, der aus einem bestimmten Land für die Erfindung bezahlt werden muss
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
Nr.
8
Indikator
Verhältnis des durchschnittlichen Preises, der für den Import einer Innovation aus dem berichtenden Staat in ein bestimmtes Land bezahlt wird, im Verhältnis zu dem, der für den Import in ein anderes Land bezahlt wird
9 Ausübung des Stimm– und Rederechts in internationalen Gremien, die sich mit gewerblichem Rechtsschutz befassen, zugunsten der optimalen Verwirklichung der Wsk– Rechte
453
Messeinheit
Potentielle Subindikatoren
quantitativer Prozessindikator
keine
Durchschnittlicher Preis für den Import von einem Liter patentiertem Virostatikum aus Staat n1 in Land n2 im Vergleich zum Durchschnittspreis, den Land n3 für den Import des gleichen Virostatikums und der gleichen Menge aus Staat n1 bezahlt
qualitativer Prozess– indikator
keine
Befürwortung, dass diese Organe arme Staaten dabei unterstützen, von den TRIPs–Flexibilitäten zugunsten der Wsk–Rechte Gebrauch zu machen
Kategorie
454
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Nr.
Indikator
10 Anteil der Bevölkerung eines Landes, der Zugang zu einer im Berichtsstaat geschützten Innovation hat
Kategorie
quantitativer Ergebnisindikator
Messeinheit
Potentielle Subindikatoren
%
Anteil einer besonders benachteiligten Bevölkerungsgruppe im genannten Land, der Zugang zur Innovation hat, im Verhältnis zum entsprechenden Anteil der Gesamtbevölkerung
c) Ausgewählte transnationale Indikatoren für die „Fulfil“–Ebene Tabelle 3: Ausgewählte transnationale Indikatoren für die „Fulfil“– Ebene
Nr.
Indikator
Kategorie
11 Existenz eines Aktionsplans zur internationalen Zusammenarbeit mit dem Ziel, den Zugang zu Innovationen im Ausland zu verbessern
Ja/Nein, Strukturindikator
Mess– einheit
Potentielle Subindikatoren
binär
Indikator Nr. 12
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
Nr.
Indikator
Kategorie
12 Existenz eines Aktionsplans zur internationalen Zusammenarbeit mit dem Ziel einer menschenrechtskonformen Harmonisierung des gewerblichen Rechtsschutzes
Ja/Nein, Strukturindikator
455
Mess– einheit
Potentielle Subindikatoren
binär
– Existenz von Zielmarken für den Innovationstransfer mit Mitteln des gewerblichen Rechtsschutzes, etwa wenn sich der Staat vornimmt, binnen fünf Jahren eine bestimmte Menge von nahezu global patentierten Medikamenten zu exportieren – Existenz einer Strategie, gemäß der mit einem Land, das auf einer anderen Entwicklungsstufe ist, Innovationen gehandelt werden, indem beide Seiten die TRIPs–Flexibilitäten menschenrechtskonform nutzen, zum Beispiel Zwangslizenzen erteilen
456
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Nr.
Indikator
13 Umfang, in dem eine Innovation exportiert wird
Kategorie
quantitativer Prozessindikator
Mess– einheit
Potentielle Subindikatoren
z.B. Stückzahl, kg, l
– Menge der Generikalieferungen gegen Tuberkulose in ein bestimmtes Land – Umfang, in dem eine Innovation kostenlos oder zu einem bestimmten Preis in ein Land exportiert wird
14 Anteil der patentierten Erfindungen oder geschützten Sorten, die in Niedriglohnländer exportiert werden, im Vergleich zu allen patentierten Erfindungen oder Sorten
quantitativer Prozessindikator
%
Anteil der patentierten Erfindungen oder geschützten Sorten, die in Niedriglohnländer exportiert werden, im Vergleich zu allen patentierten und exportierten Erfindungen oder Sorten
15 Zahl der Fälle von zwischenstaatlichen Gesprächen, bei denen es um Technologietransfer
quantitativer Prozessin– dikator
totale Zahl
– Zahl der Fälle von zwischenstaatlichen Gesprächen, bei denen es um den Transfer einer bestimmten Technik ging,
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
Nr.
Indikator
Kategorie
Mess– einheit
ging
457
Potentielle Subindikatoren beispielsweise eines Medikaments – Zahl der Fälle von Gesprächen mit einem bestimmten Land, bei denen es um den Transfer einer Technik ging, die dort dringend benötigt wird
16 Zahl der im Berichtszeitraum neu angemeldeten Schutzrechte, deren Gegenstand später exportiert wurde
quantitativer Prozessindikator
totale Zahl
Zahl der im Berichtszeitraum neu angemeldeten Patente oder Sortenschutzrechte, deren Gegenstand von vornherein überwiegend für den Export bestimmt ist/war und der später exportiert wurde
17 Häufigkeit der Teilnahme eines Regierungsvertreters an internationalen Konferenzen über Technologietransfer
quantitativer Prozessindikator
totale Zahl
Häufigkeit der Teilnahme eines Regierungsvertreters an internationalen Konferenzen mit dem Ziel menschenrechtskonformer Harmonisierung des
458
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Nr.
Indikator
Kategorie
Mess– einheit
Potentielle Subindikatoren gewerblichen Rechtsschutzes
18 Verhältnis, zu dem der Gegenstand einer patentierten Erfindung oder geschützten Sorte in ein bestimmtes Land exportiert wird, im Vergleich zum gesamten übrigen Vertrieb dieses Gegenstands
quantitativer Prozessindikator
%
Menge, in der der Gegenstand einer patentierten Erfindung oder geschützten Sorte in ein Land exportiert wird, im Vergleich zur Menge, in der er in andere Länder exportiert wird
19 Bestehen zwischenstaatlicher Partnerschaften zum Technologietransfer
Ja/Nein,
binär
– Existenz zwischenstaatlicher Kooperationen mit dem Ziel gleichzeitiger Herstellungs– beziehungsweise Vertriebszwangslizenzen für Medikamente im einen Land und Importzwangslizenzen im anderen Land
Strukturindikator
– Abkommen,
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
Nr.
Indikator
Kategorie
Mess– einheit
459
Potentielle Subindikatoren eine bestimmte Menge einer Innovation zu einem bestimmten Preis in ein Land zu liefern
20 Anteil des Bruttosozialprodukts, der für Entwicklungshilfe ausgegeben wird
quantitativer Prozessindikator
%
Höhe der staatlichen Leistungen, die vorrangig dazu dienen, den Zugang zu Innovationen im Ausland zu fördern, im Vergleich zum Bruttosozialprodukt
21 Höhe der Beteiligung an Fonds, die dazu dienen, Entwicklungsländer beim Zugang zu Innovationen, insbesondere modernen Medikamenten, zu unterstützen
quantitativer Prozessindikator
US–$ oder €
Höhe der Beteiligung an treuhänderisch verwalteten Fonds, die dazu dienen, ein Land beim Zugang zu Innovationen, insbesondere modernen Medikamenten, zu unterstützen
460
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Tabelle 3: Ausgewählte transnationale Indikatoren für die „Fulfil“– Ebene, Fortsetzung Mess– Potentielle SubinNr. Indikator Kategorie einheit dikatoren
22 Höhe der vom Staat aufgewendeten Lizenzgebühren für Innovationen, die exportiert oder aufgrund derer Produkte in ein bestimmtes Land exportiert werden
quantitativer Strukturindikator
US–$ oder €
Höhe der staatlichen Zuwendungen an Pharmaunternehmen für Forschung und Entwicklung in Bezug auf Krankheit X in Fällen, in denen im Gegenzug kostenfreie oder günstige Lizenzen erteilt werden (antizipierte Lizenz)
23 Gesamthöhe der Lizenzgebühren, die für exportierte Innovationen an inländische Unternehmen gezahlt wurden
quantitativer Prozessindikator
US–$ oder €
Gesamthöhe der Lizenzgebühren, die für eine in ein Entwicklungsland in einem bestimmten Umfang exportierte Innovation an inländische Unternehmen gezahlt wurden, wenn in den Jahren nach der Zahlung im Entwicklungsland der Anteil der Bevölkerung, der Zugang zu dieser Innovation hat, steigt
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
Nr.
Indikator
Kategorie
461
Mess– einheit
Potentielle Subindikatoren
24 Häufigkeit politischer Einwirkung auf Unternehmen mit dem Ziel, Innovationen kostenfrei an Entwicklungsländer abzugeben
quantitativer Prozess– indikator
totale Zahl
Häufigkeit erfolgreicher politischer Einwirkung auf Unternehmen mit dem Ziel, Innovationen kostenfrei an Entwicklungsländer abzugeben
25 Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die im Ausland zugänglich sind
quantitativer Prozessindikator
totale Zahl
Zahl der inländischen wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die im Internet zugänglich sind
26 Gesetzliche Festlegung kompensatorischer Maßnahmen als Voraussetzung für die Zulassung einer gewerblich geschützten Innovation
qualitativer Strukturindikator
keine
– Existenz eines Maximal–Exportpreises als Bedingung für die Marktzulassung der Innovation – Existenz einer Pflicht, Lizenzen zu angemessenen Bedingungen zu erteilen als Voraussetzung für die Marktzulassung einer Innovation
462
4. Teil: Die Überwachung transnationaler Pflichten
Nr.
Indikator
27 Zahl der Fälle, in denen der Staat auf Ersuchen eines fremden Landes technische Hilfsleistungen gewährt hat
Kategorie
quantitativer Prozessindikator
Mess– einheit
Potentielle Subindikatoren
totale Zahl
Zahl der Fachkräfte, die auf Wunsch in dieses Land entsandt werden, um für die dortigen Bedürfnisse Innovationen zu entwickeln oder die dortigen Ingenieure fortzubilden
III. Zusammenfassung des Kapitels Der gewerbliche Rechtsschutz und die Menschenrechte sind zwei Gebiete, die sich sowohl gegenseitig verstärken als auch behindern können. Die Staaten haben nach dem Sozialpakt, insbesondere nach seinem Artikel 15 Absatz 1 b), die Aufgabe, den gewerblichen Rechtsschutz menschenrechtskonform anzupassen. Inwieweit ihnen internationale Abkommen zum Schutz des geistigen Eigentums Grenzen setzen, ist sehr umstritten, muss aber hier nicht beantwortet werden. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass die meisten Staaten nicht bereit sind, die letztgenannten Abkommen zu durchbrechen und somit scharfe Sanktionen zu riskieren. Ein Verstoß gegen völkerrechtliche Verträge auf dem Gebiet des geistigen Eigentums ist aber nicht immer notwendig, denn die Abkommen lassen den Staaten, besonders im medizinischen Sektor, Spielräume, die sie zugunsten der Wsk–Rechte nutzen können. Die Paktmitglieder stehen vor der schwierigen Aufgabe, maximal dazu anzureizen, Innovationen zu tätigen, und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass diese optimal verbreitet werden. Beide Pflichten betreffen auch die transnationalen Menschenrechtsdimensionen. Die im vorangehenden Kapitel ermittelten Grundsätze der transnationalen Zurechnung lassen sich dahingehend konkretisieren, dass ein Staat unter anderem deshalb mitverantwortlich ist, wie die Wsk–Rechte in einem fremden Land verwirklicht sind, weil er für sein eigenes Terri-
Kapitel 7: Anwendungsbeispiel der IBSA-Methode
463
torium gewerbliche Schutzrechte erteilt und sich dies auch auf den Genuss der Menschenrechte im Ausland auswirkt. Die Aufgabe des Ausschusses ist es, zu überwachen, ob die Staaten ihre gewerblichen Rechtsschutzsysteme bestmöglich nach den Zielen des Sozialpakts ausrichten. Dafür sind zunächst Indikatoren, wegen des in diesem Bereich extrem weiten Ermessens aber auch Benchmarks notwendig. Die ressourcenunabhängigen Pflichten können und müssen mit dem „Violations Approach“ überwacht werden. Für die „Respect“–Ebene konnten typische Verletzungen, für die Ebenen „protect“ und „fulfil“ beispielhafte Indikatoren gefunden werden. Die Indikatoren müssen jedoch noch empirisch auf ihre Validität und von den Praktikern auf ihre Tauglichkeit überprüft werden.
5. Teil: Zusammenfassende Thesen „Wer Maximen bestreiten will, sollte fähig sein, sie recht klar aufzustellen und innerhalb dieser Klarheit zu kämpfen, damit er nicht in den Fall gerate, mit selbstgeschaffenen Luftbildern zu fechten.“ Johann Wolfgang von Goethe 1.)
Das Berichtsprüfungsverfahren hat sich trotz seiner vorwiegend politischen Konsequenzen als wirksame Methode erwiesen, um den Genuss der Wsk–Rechte zu verbessern. Es gilt zwar der Verhandlungsgrundsatz. Um einen effektiven Menschenrechtsschutz zu gewährleisten, darf der Ausschuss aber trotzdem eigene Ermittlungen anstellen und Alternativinformationen verwerten. Weil er die Beweismittel auf seinem Gebiet kontrolliert, trägt grundsätzlich der Staat die Beweislast. Bei Tatsachenzweifeln darf der Ausschuss zugunsten der Individuen entscheiden, wenn er der Regierung zuvor Gelegenheit gegeben hat, Stellung zu nehmen.
2.)
Ein konstruktiver Dialog ist grundsätzlich einem akkusatorischen Vorgehen vorzuziehen, weil sich durch Zusammenarbeit bessere Fortschritte in der Menschenrechtsverwirklichung erzielen lassen, als wenn Staaten in einer verteidigenden Position stehen. Eine Ausnahme gilt nur, wenn ausgedehnte und gravierende Menschenrechtsverletzungen diskutiert werden.
3.)
Indikatoren sind ein erlaubtes und aufgrund des Prinzips der progressiven Verwirklichung auch gebotenes Mittel, um zu überwachen, ob ein Paktmitglied seine ressourcenabhängigen Pflichten aus dem IPwskR erfüllt. Der Bereich der ressourcenunabhängigen Pflichten kann allerdings besser mit dem „Violations Approach“ beurteilt werden. Neben quantitativen sollten auch qualitative Indikatoren verwendet werden. Indikatoren sind immer in absteigender Reihenfolge entsprechend ihrer Validität und Reliabilität anzuwenden. Menschenrechtsindizes dürfen im Berichtsprüfungsverfahren nicht verwendet werden.
4.)
Wie stark ein Indikator mit einem Menschenrecht korrespondiert, lässt sich immer nur vorläufig, niemals aber endgültig er-
M. Duchstein, Das internationale Benchmarkingverfahren und seine Bedeutung für 465 den gewerblichen Rechtsschutz, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 217, DOI 10.1007/978-3-642-12018-3_5, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010. All Rights Reserved.
466
5. Teil
mitteln. Indikatoren müssen daher fortwährend einer Überprüfung und Verbesserung unterzogen werden. 5.)
Mit der IBSA–Methode erhält der Ausschuss ein analytisches Werkzeug, mit dem er trotz des Grundsatzes der fortschreitenden Realisierung und des staatlichen Ermessens feststellen kann, ob ein Staat seine Verpflichtungen aus dem Sozialpakt erfüllt. Wenn ein Staat im Einverständnis mit dem Ausschuss Benchmarks aufstellt, sind sowohl der Staat als auch der Ausschuss hieran gebunden. Dies schließt jedoch nicht aus, dass der Ausschuss im „Scoping“ zusätzlich andere Indikatoren heranzieht.
6.)
Die Staaten sind nicht dazu verpflichtet, Benchmarks aufzustellen. Wenn sie es jedoch tun, müssen die Ziele so hoch wie möglich sein. Obwohl Benchmarks einseitige staatliche Akte sind, sind sie nur wirksam, wenn sie in den „Concluding observations“ enthalten sind.
7.)
Der Sozialpakt sieht für alle drei Ebenen – „respect“, „protect“ und „fulfil“ – transnationale Pflichten vor, die jedoch im Vergleich zu den innerstaatlichen einen weitaus geringeren Umfang haben.
8.)
Der Bereich der transnationalen Menschenrechtsverpflichtungen ist ein Paradeanwendungsfall für die IBSA–Methode, da die Staaten hier einen besonders großen Ermessensspielraum haben. Unter bestimmten Umständen können einem Paktmitglied Indikatorwerte eines anderen zugerechnet werden. Da der Berichtsstaat insoweit aber nicht Herr der Beweismittel ist, trägt er auch nicht mehr die Beweislast.
9.)
Patente, Gebrauchsmuster, Sortenschutz– und ähnliche Rechte können den Genuss der Menschenrechte im Ausland hemmen. Besonders betroffen ist das Recht auf Zugang zu den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung.
10.) Aus Artikel 15 Absätze 1 b) und 2 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 IPwskR folgt für die Paktländer die Pflicht, ihre Regelungen auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes, so aufeinander abzustimmen, dass global die Wsk–Rechte optimal verwirklicht werden. Auch im Rahmen der zwischenstaatlichen Kooperation im Bereich des geistigen Eigentums hat jeder Staat jedoch einen Ermessensspielraum. 11.) Die Abkommen zum Schutze des geistigen Eigentums schränken die staatliche Freiheit zwar ein. Die Paktmitglieder haben aber
Zusammenfassende Thesen
467
immer noch genügend Spielraum, um ihre Pflichten aus dem IPwskR zu erfüllen. 12.) Es gibt einige transnationale Indikatoren, die sich dazu eignen könnten, die mit dem gewerblichen Rechtsschutz zusammenhängenden Menschenrechtspflichten zu überwachen. In der Praxis muss jedoch untersucht werden, wie valide und reliabel sie sind. Beispiele sind die Menge der exportierten Medikamente, die Unterstützung armer Staaten, wenn diese von den TRIPs– Flexibilitäten Gebrauch machen, oder die Höhe staatlicher Zuwendungen für Forschung und Entwicklung von im Ausland benötigten, menschenrechtlich relevanten Gegenständen. 13.) Wie das Patentrecht für einen optimalen Zugang zu menschenrechtlich relevanten Innovationen auszugestalten ist, ist eine politische Frage, die jedes Land selbst beantworten muss. Der Ausschuss überwacht nur, ob ein Land einen den Vorgaben des Sozialpakts entsprechenden Weg eingeschlagen hat. Hierbei können Benchmarks den „Monitoring“–Prozess deutlich erleichtern.
English Summary The international benchmarking–procedure and its meaning to industrial property law Indicators and Benchmarks, which monitor patent and copyright rules that obstruct the enjoyment of human rights
I. Introduction The following analysis deals with the monitoring of states obligations in the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (hereinafter ICESCR or the Covenant). In the first part it will be examined in general, which principles guide the substantive as well as the procedural law of the Covenant. In the second, the shorter part, it will be more specifically observed which transnational obligations lie upon the states parties especially concerning their patent law and how they can be monitored. Thus, the second part is an application of the results of the first.
II. The substantive duties in the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (ICESCR) 1.) The binding character of the ICESCR When drafting the ICESCR the Human Rights Committee and the UN General Assembly were aware that there already existed the Universal Declaration of Human Rights (hereinafter UDHR), which contains nearly the same set of economic, social and cultural rights. Due to this fact, they intended a different understanding of both documents, otherwise the ICESCR would be superfluous. The anchoring of a state’s reporting procedure shows that in addition to the already existing nonbinding UDHR, they wanted the esc–rights of the ICESCR to be binding. Thus, one can no longer argue that the Covenants rights are without obligation. Rather one has to find an interpretation that allows observing whether a member state has fulfilled its obligations despite the vague wording.
470
Summary
2.) Progressive realization The central norm of the ICESCR is Article 2(1). It stipulates: “Each State Party to the present Covenant undertakes to take steps, individually and through international assistance and co–operation, especially economic and technical, to the maximum of its available resources, with a view to progressively achieving the full realization of the rights recognized in the present Covenant by all appropriate means, particularly including the adoption of legislative measures.” The wording differs fundamentally from the one of the parallel rule in the International Covenant on Civil and Political Rights (hereinafter: ICCPR) as it sets the duties of the states not absolute but relative to their level of development, especially the economic development.
3.) The states’ margin of discretion According to the travaux préparatoires and the purpose of Article 2(1) ICESCR, the wording “resources” has to be interpreted in a broad manner. It can be defined as all means, which can serve to realize the economic, social and cultural rights, such as financial resources, knowledge, natural resources, work, land and environment. According to the Committee on Economic, Social and Cultural Rights (hereinafter: the Committee), even international resources e.g. development aid are part of the available resources and must be used for the realization of the Covenant rights. Due to this extensive understanding, it is not possible to evaluate the total amount of all available resources of a country. Besides, every state has a number of additional tasks for which the resources are needed. Thus, every state has a margin of appreciation which and how many resources are at its disposal for the realization of the Covenants rights. Also, as the perfect economic and political system has not yet been found, it can decide how to distribute the total amount in between the respective Covenant rights and their elements. Notwithstanding, each right has a core content that every state is obliged to realize with priority, and where its margin of discretion is reduced.
4.) Duties that have to be realized immediately Under the terms of Article 2(1) ICESCR all rights are to be realized progressively which, with view on the intention of the Covenant and
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the trauvaux préparatoires means as soon as possible. It is not a contradiction but a consequence of this principle that some dimensions of the rights must be realized immediately. These are the elements for whose realization no resources are needed such as the repeal of de–iure– discriminations.
5.) Respect, protect, fulfill Pursuant to the current understanding, the states’ obligations can be divided into three categories: first respect, which means that the government must not interfere with the protection of the rights, second protect, which covers that a state must bar third parties from violating the rights, and third, fulfill, which means that it must actively carry out efforts to realize the rights.
6.) Obligations of conduct and of result Another distinction of the obligations refers to the reflection whether a state has to do a certain act of commission respectively of omission (so called obligations of conduct) or whether it must concretely improve the enjoyment of the right comparable to a strict liability (so called obligations of result). It is important to note that the Covenant covers both types of obligations and neither of them is more important than the other. This derives from the wording of the Articles 11(2) and 14 as well as from the intention of the Covenant.
7.) Availability, accessibility, acceptability and quality Not only the Committee but also other political institutions and some human rights experts set forth four criteria to evaluate whether human rights obligations are being realized; these are called availability, accessibility, acceptability and quality. Availability refers to the extent to which the facilities, goods, and services required for the fulfillment of a specific right are available in sufficient quantity. Accessibility has four dimensions: non–discrimination, physical accessibility, economic accessibility and information accessibility. Acceptability is a measure of whether the facilities, goods and services are culturally appropriate and respectful of ethical standards. Quality entails whether the facilities, goods and services are scientifically appropriate and of good quality.
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III. The report consideration procedure in front of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights 1.) The duty to report to the Committee As a formal duty, Article 16(1) ICESCR obliges the member states to report in regular intervals to the ECOSOC. The latter has in accordance with Article 68 of the UN–Charter mandated the Committee with the task of the examination of the reports and pursuant Article 17(1) ICESCR determined that states have to report in two respectively five years periods.
2.) The results of the state reports examination As a result of each survey of a report, the Committee enacts the so– called Concluding observations. Although they are of noncommittal character, they have a strong domestic and international political influence. Therefore, the monitoring procedure is rather political, at best quasi–judicial than judicial.
3.) Principles of investigation and the onus In the procedure in front of the Committee, the state bears the onus if it has made an effort to move toward the full realization of all rights as fast and as effectively as possible. In addition, it has to prove whether it has used the maximum of the available resources. This drawback is imposed on it by the Covenant indirectly as a flipside of its wide margin of discretion and by the fact that it controls the evidences on its territory. Pursuant to the intent of Article 16(1) ICESCR every state is obliged to reveal all information a judicious state, which was in the situation of the one that is monitored and which took the realization of the Covenant rights seriously, would communicate. Nevertheless, the Committee is allowed to undertake its own investigations and to consult third parties to guarantee the veracity and the completeness of the state reports. In spite of the clash of interests, the Committee tries to work together with the governments in a constructive dialogue rather than in an accusatory course of action.
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IV. The permissibility of the indicator method in the procedure in front of the Committee 1.) Definition and general attributes of indicators In general terms indicators are a means to conclude from a lower level of abstraction to a higher one, from an empirical fact to a theoretical term. They were developed in the social sciences and are needed if an abstract phenomenon is not directly observable. There are an infinite number of indicators and as long as causal interrelations are not known, every indicator can correspond to every construct. They differ however, in the intensity in which they correspond to the construct. This is the so–called validity, which will be of enormous importance in the following analysis. This relative belonging of an indicator to a theoretic construct can never be completely verified. It is always only preliminary, together with other indicators. The second important characteristic of an indicator is its reliability, which can be defined as consistency. As validity, it can only be proven ad interim by checking measurements, and observing in how far they deliver comparable results. The problem is that also the control measurement can be faulty and thus only be verified provisionally. To inhibit an infinite regress one has to agree at a certain point on the validity and the reliability of an indicator. As a result of the universe of indicators, it is principally impossible to name a specific number of indicators that are necessary to measure a theoretical term. De facto, practical reasons decide how many indicators are used.
2.) Possible concerns against the use of human rights indicators Is it allowed to use indicators to measure the degree of the realization of the Covenant rights? The first objection might result from the fact that they are only interim verified, judicial conclusions, on the other hand ultimately they seem to be ultimately reasoned. However, all scientific theories and causal models are only verified ad interim as long as no more exact explanation is developed. As a result, the inductive approach does not differ from the common deductive one in a manner that would forbid it to use indicators in the jurisprudence in general. This assertion assumes that the
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indicators are applied in descending order according to their validity, as otherwise a state could argue that the indicators are arbitrarily utilized and the result of the monitoring process would become unpredictable. The next objection refers to the principle of indivisibility of human rights. The problem is that an indicator purposefully separates a right and thus excludes all other of its dimensions. The indicator measures an abstract term only approximately instead of totally and exactly, like the syllogistic approach, which is common in the jurisprudence. The solution lies in the number of indicators applied. The more of them are used to operationalize a right, the more dimensions are covered. From a theoretical perspective, a right is only fully realized, if all indicators from the universe are applied cumulatively so that finally no aspect is cut off. In practice, it is the time frame of the examination procedure that limits the investigation and leads to the fact that only a few dimensions of each right can be monitored. However, this time frame was actually set by the states when they mandated the ECOSOC with the consideration of the reports in a very vague verbalized norm, and without providing it with additional financial resources. Therefore, there is no other possibility than to limit the number of indicators applied which automatically includes that certain aspects of the rights are cut off. Thus, there might be a certain constraint of the principle of indivisibility, but this is based in the Covenant. A third demur might occur in view of human dignity. At least a quantitative assessment could violate this principle, because humans are no longer regarded as individuals but as simple numbers. Yet, this argument is unremarkable, as it is just the purpose of the quantification to protect the dignity of the persons measured. Besides, Article 16(1) ICESCR reasonably cannot be understood as putting a duty to report on every single human being. Rather its purpose is that a general overview on the realization of the rights in the particular state shall be given. After all, states would be overstrained with such a quixotic, detailed reporting. The reason lies thus again in the Covenant which allows a quantification in a certain range.
3.) Disaggregation The Covenant does not allow adjusting the measurement on averages. In fact, Article 2(2) obliges the states to operationalize the rights in a disaggregated way. Spoken in the words of social sciences, this norm
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constitutes a part of the theoretical concept that is to be measured with indicators. Hence, indicators for the disadvantaged, marginalized and vulnerable groups are exceedingly valid and thus have to be used with priority. On the other hand, states must be able to forecast the results of the monitoring process as much as possible. Therefore, the Committee is not allowed to focus only on problems in the states, as this would be an arbitrary approach. Instead, it must regard all indicators at least somewhat, in the named descending order. For reasons of equal treatment, this includes whoever claims that his order is the correct one and has, on objection of the counterpart, to prove it with other indicators. In addition, for reasons of foreseeability and universality of human rights a state might argue that the Covenant should express ex ante for which groups the data has to be disaggregated. As this is not the case, the state should have the power to decide how far to disaggregate. At first, this thesis is problematic for reasons of universality, because the groups would differ from state to state and some could be excluded on purpose. Moreover, it contradicts the intention of the reporting procedure, that every state could decide for itself what to report on. On the other hand, the Committee does not have the competence to decide on its own, which groups to choose, as it is only mandated to observe. The solution lies in the amount of resources that must be spent for a maximal disaggregation. This and other problems will be examined in the next unit.
V. Structure and imperative of the indicator model in the procedure in front of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights 1.) The relation of the violations approach to the indicator model As a counterpart to the indicator model the violations approach has been developed. The latter means that the monitoring process focuses on violations deriving from governmental actions, laws and policies. The violations can be based on acts or policies reflecting discrimination as well as such resulting from the failure to implement a core minimum. In the result, both approaches can supplement each other. At first, indicators are needed to measure the progressive dimensions of the right. Additionally, the violations approach can be used to evaluate the obliga-
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tions that have to be implemented immediately such as the elimination of de iure discriminations. Besides, the violations approach should be applied in cases where gross and massive violations of human rights are in question, since the procedure in front of the Committee must not be weaker than the Charter based 1503–procedure. Otherwise, states would be allowed to escape into a constructive dialogue where this course of action was misplaced.
2.) Qualitative and quantitative indicators Indicators are a means by which the progressive realization is measured. They do not release the Committee of evaluating whether a state behaves in conformity with the Covenant or not. This final question must be pointed out by a qualitative value judgment. This, in turn, is one reason why it is not convincing to speak of quantitative indicators as an objective tool of measurement, as the Committee is no computer and the final decision is always subjectively motivated. Rather it is not forbidden to use qualitative indicators, which mean those that cannot be presented numerically. In the social sciences, it is disputed whether the quantitative or the qualitative approach deliver better results. Correct is that quantitative measurements must always conform with strict methods, whereas qualitative approaches allow the investigator a much bigger latitude. As the states are interested in obtaining results that are as foreseeable as possible, the examination of the reports must follow strict rules as much as possible. Yet, even with qualitative indicators, this requirement can be guaranteed if they are applied in descending order according to their validity and their reliability. Furthermore, the monitoring process cannot abstain from using qualitative data, especially to measure discriminations and political plans where no quantitative data yet exist. Insofar the prevailing opinion follows that qualitative indicators can support the quantitative, and both categories are needed in the states’ reporting procedure.
3.) The three categories of human rights indicators By now, the newer discussions distinguish three categories of human rights indicators: structural, process, and outcome indicators. Structural indicators measure whether or not appropriate legal regulating and
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institutional structures are in place that are considered necessary or useful for the realization of a human right. This refers inter alia to national law, policy frameworks and institutional organization. Most structural indicators are qualitative in nature. Process indicators are designed to assess how and to what degree activities necessary to attain objectives specific to certain rights are put into practice. They also serve to incorporate the human rights principles of non–discrimination, accountability and participation in the monitoring process. The third group, the outcome indicators, measure the status of the population’s enjoyment of a right. In how far a result is achieved by a state’s policy can be measured only approximately, and only by including other correlating indicators in the monitoring process. Otherwise, all residual circumstances that potentially influence the outcome value would have to be constant, which is never the case in practice. However, since the Covenant allows due time constraints to reduce the number of indicators applied to a small quantity, it permits to measure only approximately. Lastly, it may be important for the development of indicators, but not for the monitoring procedure, to allot the indicators to a certain class. Anyway, the three categories overlap and the indicators have to be applied in descending order according to their correspondence. Admittedly, it is important to use all categories if a state wants to exculpate the negative value of an indicator – especially of an outcome indicator – with differing priorities. Then it can prove that it has utilized its means for another human rights aim by showing which policies and laws it has adopted to reach it. Also, it should be mentioned that all three dimensions of the rights, “respect, protect and fulfill” can and should be supervised with all three categories of indicators.
4.) Human rights indicators for special applications For the duties the states have to realize immediately that the Committee may use indicators as checklists. The real indicator approach however is not demanded, because these duties are not subject to the progressive dimensions for whose measurement they serve. Indicators can be employed to measure the core contents, as their realization is partly resource–dependent and these means might lack. In this case, the Committee can at least observe if a State is moving more
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closely to the core content threshold and is undertaking all possible efforts to reach this goal. Furthermore, indicators for the core contents have – according to the intention of the right – an extraordinary high validity. Thus, they have to be applied with priority. Yet, additional work is needed to clear the exact substance of the core content of each right. Irrespective of the state’s level of development, the Committee has to secure with indicators that the State does not move backwards with the realization of the Covenant rights. If this is the case, the State will have shortened capacities to exculpate.
5.) The number of human rights indicators Unsolved until today is the question of how many indicators have to be used for each State report. From the intention of the Covenant follows that as many dimensions of the rights as possible have to be measured. On the other hand, the Committee has on average only three half days for every state report. As it is not feasible to predict how long the discussions on the respective elements will take, and as this time differs from report to report, it is not possible to set a fixed or even a minimum number of indicators that have to be applied. Therefore, practice must decide how many indicators to use in each observation. However, this rule applies only to the Committee, not to the States. Rather the States have to deliver, pursuant to the purpose of the reporting procedure, an image of their human rights situation, which has to be as detailed as possible. Of course, it is not possible to itemize all indicators of the universe, as their number is infinite. Hence, a state would have pick only those indicators that any reasonable average state would, which seriously cares for the realization of economic, social and cultural rights. If a State does not have the means to detect a certain indicator value, it can justify this lack under the terms of Article 2(1) ICESCR. In any case, if the State fails to name an indicator, the Committee is nevertheless allowed to use it. Otherwise, a State could bypass the aggravating effects of the monitoring process and deliver an incomplete picture of its human rights situation.
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6.) The data The data for the States reports can be derived from different sources, such as official statistical registers, censes, social services, surveys, and samples.
7.) Indices In an index, multiple indicators are coalesced into one single value. Sometimes each indicator of the index is additionally multiplied with a different factor to assess it. In contrast to pure political analyses, as the specialized agencies do sometimes, it is not allowed to use indices in the State reporting procedure. Firstly, by using indices, factors run the risk of being hidden. Above all, every combination of indicators to one single value means that they are weighted and it is not possible to weight indicators without arbitrariness.
VI. The IBSA–procedure 1.) Outline on benchmarks, scoping and assessment As a consequence of the fact that it cannot determine completely the available resources and that it is difficult to assess whether a State chooses the best opportunity to realize the rights, the Committee has demanded the states to set benchmarks. The latter can be defined as targets set by a state that serve to assess the progressive realization with a view to the available resources. Benchmarks can either be qualitative or quantitative in nature. They can be set on every indicator, although the outcome indicators are especially suitable for them. The complete IBSA–procedure contains four steps: First indicators are developed, on which the states set benchmarks. Next, the Committee reviews the benchmarks to make sure they are neither too low nor too high, the so–called scoping. In the following reporting period, it observes whether the state has reached its goals, this is what is called assessment. At that time, new benchmarks are set and the procedure starts anew.
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2.) Possible arguments against the IBSA–procedure The IBSA–approach, particularly the scoping, is not forbidden for reasons of inalienability and of indisposability of human rights. Rather, the task of the Committee is to secure that the states follow their obligations even if this means that both negotiate on what is the best way to realize the rights. A likely objection against the IBSA–procedure might also occur on the question of which state will set benchmarks if it thereby simplifies the Committee to determine if it has violated its obligations. But then one must also ask which state should ratify a human rights Covenant and by that put itself under public assessment instead of realizing the rights on its own and more secretly. Furthermore, states get legal certainty by knowing what the Committee will expect of them.
3.) The voluntary character of the benchmark setting One could raise the question, whether or not states are obliged to set benchmarks by now. Even if the wording of the Articles 16 et seq. ICESCR only sets a duty to report, an obligation to set benchmarks could be derived from the principle of good faith. This is because it would counter this principle if states do not follow the wish of the Committee to set benchmarks without adequate arguments. However, this view is not convincing, as with their ratification the states intended no further formal obligations than to report, and the wording “report” points to the past and not to the future. The intention of the states even limits the ECOSOC in its powers to rule the reporting procedure according to Article 17 ICESCR. In the end, it is up to the Committee, national human rights movements, and the international community to convince or politically force the states to set benchmarks.
4.) The frame of the benchmarksetting In general, benchmarks must be set with a view to the next reporting period, usually five years. By way of exception shorter periods are not only allowed but commanded if the duties substantively have to be realized faster, as for example the ones that have to be realized immediately.
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For reasons of substantive law, the states must set their benchmarks as high as possible. But as states are not obliged to set benchmarks at all, every negotiation with the Committee is voluntary. In the scoping process then again they have to prove that the target is adequate, whereas it cannot demand more than to explain it plausibly. Again, every state possesses a margin of appreciation on which target can reasonably be reached. This is a consequence of the fact that a number of economical and technical questions must be taken into account, when computing the targets and the Committee does not have a higher expertise on those questions than the state itself. But then, the Committee supervises, if the target lies in a maintainable frame. How exact the benchmarks must be measured should be in accordance with the available resources. The richer a state is the more resources it must spend for an exact calculation. Further, it is relevant how valid the underlying indicator is. The more it corresponds to the right, the more accurate must the analyses be.
5.) Conditioned benchmarks Benchmarks may not subjected to a condition, neither a resolvent, nor a suspensive one. The base for this postulate lies in the purpose of the benchmarks. They shall facilitate the observation of the reports and create legal certainty. Contrariwise a condition would be derogating legal security, and further aggravate the procedure if the Committee had to investigate whether the event has occurred or not.
6.) The legal force of benchmarks The next problem that arises concerns the question, in how far benchmarks are binding. If they were completely nonbinding, a state could abdicate them and the advantages of the IBSA–procedure would vanish. Probably some governments will claim that they feel not bound by the targets a prior government set for the state. If they were not flexible, they would not have the opportunity to make a better human rights policy. As the Committee was not authorized to compose an international treaty, benchmarks could not bind with the same stringency as an international treaty does. Thus not the state as such would be bound, but only the current government. Even though benchmarks are no treaty, it is not impossible to apply the provisions analogously, especially Article 27 of the Vienna Convention
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on the Law of Treaties. This is justifiable as the latter provision rules the conflict between international and domestic law in favor of international law for reasons of legal certainty. The clash appearing in the benchmark approach is comparable, and should thus be solved in an identical manner. The objection concerning the comparison to a treaty can be rebutted, as the international law knows other binding forms of action that bind for reasons of good faith. Videlicet it would encounter this latter principle if a government agent sets targets for its state and this state would later claim not to be bound by them. Cumulatively it appears that a state in international law is in principle seen as a single unit and the procedure in front of the Committee is part of international law. Furthermore, the benchmarks concern the state report, which means that a whole state is observed and evaluated and not just its current government. Thus, as the abovementioned possible objections of the governments are not convincing, the conclusion is that benchmarks can bind a state. The next question is: under which circumstances they do bind. If benchmarks would always bind irrespective of the scoping, states would set them systematically low. On the other hand, the only task of the Committee is to observe the reports, thus it is not competent to set benchmarks on its own for a state. Therefore, no state is obliged to change its benchmarks if the Committee criticizes them as too low. However, not only the state but also the public needs legal certainty if a state insists on its benchmark, or if it is willing to reveal it. This goal can best be reached by certain formalities. Consequently, benchmarks bind only if the Committee has accepted them in its Concluding observations.
7.) The substance of the scoping–procedure How should the Committee know if a benchmark is neither too high nor too low as long as the total amount of the resources is not measurable? The solution lies in the onus. Benchmarks are an ex ante specification of the margin of discretion, and according to the previous results the states are obliged to demonstrate what their resources are, and how they spend them for the realization of economic, social and cultural rights. On this basis the Committee can consult UN specialized agencies, if the way the state plans to spend its resources is reasonable concerning the realization of the rights, or if it is unacceptable.
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8.) The domestic competence to set benchmarks Who is competent to set benchmarks for the state? According to the intentions of the Articles 7, 27 and 46 of the Vienna Convention on the Law of Treaties, a state decides on itself, who sets the benchmarks. It is a domestic matter. During the oral session it is in practice the head of the delegation, who decides who talks to the Committee on a specific topic.
9.) The order of the benchmarks in the scoping procedure The Committee is free to use proposed benchmarks independent of the validity of the respective indicator. The reason for this is that it is not obliged to use the benchmarking–procedure at all. Then it must a fortiori have the capacity to decide in which cases benchmarks will facilitate the observance of the reports and in which they are unnecessary.
10.) Benchmarks and core contents Although the core contents are universal, it is allowed to apply the IBSA–approach in these dimensions, because they also contain progressive elements.
11.) The number of benchmarks The Covenant does not determine either a minimum or a maximum number of benchmarks to be applied. Regarding the terse time of the monitoring process, it seems feasible to have a number of five to six per state report.
12.) Benchmark Indices As benchmarks are no more than values on indicators, they follow in principle the rules that count for the latter. Therefore, it is not allowed to form benchmark–indices.
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13.) The assessment During the last step, the assessment, the Committee checks if a state has reached the benchmark. If it failed, the Committee will observe the reasons for this failure. Only sudden, unpredictable occurrences such as natural disasters can excuse a state, because by setting its benchmark, it has in principle guaranteed to reach it. As it controls the evidences on its territory, the onus is on the state to prove that it has reached its goal. Over and above, the Committee is not bound to the indicators that have been provided with benchmarks. Rather, according to the purpose of the treaty, it may still use all other indicators. Otherwise, the IBSA– procedure would run the risk of being misused by states that would set one or two benchmarks and thereby avoid all their other substantive obligations.
VII. Transnational obligations in the ICESCR and their monitoring In how far the Covenant obliges the states to realize the economic, social and cultural rights beyond their borders is a disputed question.
1.) The wording The wording of several articles of the Covenant indicates that transnational, sometimes also called extraterritorial or even international obligations are not unknown to the ICESCR. Particularly Article 2(1) speaks of “international co–operation”, although it should be mentioned that this sentence is interpreted in different manners.
2.) The intention of the Covenant It would be strange if a state was obliged to realize the Covenant right on its own territory as fast as possible, but at the same time could hamper the enjoyment of these rights in other states. This could be a problem in particular, if the foreign territory belongs to a member of the ICESCR, because then the first state would disturb its treaty partner with the realization of its obligations. This again does not conform to the principle of good faith.
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Besides, one could argue that a state discriminates for reasons of nationality if it does not care about the human rights of foreigners in foreign countries. One might object that foreigners could turn to their own government and were thus protected sufficiently. So a state would be allowed to treat foreigners in other countries different from its own inhabitants. Yet, if this objection were absolutely correct, one would approach sub– standards for sub–humans, because a government would even be allowed to harm inhabitants of foreign territories intentionally. Rather, a state discriminates if it does not care how its policies on human rights affect foreign countries, especially if the minimum standard of the right is enshrined in the foreign country by its policy. However, not to be forgotten is the fact that there is a second state, which is primarily competent to realize the rights of the concerned people, so the competence of all other states for them is only secondary. This allows these latter states to assign the human rights interests of foreign states a lower rank than the ones in their own country. But when practicing their discretion they also have to take into account how far the human rights in other states are already realized compared to their own. This can even imply to transfer resources from rich to poorer states if this is the most effective way to help them with the realization of the rights. On the other hand, the ICESCR is no development–aid–treaty. Its transnational elements are sparse and weakly phrased compared to the remaining human rights obligations. Building on that, it cannot be supposed that the states intended a massive transfer of resources when ratifying the Covenant. Particularly, when ratifying the Covenant, richer states did not show that they were up to reduce the national realization of human rights in the peripheral dimensions as long as the minimum standards were not reached globally. Thus, the transnational obligations are secondary compared to the domestic ones, especially if resources are needed for their realization, but nevertheless they do exist.
3.) The scope of the transnational obligations So the question remaining is only to which extent these obligations exist and how they can be concretized. According to a very restrictive interpretation one could assume that states are only obliged to consult with UN specialized agencies. Thereby one could refer to Articles 55(b) and (c) in connection with Article 56 of the UN–Charter. Though, even
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if read in conjunction with the friendly–relations–declaration, these provisions are less concrete than the ones in the ICESCR. So the latter can be regarded as leges speciales, and thus embodies stricter obligations than the UN–Charter. In favor of a restrictive approach, it could be alleged that the Articles 22 and 28 of the UDHR were in fact not included in one of the Covenants, although most other human rights of the UDHR were. Then again, the wording of the parallel provision to Article 2(1) ICESCR, Article 2(1) ICCPR is narrower than the one of the ICESCR by speaking of “all individuals within its territory and subject to its jurisdictions”. As the ICESCR does not contain such a qualification, it can be assumed that all three dimensions of economic, social and cultural rights shall be realized domestically as well as transnationally. No further obligations follow from the right to development, because there is currently no consensus that such a right with binding obligations exists. But in recent General Comments, the Committee has specified the contents of the transnational obligations to some degree. It does not hesitate to acknowledge extraterritorial obligations for all three dimensions for certain rights. Noteworthy is also Article 13 of the Charter of Economic Rights and Duties of States. Although it is only a declaration of the UN General Assembly, it shows how the UN–Charter is interpreted nowadays by the majority of states. To find criteria under which circumstances a member party of the ICESCR is responsible for the status of enjoyment of human rights in another country, an analogy to international environmental law can be drawn. According to general principles in this subject, a state is responsible for actions taking place on its territory or under its jurisdiction. The limits up to which a state is allowed to use its resources and to pollute the environment are based on a balance between its sovereignty and the interests of the other states. While this counts only for positive actions, the analogy can only be justified for the dimensions of the obligations to respect and to protect. In these areas, a state is thus responsible for violations of economic, social and cultural rights outside its territory if it controls the source of interference. The conclusion that can be drawn from the analysis of the Covenant and the named documents is that primarily every state is responsible on its own to realize the Covenants rights within its territory. Additionally, other states are tasked to assist, which can mean not to hamper the re-
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alization, and to regulate third parties not to interfere. Third parties can be enterprises as well as international organizations. Even in the area of the obligations to fulfill exist transnational obligations as the Covenant sets the duty to co–operate in general terms without distinguishing between the three categories of obligations. The problem is that the Covenant lacks criteria, which state shall help whom, under which circumstances and to which extent. Thus, every state has a very broad margin of discretion on how to realize its transnational obligations to fulfill. As the term of progressive realization is also valid for the extraterritorial obligations, the available resources are one indicator how far the transnational duties reach. The term “especially economic and technical” in Article 2(1) ICESCR specifies the extraterritorial obligations. If this passage is read in conjunction with Article 15(1) (b) and (2) of the Covenant one can derive an obligation not to hamper another state with the access to technology, as well as to negotiate on the transfer of technology. Yet, both obligations exist only to a small degree, because the states were not disposed to constrict their souvereignity in a huge extent for the benefit of other states when ratifying the covenant. Furthermore, from the wording “particularly the adoption of legislative measures”, it can be derived that technical and economic co–operation shall be secured by laws and treaties, if this is an adequate means. Laws and treaties in this area are especially those ruling patent law and utility models, because economic questions in the fields of technology are their subject. If one agrees with the thesis of the prevailing opinion that a state has obligations of result although it cannot influence all factors relevant for the realization of human rights, there is no cogent reason why this should not apply to the transnational obligations. Admittedly, the influence capability is reduced on foreign territories, so the obligations of result cannot reach as far as in the domestic area. Yet, one cannot deny them completely. In favor of the obliged state however the onus switches onto the international community.
4.) Transnational indicators and benchmarks The need for transnational indicators has been postulated several times. Besides the amount of development assistance, indicators could be the amount of essential pharmaceuticals delivered to developing countries or the average vitamin dose of exported food.
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If it is possible to attribute a certain result in analogy to the international environmental law, it is also allowed to use outcome indicators of the concerned foreign country. Yet in every case it is important to take into account the vast discretion every state has with the realization of its transnational obligations. Thus, the IBSA–approach is extraordinarily valuable in these dimensions. States can set transnational benchmarks to get the Concluding observations more foreseeable.
VIII. The overcoming of obstacles by intellectual property law with the IBSA–procedure 1.) Obstacles by intellectual property law that hamper the access to variables relevant to human rights a) National and international patent law and similar rights A patent is a document, issued upon application, by a government office, which describes an invention and creates a legal situation in which the patented invention can normally only be exploited (manufactured, used, sold, imported) with the authorization of the owner of the patent. “Invention” means a solution to a specific problem in the field of technology. An invention may relate to a product or a process. The protection conferred by the patent is limited in time, generally 20 years. In a number of countries, inventions are also protected through registration under the heading of “utility model” or “short–term patent.” The requirements are somewhat less strict than those for patents, in particular in respect to inventive step, and in comparison with patents the fees are lower, and the duration of protection is shorter, but otherwise the rights under the utility model or short–term patent are similar. The aim of the patent law and the named similar rights is to stimulate the technical progression and thereby the benefit for mankind by granting a monopoly. This on the other hand does not mean that the patent gives the right to use or sell anything. The effects of the grant of a patent are that the patented invention may not be exploited by persons other than the owner of the patent, unless the owner agrees to such exploitation. Thus, while the owner is not given a statutory right to practice his invention, he is given a statutory right to prevent others from commercially exploiting his invention, which is frequently re-
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ferred to as a right to exclude others from making, using or selling the invention. The right to take action against any person exploiting the patented invention without his agreement constitutes the patent owner’s most important right, since it permits him to derive the material benefits to which he is entitled as a reward for his intellectual effort and work, and compensation for the expenses which his research and experimentation leading to the invention have entailed.
b) Connection to human rights By granting a monopole, a patent can hamper the access of humans to essential innovations such as pharmaceuticals or novel food. For this reason it is highly disputed how strong the protection of patent law shall be. Some argue that the protection must not be too weak, because then it would not stimulate potential inventors enough to invest in improvements for the realization of human rights. As it has not been possible yet to find a generally accepted consensus, this remains a political question analogous to the one for the best way to realize economic, social and cultural rights. The dilemma gets even more complex if the international effects of patent law are taken into account. De iure, though some international treaties deal with intellectual property law, an industrial property right counts only in the domestic area. De facto however, it can affect the human rights realization in foreign countries in many ways. Firstly, it can influence the price for the invention, which might increase to such a level that people in poor countries are no longer able to pay for it. In all cases this concerns the right to enjoy the benefits of scientific progress and its applications, in many cases also the right to health, and in some the right to food, to water and to housing.
2.) National duties concerning intellectual property law As the state adapts the structure of the patent law and it grants the patent, one can argue that it governs the monopole and hereby the source of interference, which impedes the access to variables relevant for human rights in other countries. Respectively, if the obstacle “patent” concerns the duty to respect or the duty to protect, the analogy to international environmental law can be applied, because the state has the possibility to change the situation on its territory.
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Certainly, the need remains to find the optimum balance between an adequate stimulation of the technical progression and access to human rights. Furthermore, according to the prior results the state is allowed to impede access to essential innovations in foreign countries by intellectual property law, if this improves access to these innovations for its own inhabitants. On the other hand, it has – as explained – within its discretion to take into account the possible consequences of its policies on the human rights of aliens. Thus, a state may not only for its own economic progress, disregard these impacts as this would in fact ignore the transnational elements of the Covenant. As a result, the state has a wide margin of discretion on which its patent law is formed, best to realize the economic, social and cultural rights on its territory, as well as in foreign ones. Not to be forgotten is that international treaties like the TRIPs–agreement might narrow this discretion, but at least it does not disappear completely. For example, a state is still flexible to grant compulsory licenses, create patent pools, adapt its anti trust law, maximum price provisions, or exporting duties. As it is incompatible with Article 31(3)(c) of the Vienna Convention on the Law of Treaties, the view that human rights treaties always reign over intellectual property treaties must be rejected. Rather, both treaties have to be applied conjointly, and an approach that allows both treaties to coexist must be found. There have been several attempts to deal with this problem in the area of the right to health, namely the Doha–Declaration, the TRIPs–waiver and the additional protocol on the TRIPs–agreement. Finally yet importantly, the TRIPS–agreement contains in its rarely discussed Articles 66 and 67(2) provisions that remind of the duty of international co– operation in the ICESCR. All these provisions of and around the TRIPS–agreement must be taken into account when interpreting it. Thus, in front of the Committee a state can only have a very limited claim of being hampered by the TRIPs–agreement on the realization of its transnational obligations in the field of intellectual property law. Rather, it has to demonstrate, according to general principles, that it has found the best way to cope with its human rights obligations.
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3.) The monitoring procedure for the transnational obligations in the field of intellectual property law a) Practical necessities The Committee is the only human rights body that deals with economic, social and cultural rights and that can constitute a counterpart to the WTO–Council, which is competent to handle questions on intellectual property, even if they affect human rights. In the area where both treaties overlap, both bodies are competent. De facto, a state will follow the recommendations of the one with the stronger enforcement procedures. As the ones of the WTO are very strong, the political procedure in front of the Committee must be highly developed if the duties of the ICESCR shall not exist only on paper.
b) The violations approach in the area of intellectual property law As discussed above, a combination of the violations approach and the IBSA–model delivers the best results. For the area of the duties to respect, indicators are only needed as a checklist, but not to measure the progressive realization. Yet, duties only exist as far as the analogy to the international environmental law reaches. Examples of violations of transnational obligations in the field of intellectual property law could be: -
Reprimand of another country that uses the flexibilities of the TRIPs–agreement in favor of human rights.
-
Pressuring country negotiators not to support positions embodying Doha Declaration objectives.
-
Use of trade pressure to impose TRIPS–plus–protection if this potentially harms the realization of human rights, which means intellectual property law that is stronger than the TRIPs requires.
-
Tightening its own patent law to the disadvantage of human rights, e.g. the abolishment of the possibility to grant exporting compulsory licenses. Here, there actually occurs a retrogressive step.
c) Transnational indicators in the area of intellectual property law For the progressive dimensions, one has to find transnational indicators that cover the area of patent and similar law.
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Indicator on the area of the obligations to protect could be: -
Controls against the misuse of patents such as the number of persons employed in anti trust law offices.
-
Voting and arguing in favor of human rights in international organizations for the protection of intellectual property.
-
Existence of a law against reverse payments.
-
Existence of a maximum exporting price for a certain invention relevant for the realization of human rights.
-
Percentage of exports compared on the total merchandising if the patentee holds patents for the same invention in several countries.
-
The number of alien licensees for an invention relevant for the realization of human rights.
Not a good indicator however would be the number of compulsory licenses, as it depends highly on the strength of the domestic patent protection. The weaker the latter is, the less compulsory licenses are needed. A little bit better would be the number of the compulsory licenses compared to the number of granted patents, but this is still imprecise as the number of patent applications filed is influenced by a number of legislative and economic questions. Besides the amount of financial development assistance, indicators for the obligations to fulfill could be, -
The total amount of essential drugs exported to developing countries.
-
The amount of domestically produced drugs that serve as treatment of diseases, which are primarily spread in foreign countries.
-
The amount of essential drugs that were produced by domestic factories and delivered free of charge to poorer countries.
-
The increase in the number of people in a foreign country that have access to safe potable water due to a invention on water preparation that was made on the territory of the monitored state.
-
Adoption of international partnerships for the transfer of essential technologies.
-
The amount of license fees the monitored state spent to export essential drugs.
-
The height of the promise of a reward for an invention that is primarily needed in foreign countries.
-
The average price for a certain invention relevant for the realization of human rights in a foreign country.
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d) Transnational benchmarks in the area of intellectual property law Due to its extremely wide margin of discretion on its transnational obligations concerning patent law, the IBSA–procedure is extraordinarily valuable in this field. States could set transnational outcome– benchmarks such as the number of deaths of HIV–infected people in a certain country, if it possesses the capacity to produce and to export pharmaceuticals against AIDS. Also, it could set structural benchmarks concerning their patent law such as the adoption of greater possibilities to grant compulsory licenses. Not least, process–benchmarks can be valuable such as the number of exported drugs into certain countries against AIDS.
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– Reliabilität: 102
Ausschuss: 49
– transnationale: 361
Assessment: 294 ff.
– Validität: 102; 123
Beweislast: 57 ff.; 363
– Zahl: 190
Benchmarks:
– Zulässigkeit: 106
– Aufstellungspflicht, fehlende: 228 ff.
Indizes: 199 ff.
– Bedingungsfeindlichkeit: 260
Kerninhalte:
– Begriff: 221
– Begriff: 13
– Rechtsnatur: 227; 269
– und Benchmarks: 291
– Zahl: 293
– und Indikatoren: 175; 181
– Zweck: 232
„List of issues“: 53
„Conduct“– und „Result“– Ebene: 39
NGOs, Begriff: 55
Datenerhebungsmethoden: 196
Operationalismus: 91
Disaggregation: 150 ff. Ergebnisindikatoren: 167 Ermessen: 16; 31; 63 General Comments, Relevanz: 325
Interdependenz: 26
Operationalisierung: 90 Patent: 366 ff. – mit verkürzter Laufzeit: 378 – Patentrechtstheorien: 368 – Rechtsfolge: 367; 369 – Voraussetzungen: 366
Globalisierungstheorie: 333
Progressive Realisierung: 9
Harmon–Doktrin: 338
Prozessindikatoren: 165
IBSA: 221
„Respect, Protect, Fulfil“: 34
Indikatoren:
„Scoping“:
– Auswahlverfahren: 123
– Begriff: 222; 264
– Beispiele: 450 ff.
– Beurteilungsspielraum: 256
– Definition: 86
– Verfahren: 282
– Kausalschlüsse, keine: 95
Rückschritte: 38
– Reihenfolge: 132
Strukturindikatoren: 164 Sumpflandmethapher: 124
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Teilhabe, menschenrechtliche: 33; 37; 166 Territorialitätsprinzip: 527 Transnationale Menschenrechtspflichten: 303 ff. TRIPs–Abkommen: 334; 408 Ubiquität: 372 Umweltrecht: 338 Variable: 85 „Violations–Approach“: 135 ff. Werturteilsproblem: 96
Sachregister
Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Hrsg.: A. von Bogdandy, R. Wolfrum Bde. 27–59 erschienen im Carl Heymanns Verlag KG Köln, Berlin (Bestellung an: Max-Planck-Institut für Völkerrecht, Im Neuenheimer Feld 535, 69120 Heidelberg); ab Band 60 im Springer-Verlag Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo, Hong Kong, Barcelona 217 Michael Duchstein: Das internationale Benchmarkingverfahren und seine Bedeutung für den gewerblichen Rechtsschutz. 2010. XXVI, 528 Seiten. Geb. E 99,95 216 Tobias Darge: Kriegsverbrechen im nationalen und internationalen Recht. 2010. XXXV, 499 Seiten. Geb. E 94,95 215 Markus Benzing: Das Beweisrecht vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten. 2010. L, 846 Seiten. Geb. E 139,95 214 Urs Saxer: Die internationale Steuerung der Selbstbestimmung und der Staatsentstehung. 2010. XLII, 1140 Seiten. Geb. E 169,95 213 Rüdiger Wolfrum, Chie Kojima (eds.): Solidarity: A Structural Principle of International Law. 2010. XIII, 238 Seiten. Geb. E 69,95 212 Ramin S. Moschtaghi: Die menschenrechtliche Situation sunnitischer Kurden in der Islamischen Republik Iran. 2010. XXIII, 451 Seiten. Geb. E 94,95 211 Georg Nolte (ed.): Peace through International Law. The Role of the International Law Commission. 2009. IX, 195 Seiten. Geb. E 64,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 210 Armin von Bogdandy, Rüdiger Wolfrum, Jochen von Bernstorff, Philipp Dann, Matthias Goldmann (eds.): The Exercise of Public Authority by International Institutions. 2010. XIII, 1005 Seiten. Geb. E 149,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 209 Norman Weiß: Kompetenzlehre internationaler Organisationen. 2009. XVIII, 540 Seiten. Geb. E 99,95 208 Michael Rötting: Das verfassungsrechtliche Beitrittsverfahren zur Europäischen Union. 2009. XIV, 317 Seiten. Geb. E 79,95 207 Björn Ahl: Die Anwendung völkerrechtlicher Verträge in China. 2009. XIX, 419 Seiten. Geb. E 289,95 206 Mahulena Hofmann: Von der Transformation zur Kooperationsoffenheit? 2009. XIX, 585 Seiten. Geb. E 299,95 205 Rüdiger Wolfrum, Ulrike Deutsch (eds.): The European Court of Human Rights Overwhelmed by Applications: Problems and Possible Solutions. 200 9. VIII, 128 Seiten. Geb. E 59, 95 zzgl. landesüblicher MwSt. 204 Niels Petersen: Demokratie als teleologisches Prinzip. 2 0 09. XXVII, 280 Seiten. Geb . E 79, 95 203 Christiane Kamardi: Die Ausformung einer Prozessordnung sui generis durch das ICTY unter Berücksichtigung des Fair-Trial-Prinzips. 2009. XVI, 424 Seiten. Geb. E 89, 95 202 Leonie F. Guder : The Administration of Debt Relief by the International Financial Institutions. 2009. XVIII, 355 Seiten. Geb. E 84, 95 zzgl. landesüblicher MwSt. 201 Silja Vöneky, Cornelia Hagedorn, Miriam Clados, Jelena von Achenbach: Legitimation ethischer Entscheidungen im Recht. 2009. VIII, 351 Seiten. Geb. E 84,95 200 Anja Katarina Weilert : Grundlagen und Grenzen des Folterverbotes in verschiedenen Rechtskreisen. 2009. XXX, 474 Seiten. Geb. E 94,95 199 Suzette V. Suarez: The Outer Limits of the Continental Shelf. 2008. XVIII, 276 Seiten. Geb. E 79,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 198 Felix Hanschmann: Der Begriff der Homogenität in der Verfassungslehre und Europarechtswissenschaft. 2008. XIII, 370 Seiten. Geb. E 84,95 197 Angela Paul: Kritische Analyse und Reformvorschlag zu Art. II Genozidkonvention. 2008. XVI, 379 Seiten. Geb. E 84,95 196 Hans Fabian Kiderlen: Von Triest nach Osttimor. 2008. XXVI, 526 Seiten. Geb. E 94,95 195 Heiko Sauer: Jurisdiktionskonflikte in Mehrebenensystemen. 2008. XXXVIII, 605 Seiten. Geb. E 99,95
194 Rüdiger Wolfrum, Volker Röben (eds.): Legitimacy in International Law. 2008. VI, 420 Seiten. Geb. E 84,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 193 Doris König, Peter-Tobias Stoll, Volker Röben, Nele Matz-Lück (eds.): International Law Today: New Challenges and the Need for Reform? 2008. VIII, 260 Seiten. Geb. E 69,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 192 Ingo Niemann: Geistiges Eigentum in konkurrierenden völkerrechtlichen Vertragsordnungen. 2008. XXV, 463 Seiten. Geb. E 94,95 191 Nicola Wenzel: Das Spannungsverhältnis zwischen Gruppenschutz und Individualschutz im Völkerrecht. 2008. XXXI, 646 Seiten. Geb. E 99,95 190 Winfried Brugger, Michael Karayanni (eds.): Religion in the Public Sphere: A Comparative Analysis of German, Israeli, American and International Law. 2007. XVI, 467 Seiten. Geb. E 89,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 189 Eyal Benvenisti, Chaim Gans, Sari Hanafi (eds.): Israel and the Palestinian Refugees. 2007. VIII, 502 Seiten. Geb. E 94,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 188 Eibe Riedel, Rüdiger Wolfrum (eds.): Recent Trends in German and European Constitutional Law. 2006. VII, 289 Seiten. Geb. E 74,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 187 Marcel Kau: United States Supreme Court und Bundesverfassungsgericht. 2007. XXV, 538 Seiten. Geb. E 99,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 186 Philipp Dann, Michal Rynkowski (eds.): The Unity of the European Constitution. 2006. IX, 394 Seiten. Geb. E 79,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 185 Pál Sonnevend: Eigentumsschutz und Sozialversicherung. 2008. XVIII, 278 Seiten. Geb. E 74,95 184 Jürgen Bast: Grundbegriffe der Handlungsformen der EU. 2006. XXI, 485 Seiten. Geb. E 94,95 183 Uwe Säuberlich: Die außervertragliche Haftung im Gemeinschaftsrecht. 2005. XV, 314 Seiten. Geb. E 74,95 182 Florian von Alemann: Die Handlungsform der interinstitutionellen Vereinbarung. 2006. XVI, 518 Seiten. Geb. E 94,95 181 Susanne Förster: Internationale Haftungsregeln für schädliche Folgewirkungen gentechnisch veränderter Organismen. 2007. XXXVI, 421 Seiten. Geb. E 84,95 180 Jeanine Bucherer: Die Vereinbarkeit von Militärgerichten mit dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 8 Abs. 1 AMRK und Art. 14 Abs. 1 des UN-Paktes über bürgerliche und politische Rechte. 2005. XVIII, 307 Seiten. Geb. E 74,95 179 Annette Simon: UN-Schutzzonen – Ein Schutzinstrument für verfolgte Personen? 2005. XXI, 322 Seiten. Geb. E 74,95 178 Petra Minnerop: Paria-Staaten im Völkerrecht? 2004. XXIII, 579 Seiten. Geb. E 99,95 177 Rüdiger Wolfrum, Volker Röben (eds.): Developments of International Law in Treaty Making. 2005. VIII, 632 Seiten. Geb. E 99,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 176 Christiane Höhn: Zwischen Menschenrechten und Konfliktprävention. Der Minderheitenschutz im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). 2005. XX, 418 Seiten. Geb. E 84,95 175 Nele Matz: Wege zur Koordinierung völkerrechtlicher Verträge. Völkervertragsrechtliche und institutionelle Ansätze. 2005. XXIV, 423 Seiten. Geb. E 84,95 174 Jochen Abr. Frowein: Völkerrecht – Menschenrechte – Verfassungsfragen Deutschlands und Europas. Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Matthias Hartwig, Georg Nolte, Stefan Oeter, Christian Walter. 2004. VIII, 732 Seiten. Geb. E 119,95 173 Oliver Dörr (Hrsg.): Ein Rechtslehrer in Berlin. Symposium für Albrecht Randelzhofer. 2004. VII, 117 Seiten. Geb. E 54,95 172 Lars-Jörgen Geburtig: Konkurrentenrechtsschutz aus Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EGV. Am Beispiel von Steuervergünstigungen. 2004. XVII, 412 Seiten. Geb. E 84,95 171 Markus Böckenförde: Grüne Gentechnik und Welthandel. Das Biosafety-Protokoll und seine Auswirkungen auf das Regime der WTO. 2004. XXIX, 620 Seiten. Geb. E 99,95 170 Anja v. Hahn: Traditionelles Wissen indigener und lokaler Gemeinschaften zwischen geistigen Eigentumsrechten und der public domain. 2004. XXV, 415 Seiten. Geb. 84,95